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German Pages 171 [172] Year 1934
SPRECHEN, D E N K E N UND E R K E N N E N G R U N D PR O B L E M E D E R
PHILOSOPHIE
VON M A X
D I E Z
AUS DEM NACHLASS HERAUSGEGEBEN UND MIT
EINER EINFUHRUNG
VERSEHEN
VON
GERHARD
LEHMANN
193 4
BERLIN
WALTER VORMALS
DE
LEIPZIG
GRUYTER
G.J. G Ö S C H E N ' S C H E
J. G U T T E N T A G , GEORG
& CO.
VERLAGSHANDLUNG
VERLAGSBUCHHANDLUNG
REIMER VEIT
/ KARL t
J. T R Ü B N E R
COMP.
Archiv-Nommer 42 16 34 Druck ron Walter de Qruyter ft Co., BtrUa W
INHALTSVERZEICHNIS Zur Einführung Vorrede Erstes Bach. Was geht vor, wenn wir denken? (Denk- und Kategorienlehre) I. Zusammenhang zwischen Denken und Sprechen II. Inkongruenz zwischen Denken und Sprechen III. Erste inhaltliche Definition des Denkens IV. Die Elemente des Denkens a) Die logischen Elemente des Denkens b) Die transzendentalen Elemente des Denkens c) Die metaphysischen Elemente des Denkens V. Die Grundunterscheidungen des Denkens VI. Die Verbindungsformen des Denkens oder die Kategorien . VII. Die wesentlichen Urteilsformen des Denkens VIII. Weitere Entwicklung der Kategorientafel durch die psychologischen Bedingungen ihrer Verwirklichung im Bewußtsein. IX. Die Erweiterung der Kategorientafel in ihrer transzendentalen Begründung X. Die Denkgesetze als Folgen aus den Kategorien und als Probe für sie a) Die Regeln der logischen Kategorien b) Die Regeln der transzendentalen Kategorien oder die Bedingungen der Urteilsbildung c) Die Gesetze der metaphysischen Kategorien oder die Bedingungen des Schließens XI. Das Denken als Äußerung des geistigen Lebens
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Zweites Bach. Was geht vor, wenn das Denken sich zur Wissenschaft erhebt? (Wissenschaftslehre) 79 I. Die Erfahrungswissenschaft 97 a) Kenntnis 97 b) Erkenntnis 98 c) Die konstruierende Wissenschaft 99 II. Mathematische oder rein konstruierende Wissenschaften.. 101 III. Philosophische Wissenschaften 108
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Inhaltsverzeichnis
Drittes Bneh. Was geht vor, wenn wir erkennen? (Erkenntnislehre) 1. Erste Bestimmung des Begriffs der Erkenntnis II. Logische Form der Erkenntnis III. Erweiterung und Vertiefung des Erkenntnisbegrifls: Die drei Arten der Erkenntnis IV. Die Möglichkeit der Erkenntnis und ihre drei Probleme. • V. Der Prozeß der Erkenntnis in den drei Erkenntnisarten... VI. Der logische Charakter der drei Erkenntnisarten
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Personenverzeichnis
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Sachverzeichnis
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ZUR EINFÜHRUNG Max Diez, dessen Nachlaß das vorliegende Werk entstammt, wurde am 7. Juli 1859 in Böblingen (Württemberg) geboren. Seine Ausbildung war die des angehenden protestantischen Theologen. Nach Beendigung seines Studiums und der „Repetenten"-Jahre im Tübinger Stift ging er für einige Jahre als Pfarrer aufs Land, bis er als Lehrer für Religion und Literatur an die Obere Abteilung der Stuttgarter Realanstalt berufen wurde. Im Jahre 1890 wurde er zugleich Privatdozent für Philosophie an der Technischen Hochschule in Stuttgart. Doch gab er selbst seine akademische Laufbahn auf, — darin nicht unähnlich seinem Lehrer Karl Christian Planck, der ihn im Blaubeurener Seminar in die Philosophie eingeführt hatte —, als er bei der Neubesetzung des philosophischen Ordinariats übergangen wurde. Seine letzte amtliche Stellung war die eines Direktors der staatlichen Gemäldegalerie in Stuttgart. Nachdem er von der Leitung der Gemäldegalerie zurückgetreten war, konnte er sich ausschließlich philosophischen Arbeiten widmen. Er starb am 12. November 1928. Max Diez war eine Persönlichkeit von seltener Geschlossenheit und universeller Bildung. Die Arbeiten, die er während der Stuttgarter Jahre publizierte, erstreckten sich vor allem auf ästhetische und psychologische Fragen. Der psychologischen Begründung der Ästhetik galt besonders seine T h e o r i e des G e f ü h l s (Stuttgart, 1892). Weiteren Kreisen ist er als Ästhetiker durch seine Allgemeine Ä s t h e t i k (Sammlung Göschen, 1906) bekanntgeworden. Die Fülle von philosophischen und literaturgeschichtlichen Vorträgen, die er damals hielt, fand ihren Niederschlag in zwei Büchern über G o e t h e und Schiller (Stuttgart 1906). Zur Ausarbeitung eines eigenen philosophischen Systems ist er jedoch erst in den späteren Jahren seines Lebens gelangt. Dieses System ist in dem vorliegenden Werke enthalten. Das von Diez druckfertig hinterlassene Manuskript bedarf keines Kommentars. In der Klarheit seiner Diktion, die überall durch eine Fülle von Beispielen unterstützt wird und sich dem aufmerksamen Leser stets verständlich zu machen weiß, spricht es für sich selbst. Die Universalität seines Verfassers verbindet sich mit einem so starken Sinn für das Tatsächliche und Positive, daß der Blick auf das Gegebene D i e z , Sprechen, Denken und Erkennen.
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Einführung
und von den Einzelwissenschaften Erarbeitete niemals durch die kritische Erörterung bloßer Hypothesen gehemmt wird. Was dieses Buch behandelt, stammt nicht aus zweiter Hand. Es ist selbständig erkannt und aus den Quellen gewonnen, — was umso bedeutsamer ist, als hier der Anspruch strengster Systematik vertreten wird. In dieser Hinsicht könnte eine Erläuterung nichts weiter geben als bestenfalls eine knappe Zusammenfassung dessen, was in dem Werke selbst bereits zusammengefaßt ist. Wenn dennoch der Arbeit einige Bemerkungen voraufgeschickt werden sollen, so können sie sich nur auf die mehr historische, von Diez zwar gestreifte, aber nicht ausführlicher erörterte Frage nach dem Verhältnisse seines Systems zur Philosophie K. Chr. Plancks erstrecken. Max Diez hat in Planck stets seinen Lehrer verehrt. Er hat stets betont, daß er den Realismus Plancks weiterzuführen und erkenntnistheoretisch zu vertiefen strebe. Andererseits hat er es auch nicht an Kritik dieser eigentümlichen, heute nur noch wenig bekannten Philosophie fehlen lassen. Da diese Kritik ebenso wie die positive Anknüpfung an das Plancksche Weltbild entscheidende Punkte des nachfolgenden Werkes betrifft, so dürfte es zum vollen Verständnis gerade der systematischen Partieen nicht überflüssig sein, auf beides kurz einzugehen. K a r l C h r i s t i a n P l a n c k (1819—1880) ist den Heutigen fast nur noch aus dem „Testament eines Deutschen" (posthum 1881) bekannt, jener unzeitgemäßen Betrachtung, in welcher Planck in einer Zeit des größten nationalen Aufstiegs gegen den Niedergang unserer geistigen Kultur protestiert. Indessen faßt diese Schrift nur zusammen, was in früheren Arbeiten 1 ) ausführlicher, schärferund leider auch in sehr spröder Darstellung systematisch ausgeführt worden war. Die Grundtendenz seines „Realismus des Wissens" hat Planck in seinem systematischen Hauptwerk, das nicht zufällig d e n S c h e l l i n g nachgebildeten Titel: Die Weltalter, trägt, allem, und vornehmlich dem Hegeischen Absolutismus gegenüber in die Worte gekleidet: Das wirkliche Wesen sei „wie ein Nüchterner unter Taumelnden; es i s t die G r u n d b e d i n g u n g a l l e r W i s s e n s c h a f t , zu w i s s e n , d a ß k e i n A b s o l u t e s i s t ; . . . wo k e i n e B e d i n g t h e i t i s t , i s t k e i n e W i r k l i c h k e i t " 2 ) . Ein solches absolutes oder wahres Sein hinter den Dingen ist so weit davon entfernt, dem wirklichen Wissen eine Stütze und Sicherheit zu geben, daß es vielmehr dieses Wissen seines eigenen Wertes beraubt: K. Chr. P l a n c k , Die Weltalter, 1850/1; Katechismus des Rechts, 1852; Grundlinien einer Wissenschaft der Natur, 1864; Seele und Geist, 1871; Wahrheit und Flachheit des Darwinismus, 1872; Anthropologie und Psychologie, 1874; Logisches Kausalgesetz und natürliche Zweckmäßigkeit, 1877. 2 ) P l a n c k , Die Weltalter I, S. 106.
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Einführung
ein Trugbild an Stelle des realen Erkenntnisgegenstandes setzt und das Denken nicht über sich selbst hinausbringt. Wenn Planck diesem Absolutismus gegenüber die These von der „Zuriickführung" alles wirklichen Wissens auf seine „unabhängigen" realen Bedingungen vertritt, so darf das jedoch nicht im Sinne eines n a i v e n R e a l i s m u s verstanden werden. Planck ist in den Voraussetzungen des spekulativen Idealismus aufgewachsen. Und auch diese Reduktion des Wissens soll auf i m m a n e n t e Weise, vom reinen Bewußtsein selbst aus, geschehen. Das Denken soll sich als Wissen in seinem Gegenstande w i e d e r f i n d e n : und um das zu können, muß es bereits in sich s e l b s t zum Objekt „entäußert" sein. Das aber geschieht in der A n s c h a u u n g , als dem Gegenpart des Denkens. Die Anschauung ist das vom bloßen Denken unabhängige Moment des Wissens. Was wirklich außerhalb des Bewußtseins sein soll, das muß — so entwickelt Planck seinen „Realismus" an späterer Stelle 1 ) — auch als wahrhaftes G e g e n t e i l der subjektiven Einheit und Zusammenfassungsform des D e n k e n s begriffen werden, nämlich als Unterschied des Außen- und Nebeneinanderseins in R a u m u n d Zeit. Von diesen Voraussetzungen aus glaubt nun Planck eine monistische Naturphilosophie aufstellen zu können, die den Geist nicht als Attribut (wie Spinoza) sondern als Verinnerlichung der einen Substanz (wie S c h e l l i n g in seiner identitätsphilosophischen Periode) begreift, zugleich aber daran festhält, daß das Wesen dieser Substanz die A u s d e h n u n g ist, — ein zweifellos selbst ins Materialistische spielender Versuch, dem damals aufkommenden Materialismus auf eigenem Boden zu begegnen. Von dieser Seite des Planckschen Systems kann indessen ebenso abgesehen werden, wie etwa von einer näheren Bestimmung seines Anschauungsbegriffes, dessen Herkunft aus der intellektuellen Anschauung Schellings ohnedies gewiß ist. Es genügt, die prinzipielle Feststellung Plancks, daß alles reale Denken in einem U n t e r s c h e i d e n , in einer, wie er selbst, und zwar nicht ohne Beziehung auf K a n t sagt, „kritischen" Scheidung die Immanenten und Transzendenten wurzelt, herauszustellen. Denn damit ist bereits der Zugang zu der in dem nachfolgenden Buche enthaltenen Systematik gewonnen. In der Tat übernimmt Diez, wenn er in der ersten Abhandlung des vorliegenden Werkes Raum und Zeit als „Formen des reinen Unterschiedes" definiert und das K o n t i n u i e r l i c h e zum Ausdruck dieser Unterschiedenheit macht, den Kern der Planckschen Lehre: auch für Planck ist die Wirklichkeit als solche der s t e t i g e reine Unterschied 2). Max Diez hat, mehr noch als in diesem Buche, in früheren Arbeiten !) P l a n c k , Testament, S. 58. ) P l a n c k , ebd. S. 57f.
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Einführung
und unter ihnen vornehmlich in einem besonderen Aufsatze, den er 1886 in der Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik veröffentlichte 1 ), zu K. Chr. Plancks Philosophie Stellung genommen. Was er besonders bemängelt, ist die idealistische Form „der Planckschen Ableitungen" und der Mangel einer voll bewußten e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e n Grundlage seines Systems. Er entwickelt den Satz Plancks, daß das Wirkliche, indem es dem Denken entgegengesetzt ist, zugleich dem Denken widerspricht. Aber er selbst hält diesen realdialektischen Standpunkt für in sich unmöglich. Das Widersprechende könne nicht das Wahre sein. Insofern meint Diez, wieder auf Hegel zurückgreifen zu müssen, der gezeigt habe, wie sich das Widersprechende als ein Moment des Wirklichen deuten lasse. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, daß der von Diez gegen Planck geltend gemachte Hegel bereits der durch Planck selbst r e v i d i e r t e Hegel ist; denn gerade das, was Hegels Methode wesentlich ist, — die Selbstbewegung des Begriffs, will Diez (in Übereinstimmung mit Planck) nicht anerkennen. Und ferner darf nicht übersehen werden, daß Planck selbst durch seinen Idealismus (des Geistes) über den antilogistischen Ansatz seiner Wirklichkeitslehre herausgeführt wird: befinde sich das Wissen als theoretisches in der Selbstentzweiung, so schreite es doch als p r a k t i s c h e s zu dem Begriff des „unbedingt Versöhnten" fort 2 ). Wenn Diez es als die letzte Aufgabe der Philosophie bezeichnet, das Ideal der Wirklichkeit kritisch gegenüberzustellen und das Ziel aufzustellen, dem die Menschheit entgegengeht, so findet er sich damit in größter Übereinstimmung mit Planck, — aber sicherlich n i c h t in Ubereinstimmung mit Hegel. Die andersartige Position des Diezschen Systems bleibt also hiernach noch unbestimmt. Sie bestimmt sich dagegen sogleich aus dem Begriffe dessen, was Diez als die „erkenntnistheoretische" Grundlage der Philosophie bezeichnet. Die Erkenntnistheorie ist nach Diez k r i t i s c h , indem sie mit der Kritik der Einzelwissenschaften nach ihren Resultaten beginnt („positivistische" Philosophie), sich als Selbstkritik der Wissenschaften in ihrer Entwicklung fortführt („kritische Geschichte") und als T r a n s z e n d e n t a l p h i l o s o p h i e in der systematischen Selbsterkenntnis des Begriffs und Inhalts der Wissenschaft als eines Ganzen endet. Die kritische Philosophie ist zugleich und eben damit r e d u z i e r e n d , indem sie den Erfahrungszusammenhang auf die ihm zugrunde liegenden apriorischen Elemente zurückführt. Die kritische Philosophie beginnt mit der „einfachen" Frage: was geht vor, wenn wir denken ? Daß dies ein s u b j e k t i v e r Ausgangspunkt ist, hat Diez so wenig bestritten, *) M. D i e z , Die realistische Philosophie K, Chr. Plancks, Zeitschr. f. Phil. 1886, S. 93—114. *) P l a n c k , Die Weltalter I, S. 570.
Einführung
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daß er ihn vielmehr ausdrücklich als subjektiv-psychologischen bezeichnet und die Psychologie zur philosophischen Grundwissenschaft macht. „Das konkrete Selbstbewußtsein ist der Anfang aller Philosophie und es war z. B. der Fehler Fichtes, Hegels u. a., daß sie glaubten von Qualität und Quantität sprechen zu können, ehe sie von Empfindung und Anschauung gesprochen hatten." Bildet das psychologische Subjekt den A n f a n g des Erkennens, so bildet das göttliche Subjekt den A b s c h l u ß des Erkennens: die Philosophie beginnt als subjektiver oder psychologischer Idealismus, um als spekulativer Idealismus zu enden. Die Wirklichkeit in ihrer Totalität als Selbstverwirklichung Gottes auffassen, heißt nach Diez nichts anderes als die Erkenntnis mit der Zurückführung aller Phänomene auf apriorische Zweckbestimmungen beenden und das Bewußtsein zu der letzten Erkenntnis zu bringen, daß das Wirkliche seinem Wesen nach Geist ist. Wie sehr Diez in der Durchführung dieser Gedanken auf die Plancksche Wissens- und Erkenntnislehre zurückgreift, braucht nicht noch einmal hervorgehoben zu werden. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, daß die „eigene" Wirklichkeit, die „unmittelbar" gegebene Wirklichkeit, die Diez meint, die Wirklichkeit des konkreten Selbstbewußtseins ist, das sich im Gegenstande findet und sich ihm als Geist zugrunde liegend weiß. Das ist a b e r n i c h t die W i r k l i c h k e i t , die P l a n c k meint: diese ist das reale Außereinander, der absolute G e g e n s a t z des Bewußtseins. Insofern also vertritt Planck einen R e a l i s m u s , wo Diez einen I d e a l i s m u s vertritt. Wenn Diez lehrt, daß die Philosophie überhaupt das durch den Geist voll entwickelte Selbstbewußtsein des Geistes ist, so ist er in dieser Hinsicht H e g e l i a n e r . Damit ist aber auch die Gegenwartsbedeutung des vorliegenden Werkes hervorgehoben. Es bemüht sich um die Wiederbelebung des deutschen Idealismus — nicht auf philosophiegeschichtlichen Wegen, sondern durch den Aufbau eines idealistischen S y s t e m s . Daß es dabei historisch an Planck anknüpft, um ihn in origineller, spekulativer Weise umzugestalten, könnte uns gleichgültig sein, wenn uns nicht der R e a l i s m u s als solcher alles andere als gleichgültig wäre. Einer neuen Wirklichkeitsphilosophie metaphysischen und nicht positivistischen Gepräges streben alle Richtungen gegenwärtigen Denkens zu, ob sie vom Hegelianismus selbst, oder von der Lebensphilosophie, vom Kritizismus Kants oder von der Phänomenologie ausgehen. Das Grundproblem dieser Wirklichkeitsphilosophie ist dann natürlich die Einbeziehung der idealistischen Positionen. Hier hat Diez ganze Arbeit geleistet und einen vorbildlichen Entwurf geliefert, der der Öffentlichkeit nicht vorenthalten bleiben darf, wenn er auch vielleicht noch nicht das letzte Wort im Streite um die Grundlegung der neuen Philosophie enthält.
VORREDE Jede Erfahrungswissenschaft benutzt, kann und muß benützen in ihrer Arbeit eine Anzahl, ja eine Menge von Voraussetzungen, deren Recht sie nicht prüfen kann, wenn sie überhaupt zu ihrer Arbeit kommen soll. Diese Voraussetzungen bestehen teils in allgemeinen Formen des Denkens; sie benützt Begriffe, sie stellt Urteile auf, sie macht Schlüsse, ohne daß sie sich vom Wesen und dem Recht dieser Denkformen Rechenschaft gibt. Sie spricht von Stoffen und Kräften, unterscheidet Spannkräfte und lebendige Kräfte, Dinge und Eigenschaften, Ursachen und Wirkungen, ohne sich zum Bewußtsein zu bringen, wie diese Begriffe entstehen und was sie bedeuten. Sie verfährt nach Gesetzen, z. B. dem Gesetz, daß, was vom Allgemeinen gilt, auch vom Besonderen gelten müsse, daß Bewegung nur durch Bewegung entstehen könne, daß alles was geschieht, seine Ursache haben müsse, daß aus einem bestimmten Dasein nicht nichts werden, daß aus Gleichem nur Gleiches hervorgehen könne usw. Sie benützt aber auch als Voraussetzung ihrer eigenen Arbeit eine Menge von dem, was andere vorher gedacht und festgestellt haben, und es ist ganz unmöglich, daß sie die Wissenschaft von vorne anfängt, daß sie alles Einzelne nachprüft und zwar in seinem ganzen Umfang nachprüft, was andere vorher festgestellt haben, daß sie alle allgemeinen Sätze, die die Wissenschaft früher aufgestellt hat, auf die Genauigkeit der vorhergehenden induktiven Begründung durch eigene Erfahrungen, eigene Experimente sich bestätigt. Ein Solches Verfahren, von ungeprüften Voraussetzungen auszugehen, ist nun der Philosophie unmöglich; denn da diese, wenn sie überhaupt etwas ist, jedenfalls der Versuch ist, sich dessen, was der Geist in seiner Denkarbeit tut, in seinem Recht und seiner Notwendigkeit vollkommen bewußt zu werden, muß sie im eigentlichen Sinne voraussetzungslos sein, bzw. sie darf nur solche Voraussetzungen haben, die schlechthin unvermeidlich sind, wie z. B. die Natur des Denkens, die natürlich allem einzelnen Denken vorausgesetzt ist. Aber auch dieser Voraussetzungen muß sie sich als solcher bewußt werden, und sie in ihrer Unvermeidlichkeit erkennen. Daher muß jede Philosophie notwendiger Weise ab ovo beginnen
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Vorrede
und es ist zweckwidrig und nie ohne Schaden durchzuführen, wenn der Philosoph von irgendeinem philosophischen System der Vergangenheit ausgeht, selbst wenn er es nur tut, um es kritisch zu zersetzen und sich einen eigenen Ausgangspunkt zu schaffen. Denn dieser Ausgangspunkt wird immer noch die Voraussetzung des philosophischen Systems in sich tragen, durch dessen Gegensatz er sich bestimmt hat. Vollends wäre es ganz zweckwidrig, wenn man aus einer Übersicht der philosophischen Systeme und Richtungen seinen Ausgangspunkt gewinnen wollte, wie das so vielfach geschieht. Gewiß allerdings wird niemand der Gegenwart eine bedeutungsvolle Philosophie geben, der nicht die Philosophien der Vergangenheit innerlich durchlaufen hat; darin zeigt sich auch auf dem Gebiete der Philosophie der innere Zusammenhang der Menschheit. Aber in dem Entwurf eines eigenen Gedankensystems muß der Philosoph zunächst einfach vergessen, was er von der geschichtlichen Wirklichkeit aufgenommen hat. Schon mit Gegensätzen wie Idealismus, Realismus, Empirismus, Rationalismus nimmt er Voraussetzungen auf, die ihn vielleicht von vornherein auf falsche Wege führen. Daher sollte jede Philosophie mit dem einfachsten beginnen und fragen: Was geht vor, wenn wir denken? Damit entwickelt sie auch die Voraussetzungen aller anderen, nicht philosophischen Wissenschaften und wird zu einer Einführung in das wissenschaftliche Denken überhaupt. Auf diesem Wege wird sich dann auch die Frage beantworten, welchen Sinn und welches Recht die Philosophie selbst hat, denn dieser Weg wird der Weg der Selbstbesinnung des Geistes und alle3 wird auf ihm zu finden sein, was im Geistesleben eine erhebliche Rolle spielt. Ich möchte die folgende Arbeit so charakterisieren: ich habe mich bemüht wirkliche Denkarbeit zu leisten, d. h. eine Arbeit, die durchaus von dem Willen beherrscht ist, Denknotwendiges aufzustellen, mich nicht mit dem Bewußtsein zu trösten: dies sind auch wahre Gedanken, so und so kann man die Sache ansehen, oder worauf sich manche Philosophen lange Zeit beschränkt haben, so und so h a t man die Sache angesehen, und dazu läßt sich noch dieses und jenes kritisch bemerken. Auf diese Weise entsteht keine Philosophie. Hier wird streng darnach gefragt, was denknotwendig ist und, um gegen die skeptischen Anwandlungen der Zeit eine sichere Basis zu schaffen, wird zunächst gefragt: welche Forderungen liegen in der Natur des Denkens als Forderungen begründet, die absolut unausweichlich sind, wenn überhaupt denken sein soll.
