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German Pages 413 Year 2010
Josef Simon Philosophie als Verdeutlichung
Josef Simon
Philosophie als Verdeutlichung Abhandlungen zu Erkennen, Sprache und Handlung
Herausgegeben von Thomas Sören Hoffmann
De Gruyter
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Simon, Josef, 1930Philosophie als Verdeutlichung : Abhandlungen zu Erkennen, Sprache und Handlung / Josef Simon ; herausgegeben von Thomas Sören Hoffmann. p. cm. “Verzeichnis der Schriften Josef Simons“--P. Includes bibliographical references and indexes. ISBN 978-3-11-024646-9 (hardcover : alk. paper) 1. Philosophy. I. Hoffmann, Thomas Sören. II. Title. B83.S56 2010 190--dc22 2010023398
ISBN 978-3-11-024646-9 e-ISBN 978-3-11-024647-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York. Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
I Metaphysik und Erkenntnis Hegels Gottesbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Was ist Metaphysik und was wäre ihr Ende? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Grammatik und Wahrheit. Über das Verhältnis Nietzsches zur spekulativen Satzgrammatik der metaphysischen Tradition. . . . . . . 57 Teleologisches Reflektieren und kausales Bestimmen . . . . . . . . . . . . . 87 Begriff und Beispiel. Zur Aporie einer Philosophie und Systematik der Wissenschaften, dargestellt am Wissenschaftsbegriff Kants . . . . . 107 Die Zeitbedingtheit der Urteilsbildung. Zu Kants Modifizierung des Fürwahrhaltens als Meinen, Glauben und Wissen . . . . . . . . . . . . 139
II Sprache und Zeichen Reine und sprachliche Anschauung (Kant und Hegel) . . . . . . . . . . . . 159 Die Kategorien im „gewöhnlichen“ und im „spekulativen“ Satz. Bemerkungen zu Hegels Wissenschaftsbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Verführt die Sprache das Denken? Zur Metakritik gängiger sprachkritischer Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Hamann und die gegenwärtige Sprachphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . 221 Inkarnation der Sprache. Griechischer Logos – Kantische Vernunft – Hegelscher Absoluter Geist . . . . . . . . . . . . . . . 237 Zeichen und Zeit und das Problem der Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . 257
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Inhalt
III Ethik und Recht Moral oder Gerechtigkeit? Überlegungen zu einem Grundproblem der metaphysischen Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Diskussionsbeitrag zu dem Vortrag von K.-O. Apel: „Die transzendentalpragmatische Begründung der Kommunikationsethik und das Problem der höchsten Stufe einer Entwicklungslogik des moralischen Bewußtseins“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Intersubjektivität bei Kant und Hegel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Der Nächste als Kritik der Gemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Kritische Philosophie und Heilige Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Der einzelne Fall in Ethik und Recht. Anmerkungen zu Kants Moralphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Verzeichnis der Schriften Josef Simons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
Zur Einführung I. Die Philosophie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat in Deutschland eine ganze Reihe markanter Köpfe hervorgebracht, deren Profil und Leistung, so sehr sie schon zu Zeiten ihres akademischen Wirkens nicht zu übersehen waren, dennoch aus der Distanz noch einmal deutlicher zu werden vermögen. Die Köpfe, von denen die Rede ist und zu denen als einer der ersten der Autor der hier vorgelegten Abhandlungen, Josef Simon, zählt, sahen sich insgesamt in einer keineswegs einfachen Lage. Sie verfügten einerseits, anders als viele Heutige, noch über eine ganz selbstverständliche Vertrautheit mit einer philosophischen Tradition, die für sie von Platon bis Nietzsche reichte, eine Tradition, über die und deren Denkfiguren man sich leicht mittels jener Kürzel verständigen konnte, die in Adornos Umkreis nicht weniger verstanden wurden als in demjenigen Heideggers, die der Ritterschule genauso geläufig waren wie den neueren Phänomenologen. Andererseits sah sich diese Generation zugleich dem Kollaps jener überlieferten Schulformationen gegenüber, in denen man sonst – als Kantianer oder Marxist, als Thomist oder Neuhegelianer, als Lebensphilosoph oder Existenzialist – bequemen Unterschlupf hatte finden können. Die Philosophie schien vielmehr grundsätzlich auf den individuellen Ansatz zurückgeworfen, der aus dem, was er an überliefertem Erbe vorfand, neue Funken zu schlagen hatte, sofern es ihm nicht gelang, das genannte Erbe, sei es mit neuen philosophischen Bewegungen (etwa der von Wittgenstein ausgehenden Form der Sprachanalyse) oder Impulsen (den fernöstlichen beispielsweise), sei es mit dem Rekurs auf andere Wissenschaften fruchtbar zu vermitteln. Im Ergebnis kam es so zu einer ganzen Reihe von schöpferischen Adaptationen der klassischen Philosophie, zu jeweils neuen, individuellen Brechungen der Tradition, die, zumindest in den bemerkenswerten Fällen, in einer produktiven Spannung zwischen vergegenwärtigendem Zugriff und freier, „heterodoxer“ Fortschreibung standen. Um hier ein Beispiel statt anderer zu nennen: die alles andere als „glatten“ Hegeldeutungen Simons und Theunissens etwa, auch Gadamers, Klaus Hartmanns und selbst Henrichs, begründen so wenig einen neuen Hegelianismus, wie sie einen alten wiederbeleben; sie befragen Hegel auch nicht nach Begriffsund Theorierastern, die man schon fertig im Kopf hat, so wenig sie ihn nur historisch einzuordnen, damit aber zu musealisieren versuchen. Der Name
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Josef Simon steht dabei in besonderer Weise für ein exemplarisch freies und zugleich in der Sache strenges Denken, das er als Vertreter einer „skeptischen Generation“1 nicht als einziger, aber doch mit besonderer Eindringlichkeit zu pflegen verstand (und versteht) und das seinen ganzen Charme dann um so mehr entfaltet, wenn ein im Grunde bequemeres, nämlich mechanisches Denken entlang formaler Begriffsgeländer sich anschickt, die neue Scholastik zu werden.
II. Josef Simon wurde am 1. August 1930 in der Nähe von Wittlich geboren – in jener Gegend also, der mit Nikolaus von Kues auch ein anderer „skeptischer“ Kopf und Denker des Individuellen entstammt. Der Verweis auf den Kusaner ist dabei um so statthafter, als er als Gesprächspartner auf dem eigenen Denkweg für Simon in der Tat eine größere Bedeutung besitzt, als es ein Blick auch auf das dem vorliegenden Band beigegebene Schriftenverzeichnis zunächst nahelegt. Nicht nur kehren Verweise auf den Verfasser der Docta ignorantia und Dialektiker des Absoluten in Simons Monographien von der Habilitationsschrift bis zur Philosophie des Zeichens immer wieder; auch in den Lehrveranstaltungen spielte der spätmittelalterliche Denker eines „konjekturalen“, niemals adäquaten Erkennens eine mehr als nur marginale Rolle. Die erste große Qualifikationsarbeit Simons, die Dissertation, die in Köln bei Bruno Liebrucks (1911–1986) entstand, war indes einem anderen Dialektiker, sie war Hegel gewidmet, den sie, wohlgemerkt in gänzlich selbständiger Perspektive, erstmals im Zeichen sprachphilosophischer Fragestellungen zu lesen unternahm2. 1960 folgte Simon dem Lehrer nach Frankfurt, wo er bis 1967 eine Stelle als Wissenschaftlicher Assistent innehatte – nicht ohne hier insbesondere auch durch die Präsenz 1 2
Im Gespräch hat sich Josef Simon in einem solchen Sinne gelegentlich auf den entsprechenden bekannten Titel H. Schelskys bezogen. Die Dissertation Das Problem der Sprache bei Hegel wurde 1956 abgeschlossen; im Folgejahr wurde Simon mit ihr von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln promoviert; die „nur geringfügig überarbeitete“ Druckfassung erschien schließlich 1966 in Stuttgart. Simon hat mithin nicht nur deutlich vor Josef Derbolav („Hegel und die Sprache“, in: H. Gipper (Hg.), Sprache als Schlüssel zur Welt. FS Leo Weisgerber, Düsseldorf 1959), Erich Heintel („Der Begriff des Menschen und der ‚spekulative Satz‘“, in: Hegel-Studien 1 [1961], 201-227), Henri Lauener (Die Sprache in der Philosophie Hegels mit besonderer Berücksichtigung der Ästhetik, Bern 1962) und auch Bruno Liebrucks (Sprache und Bewußtsein, Bde. 1-7, Frankfurt am Main u. a. 1964-1979) das Thema „Sprache bei Hegel“ angeschlagen, sondern Hegel überhaupt erstmals in sprachphilosophischer Beleuchtung zu erschließen versucht.
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Adornos, mit dem es auf verschiedenen Ebenen zu näherem Austausch kam, gefördert zu werden. 1967 mit der höchst anspruchsvollen Studie Sprache und Raum, die der Frage nach dem „Raum sprachlichen Verhaltens“ als jenem Raum, „in dem etwas sinnlich erscheint“, gewidmet war3, in Frankfurt habilitiert, lehrte Simon dort in der Folge als Oberassistent, Dozent und Professor, bis er 1971 einen Ruf nach Tübingen auf die Nachfolge von Karl Ulmer erhielt. In Tübingen entstanden vor allem zwei der Werke, die Simons Namen auch über engere Fachgrenzen hinaus bekannt gemacht haben: zunächst die Monographie Wahrheit als Freiheit, in der man bereits jene „souveränene Widerlegung der Habermasschen Wahrheitstheorie (Consensus-Theorie)“ finden kann, von der Kurt Flasch einmal gesagt hat, daß sie, hätte Simon sie nur nach Art von „Modephilosophen“ „etwas plakativer vorgetragen“, „ein publizistisches Spektakel“ erzeugt haben würde4; dann das Handbuch Sprachphilosophie, das Simon ebensowohl in der Anknüpfung an die Sprachphilosophie der Tradition (Hamann, Humboldt, Nietzsche) wie in der Auseinandersetzung mit den führenden Theoretikern der Gegenwart (Chomsky, Derrida, Hjelmslev, Tarski, Wittgenstein u. a.) zeigt und ihn zum Gesprächspartner auch der Sprachwissenschaft machte. Gleichfalls noch in die Tübinger, dann freilich auch in die mit dem Ruf nach Bonn (1982) beginnende Zeit im Rheinland5 fällt bei Simon eine verstärkte Beschäftigung mit Nietzsche, die in der deutschen (und internationalen) Nietzsche-Forschung Epoche machen sollte6. Besonders zu nennen sind hier die in den 80er Jahren gemeinsam mit Mihailo Djuriü geleiteten Nietzsche-Kurse in Dubrovnik, bei denen sich die Wege zahlreicher älterer und jüngerer, vor allem aber die der Nietzsche-Forscher der Folgezeit kreuzten7. Wiederum nicht ohne Nietzsche denkbar, wenn 3 4 5 6
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J. Simon, Sprache und Raum. Philosophische Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Wahrheit und Bestimmtheit von Sätzen, Berlin 1969, 312. Kurt Flasch, „Die Welt ist alles, was mein Fall ist“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. August 2000. An die Universität Bonn ist Simon als Nachfolger Hans Wagners berufen worden. Kommissarisch hatte er in Bonn zugleich die Leitung der Abteilung für Kantforschung inne. Eine unübersehbare Zäsur für die neue, wissenschaftliche Befassung mit Nietzsche bildete bereits der Aufsatz „Grammatik und Wahrheit“, mit dem Simon den ersten Band der seit 1972 erscheinenden, von 1990 an von ihm mit herausgegebenen Nietzsche-Studien eröffnete. Der mehrfach neu abgedruckte bzw. übersetzte Beitrag wird schon wegen seiner Maßstäbe setzenden Rolle unten S. 57-86 erneut wiedergegeben. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu nennen wären hier – neben Djuriü und Simon – als Autoren, die „Dubrovnik“ durchlaufen bzw. mitgestaltet haben: Günter Abel, Kogaku Arifuku, Damir Barbariü, Ernst Behler, Tilman Borsche, Volker Gerhardt, Hans Krämer, Friedrich Kaulbach, Reinhard Maurer, Henning Ottmann, Robert B.
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auch keineswegs alleine auf ihn zu reduzieren, war dann die Ausarbeitung einer Philosophie des Zeichens, mit der Simon 1989 hervortrat und, durchaus inspiriert von poststrukturalistischen Ansätzen, jedoch ohne Engführung auf bloße Semiotik, einen neuen fundamentalphilosophischen Anstoß zu geben versuchte8. Das große Thema, dem Simon sich darauf (freilich alles andere als erstmals) zugewandt hat, ist die Philosophie Kants. In seiner letzterschienenen Monographie liest Simon den Königsberger Denker, im Gegenzug gegen manche alteingesessene Kant-Deutung, als den Anwalt „fremder Vernunft“, als den Denker eines jeweiligen „Fürwahrhaltens“ statt einer allbefassenden Wahrheit, aber auch als den Ethiker, der die Standpunktbedingtheit unserer Maximenbildung gerade dann nicht überspringt, wenn er – wiederum gegen die gängige Meinung – die Ethik nicht „Handlungen“, sondern „Maximen zu Handlungen“ prüfen läßt. Unter den zahlreichen Deutungen, die Kants Philosophie seit mehr als 200 Jahren gefunden hat, ist diejenige Josef Simons zweifellos eine der „eigenwilligsten“, wenn damit gemeint ist, daß Kant hier eben nicht als „Kantianer“ für ebensolche zu Markte getragen wird. Simon versucht hier vielmehr, die Augen für einen Denker zu öffnen, der, nur weil er in den Lehrbüchern steht, noch nicht verstanden sein muß und in dessen Werk nicht wenige Spuren eines selbst eher „fremden“ und unkonventionellen Denkens noch freizulegen sind. Im Jahre 2004 hat die Aristoteles-Universität in Thessaloniki, an der Simon mehrfach Gastvorträge, darunter solche zu Aristoteles wie auch zu Kant, gehalten hat, ihm für sein Gesamtwerk die Würde des Ehrendoktors verliehen.
III. Das Œuvre Josef Simons umfaßt über die Monographien hinaus eine stattliche Anzahl von philosophischen Abhandlungen, die thematisch zwar immer auch mit den genannten Büchern verflochten, immer wieder aber auch über diese hinausführend sind. Entstanden aus den unterschiedlich-
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Pippin, Werner Stegmaier, Slobodan Žunjiü. Die Dubrovniker Nietzsche-Deutung (wenn man von einer solchen zusammenfassend sprechen will) stellte in gewisser Hinsicht ein Gegenstück zu der Entideologisierung des Nietzschebildes dar, die von philologischer Seite mit dem Erscheinen der kritischen Nietzsche-Ausgabe von G . Colli und M. Montinari (seit 1967) eingeleitet worden war. „Die Semiotik will sagen, was Zeichen seien und welche Arten es davon gebe, z. B. Metaphern, Symbole, Codes usw. …. Damit ist sie regionale Wissenschaft und nicht Philosophie des Zeichens, auch wenn sie selbst ihren Gesichtspunkt als den allgemeinsten versteht“ (J. Simon, Philosophie des Zeichens, Berlin / New York 1989, 18).
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sten Anlässen, wie sie der akademische Alltag mit sich bringt – als Forschungs- wie als Handbuchbeitrag, als Gastvortrag wie als Abhandlung für die Festschrift des Kollegen –, führen diese Beiträge gerade bei Simon oft auf Neuland, ja auf „experimentelle“ Anwendungen des eigenen Denkens hin9. Gleichwohl streben die Beiträge in ihrer Fülle nicht einfach nur auseinander, sie fügen sich vielmehr ungezwungen zu einer in sich stimmigen Einheit. Die vorliegende Auswahl von 18 exemplarischen aus inzwischen nahezu 300 vorliegenden Abhandlungen verfolgt entsprechend ein doppeltes Ziel. Sie möchte zum einen von einer bunten und breiten Palette philosophischer Themen her mit einem Denken vertraut machen, das gerade wegen seiner inneren Unabhängigkeit überzeugend und auch dann noch vorbildlich wirken kann, wenn es zur Gegenrede reizt. Zum anderen aber versucht sie, die systematischen Querverbindungen zwischen den Themen, die in den hier versammelten Beiträgen in Sachen kritischer Erkenntnislehre, Sprach- und Zeichenphilosophie sowie Ethik und Rechtsphilosophie zur Sprache kommen, möglichst zwanglos vor Augen zu führen. Eine mehr als verbale, vielmehr im Zeichen einer Philosophie der Sprache bzw. des Zeichens radikal vollzogene kritische Distanzierung von allen Formen dogmatischer Metaphysik kann zum Beispiel nicht ohne Rückwirkungen auch auf die praktische Philosophie bleiben. So, wie Kants kritische Ethik und der mit ihr geforderte Verzicht auf jede Art vorlaufendes Wissen um ein material Gutes oder Vollkommenes nur die Kehrseite der theoretischen „kopernikanischen Wende“ ist, die Kant vollzieht, kann es auch für Simon keine von den Standpunkten der Subjekte unabhängige materiale Zielbestimmung des Handelns, erst recht keine zur Hypostase erhobene, einen Konsens im Urteilen voraussetzende „Intersubjektivität“ geben, in deren Namen nur allzu oft unreflektiert metaphysische Grundvorstellungen aufbewahrt sind. Nach Simon liegt eben darin – im Verzicht auf das „Ideal“ einer „Übereinstimmung in Urteilen“ – für die Ethik keine Bedrohung, sondern eine Chance. Die Ethik gelangt nämlich jetzt dazu, den „Nächsten“ als einen 9
Dafür, daß Simon bestimmte Themen den Abhandlungen anvertraut oder doch zuerst in ihnen entwickelt hat, gibt es eine Reihe von bemerkenswerten Beispielen. So wird eine mögliche Rekonstruktion der Kantischen Kategorientafel mit Rückgriff auf die Modi des Fürwahrhaltens in dem Festschriftenbeitrag für Klaus Hartmann „Kategorien der Freiheit und der Natur. Zum Primat des Praktischen bei Kant“ (1990) entwickelt. Im gleichen Jahr wird (im Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts) ein Ausblick auf „Goethes Sprachansicht“ publiziert; zehn Jahre später wendet sich Simon – das Kantbuch wird darauf zurückkommen – „Johann Heinrich Lamberts Zeichenkunst“ zu. Ebenso hat Simon seit den 90er Jahren im Gespräch mit Kollegen aus Japan auch aktuelle Probleme wie das einer ökologischen Ethik, der Globalisierung oder auch der neurologischen Debatte aufgegriffen (cf. dazu die im Schriftenverzeichnis genannten, von Tomonobu Imamichi herausgegebenen Beiträge).
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solchen (und nicht als anonyme Instanz praktischer Reflexion) zu denken. Und sie gelangt ebenfalls dazu, im Recht ihr notwendiges Komplement, nicht ihre Entfremdung zu erkennen. Eine der großen Linien, die in dem vorliegenden Band zu ziehen versucht wurde, betrifft eben den Zusammenhang zwischen kritischem theoretischem Denken, Neubestimmung der Ethik und Einsicht in die Funktion des Rechts, Freiheitsgewährleistung gerade im Zeichen bleibender (und bejahter) Differenz zu sein. Andere Linien dieser Art werden sich dem Leser von selbst ergeben.
IV. Zu einer Auswahl wie der hier vorgelegten lassen sich immer Alternativen denken, und es lassen sich selbstverständlich auch Gründe anführen, die für andere als die gewählten Titel sprechen können. Die Antwort darauf kann nur darin bestehen, diejenigen Gründe zu nennen, die eben das hier vorgelegte Resultat hervorgebracht haben. Der Herausgeber hat sich bei der Entscheidung von insgesamt fünf Gesichtspunkten leiten lassen, die hier genannt seien: 1. Es sollten thematisch bzw. systematisch möglichst alle Arbeitsfelder abgedeckt werden, zu denen Josef Simon weiterführende Beiträge geliefert hat – es zeigte sich dabei schnell, daß dies mehr oder weniger das gesamte Gebiet der Philosophie betraf. Der Aufbau des Buches spiegelt die entsprechende relative systematische „Vollständigkeit“ wider: der Bogen spannt sich zunächst von einer Themenstellung, die der klassischen Metaphysik entstammt, über die ausdrückliche Problematisierung von Metaphysik und Grundfragen des theoretischen Denkens zunächst zu Simons erkenntniskritischer Wissenschaftsphilosophie. In einer zweiten Sektion sind dann Beispiele für ein sprach- und zeichenphilosophisches Denken versammelt, das die erkenntniskritischen Präliminarien bereits voraussetzt und von ihnen her Simons Gegenentwurf zu dem Intellektualismus und Konstruktivismus der metaphysisch bzw. rationalistisch bestimmten Tradition plastisch hervortreten läßt. Nicht zuletzt in diesem Kontext werden dann auch Themen angeschlagen, die – wie das Thema der Zeitlichkeit oder der Standpunktbedingtheit unseres Verstehens – zu den Grundtopoi von Simons Ansatz zählen. In einem dritten Teil folgen schließlich die Beiträge zur Philosophie des Handelns, wobei auch hier soweit möglich eine systematische Abfolge von den Grundbegriffen wie „Gerechtigkeit“ oder „Intersubjektivität“ hin zu den spezielleren Themen wie „Moral und Recht“, „Nächster“ und „Gemeinschaft“ beobachtet wird. 2. Es sollten ferner auch historisch möglichst alle Denker repräsentiert sein, denen Simon sich schwerpunktmäßig zugewandt hat. In der vorlie-
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genden Auswahl ist dies zumindest für seine allerwichtigsten Gesprächspartner, also Kant, Hamann, Hegel und Nietzsche, schon insofern der Fall, als zu jedem der genannten Autoren mindestens ein ihm gewidmeter Aufsatz wiedergegeben ist. Aber auch andere für Simon besonders relevante Autoren wie Platon, Aristoteles, Descartes, Leibniz, Humboldt oder Wittgenstein wird man nicht nur mit Hilfe des Personenregisters immer wieder, nochmals andere wie Thomas von Aquin, Herder, Frege, Husserl, Heidegger, Levinas oder Derrida wenigstens fallweise herangezogen finden. Für die Auseinandersetzung mit Generationsgenossen mag im übrigen der hier abgedruckte Diskussionsbeitrag zu Karl-Otto Apel stehen, der in exemplarischer Miniatur Simons Art und Weise der Abwehr neuer philosophischer Imperialismen faßbar werden läßt. 3. Weiterhin wurde angestrebt, Simons Werk in allen Schaffensperioden zu spiegeln. Die Auswahl reicht in dieser Hinsicht von dem ersten Kongreßbeitrag (aus dem Jahre 1967) über weitere Frankfurter sowie Tübinger Studien bis hin zu der Zeit als Bonner akademischer Lehrer und als Emeritus. Querverbindungen zu den Simon monographisch jeweils besonders beschäftigenden Fragestellungen lassen sich leicht herstellen, zugleich aber treten manche (wie schon erwähnt) den Abhandlungen vorbehaltene Themen auf; dies gilt etwa auch für die Religionsphilosophie, die in mindestens drei Beiträgen eine herausgehobene Rolle spielt. 4. Ein nächster Gesichtspunkt betraf die Rezeption und Breitenwirkung der Simonschen Arbeiten. Zwar wurde (bewußt) nicht versucht, die meistzitierten oder auch meistübersetzten Arbeiten Simons hier ein weiteres Mal vorzulegen. Dennoch konnten natürlich bestimmte „Klassiker“ wie der soeben erwähnte Beitrag „Grammatik und Wahrheit“ oder der für die HamannForschung wegweisende Text „Hamann und die gegenwärtige Sprachphilosophie“ nicht übergangen werden. Ebenfalls nicht fehlen sollten die beiden Aufsätze „Die Kategorien im ‚gewöhnlichen‘ und im ‚spekulativen‘ Satz“ und „Teleologisches Reflektieren und kausales Bestimmen“, mit denen Simon in den 80er Jahren englischsprachigen Lesern als Vertreter der zeitgenössischen deutschen Philosophie vorgestellt worden ist. Andere Beiträge wiederum sind so ausgewählt, daß sie auch stellvertretend für weitere, mitunter vielbeachtete, hier aber ausgelassene Titel stehen können10. 5. Schließlich ging es darum, Beiträge zu versammeln, die auch das aktuelle Philosophieren noch immer anregen können bzw. in dieser Hinsicht mit Sicherheit noch nicht ausgeschöpft sind. Der Herausgeber ist der Über10 So mag der Beitrag „Zeichen und Zeit und das Problem der Bedeutung“ (1998) den Titel „Zeichen und Zeit“ (1993), der Gerhard Schmidt zum 65. Geburtstag gewidmet war, ebenso vertreten, wie der erwähnte Hamann-Aufsatz das sehr einschlägige Vorwort Simons zu seiner Ausgabe von Hamanns Schriften zur Sprache (1967) usw.
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zeugung, dies für alle drei Sektionen, ja für jeden einzelnen Artikel in Anspruch nehmen zu können. Er dankt bei dieser Gelegenheit allen, die bei der Auswahl beratend mitgewirkt haben, insbesondere Frau Gertrud Simon sowie den Herren Axel Hesper, Klaus Honrath und Werner Stegmaier.
V. Ein Wort noch zu dem Titel, der über der vorliegenden Auswahl steht! Er schließt einerseits an einen von Josef Simon selbst gelegentlich gewählten Aufsatztitel an11, andererseits aber (und mehr noch) an ein Motiv, das Simon, auf Kant Bezug nehmend, immer wieder zur Geltung gebracht hat, und in dem in der Tat mehrere Hauptlinien seines philosophischen Denkens zusammenlaufen. Anders als die Mathematik gelangt nach Kant die Philosophie nicht vermittelst der „Konstruktion“ von Begriffen zu Erkenntnissen, sondern aus deren „Erklärung“12. Die „Erklärung“ von Begriffen als Aufgabe einer sich nachmetaphysisch verstehenden Philosophie ist dabei nicht zu verwechseln mit dem selbst noch auf eine metaphysische Semantik verpflichteten Versuch, aus (je gegebenen) Begriffen durch „korrekte“ Analyse zu deren „wahrer“ Bedeutung durchzustoßen. Eine „Erklärung“ macht sich vielmehr den gegebenen Begriff von den anderen Begriffen her, die ihr jeweils schon deutlich sind, „deutlich“. Darin liegt nicht etwa ein Verzicht auf Wahrheit überhaupt, sondern der kritische Vorbehalt, daß es „Wahrheit“ vorbei am wirklichen Verstehen wirklicher Subjekte nicht geben kann. Da das wirkliche Subjekt aber genau dasjenige Subjekt ist, das sich in seinen wirklichen (und kraft dieser Wirklichkeit auch sein Handeln begründenden) Verdeutlichungen von Begriffen zeigt, wird „die Frage nach der Deutlichkeit … eine unentbehrliche Komponente der Frage nach der Wahrheit. Es ist die Frage nach der Sprache, in der das jeweilige Fürwahrhalten sich vor sich selbst und vor anderen darstellen soll“13. Die Aufgabe der Philosophie ist es jetzt nicht zuletzt, daran zu erinnern, daß in der wirklichen Welt nicht einfach Wahrheit und Unwahrheit, sondern sich je so oder anders 11 Cf. J. Simon, „Philosophie als Verdeutlichung und die Deutlichkeit der Welt“, in: Rolf W. Puster (Hg.), Veritas filia temporis? Philosophiehistorie zwischen Wahrheit und Geschichte. Festschrift für Rainer Specht, Berlin/New York 1995, 62-75. 12 Cf. Kant, Kritik der reinen Vernunft A 729f. / B 757f.; cf. auch Logik (hg. Jäsche), AA IX, 23: „Nur die verschiedene Art des Vernunfterkenntnisses oder Vernunftgebrauches in der Mathematik und Philosophie macht allein den specifischen Unterschied zwischen diesen beiden Wissenschaften aus. Philosophie nämlich ist die Vernunfterkenntniß aus bloßen Begriffen, Mathematik hingegen die Vernunfterkenntniß aus der Construction der Begriffe“. 13 J. Simon, „Philosophie als Verdeutlichung und die Deutlichkeit der Welt“, a. a. O., 75.
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„darstellende“ Weisen des Fürwahrhaltens, d. h. der Begriffsverdeutlichung, aufeinander prallen. Darin liegt zunächst die Erinnerung, daß mit jeder Weise, sich einen Begriff zu verdeutlichen, eine Verantwortlichkeit einhergeht; nach Simon gilt „auch auf die Wissenschaft bezogen …, daß das Urteilen nicht als Entdecken ‚der‘ Wahrheit verstanden werden kann, sondern als zu verantwortende Tätigkeit“14. Darin liegt aber auch die andere, nochmals grundsätzlichere Erinnerung, daß, „da die Verdeutlichung der Begriffe in jedem Fall irgendwann abgebrochen werden muß, … die Urteile in jeder Verdeutlichung ihrer Begriffe zugleich ‚Vorurteile‘“ „bleiben“15. „Abgebrochen“ werden Verdeutlichungen wesentlich von dem Zweck her, dem sie dienen. Niemand „verdeutlicht“ irgend etwas, ohne dabei den Zweck des „besseren“ Verstehens im Hinblick auf einen für ihn letzten Zweck zu verfolgen. „Auch im Anschluß an Kant“, so Simon, „könnte man sagen, die Bedeutung eines Wortes läge im Zweck seines Gebrauchs. Der Zweckbegriff wird zum zentralen, die verschiedenen Disziplinen der Philosophie zusammenhaltenden Begriff“16. Entsprechend hält auch im vorliegenden Band der Begriff der „Verdeutlichung“ die Disziplinen der Philosophie zusammen. Wenn es die entscheidende Einsicht aller Kritik der Metaphysik ist, daß niemand durch reines Denken beim Absoluten ankommt bzw. „das Denken“ nicht länger „unmittelbar als Denken ‚des Seins‘“ gedacht werden kann17, daß vielmehr jeder zunächst an sein ihm je mögliches Fürwahrhalten und dessen „verdeutlichende“ Darstellung gewiesen ist, dann liegt schon darin der auch ethisch relevante Verzicht auf die Meinung, ein „gutes“ oder „gerechtes“ Zusammenleben habe zunächst für eine materiale Übereinstimmung in Urteilen statt für eine Bewußtmachung der je eigenen Verantwortung für das eigene Urteil zu sorgen. Und wenn es umgekehrt unsere Zwecke sind, denen gemäß wir jeweils unsere Verdeutlichungen abbrechen, dann heißt dies umgekehrt, daß auch theoretische Gewißheiten von den jeweiligen Zwecken abhängen, nach denen wir sie gebildet haben. Sie sind dann aber Gewißheiten „auf Zeit“, so wie alle Verdeutlichung von Begriffen nur je eine Verdeutlichung „auf Zeit“, niemals eine „für alle Zeit“ sein kann. Simon hat sich von dieser Perspektive her immer gerne auf Hegels 14 Cf. a. a. O., 74; außerdem insbesondere J. Simon, „Weltbild und Gewissen“, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 18.1 (1993), 23-39. 15 J. Simon, „Die Zeitbedingtheit der Urteilsbildung. Zu Kants Modifizierung des Fürwahrhaltens als Meinen, Glauben und Wissen“, in: Kodalle, Klaus-M.: ZeitVerschwendung, Würzburg 1999, 43 (im vorliegenden Band S. 139-156). 16 J. Simon, Kant. Die fremde Vernunft und die Sprache der Philosophie, Berlin / New York 2003, 16. 17 J. Simon, „Das absolute Zeigen“, in: Keßler, Michael / Pannenberg, Wolfhart / Pottmeyer, Hermann Josef (Hg.), Fides quaerens intellectum. Beiträge zur Fundmentaltheologie, Tübingen 1992, 118f.
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Wort von der „Philosophie“ berufen, die „ihre Zeit in Gedanken erfaßt“ sei18. Philosophie ist für ihn damit der Versuch, für die je eigene Zeit Antworten zu finden, die in dem gleichen Maße verantwortbar wie befriedigend sind. Daß sie dies nicht auch für eine andere Zeit sein müssen, macht sie keineswegs schon einfach unwahr.
VI. Die in diesem Band versammelten Beiträge werden ohne neuerliche Überarbeitung durch den Verfasser abgedruckt. Von Seiten des Herausgebers wurden ausschließlich offensichtliche Versehen in den Vorlagen korrigiert, wobei in den wenigen Fällen einer nicht nur ganz marginalen Anpassung diese im fortlaufenden Text durch eckige Klammern kenntlich gemacht worden ist. Die wichtigste Zutat in dieser Edition besteht im übrigen darin, daß die Nachweise aus den Klassikern im Falle von Kant, Hegel und Nietzsche durchgängig um Verweise auf die gängigen (kritischen) Ausgaben ergänzt wurden, während zugleich die ursprünglichen Fundorte weiterhin angegeben werden. Verwendet wurden dazu für Kant die Gesammelten Schriften in der Ausgabe der (Königlich-)Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1902ff. (AA), die Simon freilich ohnehin weitgehend benutzt hat; für Hegel die Ausgabe der Gesammelten Werke der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968ff. (GW), sowie für Nietzsche die Kritische Gesamtausgabe, hg. von G . Colli / M. Montinari, Berlin 1967ff. (KGW). Hier wie auch in den anderen Fällen von Klassikerzitaten wurden diese erneut überprüft und in einigen (seltenen) Fällen gegebenenfalls stillschweigend korrigiert19. Im Text selbst wie auch in den Fußnoten werden im Interesse der Abgleichbarkeit mit den Erstpublikationen die Originalpaginierungen angezeigt. An dieser Stelle seien die Ersterscheinungsorte der hier wiedergegebenen Beiträge in der Reihenfolge des Wiederabdrucks verzeichnet: 1. Hegels Gottesbegriff, in: Theologische Quartalsschrift 162.2 (1982), 82-104. 2. Was ist Metaphysik und was wäre ihr Ende?, in: Metaphysik nach Kant? Stuttgarter Hegel-Kongreß 1987, hg. von Dieter Henrich, RolfPeter Horstmann, Stuttgart 1988, 505-527. 18 Cf. nur J. Simon, „‚Zeit in Gedanken erfaßt‘. Zum Verhältnis von Begriff und Zeit bei Hegel“, in: Hegel-Jahrbuch 1996, 13-20. 19 Im Falle Hamanns wurden zudem die Angaben nach der Nadler-Ausgabe komplettiert.
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3. Grammatik und Wahrheit. Über das Verhältnis Nietzsches zur spekulativen Satzgrammatik der metaphysischen Tradition, in: NietzscheStudien 1 (1972), 1-26. 4. Teleologisches Reflektieren und kausales Bestimmen, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, 30.3 (1976), 369-387. 5. Begriff und Beispiel. Zur Aporie einer Philosophie und Systematik der Wissenschaften, dargestellt am Wissenschaftsbegriff Kants, in: KantStudien 62.3 (1971), 269-297. 6. Die Zeitbedingtheit der Urteilsbildung. Zu Kants Modifizierung des Fürwahrhaltens als Meinen, Glauben und Wissen, in: Zeit-Verschwendung, hg. von Klaus-M. Kodalle, Würzburg 1999, 29-45. 7. Reine und sprachliche Anschauung (Kant und Hegel), in: Das Problem der Sprache, VIII. Deutscher Kongreß für Philosophie, hg. von HansGeorg Gadamer, München 1967, 159-167. 8. Die Kategorien im „gewöhnlichen“ und im „spekulativen“ Satz. Bemerkungen zu Hegels Wissenschaftsbegriff, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie 3 (1970), 9-37. 9. Verführt die Sprache das Denken? Zur Metakritik gängiger sprachkritischer Ansätze, in: Philosophisches Jahrbuch 83.1 (1976), 98119. 10. Hamann und die gegenwärtige Sprachphilosophie, in: Johann Georg Hamann. Acta des 2. Internationalen Hamann-Colloquiums, hg. von Bernhard Gajek, Marburg 1983, 9-20. 11. Inkarnation der Sprache. Griechischer Logos – Kantische Vernunft – Hegelscher Absoluter Geist, in: Incarnation (Biblioteca dell’„Archivio di Filosofia“), hg. von Marco M. Olivetti, Padova 1999, 233-251. 12. Zeichen und Zeit und das Problem der Bedeutung, in: Signs & Time, Zeit & Zeichen, hg. von Ernest W.B. Hess-Lüttich, Brigitte SchliebenLange, Tübingen 1998, 27-40. 13. Moral oder Gerechtigkeit? Überlegungen zu einem Grundproblem der metaphysischen Ethik, in: Überlieferung und Aufgabe. Festschrift für Erich Heintel zum 70. Geburtstag, hg. von Herta Nagl-Docekal, Wien 1982, 2. Teilband, 195-211. 14. Diskussionsbeitrag zu dem Vortrag von K.-O. Apel: „Die transzendentalpragmatische Begründung der Kommunikationsethik und das Problem der höchsten Stufe einer Entwicklungslogik des moralischen Bewußtseins“, in: Archivio di filosofia, 54.1-3 (1986), 159-165. 15. Intersubjektivität bei Kant und Hegel?, in: Hegels Theorie des subjektiven Geistes, hg. von Lothar Eley, Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, 313-338. 16. Der Nächste als Kritik der Gemeinschaft, in: Archivio di filosofia, 54.1-3 (1986), 347-357.
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Zur Einführung
17. Philosophie critique et Écriture sainte, in: Bible et philosophie. Revue de Métaphysique et de Morale 4 (2000), 441-460. Dieser Beitrag erscheint hier erstmals in deutscher Sprache. 18. Der einzelne Fall in Ethik und Recht. Anmerkungen zu Kants Moralphilosophie, in: Die Ausnahme denken. Festschrift zum 60. Geburtstag von Klaus-Michael Kodalle, hg. von Claus Dierksmeier, Würzburg 2003, Bd. 1, 117-126.
VII. Die vorliegende Ausgabe wäre ohne die engagierte Mitarbeit einer Reihe von tatkräftigen Helfern nicht zustande gekommen. Ich danke an erster Stelle meinem Mitarbeiter, Herrn Dr. Klaus Honrath, für die vorzügliche Koordination aller notwendigen Arbeiten innerhalb einer sehr überschaubaren Frist wie auch für alles kritische und konstruktive Mitdenken in Einzelfragen. Texterstellung, Überprüfung der Zitate sowie die Korrekturen lagen ansonsten in den Händen von Janine Böckelmann, Sarah Stietenroth, Patrick Tschirner und Jasmine Tyler, bei denen sie sich als bestens aufgehoben erwiesen – auch im Namen des Autors möchte ich den Betreffenden dafür herzlich danken. Der Verlag de Gruyter, bei dem die wichtigsten Monographien Simons wie auch eine Festschrift zu seinem 65. Geburtstag erschienen sind, hat sich erfreulicherweise bereit gefunden, auch dieses Buch in sein Programm aufzunehmen; ich danke dafür insbesondere Frau Dr. Gertrud Grünkorn, wie ich allen Einzelpersonen und Verlagshäusern zu Dank verpflichtet bin, die die Abdruckrechte für das erneute Erscheinen zur Verfügung gestellt haben. Schließlich danke ich Frau Gertrud Simon für ihre stete Hilfsbereitschaft sowie für Rat und Tat bei der Begleitung eines Projekts, mit dem Josef Simon nicht zuletzt zum 80. Geburtstag, allerdings auch unabhängig von diesem Anlaß, geehrt werden soll. Das „Ad multos annos!“ mag sich dabei auf den Jubilar selbst wie auf die Spuren beziehen, die seine Schriften hoffentlich noch für lange Zeit hinterlassen werden. Hagen, im Frühjahr 2010 Thomas Sören Hoffmann
I Metaphysik und Erkenntnis
Hegels Gottesbegriff I. |82| Nach Hegel ist die Philosophie absolutes Wissen und als solches auch Wissen des Absoluten. Eine Abhandlung über Hegels Gottesbegriff müßte deshalb eigentlich identisch sein mit einer Darstellung der Hegelschen Philosophie im ganzen. Es versteht sich von selbst, daß das in dem hier gesteckten Rahmen nicht möglich ist, und damit ergibt sich schon die Frage, wie von Hegels Gottesbegriff gesprochen werden kann, ohne den entscheidenden Punkt, nämlich die Absolutheit des Gegenstandes, zu ignorieren. Es soll folgender Weg versucht werden: zu interpretieren, was es heißen kann, daß die Philosophie absolutes Wissen und damit Wissen des Absoluten sei, und worin die Logik dieses Wissens besteht. Das entspräche der Forderung Hegels, vom „natürlichen Bewußtsein“ und dessen auf endliche Gegenstände bezogener Logik zur Logik der Philosophie hinzuführen, statt ihm den (absoluten) Gegenstand der Philosophie ohne weiteres und unvermittelt zuzumuten, so daß er dann, im gleichen Sinne von Gegenständlichkeit, neben die Gegenstände des „natürlichen Bewußtseins“ zu stehen käme1. 1
Daß Philosophie, im Unterschied zu anderen Wissenschaften, Wissenschaft vom Absoluten sei, ist für Hegel, wie vor allem in der Einleitung in die „Phänomenologie des Geistes“ deutlich wird, selbstverständliche Voraussetzung. Die Frage ist nur, wie sich das Bewußtsein aus dem Bewußtsein seiner Endlichkeit und dem entsprechenden Skeptizismus, den absoluten Gegenstand nicht erreichen zu können, „zum selbstbewußten Geist“ (vgl. Phänomenologie des Geistes [ed. Hoffmeister], Hamburg 1949 [im folgenden „Phän.“], 13; GW 9, 12), als der es sich als „absolutes Wissen“ begreift, heraufarbeitet oder bildet (Phän., 11; GW 9, 11). Für Hegel ist diese „Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft“ (Phän., 67; GW 9, 56) die Bildung zum absoluten Denken in den Formen, die in der „Wissenschaft der Logik“ entwickelt sind. Sie ist die Logik der Philosophie, und als solche ist sie zugleich die Logik, in der allein das Absolute, als der „einzige Gegenstand und Inhalt der Philosophie“ (Wissenschaft der Logik [ed. Lasson], Hamburg 1951 [im folgenden „Log.“], II, 484; GW 12, 236), gedacht werden kann. Damit ist sie auch die Logik der Selbstdarstellung des Absoluten für das endliche Bewußtsein. Anderenfalls bliebe das Denken von seinem Gegenstand (und dessen eigener Struktur) verschieden und wäre deshalb weder Denken des Absoluten noch wirklich wahres Denken in einem absoluten Sinn. Das bedeutet, daß vor allem die Logik der „natürlichen Vorstellung“ (Phän., 63; GW 9, 53) überwunden werden muß, nach der etwas, was selbst nicht Begriff sein soll, ,unter‘ Begriffe zu fassen sei. Wie die objektive Gültigkeit eines Denkens zufolge dieser, also der „formalen“ Logik gedacht werden
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Metaphysik und Erkenntnis
Das menschliche Wissen ist natürlich auch für Hegel endliches Wissen. Es subsumiert, was es erkennen will, unter Begriffe, die es in seiner Endlichkeit hat und die es an Gegenstände heranträgt. Sein Begriff vom Gegenstand ist insofern der eines Gegenstandes, der von ihm als Wissen wesentlich unterschieden ist, und es bleibt dabei, daß Begriffe und Gegenstände sich nicht entsprechen. Endliche Erkenntnis ist wesentlich ein unabschließbarer Prozeß, in dem sich entweder Begriffe bzw. die aus |83| Begriffen gebildeten Theorien nach den Beobachtungen oder diese nach den begrifflichen Theorien richten sollen. Vor allem bleibt unklar, was unter Erkenntnis als einer Annäherung dieser beiden Seiten aneinander zu verstehen sei, wenn nicht auf eine institutionalisierte oder doch wenigstens habitualisierte Weise, in der sich das Bewußtsein jeweils selbst zu einer bestimmten Wissenschaft gebildet hat, feststeht, wie im Umgang mit den Dingen die Wahrheit eines Satzes festgestellt werden soll. Einen absoluten Begriff der Wahrheit, der von solch einem Bildungszustand des Bewußtseins selbst abgelöst wäre, gibt es für Hegel in bezug auf die Wahrheit von Sätzen, in denen etwas unter einen Begriff subsumiert wird, nicht2. Eine
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könne, war Thema der „transzendentalen Logik“ Kants. Da dieser Ansatz aber, um der Lösung seiner Ausgangsfrage willen, gerade das Denken des absoluten Gegenstandes |83| ausschließt, vollzieht Hegel den Schritt über Kants „transzendentale Logik“ hinaus zu einer Logik, in der schon der Begriff des Begriffs sich vom Begriff als Subsumtionsbegriff unterscheidet. Allgemeinbegriffe im Sinne von Subsumtionsbegriffen sind, da sie sich auf Nichtbegriffliches beziehen sollen, von ihrem Gegenstand wesentlich getrennt. Demgegenüber entwickelt sich bei Hegel der Begriff des Begriffs zum Begriff eines „existierenden Begriffs“, der als solcher „Dasein“ in sich schließt, indem er als „Geist“ ein wirkliches Sich-Verhalten zu anderer Subjektivität ist (vgl. unten Anm. 6), während Kant um der objektiven Gültigkeit der logischen Formen willen auf eine transzendentale Einheit von Subjektivität in allen empirischen Subjekten rekurriert. Der „Beweis“ eines Daseins, dessen Begriff sein Dasein in sich schließt, also dessen, was traditionell im Gottesbegriff intendiert war, ist damit bei Hegel im Grund schon vor dem Anfang der „Wissenschaft der Logik“, in der „Bildung“ des Bewußtseins zu diesem Begriff des Begriffs, wie sie in der „Phänomenologie des Geistes“ dargestellt wird, vollzogen. Es hat deshalb ebensowenig Sinn, Aussagen der Hegelschen Philosophie des Absoluten vom beibehaltenen Standpunkt des „natürlichen Bewußtseins“ und seiner Logik aus kritisieren zu wollen, wie es Sinn haben kann, etwa Kants Lehre vom Selbstbewußtsein in der „transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe“ zu kritisieren, ohne sie im Kontext mit der Zielsetzung der „transzendentalen Logik“ zu sehen. Diese „holistische“ Struktur erschwert natürlich die Diskussion über Hegels Philosophie, nicht nur über seinen Gottesbegriff im engeren Sinn. Es muß deshalb versucht werden, mit dem Gottesbegriff zugleich die Struktur dieser Philosophie im ganzen wenigstens in den Hauptaspekten darzustellen. Dies führt zum Begriff des „spekulativen Satzes“ oder zum „Konflikt der Form eines Satzes überhaupt und der sie zerstörenden Einheit des Begriffs“ (Phän., 51; Vgl. GW 9, 43). Vgl. G . Wohlfart, Der spekulative Satz, Berlin / New York 1981.
Hegels Gottesbegriff
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absolute Erkenntnis oder eine Erkenntnis des Absoluten setzte demnach die Ablösung des Wissens von dieser Relativität des Bewußtseins voraus. Sie beinhaltete eine Gleichgültigkeit gegen die jeweils erreichte Stufe der Bildung des Bewußtseins zur Wissenschaft. Nun war man auch in der Philosophie vor Hegel kaum der Meinung, in der Gotteserkenntnis ginge es um die Überprüfung eines Satzes, der aussagte, es existiere etwas, das zu Recht unter den Begriff ,Gott‘ oder unter bestimmtere Prädikatsbegriffe vom Göttlichen subsumiert sei. Es läßt sich kein Verfahren vorstellen, in dem über eine Rechtmäßigkeit in dieser Beziehung entschieden werden könnte und das zugleich von der Subjektivität einer Person, einer Institution oder, allgemein gesprochen, einer Bewußtseinslage abgelöst wäre. Damit steht fest, daß Gott nicht Gegenstand einer Erkenntnisdisziplin mit ihren notwendigerweise besonderen Voraussetzungen und Anfangsgründen sein kann, und es ist daher nur konsequent, wenn die Theologie es von sich weist, sich von sich aus als Verfahren der Gotteserkenntnis dem Dasein nach zu verstehen3. Das Problem war von jeher philosophisch, und das deckt sich damit, daß es nicht um die Verifizierung eines Satzes ging, in dem etwas unter den Begriff ,Gott‘ |84| und dann unter weitere Prädikatsbegriffe subsumiert ist, sondern um ,Gottesbeweise‘, in denen umgekehrt die Existenz aus dem Begriff gefolgert werden sollte. Solch ein Verfahren kann natürlich keiner einzelwissenschaftlichen Methodik entsprechen. Kant hatte es für schlechterdings unmöglich erklärt. Aus dem Begriff von hundert Talern folgt nicht, daß sie da sind und daß man sie hat. Man kann nur fragen, ob etwas, das man schon hat, wirklich hundert Taler sind, d. h. ob es zu Recht unter diesen Begriff subsumiert ist4. Aus einem Begriff könnte man die Existenz nur dann folgern, wenn er als solcher schon so verstanden ist, daß er etwas Existierendes meint. Wenn Kant z. B. ,Materie‘ definiert als das, was den Sinnen in der Empfindung korrespondiert5, dann folgt daraus, daß es Materie gibt, wenn immer die Sinnlichkeit rezeptiv ist, d. h. wenn in unserer Erkenntnis etwas dagegen steht, dem begrifflichen Denken als solchem schon Realität zuzusprechen und Erkenntnis dennoch als möglich dargelegt werden soll. Die Materie der Empfindung ist hier ihrem Begriff nach als eine Realität verstanden, die der der Begriffe entgegensteht. 3
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In der Theologie ist das Dasein Gottes, als der Gegenstand dieser Wissenschaft, immer schon im Glauben |84| vorausgesetzt, und es geht in ihr auf dieser Grundlage um die näheren Bestimmungen dieses Daseins. Vgl. J. Simon, Zum wissenschaftsphilosophischen Ort der Theologie: Zeitschrift für Theologie und Kirche 77 (1980), Heft 4. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 627: „Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche.“ Ebd., B 34.
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Metaphysik und Erkenntnis
Hegel wandte sich gegen Kants Vergleich von Gott und hundert Talern, die materiell zusammensein müssen, damit sie in Entsprechung zu ihrem Begriff ,da‘ sind. Bei den Talern gibt es ein Verfahren und dementsprechend eine bildungsmäßige Kondition der Subjekte, dieses Dasein festzustellen, nämlich das Zählen. Dem liegt ein weiteres Verfahren voraus, in dem geprüft werden kann, ob etwas ein echter Taler ist. Davor liegt das Verfahren zur Feststellung, ob etwa Gold ist, usw., und so ist es generell bei solchen Überprüfungen von Behauptungen. Es besteht die Möglichkeit des Rekurses auf anerkannte Verfahrensweisen und Lebenszusammenhänge, in denen die jeweiligen Begriffe von Bedeutung, d. h. überhaupt Begriffe sind gemäß der jeweils einer Bewußtseinslage entsprechenden Vorstellung ihrer Einlösbarkeit. Das macht aber zugleich die Bedingtheit und Relativität dieser Begriffe aus: sie sind als solche ungeeignet, eine absolute Wahrheit zu formulieren6. |85| 6
Auch nach Hegel gehen Beweise vom Dasein Gottes vom Glauben aus. Sie sind „die Erhebung des subjektiven Geistes zu Gott“, in der sich „das Einseitige des Erkennens, d. i. seine Subjektivität aufhebt“ (Beweise vom Dasein Gottes. Sämtliche Werke [ed. Glockner] 16, 394). „Das Einseitige des Erkennens“ besteht darin, daß man von Begriffen ausgeht, die das Bewußtsein in seiner Endlichkeit hat, und dann fragt, ob ,so etwas‘ existierte. Es besteht im Ausgang von der Trennung zwischen Begriff und Existenz. Die „Erhebung“ zu Gott ist nach Hegel aber die Erhebung über diese Endlichkeit, d. h. über diese Trennung. „Diese Untrennbarkeit des Begriffs und Seins ist absolut nur der Fall bei Gott“ (ebd., 545). Die Erhebung zu Gott ist dasselbe wie die Aufhebung dieser Trennung, also wie die „Bildung des Bewußtseins“ zur „Wissenschaft“ als der Überwindung der Subsumtionslogik oder der Logik endlicher Gegenstände. Hegel kritisiert an Kant, daß er von Gott wie von Gegenständen des endlichen Erkennens spreche, und er kritisiert am Anselmschen Gottesbeweis, daß in ihm die Einheit von Begriff und Sein zwar vorausgesetzt, aber eben doch nur abstrakt vorausgesetzt sei (ebd. 544). Der Anselmsche Beweis setzt voraus, was er beweisen will, und insofern hat auch nach Hegel die Kantische Kritik an dieser Beweisfigur recht, wenn sie den bloß analytischen Charakter dieses Verfahrens bemängelt und davon ausgeht, daß doch „jeder Vernünftige gestehen“ müsse, „daß ein jeder Existentialsatz synthetisch sei“ (B 626). Nach Hegel hat aber der Glaube, „indem er Gott zum Gegenstande seines Bewußtseins hat“, „eben damit diese Vermittlung zu seinem Gegenstande“, „dass Gott“ nicht ein Gegenstand des endlichen Bewußtseins, sondern „Geist ist“, und d. h., „daß er eben, wie er an und für sich ist, sich als zum Andern Seiner (der der Sohn heißt), zu sich selbst, daß er sich in ihm selbst als Liebe verhält“ (16, 381). „Diese Vermittlung“ bedeutet eine Aufhebung der Vorstellung des Seins als des dem Begriff entgegengesetzten Begriffslosen, das in einem „Existentialsatz“ |85| zum Begriff synthetisch dazugesetzt sei, und den Übergang zu einem bestimmten Sein im Begriff des Seins selbst (vgl. a. a. O., 542). „Man muß beim Begriff überhaupt es aufgeben, zu meinen, der Begriff sei etwas, das wir nur haben, in uns machen“ (ebd., 543f.). Ein solcher Begriff bleibt der des endlichen Erkennens, er erhebt sich nicht über die (eigene) Subjektivität. Zu denken ist, wenn es sich überhaupt um einen Gegenstand handeln soll, der dieser Subjektivität herangetragener Begriffe gegenüber absolut ist, ein Sein, daß
Hegels Gottesbegriff
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Die Einsicht in die Bedingtheit von Begriffen, von deren Bewahrheitung eine Vorstellung besteht, wie sie sich in endlich vielen Schritten zu vollziehen habe, ist schon ein Schritt zur Überwindung des „natürlichen Bewußtseins“. Es weiß dadurch, daß es in Sätzen, die in solchen Begriffen formuliert werden, eine absolute Wahrheit nicht aussagen kann, d. h. es unterscheidet den Begriff vom Absoluten von dem, was in Sätzen dieser Art beurteilt werden kann. Im Anschluß an Kant heißt das: Es unterscheidet das Absolute von einem „Gegenstand überhaupt“, der dadurch konstituiert ist, daß „die Anschauung von einem Gegenstand überhaupt“ „in Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen als bestimmt angesehen wird“7. Keine der Formen der Bildung von Urteilen, in denen etwas mit dem Anspruch der Wahrheit unter Begriffe subsumiert wird, kann Kategorie zur Erkenntnis des Absoluten sein. Hegels „Logik“ ist die Logik dieser Negativität der Kategorien des urteilenden Verstandes angesichts des Absoluten als des „einzigen“ Gegenstandes der Philosophie8.
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sich in ihm selbst und von sich aus in die Bestimmtheit begibt, in der es begriffen ist, und d. h., daß es ein Sein sein muß, das seinem Begriff nach selbst Subjekt oder Begriff und „Dasein“, d. h. „bestimmtes Sein“ ist (vgl. Log. I, 95; GW 11, 59). Es liegt also schon in der Erhebung über die Subjektivität des endlichen Erkennens, daß das von ihr Abgelöste seinem Begriff nach sich selbst ein bestimmtes Dasein gibt bzw. daß es sich von sich aus dem äußerlichen Begriffenwerden von einem endlichen Standpunkt aus hingibt. Mit anderen Worten: Der Gottesbeweis ist nach Hegel nur schlüssig als Beweis des christlichen Gottes, der sich in sich selbst aus einem leeren Begriff von Sein zu einem bestimmten „Dasein“ besondert („entäußert“) und erst darin seinem Begriff entspricht, kein Gegenstand des endlichen Erkennens zu sein. Der ontologische Gottesbeweis hat nach Hegel innerhalb der „subjektiven Logik“ seinen expliziten logischen Ort im Übergang zur „Objektivität“. Er ist die Logik des Übergangs über die Subjektivität des endlichen Erkennens hinaus, das von seinen vorausgesetzten Begriffen aus nach dem Sein fragt (vgl. Log. II, 353; GW 12, 127). Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 128. Die Kantische Kritik an den Formen des Verstandes, nach der sie „keine Anwendung auf die Dinge an sich haben“, kann nach Hegel „keinen andern Sinn haben, als daß diese Formen an ihnen selbst etwas Unwahres sind“ (Log. I, 27; GW 11, 18), und „das Einzige, um den wissenschaftlichen Fortgang“ (ebd. 35; GW 11, 25) über diesen „Gegensatz des Bewußtseins“ (ebd. 30; GW 11, 21) hinaus „zu gewinnen“, besteht in der „ganz einfachen Einsicht“, „daß das Negative ebensosehr positiv ist, oder daß das sich Widersprechende“ (wie das subjektive Herantragen von Begriffen im Bemühen um „Objektivität“) „sich nicht … in das abstrakte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in die Negation des besonderen Inhalts“, und daß die Negation als „bestimmte Negation“ „einen Inhalt“ hat. „Sie ist ein neuer Begriff, aber der höhere, reichere Begriff als der vorhergehende“ (ebd., 35f.; vgl. GW 11, 25). In der Negation eines Begriffs von Objektivität, nach dem, wie bei Kant, Objektivität nur als Dasein unter Begriffen des Verstandes zu denken ist, ist nach Hegel ein „höherer“ Begriff von Objektivität gedacht, nämlich der eines sich von sich aus in seine erscheinende Besonderheit hinablassenden, seine Bestimmtheit selbst bewirkenden Seins. Diese
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Metaphysik und Erkenntnis
Der unter Begriffe subsumierende, urteilsbildende Verstand kann also auch nach |86| Hegel Gott nicht erkennen. Es stellt sich aber sofort die Frage nach dem Sinn solch einer negativen Einsicht, die impliziert, daß das Erkennen in dieser Form kein absolutes, sondern eben nur ein bedingtes Erkennen ist. Es hat demnach seine eigene Wahrheit, als die Wahrheit dessen, als was es sich die ,Wahrheit‘ von Sätzen vorstellt, darin, daß seine Bedingungen erfüllt sind. Das wirkliche Erfülltsein der Bedingungen ist der absolute Boden dieses urteilenden, verstandesgemäßen Erkennens. In einer Abkürzung des Hegelschen Gedankenganges wurde oben das Erfülltsein solcher Bedingungen in der Existenz von Verfahrensweisen und der entsprechenden Bildung des Bewußtseins zu einer besonderen Wissenschaft als der Ausübung dieser Verfahrensweisen gesehen, in denen man mit der Überprüfung von Aussagen in endlich vielen Schritten zum Schluß kommen kann. Die Wahrheitsdefinitheit solcher Sätze ist demnach bedingt in einer „vernünftigen“ Lebenspraxis, in der etwas nicht immer weiter in Frage gestellt wird und in der man sich, bei aller Skepsis, auf anerkannte Verfahren einläßt, in denen über einen Wahrheitsanspruch entschieden wird. Das Subsumtionsdenken hat seinen absoluten Boden in einer bestehenden „Sittlichkeit“, in der eine bestimmte Lebenspraxis letztlich nicht in Frage steht und infolgedessen Kriterien dafür gegeben sind, ob etwas zu Recht als etwas ausgesagt wird. Letztlich muß es also dabei bleiben, den individuellen Akt der Subsumtion des einzelnen unter jeweils verfügbare Allgemeinbegriffe, auf den die Menschen in der „Endlichkeit“ ihrer Weltorientierung angewiesen sind, in seiner nicht weiter zu subsumierenden Individualität anzuerkennen. Das wirkliche Anerkanntsein der jeweiligen subjektiven Voraussetzungen der Berechtigung, von Wahrheit zu sprechen, ist als das Absolute gegenüber jedem dieser Wahrheitsansprüche zu denken. Es ist damit auch das Absolute gegenüber allen Vorstellungen der Entscheidbarkeit solcher Ansprüche. Ihm gegenüber ist alle Subjektivität in gleicher Weise bedingt, wie die Vorstellungen im einzelnen auch beschaffen oder erkenntniskritisch begründet sein mögen. – Den Geist solch einer gegenseitigen Anerkennung des einzelnen in seiner „absolut in sich seienden Einzelheit“ nennt Hegel dann auch, insofern er ,da‘ ist oder als daseienden Geist, den „absoluten Geist“9.
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Selbstvermittlung des Gegenstandes ist der in der Negation der subjektiven Konstitution von Gegenständen gedachte Gegenstand. Das reine Hinausdenken über den Kantischen Begriff von Objektivität impliziert schon einen Begriff, der notwendig sein Dasein, als das andere seiner selbst als Begriff, einschließt, weil er nur zusammen mit dieser Notwendigkeit gedacht ist. Daß Gottesbeweise nach Hegel nur im Sinne des christlichen Gottesbegriffs möglich sind (vgl. Anm. 6), heißt also zugleich, daß sie nur in einer Metakritik der Kantischen Philosophie möglich sind, unter deren Prämissen Kant den traditionellen ontologischen Gottesbeweis kritisiert. Phän., 471; GW 9, 361.
Hegels Gottesbegriff
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In der Erkenntnis seiner Bedingtheit als Abhängigkeit vom „Dasein“ eines solchen Geistes der Anerkennung wird das „natürliche Bewußtsein“ bei Hegel über sich hinausgeführt. Das „Dasein“ des Geistes kann in dieser Erkenntnis nicht mehr auf einer Stufe mit dem extensionalen „Dasein“ der Gegenstände verglichen werden, das die Wahrheit der Sätze ausmachen soll, die es ,unter‘ Begriffe fassen, und das man, da von diesem Begriff des Begriffs als Subsumtionsbegriff her naturgemäß mehrere Dinge unter denselben Begriff fallen können, auch zählen kann. Es ist eine wichtige Bestimmung in Hegels Gottesbegriff, daß nichts unter ihn fällt, das man zählen könnte. Dieser Begriff hat also, so kann man jetzt schon sagen, keine ,Extension‘. Aber er hat doch seiner Intension nach, in der das Bewußtsein überhaupt zu ihm gekommen ist, notwendig „Dasein“. Der Gedankengang führte ja gerade von der Bedingtheit des endlichen Erkennens auf die Notwendigkeit einer daseienden Bedingung als des Daseins |87| des Geistes der Anerkennung von Individualität. Dieser Begriff wäre sinnlos ohne das ihm entsprechende Dasein, denn nur in der Notwendigkeit des Daseins besteht hier der Begriff.
II. In diesem Begriff liegt zunächst nur, daß dieser Geist schon dasein muß, wenn es überhaupt Sinn haben soll, prädikative Sätze mit dem Anspruch auf Wahrheit zu bilden. Dieser Geist ist immer noch ein menschlicher Geist. Er ist absolut nur gegenüber der Bedingtheit des Sinns prädikativer Wahrheitsansprüche, und das heißt, daß es keinen Sinn mehr hat, von ,seinem‘ Begriff her zu fragen, ob er da ist oder ob umgekehrt das, was etwa unter dem Begriff einer bestehenden Sittlichkeit oder Lebensform beurteilt ist, ,in Wahrheit‘ absoluter Geist ist. Die Absolutheit besteht hier gerade als Absolutheit gegenüber solchen Fragen, die von einer Trennung von Existenz und Begriff ausgehen. Von der Logik solcher Satzbildungen her gesehen ist es der Begriff eines logischen Absoluten, und es stellt sich die ernsthafte Frage, warum dieser logische Begriff mit dem Begriff ,Gott‘ synonym sein soll, der doch gewohnheitsgemäß etwas ,Undenkbares‘ meint, d. h. etwas, was nach keinem eingespielten endlichen Verfahren einsichtig zu machen ist. Die „Logik“ ist nach Hegel „reine Wissenschaft“, im Unterschied zu den jeweiligen besonderen Wissenschaften, deren Gegenstände sich das Bewußtsein als Korrespondenz zu besonderen Wissensformen vorstellt10. 10 Log. I, 30; GW 11, 21: „Die reine Wissenschaft setzt … die Befreiung von dem Gegensatze des Bewußtseins voraus.“ Die „Logik“ ist insofern, als das Bewußtsein
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Indem das Bewußtsein sich zu ihr gebildet hat, hat es zugleich ein Wissen um die Bedingtheit dieser jeweiligen Vorstellungen von Verfahren, sich der Wahrheit von Sätzen zu vergewissern und sich der entsprechenden Gegenstände zu bemächtigen. Die Logik ist insofern absolute Wissenschaft oder Wissenschaft im philosophischen Sinn. Auch in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion verweist Hegel auf die „Wissenschaft der Logik“ als den Ort des absoluten Wissens oder des Wissens vom Absoluten. Hier kann es also gar nicht mehr darum gehen, ob die Ausführungen der Logik dem entsprechen, was das Bewußtsein sich gemäß der jeweiligen Bewußtseinslage, zu der es sich je individuell gebildet hat, bzw. in Entsprechung zu seiner Subjektivität unter „Gott“ vorstellt. Denn von keiner dieser Stufen aus kann es sich darunter wirklich etwas vorstellen. Ohne die Logik der Sache, d. h. auch, ohne die Überwindung solcher Vorstellungen oder die Bildung des Bewußtseins zur absoluten oder „reinen“ Wissenschaft, bleibt der Name „Gott“ ein sinnloser Laut. Seine Sinnlosigkeit für das vorstellende Bewußtsein muß noch als das Beste an ihm bezeichnet werden, weil dadurch wenigstens die Assoziationen |88| ferngehalten sind, die sich begriffslos aufdrängen könnten11. Der einzige Gedanke, der sich mit dem Namen verbindet, ist bei Hegel die Notwendigkeit des Daseins, ohne daß sich noch irgendeine Vorstellung dazwischen schiebt, die fragt, ob denn ,so etwas‘ auch existiere und wie man sich dessen vergewissern könne. Es ist aus philosophischen Gründen nichts anderes bei ihm zu denken als ein daseiendes Absolutes und daß es als „Geist“, d. h. als Verhältnis von Personen zueinander, und nicht als ein als Entsprechung von prädikativen Aussagen konstituierter Gegenstand, immer schon da ist. Der Hegelsche Begriff des absoluten Geistes ist also zwar ohne Extension, aber nicht inhaltsleer12. Was „Geist“ hier bedeuten soll, ist in der Logik sich in ihr zur Form des Denkens einer von diesem Gegensatz abgelösten Objektivität erhebt, zugleich die „Darstellung Gottes, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist“ (ebd. 31; GW 11, 21). 11 Vgl. Phän., 22; GW 9, 20. Sinn erhält der Name erst dadurch, daß mit ihm „nicht ein Sein oder Wesen oder Allgemeines überhaupt, sondern ein in sich Reflektiertes, ein Subjekt gesetzt ist“ (ebd., 23; GW 9, 21). In sich reflektiert ist aber nur, was sich von sich selbst her bestimmt, nicht das bloße Satzsubjekt, das in einem ihm äußerlichen, sozusagen zunächst probeweise zugedachten Prädikat erst seine Bestimmtheit finden soll. Der Sinn des Namens besteht darin, daß er Personenname ist. Vgl. J. Simon, Vom Namen Gottes zum Begriff, in: Der Name Gottes, Hg. v. H. v. Stietencron, Düsseldorf 1975, 230-242. 12 Er ist inhaltsreichster Begriff, weil er aus der Negation (vgl. Anm. 8) aller Formen resultiert, etwas ,unter‘ Begriffe zu subsumieren, die eine um so größere Extension haben, je ärmer sie an Inhalt, d. h. an begrifflicher Bestimmtheit sind. Als Begriff, der so reich an Inhalt ist, daß überhaupt nichts mehr ,unter‘ ihn fallen kann und der deshalb den Gegenstand in seiner vollen eigenen Bestimmtheit läßt, kann er seiner-
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dieses Begriffs oder durch den Weg, auf dem das Bewußtsein überhaupt zu ihm gekommen ist, schon gesagt: „Es ist ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein“, als ein Verhältnis, in dem beide Seiten um die Bedingtheit all ihrer Wahrheitsansprüche durch den Geist wissen und sich deshalb gegenseitig ihre Subjektivität zugestehen13. „Geist“ ist also ein Verhältnis zwischen selbstbewußt als Subjektivität Existierenden, und er ist „absoluter Geist“ als der Geist, in dem sie sich nicht, sich gegenseitig unter Begriffe subsumierend, als dieses oder jenes, sondern in ihrer absoluten „Einzelheit“ oder als individuelle, sich der Aufschließung in prädikativen Urteilen entziehende Personen anerkennen. Ein Anerkennen, das den anderen nicht seits auch nicht mehr negiert werden. Er ist Individualbegriff, d. h. der Begriff, der noch weniger Umfang und noch mehr Inhalt hat als die ,infima species‘. Er fällt als solch ein Grenzbegriff schon als Begriff mit dem zusammen, was ,unter‘ ihn fällt, als Übergang vom Begriff im Sinne der Subsumtionsbegriffe in das Subsumierte oder als Aufhebung der reduzierenden Subsumtion. 13 Vgl. Phän., 140; GW 9, 108: „Es ist ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein. Erst hiedurch ist es in der Tat; denn erst hierin wird für es die Einheit seiner selbst in seinem Andensein; Ich, das der Gegenstand seines Begriffs ist, ist in der Tat nicht Gegenstand“ in dem Sinn von Gegenständen, die ,unter‘ einen Begriff fallen, von dem sie verschieden sein sollen und der auch ohne sie als Begriff real sein soll. „Ich“ ist in der Reflexion auf sich, in der es für sich Gegenstand ist, auch erst Begriff von sich. Zugleich unterscheidet es aber diese Gegenständlichkeit, als die es sich selbst denkt, von sich als diesem Akt des Denkens. Es identifiziert sich mit dem, wovon es sich unterscheidet, d. h. mit dem anderen seiner selbst, als einem im Sinne von Subsumtionsbegriffen begriffslos anderen Ich, in das es sich entäußert, indem es sich dem Verstandenwerden in dessen anderer Subjektivität überläßt. Die Unterscheidung ist also als reale Unterscheidung zwischen verschiedenen selbstbewußten Personen zu denken, von denen, wie schon Fichte sich ausdrückt, die eine die |89| andere „zur Freiheit erhebe“ (System der Sittenlehre von 1798. Werke [ed. I. H. Fichte] IV, 221). Es dürfte nicht möglich sein, den Gottesbegriff Hegels ohne solche Überlegungen adäquat zu verstehen, die darauf beruhen, daß das Bewußtsein sich von dem Gegenstand, als der es sich im Selbstbewußtsein selbst weiß, nur dadurch unterscheiden und als frei wissen kann, daß ein anderes Selbstbewußtsein es davon unterscheidet und durch sein persönliches Dasein zur Freiheit auffordert, d. h. wenn es sich in einem Geist der Anerkennung seines übergegenständlichen, persönlichen Seins findet. Dieser Gedanke der Undenkbarkeit der numerischen Singularität von Ich schon um des Begriffs von Ich willen ist die Basis des Hegelschen Geistbegriffs. „Ich“ ist nicht ,etwas‘, das in der Selbstreflexion ,unter‘ einen Begriff ,Ich‘ fiele, sondern ein Begriff, den man von sich selbst nur hat, insofern man ihn auch von anderen Personen hat, weil auch sie ihn umgekehrt von einem selbst haben. Daß „Ich“ kein prädikativer Begriff sei, ist also in einem weitergehenden Sinn zu verstehen, als daß es nur immer den gerade Redenden deiktisch bezeichne. Dieser Begriff erhält Sinn in einem Verhältnis der Anerkennung, in dem Personen sich gegenseitig als Subjekte, mit denen man reden kann, voraussetzen. „Selbstbewußtsein“ ist nur in solch einem interpersonalen Verhältnis möglich, als einem „Geist“, in dem sich der einzelne über seine bloße Befindlichkeit hinausgehoben weiß.
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als dieses oder jenes und folglich auch nicht wegen einer moralischen Wertschätzung dieser oder jener Eigenschaften anerkennt, sondern allein weil er als Person da ist, ist „der Begriff“ im vollen Hegelschen Sinn. Es ist der Begriff als die Wahrheit der Wahrheitsfähigkeit von Subsumtionsbegriffen. Als der „existierende Begriff“ wird er im Unterschied zu den Begriffen, die man „hat“ und unter |89| die man anderes zu fassen versucht, von Hegel auch „freie Macht“, „freie Liebe“ und „schrankenlose Seligkeit“ genannt14. Der daseiende absolute Geist ist als solcher Geist der Liebe, in dem allein Personen rein als solche füreinander da sind. Dies ist der entscheidende Gesichtspunkt in Hegels Gottesbegriff. Er versteht sich nicht als Modifikation eines allgemeinen Gottesbegriffs in der Richtung auf einen christlichen Gottesbegriff hin, etwa durch das prädikative Zusprechen zusätzlicher Eigenschaften. Das Denken der Absolutheit als der Notwendigkeit des Daseins ist in ihm zugleich und genuin das Denken Gottes als Liebe von Person zu Person, und das heißt, wenn man nicht ,regressiv‘ aus diesem Denken ausbrechen und in eine gewohnte Vorstellung zurückfallen will: als Liebe von Mensch zu Mensch. In die theologische Sprache übersetzt heißt das, daß Gott Mensch geworden sein muß, wenn immer dieses Wort, vor allem eingedenk der Kantischen Kritik, Sinn haben soll. Hegel dürfte der erste gewesen sein, der beansprucht, nicht von einem „Gott der Philosophen“ auszugehen und dessen christliche ,Modifikation‘ hinzuzufügen oder dem Glauben als etwas Irrationalem zu überlassen, sondern Gott als dem Begriff nach christlich zu denken. Das „Gefühl: Gott selbst ist tot“15 verweist nach Hegel die Vorstellung auf den Begriff von Gott, denn dieser Begriff impliziert, daß Gott seinem Begriff nach aus der Vorstellung eines Gegenstandes, zu dessen Wahrheit einem endlichen Bewußtsein kein Zugang möglich sein soll, sich selbst vollkommen in eine historisch bestehende „Sittlichkeit“ als ein Verhältnis menschlicher Personen entäußert hat, bis zum Tode als der Vollendung menschlicher Endlichkeit und Einzelheit. Das bloße „Gefühl“, daß der nur transzendente Gott nicht ist bzw. nur eine notwendig leer bleibende Vorstellung ist, kommt in der sich als Möglichkeit der Vorstellung Gottes nach einem vorgefaßten Begriff selbst aufhebenden „Vorstellung“ des menschgewordenen und darin daseienden Gottes zu seinem Begriff. Als Gefühl resultierte es daraus, daß Böses zu existieren scheint und der Tugendhafte sich nicht auch glücklich wissen kann. Kant hatte Gott als Postulat der praktischen Vernunft zur Behebung dieser moralischen Paradoxie begriffen, als Subjekt eines Ausgleichs für das der Tugend widerfahrene Böse in einer |90| anderen Welt. Der Begriff des Daseins wurde durch dessen Postulat ersetzt, und die erfahrbare 14 Log. II, 242f.; GW 12, 35. 15 Glauben und Wissen, Sämtliche Werke 1, 433; GW 4, 414.
Hegels Gottesbegriff
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Realität und die Forderung der Vernunft traten darin auseinander16. Für Hegel ist gerade damit die ,Lösung‘ des Problems des Bösen ins Undenkbare verschoben. Er setzt seinen Gottesbegriff dem ,realistischen‘ Gefühl der Gottverlassenheit, daß Gott selbst tot sei, nicht abstrakt als bloßes Postulat entgegen, sondern nimmt dieses Gefühl in den Begriff von Gott auf. Die Gottverlassenheit gehört zum Begriff Gottes, d. h. nach diesem Begriff ist es wahr, daß Gott selbst gestorben ist. Das Gefühl hat recht, ohne es zu wissen. Es folgt aus dem Begriff Gottes, daß er ohne den Vorbehalt, anderes als jeder individuelle Mensch zu sein, d. h. ohne Vorbehalt unter einem allgemeinen Begriff, Mensch unter Menschen geworden und gestorben ist. Gerade solch ein Vorbehalt stände, als ,regressive‘ Bindung an eine Vorstellung Gottes, gegen die Absolutheit des Begriffs17. An dieser Stelle muß in der Darstellung des Hegelschen Gottesbegriffs einer doppelten Möglichkeit des Mißverständnisses begegnet werden. Daß das Absolute „Geist“, d. h. ein Verhältnis sei zwischen Personen, die sich gegenseitig in ihrer in allgemeinen Begriffen nicht mehr prädizierbaren Andersheit füreinander anerkennen, bedeutet nicht, daß sich der Begriff des Absoluten bei Hegel nur noch als ,zwischenmenschliches‘ Verhältnis darstelle. Er stellt sich zwar als solch ein Verhältnis, nämlich als Liebe dar. Aber das Dasein dieses Geistes ist nichts, was die Relata der Relation von sich aus nach irgendeiner Vorstellung von ,wahren‘ menschlichen Verhältnissen besorgen könnten oder im Sinne einer Moral besorgen sollten. Der Geist ist begriffen als der Geist, der schon da oder schon „bei uns“ ist, wenn das Verhältnis besteht. Es ist entscheidend für Hegels Gottesbegriff, 16 Kant, Kritik der praktischen Vernunft. Originalausgabe 223ff.; V, 124ff. 17 Diese vollkommene „Entäußerung“ hat ihre logische Entsprechung im Begriff der Negation (vgl. Anm. 8) als der Bewegung des Denkens über die Subjektivität der Endlichkeit hinaus. Sie muß vollkommen sein, wenn sie dem Begriff Gottes als dem absoluten Begriff entsprechen soll, der dadurch frei von aller Subjektivität ist, dass er alle Subjektivität auf sich nimmt. „Kenosis“ ist bei Hegel, als Entäußerung des Absoluten, absolute Entäußerung. Aber sie ist zugleich Übergang vom „reinen Sein“ als dem „Unsagbaren“ und „Begrifflosen“ (Sämtliche Werke 16, 542), das „in seiner unbestimmten Unmittelbarkeit“ „nur sich selbst gleich und auch nicht ungleich gegen Anderes“ ist und „keine Verschiedenheit innerhalb seiner noch nach außen“ hat (Log. I, 66; GW 11, 43), in die höchste Konkretion und Bestimmtheit, die darin besteht, daß Personen füreinander dadurch Personen sind, daß sie sich gegenseitig ihre Subjektivität in ihrer ganze Fülle zugestehen, ohne sie je auf die eigene reduzieren zu wollen. Das impliziert nicht nur die „Subjektivität“ der einen, sondern auch die Anerkennung der anderen „Subjektivität“. Im „Wort“ von Person zu Person liegt die Überwindung von Subjektivität im Sinne einer Einschränkung durch einen Standpunkt, der sich selbst absolut setzt, auch der Vorstellung einer der endlichen menschlichen Subjektivität vorgeordneten göttlichen Sicht, und damit liegt in diesem „Wort“ auch die Rechtfertigung von Subjektivität überhaupt oder der Freiheit.
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daß die Relation nicht als bloßes Produkt der Relata gedacht ist, sondern die Relata ebensogut als Produkt der daseienden Relation. – Das zweite Mißverständnis könnte darin bestehen, aus dem Wort vom Tode Gottes zu folgern, daß er nicht oder nicht mehr da sei. Man muß hier noch einmal die „Anstrengung des Begriffs“ auf sich nehmen und sich daran erinnern, wie es bei Hegel überhaupt zum Begriff eines daseienden Absoluten kommt: Er ist gedacht als das vorauszusetzende Dasein des Geistes gegenseitiger Anerkennung, und zwar der Anerkennung des anderen in seiner vollen Bedingtheit und Endlichkeit, ohne Vorbehalt eines ,übergreifenden‘ Begriffs vom anderen, in dem er als gleicher Fall des Begriffes, den man je von sich selbst hat, erscheinen könnte. Auch der Anerkennende läßt von dem Begriff, den er von sich selbst hat – z. B. als Begriff von dem, was ein Mensch seiner Vorstellung nach überhaupt sein sollte –, ab. Nur so kann er auch dem anderen ohne einen |91| an ihn herangetragenen Begriff oder als Person gerecht sein. Der äußerste Exponent dieser als „undurchdringliche, atome Subjektivität“ begriffenen Persönlichkeit des anderen und damit auch der als ein Verhältnis solcher Personen begriffenen „absoluten Idee“18 ist der Tod des Individuums. Im Tod entzieht es sich aller Möglichkeit, noch in dieser oder jener Hinsicht, als dieses oder jenes für andere da zu sein. Er ist die Negation aller Positivität, die hier noch gewohnte Verbindlichkeiten und vorbehaltene Selbstverständnisse vorgeben könnte19. Die Selbstentäußerung bis in den Tod 18 Log. II, 484; GW 12, 236. 19 Hegel verbindet „das Analysieren einer Vorstellung“ als „das Aufheben der Form ihres Bekanntseins“ mit dem Gedanken des Todes. Die Vorstellung wird dabei „in ihre ursprünglichen Elemente“ auseinandergelegt, die zwar „selbst bekannte, feste und ruhende Bestimmungen sind“, aber doch „wenigstens nicht die Form der vorgefundenen Vorstellung haben, sondern das unmittelbare Eigentum des Selbst ausmachen“. Die Zerlegung des Vorgefundenen in Vorstellungen, wie sie sich in jeder befriedigenden Erklärung vollzieht, ist nach Hegel, als die Negation der Form, in der sich etwas zunächst präsentiert, die „Kraft und Arbeit des Verstandes, der verwundersamsten und größten, oder vielmehr der absoluten Macht“, „die ungeheure Macht des Negativen“, „die Energie des Denkens, des reinen Ichs. Der Tod, wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen, ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten, das, was die größte Kraft erfordert.“ Das Leben, das den Tod „erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes“ (Phän., 29; GW 9, 27). – Es hat die Kraft, der „Bestimmtheit in seinem Elemente Dasein“ zu geben (ebd., 30; GW 9, 28), d. h. sich von gewohnten Vorstellungen abzulösen und sie in andere, bestimmtere aufzulösen, ohne sich selbst dabei zu verlieren. Es selbst, als das Subjekt dieser Übersetzung, hat dabei weder in der Ausgangsvorstellung noch in der auseinandergelegten sein Selbstbewußtsein, sondern darin, daß es die eine für die andere setzt, also in dem rein negativen, durch keine positive Vorstellung gestützten Gedanken, daß die eine die verdeutlichende Analyse der anderen sei. Es verläßt sich vollkommen darauf, daß diese Negation des Bekannten im Erkannten als die ,Wahrheit‘ über das Bekannte akzeptiert wird, d. h. daß es aus seinem Rückzug in
Hegels Gottesbegriff
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gehört also dem Begriff nach zu dem „Dasein“ des absoluten, wahrhaft freien Geistes, als die Fähigkeit, ohne eigenen Vorbehalt füreinander da zu sein. Dieser Geist ist nur da, insofern auch diese individuelle Fähigkeit oder Tugend da ist, und er ist nicht da, insofern dies etwa, unter dem moralischen Begriff der Selbstaufopferung, als allgemeine Sollensforderung an andere herangetragen wird20.
III. Objektiv bestimmbar ist dieser Geist in Institutionen, die möglich sind, weil es in ihnen so ist. Sie können in ihrer Wirklichkeit nicht davon abhängig sein, was man sich aus einer |92| bestimmten Ausbildung des Bewußtseins heraus jeweils unter einem ,guten‘ Staat, einer ,guten‘ Familie usw. vorstellen mag. Sie wären dann von der in sich fraglichen ,Verwirklichung‘ der jeweiligen moralischen Vorstellungen abhängig, die man unter gegebenen Umständen zu entwickeln vermag und die gerade in Institutionen als der jeweiligen Objektivität der Freiheit individuell auseinandergehen können. In dieser Bedingtheit als Abhängigkeit von bestimmten Vorstellungen wären sie unmöglich die Objektivität des absoluten Geistes. Hegels Begriff der Institutionen meint wirkliche Institutionen, in denen sich das „Dasein“ des absoluten Geistes als das Verhältnis sich anerkennender Personen und nicht als irgendeine subjektive Vorstellung von dem, ,was‘ ein (,guter‘) die Arbeit seines subjektiven Verstandes wieder ins allgemeine Leben findet und diese Arbeit sich darüber hinaus als gut für das Leben erweist. 20 Die „sittliche Persönlichkeit, d. i. die Subjektivität, die vom substantiellen Leben durchdrungen ist“ (Enzyklopädie von 1830, § 516) und damit den abstrakten Standpunkt „des Sollens“ oder des Urteilens vom Standpunkt der festgehaltenen bzw. als allgemein vernünftig versicherten eigenen Vorstellung aus „verlassen“ hat (ebd., § 512), ist in ihrer Beziehung auf das Ganze der sittlichen Wirklichkeit die „Fähigkeit, für sie sich aufzuopfern“ (ebd., § 516). Damit ist der „moralische Gott“ überwunden (vgl. Nietzsche über Hegel: Nachlaß, Kritische Gesamtausgabe KGW VIII 1, 124). „Sittliche Pflichten“ sind, im Unterschied zu moralisch verstandenen, in der „undurchdringlichen“ (vgl. Log. II, 484; GW 12, 236) Persönlichkeit des Individuums und nicht ,normativ‘ in einem allgemeinen Sollen begründet. Es sind „Fähigkeiten“, in denen die „Individualität ihren besonderen Charakter, Temperament usf. als Tugenden ausdrückt“ (Enzyklopädie, § 516). Sie finden ihre höchste Vollendung in der Fähigkeit, sich von allen subjektiven Vorstellungen, was das Gute sei, „so vollkommen als im Tode“ ablösen zu können (vgl. Anm. 42). Die sittlichen Tugenden entziehen sich deshalb der allgemeinen moralischen Beurteilung, bzw. das Individuum entzieht sich in ihnen dieser Beurteilung, aber auf ihnen beruht das Leben des sittlichen Geistes. Die Vorstellung eines moralischen Absoluten ist in den Begriff des sich von sich aus vorbehaltlos aufopfernden Individuums als des unbedingten Allgemeinen und wahrhaft Absoluten übergegangen.
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Staat oder eine (,gute‘) Familie usw. sei, objektiv darstellt. Auch zu diesen Institutionen, insofern sie das objektive Sein des absoluten Geistes sind, hat das Individuum ein anerkennendes und kein subsumierendes, beurteilendes Verhältnis, und sie sind für es nur insofern objektives Sein des Absoluten, als das so ist21. Konkret heißt das z. B., daß ein Mitglied einer Familie die anderen Familienmitglieder nicht unter dem Vorbehalt liebt, daß das Verhältnis seiner Vorstellung von ,guten‘ Familienverhältnissen entspricht. Das bedeutete schon das Zerstörtsein des geistigen Verhältnisses, denn dann bestünde es nur unter der Bedingung eines zufälligen Zusammentreffens gleicher Vorstellungen bzw. unter der Bedingung eines ,autoritativen‘ Übergewichts einer Vorstellung über die anderen. Wie eng Hegels Begriff des absoluten Geistes mit seiner Philosophie der Institutionen zusammenhängt, wird vor allem in dem Unterschied der einzelnen Institutionen gegeneinander bzw. in ihrem Verhältnis zueinander deutlich. Für den Staat ist es nach Hegel z. B. wichtig, daß er nicht wie eine große Familie oder überhaupt in Analogie zu der Vorstellung, die sich im Familienleben gebildet haben mag, verstanden wird. Er besteht darin, daß er den Individuen den Raum gewährt, in besonderen Verhältnissen zu besonderen Menschen zu leben und ihre Persönlichkeit auch nach eigenen Vorstellungen zu entfalten. Eben deshalb kann er nicht nach irgendeiner politisch-ideologischen Vorstellung konstruiert sein. Zum Dasein des absoluten Geistes gehört also, daß es im Staat nicht so ist wie in der Familie und daß im Austritt aus der Sphäre der Familie die Vorstellung, die sich innerhalb dieser Sphäre gebildet hat, um der Freiheit und der Anerkennung anderer Vorstellungen willen noch einmal als bloße Besonderheit zum Begriff kommt. Zum Begriff des absoluten Geistes gehört es, daß man vernünftigerweise gar nicht wollen kann, daß alles im Staat nur nach den eigenen Vorstellungen vom Besten verlaufen soll. Deshalb muß der Staat seinem Begriff nach auch von den Vorstellungen abgelöst sein, die sich außerhalb der Familien in der „bürgerlichen Gesellschaft“ als einem System konkurrierender Bedürfnisbefriedigungen gebildet haben. Das politische Denken muß offen sein gegenüber besonderen Vorstellun21 Hieraus kann natürlich nicht die Forderung einer (Hegel selbst offensichtlich fremden) kritiklosen Zustimmung zu bestehenden Institutionen abgeleitet werden. Dies wäre wieder die moralische Forderung einer moralischen Einstellung zu Institutionen. Institution im Sinne eines objektiven Geistes kann nach Hegel nur die Objektivität der jeweils konkret bestehenden Freiheit sein, und dazu gehört auch die Freiheit, sich von sich aus ein bestimmtes subjektives Bild zu machen, wie Institutionen seien und wie sie sein sollten. Bei Hegel ist die sich als unbedingt verstehende Moralität des selbstbewußten Geistes nicht abstrakt kritisiert, sondern im Zusammenhang mit konkreten Freiheitsbedingungen gesehen, in denen sie die bedingte, historische Grundlage ihrer jeweiligen Erscheinungsform hat.
Hegels Gottesbegriff
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gen vom ,guten‘ Staat, wie sie sich aus den Erfahrungen in der Arbeit unter bestimmten, d. h. immer auch nur besonderen Produktionsverhältnissen gebildet haben. „Das Gefühl: Gott selbst ist tot“, das in der beschränkten Unwirklichkeit eigener Vorstellungen vom Guten seinen moralischen Gott sterben sieht, begreift nicht das Dasein des absoluten Geistes, das auch dieses Gefühl noch bedingt. Hegels Gottesbegriff ist von seinem Institutionenbegriff nicht zu trennen. Er ist damit ebensosehr verbunden wie der Kantische Gottesbegriff mit dem Begriff der Moralität. In den bestehenden Institutionen hat der absolute Geist als Verhältnis zwischen Personen, seine |93| Positivität, in der er gleichwohl von der Positivität von Gegenständen der Vorstellung unterschieden ist. Die Institutionen sind, im Unterschied zu der Realität der vom Verstand als Korrespondenz zu Urteilen vorgestellten Gegenstände, die Wirklichkeit des Vernünftigen. Daß aber die wirklichen Institutionen und überhaupt das, was „wirklich ist“, „vernünftig“ und das Vernünftige als solches auch wirklich sei22, heißt nicht, daß man immer in der Lage sei, das Bestehende als gut zu beurteilen. Es kann also auch keine Rechtfertigung des Bestehenden von einem moralischen Standpunkt aus bedeuten. Gott ist nicht gut, weil er einer Vorstellung entspräche, wie er sein sollte. Sein Begriff erfüllt sich erst in seinem Tod, der aller Vorstellung vom ,Wesen‘ eines Gottes radikal zuwider ist. Die Wesensvorstellung von Gott gehört nach Hegel zum griechischen Gottesbegriff. Sie ist notwendig anthropomorph, d. h. eben: sie ist Vorstellung. In ihr denkt sich der Mensch sein Ideal nach seinem bedingten Vermögen, aber ohne die Brechung durch die Reflexion auf die Bedingtheit dieses Vermögens als einer besonderen Bewußtseinsstufe23. Im philosophischen Gottesbegriff Hegels entzieht sich Gott solchen Vorstellungen vom ,Wesen‘ des Göttlichen. Daß er seinem Begriff nach da ist und daß er sich allen Wesensvorstellungen entzieht, ist nach Hegel dasselbe. In ihm ersterben mithin auch alle idealen Gottesbegriffe.
22 Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorrede, GW 14,1, 14. 23 „Der Gott der Griechen [ist] noch nicht der absolute freie Geist […], sondern der Geist in besonderer Weise, in menschlicher Beschränkung, noch als eine bestimmte Individualität von äußeren Bedingungen abhängend“ (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Sämtliche Werke 11, 320). In der griechischen Religion reflektiert sich noch nicht die Bedingtheit allen Bewußtseins. Sie nimmt daher die erscheinende Besonderheit unmittelbar oder sinnlich als Dasein des Absoluten wahr.
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Metaphysik und Erkenntnis
IV. Aber der Hegelsche Gottesbegriff ist nicht den Vorstellungen, die man sich macht, abstrakt entgegengesetzt. Die Religion faßt nach Hegel ausdrücklich das Absolute als Vorstellung. Sie gesteht dem Menschen seine Bedingtheit zu. Das kann nun nicht pejorativ in dem Sinne gemeint sein, daß sie als Religion eine beschränkte Vorstellungsweise des Menschen sei, die die Philosophie überwunden habe. Die Religion ist nach Hegel vielmehr eine Gestalt des absoluten Geistes. In ihr kommt der Geist dem vorstellenden Wesen des Menschen oder seiner Bedingtheit selbst als Vorstellung entgegen. Insofern hat sie ihr Selbstbewußtsein in sich selbst24. Die |94| Menschen „werden schon der höchsten Wahrheit gewürdigt“, wenn sie das, „was Gott ist“, „nur in ihre Vorstellung aufnehmen, ohne daß sie sich der Notwendigkeit dieser Wahrheit bewußt sind, ohne daß sie dieselbe begreifen“25. Die 24 „Insofern der Geist in der Religion sich ihm selbst vorstellt, ist er zwar Bewußtsein, und die in ihr eingeschlossene Wirklichkeit ist die Gestalt und das Kleid seiner Vorstellung. Der Wirklichkeit aber widerfährt in dieser Vorstellung nicht ihr vollkommenes Recht, nämlich nicht nur Kleid zu sein, sondern selbständiges freies Dasein“ (Phän., 475f.; GW 9, 365). In der Religion hat das Bewußtsein den Geist, also seine eigene Wirklichkeit, in eingeschlossener Weise, d. h. noch nicht als Gedanken zum Gegenstand: Es ist im Verhalten zu diesem Gegenstand noch nicht selbst in geistiger Weise dabei oder als Aushalten der Negativität, die darin liegt, daß es sich selbst von seinen Vorstellungen, d. h. auch, von der Vorstellung der Absolutheit seines moralischen Bewußtseins, ablöst, indem es seinen Gegenstand verstandesgemäß oder erklärend in andere Vorstellungen auflöst (analysiert) und ihn sich erst darin zu eigen macht (vgl. Anm. 19). Die Explikation des Gegenstandes wird im religiösen Bewußtsein nur am Gegenstand vollzogen. Das Sich-Halten an Vorstellungen wird im Übergang vom Explikandum zum Explikat zu keiner Zeit preisgegeben. Es geht nicht durch die Negativität (als den „Tod“ dieser Selbstgewißheit durch Vorstellungen) hindurch. Das Moment des Negativen im Absoluten bleibt dem Bewußtsein selbst äußerliches Geschehen innerhalb einer zeitlichen Geschichte. Zur absoluten Religion gehört aber andererseits, daß sich Gott selbst in dieser Weise offenbart |94| und damit dem Bedürfnis des endlichen Geistes entgegenkommt, sich an die Vorstellung bzw. in der Vorstellung zu halten. In deren (,symbolischer‘) Positivität findet das Bewußtsein allein die Gewißheit einer Verbundenheit mit anderen. 25 Sämtliche Werke 16, 228. – „Würde“ hat ein Mensch nach Hegel allein dadurch, daß er von „einem Substantiellen weiß und diesem seinen natürlichen Willen unterwirft“ (Sämtliche Werke 15, 323). Er hat sie darin, daß er in seiner Endlichkeit, und damit auch in seiner Vorstellung von einem solchen Substantiellen, anerkannt ist. Konsequenterweise kann ein endliches Bewußtsein nicht an andere die (moralische) Forderung stellen, von den (endlichen) Vorstellungen abzulassen, von denen her sie sich subjektiv als moralisch gefordert verstehen. „Sittliche Pflichten“ beruhen auf der nicht zu fordernden individuellen Fähigkeit, für andere von der Positivität der eigenen Vorstellungen vom Guten abzulassen und sich in diesem Sinne aufzuopfern (vgl. Anm. 20). Entsprechend kann es, um der „Würde“ des individuellen
Hegels Gottesbegriff
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Bedingtheit der jeweiligen Erscheinung des Absoluten kann nach der Logik des Gottesbegriffs Hegels gerade keine pejorative Bestimmung sein. Auch die christliche Religion ist, als die „absolute Religion“, wie alles „Dasein“ zugleich auch eine besondere Religion in ihrer Abgrenzung gegen andere Religionen. Sie spricht von Gott und intendiert damit, wie alles Sprechen, etwas Bestimmtes. Sie legt dem sinnlosen Laut „Gott“ Prädikate zu, durch die „Gott“ erst in der Unterscheidung von anderem eine bestimmte deutliche Bedeutung erhält. Der Geist wird in dieser Abhebung von bestimmten Vorstellungen, und seien damit via negationis oder in ,eminenter‘ Weise auch alle anderen bestimmten Vorstellungen gemeint, notwendig selbst vorgestellt und vergegenständlicht. Das führt in der Rede vom absoluten Geist zu der Vorstellung eines Verhältnisses von Personen, deren Göttlichkeit nur gefaßt werden kann, indem die eine schlechthin als Gott – nach der gewohnten Vorstellung eines jenseitigen Gottes – und die andere dagegen als menschgewordener Gott, oder – in der gewohnten Form der Satzgrammatik ausgedrückt – die eine als Subjekt (Substanz) und die andere als dessen Prädikat (Verbum) vorgestellt wird. Die gemeinsame Göttlichkeit soll darin liegen, daß beide Personen doch noch ,unter‘ den Begriff ,Gott‘ subsumiert werden, wie die Vorstellung von etwas als etwas es gewohnt ist. Die begriffliche Schwierigkeit für die gewohnte Vorstellung steckt dann ,nur noch‘ in der zweiten Person, die sowohl Gott als auch Mensch genannt wird. In ihr liegt beschlossen, was für die gewohnte Vorstellung von Gott ,Geheimnis‘ bleibt, für Hegel aber gerade „Begriff“ ist, nämlich daß Gott als „Geist“ zu denken ist, in dem Personen als solche und nur als solche, ohne Vorbehalt eines gemeinsamen Begriffs, ,unter‘ den sie fallen sollen, füreinander da sind. ,Unter‘ der beibehaltenen Voraussetzung des gemeinsamen Begriffs, ,unter‘ den die Seiten des geistigen Verhältnisses fallen sollen, kommt es notwendig zum ,Zählen‘ der Fälle, die unter ihn fallen, und es entsteht die Frage, ob es keine, eine, zwei oder drei göttliche Personen als Fälle der Extension eines Begriffs gibt. Gott ist dann aber schon nicht mehr als Geist |95| begriffen, sondern als etwas, dessen Begriff sich wie der von hundert Talern im Zählen erfüllen soll. Immer wieder wendet Hegel sich gegen dieses Zählen, d. h. gegen die Bestimmung des Daseins Gottes nicht als Geist, sondern als Extension eines vorausgesetzten Begriffs. Das ist insofern wider den Geist, als „Geist“ Menschen willen, auch keine allgemeine Forderung geben, von der Religion zur Philosophie des Absoluten überzugehen, zumal alle Negation von Vorstellungen durch das Denken notwendig wieder zu (neuen) Vorstellungen führen muß (vgl. Anm. 19). (Die hier zitierten Passagen zum Begriff der „Würde“ sind in der Ausgabe von Lasson nur „unter dem Strich“ abgedruckt; Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Dritter Teil: Die absolute Religion, Leipzig 1929, [III], 69 bzw. ebd., Zweiter Teil: Die bestimmte Religion, Leipzig 1927, [II] 1, 104.)
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gedacht ist als ein Verhältnis, in dem sich Individuen als solche und nicht als irgend etwas gemäß einem vorausgesetzten Begriff zueinander verhalten. Man kann natürlich auch Individuen als solche zählen, wenn damit gesagt sein soll, ,was‘ zu zählen ist. Geist konstituiert sich aber nicht darin, daß Personen wie im Sinne der Abzählung zusammen sind, sondern er ist darin da, daß Personen sich wirklich anerkennend zueinander verhalten, d. h. überhaupt füreinander Personen sind. Im Sinne der Vorstellung sind das dann, da es sich doch um die Vorstellung Gottes handeln soll, verschiedene göttliche Personen, aber doch nur ein Gott: Das Zählen gerät in Verlegenheit, ob es denn nun eins oder drei zu zählen hat, während es dem Begriff nach gar nicht darauf ankommen kann, ,was für‘ Personen es sind. Gerade das persönliche Verhältnis schließt solche Vorbehalte aus, während das Zählen wissen muß, ,was‘ es zählen und von welchem herangetragenen Begriff es ausgehen soll. Der Geist ist gerade darin da, daß es darauf nicht mehr ankommt und daß das Verhältnis ohne eigenen Vorbehalt besteht, und nur darin ist er absolut, d. h. göttlich. Die Religion als solche, d. h. als allgemeine Institution, ist Vorstellung und nicht Begriff des Absoluten. Sie versteht das Absolute nach den allgemein vorauszusetzenden Möglichkeiten eines endlichen Bewußtseins, aber doch im Bewußtsein, daß das nur ihre Vorstellung von ihm ist. Darin ist sie zugleich über das Vorstellen hinaus. Wäre die Religion nichts anderes als Vorstellung, so wäre sie geistlos. Sie ist also als Dasein auch davon zu unterscheiden, daß und wie sie sich das Absolute vorstellt. Dieses andere an ihr gegenüber ihrem Wesen als Vorstellung ist nach Hegel der religiöse Kult. In ihm als einer Praxis weiß sich das Bewußtsein, im Unterschied zu seinem theoretischen Vorstellen, in einem wirklichen Verhältnis zum Absoluten. Er ist Ausübung der Religion als „Glaube“, als „besondere Formen des Kultus“ und als „Verhältnis der Religion zum Staat“26. Im Kultus treten die Personen in ein aktives Verhältnis zu dem, was sie sich dogmatisch als etwas Unerreichbares vorstellen. Sie widersprechen damit ihrer Vorstellung durch ihr Tun. Im Kultus als dieser Praxis besteht das Selbstbewußtsein, daß Gott da ist und daß damit, da es sich dabei um das absolute Dasein handelt, aus dem nichts ausgeschlossen sein kann, auch der Mensch Person in einem geistigen Verhältnis ist. Der Glaube ist diese Praxis, sich in Gott zu wissen, dadurch, daß er sich über die Aporie der theoretischen Vorstellung eines Absoluten hinwegsetzt und das, was er sich vorzustellen vermag, als Gott bzw. so hinnimmt, wie Gott sich ihm selbst vorstellt. Im Vertrauen auf das Dasein des Absoluten geht er im Sich-Halten an die Vorstellung zugleich 26 Sämtliche Werke 15, 220ff., 239ff. und 256ff. – Die Einteilung der alten Ausgabe der „Werke“ durch den „Verein von Freunden“ bietet m. E. eine sachgerechte Gliederung an.
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über deren Beschränktheit hinaus. Er spricht Gott eine die Vorstellung überragende Anwesenheit im Glauben oder eine von der Äußerlichkeit der Vorstellung verschiedene Innerlichkeit zu, die mit der des Glaubens selbst zusammenfällt. Insofern ist der Glaube zwar selbst noch theoretisch. Aber er ist doch zugleich eine Abkehr vom Gegenstand der theoretischen Vorstellung ,nach innen‘, also eine praktische Tätigkeit, die jedoch |96| selbst noch völlig inhaltlos und abstrakt bleibt. Sie hat ihren Inhalt nur negativ in der besonderen Vorstellung, von der sie sich abwendet und nach innen kehrt. In den Formen des besonderen Kultus ist die kultische Praxis dagegen „Arbeit“ an der besonderen Beschaffenheit des religiösen Subjekts. Es ist auf seine kulturelle Besonderheit bezogen und will diese Bedingtheit hinwegarbeiten, in einer „menschlichen Arbeit“, die aber im Bewußtsein der Anwesenheit Gottes als des Absoluten zugleich als die Arbeit Gottes gewußt ist, durch die er sich seiner Besonderheit als eines Transzendenten selbst entäußert27. Während die Moral davon ausgeht, daß das Gute immer erst noch verwirklicht werden soll, ist es für das religiöse Bewußtsein immer schon „absolut vollbracht“28. Der Kultus ist eine Tätigkeit in diesem Bewußtsein. Er ist „innerhalb der Religion und das Wissen, daß Gott ist und die Wirklichkeit ist“, der der Mensch sich „nur zu assimilieren“ hat29. Das religiöse Subjekt vollzieht im Willen dazu also eigentlich nicht seinen endlichen Willen, dessen Ziel ihm wesentlich selbst transzendent ist, sondern den Willen Gottes, d. h. den absoluten Willen, dessen Ziel in ihm selbst liegt, so daß es sich um ein Tun handelt, das sein Ziel in sich selbst hat und eigentlich nur das Dasein des Absoluten feiert. Es ist eine Arbeit, die in sich schon Feier ist. In der dritten Erscheinungsweise des Kultus, im Verhältnis der Religion zum Staat, wird noch deutlicher, daß Hegels Gottesbegriff untrennbar mit den Weisen des praktischen Vollzugs seines Daseins zusammenzudenken ist. Die religiöse Arbeit, die sich, als Feier, frei davon weiß, daß das Gute erst noch zu besorgen sei, vollzieht das Dasein des Absoluten. Aber darin, daß sie in ihrem Bewußtsein der Anwesenheit des Absoluten und der sich in diesem Bewußtsein verstehenden Arbeit des Hinwegarbeitens der besonderen Bedingtheit immer zugleich noch eine besondere Tätigkeit ist, steht sie in einem Gegensatz zum Staat als der weltlichen Gestalt der Ver27 „Dies ist meine, die menschliche Arbeit, dieselbe ist Gottes, von seiner Seite. Er bewegt sich zu dem Menschen und ist in ihm durch Aufhebung des Menschen“ (ebd., 238; Lasson, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Erster Teil: Begriff der Religion; Leipzig 1925, [I], 258). 28 Ebd. 29 Ebd., 239.
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wirklichung der Freiheit, zu der ja auch das Bewußtsein der Arbeit aus Sorge um die Bedingungen des Lebens gehört. Die Religion tritt deshalb als Kult in eine „Kollision“ mit den Gesetzen des Staates, der in seinen Gesetzen und in der sittlichen Pflicht ihrer Befolgung die Wirklichkeit der Freiheit sieht, wie sie unter den gegebenen historischen Umständen konkret geworden ist. Das religiöse Bewußtsein muß darin eine ihm fremde Beschränkung seiner Erfülltheit vom absoluten Geist sehen, in der ihm gewiß ist, daß das Gute schon „absolut vollbracht“ ist, und aus der es sein Selbstbewußtsein als ein zugleich göttliches Selbstbewußtsein bezieht. Diese „Kollision“ ist nach Hegel „noch sehr weit davon, gelöst zu sein“30. Man wird hinzufügen dürfen, daß sie nur dadurch geregelt werden kann, daß die Staatsmacht die Freiheit des Kults im Rahmen ihrer staatlichen Gesetze gewährt. Das gilt nicht nur für die Kollision des Kults mit Staatsgesetzen, sondern auch für die Kollision besonderer Formen des Kults untereinander. Denn keine dieser Formen kann in ihrem Selbstbewußtsein, die Anwesenheit des Absoluten zu vollziehen, von sich aus zu einer Beschränkung ihrer Art der Hinwegarbeitung ihrer Beschränktheit finden, denn keine weiß das Gute noch außer sich. Insofern kommt der Kultus eigentlich erst in der staatlichen Gewährung seiner Freiheit zum Bewußtsein seiner Besonderheit oder zu sich. Von sich allein her bliebe er der bacchantische „Taumel“, in dem er sich ohne weiteres alles Äußere als das Negative ihm gegenüber einverleibt und sich unmittelbar im „Genusse“ der Mittel des Lebens weiß, die, in ihrer Aufhebung als Mittel für einen noch ausstehenden Zweck, für ihn zugleich die Substanz allen Lebens in welchen Formen auch immer ausmachen31. – Auf der anderen Seite, „im Allgemeinen“, „ist die Religion und die Grundlage |97| des Staates Eins und dasselbe“32, so daß die Ausübung der Religion auch im Interesse des Staates ist. Das ist aber nicht im jeweiligen Bewußtsein dieser verschiedenen Seiten. Im Besonderen bedarf es daher der positiven, äußeren Abgrenzung. Hegel ist demnach weit davon entfernt, Gott dem Begriff nach von diesen bestimmten Daseinsformen abstrakt zu unterscheiden. „Dasein“ ist als solches „bestimmtes Sein“, das „veränderlich und endlich“ und „an ihm schlechthin negativ bestimmt“ ist33. Es ist entstanden und vergeht. Das „reine Sein“ ist nach Hegel dagegen die ärmste Bestimmung und darin dasselbe wie das „reine Nichts“34. Gott als Fülle des Seins ist seinem Begriff nach in bestimmten Formen da, von denen jede eine besondere ist und damit ihr 30 31 32 33 34
Ebd., 266; Lasson, I, 311. Vgl. Phän., 502ff.; GW 9, 385ff.: „Das lebendige Kunstwerk“. Sämtliche Werke 15, 257; Lasson, I, 303. Log. I, 95; vgl. GW 11, 59. Ebd., 67; GW 11, 44.
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Anderssein und ihre Veränderung an ihr selbst hat, und dazu gehört auch die Besonderheit der Religion, nicht nur im Verhältnis zu anderen Religionen und ihren unterschiedlichen kultischen Ausprägungen, sondern auch die Besonderheit der Religion überhaupt in ihrem Verhältnis zum Staat, wie es in den Gesetzen erscheint, in denen der Staat jeweils sein Verhältnis zur Religion bestimmt. Gott als Geist ist nicht nur im religionsimmanenten Selbstbewußtsein religiöser Subjekte im Kreise einer auf sich bezogenen religiösen „Gemeinde“ da. Er ist, da „Dasein“ als solches „bestimmtes Sein“ ist, in einer bestimmten, d. h. gegen andere Daseinsweisen abgegrenzten Bestimmtheit und nur in dem geschichtlichen Wandel da, in dem sich solche Abgrenzungen jeweils einstellen. Das „Dasein des Geistes“ ist, gegenüber seinem besonderen Dasein im religiösen Selbstbewußtsein, immer auch weltlich. Nur innerhalb der Religion ist der Geist der Geist der „Gemeinde“, wie er sich im Selbstbewußtsein dieser Gemeinde als einer besonderen Glaubens- und Kultgemeinschaft manifestiert. Diese Einschränkung gilt auch dann noch, wenn der Geist in einer Gemeinde nicht nur als Vollzug kultischer Formen da ist, sondern auch dadurch, daß er als Geist gegenseitiger Liebe in ihr praktisch wird und als diese Praxis zugleich gewußt ist. Auch dann gibt er sich in der Welt noch diese besondere Bestimmtheit gegen anderes, von diesem Selbstbewußtsein des Absoluten verschiedenes Bewußtsein, und er setzt sich auch so noch einmal zu diesem anderen in ein bestimmtes Verhältnis. Staat und Religion dokumentieren mit dem Verhältnis, das sie zueinander haben, ihre jeweilige Freiheit. Nur eine selbst freie, sich von ihrer erscheinenden Besonderheit zugleich ablösende, „absolute Religion“ ist in der Lage, in ihrem Verhältnis zum Staat, das sie in ihrer äußeren Freiheit abgrenzt, keine Einschränkung, sondern die Bestimmtheit des eigenen Selbstbewußtseins zu sehen, und umgekehrt ist nur der Staat frei, der sein bestimmtes Verhältnis zu einer solchen Religion erträgt. Wenn sich dagegen die Abgrenzung zwischen Religion und Staat als Kollision in einer Person vollzieht, weil sich noch kein Selbstbewußtsein des Geistes von der Begrenztheit seiner jeweiligen Daseinsform herausgebildet hat, manifestiert sich der Geist als tragisches Schicksal.
V. Die Freiheit der Religion besteht darin, daß sie ihren Gegenstand nicht als Ding, sondern als Geist weiß, d. h. als ein freies Verhältnis von Personen. Die theoretische Vorstellung faßt ihren Gegenstand als Ding, d. h. ,unter‘ einem Begriff, und fragt, ob unter diesen Begriff überhaupt ein oder auch mehrere Dinge fallen. Sie geht vom abstrakten Begriff und nicht vom Dasein eines Geistes aus, in dem solch ein Ausgehen von besonderen Begriffen
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oder von besonderen Weltansichten erst seine Berechtigung |98| erfährt und den absoluten Grund seines bedingten Daseins hat. Die Vorstellung setzt sich in ihrem theoretischen Zugriff unmittelbar für alle Realität und entspricht damit einem vorkritischen Begriffsrealismus. In dieser Absolutsetzung ihres theoretisch-begrifflichen Zugriffs versucht sie, sich auch das Absolute dinglich vorzustellen und dann zu fragen, ob ,so etwas‘ überhaupt existiere, und selbst wenn wie im Christentum davon ausgegangen wird, daß es als Geist, d. h. als Verhältnis sich in ihrer jeweiligen Subjektivität anerkennender Personen da ist, kommt es von der theoretischen Vorstellung aus zu der Frage, wie hier denn überhaupt zu zählen sei. Wenn aber Personen gezählt werden sollen, ist immer etwas, nämlich der sie verbindende und einigende Geist, in dem sie erst füreinander Personen statt Dinge sind, ausgelassen und nicht mitgezählt. Es liegt also an der Vorstellung als einer zählenden Einstellung, daß in der Vorstellung Gottes als eines persönlichen Verhältnisses zunächst zwei Personen gezählt werden und deshalb noch ,etwas Wesentliches‘ fehlt, was nicht gezählt worden ist, weil es nicht gezählt werden kann. Es wird von der Vorstellung dann doch verdinglicht und hinzugezählt, und zusammen mit diesem Negativen sind es dann drei Personen. Die dritte muß in der Vorstellung hinzugezählt werden, weil sonst durch die Verdinglichung von zwei Personen gerade das, was diese erst zu Personen macht und auseinanderhält, d. h. der Geist, weggelassen worden wäre35. Schon in der Kritik der Kantischen Kritik der Gottesbeweise hatte 35 Bei Hegel ist „Geist“ im theologischen Zusammenhang mit der Trinitätslehre als „Geist der Gemeinde“ verstanden (vgl. z. B. Enzyklopädie, § 554), die sich als solche gegen anderes, gegen andere Formen des Kults oder auch gegen den weltlichen Staat dadurch abgegrenzt weiß, daß ihre Mitglieder sich auf besondere gemeinsame Vorstellungen des Absoluten bezogen wissen. „Diese Form des Vorstellens macht die Bestimmtheit aus, in welcher der Geist, in dieser seiner Gemeinde, seiner bewußt wird“ (Phän., 532; GW 9, 408). Er kann nur als bestimmte Vorstellung, in der er als Gegenstand des gemeinsamen Glaubens erscheint, oder ,symbolisch‘ bewußt werden. Die Negativität, die ihn eigentlich ausmacht, wird, um einer gemeinschaftlichen verbindlichen Vorstellung willen, in ein Bild gebracht, das sich aus Elementen gewohnter Vorstellungen des gemeinsamen sittlichen Lebens zusammensetzen muß, damit die Gemeinde sich auf einen allen gemeinsamen Gegenstand der Offenbarung beziehen und dadurch ihre Identität als Gemeinde in der Welt finden kann. Die Liebe individueller Personen wird um der vorgreifenden Versicherung der Gemeinsamkeit willen zum vorgestellten Gegenstand zwischen vorgestellten göttlichen Personen, denen um ihrer gegenständlichen Verschiedenheit willen dann auch besondere Merkmale oder Werke prädikativ zugeschrieben werden müssen. Die Vorstellung eines jenseitigen Verhältnisses verschiedener göttlicher Personen resultiert also gerade daraus, daß sich die Gemeinde in der sie umgebenden Welt vorläufig sozusagen im versichernden Vorgriff darauf einrichtet, daß ihr Geist in Wirklichkeit nur da ist, indem er sich in einer nicht sicherzustellenden Weise individuell vollzieht.
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Hegel sich gegen die vergegenständlichende, zählende Vorstellung des Absoluten gewandt. Jede Person ist dadurch Person, daß sie sich zu einer anderen Person im Geist der Anerkennung und gerade nicht subsumierend verhält. Dadurch ist sie in ihrem anderen auch erst bei sich selbst als Person, und darin hat sie ihre nicht numerische, sondern persönliche Identität. So kann man sagen: Jede Person ist, insofern sie Person und nicht zählbares Ding als Fall von gleichen Fällen unter einem herangetragenen Begriff ist, für sich allein schon das, was sich die Vorstellung als Dreizahl auseinanderlegt. ,Gott ist Person‘ heißt deshalb nichts anderes als: Gott ist Liebe. Aber auch der Mensch ist nur Person, insofern er liebt, und was er liebt, ist nicht ,Gegenstand‘ seiner Liebe. Das wäre ein Widerspruch. Was er |99| liebt, ist für ihn dadurch Person, gleichgültig, unter welchen Begriff oder unter welche ,Art‘ von Personen es als Gegenstand fällt, also auch gleichgültig dagegen, ob es in der Vorstellung außerdem noch unter den Begriff ,Gott‘ oder unter den Begriff ,Mensch‘ gefaßt ist. Die Aufhebung solcher Begriffs- oder Wesensunterschiede in der „subjektiven“ Logik von Personen und das Sichgleichmachen Gottes mit dem Menschen in der „Versöhnung“ sind im absoluten Geist dasselbe. In dieser Aufhebung erst ist er dem Begriff nach da oder absolut.
VI. Es stellt sich hier die Frage, ob man sagen kann, Gott sei für Hegel Person. Hegel selbst sagt immer wieder, der christliche Gott sei Geist, also ein Verhältnis zwischen Personen. Sicher muß man im Sinne Hegels sagen, Gott falle nicht ,unter‘ den Begriff ,Person‘. Er fiele dann zusammen mit menschlichen Personen ,unter‘ denselben Begriff. Das ist unangemessen von Gott gedacht, aber nicht nur wegen des Verdachts des ,Anthropomorphismus‘, sondern weil auch Menschen nicht Personen sind, weil sie ,unter‘ diesen Begriff gefaßt werden, wie das z. B. nach irgendwelchen Eigenschaften geschehen könnte, die man als maßgeblich dafür ansieht, daß man von ,etwas‘ sagt, es sei Person. Auch Menschen sind Personen, indem sie Begriff im Sinne des Hegelschen Begriffs als „freie Macht“ oder „freie Liebe“ sind, die anderes sein lassen, was es von ihm aus sein will. So kann für Menschen auch Gott nur in der Liebe Person sein, d. h. indem der Mensch ebenfalls Liebe zu Gott ist. Darin verschwindet der subsumtionsbegriffliche Unterschied von Gott und Mensch, nicht aber darin, daß Gott und Mensch Unterbegriffe desselben Begriffs wären. Der begriffliche Unterschied hebt sich auf, indem das jeweils andere nicht mehr unter irgendeinem vorgefaßten Begriff intendiert und in diesem Sinne nicht mehr Gegenstand der Vorstellung ist.
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Die Vorstellung mißversteht den Geist, und damit versteht sie ,Person‘ als Subsumtionsbegriff. Sie fragt nach der zählbaren Extension des Begriffs göttlicher, transzendenter Personen. In diesem extensionalen Sinne ,gibt‘ es nach Hegel nur so etwas, was man ,unter‘ einem Begriff beisammen haben kann wie hundert Taler, aber keinen Gott. Die Extension von ,Gott‘ bleibt leer, wenn oder weil man sie erwartet. „Gott selbst ist tot“, wenn er gesucht wird als etwas, das man dingfest machen will, indem man es z. B. dafür verantwortlich machen möchte, daß die Welt nicht so ist, wie sie nach der eigenen Vorstellung sein sollte, d. h. wenn er zum Gegenstand eines moralischen Urteils gemacht wird, das, in Beziehung auf Gott, ja davon ausgehen muß, als ,was‘ es sich einen Gott bzw. so etwas wie einen Gott vorstellt. Wenn das Böse, als das, was nach eigenem Urteil nicht so ist, wie es sein sollte, möglich ist, dann kann es nach diesem Urteil keinen Gott geben. In Hegels Gottesbegriff ist dagegen Gott gedacht als das, was da ist, als der Geist, in dem Menschen als endliche Wesen leben, von denen sich jedes seine Vorstellung von dem, was sein sollte, macht und um seiner Weltorientierung willen aus seiner bedingten Sicht auch machen muß, um leben zu können. Er ist gedacht als der Geist, in dem solche bedingten Urteile ihre anerkannte Berechtigung oder die Logik ihres Sinnes erhalten und in dem geurteilt wird, daß etwas gut sei, wenn es einem bestimmten und damit bedingten Begriff entspräche. „Das Haus ist gut“ ist ein Satz, der aussagt, daß es so sei, wie es nach der Vorstellung, d. i. nach dem |100| Subsumtionsbegriff von einem Haus, den der Urteilende hat, sein soll. Andere beurteilen es als schlecht, weil sie einen anderen Begriff von einem Haus haben36. So kann auch ein Mensch nach der Vorstellung eines anderen Menschen von dem, was ein Mensch sein soll, als schlechter Mensch erscheinen. Nach Hegels Gottesbegriff kann aber nicht gut ein Mensch in seiner Individualität für Gott schlecht sein, weil in diesem Begriff Gott als Geist, und d. h. unbedingt als Liebe gedacht ist, und es ist wieder hinzuzufügen: auch für einen Menschen, der ihn liebt, kann er als Individuum oder als Person nicht schlecht sein, sondern nur in bezug auf seine unter allgemeine Begriffe subsumierten Taten, von denen gesagt wird, daß er sie nicht hätte tun sollen. Und das kann man wieder nur sagen, indem man von der eigenen Vorstellung her voraussetzt, was für Taten in einer bestimmten Situation getan werden sollten. Es wird deutlich, daß der Geist, als absoluter Geist, bei Hegel auch „Verzeihung“ ist37. „Verzeihung“ ist kein zusätzlicher Akt des Geistes, der in dieser Vorstellung ja auch schon als verdinglichte Person, die verzeiht, verstanden wäre. Die Erfahrung des Geistes geschieht in seiner Erfahrung 36 Vgl. Log. II, 306; GW 12, 87f. 37 Vgl. Phän., 469ff., bes. 471; GW 9, 359ff., bes. 361.
Hegels Gottesbegriff
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als Geist der Verzeihung oder der Tilgung der Schuld, in der sich auch der, dem verziehen wird, erst als Person erfährt und nicht als jemand, der eine bestimmte Tat getan hat und damit unter den Begriff eines Täters ,solch einer‘ Tat subsumiert bleibt. Es wird also nicht eine Schuld ,vom‘ Geist verziehen, sondern ,im‘ Geist, und es werden nicht bestimmte Taten verziehen, sondern Personen wird verziehen, indem sie von der allgemeinbegrifflichen Bestimmtheit der Taten abgelöst oder als individuelle Personen anerkannt und darin erst Personen sind. Verzeihen und Zugeständnis der Personalität sind dasselbe. In der Vorstellung verzeiht eine Person einer anderen. Die eine ist dann davon abhängig, daß die andere ihr verzeiht. In Hegels Gottesbegriff ist Gott aber nicht mehr als eine Person gedacht, die verzeiht oder auch nicht verzeiht; er ist in diesem Begriff überhaupt nicht als eine Person gedacht, sondern als der Geist, in dem sich Personen zueinander verhalten, und zwar so, daß sie erst in diesem Verhalten Personen sind. Der Geist ist quasi die Individuation von Personen überhaupt. In ihm ist die Vorstellung aufgehoben, daß da erst Personen seien, die sich in einem bestimmten Sinne zueinander verhalten sollten. Der absolute Geist ist die Aufhebung dieser moralischen Vorstellung und damit auch ihres Gegenstandes. Gott, als gegenständliche Person vorgestellt, hebt sich in ihm auf. Er „entäußert“ sich ganz in der Verzeihung, die darin besteht, daß sich die Gegenständlichkeit eines übermächtigen Guten, dem der Mensch niemals entsprechen könnte, aufhebt. Gott verzeiht, indem er nicht nur den Menschen zu sich hinaufhebt, sondern ihm ebensosehr entgegenkommt oder sich ganz zu ihm herabläßt, ihm gleich wird und sich sogar der Verurteilung durch ihn bis zum Todesurteil ausliefert. Sonst bliebe die Verzeihung die einer weiter bestehenden Schuld, und Gott erschiene als Willkür und nicht als gerecht. Die Schuld besteht nur weiter als Schuld gegen den Geist oder in der Vorstellung, daß Gott sich nicht vollkommen entäußert habe, d. h. in der Zurückweisung dieser Entäußerung durch Verweilen in der vergegenständlichenden Vorstellung, in der Gott dann auch dafür verantwortlich gemacht wird, daß etwas seinem endlichen Begriff nicht entspreche. Probleme ergeben sich von hier aus für den Begriff des Schöpfergottes. Diesem Begriff zufolge muß doch zuerst eine Person substantiell da gewesen sein, die dann in einem besonderen Akt die Welt erschaffen habe. Aber nach dem christlichen Gottesbegriff war Gott immer schon Geist. In der Sprache der Vorstellung ausgedrückt heißt das, er war immer schon verschieden von allem, was die Vorstellung sich, als Nichtgeist, vorstellt. Die ,creatio ex nihilo‘ bedeutet, daß nichts war, außer dem Geist. Der Geist war insofern, da außer ihm nichts da war, „nur Einer“. Da dieses eine aber Geist war, war es Person, und in der Logik des Geistes ist „die Kategorie Eins … eine schlechte Kategorie“. „Es ist der Charakter der Person des
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Subjekts vielmehr, seine Isolierung, Abgesondertheit aufzuheben.“ „Das Wahre der Persönlichkeit ist also eben dies, sie durch dies |101| Versenken, Versenktsein ins Andere zu gewinnen.“38 „Das Wort ist dies einfache sich Vernehmenlassen“ im Verstandenwerden durch eine andere Person oder im Andersverstandenwerden. „Gott ist Schöpfer“ heißt, wenn er Geist ist, daß er Schöpfer „in der Bestimmung des Logos, als das sich äußernde, aussprechende Wort“ ist39. In der zeitlichen Reihenfolge der Vorstellung war ,am 38 Sämtliche Werke 16, 239; Lasson, III 1, 81. 39 Ebd., 245; vgl. Lasson, III 1, 82. – Der Einwand, nach Hegel gehöre es „zum Sein und Wesen Gottes, Schöpfer zu sein“, und Gott sei dies nach Hegel „nicht aufgrund eines wahlfrei gefaßten Entschlusses“ (L. Oeing-Hanhoff, Hegels Trinitätslehre: Theologie und Philosophie 52 (1977), 386), trifft einerseits zu und geht andererseits doch an der Logik des Hegelschen Gottesbegriffes vorbei. Das Schöpfersein wird der ,ersten‘ Person im Unterschied zu den anderen Personen zugesprochen. Personen aber sind als solche frei gegenüber dem, was ihnen zugesprochen wird. In der Abtrennung von anderen Personen ist eine Person jedoch nicht mehr Person, und insofern fällt damit auch die Freiheit, d. h. die Differenz zum zugesprochenen Attribut fort. Die Abtrennung der Personen vom Geist, in dem allein sie Personen sind, geschieht durch das Zusprechen besonderer Attribute oder Werke, als deren Subjekt sie nach dieser Vorstellung ohne Beziehung zu anderen Personen, und d. h.: ohne Person zu sein, festgelegt sind. Für sich allein, d. h. von unterscheidenden Attributen her betrachtet, ist eine Person nur Ding, eine Substanz im Sinne Spinozas, und zu sagen, die erste Person sei, z. B. im Gegensatz zum „Sohn“ und zum „Geist“, der Schöpfer, schließt ihr Personsein, das sie nur im Verhältnis zum Sohn oder im Geist ist, aus. Aus der gleichen Abtrennung der Vorstellung von der Logik gel reduziere „die Dreipersönlichkeit Gottes auf eine Zweipersönlichkeit“, odedes Begriffs (Gottes) bei Hegel versteht sich offensichtlich auch der Einwand, Her „Hegel, der Philosoph des Geistes“, habe „den Hl. Geist vergessen, genauer: seine ihm eigene personale Seinsweise unberücksichtigt gelassen“ (L. Oeing-Hanhoff, a. a. O., 392 bzw. 394f.). Auch ,der‘ Geist kann, für sich oder von Attributen her betrachtet, d. h. als Gegenstand, nicht Person sein. Für sich betrachtet ist er ,nur‘ das vergegenständlichte Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Aber als geistiges, sich der Vergegenständlichung entziehendes Verhältnis macht er deren Personsein aus. Ohne den Geist wären also diese Personen nicht, was sie sind, so daß man, wenn man deren Substantialität im Blick hat, damit auch schon die des Geistes im Blick haben muß. So wie der Vater nicht ohne den Sohn und der Sohn nicht ohne den Vater Person sind, so sind sie es beide nicht ohne den Geist. Wenn man von zwei Personen spricht, d. h. mit dem Zählen substantieller Einheiten anfängt, wo es sich doch nur um eine gemeinschaftliche Substanz, eben um Personen handelt, von denen jede nur in ihrem „Andern“ ihre „eigene Objektivität zum Gegenstande hat“ (Log. II, 484; GW 12, 236) und nicht darin, daß sie sich als verschiedene Substanzen voneinander unterscheiden, dann muß man auch bis drei zählen. Man würde sonst ,das Wesentliche‘, den Geist als das Wesen der als Person unterschiedenen Einheiten, auslassen. Doch es ist ja eigentlich das Zählen als solches, daß schon am Begriff der Person und damit am Begriff Gottes vorbeigeht. Man kann natürlich auch Personen zählen, aber dann hat man es mit ihnen als (substantiell verschiedenen) Dingen zu tun. Das Verhältnis zu Personen als solchen kann nur in sittlichen
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Anfang‘ noch keine Vorstellung da von Dingen und Personen, die als solche oder ohne den Geist auch ,etwas‘ wären, sondern nur das „Eine“. Indem es aber Geist war, war auch schon am Anfang „das Wort“, und damit war auch eine Verschiedenheit von Personen da, aber eben nur in ihrem Sein aus dem Geist und nicht in der Vorstellung ihres dinglichen, abzählbaren Daseins. Die Schöpfung ist die Einräumung anderen Verstehens, und damit auch anderer Personalität oder Subjektivität, in der der Geist seinem Begriff nach besteht. Erst mit dieser Andersheit als einem wesentlichen Moment des Geistes konstituiert sich eine Welt von persönlichen und nichtpersönlichen Dingen als eine Welt von Gegenständen, die sich im Wort als die Gegenstände interpersonaler Rede konstituieren.
VII. Theologumena wie die Vorstellung von drei gezählten Personen, von denen eine bzw. das erste Eine als Schöpfer prädiziert und abgesondert wird, „das Andere … als Sohn“, |102| sind für Hegel „kindliche“ Ausmalungen des Geistes im Medium der Vorstellung40. Das Geistige wird in Bildern der Kategorien |102| (vgl. Anm. 40) beschrieben werden. Daß Hegel mit seiner „Wissenschaft der Logik“ erst eine adäquate Logik der Subjektivität entwickelt und der formalen Logik der auf „Gegenstände“ des Meinens bezogenen Subsumtionsbegriffe systematisch vorgeordnet habe, ist auch ein leitender Gedanke in dem Aufsatz von W. Jaeschke, Absolute Idee – Absolute Subjektivität. Zum Problem der Persönlichkeit Gottes in der Logik und in der Religionsphilosophie: Zeitschrift f. phil. Forschung 35 (1981), 385ff. 40 Vgl. Sämtliche Werke 16, 240. – Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß dies keineswegs eine Abwertung des Vorstellens bedeutet (Anm. 25). Als endlicher Geist ist der menschliche Geist „kindlich“. Er bedarf des Vorgriffs auf gemeinsame Vorstellungen oder Symbole des Absoluten, die dessen Negativität oder „Entäußerung“ in Momente eines zeitlichen Er-zählens in einer Form auseinanderlegen, in der das im Zählen Getrennte mehr als eine nur quantitative Einheit ist und die Qualität eines einzigen Geschehenszusammenhangs zurückerhält. Es werden nicht nur abstrakt Personen unterschieden, sondern sie werden dadurch auch wieder vereint, daß der ersten das Werk der Schöpfung, der zweiten das der Erlösung durch den Tod und die Auferstehung in eine neue, versöhnte Vorstellung (vgl. Anm. 19) und der dritten die Funktion des vorgreifenden Zusammenhalts der Gemeinde in der glaubenden Beziehung auf gemeinsame Vorstellungen, also die Einheit dieses ganzen Geschehens als eines göttlichen Prozesses zugeschrieben wird. Wenn schon göttliche Personen als etwas für sich Seiendes vorgestellt werden, dann muß auch dieses Werk in der Ordnung der Zeit, in der sich auseinanderlegt, was für den Verstand Widerspruch ist, auf sie verteilt werden, und insofern kann man nicht sagen, bei Hegel seien Schöpfung und Erlösung „dasselbe“. „Der Verstand hat keine solche Kategorie“, wie sie das Verhältnis von Vater, Sohn und Geist in Kategorien sittlicher
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Vorstellungswelt geschildert. Einem endlichen, vorstellenden Bewußtsein stellt es sich notwendig in solchen Bildern dar. Die Akte, die sie hervorbringen und in denen das Absolute sinnlich, d. h. als Extension von Begriffen, aber doch ,ohne (vorangestellten) Begriff‘ oder nur in zeitlicher Auseinanderlegung in ästhetischer Deutlichkeit erscheint, sind Akte der Kunst. Die Begriffslosigkeit der Kunst im Sinne von Subsumtionsbegriffen ist die Mitte im Übergang zum Begriff des Begriffs im Sinne Hegels. Sie ist ,an sich‘ Geist. Die Kunst ist, neben Philosophie und Religion, eine weitere Weise des Selbstbewußtseins des absoluten Geistes. Sie ist das Medium seines Übergangs in die Vorstellung, der gegenüber die Religion dann, in der Haltung der Andacht, ein Fürwahrhalten oder Glauben ist. Da Menschen vorstellende Wesen sind, ist der Geist für sie ohne Kunst und Religion nicht da. Ohne sie wäre der Mensch auch nicht zu einem philosophischen Begriff des Geistes gekommen. Er wäre ohne Anhalt für sein Denken, und damit wäre der daseiende absolute Geist ein Dasein ohne Selbstbewußtsein für ein anderes Selbstbewußtsein geblieben. Er wäre nicht der Geist, als der er allem absolut vorauszusetzen ist, d. h. es wäre überhaupt nichts. Die Philosophie ist das vollendete Selbstbewußtsein des absoluten Geistes oder der Gedanke, daß der daseiende Geist der Anerkennung des einzelnen in seiner „absolut in sich seienden Einzelheit“ der „absolute Geist“ und als solcher das Absolute ist. Die Philosophie ist damit zugleich die Vollendung dieses Geistes selbst, der in Kunst und |103| Religion doch immer noch als etwas Gegenständliches vorgestellt wird, wenn auch dieses Gegenständliche schon ,ohne Begriff‘, d. h. nicht als Fall unter einem subjektiv herangetragenen Begriff vorgestellt und damit ,an sich‘ schon Geist ist. Erst im Begriff, der selbst Person im geistigen (liebenden) Verhältnis zu anderer Person ist, hebt das Vorstellen sich ganz in Geist auf. Es kommt, aber eben doch notwendig von der Vorstellung her, zur Wahrheit seiner selbst. In der Kunst ist der Gegenstand ein sinnlicher Gegenstand, der den Geist oder in dem sich der Geist sinnlich darstellt. In der Religion verhält sich das religiöse Bewußtsein dagegen geistig zu seiner sinnlichen VorstelVerhältnisse aussagen soll (16, 240). Für Hegels Philosophieren ist es unverzichtbar, auf Kategorien sittlicher Verhältnisse, wie „Liebe“, „Person“, „Kindlichkeit“ im Verhältnis zum Absoluten zurückgreifen zu können, die der Verstand als bloße Metaphorik klassifizieren muß. Auch das verweist auf den sittlichen (statt moralischen) Begriff des Absoluten bei Hegel. Es entspricht dem Kindsein, sich im Vorgriff auf Vorstellungen gemäß solcher Kategorien die eigene Existenz als Begriff „bildlich“ vorzustellen, d. h. auch: vorzuzeichnen. Zu solch einem vorgreifenden Vorstellen gehört dann auch die Vorstellung, daß die endgültige Vereinigung mit dem Absoluten bis zum Ende der Zeit, d. h. auch: bis zum Ende der Vorstellung, noch nicht vollzogen sei, während sie im Kult zu gleicher Zeit doch auch schon als „absolut vollbracht“ gilt.
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lung. Es unterscheidet sie in ihrem objektiven Sein vom Geist und versteht ihn damit als etwas dieser Konkretion gegenüber Verschiedenes, aber unbestimmt Verschiedenes, das für es unerreichbar sei. Nur im Kult widerspricht es dieser Vorstellung praktisch. Der Kult tritt in eine tätige, aber selbst noch nicht geistige Beziehung zum Geist und desavouiert darin die Aporie der Vorstellung. Er nimmt die Gegenstände der Kunst unmittelbar als Gegenstände des religiösen Umgangs. Die Religion bringt ihre beiden Seiten, die über das Sinnliche hinausweisende Vorstellung eines unerreichbaren Jenseits und die unmittelbare Handlung als praktischen Umgang mit dem Absoluten, nicht zusammen. Sie besteht als begriffslose Einheit des Vorstellens und des Kults. In dieser Widersprüchlichkeit ist sie aber der Ausgangspunkt des Denkens des Absoluten. Sie ist an ihr selbst Übergang in Philosophie, die sich demnach in ihrer Logik an die Vorstellung, aber auch an den Kult des Absoluten anschließt. So wie das, was für die Vorstellung und das an ihr orientierte Verstandesdenken „Geheimnis“ bleibt, im Kult vollzogen wird, so setzt die Philosophie von ihrem Ansatz her voraus, daß das Absolute „an und für sich schon bei uns“ ist und sein will41. Insofern schließt sie in ihrem Hinausgehen über die Vorstellung und auf dem Weg von der Logik des vorstellenden Denkens zu der ihr gemäßen Logik nicht nur an die Vorstellung an, sondern ebensogut an die Feier-Arbeit des Kultes, d. h. an die praktische Seite der Religion, in der das Freiheitsbewußtsein als Freiheit von der moralischen Vorstellung eines erst noch zu besorgenden (und mit endlichen Mitteln auch nicht zu erreichenden) Guten besteht. Ohne das Vorbewußtsein des Kultes fände die Philosophie nicht ihre Sprache, als eine Sprache, die sich von den eingespielten Sprachspielen des besorgten Lebensumgangs und den darin bedingten Verfahren der Verifizierung von Vorstellungen ablöst. Das Selbstbewußtsein der Philosophie ist wie das des Kults von Anfang an über das bedingte Selbstbewußtsein des vorstellenden Denkens hinausgehoben. Dieser Aspekt des Hegelschen Gottesbegriffs, nach dem Gott nicht etwa nur ein Gegenstand unter einem besonderen Begriff, sondern der Gegenstand der Philosophie ist, und zwar der Gegenstand, an dem sie zu sich selbst als zu ihrer Logik kommt, indem sie sich von der Logik des Subsumtionsdenkens ablöst, darf nicht übergangen werden. Denn erst in diesem Zu-sichselbst-Kommen der Philosophie oder im Denken des Menschen kommt auch der absolute Geist zum Selbstbewußtsein, über sein Dasein im Leben und über seine getrennten Erscheinungsformen der Kunst und Religion hinaus. Die Philosophie entwickelt so erst einen Begriff der Sprache, der über deren Verständnis als sinnliche Bezeichnung von Vorstellungen, verstanden 41 Phän., 64; GW 9, 53. Vgl. Lasson, I, 236: „Insofern nun ist die Philosophie ein fortwährender Kultus.“
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als sinnliche oder auch als übersinnliche Vorstellungen, hinausweist. In der gegenseitigen Anerkennung verstehen die Sprechenden die Sprache nicht mehr als Information, in der sie anderen die eigenen Vorstellungen einprägen könnten: In ihr hebt sich diese Vorstellung von der Sprache auf, und es wird begriffen, daß der andere auch im Verstehen der Worte |104| anderer frei gelassen oder Person ist, und daß man sich im Sprechen dem Verstandenwerden durch andere „so vollkommen als im Tode hingibt“42. Dieser Sprachbegriff ist vielleicht der Kernpunkt auch des Hegelschen Gottesbegriffs. Es handelt sich um eine Veränderung im Begriff des Logos: Er kann nur vom situativen und geschichtlichen, letztlich individuellen Hintergrund des Verstehenden her aufgenommen werden, und wenn er in die Welt kommt, muß die Zeit dafür gekommen sein, ihn in seiner Bedingtheit zugleich als göttlichen zu verstehen, und es braucht wieder seine Zeit, bis dies, daß er in die Welt gekommen ist, über die erzählte Nachricht hinaus als die Einheit von vorstellender Theorie des Absoluten und absoluter Praxis begriffen wird. Die Geschichte wird somit selbst zum Feld der Parusie des Absoluten, die die Entäußerung Gottes bis zum Tode des transzendenten Gottes der Vorstellung einschließt. In der christlichen Religion gelangt es in die Vorstellung, daß Gott selbst Geist ist, d. h. daß das Wort nicht nach irgendeiner festgehaltenen Vorstellung, sondern durch andere nach deren jeweiligem individuellen Vermögen und ihrer individuellen Vorstellungskraft vernommen werden will. Nur so ist er als Geist da. Die Parusie des Absoluten ist deshalb Prozeß des Absoluten, und zwar der Prozeß, in dem es sich dem Vernommenwerden durch die jeweils historisch gebildete Subjektivität, die letztlich individuell ist, immer wieder hingibt, aber auch ebensogut immer wieder den Vorstellungen, die das im jeweiligen Bewußtsein je nach dessen Bedingtheit bewirkt, entzieht43. In diesem Prozeß gelangt zugleich die Philosophie zu ihrem wahren Gegenstand und zu ihrem eigenen Begriff. Es kann also bei Hegel keine Rede davon sein, daß der Gottesbegriff durch die Philosophie, verstanden als eine auch sonst schon vorhandene Institution, ,unter‘ bestimmte Begriffe 42 Phän., 362; GW 9, 275. – „Die Sprache … allein spricht Ich aus, es selbst. Dies sein Dasein ist als Dasein eine Gegenständlichkeit, welche seine wahre Natur an ihr hat. Ich ist dieses Ich – aber ebenso allgemeines; sein Erscheinen ist ebenso unmittelbar die Entäußerung und das Verschwinden dieses Ichs, und dadurch sein Bleiben in seiner Allgemeinheit. Ich, das sich ausspricht. ist vernommen; … Daß es vernommen wird, darin ist sein Dasein selbst unmittelbar verhallt; dies sein Anderssein ist in sich zurückgenommen; und eben dies ist sein Dasein, als selbstbewußtes Jetzt, wie es da ist, nicht da zu sein, und durch dies Verschwinden da zu sein“ (ebd. 362f.; GW 9, 276). 43 Die Sprache erscheint in der „Phänomenologie des Geistes“ „in ihrer eigentümlichen Bedeutung“ im Zusammenhang mit der „Bildung“ (Phän., 362; GW 9, 276).
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des Denkens subsumiert und dadurch intellektualisiert würde. Auch mit der Philosophie geschieht etwas, wenn sie zum wahren Begriff des Absoluten gelangt. Sie erfährt sich selbst, und ihr widerfährt dabei die Aufhebung des Begriffs vom Begriff, nach dem etwas in der Subsumtion ,unter‘ Begriffe verstanden werden soll, einschließlich des bisherigen Begriffs der Philosophie und des Denkens. Die Philosophie gelangt erst mit der Ausbildung einer der Wahrheit adäquaten Logik und Methode zum Begriff dessen, was in Wahrheit ist und „alle Wahrheit“ ist44.
44 Log. II, 484; GW 12, 236.
Was ist Metaphysik und was wäre ihr Ende? I. |505| Die Frage, was Metaphysik sei, ist selbst eine metaphysische Frage, denn die Metaphysik ist das Fragen nach dem, was etwas sei, mit dem Ziel definitiver, allgemein verbindlicher Antworten auf diese Fragen oder nach dem „Wesen“ von etwas. Insofern scheint die Metaphysik ohne Zeit zu sein. Sie wäre dann keine bestimmte Epoche, die begonnen hätte oder zu Ende gehen könnte, ohne daß die Welt der Menschen selbst damit zu Ende käme, denn als Frage, was etwas sei, scheint sie doch universal zu sein. Doch der Begriff der Metaphysik kann noch genauer gefaßt werden. Heidegger bestimmt sie durch die in ihr vorgenommene Unterscheidung zwischen Essenz und Existenz von etwas, zwischen Sosein und Dasein. Die schlichte Frage, was etwas sei, ist dadurch genauer gefaßt, nämlich als Frage, die schon von etwas ausgeht, was sie selbst nicht in Frage stellt, und das ist diese Unterscheidung. Ihr gemäß kann „etwas“ gedacht werden, von dem erst dann gefragt wird, ob es „so etwas“ überhaupt gebe, ob es existiere, und auf der anderen Seite kann gemäß dieser Unterscheidung von einem unbestimmten „etwas“, einem tóde ti, auf das man zeigen könne, ohne schon zu wissen, wie man es benennen solle, ausgegangen werden, um zu fragen, „was für ein“ etwas es sei, in der Gewißheit, daß es auf diese Frage notwendig eine Antwort gebe, denn nichts könne sein, so wird vorausgesetzt, ohne der Fall von etwas, ohne etwas Bestimmtes zu sein, wenngleich es „davon“ nicht notwendig einen Fall geben müsse. Gebe es ihn, so sei dies „zufällig“ der Fall. Soweit uns dies alles noch als selbstverständlich erscheint, leben wir immer noch in der Zeit der Metaphysik. Platon gilt als ihr Begründer, wenn wir die Eleaten einmal beiseite lassen, die das Problem des Nichtseins abblendeten mit der Folge, daß es nur das Eine geben könne, weil alle Unterscheidung zwischen mehrerem voraussetze, daß eines sei, was das andere nicht sei, so daß auch das Nichtsein sein müsse. Sie hielten dies für absurd, und deshalb nahmen sie die Konsequenz auf sich, daß es nur eins, nur das Eine geben könne, und sonst nichts, also nichts, was unterschiedlicher Benennung entsprechen könne. Dies schien Platon |506| wiederum absurd zu sein, so wie uns, und darin sind wir noch immer Platoniker. Wie Platon denken wir, daß den vielen Namen und deren Unterscheidung doch auch Unterschiedliches im Sein entspreche, wenn es auch sein könne, daß die
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Benennung im einzelnen Fall daneben greife, was offenkundig sei, weil es eben unterschiedliche Benennung gebe. Damit entstand die Frage nach der Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Benennung, überhaupt zwischen Wahrheit und Irrtum. Bei Platon ist das aber noch keineswegs die Frage, ob ein Einzelding unter den richtigen Begriff gefaßt sei, sondern erst nur die Frage, ob der Name im Begriff richtig expliziert, auseinandergelegt sei, und dies sollte sich im dialogisch herzustellenden Konsens erweisen. Es sollte sich erweisen, ob man wie die anderen sage, was man unter etwas verstehe, z. B. unter „Gerechtigkeit“. Das aber kann man nur sagen, indem man andere, den fraglichen Namen explizierende Namen verwendet, nach deren Bedeutung in derselben Gesprächssituation niemand wiederum fragt, weil sie nun hinreichend deutlich erscheinen und man sich dabei nicht in Widersprüche verwickelt. Erst Aristoteles erhebt das Einzelding in den Rang eines Prüfsteins, an dem sich der richtige Logos zu bewähren habe, und dies geschieht in bewußter Polemik gegen Platon, der Namen explikativ nur durch andere Namen ersetzte, um damit über den bloßen Namen hinauszukommen in Richtung der wahren Idee oder der Idee des Wahren. Unter Menschen konnte sie dabei nur durch den dialektischen Übergang zu besser erscheinenden Namen als den in Frage stehenden anwesend sein, z. B. durch eine in einer gegebenen Situation als gelungen erscheinende Explikation dessen, was „Gerechtigkeit“ sei. Das an sich Wahre, die Idee des Guten schlechthin, war dabei nur in einem solchen, in der gegebenen Situation befriedigenden Übergang zu dem als besser erscheinenden Logos anwesend. Der in diesem Sinne gefundene, geglückte Logos blieb das einzig mögliche Kriterium. Mit Aristoteles dagegen sollte das Einzelding, tóde ti, das Wahre, die erste Substanz sein, das Wesen dagegen nur die zweite. Die Beispiele für das Finden der Wahrheit verlegten sich damit aus dem Bereich des Praktischen, in dem etwas für einen Zweck als besser erscheinen kann als etwas anderes, in den Bereich der zu erforschenden Natur.
II. Für die Metaphysik ist dieser Gegensatz zwischen Platon und Aristoteles wichtig geworden. Er kehrt in immer neuen Variationen wieder. Allerdings darf man ihn nicht überspitzt sehen, denn es ist ein Gegensatz, dessen Positionen sich nur im Bezug aufeinander verstehen lassen. Lógon |507| didónai war schon eine Platonische Forderung. Es genügte schon hier nicht, sich einfach auf eine Schau der Ideen, auf einen Durchblick zum Wahren selbst zu berufen, den man als Philosoph anderen voraus habe. Man mußte für andere einleuchtende Worte finden, um seine Lehre als das Bessere hinstel-
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len zu können. Philosophie hörte auf, dogmatischer Vortrag der Weisen zu sein. Doch mußte dann nicht der „letzte“ Maßstab daran zu finden sein, wie es sich „wirklich“ verhielt? Und wenn die Explikation des Namens zur Wesensbestimmung Ansatz und Weg sein sollte, mußte dann das Wahre nicht das sein, worauf beides, Name und Explikation, sich gleichermaßen beziehe? Das schien doch das sein zu müssen, woran sich die Explikation im einzelnen je zu bewähren habe, der seiende „Träger“ des Namens, dessen Explikation nur den einen Sinn haben könne, darzulegen, ob er unter den Bedingungen dieser Explikation richtig verwendet sei, und dies zeige sich eben daran, ob man sowohl den Namen wie auch dessen Explikation auf „dasselbe“ beziehen könne. Damit, also erst mit dem tóde ti tritt der Gedanke eines dem Logos gegenüber transzendenten Kriteriums der Wahrheit in den Gesichtskreis, denn der Logos war bei Platon nur im Finden des besseren Logos das Wahre. Die Idee selbst blieb unerreichbares Ziel. Der Gedanke eines dem Logos transzendenten, nichtlogischen Kriteriums gehört ohne Zweifel zu den Hauptbestandstücken metaphysischen Denkens. Daß das Sein auf vielfache Weise ausgesagt werde, pollacøv légetai, hatte nur den einen Sinn, die Aussagen in jedem Fall auf etwas jenseits des Logos bezogen zu denken, z. B. die Aussage, daß etwas gesund sei, auf den einzelnen Menschen wie auf die einzelnen Kräuter oder Lebensweisen, die je als einzelnes, d. h. abgesehen davon, als was sie sonst noch benannt sein mögen, z. B. als „Mensch“, als „Kraut“, als „Lebensweise“, insgesamt auch unter das „Gesunde“ fallen können. Dieses einzelne, das an den verschiedensten Ideen teilhaben kann, konnte für Platon gerade deshalb nicht das Wahre sein; ihm ging darin das Einssein ab. Es ließ sich nicht im Licht einer Idee als bestimmt denken, in dem es dann besser als zuvor bestimmt erscheinen könnte. Damit ist die Krise der Metaphysik aber im Grunde schon bezeichnet. Einerseits besteht die „Idee“, daß eine Explikation des unter dem Namen Benannten besser sein könne als der Name selbst, wenn man in seiner Verwendung unsicher geworden ist, andererseits sind Name und Explikation in der Frage nach dem besseren Logos auf „dasselbe“ bezogen, an dem sich zeigen soll, ob die erscheinende Verbesserung auch wahr sei. Das soll sich sozusagen außerlogisch zeigen, und damit ist das Kriterium ins andere des Logischen entrückt. Es ist damit schon angelegt, daß die Empirie das Entscheidende sein soll, ohne daß damit auch schon gesagt wäre, wie Logos und Empirie aneinander zu prüfen, wie sie ineinander |508| übersetzbar sein sollten. Denn schon, daß sich diese Frage stellt, bedeutet, daß eine Antwort gesucht wird, also, daß paradoxerweise doch wieder der Logos – vor allem als „Erkenntnistheorie“ – die Vermittlung zum Außerlogischen zu leisten habe.