ERSTES BUCH
WAS GEHT VOR, WENN WIR DENKEN? (DENK- UND KATEGORIENLEHRE)
L ZUSAMMENHANG ZWISCHEN DENKEN UND SPRECHEN 1. Unter „Denken" verstehen wir diejenige Art von V o r s t e l l u n g s t ä t i g k e i t , die dem Menschen ausschließlich zukommt. Sensualisten und Fanatiker des Monismus haben zu leugnen versucht, daß es eine solche dem Menschen vorbehaltene Tätigkeit gibt. Aber niemand wird im Ernst behaupten, daß ein Tier Fantasievorstellungen wie etwa die eines Engels, einer Sphinx, eines regulären Zweiundfünfzigecks, oder abstrakte Begriffe wie den des Dings, der Unendlichkeit, der Gerechtigkeit bilden könne. Solche Begriffe, denen keine Anschauung entspricht, können im Bewußtsein gar nicht festgehalten werden ohne ein sinnliches Zeichen dafür, wie wir es in der Sprache besitzen. Denn sie sind nicht Bezeichnungen eines einfach Gegebenen, sondern zugleich die einer Tätigkeit, die das Denken mit dem Gegebenen vorgenommen hat. Der dem Menschen eigentümlichen Tätigkeit des Denkens entspricht also die dem Menschen eigentümliche Tätigkeit des Sprechens. Wir können daher die obige Definition des Denkens durch den Satz ergänzen: D e n k e n ist d i e j e n i g e F o r m der Vors t e l l u n g s t ä t i g k e i t , die sich in u n d m i t der S p r a c h e vollzieht. Diese Definition ist von großem Vorteil für die Erkenntnis des Denkens, weil die Sprache als ein Element des Sinnlichen viel leichter in der Gesamtheit ihrer Formen zu überschauen ist, als das Denken selbst. Denn der Gedanke hat, wie alles bewußte seelische Leben, die Eigentümlichkeit, daß er in demselben Augenblick aufhört zu sein, wo wir ihn selbst zum Gegenstand des Denkens machen. Es ist also ein unbestreitbarer methodischer Grundsatz, daß man für die wissenschaftliche Untersuchung des Denkens am besten von der Sprache ausgeht, geleitet von dem Satze: das D e n k e n k o m m t zum B e w u ß t sein als ein ( i n n e r l i c h e s oder ä u ß e r l i c h e s ) S p r e c h e n . 2. Es gibt indes einen weiteren und einen engeren Begriff von Denken und nur von letzterem kann dieser enge Zusammenhang mit der Sprache behauptet werden. Wenn ich im Theater sitze, so „denke" ich mir die auf der Bühne vorgehenden Geschichten und die in ihnen handelnden Subjekte als wirklich. Ich versetze mich frei in den Zustand,
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Erstes Buch
der einen Schein für Wirklichkeit nimmt, obwohl ich mir bewußt bin, daß er es nicht ist. Keine Worte sind nötig, um diese Art von Denken auszuführen, es entspricht aber auch dem Sprachgebrauch, wenn wir diese Art von Denken in gewissem Sinne eine Emanzipation vom Denken nennen. Darin liegt, daß das Denken im engeren Sinn das W i r k liche d e n k e n will, während es im weiteren Sinn sich auch in bewußten Gegensatz zum Wirklichen stellen und dem Wirklichen gegenüber frei oder willkürlich verhalten kann. So geschieht es, wenn ich mit dem vollen Bewußtsein der Nichtwirklichkeit des Gedachten den Begriff und das Bild eines geflügelten Pferdes, einer Sphinx usw. bilde, wenn der Künstler sich eine Landschaft, eine Szene, einen Kopf „ausdenkt" (d.h. aus sich hinausdenkt), die er nie gesehen hat. Ein solches Denken, das sich von der Absicht, Wirkliches zu denken, befreit, Gestalten schafft, die durch die Sinne nicht gegeben sind, ist sicher auch nur Menschen möglich, und ist deswegen ein Vorstellen in der Form des Denkens, aber wir bezeichnen es mit dem Namen „Fantasieren". Es ist ein Denken, das der Sprache vorausgehen kann, ja wohl muß, weil es zur Entstehung der Sprache notwendig ist und zunächst einen Zweck hat, der nicht im Vorstellen besteht, sondern im Ausdruck einer Empfindung, eines Gefühls. Das gefühlsmäßige Fantasieren, das sich in Bildern ausdrückt, in Bildern spricht, in bloßen Tönen spricht (allerdings schließlich auch die Sprache, ja eigentliche Gedanken im engeren Sinne zum Ausdrucksmittel wählen kann) ist dem Denken im engeren Sinne darin ähnlich, daß es eine T ä t i g k e i t ist, ferner darin, daß es sein Material irgendwie in gegebenen Elementen der Anschauung hat, also wenigstens in seinen Elementen an diese gebunden ist. Es ist ihm aber darin unähnlich, daß es aus dem Gegebenen freie, nicht gegebene Verbindungen schafft, während das Denken im engeren Sinn sich ausdrücklich und vollständig an das Gegebene selbst bindet. D e n k e n ist eine T ä t i g k e i t , die d a r a u f a u s g e h t , ein G e g e b e n e s , T a t s ä c h l i c h e s zum B e w u ß t s e i n zu b r i n g e n . 3. Denken im engeren Sinne hat also entgegengesetzte Bestimmungen an sich. Eine höhere geistige Art von Vorstellung ist es nur insofern, als es eine freie Tätigkeit, nicht etwa die bloße unwillkürliche automatische Aneinanderkettung von Vorstellungen ist, wie sie auch das Tier hat. Aber Denken im engeren Sinne im Unterschied von Fantasieren ist dieses Vorstellen nur insofern, als es sich an das Wirkliche bindet. Das Wirkliche ist das, was dem denkenden Subjekt in der Form eines Zwanges sich aufdrängt, wobei sich das denkende Subjekt bewußt ist, daß sein Gegenstand nicht durch die eigene Tätigkeit entsteht, sondern unabhängig von ihr vorhanden ist, aber das Denken b e s t i m m t . Von diesem passiven Verhalten unterscheidet sich aber das, was das denkende Subjekt mit dem zwangsweise Ge-
Zusammenhang zwischen Denken und Sprechen
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gegebenen t u t , wie z. B. Vergleichen, Unterscheiden, Zusammenfassen, Verallgemeinern, Bezeichnen. Das letztere sind lauter Tätigkeiten, die sich allerdings auf das Gegebene beziehen, an ihm ihren Stoff haben, aber selbst nicht zwangsweise oder mechanisch im Subjekt vorgehen, sondern einen Willen voraussetzen, also Akte der Willkür, oder wie man richtiger sagt, der Spontaneität sind. Das Denken im engeren Sinn ist also diejenige Vorstellungstätigkeit, durch welche das in der Form der Passivität oder Rezeptivität des Subjekts G e g e b e n e in eine freie Tätigkeit des Subjekts umgewandelt, durch eine freie Tätigkeit des Subjekts g e s e t z t wird. Die Formen dieser freien Tätigkeit des Subjekts haben ihr erstes Ziel in dem Verwandeln der Vorstellung, in dem Verallgemeinern der Vorstellung, der Feststellung des in vielen einzelnen Eindrücken Identischen und in der Bezeichnung dieses Identischen durch die S p r a c h e . Diese setzt voraus, daß die Vorstellung oder ein Komplex von Vorstellungen zuerst im Gedächtnis festgehalten und frei wiederholt, s o d a n n mit anderen verglichen, w e i t e r durch diese Vergleichung von andern unterschieden, e n d l i c h im Unterschied von andern als mit sich identisch oder in ihrer Identität mit sich selbst festgehalten und z u l e t z t durch einen Namen fixiert oder b e z e i c h n e t wird. Diese Funktionen des Denkens: freies Wiederholen der Anschauung aus der Erinnerung, Vergleichen, Unterscheiden, Identifizieren, Bezeichnen liegen nicht bloß dem ersten Anfang des Denkens, sondern allem Denken zugrunde: sie sind die psychologischen Elemente des Denkens. Ihr nächster Zweck aber ist die Bezeichnung und Fixierung bestimmter gegebener Vorstellungen durch das Wort oder die Sprache. D e n k e n i s t ein f r e i e s S e t z e n des I d e n t i s c h e n im G e g e b e n e n d u r c h die S p r a c h e . 4. Da alles geistige Leben zunächst aus dem tierischen automatischen Dasein herauswächst und darin besteht, daß dieser Automatismus in die Form freier Tätigkeit erhoben wird, so setzt die Sprache voraus, daß zunächst automatisch mit gewissen Vorstellungen gewisse Laute verbunden werden. Die Untersuchung der Sprachwurzeln führt darauf hin, daß das ursprünglich einerseits Laute waren, die mit gewissen gemeinsamen Tätigkeiten (wie z. B. Graben, Heben, Hintereinandergehen) verbunden waren und diese taktmäßig gestalteten — wie etwa das He-op der Zimmerleute beim Rücken eines Balkens; andere Laute mögen aus der unwillkürlichen Nachahmung von dem des Schreis eines Tieres, eines Vogels, dem Rauschen des Winds, dem Sprudeln des Wassers, wieder andere von jenem inneren Zusammenhang zwischen Licht- bzw. Farben- und Toneindrücken hervorgegangen sein, die man heute angefangen hat wissenschaftlich zu untersuchen (z. B. den Zusammenhang der hellen Vokale „i" und „ü" mit dem Licht, a und o mit dem Dunkel, wie ihn die Dichter vielfach benutzen);
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Erstes Buch
die Laute wären hier als Ausdruck der Überraschung bei plötzlichen stark auf die Sinne wirkenden Erscheinungen zu erklären, eine unwillkürliche Reaktion auf freudige oder schreckhafte Eindrücke. Endlich muß ein Teil der Laute von Haus aus musikalischer Art, d. h. der unmittelbare Ausdruck von Empfindungen sein, wie etwa die Klagelaute o! griech: oiuoi, onTcnrai usw. Aber in dieser automatischen Form, der gewohnheitsmäßigen Verbindung des Lauts mit inneren Vorgängen, ist noch keine Sprache; die Laute sind noch keine B e z e i c h n u n g des Gegenstandes der Vorstellung. Das werden sie erst, wenn sie zur M i t t e i l u n g von Vorstellungen und Empfindungen, d. h. dazu benützt werden, in anderen eine bestimmte Vorstellung oder Empfindung hervorzurufen. Der Laut, den die alten Inder mit der Tätigkeit des Grabens verbanden, Khan oder Khä (vgl. Müller, Das Denken im Lichte der Sprache) wurde zur Sprache, wenn ihn der Mann, der sein Haus verließ, um graben zu gehen, seinem Weibe zurief, um ihr entweder zu sagen, daß er graben gehe, oder sie aufzufordern, daß sie mit ihm gehen solle, um zu graben. Erst damit wurde der Laut ein Z e i c h e n für eine Vorstellung, die Sprache ein „Bezeichnen". Ein Papagei kann leicht gewöhnt werden mit dem Anblick eines Apfels den Laut „Apfel" zu verbinden; aber der Laut hat für ihn nicht die Bedeutung eines Z e i c h e n s , sonst würde er ihn sofort benützen, um einen Apfel zu verlangen, sobald die Erinnerungsvorstellung des Apfels in ihm durch Ideenassoziation oder durch Hunger und Durst entstünde. Der Papagei spricht aber seine Worte und Sätze ganz unbekümmert darum, ob sie im Augenblick einen Sinn haben oder nicht. Er ruft „Spitzbub" gleichviel ob ein Fremder oder sein bester Freund an der Tür erscheint, Spitzbub ist ihm also nicht das Zeichen für eine bestimmte Art von Menschen. 5. Wenn gesagt wird, daß der Laut zur Sprache werden, sobald er zur Mitteilung einer Vorstellung von einem Subjekt an das andere benützt wird, so muß man bedenken, daß es im Menschen selbst zwei Subjekte gibt, das eine, welches sieht, vorstellt, empfindet, und das andere, welches das in dem ersten vorgehende Sehen, Empfinden selbst vorstellt; also das Bewußtsein und das Selbstbewußtsein oder Bewußtsein des Bewußtseins. Es kann deshalb eine Mitteilung des einen Bewußtseins an das andere auch innerhalb des Subjektes stattfinden. Dies tritt ein, wo das Subjekt eine Vorstellung sich selbst durch eigene freie Tätigkeit ins B e w u ß t s e i n ruft. Der zum Graben gehende Arbeiter, von dem oben die Rede war, spricht auch schon und denkt schon, wenn er, zunächst unentschlossen, was er tun solle, sich plötzlich dem eigenen Willen zum Bewußtsein bringt: ich g e h e g r a b e n , ich m ö c h t e e s s e n . Er hat da zum Gegenstand seiner Vorstellung sein eigenes wollendes oder begehrendes Bewußtsein und erhebt dieses Be-
Zusammenhang zwischen Denken und Sprechen
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wußtsein selbst in ein neues Bewußtsein: Bewußtsein des Bewußtseins. Das erste Bewußtsein ist der momentane Zustand des individuellen Ich, das zweite Bewußtsein, daß das erste Bewußtsein zu seinem Gegenstand macht und sich in einem Satze ausdrückt, ist dagegen ein Bewußtsein, das sich schon mit anderen Bewußtsein vermittelt hat. Denn die Sprache ist eine Konvention zwischen den Menschen. Es drückt also den Zustand des i n d i v i d u e l l e n B e w u ß t s e i n s mit den Mitteln des allg e m e i n e n B e w u ß t s e i n s a u s , oder das Momentane mit den Mitteln des Dauernden oder mindestens des Wiederholbaren. Man kann also als Zweck der Sprache auch die Mitteilung des individuellen Bewußtseins im Menschen an das allgemeine Bewußtsein bezeichnen, und in diesem Sinne ist es wahr, daß die Sprache durchaus ihren Zweck in der Mitteilung hat. Der Mensch verhält sich darin als überindividuelles oder allgemeines Wesen. Indem sie zum Zeichen wird, ist die Sprache nicht Ausdruck des Bewußtseins, sondern des Selbstbewußtseins. 6. Wofür ist nun das Wort ein Zeichen ? Niemals für eine einmalige momentane Erscheinung, sondern als Mittel der Mitteilung immer für eine Erscheinung, die wiederholbar ist, so wie die Tätigkeit des Grabens eine wiederholbare Tätigkeit ist. Wäre die Erscheinung vorübergehend wie die Bilder eines Kaleidoskops, so hätten wir kein Interesse daran, sie zu bezeichnen, denn weder wäre es von Wert, sie im Bewußtsein festzuhalten, noch sie einem andern mitzuteilen. Bei menschlichen Tätigkeiten, wie Graben, Gehen und insbesondere bei subjektiven Tätigkeiten wie Denken, Wollen, Horchen, Schauen liegt j a die Wiederholbarkeit in der Natur der Sache, da die Wiederholung in unserer Gewalt steht. Sonst liegt die Wiederholbarkeit in zwei Fällen vor: e i n m a l wenn sich ein Gegenstand oder eine Erscheinung als d a u e r n d erweist, wie irgend ein bestimmter Mensch oder ein Tier, vielleicht sogar als dauernd an einem und demselben Orte, wie ein Berg, ein Fluß, ein Fels; s o d a n n wenn der Gegenstand sich selbst wiederholt, d. h. in verschiedenen gleichartigen oder mindestens durch eine gleiche Eigenschaft übereinstimmenden Exemplaren vorhanden ist. Im ersten Fall entsteht ein E i g e n n a m e , im letzteren Fall ein G a t t u n g s name. So ist der Mond und die Sonne eine Erscheinung, die wir beim Entstehen der Sprache nur einmal haben, also der Name Eigenname; der Vogel, benannt (in verschiedenen Erscheinungen) nach der gleichen Eigenschaft des Fliegens, ein Gattungsname. Im ersten Fall ist zeitlich Verschiedenes, im zweiten räumlich Verschiedenes zu einer Einheit zusammengefaßt. Schon in dem Beharren, das für die Bezeichnung gefordert wird, noch mehr in dem Sichwiederholen einer bestimmten Eigenschaft liegt, daß die Vorstellungen, die wir benennen, verschiedene Anschauungen unter sich befassen und das ausdrücken, was allen gemeinsam ist oder
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sich in allen wiederholt, daß sie also immer A l l g e m e i n v o r s t e l l u n g e n sind. Das gilt auch von den Eigennamen. „Cäsar" ist das Allgemeine in dem Knaben, Jüngling und Manne Cäsar, das Identische in ihnen. Der Mond und die Sonne bezeichnen die aufgehenden und untergehenden Weltkörper, der Mond den vollen, halben und sichelförmigen usw. Der Vogel den großen und kleinen so oder so geformten und gefärbten Flieger. Der Name „Vesuv" umfaßt alle die Formen, die der Berg im Laufe der Jahrhunderte angenommen hat. Von allen diesen Unterschieden wird bei der Benennung abgesehen. Der Name drückt nur das Beharrende und Identische in den Erscheinungen aus. 7. Sofern ergibt sich daraus, daß das Objekt des Denkens für das Denken ein System von b e s t i m m t g e o r d n e t e n A l l g e m e i n v o r s t e l l u n g e n ist. Denn wenn zunächst zur Benennung etwa ein einziges unterscheidendes Merkmal genügt, z. B. für den Vogel das Fliegen, so bemerken wir bald, daß wir zu diesem Merkmal andere Merkmale hinzufügen und dadurch neue Namen gewinnen können. Wir bemerken, daß einzelne Vögel schwimmen, und bilden den Begriff Schwimmvögel; einzelne von anderen Tieren leben, und bilden den Begriff Raubvögel; einzelne melodische Laute von sich geben, und bilden den Begriff Singvögel. Einzelne Raubvögel wiederum fliegen bei Nacht und erhalten den Namen Nachtvögel oder Eulen. Es ist also der Name Eule in dem allgemeineren Namen Raubvögel befaßt, dieser in dem allgemeineren Namen Vögel. Und so können wir auch rückwärts gehen, indem wir Merkmale hinwegnehmen. Nehmen wir dem Vogel das Fliegen, so bleibt noch das Tier überhaupt; nehmen wir diesem die Selbstbewegung, so bleibt noch der Organismus, nehmen wir diesem die Organisation, so bleibt der Körper usf. J e d e r Name b e z e i c h n e t so e t w a s A l l g e m e i n e s u n d e t w a s Spezielles zugleich; gegen die allgemeinen Bezeichnungen ist er speziell, gegen die spezielleren ist er allgemein. Selbst der Begriff „Ding" hat noch den allgemeinen Begriff des Seins, dieses den der Denkform, diese den des Denkens über sich. 8. Für die allgemeinen Vorstellungen gilt es nun, daß sie als solche keine Anschauung mehr haben, die ihnen entspricht; es gibt keine Anschauung, die den j ungen und alten Cäsar, den j ungen und alten Menschen, den männlichen und weiblichen Menschen, den halben und vollen Mond zugleich enthielte. Die Namen entnehmen wohl ihren Stoff aus der Anschauung, aber sie selbst bezeichnen ein Nicht-Sinnliches, sind bloße Bezeichnungen für eine Vielheit von Anschauungen, bloße Befassungsformen einer solchen Vielheit von einzelnen Eindrücken. Der Name erhebt also das Sinnliche in ein Geistiges. Er v e r w a n d e l t es, und zwar im Sinne einer Vergeistigung, oder er i d e a l i s i e r t es. Soll dadurch nicht ein Moment der Willkür in das Denken kommen,
Inkongruenz zwischen Denken und Sprechen
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d. h. das Denken das Gegebene verlieren, so muß diese Verwandlung des Anschaulichen in das Gedachte selbst auf eine gegebene, d. h. gesetzmäßige Weise erfolgen. Dies geschieht, wie Kant schon gesehen hat, durch die Zeitform, d. h. dadurch, daß der Name nur dem in der Zeit Beharrenden verliehen wird, also das Zeitliche, das zeitlich Einzelne und Bestimmte in das Zeitlose erhebt. Denken ist also überall die Erhebung des Zeitlichen in das Ewige oder Zeitlose, wie es Erhebung des Sinnlichen in das Unsinnliche ist. Daher hat alles Einzelne, zeitlich Bestimmte für das Denken eine Unbefriedigung an sich. Der Satz „es regnet j e t z t " stellt dem Denken eine Aufgabe, die Aufgabe, zu dem Satz zu gelangen: es regnet i m m e r , wenn... Das Denken, das in allgemeinen Begriffen vor sich geht, hat sein Ziel in allgemeinen Sätzen, die aus dem Zeitlich-bestimmten in das Unzeitliche emporsteigen. Es ist seinem Wesen nach V e r a l l g e m e i n e r u n g . Darin spricht sich die Würde des Menschen aus, die durchaus darin besteht, daß er nicht bloß ein individuelles, einzelnes, sondern ein allgemeines Wesen ist, das sich mit der Menschheit zusammenfaßt. „Es regnet jetzt", das ist eine Tatsache des individuellen Bewußtseins; „es regnet immer, wenn Wasserdämpfe in der Luft abgekühlt werden", das ist eine Tatsache des allgemeinen Bewußtseins. Die Würde des Menschen liegt darin, daß er von dem Individuellen zum Allgemeinen, vom Sinnlichen zum Unsinnlichen, vom Zeitlichen zum Ewigen empordringt. Denken i s t a l s o E r h e b u n g des E i n z e l n e n in das A l l g e m e i n e , des S i n n l i c h e n in d a s U n s i n n l i c h e , des Z e i t l i c h e n in das Z e i t lose.
II. INKONGRUENZ ZWISCHEN DENKEN UND SPRECHEN 9. Wenn wir das Denken als diejenige Art der Vorstellungstätig keit bezeichnen, die in und mit der Sprache zum Bewußtsein kommt, so ist damit nicht gesagt, daß sich das Denken und Sprechen vollständig decken. Die Sprache greift vor allem über das Gebiet der Vorstellungstätigkeit hinaus und wird auch Ausdruck des Willens und des Gefühls. Der Befehl: „ G e h ! " und der Ausruf: „Weh mir" oder „Ach" ist j a sicher ein Sprechen, aber sie sind nicht Ausdruck einer Vorstellungstätigkeit, wenn sie auch natürlich eine solche und ein Denken voraussetzen. Sodann muß die Möglichkeit, daß auch umgekehrt das Denken über die Sprache hinausgreift, daß es auch ein Denken ohne Sprache gibt, zunächst offen gelassen werden. Aber ein solches Denken wäre ein unbewußtes Denken und könnte nicht anders zur Erkenntnis gebracht werden, als dadurch, daß wir es zum bewußten Denken erheben. Dann aber bedürfte es der Sprache. Wir wollen also den obigen D i e z , Sprechen, Denken und Erkennen.
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Erstes Buch
Satz näher bestimmen zu der Form: Alles b e w u ß t e D e n k e n ist ein S p r e c h e n . In dieser Form kann er einem Widerspruch nicht mehr begegnen. Viel wichtiger aber, ja geradezu entscheidend für die Denklehre, ist eine andere Erkenntnis, die nämlich, daß die Sprache in der Regel nur ein abgekürzter Ausdruck des in ihr enthaltenen Denkens ist, und daß es zunächst Aufgabe der Denklehre ist, das Denken zum vollen Ausdruck zu bringen. „Ich schreibe": damit denke ich nicht nur die Vorstellung des Ich und die Vorstellung des Schreibens und eine Verbindung beider Vorstellungen im allgemeinen, sondern eine vollkommen bestimmte Verbindung beider Vorstellungen, nämlich, daß das Ich das Subjekt des Schreibens und das Schreiben eine Tätigkeit des Ich ist. Dieses Element des Denkens liegt unausgesprochen im Charakter des Fürworts als des Ersatzes für ein Hauptwort, des Zeitworts und der Form des Satzes (daher die kindliche Form: ich „tu" schreiben, die den Gedanken noch vollständiger ausdrückt). Logisch, d. h. nach seinem Gedankengehalt würde der Satz, vollständig ausgesprochen lauten: Ich oder mein Ich ist in der Tätigkeit des Schreibens begriffen, und der Ausdruck „ist begriffen" bringt uns zum Bewußtsein, daß noch ein weiteres unausgesprochenes Element des Gedankens in den zwei Wörtern liegt: nämlich ein „jetzt" oder „in diesem Augenblick". Die logische Betrachtung der Sätze muß also vielfach ergänzen, was die Sprache wegläßt, um den Gedanken vollständig zu haben.
III. ERSTE INHALTLICHE DEFINITION DES DENKENS 10. Diese teilweise Inkongruenz des Denkens und Sprechens vorausgesetzt, aber an dem methodischen Grundsatz festhaltend, daß das bewußte Denken in der Form des Sprechens vor sich geht, können wir nun versuchen, das Wesen des Denkvorganges aus der Sprache zu entnehmen. Alles S p r e c h e n — soweit es Ausdruck einer Vorstellungstätigkeit (nicht etwa eines Willens und eines Gefühls) ist — g e h t in S ä t z e n vor sich, also in einer Verbindung von Wörtern. Sofern im Sprechen das Denken zum Ausdruck kommt, geht also dieses darauf, eine Verbindung oder einen Zusammenhang von Vorstellungen zum Bewußtsein zu bringen, und die Gesamtheit des Denkens hat das Ziel, den Gesamtzusammenhang der Vorstellungen zum Bewußtsein zu bringen. Da es aber nur auf das Gegebene geht — im Unterschied von der Phantasie — so g e h t d a s D e n k e n d a r a u f , den g e g e b e n e n G e s a m t z u s a m m e n h a n g v o n V o r s t e l l u n g e n zum Bewußtsein zu bringen.
Erste inhaltliche Definition des Denkens
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Das seelische Vermögen, durch welches uns etwas als Gegeben (nicht willkürlich von uns gesetzt) zum Bewußtsein kommt, nennen wir A n s c h a u u n g , und der ausgesprochene Satz kann also bestimmter so ausgedrückt werden: Das Denken hat das Ziel, den anschaulich gegebenen Zusammenhang von Vorstellungen zum Bewußtsein zu bringen, und da Anschauung eine doppelte ist: äußere Anschauung und Selbstanschauung oder innere Anschauung, so können wir den Satz noch einmal näher bestimmen: D a s D e n k e n h a t d a s Z i e l , d e n i n der ä u ß e r e n u n d i n n e r e n A n s c h a u u n g g e g e benen Zusammenhang von Vorstellungen zum Bewußtsein zu bringen. In dem Satz ist aber nicht nur allgemein ein Zusammenhang zwischen Vorstellungen ausgesprochen, sondern die bestimmte sprachliche Form, die jeder Satz hat, gibt dem Zusammenhang, wie schon oben hervorgehoben, einen ganz bestimmten Beginn. Ist z. B. das Prädikat ein Zeitwort: „Ich schreibe oder ich werde gestört", so enthalten beide Sätze einen Zusammenhang zwischen der Vorstellung des Ich und der Vorstellung schreiben oder stören; aber der Zusammenhang enthält beide Male die bestimmte Bedeutung eines G e s c h e h e n s , das mit dem Subjekt vorgeht, und zwar im einen Fall: Ich schreibe, den bestimmten Vorgang einer T ä t i g k e i t des Subjekts, im andern Fall: ich werde gestört, den bestimmten Vorgang eines L e i d e n s des Subjekts. Bilden wir den Satz: Das Gold ist gelb, so bekommt die Verbindung beider Vorstellungen die Bedeutung eines Dings und seiner Eigenschaft. Bilden wir den Satz: Der Himmel ist bewölkt, so bekommt die Eigenschaft die bestimmtere Bedeutung eines Zustands des Dings. Bilden wir den Satz: Der Leib des Menschen besteht aus Kopf, Rumpf und Gliedern, so ist der Zusammenhang der Subjektsund Prädikatsvorstellungen der des Ganzen und seiner Teile. Der Satz: Es gibt Planeten, bestimmt einen Zusammenhang zwischen dem Subjekt und seiner Vorstellung als den des G e g e b e n s e i n s dieser Vorstellung für das Subjekt usw. Die bestimmte Form des in dem Satz ausgesprochenen Zusammenhangs von Vorstellungen nennt man seit Aristoteles eine K a t e g o r i e , zu deutsch eine V e r b i n d u n g s f o r m von Vorstellungen, und die obige Definition des Denkens bestimmt sich also weiter zu der Form: D e n k e n i s t d a s B e w u ß t w e r d e n d e s durch äußere oder innere A n s c h a u u n g g e g e b e n e n Zusamm e n h a n g s z w e i e r o d e r m e h r e r e r V o r s t e l l u n g e n i n der F o r m einer Kategorie. An diesem Punkt ist nun eine der wichtigsten Entdeckungen der neueren Philosophie zum Bewußtsein zu bringen, die sich an den Namen H u m e s knüpft. Der durch die Anschauung g e g e b e n e Zusammenhang zweier 2*
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Vorstellungen kann nur ein zeitliches oder räumliches Zusammensein enthalten, also ein Sein zu gleicher Zeit oder am gleichen Ort oder eine unmittelbare kontinuierliche Zeitfolge, bzw. einen unmittelbaren kontinuierlichen Zusammenhang von verschiedenen Orten, an denen sich ein Ding befindet, eine Bewegung des Dings. Wenn ich sage: der Vogel singt, so ist das Gegebene, das diesem Satz zugrunde liegt, nur das räumliche Zusammensein des Vogelbildes und des Orts, von dem der Ton des Singens herkommt. Dagegen kann der in dem Satz ausgesprochene Gedanke, daß das Singen eine Tätigkeit des Vogels ist, daß der Vogel die Ursache der Töne ist, nicht durch die Anschauung selbst gegeben werden, sondern enthält eine Deutung des räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs nach einer inneren Erfahrung des Subjekts, das selbst singen kann und das Singen als Äußerung seiner Willenstätigkeit erfährt. Wenn ich sage: das Gold ist gelb, so liegt diesem Satz a n s c h a u l i c h nur das Zusammensein verschiedener sinnlicher Eindrücke aus einem und demselben Ort her zugrunde. Ich meine aber mit dem Satz m e h r , ich meine, daß das Ding eine Eigenschaft habe, ohne die es nicht das Ding wäre, eine Eigenschaft, von der ich fordere, daß sie überall da ist, wo die anderen Eigenschaften vorhanden sind, die bestimmte Schwere, der Glanz, die Gediegenheit, Schmelzbarkeit, Dehnbarkeit, — ein Zusammenhang also, der in seiner Unbedingtheit niemals durch die Anschauung gegeben sein kann. Selbst wenn ich einen bloßen Zustand des Dings behaupte, wie z. B. in dem Satz: der Diamant ist geschliffen, ist dies keine einfache Wiedergabe des in der Anschauung gegebenen Tatbestandes. Das Geschliffensein als solches sehe ich nicht, weil ich das Schleifen nicht sehe, und selbst wenn ich dieses sehen und denSatz bilden würde: Dieser Diamant wird geschliffen, so steckt in dem Satze neben dem, was ich wirklich sehe, nämlich den Handbewegungen des Schleifens, der Berührung des Schleifmittels mit dem Diamanten immer noch die nicht sichtbare Vorstellung einer T ä t i g k e i t des Schleifens, ferner das nicht sichtbare Ding Diamant, d. h. ein wesentlicher Zusammenhang von Eigenschaften der nicht sichtbar, sondern nur von dem Sehenden hinzugedacht ist: die Dinghaftigkeit in dem Diamanten. Daher ist die Kategorie eine Verwandlung des Angeschauten in ein anderes geistiges oder wie man sagt: apriorisches Element, und die aufgestellte Definition des Denkens erweitert und bestimmt sich noch einmal: Das D e n k e n ist i m m e r die V e r w a n d l u n g eines g e g e b e n e n Z u s a m m e n h a n g s von V o r s t e l l u n g e n in einen d u r c h die N a t u r des S u b j e k t s b e s t i m m t e n Z u s a m m e n h a n g , oder die V e r k n ü p f u n g v o n V o r s t e l l u n g e n d u r c h eine im Wesen des d e n k e n d e n S u b j e k t s liegende V e r b i n d u n g s f o r m oder eine K a t e g o r i e . Wie also bei der Erhebung des Sinnlich-Anschaulichen, das immer
Die Elemente des Denkens
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ein Einzelnes, durchweg Bestimmtes ist, in einen allgemeinen Begriff eine Verwandlung des Angeschauten im Sinne einer Idealisierung, nämlich die Verwandlung des Sinnlichen in ein Unsinnliches, des Zeitlichen in ein Zeitloses stattfindet, so findet auch im S at z eine Verwandlung des g e g e b e n e n zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs in einem kategorialen, d. h. durch die Natur des denkenden Subjekts gegebenen, in seiner Natur vorausgesetzten Zusammenhang statt. Und auch hier ist zweierlei zu beachten: E i n m a l , wie die Tätigkeit, durch die das Denken aus dem Einzelnen ein Allgemeines schafft, im Anfang nur ein vorläufiger Versuch ist, der darin besteht, für das Gemeinsame und Wiederholbare in der Mannigfaltigkeit des Einzelnen einen N a m e n zu schaffen, z. B. das Wasser als diese durchsichtige Flüssigkeit usw. zu benennen, aber zugleich eine Aufgabe enthält: nämlich das Dauernde, wirklich Unveränderliche im Wasser auch wirklich zu finden, herauszuarbeiten: Wasser ist eine chemische Verbindung von Sauerstoff und Wasserstoff im Verhältnis von 1 : 2 , so enthält auch der Satz eine Aufgabe, nämlich die Aufgabe, aus dem zufälligen anschaulichen Zusammenhang einen notwendigen, aus dem äußerlichen Zusammenhang einen innerlichen Zusammenhang zu machen. Die Sätze: Gold ist gelb, glänzend, dehnbar usw. sind auch nur ein vorläufiger Versuch des Denkens, der die Aufgabe enthält, aus dem gegebenen Zusammenhang der verschiedenen Eindrücke, die von dem Gold ausgehen, gelbe Farbe, Glanz, Dehnbarkeit den Satz zu bilden: n u r , wo diese Eigenschaften zusammen sind, ist das Ding Gold genannt; also die Aufgabe, die wesentlichen Eigenschaften von den unwesentlichen, veränderlichen zu unterscheiden und die letzteren auszuscheiden, so daß nur diejenigen übrig bleiben, die wirklich Eigenschaften, d. h. dem D i n g eigen sind, und dadurch aus dem äußeren Zusammenhang der Bestimmungen einen inneren — geistigen — zu schaffen. Und damit wir in dieser das Gegebene verwandelnden Tätigkeit nicht in das Willkürliche verfallen und uns vom Gegebenen entfernen, entsteht z w e i t e n s die Aufgabe, diese Verwandlung auf eine durch die Natur des Geistes gegebene Weise, d. h., gemäß dem im Wesen des Geistes begründeten Zusammenhang der Kategorien zu vollziehen.
IV. DIE ELEMENTE DES DENKENS a) Die logischen Elemente 11. Wie dies letztere geschieht, darüber gibt uns die Analyse der einfachsten Sätze Auskunft, die Hegel, sofern sie den Charakter der unmittelbaren Gewißheit an sich tragen, die Stufe der sinnlichen Gewißheit nennt und an den Anfang der Phänomenologie des Geistes
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stellt. In Sätzen wie: Dies ist ein Haus, jetzt ist es Mittag, bezeichnet das „Dies" und „Jetzt" nicht einen Begriff, sondern eine gegebene äußere Anschauung: das „Dies"; oder eine gegebene innere Anschauung, das „Jetzt". Hegel findet in solchen Sätzen die widerspruchsvolle Form: Das Einzelne ist ein Allgemeines. Dieser Widerspruch wäre aber nur vorhanden, wenn die Sätze lauteten: dies ist das Haus, jetzt ist der Mittag, wenn also das einzelne Bild dem allgemeinen Begriffe, der nichts Anschauliches mehr hat, gleichgesetzt würde. So wie sie wirklich lauten: Dies ist ein Haus, jetzt ist es e i n m a l w i e d e r Mittag, bedeuten sie nur: diese gegebene Anschauung ist gleicher Art mit den Anschauungen auf Grund deren der Begriff Haus gebildet worden ist; jetzt ist wieder einer der Zeitpunkte, die mit dem Namen Mittag bezeichnet worden sind. In dieser Form enthalten die Sätze keinen Widerspruch, sondern sind nur der unmittelbare Ausdruck der idealisierenden Verwandlung des Einzelnen in das Allgemeine. Will man von diesen Sätzen weiterkommen, so genügt dazu nicht die einfache logische Negation: das Einzelne ist nicht das Allgemeine, sondern man muß den Satz analysieren, d. h. seine psychologischen Bedingungen zum Bewußtsein bringen, oder die Bedingungen seiner Verwirklichung untersuchen. (Dies ist, wie ich anderwärts gezeigt habe, das wirkliche Wesen der dialektischen Methode.) Geschieht dies, so findet man, daß ein solcher Satz nicht ausgesprochen wird, ohne daß ein allgemeiner Gedanke gebildet wird, der allerdings kaum zum Bewußtsein kommt, aber tatsächlich immer zugrunde liegt. Man findet also bei der Analyse des psychologischen Vorgangs: 1. kein Satz der sinnlichen Gewißheit entsteht ohne einen allgemeinen Satz, der Satz der sinnlichen Gewißheit setzt den allgemeinen Satz voraus; 2. dieser Satz bringt einen Begriff zum Bewußtsein und der Begriff ist der Grund, der den Satz der sinnlichen Gewißheit zu einem gewissen wirklich Gegebenen macht. Und zwar ist er durch die Natur des Intellekts gegeben; denn der Intellekt ist genötigt an seinen Begriffen festzuhalten; und 3. aus dem Begriff wird die Bezeichnung des angeschauten Gegenstands g e f o l g e r t . Der einfache Satz der sinnlichen Gewißheit setzt also einen Begriff voraus, aus dem gefolgert oder geschlossen wird und es ergibt sich die logische D e f i n i t i o n des D e n k e n s : In allem Denken ist ein B e g r i f f , ein S c h l u ß aus dem Begriff und ein S a t z oder U r t e i l , das erschlossen wird. I n j e d e m D e n k e n sind also die drei E l e m e n t e des B e g r i f f s , des Schlusses u n d des U r t e i l s u n t r e n n b a r v e r b u n d e n . b) Die
transzendentalen
Elemente
des
Denkens
Sind Begriff, Schluß und Urteil die logischen untrennbar verbundenen Elemente des Denkens, so ergeben sich anders geartete
Die Elemente des Denkens
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Elemente des Denkens — wir wollen sie seine t r a n s z e n d e n t a l e n E l e m e n t e nennen —, wenn wir die Stellung ins Auge fassen, in der die Teile des Satzes zu dem tätigen Element im Denken stehen. In jedem Satz ist ein Subjekt, ein Prädikat und eine bestimmte Beziehung von Subjekt und Prädikat. Es ist längst in der Philosophie festgestellt worden, daß auch solche Sätze, die scheinbar kein oder nur ein unbestimmtes Subjekt haben, Sätze von der Form: es regnet, es gibt im Spektrum 6 Farben, keineswegs ohne bestimmtes Subjekt sind, dieses vielmehr nur äußerlich die Stellung des Prädikats einnimmt. „Es regnet" lautet vollständig gedacht: Regen ist jetzt da, oder existiert jetzt; es gibt im Spektrum 6 Farben lautet: 6 Farben sind im Spektrum vorhanden oder unterscheidbar, als unterscheidbar gegeben. Das Subjekt nun, die Vorstellung, von der etwas ausgesagt wird, erscheint in dem Satz als das schon vorher Gegebene, also das dem Denkakt V o r a u s g e s e t z t e , oder als das im tatsächlichen Denken sich selbst Setzende. Das Prädikat als das neu zum Bewußtsein Gebrachte, also das jetzt Gegebene und die Verbindung beider im Satz als eine S e t z u n g , Behauptung des Denkens. „Satz" und Setzung hängen deshalb auch sprachlich zusammen. Nehmen wir diese drei Elemente im Satz mit den logischen Elementen, Begriff, Urteil und Schluß zusammen, so erscheint der Begriff als das Vorausgesetzte, der Schluß als die Form der Setzung gemäß dem Vorausgesetzten, der Satz selbst, dessen wichtigster Teil das Prädikat bzw. seine Verbindung mit dem Subjekt ist, als das Gegebene. Wir können also hier eine neue Definition, die t r a n s z e n d e n t a l e D e f i n i t i o n des D e n k e n s b i l d e n : In allem D e n k e n w i r d g e m ä ß einem V o r a u s g e s e t z t e n ein Gegebenes g e s e t z t , oder ein anderes Vorausgesetztes als gegeben gesetzt, und zwar auf eine durch die Natur des Denkens gegebene, also dem Denkakt vorausgesetzte Weise. Das letztere, weil in jedem Satz eine dreifache Nötigung durch die Natur des Denkens vorhanden ist: Die Nötigung durch die Anschauung, welche allein eine Verbindung des Verschiedenen schaffen kann; die Nötigung durch die Natur des Denkens, das an seinen Begriffen festhalten muß, um die Objektivität nicht zu verlieren, und die Nötigung durch die im Denken liegende Verbindungsform oder Regel der Verbindung, die im Wesen des Geistes begründet ist, also die Nötigung durch die Natur des Geistes, ohne die kein Satz zustande kommen kann. Diese drei Bedingungen des Denkens sind dem einzelnen Denkakt vorausgesetzt, gehören also zu dem im Satz Vorausgesetzten. c) Die
metaphysischen
Elemente
des
Denkens
Diese Gedanken führen zu einer dritten, der m e t a p h y s i s c h e n D e f i n i t i o n des Denkens, denn sie bringen zum Bewußtsein, daß das, was vorgeht, wenn wir denken, immer eine Verwandlung des Gegebenen
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in ein durch die Natur des Geistes Gegebenes, also eine Zurückführung des Gegebenen auf das Wesen des Geistes ist, oder der Versuch, das Gegebene gemäß der vorausgesetzten Natur des Geistes zu setzen. Bezeichnen wir die Gesamtheit des durch die Rezeptivität im Intellekt Gegebenen als die „ N a t u r " so entsteht also als metaphysische Definition des Denkens der Satz: D e n k e n i s t das B e w u ß t w e r d e n , oder das s i c h zum B e w u ß t s e i n b r i n g e n der B e s t i m m b a r k e i t der N a t u r d u r c h den G e i s t oder der I d e n t i t ä t der N a t u r m i t dem G e i s t e , der V e r s u c h , die N a t u r v o n dem G e i s t aus zu setzen. 12. Man muß sich die unbedingte Gültigkeit dieser drei Definitionen des Denkens voll zum Bewußtsein bringen, um das Wesen des Denkens richtig zu verstehen. Die logische Definition ist aus den einfachsten aller Sätze, den Sätzen der sinnlichen Gewißheit, entnommen, also aus der niedersten Stufe des Denkens. Aber diese Stufe offenbart schon den ganzen Sinn des Denkens, und ihr Sinn geht auch auf den höchsten Stufen nicht verloren. Die Frage: was ist dieses Einzelne, Angeschaute ? beantwortet sich durch einen bloßen Namen, ein Allgemeines, durch welches das Einzelne bestimmt wird. Aber sofort entsteht die weitere Frage: Was bedeutet dieser Name ? 13. Sowohl die logischen als die transzendentalen Elemente des Denkens haben ihre Quelle in der psychologischen Natur und Struktur unseres Vorstellungsorganismus. Zu den Grundunterscheidungen von Begriff, Urteil und Schluß und den transzendentalen von Setzung, Gegebensein und Vorausgesetztsein, kommt als dritte Stufe die von Denken, Sinn oder Sinnlichkeit und Anschauung. Wenn wir uns fragen, w o d u r c h dem Denken eine Verbindung von Vorstellungen gegeben ist, so kann die Antwort nur lauten: durch die Anschauung, und das ist insofern ein selbstverständlicher Satz, als wir hinwiederum die Anschauung nur definieren können als diejenige Vorstellungsart, durch welche uns eine Vorstellung als gegeben zum Bewußtsein kommt. In dieser allgemeinen Bedeutung des Wortes „Anschauung" sind aber zwei verschiedene Arten des psychologischen Verhaltens verborgen. Diejenige Form des seelischen Lebens, durch welche uns irgend ein bestimmter Inhalt: rot, süß, Schmerz, irgend ein Bild, eine Erinnerung gegeben ist, nennen wir S i n n oder, als allgemeines Vermögen betrachtet, S i n n l i c h k e i t . Sinnlichkeit ist die reine rezeptive oder empfängliche Seite des Bewußtseins, die selbst doppelter Art ist: Sinnlichkeit des äußeren und des inneren Sinnes. Durch den äußeren Sinn kommt es mir zum Bewußtsein, daß es jetzt regnet; daß es gestern geregnet hat, kam mir gestern durch den äußeren Sinn zum Bewußtsein; heute aber weiß ich es durch den inneren Sinn, der mir sagt, daß mit meiner „ E r i n n e r u n g " an gestern die Erinnerung des Regens verknüpft ist. Der
Die Elemente des Denkens
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äußere Sinn enthält die Vorstellung eines außer dem Subjekt im Raum Befindlichen, der innere Sinn nur die Vorstellung einer zeitlichen Verbindung. Das Bewußtsein des räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs nun nennen wir A n s c h a u u n g im engeren Sinn des Wortes. Kant bezeichnet die Anschauung in diesem Sinn mit Recht als die F o r m der Sinnlichkeit. Während der einzelne Eindruck des äußeren und des inneren Sinnes das Bewußtsein zerreißt, verbindet die Anschauung die sinnlichen Eindrücke miteinander. Sie ist also der Quell aller g e g e b e n e n V e r b i n d u n g im B e w u ß t s e i n . 14. Die Eindrücke der Sinnlichkeit: rot, süß, hart, sauer sind einfach gegeben. Schon Locke hat erkannt, daß die Bestimmungen, die aus der Anschauung kommen: nah, fern, getrennt, zusammenhängend, heute, gestern, groß, klein, lang, kurz anderer Art sind. Sicher liegt ihnen auch ein Gegebenes, Objektives zugrunde, aber dieses kommt nicht zum Bewußtsein und kann nicht bestimmt werden ohne eine Tätigkeit des Subjekts. Dies gilt zunächst in dem Sinn, daß diese Vorstellungen nur Relationen, Beziehungen ausdrücken, deren Beschaffenheit auch teilweise durch das Subjekt bestimmt ist: Ob etwas groß, klein, nah oder entfernt, zusammenhängend oder getrennt, sich folgend oder gleichzeitig erscheint, hängt ja ganz von dem Subjekt, seinem eigenen Bewußtsein, seinem eigenen Standpunkt, seiner eigenen Bewegung ab. Aber nicht bloß in diesem Sinn steckt in den Anschauungsformen ein subjektives Element, nicht nur in diesem Sinn hängen die Eindrücke vom Subjekt ab und werden durch das Subjekt unter Umständen gefälscht; sondern wir sehen auch, daß das Subjekt, das durch die Sinne nur Wirkungen empfängt, die an sich räum- und zeitlos, wenn man so will: punktuell und momentan sind, diesen Eindrücken erst die räumliche und zeitliche Ordnung aufdrückt oder, um einen in der letzten Zeit viel gebrauchten anschaulichen Ausdruck zu verwenden, sie ihnen ü b e r l a g e r t . Gleichviel also ob Zeit und Raum objektiv vorhanden sind oder nicht, jedenfalls sind sie der Wirklichkeit nur aufgedrückt, weil sie auch Formen des Intellekts selber sind. Diese Seite der Kantschen Lehre von der Subjektivität von Raum und Zeit muß jedenfalls festgehalten werden. Daraus folgt, daß die Anschauung ein Mittleres zwischen der Tätigkeit im Denken und der Rezeptivität in der Sinnlichkeit ist und dadurch die Vermittlung zwischen beiden bilden kann. 15. Im Unterschied vom Denken und im Gegensatz zu ihm sind nun Raum und Zeit Formen des reinen Unterschieds, und eben indem sie das sind, sind sie für das Denken an sich u n a u f l ö s b a r , sind sie die Formen des Gegebenseins oder der Objektivität. Unauflösbar sind sie für das Denken, indem sie als Formen des r e i n e n Unterschieds nichts sind als durchaus Unterschied, so daß sie auch im kleinsten Teil noch
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Unterschied, also Vielheiten sind. Man kann die Zeit durch Teilung nur in kleinere Zeiten, aber nicht in Zeitpunkte auflösen. Auch der kleinste Teil kann wieder geteilt werden und so fort ins Unendliche. Gibt es eine Millionstel-Sekunde, so gibt es auch noch eine Halb-Millionstel-Sekunde u. s. f. Dasselbe gilt natürlich auch vom Raum. Wir drücken dies durch den Begriff des K o n t i n u i e r l i c h e n aus, der identisch ist mit dem des „reinen" Unterschieds, indem er besagt, daß die Zeit nicht durch diskrete Einheiten, nicht als bloße Summe zu denken ist, sondern ein unablässig fließendes Geschehen enthält, daß der Raum nicht durch die Addition diskreter Punkte, sondern nur durch Bewegung zu denken ist, d. h. durch einen lückenlosen Zusammenhang. R a u m u n d Zeit sind eine V i e l h e i t , der keine E i n h e i t v o r a u s g e s e t z t ist. Wegen dieses Widerspruchs gegen die Einheitsforderung des Denkens sind die Anschauungsformen von Zeit und Raum der erste Gegenstand gewesen, an dem sich das philosophische Denken entzündet hat, indem ihr innerer Widerspruch bei den Eleaten in Griechenland zu dem Satz führte, daß sie nur Schein sind, daß alle Mannigfaltigkeit der Zeit und des Raumes keine wahre Existenz hat und das Wahre nur in dem Unveränderlich-Einen liege. Das Denken versucht aber auch in diese reinen Unterschiede seine Einheit zu setzen, indem es aus dem unvollziehbaren Begriff des Z e i t p u n k t e s (den es nicht gibt) den Begriff des Zeit V e r h ä l t n i s s e s , der Gleichzeitigkeit und im Gegensatz dazu den der Z e i t f o l g e bildet, sowie den der Identität in der Zeitfolge, der D a u e r , und im Gegensatz dazu den des Wechsels. Durch analoge Begriffe sucht das Denken den Raum zu bewältigen, im Begriff des Z u s a m m e n s e i n s und G e t r e n n t - oder Entferntseins, der R u h e und der Bewegung.