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III. Die Metaphysik ist von Anfang an ein Problem. Sie setzt bei dem Problem an, was etwas sei, d. h. beim Unverständnis. Entweder gibt sie auf diese Frage eine Antwort in weiteren Worten, in der Annahme, daß zu einer bestimmten Zeit nicht zugleich auch schon wieder nach der Bedeutung dieser erklärenden Worte gefragt wird, denn dies würde in einen „schlechten“ Prozeß ad infinitum, ohne Einmündung in einen „besseren“ Logos führen, oder sie unterstellt, daß sich alle Worte und damit auch alle, die anstelle anderer zu einer gegebenen Zeit für besser als die ersten gehalten werden, „zuletzt“ um eine außerlogisch gegebene Sache, eben um ein Dieses-da drehen müssen, und es entsteht das Problem der Aussagbarkeit des Dieses-da bzw. des Vergleichs von Sätzen mit Tatsachen. Im ersten Fall geht es um eine Verbesserung der symbolischen Repräsentation des Fürwahrhaltens, wie der Logos es je ausdrückt, im zweiten Fall geht es „zuletzt“ um das Wahre als um etwas dem Logos Transzendentes, zum Vergleich Gegebenes. Die Möglichkeit, daß jeder Logos vorläufig und damit verbesserungsfähig ist, ist dasselbe wie der Gedanke der Reflexion des in einer bestimmten Form für wahr Gehaltenen in der Subjektivität dessen, der es aber gerade in dieser Form für wahr hält. Wenn dies explizit auch erst in der idealistischen Philosophie der Neuzeit zum Grundgedanken der Metaphysik wird, so ist es doch schon in ihren Anfängen angelegt. Es impliziert die Freiheit des Denkenden gegenüber dem, was als wahr gilt, einschließlich der eigenen Gedanken. Sie werden schon der Form ihrer Formulierung nach als „bloße“ Gedanken reflektiert („esse obiectivum“) und darin vom zugrundeliegenden Sein („esse subiectivum“) unterschieden. Alles Fürwahrhalten gründet demnach in der Subjektivität des Subjekts, dem aufgrund seiner Befindlichkeit, im Horizont seines Bewußtseins etwas in einem jeweiligen Grad der Gewißheit als wahr erscheint, weil es sich nicht veranlaßt oder nicht in der Lage sieht, nach seiner weiteren, wahreren Bestimmung zu fragen. Seiner Lage und seinen Bedürfnissen nach erscheint ihm die Sache als hinreichend bestimmt, und wenn das nicht der Fall ist, wird es so lange versuchen, seine Vorstellung in eine andere Form zu bringen, bis es ihm als hinreichend erscheint. Es kann, wie Kant sagt, nur seine Vorstellungen mit seinen Vorstellungen vergleichen, bis es denkt, die beste Form gefunden zu haben. Aber es |509| kann niemals seine Vorstellungen mit einer transzendenten Sache vergleichen, d. h. es gibt kein allgemeines materiales Wahrheitskriterium1. Der „empiristische“ Gedanke eines solchen Kriteriums im Dieses-da als sinnlich Gegebenen, mit dem die Vorstellung verglichen werden solle, begleitet zwar die Metaphysik wie ein Schatten, aber er enthält selbst ein 1
Vgl. Kant, Logik, AA IX, 34 bzw. 50.
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grundsätzliches Problem. Er setzt voraus, daß Gedanken „Abbilder“ oder „Spiegelbilder“ des Seienden seien, des Seienden in dem Sinne, daß es außer dem, daß es in der Vorstellung sei, wie ein Prüfstein der Vorstellungen da und verfügbar sei. Sein Dasein soll auch auf andere Weise als in der Fassung in Gedanken zugänglich sein, im einfachsten Fall in der Weise, daß man es sich vor Augen führen und schlicht darauf zeigen, verweisen solle. Heidegger nannte dieses Seinsverständnis das Verständnis des Seins als Offenbarkeit. Es impliziert eine Depotenzierung des Logos zum bloß subjektiven Gedanken gegenüber der Offenbarkeit des Seins selbst, so, als sei sie für Menschen eine Möglichkeit oder doch zumindest eine versperrte Möglichkeit, die aber das eigentlich Wahre sei. Göttlichem Denken sei sie unmittelbar gegeben, und menschliches Denken habe sich in der Negativität demgegenüber zu verstehen als daraus ausgeschlossener, ektypischer Verstand. Daß dann, um der unabschließbaren Diskursivität des Denkens von Vorstellung zu weiterer, zu einer bestimmten Zeit für besser gehaltenen Vorstellung entgehen zu können, der Vergleich mit dem Dieses-da postuliert wird, ist im Grund dasselbe Seinsverständnis wie das metaphysische, das sich als Ektyp eines göttlichen versteht: Wie göttliches Denken die unmittelbare Einsicht oder Intuition zum Sein in seiner absoluten Offenbarkeit habe, in der das Sein es selbst sei, so sollen die Menschen den ihnen gemäßen Ausweg aus der Diskursivität und damit die Möglichkeit der Beendigung des Diskurses im Blick auf das sinnlich Gegebene, das Einzelding oder Dieses-da finden können. Das Dilemma ist aber, daß das einzelne nur unter dem Begriff, d. h. nur in der Hinsicht auf es aus einem subjektiven Horizont heraus „gegeben“ ist. Das Problem der Metaphysik wird so zum Problem des Gegebenseins. Auch im Hinzeigen muß man wissen, auf „was“ man zeigt. Es muß in einer „gegebenen“ Begriffsbestimmung deutlich sein, und die geschieht als solche, wie Kant sagt, in „negativer Aufmerksamkeit“ als einem „wahrhaften Tun und Handeln“ je nach dem, worauf man überhaupt achten kann und darüber hinaus von einem gesetzten Zweck her achten will2. Es kann somit jederzeit ein Diskurs darüber entstehen, „was“ das Zeigen aufzeigen wolle, auf „was“ es sich richte, zumal wenn |510| sich „daran“ das bewahrheiten soll, was so als wahr in der Vorstellung ist, wie es in ihr zuletzt in eine bestimmte Form der Verdeutlichung gebracht wurde. Die „Feinheiten“ dieser Form müßten im Zeigen vor Augen gebracht werden und sich am einzelnen, z. B. in einem Experiment, zeigen lassen.
2
Vgl. Kant, Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen, AA II, 190.
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IV. Der Gedanke einer möglichen Beendigung des logischen Diskurses von Vorstellung zu jeweils als besser formuliert erscheinender Vorstellung durch die Offenbarkeit der Sache, z. B. im Experiment, ist insofern ein metaphysischer Gedanke. Dies zeigt sich besonders im Gedanken der Wiederholbarkeit „desselben“ Experiments, also daran, daß doch gemeint ist, daß sich in ihm etwas Allgemeines zeigen lassen solle. Das Problem der Metaphysik wiederholt sich als das Problem, daß Allgemeines gezeigt, d. h. am einzelnen aufgewiesen werden soll. Im Bezug auf die Newtonsche Voraussetzung vom Finden der Wahrheit im Experiment – statt sich im Diskurs von Begriff zu Begriff ohne Ende verlieren und es mit immer neuen begrifflichen Versionen versuchen zu müssen – schreibt Hegel dann auch an Goethe über den ihnen beiden „gemeinschaftlichen Feind – nämlich die Metaphysik“3. Hegel meint die der Newtonschen Lehre zugrundeliegende unbedachte Metaphysik, nach der im Experiment das Seiende wie für das Göttliche in unmittelbarer Vision offenbar werde. Das ist sicher auch heute noch die Metaphysik des Alltags. Die Metaphysik des Alltags ist die harte Metaphysik, die sich nicht als solche durchschaut. Sie durchschaut nicht ihre historische Besonderheit und Gewordenheit. Sie geht von der Vorstellung aus, im Experiment zeige sich ohne weiteres, wie es sich in Wahrheit verhalte, und damit sei man aus der Metaphysik der Begriffe heraus; das Experiment könne Kriterium zwischen konkurrierenden Logoi sein. Davor warnt Goethe, im Vorgriff auf spätere wissenschaftstheoretische Einsichten, ausdrücklich. Wenn das Experiment Kriterium sein soll, ist doch immerhin vorausgesetzt, daß einer der zu einer bestimmten Zeit möglichen Logoi das Wahre sei, statt auch nur eine Version zu sein, in der es jetzt besser als zuvor erscheint. Nur soll an die Stelle des Kriteriums subjektiven Fürwahrhaltens mit dem Experiment ein „objektives“ Kriterium treten, in der Vorstellung, Objektivität sei nicht in Subjektivität begründet. Nach Kant ist sie das aber notwendig. Er gebraucht den Begriff der Objektivität noch im alten Sinn, in dem das „esse obiectivum“ das gedachte |511| Sein auf der Basis einer Subjektivität als eines kategorialen „Ansehens als bestimmt“4 ist, und Hegel versteht entsprechend die experimentelle Forschung als Arbeit an „reinen Bedingungen“ für die Geltung des allgemeinen Gesetzes5. Man arbeitet so lange an 3 4 5
Hegel an Goethe am 24. 2. 1821, in: Briefe von und an Hegel, hg. J. Hoffmeister, Band II, Hamburg 1953, 251 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 128. Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister, Leipzig 1949, 191; GW 9, 143. – Hierzu J. Simon, Hegels idealistischer Wissenschaftsbegriff, in: W. Marx (Hg.), Zur Selbstbegründung der Philosophie seit Kant, Frankfurt a. M. 1987.
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der Anordnung des Experiments, bis sich das formulierte Allgemeine in ihm zeigt, d. h. bis es sich in ihm in hinreichender Exaktheit wiederholen läßt. Man isoliert die Anordnung soweit gegen äußere Störfaktoren, bis es einer vorgefaßten, subjektiv formulierten Vorstellung entspricht. Was ihr dann aber in einem für hinreichend gehaltenen Maß entspricht, ist nicht das Sein in seiner Offenbarkeit, sondern das, was man nach der Vorstellung hat isolieren können, die man schon in einem der Modi der Gewißheit für wahr gehalten hat. Kant deutet die Kategorien des Verstandes überhaupt als Formen, das Angeschaute „als bestimmt“ anzusehen, also als subjektive Formen des Fürwahrhaltens statt der Wahrheit der Sache selbst, eben als Formen, in denen man mit der Urteilsbildung glaubt zum Schluß kommen zu können, und nur am Leitfaden der so gedachten Kategorien entwickelt er ein System möglicher apriorischer Erkenntnis. Darin kulminiert Kants Kritik der Metaphysik. Sie ist als Wissenschaft nur so möglich. Das Fürwahrhalten ist zunächst Meinung, d. h. sein Gegenstand wird für möglich gehalten, und das Urteil bleibt in der Schwebe, in suspenso. Es kann jederzeit in Frage gestellt werden, vor allem angesichts anderer Meinung anderer6. Die Idee der Meinungsfreiheit entstammt metaphysischem Denken. Erst wenn die Not oder Pflicht zum Handeln das Subjekt drängt, etwas in einem für das Handeln hinreichenden Sinne für wahr zu halten, so daß es sich handelnd auf die Wahrheit seines Urteils verläßt, schlägt die Meinung in (pragmatischen) Glauben um7. Das so Fürwahrgehaltene ist für das Subjekt wirklich, weil es um der Handlungsnotwendigkeit willen nicht mehr anders kann, als von der Wahrheit seines Urteils auszugehen, wie z. B. ein Arzt, der von der Richtigkeit seiner Diagnose ausgehen muß, wenn er helfen soll, auch wenn er sich denken kann, daß ein anderer zu einem anderen Urteil kommen könnte8. Die Handlung macht 6 7 8
Vgl. Kant, Logik, a. a. O., 65ff.; Kritik der reinen Vernunft, B 848ff. Kant, Logik, a. a. O., 68. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 852 – Kant setzt die „Modi des Fürwahrhaltens“ ausdrücklich mit den Urteilsmodalitäten gleich, z. B. das Meinen mit einem „an sich bloß problematischen Urteil“ (B 850 und an verschiedenen Stellen der Logik und des Nachlasses. Vgl. auch Logik Dohna-Wundlacken, AA XXIV, 2, 732f.). Subjektive Gründe des Fürwahrhaltens, die „das Glauben bewirken können“ (B 851), sind in ihrer subjektiven Gewißheit denen des Wahrnehmungsurteils gleichzusetzen, das wir als solches noch nicht „für objektiv halten“ (Prolegomena, § 18). Diese nur subjektiv gewissen Urteile sind assertorisch oder im Modus der Wirklichkeit, aber auch das Wissen oder apodiktische Urteilen ist immer noch ein Fürwahrhalten, nämlich „für objektiv halten“, das sich in seiner Begründung auf andere Urteile als auf als „objektiv gültige“ Verhältnisse bezieht. Natürlich kann „bloß in praktischer Beziehung das theoretisch unzureichende Fürwahrhalten Glauben genannt werden“ (B 851), denn die Theorie grenzt es, ebenso wie das Meinen, als unzureichend aus, weil es, z. B. wenn die Gründe nur die der Wahrnehmung sind,
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Schluß mit dem bloßen Meinen und der in ihm noch möglichen Kommunikabilität. Das Fürwahrgehal|512|tene verbindet sich mit der Wirklichkeit des Subjekts, das die Folgen in Kauf nimmt, die sich ergeben, weil es handelnd von der Wahrheit seines Urteils ausgegangen ist. Der Glaube ist nur subjektive Gewißheit und insofern nicht kommunikabel. Das Wissen schließlich, in dem die Antike den eigentlichen Zugang zum Seienden sah, ist über seine subjektive Gewißheit hinaus auch objektiv begründetes Fürwahrhalten, aber eben immer noch Fürwahrhalten und nicht Wahrheit, denn es kann kein Kriterium der Unterscheidung zwischen ihm und „der“ Wahrheit geben. Es läßt sich nicht sagen, welches Wissen nur Fürwahrhalten und welches darüber hinaus wahres Wissen wäre. Die „objektive“ Begründung, die dem Wissen im Unterschied zum nur subjektiv begründeten Glauben zukommt, beruht nicht auf einem Vergleich des Wissens mit einer dem Wissen transzendenten, also nicht gewußten „Sache selbst“; das wäre ein Widerspruch in sich9. Sie beruht allein darauf, daß das Urteil als im Objekt begründet gedacht wird. Das geschieht dadurch, daß es im Zusammenhang mit einem anderen Urteil für wahr gehalten wird, dessen objektive Realität nicht in Zweifel steht, so daß man sich darauf berufen kann. Sie steht dadurch nicht in Zweifel, daß das Urteil als „Verhältnis, das objektiv gültig ist“, im Gebrauch einer der Kategorien gebildet worden ist bzw. als wahr gilt, und nur in diesem Sinne ist das Wissen |513| im Unterschied zum Glauben kommunikabel. Es ist in Relation zu anderem Urteil objektiv begründet und damit durch den Zusammenhang notwendig, in dem es mit dem Fürwahrhalten anderer Urteile steht. Die Metaphysik war damit bei Kant schon über die Position hinaus, nach der wir, wie D. Davidson meint, indem wir an einer Sprache teilnähmen (in sharing a language), ihre Grundzüge (its large features) schlechthin für wahr nehmen müßten, so daß ein Weg, Metaphysik zu betreiben, darin
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inkommunikabel bleibt. Nur praktisch gewinnt subjektive Gewißheit eigene Relevanz. Vgl. auch Wiener Logik, AA XXIV, 2, 851: „Beim Glauben urtheilen wir assertorisch, d. h. wir erklären uns für die Wahrheit, wie wohl sie nur für uns allein subjectiv hinreichend ist, und wir nicht jeden Andern davon überzeugen können“. Die Kommunikabilität des Wissens ist jedoch, im Unterschied zu der freien Kommunikabilität der Meinung, auf den Bereich der Gültigkeit der Urteile eingeschränkt, zu denen es sich in Relation setzt, indem es sich von ihnen her über die subjektive Begründung (z. B. in der Wahrnehmung oder in einer überhaupt fürs Handeln hinreichenden Weise) hinaus als „objektiv“ begründet versteht. Es ist kommunikabel, soweit diese Voraussetzung geteilt wird. Die Markierung der Modalität macht dagegen jedes Urteil zu einem für objektiv gehaltenen. Es erhält dadurch eine „Verknüpfung mit der Wahrheit“ (vgl. B 850), d. h. mit dem Fürwahrhalten des Subjekts, in seinen modalen Abstufungen des Urteils im ganzen. Vgl. Kant, Logik, a. a. O., 50.
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bestehe, die allgemeine Struktur unserer Sprache zu studieren10. Was ist „unsere“ Sprache? Wir gebrauchen eine Sprache keineswegs so, daß wir überzeugt sein müßten, ihren semantischen und grammatischen Grundzügen entspräche etwas, denn oft fragen wir doch, ob es ,,so etwas“, was wir, den Einteilungen unserer Sprache folgend, benennen, auch gebe. In grammatischer Hinsicht kann man wohl mit Kant die Kategorien als Grundzüge einer jeden denkbaren Sprache betrachten11. Die Kantischen Kategorien sind aber nicht Formen transzendenter Wahrheit, sondern gerade allgemeine (transzendentale) Formen des Ansehens als bestimmt und damit der Subjektivität, die sich in ihrem Fürwahrhalten vom unverstellten Zugang zur Wahrheit unterscheidet. Kant sagt auch dementsprechend nicht, was die Kategorien seien oder ob es ihnen Entsprechendes gebe. Er schreibt in der „Kritik der reinen Vernunft“, „der Definition dieser Kategorien überhebe“ er sich ,,in dieser Abhandlung geflissentlich“, obgleich er selbst „im Besitz derselben sein möchte“. Er räumt also ein, daß er nicht „im Besitz“ ihrer Realdefinition ist. „Diese Begriffe“ werde er nur „bis auf den Grad zergliedern, welcher in Beziehung auf die Methodenlehre ... hinreichend“ sei12. Wenn Kant auch versichert, daß eine Definition bei anderer Gelegenheit möglich sei, so bleibt nach ihm diese Möglichkeit doch immer an den jeweiligen Zweck, an die „Beschäftigung“ gebunden, in deren Rahmen sie erfolgt. Denn eine „Zergliederung“ von Begriffen ist wesentlich nur bis zu einem bestimmten, für den jeweiligen Zweck „hinreichenden“ Grad möglich. In der Methodenlehre selbst werden dann die Kategorien „Substanz“ und „Ursache“ in einer Linie neben Begriffen wie „Recht, Billigkeit, usw.“ ausdrücklich als Beispiele für nicht definierbare Begriffe, also für Begriffe, deren Möglichkeit im Leibnizschen Sinne man nie endgültig gewiß sein kann, genannt13. Es muß bei einer für den jeweiligen Gebrauch |514| hinreichenden „Wortbestimmung“ auch der Kategorien bleiben, und eine Wortbestimmung ist immer nur die Explikation des eigenen Sprachgebrauchs für den Fall, daß er einem selbst oder anderen gegenüber14 explikationsbedürftig erscheint, und keineswegs schon ein Fürwahrhalten. Es muß eine subjektive Intention hinzukommen, entweder als Meinung, die sich selbst problematisch ist, oder als Glaube, der anderen, auch wenn sie „dieselbe“ Sprache sprechen, anderes Fürwahrhalten einräumt, oder als Wissen, das sich nicht 10 D. Davidson, The Method of Truth in Metaphysics. In: Midwest Studies 2, Morris 1977; dt. Übersetzung: Die Methode der Wahrheit in der Metaphysik. In: D. Davidson, Wahrheit und Interpretation, Frankfurt a. M. 1986, 283. 11 Kant, Prolegomena, AA IV, § 39. 12 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 108. 13 Ebd., B 756. 14 Die Sprache ist nach Kant das „größte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen“ (Anthropologie, AA VII, 192), also zunächst, sich selbst zu verstehen.
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mehr denken kann, daß andere anders denken könnten, die aber, wenn sie anders denken, selbst doch denken, daß sie denken können. „Selbstbewußtsein“ ist weder solitär noch nur Moment einer sprachlichen „Interaktion“ in einer „gemeinsamen“ Lebenswelt. Von einer gemeinsamen Sprache als etwas bestimmend Vor-gegebenem läßt sich nur in einem vorkritischen bzw. nachkritischen Sinn eine Ontologie ableiten. Die sprachanalytische Philosophie, die schon ihrem Namen nach von einer vorgegebenen Sprache als einem fertigen Werk (als Ergon und nicht als Energeia im Sinne W. v. Humboldts) ausgeht, verkennt die Modifizierung im Fürwahrhalten, die Kants kritische Methodenlehre in ihrer Unterscheidung zwischen mathematischen und philosophischen Begriffen herausstellt. Man kann nicht einmal definitiv sagen, „was“ Sprache sei, sowenig wie man definitiv sagen kann, „was“ Vorstellung sei. Man kann, wie Kant unterstreicht, „was Vorstellung sei“, immer nur „durch eine andere Vorstellung erklären“15, ohne zu einer „Sache“, zum Sein von „Vorstellung“ durchdringen zu können. Insofern die Sprachanalyse von einer Sprache als von etwas (in seiner Möglichkeit definitiv) Bestimmtem ausgeht statt von etwas, worüber ein Diskurs wesentlich andauert, ist sie vorkritische Ontologie. Sie nimmt ihren Ausgang bei einem gegebenen Horizont, dem die Möglichkeit von Sprache kein Problem ist, d. h. bei einer bestimmten Ansicht von dem, „was“ Sprache sei, ohne Reflexion des Ansichtscharakters ihrer Vorstellung von Sprache. Der traditionellen Metaphysik war dagegen Sprache als Möglichkeit der Bestimmung des Seins von etwas stets ein Problem, also auch dann, wenn es um die Bestimmung dessen gehen sollte, was als Entsprechung zu dem Wort „Sprache“ gemeint ist. Im Anschluß an Kant könnten wir sagen, wir wüßten, „was“ Sprache sei, nur mit einem Grad von Gewißheit, der davon abhängt, was dabei für uns „im Spiele ist“, wenn wir genötigt sind, uns auf den in unserem jeweiligen Horizont möglichen Begriff von Sprache praktisch zu verlassen, und sei er auch in |515| einer ausgearbeiteten Sprachtheorie auseinandergelegt. Daß wir in eine Lage kämen, in der dabei sehr viel auf dem Spiel stünde, ist allerdings weit weniger wahrscheinlich, als daß wir z. B. auf eine bestimmte Vorstellung von dem, was „Recht“ sei, hin handeln müßten, ohne daß einer sich vor anderen auf eine Durchsicht auf das wahre Recht berufen könnte. Kant wendet sich gegen den in der Philosophie erhobenen „vornehmen Ton“ derer, die beanspruchen, in dem, was sie meinend, glaubend oder auch wissend für wahr halten, zu den Sachen selbst zu gelangen oder sich doch dem Sein anzunähern16. Um das sagen zu können, müßte man seine 15 Kant, Logik, a. a. O., 34. 16 Vgl. Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, AA VIII, 387ff. – Hierzu J. Simon, Vornehme und apokalyptische Töne in der
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Vorstellungen mit etwas anderem als Vorstellungen vergleichen oder einen etwa geringer werdenden Abstand zwischen Vorstellung und Sein messen können. Das ist natürlich absurd. Aber diese Absurdität bestimmt doch den Dogmatismus, der aller Erkenntnis anhaftet, die sich auf dem Weg der Annäherung an ein dann durch die eigene Vorstellung hindurch „geahntes“ Sein versteht. Man will zum Erkennen der Sache selbst und damit zu Ende kommen. Man will seine Differenz zum Sein und damit seine Subjektivität und Horizontbestimmtheit, seine Zeitlichkeit in der Vereinigung mit dem Sein, d. h. mit einer göttlichen Sicht17 aufheben. Kant spricht in diesem Zusammenhang von „Mystagogen“18, und die mystische Philosophie ist ein weiterer Schatten der Metaphysik. Für Kant dagegen wird nur auf dem Weg über den Glauben als den in der Handlungsnotwendigkeit, also in der Endlichkeit selbst begründeten Modus des Fürwahrhaltens das Meinen zum Wissen, und deshalb haben die praktischen „Kategorien der Freiheit“ für ihn einen „augenscheinlichen Vorzug“ vor den Kategorien der Naturbestimmung19. Ein nur objektiv und nicht zuvor subjektiv begründetes Fürwahrhalten nennt Kant Ahnung20. Es ist, wie gesagt, eine in sich widersprüchliche Position. Die Kritik, die sich selbst keines anderen Instruments als der erscheinenden Widerspruchsfreiheit in der Reflexion auf Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis bedienen kann, besteht darin, die Frage nach dem, was etwas gegenüber seiner Form, in der es gegeben ist, sei, d. h. |516| die Frage nach dem Begriff von etwas nicht als Frage nach einer letzten Antwort aufzufassen, in der die Sache selbst zur Offenbarkeit käme, sondern nur als Frage nach einer für einen gesetzten Zweck deutlicheren, besseren Gegebenheitsweise oder nach einem besseren Begriff gegenüber dem, in dem etwas zunächst gegeben war. Das Kriterium ist nun die Bereitschaft, sich handelnd, gemessen an dem, was dabei „im Spiele ist“, auf die eigenen Vorstellungen von etwas verlassen zu wollen. Was noch nicht als deutlich genug erscheint, ist an diesem pragmatischen Kriterium gemessen nicht deutlich genug, und was dann demgegenüber als besser erscheint, ist an diesem pragmatischen Kriterium gemessen besser. So geht es der Philosophie in ihren Begriffe verdeutlichenden Urteilen nach Kant nicht darum,
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Philosophie, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung, Bd. 40, Heft 4, 1986, 489ff. Kant spricht von einem Gefühl, „in den Abgrund der Gottheit durch das Zusammenfließen mit derselben und also durch Vernichtung seiner Persönlichkeit verschlungen“ zu sein. Das Ende aller Dinge, AA VIII, 335. Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, a. a. O., 398. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, AA V, 65. Vgl. z. B. Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton ..., a. a. O., 397.
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„ad esse“ zu gelangen, sondern nur um ein „ad melius esse“21, und dabei ist stets nur im Horizont von Handlungsbedürfnissen zum Ende, aber niemals zu einem ontologisch zu verstehenden Ziel und Ende zu kommen. Für die Vernunft unbedingt gehandelt werden muß zuletzt nur dann, wenn reine praktische Vernunft, als kategorischer Imperativ, das Handeln gebietet und also die reine Vernunft selbst im Spiele ist. Auch das naturwissenschaftliche Experiment kann nur in einem pragmatischen Sinn als Verifikation verstanden werden. Die Induktion will zwar zu Ende kommen, aber die Wiederholung des Experiments, d. h. die Isolierung seiner Bedingungen gegen die übrige Natur in ihrer undurchschaubaren Komplexität, kann natürlich nur unter hinreichend gleichen Bedingungen erfolgen, unter denen man sich auf das Experiment zu verlassen bereit ist, je nach dem, was man handelnd dabei einsetzt, ohne die Möglichkeit der Ausrede, es ginge doch nur um die Wahrheit. Dies bleibt auch hier zuletzt die Probe aufs Exempel. Sie besteht in der Bereitschaft, die Folgen zu tragen, z. B. auch die einer großtechnischen Anwendung als einer gewichtigen Wiederholung des Experiments. Die Folgen werden dann mit dem Fürwahrhalten von etwas in einem gegebenen Formalismus der Verdeutlichung, d. h. eines Urteils, in Kauf genommen, und allein dadurch schlägt die rein intensionale Begriffsanalyse um in das sich nun extensional verstehende Urteil, daß es sich so, wie es jetzt deutlich geworden sei, auch „wirklich“ verhalte. Nur so wird das Urteil objektiv gültig, zunächst nur für den Urteilenden selbst, aber auch für andere, wenn es im Zusammenhang mit allgemein für wahr gehaltenen Urteilen für wahr gehalten wird, indem es sich in solch ein anerkanntes Fürwahrhalten einfügt. |517|
V. Die Ablösung vom nur subjektiv in der Handlungsnotwendigkeit des einzelnen Subjekts begründeten Fürwahrhalten geschieht allein dadurch, daß das Subjekt mit seiner Urteilsäußerung zugleich seinen eigenen Horizont modal markiert und dazusagt, ob es sich in dem Urteil nur um seine Meinung, um seinen Glauben oder um sein Wissen handeln soll. Damit zeigt sich ein weiterer Grundzug der Metaphysik. Das als Meinung geäußerte Urteil wird man dem Subjekt um so lieber überlassen, als es damit ja seine Fähigkeit anzeigt, von ihm eventuell zurückzutreten. Es neigt zwar dazu, die Meinung für wahr zu halten, aber gegebenenfalls könnte es auch anders urteilen, eben je nachdem, was für es dabei im Spiel 21 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 759 Anm. – Zu der Zuordnung des „ad esse“ und „ad melius esse“ zu den Fakultäten vgl. auch AA XXIV/2, 700.
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ist. Sein Urteil bleibt für es selbst problematisch. – Wer sein Urteil assertorisch oder, im Kantischen Sinn des pragmatischen Glaubens, als Glaube äußert, kann subjektiv selbst nicht anders urteilen, aber er kann sich doch noch denken, daß andere es könnten. Sein Urteil hat die Gewißheit der eigenen Wahrnehmung. Man kann sich nicht darin irren, daß man etwas Bestimmtes wahrnimmt, aber man kann sich dennoch fragen, ob es so sei, wie man wahrnimmt. Wer sein Urteil als Wissen oder apodiktisch äußert, kann sich nicht denken, daß andere wirklich anders denken könnten, denn er denkt ja von Gründen her, die er nicht bezweifelt, man könnte sagen: an denen zu zweifeln ihm nicht in den Sinn kommt, so daß er auch nicht daran zweifeln kann22. – Jede Markierung einer Modalität am Urteil ist zugleich Ausdruck der Kommunikabilität des urteilenden Subjekts, seiner Fähigkeit, eine Position gegenüber anderen Urteilen anderer einzunehmen. Die Metaphysik ist insofern auf ihren kritischen Begriff gebracht, als diese Komponente der reflektierten Kommunikabilität der Urteilsbildung zum Ausdruck kommt. In keinem der drei Modi kann dieser Reflexion gemäß der Anspruch erhoben werden, einer transzendenten „Sache selbst“ näher zu sein als andere. Dagegen bedeutet der Weg vom Meinen oder Fürmöglichhalten über das Glauben oder Fürwirklichhalten zum Wissen als Fürnotwendighalten eine zunehmende Unfähigkeit zur Kommunikation, die, als signalisierte Unfähigkeit, aber zugleich wieder |518| zum Kommunikationsmittel im lógon didónai wird. Als signalisierte subjektive Beschränktheit gegenüber einer allgemeinen Anforderung an Kommunikabilität erheischt die konkrete Subjektivität die Anerkennung ihres „endlichen“ Zustandes, den sie selbst nicht ändern kann, der aber zugleich als Grundlage aus ihm heraus erhobener Wahrheitsansprüche verstanden ist. Denn der der reinen Kombinatorik von gegebener bzw. fehlender subjektiver und objektiver Begründung des Fürwahrhaltens nach mögliche vierte Modus einer nur objektiven Begründung unter Überspringung ihrer Fundierung in subjektiver, als Durchblick auf das Wahre selbst, scheidet aus und wird nur ironisch als „Ahnung“ der Wahrheit aufgeführt. Wissen ergibt sich nur als Relation im subjektiv begründeten Fürwahrhalten und verbleibt ohne dies im Bereich der freien Meinungen. Die Freiheit der Meinung erscheint andererseits nur in diesem reflektierten Selbstverständnis des Wissens 22 Vgl. oben Anm. 8. – Im Empirischen ist alles Wissen im ganzen in seiner Gewißheit nur assertorisch, d. h. es gründet in anderen Urteilen, insofern sie als objektiv gelten, und die Notwendigkeit besteht nur als Relation zwischen an sich einzelnen, assertorischen Urteilen (vgl. Kant, Logik, a. a. O., 71). Sie kommt nur durch den (mathematischen) Formalismus hinein, der die Relation ausdrückt, so daß in einer empirischen „Wissenschaft“ nur soviel Wissenschaft „im eigentlichen Sinne“ ist, „als darin Mathematik anzutreffen ist“ (Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, AA IV, 470).
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als positiver Wert. „Das Dauerhafteste sind“ nach Nietzsche immer „noch unsere Meinungen“23, aber auch sie haben „ihre Zeit“. Die wirkliche Grundlage allen Fürwahrhaltens, einschließlich des Wissens, ist die subjektive Urteilskraft, aus der heraus es erfolgt, und deren Impuls ist praktisch, wie z. B. der Wille des Arztes zu helfen. Aus diesem praktischen Beweggrund wird sein diagnostisches Urteil von einer bloßen Meinung, „was“ es sei, zum Glauben, für dessen Folgen er damit eintritt, weil er die Kraft dazu hat, und nur über diesen Weg kann es zum Wissen kommen, das damit seinem reinen Begriff nach subjektiven Rahmenbedingungen und Horizonten der Urteilskraft, zeitlichen, konventionellen und privaten Horizonten, unterliegt. Die Ablösung des Wissens von seinem dogmatischen Begriff, in dem es sich anderem Wissen gegenüber auf die Wahrheit beruft, ist der eigentliche Grundzug der sich historisch entfaltenden Metaphysik. Von diesem Grundzug her ist sie die Fähigkeit der Reflexion als Rücknahme dogmatischen Wissens in die eigene Subjektivität und damit Fähigkeit zur Innovation. Andererseits ist sie aber auch die Fähigkeit der Anerkennung sich signalisierender anderer Subjektivität in ihrem jeweiligen begrenzten Horizont. Sie ist damit als der wahrhaft anzuerkennende Gegenstand gedacht. Das Subjekt hat sich in dieser begrenzten Fähigkeit zur Kommunikation oder zum Aufgehen im Allgemeinen, die zu seiner Endlichkeit gehört, also in seiner Individualität, selbst zum Gegenstand, und demgemäß bestimmt dann auch Hegel den Begriff, als absolute Idee, als den „freien subjektiven Begriff, der für sich ist und daher die Persönlichkeit hat, – der praktische, an und für sich bestimmte, objektive Begriff, der als Person undurchdringliche, atome Subjektivität ist, – |519| der aber ebensosehr nicht ausschließende Einzelheit, sondern für sich Allgemeinheit und Erkennen ist und in seinem Andern seine eigene Objektivität zum Gegenstande hat. Alles übrige ist Irrtum, Trübheit, Meinung, Streben, Willkür und Vergänglichkeit; die absolute Idee“ in diesem Verständnis „allein ist Sein, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit, und ist alle Wahrheit. Sie ist der einzige Gegenstand und Inhalt der Philosophie“24. Wenn das so ist, kann es auf die dogmatische „Wahrheit“ der Lehren einer Philosophie letzten Endes auch nicht mehr ankommen. „Keine Philosophie (ist) widerlegt worden. Was widerlegt worden (ist), ist nicht das Prinzip dieser Philosophie, sondern nur dies, daß dies Prinzip das Letzte, die absolute Bestimmung sei“25. Keine Philosophie ist von ihren Prinzipien, 23 Nietzsche, Nachlaß, Kritische Studienausgabe 12, 100; KGW VIII, 1, 98. 24 Hegel, Wissenschaft der Logik, ed. Lasson, Leipzig 1948, II, 484; GW 12, 236. 25 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Sämtliche Werke, ed. H. Glockner, 17, 67.
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ihren Anfangsgründen her, in denen sie sich von einer anderen unterscheidet, „der“ Wahrheit näher als die anderen Philosophien. Keine kann deshalb auch eine andere von sich aus widerlegen. Nur die Zeit geht über den Anspruch der Philosophien, die letzte, endgültige und in diesem Sinne die wahre Philosophie zu sein, dadurch hinweg, daß andere Philosophien auftreten. Im Auftreten anderer Philosophien erfährt der Philosoph die unaufhebbare, nicht zu einem Ende im Sein zu bringende Diskursivität auch seines eigenen Denkens. Sie besteht in der der eigenen subjektiven Lage und damit dem eigenen Horizont entsprechenden Fähigkeit zur Modifizierung eigener Geltungsansprüche gegenüber anderen Ansprüchen zu sagen, wie es wahrhaft sei. Für Nietzsche ist dagegen die europäische Philosophie, ihren eigenen zeitlich beschränkten Horizont nicht bedenkend, immer noch in sich befangen. Sie gibt sich „nicht genug Rechenschaft“ darüber, „in welcher Barbarei der Begriffe wir Europäer noch leben“, wenn gedacht wird, das Begreifen könnte in einem der Sache selbst adäquaten Begreifen zu Ende kommen. „Unsere ganze europäische Kultur bewegt sich seit langem schon mit einer Tortur der Spannung, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wächst, wie auf eine Katastrophe los: unruhig, gewaltsam, überstürzt: wie ein Strom, der ans Ende will, der sich nicht mehr besinnt, der Furcht davor hat, sich zu besinnen“26. Die Furcht, sich zu besinnen, resultiert aus einem Mangel an Kraft, die eigene Beschränktheit, ja die eigene Persönlichkeit mit ihrem besonderen, selbstbewußten Horizont zu ertragen, und aus dieser Schwäche, aus dem Leiden an sich entsteht der Wille, zum Sein als zum Ende des Diskurses zwischen Personen und damit zu zwingenden Verbindlichkeiten kommen zu wollen. Schon nach |520| Kant würde der Mensch, der „sich selbst“ und was er will und was er kann „nicht versteht, sondern lieber schwärmt“, um sich „in den Abgrund der Gottheit durch das Zusammenfließen mit derselben … verschlungen zu fühlen“, dabei zugleich seine „Persönlichkeit“ vernichten. Das wäre dann gerade das Ende der Metaphysik. Das Ertragen der eigenen bedingten Persönlichkeit und die „ontologische“ Absicht, zum Sein kommen zu wollen, werden als Gegenpole gesehen, und Nietzsche spricht von der „Überwindung der Philosophen durch Vernichtung der Welt des Seienden“27. Der Philosoph ist dabei derjenige, der „ohne Beschränkung des Subjekts“ denken will, was nach Kant schon nicht möglich ist28. Mit dem Denken der Beschränkung des Subjekts, vor allem im Handeln, d. h. darin, daß es um des Lebens willen etwas zu einer gegebenen Zeit für wahr halten muß, ist das Denken eben nicht mehr als Erfassen des Seins 26 Nietzsche, a. a. O., 13, 189; KGW VIII, 2, 431. 27 Ebd., 12, 367; KGW VIII, 2, 31. 28 Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton …, a. a. O., 400.
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als Offenbarkeit zu denken. Sollte die Metaphysik seit den Griechen darin bestehen, es so zu denken, dann wäre sie gerade mit dem Denken der Subjektivität, also schon einige Zeit, überwunden. Heidegger ist es aber auch nicht gelungen zu sagen, was das Sein denn anderes sei, wenn nicht Offenbarkeit. Man kann, und darin liegt das sprachliche Dilemma seines Denkens, nicht sagen, was das Sein anderes sei, als daß es im Logos zur Offenbarkeit komme. Wenn es im Logos offenbart wird, wird es dadurch eben nicht in einer endgültigen Weise, d. h. nicht als es selbst offenbar. Denn der Logos ist und bleibt diskursiv. Es kommt in ihm auf die Frage, was etwas sei, nur zu Antworten, die zu einer gegebenen Zeit befriedigen können. Heideggers Denken zielt auf diesen Zusammenhang von Sein und Zeit. Aber auch die auf das Ende der Metaphysik und damit auch auf ihre endgültige Bestimmung gerichtete Frage, „was“ Metaphysik sei, unterliegt diesem Schicksal wie alle metaphysischen Fragen nach dem, „was“ etwas, im Unterschied zu dem, als was es zunächst in einer unentfalteten Weise klar zu sein scheint, „in Wahrheit“ sei. Die Metaphysik besteht demnach in der andauernden Frage, was sie sei, die, als Frage nach ihrer Realdefinition verstanden, auch die Frage ist, wie sie als Wissenschaft, d. h. in einer vernünftig zu Ende zu bringenden Beantwortung ihrer Fragen, möglich sei. Sie besteht ja darin, daß nach dem wahren Sein von etwas gefragt wird, einschließlich der Frage nach ihr selbst, und nicht darin, daß auf diese Fragen eine nicht mehr zu überholende, letzte Antwort erfolgt. Das gerade wäre ihr Ende. Also besteht die Metaphysik in der andauernden Nichtoffenbarkeit von Sein. Diese negative Bestimmung erfolgt aus der Unterscheidung zwischen unserem und göttlichem Denken, zwischen einem intellectus |521| archetypus und einem intellectus ektypus, der außer der Wahrheit sei. Solch eine Unterscheidung geschieht aber selbst aus der Möglichkeit des intellectus ektypus, und damit stellt sie sich selbst in Frage. Man kann auch sagen, sie habe nur Sinn, wenn eine pragmatisch hinreichend deutliche Unterscheidung als befriedigend akzeptiert wird, d. h. als nicht ontologisch zu verstehende Unterscheidung. Es fragt sich dann, welchen Zweck sie erfüllen soll. Der Zweck kann nur der Zweck eines sich vor anderem Urteil in seinen Ansprüchen modifizierenden Urteilsvermögens sein. Die Modifikation im Sinne der Bescheidung der Geltungsansprüche eigenen Urteilens findet ihre Grenze also nicht an „der“ Wahrheit. Dafür gäbe es kein inhaltliches Kriterium. Sie kann ihre Grenze nur an der beschränkten Fähigkeit des Subjekts finden, seine Ansprüche in suspenso zu halten, d. h. an seinen Handlungsund Orientierungsbedürfnissen, um derentwillen nicht alles Urteil in suspenso bleiben kann.
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VI. Das Denken in Begriffen kommt gemäß der diskursiven Natur des Begriffs nicht definitiv zur (Bestimmung der) Sache. Es kommt nicht im Denken der „inneren“ Möglichkeit bestimmter Dinge zum Ende. Dies ist die Wahrheit des Begriffs. Es ist die Idee, nun aber nicht mehr gedacht als die wahre Bestimmung der Sache, sondern als diese Wahrheit des Begriffs. Sie ist regulativ in dem Sinne, daß sie dem Denken in Begriffen, also dem menschlichen Denken schlechthin, bedeutet, daß keine seiner Bestimmungen die endgültige Bestimmung der Sache sein kann, mit der auch erst die Möglichkeit der von ihm gedachten Sache gedacht wäre. Die Idee bedeutet die Endlichkeit des Denkens, d. h. daß es nicht zu einem als definitiv wahr erwiesenen Denken von Sachen gelangen kann. Ein Ding wäre erst in seiner „inneren“ Möglichkeit oder zu Ende gedacht, wenn es in seinem Ort im Bestimmungssystem aller Dinge gedacht wäre, in seiner Stellung im Kosmos. Die regulative Idee, daß keine Denkbestimmung sich als die letzte und damit die Wahrheit aller vorangegangenen besiegelnde verstehen kann, bedeutet somit zugleich die Unmöglichkeit einer rationalen Seelenlehre als eines Denkens in der Kategorie „Substanz und Akzidenz“. Sie bedeutet die Unmöglichkeit einer rationalen Kosmologie in Beziehung auf die Kategorie „Kausalität-Dependenz“ und die Unmöglichkeit einer rationalen Theologie in Beziehung auf die Kategorie der wechselseitigen Bestimmtheit aller Dinge in einem Denken. Diese Unmöglichkeiten der drei großen metaphysischen Themen resultiert aus dem Begriff des Begriffs, nach dem Begriffe nur |522| etwas schon in einem Grad der (begrifflichen) Deutlichkeit Gegebenes relativ zu einem subjektiven Zweck deutlicher machen, als es gegeben ist. Daß diese Ideen dem Denken aufgegeben bleiben, bedeutet also nicht, daß es sie in irgendeiner Weise zum Gegenstand haben könnte, den es nur nicht erreichen kann. Es bedeutet vielmehr, daß es überhaupt nicht mit der Bestimmung von Dingen zu Ende kommen kann, weil die Denkformen, in denen sich überhaupt Denkschritte rekursiv aneinanderfügen können, nämlich die Kategorien der Relation, eine dem entgegenstehende Bedeutung haben. Sie haben die Bedeutung der relativen Verdeutlichung mit dem Ziel einer jeweils hinreichenden Deutlichkeit. Das Synthetische der einzelnen Denkschritte besteht darin, daß das denkende Subjekt sich, seinem Horizont gemäß, etwas deutlicher macht, als es für es gewesen war, d. h. daß es nicht nur das aus dem Subjektbegriff seiner Urteile als Prädikat herausstellt, was für es ohnehin schon darin als enthalten gedacht war29. Der 29 Gegen die Wolffsche Schule führt Kant den Begriff der synthetischen Verdeutlichung durch einen noch nicht als im Subjektbegriff enthalten gedachtes Merkmal
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Ursprung des synthetischen Charakters seiner Urteile liegt insofern in ihm. Er liegt in seiner subjektiven Beschränktheit als dem transzendentalen Grundzug aller in diskursiven Begriffen denkenden Subjekte. Alle begriffliche Synthesis hängt also an diesem Grundzug und kann sich deshalb auch nicht von ihm ablösen, um zu einem unverstellten Blick auf die Seele als eine dem eigenen Denken zugrundeliegende Substanz, auf die Welt als kausalen Zusammenhang in sich selbst oder auf Gott als das Subjekt, in dem die wechselseitige Bestimmtheit aller Dinge gedacht wäre, zu gelangen. In den Ideen ist bedeutet, daß diese Themen jedenfalls nicht Gegenstände des uns im Sinne metaphysischer Reflexion der Möglichkeit möglichen Denkens sein können, so daß ein Zugang zu ihnen nur auf andere, metaphysisch undenkbare Weise möglich ist. |523| Daß diese metaphysischen Themen das Denken aber doch weiterhin beschäftigen, heißt also, daß es im Ablassen von ihnen sich selbst versteht. Insofern bleibt es negativ auf sie bezogen. Das ist auch noch bei Hegel so. Hegel kritisiert allerdings die Kantische Redeweise von Begriffen und deren Merkmalen, die die Begriffe verdeutlichen sollen. Die Merkmale sind selbst Begriffe, die wiederum verdeutlicht werden müßten, wenn sie über ihren Gebrauch in einer subjektiv hinreichenden Deutlichkeit hinaus bedeutend, also wahrhaft Begriff sein sollten. Leibniz hatte schon die „schlechte“ Unendlichkeit bedacht, in die das führen muß, und Kant hatte die Vollkommenheit eines Begriffs deshalb durch die Klarheit der Merkmale bestimmt, die gegeben ist, wenn die Begriffsbestimmung von Dingen zu deren (subjektiver) Unterscheidung voneinander hinreicht30. Damit ist eigentlich auch die Differenz verschiedener denkender Subjekte bzw. die Bindung der Wahrheit begrifflichen Denkens an unterschiedliche subjektive Bedürfnisse, etwa der Unterscheidung von Dingen nach Begriffen, in den Begriff des Begriffs eingegangen. Der Gegensatz Hegels zu Kant liegt nicht darin, daß er die Kantische Bindung der Deutlichkeit eines Begriffs an das aus seiner ein (vgl. Logik, a. a. O., 63). Nach Kant werden gegebene Vorstellungen durch Komparation, Reflexion und Abstraktion zu Begriffen, also durch Tätigkeiten des jeweiligen Subjekts, das sich einen Begriff (deutlich) macht, bis er ihm hinreichend deutlich erscheint. Eine Verdeutlichung der Merkmale, der Merkmale der Merkmale usw. würde sonst ins Unendliche führen. „Die Hinlänglichkeit der Merkmale“ ist deshalb „so gut wie ihre Wichtigkeit nur in einem relativen Sinne zu bestimmen“ (Logik, a. a. O., 60), und so kann auch nur in diesem relativen Sinn ein Merkmal als in einem Begriff schon enthalten gedacht sein. In aller Begriffsbildung drückt sich ein selbst nicht mehr reflexiv zu bestimmender, subjektiver „Horizont“ aus, aber eben nicht ein „intersubjektiver“, denn auch seine Stelle innerhalb einer sogenannten Intersubjektivität kann ein Subjekt wiederum nur von sich aus durch begriffliche Objektivierung und wiederum nur durch Komparation, Reflexion und Abstraktion als „ein wahrhaftes Tun und Handeln“ (vgl. oben, Anm. 2) bestimmen. 30 Vgl. Logik, a. a. O., 62.
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Beschränktheit denkende Subjekt wieder aufheben möchte, sondern darin, daß nach Hegel Kant die Konsequenz der Bindung des Begriffs des Begriffs an die Differenz subjektiver Horizonte nicht wirklich vollzieht. Für Hegel ist deshalb die Idee, als Wahrheit des Begriffs oder als der wahre Begriff, das Denken der subjektiven Differenz im Begriff selbst, d. h. das Füreinandersein verschiedener Subjekte, von denen jedem auf seine Weise Begriffe hinreichend deutlich auf Gegenstände bezogen sind. Die so gedachte Idee ist bei Hegel „absolute Idee“31. In dieser Idee sind zwar die Themen der Metaphysik, Seele, Welt und Gott, aufgehoben. Aber sie sind in ihr so aufgehoben, wie Kant sie schon aufgehoben hatte: nicht nur in dem Gedanken, daß das Denken sie nicht erschöpfen könnte; so hatte sie schon die vorkantische Metaphysik gedacht; sondern als der Gedanke, daß begriffliches Denken als solches mit dem Denken keines Dinges je zu Ende und damit zu dem Begriff der inneren Möglichkeit des vorgestellten Dinges gelangen kann. Schon gegenüber dem subjektiven Denken, was überhaupt ein Ding und in diesem Sinne etwas sei, reflektiert sich das Denken in seine Beschränktheit als seinen Ursprung zurück, aber nicht nur gegenüber einem unbeschränkten, göttlichen Denken. So könnte es sich selbst ja nur reflektieren, wenn es zugleich dieses andere, archetypische Denken bestimmen könnte. Es denkt sich vielmehr gegenüber anderem ebenfalls beschränk|524|ten Denken als beschränkt, d. h. es hat „in seinem Andern seine eigene Objektivität zum Gegenstande“. Der religionsphilosophische Aspekt, nach dem der Begriff Gottes nicht mehr das Endliche aus sich ausschließt, so daß die Philosophie in ihrem Absoluten nun den spezifisch christlichen Gottesbegriff denkt, soll hier außer Betracht bleiben. Unter rein begriffslogischem Aspekt bedeutet das aber, daß Begriff und Gegenstand nun dadurch endgültig aufeinander bezogen sind, daß der Begriff, „der als Person undurchdringliche, atome Subjektivität“ und also nicht sich selbst durchsichtige „noesis“ seiner selbst, sondern endliches Begreifen ist, in seinem anderen sich selbst zum Gegenstand hat. Er hat sich „nicht nur als Seele“32 selbst zum Gegenstand. Sich als Seele zum Gegenstand zu haben, war seit Kant als unmöglich gedacht. Hegel denkt den Begriff nicht „nur“ als Seele, d. h. nicht nur unter der Kategorie der Substanz unter der unkritischen Voraussetzung, dadurch zu einer abschließenden Bestimmung (von etwas Seiendem) zu kommen. Man könnte hier auch an eine Kritik Hegels an Kant denken, die Kant den Anspruch vorwirft, mit der Bestimmung transzendentaler Subjektivität doch zu Ende gekommen zu sein. „Ontologie der Erfahrung“ sei doch immerhin auch eine Ontologie als Anspruch der Bestimmung, was etwas sei, und wenn Kant 31 Hegel, Wissenschaft der Logik, a. a. O., II, 484; GW 12, 236. 32 Ebd.
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von der Möglichkeit der Erfahrung handele, folge er dem Denken der von ihm kritisierten Metaphysik, die ja das Denken der Möglichkeit von Sachen selbst als das Denken der Realität verstand. In der Hegelschen „absoluten Idee“ hat der Begriff sich gerade in der Undurchdringlichkeit seines anderen zum Gegenstand, also darin, daß Denken sein anderes nicht auf bzw. unter einen allgemeinen Begriff bringen kann. Nur so bleibt das andere das andere, und eben darin begreift der Begriff auch sich selbst. Insofern das andere auch Denken ist, was es ja ist, wenn der Begriff sich in ihm zum Gegenstand hat, ist in der absoluten Idee die Wirklichkeit anderen Denkens gedacht, dessen Möglichkeit der Begriff von sich aus nicht begreift. Er begreift nicht, daß so gedacht werden kann, wie das andere Denken denkt, und gerade darin hat er es zum Gegenstand. Er unterscheidet es von seiner Möglichkeit zu denken. Er hat darin aber auch sich selbst zum Gegenstand, als die Unmöglichkeit, allgemeine Gründe reflektieren zu können, aus denen heraus es denkt, indem es von sich aus etwas als bestimmt ansieht. Das bleibt für ihn so gut wie das fremde Denken bloß Faktum. So ist der Begriff „nicht nur Seele, sondern freier, subjektiver Begriff, der für sich ist und daher die Persönlichkeit hat“ als „praktischer“ Begriff. „Praktischer Begriff“ zu sein ist |525| für Hegel also mehr, als „nur“ Seele zu sein. Als praktischer Begriff setzt er nämlich von sich aus frei, was ihm ,,für sich“ als hinreichend bestimmt gilt. So ist die „Idee“ das, was in der vorkritischen Tradition „der adäquate Begriff“ hieß33. Aber die Bedeutung hat sich geändert. „Sein hat die Bedeutung der Wahrheit erreicht, indem die Idee die Einheit des Begriffs und der Realität ist“. Aber „die Realität“ ist nun selbst Begriff. Sie ist der andere Begriff, in dessen bleibender Andersheit der Begriff sich selbst, sich in seiner für ihn selbst bleibenden Undurchdringlichkeit, man kann auch sagen: in seiner in keinem Begreifen nach Allgemeinbegriffen aufgehenden Individualität selbst zum Gegenstand hat. ,,Es ist also nunmehr nur das, was Idee ist“34. „Die reine Idee, in welcher die Bestimmtheit oder Realität des Begriffs selbst zum Begriffe erhoben ist, ist ... absolute Befreiung, für welche keine unmittelbare Bestimmung mehr ist, die nicht ebenso sehr gesetzt und der Begriff ist“. In dieser Einheit von Begriff und Realität ist der Begriff nicht mehr diskursiv, „in dieser Freiheit findet daher kein Übergang statt“35. Deshalb verliert sich der Begriff auch nur gegenüber der Realität, die selbst Begriff ist, nicht in einer „schlechten“ Unendlichkeit, d. h. nur so kommt er zum Sein. Er denkt Sein nur, indem er sich in seinem Begreifen von anderem Begreifen unterscheidet, das andere gegenüber dem eigenen 33 Ebd., 407; GW 12, 173. 34 Ebd., 409; GW 12 , 175. 35 Ebd., 505, GW 12, 253.
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frei läßt, indem er begreift, daß er es sowenig wie sich selbst in seiner Subjektivität begreifen kann, aus der jedes Begreifen von sich aus jeweils Begriffenes als bestimmt ansieht. Die Einheit oder der Begriff der Begriffe besteht in dieser Negativität oder Freiheit. Die Metaphysik vollendet sich in der Vollendung ihrer Kritik. In dieser Vollendung wird sie Metaphysik der Freiheit, derzufolge nur noch Freie wahrhaft als Seiende zu denken sind und „alles übrige“ als ,,Irrtum“36 durchschaut ist. Darin hat sie ihren Abschluß, d. h. sie hat ihn darin, daß gedacht ist, daß das Denken gegenüber allem anderen nicht zum Abschluß kommt. So vollendet sich die Metaphysik als Begreifen der Unwahrheit des sogenannten gegenständlichen Seins, das als Fall eines Allgemeinen begriffen zu sein scheint. Es ist begriffen, daß das nur innerhalb eines seine eigene Beschränktheit oder Subjektivität nicht bedenkenden Horizonts so erscheinen kann. Damit ist aber auch begriffen, daß Metaphysik kein zeitliches Ende dadurch finden kann, daß sie, unter welcher Bestimmung auch immer, als überwunden gedacht wird. Nur die Bestimmungen, unter denen sie gedacht wird, sind zu überwinden, |526| so wie ja gerade in ihrer Entwicklung durch Kritik begriffen ist, daß das Denken unter Bestimmungen mit dem Begreifen von etwas nicht zu Ende kommen kann, also auch nicht mit dem Begreifen der Metaphysik. Man könnte sagen, mit der Entwicklung der Metaphysik durch Kritik sei begriffen, daß es keine bestimmte Metaphysik notwendig geben müsse, daß aber niemand, der denkt, ohne Metaphysik sein kann. Im Freilassen der Bestimmungen der Metaphysik kommt sie auf ihren Begriff.
VII. Jede Affektion der Überzeugung durch anderes Urteilen ist für das Subjekt Anlaß ihrer Festigung durch Bestimmung eigener Grenzen. Philosophieren heißt nach Kant, seine Grenzen bestimmen, d. h. nicht mehr zu glauben und zu wissen zu beanspruchen, als nötig ist, im Bewußtsein, daß es nur im Rahmen eines Horizontes möglich ist und daß man sich nicht in den Horizont anderer versetzen, den eigenen nicht an dem anderer messen kann37, die auch, entsprechend, glauben und wissen wollen müssen. Insofern ist Metaphysik kein Wissen, sondern Aufklärung über Wissen, Wissen des Wissens. Es entsteht dabei kein Zirkel in dem Sinne, daß dieses Wissen doch auch einen definitiven Anspruch erhebe. Denn es ist die Praxis der Anerkennung anderen Wissens, nicht weil es wahrer als das eigene sei, 36 Ebd., 484; GW 12, 236. 37 Vgl. Kant, Logik, a. a. O., 43.
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sondern obwohl man es nicht teilen und sich nicht einmal von sich aus denken kann, daß man überhaupt so denken könne. Die Metaphysik besteht somit in der Unterhaltung des metaphysischen Diskurses, der nicht zu Ende kommt, weil er nicht in die endgültige Erkenntnis, wie es sei, umschlagen kann. Das Bewußtsein der Besonderheit dieses Diskurses in seinen griechischen Anfängen, in seiner geschichtlichen Entfaltung bis hin zu eben diesem reflektierten Bewußtsein seiner Besonderheit, bringt ihn nicht zu Ende. Im Gegenteil, nur dieses Bewußtsein ermöglicht seine Fortsetzung trotz der Feststellung, daß seine Geschichte doch nur aus „endlosen Streitigkeiten“38 bestanden habe. Die Gefahr lag nicht in diesen Streitigkeiten, sondern darin, daß sie ohne das Bewußtsein der Subjektivität der Standpunkte und damit der begrenzten Horizonte der Streitenden geführt wurden. In dieser Bewußtlosigkeit wußten sie sich, wie Kant es ausdrückt, „mit der Gottheit verschlungen“, d. h. im Besitz oder doch in der Ahnung der Wahrheit; aber sie waren dabei in Wahrheit, wie Kant hinzufügt, ihrer Persönlich|527|keit entäußert. Kritik der Metaphysik kann nicht deren Aufhebung, sondern nur der Ausweg aus solcher Bewußtlosigkeit sein. Insofern entläßt die Metaphysik ihre Kinder. Sie läßt sie frei, z. B. in der Gestalt von Einzelwissenschaften, die sich je ihre eigenen, besonderen „metaphysischen Anfangsgründe“ mehr oder weniger explizit markieren und deren Theorien solange nur Meinungen bleiben, wie mit ihrem Fürwahrhalten nicht viel auf dem Spiel steht. Solange sind kaum Folgen dieses Fürwahrhaltens zu verantworten. In keinem Fall aber kann man sich in einem aufgeklärten Verhältnis der Metaphysik zu ihr selbst darauf berufen, daß es einem dabei doch nur um „die“ Wahrheit gehe, und die praktische Anwendung sei eine Sache für sich. In ihrem aufgeklärten Bewußtsein kann Metaphysik nicht mehr als etwas verstanden werden, was man in einem Zugang zu „Sachen selbst“ und, so verstanden, „ohne Metaphysik“ zu Ende bringen oder „überwinden“ könne. Die Metaphysik dauert an, indem wir uns auf die Beschränktheit des Subjekts, einschließlich seiner beschränkten Disposition zur Kommunikation besinnen, ohne die nach Kant kein Denken möglich ist, weil schon die Kategorien als reine Denkformen Formen des Ansehens von etwas als bestimmt sind, obwohl doch noch immer andere Bestimmung möglich bleibt, ohne sachlich logisches Ende. Insofern ist das Ausscheren der Einzelwissenschaften aus der Philosophie selbst noch Metaphysik. Es ist ein Vorgang, von dem nicht zu befürchten ist, daß er zum Ende käme und daß sich die Philosophie dabei erschöpfen könnte. 38 Kant, Kritik der reinen Vernunft, A VIII.
Grammatik und Wahrheit Über das Verhältnis Nietzsches zur spekulativen Satzgrammatik der metaphysischen Tradition I. |1| Der wachsende zeitliche Abstand läßt Nietzsches Philosophie deutlicher in ihrer inneren Struktur erkennen. In dem Maße, in dem mit der historischen Distanz eine weltanschaulich orientierte Ausbeutung oder Ablehnung zurücktritt, erscheint das Philosophische in ihr, das sie mit der Tradition europäischen Philosophierens verbindet. Eugen Fink sieht Nietzsches Verhältnis zur Metaphysik als ein Verhältnis von „Gefangenschaft und Befreiung“1. In den Grundmotiven der Nietzscheschen Philosophie – der Lehre vom Willen zur Macht, von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, vom Tode Gottes und vom apollinisch-dionysischen „Spiel, das alle Dinge als Gebilde des Scheins produziert“, und schließlich vom Übermenschen – sieht Fink einen vierfältigen Grundansatz der Metaphysik wiederkehren – beim Seienden als solchem, beim Gesamtgefüge des Seienden, beim höchsten Seienden und bei der „Unverborgenheit“ des Seienden2. Nietzsches Denken wird somit selbst in die Lehre von einer ewigen Wiederkehr hineingezogen und erscheint als Ausdruck der Unüberwundenheit der Metaphysik. – Arthur C. Danto sieht in Nietzsche eine Verwandtschaft und eine gewisse Vorwegnahme der sich an Wittgensteins „Philosophische Untersuchungen“ anschließenden sprachanalytischen Philosophie, die sich selbst aus einem Gegensatz zur Gestalt der spekulativen Tradition der Metaphysik versteht, indem sie diese Tradition als ein Denken charakterisiert, das sein Gebundensein an die Grammatik seiner Sprache verkenne und sich aus ihr herauszuwinden versuche3. Von hier aus könnte gesagt werden, daß Nietzsche, indem er das Gebundensein aller Philosophien an eine „gemeinsame Philosophie der Grammatik“ reflektiere, sich zugleich vom metaphysischen Denken, insoweit es diese Reflexion unterlassen habe, distanziere. Für alle Versuche schließlich, eine Differenz zum Grundansatz „der“ Metaphysik zu denken, 1 2 3
E. Fink, Nietzsches Philosophie, Stuttgart 1960, 179. Ebd., 185. A. C. Danto, Nietzsche as Philosopher, New York 1965.
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die implizieren, diese selbst zuvor in ihrem „Wesen“ zu identifizieren, wird Nietzsche als Vorläufer erscheinen können, als der Philosoph, in dem sich „Denken“ als Befangensein in tradierten Strukturen, in einer „gemeinsamen Philosophie der Grammatik“4 bewußt geworden ist, der aber diese Struktur |2| zugleich als ein „Schema“ versteht, das „wir nicht abwerfen können“5, so daß andere Möglichkeiten wie „abgesperrt erschein[en]“6. Vor allem der im „Deutschen Idealismus“ tragende Begriff des „Selbstbewußtseins“ eines „objektiv“ erkennenden Ich würde dann in Nietzsche in einen „tragischen“ Begriff des Denkens von sich selbst umgeschlagen, bzw. nach der „idealistischen“ oder „utopistischen“ Tradition des Platonismus der europäischen Philosophie wieder zurückgeschlagen sein. Nietzsche versteht sich, nach der tragischen Dichtung der Griechen, als der „erste tragische Philosoph“, der das Tragische, anders als der Held der Tragödie, dem es nur widerfährt, philosophisch begreift und von daher als Grundzug des Lebens bejaht7, nachdem es, wie er es sieht, von den Griechen „dank ihrer moralistischen Oberflächlichkeit“ „mißverstanden“ worden sei8. Der vorliegende Versuch möchte das Thema von der „gemeinsamen Philosophie der Grammatik“ in den Aphorismen Nietzsches verfolgen, die nach Nietzsche allen Versuchen der Spekulation, umgekehrt eine Grammatik der Philosophie, etwa als transzendentale Grammatik der Vernunft in einer jeden Sprache vor ein sich damit selbst durchsichtig werdendes Bewußtsein zu bringen, noch vorausliegen soll. Mit diesem Thema knüpft Nietzsche an die Tradition einer „spekulativen Grammatik“ an, die im Formalen der Sprachen, wie Grammatiken es herausstellen, über einzelsprachliche Unterschiede der Bezeichnung hinweg eine universale Struktur des Geistes wie in einem Spiegel glaubte reflektieren zu können. Nur daß bei Nietzsche Grammatik eher eine unreflektiert bestimmende als „transzendental-philosophisch“ reflektierte Regel bleibt. Zur Bestimmung dieses Verhältnisses wird es erforderlich sein, mitunter weit von der einzelnen aphoristischen Äußerung zurückzutreten, um sie in ihrem philosophischen Zusammenhang mit der Tradition einer spekulativen, rationalen (Leibniz) oder transzendentalen Grammatik (Kant), auf die Nietzsche sich kritisch 4
5 6 7 8
Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse (= JGB), SA II, 584; KGW VI, 2, 28; KSA 5, 34. [Nietzsche wird sowohl nach der Schlechta-Ausgabe (= SA) als auch nach Kritischen Gesamtausgabe (= KGW) bzw. der Kritischen Studienausgabe (= KSA) unter Nennung von Band- und Seitenzahl zitiert]. Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 862; KGW VIII, 1, 198; KSA 12, 194. Vgl. JGB, SA II, 584; KGW VI, 2, 28/29; KSA 5, 34/35. Nietzsche, Ecce Homo (= EH), SA II, 1110; KGW VI, 3, 310; KSA 6, 312. Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 432; KGW VII, 2, 29; KSA 11, 33.
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bezieht, betrachten zu können9; denn dieses Verhältnis kommt in den einzelnen Aphorismen meist nur beiläufig zur Sprache. Es ist ja Nietzsches These, daß diese „gemeinsame Philosophie der Grammatik“ scheinbar neue Ansätze oder vermeintliche philosophische Fortschritte trägt und umspannt und daß sich im Grunde nur dieser eine Zusammenhang für den tiefer Sehenden in den sich selbst als originär verstehenden Lehren dokumentiert. So verwundert es nicht, daß Nietzsche Philosophen wie Leibniz und Kant nur wie Beispiele erwähnt und sich kaum in deren „eigenen“ Denkzusammenhang einläßt. Da es um den Versuch der Bestimmung eines durchgehenden Grundzuges des sich selbst als „tragisch“ charakterisierenden Denkens Nietzsches geht, kommt es auch weniger darauf an, historisch nach Epochen in Nietzsches Entwicklung zu unterscheiden, von der allerdings gesagt |3| werden kann, daß sie von einer Beschäftigung mit dem Phänomen des Tragischen immer mehr zu einer Selbstidentifizierung als „tragische Philosophie“ hinführt. Mittelpunkt ist das Scheitern des Versuchs, einen Begriff von Wahrheit zu bestimmen. Von dem hier zur Diskussion gestellten Grundzug aus gesehen, müssen solche Versuche als eigentlich nur noch ironisch zu betrachtende Anstrengungen erscheinen, deren Sinn ihnen selbst nicht deutlich werden kann, weil ein Zusammenhang von Sinn sich immer schon von der tieferen Grammatik der Sprache des Philosophierens her konstituiert haben muß, in den sie eingebettet bleiben und den sie nicht bewußt vor sich bringen können. Ein Satz, der wahr sein will – gleichgültig, ob es sich um eine „schlichte“ Aussage oder um einen Versuch handelt, reflektierend einen Begriff von Wahrheit zu bestimmen – muß zuvor als sinnvoller Satz nach den Gesetzen einer Sprache gebildet worden sein, so daß, dieser Sprachauffassung nach, auch die Reflexion sich prinzipiell nicht über eine vorgegebene Sinndimension „schlichter“ Aussagen erheben könnte. Der Begriff Wahrheit ist nach Nietzsche „widersinnig“10. Man könnte fragen (und hat auch gefragt), ob eine solche Aussage denn nicht selbst widersinnig sei, da sie für sich doch Wahrheit beanspruche. Was Nietzsche hier „widersinnig“ nennt, ist aber nicht das Aussprechen von Sätzen, das vom Anspruch der Wahrheit dieser Sätze begleitet ist, sondern der Begriff „Wahrheit“, als Resultat eines (transzendental-philosophischen) Versuchs, den Sinn des Adjektivs „wahr“ aus den jeweiligen situationsverhafteten Kontexten, in dem es so oder so verstanden wird, herauszulösen und semantisch auf einen Begriff zu bringen. Das setzte voraus, auch die anderen Wörter der Sätze, die in einem bestimmten Zusammenhang „wahr“ genannt 9 Vgl. Abschnitt V. 10 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 751; KGW VIII, 3, 95; KSA 13, 303.
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werden, als über den Kontext ihres Gebrauchs hinausweisende Zeichen für „Begriffe“ philosophisch zu interpretieren. Im Zusammenhang des zitierten Aphorismus wird der Begriff „Wahrheit“ widersinnig genannt, weil eine solche „metasprachliche“ Interpretation der Sprache unter der „Forderung einer adäquaten Ausdrucksweise“ „unsinnig“ genannt wird. Gleichwohl finden sich auch bei Nietzsche Bestimmungsversuche von ,,Wahrheit“. An anderer Stelle wird „Wahrheit“ als „die Hypothese“ definiert, „bei der Befriedigung entsteht“11. Aber damit ist der Begriff „Wahrheit“ schon in viele mögliche Bedeutungen aufgelöst. Der Singular in diesem Begriff geht auf den der Hypothese über. Befriedigung des Fragens nach Wahrheit wird entstehen, wenn eine Hypothese einleuchtet, d. h. wenn sich in einem Zusammenhang des Lebens kein Zweifel ihr gegenüber meldet, weil ein „Sinn“ alternativer Hypothesen in diesem Zusammenhang nicht verstanden würde. Der Begriff von nur einer (überzeitlichen und überörtlichen) Wahrheit würde dagegen jede Hypothese und damit jeden befriedigenden Zustand („Inertia“) schon dadurch erschüttern, daß er sie als „bloße“ |4| Hypothese bestimmte. Er würde den Sinnzusammenhang der Akzeptation von Sätzen als „nur“ subjektiven verunsichern. Gegenüber dem für wahr Gehaltenen und im Sprachgebrauch als „wahr“ Benannten wäre er geradezu der Inbegriff des Unwahren. So kann von der (grammatischen) Sinngebung des wirklichen Sprachgebrauchs her auch der Sinn dessen, was „Erkenntnis“ genannt wird, nicht „die“ Wahrheit sein, sondern die besondere Art, in der eine „Art“ „so viel Realität“ „ergreift“, wie sie selbst ,,Wille zur Macht“ geworden ist und Realität „in Dienst“ „nehmen“ will12. Wahrheit ist also als Funktion von Sinn und nicht Sinn als Funktion von Wahrheit verstanden. Das scheint älteren Überlegungen zu entsprechen, nach denen ein „sermo congruus“ als ursprünglicher zu denken sei als ein „sermo verus“, weil erst einmal etwas grammatischen Regeln zufolge hic et nunc in seinem Sinn verständlich sein müsse, ehe über seine Wahrheitsmöglichkeit, die die Logik schon voraussetzt, entschieden werden könne13. Der möglicherweise wahre Satz ist, so gesehen, der Spezialfall des in einer besonderen Sprache eines besonderen Lebenszusammenhangs sinnvollen Satzes. Der Begriff „Wahrheit“ könnte dann nicht kritisch gegen irgendeinen Horizont von Sinn gewendet werden. Die Bildung eines Satzes und ebenso die Bildung eines anderen Satzes, in dem der erste „wahr“ genannt wird, müssen den Sinngesetzen derselben 11 Ebd., SA III, 494; KGW VIII, 1, 123; KSA 12, 125. 12 Ebd., SA III ,751; KGW VIII, 3, 94; KSA 13, 302. 13 Vgl. hierzu J. Simon, Sprachphilosophische Aspekte der Kategorienlehre, in: „Philosophie als Beziehungswissenschaft“, Festschrift für Julius Schaaf, Frankfurt am Main 1971, 3-22.
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Sprache folgen. „Es steht“ nach Nietzsche „nicht in unserem Belieben, unser Ausdrucksmittel zu verändern“. Zwar ist es noch „möglich, zu begreifen, inwiefern es bloße Semiotik ist“, aber die „Forderung einer adäquaten Ausdrucksweise ist unsinnig“14. Sätze „sollen“ ihren Bildungsgesetzen adäquat sein, nicht aber einer äußeren Realität, von der man sagen könnte, daß sie mit ihnen übereinstimmte. Der Begriff einer Relation zwischen Sprache und transzendenter Realität ist nach Nietzsche widersinnig, weil es Relation nur innerhalb von Sprache als grammatisch charakterisiertem Verhältnis zwischen Zeichen geben kann. „Wesen“ konstituieren sich auch nach Nietzsche nur in der grammatisch vorgezeichneten Relation, vor allem in der von „akzidentellem“ Prädikat und „zugrunde liegendem“ Subjekt15. Diese Gesetze sind mit dem Ausdrucksmittel vorgegeben. Es könnte, wie später bei Wittgenstein, gesagt werden, wir folgten ihnen „blind“ und „das Wesen“ sei „in der Grammatik ausgesprochen“16. Solche transzendentale Blindheit ist nach Nietzsche die Tugend der Sprache, durch die sie sich zum „Werkzeug der Macht“17 ausrichtet. So gewährt sie die Gewißheit eines Schemas sprachlichen Verhaltens einer sonst „noch nicht festge|5|stellten“ Art18. Es geht also um die Kultur der inneren Stimmigkeit eines die „Art“ verbindenden Organs und um die Abstoßung des ihr zuwiderlaufenden ,,Widersinns“ der Wahrheitsfrage. In diesem Sinn soll Sprache bewahrt und kultiviert werden als „ein von den Vorfahren überkommenes und den Nachkommen zu hinterlassendes Erbstück ..., vor dem man Ehrfurcht haben soll als vor etwas Heiligem und Unschätzbarem und Unverletzlichem“19. An einer anderen Stelle der „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ wird dann gesagt, der Widersinn transzendentaler, auf allgemeine Bedingungen objektiver Gültigkeit zielender Reflexion laste als ,,Krankheit“ der Sprache „auf der ganzen menschlichen Entwicklung“20. Zu diesem Krankheitssyndrom soll vor allem die cartesianische Forderung nach einem „Netz der ,deutlichen Begriffe‘“21 gehören. Sie macht Sprache zum Gegenstand der Reflexion, in dem Mißverständnis, sie sei auf eine Möglichkeit, objektive Wahrheit in ihr auszudrücken, auszurichten, so 14 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 751; KGW VIII, 3, 94/95; KSA 13, 302f. 15 Vgl. ebd., SA III, 752; KGW VIII, 3, 95; KSA 13, 303. 16 L. Wittgenstein, Schriften, Bd. I, Frankfurt am Main 1963, Philosophische Untersuchungen Nr. 219 und 371. 17 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 751; KGW VIII, 3, 94; KSA 13, 302. 18 Vgl. JGB, SA II, 623; KGW VI, 2, 79; KSA 5, 81. 19 Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen, SA I, 202; KGW III, 1, 231; KSA 1, 235. 20 Ebd., SA I, 387; KGW IV, 1, 27; KSA 1, 455. 21 Ebd., SA I, 388; KGW IV, 1, 28; KSA 1, 456.
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daß, wenn sie „wahr“ genannt werden solle, zunächst „etwas“ in ihr klar und deutlich bezeichnet sein müsse, um in einer vermeintlichen „Identität“ seiner selbst angezeigt werden zu können. Die Forderung solch einer Adäquation ist bei Nietzsche gerade bestritten. Von seinem Sprachbegriff her sind andere Eigenschaften als „Übereinstimmung“ mit äußerer Realität, die der Cartesianismus letztlich theologisch begründete, gefordert, nämlich Eigenschaften, die ihre Eignung als „Werkzeug der Macht“ steigern. Man hat von einer positivistischen Periode Nietzsches gesprochen. Aber gerade in dieser Periode bildet sich die skizzierte Kritik des logischen Postulats identischer Begriffe heraus. Wie später die These von einer „Genealogie der Moral“ deren Absolutheitsanspruch zerstören soll, so soll schon hier innerhalb des Theoretischen – und man könnte sagen: als gedankliche Vorbereitung der Moralkritik – die Idee einer „Entstehungsgeschichte des Denkens“ die logischen Postulate in einem „neuen Licht“ zeigen. Das Gesetz der Identität, „jeden Gegenstand“ „als einen mit sich selbst identischen, also selbstexistierenden und im Grunde stets gleichbleibenden und unwandelbaren, kurz als eine Substanz“ zu erkennen, soll statt als „ursprüngliches“ Gesetz als „geworden“ verstanden werden22. Diesem Gesetz nach wird ein Prädikat als spezifische, in die Identität mit dem Subjekt hineingezogene oder aufgehobene Differenz, als „Wesensaussage“ oder „Definition“ angesehen. Nach Nietzsche drückt sich gerade darin eine Perspektive aus. Dieses Prädikat bezeichnet lediglich das, was „uns organische Wesen interessiert“, weil es ein „Verhältnis zu uns in bezug auf Lust und Schmerz“ ausdrückt23. Ein universales Gesetz der Identität des Dinges, wie sie sich in einer philosophisch als Identitätsaussage interpretierten Satzform spiegelt, soll lediglich einen primitiven Zustand gleichbleibender Interessen widerspiegeln. „Aus |6| der Periode der niederen Organismen her“ sei „dem Menschen der Glaube vererbt, daß es gleiche Dinge“ gebe24. In späteren Perioden der menschlichen Entwicklung bedeute dieser Glaube, der sich in der Auffassung eines Satzes als in sich sinnvoller Aussage über „etwas“ oder als „Urteil“ fixiere, einen Verlust an Entwicklungswillen. Das gleiche gilt dann für das sich auf dem Urteil als einer atomaren „ersten Stufe des Logischen“ aufbauende Formallogische überhaupt. Der „Glaube“ an eine logische Syntax des Satzes und an eine „Wahrheit“ des ihr zufolge gebildeten „Urteils“ hält demnach das Logische im Prinzip auf seiner ersten Stufe fest. Er liest einen Satz als synthetische Einheit von „Begriffen“, in der Annahme, dieser subjektiven Leistung entspreche eine objektive Einheit eines 22 Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches I (= MA), SA I, 459f.; KGW IV, 2, 30/31; KSA 2, 34/35. 23 Ebd., SA I, 460; KGW IV, 2, 31; KSA 2, 35. 24 Ebd.
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beurteilten Gegenstandes, und von einem solchen Urteil als einer isolierten, frei vollziehbaren Leistung könne sinnvoll gesagt werden, es könne wahr (oder falsch) sein. Eine solche Urteilstheorie richtet sich gegen den Zusammenhang des Lebens auf einer höheren Stufe, weil sie, wie der frühe Wittgenstein es formuliert, das metaphysische Postulat impliziert, die „Welt“ zerfalle in diesen Gebilden zugedachte „Tatsachen“ und „eines“ könne „der Fall sein oder nicht der Fall sein und alles übrige gleich bleiben“25. Sie bedeutet die Theorie des Zerfalls einer historisch gewordenen Sprachkultur und die Reduktion der poetischen Kraft einer entwickelten Sprache auf eine quasi übersprachliche Struktur einer jeden Sprache als auf einen abstrakten gemeinsamen Nenner einer „transzendentalen Grammatik“ eines „objektiv gültigen“ Urteilsvermögens, in dem der Unterschied zwischen einer primitiven Sprache und einer Kultursprache nivelliert sein müßte26. – Die Kritik Nietzsches an dem Sprachbegriff der spekulativen Satzgrammatik, wie sie auch der Kantischen Idee einer „transzendentalen Grammatik“ der Vernunft und schließlich noch fundamentalistischen Rekonstruktionsversuchen einer Sprachlogik zugrunde liegt, zeigt deutlich, daß eine biologistische Reduktion des Nietzscheschen Lebensbegriffs zu Mißverständnissen führen muß. „Leben“ bedeutet, im Zusammenhang mit dem Leben einer sprechenden Art, gerade die Idee einer Entwicklung des Selbstbewußtseins über einen sich von der logischen Grammatik des Satzes her verstehenden Begriff der Vernunft hinaus. Von hier aus muß es auch problematisch erscheinen, in Anlehnung an Nietzsche die apriorischen Vernunfturteile Kants „immer noch im Sinne unvermeidlicher subjektiver Bedingungen jeder möglichen sprachlichen Interpretation der Wirklichkeit“ als „transzendental“ zu bezeichnen27, wenn auch nicht „im Sinne apriorischer, d. h. unbedingter Geltung“, weil sie nach Nietzsche „nur noch an der kontingenten Form unserer Sprache fest|7|gemacht“ und als diese „grammatischen Regeln“ ein „Erzeugnis der Poiesis, der sinnschöpferischen Tätigkeit“ seien28. Nach Nietzsche waren sie auf einer niederen Stufe notwendig, nur der „Glaube“ an ihre Notwendigkeit soll sich erhalten haben. So sind sie eher Kategorien der grammatischen Interpretation der Sprache als der „Wirklichkeit“ und nur indirekt auch der Wirklichkeit, indem sie von diesem restringierenden 25 L. Wittgenstein, a. a. O., Tractatus logico-philosophicus, Satz 1.2 und 1.21. 26 Der späte Wittgenstein spricht von einer „primitiven Vorstellung von der Art und Weise, wie die Sprache funktioniert. ... Man kann aber auch sagen, es sei die Vorstellung einer primitiveren Sprache als der unsern“ (Wittgenstein, a. a. O., Philosophische Untersuchungen Nr. 2). 27 J. Habermas, Nachwort zu Friedrich Nietzsche, Erkenntnistheoretische Schriften, Frankfurt am Main 1968, 252. 28 Ebd., 252f.
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Sprachbegriff her die Sprache in ihrer Entwicklung und damit auch an einer produktiveren Interpretation der Wirklichkeit hindern. Als reflektierte Kategorien bestimmen sie den vergegenständlichenden, „bewußten“ Begriff von Sprache und nicht mehr deren poetische, sinnschöpferische Dimension. In Anlehnung an die Logik Hegels könnte man formulieren, das sich ihnen gemäß konstituierende „Wesen“ der Wirklichkeit sei das „gewesene“, „aber zeitlos vergangene Sein“29. Sie sind, auch nach Nietzsche und auch in der Relativierung auf eine biologische „Notwendigkeit“, das Wahre nur „gewesen“ und damit in ihrer rezenten Geltung das Unwahre. So sieht Nietzsche vornehmlich in Kant auch den Gewährsmann des von ihm kritisierten „Glaubens“. Dieser Glaube zeige sich z. B. darin, daß man, urteilend, „den Stein selber als hart, den Baum selber als grün bezeichnet – also dadurch, daß man, was“ (in seiner grammatischen Kategorisierung als „Subjekt“) „Wirkung“ (des im „Glauben“ an die objektiv gültige Urteilsform sich vollziehenden Urteilens) „ist, als“ (zugrunde liegende) „Ursache“, als in sich selbst identische Sache faßt, der das Zusprechen des Prädikats akzidentell bleibe30. Wie diese „Auffassung“ zustandekommt, erläutert Kant selbst: Von der Empirie her könnte man nur sagen: „Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere; aber nicht: er, der Körper, ist schwer; welches soviel sagen will, als, diese beiden Vorstellungen sind im Objekt, d. i. ohne Unterschied des Zustandes des Subjekts, verbunden, und nicht bloß in der Wahrnehmung (so oft sie auch wiederholt sein mag) beisammen“31. Das grammatische „Verhältniswörtchen ist“ im Urteil bezeichnet aber über die Empirie hinaus, auch wenn der Inhalt des Urteils empirisch ist, formal eine Beziehung „auf die ursprüngliche Apperzeption und die notwendige Einheit derselben“32. Die Übertragung des subjektiv Empfundenen auf einen Gegenstand geschieht nach Kant durch den Bezug des einzelnen Urteils auf eine Einheit einer ursprünglichen Apperzeption als auf ein rein formales Subjekt der Urteilsbildung überhaupt nach Regeln, z. B. zufolge der transzendentalgrammatischen Kategorisierung inhaltlicher Begriffe als Subjekt und als Prädikat. Diese formale „Kompetenz“ möglicher Urteilsbildung überhaupt muß die Einheit des Objekts begründen, „weil durch diese die Einheit der Anschauung allein möglich ist“33. |8| 29 Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik, ed. G . Lasson, Leipzig 1948, Bd. II, 3; GW 11, 241. 30 MA I, SA I, 479; KGW IV, 2, 60; KSA 2, 62. 31 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 2. Auflage (B), 142. 32 Ebd., B 141f. 33 Ebd., B 143. Noch deutlicher für diese Zusammenhänge ist die Anmerkung zur Vorrede der „Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft“, in der Kant
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Daß die formale Verknüpfung der Vorstellungen (z. B. der Wahrnehmung des Steines und der Empfindung eines Druckes zur gleichen Zeit und auf der gleichen Stelle meiner Hand) gemäß einer der Urteilsformen der zureichende, weil allein denkbare Grund für die Verknüpfung zu einem objektiv gültigen Urteil sein soll, ist Gegenstand der Kritik Nietzsches. Er folgt mit ihr aber einer Einsicht, die bei Kant schon vorgezeichnet ist. Die subjektive Einheit („ich“) als das rein formale Vermögen, Vorstellungen wie „Stein“ und „Druck“ als „meine“ Vorstellungen nach Urteilsregeln in einer Einheit zu verbinden, zeigt sich nämlich nur in inhaltlichen Beispielen dieser Art. Als Form ohne Inhalt bliebe sie ohne „Sinn und Bedeutung“34. Sie ist eine Leerform, zu der nach Kant beliebige Beispiele einfallen können, wenn sie nur aus der Erfahrung genommen sind. Von Nietzsche her gesehen kann es aber so beliebig nicht sein, was ein Wille zur Verknüpfung „als“ objektiv verknüpft vorstellt. Das „Interesse“ der Verknüpfung richtet sich in einem entwickelteren Zustand nicht mehr unbedingt auf Identität überhaupt. Das beinhaltet ja gerade seine Kritik an der Tradition einer rationalen oder transzendentalen Grammatik als des eigentlich gegenstandskonstituierenden Prinzips. Dem wird die „Schätzung der unscheinbaren Wahrheiten“ entgegengesetzt, die denen fremd bleiben, die „immer noch gedankenlos alte Formen nachmachen“ und Sprache in ihrem Wirklichkeitsbezug oder in ihrer Wahrheit von diesen sie im Bewußtsein vergegenständlichenden Formen her verstehen, d. h. auf einer damit umrissenen Entwicklungsstufe festhalten. Auch in diesem Zusammenhang wiederholt sich die Zuordnung der Bevorzugung des Festen und Eingefahrenen zu einer überholten Stufe, an die die vergegenständlichende und Sprache als Struktur finitisierende Reflexion zurückbinde. Der „Ernst des Symbolischen ist zum Kennzeichen der niederen Kultur geworden“35. Das „Ausspinnen von Symbolen und Formen“, auf die Sprache bezogen: geregelter Semantik und Syntax, ist zur Grundlage einer sich davon abhebenden Kreativität herabgesetzt. Jetzt soll der Geist sich nicht länger in Symbole und deren architektonische Zuordnung zueinander versenken. Der „geistreiche Blick“ soll mehr gelten als von ihrem Geregeltsein her als objektiv genommene Symbolverhältnisse, mehr „als der schönste Gliederbau und das erhabenste Bauwerk“36. Das Symbol soll aus einem durch seine formale die Aufgabe |8| „wie nun Erfahrung vermittelst jener Kategorien und nur allein durch dieselbe(n) möglich sei“, von „der genau bestimmten Definition eines Urteils überhaupt“ her zu lösen vorschlägt. (Kant, Werke, Akademie-Ausgabe Bd. IV, 475). 34 Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, AA IV, 478; vgl. hierzu J. Simon, Begriff und Beispiel, Kant-Studien 1971, Heft 3 [im vorliegenden Band, S. 107-138]. 35 MA I, SA I, 449; KGW IV, 2, 16; KSA 2, 22. 36 Ebd.
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Grammatik projizierten Semantikzusammenhang in einen subjektiven zurückgenommen werden. Es wird „metaphorisch“ in neue Relationen gesetzt, die seinen vormaligen formal kategorisierten Bedeutungsmodus nicht unberührt lassen und damit auch „Bedeutung“ nicht mehr als etwas verstanden sein lassen können, was sich von der Verwendung der Symbole gemäß einer festliegenden Vorkategorisierung als |9| mögliches Subjekt, Prädikat usw. oder von ihrer kategorial vorgezeichneten Verwendung in Urteilen her konstituieren soll. Gegenüber der Vorstellung eines solchen transzendentalgrammatischen Bedeutungsbegriffs proklamiert Nietzsche den Begriff einer anderen, „fröhlichen“ Wissenschaft. Aber die Erkrankung der Sprache, ihre Erstarrung im Glauben, sie sei, als deren Abbild, an eine vermeintliche äußere, wertneutrale Realität von Dingen zu fixieren, lastet immer noch „auf der ganzen menschlichen Entwicklung“37, auch wenn, wie bei Kant, der an den Begriff des „Dinges“ gebundene Bedeutungsbegriff sich auf einen an die (transzendentale) Grammatik des Urteilens überhaupt gebundenen Bedeutungsbegriff zurückführt. Der Glaube an das Ding ist in einen Glauben an die Grammatik transformiert, und unter der Herrschaft dieses Glaubens ist die Sprache eine entfremdete „Gewalt für sich geworden“, als ein das Bewußtsein beherrschender Gegenstand des Bewußtseins. Sie mußte in dieser Auffassung von ihr fortwährend „auf die letzten Sprossen des ihr Erreichbaren steigen ..., um, möglichst ferne von der starken Gefühlsregung, der sie ursprünglich in aller Schlichtheit zu entsprechen vermochte, das dem Gefühl Entgegengesetzte, das Reich des Gedankens zu erfassen“ versuchen, so daß sie, unter dieser Zurichtung, „nun gerade das nicht mehr zu leisten vermag, wessentwegen sie allein da ist: um über die einfachsten Lebensnöte die Leidenden miteinander zu verständigen“. Sie spinnt ein „Netz der ,deutlichen Begriffe‘“, „als ob es irgendeinen Wert hätte, jemanden zu einem richtig denkenden und schließenden Wesen zu machen, wenn es nicht gelungen ist, ihn vorher zu einem richtig empfindenden zu machen.“ „So nimmt die Menschheit zu allen ihren Leiden auch noch das Leiden der Konvention hinzu“38. Der sich an der grammatischen Form des Urteilens „überhaupt“ orientierende Begriff von Wahrheit ist demnach als konventionell bestimmt. Er verdankt sich der Tradition einer überholten Bestimmung von Sprache, unter der sie unfähig wird, „über die einfachsten Lebensnöte die Leidenden miteinander zu verständigen“. Entscheidend für Nietzsches Philosophie ist nun, daß er diesen entfremdeten Zustand als etwas Gewordenes und faktisch Herrschendes ernst nimmt. Auch seine eigene Philosophie leidet wie alle Philosophie unter dieser „Konvention“, deren rein semiotischer Charakter 37 Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen, SA I, 387; KGW IV, 1, 27; KSA 1, 455. 38 Ebd., SA I, 387f.; KGW IV, 1, 27; KSA 1, 455.
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zwar einsehbar, nennbar ist, die aber damit noch nicht als überwunden gelten soll. Sie lastet sogar am meisten auf dem, der diese Sachlage begreift, und d. h. bei Nietzsche: bejaht. Die Einsicht, „daß man gefoppt wird und doch ohne Macht [ist], sich nicht foppen zu lassen“, wird später zum Gedanken der „ewige[n] Wiederkehr“. Sie ist „die extremste Form des Nihilismus“39. |10|
II. Die „klaren und distinkten“ Begriffe Cartesianischer Tradition zerlegen als Werkzeug der Analyse die Welt in die Vorstellungen einzelner, für sich existierender Dinge. „Durch Worte und Begriffe“ im Sinne dieser Tradition werden wir nach Nietzsche „jetzt noch“ „verführt, die Dinge uns einfacher zu denken, als sie sind, getrennt voneinander, unteilbar, jedes an und für sich seiend“40. Daß die Dinge aber so einfach nicht sind, wie der „Glaube“ an die objektive Gültigkeit isolierter Urteile sie vorstellt, so daß ihr „Sein“ mit einer formalen Einfachheit ihrer Beurteilung korrespondieren könnte, führt dann zu den vergeblichen Anstrengungen einer Zurichtung der Sprache zum Mittel der Wiedergabe der Dinge in dieser Vorstellung von ihnen. Ursache dieser Entfernung der Sprache von ihrem eigentlichen Zweck und ihrer Auflösung in einer zergliedernden Begrifflichkeit ist also paradoxerweise der „Glaube“ an die Einfachheit der Dinge, der durch den Glauben an die Wahrheit der Urteilsform vermittelt ist. Nietzsche nennt diesen Glauben auch den „Glauben an die Vernunft“, näher charakterisiert als ,,‚Vernunft‘ in der Sprache“41. Allerdings ist es nach Nietzsche „glücklicherweise ... zu spät“, „die Entwicklung der Vernunft, die auf jenem Glauben beruht, wieder rückgängig“ zu machen42. Der Irrtum dieses Glaubens war ja einmal für das Lebewesen Mensch lebensnotwendig. Von daher ist er überkommen und „im Prinzip“ nicht aufhebbar. Er hat der Sprache eine Form gegeben. Nur das weiterhin ontologisierende Festhalten am „Prinzip“ einer primitiven Stufe und an ihr entsprechenden Vorstellungen vom „Wesen“ der Dinge wirkt hemmend, als „Philosophie der grauen Begriffe“43 oder einer in grammatischen Bestimmungen festgehaltenen, finitisierten, vom Leben abgelösten und ihrer poetischen Dimension beraubten Sprache eines 39 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 853; KGW VIII, 1, 217; KSA 12, 213. 40 MA II (WS), SA I, 878f.; KGW IV, 3, 184/185; KSA 2, 546/547. 41 Nietzsche, Götzen-Dämmerung (= GD), SA II, 960; KGW VI, 3, 72; KSA 6, 78. 42 MA I, SA I, 453; KGW IV, 2, 27; KSA 2, 31. 43 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 862; KGW VIII, 1, 197; KSA 12, 193.
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Objektivismus der Urteilslehre, der so weit gehen kann, daß wir „dort, wo uns Worte fehlen, nicht mehr genau beobachten, weil es peinlich ist, dort noch genau zu denken“44. Das Prinzip bindet die sich an ihm orientierende Philosophie an einen ehemaligen Zustand zurück; es bindet das Werden in einen Begriff von Sein. „Philosophieren ist insofern eine Art von Atavismus höchsten Ranges“, als „Rück- und Heimkehr in einen fernen uralten Gesamt-Haushalt der Seele“45, in dem die ökonomische Methode der „Prinzipien-Sparsamkeit“46 ihren Sinn hatte. Diesem Prinzip beharrenden Denkens wird das für die Empfindung offene Denken gegenübergestellt. Wenn es aber trotzdem heißt, es sei „glücklicherweise“ zu spät, die „Entwicklung der Vernunft, die auf jenem Glauben beruht, |11| wieder rückgängig zu machen“, dann drückt sich darin die Auffassung aus, daß sich die moderne Wissenschaft, insbesondere in ihrer Logik und in ihrer mathematischen Methode, dem an der Satzgrammatik und an der Lehre, „ein einzelnes Urtheil“ könne „wahr“ sein47, orientierten „Glauben“ verdankt. Damit verdankt das moderne Denken diesem „atavistischen“ Glauben seine innere Disziplin und die Geregeltheit seiner Sprache. Das Gewordene ist, wie es geworden ist, zu bejahen. Es kann in seiner Struktur durch Reflexion, die kritisch nach seiner Wahrheit fragt, nicht mehr erschüttert werden. Die wenn auch als „bloße Semiotik“ durchschaute Grammatik des einzelnen Satzes teilt dennoch der Erfahrung Notwendigkeit mit, indem sie die Erfahrung an diese Grammatik einer primitiveren Sprache als der unseren („axiomatisch“) zurückbindet. In der (zweiwertigen) formalen Aussagenlogik ist ja auch nicht transzendentallogisch reflektiert, sondern vorausgesetzt, ein Satz könne die Werte „w“ (= wahr) und „f“ (= falsch) annehmen. Auf dieser Voraussetzung der Wahrheitsmöglichkeit des einzelnen Satzes beruht diese Logik. Insofern ist sie deren Absolutes. So kann Nietzsche in der „Götzen-Dämmerung“ dann sowohl die „,Vernunft‘ in der Sprache“ eine „alte betrügerische Weibsperson“ nennen, wie auch sagen, er fürchte, wir würden „Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben“48. Nietzsche schließt sich selbst in diesen Glauben ein. In der Verbindung mit einem Glauben an Gott wird er als Glaube an ein Absolutes, in jedem Denken schon Vorausgesetztes charakterisiert. Indem der Gegenstand des Glaubens letztlich die Grammatik sein soll, aber jede Sprache ihre beson44 45 46 47
Nietzsche, Morgenröte (= M), SA I, 1090; KGW V, 1, 103; KSA 3, 105. JGB, SA II, 583f.; KGW VI, 2, 28; KSA 5, 34. Ebd., SA II, 578; KGW VI, 2, 22; KSA 5, 28. Vgl. Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 885; KGW VIII, 1, 273; KSA 12, 265. 48 GD, SA II, 960; KGW VI, 3, 72; KSA 6, 78.
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dere Grammatik hat49, wird der Begriff des Absoluten, die Wahrheit der Satzform Verbürgenden zwar polytheistisch aufgelöst50, aber eben in dieser Auflösung bleibt es verbindlich, auch wenn es durchschaut ist: jeder sprachliche Ausdruck ist vom Gedanken seiner prinzipiellen Übersetzbarkeit begleitet. Das impliziert den Gedanken einer universalen Grammatik einer jeden Sprache, die diese Übersetzung regelt, d. h. die Vorstellung, Sprachliches könne von seiner jeweiligen Ausdrucksform ausgehend auf eine „tieferliegende“ allgemeinere Form ohne Verlust an Bedeutung reduziert werden, oder „Bedeutung“ konstituiere sich nicht „erst im Zusammenhange“51, d. h. im Kontext und Umfeld konkreten, jedesmaligen Sprechens, sondern von einer Generation der Sätze oder Texte von universaleren, letztlich im Wesen von Sprache überhaupt liegenden allgemeinen Regeln her. „Wir“ sind es also, die diesem Glauben faktisch folgen. Nietzsches Denken wird von der Differenz zwischen einer vom individuellen Sprechen ausgehenden poetischen, produktiven Kraft der Sprache einerseits und der „Notwendigkeit“ disziplinierten, an die Intersubjektivität der „Art“ zurückbindenden Redens andererseits bestimmt. Diese Differenz scheint für ihn unaufhebbar zu sein. |12| Trotz aller Kritik am „Glauben“ an die Grammatik und dem entsprechenden Begriff einer reduktiven „Vernunft“ steht für ihn fest, daß „wir nur in der sprachlichen Form denken“ und „somit die ,ewige Wahrheit‘ der ,Vernunft‘ glauben (z. B. Subjekt, Prädikat usw.)“, und daß wir zu denken aufhören, „wenn wir es nicht im sprachlichen Zwange thun wollen, wir langen gerade noch bei dem Zweifel an, hier eine Grenze als Grenze zu sehn. Das vernünftige Denken ist ein Interpretieren nach einem Schema, welches wir nicht abwerfen können“52. All unser Denken wird demnach von dem Begriff einer Sprache beherrscht, über den sich unsere rezente Sprache schon hinausentwickelt hat. Man könnte auch sagen: „Denken“ ist nach Nietzsche „interpretierende“ Rückübersetzung in die Vorstellung einer Sprache, die dem Sprachbegriff einer universalen Grammatik entsprechen würde.
49 Vgl. Nietzsches Äußerung über die indogermanische Grammatik: JGB, SA II, 584; KGW VI, 2, 28/29; KSA 5, 34/35. 50 „Das eben ist Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt!“ Nietzsche, Also sprach Zarathustra (= Za), SA II, 449; KGW VI, 1, 250; KSA 4, 254. 51 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 885; KGW VIII, 1, 273; KSA 12, 265. 52 Ebd., SA III, 862; KGW VIII, 1, 197/198; KSA 12, 193f.
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III. Hier ist die Wissenschaft nicht mehr schlicht „fröhlich“. Solche späteren Stellen betonen das „tragische“ Denken der Grenze gegen das auf allgemeine Begriffe reflektierende Denken der Metaphysik, begriffen im Begriff einer rationalen Grammatik. Es ist das Denken einer Grenze, das sich aber zugleich als Einsicht in das „Notwendige“ fügt und sich nur dadurch aus dem Begriff einer durch eine „gemeinsame Philosophie der Grammatik“ vorgezeichneten Philosophie ausnimmt, daß es diese Notwendigkeit begreift und bejaht. In diesem Sinne glaubt Nietzsche sich von aller „kritischen“ und „systematischen“ Philosophie zu unterscheiden. Im kritischen und im systematischen Denken stellt sich der Gedanke ins Zentrum, während er nach Nietzsche „unter einem unsichtbaren Banne ... immer von neuem noch einmal“53 um ein ihn haltendes Zentrum kreist. Man könnte das Denken der Grenze, in dem das Denken sich selbst als dermaßen begrenzt begreift, als eine neue Gestalt von Subjekt-Objekt-Identität verstehen. In einer der ersten Auseinandersetzungen mit dem Kantischen Versuch, aus einer obersten Einheit des „ich denke“ heraus „objektive Gültigkeit“ des Denkens zu begründen, in der Kantkritik Hamanns, war bereits auf den Problemkreis von Sprache und Vernunft hingewiesen worden. Der Cartesianische „deus benignus“ war bei Kant von dem Begriff eines transzendent existierenden Garanten wahren Denkens zu einem „Ideal der reinen Vernunft“ geworden, das dem „Bedürfnis der Vernunft“ entstammen sollte, „vermittelst desselben alle synthetische Einheit zu vollenden“54 und somit über den Begriff einer von der formalen Einheit eines Urteils her begründeten Objektivität noch hinauszuweisen. Hamann schreibt nun, es ginge einem mit der Sprache als einem „Idol“ beinahe wie mit jenem „Ideal der Vernunft“: „Je länger man nachdenkt, desto tiefer |13| und inniger man verstummt und alle Lust zu reden verliert“55. Das Vernunftbedürfnis, den von der Urteilsfunktion her begründeten Objektivitätsbegriff noch zu übersteigen, wird von Hamann mit der Sprache zusammengebracht. Sie ist, in ihrem unverkürzten Reichtum, dann bloß „Idol“, wenn, wie bei Kant, Wahrheit sich im strengen, kritischen Sinn lediglich vor übersprachlichen (oder transzendentalgrammatischen) Verstandesregeln der Bildung von Urteilseinheiten überhaupt konstituieren soll. Für Nietzsche fallen „Ideal“ und „Idol“ zusammen. Sprache ist für ihn gerade von einem „Glauben“ an die objektive Relevanz und an die Allgemeingültigkeit der Urteilsformen her nur ein „Idol“, also gerade in dieser Reduktion auf einen transzendentalgrammati53 JGB, SA II, 583; KGW VI, 2, 28; KSA 5, 34. 54 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 642. 55 J. G . Hamann, Werke, ed. J. Nadler, Bd. III, Wien 1951, 284.
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schen Begriff von ihr, aber „wir“ müssen an dieses „Idol“ glauben. Das „Bedürfnis“ zielt nach Nietzsche nicht nur auf eine Erweiterung, sondern ebenso auf eine Reduktion sprachlicher Möglichkeiten auf einen bestimmten, intersubjektive Verbindlichkeit vorgebenden allgemeinen Begriff von Sprache, der gerade die poetische Dimension von Sprache ausschließt. Da Nietzsches Sprachbegriff „noch“ der der Tradition ist und an dem Begriff einer rationalen Grammatik orientiert bleibt, demzufolge sich Grammatik letztlich auf logische Syntax reduziert, treten das in der Grammatik verbundene „Wir“ und das poetische Individuum abstrakt auseinander. Als einzelner strebt er, gegen diese allgemeine Vernunft der Sprache, nach einer ihr gegenüber abstrakt anderen Sprache, nach „gesünderen Begriffen“ eines sich gegen das allgemein Geltende auflehnenden Willens, die aus einer „Perspektive“ gegen die „Kranken-Optik“ und aus der „Fülle und Selbstgewißheit eines reichen Lebens“ gebildet sind und mit gesünderen Werten zusammenhängen sollen. „Ich habe es jetzt in der Hand, ich habe die Hand dafür, Perspektiven umzustellen: erster Grund, weshalb für mich allein vielleicht eine ‚Umwertung der Werte‘ überhaupt möglich ist“56. Er beruft sich auf eine „bei mir verfeinerte“ „Beobachtung selbst“ wie der „Organe der Beobachtung“. An solchen Stellen zeigt sich, wie sehr sich biologistische Argumentationen als letzte Auskunft von der Übernahme des Sprache auf Satzgrammatik reduzierenden Grammatikbegriffs der metaphysischen Tradition her verstehen lassen. Die Spezifizierung von Sprache überhaupt scheint ihm deshalb nur vom Biologischen her möglich, wie sich zeigt, wenn er z. B. die Eigenart der indogermanischen Grammatik „im letzten Grunde“ auf einen „Bann physiologischer Werturteile und RasseBedingungen“57 zurückführen möchte. So wird dann konsequenterweise in diesem extremen Platonismus – der nun aber, im Gegensatz zu dem der Tradition, bewußt als bloßes Schema ohne Wahrheitsintention vollzogen wird – alle Individuation sich nur durch Materie als das einzig mögliche principium individuationis „erklären“ lassen können. Das Individuum wird sich selbst nur als materielle Mutation „der Organe“ „begreifen“ und solipsistisch in diese biologische Metapher verschließen können. Während Kant in der |14| „Kritik der Urteilskraft“ noch distanziert in der allgemeinen Sprache der Vernunft vom Genie als einem nicht unter einen allgemeinen Begriff zu bringenden Phänomen der „Natur“ sprach58, identifiziert sich in Nietzsche das Denken mit Natur. Die idealistische „Selbstbegründung“ 56 EH, SA II, 1071; KGW VI, 3, 264; KSA 6, 266. 57 JGB, SA II, 584; KGW VI, 2, 29; KSA 5, 35. 58 „Als angeborenes produktives Vermögen des Künstlers“, das „selbst zur Natur gehört“ und „durch welche(s) die Natur der Kunst die Regel gibt“: Kant, Kritik der Urteilskraft, § 46.
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„vollendet“ sich in solcher Selbstidentifizierung von Philosoph und Genie. Gegenüber der im Begriff der Satzgrammatik verdinglichten Sprache verdinglicht sich das denkende Subjekt als punktuelle Natur, die sich begrifflos von ihrem Begriff als „Art lebendiger Wesen“ abstößt. In dieser punktuellen Identität sind nun auch die Residuen des Cartesianischen Zweifels, die „notwendigen“ reinen Formen oder die Grammatik tradierter Lehren und nicht nur deren Inhalte in Zweifel gezogen. Descartes’ „ego“ als Residuum leitete sich noch als „Substanz“ davon ab, daß eine notwendige formale Relation „Substanz-Modus“ mit Gewißheit vom zufälligen, faktischen Denken als einem „Modus“ auf die Einheit einer res cogitans verweise59. Dieser Schritt von einem kontingenten Modus zu einer Substanz folgt seiner Form nach dem gleichen Schema wie der Cartesianische Gottesbeweis. Seine Gewißheit gilt als unbezweifelter Denkschritt, als aus sich selbst heraus evidentes, fundamentales Formelement einer damit als absolut verstandenen Methode. Bei Kant wurde diese res schon deutlicher im Gedanken eines nicht dinglichen transzendentalen Subjekts als der Einheit des formalen Vermögens der Bildung von Urteilen gemäß einer der (transzendentalgrammatischen) Regeln zu Urteilen überhaupt aufgehoben. Das „Ich“ Nietzsches meint dagegen weder eine substantielle res noch ein sich als spontan verstehendes „Vermögen“. Seine Selbstgewißheit als die des Genies, das sich als solches denkt, hat als Korrelat das Bewußtsein der Unwahrheit der Grammatik in ihrem Anspruch auf objektive Gültigkeit, einer Unwahrheit, der es gleichwohl unterworfen bleibt. Es ist „denkend“ an sie gehalten, aber es begreift diese Form des „Denkens“ nicht mehr als den eigenen Halt, der ihm Selbstgewißheit und Wahrheit verbürgt. Es ist das ungesicherte Selbstbewußtsein gewagter Überschreitung einer Regel, die durch den gekonnten Gebrauch zugleich überschritten und beachtet bleibt. Es bildet sich das Selbstbewußtsein eines genialen Sprachvermögens, das dem am Urteilsbildungsvermögen orientierten Begriff eines Kantischen Selbstbewußtseins sich begrifflos überlegen fühlt. Gerade in der Reduktion der metaphysischen Topoi auf Grammatik gelten sie |15| zugleich fort. Eine Grammatik erscheint zwar nicht als etwas, das nicht anders sein könnte, aber dennoch ist sie damit noch nicht abzulegen. 59 „Es wird gedacht: folglich gibt es Denkendes“ ist nach Nietzsche „einfach eine Formulierung unserer grammatischen Gewöhnung, welche zu einem Tun einen Täter setzt“. „Auf dem Wege des Cartesius kommt man nicht zu etwas absolut Gewissem, sondern nur zu einem Faktum eines sehr starken Glaubens“ (Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 577; KGW VIII, 2, 215; KSA 12, 549) dem „Glauben“ an die Grammatik, der also auch in diesem Zusammenhang als letzter Grund des Cartesianischen Beweises eines „vollkommenen“ Wesens, das uns nicht täuscht, angesehen wird. Vgl. K. H. Volkmann-Schluck, Leben und Denken, Interpretationen zur Philosophie Nietzsches, Frankfurt am Main 1968, 72ff.
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„Im Grunde ist ja nur der moralische Gott überwunden“60, das Gelten bestimmter Werte mit dem Anspruch ausschließlicher Geltung, nicht aber das formale Schema, demzufolge sich Wertrelationen überhaupt aufdrängen oder als absolut gültig ins Bewußtsein setzen. Nicht überwunden ist der theoretische, ontologische Gott, von dem Nietzsche sagt, er sei nur zugleich mit der Grammatik zu überwinden. Auch die „Umwertung“ der Werte wird weiter werten müssen, nach der gleichen, wenngleich als bloßes Schema durchschauten Struktur. Zwar finden sich Stellen, an denen gefragt wird, ob es denn nicht erlaubt sei, „gegen Subjekt, wie gegen Prädikat und Objekt, nachgerade ein wenig ironisch zu sein“, und ob „sich der Philosoph nicht über die Gläubigkeit an die Grammatik erheben“ dürfe61. Mit dieser Frage ist die moralische Seite selbstverständlich auch schon abgetan, denn niemand wird grammatische Normen im Ernst wie theologisch oder aus Vernunft begründete gelten lassen. Sie sind außermoralisch, und man kann sie in ihrer Genealogie erforschen. Distanzierende Ironie gegen den ihnen blind Folgenden liegt geradezu in ihrem Wesen. An die Grammatik kann man im Ernst nicht „glauben“ wie an Moral oder Vernunft. Aber gerade deshalb kann man sie nicht (und also auch sich selbst nicht im Bezug auf sie) hintergehen. Nach Nietzsche begreift sich „Bewußtsein“, indem es sich als eine nur grammatisch vorgezeichnete Entgegensetzung seiner selbst (als Beurteilung der Dinge) und (ihr „entsprechender“) objektiver Dinge begreift, als bloße Folge dieser „nur“ grammatischen Struktur der Selbsttäuschung, als Bewußtsein (cogito) etwas (res) zu sein62. |16| 60 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 853; KGW VIII, 1, 217; KSA 12, 213. 61 JGB, SA II, 600; KGW VI, 2, 50; KSA 5, 54. 62 Mit diesem Begriff von Bewußtsein wäre dann natürlich auch die Möglichkeit aufgehoben, sich im Ernst durch irgendeinen Bewußtseinsgegenstand noch weiter täuschen zu lassen oder sich durch sein Fürwahrhalten selbst zu täuschen. Die Alternative, ob die Perspektivität des Lebens die „Wahrheit“ der Perspektivität der Grammatik oder die der Grammatik die „Wahrheit“ der des Lebens sei, müßte von hier aus eigentlich ebenfalls gegenstandslos sein. Grammatik stellt sich bei Nietzsche als Struktur dar, die noch jeder Reflexion als Bedingung ihrer Möglichkeit vorausliegt, sowohl der Reflexion auf diese Struktur selbst als auf einen Gegenstand des Bewußtseins als auch der Reflexion auf Relationen zwischen Gegenständen des Bewußtseins, z. B. auf das Verhältnis zwischen „Leben“ und „Bewußtheit“. Das wird deutlich, wenn Nietzsche – hier in Anlehnung an Leibniz – „Bewußtheit“ als „accidens der Vorstellung“ (Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (=FW), SA II, 226; KGW V, 2, 280; KSA 3, 598), also gemäß dem (transzendentalgrammatischen) Schema Substanz-Akzidens bestimmt und ihr damit eigenes „Sein“ abspricht. Begründen als Reduktion von etwas auf anderes folgt bereits, als „Irrthum vom Grunde“, dem „Schematismus des ,Dings‘“ (Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 805; KGW VIII, 3, 253; KSA 13, 459). Die „Tragik“ des Philosophen sieht Nietzsche ja gerade in dem Zwang solcher Begründungen nach dem
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IV. Die vom Ernst des Glaubens an feste Symbole gelöste „tragische“ Ironie kennzeichnet den Wahrheitsbegriff Nietzsches. Auch Begriffe wie „Wahrheit“ und „Irrtum“ werden in ironischer, bzw. selbstironischer Anlehnung an das tradierte Schema der Definition in ein Verhältnis von „Gattung“ und „Art“ gesetzt. „Wahrheit“ wird definiert als „die Art von Irrthum, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte“63. „Wahrheit“ ist eine Spezies zu dem Genus „Irrtum“, und die „spezifische Differenz“ wird durch die Zuordnung zu den Lebensbedingungen einer „Art von lebendigen Wesen“ angegeben. „Wahrheit“ und „Irrtum“, deren Begriffe zunächst Gegensätze sind, werden als Verhältnis von Art und Gattung ausgesagt, so daß nach Regeln der Semantik im Begriff „Wahrheit“ immer der des „Irrtums“ „mitgemeint“ sein müßte. Da etwas hier als äquivalent der Unterart dessen angesehen ist, wovon es zugleich das Gegenteil ist, ist dieser Versuch einer logischen Definition von „Wahrheit“ gescheitert. Der Begriff „Wahrheit“ erweist sich als „widersinnig“, sobald das Schema der Definition auf ihn bezogen wird. Das war zuvor nicht so deutlich, da man traditionell nicht „Wahrheit“ von „Irrtum“ her, sondern „wahres Urteil“ als Art von „Urteil“ definierte, als Differenz zu einem lediglich sinnvollen, weil nach der Grammatik gebildeten „Urteil überhaupt“. Die spezifische Differenz war die „Übereinstimmung“ mit etwas, das nicht Urteil sein sollte. Um die Problematik einer Übereinstimmung von etwas mit etwas, was es nicht sein soll, zu überbrücken, nahm man den Ausweg, wie Schema einer reduktiven Übersetzung nach grammatischen Regeln in „bekanntere Zustände“, d. h. wieder in eine „Sprache …, die das Individuum „versteht“ (ebd.; KGW VIII, 3, 254; KSA 13, 460) und in der es sich, als Bewußtsein, in einer allgemeinverbindlichen Gemeinschafts- und Herden-Natur“ (FW, SA II, 221; KGW V, 2, 274; KSA 3, 592.) hält. „Erkenntnis“ überhaupt, auch die „philosophische“, die nach der „Erkenntniß der Erkenntniß“ fragen zu können glaubt (Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 884; KGW VIII, 1, 272; KSA 12), ist nach Nietzsche „nichts weiter als dies: etwas Fremdes soll auf etwas Bekanntes zurückgeführt werden“ (FW, SA II, 222; KGW V, 2, 276; KSA 3, 594). Verschie|16|dene Namen wie „Leben“ und „Sprache“ gehören zu dieser bekannten „Oberfläche“ (EH, SA II, 1095; KGW VI, 3, 292; KSA 6, 294) des sprachlich getragenen Bewußtseins (FW, SA II, 221; KGW V, 2, 274; KSA 3, 592), wie es sich zugleich mit der Sprache und den sich in ihr niederschlagenden Wertschätzungen gebildet hat, deren „Grund“ in der Dichotomie Leben-Bewußtsein dann, von diesem Bewußtsein her, „Leben“ heißt, als der „unabschätzbare“ Grund aller Wertschätzungen, bei dem das Begründen selbst sich als in einem Irrationalen grundlos zufriedengibt. „Leben“ steht als Metapher für die Einsicht in die Grundlosigkeit des der Grammatik folgenden Begründens. 63 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 844; KGW VII, 3, 226; KSA 11, 506.
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etwa Descartes, in einem „absoluten“ Dritten, dem „deus benignus“, diese „Übereinstimmung“ begründet zu denken, oder man definierte schließlich wie Kant das Urteil seiner transzendentalen Form nach als objektiv gültig, wenn es nur auf „Anschauung überhaupt“ bezogen sei. Diese Bedingung ist dann das „Absolute“, das vom Urteil überhaupt zum Begriff eines wahren Urteils überleitet. Von diesen beiden Problemlösungen steht die zweite Nietzsche sicher näher. Aber Nietzsche will noch über die Kantische Lösung hinaus, in der sich bereits die Funktion „zu urteilen überhaupt“, wie er es nennt: die Grammatik, als Hintergrund des metaphysischen Gottesbegriffs darstellt. Das Vermögen, in Ansehung einer der transzendentalen Regeln der Urteilsbildung über|17|haupt zu urteilen, gelangt von einem solchen „transzendentalen“ Ausgangspunkt aus aber nur bis zum Begriff von einem „transzendentalen“ „Gegenstand überhaupt“. Wenn ein Urteil ein sich auf „Dasein“ beziehendes, konkretes Urteil sein soll, muß noch etwas Spezifizierendes zu der transzendentallogischen Urteilsform hinzu kommen. Vor dem transzendentalen Subjekt als dem Vermögen solcher „Funktionen zu urteilen“ würde sich zugleich mit der Notwendigkeit, die von daher in den Gegenstand hineinkommt, notwendig nur ein „Gegenstand überhaupt“ als immer der gleiche konstituieren, und auch die Auffüllung einer transzendentalen Syntax durch „Beispiele“ „an sich empirischer Begriffe“ läßt „im Prinzip“ immer das Gleiche ewig wiederkehren, von dem gesagt werden muß, wenn es als dieses leere Schema durchschaut ist, daß es niemals eine „absolute Wahrheit“64 berühre. Das Urteilen erfüllt sich zwar erst in diesen „Beispielen“, die aber, als bloße Beispiele, dem transzendentallogischen Begriff von Wahrheit äußerlich bleiben. Die Lehre, daß unter der Herrschaft dieses Begriffs „Alles wiederkehrt“, kann somit als „extremste Annäherung einer Welt des Werdens an die des Seins“65 verstanden werden, wenn „Sein“ als „allgemeinste Relation, die alle Dinge verknüpft“, d. h. ebenso wie das ebenso unspezifiziert allgemeine Wort „Nichtsein“ verstanden ist66. Die Setzung der satzgrammatischen Grundrelation „ist“ zum Inbegriff positiver Erkenntnis „[]präg[t]“ dem „Werden“ als „höchste[m] Wille[n] zur Macht“ „den Charakter des Seins“ auf. – Es ist der „Gipfel der Betrachtung“67, der in dieser Abstraktheit als Inbegriff aller Perspektive 64 Nietzsche, Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen, SA III, 390; KGW III, 2, 339/340; KSA 1, 845/846. 65 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 895; KGW VIII, 1, 320; KSA 12, 312. 66 Nietzsche, Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen, SA III, 390; KGW III, 2, 340; KSA 1, 846. 67 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 895; KGW VIII, 1, 320; KSA 12, 312.
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des Urteilens zugleich ganz leer bleibt und in dem von dem Glauben her, ein Urteil könne überhaupt Form der Wahrheit sein, der Irrtum der spekulativen Satzgrammatik der metaphysischen Tradition genuin enthalten ist. „Wahrheit“ wird sich also in einer (spezifischen) Differenz zu diesem „Irrtum“ ausdrücken müssen. Sie wird dann, solange an dem genannten „Glauben“ festgehalten ist, als „Schein“ oder Abart des leeren transzendentalen Begriffs von Wahrheit, diesem erst „Sinn und Bedeutung“ verleihen müssen. Nietzsche folgt hier diesem Schema der Metaphysik. Wichtig ist dabei die an Hegels „Logik“ erinnernde Bemerkung (in deren weiterem Zusammenhang Hegel auch erwähnt wird)68, daß „Sein“ als allgemeinstes Relationsschema „ebenso wie das Wort ,Nichtsein‘“ die universale, unspezifizierte Relation der Begriffe untereinander bedeutet. Die verknüpften Begriffe stehen auch im Verhältnis des Nichtseins zueinander: einer ist der andere nicht, ist nicht mit ihm identisch, und wenn von aller Besonderheit der einzusetzenden Begriffe abstrahiert wird und nur die allgemeine Satzform bleiben soll, dann fallen in der Tat, solange nicht willentlich der Akzent auf die Verknüpfung besonderer, inhaltlicher Begriffe gelegt wird, „ist“ und „ist nicht“ zusammen. Erst in einer be|18|stimmteren Betrachtungsweise, die dann aber nicht mehr universalgrammatisch sein kann, kann sich das ändern. Es muß mit in die Überlegung aufgenommen worden sein, daß empirische Begriffe so hinzukommen müssen, daß der eine von seiner aber transzendental nicht mehr abzuleitenden Bedeutung, die er in einem Sprachgebrauch angenommen hat, als Gattungsbegriff eines anderen empirischen Begriffs bestimmt ist und das Art-Gattungsverhältnis von diesem Gebrauch her die Nichtidentität dieser Begriffe umfaßt und überbrückt. Solche transzendentallogisch natürlich nicht abzuleitenden Semantikrelationen gehören zur Möglichkeit der Urteilsbildung, und ohne sie bleiben die syntaktischen Satzformen wie Subjekt, Prädikat usw. „ohne Bedeutung“. Da Nietzsche aber am Schema einer „reinen“ Urteilsbildung mit der Einsicht in dessen Unwahrheit zugleich festhält, tritt der konkrete Sprachgebrauch als „Leben“ in einen abstrakten Gegensatz zu einer absurden Definition von Wahrheit, zu der dann der Zusatz hinzutritt, „der Werth für das Leben entscheide[] zuletzt“69. „Leben“ ist dabei der Inbegriff des Perspektivischen der „an sich empirischen“ Begriffe, die nicht aus „reinem“ Verstand als objektiv gültig zu deduzieren sind, die aber als vom Gebrauch abgesonderte der reinen Form erst „Sinn und Bedeutung“ verleihen. Der in diesem Sinn dem „Leben“ entnommene Begriff, der als solcher nicht (syntaktische) Kategorie oder 68 Nietzsche, Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen, SA III, 390; KGW III, 2, 341; KSA 1, 847. 69 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 844; KGW VII, 3, 226; KSA 11, 506.
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Verstandesbegriff ist (also das Gegenteil des reinen Verstandesbegriffs in dieser Dichotomie der Begriffe), wird als Unterart seines Gegenteils angesehen. Das auf (bewegtes) Dasein, auf „Materie“ als das „Bewegliche im Raume“ bezogene wahre Urteil70 muß, in dieser von der Metaphysik in der spekulativen Satzgrammatik vorgezeichneten Betrachtungsweise, als deren konsequenter Ausdruck die Kantische Kritik erscheint, eine Unterart des leeren Urteils sein, so wie der daseiende und bewegte Gegenstand als „Gegenstand“ in dieser Sicht analog zum Begriff eines „Gegenstandes überhaupt“ verstanden werden muß, weil ein Begriff von Wahrheit von den kategorialen Schemata der Urteilsbildung her zu denken ist und Sprache nach dem Modell einer universalen Satzgrammatik gedacht werden muß, insofern sie, als Gegenstand des Bewußtseins, selbst in einer wissenschaftlichen Betrachtung thematisch werden soll71.
V. Mit der paradoxen Figur, Wahrheit als Art von Irrtum zu definieren, formuliert Nietzsche den immanenten Widerspruch der metaphysischen Tradition scharf und extrem. Der Irrtum besteht darin, dem Schema der Bildung aus einem Lebenszusammenhang isolierter Urteile, wie sie in der Grammatik um eines abgegrenzten Gegenstandes willen als „Paradigmen“ erforderlich sind, überhaupt Wahrheitsmög|19|lichkeit zuzuschreiben. Die aristotelische Lehre von der „spezifischen Differenz“ faßt den Satz als Wesensbestimmung so auf, als bedeute das Prädikat im Grunde keine Differenz zum Subjekt. Die Differenz soll nur im Ausdruck und nicht in der (damit dieser Satzvorstellung zugeordnet vorgestellten) Sache liegen. In der Definition soll das Prädikat besagen, was das Subjekt als das Zugrundeliegende von ihm selbst her und in Identität mit sich selbst ist. Eine solche Metaphysik war schon bei Descartes in Frage gestellt. Mit Descartes nimmt das neuzeitliche Denken nicht mehr von einem als vorausliegend gedachten „Wesen“ aus seinen Anfang, sondern beim kontingenten Denkakt als einem bloßen „Modus“, so daß auch nicht mehr gefragt werden kann, ob dieser Modus sich vom Wesen her notwendig ergebe, so, daß von ihm auf die Natur eines Wesens zurückzuschließen sei. Von der Bindung des Modus an eine Substanz ist deshalb nur das Schema geblieben, demzufolge Denken sich unmittelbar als „Modus“ kategorisiert und sich nun allein nach der Semantik der Kategorie „Modus“ einer „Substanz“ als deren „Modus“ zudenkt. Daß ein Satz nur im Kontext und darüberhinaus nur in einem sympragmati70 Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, AA IV, 480. 71 Vgl. hierzu J. Simon, Philosophie und linguistische Theorie, Berlin 1971.
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schen Umfeld eines Lebenszusammenhangs Bedeutung hat, nicht aber allein von einer allgemeinen Form seiner Bildung her, ist mit dieser Reduktion auf das Schema vollends aus dem Blick gekommen. Die dem Gebrauch unlöslich verbundene Semantik inhaltlicher Begriffe ist abgestreift. Denken versteht sich nun ganz von der auf dieser (grammatischen) Basis aufbauenden „Methode“ her. Die entsprechende Notation ist die einer (ungesättigten) Satzfunktion mit einer Leerstelle für einen Subjektbegriff (P(x)). Bei Leibniz heißt es charakteristischerweise, die Differentialrechnung erlaube es, auf diesem Boden funktionalen Denkens dennoch (bewegtes) Dasein zu bestimmen, ohne diese „mathematische Analyse von metaphysischen Streitigkeiten“ „abhängig“ zu machen. Zwar ist die Gleichsetzung des Ausdrucks für eine Größe x, die als „extensive Größe“, so klein sie auch vorgestellt wird, „an sich“ oder vom semantischen Begriff der Extension her immer noch unendlich einteilbar (bestimmbar) sein müßte, mit dem Ausdruck für eine „in sich“ bestimmte „intensive Größe“ (Bewegung) für den Metaphysiker Leibniz eindeutig ein „Irrtum“. Aber dieser „Irrtum“ soll geringer sein als „irgendeine angebbare Größe“. Man kann sagen, er sei in dieser Sprache der Bestimmung von Größen nicht reflektierbar und somit in der dieser Sprache entsprechenden Bestimmungspraxis ohne Bedeutung. In ihrer Sicht verhalten sich „alle Ergebnisse der Geometrie, ja selbst alle Erscheinungen der Natur“ so, „als ob“ die potentiell unendlich kleine Differenz eine vollkommene Realität der Sache oder eine nur noch als Differenz dargestellte Identität wäre. Vor allem „Ruhe“ läßt sich so als „unendlich kleine Bewegung – d. h. als äquivalent einer Unterart ihres Gegenteils – ansehen“72. Auf diese Wendung, ohne die der Fortschritt von Wissenschaft und Technik als gesteigerte Möglichkeit, Realität „in Dienst zu nehmen“, undenkbar wäre, geht |20| Nietzsche im einzelnen nicht ein. Seine Äußerungen zeigen aber an, daß er in die Dimension dieser für ihn zeitgenössischen Ereignisse eines technischen Aufschwungs hineinzuleuchten versucht. Diese, wie er es nennt, „Natur-Vergewaltigung mit Hilfe der Maschinen und der so unbedenklichen Techniker- und Ingenieur-Erfindsamkeit“73 verdankt sich nach ihm zunächst dem asketischen Ideal der Philosophie, demzufolge sie die Sprachkraft des Menschen an den Begriff der Grammatik einer primitiveren, aber deshalb mehr intersubjektive Verbindlichkeit verbürgenden Sprache zurückbindet. So erlangt sie ein „Netz“ von Bestimmungen als Instrument der Macht, als das Denken in eine Richtung ausrichtendes, disziplinierendes Verhaltensschema oder als „Methode“, derzufolge es sich 72 Leibniz an Varignon am 2.2.1702. 73 Nietzsche, Zur Genealogie der Moral (= GM), SA II, 854; KGW VI, 2, 375; KSA 5, 357.
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selbst als das allein dieser Methode folgende Denken zu seinem ersten „gewissen“ Inhalt gewinnt. Da in dieser „Substanz“ nur bestimmt ist, daß sie die des Denkens sei, denn das allein ergab sich aus dem Zugang zu ihr vom kontingenten Denkakt aus, muß es sich um eine unteilbare (einfache) Substanz handeln. Ihr Wesen fällt notwendig mit dem (akzidentellen) Ausgang, mit dem sich in ihr kategorial als Substanz begreifenden Denken zusammen. Damit hebt sie sich von anderen möglichen Denkinhalten ab. Sie ist von ihnen „substantiell“ dadurch unterschieden, daß sie einfach ist, denn alle anderen denkbaren Substanzen haben, ob sie nun wirklich existieren oder nicht, schon von ihrem Begriff her den Unterschied gegen das Denken und damit eine mögliche Nichtidentität gegen die Bestimmung, in der sie gedacht sind, an sich. Sie sind wesentlich Gegenstände fortschreitender (operativer) Bestimmung unbestimmt vieler Bestimmungsdimensionen. Von daher sind sie in einem nur im Denken zu erfassenden, unanschaulichen Sinn ausgedehnt und unendlich weiter bestimmbar. Potentiell bleibt jede an sie herangetragene Bestimmung ihnen gegenüber ein herangetragenes Maß, das der Sache ebenso äußerlich bleibt, wie diese Sache (res) als eine dem Denken gegenüber wesentlich äußerliche bestimmt ist. So gelangt Descartes von der res cogitans als der ersten Gewißheit zum Gedanken einer davon unterschiedenen res, die als ausgedehnt bestimmt ist. Die Reduktion auf diese satzgrammatische Relation bringt zugleich produktiv den Begriff einer res extensa als den dann noch allein möglichen Begriff einer vom Denken unterschiedenen Natur hervor. Mathematische Analysis bezieht sich auf diese zweite Substanz, deren Wesen das unbestimmte Mehr oder Weniger gegenüber einer herangetragenen beliebigen Bestimmung ist. Von daher begreift sich die diesem Wesen angemessene Bestimmung als Messen oder Vergleichen. Descartes löste die Schwierigkeit, wie eine Gewißheit über die objektive Gültigkeit einer messenden oder auf Vergleichen reduzierten Bestimmungsweise einer dem Denken gegenüber wesentlich äußeren Substanz gegeben sein könnte, durch den „Beweis“ vom Dasein eines vollkommenen, das menschliche, d. h. hier: sich selbst als Vollzug des satzgrammatischen Schemas auslegende Denken nicht täuschenden Gottes. Dieser Beweis wiederholt aber im Grunde nur dieses Schema, das |21| schon zur Gewißheit der Existenz der ersten Substanz (des Denkens selbst) führen sollte: Wenn Denken sich als unvollkommene (möglicherweise wahr oder falsch denkende) res versteht, dann hat es in sich auch schon die Idee eines vollkommenen Wesens, und dieses Wesen muß auch existieren, weil die Idee des Vollkommenen ihren Grund nicht in einem Unvollkommenen haben könne. Das Denken seiner selbst als denkende, aber unvollkommen denkende „Substanz“, des von ihm selbst Verschiedenen unter dem Begriff einer ausgedehnten „Substanz“ und schließlich die Idee der Existenz eines vollkommenen Wesens, das die
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objektive Gültigkeit des auf die Idee eines res extensa bezogenen (mathematischen) Bestimmens gewähren soll, sind im Grunde ein und derselbe, sich am Schema der Satzgrammatik orientierende Gedanke, nach dem ein „zufälliges“ Prädikat bei aller inhaltlichen Zufälligkeit doch formal notwendig auf ein Subjekt als auf ein der prädikativen Bestimmung Zugrundeliegendes verweist. Leibniz vermißte in diesem System den Gedanken der wirklichen Differenz der Substanzen. Er durchschaute, daß der Unterschied zwischen res cogitans und res extensa sich nur aus dem Gedanken der Unvollkommenheit der res cogitans ableitet, die sich unmittelbar als bloßen „Modus“ kategorisiert und nur formal als res denkt. Die Differenz zwischen cogitatio und extensio ist bei Leibniz als Schein begriffen, als bloßer Widerschein der cogitatio als eines sich selbst als unvollkommen kategorisierenden Denkens. Die sich auf das Extensionale beziehende mathematische Analysis muß deshalb schon, soweit sie Realität zu bestimmen meint, grundsätzlich ein „Irrtum“ sein. Für vollkommenes Denken käme Extension als Phänomen erst nicht zustande. So kann dann auch ein vollkommenes Wesen als „deus benignus“ ein unvollkommenes nicht so eingerichtet haben, daß es im Bezug auf Extension wahr bestimmte. Die Unvollkommenheit ist damit zuletzt als die des leitenden Schemas erwiesen. Es konnte nur einen leeren Rahmen von Substantialität vorgeben, den ein sich von seinen Inhalten her als unvollkommen denkendes Denken wesentlich nicht ausfüllen kann, so daß es von daher sich in einem noch substantielleren Wesen wiederum begründet denken muß. Nach Nietzsche kommt in dem konsequenteren Denken Spinozas das leitende Schema dann doch noch in der Vorstellung einer absoluten, seienden Substanz als dem einzigen, das noch als Substanz zu denken sei, zu einem ruhenden Ziel74. Nach ihm selbst ist aber das Absolute als der tiefste Grund dieses „Glaubens“ dieses „ewig“ wiederholte Schema selbst, das nur insofern in ein Ziel mündet, als ein Bedürfnis dies setzt. Nietzsches Kritik richtet sich gegen die apriorische Vorstellung eigener Unvollkommenheit, in der Denken sich selbst „reflexiv“ im Spiegel der Satzgrammatik in der Bestimmung denkt, „nur“ „Modus“ zu sein, so daß es sich von daher auch in dem formalen Schritt zu einer „Substanz“ inhaltlich immer noch als defizient denkt und einen von ihm nicht erreichbaren Maßstab „wahren“ Denkens über sich setzt. Die Frage nach einer „objektiven“ Gültigkeit mathe|22|matischer Analysis hat für ihn erst in diesem Vorbegriff des Menschen von sich selbst einen Zusammenhang. Obwohl also für ihn der Ursprung der Frage nach absoluter Wahrheit damit entlarvt ist, hält er es „glücklicherweise“ für „zu spät“, diesen Weg und die eingeschlagene 74 Vgl. Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 459; KGW VII, 3, 280/281; KSA 11, 556f.
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Methode zu revidieren. Ohne den „Glauben“ an ihre objektive Relevanz wäre er nicht eingeschlagen worden75. Jetzt ist er eingefahren und gewährt ein semiotisches System von Gleichungen, die aber deshalb noch nicht auf objektive Zusammenhänge verweisen. Die Einsicht in die Unwahrheit schadet jetzt nicht mehr, und die metaphysische Reflexion erweist sich als schwaches Argument gegenüber dem Nutzen für die Naturbeherrschung. Mathematische Begriffe sind für Nietzsche an sich schon Übertreibungen und sinnvolle Täuschungen (wie z. B. der Begriff einer geraden Linie), und die Infinitesimalrechnung, wie Leibniz sie charakterisiert, gibt eine weitere Dimension der Möglichkeit an die Hand, metaphysische Skrupel in der Lebenspraxis auszuschalten und eine von erkenntnistheoretischer Bedenklichkeit freie „Erfindsamkeit“ der Technik ins Werk zu setzen. Bei Leibniz, einem Exponenten metaphysischen Denkens, wird dieses Resultat eines Bestimmens in der Dimension des „Irrtums“ anders gewertet als bei Nietzsche. Um auf diesen Gegensatz hinweisen zu können, sollten hier diese beiden nicht nur historisch so weit voneinander entfernten Positionen so dargestellt werden, daß sie vergleichbar werden. Für Leibniz wäre es widersinnig, „Wahrheit“ als „Art“ von „Irrtum“ zu bestimmen. Für Nietzsche dagegen ist das setzende Bestimmen im Medium des Phänomenalen genau die Weise des Bestimmens, die in der Sprache der Metaphysik einem „unvollkommenen“ Wesen, in der Sprache Nietzsches dem spezifischen Lebewesen Mensch eigen ist. Für Nietzsche ist diese besondere Art und Weise keine defiziente, sondern eben nur eine besondere und in ihrer Besonderheit dem Menschen angemessene und deshalb auch vollkommene Art. Sie gewinnt den Begriff ihrer Vollkommenheit im Ablegen eines von ihr verschiedenen, „absoluten“ Maßstabes, unter dem sie sich als unvollkommen begreifen müßte. Jeglicher Maßstab ist als gesetzter durchschaut, so daß Bestimmen sich eigentlich von daher auch nur noch als Vergleichen, als in Beziehung Setzen von an sich deshalb noch nicht in Beziehung Stehendem verstehen kann. Als semiotisches Gefüge setzt die Sprache „eine bloße Relation“, aber nichts einer äußeren Realität Adäquates76. Mit der Sprache stellt der Mensch, wie es bei Nietzsche an einer früheren Stelle heißt, „eine eigene Welt neben die andere“77. |23|
75 Vgl. MA I, SA I, 453; KGW IV, 2, 27; KSA 2, 31. 76 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 751; KGW VIII, 3, 95; KSA 13, 303. 77 MA I, SA I, 453; KGW IV, 2, 26; KSA 2, 30.
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VI. An diesem Punkt zeigt sich noch einmal, wie sehr Nietzsche selbst einem bestimmten Sprachbegriff verhaftet bleibt, der im wesentlichen an dem Begriff einer Grammatik der Bildung einzelner Sätze orientiert ist. Hegel hatte bereits mit seinem Begriff des „spekulativen Satzes“ die „gewohnte“, das Denken beherrschende Vorstellung kritisiert, die die Wirklichkeit nach der kategorialen Gliederung von Sätzen in (existierend zugrunde liegendes) Subjekt und (diesem akzidentell zukommendes) Prädikat auslegt und mit dieser Auslegung sich prinzipiell innerhalb der Grenze von Sätzen bewegt78. Auch W. v. Humboldt hatte einen Sprachbegriff kritisiert, der Sprache von der Vorstellung einer solchen Satzgrammatik einerseits und eines Wörterbuchs in ihren Bedeutungen festliegender Wörter andererseits zu verstehen versucht, so daß Wörter in vorgegebenen Bedeutungen entnommen und in syntaktisch-grammatische Strukturen eingesetzt werden könnten. Nach Humboldt liegt die Sprache „nur in der verbundenen Rede, Grammatik und Wörterbuch sind kaum ihrem toten Gerippe vergleichbar“79. In Humboldts Sprachbegriff tritt an die Stelle der Idee einer schematischen universalen Form, die die einzelne sprachliche Erscheinung an einen allgemeineren grammatischen Begriff von dieser Sprache und schließlich von Sprache überhaupt zurückbindet und die somit im Grunde stets die Grammatik einer primitiveren Sprache sein muß als der, die durch sie „erklärt“ werden soll, der Begriff einer energetischen „inneren“ Sprachform der konkreten Einzelsprache, derzufolge Sprache sich über einen jeweiligen Zustand hinaus im „jedesmaligen Sprechen“ gerade differenzieren, einen bisherigen Zustand reflektieren und damit zu neuen Ausdrucksmöglichkeiten fortentwickeln kann80. Sprechen und Verstehen vollziehen sich in diesem Sprachbegriff gerade nicht, wie nach Nietzsche, im Zurückbinden des individuellen Ausdrucks an Gemeinsames, schon Bekanntes eines kollektiven „Bewußtseins“, mit dessen Entwicklung nach Nietzsche die Entwicklung der Sprache „Hand in Hand“ verlaufen muß81. „Übereinstimmung“ ist nach Humboldt immer zugleich auch „Auseinandergehen“. Nach ihm „läßt sich auch nicht behaupten, daß die Sprache, als allgemeines Organ, diese Unterschiede mit 78 Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, ed. J. Hoffmeister, Leipzig 1949, Vorrede, insbesondere 49ff.; GW 9, 42ff. 79 W. von Humboldt, Gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe, ed. A. Leitzmann, Berlin 1903ff., Bd. VI, 147. 80 Vgl. hierzu insbesondere W. v. Humboldt, „Über Denken und Sprechen“, a. a. O., Bd. VII 1, 581ff. und „Über das Entstehen der grammatischen Formen, und ihren Einfluß auf die Ideenentwicklung“, a. a. O., Bd. IV, 285ff. 81 FW, SA II, 221; KGW V, 2, 274; KSA 3, 592.
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einander ausgleicht. Sie baut wohl Brücken von einer Individualität zur andren und vermittelt das gegenseitige Verständnis; den Unterschied selbst aber vergrößert sie eher, da sie durch die Verdeutlichung und Verfeinerung der Begriffe klarer ins |24| Bewußtsein bringt, wie er seine Wurzeln in die ursprüngliche Geistesanlage schlägt“82. Es muß im Rahmen dieses Aufsatzes bei Hinweisen auf einen solchen alternativen Sprach- und Grammatikbegriff bleiben, zumal Nietzsche weder an Hegel noch an Humboldt mit seinem Sprachbegriff anknüpft. Er hält an dem traditionellen Begriff von Grammatik als einem Sprache vergegenständlichenden, also wesentlich auf einen abstrakteren Begriff zurückzuführenden Schema allgemeinen sprachlichen Verhaltens fest. Man könnte sagen, dieser Begriff sei in der Tat, insofern er mit einem „Glauben“ an „die“ Grammatik zusammengebracht wird, ein toter Gott. Der Gedanke, daß gerade die besondere Grammatik einer hoch entwickelten Sprache von einem geschichtlich gewordenen Reichtum ihrer formalen Entwicklung her individuellem Denken einen Raum produktiven Sprachgebrauchs gewähren könnte, bleibt seinem von einer Urgeschichte her erklärten Begriff von Grammatik fremd. Von Humboldt schreibt er nur, er habe einen „Drang nach Erkenntnis“ und „universeller Bildung“ in ihm „angeregt“, und bedauert, daß „diese Richtung“ nicht „so beständig“ gewesen sei wie seine „Zuneigung zur Poesie“83. Grammatische und poetische Dimension der Sprache bleiben für Nietzsche abstrakte, nicht in einem Sprachbegriff, sondern nur im genialen Individuum „praktisch“ zu vereinende Seiten. Die Poesie wird zum begrifflosen, verschlossenen Bereich energetischen und produktiven Sprachgebrauchs. „Der ästhetische Zustand“ wird die „Quelle der Sprachen“84, die dann, Nietzsches Sprach- und Bewußtseinsbegriff zufolge, im Unbewußten und Irrationalen lokalisiert sein muß. Der zentrale Begriff in diesem Zusammenhang ist schon in früheren Schriften der der Metapher, die „an Stelle eines Begriffes“ „vorschwebt“85. Später wird von einem „Trieb“ zur Metaphorik gesprochen, mit dessen Auslöschen man den Menschen selbst „wegrechnen“ würde86. Metaphern sind hier nicht mehr etwas, was „an Stelle“ eines Begriffs vorläufig stehen soll, weil man eine Sache noch nicht begrifflich klar erfaßt habe. Umgekehrt sind Begriffe verfestigte Metaphern. Der Begriff, nach dessen inhaltlicher Bedeutung die Metaphysik erst fragte, nachdem sie ihn zuvor oder a 82 W. v. Humboldt, a. a. O., Bd. VII 1, 169. 83 Nietzsche, Autobiographisches aus den Jahren 1856-1869, SA III, 73. 84 Nietzsche, Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, SA III, 753; KGW VIII, 3, 88; KSA 13, 296. 85 Nietzsche, Die Geburt der Tragödie (= GT), SA I, 51; KGW III, 1, 56; KSA 1, 60. 86 Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge, SA III, 319; KGW III, 2, 381; KSA 1, 887.
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priori schon als einheitlich bedeutenden begriffen hatte, ist für Nietzsche analog zur „Definition“ von Wahrheit als „Art“ von Irrtum, eine „Art“ von Metapher (mit dem Spielraum Null), und wenn eine Metapher aus dem Gesichtspunkt der Logik „etwas Unlogisches“87 ist, dann ist der Begriff als das demgegenüber Logische eine „Art“ des Unlogischen. Seine spezifische Differenz zu diesem seinem „Genus“ ist sein „Hart- und Starr-Werden“, das aber „durchaus nichts für die Notwendigkeit und ausschließliche Berechtigung dieser Metapher“ verbürgen soll88. Die |25| Genesis des Begriffs soll wie die der Grammatik überhaupt im reduktiven Festhalten eines vergangenen Sinnzusammenhangs bestehen, so daß ein Wort „eben nicht für das einmalige ganz und gar individualisierte Urerlebnis, dem es sein Entstehen verdankt, etwa als Erinnerung dienen soll, sondern zugleich für zahllose, mehr oder weniger ähnliche, das heißt streng genommen niemals gleiche, also auf lauter ungleiche Fälle passen muß“89. So entsteht „eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind“90. Die so als „Residuum einer Metapher“91 entstandenen Begriffe bilden insgesamt einen „VernunftBezirk“92, der „in späteren Zeiten“ von der Wissenschaft systematisch ausgebaut wird93. Dieser „Bezirk“ täuscht den Zustand des (diesem Begriff nach reduktiven) „wachen Bewußtseins“ vor. „An sich ist ja der wache Mensch nur durch das starre und regelmäßige Begriffsgespinst darüber im klaren, daß er wache, und kommt eben deshalb mitunter in den Glauben, er träume, wenn jenes Begriffsgespinst einmal durch die Kunst zerrissen wird“94. Wissenschaftliche Innovationen, neue Hypothesen, produktive Erweiterungen sprachlicher Möglichkeiten verdanken sich, diesem Sprachbegriff zufolge, ebenfalls dem „Fundamentaltrieb“ zur Metaphorik, der sich aber, nach demselben Sprachbegriff, jeglicher Reflexion auf ihn entzieht. Denn schon daß er als „Metaphorik“ benannt und identifiziert und damit in eine Opposition zum „begrifflichen“ Denken gebracht wird, ist eine 87 Nietzsche, Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen, SA III, 391; KGW III, 2, 342; KSA 1, 848. 88 Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge, SA III, 317; KGW III, 2, 378; KSA 1, 884. 89 Ebd., SA III, 313; KGW III, 2, 373/374; KSA 1, 879/880. 90 Ebd., SA III, 314; KGW III, 2, 375; KSA 1, 881. 91 Ebd., SA III, 315; KGW III, 2, 376; KSA 1, 882. 92 Ebd., SA III, 316; KGW III, 2, 377; KSA 1, 883. 93 Ebd., SA III, 319; KGW III, 2, 380; KSA 1, 886. 94 Ebd., SA III, 319; KGW III, 2, 381; KSA 1, 887.
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Reflexion in einer ihm eigentlich unangemessenen Sprache des Begriffs. Auch die Charakterisierung der Metapher als Übertragung, Übertreibung usw. nimmt das Schema des Begrifflichen zum Maßstab einer Norm, der gegenüber die Metapher „Übertreibung“ genannt werden kann oder von dem aus gesehen von einem mit dem Trieb zur Metaphorik zusammenhängenden „Hang“ gesprochen wird, „sich täuschen zu lassen“. Wenn von einem „Glück“ die Rede ist, das entsteht, „wenn der Rhapsode ... epische Märchen wie wahr erzählt oder der Schauspieler im Schauspiel den König noch königlicher agiert, als ihn die Wirklichkeit zeigt“95, dann sind die Begriffe „wahr“ und „Wirklichkeit“ hier schon so verwendet, als könnte ein Begriff von einer „adäquaten“ Ausdrucksweise zugrunde gelegt werden. Die Rede über das poetische Reden bindet es an das Schema zurück, aus dem es gerade hinausführen sollte. Die Reflexion der Sprache kann das Schema nicht ablegen. Auch im Versuch, diese Unmöglichkeit zu reflektieren, wiederholt sie es nur. Wir werden nach Nietzsche, indem „wir“ allgemein etwas über den |26| „ganz und gar individualisierten“ Grund der Sprache sagen wollen, darüber eigentlich nichts sagen und nur das Schema leer nachvollziehen können. In diesem Sinne wären dann auch die sogenannten „erkenntnistheoretischen“ Äußerungen Nietzsches zu verstehen. Als „Übertreibung“ charakterisiert er z. B. die mathematischen Begriffe, etwa die Idee eines „vollkommenen“ Kreises. Schließlich müßte die Idee des Vollkommenen überhaupt eine solche „Übertreibung“ sein, insofern es nicht nur in dem Sinne, daß es einem Bedürfnis eines Lebenszusammenhangs genügt, sondern als „an sich“ vollkommen bestimmt sein soll, als „absolute“ Identität zwischen Begriff und begriffenem Dasein. Gegensätze wie „endlich“ und „unendlich“ wären wie alle „vollkommenen“ Dichotomien poetische Sprachfiguren. Alle diese Aussagen hätten aber ihrerseits wiederum nur einen Sinn innerhalb einer insgesamt nichtssagenden Reflexion, die zugleich noch an einem ebenfalls erdichteten Maßstab für adäquates Sprechen festhält. Und schließlich folgte auch diese Feststellung noch einmal dem gleichen Schema, das Sprache grammatisch so interpretiert, als sei sie vom Allgemeinen, von einer allgemeinen grammatischen Kompetenz her vorgegeben und nicht erst von ihrem individuellen Gebrauch her zu verstehen. Das nach Nietzsche nicht abzuwerfende Schema besteht letztlich in diesem tradierten Begriff von Sprache, demzufolge sie sich im Gebrauch formal nicht entwickle und die einzelne, individualisierte sprachliche Erscheinung als im Grunde bedeutungslose Transformation einer apriorischen Grammatik und Semantik zu verstehen sei, so daß sie, von diesem übernommenen Sprachbegriff her, in ihrer ausgeprägten Individualität eigentlich überhaupt nicht zu verstehen 95 Ebd., SA III, 320; KGW III, 2, 382; KSA 1, 888.
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sein dürfte. Da aber die poetische Dimension der Sprache im weitesten Sinn für Nietzsche nicht einfach als bedeutungslos abgetan werden konnte, konnte sie nur noch, in einem abstrakten Gegensatz zu dieser formalen Seite, der naturhaften Punktualität des je einzelnen zugesprochen werden. Aber auch mit einer solchen „Theorie“ des Poetischen ist nichts anderes als ein nochmaliges Durchlaufen des schon zuvor als sinnlos eingesehenen Schemas des verdinglichenden Begründens geschehen. In einem aufschließenden Sinn ist damit, auch Nietzsche zufolge, wiederum nichts gesagt. Während nach Hegel Einsicht in Notwendigkeit in ein Bewußtsein der Freiheit von einer damit jeweils vergegenständlichten „Gestalt des Lebens“ überleitet und das Erkennen einer unwahren historischen Gestalt von Philosophie zumindest diese Gestalt aufhebt, bedeutet nach Nietzsche Einsicht in Unwahrheit gerade die Notwendigkeit, in ihr dennoch zu verharren und die Realität der Absurdität als Schicksal zu bejahen. Das Subjekt identifiziert sich, zumindest als Denken, damit affirmativ mit seiner Vor-Geschichte. Über die in ihr grammatisch vorgezeichneten Denkbahnen hinaus kann es sich selbst nur noch positiv als ein sich dann unbegreiflich bleibendes Leben benennen. Es sieht sich in ihr fixiert und behält, gegenüber diesem verdinglichten Begriff von seiner Sprache und seinem Bewußtsein, sich selbst nur noch als „ganz und gar individualisierte“ und nicht zu reflektierende Natur-Existenz zurück.