V. DIE GRUNDUNTERSCHEIDUNGEN DES DENKENS 16. Zeit und Raum, Dauer, Wechsel, Zusammensein, Getrenntsein gehören schon zu den G r u n d u n t e r s c h e i d u n g s f o r m e n des Denkens. Diese sind den Verbindungsformen vorausgesetzt, da man Unterschiede haben muß, ehe man verbinden kann. Die erste dieser Unterscheidungsformen ist P o s i t i o n , N e g a t i o n und L i m i t a t i o n : Sein, Nichtsein und beschränktes oder teilweises Sein. Man darf nämlich nicht vergessen, daß das Denken in der Form der Fantasie auch solche Vorstellungen verbinden kann, deren Verbindung nicht gegeben ist, oder daß es f r e i verbinden kann. Das Denken v e r s u c h t dann Verbindungen zum Zweck der Prüfung, ob sie gegeben sind oder gegeben werden können. Darin besteht im wesentlichen die Tätigkeit, die wir N a c h d e n k e n nennen. Das Resultat dieses Nach-
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denkens kann sein, daß die Verbindung gegeben sei oder gegeben sein könne, oder nicht gegeben sei oder nicht gegeben sein könne. So unterscheidet sich der positive Satz von dem negativen und dem beschränkenden Satz, das Sein von dem Nichtsein und dem teilweisen oder beschränkten Sein. Scheinbar sind die beiden letzteren im Widerspruch mit unserer Behauptung, daß das Denken im engeren Sinne nur auf das Gegebensein einer Verbindung gehe; es ist aber leicht zu sehen, daß dieser Widerspruch nur scheinbar ist. Denn wenn ich sage: der Sirius ist kein Planet, so heißt das eben, daß die NichtVerbindung beider Vorstellungen gegeben sei; wenn ich sage: die Pflanzen sind teils eingeschlechtig, teils zweigeschlechtig, so meine ich, daß eine teilweise Verbindung der Begriffe gegeben sei. Der Zweck des Denkens geht also durchaus auf das Gegebensein. Es ist aber falsch, wenn Kant Position, Negation und Limitation als Kategorien bezeichnet und von ihnen die Begriffe Realität, Negation und Limitation ableitet. Kategorien sind immer Verbindungsformen, wenn sie Grundformen sein sollen, die aus dem Zweck des Denkens hervorgehen. Man kann aber unmöglich die Position im Satze, der etwa die gegebene Verbindung ausdrückt, eine Verbindungsform nennen; und vollends unmöglich ist es, die Nichtverbindung als eine Verbindungsform zu betrachten. Nur die dritte Form, das teilweise Sein, kann als eine Verbindungsform betrachtet werden und deswegen begegnet sie uns auch in der Kategorie des Ganzen und der Teile wieder. Wir nennen also das Sein und Nichtsein die erste Unterscheidungsform des Denkens und halten daran fest, daß Kategorien stets Verbindungsformen und Verbindungsformen sind. Dies festzuhalten ist die erste Bedingung, wenn man zu einem wirklichen System der Verbindungsformen gelangen will. 17. Die übrigen Unterscheidungsformen entnehmen wir einfach den grammatischen Elementen der Sprache, wie sie uns teilweise in dem verschiedenen Sinn der Sätze, teilweise in den Grundformen der Abwicklung des Zeitwortes entgegentreten. In der letzteren haben wir zuerst den Unterschied der Personen in dem Wechsel des Subjektes: ich, d u , er. In dem „Ich" haben wir das absolute Subjekt aller Sätze, denn in jedem Satz, den wir als giltig aussprechen, steckt, wenn wir uns seinen tatsächlichen Gehalt zum Bewußtsein bringen, der Sinn: ich bin gewiß, daß diese oder jene Verbindung von Vorstellungen gegeben ist. Das „Du" unterscheidet sich von dem „er" und dem „es" dadurch, daß es den Gedanken des „Ich" festhält, aber ihn auf ein anderes überträgt; „Du" ist auch noch ein Ich, aber ein anderes Ich; das „er" kann auch noch ein Ich sein, muß es aber nicht wie das „Du"; und das „es" hebt das Ich ganz auf. Der Weg, den das Denken in den Personen des Zeitwortes geht, ist also der Weg vom Ich zum andern Ich und von da zum Objekt, vom absoluten
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Subjekt zum andern Subjekt und von da zum Objekt, und die erste Grundunterscheidung des Denkens ist die vom Subjekt als dem Einen, dem Subjekt als dem Anderen einerseits, und dem Objekt andererseits; das andere Ich ist der Übergang von dem Subjekt zum Objekt. Darauf folgt in der Abwicklung des Zeitwortes der Unterschied der Einzahl und Mehrzahl, des E i n e n und des Vielen, der schon im Übergang vom Ich zum Du begründet ist und nur diesen Unterschied, der von Haus aus qualitativer Art ist, nach der quantitativen Seite zum Bewußtsein bringt. In den Personen der Mehrzahl: wir, ihr, sie reden, denken, gehen, wird die Vielheit zu einer Allheit zusammengefaßt und wir sehen hier aus der Unterscheidungsform die Verbindungsform herauswachsen. Weiter entwickelt dann das Zeitwort den Unterschied des I n d i k a t i v s und des K o n j u k t i v s : Ich bin und ich sei. Der Konjunktiv entsteht zunächst, wenn ein Satz nicht als Gewißheit des Ich selbst, sondern als die eines andern Ich ausgesprochen wird: er sagt oder du sagst, ich sei ungeschickt gewesen. Für mich selbst ist der Satz dann nur der Ausdruck einer zunächst angezweifelten M ö g l i c h k e i t im Gegensatz zu der W i r k l i c h k e i t , deren Behauptung im Indikativ ausgedrückt ist. Es liegt also dem Gegensatz von Indikativ und Konjunktiv der von „Ich" und „Du" zugrund, aber er führt zu dem des Subjektiven und Objektiven, des Möglichen und des Wirklichen, ausgedrückt in dem Gegensatz von: es ist, es kann sein, oder es mag sein. Die dritte Form dieser Art im Zeitwort ist der K o n d i t i o n a l i s : es würde sein, ich hätte einen Anlaß, w e n n . . . Diese Redeform enthält schon den Gedanken eines notwendigen Verhältnisses zwischen zwei Sätzen, also die Unterscheidungsform der N o t w e n d i g k e i t , die wiederum schon eine Verbindungsform ist und also den Übergang zu diesen darstellt. Aus dem Konjunktiv, der den Satz zunächst aus der eigenen Gewißheit ausscheidet und ihn als eine fremde Meinung zum Bewußtsein bringt, aus dem Gedanken der bloßen Möglichkeit, entspringt dann die an den Anfang dieses Abschnittes gestellte Unterscheidungsform der positiven und negativen Bedeutung des Satzes; denn der Gedanke: das was du sagst k a n n sein, enthält zugleich den Gedanken: es ist vielleicht nicht. Man kann den Begriff des Möglichen nicht denken, ohne zugleich den Gegensatz: in der W i r k l i c h k e i t ist es oder ist es nicht, zu denken. Die Sprache hat keine besondere Form des Zeitworts gebildet, um den Gegensatz des Positiven und Negativen zu bezeichnen, obwohl dies auch sein könnte, hie und da in der Form einer Vorsilbe geschieht und in gewissem Sinne dadurch ersetzt wird, daß zu den wichtigsten Zeitwörtern ein gegensätzliches Zeitwort gebildet worden ist: er geht, er ruht, es entsteht, es vergeht, sie sprechen, sie schweigen,
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wobei das zweite einen eigentlich negativen Sinn h a t : „er ruht" heißt: er bewegt sich nicht; sie schweigen heißt: sie sprechen nicht. Sobald der Gegensatz des Subjektiven und Objektiven, des Positiven und Negativen zum Bewußtsein kommt, wird das Denken auch auf die Unterscheidungsform des S p o n t a n e n und R e z e p t i v e n , des T u n s und L e i d e n s , des Bestimmens und Bestimmtseins, des Setzens und Gegebenseins gewiesen, der sich in dem A k t i v u m und P a s s i v u m des Zeitworts seine sprachliche Form geschaffen hat. Du sagst: ich sei krank, enthält, wie wir sahen, den Zweifel in mir, daß ich wirklich krank bin, und bezeichnet so den Satz als eine bloße Setzung des andern, die als ein Akt der Willkür oder als ein Produkt seiner D e n k t ä t i g k e i t aufgefaßt wird, während ich das Bewußtsein habe, daß ich nicht zu dieser Aussage b e s t i m m t bin, daß das Kranksein mir nicht g e g e b e n ist, daß meine rezeptive Seite gegenüber diesem Gedanken noch frei ist. Dem Aktivum und Passivum setzt dann die Sprache das M e d i u m gegenüber: ich freue mich, ich ärgere mich, ich entwickle mich; das Medium setzt das Subjekt als tätig, aber als Objekt der Tätigkeit setzt es das Subjekt selbst. Es ist seltsamerweise in der psychologischen Behandlung des Gefühlslebens noch nicht hervorgehoben worden, daß die reflexive Form derjenigen Zeitwörter, die ein geistiges Gefühl ausdrücken, darauf hinweist, daß das geistige Gefühl nicht ein passives Bestimmtsein, sondern ein sich selbst bestimmen zur Freude, zum Ärger usw. enthält und eben darin ein g e i s t i g e s Gefühl im Unterschied von dem sinnlichen und seelischen ist; das sinnliche beruht auf einer Beeinträchtigung der organischen Grundlage durch ihre mechanische oder chemische Störung, wie das Kopfweh oder das Zahnweh oder der Schmerz einer Wunde, und das seelische entspringt aus einer Störung des Vorstellungsverlaufs oder der Spontaneität in diesem. Auch im Vorstellungsleben enthält das, was wir in dem heute abgeblaßten Begriff der R e f l e x i o n denken, den klaren Gedanken, daß in der Reflexion das Subjekt des Denkens und das Objekt des Denkens dasselbe sind. Auch hier bildet das Medium oder Reflexivum schon den Übergang zu der Verbindungsform. Wir haben also hier aus den Formen des Zeitworts die Grundunterscheidung des Tätigseins, des Leidens und der Reflexion oder Reaktion entnommen, die wir schon brauchten, um uns den Unterschied von Denken, Sinn und Anschauung zum Bewußtsein zu bringen. Denn das Denken ist durchaus aktiv, die Sinnlichkeit durchaus passiv, und die Anschauuung, die Verwandlung des punktuellen und momentanen sinnlichen Eindrucks in eine Reihe von Zeit und Raum ist eine Reaktion des Intellekts auf den sinnlichen Eindruck, also ein reflexives Verhalten. Es erscheinen nun in der Abwandlung des Zeitworts noch die anschaulichen Bestimmungen selbst, der Unterschied der Zeiten, Gegen-
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wart, Vergangenheit, Zukunft mit ihren Nebenformen: zukünftige Vergangenheit, („einst wird die Erde in die Sonne zurückgesunken sein") und insbesondere dem Ausdruck der Gleichzeitigkeit in Gegenwart und Vergangenheit, die uns in dem Partizipium und dem Imperfektum entgegentreten, bis endlich das Zeitwort aus seiner anschaulichen Bestimmtheit mit ich und du, einer und viele, Möglichkeit und Wirklichkeit, Tätigkeit und Leiden, Präsens, Präteritum und Futurum im Infinitiv zu seinem bloßen begrifflichen Sein zurückkehrt. Aus der Abwandlung des Zeitwortes entnehmen wir also zunächst die Unterschiede von Ich sein, ein anderes sein, ein Objekt sein, Eins sein, mehrfach sein, eine Gesamtheit sein, Möglich sein, wirklich sein, notwendig sein Tätig sein, leidend sein, zurückwirkend sein, Jetzt sein, gewesen sein, sein werden, Gleichzeitig sein, vorher sein, nachher sein (folgen). 18. Damit sind aber die Grundunterscheidungen nicht erschöpft. Es fehlt noch der Unterschied, der aus der verschiedenen Bedeutung, die ein Zeitwort haben kann, entspringt. Das Zeitwort drückt entweder ein Sein aus oder ein Werden, ein Geschehen (er ist, er kann, er liegt, er steht, er wird, er entsteht, er vergeht, er läuft), entweder ein Sein oder ein Sosein (der Baum blüht), oder ein Sovielsein (er wächst, er vermehrt sich); dies gibt die Unterscheidungsform des r e i n e n S e i n s , der Q u a l i t ä t und der Q u a n t i t ä t . Auch diese schon von Kant, dann von Hegel unter den Kategorien aufgeführten Begriffe sind noch keine Verbindungsformen, sondern nur Grundunterscheidungen des Denkens. Der Satz: Das Gold ist gelb, bezeichnet ja allerdings die Qualität des Goldes, aber nicht in der Verbindungsform der Qualität, sondern in der des Dings mit seiner Eigenschaft; die Größe des Menschen bewegt sich zwischen einem Meter und zwei Metern, bezeichnet eine Quantität aber in der Verbindungsform des Ganzen und der Teile. Wir bekommen also die Grundunterscheidungsform des Seins Soseins (Qualität) und Sovielseins (Quantität). Innerhalb des Soseins unterscheidet das Denken das Ursprünglichsein, Gewordensein und Dauerndsein die von selbst zu den Unterschieden des Einfachseins, Zusammengesetztseins und des Sichverbindens führt. Innerhalb der Quantität sind reine Unterscheidungsbegriffe die Begriffe des Unendlichseins, Endlichseins und Begrenztseins, aus denen sich die Begriffe des Anfangens und Aufhörens, der Grenze, des Inhalts und Umfangs und als Übergang zu den Verbindungsformen die Begriffe der Zahl und der Größe entwickeln.
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Endlich entsteht aus der Verbindung des Qualitativen und Quantitativen der Unterschied des E x t e n s i v e n und I n t e n s i v e n , als der des äußeren und inneren Seins, welche beide Begriffe nur gedacht werden können durch den Unterschied des P l u s und Minus, d. h. des G e g e n s a t z e s der R i c h t u n g . Jede Kraft, jede Bewegung wird an sich unendlich gedacht, wie Raum und Zeit unendlich sind, eine bestimmte Extension, ein bestimmter Wirkungsgrad wird nur durch den Gegensatz der Richtung denkbar, also z. B. eine Grenze der Schwerkraft, der Anziehungskraft der Erde nur durch eine entgegengesetzt wirkende Anziehungskraft. Als letzte der Unterscheidungsformen und wiederum als Ubergang zu den Verbindungsformen unterscheidet dann das Denken das Zusammen von Plus und Minus als das P r o d u k t (Summe, Differenz, Quotient). 19. In dem Unterschied von Sein, Sosein und Sovielsein vollendet sich das System der Unterscheidungsformen. Wir haben in diesem Unterschied die letzte Auswirkung der drei Erkenntnisquellen, des Denkens, des Sinns und der Anschauung zu sehen. Das Denken gibt dem Gedachten ein Sein, der Sinn gibt ihm ein Sosein und die Anschauung ein Sovielsein. Das Sein ist die reine Setzung des Denkens. Das Sosein ist das rein Gegebene an dem Gesetzten. Das Sovielsein gehört auch zu dem Gegebenen, aber nicht zu dem rein Gegebenen. Als dieses ist die Qualität das „So oder So Beschaffensein" also die B e s c h a f f e n h e i t , die uns nur durch den Sinn zum Bewußtsein kommt. Die Quantität ist ja in gewissem Sinn auch eine Beschaffenheit: es hängt nicht von dem Subjekt ab, wie viele Planeten es gibt, wie viele Farben im Sonnenspektrum enthalten sind, wie groß die Erde gegen die Sonne ist. Das sind immerhin objektiv gegebene Bestimmungen. Aber wirklich gedacht, bestimmt gedacht wird das Sovielsein, die Quantität, das Quot und Quantum oder auf deutsch das „Soviele" und das „Soviel" oder „Sogroß" nur durch eine Tätigkeit des Denkens, nämlich durch Zählen und Messen; das Sovielsein ist also innerhalb des Gegebenen das durch die Tätigkeit des Subjektes gemäß dem Gegebenen der Sinnlichkeit Gesetzte, also genau das, was die Anschauung überhaupt ist. Das „Soviel" ist die Bestimmung nicht der Sinnlichkeit, sondern der Anschauung. Es gibt dem Angeschauten ein Maß und einen G r a d , und verschiedenen Angeschauten ein V e r h ä l t n i s des Maßes oder Grades.
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VI. DIE VERBINDUNGSFORMEN DES DENKENS ODER DIE KATEGORIEN Nun können wir zu den Verbindungsformen übergehen. 20. Aus der Verschiedenheit der verbundenen Glieder ergeben sich zunächst zwei verschiedene Arten von Kategorien, je nachdem die Sätze eine Verbindung innerhalb des Objekts oder eine Verbindung zwischen dem Objekt und Subjekt zum Ausdruck bringen. Wenn ich sage: Wärme dehnt die Körper aus, oder: wo sich die Wärme steigert, steigert sich auch die Ausdehnung der Körper, stelle ich fest, daß Wärme und Ausdehnung der Körper im Objekt verbunden, oder m i t e i n a n d e r objektiv gegeben werden. Der Satz: Wärme dehnt die Körper aus, oder Wärme b e w i r k t die Ausdehnung der Körper, enthält also eine Verbindung von objektiven Vorstellungen unter der Verbindungsform von Ursache und Wirkung. Wenn ich aber den Satz bilde, es g i b t Planeten, oder es gibt Weltkörper, die um die Sonne kreisen, es gibt Gespenster, oder es gibt keine Gespenster, es regnet (jetzt und hier) = Regen ist jetzt und hier vorhanden, so stelle ich nur fest, daß die Vorstellung des objektiven Regens jetzt und hier oder daß die Vorstellung von Gespenstern hie und da, oder daß die Vorstellung von Weltkörpern, die um die Sonne kreisen, jederzeit dem S u b j e k t g e g e b e n sei, also eine bestimmte Verbindung von objektiven Vorstellungen m i t dem S u b j e k t . Zweifellos setzen solche Sätze auch Verbindungen innerhalb des O b j e k t s voraus. Schon das Wort „Planeten" verbindet die Vorstellungen: Weltkörper, leuchtend, um die Sonne kreisend, „Gespenster" die Vorstellungen: Lebewesen, geistig, von der Erde geschieden, usw. Aber nicht dieses Verbundensein wird in den Sätzen der genannten Art zum Bewußtsein gebracht; f e s t g e s t e l l t wird in solchen Sätzen nur das Gegebensein dieser Vorstellungon: es g i b t Planeten, es gibt Gespenster, also eine V e r b i n d u n g s f o r m , Bez i e h u n g s f o r m zwischen dem O b j e k t u n d dem S u b j e k t . Es gibt also Verbindungsformen einmal innerhalb des Objekts, sodann zwischen dem Objekt und dem Subjekt, zu den ersteren gehört der Begriff des Dings mit seinen Eigenschaften (der Körper ist schwer) oder der Begriff der Ursache und der Wirkung (wenn es wärmer wird — erste objektive Tatsache — dehnen sich die Körper aus — zweite objektive Tatsache); zu den letzteren der Begriff der Wirklichkeit oder des Daseins oder der Existenz. (Es g i b t Planeten oder Gespenster. Es regnet, d. h. Regen ist jetzt und hier gegeben; es gibt drei Aggregatzustände der Körper: luftförmig, flüssig und fest). Verschieden von diesen beiden Satzarten sind aber Sätze von der Form: Pantheismus ist Atheismus, d. h. der Begriff des Pantheismus
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ist gleichbedeutend mit dem Begriff des Atheismus; Gerechtigkeit ist eine Tugend, die Pflanze ist ein Organismus, Klugheit ist nicht Weisheit. In solchen Sätzen wird weder ein objektiver Zusammenhang von Erscheinungen noch eine Beziehung des Gedachten zum Subjekt, sondern nur eine Beziehung von subjektiven Setzungen ausgesprochen, also das Verbundensein zweier Begriffe i n n e r h a l b d e s S u b j e k t s und durch die setzende Tätigkeit des Subjekts. „Gerechtigkeit ist eine Tugend" bedeutet nicht dasselbe wie: Gerechtigkeit besteht im Belohnen des Guten und der Bestrafung des „Bösen" oder — in einem anderen Sinne des Wortes — zur Gerechtigkeit gehört die Achtung vor fremder Ehre und fremdem Eigentum, Sätze, in denen Elemente der Objektivität als tatsächlich in einem Begriff verbunden zum Bewußtsein gebracht werden. Sondern der Satz bedeutet nur: Die Setzung Tugend ist das Allgemeine zu der Setzung Gerechtigkeit, oder die Setzung Gerechtigkeit setzt l o g i s c h die Setzung Tugend voraus. Es hätte keinen Sinn zu sagen: das Dasein der Gerechtigkeit setze das Dasein der Tugend voraus, oder wo Gerechtigkeit gegeben sei, da sei zugleich noch etwas anderes, nämlich Tugend gegeben, so wie ich denke: wo das Sichausdehnen der Körper gegeben sei, da sei auch noch etwas anderes, nämlich Steigerung der Wärme gegeben. Es ist also nur das Verhältnis zweier Vorstellungen innerhalb des Subjekts zum Bewußtsein gebracht. Daraus folgt, daß es drei Arten von Verbindungsformen oder Kategorien gibt: Verbindungsformen innerhalb des Objekts, wir wollen sie m e t a p h y s i s c h e K a t e g o r i e n n e n n e n . Verbindungsformen zwischen dem Objekt und dem Subjekt, t r a n s z e n d e n t a l e Kategorien, da sie den Übergang, das Transzendieren vom Subjekt zum Objekt bezeichnen, und endlich Verbindungsformen innerhalb des Subjekts, die wir aus leicht begreiflichen Gründen l o g i s c h e Kategorien nennen. Die drei Arten ergeben sich einfach aus der Verschiedenheit der Sätze, die in der Sprache vorkommen. Jedermann muß einsehen, daß der Sinn der Verbindung von Subjekt und Prädikat in den Sätzen: Der Körper ist schwer — „es gibt" keine Gespenster — Gespenster sind — oder unter Gespenstern versteht man unkörperliche Wesen, die nach dem irdischen Tod sich auf der Erde manifestieren, ganz verschiedener Art ist. 21. Es ist nun die Aufgabe, die wichtigsten Kategorien metaphysischer, transzendentaler und logischer Art zum Bewußtsein zu bringen. Auch hier bietet uns die Sprache wichtige Anhaltspunkte. Zunächst fragen wir uns, um die m e t a p h y s i s c h e n Grundkategorien festzustellen, auf welche verschiedenen Arten wir denn aus einem gegebenen Subjekt zu einem Satz fortschreiten können. Der erste und natürlichste Fortschritt geschieht mit dem Hilfszeitwort Sein: Das Gold ist gelb, glänzend, schwer; das ergibt zwischen Subjekt und Prädikat die Beziehung des D i n g s u n d s e i n e r E i g e n s c h a f t e n ; D i e z , Sprechen, Denken und Erkennen.