Teleologisches Reflektieren und kausales Bestimmen Bruno Liebrucks zum 65. Geburtstag |369| Der Begriff der Teleologie gehört zu den Begriffen, deren Gebrauch leicht zu ausweglosen weltanschaulichen Disputen führt. Das teleologische Denken wird dabei bevorzugt einer unwissenschaftlichen Denkweise zugerechnet. Das hat sicherlich geistesgeschichtliche Gründe. Es wurde, z. B. bei Thomas von Aquin, Ansatz für einen Beweis vom Dasein Gottes, und aus einem Mißverständnis dieses Umstandes wird es auch heute noch zumeist so verstanden, daß in ihm in harmonisierender Absicht eine weise Vorsehung angenommen werde, die die Natur nach ihrem Plan absolut zweckmäßig eingerichtet habe. In dieses Verständnis eines alten philosophischen Topos spielen allerdings eher gewisse popularisierte Vorstellungen einer optimistischen Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts hinein, in deren Zusammenhang dann auch der Terminus „Teleologie“ erst geprägt wurde. Der auf Aristoteles zurückgehende Begriff selbst wie seine Funktion in der Geschichte der Philosophie haben demgegenüber aber eine grundsätzlichere philosophische Bedeutung.
I. Um diesen Begriff aufgreifen zu können, zitiere ich zunächst Thomas: „Videmus enim quod aliqua quae cognitione carent, scilicet corpora naturalia, operantur propter finem: quod apparet ex hoc quod semper aut frequentius eodem modo operantur, ut consequantur id quod est optimum; unde patet quod non a casu, sed ex intentione perveniunt ad finem. Ea autem quae non habent cognitionem non tendunt in finem nisi directa ab aliquo cognoscente et intelligente, sicut sagitta a sagittante. Ergo est aliquid intelligens, a quo omnes res naturales ordinantur ad finem: et hoc dicimus Deum“ (S. th. I. q. 2 a.3).
Zunächst fällt auf, daß diese eng an Aristoteles orientierte Argumentationsweise in einigen Punkten kaum dem entspricht, was heute üblicherweise unter „teleologischem Denken“ verstanden wird: Thomas schließt von der Regelmäßigkeit von Naturvorgängen (eodem modo operantur) auf deren Zweckmäßigkeit (operantur propter finem). Die Zweckmäßigkeit steht damit im Gegensatz zur Unregelmäßigkeit, zur Unordnung als dem an sich Wahr-
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scheinlicheren. Unter dem Begriff der |370| Zweckmäßigkeit wird etwas die Bewegung Steuerndes verstanden, etwas, was ihr selbst innewohnt und sie somit als eine sich je in derselben Art wiederholende identifiziert. Da findet dann in der Natur nicht nur abstrakt Bewegung statt, sondern da bewegt sich etwas. Es bewegt sich nach seinem, d. h. nach einem besonderen, eigenen Gesetz, so daß die Bewegung von daher, als die Bewegung desselben, auch in ihrer Wiederholung als dieselbe Bewegung erkannt werden kann. Sie vollendet sich immer im selben Ziel und kann überhaupt erst von da her als eine bestimmte Bewegung identifiziert werden. Ohne Ziel wäre sie unendlich, im Sinne von wesentlich unabgeschlossen. Man könnte nicht sehen, um was für eine Bewegung es sich handelte. Vielleicht lohnt es sich, bei diesem Gedanken noch zu verweilen. Teleologie meint hier den Begriff der abgeschlossenen Bewegung, die als solche identifiziert und gezählt werden kann. Ohne den so verstandenen Begriff wäre eine Zahl der Bewegung nicht denkbar. Die Vollendung (Entelechie) ist begrifflich, nicht zeitlich zu verstehen. Bei Aristoteles ist bekanntlich die Zeit „Zahl der Bewegung“. Die Bewegung des Zählens ist also als ständige Wiederholung derselben Bewegung aufzufassen. So ist auch das Zählen „bis ins Unendliche“ seinem Begriff nach endlich und als diese Bewegung identifizierbar. In ihrer Vollendung kommt die bestimmte Bewegung jedesmal in ihren Ursprung zurück. Ihr verdankt sie ihre Bestimmtheit als Bewegung. Jede bestimmte Bewegung ist in ihrer Bestimmtheit nur zu verstehen, wenn man versteht, wann sie als abgeschlossen zu verstehen ist. So kann ich eine bestimmte Bewegung vorführen, indem ich zu verstehen gebe, worin sie zum Abschluß kommt und sich zu wiederholen anfängt, insofern sie nicht aufhört und eine ganz andere Bewegung beginnt. Das ist sicher eine ziemlich triviale Einsicht. Aber der aristotelischthomistische Begriff der Teleologie hängt doch offensichtlich damit zusammen, daß man überhaupt von bestimmter oder sich wiederholender und zählbarer Naturbewegung spricht, z. B. von Fallen, Stoßen, aber auch von Atmen, Verdauen, Bauen usw., also von Vorgängen, die man ja als bestimmte Vorgänge identifiziert, die sich wiederholen können. Man wird sich möglicherweise dagegen wehren, daß „Teleologie“ so trivial zu verstehen sei, aber doch vielleicht auch wieder nicht verlangen, daß z. B. Thomas in einer für ihn so zentralen Frage sich auf weit hergeholte Beispiele beruft. So spricht er ganz allgemein von den „Naturkörpern“ (corpora naturalia), d. h. schlechthin von dem, was als bestimmtes, konkretes Seiendes Bewegungen ausführt und nicht in einem allgemeinen undifferenzierten Bewegtsein aufgeht. Ein Ausdruck bei Thomas könnte aber dennoch stören. Er sagt, wir sähen nicht nur solche sich wiederholenden und folglich der Art nach |371| identischen Bewegungen, sondern wir sähen, daß diese Naturkörper „das,
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was das Beste (optimum) ist, verfolgen“. Das bringt aber im Sinne von Thomas nichts Neues. Das Beste ist das Artgemäße. Wir dürfen nicht unsere der popularisierten Aufklärungsphilosophie entstammende Vorstellung von einer perfekt eingerichteten Welt hier hineinlesen und dann Thomas vorwerfen, er habe ja schon in seinen Voraussetzungen die Idee einer wohldurchdachten Welt, um dann von dieser Voraussetzung her die Existenz ihres intelligenten Planers zu erschließen. Vom Besten in diesem Sinne ist in dem zitierten Text keine Rede. Die Rede ist nur von der schon in unserem Sehen, unserer Hinsicht zugrundeliegenden Bestimmtheit der Art, die in allen ihren physischen Zuständen nur sich wiederholt und somit dieselbe bleibt, und solange dieselbe bleibt, als sie sich „gut“ wiederholen kann. Soviel zum Text. Seine Schlußfolgerung soll hier zunächst zurückgestellt werden. Wenn es eine logisch saubere Schlußfolgerung ist, kann sie ja ohnehin nichts Neues mehr ergeben. Wichtig ist, was in den Prämissen gesagt ist. Die erste Prämisse läßt sich so paraphrasieren: Wir sehen nicht nur Bewegung schlechthin, sondern setzen dabei unterschiedliche, also gegeneinander abgegrenzte und folglich in sich identische, sich als solche in vielen Fällen wiederholende Bewegungen voraus. Wir sehen wesentlich in dieser begrifflichen Voraussetzung. Bewegung schlechthin wäre ja die Auflösung aller Bestimmtheit in einem allgemeinen Nebel und folglich nicht zu sehen. Die zweite Prämisse macht nun eine unausgesprochene Präsupposition: Sie unterscheidet zwischen intelligenten und nichtintelligenten Wesen und benutzt die Setzung, daß nicht alle Wesen, die wir sehen, intelligente Wesen seien. Der Begriff der nichtintelligenten Wesen ist dabei so verstanden, daß sie sich ihre Bestimmung nicht selber vorgeben können. Sie können ihre Artbestimmtheit, vermöge derer ihre Bewegungen typische Bewegungen sind, die sich wiederholen, nicht durch sich selbst haben. (Auch die Menschen sind in einer gewissen Hinsicht, nämlich in ihren physischen und vegetativ gesteuerten Bedingungen, nichtintelligente Wesen.) Der erschlossene Gott ist als Ursprung der Artbestimmtheiten oder als Ursprung von bestimmter Bewegung nichtintelligenter Wesen verstanden, als Erklärungshintergrund dafür, daß wir in der Natur bestimmte Bewegungen, also überhaupt Bestimmtes, sehend identifizieren können. Der eigentliche Argumentationspunkt ist also der, daß die Arten sich nicht selbst in ihrer jeweiligen Bestimmtheit hervorbringen und daß die Unterschiede der Arten (von Bewegungen) auch nicht nur, wie der Nominalismus lehrt, vom menschlichen Verstand aus irgendwelchen Gesichtspunkten einer zweckmäßigen Einteilung gesetzt seien. Dabei ist „Art“ nicht nur biologisch zu nehmen. Mit einer Ansicht, alles in der Na|372|tur sei harmonistisch abgestimmt und in einem moralischen Sinne das Beste, hat dieser Argumentationsgang nichts zu tun. Wenn man sagt, „die Natur“ bringe die Arten, also Bestimmtes hervor, so ist das nur ein anderes Wort für das,
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was Thomas „Gott“ zu nennen vorschlägt. Man hat dann aber der Natur genau die „Intelligenz“ zugeschrieben, die Thomas Gott zuschreibt, nämlich das Vermögen der Steuerung der arterhaltenden Prozesse oder, ganz allgemein gesagt – denn Thomas spricht ja nicht nur von lebendigen Wesen – das Vermögen der Steuerung sich wiederholender Bewegungen, der Präsentation von etwas Bestimmtem als einem objektiven Korrelat unserer empirischen Begriffe. Mehr ist in diesem Argumentationsgang mit dem Begriff der Intelligenz nicht zu verbinden, denn mehr ist für ihn nicht erforderlich. Das Bild vom fliegenden Pfeil unterstreicht dies noch einmal: Der Pfeil hat selbst kein Bewußtsein. Er kennt nicht das Ziel seiner Bewegung, d. h.: er hat keinen Begriff ihrer Bestimmtheit als einer sich vollendenden und in ihrer Art wiederholbaren, geformten Bewegung. Es wird eine (nicht unmittelbar zu sehende) Intelligenz des Schützen angenommen, weil bestimmte, sich vollendende Bewegung gesehen wird. Das Argument N. Hartmanns gegen das teleologische Denken, das darauf hinweist, daß zur Zielgerichtetheit immer Bewußtsein gehöre und daß man der unbewußten Natur keine Zielstrebigkeit zusprechen könne, ist hier bei Thomas nicht nur bekannt und anerkannt; es wird sogar ausdrücklich benutzt. Ein anderes, hierhin passendes Beispiel wäre die Spinne, die ihr Netz baut, ohne etwas von Fliegen zu wissen, die sich darin verfangen sollen. Sie vollzieht immer die gleichen geformten Bewegungen, die für Spinnen dieser Art eigentümlich sind, und nicht nur Bewegung schlechthin. Nicht, daß die Spinne ein Netz baut, „damit“ sich Fliegen darin verfangen, ist der Ausgangspunkt, sondern die Beobachtung der arttypischen Bewegung. Die Spinne hat kein Bewußtsein und baut deshalb nicht ein Netz, „damit“ sich Fliegen darin verfangen, aber sie baut doch ein Netz. Sie führt sich wiederholende, identifizierbare Bewegungen bestimmter Art aus, nicht nur beim Netzbau, sondern auch als Atmen, Verdauen usw., und sie wechselt ihren Stoff in einer charakteristischen Form und bleibt dabei sie selbst. – Der Pfeilflug hat die Identität der Form sich wiederholender Pfeilflüge aus der Intelligenz des Schützen. Bei der Spinne ist nur die Identität der Form sich wiederholender Bewegungen zu sehen. Die Frage, mit welchem Recht wir denn hier überhaupt Bewegungen von einer bestimmten Art sehen, die sich folglich wiederholen, d. h. mit welchem Recht wir hier überhaupt Bestimmtes sehen und sich nicht alles in einem Nebel von unbestimmter Bewegung auflöst, wird von Thomas dadurch beantwortet, daß er eine Intelligenz hinter diesen Bewegungen annimmt, die ihnen ihre Form gibt. |373|
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II. Diese Antwort wird in der neuzeitlichen Philosophie als gnoseologische Konstruktion kritisiert. Dabei ging es keineswegs nur um eine Kritik des teleologischen Denkens im engeren Sinn, wie es heute zumeist verstanden wird, sondern um eine wesentlich grundsätzlichere Angelegenheit. Es ging um die kritische Frage, mit welcher Begründung wir überhaupt davon ausgehen können, daß den bestimmten Begriffen, mit denen wir in der Natur konkrete Bestimmungen vornehmen und etwa Vögel von Fischen, generell gesprochen: Bewegungen bestimmter Art voneinander unterscheiden, objektiv auch etwas entspricht. Bei Kant wird das dann als Frage nach einer „Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen“ (Kritik der Urteilskraft, Einleitung, AA V, 184) formuliert. In jeder Handlung, die sich als Erkenntnishandlung versteht, wird eine solche Zweckmäßigkeit der Natur zunächst naiv vorausgesetzt. Das ist auch dann der Fall, wenn es sich um die Vorstellung einer kausal bestimmten Natur handelt. Teleologisches Reflektieren und kausales Bestimmen sind also keine Gegensätze. Das kausale Bestimmen setzt etwas Bestimmtes als Ursache, etwas (anders) Bestimmtes als Wirkung. Es operiert mit vorweg bestimmten Begriffen. Da man im weltanschaulichen Streit um das Prinzip der Teleologie zumeist das teleologische Reflektieren dem kausalen Bestimmen entgegensetzt, muß zur weiteren Klärung zunächst in der gebotenen Knappheit auf den Begriff der Kausalität eingegangen werden. Hier bedeutet bekanntlich Hume einen Einschnitt. Er stellte die Frage, ob nicht die Konstatierung bestimmter Zusammenhänge in der Natur lediglich auf dem subjektiven Prinzip der Gewöhnung beruhe. Der Zweifel richtet sich dabei nicht nur gegen die Annahme einer objektiven causa finalis, sondern gerade gegen die Berechtigung der Annahme einer objektiven causa efficiens. Kant hatte begriffen, daß der Zweifel in der einen Hinsicht ebenso berechtigt sei wie der in der anderen Hinsicht. Dies hat ihn, wie er sagte, aus seinem „dogmatischen Schlummer“ geweckt. Um es nun nicht einfach bei einer dogmatischen Vorliebe für die causa efficiens zu belassen, müssen wir die Rekonstruktion eines Begriffs der objektiven Bedeutung des Kausalitätsbegriffs durch Kant selbst rekonstruieren. Um vom Resultat auszugehen: Kant lehrt, daß eine solche Rekonstruktion nur für den Bereich der Erscheinungen, nicht aber für die „Dinge an sich selbst betrachtet“ gelingt. Die hypothetische Urteilsform „Wenn ... dann“ ist, davon geht Kant aus, eine der Formen des Verstandes oder einer „transzendentalen Grammatik“, in denen wir überhaupt Zusammenhänge der Natur zu denken vermögen. Gegeben ist nach Kant zunächst eine unbestimmte Mannigfaltigkeit als zeitliches Nach- und räumliches Nebeneinander. In |374| die sinnliche Anschauung fällt, nach Kants kritischem Begriff der Anschauung, nur diese „gleichför-
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mige“ Mannigfaltigkeit des Gegebenen überhaupt, nicht aber eine Form des Zusammenhangs zwischen (vorweg) bestimmten Erscheinungen. Nun argumentiert Kant, von diesen Voraussetzungen ausgehend, folgendermaßen: „Ich nehme wahr, daß Erscheinungen aufeinander folgen, d. i. daß ein Zustand der Dinge zu einer Zeit ist, dessen Gegenteil im vorigen Zustand war“. Z. B. ein Eisen, das jetzt 10 mm lang ist, war eben noch nicht 10 mm, sondern z. B. 9,9 mm lang. „Ich verknüpfe also eigentlich zwei Wahrnehmungen in der Zeit. Nun ist“ – der Kantischen Voraussetzung nach, daß ein gleichförmiges, inhaltlich nicht qualifiziertes Mannigfaltiges gegeben sei, d. h. unter kritischer Infragestellung der objektiven Gültigkeit unserer inhaltlich bestimmenden (empirischen) Begriffe, von denen her das eine von seiner „Art“ (Qualität) her als Ursache des anderen begriffen werden könnte – „Verknüpfung kein Werk des bloßen Sinnes und der Anschauung, sondern hier das Produkt eines synthetischen Vermögens der Einbildungskraft … . Diese kann aber gedachte zwei Zustände auf zweierlei Art verbinden, so, daß der eine oder der andere in der Zeit vorausgehe; denn die Zeit kann an sich selbst nicht wahrgenommen“ werden. Somit kann nicht von der Zeit her bestimmt werden, welcher der von mir wahrgenommenen Zustände objektiv vorher und welcher objektiv nachher sei. Ich habe es in der Wahrnehmung also nur mit einer subjektiven Abfolge zu tun. „Damit“, so argumentiert Kant weiter, die Abfolge nun dennoch „als bestimmt erkannt werde, muß das Verhältnis zwischen den beiden Zuständen so gedacht werden, daß dadurch als notwendig bestimmt wird, welcher der beiden vorher, welcher nachher und nicht umgekehrt müsse gesetzt werden. Der Begriff aber, der eine Notwendigkeit der synthetischen Einheit bei sich führt, kann nur ein reiner Verstandesbegriff sein, der nicht in der Wahrnehmung liegt“. Ein Verstandesbegriff, der eine unumkehrbare Reihenfolge der Erscheinungen bedeutet, ist der in der Form des hypothetischen Urteils „Wenn ... dann“ formulierte Begriff des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung. „Also ist nur dadurch, daß wir die Folge der Erscheinungen, mithin alle Veränderung dem Gesetze der Kausalität unterwerfen, selbst Erfahrung“ (von objektiven Zusammenhängen) möglich (Kr. d. r. V., B 233f.). Kausalität ist a priori, weil sie mit dem Begriff möglicher Erfahrung notwendig verknüpft ist. Dies ist der Kantische Beweis der allgemeinen Gültigkeit des Kausalgesetzes. Auch Kant geht also, wie Thomas im Anschluß an Aristoteles, von der sinnlichen Wahrnehmung aus. Wir nehmen Zusammenhänge wahr und beanspruchen die Objektivität dieser Zusammenhänge. Als Philosoph nach Hume läßt Kant aber, anders als Thomas, offen, ob unsere Wahrnehmung diesem Anspruch entsprechend objektiv ist. Deshalb muß |375| die beanspruchte Objektivität begründet werden. Sie kann für Kant nur so begründet werden, daß wir alle Veränderung, die wir beobachten, mit Hilfe der
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„Wenn ... dann“-Form erklären. Nur dadurch projizieren wir Notwendigkeit in die erscheinende Natur. Wir müssen alle beobachteten Veränderungen dem Kausalbegriff unterwerfen, weil wir anders nicht zu einem Begriff der objektiven Gültigkeit unserer Wahrnehmungen kommen. Die Konstatierung finaler Naturzusammenhänge ist in dieser in sich bündigen Argumentation um dieser Bündigkeit willen schon in der Voraussetzung ausgeschlossen. Es war ja davon ausgegangen worden, daß alle schon in der Wahrnehmung liegenden Konkretisierungen nur subjektive Imagination sein könnten. Kant spricht hier von „empirischen“ Begriffen. Sie unterscheiden etwa Vögel von Fischen, generell gesprochen: Bewegungen dieser Art von Bewegungen jener Art. Der kritische Begriff der (Objektivität beanspruchenden) Erfahrung muß darauf aufbauen, daß solche Konkretheiten aufzulösen seien. Seine „Idee“ ist ein universeller kausaler Zusammenhang der einen Natur, die Auflösung des im Prinzip teleologischen Begriffs besonderer Bewegung oder der Arten. Keineswegs kann man sich aber in einem weltanschaulichen Streit zwischen kausalem und finalem Naturbegriff nun auf Kant als Schiedsrichter berufen. Kant klärt nur die Begriffe und offenbart damit die Sinnlosigkeit des Streits. Das zeigt eine genauere Analyse seiner Argumentation: Die erste Frage ist, was überhaupt eine kausale Erklärung ihrer logischen Struktur nach ist. Wir beobachten eine Veränderung: Dieses Eisen da hat sich ausgedehnt, und fragen nun nach der Ursache. Wir fragen nach einem Zusammenhang des vorigen und jetzigen Zustandes in der Form „Warum?“, um zu einem bestimmten Begriff dieser Bewegung zu gelangen. Damit antizipieren wir eine Antwort, die wir uns prinzipiell geben lassen wollen, d. h. bei der wir zu fragen aufhören wollen, wenn sie uns befriedigt. Wir antizipieren also a priori formal die Nennung einer „Ursache“ für diese Bewegung. Denn, so hatte Kant argumentiert, anders kommen wir überhaupt nicht zu einem Begriff der Objektivität. Es bleibt dabei aber der besondere Inhalt der uns wirklich befriedigenden Antwort völlig offen. So kann auf die Frage, warum sich das Eisen ausgedehnt habe, geantwortet werden, es sei erwärmt worden, und diese Antwort befriedigt, insofern auf eine akzeptierte empirische Regel zurückgegriffen werden kann, die besagt, daß Eisen, wenn es erwärmt wird, sich ausdehnt. Das reine Kausalgesetz überhaupt wird, wie dargelegt, nur „für die Natur ... überhaupt (als Gegenstand möglicher Erfahrung)“ „als schlechterdings notwendig erkannt“ (Kr. d. U., a. a. O., 183). Seine Notwendigkeit erfolgt aus dem Bemühen um einen rationalen Begriff der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt. Damit ist natürlich noch gar nichts über die Not|376|wendigkeit des Inhalts gesagt, mit dem die kausale Wenn ... dann-Relation je ausgefüllt ist. Kant formuliert das folgendermaßen: „So ist das Prinzip der Erkenntnis der Körper als Substanzen“, d. h. als Einheit verschiedener Eigenschaften, „und als veränder-
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licher Substanzen“, d. h. als Zusammenhang wechselnder Zustände, „transzendental, wenn dadurch gesagt wird, daß ihre Veränderung eine Ursache haben müsse“. Denn nur so können wir eine notwendige Reihenfolge in der Veränderung denken. Der Begriff der Ursache ist hier rein transzendentallogisch oder rein formal antizipiert. Es ist damit noch überhaupt nichts näheres über das gesagt, was Ursache sein soll. Somit muß es nach Kant „metaphysisch“ bleiben, wenn, wie es natürlich immer nötig ist, weitere Vorstellungen inhaltlicher Art mit dem Begriff der Ursache verbunden werden und z. B. auch nur „gesagt wird“, die „Veränderung müsse eine äußere Ursache haben“. Denn hier ist „der empirische Begriff eines Körpers (als eines beweglichen Dinges im Raum) diesem Satz zum Grunde gelegt“ (Kr. d. U., a. a. O., 181). Daß jede Bewegung, wie im Bezug auf die physische Natur gesagt wird, eine äußere Ursache haben müsse, ist also nach Kant ein Satz, der „gesagt wird“, ohne daß dies durch seinen Beweis von der Transzendentalität oder Durchgängigkeit der Geltung des Kausalgesetzes abgedeckt wäre. Es handelt sich dann im Bezug auf solch einen Inhalt nicht mehr um ein transzendentales, sondern, von diesem inhaltlichen Zusatz zum formalen Ursachebegriff her, um ein empirisches Gesetz. Als empirisches Gesetz dient es zwar als Regel, auf die als Prämisse wir uns beziehen, damit wir unsere Wahrnehmungen „objektiv machen“ können (Kr. d. r. V., B 240), wie z. B. dann, wenn wir einen Zusammenhang zwischen dem Erwärmtwerden von Körpern und dem Sich-Ausdehnen von Körpern setzen. Diese Regel ist aber von ihrem Inhalt her zufällig (so wie das z. B. auch nach Popper für die Herkunft der wissenschaftlich zu überprüfenden Gesetzeshypothesen gilt). Der Begriff eines materiellen Körpers meint etwas, das sich auf eine charakteristische, bestimmte Weise, nämlich „im Raume“ bewegt, etwa im Unterschied zu den (psychischen) Bewegungen eines „denkenden Wesens“, dessen Begriff Kant als Gegenbeispiel zum empirischen Begriff „Materie“ anführt (Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, AA IV, Vorrede). Eine materielle Bewegung ist in einem anderen Sinne Bewegung als ein psychischer Prozeß, und um auch nur die verschiedenen Ansätze der einzelnen einzelwissenschaftlichen Ausrichtungen zu gewinnen, muß in noch reicherer Gliederung von „spezifischverschiedene[n] Naturen“ die Rede sein (Kr. d. U., a. a. O., 183). Obwohl der Verstand in dieser Hinsicht „a priori nichts bestimmen kann, so muß er doch“, um Gesetze im Bezug auf solche „Objekte“, zu erlangen – Kant spricht von „diesen empirischen sogenannten Gesetzen“ –, annehmen, |377| „daß ... nach ihnen eine erkennbare Ordnung der Natur möglich sei“ und „es in ihr eine für uns faßliche Unterordnung von Gattungen und Arten gebe“, und „daß, da für die spezifische Verschiedenheit der Naturwirkungen ebensoviel verschiedene Arten der Kausalität annehmen zu müssen, unserem
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Verstande anfänglich unvermeidlich scheint, sie dennoch unter einer geringen Zahl von Prinzipien stehen mögen, mit deren Aufsuchung wir uns zu beschäftigen haben“ (Kr. d. U., a. a. O., 185; Hervorh. v. Vf.). Die „verschiedenen Arten der Kausalität“ sollen nach Kant zwar der Zahl nach reduziert werden. Das wäre ein Ziel der Wissenschaft auf einen einheitlichen Naturbegriff hin. Die wirkliche völlige Auflösung dieser Verschiedenheiten in einen einzigen kausalen Zusammenhang ist andererseits aber doch unmöglich. Sie löste jede inhaltliche Bestimmtheit im Begriff der Natur auf, so daß die Reduktion von verschiedenen Arten doch auch ihre Grenze hat und nur als Tendenz verstanden werden kann. Mit dem Reden von dermaßen voneinander verschiedenen Naturen oder „Arten“ – diesen Terminus greift Kant expressis verbis auf (ebd.) – sind wir wieder bei der Voraussetzung artgemäßer Bewegungsabläufe und nicht mehr im Transzendentalphilosophischen, sondern im Metaphysischen. Dies alles, also dieses Wechselverhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie in der Begründung von Wissenschaft, ist Kant bewußt und geläufig. Nur ist dieser Aspekt seiner Kritik weniger ins allgemeine Bewußtsein gedrungen. Es handelt sich in dieser Kritik um die Feststellung, daß wir unter den beiden Voraussetzungen, daß 1. keine von uns verschiedene Intelligenz oder von uns nicht nachvollziehbare, „Rationalität“ angenommen werden soll, in der die Bestimmtheit von Bewegungen gründete, aber 2. dennoch ein Begriff von der Objektivität der Begriffe gewonnen werden soll, mit denen wir Zusammenhänge in der Natur konstatieren, einen solchen Begriff nur rein formal gewinnen können. Alle Begriffe inhaltlicher Art bleiben dagegen zufällig, d. h. für uns irrational. „In deren Ansehung“, so heißt es bei Kant, „beurteilen wir die Natureinheit nach empirischen Gesetzen und die Möglichkeit der Einheit der Erfahrung (als Systems nach empirischen Gesetzen) als zufällig“ (Kr. d. U., a. a. O., 183). Jede besondere Naturwissenschaft, z. B. die Physik, die sich mit der Bewegung materieller Körper befaßt, ist natürlich ein „System nach empirischen Gesetzen“. Mit anderen Worten: Wir haben keinen rationalen Begriff von der Wahrheit eines solchen Systems, wenn wir ihn nicht in eine andere Intelligenz als unsere eigene verlegen wollen (vgl. Voraussetzung 1). Es ist Kant auch durchaus bewußt, daß er sich damit in den Bereich teleologischen Denkens zurückversetzt. Denn wenn wir auch keinen erwiesenen Begriff von der Wahrheit solcher Systeme aus empirischen Gesetzen haben, so setzen wir doch eine ihnen entsprechende Einheit in der Natur |378| „notwendig voraus“. Und deshalb „muß die Urteilskraft für ihren eigenen Gebrauch es als Prinzip a priori annehmen, daß das für die menschliche Einsicht Zufällige ... dennoch eine für uns zwar nicht zu ergründende, aber doch denkbare gesetzliche Einheit ... enthalte“. Damit ist eine „Zweckmäßigkeit der Natur“ „für unser Erkenntnisvermögen“ (Kr. d. U., a. a. O.,
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184) gedacht. Und wir sind nach Kant natürlich „erfreut“ (Hervorh. v. Vf.), „wenn wir eine solche systematische Einheit unter bloß empirischen Gesetzen antreffen: ob wir gleich notwendig annehmen mußten, es sei eine solche Einheit, ohne daß wir sie doch einzusehen und zu beweisen vermochten“ (ebd.). Wir freuen uns über den Zufall, wenn empirische Wissenschaft eine systematische Einheit ergibt. Aber es bleibt für uns doch immer ein Zufall, d. h. wir haben keinen Begriff, der ausschlösse, daß solch ein System auch ganz anders sein könnte. Der Begriff der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen bedeutet also folgendes: Wir sind berechtigt, von Bewegungen bestimmter Art, von sich abschließenden, in ihrer charakteristischen Art sich wiederholenden Bewegungen zu sprechen, weil wir überhaupt nicht anders über die Natur sprechen können. Das widerspricht nicht dem Begriff kausaler Naturbestimmung, sondern erfüllt erst inhaltlich deren rein kategorialen Begriff. Und obwohl wir bewiesenermaßen keinen Begriff von der objektiven Gültigkeit oder der diesbezüglichen Vernünftigkeit einer solchen Redeweise haben können, setzen wir doch notwendig die Vernünftigkeit dieses Redens voraus, und wir sind froh, wenn sich diese Voraussetzung dann für uns, wenn auch ohne einen Begriff davon, wieso dies geschieht, und deshalb für uns wesentlich zufällig, zumindest temporär erfüllt. Empirische Wissenschaft ist demnach etwas, das Lust bereitet, auch wenn es ihr an einem transzendentalen Begriff ihrer Wahrheit mangelt. Und in diesem Zusammenhang sprechen wir dann z. B. von einer materiellen Bewegung, die ihren eigenen, man kann sagen artimmanenten, z. B. von den Gesetzen psychischer Bewegungen verschiedenen Gesetzen folge, ohne jemals wissen zu können, ob diese Einteilung überhaupt eine objektive Bedeutung habe oder ob sie sich vielleicht nur historisch so ergeben hat, sozusagen innerhalb eines sehr umfassenden wissenschaftsgeschichtlichen „Paradigmas“ im Sinne von Thomas S. Kuhn. Von Teleologie ist also nicht nur im Bezug auf organische Natur die Rede, sondern im Prinzip schon da, wo von Bewegung von bestimmter Qualität, d. h. von objektiv eine Einheit bildenden Dingen die Rede ist. In der organischen Natur ist uns die Bestimmung von Bewegungsabläufen in sich wiederholender Bestimmtheit nur geläufiger. Hier fällt es in die Augen, daß wir – in einem rigoros kritischen Sinn ohne rationale Berechtigung – die Voraussetzung machen, es gebe in der Natur solche geformten Bewegungsabläufe. Wir müssen sie machen und freuen uns über solche |379| „Zweckmäßigkeiten“, wenn auch mit einem schlechten Gewissen unserer kritischen Rationalität. Kant lehrt uns lediglich, daß unser schlechtes rationales Gewissen sich eigentlich nicht nur auf den organischen Bereich erstrecken müßte, und daß der Zwiespalt eigentlich durch alle Wissenschaften gehe, insofern sie von besonderen Bereichen von Gegenständen handeln. Die teleo-
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logische Urteilskraft ist nach Kant „kein besonderes Vermögen, sondern nur die reflektierende Urteilskraft überhaupt“ (Kr. d. U., a. a. O., 194). Die Urteilskraft ist reflektierend, wenn sie von einem besonderen Gegenstand (oder Gegenstandsbereich, wie z. B. dem der materiellen Körper) ausgehend nach einem allgemeinen Begriff dieses Gegenstandes fragt, im Unterschied zur bestimmenden Urteilskraft, die vom Begriff eines möglichen Erfahrungsgegenstandes überhaupt ausgehend unter diesen Begriff subsumiert und den Gegenstand so konstitutiv bestimmt. Die reflektierende oder teleologische Urteilskraft kann, da sie vom Besonderen ausgeht, „keinen Grundsatz aus dem Begriffe (Hervorh. v. Vf.) der Natur, als Gegenstandes der Erfahrung, für die Befugnis anführen, ihr eine Beziehung auf Zwecke a priori beizulegen …“. Deshalb müssen „viele besondere Erfahrungen angestellt ... werden …, um eine objektive Zweckmäßigkeit an einem gewissen Gegenstande nur empirisch erkennen zu können“ (ebd.). Diese „objektive Zweckmäßigkeit“ ist definiert als „Übereinstimmung seiner Form mit der Möglichkeit des Dinges selbst, nach einem Begriffe von ihm, der vorhergeht und den Grund dieser Form enthält“ (Kr. d. U., a. a. O., 192). Die organische Natur, an deren Beurteilung sich gewöhnlich der weltanschauliche Streit um die Teleologie entzündet, ist in dieser philosophischen Analyse wie schon bei Aristoteles und Thomas v. Aquin nur ein Beispiel (vgl. Kr. d. U., a. a. O., 194: „z. B. ein organisierter Körper“). Es geht in der philosophischen Erörterung um eine viel grundsätzlichere Frage, nämlich darum, daß sich aus einem Begriff möglicher Erfahrung überhaupt zwar keine teleologische Beurteilung rechtfertigen läßt, daß aber andererseits überall da, wo wirkliche Erfahrung sich vollzieht, nolens volens teleologisch geurteilt wird: Denn die wirkliche Erfahrung tritt immer schon mit spezifischen Begriffen wie „materieller Körper“, oder noch spezifischer: „organischer Körper“ usw. an die Natur heran und setzt eine Übereinstimmung der vielen besonderen Erfahrungen mit dem, was analytisch in der Definition solcher „abgesonderten, obzwar an sich empirischen Begriffe“ (Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, a. a. O., Vorrede) liegt, voraus, in einer Voraussetzung, die sich, da sie niemals vom Begriff möglicher Erfahrung abgedeckt ist, immer nur „zufällig“ erfüllen kann. Das Dilemma von kausalem Bestimmen und teleologischem Reflektieren ist das Dilemma von transzendentalem Begriff der Erfahrung und einzelwissenschaftlichen Ansätzen, die vom Begriff her gesehen wesentlich historisch sind, weil ihnen ihre Begriffe vorausliegen. |380|
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III. Bei den Philosophen der Tradition, die sich mit dem Problem der Teleologie beschäftigt haben, stellt sich das Verhältnis von kausalem Bestimmen und teleologischem Reflektieren als Verhältnis von Form und Inhalt, man könnte auch sagen: von Syntax und Semantik dar. Es ist von daher sinnlos, das eine dem anderen entgegenzusetzen. Sie sind aufeinander angewiesen, so, wie in jedem Satz Form und Inhalt aufeinander angewiesen sind. Man kann deshalb auch nicht sagen, bei Kant spiele das kausale Bestimmen in einem absoluten Sinn eine größere Rolle als das teleologische Reflektieren. Nur ist vom ersteren nach Kant ein Begriff von der objektiven Gültigkeit möglich, weil es sich dabei um eine Form und nicht um einen spezifischen Inhalt handelt. Inhalte sind eo ipso spezifisch, gegeneinander abgegrenzt, und somit können sie als diese bestimmten Inhalte nicht im Spiel sein, wenn es um die Konstitution des Gegenstandes überhaupt (des „transzendentalen Gegenstandes“) geht1. Das teleologische Prinzip meint ja gerade nichts anderes als die Spezifizität jedes beliebigen Inhalts, d. h. dessen transzendentale Zufälligkeit. Es bedeutet, daß jeder Inhalt „von sich her“, d. h. nicht vom transzendentalen Subjekt oder, was dasselbe ist, nicht von den Bedingungen der Möglichkeit des Gegenstandes als eines solchen her bestimmt ist. „Von sich her“ meint hier zunächst nur dieses Negative. Wenn man, wie Kant sich einmal abgekürzt ausdrückt, nur verstehen kann, was man machen kann (an Beck am 1. 7. 1794, AA XI, 515) – und dazu muß um eines Begriffs der Objektivität wegen diese Objektivität als solche gehören; wir „machen“ unsere Vorstellungen nach Regeln objektiv – dann gehören die spezifischen Inhalte nicht zu dem, was wir machen können und deshalb auch nicht zu dem, von dessen objektiver Bedeutung wir uns einen Begriff machen können. Wir können nach Kant z. B. keinen Grashalm machen. Ein allgemeineres Beispiel, durchaus im Sinne Kants, wäre die triviale Feststellung, daß wir auch die Materie, d. h. das in einem „obersten“ Spezifikationsbegriff gegen „denkendes Wesen“ Abgegrenzte, nicht „machen“ können. Sie ist, was sie ist; von ihr selbst, d. h. nicht von unserem Erkenntnisvermögen her. Mit anderen Worten: im Bezug auf sie reflektieren wir, genau wie im Bezug auf den Grashalm, teleologisch. Nur daß wir bis hin zum Grashalm noch weitere Spezifikationen durchführen, die aber alle das gleiche negative Prinzip haben: Wir leiten sie nicht aus den Prinzipien unserer Er|381|kenntnis a priori ab, sondern nehmen sie als sprachlich vorgegebenes Einteilungsschema auf. 1
Daß sich bei Kant allerdings auch das Problem einer Auswahl unter den verschiedenen transzendentalen Formen ergibt, sei in diesem Zusammenhang nur angemerkt. Vgl. hierzu vom Vf.: Freiheit und Urteil bei Kant, Akten des 4. Internationalen Kant-Kongresses, Berlin / New York 1974, 141-157.
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Insofern sind sie im Bezug auf ein uns mögliches Prinzip für Objektivität zufällig und nicht von ihm abgedeckt. Daß wir Materie nicht „machen“ können, kann man auch so ausdrücken: Wir haben keine Regel, nach der Materie selbst als von etwas anderem her, d. h. als kausal bewirkt begriffen werden könnte. Das Prinzip der Kausalität bezieht sie nicht in sich ein; es kann nur unter Voraussetzung ihrer Erhaltung (Sätze der Erhaltung von Energie und Masse), also, wie Kant sich ausdrückt, als Kausalität besonderer Art ansetzen. Der („an sich empirische“) Begriff der Materie ist in der Physik als Begriff für etwas sich absolut Erhaltendes, absolut Zweckmäßiges, durch äußere Einwirkung Unauflösliches vorausgesetzt. Er soll hier etwas bedeuten, das nicht selbst, sondern nur in seinen Zuständen als Wirkung aus Ursachen kategorisiert werden kann. So ergibt sich gerade von Kant her eine mit modernen physikalischen Theorien übereinstimmende Bedingtheit des Kausalgesetzes: Im Bezug auf die Materie ist es physikalisch sinnlos, von einem „von außen kommenden Beweger“ zu sprechen (vgl. W. Büchel, Materie, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, München 1973, II, 877 – 887, hier: 886). Das Kausalgesetz gilt zwar absolut, insofern es mit einem kritischen Begriff der Erfahrung überhaupt a priori verknüpft ist, aber eben dieser Begriff selbst ist von der Seite des Inhalts kausaler Bestimmung her an die Voraussetzung von etwas Bestimmtem gehalten, auf das das Kausalgesetz um eines Begriffs solcher Inhalte (als des einzelwissenschaftlichen Apriori bestimmter Erfahrungs- bzw. Wissenschaftsbereiche) willen nicht übergreifen kann. An diesen notwendigen Voraussetzungen von Geltungsbereichen hat „die wissenschaftliche Rationalisierung“ ihre „Schranke“ (Büchel, a. a. O., 884). Der Begriff des Zwecks ist für unser Begreifen von möglicher Objektivität von Begriffen ein negativer Begriff. Er ist das negative Prinzip gegen diese Möglichkeit, also der Inbegriff der von uns nicht als objektiv gültig zu rechtfertigenden Begriffe. Er ist der Inbegriff aller Begriffe, im Bezug auf die wir die Frage, mit welchen Recht wir ihre objektive Gültigkeit voraussetzen, d. h. sie als objektiv gültige Begriffe bei der Bestimmung der Gegenstände unserer Erfahrung verwenden, nicht beantworten können. Da wir eine solche „naive“ Verwendung solcher Begriffe inhaltlicher Art in aller Bestimmung der Gegenstände unserer Erfahrung vornehmen müssen, denn sie sind ja notwendig immer bestimmter bestimmt denn nur als Gegenstand überhaupt, müssen wir auch sagen, sie hätten ihre Bestimmtheit von dem so bestimmten Gegenstand her, d. h. dieser habe eine eigene („vorbegriffliche“) Bestimmtheit. Er halte „sich selbst“ in dieser Bestimmtheit, in der wir ihn voraussetzen, durch. Und dies müssen wir nicht nur von als „lebende“ Gegenstände spezifizierten Gegenständen sagen, |382| sondern auch von Gegenständen, insofern sie im Rahmen einer bestimmten (z. B. einzelwissenschaftlichen) Betrachtung überhaupt gegenüber dem Begriff
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des Gegenstandes „überhaupt“ spezifiziert sind. Wir sagen es eigentlich auch nicht vom lebenden Gegenstand, weil wir ihn als lebenden spezifizieren und unter gerade dieser Voraussetzung, daß er lebe, betrachten, sondern insofern wir ihn, z. B. als Voraussetzung der biologischen Betrachtung, überhaupt als spezifizierten betrachten. Auch der als „materieller“ Gegenstand spezifizierte, also der der Physik, ist als ein sich von sich aus durchhaltender angesetzt. Die „Erhaltungsgesetze“ schreiben dies „axiomatisch“ fest. Wir machen diese Voraussetzung, ob wir nun ausdrücklich von „Zweckmäßigkeit“ sprechen oder nicht. Denn dieser Begriff meint in der philosophischen Reflexion nichts anderes, als daß etwas „von sich aus“, d. h. nicht von unserer Konstitution des Gegenstandes als Gegenstand und nicht von unserem (transzendentalen) Erkenntnisvermögen her, bleibt, als was es vorausgesetzt war. Es ist vorausgesetzt, daß es als das bleibt, als was es in einer Betrachtungsweise, z. B. einer Wissenschaft, von Anfang an oder von den besonderen Ansätzen dieser Betrachtung bzw. Wissenschaft her vorausgesetzt gewesen war. Es ist nicht aus transzendentalen, sondern aus spezifischen Gründen objektiv gemacht. Die transzendentale Begründung ist im Bezug auf (besondere) Inhalte unmöglich. Es ist im Bezug auf eine spezielle Umgangsweise, eine Lebensform oder (nur im Bezug auf eine besondere Lebensform zu verstehende) einzelwissenschaftliche „Anfangsgründe“ als objektiv vorausgesetzt. Dennoch wird man von „Zweckmäßigkeit“ lieber nur im Bezug auf Organismen sprechen wollen. Aber gerade deren „Zweckmäßigkeit“ ist nur bedingt. Nicht nur die Individuen halten sich nicht von ihnen selbst her in ihrer Artbestimmtheit durch und sterben, sondern auch ganze Arten halten dem „Selektionsdruck“ nicht stand. Aristoteles meinte noch, das Sichdurchhalten der Artbestimmtheit voraussetzen zu können. So konnte er den Arten als „infima species“ wirkliches Sein zusprechen. Für den heutigen Stand der Wissenschaften, d. h. in unserer historisch bedingten Situation, ist sicher die Voraussetzung der Identität der Materie das bessere Beispiel für das, was auch, wie gezeigt, Aristoteles und Thomas v. Aquin eigentlich im Sinn hatten. Es ist ja auch im Grunde nicht erst bei Kant, sondern schon bei Aristoteles und Thomas das eigentliche philosophische, d. h. allgemeinste Beispiel dafür, daß die Verallgemeinerung nicht unbegrenzt bis hin zur Aufhebung des Ansatzes bei verschiedenen „Naturen“ in der Idee einer Natur für möglich gehalten ist, weil sich dann die Bestimmtheit des Inhalts als solche, d. h. in Abgrenzung gegen andere Bestimmtheit, ganz auflöste. Ein ebenso gutes philosophisches Beispiel für eine eigene „Art von Kausalität“ wäre nur noch, in Anlehnung an |383| Kant, der Gegenbegriff zu dem der Materie, der des „denkenden Wesens“, oder wie man ihn auch bezeichnen will. Dessen Bedeutung besteht aber, im Gegensatz zu dem der Materie, gerade darin, daß das mit ihm Gemeinte sich nicht als das, als was es anfäng-
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lich vorausgesetzt war, durchhalten soll. Es soll sein „Wesen“ gerade darin haben und sich darin „durchhalten“, daß es sich je gegen den von außen herangetretenen Begriff bestimmen, also frei handeln kann. Aber auch dies ist eine besondere Bestimmtheit des Wesens, von der ausgegangen und die als bleibende vorausgesetzt wird, wenn man von solchen Wesen im Gegensatz zu materiellen Dingen spricht. „Freies Wesen“ ist, ebenso wie „Materie“, eine solche begriffliche Voraussetzung vor möglicher Erfahrung und kein Gegenstand in möglicher Erfahrung. Der empirisch-begriffliche, also nicht rational zu begründende Gegensatz zwischen „freien“ und „materiellen“ Wesen liegt für uns aller Erfahrung voraus als Spezifikation von Inhalten der Erfahrung, und nur die eine Seite, die der Materie, ist dann als etwas sich in der Erfahrung von ihm selbst her Durchhaltendes vorausgesetzt. Die andere Seite ist als etwas vorausgesetzt, das sich von ihm selbst her verändert, also handelt. Es ist, im Gegensatz zu Materie, Subjekt. Die philosophische Reflexion kommt also zu dem Resultat, daß gerade der Inhalt möglicher Erfahrung, der gegen den Begriff denkender (und handelnder) Wesen bestimmt ist, als sich von sich selbst her Durchhaltendes vorausgesetzt sein muß. Während von denkenden Wesen gesagt wird, sie handelten „zwecktätig“, muß von materiellen Wesen gesagt werden, sie seien „zweckmäßig“ im Bezug auf die Erhaltung der Identität, in der sie je (unter Gesetzen) als bestimmt gedacht sind. Der Begriff der Zweckmäßigkeit hat nicht nur im Bezug auf bewußte, handelnde Wesen einen Sinn. Er ist sogar gerade gegen den Begriff der Handlung konzipiert. Das Prinzip, das ihm zugrundegelegt wird, ist ein vom Prinzip der Handlung, der „unberechenbaren“ Selbstbestimmung, verschiedenes Prinzip. Nennen wir das Prinzip der Handlung „unsere Intelligenz“, so ist es ein von „unserer Intelligenz“ verschiedenes Prinzip. Es ist nur negativ gegen „unsere Intelligenz“ oder das Prinzip der Zwecktätigkeit bestimmt. Man kann es daher eine „von unserer Intelligenz verschiedene Intelligenz“ nennen, wenn man den Oberbegriff der Intelligenz beibehalten will. Da wir es aber nur negativ gegen den Begriff „unsere Intelligenz“ bestimmen können, kann man auch auf den Begriff der Intelligenz ganz verzichten (vgl. Kants „Zweckmäßigkeit der Form nach“ oder „ohne [...] Zweck“, Kr. d. U., a. a. O., 200 u. a.). Man kann es ebensogut „Prinzip der Materie“, d. h. einer unserem Machen entzogenen Bestimmtheit, nennen. Dieses Prinzip wird in den Grundsätzen der Erhaltung von Masse und Energie formuliert. Eine ältere Formulierung ist die, daß die Natur keine Sprünge mache. Man kann auch sagen, daß sie als etwas Regelmäßiges vorausgesetzt sei oder als |384| etwas Verläßliches, als objektive Geformtheit. Das sind immer nur andere Formulierungen des Gedankens ihrer Zweckmäßigkeit. Kausalität ist dagegen eine Form unserer Intelligenz in der Beurteilung dieser Natur. Ein Zusammenhang der Form „Wenn a, dann b“ ist wesent-
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lich ein Satz, den wir (hypothetisch) voraussetzen, um im Rückgriff auf ihn eine Erscheinung „b“ „erklären“ zu können. Wir können, wenn wir auf eine Regel dieser Art zurückgreifen können, ohne auch sie wieder begründen zu müssen, auf diese Weise die logische Notwendigkeit eines Schlusses (1. Prämisse: Wenn a, dann b; 2. Prämisse: a; Schlußsatz: b) in unsere Erfahrung projizieren und die Erfahrung dadurch notwendig oder „objektiv machen“. Dies gelingt, wenn wir diese Regel „wenn a, dann b“ nicht selbst begründen müssen, d. h. wenn sie zumindest momentan nicht umstritten ist. Von diesem allgemeinen (apriorischen) Verfahren zum Objektivmachen unserer Erfahrung her haben wir einen allgemeinen Begriff von Erfahrung, also von der Objektivität des Erfahrungsgegenstandes überhaupt. Dem geht aber generell die Voraussetzung von der Objektivität des Materiebegriffes, d. h. der Regelmäßigkeit der Natur unter einem besonderen (empirischen) Begriff (der „Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen“) voraus, ohne daß wir uns der Objektivität dieser Voraussetzung auf irgend eine Weise versichern könnten. Die Voraussetzung der Regelmäßigkeit der Natur unter einem besonderen Begriff, bzw. unter einer Art von Kausalität (im Gegensatz zu der aus Freiheit) ist in der Tat mit der der Zweckmäßigkeit der Natur identisch. Es ist die Voraussetzung, daß etwas aus eigener Natur „dawider ist“, daß wir es so konzipieren können, wie „unsere Intelligenz“ es von ihren gesetzten (bedingten) Zwecken her für zweckmäßig hält. Wir setzen ein Naturprinzip gegen die Zwecktätigkeit unserer eigenen Intelligenz, wenn immer der Begriff objektiver Erkenntnis einen Sinn haben soll. Wir setzen die Negation der absoluten Passivität der Natur gegenüber äußeren, z. B. unseren Zwecken, und es ist eine façon de parler, ob wir dieses Prinzip, das wir „über“ unsere Intelligenz setzen, nun eine von unserer Intelligenz verschiedene „Intelligenz“ nennen wollen. Wie wir es auch nennen wollen, wir meinen etwas, das unserer intelligenten Tätigkeit Grenzen setzt und sie daran hindert, die Natur allein durch ihre bedingten Gesichtspunkte bestimmen zu wollen. Wir meinen eine „Natur der Sache“, nach der unsere Intelligenz sich intelligenterweise zu benehmen habe. Wir meinen eine Natur, die unserem intelligenten Bestimmen eigene Prinzipien entgegensetzt, die ihr eine eigene Identität oder eine von unserer Vorstellung verschiedene Form geben, so daß sie der Inhalt zu den Formen unserer Beurteilung der Natur seien. Ist der Zweck unserer Intelligenz die Erkenntnis, so wird von der als selbst bestimmt vorausgesetzten Natur her dieser Zwecktätigkeit der Erkenntnishandlung eine zweck|385|mäßige Rücksicht auf das Eigene der Natur angesonnen, und diese Rücksicht muß zu der „Rücksicht auf eine Regel“ hinzukommen, mit der allein wir unsere Erfahrung so „objektiv machen“ können, daß damit zugleich ein transzendental-logischer Begriff von Objektivität überhaupt möglich ist. Rücksicht ist aber allein im Bezug auf einen
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in sich selbst zweckmäßigen Zusammenhang sinnvoll. Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur ist also von dem der Naturerkenntnis nicht zu trennen. Wenn von Naturerkenntnis sinnvoll die Rede sein soll, dann muß absolute Zweckmäßigkeit in der Natur, unter welchem empirischen Begriff auch immer, vorausgesetzt sein. Die Zweckmäßigkeit muß absolut sein, weil sonst die Erkenntnis nur relativ wäre. Wie gesagt, ist ein lebender Gegenstand nur bedingt zweckmäßig. Er kann getötet werden und zerfällt im Sterben. Auch Arten gehen unter. Im Bezug auf solche Gegenstände wird das kausale Einwirken äußerer Dinge zu konstatieren sein, das die inhaltliche Bestimmtheit, als die sie zunächst betrachtet werden, objektiv aufhebt. Es bleibt dann im Bezug auf diese Dinge nur die Objektivität dieses kausalen, die „eigenen Naturen“ auflösenden Prozesses. Es bliebe überhaupt nur die Objektivität solcher die Artbestimmtheit überschreitenden Prozesse, d. h. der Tendenz zur allgemeinen Einebnung und damit zur Auflösung jedes inhaltlich bestimmten Erkenntnisgegenstandes, wenn nichts dawider wäre, d. h. wenn nicht etwas Bestimmtes von absoluter Zweckmäßigkeit vorausgesetzt bliebe. Es muß um des vollen Begriffs der Erkenntnis willen vorausgesetzt werden, daß es Gegenstände in einer objektiven Form gibt, die nicht durch äußere Einflüsse aufgelöst werden kann. Das geschieht im Begriff der Materie, insofern in ihm etwas Bestimmtes gedacht ist, das nicht von einem anders Bestimmten her aufgelöst werden kann und über das kein kausal zu erklärender Prozeß mächtig ist: Einer Materie, die ihrem Begriff nach nicht zerdacht werden kann. Man kann sich nicht denken, daß sie ihre Identität, in der sie gesetzt ist, nicht bewahrte. So ist sie (semantisch) in ihrem Begriff verstanden. Das Denken muß mit Begriffen umgehen, die es so versteht, daß es ihren Inhalt nicht wegdenken kann. Es kann keine Regel geben, in Rücksicht auf die man eine Erklärung für die Vernichtung von Materie bzw. Energie geben könnte. Das kausale Erklären muß Schranken haben, solange es als Erkenntnis verstanden werden soll, und in anderen Wissenschaften wird es um der Bestimmtheit des Gegenstandsbereiches willen analoge Begriffe für absolute Zweckmäßigkeiten objektiver Art geben müssen, die man in Analogie zu dem Materiebegriff der Physik als die „Materie“ anders (z. B. weitergehender) spezifizierter Bestimmungsrahmen bezeichnen könnte. (Von Materie in einem absolut gemeinten, „materialistischen“ Sinn zu sprechen, muß von hier aus, nebenbei gesagt, problematisch erscheinen.) |386| Der Unterschied zur vorkritischen Tradition ist lediglich der, daß in der Physik nicht mehr viele Arten, sondern die „Art“ Materie als absolute Zweckmäßigkeit vorausgesetzt ist. Das Gemeinsame besteht darin, daß wir damit im gleichen Sinne, wie es in der Tradition von den Arten angenommen war, eine Zweckmäßigkeit der Natur voraussetzen, weil sonst überhaupt nicht sinnvoll von Erkenntnis die Rede sein könnte. Wenn auch der Sprach-
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gebrauch das Wort „Zweckmäßigkeit“ lieber nur in Zusammenhang mit den Arten der belebten Natur verwendet, so ist doch die Gedanken- und Argumentationsstruktur, d. h. der hinter diesem Wort stehende philosophische Begriff derselbe unverzichtbare Begriff.
IV. Die Redeweise vom teleologischen „Urteil“ suggeriert, das teleologische Reflektieren sei von der gleichen Formalität wie das kausale Bestimmen. Es könne sich zu diesem also nicht wie der Inhalt zur Form verhalten. „Damit“ oder „um zu“ seien so gut formale Konjunktionen wie „weil“ oder „wenn … dann“. Der fundamentale Unterschied liegt aber darin, daß die hypothetische Urteilsform „wenn ... dann“ Sätze so miteinander verknüpft, daß der Wahrheitswert des einen Satzes von dem des anderen abhängen soll. Darin besteht ihre Formalität. In dem Satz „Spinnen bauen Netze, um Fliegen zu fangen“ ist das nicht der Fall. „Um“ hat hier durchaus inhaltlich-semantische Funktion. Es verweist auf eine nähere Erläuterung zum Inhalt des Prädikats des Satzes „Spinnen bauen Netze“. Dieses „Bauen“ wird als bedingt zweckmäßiger Vorgang oder als vom „Zweck“ verschiedenes „Mittel“ interpretiert. Dem Bauen wird ein Sinn im Bezug auf das Leben der Spinne, d. h. auf die Erhaltung dieser Art zugesprochen, obwohl diese Tätigkeit sehr wohl auch z. B. zur Entdeckung der Spinne beim Hausputz und damit zu ihrem Tode führen kann, so wie überhaupt gewisse Spezialisierungen unter veränderten Bedingungen sich auch für ganze Arten als sehr unzweckmäßig erweisen können. (Der Gesichtspunkt einer wissenschaftlichen Betrachtung unter Voraussetzung solcher bedingten Zweckmäßigkeiten kann prinzipiell in eine umfassendere Betrachtung übergehen: die biologische z. B. in die chemische oder physikalische Betrachtung. Entsprechend löst sich die „Materie“ dieser Wissenschaften in der „Materie“ der umfassenderen Betrachtungsweise auf.) „Um zu“ und „damit“ scheinen überhaupt in unserer Sprache vornehmlich Wendungen zum Ausdruck bedingter Zweckmäßigkeit (von Zweck-Mittelrelationen) zu sein. Sie werden ja ebenfalls zum Ausdruck der Zwecktätigkeit verwandt („Er nahm die Medizin, um gesund zu werden“), deren ausgemachte Zweckmäßigkeit gerade nicht behauptet werden soll. Es können ja auch ungeeignete Mittel ausgewählt werden. Die |387| genannten Konjunktionen drücken lediglich aus, daß etwas als Mittel im Bezug auf etwas anderes als Zweck angesehen oder gewählt worden sei, nicht aber, daß dies unbedingt oder überhaupt zweckmäßig sei. Eine bedingte natürliche Zweckmäßigkeit ist immer in Analogie zur bedingt zweckmäßigen menschlichen Zwecktätigkeit betrachtet, obwohl die Organisation des Lebens, „genau zu reden“, „nichts
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Analogisches mit irgendeiner Kausalität“ hat, „die wir kennen“, weder mit der mechanistischen, von deren alleiniger Geltung sie ja abgehoben werden soll, noch mit der aus Freiheit. Aber wir müssen doch „zu der Faßlichkeit für die menschliche Urteilskraft“ solch eine (uns unbekannte) Art von Kausalität in Analogie zu einer uns bekannten voraussetzen (Kant, Kr. d. U., a. a. O., § 61 bzw. § 65). Die philosophische Frage einer objektiven Zweckmäßigkeit kann also nicht anhand von Beispielen dieser Form diskutiert werden, da ja nichts dawider ist, daß man irgendetwas objektiv Unzweckmäßiges als Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zweckes ansieht, der, als bestimmter, d. h. gesetzter Zweck selbst wiederum im Bezug auf einen absoluten Zweck nur Mittel ist. Er wird selbst nur in Relation zu einem von ihm verschiedenen weiteren Zweck gesetzt (Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik, ed. Lasson, II, 405; GW 12, 171f.). Dies gilt generell für die Struktur gesetzter Zwecke, d. h. für die Struktur der (subjektiven) Zwecktätigkeit bewußter Wesen, die wesentlich nur bedingt zweckmäßig sein kann, und es gilt für die objektive Zweckmäßigkeit, insofern sie in Analogie zu dieser Zwecktätigkeit, also „anthropomorph“ als subjektive betrachtet ist. Dabei können sich diese im Zusammenhang der Zwecktätigkeit des Erkennens als objektiv vorausgesetzten Zweckmäßigkeiten, bei denen einzelne Wissenschaften als bei einer bestimmten „Art“ von Materie jeweils ansetzen, im einzelnen immer auch irgendwann als selbst unzweckmäßige Voraussetzungen erweisen. In der philosophischen Reflexion der objektiven Zweckmäßigkeit wurde dagegen immer ein ontologischer2 Zusammenhang gemeint, der das Selbstsein von etwas überhaupt bedeuten sollte. Deshalb war ja auch eine „absolute“ Intelligenz im Bezug auf solche Voraussetzungen von „substantiellen Formen“ bzw. „Naturen“ vorausge|388|setzt, im ausdrücklichen Unterschied zu unserer Intelligenz, die auch in ihren Voraussetzungen objektiver Zweckmäßigkeit im einzelnen unzweckmäßig zwecktätig sein kann, und, wenn sie überhaupt zweckmäßig zwecktätig ist, nur bedingt zweckmäßig sein kann. In der Vorstellung einer absoluten Intelli2
Der Begriff des „ontologischen Prädikats“ wird bei Kant allerdings nur für den reinen Verstandesbegriff verwandt (Kr. d. U., a. a. O., 181). „Ontologie“ ist hierbei die transzendentale, überregionale Ontologie als Lehre vom Gegenstand als Gegenstand oder von „Natur überhaupt“ (Kr. d. U., a. a. O., 182), während Begriffe wie „materiell“, „belebt“ usw. als Prädikate einer „regionalen Ontologie“ gelten können, aber doch so, daß diese „regionalontologischen“ Prädikate nicht, als deren „weitere“ Gliederungen, „unter“ die transzendentalogischen fallen, sondern diesen als mögliche Inhalte so vorauszusetzen sind, daß die transzendentalontologischen im Bezug auf solche regional-ontologischen Prädikate überhaupt erst Bedeutung erlangen. Der Begriff des Ontologischen erhält damit jeweils seinen Sinn von den begrifflichen, letztlich also sprachlichen Rahmenbedingungen der wissenschaftlichen oder außerwissenschaftlichen „Ansichten“ her.
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genz ist dagegen die Differenz von Zweck und Mittel im Grunde überholt. Man kann im Bezug auf sie nicht sagen, zu welchem Zweck welche Mittel „gewählt“ seien, sondern nur im Interesse eines Begriffs von objektiver Erkenntnis überhaupt ein Daß von Zweckmäßigkeit der Natur überhaupt (Zweckmäßigkeit ohne – für uns ersichtlichen – Zweck) voraussetzen. Das objektive Korrelat hierzu wäre dann die letzte Materie. Man kann somit natürlich auch nicht sagen, „mit welchen Mitteln“ diese Materie erhalten werde bzw. so beschaffen sei, daß sie „sich“ erhalten könne. Alle speziellen Zweckmäßigkeiten können sich irgendwann einmal als unzweckmäßig erweisen und folglich auflösen. Das Prinzip kausalen Bestimmens kann ihre „Art“ übergreifen. Aber die Voraussetzung der objektiven Relevanz spezifizierender, d. h. inhaltlicher Begriffe überhaupt ist – gerade für die Möglichkeit der Anwendung kausalen Bestimmens – unverzichtbar und wird davon nicht tangiert. Unsere Intelligenz muß also wesentlich um ihres Begriffs von Erkenntnis willen eine Zweckmäßigkeit voraussetzen, die die von ihr einsehbaren und deshalb von ihr (zufällig) als zweckmäßig konstatierten Zweckmäßigkeitszusammenhänge übersteigt. Es bestätigt sich hier noch einmal die Einsicht Kants in die wesentliche Begriffslosigkeit dieser notwendigen Voraussetzung, und es bestätigt sich, daß der philosophische Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur in seinen jeweiligen Beispielen zur Exemplifizierung des Unterschieds von bedingter und absoluter Zweckmäßigkeit selbst (wissenschaftshistorisch usw.) bedingt ist. Der Begriff absoluter Zweckmäßigkeit selbst, so wie er bei Aristoteles, Thomas oder Kant verstanden war, ist aber unverzichtbar.
Begriff und Beispiel Zur Aporie einer Philosophie und Systematik der Wissenschaften, dargestellt am Wissenschaftsbegriff Kants I. |269| Die Wissenschaftsphilosophie der Gegenwart befindet sich in einer eigentümlichen Lage. Auf der einen Seite muß sie bemüht sein, dem zu entsprechen, was in den einzelnen Wissenschaften tatsächlich geschieht. Physik zum Beispiel ist zunächst vom wirklichen Tun der Physiker her zu verstehen, und eine Theorie der Physik muß von diesem Tun her überprüfbar sein. Auf der anderen Seite beansprucht eine Philosophie der Wissenschaften, im Bemühen um einen Begriff von diesem Tun und seinen Möglichkeiten sowie seinen möglichen Folgen kritisch in das Selbstverständnis der Wissenschaften einzugreifen. Der Sinn eines solchen kritischen Eingriffs könnte dann schließlich nur in der Absicht einer Einwirkung auf dieses Tun selbst bestehen. Diese Schwierigkeit wird noch verstärkt durch den Sachverhalt, daß das einzelwissenschaftliche Wissen der Philosophen nur in seltenen Fällen ausreicht, um der zuerst genannten Anforderung einer adäquaten Beschreibung wissenschaftlichen Tuns gerecht werden zu können. In günstigen Fällen sind die schematisierten Vorstellungen von der Wirklichkeit der Wissenschaft an noch nicht allzusehr überholten Verhältnissen orientiert. Zwangsläufig wird aber der Begriff der Wissenschaft hinter der wissenschaftlichen Entwicklung herlaufen. Er kommt damit für die philosophische Absicht einer Kritik im Sinne einer Reflexion möglicher Relevanz dieses Tuns für humane Lebensinteressen zu spät, selbst dann, wenn die Absicht einer solchen Kritik nur in der Feststellung dessen bestehen sollte, was wirklich ist. Die Folge ist, daß ein schiefes Verhältnis zwischen kritischer Absicht und kritisiertem Gegenstand entsteht, so daß von den Wissenschaften mit Recht die Frage gestellt wird, wovon denn überhaupt die Rede sei. Zu diesen Schwierigkeiten kommt die Verlegenheit um einen allgemeinen Wissenschaftsbegriff hinzu, der als Rahmenbegriff all solchen Überlegungen vorangesetzt werden könnte, als Bestimmung dessen, was überhaupt mit
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„Wissenschaft“ gemeint ist. Die Frage nach einem solchen allgemeinen Wissenschaftsbegriff betrifft das Problem der Einheit der Wissenschaften. Gibt es eine solche Einheit, der |270| gegenüber die Einzelwissenschaften dann Abarten wären, oder bezeichnet der Ausdruck „Wissenschaft“ nur eine gewisse „Familienähnlichkeit“ der mit ihm belegten Verhaltensweisen, derart, daß wohl jedes Glied dieser Familie mit einem oder einigen anderen, aber nicht jedes mit jedem verwandt zu sein hätte? Mit dieser Frage hängt unter anderem die Frage nach dem Verhältnis zwischen Natur- und sogenannten Geisteswissenschaften, auch im Sinne einer Rangfolge hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit der Wissenschaften, zusammen. Schließlich werden die einschlägigen Diskussionen durch ein ungeklärtes Verhältnis zur philosophischen Tradition belastet. Da alle „metawissenschaftliche“ Reflexion gegenüber den im Zusammenhang mit der Entwicklung der Einzelwissenschaften ausgebildeten Wissenschaftssprachen einer zusätzlichen sprachlichen Dimension bedarf, wird man mehr oder weniger bewußt auf die Sprache zurückgreifen, in der solche Reflexionen sich traditionell vollzogen haben und die sich im Zusammenhang mit solchen Reflexionen ausgebildet hat, auf die Sprache der philosophischen Tradition. Man wird dieser Sprache und den mit ihr zusammenhängenden Denkhaltungen um so mehr verhaftet bleiben, je weniger dieser Umstand explizit ins Bewußtsein gehoben wird. Hier liegt ein fast unvermeidbarer Grund der Entfremdung einer möglichen Wissenschaftsphilosophie von ihrem Gegenstand. Wird etwa der Begriff möglicher Erkenntnis in ihr allgemein diskutiert, so wird seitens der Wissenschaften entgegnet werden, daß in ihnen das jeweilige Tun sich selbst so nicht verstehe, wenn es sich als Erkennen versteht, und es wird auf bewährte Ergebnisse der Forschung verwiesen, die, gemessen an dem Begriff möglicher Erkenntnis, keine Erkenntnis sein dürften. Damit diskutiert werden kann, ob es sich hier nur um sprachliche, aber prinzipiell überwindbare Schwierigkeiten handelt, die etwa mit einer gewissen Verspätung in der Fortentwicklung der philosophischen Reflexionssprachen zusammenhängen, oder ob nicht etwa doch die vermeintliche Verspätung die Bewahrung eines kritischen Ansatzes gegenüber einer durch allgemeine Vernunft nicht mehr gedeckten instrumentellen Rationalität bedeutet, müßte die tradierte Reflexionssprache noch einmal auf ihren Sinnzusammenhang hin untersucht und dargestellt werden. Als Alternative dazu könnte sich nur noch anbieten, diese Reflexion einfach zu unterlassen. Aber damit wäre doch wohl die Möglichkeit einer Reflexion des Wissenschaftsbetriebs überhaupt preisgegeben. Auf tradierte Sprache ist alle Reflexion angewiesen. Es fragt sich nur, ob sie sich schlicht damit auch tradierten Denkbahnen ausliefert oder auch diese ihre Angewiesenheit noch einmal, als Reflexion der Reflexion, kritisch bedenkt.
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II. Wenn es um einen Erkenntnis- und Wissenschaftsbegriff geht, fällt gemeinhin der Name Kants. Selbst moderne Wissenschaftstheoretiker wie Popper und neuerdings auch Lorenzen versuchen modifizierend an Kant anzuknüpfen oder doch die |271| eigene Position im Verhältnis zu Kant zu bestimmen. Über das in modernen Diskussionen vielfältig gebrauchte Wort des „Transzendentalen“ sollen sich sogar Verbindungen zwischen Kant und Wittgenstein ergeben, den Stenius deshalb einen Kantianischen Philosophen genannt hat. Dieser Aktualität wegen, aber doch vor allem aus aufzuzeigenden systematischen Gründen könnten Bemerkungen zu den Kantischen Begriffen von Erkenntnis und Wissenschaft, wie sie im folgenden versucht werden, klärend wirken. Ein Hauptmißverständnis liegt möglicherweise in der Geschichte der Kantrezeption begründet. In deren Verlauf stand Kants Hauptwerk, die Kritik der reinen Vernunft, so sehr im Vordergrund, daß man sich auch in der Diskussion des Wissenschaftsbegriffs allzusehr nur auf dieses Werk bezog. Dabei wird der Wissenschaftsbegriff im vollen Sinne erst in der Vorrede zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft gegeben. Die Kritik entwickelt als „Propädeutik (Vorübung)“ nur Begriffe vom „Vermögen der Vernunft in Ansehung aller reinen Erkenntnis a priori“. Damit unterscheidet sie sich von dem „System der reinen Vernunft (Wissenschaft)“, das „die ganze (wahre sowohl als scheinbare) philosophische Erkenntnis aus reiner Vernunft im systematischen Zusammenhange“ darstellt. Dieses System trägt bei Kant den Namen „Metaphysik“ (B 869)1. Diese Nomenklatur ist zunächst in gegenwärtigen Diskussionen in vertrautere Begriffe zu übersetzen, so daß über emotionale Barrieren hinweg ihre sachliche Bedeutung vernehmbar wird. Vor allem gilt das für das Wort „Metaphysik“, das in diesem Zusammenhang am besten zunächst nur als allgemeine Bezeichnung für sich „rein in Begriffen“ bewegende Operationen verstanden wird. Die „metaphysischen Anfangsgründe“ einer Wissenschaft bedeuten dann deren rein begrifflichen Rahmen im Unterschied zum empirischen Teil. Da Kant die Notwendigkeit eines solchen Rahmens der Wissenschaften erkannt hatte, ergab sich für ihn die kritische Fragestellung, inwieweit ein solcher Rahmen, der sich ja nicht nur aus einer Ansammlung von Begriffen, sondern aus deren Verbindung zu Urteilen zusammensetzt, in sich schon Erkenntnis enthalten könne, d. h. ob es ein rationales Kriterium dafür geben könne, ob diese protowissenschaftlichen Urteile wahr sind. Ohne diese kritische Reflexion könnten sich dogmatische Vorentscheidungen 1
Die Kritik der reinen Vernunft wird nur mit A (erste Auflage) und B (zweite Auflage) zitiert.
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oder Vorurteile schon im Rahmen einnisten. So stellt sich die Frage nach der noch nicht empirischen Urteilsmöglichkeit „rein aus Begriffen“ oder die Frage nach der Möglichkeit von „synthetischen Urteilen a priori“. Diese Frage behandelt die Kritik als propädeutische Untersuchung oder als Vorfrage. Wie die Antwort auf diese kritische Vorfrage auch ausfallen mag, d. h. ob nun ein rationaler Begriff von der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori gelingt oder nicht, solche Urteile müssen in der Wissenschaft als protowissenschaftlicher Rahmen vorausgesetzt werden, denn anders ist eine Wissenschaft kein „System“, d. h. überhaupt keine Einheit. Nur in diesem Zusammenhang ist es verständlich, daß Kant von einem |272| System als von der ganzen, d. h. wahren sowohl als scheinbaren (philosophischen, d. h. hier: rein begrifflich gefaßten) Wissenschaft spricht. Daraus ist festzuhalten: Insoweit die Wissenschaft oder auch eine Wissenschaft überhaupt eine oder ein bestimmbares System ist, ist über die Wahrheit der ihren Rahmen bestimmenden Grundbegriffe und Grundsätze noch nicht entschieden, und die Notwendigkeit, solche Grundbegriffe und Grundsätze vorauszusetzen, hängt nicht mit der Frage zusammen, ob synthetische Urteile a priori in objektiver Gültigkeit möglich sind oder nicht. Wirklich sind sie in jeder systematischen Wissenschaft, nur daß eine Wissenschaft wegen der offenen Frage nach der Möglichkeit ihrer objektiven Gültigkeit möglicherweise von diesem protowissenschaftlichen Ansatz her trotz innerer Systematik „scheinbare“ Wissenschaft ist, d. h. dem Begriff wahren Wissens nicht entspricht. Den Kantischen Wissenschaftsbegriff durchzieht von Anfang an die Polarität zwischen den Bedingungen von Systematik und wahrer Erkenntnis. Beides gilt es im Begriff von Wissenschaft zusammenzubringen. Es soll zu zeigen versucht werden, daß Kant sich über die Problematik dieser Anstrengung völlig im klaren war und daß seine Philosophie hier lediglich eine Aporie aufzeigen kann. Daraus wird verständlich, daß die „Propädeutik“ das Hauptwerk geblieben ist. Die Frage kann jetzt als Frage nach den Bedingungen dafür formuliert werden, wie Wissenschaft zugleich eine, also ein System, und wahre Erkenntnis sein kann. Angesichts der Unmöglichkeit induktiver Schlüsse aus der Empirie kann der Einheitscharakter einer Wissenschaft oder auch allen Wissens überhaupt nur vom a priori angesetzten begrifflichen Gefüge her kommen. Aus Begriffen allein kann aber nichts erkannt werden. Aus der sich stellenden Problemlage heraus ergibt sich notwendig die propädeutische Vorfrage, im Bezug auf welche Begriffe denn überhaupt gedacht werden kann, daß sie wenigstens auf mögliche Erfahrung und nur auf mögliche Erfahrung hin konzipiert sind, statt sich an die Stelle der Erfahrung zu setzen. Diese Frage erweitert sich von einer solchen Kritik der Begriffe zu einer Kritik der (protowissenschaftlichen) Grundsätze. Ihre Aufgabe besteht in
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der kritischen Unterscheidung von Grundsätzen, unter deren Voraussetzung Erfahrung überhaupt als möglich gedacht werden kann, und anderen Grundsätzen, die sich zwar im Sinne systematischer Vollständigkeit ergeben, die aber nur zum Schein einer solchen Vollständigkeit hinsichtlich eines besonderen Gegenstandsgebiets erforderlich sind.
III. Der Schein gehört bei Kant so notwendig zur Wissenschaft wie die Wahrheit, weil „systematische Einheit dasjenige ist, was gemeine Erkenntnis allererst zur Wissenschaft“ macht, und so ist „Architektonik die Lehre des Scientifischen in unserer Erkenntnis überhaupt“ (B 860). Diese Dimension deutet in eine andere Richtung als in die der (in sich endlosen) Erfahrung. Sie dient der Gewinnung |273| einer einheitlichen Theorie, die aus der Erfahrung nicht unmittelbar folgen kann, und bleibt daher, wenn sie auch notwendig zum Begriff der Wissenschaft gehört, „Metaphysik“, die von der Kritik nicht „überwunden“, sondern nur in ihrem Stellenwert bestimmt werden kann. Sie gehört zur Wissen-schaft, auch wenn sie sich nicht a priori als erfahrungsbezogenes Wissen ausweisen kann. Kritisches Wissen besteht darum im Bewußtsein der Notwendigkeit des Scheins, der vom einheitlichen, eine Wissenschaft umreißenden Ansatz her in die Wissenschaft hineinkommt. Die Kritik besteht in der Grenzziehung zwischen diesem notwendigen Schein, der um des Systems willen entsteht, und den auf mögliche Erfahrung bezogenen Grundsätzen. Ihre Aufgabe besteht in der Bestimmung der Grenze zwischen synthetischen Urteilen a priori, die der systematischen Abrundung, oder, was dasselbe ist, der Gewinnung eines spezifischen Gegenstandes einer besonderen Wissenschaft dienen, und synthetischen Urteilen a priori, von denen gezeigt werden kann, wie sie in objektiver Gültigkeit möglich sind. Enthielte eine Wissenschaft in ihrem begrifflichen Teil nur synthetische Urteile a priori der ersten Art, dann wäre sie zwar ein systematisches Gebilde, aber doch nur ein Scheingebilde ohne Bezug zur Realität. Enthielte sie nur Urteile der zweiten Art, so wäre zwar der Realitätsbezug dieser Urteile aufgewiesen, aber es bestünde keinerlei Zusammenhang unter ihnen als Urteilen einer umrissenen Wissenschaft. Wenn nun die Frage behandelt wird, wie die Möglichkeit der objektiven Gültigkeit von synthetischen Urteilen a priori gedacht werden kann, um sie von diesem Begriff ihrer Möglichkeit her dann gegen die anderen (Schein-) Urteile abzugrenzen, dann verbinden sich alle möglichen Urteile dieser Art eben in diesem Begriff. In diesem Sinn bilden sie auch unter sich schon ein System, aber ein System „reiner“ Vernunft. Ihre Grundbegriffe, die „Katego-
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rien“, werden unter diesem Gesichtspunkt deduziert, und Kant behauptet bekanntlich die systematische Vollständigkeit der Kategorientafel2. Wie in der Kritik der reinen Vernunft schon deutlich und in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft noch einmal ausdrücklich hervorgehoben wird, erfolgt die Lösung der Aufgabe, „wie nun Erfahrung vermittelst jener Kategorien und nur allein durch dieselbe[n] möglich sei“, allein „aus der genau bestimmten Definition eines Urteils überhaupt“ als „einer Handlung, durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objekts werden“3. Der Erfahrungsbezug der Kategorien und der aus ihnen abgeleiteten Grundsätze folgt aus der Definition des Urteils überhaupt, abgesehen von allem Inhalt, also aus der Urteilsform. Insofern von allem Inhalt der Urteile abgesehen wird, ist das die logische Urteilsform. Sie wird nun definiert als Hand|274|lung, „durch die gegebene Vorstellungen zuerst Erkenntnisse eines Objekts werden“, so daß dann, mit dieser Definition, die den Begriff eines Objekts vom Urteilsbegriff her gleich mitdefiniert, Urteile sich schon kraft der logischen Form der Urteilshandlung als Bestimmungsform von Anschauung auf mögliche Objekte beziehen. Diese Definition bedeutet die sogenannte „Kopernikanische Wendung“ Kants, die vollzogen wird, damit überhaupt gedacht werden kann, daß sich Urteile als Urteile auf Objekte beziehen können. Urteile als Urteile können nur hinsichtlich ihrer allen Urteilen gemeinsamen logischen Form definiert werden, und so kann die Frage nach der objektiven Gültigkeit von Urteilen überhaupt sich auch nur auf die logische Urteilsform beziehen. Das System der Kategorien deckt sich aus diesem Grunde mit einem System aller logisch möglichen Urteilsformen, und eine transzendentale Kategorie ist nichts anderes als eine nun im Sinne der „Kopernikanischen Wendung“ von der Erkenntnisfunktion her definierte logische Urteilsform. Es kann nur soviel Kategorien geben wie Urteilsformen, und mit der vollständigen Aufzählung der möglichen logischen Urteilsformen wären auch alle Kategorien systematisch aufgezählt. In Ansehung des Formallogischen in Urteilen werden gegebene Vorstellungen also erst Erkenntnisse eines Objekts (vgl. B 128). Mit dieser Aussage ist nur von dem Begriff eines „Objekts überhaupt“ die Rede. Dieser Begriff beinhaltet noch weiter nichts als „nur das transzendentale Objekt“ 2
3
Vgl. hierzu die Auseinandersetzung mit K. Reichs Versuch, die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel zu begründen (K. Reich, Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel, Berlin 1948²), bei H. Lenk, Kritik der logischen Konstanten, Berlin 1968, und J. Simon, Sprache und Raum. Philosophische Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Wahrheit und Bestimmtheit von Sätzen, Berlin 1969, 133ff. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Akademieausgabe (AA) Bd. IV (im folgenden zitiert als MA), 475.
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und ist nur ein „Correlatum“ der Synthesis, durch die der logisch urteilende Verstand das gegebene Mannigfaltige in der sinnlichen Anschauung „in den Begriff eines Gegenstandes vereinigt“ (vgl. A 250). Mit diesem Begriff ist noch nichts erkannt, sondern erst die allgemeine Bedingung von Erkenntnis gedacht, denn es fehlt ihm noch jede wirkliche Anschauung, auf die er sich beziehen könnte. Das Logische in diesem Sinne also wäre, falls seine Vollständigkeit wirklich aufgewiesen werden kann, zwar System, aber auch in seiner transzendentalen Wendung noch keine inhaltliche Wissenschaft. Es führt nicht über den „Begriff“ eines Gegenstandes „überhaupt“ hinaus zur wirklichen gegenständlichen Erkenntnis. Mit dem Begriff eines „Gegenstandes überhaupt“ gibt es auch erst den allgemeinen Begriff einer Wissenschaft. Es ist nun also zu fragen, wie der Begriff zu einem Gegenstand kommt. Von den Möglichkeiten der Antwort auf diese Frage her unterscheidet Kant zwei Arten von Wissenschaft, besser gesagt zweierlei Grad von Wissenschaftlichkeit. Die erste Art ist die mathematische Wissenschaft. Sie hat ihren speziellen Gegenstand a priori, nämlich durch die Anwendung der Kategorien auf die reinen Verhältnisse in Raum und Zeit. Voraussetzung für diese Antwort ist das Argument, Raum und Zeit seien als diese reinen Verhältnisse nicht der empirischen Dingerfahrung abgezogen, sondern transzendentale Formen der Anschauung und damit die formalen Bedingungen der Sinnlichkeit. Mathematische Grundbegriffe oder Kategorien sind demnach solche Begriffe, die sich in ihrer erkennenden Funktion auf reine (nichtempirische) Anschauung beziehen lassen, ohne daß empirisch zu ihrer Überprüfung etwas gegeben sein müßte. Die Mathematik als die Wissen|275|schaft reiner räumlicher und zeitlicher Verhältnisse ist in diesem Sinne „reine Wissenschaft“, da auch ihre Anschauung rein ist. Bei ihr handelt es sich mithin um die glatte Lösung der Spannung zwischen Systematik und Erkenntnisgehalt im objektiven Sinne. Sie ist für Kant schlechthin das Ideal einer Wissenschaft, das in keiner anderen Wissenschaft mehr zu erreichen ist4. 4
L. Schäfer betont, daß Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen von einer mathematischen Naturwissenschaft und nicht von der Mathematik selbst als von „eigentlicher“ Wissenschaft spricht (L. Schäfer, Kants Metaphysik der Natur, Berlin 1966, 173ff.). Aber in den Naturwissenschaften ist nach Kant nur soviel eigentliche Wissenschaft, als sie, wie Schäfer es formuliert, „Bedingungen der Anwendung der Mathematik“ (175) enthält. Doch eben die Mathematik selbst ist immer schon von diesen „Bedingungen“ her konzipiert. Ihr Begriff fällt im Kantischen Mathematikbegriff konstitutiv mit dem ihrer Sachhaltigkeit zusammen (vgl. J. Ebbinghaus, Kant und das 20. Jahrhundert, Studium Generale, 7. Jg. 1954, 518). Von daher ist die Mathematik selbst, wie auch die „Methodenlehre“ immer wieder betont, entgegen der These Schäfers, „das Supremum an Wissenschaftlichkeit“ (Schäfer, 175), weil in reiner Anschauung sich die Bedingungen ihrer Anwendung rein erfüllen, im Unter-
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Die Forderung der Konstruierbarkeit der Begriffe in reiner Anschauung gehört zu diesem Ideal. Ob diese Forderung dem Selbstverständnis heutiger Mathematik entspricht, braucht hier nicht diskutiert zu werden, da es hier um eine Nachzeichnung des Kantischen Begriffs von Wissenschaft zu tun ist, so daß es zunächst gleichgültig sein kann, ob sich dieser Begriff in irgendeiner wirklichen Wissenschaft erfüllt oder nicht. Es genügt zu sagen, daß Kant die Mathematik, wie er sie verstand, als reine Erfüllung seines Wissenschaftsbegriffs ansah. Die Forderung nach Konstruierbarkeit der Begriffe bedeutet allerdings zugleich eine Einschränkung. Denn nicht alle reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) lassen sich im Sinne Kants auf reine Anschauung beziehen. Die zweite Hälfte der Kategorientafel, die sogenannten „dynamischen Kategorien“, setzen den Begriff vom Dasein eines Dinges voraus. Es handelt sich um die Kategorien der Relation (Substanz-Akzidenz, Ursache-Wirkung und Wechselwirkung) und um die Modalkategorien. Von ihrer transzendentalen Bedeutung für die Gegenstandskonstitution her können sie nur an wirklich Gegebenem, an einzelnen Dingen ansetzen. Als Relationskategorien sagen sie etwas über die möglichen Beziehungen zwischen dem Gegebensein von sinnlich gegebenem Dasein aus, und als Modalkategorien beziehen sie sich auf etwas, was sein kann, ist oder sein muß, und damit unmöglich rein auf die Anschauung von etwas. Damit ergeben sich reine Verstandesbegriffe, die zwar transzendentale Bedeutung haben, aber doch für ihren Gebrauch wirkliches Dasein unter empirischen Begriffen voraussetzen. Ihr Gebrauch liegt so schon jenseits des Ideals von Wissenschaftlichkeit. Dieser Sachverhalt muß beachtet werden, wenn etwa, vom Standpunkt der modernen Physik aus, die Funktion des Kausalitätsbegriffs bei Kant diskutiert wird. Denn vom Gebrauch dieser, von Kant auch als „metaphysisch“ bezeichneten Begriffe her ergibt sich nicht schon mit der transzendentalen Be|276|deutung zugleich auch eine Funktion in gesicherter Erkenntnis. Sie haben einen ganz eigenartigen wissenschaftslogischen Status. Der „Beweis“ der ihnen entsprechenden Grundsätze will nicht ontische Existenz, eines Kausalnexus etwa, als erkannt behaupten, und gerade Kant ist sich im klaren darüber, daß „Beweise“ sich nicht auf Existenz beziehen können. Ihr „Beweis“ folgt im Falle der Relationsgrundsätze vielmehr folgender Figur: Wenn ein Verhältnis von Gegebenem, wie ein Urteil es formuliert, als Erkenntnisurteil gelten können soll, dann können die Gegebenheiten nicht nur so angesehen werden, wie ihr Verhältnis in der Zeit als der Form ihrer subjektiven Anschauung „zusammengestellt“ ist, sondern es muß vorgestellt werden, „wie es objektiv in der schied zu den besonderen Naturwissenschaften, in denen metaphysische, d. h. nicht mathematisierbare Begriffe notwendig hinzutreten.
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Zeit ist“. Und „da die Zeit selbst“ (als eine etwa angenommene objektive Verbindung) „nicht wahrgenommen werden kann“, man kann auch sagen, da sie Kants Ansatz nach subjektive Form der Anschauung und nicht ein die Dinge beinhaltendes Ding sein muß, „so kann die Bestimmung der Existenz der Objekte in der Zeit nur durch ... a priori verknüpfende Begriffe geschehen. Da diese“ (als ursprünglich logische) „nun jederzeit zugleich Notwendigkeit bei sich führen, so ist Erfahrung nur durch eine Vorstellung der notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich“ (B 219). Die Vorstellung der notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen gehört zum Begriff der Erfahrung, d. h. zum Begriff empirischer Erkenntnis. Diese Vorstellung gehört zur Entwicklung des Wissenschaftsbegriffs über den mathematischen Wissenschaftsbegriff hinaus in der Richtung eines Begriffs empirischer Wissenschaften von der Natur. Hier beginnen schon die „metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft“. Aber mit diesem Schritt über die Mathematik hinaus wird zugleich das einzige Ideal gesicherter Erkenntnis verlassen. Es bleibt eine „metaphysische“ Vorstellung, die hier als Bedingung eines Begriffs empirischer Erkenntnis vorausgesetzt wird. Kant sieht ganz klar, daß im Fall empirischer Erkenntnis ein die Pole der Systematik und der Objektivität zusammenfassender Wissenschaftsbegriff schon als Begriff nicht mehr so konzipiert werden kann wie im Fall der Mathematik, wie er sie versteht. In den empirischen Wissenschaften folgt die Vorstellung von Notwendigkeit (wie etwa im Begriff der Kausalität) aus dem reinen Anspruch auf Objektivität als der einen Seite der Wissenschaftlichkeit einer Wissenschaft. Sie folgt einzig von diesem Anspruch her, der in diesen Wissenschaften, wie Kant darlegt, nur erhoben, aber nie endgültig als gesichert eingelöst werden kann. Soweit er nicht erhoben wird, hat es keinen Sinn, gegenüber der Natur von Notwendigkeit zu sprechen. Natur ist zwar nach Kant „Dasein unter Gesetzen“, aber eben nur im Zusammenhang mit den Erfordernissen eines Begriffs davon, wie „Metaphysik der Natur“ als Wissenschaft auftreten kann, und dieser Wissenschaftsbegriff bleibt wegen der Angewiesenheit dieser Wissenschaft auf Dasein selbst wieder ein metaphysischer, d. h. niemals seines Gegenstands a priori gewisser Begriff. |277|
IV. Im Hinblick auf Naturwissenschaft ist die Zuversicht, daß sie als Wissenschaft im strengen, oder, wie Kant auch sagt, im „eigentlichen“ Sinne wird auftreten können, nicht a priori gegeben. Insofern hier dennoch von „Wissenschaft“ die Rede ist, wird dieser Begriff schon in einer laxeren Bedeutung gebraucht. „Eigentliche Wissenschaft kann nur diejenige genannt werden,
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deren Gewißheit apodiktisch ist“ (MA, 468). Im Sinne dieses Wissenschaftsbegriffs kann von der Naturwissenschaft nur in bestimmter, noch darzustellender Hinsicht als von einer „eigentlichen“ Wissenschaft gesprochen werden, zumindest hat sie in sich „eigentlich-wissenschaftliche“ Verfahrensweisen. Kant geht nun so vor, daß er „eigentlich so zu nennende“ Naturwissenschaft (MA, 469) auf den „eigentlich-wissenschaftlichen“ und den „uneigentlich-wissenschaftlichen“ „Teil“ hin analysiert. Er kommt, aus bereits ausgeführten Gründen, zu dem Ergebnis, daß die „so zu nennende“ Naturwissenschaft als Wissenschaft vom „Dasein“ „zuerst Metaphysik der Natur“ voraussetzt (MA, 469), daß aber in ihr „nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen wird, als sich darin Erkenntnis a priori befindet“, und da nur die Mathematik über die reine Anschauung ihres Gegenstandes a priori gewiß ist, wird sie „nur so viel eigentliche Wissenschaft enthalten, als Mathematik in ihr angewandt werden kann“ (MA, 470). Der andere Teil des rein begrifflichen Teils einer Wissenschaft ist dann „ein nur uneigentlich so genanntes Wissen“ (MA, 468). In diesem Bereich wird nun noch einmal unterschieden zwischen „rationaler“ Wissenschaft, um die es sich handelt, „wenn die Verknüpfung der Erkenntnis in diesem System ein Zusammenhang von Gründen und Folgen ist“, und dem „Ganzen der Erkenntnis“, das „schon darum Wissenschaft“ heißt, weil es „systematisch“ ist (MA, 468), wobei eben die Prinzipien, nach denen ein Ganzes der Erkenntnis als System geordnet ist, „entweder Grundsätze der empirischen oder der rationalen Verknüpfung“ (MA, 467) sein können5. Man sieht, daß die Dreiteilung des Wissenschaftsbegriffs in 1. eigentliche oder mathematische, 2. rationale und 3. systematische Wissenschaft ein System von ineinander eingebetteten Verfahrensmöglichkeiten meint. Eine bloß systematisierende Wissenschaft kann in sich einen „rationalen“ Kern enthalten, der in sich wiederum einen mathematisierbaren Kern enthalten kann, und „eigentlich“ nur von der letzteren Möglichkeit her kann dann rückwirkend auch das Ganze a priori „Wissenschaft“ heißen und unter diesem Namen „auftreten“. Diese Abstufung gilt in gleichem Maße für das, was bei Kant jeweils „Erkenntnis“ heißt. So hat der Kantische Grundsatz der Kausalität als nicht zum mathematisierbaren Teil gehörender Grundsatz des begrifflichen Teils zunächst einmal gar nichts mit einem historischen Stand physikalischer Forschung zu tun. Er besagt lediglich, |278| daß rationale Zusammenhänge im protophysikalischen Teil als bestimmend angesehen werden für die Bestimmung des empirisch Gegebenen. Zum Beispiel gehörte der Gebrauch der allgemeinen Aussageform, daß bei einem gegebenen Ereignis x ein Ereignis y 5
Vgl. F. Kambartel, Erfahrung und Struktur, Bausteine zu einer Kritik des Empirismus und Formalismus, Frankfurt a. M. 1968, insbes. 83.
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mit einer Wahrscheinlichkeit w zu erwarten sei (wenn x, dann y mit der Wahrscheinlichkeit w), immer noch zum gemeinten Sachverhalt. Daß in diesem Bereich einer Wissenschaft apodiktische Erkenntnis nicht mehr gewährleistet ist, ist ja gerade die Lehre Kants. Im Begriff der Kausalität ist nur impliziert, daß die rationale Dimension einer Wissenschaft zu dem empirischen Teil in einem Verhältnis stehen muß, wenn überhaupt von empirischer Wissenschaft die Rede sein soll. Gerade eine Wahrscheinlichkeitsaussage stellt sehr deutlich die Abgehobenheit der Mathematisierbarkeit dieser Aussage von der Vorhersagbarkeit bestimmter einzelner Ereignisse empirischen Daseins vor Augen, besser noch als die Beispiele, die Kant in seiner historischen Situation vor Augen haben konnte, und sie ist deshalb ein gutes Beispiel für seinen in sich differenzierten Wissenschaftsbegriff.
V. Die Differenzierung im Kantischen Wissenschaftsbegriff bedeutet eigentlich einen Sprung als Resultat der Verlegenheit, die aus der Forderung stammt, die Gesichtspunkte der Systematik und der gesicherten Erkenntnis miteinander zu vereinbaren. Der Sprung wird noch deutlicher, wenn es um den Schritt vom allgemeinen Begriff von Naturwissenschaft zu einer wirklichen Naturwissenschaft geht. Innerhalb des mathematischen Verfahrens ist ein solcher Schritt nicht notwendig, da die Mathematik ihres Gegenstands a priori gewiß ist, und dieser Gegenstand ist im Grunde nur ein Gegenstand. Er resultiert nach Kant aus der logischen Bestimmung reiner RaumZeit-Verhältnisse. Da aber Naturwissenschaft keinen Gegenstand a priori, sondern a priori nur Prinzipien zu Gegenständen hat, ist auch a priori gar nichts darüber zu sagen, ob sie im Grunde nur einen Gegenstand hat. Natur als eine Natur bleibt nur regulative Idee. Das betrifft den Gedanken der Einheit der Naturwissenschaften. Es grenzen sich auch keine „Gegenstandsbereiche“ a priori ab. Das bedeutet, daß etwa die Einteilung der Naturwissenschaften nur historisch gegeben sein kann. Daß es gerade diese besonderen Wissenschaften gibt, würde dann auf der Ebene von eingeübten und tradierten Verhaltensformen liegen. Wenn man so will und alles Verhalten, das sich nicht von logischer Notwendigkeit her erklären läßt, „Konvention“ nennt, enthält der Kantische Wissenschaftsbegriff an dieser Stelle sogar konventionalistische Züge, besser gesagt, manches, was Wissenschaft genannt wird, entspricht „eigentlich“ nicht diesem Begriff. Das Eigenartige ist nur, daß darunter dann alle Wissenschaften (außer der Mathematik) fallen, insofern sie sich voneinander unterscheiden, also alle Wissenschaften bezüglich ihrer spezifischen Differenz gegenüber dem reinen Begriff „Wissenschaft“. |279|
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Der Begriff der Naturwissenschaft ist als Begriff, im Unterschied zum Begriff der Mathematik, ohne Beispiel. Vom rein entworfenen Begriff her ist noch gar nicht gesagt, daß man sich unter „Naturwissenschaft“, wie sie im Kantischen Begriff einer „reinen Naturwissenschaft“ konzipiert ist, das vorzustellen habe, was man heutzutage mit diesem Wort bezeichnet. Im Gegenteil, Kant sagt deutlich, daß an so etwas auch nicht gedacht sei. Es kann gar nicht mit dem Begriff auch schon ein Beispiel gedacht sein, da ja gerade der Begriff von Naturwissenschaft wegen der Implikation, dies sei die Wissenschaft vom empirisch Gegebenen, den Chorismos zu diesem nicht überspringen kann. Daß man sich da, wo die reine Naturwissenschaft der „Beispiele (Anschauungen) bedarf, um ihren reinen Verstandesbegriffen Bedeutung zu verschaffen, diese jederzeit aus der allgemeinen Körperlehre, mithin von der Form und den Prinzipien der äußeren Anschauung hernehmen müsse“, bezeichnet Kant als „in der Tat sehr merkwürdig“, ohne dem weiter nachzugehen (MA, 478). Der Chorismos bleibt bestehen, und der begriffliche (in Kants Sprache „metaphysische“) Teil der Naturwissenschaft bleibt „entweder“ „ohne Beziehung auf irgend ein bestimmtes Erfahrungsobjekt“ und handelt als der „transzendentale Teil“ einer „Metaphysik der Natur“ „von den Gesetzen, die den Begriff einer Natur überhaupt möglich machen,“ „oder“ er „beschäftigt sich mit einer besonderen Natur dieser oder jener Art Dinge, von denen ein empirischer Begriff gegeben ist“ (MA, 469f.). Es zeigt sich bei Kant keine Brücke über dieses auch bei ihm im Druck hervorgehobene Entweder-Oder. Das Entscheidende ist, daß zum begrifflichen, also apriorischen (oder „metaphysischen“) Teil jeder besonderen Wissenschaft empirische Begriffe gehören müssen. Solche empirischen Begriffe sind nicht zu deduzieren. Als die besonderen „metaphysischen Anfangsgründe“ besonderer Wissenschaften sind sie aus irgendeinem empirischen Zusammenhang entnommen, aber aus ihm „abgesondert“ und einer besonderen Wissenschaft als Grundbegriffe vorangestellt, damit sie „in ein besonderes System zu bringen“ ist und „eine Wissenschaft ihrer eigenen Art“ sein kann. Kant nennt diese Begriffe deshalb auch „abgesonderte (obzwar an sich empirische) Begriffe“ (MA, 742f.). Mit diesen Begriffen erhält der reine begriffliche Teil einer Naturwissenschaft erst eine mögliche Beziehung auf einen Gegenstand, die der Mathematik schon a priori mitgegeben ist6. Von diesen „abgesonderten, obzwar an sich empirischen Begriffen“ kann, da sie nicht deduzierbar sind, die Theorie der Naturwissenschaft nur 6
Man könnte diese Begriffe, da sie zurückliegender Erfahrung entstammen und zukünftiger a priori vorangestellt sind, auch historische Begriffe nennen. Sie sind als Begriffe zeitlich, und „Zeit“ kann dabei nicht mehr als reine Anschauungsform verstanden sein.
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Beispiele geben, und andererseits bedarf sie solcher Beispiele, um „einer bloßen Gedankenform Sinn und Bedeutung unterzulegen“ (MA, 478). Damit ist aber auch gesagt, daß der nicht mehr rationale Sprung vom allgemeinen theoretischen Begriff zum Beispiel als konstitutiv für Sinn und Bedeutung einer Wissenschaftstheorie eingesehen ist. Man könnte sogar sagen, daß es sich hier um einen für die Theorie selbst wesent|280|lichen Sprung von der Theorie zum praktischen Beispiel, d. h. zu einer in Gang befindlichen Wissenschaft handle, über deren besondere Existenz oder Faktizität die Theorie aus sich heraus keine Rechenschaft mehr geben kann. Sie kann erst recht nicht darlegen, inwieweit das Tun innerhalb dieser besonderen Wissenschaft als objektive Erkenntnis verstanden werden darf. Reflexion und Positivität bleiben einander unvermittelt. Die gnoseologische Reflexion der Kritik der reinen Vernunft muß die Besonderheiten der positiven empirischen Wissenschaften notwendig negieren, wenn sie eine Antwort auf die Frage nach der Denkmöglichkeit der objektiven Gültigkeit von Urteilen überhaupt versucht. Es könnte also durchaus im Sinne Kants sein, wenn gesagt wird, modernen Naturwissenschaften sei der Erkenntnisbegriff Kants nicht mehr affin. Aber hier begänne erst das wissenschaftsphilosophische Problem. Es ist also davon auszugehen, daß das Beispiel bei Kant nicht nur didaktische oder erläuternde Funktion hat oder nur „Gängelwagen der Urteilskraft“ (B 174) ist, um sie zu „schärfen“, sondern, daß es systematischkonstitutive Funktion besitzt. Ingeborg Heidemann unterscheidet in ihrem Überblick über die Funktion des Beispiels innerhalb der theoretischen Philosophie Kants drei Funktionen, die „Verweisungsfunktion auf die Spontaneität des Denkens, auf analoge Fälle in der Erfahrung und auf die Existenz des Gegenstandes als außer uns Seiendes“, und erörtert darüberhinaus das Beispiel in der praktischen Philosophie und in der Kritik der Urteilskraft7. Es wäre noch deutlicher hinzuzufügen, daß das Beispiel nicht nur „Mittel zur Demonstration der reinen Verstandesbegriffe“ ist, „die dem Darstellen in der Anatomie entspricht“, oder nur Verweisungsfunktion besitzt oder daß es nur „bezeugt…, was der ursprüngliche Verstandesbegriff bedeutet und wie er anzuwenden ist“8. Es als Hinzukommendes bewirkt erst, daß er überhaupt „etwas“ bedeuten kann. Als spezifische Differenz gegenüber dem allgemeinen Begriff eines Gegenstandes „überhaupt“ bedeutet es neben seiner eigenen inhaltlichen Bedeutung als dieser empirische Begriff schon 7
8
I. Heidemann, Die Funktion des Beispiels in der kritischen Philosophie, in: Kritik und Metaphysik. Heinz Heimsoeth zum 80. Geburtstag, Berlin 1966, 34 und 21ff. Vgl. auch G . Buck, Kants Lehre vom Exempel, Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. XI, 1967, 148ff. I. Heidemann, 25.
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den möglichen Bezug des Verstandesbegriffs auf Gegenstände, also seine Bedeutung, mit. Es handelt sich um wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den Bedeutungen „reiner“ (formaler) Begriffe als möglicher Bezüge auf einen „Gegenstand überhaupt“ und empirischer Begriffe als spezifizierter inhaltlicher Bedeutung. In diesem kontextlichen Zusammenspiel zwischen reinen (formalen) und empirischen (inhaltlichen) Begriffen stellt sich erst ein auch nur möglicher Bezug auf Gegenstände als Einheit von Gegenständlichkeit überhaupt und besonderer Bestimmtheit, also wirkliche Bedeutsamkeit von Aussagen, dar. Weder reine noch empirische Begriffe lassen sich so isolieren, als hätten sie je für sich schon Bedeutung. Sowohl der nur transzendentale wie der nur empirische Ansatz zerstören diese Bedeutungsstruktur von |281| Sprache, die auch bei Kant verdecktermaßen der wahre Ausgangspunkt ist. Der transzendentale Ansatz Kants hat systematische Schwierigkeiten, von der transzendentalen Fragestellung, wie synthetische Urteile a priori möglich seien, zu dem „Faktum“ wieder zurückzufinden, in dessen Zusammenhang Kant sie als wirklich „vorkommend“ behauptet. Er geht bekanntlich zunächst vom faktischen Beispiel aus: „Naturwissenschaft (Physica) enthält synthetische Urteile a priori als Prinzipien in sich“ (B 17). Er folgert weiter, daß „von diesen Wissenschaften, da sie wirklich gegeben sind“, sich fragen lasse, „wie“ sie möglich seien, „denn daß sie möglich sein müssen“, werde „durch ihre Wirklichkeit bewiesen“ (B 20). Zwar könne „von der reinen Naturwissenschaft“ „mancher dieses letztere“, daß sie wirklich vorkommende Wissenschaft sei, „noch bezweifeln“. Dagegen wendet er ein, daß „die verschiedenen Sätze, die im Anfange der eigentlichen (empirischen) Physik“ (als deren „metaphysischer“ Teil) „vorkommen“, eine „physicam puram (oder rationalem) ausmachen, die es wohl verdient, als eigene Wissenschaft ... abgesondert aufgestellt zu werden“ (B 20 Anm.). Das wirkliche „Vorkommen“ der reinen Naturwissenschaft und damit der synthetischen Urteile a priori findet sich also immer innerhalb einer besonderen empirischen Wissenschaft, d. h. im Beispiel; die „Rechtfertigung“ (quaestio iuris) dieses faktischen Beispiels besteht andererseits in der Darlegung, daß die in ihm „vorkommenden“ synthetischen Urteile a priori Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung von Gegenständen „überhaupt“ und deshalb objektiv gültig seien, d. h. daß das „Vorkommende“ auch wirklich dem Begriff einer „Wissenschaft“ entspreche und so erst Beispiel für das sein könne, für das es schon als Beispiel genommen war. Die in einer faktischen Einzelwissenschaft „vorkommenden“ synthetischen Urteile a priori sind aber in ihrer „Bedeutung“ oder in ihrem Bezug auf mögliche empirische Objekte überhaupt nur zu verstehen, weil „an sich empirische“ Begriffe in den rationalen Teil dieser Wissenschaft bereits faktisch aufgenommen sind, so daß mit der nachträglichen Absonderung dieser Urteile „als eigene Wissenschaft“ ihre darin vermittelte
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„Bedeutung“ sich wieder verflüchtigen müßte. So soll das pure „Vorkommen“ innerhalb des Beispiels die objektive Bedeutung, deren purer Begriff aber auch umgekehrt das einzelne „Vorkommende“ in seinem allgemeinen Anspruch als (Beispiel für) Wissenschaft rechtfertigen. Das Denken Kants vollzieht sich letztlich in Beispielen, die sowohl konkreter Fall wie auch Repräsentation des Allgemeinen sein sollen, als dessen Fall sie angesehen sind. Kant geht, so kann man sagen, sowohl von vorkommenden Wissenschaften als auch vom allgemeinen Begriff einer möglichen Wissenschaft überhaupt aus, oder, was dasselbe ist, weder der Ausgang von vorkommenden Wissenschaften noch der vom allgemeinen Begriff möglicher Wissenschaft genügt zur Lösung der Frage, die er sich stellt. Er geht in Wahrheit vom Beispiel aus, das, genommen als Beispiel, in diesem Nehmen die Vermittlung eines faktischen, methodisch geregelten Verhaltens mit seinem Anspruch, Wissenschaft oder objektive Erkenntnis, also ein Beispiel für Wissenschaft im philosophischen Sinne zu sein, im Grunde als immer schon vollzogen voraussetzt. |282| „Wissenschaft“ ist demnach hier nicht einfach etwas schlicht Vorkommendes. Man wird von reiner Naturwissenschaft ebensowenig wie von Metaphysik sagen können, sie sei einfach „wirklich vorhanden“ (vgl. B 21). Das „Vorhandensein“ der reinen Naturwissenschaft beruht auf einer in sich problematischen „Absonderung“ eines allgemeinen transzendentalen Teils vom rationalen Teil einer besonderen Wissenschaft und von dem Sinnzusammenhang mit „an sich empirischen“ Begriffen, mit der der reine „Teil“ aber nach Kant selbst „Sinn und Bedeutung“ verliert, so wie umgekehrt diese Wissenschaft ohne die Vermittlung mit solchen „transzendentalen“ Prinzipien von der Möglichkeit eines Gegenstands überhaupt die Bedeutung, d. h. einen möglichen Bezug ihrer Begriffe auf objektive Realität, oder sich als Wissen, nicht rechtfertigen kann. Der Maßstab, an dem Metaphysik gemessen werden soll, wenn gefragt wird, wie sie als Wissenschaft möglich sei (B 22ff.), ist in sich selbst problematisch. Er ist nicht etwas Vorkommendes, sondern ist gesetzt, indem er als Beispiel genommen wird. Für Metaphysik als Wissenschaft soll es, im Unterschied zur reinen Naturwissenschaft, kein Beispiel geben, „weil man von keiner einzigen bisher vorgetragenen, was ihren wesentlichen Zweck angeht, sagen kann, sie sei wirklich vorhanden“ (B 21). Das „Vorhandensein“ der Sätze reiner Naturwissenschaft in konkreten „Beispielen aus Wissenschaften“ besteht, insofern es einen Unterschied zu dem „gemeinsten praktischen Vernunftgebrauche“ beinhalten soll, zunächst auch nach Kant lediglich in dem systematischmethodischen Vorgehen dieser Wissenschaften9, also in einem geregelten Verhalten, das – im Unterschied etwa zum Cartesianischen Wissensbegriff 9
Kritik der praktischen Vernunft, AA V, 91.
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– nicht als solches schon einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit „im eigentlichen Sinne“ rechtfertigt. Der „Zweck“ der Metaphysik, im Hinblick auf den sie nur „eine bisher bloß versuchte“ Wissenschaft genannt wird (B 18), liegt in „synthetischen Erkenntnissen a priori“. Die Beispiele für Naturwissenschaft bedeuten zwar nicht explizit ebenfalls nur einen Versuch, aber sie enthalten im Beispielbegriff die nur vorausgesetzte Vermittlung ihrer Sätze mit dem Begriff transzendentaler apriorischer Sätze, als den Bedingungen ihrer objektiven Bedeutsamkeit „überhaupt“. Kant gibt gleich zwei Beispiele für besondere Naturwissenschaften: die Wissenschaft von der körperlichen und die Wissenschaft von der denkenden Natur, „Physik“ und „Psychologie“ (vgl. MA, 470). Die eine Differenz vom Begriff der reinen Wissenschaft und zugleich dieser Wissenschaften voneinander bewirkenden „abgesonderten (obzwar an sich empirischen)“ Begriffe sind hier die Begriffe „Materie“10 und „denkendes Wesen“. Der begriffliche, protowissenschaftliche oder „metaphysische“ Teil dieser Wissenschaften legt „z. B. ... den empirischen Begriff |283| einer Materie, oder eines denkenden Wesens zum Grunde“, „doch so, daß außer dem, was in diesem Begriffe liegt, kein anderes empirisches Prinzip zur Erkenntnis derselben gebraucht wird“. Der abgesonderte empirische Begriff wird also im protowissenschaftlichen Teil rein analytisch zergliedert, ohne daß sich andere empirische Prinzipien, als ausdrücklich angegeben oder aus den angegebenen analytisch folgen, einschleichen dürfen. Wenn der (vom Begriff einer Wissenschaft überhaupt her) zufällige Ansatz einer besonderen Wissenschaft erst einmal mit den vorausgesetzten, zu Prinzipien erhobenen (aber an sich empirischen) Begriffen feststeht, dann ist die weitere Ausführung der „metaphysischen Anfangsgründe“ dieser Wissenschaft, wie Kant schreibt, „eben kein großes Werk“, sondern nur noch eine Frage der Entwicklung nach dem Schema der Kategorientafel, die das Schema „zur Vollständigkeit eines metaphysischen Systems“ ist, „es sei der Natur überhaupt, oder der körperlichen Natur insbesondere ... Denn mehr gibt es nicht reine Verstandesbegriffe, die die Natur der Dinge betreffen können“ (MA, 473f.). Es kann dann auch a priori angegeben werden, wie viel „eigentliche“ Wissenschaft, d. h. Anwendungsmöglichkeit für Mathematik in einer solchen Wissenschaft „angetroffen“ werden kann (vgl. MA, 470). Es muß nur überlegt werden, was von dem, was die Philosophie „im abgesonderten (obzwar an sich empirischen) Begriffe selbst 10 Plaaß macht darauf aufmerksam, daß Materie hier natürlich nicht mit dem Reflexionsbegriff „Materie“ zu verwechseln ist. Dessen Gegenbegriff ist nicht „Seele“ oder „denkendes Wesen“, sondern „Form“ (P. Plaaß, Kants Theorie der Naturwissenschaft, Göttingen 1965, 94). Der Reflexionsbegriff hat die Bedeutung eines „Bestimmbaren überhaupt“ (B 322), also einer noetischen Hyle.
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antrifft, in Beziehung auf die reinen Anschauungen im Raume und der Zeit (nach Gesetzen, welche schon dem Begriffe der Natur überhaupt wesentlich anhängen)“ gesetzt werden kann (MA, 472). Im Fall der Materie wäre das z. B. das Ausgedehntsein als ein in diesem Begriff analytisch enthaltener Begriff. Demnach ist in einer Wissenschaft so viel „eigentliche“ Wissenschaft, als ihre Grundbegriffe in reiner Anschauung konstruierbare, also mathematisierbare Begriffe als Bestandteile in sich enthalten. In dem gleichen Maße kann es von dieser Wissenschaft eine rationale Rechtfertigung ihrer objektiven Gültigkeit geben. Niemals sind aber die eine Wissenschaft umreißenden Grundbegriffe selbst in reiner Anschauung zu konstruieren. Sie vermitteln den jeweiligen Einzelwissenschaften zwar die Vorstellung eines möglichen Bezuges auf ein besonderes Objekt, da sie aber gegenüber der Theorie von möglichen Objekten überhaupt nur zufällige Beispiele bleiben, bleibt diese Vermittlung auch nur die eines objektiven Scheins. Von den besonderen metaphysischen Grundbegriffen her bleibt eine Einzelwissenschaft notwendig perspektivistisch11. |284| 11 Den Riß, der sich damit durch Kants Theorie der Naturwissenschaften zieht, hat L. Schäfer dadurch interpretierend zu überbrücken versucht, daß er dem Begriff der „Konstruktion der Begriffe“ in der Mathematik, über den die Mathematik a priori ihres besonderen mathematischen Gegenstandes gewiß sein kann, den Begriff einer „metaphysischen Konstruktion“ an die Seite stellt (L. Schäfer, 32). Er bezieht sich auf eine Stelle der Metaphysischen Anfangsgründe, in der Kant schreibt, er habe es „für nötig gehalten, von dem reinen Teile der Naturwissenschaft (physica generalis), wo metaphysische und mathematische Konstruktionen durch einander zu laufen pflegen, die erstere und mit ihnen zugleich die Prinzipien der Konstruktion dieser Begriffe, also der Möglichkeit einer mathematischen Naturlehre selbst, in einem System darzustellen“ (MA, 473). Auch Plaaß nimmt diese Stelle auf (P. Plaaß, 74). Da dazu eine Anschauung a priori gefordert ist, kann |284| nur die Mathematik ihre Begriffe konstruieren. Das ist der Grundunterschied zwischen Mathematik und Metaphysik nach Kant. Es erscheint deshalb plausibel, mit Hoppe diese ohnehin grammatisch nicht einwandfreie Stelle als textlich verunglückt zu betrachten (H. Hoppe, Kants Theorie der Physik. Eine Untersuchung über das Opus postumum von Kant, Frankfurt a. M. 1969, 57). Die Version von Plaaß, metaphysische Konstruktion heiße „gemäß dem inhaltlich im Begriff Enthaltenen etwas a priori darstellen in dem, was als Bedingung des Denkens gegeben ist, also in dem System der reinen Verstandesbegriffe“, und es wären hier „nicht Anschauungen, sondern Begriffe“ zu „erzeugen“ (Plaaß, 74), geht wohl am Sinn des Begriffes „Konstruktion“, wie Kant ihn sonst verwendet, vorbei. Eher scheint die Version von Adickes (E. Adickes, Kant als Naturforscher, Berlin 1924) zuzutreffen, nach der der Begriff der Konstruktion „naturgemäß eine Abschwächung und Einschränkung“ erfährt, wenn Kant ihn auf metaphysische Begriffe anwendet. Er kann eine Stelle aus der Kritik der reinen Vernunft direkt und wörtlich anführen, an der gerade der Begriff „Materie“ als Beispiel für einen nicht konstruierbaren Begriff genannt wird (B 748), und in den Metaphysischen Anfangsgründen heißt es entsprechend, „die Möglichkeit der Gestalten sowohl als der leeren Zwischenräume“ lasse „sich mit mathematischer Evidenz dartun; dagegen, wenn der Stoff selbst in Grundkräfte verwandelt
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Wenn die Kantischen Beispiele für besondere Wissenschaften auch nach Kant selbst „nur“ Beispiele, quasi Beispiele für Beispiele zum Begriff sind, verdienen sie doch besondere Aufmerksamkeit. Einerseits führt er sie selbst als bloße Beispiele ein, andererseits sagt er von den beiden Beispielen, die er nennt, es handele sich um „die zwei Gattungen der Gegenstände unserer Sinne“ (MA, 470). Daß hier der Gattungsbegriff wiederkehrt, ist erstaunlich. Das täuscht doch wieder systema|285|tische Vollständigkeit wenigstens in dieser groben Einteilung der Wissenschaften vor, und es stellt sich sofort die Frage, woher Kant denn wissen könne, daß die genannten Beispiele eine vollständige Disjunktion bildeten. Eine Antwort aus der Kantischen Philosophie selbst heraus wäre die, daß der empirische Begriff der Materie der „äußeren“, der empirische Begriff eines denkenden Wesens der „inneren“ Wahrnehmung entstamme. Äußeres und Inneres können als vollständige begriffliche Disjunktion angesehen werden. Doch damit ist das Problem nur verlagert. Der „innere“ Sinn zielt, wie Kant in dem Kapitel der Kritik der reinen Vernunft über die „Amphibolie der Reflexionsbegriffe“ (B 321) ausführt, auf dasjenige, „was entweder selbst ein Denken, oder mit wird“, gingen „uns alle Mittel“ ab, „diesen Begriff der Materie zu konstruieren und, was wir allgemein dachten, in der Anschauung als möglich darzustellen“ (MA, 525). Angesichts dieses klaren Tatbestandes kann Adickes den Begriff der metaphysischen Konstruktion nicht als Darstellung in der reinen Anschauung begreifen, die ja den Begriffen a priori objektive Gültigkeit vermitteln würde, sondern nur als „Veranschaulichung“ (Adickes, 270) unter Voraussetzung der Praxis, „als ob“ der besondere metaphysische und an sich empirische Begriff ein konstruierbarer Begriff, d. h. ein geometrischer Körper ohne dynamische Komponente wäre. Dabei muß also gerade davon abgesehen werden, daß im Begriff „Materie“ ein Stoff gedacht ist, der „selbst in Grundkräfte verwandelt wird“, d. h. daß es sich um einen Stoff handelt, der als „Grundbestimmung eines Etwas, das ein Gegenstand äußerer Sinne sein soll“, als „Bewegung“ bestimmt sein muß; „denn dadurch allein können diese Sinne afficiert werden“ (MA, 476). Was hier konstruiert werden kann, ist also allein das „Außerund Nebeneinander“ (vgl. B 38), nicht aber das „Außer uns“ des räumlich Angeschauten, nicht die Tatsache, daß wir wirklich davon affiziert werden. Nur der im Begriff der Materie analytisch enthaltene Begriff des Ausgedehntseins, nicht das in ihm enthaltene Moment des Dynamischen oder Wirklichen läßt sich konstruieren. Mit dem Begriff der Veranschaulichung erweist sich noch einmal der zufällige Beispielcharakter dieser Begriffe. Als diese Begriffe („denkendes Wesen“ oder „Materie“) sind sie unanschaulich, aber insoweit sie konstruierbare analytische Bestandteile haben, lassen sie sich unter Absicht von ihrem dynamischen Charakter veranschaulichen. Nur von dieser Möglichkeit her (und nicht wegen einer engeren Zugehörigkeit dieses Begriffs zur kritischen Ontologie) ist der Begriff der körperlichen Natur oder der der Materie das geeignete Beispiel. Es heißt ja auch sinngemäß nirgends bei Kant, daß die „äußere Anschauung“, im Gegensatz zur inneren, unseren Begriffen a priori objektive Gültigkeit verschaffe, sondern daß wir Beispiele aus äußerer Anschauung bedürften, um die Objektivität der reinen Verstandesbegriffe darzutun. Zum Begriff des Beispiels gehört seine abstrakte Ansicht als Beispiel für den Zweck der Veranschaulichung (Vgl. hierzu H. Hoppe, 39).
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diesem analogisch ist“. Das „Innere“ wird hier also von seinem möglichen (intentionalen) Gegenstand her bestimmt, und die Unterscheidung zwischen Innerem und Äußerem orientiert sich am Gegensatz dessen, „was selbst ein Denken ... ist“, zu dem, was dies nicht ist und auch nicht in Analogie dazu bestimmt werden kann. Das ist das, was nur Objekt von Denken sein kann. Eine solche Distinktion vom Gegenstand her wäre auch nach Kant ein Merkmal eines empirischen Begriffs, und um solche geht es hier. Nun mag der Unterschied zwischen Denken und Gedachtem oder zwischen Ich und Nicht-Ich eine vollständige Disjunktion sein. Auf dieser semantischen Ebene käme allerdings von solchen Grundbegriffen her nur eine rationale Psychologie, wie Kant sie im Paralogismuskapitel selbst kritisiert und als reinen Schein entlarvt, auf der einen Seite und eine ebenso rationale Weltwissenschaft auf der anderen Seite zustande, die damit noch nicht als rationaler Teil einer Erfahrungswissenschaft bestimmt wäre. Mit den an sich empirischen Begriffen „denkendes Wesen“ und „Materie“ soll dagegen gerade nicht dieser rein begriffliche Gegensatz von „Ich“ und „Gegenstand“ gemeint sein. Sie sollen ja gerade als empirische Begriffe aus dem rein Begrifflichen hinausführen. Sie werden in den begrifflichen Teil einer Wissenschaft aufgenommen, damit sich dieser Teil über den Begriff „Gegenstand überhaupt“ hinaus auf mögliche wirkliche sinnliche Gegebenheiten beziehen und damit einen Erfahrungsbezug erhalten kann. Der reine Gegensatz zwischen Ich und Gegenstand wird hier benutzt, um innerhalb der Gegenstände der Sinne zu differenzieren, und innerhalb des Sinnlichen kann es niemals eine Gewähr dafür geben, daß eine Einteilung vollständig ist. Kant folgt hier lediglich einem tradierten Begriffsschema der Einteilung von Ontischem, nur um Beispiele an der Hand zu haben und ohne von seinem Ansatz her ein solches ontologisches Begriffsschema noch rechtfertigen zu können. Mit einem empirischen Begriff „denkendes Wesen“ muß der Begriff eines Wesens gemeint sein, das wirklich (im Sinne psychischer Akte) denkt, und mit dem Begriff Materie nicht nur eine allgemeine Metapher für Nicht-Ich, sondern, wie bei Kant ja auch deutlich gesagt wird (MA, 476f.), sich wirklich bewegende und dadurch den „äußeren Sinn“ affizierende Materie. Der Begriff einer objektiven Bewegung gehört aber nach Kant nicht in eine reine Wissenschaft, „weil, daß etwas beweglich sei, nicht a priori, sondern nur durch Erfahrung erkannt werden kann“ (B 155 Anm.). Dasselbe gilt analog von wirklichem Denken. Kant kann den Unterschied zwischen einem inne|286|ren und einem äußeren Sinn letztlich nur mit der Voraussetzung dieser empirischen Begriffe, nicht aber diese von einem transzendentalen Unterschied zwischen innerem und äußerem Sinn her verständlich machen12. 12 Die Rückwirkung dieses Umstandes auf die Vernunftkritik und auf die Kantische Lehre von Raum und Zeit als Formen des inneren und äußeren Sinnes betreffen auch
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Wenn man ein Beispiel verstehen will, muß man schon wissen, wofür es Beispiel sein soll. Man muß eigentlich die durch es belegte Sache schon verstanden haben. Nur so kann Kant auch die „Beispiele“ zu seinem Wissenschaftsbegriff verstehen, ja nur vom Begriff der Wissenschaft überhaupt her versteht sich das Beispiel Wissenschaft. Anders ist es selbst nicht als Wissenschaft zu begreifen. Wenn nun die Beispiele verdecktermaßen schon für den reinen Begriff einer Wissenschaft konstitutiv sind, wird unverständlich, wofür sie Beispiel sein sollen, oder, mit anderen Worten, das Beispiel hört auf, „nur“ Beispiel zu sein. Es ist nicht nur etwas Beiherspielendes, sondern etwas Konstitutives. Der empirische Begriff erweist sich als konstitutiv für den reinen, und Kant schreibt selbst, dieser bliebe ohne das Beispiel ohne „Sinn und Bedeutung“ (MA, 478). Man könnte vielleicht sagen, der reine Begriff „erfülle“ sich erst im Beispiel. Aber wenn das Beispiel für ihn selbst konstitutiv ist, kann man sich eigentlich so nicht mehr ausdrücken, denn dann ist da nicht mehr zuerst ein Begriff und dann erst ein Beispiel, wie Kant es trotz seiner Reflexionen auf die Problematik eines Begriffs empirischer Wissenschaft noch handhaben möchte. Die Seiten des sich bei Kant als Sprung vom Begriff zum Beispiel darstellenden Verhältnisses lassen sich der Sache nach nicht auseinanderhalten. Insofern liegt der Sprung nicht außerhalb des „nur noch“ um Beispiele bemühten Denkens, sondern im Denken selbst. Im Bewußtsein dieses Umstandes hätte es einen anderen Begriff von sich selbst, entsprechend der Einsicht, daß Denken sich gegenüber den „symbolischen“ Begriffen tradierter Sprache des Denkens nicht auf einen „reinen“ Teil zurückzuziehen vermag, in dem es sich die Gewißheit seiner objektiven Relevanz zu vermitteln vermöchte. Welche Konsequenzen sich daraus für die Absicht einer allgemeinen „Wissenschaftstheorie“ ergeben, liegt auf der Hand. Sie stellen sich dar als Chorismos zwischen philosophischem Begriff und empirischem Dasein von Wissenschaft, wie es jeweils in der Auffächerung ihres Begriffs und in den jeweils gegebenen Stadien der immanenten Entwicklungen und Auseinanderentwicklungen anzutreffen ist, und dabei ist das Bild der „Auffächerung“ immer noch von der Vorstellung geleitet, sie tangiere nicht den vorausgesetzten einen Begriff. |287|
die Frage, inwieweit sich die These aufrechterhalten läßt, daß diese empirischen Begriffe und die mit ihnen konstituierten besonderen Wissenschaften für eine reine (transzendentale) Wissenschaft nur „Beispiel“ seien, oder ob nicht vielmehr auch diese schon implizit solche „abgesonderten (obzwar an sich empirischen) Begriffe“ benötigt.
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VI. Kant gibt zwei Beispiele für den Begriff von Naturwissenschaft. Dem heutigen Sprachgebrauch nach würde man wohl eher nur die Wissenschaft von der körperlichen Natur und nicht auch die, die unter der Voraussetzung der Existenz denkender Wesen im Objektbereich antritt, „Naturwissenschaft“ nennen. Dieser terminologische Unterschied ist darin begründet, daß „Naturwissenschaft“ für Kant als Wissenschaft, die überhaupt Dasein voraussetzt, den Gegenbegriff zur mathematischen Wissenschaft bildet, nicht etwa zu einer „Geisteswissenschaft“. Somit fällt die Wissenschaft, die schon von ihrem begrifflichen (metaphysischen) Teil her von denkenden Wesen handelt, mit unter den Begriff „Naturwissenschaft“, oder, anders herum gewendet, für die Naturwissenschaft im heutigen Sinne und für eine Wissenschaft von denkenden Wesen ergeben sich nach Kant grundsätzlich die gleichen wissenschaftsphilosophischen Probleme, denn beide setzen gleichermaßen „empirische Begriffe“ schon im „reinen“, noch nicht empirisch vorgehenden Teil voraus und sind deshalb im strengen Sinne nicht mehr voraussetzungslose oder doch nur das „Instrumentarium“ der Vernunft selbst voraussetzende Verhaltensweisen. Daß dann allerdings im Anschluß an die Vorrede in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft nur das eine Beispiel für „Naturwissenschaft“, nämlich das dem heutigen Begriff der Naturwissenschaft entsprechende, ausgeführt wird, darf über den Sprung vom reinen Begriff zum praktischen Beispiel nicht hinwegtäuschen. Das unter einen besonderen Begriff (z.B. einer körperlichen Natur) Fallende kann in einer NaturWissenschaft („zum Behuf einer für unseren Verstand erkennbaren Ordnung“, Kritik der Urteilskraft, Einleitung, AA V, 186) nur noch so betrachtet werden, „als ob“ es unmittelbar Natur unter dem allgemeinen Begriff der einen Natur sei, der, als dem objektiven Korrelat von reiner Unvoreingenommenheit, der reine Verstand seine Gesetze vorschreibe und von deren Erkenntnis deshalb auch ein rationaler Begriff gelinge. Das besonders Bestimmte wird, wenn es nun seinerseits durch die allgemeinen Verstandesbegriffe weiter kategorial bestimmt wird, angesehen als im transzendentalen Verstande bestimmte Natur. Man kann nun zwar mit Hoppe folgern, das Problem eines kritischen Begriffs auch der empirischen Erkenntnis sei in der Kritik der reinen Vernunft nicht ausreichend gelöst. Aber das hat systematische Gründe. Es kann von Kant auch gar nicht sprunglos gelöst werden. Es ist nicht, wie Hoppe schreibt, in der Kritik der Urteilskraft noch einmal „nicht eben glücklich“ aufgegriffen, so daß es dann in den Metaphysischen Anfangsgründen und im Opus postumum weiter aufzugreifen gewesen sei13. Schon 13 Vgl. H. Hoppe, 21.
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in der Kritik der Urteilskraft geschieht vielmehr, auf dem Boden dieser kritischen Grenzziehung gegenüber den Möglichkeiten einer „reinen“ Vernunft, ein anderer Einsatz, der sich mit dem Problem der „Urteilskraft“ überhaupt beschäftigt, also auch der Urteilskraft, die als Urteilen über Besonderes sich nicht zugleich eines Begriffs der objektiven Gültigkeit ihres Urteilens versichern |288| kann14. Eine kritische „Theorie“ hat Kant von seinem Ansatz her nicht von der Naturwissenschaft im modernen Sinne, schon gar nicht von der Physik, sondern nur von einer Naturwissenschaft überhaupt in dem ganz allgemeinen, heute nicht mehr gebräuchlichen Sinn zu geben vermocht, unter deren reinen Begriff auch noch eine Wissenschaft von denkenden Wesen fallen könnte. Daß dann, nach dem Sprung vom Begriff zum Beispiel, doch nur das eine Beispiel ausgeführt wird, ja daß Kant selbst in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft ganz ähnlich wie in den Metaphysischen Anfangsgründen schreibt, es sei „merkwürdig“, „daß wir, um die Möglichkeit der Dinge, zufolge der Kategorien, zu verstehen, und also die objektive Realität der letzteren darzutun, nicht bloß Anschauungen, sondern sogar immer äußere Anschauungen bedürfen“ (B 291), kann nicht bedeuten, die Theorie selbst leiste von sich aus schon den Übergang zu dieser besonderen Naturwissenschaft. Im Gegenteil, der Sprungcharakter des Übergangs wird dadurch verdeutlicht. Denn der transzendentale Schematismus im Übergang von den Kategorien zur Anschauung ist die „transzendentale Zeitbestimmung“. Sie kann transzendentales Schema sein, weil in der „transzendentalen Ästhetik“ die Zeit als Form der Anschauungen überhaupt vorgestellt worden war. Der Raum als Form nur der äußeren Anschauung kann konsequenterweise im transzendentalen Schematismus keine Rolle spielen. Gerade deshalb ist es nach Kant, wie er an verschiedenen Stellen seines Werkes schreibt, ja auch „merkwürdig“, daß wir als konkretes Beispiel sprunghaft etwas aus der äußeren Anschauung nehmen müssen, und diese Äußerlichkeit gegenüber dem Begriff und der Form seiner Selbstanschauung charakterisiert gerade das Beispiel als aufgelesenes, als zufälligen Fall zu einem der Veranschaulichung bedürftigen Begriff. Man könnte sogar sagen, daß, wenn schon der Sprung zum Beispiel dem Begriff erst „Sinn und Bedeutung“ verleihen kann, es dann so überraschend nicht ist, wenn sich zeigt, daß sich nur ein Beispiel „von außen“, aus äußerer Anschauung finden läßt15. |289| 14 Vgl. hierzu auch G . Lehmann, Kants Nachlaßwerk und die Kritik der Urteilskraft, Berlin 1939. 15 Diese Beispiele „an sich empirischer Begriffe“, die zum begrifflichen Kontext einer Wissenschaftstheorie hinzukommen müssen, um einer „bloßen Gedankenform Sinn und Bedeutung unterzulegen“ (MA, 478), sind trotz äußerer Anklänge ihrem systematischen Stellenwert nach nicht mit den von den Kategorien abgeleiteten, aber „ebenso reinen“ Begriffen („Prädikabilien“) zu verwechseln, von denen Kant (B 107-109)
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Im einzelnen bedürfen wir nach Kant, z. B. „um dem Begriffe der Substanz korrespondierend etwas Beharrliches in der Anschauung zu geben ..., eine[r] Anschauung im Raume (der Materie)“, und wir müssen, „um Verspricht, deren systematische Darstellung er aber schuldig bleibt, unter anderem weil er befürchtet, sie würde „Zweifel und Angriffe“ erregen (B 109). Sie haben dann auch der Kantinterpretation immer wieder Schwierigkeiten bereitet. Plaaß hält den „empirischen Begriff“ der Bewegung, wie er den Metaphysischen Anfangsgründen zugrunde liegt, für das „Prädikabile ‚Bewegung‘“ (Plaaß, 96). Aber Prädikabilien sind doch nach Kant ausdrücklich „ebenso reine“ Begriffe wie die Kategorien, also nicht empirische Begriffe. K. Cramer schreibt von den Prädikabilien, sie seien zwar Begriffe a priori – und, so kann man hinzufügen, auch „reine“ Begriffe – aber sie gehörten zu den Begriffen, „die Subjekte eines synthetischen, aber nicht reinen Urteils a priori sein können“, weil ihre objektive Realität nur „durch die Beigabe eines ‚bloßen Beispiels zu dem Begriffe‘ zu beweisen“ sei (K. Cramer, Zur systematischen Differenz von Apriorität und Reinheit, |289| in: Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer, Frankfurt a. M. 1966, 46f.). Man könnte die Schwierigkeit hier anknüpfend dadurch beheben, daß man die empirischen Begriffe, die in den Metaphysischen Anfangsgründen als Grundbegriffe besonderer Wissenschaften auftreten, als Beispielbegriffe zu Prädikabilien, nicht aber als diese selbst verstünde. „Bewegung“ bezeichnete dann bemerkenswerterweise sowohl einen reinen Begriff als auch sein empirisches Beispiel, das ja ebenfalls immer nur in einem (empirischen) Begriff angeführt werden kann, und verklammerte somit sprachlich die bei Kant auseinanderklaffenden Seiten von Wissenschaft überhaupt und wirklicher Wissenschaft. Als Begriffe wären die Prädikabilien dann „ebenso reine Begriffe“ wie die Kategorien, aber weil sie nicht nur in reinen Urteilen gebraucht werden können, gingen sie durch ihren Gebrauch von ihrer reinen Bedeutung über in Beispiele ihrer selbst. Dieser Übergang bezeichnete dann exakt das Wesen sprachlicher Begriffe. Nach einer Stelle in der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik (AA XX, 272) sind die Prädikabilien entweder nur aus reinen Verstandesbegriffen abgeleitete Begriffe oder „sinnlich bedingte Begriffe a priori“. Zu der ersten Gruppe soll der Begriff der Veränderung als „Dasein mit entgegengesetzten Bestimmungen“, zu der zweiten der Begriff der Bewegung als Veränderung im Raume gehören. Nun kann man nicht a priori wissen, daß etwas beweglich ist. Deshalb gehört die Bewegung eines Objekts nicht in eine reine Wissenschaft. Kann man dann aber a priori den Begriff der Bewegung nur durch Kombination des Begriffs der Veränderung mit dem des Raumes erhalten, da doch Bewegung im Raum Veränderung der räumlichen Bestimmtheit von etwas sein müßte und also nicht „Handlung des Subjekts“ in der „sukzessiven Synthesis des Mannigfaltigen in der äußeren Anschauung durch produktive Einbildungskraft“ (B 154, B 155 Anm.) sein könnte? Im Begriff der Veränderung liegt per definitionem schon der des Daseins, also auch in dem davon abgeleiteten Begriff der Bewegung, wie er hier als Beispiel für ein Prädikabile vorgestellt wird. Es kommt gegenüber dem Begriff der Veränderung, der nur den Begriff des Daseins enthält und deshalb noch als abgeleiteter transzendentalphilosophischer Begriff (Prädikabile) aufgefaßt werden kann, hinzu, daß etwas im Raume wirklich dasein muß. Es muß ein Anlaß gegeben sein, demgegenüber die Begriffe der Veränderung und des Raumes zu einem (nicht reinen) Urteil zu kombinieren sind, weil „Raum“ bei Kant nicht nur nicht Begriff und schon gar nicht Verstandesbegriff, sondern Form der Anschauung von Gegebenem
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änderung, als die dem Begriffe der Kausalität korrespondierende Anschauung, darzustellen“, „Be|290|wegung, als Veränderung im Raume, zum Beispiel nehmen“ (B 291)16. Wie ernst es Kant hier mit dem Begriff des Beispiels als eines zugefallenen konkreten Falles ist, wird dadurch unterstrichen, daß gerade „Bewegung“ im objektiven Sinne für ihn ausdrücklich nicht zu einer reinen Wissenschaft zählen kann. Das Beispiel wird in der Tat – aus der Not der sich ihrer Grenze bewußten Theorie heraus – aufgenommen, es wird nicht deduziert17. Daß wir uns „merkwürdigerweise“ hier äußere Anschauung zum Beispiel nehmen müssen, bedeutet, daß wir den transzendentalen Teil einer Metaphysik der Natur überschreiten müssen, um ihm „Sinn und Bedeutung“ zu geben, und gerade nicht, wie Hoppe es sieht18, daß wir uns mit ihm schon im Bereich der körperlichen Natur befänden. Wir verlassen den transzendentalen, uns zugleich einen rationalen Begriff von der Möglichkeit objektiver Erkenntnis vermittelnden Teil schon sein will, die im Unterschied zu dem Begriff von Gegebenem dessen wirkliches Vorliegen voraussetzt. Der merkwürdige Begriff einer reinen Form der äußeren Anschauung (vgl. J. Simon, Sprache und Raum) dürfte hier als Verknüpfung des Begriffs einer apriorischen Form, unter den sie mit den Verstandesbegriffen gemeinsam fällt, mit dem der Anschauung von wirklich Gegebenem begrifflich die Schwierigkeit verdecken. Sie wird dadurch verdeckt, daß der Begriff der Bewegung einerseits als Prädikabile aufgefaßt wird, insofern er als Kombination des (seinerseits nur durch Kombination von entgegengesetzten reinen Verstandesbegriffen abgeleiteten) Begriffs der Veränderung mit dem des reinen Raums verstanden wird, und andererseits zugleich vom konkreten Anlaß seiner Bildung als dieser Begriff her Beispiel seiner selbst sein muß, weil diese Kombination sich – vom Raumbegriff Kants aus – nur gegenüber wirklicher Bewegung vollziehen kann, die den äußeren Sinn wirklich affiziert. Das hat die in diesem Zusammenhang nicht weiter verfolgbare Konsequenz eines Begriffs vom Begriff, nach dem konstitutive Bedeutung und Gebrauch von Begriffen sich nicht mehr abstrakt trennen lassen, eine Konsequenz, die nicht nur den Rahmen der Kantischen Reflexion übersteigt. 16 Dieser Sachverhalt hat wohl Kant selbst, vor allem im Übergang zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, die größten systematischen Schwierigkeiten bereitet, wie vor allem das eingefügte Kapitel über die „Widerlegung des Idealismus“ und dessen nochmalige Änderung in der Vorrede zur zweiten Auflage zeigt. Die „Widerlegung des Idealismus“ hat dann auch nicht einen Vorrang der äußeren Anschauung vor der inneren, sondern wieder nur die unmittelbare Zweiheit von äußerer und innerer, also den Abbau eines (idealistischen) Vorrangs der inneren zum Resultat: „Das Bewußtsein meines eigenen Daseins ist zugleich ein unmittelbares Bewußtsein des Daseins anderer Dinge außer mir“ (B 276). 17 Für die gegenwärtige Wissenschaftstheorie dürfte in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein, daß auch nach Kant die Frage der objektiven Realität des Kausalbegriffs sich als Frage eines sich findenden Beispiels wissenschaftlichen Bestimmens erweist, in dessen Bereich tatsächlich kausale Bestimmung gelingt. Mit der Transzendentalität des Kausalbegriffs ist nicht zugleich schon ein durchgehender Kausalnexus in „der“ Natur abgeleitet. 18 H. Hoppe, 39.
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im Übergang zum metaphysischen (protowissenschaftlichen) Teil einer jeden besonderen Naturwissenschaft. Von deren Tun gelingt demnach auch dann kein kritischer Erkenntnisbegriff, wenn ihre besonderen Grundbegriffe sich in dem Zusammenhang faktischer Bemühungen als zweckmäßig erwiesen haben, den durch sie abgegrenzten besonderen Bereich so anzusehen, als handele es sich um erkennbare Natur „überhaupt“, unter Aussetzung der Reflexion auf die sprachlich, wissenschaftshistorisch und auch außerwissenschaftlich (lebensweltlich) bedingte Vorgegebenheit dieses besonderen Ansatzes gegenüber einem Ansatz aus „reiner“, unbedingter Vernunft19. Äußere Anschauungen sind diejenigen Anschauungen, die etwas veranschaulichen. In der Kritik der reinen Vernunft heißt es entsprechend, „daß wir die Zeit“ als Form innerer Anschauung, „die doch gar kein Gegenstand äußerer Anschauung ist, uns nicht anders vorstellig machen können, als unter dem Bilde einer |291| Linie, sofern wir sie ziehen, ohne welche Darstellungsart wir die Einheit ihrer Abmessung gar nicht erkennen könnten, imgleichen daß wir die Bestimmung der Zeitlänge, oder auch der Zeitstellen für alle inneren Wahrnehmungen, immer von dem hernehmen müssen, was uns äußere Dinge Veränderliches darstellen“ (B 156). Aus der Verlegenheit des Begriffs um ein Beispiel folgt, daß das Beispiel sich in äußerer Anschauung finden muß. Man könnte sich auch das andere Beispiel (einer Wissenschaft von denkenden Wesen) nicht anders „vorstellig machen“. Daß also die Wissenschaft von körperlichen Wesen als Beispiel für den Begriff einer Naturwissenschaft überhaupt genommen wird, folgt nicht aus diesem Begriff, sondern aus dem Wesen von (anschaulichen) Beispielen, in denen etwas „vorstellig gemacht“, d. h. vor das anschauende Subjekt hingestellt werden soll. Von da her ist die Vor-Stellung äußere Vorstellung20. Da das Beispiel als solches etwas dem Begriff gegenüber Äußerliches ist, findet es sich in äußerer Anschauung. Kant verbindet in der zitierten Stelle mit der „Darstellungsart“ in äußerer Anschauung noch ein weiteres, nämlich die Notwendigkeit der Verräumlichung zum Zwecke messender Bestimmung. Es liegt in der Raumvorstellung, daß sie veranschaulicht, d. h. daß sie als Form der Anschauung von etwas „außer uns“ uns zugleich das Angeschaute erst als nach „Gestalt, Größe und Verhältnis gegeneinander bestimmt oder bestimmbar“ vorstellt 19 Plaaß dürfte den richtigen Ausdruck gefunden haben, wenn er es „nicht ganz leicht vorstellbar“ findet, wie Kant das Zusammenspiel von transzendentalem und besonderem Teil der „Metaphysik“ der Natur versteht. Aber diese Schwierigkeit ist keine „Inkonsequenz“ Kants (P. Plaaß, 68), sondern eine systematische Unverständlichkeit als notwendiges Zusammenspiel von Begriff und Beispiel über die Grenzen der Möglichkeiten eines „reinen“ Verstandes hinweg. 20 Vgl. hierzu den Hegelschen Begriff der Vorstellung, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von 1830, § 451.
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(B 37). Ohne diese Verräumlichung innerer Wahrnehmungen gäbe es keine „Einheit ihrer Abmessung“ und keine „Bestimmung der Zeitlänge“. Das heißt, Mathematik kann nicht unmittelbar an innerer Wahrnehmung ansetzen. Sie bedarf, wenn sie auf Dinge bezogen werden soll, des „äußeren“, verräumlichenden Beispiels oder einer verräumlichenden (modellhaften) Darstellung, um ihre konstruierbaren Begriffe auf Daseiendes anwenden zu können21. Es kann sich nach Kant in einer Wissenschaft aber nur so viel „eigentliche Wissenschaft“ finden, „als Mathematik in ihr angewandt werden kann“, weil nur diese Wissenschaft ihres Gegenstandes a priori gewiß sein darf. Es kann nun gefolgert werden, daß jetzt nicht der Begriff einer Wissenschaft – der ja sowohl im Falle einer Wissenschaft von denkenden Wesen als auch im Falle einer Wissenschaft von der körperlichen Natur „an sich empirische“ Begriffe in sich aufnehmen muß – sondern die „Darstellungsart“ über die Wissenschaftlichkeit entscheidet. Auch eine Wissenschaft von denkenden Wesen müßte in die Darstellungsart in äußerer Anschauung und damit in räumliche Vorstellungsform übergehen22.|292| Man kann also sagen, nach Kant seien empirische Wissenschaften nur gemäß ihrer Darstellungsart, nicht aber bezüglich der Erkenntnis der ihnen eigentümlichen Gegenstände „eigentliche“ Wissenschaft. Bezüglich ihres spezifischen Gegenstandes ist die Wissenschaft von der körperlichen Natur nicht wissenschaftlicher als eine sogenannte Geisteswissenschaft, weil beide als besondere Wissenschaften aus dem reinen Begriff einer (Natur-)Wissenschaft herausfallen, und die wissenschaftlich geforderte Darstellungsart nivelliert dann wieder die Unterschiede dieser konkreten „Beispiele“. Es liegt auf der Hand, was dies für eine Erkenntnistheorie bedeutet. In dem Kantischen Theorem, nur von der Erkenntnis von „Erscheinungen“, nicht von „Dingen an sich“ gelänge ein rationaler Begriff, kann dann mit „Erscheinung“ nur die mathematische Darstellungsmöglichkeit des empirisch Gegebenen als Bedingung seiner Meßbarkeit gemeint sein, nicht aber dessen konkrete sinnliche Gegebenheit, die ja empirische Begriffe voraussetzt. Der kritisch abgesicherte Erkenntnisgehalt der Mathematik anwendenden Einzelwissenschaften führt, in diesem kritischen Verstand von Erkenntnis, nicht über den der reinen Mathematik hinaus, ob es sich nun um Anwendung auf körperliche Natur oder indirekt auf denkende Wesen handelt. 21 Auch mit dem Begriff der postulierten Meßbarkeit wird deutlich, daß im Grunde „reine“ Wissenschaft schon verlassen ist, denn nur Strecken sind meßbar. Strecken haben aber ausgezeichnete Punkte, und solche finden sich nicht in reiner Anschauung. 22 Hier wird besonders deutlich, daß Kant den euklidischen Anschauungsraum nur im Sinne dieser Veranschaulichung (als Raum messenden Verhaltens), nicht aber auch als „physikalischen“ Dingraum einer besonderen Wissenschaft von der Materie (Physik) zugrunde legt.
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VII. Der hier entfaltete Kantische Wissenschaftsbegriff könnte zu einer philosophischen Reflexion über das Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften beitragen. Die Geisteswissenschaften sind seit Dilthey „verstehende Wissenschaften“ genannt worden. Wenn „Verstehen“ einen Akt der Übertragung des in innerer Selbsterfahrung Gewonnenen auf äußere Gegenstände bedeutet, die in diesem verstehenden Akt dann (a priori) als denkende, handelnde Wesen usw. bestimmt werden, dann entspricht das der Grundbestimmung einer Wissenschaft von denkenden Wesen im Sinne Kants. In ihr werden gegebene Erscheinungen in Ansehung des Grundbegriffs „denkendes Wesen“ als bestimmt angesehen. Dieser Grundbegriff einer besonderen Wissenschaft ist „an sich“ ein auf innere Erfahrung bezogener empirischer Begriff. Die Gegenstände, um deren Bestimmung es dabei geht, sind damit in dieser besonderen Wissenschaft (im Sinne eines relativen Apriori) als Erscheinungen von Freiheit bestimmt, als Äußerungen intelligibler Charaktere, aber als „Erscheinungen“ sind sie dennoch „eben so wohl als jede andere Naturbegebenheit nach allgemeinen Naturgesetzen bestimmt“23. Was sie zu Erscheinungen von Freiheit und damit als „menschliche Handlungen“ bestimmt, ist der hier angesetzte besondere metaphysische Grundbegriff, der auf derselben Stufe mit dem in einer Wissenschaft von körperlichen Gegenständen angesetzten metaphysischen Grundbegriff der Materie steht. Der Begriff allgemeiner Natur|293|gesetze nivelliert wieder die mit diesen spezialmetaphysischen, aber „an sich empirischen“ Begriffen gesetzten Besonderheiten durch deren analytische Zergliederung in mathematisierbare Bestandteile. Nur so läßt sich auf eine wissenschaftliche Darstellung der Geschichte als der „Erzählung dieser Erscheinungen“ hoffen. In beiden Arten empirischer (d. h. nicht mathematischer) Wissenschaft hängt die Wissenschaftlichkeit von der Zurücknahme des Beispiels in den einen Begriff ab. Sie erstreckt sich also statt auf die Besonderheit des jeweiligen Gegebenen lediglich auf die eine, durchgehende Art mathematischer Darstellung, und „eigentlich“ ist eine Wissenschaft, soweit diese Darstellung gelingt. Von dieser einen Darstellungsart ist die besondere Methode besonderer Wissenschaften zu unterscheiden. Bei Kant heißt es, wenn man „etwas eine Methode nennen“ wolle, müsse es sich um ein „Verfahren nach Grundsätzen“ handeln (B 883). In besonderen Wissenschaften sind die Grundsätze, wieder nach Kant, weil sie besondere sind und nicht dem reinen Verstand selbst entspringen, durch Anschauung gegeben. Anschauung ist die Erfahrungsquelle des Besonderen. In Einzelwissenschaften „liefert der Gebrauch 23 Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, AA VIII, 17.
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die Methode“ („usus dat methodum“)24. Sie kann nicht aus apriorischen Prinzipien deduziert werden. Sie ergibt sich, „nachdem die Wissenschaft schon zu einigem Umfang und einiger Festigkeit gelangt ist“ und besagt, „auf welche Weise es anzufangen ist, daß sie zur Vollständigkeit und immer größeren Reinheit von den Flecken der Irrtümer wie der Unklarheiten gelangt“25. Kant vergleicht diesen Charakter wissenschaftlicher Methoden, einem schon in Gang befindlichen Gebrauch zu folgen und ihn zu systematisieren, mit dem Verhältnis formulierter grammatischer Regeln zu einer gesprochenen Sprache. Methodenreflexionen bleiben also ein nachträgliches, wenngleich einen Gebrauch systematisch ausrichtendes Geschäft. Sie heben geltende Normen hervor und machen sie bewußt zur Richtschnur disziplinierten Verhaltens, aber sie bestimmen nicht von sich aus von einer Idee her den Gebrauch. Gerade dieser Methodenbegriff zeigt deutlich, daß nach Kant die unterschiedlichen Einzelwissenschaften, die wegen der in ihnen angestrebten Systematik im weitesten Sinne des Wortes „schon darum Wissenschaft heißen“ können, sich von empirisch anzutreffenden Verhaltensformen her verstehen. Wenn man es mit Husserl so nennen will, gründen sie in der „Lebenswelt“. In ihrer Besonderheit gegeneinander sind sie etwas wirklich Vorfindliches, und die an dieser Wirklichkeit anknüpfende kritische Frage, wie gedacht werden könne, daß sie als Wissenschaft möglich seien, fragt über den mit der systematisch gehandhabten Methode schon gegebenen Status einer Wissenschaft als System hinaus nach dem Begriff der objektiven Gültigkeit eines solchen Systems. Die Antwort auf diese kritische Frage ergibt sich, über alle Unterschiede zufällig anzutreffender Wissenschaften hinweg, als Antwort auf die Frage, wieweit Mathematik dann wieder an analytischen Bestandteilen der selbst nicht mathematisierbaren (nicht konstruierbaren) Grundbegriffe besonderer |294| Wissenschaften ansetzen kann. Welche besonderen Wissenschaften es wirklich gibt, d. h. welche Beispiele für die Anwendung von Mathematik in Frage kommen, bleibt eine Angelegenheit „historischen“ Wissens („ex datis“), und es gibt auch keine Möglichkeit einer allgemeinen Theorie davon, daß der spezialmetaphysische Teil besonderer Wissenschaften so sein und so bleiben müsse, wie er historisch angetroffen wird. Er bleibt, wie die Newtonsche Physik für Kant, eben Beispiel. Gegenüber den Wissenschaften in ihrer Besonderheit könnte demnach die Philosophie sich lediglich beschreibend verhalten und Vorgefundenes auf dem Wege einer „verstehenden“ Einlassung aufnehmen. Die besonderen Wissenschaften wären in ihrer Besonderheit Gegenstand historischer Betrachtung, Handlungen als Erscheinung von Freiheit oder von Praxis und 24 De mundi sensibilis ..., AA II, 410. 25 Ebd.
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nicht reine Theorie. Diese Einsicht ist allerdings identisch mit der Einsicht, daß von diesen vorgefundenen „wissenschaftlichen“ Verhaltensweisen kein Begriff ihrer objektiven Relevanz im Sinne der kritischen Fragestellung Kants gelingt. Lediglich praktisch-philosophische Reflexionen können dann hier noch sinnvoll ansetzen, indem sie diese besonderen Verhaltensweisen als „Handlungen“ schlechthin, nicht aber als Erkenntnishandlungen betrachten. Das Unbefriedigende dieses Resultats führt zu der weiteren Frage, ob die undialektische Begrifflichkeit einer zwischen theoretischer und praktischer Philosophie so einteilenden philosophischen Sprache, daß Vernunft unmittelbar nur praktische sein kann, dem Phänomen der Wissenschaften gerecht zu werden vermag und zu ihrer adäquaten philosophischen Reflexion ausreicht. Gerade die Besinnung auf Kant könnte diese Frage besonders deutlich machen, da sich in Kant die Anstrengung des Begriffs einer oberflächlichen Glättung unvermeidlicher Brüche im Wissenschaftsbegriff beharrlich widersetzt.
VIII. Zum Schluß bleibt zu erörtern, wie sich Kants „Metaphysik der Natur“ zu der allgemeinen Metaphysik verhält, die in der Kritik der reinen Vernunft restringiert werden sollte. Diese Frage, die ja nicht nur historisch die Philosophie Kants betrifft, sondern das systematische Problem einer Wissenschaftsphilosophie überhaupt, ist in der Literatur sehr unterschiedlich beantwortet worden. Führen die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft die zuvor in ihre Schranken gewiesene Metaphysik wieder ein, so daß im Übergang von der sonst leer bleibenden Reflexion zum besonderen positiven Beispiel einer Naturwissenschaft der kritische Boden wieder verlassen werden muß oder, da sich erst in diesem Übergang die Reflexion sinnvoll erfüllt, sogar immer ebensogut schon verlassen war? Denn nur aus einer glatten „Anwendung“ der in der Kritik entwickelten transzendentalen Prinzipien sind die besonderen Grundbegriffe der Metaphysik der besonderen Naturwissenschaften gerade nicht zu verstehen. Sie verlangen, da sie erst diesem transzendentalen Teil „Sinn und Bedeutung“ verleihen sollen, einen |295| „eigenen Ansatz beim schon bestimmten Wissen von der Natur“ als Physik26. Dieses „Wissen“ ist dann nicht vom apriorisch gesicherten Begriff einer Möglichkeit von Wissen gedeckt, wie die Kritik ihn entfaltet. Als hinzukommendes Beispiel soll es dieser Entfaltung erst Sinn geben. Man kann auch sagen, die Kritik bliebe sonst selbst Philosophie rein aus Begriffen und also in Kants eigenem Sinn vorkritische Metaphysik ohne 26 L. Schäfer, 24.
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Erfahrungsbezug. Um es noch prononcierter auszusprechen: das zusätzliche Hinzukommen positiver metaphysischer Anfangsgründe vollendet erst die Kritik zur „nachmetaphysischen“ Kritik. Zwei metaphysische Ansätze, der bei reinen Prinzipien und der bei besonderen Begriffen, machen erst das Ganze der Kantischen Erfahrungsphilosophie aus27. Sie bedarf, um Metaphysik der Natur im vollen Sinne werden zu können, schon als begrifflicher Teil einer möglichen Naturwissenschaft (historischer) Beispiele für das systematische Bestimmen von Gegebenem, da sie solche Begriffe aus sich selbst heraus nicht entwickeln kann. Sie bedarf also nicht nur eines Gegebenen überhaupt als eines unbestimmten Materials der Sinne, sondern des in einem bestimmten sprachlichen Begriff, z. B. dem der Materie, vorgegebenen Beispiels28. Der Transzendentalphilosophie ist zur Erlangung ihrer sinnvollen Konstitution nicht nur das Gegebensein eines unbestimmten Materials der Sinne, sondern das |296| historische29 Vorliegen eines Beispiels von historisch er27 So kann Plaaß zu der Formulierung gelangen, „daß eine jede Auslegung der Kr. d. r. V., die in deren positiven Teilen Verständnis erreichen will, in ständiger Beziehung auf die M.A. zu führen ist“. Ausdrücklich will er dies nicht nur auf „die von Kant projektierte, aber nicht gelieferte Allgemeine Metaphysik“ bezogen wissen, sondern gerade auf die Kritik (P. Plaaß, 21), so daß deren nur propädeutischer Charakter und ihre ständige Hinordnung auf die Methodenlehre mit ihrem Entwurf zu einem System der Metaphysik verständlich wird. Kant schreibt im Anschluß an die Vorstellung der Kategorientafel, er werde diese Begriffe „in der Folge bis auf den Grad zergliedern, welcher in Beziehung auf die Methodenlehre ... hinreichend“ sei (B 108f.). Es wird klar, daß Kant nicht nur von „unentbehrlichen Diensten“ der „abgesonderten Metaphysik der körperlichen Natur“ (MA, 478) für die Allgemeine Metaphysik, sondern für den allgemeinen Teil der Metaphysik der Natur, also für die Transzendentalphilosophie spricht (B 873). 28 Hoppe möchte dagegen die Unentbehrlichkeit besonderer und deshalb nicht aus dem Verstand selbst herleitbarer „Anfangsgründe“ nur auf die „Allgemeine Metaphysik“ bezogen wissen (H. Hoppe, 39f.). Von der Textauslegung her spricht aber alles dafür, daß Kant nicht die Metaphysik im allgemeinen, sondern die allgemeine Metaphysik der Natur meint: „Und so tut eine abgesonderte Metaphysik der körperlichen Natur der allgemeinen vortreffliche und unentbehrliche Dienste“ (MA, 478). Man wird hier den gemeinten Gegensatz als den zwischen abgesonderter und allgemeiner Metaphysik der Natur lesen müssen, weil nur diese Teile der Allgemeinen Metaphysik sich systematisch berühren. Nur vermittels der besonderen begrifflichen Beispiele kann ein transzendentaler Teil als auf Erfahrung hingeordnet, d. h. überhaupt als „transzendentaler“ verstanden und von der Metaphysik überhaupt spezifiziert werden. So könnte man allerdings formulieren: Die Metaphysik überhaupt bedarf solcher vorgegebener Beispiele, um überhaupt einen transzendentalen Teil aus sich herausstellen zu können. Sie sind (unreine) empirische, aber konstitutive Bedingungen der Transzendentalphilosophie als des Teils der Metaphysik, der von den reinen Bedingungen und Prinzipien der Erfahrung handelt. 29 Historisches Wissen ist nach Kant Wissen „ex datis“ (vgl. B 864).
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scheinendem „Wissen“30 so wesentlich wie ihr Ansatz beim reinen Verstand und den reinen Anschauungsformen. Unreflektiertes, positives „Wissen“ geht als Praxis konstitutiv in den transzendentalen Begriff von Wissen ein. Das positive Beispiel von Wissen ist sogar die eigentliche Vermittlung zwischen Verstand und konkreter Anschauung; es kann diese Vermittlung systematisch leisten, weil in ihm als einem abgesonderten (apriorischen), obgleich an sich empirischen Begriff diese Vermittlung faktisch vollzogen ist. Es ist Mittelbegriff. Es tritt deshalb in seiner Positivität bei Kant an die Stelle des transzendentalen Schemas, der reinen Zeitbestimmung, wenn es nicht nur um die Vorstellung der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt, sondern um die der konkreten wissenschaftlichen Erfahrung zu tun ist. Nur das sprachlich-historische Gegebensein eines Mittelbegriffs in der historischen Zeit bringt reine Theorie zum Zusammenschluß mit ihrem Gegenstand. Die Ausführung der Kantischen Theorie der Erfahrung über den propädeutischen Ansatz der Kritik der reinen Vernunft hinaus führt Kant schon sehr in die Nähe des in Hegels Wissenschaft der Logik entwickelten Denkens und zugleich zu einer adäquateren Theorie vom philosophischen Status der Wissenschaften, die aber zugleich den reinen Status einer Theorie aus reinen Verstandesprinzipien verliert. Es zeigt sich auch hierin, daß die Grenzziehung Kants nicht zwischen Metaphysik und Naturwissenschaft, sondern zwischen Metaphysik und mathematischer Wissenschaft erfolgt, so wie Kant sie versteht: als Exponenten dogmatisch vorgegebenen, bzw. reinen Wissens. Naturwissenschaft als solche bedarf der Metaphysik und der Mathematik, um einerseits Erfahrungswissenschaft von bestimmten Gegenständen über den transzendentalen Begriff eines Gegenstands überhaupt hinaus und andererseits kritische, als Erkenntnis gnoseologisch abgesicherte Wissenschaft („eigentliche“ Wissenschaft) sein zu können. Die Naturwissenschaft ist dabei sowohl metaphysische Wissenschaft, weil sie „Metaphysik der Natur“ mit ihren beson30 Zum Begriff eines „erscheinenden Wissens“ vgl. Hegels Phänomenologie des Geistes (insbesondere den fünften Abschnitt der Einleitung; GW 9, 55). In diesem Begriff von Wissen sind nicht transzendentale Subjektivität und Objektivität einander abstrakt gegenübergesetzt. Gegenstand der Reflexion ist hier eine gegenüber der sich reflektierenden Subjektivität und ihren Bestimmungen bereits anders bestimmte existierende Subjektivität als „reales Wissen“ (Hegel, ebd., 56) wirklicher Menschen. Der Zugang dazu kann sich nicht mehr nur als identisches „Bestimmen“ verstehen, er hat sich ebensogut im „Verstehen“ darauf als auf etwas Vorgegebenes einzulassen. Solche konkreten sprachlichen Vollzüge erweisen sich also als konstitutiv für einen philosophischen Begriff von Wissenschaft, der sich in dieser Reflexion Kantischer Ansätze allerdings eher nur negativ ergibt. Vgl. die ausführlichere Darstellung dieser Zusammenhänge in J. Simon, Sprache und Raum, Berlin 1969; die Entfaltung der sprachlichen Dimension im Wissens- und Wissenschaftsbegriff an dieser Stelle würde über den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes hinausführen.
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deren „Anfangsgründen“ voraussetzt, als auch mathematische Wissenschaft, insofern Mathematik in ihr angewendet werden kann. Das Eigenartige der Kantischen Philosophie der besonderen Naturwissenschaft besteht gerade darin, daß sie |297| weder von dem einen noch von dem anderen Ansatz her ausreichend erklärt werden kann, so daß gegenüber dem transzendentalphilosophischen Ansatz der andere, unmittelbare Ansatz bei den „positiven“ Wissenschaften aus der Konsequenz Kants und seiner undialektischen Antithetik von reinem und besonderem Wissen heraus unentbehrlich erscheint, so fragwürdig er philosophisch für sich auch ist. Positivistische Wissenschaftstheorie erscheint als abstrakte Ergänzung einer ebenso abstrakten transzendentalen Reflexion, und beide Ansätze ermöglichen je für sich nicht die von Kant intendierte philosophische Kritik dogmatischer Positionen durch einen philosophischen Begriff von Wissenschaft.
Die Zeitbedingtheit der Urteilsbildung Zu Kants Modifizierung des Fürwahrhaltens als Meinen, Glauben und Wissen |29| Am Anfang, bei den „Vorsokratikern“, war die europäische Philosophie „dogmatisch“ oder „Lehre“. Das setzte einen Lehrer voraus, der sich von anderen Menschen dadurch zu unterscheiden beanspruchte, daß er privilegiert in der Lage sei, den anderen „die Wahrheit“ zu sagen. Aber schon bei Parmenides versteht sich die „Lehre“ als Anleitung zum Denken, d. h. hier: zu seiner Ausrichtung auf das aller Belehrung vorausliegende Sein und nicht auf das Nichtsein. Damit ist der Grund gelegt für das, was in der europäischen Philosophie „Seinsverständnis“ heißt. Die „dogmatische“ Grundthese lautet bei Parmenides, „Denken“ und „Sein“ seien im Sein dasselbe. Das Denken sei von seinem Sein her auf „das Sein“ ausgerichtet. Um es mit einem modernen Ausdruck zu sagen: das Denken ist „rein“ als solches „Seinsverständnis“, und „die Wahrheit“ ist das im „reinen“ Denken Gedachte. Das lehrt Parmenides nicht als ein sterblicher Mensch, sondern das sagt ihm die Göttin der Gerechtigkeit. Die Grundlehre dieser Philosophie ist göttlich, d. h. hier: mythisch begründet; der „Logos“ ist mythisch autorisiert. Denn wie sollte man sonst denken können, daß ein Mensch andere „grundsätzlich“, in der Grundvoraussetzung allen Denkens, belehren könnte? Dieser Anfang führt unmittelbar zu ebenso „grundsätzlichen“ Aporien. Unterscheidungen zwischen verschiedenen Seienden – wie z. B. zwischen „Denken“ und „Sein“, wenn gesagt wird, daß sie „dasselbe“ seien, so daß mit dieser vorgängigen Unterscheidung das Sein selbst als „Seiendes“ gedacht ist – beziehen sich nicht nur auf das Sein der Seienden, sondern ebenso auf das Nichtsein: Das eine Seiende ist nach dieser Unterscheidung das andere nicht. Damit ist alle Sprache der Sterblichen, die Seiendes voneinander unterscheidet, von der Wahrheit getrennt. Wenn Platon von einem „Vatermord“ an seinem philosophischen Vater Parmenides spricht, geht es um einen Versuch zur Überwindung dieser anfänglichen Krise einer sich als „Logos“ verstehenden und sich darin vom Mythos absetzenden Philosophie. Es geht darum, im Denken zu „erzwingen“ (biázesqai), „daß sowohl das Nichtseiende in gewisser Hinsicht sei, als auch das Seiende wiederum irgendwie nicht sei“. Denn sonst werde „im Leben niemand imstande sein, von falschen Reden und Vorstellungen zu reden, es sei nun
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von Schatten und Ebenbildern und Nachahmungen und Truggestalten selbst oder von den sich da|30|mit beschäftigenden Künsten, ohne sich lächerlich zu machen, indem er genötigt ist, sich selbst zu widersprechen“1. Auch hier wird immer noch davon ausgegangen, daß das „Denken“ rein als solches oder in seinem Sein die Wahrheit gegen den Sinnenschein („rein“ logisch) erzwingen könne. Das Gesetz des Denkens ist nun aber nicht mehr nur göttliches Gebot. Vielmehr ist mit dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch schon ein allgemein einsehbares Grundgesetz des Denkens formuliert: Denken „ist“ dann Denken, wenn es sich widerspruchsfrei darstellt, und nicht dann, wenn es nur „das Sein“ denkt. Die sprachliche Darstellung, die im griechischen Wort „Logos“ mit gedacht ist, erfährt dadurch zwar eine gewisse Rehabilitierung, aber sie bleibt doch auch hier noch „Lehre“, als „asymmetrische“ Belehrung durch die Philosophen, die, im Unterschied zu den anderen, die „Ideen“ als das wahrhafte, aber zugleich in sich unterschiedene Seiende schauen und deshalb die anderen belehren, d. h. nun: in ihrem eigenen Denken anleiten können. – Damit stellt sich die Frage nach dem Privileg der Philosophen und nach der Möglichkeit, sie von den anderen zu unterscheiden, z. B. von den Sophisten, die nur „überreden“ und nur die Kunst der „Überredung“ lehren wollen. – In diesem „grundlegenden“ Zusammenhang erzählt Sokrates in Platons „Politeia“ nun wieder einen Mythos: Die Philosophen werden, in ihrem Unterschied zu den anderen Menschen, „in Wahrheit“ schon vorgeburtlich „unter der Erde innen geformt und aufgezogen“2. Von daher sind sie disponiert, „das ewig unwandelbare Sein“3 zu erfassen. Nur ergibt sich dann sogleich ein anderes Problem: Sie haben offensichtlich Schwierigkeiten, diese Wahrheit den anders geformten anderen, die keine Philosophen sind, mitzuteilen. Dieser Unterschied zwischen einem „Erfassen“ der Wahrheit und ihrer sprachlichen Vermittlung bestimmt bis zur Gegenwart hin das europäische Philosophieren. Kant stellt ihn ins Zentrum seiner „Kritik“. Er spricht ironisch von platonisierenden Philosophen seiner Zeit, „welche es in sich haben, aber unglücklicherweise es nicht aussagen und durch Sprache allgemein mittheilen können (philosophus per inspirationem)“4. Wenn die Wahrheit mitgeteilt werden können soll, muß der Logos ihr verläßliches Medium sein, und es kommt dann nur noch darauf an, den Logos dementsprechend zu verstehen und zu gebrauchen. Damit spaltet sich die vorphilosophische Bedeutung dieses griechischen Wortes. Statt auf „das Sein“ 1 2 3 4
Platon, Sophistes, 241 d 2-7, e 1-5. Platon, Politeia, 414 d 6-7. Platon, Politeia, 484 b 3-4. Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, AA VIII, 389.
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bezogene Aussage bedeutet es nun wieder „Sprache“ im allgemeinen und „logische Sprache“ im besonderen. „Logisch“ ist die allgemeine Sprache, wenn sie so gebraucht wird, daß die Wahrheit sich in ihr widerspruchsfrei darstellen kann. Der aus „noma“ und „r™ñma“ zusammengesetzte Aussagesatz wird als die allgemeine Grundform der Wahrheit herausgestellt, und es wird zu|31|sätzlich gefordert, daß demselben „onoma“ nicht dasselbe „rhema“ zur gleichen Zeit zu- und abgesprochen werde. Aristoteles nennt den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch „die sicherste Aussage (dóxa) unter allen“5. Sie ist an sich einsichtig. Unter diesen „logischen“ Bedingungen kann eine Rede wahr sein, aber gerade das bedeutet, wie Kant dann herausstellt, daß „ein allgemeines materiales Kriterium der Wahrheit ... nicht möglich“ ist. Es ist nicht nur nicht menschenmöglich, sondern „sogar in sich selbst widersprechend“, d. h. es kann nicht einmal gedacht werden. „Denn als ein allgemeines, für alle Objecte überhaupt gültiges, müßte es von allem Unterschiede derselben völlig abstrahiren und doch auch zugleich als ein materiales Kriterium eben auf diesen Unterschied gehen, um bestimmen zu können, ob ein Erkenntniß gerade mit demjenigen Objecte, worauf es bezogen wird, ... übereinstimme“6. Der Bezug auf ein besonderes, von anderen Objekten unterschiedenes Objekt des Denkens ist hier als Bezug auf eine dem Denken vorgegebene Anschauung verstanden, die ihrem Begriff nach immer nur die eines einzelnen Subjekts sein kann. Kein Subjekt kann sein Denken von der ihm „gegebenen“ Anschauung ablösen, so als hätte es einen überlegenen „Standpunkt“, und folglich kann auch kein Subjekt sich anmaßen, andere zu belehren. Keines kann gegenüber anderen vernünftigerweise definitiv sagen wollen, was etwas in Wahrheit sei. Wenn sich die Frage stellt, was etwas in Wahrheit oder seinem „Wesen“ nach sei, erforderte die „richtige“ Antwort einen Aussagesatz besonderer Art. Er dürfte sich nicht als eine Zustandsbeschreibung von Erscheinungen, sondern müßte sich als horismos, als „Wesensaussage“ oder Definition einer Sache verstehen lassen. Das „Wesen“ (tò tí h®®n ei®nai) war nach Aristoteles das, „wovon der Logos horismos ist“ (oçswn o™ lógov e¬stìn o™rismóv)7. Das Wesen ist das im Logos, d. h. hier: im Denken erfaßte Sein, wie z. B. wenn gesagt wird, „der Mensch“ sei „das Tier, das den Logos hat“ (zø²²¯on lógon e¢con bzw. animal rationale) und das von daher in der Lage sei, etwas in seinem „Wesen“ zu bestimmen, d. h. es „adäquat“ zu denken. Aber wer unter den Menschen „hat“ den Blick auf das Wesen so, daß er seine Wesenseinsicht anderen – über die Differenz zu ihnen hinweg – 5 6 7
Aristoteles, Metaphysik 1011 b 13-14. Kant, Logik, AA IX, 50. Vgl. Aristoteles, Metaphysik 1030 a 6-7.
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vermitteln könnte? Man hätte diese Einsicht doch nur vermittelt durch die „Teilhabe“ an einer göttlichen Sicht. Nach der christlichen Lehre göttlicher Gerechtigkeit „hätte“ sie dann aber jeder in gleicher Weise. Jeder ist nach dieser Lehre Gott gleich nah. Die neuere Philosophie geht dagegen von der generellen Beschränkung des Menschen aus. Nach Kant ist Denken sogar „nicht ohne Beschränkung des Subjects möglich“8. Wir sind insgesamt zeitliche Wesen und wissen das auch. Natürlich interessiert uns vor allem die Frage, „was“ wir selbst in Wahrheit seien, als Frage |32| nach dem „Wesen“ des Menschen. Sie interessiert uns vor allem in praktischer Hinsicht. Es ergeben sich Situationen, in denen wir um unserer Orientierung und unserer Verantwortung im Handeln willen wissen möchten, was „der Mensch“ als solcher „sei“, „was“ wir als „einen Menschen“ ansehen können oder sollen und was wir von einem Menschen erwarten und verlangen können. Wir müssen dies z. B. wissen, wenn wir das allgemeine Menschenrecht auf Leben einem konkreten Lebewesen zu- oder absprechen wollen. Auch wenn wir davon ausgehen, daß dieses Recht sich auf alle Menschen beziehen soll, kann sich in bestimmten Fällen doch die Frage ergeben, „was“ denn ein Mensch und ob demnach auch „dieses da“ schon oder noch ein Mensch sei. Wir benötigen solch eine Orientierung unter Handlungsbedingungen, d. h. unter Bedingungen beschränkter Zeit und begrenzter „Übersicht“. Die praktische Dimension des Handelnmüssens unter Bedingungen beschränkter Zeit führt das logische Denken vor die Frage der philosophischen Zeitverschwendung. Diese Frage stellt sich mit der neuzeitlichen Ablösung von der Vorstellung einer Übersicht oder Wesenseinsicht durch „Teilhabe“ an einer göttlichen Sicht. Nach Descartes soll man sich nur solchen Fragen zuwenden, deren Beantwortung unter den Bedingungen beschränkter Zeit praktisch hinreichend gelingen kann. Zwar muß es „das Ziel der wissenschaftlichen Studien sein, die Erkenntniskraft darauf auszurichten, daß sie über alles, was [im Leben] vorkommt, unerschütterliche und wahre Urteile hervorbringt“,9 aber man soll sich doch auch „nur mit solchen Gegenständen“ befassen, „zu deren zuverlässiger und unzweifelhafter Erkenntnis unsere Erkenntniskraft offenbar ausreicht“10. So glaubt man zwar, schon vor aller Wesensbestimmung des Menschen, ein Mensch zu sein: „Quidnam igitur antehac me esse putavi? Hominem scilicet, sed quid est homo?“ Reicht die Antwort, der Mensch sei dem Wesen nach ein „animal rationale“ und eben daran als Mensch zu erkennen, in jedem Fall aus? Jemand könnte ja weiterfragen, „was“ „animal“ und vor allem „was“ „rational“ sei, d. h. was diese Wörter bedeuten, und man geriete, wie Descartes schreibt, „aus einer Frage 8 Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton ... , AA VIII, 400, Anm. 9 Descartes, Regulae ad directionem ingenii, Regel 1. 10 Ebd., Regel 2.
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in mehrere und noch schwierigere“ (ex una quaestione in plures difficilioresque). Man würde ja nur ein Zeichen, nach dessen „Bedeutung“ man fragt, weil man es in dieser bestimmten Situation nicht (oder nicht mehr) hinreichend versteht, durch mehrere andere Zeichen ersetzen. Im „Prinzip“ kann man sich dabei ins Unendliche verlieren. Deshalb gibt Descartes an dieser Stelle dem traditionellen Begriff der Substanz oder des Wesens eine neue Deutung. Wenn er sagt, er hätte „nicht so viel Zeit“ (nec jam mihi tantum otii est), daß er sie mit „derartigen Subtilitäten“ vergeuden wollte11, bezieht er den Wesensbegriff gegen alle Tradition auf die eigene Zeitlichkeit. Er versteht ihn als abhängig von der eigenen begrenzten Lebenszeit. Im Leben ist die Zeit, auch und gerade die Zeit zur Lösung ernsthafter Pro|33|bleme, beschränkt. Die Zeit drängt die Menschen, sich mit bestimmten Antworten, z. B. auf die Frage nach dem eigenen „Wesen“, zufriedenzugeben. Zwar bin ich, „solange ich denke“ (quandiu cogito)12 und solche Wesensbestimmungen versuche, aber solange stehe ich auch unter dem Druck der Zeit und muß mich mit temporär erreichten Erklärungen entweder zufriedengeben oder mir doch noch mehr Zeit für „bessere“ Erklärungen nehmen, „ad melius esse“, wie es dann bei Kant heißt, ohne dabei aber jemals „ad esse“ gelangen zu können13. In jedem Fall muß ich diese („intensionale“) Bestimmung des als überzeitlich und unveränderlich gedachten „Wesens“ von etwas an irgendeinem Punkt abbrechen, denn ich brauche die Begriffe, um mich in meinem Leben und damit unter Bedingungen beschränkter und drängender Zeit an ihnen zu orientieren. An irgendeinem Punkt muß ich die Zeichen, die ich an die Stelle unverstandener oder in einer bestimmten Situation nicht hinreichend verstandener Zeichen setze, ohne weiteres Fragen nach der „Bedeutung“ auch dieser Zeichen „unmittelbar“ verstehen. „An sich“, d. h. unabhängig von der jeweiligen Situation des Lebens, brauche ich solche Erklärungen als Antwort auf die Frage, „was“ etwas sei, gar nicht, denn „an sich“ verlieren sie sich im Unendlichen, und so kann ich sie nicht gebrauchen. Ich existiere als denkendes „Wesen“ zu derselben Zeit, in der ich mit meinen Begriffsbestimmungen von mir aus nicht zu einem „wesentlichen“, sondern allenfalls zu einem zu dieser Zeit pragmatisch befriedigenden Ende kommen kann. Nur wenn uns „nichts treibt, uns zu entschließen, und wir lieber diese ganze Sache dahingestellt sein ließen, bis wir durch das volle Gewicht der Beweisgründe zum Beifalle gezwungen würden, d. i. wenn es bloß um Beurteilung zu tun ist, wie viel wir von dieser Aufgabe wissen“14, also 11 12 13 14
Descartes, Meditationes de prima philosophia, Meditation II, 5. (Hervorhebung v. Vf.) Ebd., 6. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 759 Anm. Ebd., B 615.
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wenn wir noch Zeit für die Urteilsbildung haben, erfüllen sich die Bedingungen eines sich als „theoretisch“ verstehenden Wissens. Platon und Aristoteles war dieses Zeitproblem des Denkens offensichtlich noch fremd. Sie hatten den Menschen in seinem überzeitlichen „Wesen“ im Blick, aber noch nicht den individuellen Menschen, der, wie alles15, seine Zeit und auch sie nur beschränkt hat. Solange sich die Frage der praktischen Urteilskraft „gewöhnlich“ noch nicht stellte, welche konkreten Wesen unter den Begriff vom Menschen, so wie er zu einer bestimmten Zeit im allgemeinen als hinreichend bestimmt erscheinen konnte, zu fassen seien, solange konnte die „Wesensbestimmung“ in einem gegebenen Grad der logischen Deutlichkeit befriedigen. Die Wesensbestimmung des Menschen als „animal rationale“ z. B. konnte solange gelten gelassen werden, wie sich die Fragen, „was“ „Animalität“ und „was“ „Rationalität“ seien, im gleichen Zusammenhang des Lebens, d. h. zur gleichen Zeit (noch) nicht stellten. Die Frage nach dem „Wesen“ der menschlichen Rationalität stellte sich dem neuzeitlichen Denken aber „grundsätzlich“, und das stellte den |34| traditionellen „Begriff“ vom Menschen in Frage, demgemäß er sich über „seine“ Rationalität zu bestimmen versucht. Mit den philosophischen „Versuchen über den menschlichen Verstand“ verlor der Mensch die Möglichkeit, „seinen“ Verstand ohne weitere Bestimmungen als Merkmal seines Wesens gelten zu lassen. Er trat als unbegriffener einzelner in die Erscheinung. Der herrschende Begriff vom Menschen wird unmittelbar zu einem ethischen Problem, wenn sich die Frage nach dem Menschen als Frage der reflektierenden Urteilskraft – d. h. nicht mehr im Ausgang von einem vermeintlich „allgemeinen“, „bestimmenden“ Begriff, sondern im Ausgang von der einzelnen Erscheinung – stellt, als die Frage, ob „dieses da“ schon oder noch oder überhaupt ein Mensch sei. Die Antworten können dann nicht mehr im „Allgemeinen“ übereinstimmen. Sie treten als besondere oder sogar individuelle „Ansichten“ hervor, „fallen auf“ und können sogar provozieren. Es mag dann zwar immer noch gelten gelassen werden, den Menschen „allgemein“ als „animal rationale“ zu definieren, doch diese „Definition“ wird problematisch, wenn weitergefragt wird, „was“ denn „Animalität“ und „was“ vor allem „Rationalität“ seien. Mit der Bestimmung der „Animalität“ dürften die Schwierigkeiten „im allgemeinen“ immer noch geringer sein als mit der Bestimmung der „Rationalität“, die nicht „sinnfällig“ ist; aber auch „Animalität“ ist natürlich nicht in allen Kontexten ein unmittelbar deutlicher und in diesem Sinn „natürlicher“, sondern ein kultureller Begriff. Es kommt auch hier darauf an, zu welchem Zweck, und d. h. auch immer: für wen und in welchem sympragmatischen Umfeld eine 15 Vgl. Prediger, 3.1.
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nähere Bestimmung oder „logische Einschränkung“ des Sprachgebrauchs gebraucht wird. Das Problem einer genaueren, d. h. zu einer bestimmten Zeit als hinreichend erachteten Bestimmung von „Rationalität“ dokumentiert sich in den verschiedenen neuzeitlichen „Versuchen, den menschlichen Verstand betreffend“, bis hin zu den gegenwärtigen Diskussionen über „rationales Argumentieren“, die sich offensichtlich nicht durch einen verbindlichen Rationalitätsbegriff „übereinstimmend“ beenden lassen. Schon Kant hatte es abgelehnt, seiner „Kritik der reinen Vernunft“ einen bestimmten Vernunftbegriff im Sinne einer „Definition“ oder „Wesensbestimmung“ vorzugeben. Gemäß seiner Kritik der reinen Vernunft macht die Philosophie selbst keine deutlichen Begriffe, sondern nur gegebene Begriffe für bestimmte Zwecke deutlicher, als sie zuvor im allgemeinen Sprachgebrauch gegeben sind, so daß alle näheren Bestimmungen einem besonderen, zuletzt einem individuellen Redegebrauch verhaftet bleiben. Er sah „etwas Ungereimtes“ darin, „von der Vernunft Aufklärung zu erwarten, und ihr doch vorher vorzuschreiben, auf welche Seite sie notwendig ausfallen müsse“16. In der „allgemeinen Menschenvernunft“ hat, Kant zufolge, „jeder seine Stimme“17, und auch die Erklärung eines Begriffs der „Rationalität“ oder der „Vernunft“ oder der „Aufklärung“ als Erklärung der Bedeutung dieser Wörter, die „Grundbegriffe“ bezeichnen sollen, muß, ebenso wie die Erklärung jedes anderen Begriffs, an ei|35|nem Punkt abgebrochen werden, an dem sie jemandem, nämlich dem, der sie in einem bestimmten Redegebrauch nicht „hinreichend“ verstanden hatte, nunmehr als „hinreichend“ deutlich erscheint. „Definitionen“ im strengen Sinn bleiben der in ihrem Gegenstandsbereich zeitfreien Mathematik vorbehalten18. Was jeweils „hinreichend“ ist – und das heißt auch: wieviel Zeit man sich im Interesse eines „gut“ orientierten Lebens und Handelns für die anstehende Klärung der Frage nehmen soll, was das in die Handlungszusammenhänge Hineinspielende sei beziehungsweise als was es in diesem praktischen Zusammenhang „angesehen“ werden könne –, ist selbst wieder eine Frage der Einschätzung unter dem Gesichtspunkt eines besonderen Zwecks. Das gilt vor allem auch für die Frage, als was andere Menschen, die in die jeweiligen Handlungszusammenhänge einbezogen sind, in diesen Zusammenhängen etwas „ansehen“ oder nicht „ansehen“. Es ist nach Kant nicht möglich, „den Horizont Anderer ... nach dem seinigen [zu] messen, und ... 16 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 775. 17 Ebd., B 780. 18 Vgl. ebd., B 755ff. und v. Vf.: Immanuel Kant, in: Klassiker der Sprachphilosophie, hg. v. T. Borsche, München 1996, 215ff.
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das für unnütz [zu] halten, was uns zu Nichts nützt“ und uns nicht zufriedenstellt. „Es würde verwegen sein, den Horizont Anderer bestimmen zu wollen, weil man theils ihre Fähigkeiten, theils ihre Absichten nicht genug kennt“19. Man kennt sie immer nur vom eigenen Standpunkt aus, unter dem „Gesichtspunkt“ eigener Erkenntnisinteressen, von dem aus einem selbst die Begriffe als „hinreichend“ deutlich erscheinen, und wenn man denkt, das eigene Ansehen von etwas als hinreichend bestimmt verantworten zu können, können andere denken, sich dafür noch mehr Zeit nehmen zu müssen. Sie können aber auch zur Handlung drängen, wenn man selbst denkt, sich noch „besser“ orientieren zu müssen. Deshalb kann man nach Kant – in strikter Entgegensetzung zum platonisch-aristotelischen Logosbegriff oder auch zum Anspruch einer wie auch immer gedachten „Teilhabe“ an einer „visio dei“ als einer Sicht wie von oben – „einen jeden Begriff als einen Punkt ansehen, der, als der Standpunkt eines Zuschauers, seinen Horizont hat“20. Man ist in der Welt, ohne „Standpunkt“ außerhalb ihrer, wenn man sich sein Urteil bildet, und man nimmt immer in einer nicht wiederum in Begriffen zu bestimmenden Weise in der Welt einen anderen „Standpunkt“ ein als andere. Die Angabe der Bedeutung eines Zeichens erfolgt notwendig wieder in anderen Zeichen, die zuletzt ohne weitere Angabe einer „Bedeutung“ unmittelbar verstanden werden müssen, und von keiner „Sache“ her ist zu bestimmen, wann das Verständnis in einem allgemeinen Sinn „adäquat“ sein könnte. Leibniz hatte schon gefragt, ob es unter Menschen überhaupt ein Beispiel für eine „adäquate Deutlichkeit“ geben könne (exemplum perfectum nescio an homines dare possint) und hinzugefügt, daß man niemals definitiv wissen könne, ob ein bestimmter Zeichengebrauch in sich widerspruchsfrei sei. Ob Aussagen sich widersprechen, hängt davon ab, wieweit man die in ihnen verwendeten |36| Begriffe klärt und „was“ man demnach jeweils unter ihnen versteht. Das allgemeine formale Wahrheitskriterium der Widerspruchsfreiheit setzt zwar eine durchgehend gleichbleibende Bedeutung der verwendeten Zeichen voraus. „Worin“ sie aber bestehe, bleibt eine Sache des Ansehens als hinreichend bestimmt. Mit diesem menschlichen Denken, in dem wir zu einem bestimmten Zeitpunkt auch uns selbst nicht mehr weiter nach einer von den Zeichen verschiedenen Bedeutung der zuletzt „gegebenen“ Zeichen fragen und es jedem überlassen, wie er diese Zeichen „unmittelbar“ versteht, müssen wir zuletzt „zufrieden“ sein. Leibniz unterscheidet das menschliche Denken von einem „intuitiven“, „reine Bedeutungen“ erblickenden (platonischen) Denken und nennt es ein „blindes oder symbolisches Erkennen“ (cognitio caeca 19 Kant, Logik, AA IX, 43. 20 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 686.
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vel etiam symbolica)21. Dieses Denken ist das eigentlich „grundlegende“ Denken, weil es alle Antworten auf die Frage nach „Bedeutungen“ der Zeichen tragen muß, die dem Nichtverstehen oder nicht hinreichenden Verstehen entspringen. Deshalb kann es jederzeit „geschehen, daß uns ein Widerspruch verborgen bleibt“ (fit ut lateat nos contradictio)22, den wir erst dann entdecken, wenn wir – unter anderen Bedingungen für befriedigende Erklärungen der „Bedeutungen“ – die Bedeutungsanalyse wieder aufnehmen und weiterführen. Wir operieren demnach „wesentlich“ mit vielleicht widersprüchlichen, logisch nicht möglichen „Begriffen“, d. h. eigentlich nur mit Zeichen „für“ Begriffe, die wir als solche nicht „haben“, und nur der pragmatisch notwendige Abbruch der Begriffsanalysen hält uns im Schein der Widerspruchsfreiheit. Die Widerspruchsfreiheit als die Grundbedingung der „logischen“ Darstellung der Wahrheit ist zu einer Frage der „rechtzeitig“ abgebrochenen Verdeutlichung der Begriffe geworden. Auch Kant baut seine „Kritik“ eines Denkens „rein“ in Begriffen ganz auf diese Einsicht auf. Von den Kategorien des reinen Verstandes, deren „Bedeutung“ nach ihm nur darin liegen kann, die Anschauung eines Gegenstandes „in Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen als bestimmt“, d. h. als vom „Standpunkt“ des urteilsbildenden Subjekts aus gesehen als hinreichend bestimmt anzusehen23, sagt er, er werde „diese Begriffe“ nur „bis auf den Grad zergliedern, welcher in Beziehung auf die Methodenlehre ... hinreichend“ sei24. Selbst die Kategorien des reinen Verstandes werden also in der „Kritik“ nur in dem Maß auf ihre „Bedeutung“ hin „zergliedert“, das dem Autor für seinen Zweck als hinreichend erscheint. Der Kürze halber beziehe ich mich hier direkt auf ein Beispiel aus der transzendentalen „Methodenlehre“, das den ethischen Aspekt der Begriffs- und Urteilsbildungen unter Bedingungen drängender Zeit besonders gut veranschaulicht. |37| „Wenn einmal ein Zweck vorgesetzt ist, so sind die Bedingungen der Erreichung desselben hypothetisch notwendig. Diese Notwendigkeit ist subjektiv, aber doch nur komparativ zureichend, wenn ich gar keine anderen Bedingungen weiß, unter denen der Zweck zu erreichen wäre; aber sie ist schlechthin und für jedermann zureichend, wenn ich gewiß weiß, daß niemand andere Bedingungen kennen könne, die auf den vorgesetzten Zweck führen. Im ersten Falle ist meine Voraussetzung und das Fürwahrhalten gewisser Bedingungen ein bloß zufälliger, im zweiten Falle aber ein notwendiger Glaube. Der Arzt muß bei einem Kranken, der in Gefahr ist, etwas tun, kennt aber die Krankheit nicht. Er sieht auf die Erscheinungen, und urteilt, 21 G . W. Leibniz, Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis. Die philosophischen Schriften, hg. v. Gerhardt, 4, 423. 22 Ebd., 424. 23 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 128. 24 Ebd., B 108f.
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weil er nichts Besseres weiß, es sei die Schwindsucht. Sein Glaube ist selbst in seinem eigenen Urteile bloß zufällig, ein anderer möchte es vielleicht besser treffen. Ich nenne dergleichen zufälligen Glauben, der aber dem wirklichen Gebrauche der Mittel zu gewissen Handlungen zum Grunde liegt, den pragmatischen Glauben. Der gewöhnliche Probierstein: ob etwas bloße Überredung, oder wenigstens subjektive Überzeugung, d. i. festes Glauben sei, was jemand behauptet, ist das Wetten. Öfters spricht jemand seine Sätze mit so zuversichtlichem und unlenkbarem Trotze aus, daß er alle Besorgnis des Irrtums gänzlich abgelegt zu haben scheint. Eine Wette macht ihn stutzig. Bisweilen zeigt sich, daß er zwar Überredung genug, die auf einen Dukaten an Wert geschätzt werden kann, aber nicht auf zehn, besitze. Denn den ersten wagt er noch wohl, aber bei zehn wird er allererst inne, was er vorher nicht bemerkte, daß es nämlich doch wohl möglich sei, er habe sich geirrt. Wenn man sich in Gedanken vorstellt, man solle worauf das Glück des ganzen Lebens verwetten, so schwindet unser triumphierendes Urteil gar sehr, wir werden überaus schüchtern und entdecken so allererst, daß unser Glaube so weit nicht zulange. So hat der pragmatische Glaube nur einen Grad, der nach Verschiedenheit des Interesses, das dabei im Spiele ist, groß oder auch klein sein kann“25.
Der Arzt muß mit der Diagnose, d. h. mit der Deutung der Krankheitszeichen und mit ihrer Übertragung in die Semiotik der allgemeinen Sprache zur Gewinnung eines („logisch-rationalen“) Begriffs der Sache, mit der er es zu tun hat, so zu Ende kommen, daß er dem Kranken zur rechten Zeit therapeutisch helfen kann. Er bildet sich sein Urteil unter dem Druck der Zeit, die er dafür hat. Aber je nachdem, was seiner Einschätzung nach dabei „im Spiele ist“, wird er sich mehr oder weniger Zeit für eine gewissenhafte Urteilsbildung nehmen. Unter der Voraussetzung einer unmittelbaren Lebensgefahr stellt sich das anders dar als unter anderen Voraussetzungen. WievieI Zeit er sich aber „nimmt“, liegt in seiner eigenen Verantwortung. Es kann angebracht sein, sich für die Diagnose noch mehr Zeit zu nehmen und eventuell auch noch den Rat anderer Ärzte einzuholen, aber es kann auch angebracht sein, möglichst schnell zu handeln, d. h. die Diagnose zu beenden und zur Therapie zu kommen. |38| Die Urteilsbildung steht in diesem Beispiel, wie schon bei Descartes, unter dem Aspekt der Zeit, die man sich für sie nimmt. Die Verantwortung für die Urteilsbildung und für das Handeln, das sich im „Leben“ an ihr orientiert, schließt die Angemessenheit der dafür verwendeten Zeit mit ein. „Leben“ bestimmt Kant als „das Vermögen eines Wesens, seinen Vorstellungen gemäß zu handeln“26. Als handelnde Wesen, die sich aus beschränkter Sicht um ihrer Orientierung in der Welt willen „Vorstellungen“ machen und „Urteile“ bilden und sie aus eigener Urteilskraft fürwahrhalten müssen, haben wir immer nur beschränkte Zeit für eine Urteilsbildung, die, gemessen an dem, was dabei „im Spiele ist“, als hinreichend oder als noch nicht hin25 Ebd., B 851ff. 26 Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 211.
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reichend erscheinen kann. „Objektiv“ ist uns die Zeit dafür nicht vorgegeben, und daher müssen wir selbst wissen und uns ein „Gewissen“ daraus machen, wieviel Zeit wir jeweils verwenden wollen, ehe wir daraufhin tätig werden. Unsere Zeitverwendung kann sich mit der Zeit als unnötige oder sogar gefährliche Zeitverschwendung herausstellen, und die Zeitverwendung des einen kann einem anderen aus seiner anderen Sicht und Einschätzung der Umstände als Zeitverschwendung erscheinen. In dieser Ambivalenz spiegelt sich die Differenz der Urteilsbildung unter Zeitbedingungen. Das in dieser Ambivalenz verstandene, praktische Zeitbewußtsein und das „Gewissen“ sind hier unmittelbar aufeinander bezogen. Schon die Einschätzung dessen, was mit unseren Handlungen jeweils auf dem Spiel steht, steht in einer Relation zu der dafür verwendeten oder verschwendeten Zeit. In Kants Beispiel steht ein Menschenleben auf dem Spiel. Das ist der „Einsatz“ der „Wette“, als die hier das „Fürwahrhalten“ erscheint, und dies spielt, auch als Wertschätzung, in die Überlegung hinein, an welchem „Punkt“ der Deutlichkeit des Krankheitsbildes das Diagnostizieren um des Übergangs zu einer rational begründeten Therapie willen abzubrechen ist. Der Arzt muß wissen, wieviel Zeit er bei diesem Zustand des Patienten auf die Diagnose verwenden soll oder verwenden darf, sowohl in Rücksicht auf ihn als auch eventuell in Rücksicht auf andere Patienten. – Als Einsatz der „Wette“ des Fürwahrhaltens nennt Kant am Ende der zitierten Stelle sogar das „Glück des ganzen Lebens“. Am Wagnis solcher prospektiven27 „Einsätze“ zeigt sich die Stärke des jeweiligen „pragmatischen Glaubens“. Wenn man „in Gedanken ... das Glück des ganzen Lebens“ als dessen obersten Zweck ansieht, muß es sich um einen Zweck handeln, um dessentwillen alle anderen Zwecke – von denen jeder, wenn er tatsächlich verfolgt würde, „seine Zeit“ brauchte – vernünftigerweise verfolgt oder nicht verfolgt werden sollten und der damit alle anderen, konkret intendierbaren Zwecke und auch alle Begriffs- und Urteilsbildungen auf die eingeschätzte gesamte Lebenszeit hin relativiert. Es geht also im „Fürwahrhalten“ in Handlungszusammenhängen immer auch um eine verantwortliche Einteilung einer selbst ungewissen Lebenszeit. Obwohl sie als Ganzes nicht „gegeben“ ist, ist sie gewissenhaft und gerecht einzuteilen. Mit |39| der Zeit ist das zeiteinteilende Gewissen an die Stelle des gebotenen Seinsbezugs getreten. Von den Bedingungen eines „Glücks des ganzen Lebens“ kann man sich keine inhaltliche Vorstellung machen, weil zu keinem Zeitpunkt des Lebens eine Übersicht über „das ganze Leben“ gegeben ist. Unter dem gedachten Gesichtspunkt dieses umfassenden Zweckes muß man also sagen: 27 Vgl. v. Vf., Im-Begriff-sein. „Bezeichnungsvermögen“ und prospektives Denken bei Kant, in: Kant in der Diskussion der Moderne, hg. v. G . Schönrich und Y. Kato, Frankfurt a.M. 1996, 190-207.
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„alles unser Begreifen ist nur relativ, d. h. zu einer gewissen Absicht hinreichend, schlechthin begreifen wir gar nichts“28. Unter Zeitbedingungen, d. h. in Wirklichkeit gerät jede materiale Vorstellung von einem höchsten Zweck zu der formalen Vorstellung eines „Reichs der Zwecke“, in dem die Person eines jeden, welche materialen Vorstellungen er sich von einem höchsten Zweck selbst auch machen mag, „, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel“ angesehen ist29. Diese rein formale Vorstellung, die allein man sich „vernünftigerweise“ von einem höchsten Zweck „von sich aus“ machen kann, führt notwendig zu dem Gebot einer von jeder Person selbst zu verantwortenden „vernünftigen“ Zeiteinteilung, die dann aber auch selbst wieder nur eine „Unternehmung auf’s Ungewisse“30 sein kann. Für jeden besonderen Zweck, den man dem Zweck der „Menschheit“ in jeder Person unterordnen soll, bleibt jeweils nur beschränkte Zeit. So kann auch die „,Menschheit“ in der Person jedes Menschen immer nur soweit jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel gebraucht werden, wie Zeit dafür gegeben ist bzw. soweit man sie sich dafür unter den gegebenen Umständen glaubt „nehmen“ zu können oder nehmen zu sollen. Auch von daher ist es zu verstehen, daß man „von der Gesinnung, aus reiner Pflicht zu handeln, so gar keine sichere Beispiele anführen“ kann31. Das eigene Glück ist nach Kant zwar, im Unterschied zum „fremden“, kein Zweck, den zu verfolgen „zugleich Pflicht“ ist, weil „alle Menschen“ ihn schon „vermöge des Antriebes ihrer Natur“ „haben“32. Nur ein Handeln im Interesse „fremder“ Glückseligkeit beruht daher auf einem „Fürwahrhalten“ als einem „Glauben“, der über das „Pragmatische“ hinaus „praktisch“ oder moralisch und damit statt nur in subjektiv gesetzten Zwecken vor „reiner Vernunft“ gerechtfertigt ist. Aber hier geht es natürlich erst recht immer noch darum, „was“ man denn selbst unter dem „Glück des ganzen Lebens“ eines anderen Menschen versteht, und damit geht es auch immer noch darum, wieviel Zeit man sich selbst nimmt bzw. gibt, um darüber nachzudenken, ehe man sich „hinreichend“ orientiert sieht und bereit ist, dementsprechend zu handeln. Kant unterscheidet drei „Modi“ des so verstandenen, verantwortlichen „Fürwahrhaltens“: Wer denkt, für seine Urteilsbildung noch Zeit zu „haben“ und auf den „zur Zeit“ erreichten Stand seiner Orientierung hin besser noch nicht |40| handeln zu sollen, der „meint“ nach der Terminologie Kants; er hält sein Urteil noch „in suspenso“. Man soll sein Urteil in keinem Fall 28 29 30 31 32
Kant, Logik, AA IX, 65. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 429. Vgl. Kant, Logik, AA IX, 67 Anm. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 406. Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 386.
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„ohne Not fällen“ und damit, solange es zu verantworten ist, in der Lage bleiben, es noch zu ändern, ehe man danach handelt33. – Wer auf sein eigenes Fürwahrhalten, d. h. auf sein subjektives Ansehen von etwas als „hinreichend“ bestimmt hin handelt, auch wenn er denkt, daß andere es anders sehen oder „besser treffen“ könnten, „glaubt“, und wer in seinem Fürwahrhalten so „überzeugt“ ist, daß er sich nicht mehr denken kann, daß es daran für irgend jemanden einen „vernünftigen“ Zweifel geben könnte, der „weiß“. Wenn sich nach Kant an jedem Urteil eine dieser Modifizierungen des Fürwahrhaltens finden lassen muß, durch die es als problematisches, assertorisches oder apodiktisches Urteil ausgewiesen wird34, bedeutet das also auch eine Modifizierung der Zeit, die eine Person sich für die Bildung dieses Urteils unter Einschätzung und Würdigung dessen, was dabei „im Spiele“ war, genommen hat. Zwecke, die zu verfolgen zugleich allgemeine Pflicht ist, ergeben sich mit dem kategorischen Imperativ, so zu handeln, daß die Maximen der Handlung, als die subjektiven Grundsätze, nach denen man sich im Handeln richtet, zugleich als allgemeine oder objektive Gesetze gedacht werden können. Wenn nun auch das subjektive Fürwahrhalten, wie es sich in der „Handlung“ der Urteilsbildung ausdrückt, als eine zu verantwortende Handlung und damit als eine Sache der Ethik verstanden wird, ist es in diese kategorisch gebotene Überlegung einzubeziehen. Da sich die Ethik in ihrer Reflexion auf allgemeingültige Normen nicht auf einzelne Handlungen beziehen kann35, sondern nur auf Maximen für Handlungen, ist auch in diesem Zusammenhang nach Maximen des Fürwahrhaltens zu fragen, die „formal“ als allgemeine Gesetze gedacht werden können. Das entspricht der Frage, „ob man es wohl thunlich finde, den Grund, warum man etwas annimmt, oder auch die Regel, die aus dem, was man annimmt, folgt, zum allgemeinen Grundsatze seines Vernunftgebrauchs zu machen“. „Aufgeklärt seyn heißt: selbst denken, den (obersten) Probirstein der Warheit in sich selbst suchen, d. i. in Grundsätzen“ als dem „Grund des Vorwarhaltens; denn ich muß es verantworten“36. „Selbstdenken“ bedeutet nun also die Übernahme der Verantwortung für die eigene Urteilsbildung unter den Bedingungen beschränkter Zeit und wesentlich mangelnder „Übersicht“. Der „Horizont“ unserer „standpunktsbedingten“ Urteilsbildung ist nicht nur als räumliche, sondern vor allem auch als zeitliche Einschränkung zu sehen: Ich kann mir immer nur beschränkte Zeit für meine Begriffsbestim33 Vgl. Kant, Nachlaßreflexionen 2588 bzw. 2506. 34 Ohne solch eine Modifizierung ist nach Kant „gar kein Urteil möglich“ (Nachlaßreflexion 3111). 35 „Das thut das Ius“. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 388. 36 Kant, Nachlaßreflexion 6204.
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mungen nehmen, ehe ich den „Mut zu denken“ fasse, und ich muß es selbst verantworten, wieviel Zeit ich mir dafür nehme. Vor allem habe ich aber zu wenig Zeit für rein theoretische Zeitverschwendungen. |41| Auch die „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ kann auf dem Hintergrund dieser Überlegungen keinen definitiven Begriff von „Aufklärung“ mehr „für alle Zeit“ vorgeben wollen. Kant bricht in seiner so betitelten Schrift deshalb auch – nach der anfänglichen „Definition“, „Aufklärung“ sei „der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“, und nach „näheren“ Bestimmungen der Begriffe „Unmündigkeit“ und „selbstverschuldet“ – die Begriffsanalysen ab und geht unmittelbar zu einem Imperativ über: „Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“37 „Mut“ ist nötig, weil die Bestimmung des Begriffs „Aufklärung“, so wie jede andere Begriffsbestimmung, in eigener Verantwortung abgebrochen und als hinreichend verdeutlicht angesehen werden muß. Sonst käme keine Bestimmung in endlich vielen Schritten und damit auch keine Abhandlung, also auch keine „Lehre“ über dieses Thema zustande. Nur ist jetzt an die Stelle der „vornehmen Töne“ eines privilegierten Lehrers der Mut getreten, mit dem eigenen Fürwahrhalten „fremder Vernunft“ gegenüberzutreten, der in der „allgemeinen Menschenvernunft“ ebenso ihre „Stimme“ und ihr berechtigter „Standpunkt“ zugestanden werden muß wie der eigenen Vernunft. Der individuelle „Mut“ initiiert den Übergang zum Handeln auf dem Boden beschränkter „theoretischer“ Übersicht. Er ist nötig, weil wir „theoretisch“ nie „ad esse“ gelangen und unsere Urteile zu keiner Zeit auf eine vornehme „Einsicht“ in das „Sein“ der Dinge gründen können38. Wir müssen sie notwendig aus Begriffen bilden, von denen wir nicht wissen können, ob sie im Leibnizschen Sinn überhaupt „möglich“, also überhaupt „Begriffe“ sind und nicht vielmehr „nur Wörter“. Die Zeit, die wir „haben“, reicht prinzipiell für solch eine Gewißheit nicht aus. Daß wir unsere Urteile unter Standpunkt- und Zeitbedingungen bilden müssen, bedeutet zugleich, daß wir sie wesentlich angesichts „fremder Vernunft“ und ihrer möglicherweise anderen Urteile bilden. Aus dem anderen „Gesichtspunkt“ der anderen kann die (intensionale) Klärung der Begriffe, aus denen sie ihre Urteile bilden und sie (extensional) auf „Objekte“ beziehen, „vernünftigerweise“ an einem anderen Punkt abgebrochen werden. Auch diese anderen Urteile der anderen gehören zum „Horizont“ unserer Urteilsbildung. Wir können sie, so wie wir sie von uns aus verstehen, in unsere eigenen Beurteilungen einbeziehen oder auch nicht. „Überredung kann demnach von der Überzeugung subjektiv zwar nicht unterschieden 37 Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, AA VIII, 35. 38 Vgl. Kants Schrift: Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton …, AA VIII, 387ff.
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werden, wenn das Subjekt das Fürwahrhalten“, so wie es selbstkritisch angebracht ist, „bloß als Erscheinung seines eigenen Gemüts, vor Augen hat; der Versuch aber, den man mit den Gründen desselben, die für uns gültig sind, an anderer Verstand macht, ob sie auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung tun, als auf die unsrige, ist doch ein, obzwar nur subjektives, Mittel, zwar nicht Überzeugung zu bewirken, aber doch die bloße Privatgültigkeit des Urteils, d. i. etwas in ihm, was bloße Überredung ist, zu entdecken“39. |42| Wer sein „Fürwahrhalten bloß als Erscheinung seines eigenen Gemüts vor Augen hat“ und sich nicht fragt, ob die Gründe, die er dafür hat, „auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung tun“, ist im Sinne Kants ein „logischer Egoist“. Er hat „Vorurtheile aus Eigenliebe“, weil er „die Übereinstimmung des eigenen Urtheils mit den Urtheilen Anderer für ein entbehrliches Kriterium der Wahrheit“40 und damit für Zeitverschwendung hält. Er nimmt sich über die Zeit hinaus, die er sich für seine eigene Urteilsbildung genommen hat, nicht auch noch die Zeit, zu überlegen oder sogar kommunikativ zu prüfen, ob seine „Gründe“ für die Urteilsbildung auch vor „fremder Vernunft“ als „hinreichende“ Gründe gelten könnten. Kant sieht im „Verlust des Gemeinsinnes (sensus communis)“ und dem dann eintretenden „logischen Eigensinn (sensus privatus)“ das „einzige allgemeine Merkmal der Verrücktheit“41. Man muß gemäß der Intention Kants allerdings hinzufügen, daß es zu verantwortende Gründe geben kann, sich für solch eine Prüfung der eigenen Gründe des Fürwahrhaltens an „fremder Vernunft“, je nachdem, was „dabei im Spiele ist“, keine Zeit mehr zu nehmen. „Zuletzt“, d. h. im „Moment“ des Handelns, entscheiden notwendig, die „selbstgedachten“ eigenen Gründe. Auch das zu späte Handeln ist, als Unterlassung einer Handlung zur rechten Zeit, zu verantworten. „Die Zeit selbst“ nötigt zum Handeln oder zum Unterlassen, und beides ist zu verantworten. Das „Schema der Modalität und ihrer Kategorien“, die an einem jeden formal vollständigen Urteil bezeichnen42, ob es als bloße „Meinungssache“ nur problematisch oder als pragmatische „Glaubenssache“ assertorisch oder schließlich, als „Wissenssache“ verstanden, notwendig gebildet wird, ist nach Kant „die Zeit selbst, als das Korrelatum der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er“ von seiner Konstitution als Gegenstand her „zur Zeit gehöre“43. Ein jeder 39 40 41 42
Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 849 (Hervorhebungen v. Vf.). Kant, Logik, AA IX, 80. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, AA VII, 219. „Ohne modalitaet ist gar kein Urtheil moglich, also ist das […] modale Urtheil nicht unrein“ (Kant, Nachlaßreflexion 3111). 43 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 184.
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Gegenstand ist, unter kritischem Aspekt entweder „Meinungssache“, „Glaubenssache“ oder „Wissenssache“ im Bewußtsein desjenigen Subjekts, für das er überhaupt „Gegenstand“ ist. In einem dieser drei Modi stellt es ihn für andere dar. Indem es seine Darstellung deiktisch auf sich als das Subjekt des Satzes zurückbezieht, übernimmt es für ihn als Objekt modifiziert die Verantwortung. Den „Vorurteilen aus Eigenliebe“ setzt Kant die Liebe zu anderen entgegen. Sie stellt sich nach dem Ausgeführten ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der verwendeten bzw. verschwendeten Zeit dar: „Wenn man nach dem subjectiven Grunde der Handlungen fragt, aus welchem ... am ersten zu erwarten ist, was der Mensch thun werde, nicht bloß nach dem objectiven, was er thun soll“ – und d. h. nun auch, wieviel Zeit er sich für die Bildung seiner Urteile „nehmen“ soll, bevor er auf ihrer Basis handelt –, „so ist doch die Liebe, als freie Aufnahme des Willens eines Andern unter seine Maximen, ein unentbehrliches Ergänzungsstück |43| der Unvollkommenheit der menschlichen Natur“, „denn was Einer nicht gern thut, das thut er so kärglich, auch wohl mit sophistischen Ausflüchten vom Gebot der Pflicht, daß auf diese Triebfeder ohne den Beitritt jener nicht sehr viel zu rechnen sein möchte“44. Ob man etwas „gern“ tut, ist wiederum auch eine Frage der Zeit, die man dafür verwenden zu können glaubt und die man deshalb dann auch hat. Je nachdem, was zur gleichen Zeit konkurrierend mit „im Spiele ist“, nimmt man sich Zeit, um sie bestimmten anderen geben zu können. Da die Verdeutlichung der Begriffe in jedem Fall irgendwann abgebrochen werden muß, bleiben die Urteile in jeder Verdeutlichung ihrer Begriffe zugleich „Vorurteile“. Zu den „Vorurteilen aus Eigenliebe“ können Vorurteile aus Liebe zu anderen hinzukommen, und zwar, da Liebe nicht (allgemein) geboten werden kann, aus Liebe zu bestimmten anderen, mit denen man übereinstimmen möchte, ohne allgemeine „Gründe“ dafür angeben zu können. Das gilt für Vorurteile aus Liebe ebenso wie für die aus Eigenliebe. Es kann aber keinen Zweifel daran geben, daß Kant die Vorurteile aus Liebe höher schätzt als die aus Eigenliebe. Mit der Aufnahme eines fremden Willens in die eigenen Maximen (vor der Prüfung, ob sie „jederzeit zugleich“ als allgemeine Gesetze gedacht werden können) hebt sich der Gegensatz zwischen dem, „was“ man selbst will, so wie man es hinreichend zu verstehen glaubt, und dem, „was“ der andere will, so wie er es von sich aus hinreichend zu verstehen glaubt, auf. „Angesichts“ konkreter anderer (und nicht „a priori“ gegenüber allen anderen) wird diese Differenz bedeutungslos. Zu den Bedingungen meiner eigenen „hinreichenden“ Urteilsbildung unter Bedingungen drängender und vergehender Zeit gehört dann auch die 44 Kant, Das Ende aller Dinge, AA VIII, 337f.
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Einschätzung, ob mein Handeln zu dieser Zeit dem „fremden“ Willen dieser anderen, so wie ich ihn verstehe, entspricht und ob ich bereit bin, „demgemäß“ zu handeln oder ob ich mir noch Zeit für ein besseres Verständnis ihres Willens „nehmen“ soll. Nur weil zum Zeitbewußtsein auch die Wertschätzung der (vergehenden) Zeit gehört, kann von ihrer „sinnvollen“ Verwendung, aber auch von ihrer Verschwendung die Rede sein. Sie wird kostbar als die Zeit der Muße, die man sich selbstverantwortlich nehmen soll, um dann, wenn die Zeit zu handeln drängt, wenn auch nicht definitiv wissen, so doch deutlicher glauben zu können, „was“ man tut und für „wen“ man sich Zeit nimmt oder für „wen“ man sie, aus einem „egoistischen“ Blickwinkel gesehen, verschwendet. Nach Nietzsche verlangt man „an guten Tagen“ „gar nicht mehr Interpretation“. Man will dann nicht unbedingt die „fremde Vernunft“ in eigene Verstehensvoraussetzungen „übersetzen“. Vor allem „seinen Freunden“ gewährt man „einen reichlichen Spielraum zum Mißverständniß“45. Ihnen läßt man eher als anderen gegenüber „hermeneutische Billigkeit“ walten, selbst bei sonst drängender Zeit. Man nimmt sich für sie eher als für andere die Zeit, um in ihrem Reden und Verhalten – bis hin zu den vom eigenen Standpunkt aus erscheinenden Widersprüchen, die sich (mit der Zeit) |44| möglicherweise aufklären lassen – doch noch „Vernunft“ finden zu können. Man ist unter Umständen sogar bereit, die eigenen Verstehensvoraussetzungen ihnen gegenüber in Frage zu stellen und zu begreifen, daß man in ihrem „Horizont“ selbst ebenso sehr als „fremde Vernunft“ erscheinen kann wie sie im eigenen. Nach dem Voranstehenden „wissen“ wir nicht „definitiv“, „was“ die Zeit ist. Mit Augustinus kann man auch sagen, wir wüßten es, solange wir nicht danach gefragt würden, denn dann müßten wir nicht versuchen, „es“ in anderen Zeichen zu sagen, um dem Zeichen (bzw. den Zeichen der „Zeit“, die wir „gewöhnlich“ deutlich genug erfahren) eine bestimmte Bedeutung zuzuschreiben. Das gilt zwar für alle Begriffe, nur gehört der Begriff der vergehenden „Zeit“ zu den Zeichen, „für“ die es zu keiner Zeit „bessere“ gibt. Man versteht das Zeichen „Zeit“ „ohne weiteres“, und deshalb ist sie nach Kant (wie der Raum) ihrem „Begriff“ nach auch kein diskursiver, durch andere Begriffe zu umschreibender Begriff, sondern unmittelbare „Anschauung“, in der alles, was begriffen werden kann, „gegeben“ ist. Sie vergeht sogar im Versuch ihrer begrifflichen Bestimmung, und so können wir sie uns nach Kant „nicht anders vorstellig machen“, „als unter dem [räumlichen] Bilde einer Linie, sofern wir sie“ von einem feststehenden Standpunkt aus „ziehen“46. Insofern ist der Begriff der Zeit kein „Begriff“, 45 Nietzsche, Nachlaß, Krit. Studienausg., hg. v. G . Colli / M. Montinari, 12, 50f. 46 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 156.
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sondern die Negation eines jeden für alle Zeit gedachten Begriffs. Als diese Negation zeigt sich die Zeit in jedem Begriff, denn jeder verdankt sich einem Abbrechen seiner näheren (genaueren) bzw. weiteren (weiter fortschreitenden) Bestimmung. Daß wir uns bei allen Zeichen, die wir nicht ohne Frage nach ihrer „Bedeutung“ verstehen, nur begrenzt Zeit „nehmen“ können, um sie diskursiv zu entwickeln, indem wir ihnen in anderen Zeichen eine Bedeutung „zuschreiben“, daß wir sie zu einer anderen Zeit, unter anderen Bedingungen möglicherweise anders bestimmen würden und daß andere sie von ihrem anderen Standpunkt in Raum und Zeit aus auch wirklich anders bestimmen, verweist auf die generelle Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit eines jeden Begriffs. In den jeweils als hinreichend angesehenen Bestimmungen sind die „Spuren“ der zu früheren Zeiten als hinreichend erachteten Bestimmungen enthalten. Für W. v. Humboldt, der Kants transzendentale Reflexionen explizit auf den Begriff der Sprache überträgt, ist „die Wirksamkeit des Einzelnen ... immer eine abgebrochene, aber, dem Anschein nach und bis auf einen gewissen Punkt auch in Wahrheit, eine sich mit der des ganzen Geschlechts in derselben Richtung bewegende, da sie, als bedingt und wieder bedingend, in ungetrenntem Zusammenhange mit der vergangenen und nachfolgenden Zeit steht. In andrer Rücksicht aber und ihrem tiefer durchschauten Wesen nach, ist die Richtung des Einzelnen gegen die des ganzen Geschlechts doch eine divergirende, so dass das Gewebe der Weltgeschichte, insofern sie den innren Menschen betrifft, aus diesen beiden, einander durchkreuzenden, aber zugleich sich eng verkettenden Richtungen besteht“47. – Die „Zeit selbst“ läßt sich nur negativ begreifen, in der „Bewegung des Begriffs“ (Hegel) von seiner Bildung im jeweiligen Gebrauch über seine Auflösung in einer neuen Bildung „im Laufe der Zeit“.
47 W. v. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, Akademieausgabe VII, 32.
II Sprache und Zeichen
Reine und sprachliche Anschauung (Kant und Hegel) |159| Eine Rechtfertigung philosophischen Denkens vor sich selbst verlangt den Aufweis von Philosophie als Erkenntnis. Nachdem der Skeptizismus die Möglichkeit objektiv gültigen Erkennens in Frage gestellt hatte, versuchte Kant eine kritische Neubegründung. Ob sie Kant gelungen ist oder nicht, ist zugleich die Frage, ob Hegels Kritik an Kant zu Recht besteht, und damit die Frage nach der Natur des menschlichen Denkens selbst, die sich in Hegel bekanntlich als dialektisch begreift. Erkenntnis ist nach Kant einem endlichen Bewußtsein nur möglich, wenn seine Urteile sich auf sinnliche Anschauung beziehen1. Es fragt sich demnach, ob Philosophie auch sich selbst so verstehen kann, wie sie erkenntnistheoretisch das Erkennen bestimmt. Zwar könnte gefordert werden, ehe an „das wirkliche Erkennen ... gegangen“ werde2, sei es notwendig, sich über die im Begriff möglicher Erkenntnis zu denkenden Voraussetzungen philosophisch zu „verständigen“3. Eine solche „Verständigung“ „aus Prinzipien“4 müsse nicht schon Erkenntnis sein; sie könne oder dürfe sogar noch nicht Erkenntnis sein, da es in ihr erst um die Möglichkeit von Erkenntnis und noch nicht um die Bestimmung von möglichen sinnlichen Erscheinungen ginge, wie es im strengen Kantischen Erkenntnisbegriff beschlossen ist. Dann stellt sich aber die Frage, was diese „Verständigung“ philosophisch sein könnte. Da das, was aus Prinzipien folgt, nur dann logisch folgt, wenn es das in den Prinzipien Gefaßte auseinanderlegt, ohne ‚prinzipiell‘ zu etwas anderem zu kommen, konzentriert sich diese Frage darauf, wie zu den Prinzipien als dem logischen Anfang einer solchen „Verständigung“ zu gelangen ist. Mit ihnen kann, nach Kant selbst, in der Philosophie nicht so etwas wie Axiome in der Mathematik gemeint sein5. Es handelt sich um die Frage, wieso psychische Fähigkeiten wie Denken und räumliches und zeitliches Anschauen zugleich als transzendentale Grundbegriffe innerhalb einer rein prinzipiellen Erörterung genommen 1 2 3 4 5
Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 33. Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Philosophische Bibliothek Meiner, Leipzig 1949, 63; GW 9, 53. Ebd. Kritik der reinen Vernunft, A XII. B 760.
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Sprache und Zeichen
werden können, und in welchem Sinn diese Wendung ‚innerer Wahrnehmungen‘ ins Transzendentale zu verstehen ist, da sie ja nicht als objektive Erkenntnis verstanden werden kann, sondern deren Möglichkeit erst soll verständlich erscheinen |160| lassen. Es ist auch unbefriedigend, sie dadurch zu rechtfertigen, daß nur von ihr her eine prinzipielle Verständigung über die Möglichkeit von Erkenntnis möglich sei. Diese Argumentation setzt die Möglichkeit der Wendung ins rein Transzendentale immer noch voraus, ohne sie zufolge der Begriffe dieser Argumentation begreifen zu können, so daß sie innerhalb dieses Denkens den Status einer nicht nur unreflektierten, sondern sogar unbenennbaren Voraussetzung behält. Die Unterscheidung zwischen ‚innerer Wahrnehmung‘ und transzendentalen Voraussetzungen kann selbst weder der einen noch der anderen dieser beiden Seiten zugerechnet und also weder als zeitlicher noch als rein logischer Akt verstanden werden. Bei der Diskussion dieser Schwierigkeiten kann nicht unbedingt am Kantischen Begriff der Erkenntnis festgehalten werden, denn es ist denkbar, daß sie erst durch diesen Begriff entsteht, demzufolge sich ein reiner Verstandesbegriff im Urteil in einer für die Kantische Philosophie charakteristischen Weise auf sinnliche Anschauung bezieht. Die Problematik in der Bestimmung der Erkenntnisrelation und der damit zusammenhängenden näheren Bestimmung ihrer beiden Relata liegt in dem Verständnis des Wortes ‚Beziehen‘. Denn daß alle Erkenntnis des Menschen mit seiner Sinnlichkeit befaßt sein müsse, ist nie ernsthaft geleugnet worden. Wenn Urteile sich auf etwas in der Anschauung Gegebenes beziehen, kann es sich nach Kant dabei nur dann um Erkenntnis im strengen Sinn des Wortes handeln, wenn sie etwas Allgemeines an dem Sinnlichen meinen. Das Allgemeine war nach metaphysischer Tradition die Form. Das Allgemeine am Sinnlichen sind nach Kant ganz entsprechend, ohne Zutun des Denkens, die reinen Formen der sinnlichen Anschauung, Raum und Zeit. Folglich bezieht sich ein allgemeingültiges Erkenntnisurteil auf diese Formen des Sinnlichen, in denen Gegebenes jeweils angeschaut wird und überhaupt erst „in gewissen Verhältnissen geordnet werden kann“6, auch wenn es bei Kant heißt, daß „die reinen Verstandesbegriffe“, „wenn sie auf Anschauungen a priori ... angewandt werden“, nur insofern Erkenntnis verschaffen, „als diese ... auf empirische Anschauungen angewandt werden können“. Die Kategorien dienen deshalb „nur zur Möglichkeit empirischer Erkenntnis“7. Im folgenden wird die Form des Raumes in den Vordergrund gestellt, weil sie, als Form der äußeren Anschauung, auch nach Kant für die An6 7
B 34. B 147.
Reine und sprachliche Anschauung (Kant und Hegel)
161
schauung von etwas ausschlaggebend ist, das unmittelbar als etwas vom Subjekt und seiner erkennenden Tätigkeit Verschiedenes angeschaut wird. Mit der Kantischen Bestimmung möglicher Erkenntnis ergibt sich die Frage nach der Möglichkeit eines Bezuges auf eine reine Form, z. B. auf ein rein räumliches Verhältnis ohne charakteristische Data der Empfindung. Kant wendet sich ja entschieden dagegen, die Formen der Anschauung als Abstraktionen vom Angeschauten anzusehen8. Von ihrem Angeschautsein her sollen die Dinge im |161| Raum ausgedehnt sein und auseinanderliegen, ohne daß sie als an sich voneinander verschieden verstanden sein müßten. Diese gleiche Gültigkeit auseinanderliegender Data bedeutet die Reinheit der auseinanderlegenden Anschauungsform. Von der Vorstellung der gleichen Gültigkeit der Data oder ihrer Gleichgültigkeit her genügt ihre imaginäre Vorstellung als (für sich uncharakteristische) auseinander liegende Punkte. Die Form der Anschauung soll in dieser Reduktion nicht verlorengehen. Die Vorstellung bleibt, der Form nach, Anschauung und kann sich dennoch vom wirklichen Gegebensein der Data ablösen. Sie kann es antizipieren. Von dieser „Antizipation der Wahrnehmung“ her9 kann sie dann auch erst zur Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung aller Wahrnehmungen gelangen10 und schließlich damit auch zwischen einer formalen Möglichkeit, einer material-formalen Wirklichkeit und einer aus allgemeinen Bedingungen der Erfahrung, also prinzipiell abgeleiteten Notwendigkeit in der Erfahrung unterscheiden11. Vorausgesetzt bleibt, daß die Raumvorstellung nicht nur nicht von den Dingen an sich her kommt, sondern sogar vom sinnlichen Gegebensein für das Subjekt ablösbar ist. Sie wird zur Bedingung des sinnlichen Angeschautseins der Dinge12. Der Unterschied zwischen Dingen und einer transzendentalen Bedingung kann dabei so verstanden werden, daß von Bedingungen in einem sprachlichen Zusammenhang die Rede ist, in dem von Dingen so gesprochen wird, daß sie als etwas verstanden werden, das in seinem Dasein und Sosein sein muß, wie es ist, und darin diesem sprachlichen Zusammenhang zugrunde liegt. So heißt es bei Kant: „Im Raume“ stellen wir uns die Dinge „als außer-und nebeneinander“13 und „als außer uns“ vor14. Dabei soll das Wort „Raum“ nicht auch wieder ein Ding bezeichnen, sondern die Bedingung für die Vorstellung auseinanderliegender und von uns unabhän8 9 10 11 12 13 14
B 38. B 207. B 218. B 265f. B 42 u. a. B 38. B 37.
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Sprache und Zeichen
giger Dinge. Insofern wir uns, eben kraft dieser selben Bedingung unseres Vorstellungsvermögens, doch auch den Raum wieder als Ding vorstellen müssen15, etwa als allumfassenden Behälter, stellen wir uns auch dieses Ding ‚Raum‘ wieder im Raume vor, der dann wieder als nichtdingliche Bedingung dieser dinglichen Vorstellung genannt werden muß, eben so, daß das Wort ‚Raum‘ hier nicht Zeichen für ein Ding sein soll. Das sprachliche Wort ist hier allein bedeutende, das Verständnis der transzendentalen Erörterung ermöglichende Sinnlichkeit, ohne Stützung durch einen gemeinten Gegenstand. Nur in diesem Sinn kann ‚Raum‘ als Bedingung ‚gemeint‘ sein, etwa als das, was das Verhältniswörtchen ‚außer‘ z. B. in einem unbestimmten, nicht näher festzulegenden Sinn an Vorstellung begleitet, wenn es in irgendeinem sprachlichen Zusammenhang vorkommt und in seiner verweisenden Funktion unmittelbar verstanden wird. ‚Raum‘ bleibt in diesem Sinne selbst |162| unbestimmte Bedingung der Ansehung von etwas Äußerem als objektiv bestimmt. Demnach kann dann auch die ‚Struktur‘ des Raumes nur indirekt an Beispielen als an Gegenständen erläutert werden, ‚zwischen‘ denen ‚er‘ als Ordnung ihres Angeschautseins fungiert, wie z. B. in dem Satz: die gerade Linie ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Dabei muß in die Ansehung von etwas als ein Räumliches, ‚rein‘ gefaßt als Punkt im Raum in einer ‚Umgebung‘ von Punkten, immer schon die definitorisch unbestimmt bleibende Vorstellung eingegangen sein, die den Wörtern ‚in‘, ‚Umgebung‘, ‚außer‘ usw. anhaftet. Kant nennt die ersten Sätze über bestimmte Verhältnisse zwischen Räumlichem „Axiome der Anschauung“. Sie gehören im einzelnen nicht in die Philosophie, sondern in die Mathematik16. Ein bestimmter Raum ist ein mathematischer. Die Philosophie kann mangels solcher Axiome in ihre Beweise nicht die gleiche Zuversicht setzen wie die Mathematik17. Dagegen geht sie, im Unterschied zur Mathematik, hinter diese Axiome zurück und formuliert deren Prinzip, um die mathematischen Sätze in ihrer Bestimmtheit zugleich als Erkenntnissätze zu erweisen. Sie bezieht sie auf den Raum als Form der äußeren Anschauung, indem sie formuliert: „Alle Anschauungen sind extensive Größen“18. Dieser Satz ist bei Kant die Klammer zwischen Sätzen einer axiomatisierten Sprache, durch deren Axiome strenge Notwendigkeit herrscht, und der menschlichen Anschauung. Ob diese Klammer hält, d. h. ob dieser Satz wahr ist, kann nicht von der Vorstellung ‚Raum‘ her entschieden werden, denn der Raum ist selbst erst durch Axiome als bestimmt und als Gegen15 16 17 18
B 647. B 760. B 761f. B 202.
Reine und sprachliche Anschauung (Kant und Hegel)
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stand „formaler Anschauung“ gefaßt19. Als Kriterium für solch ein AllUrteil kann selbstverständlich auch die empirische Erfahrung nicht in Frage kommen. Es kann nicht als Hypothese aufgefaßt werden, die durch irgendeine Anschauung falsifiziert werden könnte. Die unbedingte Gewißheit20 kann diesem „Prinzip“ nur daraus erwachsen, daß „alle Anschauungen“ als im Grunde oder der Form nach nur eine Anschauung aufgefaßt werden. Sein „Beweis“21 erfolgt aus einer identischen Form des Anschauens oder aus der Transzendentalität des Subjektes. Von ihr her sollen alle Anschauungen, indem sie im Bewußtsein sind, also als solche, so auseinanderliegen, daß jede mögliche Anschauung jede mögliche andere Anschauung in einem mathematisch bestimmbaren, d. h. in einer axiomatisierten ‚Sprache‘ ausdrückbaren Sinn, eben als ‚Größe‘, ‚außer‘ oder ‚neben‘ sich hat. Der ‚Beweis‘ setzt die Wendung zur Transzendentalität faktisch voraus. Im Begriff des transzendentalen Subjekts ist die bewährte Zuversicht des empirischen Subjekts in diese sprachliche Möglichkeit zur Gewißheit festgemacht, ohne daß bei Kant darauf reflektiert ist, daß die Sprache, die allein meine empirischen |163| Anschauungen mit den Anschauungen anderer in Beziehung setzt, sie niemals irgendwie mit allen Anschauungen prinzipiell in Beziehung zu setzen vermag. Kant hat dem Philosophieren nicht die konkrete menschliche Erfahrung auferlegt, die sich allein in sprachlicher Vermittlung vom Datum der Empfindung faktisch ablösen kann, sondern eine (in der Physik seiner Zeit) bewährte Möglichkeit der Erfahrungsbestimmung verabsolutiert. Er hat eine bestimmte axiomatisierte ‚Sprache‘ verabsolutiert, indem er ihr ein philosophisches ‚Prinzip‘ voransetzte. Von diesem Prinzip her kann Anschauung immer nur in dem Sinne die wirkliche Wahrnehmung antizipieren, in dem gewiß ist, daß ‚alle Zahlen‘ bis ins Unendliche aufeinander der gleichen Form des Zählens nach folgen, ohne daß wirklich alle Zahlen durchlaufen werden. Wie Zahlen kommen „alle Anschauungen“ durch „Zusammensetzung des Gleichartigen“ ins empirische Bewußtsein22. In dieser mathematischen Vorstellung von sich selbst begreift sich das empirische Bewußtsein zugleich als transzendentales. Hamann, der die erste, nach Hegels eigener Äußerung schon in die Hegelsche Richtung zielende Kritik an Kant vorbrachte23, hatte sogleich erkannt, daß der Ansatz Kants nicht ganz allgemein aus einer „mystischen Liebe zur Form“ im Sinne der älteren Metaphysik verstanden werden könne, 19 20 21 22 23
B 160 Anm. Vgl. A XV. Vgl. B 202. B 202. Hegel, Hamanns Schriften, Bd. 20 der Glockner-Ausgabe, 246ff.; GW 16, 129ff.
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Sprache und Zeichen
sondern auf einem „Vorurtheil für die Mathematik“ beruhe24. Diese Verabsolutierung ist größer, weil sie an eine bestimmte axiomatisierte Sprache Gebundenes verabsolutiert. Eine Verabsolutierung von etwas nur Besonderem ‚erhebt‘ nicht nur das Besondere zum Allgemeinen. Sie wird nicht einmal seiner Besonderheit gerecht. Soweit alle Anschauungen extensive Größen sind, lassen sie sich in einer axiomatischen ‚Sprache‘ bestimmen, so daß von dieser bestimmten Sprache her Notwendigkeit in die Verknüpfung der Anschauungen kommt, mit der sich ja erst der Kantische Begriff der Erfahrung erfüllt. Denn dann liegen sie als Gleichartiges in distinguierbaren Verhältnissen auseinander. Eine solche ‚bestimmte‘ Sprache ist von ihrer Axiomatik her definiert und, gegen die normale Sprache, abgeschlossen, der sie dennoch als ihrer ‚Metasprache‘ in ihrem ‚Bezeichnungsvermögen‘ verhaftet bleibt. ‚Bezeichnungsvermögen‘ gehört essentiell zum ‚Erkenntnisvermögen‘25. Die sprachlich vorgegebene Distinguierbarkeit, die genausogut zu dieser wirklich bestehenden Möglichkeit der Erfahrungsbestimmung gehört wie die deduzierte Möglichkeit von Synthesis, hat Kant (und an ihn anschließend wohl alle transzendentale Philosophie) als Selbstverständlichkeit unreflektiert erborgt, so daß es fraglich erscheint, ob seine Philosophie „aus Prinzipien“ auch nur dem Phänomen der mathematischen Bestimmbarkeit der Erfahrung, an dem sie sich als transzendentale Erörterung reflektiert, gerecht geworden ist. Es gehört zur Aufgabe der Philosophie, übergangene Selbstverständlichkeiten ins Bewußtsein hereinzuholen. Nur in diesem Sinne einer auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit – auch auf ihre nicht als reine Prin|164|zipien auffaßbaren Bedingungen í reflektierenden Philosophie kann die Sprache in der Philosophie mehr sein als etwa der Gegenstand einer besonderen Disziplin ‚Sprachphilosophie‘. Es soll hier nicht näher die Rede davon sein, ob ohne Sprache ein Auseinanderhalten von Angeschautem möglich ist. Unmöglich ist aber ohne eine Möglichkeit der sinnfälligen Bezeichnung des Angeschauten und der Bezeichnung unterschiedlicher Verhältnisse zwischen Anschauungsgegenständen jedes kompliziertere Umgehen mit Erfahrenem aus der Ablösung vom unmittelbaren Eindruck, die von menschlicher Art und Weise zu erfahren nicht getrennt werden kann. So wird schwer verständlich, wie vom Kantischen Begriff der reinen Anschauung zu dem menschlicher Erfahrung zu gelangen wäre. Die Möglichkeit einer solchen Bezeichnung, zu der gehört, daß die Zeichen auch von anderen verstanden werden, bietet die Sprache, und zwar unabhängig davon, ob es eine axiomatisierte Sprache ist oder nicht. Sie muß sie vor aller Axiomatisierung und vor allen Absprachen (Zuordnungen) schon bieten können. 24 J.G. Hamann, Sämtliche Werke, hrsg. v. J. Nadler, Bd. III, 285. Hervorhebung vom Vf. 25 Zu diesen Termini vgl. J. G . Hamann, a. a. O., Bd. II, 121.
Reine und sprachliche Anschauung (Kant und Hegel)
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Wiederum Hamann sprach schon bald nach Erscheinen der ‚Kritik der reinen Vernunft‘ von dieser von Kant übergangenen „Rezeptivität“ der Sprache eines Systems gegenüber der „Spontaneität“ seiner Begriffe26. Er hatte begriffen, welch große philosophische Bedeutung die jeweils tradierte Sprache gewinnen müsse, wenn es einen wirklich durchdachten Fortschritt gegenüber den gnoseologischen Problemen der Abbildtheorie geben sollte, die, wie Kant gesehen hatte, nur Skeptizismus als Konsequenz übriglassen. Wenn die Empfindung in die Erkenntnis nur als X eingeht í was gedacht werden muß, insofern es sich um allgemeingültige, vom Eindruck der jeweiligen Empfindung ablösbare Erkenntnis handeln soll í dann muß es vorher ein sinnliches Medium oder eine Sprache geben, in dem Anschauungen sinnfällig voneinander unterschieden und als unterschiedene synthetisch aufeinander bezogen werden können, und dann gehen die geschichtlichen Implikationen dieser Sprache in den Begriff der Erkenntnis ein. Allerdings wird der Begriff der Allgemeingültigkeit dabei nicht den Kantischen Sinn behalten können, sondern in Relation zu bestehenden sprachlichen Möglichkeiten zu denken sein. Der Hegelsche Begriff der Anschauung trägt dem Rechnung, obwohl man seit Feuerbach geneigt ist, gerade in Hegel einen von der konkreten Erfahrung abgewandten ‚Panlogisten‘ zu sehen. Während Kant von Prinzipien her „alle“ Anschauungen dem Begriff assimiliert, kommt bei Hegel die Spontaneität des Begriffs gerade darin zur Geltung, daß nach ihm eine Anschauung immer zugleich etwas anderes als das ist, als was sie schon bestimmt war. Weder sinnliche Anschauung noch bestimmender Begriff unterstehen einfach dem tí h®n ei®nai. Gegenüber einer abstrakten Unbestimmtheit oder reinen Bestimmbarkeit bleibt der Begriff der Spontaneität eigentlich auch unverständlich. ‚Bestimmbarkeit‘ wird bei Hegel zur hyletischen Möglichkeit von Angeschautem, anders bestimmt werden zu können als es í in der tradierten Sprache – schon bestimmt ist. Angesichts der Unmittelbarkeit der konkreten Erfahrung gehen die Katego|165|rien in ihr Heteron über, und zwar an ihnen selbst, insofern es eben Kategorien der Erfahrungsbestimmung sind. Selbst die Bestimmung des Seienden als „unbestimmte[s] Unmittelbare[s]“27 ist bei Hegel nicht eine standhaltende Bestimmung, die einen absoluten Anfang oder Boden des Bestimmens bedeuten könnte. Auch sie hat ihre geschichtliche Herkunft aus der philosophisch gebildeten Sprache. Aber dies Übergehen ist nicht willkürliche Bestimmung durch ein Subjekt. Es verläuft in sprachlich vorgebildeten Zusammenhängen. Nur so bleibt begriffliche Bestimmung zugleich der Induktion der 26 J.G . Hamann, a. a. O., Bd. III, 284. 27 Wissenschaft der Logik, ed. Lasson, Leipzig 1951, Bd. I, 66; GW 12, 44.
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alltäglichen empirischen Erfahrung und der Möglichkeit einer allgemeinen und allgemeinverständlichen Darstellung verbunden. ‚Anschauung‘ ist nach Hegel demgemäß von vornherein in doppelter Bestimmung zu fassen: einmal als „identische Richtung“28 des Geistes, der nach ihm „in der Sprache“ mit ihren jeweiligen ‚außersprachlich‘ bedingten Möglichkeiten der Vermittlung sein „Dasein“ (wenn auch nicht sein „Wesen“) hat29, d. h. sein Sein in Einheit mit seiner Schranke, über die er wohl hinaus soll, aber eben deshalb noch nicht hinaus ist30. In ihr wird ein Angeschautes in „tätiger Erinnerung“ identifiziert. Hegel nennt diese Richtung auch „Aufmerksamkeit“, oder, vom „Geist“ her (der bei Hegel also nicht das reine Subjekt, auch nicht das einer Sprache verhaftete, sondern das sich in einer überlieferten Sprache bewegende bedeutet), das Moment des „Seinigen“, des Festhaltens von etwas in dieser oder jener Bestimmtheit. Zufolge des anderen, ebenso ursprünglichen Moments in der Anschauung ist das Angeschaute zugleich als vom Geist und seiner Bestimmung Verschiedenes, als „Seiendes, aber als ein Negatives, als das abstrakte Anderssein seiner selbst“ gegenüber seiner Identifizierung gefaßt31. Als „abstraktes Anderes“ ist etwas ein unbestimmtes Einzelnes gegenüber der jeweiligen allgemeinen Bestimmung, auch gegenüber der als „unbestimmbares Einzelnes“. Es ist unmittelbar als anders Bestimmbares aufgefaßt. In dieser Bewegung, die erst den vollen Hegelschen Begriff der Anschauung ausmacht, wird also etwas immer zugleich mit seinem Bestimmtsein als ein unbestimmter Inhalt der Empfindung, vom Geist her als „außer sich Seiendes“, als Seiendes in Raum und Zeit angeschaut. Raum und Zeit sind auch hier die Formen, in denen gegenüber der bloß begrifflichen Bestimmung von etwas angeschaut wird. Der Raum ist dabei die extreme Form des „abstrakten ... Außersichseins“32 gegenüber der ebenso abstrakten begrifflichen Bestimmung. Das Räumliche ist das anders Bestimmbare. Etwas ist im Raum, insofern es nicht in dem aufgeht, was es für das Subjekt in dessen ‚innerer‘ Vorstellung ist, und von da her andere Perspektiven oder Dimensionen des Bestimmtwerdens zuläßt. Die andere Perspektive verweist auf andere mögliche Subjekte gegenüber |166| dem des jeweiligen Bestimmens, und das jeweils bestimmende Subjekt begreift sich darin unmittelbar als Einzelnes, das in seinem allgemeinen Bestimmen der Anerkennung durch andere bedarf. Ohne sie, die niemals a priori gewährleistet ist, ist es nicht Subjekt. 28 Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 1830, § 448. 29 Vgl. Phänomenologie des Geistes, 458; GW 9, 351 u. a. Stellen; Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 164 u. a. Stellen. 30 Vgl. Logik I, 96ff., insbesondere 119f.; vgl. GW 11, 59ff. und 73ff. 31 Enzyklopädie, § 448. 32 Vgl. Enzyklopädie, § 254.
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Nach Kant sollte das Angeschaute das begrifflich Unbestimmte, Uncharakteristische und deshalb prinzipiell Bestimmbare vor aller Bestimmung sein. Bestimmung kann aber nur an vorheriger charakteristischer Bezeichnung ansetzen. Ein Prädikat als Bestimmung verlangt die Bezeichnung des Subjekts, das nur darin ein Bestimmbares ist, daß es von seiner sprachlichen Artikulation her diese weitere Bestimmung zuläßt. Weil Kant die Selbstverständlichkeit übergeht, daß ein bestimmtes Verhältnis zwischen Anschauungen, etwa zwischen Punkten im Raum, nur möglich ist, wenn auch dessen Relata in bezeichnender Weise auseinandergehalten werden können, kommt er dazu, sie als Gleichartige zu bestimmen und somit den Begriff einer ‚reinen‘ Anschauung zu bilden, die die Grundvoraussetzung seines ‚reinen‘ Systems der Kategorien und der Grundsätze darstellt. Der Begriff des Zeichens wird bei Hegel zu einem systematisch zentralen Begriff. ‚Zeichen‘ bedeutet nicht eine irgendwie willkürlich mit einer Bedeutung verknüpfte Anschauung, sondern „aufgehobene“ oder die „wahrhaftere Gestalt der Anschauung“33. Das sprachliche Vermögen der Bezeichnung, das ebensogut von der tradierten Sprache gewährt wird, wie es ein spontanes Vermögen des Subjekts ist, ist nach Hegel in der Anschauung schon wirksam, die ja ihrem Begriff nach die unmittelbare Begegnung mit der Wirklichkeit sein soll. Es ist schon wirksam in der ersten begrifflichen Auseinanderlegung dieser Wirklichkeitsbegegnung in die beiden (abstrakten) Momente einer rein aufnehmenden Anschauung einerseits und der begrifflichen Bestimmung des Aufgenommenen andererseits, unter der sich das philosophische Denken in seiner Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit traditionell zu begreifen versucht, indem das Denken auch hier bei der in der Geschichte der philosophischen Sprache gebildeten Möglichkeit einer bezeichnenden Unterscheidung zwischen einem Begriff der Anschauung und einem Begriff des Denkens anknüpfen kann. Das heißt nicht, daß es unfähig wäre, über seinen jeweiligen historischen Ausgangspunkt hinauszugehen. Es kann aber nur in der in ihm angelegten Richtung und nicht ‚prinzipiell‘ über ihn hinausgehen. Das heißt: es bleibt verständlich. Dieser Sinn von ‚Verstand‘ ist ein sprachlicher Sinn. Er meint nicht ein Vermögen reiner Begriffe, sondern bezieht mit ein, daß zum ‚Vermögen‘ des Denkens die anerkannte Möglichkeit des bezeichnenden Auseinanderhaltens verschiedener Inhalte gehört, wie sie durch die Sprache angeboten, aber nicht unbedingt sichergestellt wird, und daß ferner auch die verschiedenartigen Bestimmungsweisen der Verhältnisse zwischen den Inhalten immer noch durch sinnlich-sprachliche Zeichen zu charakterisieren sind. Philosophie hat demnach bei Hegel dieselbe ‚Form‘ der Anschauung wie alle sich auf Anschauung beziehende Erkenntnis, nämlich die sprachliche 33 Enzyklopädie, § 459.
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Artiku|167|lation, die allerdings keine reine Form, sondern eine in der jeweiligen sinnlichen Gestalt der Sprache vermittelte ist. Diese Durchgängigkeit der Anschauungsform, unter der etwas jeweils ein bestimmtes Etwas, aber ebenso unmittelbar ein anders Bestimmbares ist, ist wohl der wichtigste Unterschied gegenüber Kant. Ihr zufolge ist es möglich, daß sich die Philosophie selbst genauso als Erkenntnis begreift, wie sie ‚Erkenntnis‘ sonst philosophisch bestimmt. Sie vermag sich selbst als eine Gestalt der Wirklichkeit und des Verhaltens gegenüber den Erfahrungsinduktionen des Lebens zu begreifen34. Der Hegelsche Begriff der Anschauung ermöglicht, Philosophie in einen philosophisch durchdachten Erkenntnisbegriff selbst einzubeziehen, ohne die Kantische Bindung allen Wissens an Anschauung wieder preiszugeben. So scheint hier ein Weg eröffnet zu sein, auf dem ein unverkürzter Begriff menschlichen Weltverhaltens gelingen könnte, der sich nicht an einer bestimmten und um dieser Bestimmtheit willen äußerst reduzierten Gestalt von Sprache reflektiert, ohne wiederum auf diese seine Bedingtheit zu reflektieren. Ein aller wirklichen Erfahrung als Begriff der Möglichkeit von Erfahrung vorauszusetzender ‚transzendentaler‘ Begriff kann sich nur deshalb als absolut verstehen, weil im Zusammenhang seiner Herleitung ‚rein aus Prinzipien‘ die Reflexion auf die sprachliche Voraussetzung unterbleibt. Gerade in dieser Verabsolutierung ist alle Erfahrung auf die in ihm unreflektiert zugrunde liegende besondere sprachliche Gestalt hin relativiert, die ihrerseits um ihrer abgeschlossenen Systematik und immanenten Notwendigkeit willen hinter der normalen Sprache und deren Bezeichnungsund Kombinationsvermögen zurückbleiben muß. Darin bleibt sie wesentlich auf die gesprochene Sprache als auf ihre ‚Metasprache‘ hin relativ. Erfahrung ist deshalb gerade dann nicht relativiert, wenn sie als Erfahrung eines Bewußtseins begriffen ist, das sie von seiner zwar immer historischgesellschaftlich bedingten, aber darüber hinaus nicht reduzierten Sprache her aufnehmen kann, und das umgekehrt von seiner umfassenderen Erfahrung und Sprache her die konkret bestehenden Möglichkeiten einer formale Notwendigkeit implizierenden Erfahrungsbestimmung als relativ zu eingeschränkten Absichten innerhalb des praktischen Weltumgangs begreift.
34 Es muß allerdings hinzugefügt werden, daß diese Seite bei Hegel nicht nur durch die Hegelauffassungen des 19. Jahrhunderts in den Hintergrund getreten ist. Diese ‚Auffassungen‘ sind Hegel nicht ganz äußerlich. Die Seite des Begrifflichen tritt bei ihm selbst thematisch in den Vordergrund, allerdings zumeist als Einwand gegen den Topos einer reinen ‚blinden‘ Anschauung oder einer nichtbegrifflichen und nichtsprachlichen Unmittelbarkeit als eines isolierbaren Stammes der Erkenntnis.
Die Kategorien im „gewöhnlichen“ und im „spekulativen“ Satz Bemerkungen zu Hegels Wissenschaftsbegriff I. |9| Kategorien sind Formen der Verknüpfung von Begriffen zu Sätzen, die objektive Gültigkeit beanspruchen. Die zu verknüpfenden Begriffe sind durch Wörter wie Substantive, Verben usw. bezeichnet, so wie sie in den einzelnen Sprachen vorkommen und nach einzelsprachlichen Grammatiken klassifiziert werden. Weder dem Inhalt noch der Art der Klassifizierung nach müssen sich diese Wörter in allen Sprachen, als wären sie nur verschiedene Arten der Bezeichnung desselben Begriffs, entsprechen oder direkt ineinander übersetzbar sein. Diese Beobachtung eines einzelsprachlichen Perspektivismus bei der sprachlichen Artikulierung von Welt hat schon früh in der Geschichte der Philosophie dazu geführt, die philosophische, auf Allgemeines und generell Verbindliches abzielende Reflexion über eine solche Verstrickung in einzelsprachliche Perspektiven hinausführen zu wollen. Sie hat sich zu diesem Zweck auf die Formen der Verknüpfung der Begriffe konzentriert, in der Annahme, diese Formen hätten ihren ursprünglichen Ort im Intellekt selbst. Man setzte den einzelsprachlich ausgeprägten „symbolischen“, d. h. von ihrer sinnlichen Bezeichnung her charakterisierten und damit dem System einer besonderen Sprache verhafteten Begriffen „formale“ Begriffe entgegen. Sie sollten in einer jeden nur denkbaren Sprache, von dem verständigen Gebrauch der Sprache her, ihre Funktion haben, ganz unabhängig davon, ob eine bestimmte Sprache sie nun ausdrücklich durch besondere Formwörter bezeichne, durch andere syntaktische Mittel wie Wortstellung, Betonung usw. ausdrücke, oder ob sie gar nur vom Verstand hinzuzudenken und überhaupt nicht eigens zeichenhaft markiert seien. Wie ein Spiegel sollte das Kategoriale in einer jeden besonderen Sprache über alle mögliche Verwirrung durch die vielen Sprachen hinaus auf Übersprachlich-Allgemeines verweisen. Aus diesem Ansatz entstand die Idee einer „spe|10|kulativen“ (von speculum, Spiegel) oder „transzendentalen“ Grammatik der Vernunft im Unterschied zu den besonderen Grammatiken der gegebenen Sprachen.
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Eine kategoriale Verknüpfung von Begriffen bildet einen Satz. Ein Satz hat nach der skizzierten Vorstellung wesentlich zwei Bestandteile: die in ihm vorkommenden „symbolischen“ Begriffe, die je eine bestimmte Vorstellung intendieren sollen, und das Kategoriale in ihm, das einzelsprachlich vorgebildete oder gar subjektive Vorstellungen überragen soll. Es verweist überhaupt nicht auf Inhaltliches, und die es in bestimmten Sprachen möglicherweise bezeichnenden Formwörter bleiben ohne inhaltliche Bedeutung. So bezeichnet, dieser Tradition folgend, Wittgenstein im „Tractatus“ es als seinen Grundgedanken, „daß die ‚logischen Konstanten‘ nicht vertreten“1. Ob sie eigens sinnlich markiert sind oder nicht, soll nur ein einzelsprachlicher Unterschied sein, der ihre Universalität nicht berührt. Ihr eigentlicher Ort ist nach dieser Auffassung nicht die Sprache, sondern der eine gegebene Sprache im Gebrauch formende Verstand. Die Unterscheidung zwischen Denken und Sprechen scheint sich an einer solchen Unterscheidung zwischen inhaltlichen, eine Vorstellung „vertretenden“ Wörtern und den Formwörtern innerhalb des Sprechens selbst orientieren zu können. Diesem Topos entspricht die zusätzliche Vorstellung, der in einer Sprache wie auch immer ausgedrückte „Gedanke“ sei wegen der Isomorphie alles Sprachlichen, die es von seinem logischen Gebrauch her habe, prinzipiell in alle anderen bestehenden oder sogar denkbaren Sprachen übersetzbar, ja die Denkbarkeit – und damit die Konstruierbarkeit – von Sprachen beruhe auf diesem Prinzip, in ihnen eben das ausdrücken zu können, was man auch in einer gegebenen ausdrücken kann, sosehr sich der „Gedanke“ möglicherweise auch in der Konstellation der symbolischen Begriffe gegebener Sprachen verberge. Der Unterschied soll demnach nur ein Unterschied der Deutlichkeit sein. Der eine Gedanke tritt in einen Gegensatz zu der seiner Deutlichkeit möglicherweise im Wege stehenden Vielheit der Wörter2. Man könnte diesen Sprachbegriff, von dem her die Verschiedenheiten des Sprachbaus als Verschiedenheit der Deutlichkeit interpretiert werden können, den Cartesianischen Sprachbegriff nennen, etwa in Anlehnung an |11| Chomskys Begriff einer „Cartesianischen Linguistik“3. Von ihm her sind zunächst einmal die Sprachen, die die Formbegriffe durch besondere Zeichen markieren, in einem großen Vorteil gegenüber den Sprachen, die das Kategoriale, etwa die logische Unterscheidung von Subjekt und Prädikat, nur durch die Wortstellung oder sogar überhaupt nicht bezeichnen, so daß es „hinzugedacht“ ist und somit zwischen verschiedenen Sprechpartnern verschieden aufgefaßt werden kann. Hierin scheinen noch Kant 1 2 3
L. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Satz 4.0312. Vgl. ebd., Satz 4.002: „Die Sprache verkleidet den Gedanken.“ Vgl. N. Chomsky, Cartesian Linguistics, New York 1966.
Die Kategorien im „gewöhnlichen“ und im „spekulativen“ Satz
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und Humboldt übereinzustimmen. Kant nennt in seiner „Anthropologie“ den Mangel an Verstandesbegriffen im Zusammenhang mit einer „Armuth … an Wörtern, sie auszudrücken“4, und Humboldt fordert von einer entwickelten Sprache „reine Ausdrücke von Verhältnissen“. Die Sprache soll in diesem Sinn den Gedanken „begleiten“. „Er muss also in stetiger Folge in ihr von einem Elemente zum andren übergehen können, und für Alles, dessen er für sich zum Zusammenhange bedarf, auch in ihr Zeichen antreffen“5. Aber die Motive für diese Forderung sind bei Kant und Humboldt sehr verschieden. Bei Kant bedeuten die Formwörter gemäß Cartesianischer Tradition eine äußere Stütze des Kategorialen, das seinen Ort an und für sich im Verstand hat und im Verstand behält. Für Humboldt dagegen ist es für die „Ideenentwicklung“ selbst wesentlich, daß das Kategoriale eigens in der Sprache markiert und nicht nur „hinzugedacht“ wird. Die zeichenhafte, sinnliche Markierung soll das Denken nicht nur ausdrücken, sondern, wie der Zusammenhang des zitierten Vortrags deutlich macht, institutionell entlasten und damit für es neue Möglichkeiten eröffnen. Dadurch, daß das Denken einen äußeren, sinnlichen Niederschlag, eine Gebrauchsspur seiner selbst in der Sprache findet, soll es sich über eine einmal vorgegebene „Basis“ empirischer Begriffe, wie eine gegebene Sprache sie anbietet, erheben und sich eine eigene Sinnlichkeit, nämlich die der sinnlichen Bezeichnung seiner eigenen vormaligen Leistung, als neue Basis zugrunde legen können, um darauf weiter aufzubauen und sich über den jedesmaligen Ansatz an derselben Basis hinauszuentwickeln. Die Selbstobjektivierung des Denkens in der Sprache soll dessen Fortschritt über den Begriff einer Verknüpfungsmög|12|lichkeit auf einer vorgegebenen Basis hinaus erst ermöglichen und damit den Begriff des „Neuen“ oder der „Entwicklung“ in den der „Bedingungen der Möglichkeit“ hineinbringen. Wäre die Kategorie des Verstandes gegenüber dem Material einer Basis jedesmal neu „hinzuzudenken“, so bliebe das Material kategorialer Verknüpfungen immer das gleiche, d. h. das, was die symbolischen Begriffe vorzeichnen. Die Synthesis selbst bliebe Synthesis auf der gleichen Stufe. Der Verstand bliebe trotz des Versuchs der Selbstreflexion im Spiegel der formalen Aspekte einer jeden Sprache jeweils einer bestimmten Sprache verhaftet. Obwohl er sich als Synthesis des Vorgegebenen dem Vorgegebenen gegenüber als produktiv verstehen könnte, bliebe seine Produktivität doch eine Produktivität innerhalb eines sprachlichen Rahmens symbolischer Begriffe, demgegenüber er sich dann, da es sich dabei nicht um „seine“ („Verstandes“-)Begriffe handeln kann, wesentlich rezeptiv zu verhalten 4 5
Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Akademieausgabe, Bd. VII, 191. W. v. Humboldt, Über das Entstehen der grammatischen Formen, und ihren Einfluß auf die Ideenentwicklung, Akademieausgabe, Bd. IV, 306 bzw. 308.
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hätte. Ihm als dem kombinatorischen Vermögen wären die Elemente der Kombination vorgezeichnet. So gelingt die Überwindung einer Sprache symbolischer Begriffe vom Standpunkt einer „transzendentalen Grammatik“6 aus nach Kant selbst nur für einen Bereich, in dem auch die zu synthetisierenden Begriffe in „reiner“, durch keine empirischen Begriffe einer herkömmlichen Sprache vorgeformten Anschauung zu konstruieren sind wie nach Kants Mathematikbegriff in der Mathematik. Die nachkantische Philosophie hatte also durchaus noch die Aufgabe, dieses Problem weiter zu diskutieren. Die Humboldtsche Sprachauffassung scheint dabei eine Richtung vorzuzeichnen, wie sie ausgeprägter bei Hegel zur Sprache kommt. Wenn auch die Beziehungen zwischen Humboldt und Hegel der philosophiegeschichtlichen Forschung noch Fragen aufgeben, können Humboldtsche Bemerkungen über das Verhältnis zwischen Denken und Sprache doch zu dem Hegelschen Verständnis der Kategorien überleiten. Der bei beiden übereinstimmende Grundgedanke besteht darin, daß Denken zunächst nicht als etwas aufgefaßt wird, was gegenüber einem „unmittelbaren“ Material synthetische Leistungen zu vollbringen habe, so daß die Frage entstehen muß, wie es dann überhaupt den Vorhang tradierter, einzelsprachlicher Vorformung dieses Materials beiseite schieben könne, um, gemäß dem Postulat der Aufklärung, gegenüber Tradiertem den Ver|13|stand „selbst“ in Funktion zu setzen. Das Material, mit dem Denken es unmittelbar zu tun hat, ist bei beiden Philosophen erst gar nicht als ein sinnliches Unmittelbares intendiert, so daß die Frage, wie es denn unmittelbar zu erreichen wäre, nicht erst entsteht. Es ist von vornherein, auch im Gegensatz zu allen „fundamentalistischen“ Theorien der Gegenwart, als ein sprachlicher Niederschlag vormaliger Denkleistungen verstanden. Das Problem der symbolischen Begriffe ist damit nicht länger übersprungen oder in einem Rückbezug auf ein angeblich mögliches „reines“ Denken beiseitegeschoben, sondern selbst zum Gegenstand geworden. Das setzt einen Sprachbegriff voraus, demzufolge Denken sich selbst sich als Resultat sprachlich gegenübersetzen kann, ja können muß, um überhaupt als „Möglichkeit“ gegenüber der tradierten Sprache und der „dúnamiv tøn o¬nomátwn“, wie die Aufklärung seit Platon es fordert, auch begriffen werden zu können. Am Anfang der „Phänomenologie des Geistes“ kritisiert Hegel die „Meinung“ der „sinnlichen Gewißheit“, es mit einem unmittelbaren Material zu tun zu haben. Gegen diese Meinung wird durch die eigene „Sprache“ dieser Stufe die immer schon das vermeintliche „Dieses-da“ in sprachlich-begrifflicher Fassung aufnehmende „Wahrnehmung“ gesetzt, deren Gegenstand 6
Zu diesem Terminus vgl. Kant, Vorlesungen über die Metaphysik, Darmstadt 1964, 78; AA XXVIII, 576.
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im Grunde also schon eine objektivierte synthetische Leistung in sich enthält. – Auf der anderen Seite versteht Humboldt in seinen frühen Thesen „Über Denken und Sprechen“ die Sprache als notwendige Funktion des Denkens: „Das Wesen des Denkens besteht im Reflectiren, d. h. im Unterscheiden des Denkenden von dem Gedachten. Um zu reflectiren, muß der Geist in seiner fortschreitenden Tätigkeit einen Augenblick still stehn, das eben Vorgestellte in eine Einheit fassen, und auf diese Weise, als Gegenstand, sich selbst entgegenstellen. Die Einheiten, deren er auf diesem Wege mehrere bilden kann, vergleicht er wiederum unter einander, und trennt und verbindet sie nach seinem Bedürfnis.“ „Die sinnliche Bezeichnung der Einheiten nun, zu welchen gewisse Portionen des Denkens vereinigt werden, um als Theile andern Theilen eines grösseren Ganzen, als Objecte dem Subjecte gegenübergestellt zu werden, heisst im weitesten Verstande des Worts: Sprache. Die Sprache beginnt daher unmittelbar und sogleich mit dem ersten Act der Reflexion“7. |14| Der von Humboldt und vor allem dann von Hegel entwickelte Begriff des Kategorialen bedeutet, wenn hier die Sprache konstitutive Funktion erhält, eine Fortsetzung des Kantischen kritischen Ansatzes, als „Metakritik“ gegen den unmittelbaren Kantischen Lösungsvorschlag, mit dem Kant immer noch der Tradition der spekulativen Grammatik im Sinne einer „transzendentalen“ Grammatik verhaftet blieb. Dadurch, daß, um zunächst Humboldts Überlegungen wieder aufzunehmen, der formale Begriff selbst den formalen Möglichkeiten einer besonderen Sprache zufolge als „grammatisches Wort“ in dieser Sprache markiert wird, soll ein Denken über schon Gedachtes hinaus gelingen. Vergangene Denkleistungen können so in die kritische Reflexion einbezogen werden, wobei zunächst natürlich völlig offen ist, ob sie für sich wahre Erkenntnisse bedeutet hatten oder nicht. Sowohl die Kritik eines Vorurteils wie auch der fortschreitende Aufbau von Erkenntnisleistungen verlangen eine solche sprachliche Objektivierung von Gedanken zur Basis weiterer Gedanken. Nun hat Humboldt allerdings keine Erkenntniskritik wie Kant geschrieben, aber vielleicht hat er einen Sprachbegriff in nuce entwickelt, von dem her das Kantische gnoseologische Problem sich nicht in dieser Weise stellt. Die Kantische Fragestellung nach den Bedingungen der Möglichkeit objektiv gültiger Urteile impliziert schon eine Sprachauffassung, derzufolge die (übersprachliche oder universale) Kategorie auf der prinzipiell gleichen, nämlich als empirische „Basis“ vorgestellten Stufe das Material einzelsprachlicher, symbolischer Begriffe, die in dieser Konzeption ohne weiteres außersprachliche Realität „vertreten“ sollen, zum Gedanken formt und sich in einem entsprechend geformten Satz ausdrückt. Der Satz als so geformtes 7
Humboldt, Über Denken und Sprechen, Akademieausgabe, Bd. VII, 581f.
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Gebilde ist in dieser Vorstellung das erste geistige Produkt, wie es sich sprachlich niederschlägt. Er soll sich unmittelbar auf die in ihm vermeinte außersprachliche Realität beziehen können, so daß dieser seiner Intention nach ebenso unmittelbar die Frage entsteht, ob er, als dieses isolierte Gebilde, wahr ist oder nicht. Der anderen, hier durch den Humboldtschen Sprachbegriff skizzierten Auffassung nach setzt ein Gedanke einen objektivierten Niederschlag geistiger Tätigkeit, eine Sprachgeschichte also, immer schon voraus. Es wird erst gar nicht vom Begriff einer Sprache ausgegangen, die, ohne Spuren ihres vormaligen Gebrauchs an sich zu haben, „ursprüngliche“ Akte gedanklicher Synthesis auszudrücken vermöchte. Humboldt interpretierend und im gewissen Sinne schon auf die Hegelsche Konzeption des Kategorialen hin überleitend könnte man sagen, die von Humboldt geforderte besondere Markierung |15| des Kategorialen bewahre das Denken davor, lediglich als Synthesis innerhalb desselben Rahmens einer nun einmal gegebenen Sprache fungieren zu müssen. Sie gebe dem Denken die Möglichkeit, sich statt nur auf eine vermeintliche Unmittelbarkeit des in den symbolischen Begriffen vorgegebenen Materials auch auf Gedanken zu beziehen, um sie entweder zu bewahren und auf ihnen weiter aufzubauen oder um sie zu kritisieren und schließlich zu verwerfen, nach welchen Maßstäben oder „Bedürfnissen“8 auch immer. Das Denken gewinne so die Möglichkeit der Selbstaufstufung oder, wie Humboldt es nennt, der „Ideenentwicklung“. Die grammatische Verschiedenheit einzelner Sprachen hinsichtlich ihrer Möglichkeit, kategoriale Formen durch besondere „grammatische Wörter“ sinnlich zu bezeichnen, spiegele verschiedene Grade der objektiven Möglichkeit dieser Reflexion. Dieser Humboldtsche Gedanke bringt in die Idee einer „spekulativen Grammatik“ eine neue Dimension. Während zuvor nur in dem allen Sprachen gemeinsamen Kategorialen einer jeden Sprache sich das Denken seiner abstrakten Möglichkeit sollte „spekulativ“ versichern können – ohne, wie gerade die Konsequenz des Kantischen Ansatzes zeigt, dabei den vorausgesetzten Selbstbegriff eines Vermögens der Bestimmung konkreten Daseins voll einlösen zu können, weil hierzu doch wieder empirische, also symbolische Begriffe vorauszusetzen sind —, könnte es sich dem Humboldtschen Ansatz zufolge jeweils der besonderen Sprache gegenüber, in der es sich wirklich ausdrückt, „spekulativ“ seiner besonderen, d. h. die vorgezeichnete Bahn oder das vorgezeichnete „Sprachspiel“ transzendierenden Möglichkeit versichern. So erst gewänne es einen Begriff von den Bedingungen seiner konkreten Möglichkeit als freies Denken, das wirklich nicht an eine vorgegebene Basis seiner sprachlichen Möglichkeit gebunden wäre. 8
Ebd., 581.
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„Spekulation“ als die Weise der Selbsterfahrung des Denkens gewänne so einen neuen Sinn. Im alten Sinn hat sie das Odium der Verstiegenheit, im Sinne eines Schlusses von Vorliegendem auf Nichtvorliegendes als Herauswinden aus der Realität. In diesem neuen Sinn wäre auf die Besonderheit konkreter Sprachen verwiesen, die gerade wegen ihres objektiven Entwicklungsstandes die Voraussetzung für die Oberwindung einer eingespielten Besonderheit böten. |16|
II. Ehe von diesen Vorüberlegungen aus der Hegelsche Begriff der Kategorie interpretiert werden soll, sei noch einmal der gnoseologische Zusammenhang umrissen, ohne den er unverständlich bleiben muß. Da alles Sprechen sich als Sprechen über etwas versteht, muß eine jede bestimmte philosophische Sprachtheorie sich zugleich als Theorie über die Grundstruktur des in der Sprache Gemeinten, d. h. als allgemeine Ontologie niederschlagen. Die Sprachtheorie, derzufolge Sprache als „Bezeichnung der Gedanken“9 verstanden wird, die ihrerseits kraft eines ursprünglichen Vermögens quasi eindimensional symbolische Begriffe verknüpften, kann den „Gegenstand“ nur als Entsprechung zur kategorialen Bestimmtheit einer Aussage konzipieren. Nur die Form des Satzes kann objektive Gültigkeit haben, da ihr Material als sprachgeschichtlich vorgeformt und damit als einer „ursprünglichen“ Erkenntnishandlung prinzipiell entzogen vorgestellt ist, soweit es sich nicht um konstruierbare mathematische Begriffe handelt. Wenn hinsichtlich solcher Urteile die Erkenntniskritik, die sich an diesem Sprachbegriff orientiert, der unentbehrlichen empirischen Begriffe wegen auch nicht zum Begriff apodiktisch-gewisser Urteile gelangt, so kann sie doch wenigstens deren apriorische Form als Form möglicher Erkenntnis von ihrem transzendentalen Ansatz her aufweisen und gelangt entsprechend zu dem Begriff eines möglichen, wenn auch nicht gewissen Gegenstandes. Die transzendentalen „Bedingungen der Möglichkeit“ des Gegenstandes sind hier, im Unterschied zum a priori gewissen mathematischen Gegenstand, auch nur Bedingungen der Möglichkeit von Gegenständen „überhaupt“, nicht aber von bestimmten Gegenständen. Wenn „überhaupt“ Erkenntnis soll als möglich gedacht werden können, dann von der Form des Urteils her, die inhaltlich nichts bedeutet, weil sie, wie Wittgenstein es ausdrückt, „nicht vertritt“. Die Konsequenz dieses Ansatzes besteht nun darin, daß die reine Form eines Urteils, wie sie sich in Sätzen spiegelt, a priori als dasjenige angesehen ist, was allein die Gegenständlichkeit der möglichen Gegen9
Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, a. a. O., 192.
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stände ausmacht. Sie ist Form der im Verstand liegenden Möglichkeit der Urteilsbildung überhaupt, also einer Handlung des Verstandes. Diese Handlung der Synthesis projiziert sich in die ontologische Vorstellung von möglichen „Gegenständen überhaupt“ als deren gegenständ|17|liche Substanz. Von der Sprache her gesehen ist es die Form der Satzbildung im Sinne einer „transzendentalen Grammatik“ des Verstandes, nicht einer Einzelsprache. Im Grunde ist es das bei aller apriorischen Ungewißheit, ob ein gegebener Satz über einen daseienden Gegenstand wahr sei oder nicht, vorausgesetzte Vermögen, wahre Sätze bilden zu können, das sich hier gnoseologisch projiziert. Gewiß ist es eine unerläßliche Voraussetzung allen Sprechens, daß man die Wahrheit sagen kann. Mit der transzendentalgrammatischen Auffassung wird diese unerläßliche Voraussetzung des Sinns sprachlicher Handlungen aber eingeengt. Es wird zusätzlich vorausgesetzt, daß in Sätzen als spontan bildbaren Gebilden – ungeachtet einer fehlenden Reflexion auf weitere sprachgeschichtliche, gesellschaftliche und in der konkreten Situation liegende Bedingungen – die Wahrheit zu sagen wenigstens möglich wäre, und daß sie, wenn sie überhaupt möglich sein soll, in solchen Formungen isolierter Sätze gesagt würde. Wenn auch kein Skeptiker diese Möglichkeit ausschließen kann, so bleibt es doch dogmatisch, sie a priori als die Möglichkeit anzusetzen und damit alle Reflexion auf mögliche Befangenheiten des Sprechenden in seiner Sprache zu überspringen. Nur aus diesem apriorischen Ansatz beim Urteil und dem isolierten Satz als dem möglichen Ort von Wahrheit ergeben sich aber die gnoseologischen Fragestellungen und Reflexionen auf Bedingungen der Möglichkeit der Übereinstimmung zwischen dem in der Formung eines Satzbaus ausgedrückten „Gedanken“ und der in einer entsprechenden allgemeinen Struktur dann vorauszusetzenden „Realität“. So wenig sich diese Vorstellung einer besonderen Sprache – außer in den deshalb beiseite gelassenen „empirischen“ oder inhaltlichen Begriffen – verhaftet sieht, so sehr verdankt sie sich einem besonderen, in ihr selbst nicht mehr reflektierten Begriff von Sprache und vom Verhältnis zwischen Sprache und Denken, nämlich dem, daß ein Gedanke sich in der formalen Bildung eines (kontextfreien) Satzes ausdrücke und daß einem solchen Satz als dieser endlichen Form „etwas“ entsprechen können müsse. Dabei ist, gemäß dem transzendentalen Ansatz, nicht an die Grenze von Sätzen im Sinn einzelsprachlicher Grammatik zu denken, wie gerade Kants Kategoriebegriff am Beispiel der Kategorie der Kausalität zeigt, die ja dem aus zwei Sätzen zusammengefaßten hypothetischen Urteil zugeordnet ist. Hier faßt die Satzbildung zwei empirische Urteile synthetisch zusammen, von denen keinem für sich, wie der hypothetische Charakter deutlich macht, schon objektive Gültigkeit zugesprochen wird. |18| Da nach Kant nun ein Urteil definiert wird als „Verhältnis, das objektiv gültig
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ist“10, ist in der Bildung des zusammengesetzten hypothetischen Urteils der Urteilscharakter der Teilurteile aufgehoben und allein dem hypothetischen Urteil als dieser spontanen Bildung zugesprochen. Es als Ganzes nur soll objektiv gültig sein. Die Teilurteile sind nur noch im einzelsprachlichgrammatischen Sinn Sätze und erfüllen hier die Funktion empirischer Begriffe als Subjekt und Prädikat. „Urteil“ ist jeweils das spontan vom Verstand zu einer Einheit geformte Gebilde, das in der Vorstellung gebildet wird, es sei in objektiver Gültigkeit ohne Rücksicht auf die im sprachlichen Material implizierten Bedingungen zu bilden möglich, und Sprache sei nur die nachträgliche „Bezeichnung“ dieses jederzeit möglichen „Gedankens“11. Die einfache Grundform des so verstandenen Urteils ist das kategorische Urteil. Dessen Bildung unterscheidet in ihm zugleich Subjekt und Prädikat. Wenn zwei Wörter so zusammengestellt und zugleich formal unterschieden sind, daß das eine Subjekt, das andere Prädikat sein soll, dann sind sie zu einem Satz verknüpft. Dabei soll es wieder gleichgültig sein und höchstens zur Deutlichkeit beitragen, ob die Auffassung als Subjekt und als Prädikat eigens zeichenhaft markiert oder ob sie nur „hinzugedacht“ ist, denn das Kategoriale hat dieser Sprachauffassung zufolge seinen Ort grundsätzlich im Verstand und nicht in der Sprache. Wichtig ist nur, daß über die durch symbolische Begriffe vermittelten Vorstellungen hinweg die formale Kategorie diese Auffassung des Vorgestellten als Subjekt und als Prädikat bewirkt. Die Kategorie, die in Kants Kategorientafel der kategorischen Urteilsform zugeordnet ist, ist die Kategorie der „Substantialität“ (substantia et accidens). Innerhalb dieser Auffassung hat sie die Funktion, die zusätzlich als „Subjekt“ markierte oder aufzufassende Vorstellung als das unbestimmt Zugrundeliegende, die als „Prädikat“ zu lesende dagegen als demgegenüber nur akzidentelle Bestimmung zu charakterisieren. Das Resultat ist demnach sowohl die Gleichgültigkeit der sprachlichen Bestimmung, in der das Satzsubjekt inhaltlich erscheint, als auch der prädikativen Bestimmung, |19| die der Satz zwar vollzieht, die aber zugleich dem als Subjekt Bestimmten dadurch, daß es über seinen Inhalt hinaus als Subjekt bestimmt ist, äußerlich bleiben soll. Die abstrahierte Auffassung als Subjekt und als Prädikat setzt symbolische Begriffe, ungeachtet ihres Inhalts, in ein reines Verhältnis zueinander, in dem sie einen „einfachen“, d. h. über einer „Basis“ gebildeten Satz überhaupt bilden. 10 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 142. 11 Auch aus mehreren Sätzen gebildete „Kontexte“, wie sie neuerdings in der „generativen Grammatik“ statt einzelner Sätze im grammatischen Sinn untersucht werden, sind in diesem Sinn ein Satz, solange sie als spontane Bildungen allein nach einem syntaktischen und semantischen Regelsystem als System von apriorischen Bildungsprinzipien angesehen sind.
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III. Hegel nannte den Satz, der dieser Vorstellung entspricht, das „gewöhnliche Verhältnis des Subjekts und Prädikats“12. Damit ist nicht irgendeine bestimmte grammatische Gruppe von Sätzen gemeint, sondern ein Satzbegriff, der aus einer bestimmten Auffassung von Sprache resultiert. Diese hängt mit einem „gewohnten Verhalten des Wissens“ zusammen. Hegel nennt zwei einander allerdings entsprechende Arten eines solchen „gewohnten Verhaltens“: die „Gewohnheit, an Vorstellungen fortzulaufen“ oder das „materielle Denken“ auf der einen und das „formale Denken“ als vermeintliche „Freiheit von dem Inhalt und die Eitelkeit über ihn“13 auf der anderen Seite. Im „formalen Denken“ wird allein die verknüpfende formale Kategorie als das Beherrschende angesehen, während das „materielle Denken“ an sprachlich symbolisierten, gewohnten Vorstellungen, z. B. an der Vorstellung eines semantisch schon geregelten Verknüpfungsschemas symbolischer Begriffe, assoziativ entlang läuft, ohne sich darüber zu erheben. Dem „materiellen Denken“ ist die Unterbrechung derselben „ebenso lästig als dem formalen Denken, das in unwirklichen Gedanken hin und her räsonniert“14 und das, indem sich sein Selbstbewußtsein rein in den Verknüpfungen spiegelt, ebenso wie das „materielle“ einem vorgezeichneten Rahmen oder einem eingespielten „Sprachspiel“ verhaftet bleibt. Vom philosophischen Begriff her wird nach Hegel dem „materiellen Denken“ die „Unterbrechung“ seines abgerichteten „gewohnten Verhaltens“ zugemutet, dem „formalen“ aber die „Anstrengung, ... diese“ (vermeintliche oder eingebildete) „Freiheit aufzugeben, und statt das willkürlich bewegende Prinzip des Inhalts zu sein, diese |20| Freiheit in ihn zu versenken, ihn durch seine eigne Natur ... sich bewegen zu lassen und diese Bewegung zu betrachten“15. Das entspricht dem Humboldtschen Begriff der Reflexion, die darin besteht, daß „der Geist in seiner fortschreitenden Thätigkeit einen Augenblick still“ steht, „das eben Vorgestellte in eine Einheit“ faßt „und auf diese Weise“ in seiner sprachlichen Bezeichnung es „als Gegenstand“ sich selbst entgegenstellt16. Der Gegensatz zwischen formaler Freiheit (als Bewußtsein des „eingebildeten“ Vermögens, unmittelbar über die Vorgegebenheit symbolischer Begriffe und durch sie vorgezeichnete assoziative Zusammenhänge17 hinweg in objektiver Gültigkeit Urteilshandlungen ausführen zu können) und materialer 12 13 14 15 16 17
Hegel, Phänomenologie des Geistes, ed. Hofmeister, Leipzig 1949, 52; GW 9, 44. Ebd., 48; GW 9, 41. Ebd. Ebd.; GW 9, 41f. Humboldt, Über Denken und Sprechen, a. a. O., 581. Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 142.
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Befangenheit in Vorstellungsbahnen, der nur die beiden abstrakt einander entgegengesetzten Seiten desselben „gewohnten Verhaltens“ bezeichnet, soll aufgehoben werden in einem Begriff, demzufolge die Form in den Inhalt „versenkt“, also selbst zufolge der objektiv gegebenen systematischen Möglichkeit der Grammatik einer besonderen Sprache sinnlich markiert wird und unter die symbolischen Wörter tritt, so daß dieser objektiven Möglichkeit einer besonderen Sprachstufe zufolge das Denken dann über das somit Objektivierte hinaus zu wirklicher Freiheit nicht in abstrakter Negation der sprachlichen Bindungen, sondern in konkreter Negation objektivierter Befangenheiten gelangen kann. Diesem Begriff entspricht der sogenannte „spekulative Satz“. So wie sich die ältere Spekulation allein im Formalen der Bildung von Satzeinheiten als dem abstrakt herausgenommenen Vermögen zu urteilen glaubte spiegeln zu können, soll sich nun das Denken in diesen besonderen Möglichkeiten, soweit wirkliche Sprachen sie konkret anbieten, spiegeln oder sich selbst erfahren als freies Vermögen gegenüber einem eingefahrenen und sprachlich verfestigten „gewohnten Verhalten des Wissens“18. Nicht eine „Basis“, die vermeintlich unmittelbar eine äußere Realität symbolisiert, ist in diesem Begriff als „Material“ von Synthesis angesehen, sondern ein „Wissen“, das zu einem „gewohnten Verhalten“ verfestigt ist, das als diese Gewohnheit das sich als rein formal verstehende Urteilen quasi anonym bestimmte und nun ins Bewußtsein eingeholt wer|21|den kann. Hegel charakterisiert das sich unmittelbar als frei setzende oder sich ohne weiteres als Urteilsvermögen verstehende Wissen näher an dessen Verständnis der Kategorie. Während das „formale Wissen“ einerseits sich selbst unmittelbar als frei oder als „das Selbst“ versteht, indem es die symbolischen Begriffe durch deren modi legendi „als“ Subjekt und „als“ Prädikat kategorial überformt, bedeutet diese zum Satz formende Unterscheidung andererseits zugleich, daß in der wirklichen Ausübung der in abstrakter Negation vorausgesetzten Freiheit („in seinem positiven Erkennen“) „das Selbst ein vorgestelltes Subjekt“ ist, „worauf sich der Inhalt als Akzidens und Prädikat bezieht“19. Nicht das urteilende Subjekt, sondern die im Satz als „Subjekt“ bezeichnete Vorstellung „macht die Basis aus“20. Das sich als unmittelbar mögliches und freies Urteilsvermögen voraussetzende Wissen setzt in der kategorialen Bewegung der Unterscheidung zwischen Subjekt und Prädikat zugleich das im Subjektbegriff Vorgestellte als seine eigene „Basis“, an die die Urteilsbildung das Prädikat nur äußerlich als etwas akzi18 Zur Deutung der Sprache als konkrete Bedingung der Selbsterfahrung vgl. J. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel, Stuttgart 1966. 19 Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., 49; GW 9, 42. 20 Ebd.
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dentell „Zukommendes“ anhefte. Nicht das Subjekt kann über semantische Vorbestimmungen, die die Objektivität versperren könnten, hinaus unmittelbar urteilen, sondern der als „Subjekt“ zu lesende semantische Begriff läßt gemäß einer eingespielten Semantik dieses Urteil zu. Hegel verweist hier auf eine Aporie zwischen logischer Syntax und wesentlich einzelsprachlich „gelernter“ semantischer Interpretation, aus der der „formale“ Ansatz nicht hinausfinden kann. Das formale Verknüpfungsvermögen kann gar nicht übersprachliches oder transzendentales reines Verstandesvermögen sein, weil die wirkliche Satzbildung nicht rein syntaktischen Regeln folgt, sondern ebenso sehr darauf angewiesen ist, daß Verknüpfungsmöglichkeiten von der Semantik der Einzelsprachen her „verstanden“ werden, z. B. daß dieses Wort kraft seiner Bedeutung in einem sprachlichen System Subjekt zu jenem, jenes Prädikat zu diesem sein kann. Gerade eine sich als rein verstehende logische Syntax, zu deren Satz- und Sprachbegriff die „transzendentale“, jederzeit notwendige, eindeutige Auffassung des Subjekt- und Prädikatunterschiedes gehört, verlangt strenge semantische Regelungen dieser Art. Denn daß Situation und Kontext jeweils die Lesart (oder den modus significandi) nahelegten und bestimmten, was logisch als Subjekt und was als Prädi|22|kat zu lesen sei, ist von einem Ansatz her systematisch ausgeschlossen, der sich als transzendentales Prinzip der Bildung von Urteilen versteht, die in isolierten Sätzen ihren Ausdruck finden sollen. Einer solchen implizierten statischen Sprachauffassung setzt Hegel einen Begriff entgegen, in dem „das eigene Selbst des Gegenstandes“ „nicht ein ruhendes Subjekt“ ist, „das unbewegt die Akzidentien trägt“, sondern „sein Werden darstellt“21. Damit ist der Begriff der Kategorie im spekulativen Satz, wie ihn Hegels „Wissenschaft der Logik“ auseinanderlegt, vorläufig bestimmt. Diese Bestimmung vollzieht sich vor allem als kritische Reflexion der Kategorienlehre in Kants „transzendentaler Logik“. Hegel zieht den Umstand, daß der Ansatz einer „transzendentalen Grammatik“ einer transzendental nicht zu deduzierenden Semantik als Ergänzung bedarf, in die Reflexion hinein. Diese Semantik, als abstrakte Ergänzung einer ebenso abstrakten Syntax verstanden, führt das Denken dann auf die Annahme eines rigoros geregelten semantischen Zusammenhangs, über dessen einzelsprachliche Vorgegebenheit (im Sinne eines Eingespieltseins in ihn) hinaus von diesem Ansatz her kein Begriff einer objektiven Realität gelingt. Es kann also nur noch um die Kritik dieses Ansatzes selbst gehen. Letztlich besteht sie darin, die Grenzen des Satzes als Grenzen der Spekulation aufzuheben. „Weil er Satz ist“, erweckt nach Hegel zunächst auch der philosophische Satz „die Meinung des gewöhnlichen Verhältnisses des 21 Ebd.
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Subjekts und Prädikats und des gewohnten Verhaltens des Wissens“. Sein „philosophischer“, das Gewohnte reflektierender, objektivierender „Inhalt“ muß also zuerst „dies Verhalten und die Meinung desselben“ zerstören22, d. h. vom Inhalt her muß die vorgegebene kategoriale Formung – und damit die mit ihr geforderte geregelte Semantik der Begriffe – durchbrochen werden. Man kann sagen, daß sie dadurch, daß sie selbst zum Inhalt wird, als transzendentales Formmoment schon zerstört ist. Sie als Inhalt ist schon als „etwas“ angesehen, das selbst der Beurteilung unterliegt, und ist damit von einer reinen funktionalen Form der Urteilsbildung unterschieden. Während vom Ansatz beim Vermögen der Satzbildung her die philosophische Grundfrage lautet, wie gedacht werden könne, daß eine solche Bildung zufolge einer Kategorie wahr sein kann, wird jetzt gefragt, ob |23| diese Kategorien überhaupt die wahren Formen seien, mit denen etwas über die Wirklichkeit ausgesagt werden kann. Hegel verneint diese Frage im Hinblick auf die Tafel der Kantischen Kategorien23. In der Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“ wird diese Kritik an dem kategorialen Verhältnis von Subjekt und Prädikat dargestellt. Wie Kant geht Hegel selbstverständlich davon aus, daß die Wirklichkeit überhaupt sprachlich darstellbar sei. Er kritisiert nur, daß die formale Unterscheidung von Subjekt und Prädikat und der entsprechende Satzbegriff schon einen Begriff von dieser Möglichkeit hergebe. Gerade wegen der Intention, Sprachliches solle Daseiendes betreffen, sieht er diesen Reflexionsansatz aufgehoben. In der sprachlichen Intention ist nicht wirklich das im Subjektbegriff Vorgestellte eine „Basis“, der die prädikative Bestimmung nur akzidentell zukäme, und das im Prädikatsbegriff Gemeinte ist nicht die bloß noetische Bestimmung oder „das Allgemeine, das frei vom Subjekte mehrern zukäme“24. Es sei erlaubt, zunächst ein Beispiel anzuführen, das sich bei Hegel nicht findet, nämlich das eines in irgendeiner Situation gesprochenen und in irgendeinem Kontext, etwa im Zusammenhang einer Beschreibung, möglicherweise sinnvollen Aussagesatzes. „Dieser Tisch ist rund“ „meint“ ja mit dem Subjektbegriff „Tisch“ nicht etwas, das, als zugrunde liegende „Basis“ der Bestimmung, „Akzidenzien“ annehmen könne. Es meint diesen bestimmten „runden Tisch“, der nicht zufällig die Eigenschaft „rund“ angenommen hat, sondern in dieser Gestalt überhaupt nur existiert. Ferner meint das Prädikat nicht eine Eigenschaft, die auch noch anderen Gegenständen „zukäme“, sondern genau dieses Rund, das dieser Tisch hat. Nur in einem mathematischen Urteil könnte ein „allgemeines“, in reiner Anschauung zu konstruierendes „rund“ eines geometrischen Kreises, also ein konstruierbarer und 22 Ebd., 52; GW 9, 44. 23 Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik, ed. Lasson, Leipzig 1951, Bd. I, 27; GW 11, 18. 24 Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., 50; GW 9, 43.
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nicht ein notwendig zu exemplifizierender Begriff „gemeint“ sein, und nur hier könnte diese konstruierte Figur „Basis“ ihrer Bestimmung sein, weil hier die freie Konstruktionshandlung selbst als „reines“ Vermögen die „Basis“ der verschiedenen Beschaffenheiten von Figuren ist. Von dieser mathematischen Möglichkeit her, in der die kategoriale Form ein ihr angemessenes begriffliches Material, nämlich konstruierte Begriffe, zu synthetisieren hat, ohne sich auf ein äußeres individuelles Dasein zu beziehen, versteht sich letztlich die Form des Satzes, die den fixierten und damit |24| sich auf fixierte „Bedeutungen“ beziehenden „Unterschied des Subjekts und Prädikats in sich schließt“25. Im Sprechen über Daseiendes dagegen werden nicht in sich ruhende „Bedeutungen“ rein formal miteinander verknüpft. Vielmehr bestimmt das Subjekt, mit dem ein gewisses Prädikat verbunden wird, von seiner Bedeutung her die des Prädikats und die des Prädikats die des Subjekts. Es muß hinzugefügt werden, daß solch ein wechselseitiges Bestimmen nicht nur innerhalb der Grenzen eines Satzes geschieht. Der situationsgebundene („pragmatische“) Kontext ist immer schon in die im Satz vorkommenden Bedeutungen eingeflossen, so wie der Satz seinerseits nicht nur vorher feststehende Bedeutungen kopuliert, sondern sie ebenso für einen künftigen Gebrauch modifiziert und präzisiert. Der Satz erscheint somit als Moment in einem prinzipiell randlosen Kontext des Bestimmens. Von daher ist nach Hegel der „Gegenstand“ – der bei Kant dem Satz entspricht, der zu einer durch die Verstandeskategorie in sich zentrierten Formeinheit gebildet ist – „als sein Werden dargestellt“26. Ebenso ist das Wissen wesentlich werdendes Wissen. Ihm ist es nicht eo ipso möglich, in einem Akt von Urteilshandlung etwas von der objektiven Realität zu begreifen. Es muß in der Zuwendung zu den Dingen sich zugleich reflexiv seiner Sprache, in der es sich ausdrückt, zuwenden und sich deren Form selbst vorstellen, als Bedingung dafür, daß es seine Bedingtheiten aufzuheben vermag27. Da die dialektische Bewegung aber „Sätze zu ihren Teilen oder Elementen“ hat, scheint, wie Hegel bemerkt, die Fixierung der Spekulation auf die Satzform und damit „die aufgezeigte Schwierigkeit ... immer zurück25 Ebd., 51; GW 9, 43. 26 Ebd., 49; GW 9, 42. 27 Vgl. hierzu W. Marx, Absolute Reflexion und Sprache, Frankfurt/Main 1967, 22: „Der einzelne Satz kann allenfalls ein ‚festes Resultat‘ nennen. Bei der Darstellung des sich als ein Ganzes vollendenden Lebens der Wahrheit wird er als einzelner gerade aufgehoben. Der einzelne Satz muß zu einem Glied innerhalb einer Kette von Sätzen werden. In dem Verkettetsein der einzelnen Sätze als voraussetzender und setzender liegt allein die Möglichkeit, darzustellen, wie sich die Totalität der Bestimmungen zu einem wahren Zusammenhang hervorbildet. Die spekulative Darstellung muß ein ganzes Gefüge von Sätzen in Anspruch nehmen. Als ein solches Gefüge hat die ‚dialektische Bewegung … Sätze zu ihren Teilen oder Elementen‘.“
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zukehren und eine Schwierigkeit der Sache selbst zu sein“28. Aber die Kategorie als das vermeintliche Zentrum der Satzbildung ist dennoch |25| in ihrem Anspruch auf unmittelbare objektive Gültigkeit kritisiert. Sie kann wesentlich nur ein Einhalten im Prozeß der Erkenntnis, nicht aber selbst unmittelbare Erkenntnis bedeuten. D. h. sie bedeutet immer nur die Vergegenständlichung eines Erkenntnisprozesses an einem gewissen Punkt zum Zweck der Reflexion auf ihn, und ist damit Moment im Erkenntnisprozeß selbst, der ja nicht mehr, wie es dem Kantischen Kategoriebegriff zufolge der Fall sein müßte, als eindimensionales Weiterlaufen verstanden ist, sondern als beständiges Objektivieren der (sprachlichen) Erkenntnismittel. Die gebrauchte Kategorie erhält damit die Funktion, sich in ihrem Gebrauch und in der Reflexion auf ihn zugleich mit der „Gewohnheit“29 ihres Gebrauchs im „Sprachspiel“, dessen „Regel“ sie war, als „etwas Unwahres“ herauszustellen. Der Hegelsche Begriff des Satzes „zerstört“ die gewohnte Vorstellung vom Satz. Er zerstört damit den Spiegel der traditionellen Spekulation und setzt an dessen Stelle den wirklichen Sprachgebrauch, in dem sich nicht die Möglichkeit der Satzbildung rein von der logischen Syntax und von einem fixierten semantischen System von Regeln der Verknüpfbarkeit von Bedeutungen her versteht, sondern auch umgekehrt die Satzbildung innerhalb eines unbegrenzten Erkenntnisprozesses die Bedeutungen bestimmt. Ein solcher „Spiegel“ ergibt natürlich kein umrissenes Bild und kein Selbstbewußtsein der „Gewißheit“ des Gegenstandes, aber doch einen wahren Begriff des erkennenden Bewußtseins von seiner Stellung zur Objektivität. Diese „dialektische Bewegung des Satzes“ ist das „wirkliche Spekulative“30, weil sie, im Unterschied zu der abstrahierenden Konzentration auf dessen Form allein, dem Satz als einem wirklichen Element des situationsgebundenen Zusammenhangs wirklichen Sprechens entspricht, in dem eben nicht nur vorhandene Bedeutungen verknüpft, sondern erst von ihrer Verknüpfung her verstanden werden, so daß sich nicht eine logische Syntax von der Semantik symbolischer Begriffe rein abheben läßt. „Spekulation“ im „gewohnten“ Sinn hebt sich gegenüber dieser sprachlichen Wirklichkeit auf. Der „philosophische Inhalt“ philosophischer Sätze soll nach Hegel die Aufgabe haben, „die Meinung des gewöhnlichen Verhältnisses des Subjekts und Prädikats“ und des sich daran orientierenden „gewohnten Verhaltens des Wissens“ zu zerstören. An dem Ungewöhnlichen dieses |26| Inhalts soll die Meinung erfahren, „daß es anders gemeint ist“, „und diese Korrektion seiner Meinung nötigt das Wissen, auf den Satz zurückzukommen und ihn 28 Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., 53; GW 9, 45. 29 Ebd., 48; GW 9, 41. 30 Ebd., 53; GW 9, 45.
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nun anders zu fassen“31. Philosophische Inhalte haben also diese Funktion! Sie sind jeweils „Beispiele“32 dafür, daß eine bestehende „Gewohnheit“ dadurch erschüttert wird, daß sie in deren Sprache hineintreten und das gewohnte Verständnis des Satzes als einer reinen formalen Verknüpfung nötigen, „auf den Satz zurückzukommen“, also eigentlich die „Form der Abbildung“ selbst zu objektivieren. Dadurch sind diese „Inhalte“ von denen der symbolischen Begriffe völlig verschieden. Es sind im Grunde „kategoriale“ Inhalte. Ein solches „Beispiel“ ist der Satz „Gott ist das Sein“. Formal ist „das Sein“ Prädikat. Aber „es hat substantielle Bedeutung“, so daß es nicht nur als akzidentell angeheftet, sondern als „Wesen“ erscheint. „Dadurch scheint Gott aufzuhören, das zu sein, was er durch die Stellung des Satzes ist, nämlich das feste Subjekt.“ „Das Denken, statt im Übergange vom Subjekt zum Prädikat weiter zu kommen, fühlt sich, da das Subjekt verloren geht, vielmehr“ (in seiner „Gewohnheit“, die die Kategorie ihm vorzeichnet) „gehemmt und zu dem Gedanken des Subjekts, weil es dasselbe vermißt, zurückgeworfen; oder es findet, da das Prädikat selbst als ein Subjekt, als das Sein, als das Wesen ausgesprochen ist, welches die Natur des Subjekts erschöpft, das Subjekt auch unmittelbar im Prädikate“33. Man darf hinzufügen: Es findet die abstrakte Trennung von Zugrundeliegendem und Bestimmung aufgehoben. Das „Material“ der Synthesis hatte an sich selbst schon synthetischen Charakter und also eine Geschichte. Die Beispiele für „philosophische Inhalte“ haben die allgemeine Form, daß jeweils gesagt wird, das im Subjekt Gemeinte sei nichts Inhaltliches, sondern etwas Kategoriales, z. B. „das“ Sein oder „das“ Allgemeine. „So vergeht das Wirkliche als Subjekt in seinem Prädikate“34. Dadurch werden natürlich „Sprachregeln“ verletzt. Aber Hegel fügt hinzu, daß das „wirkliche Spekulative“ ja nicht diese Inhalte seien, sondern deren Funktion, den syntaktisch geregelten, gewohnten Vorstellungsverlauf zu hemmen und den Blick auf diesen Verlauf selber reflexiv zu wenden. Der Sinn dieser Sätze ist die Reflexion auf das gewohnte Satzverständnis, |27| dessen Aufhebung und das Erfassen der sprachlichen Wirklichkeit des Satzes als eines bloßen, in den randlosen Kontext eingebetteten Elements des Bestimmens. Ihr besonderer Inhalt ist jeweils nur exemplarisch. Er ist, so kann man interpretierend ergänzen, relativ zu den jeweils gewohnten Vorstellungen, die in ihm „verloren“ gehen sollen. Seine Bewegung stellt das Verlorengehen der Vorstellung, das im Subjektbegriff Gemeinte sei in dieser Vorstellung das Zugrundeliegende und Substantielle, selbst vor, indem solche „bedeutungs31 32 33 34
Ebd., 52; GW 9, 44. Ebd., 51; GW 9, 44. Ebd. Ebd.
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losen“ kategorialen Prädikate gebildet werden. Der philosophische Inhalt ist im Grunde nur die Selbstreflexion der Gewohnheit als die Erkenntnis, daß die Kategorie der Substantialität das im Subjekt Gemeinte als das zugrunde liegende „Eine“ setzt, so daß es seinen Grund nicht von sich her, sondern in der kategorialen Unterscheidung vom Prädikat (von allen möglichen Prädikaten) hat, in der es als das „Eine“ bestimmt oder ausgesagt ist. „Das Eine“ ist sein wahres, es als Subjekt bestimmendes oder setzendes Prädikat, in dem es aber, wenn das „ausgesprochen“ ist, als diese gemeinte Vorstellung „verlorengeht“. „Philosophische Inhalte“ bedeuten nichts Inhaltliches im Sinne gewohnter Vorstellungen, sondern bewirken die Reflexion der Regeln der Stabilität solcher Vorstellungen. Die Kategorie im „spekulativen Satz“ ist nicht Form der Verknüpfung gewohnter Vorstellungen, sondern der Reflexion auf die Form solcher Verknüpfungen, insofern diese Form zugleich die Vorstellungen auseinanderhalten und damit im gewohnten Sinn bewahren soll, d. h. „rein“ formal verstanden wird. Die Kategorie im „spekulativen Satz“ ist das Kategoriale reflektierende Kategorie. Es trifft zu, daß das die Aufhebung der rigorosen Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache bedeutet. Man kann sogar sagen, die philosophische Bedeutung eines „philosophischen Inhalts“ sei, solche stillschweigende Unterscheidung, die das Funktionieren einer „Objektsprache“ in gewohnten Vorstellungen „metasprachlich“ stabilisiert, kritisch bewußt zu machen. Sie sei in diesem Sinne appellativ und habe darin ihre Erkenntnisfunktion.