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die Verbindungsform zwischen Subjekt und Prädikat ist die, daß an dem Zusammensein dieser Eigenschaften die Anwendbarkeit des Begriffs Gold erkannt wird. Ein Ding ist ein dauerndes Zusammensein von Eigenschaften. Fragen wir uns aber, wie das Gold sich nicht zu „gelb", glänzend, schwer, sondern wie es als Ding sich zu den Eigenschaften verhält, so ersetzt sich das Hilfszeitwort Sein durch das Hilfszeitwort „Haben". Das Ding ist nicht die Eigenschaften, sondern es h a t oder besitzt die Eigenschaften; es ist gelb, aber es h a t die Eigenschaft gelb. Es hat Eigenschaften, sowie es Zustände, Beziehungen, einen Ort, eine Dauer h a t . Das Ding erscheint damit als das G a n z e , welches Teile hat, oder aus Teilen b e s t e h t , wie in dem Satz: Der Körper des Menschen hat Kopf, Rumpf und Glieder, das Dreieck hat drei Seiten. Wir haben hier also eine neue Verbindungsform zwischen Subjekt und Prädikat: die des G a n z e n u n d seiner Teile. Der Unterschied zwischen dieser Kategorie und der des Dings ist der, daß in der des Dings das Ding noch nicht vollständig von den Eigenschaften gelöst, ihnen selbständig gegenüber gestellt ist, daher die Sprache so charakteristisch das „ist" anwendet. Das Sein des Goldes ist in dem gelb, schwer u. s. f. ausgesprochen, es findet noch eine Art von Identität des Dings mit den Eigenschaften statt. In der Tat hat man ja schon oft mit einem gewissen Recht gesagt, daß das „Ding" ohne die Eigenschaften nichts ist. Bei dem „Haben": „Der Körper hat einen Kopf", wird der Körper als ein selbständiges Subjekt den Teilen gegenüber gestellt, er ist nicht gleich Kopf usw., sondern er besitzt die Teile nur. Das Ding erscheint noch gegenüber den Eigenschaften als ein Nebelhaftes, bloß Gedachtes, wie es ja auch ohne Zweifel sprachlich mit „Denken" zusammenhängt; das Ganze hat dieselbe Realität wie die Teile; man kann ebensogut sagen, das Ganze bedinge die Teile, wie die Teile bedingens kzansane. Wir entnehmen aber dem einfachen „Ist"satz noch eine dritte Kategorie. Fragen wir uns nämlich, was denn eigentlich der Ausdruck: das Gold ist gelb sagen will, da er doch keine wirkliche Identität bedeutet, also keineswegs durch das Gleichheitszeichen ersetzt werden kann, so kommt uns zum Bewußtsein, daß darin ein zweiter objektiver Zusammenhang (neben dem zwischen gelb, schwer, glänzend) ausgesprochen ist, nämlich ein Zusammenhang zwischen dem Gold als Ding und dem Licht als Ding. Das Licht hat die Fähigkeit, dem Gold eine Eigenschaft „gelb" zu geben. Das Gold hat die Fähigkeit, dem Lichte eine Wirkung auf sich „gelb" aufzunötigen. Das Gold hat die Kraft oder die Fähigkeit, die gelben Lichtstrahlen zu reflektieren, das weiße oder farblose Licht (das Licht an sich) hat die Fähigkeit sich in farbige Lichter aufzulösen. Das Ding mit den Eigenschaften verwandelt sich also hier in die Fähigkeit oder Kraft und ihre Äußerung, d. h. in die Ursache und ihre Wirkung. Damit
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erst ist eine vollkommen objektive Beziehung des Seienden erreicht. Das Ding ist, wie oben gesagt, gegenüber den Eigenschaften nur ein Gedachtes, kein selbständiges Sein ihnen gegenüber, das Ganze ist die bloße Summe der Teile, hat kein von ihnen verschiedenes Dasein, die Ursache und ihre Wirkung dagegen bezeichnen eine Beziehung zwischen zwei selbständigen Erscheinungen. In dem Fortschritt vom Ding zu der Ursache liegt also eine fortschreitende Objektivierung, die Beziehung zwischen dem Seienden streift ihre subjektiven Elemente ab und wird immer realer. Die Sonne — dieses objektive Sein — w ä r m t die K ö r p e r — dieses ebenso objektive Sein. Dies ist ein viel realeres Verhältnis als der Dingsatz: Die Sonne ist rund und hell, und der Satz des Ganzen: die Sonne hat eine Photosphäre und Corona usw. Das Hilfszeitwort, das dieses objektive Verhältnis bezeichnet, ist „tun". Die Sonne „tut" die Körper wärmen. 22. Die t r a n s z e n d e n t a l e n G r u n d k a t e g o r i e n beruhen auf den wesentlichen psychologischen Weisen, in denen uns die Vorstellungen zum Bewußtsein kommen. Vorstellungen sind uns entweder g e g e b e n , d. h. sie kommen ohne das Bewußtsein eigener Tätigkeit des Subjektes zustand, wie die Eindrücke, rot, blau, warm, kalt, rund, eckig, hart, weich, laut, still samt ihrem dauernden oder wechselnden Zusammensein; oder sie sind von dem Subjekt g e s c h a f f e n , wie alle allgemeinen Begriffe, g e s e t z t , nicht gegeben wie der Baum, der „Vogel", die als solche nicht anschaulich gegeben sein können; oder sie sind dem Denken v o r a u s g e s e t z t , wie alle die Begriffe und Sätze, die das Denken in seiner Tätigkeit l e i t e n , also z. B. der Begriff des Dings und seiner Eigenschaften, der Satz: alles was geschieht hat seine Ursache, das Wesen bleibt sich selbst gleich usw., Begriffe und Sätze, die schon in ihrer absoluten Allgemeingültigkeit und Unvermeidlichkeit die Garantie in sich tragen, daß sie aus der Natur des Denkens selbst hervorgehen, also allem bestimmten einzelnen Denken v o r a u s g e s e t z t sind. Sofern uns eine Vorstellung ohne unser eigenes Zutun, d. h. unter dem begleitendem Bewußtsein der Rezeptivität zum Bewußtsein kommt, schreiben wir ihr Dasein oder Objektivität zu; sofern sie das Bewußtsein mit sich bringt, daß sie nicht Resultat unsres rezeptiven Verhaltens, sondern geistiger Art, durch die Tätigkeit des Denkens gesetzt ist, schreiben wir ihr ein dauerndes, sich selbst gleiches Wesen zu. Sofern aber zum Bewußtsein kommt, daß Dasein oder Objektivität gemäß dem im Denken V o r a u s g e s e t z t e n behauptet wird, vorausgesetzt teils durch die vorhergegangene bewußte Setzung, teils durch die Natur des Denkens, schreiben wir ihm einen G r u n d zu. D a s e i n , Wesen und G r u n d sind also die bestimmten Beziehungen, die zwischen der Vorstellungswelt und dem Subjekt stattfinden und also die t r a n s z e n d e n t e n Kat e g o r i e n . Auch diese drei Kategorien haben ihren besonderen Aus3*
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druck in der Sprache, sofern das Dasein seine charakteristische Form in dem S a t z hat, der immer ein Gegebensein bezeichnet oder Ausdruck einer Tatsache ist, das Wesen in dem B e g r i f f , der immer eine sprachliche Fixierung eines mit sich Identischen ist, eines nicht Gegebenen, Anschaulichen, sondern eines Gesetzten, das zugleich eine ideale Forderung enthält, nämlich die Forderung der Dauer; und der Grund in der S a t z v e r b i n d u n g , insbesondere der F o l g e r u n g , „ich denke, a l s o bin ich" bedeutet, daß kraft des in der Natur des Denkens vorausgesetzten Zusammenhangs zwischen den Begriffen „Tätigkeit" und „Dasein" — Tätigkeit ist eine Form des Daseins, nämlich „Tätigs e i n " — mit dem Denken seiner Tätigkeit auch das Dasein gesetzt ist. 23. Die l o g i s c h e n K a t e g o r i e n sind diejenigen, die aus der allgemeinsten Tätigkeit des Denkens entspringen und also schon dem „Bezeichnen" zugrund liegen. Um bezeichnet zu werden muß eine Vorstellung als ein Sein für sich, als ein nur sich selbst Gleiches, mit sich Identisches zum Bewußtsein kommen, das von allem andern verschieden, aber in sich zusammengehörig ist, also enthält die Bezeichnung die Kategorie der I d e n t i t ä t , samt den von ihr abhängigen der Verschiedenheit oder des Andersseins und die der Übereinstimmung. Sofern nur das Dauernde als das an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten Identische bezeichnet werden kann — andernfalls hätte das Bezeichnen keinen Sinn — liegt dem Bezeichnen die Kategorie der A l l g e m e i n h e i t , sofern die Bezeichnung immer auf ein Gegebenes geht, die der E i n z e l h e i t , und sofern dieses Einzelne eben als das allgemeine, das Allgemeine eben als dieses Einzelne gedacht wird, die der B e s o n d e r h e i t zugrunde. Sehen wir aber auf den Sinn der Bezeichnung oder die Wirkung der Bezeichnung, so erkennen wir, daß ihr das Verlangen des Denkens nach N o t w e n d i g k e i t zugrund liegt; das Identische ist das, was in dem Unterschied und Wechsel der Zeit sich selbst gleich bleiben muß, also eine Notwendigkeit in sich hat, so und nicht anders zu sein. Das Allgemeine, das in jedem Besonderen steckt, zwingt das Denken das Besondere so oder so zu denken; zugleich entstehen aber mit der Notwendigkeit auch die Nebenkategorien der Zufälligkeit und der Bedingtheit, sofern das Besondere und das Einzelne vom Allgemeinen aus zufällig, aber durch das Allgemeine bedingt ist. Identität, Allgemeinheit und Notwendigkeit sind also die rein logischen Formen der Verbindung von Vorstellungen, und sie sinds auch, die die ganze Wissenschaft der Logik beherrschen, ohne die eine logische Wissenschaft unmöglich wäre. Sprachlich drücken sie sich aus in dem Unterschied von Definitions-Unterscheidungs- und Bestimmungsurteil: „der Himmel ist bewölkt", gemäß den Kategorien der Identität, der Verschiedenheit und der Übereinstimmung oder Zusammengehörigkeit; in dem Unterschied von allgemeinem Urteil, Einzelurteil und partikularem Urteil,
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die den Kategorien der Allgemeinheit, Einzelheit und Besonderheit entsprechen, und in dem Unterschied von Begriffsurteil, Erfahrungsurteil und hypothetischem Urteil, die auf die Kategorien der Notwendigkeit, Zufälligkeit und Bedingtheit zurückgehen. 24. Die Schwierigkeit für die Feststellung der Kategorientafel beruht einmal in der Fülle von Beziehungen, die zwischen allen Kategorien stattfinden, da sie innerhalb des Denkens ein untrennbares Ganzes bilden und so leicht in der mannigfachsten Weise gruppiert, in der mannigfachsten Weise eine von der anderen aus erreicht werden können; sodann in der Abstraktheit dieser ganz allgemeinen Begriffe, die leicht dazu verleitet, das, was nicht auf der gleichen Stufe steht, nebeneinander und einander entgegen zu setzen. Es bedarf deswegen einer Kontrolle für die Richtigkeit des aufgestellten Systems. Diese wird für die Metaphysik dadurch geleistet, daß nach einer bestimmten Regel des Fortschritts eine Kategorie aus der anderen abgeleitet und auf diesem Wege die Gesamtheit aller Grundformen der Verbindung von Vorstellungen erzeugt wird. Hier, wo wir es nur mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Philosophie zu tun haben, müssen es p s y c h o l o g i s c h e E i n s i c h t e n sein, aus denen sich die Richtigkeit der aufgestellten Tafel ergibt. Man sieht zunächst innerhalb der logischen Kategorien, daß ein Teil der logischen Kategorien unmittelbarer Ausdruck der Vernunftbedürfnisse, ein anderer Teil Ausdruck einer freien Entgegensetzung gegen die Vernunft durch Negation der ersteren ist, so daß wir hier Kategorien der Rationalität: Identität, Allgemeinheit und Notwendigkeit, und Kategorien der Irrationalen, wie Verschiedenheit, Einzelheit und Zufälligkeit unterscheiden müssen. Als dritte Form erscheinen die Kategorien, mit denen wir das Irrationale rationalisieren, wie Zusammengehörigkeit und Übereinstimmung, die das Verschiedene als wesentlich verbunden denken; Besonderheit, die das Einzelne in seiner Einordnung in das Allgemeine, und Bedingtheit, die das Zufällige in seiner Einordnung in das System des Notwendigen auffaßt. Der Fortschritt von einer Kategorie zur andern ist hier der einfachste: Position, Negation und Limitation. Fast ebenso einfach ist der Fortschritt in der Reihe der transzendentalen Kategorien, der auf den psychologischen Bedingungen der Notwendigkeit beruht. Notwendig zu denken ist das, was uns ohne unser „Zutun" vermöge unserer reinen Rezeptivität als gegeben zum Bewußtsein kommt; wir schreiben dem Gegebenen und ihm allein Dasein zu! Notwendig zu denken ist zum Zweiten das kraft des Gegebenen g e s e t z t e Allgemeine, das wir Wesen nennen; und im vollsten Sinne notwendig ist das durch die Natur des Geistes selbst Gegebene, also das V o r a u s g e s e t z t e , in dem wir den G r u n d aller Notwendigkeit erkennen. Wie die drei transzendentalen Kategorien somit einfach aus
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dem psychologischen Gegensatz des tätigen Verhaltens, des leidenden Verhaltens und der beiden Arten des Verhaltens vorausgesetzten Natur des Denkens, des rückwirkenden reflexiven Verhaltens des Denkens hervorgehen, so die metaphysischen Kategorien aus dem psychologischen Gegensatz von Sinnlichkeit, Anschauung und Denken. Das Ding mit seinen Eigenschaften ist die Zusammenfassung eines Sinneskomplexes zu einer Einheit, das Ganze ist immer von Haus aus ein Ganzes der Anschauung, durch Raum und Zeit bestimmt; die Kraft dagegen als Ursache einer Wirkung ist ein schlechterdings nur Gedachtes, wie denn H e g e l auch mit Recht mit dem Auftreten des Kraftbegriffs die Verwandlung des Seienden in das Gedachte, das Reich des Verstandes, beginnen läßt. 25. Aber nicht nur in der Einfachheit ihrer psychologischen Grundlagen muß sich die Aufstellung der Grundkategorien bewähren, sondern auch in ihrem natürlichen inneren Zusammenhang. Betrachtet man die Tafel der Grundkategorien, so erkennt man leicht, daß von den logischen zu den transzendentalen, und zu den metaphysischen Kategorien ein ebenso einleuchtender Fortschritt stattfindet, wie er innerhalb der Kategorien derselben Art zu erkennen ist. logisch Identität Allgemeinheit Notwendigkeit
Tafel der Kategorien. transzendental Dasein Wesen Grund
metaphysisch Ding Kraft oder Ursache Ganzes
Der Fortschritt von der Identität zur Allgemeinheit und von da zur Notwendigkeit ergibt sich aus der Erwägung, daß der Gedanke, zwei Vorstellungen als identisch zu setzen, nur dann einen Sinn hat, nur dann v e r w i r k l i c h t wird, wenn auch eine Verschiedenheit zwischen beiden stattfindet; der Satz A = A, wenn A beiderseits in demselben Sinn genommen wird, ist ebenso sinnlos, wie der Satz: Tugend ist Tugend, Eisen ist Eisen, den im eigentlichen Sinne niemand aufstellen wird. Sinnvoll wird der Satz der Identität etwa in der Form: Tugend ist die dauernde Fähigkeit, sittliche Motive über die natürlichen zu stellen, Eisen ist ein Metall von diesen und diesen Eigenschaften. In diesen Definitionen werden die beiden Seiten derselben in der Tat als identisch gesetzt; das ist aber nur dadurch möglich, daß sie auch verschieden sind; verschieden sind sie dadurch, daß in der Definition dieselbe Anschauung, dasselbe Wirkliche, das einmal einfach gesetzt, das anderemal als ein Allgemeines von spezieller Prägung gedacht wird, also durch den Gegensatz des Allgemeinen und des Besonderen ausgedrückt wird. So führt der Gedanke der Identität notwendig zu dem Gedanken des Allgemeinen. Dieser aber findet seine Verwirklichung
Die Verbindungsformen des Denkens
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nur in dem Gedanken der Notwendigkeit; denn welche Sicherheit soll der Denkende dafür haben, daß ein Begriff, ein Satz von wirklich allgemeiner Geltung ist, als die, daß er von dem Bewußtsein der Notwendigkeit, d. h. eines unbedingten Zwangs im Bewußtsein begleitet ist ? Nur da wissen wir, daß ein Satz wirklich allgemeine Geltung hat, allgemeine Zustimmung gewinnen muß, wo wir wissen, daß unsere individuelle Natur, unser zufälliger Ort, unsere zufällige Zeit, unsere zufällige persönliche Anlage und Stimmung nichts mit seiner Entstehung zu t u n haben. Es zeigt sich also, daß die V e r w i r k l i c h u n g des ersten Begriffs im Bewußtsein immer nur durch den folgenden möglich ist. Genau so ist es mit den transzendentalen Kategorien. Durch das Bewußtsein der Rezeptivität, des Gegebenseins, nicht Gesetztseins einer Vorstellung, wird der Gedanke der Objektivität oder des D a s e i n s geschaffen. Aber jedermann weiß, daß wir dieses Bewußtsein auch im Traum, in jeder Art von wirklicher Einbildung, Halluzination des Geisteskranken, Fieberzuständen des körperlich Kranken haben. Soll das Bewußtsein der Objektivität im vollen Sinn verwirklicht werden, so ist das, populär ausgedrückt, nur durch die Dauer oder die Wiederholbarkeit des Eindrucks möglich. Traumvorstellungen verschwinden aber mit dem Traum und erweisen sich damit als nicht objektiv. Wenn im Traum mein Haus eingestürzt ist, so finde ich es bei der Veränderung meines eigenen Zustandes, d. h. im Wachen nicht auch eingestürzt, so wie ich es etwa nach einem wirklichen Erdbeben jeden Morgen aufs neue finden würde. Das Bewußtsein des Daseins, der Objektivität ist also nur zu verwirklichen durch die Gesetzmäßigkeit des Seins, die Allgemeinheit, Wiederholbarkeit, Dauer des Eindrucks, die wir genau mit dem Begriff des W e s e n s bezeichnen. Das Bewußtsein des Daseins ist also nur durch den Begriff des Wesens zu verwirklichen. Ebenso ist dieses zwar im Bewußtsein vollkommen zu verwirklichen, auch ohne den Begriff des G r u n d e s ; aber da der Begriff des Wesens das Denken zwingt, das Wirkliche zu verlassen und zu dem Unsinnlich-Geistigen überzugehen, so wird die Beziehung des Wesens zur Wirklichkeit, die doch für das Denken unentbehrlich ist, nur hergestellt, indem das Wesen als Grund der Wirklichkeit zum Bewußtsein gebracht wird. Das Wesen als Grund des Daseins aufzufassen ist also notwendig, um dem Denken die ihm wesentliche Beziehung auf das Tatsächliche zu erhalten. Nicht so einfach ist natürlich der Fortschritt innerhalb der m e t a p h y s i s c h e n Kategorien einzusehen; doch ergibt er sich auch hier mit voller Klarheit, sobald man nur zum Bewußtsein gebracht hat, wo der Anfang dieser Reihe zu suchen ist. Man könnte denken, er müsse in dem Begriff des Ganzen liegen, da diese Kategorie als die äußerlichste erscheint, weil das Ganze ebenso anschaulich ist, wie die Teile. Allein
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in der Entwicklung der Kategorien ist vielmehr das volle Durchdringen zum anschaulich Realen der Schluß, da sie selbstverständlich vom Interesse des Denkens, also von dem Subjektiv-Ideellen ausgehen und von da zum Wirklichen fortschreiten muß, wie wir in der Tat bisher jede Kategorie an der Wirklichkeit, zunächst an ihren psychologischen Voraussetzungen, gemessen haben. Von diesem Gesichtspunkt aus ist die erste der metaphysischen Kategorien die noch ganz unwirkliche des Dings und seiner Eigenschaften. Die Eigenschaften sind freilich wirklich genug, aber das Ding, das diese Eigenschaften hat, ist zunächst eine ganz unbestimmte Zusammenfassung dieser Eigenschaften; ein rein Gedachtes, das kaum eine reale Bedeutung zu haben braucht, und sobald das zum Bewußtsein kommt, fallen in den ersten Prozessen des Denkens auch die Eigenschaften ab. 26. Aber auch wenn wir jedesmal die auf gleicher S t u f e stehenden Kategorien logischer, transzendentaler und metaphysischer Art miteinander vergleichen, also z. B. Identität mit Dasein und Ding, zeigt sich ein gesetzmäßiger Fortschritt. Identität, Dasein und Ding stehen in den betreffenden Kategorienreihen auf der gleichen Stufe und hängen so zusammen, daß nur die Identität des Seins zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Orten uns ein Dasein als objektives zum Bewußtsein bringen, also das Bewußtsein des Daseins verwirklichen kann. Daß ferner Wirkungen auf uns und in uns auf ein Objektives zurückzuführen sind, nicht aus uns selbst kommen, wird eben dadurch gedacht, daß sie einem Ding zugeschrieben werden. Dasein im eigentlichen Sinn wird deswegen immer nur Dingen zugeschrieben; das D a s e i n einer Kraft z. B. können wir uns gar nicht vorstellen, sie ist „da" nur in ihrer Wirkung, nämlich in irgend einer Form von Bewegung oder Tätigkeit, und Bewegung und Tätigkeit brauchen nach den im Organismus unseres Denkens liegenden Gesetzen stets ein e t w a s , das sich bewegt oder tätig ist, ein Subjekt der Bewegung und Tätigkeit, also ein Ding. Auf der zweiten Stufe entsprechen so einander der logische Begriff der Allgemeinheit, der transzendentale des Wesens und der metaphysische der Kraft oder Fähigkeit oder Ursache. Denn das Wesen ist in der Tat nichts anderes als das Allgemeine in den Dingen, die platonische Idee und die Kraft ist nichts anderes als der Gedanke, der die Fähigkeit hat, sich in die Wirklichkeit zu setzen, die Hegeische Idee. Ebenso kommt Notwendigkeit, die logische Kategorie der dritten Stufe nur in dem Gedanken des Grundes zum Bewußtsein und dieser erst faßt das Einzelne, das Tatsächliche als Element eines Ganzen, indem er den Z u s a m m e n h a n g , d. h. eben die Ganzheit der Dinge zum Bewußtsein bringt.
Die Urteilsformen des Denkens
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VII. DIE WESENTLICHEN URTEILSFORMEN DES DENKENS 27. Nun sieht allerdings diese Kategorienreihe anders aus als die gewöhnliche und weicht z. B. von der Kant'schen erheblich ab. Das rührt aber daher, daß hier zum erstenmal für die Bestimmung der Kategorien der Begriff der V e r b i n d u n g s f o r m streng festgehalten ist. Jedermann wird z. B. in unserer Tafel der Kategorien die Begriffe der Quantität und der Qualität, der Einheit, Vielheit und Allheit vermissen, die bei Kant eine so wichtige Stelle einnehmen: ganz abgesehen von der Menge der Kategorien, die wir in der „Filigranarbeit" der He gelschen Logik auftreten sehen, wie die Begriffe von Innerem und Äußerem, Form und Inhalt, Chemismus und Organismus u. s. f. Sehr verschieden ist unsere Reihe der Grundkategorien auch von dem Versuch z. B. U l r i c i s , die Kategorien als die wesentlichen U n t e r s c h e i d u n g s f o r m e n zu konstruieren. Aber einmal geht, wie gesagt, unsere Kategorientafel von dem strengen Begriff der Verbindungsform aus, weil sich das Denken von vornherein in dem Bewußtwerden des gegebenen Z u s a m m e n h a n g s von Vorstellungen erschöpft, was sich aus der Tatsache ergibt, daß wir nur in S ä t z e n denken; sodann ist zu bedenken, daß aus dieser Vorstellung vom Wesen des Denkens sich der der bisherigen Logik gänzlich fehlende Unterschied der drei Arten von Verbindung, nämlich Verbindung im Subjekt, zwischen dem Subjekt und Objekt, und innerhalb des Objektes ergibt, eine Unterscheidung, die das Suchen der Kategorien von vorneherein auf ganz bestimmte Bahnen weist; endlich muß beachtet werden, daß unsere Tafel nur die Grundkategorien, also die letzten und allgemeinsten Begriffe enthält, die das Denken beherrschen, und daß also eine Entwicklung dieser Kategorientafel möglich ist, die noch eine Reihe weiterer Grundbegriffe zum Vorschein bringen wird. 28. Richtig ist zweifellos der Gedanke Kants, daß die Kategorientafel sich aus der Verschiedenheit der Urteilsformen ergeben oder mindestens, daß die Kategorientafel in der Verschiedenheit der Urteilsformen eine Parallele haben muß. Aber es ist nicht gesagt, daß die alte, rein formale Logik auch sämtliche Urteilsformen in der richtigen Weise aufgestellt hat, und man kann es nur durch die ungeheure Neuheit seiner Aufgabe erklären, daß Kant sich bei diesem wichtigsten Abschnitt der Kritik der reinen Vernunft darauf beschränkt hat, die in der Logik vorhandene Unterscheidung einfach aufzunehmen, statt zu dem gemeinsamen Quell sowohl der Urteilsformen als der Kategorien in dem Organismus unseres Intellekts fortzuschreiten. Daraus entspringen eine Anzahl von Unrichtigkeiten und Schiefheiten, die sich in seiner Kategorientafel frühe schon bemerklich machten. 29. Der Zusammenhang zwischen der Kategorientafel und den
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Urteilsformen ist sicher vorhanden. Es gelten in den Urteilsformen naturgemäß dieselben Einteilungsprinzipien wie bei den Kategorien d. h. es gibt Urteile die ein logisches, andere, die ein transzendentales und andere, die ein metaphysisches Verhältnis aussprechen. Untersuchen wir die Urteilsformen, so steht in der logischen Sphäre das reine I d e n t i t ä t s u r t e i l natürlich an der Spitze. Irgendwelche Form von Identität muß immer zwischen dem Subjekt und dem Prädikat vorhanden sein, weil sonst die Notwendigkeit der Verbindung nicht einzusehen wäre. Das Gesetz, unter dem die Urteile für die rein logische Betrachtung stehen, ist sehr einfach und besagt nicht anderes, als daß der Anschauungskomplex, für den ein Name geschaffen ist, als wesentlich mit diesem Namen verbunden festgehalten werden und daß jedes einzelne seiner Momente von dem Namen prädiziert werden müsse. Die Möglichkeiten des Urteils sind nun folgende: 1. Es wird die Identität zweier Namen zum Bewußtsein gebracht, die zur Bezeichnung desselben Anschauungskomplexes dienen, wie in dem Satz: das Dreieck ist ein Dreiseit. Dies ist die „Urform" des Urteils, das reine I d e n t i t ä t s u r t e i l , das auf der Willkür begründet ist, die in der Namengebung liegt; ich kann j a offenbar das Dreieck sowohl auf Grund der drei Ecken bezeichnen, als auch auf Grund der drei Seiten, die es hat. Das Identitätsurteil ist keineswegs so unwesentlich, als es auf den ersten Blick scheinen könnte. Es spielt eine große Rolle in der philosophischen Wissenschaft, in der Sätze, wie: Das Unbedingte ist der Geist, ganz wesentlich sind. Alle solchen Sätze können umgekehrt werden: das Dreiseit ist ein Dreieck, der Geist ist das Unbedingte. 2. In der bezeichneten Anschauung selbst wird unterschieden zwischen dem, was die Anschauung mit anderen gemein hat, und dem, was sie von anderen unterscheidet, d. h. zwischen dem allgemeinen Moment, das, wie wir sehen, in jedem Begriff steckt, und dem speziellen unterscheidenden Moment. Hier findet zwischen dem Namen, der das Subjekt des Satzes bildet und dem, der zum Prädikat wird, nur noch eine teilweise Identität statt: das Quadrat ist ein Rechteck, bedeutet: die Anschauungselemente von S sind teilweise identisch mit den Anschauungsmomenten von P, alle Anschauungsmomente von P sind in S enthalten, aber nicht umgekehrt: das Eisen ist ein Metall, d. h. es enthält sämtliche Anschauungsmomente, die im Begriff Metall gesetzt sind, aber in diesem sind nicht alle Anschauungsmomente gesetzt, die im Begriff Eisen liegen. Hier bedeutet also: das „ist", die Identität, nur noch: P = dem Allgemeinen in S. Das ergibt die zweite Art des Urteils, das S u b s u m p t i o n s u r t e i l . Die dritte Art eines solchen relativen Identitätsurteils ist die, in der nicht das Spezielle, sondern das Allgemeine als Subjekt gesetzt sind und diesem die Elemente des Anschauungskomplexes als Prädikat gegeben werden: Das Tier hat Empfindung und
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Selbstbewegung. Auch hier findet keine volle Identität statt. Der Satz kann nicht umgekehrt werden: was Empfindung und Selbstbewegung hat, ist ein Tier. Der Allgemeinbegriff erscheint als das Ganze, das einzelne anschauliche B e s t i m m u n g e n hat, wir nennen deswegen das Urteil B e s t i m m u n g s u r t e i l . Es ist das eigentliche analytische Urteil: kraft des Begriffs wird die in ihm e n t h a l t e n e A n s c h a u u n g gesetzt. Es stehen also auf der rein logischen Stufe drei Urteilsformen: das Urteil der vollen Identität. Dieses entwickelt sich durch freie Entgegensetzung zu dem Urteil der Nichtidentität, dem Unterscheidungsurteil (der Rhombus ist kein Quadrat), dieses zu dem der beschränkten oder teilweisen Identität; diese kann in doppelter Form auftreten, indem zuerst der Begriff seinem U m f a n g nach in das Allgemeine und Spezielle, das er in sich hat, zerlegt und von dem Speziellen das Allgemeine prädiziert wird, das S u b s u m t i o n s u r t e i l , oder indem der Begriff seinem I n h a l t nach in das Ganze und seine einzelnen Bestimmungen auseinandergelegt und die einzelnen Bestimmungen von dem Ganzen prädiziert werden, das B e s t i m m u n g s u r t e i l . Wie diese Urteilsformen mit den Kategorien Identität, Allgemeinheit und Notwendigkeit zusammenhängen, bedarf nur bei dem Bestimmungsurteil einer weiteren Begründung. Wenn ich sage: Der Planet bewegt sich um die Sonne, so könnte man denken, dies sei ein reines Daseinsurteil, wenn man nicht ins Auge faßte, daß der Begriff Planet eben aus dieser Bewegung gebildet ist, und daß der Sinn des Urteils also nicht synthetisch ist: Hier ist ein Ding, Planet geheißen; und von diesem Ding erkenne ich jetzt, daß es sich bewegt; sondern in dem Begriff Planet ist die Bewegung schon v o r a u s g e s e t z t und eben dieses Vorausgesetztsem wird in dem Bestimmungsurteil zum Bewußtsein gebracht. Die Beziehung zwischen dem Subjekt und Prädikat ist also, rein logisch betrachtet, nur die der logischen Notwendigkeit, die nur eine Form der Identität, nämlich der Identität zwischen dem Anschauungskomplex, der zur Bildung eines Namens geführt hat, und diesem Namen ist. Weil der Name Planet zu Bezeichnung eines sich unter den anderen bewegenden Sterns gebildet ist, deswegen m u ß das Denken kraft seiner eigenen Setzung daran festhalten, daß der Planet sich bewegt. Ein solches Bestimmungsurteil bezeichnet also nichts als den notwendigen Zusammenhang zwischen dem Anschauungskomplex und dem Namen, der ihm gegeben ist, oder die im Denken wegen seiner Tendenz zum wirklichen liegende N o t w e n d i g k e i t , die Beziehung zwischen dem Namen und seinem Anschauungskomplex festzuhalten. 30. Transzendentale Urteile werden in der gewöhnlichen formalen Logik kaum unterschieden. Das hindert aber nicht, daß sie einen der fundamentalsten Urteilsunterschiede ausdrücken, der deswegen in der Kategorientafel zum Vorschein kommen muß. Es ist doch einer der
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wesentlichsten Urteilsunterschiede, ob ich sage: es g i b t sechs unterscheidbare Farben im Sonnespektrum, es g i b t Gegenden, in denen die Sonne ein halbes Jahr lang nicht untergeht, es g i b t jetzt Regen, es regnet jetzt und hier, also Sätze ausspreche, in denen einfach das V o r h a n d e n s e i n gewisser Dinge ausgesagt wird oder ob ich sage: das Licht ist eine Wellenbewegung, der Mensch ist ein vernunftbegabtes Tier, Sätze, in denen ich zum Bewußtsein bringe, w a s ein Ding ist. Dieser Unterschied von D a s e i n s u r t e i l e n und W e s e n s u r t e i l e n kann also von der Logik keinesfalls übersehen werden. Die ersten sagen aus, daß ein im Bewußtsein Gesetztes g e g e b e n sei oder gegeben gewesen sei oder gegeben sein werde: Es schneit, es hat gestern geschneit, es wird morgen schneien, antworten auf die Frage, ob etwas ist, sagen nur ein „daß" aus, sagen aus, daß etwas eingetreten sei oder eintreten werde; die Wesensurteile antworten auf die Frage, „was" dies und das ist, als was es durch das Denken gesetzt, im Bewußtsein bezeichnet worden ist. Das „ob ?" („daß") und das „was ?" sind also zwei Grundfragen des Denkens, Ausdruck wesentlicher Denkbedürfnisse, die D a s e i n s - (Existential)urteile und Wesensurteile und die beiden Kategorien des Daseins und Wesens zugleich begründen; es liegt auf der Hand, daß auch die dritte Grundfrage des Denkens, die Frage nach dem „Warum ?" eine besondere Form des Urteils und eine besondere Kategorie begründet. Die Urteilsform ist das h y p o t h e t i s c h e Urteil und die Kategorie ist die des Grundes. Auch hier also zeigt sich ein wesentlicher Unterschied der Urteilsformen parallel mit einer Anzahl von Kategorien. 31. Die logischen Urteilsformen, das Identitätsurteil (samt dem Unterscheidungsurteil), das Subsumptionsurteil und das Bestimmungsurteil unterscheiden sich durch den Sinn, den die Beziehung von Subjekt und Prädikat oder die Identität zwischen beiden hat. Die transzendentalen Urteilsformen unterscheiden sich durch den Zweck des Urteils oder den Zweck des Denkens im Urteil, das um des Daseins sicher zu werden, durch das Wesen zum Grund aufsteigt. Die m e t a p h y s i s c h e n Urteilsformen können, wenn wir im formal Logischen bleiben wollen, sich nur noch durch das verschiedene R e c h t des Urteils unterscheiden. Was aus der Bezeichnung eines Anschauungskomplexes durch einen Namen direkt hervorgeht, nämlich die Prädizierung der einzelnen Momente des Anschauungskomplexes von dem Namen, bedeutet, daß diese Momente dem Namen, d. h. dem Ding als Eigenschaften zugeschrieben werden und begründet das reine a n a l y t i s c h e U r t e i l : kraft des Namens oder des Begriffs werden seine inhaltlichen Momente gesetzt. Die Verbindung zweier verschiedener Vorstellungen durch eine regelmäßige Zeitfolge bedeutet das r e i n s y n t h e t i s c h e U r t e i l , synthetisch, weil das Prädikat nicht schon im Subjekt gesetzt ist, und findet
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seinen charakteristischen Ausdruck in der Kategorie: der Ursache und Wirkung. Daß die Wärme, die uns zunächst nur als Hautgefühl gegeben ist, die Körper ausdehnt, geht nicht aus dem unmittelbar gebildeten Begriff der Wärme hervor. Das Recht dieses Urteils liegt also nicht in der Namengebung, sondern nur in dem anschaulich gegebenen beständigen Zusammenhang zwischen jener Hautempfindung und der Gesichtswahrnehmung des sich ausdehnenden Körpers. Da ein solches Urteil seinen Grund nicht erkennen läßt, ist es nicht logisch vollkommen. Soll es das werden, so muß es sich in ein synthetisches „Urteil" a priori, oder wie K. Chr. P l a n c k dieses Urteil richtig bezeichnet, in ein logisches K o n s e q u e n z u r t e i l verwandeln. Dies geschieht in dem angeführten Beispiel durch die wissenschaftliche Bearbeitung des Begriffs der Wärme. Die Konsequenzurteile sind die eigentlichen Zielu r t e i l e des Denkens; denn sie allein setzen den Zusammenhang zwischen einem realen Subjekt und seinem ebenso realen Prädikat, einen Zusammenhang, der zunächst nur als zeitliches oder räumliches Zusammensein durch Erfahrung gegeben ist, als eine erkannte Notwendigkeit und verwirklichen damit die oben aufgestellte Definition des Denkens, daß im Denken das Gegebene gemäß dem durch die Natur des Geistes Vorausgesetzten als gegeben gesetzt wird.