IV. Hegel hat keine Logik einer „Wissenschaftssprache“ geschrieben, aber, seiner Intention nach, doch eine Logik der Wissenschaft, nicht einer bestimmten, syntaktisch und semantisch in ihrer „Sprache“ geregelten |28| Wissenschaft, sondern des menschlichen Wissens, nicht als eines möglichen gewissen „Wissensstandes“, sondern als eines unendlichen Prozesses. Die „Wissenschaft der Logik“ handelt von der Logik der „Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft“, die sich nicht „voraussagen“ läßt35. Der „Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft“ steht hier das „instinktweise“ Denken gegenüber, das „in den Banden seiner Kategorien“ „befangen“ ist. Erst „vor das Bewußtsein gebracht“ sind diese Kategorien „an und für sich seiende Begriffe seiner Wesenheit“. Sie vor das Bewußtsein zu bringen, „ist also das höhere logische Geschäft“36. 35 Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., 67; GW 9, 56 bzw. Wissenschaft der Logik, a. a. O., Bd. I, 23; vgl. GW 11, 15. 36 Hegel, Wissenschaft der Logik, Vorrede zur zweiten Auflage, a. a. O., Bd. I, 16; GW 21, 16.
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Dieses Geschäft ist die „Wissenschaft der Logik“, die den Kategorien „zusieht“, wie sie an ihnen selbst in der wirklichen Bewegung des Satzes kraft ihrer Funktion „festere Knoten“ als „Anhalts- und Richtungspunkte“ sind, an denen sich das „Leben und Bewußtsein“ des Denkens entwickelt37. Es sind Kategorien, wie sie sich nicht „zunächst“ in einem transzendentalen Verstand als einem eingebildeten „ursprünglichen“ Vermögen zu urteilen, sondern „zunächst“ in einer Sprache finden: „Die Denkformen sind zunächst in der Sprache des Menschen herausgesetzt und niedergelegt. ... In alles, was ihm zu einem Innerlichen, zur Vorstellung überhaupt, wird, was er zu dem Seinigen macht, hat sich die Sprache eingedrängt, und was er zur Sprache macht und in ihr äußert, enthält eingehüllter, vermischter oder herausgearbeitet, eine Kategorie“38. Wie für Humboldt spielt es für Hegel eine wesentliche Rolle, ob „das“ Kategoriale in einer Sprache besonders markiert ist oder nicht. „Es ist der Vorteil einer Sprache, wenn sie einen Reichtum an logischen Ausdrücken, nämlich eigentümlichen und abgesonderten, für die Denkbestimmungen selbst besitzt; von den Präpositionen, Artikeln, gehören schon viele solchen Verhältnissen an, die auf dem Denken beruhen; die chinesische Sprache soll es in ihrer Ausbildung gar nicht oder nur dürftig bis dahin gebracht haben; aber diese Partikeln treten ganz dienend, nur etwas weniges abgelöster als die Augmente, Flexionszeichen und dgl. auf. Viel wichtiger ist es, daß in einer Sprache die Denkbestimmungen zu Substantiven und Verben herausgestellt und so zur gegenständlichen Form gestempelt sind; die deutsche Sprache hat darin viele Vorzüge vor den anderen modernen |29| Sprachen; sogar sind manche ihrer Wörter von der weitern Eigenheit, verschiedene Bedeutungen nicht nur, sondern entgegengesetzte zu haben, so daß darin selbst ein spekulativer Geist der Sprache nicht zu verkennen ist. … Die Philosophie bedarf daher überhaupt keiner besonderen Terminologie“39, wenn sie auch nicht die vorgefundenen Wörter „aus der Sprache des gemeinen Lebens, welche für die Welt der (gewohnten, Zusatz v. Vf.) Vorstellungen gemacht ist“40, exakt in dieser eingespielten Bedeutung belassen kann. Diese Stellen machen deutlich, daß nach Hegel wie nach Humboldt einer Stufe der „Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft“ eine bestimmte, objektiv verwirklichte Sprachstufe entspricht und dem „Fortschreiten der Bildung … und ... Wissenschaften“41 über eine sprachlich stabilisierte „Gewohnheit“ hinaus eine 37 38 39 40 41
Ebd.; GW 21, 15. Ebd., 9f.; GW 21, 10. Ebd., 10; GW 21, 11. Ebd., Bd. II, 357; GW 12, 130. Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., 67; GW 9, 56 bzw. Hegel, Wissenschaft der Logik, a. a. O., Bd. I, 11; GW 21, 11.
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weitere Entwicklung der Sprache kraft ihrer eigenen grammatischen Möglichkeit der Selbsttranszendenz. Das impliziert, daß Hegel, wenn er von Sprache spricht, immer an einen bestimmten Sprachzustand denkt, wie er sich in einer Lebenspraxis entwickelt hat, und nicht an Sprache allgemein. Hegel spricht vom „spekulativen Geist“ einer Einzelsprache, d. h. einer Sprache, wie sie zusammen mit dem „Fortschreiten“ des Bewußtseins geworden ist und hat werden können und einem bestimmten Stand der „Bildung“ zur Wissenschaft entspricht. Die formallogische Untugend, daß sich in einer Sprache „schon lexikalisch“ „Ein Wort von den entgegengesetzten Bedeutungen“ findet42, bewirkt, daß die Philosophie, die demnach solche Wörter braucht, „überhaupt keiner besonderen Terminologie“ mehr bedarf. Anhand solcher Wörter kann sie die Meinung und das „gewohnte“ Verständnis zerstören und auf die wirkliche Bewegung des Satzes hinlenken. Ja sie muß solche Wörter, die „den Bestimmungen des Begriffs nahe zu kommen scheinen“43 innerhalb des gewohnten lexikalischen Materials, sozusagen als semantische Schwächen eines eingefahrenen sprachlichen Systems, „finden“, da sie durch eigens konstruierte nicht das „gewohnte“, eingespielte Sprachverhalten erreichte und nur wieder ihr eigenes, abgesondertes Sprachspiel spielen könnte. Es soll ja nicht eine Sprache, sondern ein bestimmter, reduzierter oder nur eindimensionaler Gebrauch und eine dementsprechende Vor|30|stellung von Sprache „zerstört“ werden, gegen den nur die Sprache selbst angeführt werden kann. Auch eine terminologisch eingespielte Philosophiesprache wäre durch den „spekulativen Geist“ der Sprache selbst zu überwinden. Wenn es heißt, in allem Sprachlichen stecke eine Kategorie, dann ist mit „Kategorie“ eo ipso eine solche spekulative Kategorie gemeint als der Punkt der Überwindung eines vorgegebenen Sprachzustandes. Wie Kategorien konkret als Kategorien des Werdens von Wissen, das unmittelbar wegen bestehender Befangenheiten nicht möglich und deshalb in den „Bedingungen seiner Unmöglichkeit“ aufzuweisen ist, zu begreifen sind, zeigt der Anfang der „Logik“ Hegels. Hier handelt es sich von Anfang an um Sätze mit „philosophischem Inhalt“. Auch die Selbstreflexion des „gewohnten“ Verständnisses des Satzes drückt sich philosophisch aus, wenn sie sich mit einer vermeintlichen „Möglichkeit“ der unmittelbaren Bestimmung eines „Unbestimmten“ identifiziert. Nur wird diese „Reflexion“, die den Inbegriff der von Hegel kritisierten „Reflexionsphilosophie“ ausmacht, ihrerseits durch die „Spekulation“ an der wirklichen Bewegung des Satzes im Sprachzusammenhang reflektiert. Der Satz der „Logik“, „das 42 Ebd., 10; GW 21, 11. 43 Ebd., Bd. II, 357; GW 12, 130.
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Sein ist das unbestimmte Unmittelbare“44, ist Ausdruck einer philosophischen Meinung, sozusagen ein „metasprachlicher“ Satz, aber nicht die Meinung Hegels. Er ist als dieser Satz auch noch keine wissenschaftliche Aussage, sondern der erste Anfang auf dem Weg zur Wissenschaft, an dessen unvorhersehbarem Ende erst in ihrer Unmittelbarkeit wahre Sätze möglich wären. Indem die tradierte Kategorie, in der philosophisches Denken befangen ist, sich als rein Bestimmendes und nicht auch als selbst Bestimmtes versteht, setzt sie sich alles andere, also „das Sein“, als unbestimmtes, unmittelbar Bestimmbares gegenüber. Hegel trifft hier keine wissenschaftliche Aussage über einen Gegenstand „Sein“. Er zieht lediglich eine Konsequenz aus einer vorherrschenden Auffassung, wie sie jedem „fundamentalistischen“ Ansatz eigen ist. „Das Sein“ ist in der Bestimmung als „das unbestimmte Unmittelbare“ „ohne alle weitere Bestimmung“. Das folgt analytisch. Es gibt zu ihm deshalb kein mögliches Prädikat. Die Prädikatsstelle bleibt offen. Es ist „in der Tat Nichts”45. |31| Gegen diese Art von „Logik“ sind bekanntlich Einwände erhoben worden. Aber Hegel ist hier nicht so weit von seinen Kritikern entfernt. Er hält ja nicht einen Satz, der mit einem Subjekt „das Sein“ anfängt, für einen für sich „sinnvollen“ Satz, wenn er ihm kein mögliches positives Prädikat zubilligt. Der „philosophische“, befremdliche Inhalt hat auch hier die Funktion, auf die wirkliche Bewegung eines Satzes zu verweisen. Er resultiert in seinem Sinn auch bei Hegel aus einem Mißverständnis der Sprache, aber er hat doch, anders als etwa bei Wittgenstein, die Funktion und damit den „Sinn“, solch ein Mißverständnis, wie es die „gewohnte Vorstellung“ beherrscht, aufzuheben. Die Philosophie bewirkt hier nicht das Mißverständnis, sondern sie reflektiert ein Mißverständnis der Sprache auf Grund eines objektiven Sprachzustandes. Es ist nichts mit der Meinung, die glaubt, mit dem unbestimmten, reinen „Sein“ anfangen, also unmittelbar bestimmen zu können, aber bei dieser Meinung, die nicht einfach nichtig ist, sondern objektiv vorherrscht und das Denken bestimmt, hat die Philosophie anzufangen. Ihr „Inhalt“ reflektiert die Topoi der tradierten Philosophiesprache, er ist relativ zu ihr und hat seine Wahrheit darin, daß kein Denken sein Angewiesensein auf sie und damit das Befangensein in ihr unmittelbar ablegen und „die“ Wahrheit unmittelbar ins Werk setzen kann. Der Satz „das reine Sein und das reine Nichts ist dasselbe“ ist dann auch so zu verstehen, daß das, „was die Wahrheit ist“, „weder das Sein, noch das Nichts“ ist, „sondern daß das Sein in Nichts, und das Nichts in Sein – nicht übergeht; – sondern übergegangen ist“46. Der nächste Satz zeigt den Charakter solcher 44 Ebd., Bd. I, 66; GW 11, 43. 45 Ebd., 66f.; GW 11, 43f. 46 Ebd., 67; GW 11, 44.
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Aussagen als „philosophische Inhalte“ auf, die die Funktion haben, das „Verhalten und die Meinung“ „des gewöhnlichen Verhältnisses des Subjekts und Prädikats und des gewohnten Verhaltens des Wissens“ zu zerstören47 und auf die „dialektische Bewegung des Satzes selbst“ als auf das „wirkliche Spekulative“ zu verweisen48: „Ihre Wahrheit ist also diese Bewegung des unmittelbaren Verschwindens des Einen in dem Anderen: das Werden“49. Es ist die Bewegung des Satzes im wirklichen sprachlichen Prozeß, in der die Vorstellungen eines selbständigen Subjekts und eines selbständigen Prädikats, die im Satz nur äußerlich oder rein formal |32| verknüpft würden, ineinander verschwinden. Das Subjekt und das Prädikat werden erst in dieser Bewegung zu dem, was sie konkret bedeuten. „Das Werden“ steht der Unmittelbarkeit des Seins und des Wissens als „Wahrheit“ gegenüber, und zwar als Resultat einer Reflexion auf die „Bewegung des Satzes“. Auch dieses Resultat, das einen Satz schon nicht mehr als unmittelbares Wissen, sondern als werdendes versteht, als Station auf dem Weg der „Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft“, tritt, da „die dialektische Bewegung gleichfalls Sätze zu ihren Teilen oder Elementen hat“50, wieder in einem Satz geformt und damit wieder notwendig noch als „philosophischer Inhalt“ auf. Aber dieser Inhalt ist, da er nicht mehr unmittelbarer Anfang ist, selbst ein gewordener und verweist damit schon deutlicher auf die Bewegung, der er sich verdankt, d. h. darauf, daß er kein Ausdruck unmittelbaren, sondern eines von seiner Geschichte her vermittelten Wissens ist. Er kann daher schon nicht mehr unmittelbar wie ein dogmatischer Lehrsatz gelesen werden. Die Wendung „nicht übergeht, – sondern übergegangen ist“ zeigt an, daß es sich bei all diesen Sätzen „philosophischen Inhalts“ nicht um echte Inhalte von Sätzen handeln kann, die mit diesen Sätzen schlicht behauptet werden sollten, so daß die Satzform, in der Intention dieser Inhalte, dienend hinter sie zurückzutreten hätte. Im Gegenteil, sie resultieren aus der Reflexion der „gewohnten“, aber der wirklichen Sprachbewegung gegenüber abstrakten Vorstellung vom Wesen des Satzes und zeigen in ihrer Befremdlichkeit auf den wirklichen Satz als verschwindendes Element eines randlosen sprachlichen Prozesses zurück. Ebenso sind alle weiteren „Aussagen“ der „Wissenschaft der Logik“ immer „schon“ in weitere übergegangen, und entsprechend sind die Kategorien dieser „Logik“ zu lesen. Sie sind nicht, wie die Kantischen Kategorien, Kategorien der Formung einzelner Urteile, mit dem Anspruch auf unmittelbare objektive Relevanz, sondern Kategorien, die zugleich ihre 47 48 49 50
Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., 52; GW 9, 44. Ebd., 53; GW 9, 45. Hegel, Wissenschaft der Logik, a. a. O., Bd. I, 67; GW 11, 44. Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., 53; GW 9, 45.
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Vorläufigkeit reflektieren und den mit ihnen gebildeten Satz als aufgehobenes Element auf dem Weg der Erarbeitung von Bedingungen der Möglichkeit objektiver Relevanz ausweisen. Sie sind insgesamt so zugleich Formen der Reflexion ihres eigenen Gewordenseins und ihrer traditionellen Bedingtheit oder der Unwahrheit des sich durch sie aufspreizenden Urteils. Unter einem absoluten Gesichtspunkt sind sie immer schon „übergegangen“. So, wie sie auftreten, verdanken sie sich der |33| auch in der dialektischen Bewegung notwendigen Fixierung auf den einzelnen Satz. Die auf „das Werden“ folgende Kategorie ist das „Dasein“. „Dasein“ als „bestimmtes Sein“ ist als Aufhebung des Kategorie des „Werdens“, als „gewordenes Sein“ zu denken. In dieser Kategorie ist zufolge ihrer logischen Einordnung bei Hegel immer schon mitzudenken, daß „Sein“ in der Vorstellung eines „unbestimmten Unmittelbaren“ und demnach unmittelbar zu Bestimmenden nicht mögliches „Subjekt“ von Bestimmung oder eines wirklichen Satzes sein kann. Es ist immer schon in die Einheit mit „Nichts“, mit der Negation von Sein als unmittelbarem Sein, übergegangen. Es ist, wenn es Subjekt von Bestimmung sein soll, wesentlich immer schon bestimmt. Bestimmung ist nicht die von Unmittelbarem, sondern weitere Bestimmung auf der Basis vorangegangener Bestimmung. „Sein“ war in Wahrheit immer schon „innehaltende“ Position innerhalb eines Prozesses, also gewordenes Sein, und Erkenntnis hätte sich in ihrem Bemühen um „Objektivität“ immer zugleich diesen ihren nicht unmittelbar wegzudenkenden Vorbestimmungen kritisch zuzuwenden51. Im Hegelschen Begriff des „Daseins“ ist die von Kant in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft“ dargestellte Einsicht gleich zu Anfang mitbedacht, daß Kategorien eines „reinen“ Verstandes zur Bestimmung von „Dasein“ nicht unmittelbar zu verwenden sind und daß, wenn es um die Bestimmung von „Dasein“ geht – im Gegensatz zu mathematischer Bestimmung – immer „abgesonderte (obzwar an sich empirische) Begriffe“ im Gebrauch sein müssen, damit der Verstand an dem, was er in ihnen „antrifft“, d. h. an von ihm selbst nicht deduzierbaren Vorbestimmungen, ansetzen kann52. Die ersten Schritte der „Wissenschaft der Logik“ Hegels ziehen noch einmal diese Grenze der „transzendentalen Logik“ nach und nehmen das Bewußtsein von ihr von Anfang an in den Begriff der Kategorie hinein. Ihre Kategorien sind nicht die eines reinen Verstandes, der sich allenfalls aus der Spiege51 „Objektivität“ ist in der Hegelschen „Logik“ „eine Unmittelbarkeit, die durch Aufheben der Vermittlung hervorgegangen, ein Sein, das ebensosehr identisch mit der Vermittlung und der Begriff ist, der aus und in seinem Anderssein sich selbst hergestellt hat“. Wissenschaft der Logik, a. a. O., Bd. II, 352; GW 12, 126. 52 Vgl. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Akademieausgabe, Bd. IV, 472.
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lung an den Kategorien in mathematischen Urteilen als „rein“ verstehen könnte, sondern eines auf Sprache angewiesenen und sich im Bewußtsein dieser Angewiesen|34|heit um Objektivität bemühenden Denkens, das sich von daher in einem positiven Sinne eher seiner Vorläufigkeit bewußt als der Erfüllung seines Begriffs von Objektivität am Ende gewiß sein kann. Der Begriff der „Vorläufigkeit“ eines Urteils ist konstitutiv für die Möglichkeit, den Gegenstand anders, d. h. über die Grenze des einmal in einem Satz gefällten Urteils hinaus zu beurteilen. „Das Schwanken des festen Bodens ... wird hier ausdrücklich als zur Erkenntnis gehörend gezeigt“53. Es kann in der Erkenntnis und im philosophischen Begriff von Wissenschaft nicht nur darum gehen, wie Urteile als solche möglich seien. Im Begriff des Urteils und der urteilsbildenden Kategorie selbst muß schon die Möglichkeit mitbedacht sein, auch nur „ein einziges Erweiterungsurteil zu fällen“54, um so das Urteil als endgültige Bestimmung des Gegenstandes aufzuheben und in einem umfassenderen Kontext zum „Moment“ herabzusetzen oder umzuinterpretieren. Die Kategorien im „spekulativen Satz“ sind rein lexikalisch keine anderen als im „gewohnten“ Satzverständnis. Aber während im „gewohnten“ Verständnis ihre reine Satzbildungsfunktion als „Urteilsform“ der spekulative Gegenstand eines sich seiner Möglichkeit vergewissernden Urteilsvermögens ist, soll im „spekulativen Satz“ die Kategorie als Kategorie – in der Differenz zu ihrem Verständnis als einer bloßen Urteilsform – der spekulative Gegenstand sein. Diese Differenz bestimmt sich bereits allgemein in der Kantischen Definition der Kategorien als Begriffen „von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu Urteilen als bestimmt angesehen wird“55. Die Anschauung eines Gegenstandes setzt, außer in der Mathematik, empirisch bestimmtes Dasein voraus. Die Hegelsche Bestimmung der Kategorie knüpft an diese Voraussetzung an. Die Kategorie der „Substantialität“ z. B. formt der „gewohnten“ Vorstellung nach einen Satz durch die kategoriale Unterscheidung in Subjekt und Prädikat. Im objektiven Anspruch dieses Urteils, durch den schon nach Kant die logische Urteilsform erst zur gegenstandsbestimmenden Kategorie wird, ist darüber hinaus die als Subjekt ausgesagte Vorstellung als die der Bestimmung zugrunde liegende „Substanz“ angesehen. In der wirklichen Bewegung des Satzes wird aber der Subjektbegriff in seiner konkreten Bedeutung, die er in diesem Gebrauch |35| hat, erst durch das Prädikat bestimmt, so wie der Begriff des Prädikats durch dieses Subjekt bestimmt wird. Als „Zugrundeliegendes“ wird er in dieser Bewegung 53 B. Liebrucks, Sprache und Bewußtsein, Bd. 5, Frankfurt / Main 1970, 387. 54 Ebd., 388. 55 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 128.
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aufgehoben, er liegt als das zugrunde, was er in „Identität“ mit der prädikativen Bestimmung ist56. |36| Die Form der Reflexion auf das Verhältnis von Subjekt und Prädikat, d. h. auf die kategorische Urteilsform in ihrer Funktion als daseinsbestimmende Kategorie ist demnach die hypothetische Urteilsform. Um beim Beispiel zu bleiben: nicht ein mit „Tisch“ Gemeintes liegt einer akzidentellen Bestimmung „rund“ zugrunde. In der konkreten Bestimmung eines 56 Die Bezeichnung des „spekulativen Satzes“ als des „identischen Satzes“ (Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., 51; GW 9, 43) hat gewiß dazu beigetragen, Hegel als Identitätsphilosophen zu verstehen. E. Heintel weist dagegen darauf hin, daß diese „Formulierung“ Hegels „ohne Zweifel auf die in den Jenenser Schriften erarbeiteten Einsichten“ zurückgeht, also auf die historische Auseinandersetzung vor allem mit Kant und Fichte, wie sie in der Sprache dieser philosophischen Systeme geführt wird. Heintel zeigt mit seiner historischen Analyse, wie sehr der jeweilige „philosophische Inhalt“ (Zum Begriff des „philosophischen Inhalts“ s. o. 25f. u. 31ff. [im vorliegenden Band S. 183f. u. 188ff.]), auch der Hegelschen Philosophie, als „phänomenologische“ Erscheinungsweise des Wissens sich notwendig relativ zu der philosophiehistorischen Situation formuliert. Bei Fichte war von „A = A“, dem Satz der Identität, als einem obersten Prinzip des Wissens die Rede. Demgegenüber heißt es: „Die Reflexion aber vermag nicht die absolute Synthese in einem Satz auszudrücken, ...sie muß, was in der absoluten Identität eins ist, trennen und die Synthese und die Antithese getrennt, in zwei Sätzen, in einem die Identität, im andern die Entzweiung ausdrücken.“ (Hegel, Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie, Hamburg 1962, 27; GW 4, 24; vgl. E. Heintel, Der Begriff des Menschen und der „spekulative Satz“, Hegel-Studien, Bd. I, 222.) Das kann natürlich nicht heißen, nicht in einem, aber in zwei Sätzen wäre eine absolute Wahrheit mitzuteilen. Der „philosophische Inhalt“ legt sich in Satz und Gegensatz auseinander, „wenn nämlich dieser Satz als ein eigentlicher Satz für den Verstand gelten soll“ (Hegel, a. a. O.), d. h. wenn der Satz im Gefolge des tradierten philosophischen Sprachverständnisses dem „gewohnten“ formalen Verständnis eines Satzes überhaupt subsumiert ist, statt in seiner wirklichen, kontextverhafteten Funktion verstanden zu werden. Das Ziel dieses „philosophischen“, philosophiehistorisch vermittelten Inhalts ist auch hier schon ganz deutlich, diese Vorstellung von einem Satz überhaupt zu durchbrechen und auf die „dialektische Bewegung des Satzes selbst“ hinzuweisen. Das formale Schema von der „Identität von Identität und Nichtidentität“, in dem Hegel sich hier ausdrückt, erweist sich als seinerseits zeitbedingter Ausdruck des wissenstheoretischen Orts seines Kategorie- und Satzbegriffs, der darin besteht, daß „Vermittlung als sich wissende Identität“ sich immer nur „zugleich mit dem, was sie nicht ist“, „weiß“. „Sie ist – als e¬pistämh katÁ e¬nérgeian ‚Identität der Identität und Nichtidentität‘“ (Heintel, a. a. O.), also auch Wissen des Nichtwissens, nicht aber soll die Identität zweier entgegengesetzter Sätze eine Formel für ihr zufolge unmittelbar mögliches „absolutes“ Wissen sein. Die „Nichtidentität“ steht für die aufhebende, einen sich als unmittelbares Wissen aufspreizenden Satz in die vermittelnde Bewegung eines prinzipiell randlosen Kontextes zurücknehmende Gegenbewegung zu dem „gewohnten Verständnis des Satzes“, in dem dessen syntaktische Form unmittelbar objektivitätskonstituierende Funktion haben soll.
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gegebenen Daseins ist diese Bestimmung nicht akzidentell. Akzidentell ist sie nur, solange reine Verknüpfungsmöglichkeiten innerhalb eines semantischen Systems untersucht werden. Das Dasein in seiner vorliegenden Bestimmtheit bindet hier das Bestimmen, und es gilt: Wenn dieser runde Tisch da ist, dann ist auch dieses bestimmte Rund da. In der Reflexion auf ihren kategorialen, d. h. daseinsbestimmenden Gebrauch im Kontext der Erfahrung, der immer zugleich einen sprachlichen Kontext im Sinne vorhergehender und möglicherweise nachfolgender Bestimmungen impliziert, geht die kategorische Urteilsform in die hypothetische nicht über, sondern ist immer schon in sie übergegangen. Die „Wissenschaft der Logik“ deduziert nicht Kategorien (in Anlehnung an die Tafel der Urteilsformen), sondern „sieht“ dieser Bewegung „zu“57. Ebenso verhält es sich mit dem nächsten Schritt. Wenn die hypothetische Urteilsform als Kategorie „angesehen“, d. h. zur Bestimmung von Dasein wirklich gebraucht wird, dann ist nicht nur gemäß einer Regel „wenn A, dann B“, B, wenn A ist, sondern dann ist immer schon A, wenn B, und B, wenn A ist. Denn der so bestimmte Gegenstand impliziert als so bestimmter und zugleich daseiender das Zusammensein („Wechselwirkung“) von A und B. A ist Ursache, aber von B, und ist also nicht nur bestimmend, sondern in seiner Bestimmtheit als Ursache auch von B, der Wirkung her, bestimmt, usw.58. Diese Beispiele von Kategorien zeigen, daß jede bestimmte Kategorie – sobald sie nicht nur ein eingespieltes sprachliches Verhalten als dessen Regel anonym beherrscht, sondern in ihrem Anspruch auf objektive Gültigkeit ausgesprochen und ins reflektierende Bewußtsein hineingenommen ist – dem „einfachen“ Begriff der Kategorie als dem erkennenden Zusammenschluß von Denken und Sein, der sie schon nach Kant sein sollte, nicht entspricht59. Sie ist als einzelne negativ gegen ihren Be|37|griff und geht in ihrem unmittelbaren Anspruch als Erkenntnisfunktion unmittelbar über in die Form der Reflexion dieses Anspruchs. Die Vielzahl der Kategorien ergibt sich in dem Prozeß der sukzessiven Negation des Anspruchs einer jeden, den Begriff der Kategorie als einer objektiv gültigen Urteilsform unmittelbar zu erfüllen. Der Anspruch einer jeden besonderen kann daher nur als Anspruch einer subjektiven oder auch intersubjektiv gültigen „Form“ des Verhaltens gegenüber der Objektivität gehalten werden. 57 Vgl. den Übergang des Substantialitätsverhältnisses in das Kausalitätsverhältnis. Hegel, Wissenschaft der Logik, a. a. O., Bd. II, 188; GW 11, 396. 58 Vgl. ebd., 202f.; GW 11, 407f. 59 Zum „einfachen“ Begriff der Kategorie im von Hegel kritisierten „idealistischen“ Sinn als eines vermeintlich unmittelbar möglichen Zusammenschlusses von Ich oder Denken und Sein vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., 178ff.; GW 9, 133ff.
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Dieser Kategoriebegriff könne einiges Licht auf die historischen Funktionen von bestimmten Kategorien, etwa des Kausalitätsverhältnisses, innerhalb der Wissensgeschichte werfen. Es hatte sich zu Beginn der Neuzeit als „Wahrheit“ gegen das Substantialitätsverhältnis herausgebildet, sobald diese Form unter veränderten Bedingungen nicht mehr als bestimmende Form eines „gewohnten Verhaltens des Wissens“ zu tradieren war, und seit dem Beginn dieses Jahrhunderts ist es zu einem „aufgehobenen“ Element in der wissenschaftlichen Bestimmung von Naturgegenständen seinerseits bestimmt. Die Aktualität des Hegelschen Kategoriebegriffs dürfte aber weniger in solchen „phänomenologischen“ Beispielen liegen als darin, daß hier ein Versuch vorliegt, eine Logik nicht einer Wissenschaft unter dem Aspekt eines institutionalisierten „Verhaltens“, das Wissenschaft auch ist und sein muß, zu schreiben, sondern eine Logik einer werdenden Wissenschaft, in der solche ausgeprägten Verhaltensformen des Wissens sich aufheben. „Objektivität“ ist in dieser Logik aus dem „Entschluß“ der endlichen Einzelheit „zum Urteil“ selbst eine der Kategorien60. In ihr hat sich das Urteilen, über das jeweils gefällte Urteil hinausgehend, aber wesentlich selbst zu „vollenden“. In diesem Begriff könnte es einen seiner Wirklichkeit und damit auch der Wirklichkeit seiner Wissenschaft adäquateren, von der Spekulation an einem zufällig erreichten Stand von Wissen abgelösten Begriff von sich selbst erreichen.
60 Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik, a. a. O., Bd. II, 354; GW 12, 128.
Verführt die Sprache das Denken? Zur Metakritik gängiger sprachkritischer Ansätze |98| Die „Verführung“ des Denkens durch irgendwelche Einflüsse, sei es der Sinne, der Interessen oder der jeweiligen Sprache ist ein traditionsreiches, aber im Prinzip noch wenig diskutiertes Thema. Seine Behandlung setzt offenkundig zunächst einen bestimmten, vorgefaßten Begriff von „Denken“ voraus, damit klar ist, was denn verführt werden solle und wie „Denken“ in einem unverführten, paradiesischen Zustand beschaffen sei. Wenn von der „Sprachverführung“ des Denkens die Rede ist, müßte in einer möglichst selbst unverführten Philosophie das Verhältnis zwischen („an sich“ von der Sprache unabhängigem) Denken und Sprache überhaupt geklärt sein, um zwischen „Führung“ und „Verführung“ unterscheiden zu können.
I. Die Frage nach Beziehungen zwischen dem Denken, auch dem philosophischen, und der jeweiligen Sprache, in der das Denken sich ausdrückt, wird in der Sprachphilosophie vor allem der letzten Jahrzehnte – in einer gewissen Anlehnung an W. v. Humboldt – wieder lebhaft diskutiert1. Die Tatsache solcher Beziehungen ist im Grunde auch kaum noch bestritten2. Sprache wird dann nicht mehr als bloß äußerliches Werkzeug zur nachträglichen Bezeichnung der Gedanken verstanden, sondern in einem Zusammenhang mit der jeweiligen Art und Weise ihrer Konzeption gesehen. Der Sprache ist damit prinzipiell ein Einfluß auf das Denken zugestanden, und es erscheint von hier aus als wichtige philosophische Aufgabe, nicht nur allgemein einen 1
2
Als paradigmatisch hierfür gilt immer noch: B. L. Whorf, Language, Thought, and Reality, hg. v. John B. Carroll (New York 1956). Zur Diskussion: H. Gipper, Gibt es ein sprachliches Realitätsprinzip? Untersuchungen zur Sapir-Whorf-Hypothese (1972). Zur grundlegenden, über die Frage nach einer solchen Relation zwischen festkonzipierten Relaten „Sprache“ und „Denken“ hinausführenden philosophischen Darstellung der Sprachlichkeit des menschlichen Weltumgangs, unter besonderer Anknüpfung an die Philosophie Kants, Hegels und W. v. Humboldts, vgl. das sechsbändige Werk von B. Liebrucks, Sprache und Bewußtsein (1964ff.).
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solchen Einfluß vorauszusetzen, sondern ihn näher zu bestimmen. Vor allem scheint zwischen einem positiven Einfluß, einer „Führung“, und einer kritisch zu beurteilenden „Verführung“ unterschieden werden zu müssen. An dieser Stelle setzt auch eine neuere Veröffentlichung von Friedrich Kainz an3. Da diese Arbeit die gängigen Topoi der Sprachkritik umfassend darzustel|99|len und im Bezug auf die Frage nach einer „Sprachverführung des Denkens“ neu zu befragen versucht, bietet sie Gelegenheit, das Thema der philosophischen Sprachkritik und die wichtigsten aus der Philosophiegeschichte bekannten Gesichtspunkte in dieser Hinsicht „metakritisch“ zu diskutieren. Auch Kainz geht davon aus, daß Denken von höherer Komplexheit sich nicht schlicht sprachunabhängig vollziehen könne. Er setzt aber dennoch eine über das zugestandene Angewiesensein des Denkens auf die Sprache hinausgehende Verführbarkeit des Denkens durch die Sprache voraus, die es kritisch davon abzuheben gelte. Von daher versucht er, erstens die Typen von Sprachverführungen und Glossomorphien aufzuweisen, denen das Denken immer wieder erlegen sei und noch erliege. Von gewissen Eigengesetzlichkeiten der Sprache ist die Rede, die sie immer wieder „mit ins Spiel bringt und solcherart mit gewissen Momenten ihres Struktursystems die Möglichkeit einer Fehlinstradierung des Denkens – die oft genug Wirklichkeit wird – in sich birgt und verbirgt“ (9). Sprache soll, wie alle Verführer, also listig gegen das Denken vorgehen. Zweitens sollen bisherige Bemühungen, das Denken gegen solche List zu schützen, in ihren Methoden und Ergebnissen kritisch analysiert werden, und drittens soll über einen Aufweis der Verführungsmittel hinaus das positive Verhältnis von Denken und Sprache im Sinne einer legitimen „Führung“ statt der illegitimen „Verführung“ untersucht werden, „aber nicht von einem dogmatischen, sondern eben dem kritischen Aspekt aus, indem gerade das Insaugefassen der sprachbedingten Leistungsabglitte des Denkens als gleicherweise heuristisch wie systematisch ergiebiger Untersuchungsgesichtspunkt auf dem Wege der Kontrasterhellung den Blick für manches“ öffnen soll, „was sonst nicht mit gleicher Schärfe gesehen wird, ja unbemerkt bliebe“. „Die Gefährdungen wie die Förderungen des Denkens durch die Sprache“ sollen so „in ein Verhältnis wechselseitiger Erhellung“ gebracht werden (10/11). Der im Grunde mehr psychologische als philosophische Ausgangspunkt wird schon in der Ausdrucksweise unterstrichen, wenn mit G. Révész davon ausgegangen wird, „Denken“ und „Sprechen“ seien „Tätigkeiten“, die in einer „Leistungssymbiose“ zu stehen hätten (15). Alles Denken bediene sich der Mittel der Sprache, wie auch K. Bühler in seinem Organonmodell der Sprache hervorhebt. Aber ein solches legitimerweise produktives Ver3
F. Kainz, Über die Sprachverführung des Denkens (1972). (Ziffern in Klammern ohne nähere Angabe beziehen sich im folgenden auf Seitenzahlen dieses Buches.)
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hältnis in der Absicht eines gemeinsam hervorzubringenden Zieles werde in den „Sprachverführungen“ gestört (16). Mit dem Anspruch auf Vollständigkeit im wesentlichen sollen Typen der Sprachverführung aufgewiesen werden, mit dem Ziel, die Beobachtung solcher Typen von ihrer „Vagheit, Zufallsaufgerafftheit und Vereinzelung zu befreien“ (25). Wenn nun auch eingeräumt wird, daß es „nicht die Sprache“ ist, „welche hypostasiert, sondern der denkende Mensch“, und daß die Kritik nicht gegen die Sprache zu richten sei, sondern „gegen eine schlechte Philosophie, die sich von der Sprache vorschreiben läßt, wie sie eigentlich denken soll“ (25), so ist doch eben hiermit schon die Sprache zu einem Subjekt hypostasiert, das vorschreiben oder verführen kann. Oder kann man sagen, jemand, der ein Instrument nicht beherrsche, weil er es und seine komplizierte und deshalb virtuose |100| Ausdrucksmöglichkeiten bietende Eigenart nicht kenne, werde durch es „verführt“, falsch zu spielen? Wie es sich überhaupt mit der Adäquatheit eines Organonmodells der Sprache verhält, das ja nicht mehr leisten kann als Modelle dieser Art überhaupt, bleibt allerdings unerörtert, und somit fehlt eine reflektierte theoretische Basis zu einer Erörterung der überaus reichhaltigen und unter bestimmte Typen zusammengefaßten Einzelbeobachtungen, die überwiegend aus Schriften sprachkritischer Autoren verschiedenster Ausrichtungen belegt werden. Wenn auch die Methode des Buches nicht im engeren Sinne philosophisch ist und sich wohl auch selbst nicht so versteht, so ist doch den „Sprachverführungen“ in der Philosophie, die uns hier vor allem interessieren sollen, ein besonderer Platz eingeräumt. Gegen die These, die allgemeine Sprache sei für die Philosophie ungeeignet, setzt Kainz die Einsicht, daß auch die Philosophie aus ihr nicht heraustreten kann. Deshalb aber seien die „idola fori“ für sie besonders gefährlich. Im Anschluß an Rickert4 wird betont, daß sich die Sprache „wie eine Art von Netz ... über die gesamte Sinnenwelt“ lege. Dieses Netz aber sei nicht unzerreißbar, weil sonst eine „Totalbefangenheit“ des Denkens gegeben sei. „Wir müßten dann so denken, wie es uns unsere Sprache vorschreibt.“ Der Mensch gelange vielmehr „auf Grund gereifter Erfahrungen und erweiterter Sachkenntnis zu besseren und sachentsprechender gebildeten begriffstragenden Wortungen ..., die ihm dann angemessenere Denkvollzüge“ gestatteten (35). Die philosophische Frage besteht nun darin, wie das Verhältnis zwischen Abhängigkeit und Freiheit des Denkens von der Sprache näher zu bestimmen sein könnte, und man wird sich dabei des Umstandes bewußt bleiben müssen, daß eine solche Überlegung sich ihrerseits in dem von ihr selbst zugleich näher zu bestimmenden Maße in den Bahnen der vorgegebenen Sprache bewegen müßte. Man wird sich ferner, wenn etwa besonders 4
H. Rickert, Grundprobleme der Philosophie (1934), 95.
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die „Metaphorik“ der Sprache Gegenstand der Kritik sein soll, bewußt bleiben müssen, daß das Denken sich auch in einem solchen kritischen Versuch noch metaphorisch ausdrückt, wenn z. B. von „Bahnen“ und von „Freiheit“ die Rede ist. Es stellt sich die Frage nach der Möglichkeit solcher Selbstreflexion. Die gelungene Bestimmung des Verhältnisses zwischen Denken und Sprache als eines Verhältnisses von Abhängigkeit und Freiheit wäre, schon weil sie gelungen ist, der Aufweis der Möglichkeit einer sprachunabhängigen Selbstbestimmung. Insofern aber das Resultat der Überlegung irgendwie auch Abhängigkeit behaupten sollte, stünde es zu sich selbst im Widerspruch, da die Behauptung der unverstellten objektiven Gültigkeit des Resultates ja die Möglichkeit der uneingeschränkten Befreiung von einem vermeintlichen Sprachnetz schon einschließt. Geht man davon aus, die Erscheinung einer Sprachverführung sei heute als solche nicht mehr strittig und man habe sich eher gegen eine Überbetonung des Gegenteils zu wehren, dann ergeben sich folgende drei konkretere Aufgaben: 1. „Das Ausmaß der Gefährdung des Denkens durch die verführende Gewalt der Sprache“ zu bestimmen, 2. zu bestimmen, „was alles als Sprachverführung |101| anzusehen ist und rechtens als solche zu gelten hat“ und 3. zu unterscheiden, „wo bei bestimmten sprachlichen Erscheinungen die Grenze zwischen dem positiven und dem negativen Ertrag, also zwischen Förderung und Verführung des Denkens durch die Sprache liegt“ (38). Kainz bemerkt allerdings sofort, daß das, was von bestimmten Philosophien bzw. einem bestimmten Philosophiebegriff her als Vorteil für das Denken betrachtet werde, für andere gerade Quelle von Scheinproblemen sei. Ein Musterbeispiel lieferten bestimmte Eigentümlichkeiten des griechischen Sprachbaus, von denen die einen behaupteten, durch sie sei philosophisches Denken allererst ermöglicht worden, während andere meinten, auf Grund derselben habe man die Welt „mit metaphysischen Gespenstern bevölkert“ (38). Gerade dieses Beispiel ist sehr aufschlußreich für die Schwierigkeit des Unterfangens. Kann man sich hier auf bestimmte grammatische Eigentümlichkeiten fixieren? Dies setzte schon einen bestimmten Begriff von Sprache voraus, in dem Sprache im wesentlichen als aus der historischen Situation ihres Gebrauchs ablösbares Instrument erscheint. Es liegt nahe, daß gewisse Eigentümlichkeiten des Griechischen zusammen mit gewissen anderen Gegebenheiten historischer Art in diesem einzigartigen Zusammentreffen dann die europäische Philosophie ermöglicht haben, in deren Gefolge natürlich auch immer selbst noch die philosophischen Theorien stehen, die solche „metaphysischen Gespenster“ beschwören. Man denke etwa an das Phänomen der „Kopula“, das wie viele indogermanische Sprachen auch das Griechische aufweist und das in einem allgemeinen Sprachvergleich eine seltenere Besonderheit darstellt. Viele andere Sprachen, so
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etwa die des alten Orients, kannten dieses Phänomen nicht. Es ist überall da entbehrlich, wo unsere Adjektive und unsere Nomina in der Stellung von „Prädikatsnomen“ einen grammatischen Charakter annehmen, den wir mit dem unserer Verben vergleichen könnten, wo es also z. B. Wörter gibt, die allein schon „Blausein“, „Königsein“ bedeuten können. Solche Sprachen werden wohl nicht so leicht ein mathematisches Denken entwickeln, das auf dem Prinzip von Gleichungen (a = b) aufbaut, wie z. B. die Mathematik Babylons5. Mit einer statt dessen mehr an bloßen Rechenrezepten orientierten Mathematik wird man, wie die Geschichte lehrt, erstaunliche Leistungen auf dem Gebiet der praktischen Anwendung erzielen können, aber eben kein theoretisches System entwickeln, das mit dem der griechischen (und von daher dann auch unserer) Mathematik zu vergleichen wäre. Man wird dann, und dies ist der für die Ansätze sprachkritischer Philosophie kritische Punkt, aber wohl auch keinen Begriff von der Sprache entwickeln, der seinerseits auf der Voraussetzung eines Systems von theoretischen Gleichsetzungen beruht, wie es signifikant etwa beim Sprachbegriff Freges der Fall ist, der für den der analytischen Philosophie unseres Jahrhunderts paradigmatisch geworden ist. Nach Frege ist die eine Bedeutung verschiedener sprachlicher Ausdrücke (a, b) durch die Gleichsetzung solcher Ausdrücke (a = b) bezeichnet, die in ihrer Unterschiedenheit lediglich verschiedene Gegebenheits|102|weisen „desselben“ bezeichnen sollen6. Der Gedanke eines solchen noematischen „Selben“ „hinter“ den verschiedenen Gegebenheitsweisen und damit der der strengen Synonymie verschieden lautender sprachlicher Ausdrücke dürfte ohne eine sprachlich syntaktisch vorgezeichnete Möglichkeit der Gleichsetzung verschiedener Bezeichnungen nicht konzipierbar gewesen sein. Wir sagen: „Die Rose ist rot“, und dann aber auch in strenger Identifizierung der Bedeutung der Ausdrücke beiderseits der Kopula als Definition: „Der Mensch ist ein vernünftiges Lebewesen“. „Mensch“ und „vernünftiges Lebewesen“ sollen hier nicht so verstanden werden, daß der eine Ausdruck den anderen, sondern daß beide „dasselbe“ bedeuteten, nämlich etwas, das gar nicht unmittelbar, inhaltlich bezeichnet, sondern nur formal durch die Kopula ausgedrückt ist. So erst eröffnet sich ein Reich noematischer Entitäten, z. B. der, die die Ausdrücke „12“ und „7 + 5“ gleichermaßen „bedeuten“ sollen, und so hat dann schließlich jeder als Gleichung interpretierte Satz eben diese selbe Bedeutung, die in seiner „Wahrheit“ besteht, d. h. darin, daß er als diese Gleichsetzung sich auf etwas beziehen soll, etwa im Unterschied zu dem Ausdruck ,,7 + 5 = 13“, der in diesem Sinne nun „das Falsche“ bedeutet, denn die Gleichset5 6
W. v. Soden, Sprache, Denken und Begriffsbildung im Alten Orient (1974). Vgl. G . Frege, Über Sinn und Bedeutung, in: Funktion, Begriff, Bedeutung, hg. v. G . Patzig (1966).
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zung verstößt hier gegen die Regel einer Sprache, deren Begriffe, die Zahlen, so geregelt sind, daß jeweils feststeht, mit welchen anderen Ausdrücken sie gleichgesetzt werden können (z. B. jede Zahl bedeutet dasselbe wie ihr Vorgänger plus eins). Resultierte nun die Konzeption geregelter Gleichsetzung von Ausdrücken, derzufolge man überhaupt exakt sagen kann, was die Bedeutung eines Ausdrucks sei, indem man sagt, mit welchen anderen zusammen er „dasselbe“ bedeute, auf einer „Verführung“ der Eigentümlichkeit des Griechischen, die hier im Vorhandensein der grammatischen „Kopula“ besteht? Die These von der „Sprachverführung“ des Denkens ist wohl nur von Nietzsche so radikal gefaßt worden. Nietzsche denkt immerhin an diese Möglichkeit, bewertet sie aber nicht rein negativ. Sie ist nach ihm zwar kein Weg zur Wahrheit, aber doch von großem Nutzen für die kulturelle Entwicklung von Lebensmöglichkeiten gewesen7. Oder will man sagen, diese ganze Entwicklung europäischen Denkens aus griechischen Konzeptionen selbst sei eben die Folge einer „Verführung“ und Fehlleitung, wie z. B. der Weg von der darauf begründeten Wissenschaft über die Technik bis zur Umweltzerstörung beweise? Über die Kopula handelt auch Kainz in einem längeren Abschnitt (254ff.). „Als Kopula eignet dem Hilfszeitwort sein eine derartige Funktionsvielfalt und Vieldeutigkeit, daß dadurch das Denken verwirrt zu werden vermag“. Man wisse zwar, daß „sein“ keine Eigenschaft sei, aber die Wortsprache gestatte es uns, ja sie lege es uns nahe, das Sein als Eigenschaft zu behandeln und in sprachlich korrekter Weise als Qualität darzustellen. An sich sei das Verbum sein als Kopula überflüssig, weil viele Sprachen ohne Kopula auskämen, und als |103| Vollverb sei es sogar schädlich. Es verführe das Denken, indem es ontologische Probleme vorspiegele, denen „in der Wirklichkeit“ nichts entspreche (256). Die innere Form von Sprachen scheint doch aber ganz außer acht gelassen zu sein, wenn aus der Tatsache, daß eine grammatische Form in bestimmten Sprachen nicht vorkomme, geschlossen wird, sie sei dann auch in den Sprachen entbehrlich, in denen sie vorkomme. Es wäre zu überlegen, was denn in Sprachen überhaupt „notwendig“ ist und ob Sprachen überhaupt unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden können. Von einem gewissen Standpunkt aus gesehen ist es natürlich nicht „notwendig“, daß es überhaupt solche Unterschiede zwischen Sprachen gibt. So ist es auch nicht absolut notwendig, daß das Griechische eine Kopula ausgebildet hat. Aber nun ist es „zufällig“ so gewesen, daß eine Sprache mit dieser bestimmten, unter indogermanischen Sprachen vorherr7
Vgl. J. Simon, Grammatik und Wahrheit, Über das Verhältnis Nietzsches zur spekulativen Satzgrammatik der metaphysischen Tradition, Nietzsche-Studien I, 1ff. [im vorliegenden Band S. 57 ff.].
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schenden Besonderheit mit den älteren mittelmeerischen und orientalischen Kulturen in Berührung kam, und daß sich dadurch eine bestimmte Möglichkeit des Ausdrucks und des durch ihn geleiteten Denkens eröffnete. Natürlich wäre die Ausbildung der griechischen Form der Logik und der Mathematik absolut gesehen auch nicht „notwendig“ gewesen. Letztlich ist es überhaupt nicht „notwendig“, daß überhaupt etwas existiert „und nicht vielmehr nichts“. Wenn es aber schon verschiedene Sprachen gibt, die alle im Zusammenhang mit der in ihnen nach ihrem Ausdruck suchenden, jeweils „auf einen bestimmten Zweck gerichteten Geistesarbeit“8 irgendwelche nicht absolut notwendigen Besonderheiten herausgebildet haben – und auch das Fehlen der Kopula ist ja genausogut eine mit dem übrigen Bau dieser Sprachen verwachsene Besonderheit –, dann ist es wohl notwendig, daß sie „die“ Wirklichkeit in der Form solcher Besonderheiten wiedergeben. Die Frage nach dem in Sprachen überhaupt Notwendigen führt zu der Frage sprachlicher Universalien, die aber, wenn sie vorhanden sein sollten, keineswegs allein eine Sprache ausmachen könnten. Die Kritik von Sprachen nach dem Maßstab, sie enthielten Merkmale, denen „in Wirklichkeit“ nichts entspreche, mutet von solchen einfachen Überlegungen her seltsam an. Es ist nicht aus der Luft gegriffen, wenn man auf Sprachen hinweist, die einen abstrakten Begriff wie den „der“ Wirklichkeit nicht kennen, und diese Sprachen hätten dann keine Möglichkeit solch einer Reflexion. So verdankte sich die Kritik einer Sprache von „der“ Wirklichkeit her selbst einer nicht notwendigen, weil nicht in allen Sprachen aufzuweisenden Besonderheit einiger Sprachen. Der Gedanke eines absoluten Maßstabs für das Schädliche oder Nützliche in Sprachen bleibt in sich problematisch. Es wird auf den jeweiligen Zweck ankommen, was in einer Sprache hinderlich und was förderlich ist. Sollte der Zweck „das Denken“ sein, so wäre zu fragen, worin es sich denn idealiter erfüllte. Es muß sich schließlich auch nicht so verhalten, daß „das“ Denken jeweils auf eine bestimmte Sprache, als bestimmter Sprachzustand aufgefaßt, als auf sein Organon angewiesen und ihr ausgeliefert wäre. Denken ist besonnener Umgang mit einer besonderen Sprache und mit deren Eigentümlichkeiten. Obwohl Kainz bemerkt, daß die denkenden Subjekte und nicht die Sprachen |104| schon die diskriminierten Hypostasierungen begehen, sieht er des Übels Wurzel doch immer wieder in der Besonderheit von Sprachen, die dann allerdings zumeist identisch oder verwandt mit den Sprachen sind, in denen diese Hypostasierungen dann angeprangert werden (und also auch „durchschaut“ werden können). Wer sich in einer Sprache ausdrückt, macht nach W. v. Humboldt von ihren „endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch“. Der Gebrauch wäre demnach zwar an die Mittel 8
W. v. Humboldt, Gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe, VII, 19.
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gehalten, aber deshalb nicht durch sie eingeschränkt. Er würde also immer noch hinter den (unendlichen) Möglichkeiten, sich in ihr auszudrücken, zurückbleiben. Es gibt zwar Grund zu der Annahme, daß gewisse Möglichkeiten gewisser Sprachen dem Ausdruck komplexer Gedanken eher als andere förderlich sind, weil sie kraft ihrer grammatischen Möglichkeiten, z. B. der einer syntaktischen Verklammerung analog zu den Klammern in mathematischen Zeichensystemen, durch Gliederung das Gedächtnis entlasten und einen komplexen Gedanken länger als andere Sprachen innerhalb der Grenzen der Übersichtlichkeit halten können. Hier wäre also von einer förderlichen Leitung bestimmter Gedanken durch eine bestimmte Sprache zu sprechen. Es gibt aber eigentlich keinen Grund, einer Sprache den Umstand anzulasten, daß einzelne Individuen (und nur Individuen sprechen) hinter solche Möglichkeiten zurückfallen und etwa innerhalb einer Sprache, in der das Sein „auf vielfache Weise ausgesagt“ ist, weil sie von ihrer Grammatik und Semantik her mehr als nur eine Bedeutung von „sein“ kennt und auch in aller Regel hinlänglich unterscheiden kann, davon einen reduzierten Gebrauch machen, indem sie, von einem vorgefaßten Sprachbegriff statt vom wirklichen Sprachvorgang ausgehend, übersehen, daß die Bedeutung eines Wortes nicht allein dem Klang dieses isolierten Gebildes abzulesen ist, sondern sich erst im Zusammenspiel mehrerer sprachlicher Komponenten ergibt, wie z. B. der lexikalischen Bedeutung, der Stellung im Satz, der aktuellen Verbindung mit bestimmten anderen Wortarten usw., so daß „ist“ in „... ist blau“ und „... ist König“ natürlich jeweils etwas anderes bedeutet als dann wieder in „Gott ist“ usw. Wer schreibt es schon dem mathematischen Zeichensystem zu, wenn jemand die Bedeutung der „1“ in ,,10“ mit der in ,,1000“ verwechselt? Wenn man von einer Hypostasierung des Wortes „Sein“ spricht und sagt, dem entspreche nichts in „der“ Wirklichkeit, ist eigentlich nichts gewonnen. „Wirklichkeit“ ist an sich ebenso abstrakt wie „Sein“. Wohl wären sinnvolle Untersuchungen im Sinne eines Sprachvergleichs möglich, die aufweisen, daß gewisse Sprachen für verschiedene Bedeutungsunterschiede anderer Sprachen keine Entsprechung haben und daß nach dem Sprachgefühl der sie Sprechenden darin kein Mangel besteht, so daß die Unterscheidungen der anderen, in diesem Punkt „reicheren“ Sprachen, von den ersten aus gesehen als „synonym“ gelten, während sie in den Sprachen, in denen sie vorkommen, aber deshalb noch lange nicht als synonym empfunden werden. So könnte man sagen, diese Sprachen seien ihrer inneren Form nach verschieden und spiegelten auch eine verschiedene „Wirklichkeit“ wider. Für den Sprachvergleich erscheint dann eine Sprache in gewissen Punkten, d. h. in Relation dieser Besonderheit zu anderen Sprachen, aber eben nicht in Relation zu „der“ außersprachlichen Wirklichkeit, reicher |105| und adäquater als eine andere. Ähnliches könnte vom grammatisch-
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syntaktischen Reichtum einer Sprache in gewissen Vergleichspunkten gesagt werden, in denen die verglichenen Sprachen nicht kongruent sind. Selbst die in solchen Überlegungen oft zitierte „physikalische“ Wirklichkeit verdankt sich einer besonderen Sprache, nämlich einer jeweils physikalisch-fachsprachlich erweiterten, aber unter anderen Gesichtspunkten auch reduzierten besonderen Umgangssprache. Wer wollte aber sagen, ob nun eine Sprache das Denken fördere, die andere es aber verführe? Gerade der Aspekt des Sprachvergleichs macht deutlich, daß sich eine Sprache gar nicht für sich betrachten läßt und daß man ihre Besonderheit immer erst in der Relation mit anderen Sprachen, die dann ebenfalls ihre Besonderheiten haben, in den Blick bekommt. Insofern gibt es gar nicht „die“ Sprache, die man für sich in ihrem Verhältnis zur „Wirklichkeit“ betrachten und zum Gegenstand der Kritik erheben könnte. Schon innerhalb einer bestimmten Nationalsprache, wie z. B. des Deutschen, erfährt ein sprechendes Individuum, etwa in einem Dialog, daß „seine“ Sprache mit der des Partners nicht überall kongruent ist. Diese Erfahrung ist dem Sprechen wesentlich und hat Einfluß auf den weiteren Gebrauch der Sprache, der immer zugleich den Versuch der Übersetzung in „die“ Sprache anderer bedeutet. Es läßt sich hier gar nicht darüber streiten, wer „die“ Wirklichkeit auf seiner Seite habe und wer sich von „seiner“ Sprache dazu „verführen“ lasse, sich von ihr zu entfernen. Die Kritik an sprachlichen Besonderheiten gewinnt so leicht den Charakter der Verabsolutierung der eigenen Sicht als der wirklichkeitsgemäßen.
II. Auf dem Hintergrund solcher allgemeinen Überlegungen wäre zu fragen, ob nicht schon der Begriff des Synonymen einem bestimmten Sprachbegriff angehört und möglicherweise selbst nur auf dem Boden einer bestimmten Sprachform gewonnen werden konnte, die z. B. mit dem Mittel der Kopula die Möglichkeit der Gleichsetzung von Ausdrücken zu solchen von „derselben“ Bedeutung an die Hand gibt. Kainz widmet der Synonymik ein besonderes Kapitel (67ff.). Er schließt sich der Meinung an, ein „ideales Bezeichnungs- und Symbolsystem“ hätte die beiden Bedingungen zu erfüllen, für alles zu Bezeichnende ein eigenes Symbol zu besitzen und für alles eben nur ein einziges Symbol zu haben, das „weiterhin im Denkverlauf in bezug auf semantische Identität eindeutig, konsequent und konstant festzuhalten wäre“ (67). Eine solche Bedeutungsidentität wäre „definitorisch eindeutig festzulegen“. Damit steht dann natürlich auch schon fest, daß keine der „natürlich gewachsenen Wortsprachen“ diese beiden Bedingungen erfüllt. Aber nicht nur keine natürliche, auch keine künstliche Sprache kann dieses „Ideal“ erfüllen, es sei denn, sie erhalte in einer „Metasprache“, die
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dann ihrerseits das „Ideal“ nicht erfüllt, diese Definitionen, d. h. sie habe nur solche Wörter, die synonym mit definierenden Ausdrücken dieser Metasprache sind. Die Vorstellung, daß „für alles zu Bezeichnende“ ein und nur ein Symbol vorhanden sein sollte, wäre dann so zu verstehen, daß die „Meta|106|sprache“ sagte, was ein zu Bezeichnendes sei. Auch in dieser Beziehung kann man nicht fragen, ob zwischen Symbolen und „der“ Wirklichkeit eine eindeutige Zuordnung bestehe. Genauer gesagt handelt es sich in dem Verhältnis zwischen „Objekt-“ und „Metasprache“ eigentlich gar nicht um verschiedene Sprachen, da es schon zur Eigenart natürlicher Sprachen gehört, in der Hinsicht auf bestimmte Zwecke des Sprachgebrauchs bestimmte Verwendungsweisen ihrer Wörter durch Synonymsetzung zu regeln, indem gesagt wird, für einen bestimmten Ausdruck wolle man in Zukunft einen bestimmten anderen, meist kürzeren oder bequemeren, setzen, z. B. das dann und dann geborene Kind der Eheleute XY solle „Anna“ heißen, oder den und den Sachverhalt wolle man kurz „ ... “ nennen. Damit ist das zu Bezeichnende (signifié) sprachlich vorformuliert, d. h. es muß vor seiner eigentlichen Bezeichnung (signifiant) schon mit den Worten einer Sprache faßbar gewesen sein, wenn auch noch nicht direkt durch einen Namen, sondern erst durch Umschreibung, nicht viel anders als wenn eine Sprache einen treffenden Ausdruck für das anbietet, was in der Übersetzung in andere Sprachen dann umständlich umschrieben werden muß. Aber auch hier kann solche Regelung von Synonymität für die Sprechenden keinen von der Partizipation am bestimmten Zweck abgelösten, absoluten Zwang bedeuten. Das „Ideal“ einer eindeutigen Bezeichnung ist davon abhängig, daß eine bestimmte Intersubjektivität sich an solche Synonymsetzungen hält, und das wird mit davon abhängen, ob ein gemeinsames Interesse hieran besteht, d. h. es hängt wieder vom Zweck des Sprachgebrauchs ab und kann keine Beschaffenheit der Sprache als solcher sein. Dazu gehört, daß unter dem Aspekt dieses bestimmten Zwecks die Unterschiede in der Bedeutung bestimmter Ausdrücke als unerheblich und damit gegenüber dem gemeinsamen Zweck als bloße subjektive Konnotation erscheinen. So wird dann auch zugestanden (71), daß es sich nur „selten um voll bedeutungs-identische Wortungen“, sondern lediglich um eine „Paen-Identität“ (Schopenhauer) handele. Hier aber soll die Gefahr der Verführung besonders groß sein, vor allem dann, wenn „der auf Vielheitlichkeit, Fülle und Variation ausgerichtete Darstellungsstil in verpflichtender Form die Forderung des Ausdruckswechsels erhebt“ (71f.). Im Deutschen sei das stärker als anderswo der Fall, und da Philosophen zugleich Darsteller der Ergebnisse ihrer Geistesarbeit und damit Schriftsteller seien, fügten sich die des deutschen Raumes zumeist dieser Forderung des Nationalstils ihrer Sprache. Dies aber sei ein Ansatzpunkt für begriffliche
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Ungenauigkeit. Kainz macht hier auf ein bemerkenswertes Phänomen aufmerksam, das noch wenig Beachtung gefunden hat. Der auf Variation ausgerichtete Stil scheint in einem Widerstreit zu der Forderung nach Eindeutigkeit der Bezeichnung zu stehen. Es könnte sich hier allerdings auch die Erfahrung niederschlagen, daß eine Sprache kaum je über Symbole verfügt, die zu dem, was man sagen möchte, an sich schon in einer eindeutigen Relation stünden, und Sprechen und Schreiben seien eher Bemühung um einen Ausdruck, der auch gegenüber der ständigen Erfahrung der Nichtkongruenz mit der Ausdrucksweise anderer geeignet erscheint, anderen etwas so zu sagen, daß es ihnen etwas zu bedeuten vermag, als daß sie sich als apriorisches Verfügen über einen der „Sache“ adäquaten Ausdruck ver|107|stehen könnten. So könnte gerade der Wechsel oder die Scheu vor immer demselben Wort mit der Geste der Zurücknahme der Verabsolutierung des eigenen Gebrauchs der Sprache als des einzig objektiven zu tun haben und anderen deren eigene, gegenüber einem verpflichtenden Sprachgebrauch freie Produktivität des Auffassens zugestehen wollen. Wenn von einem Stilbemühen her die Abwechslung im Ausdruck geboten erscheint, scheint ja gerade nicht vorausgesetzt zu sein, daß die Ausdrücke, zwischen denen gewechselt wird, synonym seien, da sie doch im Wechsel gerade geeigneter sein sollen als jeder schon für sich, auch wenn in der theoretischen Reflexion auf dieses Sprachverhalten dann die Synonymität von der Stilfigur eines bloßen Wechsels des Ausdrucks her behauptet werden sollte. Austauschbarkeit bedeutet die Abwechslung jedoch gerade nicht, denn vom Gesichtspunkt der Austauschbarkeit her wäre ja der Wechsel überflüssig. Die geläufige Sprachreflexion scheint hier vorschnell zwischen bloßen Stileigenarten und Bedeutungsrelevantem zu unterscheiden. Daß hier schon oft rein ästhetisch der gleiche Klang vermieden wird, widerspricht dem nicht, da Sprachen natürlicherweise in der Bedeutungsdifferenzierung an diakritischen Klangdifferenzen orientiert sind.
III. Zum gleichen Themenkreis gehören Überlegungen zur Frage der Homonymik und Metaphorik. Homonymie entsteht vor allem dann, wenn ein Wort in einer vom „normalen“ Gebrauch abweichenden Art verwendet wird. Kainz zitiert z. B. Dilthey, der „dem alten Begriff des Verstehens“ eine neue Bedeutungsabschattung verliehen habe (89). Diese neue Bedeutung habe „er aber weder eindeutig zu bestimmen noch selbst konsequent zu verwenden“ vermocht. Nun wird man doch aber davon ausgehen können, daß eine solche „alte“ Bedeutung ebenfalls nicht eindeutig festlag und daß
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die Bedeutung dieses Wortes den Dilthey’schen Gebrauch auch zuließ, ferner, daß Dilthey die Sprache deshalb eigenwillig gebraucht haben mag, weil er bestimmte Gedanken ausdrücken wollte, die diese „Eigenwilligkeit“ seiner Meinung nach erforderten. Wäre es nur dann zulässig, einen Ausdruck mit einem neuen Bedeutungsgehalt zu versehen, wenn man zugleich sagen könnte, wie diese Bedeutung denn definiert sei, d. h. mit welchem Ausdruck in der herkömmlichen oder gewohnten Bedeutung der in der abgewandelten Bedeutung bedeutungsgleich sei, dann wäre die neue Bedeutung zugleich überflüssig. Denn dann könnte im Prinzip der mittels gewohnter Bedeutungsnuancen definierende Ausdruck immer für den definierten stehen. Der letztere wäre vielleicht nur kürzer und bequemer. Allerdings ist die Gefahr, mißverstanden zu werden, natürlich um so größer, je mehr ein abzuschätzendes gewohntes Verständnis verlassen wird, d. h. je mehr versucht wird, eine Sprachdeterminiertheit des Denkens in den alten Gleisen zu durchbrechen. Wenn dann der neue Begriff nicht durchgehalten wird, kann das gerade von einer gewissen Hemmung des Autors gegenüber der eigenwilligen Vorgabe eines „neuen“ Begriffs zeugen, der in schlagwortartiger Wiederholung eine durchgehende objektive Bedeutung suggerieren könnte, wo ein Gedanke sich erst noch um seinen |108| Ausdruck gegen ein zu schnelles Einrasten gängiger Verstehensbahnen, d. h. um das produktive Mitdenken anderer bemüht. Zur Homonymik gehört unter dem Aspekt der verschiedenen Bedeutungen eines gleichlautenden Ausdrucks auch das Phänomen der Metaphorik. Die Kreativität des metaphorischen Ausdrucks wird auch bei Kainz durchaus anerkannt (99ff.). Hier mutet er dem Leser sogar eine gewisse Mitarbeit im Verstehensprozeß zu: „Die Metaphern bedeuten tatsächlich eine Gefahr für das philosophische Denken, aber diese ist nicht so groß wie die erbitterte Feindschaft der kritischen Sprachanalytiker gegen sie vermuten läßt. Sollte ein philosophischer Schriftsteller in eine eklatant poetische Metapher ausgleiten, so werden sich sachkundige Leser dadurch im Nachvollzug der vorgetragenen Gedanken nicht beirren lassen“ (109). Der sachkundige Leser läßt sich also nicht beirren, wenn der philosophische Schriftsteller in eklatanter Weise „ausgleitet“. Er wird dann die Metapher in seiner Auffassung eliminieren oder durch ein geläufiges Wort ersetzen. Aber hat er dann, wenn die Metapher im Sinne des Autors essentiell gewesen sein sollte, richtig verstanden? Die Metaphorik wird wiederum nur gegenüber einer bestimmten Vorstellung von der Funktion der Sprache zu einem besonderen Problem, nämlich dann, wenn man annimmt, „die“ Sprache versage vor dem Neuen (115), weil man von einem Sprachbegriff ausgeht, nach dem die Zeichen zunächst eine identisch sich durchhaltende „eigentliche“ Bedeutung per se haben sollten, so daß es, weil es in einer Sprache natürlich nur endlich viele Zeichen gibt, primär auch nur ebensoviele Bedeutungen geben müsse, also keinen un-
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endlichen Gebrauch. Da es aber, wie nach A. Stöhr, den Kainz in diesem Zusammenhang zitiert, „weit mehr Begriffe als Begriffszeichen“ (116) gibt, muß man dann zur Metapher greifen. Für das primitive Denken können nach Kainz daraus Verwirrungen entstehen, aber nicht für das „Denken des Kulturmenschen“, weil für ihn bei diesen „Notmetaphern“ längst „Adäquation“ eingetreten sei (117). Im weiteren Kontext wird dann gefragt, ob eine „beibehaltene approximative Notmetaphorik“ nicht doch die „Sauberkeit der gedanklichen Vollzüge“ beeinträchtige, z. B. darin, daß das Denken, da das sprachliche Zeichensystem nicht nur eine kommunikative, sondern bereits eine kognitive Funktion ausübe, gewissermaßen nachgebe und sich der Ungenauigkeit des Darstellungsmittels anpasse (118). Solche Ausführungen führen auf grundsätzliche Fragen zu dem Verhältnis von Denken und Sprechen. Wenn die Sprache kognitive Funktion hat, läßt sich der Gegenstand des Denkens nicht unabhängig von ihr konstituieren, so daß das Denken erst gar keine Position gewinnen kann, von der aus es dann dem „Darstellungsmittel“ nachgeben müßte. Man könnte aber auch annehmen, die Sprache habe für ein Denken in einfachen Relationen auf der Ebene der einfachen Begriffsbildung noch keine wesentliche kognitive Funktion, da hier ihre jeweils „inneren Formen“ oder ihre je besonderen Strukturen noch nicht zum Tragen kämen. Erst in syntaktisch komplexeren Denkfiguren sei das Denken auf die Unterstützung durch ein bereitgestelltes, syntaktisch hochstrukturiertes Darstellungssystem angewiesen, und weil es sich hier seiner bedienen müsse, müsse es sich zugleich auf dessen etwaige geringere Differenziertheit auf der semanti|109|schen Ebene begrifflicher Unterscheidungen einlassen. Eine solche Überlegung führt zu dem Problem des Verhältnisses von Sprache und Begriff. Nietzsche nennt die Begriffe „geronnene Metaphern“. Versteht man unter Denken nicht nur eine bloße Begriffskombinatorik, sondern einen gerichteten Prozeß, der immer schon bei Resultaten der Anstrengung vormaligen Denkens ansetzt und frühere Denkleistungen in demgegenüber komplexeren Relationen, d. h. neuen Begriffsbildungen aufhebt, dann wird man sagen müssen, daß es sich der sprachlichen Innovationen früheren Denkens und damit auch dessen „metaphorische“ Bemühungen um Adäquation nun so bedient, als seien es definitive Resultate. Der Ausdruck steht, da nun ein eventuell verlagertes Interesse auf einen weiteren Fortgang abzielt, fest „für“ die Sache. Das frühere Denken wird, indem das aktuelle auf ihm aufbaut, von diesem als abgeschlossen oder als sein materiales Substrat vorausgesetzt. Was zuerst dem Denken noch vorläufig für die Sache stehen mußte, weil sich im Denken der Begriff erst bilden sollte und es folglich noch nicht darüber verfügen konnte, muß nun als einzig adäquate Repräsentanz der Sache gelten, so daß im weiteren Fortgang das Denken sich im Bezug auf diese Repräsentanz als
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im Ansatz sachlich begreift, bzw. um der Möglichkeit eines solchen Fortschritts willen begreifen muß. Ein solcher Begriff des Zusammenhangs von Denken und Sprechen wäre z. B. bei Humboldt aufzufinden9. Er könnte das Verständnis der Beziehung zwischen Begrifflichkeit und Metaphorik insofern bereichern, als er erst einmal von dem unhaltbaren starren Gegensatz dieser Phänomene forthelfen könnte. So wie Wörter der Sprache generell „ihre“ Bedeutung erst in einem Kontext exakt erlangen können, so können sie auch ebenso aus gewohnten Kontexten gelöst und – als „Metaphern“ – in andere hinübergetragen werden. Hier werden sie dann auch verstanden, wenn dies in irgend einem Zusammenhang von Bedeutung (im Sinne von Relevanz) sein sollte, d. h. wenn damit etwas gesagt sein sollte oder sich dadurch in einer Situation der Verlegenheit um das rechte Wort etwas aufschließt, und sie erhalten eine Bedeutung, die sie zuvor so noch nicht hatten. Man muß nicht voraussetzen, daß ein Ausdruck nur in einer schon bekannten Bedeutung (zufolge einer „Regel“) verstanden werden könnte. Zum Phänomen der Sprache gehört auch, daß ein Ausdruck eine bestimmte Bedeutung erst umgekehrt dadurch erlangen kann, daß er, obwohl er in ihr noch nie zuvor so gebraucht worden ist, so verstanden wird. Weite Bereiche des Sprachlichen müßten sonst vom Begriff der Sprache ausgeschlossen bleiben, auch innerhalb des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs10. So gesehen kann es gar nicht darum gehen, Metaphern zu vermeiden oder doch als „uneigentlichen“ Sprachgebrauch zu diskriminieren. Alle Sprache kann anders verstanden werden, als sie vom Sprechenden „gemeint“ ist. Nur wo dies durch irgendwelche Randbedingungen nicht ins Gewicht fällt, weil solche Differenzen des Verstehens für den pragmatischen Zweck unerheb|110|lich bleiben und es nur darauf ankommt, was der Adressat tut, und nicht darauf, was er verstanden hat, also in den sogenannten Interaktionen, die ja auch einen Aspekt der Wissenschaft, aber eben auch hier nur einen Aspekt ausmachen, unterscheiden sich „Begriffe“ absolut von „Metaphern“. Nur hier handelt es sich um „Begriffe“, die nicht ihre Bedeutung im Akt des Gebrauchs verändern, besser gesagt, hier läßt sich dem sprachlichen Geschehen solch ein Aspekt abgewinnen und ein dementsprechender Begriff von Sprache als eindeutigem Zeichensystem bilden. Dennoch bleibt auch hier generell offen, ob der Akt des Verstehens selbst nicht eine „Übertragung“ und ein – eventuell kreatives Andersverstehen bedeutet. Ein gutes Beispiel für ein Mißverständnis des Sinns der Metaphorik speziell in der Philosophie findet sich in der Betrachtung der Metapher des 9 W. v. Humboldt, Über Denken und Sprechen, Akademie-Ausgabe VII, 581ff. 10 Es sei nur an die Unterscheidung zwischen „normaler“ oder „paradigmatischer“ Wissenschaft und „wissenschaftlicher Revolution“ bei Th. S. Kuhn erinnert. Th. S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (deutsch: Frankfurt a. M. 1967).
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Spiegels für die Tätigkeit des Geistes, auf die Kainz ausführlicher eingeht. Er bezieht sich auf A. Bieses Philosophie des Metaphorischen: „Nach A. Biese ist es eine Metapher, wenn Leibniz die Monaden in Analogie zur menschlichen Seele als vorstellende Kräfte bezeichnet. Dabei liegt das Metaphorische «auch besonders darin, daß der Ausdruck représentation in doppelter Bedeutung schillert; bald ist er = ,vertreten sein‘, bald ,vorstellen‘ im geistigen Sinne. Der mystische Charakter dieses ,Spiegels‘ des Universums tritt sodann auch darin deutlich zu Tage, daß man vergeblich nach dem Inhalt der Vorstellung einer jeden Monade fragen muß; denn jede spiegelt das All, d. h. also die ganze Summe der Monaden, d. h. ebenfalls wieder vorstellende Kräfte wider; sie spiegelt also Spiegel wider; wo ist nun das Ding, das gespiegelt wird, und was ist das für eine innere Tätigkeit, die nur ein Äußeres abspiegelt » (133). Es ist hier verkannt, daß das Metaphorische darin besteht, daß ein Ausdruck durch Übertragung in einen nicht üblichen und nicht geläufigen Zusammenhang eine Bedeutung erhalten soll, die ihm nicht nur bisher nicht zukam, sondern die bisher überhaupt nicht ausgedrückt werden konnte und deshalb auch so nicht existierte. „Vorstellen“ heißt, wenn es von den „Monaden“ ausgesagt wird, wie Biese mit Recht bemerkt, etwas anderes, als wenn es etwa innerhalb der Psychologie vom Menschen ausgesagt wird, und dabei stellt sich die Bedeutung des Ausdrucks „Monade“ ihrerseits selbst erst im Kontext dieser „metaphorischen“ Bedeutung von „Vorstellen“ her. Der von Leibniz verwendete französische Ausdruck „représentation“ „schillert“ gewiß, wenn man ihn im Kontext durch die Ausdrücke „vertreten“ oder „vorstellen“, also durch diese Ausdrücke in einer schon geläufigen Bedeutung ersetzen möchte. Das heißt aber noch nicht, daß er selbst im Kontext der Leibnizschen Sprache nicht bestimmt sei. Die Monaden stellen nicht sich etwas vor, so daß sie außerdem noch „etwas“ wären, wenn sie das nicht tun, sie sind bei Leibniz substantiell Vorstellung, und da sie die „wahren Atome der Natur“ sein sollen, ist das, was sie vorstellen, natürlich wiederum Vorstellung. Es ist ganz klar, daß Leibniz hier etwas ausdrücken möchte, was der herkömmlichen Vorstellung zuwiderläuft. Aber darum ging es ihm doch gerade, so daß es seltsam anmutet, wenn man glaubt, ihn nur verstehen zu können, wenn man verlangt, daß er die verfügbaren Sprachmittel wie gewohnt gebraucht. Selbstverständlich gibt es in dieser Theorie kein |111| „Ding“ im hergebrachten Sinn, das gespiegelt wird. Dies müßte, wenn gelesen, d. h. so gesammelt wird, daß sich die Bedeutungen der Ausdrücke mit ihrem Zusammenspiel ergeben, in dem der Autor sie gebraucht, schon bedeuten, daß mit einer „Spiegelung“ nicht die bloße Abspiegelung eines Äußeren, sondern eine produktive Tätigkeit gemeint ist, also nicht das, was man von gläsernen Spiegeln erwartet. Jede Monade ist gerade dadurch individuelle Vorstellung, daß sie das Universum, also andere
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Vorstellungen, auf ihre eigene Weise widerspiegelt, eben so – und hier ist in der Metaphysik von Leibniz eine Sprachphilosophie impliziert –, daß sich in ihr, um wieder eine Metapher zu verwenden, die Vorstellungen anderer „brechen“. Gerade vom Phänomen des sprachlichen Verstehens her wird dies begreiflich, da es hier kein Kriterium für die Gewißheit gibt, daß etwas, wenn es in einer bestimmten Bedeutung gesagt und gemeint wird, von anderen in der selben Bedeutung aufgefaßt bzw. von Bedeutung ist. Es kann dennoch akzeptiert werden und den anderen „etwas“ besagen, ohne daß auf objektive „Dinge“ als „wahre“ Bedeutung zurückgegriffen werden könnte. Um zu einem Begriff „derselben“ Bedeutung kommen zu wollen, muß man mangels „Introspektion“ wiederum sagen, welche Bedeutung man realisiert, wenn man einen Ausdruck hört, d. h. man muß sich auch darin wieder dem Verstehen anderer aussetzen. Man kann „Bedeutung“ nicht stumm sinnlich vorzeigen. Man kann nur erwarten, daß die anderen ihre bisherige Sprachregelung auflockern, um überhaupt andere als andere in dem zu verstehen und von dem berührt werden zu können, was gerade der Witz ihrer sprachlichen Bemühung ist. (Der Begriff eines bestimmten objektiven „Dinges“ konstituiert sich dagegen erst von dem der intersubjektiv gelungenen Bedeutung als des Weges seiner Aufweisung her.) Zusammenfassend könnte man sagen, daß, ähnlich wie in jedem kreativen und in diesem weiten Sinne „poetischen“ Sprachgebrauch, auch die philosophische Metapher nur dann zurecht gebraucht ist, wenn sie nicht der bloßen Ausschmückung dient, sondern zum Ausdruck der Bedeutung notwendig ist. Dann kann sie eigentlich schon gar nicht mehr unexakt oder schillernd sein. Schillernd ist sie nur im Vergleich mit Ausdrücken in ihrer üblichen Bedeutung, von denen durchaus einer dem sinnlichen Zeichen nach mit ihr selbst identisch sein kann. Sie steht möglicherweise in ihrer Bedeutung zwischen der anderer Ausdrücke oder schillert von einer Bedeutung in die andere, wenn man sie auf den üblichen Gebrauch zurückbezieht, wegen dessen Unzulänglichkeit sie aber doch gerade gebildet worden war. Dies muß in besonderem Maße für die Philosophie gelten, insofern sie gegenüber dogmatischen, festgewordenen Vorstellungsbahnen etwas zu sagen beansprucht. Um auf Leibniz zurückzukommen: er soll nach Kainz den „leeren Formalismus“, daß die Monaden nicht Dinge, sondern Vorstellungen vorstellen, nicht durchschaut haben, „weil sein Denken durch zwei Sprachverführungen blockiert war“ (133). Das Bild des „miroir vivant“ soll ihn so fasziniert haben, daß die „erstaunliche Fähigkeit des Ab- und Widerspiegelns“ ihm wichtiger gewesen sei „als der abzuspiegelnde Inhalt“. Ferner seien ihm bei dem Ausdruck „représenter“ zwei Bedeutungen durcheinandergeronnen. Er hätte dann also eigentlich im Interesse eines vorgegebenen Sprachgebrauchs, den es in strenger Identität ohnehin nur als sprachtheoretisches Konstrukt gibt, seine Philosophie |112| nicht konzipie-
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ren dürfen. Zwar wird eingeräumt, daß die Philosophie vor allem dort nicht auf Metaphern verzichten könne, wo sie es mit „Urphänomenen“ wie „Bewußtsein“ oder „Wert“ zu tun habe, so daß hier kein genus proximum existiere, von dem eine präzise Definition per differentiam specificam möglich sei (135). Was „Urphänomen“ sein soll, kann aber nicht schon „sprachkritisch“ als Vorschrift für das Philosophieren, sondern selbst nur philosophisch, also innerhalb einer bestimmten Philosophie sinnvoll gesagt werden, in deren System, oder, allgemeiner gesagt, in deren Kontext allein etwas als weiter nicht abzuleitendes „Urphänomen“ gesetzt ist. Letztlich ergeben sich bei der Betrachtung der Metaphorik die gleichen Probleme wie bei der Erörterung der Synonymie bzw. Homonymie. Eine Unterscheidung zwischen Begriff und Metapher setzt immer voraus, daß einem Ausdruck zunächst eine „eigentliche“, „richtige“ Bedeutung zugeschrieben wird, die er dann ohne jeden Kontext rein lexikalisch haben müßte. Man kann natürlich sagen, die eigentliche Bedeutung eines Ausdrucks sei die, in der er mit einem bestimmten anderen, wie z. B. in einem entweder ein- oder mehrsprachigen Wörterbuch, als synonym angesehen werde, wobei im einsprachigen Wörterbuch dieser bestimmte andere Ausdruck die Definition wäre. Dann ist eine solche „Eigentlichkeit“ aber eben auf den bestimmten Gebrauch bezogen, in dem eine solche Gleichsetzung möglich ist, d. h. in dem mögliche Differenzen der Auffassung nicht von Belang sind, soweit und weil sie sich im Verhalten nicht äußern. Gerade die philosophische Sprache kann natürlich nicht auf ein solches eingespieltes, diszipliniertes Verhalten bezogen sein, in dem sich erst so etwas wie Bedeutungsidentität und mit ihr „Dinge“ eines verläßlichen Umgangs als deren objektives Korrelat konstituieren können. Philosophische Begriffe werden einem solchen eingespielten Gebrauch notwendig befremdlich erscheinen. So ist mit ihnen natürlich immer gegenüber der „Führung“ disziplinierten sprachlichen Verhaltens die Gefahr der „Verführung“ gegeben. Es kann aber in der Philosophie kein Wertsystem a priori vorausgesetzt werden, nach dem die Erweiterung des Gebrauchs schon als Mißbrauch qualifiziert werden könnte, außer in rein dogmatistischer Weise. Solche Setzungen müßten selbst wieder Gegenstand philosophischer Diskussion sein. Daß sich besondere philosophische Ausdrucksweisen nicht immer als auch der Sache nach kreativ, sondern oft als bloße „Leerformeln“ (186ff.) erweisen, hinter denen eben wegen der auch im alltäglichen Sprachgebrauch bewußten Notwendigkeit kreativer Spracherweiterung irrtümlicherweise eine besondere Bedeutung vermutet werden könnte, liegt auf der Hand. Der Grund hierfür kann beim Autor liegen, der mit Hilfe reiner Sprachakrobatik einen Gedanken vortäuscht, aber auch beim Leser, insofern der Ausdruck eines gemeinten Gedankens für ihn bedeutungslose „Leerformel“ geblieben ist. Auch hier dürfte der Natur der Sache nach a priori kein allgemeines
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Kriterium für den einen oder den anderen Fall genannt werden können. Es muß sich im Einzelfall zeigen, ob Sprachkritik Gedankenlosigkeit entlarvt oder bloßes Unverständnis des Kritisierenden ausdrückt. Es dürfte auch hier unmöglich sein, allgemein die Prüfung des Werkzeugs vorzunehmen, ohne sich in die Sache selbst und in den besonderen Sprachgebrauch eines Autors einzulassen. |113|
IV. Was von den einzelnen Wörtern gilt, gilt in gleicher Weise für die kategorialen Aufgliederungsmittel und Ordnungsprinzipien der Sprache, also für die Verwendung grammatischer Formen, insbesondere der Wortklassen (208ff.). „Wir kommen ohne sie nicht aus. Es ist daher sinnlos, diese Aufgliederung durch Wortklassen an sich schon als Sprachverführung anzusehen, wozu Mauthner11 deutliche Neigung zeigt. Aber die Frage bleibt bestehen, ob diese kategoriale Aufgliederung, welche zahllose Vorfahrengenerationen gewonnen ... haben – wohlgemerkt ohne jegliche logische Reflexion und noetische Kritik – in sämtlichen Fällen, wo man sich ihrer bedient, angemessen ist und das Richtige trifft, ob nicht vielmehr gewisse darin enthaltene Ungenauigkeiten und sorglose Approximationen das Denken bei komplizierteren und anspruchsvolleren Darstellungsaufgaben zu mißleiten vermögen“ (209). Es wäre ein überaus reizvolles Thema, der Frage nach der „Richtigkeit“ der Wortarten näher nachzugehen. Diese Frage wäre ja eigentlich der nach der Richtigkeit (Eindeutigkeit) der Wörter vorauszuschicken. Leider bietet die allgemeine Linguistik noch keine befriedigende Theorie der Wortarten an, nach der auch nur in einer Sprache, wie z. B. dem Deutschen, Wortarten klar zu ordnen wären. (Es scheint fragwürdig, ob sich eine solche Theorie etwa durch Reduktion und eine an der „Sprache“ der Aussagenund Prädikatenlogik orientierten „universalen“ „Tiefenstruktur“ gewinnen läßt). Dagegen ist seit langem bekannt, daß es beim Übersetzen nicht immer gelingt, die Wortarten mitzuübersetzen. Z. B. läßt sich eine substantivische Wendung in einer Sprache oft in der Zielsprache nicht als solche wiedergeben. Sie wird in vielen Fällen in einen Nebensatz aufgelöst, d. h. in andere Wortarten übertragen werden müssen. Welche von den beiden Verfahrensweisen aus dem inneren Bau der jeweiligen Sprachen heraus war nun „richtig“? Aber auch innerhalb derselben Sprache kann man sich einmal dieser Wortart, ein anderesmal, in der Paraphrase, einer oder mehrerer anderer bedienen. Macht solche verschiedene „Oberflächenstruktur“ einen Bedeu11 F. Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache (1906/13), III, 1ff.
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tungsunterschied aus? Die Formulierung dieser Fragen beinhaltet schon, daß sie ohne weiteres nicht entschieden beantwortet werden können. Es ist hier nicht viel anders als bei der Wahl der Wörter. Der Unterschied der Wortarten wird in dieser Überlegung flüssig. Dagegen ist immer wieder gesagt worden, und Kainz kann in dieser Hinsicht zahlreiche Autoren anführen, daß z. B. die im Deutschen sehr leicht verfügbare Substantivierung eine mögliche Irreführung des Denkens in sich berge. So hat nach Mauthner die „Hypostasierung und Substantialisierung“ im Begriff „Vernunft“ Kant veranlaßt, die Vernunft als eine mythologische Person, als personifiziertes Seelenvermögen12 aufzufassen. Man geht also von der Vorstellung aus, die grammatische Kategorie des Substantivs sei dann „richtig“ gebraucht, wenn sie für sinnlich wahrnehmbare Dinge und Personen stehe. Daß sich eine solche Zuordnung von grammatischen zu ontischen Kategorien nicht |114| durchhalten läßt, wird beim Verbum viel schneller deutlich. Steht es für „Vorgänge“? Ist „besitzen“ z. B. ein Vorgang oder eine Tätigkeit oder ein Zustand? Wie man sich auch entscheidet, ist es „richtiger“ zu sagen, jemand „besitze“ ein Vermögen oder er „sei im Besitz“ des Vermögens? Oder bedeuten diese Wendungen genau genommen Verschiedenes? Das Dilemma der Sprachkritik wiederholt sich auf kategorialer Ebene. Um zu Kant zurückzukommen: Was hat Mauthner dazu verführt, anzunehmen, „Vernunft“ sei bei Kant eine „mythologische Person“? Im Text Kants ist doch trotz des Substantivs für viele Leser deutlich, daß Kant dies nicht meint. Es ist auch nicht einzusehen, wieso die sprachliche Substantivierung als solche schon, wie Schlick vermutet (vgl. Kainz, 211), zu der Annahme geführt habe, Raum und Zeit seien „absolute Entitäten“, da doch die Philosophen, die dies sagen wollten, nicht anders als die, die dies nicht sagen wollten, sich der Form des Substantivs bedient haben. Die Absicht, überhaupt „über“ Raum und Zeit etwas sagen zu wollen und sie in die Form des Satzsubjektes zu setzen, müßte dann schon der erste Grund zu einer möglichen Fehlleitung gewesen sein, wie ja generell die Möglichkeit des Mißverständnisses sich schon der Absicht, etwas über etwas sagen zu wollen, verdankt. Kennt man die Gefahr, so kann man ihr in der Abschätzung der Art des möglichen Verstehens anderer mehr oder weniger geschickt zu begegnen suchen. So ist in der Regel in philosophischen Texten das Sprachbewußtsein so ausgeprägt, daß aus dem Zusammenhang der Texte heraus solche Mißverständnisse nicht so leicht eintreten. So ist es auch bei Hegel, wenn vom „absoluten Geist“ die Rede ist. Auch dieser Begriff soll sich nach Kainz (223) der „denkverführenden Substantialisierungstendenz“ verdanken. Es wäre zu fragen, welcher Begriff in solchen Fällen denn substantialisiert 12 F. Mauthner, a. a. O., I, 477.
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worden sein soll, wenn von Substantialisierung die Rede ist. Die Antwort wäre selber zugleich die Entsubstantialisierung, mit der die „Gefahr“ dann doch schon wieder gebannt sein müßte. In der Tat zeigen die Texte, in denen die diskriminierten Ausdrücke vorkommen, wie die „Substantialisierungen“ aufzulösen, d. h. wie diese Ausdrücke zu verstehen sind13. Ihre Isolierung aus solchen bedeutungsverleihenden und präzisierenden Kontexten „verführt“ dann freilich dazu, ja macht es unausweichlich, daß sich eine Vorstellung aufdrängt, die sich bei einem substantivischen Ausdruck an sich wohl zunächst einstellt, nämlich die, es werde sich wohl um ein Ding oder eine Person, oder, wenn nicht, dann doch um eine „mythologische“ Person handeln müssen. Die Sprachverführung kommt hier weniger durch Lesen als durch Nichtlesen, d. h. nicht durch Eigenarten der Sprache, sondern durch das Mißverständnis ihres Wesens zustande. Das heißt aber nicht, daß die Unterschiede der Wortklassen ohne Bedeutung wären. Die Möglichkeit der Substantivierung mit Hilfe des Artikels kann kompliziertere Perioden länger übersichtlich halten, als dies ohne diese grammatische Form möglich wäre. So können Sprachen mit dieser Möglichkeit einem Autor größere Ausdruckmöglichkeiten anbieten und komplexere Denkfiguren zulassen. Mögliche Mißverständnisse können damit ebenso|115|gut unwahrscheinlicher werden, weil auch beim Leser eine bessere Übersicht des Zusammenhangs gewährleistet ist. Ein Autor kann bewußt die substantivische Form vorziehen, weil er damit einen Gedanken so auszudrücken versucht, wie er es anders nicht könnte. Die Form ist dem Inhalt gewiß nicht gleichgültig. Aber deshalb ist es weder ihr noch „der“ Sprache zuzuschreiben, wenn das Vorurteil besteht, ein Substantiv wäre etwa im Deutschen etwas anderes als eine grammatische Form und wäre „eigentlich“ nur zur Bezeichnung von Dingen oder Personen „richtig“ verwendet. Kainz sieht allerdings in grammatischen Formen einzelner Sprachen nicht nur die Gefahr von „Verführungen“. Z. B. wird das Vorhandensein des Artikels im Griechischen (und Deutschen) abgewogen beurteilt. Statt einer bloßen einseitigen Wertung des Griechischen kommt die Andersheit von Sprachen in den Blick. Gegen B. Snell, der nur die Mühe sieht, die etwa Cicero damit gehabt habe, die einfachsten philosophischen Begriffe (aus dem Griechischen) wiederzugeben, wendet er ein, Snells sprachlogische Kritik reiche nicht hin, ihn bemerken zu lassen, „daß Cicero zufolge der Struktur seiner artikellosen Sprache mit den ihm zur Verfügung stehenden Denkmitteln und sprachlichen Schematen eine völlig andere philosophische Intention und gedankliche Konzeption verwirklicht als Platon, eben weil die Sprachmittel des Lateinischen den ursprünglichen Gedankengang 13 Zum Hegelschen Begriff des „absoluten Geistes“ vgl. z. B. u. a. Phänomenologie des Geistes, ed. J. Hoffmeister, Hamburg 1952, 471; GW 9, 361.
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weitgehend alterieren.“ Ob er aber, wie nach L. Rougier14, deshalb daran gehindert worden sein soll, „die Hirngespinste der Platonschen Ideenlehre mitzumachen, die nur von des Artikels Gnaden existieren“ und „somit ein Musterbeispiel glossomorpher Leerformeln, Vexieranliegen und Scheinprobleme“ darstellten (227), ist eine andere Sache. Vom Gesichtspunkt einer Sprache her wird hier das in einer anderen Konzipierbare und Konzipierte (und dann wohl in ihr prinzipiell auch adäquat Verstehbare) als Hirngespinst abgetan, obwohl wir über einen sprachfreien Gesichtspunkt wesentlich nicht verfügen (was nicht heißt, daß das Denken unabwendbar sich nur auf eingefahrenen „Bahnen“ einer Sprache bewegen müßte. Übersetzen kann, gerade wenn es mühevoll ist, für die Zielsprache ausgesprochen kreative Funktion haben). Es wäre hier doch zu überlegen, ob die Platonischen Ideen, die doch auch bei Plato deshalb noch nicht „Dinge“ sind, weil sie mit Hilfe des Artikels benannt werden (tò a¬gaqón), nicht eben zu einer Philosophie gehören, die in gerade dieser Sprache konzipiert, aber doch auch in derselben Sprache weiterentwickelt werden konnte, wie die Aristotelische Kritik an dem Gedanken abgesonderter Ideen zeigt. Das Problem der Sprachkritik liegt auch hier darin, daß sie darauf angewiesen ist, ihre Thesen anhand von Beispielen aufzuweisen, die sie aus ihrem philosophischen Zusammenhang herausnimmt und damit notwendig in ihrer differenzierten Bedeutung verändert. So gut wie die Philosophie, als „auf einen bestimmten Zweck gerichtete Geistesarbeit“, in bestimmten Sprachen von deren Bauelementen her günstige Voraussetzungen zum Ausdruck bestimmter Gedanken finden mag, so sehr wird sie sich in anderen Fällen mit dem normalerweise vorgezeichneten Bau schwertun |116| und zu Stilfiguren greifen, die dem gewohnten Sprachgefühl merkwürdig klingen oder sogar zuwiderlaufen, ohne deshalb aber schon gegen die Gesetze einer Sprache verstoßen zu müssen, wenn man deren Wesen „genetisch“ versteht.
V. Es muß also problematisch bleiben, isolierte „Beispiele“ dieser Art für eine Sprachverführung des Denkens aus dem Bereich der Philosophie anzuführen (420ff.). Das wird auch deutlich, wenn Kainz Kant sprachkritisch befragt. Wenn es sogar gelinge, aus den Schriften eines Philosophen wie Kant, die durch Schärfe des Denkens und präzise Begriffskritik gekennzeichnet seien, Belege für eine „Sprachverführung des Denkens“ anzuführen, so beweise 14 L. Rougier, La métaphysique et le langage, Paris 1960, 52.
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das, daß auch Denker höchsten Ranges keineswegs hiervor sicher seien. Kant habe in seiner Kategorientafel beispielsweise die Kategorie der „Zufälligkeit“ als Gegensatz zur „Notwendigkeit“ angesehen, obwohl sie zur „Notwendigkeit“ nur in einem konträren Begriffsverhältnis stehe. Der Grund hierfür liege darin, daß es eine sprachliche Form der „Unnotwendigkeit“, etwa analog zur „Unmöglichkeit“, nicht gebe (422). Wie in der Regel bei der Berufung auf „wahre Bedeutungen“ kann aber auch hier nicht recht einleuchten, warum „Zufälligkeit“ nicht als (kontradiktorischer) Gegensatz zu „Notwendigkeit“ gebraucht werden sollte. Man kann doch alles, was nicht notwendig ist, „zufällig“ nennen, und so hat man wohl auch Kant in diesem Zusammenhang im allgemeinen verstanden. Auch das „Freie“ wäre dann, weil es eben nicht notwendig ist, in theoretischer Betrachtung zufällig. Ebenfalls muß der Terminus „Dinge an sich“ nicht auf einer Verführung von der Sprache her beruhen. Schon gar nicht hat Kant sich selbst hier durch sie verführen lassen. Wenn Kant „das An-Sich der Dinge selbst wieder als ,Dinge‘ an sich bezeichnet“15, ist von seiner Sprache her genügend klar, daß damit keine Erkenntnis darüber ausgesprochen sein soll, daß es „im An-sich“ Dinge gebe, wenn der Begriff „Dinge an sich“ philosophisch auch gewisse Probleme mit sich bringt. G . Prauss hat neuerdings darauf hingewiesen, daß Kant selbst von dem Ausdruck „Ding an sich“, der in der Kant-Literatur eine so große Rolle spielt, „nur in verschwindend wenigen Fällen Gebrauch macht. Sein Standardausdruck lautet vielmehr ,Ding an sich selbst‘, ,Gegenstand an sich selbst‘“16, aber statt „Ding“, „Gegenstand“ heißt es auch oft „Sache“, „Objekt“. Nur in sechs Prozent aller Fälle benutzt Kant selbst den in der Literatur vorwiegenden, formelhaften Ausdruck vom „Ding an sich“. Das „Ding“ ist in seiner Sprache also gar nicht das Entscheidende, sondern das „an sich selbst“. Das Ding, was es an sich selbst auch sein mag, ist für das Subjekt Erscheinung in Raum und Zeit. Es handelt sich im „Ding an sich selbst“ also überhaupt nicht um ein anderes „Ding“. Das An-sich der Dinge ist nichts von ihnen selbst Getrenntes, sondern der negative Begriff zu diesen selben Dingen als Erschei|117|nung. Der Sprachgebrauch ist völlig korrekt, und nicht Kant, sondern ein Teil der Kantliteratur ist hier einer „Verführung“ erlegen, ,weil sie sich auf die Kurzformel „Dinge an sich“ bezieht, die bei Kant auch in den wenigen Fällen, in denen sie tatsächlich steht, als „Dinge, wie sie an sich selbst sein mögen“ (und wovon wir nichts wissen können, weil wir mit ihnen, d. h. diesen Dingen, nur als Erscheinung zu tun haben) zu lesen ist. Die Unterscheidung zwischen Ding an sich selbst und Ding als Erscheinung begleitet die Konstitution des Gegenstandes vor dem Subjekt als objektive Korrelat15 R. Reininger, Nachgelassene philosophische Aphorismen, zitiert nach Kainz, 423. 16 G . Prauss, Kant und das Problem der Dinge an sich (1974), 13.
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vorstellung der Existenz dieses Dinges „an sich selbst“, die zu der Vorstellung eines Objekts konstitutiv gehört. Von einem „Beispiel aus Hegel“ war bereits die Rede. Kainz sieht „zentrale Grund- und Leitbegriffe seines Philosophierens“ als „lediglich sprachinduziert“ an (433), so z. B. den „für Hegels dialektische Denktechnik entscheidenden Begriff aufheben“, den Hegel „ohne kritische Prüfung der Polysemie eines Alltagswortes“ (433) verwende. Hegel äußert sich nun aber selbst gerade im Zusammenhang mit diesem bei ihm in der Tat zentralen Begriff über den Zusammenhang zwischen Denken und Sprache: „Aufheben und das Aufgehobene (das Ideelle) ist einer der wichtigsten Begriffe der Philosophie, eine Grundbestimmung, die schlechthin allenthalben wiederkehrt, deren Sinn bestimmt aufzufassen und besonders vom Nichts zu unterscheiden ist“. Es handelt sich um den Ausdruck des dialektischen Grundgedankens der bestimmten Negation. Daß Hegel hier keiner „Sprachverführung“ erlegen ist, wird schon dadurch deutlich, daß er diesen Gedanken durchaus in verschiedenen sprachlichen Wendungen zu fassen versucht: eben durch die der „bestimmten Negation“, durch den Terminus „das Ideelle“, durch den des „Moments“ und schließlich durch den der „Aufhebung“. Hierzu fährt er fort: „Was sich aufhebt, wird dadurch nicht zu Nichts ... es ist das Nichtseiende, aber als Resultat, das von einem Sein ausgegangen ist. Es hat daher die Bestimmtheit, aus der es herkommt, noch an sich. Aufheben hat in der Sprache den gedoppelten Sinn, daß es so viel als aufbewahren, erhalten bedeutet und zugleich so viel als aufhören lassen, ein Ende machen ... Die angegebenen zwei Bedeutungen ... können lexikalisch als zwei Bedeutungen dieses Wortes aufgeführt werden. Auffallend müßte es dabei aber sein, daß eine Sprache dazu gekommen ist, ein und dasselbe Wort für zwei entgegengesetzte Bestimmungen zu gebrauchen. Für das spekulative Denken ist es erfreulich, in der Sprache Wörter zu finden, welche eine spekulative Bedeutung an ihnen selbst haben; die deutsche Sprache hat mehrere dergleichen. Der Doppelsinn des lateinischen: tollere ... geht nicht so weit“17. Der Gedanke der bestimmten Negation ist zunächst auf den Ausdruck „aufheben“ nicht unbedingt angewiesen, aber es ist nach Hegel doch „erfreulich“, in der Sprache Wörter mit spekulativer Bedeutung zu finden. Rein „lexikalisch“ kann hier nach Hegel selbst von verschiedenen Bedeutungen, also von Homonymie gesprochen werden. Bezüglich des Wortes „aufheben“ zitiert Kainz eine Stelle aus den von Gans |118| und Karl Hegel edierten Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in deren Zusammenhang aber ausdrücklich darauf verwiesen wird, daß der begriffliche Hintergrund dieses philosophischen Sprachgebrauchs in der „Logik“ auseinandergelegt sei. Hegel hebt dort die „spekula17 Hegel, Wissenschaft der Logik, ed. Lasson (1951), I, 93f.; vgl. GW 11, 58.
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tive Bedeutung“ ausdrücklich von der „lexikalischen“ ab. Sie besteht in der Möglichkeit, ein Wort für „zwei entgegengesetzte Bestimmungen zu gebrauchen“. Der Gebrauch steht gegen die lexikalische Bedeutung; das ist zwar nicht „der“ Alltagsgebrauch, sondern dieser konkrete philosophische, den die Sprache aber anbietet, und der hier ganz bewußt und absichtlich in Anspruch genommen wird, um so mit einem handlichen Wort einen komplexen Gedanken ausdrücken zu können, der nicht jedesmal in extenso entwickelt werden kann. Der Gedanke „bewegt“ sich zwischen Bedeutungen, die rein lexikalisch einander entgegengesetzt sein können und sich von einem anderen, geläufigeren Gebrauch her gegenseitig ausschließen würden. Gerade an diesem Beispiel wird das Verhältnis von Denken und Sprechen, wie Hegel es auffaßt, reflektiert, und es soll aufzeigen, wie die Sprache, hier die deutsche, selbst dem Denken Mittel an die Hand gibt, über einen bestehenden eingefahrenen Sprachzustand sich hinaus zu entwickeln, ohne sich von dem für es und seinen weiteren Fortgang notwendigen „Bezeichnungsvermögen“ dieser Sprache entfernen zu müssen18. Sprachkritik, die von den Maßstäben einer „Alltagssprache“ ausgehen möchte, befindet sich grundsätzlich in der Schwierigkeit, daß es schon in ihr einen statisch genormten Sprachgebrauch nicht gibt und nicht geben kann. Sprechen als die Tätigkeit, von „endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch“ zu machen19, kann gar nicht etwa durch bloße Variationen der Anordnung eines festen lexikalischen Bestandes an Wortbedeutungen die Sprache zum Ausdruck des Gedankens fähig machen. Schon in der „Alltagssprache“, die allenfalls negativ als „nichtwissenschaftlicher“ Sprachgebrauch begriffen sein könnte, wird nicht nur die Konstellation variiert. Mit der Konstellation der Wörter bestimmt sich vielmehr zugleich deren Bedeutung. Die bestimmte Bedeutung der Wörter spielt sich nicht nur im „Satz“ als einer aus Wörtern zusammengesetzten Einheit, sondern darüberhinaus in einem weiteren Zusammenhang der Sätze innerhalb einer pragmatischen Situation ein. Die „endlichen Mittel“ sind also letztlich nicht schon Wortbedeutungen, sondern das für eine bestimmte Sprache charakteristische diakritische Lautmaterial, mit dessen sinnvollem Gebrauch sich die Bedeutungen „erzeugen“. Wenn dies schon für „die“ Alltagssprache gilt, so gilt es erst recht für die Philosophie, die, da es in ihr auf Gedanken ankommen soll, noch weniger ausschließlich auf von früherem Gebrauch her naheliegende, vorgegebene Bedeutungen zurückgreifen kann, die sich als solche nur innerhalb 18 Zu dem Terminus der „spekulativen Bedeutung“ vgl. den des „spekulativen Satzes“, Hegel, Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister (1949), 48, ff.; GW 9, 41ff.; hierzu J. Simon, Die Kategorien im „gewöhnlichen“ und im „spekulativen“ Satz, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie, Bd. III, 9ff. [im vorliegenden Band S. 169-194]. 19 W. v. Humboldt, Akademie-Ausgabe, VII, 99.
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eingespielter, disziplinierter Verhaltensschemata herausgebildet haben können, wenngleich auch die Philosophie in der Absicht der kritischen „Aufhebung“ eingefahrener Sprach- und Verhaltensweisen und |119| eines jeweils dazugehörenden, im weiteren Wortsinn „ideologischen“ Verständigtseins an Vorgegebenem anzuknüpfen versuchen muß. So gesehen dürfte es sich weniger darum handeln, daß sie „Verführungen“ „der“ Sprache erliegen könnte, als darum, daß Sprachkritik von einem vorgefaßten Sprachbegriff her sich an die Stelle des Verstehens setzt und somit ihrer Natur nach wesentlich unabgeschlossene Versuche, „den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedanken fähig zu machen“20, nicht zum Wort kommen läßt. Eine „Verführung“ besteht eher in einer Neigung, gegenüber der geforderten „Anstrengung des Begriffs“ in Inertialsysteme geläufigen Verstehens zurückzufallen oder sich auf das Ungewohnte, sei es semantischer oder syntaktischer Art, erst gar nicht einlassen zu wollen. Die Bereitschaft zum Verstehen muß umgekehrt noch nicht die Akzeptation des Gesagten bedeuten. Sie wäre allerdings die Voraussetzung seiner kritischen Beurteilung, ohne daß allerdings damit sprachliche Besonderheiten selbst schon für gedankliche Tiefe angesehen sein müßten.
20 W. v. Humboldt, Akademie-Ausgabe, VII, 46.
Hamann und die gegenwärtige Sprachphilosophie1 I. |9| Was hat Hamann mit der gegenwärtigen Sprachphilosophie zu tun? Kann man beides überhaupt vergleichen, und welchen Sinn sollte ein solcher Vergleich haben? Ich möchte die These vertreten, daß die gegenwärtige Sprachphilosophie insofern etwas mit Hamann zu tun hat, als sie aus Hamanns Schriften nicht nur Anregungen empfangen, sondern sogar Ideen gewinnen kann, von denen her die modernen Ansätze in ihrer Bedingtheit deutlich werden und sich insofern selbst kritisch in Frage stellen können. Zunächst ist natürlich zu fragen, worin denn die vorherrschenden sprachphilosophischen Ansätze der Gegenwart bestehen und wie sie unter einheitlichen Gesichtspunkten zusammengefaßt werden können. Sodann muß versucht werden, das Eigentümliche von Hamanns Sprachauffassung herauszuarbeiten, ohne dabei schon moderne Fragestellungen heranzutragen. Die Sprachphilosophie der Gegenwart ist, von Ausnahmen abgesehen, vom analytisch-philosophischen Ansatz her bestimmt, wie er von Frege und von Wittgenstein abgeleitet wird2. Frege war Mathematiker und Logiker, und an seine von daher geprägte Sprachauffassung knüpft auch Wittgenstein an. Freges Sorge ist von Anfang an der ‚richtige‘ Gebrauch der Sprache. Damit ist ein Gebrauch gemeint, der sicherstellt, daß man im Reden über ,etwas‘ rede und nicht vielmehr über nichts. Die Sprache soll sachbezogen sein, und zu diesem Zweck wird von ihr eine bestimmte Struktur ge1 2
|18| Der Text wurde in der Fassung des Vortrages auf der Marburger HamannTagung belassen. Nur die Anmerkungen wurden für den Druck hinzugefügt. In sie sind auch Gesichtspunkte aufgenommen, die in der Diskussion zur Sprache kamen. In der Kürze des Vortrages konnten nur einige Aspekte der gegenwärtigen Sprachphilosophie behandelt werden. Ganze Richtungen, die ebensogut Ansätze für eine Gegenüberstellung mit Hamanns Sprachdenken präsentieren, wie z. B. die französische nachstrukturalistische Philosophie (vgl. Anm. 4), mußten ausgeklammert werden. Es lag in der Absicht des Vortrages, nur einige, allerdings nach Meinung des Verfassers zentrale Fragen der sogenannten sprachanalytischen Philosophie, die die Diskussion immer noch weitgehend bestimmt und die Hamann gegenüber zunächst besonders fremd erscheinen muß, mit Hamanns Bemerkungen zum Sprachproblem zu vergleichen. Deshalb wurde in diesem Vortrag auch nicht auf Positionen Bezug genommen, die sich ohnehin mit den Hamannschen Impulsen weitgehend verbunden wissen.
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fordert. Diese Struktur soll zur Wiedergabe der Wirklichkeit geeignet sein. Auch der Wirklichkeit wird also eine bestimmte Struktur zugesprochen. Sie soll der des einfachen, aus einem Eigennamen und einem Prädikatsbegriff bestehenden Satzes entsprechen. Dabei soll der Eigenname einen wirklichen, individuellen Gegenstand und der Prädikatsbegriff etwas Allgemeines bezeichnen, das auf mehrere Gegenstände zutreffen kann. Mehrere Sätze dieser Art sollen unter Beachtung des Gesetzes vom zu vermeidenden Widerspruch, also gemäß den Regeln der Logik verbunden werden. Der Wittgenstein des „Tractatus“ entwirft ein System logischer Junktoren zur Verknüpfung einzelner Sätze zu zusammengesetzten Sätzen, die in ihrem Wahrheitswert eine Funktion der verknüpften einfachen Sätze darstellen sollen, wobei die Kontradiktion der einzige Fall sein soll, in dem die Verknüpfung in jedem Fall nicht wahr ist, gleichgültig, ob die einfachen Sätze wahr oder falsch sind. |10| Diese Art der logischen Syntax soll das Grundgerüst der Sprache darstellen. Man hätte damit in der formalen Logik eine Struktur, auf die hin man die Sprache analysieren könnte. In der generativen Grammatik nach Chomsky besteht die Grundidee, das wirkliche Sprechen in irgendwelchen ,natürlichen‘ Sprachen auf tieferliegende Strukturen und schließlich auf eine allgemeine, ‚vernünftige‘ Sprachstruktur im Sinne einer „grammaire raisonnée“ oder universalen Grammatik des Geistes hin abbilden zu können. Vor allem besteht die Vorstellung, man hätte in einer solchen Tiefenstruktur das tertium comparationis für die Übersetzung von einer Sprache in die andere in syntaktischer Hinsicht, analog dazu, daß in Wörterbüchern die Wörter derselben und verschiedener Sprachen zusammengestellt werden könnten, die ,dasselbe‘ im Sinne desselben Begriffs bedeuteten. Diese Begriffe sind hierbei als etwas dem menschlichen Geist überhaupt eigenes, sozusagen eingeborenes angesehen. Die Vorstellung des Geistes muß konsequenterweise die eines übergeschichtlichen Wesens sein. Das Übersetzen kann demnach keine andere Bedeutung haben als die, von der Vielfalt und dem sinnlichen Reichtum verschiedener Sprachen oder auch nur verschiedener individueller Ausdrucksweisen sozusagen wieder zurückzuführen in das Paradies des einen universalen Menschengeistes. Sprachanalyse als die eigentliche und nach manchen Autoren die einzig verbleibende Aufgabe der Philosophie wäre dementsprechend die Nachprüfung von Sprache auf die Möglichkeit solcher Zurückführung hin über die Buntheit des sinnlichen Ausdrucks hinweg. Die sinnliche Seite wird als bloßes Hilfsmittel für den Ausdruck von Gedanken oder Begriffen verstanden, die ihrerseits, in den Eigennamen für sinnliche oder sonstwie in ihrer Individualität identifizierbare Gegenstände, mit dem Sinnlichen verbunden bleiben sollen. Es wird also zwischen einer originären Sinnlichkeit der vorsprachlich gegebenen Gegenstände und der
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sinnlicher Zeichen unterschieden wie zwischen Zweck und Mittel. Die Sprache als System von Zeichen reduziert sich auf die soziale Funktion der Mitteilung eigener Gedanken an andere, die im Hören, so wird vorausgesetzt, ,dieselben‘ Vorstellungen reproduzieren sollen. Schon um dies sicherzustellen, habe man sich einer auf logische Syntax und universale Semantik reduzierbaren Sprache zu bedienen. Der Hörer habe sich also dem Gehörten gegenüber möglichst rezeptiv zu verhalten bzw. sich anläßlich des Gehörten an das Universale zu erinnern. Auch in der Sprachwissenschaft wird die Identität von Einzelsprachen durch spezifische, also angebbare Regeln der Transformation universaler Strukturen in die jeweilige Einzelsprache zu bestimmen versucht. Sie werden als das primär Identische, als Maßstab bei solcher Identifizierung angesehen. Der bloße Vergleich zwischen gegebenen Einzelsprachen kann ja nur gelingen, wenn man eine von ihnen als bereits identifiziert voraussetzen kann. Es wird also durchgängig von der ,Realität‘ solcher Universalien ausgegangen. Daß dies eine metaphysische Annahme ist, wird schon dadurch deutlich, daß wir über angeblich vorsprachliche Universalien nur in einer Einzelsprache sprechen können. Wir setzen die gemeinte universale Struktur des Geistes unserem Sprechen schlicht voraus, denn die ,allgemeine‘ Sprache der Philosophie als eine unmittelbare Sprache der Philosophie gibt es nicht. Hamann sagt sogar von Kant, bei dem von einem naiven Ausgang von der Realität von Universalien keine Rede sein kann, er habe „den bisher gesuchten allgemeinen Charakter einer |11| philosophischen Sprache als bereits erfunden, im Geiste geträumt“ (Metakritik über den Purismum der Vernunft, in: Johann Georg Hamann, Sämtliche Werke, hg. von Josef Nadler, Wien 1949ff., N III, 289). Man hat natürlich auch selbst keine Vorstellung davon, welche Vorstellungen andere in ihrem Geist erzeugen, wenn sie unser Sprechen verstehen, und folglich auch kein Kriterium für die Identität ihrer Vorstellungen mit unseren.
II. Gegenüber dieser Idee eines reinen Geistes beruft Hamann sich auf die sinnliche Verschiedenheit der Sprachen, ja des individuellen Stils. Die Vorstellung tieferliegender Begriffe verdankt sich nach ihm einer bloßen Abstraktion. Insofern interessiert ihn die Verschiedenheit von Sprachen. In dem „Versuch über eine akademische Frage“ spricht er z. B. von einer Eigenart der Sprache des jüdischen Volks, die es „so blind zur Zeit der göttlichen Heimsuchung machte“. Aus der „Richtung der Denkungsart“ entstehe „der vergleichungsweise Reichthum in einigen, und die damit parallel laufende
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Armut in anderen Fächern eben derselben Sprache“ (Kreuzzüge des Philologen, N II, 122). Von der deutschen Sprache sagt er, es sei „ein Glück“ für sie gewesen, daß in ihr „die Übersetzungs- und Demonstriersucht sich einander gleichsam die Stange gehalten“. Beim Übersetzen teilt sich der Reichtum einer fremden Sprache der eigenen mit, auf einem Gebiet, auf dem jene über einen größeren Reichtum als die eigene verfügt, während beim Demonstrieren Wörter in ihrer Bedeutung als gleich gesetzt werden müssen. Dadurch wird ein ursprünglicher Reichtum reduziert. Die Idee, daß verschiedene Wörter ,dasselbe‘ bedeuten sollen, macht nach Hamann „die unbewegliche Denkungsart eines Volkes“, das Übersetzen dagegen „die bewegliche“ aus (N II, 124). Beides sind Aspekte der Sprache. Was Sprache sei, ist schwer zu bestimmen. Ihr Gebiet „erstreckt sich vom Buchstabieren bis auf die Meisterstücke der Dichtkunst und feinsten Philosophie“, „und der Charakter derselben fällt teils auf die Wahl der Wörter, teils auf die Bildung der Redensarten“. Hamann versteht sie also – „so vielbedeutend“ „der Begriff von dem, was man unter Sprache versteht“, nach ihm auch ist – von diesen produktiven Seiten her. Er sieht den „Schlüssel“ zu ihrem Verständnis in der „Absicht“, „unsere Gedanken mitzuteilen und anderer Gedanken zu verstehen“ (N II, 125). Man wird ihn so verstehen müssen, daß von dieser Absicht her bald das bewegliche und bald das unbewegliche Moment hervorgekehrt wird und man also je nach Zielvorstellung davon ausgeht, daß verschiedene Wörter ,dasselbe‘ bedeuteten oder daß es, um das Verständnis anderer zu erreichen, doch auf die „Wahl der Wörter“ ankommen könne. „Ein Kopf, der auf seine Kosten denkt, wird immer Eingriffe in die Sprache tun; ein Autor hingegen auf Rechnung einer Gesellschaft, läßt sich die ihm vorgeschriebene(n) Worte ... gefallen, die ihn auf die Gleise derjenigen Gedanken und Meinungen bringen, so sich am besten schicken“ (N II, 126). Die Frage, ob die Sprache das Denken bestimme oder umgekehrt, wird also weder in dem einen noch in dem anderen Sinn entschieden. Beides ist möglich. Für unsere Frage ist aber wichtig, daß Hamann die Voraussetzung identischer Bedeutungen verschiedener Ausdrücke in ihrer Berechtigung vom Zweck abhängig macht, zu dem Sprache jeweils gebraucht wird. Er konstruiert von dieser Voraussetzung her keinen allgemeinen Begriff ,der‘ Sprache, so als hätte dieses Wort nur eine Bedeutung. Was Sprache ist, bleibt für Hamann unbestimmt. Es bleibt mithin auch die Frage ihrer Bedeutung für die menschliche Erkenntnis offen. Der „Reichtum |12| aller menschlichen Erkenntnis beruhet“ nach Hamann dementsprechend auch nicht auf ,der‘ Sprache, sondern „auf dem Wortwechsel“ (N II, 129), in dem Sprache sich nicht nur inhaltlich, sondern, wie wir gesehen haben, bis in den jeweils beanspruchten Begriff von ihr verändern kann. Von daher versteht sich auch die „Unwissenheit des Gelehrten in den
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Tiefen der Sprache“ (N II, 130), und deshalb ist es unmöglich, die Sprache im Hinblick auf einen bestimmten Begriff, den man abstrahiert hat, verbessern zu wollen. „Die Fehler ..., welche man den Sprachen aufbürdet, rühren immer von der Untüchtigkeit eines Autors oder Komponisten her, in der Wahl seiner Materie und in der Art selbige zu behandeln“ (N II, 135). „Die Reinigkeit einer Sprache entzieht ihrem Reichthum; eine gar zu gefesselte Richtigkeit, ihrer Stärke und Mannheit“ (N II, 136). Man könnte von einer sprachlichen Unschärferelation sprechen: der Blick auf ihren Reichtum läßt den Aspekt der Richtigkeit außer acht oder vernachlässigt ihn zumindest, und umgekehrt. In seiner Zeit aber sieht Hamann den Aspekt der Reinheit und Richtigkeit vorherrschen, und gegen den Sprachbegriff, der aus diesem Zeitgeist resultiert, richtet er seine „Aesthetica in nuce“ (N II, 195–217). Von seinem Sprachdenken her kann er sich immer nur gegen die einseitige Hervorkehrung eines Sprachbegriffs wenden, aber keinen eigenen aufstellen wollen, ebensowenig wie einen bestimmten Begriff vom Menschen, aus dem dann, wie bei Herder, die Sprache in ihrem „Ursprung“ zu bestimmen wäre. Der Mensch hat „die Unsichtbarkeit“ „mit Gott gemein“. Aber er ist in seiner Sichtbarkeit Gottes „Bild“. Das äußere „Schema“ seines Leibes ist nur ein „Zeigefinger des verborgenen Menschen in uns“. Darüber hinaus wird der Mensch nur im Reden sichtbar („Rede, daß ich Dich sehe“), in dem er die Sprache, im Gegensatz zu dem festen Schema seines Leibes, individuell gestaltet. Die Schöpfung als Offenbarung Gottes ist „eine Rede an die Kreatur durch die Kreatur“, ein Sicheinlassen auf den anderen in seiner Andersheit und damit, wie alles Reden, „übersetzen – aus einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heißt, Gedanken in Worte, Sachen in Namen, Bilder in Zeichen“ (N II, 198f.). Es ist für Hamann eminent wichtig, daß er sich auf einen Gottesbegriff beziehen kann, nach dem Gott von Anfang an seine Gedanken äußert, d. h. in Worte übersetzt, indem er sie an eine andere Person richtet. Der Mensch ist, als Geschöpf, zugleich eine von Gott verschiedene Person, weil sich die Idee oder der bloße Gedanke Gottes, den Menschen zu schaffen, im geäußerten Wort verändert, und somit schuf er ihn in „Göttlicher Gestalt“, d. h. ebenfalls als unsichtbar. Er hat die Freiheit, sich selbst von sich aus produktiv, also poetisch zu offenbaren und zu sagen, was er sei. Er ist das, als was er sich in seiner Sprachhandlung darstellt. Diese Freiheit hat der Mensch ursprünglich oder von seinem Anfang an auch im Bezug auf das Verständnis seiner Sprache. Sie ist nicht ohne weiteres Bezeichnung von Sachen. Auch dazu muß sie erst in ihrem Gebrauch im jeweiligen Sprechen gemacht werden. Im Reden wird die Vorstellung der Sprache als Bild oder Abbild von Sachen ebenfalls übersetzt. „Bilder“ werden in „Zeichen“ übersetzt, die „poetisch oder kyriologisch, historisch, oder symbolisch oder hieroglyphisch – und philosophisch oder
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charakteristisch sein können“ (N II, 199). Wer spricht, nimmt die Sprache in diesen verschiedenen Weisen, die Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem vorauszusetzen, in Gebrauch. Der Ansatz Freges, nach dem ein bedeutender Satz einen auf einen vorgegebenen Gegenstand bezogenen Eigennamen haben soll, wäre demnach nur eine der Weisen des Gebrauchs von Sprache, die dem Men|13|schen alle freigestellt sind, indem ihm die Sprache gegeben ist: Denn daß die Sprache dem Menschen gegeben sei, heißt, daß er darüber verfügen könne, einschließlich des Begriffs, den er sich von ihr macht und der dann den Gebrauch bestimmt. „Das Buch der Schöpfung enthält Exempel allgemeiner Begriffe, die GOTT der Kreatur durch die Kreatur ... durch Menschen dem Menschen hat offenbaren wollen“. Daß Gott die Gestaltung der Ontologie sozusagen dem Menschen nicht vorschreibt, sondern ihm selbst überläßt, ist für Hamann zugleich „ein Beweis der herrlichsten Majestät und leersten Entäußerung! Ein Wunder von solcher unendlichen Ruhe, die GOTT dem Nichts gleich macht“ (N II, 204)3. 3
|19| Diese Stelle bietet, wie die Diskussion gezeigt hat, besondere Interpretationsschwierigkeiten. Sie sei deshalb zunächst im Kontext zitiert: „Das Buch der Schöpfung enthält Exempel allgemeiner Begriffe, die GOTT der Kreatur durch die Kreatur; die Bücher des Bundes enthalten Exempel geheimer Artickel, die GOTT durch Menschen dem Menschen hat offenbaren wollen. Die Einheit des Urhebers spiegelt sich bis in dem Dialecte seiner Werke; – in allen Ein Ton von unermäslicher Höhe und Tiefe! Ein Beweiß der herrlichsten Majestät und leersten Entäußerung! Ein Wunder von solcher unendlichen Ruhe, die GOTT dem Nichts gleich macht, daß man sein Daseyn aus Gewissen leugnen oder ein Vieh seyn muß: aber zugleich von solcher unendlichen Kraft, die Alles in Allen erfüllt, daß man sich vor seiner innigsten Zuthätigkeit nicht zu retten weiß! –“ Die Parallelisierung des ,Buchs der Natur‘ mit der Bibel als Quellen der Mitteilung Gottes an die Menschen ist ein geläufiger Topos. Wenn Hamann schreibt, die Natur enthalte „Exempel allgemeiner Begriffe“, so wendet er sich einerseits gegen eine Naturauffassung, nach der ,Universalien‘ etwas der Natur gegenüber Fremdes, Äußerliches oder nur ,subjektiv‘ an sie Herangetragenes seien. Sie enthält schon als Schöpfung, also prinzipiell diese „Exempel“. Auf der anderen Seite gehört aber die sich mitteilende „Kreatur“ und damit die Subjektivität selbst zu dieser Schöpfung. Offenbarung durch die Natur geschieht dadurch, daß sich in ihr Kreaturen gegenseitig etwas mitteilen. Der ontologische Universalienbegriff erhält somit eine ihn erst realisierende kommunikative Deutung. Die Natur ist erst mit der Vollendung ihrer Schöpfung in sich gegenseitig etwas mitteilenden Kreaturen an ihr selbst begrifflich. – Ebenso spricht Gott in der Schrift zu den Menschen, indem Menschen zueinander sprechen. Er als „Urheber“ und Autor „spiegelt“ sich in der Sprache bzw. in den vielen Sprachen, in denen sich Menschen in einer sich jeweils auf die Individualität und Subjektivität der anderen einlassenden (dialektischen) Weise etwas zu sagen vermögen. Seine „Einheit“ wird in dieser regionalen und historischen Vielfältigkeit gelingender Kommunikation erfahren. – Insofern ist in allen „Dialekten“ dieser Art „Ein Ton“ als „Beweis“ Gottes als des „Urhebers“ dieses Gelingens der Sprache über regionale, historische und letztlich individuelle
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Hier vereinigen sich Hamanns Theologie, Anthropologie und Sprachauffassung. Wenn es im „Ritter von Rosenkreuz“ heißt, „jede Erscheinung der Natur“ sei „ein Wort“ gewesen als „Zeichen, Sinnbild und Unterpfand Verschiedenheiten hinweg. Gott entäußert sich vollkommen in diese Vielheit von Sprachen, zu denen die Menschen in der Äußerung gegenüber anderen Menschen jeweils finden und die somit ebensogut göttlichen Ursprungs wie menschliche ,Erfindungen‘ sind. Insofern macht Gott sich „dem Nichts gleich“, d. h. er offenbart sich ohne Vorbehalt auf diese Weise, in der menschliche Individualität gerechtfertigt ist und nicht mehr als das Nichtseinsollende gegenüber den „allgemeinen Begriffen“ verstanden werden muß. Der „Beweis“ des „Daseins“ Gottes koinzidiert also mit seinem Begriff als dieses „Nichts“, d. h. seiner vorbehaltlosen Hingabe zur Rechtfertigung des individuellen Menschen. Er ist nur in dieser „Entäußerung“ da; man „muß“ sein „Dasein“ in der Vorstellung eines sich nicht hingebenden substantiellen ,Restbestandes‘ „leugnen“ oder „ein Vieh sein“, d. h., wie diese Anspielung auf Ps. 73, 22 besagt, man ist „ein Narr“, der „nichts“ weiß und „nichts“ begriffen hat. Gottes „Zuthätigkeit“ gegenüber den Menschen besteht in nichts als in dieser Gewährung der Freiheit der Menschen, von sich aus sie selbst zu sein. Sie kommt nicht als etwas Äußeres auf ihn zu, sondern ist damit „innigste Zuthätigkeit“, vor der der einzelne Mensch sich folglich ebensowenig wie vor sich selbst „zu retten weiß“. Sie liegt in der Gewährung der je eigenen geschichtlichen Individualität. – Der Mensch ist in seiner je eigenen (aposteriorischen) ,Befindlichkeit‘ Bedingung für vorkommende „Exempel“ „allgemeiner Begriffe“, und es sind nicht umgekehrt ,vorgegebene‘ allgemeine Begriffe, die ihn in seiner Sprachfindung (a priori) bedingten. – Dieselbe Sprachauffassung spiegelt sich in Hamanns Kritik an dem Kantischen apriorischen Gegensatz zwischen apriorischen und aposteriorischen Begriffen. Deshalb scheint mir auch die Interpretation nicht zutreffend zu sein, daß Hamann hier auf eine Schuld des Menschen anspiele, derzufolge die Natur als Schöpfung nicht erkennbar und Gott in die Ferne gerückt sei, so daß man sich andererseits wegen des Abbruchs eines kommunikativen Verhältnisses zu ihm vor seiner nunmehr bedrohlichen „Zuthätigkeit“ nicht retten könne. Im Gegenteil: Hamann spricht an einer früheren Stelle der „Aesthetica“, an der auch schon von einer „Rede an die Kreatur durch die Kreatur“ gehandelt wird, von einem „Wunsch“ (N II, 198), der durch die Schöpfung als diese Rede „erfüllt“ worden sei, und in diesem Zusammenhang heißt |20| es sogar: „Die Schuld mag aber liegen, woran sie will, (außer oder in uns): wir haben an der Natur nichts als Turbatverse und disiecti membra poetae zu unserem Gebrauch übrig“. Die Frage nach der Ursache der Schuld wird also ausdrücklich beiseite gelassen. Sie tritt hinter die Rechtfertigung des Menschen zurück: Die Natur als Offenbarung spiegelt sich für uns nur in der Brechung dialektischer Kommunikation zwischen den Kreaturen, und die „Einheit des Urhebers“ zeigt sich, wenn es gelingt, die „Turbatverse“ und „disiecti membra“ zu „sammeln“, „auszulegen“ oder „in Geschick zu bringen“ (N II, 199), d. h. in einem gelingenden Zusammenhang menschlicher Kommunikation in Wissenschaft, Philosophie und Dichtung zu beleben. Nur in der (analytischen) Auslegung oder (synthetischen) Zusammenfügung für sich abstrakter oder toter Vorstellungen, nur im sich zum anderen hinwendenden und auf ihn einlassenden Sprechen über sie wird die Natur selbst zum Sprechen belebt, so wie auch ,die‘ Sprache nur in ihrem produktiven kommunikativen Gebrauch von der Vorstellung einer Ansammlung abstrakter Wörter zum etwas besagenden oder bedeutenden Wort belebt wird. „Reden“,
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einer neuen, geheimen und unaussprechlichen, aber desto innigern Vereinigung, Mitteilung und Gemeinschaft göttlicher Energien und Ideen“ (N III, 32), so ist damit ausgedrückt, daß die Dinge nicht dem Menschen in ihrer Natur oder in ihrem eigenen Wesen so vorgegeben gewesen seien, daß er sie nur noch aufzufassen hätte in reiner sinnlicher Rezeptivität, um sie dann in einer festen Relation zwischen Sache und Zeichen zu benennen. Sie waren für den Menschen von Gott her von Anfang an ein Wort, das er von sich aus und so, wie es für ihn von Bedeutung war, verstehen und mit anderen Wörtern verknüpfen konnte. Nur so kann er nach Hamann Partner der „Mitteilung und Gemeinschaft göttlicher Energien und Ideen“ sein. Zum Menschen brachte Gott die anderen Geschöpfe, die Tiere, „daß er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch sie nennen würde, so sollten sie heißen“ (N II, 206). „Diese Analogie des Menschen zum Schöpfer ertheilt allen Kreaturen ihr Gehalt und ihr Gepräge“, und „Treue und Glauben in der ganzen Natur“ sind damit dem Menschen anheimgegeben (N II, 206f.). Die „Abstraktion“, gegen die Hamann sich wendet, weil sie die Sprache auf die Zuordnung von sinnlichen Zeichen zu vorgegebenen ,Allgemeinbegriffen‘ als deren festen Bedeutungen vor jedem Gebrauch reduziert, kann so nur als Schändung der Natur und zugleich als Unterdrückung und Lästerung des Namens des Schöpfers verstanden werden (vgl. N II, 207). „Jede Gegenwirkung des Menschen in die Kreatur“ ist dagegen „Brief und Siegel von unserem Anteil an der göttlichen Natur“ (ebd.). Ebenso ist der freie, poetische Gebrauch der Sprache der Gebrauch, der ihrer göttlichen Einrichtung entspricht. Es ist vor allem festzuhalten, daß auch das Verständnis der Sprache als feste Relation zwischen Zeichen und Bedeutung, die eine Realität von Universalien voraussetzt, eine der Möglichkeiten ist, die aus dieser Freiheit heraus bestehen, ebensogut wie der metaphorische Sprachgebrauch. Hamann wendet sich lediglich gegen die einseitige Festlegung des Gebrauchs der Sprache schon vom philosophischen Sprachbegriff her. Man könnte den Satz Wittgensteins anführen, daß es viele Weisen gebe, die Sprache zu gebrauchen. Aber Hamann läßt, anders als Wittgenstein, auch den philosophischen Gebrauch zu. Ihm kommt es nicht auf Verbote bestimmter Gebrauchsweisen an, sondern auf die Offenheit für die „Leidenschaften“ oder den „Affekt“, „mit einer besonderen Richtung“ die Sprache sich anzueignen und damit aus der Abstraktion zu befreien, indem „wir die allgemeinsten Fälle durch eine persönliche Anwendung uns zuzueignen |14| wissen“ (208f.). so fügt Hamann unmittelbar im Anschluß an diese Stelle hinzu, ist immer und als solches „Übersetzen“ in den historisch bedingten „Dialekt“ einer „Menschensprache“, mit aller Unbestimmtheit, die solchem Übersetzen mangels vorgegebener Maßstäbe eigen ist.
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„Jede individuelle Wahrheit wächst zur Grundfläche eines Plans“. Aus ihr heraus entstehen ontologische Entwürfe in der Folge von Sprachphilosophien. Vom Individuellen gibt es schon nach Aristoteles keine Ideen und folglich keine Wissenschaft. Nach Hamann ist es aber der Grund aller wissenschaftlichen „Entwürfe“, die Allgemeinbegriffe als Bedeutungen sinnlicher Sprachzeichen in einer Analogiesetzung zwischen einer postulierten logischen Deutlichkeit der Begriffe und der sinnlichen Deutlichkeit diakritischer Zeichen voraussetzen. Hamann verweist auf den letztlich individuellen und deshalb auch nicht ins Bewußtsein zu hebenden Entwurfscharakter dieser Voraussetzung. Wenn er von den „Morgenländern“ spricht, bis zu denen man historisch zurückgehen solle, um an die Quellen der Kultur zu gelangen, statt bei den „Griechen und Römern“ willkürlich stehenzubleiben, dann soll das auf das Unauslotbare und Unflektierbare der Kultur bzw. der Lebensform verweisen, innerhalb derer sich auch der vorherrschende Begriff vom Wesen der Sprache ergibt (vgl. 209). Wir sind nach Hamann in einer sprachlichen Welt, in der sich historische und individuelle Verstehensentwürfe immer schon ausdifferenziert haben und im Gespräch zwischen Individuen immer noch weiter ausdifferenzieren.
III. Es ist an der Zeit zu versuchen, von hier aus die Relation zur gegenwärtigen Sprachphilosophie wieder herzustellen. Sie geht von einem Begriff von Sprache aus, und wenn dieser Begriff zwischen verschiedenen Ausrichtungen auch umstritten sein mag, so deutet gerade dies darauf hin, daß doch ein möglichst deutlicher Begriff von Sprache angestrebt wird, um ihn der Analyse und Kritik zugrunde legen zu können, etwa als formal rekonstruierte oder als ,normale‘ Sprache gegenüber einem verstiegenen ,metaphysischen‘ Sprachgebrauch. Gerade diese Idee ist aber metaphysisch im strengeren Sinn. Seit Aristoteles besteht die Vorstellung, daß eine endliche Zahl von Namen eine unendliche Zahl von Sachen bezeichnen müsse, und daß die Bedeutung der Namen infolgedessen in einer bestimmten Möglichkeit zu bestehen habe, sie auf Gegenstände zu beziehen (Soph. El. 165 a, 11ff.). Diese Möglichkeit soll zugleich bestimmt sein, da sie ja, wie man in moderner Ausdrucksweise sagen würde, die Klasse von Gegenständen bestimmen soll, die man so benennen kann; sie soll aber auch in sich unendlich sein, da sie sich auf alle Gegenstände dieser Klasse oder Art erstrecken soll, ohne daß in ihr schon ausgemacht wäre, wieviel Gegenstände dieser Art es empirisch gibt. Dies setzt voraus, daß es eine solche Bedeutungsbestimmtheit im Unterschied zu dem Sein der empirischen Einzeldinge real gibt und daß
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man sich im Sprechen darauf ausgerichtet weiß. Jeder individuelle Sprecher und jeder Hörer müßten darin a priori übereinstimmen. Der metaphysische Glaube an die Wahrheit dieser Voraussetzung ist so tief in unserem Denken verwurzelt, daß wir uns ohne sie Verständigung nicht als möglich denken können. Deshalb bestimmt er ganz unreflektiert auch noch die Sprachphilosophie der Gegenwart wie ein Grunddogma. Nietzsche hatte wohl als erster den unserer Sprachauffassung zugrundeliegenden „Glauben“ an eine bestimmte „Grammatik“ mit der Logik und diese wieder mit einem „Glauben an identische Dinge“ zusammengebracht, all dies zusammen aber mit einem bestimmten Gottesbegriff, demzufolge der göttliche Nous als Inbegriff der identi|15|schen Bestimmung der Dinge als das, was sie von ihnen selbst her seien, gedacht war4. Der menschliche Verstand verhält sich diesem Grundansatz nach zum göttlichen Nous im Sinne einer ,Teilhabe‘ an ihm, soweit er sich von den chaotischen Erscheinungen der Sinnlichkeit ablösen kann und insofern ,frei‘ ist. Hamann scheint mir nun der erste gewesen zu sein, der einen anderen Gottesbegriff mit der Sprachreflexion zusammenbringt. Der Gott der Metaphysik, der die Dinge denkt als das, was sie an ihnen selbst sind, ist ein einsamer Gott. Er ist Maß aller Dinge, der seienden, daß sie sind, und der nichtseienden, daß sie nicht sind. Für Hamann offenbart sich Gott dagegen in einer „Rede an 4
|20| Vgl. J. Simon, Grammatik und Wahrheit. Über das Verhältnis Nietzsches zur spekulativen Satzgrammatik der metaphysischen Tradition, in: Nietzsche-Studien, Bd. I, 1 und in: Nietzsche, hg. v. J. Salaquarda, Darmstadt 1980 [vgl. im vorliegenden Band S. 57-86]. – Auch J. Derrida sieht, wohl nicht unabhängig von Nietzsche, einen Zusammenhang zwischen einem bestimmten Sprachdenken und theologischen Vorstellungen. „L’époque du signe est essentiellement théologique. Elle ne finira peut-être jamais. Sa clôture historique est pourtant dessinée“ (De la grammatologie, Paris 1967, 25). Für Derrida ist die Sprache ursprünglich „une espèce de l’écriture“ (18). Die erste Schrift ist nach ihm, wie bei Hamann (N II, 197), ein gemaltes Bild („une image peinte“, 401). Erst die lineare, zeitlich vorbeigleitende und darüber hinaus sich nur im geschichtlichen Wandel perspektivisch darbietende, sich also niemals als System von wechselseitig aufeinander bezogenen Elementen gleichzeitig repräsentierende Lautsprache erwecke die Vorstellung des (einzelnen) Wortes als eines sich auf etwas anderes, Systemtranszendentes beziehenden Zeichens, das seine Bedeutung außerhalb habe. Als Bezug auf dermaßen Abwesendes sei das Zeichen immer Zeichen des Sündenfalls („de la chute“), und „l’absence a toujours rapport á l’éloignement de Dieu“ (401). Wie bei Hamann werden also Sprachdenken und theologisches Denken im Zusammenhang gesehen, aber im Unterschied zu Hamann wird hier dem Ursprung der Sprache und damit auch dem theologischen Denken etwas dem Wesen nach Früheres vorausgesetzt, und Sprache wie theologisches Denken sollen dadurch zugleich relativiert werden. – Es wäre ein Thema für sich, Hamanns Sprachdenken, auch in philosophiehistorischer Hinsicht, mit solchen ,nachstrukturalistischen‘ Positionen zu konfrontieren, die ihrerseits zum Teil ihre Gesichtspunkte in Auseinandersetzung mit der Sprachphilosophie des 18. Jahrhunderts, vor allem der Idee einer „grammaire générale“ entwickeln.
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die Kreatur durch die Kreatur“. Der Mensch ,hat‘ nicht Begriffe, an denen er teilhätte, weil sie ihm vorgegeben sind, und an die er sich erinnerte, „als wenn unser Lernen ein bloßes Erinnern wäre“ (209). Er ,ist‘ vielmehr in seiner für ihn selbst und für andere undurchdringlichen Individualität selbst der freie Grund der Begriffe, die er hat. Er hat sie durch die Art und Weise, wie er selbst Sprache hört und in Gebrauch nimmt, und von da aus entsteht überhaupt erst ein Feld von Bedeutungen, von dem aus gesagt werden kann, welchen etwas Existierendes entspricht und welchen nicht. Gott verhält sich von Anfang an sprachlich, d. h. er ist im „Wort“ da, das seiner Natur nach frei aufgefaßt werden kann. Er „entäußert“ sich darin bis zum „Nichts“. „Das Zeugnis JESU ist also der Geist der Weissagung, und das erste Zeichen, womit er die Majestät seiner Knechtsgestalt offenbart, verwandelt die heiligen Bundesbücher“, also die die Wahrheit von Gott her fixierenden Satzungen, „in alten guten Wein, der das Urteil der Speisemeister hintergeht, und den schwachen Magen der Kunstrichter stärkt“ (212). Dieser Wein wird verzehrt, und er stärkt gerade durch dieses sein Aufgehobensein. Die Rede Gottes ist zugleich eine Rede, in der er sich „aus dem Othem geredt hatte“ und „erschöpft“ (213). Reden ist immer Übersetzen in die Vorstellungswelt eines anderen, ein Sich-hinwegnehmen gegenüber der Freiheit des anderen, die so erst möglich wird. Das Entscheidende ist, daß das Andersverstehen für Hamann also nicht nur eine Schwäche des menschlichen sprachlichen Verhaltens ist. Ihm steht kein demgegenüber ,idealer‘ Sprachbegriff eines göttlichen Logos mehr gegenüber, in dem identisches Verstehen garantiert und der das nachzuahmende Vorbild wäre. Gerade die Hinwegnahme dieses Vorbildes macht Sprache, so wie sie ist, erst möglich, denn dadurch werden göttliche Energien auch im Menschen frei. Die Kreativität des menschlichen Sprechens wird gerechtfertigt. Diese vom Gottesbegriff her geschehende Rechtfertigung kann als der eigentliche ‚Sprachbegriff‘ Hamanns angesehen werden. Von ihm aus wird auch der ,göttliche Ursprung der Sprache‘ gegen Herder verteidigt. Der ,göttliche Ursprung‘ ist, in einer „coincidentia oppositorum“, gerade der Ursprung in der menschlichen ‚Leidenschaft‘, d. h. in der Individualität des jeweiligen Sprechers oder Hörers, insofern sie nicht auf einen allgemeinen Begriff vom wahren oder richtigen sprachlichen Verhalten nach einem vorausgesetzten Sprachbegriff gebracht werden kann. Die Opposita sind göttlicher Nous auf der einen und menschliche „Sinne und Leidenschaften“ auf der anderen Seite5. Der Hauptkritikpunkt an Herder ist demgemäß die Kritik 5
|20| Im Unterschied zum Gottesbegriff in der aristotelischen Tradition ist Gott für Hamann nicht reiner Nous; die Ebenbildlichkeit bezieht sich auch auf Leidenschaften und Affekte. Das ist für das Hamannsche Verständnis sprachlichen Geschehens ebenso entscheidend wie für seine Theologie. Der Koinzidenz von „Besonnenheit“
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an Herders These vom Ursprung der Sprache aus menschlicher Besonnenheit. Hamann erkennt die metaphysische Verwurzelung der Herderschen Hypothese, wenn er von einem „platonischen“ Denken bei Herder spricht. Die Kritik an Herder könnte auch |16| als vorweggenommene Auseinandersetzung mit der Sprachphilosophie der Gegenwart verstanden werden, die für Hamann ebenso platonisch wäre. Auch sie ist ja auf einen Begriff von Sprache vor allem wirklichen Sprechen als Handlung zwischen einzelnen empirischen Menschen aus, auch dann, wenn sie, wie z. B. in der Sprechakttheorie, Sprache als Handlung versteht, d. h., mit einem Begriff von Handlung verbindet. Sie ist vor allem darauf aus, den Sprachvorgang erklären, d. h. in Begriffe fassen zu können. Hamann will nun auf eine rationale Theorie von der Sprache nicht aus einer obskuren Vorliebe für das Irrationale verzichten. Er sieht vielmehr, daß auch das sogenannte ,metasprachliche‘ Reden über Sprache eine Sprachhandlung ist, die als solche nicht davon abhängt, daß man sich wiederum über den richtigen Begriff von Sprache verständigt, sondern davon, daß diese Verständigung zwischen verschiedenen Individuen bei aller Verschiedenheit dennoch gelingt, weil das, was der eine anführt, auch dem anderen von dessen eigener individueller „Lage“ und Stimmung her ,etwas‘ bedeutet, ohne daß immer wieder nach einem Kriterium für die überindividuelle Identität solcher ,Bedeutung‘ gefragt werden könnte. Dieses Gelingen selbst ist ,ohne Begriff‘ und deshalb, da es doch verbindet, im Kantischen Sinne nicht logisch, sondern ästhetisch. In ihm liegt aber das erste sprachliche Prinzip, wenn es erlaubt ist, sich so paradox auszudrücken. Um es auf eine Formel zu bringen: Sprachliches Verhalten ist nach Hamann nicht hinreichend von einer vorgegebenen Sprachtheorie her zu erklären. Vielmehr liegt gelingendes sprachliches Verhalten aller Konstruktion von Sprachtheorien zugrunde, welche es auch sein mögen.
IV. Man könnte folglich sagen, das Hamannsche Sprachdenken sei um einen Schritt konsequenter als das gegenwärtige, das immer noch um der Theorie willen bei irgendwelchen axiomatischen Voraussetzungen stehenbleibt, die aber selbst schon eine bestimmte theoretische Absicht oder „ein Gemüth und Leidenschaft im Menschen, d. h. der niemals „vollkommenen“ menschlichen Intellektualität muß im Begriff gelingender Kommunikation auch auf der Seite Gottes eine affektvolle Zuwendung zu der menschlichen Unvollkommenheit entsprechen. Insofern ist Sprechen für Hamann immer ein interindividueller Prozeß, der niemals nur von der Vermittlung „allgemeiner“ Bedeutungen her verstanden werden kann.
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im Affect mit einer besonderen Richtung“ gesetzt hat (N II, 208), die anderen ebenfalls aus deren eigener Perspektive zweckmäßig erschien zur Bestimmung von Sprache und die deshalb ,allgemein‘ akzeptiert wurde. Hamann reflektiert das Historische aller solcher Grundannahmen einschließlich der Grundannahmen vom Wesen der Sprache. Er kritisiert deshalb die Verabsolutierung des „Stehenbleibens“ bei irgendwelchen Voraussetzungen zum Zwecke der Erklärung, z. B. bei den „Griechen und Römern“ und deren metaphysischem Welt- und Sprachbild. Es gibt nun allerdings in der Gegenwart auch Ansätze, die Hamanns Auffassung näherkommen. Hier ist vor allem Quines These von einer wesentlichen „Unbestimmtheit der Übersetzung“ zu nennen. Nach ihr läßt sich keine gleiche Bedeutung verschiedener Zeichen, und seien sie auch nur ,ästhetisch‘ durch den Zeitpunkt ihrer Aussprache oder durch ihre Stelle in einem Text verschieden, identifizieren. Sie läßt sich nur voraussetzen, und diese Voraussetzung kann sich, analog zu naturwissenschaftlichen Hypothesen, bewähren oder nicht. Sie bewährt sich nicht, wenn es im Verlaufe des Sprachgebrauchs zu Widersprüchen kommt, wenn man an ihr festhält, d. h. wenn sich zeigt, daß den angeblich gleichen Begriffen sich widersprechende Merkmale zugeschrieben werden. Im allgemeinen wird das als eine resignierende Einsicht eines Logikers angesehen. |17| Aber sie führt doch näher an die sprachliche Wirklichkeit heran. Nach Quine können „systematische Überlegungen“ „uns nicht nur dazu nötigen, gewisse Gegenstände zu verwerfen und so gewisse Terme zu nicht referentiellen zu erklären, sondern auch dazu, gewisse Vorkommnisse von Termen zu nicht referentiellen zu erklären, während andere Vorkommnisse nach wie vor über etwas sprechen“ (Ontological Relativity and Other Essays, 1969; deutsch: Ontologische Relativität und andere Schriften, Stuttgart 1975, 29). Quine schreibt dies im Zusammenhang mit der Reflexion über die Realität von Eigenschaften, genauer: der universalen Begriffe von Eigenschaften, nach denen man Dinge Klassen zuordnen könnte. „Eigenschaften werden postuliert, ohne daß ein Schlüssel dafür mitgeliefert wird, unter welchen Umständen man sagen könnte, sie seien gleich oder verschieden. Dies ist widersinnig. Bedenken wir doch, daß es ja nicht von vornherein zu erkennen ist, wie ein Term gebraucht wird und wie (dadurch) Gegenstände postuliert werden, wenn sie nicht“ in eine ,metasprachliche‘ „Rede von Gleichheit und Verschiedenheit eingeschlossen sind“. Quine empfiehlt deshalb, „die Identität für sie zu regeln“ (31). Es ist natürlich offenkundig, daß diese Regelung nicht immer wieder auf einer nächsthöheren ,Metasprache‘ geschehen kann, sondern daß, wenn man sich so ausdrücken darf, die ,höchste Metasprache‘ ein Sprachgebrauch zwischen Individuen ist, deren Verstehenshintergründe – Hamann spricht von der jeweiligen „Lage“ eines Volkes oder auch eines einzelnen Menschen in einer bestimmten
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Situation – durchaus verschieden sein können. Jedenfalls wird man auf dieser ,höchsten‘ Ebene, die bei Hamann für den höchsten Punkt eines divinatorischen Verstehens in einer „coincidentia oppositorum“ besteht, kein Kriterium für Identität mehr festlegen können. Die ,höchste Metasprache‘ ist also weder für Hamann noch für Quine die sogenannte ,Umgangssprache‘. Zu deren Bestimmung als bestimmte ,langue‘ durch Identifizierung ,ihrer‘ Regeln und Wörter müßte man schon wieder auf eine andere ,Metasprache‘ zurückgreifen können, deren Identität als Sprache gegenüber ihrer energetischen Ver-änderung im Gebrauch zwischen Individuen man stillschweigend voraussetzen müßte. Das ,Letzte und Höchste‘ muß vielmehr die Unbestimmtheit der Übersetzung bleiben, die für alles Sprechen und nicht nur für die Übersetzung von einer Sprache in die andere gilt. Die Identität solcher Sprachen war ja gerade das Problem, wenn unter ,Sprache‘ ,etwas‘ verstanden wird, mit dessen Hilfe identisches Sichverstehen möglich sein soll. Die Vorstellung einer Sprache als ,Ergon‘ erweist sich innerhalb dieser Überlegungen als theoretisches Konstrukt aus hypothetisch angesetzten Regeln zum Zwecke einer nachträglichen Ordnung des schon Gesprochenen6. Wie für Quine muß von daher auch für Hamann die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen und damit auch die zwischen apriorischen und aposteriorischen Begriffen und Urteilen problematisch werden. Das ist der Kern der Hamannschen Kantkritik. Das analytische Urteil soll deutlich machen, was implizit im Begriffe des Satzsubjektes schon enthalten gewesen bzw. gedacht gewesen sein soll. Dabei ist natürlich entscheidend, ,was‘ ein Term im Sinne eines konkreten „Vorkommnisses“ alles mitbedeuten soll, d. h. worin die Identität der Bedeutung bestehen soll. Was für den Sprechenden als bloß analytische Begriffsverdeutlichung erscheint, kann nach den Reflexionen Hamanns und Quines durchaus für den Hörenden als ungeahnte, aufschlußreiche Mitteilung eines Sachverhaltes erscheinen. D. h. wenn im Verständnis des ersteren nur über die Sprache gesprochen wird, kann im Verständnis des letzteren |18| von außersprachlichen Sachverhalten die Rede sein. Das jeweilige Verständnis, das auch beim Hörer produktiv und keinesfalls nur rezeptiv sein kann, zieht die Grenze zwischen apriorischen, rein sprachimmanenten Beziehungen zwischen Begriffen und deren Merkmalen auf der einen und der außersprachlichen und in diesem Sinne dann aposteriorischen Realität auf der anderen 6
|20| Zur Weiterentwicklung dieser Überlegungen im Anschluß an Quine, die inzwischen bis zur These von der Aufhebung der analytischen Philosophie und entsprechender Sprachauffassungen geführt hat, sei hier auf das Buch von R. Rorty, Philosophy and the Mirror of Nature, Princeton 1979, verwiesen. Vgl. die Rezension dieses Buches durch den Vf. in der Philosophischen Rundschau, Heft 1/2, 1981, 100.
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Seite. Es ergibt sich von dieser fließenden Grenzziehung her eine wesentliche „ontologische Relativität“ (Quine). Ich zitiere in diesem Zusammenhang noch einmal einen zentralen Satz Hamanns aus der „Aesthetica in nuce“: „Diese Analogie des Menschen zum Schöpfer erteilt allen Kreaturen ihr Gehalt und ihr Gepräge, von dem Treue und Glauben in der ganzen Natur abhängt“ (N II, 206f.). Man muß mit einem Vergleich zwischen Hamann und modernen sprachphilosophischen Positionen natürlich vorsichtig sein. Die modernen Positionen, wie z. B. die Quines, kommen erst von grundsätzlichen Schwierigkeiten mit ihren im Grunde metaphysischen, nicht aber als solche bewußten und reflektierten Postulaten (wie ,Gleichheit von Bedeutung‘ gegenüber dem verschiedenen Vorkommen von Zeichen) aus zu ihren Einsichten. Hamann nimmt einen ganz anderen Ausgangspunkt. Er setzt dem metaphysischen Gottesbegriff und damit auch dem Begriff eines „archetypischen“ Verstandes, dem gegenüber der menschliche Verstand nur der unvollkommene „Ektypus“ sein soll, den christlichen Gottesbegriff entgegen, der schon im Prinzip als „Mitteilung“ an andere, in ihrer Andersheit freie Personen und dadurch auch selbst erst als Person gedacht ist. Dieser Gott teilt sich nicht nur mit, sondern ist Mitteilung bis zur vollständigen „Entäußerung“, bis zum „Tod“ (II, 214) eines noch irgendwie anders vorgestellten „Herrn“. Die Analogie der menschlichen Sprache zur göttlichen besteht demnach auch nicht mehr darin, daß die menschliche ein unvollkommener Abglanz der idealen Sprache reiner Vernunft sei, sondern darin, daß der Mensch wie Gott frei darin ist, die Sprache von seiner Kondition her zu verstehen und zu gebrauchen. Insofern kommt Hamann natürlich nicht in die Aporien, die die Philosophie vom im Grunde unsprachlichen Ansatz bei der Voraussetzung reiner Bedeutungen und der Möglichkeit ungebrochener Übersetzung zwischen Sprachen und Personen her kennzeichnen. Er betont solchen Problemen gegenüber immer wieder seine häusliche Ruhe.
Inkarnation der Sprache (Griechischer Logos – Kantische Vernunft – Hegelscher Absoluter Geist) I. |233| Während die meisten Grundbegriffe der Theologie, wie z. B. auch der theologische Begriff des „Logos“, aus der Philosophie stammen, ist der Begriff der Inkarnation umgekehrt aus der Theologie in die Philosophie gekommen. Nach dem Prolog des Johannesevangeliums ist das Wort „Fleisch“ geworden; „oÇ lógov sárx e¬géneto“ (verbum caro factum est), „um der Menschen willen“, wie erläuternd hinzugefügt wurde1. Es ist also ein LogosBegriff vorausgesetzt, nach dem der Logos selbst fleischlos sei, und da es sich bei der Inkarnation um ein göttliches Geschehen handeln soll, wird die philosophische Voraussetzung eines „reinen“ und damit zeitlosen Logos theologisch „aufgehoben“. Sie wird zum „bloßen“ Gedanken einer besonderen, geschichtlichen Philosophie herabgesetzt. Aber diese Aufhebung bleibt als bestimmte Negation gleichwohl seiner Voraussetzung verhaftet. Mit ihr wird die Theologie, die zuvor schon, als philosophische Theologie, ein Gegenstand der Philosophie gewesen war, „christologisch“. Sie entzieht sich damit der Spekulation und Nachkonstruktion in den Begriffen dieser allgemeinen Philosophie, der der Begriff einer „Inkarnation“ des Absoluten bis dahin fremd gewesen war. Das heißt aber nicht, daß die Philosophie durch diese theologische Umwandlung des Logos-Begriffs unberührt geblieben wäre. Indem die Inkarnation damit zur „Glaubenssache“ wurde, tangierte sie den vorgegebenen „reinen“ Begriff von Philosophie: Die Philosophie des „reinen“ Logos wurde für die Glaubenden zu einer historischen, „bloß“ philosophischen Position, deren absoluter Anspruch im Glauben überwunden sei. Der |234| Philosophie wurde die dienende Funktion einer Stützung und Apologie des Glaubens zugewiesen, die sie doch niemals wirklich erfüllen könne. Damit wurde der Gegensatz zwischen der die Wahrheit des Glaubens an die Inkarnation voraussetzenden Theologie und dem dadurch in seiner Absolutheit in Frage gestellten Logos offenkundig. Er durchzieht seitdem das christliche Verhältnis zur Philosophie. Soweit die Philosophie überhaupt 1
Irenaeus, Adv. Haer. I, 9, 3. Hg. v. Harvey, 1, 84.
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noch einen universalen Anspruch erheben wollte, mußte sie zwar weiterhin „rein“ logisch verfahren, um voraussetzungslos, d. h. in „reiner“ Vernunft nachvollziehbar zu sein. Aber gerade das „logozentrische“ Selbstverständnis der europäischen Philosophie seit den Griechen machte sie für den Glauben „prinzipiell“ zum Problem. Die Glaubenden sahen sich „in dieser Welt“ aufgefordert, ihren Glauben „logisch“ zu verstehen, wenn sie ihn in seiner Besonderheit und Positivität gegenüber anderen als die „höhere“ Wahrheit darstellen wollten. Es stellte sich die (hermeneutische) Frage, wie die sich im Glauben statt in „reiner“ Vernunft darstellende Wahrheit dennoch allgemein, d. h. auch gegenüber dem Unglauben, darzustellen und inwieweit diese Darstellung gegenüber dem eigenen Glauben zu rechtfertigen sei. Der theologische Topos der „Inkarnation“ läßt das Absolute in seiner Einzelheit erscheinen, so daß sich „reiner“ Vernunft die Frage stellt, woran man erkennen könne, daß dieser Einzelne „das Absolute“ sei und „die Wahrheit“ nicht nur sage, sondern lebe, so daß der „Weg“ zur Wahrheit die Nachfolge dieses „Lebens“ sei. Die inkarnierte „Wahrheit“ ist nicht mehr die Wahrheit von Aussagen, insofern sie in einem logisch geformten Zusammenhang dargestellt werden, sondern des Gesagten im Kontext dieses Lebens, das sich in seiner Individualität dem Logos der Begriffe und der Aussagen entzieht. Sie offenbart sich dementsprechend jedem einzelnen nur in der praktischen Nachfolge. Für die Philosophie bedeutete dies, wenn sie es verstehen und philosophisch darstellen wollte, ein Umdenken im Wahrheitsbegriff selbst. Sie hätte demgemäß „Wahrheit“ als ein Ereignis innerhalb bestimmter Lebenskontexte zu verstehen, in denen das, was einer aus seiner Sicht sagt, anderen, so wie sie es aus ihrer eigenen Sicht heraus verstehen können, „etwas“ bedeutet. Der „Gegenstand“ der wahren Aussage wäre dabei als „etwas“ gedacht, das sich in einem solchen interpersonalen Geschehen herstellt. Er ist dann nicht mehr der „Gegenstand“ aus einer (universalen) Sicht. Der Begriff einer Sicht als der wahren stellt sich nun vielmehr in seiner inneren Widersprüchlichkeit dar: Eine „Sicht“ ist nur dadurch eine „Sicht“, daß sie sich von einer anderen Sicht unterscheidet und sich selbst als „inkarnierte“ Sicht versteht, als eine Sicht aus einem „Standpunkt“ in der Welt, den der eigene Leib sinnlich bezeichnet. In diesem Verständnis ist „das Logische“ wesentlich das aus einem Standpunkt in der Welt einem anderen Standpunkt in derselben Welt Mitgeteilte und über diese Differenz hinweg Verstandene. Es ist ein Zeichen, das sich dem Verstehen aus anderen Lebenszusammenhängen sinnlich darstellt und sich diesem anders bedingten Verstehen „hingibt“. Mit dem Christentum wurde dieser auf die Persönlichkeit und die Differenz der Personen bezogene Wahrheitsbegriff in das Selbstverständnis des Menschen |235| aufgenommen, und es wurde versucht, einen dementsprechenden Wahrheitsbegriff mit dem traditionellen Begriff einer allumgreifenden Wahrheit zu vermitteln.
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Damit ging es, „um der Menschen willen“, darum, „die Wahrheit“ als eine über die persönlichen Differenzen des „In-der-WeIt-seins“ hinweg mitteilbare Wahrheit verstehen zu können, nachdem die Entfernung des Menschen aus dem reinen Logos als eine Folge der Schuld und diese Schuld als die des Anspruchs auf ein unbedingtes Wissen (um „gut“ und „böse“) gedacht worden war2. Anselms Verständnis der Inkarnation geht demgemäß davon aus, daß allein Christus die Schuld der Menschen aufheben könne, da nur er Gott und Mensch, Subjekt und Objekt dieser Aufhebung zugleich sei. Damit ist, zunächst in theologischer Sprache, ein Sprach- und Vermittlungsproblem thematisiert. Es führt zu der Frage, ob Gott, von der LogosPhilosophie als absolute und dem Sein in der Welt enthobene Vollkommenheit gedacht, sich selbst zum Menschen machen und die historisch entwickelte und in ihrer jeweiligen Besonderheit beschränkte Sprache der Menschen „sprechen“ könne, in der sie sich unter den Bedingungen ihres „In-der-Welt-seins“ und damit aus einer beschränkten Übersicht jeweils zu orientieren und zu verständigen suchen. Er müßte sich dazu in die „Gestalt“ eines in seinem Bewußtsein beschränkten Individuums herablassen, eines Individuums, das „rein logisch“ gesehen in seiner Existenz unterhalb des untersten Begriffs „ineffabile“ und nur noch deiktisch-sinnlich zu bezeichnen ist. Der in seinem griechischen Verständnis „ewige“ Logos wäre mit diesem Bedenken der Individualität im Verstehen an seine absolute Grenze geführt. Die Antwort auf diese Frage, die mit dem christlichen Glauben in die Welt gekommen war, lautete zunächst, daß die Inkarnation überhaupt nicht „logisch“ zu verstehen und damit auch kein Gegenstand des logisch strukturierten „Wissens“ sei. Sie sei Sache des sich davon unterscheidenden Glaubens und dessen „Geheimnis“, und als „Glaubenssache“ sei sie nicht als Erniedrigung Gottes zu glauben, sondern umgekehrt als eine Erhöhung des Menschen („natura hominis creditur exaltata“)3. Dieser sich von einem allgemeinen Wissen abtrennende Glaube führt zu einem Gottesbegriff, demgemäß Gott tatsächlich – wie es auch immer zu verstehen sei und eigentlich gegen alles mögliche Verstehen – Mensch geworden, also über unseren Begriff von ihm als vollkommenes Wesen hinaus etwas geworden sei: einer von uns und wie wir sinnlich begrenzt durch Raum und Zeit, und nicht mehr wie nach griechisch-philosophischem Verständnis als ein Mensch, der rein als solcher ohnehin den Logos „habe“ bzw. an ihm „teilhabe“. Er hat als ein individueller Mensch „unter uns gewohnt“ (habitavit in nobis), „und wir sahen seine Herrlichkeit“ (tæn dóxan au¬toû; gloriam eius). Die Inkarnation ist die selbst gesehene, aber nicht begriffene Voraus2 3
Vgl. Gen. 3, 4-7. Anselm, Cur Deus homo, I, 8.
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setzung |236| für dieses Sehenkönnen. In ihr hat Gott sich als sinnliches statt rein logisches Wesen geoffenbart. Daß der Logos in diesem individuellen Sinn „Fleisch (sárx; caro) geworden“ ist und „unter uns gewohnt“ hat, gibt zu verstehen, daß er nicht nur im Fleisch „erschienen“, sondern als er selbst zu sehen war4. Nicht mehr ein Begreifen des Menschen von sich aus durch „Teilhabe“ an einem allumfassenden göttlichen Logos, sondern dieses Gesehenhaben ist nunmehr als der Ort der Wahrheit verstanden. Im Sichsehenlassen zeigt sich die Wahrheit. Sie zeigt sich dem Menschen in einer Herrlichkeit, die den Begriff übersteigt. In diesem „Wort“ war „das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen“.
II. Erst die neuere Philosophie versuchte die „Inkarnation“ des Logos auf dem Wege einer grundsätzlichen Transformation des antiken Logosbegriffs philosophisch zu verstehen: Gerade weil sie sich nicht mehr in der Lage sah, „den Menschen“ durch die geglaubte Teilhabe an einer „höheren“ Wahrheit auf „dem“ Weg zur Wahrheit zu sehen und sich stattdessen eine eigene menschliche und dennoch „universale Methode“ zur Wahrheitsfindung vorzugeben suchte, sah sie sich genötigt, „das Wort“ a priori als „Menschensprache“ aufzufassen, d. h. als eine Sprache, für die die sinnlichen Zeichen und das Andersverstehen dieser Zeichen je nach der „Lage“ oder der „Befindlichkeit“ des Verstehenden in der Welt charakteristisch ist. Schon Descartes’ Ansatz beim „cogito“ ist nicht mehr ein Ansatz bei einem allumfassenden Denken, sondern beim je eigenen, individuellen Denken, mit dessen momentanem Vollzug sich für ihn – bei allem Zweifel an dessen inhaltlicher Wahrheit – unmittelbar die Gewißheit des je eigenen Seins, aber auch nur diese Gewißheit unmittelbar ergebe. Doch auch sie ist bei Descartes begrenzt. Ich habe sie nur, „solange ich denke“ (quandiu cogito)5, und die Zeit, die ich mir zum Denken nehmen kann, ist, als die Lebenszeit eines sterblichen Wesens, wesentlich eine beschränkte Zeit. Ich denke zwar, wenn ich über mich selbst nachdenke, daß ich „doch wohl ein Mensch“ bin. Aber auf die Frage, was „ein Mensch“ sei, kann ich nicht mehr unbeschränkt sagen, er habe den Logos und sei ein „vernünftiges, lebendes Wesen“ (animal rationale). „Denn dann müßte man ja hernach fragen, was ein ‚lebendes Wesen‘ und was ‚vernünftig‘“ sei, und so geriete man „aus einer Frage in 4 5
Nach G . Schiwy, Weg ins Neue Testament, Würzburg 1960, II, 26, betont der Evangelist damit die wahre Menschwerdung über einen bloßen „Doketismus“ hinaus. Descartes, Meditationes, II, 6.
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mehrere und noch schwierigere“. Aber man hat „nicht soviel Zeit“ (nec jam mihi tantum otii est), daß man sie „mit derartigen Spitzfindigkeiten vergeuden möchte“6. |237| Mit dem Verzicht auf die spekulative Klärung metaphysischer, ontotheologischer Voraussetzungen angesichts begrenzter Lebenszeit bietet sich der Reflexion der folgende Begriff der „Möglichkeit“ einer Erkenntnis aus beschränkter Übersicht an: Als rational versteht sich nunmehr die Methode, die auf „notwendige Verbindungen“ (conjunctiones necessariae) als auf Propositionen zurückgreift, an denen wir nicht zweifeln können, auch wenn sich dieses Nichtkönnen gerade unserer Beschränkung verdanken mag. Mit Hilfe der Einbildungskraft (imaginatio vel phantasia), die als „wirklicher Teil des Körpers“7 ein individuelles Vermögen ist, können wir die gegebenen, ernsthaften Probleme des Lebens („de iis omnibus quae occurrunt“)8 so in Teile zerlegen, daß die Teilschritte für uns unbezweifelbare und damit für uns notwendige Verbindungen darstellen9. Man soll sich demnach nur mit solchen Gegenständen beschäftigen, „zu deren zuverlässiger und unzweifelhafter Erkenntnis unsere Erkenntniskraft offenbar ausreicht“10. Auch der „ontologische Gottesbeweis“ in den „Meditationes“ wird nun gemäß dieser Methode vorgestellt, aber als ein Beweisstück in dem umfassenderen Beweis, daß wir nicht getäuscht werden, wenn wir nur unserer eigenen Erkenntniskraft folgen.
III. Die neuere Philosophie hält an diesem Rekurs auf die eigene, wenn auch beschränkte Erkenntniskraft grundsätzlich fest. „Denken“ ist nach Kant „ohne Beschränkung des Subjects“ überhaupt nicht mehr als „möglich“ zu denken. Er verabschiedet endgültig den „vornehmen Ton“ in der Philosophie, der für sich beansprucht, aus einer höheren Übersicht heraus zu urteilen11. Die Einsicht in die Beschränkung des Denkens wird zum Denkprinzip. Sie wird nun als das prinzipielle Angewiesensein des Denkens auf sinnliche „Anschauungen“ bzw., wenn es überhaupt noch um die Möglichkeit apriorischer Erkenntnis gehen soll, als Bezug des Denkens auf Raum und Zeit 6 7 8 9 10 11
Ebd., II, 5. Decartes, Regulae ad directionem ingenii, XII, 8. Ebd., Regel I. Ebd., Regel V. Ebd., Regel II. Kant, Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, AA VIII, 400 Anm.
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als die reinen Formen der sinnlichen Anschauung dargestellt. Die Verbindung zwischen „Anschauung“ und „Denken“, die unser „endliches“ Denken charakterisiert, sieht Kant in der „Einbildungskraft“ als einem individuellen Talent, genauer gesagt in der „Urteilskraft“ als einer „in ihrer Freiheit“ für den Verstand und seine „Gesetzmäßigkeit“ zweckmäßigen „Einbildungskraft“12. |238| Die als solche freie Einbildungskraft ist nun, soweit sie sich einem ernsthaften Erkenntnisinteresse als einem wirklichen Lebensinteresse unterordnet, als der Ursprung aller „Grundsätze“ des Verstandes, d. h. aller Rationalität vorausgesetzt. Kant bezeichnet die „Analytik der Grundsätze“ deshalb auch als eine „Doktrin“ oder einen „Kanon für die Urteilskraft“, „der sie lehrt, die Verstandesbegriffe, welche die Bedingungen zu Regeln a priori enthalten, auf Erscheinungen anzuwenden“13. Da Kant, wenn er von unserer menschlichen, durch den jeweiligen „Standpunkt“ des „ich denke“ beschränkten Erkenntnis spricht, davon ausgeht, daß „Gedanken“ ohne (angeschauten) „Inhalt“ „leer“ und „Anschauungen“ ohne (gedachte) „Begriffe“ „blind“ seien, ist es für uns „ebenso notwendig“, unsere „Begriffe sinnlich zu machen, (d. i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen), als […] Anschauungen sich verständlich zu machen (d. i. sie unter Begriffe zu bringen)“14. Das Kantische „ich denke“ ist der „Standpunkt“ des jeweiligen Gebrauchs der Begriffe, so daß man „einen jeden Begriff als einen Punkt ansehen“ kann, „der, als der Standpunkt eines Zuschauers, seinen Horizont hat“15. Deshalb ist der „Versuch“, den man mit den „Gründen“ seines eigenen Fürwahrhaltens „an anderer Verstand macht, ob sie auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung tun, als auf die unsrigen“, ein Mittel, „die bloße Privatgültigkeit des Urteils […] zu entdecken“16. Der andere ist hier schon der einzelne andere, mit dem man es – in ästhetischer Differenz zu dessen anderem „Standpunkt“ – wirklich zu tun hat, und nicht „der“ andere „überhaupt“. Das Prinzip der notwendigen Versinnlichung unserer Begriffe, die ihre Bedeutung nicht im Bezug auf ihnen vorgegebene Anschauungen erhalten, bestimmt nun umgekehrt Kants philosophischen Begriff der Religion. Demgemäß entspricht die Religion der Notwendigkeit der Versinnlichung moralischer Begriffe, die als praktische Begriffe an sich nicht auf Anschauungen bezogen sein können. „Religion zu haben“ ist nach Kant wegen der Notwendigkeit der Versinnlichung des Praktischen eine moralische „Pflicht des 12 13 14 15 16
Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, AA V, 319. Kant, Kritik der reinen Vernunft (2. Aufl.), B 171. Ebd., B 75. Ebd., B 686. Hervorhebung v. Vf. Ebd., B 849.
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Menschen gegen sich selbst“17. In seiner Philosophie der „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ spricht er von der „personificirten Idee des guten Princips“18. Da nach Kant das Gute kein Gegenstand möglicher Erfahrung und damit auch nicht als eine Erkenntnis „in uns“ sein kann, die sich in apophantischen Sätzen ausdrücken ließe, kann es nur als etwas Gesolltes, als „kategorischer Imperativ“ „in uns“ sein. Es kann sich nicht im Menschen und erst recht nicht in einem bestimmten Menschen erfahren lassen, und „sichere Beispiele“19 für das Gute unter |239| Menschen lassen sich nicht finden. Denn unter der Voraussetzung individueller menschlicher Freiheit bedeutet das Vernehmen des moralischen Gesetzes nicht, daß es befolgt wird. „Eben darum aber, weil wir“ von der Idee einer moralischen Vollkommenheit „nicht die Urheber sind, sondern sie in dem Menschen Platz genommen hat, ohne daß wir begreifen, wie die menschliche Natur für sie auch nur habe empfänglich sein können, kann man besser sagen: daß jenes Urbild vom Himmel zu uns herabgekommen sei, daß es die Menschheit angenommen habe (denn es ist nicht eben sowohl möglich, sich vorzustellen, wie der von Natur böse Mensch [d. h. der Mensch, insofern er Natur und nicht Vernunft ist, J. S.] das Böse von selbst ablege und sich zum Ideal der Heiligkeit erhebe, als daß das Letztere die Menschheit (die für sich nicht böse ist) annehme und sich zu ihr herablasse)“20. Wir vernehmen das Gute „in uns“ als einen Imperativ der reinen praktischen Vernunft. Deshalb können wir dieses Vernehmen auch nicht von irgend etwas anderem her erklären. Wir können die reine Vernunft nicht als ein natürliches Faktum in uns, sondern nur als ein uns und unserer Natur vorgegebenes „Faktum“ begreifen, d. h. als den Imperativ, vernünftig zu sein; und eben diese Unerklärlichkeit der Vernunft von etwas anderem her, das dann nicht „Vernunft“ sein dürfte, läßt uns besser sagen, „daß jenes Urbild vom Himmel zu uns herabgekommen“ und ein einzelner Mensch geworden sei, in dem als in einem einzelnen sich „die Menschheit“ in der Person eines jeden Menschen anschauen ließe, als daß wir sagen wollten, daß wir uns aus eigener Kraft zu diesem Ideal erhoben hätten. Diese Art der Versinnlichung entspricht dem „Faktum“ der „Unbegreiflichkeit“ des Sittengesetzes bzw. dem der Vernunft selbst „besser“; sie ist ihm angemessen. Kant spricht hier von einer Versinnlichung des Ideals in einem einzelnen, anschaubaren Menschen. Die Menschwerdung der Idee ist ästhetisch (und damit „Glaubenssache“) in dem Sinne, in dem Kant „dasjenige an 17 18 19 20
Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 443f. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 60. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 406. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 61.
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einem Gegenstande der Sinne, was selbst nicht Erscheinung ist“, d. h. nicht unter Begriffe des Verstandes gefaßt werden kann, generell „intelligibel“ nennt21. Die „Personifizierung“ des sittlichen Ideals ist eine ästhetische Symbolisierung im Kantischen Sinn dieses Begriffs. Wenn er das Schöne „Symbol des Sittlich-Guten“ nennt22, bedeutet dies, daß etwas dann „schön“ zu nennen sei, wenn sich in ihm „das Gute“ sinnlich darstellt. Das ist der Fall, wenn etwas sich mir als etwas „außer mir“ in seiner inneren „Zweckmäßigkeit“ – ohne Bezug auf einen von ihm verschiedenen, äußeren Zweck, der es zum |240| Mittel machte – symbolisiert23. In dieser Freiheit von Zweckgesichtspunkten, die ich (subjektiv) mir vorstellen und an es herantragen könnte, ist das Schöne von dem (mir) Angenehmen absolut unterschieden. In einer angemessenen ästhetischen Symbolisierung „mache“ ich mir also nicht etwas für meine Zwecke anschaulich. Das ist schon dadurch ausgeschlossen, daß diese bestimmte Art der Versinnlichung der Idee als „besser“ als die entgegengesetzte verstanden wird und die Pflicht zur (veranschaulichenden) Religion immer noch von der Unbegreiflichkeit des Sittengesetzes „in uns“, d. h. von seiner unmittelbaren oder reinen Vernünftigkeit geleitet ist. Daß die Personifizierung von Gott ausgehe, ist zwar selbst keine Erfahrung, die auf unmittelbarer Anschauung beruhte, aber es ist in reiner Vernunft denkbar (also nicht unmöglich) und im Interesse reiner praktischer Vernunft „besser“ als die umgekehrte Annahme, daß der Mensch „sich zum Ideal der Heiligkeit erhebe“. Es ist zwar kein Gegenstand möglichen Wissens, aber doch eines möglichen Glaubens (als eines subjektiv, d. h. für die Orientierung im Leben hinreichend begründeten Fürwahrhaltens)24, und der Glaube ist nach Kant als solcher „jederzeit etwas ästhetisches“25. Von dieser Möglichkeit der Veranschaulichung der Idee Gottes, die an sich ein Postulat der reinen praktischen Vernunft und damit „wesentlich“ nicht anschaulich ist, macht nach Kant das Christentum Gebrauch, wenn es „anschaulich“ von der Menschwerdung Gottes und dem „Sehen“ seiner „Herrlichkeit“ (tæn dóxan au¬toû) spricht und damit dem menschlichen Bedürfnis nach Veranschaulichung entspricht. Diese Veranschaulichung ist also nichts anderes als eine konkrete Erfüllung der Pflicht des Menschen, der nicht reines Vernunftwesen ist, „Religion zu haben“. Den „Übergang“ zur 21 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 566. 22 Kant, Kritik der Urteilskraft, AA V, 353. – In der Metaphysik der Sitten (AA VI, 443) nennt Kant in demselben Zusammenhang, in dem er „Religion zu haben“ als „Pflicht des Menschen gegen sich selbst“ bezeichnet (444), einen „Hang zum bloßen Zerstören“ angesichts „des Schönen, obgleich Leblosen in der Natur“ ebenfalls eine Verletzung „der Pflicht des Menschen gegen sich selbst“. 23 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, AA V, 236. 24 Vgl. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 63. 25 Kant, Nachlaßreflexion 2467.
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positiven Religion könnte man, analog zu den „metaphysischen Anfangsgründen“ der Naturwissenschaft und der Rechts- und Tugendlehre, als den Rekurs auf „metaphysische Anfangsgründe“ der Religionslehre bezeichnen, als „Übergang“ zu einer „Doktrin“, zu der nach Kant dann auch die Vorstellung der „Einwohnung des bösen Princips neben dem guten“ gehört26. Am Beispiel des Begriffs des „radikal Bösen“ läßt sich der „Übergang“ von der allgemeinen moralischen Verpflichtung, Religion zu haben, zu einer besonderen positiven Religionslehre besonders gut verdeutlichen. Dieser Begriff aus der Religionsschrift, nach dem der Mensch „von Natur böse“ ist, hat in Kants moral-philosophischen Schriften noch keinen Platz. Er hat deshalb der Kantrezeption große Schwierigkeiten bereitet. Aber er wird verständlich, wenn man die Notwendigkeit eines („doktrinalen“) Übergangs von der reinen praktischen Vernunft zu einer anschaulichen Religionslehre bedenkt. Mit der „Kritik der Urteilskraft“ wollte Kant sein „ganzes kriti|241|sches Geschäft“ beenden und „ungesäumt zum doctrinalen schreiten“27, als dem eigentlichen Zweck der Kritik. Daß der Mensch „von Natur böse“ sei, gehört, als „Doktrin“, schon zur Religionslehre und weist über die Zusammenhänge einer reinen praktischen Philosophie hinaus. Der Begriff eines radikal Bösen im Menschen setzt voraus, daß der Mensch, obwohl er sich „des moralischen Gesetzes bewußt“ ist, „die (gelegentliche) Abweichung von demselben in seine Maxime aufgenommen“ hat, und deshalb nicht nur aus „Neigung“ von ihm abweicht. Maximen müssen „der Freiheit wegen für sich als zufällig angesehen werden“. Man „hat“ sie z. B. durch kulturelle Tradition und Erziehung übernommen oder sich durch seine eigene Lebenserfahrung gebildet. In jedem Fall hat man sie unter Bedingungen eines endlichen Lebens erworben, die die Übersicht über das ganze Leben beschränken. Deshalb kann der Begriff von einem „radicalen“ oder „angebornen Bösen“ im Menschen sich „mit der Allgemeinheit dieses Bösen […] nicht zusammen reimen“, „wenn nicht der subjective oberste Grund aller Maximen mit der Menschheit selbst, es sei wodurch es wolle, verwebt und darin gleichsam gewurzelt ist“28. Daß diese Voraussetzung erfüllt (bzw. „Faktum“) sei, ist eine (zusätzliche) Annahme der Religionsphilosophie, für die es aus reiner praktischer Vernunft keinen Grund, sondern nur einen Gegengrund gibt: Reine Vernunft besagt, daß jeder Wille, der „nicht böse“ ist, „schlechterdings gut“ ist, d. h. jeder Wille, der sich keine Maximen bildet, die nicht zugleich als allgemeine Gesetze möglich (denkbar) sind29. Ein freier, von (unvernünftigen) „Neigun26 27 28 29
Vgl. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 15. Kant, Kritik der Urteilskraft, AA V, 170. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 32. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 437.
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gen“ nicht bestimmter Wille ist vernünftig und damit auch gut. Während Kant in der praktischen Philosophie nachhaltig betont, daß es für solch einen reinen und deshalb guten Willen über seinen Begriff hinaus „keine sicheren Beispiele“ geben könne, meint er in der Religionsphilosophie, wenn er dort vom Bösen spricht, den Menschen, „wie man ihn durch Erfahrung kennt“. „Daß nun ein solcher verderbter Hang im Menschen gewurzelt sein müsse, darüber können wir uns bei der Menge schreiender Beispiele, welche uns die Erfahrung an den Thaten der Menschen vor Augen stellt, den förmlichen Beweis ersparen“30. Wir befinden uns mit diesem Rekurs auf Erfahrung nicht mehr auf dem Gebiet einer reinen praktischen Vernunft. Gemäß reiner Vernunft ist das Böse nur negativ als Nichtbefolgen des Sittengesetzes zu verstehen, das als gebietendes „Faktum“ unmittelbar mit dem „Faktum der Vernunft“ selbst in jedem ist. Mit dem Rekurs auf die Erfahrung des Bösen befinden wir uns bereits im anschaulichen Bild eines Kampfes „des guten Princips mit dem bösen um die Herrschaft über den Menschen“31. Die Erfahrung von „etwas“ als gut oder als böse setzt „abgesonderte“ Begriffe des Guten und des Bösen |242| als positive Begriffe auf derselben Begriffsebene voraus, nun aber als an sich empirische Begriffe, die die Handlungen, als „Erscheinungen“ der Freiheit32, in gute und böse Handlungen spezifizieren. Aus reiner Vernunft gibt es keinen Übergang zu solch einer Voraussetzung, aber er ist aus Gründen der Kritik reiner Vernunft als für uns als Sinnenwesen notwendiger Übergang gefordert. Der Feind ist hier nicht mehr „in den natürlichen, bloß undisciplinirten, sich aber unverhohlen jedermanns Bewußtsein offen darstellenden Neigungen zu suchen, sondern ein gleichsam unsichtbarer, sich hinter Vernunft verbergender Feind und darum desto gefährlicher“33. Das „Schreiende“ der sich auf Erfahrung beziehenden „Beispiele“ für Böses übertönt die Kritik, nach der es kein sicheres Beispiel für das Gute und deshalb auch nicht für das Böse geben kann. Die Erfahrung gibt Beispiele für Böses, insofern sie subjektiv als solche angesehen werden. Zwar „bedarf“ die Moral „zum Behuf ihrer selbst (sowohl objectiv, was das Wollen, als subjectiv, was das Können betrifft)“ nach Kant „keineswegs der Religion“34, aber sie führt dennoch „unumgänglich zur Religion, wodurch sie sich zur Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers 30 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 32f. 31 Ebd., 57ff. 32 Vgl. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, AA VIII, 17. 33 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 57. Hervorhebung v. Vf. 34 Ebd., 3.
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außer dem Menschen erweitert, in dessen Willen dasjenige Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein kann und soll“35. Damit führt die Moral über ihr eigenes Gebiet und über das hinaus, was sie „zum Behuf ihrer selbst“ braucht. Der genannte Gesetzgeber („außer dem Menschen“) wäre der Machthaber in einem universalen „Reich der Zwecke“36 im Kampf gegen eine andere, diesem Reich entgegenwirkende Macht. Die Moral, verstanden als Befolgung des moralischen Gesetzes „in uns“, erweitert sich in diesem Bild zum Gehorsam gegenüber solch einem personifizierten Gesetzgeber „außer uns“, der seinerseits das Prinzip des Bösen als ein eigenes Prinzip „außer sich“ oder sich gegenüber hat. Im Unterschied zur Moral, in der nur das Gute „Prinzip“ ist, wird in diesem Bild auch das Böse zum Prinzip: Die Macht des Gesetzgebers hat das Böse „in uns“ zum Widerpart, und somit gehört es zur Religion als einer Erweiterung der Moral. Die Religion geht von „Erfahrungen“ (des Bösen) aus, die nach einem sich auf Naturgegenstände beziehenden Erfahrungsbegriff nicht möglich sind. Der religiös gebotene Gehorsam gegenüber einem „äußeren“ Gesetzgeber bindet den Menschen an das gute Prinzip, das gegen das Böse „kämpft“ – so wie es in den „schreienden“ Beispielen erfahren wird, die die Frage nach Bedingungen ihrer Möglichkeit übertönen – und das es in |243| der Idee der „Stiftung eines Reichs Gottes auf Erden“ „besiegt“37. Im Bund mit dem allmächtigen Prinzip des Guten kann der Mensch im Kampf gegen seine eigenen „Neigungen“ zuversichtlich sein. Daß wir uns die Vorstellung solch eines Kampfes machen und sie in unserer Einbildungskraft in ein Bild bringen, ist als eine veranschaulichende „Anthropologisierung“ für uns als Vernunft- und Sinnenwesen sittlich geboten und in diesem Sinne unbedingt notwendig, wenn wir unsere sittliche Vervollkommnung als „Pflicht gegen uns selbst“ wollen. Auch für die Erfüllung dieser sittlichen Pflicht kann es keine sicheren Beispiele geben. Ihre Befolgung führt aber notwendig zu dem Begriff Gottes als einer Existenz „außer uns“: Das „Außer-uns“ bedeutet einen notwendig ästhetischen Unterschied zu uns unterhalb des uns jeweils möglichen untersten Begriffs, d. h. außerhalb unserer Begriffe von „Gott“ und „dem“ Menschen. Während aber nach Kant im Erkennen schon die ästhetische „Verschiedenheit der Örter“ einer „Erscheinung zu gleicher Zeit ein genugsamer Grund der numerischen Verschiedenheit des Gegenstandes (der Sinne) selbst“38 und das 35 Ebd., 6. Hervorhebung v. Vf. 36 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 433. 37 Vgl. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 2. und 3. Stück, AA VI, 57ff. 38 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 263.
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„außer uns“ der Anschauung sogar das entscheidende Argument für die „Widerlegung des Idealismus“ und für die Erkennbarkeit der Welt ist39, steht die Veranschaulichung des sittlichen Gebots für eine Glaubenssache der Religion „innerhalb“ der Grenzen „bloßer“ Vernunft. Die bloße Vernunft gebietet, Religion zu haben und damit ihr eigenes Gebiet zu überschreiten.
IV. Auch nach Hegel ist die Religion die Vorstellung des Absoluten. Unter „Vorstellung“ versteht Hegel generell „die erinnerte Anschauung“ als „die Mitte zwischen dem unmittelbaren Bestimmt-sich-finden der Intelligenz“ und „derselben in ihrer Freiheit, dem Denken“40. Sie ist die Mitte zwischen gegebener „Anschauung“ und spontanem „Denken“, in der sich die menschliche Intelligenz wesentlich befindet. Als „erinnerte“ Anschauung hat sie die unmittelbare Anschauung hinter sich oder in der Form der Vergangenheit. Die „Erinnerung“ der Anschauung „setzt“ sie „in ihren eigenen Raum und ihre eigene Zeit“, und dadurch wird sie zum (eingebildeten) „Bild“, das als solches „nicht mehr die vollständige Bestimmtheit“ der Anschauung hat und insofern „willkürlich oder zufällig“ ist41. Die |244| Menschwerdung Gottes wird in der christlichen Religion in einer „Erinnerung“ vorgestellt, die sich nicht mehr durch Wiederholung der unmittelbaren Anschauung Gottes als eines Menschen „unter uns“ bestätigen kann. Hegel sieht in der Menschwerdung ein „wesentliches Moment“ aller Religionen, das aber erst im Christentum vollkommen zu Ende gedacht sei. Insofern ist das Christentum für ihn „absolute Religion“. Die „Erscheinung des Absoluten“ bildet aber auch den Mittelpunkt seiner Philosophie. Deren „Logik“ beruht darauf, daß „das Wesen“, wie es im Logos gedacht ist, „erscheinen“42, d. h. in Positivität übergehen muß, damit in einer menschlichen Sprache von ihm überhaupt die Rede sein kann. Anders als bei Kant geht hier aber nicht nur die Philosophie der Moral (über die moralische Verpflichtung zur Religion) in Religion über; vielmehr wird umgekehrt die Religion in der Philosophie „aufgehoben“. Im Gedanken der Menschwerdung, in dem es zur „Erinnerung“ an eine historische Person wird, hat das Absolute nach Hegel „erst sein höchstes Wesen erreicht“43. Indem es Mensch 39 40 41 42
Vgl. ebd., B 274ff. Hegel, Enzyklopädie von 1830, § 451. Ebd., § 452. Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik, II, Sämtliche Werke, hg. v. H. Glockner (SW), 4, 597; GW 11, 323. 43 Hegel, Phänomenologie des Geistes, SW 2, 578; GW 9, 406.
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geworden ist, ist es geworden, was es als Logos in Ewigkeit gewesen war44, und zwar nun nicht mehr nur als ästhetisches Symbol des Sittlich-Guten, sondern als individueller Mensch „unter uns“ mit allen Bedingungen des menschlichen Lebens bis hin zum Tod. Darin hat sich das menschliche „Selbstbewußtsein“ erst vollendet. Der Tod Christi wird zum entscheidenden Punkt. Mit ihm beginnt für Hegel „die Umkehrung des Bewußtseyns“45. „Einer Seits ist es der natürliche Tod, durch Ungerechtigkeit, Haß und Gewaltsamkeit bewirkt; aber es ist“ – durch die „Auffassung dieses Todes“ in der Erinnerung an ihn – „schon fest in den Herzen, Gemüthern, daß es sich nicht handelt um Moralität überhaupt, um Denken und Wollen des Subjects in sich und aus sich, sondern das Interesse ist ein unendliches“, durch keinen gemeinsamen Begriff mehr bestimmtes „Verhältniß zu Gott“46, und damit ist „der natürliche Tod“ überwunden. In dieser „Erinnerung“ ist der Tod Christi als Tod Gottes begriffen. Er bedeutet in ihr, daß Gott ohne jeden Rückhalt bis zum Tode und zwar bis zu einem ungerechten Tod am Kreuz, Mensch geworden ist47. Die Kantische Unterscheidung zwischen einem reinen Begriff des Guten und einer „schreienden“ Erfahrung des Bösen ist im Hegelschen Begriff vom Begriff „aufgehoben“. Die Philosophie hebt diese Positivität der christlichen Religion in sich auf, indem sie das Verstehen aus dem Horizont der jeweiligen Befindlichkeit und |245| damit die ihrerseits nicht wieder auf Begriffe zu bringende ästhetische Differenz im Verstehen in die Logik des Absoluten aufnimmt: Der Gedanke des Absoluten vollendet sich erst in dessen absoluter Einzelheit oder Individualität, d. h. in der Anschauung des Absoluten in einem Verhältnis einzelner Personen zueinander; in der Hegelschen „Wissenschaft der Logik“ ist – in einer Weiterführung der Kantischen Auffassung der Begriffe als „Standpunkte“ – „ich“ der einzig wahre Begriff: „Ich habe wohl Begriffe, das heißt, bestimmte Begriffe; aber Ich ist der reine Begriff selbst“, d. h. der „Begriff“, der selbst nicht wieder durch einen ihm „übergeordneten“ Begriff bestimmbar ist. „Ich“ ist der Begriff, „der als Begriff zum Daseyn gekommen ist“. Als daseiender Inbegriff aller Begriffe, die es „hat“, ist „Ich“ als Begriff „Allgemeinheit“. Aber es ist „ebenso unmittelbar als die sich auf sich selbst beziehende Negativität Einzelnheit, absolutes Bestimmtseyn, welches sich Anderem gegenüberstellt, und es ausschließt; 44 Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik, II SW 4, 481: „Die Sprache hat im Zeitwort Sein das Wesen in der vergangenen Zeit „gewesen“ behalten; denn das Wesen ist das vergangene, aber zeitlos vergangene Sein“; vgl. GW 11, 241. 45 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, SW 16, 295. 46 Ebd., 296. 47 Vgl. ebd., 298.
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individuelle Persönlichkeit“48. Dementsprechend ist auch die „absolute Idee“ der Hegelschen Philosophie, als „der vernünftige Begriff “, „Persönlichkeit“. Sie ist der Begriff, „der als Person undurchdringliche, atome Subjektivität ist, – der aber ebenso sehr nicht ausschließende Einzelnheit, sondern für sich Allgemeinheit und Erkennen ist, und in seinem Andern seine eigene Objektivität zum Gegenstande hat. Alles Uebrige ist Irrthum, Trübheit, Meinung, Streben, Willkür und Vergänglichkeit; die absolute Idee allein ist Seyn, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit, und ist alle Wahrheit“49. Von dieser „Logik“ des philosophischen Absoluten her versteht Hegel nun umgekehrt die Philosophie der Religion: Nicht nur „das Gute“ war im Menschen Jesus, als der einen Ausnahme eines vollkommen guten Menschen, „da“ oder unter uns „erschienen“, sondern gerade auch die auf sich genommene, erlittene Ungerechtigkeit im menschlichen Leben unter „Gesetzen“ in dieser Welt, in der die Gesetze, selbst wenn sie als von Gott gegeben verstanden sind, von Menschen ausgelegt und auf die „Fälle“ des Lebens angewendet werden müssen. Insofern die einzelnen Menschen als „Personen“ ihre „Erinnerungen“ und entsprechend auch ihre Begriffe von etwas, einschließlich ihrer Begriffe von einem „guten“ Zusammenleben, auf ihre eigene Art „in sich“ zusammenzubringen suchen, stellt sich diese Ungerechtigkeit als eine notwendige Ungerechtigkeit dar. Damit ist ein Kantischer Gedanke weitergedacht: Da es „in“ der Welt „keine sicheren Beispiele“ für ein moralisches Handeln geben kann und die Moral, so wie sie philosophisch oder in reiner Vernunft begründbar ist, nur bis zu den Maximen der Handlungen als Willensbestimmungen, nicht aber bis zu den wirklichen Handlungen reicht und somit in ihren Verpflichtungen nur von „weiter Verbindlichkeit“ sein kann, bedarf es zur Regelung des wirklichen Zusammenlebens des (menschlichen) Rechts als einer Institution mit der |246| „Befugniß zu zwingen“50. Die Rechtsgesetze sind dadurch zwar von „enger“ Verbindlichkeit, aber sie betreffen auch nur die „äußere“ Legalität. Die „legale“ Auslegung und Anwendung der Gesetze kann deshalb dem einzelnen von seinem eigenen Verständnis der Handlung her immer auch als ungerecht erscheinen. Innerhalb der religiösen Vorstellung erscheint dieser Widerspruch darin, daß Gott zuläßt, daß sein Sohn und in ihm er selbst wegen des Vorwurfs der Gotteslästerung gekreuzigt wird. Daß die „irdische Gerechtigkeit“ das „Innere“ der Menschen nicht erreicht und deshalb als ungerecht empfunden werden kann, hatte schon Kant zugleich mit der Einsicht in die Notwendig48 Hegel, Wissenschaft der Logik, II, SW 5, 14; GW 12, 17. 49 Ebd., 327f.; GW 12, 236. 50 Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 231.
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keit des zwingenden Rechts für ein friedliches Zusammenleben der Menschen in der Welt betont. Von daher kann sich der Mensch gegenüber allen „schreienden“ Erfahrungen des Bösen, die als solche, ebenso wie „Erfahrungen“ des Guten, immer nur „Erscheinungen“ sein können, ebenso wie gegenüber seinen Erfahrungen der Gewalt der Natur „erhaben“ wissen. Er sieht sich gegenüber diesen „Erfahrungen“ mit einem allmächtigen Gesetzgeber „außer ihm“ im Bunde. Nur hat Kant diesen Gedanken noch nicht explizit mit dem Begriff der „Inkarnation“ verbunden. Immerhin hat er aber gesagt, das Recht der Menschen, so wie sie es sich in Freiheit selbst auferlegen, es auslegen und ausführen, sei der „Augapfel Gottes“ und das „Heiligste, was Gott auf Erden“ habe51. Es bewirkt, daß „die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“52. Damit ist dann auch die Befolgung des Rechts der Menschen das Heiligste, was wir von Gott auf Erden haben. Wenn Kant dennoch die Religion „innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ nur als moralische Religion versteht, hängt das mit seiner Kritik praktischer Vernunft zusammen. Er geht von dem aus, was „der Mensch“ von sich aus soll und (deshalb) auch kann. Von da aus gesehen können aber Moral und Recht auch zusammen noch nicht das wirkliche Zusammenleben der Menschen garantieren. Ein drittes muß nach Kant hinzutreten: „Wenn man nach dem subjectiven Grunde der Handlungen fragt, aus welchem […] am ersten zu erwarten ist, was der Mensch thun werde, nicht bloß nach dem objectiven, was er thun soll: so ist doch die Liebe, als freie Aufnahme des Willens eines Andern unter seine Maximen, ein unentbehrliches Ergänzungsstück der Unvollkommenheit der menschlichen Natur (zu dem, was die Vernunft durchs Gesetz vorschreibt, genöthigt werden zu müssen): denn was Einer nicht gern thut, das thut er so kärglich, auch wohl mit sophistischen Ausflüchten vom Gebot der Pflicht, daß auf diese als Triebfeder ohne den Beitritt jener nicht sehr viel zu rechnen sein möchte“53.
Diese „Liebe“ kann nicht subjektiv gefordert und auch nicht aus reiner |247| Vernunft vorausgesetzt werden. Sie muß da sein, damit Menschen als Personen mit verschiedenen „Standpunkten“ zusammen leben können. Auch nach Hegel muß das Recht von einem „daseienden“ Geist bestimmt und der Zeit entsprechend gestaltet sein. Insoweit das Recht das Zusammenleben wirklich regelt, ist dieser Geist auch da. In der Vorrede zur Rechtsphilosophie betont Hegel, daß Philosophie nichts anderes sein könne als „ihre Zeit in Gedanken erfaßt“. „Die Vernunft als die Rose im 51 Kant, Zum ewigen Frieden, AA VIII, 353 Anm. 52 Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 230. 53 Kant, Das Ende aller Dinge, AA VIII, 337f.
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Kreuze der Gegenwart zu erkennen und damit dieser sich zu erfreuen, [...] ist die Versöhnung mit der Wirklichkeit“ als „vernünftige Einsicht“54 in die Notwendigkeit eines Rechts, demgemäß niemand berechtigt ist, seine eigenen Vorstellungen vom Guten über die der anderen zu stellen, wenngleich er die der anderen auch nicht unbedingt für sich übernehmen kann. Die „Versöhnung“, von der hier die Rede ist, ist nichts anderes als die Einsicht in das „Recht“ auf eigene Vorstellungen, und d. h. schon bei Kant: auf Leben als Handeln nach eigenen Vorstellungen. Sie besteht in der gegenseitigen Anerkennung der einzelnen in ihrer „absolut in sich seyenden Einzelnheit“, in der einer den anderen „anschaut“. Der „absolute Geist“ ist „der daseyende Geist“ dieser Anerkennung, der als „daseiender“ nicht begriffen, sondern nur noch angeschaut werden kann55. Er ist insofern selbst Einzelheit.
V. Der Logos der griechischen Philosophie war zunächst als Gegensatz zum Mythos gedacht. Ihn statt des Mythos als Norm alles Wirklichen und aller Veränderung zu erfassen, bedeutet nach griechisch-philosophischem Verständnis „Wissen“. Er grenzt, als reines Denken, das Denken selbst logisch vom Irrtum des Sinnlichen und von der sprachlichen Vielfalt ausgedrückter Meinungen ab. Noch bei Platon belehrt der Philosoph die anderen nicht „von außen“, denn jeder hat gleichermaßen „dieselbe“ Wahrheit „in“ sich und bewahrt sie gegenüber seinem beschränkenden Sein „in“ der Welt. Die „Inkarnation“ der Gedanken in Sprache und Schrift, mit der sie für andere in sinnlichen Zeichen dargestellt und notwendig dem jeweils möglichen Verstehen der einzelnen überlassen werden, bleibt äußerlich gegenüber dem, was Sprache und Schrift nach dem hier vorausgesetzten Logos-Verständnis „allgemein bedeuten“ sollen. Sie entspricht darin der beschränkenden „Inkarnation“ der Seele im Leib. Dementsprechend vollzieht sich das Erkennen des Wahren durch den reinen Logos in einem „Sterbenlernen“ als einem Verlassen des Leibes56. Der Tod des Sokrates wird für Platon zum Symbol des philosophischen Lebens, aber er wird – sozusagen als „Exkarnation“ – als Gegenbewegung zur Geburt als |248| der zu überwindenden Inkarnation der Seele in den Leib verstanden. Den christlichen Gedanken der Inkarnation könnte man demnach geradezu als Gegenteil dieses griechischen Logosverständnisses ansehen. Auch wenn Aristoteles den Menschen als ein Tier definiert, das den Logos „hat“, d. h. hier: wesentlich und 54 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, SW 7, 35; GW 14.1, 15f. 55 Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, SW 2, 514; GW 9, 361. 56 Platon, Phaidon, 64 a ff.
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von „Natur“ aus (fúsei) über ihn verfügt, denkt er immer noch an eine von den sinnlichen Erscheinungen abgelöste Wesensbestimmung, die allen Menschen ohne Ansehen ihrer Individualität gemeinsam sei. Vom Individuum gibt es nach Aristoteles keinen Logos und damit auch kein Wissen. Dieser griechische Logos „wird“ im Christentum Mensch, indem Gott seinen Sohn und in ihm sich selbst der gottgewollten menschlichen Gerechtigkeit „hingibt“, die wegen ihrer Notwendigkeit für das menschliche Leben als Leben in Freiheit geheiligt ist. Dieses „Leben“ als „die höchste Darstellung der Idee in der Natur“ ist, wie Hegel sagt, „nun dieß, sich“ um der Freiheit willen „aufzuopfern“ und durch Unterwerfung unter die Gesetze der menschlichen, also individuellen Freiheit „zum Geiste zu werden“. „Der Geist ist dieß Hervorgehen vermittelst der Natur“, wie sie sich dem Menschen in seiner Natur unmittelbar darstellt, „d. h. an ihr hat er seinen Gegensatz, durch dessen Aufhebung er für sich und Geist ist“57. Die Hegelsche Philosophie der Inkarnation des Absoluten versteht sie – und damit nun auch das philosophische Denken selbst – als Gegensatz zur sokratischen Exkarnation, nach der erst im Absterben des Leibes der Geist für den Logos frei wird. Die „Aufopferung“ wird bei Hegel zum entscheidenden Begriff. Zunächst ist es die Aufopferung des natürlichen Lebens um der Freiheit willen, mit Kant gesagt, die Unterwerfung unter das Gesetz als „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“. Da dieser „Inbegriff der Bedingungen“ als menschliche Institution, keine absolute Gerechtigkeit herstellen kann, muß es sich, gerade um der Freiheit willen, um eine menschliche und insofern fallible Institution handeln. Die menschliche Freiheit verlangt ein Rechtssystem, das Unrecht nicht ausschließen kann, und insofern ist die Inkarnation eine Inkarnation des gerechten Gottes in die Ungerechtigkeit. Das Aufsichnehmen der Ungerechtigkeit wird als „Aufopferung“ um der Autonomie oder der Selbstgesetzgebung und damit um der gottgewollten, dem Menschen gerechtwerdenden Freiheit willen verstanden. Indem Gott Mensch wird, d. h. sich in seiner Vollkommenheit dem Werden unterstellt und sich in seinem „Sohn“ um der Menschen willen aufopfert, offenbart er als seinen Willen, daß die Menschen sich ebenso füreinander aufopfern, sich ihres natürlichen Lebens (als eines Lebens nur nach eigenen Vorstellungen) entäußern, nach der Kantischen Bestimmung der Liebe den „Willen eines Andern“ in die eigenen Maximen aufnehmen und die Ungerechtigkeit des jeweiligen Rechtssystems ertragen, ohne das |249| Menschen nicht in Freiheit zusammen leben könnten. Die Grenzbedingung des endlichen, räumlich und zeitlich beschränkten menschlichen Lebens 57 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, SW 16, 254f.
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ist seine „Aufopferung“. Wer es unbedingt, d. h. so, wie er selbst es sich als gutes Leben vorstellt, erhalten will, wird es verlieren, und wer es verliert, wird es erhalten. Es geht in diesem „Geist“ nicht mehr um den im Absterben des Lebens erkannten Logos, sondern um das Leben selbst, um ein Leben in diesem „Geist“. Für das Zusammenleben der Menschen in Freiheit bedeutet dies, daß „die wahre Aufopferung des Fürsichseyns“ (d. h. des Individuums) „allein die“ ist, in der „es sich so vollkommen als im Tode hingiebt, aber in dieser Entäußerung sich eben so sehr erhält“. Nur im Geist dieser Aufopferung erhält es sich als sein eigenes Leben in Freiheit. „Es wird dadurch als das wirklich, was es an sich ist, als die identische Einheit seiner selbst und seiner als des Entgegengesetzten.“ Denn es hat sein Leben in Freiheit und damit seine „Natur“ nur zusammen mit der Freiheit der anderen, also nur zusammen mit der Einschränkung der eigenen Freiheit. „Dadurch, daß der abgeschiedne innre Geist“, als das Individuum, so wie es sich sich selbst vorstellt, „hervortritt“ und die eigene Vorstellung gegenüber anderen darstellt und äußert, „entfremdet“ es sich sich selbst. Dadurch „wird zugleich die Staatsmacht“, als Garant der die allgemeine Freiheit garantierenden Gesetze, „zu eignem Selbst erhoben“. Sie erhebt im Namen der anderen Vorstellungen der anderen vom politischen Zusammenleben ihre eigenen Ansprüche gegen das „hervortretende“, „sich“ artikulierende Individuum. „Diese Entfremdung“ geschieht nun nach Hegel „allein in der Sprache, welche hier in ihrer eigenthümlichen Bedeutung auftritt“. – „In der Welt der Sittlichkeit“ ist die Sprache – als im eigenen Inneren vernommener kategorischer Imperativ – „Gesetz und Befehl, – in der Welt der Wirklichkeit“58 ist sie, wenn ein Individuum aus seiner Sicht einem anderen zu sagen versucht, was das „allgemeine Beste“ sei, nur ein „Rat“, mit dem jedes sich gegenüber jedem anderen „zweideutig und verdächtig“59 macht. Dann hat die Sprache ebenso „das Wesen zum Inhalte, und ist dessen Form“ wie im griechischen Verständnis des „Logos“, nach dem sie in ihrer individuellen Gestaltung das allgemeine Wesen oder die allgemeine Wahrheit dadurch ausdrücken soll, daß das Individuelle an ihr verschwindet und abstirbt. Erst als „Entfremdung“ im Geiste einer „Aufopferung“ „so vollkommen als im Tode“ erhält die Sprache nach Hegel „die Form, welche sie ist, selbst zum Inhalte“. Nur so „gilt“ sie selbst „als Sprache“ und nicht nur als „Form“ eines von ihr unabhängigen allgemeinen Inhalts, den sie bloß interindividuell „vermitteln“ soll60. |250|
58 Hegel, Phänomenologie des Geistes, SW 2, 389f.; GW 9, 275f. 59 Ebd., 388f.; GW 9, 275. 60 Ebd., 389f.; GW 9, 275f.
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VI. Der griechische „Logos“ ist zur „Sprache“ des einzelnen Individuums geworden, das sich gegenüber anderen Individuen ausspricht und sich dabei deren anderem Verständnis „hingibt“, das sich durch ihren anders beschränkten Horizont ergibt. „Es ist die Kraft des Sprechens als eines solchen, welche das ausführt, was auszuführen ist. Denn sie ist das Daseyn des reinen Selbsts, als Selbsts; in ihr tritt die für sich seyende Einzelnheit des Selbstbewußtseyns als solche in die Existenz, so daß sie für Andre ist. Ich als dieses reine Ich ist sonst nicht da“. Es ist nur da, indem es für andere ist. „In jeder anderen [als der sprachlichen] Aeußerung ist es in eine Wirklichkeit versenkt“, weil es sich, z. B. um in der Welt handeln zu können, seine eigene Weltorientierung vorgeben muß. In der Sprache ist es aber „in einer Gestalt, aus welcher es sich zurückziehen kann“. Die Sprache „enthält es in seiner Reinheit, sie allein spricht Ich aus, es selbst“. „Ich ist dieses Ich – aber eben so Allgemeines; sein Erscheinen ist ebenso unmittelbar die Entäußerung und das Verschwinden dieses Ichs und dadurch sein Bleiben in seiner Allgemeinheit. Ich, das sich ausspricht, ist vernommen; es ist eine Ansteckung, worin es unmittelbar in die Einheit mit denen, für welche es da ist, übergegangen und allgemeines Selbstbewußtseyn ist. – Daß es vernommen wird, darin ist sein Daseyn selbst unmittelbar verhallt; dieß sein Andersseyn ist in sich zurückgenommen; und eben dieß ist sein Daseyn, als selbstbewußtes Jetzt, wie es da ist, nicht da zu seyn und durch dieß Verschwinden da zu seyn“61. „Die geistige Substanz tritt als solche in die Existenz, erst indem sie zu ihren Seiten solche Selbstbewußtseyn[e] gewonnen hat, welche dieses reine Selbst als unmittelbar geltende Wirklichkeit wissen, und darin eben so unmittelbar wissen, dieß nur durch die entfremdende Vermittlung zu seyn“62. Die Sprache ist, als entfremdende Vermittlung, das Element, aus dem sich der Geist nicht mehr in sich selbst zurückziehen kann. Sie ist die dem Geist selbst wesentliche „Inkarnation“. In diesem Begriff der Sprache vereinigt sich der griechische Logos mit der jüdisch-christlichen Gerechtigkeit als einem auf Gott bezogenen Gerechtigkeitsdenken, das das Christentum vom Judentum übernommen hat und in dem es über alle Unterschiede hinweg an es gebunden bleibt. Da der griechische Logos sich als Exkarnation versteht, ist diese „Inkarnation“ als das sinnlich-ästhetische Moment im Logos eigentlich eine Reinkarnation. Es ist der zur Sprache gewordene Logos, der „unter uns“ wohnt. Er hat, wenn man das so nennen will, eine „zwischenmenschliche“ Bedeutung 61 Ebd., 390; GW 9, 276. 62 Ebd., 391; GW 9, 276f. Zusätzliche Hervorhebung v. Vf.
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angenommen und steht für die Einsicht in die Ungerechtigkeit des Lebens und des je eigenen Verständnisses von allem, auch der Sprache. Zugleich steht er für die Einsicht in die Notwendigkeit des menschlichen Rechts, auch wenn es nach der eigenen Vorstellung von Gerechtigkeit nicht immer als |251| gerechtes Recht erscheinen mag. Der griechische Logos wird zum Strukturgesetz der je eigenen Vorstellungen und damit zum Gesetz der Verabsolutierung des je eigenen Fürwahrhaltens in der Welt. Der christliche bleibt dagegen der je eigenen Sicht im Sinne einer unbedingten Übersetzbarkeit in eigene Vorstellungen unverständlich und bedeutet die Anerkennung einer „fremden Vernunft“, die vom eigenen Standpunkt in der Welt her in den „Gründen“ ihres Fürwahrhaltens nicht unbedingt nachzuvollziehen ist. So ist letztlich nicht nur Gottes Vernunft „höher“ als die der Menschen, sondern auch die des anderen ist anders als das, was man von sich aus als „vernünftig“ einsehen und beurteilen kann. Der Topos der Inkarnation, der der griechischen Philosophie fremd und der mittelalterlichen vorwiegend ein Theologumenon geblieben war, wurde in der neueren Philosophie zu einem „Anstoß“ des philosophischen Denkens selbst. Durch diesen Anstoß wurde die Philosophie sich des Faktums bewußt, daß der Logos sich „unter uns“ Menschen immer nur von Person zu Person, d. h. auf dem Boden interpersonaler Verstehensdifferenzen verstehen läßt. Dieses Gewahrwerden kann man einerseits als einen Eingang jüdischer Vorstellungen in die hellenistische Philosophie verstehen. Als „Fleisch von meinem Fleisch“63 bezeichnete Adam die „Gehilfin“, die Gott aus seiner Rippe gemacht hatte, damit er nicht allein sei. „Fleisch“ kann hier als Wort für die erste individuelle Differenz gegenüber dem „Wort“, das „den“ Menschen erschuf, aufgefaßt werden. Das Gewahrwerden kann aber andererseits auch als „phänomenologische“ Überwindung einer „reinen“ Logos-Spekulation verstanden werden. Die vermeintlich reine Phänomenologie bleibt dabei jedoch auf das bezogen, „was“ überwunden werden soll, d. h. auf dessen Begriff, und sie bedarf deshalb jeweils eines begrifflichen Anstoßes, um ihrer Befangenheit in den Strukturen eines „metaphysischen“ Denkens „phänomenologisch“ gewahr zu werden.
63 Vgl. Gen. 2, 23.
Zeichen und Zeit und das Problem der Bedeutung |27| Die philosophische Tradition versteht das Zeichen als „Stehen für etwas“ anderes, das selbst nicht Zeichen ist. Diese Bestimmung des Zeichens gilt in ihr ebenso als Mittel der Bestimmung des „Etwas“. „Etwas“ ist das, was nicht nur für etwas anderes, sondern für sich selbst steht und auf das alle Bezeichnung abzielt. Dementsprechend hatte schon Aristoteles in „peri hermeneias“1 das Zeichen und das Sein verstanden und unterschieden. Die Schrift steht demnach „für“ die Laute, die Laute stehen „für“ die „Vorstellungen“ – so wird der griechische Ausdruck „pathemata tes psyches“ gelegentlich in eine moderne Terminologie übersetzt. Es ist aber wichtig, daß das Wort „pathemata“ (Eindrücke, Widerfahrnisse) im Unterschied zum modernen Vorstellungsbegriff die Passivität der Seele gegenüber diesen „Eindrücken“ impliziert. Die so verstandenen „Vorstellungen“ der „Seele“ sollen in dieser Reihe „für“ die Dinge stehen und die Dinge schließlich „für“ das Eidos „in“ den Dingen, von dem her die Einzeldinge sind, „was“ sie sind, d. h. ihr „Wesen“ haben. So ergibt sich eine Reihe des „Stehensfür“, die ich die metaphysische Reihe nenne: Eidos – Einzeldinge – Seeleneindrücke (pathemata) – Laute – Schrift. In dieser Reihe steht das letzte Glied, die Schrift, nur „für“ etwas anderes und nichts steht wiederum „für“ sie, das erste Glied dagegen, das „eidos“, steht nur „für“ sich selbst. Das Erkennen mündet in ihm in sein eigentliches Ziel. Die Reihe ist durch die Isomorphie ihrer Glieder verbunden. Die Schrift steht bei Aristoteles „für“ das, was „in“ den Lauten ist, also „in“ ihrer Formung zur Schrift, „für“ die Form oder Artikulation des Lautes; die artikulierten Laute stehen „für“ das, was als Eindruck „in“ der Seele ist und sie somit formt, und dies wiederum soll „für“ das stehen, was die Dinge formt, nämlich das eidos als die reine Form. Die Materialität der jeweiligen Glieder ist hier, als ein „me on“, das zu Übergehende; nur dadurch kommt |28| diese Reihe des „Stehens-für“ zustande. In ihren transitiven Formübertragungen ist sie zur Grundlage des metaphysischen Denkens geworden. Das, „wofür“ die Zeichen zuletzt stehen, gilt als die „ontologisch“ vorran1
Aristoteles, Peri hermeneias, 16 a.
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Sprache und Zeichen
gige „Bedeutung“ aller Glieder. Jedes Glied bezieht sich zwar auf ein Glied vor ihm als auf seine Bedeutung, aber nur das erste Glied, das eidos, hat keine von ihm verschiedene Bedeutung mehr. Es „ist“ die (eigentliche) Bedeutung. Einzelne Glieder dieser Reihe können übersprungen werden, weil sich durch alle Glieder dieselbe Form hindurchziehen soll. Man könnte viele Betrachtungen über das historische Schicksal dieses Paradigmas anstellen. Seine Destruktion beginnt schon mit dem empiristischen Standpunkt, nach dem nur Einzeldinge gegeben seien, so daß wir bei ihnen als dem zweiten Glied der Reihe anzusetzen hätten und nicht bei „reinen“ Formen. Das erste Glied wird in dieser Sicht zur bloßen Hypostase. Die Form ist „in“ den Einzeldingen und daher nicht mehr „rein“ zu erfassen. Die Destruktion der Reihe setzt sich historisch mit dem kritischen Einwand fort, daß wir auch nicht „Dinge“, sondern nur unsere subjektiven „Vorstellungen“ von Dingen unmittelbar „hätten“, und sie setzt sich weiter fort mit dem „linguistic turn“ als einer Wendung von einer Vorstellungsoder Bewußtseinsphilosophie zur Sprachanalyse, mit dem Argument, wir „hätten“ zumindest gemeinsam nur die Sprache, in der wir unsere „Vorstellungen“ auszudrücken und mitzuteilen versuchten. Diese Destruktion kommt schließlich in der „postmodernen“ Auszeichnung eines eigenständigen Charakters der Schrift zum Abschluß, die als das letzte Glied der metaphysischen Reihe nur noch Zeichen, gewissermaßen also „reines“ Zeichen sein soll. Statt auf die einzelnen Stationen dieser Destruktion einzugehen, möchte ich bei der letzten einsetzen und die früheren nur soweit berücksichtigen, wie es für das Thema „Zeichen und Zeit“ als notwendig erscheint. Für diese letzte Station steht vor allem der Name Derrida. Es geht hier nicht mehr um die Schrift, insofern sie noch als das letzte Glied der metaphysischen Reihe gelten und damit unmittelbar Zeichen „für“ die Sprachlaute sein soll, sondern das Zeichen, das als das letzte nur noch Zeichen und „selbst“ nichts „ist“ und in dem sich mit der Destruktion der Reihe mithin das „Sein“ im Sinn von Eigenständigkeit oder Substantialität aufhebt. Es geht in diesem „Rest“ um das Schicksal der ganzen Reihe von ihrem Anfang her. Die „Schrift“ steht hier „für“ die Zeichen, die wir verstehen, ohne fragen zu müssen, „für was“ sie stehen sollen und wie es möglich sei, Zeichen im Sinne des „stare pro aliquo“ überhaupt zu verstehen. Solche Fragen wären selbst wiederum nur in Zeichen zu beantworten, bei denen sich diese Fragen dann gerade nicht stellen, also in Zeichen als dem „Rest“ der Reihe nach ihrer Destruktion. Die Schrift steht hier nicht mehr „für etwas“ an|29|deres, sondern „für“ das wirkliche Zeichenverstehen gegenüber einem Zeichenverstehen im Kontext eines metaphysischen „Seinsverständnis“. Man könnte demgemäß von einer „Phänomenologie“ der Zeichen sprechen: Wir verstehen Zeichen zumeist, ohne nach ihrer „Bedeutung“ als dem, „wofür“ sie stehen sollen, fragen zu müssen. Nach einer vom Zeichen
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verschiedenen Bedeutung fragen wir nur „gelegentlich“, wenn wir Zeichen nicht ohne „weiteres“ verstehen. Die Antwort auf diese Frage muß dann aber wieder in anderen Zeichen erfolgen, und Frage und Antwort haben nur einen Sinn, wenn die Zuversicht besteht, daß zu irgendeinem Zeitpunkt eine Antwort in solchen Zeichen möglich ist, die wir ohne weitere Frage nach ihrer Bedeutung verstehen2. Dieses „Irgendwann“ deutet auf einen genuinen Bezug der Zeichen auf die Zeit. – Von einer „Phänomenologie“ der Zeichen sollte man aber doch besser nicht sprechen. Sie bezöge sich nicht auf konkrete Zeichen, sondern auf das Zeichenverstehen überhaupt, im Unterschied zu einem anders zu verstehenden „Seinsverständnis“. Gegenüber dem metaphysischen Begriff vom Zeichen, das sich in der genannten Reihe darstellt, läßt sich das wirkliche Zeichenverstehen nur negativ „thematisieren“: Wir verstehen Zeichen gerade dann, wenn wir nicht nach einer von ihnen verschiedenen „Bedeutung“ der Reihe nach zurückfragen. Sie fallen dann – im Licht des metaphysischen Zeichenbegriffs – mit ihrer Bedeutung zusammen, und wir unterscheiden dann auch keinen „an sich“ bedeutungslosen Laut von „seiner“ Bedeutung. Der Laut ist „für uns“ als solcher bedeutend, und ebenso ist es die Schrift. Der Laut wird zu dem, was in der Reihe erst die Schrift war: letztes Zeichen, das nur noch Zeichen ist. Laut und Schrift sind gleichermaßen unmittelbar als Zeichen „gegeben“ und nicht erst dadurch, daß sie als Zeichen „für“ etwas anderes verstanden werden, das als ihre „Bedeutung“ von ihnen verschieden und ihnen in einer Reihe vorgeordnet wäre, so daß eine „Bedeutung“ sich letztlich erst im Durchlaufen der ganzen Reihe, im Durchblick auf das eidos „zeigen“ könnte. An die Stelle des Paradigmas einer gestuften metaphysischen Reihe tritt, im Ausgang von der Schrift, verstanden als „letztes“ Zeichen, im Falle des Nichtverstehens eine Reihe von Zeichen, die füreinander stehen: Auf die Frage nach der Bedeutung unmittelbar nicht oder nicht hinreichend verstandener Zeichen werden andere Zeichen an ihre Stelle gesetzt, die eventuell „besser“ zu verstehen sein könnten. Wenn wir auch diese anderen Zeichen noch nicht „ohne weiteres“, d. h. noch nicht ohne weitere Zeichen verstehen, können wir weiter fragen, „was“ sie nun bedeuten sollen. „Im Prin|30|zip“ könnte man endlos weiterfragen. Doch irgendwann müssen wir uns ohne weiteres Fragen nach einer „Bedeutung“ und nach der „Möglichkeit“ des Verstehens mit einer Antwort zufriedengeben, wenn denn das Fragen überhaupt einen Sinn haben soll. Dieser Zeitbezug ist die „Wirklichkeit“, in der wir leben, in ihrem Gegensatz zu der „prinzipiellen“ Möglichkeit des unendlichen Weiterfragens nach „Bedeutungen“. 2
Nietzsche spricht vom „Ausdruck eines neuen Dinges vermittelst der Zeichen von schon bekannten Dingen“ (Nachlaß, Kritische Studienausgabe, ed. Colli, Montinari, (KSA) XI, 505; KGW VII, 3, 225).
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Leibniz3 verstand solche Zeichenprozesse als „Verdeutlichungen“. Er nennt eine Deutlichkeit – in Anlehnung an den traditionellen Wahrheitsbegriff der „adaequatio“ – dann „adäquat“, wenn auch die Begriffe, die die zunächst gegebenen, aber nicht hinreichend verstandenen verdeutlichen sollen, ihrerseits deutlich sind. Wenn man solche Verdeutlichungen als „Definitionen“ und diese als der „Sache selbst“ adäquate und in diesem Sinn wahre „Wesensbestimmung“ (o™rismóv) versteht, müßten auch alle zur Definition gebrauchten Begriffe ihrerseits ebenso definiert sein, denn sonst könnten abweichende Gebrauchsweisen in die Wesensbestimmungen hineinwirken und ihre intendierte Adäquatheit unmöglich machen. Man sieht, daß es für eine solche „Realdefinition“, wie Leibniz sagt, bei den Menschen wenigstens kein Beispiel geben dürfte („cujus exemplum perfectum nescio an homines dare possint“)4. Sie wären nur „im Unendlichen“, aber zu keiner Zeit zu erreichen. Also sind „bei den Menschen“ nur temporär und pragmatisch befriedigende Bestimmungen eines temporären Sprachgebrauchs möglich. Das verweist auf die prinzipielle Schwierigkeit, Begriffe und „bloße“ Zeichen „für“ Begriffe allgemein zu unterscheiden. Wer nach der Bedeutung fragt, hat zunächst „nur“ den „Namen“ der Sache. Er hat, solange er danach fragt, von ihr „noch“ keinen (zureichenden) Begriff. „Solange“ die verdeutlichenden Begriffe ihrerseits „noch“ nicht adäquat verdeutlicht sind – und das ist unter endlichen Bedingungen immer der Fall – hat er nur „Nominaldefinitionen“. Soweit wir im Begreifen relativ zu den zunächst „gegebenen“ Zeichen auch fortschreiten mögen, wir haben „für“ diese Zeichen immer wieder „nur“ Zeichen, die wir „in pragmatischer Hinsicht“ nun besser oder hinreichend verstehen. Nach Leibniz bleibt es aber jederzeit möglich, daß wir uns im Prozeß einer weiteren Verdeutlichung „gegebener“ Zeichen in Widersprüche verwickeln und sich dann die „Begriffe“ für die intendierte „Sache“ als unmöglich erweisen5. Der Begriff einer möglichen „Sache“ hängt also geradezu daran, daß wir nicht „immer weiter“ nach der Bedeutung fragen. Das bedeutet aber auch, daß wir nur dann, wenn wir |31| nicht hinreichend verstehen, sinnvoll nach einer Bedeutung fragen, und d. h.: Zeichen und Bedeutung sinnvoll unterscheiden. Diese Unterscheidung hat die „Bedingung ihrer Möglichkeit“ in der Aussicht auf ein „besseres“ Verstehen anderer Zeichen „anstelle“ der Zeichen, die in ihrem Gebrauch als nicht oder nicht mehr hinreichend verständlich erscheinen. Im Gegensatz zu ihrer metaphysischen Begründung steht sie unter Zeitbedingungen. 3 4 5
Leibniz, Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis. Die philosophischen Schriften, ed. Gerhardt, IV, 422ff. Ebd., 423. Ebd., 424.
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Das heißt aber auch, daß in allem Begreifen, „was“ ein Zeichen bedeute, die Zeichen zugleich stehenbleiben für weitere, spätere Deutungen. Ihre Materialität stellt sich gegen ihre Einordnung in die metaphysische Reihe, die einen („definitiven“) „Durchblick“ auf ein erstes Glied suggeriert. Dieses Stehenbleiben der Zeichen in ihrer undurchsichtigen Materialität gegenüber der ihnen zugedachten Funktion, transitive Isomorphien vorzustellen, verweist zugleich auf die Eigenständigkeit der „Zeichensorten“ gegenüber ihrer Einordnung in solch eine Reihe des „Stehens-für“. Auch die Schrift ist also eigenständig gegenüber dem Laut und der Laut gegenüber dem, was man in einer „inneren Vorstellung“ mit ihm als Zeichen jeweils „verbinden“ mag. Daß die Zeichen als Zeichen stehenbleiben, ermöglicht, daß man nach jeder temporären Deutung, durch die man zu einer bestimmten Zeit zu einem pragmatisch „hinreichenden“ und befriedigenden Verständnis gekommen zu sein glaubte, wieder auf sie zurückkommen und sie anders und gegenüber einem bisher gewohnten Verständnis auch „metaphorisch“ auf eine neue Weise deuten kann. Als „fremder Name“, wie bei Aristoteles, kann die Metapher nur verstanden werden, wenn sich der „eigentliche“ Name von einer ihm voranstehenden „Bedeutung“ her verstehen soll. Die Metapher wird erst zu einem „fremden“ Namen, wenn sie unmittelbar nicht und erst durch ihre Ersetzung durch andere Zeichen überhaupt oder doch „besser“ verstanden wird. Diese anderen Zeichen sind dann die „eigentliche“ Bezeichnung. Die Zeit, als das an ihr selbst andere, ist die „reine Form“ solcher Andersheit oder der Version der Zeichen „ad melius esse“6. Daß die Zeichen gegenüber aller Deutung zugleich stehenbleiben, ist ihr Bezug zur Zeit als der reinen Form des Vergehens ihrer Bedeutungen. Dieser Bezug zur Zeit ist also gerade dadurch „gegeben“, daß sie selbst nicht verschwinden. Daß Hegel den Zeitbezug des Zeichens in seinem „Verschwinden“ „hinter“ seiner Bedeutung und von daher im verklingenden Ton das paradigmatische Zeichen sah7, spricht nicht dagegen8; die Artikulation des Tones der Stimme |32| läßt sich zu einer anderen Zeit wiederholen, und zu dieser anderen Zeit kann auch das artikulierte Tonzeichen wieder entweder ohne „weiteres“ verstanden werden oder erst durch die Angabe einer Bedeutung in anderen Zeichen, die die Frage nach der Bedeutung dann befriedigend beantwortet. Die Zeichen bleiben in ihrer eigenen Gestalt, als Lautzeichen in ihrer eigenen Artikulation, während ihre „Bedeutung“ sich immer nur in tempo6 7 8
Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 759 Anm. Vgl. Hegel, Enzyklopädie von 1830, § 459. Vgl. v. Vf., Zeichenmachende Phantasie. Zum systematischen Zusammenhang von Zeichen und Denken bei Hegel. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 50, Heft 1/2, 1996, 266f.
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rären Antworten auf die „gelegentliche“ Frage nach ihrer Bedeutung ergibt. Das heißt nicht, daß die Frage nach der Bedeutung zu irgendeiner Zeit nicht zu beantworten wäre, sondern daß die Antworten zu verschiedenen Zeiten verschieden ausfallen können, ohne dadurch „beliebig“ zu werden: Es handelt sich nur dann um „die“ Bedeutung des fraglichen Zeichens, wenn sich durch die Antwort die Frage nach der Bedeutung temporär erledigt. Dann ist die Bedeutung „eindeutig“. Nur im Licht einer eidetischen Bedeutungslehre, nach der die Eindeutigkeit im Sinn „derselben“ Bedeutung zu aller Zeit die Tugend des Zeichens sein soll, erscheint die nur temporär befriedigende „Erklärung der Bedeutung“9 als mangelhaft, weil sie, wie es bei Nietzsche heißt, einen „reichlichen Spielraum zum Mißverständniß“10 läßt. „Mißverständniß“ meint hier das mit dem eigenen Verstehen inkompatible Verstehen anderer, aber auch das eigene zu einer späteren Zeit gegenüber dem, mit dem man zuvor „zufrieden“ gewesen ist. Das Stehenbleiben der Zeichen gegenüber ihrer jeweiligen Deutung ermöglicht überhaupt erst ihren Gebrauch unter wechselnden Umständen und die andere Vermittlung ihres Verständnisses unter sich verändernden Bedingungen. Das betrifft die vorausgesetzte „Identität des Subjekts“: Es kann sich vom stehenbleibenden Zeichen her nicht als das „Vermögen“ reflektieren, Zeichen definitiv auszudeuten und dadurch zu eindeutigen „Begriffen“ von „Dingen“ zu kommen, es sei denn, daß eine Bedeutung ausdrücklich als „die“ Bedeutung des Zeichens festgesetzt wird, so daß gilt, daß beide Zeichen, das interpretierende und das interpretierte, „unbedingt“ und über die Zeit hinweg „dieselbe“ Bedeutung haben sollen. Solch eine gesetzte Bedeutungsidentität hat ihren Ort wie Kant schon früh bemerkte, nur in der Mathematik11. Nur hier kann es eigentliche „De|33|finitionen“ geben12. In der „normalen“ Sprache kann die Gleichsetzung der Bedeutung verschiedener Zeichen immer nur einen temporären, „gelegentlichen“ Charakter erhalten, und hier stellt sich auch nur „gelegentlich“13 die Frage nach einer „Erklärung der Bedeutung“, die dann auch nur unter dem Gesichtspunkt bestimmter pragmatischer Zwecke hinreichend beantwortet 9 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. 560. 10 Vgl. Nietzsche, Nachlaß, KSA 12, 51; KGW VIII, 1, 46. 11 Kant, Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, AA II, 273ff. Hier nimmt Kant die Bemerkung auf, „daß nichts der Philosophie schädlicher gewesen sei als die Mathematik, nämlich die Nachahmung derselben in der Methode zu denken, wo sie unmöglich kann gebraucht werden“ (ebd., 283). 12 Die Definitionen sind hier Anweisungen zur Konstruktion des Gegenstandes, z.B. die mathematische Definition des Kreises, die als vollkommen verstanden gilt, wenn die Konstruktion gelingt. 13 Vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, AA VII, 191.
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werden kann. Die Sprache gehört, wie Humboldt sagte, wesentlich „zweien“ an14 und damit immer auch verschiedenen Gesichtspunkten, und wir haben zu keiner Zeit ein Kriterium festzustellen, ob eine Person „dasselbe“ wie eine andere versteht. Man hat nicht nur von Dingen, sondern auch von den Vorstellungen anderer immer nur seine eigenen Vorstellungen. Nur wenn jeder nach seinem Verständnis handelt, kann entweder ein für diesen Handlungszusammenhang hinreichend gleiches oder ein abweichendes Verständnis „offenbar“15 werden. Sonst bleibt die Vorstellung einer „intersubjektiven Übereinstimmung im Selben“ eine Ideologie, die das fremde Verstehen in seinem Sinn aus dem eigenen begrenzten „Horizont“ beurteilt16. Der Handlungsbezug liegt aber auch schon im Selbstverständnis ein und derselben Person. Wenn wir davon ausgehen, daß wir unmittelbar nur die Zeichen „haben“, so wie wir sie jeweils selbst verstehen (oder nicht verstehen) – und dementsprechend „Erkenntnis“ ansehen als semiotischen Prozeß des Übergangs von „gegebenen“ Zeichen, die wir nicht oder nicht mehr „hinreichend“ verstehen, zu anderen Zeichen, die wir jetzt hinreichend oder doch „besser“ verstehen, so daß wir sie „pragmatisch“ als die Bedeutung der zunächst „gegebenen“ gelten lassen –, zeigt sich die Einheit des Zeit- und des Handlungsbezuges. Je nachdem, was beim Handeln auf dem Spiel steht, also je nach der Wertung der „Wichtigkeit“ der Handlungsziele, können wir eine uns „gegebene“ Deutlichkeit für unsere Handlungsorientierung als schon „hinreichend“ oder als noch nicht „hinreichend“ ansehen. Wenn nach unserer Wertschätzung dabei viel auf dem Spiel steht, kann man „glauben“, man müsse möglichst schnell handeln und es sei keine Zeit mehr für weitere Klärungen der Situation bzw. der Zeichen, aus denen wir sie jeweils verstehen. Man kann aber auch „glauben“, gerade weil viel auf dem Spiel stehe, müsse man sich vor dem Schritt zum Handeln noch ein deutlicheres „Bild“ der Sachlage „verschaf|34|fen“17. Der Versuch weiterer Verdeutlichung der Sachlage kann aber auch, gerade wenn man meint, noch genügend Zeit zu haben, in einen Widerspruch führen und zeigen, daß die Variation der Zeichen, wie sie zunächst begonnen wurde, keinen möglichen Begriff ergibt. Man erfährt dann, daß man sich auf diesem Wege von vornherein in Irrtümer verstrickt hatte. 14 W. v. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, Akademieausgabe VII, 63. 15 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, AA VII, 193. 16 Vgl. Kant, Logik, ed. Jäsche, AA IX, 43. 17 Vgl. die Kantische Bestimmung des Schemas als „Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen“ (Kritik der reinen Vernunft, B 179f.) und die Funktion der Zeit in diesem Zusammenhang.
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In diesem Dilemma wird die Zeit – die man noch oder nicht mehr zu „haben“ glaubt – eigentlich erst erfahrbar, besonders nachdrücklich, wenn viel „dabei im Spiele ist“18. Es handelt sich aber jederzeit darum, ob noch Zeit für Zeichenversionen im Interesse einer besseren Deutlichkeit „gegeben“ ist oder ob es geboten erscheint, auf eine „zur Zeit gegebene“ Deutlichkeit hin zu handeln. In diesem Sinn „leben“ wir in der Zeit. „Leben“ ist nach Kant das „Vermögen eines Wesens, seinen Vorstellungen gemäß zu handeln“19. Diese interne Verbindung von Zeichen und Zeit führt zu einem Zeitverständnis, nach dem Zeit mehr ist als bloß „Form der Anschauung“ von „Gegenständen“, verstanden als etwas, das in der „Erkenntnis“ nur noch subjektiv „auf den Begriff“ zu bringen sei, der dann nur noch für den Zweck der Mitteilung gegenüber anderen nachträglich bezeichnet werden müsse. Wenn „Erkennen“ dagegen als Zeichenversion zur Meliorisierung der Vorstellungen im Zusammenhang der Weltorientierung unter Zeitbedingungen verstanden ist, ist es schon seinem Begriff nach als ein Moment des Handelns in der Zeit verstanden. Die „Gegenstände“ der Erkenntnis sind dann Ergebnisse eines Ansehens als hinreichend bestimmt für die Zwecke unseres Handelns. Wir müssen selbst verantworten, ob wir etwas in einer „gegebenen“ Version, je nachdem, was „dabei im Spiele ist“, als hinreichend bestimmt ansehen oder ob wir uns gerade daran gemessen noch um bessere Zeichenversionen bemühen sollten. Dementsprechend „verleitet uns unser eigener Hang zu urtheilen und zu entscheiden“ zum „Irrthum“20. Das ist der Hang, zur Unzeit zu urteilen, weil wir die Urteilsbildung als Akt eines theoretisch „vermögenden“ Subjekts ansehen, das sich aus einer im Prinzip nicht begrenzten Übersicht sein „Bild“ verschaffen könnte. Aber nur in bestimmten Situationen, wenn es notwendig, d. h. an der Zeit ist, müssen wir uns unsere Urteile bilden21 und sie dann auch verantworten. |35| Nach Kant haben wir es glücklicherweise „nicht immer nöthig“22 zu urteilen. Man soll sein Urteil nicht „ohne Noth“23 fällen. Die Urteilsbildung schließt die weitere Bestimmung temporär ab, indem sie Begriffe in der zur gegenwärtigen Zeit gegebenen Deutlichkeit zu einem Urteil verknüpft und dadurch auf ein „Objekt“ bezieht24. 18 19 20 21
Vgl. ebd., B 853. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 211. Kant, Logik, AA IX, 54. Kant spricht vom „Muth“, sich seines „eigenen Verstandes“, d. h. des „Vermögens“ der Urteilsbildung, „ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ (Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, AA VIII, 35). 22 Kant, Kritik der Urteilskraft, § 10, AA V, 220. 23 Kant, Nachlaßreflexion 2588. 24 „Bedeutung“ ist auch bei Kant „Beziehung aufs Object“ (Kritik der reinen Vernunft, B 300).
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Wir „bilden“ uns unsere Urteile aufgrund unserer jeweiligen subjektiven Vorstellungen aus wesentlich beschränkter Übersicht, aus einem wesentlich beschränkten „Horizont“ um des „Lebens“ willen. „Denn wir haben es doch nur mit unsern Vorstellungen zu thun; wie Dinge an sich selbst (ohne Rücksicht auf Vorstellungen, dadurch sie uns afficiren,) sein mögen, ist gänzlich außer unsrer Erkenntnißsphäre“25. „Aber Vorstellung ist noch nicht Erkenntniß, sondern Erkenntniß setzt immer Vorstellung voraus“26. Weil die Vorstellung eines „allgemeinen materialen Kriteriums der Wahrheit […] nicht möglich“ und „sogar in sich selbst widersprechend“ ist27, verweilen wir auch in der Urteilsbildung in der „Vorstellung“ als der bloßen Voraussetzung für Erkenntnis und formulieren den Begriff von „Erkenntnis“ unserer Begrenztheit entsprechend kritisch um: „Erkenntnis“ ist nunmehr „die Vorstellung eines gegebenen Objekts als eines solchen durch Begriffe“28, d. h. wir bedenken, daß das „gegebene Objekt“ sich in seiner Objektivität der begrifflichen Fassung als derjenigen Zeichenversion verdankt, die „ich“ von meinem gegenwärtigen „Standpunkt“ aus als hinreichend deutlich ansehe. Kant zufolge kann man „einen jeden Begriff als einen Punkt ansehen, der als der Standpunkt eines Zuschauers seinen Horizont hat“29. Insofern ein Zeichen in jeder Deutung zugleich stehenbleibt für andere Deutung durch andere Subjekte oder durch dasselbe zu einer anderen Zeit, kann es das Denken bewegen, gegenüber dem jeweils gewonnenen „Begriff“ wieder auf es in seiner immer auch noch ungedeutet „gegebenen“ Sinnlichkeit zurückzukommen. Darin ist das Zeichen ein schönes Zeichen30. Es belebt das Subjekt, löst das Denken aus dem Ansehen von etwas als bestimmt, in das es in der Notwendigkeit, um des Lebens willen zu urteilen |36| und zu handeln, geraten war, und entläßt es in seine Freiheit zurück. Als „schönes“ Zeichen gibt es gegenüber jeder es festlegenden begrifflichen Deutung „viel zu denken Anlaß“. Die Erkenntnisvermögen des Verstandes als des Vermögens zu urteilen und die ihn „belebende“ Einbildungskraft kommen wieder in ein freies Spiel. Das schöne Zeichen ist als „Symbol des Sittlichen“31, als des Ortes der eigenen Verantwortung auch in der Beurteilung von „Gegenständen“, Symbol der Freiheit, deren Begriff zu keiner Zeit ein „Bild“ verschafft werden 25 26 27 28 29 30
Ebd., B 235. Kant, Logik, AA IX, 34. Ebd., 50. Kant an Beck, 20. 1. 1792, veränderte Hervorhebung; AA XI, 315. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 686. Vgl. v. Vf., Schöne Zeichen. Zur Frage einer Ästhetik des Abwesenden. In: Zwischen den Wissenschaften, Bernhard Gajek zum 65. Geburtstag, hg. v. G. Hahn und E. Webber, Regensburg 1994, 126ff. 31 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 59, AA V, 351ff.
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kann. Je nach „Blickpunkt“ bedeutet es nicht mehr oder noch nicht etwas Bestimmtes, sondern die Freiheit gegenüber jeder als mehr oder weniger „definitiv“ verstandenen Bestimmung, „was“ etwas sei, als Freiheit gegenüber dem „Begriff“, auf den etwas unter dem Drang der Zeit schien gebracht werden zu müssen. Das schöne Zeichen „bedeutet“ das noch oder schon wieder freie Spiel der Erkenntniskräfte; es „bedeutet“, daß alle Zwecke, unter deren besonderen „Gesichtspunkten“ es temporär gedeutet und auf ein „Objekt“ bezogen werden mag, als Einschränkung der Freiheit zu verantworten sind32. Damit „bedeutet“ es die Aufhebung der Trennung der „Gesichtspunkte“ eines sich als bloß theoretisch verstehenden Erkennens und des praktischen Handelns. In der Lösung von den beschränkten „Gesichtspunkten“ besonderer Zwecke, unter denen es zu einer Urteilsbildung gekommen war, ist das schöne Zeichen „zweckmäßig ohne Zweck“33. Damit wird das Subjekt frei für Zwecke, die es sich allein deshalb setzt, weil sie zugleich sittliche „Pflichten“ sind. Das bedeutet im Sinne des Kantischen Begriffs der Aufklärung: „selbst“ zu denken und sich im Sinne des „kategorischen Imperativs“ zu fragen, „ob man es wohl thunlich finde, den Grund, warum man etwas annimmt, [...] zum allgemeinen Grundsatze seines Vernunftgebrauchs zu machen“34, also „den (obersten) Probirstein der Warheit in sich selbst suchen, d. i. in Grundsätzen“, die jederzeit zugleich als allgemeine Gesetze möglich wären; „denn ich muß es verantworten“35. – Erst die Folgen einer Handlung, die wesentlich auf der Grundlage einer „Erkenntnis“ aus beschränkter Übersicht erfolgt und deshalb zu keiner Zeit eine der „Sache selbst“ adäquate Erkenntnis gewesen sein kann, zeigen im Nachhinein, ob es „gut“ war, die zur dieser Zeit erreichte Deutlichkeit als hinreichend für das Handeln anzusehen, oder ob es nicht „besser“ gewesen wäre, wenn man sich zuvor ein noch „deutlicheres“ „Bild“ von der Sachlage „verschafft“ hätte. |37| Die Verantwortung für die eigene Urteilsbildung unter Zeitbedingungen und aus begrenzter Übersicht steht nunmehr gegen den Einwand der „Beliebigkeit“, der sich aus einer ontologisierenden Sicht erhebt. Diese Sicht hält daran fest, daß Zeichen jederzeit „etwas“ bezeichnen müßten, auch wenn sie ohne „weiteres“ verstanden werden und kein Grund besteht, nach einer „Bedeutung“ zu fragen. Das Sein bleibe dem Zeichensein vorausgesetzt. Wenn „Erkenntnis“ dagegen im Anschluß an die Kantische Kritik als Ergebnis eines Zeichenprozesses verstanden wird, der aus der Sicht eines begrenzten „Horizonts“ begründet abgebrochen wurde, liegt die „Beliebig32 33 34 35
Vgl. Kant, Nachlaßreflexion 6204. Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 17, AA V, 231ff. Kant, Was heißt: Sich im Denken orientiren?, AA VIII, 146f., Anm. Kant, Nachlaßreflexion 6204.
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keit“ darin, bestimmte Resultate solchen Abbrechens als definitive Seinserkenntnis zu verstehen und darin über die Zeit ihrer bedingten Notwendigkeit hinaus zu verharren. Das zeitbedingte Urteil wird damit zum Vorurteil. Das Stehenbleiben des Zeichens gegenüber den jeweiligen Auslegungen steht nicht gegen die Freiheit der Auslegungen und des temporären Abbruchs der Deutungen durch die Urteilsbildung, sondern es „bedeutet“ diese Freiheit. Humboldt sah in den „Abbrüchen“ die Wirksamkeit der Individualität36. Von daher gehören die Zeichen wesentlich „zweien an“: Der temporäre Abbruch aus dem „Horizont“ eines Subjekts verweist an ihm selbst auf die Möglichkeit eines anderen Abbrechens durch andere oder zu anderer Zeit. Peirce sprach zwar noch von einer „Realität“, die „in the long run“ zu erreichen sei; dieses Ziel liegt aber uneinholbar in der Zukunft37. Das Stehenbleiben der Zeichen verweist gegenüber jeder Deutung auf mögliche andere, als „besser“ erscheinende Deutungen und damit auch auf ein anderes Urteilen als Referenz auf eine sich anders darstellende „Realität“. Von „Annäherung“ kann hier also eigentlich nicht die Rede sein. Wie schon Leibniz zu bedenken gegeben hatte, kann jeder Weg sich in seinem späteren Verlauf immer noch als „unmöglich“ und damit als nicht sachgerichtet erweisen. Die befürchtete Beliebigkeit der Orientierungsversuche ist nicht durch die „Idee“ einer Ausrichtung auf ein transzendentes, aber doch als allgemein vorgegeben gedachtes Ziel eines diskursiven Prozesses auszuräumen, sondern allein durch das Bewußtsein der Verantwortung für den zeitweilig als notwendig erscheinenden Abbruch dieses Prozesses. Nur für diese Verantwortung kann man eine nicht mehr nur subjektiv pragmatische, sondern allgemein praktische Regel aus reiner Vernunft angeben: Halte so für wahr, daß die subjektive Maxime deines Fürwahrhaltens jederzeit zugleich als allgemeines Gesetz des Fürwahrhaltens gedacht werden könnte. Ein erster |38| Schritt in diese Richtung ist die Prüfung der eigenen „Gründe“ des Fürwahrhaltens an „fremder Vernunft“. Aus eigener Sicht, wenn es sein Fürwahrhalten „bloß als Erscheinung des eigenen Gemüts, vor Augen hat“, kann ein Subjekt seine Gründe des Fürwahrhaltens, die nur zur „Überredung“ dienen könnten, zwar nicht von Gründen, die als sachbegründete „Überzeugung“ für jedermann gültig wären, unterscheiden; seine Gründe wären für es selbst keine „Gründe“, wenn es selbst nicht von ihnen überzeugt wäre. „Der Versuch aber, den man mit den Gründen desselben, die für uns gültig sind, an anderer Verstand macht, ob sie auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung thun, als auf die unsrige, ist doch ein, obzwar nur subjectives Mit36 „Die Wirksamkeit des Einzelnen ist immer eine abgebrochene“ (W. v. Humboldt, Akademieausgabe VII, 32). 37 Vgl. v. Vf., Philosophie des Zeichens, Berlin / New York 1989, 232ff.
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tel, zwar nicht Überzeugung zu bewirken, aber doch die bloße Privatgültigkeit des Urtheils […] zu entdecken“38. – Das ist keine „Konsensustheorie“ der Wahrheit. Die „Vorstellung“, mit anderen übereinzustimmen, erfüllte sich auch durch eine Gemeinsamkeit in Vorurteilen und durch das Verharren im gemeinsamen Irrtum, und auch eine Übereinstimmung in der Pflicht könnte nur „Vorstellung“ sein. Man kann nicht wissen, ob der „kategorische Imperativ“ und nicht nur die Verfolgung subjektiver Zwecke der wirkliche „Beweggrund“ der Urteilsbildung gewesen ist, selbst dann nicht, wenn die subjektiven Zwecke „zugleich“ als allgemeine Pflichten gedacht werden könnten. Die abstrakte Trennung zwischen „intensionalen“ Begriffs- oder Bedeutungserklärungen einerseits und „extensionalen“ Referenzen auf „Gegenstände“ andererseits hebt sich mit dem Gedanken der Verantwortung für die Urteilsbildung als dem Übergang von dem einen zu dem anderen auf. Man kann sich unbeirrt an den allgemeinen Zeichengebrauch, so wie man ihn selbst versteht, zu halten suchen oder aber versuchen, einen eigenen Gebrauch in „Parenthesen“ oder, wie Kant sagt, durch „logische Einschränkungen“ näher zu bestimmen und dadurch anderen zu „erklären“39. So kann man einen einfachen Satz „S ist P“ bilden in der Meinung, daß es „wirklich“ so sei, wie „es“ sich in diesem einfachen Satz darstelle. Man kann aber auch sagen: „S, und darunter verstehe ich hier und jetzt S*, ist P, und darunter verstehe ich hier und jetzt P*“. „Im Prinzip“ könnte man „S*“ durch „S**“ und „P*“ durch „P**“ usw. ad infinitum erläutern, ehe man unter Zeitbedingungen, d. h. in der „Wirklichkeit“ die intensionale Redeweise abbricht, im pragmatisch begründeten „Glauben“, daß es so, wie es sich in der nunmehr letzten Version der Bedeutungserklärungen darstellt, „wirk|39|lich“ sei. Erst der Abbruch der intensionalen Erklärungen, in denen die Kopula „ist“ nur die Variation der Zeichen für „dasselbe“ im Interesse eines „besseren“ Verständnisses ausdrückt, läßt das „ist“ in den Sinn einer Referenz auf eine sogenannte „außersprachliche Realität“ umschlagen und bringt dadurch den Satz zu Ende. Man könnte „im Prinzip“ ganze Bücher schreiben oder sich auf ganze Bibliotheken beziehen, ehe man „glaubt“, zu einer hinreichenden „Feinheit“ in der Darstellung von „Wirklichkeit“ gekommen zu sein. Die rechte Zeit für das Umschlagen ergibt sich aus der kommunikativen Kompetenz als der Verantwortung des urteilsbildenden Subjekts. 38 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 849. 39 „In der Philosophie […] haben die Worte ihre Bedeutung durch den Redegebrauch, außer in so fern sie […] durch logische Einschränkungen genauer […] bestimmt worden“ sind (Kant, Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, AA II, 284).
Zeichen und Zeit und das Problem der Bedeutung
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Darin besteht der unüberwindbare Zusammenhang von „Sein“ und „Zeit“. Er bindet das „Erkennen“ an Bedingungen des Lebens zurück. Mit „dabei im Spiel“ ist die Erfahrung der anderen Sicht anderer, die die rechte Zeit für dieses Umschlagen der Intension in Extension anders einschätzen mögen und denen man deshalb, wenn das Zusammenleben mit ihnen „dabei im Spiele ist“, einen „Spielraum“ des Verstehens einräumen soll. Der Wille, das eigene Bedürfnis nach einer möglichst genauen Darstellung der Sachlage zu befriedigen, und der Wunsch, kommunikabel zu bleiben, bleiben in einer unaufhebbaren Spannung. Jeder der beiden Gesichtspunkte kann den Ausschlag dafür geben, ob eine im Zeichenprozeß zu einer bestimmten Zeit erreichte Version „für“ die wahre „gehalten“ und urteilend referentiell auf ein „Objekt“ bezogen wird oder ob noch eine „bessere“ gesucht wird. Man versteht, „was“ gesagt wird, indem man auch versteht, von wem, wie und wann, unter welchen Umständen und für welche Zwecke es gesagt wird, und man versteht es auch von der „Wichtigkeit“ dieser Faktoren für einen selbst her. Man versteht „es“ innerhalb eines „Sprachspiels“ und einer „Lebensform“. Wenn man dabei mit Hjelmslev davon ausgeht, daß die Sprache diejenige „Semiotik“ sei, „in die alle übrigen Semiotiken übertragen werden können, die aber in keine andere Semiotik im ganzen übertragen werden kann“40, ist offenbar gemeint, daß alle anderen Semiotiken „im ganzen“ in die der Sprache übertragen werden könnten. Dieser „logozentristischen“ These steht aber entgegen, daß keine Semiotik „im ganzen“ in irgendeine andere übertragen werden kann, schon weil sich keine als ein Ganzes von anderen „Semiotiken“ abgrenzen läßt. Jede bleibt immer auch ungedeutet stehen, wenn es als nötig erscheint, sie in eine andere zu übertragen. Nicht nur sprachliche Übersetzungen, sondern alle Übertragungen lassen eine „Unbestimmtheit der Übersetzung“ zurück, und deshalb läßt sich jeder |40| Übergang von intensionalen semantischen Erklärungen zu extensionalen Referenzen auf „Objekte“ in die zeitbedingten „Gründe“ der urteilsbildenden Subjektivität zurücknehmen. Damit bleibt die Möglichkeit erhalten, etwas zu einer anderen Zeit anders zu sagen, wenn es denn dann als nötig erscheinen sollte. Die „Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues“, die nach Humboldt nicht nur verschiedene Nationalsprachen, sondern auch den je individuellen Sprachgebrauch einschließt, behindert das gegenseitige Verstehen nicht, sondern ermöglicht es erst. Das betrifft dann auch die philosophische Wahrheit. Philosophie ist „ihre Zeit in Gedanken erfaßt“, weil auch die Philosophie keinen Standpunkt „höherer“ Übersicht über das Leben einnehmen kann. Auch jedes 40 Zitiert nach E. Coseriu, Zeichen, Symbol, Wort, in: Zur Philosophie des Zeichens, hg. von T. Borsche und W. Stegmaier, Berlin / New York 1992, 6.
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philosophierende Individuum ist „ein Sohn seiner Zeit“41. Somit kann es auch kein allgemeines, übergeordnetes philosophisches Wahrheitskriterium zur Beurteilung verschiedener philosophischer „Standpunkte“ geben. Nach Hegel ist noch „keine Philosophie widerlegt worden“. „Was widerlegt worden, ist nicht das Princip dieser Philosophie, sondern nur dieß, daß dieß Princip das Letzte, die absolute Bestimmung sey“42. Daß jeder Begriff zuletzt individuelle „Persönlichkeit“ und „in seinem Andern seine eigene Objektivität zum Gegenstande hat“, ist dann allerdings für Hegel „Seyn, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit“ und „alle Wahrheit“43.
41 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorrede. Sämtliche Werke, ed. Glockner, 7, 35; GW 14.1, 16. 42 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, a. a. O., 17, 67. 43 Hegel, Wissenschaft der Logik, a. a. O., 5, 327f.; GW 12, 236.
III Ethik und Recht
Moral oder Gerechtigkeit? Überlegungen zu einem Grundproblem der metaphysischen Ethik I. |195| Wenn man Nietzsche folgt, dann haben die „theoretische Weltbetrachtung“1, mit der die Philosophie und die Wissenschaften in unserem abendländischen Verständnis begannen, und die Moral den gleichen Ursprung. Bei Sokrates, der Widersprüche in den Reden anderer aufdeckte, begann nach Nietzsche beides2. Der auf Widerspruchsfreiheit bedachte Argumentationsgang löst den Zusammenhang der Rede von der Person des Sprechenden ab. Er verlegt ihn in einen allgemeinen Logos, der zufolge eigener Prinzipien die Sache vorstellen soll, wie sie dadurch als an ihr selbst seiend gedacht ist. Auch Fragen der Moral sollen auf diese logische Weise geklärt werden, und es ist dann nur konsequent, die Tugend als lehrbar auszugeben. Wenn die logische Einsicht zwingend sein soll in bezug auf die Sache, wie sie sich von ihr selbst her verhält, dann muß das auch auf die Handlungen zurückwirken. Das Unmoralische muß als das Unvernünftige, als uneinsichtiges Verhalten gelten. So wie die Philosophie sich in ihrem Entstehen als argumentativer Prozeß sogleich die Moral zu ihrer Sache machte, verhielt es sich dann auch fernerhin, wenn über Moral diskutiert wurde: Überall da, wo Moral eine andere Quelle haben soll als Überlieferung und Sitte, das heißt wo sie in Frage steht, können nur zwei andere Instanzen in Frage kommen, wenn Handlungen sich auf ihre Moralität berufen wollen: Das individuelle Gewissen des „intuitiv“ handelnden „moralischen Genies“ und der rationale Diskurs. Das Gewissen unterschreitet die Sitte durch seine Individualität, die rationale Begründung überschreitet sie in der Richtung auf eine unbegrenzte, absolute Allgemeinheit. Denn immer wenn Argumente für die Rechtfertigung von Handlungen stichhaltig sein sollen, müssen sie entweder 1 2
Nietzsche spricht von einem „ewigen Kampf zwischen der theoretischen und der tragischen Weltbetrachtung“ (Die Geburt der Tragödie, KGW III 1, 107). Vgl. Platon, Gorgias 461 b. – Sokrates ist für Nietzsche „Vater“ des „theoretischen Menschen“ und des moralischen Denkens (vgl. Die Geburt der Tragödie, KGW III 1, 112).
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aus einem sittlichen Bewußtsein gelten gelassen werden, das sich nicht weiter in Frage stellt, oder sie müssen sich als Folgerungen aus moralischen Vorstellungen höherer Allgemeinheit verstehen lassen. Die Entschränkung des Blicks der moralischen Argumentation gegenüber den bloß geltenden Ansichten hat an sich keine Grenze. Sie zielt von sich aus auf eine universale Menschheitsmoral ab, wenn immer jeder beliebige Mensch als Objekt der Überzeugung gelten soll. Aber sie verliert auf diesem Weg ebensogut ihre konkrete Bestimmtheit. Das Infragestellen der geltenden Moral, aus der sich das Geltenlassen |196| der Prämissen der Argumentation verstehen läßt, kann immer weiter gehen, ohne daß ihm an irgendeiner Stelle das Wort zu nehmen wäre. Die Technik, die sich im Gefolge der „theoretischen Weltbetrachtung“ der modernen Naturwissenschaft entwickelt hat, unter der die Natur selbst sich als Zusammenhang nach logischen Prinzipien konstituiert, hat einerseits dem Menschen Handlungsmittel an die Hand gegeben, die die Reichweite der persönlichen Handlungen immer weiter über die persönliche Verantwortungsmöglichkeit hinaus ausdehnen, andererseits aber auch Mittel, die die Menschen kommunikativ einander annähern und somit den moralischen Diskurs technisch erleichtern. Immer mehr Menschen sind zu potentiellen Objekten der Handlungen anderer, ja weniger Menschen geworden. Es sind „Kriege“ möglich, die in kürzester Zeit sogar alle Menschen betreffen können, und zu gleicher Zeit richten sich die moralischen Appelle aus verschiedenen weltanschaulichen Lagern an alle. Nichts scheint näher zu liegen, als in dieser Situation eine „Makroethik“ zu postulieren, die auch diese gefährliche Konfrontation noch umgreifen soll3. Da es nicht möglich ist, dogmatische positive Grundsätze einer solchen „Makroethik“ allgemein verbindlich zu formulieren, wird auf Regeln rekurriert, die schon im „vernünftigen“ Argumentieren selbst liegen sollen. Wer immer sich überhaupt auf Fragen der Moral einläßt, scheint doch schon bestimmte Regeln für sich anzuerkennen, über die folglich nicht erst noch diskutiert zu werden braucht. Er ist zum Gespräch bereit und damit darauf eingestellt, anderen zuzuhören und sich deren Argumente anzuhören. Er ist um eine „gemeinsame Sprache“ bemüht. Insofern soll der moralische Disput an ihm selbst schon moralisch sein. In ihm selbst soll der Wille des Sicheinlassens auf andere und folglich zur Konfliktvermeidung wirksam sein. Wenn damit auch noch nichts über weitere Moralvorstellungen, über die der Disput jeweils geht, gesagt ist, so soll der Hinweis auf die schon praktizierte Moral des Disputes selbst die Partner daran erinnern, daß sie schon Partner sind und 3
Vgl. K.-O. Apel, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik, in: K.-O. Apel, Transformation der Philosophie, Bd. 11, Frankfurt / M. 1973.
Moral oder Gerechtigkeit?
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daß bei aller noch bestehenden Meinungsverschiedenheit über die zu diskutierende moralische Sache die Sache der Moral, generell gesehen, sie schon umgreift und vereinigt. Sie ist sozusagen mit dem Logos selbst schon da. Ähnlich mag Sokrates gedacht haben, als er seine Dialogpartner auf die „Erinnerung“ an die überzeitlichen Ideen verwies. Zumindest war es Platon, der den Sokrates seiner geschriebenen Dialoge so denken ließ. Von Grund auf, nämlich aus dem Grunde ihrer unsterblichen, dem Überzeitlichen zugewandten logischen Seele, so wurde den anderen gesagt, wüßten sie schon immer, was das Wahre und Gute sei. Die logische Seele brauche sich nur selbst zu betrachten. In sich habe sie das Wahre und Gute wie in einem Spiegel. Die anderen wurden angeleitet, diese Reflexion auf die logische Seele zu vollziehen und sie für sich habituell zu machen, um damit zugleich ihr äußeres Handeln moralisch zu gestalten. Sokrates selbst geht aus dieser Haltung in den Tod. Er zeigt damit auch für andere, wie ernst es ihm mit dem Logos, und das heißt in diesem Zusammenhang notwendig auch: mit der Unsterblichkeit der Seele ist. Das logische Argumentieren hat jedoch in seiner philosophischen Selbstreflexion sein eigenes Schicksal erfahren. Kant sammelte nicht nur die Widersprüche in den Reden an|197|derer oder der „gewöhnlichen“, noch unphilosophischen Vorstellung. Er zeigte Widersprüche auf, zu denen die reine Vernunft aus sich selbst gelangt, wenn sie sich nicht darauf beschränkt, sich auf Gegenstände möglicher Erfahrung als einer Erkenntnis aus sinnlichen Wahrnehmungen zu beziehen. Mit der rationalen Theologie und der rationalen Kosmologie verfiel damit, als Erkenntnis aus „reiner“ Vernunft, auch die rationale Seelenlehre der Kritik. Die logische Seele kann sich selbst unter kritischem Aspekt nicht zum Gegenstand der Erkenntnis werden. Folglich wurde auch aller Begründung der Moral aus einer dem Disputieren über bestimmte Inhalte bereits vorgegebenen Beschaffenheit der Seele oder der Gesinnung des diskutierenden Subjekts der philosophische Boden entzogen. Es war da nichts mehr wahrzunehmen, woran sie hätte „erinnert“ werden können. Denn alles, was forthin noch als Gegenstand der Erkenntnis gedacht werden konnte, war als etwas zu denken, das sich der Konstitution vor dem Subjekt verdankt: als logisch bestimmter Gegenstand der raumzeitlichen Anschauung. Was immer das Subjekt „in“ sich zu eruieren glaubt, ist nur „empirischen“ Charakters und folglich kein mögliches Objekt einer moralischen Argumentation, die unbegrenzte Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte. Zum Beispiel muß die Bereitschaft, sich auf andere verstehend einzulassen und auch für deren Argumente aufgeschlossen zu sein, nicht unbedingt der wirkliche Beweggrund dafür sein, daß man miteinander redet. Die Partner des Sokrates, die Sophisten, hätten hier noch realistischer einen Willen zur Überredung vermutet, als einen Willen zur Macht über die anderen.
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Natürlich „soll“ das nach moralischen Vorstellungen, zumindest nach unseren moralischen Vorstellungen, nicht so sein. Doch gerade diese Moral könnte nach ihrer Begründung gefragt werden. Kant setzt deshalb bei dem an, was im Bewußtsein einzelner Personen als moralische Maxime gilt, und fragt von da aus nach der Rechtfertigung des universalen Anspruchs solcher Maximen. Er ist nach ihm gerechtfertigt, wenn sich denken läßt, daß eine dermaßen in Frage gestellte subjektive Maxime des Handelns „zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“4. Das läßt sich denken, wenn sich damit kein Widerspruch ergibt. In dieser logischen Begründung moralischer Grundsätze mit universaler Geltung, die nach Kant aus kritischem Bewußtsein die einzig mögliche ist, ist allerdings von der Bedeutung für andere Personen abgesehen, und gerade damit ist vorausgesetzt, daß die zu prüfende Handlungsmaxime nur in einer Bedeutung verstanden ist. Hier braucht sich deshalb niemand schon auf die moralische Haltung eingelassen zu haben, sich gegenüber dem Verständnis anderer aufzuschließen. Diese „monologische“ Position ist für die unter kritischem Aspekt einzig verbleibende Möglichkeit einer rationalen Begründung von Moralität wesentlich. Und sie genügt ja auch: Es geht hier nur darum, den einzelnen wissen zu lassen, daß er moralisch handelt, wenn er nach Maximen handelt, die diese logische Prüfung bestanden haben. Ob er aber wirklich nach solchen Maximen handelt, weiß er damit noch nicht. Er kennt, da er sich selbst nicht völlig durchsichtig ist, sondern mit sich selbst immer nur als mit einem Gegenstand empirischer Erkenntnis, das heißt mit sich, wie er sich „erscheint“, zu tun haben kann, nicht die wirklichen „Triebfedern“ seiner Handlung5. Die |198| Maxime sagt nichts aus über das, was in der konkreten Situation zum Tun oder zum Unterlassen bewegt. Er kennt aus seiner bedingten Sicht heraus auch nicht die Folgen, die er mit seiner Handlung auslöst, und weiß in diesem Sinne nicht, „was“ er wirklich tut. Er weiß nur, daß ein Handeln nach dieser Maxime ein moralisches Handeln ist. Auf der Höhe der Kantischen Reflexion haben sich die handelnden Subjekte zuzugestehen, daß sie hinsichtlich der Moralität ihres Tuns vernünftigerweise über die Moralität ihrer Maxime hinaus nichts wissen können, da sich unter allgemeinem Anspruch Moral nur so als begründet wissen kann. Das wirkliche Handeln muß daher nach Kant von einer „äußeren Gesetzgebung“ geregelt werden, die die einzelnen „zwingen“ kann, von der eigenen Freiheit – und das heißt nun: auch vom Handeln aus eigener moralischer Überzeugung, das sich vor sich selbst als „vernünftig“ versteht – nur insoweit Gebrauch zu machen, als dadurch die gleiche Freiheit anderer 4 5
Kant, Kritik der praktischen Vernunft, § 7. Vgl. Kant, Anthropologie, AA VII, 121.
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nicht beeinträchtigt wird6. Die „innere“ vernünftige Begründung der Moral fordert komplementär eine „äußere“ Gesetzgebung und eine Rechtspraxis, in der ein möglicher Disput von moralischen Be- und Entschuldigungen aus dem jeweiligen eigenen moralischen Selbstverständnis im allgemeinen Interesse notfalls durch einen Zwang „von außen“ beendet werden kann. Das moralische Bewußtsein und die äußere Praxis fallen damit auseinander. Die einzig „vernünftige“ Begründung von Moral unterscheidet sie zugleich von einer äußeren Gerechtigkeit, ohne die ein wirkliches Zusammenleben nun nicht mehr denkbar ist.
II. Nach Platon sollten noch die Philosophen mit dem Blick auf die Ideen den Staat regieren und aus ihrem Wissen um das Gute Gerechtigkeit bewirken. Sie sollten darin sozusagen das Innere ihres „vernünftigen“ Seelenteils nach außen hin mitteilen. Nach Kant bleibt das moralisch Gute „innerlich“. Der gute Wille des vernünftigen moralischen Bewußtseins kann für das demgegenüber „äußere“ Zusammenleben nichts mehr garantieren. Es scheint nur noch unter dem Mechanismus rechtlichen Zwangs gesichert zu sein. Zwar sollen die Gesetze so beschaffen sein, daß das Volk sie sich immer auch selbst hätte auferlegen können7. Wenn sie aber anders sind, bestehen sie dennoch zu Recht, denn daß sie bestehen und mit der Macht zu zwingen ausgestattet sind, macht sie erst zu der geforderten Ergänzung zur Vernunftmoral. Wenn der Gesetzgeber als moralische Person seine Maximen auch auf ihre Moralität hin prüfen soll, die erlassenen Gesetze müssen beachtet werden, selbst wenn sie den Betroffenen nicht als moralisch erscheinen8. Die Vernunft nimmt sich im Akt der vernünftigen Moralbegründung zugleich aus der Welt. Die Welt bleibt, nun aus Vernunftgründen, dem Zwang überlassen, so daß es eine Sache des geschichtlichen Zufalls zu sein scheint, ob in der Tat fortwährend rechtliche Zustände bestehen, die ihren Bestand garantieren. In der Situation Kants betraf diese |199| Frage nur die politische Welt. Es war noch keine Frage, ob die natürliche Welt bei einem Unglück im Politischen verschont bliebe, und so konnte die plausible Meinung bestehen, daß revolutionäre Neuanfänge im Politischen die notwendigen natürlichen Lebensbedingungen immer noch unversehrt vorfinden könnten. Der gedankliche Rekurs auf eine Natur vor aller Institutionalisie6 7 8
Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, AA VIII, 39. „Recht und Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei“. Kant, Einleitung in die Rechtslehre, § E, AA VI, 232.
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rung zwingender Rechtssysteme galt als kritische Instanz gegenüber dem Zwang der Institutionen, die, zumindest in den Augen derer, die die Macht zum Umsturz faktisch besaßen, ihre moralische Fundierung nicht mehr nachweisen konnten9. In solchen Vorstellungen entzweien sich Vernunftbegriff und geschichtliche Wirklichkeit notwendig, denn der Gedanke der äußeren Gerechtigkeit schließt auf dem Boden einer vernünftigen Moralitätsbegründung per se den der notwendigen moralischen Legitimierung des Rechts aus: Das der Vernunftmoral komplementäre Recht muß auch gegenüber der Vorstellung seiner moralischen Unzulänglichkeit zwingen können, denn nur darin hat es nun seine Legitimität. Die Philosophie Hegels setzt an diesem Dilemma der Vernunftmoral an. Sie zielt auf eine „Versöhnung“ des Inneren und Äußeren oder auf einen Begriff der Vernunft, in dem sie sich mit der Einheit von Innerem und Äußerem, d. h. nach Hegel: mit der „Wirklichkeit“ deckt10. Nach Hegel ist der „Geist“, in dem Menschen wirklich leben und zusammen leben können, der Gegenstand der Philosophie, als der „Geist“, in dem sowohl jeder nach seinen eigenen moralischen Grundsätzen leben kann als auch alle unter „äußeren“ Bedingungen zusammen leben können. Das ist nach Hegel der „Geist“ der „Anerkennung“ des einzelnen „als der absolut in sich seienden Einzelheit“, den er, insofern er „da“ ist oder als „daseienden Geist“, auch den „absoluten Geist“ nennt11. Dieser Geist ist „da“ oder „bei uns“12, wenn immer Menschen als Lebewesen mit ihren eigenen bewußten Vorstellungen vom guten Leben zugleich zusammen leben können, also im wirklichen 9
Vgl. Kants Rekurs auf Rousseau (Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, Akademie-Ausgabe VIII, 116ff.), der aber keine Rechtfertigung des Umsturzes, sondern nur die Forderung von kulturellen Einrichtungen impliziert, die den natürlichen Voraussetzungen und „Anlagen der Menschheit“ nicht widerstreiten. Politische Umstürze bleiben für Kant bekanntlich selbst quasi naturhafte Ereignisse, nach denen sich rechtliche Verhältnisse neu aufbauen müssen, ohne daß von der Moralphilosophie her das Gelingen und die Art solch einer neuen Institution gesichert sein könnte (vgl. „Der Streit der Fakultäten“, Akademie-Ausgabe VII, 92f.; Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, II. Teil, Allgem. Anm. A, AA VI, 318-323). 10 Hegel, Wissenschaft der Logik, II, ed. Lasson, 156; GW 11, 369. 11 Hegel, Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister, 471; GW 9, 361. – Dieser Geist der Anerkennung ist der „absolute Geist“, insofern sich in ihm die einzelnen nicht mehr nur als dieses oder als jenes anerkennen, als das sie unter allgemeinen (moralischen) Vorstellungen als anerkennenswert gelten, sondern in ihrer „absolut in sich seienden Einzelheit, in der sie füreinander da sind. Insofern ist dieses Anerkennen mit dem „existierenden Begriff“ gleichzusetzen, der nach Hegel, im Gegensatz zum subsumierend identifizierenden Begriff, auch „freie Macht“, „freie Liebe und schrankenlose Seligkeit“ genannt werden kann (Wissenschaft der Logik II, 242f.; GW 12, 35). 12 Vgl. Phänomenologie des Geistes, 64; GW 9, 53.
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Leben. Dieses „Dasein“ des Geistes gegenseitiger Anerkennung ist somit Bedingung der Moral und des Rechts. Als beidem vorausliegende daseiende Bedingung ist der Geist weder moralischen noch rechtlichen Ursprungs, sondern absolut. Sein Begriff schließt sein ‚Dasein‘ ein. Es ist heute, angesichts der möglichen Ausmaße eines moralischen oder politischen Unglücks, leichter zu verstehen, daß er von Hegel auch als das Absolute gegenüber |200| dem Bestand der Natur gedacht ist, auf deren verbleibender Basis sich das Leben nach solch einem Unglück neu organisieren könnte. Während bei Kant die Vernunft im Zusammenhang mit der Begründung der Moral ihre „äußere“ weltliche Bedingung der Zufälligkeit des Daseins bestehender Rechtsordnungen überlassen muß, setzt Hegel der Sache nach bei einem Absoluten an, das „dasein“ muß, wenn immer sich Menschen mit ihren moralischen Vorstellungen unter rechtlichen Verhältnissen bewahrt wissen können. Für Kant hatte der Begriff eines daseienden Absoluten nur noch Sinn innerhalb der moralischen Überlegung, als Postulat der praktischen Vernunft. Bei Hegel ist das Dasein des Absoluten als der Anfang zu denken, und zwar nicht, weil es dogmatisch an den Anfang des Philosophierens gesetzt wäre, sondern weil der Weg des Begreifens, der durchaus die Kantische Kritik nachvollzieht, zu diesem Gedanken führt. Man könnte mit Hegel sagen, in diesem Gedanken eines ‚daseienden‘ Absoluten komme das menschliche Begreifen erst zu sich als seiner Wirklichkeit, als der darin begriffenen Einheit des (moralischen) Inneren und des (rechtlich-institutionellen) Äußeren. Dieser „absolute Geist“ ist also nicht mehr als etwas Jenseitiges vorzustellen, sondern als der Geist, aus dem heraus bewußte Wesen leben, d. h. aus dem heraus sie sich sowohl aus moralischer Vernunft zu Handlungen entschließen als auch einem demgegenüber äußeren Recht verpflichtet wissen können. Das Wichtigste ist hier aber, daß an diesen Geist nun nicht wieder moralische Kriterien herangetragen werden können, um ihn zu rechtfertigen, und daß er, wenn sie in einem Rückfall hinter diese philosophische Einsicht doch an ihn herangetragen werden, sich darin zeigt, daß er, als Geist auch des zwingenden Rechts demgegenüber Bestand hat. Die ganze Epoche der Vernunftmoral ist durch seinen philosophischen Begriff relativiert. Daß er da ist, ist Bedingung der Möglichkeit auch für das moralische Bewußtsein, ja sogar für verbleibende Möglichkeiten eines Umdenkens oder einer politischen Neuorganisation nach politischen und moralischen Katastrophen auf der Basis einer dann noch existierenden Natur. Es muß immer eine Natur sein, die (noch) so beschaffen ist, daß sich auf ihrer Grundlage das menschliche Leben wieder erneuern kann, d. h. sie muß (noch) affin sein zu den Bedingungen eines menschlichen Lebens als eines Lebens in Freiheit.
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III. Nach Hegel sind Moral und Recht aufeinander verwiesen und darin bedingt13. Das vorphilosophische Bewußtsein hat diese schon bei Kant angelegte Einsicht nicht zur Kenntnis genommen. Es versteht sich immer noch zuerst als moralisch, und indem es die Moral absolut nimmt, will es auch die Gerechtigkeit moralisch verstehen. Es setzt seine faktische Macht oder Ohnmacht gegen das bestehende Recht und verläßt damit die „innere“ Sphäre, in der oder für die die Moral sich unter kritischen, undogmatischen Ge|201|sichtspunkten allein noch als vernünftig verstehen kann. Darin dokumentiert sich dann, im Gefühl der Moralität, nur noch ein blinder Wille zur Macht. Nietzsche brauchte diesen Charakter des moralischen Bewußtseins, einschließlich des sich moralisch begründenden Rechtsdenkens, nur herauszustreichen. „Wille zur Macht“ ist für ihn der Beweggrund aller Handlungen aus moralischer Überzeugung, zu denen auch das auf seine Wirkung bedachte moralische Beurteilen der Handlungen anderer gehört. Er setzt dem nihilistischen Grundzug solcher Taten aus „Überzeugung“, von dem die Geschichte immer deutlichere Beispiele gibt, die „Gerechtigkeit“ entgegen. Heidegger hat diesen Begriff Nietzsches selbst noch als „höchste Weise des Willens zur Macht“ verstanden, als Ausdruck des „Befehlscharakters des menschlichen Erkennens“14. Der „Wille zur Macht“ muß aber, wenn er sich wirklich selbst will, d. h. wenn er auf die Rechtfertigung der „Erde“, auf Anerkennung des Daseins aus ist, in eine „Gerechtigkeit“ umschlagen, die eine „Gegnerin der Überzeugungen“ ist15. „Sie will Jedem, 13 Vgl. den Aufbau der Hegelschen Rechtsphilosophie, in dem das „abstrakte Recht“ und die „Moralität“ ihre „Wahrheit“ in der „Sittlichkeit“ haben, die sich ihrerseits als Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat darstellt (Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 141). 14 Heidegger, Nietzsche, 1961, Bd. II, 325 bzw. Bd. I, 647. 15 Daß der „Wille zur Macht“ „in seiner höchsten Weise“ als Gerechtigkeit „dem Werden den Charakter des Seins“ (Nachlaß, KGW VIII 1, 320) dadurch aufprägt, daß er selbst, in einer Negation der moralischen Negation des Seins, in der dem „endlichen“ Sein in der Kategorie des Sollens ein „wahres“ Sein entgegengesetzt wird, in eine Bejahung des Seins umschlägt, bedeutet eine Differenzierung im Begriff des „Willens zur Macht“. Sie führt zugleich zu einem differenzierteren NietzscheVerständnis, besonders auf dem Gebiet der Ethik und der Politik (vgl. Anm. 40). Nietzsches Moralitätskritik findet dadurch ein ethisches Ziel: Als seinsbejahende „Gerechtigkeit“ kommt der Wille zur Macht zu sich selbst. Er schlägt um in ein ruhiges Seinlassen, in dem er anderes dadurch in seinem Sein läßt oder anerkennt, daß er zugleich von sich als der (moralischen) Vorstellung, wie es sein sollte, abläßt. Somit läßt sich der „Wille zur Macht“ als „Wille zur Moral“ (Nachlaß, VIII 1, 219) eigentlich nur aus moralischer Interpretation vom „Willen zur Macht“ als „Gerechtigkeit“ unterscheiden. „Alle die Triebe und Mächte, welche von der Moral
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sei es ein Belebtes oder Todtes, Wirkliches oder Gedachtes, das Seine geben – und dazu muß sie es rein erkennen; sie stellt daher jedes Ding in das beste Licht und geht um dasselbe mit sorgsamem Auge herum. Zuletzt wird sie selbst ihrer Gegnerin, der blinden und kurzsichtigen ,Überzeugung‘ ... geben was der Überzeugung ist, um der Wahrheit willen“16. Diese Wahrheit ist das, woraus alles, „Belebtes oder Todtes, Wirkliches oder Gedachtes“ und auch die Überzeugung sein kann. Diese Gerechtigkeit kann infolgedessen auch nicht mehr Gegenstand einer Absicht sein. Sie ist verschieden von der „kalten Gerechtigkeit“ des äußerlich zwingenden Rechts, aber auch von der „inneren“ moralischen Überzeugung, im Recht zu |202| sein. Sie ist nach Nietzsche „Liebe mit sehenden Augen“, „welche nicht nur alle Strafe, sondern auch alle Schuld trägt“, als eine Gerechtigkeit, „die Jeden freispricht, ausgenommen die Richtenden!“17. Gerecht ist demnach, wer stark genug ist, um andere und anderes sein zu lassen, wie es ist, statt es, in der Identifizierung als „gleiche Fälle“, mit anderem „unter“ Begriffe zu subsumieren und damit einen „allgemeinen“ Gesichtspunkt an es heranzutragen, der bestimmt, was es sein sollte. Gerechtigkeit geschieht aus der Stärke, Rechte zu verleihen18 und „versprechen“ zu dürfen, generell gesagt: aus der Kraft, das Dasein in seiner jeweiligen Individualität zu gelobt werden, ergeben sich mir als essentiell gleich mit dem von ihr verleumdeten und abgelehnten: z. B. Gerechtigkeit als Wille zur Macht“ (Nachlaß, VIII 1, 311). Aus ihrem Blickpunkt muß die Moral, die ihrem Wesen nach mit ihren Vorstellungen vom „wahren“ Sein auf anderes bestimmend übergreift, die Gerechtigkeit, als die „Tugend“ einer in sich ruhenden und das wirkliche Sein bejahenden Stärke ablehnen, sozusagen aus dem instinktiven Wissen, daß die Gerechtigkeit die umfassendere „Perspektive“ ist, weil sie die nicht mehr übergreifende, sondern seinlassende „Perspektive“ und damit eigentlich gar keine Perspektive mehr ist. Die Gerechtigkeit kann auch der Moral gegenüber gerecht sein, während umgekehrt die Gerechtigkeit der Moral „wesentlich“ als unmoralisch erscheinen muß. Nietzsches Moralitätskritik und damit auch seine Kritik des von ihm fast ausschließlich als Moralitätsdenken verstandenen Christentums erscheinen somit in einer ethischen Dimension, wenn er die „Tugend“ der Gerechtigkeit, z. B. als „Liebe mit sehenden Augen“, in einer Sprache charakterisiert, deren christliche Anklänge nicht zu überhören sind. (Zum Begriff der Gerechtigkeit im Zusammenhang mit dem Erkenntnisbegriff vgl. Friedrich Kaulbach, Die Tugend der Gerechtigkeit und das philosophische Erkennen, in: Nietzsche kontrovers, 1981, 59ff.). 16 Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches I, KGW IV 2, 373. 17 Nietzsche, Zarathustra, KGW VII, 84. – Die Charakterisierung der Gerechtigkeit als „Liebe mit sehenden Augen“ erinnert an ihre Umschreibung bei Leibniz als „caritas sapientis“ (Akademie-Ausgabe II 1, 23), so wie auch ihre Charakterisierung als Individuation an die Leibnizsche-Philosophie der „individuellen Substanzen“ und der Rechtfertigung der individuellen Perspektive erinnert. – Auch die Leibnizsche Betonung des unbewußten Seins gegenüber dem bewußten Selbstbegriff findet Nietzsches Zustimmung (Fröhliche Wissenschaft, KGW V 2, 280). 18 Nietzsche, Morgenröte, KGW V 1, 272.
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bejahen19. Für sie ist sowohl die eigene wie die andere Individualität „etwas Absolutes“20. Insofern stellt sie keine moralischen Ansprüche an andere, mit denen versucht würde, sich ihnen gegenüber zu behaupten. Vielmehr ist sie so stark, daß sie anderes in seinem eigenen, individuellen Sein „rein erkennen“ will, und dieses Erkennen ist nun nicht mehr verstanden als Subsumtion „unter“ Begriffe oder unter die eigene Perspektive, sondern, analog zu Hegels „Begriff“ des Begriffs, als „Liebe mit sehenden Augen“. In der Gerechtigkeit ist aber auch begriffen, daß jeder seine „Überzeugungen“ oder seine Perspektiven haben muß, weil begriffliches Denken als solches perspektivisch ist. Auch das Sein der jeweiligen (moralischen) Überzeugungen ist „zuletzt“ anerkannt in der Gerechtigkeit, die sich nun nicht mehr selbst als moralisch begründet verstehen kann. Sie hat Begründungen, d. h. Zurückführung auf etwas anderes, nicht mehr nötig. Es ist offensichtlich, daß Nietzsche mit dieser Macht, aus der heraus Gerechtigkeit geschieht, keine Gewalt mehr meinen kann, die sich aus irgendeinem reflektierten Selbstverständnis heraus gegenüber der bloßen Individualität anderer überlegen wüßte. Sie ist vielmehr deshalb eine Macht, weil sie sich, auch in ihrer eigenen Überzeugung, selbst genug ist, so daß sie alles andere ebenfalls sein lassen kann, wie es ist – wenn es sich um andere Menschen handelt, einschließlich ihrer jeweiligen Überzeugungen. Diese Gerechtigkeit kann folglich nicht Inhalt einer „Lehre“ sein. Wenn sie so verstanden wird, kann sie nicht einmal mehr sagen, sie „sollte“ nicht so verstanden werden. Es ist dann ihr „Schicksal“, so von anderen verstanden zu werden21. Denn alles Verstehen geschieht auf dem Hintergrund der Überzeugung des Verstehenden. Auch ihr gegenüber ist die Gerechtigkeit „zuletzt“ gerecht. Darin erst ist sie vollendet. Die (moralische) Überzeugung, die aus ihrem Bewußtsein heraus fordert, was sein soll, ist ihrerseits nur, weil auch ihr Gerechtigkeit widerfährt. Von daher, d. h. aus dem, was ihr nichtbewußtes Sein ausmacht, ist sie möglich. Die Gerechtigkeit kann also ihrerseits nicht etwas sein, das sein soll. Sie ist das, |203| was als das Absolute allem zugrunde liegt. Insofern ist nicht denkbar, daß sie nicht sei, so daß man sich um irgendetwas zu sorgen habe. Zu sorgen hat sich nur der „kleine Mensch“, daß irgendetwas nicht der Vorstellung, wie es sein sollte, entsprechen könnte. Der Gerechte stimmt dem Sein von allem, wie es ist, zu. Er ist in seinem Sein in dieser Übereinstimmung mit allem. In seinen 19 Nietzsche, Genealogie, KGW VI 2, 309. – Es ist also die überhaupt nicht zu fordernde individuelle Fähigkeit gemeint, Versprechen zu halten, und nicht die allgemeine moralische Forderung, daß sie gehalten werden sollten. Nietzsche bezieht sich auf ein Dürfen und nicht auf ein Sollen. 20 Nietzsche, Nachlaß, KGW VII 1,705. 21 Vgl. Nietzsche, Zarathustra, KGW VI 1, 271.
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Vorstellungen mag er dagegen immer noch im Widerstreit mit dem Sein liegen, weil er sich seine Gedanken „darüber“ macht und aufgrund seiner Befindlichkeit machen muß, um sich in der überzeugten Vorstellung zu behaupten, die er von sich selbst hat. Insofern ist er immer noch ein „kleiner Mensch“. Aber die Gerechtigkeit gesteht ihm dies zu. Sie gibt „selbst ihrer Gegnerin, der blinden und kurzsichtigen ‚Überzeugung‘ ... was der Überzeugung ist“. Ohne Überzeugung ist kein Leben bewußter Wesen möglich. Es ist offensichtlich, daß der „gerechte“ und der „moralische“ Mensch keine verschiedenen Klassen von Menschen darstellen. Solch eine Einteilung unter Allgemeinbegriffen wäre schon wieder „moralische Ontologie“22. Es steht hier vielmehr der Aspekt der Individualität gegen den Aspekt des Subsumtionsdenkens, eines Schemas, das wir „nicht ablegen können“23. In jedem „gerechten“, starken Menschen ist immer auch noch der „kleine Mensch“. Der nur große Mensch wäre, wie Nietzsches Grenzbegriff lautet, der „Übermensch“. Aber in ihm kehrt der „kleine Mensch“ „ewig wieder“24, der es nicht aushält, für sich zu sein und alle Schuld auf sich zu nehmen, d. h. auch andere in ihrer Individualität sein zu lassen, was sie von sich aus sein wollen. „Die Starken streben ebenso naturnotwendig auseinander, als die Schwachen zueinander“25. Vom subsumierenden moralisch-ontologischen Denken her gesehen tritt die Stärke als „Tugend“ der Gerechtigkeit nur im Aushalten des Widerspruchs gegen das subsumierende Denken in Erscheinung, da, wo sich die Logik „in den Schwanz beißt“26. Nietzsche versucht mit der „Gerechtigkeit“ einen vormetaphysischen Grundzug zur Sprache zu bringen, der schon bei den Vorsokratikern vom moralischen Denken überlagert worden sei – z. B. wenn Anaximander, nachdem er „das Knäuel des tiefsinnigsten ethischen Problems“ – „wie kann etwas vergehen, das ein Recht hat, zu sein!“ – „erhascht“ habe, „in eine metaphysische Burg“ geflüchtet sei und das „Zugrundegehn aller Dinge als Strafe für ihre Emanzipation vom reinen Sein“ verstehe27.
22 23 24 25
Nietzsche, Nachlaß, KGW VIII 1, 273. Nietzsche, Nachlaß, KGW VIII 1, 197f. Nietzsche, Zarathustra, KGW VI 1, 270. Nietzsche, Genealogie, KGW VI 2, 402. – Die Starken leben im „Pathos der Distanz“ (vgl. Anmerkung 40). 26 Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, KGW III 1, 97. 27 Nietzsche, Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen, KGW III 2, 314.
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IV. Die sachliche Nähe zu Hegels Begriff des „absoluten Geistes“ ist hier über die Verschiedenheit der Ausdrucksweise hinweg unverkennbar. Sie war Nietzsche selbst wohl bewußt, wenn er die Hegelsche Philosophie als einen Versuch verstand, „den ‚morali|204|schen Gott‘ zu überwinden“, aber die Wahrheit des vernünftigen, begrifflichen Denkens weiterhin vorauszusetzen28. Hegels „Begriff“ ist aber nicht mehr der Allgemeinbegriff, „unter“ den zu subsumieren sei, sondern der Begriff als das Begreifen der Absolutheit der individuellen Person, die sich, als das in (Subsumtions-)Begriffen Denkende, ihrerseits nicht unter solche Begriffe subsumieren läßt. Auf der Stufe der Reflexion stellt sich das Absolute als Widerspruch dagegen dar29. Auf der Stufe des „Begriffs“ ist die individuelle Person selbst „der“ Begriff, indem sie das andere ihrer selbst nicht mehr subsumiert oder beurteilt, sondern sein läßt in seinem Begriff, ebenfalls „Person“ und als solche „undurchdringliche, atome Subjektivität“ zu sein. Dieser Begriff ist „absolute Idee“30. Natürlich sind dies nur sehr allgemeine Vergleichspunkte. Ein näherer Vergleich zwischen Hegel und Nietzsche ist dadurch erschwert, daß das Verständnis beider Philosophen immer noch vom moralischen Denken überlagert ist, das in der Philosophie nach Überzeugungen, möglichst nach einer Bestätigung der eigenen sucht und von daher in vermeintlich „kritischer“ Einstellung urteilt. Es hilft gegen dieses Vorurteil nicht viel, daß nach dem bei Hegel erreichten kritischen Philosophiebegriff z. B. eine Abhandlung über den Staat „als philosophische Schrift ... am entferntesten davon sein“ muß, „einen Staat, wie er sein soll, konstruieren zu sollen“31. Der Satz Hegels, daß das Wirkliche das Vernünftige und das Vernünftige das Wirkliche sei, löst immer noch moralische Entrüstung aus. Wenn nach Hegel der „Staat als ein in sich Vernünftiges zu begreifen“32 ist, dann bezieht sich dies gegen die moralische Ansicht von dem, was ein Staat allgemein sein sollte, auf den konkreten, individuellen Staat, der so ist, wie er ist, und in dem die Gerechtigkeit existiert, die die jeweilige konkrete Freiheit ermöglicht. Wenn Hegel von der „Idee“ spricht, dann versteht er darunter immer schon die Einheit von Begriff und Wirklichkeit33 oder den wirklichen, 28 29 30 31
Nietzsche, Nachlaß, KGW VIII 1, 124. Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik II, 49; GW 11, 279. Ebd., 484; GW 12, 236. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorrede, ed. Glockner, Bd. 7, 33; GW 14.1, 15. 32 Ebd. 33 Die „Idee“ des Rechts ist „Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung“, ebd., § 1, a. a. O., 38; GW 14.1, 23.
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existierenden Begriff als den Geist der Anerkennung, des Seinlassens anderer Individualität oder der so – und nicht mehr moralisch – verstandenen Gerechtigkeit. Es ist die Gerechtigkeit, wie sie, als „die Wirklichkeit der konkreten Freiheit“34 im Staat mit seinem positiven Recht historisch da ist, nur daß die Moralität noch nicht begriffen hat, daß auch sie ihr „Dasein“, als die sich so verstehende bestimmte Art von Moralität, dieser bestehenden Gerechtigkeit verdankt. Das „moralische Bewußtsein“ versteht vielmehr Gerechtigkeit als etwas, das von ihm zu besorgen sei. Der Bestand der Welt ist aus diesem sich selbst übernehmenden Denken heraus zu einem Objekt der Sorge geworden. Es schlägt dabei notwendig in die Angst um, gegenüber seiner Aufgabe zu versagen. Darin wird die Grundstruktur des moralischen Denkens für es selbst erfahrbar, als ein Denken, das sich von seinen Vorstellungen her versteht, wie die Dinge sein sollten oder um der Idee des Guten willen sein müßten, und das sich nur in der „Verwirklichung“ solcher Vorstellungen in seinem Sein gesichert weiß. Es hatte bislang seine Zuversicht daraus bezogen, daß es aus seinen Entwürfen, wie die Dinge sein sollten, zu befriedigenden Lösungen fortschreiten konnte, auch wenn sich |205| daraus immer wieder neue und oft größere Folgeprobleme ergaben. Das Ende dieser Zuversicht zeichnet sich aber ab, wenn infolge der zunehmenden „technischen“ Möglichkeiten nun der eigene Bestand das unmittelbare Objekt der Sorge geworden ist und sich keine besorgbaren Handlungszwecke mehr dazwischen schieben lassen, an deren Verwirklichung das moralische Bewußtsein sein Selbstbewußtsein aufrichten könnte. Der vorgreifende besorgte Blick auf das allgemeine Gute, unter dem die einzelne Individualität durchaus als Mittel gelten konnte, hat in dieser Angst seine Zukunft – verstanden als das, was im Sinne der eigenen Wertschätzung besser werden soll – aus den Augen verloren und beginnt zu begreifen, was ist35. In der dritten Formulierung des Kantischen „kategorischen Imperativs“ der „Grundlegung der Metaphysik der Sitten“ heißt es zwar schon: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“36. Aber hier ist der leitende Begriff doch noch nicht der Begriff der individuellen Person als deren Anerkennung in ihrer „absolut in sich seienden Einzelheit“, sondern der die Personen umfassende Begriff der Menschheit. Es ist auf der Höhe der Kantischen Moralbegründung schon selbstverständlich, daß damit nicht mehr gemeint sein kann, was sich 34 Ebd., § 260, a. a. O., 337; GW 14.1, 208. 35 „Sie ruinieren die Menschheit zu Gunsten des ‚Guten‘“. Nietzsche, Nachlaß, KGW VIII 2, 30l. 36 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 429.
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der eine oder der andere darunter inhaltlich vorstellen mag, wenn er eine bestimmte Handlungsweise für „menschlich“ oder für „unmenschlich“ hält. Darüber könnte ja sofort eine Diskussion entstehen, die ohne Rückgriff auf gemeinsame Prämissen als Urteile über das, was „menschlich“ sei, rational nicht zu beenden wäre. Kant kann unter „Menschheit“ nur die gemeinsame moralische Vernunft verstehen, als die „vernünftige Natur“ in jeder Person. Sie ist als das Allgemeine vorauszusetzen, auch wenn sie, als „noumenaler“ Charakter des Menschen, „innerlich“ bleibt und für andere in den wirklichen Handlungen nicht zu erkennen ist. Als Vernunftswesen ist die Person unantastbar. Das schließt die Achtung anderer moralischer Überzeugungen ein, aber nicht in ihrer Andersheit gegenüber den eigenen Überzeugungen, sondern weil – auch gegen den Anschein ihrer Äußerung in den wirklichen Handlungen – ihre Vernünftigkeit und damit ihre Moralität im „Innern“ der Personen vorausgesetzt bleiben soll. Es soll vorausgesetzt bleiben, daß das Subjekt der Handlungen bewußt nach Maximen gehandelt hat, die „zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten“ könnten, was immer auch die wirklichen „Triebfedern“ gewesen sein mögen. Bei Hegel und entschieden bei Nietzsche geht es dagegen um die Anerkennung der Überzeugung in ihrer sich individuell äußernden, d. h. möglicherweise als unvernünftig erscheinenden Andersheit. Es kann sich deshalb nicht mehr um die (moralische) Frage handeln, ob es sich nach dem Urteil des Anerkennenden um eine „gute“ Überzeugung und damit – wenn auch nicht in ihrem Inhalt, so doch in ihrer von der Vernunft geprüften Moralität – um eine mit der eigenen übereinstimmende Überzeugung handelt. Es geht jetzt um die Anerkennung der in ihren Handlungen und Äußerungen erscheinenden Personen, d. h. um die Anerkennung der Andersheit als solcher, ohne Rekurs auf einen sie umgreifenden allgemeinen Begriff. Das bedeutet auch das Eingeständnis der eigenen Andersheit gegenüber anderen, also die Zurücknahme auch des eigenen moralischen Urteils gegenüber der sich äußernden Andersheit des anderen. Das wird besonders deut|206|lich, wenn sich die Gerechtigkeit nach Nietzsche auf „Belebtes oder Todtes, Wirkliches oder Gedachtes“ erstrecken soll, d. h. ohne Rücksicht auf den Begriff, „unter“ den das andere gefaßt ist. Vor allem kann die Bedingung, es als anderes sein zu lassen, nicht darin bestehen, daß es unter einen Oberbegriff gefaßt ist, unter dem es als „gut“ beurteilt ist, erst recht nicht, daß es unter denselben Oberbegriff gefaßt ist, unter dem man sich selbst begreift, und sei es der Begriff der „Menschheit“. In solch einer Subsumtion liegt entweder die Unterwerfung des anderen unter das eigene Urteil als unter den „richtigen“ Begriff im inhaltlichen Sinne, oder, wie in der kritischen Begründung der Moral durch Kant, unter den Gesichtspunkt der formalen „Richtigkeit“ im Sinne der widerspruchsfreien Verallgemeinerungsfähigkeit der subjektiven Handlungsmaximen. Den anderen in seiner Menschheit oder
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als Vernunftwesen anzuerkennen, bedeutet dann seine Abtrennung von der unter Umständen befremdlichen Art, in der sich diese ihm zugestandene Vernünftigkeit für uns äußert, d. h. von dem, in dem er wirklich anders ist und anders zu denken scheint. Die „Tugend“ der Gerechtigkeit kann somit keine moralische Tugend mehr sein. Es ist eine „irdische“ Tugend, die an den Bestand der Erde denkt. Sie will die Erde keiner Überzeugung opfern, und sie ist deshalb nicht nur gerecht gegen andere, insofern sie als vernünftige Wesen vorausgesetzt bleiben sollen, sondern auch gerecht gegen andere in dem, was sie wirklich tun. Sie kann nicht mehr aus ihrer eigenen Sicht heraus Forderungen stellen, sondern besteht in der Kraft, die Wirklichkeit zu ertragen und, als „Liebe mit sehenden Augen,“ „alle Strafe“ „und auch alle Schuld“ auf sich zu nehmen. Sie weiß auch, wie schwer es ist, sich unter moralischen Urteilen zur Sprache zu bringen. Aber sie nimmt dies auf sich, „um der Wahrheit willen“37. |207| 37 Die Grammatik unserer Sprache ist nach Nietzsche schon die der „moralischen Ontologie“. Aber „was aus Liebe gethan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse“ (Jenseits von Gut und Böse, KGW VI 2, 99). In der Sprache der Gerechtigkeit hebt sich der moralische Gegensatz von Gut und Böse auf, weil sich der normativ-moralische Gesichtspunkt aufhebt, unter dem zwischen Sein und Gutsein unterschieden wird. Liebe macht nach Nietzsche diesen Unterschied nicht. Sie ist nicht das, was die normative Moral „unter“ dem Begriff Liebe versteht oder gar fordert, wenn sie sie als etwas „Gutes“ oder nur als ein Guttun beurteilt. – Entsprechend verändert sich die Semantik anderer „moralischer“ Begriffe unter dem „sehenden“ Aspekt der Gerechtigkeit, und generell könnte man Nietzsches „psychologische“ Analyse als den schwierigen Versuch des Übersetzens aus der moralischen Begrifflichkeit in die Sprache der Gerechtigkeit verstehen. So ist „Dankbarkeit“ für Nietzsche ebenso wie die „Gerechtigkeit“ etwas, was sich als „Vergeltung und Austausch unter der Voraussetzung einer ungefähr gleichen Machtstellung“ aus dem „Gesichtspunkt einer einsichtigen Selbsterhaltung“ ergibt (Menschliches, Allzumenschliches, KGW IV 2, 87f.). Unter moralischem Urteil werden diese „Vergeltung“ und dieser „Austausch“ eines sich gegenseitigen Anerkennens und Seinlassens in einen „guten“ und einen „bösen“ Wert zerlegt. Die böse Vergeltung heißt „Rache“, die gute „Dankbarkeit“, und so kommt Nietzsche zu der paradoxen Formulierung, „Dankbarkeit“ sei „die gute Rache“ (Morgenröte, KGW V 1, 129; Nachlaß, KGW VIII 2, 40). Die Dankbarkeit will den „Austausch“ unter Anerkennung des Aspekts des fremden Gesichtspunktes, die Rache unter Bewahrung des eigenen, und insofern unterscheiden sie sich nur, indem der Ausgleich nicht als bestehend und daher noch als etwas Gesolltes erscheint. Dankbarkeit wäre dann die höchste Annäherung an die Gerechtigkeit, der das moralische Bewußtsein fähig ist, sozusagen im Punkt des Übergangs. Gerechtigkeit und Liebe verstehen sich nicht auf die moralischen Unterscheidungen. Sie können sich aber unter der Vorherrschaft des moralischen Bewußtseins nur paradox äußern und haben ihre „Stärke“ im Aushalten dieser Situation. Die Interpretation der Philosophie Nietzsches unter ethischem Aspekt hätte bei solchen „semantischen“ Fragen und bei einer Kritik der moralischen Sprache als einer Sprache der normativen Verabsolutierung eines Standpunktes anzusetzen.