VIII. WEITERE ENTWICKLUNG DER KATEGORIENTAFEL DURCH DIE PSYCHOLOGISCHEN BEDINGUNGEN IHRER VERWIRKLICHUNG IM BEWUSSTSEIN. Schon bei der Entwicklung der neun Grundkategorien haben wir gelegentlich eine Erweiterung der Kategorientafel durch sekundäre Kategorien, Kategorien zweiter Ordnung vorgenommen. Wir haben z. B. von der Kategorie der Identität aus als die psychologische Bedingung, durch welche die Anwendung dieser Kategorie einen Sinn bekommt, den Gedanken der Verschiedenheit und als Verbindung beider Begriffe den der Übereinstimmung zum Bewußtsein gebracht. Der Sinn dieses dritten Gedankens war, daß, da die Identität psychologisch die Verschiedenheit voraussetzt, sie keine reine oder abstrakte Identität mehr sein kann, sondern nur noch eine beschränkte Identität, die wir als Übereinstimmung bezeichnen. Ebenso haben wir der Kategorie der Allgemeinheit als ihre psychologische Voraussetzung die der Einzelheit gegenübergestellt, denn der Gedanke des „Allen" gemein setzt ein Zählen des Einzelnen voraus, das zunächst allein gegeben ist. Aus der Verbindung beider Gedanken entwickelten wir dann die Kategorie des Besonderen, die beide Begriffe vereinigt und so erst die Bezeichnung des Wirklichen wird: Alles Wirkliche ist ein Besonderes, d. h. zugleich ein Allgemeines und ein Einzelnes, ein bestimmtes Allgemeine.
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32. Ein einfaches Nachdenken zeigt uns, daß mit diesen Nebenkategorien weder der Begriff der Identität noch der Begriff der Allgemeinheit zu seiner natürlichen Vollendung gekommen, d. h. in den Bedingungen seiner Verwirklichung voll erkannt ist. Zunächst setzt der Begriff der Übereinstimmung psychologisch offenbar den Begriff der Nichtübereinstimmung oder des W i d e r s p r u c h s voraus. Denn wir haben nur dann einen Grund die Übereinstimmung zu b e h a u p t e n , wenn zunächst eine Nichtübereinstimmung gegeben ist. Der Identitätssatz ist also psychologisch betrachtet der Satz des a u f g e h o b e n e n Widerspruchs. Diese Aufhebung geschieht durch die neue Kategorie der q u a n t i t a t i v e n I d e n t i t ä t (die beiden Seiten AB und BA sind nur eine, nicht zwei Seiten) und diese wiederum ist nur denkbar dadurch, daß erkannt wird, die ursprünglich gedachte Verschiedenheit beruht bloß auf einem G e g e n s a t z der subjektiven und objektiven Betrachtungsweise, nämlich auf dem Gegensatz der Richtungen. Selbigkeit des Verschiedenen ist nur möglich durch einen Gegensatz von Betrachtungsweisen, man könnte sagen: durch die Unterscheidungsform von ich und du, dem einen und dem andern. Aus dem allen ziehen wir den Schluß, daß der G e g e n s a t z die Form ist, in der die Identität allein psychologisch verwirklicht werden kann. Sofern sie den Gegensatz in sich aufgenommen hat, erscheint die Identität noch als bloße Gleichheit, etwa Gleichheit der Qualität bei Verschiedenheit der Qantität, Gleichheit im Objekt bei Verschiedenheit des subjektiven Standpunktes u. s. f. Die Kategorie der Identität entwickelt sich also, wenn ihre psychologischen Bedingungen untersucht werden, so: Identität — Verschiedenheit Übereinstimmung — Widerspruch Selbheit — Gegensatz Gleichheit. Mit der Gleichheit wird Identität zur Identität in i r g e n d einer bes t i m m t e n (z. B. quantitativen) B e z i e h u n g . Die logisch bedeutungslose Form des Identitätsgesetzes z. B. A = A wird bedeutungsvoll, wenn sie auf den Gegensatz von Begriff und Anschauung zurückgeführt wird und die Form annimmt: A (der Begriff) ist = a + a j -f- a 2 (d. h. der Summe der in ihm zusammengefaßten Anschauungen) oder in der Regel: Setze den Begriff n u r und i m m e r , wenn die volle Summe der in ihm zusammengefaßten Anschauungen gegeben ist. 33. Von der K a t e g o r i e des A l l g e m e i n e n ist gesagt worden, daß sie sich nur durch den Begriff des E i n z e l n e n (die „Alle" sind zunächst alle Einzelnen) und sodann durch den Begriff des Besond e r e n verwirklicht. Wenn alle Einzelnen in gewisser Beziehung gleich sind, so müssen sie zunächst voneinander verschieden sein, sich „be-
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sondern". Die Besonderung setzt den Begriff des Allgemeinen voraus, denn das Besondere ist das, wodurch sich das Einzelne aus dem Allgemeinen a u s s o n d e r t ; es muß im Allgemeinen als eine Möglichkeit, d. h. durch eine zufällige Bestimmung des Allgemeinen begründet sein. A r t e i n e r G a t t u n g zu s e i n , dies ist die Bedingung für die Verwirklichung des Begriffs des Besonderen. Wenn nun die Gattung die Art bestimmt, aber nur indem die Möglichkeiten, die in der Gattung sind, selbst bestimmt werden, so daß man also, um irgend einen Gegenstand der Vorstellung zu b e s t i m m e n , zuerst seine Gattung, dann seine differentia specifica, den artschaffenden Unterschied, braucht, und dieser spezifische Unterschied innerhalb der Gattung die eine Art von der anderen unterscheidet, so begründet dieses Verhältnis das weitere Begriffspaar, ohne das Gattung und Art, Allgemeines und Besonderes nicht gedacht werden können, den Begriff der S u b o r d i n a t i o n u n d K o o r d i n a t i o n . Die Art ist der Gattung subordiniert, die Arten sind innerhalb der Gattung koordiniert; die Gattung schließt die Arten ein, die Arten schließen sich aus. Sie bestehen nur durch Widerspruch und Gegensatz (z. B. eingeschlechtig — zweigeschlechtig, Kryptogamen — Phanerogamen, Staubfäden zusammengewachsen — freistehend), werden aber von dem Begriff die Gattung umschlossen. In diesen Verhältnissen wird die Unterscheidungsform von I n h a l t und U m f a n g des Begriffs wirksam, die nötig ist, um alle logischen Sätze zu begründen, und direkt zu der dritten rein logischen Kategorie führt, der Notwendigkeit. Denn aus ihr entspringen die beiden Sätze: was zum Inhalt des Begriffs gehört, das muß von ihm prädiziert werden; was vom Allgemeinen gilt, gilt auch vom Besonderen. Der Begriff der Notwendigkeit ist die psychologische Bedingung der Allgemeinheit; denn da die Allgemeinheit eines Urteils nie empirisch gegeben sein und konstatiert werden kann, hat sie kein anderes Kennzeichen als das Bewußtsein der durch die Natur des Denkens gegebenen Notwendigkeit. Die Kategorie der Allgemeinheit entwickelt sich also in folgenden Stufen: Allgemeinheit — Einzelheit Besonderheit — Gattung und Art Subordination und Koordination Notwendige Beziehung. 34. Das Bewußtsein der N o t w e n d i g k e i t verwirklicht sich nun psychologisch zunächst durch den Gegensatz zu dem Z u f ä l l i g e n oder bloß subjektiv Gegebenen; und dieser Begriff, in den der Notwendigkeit aufgenommen, ergibt die Notwendigkeit bestimmter als B e d i n g t h e i t . In der Bedingtheit ist das Bedingte zunächst als zufällig gedacht, es ist nicht an sich da, sondern nur unter einer Bedingung; aber durch diese wird es notwendig; die psychologische Voraussetzung für den Begriff der Bedingtheit, das Aktivum zu dem Passivum „Bedingtheit"
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ist die B e d i n g u n g , die soferne sie eben Bedingung ist, als das selbst nicht Bedingte, also als das U n b e d i n g t e erscheint, und es ergibt sich also der Satz: das Notwendige ist das Unbedingte. Um das Unbedingte wirklich zu denken, muß man es, da der Begriff der Bedingtheit doch als eine Form der Notwendigkeit vorausgesetzt ist, als das sich selbst Bedingende und durch sich selbst Bedingte denken, d. h. als F ü r s i c h sein. Die Kategorie der Notwendigkeit entwickelt sich also in folgenden Stufen: Notwendigkeit — Zufälligkeit Bedingtheit — Bedingung Unbedingtheit — Selbstbedingtheit Fürsichsein = Dasein. Das Fürsichsein enthält das auf sich selbst Bezogensein, und da das auf sich selbst Bezogene, das was wirklich ist, zugleich das was es ist, für sich ist, ist hier in verhüllter noch unentwickelter Form schon der Gedanke erreicht: das N o t w e n d i g e ist der Geist. Denn er allein ist das was er ist, für sich, er ist ein Selbst und zugleich Vorstellung seiner selbst. Die Naturphilosophie hat dann zu zeigen, wie dieser Begriff sich zunächst im Organischen, dann im Seelischen und endlich im Geistigen wahrhaft verwirklicht. 35. Der Geist ist nun der einzige Begriff, in dem sich die erste der t r a n s z e n d e n t a l e n K a t e g o r i e n , das Dasein, vollkommen verwirklicht: unser eigenes Dasein ist das einzige, dessen wir unbedingt und direkt bewußt sind. Dieser Satz ist die wichtigste Grundlage alles philosophischen Denkens: ich denke, also bin ich. Von ihm, den Cartesius mit Recht an die Spitze der Philosophie gestellt hat, geht alle Daseinserkenntnis aus. Sie kann immer nur die Form haben: dies und das ist, so gewiß ich s e l b s t bin. Diese Wahrheit kann nie genug betont werden. Die psychologische Voraussetzung für die Behauptung eines Daseins ist nun der Zweifel an dem Dasein, der Gedanke des Nichtdaseins oder des bloßen Gedachtseins. Der Gedanke des Nichtseins ist uns schon bei den Grundunterscheidungen begegnet; aber hier handelt es sich nicht um ein bloßes Sein, wie in dem Satz: Eisen ist nicht Gold, sondern um ein Nichtdasein, d. h. nicht an einem bestimmten Ort, nicht zu einer bestimmten Zeit sein. Wird der Begriff des Daseins festgehalten, so bestimmt sich das Nichtsein näher als ein N o c h n i c h t s e i n oder ein N i c h t m e h r s e i n , und dieses enthält die weiteren Begriffe des E n t s t e h e n s und V e r g e h e n s , also das W e r d e n . Im Gegensatz zu dem Werden bestimmt sich das Dasein als das Bes t e h e n oder das Dauernd- und B e h a r r e n d s e i n und dieser Gedanke hinwiederum setzt psychologisch den der möglichen V e r ä n d e r u n g voraus. Was sich verändert, das behält sein Dasein, erhält sich also
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selbst in seiner Veränderung, sonst würde es nicht s i c h verändern. Der Begriff der Veränderung braucht also den der S e l b s t e r h a l t u n g zu seiner Verwirklichung, und so gelangen wir von selbst zum nächsten Begriff der transzendentalen Reihe, dem des W e s e n s . D e n n w a s in der V e r ä n d e r u n g sich selbst e r h ä l t , das eben d e n k e n wir i n d e m B e g r i f f d e s W e s e n s . Dem „Noch nicht sein" und „Nicht mehr sein" geht aber eine zweite Reihe zur Seite: das N i c h t d a s e i n ist, aoferne es behauptet wird, eben Nicht d a - , d. h. nicht an diesem Ort sein; und wie aus dem „Noch nicht sein" und „Nicht mehr sein" der Gedanke des Entstehens und Vergehens entspringt, so hier der Gedanke des Erscheinens und des Verschwindens, also der Begriff der Bewegung, der wiederum den des Verharrens an einem Ort, der Ruhe und Trägheit voraussetzt. Was in der Bewegung immer unverändert bleibt, ist wieder das Wesen, das an sich Träge. Der Begriff des Daseins entwickelt sich also in folgenden Stufen: Erste Reihe: Zweite Reihe: Dasein — Nichtdasein Dasein — Nichtdasein Werden — Beharren Erscheinen u. Verschwinden — VerVeränderung — Selbsterhaltung Bewegung — Trägheit [harren Wesen Wesen 36. Der Begriff des Wesens kommt psychologisch nur zum Bewußtsein, indem zunächst der ganze Gegenstand der Vorstellung als bloße E r s c h e i n u n g gedacht, d. h. als das, was er a n s i c h ist, eine bloße Bestimmtheit des Subjektes, dem irgend etwas gegeben ist und zwar als seine bloße Vorstellung gegeben ist. Erscheinung gehört dem Dasein nicht an sich zu; was da ist, ist auch da, wo es nicht erscheint oder wenn es niemand vorstellt. Es ist also nur ein Z u s t a n d des Vorgestellten, daß es gerade für mich d a ist, und diesem Zustand steht gegenüber das, was es a n s i c h ist. Das Wesen des Vorgestellten liegt in dem, was es an sich ist. Der Erscheinung gegenüber ist das Wesen das Ansich des Daseins. An sich ist das Wasser weder flüssig noch fest, noch gasförmig, aber in der Wirklichkeit muß es einen dieser Zustände haben. Da das Ansich des Daseins nicht erscheint, also nach außen wirkt, kann es sich nur dem konstruierenden Denken offenbaren (z. B. Wasser als H 2 0 ) , Wesen ist also das I n n e r e des Daseins gegenüber dem Ä u ß e r e n der Erscheinung. Als das bloße Innere der Erscheinung trennt es sich von der Erscheinung und wird der bloße G r u n d der Erscheinung. Der Begriff des Wesens entwickelt sich also zu den Stufen: Wesen — Erscheinung Zustand — Ansichsein Inneres — Äußeres Grund 37. Die dritte der transzendentalen Kategorien, die hiermit erD i e z , Sprechen, Denken und Erkennen.
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reicht ist, der G r u n d , hat zunächst sich gegenüber als seine psychologische Bedingung das F o l g e n , zunächst im logischen Sinn, als das, was unmittelbar n a c h dem Grund, g e m ä ß dem Grund gesetzt werden muß. Allein dieses einseitige Verhältnis von Grund und Folge ist nur eine subjektive Trennung von zwei Vorstellungen, die wechselseitig von einander abhängig sind. Um im rein Gedachten zu bleiben und jeden Gedanken von Ursache und Wirkung, der schon ein reales oder metaphysisches Verhältnis enthält, fern zu halten, nehmen wir ein mathematisches Beispiel zur Illustration: Wenn ich sage: ein Dreieck ist mit zwei Seiten und dem eingeschlossenen Winkel gegeben, d. h. aus der bestimmten Größe und Richtungsabweichung zweier Seiten (letztere ist = dem eingeschlossenen Winkel) f o l g t die Größe der dritten Seite und der beiden anliegenden Winkel, so kann ich diesen Satz auch umkehren und sagen: aus der Größe der dritten Seite und der beiden anliegenden Winkel folgt die Größe der beiden anderen Seiten und des von ihnen eingeschlossenen Winkels. Was ursprünglich als Grund erschien, wird jetzt Folge und umgekehrt, oder Grund und Folge bedingen sich gegenseitig, es entsteht die Kategorie der W e c h s e l b e d i n g u n g oder der Reziprozität. Untersuchen wir die psychologischen Bedingungen, unter denen sich diese Kategorie im Bewußtsein verwirklichen kann, z. B. der Satz entstehen kann, das Äußere ist die Folge des Inneren, das Innere ist aber auch die Folge des Äußeren, es kann nur aus dem Äußeren gefolgert werden, so entsteht der Unterschied von E r k e n n t n i s g r u n d und R e a l g r u n d : das I n n e r e ist der R e a l g r u n d des Ä u ß e r e n , das Äußere aber der E r k e n n t n i s g r u n d des I n n e r e n . Erst in ihrer Vereinigung bilden sie die letzte Form, die der Begriff des Grundes annehmen kann, den z u r e i c h e n d e n Grund. Die Kategorie des Grundes entwickelt sich also folgendermaßen: Grund — Folge Wechselbedingung — Erkenntnisgrund Realgrund — Zureichender Grund Das Ding. 38. Wir sind damit zu den m e t a p h y s i s c h e n Kategorien gelangt, denn der zureichende Grund eines Daseins wird stets nur in der Form des Zweckes erkannt und Zweck alles Geschehens ist immer nur das, was als Resultat des Geschehens herauskommt, das bestimmte, beharrende Sein, das Ding. In den Dingen als Daseinszwecken liegt der letzte Grund alles Seins oder Geschehens. Das D i n g h a t zunächst die E i g e n s c h a f t als seinen E r k e n n t n i s g r u n d , weil es in ihr allein erscheint. Wir können also den Begriff des Dings nicht verwirklichen, ohne seine Eigenschaften zum Bewußtsein gebracht zu haben. In dieser Form Dinge und Eigenschaft wird das Verhältnis beider noch ganz äußerlich als Gegensatz gefaßt. Eine
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innere Beziehung beider, eine wirkliche Einheit beider Begriffe wird nur zum Bewußtsein gebracht, indem wir die Eigenschaft als ein V e r m ö g e n des Dings denken, so oder so zu wirken. Vermögen ist die Eigenschaft, sofern sie in dem Ding selbst begründet ist, in dem Ding selbst ruht, dem Ding selbst „ z u e i g e n " ist. Nur geht mit dieser Hereinnahme der Eigenschaft in das Ding die Eigenschaft selbst und damit das Reale an dem Ding, sein Erkenntnisgrund, verloren. Das V e r m ö g e n ist, wie der Name sagt, nur mehr eine bloße M ö g l i c h k e i t . Zur Wirklichkeit kann diese Möglichkeit nur werden, unter der Bedingung eines andern, zu dem das Ding in einer realen Beziehung steht. Also ist die psychologische Voraussetzung des Begriffs der Eigenschaft nicht bloß der Begriff des Vermögens, sondern der Begriff der B e z i e h u n g , des Bezogenseins auf ein anderes. Beziehung ist die Eigenschaft, sofern diese in einem Zusammenhang des Ganzen begründet ist, nicht in dem bloßen Für-sich-sein des Dings, sondern in seinem Sein für andere Dinge. Wie kann nun das Sein eines für sich seienden Dings für andere gedacht werden? Wir denken dieses Sein als eine K r a f t , die das eine Ding hat, das andere zu bestimmen; aber diese Kraft würde selbst etwas ganz Unwirkliches, bloß Gedachtes bleiben ohne eine Auslösung, die sie aus einem bloßen Vermögen zu einem realen P r o z e ß oder V o r g a n g macht. Dem Prozeß gegenüber erscheint dann das Ding als der S t o f f , der den Prozeß bewirkt und an dem der Prozeß vorgeht. Das was eine Kraft auslöst, nennen wir Ursache. Die Kategorie des Dings birgt also folgende weitere Kategorien: Ding — Eigenschaft Vermögen — Beziehung Kraft — Stoff Ursache. Wenn ein Ding Eigenschaften haben soll und hat, so muß etwas z w i s c h e n den Dingen vorgehen, und dieses Etwas, der Prozeß, der zwischen den Dingen stattfindet, ist die Beziehung zwischen ihnen, die Ursache der Eigenschaften des Dings. Wenn das Gold gelb ist, so geht etwas vor zwischen ihm und der Licht aussendenden Sonne. Heben wir die letztere auf, so ist das Gold nicht mehr gelb. 39. Der Begriff der U r s a c h e , die zweite der metaphysischen Kategorien, setzt zunächst (psychologisch) den der W i r k u n g voraus, denn ohne die Erfahrung einer Wirkung, die wir selbst hervorbringen, würden wir nicht auf den Begriff der Ursache kommen. Ursachen sind, wie der Name U r s a c h e zeigt, zunächst die Sachen oder die Dinge. In einer Wirkung, die das Ding ausübt, tritt es nun aus sich heraus, setzt etwas aus sich heraus; aber wenn es das tun soll, so muß es die Wirkung zunächst in irgend einer Form in sich haben. Die Form, in der das Ding die Wirkung in sich hat und Ursache werden kann, nennen 4*
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wir S p a n n u n g , und die Spannung setzt den Begriff der A u s g l e i c h u n g voraus, denn sie ist nichts als das Streben nach Ausgleichung; daraus folgt, daß Ursache und Wirkung zu ihrer realen Form immer die W e c h s e l w i r k u n g haben, und daß das Resultat dieser Wechselwirkung das G l e i c h g e w i c h t ist, wobei man nicht bloß an ein Gleichgewicht im materiellen Sinne, sondern auch an das Gleichgewicht psychischer Kräfte denken muß. Das Wesen aller Spannungen ist schließlich das Resultat einer durch entgegengesetzte Kräfte zurückgedrängten, ins Gleichgewicht gestellten Kraft, und damit haben wir den nächsten metaphysischen Begriff, den des G a n z e n erreicht. Denn ein Ganzes im wahren vollen Sinn des Wortes erlaubt kein beziehungsloses Nebeneinander der Teile, die man etwa beliebig vermehren oder vermindern kann, sondern ist nur denkbar als ein in der Wechselwirkung sich erhaltendes Gleichgewicht. Deswegen vollendet sich der Begriff des Ganzen erst in dem des Organischen und dieser in dem Begriff des Geistigen als des sich selbst aus der Fülle der Wirkungen herstellenden Gleichgewichts. Die Bedingungen der Ursache kommen also in folgenden Kategorien zum Bewußtsein: Ursachen — Wirkung Spannung — Ausgleichung Wechselwirkung — Gleichgewicht Das Ganze. 40. Die letzte der neun Kategorien, die des G a n z e n , setzt natürlich den Begriff der T e i l e voraus. Wenn wir aber fragen, wie denn die Teile als Teile eines bestimmten Ganzen zum Bewußtsein kommen, also in ein innerlich wesentliches Verhältnis zum Ganzen kommen, so lautet die Antwort, daß dies nur da möglich ist, wo sie nicht mehr beliebig vermehrt und vermindert werden können — denn so lang das der Fall ist, bilden sie kein wirkliches Fürsichsein, kein wirkliches Ganzes —, sondern erst durch eine durch das Ganze bestimmte F u n k t i o n , die sie haben. So ist das Dreieck seinem Begriffe nach eine geschlossene ringsum begrenzte Figur, und die Geraden, die es bilden, werden eben dadurch Teile des Dreiecks, oder wie wir hier sagen, S e i t e n des Dreiecks, daß sie die Funktion haben, sie zu begrenzen. Der Kopf ist dadurch allein als wirklicher Teil des Körpers zu denken, daß er die Funktion hat das Zentralorgan zu tragen. Eine Funktion für das Ganze kann aber der Teil nur haben in der Form eines innerlichen V e r h ä l t n i s s e » zum Ganzen. Funktion und Verhältnis sind also die beiden Begriffe, durch die ein Ganzes wirklich als Ganzes, der Teil wirklich als Teil gedacht wird. Fragen wir uns endlich, durch welchen Begriff die Funktion als wirkliche Funktion der Teile für das Ganze gedacht wird, so lautet die Antwort, daß dies nur möglich ist, indem die Funktion durch den Begriff des Ganzen gedacht wird, von ihm aus als notwendig erscheint.
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Die drei Seiten eines Dreiecks sind für sich eben drei Gerade, die sich schneiden; zu Seiten des Dreiecks werden sie nur, wenn sie auf den Z w e c k bezogen werden, einen Raum zu umschließen, sofern sie die notwendigen Mittel zu diesem Zweck sind. Der Begriff des Ganzen setzt also den des Z w e c k s und des M i t t e l s zum Zweck voraus. Der Zweck aber setzt das Ganze vor die Teile (Aristoteles: das Ganze ist früher als die Teile); er schafft sich die Teile, differenziert sich zu den Teilen und verwirklicht sich dadurch. So wird das Ganze zu dem Begriff, der sich selbst verwirklicht, zur Hegeischen I d e e , die i h r e r s e i t s den l e t z t e n u n d h ö c h s t e n G r u n d b e g r i f f des D e n k e n s , den Beg r i f f der E n t w i c k l u n g in sich schließt. Das Ganze entwickelt sich also in folgenden Stufen: Das Ganze — die Teile Die Funktion — das Verhältnis Der Zweck — das Mittel Die Idee und ihre Entwicklung.
IX. DIE ERWEITERUNG DER KATEGORIENTAFEL IN IHRER TRANSGENDENTALEN BEGRÜNDUNG 41. Die bisherige Entwicklung der Kategorientafel ging durch die Frage vor sich, wie eine Kategorie sich jedesmal gestaltet, wenn ihre psychologischen Bedingungen zum Bewußtsein kommen. Die Hegeische Philosophie, die den Schein erweckt hat, daß diese Entwicklung nicht psychologisch, sondern logisch sei, hat in Wahrheit diesen Weg eingeschlagen, der bei den Vorgängern der Hegeischen Philosophie, z. B. bei Schelling, oft ganz bewußt gegangen wird. Aber sie hat diesen eingeschlagenen Weg häufig verlassen durch Seitensprünge auf einen anderen, der in dem bekannten Satz der Hegeischen Philosophie zutage tritt, daß die folgende Kategorie die W a h r h e i t der vorhergehenden enthalte. Hier wird das zunächst Gegebene bloß als ein Gegebenes gedacht und diesem bloß Wirklichen die Wahrheit, d. h. die Denkbarkeit des Wirklichen gegenüber gestellt und umgekehrt. Sein, sagt Hegel, ist das unmittelbar gegebene Korrelat des Denkens; aber im bloßen Gedanken des Seins ist noch kein Seiendes, d. h. Wirkliches gedacht, sondern vom Gedanken des Wirklichen aus beurteilt, ist das Sein eine leere Abstraktion, also — dem Nichtsein. Die „Wahrheit" des Seins ist also die Verbindung von Sein und Nichtsein im Begriff des Werdens, das Seiende ist das Gewordene oder Dasein. Der Fortschritt in diesem Gedankengang beruht auf der Erkenntnis, daß daB Sein eine bloße Setzung des Denkens ist, nichts unabhängig Gegebenes, wie es das Wirkliche sein muß. Man kann dieses Verfahren auch so
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ausdrücken: Die Kategorie m e i n t etwas anderes, als sie tatsächlich enthält. So verläuft der Prozeß durch eine Kritik des Denkens an sich selbst: Die Bedingungen der bloßen Setzbarkeit oder Denkbarkeit des Seins werden korrigiert durch den Gedanken, daß das Wirkliche nur ist, wo uns etwas gegeben ist u. s. f. Wir haben Setzung, Gegebensein, Vorausgesetztsein, als die transzendentalen Elemente des Denkens bezeichnet und entwickeln nun die Kategorien durch ihre transzendentalen (oder erkenntnistheoretischen) Bedingungen. Dabei wollen wir um der Einfachheit des Ausdrucks willen die Bedingungen der Setzbarkeit als Bedingungen der Wahrheit des Gedachten, kurz als das W a h r e an dem Sein bezeichnen: z. B., die Wahrheit des Seins liegt in dem Identischen in den Vorstellungen, weil nur durch dieses Identische in der Mannigfaltigkeit der Vorstellungen ein Begriff gebildet werden kann; die Bedingungen des Gegebenseins wollen wir als die Bedingungen der Wirklichkeit des Setzbaren auffassen; endlich wollen wir als das W a h r e im W i r k l i c h e n die Begriffe bezeichnen, in denen beide Bedingungen vereint sind. Es wird sich zeigen, daß diese letzten Kategorien immer das durch die Gesamtnatur des Intellekts, durch Denken, Anschauung und Sinnlichkeit und ihre Beziehungen Vorausgesetzte sind. Am Schluß werden wir dann sehen, daß die logischen Kategorien die Bedingungen der Begriffsbildung und Begriffsbestimmung, die transzendentalen die Bedingungen der Urteilsbildung und die metaphysischen die Bedingungen des Schließens enthalten. 42. Die Setzbarkeit oder Denkbarkeit des Wirklichen hat, wie wir früher sahen, als erste Bedingung die, daß in der Mannigfaltigkeit des Gegebenen ein sich selbst Gleiches, Identisches gefunden wird, also den Begriff der I d e n t i t ä t , und wir können den Satz bilden: Das Wahre in den Vorstellungen ist das Identische in ihnen, liegt also in dem Begriff der Identität. Wir finden diesen Satz in der e l e a t i s c h e n Richtung der griechischen Philosophie als Bestimmung des Wirklichen ausgesprochen: Das Eine, sich selbst Gleiche, ist das allein in Wahrheit Existierende, das Viele, Mannigfaltige ist nur ein Schein. Auch in der indischen Philosophie spielt bekanntlich dieser Gedanke eine entscheidende Rolle, er beherrscht sie durch ihre ganze Geschichte hindurch. Trotzdem kommen wir mit diesem Satz in Widerspruch mit der Organisation unseres Intellektes, weil das wirkliche Denken nicht in einer bloßen Negation des Mannigfaltigen der Anschauung bestehen kann, da ja das Denken seinen Inhalt vom Gegebenen bekommt. Daher fehlt diesen Formen der Philosophie jede positive Beziehung zur Wirklichkeit oder es gibt für sie eine zweite Philosophie, die mit jener ersten nicht das geringste zu tun hat, und eine zweite Wahrheit neben jener ersten, die keinen Übergang zum Wirklichen gestattet. Mag das Wahre
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zunächst das Eine, mit sich Identische sein, das W i r k l i c h e ist jedenfalls das Gegenteil des Identischen, das V e r s c h i e d e n - s e i n , und die W a h r h e i t des W i r k l i c h e n läßt sich nur ausdrücken durch das Identische im Mannigfaltigen, das Ü b e r e i n s t i m m e n d e . Alles Denken geht deswegen auf Übereinstimmung des Verschiedenen, und wir bekommen eine F o r d e r u n g , die das Denken an das Wirkliche stellt: in a l l e r M a n n i g f a l t i g k e i t des W i r k l i c h e n m u ß e i n e ü b e r e i n s t i m m e n d e E i n h e i t zu f i n d e n s e i n . Ohne diese wäre ein Denken, so wie es nun einmal in der Natur unseres Intellekts v o r a u s g e s e t z t ist, unmöglich. Zunächst erscheint nun dieser Satz als eine volle und definitive Wahrheit, und er hat j a auch eine solche Bedeutung in der Geschichte der Philosophie, daß wir ihn einer Reihe von Systemen zugrunde liegen sehen; es sind das alle die Systeme, in denen gesagt wird: Gott als die Substanz ist das in aller Mannigfaltigkeit des Daseins Übereinstimmende und ist deswegen der einzige Begriff, dem Wahrheit, wahres Dasein in vollem Sinne zukommt. Aber die Kritik, die das Denken in der Geschichte der Philosophie an sich selbst vollzieht, hat den Mangel dieser Anschauungsweise bald zum Bewußtsein gebracht; mit der Wahrheit des Verschiedenen, des Einzelnen hebt sie schließlich auch die Realität des Ich, die letzte Quelle des Realitätsbegriffes auf. Diese liegt, wie schon gesagt in dem S a t z : Ich denke, also bin ich. Sodann erlaubt dieser Standpunkt keine Erklärung dafür, wie denn das dem Denken Widersprechende, z. B . die Unendlichkeit der Anschauung, überhaupt in das Denken hereinkomme. Bringt man diese Irrationalität der Anschauung einerseits, anderseits die Gebundenheit des Denkens an die Anschauung, endlich die Wahrheit zum Bewußtsein, daß in der Anschauung allein vom Denken Unabhängiges, Wirkliches gegeben wird, so verwandelt sich der S a t z : das W a h r e am Wirklichen ist das in der Verschiedenheit Übereinstimmende, in sein Gegenteil: das W i r k l i c h e ist das in sich Widersprechende und das dem Denken Widersprechende; es entsteht also die Kategorie des W i d e r s p r u c h s als Bezeichhung für das wahrhaft Wirkliche. Dieser Satz liegt allen realistischen Systemen der Philosophie, allem Atomismus und Materialismus, und auch den höher entwickelten Systemen des Realismus, wie zuletzt noch dem System von K . C h r i s t i a n P l a n c k zugrunde. Dieser geht geradezu von dem Satz aus, daß das Wirkliche nur das ganz über das Denken Hinausliegende, der Denkeinheit direkt Widersprechende sein könne, also das räumlich und zeitlich Bestimmte, und daß alles andere eine unwahre Abstraktion sei. Erst im räumlichen und zeitlichen Dasein steckt ein Wesen, das direkt über das Denken hinaus liegt, eben weil es dem Denken widerspricht; denn es ist eine Vielheit, die doch nicht, wie es das Denken fordert, in Einheiten aufgelöst werden kann.
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In diesem Standpunkt steckt in der Tat eines der Grundgefühle des Menschen, das Gefühl, daß das Wahre nur im Sinnenfälligen, Handgreiflichen liege, ein Gefühl, das allen materialistischen und atomistischen Anschauungen ihre Überzeugungskraft gibt. Bei den materialistischen Anschauungen ist das ohne weiteres verständlich; aber auch die atomistischen setzen frischweg den Widerspruch des materiell Einfachen, das es nach den Gesetzen des Denkens nicht gibt, setzen also das Wahre in das dem Denken Widersprechende. Aber dies ist ein Standpunkt, mit dem sich das Denken unmöglich beruhigen kann. D a s W i d e r s p r e c h e n d e k a n n n i c h t das W a h r e sein. Infolgedessen wird der Widerspruch als Wesensbestimmung des Wirklichen allerdings festgehalten, aber zu einem bloßen Moment im Wirklichen herabgesetzt, das die Identität voraussetzt. Das ist bekanntlich die neue große Entdeckung H e g e l s . Sie enthält zwei Gedanken: 1. das Wirkliche ist überall dasselbe Sein, genauer: die Wahrheit des Wirklichen ist die Selbheit im Sein; aber 2., seine Wirklichkeit beruht auf g e g e n s ä t z l i c h e n Bestimmungen, die es ursprünglich in sich hat und eben deshalb aus sich heraussetzen und in zeitlicher Folge entwickeln muß. Alles Wirkliche enthält auf diesem Standpunkt polare Gegensätze, in denen dasselbe (z. B . Elektrizität) sich in innerem Gegensatz entfaltet (positive und negative Elektrizität) und dadurch erst verwirklicht. Geist und Natur, Denken und Sein, Inneres und Äußeres sind auf diesem Standpunkt dasselbe Sein, aber in gegensätzlichen Richtungen gedacht, so wie Schelling es auf dem besten Punkt seines Philosophierens aufgefaßt hat: das (absolute) Ich, die Idee, die Natur aus sich heraussetzend, und die Natur, die Idee in sich verwirklichend, erweisen sich damit als dasselbe Wesen, und eben in dieser Gegensätzlichkeit als das Wirkliche und Wahre. Das Wahre im Wirklichen ist also nun das Gleiche im Gegensätzlichen. Alles Wirkliche ist + a und — a und darin beide Male das gleiche a. 43. Dieser Gedanke enthält nun die wesentlichen Momente im Begriffe des A l l g e m e i n e n . Dieser Begriff entwickelt sich, wenn wir ihn derselben Kritik unterwerfen, wie den Begriff der Identität. Das Identische im Mannigfaltigen hat sich durch die letzten Kategorien der Gleichheit und des Gegensatzes als das Allgemeine bestimmt und ist dadurch konkreter geworden, daß es das Plus und das Minus in sich hat. Aber auch so ist es noch abstrakt und, in dieser seiner vollen Abstraktheit gedacht, nur eben die Bedingung der Setzbarkeit, also in diesem Sinne des Wortes das Wahre am Sein. Das Wirkliche ist demgegenüber durchaus das Einzelne, durchgängig Bestimmte. Wird das zum Bewußtsein gebracht, so bildet sich die Kategorie der E i n z e l h e i t , als des durchgängig, auch allen Unterscheidungsformen des Denkens bestimmten Seins. Wird die Einzelheit als Bedingung des Wirklichen,
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Gegebenen, Anschaulichen, zugleich mit der Allgemeinheit festgehalten, so erscheint als die Wahrheit des Wirklichen der Satz: Alles Sein ist, sofern es wahr und wirklich zugleich ist, ein B e s o n d e r e s , d. h. eine Aussonderung aus dem Allgemeinen. Das Einzelne bleibt immer irrational, „individuum est ineffabile"; will man es rationalisieren, z. B. das wirkliche Sein eines einzelnen Menschen zum Bewußtsein bringen, so muß man es nach den allgemeinen Bestimmungen des Begriffs Mensch charakterisieren: Körperliche Erscheinung so und so, Temperament so und so, Struktur der Intelligenz so und so, z. B. der Wille den Intellekt überwiegend und derartiges, d. h. man muß ihn als Exemplar seiner Gattung auffassen, indem man zunächst die Art der Gattung (z.B. er gehört zu den Sanguinikern), dann die bestimmten Maße dieser Art zum Bewußtsein bringt. Der Begriff des Allgemeinen im Gegensatz zum Besonderen verwandelt sich also in den Begriff der G a t t u n g und der Art. Das Wahre am Wirklichen ist die Gattung, das Wirkliche an der Gattung ist das Individuum, das Wahre am Wirklichen ist die Artung des Individuums, durch die es in ein System der S u b o r d i n a t i o n und K o o r d i n a t i o n eingereiht wird, auf welchem alles Denken des Wirklichen beruht. Daher ist der Anfang des wissenschaftlichen Denkens immer die Zurückführung des Wirklichen (z. B. der Pflanzen) auf bestimmte Gattungen und Arten. Dabei erscheint die Gattung als das Notwendige, die Art Bestimmende, das Individuum als das Zufällige, die Gattung als das Unbedingte, Art und Individuum als das Bedingte. Alles Wirkliche, das ist die Forderung, die das Denken gemäß seiner Natur hier an das Wirkliche stellt, entfaltet sich von der Gattung durch die Art zum Individuum. Auch diese Wahrheit hat ihren Ausdruck in einem der genialsten philosophischen Systeme gefunden : im Piatonismus, dessen Prinzip in dem Satz besteht: das Wahre im Wirklichen ist die sich zu Arten und Individuen differenzierende Gattung. 44. Indem die Gattung als das notwendig zu Denkende zum Bewußtsein kommt, taucht das P r o b l e m des B e g r i f f s der N o t w e n d i g k e i t auf und der Satz: d a s W a h r e ist das N o t w e n d i g e . Das Wirkliche erscheint demgegenüber durchaus als das Z u f ä l l i g e ; zufällig deswegen, weil es immer von außen an das Denken kommt, ihm nur „zufällt". Das Zufällige, Einzelne kann deswegen nie vollständig gedacht werden, das einzelne Sein deswegen, weil seine Bestimmungen nie (vollständig) „ a u s z u d e n k e n " sind, das einzelne Geschehen, weil seine Ursachen zu einer unendlichen Reihe, einem regressus in infinitum führen, der nie erschöpft werden kann. Wir gehen deswegen von dem Satz: heute hat es geregnet, zwar zunächst zu dem Satz: die Ursache des heutigen Regens war das heute früh erfolgte Auftreten kalter Luftströmungen in der Höhe von so und so viel Metern; aber dann fällt es
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niemand mehr ein, den Regressus weiter fortzusetzen und etwa zu sagen: die Ursache dieser kalten Luftströmungen war dies und das, sondern wir bilden die a l l g e m e i n e n Sätze: Die Verwandlung der Wasserdämpfe in Regen ist bedingt, i m m e r bedingt durch die Abkühlung der Luft, die Abkühlung der Luft ist immer bedingt durch die Ausgleichung der polaren Luftschichten mit denen der mittleren und äquatorialen Gegenden. Wir vereinigen also die Begriffe des Notwendigen und Zufälligen in dem Begriff des B e d i n g t e n und bilden den Satz: Die W a h r h e i t des W i r k l i c h e n b e s t e h t in seiner Bed i n g t h e i t , oder als Forderung des Denkens an die Wirklichkeit ausgedrückt: Alles W i r k l i c h e m u ß sich als i r g e n d w i e b e d i n g t d e n k e n lassen. Dies ist nun aber wieder nur der Ausdruck der Denkforderung; der Satz verwandelt sich von selbst in den anderen: alles Wirkliche ist zugleich bedingend, und indem es bedingend ist, erscheint es als das Unbedingte. Unbedingt kann es aber, da es ja zugleich bedingt ist, nur in einer gewissen Beziehung sein, als das nicht vom D e n k e n Bedingte, dem Denken unabhängig Gegenüberstehende. So erscheint der Satz: Das W i r k l i c h e ist das U n b e d i n g t e , und die Wahrheit des Wirklichen ist das Sichselbstbedingen, das causa sui sein. Die Forderung die sich aus diesem Begriff heraus an das Wirkliche ergibt, ist die: als notwendig kann das Wirkliche nur erkannt werden, sofern es ein F ü r sichsein ist, was wiederum gleichbedeutend ist mit dem Satz: d e r G e i s t , das allein w a h r h a f t „ F ü r s i c h s e i e n d e " ist die W a h r h e i t in allem W i r k l i c h e n . In der Geschichte der Philosophie begründet dieser Satz die individualistischen Systeme, z. B. das von L e i b n i z , der in der Tat alles Sein als eine im Ganzen der Welt notwendige, individuelle, mit Vorstellung begabte Monade auffaßt, und die Systeme des „subjektiven Idealismus" wie z. B. das B e r k e l e y s , der den Satz bildet: Sein ist nur = Vorgestelltwerden, und es existieren nur individuelle Geister. 45. Das Für-sich-seiende ist nun das, dem wir allein ein wirkliches Dasein zuschreiben, und dieser Gedanke bestimmt sich später weiterhin, daß nur den Dingen ein wirkliches D a s e i n zukommt. Die Wahrheit, die Denkforderung im Dasein, drückt sich also aus durch den Begriff des Fürsichseins. Aber als Fürsichsein ist das Dasein wiederum nur eine unwirkliche Abstraktion. Das Da enthält eine Beziehung auf uns. Das Dasein wäre überhaupt nicht, wenn es nicht für uns da wäre, nicht wahrgenommen und gedacht würde, es wäre also für uns mit dem N i c h t s e i n identisch. Die Wahrheit im Wirklichen liegt also doch darin, daß es für uns wird oder im Werden, in der Wirkung, die das Dasein ausübt. Das Werden bedeutet zunächst nur das E r s c h e i n e n und V e r s c h w i n d e n für uns, das sich uns Nähern, Berühren und von uns Entfernen; denn Dasein kann nur zum Bewußtsein kommen, für uns
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wirklich werden, indem es in irgend einer Weise auf uns stößt oder aus unserem Gesichtskreis entschwindet. Es wird dann gedacht als das vorher N o c h - n i c h t - s e i e n d e oder das N i c h t - m e h r - S e i e n d e . Die Forderung an das Sein, die sich aus diesem Gedanken ergibt, ist die: alles Wirkliche muß als ein Werden oder als ein Gewordenes gedacht werden können, ein Satz, in dem eine der großen Entdeckungen der Hegeischen Philosophie liegt. Es ist aber eine logische Forderung, daß es doch nur das Dasein ist, das wird, daß als Subjekt des Werdens immer das Dasein festgehalten werden muß, das gegenüber dem Werden immer das Seiende oder das in der Zeit B e h a r r e n d e und an einem Ort V e r h a r r e n d e ist. Damit erscheint als die Wahrheit im Werden doch das Beharren und Verharren und demgemäß wird das Werden in W i r k l i c h k e i t nur V e r ä n d e r u n g und Bewegung. Das Wahre im Wirklichen muß beide Bestimmungen vereinigen, d. h. es kann nur in dem liegen, was in der Veränderung beharrt, oder in dem Wesen, und es ergibt sich als Forderung des Denkens an die Wirklichkeit: I n allen V e r ä n d e r u n g e n des W i r k l i c h e n m u ß ein B e h a r r e n d e s zu f i n d e n sein. Dieses Beharrende nennen wir Wesen, denken wir im Begriff des Wesens. 46. Wesen ist nun zunächst die Denkforderung, die dem Sein auferlegt wird, ein rein Gedachtes. Es muß dem Denken, wie wir sahen, irgendwie gegeben sein, und so ist das W i r k l i c h e am Wesen das E r s c h e i n e n des Wesens. Dem Wesen steht also die Erscheinung des Wesens gegenüber. Wesen verwirklicht sich nur, indem es erscheint. Die Erscheinung ist aber nur das subjektiv Bestimmte am Wesen. Ihr gegenüber ist das Wesen, das, was der Erscheinung an sich zugrunde liegt; das Wesen wird damit das A n s i c h s e i n . Es entsteht hier die Denkforderung an das Wirkliche: in allen Erscheinungen muß ein Ansich der Erscheinung gedacht werden können, d. h. es muß sich das Subjektive von dem Objektiven an der Erscheinung aussondern lassen. Wasser ist zunächst seiner Erscheinung nach flüssig; da es aber auch fest werden, also die Flüssigkeit an dem Wasser verschwinden, das Wasser sich verändern kann, gehört sie nicht zu dem Beharrenden im Wasser, also nicht zum Wesen. Es ist keineswegs ohne weiteres sicher, daß sich ein solches Unveränderliche in den Erscheinungen finden lasse, und ebensowenig wird allgemein anerkannt, daß dieses Unveränderliche das Objektive an der Erscheinung ist, vielmehr ist in neueren Zeiten dieses Suchen nach dem Wesen in der Philosophie nur als Folge einer Illusion, der Begriff des Wesens, als des Objektiven an der Erscheinung, als eine Fiktion bezeichnet worden. Das heißt einfach die Voraussetzung alles Denkens aufgeben und somit auch das eigene Denken wertlos machen. Wir haben es in der aufgestellten Forderung des Denkens an die Wirklichkeit mit einer durch die Natur
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des Denkens gegebenen Forderung zu tun, ohne deren Erfüllung die Wirklichkeit für uns unerkennbar wird. Es muß also an dem Erscheinenden etwas sein, das an sich ist, und sofern es erscheint, etwas, das für ein anderes ist, oder eine B e z i e h u n g zum andern. Ohne diese Beziehung zum Licht, zur Schwere, also zur Sonne und zum Erdganzen, wäre das Wasser weder durchsichtig noch flüssig. Die Beziehung also erst gibt dem Wesen Dasein und Wirklichkeit; aber diese Beziehung e n t ä u ß e r t das Wesen, ist also in Wirklichkeit nur das Ä u ß e r e am Wesen, dem das Wesen selbst als das I n n e r e gegenübersteht. In diesen beiden Begriffen vollendet sich der Gegensatz von Wesen und Erscheinung. Mit diesem Begriff kommt der letzte und eigentliche Sinn des Wesensbegriffs zutag, der darin liegt, daß in uns selbst ein Wesen, das Ich, als das Innere dem Äußeren, dem Körper gegenübersteht. Die Wahrheit des Wirklichen liegt in einem Inneren, das dem Äußern zugrunde liegt. Die Forderung, die das Denken an die Wirklichkeit stellt, heißt: alles, was Natur ist, muß dem Wesen des Geistes entsprechen, der Satz, auf dem alle Wissenschaft beruht. Sobald die Begriffe des Innern und Äußern gedacht sind, erscheint das Wesen nicht mehr bloß als Subjekt der Erscheinung, sondern als der G r u n d der Erscheinung. Formulieren wir also die Forderung, die als die Wahrheit des Wesens in der Wirklichkeit der Erscheinung zum Bewußtsein kommt, so ergibt sich der G r u n d s a t z : I n allem W i r k l i c h e n m u ß ein an sich s e i e n d e s , o b j e k t i v e s Wesen als G r u n d der E r scheinung gefunden werden können. 47. Das „einen Grund haben" ist also das Wahre im Wirklichen; das Wirkliche, Gegebene entspricht den Forderungen des Denkens nur, wenn wir einen Grund dafür finden können, und so muß jedes Urteil, um wirklich als Konstatierung eines Tatsächlichen zum Bewußtsein zu kommen, seinen Grund haben. Das Urteil selbst erscheint dann als die Folge des Grundes. Das Urteil hat insofern das Prädikat der Wahrheit, der Satz, der aus einem Grund gefolgert wird, das der Wirklichkeit. Aber der Satz: alles hat seinen Grund, warum es ist und so ist, wie es ist, hat eine objektive Bedeutung, die zu dem neuen Satz führt: das Wahre im Wirklichen ist nicht der Gegensatz von Grund und Folge, sondern die Identität beider; alles ist zugleich Grund und Folge, oder Grund und Folge bedingen sich gegenseitig. Grund und Folge erscheinen so als ein nur subjektiver Unterschied, dem eine objektive Identität zugrunde liegt. Daraus folgt die Umkehrbarkeit von Grund und Folge als die wahre Wirklichkeit in diesem Verhältnis oder der Begriff der R e z i p r o z i t ä t und die F o r d e r u n g an d a s W i r k l i c h e : alles w a s i s t , muß sich als G r u n d u n d F o l g e zugleich d e n k e n lassen. Der Unterschied des „Vorher und Nachher", der im „Folgen" liegt, ist damit aufgehoben, wie denn in der Tat das Denken überall den Sinn
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hat, das Zeitliche aufzuheben, auszuschalten und zu einem „Immer" und „Zugleich" zu kommen, wie wir das in einem früheren Abschnitt hervorgehoben haben. Die Identität von Grund und Folge ist aber wiederum nur die Denkforderung; in Wirklichkeit ist sie nur möglich, indem wir den E r k e n n t n i s g r u n d von dem R e a l g r u n d unterscheiden; was uns als Grund zum Bewußtsein kommt, ist die reale Voraussetzung der Folge, aber die Folge ist die psychologische Voraussetzung des Grundes, der Erkenntnisgrund des Grundes, und wo das Verhältnis von Grund und Folge voll gedacht wird, muß der Realgrund und der Erkenntnisgrund zugleich vorhanden sein. Damit erst haben wir den z u r e i c h e n d e n Grund, der das reale Verhältnis als ein durch den Zwang des Denkens, also die Natur des Intellekts begründetes zum Bewußtsein bringt. Der Satz der Denkforderung, der sich hier ergibt, ist also: alles Wirkliche muß einen zureichenden Grund haben, oder in allem, was wir als wirklich zum Bewußtsein bringen sollen, muß ein objektiver Grund zu finden sein, den wir durch eine subjektive Nötigung als solchen oder als identisch mit der Folge erkennen können. 48. Mit der Erkenntnis, daß der zureichende Grund alles Wirklichen nur in den Dingen, d. h. in dem Objekt einerseits, dem Subjekt anderseits liegen könne, sind wir zu den m e t a p h y s i s c h e n K a t e gorien gekommen. Man kann den Übergang auch so denken, daß mit der Erkenntnis von der zeitlosen Identität von Grund und Folge ein Stück Wirklichkeit in diesem Verhältnis, nämlich eben das Vorher und Nachher, das doch in Grund und Folge liegt, verloren gegangen ist, und daß dieses wiederhergestellt werden muß durch die Erkenntnis, daß die Verschiedenheit von Grund und Folge den Gegensatz des Ursprünglichen und des Abgeleiteten enthält und auf dem Gegensatz der S a c h e n oder Dinge beruht. Das Vorher und Nachher wird wiederhergestellt in dem Begriff der U r s a c h e , d. h. der ursprünglichen Sache. Es scheint also, daß auf den Begriff des Grundes zunächst der der Ursache folgen müßte und dann dadurch zum Begriff der Sache und des Dings fortgeschritten werden sollte. Aber logisch müssen wir den Begriff der Sache doch vorher haben, ehe wir den der Ursache bilden können, und so ziehen wir die Reihenfolge: Ding, Ursache, Ganzes als die sachgemäßere vor. 49. Dem Ding, als der Denkforderung eines beharrenden Daseins, steht nun die E i g e n s c h a f t des Dings als das Wirkliche an dem Ding gegenüber; das Ding erscheint zunächst als eine bloße subjektiv» Zusammenfassung, eine Konnotation von Eigenschaften, wie John Stuart Mill es nennt. Diese Kritik an dem Ding wird aufgehoben, indem die Eigenschaften in das Ding als dessen V e r m ö g e n oder Fähigkeiten hineingenommen werden. Dadurch bekommt der Gegensatz von Ding und Eigenschaften eine Einheit, und das Ding hört auf eine bloß subjektive
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Zusammenfassung zu sein, es wird der Grund der Eigenschaften. Der eigentliche Sinn des Dings, das Wahre in der Wirklichkeit der Eigenschaften, kommt also zutag in der Forderung des Denkens an die Wirklichkeit : alles Wirkliche muß sich als im Vermögen der Dinge begründet denken lassen. Aber das Vermögen ist latent, unwirklich, eine bloße Möglichkeit (wie der Name „Vermögen" besagt), ist also insofern noch ein rein Gedachtes. Wirklich wird es nur durch die bestimmten Umstände und den Z u s t a n d , in den das Ding durch die Umstände versetzt wird. Durch diesen Zustand wird das Vermögen zur K r a f t . Die Wirklichkeit an der Kraft nennen wir dann einen V o r g a n g oder einen P r o z e ß , der an einem bestimmten Stoff vor sich geht — das Wort Stoff im allgemeinsten Sinn genommen, in dem es auch einen geistigen Stoff gibt, also nicht im Sinn von Materie. Und es ergibt sich als das Wahre des Dings im Wirklichen der Eigenschaften, als das Wahre der Kraft in der Wirklichkeit der Vorgänge oder Prozesse, die Forderung des Denkens: alle Dinge müssen als ein Zusammenhang von in einem Stoff zusammengefaßten Vermögen gedacht werden können, unter gewissen Umständen und in gewissem Zustand Prozesse hervorzurufen. Damit ist der Begriff der Ursache erreicht, denn dadurch werden die Dinge zu Ursachen. 50. Der Begriff der U r s a c h e ist wiederum nur Bedingung der Setzbarkeit oder Denkbarkeit der Prozesse und insofern das Wahre an ihnen. Würden die Dinge sich ohne Ursache verändern, so gäbe es überhaupt keine begrifflich zu fixierenden Dinge. Das Gegebene oder W i r k l i c h e an der Ursache ist nun die W i r k u n g , die wir in beständiger zeitlicher Folge als mit ihr verbunden erfahren. Beide Begriffe vereinigen sich, wenn wir, wie beim Vermögen, die Wirkung in die Ursache hereinnehmen und so den scheinbaren Gegensatz beider Begriffe aufheben. Dann ist sie nur das Vermögen der Ursache in Wirkung überzugehen, und dieses Vermögen nennen wir S p a n n u n g . Das Wahre an der Wirkung, die Bedingung ihrer Denkbarkeit, ist also die Spannung, die in der Ursache vorhanden ist, und die das Vermögen, die Möglichkeit der Dinge, U r s a c h e n zu w e r d e n , ausdrückt. Der Satz, der sich als Forderung des Denkens an das Wirkliche daraus ergibt, ist: alle Dinge m ü s s e n in d u r c h g ä n g i g e r S p a n n u n g gegene i n a n d e r g e d a c h t w e r d e n . Dadurch erscheint als das Wahre im Wirklichen die Wechselwirkung, und es ergibt sich der Satz: alle Dinge s t e h e n in d u r c h g ä n g i g e r W e c h s e l w i r k u n g . Hiermit ist der Begriff des G a n z e n erreicht; denn dieser ist im vollen Sinne nur da, wo die Teile nicht gleichgültig gegeneinander stehen bleiben, sondern in gegenseitiger Wechselwirkung zum Zweck des Ganzen stehen. 51. In dem Begriff des Ganzen vollendet sich nun die Reihe der Kategorien und bringt ihren eigentlichen Sinn zutage; über das „Ganze"
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können wir nicht mehr zu einem Höheren gehen. Von der Denkeinheit aus, von der Einheit des Selbstbewußtseins aus das Mannigfaltige zu setzen; es zu setzen vermöge der inneren Notwendigkeit des Selbstbewußtseins: dies ist durchaus das Ziel des Denkens. Man muß sich klar machen, daß dies nur möglich ist, w e n n das Wirkliche und s o w e i t das Wirkliche ein zweckvolles Ganzes ist, dessen Teile als Organe des Ganzen zu denken, dessen Veränderungen als Mittel zu dem Zweck des Ganzen oder als Funktionen des Ganzen zu denken sind. Soll das Denken befriedigt sein, so muß ihm alles Wirkliche als ein sinnvolles Ganze erscheinen, in dem alles seinen notwendigen Platz, seine Funktion zu dem Zweck des Ganzen hat. Das ist das letzte und höchste Ziel alles wissenschaftlichen Denkens. Dieser Denkforderung als dem Wahren, stehen gegenüber die T e i l e als das allein gegebene Wirkliche; sie erscheinen demgemäß psychologisch durchaus als das Ursprüngliche, das Ganze nur als das Hinzugedachte. So ist es z. B. noch in dem Begriff der Zahl, den wir als das erste noch ganz äußerliche Ganze zu betrachten haben, die Keimform von dem Begriff des Ganzen: Die Einheit ist durchaus das Gegebene, zur Zahl wird sie nur durch das subjektive Zählen, das Addieren und Subtrahieren. Da dieses als diese subjektive willkürliche Tätigkeit keine Grenze hat, da die Zahl beliebig vermehrt und vermindert werden kann, so haben wir in ihr noch kein wirkliches Ganzes, das durch die Einheit bestimmt ist. Dieses entsteht erst, wenn wir die Teile als durch D i f f e r e n z i e r u n g der Einheit entstanden denken; das Sich-differenzieren ist also das Wahre an der Wirklichkeit der Teile, und der obige Satz, die Teile seien das Ursprüngliche, das Ganze das Resultat der Teile, dreht sich durch diesen neuen Begriff um zu dem Satz des Aristoteles: das Ganze ist vor den Teilen, die Teile entstehen aus dem Ganzen, oder zu dem Satz: alles Wirkliche muß als ein sich differenzierendes Ganze gedacht werden. Die Kritik des Denkens an sich selbst erkennt aber das Unmögliche, den Widerspruch in diesen Sätzen, daß das Ganze nur in den Teilen sich verwirklicht und doch der Grund der Teile sein soll. Was ist es dann, ehe die Teile da sind ? Es gibt keine andere Antwort darauf als die: es ist ein Gedanke, eine reine Setzung des Denkens. Aber es muß ein objektiver Gedanke sein, ein Gedanke, der zugleich ein Sein ist. Auf diesem Gebiete haben wir in unserer Erfahrung einen Begriff, der genau dieses geistige, sich selbst Verwirklichende ausdrückt in dem Begriff des Zwecks, der sich durch gegebene Mittel als ein Ganzes verwirklicht. Nur durch den Begriff des Zweckes können wir einen Grund denken, der die Teile aus einem Geistigen, einem Gedanken, hervorlockt. Schopenhauer macht direkt den Willen zum Grund der Welt, aber der Wille wird nur in seinen Zwecken Prinzip der Individuation, der Verwirklichung der ganzen Mannigfaltigkeit der Welt. Das Ganze muß
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also als Zweck gedacht werden, der die Teile als seine M i t t e l schafft. Mit anderen Worten: der Begriff des Ganzen, diese letzte und höchste Denkforderung läßt sich, in seiner Wirklichkeit gedacht, nur denken als die Hegeische I d e e , ausgestattet mit der Kraft sich zu e n t w i c k e l n und sich durch diese Entwicklung zu verwirklichen. Dies ist d e r l e t z t e u n d h ö c h s t e G r u n d s a t z : das W i r k l i c h e m u ß sich d e n k e n l a s s e n als ein sich s e l b s t v e r w i r k l i c h e n d e r Ged a n k e . Es liegt offen zutage, daß wenn das Wirkliche dies nicht wäre, es auch nicht erkannt werden könnte. Das Denken ist in letzter Linie Denken seiner selbst als des Wesens in allem Wirklichen. Dies ist der Sinn der ganzen Kategorienentwicklung. Im Begriff der Idee, des Zwecks der Entwicklung, liegt die Gesamtheit aller Forderungen des Denkens an die Wirklichkeit beschlossen. Wenn die Wirklichkeit nicht so aufgefaßt werden kann, kann sie überhaupt nicht in der Form der Notwendigkeit gedacht, kann das Gegebene nicht gemäß der vorausgesetzten Natur des Geistes gedacht werden.
X. DIE DENKGESETZE ALS FOLGEN AUS DEN KATEGORIEN UND ALS PROBE FÜR SIE 52. Die Frage: was geht vor, wenn wir denken? führt nach der Entwicklung der Kategorien von selbst zu den Gesetzen des Denkens. Da das Denken drei logische Elemente hat: Begriff, Schluß und Urteil, so können Regeln des Denkens, Denkgesetze nur als Regeln der Begriffsbildung und Begriffsbehandlung, der Urteilsbildung und Urteilsbehandlung, der Schlußbildung und Schlußbehandlung auftreten, und es wird sich, wie oben schon hervorgehoben, zeigen, daß die drei Stufen der Kategorientafel, die logischen Kategorien, die transzendentalen und die metaphysischen Kategorien, nacheinander zuerst die Regeln für den Begriff, dann die für das Urteil und endlich die für den Schluß enthalten. Der Begriff ist das Subjektive, rein Logische; das Urteil enthält das Transzendieren von dem bloß Gedachten zu dem Tatsächlichen (während der Begriff, wie die mathematischen Begriffe zeigen, auch ganz willkürlich freies Produkt des Denkens sein kann) also der Übergang vom Subjektiven zum Objektiven. Die hier auftretenden Denkgesetze sind die Regeln des Übergangs vom Subjektiven zum Objektiven; der Schluß bringt die Notwendigkeit zum Bewußtsein, mit der dieser Übergang gemäß der Natur des Denkens erfolgt. Dieser Teil wird also, gemäß den metaphysischen Kategorien zeigen, daß mit den Schlüssen vom Ding auf die Eigenschaft und umgekehrt von der Ursache auf die Wirkung und umgekehrt von dem Ganzen auf die Teile und umgekehrt die Grundformen des Schließens erschöpft sind.
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53. a) Die Regeln der logischen Kategorien Die ganze Philosophie hat ihre Grundlage in der Natur des Geistes, dessen Gesetzmäßigkeit, wie später gezeigt werden wird, sie zu entwickeln hat. Psychologie ist also die Grundlage der Philosophie und so beruhen gleich die Regeln der I d e n t i t ä t auf der psychologischen Tatsache, dem psychologischen Gesetz, daß der Begriff nur in dem gefunden werden kann, was als das Identische in der Mannigfaltigkeit des Seins zum Bewußtsein kommt. Die Identität hat, wie wir sahen, eine doppelte Bedeutung; sie bedeutet das, was zu verschiedenen Zeiten dasselbe ist, und was sich wiederholt in räumlich verschiedenem Dasein. In beiden Fällen setzt sie die Verschiedenheit voraus und bedeutet das Übereinstimmende in der Verschiedenheit der Anschauung. Als Bezeichnung der tatsächlichen, gegebenen Identität im Verschiedenen muß der Begriff mit sich selbst identisch bleiben, und es ergibt sich als erstes Denkgesetz der Satz: A = A, d a s G e s e t z d e r I d e n t i t ä t . Als Regel für das Denken ausgedrückt, nimmt der Satz die Form an: halte an dem Begriff, den Du gebildet und bezeichnet hast, fest. Von der Kategorie der Verschiedenheit aus nimmt der Satz die Form an: A ist niemals B. Man nennt dies d a s G e s e t z des W i d e r s p r u c h s , als Denkregel ausgedrückt: Unterscheide jeden Begriff von allen anderen Begriffen. Von der Kategorie der Ubereinstimmung aus bekommt er die Form: A kann sich nur differenzieren in Ax A a A 3 ; dies ist ein Pferd, jenes ist ein Pferd. Das Verschiedene hat in A nur Raum als Verschiedenheit der Zeit und des Orts, Verschiedenheit des Daseins, nicht des Wesens. Als Denkregel ausgedrückt lautet der Satz: setze in denselben Begriff nur den Unterschied der Exemplare, der Z a h l . Dies sind die Regeln für den Begriff als solchen. Im folgenden unterscheiden sich nun Inhalt und Umfang des Begriffs. Um hier die Gesetze in kurze Formen bringen zu können, müssen wir eine neue Art der Bezeichnung einführen. Wir wollen den Inhalt des Begriffs, d. h. die Anschauungselemente, die in ihm zusammengefaßt sind, z. B. im Begriff des Wassers das Moment der Flüssigkeit, Durchsichtigkeit, Geruchlosigkeit, Geschmacklosigkeit, der Lichtspiegelung usw. mit den kleinen lateinischen Buchstaben a, a^ a 2 . . . bezeichnen, die also den Inhalt des Begriffs aussprechen; die verschiedenen Exemplare, in denen uns der Begriff gegeben wird, die Arten, die unter ihn fallen, also, was zum Umfang des Begriffs gehört, bezeichnen wir mit Alt A 2 , A s . . . , also mit großen lateinischen Buchstaben. Die oben genannten ersten Regeln enthalten nur die abstrakte Unveränderlichkeit des wahren Begriffs als solchen. Der Satz A = A ist eine Art Selbstverständlichkeit, und es ist weiter nichts mit ihm anzufangen, als daß man die Regel daraus bildet: bezeichne mit einem Namen nur das wirklich Identische in Zeit und Raum, scheide alles, D i e z , Sprechen, Denken und Erkennen.