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V. Das moralische Bewußtsein kann nicht gerecht sein. Es könnte es nur, wenn ihm gewiß wäre, daß alle gerecht wären, und zwar nach seiner Vorstellung von Gerechtigkeit. Nur so könnte es seinen Bestand gesichert wissen. Es liegt in seiner Art, daß es außerhalb seiner das zwingende, äußere Recht und damit den Staat fordert. Es fordert ihn damit für seinesgleichen als für die, die auch nicht gerecht sind und deshalb weiterhin nach ihren (moralischen) Vorstellungen vom Besten über andere Macht gewinnen wollen. Die Idee vom Vertragsstaat ist eine moralische Vorstellung. Der Gerechte denkt dagegen über Recht und Staat anders. Er denkt ihn als den Zwang für das moralische Denken, durch den es vor seinesgleichen sicher ist und damit Bestand haben kann und auch schon hatte, als es seiner Meinung nach die moralische Pflicht der Staatsbildung erfüllte. Nach Hegel ist der Staat als „der Geist, der in der Welt steht“ oder als der „Gang Gottes in der Welt“38 die „Gestalt“, in der die Gerechtigkeit jeweils historisch faßbar oder „objektiv“ ist, d. h. die Gestalt, in der sie als Vorstellung ins Bewußtsein tritt. Nach Nietzsche ist Apoll als „Gott der Individuation und der Gerechtigkeitsgrenzen“ auch der „staatenbildende“39, und „Staat und Heimatsinn“ können „nicht ohne Bejahung der individuellen Persönlichkeit leben“40. Daß Staaten neben38 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 258 Zusatz, a. a. O., 334 bzw. 336. 39 Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, KGW III 1, 67. 40 Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, KGW III 1, 129. – Es findet sich bei Nietzsche natürlich keine ausgeformte Institutionenlehre. Aber von dem Begriff der Gerechtigkeit her lassen sich auch seine Äußerungen über den Staat differenzieren. Bisher wurde vor allem Nietzsches Kritik am Staat, verstanden als sozialer Zusammenschluß aus moralischem Bewußtsein und als Übergriff gegenüber dem einzelnen, herausgearbeitet (vgl. 1. Salaquarda in der Diskussion zu H. Baier, Die Gesellschaft – ein langer Schatten des toten Gottes. Friedrich Nietzsche und die Entstehung der Soziologie aus dem Geist der Décadence, in: Nietzsche-Studien, Bd. 10/11, 29). Nietzsche stellt aber einer solchen „Verfallsform des Staates“ (und überhaupt der Institutionen wie z. B. der Ehe; Götzendämmerung, KGW VI 3, 135f.) in der „unsittlichen Zeit“ der eigenen Gegenwart den Begriff eines Staates entgegen, der ganz aus dem Geist der Stärke heraus besteht, aus dem heraus „Gerechtigkeit“ sein kann. Es ist ein gestaltender Staat, in dem, im „Pathos der Distanz“, das „jeder starken Zeit zu eigen“ ist (Götzendämmerung, VI 3, 132), das, was ist, in seinem individuellen Sein ohne begrifflich-normative, „moralische“ Übergriffe bestehen gelassen wird, weil auch die „Gesellschaft“ über eine lange Zeit hinweg „als Ganzes für sich gutsagen kann“ (Götzendämmerung, VI 3, 136; hierzu H. Baier, a. a.O., 6ff.). – Wenn Nietzsche in der modernen Demokratie eine Verfallsform des so begriffenen Staates sieht, in einer Zeit, in der man „für heute, ... sehr geschwind, ... sehr unverantwortlich“ lebt (Götzendämmerung, VI 3, 135), so liegt der Grund darin, daß er, ähnlich wie in seiner Kritik des Christentums, aus seiner eigenen geschichtlichen Perspektive in der Demokratie zunächst die Herrschaft des moralischen Bewußtseins sieht und nicht ein institutionalisiertes „Versprechen“ gegen Übergriffe
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einander bestehen, ist objektiver Ausdruck der Gerechtigkeit als dieser ‚Bejahung‘, in der „der wirkliche Mensch einen viel höheren Wert darstellt als der wünsch|208|bare Mensch irgendeines bisherigen Ideals“41. Aber kein objektiver Staat kann als dieser bestimmte Staat als gerecht beurteilt werden, weil er schon wegen seiner individuellen „irdischen“ Bedingtheit nicht dem entspricht, was sich das moralische Bewußtsein als Ideal vorstellt. Er repräsentiert für es immer nur die „kalte“, äußere oder formelle Gerechtigkeit. Auch auf den „starken“ Menschen muß er so wirken, sofern er ihn in die Pflicht nimmt und moralische Forderungen an ihn stellt. Doch der Gerechte ist darin gerecht, daß er auch dem moralisch erscheinenden Staat gibt, was des Staates ist, nicht weil er mit ihm moralisch übereinstimmte, sondern weil er in diesem Staat und mit ihm zusammen ist. Er hat keine Ressentiments. Aber im Grenzfall hat er ein tragisches Verhältnis zum Staat. Zwischen den Staaten besteht kein moralisches Verhältnis, sondern ein wenn auch noch so kompliziertes und schwer zu analysierendes Gleichgewicht, in dem das moralische Gewicht, das sie für das moralische Bewußtsein haben, durchaus in die Waagschale fällt. Es wird nach Hegel und nach Nietzsche in Kriegen ausbalanciert. Im Krieg greifen die Staaten aufeinander über, d. h. sie nehmen die Struktur eines moralischen Verhältnisses zueinander an. Wenn aber der „Krieg“ nichts als die Zerstörung aller verspricht und deshalb seinen herkömmlichen Begriff sprengt, kann er nach keiner moralischen Vorstellung mehr als gerechter Ausgleich erscheinen. Das moralische Bewußtsein verliert allen Anhalt, sich mit einem Staat zu eines Staates auf die Rechte des einzelnen aus einem parteilich-ideologischen, also letztlich moralisch statt rechtlich geprägten Staatsbewußtsein. Eine Nietzsche-Interpretation, die Nietzsche eigene, zeit-bedingte und deshalb selbst notwendig moralische Perspektiven zugesteht, steht nicht im Widerspruch zu seinem Denken und schon gar nicht im Widerspruch dazu, diesem Denken allgemeine, auch für unsere Zeit relevante Gesichtspunkte abzugewinnen. Nur dieses Zugeständnis einer selbst wiederum notwendig moralischen und darin „tragischen“ Position gegen die Moral kann in Nietzsches eigenem Sinn einer Position gerecht werden. (Zum Begriff der „tragischen“ Erkenntnis bei Nietzsche vgl. J. Simon, Friedrich Nietzsche, in: O. Höffe (Hrsg.), Klassiker der Philosophie Bd. II, 203ff., bes. 208ff.) 41 Nietzsche, Nachlaß, KGW VIII 2, 298. – Der Gedanke der Bejahung des Seins und des „Schicksals“ und der des Gleichgewichts und des Ausgleichs sind bei Nietzsche aufs engste verbunden: „Es ist ganz und gar nicht die erste Frage, ob wir mit uns zufrieden sind, sondern ob wir überhaupt irgend womit zufrieden sind. Gesetzt, wir sagen Ja zu einem einzigen Augenblick, so haben wir damit nicht nur zu uns selbst, sondern zu allem Dasein Ja gesagt. Denn es steht nichts für sich…“ (Nachlaß, KGW VIII 1, 315). Entsprechend zerstörerisch ist die Moral mit ihrer Forderung „Es sollte anders sein“. „Denn verlangen, daß Etwas anders ist als es ist, heißt: verlangen, daß Alles anders ist“. Da aber „Leben“ „selbst ein solches Verlangen“ ist (VIII 1, 307f.), kann „Dasein“ nur als ein Gleichgewicht solcher negativen Kräfte bejaht werden.
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identifizieren, um ihn als zwingendes Mittel zur Verwirklichung seiner moralischen Vorstellungen anzusehen. Es erfährt die Wahrheit seines Denkens, als das es sich auszubreiten versuchte. Die Angst bringt es zum Begriff seiner Individualität und damit zur moralischen, d. h. zu der entscheidenden Abrüstung, vorausgesetzt, daß es nicht so weit in seine ideologische Vorstellung verrannt ist, daß es seine Angst weiterhin verdrängt. Der Gerechte hat dagegen schon von der Verabsolutierung seiner Vorstellungen vom Besten abgelassen. Wenn er urteilt, verurteilt er nicht mehr zugleich. Er weiß auch nicht, ob er selbst gerecht ist. Denn er hat auch für sich selbst keinen Begriff. Gerechtigkeit ist eine Tugend, also ein Sein und keine zu erfüllende Vorstellung. Er weiß, daß sie nicht in seiner Hand liegt und nicht sein „Verdienst“ ist. Aber er weiß, daß alles, was sich als Wissen in moralischer Hinsicht versteht, „seine Zeit“ hat und sich ihr verdankt. Alles Seiende ist in ihr gerichtet und eingerichtet. Daß sich gerade dagegen die äußerste moralische Empörung wendet, versteht sich von selbst. Nur in ihrer Ausweglosigkeit kann das moralische Bewußtsein groß und gerecht werden. „Amor fati“ ist Nietzsches „Formel für die Größe am Menschen“42. Jeder Mensch ist in seiner unreflektierbaren Individualität |209| „selber ein Stück Fatum“43, aber nur im moralischen Urteil kann das als Fatalismus erscheinen.
VI. Die Kategorie der Sittlichkeit, die traditionellerweise als ein Drittes zu den Begriffen Moral und Recht hinzutritt, ist bei diesen Überlegungen bisher außer acht geblieben. Nur ganz zu Beginn war beiläufig von einer Sittlichkeit die Rede als von dem sittlichen Zustand, in dem sich noch keine Frage nach seiner Rechtfertigung erhoben hat. Für Nietzsche ist „Sittlichkeit“ auch nichts anderes als ein unreflektierter „Gehorsam gegen Sitten“44. Sie liegt somit der philosophischen Reflexion wesentlich als etwas Vergangenes voraus. Die eigene Gegenwart ist für Nietzsche, als die Zeit, „in die wir geworfen sind“, die „Zeit eines großen und immer schlimmeren Verfallens“. „Das Auseinanderfallen, also die Ungewißheit“ sei ihr „eigen“. Nichts stehe mehr „auf festen Füßen und hartem Glauben an sich“45, und insofern sieht Nietzsche sich selbst „in einer sehr unsittlichen Zeit“46. 42 43 44 45 46
Nietzsche, Ecce homo, KGW VI 3, 295. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches II, KGW IV 3, 218. Nietzsche, Morgenröte, KGW V I, 18. Nietzsche, Nachlaß, KGW VII 2, 8. Nietzsche, Morgenröte, KGW V 1, 17.
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In diesem Zustand verfallender unmittelbarer Sittlichkeit und folglich zunehmender reflektierender Moralität ist „das souveräne Individuum“47 als das gerechte Individuum auf sich selbst verwiesen. Es ist darin eigentlich erst im vollen Sinne Individuum, als das „übersittliche Individuum“, das aus eigener Kraft „versprechen darf“, weil es „sich stark genug weiß“, sein Wort „selbst gegen Unfälle, selbst ,gegen das Schicksal‘ aufrecht zu erhalten“48, man darf wohl interpretieren: weil es bis in den Tod hinein verläßlich ist. Es setzt damit gegen den Zerfall der Sitten von sich aus, und nicht aus einer allgemeinen moralischen Vorstellung vom Guten, Gewißheit und Stabilität. Es vermag dies, weil es so stark ist, daß es es nicht nötig hat, moralische Ansprüche zu erheben, die anderes niederhalten sollen. Auch bei Hegel ist in der „Sittlichkeit“ „der Standpunkt des bloßen Verhältnisses ... und des Sollens“ zwischen einem zu verwirklichenden allgemeinen Guten und dem einzelnen Subjekt „verlassen“49. In der sittlichen Person ist „die selbstbewußte Freiheit zur Natur geworden“50. Sie „vollbringt ... ohne die wählende Reflexion“, also aus der „Natur“ ihrer individuellen Persönlichkeit heraus, „ihre Pflicht“51. Zwar kennt auch Hegel eine frühere, vergangene Sittlichkeit vor der Entzweiung der moralisch reflektierenden Subjektivität und der geltenden Sitte52. Aber in seiner Wendung gegen den ab|210|strakten Sollensstandpunkt bringt er die eigene Zeit in ihrer Wirklichkeit zur Geltung. Es ist zu begreifen, was ist und was das Leben und Zusammenleben wirklich gewährt. Der Rekurs auf vergangene sittliche Zustände hätte selbst noch Sollenscharakter, als Verweis auf ein vergangenes, also von den Verhältnissen der Gegenwart verschiedenes Gute, das als Ideal gelten soll. In ihm kann nicht die Substanz des gegenwärtigen Lebens bestehen. Es liegt demnach nahe, in der „Sittlichkeit“ Hegels die „Gerechtigkeit“ Nietzsches zu sehen. Eine nähere Analyse des Hegelschen Begriffs der Sittlichkeit kann das bestätigen. Die Sittlichkeit hat nach Hegel ihre Substanz in der „sittlichen Persönlichkeit“. Sie wird in dreifacher Weise charakterisiert: „In Beziehung auf äußerliche Unmittelbarkeit, auf ein Schicksal“ ist sie „ein Verhalten zum Sein ... und dadurch ruhiges Beruhen in sich selbst“. Sie nimmt dem Äußerlichen und von ihr Verschiedenen gegenüber 47 Nietzsche, Genealogie, KGW VI 2, 309. 48 Nietzsche, Genealogie, KGW VI 2, 310. – Schon in der „Geburt der Tragödie“ ist „Moira als ewige Gerechtigkeit“ der „theoretischen“, moralisch-ontologischen Weltbetrachtung entgegengesetzt (KGW III 1, 64). 49 Hegel, Enzyklopädie (1830), § 512. 50 Ebd., § 513. 51 Ebd., § 514. 52 Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister, 317ff.; GW 9, 240ff.
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nicht den „überlegenen“ moralischen Standpunkt ein, daß es anders, nämlich, im Sinne ihrer Vorstellung vom Guten, besser sein sollte, als es ist. In dieser Bejahung des eigenen schicksalhaften Seins kann sie in einer zweiten Beziehung, nämlich „in Beziehung auf die substantielle Objektivität, das Ganze der sittlichen Wirklichkeit“ „als Vertrauen absichtliches Wirken für dieselbe“ sein, bis zur „Fähigkeit, für sie sich aufzuopfern“. Sie kann sich „als Vertrauen“ für das Ganze aufopfern, zu dem sie gehört, d. h. ohne daß die subjektive Reflexion, ob es denn auch so sein „soll“, wie es ist, den Ausschlag gäbe. In einer solchen Reflexion würde sie notwendig wieder ihre eigene Vorstellung vom Guten verabsolutieren und mithin anderer Individualität nicht gerecht. „Die substantielle Objektivität, das Ganze der sittlichen Wirklichkeit“ besteht nach Hegel als Familie, bürgerliche Gesellschaft und als Staat. In der Familie sind die Personen als solche unmittelbar anerkannt, nur weil sie da sind. In der bürgerlichen Gesellschaft sind sie in ihren Bedürfnissen anerkannt. Sie existiert als Gleichgewicht der gegenseitigen Bedürfnisbefriedigung jeweils nach zugestandenen eigenen Vorstellungen vom Guten und in diesem Sinne als eine die Individualität gewährende Gerechtigkeit. Im Staat ist die Gerechtigkeit als „Vereinigung des Prinzips der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft“ zur „selbstbewußten sittlichen Substanz“ geworden. Die „Liebe“ in der Familie und das „tätige Wollen“ des bürgerlichen Lebens sind im Staat beide zugestanden oder eingeräumt, so daß keine dieser Seiten, Familiensinn und freier Wettbewerb im Erwerbsleben, auf die andere soweit übergreift, daß sie ihr den eigenen Raum nähme. Somit zielt die Gerechtigkeit im Staat auf die Individualität der Person in ihren persönlich gestalteten Verhältnissen und unterscheidet sich dadurch von einer abstrakten, „kalten“ Gerechtigkeit, in der die Gesetze einem moralischen Bewußtsein als äußerer Zwang entgegenstehen. Das sittliche Individuum weiß sich im Staat fundiert, sowohl als Glied der Familie wie auch als „tätiges Wollen“ nach eigenen Lebensentwürfen. Es ist „als Vertrauen“ – und nicht nur aus Überzeugung – „absichtliches Wirken“ für das Ganze, und insofern ist es schließlich in einer dritten sittlichen Beziehung „auf die Zufälligkeit der Verhältnisse mit anderen“ über den Bereich der unmittelbar persönlichen Beziehungen in der Familie hinaus „zuerst Gerechtigkeit und dann wohlwollende Neigung“53. „Gerechtigkeit“ ist hier zwar „zuerst“ die „kalte Gerechtigkeit“ im Sinne Nietzsches, das bloß geregelte und gesetzesgemäße Verhältnis zu Fremden. |211| Aber daraus wird dann doch „wohlwollende Neigung“, indem im anderen bei aller Fremdheit das Glied des sittlichen Ganzen anerkannt wird. Auch dies ist hier nicht als moralische Forderung, sondern als existierende Bedingung menschlichen Lebens gesehen. Wenn sie auch nicht generell erfüllt ist, so hängt das Leben 53 Hegel, Enzyklopädie (1830), § 516.
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doch davon ab, daß sie partiell persönlich erfüllt ist und nicht alles nur auf legaler Regelung beruht. – Allen drei Arten sittlicher Beziehung ist gemeinsam, daß sie sich nicht mehr vom Standpunkt des Sollens her verstehen, sondern auf Bejahung des Seins gegründet sind. Bei Hegel wie bei Nietzsche ist, bei aller Verschiedenheit der Ausgangspunkte, an ein Sein gedacht, das die Bedingungen seiner Möglichkeit nicht mehr in umfassenden, normativen Prinzipien, die sich der widerspruchsfreien Verallgemeinerungsfähigkeit von Handlungsmaximen verdankten, sondern in der „Tugend“ individueller Personen begründet weiß. Die „Sittlichkeit“ im Sinne Hegels und die „Gerechtigkeit“ im Sinne Nietzsches erkennen Unterschiede im Recht und sittliche Verhältnisse an, die nur innerhalb besonderer Sphären bestehen, wie z. B. innerhalb oder außerhalb der Familie. Sie räumen „Vorrechte“ ein, die erst in ihrer aufeinander bezogenen Gesamtheit die Gerechtigkeit ausmachen, indem sie nicht jedem das Gleiche, sondern das Seine zuerkennen. Hier wie dort geht es letztlich um die individuelle Person in ihrem Recht, eine solche individuelle Person und nicht ein Fall gleicher Fälle zu sein, einschließlich ihrer „allgemein“ schwer zu verstehenden und zu rechtfertigenden Individualität, die sich nur im Zugeständnis besonderer Sphären entfalten kann. Es fällt dem moralischen Bewußtsein schwer zu verstehen, daß eine bejahende Einstellung zu dem, was ist, nicht auch schon bedeutet, daß es so sein soll, wie es ist. Es fällt ihm schwer zu verstehen, daß das, was ist, Substanz eines jeden Sollensstandpunktes ist, also auch der moralischen Rechtfertigung oder Kritik des Bestehenden. Die Gerechtigkeit erscheint der Moral als unmoralisch. Sie bleibt ihr wesentlich ein fremder Gedanke, und die Moral kann dem, was ist, nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie ist von ihrer Grundstruktur her über das Seiende als solches hinaus und in diesem Sinne zerstörend. Insofern ist sie in der gegenwärtigen Situation Gegenstand, nicht aber Inbegriff der Ethik. – Denn während für die Moral ihrem Wesen nach Gerechtigkeit nicht moralisch und deshalb niemals gut sein kann, ist die Gerechtigkeit aus sich heraus sogar gegen die Moral – ihre „größte Widersacherin“ – gerecht. Nur sie kann also der „Erde“ Frieden geben. Der Begriff davon begreift sich als Weg dorthin.
Diskussionsbeitrag zu dem Vortrag von K.-O. Apel: „Die transzendentalpragmatische Begründung der Kommunikationsethik und das Problem der höchsten Stufe einer Entwicklungslogik des moralischen Bewußtseins“ |159| Da ich gebeten wurde, meinen Diskussionsbeitrag zu dem Vortrag von Herrn Apel für diese Publikation schriftlich zu formulieren, muß ich mich über die vorgetragenen Teile hinaus auf einige Passagen der schriftlichen Fassung beziehen, die mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde. Gleichwohl ist es nur möglich, einige Hauptaspekte herauszustellen. Apel bezieht sich auf die Theorie einer Entwicklungslogik des moralischen Bewußtseins im Anschluß an Kohlberg. Entsprechend der Entwicklung logischer Stufen der Denkoperation bei Piaget sollen sechs Stufen der Entwicklung des moralischen Bewußtseins unterschieden werden, denen Apel eine siebte hinzufügen möchte, um die es in seinem Vortrag vor allem geht. Es soll sich um eine der Entwicklung der logischen Reziprozität, als der Fähigkeit „des verstehenden Sich-hinein-versetzens in die Anderen und der Anderen in die eigene Position“ (Apel, 142), entsprechende Stufe der moralischen Reziprozität handeln: zunächst als Entwicklung der Fähigkeit zur Gerechtigkeit im Sinne der konkreten Reziprozität des Austauschs von Gaben und Leistungen (Stufe 2) – Apel spricht hier auch von einer naivstrategischen Auffassung – über die Stufe eines „konventionellen“ „role taking“, der die goldene Regel zugerechnet wird (Stufe 3), eine konventionelle Stufe des „law and order“ (Stufe 4), „die typischerweise auf eine staatliche Gesellschafts- und Rechtsordnung bezogen“ sei, eine „postkonventionelle“ Stufe, auf der zum erstenmal die Perspektive eines „lawmakers“ eingenommen werde (Stufe 5), bis zu einer 6. Stufe moralischer Urteils|160|kompetenz im Konfliktfall zwischen Legalität und Moralität. Es hat natürlich auf den ersten Blick etwas Plausibles, der Entwicklung der Fähigkeit, von dem Blickpunkt anderer her zu denken, eine Entwicklung des moralischen Bewußtseins entsprechen zu lassen. Man könnte die Entwicklung der logischen Fähigkeit als conditio sine qua non für das Moralische verstehen. Die Entwicklung einer Bedingung des Moralischen kann aber nicht als Entwicklung auch des Moralischen verstanden werden. Nach Kant z. B.
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wäre das Moralische, wenn schon von Stufen die Rede ist, nur auf der höchsten Stufe der Entwicklung des logischen Bewußtseins möglich, weil nur hier von wirklicher Autonomie und damit von einer Überwindung rein strategischen Denkens, wie es etwa noch die „Goldene Regel“ formuliert, die Rede sein kann. Eine solche Einteilung in Stufen, ob es nun sechs oder sieben sein sollen, setzt voraus, daß sich der, der sie vornimmt, selbst auf der letzten sieht. Er sieht sich damit selbst unter den „maximal fünf Prozent der Bevölkerung“, die überhaupt die „postkonventionellen“ Stufen 5 und 6 der moralischen Urteilskompetenz erreichen (151), d. h. die sich über die Konvention hinaus moralische Gedanken machen, und innerhalb dieser fünf Prozent soll sich nun an die „postkonventionelle“ Stufe 6 nach Apel noch eine siebte, „reifere“ Form des moralischen Bewußtseins anschließen (149), nämlich die, auf der nach dem Prinzip einer Kommunikationsethik gehandelt wird: „Handle so, als ob du Mitglied einer idealen Kommunikationsgemeinschaft wärst“, aber ohne die in dieser Formel liegende Vereinfachung, die übersieht, daß die realen Verhältnisse so nicht sind und daß es vielmehr aus Verantwortung darauf ankomme, an der progressiven Realisierung der im Diskurs immer schon kontrafaktisch antizipierten idealen Kommunikationsgemeinschaft mitzuwirken, in der alles bloß strategische „role talking“ überwunden wäre. Realisierung verlangt ja immer noch Strategie, und es wäre nach Apel verantwortungslos, die ideale Kommunikationsgemeinschaft als schon realisiert vorauszusetzen. Es geht also um Strategie mit dem Ziel ihrer „progressiven“ Aufhebung. Das wird plausibel, wenn man bedenkt, daß die Wenigen, die schon in der Lage sein sollen, dieses Ziel auch nur im Blick zu haben, gegen die anderen, die ihrer Entwicklung gemäß dazu noch nicht in der Lage sind, strategisch vorgehen müssen, um sie weiter zu bringen, als sie ihrer gesellschaftlichen Lage nach sind. Diese Wenigen haben nach Apel das Moralische in seiner „Letztbegründung“ schon erfaßt, und es ist ihre Aufgabe, diese „kognitiv motivierte“ Moral zu vermitteln, damit „die willentliche Bekräftigung des Moralischseins letztlich durch eine philosophisch begründete postkonventionelle Gewissensentscheidung … getroffen werden kann“ (147). Es geht also um den rationalen Nachvollzug dieser „Letztbegründung“. Wenn es aber eine Letztbegründung sein soll, müßte sie von allen |161| ganz leicht zu vollziehen sein. Es dürften keine besonderen Bedingungen zu ihrem Vollzug mehr erfüllt werden müssen. Nun ist natürlich zuzugeben, daß jeder, der fragt, warum er vernünftig sein solle, damit schon auf dem Boden der Vernunft steht. Er fragt ja nach einer Begründung und verhält sich darin „rational“. Daraus kann aber nicht folgen, daß er damit schon zur Rationalität verpflichtet sei. Selbst wenn man sagen würde, daß jeder, der „ernsthaft“, z. B. über Fragen der moralischen Letztbegründung, argumen-
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tieren wolle, damit schon Regeln des vernünftigen Argumentierens befolge oder befolgen wolle, ist damit noch nichts über eine Verpflichtung gegenüber solchen Regeln gesagt. Wenn zur Rationalität das Befolgen von Regeln erforderlich ist, folgt aus der wirklichen Rationalität als einem faktischen Regelnbefolgen nicht eine Verpflichtung dazu. Ebensowenig steht jemand, der über Moralität „ernsthaft“ diskutieren will, damit schon selbst auf dem Boden der Moral. Das wäre erst im Bewußtsein der Verpflichtung dazu der Fall. Man kann ja vieles tun und tun wollen, ohne sich damit schon dazu verpflichtet zu sehen. Die Frage nach einer Verpflichtung zur Rationalität wäre in der Tat eine moralische Frage, denn sie fragte, ob man unter allen Umständen oder unter welchen besonderen man zur Rationalität verpflichtet sei. Verpflichtung zur Rationalität hat nichts damit zu tun, ob man rational ist oder nicht. Das Letztere wäre allein eine Frage der Beurteilung aus der Sicht des Beurteilenden. Auch nach Kant besteht keine allgemeine Verpflichtung zur Vernunft, sondern aus Vernunft, die als reine unmittelbar praktisch ist. Sie prüft auch nicht das Handeln, sondern nur dessen subjektive Maximen. Wer für sich nach einer allgemeinen Begründung von Moral sucht (und nicht jeder, der sich an einer Diskussion darüber „ernsthaft“ beteiligt), will, wenn er sich nicht selbst widersprechen will, nach solchen subjektiven Maximen handeln, die zugleich als allgemeines Gesetz allen Handelns gelten können. Das „Faktum der Vernunft“ ist hier die Vermeidung des Widerspruchs zwischen den eigenen Handlungsmaximen und Gesetzen, die allgemein gelten können, und nicht das faktische Vernünftigsein oder Vernünftigseinwollen. Selbst aus dessen „Ernst“ kann keine Verpflichtung, kein Sollen folgen. Sollen liegt in der Maxime, die man sich selbst vorgibt, und es bleibt nur die Frage, ob die Vorschrift, die man sich subjektiv gibt, zugleich auch als allgemeines Gesetz allen Handelns gewollt sein könnte. Wer argumentiert überhaupt „ernsthaft“? Nach Apel der, der „aufrichtig“ die intersubjektiv gültige Wahrheit sucht, z. B. die Wahrheit über die Gültigkeit des Prinzips der Ethik. Er ist nach Apel nicht nur zur Rationalität „entschieden“, eben weil er sich aufs Argumentieren und Begründen einläßt, sondern „auch schon fürs Moralischsein“ (147). Er argumentiert nach Apel, da er selbst an der Wahrheit interessiert ist, nicht strategisch, sondern kommunikativ. Das wäre z. B. nach |162| Kant ungewiß, weil uns nicht nur die Beweggründe anderer, sondern auch die eigenen letzten Endes unerforschlich bleiben. Aber gesetzt, er wäre an der Wahrheit zuletzt um ihrer selbst willen interessiert, d. h. es ginge ihm nicht aus strategischen Gründen darum, die Wahrheit zu wissen. Auch dann folgt aus seiner faktischen Aufrichtigkeit nicht eine Verpflichtung zu ihr. Das Argument, aus der Aufrichtigkeit, die jeder „ernsthaft“ Argumentierende schon übe, folge eine Verpflichtung zu ihr, ist selbst ein strategisches, weil überredendes und
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nicht notwendig überzeugendes Argument. Es muß nicht nur denen, die nicht die Wahrheit finden wollen, sondern auch denen, die dies faktisch „ernsthaft“ wollen, nichts bedeuten, vor allem nicht, daß sie dies auch dann, wenn sie es faktisch nicht wollten, doch wollen sollten. Es kann ja niemand über alles die Wahrheit wissen wollen. Wissen ist abstrahierend, d. h. wer etwas wissen will, will anderes notwendig nicht wissen. Es fragt sich z. B., wer überhaupt „die Wahrheit über die Gültigkeit des Prinzips der Ethik“ wissen will. Doch nur der, der ein solches allgemein gültiges, d. h. verpflichtendes Prinzip schon voraussetzt, so daß er Näheres „darüber“ wissen möchte. Kann man aber in einer nicht weiter in Frage zu stellenden, also „letztbegründeten“ Weise sagen, daß dies jeder tun müsse? Nach Apel müßte jeder, der sich „ernsthaft“ mit ihm in eine Diskussion ethischer Fragen einließe und seine Argumente ernst nähme, deshalb auch schon seiner Theorie über diese Fragen zustimmen, ja er hätte ihr damit eigentlich schon zugestimmt. Es wäre also eine Theorie, die nicht „ernsthaft“ bestritten werden kann. Die anderen wären in ihren Gegenargumenten nicht „ernsthaft“, weil es solche nicht geben könnte. Sie würden nur geltend gemacht, weil die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung noch nicht soweit gebracht ist, daß schon alle aus dem Bewußtsein der 7. Stufe argumentieren könnten. Solch eine Diskussion wäre in der Tat kaum eine ideale Kommunikation zu nennen. Müßten in einer solchen nicht „ernsthafte“, d. h. nicht nur unter die Kategorie defizitärer Bewußtseinsentwicklung zu subsumierende Gegenargumente immer möglich sein? Wie gut ein Argument ist, entscheidet sich in einer realen Kommunikationsgemeinschaft – in der wir auch nach Apel noch leben und in der wir leben werden, solange es eine Verschiedenheit zwischen Subjekten gibt – stets in der Sicht dessen, gegen den es gewendet wird. Auf ihn soll es ja wirken. Es gibt keine übergeordnete, prinzipiell überlegene Instanz zur Beurteilung der Güte von Argumenten, deren Argumente hinsichtlich ihrer Güte nicht auch wieder zur Diskussion stünden. Aus diesem Grund sah Kant die Notwendigkeit des Rechts in der Vernunft begründet, d. h. er sah zum Zwecke der Entscheidung in allen Fällen, in denen das Zusammenleben der Menschen davon abhängt, daß wirklich entschieden wird, aus reiner, von keiner anthropologisch oder soziologisch bestimmbaren „Entwicklungsstufe“ abhängiger praktischer |163| Vernunft eine Instanz mit der „Befugnis zu zwingen“ gefordert. Er ging im Sinne der Kohlbergschen Stufen in diesem Punkt gewissermaßen von der 6. auf die 5. Stufe zurück, unter der dann auch allen anderen, die aus der Sicht einer „höchsten“ zurückgeblieben sind, Gerechtigkeit widerfahren kann. Denn die autonome Moral entscheidet nach Kant nur im „Inneren“ der Vernunft, die sich ihre zu prüfenden Maximen selbst gebildet und sich damit selbst schon ein Sollen auferlegt hat, und es bleibt fraglich, ob es ein wirkliches Handeln aus
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moralischem, autonomem Gewissen überhaupt gibt. „Denn welcher Mensch kennt sich selbst, wer kennt Andere so durch und durch, um zu entscheiden …“, ob in gegebenen Fällen aus der Autonomie moralischer Vernunft oder „strategisch“ gehandelt worden ist? (vgl. Immanuel Kant, Das Ende aller Dinge, AA VIII, 329). „Role taking“, als das Sich-versetzen in die Lage anderer, etwa in die der vom eigenen Handeln Betroffenen oder derer, von deren Handlungen man sich selbst betroffen sieht, hängt immer von Mutmaßungen über die anderen und deren Handlungsmotive ab. Dem moralischen Urteil über andere fehlt also jede hinreichende erkenntnismäßige Grundlage, ja sogar dem über sich selbst, und deshalb geht es nach Kant in der Frage der Moralität ja auch nur um die Prüfung der Handlungsmaximen, gleichgültig ob man sie sich für sein Handeln selbst gebildet oder sie aus Konvention übernommen haben mag. Die Kohlbergsche Stufung könnte in Kantischer Sicht nur eine Unterscheidung in der Frage nach der Herkunft der Maximen betreffen, nicht aber der Handlungen, insofern sie moralisch beurteilt werden. Kants Ethik bietet keine Handhabe, über die Moral anderer oder gar über Stufen ihres moralischen Bewußtseins zu befinden, Entwicklungsstufen wären nur dem Phänomenalen zuzurechnen und ihre Beurteilung hätte notwendig hypothetischen Charakter. Sie erreichte nicht den anderen als moralisches Wesen. Der moralische Diskurs findet nach Kant aus Vernunftgründen nur im Inneren der Vernunft statt, und allein dort findet er auch sein Ende. Die Frage der Ethik in bezug auf einen anderen entsteht erst dort, wo man nach eigenen Moralvorstellungen ihn nicht versteht und ihn also moralisch verurteilen müßte, wenn man sich seines Urteils über ihn überhaupt sicher sein könnte. Das kann man aber nach Kant nie. Man kennt nicht seine Motive, d. h., er ist für einen schlicht in seiner Andersheit da und stellt dadurch die eigene „kommunikative Kompetenz“ ihm gegenüber in Frage. Auf dieses von einem selbst aus unaufhebbare andere Dasein „face en face“ hat Levinas aufmerksam gemacht. Das betrifft auch das Urteil über die „Ernsthaftigkeit“ seines Argumentierens. Die Kategorie des „Ernstes“ ist hier von besonderem Interesse. Nach Kierkegaard ist die eigene ethische Wirklichkeit des Individuums die einzige Wirklichkeit und der einzige Gegenstand des |164| Ernstes. Sie besteht im Ernstnehmen des anderen, und das wird erst dann zum Problem, wenn man ihn von sich aus nicht mehr versteht und sich eben nicht in einem „role taking“ an seine Stelle setzen kann. Diese Fähigkeit, auch wenn sie über ihre strategische Nutzung hinaus als ethische Bedingung verstanden wird, überhaupt zum Richtmaß des Moralischen zu machen, schließt den anderen gerade dadurch aus, daß der Zugang zu ihm einem eigenen Vermögen des Verstehens unterstellt wird. Kants Kategorischer Imperativ, „die Mensch-
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heit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel“ zu brauchen, besagt, jeden anderen als selbst autonomes, meinem Urteil entzogenes Subjekt moralischen Bewußtseins zu betrachten und niemals nur zum Gegenstand eigener Strategie í und sei es auch zum Gegenstand der Strategie seiner moralischen Entwicklung aus dem Gesichtspunkt eigener Verantwortung für die Menschheit í zu machen. Es könnte notwendig immer nur der eigene Gesichtspunkt entsprechend der eigenen Entwicklungsstufe sein, es sei denn, man hielte sie a priori vor allem Diskurs für die höchstmögliche. Ein daraus entspringendes Gefühl der Verantwortung für die Vernunft anderer wäre in seiner Äußerung für Kant ein „neuerdings erhobener vornehmer Ton in der Philosophie“, der sich vor anderen in der besseren Lage glaubt und sich von daher verantwortlich fühlt. Es hat überhaupt mit der abstrakten Trennung von strategischem und kommunikativem Verhalten seine Schwierigkeit, wenn die „progressive“ Läuterung des letzteren von ersterem ein rationales Ziel sein soll. Als ein Ziel müßte es, wie gesagt, strategisch angegangen werden, sozusagen aus einem Vorsprung an Aufklärung heraus. Es ergibt einen guten Sinn, mit Habermas von einer „kommunikativen Kompetenz“ zu sprechen. Aber ihre wenn auch nur kontrafaktisch vollzogene undialektische Trennung vom strategischen Handeln ist problematisch, wenn darunter das zielgerichtete Handeln verstanden sein soll, in dem andere zu Mitteln werden. Die anderen bleiben für mich in einer unaufhebbaren Weise Mittel, solange ich sie von meinen begrenzten Möglichkeiten aus í Kantisch gesprochen, aus meinem „Horizont“ (vgl. Immanuel Kant, Logik, AA IX, 41ff.) – zu verstehen suche und beurteile, z. B. hinsichtlich ihres moralischen Bewußtseins, um dieses Urteil in meine Strategie einbeziehen zu können. Sie bleiben es, weil mein „Horizont“ sich von dem anderer unterscheidet. Gerade aus kommunikativer Kompetenz ist also das Verhalten gegenüber anderen notwendig strategisch. (Zur Frage des logischen Horizontes kann man auch auf Wittgenstein verweisen, nach dem es für die Möglichkeit der Verständigung „wesentlich“ ist, „daß wir in einer großen Anzahl von Urteilen“, also in einem gemeinsamen Fürwahrhalten übereinstimmen. – Ludwig Wittgenstein, Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, 343). Kant hatte in seiner Kritik der Kategorie der „Gemeinschaft“ |165| argumentiert, daß eine ethische Gemeinschaft, die über die der „Körper im Raum“ und über eine durch äußere Gesetzgebung gebildete „juridische“ und darin immer besondere Gemeinschaft hinausgehen soll, nur theokratisch zu denken ist. Ein „anderer als das Volk“, eine Gottheit, müßte sie wie von oben herab bestimmen (vgl. Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 98f. Hierzu Josef Simon, Wahrheit als Freiheit, 1978, 347 und 354ff.). Sie müßte wie aus einem grundsätzlich
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überlegenen Standpunkt ohne begrenzten Horizont gedacht und geregelt sein. Dieser kritische Gedanke ist in dem der „Realisierung“ einer „unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaft“ wieder zurückgenommen. Damit ist eigentlich das Denken gegen die gute Absicht genuin als strategisches verstanden, das anderes Denken aus dem Gefühl der Verantwortung verbessern will, ob diese anderen dies wollen oder nicht. Strategisches Argumentieren aus einem sich überlegen denkenden moralischen Bewußtsein ist selbst abstrakt ohne „kommunikative“ Komponente, im Unterschied zu der notwendig strategischen Komponente der Kommunikation, in der sich beide Seiten gleichermaßen als einander andere Positionen wissen. Es ist die Frage, ob ein sich selbst als überlegen und als gut reflektierender, aber vor sich selbst ebenso unkritischer Wille zur „Letztbegründung“ dem Ernst der ethischen Frage gerecht werden kann.
Intersubjektivität bei Kant und Hegel? I. |313| Man hört gegenwärtig die leise Rede vom „Tod des Subjekts“ und den lauten Protest dagegen, so, als würde damit Menschen, die sich selbst „als Subjekt“ verstehen, die Lebendigkeit abgesprochen. Die Rede von „Intersubjektivität“ wirkt auf diesem Hintergrund wie die Proklamation eines Verteidigungsbündnisses gegen die Eliminierung von Subjektivität. „Intersubjektivität“ scheint auch manchen, die sich selbst als Subjekte, als das wahrem Wissen zugrundeliegende „Vermögen“ nicht mehr recht wohl fühlen, noch eher akzeptabel zu sein. „Zwischenmenschliches“ scheint sich darin anzudeuten. Dabei hat es „Subjekte“ noch gar nicht so lange gegeben. Nach Nietzsche sagt die „Schulsprache jetzt statt Seele“ „Subjekt“ (KSA 11, 565; KGW VII, 3, 289). Descartes sagte noch „Seele“; das „esse subiectivum“ ist hier noch generell das Sein, das anderem zugrunde liegt und insofern für sich selbst besteht, z. B. als das dem „esse obiectivum“, dem nur in der Vorstellung existierenden Sein zugrundeliegende Vorstellen. Das „esse subiectivum“ ist, auch ohne vorgestellt zu sein. Es ist nicht nur gedachtes Sein. Bei Kant ist das zunächst nicht anders. Das Vorgestellte wird als etwas vorgestellt. Es wird dabei unter einen prädikativen Begriff gefaßt, und zwar durch das Subjekt. Das „bestimmende Selbst“ ist nach Kant aber nur die „Form“ allen Vorstellens und selbst kein Gegenstand (vgl. Kritik der reinen Vernunft, B 404). Es ist der Akt des Ansehens von etwas als bestimmt, auch seines eigenen Ansehens als bestimmt und damit überhaupt als etwas durch die Verwendung prädikativer Begriffe, aber niemals das, als was etwas als bestimmt angesehen ist. „Ich, der ich denke“, kann im Denken immer nur „als |314| Subjekt und als etwas, was nicht bloß wie (ein) Prädikat, das dem Denken anhänge, betrachtet werden“ (B 407). Durch „Ich“ wird „nichts weiter, als ein transzendentales Subjekt der Gedanken vorgestellt = x, welches nur durch die Gedanken, die seine Prädikate sind, erkannt wird“ (B 404). Als Subjekt oder „Selbst“ entspricht es keinem Prädikat, unter das es gefaßt werden könnte. Es gibt von ihm keinen möglichen positiven wahren Gedanken. Denn wahre Gedanken wären solch ein „esse obiectivum“, das nach der Bestimmung, unter der es begriffen ist, als etwas begriffen ist, das nicht nur gedacht oder nicht nur „esse obiectivum“ sein könnte, wie Gott
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im Begriff „aliquid quo maius cogitari non potest“. Dies wäre nur dann möglich, wenn „Sein“ ein „reales Prädikat“ wäre. Nach Kant ist aber alles in Prädikaten bestimmte Sein darin nur als bestimmt angesehen, d. h. bloßes „esse obiectivum“. Das hat seinen Grund darin, daß das „bestimmende Selbst“ wesentlich als „beschränkt“ gedacht ist. Es hält aus einem wesentlich beschränkten „Horizont“ heraus „für wahr“, so daß eine Differenz zwischen „ansehen als bestimmt“ oder „für wahr“ halten oder dem Objekt als dem Produkt dieses Bestimmens und der Sache selbst besteht. Aus diesem Grund nennt Kant den Gegenstand, als den sich das Selbst selbst denkt, auch nicht mehr „Seele“, denn unter diesem Begriff war traditionell ein „esse subiectivum“ verstanden, eine den Leib bestimmende Form. Das denkende Selbst ist nach Kant als das einzig Bestimmende übrig geblieben. Alle Erscheinungen des Bewußtseins sind durch es bestimmt, und die Kategorien des Verstandes einschließlich der der Substantialität sind die apriorischen Formen des aposteriorischen Ansehens von irgend etwas Gegebenem als bestimmt. Wegen der Beschränktheit des Subjekts sind alle Bestimmungen von etwas im Gebrauch dieser Formen nur vorläufig, einschließlich der Bestimmungen, in denen es seine eigene Beschränktheit in Begriffe zu fassen versucht. Es ist sozusagen über jeden Begriff hinaus beschränkt. Auch die Kategorie der „Gemeinschaft“ ist bei Kant einer der apriorischen Verstandesbegriffe. Ihre Anwendung setzt voraus, daß etwas schon in einer Bestimmung „gegeben“ ist, der gegenüber das |315| Bestimmen zu einer deutlicheren Bestimmung „ad melius esse“ (vgl. B 759 Anm.) fortschreitet, in der es im Horizont eines Subjekts als besser bestimmt erscheint. Dabei hat kein Subjekt ein allgemeines materiales Wahrheitskriterium für bessere Bestimmungen. Jedes kann nur Vorstellungen mit Vorstellungen vergleichen. Der Vergleich von Vorstellungen mit einer Sache selbst außerhalb ihres Vorgestelltseins ist ein in sich widersinniger Begriff. Im Fall der Anwendung der Kategorie der Gemeinschaft kann es sich, wie bei allen anderen Kategorien, nur darum handeln, von Gegenständen, die von einem vorgängigen Ansehen als bestimmt her überhaupt verschiedene Gegenstände sind, zu sagen, sie stünden in einer „Wechselwirkung“ miteinander. Man kann dies also nur von Körpern im Raum sagen, die zuvor im Raum als voneinander unterschiedene Gegenstände „angeschaut“ oder „gegeben“ sind, nicht aber von Subjekten. Von Subjekten, insofern sie Subjekte (esse subiectivum) sind und nicht in einem Ansehen als (unter einem prädikativen Begriff) bestimmt konstituierte Objekte (esse obiectivum), kann man gar nichts sagen. „Ich denke“ ist „der alleinige Text der rationalen Psychologie“ (B 401). Im Grunde ist es schon nicht möglich, von „Subjekten“ im Singular oder Plural zu sprechen, denn darin ist ihr Begriff schon quantifiziert, so als wären es Objekte in Raum und Zeit.
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Ein Subjekt kann nach Kant von sich gar nicht wissen, was es ist. Es kann als Subjekt von sich nur wissen, was es tun soll, z. B. ob es etwas unter einer möglichen Begriffsbestimmung als bestimmt ansehen soll. Notwendig ist für es ein Ansehen als bestimmt nur unter dem Gesichtspunkt des Handelns nach dem unbedingten Gebot des kategorischen Imperativs. Es muß, wenn ein bestimmtes Handeln kategorisch geboten ist, mit seiner Urteilsbildung über gewisse Naturgegenstände zu Ende kommen; es muß im Handeln von der Wahrheit gewisser Urteile über Naturobjekte ausgehen können. Im übrigen aber kann und sollte es sein Fürwahrhalten in der Schwebe (in suspenso) lassen und sich in seiner Urteilskraft danach richten, was für es, wenn es für wahr hält, „dabei im Spiele ist“, d. h. inwieweit es sich dabei auf seine Urteilsbildung wirklich zu verlassen gedenkt. Alles vorgestellte Sein, alle Objektivität ankert in vorstellender Subjektivität, die als solche |316| nur im Praktischen definitive Gewißheit hat, auch in dem, als was sie sich selbst begreift. Wenn es bei Kant heißt, „die Möglichkeit“, sein Fürwahrhalten „mitzuteilen“, sei „äußerlich“ „der Probierstein“, ob es „ungeachtet der Verschiedenheit der Subjekte“ „auf dem gemeinschaftlichen Grunde, nämlich dem Objekte“ beruhe (B 848f.), ist zwar von Subjekten im Plural die Rede. Kant spricht hier aber ausdrücklich nur von einer „Vermutung“ einer gemeinsamen Objektivität. Weiter kann man nicht gelangen, weil die Möglichkeit der Mitteilung gerade noch nicht impliziert, daß man in Anwendung derselben Formen des Denkens auch inhaltlich im Selben übereinstimme. Man muß von sich aus verstehen, was andere sagen. Die Möglichkeit der Mitteilung beruht nicht auf einem „gemeinschaftlichen Grunde“, sondern läßt ihn nur vermuten, und auch in dieser Beziehung stellt sich die Frage, ob man bereit ist, sich handelnd auf seine Vermutung zu verlassen. Die Möglichkeit der Mitteilung beruht darauf, daß es einem selbst gelingt, dem sinnlichen Ausdruck im eigenen Verstehen Bedeutung als „Beziehung aufs Objekt“ (B 300) unterzulegen und ihn dadurch als Ausdruck eines anderen Subjekts zu verstehen. Er ist es nicht, ohne als solcher verstanden zu werden, und damit gründet auch der Begriff der fremden Subjektivität in der je eigenen als Akt des Ansehens als bestimmt. Insofern ist das fremde Subjekt ebenso wie die Vorstellung eigener Subjektivität ein Objekt. Es wird dadurch konstituiert, daß „Subjektsein“ als Prädikat verwendet wird, und in der Folge solch einer Verwendung, die den Sinn umkehrt, kann dann der Begriff des Subjekts auch quantifiziert werden. Eine Gemeinschaft von Subjekten müßte insofern eine ethische Gemeinschaft sein. Das wäre eine Gemeinschaft des Handelns nach gleichen Maximen. Nun gebietet aber der kategorische Imperativ nicht, alle sollten die gleichen Maximen haben. Das wäre schon deshalb nicht möglich, weil nicht alle den gleichen Horizont haben, d. h. nicht auf gleiche Art beschränkte
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Subjekte sind – schon weil sich die Arten der Beschränktheit wieder immer nur subjektiv bestimmen und aneinander messen ließen –, und es wäre nach Kant deshalb vermessen, sich in den Horizont anderer versetzen zu wollen (Logik, AA |317| IX, 43). Man weiß nicht, was andere sich wirklich vorstellen. Man kann nur von sich aus versuchen, es von ihren Äußerungen her zu verstehen. „Einer verbindet die Vorstellung eines gewissen Wortes mit einer Sache, der andere mit einer anderen Sache; und die Einheit des Bewußtseins in dem, was empirisch ist, ist in Ansehung dessen, was gegeben ist, nicht notwendig und allgemein geltend“ (B 140). So weiß auch einer nicht, was die Handlungsmaximen eines anderen sind, nach denen er wirklich handelt. Jeder versteht seine eigenen so, wie er sie versteht, wenn er wirklich ihnen gemäß handelt, d. h. wenn er im Handeln nach ihnen etwas aufs Spiel setzt, und der kategorische Imperativ gebietet deshalb sinnvollerweise auch nur, daß jeder nach solchen (von seinen) Maximen handeln solle, die so, wie er sie selbst versteht, zugleich als allgemeines Gesetz gelten könnten. Kant spricht anredend von einer „Maxime deines Willens“. Der kategorische Imperativ gilt auch unter der Bedingung, daß nicht einmal zwei Personen unter ihren Maximen auch nur eine gemeinsame hätten, so daß sie auch keine davon gemeinsam als eine Maxime hätten, die zugleich als allgemeines Gesetz gedacht werden kann. In einer ethischen Gemeinschaft, d. h. in einer Gemeinschaft, die als die von Subjekten als solchen und nicht nur als Gemeinschaft ihrer Körper im Raum in Frage kommt, müßte deshalb, wie Kant anführt, „ein anderer als das Volk“ „Gesetzgeber“ sein (Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 98f.). Sie müßte durch ein Subjekt eingerichtet sein, für das die übereinstimmenden Subjekte Objekte wären. Dies kann unter Menschen nur in einer „juridischen“ Gemeinschaft der Fall sein, in der „Recht“ herrscht als „Befugnis zu zwingen“. Dieser Zwang des Rechts erreicht aber nicht die Subjektivität der Subjekte. Als Subjekte haben sie nur die Einsicht in die Notwendigkeit des Rechts als eines „äußerlichen“, leiblichen Zwangs, in moralischer Verpflichtung jedes einzelnen zur Rechtlichkeit überhaupt. Eine ethische Gemeinschaft und damit auch eine InterSubjektivität überhaupt wäre für Kant dagegen ein Widerspruch in sich. Der Begriff eines „Reichs der Zwecke“ als der „systematischen Verbindung verschiedener vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze“ (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 433) steht |318| dem nicht entgegen. Solch ein „Reich“ bestünde nach Kant, wenn von den „vernünftigen Wesen“ „jedes derselben sich selbst und alle anderen niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst“, d. h. als ein Wesen, das sich sittlich selbst bestimmt, behandelte. Dies soll jedes vernünftige Wesen tun, aber insofern es auch Naturwesen ist, haben wir kein Beispiel dafür, ob es wirklich so handelt, und damit auch nicht dafür, ob
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ein solches „Reich“ besteht. Es bestünde „durch Freiheit des Willens“ (ebd., 434), wenn jedes vernünftige Wesen von sich aus so handelte, ohne dem „Willen eines anderen unterworfen“ und ohne in seinem Willen irgendwie durch einen gemeinschaftlichen Willen „intersubjektiv“ gebunden oder beeinflußt zu sein. Ein „Reich der Zwecke“ hat die Bedingung seiner Möglichkeit in jedem Willen für sich, völlig losgelöst davon, was andere wollen. Insofern ist der Begriff einer ethischen Gemeinschaft bei Kant ein kritischer Begriff. Er soll darauf verweisen, daß im Sinne einer „Kritik der praktischen Vernunft“ gegenüber „allen bisherigen Bemühungen“ auf dem Gebiet der Ethik der Mensch „nur seiner eigenen und dennoch allgemeinen Gesetzgebung unterworfen sei“ (ebd., 432). Die Allgemeinheit besteht darin, daß die allgemeine Vernunft in jedem einzelnen unmittelbar dadurch gesetzgebend sei, daß sie gebiete, nach Maximen zu handeln, die als subjektive zugleich, d. h. ohne daß dies logisch zu einem Widerspruch führte, als allgemeines Gesetz gedacht werden und damit aus Gründen reiner Vernunft überhaupt allgemeingültig sein können. Auch dann, wenn ein „Reich der Zwecke“, das herzustellen oder zu bewahren sei, für das Handeln bestimmend wäre, wäre immer auch „ein eigenes oder fremdes Interesse“ im Spiel und ein davon bestimmter Imperativ müßte „jederzeit bedingt ausfallen“ und könnte „zum moralischen Gebote gar nicht taugen“ (433). Ein „Reich der Zwecke“ als „das höchste sittliche Gut“ kann nach Kant „durch die Bestrebung der einzelnen Person zu ihrer eigenen moralischen Vollkommenheit allein nicht bewirkt“ werden und ist deshalb „eine von allen moralischen Gesetzen (die das betreffen, wovon wir wissen, daß es in unserer Gewalt stehe) ganz unterschiedene Idee“. Das Sittengesetz kann nichts für uns Unmögliches gebieten, |319| und die Herstellung eines „Reichs der Zwecke“ ist schon deshalb unmöglich, weil jeder es nach seinen bestgemeinten Vorstellungen gemäß seinem eigenen Horizont anstreben müßte. So ist mit der Idee eines solchen Reiches bzw. einer ethischen Gemeinschaft das Postulat „eines höheren moralischen Wesens“ verbunden, „durch dessen allgemeine Veranstaltung die für sich unzulänglichen Kräfte der Einzelnen zu einer gemeinsamen Wirkung vereinigt werden“ (Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 98). „Alle wahren Pflichten“ müßten „zugleich als seine Gebote vorgestellt werden“ (99), und d. h., daß sie nicht mehr als ethische Pflichten (eines autonomen Subjekts) gedacht werden könnten. So muß Kant mit dem Gesetzgeber, „der eine auf ethische Zwecke gerichtete Verfassung“ rechtlich, d. h. durch Zwang bewirken wollte (96: „Weh aber dem Gesetzgeber ...“), auch die Idee der „Veranstaltung“ einer ethischen Gemeinschaft durch Menschen verwerfen. Der dazu geforderte Gesetzgeber müßte „ein Herzenskündiger sein“, „um auch das Innerste der Gesinnungen eines jeden zu durchschauen“ (99). Wenn es nicht Gott ist, kann das nur Gesinnungsterror bedeuten.
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Auch für die Kategorie der Gemeinschaft – und in ethischer Hinsicht gerade für sie – gilt, daß wir nur als wirklich ansehen können, was wir wirklich machen können. In der Geometrie gelten die apriorischen Aussagen unter der Voraussetzung von uns gezogener Linien (vgl. Kr. d. r. V., B 154), in der Naturwissenschaft bleibt, da wir die Natur nicht machen, nur das Ansehen als bestimmt, und die „Kategorien der Natur“ sind die Formen solchen Ansehens als bestimmt. Juridische Gemeinschaften sind ebenfalls gemachte, nämlich durch den äußeren Zwang gesetzlicher Gewalt. In ethischer Hinsicht müßte von außen ein Zwang auf die Gesinnungen ausgeübt werden, wenn Gemeinschaft verwirklicht werden sollte, und deshalb kann ein Wille, sie zu bewirken, auch nicht für die Ethik relevant sein, wenngleich Gemeinschaft der Idee nach das „höchste sittliche Gut“ ist. Der Philosoph, der „Intersubjektivität“ als realen Zweck denken und Mittel zu ihrer „Veranstaltung“ finden wollte, setzte sich an die Stelle eines absoluten Gesetzgebers. Er wäre darin ebenso unkritisch wie im Denken der Subjektivität als des Vermögens definitiv wahren Wissens über die Natur. |320|
II. Das ist im Grunde bei Hegel nicht anders. Der Anschein scheint hier aber noch mehr als bei Kant dagegen zu sprechen, wenn man etwa an Hegels Kategorie der „Sittlichkeit“ denkt und an seinen Begriff Geistes. In der „Phänomenologie des Geistes“ steht immerhin der bekannte Satz: „Es ist ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein.“ Zur Interpretation solch eines Satzes erscheint es mir aber als notwendig, zuerst die Begriffe „Bewußtsein“ und „Selbstbewußtsein“ im Rahmen dessen zu bestimmen, was bei Hegel systematisch „Phänomenologie des Geistes“ bedeutet und wie er darin an die kritischen Einsichten Kants anknüpft. Dazu wird zunächst noch einmal ausführlicher auf Kant einzugehen sein. Es ist davon auszugehen, daß die „Phänomenologie“ des Geistes nicht der Geist ist. Diese Differenz ist die des Bewußtseins. Für das Bewußtsein ist zunächst sein Gegenstand das Wahre. Es hält ihn für wahr, unter Absicht davon, daß es sein Gegenstand ist, wie er sich für es darstellt oder für es Erscheinung ist. Diesen Widerspruch eines sich transzendierenden Bewußtseins löste Kant dadurch, daß er die Formen des Bestimmens von Gegenständen überhaupt als das Wahre, den in ihnen bestimmten Inhalt dagegen als das Ungewisse ansah, und diese Lösung geschah bei Kant im Ausgang davon, daß wir „sagen: die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung“ (B 197). Wir müssen es sagen, weil wir es nicht (als Erfahrung) wissen können. Wir können es nicht wissen, weil wir die Möglichkeit
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der „Erfahrung überhaupt“ nicht mit der Möglichkeit der „Gegenstände der Erfahrung“ vergleichen können. Vor allem aber ist auch noch dann, wenn wir dies sagen, der Inhalt der auf diese Weise a priori als objektiv geltenden Formen des Ansehens von etwas als bestimmt ungewiß. Dieser schmale Text läßt sich in keiner Weise zu einer „Theorie der Subjektivität“ erweitern. Der breitere Text der „Kritik der reinen Vernunft“ ist nicht der Ansatz zu einer solchen Theorie. Wenn in ihm vom Subjekt die Rede ist, z. B. von ihm als in bestimmten reinen |321| Formen Anschauendem und als in bestimmten reinen Begriffen Denkendem, ist damit nichts über das Subjekt als Gegenstand einer Theorie gesagt. Es handelt sich hier um transzendentale Voraussetzungen, man könnte sagen: um transzendentale Hypothesen, die man machen muß, um die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori und damit die objektive Gültigkeit unseres Denkens überhaupt denken zu können. Würde nicht bedacht, daß alle Aussagen der Kritik nur diesen Status haben und nicht objektiv von der Beschaffenheit unserer Subjektivität handeln, so entstünde die Frage nach der Wahrheit solcher Voraussetzungen, d. h. ob sie auf Erfahrung beruhten oder auf der Annahme einer „Art von Präformationssystem der reinen Vernunft“ als einer „uns mit unserer Existenz zugleich eingepflanzten Anlage zum Denken“ (B 167). Beruhten sie auf Erfahrung, so könnten sie nicht zugleich als deren Bedingung angesehen werden und folglich im Zusammenhang mit einer Reflexion auf Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung keine Rolle spielen. Sollten sie zu Subjekten zugleich mit deren Existenz gehören, so entstünde nicht nur die Frage, woher man dies wissen könnte. Es bedeutete die durchgängige bloße Subjektivität und damit die Unmöglichkeit der „objektiven Gültigkeit unserer Urteile“, und man könnte folglich auch „mit niemandem über dasjenige hadern“, was Subjekten zugleich mit ihrer Existenz, also als solchen zukomme, weil eben jeder dabei sich auf die „Art“ berufen könnte, wie „sein Subjekt organisiert“ (B 168; Hervorh. v. Vf.) sei. Theorien der Subjektivität mit allgemein verbindlichem Anspruch, die sagen müßten, was zu Subjekten als solchen gehöre, könnten selbst den Status bloßer, auf der jeweiligen Urteilskraft des betreffenden Subjekts beruhender subjektiver Gültigkeit nicht überwinden. Mit dem Possessivpronomen „sein“ weist Kant hier den auf Introspektion beruhenden Charakter aller Subjektivitätstheorien zurück. Für den kritischen Weg bleibt nur die Möglichkeit übrig, von Kategorien als von „selbstgedachten ersten Prinzipien a priori unserer Erkenntnis“ (B 167) zu reden, d. h. als von Prinzipien, die wir uns als erste denken müssen, damit wir uns von daher überhaupt objektive Gültigkeit unseres Denkens denken können. Wir dürfen sie – sowenig wie die Formen der Anschauung – nicht als etwas Subjekten als sol|322|chen Zukommendes denken, denn dazu müßten wir wissen können, was Subjekten als solchen, analytisch ge-
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sehen, zukomme, und außerdem wissen, was Kategorien bzw. Anschauungsformen ihrem Begriff nach seien. Dem steht entgegen, daß, „genau zu reden, kein a priori gegebener Begriff definiert werden“ kann, so daß „ich ... niemals sicher sein“ kann, ob „derselbe dem Gegenstande adäquat sei“ (B 756). Ich kann also nicht zu einer adäquaten Theorie vom Subjekt gelangen, weder über Erfahrung noch auf begriffsanalytischem Weg. Der dritte Weg, nach dem die Begriffe des Verstandes „selbstgedachte“ Prinzipien sind, verzichtet ausdrücklich darauf zu sagen, was das Subjekt und was seine Denkkategorien seien. Die Kritik zergliedert Subjektivität insgesamt nur soweit, wie es für ihr Ziel „hinreichend ist“ (vgl. B 109f.), d. h. sie verzichtet bewußt auf den Anspruch, eine adäquate Theorie der Subjektivität zu liefern, und sie muß um dieses Zieles willen darauf verzichten. Subjektivität muß in dem, was zu ihr gehören soll, z. B. in den Verstandesbegriffen, „viel dunkle Vorstellungen enthalten“ können, „die wir in der Zergliederung übergehen, ob wir sie zwar in der Anwendung jederzeit brauchen“ (B 756). Das gilt also nicht nur für die „Einbildungskraft“, die Kant eine „blinde, obgleich unentbehrliche Funktion der Seele“ nennt (B 103), sondern auch für die Verstandesbegriffe. Alles, was Kant der Subjektivität zurechnet, muß dunkel bleiben, weil wir außerhalb der Mathematik überhaupt nur von „gegebenen“ Begriffen ausgehen können, bei denen keine Gewißheit über dabei „intersubjektiv“ mitgedachte Merkmale der Begriffe bestehen kann, so daß nicht nur die Frage der Adäquatheit, sondern letztlich sogar die Frage der Widerspruchsfreiheit im synthetischen Gebrauch solcher Begriffe dahingestellt bleiben muß (vgl. Leibniz, Meditationes, Die philosophischen Schriften, hg. Gerhardt, 4, 424: aut nullam involvere contradictionem). Wenn es notwendig wäre, die Kategorien oder was sonst dem Subjekt zugeschrieben wird, damit sich objektive Gültigkeit von Urteilen rechtfertigen läßt, über das für diesen Zweck Hinreichende hinaus zu „zergliedern“, d. h. in der Bedeutung zu analysieren, dann könnte sich immer noch ein Widerspruch und damit die Unmöglichkeit des damit |323| Gemeinten herausstellen. Das macht jeden Ansatz zu einer als adäquat verstandenen „Theorie der Subjektivität“ fragwürdig, ganz abgesehen davon, daß alles, was Subjekten in einer „Theorie der Subjektivität“ zugeschrieben würde, einem bereits als „Subjekt“ prädizierten Gegenstand wiederum mittels einer verknüpfenden Kategorie zuzuschreiben wäre, und nur in dieser verknüpfenden Funktion sind es Kategorien. So wie „Sein“ kein „reales Prädikat“ ist, ist keine der Verstandeskategorien reales Prädikat, das „dem“ Subjekt bzw. „dem“ Verstand als „dessen“ Begriff prädikativ zukommen könnte. Wenn von Begriffen „des“ Verstandes, von „unseren“ Formen der Anschauung usw. die Rede ist, drückt sich darin eine auf Vergegenständlichung gerichtete Tendenz der Sprache aus, gegen die die Kritik sich gerade richtet. „Subjekt“ ist eben nichts als die „Form“ des Bestimmens, ohne
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dadurch, daß man ihm Prädikate zuspricht, selbst bestimmter „Gegenstand“ werden zu können. Die Kritik bleibt auf Akzeptation dessen angewiesen, was wir sagen müssen, damit wir von da aus objektive Gültigkeit von Urteilen überhaupt denken können. Das Subjekt kommt nur vor, insofern es die Kategorien dazu anwendet, Angeschautes „als bestimmt“ anzusehen (B 128), also nur als diese Handlung und nicht als das, was es ist. Von den Formen her denkt sich nach Kant das Bewußtsein als das Wahre. Das Subjekt ist subiectum der Form, in der der Gegenstand als bestimmt angesehen und somit überhaupt Gegenstand, obiectum ist. Dem korrespondiert die regulative Idee, daß das Subjekt mit seiner Bestimmung des Gegenstandes, ja schon mit der Bestimmung, was überhaupt Gegenstand ist, an kein Ende kommt. Jede Bestimmung differiert gegenüber der Idee einer definitiven, also gegenüber der Idee einer wahren, sich mit der Sache selbst deckenden Bestimmung. Unter dieser Idee begreift sich das Subjekt in seiner Beschränktheit, aus der heraus es als bestimmt ansieht, ohne diese Beschränktheit, etwa als anthropologische Beschaffenheit des Subjekts, selbst bestimmen zu können. Auch Anthropologie ist nach Kant konsequenterweise nur „in pragmatischer Hinsicht“ möglich. Sie bestimmt nur, als was das Subjekt der Gattung nach sich selbst denkt. Es kann zu keiner Deckung der Prädikate, unter die es sich anthropo|324|logisch faßt, und ihm als Selbst kommen, aber um des Handelns willen muß es etwas über sich selbst und andere Menschen denken, doch unter der Idee, daß dies keine endgültige Bestimmung anthropologischer Gemeinsamkeiten sein kann. Alle Bestimmungen sind hier Urteile, die in Widerspruch geraten, weil sie den Begriff „Subjekt“ quantifizieren, indem sie allen Subjekten einige gleiche Prädikate zusprechen und andere Prädikate nur für einige Subjekte gelten lassen (z. B. je nach Rasse oder Geschlecht). Prädikate, die nur für ein Subjekt gelten sollen, müssen in der Anthropologie dahingestellt bleiben. Denn Prädikate, die sich nur auf ein Subjekt beziehen sollen, müßten sich auf „es selbst“ beziehen, insofern es nicht schon unter einer allgemeinen Bestimmung „gegeben“ ist, die als solche eine Vorbestimmung, ein vorgängiges Ansehen als bestimmt gewesen sein müßte. Das „Selbstbewußtsein“ kann nicht das Bewußtsein sein, in dem das Selbst sich seiner selbst unter einer prädikativen Bestimmung bewußt geworden ist. Es unterscheidet sich von jeder Bestimmung, die andere oder es selbst an es herantragen. Dazu gehören auch alle möglichen Bestimmungen, unter denen es seine besondere Beschränktheit, seinen „Privathorizont“, wie Kant sagt, zu bestimmen versucht. „Selbstbewußtsein“ ist schon bei Kant in keinem Prädikat bestimmbar, und wenn es bei Hegel heißt, das „Selbstbewußtsein“ sei „die Wahrheit des Bewußtseins“ (vgl. z. B. Enz³., § 424), ist zunächst an den Kantischen negativen Begriff von Selbstbewußt-
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sein zu denken. Er ist die Wahrheit gegenüber allen positiven Bestimmungen, unter denen das Selbst versucht, ein Bewußtsein von sich zu gewinnen, d. h. sich gegenständlich unter einer Bestimmung zu fassen. Im Selbstbewußtsein ist bewußt, daß das Selbst nicht das ist, als was es sich bewußt ist. – Insofern besteht auch nicht das Problem, ob es sich im Bewußtsein seiner selbst selbst adäquat trifft. Es trifft sich darin gewiß nicht. Es ist kein möglicher Gegenstand von Bewußtsein. Die „Phänomenologie“ des Geistes ist der Geist, wie er im Bewußtsein ist, d. h. wie er erscheint. Wenn es innerhalb der „Phänomenologie“ heißt, es sei „ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein“ (GW 9, 108 und Enz., § 430) dann heißt das, daß ein Selbst für ein anderes, d. h. in dessen |325| Bewußtsein sei, und das heißt, daß es für es als etwas Bestimmtes oder unter einem prädikativen Begriff im Bewußtsein ist. Dies ist ein Widerspruch, denn was im Bewußtsein ist, ist nicht als Selbst, sondern als Gegenstand, nicht als esse subiectivum, sondern als esse obiectivum im Bewußtsein. Für Hegel ist Kant nicht über diesen Widerspruch, und d. h.: nicht über diese unwahre Vorstellung hinausgekommen. Die Kantische Philosophie kann nach Hegel „am bestimmtesten so betrachtet werden, daß sie den Geist als Bewußtsein“ – und eben nicht als Geist – „aufgefaßt hat“ (§ 415). Wenn etwas dadurch in meinem Bewußtsein Gegenstand ist, daß es als Selbst bestimmt ist, dann ist es als Nichtvorgestelltes vorgestellt. Man könnte einwenden, gerade dann sei es als esse subiectivum vorgestellt, d. h. als etwas, was nicht nur Vorstellung sei, und damit als wahre Vorstellung. Doch dieser Einwand übersieht, daß das Selbst unter dem prädikativen Begriff, „Selbst“ zu sein, als Selbst nur vorgestellt ist. In Wahrheit ist „Selbstsein“ aber kein reales Prädikat, sondern, als prädikative Bestimmung gebraucht, unmittelbar ein Widerspruch. Man folgt, wenn man sagt, man habe etwas als ein Selbst im Bewußtsein, nur der syntaktischen Form, in der man den Begriff seines Selbst oder eines Subjekts an die Stelle eines Prädikates setzt. Etwas als Selbst im Bewußtsein zu haben, widerspricht dem Begriff eines Subjekts, das sich nur als Subjekt seiner Bestimmungen denken kann bzw. das nur sich und nicht anderes als Subjekt denken kann. Der Kantische Begriff des Rechts als Befugnis zu zwingen scheint den Widerspruch dadurch zu vermeiden, daß er der Begriff eines „äußeren“ Zwangs auf ein Subjekt (von Handlungen, einschließlich Urteilshandlungen) sein soll. Das Subjekt ist darin als Objekt von Handlungen gedacht, und dadurch allein scheint Kant eine juridische Gemeinschaft denken zu können. Er denkt sie dadurch, daß er Subjekte eben nicht als solche, sondern als das, was sie füreinander in ihrem Bewußtsein allein sein können, d. h. als Objekte denkt, denen als Prädikate Rechtstitel zukommen, z. B. daß sie ein Recht auf Leben, Eigentum usw. haben.
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Für Hegel ist hier der Begriff der Gemeinschaft, sozusagen durch die Hintertür, dadurch hereingelassen, daß von Subjekten doch prädi|326|kative Aussagen gemacht werden, zwar nicht im Sinne der Erkenntnisse, was sie seien, aber doch im Sinne von gesetzten Regelungen dessen, was ihnen von Rechts wegen zukomme. Das sind „Räume“ der Freiheit, in denen sie nicht nur als Objekte behandelt werden dürfen, d. h. in denen ein anderes Subjekt sie nicht nach dem Begriff von ihnen behandeln darf, unter dem es sie von sich aus als bestimmt ansieht. An die Stelle dieses subjektiven Ansehens als bestimmt tritt im Recht ein objektives Ansehen als bestimmt, das für alle nach Gesetzen gelten soll. Hegel wird hier vom „objektiven Geist“ sprechen. Er ist zwar die Wahrheit des subjektiven, aber ebenso wie dieser ein Widerspruch, der nur insoweit verdrängt ist, als ihn zu begehen, d. h. Subjekte als Objekte anzusehen, in den Grenzen von gesetzten und daher wißbaren Regeln gestattet ist. In Hegels Phänomenologie ist der Widerspruch, daß ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein sei (der z. B. darin besteht, daß man sagt, man würde ein anderes Selbst und nicht nur ein Objekt sinnlich wahrnehmen, sich an ein Selbst erinnern usw.), der „Trieb“, „sich als freies Selbst zu zeigen und für den anderen als solches da zu sein“. Aus diesem Trieb ergibt sich der „Prozeß des Anerkennens“ (§ 430). Das Selbst zeigt sich dadurch für andere als freies Selbst, daß es die Vorstellung, die andere bewußt von ihm haben, durchbricht. Es handelt gegen die Vorstellung, in der es auf den Begriff gebracht zu sein scheint, also gegen seine Erscheinung, um als Selbst da zu sein. Insofern ist der Prozeß des Anerkennens ein „Kampf“ (§ 431). In ihm zerstört das Selbst jedes Bild von sich, auf das es oder andere sich handelnd, d. h. ja auch: um leben zu können, glaubten verlassen zu können. Als Selbst ist es da, indem ihm an der vorgestellten Lebensmöglichkeit und allen möglichen Welten des Bewußtseins nichts zu liegen scheint. Man wird Hegels „Phänomenologie“ des Geistes nicht gerecht, wenn man das Wort „für“ in dem Satz, es sei ein Selbstbewußtsein „für“ ein Selbstbewußtsein, nicht als Kampf, sondern als „Intersubjektivität“ versteht. Es ist ein „Kampf auf Leben und Tod“ (ed. Hoffmeister, 144; GW 9, 111), aus dem dann erst die Beteiligten als etwas hervorgehen: als Herr und als Knecht. So erst konstituiert sich Gemeinschaft unter Herrschaft. Sie konstituiert sich also gerade nicht als Gemeinschaft |327| von Subjekten, sondern als Rechtsgemeinschaft, genauso wie bei Kant, nur daß dort der Kampf nicht „in Erscheinung“ trat, so als sei das Recht eine unumstrittene Institution, die einfach da sei. Bei Hegel wird noch deutlicher als bei Kant selbst, daß nach Kants kritischer Philosophie eine Gemeinschaft von Subjekten ein Un-ding oder ein Widerspruch in sich ist, eine Relation zwischen Un-dingen und in dieser Hinsicht zwischen nichts. Unter bestehenden und intakten Rechtsverhält-
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nissen, unter denen man von institutionell geregelten, objektiv bestehenden Gemeinschaften von Personen sprechen kann, treten Personen nicht als Subjekte oder als Selbst, sondern nur im Rahmen ihrer Objektivierung in ihren besonderen Rechten in Erscheinung. Als Selbst sind sie nur im Kampf da, in dem sie sich gegen ihr Sein für andere zeigen. Ihr Tun ist Zeichen für ihr Selbstsein, für ihre Subjektivität, indem es herangetragenen Begriffen gerade nicht entspricht. In solchen Zeichen, die nicht schon als Wörter einer „gemeinsamen“ Sprache gelten, ist Ich da. Sie sind – und so bestimmt Hegel die Sprache generell – „Dasein des Geistes“. In Institutionen ist der Kampf dadurch beendet, daß der eine als Herr, der andere als Knecht aus ihm hervorgegangen ist. Dem einen lag am Leben nichts, aber alles an seinem Selbstsein, dem anderen lag alles an seinem Leben, d. h. daran, sich auf seine Vorstellungen handelnd verlassen oder an sie glauben zu können. So begibt er sich in die Objektivität, „entfremdet“ sich seinem Selbstsein und wird dadurch gebildet und gesittet, d. h. er tritt nur noch im Rahmen dessen in Erscheinung, als was er dies darf, wenn Zusammenleben möglich sein soll, und wenn es auch bewußte „Verstellung“ ist (vgl. ebd., 434ff.; GW 9, 332ff.). Zuletzt ist dies das „moralische Bewußtsein“ (vgl. ebd., 444ff.; GW 9, 340ff.). Aber auch dessen Wahrheit besteht immer noch darin, eine Form des Kampfes zu sein. Das an andere gerichtete moralische Urteil wird von diesen anderen selbst als Handlung verstanden. Sie sehen sich in ihm auf einen Begriff gebracht und darin als gewissenlos behandelt, zurecht, denn Subjekte können von anderen nur so beurteilt und von daher dann moralisch verurteilt werden, wie sie aus deren fremdem Horizont heraus in ihren Handlungen verstanden werden können. Das muß dem Selbstverständnis nicht entsprechen. Es entspricht vor |328| allem nicht der Subjektivität des Subjektes als der wesentlichen Beschränktheit des Urteilsvermögens. Der Kampf hört nach Hegel erst auf, wenn das Anerkennen anderer nicht mehr ein Verstehen der anderen als etwas ist, weil in der Angst das Sein in unbestimmter Unmittelbarkeit gegen seine vorausgesetzte Bestimmung als Subjektsein (Fürsichsein) durchbricht. Erst wenn andere nicht mehr als etwas, sondern „in ihrer absolut in sich seienden Einzelheit“ anerkannt sind und diese Anerkennung „gegenseitig“ ist, spricht Hegel vom „absoluten Geist“ als einem „Wort der Versöhnung“ (ebd., 471; GW 9, 361). Im Ausgang des Kampfes auf Leben und Tod war nur der Herr vom Knecht als Selbst oder in seiner unter keinen Begriff zu fassenden „Einzelheit“ anerkannt, der Knecht vom Herrn nur unter der Bestimmung des Herrn als in dem, was er für den Herrn ist. Im moralischen Diskurs sollen zwar beide Seiten auf gleicher Stufe stehen. Aber indem eine Seite ihr moralisches Urteil nach außen richtet, glaubt sie, die inneren Beweggründe von Handlungen beurteilen zu können. Gerade unter dem Gesetz der Moral müßte sich diese
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Beurteilung von außen jeder, der sie vollzieht, auch selbst gefallen lassen. Auch seinen Urteilshandlungen müßten von anderen Beweggründe unterstellt werden können, d. h. ein moralisches Beurteilen anderer mit dem Anspruch auf Wahrheit verfiele selbst der Beurteilung und wäre in seinem unmittelbaren Anspruch widersprüchlich. Es wird erfahren, daß alle der Anerkennung bedürfen, um auch nur urteilen und daraufhin handeln zu können. Nun könnte man sagen, diese gegenseitige Anerkennung, die Hegel den „absoluten Geist“ nennt, sei doch der Hegelsche Begriff von Intersubjektivität. Es handelt sich aber um das Gegenteil. Hier lassen die Subjekte voneinander ab. Sie entlassen sich, indem sie sich „in ihrer absolut in sich seienden Einzelheit“ anerkennen, aus jedem positiv bestimmbaren Verhältnis zueinander, und darin lassen sie sich gegenseitig frei. In Gemeinschaft stehen sie gerade nicht als Subjekte, sondern als Herr, Knecht, Familienmitglied, Staatsbürger oder als all das, als was sie jeweils sich begreifen und von anderen prädikativ begriffen sind. Der „absolute Geist“ ist insofern kein bestimmter, „objektiver“ Geist. Er ist nicht objektivierbar, sondern in einem nicht |329| in Begriffe zu fassenden Sinne da. Sein Dasein ist nicht gegenständlich. Es besteht darin, daß aller Kampf um den rechten Begriff von etwas bzw. gegen das Subsumiertsein unter einem Begriff ein begrenzter Kampf ist. Nur dadurch sind Leben und Freiheit zugleich möglich. Das Dasein des absoluten Geistes besteht darin, daß Leben ohne gemeinschaftlichen Begriff von ihm möglich und daß es ohne Vorbegriff seiner Möglichkeit wirklich ist, oder in der Offenheit aller Vorstellungen, unter denen „man“ es, z. B. als Leben unter diskursiv auszuhandelnden Lebensbedingungen, a priori für möglich hält.
III. Man könnte hier fragen, warum denn die Abwehr des Begriffs der Intersubjektivität philosophisch so wichtig sei. Sie ist wichtig, weil sonst ein Begriff von Gemeinschaft als absolute Verpflichtung aufgefaßt werden könnte. Auch wenn er als noch auszuhandelnder angesehen wird, besteht die Vorstellung, es solle doch zuletzt eine auf bestimmte Weise strukturierte Gemeinschaft sein, um derentwillen sich die Subjekte ihrer Selbstheit zu entledigen hätten, z. B. in der Vorstellung einer Diskursgemeinschaft nach bestimmten Regeln des „vernünftigen“ Diskurses. Das läuft auf einen positiven Begriff von Vernunft hinaus, gegen den niemand etwas einzuwenden hat, solange er ihn teilt, d. h. solange er seiner eigenen Vorstellung von Vernunft entspricht. Das aber hieße nach Hegel, die Vernunft auf die Ebene des Verstandes herunterzudrücken, indem man sie in der Form eines Verstandesbegriffs als bestimmt ansieht, z. B. als Gemeinschaft.
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Dagegen spricht der andere in seinem Dasein als anderer. Dieses Sprechen ist un-verständlich. Man kann es nach eigenen Begriffen nicht verstehen. Es bleibt un-verstandenes Zeichen. Aber aus ihm spricht Vernunft, indem es in die eigene Verstehensmöglichkeit einbricht. Dadurch wird bedeutet, daß es keine definitiv wahre Bestimmung von irgend etwas geben kann, weil in allem Ansehen von etwas als bestimmt und damit schon in allem Ansehen von etwas als etwas sich ein subjektiver Horizont geltend macht, der sich nicht an dem |330| anderer „messen“ läßt und der insofern inkommensurabel ist. Die Vernunft korrespondiert dem allgemein un-verständlichen Zeichen, so wie der Verstand dem allgemein verständlichen korrespondiert. An diesem Punkt setzt systematisch die Philosophie von Levinas an, auch wenn sie sich darin glaubt gegen Kant und vor allem gegen Hegel richten zu müssen. Levinas geht ursprünglich von einer Kritik der Husserlschen Phänomenologie des fremden Ego aus, die ihren Anspruch darin erfüllt sehen muß, daß die in der Bewußtseinsanalyse gefundenen Strukturen, nach denen das fremde Ego nicht in Konstitutionsleistungen aufgeht, die das eigene Ego vollziehen kann, für jedes Subjekt ausweisbar sind. Hier liegt in der Tat der entscheidende Punkt. Phänomenologie als Bewußtseinsanalyse kann nicht über ihn hinwegkommen, weil sie eben nur für das je eigene, nicht aber für jedes Bewußtsein sprechen kann: Jedes muß es anderen überlassen, wie sie es verstehen. Dies ist gerade keine mögliche Erfahrung des Bewußtseins. Wenn Hegel hier von einem Kampf spricht, soll damit gesagt sein, daß eine Sicherstellung eines identischen Verstehens von Selbst zu Selbst nur durch Vernichtung des anderen geschehen könnte, und daß schon der Wille, in eigener Intention verstanden zu werden, einen Willen zur Vernichtung des anderen im anderen impliziert1. Sie wird nur dadurch vermieden, daß das knechtische Selbst von sich aus sich so zu verhalten bereit ist, als ob es auf eigenes Verstehen verzichtete. Es arbeitet am Schein einer durch das herrschaftliche – man kann verallgemeinernd auch sagen: das herrschende – Bewußtsein bestimmten Identität des Verstehens einer gemeinschaftlichen Welt. Daß diese Arbeit geschieht, läßt sich bei Hegel nicht aus der Philosophie des Bewußtseins und des Selbstbewußtseins erklären oder gar ableiten, sondern nur dadurch, daß der absolute Geist immer schon da sei. (Die „Phänomenologie“ von 1807 muß erst dahin führen, daß der Geist da sei, die von 1830 geht davon aus.) Für das Bewußtsein zeigt er sich in der Angst, in der sich seine vorausgesetzte Selbstprädikation als Subjekt verunmöglicht. Im absoluten |331| Geist ist alles 1
Vgl. J. Simon, Der gute Wille zum Verstehen und der Wille zur Macht. Bemerkungen zu einer „unwahrscheinlichen Debatte“, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 12.3 (1987), 79 – 90.
Intersubjektivität bei Kant und Hegel?
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Fürwahrhalten aus der Differenz des Bewußtseins in jedem Fall das Falsche. Aber in ihm wissen sich einzelne in ihrer „absolut in sich seienden Einzelheit“ und erkennen sich darin gegenseitig an, nunmehr ohne jeden Anspruch eines denkbaren oder in den Bedingungen seiner Möglichkeit beschreibbaren Bewußtseinsinhalts auf „intersubjektive“ Geltung. Die sich so Anerkennenden sind nicht mehr Subjekte der Anerkennung. Sie wird durch den daseienden Geist bewirkt bzw. der Geist ist als (nicht mehr subjektiver oder objektiver) Geist diese Wirkung. Der Geist ist da, indem der andere außerhalb jedes Begriffs einer Gemeinschaft mit ihm in seiner Exteriorität da ist. Er zeigt sich im Dasein des anderen, insofern der andere außerhalb jedes Begriffs von Gemeinschaft mit ihm bleibt, nach Levinas signifikant im Sterben, indem er sich aller möglichen Gemeinschaft entzieht. Wir sind aber gewohnt, in der Gemeinschaft ein ethisch hohes Gut zu sehen. Es soll auch nicht gesagt werden, daß dies nicht so sei. Es soll, im Anschluß an Kant und Hegel, nur gesagt werden, daß Gemeinschaft, ohne die wir nicht leben können, nicht als Gemeinschaft von Subjekten, nicht als „Intersubjektivität“ möglich ist. Es ist ein Widerspruch, wenn Husserl „Intersubjektivität“ als das Sein eines anderen „transzendentalen Subjekts“ im Bewußtsein als meinem Bewußtsein versteht. In meinem Bewußtsein ist alles Objekt, auch wenn ich es Subjekt nenne. Es ist abhängig von meinem Vermögen der Kategorisierung, von meiner vorausgesetzten und vorausgesetzt bleibenden transzendentalen Subjektivität. Die Bewußtseinsphilosophie kommt, wie Hegels „Phänomenologie“ zeigen soll, am anderen überhaupt zu ihrem Ende. Das Subjekt bewußter Akte stirbt sozusagen angesichts des anderen. Es läßt als Subjekt von ihm ab. Aber bleibt es darin nicht Subjekt des Ablassens oder, mit Hegel zu sprechen, der Anerkennung? Solange es Subjekt ist, d. h. sich in Kantischer Weise als Subjekt seiner Akte denkt, das alle Vorstellungen soll begleiten können, ohne selbst von einer Vorstellung begleitet werden zu können, ist seine Anerkennung Kampf. Die als „absoluter Geist“ begriffene Anerkennung ist dagegen weder mehr Akt eines Subjekts oder subjektiver Geist, noch ist sie nach |332| Kategorien eines objektiven Geistes sichergestellt. Sie ist gedacht als „Dasein“ des Geistes, das da sein muß, damit die Selbstreflexion als unprädizierbares Subjekt und die Freigabe der Prädizierungen nach Regeln eines objektiven Geistes überhaupt stattfinden können. Daß das Absolute nicht nur als Substanz, sondern auch als Subjekt zu denken sei, besagt demnach, daß der eine Gedanke den anderen relativiert. Als Subjekt gedacht, kann das Absolute nicht prädikativ bestimmt werden. Aber es läßt sich dennoch prädikativ bestimmen, indem es sich um des Lebens willen dekondeszent dazu hingibt, sich als Substanz (von Akzidentien) bestimmen zu lassen, wenn es nur nicht als darin aufgehend gedacht
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wird. Es bleibt frei gegen die eine und gegen die andere Bestimmung. Beides sind keine definitiven Bestimmungen des Absoluten. Hegels Philosophie des absoluten Geistes ist eigentlich schon das Ende der Subjektphilosophie. Schon Kant hatte Bedingungen reflektiert, unter denen sich das Denken als Subjekt, nämlich als Subjekt der Formen wahren Bestimmens denken kann: unter der Bedingung, daß wir sagen, die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt seien zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung. Wir müssen es sagen, ohne es zu wissen, damit wir überhaupt eine Vorstellung davon haben können, daß unsere Denkformen Formen objektiv gültigen Wissens sein können, und das hieß im Grunde schon, daß wir es sagen und verstehen müssen, ohne uns als Subjekt dieses Zusammenhangs denken zu können. Es muß gesagt und verstanden werden, damit wir uns daraufhin als Subjekte von Wissen denken können. So hatte Kant die Subjektphilosophie zwar kritisch begründet, sie zugleich damit aber auch an ihre Bedingung gebunden, und diese ist nicht selbst schon „subjektiv“, sondern, wie Hegel dann sagt, „Geist“.
IV. Die „Phänomenologie des Geistes“ ist die Wissenschaft von den Erscheinungsweisen des Geistes im Bewußtsein eines Subjekts. Hegel |333| stellt sich als Autor in die Position eines Protokollanten der Erfahrungen, die das Bewußtsein von sich an seinem Gegenstand macht. Das sind Erfahrungen der Unwahrheit des jeweiligen Gegenstandes. Es verliert ihn zuletzt überhaupt als Gegenstand, d. h. auch sich als Subjekt von Gegenständen. Dieser Verlust des Subjektseins geschieht im absoluten Geist. Er als daseiender ist Bedingung des Übergangs des subjektiven in den objektiven, der damit seine Wahrheit im absoluten Geist hat. Aus diesem Grund bedarf es (außer als Einleitung in die Philosophie) innerhalb der Philosophie des Geistes einer „Phänomenologie des Geistes“: Das Subjekt findet – nachdem es nach der Erfahrung des Verlustes seines äußeren Gegenstandes sich in der „Psychologie“ auf seine eigenen Tätigkeiten oder „Vermögen“ als Gegenstände der Wissenschaft auszurichten versuchte – seine Wahrheit im objektiven Geist, in dem ihm Bedingungen seiner Freiheit oder seiner Subjektivität objektiv eingeräumt sind, aber auch diese objektive Welt, z. B. des Rechts, hat nur Bestand im absoluten Geist, in dem das Subjekt auch nur ein anderes für andere und damit eben nicht mehr Subjekt dieses Verhältnisses ist. Das Verhältnis zwischen einander anderen besteht gerade darin, daß sie als Subjekte voneinander ablassen, d. h. sich aus allen reflektierbaren Verhältnissen freilassen, die immer aus dem Horizont des einen oder des anderen gedacht sein müßten.
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Der Begriff der „Intersubjektivität“ unterstellt dagegen, daß Subjekte als solche in einem Verhältnis stehen könnten, das für irgendein Subjekt eine bestimmte Bedeutung haben könnte. Bedeutungen als „Beziehung aufs Objekt“ (Kant) realisieren sich immer nur im Horizont beschränkter Subjektivität. Sie sind das, was in subjektiv hinreichender Deutlichkeit verstanden werden kann. Insofern ist „Subjektivität“ etwas Begrenztes, auch wenn wir darunter uns selbst als Subjekte verstehen sollten und damit diesen Begriff wie ein Prädikat verwenden. Es war eine Episode der Philosophie, Subjektivität zum Grundbegriff zu erheben. Kant hatte ihren Begriff im Gebrauch schon eingegrenzt. Hegel hatte dies noch verstärkt, gerade im Zusammenhang mit der paradoxen phänomenologischen Vorstellung, es sei ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein. Als Husserl den Be|334|griff der „Intersubjektivität“ in die Philosophie einfügte, geschah das innerhalb einer neu begriffenen „Phänomenologie“, als Beschreibung innerhalb meiner, also in einer Subjektivität. Theorien der Subjektivität oder gar der Intersubjektivität können nur als Phänomenologie möglich sein, und die Husserlsche ist dann auch von Levinas, von Hegel her gesehen durchaus zu Recht, als ein Kampf interpretiert worden, in dem Ego, indem es theoretisch-begrifflich beschreibt, sich Alter vom Leibe hält. Levinas versteht Husserl als die Vollendung einer Epoche von Philosophie, die in Wahrheit ein Kampf mit dem Ziel der Ausgrenzung des anderen gewesen sei. Wenn er damit auch nicht allen Philosophen der metaphysischen Epoche gerecht wird, hat er doch Entscheidendes zu ihrem Verständnis, gerade in Fragen der sogenannten Intersubjektivität, beigetragen.
V. Husserls Versuche einer transzendentalen Phänomenologie implizierten die Aufhebung des erreichten kritischen philosophischen Bewußtseins gegenüber einem intendierten Zugang zu „Sachen selbst“ als allem Möglichen, was im Bewußtsein vorgestellt sein kann. Die „Epoché“ als Aussetzung der Seinsthesis setzt zugleich die Kritik gegenüber der Wahrheit des als Vorstellung Möglichen außer Kraft, und die Unterscheidung und anschließende Parallelisierung von Noesis und Noema verlieh jedem Gemeinten die Bedingungen seiner Möglichkeit in einer ihm eigens zugedachten Noese. So erhielt auch die Vorstellung von „Intersubjektivität“, die bislang in der kritischen Philosophie keinen Ort hatte2, weil die Vorstellung von Übereinstimmung von Subjekten untereinander ebensowenig ein materiales Krite2
Als eine Ausnahme wäre Fichte zu betrachten, der von einer „Gemeinschaft des Bewußtseins“ spricht (Werke [ed. I. H. Fichte], III, 50) ohne die Reflexion, daß eine solche Gemeinschaft nur als hergestellte Zwangsgemeinschaft denkbar, aber natürlich nicht als Wirklichkeit erkennbar wäre.
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rium haben kann wie die Wahrheit irgendeiner anderen Vorstellung, |335| ihre eigene Noese in der „Erfahrung“ fremder Subjektivität als einer Leistung des erfahrenden Bewußtseins. Alles, was man sich in phänomenologischer „Epoché“ als etwas vorstellt, in Beziehung auf das diese Epoché zu vollziehen sei, wird als in entsprechenden Akten fundiert gedacht, während die kritische Philosophie umgekehrt von den subjektiven „Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung“, d. h. von ihrer Form her dachte. Die Devise „zu den Sachen selbst“ ist die Devise, von dem Subjekt als Form zu den vorgestellten Inhalten, den „Phänomenen“ zurückzugehen. Wenn die Epoché vollzogen ist, ist alles, von dem man fragen könnte, ob es „so etwas“ gebe oder nicht, Gegenstand auf der Ebene phänomenologischer Untersuchung, also auch „Intersubjektivität“, und folglich muß es gemäß dem phänomenologischen Ansatz auch eine Leistung des Subjekts geben, in der „so etwas“ zur Erfahrung kommt, obwohl Beziehung („Inter“) nur als Beziehung zwischen Objekten zu denken ist, die durch ihre Beziehung untereinander (statt nur aufs Subjekt) überhaupt als Objekte gedacht sind. Subjekte sind als Objekte gedacht, wenn man sich Zusammenhänge zwischen ihnen denkt. Die kritische Philosophie unterschied zwischen dem bloßen „Denken“ und dem „Erkennen“. Man denkt Subjektivität (und damit auch Inter-Subjektivität) gerade darin, daß man denkt, daß man sie nicht erkennen kann, d. h. daß sie nicht Gegenstand der Erkenntnis werden kann, die ja sagen will, was etwas ist. „Subjekt“ ist in kritischer Philosophie die Form des Ansehens als, durch das etwas überhaupt erst Objekt und damit erst Gegenstand prädikativer Aussagen sein kann. Die Wahrheit solcher Aussagen war bei Descartes nur mittels des Gottesbeweises gesichert. Bei Kant bleibt definitiv gesicherte Wahrheit „Idee“ der Vernunft. Zum vorläufigen Ansehen als bestimmt oder zum Fürwahrhalten in der Urteilskraft des Subjekts kommt es bei Kant aus Gründen praktischer Weltorientierung, und auch bei Hegel ist „der Begriff“ immer auch „praktischer Begriff“. Daß es im Fürwahrhalten um nichts als „die“ Wahrheit gehen könne, kann nicht mehr als Rechtfertigung des Fürwahrhaltens ausreichen. Alles Fürwahrhalten, auch und vor allem das sich als „Wissen“ in Übereinstimmung mit anderen Subjekten verstehende, |336| hat sich an dem zu messen, was auf dem Spiel steht, wenn man sich handelnd auf es verläßt. Sich in solcher Übereinstimmung zu denken, befreit nicht von der Verantwortung für das eigene Fürwahrhalten. Es bleibt selbst subjektiv und hat so wenig ein Kriterium der Wahrheit wie der Anspruch einer Übereinstimmung mit den „Sachen selbst“. Die phänomenologische Reduktion löst sich aus diesen Bezügen. „Intersubjektivität“ kann nicht etwas und nicht („transzendentale“) Basis eines besser gesicherten Fürwahrhaltens gegenüber einem „solipsistisch-subjektiven“ sein, sondern ist selbst immer nur subjektive Voraussetzung. Zwar gründet auch bei Husserl die „transzendentale Intersubjektivität“ im „transzenden-
Intersubjektivität bei Kant und Hegel?
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talen Solipsismus“ (vgl. Die Pariser Vorträge, in: Husserliana Band 1, 12), aber so wie dieser als „reine Egologie“ schon „Wissenschaft“ sein soll, soll auch die „transzendentale Intersubjektivität“ Gegenstand einer besonderen, transzendentalen Wissenschaft sein. Bei Kant wäre sie ein Widerspruch in sich selbst. Transzendentale Überlegungen sind nicht Wissenschaft, sondern Reflexion auf Bedingungen der Möglichkeit von Wissenschaft, von denen man nur sagen, aber nicht selbst schon wissen kann, daß sie erfüllt seien. Aus Gründen praktischer Philosophie ist es an der Zeit, das Verdrängen dieser Reflexion als eine Vorbedingung für die Rede von „Intersubjektivität“ aufzudecken. Der Regreß aus dem Primat des Praktischen beginnt mit dem Willen zu einem radikalen Neuanfang in der Philosophie, der als Anfang bei einem „transzendentalen Ego“ als dem Bewußtsein des Phänomenologen verstanden ist. In diesem Bewußtsein sollen sich zwar andere als andere transzendentale Ego, als alter ego „bekunden“ (ebd., 34), und das eigene Ego soll sich als das „spezifisch private egologische Sein“ von ihnen „abscheiden“ (ebd., 35). Dabei ist aber in phänomenologischer Epoché außer Geltung zu setzen, daß die anderen von sich aus sind. Von mir werden sie nur „in einem sekundären Sinn, in der Weise einer eigentümlichen Ähnlichkeitsapperzeption miterfahren“, „in mir selbst“ und, wegen des radikalen Neuansatzes bei mir selbst, eben nur als das, was sie für mich sind. Dadurch soll sich „die transzendentale Subjektivität zur Intersubjektivität“ erweitern (ebd.). Anderes Ich ist für mich als mir ähnlich gegeben. Daß es von der Erfahrung des frem|337|den Ich zur Intersubjektivität komme, diese Assimilation des Fremden zu einer Zwischenbeziehung, die als Intersubjektivität gleiche Subjektivität in den Relata der Beziehung und damit materialiter voraussetzt, wird ihres Voraussetzungscharakters enthoben und zum Befund einer Analyse erklärt. Im wirklichen Umgang mit anderen setze ich natürlich solch eine Gleichheit voraus, aber der andere ist doch für mich nur ein anderer, wenn ich diese Voraussetzung zugleich als meine Projektion reflektiere, so daß der andere ihr widersprechen, sie wirksam aufheben kann. Das bleibt nur reflektiert, wenn das Sein des anderen als etwas anderes als das, was er in meinem Bewußtsein ist, gerade nicht außer Geltung gesetzt ist, d. h. es bleibt nur außerhalb des phänomenologischen Grundansatzes reflektierbar. Innerhalb dieses Ansatzes kann der andere nur unter meiner Bestimmung als Fremdes, aber nicht als etwas meine Bestimmung selbst in Frage Stellendes in Frage kommen. Er kann meinen Ansatz ihm gegenüber nicht erschüttern. Sonst würde ja auch der phänomenologische Ansatz als radikaler Neuansatz in Frage gestellt. Es wären gegenüber meinen je eigenen Analysen immer auch die anderer als Einreden gegen meine zu bedenken, und es fehlte jede Möglichkeit der ruhigen „phänomenologischen“ Besinnung.
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Daß ich mich aber in der Wirklichkeit, in der praktisch-philosophische Fragen des Verhaltens mit und gegenüber anderen entstehen, nicht von solchen störenden Einreden freimachen kann, war Anlaß für die kritische Philosophie Kants und Hegels, Subjektivität als die Formen zu verstehen, in denen Ansprüche des Fürwahrhaltens erhoben werden, die ihren Inhalten nach durchaus auch gegeneinander erhoben werden können. So erfährt sich in Hegels „Phänomenologie“ Selbstbewußtsein auch nicht dadurch zusammen mit anderem Selbstbewußtsein, daß es sich in anderes „in der Weise einer eigentümlichen Ähnlichkeitsapperzeption“ „einfühlte“, sondern dadurch, daß anderes es faktisch bedrängt, in einem „Kampf auf Leben und Tod“. Der Kampf, in dem eines auf Vernichtung des anderen aus ist, wird nur beendet, weil eines aus Angst vor dem anderen, als Angst vor dem Tod als dem „absoluten Herrn“, zur Anerkennung des anderen gelangt und aus der Angst ein „Geist“ gegenseitiger Anerkennung ent|338|steht. Zunächst als Angst und noch ohne Begriff ist dieser „Geist“ da, aber ohne sein Dasein käme es zu keiner Erfahrung der Selbständigkeit des anderen, sondern nur zur Vernichtung des einen oder des anderen. Husserl verkennt auch die Bedeutung des Cartesischen Ansatzes. In ihm ist der Ansatz beim ego cogito als dem zunächst einzig gewissen Sein nur deshalb fundamental, weil über die Beweise vom Dasein Gottes von diesem Ansatz aus eine Vermittlung zu anderem Sein, zum Sein des für mich Unbezweifelbaren oder Gewissen und damit zur Wahrheit der Gewißheit geleistet werden soll. Sonst bliebe der Ansatz lediglich auf einem Unvermögen des endlichen Geistes begründet, bestimmte Zusammenhänge (conjunctiones necessariae) zu bezweifeln, und nichts über meine eigene beschränkte Gewißheit Hinausführendes wäre darauf aufzubauen. Damit soll nicht auf Descartes statt auf Husserl verwiesen werden – Descartes Denken bleibt vorkritisch –, sondern nur darauf, daß bei Husserl ein bei Descartes vorhandenes Problembewußtsein abgeschnitten ist, aus dem heraus es zu der Entwicklung bei Kant und Hegel kam und in dessen Kontext die Rede von „Intersubjektivität“ nur als Verdeckung des Problems erscheinen kann, das in der Erfahrung des alter ego angezeigt ist. Fremd ist das fremde Ich für mich nur insofern, als es mir eben von mir allein aus nicht gelingt, mich als in einer Inter-Beziehung zu ihm stehend zu denken, in der ich uns beide als in der Einheit eines Objekts aufgehend vorzustellen versuche. Daß dies mir nicht gelingt, bedeutet, daß ich vom Dasein des anderen Ich überhaupt nicht absehen und deshalb ihm gegenüber auch nicht Phänomenologe sein kann. Der phänomenologische Ansatz und die ihm entstammende Rede von „Intersubjektivität“ ist die Absicht von der Wirklichkeit des anderen als einer die phänomenologische Grundeinstellung grundsätzlich störenden Wirksamkeit.
Der Nächste als Kritik der Gemeinschaft |347| „Gemeinschaft“ gilt in moralischen Disputen gemeinhin an sich schon als Wert. Vor allem zusammen mit dem Begriff der Verantwortung hat er sich, nachdem zwischen „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ unterschieden worden war, wieder neues Ansehen erworben. Politische und waffentechnische Entwicklungen, die die Menschheit im ganzen bedrohen, lassen „makroethische“ Überlegungen geboten erscheinen, deren Adressaten sich allerdings der Philosophie entziehen. Ihre Überlegungen sind vielmehr von Begriffen wie „Verteidigung“ oder „Abschreckung“, d. h. zweckrational geprägt, aus der jeweiligen Verantwortung für den je eigenen Staat oder das jeweilige Bündnis und der Sicht einer Bedrohung durch die je andere Seite. Demgegenüber wird ein „gemeinschaftliches“ Interesse der „Menschheit“ geltend gemacht. Die dies tun, verstehen sich offenbar als die Wissenden gegenüber der Verblendung der Macht im Interesse ihrer Erhaltung oder Steigerung, als die hellsichtigen Propheten, die anderen vorsagen, wie es wirklich sei und nicht bleiben könne, wenn nicht alles ein schlimmes Ende nehmen solle. Daß man in der eigenen Sicht der Dinge zugleich das „wahre“ Interesse der Menschheit gegenüber den bloß partikulären Interessen der anderen, Verblendeten vertrete, begründet sich in dem Argument, es gehe um das Überleben der Menschheit, hinter dem alle Ansprüche auf ein bestimmtes Leben, eben ein selbstbestimmtes „Leben in Freiheit“, zurückzutreten hätten. Eine Philosophie der Geschichte, die, wie etwa die Hegelsche, die Geschichte der Menschheit als „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“ begriff, wäre demnach nicht nur am Ende, sondern auf den Begriff des Lebens als der Unmittelbarkeit der Freiheit zurückgeworfen. Der Einsatz des Lebens um seiner näheren Bestimmung willen, wie er nicht nur im Christentum als sinnvoll erschien, wird angesichts der Möglichkeit, daß niemand überleben könnte, in seinem Sinn in Frage gestellt. Denn er war |348| ja verstanden als Hingabe des Lebens für „seine Brüder“, für andere also. Die drohende Gemeinsamkeit des Untergangs, des Endes von allem, scheint die ethische Tugend der Hingabe für die anderen „bis zum Tode“ – und damit doch wohl die Absolutheit des Ethischen überhaupt – in Frage zu stellen. Statt dessen scheint eine Ethik der allgemeinen Lebenssicherung als Überlebenssicherung geboten zu sein. Gegenüber diesem „makroethischen“
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Grundgebot scheinen sich alle anderen Gebote der Ethik zu relativieren, und wenn nicht überhaupt, dann doch soweit, daß das Leben für sie kein Preis sein könne, allenfalls im Einsatz des eigenen Lebens für das Überleben der Menschheit. Aber in diesem letzteren Gedanken gewinnt die „Menschheit“ gegenüber dem einzelnen Menschen ein erdrückendes Gewicht. Ich möchte im folgenden die Frage nach der Differenz zwischen der Menschheit und dem Menschen, zwischen Gattung und Individuum in ethischer Fragestellung erörtern.
I. Im deutschen Sprachraum trat zuerst bei Gottsched, also im Zeitalter der Aufklärung, der Begriff der „Menschenliebe“ an die Stelle des Begriffs der „Nächstenliebe“. Daß Menschen sich als Menschen, also von der Zugehörigkeit zur gemeinsamen Gattung her lieben sollten, versteht sich aus dem Geist der rationalistischen Aufklärung. Deren Denken „rein in Begriffen“ schien es zu erlauben, das Individuum ohne Anschauung vom Begriff her zu verstehen, den einzelnen also von daher, daß er Mensch sei, oder ein solches Verstehen doch wenigstens geboten erscheinen zu lassen. Der Affekt gegenüber dem anderen, insofern er anderer und also aus einer je anderen Sicht unverstanden bleibt, sollte ebenfalls in seiner gattungsmäßigen Allgemeinheit, eben als menschlicher Affekt, verstanden und damit im Verstehen aufgehoben und nur insofern gelitten sein. Das „Allzumenschliche“ sollte „gegenseitig“ zugestanden und damit verziehen sein. Das Individuelle wurde als das Verständliche, aber nicht darüberhinaus gelitten, d. h. der Begriff der „Nächstenliebe“ wurde nicht nur auf die Gattung ausgedehnt, sondern auch verändert. Er ging, als Liebe, im Begriff des Verstehens des anderen als Mensch auf. Wenn man nur das fordern kann, was der Geforderte kann, dann fragt sich, ob man einen anderen lieben kann, insofern er, wie man selbst, Mensch ist, d. h. ob das gemeinsame Sichverstehen als Mensch überhaupt dazu führen kann, daß man liebt. Leibniz hatte schon gesehen, daß die Frage, was unter einen gegebenen Begriff falle, nur im pragmatischen Sinn eine leichte Frage ist. Was ist menschlich, wenn vielleicht auch „allzumenschlich“? Die Beantwortung dieser Frage setzt eine adäquate Verdeutlichung des Begriffs „Mensch“ voraus, und Leibniz schreibt, er |349| wisse nicht, ob es „bei den Menschen“ Beispiele für adäquate Verdeutlichungen von Begriffen gebe, außer vielleicht bei den Zahlen. Wenn das so ist, dann gibt es unter Menschen auch keine definitive Bestimmung dessen, was menschlich sei, und das muß wohl so sein, weil ein Begriff erst dann adäquat verdeutlicht ist, wenn alle Merkmale des Begriffs, durch deren Explikation er verdeutlicht
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werden soll, ihrerseits deutlich sind. Da dies ins Unendliche führen muß, sind alle Begriffe, auch der des Menschen und damit auch der des Menschlichen, nur ein Stück weit verdeutlicht, und es ist nicht ausgeschlossen, daß die Fortsetzung der Verdeutlichung zu einem Widerspruch führen würde. Die Verdeutlichung hängt folglich davon ab, daß sie, soweit sie durchgeführt ist, befriedigt, also davon, daß andere ihr zustimmen. Sie kann also nicht allen anderen etwas bedeuten müssen und folglich nicht ein allgemeiner Maßstab für „das“ Menschliche sein. Was als menschlich gilt, bleibt Gegenstand eines nicht abgeschlossenen Diskurses. Auf diesem Hintergrund versteht sich die „Kritik der praktischen Vernunft“ bei Kant. Nachdem die Kategorie der „Gemeinschaft“ in ihrer objektiven Gültigkeit durch Kant auf die Funktion eines Verstandesbegriffs zur Synthesis von Gegenständen im Raum restringiert worden war, die in ihr als sich gegenseitig bedingende, in „Wechselwirkung“ stehende und in diesem Sinne zugleichseiende Gegenstände gedacht werden, konnte von einer ethisch verstandenen Gemeinschaft in einem objektiven Sinne im kritischen Verstande nicht mehr gesprochen werden. Wenn es sie geben sollte, dann mußte sie nunmehr als eine Gemeinschaft vorgestellt werden, für die „das Volk als ein solches nicht selbst für gesetzgebend angesehen werden“ kann, d. h. als eine Gemeinschaft, deren Bedingungen nicht von ihren Mitgliedern zu bestimmen sind. Nur als „juridische“ ist nach Kants Kritik eine Gemeinschaft von Personen noch so zu denken, daß sie sich von allen zu ihr gehörenden in den Bedingungen ihrer Konstitution nach einem Prinzip begreifen läßt, nämlich nach dem Prinzip, „die Freiheit eines jeden auf die Bedingungen einzuschränken, unter denen sie mit jedes andern Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“. „Dieses ist das Princip alles äußern Rechts“1. Es ist kein ethisches Prinzip, weil in ihm der Begriff eines „allgemeinen Gesetzes“, das in der Gemeinschaft gilt, eine Rolle spielt. Die Gemeinschaft versteht sich „juridisch“ von den in ihr geltenden Gesetzen her, als von Gesetzen, die in anderen „juridischen“ Gemeinschaften nicht notwendig auch gelten müssen. Insofern sind im Verhältnis zu ihr immer andere „juridische“ Gemeinschaften denkbar. Sie ist ihrem Prinzip nach |350| eine auch ausschließende Gemeinschaft, und von daher ist sie keine Gemeinschaft der „Menschheit“, sondern wesentlich ein historisches Gebilde, das die Beschränkung der Freiheit eines jeden um der Freiheit anderer willen gerade so regelt, wie es faktisch geschieht. Da eine Gemeinschaft nach Kant entweder eine solche „juridische“ ist oder aber eine ethische, in der „ein Anderer als das Volk“, nämlich Gott für 1
Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 98 und Fußnote.
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„sein“ Volk die Gesetze gibt2, ist „Gemeinschaft“ kein moralischer Begriff mehr, wenn unter „Moral“ eine Gesetzgebung verstanden ist, die nicht von außen kommt, sondern aus der Vernunft. Der „kategorische Imperativ“ bezieht sich deshalb auch auf die subjektiven Handlungsmaximen, die Menschen sich auf welche Weise auch immer gebildet haben, und er gebietet, nur solche im Handeln bestimmend werden zu lassen, die „zugleich“ als Richtschnur einer allgemeinen Gesetzgebung gelten können, ohne daß das zu einem Widerspruch führen würde. „Reine Vernunft“ soll sie daraufhin prüfen, indem überlegt wird, ob die subjektive Maxime des einzelnen noch „möglich“ wäre, wenn sie als allgemeines Gesetz des Handelns gedacht wäre. Zu lügen wäre unter dieser Bedingung z. B. nicht möglich, weil es ja voraussetzt, daß „im allgemeinen“ die Wahrheit gesagt und erwartet wird. Die Prüfung der Moralität der subjektiven Maximen geschieht also rein im „Inneren“ des einzelnen Menschen. Sie muß auch rein im „Inneren“ geschehen, weil nur so ausgeschlossen ist, daß andere sie in dem Sinne anders verstehen, daß sie etwas anderes als die bestimmten Fälle konkreter Handlungen nach diesen Maximen verstehen. Andere könnten den in den Maximen vorkommenden Begriffen von Handlungsarten andere Extensionen zusprechen, auch wenn sie in der „vernünftigen“ Prüfung der Moralität der Maximen übereinstimmen sollten. Aus diesem Grunde ist mit der „Kritik der praktischen Vernunft“ im „kategorischen Imperativ“ als einer „inneren“ Stimme des je eigenen Gewissens aus gleicher Vernunft das Recht als „äußere“ Gesetzgebung gefordert. Es sind Gesetze gefordert, über deren Auslegung und Referenz weder der eine noch der andere bestimmen, sondern Personen von Amts wegen mit einer amtlichen „Befugniß zu zwingen“3, um den Streit über die rechte Auslegung zu beenden. Das Ergebnis der Kantischen „Kritik der praktischen Vernunft“ besteht bezüglich der Idee der Gemeinschaft also darin, daß „Gemeinschaft“ aus Vernunft nur juridisch oder, wenn ethisch, nur theokratisch zu begründen ist und Moralität nur als Sache der „inneren Stimme“ der Vernunft zu verstehen ist, die ungewiß wird, sobald sie sich in der Wendung an andere äußert, sei es im moralischen Appell oder in einer ihr gehorchenden, aber andere betreffenden Handlung. |351|
II. In den gegenwärtigen Diskussionen mit ihren Appellen an Gemeinschaft, sei es als Forderung eines „herrschaftsfreien Diskurses“ oder einer „unbegrenzten Interpretationsgemeinschaft“, ist wohl an juridische Gemein2 3
Ebd., 99. Kant, Metaphysik der Sitten, a. a. O., 231.
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schaften und an sich fundamentalistisch-theokratisch begründende Gemeinschaften nicht gedacht. Gemeint ist eine Gemeinschaft derer, die faktisch miteinander kommunizierten, dabei aber „kontrafaktisch“ die Idee einer „unbegrenzten Gemeinschaft“ voraussetzten. Wer sich an dem Diskurs beteilige, partizipiere dadurch schon an Regeln, nach denen der Diskurs „vernünftig“ zu beenden sei. Er erkenne sie an, als Grundregeln aller Moral. Alle Diskussion „über“ Moral sei in diesem Sinne selbst schon moralisch, auf Universalität angelegt. Wenn Moral sich auf ein Sollen bezieht, indem sie zunächst sagt, wie es sei und daß es so, wie sie sagt, daß es sei, nicht bleiben könne und daß es also anders werden müsse, wenn es nicht ein schlimmes Ende nehmen solle, meint sie etwas allgemein Einsehbares. Um davon andere, die „es“ zunächst aus ihrer Sicht anders sehen, unter Umständen schon in der Analyse, wie es denn sei, von der eigenen Sicht und damit davon, daß es anders sein solle, als es ist, überzeugen zu können, muß man auf Prämissen zurückgreifen können, die eine gemeinsame Sicht formulieren. Was man sagen will, muß sich als Konklusion aus solchen Prämissen und damit als notwendig zu Akzeptierendes darstellen lassen. Alles hängt also vom Finden solcher gemeinsamen Prämissen ab. Die „Moral“, auf die sich jeder einläßt, der sich am Diskurs beteiligt, besteht demnach darin, sich diesem Finden nicht in den Weg zu stellen und ehrlich zuzustimmen, wenn sie gefunden zu sein scheinen, d. h. wenn eine Formulierung gefunden ist, der man „im Inneren“ zustimmen kann. Habermas empfiehlt, im Sinne einer „kommunikationstheoretisch gedeuteten Psychoanalyse“ „so tief“ zu forschen, daß man auf ein gemeinsames Fundament stoße, das „von einer Dekomposition der bürgerlichen Kultur nicht berührt“ werde4. Denn um „Dekomposition“ muß es ja zunächst gehen, um andere Sichtweisen, wie „es“ denn sei, zu erschüttern, um sagen zu können, daß es „so“ nicht bleiben, nicht weitergehen dürfe. Alle Ansätze dieser Art sind zunächst also aggressiv gegenüber anderen Sichtweisen, wie „es“ sei, wenn sie „es“ ihnen sagen wollen, und sie forschen im Sinne einer „kommunikationstheoretisch gedeuteten Psychoanalyse“5 eben so tief, daß die angestrebte „Dekomposition“ der anderen Sichtweise gelingt. So tief, das ist nicht so tief, daß die Universalität erreicht wäre, die niemanden |352| mehr ausschlösse. Es ist eine vom Zweck der Dekomposition her gelotete Tiefe, als dem Zweck der Negation der Abweichung von einer vormaligen Gemeinsamkeit, und die neue Übereinstimmung bleibt davon abhängig, daß der andere dorthin zurück will, also von seinem diesbezüglichen „guten Willen“. 4 5
J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt a. M. 1985, 156. Ebd., 350.
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So stellt sich die Frage, was ist, wenn er dies nicht will. Er könnte ja seine abweichende Entwicklung, die er seither genommen hat, mit anderen Worten, die Erfahrung der Wirklichkeit aus seiner Sicht nicht preisgeben wollen, so daß er von sich aus keine Möglichkeit sieht, an einem Diskurs teilzunehmen, der sich nur unter dieser Voraussetzung einer Abstraktion von seiner individuellen Erfahrung in Übereinstimmung mit anderen beenden läßt. Die Zustimmung zum Gemeinsamen bedeutete für ihn die Preisgabe seiner so gewordenen Identität, es sei denn, er ließe sich vorsagen, worin sie bestehe oder doch, um der Gemeinsamkeit willen, bestehen solle. Die Weigerung wäre um so verständlicher, als die „in der Tiefe“ erreichte Gemeinsamkeit ohnehin selbst eine begrenzte und keine allumfassende ist, die niemand anderen mehr ausschlösse. Die Zustimmung unter Preisgabe der abweichenden Identität führte nur in eine „Intersubjektivität“, die immer noch „Dritte“ ausschlösse. Eine allumfassende wäre leer von allem Inhalt. Sie wäre ganz unbestimmt. Erreichbare Intersubjektivitäten sind immer auch ausschließend, so daß jeder sich fragen kann, welcher er denn unter Aufopferung seiner individuellen Identität beitreten „solle“. Daß er dies bei sich entscheiden muß und niemand „es“ ihm vorsagen kann, weil niemand einen „höheren“ Anspruch erheben kann als den, der seiner Erfahrung entspricht, bedeutet, daß es keinen Anspruch einer Gemeinschaft an den einzelnen gibt, der allein deshalb schon gerechtfertigt wäre, weil er auf Gemeinschaftlichkeit abzielt. Jeder Anspruch behält seine Stimme und kann deren lokale, personale Herkunft nicht beseitigen. So kann auch nicht eine allumfassende Gemeinschaft als solche schon Ziel sein. Jede Gemeinschaft, die Beitritt fordert, muß sich gegenüber dem anderen, der ihr beitreten soll, inhaltlich ausweisen, so daß der andere ihr beitreten kann, weil er ihr in ihrer Besonderheit beitreten, ihr zustimmen will, und nicht, weil sie der Partikularität gegenüber „umfassender“ ist. Einer allumfassenden, die keine Differenz mehr an sich hat, beizutreten, wäre gerade das Unvernünftige. Der Appell an den „guten Willen“ zur Gemeinschaft ist seit Kant kritisiert. „Gut“ kann ein Wille nur durch die Tauglichkeit seiner Maxime, wie sie „innerlich“ verstanden ist, zu einem allgemeinen Gesetz des Handelns sein, nicht aber in der Relation auf Übereinstimmung mit anderen. Diese Übereinstimmung geht auf Kosten der abweichenden Individualität des einen oder des anderen. Den anderen zu verstehen heißt, ihn von sich aus, aus der Sicht der eigenen Möglichkeit zu verstehen, |353| so daß Nietzsche bemerkt, es sei „etwas Beleidigendes“ daran, „verstanden zu werden“6. Der gute Wille hängt, so wie das Wissen, an der Identität dessen, der ihn hat. Er kann nicht über das Gewissen hinaus. Jede Gemeinschaft findet ihre Grenze 6
Nietzsche, Nachlaß, Kritische Studienausgabe 12, 51; KGW VIII, 1, 47.
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an dem anderen, der aus Gewissen, d. h. wegen der Insistenz auf gewordener Identität, in Distanz zu ihr bleibt. Sie findet ihre Kritik und die Kritik ihrer erhobenen Ansprüche an der Schwierigkeit des ausgeschlossenen Dritten im Verhältnis zur ihr.
III. Das ist verdrängt, wenn im Anschluß an die demgegenüber kritische Philosophie Kants und Hegels wieder eine Philosophie der „Intersubjektivität“ aufkommt. Von Kant war schon die Rede. Bei Hegel besteht der „absolute Geist“ in dem Verhältnis einzelner, die sich gegenseitig in ihrer „absolut für sich seienden Einzelheit“ statt in dem, was einer für den anderen ist, anerkennen, und die „absolute Idee“ ist das Verhältnis von Personen zueinander als „atome, undurchdringliche“ Subjektivitäten füreinander, als ein Verhältnis, in dem das andere als anderes, d. h. als unter Begriffen, die man hat, nicht zu Verstehendes da ist7. Dieses „unbegreifliche“ Dasein des anderen, er als „irrationaler Rest“ gegenüber jedem Verständnis ihm gegenüber, wird bei Nietzsche und auch bei Levinas betont. Es ist der andere, wie er in der sich vom Gemeinsamen her begreifenden Gemeinschaft nicht aufgeht, auch, wenn er zu ihr „gehören“ sollte. Er ist in diesem Sinn das Absolute gegenüber jeder um ihrer Bestimmtheit willen wesentlich begrenzten Gemeinschaft. So ist er die Kritik der Gemeinschaft in ihrem Selbstverständnis nach innen und nach außen, auch gegenüber dem Bild, das man sich in ihr von „der Wirklichkeit“ macht und von dem aus man sagt, wie „es“ sei und wie „es“ sein solle. Er ist die Kritik jeder gemeinsamen Moral, indem er in seiner Individualität aus ihr ausgeschlossen ist, auch wenn er dem Selbstverständnis der Gemeinde nach eingeschlossen ist oder es doch sein sollte. Er ist das andere gegenüber allem Einverständnis, wie „es“ sei und wie es demnach bleiben oder nicht bleiben könne. Indem er dies ist, ist er bedrängend nah oder „der Nächste“. Der oder das andere ist, als Grenze, das ganz Nahe, das das Allgemeine als auch nur ein Besonderes bestimmt. Die Bezeichnung der „Nächste“ ist also nicht willkürlich gewählt. Es ist der oder das, das zu etwas die Nähe der Grenze und damit der |354| unmittelbaren Berührung hat, die über den Begriff geht, der als solcher entweder einbezieht oder auf Distanz setzt. Die Bezeichnung ist aber, neben dieser logischen Bedeutung, auch noch in anderer, nämlich in historischer Weise gerechtfertigt. Im Neuen Testament fragt jemand, welches das höchste 7
Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister, 471; GW 9, 361 bzw. Wissenschaft der Logik, ed. Lasson, Bd. II, 484; GW 12, 236.
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Gebot sei. Als höchstes würde es die Reichweite seines Gebiets und des Gebiets aller niedrigeren Gebote bestimmen. Seine Stimme würde weiter als die der anderen reichen, es wäre in allen anderen bestimmenden Stimmen zu vernehmen. Die Antwort ist das bekannte Zitat aus dem Alten Testament, daß man den Herrn seinen Gott lieben solle und seinen Nächsten wie sich selbst. Statt einer Definition des Begriffs folgt auf die Frage, „wer“ denn mein Nächster sei, als Antwort eine Geschichte, das bekannte Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das jedoch kaum wörtlich verstanden wird, weil sich immer schon die Flucht in ein schon vorhandenes „inneres“ Selbstverständnis als Flucht vor dem Nächsten anbietet. Die Antwort lautet nämlich auf die Frage: „wer war wem der Nächste?“ – „Der ihm Barmherzigkeit erwiesen hat“. Der Nächste ist nach diesem Gleichnis also nicht der, der da liegt und dem man, weil es der Fall eines Menschen ist, der in Not ist, also weil es im eigenen Verständnis ein „Notfall“ ist, helfen soll, sondern der ist der Nächste, der geholfen hat. Das ist der, der im Unterschied zum Priester und zum Levit, die vorübergingen, nicht vorübergegangen ist, sondern geholfen hat. Ihn soll man also lieben. – Das Gleichnis sagt nicht, daß man die lieben solle, die in Not sind. Das ist nicht sein Thema. Es sagt nicht, solche Menschen seien Fälle des Allgemeinbegriffs „Nächster“, sondern es sagt, der, der nahegekommen sei, sei dem, der da gelegen hat, der Nächste und bezieht sich damit auf ein Ereignis. Man versteht ja von den Gesetzen her, daß der Priester und der Levit von ihrem geregelten Ort in der Gemeinschaft her nicht nahekommen konnten. Sie hatten Reinheitsgebote zu beachten. Aber das Nahekommen des Samariters ist vom allgemeinen Vorverständnis her nicht zu verstehen. Der Nächste ist der, der ohne Begriff da ist, der außer dem Begriff nahe kommt. Es ist der Unerwartete, der das eingespielte Verständnis vom Möglichen erschüttert. Daß man ihn lieben solle, ist die andere Seite dafür, daß man sich selbst und das Verstehen alles anderen von sich selbst her nicht absolut nehmen solle. Man soll „wie sich selbst“ lieben, was einem gegen die Erwartung widerfährt, indem es einem so zum Schicksal wird wie der Samariter dem Mann im Gleichnis. Also soll man sein Schicksal lieben, indem es die Vorstellung übertrifft. Mit dem so verstandenen „Nächsten“ ist Gott da, so daß die Liebe zu ihm und zu Gott als Gebote einander „gleich“ sind. Im so verstandenen anderen ist nach Levinas der Tod, die Zukunft |355| und Gott da8. Der Tod ist da, indem mit dem unerwarteten Dasein des anderen das von der eigenen Identität her unmöglich zu antizipierende, aber doch eben geschehende Ereignis da ist, das das Leben rettet, als Ereignis des 8
Vgl. hierzu J. Simon, Ende der Herrschaft? Zu Schriften von Emmanuel Lévinas in deutschen Übersetzungen, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 10.1 (1985), 25-48.
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Ausgegrenzten, eben als die von nichts dem Begriff nach anderen zu überbietende Nähe der Grenze. Und damit ist auch die Zukunft als das von keiner mir in meiner Grenze möglichen Vorstellung, von keiner Einbildung Vorhersagbare da. Gott ist da, indem sein Dasein meine Vorstellung, auch die Vorstellung von mir und von meinem Leben erschüttert, so daß ich darüberhinaus leben kann.
IV. Versagt damit die Philosophie gegenüber der Weltlage, in der doch eine umfassende „Makroethik“ gefordert sei, wenn sie dahin führt, die Unmöglichkeit ethischer Gemeinschaft herauszustellen? Oder liegt diese Schwierigkeit im Ansatz der Philosophie? Ich möchte sagen, daß die Philosophie in einer fortschreitenden Überwindung platonistischer, „logozentrischer“ Metaphysik, nach der der als das Gemeinsame vorausgesetzte Logos die individuellen Unterschiede und „Asymmetrien“ umfasse und aufhebe, zu dem Begriff gekommen ist, was das Dasein des anderen in seinem Anderssein gegenüber jedem möglichen „gemeinsamen“ Begriff bedeutet: nämlich gerade keine in Begriffen angebbare Bedeutung. Die Frage nach der Bedeutung von etwas, also eines Zeichens, wenn ein Zeichen das ist, nach dessen Bedeutung man fragen kann, kommt an kein Ende. Sie ist nur in weiteren Zeichen angebbar, nach deren Bedeutung man immer wieder fragen könnte, wenn man sich nicht mit einer Antwort „pragmatisch“ zufrieden gibt. Es bleibt die Sinnlichkeit des Zeichens, ein ungedeuteter Rest. Der andere ist unausdeutbar, und gerade dies ist seine Bedeutung: Er ist als unausdeutbar anderer da. In diesem Begriff kommt die Philosophie zu ihm zurück, nachdem sie zweitausend Jahre lang im Versuch der Aufhebung des anderen im allgemeinen Begriff, im „Verstehen“ des anderen nach eigenem Vermögen ihren Fortschritt gesucht hatte. Die Philosophie kommt damit auf die bleibende Asymmetrie im Verhältnis zu anderen zurück. Das Verhältnis ist damit als ein Verhältnis begriffen, das weder aus der Sicht des einen noch aus der des anderen zu begreifen ist. Das „soziale“ Verhältnis wird in keiner Sicht Gegenstand. Es geht in keiner „Theorie“ von ihm auf, d. h. es ist nicht nur nicht |356| „soziologisch“, sondern auch nicht ethisch zu deuten und erst recht nicht zu regeln. Diese Unmöglichkeit ist vielmehr zu ertragen. Es ist zu ertragen, daß man das Soziale nicht in der Hand hat und daß selbst die bestgemeinten Vorstellungen, wie es denn sein solle, von anderen nicht geteilt werden müssen. Es ist diese Freiheit des anderen als anders gemeinte Freiheit zu ertragen. Das führt zum Begriff der „Gerechtigkeit“ gegen den anderen, mit dem wir, ohne maßgeblichen Begriff davon, zusammen da-sind. Die „Idee der
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Gerechtigkeit“ ist von hier aus als Flucht in die Idee vor dem Dasein des anderen, als Ausflucht in eine Ansicht von ihm begriffen und der Diskurs um die „Idee“ als ein Diskurs, der zu einem bestimmten Ende kommen soll, an dem die Differenz zum anderen nicht mehr bestehe, bzw. nur noch als etwas „Unwesentliches“ dasei. Diese ertragende Gerechtigkeit ist das Schwere gegenüber dem Denken der umfassenden Idee. Sie ist auch das Schwere gegenüber der Orientierung in einer Ethik, die als Maß an die Äußerungen des anderen angelegt wird, weil man sich selbst in ihr orientieren will. Es ist leichter, sich und den anderen nach gemeinsamen Maßstäben zu beurteilen, weil man solchen Maßstäben für sich selbst ja bereits zugestimmt hat, wenn man sie an andere anlegt. Man mutet sie, als „goldene Regel“, den anderen zu, nachdem man sie sich selbst zumuten will. Die ertragende Gerechtigkeit gegenüber dem anderen will nicht gleiche Maßstäbe. Sie will für jeden das seine, und sie ist darin sozial, daß sie die Freiheit der anderen auch in den Maßstäben erträgt, indem sie, wenn es denn um Maßstäbe gehen soll, die Schuld auf sich nimmt, statt sie zu verteilen. Damit verändert sich auch das Verhältnis von Freiheit und Leben. „Das Leben ist der Güter Höchstes nicht“, weil für die ertragende Gerechtigkeit über die Höhe von Gütern kein allgemeiner Maßstab besteht. Sie fordert von anderen nicht, daß ihnen etwas mehr wert sei als ihr Leben, aber sie läßt auch andere frei in dem, was sie fordern, denn sie beruht auf dem Begreifen, daß das Soziale vom Ertragen und nicht vom Fordern lebt. Es lebt eben davon, daß einer zusammen mit anderen dasein kann, von der Stärke, der Tauglichkeit eines jeden in dieser Beziehung, nicht von der „Selbstverwirklichung“, sondern von denen, die die „Selbstverwirklichungen“ anderer ertragen. Stärke im Ertragen des Daseins des anderen, einschließlich seiner anderen Meinung über das Soziale, ist die Tugend der Gerechtigkeit. Die Idee, das Soziale hinge in seinem Überleben an umfassenden und allseits zu akzeptierenden Vorstellungen oder an Theorien, wie „es“ sei oder wie „es“ sein solle, ist nun als das Ende des Sozialen begriffen. Diese Idee ist das antizipierte Ende des Diskurses, an dem sich dessen Wahrheit offenbaren soll, und so ist gerade sie in ihrer kontrafaktischen Idealität, als sich vorwegnehmende „Intersubjektivität“ der Weg zur Katastrophe, zum Zusammenfall der diskursiven Differenz von einem zum anderen in eins, in dem |357| jeder jedem „dasselbe“, aber damit auch nichts Besonderes mehr bedeutet. Die Katastrophe ist als selbstgemachtes „theoretisches“ Produkt, als Resultat der theoretischen Weltbetrachtung begriffen, für die die Wahrheit im Zusammenfall unterschiedlicher Betrachtungen in eins besteht, und es ist begriffen, daß sie nur im Ertragen des Gegenteils, nämlich der eigenen Ansicht als auch nur einer „anderen Ansicht“ zu vermeiden ist.
Kritische Philosophie und Heilige Schrift I. Es besteht offensichtlich eine unaufhebbare Spannung zwischen einem Text, der, auf welchem Wege auch immer, für bestimmte Menschen als „heilige“ Schrift ausgezeichnet ist, und den Versuchen eines philosophischen, d. h. weltlichen und aufs Universale ausgerichteten „Verstehens“ eines solchen Textes in der mit seiner Heiligkeit vorausgesetzten absoluten Bedeutung. Eine „heilige“ Schrift weist alles „unheilige“ Verstehen von sich ab und erhebt einen Wahrheitsanspruch, der durch keine menschliche, wie auch immer bedingte Auslegung zu erfüllen ist. – Dennoch heißt es ausgerechnet bei Kant, einem der bedeutendsten Philosophen der Aufklärung, ein Kirchenglaube werde „am besten auf eine heilige Schrift gegründet“1. Das setzt voraus, daß es aus philosophischer Sicht überhaupt „gut“ sei, einen religiösen Glauben in gemeinsamer Verbindlichkeit mit anderen, d. h. einen Kirchenglauben „zu haben“. Religion „zu haben“ ist nach Kant eine moralische Pflicht des Menschen gegen sich selbst,2 weil der Mensch – als nicht rein vernünftiges, sondern mit seinen Zielen und Zwecken „in“ der Welt immer auch sinnlich bedingtes Wesen – nicht jederzeit und niemals vollkommen in dem „Zustand“ ist, dem „kategorischen“ Gebot reiner Vernunft zu folgen, nur nach solchen subjektiven Handlungsgrundsätzen zu handeln, die „jederzeit zugleich“ als allgemeine Gesetze gedacht werden können. Wenn Moral als universale Moral, d. h. als Verpflichtung aller Menschen vor sich selbst und untereinander begründet werden soll, muß sie in einer allen Menschen einsichtigen Weise begründet werden. Sie ist in dem zu begründen, was allen Menschen gemeinsam ist, und das ist die „reine“, von allen kulturell und subjektiv bedingten Vorurteilen über die Moral freie Vernunft. „Reine“ Vernunft gebietet, nur nach solchen subjektiven Handlungsmaximen zu handeln, die „jederzeit zugleich“3 als allgemeine Gesetze gedacht (bzw. gewollt) werden können, so daß das Handeln nach ihnen auch dann noch möglich wäre, wenn alle (wie nach einem Naturgesetz)4 1 2 3 4
Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 102. Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, § 18, AA VI, 443f. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, § 7, AA V, 30. Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 421.
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wirklich danach handeln würden. Nur mit solchen Maximen würden die Menschen sich nicht etwas „moralisch-egoistisch“ vor anderen herausnehmen. Da die Menschen als Sinnenwesen jedoch nicht jederzeit gleichermaßen „bei Vernunft“ sind, sind sie „vernünftigerweise“ verpflichtet, sich das, was „reine“ Vernunft ihnen gebietet, als göttliche Gebote absolut vorauszusetzen. In diesem Zusammenhang es ist nach Kant „am besten“, eine heilige Schrift „zu haben“, auf die die Religion gegründet und in der sie positiv festgeschrieben ist.
II. Kants Religionsphilosophie steht damit für die Spannung zwischen dem Selbstbegriff der abendländischen Philosophie als autonomer menschlicher „Weltweisheit“ und der Positivität einer Religion und einer „heiligen“ Schrift. Die Heiligkeit der Schrift bedeutet, daß sie in einer zu keiner Zeit definitiv auslegbaren Weise vorgegeben und als göttliche Offenbarung „zu Händen“5 gekommen ist. Es liegt deshalb nahe, unser Thema mit Kant einzuleiten. Das ist vielleicht der kürzeste Weg, die Spannung zwischen Philosophie als „Weltweisheit“ und „heiliger“ Schrift als einen Grundzug des europäischen moralischen Denkens zu charakterisieren und von seinen Wurzeln her zu verstehen. Kant ist, so wie er sich auch selbst versteht, ein Philosoph der Aufklärung. Aber seine Philosophie beruht nicht auf der unkritischen Voraussetzung einer „reinen Vernunft“ als eines menschlichen Vermögens, sich der Wahrheit versichern zu können. Das Zeitalter der Aufklärung ist für ihn zugleich das „Zeitalter der Kritik“, und er ist der erste Philosoph, der den durch sein eigenes „Zeitalter“ bedingten „Horizont“ seines philosophischen Ansatzes bedenkt. Wenn er sein Zeitalter als das „Zeitalter der Kritik“ bezeichnet, der sich alles, auch die „Heiligkeit“ der Religion und die „Majestät“ der Gesetzgebung unterwerfen müsse,6 nimmt er auch „die Vernunft“ in ihrem historisch entwickelten Begriff nicht aus. Im Gegensatz zu der metaphysischen Auffassung, die der menschlichen, an sich beschränkten Vernunft durch die „Teilhabe“ an einer „visio dei“ die Möglichkeit einer objektiven, durch Zeit und Raum nicht begrenzten Erkenntnis zuspricht, hat für ihn „unsere“ menschliche Vernunft in ihrem „In-der-Welt-sein“ keinen unbeschränkten Überblick über die Welt. „Unsere“ Vernunft soll sich „fremder“, ihr von ihrem Standpunkt „in“ der Welt her befremdlich erscheinender Vernunft nicht als „reine Vernunft“ gegenübersetzen, sondern sich selbst als für andere Menschen ebenso „fremde Vernunft“ begreifen. 5 6
Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 110. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A XI, Anm.
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„Denken“ ist nach Kant „nicht ohne Beschränkung des Subjects möglich“7. Jede Person bildet sich ihre Urteile, mangels „rein“ objektiver Wahrheitskriterien, für ihre subjektiv gesetzten Zwecke unter den ihr möglichen subjektiven Gesichtspunkten mit Hilfe ihrer individuellen Einbildungskraft. Nur auf diese Weise fügen sich ihre Urteile „über“ die Welt zu einem für ihre Zwecke hinreichend deutlichen „Weltbild“ zusammen. In Anerkennung dieser subjektiven „Notwendigkeit“ soll man den „Horizont“, aus dem heraus andere sich ihre Urteile bilden und sie für wahr halten, „nicht nach dem seinigen messen, und nicht das für unnütz halten, was uns zu Nichts nützt“, denn „es würde verwegen sein, den Horizont Anderer bestimmen zu wollen, weil man theils ihre Fähigkeiten, theils ihre Absichten nicht genug kennt“8. Eine Philosophie, die, wie die Kantische, auch ihre eigenen Möglichkeiten und ihren eigenen zeitbedingten, historisch entwickelten Begriff von Vernunft der Kritik unterwirft, hat damit begriffen, daß man die Horizontbedingtheit der je eigenen Weltorientierung von sich aus nicht überwinden kann. Wer „zu viel“, d. h. prinzipiell mehr und „besser“ und nicht nur von seinem anderen Standpunkt aus anderes als andere „wissen will“, „weiß am Ende nichts, und der umgekehrt von einigen Dingen glaubt, daß sie ihn nichts angehen, betrügt sich oft; wie wenn z. B. der Philosoph von der Geschichte glaubt, daß sie ihm“, in seinem ahistorischen Selbstverständnis, „entbehrlich sei“. Eine auch über sich und die eigenen Grenzen aufgeklärte Philosophie weiß, daß sie, wenn sie die „Heiligkeit“ der Religion und die „Majestät“ der Gesetzgebung der Kritik „unterwirft“, auch selbst keine „vornehmen Töne“ oder absoluten Ansprüche erheben kann. Die europäische Philosophie verdankt zwar ihr Entstehen der Unterscheidung zwischen „vernünftiger“ Überzeugung und bloß „rhetorischer“ Überredung. Aber kein vernünftiger Mensch (und deshalb auch kein Philosoph) kann sich selbst für überzeugt und nur die anderen für überredet halten. Wer überredet worden ist, hält sich selbst für überzeugt. „Überredung [ ... ] kann von der Überzeugung subjektiv zwar nicht unterschieden werden, wenn das Subjekt das Fürwahrhalten, bloß als Erscheinung seines eigenen Gemüts, vor Augen hat; der Versuch aber, den man mit den Gründen desselben, die für uns gültig sind, an anderer Verstand macht, ob sie auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung tun, als auf die unsrige, ist doch ein, obzwar nur subjektives, Mittel, zwar nicht Überzeugung zu bewirken, aber doch die bloße Privatgültigkeit des Urteils, d. i. etwas in ihm, was bloße Überredung ist, zu entdecken“9. 7 8 9
Kant, Über einen neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, AA VIII, 400 Anm. Kant, Logik, AA IX, 43. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 849. – Zum Kantischen Begriff einer „fremden Vernunft“ vgl. v. Vf.: Immanuel Kant, in: Klassiker der Sprachphilosophie, hg. v.
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Sich im Denken, also auf vernünftige Weise „orientieren“ zu wollen, heißt generell, „sich bei der Unzulänglichkeit der objectiven Principien“ der menschlichen Vernunft „im Fürwahrhalten nach einem subjectiven Princip derselben bestimmen“10. Das entspricht einem „Recht des Bedürfnisses der Vernunft“11. Subjektive Orientierungsprinzipien sind jedoch, eben weil sie nur subjektiv sind, von Mensch zu Mensch verschieden. Jeder Mensch muß sich autonom von sich, d. h. von seinem jeweiligen Sein „in“ der Welt aus zu orientieren suchen. Diese durch den „Einfluß der Sinnlichkeit auf den Verstand“ „gegebene“ Beschränkung in der Urteilsbildung nicht zu bemerken oder nicht zuzugestehen, ist unter kritischem Aspekt die einzige Ursache des Irrtums12. Er beruht auf dem subjektiven Anspruch auf „absolute“, von der Sinnlichkeit des fürwahrhaltenden Subjekts abgelöste Wahrheit, und wenn die absolute Behauptung des eigenen Standpunktes gegenüber „fremder Vernunft“ gewollt wird, ist der Irrtum sogar verschuldet13. Die Aufklärung, verstanden als der Ausgang des Menschen aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“14, liegt in der Anerkennung des fremden, vom eigenen Standpunkt aus nicht unbedingt zu verstehenden Gesichtspunktes. Gegenüber anderen selbst keine absoluten Ansprüche zu erheben und die eigene Bedingtheit zu „bemerken“, ist demnach moralische Pflicht. Man soll sein Urteil, solange es möglich ist, „in suspenso lassen“ und es nicht „ohne noth fällen“15. Nur wenn man „aus moralischen Gründen ein Urtheil fällen muß und nicht in suspenso bleiben darf: so ist dieses Urtheil nothwendig“16. Die vernunftkritische Überlegung reicht jedoch noch weiter: Ob jemand in den Handlungen seiner Urteilsbildung tatsächlich dem moralischen Imperativ „reiner“ Vernunft folgt und sich seine Urteile nach solchen Maximen bildet, die jederzeit zugleich als allgemeine Gesetze denkbar sind, kann unter kritischem Aspekt nicht mehr in „reiner“, unvoreingenommener Erkenntnis entschieden werden. Auch moralische Urteile sind als zeit- und standpunktbedingte, vor anderen zu verantwortende Urteile zu bedenken. Es kann unter Menschen keine „sicheren Beispiele“17 dafür
10 11 12 13 14 15 16 17
T. Borsche, München 1996, Vorwort zu: Fremde Vernunft, Zeichen und Interpretation IV, hg. v. J. Simon u. W. Stegmaier, Frankfurt 1998, und ebd.: Von Zeichen zu Zeichen. Zur Vermittlung von Unmittelbarkeit und Vermittlung des Verstehens. Kant, Was heißt: Sich im Denken orientiren?, AA VIII, 136 Anm.; Hervorhebung v. Vf. Ebd., 137. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 350. Vgl. Kant, Nachlaßreflexion 2476. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, AA VIII, 35. Kant, Nachlaßreflexion 2506 bzw. 2588. Ebd., 2446. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 406.
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geben, daß Handlungen (auch Urteilshandlungen) allein aus vernünftigen und damit aus moralischen „Beweggründen“ erfolgt wären. Das ist angesichts „der sinnlichen Menschennatur“ eher unwahrscheinlich. „Wie kann man [...] erwarten, daß aus so krummem Holze etwas völlig Gerades gezimmert werde?“18 Wenn „man nach dem subjectiven Grunde der Handlungen fragt, aus welchem [...] am ersten zu erwarten ist, was der Mensch thun werde, nicht bloß nach dem objectiven, was er thun soll“, sind es nicht unbedingt moralische, d. h. von ihren Maximen her in reiner praktischer Vernunft begründete Handlungen. Deshalb ist nach Kant „die Liebe, als freie Aufnahme des Willens eines Andern“ unter die eigenen Maximen, „ein unentbehrliches Ergänzungsstück der Unvollkommenheit der menschlichen Natur“; „denn was Einer nicht gern thut, das thut er so kärglich, auch wohl mit sophistischen Ausflüchten vom Gebot der Pflicht, daß auf diese als Triebfeder ohne den Beitritt jener [der sinnlich bedingten Nächstenliebe] nicht sehr viel zu rechnen sein möchte“19.
III. Diese („kritische“) Einsicht in die Notwendigkeit der Liebe ist ein erster Schritt in der Richtung einer philosophischen Bibellektüre. Ihre Schwierigkeiten sind nun formal bezeichnet: Insofern eine Schrift als „heilige“ Schrift vorausgesetzt ist, kann ihr „Sinn“ mit keiner Auslegung gleichgesetzt werden. Die Schrift bleibt als „heilige“ gegenüber jeder Auslegung für andere Auslegungen „ästhetisch“ stehen. Jede Auslegung ist bedingt durch die Subjektivität des Auslegenden, durch seine Situation „in der Welt“. Andere Auslegungen sind Auslegungen anderer Menschen oder desselben Menschen zu einer anderen Zeit. In ihnen ist der Text aus einem anderen bzw. veränderten Horizont in einer Weise ausgelegt, die dem jeweiligen subjektiven Orientierungsinteresse „besser“ als der originäre Text selbst oder als frühere Auslegungen entsprechen soll. Der absolute Anspruch eines „heiligen“ Textes bedeutet nunmehr gerade die Einräumung des Rechts, ihn im Interesse des je eigenen moralischen Orientierungsbedürfnisses „in“ der Welt zu verstehen. Wenn darüber hinaus das subjektive Orientierungsinteresse eines anderen frei in die eigene Maxime aufgenommen wird, spricht Kant von „Liebe“. Als „freie Aufnahme des Willens eines Andern“ in die eigene Maxime tritt sie an die Stelle einer Auslegung nur im eigenen Orientierungsinteresse. 18 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 100. 19 Kant, Das Ende aller Dinge, AA VIII, 337f.
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Der Geist dieser Liebe kann nicht geboten sein, denn „eine Pflicht zu lieben“ ist „ein Unding“. Er muß, als der Geist, der sich im „heiligen“ Text darstellt, „dasein“, und der einzelne Mensch findet und erfüllt ihn, indem er den Willen eines anderen in die eigene Maxime aufnimmt. Das Ziel der Auslegung des „heiligen“ Textes ist der Geist der Liebe, der uns in seiner Darstellung in diesem Text „zu Händen gekommen“ ist. Es geht in diesem besonderen Text um die positive „Gegebenheit“, um das „Haben“ einer Religion als der wirklichen Erfüllung einer moralischen Pflicht des Menschen gegen sich selbst. Als „heiliger“ Text ist er als buchstäblich „zu Händen gekommene Offenbarung“ zu verstehen, die unmittelbar als fremd oder befremdlich erscheinen mag, weil sie der „Neigung“ des gewohnten Verstehens entgegensteht. Die moralische Auslegung „mag uns selbst in Ansehung des Texts (der Offenbarung) oft gezwungen scheinen, oft es auch wirklich sein, und doch muß sie, wenn es nur möglich ist, daß dieser [Text] sie annimmt“, einer „buchstäblichen [Auslegung] vorgezogen werden, die entweder“, so wie wir sie verstehen können, „schlechterdings nichts für die Moralität in sich enthält, oder […] ihren Triebfedern wohl gar entgegen wirkt“20. Eine buchstäbliche Auslegung der buchstäblich „zu Händen“ gekommenen Offenbarung wäre nur eine Wiederholung des Textes, nicht aber eine vernunftgemäße, den konkreten Verstehensbedingungen des Interpreten entsprechende moralische Auslegung. Wenn sich in diesem Zusammenhang die Frage stellt, ob „die Moral nach der Bibel oder die Bibel vielmehr nach der Moral ausgelegt werden müsse“21, kann die Antwort „innerhalb der Grenzen bloßer Vernunft“ nur lauten, daß die Bibel nach der Moral auszulegen sei, denn umgekehrt würden die subjektiven Schwierigkeiten der Bibelauslegung auf die Moral übertragen. Alle Auslegungen eines „heiligen“ Textes haben formal denselben „Sinn“. Nur „unheilige“ Texte kann sich jeder in seinem eigenen Interesse, zu seiner eigenen subjektiven Orientierung aneignen wollen, und er darf damit auf seine eigene, ihm selbst als sinnvoll erscheinende Weise zu Ende kommen. Die Autorität „heiliger“ Texte verlangt dagegen eine letztlich nicht abschließbare Anstrengung mit dem Ziel einer allgemein verbindlichen, d. h. einer moralischen Auslegung. Dieses Ziel, mit dessen Vorgabe sich erst die moralische Verpflichtung des Menschen, Religion „zu haben“, als Pflicht gegen sich selbst als ein nicht „rein“ vernünftiges Wesen erfüllt, offenbart sich im „Dasein“ des Geistes der Liebe als der Aufnahme des Willens anderer Menschen in die eigenen Maximen. 20 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 110. 21 Vgl. ebd., Anm.