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was sich als nicht beharrend erweist, allmählich von ihm aus. Anders ausgedrückt: der Satz der Identität bezeichnet nur die ideale Aufgabe der Begriflsbildung zu dem wirklich Beharrenden zu gelangen. Konkreter werden die Gesetze, wenn der anschauliche Inhalt des Begriffs von dem Begriff selbst, von dem Gegebenen die Setzung unterschieden wird. Es ergibt sich da zunächst der Satz A = (a + ax -j- a 2 . . . ) , der sich sogleich zu zwei Denkregeln entfaltet: setze den Begriff nur da, wo die G e s a m t h e i t seiner Merkmale gegeben ist; wo das nicht der Fall ist, wird der Begriff zu weit gefaßt, und: setze den Begriff nur da, wo nichts als die Gesamtheit seiner Merkmale gegeben ist, sonst würde der Begriff zu eng gefaßt. Damit sind wir zu den Gesetzen des B e g r i f f s u m f a n g s gekommen, deren Zusammenhang mit denen des Begriffsinhalts in dem Satz zum Ausdruck kommt: je größer der Inhalt des Begriffs, umso kleiner sein Umfang, und umgekehrt. Zu den eigentlichen Denkgesetzen des Umfangs gehört aber vor allem dasjenige Gesetz, das man in der Begel neben dem Gesetz der Identität und des Widerspruchs als das d r i t t e g r u n d l e g e n d e Gesetz des D e n k e n s bezeichnet: das Gesetz des a u s g e s c h l o s s e n e n D r i t t e n . Auf A = A und A nicht = B läßt man das Gesetz folgen: A ist entweder a oder non a, ein drittes gibt es nicht. In dieser Form ist das Gesetz, wie schon öfter hervorgehoben worden ist, offenbar falsch. Denn der Geist z. B. ist nicht entweder flüssig oder nicht flüssig. Das Gesetz ist ein Gesetz des Begriffsumfangs, nicht des Begriffsinhalts und lautet: A ist entweder Ax oder nicht Ax, also z. B. ein Dreieck ist entweder ein gleichseitiges Dreieck oder ein ungleichseitiges Dreieck, ein drittes gibt es nicht. 2. Daraus ergibt sich ein z w e i t e s G e s e t z : Begriffe bestimmen sich durch kontradiktorische Gegensätze, also durch die Kategorie des Widerspruchs a und non a: Pflanzen sind entweder Phanerogamen oder nicht Phanerogamen, offengeschlechtlich oder verborgengeschlechtlich, Staubfäden sind entweder zusammengewachsen oder nicht zusammengewachsen, Samen enthalten entweder Eiweiß oder kein Eiweiß u. s. f. 54. Aus den Kategorien des A l l g e m e i n e n und B e s o n d e r e n ergibt sich eine neue Reihe von Gesetzen und Regeln des Denkens, bei denen zu bemerken ist, daß sie der Grundunterscheidungen des Möglichen, Wirklichen und Notwendigen bedürfen, um in ihrer Bedeutung zum Bewußtsein zu kommen; so wie die Regeln der Identität die Unterscheidung des Positiven und Negativen, des Einen und Mehreren, des Inhalts und Umfangs bedurften. Auf diese Weise leiten sie zu der d r i t t e n logischen K a t e g o r i e e n r e i h e , der des N o t wendigen über. Es handelt sich hier, wie man in der Logik sagt, um das Begriffsverhältnis oder die Regeln der Begriffsbestimmung,
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so wie es sich bei den Gesetzen der Identität um die Regeln der Begriflsbildung gehandelt hat. Das e r s t e D e n k g e s e t z , welches das Verhältnis der Begriffe regelt, ist das Gesetz: das Allgemeine enthält die Möglichkeit des Besonderen, das Besondere die Wirklichkeit des Allgemeinen; als Denkregel ausgedrückt: definiere das Wirkliche zuerst durch das, was es möglich oder denkbar macht, das Allgemeine; dann durch das, was es wirklich macht, seine differentia specifica. Das z w e i t e G e s e t z lautet: das Allgemeine (das hier die Form der Gattung annimmt), ist v o r dem Besonderen; als Regel für das Verfahren des Denkens ausgedrückt: Setze das Allgemeine immer als das Ursprüngliche, das Besondere als das Abgeleitete. Das d r i t t e G e s e t z , das Gesetz der Subordination und Koordination lautet: Was vom Allgemeinen gilt, das gilt auch von dem Besonderen, was vom Besonderen als solchen gilt, gilt nicht von dem anderen Besonderen, oder: das Allgemeine schließt das Besondere ein, das Besondere schließt das Besondere aus; die Art unterscheidet sich von der Art durch kontradiktorische Gegensätze (z. B. bei der Pflanze: Staubfäden zusammengewachsen, Staubfäden freistehend, an der Blütenkrone befestigt, nicht an der Blütenkrone, also am Fruchtknoten befestigt, Samen eiweißhaltig, eiweißfrei und derartiges). Als Regel für das Denken ausgedrückt lautet dieses Gesetz der Subordination und Koordination: bestimme den Begriff durch die in dem Allgemeinen oder in der Gattung liegenden entgegengesetzten Möglichkeiten. 55. Die Kategorien der N o t w e n d i g k e i t enthalten die für das Denken wichtigsten Gesetze. Sie bedürfen der Unterscheidungsformen des Gesetzten, Gegebenen und des Sichselbstsetzenden oder Vorausgesetzten, also des Aktivums, Passivums und Mediums innerhalb der Vorstellungen. Das e r s t e G e s e t z lautet: Die Setzbarkeit ist die Bedingung der Möglichkeit des Wirklichen; setze als möglich nur das Denkbare. Das Gegebensein ist die logische Bedingung der Wirklichkeit des Wirklichen: Setze als wirklich nur das Gegebene, dem Geist Aufgezwungene; notwendig ist nur das sich selbst Setzende, das was ganz von selbst gemäß der Natur des Geistes in unser Denken einfließt, d. h. die Kategorien und Unterscheidungsformen, die in diesem Abschnitte entwickelten Denkgesetze und was von ihnen abgeleitet werden kann. Daraus ergibt sich von selbst das z w e i t e G e s e t z : Alles Wirkliche, alles, was dem Geist gegeben werden kann, ist durch die Natur des Geistes, durch die in ihm liegenden Bedingungen der E r f a h r b a r k e i t b e d i n g t . Das ist die große Entdeckung Kants. Setze also das Wirkliche als das durch die Natur des Geistes B e d i n g t e . Und daraus folgt ohne weiteres das d r i t t e G e s e t z : Das U n b e d i n g t e i s t d a s A p r i o r i s c h e , das durch die Natur des Geistes Gegebene, sich selbst Setzende, also das Wesen des Geistes als des für sich Seienden. Als Regel für das 5*
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Denken ausgedrückt und zugleich den Werdegang zu den Gesetzen des Urteilens enthaltend: definiere jeden Begriff durch das in der Natur des Geistes Gegebene, das Apriorische. b) Die Regeln der transzendentalen Kategorien der Urteilsbildung.
oder die
Bedingungen
Der e r s t e Begriff unter den transzendentalen Kategorien ist natürlich der des Tatsächlichen, Gegebenen selbst oder der Begriff des Daseins. Das „ D a " in dem Begriff Dasein weist auf einen gegebenen Ort oder eine gegebene Zeit hin, also auf das Gegenteil vom Setzen, das in Zeit und Ort unbestimmt ist. Darin liegt das Gesetz: Dasein hat die Bestimmtheit der Zeit und des Orts an sich, und die Denkregel: setze als daseiend nur das, was einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit hat, also das an einem bestimmten Ort zu verschiedenen Zeiten Identische. In der Tat verlangt die Anwendung des Begriffs Dasein, daß das, was wir an einem bestimmten Ort sehen, nicht im nächsten Moment verschwunden, sondern an seinem Ort wiederzufinden ist; ist es nicht mehr wiederzufinden, so muß es in kontinuierlicher Bewegung an einen anderen Ort übergegangen sein. Dasein kann nicht verschwinden im objektiven Sinn; es kann nur subjektiv verschwinden, d. h. sich aus unserem Gesichtskreis entfernen, und nur die Kontinuierlichkeit der Bewegung garantiert uns dafür, daß das später wahrgenommene Dasein dasselbe ist, wie das vorher wahrgenommene. Wir geben dem Dasein also zunächst Verharren an seinem Ort, dann, wenn es sich bewegt, Kontinuierlichkeit der Bewegung; Das Daseiende muß im Wechsel der Zeit und in der Veränderung des Ortes identisch sein. Wir bestimmen also Dasein durch den ersten der logischen Begriffe, durch Identität. Das zweite Gesetz des Daseins enthält den Begriff der Allg e m e i n h e i t . Dasein ist nur was allen gegeben ist oder gegeben werden k a n n . Wenn ein Geisteskranker sagt: hier sind Stimmen, die ich höre, hier sind Personen, die vor mir herschweben, mir winken und zu mir sprechen, so geben wir diesen Gebilden kein Dasein, sondern bezeichnen sie als Halluzinationen oder Visionen, weil wir selbst nichts davon sehen, weil der Sehende der einzige ist, der sie sieht. Als Regel des Denkens entsteht also hier der Satz: Setze als daseiend nur, was allgemein gegeben ist. Was nur einem gegeben ist, ist Schein oder nur subjektives Sein, objektives Nichtsein. Die wichtigste Regel ist aber die aus dem Begriff der Notwendigkeit entspringende. Dasein ist nur, wo uns eine Vorstellung allgemein unter Zwang, d. h. bei passivemVerhalten unsererseits, zum Bewußtsein kommt. Man könnte einwenden, daß uns so ja auch der Traum und die Traumgebilde ohne unser Zutun zum Bewußtsein kommen, und daß
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so auch dem Geträumten ein Dasein zukommen müsse. Aber dies gilt nur von dem Traum als solchem; der Traum ist wirklich da, ist eine Tatsache. Nicht so das Gebilde des Traums. Das ist nicht d a , hat kein Dasein, weil es nicht zeitlich und örtlich dauert. Wir erkannten früher: Träume ich, daß mein Haus abbrennt, so sehe ich nach dem Erwachen nicht mehr, wie im Traum, die abgebrannten Trümmer des Hauses; diese sind vielmehr auf Nimmerwiedersehen verschwunden, und ich kann nicht sagen, wo sie hingekommen sind. Der Traum selbst also ist wohl eine gegebene Tatsache, die Gebilde des Traumes sind aber nur der Schein einer Tatsache. Es fehlt die z w e i t e F o r m d e r N o t w e n d i g k e i t , die wir R e g e l m ä ß i g k e i t nennen wollen. Das Gesetz hier lautet: alles Dasein hat eine Regel seines Seins, das ist das Verharren im Raum, die Dauer oder die Kontinuierlichkeit der Bewegung; als Regel für das Denken ausgedrückt lautet dieses Gesetz: Setze als Dasein nur das, was gemäß einer allgemeinen Regel des Geistes gesetzt werden kann. So sind z. B. die Teile der Körperlichkeit, Atome und Moleküle, als Dasein nicht sinnlich erfahrbar; sie erweisen sich aber als wirklich durch eine Regel des Denkens, einen aus dem Denken stammenden Zwang, sie vorzustellen. Der Körper kann geteilt werden, das allein ist die Erfahrung; was geteilt werden kann, ist aus Teilen zusammengesetzt; was zusammengesetzt ist, das besteht aus dem mindestens relativ Einfachen: das sind die Regeln, auf Grund deren den Atomen und Molekülen Dasein zugesprochen werden kann. Populär ausgedrückt lautet dieses Gesetz: Dasein ist nicht nur da, wo ein in Zeit und Raum Identisches allgemein gegeben, sondern auch da, wo ein nicht in Zeit und Raum Gegebenes vermöge einer Regel des Denkens gesetzt werden muß. Das d r i t t e G e s e t z des Denkens, das aus dem Begriff der Notwendigkeit entspringt, verlegt die Regel in das Dasein selbst: Alles Dasein ist in sich g e s e t z m ä ß i g , — die Regel von der Gesetzmäßigkeit des Daseins. Dasein können wir in letzter Linie nicht dem sinnlich aufgenommenen Sein zuschreiben, ja nicht einmal dem Dauernden und an seinem Ort Verharrenden — denn auch Halluzinationen können dauern —, vollends nicht dem Werden, sondern nur dem gesetzmäßigen Werden. Wäre das Dasein nicht objektiven Gesetzen unterworfen, so würden wir keine Sicherheit des Daseins haben. Kurz: G e s e t z m ä ß i g k e i t ist das l e t z t e u n d e n t s c h e i d e n d e K e n n z e i c h e n d e s D a s e i n s . Der Satz: alles Dasein ist gesetzmäßig, es hat eine ihm innewohnende Gesetzmäßigkeit, liegt allem unserem praktischen und wissenschaftlichen Denken zugrunde. Insbesondere fordern wir die Gesetzmäßigkeit des Daseins beim W e r d e n . Dieses ist für das Denken wegen seines Widerspruchs gegen das Grundgesetz A = A zunächst durchaus störend. Es wird als wirklich nur anerkannt, sofern es aus
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einer gesetzmäßigen Ursache, die neu mit dem Dasein in Berührung kommt, hervorgeht, oder sofern es, wie beim Organischen, als im Wesen des Daseins liegend erkannt werden kann. Und immer wird ihm also ein beharrendes W e s e n als sein Grund unterlegt. Dies führt zu den Denkgesetzen, die aus der Kategorie des Wesens hervorgehen. 58. Das e r s t e G e s e t z des W e s e n s lautet: In allen Veränderungen des Wirklichen muß sich ein Beharrendes finden, das wir als sein Wesen bezeichnen; als Regel des Denkens ausgedrückt: Setze alles, was im Wirklichen beharrt und mit sich identisch bleibt, als sein Wesen, das Veränderliche als seine bloße E r s c h e i n u n g . In dem Begriff Wesen liegt aber mehr als in dem Begriff des Beharrenden. Er bedeutet, daß dieses Beharrende den S i n n der Erscheinung, die volle Antwort auf die Frage, w a s ist das Dasein, d. h. seine Angemessenheit zum Denken enthält, das Überzeitliche oder Ewige an der Erscheinung, das was es für die Wirklichkeit bedeutet. Wir nennen dies das Ansich der Dinge. Das z w e i t e G e s e t z lautet also: in allen Veränderungen des Daseins bleibt das „Ansich" des Seins, und nur seine Beziehungen verändern sich, oder: Setze das Veränderliche im Wirklichen nur als die veränderte Beziehung des Wirklichen. Das d r i t t e G e s e t z : In allen Veränderungen des Wirklichen beharrt das Innere und nur das Äußere verändert sich, oder: Setze das Innere in dem Dinge als sein Wesen, das Äußere als seine Beziehung. Das Innere ist aber das, was nicht erfahren, gesehen, getastet, sondern nur durch den Geist gesetzt werden kann. 59. Diese Sätze werden konkreter durch die K a t e g o r i e d e s G r u n d e s . Zuerst bemerkt das Denken in sich das Gesetz: Alle Veränderung des Daseins und das Dasein selbst hat einen Grund in dem Wesen des Daseins, oder: Setze das Wesen als den allgemeinen Grund des Daseins. Sodann: der vollständig gedachte Grund ist mit der Folge identisch, oder: Setze den Grund gleich der Folge, die Folge gleich dem Grunde. Endlich das dritte Gesetz: Der zureichende Grund des gesamten Daseins liegt in der erkannten Notwendigkeit seines Seins und Werdens, oder, was dasselbe heißt: in der erkannten Identität des Daseins mit dem Wesen. Daraus ergibt sich die Regel: Setze das Dasein in Identität mit seinem Wesen, d. h. halte das Denken nicht für befriedigt, seine Aufgabe nicht für beendet, ehe Du die ganze Mannigfaltigkeit des Daseins mit seinen Veränderungen als im Wesen des Daseins begründet erkannt hast. Von diesem Gedanken aus formuliert P l a n c k das Gesetz des Grundes in dem Satz, es fordere, daß alles Dasein als im Wesen der Wirklichkeit enthalten gedacht werde, als eine direkte Folge des Identitätsgesetzes: das Wirkliche bleibt in allen seinen Formen in Identität mit dem Wesen der Wirklichkeit. Dies führt zu den metaphysischen Kategorien, wie oben gezeigt worden ist. In ihnen erst werden die Gesetze des Denkens zu eigentlichen Wirklichkeitsgesetzen.
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c) Die Gesetze der metaphysischen Kategorien oder die Bedingungen des Schließens 60. In den Gesetzen der transzendentalen Kategorien sind die Bedingungen enthalten, unter denen wir das Tatsächliche als tatsächlich g e g e b e n und also als über das Denken hinausliegend zum Bewußtsein bringen. Damit werden sie zu Bedingungen des Urteilens, denn ein Urteil im eigentlichen Sinn als Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten ist nur, wo die Gesetzmäßigkeit des Vorgestellten zum Bewußtsein kommt, seine Wesenhaftigkeit oder innere Notwendigkeit durch diese begründet erscheint. Jedes Urteil will deswegen allgemeines Urteil, Wesensurteil werden und seine Begründung haben, wenn es das volle Bewußtsein seiner Tatsächlichkeit enthalten soll. Wir sahen nun, daß jeder Grund mit der Folge identisch ist, daß also nur ein logischer Unterschied zwischen beiden vorhanden sein kann, indem der Grund als das logische Prius der Folge zum Bewußtsein kommt. Deswegen enthalten die metaphysischen Kategorien als Bedingungen des Schließens je zwei gegensätzliche Momente, die in Wahrheit identisch und nur logisch verschieden sind: Ding und Eigenschaften, Ursache und Wirkung, Ganzes und Teile. Eben damit geben sie die Bedingungen des Schließens an. Wir schließen immer entweder vom D i n g auf die E i g e n s c h a f t e n oder umgekehrt. 61. Wir sind damit zu dem Gedanken gekommen, daß alle Dinge zugleich Ursache und Wirkung sind, Wirkung in ihrem Zustand, Ursache in ihrem Ansichsein und in den aus der Kategorie der Ursache entspringenden Gesetzen des Denkens. Das Wirkliche wird hier durchaus als Werden, als Geschehen, als Prozeß gedacht, und sofern es dies ist, entsteht zunächst d e r e i n f a c h e S a t z der K a u s a l i t ä t : a l l e s G e s c h e h e n h a t s e i n e U r s a c h e , a u s d e r es n a c h e i n e r R e g e l e r f o l g t , oder als Regel des Denkens ausgedrückt: schließe aus allem Geschehen auf eine Ursache des Geschehens. Der Satz entwickelt sich weiterhin zu dem Satz: wenn die Ursache aufhört, hört auch die Wirkung auf, und, unterwerfen wir ihn dem Gesetz der Identität, zu dem Satz: aus gleichen Ursachen gehen unter gleichen Umständen immer die gleichen Wirkungen hervor, ein Satz, der geradezu als das Grundgesetz der Wissenschaft betrachtet werden kann. Die Forderung, daß alles Geschehen seine Ursache haben müsse, ist nun die schärfste Forderung, die das Denken an die Wirklichkeit stellt; denn sie besagt, daß in dem, was dem Denken in der Erscheinung der Welt widerspricht, in der Veränderung, ein M o m e n t enthalten sein müsse, das die Mögl i c h k e i t d e s D e n k e n s w i e d e r h e r s t e l l t . Man hat deshalb in dem Aufsuchen der Ursachen nicht nur das Hauptgeschäft, sondern vielfach auch das eigentliche und einzige Geschäft des Denkens oder der Wissenschaft gesehen. Dies ist allerdings eine Behauptung, die nur
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für die Erfahrungswissenschaft gilt, nicht aber für die Mathematik und die Philosophie. Schopenhauer hat richtig erkannt, daß für diese Wissenschaft der Begriff der Ursache wenig bedeutet, daß er aber alles gilt, wo es sich um die Wirklichkeit, das Gegebene als solches handelt, und das ist immer das Geschehen; das innerliche Geschehen, das wir auf dem theoretischen Gebiet „Wahrnehmen" nennen, und das äußerliche Geschehen, das wir in der Bewegung, im Zusammentreten, in Berührung treten, sich Trennen und sich Entfernen finden. Es ist nützlich, sich die ungeheure Bedeutung der Kausalitätsforderung und, sozusagen, die A n m a ß u n g des Denkens zum Bewußtsein zu bringen, die in dieser Forderung liegt. Wir bilden ein Gesetz über die Bewegung der Planeten, daß sie in Ellipsen um die Sonne kreisen, daß ihre Geschwindigkeit, je nach der Entfernung von dem Zentralkörper gemäß einem mathematischen Gesetz wechsle, dem Gesetz nämlich, daß der radius vector in gleichen Zeiträumen gleiche Flächen bestreiche. Und wenn nun die wirkliche Bewegung eines bestimmten Planeten von diesem Gesetz abweicht, so f o r d e r n wir, es m ü s s e irgendwo eine Ursache dafür zu finden sein, es müsse ein von uns noch nicht gesehener Planet da sein, dessen Anziehungskraft die Störungen bewirkt, der Planet müsse diese und diese Größe haben, diese und diese Bahnelemente. Mit welchem Recht fordern wir das von einer Wirklichkeit, die i h r e m Begriff nach von unserem Denken ganz u n a b h ä n g i g i s t ? Wir können es nur von der instinktiven Voraussetzung aus, die Wirklichkeit müsse den Gesetzen unseres Denkens entsprechen, d. h. sie müsse geistiger Art sein, aus der Voraussetzung der Wesensidentität von Geist und Natur. Das zweite Gesetz ergibt sich aus der Entwicklung des Begriffes der Ursache zu dem der S p a n n u n g : Alle Dinge stehen in durchgängiger Spannung gegeneinander, als Regel des Denkens: Schließe aus allen Veränderungen des Wirklichen auf eine vorhergehende gegenseitige Spannung der Dinge. Spannung setzt voraus, daß die Dinge im relativen Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte bestehen, ihr „Bestand" beruht auf diesem Gleichgewicht. Aber dieses Gleichgewicht muß nicht nur labil sein, immer auf dem Punkt des Übergangs in eine andere Lage oder einen andern Zustand, sondern auch, wenn überhaupt Werden und Veränderung stattfindet: es m u ß i m m e r in der W e l t ein g e s t ö r t e s G l e i c h g e w i c h t m i t der T e n d e n z s e i n , ins Gleichgewicht zurückzukehren. Dieses gestörte Gleichg e w i c h t i s t die B e d i n g u n g a l l e s W e r d e n s und G e s c h e h e n s , die T e n d e n z zum G l e i c h g e w i c h t die B e d i n g u n g alles B e s t e h e n s . Wäre irgend einmal in der Welt ein volles Gleichgewicht, so wie es annähernd auf dem Mond ist, so wäre alles Geschehen und Werden in der Welt vollkommen erloschen. Der Satz, der hier als
Die Denkgesetze als Folgen aus den Kategorien
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Forderung des Denkens an die Wirklichkeit auftritt, lautet also: alle Dinge stehen in einem gestörten Gleichgewicht, oder alles Leben der Welt beruht auf dem teilweisen Überwiegen der einen Kraft über die entgegengesetzte, also als Regel des Denkens: Setze als die Ursache aller Veränderung in der Welt die Störung des Gleichgewichts entgegengesetzter Kräfte. Und als d r i t t e s Gesetz des D e n k e n s taucht hier das Gesetz auf, das uns die Gesamtheit der Welt als ein wirklich Ganzes zum Bewußtsein bringt: Alle Dinge der W e l t s t e h e n in d u r c h g ä n g i g e r W e c h s e l w i r k u n g , oder die Kausalität hat ihre wahre Form in der Wechselwirkung aller Dinge. Das ergibt für das Denken die Regel: Schließe aus allen Veränderungen der Dinge auf ihre Wechselwirkung, d. h. auf das Ganze der Dinge. Der Satz sieht harmlos aus und ist ja auch von Kant schon unwidersprochen aufgestellt worden, er hat aber eine bedeutungsvolle Konsequenz, die in dem Begriff des Ganzen sich deutlicher entfalten wird: Alles Einzelne in der Wlt muß aus dem Ganzen erklärt werden, und eine solche E r k l ä r u n g aus dem G a n z e n v e r w a n d e l t die k a u s a l e B e t r a c h t u n g der W e l t in eine teleologische. 62. Es ist mehrfach hervorgehoben worden, daß ein wirklich Ganzes nur da ist, wo die Teile nicht, wie bei der Zahl, gleichgültig nebeneinanderstehen und beliebig vermehrt und vermindert werden können, sondern wo sie zu Organen werden, d. h. zu dem Zweck des Ganzen zusammenwirken. Das erste Gesetz des Denkens entspringt auf diesem Gebiet aus der Denknotwendigkeit, das Ganze als das die Organe Schaffende zu denken. Es ist das bekannte, schon von Aristoteles entdeckte Gesetz: Das Ganze ist früher als die Teile. Es ist schon hervorgehoben worden, daß dies nur möglich ist, wenn die Teile als Produkt des Ganzen mit dem Zweck, seine eigene Verwirklichung zu ermöglichen, also als Organe des Ganzen, als Mittel zu seinem Zweck gedacht werden. Dies bedeutet, daß die einzig mögliche Auffassung der gesamten Wirklichkeit die o r g a n i s c h e D e u t u n g der W i r k l i c h k e i t ist, der große Gedanke S c h e l l i n g s . Auf die mechanistische Auffassung der Welt und die dynamische Auffassung muß also die organische folgen, die Auffassung, daß das Organische nicht nur ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit, ein bestimmtes Gebiet der Wirklichkeit, sondern das Wesen der ganzen Wirklichkeit ist. Dies ergibt sich schon daraus, daß, wenn wir die Welt von vornherein aus materiellen Teilen bestehen lassen, die sich nur mechanisch zueinander verhalten, die Entstehung des Organischen in der Welt niemals erklärt werden könnte und ein bloßer Zufall würde. Das Gesetz, das sich hieraus ergibt, lautet: Alles Dasein ist ein großer Organismus, seine Teile sind die Organe dieses Organismus und seine Veränderungen die Prozesse, durch die es sich verwirklicht und besteht. Als Regel für das Denken ausgedrückt lautet
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Erstes Buch
dieser Satz: Erkläre das Wirkliche teleologisch, d . h . aus dem Zweck des Ganzen. Der Zweck kann dann abgesehen von seiner Verwirklichung, oder v o r seiner Verwirklichung nur als ein Gedanke, als eine geistige Potenz ¿tafgefaßt werden, die die Kraft hat, sich in Wirklichkeit zu setzen, oder als die H e g e i s c h e I d e e , die auf dem religiösen Gebiet die Bedeutung des absoluten Geistes oder der Gottheit bekommt. Die Welt erscheint dann als die Selbstverwirklichung des absoluten Geistes, als seine Selbstentäußerung und seine Rückkehr zu sich selbst durch die fortschreitende Verinnerlichung der Natur. Hier, wo wir es nur mit den Gesetzen des Denkens, mit den im D e n k e n liegenden Notwendigkeiten zu tun haben, müssen wir uns auf die Bestimmung beschränken, daß der höchste Gedanke des Denkens der des sich v e r w i r k l i c h e n d e n Gedankens oder der Idee ist. Von ihr aus erscheint das Identische, das Allgemeine, das Notwendige, das eigentliche Seiende, das Wesen, der Grund, das Ding aller Dinge, die Ursache aller Dinge, das Ganze in der Welt als Entwicklung eines Gedankens, das Mannigfaltige, Verschiedene als die Stufen der Entwicklung. So ergibt sich als l e t z t e s , h ö c h s t e s Gesetz des D e n k e n s : Das W i r k l i c h e ist der sich e n t w i c k e l n d e , in S t u f e n verwirklichende G e d a n k e oder die sich v e r w i r k l i c h e n d e V e r n u n f t , eine genaue Definition der Aufgabe, die wir im wissenschaftlichen Denken zu lösen suchen. Als Regel des Denkens ausgedrückt lautet dieses Gesetz: Setze als Wesen des Wirklichen den in ihm liegenden Gedanken oder seinen Zweck, oder schließe aus der Gesamtheit des Wirklichen und seinen Veränderungen auf einen sich im Wirklichen auswirkenden Zweck. 63. Aus alledem ergibt sich nun eine neue inhaltliche Definition des Denkens: das Denken ist die Unterwerfung des Angeschauten, Gegebenen unter die Gesetze, die in seinem psychologischen Wesen, begründet liegen, die im Verlaufe des Denkens sich selbst setzen, und in den unwillkürlich angewandten Verknüpfungsformen, Regeln der Verknüpfung oder den Kategorien ihren Ausdruck finden. Das Angeschaute wird dadurch verändert, die tatsächliche, bloß räumliche und zeitliche Verbindung und Ordnung der Dinge wird zu einer notwendigen Ordnung in folgenden Stufen: die Eigenschaften, das, was wir allein von den Dingen erfahren, werden zu Bedingungen für die Anwendung des Begriffs von daseienden Wesen oder Dingen; wo die bestimmten Eigenschaften sind, müssen die Dinge sein, als deren Fähigkeiten die Eigenschaften betrachtet werden müssen. Wo die Eigenschaften sind, müssen die Bezeichnungen angewendet werden, die wir für die Formen des Daseienden geschaffen haben; wo diese Fähigkeiten oder Vermögen der Dinge als Wirkungen auf uns, d. h. als wirkende Kräfte auftreten, müssen sie in einem bestimmten Zustand
Das Denken als Äußerung des geistigen Lebens
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gedacht werden, oder müssen Umstände, Berührungen mit anderen Dingen eingetreten sein, die wir als Ursache betrachten, aus denen die Wirkungen mit Notwendigkeit hervorgehen. Endlich: das ganze System von Dingen, Ursachen, Prozessen und Stoffen muß als Mittel zu dem im Ganzen liegenden Zweck betrachtet werden, also als in dem Zweck oder Gedanken des Ganzen begründet. Das ganze Denken, das Denken in seiner Gesamtheit, ist also eine Deutung des Wirklichen nach den im Denken liegenden Notwendigkeiten, den Gesetzen des Denkens, und das gesamte Geschäft des Denkens hat somit die Bedeutung, die Geistartigkeit des Wirklichen zum Bewußtsein zu bringen.
DAS DENKEN
ALS
XL ÄUSSERUNG DES GEISTIGEN LEBENS
64. Es muß weiter beachtet werden, daß diese Grundformen aller Verknüpfung offenbar eben deswegen solche Grundformen sind, weil sie die F o r m e n s i n d , in d e n e n w i r u n s s e l b s t d e n k e n . Man sieht dies besonders an der Kategorie der Kraft und ihrer Äußerung. Die Anschauung, das Gegebene, zeigt uns immer nur ein räumliches Zusammen und eine zeitliche Folge, diese aber dauernd oder wiederholbar. Daß aber das Folgende ein Verursachtes durch eine Kraft Bewirktes ist, wird, wie schon Hume gesehen hat, nicht erfahren, ist niemals gegeben, sondern wird von uns einfach der Beobachtung entnommen, daß wir selbst, um etwas zu bewirken, eine Kraft aufwenden, einen Widerstand brechen, eine Energie brauchen. Aber auch die Notwendigkeit, das Seiende als ein Ganzes mit Teilen und ein Ding mit Eigenschaften aufzufassen, rührt bloß daher, daß wir in unserem Denken, in unserem Anschauen und Empfinden eine Einheit bilden, die sich zu einem Ganzen von Teilen und einem Ding mit Eigenschaften oder Fähigkeiten entfaltet; und dies wiederum hat darin seinen Grund, daß unser Denken oder unser Geist selbst uns als die Einheit eines ausgedehnten Ganzen, eines Körpers zum Bewußtsein kommt. Wie sollten wir dazu kommen, das Sein und das Dasein anders aufzufassen, als wir das uns nächst liegende, allein unmittelbar gegebene Sein und Dasein, unser eigenes Sein und Dasein, auffassen ? 65. Dies bedeutet aber, wie gesagt, daß alles Denken ein D e u t e n des Gegebenen nach unserem eigenen Wesen oder dem Wesen des Denkens enthält. Man findet eine solche Deutung gewöhnlich nur in der Anwendung der Zweckkategorie auf das Wirkliche und tut sich etwas darauf zugute, diese aus der Betrachtung des Wirklichen auszuschalten. Es sollte aber heute niemand im Zweifel darüber sein, daß auch schon der Begriff der Kraft und ihrer Äußerung, der Ursache und ihrer Wir-
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kung, ja des Dings mit seinen Eigenschaften ganz denselben unvermeidlichen Anthropomorphismus enthält, und daß wir die Anwendung des Begriffs der Kausalität um kein Haar für höher und wissenschaftlicher halten dürfen, als die des Zwecks, ohne welche, wie wir sehen werden, nur ein willkürlich abgebrochenes Denken übrig bleiben würde. 66. Nun können wir einmal die Natur des denkenden Vorstellens in umfassender Weise von der jedes anderen Vorstellens unterscheiden und sodann dieses Resultat befestigen und verallgemeinern, indem wir es mit dem vergleichen, was uns sonst von der Natur des geistigen Lebens und Wesens bekannt ist. Von der A n s c h a u u n g eines Gegebenen unterscheidet sich das Denken dadurch, daß das Material des Denkens nicht die volle Einzelheit und Bestimmtheit der sinnlichen Empfindung, sondern nur die dauernde und allgemeine Bestimmtheit enthält; das Denken hat also eine Idealisierung des Empfindungsmaterials, seine Erhebung ins Unsinnliche oder seine Vergeistigung zur Voraussetzung. Die Verknüpfung aber ist nicht die gegebene des räumlichen Zusammens und der zeitlichen Folge, sondern enthält wiederum die Erhebung ins Nichtgegebene, in die Form der Notwendigkeit, also ins Unsinnliche und Geistige. Mit der inneren V o r s t e l l u n g (Erinnerungsbildern) hat das Denken gemein die verhältnismäßige Allgemeinheit, die auch dem Erinnerungsbild zukommt, da dieses auch nicht alle Momente des Wirklichen enthält, sondern nur diejenigen, die interessiert haben, also von subjektivem Interesse sind. Aber das Material des Denkens ist eine s c h l e c h t h i n allgemeine Vorstellung, die nur das enthält, was zur unterscheidenden Bezeichnung notwendig ist, das Material des Vorstellens dagegen hat nur eine relative Allgemeinheit; ein Baum der Vorstellung oder Erinnerung z. B. ist immer entweder belaubt oder nicht belaubt, er ist immer noch ein (wenn auch verschwommenes) B i l d ; der Baum des Denkens enthält aber sowohl den belaubten als den nicht belaubten Baum, entspricht also nicht mehr irgend einem möglichen Bilde. Die Verknüpfungsform im Vorstellungsbild ist immer noch ein räumliches und zeitliches Zusammen oder eine zeitliche Folge, während das Denken unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit verknüpft. Das Vorstellungsbild ist subjektiv (durch das individuelle Interesse) bestimmt, der Denkbegriff durch das objektive Interesse des Denkens und Bezeichnens überhaupt. Das Vorstellungsbild enthält nicht alles Gegebene des Anschauungsbildes, aber doch nur Gegebenes; der Begriff außerdem noch die nicht gegebene, unsinnliche Verknüpfungsform. 67. Da das Denken nicht bloß Tätigkeit des Verknüpfens, sondern Verknüpfen des Gegebenen unter nicht gegebenen Verknüpfungsformen ist, so ist es mir als bewußte und zwar freie T ä t i g k e i t denkbar; diese
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Tätigkeit ist sogar s c h ö p f e r i s c h , da sie eine nicht gegebene Verknüpfung schafft. Da das Denken aber das dauernd oder wiederholbar Gegebene zum Gegenstand hat, ist es in seinen Resultaten an das Gegebene geknüpft, will nichts sein als eine bloße F o r m , in die das Gegebene erhoben wird; das Gegebene enthält dann den Inhalt dieser Form, das was die Form einschließt. Diese beiden Bestimmungen vereinigen sich darin, daß das Denken eine tätige Umwandlung des Gegebenen in die dem Denken vorausgesetzte, durch den Zweck des Denkens gegebene Form des Denkens selbst, gemäß der Natur des Denkens, enthält, also eine Erhebung des Gegebenen in das Geistige. Freiheit, Formnatur und Bestimmung durch sich selbst, das eigene Wesen, sind die drei Eigenschaften des Denkens. Gelingt es in unserem vorstellenden Verhalten das Gegebene so zu denken, daß alle seine Formen, Erscheinungen und Veränderungen als gemäß der Natur des denkenden Geistes setzbar zum Bewußtsein kommen, so hat das Denken sein immanentes, durch seine Natur gegebenes Ziel erreicht. Wir nennen dieses Ziel „Erkennen". Es erhebt sich also jetzt, nachdem wir uns zum Bewußtsein gebracht haben, was vorgeht, wenn wir denken, die zweite Frage: w a s g e h t v o r , w e n n wir e r k e n n e n ?