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Wenn Kant von der möglichen Gezwungenheit einer in diesem Sinn „moralischen“ Auslegung spricht, bedeutet das zwar keinen unaufhebbaren Gegensatz zwischen einer „buchstäblichen“ und damit geistlosen Lektüre und einer „vernünftigen“ Auslegung, aber es bedeutet doch die Notwendigkeit einer immer erst noch zu findenden Vermittlung zwischen den als göttliche Offenbarung „zu Händen“ gekommenen Buchstaben und ihrem „vernünftigen“ Sinn. Diese Vermittlung ist nicht a priori sicherzustellen: Weil sich jedes Verstehen gegenüber jedem anderen Verstehen als anders bedingt und als anders beschränkt vorfindet, muß die moralische, von „reiner“ Vernunft geleitete Auslegung mitunter als „gezwungen“ erscheinen. Das resultiert aus der Widerständigkeit eines „heiligen“ Textes, dessen Buchstaben zu beachten sind, gegenüber jeder subjektiven Aneignung. In dieser Widerständigkeit gegen seine „restlose“ Auslegung bleibt er, als „heilige“ Schrift, „ästhetisch“ stehen für andere Auslegungen durch andere Personen oder durch dieselbe Person zu einer anderen Zeit. Die Moral dieser Geschichte ist aus keiner subjektiven Sicht erschöpfend zu erfassen. Das Widerständige der Schrift gegen ihre vernünftig-moralische Auslegung korrespondiert dem subjektiven „Zustand“, in dem sich der Leser als beschränkt vernünftiges Wesen in seinem „In-der-Welt-sein“ befindet. Dieser „Zustand“ bestimmt seinen Verstehenshorizont, ohne selbst gleichzeitig bestimmt und in Rechnung gestellt werden zu können. Die „Endlichkeit“ als der Grund, aus dem „Religion zu haben“ als Pflicht des Menschen gegen sich selbst zu verstehen ist22, ist zugleich der Grund, der das Finden eines moralisch-vernünftigen Sinnes in diesem besonderen Text und damit seine Auslegung „schwer“ macht. Es ist derselbe Grund, aus dem es „besser“ ist, eine „heilige“ Schrift zu haben als andere positive Gestaltungen der Offenbarung eines „heiligen“, d. h. rein vernünftigen, über endliche Willensbestimmungen „erhabenen“ Willens. Die sprachlich gefaßte Offenbarung läßt sich „besser“ als andere Darstellungen religiöser Positivität „vernünftig“, d. h. moralisch verstehen, weil das Verstehen sich ihr in derselben Gestalt gegenübersetzen und von ihr unterscheiden kann. Wenn der Text überhaupt eine bestimmte Auslegung „annimmt“ (zuläßt), darf sie nicht nur als gezwungen erscheinen; sie muß gewissermaßen als erzwungen erscheinen, denn darin läßt der Text die Bedingtheit seiner jeweiligen Auslegung erfahren. Es kommt darauf an, eine Mitte zwischen der vorausgesetzten Heiligkeit des Textes und der Möglichkeit seiner vernünftigen Interpretation durch endliche, nicht rein vernünftige Wesen zu finden, und insofern der Text stehenbleibt, können verschiedene Personen durch ihre Interpretationen zu dieser Vermittlung beitragen. Das fremde Verstehen kann zwar das eigene Verständnis nicht ersetzen, aber es 22 Kant, Die Metaphysik der Sitten, § 18, AA VI, 444.
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kann für es doch „viel zu denken“ veranlassen23. Es kann das gewohnte Verständnis des Textes in einen „ästhetischen Zustand“ versetzen und dadurch neu beleben. Der als „heilig“ ausgezeichnete Text ist sowohl als Offenbarung göttlicher, d. h. „reiner“ Vernunft für die endliche menschliche Vernunft als auch als Ausdruck einer „fremden“ Vernunft zu verstehen, die sich aus der je eigenen Sicht nicht unmittelbar als vernünftig verstehen läßt. Er erzählt von der Liebe, die – als Ergänzungsstück zur Unvollkommenheit der menschlichen Natur in der Befolgung des kategorischen Imperativs der praktischen Vernunft – nicht wiederum durch einen Imperativ reiner Vernunft geboten werden kann, sondern unter den Menschen als auch sinnlich bedingten Wesen immer schon dasein muß. Die Erzählung offenbart das Dasein dieses Geistes. Kant ist offenbar die jüdische Religion eine ihm selbst fremde, für ihn persönlich nicht als Vernunftreligion zu verstehende Religion. Ihre Gesetze erscheinen ihm als Gesetze einer „äußeren“ Gesetzgebung und damit nicht als die Religion, die „zu haben“ für endliche vernünftige Wesen eine moralische Verpflichtung sei. Dennoch hält er auch im Judentum den Übergang in einen moralischen Glauben für möglich. Er sieht „in Ansehung der Juden“ seiner Zeit, dem Zeitalter der Aufklärung, „geläuterte Religionsbegriffe erwachen“24, die er im Christentum offenbar schon als gegeben voraussetzt. Von daher „versteht“ er auch Mendelssohns Festhalten an der Religion seiner Väter, so wie sie ihm in seiner „heiligen“ Schrift „zu Händen gekommen“ ist. Gerade das Festhalten an der Positivität einer tradierten Religion gegenüber jeder aneignenden Auslegung ist als ein wesentlicher Aspekt der aus Gründen der Vernunft geforderten Religion zu verstehen. Kant und Mendelssohn verstehen sich im gegenseitigen Zugestehen der fremd bleibenden Religion des jeweils anderen. Mendelssohn weist, so wie Kant ihn versteht, das Ansinnen, die positive Besonderheit seiner Religion aufzugeben, „auf eine Art ab, die seiner Klugheit Ehre macht (durch eine argumentatio ad hominem). So lange (sagt er) als nicht Gott vom Berge Sinai eben so feierlich unser Gesetz aufhebt, als er es (unter Donner und Blitz) gegeben, d. i. bis zum Nimmertag, sind wir daran gebunden; womit er“, so wie Kant ihn versteht, „wahrscheinlicher Weise sagen wollte: Christen, schafft ihr erst das Judenthum aus Eurem eigenen Glauben weg: so werden wir auch das unsrige verlassen“25. Das 23 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 49, AA V, 315. 24 Kant, Der Streit der Fakultäten, AA VII, 52. 25 Ebd., Anm. – Eine Rechtfertigung ad hominem, kat’ a¢nqrwpon (statt kat’ aläqeian) ist nach Kant eine Rechtfertigung, die „es nicht mit der Zensur des Richters, sondern den Ansprüchen ihres Mitbürgers zu tun hat, und sich dagegen
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Judentum ist hier als die gemeinsame Wurzel der positiv-historischen Besonderheiten beider Religionen angesehen. – Mendelssohn selbst sieht sich allerdings in einer Umgebung, in der die Positivität seiner Religion in ihrer Bedeutung für die Moralität nicht zu „verstehen“ versucht wird. „Der tugendliebende Aufklärer“ über die Bedeutsamkeit der Positivität der Religion im Interesse der Vernunft muß in solch einer fremden Umgebung „mit Vorsicht und Behutsamkeit verfahren, und lieber das Vorurtheil dulden, als die mit ihm so fest verschlungene Wahrheit zugleich mit vertreiben“26.
IV. Auch eine heilige Schrift entstammt in der Positivität, in der sie „zu Händen“ gekommen ist, dem Horizont einer vergangenen, in ihren subjektiven Orientierungsbedürfnissen von der Gegenwart verschiedenen Zeit. „In jener Zeit“ fragte, wie die Bibel im Neuen Testament berichtet, ein „Schriftgelehrter“ Jesus, was er tun müsse, um das ewige Leben zu ererben27. Das ist im Horizont „jener“ Zeit und Kultur noch keine Frage nach einer universalen Begründung der Moral, aber sie zielt doch schon auf die Zusammenfassung aller als göttlich vorausgesetzten besonderen Gebote in ein einziges Gebot. Der Fragende kennt als „Schriftgelehrter“ die Antwort: Das höchste Gebot ist die Gottesliebe, aber das der „Nächstenliebe“ ist ihm „gleich“. Demnach soll es das „erste“ Gebot verdeutlichen, indem es ihm einen konkreten, persönlichen Bezug verleiht, und es bleibt hier nur noch zu fragen, „wer“ denn mein Nächster sei. Es geht dabei nicht um einen allgemeinen Begriff des „Nächsten“. Man kann ja nicht alle Menschen oder „die Menschheit“ in allen gleichermaßen lieben, sondern nur die Menschen, die einem tatsächlich „nahe“ kommen und mit denen man es im Leben wirklich „zu tun“ hat. Auch Kant macht geltend, daß „Einer mir doch näher“ sei „als der Andere“28. Wer wirklich mein Nächster ist, ergibt sich mit meinem eigenen Dasein „in“ der Welt. Es geschieht und ist insofern geschichtlich. Die Darstellungsform dieses Geschehens ist die Form der erzählten Geschichte: Es läßt sich nicht „a priori“ in allgemeine Begriffe fassen, vor allem nicht in einen allgemeinen „humanistischen“ Begriff „des“ Menschen oder „der“ Menschheit. Die Frage, „wer“ denn mein Nächster sei, den ich „wie mich bloß verteidigen soll“ (Kritik der reinen Vernunft, B 767). Sie weist darauf hin, daß der „Mitbürger“ ebenso sehr auf einen positiven Rahmen seiner Weltorientierung angewiesen ist wie derjenige, dem er sie als etwas nicht „rein“ Vernünftiges vorhält. 26 M. Mendelssohn, Was heißt aufklären? Schriften zur Philosophie, Ästhetik und Apologetik, Hildesheim 1968, II, 249. 27 Lukas 10, 25ff. 28 Kant, Die Metaphysik der Sitten, § 28, AA VI, 451.
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selbst“ lieben soll, wird in der „heiligen“ Schrift nicht für alle Fälle begrifflich-dogmatisch erschöpfend, sondern in einer als Gleichnis zu verstehenden Geschichte beantwortet: „Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho und fiel unter die Mörder; die zogen ihn aus und schlugen ihn und gingen davon und ließen ihn halbtot liegen. – Es begab sich aber ungefähr, daß ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und da er ihn sah, ging er vorüber. – Desgleichen auch ein Levit; da er kam zu der Stätte und ihn sah, ging er vorüber. – Ein Samariter aber reiste und kam dahin; und da er ihn sah, jammerte ihn sein, [er] ging zu ihm, verband ihm seine Wunden“ und sorgte weiter für ihn. Jesus fragt dann den Schriftgelehrten, wer von den dreien der Nächste des Menschen „geworden“ (gegonénai) sei, der unter die Mörder gefallen war, und die Antwort lautet: „Der die Barmherzigkeit an ihm tat“. Die anderen wurden nicht seine Nächsten, weil sie ihm – aus welchen „Gründen“ auch immer, vielleicht weil sie ihn wegen des Reinheitsgebotes nicht berühren sollten – nicht wirklich nahekamen, sondern vorübergingen. Mein Nächster ist nach diesem Gleichnis der, der mir wirklich und wirksam nahekommt, auch wenn er dem vorgefaßten Begriff nach, z. B. als Jude oder als Samariter, für mich eigentlich ein Fremder ist. Nach dem Wortlaut dieses Gleichnisses ist das – gegen die gewohnte Vorstellung – auch nicht „der“ Hilfsbedürftige, nach einem allgemeinen Begriff der Hilfsbedürftigkeit, sondern in diesem Fall der Helfende. In dem, der nahekommt, kommt Gott nahe, über alle Vorbegriffe hinweg und unterhalb des theologischen Begriffs, den man sich von sich aus von Gott und dem Nächsten zuvor gemacht haben mag. Die „unmittelbar“ schwer verständliche, aber buchstäbliche Auslegung dieses Gleichnisses entspricht dem kritisch-philosophischen Verständnis eher als eine vom kulturellen „Verstehenshorizont“ her gewohnte und daher leicht verständliche moralische Auslegung: In der buchstäblichen Auslegung geht es um die Nächstenliebe über vorgefaßte Begriffe vom „Menschen“ und vom „Nächsten“ hinaus. Die Konkretisierung unterhalb des untersten vorgegebenen Begriffs ist zugleich die Universalisierung im Interesse eines für alle Menschen verbindlichen Moralverständnisses. Was das Gleichnis bedeutet, läßt sich in Begriffen nicht fassen. In der Bibel werden viele Gleichnisse erzählt, um „dasselbe“ auszudrücken. Eines verdeutlicht das andere; eines ist und bleibt „Gleichnis“ für das andere. Wer von seinen Möglichkeiten und Vorurteilen her ein Gleichnis nicht oder nicht hinreichend versteht, versteht ein anderes vielleicht „besser“. Zur weiteren Verdeutlichung dieser Funktion des Charakters der Gleichnisse und der Widerständigkeit der sie erzählenden Texte gegen ihre Transformation in definitive Begriffe füge ich noch eine andere, viel ältere Geschichte hinzu. Sie wird in ihrem Kontext zwar nicht unmittelbar als Gleichnis,
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sondern als historische Begebenheit erzählt, ist aber dennoch, da es eine Geschichte von Gott ist, als Gleichnis zu verstehen. Nach der Geschichte vom Turmbau zu Babel hatte zunächst „alle Welt einerlei Zunge und Sprache“. Dann wollten die Menschen „einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche“. Damit wollten sie sich einen „Namen machen“, um nicht „in alle Länder“ „zerstreut“ zu werden. Sie wollten für sich eine verbindliche Einheit bewahren, die am Himmel befestigt sei. Aber „der Herr“ wollte in seinem „heiligen“ Willen etwas anderes. Er wollte, daß sie die ganze Erde bevölkerten und sprach: „Wohlauf, lasset uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe! Also zerstreute sie der Herr von dort in alle Länder, daß sie mußten aufhören, die Stadt zu bauen“ 29. Dieser Text findet zumeist die „naheliegende“ Auslegung, der Herr habe das getan, um ihren Hochmut zu bestrafen. Es wird unterstellt, daß der Bau eines Turmes, „des Spitze bis an den Himmel reiche“, als Ausdruck der menschlichen Hybris und damit des Frevels gegen Gott zu verstehen sei, obwohl der Text buchstäblich einen anderen Zweck dieses Baues nennt: die Angst vor der – gottgewollten – Zerstreuung „in alle Länder“. Daß sie sich „einen Namen machen“ wollten, war demnach nicht der eigentliche Zweck des Turmbaues, sondern selbst nur ein Mittel, die Zerstreuung zu vermeiden. Unter „diesem“ Namen wollten sie eins sein und zusammenbleiben, obwohl ihnen bald nach ihrer Erschaffung von Gott geboten worden war, die Erde zu füllen30. Nach dem Buchstaben des Textes spricht der Herr nicht von Hochmut und Strafe: „Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und [sie] haben das angefangen zu tun; sie werden nicht ablassen von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun“31. Sie verfolgten einen Zweck, den sie als besser erachteten als den gottgewollten Zweck; nach ihrer Vorstellung vom Guten wollten sie „einerlei Volk“ mit nur einer Sprache und einer einheitlichen Weltorientierung sein. Man kann also auch diese Geschichte durchaus wörtlicher als gewohnt verstehen, nämlich so, daß nicht sträflicher Hochmut, sondern der dem göttlichen Willen entgegengesetzte Unwille, sich in die Verschiedenheit der Länder und der Sprachen zu zerstreuen, das Übel gewesen sei. Die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues und der Reichtum individueller Entwicklungen sollten demnach durch kein Symbol der Einheit unter einem „Namen“ behindert werden. Das „gewöhnliche“ Verstehen ist auch 29 Genesis 11, 1ff. – Vgl. v. Vf., Der Abbruch des Turmbaus, in: Der Abbruch des Turmbaus. Studien zum Geist in China und im Abendland, Festschrift für Rolf Trauzettel, hg. v. I. Krüßmann, W. Kubin und H.-G . Möller, Nettetal 1995, 163ff. 30 Genesis 1, 28: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde ...“ 31 Genesis 11, 6.
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hier das leichtere; es umgeht die Widerständigkeit der „Heiligkeit“ des Textes. Im Text steht nicht einmal geschrieben, daß mit der göttlichen „Verwirrung“ der Sprache eine Vielzahl von besonderen Einzelsprachen entstanden sei, innerhalb derer man sich dann doch immer noch leicht „im Selben“ hätte verständigen können. „Buchstäblich“ sagt er vielmehr, daß der Herr bewirken wollte, „daß keiner des anderen Sprache verstehe“, so daß sie in ihr keinen Zusammenhalt mehr finden können. Das kann auch als Anerkennung des eigenen Verstehenshorizontes über die „Schwierigkeit“ des jeweiligen Verstehens hinweg gelesen werden. Auch hier steht der Buchstabe des Textes „für“ ein Verstehen, das von der Gewohnheit her eher als „gezwungen“ erscheint. Der Zwang ergibt sich als Zwang zur Vernunft gegen die „Neigung“ zu einem gewohnten, den eigenen Orientierungsinteressen gemäßeren Verstehen. Da jedoch ein rein buchstäbliches Verstehen nichts anderes als die Wiederholung des Textes selbst sein könnte, kann ein vernünftiges, den Text sich aneignendes Verstehen nur versuchen, im ständigen Rückbezug auf ein buchstäblicheres Verstehen die subjektive Neigung des gewöhnlichen Verstehens so weit wie möglich zu vermeiden.
V. Das führt zu der Frage eines der Heiligkeit des Textes angemessenen Verständnisses der biblischen Wunder. Sie sind aus dem Horizont eines wissenschaftlich aufgeklärten Weltbildes am schwersten, eigentlich überhaupt nicht zu verstehen, auch nicht als „Ausnahmen“ von den Gesetzen der Natur im Sinne der modernen Naturwissenschaft. Der biblischen Erzählung der Wunder liegt keinerlei Begriff von Naturgesetzen zugrunde. Ihr Begriff läßt Ausnahmen nicht zu. Die Bibel handelt überhaupt nicht von einer „Natur“, verstanden als „Dasein unter Gesetzen“. Wunder können nicht (von allgemeinen Voraussetzungen her) erklärt, sondern nur als Zeichen verstanden werden32. Solange die Schrift im Interesse einer „besseren“ Erfüllung der moralischen Pflicht des Menschen, Religion zu haben, „heilig“ gehalten wird, kann auch ihren Erzählungen von Wundern der Sinn einer göttlichen Offenbarung nicht abgesprochen werden. Der Text kann nicht dadurch 32 „Ein positiver Glauben“ ist für den jungen Hegel ein „System von religiösen Sätzen, das für uns deswegen Wahrheit haben soll, weil es uns geboten ist“, und ein Wunder nennt er „eine Begebenheit, deren Bedingung nur ein einziges Mal Bedingung derselben gewesen sein soll“. Deshalb werde „der Streit über die Möglichkeit und Wirklichkeit der Wunder [...] vor verschiedenen Gerichtshöfen geführt“, von denen nur einer nach allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit fragt. (Hegels theologische Jugendschriften, hg. v. H. Nohl, Tübingen 1907, 233 bzw. 230f.)
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„heilig“ gehalten werden, daß er der eigenen Befindlichkeit und Verstehensmöglichkeit gemäß nur selektiv ausgelegt wird. Wenn er von Wundern berichtet, sind die Wunder nicht auszusondern, sondern als aus eigener Sicht nicht zu erklärende Zeichen der Heiligkeit dieser Schrift zu verstehen. Wenn die Schrift einen Glauben als eine absolute, den egoistischen „Neigungen“ entgegenstehende Weltorientierung vermitteln soll, können die Autoren der Schrift ihren Lesern nichts ansinnen wollen, was ihnen selbst als „unmöglich“ erschienen wäre. Auch nach Kant stehen die Berichte über Wunder in einem Zusammenhang mit dem Bewußtsein des Unvermögens der Vernunft, „ihrem moralischen Bedürfniß ein Genüge zu thun“. Die Vernunft „bestreitet nicht die Möglichkeit oder Wirklichkeit der Gegenstände derselben, aber kann sie nur nicht in ihre Maximen zu denken und zu handeln aufnehmen“. Eine Religion „innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“, die rein als solche nicht positiv werden kann, betrachtet es daher als ein „Nebengeschäfte (Parergon)“, ihre „Schwierigkeiten“ mit Wunderberichten „wegzuräumen“. „Wir können sie also als etwas Unbegreifliches“, als „auch moralischtranszendente Idee“ „einräumen, aber sie weder zum theoretischen noch praktischen Gebrauch in unsere Maxime aufnehmen“33. „Vernünftige Menschen“ wollen deshalb den Glauben an Wunder, „dem sie gleichwohl nicht zu entsagen gemeint sind, doch niemals [...] praktisch aufkommen lassen; welches so viel sagen will als: sie glauben zwar, was die Theorie betrifft, daß es dergleichen gebe, in Geschäften“, d. h. in ihrer Lebenspraxis „aber statuiren sie keine“34. Ihre Moral macht sich nicht davon abhängig, daß (auch jetzt noch) Wunder geschehen könnten, denn dann wäre sie durch die Autorität, die durch die Wunder beglaubigt werden soll, fremdbestimmt. Kants entscheidender Satz zur Frage der Wunder im Kontext der „heiligen“ Schrift lautet: „Wenn eine moralische Religion (die nicht in Satzungen und Observanzen, sondern in der Herzensgesinnung zu Beobachtung aller Menschenpflichten als göttlicher Gebote zu setzen ist) gegründet werden soll, so müssen alle Wunder, die die Geschichte mit ihrer Einführung verknüpft, den Glauben an Wunder überhaupt endlich selbst entbehrlich machen“35. Eine Orientierung an „heiligen“ Texten (statt an Ergebnissen der Naturwissenschaft) ist dem modern bestimmten Denken grundsätzlich fremd. „Wunder“, die mit „wissenschaftlicher Erfahrung“ und deren öffentlicher Mitteilung nicht zu vereinbaren sind, können allein deshalb aber noch nicht als unmöglich angesehen werden. Der Wille zur Orientierung an einem „heiligen“ Text orientiert sich nicht an einem allgemeinen Begriff der 33 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 52f. 34 Ebd., 85. 35 Ebd., 84.
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„Möglichkeit“ von Erfahrung. Er versteht den Text einschließlich der Wunder ohne allgemein vorgegebene Erklärungsgrundlage für die in ihm erzählten Begebenheiten. Die Wunder sind im Zusammenhang dieses Textes als Zeichen der persönlichen Erhabenheit des „Menschensohnes“ gegenüber den Bedingtheiten des endlichen Lebens und seinen bedingten „Erklärungen“ zu verstehen. Sie wollen die Wirklichkeit eines individuellen Lebens „in“ dieser Welt nach „Gesetzen“, die nicht „von“ dieser Welt sind, beglaubigen. Nicht nur die Wunder, sondern alles in diesem Leben ist als Zeichen der wirklichen Erfüllung des göttlichen Willens, der freien Aufnahme des Willens des „Vaters“ in die Maximen des „Sohnes“ dargestellt und ist damit Zeichen für die unmittelbare Einheit von Gottes- und Nächstenliebe. Der „Menschensohn“ setzt sich in seinem unmittelbaren Verhältnis zum Vater aller Menschen über jeden „institutionell“ vorgegebenen Begriff vom Nächsten hinweg. „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“36. Die in diesem Namen Versammelten verstehen einander ohne wie auch immer vorgezeichnete „Bedingung der Möglichkeit“ der Übereinstimmung. Wenn der Geist „da“ ist, hört jeder den anderen unvermittelt – von Individuum zu Individuum noch unterhalb des untersten Begriffs – in seiner Sprache reden37. Dieses „Sprachwunder“ ist als das neutestamentliche Gegenstück zur Geschichte vom Turmbau zu Babel verstanden worden, den der göttliche Wille abgebrochen hatte. Damit wurde auch diese ältere Geschichte zum Gleichnis: Der Geist der Nächstenliebe „übersetzt“ sich unmittelbar in alle Sprachen. Sonst könnten Nächstenund Gottesliebe nicht gleich sein. Im pfingstlichen Sprachenwunder wird dies anschaulich: Auch dieses Wunder ist Zeichen für etwas, für das der Begriff fehlt und das insofern selbst ein Wunder ist. Der Menschensohn wird „von Gott [...] mit Taten, Wundern und Zeichen“ als sein Sohn „erwiesen“. Gott selbst bewirkt die Wunder der Bibel „durch ihn“38. Die Heiligkeit der Schrift gegenüber ihren Auslegungen wird dadurch bewahrt, daß ihre „Zeichen und Wunder“ auch in anderen Zeiten und auch in einem Zeitalter, das sich als das Zeitalter der Aufklärung versteht, in der Bedeutung verstanden werden, die sie in diesem Text haben, der uns als Offenbarung „zu Händen gekommen“ ist: als Zeugnisse eines Lebens, das sich „in“ dieser Welt nicht („subjektiv“) „an“ dieser Welt orientiert, sondern in seiner Übereinstimmung mit Gott in der Liebe und sich daher aus der Sicht „dieser Welt“ auch nicht restlos verstehen läßt. Die „Zeichen und Wunder“ verweisen auf eine Moral, für die es „in dieser Welt“ keine „siche36 Matthäus 18, 20. 37 Apostelgeschichte 2, 6. 38 Apostelgeschichte 2, 22.
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ren Beispiele“ gibt und auch nicht geben kann, solange sich Menschen nicht ausschließlich an einem „heiligen“ Willen orientieren. Die moralische Interpretation des „heiligen“ Textes ist selbst schon moralisch, insofern sie die Wunder gerade nicht von dem her erklären will, was „in dieser Welt“ keiner weiteren Erklärung bedarf. Sie bewahrt mit der Widerständigkeit des „zu Händen“ gekommenen Textes zugleich seine „Heiligkeit“. Die Differenz des persönlichen „Verstehens“ zu einer reduzierenden theoretischen, allgemein akzeptablen „Erklärung“ der Welt als „Natur“ ergibt sich aus dem Primat der praktischen Vernunft, zu dem die philosophische Kritik einer reinen theoretischen Vernunft hingeführt hat. Die theoretische Vernunft verdankt ihr Erklärungspotential der jeweiligen besonderen Lebensform, auf deren Selbstverständlichkeiten sie im Erklären zurückgreifen kann. Die besonderen und sich gegenseitig beschränkenden Lebensformen sind und bleiben dabei das „Hinzunehmende“39. Die vernunftkritische „Aufklärung“ weiß, daß auch sie einem „Zeitalter“ und der ihm entsprechenden Lebensform entstammt. Deshalb wäre es „sehr was Ungereimtes, von der Vernunft Aufklärung zu erwarten, und ihr doch vorher“, durch einen zuvor festgelegten Begriff der Vernunft und damit auch des Vernünftigen, „vorzuschreiben, auf welche Seite sie notwendig ausfallen müsse“40. Auch was „Vernunft“ sei, läßt sich nur in der Umschreibung dieses Begriffs in anderen Worten erklären, die zur gleichen Zeit selbst nicht weiter erklärt werden müssen. Die Aufklärung des Menschen über sich selbst und die Möglichkeiten und Grenzen seiner Vernunft verlangen die Anerkennung der Positivität „fremder Vernunft“. „Fremde Vernunft“ kann, insoweit sie als fremd erscheint, nur „anerkannt“ und nicht „begriffen“ werden. Im Versuch, sie unter Begriffe zu subsumieren, mit deren näherer Bestimmung man auf seine Weise zu Ende kommt, machte man den je eigenen Standpunkt zum Maßstab für die Vernünftigkeit anderer Menschen. Die Anerkennung „fremder Vernunft“ bedeutet zugleich das „Bemerken“ der Positivität der eigenen Lebensform, und dieses „Bemerken“ ist die allgemeine Voraussetzung zur Vermeidung des Irrtums, der sich durch die Absolutsetzung der eigenen Position und Lebensform ergibt.
39 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen XI, Schriften I, Frankfurt / Main 19602, 539. 40 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 775. – Kant unterscheidet sich also ausdrücklich von einer Kritik, die vermeiden möchte, ihre eigene Möglichkeit durch einen „selbstbezüglichen Gebrauch“ zu zerstören (J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt / Main 1985, 153 Anm.).
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VI. Eine Person kann an verschiedenen Lebensformen und ihren besonderen (begrifflich-metaphysischen) „Anfangsgründen“ der Weltorientierung teilhaben41. Zum Weltbegriff gehört eine Vorstellung vom Ursprung der Welt. Aber schon die Frage, ob „die Welt“ einen „Anfang“ habe und damit von „Prinzipien“ ihres Daseins her zu verstehen sei, ist unter dem Aspekt der Kantischen Vernunftkritik keine Frage, die aus „reiner“ Vernunft zu beantworten wäre. Sowohl die These, sie habe einen Anfang in der Zeit und sei räumlich begrenzt, als auch die Gegenthese, sie habe keinen zeitlichen Anfang und sei räumlich unendlich (und insofern unfaßbar), ist in „reiner“ Vernunft widerlegbar42, so daß die jeweilige Gegenthese als bewiesen angesehen werden kann. Die These steht vor der Frage, wie zu einer Zeit, zu der noch nichts war, etwas entstanden sein könne, und die Gegenthese steht vor der Frage nach der Möglichkeit einer zu einem gegebenen Zeitpunkt bereits „unendlich verflossenen Weltreihe“, für die sie keinen sie erklärenden „Anfang“ voraussetzen kann. Wenn der theoretische Betrachter die Welt als Inbegriff von Dingen und auch „sich selbst“ als Ding unter Dingen zu verstehen sucht, muß er eine Theorie entwickeln, nach der die unterschiedlichen „Dinge“ aus einem chaotischen Zustand (nach Naturgesetzen) entstehen mußten. Wenn er dagegen den Zeitpunkt, zu dem er sich selbst der Welt als einem „in sich“ verständlichen Ganzen gegenübersetzt, um sich ein Bild von ihr zu verschaffen, als einen (dadurch) ausgezeichneten Zeit-Punkt ansieht, denkt er damit schon einen Anfang und ein Ende der Welt. Er denkt sich dann nicht als irgendein Glied einer „unendlichen Weltreihe“, sondern als eine von den Dingen dieser Welt grundsätzlich verschiedene Person, der man etwas als „Handlung“ zurechnen kann, einschließlich der Versuche der Welterklärung, die ihr oder anderen als folgenreiche Handlungsorientierung dienen können. Als moralische Person soll sie die bestmögliche, d. h. eine moralisch relevante Welterklärung versuchen. Indem sie ihre Unzulänglichkeit als auch sinnlich bedingtes Wesen „bemerkt“, denkt sie in der Konsequenz eine andere, absolut vernünftige Person als Ursache der Welt und als Ursache ihrer eigenen persönlichen Befindlichkeit „in“ dieser Welt. Denn sie kann sich sonst nicht denken, wie aus nichts Dinge und aus Dingen Personen hätten „entstehen“ können. Menschen denken sich dadurch als Personen (und damit als frei), daß sie sich und ihresgleichen Handlungen zurechnen, d. h. sich oder andere 41 Vgl. Kants Gebrauch des Begriffs „metaphysischer Anfangsgründe“ der Naturwissenschaft und der Rechts- und Tugendlehre in der „Metaphysik der Sitten“. 42 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 454ff.
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Menschen als den Anfang einer Kausalreihe und damit auch als dafür verantwortlich voraussetzen. Auch der Urheber der Welt als eines Ganzen ist in der Folge dieses Denkens nicht zuerst als Urheber einer physischen Welt gedacht, sondern als moralischer Welturheber. Die physische Welt ist eigentlich nur die Umwelt eines moralischen Weltgeschehens. Das biblische Weltbild der Schöpfung und das der Naturwissenschaft sind von ihren „grundsätzlichen“ Ansätzen her nicht kompatibel; sie sind nicht ineinander übersetzbar. Es ist nicht möglich, das eine aus dem „Horizont“ des anderen zu beurteilen.
VII. Nietzsches „Antichrist“ versucht, die wirkliche „Praktik“43 des Lebens Jesu von den uns „zu Händen gekommenen“ Berichten über dieses Leben abzulösen. In der lebenspraktischen Gleichsetzung von Gottes- und Nächstenliebe sieht Nietzsche die „gute Botschaft“, „dass es keine Gegensätze“ unter den Menschen „mehr giebt; das Himmelreich“ gehöre gemäß dieser Botschaft „den Kindern“, die noch in der uninterpretierten Unmittelbarkeit zum gemeinsamen Vater leben, so daß „der Glaube, der hier laut“ werde, „gleichsam eine ins Geistige zurückgetretene Kindlichkeit“ sei. – „Ein solcher Glaube zürnt nicht, tadelt nicht, wehrt sich nicht.“ „Er beweist sich nicht, weder durch Wunder, noch durch Lohn und Verheissung, noch gar ‚durch die Schrift‘: er selbst ist jeden Augenblick sein Wunder, sein Lohn, sein Beweis, sein ‚Reich Gottes‘. Dieser Glaube formulirt sich auch nicht – er lebt, er wehrt sich gegen Formeln. Freilich bestimmt der Zufall der Umgebung, der Sprache, der Vorbildung“, eben der „Horizont“ des Lebens unter bestimmten Umständen, „einen gewissen Kreis von Begriffen“. Doch sie werden nicht gelten gelassen: „Man hüte sich[,] darin mehr als eine Zeichenrede, eine Semiotik, eine Gelegenheit zu Gleichnissen zu sehn. Gerade, dass kein Wort wörtlich genommen wird“, ist, so wie Nietzsche es sieht, für den „Typus Jesus“ „die Vorbedingung, um überhaupt reden zu können“. „Man könnte, mit einiger Toleranz im Ausdruck, Jesus“ deshalb „einen ‚freien Geist‘ nennen – er macht sich aus allem Festen nichts: das Wort tödtet, alles was fest ist, tödtet“44. Es bleibt nur „die Liebe als einzige, als letzte Lebens-Möglichkeit“45, eine Liebe, die sich selbst nicht „beweisen“ kann, weil „Wunder“, „Lohn und Verheissung“ oder die „Schrift“, wenn dadurch etwas bewiesen werden sollte, selbst erst (dogmatisch) fest zu 43 Nietzsche, Der Antichrist, Kritische Studienausgabe 6, 205; KGW VI, 3, 203. 44 Ebd., 203f. 45 Ebd., 201.
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machen und in dieser Dogmatisierung als absolute Wahrheit vorauszusetzen wären. Die Liebe zum „Nächsten“ unterhalb des untersten Begriffs, nach dem bestimmt werden könnte, „wer“ das denn sei, bietet keine positiven Anhaltspunkte zur lebensdienlichen Orientierung in „dieser“ Welt, in der man sich „bei der Unzulänglichkeit der objectiven Principien der Vernunft im Fürwahrhalten“ notwendigerweise „nach einem subjectiven Princip derselben“ orientieren muß, um einem „Recht des Bedürfnisses“ der menschlich bedingten Vernunft zu entsprechen. Die Sorglosigkeit des „Typus Jesu“ gegenüber den Bedürfnissen „dieses“ Lebens versteht Nietzsche als „Antirealismus“. Alles, was als „Zufall der Umgebung, der Sprache, der Vorbildung“ in „dieser“ Welt bestimmend bleibt und notwendig „einen gewissen Kreis von Begriffen“ ergibt, hebe sich in einer „Zeichenrede“, einer „Semiotik“ und einer „Gelegenheit zu Gleichnissen“ auf. Nach Kant setzt die Liebe, verstanden als „unentbehrliches Ergänzungsstück der Unvollkommenheit der menschlichen Natur“, die Anerkennung anderer und damit auch der Tatsache voraus, daß andere sich in ihrem Leben anders orientieren müssen als man selbst. „Liebe“ als freie Aufnahme eines fremden Willens in die eigene Handlungsmaxime ist erst auf dem Boden der Anerkennung „fremder Vernunft“ möglich. In der so verstandenen Liebe wird die Differenz zwischen Personen und die Positivität ihrer verschiedenen Weltorientierungen gerade nicht in einer „reinen“ Moral aufgehoben. Wenn auch „alles“ und auch „wir“ unsere Zeit haben46, so müssen wir uns dennoch in unserer Zeit einrichten und uns unter den Bedingungen dieser Zeit im Interesse eines „vernünftigen“ Zusammenlebens möglichst gut, d. h. moralisch zu orientieren suchen und anderen das gleiche Recht zugestehen. Es gehört zur Philosophie als „Weltweisheit“, daß wir in unserer eigenen Weltorientierung darauf gefaßt sind, daß andere sich in dieser Welt anders als wir und in anderen Lebensformen zu orientieren suchen. Insofern korrespondiert die moralische Auslegung der Schrift der Voraussetzung der „Heiligkeit“ der Buchstaben, in denen sie uns „zu Händen gekommen“ ist.
46 Prediger 3,1.
Der einzelne Fall in Ethik und Recht Anmerkungen zu Kants Moralphilosophie |117| Für Kant hat die praktische Philosophie den Primat vor der theoretischen. Das bedeutet vor allem, daß auch theoretische Urteilsbildungen moralisch zu rechtfertigende Handlungen sind. Die Kantische Vernunftkritik erstreckt sich aber auch auf die praktische Philosophie und ist ihr insofern systematisch vorgeordnet. Diesen Gesichtspunkt möchte ich im folgenden näher erörtern. Wenn die Ethik, wie es im europäischen Denken der Fall ist, für alle Menschen gleichermaßen gültig sein soll, ist sie, wenn denn die Vernunft als das allgemeine Merkmal der Wesensbestimmung des Menschen verstanden ist, so zu konzipieren, daß sie in reiner Vernunft begründet werden kann. Das einzige Prinzip reiner, von Vorurteilen und „äußeren“ Einflüssen freier Vernunft ist aber der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch als ein rein formales Prinzip. Nur durch ihn kann eine allgemeingültige Ethik rein formal, d. h. ohne Rückgriff auf vorgegebene materiale ethische Vorstellungen begründet werden. Das „gegebene“ Material, von dem diese Ethik ausgehen muß, sind bei Kant die subjektiven Handlungsmaximen, die als solche noch keinen ethischen Maßstäben unterliegen, die als allgemein gültig gedacht werden können. Sie sind durch die Tradition überliefert oder durch eigene Lebenserfahrungen erworben. Eine als allgemeingültig und daher in reiner Vernunft zu begründende Ethik muß sich fragen, welche von diesen Maximen zugleich als allgemeine Gesetze gedacht (bzw. gewollt) werden können. Der „kategorische Imperativ“ gebietet deshalb, nur nach solchen Maximen zu handeln, die ohne Widerspruch, also aus einem rein formalen Grund als allgemeine Gesetze denkbar sind. Der Ansatz bei den eigenen (subjektiven) Maximen schließt das Problem eines „naturalistischen Fehlschlusses“ von sich aus aus, weil die Maximen selbst schon Sollenssätze sind. Mit diesem rein formalen Ansatz stellt sich jedoch das Problem der Übereinstimmung in den Maximen von Subjekt zu Subjekt: Wenn jeder seine Maximen, so wie er selbst sie („innerlich“) versteht, vor dem Handeln prüft, ob sie (widerspruchsfrei) als allgemeine Gesetze gedacht werden können, ist die Menge der Maximen, auf die dies zutrifft, eine Untermenge der zu prüfenden Maximen. Da aber jeder seine (subjektiven) Maximen prüft, folgt daraus nicht, daß auch nur zwei Menschen, wenn sie nach Maxi-
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men handeln, die als allgemeine Gesetze gedacht werden können, nach denselben Maximen handeln. Auch zwei Maximen, die sich inhaltlich ausschließen (z. B. die Maximen, nur auf der rechten bzw. nur auf der linken Straßenseite zu fahren), können beide als allgemeine Gesetze gedacht werden; nur kann sich dieselbe Person nicht beides zugleich zur Maxime machen. Gemäß dem kategorischen Imperativ als dem Prinzip der Ethikbegründung in reiner Vernunft ist aber jeder sich in einer Maxime ausdrückende Wille, |118| der nicht böse ist, unter ethischem Aspekt „schlechterdings gut“1. Erst die juridische Gesetzgebung kann mit allgemeiner Verbindlichkeit dafür sorgen (und es notfalls erzwingen), daß alle entweder auf der rechten oder auf der linken Straßenseite fahren. Der Einwand, man handele doch nicht immer nach Maximen, betrifft nicht die Kantische Argumentation. Ein Handeln ohne Maximen wäre ein Handeln, das nicht unter einen Handlungs-Begriff und insofern vor dem einzelnen Fall auch nicht unter Gesetze gefaßt werden könnte, so daß man sich auch nicht fragen kann, ob „solch eine“ Handlung gut oder böse und daher zu tun oder zu unterlassen sei. Sie bliebe ein einzelner, begrifflich nicht zu bestimmender und in ethischer Reflexion nicht zu befragender oder zu beurteilender Fall. Eine als allgemeingültig zu begründende Ethik kann deshalb nur bis zu den Maximen reichen, die der eine oder der andere „hat“, und sie kann mithin nur „innerlich“ und nicht „öffentlich“ sein. Insofern kann die Kantische Ethik auch nur eine „Gesinnungsethik“ sein. Sie reicht nicht bis zu den einzelnen Handlungen, d. h. nicht bis zu den konkreten Erscheinungen der Freiheit, und sie vermittelt daher auch nicht die Berechtigung, anderen Personen dann, wenn sie nach anderen Maximen handeln als man selbst, ethische Vorhaltungen zu machen. Die Formulierung des kategorischen Imperativs, so zu handeln, daß „die Menschheit“ sowohl in der eigenen Person „als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel“ gebraucht wird2, besagt im Grunde dasselbe wie seine anderen Formulierungen, nämlich daß ich mich und andere nicht nur unter dem Gesichtspunkt des bloßen Mittels zu einem subjektiv gesetzten Zweck ansehen soll. Gerade weil ich es unter bestimmten Umständen nicht vermeiden kann, andere auch als Mittel zu meinen Zwecken anzusehen und zu brauchen, soll ich auch schon jedes begriffliche Bestimmen der „Menschheit“ in mir oder in anderen in meine eigene Verantwortung nehmen: Meiner (materialen) Bestimmung der „Menschheit“ in jedem kann ein anderer seine andere, ihm als „besser“ erscheinende entgegensetzen. 1 2
Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 437. Ebd., 429.
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Mit dieser Ethikbegründung ergibt sich die vernünftige Einsicht in die Vernunftnotwendigkeit des Rechts als der Institution, die gewährleisten soll, daß „die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“3. Die Ethik gibt ihrem kritischen, in reiner Vernunft begründeten Begriff nach „nicht Gesetze für die Handlungen (denn das tut das Ius), sondern nur für die Maximen der Handlungen“4, so daß die „ethischen Pflichten“ „von weiter“ und nur „die Rechtspflichten von enger Verbindlichkeit“ sind5. Die Ethik betrifft den einzelnen Fall nur insofern, als er vor der Tat unter einen bestimmten, inhaltlich spezifizierenden Be|119|griff für eine Handlung gefaßt ist, z. B. unter den der Lüge. Die (subjektive) Maxime, zu lügen, wenn es zum Vorteil gereicht, würde, als allgemeines Gesetz gedacht, sich selbst widersprechen, und die Lüge könnte dem kategorischen Imperativ als dem allgemeinen Sittengesetz gemäß schon ihrem reinen Begriff nach nicht erlaubt sein. „Angesichts“ des einzelnen Falles führt die Ethik deshalb unausweichlich in die Kasuistik6. Es stellt sich jeweils die Frage, ob der anstehende Fall als ein Fall der Maxime anzusehen ist, und die Beurteilung des in Frage stehenden Falles wird damit zu einem Problem der praktischen Urteilskraft als eines individuellen Vermögens. Mithin kann eine als allgemeinverbindlich zu begründende Ethik nicht der praktischen Regelung des menschlichen Zusammenlebens dienen. Im ethischen Sinn böse wäre ja nur eine Maxime, die sich logisch „aufriebe“, wenn sie als allgemeines Gesetz gelten sollte. Wer nach ihr handelte, würde sich damit „moralisch egoistisch“ etwas für sich „herausnehmen“. „Lügen“ kann man z. B. nur, wenn im allgemeinen Wahrhaftigkeit erwartet wird, und was einer mit dem „harten Namen“7 der Lüge bezeichnet, mag ein anderer von dem Gesichtspunkt seiner Beurteilung aus unter einen anderen Begriff subsumieren. Über den einzelnen Fall kann über die subjektive Bezeichnung hinaus nur rechtlich entschieden werden, und rechtlich ist die Lüge nur relevant, wenn sie einen anderen in seinen Rechten beeinträchtigt. Weil eine als unbeschränkt allgemein verbindlich zu begründende Ethik nur die Maximen, aber nicht die konkreten Handlungen betreffen kann, sind Ethik und Recht in ihrer Differenz gleich ursprünglich in „reiner“ Vernunft begründet. (Das Recht ist gemäß seinem vernünftigen Begriff keine staatlich verordnete Ethik.) Schon nach der Art der Gesetzgebung sind sie verschieden: Die Ethik folgt der „inneren Gesetzgebung“ reiner 3 4 5 6 7
Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 230. Ebd., 388. Ebd., 390. Ebd., 411. Vgl. ebd., 429.
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Vernunft, das Recht der „äußeren“ positiven Gesetzgebung; die Ethik entzieht sich der „äußeren“ Beeinflussung, das „Recht ist mit der Befugniß zu zwingen verbunden“8. Als striktes Recht kann es „als die Möglichkeit eines mit jedermanns Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden durchgängigen wechselseitigen Zwanges vorgestellt werden“9. Ethische Fragen stellen sich vor dem Fall, rechtliche nach dem Fall. In ethischer Hinsicht weiß der Mensch vor dem Fall, d. h. aus „reiner“ Vernunft aufgrund einer rein formalen Prüfung, was (allein dem in der Maxime „innerlich“ verwendeten und verstandenen Begriff nach) gut oder böse ist. Das Recht fragt dagegen nach der Tat, ob durch sie ein allgemeines Rechtsgesetz verletzt worden ist, das vom Gesetzgeber als zweckmäßig dafür angesehen wurde, die Freiheit eines jeden mit der eines jeden anderen zusammen bestehen zu lassen. In der Kasuistik, in die die Ethik angesichts des einzelnen Falles notwendig führt, bleibt offen, was im konkreten Fall als gutes Beispiel für das Handeln nach einer bestimmten Maxime gelten gelassen wird. Das betrifft die Frage der Bei|120|spiele in ethischen Diskursen generell, denn die Teilnehmer solcher Diskurse sind selbst nicht „in der Lage“ und nicht im „Zustand“ der Personen, denen sich die kasuistischen Fragen im wirklichen Handeln stellen. Schon in einer „katechetischen Moralunterweisung“ der Kinder kann es nach Kant nur darum gehen, „bei jeder Pflichtzergliederung einige casuistische Fragen aufzuwerfen und die versammelten Kinder ihren Verstand versuchen zu lassen, wie ein jeder von ihnen die ihm vorgelegte verfängliche Aufgabe aufzulösen meinte“10. Das bekannteste Kantische Beispiel für die Differenz zwischen der ethischen und der rechtlichen Beurteilung ist die Lüge. Es ist am besten geeignet, die Unterscheidung von Ethik und Recht „ästhetisch“ – und d. h. hier: durch ein Beispiel statt durch Begriffe – zu verdeutlichen. Beispiele stehen für einen einzelnen, aber nicht wirklich gegebenen Fall. Zum Begriff der Lüge in der ethischen Bedeutung dieses Worts als „vorsätzliche Unwahrheit überhaupt“ gehört z. B. noch nicht, daß man anderen mit ihr schadet. Das beträfe die Verletzung der Rechte anderer und ist insofern aus dem Begriff nicht abzuleiten11. In der Ethik kommt es allein auf die Maxime als Ausdruck der Gesinnung an, unabhängig von einem anstehenden Fall. Die „Verwerflichkeit“ der Lüge im ethischen Sinn kann sich mithin immer nur auf die eigene Person beziehen, und nicht auf andere Personen, deren „Gesinnung“ und Absichten man nicht kennt und folglich aus eigener Sicht 8 9 10 11
Ebd., 231. Ebd., 232. Ebd., 483. Ebd., 430.
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auch nicht hinreichend beurteilen kann. Den „Horizont Anderer“ soll man nicht „nach dem seinigen messen“12. Kants Begründung der Ethik in „reiner“ Vernunft hat zur Folge, daß es in der Ethik auf die gesellschaftliche Schädlichkeit der Handlungen nicht ankommen kann. Die Beurteilung der Schädlichkeit kann, so wie jede Beurteilung, immer nur von dem konkreten Standpunkt aus erfolgen, den man nach der Tat (als einer Erscheinung der Freiheit) einnimmt, denn erst dann zeigen sich die wirklichen Folgen. Zudem „weiß“ man nicht, ob die Tat im einzelnen Fall wirklich ethisch oder durch „Neigungen“ begründet gewesen ist, weil man die wirklichen „Beweggründe“ eines anderen nicht kennen kann. Nach Kant weiß man das nicht einmal von den eigenen Handlungen mit letzter Gewißheit, denn man kann sich auch bei den eigenen Beweggründen „etwas vormachen“. Für ein dem kategorischen Imperativ gemäßes Handeln kann es deshalb „keine sichere[n] Beispiele“ geben13. Man muß im einzelnen Fall (kasuistisch) entscheiden, ob die in Frage stehende Handlung überhaupt unter einen ethisch relevanten Handlungsbegriff zu fassen ist oder nicht. Kann z. B. „eine Unwahrheit aus bloßer Höflichkeit (z. B. das ganz gehorsamster Diener am Ende eines Briefes) für Lüge gehalten werden? Niemand wird ja dadurch betrogen“. Oder „ein Autor frägt einen seiner Leser: wie gefällt Ihnen mein Werk? Die Antwort könnte nun zwar illusorisch gegeben werden, da man über die Verfänglichkeit einer solchen Frage spöttelte; aber wer hat den Witz immer bei der Hand? Das geringste Zögern mit der Ant|121|wort ist schon Kränkung des Verfassers; darf er diesem also zum Munde reden?“14 Die Ethik muß diese Fragen ihrem kritischen Begriff gemäß offenlassen. Im Recht ist es grundsätzlich, d. h. von den in „reiner“ Vernunft begründeten Grundsätzen rechtlichen Verhaltens her anders. Hier subsumiert und entscheidet der zuständige Richter kraft Amtes, um „was für eine“ Tat es sich im vorliegenden Fall handelt, und das Gesetz schreibt vor, welche Strafe für „solch eine“ Tat zu verhängen ist. Dabei kann der Richter in einzelnen Fällen, in denen ihm die Subsumtion der Tat unter einen bestimmten Rechtsbegriff als zu „hart“ erscheint, von dem Richterrecht der Billigkeit Gebrauch machen15. Der leitende Gesichtspunkt des strikten Rechts ist jedoch die Bewahrung eines allgemeinen Rechtszustandes, in dem die Freiheit eines jeden mit der Freiheit eines jeden anderen nach allgemeinen juridischen, positiven Gesetzen zusammen bestehen kann. 12 13 14 15
Kant, Logik, AA IX, 43. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 406. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 431. Vgl. ebd., 234f.
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Unter diesem leitenden Gesichtspunkt gibt ein dazu befugter Gesetzgeber in einem rechtlich geregelten Verfahren die allgemeinen Gesetze für ein bestimmtes Rechtsgebiet. Sie gelten unabhängig von den jeweiligen (ethischen) Gesinnungen, die gerade nach der kritisch begründeten Ethik von Person zu Person verschieden sein können. Vor dem Recht sind dagegen alle Personen („äußerlich“) gleich. Keine steht in der Sicht des Rechts ethisch „über“ einer anderen. – Das vieldiskutierte Beispiel in der Kantischen Schrift Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen kann also schon wegen des Zusatzes „aus Menschenliebe“, der sich auf das Verhältnis zu einem konkreten anderen Menschen bezieht, kein Beispiel für die Ethik, sondern nur ein Rechtsbeispiel sein16. Über die („innere“) Maximenprüfung hinaus betrifft es das („äußere“) Zusammenleben verschiedener Personen. Die Ethik kann sich unter kritischem Aspekt nicht auf das äußere Verhältnis verschiedener Personen beziehen, sondern nur auf die „innere Gesinnung“ einer Person. Sie bezieht sich nicht auf eine bestimmte Handlung, sondern prüft, wenn sie von allgemeiner Verbindlichkeit sein soll, die Maximen für Handlungen. Daher fragt sie im Unterschied zum Recht auch nicht danach, ob die Lüge (anderen oder einem selbst) in ihren Folgen nütze oder schade, und d. h. dann auch: die Rechte anderer Personen lädiere. Nur danach fragt aber das Recht. Die zitierte Schrift erörtert ausschließlich die Frage, ob es ein Recht auf Lüge „aus Menschenliebe“ geben könne, und die Kantische Antwort muß negativ sein, weil sich mit solch einem Recht das Recht gegen sich selbst wenden würde. Mit der Einräumung eines solchen Rechts würde der Gedanke des Rechts, der es aus Gründen reiner Vernunft von der Ethik unterscheidet, unmöglich. Ethisch gesehen, d. h. auf dem Gebiet der Maximen, ist Lügen grundsätzlich nicht erlaubt, auch dann nicht, wenn man damit niemandem schadet, weil |122| die Maxime, sich in bestimmten Fällen das Lügen zu erlauben, widersprüchlich wird, wenn man sie als allgemeines Gesetz denkt. Rechtlich ist Lügen dagegen nur dann nicht erlaubt, wenn es die Rechte anderer Personen verletzt. Die Lüge schadet anderen nicht unbedingt. Solange ich einem anderen nicht glauben muß, verletzt er, wenn er mich belügt, mir gegenüber keine Rechtspflicht. Er schadet, ethisch gesehen, nur sich selbst. Dennoch schadet nach Kant die Lüge generell rechtlich, „wenn gleich nicht einem andern Menschen“, so „doch der Menschheit überhaupt, indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht“17. Die allgemeine Voraussetzbarkeit der Wahrhaftigkeit 16 Der Grundsatz, Unwahrhaftigkeit sei „Verletzung der Pflicht gegen sich selbst [...] gehört zur Ethik; hier aber ist“, wie Kant ausdrücklich hervorhebt, „von einer Rechtspflicht die Rede“ (Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen, AA VIII, 426 Anm.). 17 Ebd., 426.
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ist „die Basis aller Verträge“ und damit auch der Idee eines „ursprünglichen Vertrages“ zwischen den Menschen, auf dem das Recht beruht. Wenn man also durch eine Lüge einen Mord zu verhindern sucht, ist man (unabhängig von seiner ethischen Gesinnung) „für alle Folgen, die daraus entspringen möchten, auf rechtliche Art verantwortlich. Bist du aber strenge bei der Wahrheit geblieben, so kann dir die öffentliche Gerechtigkeit [deswegen] nichts anhaben“18. – Die ethische „Gesinnung“ fordert uneingeschränkt, einen Mord, wenn man es kann, zu verhindern. Das aber rechtfertigt, rechtlich gesehen, nicht die Lüge. Von Rechts wegen kann sie grundsätzlich nicht erlaubt sein, weil sich dies gegen die Quelle des Rechts überhaupt richten würde. Deshalb hat man die Folgen einer Lüge rechtlich zu verantworten, auch wenn man selbst denkt, ethisch so zu handeln verpflichtet gewesen zu sein. Daß man, wie Kant mit diesem Beispiel noch einmal betont, unabhängig von seiner ethischen Gesinnung und seinen ethischen Beweggründen für die Folgen seiner Handlungen rechtlich verantwortlich ist, bedeutet jedoch noch nicht, daß einem im einzelnen Fall rechtlich die Schuld für die Folgen seines Handelns zugesprochen wird. Darüber entscheidet das zuständige Gericht angesichts des gegebenen Falles nach allgemeinen Rechtsgesetzen, indem es zunächst bestimmt, um „was für einen“ Fall es sich in diesem Fall handelt. Das Gesetz verbindet den Begriff der Tat mit einer Strafe, die der Richter dem Täter dann im einzelnen Fall auferlegt. Kein Gericht kann aber jemanden darum, weil er die Wahrheit gesagt hat, schuldig sprechen und urteilen, daß er in diesem Fall rechtlich zur Lüge verpflichtet gewesen wäre. Wenn von Rechts wegen das Lügen verlangt werden könnte, wäre das ein Beitrag zur Selbstauflösung des Rechts. Das Recht auf Recht, als rechtliche Regelung des Zusammenlebens in Freiheit, ist nach Kant sogar das einzige „angeborene“, reiner Vernunft entsprechende Recht19. Es ist das Recht auf positive Gesetze und auf eine dem geltenden Recht entsprechende Rechtsprechung, unabhängig von der moralischen „Gesinnung“ der beteiligten Personen. Die Quellen des Rechts sind zunächst auf Gegenseitigkeit abgeschlossene private Verträge, die ihrem Begriff nach nur unter der Voraussetzung der Wahrhaftigkeit, d. h. des Willens der vertragsschließenden Parteien, die Verträge zu |123| halten, abgeschlossen werden können. Der Begriff des Vertrags ist nach Kant, als „Act der vereinigten Willkür zweier Personen“20, ein ursprünglicher Rechtsbegriff. Verträge zu halten, d. h. „ein rechtlicher Mensch“ zu sein, ist eine ethische Forderung. Von ihrer Erfüllung darf aber 18 Ebd., 427. Hervorhebungen v. Vf. 19 Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 237. 20 Ebd., 271. Hervorhebung v. Vf.
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das für das freie Zusammenleben verschiedener Personen mit ihren verschiedenen Absichten und Interessen erforderliche Recht nicht abhängig sein. Es ist zwar eine ethische Forderung, „niemandem Unrecht“ zu tun, d. h. jedem das ihm zugestandene Recht zu gewähren. Aber wenn man als endlicher Mensch, der nicht immer voll „bei Vernunft“ ist, Unrecht „nicht vermeiden“ kann, soll man in eine Rechtsgesellschaft eintreten, in der man zum rechtlichen Verhalten gezwungen werden kann, damit „jedem das Seine gegen jeden Anderen gesichert sein kann“21. – Aus dem gleichen Grunde ist es nach Kant in ethischer Hinsicht die Pflicht eines jeden gegen sich selbst, Religion zu haben, d. h. die Gebote reiner Vernunft in jedem „Zustand“ seiner selbst als gottgegebene „absolute“ Gebote anzusehen22. Demnach gibt es zwar (über die privaten Vertragsabschlüsse hinaus) ein „öffentliches“ Recht, das das Recht der einzelnen nach öffentlichen Gesetzen schützt, aber keine „öffentliche“ Ethik und damit – unter säkularen Bedingungen – auch keine ethische Gemeinschaft. Eine ethische Gemeinschaft müßte einen anderen Gesetzgeber als das Volk haben, nämlich Gott als einen „Herzenskündiger“, der nicht nur die Taten als äußere „Erscheinungen der Freiheit“ beurteilen kann, sondern auch die innere Wahrhaftigkeit in der Prüfung der Maximen als den Beweggründen ethischen Handelns23. Menschenrechte sind demnach Rechte, die die Rechtsgesellschaft bzw. die Staatsgewalt aus rechtssystematischen Gründen niemandem versagen kann, weil sie sich selbst dem Umstand verdankt, daß Menschen als endliche Wesen wegen der Sicherstellung der wechselseitigen Gewährung dieses elementaren Rechts auf Freiheit im Zusammenleben in sie eingetreten sind. Dem entspricht auf der anderen Seite die Pflicht des einzelnen, selbst rechtlich zu sein, d. h. den Bestand der Rechtsgesellschaft und die Quellen des Rechts nicht in Frage zu stellen. Kant sagt also nicht, daß es eine ethische Pflicht sei, in jedem Fall wahrhaftig zu sein. In der Ethik kommt es auf die Maxime an, für die der gegebene Fall als ein Beispiel in Frage kommen kann. Wenn schon das Gebot der Höflichkeit vor kasuistische Fragen führt, muß das im Falle der Verhinderung eines Mordes erst recht der Fall sein. Es geht in der Schrift Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen also überhaupt nicht um eine ethische Frage, sondern darum, daß derjenige, der die Unwahrheit sagt, die daraus entstehenden Rechtsfolgen zu tragen hat und daß ihm von Rechts wegen nicht vorgehalten werden kann, er hätte doch „besser“ gelogen. Das Sagen der Wahrheit hat keine negativen Folgen für die Möglichkeit des Rechts überhaupt. Es macht die Rechtsquelle nicht „unbrauch|124|bar“, es stärkt sie. Was der 21 Ebd., 236f. 22 Vgl. ebd., 443f. 23 Vgl. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 99.
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einzelne Mensch dagegen in bestimmten Fällen tun soll, muß er selbst nach seiner eigenen praktischen Urteilskraft entscheiden. Das verweist auf den Begriff des Gewissens. Im Gewissen ist man, wie Kant sagt, sein eigener Richter24, also sich selbst gegenüber eine andere Person. Damit scheint der grundsätzliche Unterschied zwischen Ethik und Recht aufgehoben zu sein. Aber Kant bezieht sich hier auf die traditionelle Unterscheidung zwischen einem Gewissen vor der Tat und einem Gewissen nach der Tat. Im Augenblick der Tat oder im Entschluß zur Tat ist der Handelnde „gewissenlos“25, mit ihr setzt er sich selbst fremder Beurteilung aus. Vor der Tat geht es um ethische Überlegungen, aber nachdem die Tat geschehen und in der Welt ist, geht es um rechtliche Fragen. Das Gewissen vor der Tat ist „ein warnendes Gewissen“. Erst wenn „die That beschlossen ist, tritt im Gewissen zuerst der Ankläger, aber zugleich mit ihm auch ein Anwalt (Advocat) auf“, der die Tat zu rechtfertigen sucht, und es trennen sich die Hinsichten innerhalb derselben Person26. Um aber die ethischen und rechtlichen Hinsichten weiterhin getrennt zu halten und im Rahmen der kritischen Denkungsart verweilen zu können, „wird sich das Gewissen des Menschen bei allen Pflichten einen Anderen [...] als sich selbst zum Richter seiner Handlungen denken müssen, wenn es nicht mit sich selbst im Widerspruch stehen soll. Dieser Andere mag nun eine wirkliche, oder blos idealische Person sein, welche die Vernunft sich selbst schafft.“
In jedem Fall findet das Gewissen nur auf dem Wege über eine „wirkliche“ oder „idealische“ fremde Vernunft aus seinem Zwiespalt zur eigenen Vernunft und der Identität seiner Person zurück. Der Mensch begibt sich seiner ethischen Autonomie angesichts einer wirklichen anderen Person. Als idealische muß sie „ein Herzenskündiger [Herzenskundiger] sein; denn der Gerichtshof“ des Gewissens „ist im Inneren des Menschen aufgeschlagen“, das von außen nicht einsehbar ist. Sie muß von jedem alles wissen und zugleich der fremde Gesetzgeber sein. Da sie „zugleich alle Gewalt (im Himmel und auf Erden) haben muß“, heißt sie „Gott“27. Das Recht wird erst tätig, wenn die Tat geschehen und ethisch nichts mehr „zu machen“ ist. Es subsumiert sie, gemäß der Urteilskraft des Richters als einer anderen Person, unter das zu dieser Zeit geltende, an sich aber veränderbare Recht. Zur Wahrung des Rechtszustandes muß das Recht unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit den sich verändernden Umständen 24 Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 438. 25 Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, Hamburger Ausgabe, 12, 399, Nr. 251: „Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.“ 26 Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 440. 27 Ebd., 438f.
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des jeweiligen Rechtsgebietes immer wieder angepaßt werden. Die Ethik ist wegen ihrer rein formalen, auf unbeschränkte Allgemeingültigkeit ausgerichteten Begründung dagegen unveränderlich. Sie prüft die jeweils gegebenen subjektiven Handlungsmaximen zu jeder Zeit nach demselben Prinzip: dem formallogischen, also selbst noch nicht moralisch geprägten Prinzip der Widerspruchsfreiheit. |125| Die Frage, ob bei der Entwicklung des Rechts nicht doch ethische Prinzipien eine Rolle spielen sollten, ist nach Kant zu verneinen, wenn denn eine Ethik gemeint ist, die als allgemeingültig begründet werden kann. Wie alle Menschen sollen zwar auch die Gesetzgeber bei der Gesetzgebung und die Richter bei der Rechtsprechung nach ethischen Grundsätzen handeln, d. h. nach Maximen, die zugleich als allgemeine Gesetze gedacht werden können, aber es bleibt ungewiß, ob sie das wirklich auch tun, da es für ethisches Handeln keine „sicheren Beispiele“ geben kann. Das Recht kann seinem „reinen“ Vernunftbegriff nach deshalb nicht als abhängig von der ethischen Gesinnung der Gesetzgeber und der Richter gedacht werden. Sie führt vor dem Fall ohnehin in „kasuistische Fragen“, über die der einzelne im Fall der wirklichen Tat nach seiner eigenen praktischen Urteilskraft zu entscheiden hat. Das betrifft die Frage nach einer zeitgemäßen Veränderung ethischer Normen. Der „kategorische Imperativ“ als der oberste Grundsatz der Ethik ändert sich zwar nicht; in seiner reinen Formalität bleibt das Sittengesetz unveränderlich. Die subjektiven Handlungsmaximen können und müssen sich jedoch mit der Zeit und den Umständen ändern, und mit ihnen ändern sich dann auch die Maximen, die als allgemeine Gesetze gedacht werden können. Weil aber man nicht wissen kann, ob nach diesen „guten“ Maximen tatsächlich gehandelt wird, kann man auch nicht wissen, ob der Begriff einer ethischen Pflicht vielleicht nicht doch ein „leerer Begriff“ ist28. Deshalb sollen veränderliche, den Umständen anzupassende Rechtsgesetze dazu dienen, die Freiheit der Willkür eines jeden mit der eines jeden anderen zusammen bestehen zu lassen, einschließlich der Freiheit, nach eigenen subjektiven Maximen zu handeln, ob sie nun „innerlich“ so, wie das jeweilige Subjekt sie versteht, als allgemeine Gesetze gedacht werden können oder nicht, solange dies nicht die gleiche (Handlungs-) Freiheit der anderen beeinträchtigt. Deren ethische Vorstellungen können, weil sie als solche „innerlich“ bleiben, von „außen“ ohnehin nicht beeinträchtigt werden. Jede rechtlich-politische Gesetzgebung konkurriert mit anderen Vorstellungen vom besten Weg zur Erreichung dieses Zwecks. Jede will ihre eigenen Vorstellungen von Gesetzen der (äußeren) Freiheit politisch durchsetzen. 28 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 421.
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So könnte man vielleicht auch sagen, Kant habe die Ethik kritisch eingeschränkt, um dem Recht seinen Platz im System der Vernunft zu verschaffen. Er habe bedacht, daß ethische Normen – gerade wenn sie als allgemeingültig begründet sein sollen – nicht die Möglichkeit des („äußeren“) Zusammenlebens der Menschen als frei handelnder Wesen gewährleisten können. Daher ist für ihn das Recht – auch wenn es für sich genommen oder als striktes Recht als das größte Unrecht empfunden werden kann29 – „das Heiligste, was Gott auf Erden hat“30. Trotzdem meint Kant nicht, daß das Recht für sich allein ein gutes Zusammenleben garantieren könne. Es kann auch innerhalb seines beschränkten Geltungsbereiches nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort mit der ihm eigenen „Befugnis zu |126| zwingen“ gegenwärtig sein. Deshalb nennt Kant als drittes neben Ethik und Recht die Liebe: Wenn es „nicht bloß auf Pflichtvorstellung, sondern auch auf Pflichtbefolgung ankommt [und] man nach dem subjectiven Grunde der Handlungen fragt, aus welchem [...] am ersten zu erwarten ist, was der Mensch thun werde, nicht bloß nach dem objectiven was er tun soll, so ist doch die Liebe, als freie Aufnahme des Willens eines Andern unter seine Maximen, ein unentbehrliches Ergänzungsstück der Unvollkommenheit der menschlichen Natur (zu dem, was die Vernunft durchs Gesetz vorschreibt, genöthigt werden zu müssen): denn was Einer nicht gern thut, das thut er so kärglich, auch wohl mit sophistischen Ausflüchten vom Gebot der Pflicht. daß auf diese als Triebfeder ohne den Beitritt jener nicht sehr viel zu rechnen sein möchte“31.
Die Liebe erscheint hier als eine notwendige, wenn auch nicht sicherzustellende „Ergänzung“ zur rechtlichen Ergänzung der Ethik. Daher bleibt es eine moralische Pflicht, sich um ein Recht zu bemühen, das seinen Zweck erfüllt, so gut es unter den Bedingungen der Zeit möglich ist. Die Politik ist die Kunst des Möglichen in diesem Sinne. – „Der Sinnspruch (dictum) der Billigkeit“, das „strengste Recht“ sei das „größte Unrecht (summum ius summa iniuria)“, behält auch bei Kant seine Berechtigung, wenn das Wohl der Menschen allein auf das Recht gesetzt wird. Er spricht ein zum Recht als Recht gehörendes „Übel“ aus, dem „auf dem Wege“ des Rechts selbst „nicht abzuhelfen“ ist. Es bewirkt „eine Rechtsforderung“, die vor das „Gewissensgericht (forum poli)“ gehört, während die Frage, was auf Erden, d. h. unter Menschen als nicht rein vernünftigen Wesen, tatsächlich Recht ist, „vor das bürgerliche Recht (forum soli) gezogen werden muß“32. Dieser Unterschied ist unaufhebbar, und Kant denkt in solchen Gegensätzen. Die Zeit der Politik, in der es um eine Verbesserung der Zustände 29 30 31 32
Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 235. Kant, Zum ewigen Frieden, AA VIII, 352 Anm. Kant, Das Ende aller Dinge, AA VIII, 337f. Kant, Die Metaphysik der Sitten, AA VI, 235.
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zu tun sein soll, kann demnach kein Ende finden. Seine „Naturanlagen“ fügen dem Menschen außer den „verderblichen Wirkungen“ der Natur, wie Krankheit, Hunger usw., unter denen er „wie jedes andere Thier“ leidet, noch andere „selbstersonnene Plagen“ hinzu, wie „den Druck der Herrschaft, die Barbarei der Kriege usw.“, so daß er „soviel an ihm ist, an der Zerstörung seiner eigenen Gattung arbeitet“. Auch „bei der wohlthätigsten Natur außer uns“ könnte der Zweck der menschlichen Natur, wenn er denn „auf die Glückseligkeit unserer Species“ ausgerichtet wäre, „auf Erden nicht erreicht werden“33. Die „grundsätzliche“ Aufteilung des Moralischen in Ethik und Recht ist zwar aus kritischen Gründen erforderlich. Auf die Tat selbst als das einzelne, wirkliche Geschehen beziehen sich beide jedoch nicht: Ihrem kritischen Begriff nach prüft die Ethik die subjektiven Maximen wesentlich vor der Tat, und das Recht urteilt nach der Tat. Diese Einsicht ist selbst schon von sittlicher Relevanz. Es ist jedem Menschen zuzugestehen, daß er aus beschränkter Übersicht handelt, weil er es muß, aber zugleich ist von jedem zu fordern, daß er dies nach eigenem Wissen und Gewissen tut, als Täter im allgemeinen und als Richter sowohl in fremder als auch in eigener Sache.
33 Kant, Kritik der Urteilskraft, AA V, 430.
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Der Nächste als Kritik der Gemeinschaft, in: Archivio di filosofia, 54.1-3 (1986), 347357. Wilhelm von Humboldts Bedeutung für die Philosophie, in: Wilhelm von Humboldt. Vortragszyklus zum 150. Todestag, hg. von Bernfried Schlerath, Berlin / New York 1986, 128-143. – Wiederabgedruckt in: Wilhelm von Humboldts Sprachdenken, hg. von HansWerner Scharf, Essen 1989, 259-271. Vornehme und apokalyptische Töne in der Philosophie. Ingeborg Heidemann zum 70. Geburtstag, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 40. 4 (1986), 489-519. 1987 Spuren Hamanns bei Kant?, in: Hamann – Kant – Herder. Acta des 4. Internationalen Hamann-Kolloquiums, hg. von Bernhard Gajek, Frankfurt am Main 1987, 89110. Sprache und Wahrheit, in: Wahrheit in Einheit und Vielheit, hg. von Emerich Coreth, Düsseldorf 1987, 28-41. – Spanische Übersetzung: Lenguaje y verdad, in: Teorias de la verdad en el siglo XX, hg. von Juan Antonio Nicholás, Maria José Frápolli, Madrid 1997, 461477. Hamann und Kant. Eine epochale Konstellation, in: Ostdeutsche Geschichts- und Kulturlandschaften, Teil II, hg. von Hans Rothe, Köln / Wien 1987, 163-175. Herder und Kant. Sprache und „historischer Sinn“, in: Johann Gottfried Herder 17741803, hg. von Gerhard Sauder, Hamburg 1987, 3-13. Hegels idealistischer Wissenschaftsbegriff, in: Zur Selbstbegründung der Philosophie seit Kant, hg. von Wolfgang Marx, Frankfurt am Main 1987, 27-49. Der gute Wille zum Verstehen und der Wille zur Macht. Bemerkungen zu einer „unwahrscheinlichen Debatte“, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 12.3 (1987), 79-90. – Englische Übersetzung: Good Will to Understand and the Will to Power. Remarks on an „Improbable Debate“, in: Dialogue & Deconstruction. The GadamerDerrida Encounter, hg. von Diane P. Michelfelder, Richard E. Palmer, Albany (State University of New York Press) 1989, 162-175 (Übers. von Richard Palmer). – Spanische Übersetzung: La buena voluntad de comprender y la voluntad de poder. Notas sobre un „debate improbable“, in: Diálogo y deconstrucción, hg. von Gómez Ramos, Cuaderno Gris 3 (1998), 99-110 (Übers. von Antonio Gómez Ramos). Vom Mittelalter zur Neuzeit. Am Beispiel der Modalitäten, in: Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen. Wolfgang Kluxen zum 65. Geburtstag, hg. von Jan P. Beckmann, Ludger Honnefelder, Gangolf Schrimpf, Georg Wieland, Hamburg 1987, 375-386. Zwei Liebesbriefe an einen Lehrer der Weltweisheit, der eine Physik für Kinder schreiben wollte, in: Johann Georg Hamann. Insel-Almanach auf das Jahr 1988, hg. von Oswald Bayer, Bernhard Gajek, Josef Simon, Frankfurt am Main 1987, 105-115. Zur „Möglichkeit“ der Erkenntnis, in: Transzendentale oder evolutionäre Erkenntnistheorie?, hg. von Wilhelm Lütterfelds, Darmstadt 1987, 387-408. Kants pragmatische Ethikbegründung, in: Etica e pragmatica. Archivio di filosofia 55.1-3 (1987), 183-204.
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1988 Äußerer Schmerz und inneres Glück, in: Glaube und Lernen, Zeitschrift für theologische Urteilsbildung, 3.1 (1988), 34-38. Was ist Metaphysik und was wäre ihr Ende?, in: Metaphysik nach Kant? Stuttgarter Hegel-Kongreß 1987, hg. von Dieter Henrich, Rolf-Peter Horstmann, Stuttgart 1988, 505-527. 1989 Aufklärung im Denken Nietzsches, in: Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von Jochen Schmidt, Darmstadt 1989, 459-474. Die Krise des Wahrheitsbegriffs als Krise der Metaphysik. Nietzsches Alethiologie auf dem Hintergrund der Kantischen Kritik, in: Nietzsche-Studien 18 (1989), 242259. Leib und Seele. Ihre metaphysische Unterscheidung als Problem in Psychologie, Psychiatrie und Psychoanalyse, in: Philosophie und Psychologie. Leib und Seele – Determination und Vorhersage, hg. von Wolfgang Marx, Frankfurt am Main 1989, 165-199. „Anschauung überhaupt“ und „unsere Anschauung“. Zum Beweisgang in Kants Deduktion der Naturkategorien, in: Perspektiven transzendentaler Reflexion. Festschrift Gerhard Funke zum 75. Geburtstag, hg. von Gisela Müller, Thomas Seebohm, Bonn 1989, 135-156. Kants praktische Philosophie, in: Prisma. Im Blickpunkt. Philosophie tut not. Aus der Arbeit des Goethe-Instituts 2 (1989), 30-33. Welt auf Zeit. Nietzsches Denken in der Spannung zwischen der Absolutheit des Individuums und dem kategorialen Schema der Metaphysik, in: Krisis der Metaphysik. Wolfgang Müller-Lauter zum 65. Geburtstag, hg. von Günter Abel, Jörg Salaquarda, Berlin / New York 1989, 109-133. Die Wirklichkeit der Freiheit (Kant, Schelling, Hegel), in: Die praktische Philosophie Schellings und die gegenwärtige Rechtsphilosophie, hg. von Hans-Martin Pawlowski, Stefan Smid, Rainer Specht, Stuttgart-Bad Cannstadt 1989, 335-352. Philosophie von der Sprache her. Zum Tode von Bruno Liebrucks, in: Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch 15 (1989), 337-354. 1990 Einbildungskraft und wirkliche Zeit, in: Bewußtsein und Zeitlichkeit. Ein Problemschnitt durch die Philosophie der Neuzeit, hg. von Hubertus Busche, George Heffernan, Dieter Lohmar, Würzburg 1990, 147-158. Herder and the Problematization of Metaphysics, in: Herder Today. Contributions from the International Herder Conference, hg. von Kurt Mueller-Vollmer, Berlin / New York 1990, 108-125. Der Mut zum Denken. Hamanns Stellung zur Aufklärung in seiner Zeit und heute, in: Johann Georg Hamann und die Krise der Aufklärung. Acta des fünften Internationalen Hamann-Kolloquiums in Münster i. W. 1988, Frankfurt am Main 1990, 13-29. Intersubjektivität bei Kant und Hegel?, in: Hegels Theorie des subjektiven Geistes, hg. von Lothar Eley, Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, 313-338.
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Segno e tempo, in: Segno ed evento nel pensiero contemporaneo, hg. von Giuseppe Nicolaci, Milano 1990, 47-59. Kategorien der Freiheit und der Natur. Zum Primat des Praktischen bei Kant, in: Kategorie und Kategorialität. Historisch-systematische Untersuchungen zum Begriff der Kategorie im philosophischen Denken. Festschrift für Klaus Hartmann, hg. von Dietmar Koch, Klaus Bort, Würzburg 1990, 107-130. Goethes Sprachansicht, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, Tübingen 1990, 1-27. – Wiederabgedruckt in: Johann Wolfgang Goethe, Romane und theoretische Schriften. Neue Wege der Forschung, hg. von Bernd Hamacher und Rüdiger NuttKofoth, Darmstadt 2007, 141-163. – Französische Übersetzung: Goethe sur le langage, in: Poésie, Vol. 57, Paris 1991, 87-103 (Übers. von Helena Schulz-Keil). Schrift und Subjekt. Zu den metaphysischen Voraussetzungen des Verständnisses vom Wesen der Schrift, in: Zu einer Theorie der Orthographie, hg. von Christian Stetter, Tübingen 1990, 183-195. Die Überdehnung der Metaphysik. Kants Kritik des ontologischen Arguments im System seiner kritischen Philosophie, in: L’argumento ontologico, in: Archivio di Filosofia 58.1-3 (1990), 255-270. 1991 Le concept logique de l’idée absolue et le problème de l’existence de Dieu, in: La question de Dieu selon Aristote et Hegel, hg. von Thomas de Konninck, Guy PlantyBonjour, Paris 1991, 377-399 (Übers. von Guy Planty-Bonjour). Bedeutung bei Kant und Peirce, in: Proceedings of the Sixth International Kant Congress, hg. von Gerhard Funke, Thomas M. Seebohm, 1991, Bd. 1, 233256. Sprache und Wahrheit, in: Sprache – beim Wort genommen. Dokumentation der Pädagogischen Woche 1990, Erzbischöfliches Generalvikariat Köln 1991, 27-38. Subjekt und Natur. Teleologie in der Sicht kritischer Philosophie, in: Die Struktur lebendiger Systeme. Zu ihrer wissenschaftlichen und philosophischen Bestimmung, hg. von Wolfgang Marx, Frankfurt am Main 1991, 105-132. Ökologische Ethik in philosophischer Reflexion, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 9, Tokyo 1991, 75-88. Subjekt-covek-natcovek (Subjekt-Mensch-Übermensch), in: Filozofski Godisnjak 4 (1991), 90-101. 1992 Zeichen bei Kant und Hegel, in: Omul ùi Limbajul Său. Studia linguistica in honorem Eugenio Coseriu. Analele ùtiinĠifice Ale UniversităĠii „Al.I.Cuza“ din Iaúi, Bd. 37/38, 1991/92, 139-151. Das neue Nietzsche-Bild, in: Nietzsche-Studien 21 (1992), 1-9. – Rumänische Übersetzung: Noua imagine a lui Nietzsche, in: Revista de filosofie 50.5-6 (Bukarest 2003), 585-592 (Übers. von Alexandru Boboc). – Wiederabgedruckt als Anhang zu: Alexandru Boboc, Nietzsche. Între elenism úi modernitate sau dincolode actual úi „inactual“, Napoca (Editura Grinta) 2003, 164-171.
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Verzeichnis der Schriften Josef Simons
Bestimmte Negation. Ein Traktat zur philosophischen Methode, in: Nietzsche und Hegel. Friedrich Kaulbach zum 80. Geburtstag, hg. von Mihailo Djuriü, Josef Simon, Würzburg 1992, 65-78. Das philosophische Paradoxon, in: Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens, hg. von Paul Geyer, Roland Hagenbüchle, Tübingen 1992, 45-60. Das absolute Zeigen, in: Fides quaerens intellectum. Beiträge zur Fundamentaltheologie. Max Seckler zum 65.Geburtstag, hg. von Michael Kessler, Wolfhart Pannenberg, Hermann Josef Pottmeyer, Tübingen 1992, 113-124. Naturbild und Gewissen, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 10, Tokyo 1992, 147-160. Bemerkungen zu den Beiträgen zur Philosophie des Zeichens, in: Zur Philosophie des Zeichens, hg. Tilman Borsche, Werner Stegmaier, Berlin / New York 1992, 195219. O Juízo. A Faculdade de Julgar como Conceito-Chave na Filosofia de Kant, in: Argumento. Revista Quadrimestral de Filosofia 2.3-4 (1992), 9-20. Zur Kultur des Dialogs in differenzierter Gesellschaft, in: Dialog als Bedingung der differenzierten Gesellschaft. Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Stuttgart 1992, 9-30. Der Philosoph als Gesetzgeber. Kant und Nietzsche, in: Perspektiven des Perspektivismus. Gedenkschrift zum Tode Friedrich Kaulbachs, hg. von Volker Gerhardt, Norbert Herold, Würzburg 1992, 203-218. Das Absolute als Auslegung. Auszulegende Schrift und auslegendes Wort, in: Religione, Parola, Scrittura, hg. von Marco M. Olivetti, in: Archivio di Filosofia 60.1-3 (1992), 89-98. 1993 Weltbild und Gewissen, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 18.1 (1993), 23-39. – Englische Übersetzung: World-Picture and Conscience, in: Hermeneutics and Truth, hg. von Brice R. Wachterhauser, Evanston Illinois 1994, 190-205. Zeichen – Sprache – System, in: Systeme im Denken der Gegenwart, hg. von HansDieter Klein, Bonn 1993, 64-76. Zeichen und Zeit. Gerhart Schmidt zum 65. Geburtstag, in: Zeit und Zeichen. Schriften der Académie du Midi, Bd. 1, hg. von Tilman Borsche, Johann Kreuzer, Helmut Pape, Günter Wohlfart, München 1993, 5-13. Liebe und Natur im System der Sittlichkeit bei Kant und Hegel, in: Realität und Begriff. Festschrift für Jakob Barion zum 95. Geburtstag, hg. von Peter Baumanns, Würzburg 1993, 237-255. Giordano Bruno im Spiegel des Deutschen Idealismus, in: Giordano Bruno. Tragik eines Unzeitgemäßen, hg. von Willi Hirdt, Tübingen 1993, 165-174. Kants Bestimmung der Natur, des Schönen und der Kunst, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 11, Tokyo 1993, 101118. 1994 Schöne Zeichen. Zur Frage einer Ästhetik des Abwesenden, in: Zwischen den Wissenschaften. Beiträge zur deutschen Literaturgeschichte. Bernhard Gajek zum 65. Geburtstag, hg. von Gerhard Hahn, Ernst Weber, Regensburg 1994, 126-136.
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Antinomie und Widerspruch. Kosmologie bei Kant und Hegel, in: Aufhebung der Transzendentalphilosophie?: Systematische Beiträge zur Würdigung, Fortentwicklung und Kritik des transzendentalen Ansatzes zwischen Kant und Hegel, hg. von Thomas Sören Hoffmann, Franz Ungler, Würzburg 1994, 125-141. Zeichenphilosophie und Transzendentalphilosophie, in: Zeichen und Interpretation, hg. von Josef Simon, Frankfurt am Main 1994, 73-98. Darin auch: Vorwort, 7-15. In-der-Welt-sein, in: „Verwechselt mich vor Allem nicht!“ Heidegger und Nietzsche, hg. von Hans-Helmuth Gander. Schriftenreihe der Martin-Heidegger-Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt am Main 1994, 73-88. Offenbarung als kritischer Begriff, in: Filosofia della rivelazione, in: Archivio di Filosofia 62.1-3 (1994), 37-50. Das Subjekt und „seine“ Vernunft, in: Grenzbestimmungen der Vernunft. Philosophische Beiträge zur Rationalitätsdebatte. Zum 60. Geburtstag von Hans Michael Baumgartner, hg. von Petra Kolmer, Harald Korten, Freiburg / München 1994, 51-75. Grenzen des Wissens, in: Braucht Wissen Glauben?, hg. von Heimo Hofmeister, Neukirchen-Vluyn 1994, 11-23. Nachwort zu: Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Stuttgart 1994, 347-368, 2. Aufl. Leipzig 2000. Subjekt – Raum – Welt. Ökologische Bemerkungen zu Kants „Physischer Geographie“, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 12, Tokyo 1994, 39-52. Nietzsche y la responsabilidad del saber, übersetzt von Mariano de la Maza, in: Seminarios de Filosofia, Pontificia Universidad Católica de Chile, Vol. 7, 1994, 31-43. Nietzsche y el problema del nihilismo europeo, übersetzt von Mariano de la Maza, in: Seminarios de la filosofia, Pontifica Universidad Católica de Chile, Vol. 7, 1994, 91-105. 1995 Philosophie als Verdeutlichung und die Deutlichkeit der Welt, in: Veritas filia temporis? Philosophiehistorie zwischen Wahrheit und Geschichte. Festschrift für Rainer Specht, hg. von Rolf W. Puster, Berlin / New York 1995, 62-75. Philosophie des Zeichens und Ethik, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 20.1 (1995), 3-18. Charaktere, Symbole, Schemata, in: Sorgfalt des Denkens. Festschrift für Brigitte Scheer, hg. vom Forum für Philosophie Bad Homburg, Würzburg 1995, 60-69. Zeit und Gerechtigkeit, in: Rechtfertigung und Erfahrung. Gerhard Sauter zum 60. Geburtstag, hg. von Michael Beintker, Ernstpeter Maurer, Hinrich Stoevesandt, Hans G . Ulrich, Gütersloh 1995, 296-310. Der Abbruch des Turmbaus, in: Der Abbruch des Turmbaus. Studien zum Geist in China und im Abendland. Festschrift für Rolf Trauzettel (Monumenta Serica Monograph Series 34), hg. von Ingrid Krüßmann, Wolfgang Kubin, Hans Georg Möller, Sankt Augustin 1995, 163-184. Convorbiri cu personalitati ale filosofiei contemporane. Josef Simon in dialog cu Alexandru Boboc, in: Revista de filosofie 42.1 (1995), 53-58. Die Vernunft und das Recht, die Besonderheit und ihre Zeit, in: Kriza i perspektive filozofije. Mihailu Djuriüu za sedamdeseti roÿendan, hg. von Danilo N. Basta, Slobodan Žunjiü, Mladen Kozomara, Belgrad 1995, 365-382.
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Termini. Zur Ethik in einer entgrenzten Gesellschaft, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 13, Tokyo 1995, 15-26. Verstehen ohne Interpretation? Zeichen und Verstehen bei Hegel und Nietzsche, in: Distanz im Verstehen. Zeichen und Interpretation II. Wolfgang Loch zum Gedenken, hg. von Josef Simon, Frankfurt am Main 1995, 72-104. Darin auch: Vorwort, 9-17. Sprache als Zeichen betrachtet, in: Sprache denken. Positionen aktueller Sprachphilosophie, hg. von Jürgen Trabant, Frankfurt am Main 1995, 90-111. „Subjektivität“ als Wahrheitsgrund, in: Archiwum historii filozofii i myĞli spoáecznej 40 (1995), 5-13. Sprache bei Kant, in: Revue Roumaine de Philosophie 39.1-2 (1995), 73-92. 1996 Zeichenmachende Phantasie. Zum systematischen Zusammenhang von Zeichen und Denken bei Hegel, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 50.1/2 (1996), 254-270. Im-Begriff-sein. „Bezeichnungsvermögen“ und prospektives Denken bei Kant, in: Kant in der Diskussion der Moderne, hg. von Gerhard Schönrich, Yasushi Kato, Frankfurt am Main 1996, 190-207. Welten und Ebenen. Symposium zu: Günter Abel, Interpretationswelten, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 44 (1996) 5, 855-866. Das Problem der Gottesbeweise und der Begriff einer philosophischen Ethik, in: Philosophie de la religion entre éthique et ontologie (Bibliotheca dell’„Archivio di Filosofia“), hg. von Marco M.. Olivetti, Padova 1996, 75-87. Entsagung. Bemerkungen zu einem Grundbegriff der Goetheschen Ethik und Ästhetik, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 14, Tokyo 1996, 51-63. Philosophie der Deutungskunst, in: „...da hat mich die Psychoanalyse verschluckt“. In memoriam Wolfgang Loch, hg. von Heinz Henseler, Tübingen 1996, 55-66. Immanuel Kant (1724–1804), in: Klassiker der Sprachphilosophie. Von Platon bis Noam Chomsky, hg. von Tilman Borsche, München 1996, 233-256. „Zeit in Gedanken erfaßt“. Zum Verhältnis von Begriff und Zeit bei Hegel, in: HegelJahrbuch 1996, 13-20. 1997 Die eine Wahrheit und die fremde Vernunft, in: Jüdischer Nietzscheanismus hg. von Werner Stegmaier, Daniel Krochmalnik (Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung, Bd. 36), Berlin / New York 1997, 3-14. Nietzsche kai Platon, Nietzsche kai ho Platonismos, übersetzt von I. Christodoulou, in: Ho Nietzsche kai hoi Hellenes, hg. Tereza Pentzopoulou-Balala, Thessaloniki 1997, 33-70. Die ethische Dimension des Wissensbegriffs in der europäischen Philosophie, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 15, Tokyo 1997, 93-108. Die Sache des Verstehens, in: Lingua ac Communitas 7 (Warszawa-PoznaĔ 1997), 3-14. Dialog als Wahrheitsweg, in: Dialog als Selbstvollzug der Kirche? (Quaestiones disputatae 166), hg. von Gebhard Fürst, Freiburg / Basel / Wien 1997, 30-46.
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Ethik und Ästhetik des Zeichens, in: Orientierung in Zeichen. Zeichen und Interpretation III, hg. von Josef Simon, Frankfurt am Main 1997, 267-291. Darin auch: Vorwort, 7-18.
1998 Phantasie und Wirklichkeit, in: Blick und Bild im Spannungsfeld von Sehen, Metaphern und Verstehen. Schriften der Academie du midi, Bd. 3, hg. von Tilman Borsche, Johann Kreuzer, Christian Strub, München 1998, 231-242. Erhabene Schönheit. Das ästhetische Urteil als Destruktion des logischen, in: Kants Ästhetik. Kant’s Aesthetics. L’estétique de Kant, hg. von Herman Parret, Berlin / New York 1998, 246-274. Zeichen und Zeit und das Problem der Bedeutung, in: Signs & Time, Zeit & Zeichen. An International Conference on the Semiotics of Time in Tübingen, hg. von Ernest W.B. Hess-Lüttich, Brigitte Schlieben-Lange, Tübingen 1998, 27-40. Subjektivität: Von den Vorstellungen zu den Zeichen, in: Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität, hg. von Reto Luzius Fetz, Roland Hagenbüchle, Peter Schulz, Berlin / New York 1998, 762-781. Das Judentum und Europa bei Nietzsche, in: Nietzsche und die jüdische Kultur, hg. von Jacob Golomb, Wien 1998, 113-125. – Englische Übersetzung: Nietzsche on Judaism and Europe, in: Nietzsche and Jewish Culture, hg. von Jacob Golomb, London / New York 1997, 101-116 (Übers. von John Stanley). Sprache und Zeichen bei Aristoteles, in: Aristotle on Logic, Language and Science, hg. von Nikolaos Avgelis, Filimon Peonidis, Thessaloniki 1998, 97-111. Kant als Autor und Hamann als Leser der Kritik der reinen Vernunft, in: KönigsbergStudien. Beiträge zu einem besonderen Kapitel der deutschen Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, hg. Von Joseph Kohnen, Bern / Frankfurt am Main 1998, 201-220. Philosophie, Kunst und Religion bei Hegel. Zum Problem des Vergleichs der Strukturen europäischen und östlichen Denkens, in: Komparative Philosophie. Begegnungen zwischen östlichen und westlichen Denkwegen. Schriften der Académie du midi, Bd. 4, hg. von Rolf Elberfeld, Johann Kreuzer, John Minford, Günter Wohlfart. München 1998, 231-242. Von Zeichen zu Zeichen. Zur Vermittlung von Unmittelbarkeit und Vermittlung des Verstehens, in: Fremde Vernunft. Zeichen und Interpretation IV, hg. von Josef Simon, Werner Stegmaier, Frankfurt am Main 1998, 23-51. Darin auch: Vorwort 7-22. Der moralische Nihilismus Europas und der kategorische Imperativ, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 16, Tokyo 1998, 41-57.
1999 Inkarnation der Sprache. Griechischer Logos – Kantische Vernunft – Hegelscher Absoluter Geist, in: Incarnation (Biblioteca dell’ „Archivio di Filosofia“), hg. von Marco Olivetti, Padova 1999, 233-251.
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Polnische Übersetzung: Inkarnacja mowy. Grecki logos – Kantowski rozum – Heglowski duch absolutny, in: Transcendentalna filozofia praktyczna, hg. von und übersetzt v. Ewa Nowak-Juchacz, PoznaĔ 2000, 213-236. Ist Denken Übersetzen?, in: Translation and Interpretation. Schriften der Académie du midi, Bd. 5, hg. von Rolf Elberfeld, Johann Kreuzer, John Minford, Günter Wohlfart, München 1999, 201-214. Lebensformen. Übergänge und Abbrüche, in: Der Konflikt der Lebensformen in Wittgensteins Philosophie der Sprache, hg. von Wilhelm Lütterfelds, Andreas Roser, Frankfurt am Main 1999, 190-212. Die Zeitbedingtheit der Urteilsbildung. Zu Kants Modifizierung des Fürwahrhaltens als Meinen, Glauben und Wissen, in: Zeit-Verschwendung, hg. von Klaus-M. Kodalle, Würzburg 1999, 29-45. Der Name „Wahrheit“. Zu Nietzsches früher Schrift „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“, in: „Jedes Wort ist ein Vorurteil“. Philologie und Philosophie in Nietzsches Denken, hg. von Manfred Riedel, Köln / Weimar / Wien 1999, 77-93. Natur als Objekt und als Subjekt. Aesthetica pro Eco-ethica, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 17, Tokyo 1999, 129-141. Zeichenkunst und Interpretationskunst, in: Zeichen-Kunst. Zeichen und Interpretation V, hg. von Werner Stegmaier, Frankfurt am Main 1999, 112-129. 2000 Hegels Begriff der Philosophie als „ihre Zeit in Gedanken erfaßt“ und das Problem einer vergleichenden Philosophie, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 25.1 (2000), 3-17. Nietzsche und der Gedanke einer Kritischen Theorie, in: Nietzscheforschung. Jahrbuch der Nietzsche-Gesellschaft 5/6 (2000), 195-208. La Crise du concept de vérité, crise de la métaphysique, in: Nietzsche. Cahiers de l’Herne 73 (2000), 277-292. Zeichen und Lebensformen, in: Kultur der Zeichen. Zeichen und Interpretation VI, hg. von Werner Stegmaier, Frankfurt am Main 2000, 34-60. Johann Heinrich Lamberts Zeichenkunst als Weg zur Kritik. Überlegungen zum Verhältnis von Kritik und Interpretation, in: Die Hermeneutik im Zeitalter der Aufklärung, hg. von Manfred Beetz, Giuseppe Cacciatore, Köln / Weimar / Wien 2000, 49-65. Ein Text wie Nietzsches Zarathustra, in: Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra (Klassiker auslegen), hg. von Volker Gerhardt, Berlin 2000, 225-256. Europa als philosophische Idee, in: Europa-Philosophie, hg. von Werner Stegmaier, Berlin / New York 2000, 15-35. Argumentatio ad hominem: Kant und Mendelssohn, in: Die philosophische Aktualität der jüdischen Tradition, hg. von Werner Stegmaier, Frankfurt am Main 2000, 376-399. Philosophie critique et Écriture sainte, in: Bible et philosophie. Revue de Métaphysique et de Morale 4 (2000), 441-460. – Wiederabgedruckt in: Josef Simon, Écriture sainte et philosophie critique, hg. und übersetzt von Marc de Launay, Paris 2005, 75-114. Die ästhetische und die politische Dimension des Zeichens bei Hegel und der „Absolute Geist“, in: Hegels Ästhetik. Die Kunst der Politik – Die Politik der Kunst, hg.
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von Andreas Arndt, Karol Bal, Henning Ottmann, Hegel-Jahrbuch 1999, Berlin 2000, 60-70. Die logischen Grundlagen der europäischen Ästhetik, in: Komparative Ästhetik: Künste und ästhetische Erfahrungen zwischen Asien und Europa (Reihe für asiatische und komparative Philosophie, Bd. 3), hg. von Rolf Elberfeld, Günter Wohlfart, Köln 2000, 299-317. Moral bei Kant und Nietzsche, in: Nietzsche-Studien 29 (2000), 178-198. Natur, Bildung und Technik. Zum Zusammenleben in einer unübersichtlichen Welt, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 18, Tokyo 2000, 93-109. Descartes’ „cogito“ unter zeichenphilosophischem Aspekt, in: Descartes im Diskurs der Neuzeit, hg. von Wilhelm Friedrich Niebel, Angelica Horn, Herbert Schnädelbach, Frankfurt am Main 2000, 77-102. Limbajul iĖ concepĠia lui Kant, in: Revista de filosofie 47.3-4 (2000), 365-377. 2001 Philosophie als Stil, in: Was mir Nietzsche bedeutet. Prominente aus Kunst, Politik und Philosophie antworten, hg. von Günter Seubold, Patrick Baum, Bonn 2001, 107-118. Intersubjektivität. Ein philosophisch problematischer Begriff, in: Intersubjectivité et théologie philosophique (Biblioteca dell’„Archivio di Filosofia“), hg. von Marco M. Olivetti, Padova 2001, 41-49. Nur Wörter? Über Moderne und Postmoderne oder über den ästhetischen Grundzug der europäischen Philosophie, in: Lingua ac Communitas 11 (Warszawa-PoznaĔ 2001), 3-13. Tylko slowa? O modernie i postmodernie, in: Principia 37/38 (Kraków 2004), 275-290 (Übers. von Ewa Novak-Juchacz). Die Selbstrelativierung der Ethik im Recht, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 19, Tokyo 2001, 77-89. 2002 Glaube, Reflexion und Positivität, in: Subjektiver Geist. Reflexion und Erfahrung im Glauben. Festschrift zum 65. Geburtstag von Traugott Koch, hg. von KlausMichael Kodalle, Anne M. Steinmeier, Würzburg 2002, 11-24. Globalisierung und Urbanisierung, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 20, Tokyo 2002, 81-93. Verstehen und Nichtverstehen oder Der lange Abschied vom Sein, in: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik 1 (2002), 1-19. In Namen denken. Sprache und Begriff bei Hegel, in: Hegel: Zur Sprache. Beiträge zur Geschichte des europäischen Sprachdenkens. Jürgen Trabant zum 60. Geburtstag, hg. von Bettina Lindorfer, Dirk Naguschewski, Tübingen 2002, 33-46. Natur und Leben, Form und Kunst. Zur philosophischen Aktualität Nietzsches. Manfred Riedel zum 65. Geburtstag, in: Natur und Kunst in Nietzsches Denken, hg. von Harald Seubert, Köln / Weimar / Wien 2002, 75-89. Moralkritik und Menschenbild bei Nietzsche, in: Natürlich: Nietzsche!, hg. von Klaus Müller, Münster 2002, 101-117.
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Verzeichnis der Schriften Josef Simons
Critica della morale e immagine dell’uomo in Nietzsche, in: Nietzsche illuminismo modernità, hg. von Carlo Gentili, Volker Gerhardt, Aldo Venturelli, Firenze 2003, 137-158. Europäische Transzendentalphilosophie, in: Rozum jest wolny, wolnoĞü – rozumna. Philosophische Untersuchungen über die Gegenwärtigkeit einiger Traditionen. Marek J. Siemek zum 60. Geburtstag, hg. von Roberta Marszaáka, Ewy NowakJuchacz, Warszawa 2002, 239-253. Kann sich die westliche Ethik selbst relativieren?, in: Komparative Ethik. Das gute Leben zwischen den Kulturen, hg. von Rolf Elberfeld, Günter Wohlfart (Reihe für asiatische und komparative Philosophie, Bd. 6), Köln 2002, 25-39. 2003 Transzendentale Denkformen und besondere Lebensformen, in: Denkformen – Lebensformen, hg. von Tilman Borsche, Hildesheim / Zürich / New York 2003, 1732. Apollinische Einheit und dionysische Vielheit, in: Theodizee im Zeichen des Dionysos. Nietzsches Fragen jenseits von Moral und Religion, hg. von Ulrich Willers (Religion – Geschichte – Gesellschaft. Fundamentaltheologische Studien, Bd. 25), Münster / Hamburg / London 2003, 11-24. Der einzelne Fall in Ethik und Recht. Anmerkungen zu Kants Moralphilosophie, in: Die Ausnahme denken. Festschrift zum 60.Geburtstag von Klaus-Michael Kodalle, hg. von Claus Dierksmeier, Würzburg 2003, Bd. 1, 117-126. Meinen, Glauben und Wissen als Arten des Fürwahrhaltens, in: Glauben und Wissen. Hegel-Jahrbuch 2003, hg. von Andreas Arndt, Karol Bal, Henning Ottmann, Erster Teil, 67-74. Zusammenleben, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 21, Tokyo 2003, 173-185. Kants grundsätzliche Unterscheidung von Ethik und Recht und die Zeit der Politik, in: Politik und Ethik in philosophischer und systemtheoretischer Sicht, hg. von Jaromir Brejdak, Werner Stegmaier, Ireneusz ZiemiĔski, Szczecin 2003, 39-59. 2004 Oi skopoí ston Kant, in: Kritike tes kritikes dynamis tou Immanouel Kant. Ypómnema ste philosophia, Athen 2004, 87-113 (Übers. von Theodoros Penolidis). Der Tod im Westen. Die europäische Seinsmetaphysik und das „Sein zum Tode“, in: Philosophieren über den Tod. Death in Eastern and Western Philosophies, hg. von Hans Georg Möller, Günter Wohlfart (Reihe für asiatische und komparative Philosophie, Bd. 8), Köln 2004, 79-90. Der Begriff der Aufklärung bei Kant und Nietzsche, in: Nietzsche. Radikalaufklärer oder radikaler Gegenaufklärer?, hg. von Renate Reschke (Nietzscheforschung, Sonderband 2), Berlin 2004, 113-122. Das Ich und seine Horizonte. Zur Metapher des Horizonts bei Kant, in: Horizonte des Horizontbegriffs. Hermeneutische, phänomenologische und interkulturelle Studien, hg. von Ralf Elm, St. Augustin 2004, 85-102. Horizonte der Wahrheit bei Kant, in: Wahrheit in Perspektiven. Probleme einer offenen Konstellation, hg. von Ingolf U. Dalferth, Philipp Stoellger, Tübingen 2004, 119-140.
Aufsätze
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Einheit und Vielheit in der Ethik, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 22, Tokyo 2004, 97-109. 2005 Zeichen und Sprache bei Kant, Hamann und heute, in: Die Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns, hg. von Bernhard Gajek, Frankfurt am Main 2005, 21-36. Das Absolute und der absolute Geist. Zu Hegels nachkritischem Begriff des Absoluten, in: Dialektische Logik. Hegels Wissenschaft der Logik und ihre realphilosophischen Wirklichkeitsweisen. Gedenkschrift für Franz Ungler, hg. von Max Gottschlich, Michael Wladika, Würzburg 2005, 50-61. Gegenbegriffe. Zur Metaphysikkritik bei Kant und Nietzsche, in: Das Denken in den Wirren unserer Zeit. Festschrift zum 80. Geburtstag für Akademiker Mihailo Djuriü, hg. von Danilo N. Basta, ýaslav D. Koprivica, Belgrad 2005, 379-394. Kritik des Heiligen. Kants Bestimmung der Religion innerhalb und außerhalb der Grenzen reiner Vernunft, in: Das Heilige im Denken. Ansätze und Konturen einer Philosophie der Religion. Zu Ehren von Bernhard Casper, hg. von Klaus Kienzler, Josef Reiter, Ludwig Wenzler (Religion – Geschichte – Gesellschaft. Fundmentaltheologische Studien, Bd. 23), Münster 2005, 195-219. Die Verbindlichkeit moralischer Normen, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 23, Tokyo 2005, 141-152. 2006 Die Religion innerhalb und außerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: Kritik der Religion, hg. von Ingolf Dalferth, Hans-Peter Grosshans, Tübingen 2006, 1-16. Zeichenerklärungen. Zeichen und Bedeutung in Wittgensteins Big Typescript, in: Wittgensteins ,große Maschinenschrift‘. Untersuchungen zum philosophischen Ort des Big Typescripts (TS 213) im Werk Ludwig Wittgensteins, hg. von Stefan Majetschak, Frankfurt am Main 2006, 115-128. Sich ein Bild machen. Zur Entwicklung der Bedeutung der Einbildungskraft in der neueren Philosophie, in: Kreativität. XX. Deutscher Kongreß für Philosophie, 26.– 30. September 2005 an der Technischen Universiät Berlin, Kolloquienbeiträge, hg. von Günter Abel, Hamburg 2006, 450-461. 2007 Zwischen Wort und Begriff, in: Logik, Begriffe, Prinzipien des Handelns. Logic, Concepts, Principles of Action, hg. von Thomas Müller, Albert Newen, Paderborn 2007, 197-213. Liebe bei Kant, in: Liebe – Ost und West / Love in Eastern and Western Philosophy, hg. von Hans-Georg Möller, Günter Wohlfart, Berlin 2007, 13-22. Zum Verhältnis von System und Stil bei Hegel und Nietzsche, in: Hegel und Nietzsche. Eine literarisch-philosophische Begegnung, hg. von Klaus Vieweg, Richard T. Gray (Schriften aus dem Kolleg Friedrich Nietzsche, hg. von Rüdiger SchmidtGrépály), Weimar 2007, 164-178. Mehr als nur eine Philosophie? Die Aufklärung und der Schatten, in: Zurück zur Freude. Studien zur chinesischen Literatur und Lebenswelt und ihrer Rezeption in Ost
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Verzeichnis der Schriften Josef Simons
und West. Festschrift für Wolfgang Kubin, hg. von Marc Hermann, Christian Schwermann (Monumenta Serica 57), St. Augustin 2007, 483-494. Kant, la compréhension et la langue de la philosophie, übersetzt von Christian Berner, in: Kant et les kantismes dans la philosophie contemporaine 1804-2004, hg. von Christian Berner, Fabien Capeilleres, Villeneuve d’Ascq Cedex 2007, 235246. 2008 Sprache als Grenze und als Grenzüberschreitung, in: Schriftkultur und Quellenkunde, hg. von Achim Geisenhanslüke, Bielefeld 2008, 211-223. Deutung und Wahrheit. Wolfgang-Loch-Vorlesung, in: Jahrbuch der Psychoanalyse 57 (2008), 183-199. Zur Sprache bringen, in: Zwischen den Zeichen. Ingolf U. Dalferth zum 60. Geburtstag, hg. von Andrea Anker, Andreas Hunziker, Philipp Stoellger, Hartmut von Sass (Hermeneutische Blätter, 1/2), Universität Zürich 2008, 235-243. 2009 Gegenstand und Selbstbezug. Zur individuellen Komponente der Erkenntnis im Anschluss an Kant, in: Individualität und Selbstbestimmung. Volker Gerhardt zum 65. Geburtstag, hg. von Jan-Christoph Heilinger, Colin G. King, Héctor Wittwer, Berlin 2009, 63-76. Der philosophische Begriff der Freiheit und die neurologische Debatte, in: Acta institutionis philosophiae et aestheticae, hg. von Tomonobu Imamichi, Bd. 24, Tokyo 2009, 263-274. 2010 Ad melius esse. Zur Differenz im Verstehen, in: Kant als Bezugspunkt philosophischen Denkens. Festschrift für Peter Baumanns zum 75. Geburtstag, hg. von Hubertus Busche, Anton Schmitt, Würzburg 2010, 281-294.
E. Handbuch- und Lexikon-Artikel Differenz, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hg. von Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner, Christoph Wild, München 1973, Bd. I, 309-320. Leben, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hg. von Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner, Christoph Wild, München 1973, Bd. II, 844-859. Hegel / Hegelianismus, in: Theologische Realenzyklopädie, 14. 3-4, Berlin / New York 1986, 530-560. Zeichen, in: Nietzsche Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Henning Ottmann, Stuttgart / Weimar 2000, 356-358. Symbol (I. Philosophisch), in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 32, Berlin / New York 2001, 479-481. Bewußtsein, in: Nietzsche-Lexikon, hg. von Christian Niemeyer, Darmstadt 2009, 46f.
Rezensionen, Zeitungsartikel, Josef Simon gewidmete Bücher
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F. Rezensionen Zum Problem einer „Philosophie der Tat“. Texte und Literatur zur nachhegelschen Philosophie im 19. Jahrhundert, in: Hegel-Studien 3 (1965), 297-320. Manfred Riedel, Theorie und Praxis im Denken Hegels, in: Hegel-Studien 4 (1966), 262-263. Ernst Vollrath, Die These der Metaphysik, in: Kant-Studien 63 (1972), 261-266. Historisches Wörterbuch der Philosophie, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 226 (1974), 11-28. Wolfram Hogrebe, Kant und das Problem einer transzendentalen Semantik, in: KantStudien 66 (1975), 361-366. Richard Rorty, Philosophy and the Mirror of Nature, in: Philosophische Rundschau 28 (1981), 100-107. Dimitrios Markis, Quine und das Problem der Übersetzung, in: Philosophisches Jahrbuch 90 (1983), 208-221. Metaphysik im Historischen Wörterbuch der Philosophie, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 235 (1983), 136-145. Wolfgang Wieland, Aporien der praktischen Vernunft, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 16.1 (1991), 80-84. F. Rezens ionen, Zeitungsartikel, Josef Simon gewidmete Bücher
G . Zeitungsartikel Auf der Suche nach der verlorenen Vernunft. Zum Erscheinen von Hegels „Wissenschaft der Logik“ in einer historisch-kritischen Ausgabe, in: Neue Zürcher Zeitung vom 26. / 27. 9. 1981. Auf dem Weg der Sprache. Ein Porträt des Philosophen Bruno Liebrucks, in: Neue Zürcher Zeitung vom 9.10.1981. Von der Vernunftmoral zum absoluten Geist. Zu Hegels 150. Todestag, in: Neue Zürcher Zeitung vom 14. / 15. 11. 1981. Wahrheit und Freiheit. Zum Begriff der Philosophie, in: Neue Zürcher Zeitung vom 5. / 6. 2. 1983. Denken, Sprechen, Handeln. Zum Tode von Bruno Liebrucks, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.1.1986. Vernunft ist Sprache. Zum 200. Todestag von Johann Georg Hamann, in: Neue Zürcher Zeitung vom 18. / 19.5.1988. Vernunft mit Liebe. [Zum Erscheinen des Bandes I von Hegels Gesammelten Werken], in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.3.1991.
H. Josef Simon gewidmete Bücher Nietzsches Begriff der Philosophie. Josef Simon zu seinem 60. Geburtstag, hg. von Mihailo Djuriü, Würzburg 1990. Zur Philosophie des Zeichens, hg. von Tilman Borsche, Werner Stegmaier, Berlin / New York 1990. Denken der Individualität. Festschrift für Josef Simon zum 65. Geburtstag, hg. von Thomas Sören Hoffmann, Stefan Majetschak, Berlin / New York 1995. Kultur der Zeichen. Zeichen und Interpretationen VI, hg. von Werner Stegmaier, Frankfurt am Main 2000.
Personenregister A Abel, G. IX Adickes, E. 123f. Adorno, Th. W. VII, IX Anaximander 283 Anselm von Canterbury 6, 239 Apel, K.-O. XIII, 274, 295-301 Arifuku, K. IX Aristoteles XIII, 36, 87f., 92, 97, 100, 106, 141, 144, 229, 252f., 257, 261 B Baier, H. 288 Barbariü, D. IX Behler, E. IX Biese, A. 208f. Borsche, T. IX Buck, G. 119 Büchel, W. 99 Bühler, K. 196
E Ebbinghaus, J. 113 F Feuerbach, L. 165 Fichte, J. G. 11, 192, 319 Fink, E. 57 Flasch, K. IX Frege, G. XIII, 199, 221, 226 G Gadamer, H.-G. VII Gerhardt, V. IX Gipper, H. 1 95 Goethe, J. W. v. XI, 40, 359 Gottsched, J. C. 324 H
C Chomsky, N. IX, 170, 222 Cicero, M. T. 214 Cramer, K. 129 D Danto, A. C. 57 Davidson, D. 42f. Derbolav, J. VIII Derrida, J. IX, XIII, 230, 258 Descartes, R. (Cartesius) XIII, 72, 75, 77, 79, 142f., 148, 240, 303, 320, 322 Dilthey, W. 67, 70, 121, 133, 205f. Djuriü, M. IX
Habermas, J. IX, 63, 300, 327 Hamann, J. G. IX, XIII, XVIf., 70, 163ff., 221, 223-235 Hartmann, K. VII, XI Hartmann, N. 90 Hegel, G. W. F. 3-22, 24-32, 40, 48, 52ff., 64, 76, 82f., 86, 105, 131, 137, 156, 159, 163, 165-169, 172-175, 178-195, 213f., 216ff., 237, 248-254, 261, 270, 278282, 284, 286, 288f., 291ff., 303, 308, 311, 313-320, 322f., 329, 344 Heidegger, M. VII, XIII, 35, 39, 50, 280 Heidemann, I. 119 Heimsoeth, H. 119 Heintel, E. VII, XVII, 192
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Personenregister
Henrich, D. VII, XVI Herder, J. G. XIII, 225, 231f. Hjelmslev, L. IX, 269 Hoppe, H. 123f., 127, 130, 136 Humboldt, W. v. IX, XIII, 44, 82f., 156, 171-174, 178, 186, 195, 201, 208, 218f., 263, 267, 269 Hume, D. 91f. Husserl, E. XIII, 134, 316f., 319322
Levinas, E. XIII, 299, 316f., 319, 329f. Liebrucks, B. VIII, 87, 191 Lorenzen, P. 109 M Marx, W. 40, 182 Maurer, R. IX Mauthner, F. 212f. Mendelssohn, M. 340f. N
J Jesus 250, 341f., 349 K Kainz, F. 196ff.,, 200f., 203, 205-208, 210, 213-217 Kambartel, F. 116 Kant, I. VII, IXff., XIII-XVIII, 4-8, 12f., 17, 24, 38-47, 49, 51ff., 55f., 58f., 63-66, 70ff., 75, 77, 91-101, 105ff., 109-143, 145-156, 159165, 167f., 171-178, 180-183, 189-193, 195, 213, 215f., 223, 227, 232, 234, 237, 241-245, 261266, 268, 275-278, 285f., 295, 297-300, 303-314, 316-322, 325f., 328f., 333-341, 345, 347f., 350f., 362 Kaulbach, F. IX, 281 Kohlberg, L. 295, 298f. Krämer, H. IX Kuhn, T. S. 96, 208 L Lambert, J. H. XI Lauener, H. VIII Lehmann, G. 128 Leibniz, G. W. XIII, 43, 52, 58f., 73, 78, 80f., 146f., 152, 209f., 260, 267, 281, 310, 324 Lenk, H. 112
Newton, I. 40, 134 Nietzsche, F. 48f., 57-78, 80-86, 155, 200, 207, 230, 259, 262, 273, 280293, 303, 328f., 349f. Nikolaus von Kues VIII O Oeing-Hanhoff, L. 28 P Parmenides 139 Peirce, C. S. 267 Pippin, R. B. IXf. Plaaß, P. 122f., 129, 131, 136 Platon VII, XIII, 35ff., 58, 71, 140, 144, 146, 172, 214f., 232, 252, 273, 275, 277, 331 Popper, K. R. 94, 109 Prauss, G. 216 Q Quine, W. V. O. 233f., 235 R Reich, K. 112 Reininger, R. 216 Révész, G. 196 Rickert, H. 197 Ritter, J. VII Rorty, R. 234 Rougier, L. 214 Rousseau, J. J. 278
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Personenregister
U
S Salaquarda, J. 230, 288 Schäfer, L. 113, 123, 135 Schelsky, H. VIII Schiwy, G. 240 Schlick, M. 213 Snell, B. 214 Soden, W. v. 199 Sokrates 140, 252, 273, 275 Spinoza, B. 28, 80 Stegmaier, W. X, 269, 336 Stenius, E. 109 Stöhr, A. 206 T Tarski, A. IX Theunissen, M. VII Thomas von Aquin XIII, 87
Ulmer, K. IX, 366 V Volkmann-Schluck, K. H. 72 W Wagner, H. IX Whorf, B. L. 195 Wittgenstein, L. VII, IX, , XIII, 57, 61, 63, 109, 170, 175, 188, 221f., 228, 262, 300, 347 Wolff, C. 51 Z Žunjiü, S. X
Sachregister A Absolutes 3-33, 68, 282 Abstrakt / Abstraktheit / Abstraktion 6, 18, 21f., 29, 71, 88, 130, 137, 179, 202, 301 Ästhetik 205, 232f., 243, 337, 339, 354 Ahnung 47, 56 Anerkennen / Anerkennung 3-33, 47f., 55, 156, 252, 256, 278ff., 285ff., 303-322, 329, 336-350 Anschauung 64, 91f., 112-116, 118, 123-133, 141, 147, 155, 159-168, 172, 181, 191, 242-249, 264, 275, 309f., 324 reine 113f., 116, 118, 123f., 132, 137, 164, 167, 181 sinnliche 91, 159f., 165 Anthropologie 171, 227, 311 Antinomie siehe Gegensatz Apperzeption 62, 64, 70, 321f. Aufklärung 55, 145, 152, 172, 266, 300, 324, 333-350 Außersichsein 22, 166, 247 Autonomie 253, 296, 299, 359 B Bedeutung 6, 19, 36, 38, 51, 54, 65, 69, 76, 78, 83, 87-106, 107-138, 139147, 155f., 165, 167, 170, 180-191, 195-219, 221-235, 242, 254f., 257270, 276, 305, 310, 319, 322, 329, 331, 333, 341, 346, 354 transzendentale 114 Begriff 4, 6, 9, 23, 27, 30, 51f., 282 empirischer 75f., 93f., 99, 114, 118-129, 132f., 171, 177, 190, 246
reiner 48, 117f., 126-129, 132, 167f., 237, 249, 309, 353 symbolischer 126, 170-175, 177ff., 183f. Beispiel 90, 97-100, 107-138, 146-149, 176, 181, 184, 192, 198, 208, 216, 218, 245f., 260, 275, 306, 351362 Bestimmen / Bestimmtheit / Besonderheit 3-33, 54, 88ff., 95f., 99-103, 120, 129, 162, 166, 168, 175, 193, 217, 248, 274, 329 Bewegung 78, 88ff., 93-96, 124f., 129f., 156, 166, 178f., 182ff., 186193 Bewußtsein 3f., 6, 9-12, 18, 20-23, 30, 32, 55f., 58, 65f., 72ff., 83, 86, 90, 95, 108, 111, 126, 130, 154, 159, 163f., 178f., 185f., 190f., 193, 195, 211, 229, 246, 267, 274, 276f., 279f., 282, 285, 287-290, 292f., 297f., 301, 308, 311f., 314, 316ff., 321, 323, 345 Bezeichnung 31, 58, 109, 164, 167, 169, 171, 173, 175, 177f., 192, 195, 204f., 214, 225, 257, 261, 329, 353 Bild / Abbild / Ebenbild 16, 24, 39, 66, 90, 126, 140, 165, 183f., 210, 222, 225, 230f., 246ff., 263-266, 313, 329, 348 Bildung 3-10, 32, 60, 70, 72, 77f., 82f., 130, 151, 154, 156, 176f., 179ff., 185ff., 189, 224 Böses 12, 246
388
Sachregister
C Chorismos 118, 126 Christentum 24, 238, 244, 248, 253, 255, 323, 340 D Darstellung 3, 10, 13, 124, 129, 132f., 137, 140, 147, 154, 166, 182, 195, 238, 253, 268f., 338 Dasein 4-33, 35, 39, 75, 77ff., 85, 87, 114ff., 126-129, 161, 166, 182, 190f., 193, 227, 279, 281, 285, 289, 299, 314-317, 322, 329-332, 338, 340f., 344 Definition 43, 62, 65, 74, 76f., 84, 97, 112, 141, 144f., 152, 191, 199, 211, 260, 262, 330 Deixis 11, 154, 239 Denken 3-31, 35, 37, 39, 41, 44, 47, 60, 67-72, 75, 77-80, 82ff., 86f., 90, 103, 121, 124ff., 139-142, 144, 146f., 151, 159, 167, 170-174, 176, 178ff., 184ff., 188, 193, 195-219, 224, 230, 232, 240ff., 248f., 252f., 265f., 282-285, 288f., 301, 303, 308f., 318, 320, 322, 324, 334ff., 345, 351 Deutlichkeit 30, 51f., 144, 146, 149, 170, 177, 229, 260, 262ff., 266, 319 Dialektik VIII, 36, 135, 138, 159, 182f., 189f., 192, 217, 226ff., 300 Dialog 36, 203, 275 Differenz 28, 45, 52f., 57, 62, 69, 74, 76ff., 80, 84, 106, 117, 119, 122, 129, 141, 149, 154, 191f., 238, 242, 249, 256, 304, 308, 317, 324, 328, 332, 347, 350, 353f.; siehe auch Standpunkt Ding 23, 25, 28, 51, 66, 115, 161f., 209, 214, 216, 281, 348 Ding an sich 216 E Einbildungskraft 92, 129, 241f., 247, 263, 265, 310, 335 Einzelsprache 82, 176, 187, 223
Einzelwissenschaft 120, 123 Eleatismus 35 Erfahrung 26, 53f., 65, 68, 92f., 95, 97, 99, 101f., 110ff., 115, 118ff., 125, 133, 136f., 161, 163-166, 168, 193, 203, 205, 243f., 246, 249, 269, 275, 308ff., 316, 318, 320ff., 328, 345f. Ergon 44, 234 Erkennen / Erkenntnis 4-8, 12, 37, 45, 56, 60, 75, 83, 93, 95, 103, 106, 108-122, 126f., 131f., 135, 137, 142, 146, 159-162, 164f., 167f., 173, 175, 183, 185, 190f., 193, 216, 224, 241ff., 263-267, 275f., 281, 289, 309, 313, 320, 334, 336 symbolisch 146 Vermögen 41, 74, 91, 96, 98, 100, 102 Erklärung 14, 103, 143, 145, 147, 233, 262, 268f., 346ff. Erscheinung 16, 19, 31, 78, 82, 85, 91f., 102, 132ff., 141, 144, 147, 153, 159, 192, 198, 216, 227, 230, 242, 244, 246ff., 251, 253, 267, 283, 304, 308, 313f., 318, 335, 352, 355, 358 Ethik 151, 273-293, 295-301, 307f., 323f., 331f., 351-362 Experiment 39ff., 46 F Familie 15f., 108, 280, 292f., 315 Form 14, 39, 45, 90, 101-105, 112, 122, 160, 179, 254, 296, 304, 310ff., 320 der Sprache / der Grammatik VII, 4, 19, 63, 65ff., 69, 82, 98, 175, 192, 200ff., 213f., 216, 257f., 261, 312 des Erkennens / des Denkens 8, 10, 24, 34, 38, 72, 75f., 90, 92, 97, 112, 175f., 181-186, 192ff., 303, 315 der Anschauung 114f., 118, 128f., 130f., 159-168, 248, 264
Sachregister
Freiheit 11, 13, 15f., 22f., 28, 31, 38, 45, 54f., 86, 98, 102, 105, 133f., 146, 178f., 197f., 225, 227f., 231, 242-246, 248, 251, 253f., 265ff., 273, 276, 279, 284f., 291, 300, 307, 313, 315, 318, 323, 325, 331f., 352-355, 357f., 360 der Auslegung 267 der Meinung 41, 47 der Religion 23 Fürwahrhalten XIVf., 30, 38, 41-47, 56, 73, 147, 149-153, 267, 300, 305, 317, 320, 335f., 350; siehe auch Wahrheit: Glauben, Meinen, Wissen G Ganzes und Teil 177, 182 Gebrauch 42f., 52, 72, 78, 85, 87, 95, 114, 121, 129f., 133f., 151, 156, 169, 174, 183, 187, 190-193, 198, 201, 206, 208, 211, 216f., 242, 244, 260, 266, 276, 304, 310, 319, 345, 347f., 352 Sprach- 43, 60, 76, 83, 103f., 127, 145, 205, 208, 210, 212, 216, 218, 221-235, 260, 269 Zeichen- 60, 146, 268 Gefühl 12f., 17, 45, 66, 202, 215, 280, 300f. Gegensatz 7, 9f., 21, 28, 36, 52, 57, 71, 74, 76, 81, 85ff., 91, 100ff., 124f., 136, 154, 170, 172, 178, 190, 192, 208, 215f., 225, 227, 237, 252f., 259f., 278, 287, 334, 339, 349, 361 Gegenstand 3-33, 35-56, 75, 99, 107138, 153f., 169-194 des Bewußtseins 3f., 6-9, 11f., 17f., 23ff., 30, 66, 73, 76, 98, 103, 131f. der Erfahrung 3, 6, 97, 99, 102, 125, 133f., 164, 194 Geist 3, 6, 8-13, 15, 17-20, 22-32, 65, 166, 173, 178, 186f., 213, 222f., 231, 237, 251-256, 278f., 285, 288,
389
308, 312-318, 322, 324, 329, 338, 346, 349 Gemeinde 23f., 29, 329 Gemeinschaft 23f., 28, 74, 228, 274, 296, 298, 300f., 303-308, 312-317, 323-332, 358 Gerechtigkeit 36, 139, 142, 249f., 253, 255f., 273-293, 295, 298, 331f., 357 Geschichte / Historie 17f., 32, 83, 87, 109, 133, 156, 167, 169, 174, 184, 189, 194, 196, 199, 217, 278, 280, 323, 330, 335, 339, 341ff., 345f. Gesetz 22f., 40, 59, 61f., 65, 88, 92-96, 99f., 115, 118, 123, 127, 133, 140, 151, 154, 215, 222, 242-247, 250f., 253f., 256, 266f., 276f., 286, 292, 297, 300, 306-308, 313f., 325f., 328, 330, 333-337, 340, 344, 346, 348, 351-361 Gesinnung 150, 275, 307f., 345, 352, 354, 356f., 360 Gewissen 96, 149, 226, 273, 296, 299, 322, 326, 328f., 359, 361f. Gewißheit 18, 35, 38, 41f., 44, 47, 61, 71f., 79, 116, 126, 152, 163, 172, 183, 210, 240, 291, 305, 322, 355 Glauben 3-33, 41f., 44-48, 64, 66-74, 76, 80-83, 139-156, 228, 230, 235, 237ff., 243f., 248, 268, 290, 333350, 356; siehe auch Wahrheit Glück 85, 148ff., 224, 362, Gott 3-33, 39f., 45, 49f., 52f., 56, 59, 68f., 73, 75, 79, 83, 87, 89f., 122, 139-142, 184, 202, 221-235, 237256, 284, 288, 300, 303, 307, 325, 330f., 333-350, 358-359, 361 Gottesbeweise 72, 241, 320, 322 Grammatik 19, 57-86, 91, 169, 172180, 200, 202, 222, 230, 287 transzendentale 58, 63, 65f., 91, 169, 172f., 176, 180 Grenze 50, 55, 69f., 82, 95, 102, 111, 117, 130f., 176, 180, 182, 190f., 198, 202, 234, 239, 243-248, 251,
390
Sachregister
269, 274, 288, 300, 306f., 313, 325, 328-331, 334-338, 345, 347 Gutes 15, 17, 27, 31, 36, 145, 243, 244, 252, 275, 277f., 285, 287, 291ff., 307f., 317, 327f., 332, 343 H Handlung 133ff., 148-151, 176, 178, 246, 250, 273-293, 299, 312-315, 326, 336f., 348, 351-362 Heiliges / Heiligkeit 61, 231, 243f., 251ff., 333-350, 361 Horizont 38f., 44-60, 145-155, 242, 249, 255, 263-267, 300f., 304-307, 311, 314, 316, 318f., 334-344, 349, 355; siehe auch Perspektive I Ich 11, 32, 58, 64f., 72, 125, 143, 151, 240, 242, 249, 255, 303f., 314, 321f., 352 Idee 14, 36f., 48, 51-54, 62f., 79-82, 85, 89, 93, 100, 117, 134, 140, 169, 171, 174, 215, 221, 223ff., 228ff., 243-247, 250, 253, 267, 275, 277, 284f., 288, 307f., 311, 320, 326332, 345, 357 Identität 24f., 62, 65, 70, 72, 77ff., 85, 90, 100-103, 192, 203f., 210f., 223, 232ff., 262, 316, 328ff., 359 Imperativ, kategorischer 46, 151f., 243, 254, 266, 268, 285, 299, 305ff., 326, 336, 340, 351-355, 360 Individualität 8-15, 26, 48, 54, 83, 85, 222, 226-231, 238f., 249, 253, 267, 273, 281-285, 290, 292f., 328f. Inkarnation 237-256 Institution 4f., 15ff., 20, 32, 171, 194, 250, 253, 277ff., 288, 313f., 346, 353 Intelligenz 90, 95, 101-106, 248 Intersubjektivität / Interindividualität 52, 69, 204, 303-322, 328-332
K Kategorie 7, 27, 29f., 41-45, 51, 53, 56, 60, 63ff., 76f., 112ff., 122, 128f., 136, 147, 153, 160, 165, 167, 169194, 213, 215, 218, 280, 290, 298ff., 304, 308-311, 317, 325; siehe auch Verstand Kausalität 51, 91-95, 99-102, 105, 114117, 130, 176, 193f. Kommunikation 47f., 56, 226f., 232, 274, 295-301, 327 Konstruktion 63, 91, 123f., 182, 232, 237, 262 Kontext 59f., 69, 77, 120, 128, 144, 176f., 180-184, 191ff., 207211, 214, 226, 238, 258, 322, 342, 345 Kritik XV, 6f., 12, 24, 41, 45, 53, 55f., 62f., 65, 69, 77, 80, 91, 95, 107, 109ff., 135f., 138, 140, 147, 159, 163, 173, 180f., 197f., 201, 203, 212, 214f., 227, 229, 231f., 245f., 251, 266, 275, 279, 281, 287f., 293, 300, 309ff., 316, 319, 323, 325, 329, 334f., 347 Kunst / Kunstwerk 30f., 84, 140, 224, 361 L Leben 14f., 31, 48, 63, 67, 73f., 76, 86, 104, 139, 142f., 148f., 186, 240, 244f., 250, 252ff., 264, 269f., 278f., 283, 289, 291f., 312-315, 322ff., 330ff., 341, 346, 349f. Leib 238, 252, 304 Letztbegründung 296, 301 Liebe 6, 12f., 23-26, 30, 154, 163, 251, 253, 278, 281f., 287, 292, 324, 330, 337-340, 346-350, 361 Logik 6f., 9, 19, 26-33, 60, 68, 84, 185189, 194, 201, 222, 230, 283 der Wahrheit 3, 249f. transzendentale 4, 180 Logos 28, 32, 36-39, 50, 139ff. 146, 231, 237-256, 273, 275, 331
391
Sachregister
M Materie 5, 71, 77, 94, 98-106, 122-125, 129, 132f., 136, 225 Mathematik 47, 113-118, 122f., 132, 134, 137f., 145, 159, 162, 164, 172, 191, 199, 201, 262, 300, 310 Maxime 151, 154, 245, 250-253, 260, 267, 276f., 286, 297ff., 305-307, 326, 328, 334, 336ff., 345f., 351362 Meinen / Meinung siehe Wahrheit Mensch / Menschheit 8, 12ff., 16-21, 25ff., 30f., 35ff., 39, 49, 62, 66f., 78, 80f., 83f., 89, 137, 139-146, 149-152, 154, 156, 160, 186, 192, 197, 199, 209, 222, 225-228, 231ff., 235, 237-240, 243-254, 256, 260, 263, 273f., 278f., 282f., 285f., 289f., 298ff., 303, 306f., 311, 323326, 330, 333-349, 351f., 354, 356362 Metapher 71, 74, 83ff., 125, 206-211, 261 Metaphysik 35-56, 57, 70, 76ff., 81, 83, 95, 109, 111, 115-118, 121ff., 130f., 135-138, 163, 209, 230, 331 Metasprache 164, 168, 185, 203f., 233f. Methode / Methodenlehre 33, 43f., 68, 72, 78-81, 113, 133-136, 147, 196f., 240f., 262 Moral XII, 12f., 15-18, 21, 26f., 30f., 58, 62, 73, 89, 150, 242f., 245-251, 273-293, 295-301, 306f., 314f., 323, 326f., 329, 333f., 336-342, 344-350, 351, 353f., 357, 360ff. N Nächster XII, 330, 341f. Name 10, 35ff., 74, 204, 225, 228f., 260f., 343, 346, 353 Natur XI, 10, 36, 45f., 71, 77ff., 81, 8691, 93-97, 100-106, 108, 113, 115, 117f., 122ff., 127, 130-133, 135ff., 150, 154, 159, 178, 184, 209, 226ff., 231, 234f., 239, 243ff., 247,
251, 253f., 274, 277ff., 283, 286, 291, 305f., 308, 333, 337, 340, 344, 347f., 350f., 361 Naturwissenschaft 46f., 64f., 77, 94f., 97, 106, 109, 112-123, 127f., 131, 135-138, 190, 233, 245, 274, 308, 344f., 348f. Negativität 7, 18, 22, 24, 29, 39, 50, 52, 55, 98f., 101, 137, 156, 166, 193, 198, 200, 216, 218, 246, 249, 259, 289, 311, 356, 358 Nihilismus 67, 280 Nominalismus 89, 260 Norm 134, 151, 218, 252, 287, 360ff. O Objekt 42, 64, 70, 73, 112, 123, 125, 141, 154, 185, 204, 216, 139, 264ff., 269, 274f., 285, 304f., 312f., 317, 319f. Ontologie 44, 53, 105, 124, 175, 226, 283, 287, 374 Organismus 62, 100 Orientierung siehe Weltorientierung P Paradox / Paradoxie 12, 37, 67, 77, 232, 287, 319 Person / Persönlichkeit 5, 10-17, 19f., 23-30, 32, 45, 48f., 53f., 56, 150f., 213f., 225, 235, 238, 243f., 247250, 256, 263, 274, 276f., 284ff., 291ff., 300, 306f., 314, 325f., 328f., 335, 339, 348, 350, 352, 354, 356359 Perspektive 62, 71, 75, 166, 169, 233, 281f., 288f., 295; siehe auch Horizont Pflicht 15, 18, 22, 41, 150f., 154, 242, 244f., 247f., 250f., 266, 279, 288f., 291, 297f., 206, 307, 315, 333f., 336, 340, 344f., 353, 356-361 Philosophie 91, 136, 159, 164, 192, 215, 223, 239, 250, 278, 284, 334, 350
392
Sachregister
Physik 95, 99f., 103, 107, 114, 120, 122f., 128, 132, 134, 163 Prädikat 5, 9-12, 19, 24, 51, 61f., 64, 66, 69, 73, 76f., 80, 82, 104f., 167, 170, 177-185, 188f., 191f., 199, 212, 222, 303ff., 310ff., 315ff., 319f. Pragmatik 41, 45ff., 50, 77f., 143f., 147-150, 153, 182, 208, 218, 260263, 267f., 295, 311, 324, 331 Praxis 8, 20, 23, 32, 55, 78, 81, 124, 134, 137, 187, 277, 345, 381 Prinzip 48, 62, 65, 67f., 75, 91, 93, 95f., 98f., 101f., 106, 116ff., 120-123, 134-137, 143, 162-165, 168, 170, 177f., 180, 192, 196, 199, 206, 212, 232, 235, 241f., 247, 264, 268, 274, 276, 286, 292f., 296ff., 309f., 325, 336, 348, 352, 360 Psychologie 122, 125, 209, 304, 318 R Rationalität 51, 58, 65, 70f., 93, 95f., 101, 108ff., 117, 119ff., 123, 125, 127, 130, 132, 144f., 232, 242, 273, 275f., 286, 296f., 300, 304, 323f. Raum 155f., 160ff., 166f., 213, 216, 239, 241, 248, 275, 300, 304, 306, 325, 334 Realität 5, 13, 17, 24, 42, 54, 60ff., 66, 78, 80f., 86, 111, 121, 128f., 130, 173-176, 179f., 182, 195, 223, 228, 233f., 267f. Recht XIf., 18, 43f., 99, 142, 251f., 256, 277-281, 283, 285, 288, 290, 293, 306, 312f., 326, 336, 350, 353, 354-362 Reflexion XII, 11, 17, 38, 44f., 47f., 52, 57, 59, 61, 65, 68, 73, 81, 84f., 100f., 105, 107ff., 117, 122, 124, 126, 130f., 133ff., 137f., 151, 153, 156, 168f., 171, 173f., 176, 178, 180, 185, 187, 189f., 192f., 198, 201, 205, 212, 230, 233f., 241, 275f., 284, 290ff., 309, 317, 319, 321, 336, 352
Regel 58, 71f., 93f., 99, 102f., 151, 183, 193, 200, 202, 208, 213, 216, 222f., 267, 295f., 332 Reinheit / Reinigkeit 129, 134, 161, 225, 255, 330, 342 Relation 13f., 42, 47, 51f., 61, 66, 72f., 75f., 79, 81, 84, 93, 104, 114, 149f., 160, 165, 167, 188, 192, 195, 202f., 205, 207, 225f., 228, 260, 313, 321, 328 Religion XIII, 10, 17-23, 29-32, 53, 242-251, 253, 300, 333ff., 338-341, 344f., 358 Richtig / Richtigkeit 36f., 41, 66, 131, 141, 206, 211-214, 221, 225, 231f., 286 S Sachverhalt 107, 114, 117, 130, 204, 234 Satz XIII, 4f., 26, 59f., 62f., 68, 77, 82, 94, 98, 102, 104, 140f., 154, 162, 169f., 173, 175-180, 182-192, 199, 202, 218, 222, 226, 268, 308, 313, 351 Schicksal 23, 50, 86, 258, 275, 282, 289, 291f., 330 Sein XV, 6f., 11, 16, 22f., 28f., 31, 35, 37-41, 44f., 48ff., 54f., 64, 67f., 73, 75f., 100, 139ff., 152, 166, 184, 188ff., 193, 200, 202, 217, 229, 239f., 249, 252, 257f., 266, 269, 280-283, 285, 287-293, 303ff., 310, 314, 317, 321f., 336 Selbst 14, 179f., 254f., 303f., 311-314, 316 Selbstbewußtsein 4, 11, 14, 18, 20, 22f., 30f., 44, 58, 63, 72, 178, 183, 249, 285, 308, 311ff., 316, 319, 322 Semantik XIV, 43, 59, 65f., 74, 76ff., 85, 98, 103f., 125, 177f., 180f., 183, 185, 187, 193, 202f., 207, 219, 223, 269, 287 Semiotik X, 61, 66, 68, 81, 148, 263, 269, 349f.
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Sachregister
Sinn 3, 7-12, 37, 40, 44, 46f., 50, 52, 59ff., 65, 68, 70, 76, 79, 85f., 91, 96, 98, 100-105, 107, 111, 115, 119, 121, 123, 126, 128, 130, 135, 144ff., 152, 160, 162f, 165, 167, 171, 175ff., 183ff., 188, 193, 209, 217, 221, 224, 229, 240, 244, 258ff., 262ff., 268, 279, 289, 300, 305, 321, 323, 329, 337ff., 344, 353f. äußerer / innerer 124f., 130 Sinnlichkeit IX, 5, 17, 30ff., 38, 84, 91f., 113f., 125, 129, 132, 159-162, 165, 167-174, 179, 210, 213, 222f., 228ff., 238-244, 252f., 255, 265, 275, 305, 313, 331, 333, 336f., 340, 348 Sittlich / Sittlichkeit 8f., 12, 15, 18, 22, 24, 28ff., 244, 247ff., 254, 265f., 274, 280, 288, 290-293, 306ff., 362 Skeptizismus VIII, 3, 159, 165, 176 Spekulation 76f., 82, 169, 173ff., 179f., 182-189, 191f., 194, 200, 217f., 230, 237, 241, 256 Spontaneität 72, 119, 165, 167, 176f., 248 Sprache 69, 71, 82, 175, 195, 204, 225, 227, 230ff. Begriff 31, 156, 208, 255 Form 82, 203 Gebrauch 43, 60, 76, 83, 127, 145, 183, 204f., 208, 210ff., 216ff., 228f., 233, 260, 269 Sprachkritik 196, 211, 213, 215, 218f. Sprachspiel 31, 174, 178, 183, 187, 269 Staat 15ff., 20-24, 254, 277, 280, 284f., 288f., 292, 295, 315, 323, 353, 358 Standpunkt Xff., 4, 7, 13, 15, 17, 56, 114, 141, 146f., 151f., 155f., 172, 200, 238, 242, 249, 251, 256, 258, 265, 269f., 287, 291ff., 301, 334ff., 347, 355 Subjekt / Subjektivität XI, XIV, 4-8, 10-16, 18f., 21, 23ff., 28ff., 32, 3843, 45-56, 60-66, 69-73, 75-78, 80,
82, 86, 91ff., 98, 101, 105, 114f., 129, 131, 137, 141, 147f., 150-154, 161, 163, 165ff., 170, 177-185, 188-193, 197, 201, 204, 213, 216, 226, 234, 239, 244, 246, 250f., 258, 262, 264-269, 275f., 284, 286, 291f., 297f., 300, 303-322, 326, 329, 333, 335-339, 341, 344, 346, 351f., 360, 362 Intersubjektivität XIf., 52, 69, 71, 78, 193, 204, 210, 263, 297, 303, 307f., 310, 313, 315, 317, 319-322, 328f., 332 Symbol X, 18, 24, 29, 38, 65f., 74, 126, 146f., 169-175, 177ff., 183f., 203ff., 225, 244, 249, 252, 265, 343 Syntax 62, 65, 71, 75f., 82, 98, 169, 177, 180, 183ff., 192, 199, 202f., 207, 219, 222f., 312 Synthesis 52, 113, 129, 164, 171, 174, 176, 179, 184, 325 System / Systematik XIf., 16, 29, 41, 51, 70, 80f., 84, 95f., 107-138, 165, 167ff., 177, 179f., 183, 187, 192f., 196, 199, 202f., 207f., 211, 219, 222f., 230, 233, 253, 306, 308f., 316, 344, 351, 358, 361 T Tat 27, 188, 353ff., 357, 359f., 362 Technik 46, 78, 81, 200, 274, 285, 323 Teleologie 87-106 Tod 12, 14f, 17f., 27, 29, 32, 57, 104, 235, 249, 252, 254, 275, 281, 286, 291, 303, 313f., 322f., 330, 349 Transzendentalität 94, 130, 163 Transzendentalpragmatik 295-301 Tugend 12, 15, 61, 187, 245, 262, 273, 281, 283, 287, 290, 293, 323, 332, 341 U Übereinstimmung XI, XV, 61f., 74f., 82, 97, 99, 141, 144f., 153f., 176,
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Sachregister
230, 263, 268, 282, 286, 289, 300, 305f., 319f., 326ff., 346, 351 Überredung / Überzeugung 42f., 55, 140, 148, 151ff., 267f., 274ff., 280284, 286f., 292, 297f., 327, 335 Universalien 201, 223, 226, 228 Urteil XI, XV, 7f., 11, 15ff., 26f., 41f., 45-48, 50ff., 55, 62-68, 70, 72-77, 91f., 95, 97, 101, 104, 109-114, 119f., 128f., 139, 142ff., 146-154, 159f., 163, 173, 175-182, 186, 188, 190-194, 196, 219, 231, 234, 241f., 256, 263-270, 280, 284, 286f., 289f., 295-300, 305, 309315, 332, 335ff., 349, 351, 353ff., 357ff., 362 Subsumtion 4-12, 16, 19, 25ff., 29ff., 33, 97, 192, 278, 281284, 286, 298, 315, 347, 353, 355, 359 Urteilskraft 48, 95, 97, 105, 119, 128, 144, 148, 242, 305, 309, 320, 353, 359f. Vorurteil XV, 110, 154, 173, 214, 267f., 284, 333, 342, 351 V Vernunft / vernünftig XIV, 8, 12f., 17, 46, 50, 58, 63, 67-71, 73, 84, 96, 108f., 111, 121, 127f., 131, 135, 141, 145, 149-153, 169, 199, 213, 222, 235, 237f., 240, 243-248, 250ff., 256, 266f., 273-280, 284, 286f., 296-300, 306f., 309, 315f., 320, 326ff., 333-341, 344f., 347f., 350, 351-361 fremde X, 152f., 155, 242, 256, 266f., 347 Verantwortung XVf., 26f., 56, 146, 148-155, 264-268, 274, 289, 296, 300f., 320, 323, 336, 349, 352, 357 zu verantwortende Tätigkeit XV, 142, 150f., 336 Verstand 7f., 14f., 17f., 29ff., 39, 41, 70, 76f., 89, 91f., 94f., 105, 113f., 118ff., 122ff., 127, 129-132, 136f.,
144f., 147, 152f., 160, 167, 169ff., 176f., 180, 182, 186, 190, 192, 230, 235, 242, 244, 264f., 267, 304, 310, 315f., 325, 335f. Vorstellung 3, 6-10, 12-32, 38-41, 44f., 52, 63-67, 69, 74, 80, 82, 91, 94, 98, 102, 107, 112, 115, 123, 131f., 139, 148ff., 155, 161ff., 166, 170, 176-179, 182-186, 188-192, 206, 209f., 213f., 216, 222f., 227, 231, 244, 247f., 250, 252ff., 256, 257f., 261, 263ff., 268, 273-276, 278-283, 285f., 288-292, 299, 303-307, 310, 312-315, 317-320, 330ff., 342f., 348f., 360f. W Wahrhaftigkeit 353, 356ff. Wahrheit X, XIVf., 4, 6-12, 14, 18, 30, 33, 36-43, 46-57, 59-63, 65-77, 80f., 84, 86, 95f., 104, 110ff., 139-142, 147, 153, 156, 176, 182, 188ff., 192, 194, 199f., 222, 229ff., 237-240, 250, 252, 254, 260, 268ff., 280f., 284, 287, 290, 297f., 305, 309, 311-315, 318ff., 322, 326, 332-336, 341, 344, 350, 354f., 357f. Glauben 5f., 12, 21, 23f., 29f., 41f., 44-48, 55, 64, 66-74, 76, 80f., 83f., 139, 148ff., 153ff., 228, 230, 235, 237ff., 243f., 248, 263, 268, 290, 314 Meinen 6, 29, 41-48, 56, 102, 153f., 160, 172, 183, 187ff., 250, 252, 332 Wahrheitsanspruch 8f., 11, 44, 47, 49f., 55, 59, 72f., 92, 139, 238f., 315, 322, 333, 336 Wahrheitskriterium 146, 265, 304, 335 Wissen XI, 3ff., 10-13, 20f., 24, 35, 39, 41-44, 46ff., 55, 90, 96, 110f., 135, 137, 139-143, 146, 149, 152, 154f., 168, 179, 182f., 187, 189, 192, 216, 239, 244, 250, 253, 255, 268, 270,
395
Sachregister
276, 281, 288, 290, 298, 301, 303, 305, 307-310, 318, 320, 328, 335, 360 Wahrscheinlichkeit 44, 117, 214, 316, 337, 340 Weltorientierung 8, 26, 50, 142, 148, 150, 244, 263f., 267, 320, 332, 335338, 341, 343ff., 348, 350 Wesen 10, 17f., 20f., 24ff., 28ff., 35ff., 43f., 51, 58, 61f., 64, 66f., 69, 72ff., 77, 79-83, 88-91, 94, 96ff., 100ff., 105f., 119, 121-125, 127ff., 131ff., 137, 141-148, 151f. 156, 166, 168, 170f. 173, 180, 182-186, 189f., 194, 197f., 203, 214f., 222, 228ff., 233, 235, 238ff., 244, 248f., 252255, 257, 260, 263-267, 276, 279, 281, 283, 287, 290, 293, 299f., 304, 306f., 314, 325, 329, 332, 338ff., 348, 351, 358, 361 Widerspruch 25, 29, 31, 36, 42, 45, 77, 140f., 146f., 155, 198, 222, 233, 238, 250, 260, 263, 273, 275f., 283f., 286, 289, 293, 297, 306ff., 310-313, 315, 317, 321, 325f., 352, 356, 359f. Wirklichkeit IX, 4f., 8, 10, 14f., 17f., 20ff., 24, 37, 41f., 46ff., 53f., 60, 63ff., 79f., 82, 85, 93, 95, 97, 100, 107, 110, 113f., 117, 120f., 124f., 129f., 134f., 137, 148, 150, 156, 159, 161, 163ff., 167f., 174, 178181, 183f., 186-194, 196, 200-203, 215, 222, 232f., 237, 241f., 250ff., 254f., 258f., 268, 275-281, 284287, 289-292, 296-300, 305f., 308, 315, 319, 321ff., 328f., 332, 334, 338, 341f., 344ff., 349, 354f., 359f., 362 Wissen / Wissenschaft Xf., XV, 3-13, 20, 24, 29, 35, 40-48, 50, 55f., 66, 68, 70, 77f., 84, 86, 90, 94-97, 99f., 103-106, 107-138, 139, 142ff., 146, 149, 152, 155, 168f., 178f., 181-
194, 208, 216, 218, 227, 229, 239, 244, 250, 252f., 255, 268, 270, 273, 277, 281, 290, 297, 303, 305, 308, 317f., 320f., 323, 335, 344f., 360, 362 Wort XV, 12ff., 28f., 32, 36, 38, 43f., 59, 67f., 75f., 82, 84, 89, 104, 109, 118, 140, 142, 145, 152, 160ff., 169ff., 173f., 177, 179f., 186f., 197, 199, 202, 204ff., 208, 212f., 217ff., 222, 224f., 227f., 230f., 234, 237, 240, 256, 268, 274, 291, 306, 313f., 349, 354 Z Zeichen VIII, X, 60f., 65, 143, 146ff., 155f., 162, 164, 167, 169ff., 177, 186, 202, 206ff., 210, 223, 225-231, 233, 235, 238, 240, 252, 257-270, 314, 316, 331, 344ff., 349f. Zeit XII, XVf., 18, 28ff., 32, 35, 38ff., 45, 48ff., 55, 60, 64f., 88, 91f., 113ff., 118, 123f., 128, 131f., 137, 159, 166, 213, 216, 230, 237, 239ff., 247ff., 251, 253, 257-270, 290f., 300, 304, 306, 336f., 339, 348, 350, 359ff. urteilen 139-156 Zwang 69, 73, 204, 277f., 288, 292, 306ff., 312, 319, 344, 354 Zweck 22, 39, 43, 50, 67, 97, 99, 101106, 121f., 144, 147, 149ff., 169, 183, 201, 204, 208, 215, 221f., 224, 233f., 244f., 262, 264, 266, 268f., 285, 298, 300, 308, 310, 327, 333, 335, 343, 352, 360ff. besseres Verstehen XV, 36, 45, 51, 145 Endzweck 247 Reich der Zwecke 150, 247, 306f. Zweckmäßigkeit 87-106, 131, 233, 242, 244, 266, 354, 359