ZWEITES BUCH
WAS GEHT VOR, WENN DAS DENKEN SICH ZUR WISSENSCHAFT ERHEBT? (WISSENSCHAFTSLEHRE)
1. Wie Denken noch nicht erkennen ist, so ist erkennen noch nicht Wissenschaft. Zur Wissenschaft wird es erst dann, wenn es 1. auf das Ganze eines bestimmten Gebietes, schließlich der Natur und Welt ausgeht; 2. solange fortgesetzt wird, bis das Denken selbst kein Problem mehr vor sich sieht; dann ist es wirklich erkennen, d. h. von Grund aus kennen geworden; 3. wenn es eben deswegen keinerlei außer dem Erkennen liegende Zwecke mehr hat, sondern rein Erkennen um des Erkennens willen geworden ist. Dies alles liegt in dem Begriff Wissens c h a f t , denn die Endsilbe „schaft" bedeutet fast durchweg, daß aus dem, was das Stammwort enthält, ein Geschäft, ein allgemeiner oder umfassender Lebenszweck gemacht wird, wie in Wirtschaft, Handelschaft, selbst in „Leidenschaft", wo das Leiden zum Zustand und zwar zum geliebten Zustand wird. Auch „Eigenschaft" ist dem Wortsinn nach dasjenige, was absolut festgehalten wird, das eigene Geschäft eines Wesens. Die Aufgabe der folgenden Ausführungen wird sein, zu zeigen, wie sich die Erkenntnis in der Wissenschaft innerlich und äußerlich zu einem umfassenden Zweck des Menschengeschlechts entfaltet, also einerseits, was ihr Anfang, ihre Fortgänge und ihre letzten Ziele sind; anderseits wie sie sich auf das gesamte Sein ausbreitet und so spezialisiert. Es wird also nicht nur Einteilung und Zusammenhang der Wissenschaft erörtert werden müssen, in der Weise, wie es A u g u s t C o m t e getan hat, sondern auch für jede einzelne Wissenschaft gezeigt werden müssen, in welchen Stufen sie aufsteigt. 2. Im Grunde gibt es nur eine Wissenschaft, deren Gegenstand die Gesamtheit des Seins ist, und zwar ihrem Dasein, ihrem Wesen und ihrem Grunde nach, und deren Ziel das Bewußtsein der Notwendigkeit oder der Vernunft in der Welt ist. Aber schon, wenn wir uns die verschiedenen Aufgaben klar machen, die in der Wissenschaft gelöst werden, machen sich auch die verschiedenen Gebiete der Erkenntnis geltend. Die S p r a c h e hat sehr bezeichnende Ausdrücke für die Aufgaben, die uns in dem wissenschaftlichen Geschäft gestellt sind: erforschen, untersuchen, bestimmen (eine Pflanze bestimmen), einteilen, unterteilen, kritisieren, erklären, begreifen. Die wichtigsten unter ihnen sind Bestimmen, Erklären, Begreifen, die als das eigentliche Geschäft der Wissenschaft erscheinen und sich sowohl nach ihrem Verfahren als auch D i e i , Sprechen, Denken und Erkennen.
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in ihren Gegenständen bestimmt unterscheiden. Die bloße Mannigfaltigkeit der S e i n s muß zunächst b e s t i m m t werden; der Wechsel im Sein, das Geschehen, das Werden, das Entstehen und Vergehen muß e r k l ä r t werden; das gegliederte System von Dingen, Stoffen, Kräften, Formen, das durch diese beiden Tätigkeiten zum Bewußtsein kommt, muß b e g r i f f e n werden. Unter „Begreifen", concipere, verstehen wir dem Wortsinn nach das Zusammenfassen zu einem Ganzen, so wenn wir etwa sagen: das Seelenleben begreift in sich Gefühlsmomente, Begehrensmomente und Vorstellungsmomente, oder die Logik begreift in sich eine empirische, mathematische und philosophische Wissenschaft, Erkenntnis begreift in sich einen Begriff, einen Schluß und ein Urteil. Wenn dann diese letzteren Elemente als die Bestandteile e r k a n n t sind, die zu einer E r k e n n t n i s z u s a m m e n g e h ö r e n , so ist die Erkenntnis im wissenschaftlichen Sinn „begriffen", auf ihren „Begriff gebracht", als ein Ganzes erkannt in dem Sinn, daß ein Urteil nicht ohne Begriff und Schluß Zustandekommen kann. Unsere ganzen bisherigen Ausführungen waren ein solches „Begreifen" der Mannigfaltigkeit aller innerhalb des Denkens auftretender Elemente; der Grundbegriffe, der Gegensätze, Grundschlüsse in einer Zweckeinheit, in dem Zweck der Bezeichnung und Verbindung von Bezeichnetem, schließlich im Erkennen, das selbst wieder als die Einheit empirischen, mathematischen und philosophischen Denkens begriffen wird. 3. Von Begreifen unterscheidet sich bestimmt das „Erklären" und „Bestimmen". Sehen wir, daß das Wasser beim Eintreten des Gefrierpunktes fest wird, und führen wir, geleitet von den zeitlichen Zusammenhängen, dieses Festwerden auf den Begriff der Wärme, bzw. Kälte zurück, indem wir die Wärme als die Molekülbewegung bestimmen, die die Teile der Materie gegeneinander beweglich erhält, so ist das Festwerden des Wassers in der Kälte damit erklärt, die Wärme bestimmt. Wenn aber das Festwerden des Wassers durch den Begriff der Wärmebewegung erklärt ist, so ist weder das Flüssigsein noch das Festwerden des Wassers damit schon begriffen, denn wir wissen noch nicht, warum es bei den gewöhnlichen Wärmezuständen flüssig sein muß und welche Bedeutung diese Flüssigkeit für das Gesamtsystem der Natur hat, warum das Wasser in seinen Zuständen (seinen Aggregatzuständen) einem regelmäßigen Kreislauf unterliegt; außerdem wissen wir noch nicht, wieso die Wärme, die wir zunächst als eine körperliche Wohlempfindung, als eine Hautempfindung kennen, auf etwas ganz davon Verschiedenes, eine bloße Bewegung der kleinsten Massenteile, zurückgeführt werden kann. Die transzendentalen Kategorien machen sich in dem Unterschied von Bestimmen, Erklären und Begreifen bemerklich. Wir „be-
Begreifen, Erklären, Bestimmen
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stimmen" das W e s e n einer Daseinsform, wir erklären ihr Vorhandensein, ihre Entstehung, ihr D a s e i n , und wir begreifen ihr Wesen als den G r u n d ihres Dasein. 4. U m die Rolle zu erkennen, die das Bestimmen, Erklären und Begreifen in dem Organismus der Wissenschaft spielen, muß man sich auf die Grundfragen besinnen, die das Denken an die Wirklichkeit stellt. Das Denken geht, wie wir sahen, auf das Gegebene und sucht sich deswegen in seiner wissenschaftlichen Betätigung der Gesamtheit des Gegebenen zu bemächtigen. Der Mensch will alles kennen lernen, w a s i s t , er forscht nach Unbekanntem und sucht Neues zu entdecken. Die Frage geht auf das Dasein, auf das „ D a ß " und auf das „ O b " der Dinge. Das zweite Interesse des Denkens liegt in der Frage Was ?, nicht in dem Sinne des W a s i s t ?, sondern im Sinn von: W a s ist das, w a s ist ? Statt auf das Dasein geht das Denken jetzt auf das W e s e n des Daseienden. 5. Die Wasfrage entwickelt sich in drei Stufen. Die erste ist nur die Frage nach dem Namen: W e r o d e r w a s ? z. B. was ist das, was sich im Gewitter, in den Funken des Induktors, in dem Magnetischwerden des umwickelten Eisenstücks äußert ? Die Antwort lautet: Die Kraft, die in diesen verschiedenen Erscheinungen wirksam ist, n e n n e n w i r Elektrizität. Damit ist noch nicht gesagt, was die Elektrizität ihrem Wesen nach ist. Diese Frage wird erst beantwortet, indem wir Elektrizität ihrer Gattung nach als eine Naturkraft allgemeiner Art, als eine allgemeine Bewegungsform in der Natur bestimmen Die Frage nach dem W a s ? nimmt also hier die F o r m an: welcher Gattung von Erscheinungen gehört die Elektrizität an ? Endlich will die Wasfrage auch noch wissen, durch welche Besonderheit sich d i e s e Naturkraft von anderen unterscheidet. Die Wasfrage lautet hier: w a s f ü r e i n e s ? Dieses „für eines" ist ein äußerst bezeichnender Ausdruck, der darauf hinweist, daß z. B . Elektrizität nur e i n e unter den Naturkräften ist, eine besondere Art von Naturkraft. In der ersten Frage geht das Denken nur auf den Zweck der Unterscheidung, Identifizierung und Festhaltung der Erscheinung, indem es die Erscheinung mit einem Namen bezeichnet, in der zweiten F o r m der Wasfrage steigt es in das Allgemeine hinauf, das was die Erscheinung mit anderen verbindet, in der dritten Frage: Was für eine? kehrt es zum Zweck der Erkenntnis zum Besonderen, Unterscheidenden zurück. Nachdem es in der zweiten Frage sich zum Begriff erhoben hat, kehrt es in der dritten zur Anschauung zurück. 6. Diese Rückkehr zur Anschauung ist auch der Weg von der Wasfrage zu der Daßfrage oder der Obfrage. Sie setzt den Namen 2. B. Zwerg, Planet, als gegeben voraus und fragt, ob ihm eine Anschauung entspricht. Gibt es Zwergvölker, gibt es bei jeder Sonne Planeten ? 6*
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Man fragt aber z. B. auch: k o m m t beim Verbrennen des Holzes etwas zu ihm h i n z u ? oder geht etwas von ihm weg, wie es den Anschein hat ? Wo befindet sich das, was hinzukommt, vorher ? Wann, d. h. in welchem Zeitmoment kommt es hinzu ? In welchen Quantitäten kommt es hinzu ?, unter welchen Umständen kommt es hinzu ? Die Antworten lauten: Es k o m m t Sauerstoff h i n z u , der Sauerstoff muß in bestimmten Mengen vorhanden sein; er verbindet sich mit dem K o h l e n s t o f f im Holz unter den U m s t ä n d e n eines bestimmten Wärmegrades, es verbinden sich so u n d so viele Teile S a u e r s t o f f mit so und so vielen Teilen Kohlenstoff. Das Wann ? Wo ? unter welchen Umständen ? in welcher Weise ? in welchen Massen ? sind also Seiten oder Elemente der Obfrage. Ihre Stufen sind: zuerst das reine Ob ? Ist es oder ist es nicht ? Z. B. gibt es einen weiteren Planeten in unserem Sonnensystem außer den bekannten ? Hat Jesus gelebt oder nicht ? nebst den näheren Bestimmungen des Wann ? und Wo ? Ist Jesus am Beginn unserer Zeitrechnung geboren oder 6 Jahre nachher zur Zeit des großen Census oder vier Jahre vorher zur Zeit Herodes des Großen! Gibt es noch einen Planeten innerhalb des Merkur oder außerhalb des Neptun ? Mit dem Wann? und Wo? wird also das Existierende in einen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang gestellt. Die Daßfrage breitet sich deswegen auf der zweiten Stufe auf das Problem des Gewesenen und des Zukünftigen aus. Die Wissenschaft frägt nicht mehr bloß, was jetzt ist, sondern auch nach dem, was war und sein wird, im Gegensatz dazu nach dem, was immer ist, nach dem Beharrenden, dem Dauernden, dem Ewigen. Und endlich erscheint dieses Dauernde als das Ursprüngliche, Elementare, und die Obfrage wird zur Frage nach dem Ursprung und dem Ende, dem Vorher und Nachher, dem Werden und der Folge, die Frage: wann entstanden, wann verschwunden, wohin verschwunden ? 7. Hieran schließt sich von selbst die W a r u m f r a g e , die direkt mit dem Vorher und Nachher zusammenhängt. Auch sie entwickelt sich in drei Stufen. Zuerst ist sie die Frage nach dem W o h e r ? Woher kommt das Entstandene? Das ist die Frage nach der Ursache, der ursprünglichen Sache, an der die neu auftretenden Qualitäten hängen. Die Warumfrage knüpft naturgemäß an das Werden an, denn dieses ist das für das Denken Problematische, dem Denken Widersprechende und geht von dem Gedanken aus, daß auch das scheinbar Werdende irgendwie vorher vorhanden war. Um dies zu erkennen, ist es notwendig, das Woher und das Ursprüngliche vollständig zu fassen mit allen seinen „Umständen". Die Woherfrage ist also eigentlich die Frage: U n t e r welchen U m s t ä n d e n ? 8. Aber mit dem Wieso ? ist die Warumfrage noch nicht befriedigt und erschöpft. Das neu Entstandene, die Veränderung ist nun gemäß
Die Zurückführung des Gegebenen
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der Forderung des Denkens auf dauerndes Wesen verschiedener Art, auf das Wesen des Regens bzw. des Wassers und auf das Wesen des Bodens zurückgeführt: aber die Frage nach dem Woher dreht sich nun um, indem auch die Nässe des Bodens eine Ursache wird und gefragt: wozu führt, was bewirkt nun die Nässe des Bodens; das Woher? wird damit zu dem Wohin ? und Wozu ? Das ist eigentlich der ursprüngliche Sinn der Warumfrage. 9. Wir gehen nun zu dem S i n n dieser drei Grundfragen über und damit zu dem Ziel, das das Denken verfolgt, wenn es die drei Fragen stellt. Wenn ich frage, was ist denn das, was mir gegeben ist ? so kann die Frage nur den Sinn haben, das zunächst Unbekannte auf ein Bekanntes zurückzuführen. Wäre das nicht möglich, so würde eine unendliche, niemals zu lösende Aufgabe in der Wasfrage liegen, es würde ein regressus in infinitum gefordert werden, und die Wasfrage würde sinnlos, die Möglichkeit der Erkenntnis würde aufgehoben, und das Denken ins Irrationale führen. Die Wasfrage setzt also voraus, daß es ein an sich Bekanntes gibt. Wenn ich das Wasser zunächst seiner Gattung nach als einen allgemein verbreiteten Stoff in der Natur bestimme, eines der „Elemente" in dem antiken Sinn des Wortes, so lautet die nächste Frage: was für ein Stoff, und die Antwort ist: eine chemische Verbindung von Stoffen. Darauf folgt die Frage: was ist eine chemische Verbindung, und wenn ich darauf die Antwort gebe, sie sei im Unterschied von einem bloßen äußerlichen Stoffgemenge, wie die Luft, eine innerliche Wesensverbindung, d. h. eine Verbindung, die die Eigenschaften der verbundenen Stoffe verändert, z. B. aus Gasen eine Flüssigkeit von anderen Farben, Gerüchen macht, so ist das Wesen der chemischen Verbindung auf die apriorischen Begriffe: Ding mit Eigenschaften, Veränderung und Beharren, äußerlich und innerlich zurückgeführt, — Begriffe, bei denen ich nicht mehr fragen kann, was sie sind, weil sie durch keine Erklärung bekannter werden können als sie sind, und weil sie schon bei dem Bewußtwerden des Wassers als eines gegebenen Stoffes zugrunde liegen oder vorausgesetzt sind. Der S i n n d e r W a s f r a g e i s t a l s o d i e Z u r ü c k f ü h r u n g des G e g e b e n e n auf d a s A p r i o r i s c h e . Daher kommt es, daß wir z. B. im Gebiet des Materiellen lauter Bestimmungen treffen wie spezifisches Gewicht oder Dichtigkeit, Wärmekapazität oder Schmelzpunkt, elektrische Leitungsfähigkeit usw., d. h. Bestimmungen, die durch eine Z a h l spezialisiert werden, während sie selbst als bloße Formen der Bewegungsmöglichkeit, als Bewegungsfähigkeit oder als Selbsterhaltung gegen die allgemeinen Bewegungsvorgänge in der Natur aufgefaßt werden, die selbst durch die apriorischen Momente der fortschreitenden oder Zentralbewegung (der schwingenden Bewegung) als Transversal- oder Longitudinalschwingungen bestimmt werden. Das Apriorische hat sein Kennzeichen daran, daß seine Möglich-
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Zweites Buch
keiten in strengen Disjunktionen festgestellt werden können: z. B. eine Bewegung muß entweder fortschreitend sein oder um einen und denselben Punkt schwingen, die Richtung der Schwingung muß entweder mit dem Fortschreiten der Welle in gleicher Richtung gehen oder quer dazu. Besonders charakteristisch ist auch die Zurückführung dieser Erscheinungen auf das E i n f a c h e (das Atom oder die einfachen Zusammensetzungen von Atomen und die einfachen Bestandteile des Atoms, Kern und Elektronen, die in der Erfahrung nicht vorkommen und sich so von vorneherein als apriorische Konstruktionen erweisen.) Die Frage, was eine Pflanze oder ein organischer Körper sei, kann nicht beantwortet werden mit der Bestimmung, daß sie ein Aggregat von Stoffen oder eine chemische Verbindung von Stoffen sei, wie etwa das Wasser, auch nicht damit, daß sie eine vorübergehende Zusammenfassung chemischer P r o z e s s e in einer Art von Wirbel sei. Eine solche Bestimmung würde dem erfahrungsmäßigen Wesen des Organischen nicht gerecht werden, schon weil das Organische die Fähigkeit hat, sich, d. h. ein Exemplar seiner Gattung neu zu erzeugen. Das Organische ist zunächst überall eine wechselseitige Kompensation von entgegengesetzten Prozessen, die sich in ein relatives Gleichgewicht setzen und dadurch eine bestimmte Daseinsform erhalten. Das Organische ist also ein bestimmtes Formganze, das die Fähigkeit hat, sich in dem Gegensatz seiner Prozesse auf eine gewisse Zeit selbst zu behaupten, das Verbrauchte zu erneuern, sich in der einen Periode seines Daseins zu steigern, d. h. äußerlich zu wachsen, innerlich zu entwickeln, um dann in der zweiten Periode seines Daseins dem allgemeinen Naturprozeß, dem Sauerstoffprozeß, zu erliegen. Es ist also ein zeitlich Ganzes, hat eine bestimmte Zeit an sich, und ein chemisch Ganzes, ein relatives Gleichgewicht von chemischen Prozessen, ein innerlich Ganzes, weil es auch bei äußerlicher Abtrennung von Teilen sich als Ganzes wiederherzustellen sucht und sich auch bis zu einem gewissen Grad wieder herstellen kann (Regeneration, Vernarbung) und endlich ein gattungsmäßig Ganzes, weil es die Fähigkeit hat, sich fortzupflanzen, also sich als Gattung zu erhalten. Alle diese Bestimmungen sind apriorisch, d. h. sie hängen an dem Begriff des Ganzen und seiner Teile, die hier zu O r g a n e n , d. h. zu Mitteln für den Zweck des Ganzen werden, also auch an dem Begriff des Zwecks. Der Begriff des O r g a n s , ohne den selbstverständlich der des Organischen nicht gedacht werden kann, setzt den des Zwecks voraus. Das Organische ist nicht einmal vollständig beschrieben, wenn diese Zweckbeziehung der Teile hier nicht hervorgehoben wird. Das einzelne Organische kann von dem anderen nicht unterschieden werden durch den Unterschied der Stoffe, aus denen die Arten etwa bestehen würden, sondern nur durch den Unterschied der Formen, rund, eckig, Teile so oder so angeordnet, in dieser
Die Zuriickführung des Gegebenen
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oder jener Stellung zu einander, von dieser oder jener Gestalt, also lauter mathematisch apriorische Bestimmungen. Dasselbe gilt auch von den Stufen des Organischen. D a s Ziel d e r W a s f r a g e i s t a l s o die Z u r i i c k f ü h r u n g des G e g e b e n e n auf d a s d u r c h die N a t u r des G e i s t e s V o r a u s g e s e t z t e , d a s im D e n k e n s i c h s e l b s t S e t z e n d e , des N a t ü r l i c h e n auf d a s G e i s t i g e . 10. Das Ziel der Frage nach dem, w a s i s t , kann zunächst nur darin bestehen, das Gegebene in seiner Vollständigkeit zu besitzen, und die Frage hat insoferne den Sinn: Was alles ist ? geht also auf das Ganze oder die Welt. Das Erkennen, sofern es sich zur Wissenschaft entwickelt, will durchaus W e l t e r k e n n t n i s werden. Es will also bis zu den Grenzen der Welt vordringen, und der Wanderer, der in Schillers Gedicht dahin vorzudringen sucht, „wo kein Hauch mehr weht, wo der Markstein der Schöpfung steht", ist hier der Typus des wissenschaftlichen Geistes. Die Unmöglichkeit, die Raum- und Zeitanschauung irgendwie als begrenzt zu denken, kennzeichnen dieses Streben wiederum als ein Versinken in den Abgrund des Unendlichen, als einen regressus in infinitum. Dasselbe Versinken ins Unendliche begegnet uns aber auch, wenn wir irgend eine e i n z e l n e Anschauung in ihrer Vollständigkeit zum Bewußtsein zu bringen oder ins Denken zu erheben suchen. Alles einzelne Wirkliche enthält ebenfalls die Unendlichkeit, sofern es ins Unendliche mannigfaltig und bestimmt, also ein Individuum ist. Das alte Wort kommt zum Bewußtsein: individuum est ineffabile, das Individuelle ist nicht nur für das Wort, sondern auch für das Denken unerreichbar. Das gilt nicht nur für ein bestimmt geformtes Element der Wirklichkeit, wie es ein Baumblatt ist, das kein Mensch jemals in seiner vollen anschaulichen Wirklichkeit mit all seinen Flächen, Erhöhungen, Vertiefungen, Krümmungen und Richtungen, mit seinen Zellen und Zellengruppen ins Bewußtsein erheben kann, sondern ebenso von dem ungeformten gleichmäßigen Stück Stein oder Metall, einem Quantum Luft oder Sauerstoff. Nur für das unmittelbare Sehen ist hier eine Gleichförmigkeit vorhanden, allein das Innere, die molekulare Struktur, die in diesen Stücken vorhandene unregelmäßige Wärmebewegung, die elektrischen Ströme die in ihm kreisen, die Spannkräfte, die an verschiedenen Stellen verschieden sind, und in der Unregelmäßigkeit des Bruchs zu Tage treten, das alles ist nie in seiner Vollständigkeit zu erfassen. Vollends gilt das selbstverständlich von einem so verwickelten Dasein, wie es ein organischer Körper oder gar das Innenleben des Tieres und des Menschen ist. Das Denken wird durch diese innere Unendlichkeit des Wirklichen auf einen doppelten Weg gewiesen oder in doppelter Richtung beeinflußt. Es sieht sich statt an die Einzelheiten der Erscheinungen an das
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Allgemeine in ihnen gewiesen; und es sieht sich an das Einfache, an die letzten Bestandteile der Dinge gewiesen. Beide Richtungen hängen zusammen, insofern das Allgemeine in den Dingen eben seine Elemente sind, die gegenüber der Unendlichkeit der Formen eine beschränkte Zahl bilden, etwa 90 bis 100 Elemente, die vielleicht zum Teil noch auf wenige, vielleicht nur auf zwei Urelemente zurückgeführt werden können. Die Frage Was ist ? verwandelt sich also in zwei weitere Fragen, die Frage: was ist d a s Allgemeine in den D i n g e n — und hier sehen wir, wie die Daßfrage mit der Wasfrage zusammenhängt —; und: w a s s i n d die e i n f a c h e n B e s t a n d t e i l e oder die E l e m e n t e der D i n g e ? Den Übergang zu diesen Fragen nach dem Wesen der Dinge haben M a c h und andere nur als einen Mangel des Denkens, eine erzwungene Ökonomik oder Selbstbeschränkung des Denkens aufgefaßt, die keine höhere Bedeutung habe. Es ist aber leicht zu sehen, daß das Allgemeine und die Elemente ein größeres Maß von Wirklichkeit, mehr Realität, wie man früher sagte, in sich haben, als die vergänglichen und flüchtigen Erscheinungen; sie sind das, was i m m e r und ü b e r a l l ist, das Einzige also, das als notwendig zu erkennen ist, und drücken insofern das Wesen der Welt aus, das etwas ganz anderes ist, als eine bloße abgekürzte Vorstellung der Dinge. Es ist das Streben nach dem w a h r e n Sein der Dinge, das darin zum Ausdruck kommt. Die Frage: was ist? wird zur Frage nach dem, was ewig ist und sein m u ß , die Frage nach der Wirklichkeit zur Frage nach der W a h r h e i t des Seins. Aber auch hier macht sich zunächst ein Mangel des Denkens fühlbar, der in neuerer Zeit durch die sogenannte Relativitätstheorie erneut zum Bewußtsein gebracht worden ist. Schreitet man nämlich nun zu der Aufgabe fort, das Einzelne durch das Allgemeine zu bestimmen, Dasein aus dem Wesen zu erklären, also das Einzelne in seiner zeitlichen und räumlichen Bestimmtheit gemäß dem Allgemeinen, Stoffen^ Elementen, Kräften, Gesetzen zu erkennen, so wird uns klar, daß z. B. ein Ort im Räume sich nur bestimmen läßt von einem gegebenen Ort aus, und das kann nur der Ort des Denkenden selbst sein. Wenn wir ein willkürliches Koordinatensystem annehmen, so erhalten wir nur einen relativen, keinen absoluten Ort der Dinge, und bei der Zeit ist es genau dasselbe. Gleichzeitigkeit, Vorher und Nachher sind Bestimmungen, von denen leicht einzusehen ist, daß sie für verschiedene Orte verschieden sein müssen, von der eigenen Bewegung abhängen u. s. w. Dies hat für die Erkenntnisfrage die Bedeutung: 1. daß diese wesentlichen Daseinsbestimmungen von vornherein nur durch Beziehung auf den Menschen d. h. den beobachtenden Geist, entstehen können, daß also alle Erkenntnis des Wirklichen, wir mögens machen, wie wir wollen, a n t h r o p o z e n t r i s c h ist, also ein subjektives Element enthält und die Einschränkung hat: von unserem Standpunkt aus. Dieser wird zunächst
Das Allgemeine in den Dingen
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in naiver Weise als ruhend angenommen. Zieht man seine Bewegung, soweit sie e r k e n n b a r ist, in Betracht, so ändert sich, wie bei Kopernikus, das ganze Weltbild; aber auch, wenn der Standpunkt als bewegt erkannt wird, wird die Relativität unserer Erkenntnis nicht aufgehoben. Die Einschränkung nimmt dann die Form an; von unserer so u n d so a n g e n o m m e n e n eigenen Bewegung aus (die wahre Bewegung in der Gesamtheit der Dinge können wir nie zum Bewußtsein bringen) erscheint die Welt so oder so. 2. Daß der Geist durch diese Schranke, um zu dem wahrhaft Unabhängigen, Objektiven zu gelangen wiederum gezwungen ist, sich auf das zeitlos und raumlos Allgemeine, das Denknotwendige, Apriorische zu richten, wie eben gezeigt wurde. Endlich 3. daß das rein Objektive, nicht relative, Einzelne, das durch den Geist nicht Bedingte, von ihm Unabhängige, dem Menschen als einem durchaus zeitlich und räumlich bedingten Wesen versagt ist, und daß Erkenntnis sich im wesentlichen nur auf die Beziehung der Dinge zueinander, ihrem Zusammenhang, vor allem den Kausalzusammenhang beziehen muß. Dieser Zusammenhang ist, wie wir schon bei der Analyse des Denkens hervorgehoben haben, als der eigentliche Gegenstand und das eigentliche Ziel der Daßfrage zu bezeichnen. Würde es unmöglich werden, ein Vorher und Nachher, eine Gleichzeitigkeit und Gleichörtlichkeit als den Gegensatz des Grundes und des Begründeten zu denken, so wäre Erkenntnis überhaupt aufgehoben, eine Konsequenz, der die gegenwärtige Form der Relativitätstheorie ganz nahe kommt. Es sind da von mehr oder weniger berufenen Vertretern dieser Theorie zum Teil sehr irreführende Behauptungen aufgestellt worden. Es ist z. B. keine Frage, daß das Einfahren eines Zuges in den Bahnhof a n sich ebensogut als eine Bewegung des Bahnhofs gegen den Zug gedeutet werden könnte. Tatsächlich ist aber doch nur die erstere Deutung möglich, weil wir keine U r s a c h e a n g e b e n k ö n n e n , warum und wodurch der Bahnhof sich bewegen könnte, während die Bewegung des Zuges, bzw. seiner Lokomotive, durch die Kraft des Dampfes begreiflich wird. Der Satz, daß jede Bewegung ihre Ursache in einer anderen Bewegung haben müsse, ist eine Bedingung oder Voraussetzungdes Denkens, ebenso wie der daraus folgende Satz, daß das Subjekt der Bewegung, die Materie, an sich träge ist. Hebt man ihn auf, so ist Denken überhaupt unmöglich. Man sieht hier, daß die Frage ob ein Gegenstand ruht oder bewegt ist, gerade so gut durch die Anwendung des Kausalgedankens, der apriorischen Kategorie und des apriorischen Gesetzes beantwortet werden kann, wie die Frage, ob eine Vorstellung subjektive Traumvorstellung oder objektiver Eindruck ist. Wir haben früher gezeigt, daß Objektivität nur dadurch zum Bewußtsein kommen kann, daß sie sich als gesetzmäßig erweist. Dies ist der Grund, warum die Daßfrage schließlich zur Frage nach dem gesetzmäßigen Zusammenhang der Dinge wird.
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11. D e r S i n n und das Ziel der W a r u m f r a g e . Daß eine Erscheinung A von einer Erscheinung B abhängen, aus einer Erscheinung B entstehen, sich in eine Erscheinung B verwandeln könne, eine Annahme, zu der uns der zeitliche Zusammenhang von A und B vielfach veranlaßt, — dies ist überhaupt nie einzusehen und würde das Denken unmöglich machen, wenn wir dabei stehen bleiben müßten. D e n n es w i d e r s t r e i t e t dem G r u n d g e s e t z des D e n k e n s , dem I d e n t i t ä t s g e s e t z . Man muß an Systeme wie die von L e i b n i z und H e r b a r t denken, um das zum Bewußtsein zubringen. „Die Monade hat keine Fenster, durch die etwas eindringen könnte" sagt Leibniz, und Herbart sieht sich wenigstens genötigt, das Geschehen auf bloße Selbsterhaltung des unveränderlich Seienden zurückzuführen. Es erwächst daraus dem Denken die Aufgabe, dieses vermeintliche Hervorgehen des Einen aus dem Andern als einen Schein aufzuweisen und zu zeigen, daß die U r s a c h e und die W i r k u n g in W a h r h e i t i d e n t i s c h sind. Können sie so gedacht werden, so e r w e i s t s i c h das W i r k l i c h e als dem D e n k e n e n t s p r e c h e n d oder als v e r n ü n f t i g . Der Sinn der Warumfrage ist also: die Ursache und der Grund sollen so gedacht werden, daß sie mit der Wirkung oder der Folge identisch sind, anders kann der Zusammenhang der beiden Erscheinungen nicht als Zusammenhang gedacht, oder als notwendig gesetzt werden. Man kann wohl die Abhängigkeit zweier V o r s t e l l u n g e n von einander einsehen, z. B. der Vorstellung Rabe von der Vorstellung Vogel, niemals aber die Abhängigkeit zweier realer Objekte: was haben zwei real verschiedene Objekte l o g i s c h miteinander zu tun? Das erste Mittel, welches das Denken anwendet, um die Aufgabe zu lösen, d. h. Ursache und Wirkung, Grund und Folge als identisch zu denken, ist das, die Ursache v o l l s t ä n d i g zu denken. Die I d e n t i f i z i e r u n g v o n U r s a c h e und W i r k u n g vollzieht sich aber auf eine doppelte Weise. Sie kann die Wiederauffindung des empirischen Wesens der Ursache im Wesen der Wirkung sein, z. B . der Nässe des Regens in der Nässe des Bodens. Wo das aber nicht der Fall ist, wo es sich um eine im strengen Sinn nicht erfahrbare Ursache handelt, da muß der Versuch gemacht werden, das Wesen (der nur gedachten) Ursache so zu denken, daß es in der Wirkung wieder zum Vorschein kommt. Wenn wir denken, daß Wärme, — die zunächst nur als Hautempfindung erfahrbar ist — ihrem Wesen nach als eine Bewegung der Moleküle gedacht werden kann, dann finden wir das Wesen der Wärme in der Ausdehnung der Körper wieder in der Gleichung: Stärkere Bewegung der Teile = größere Entfernung der Teile = größere Ausdehnung des Ganzen. Die Molekularbewegung des scheinbar ruhenden Körpers ist nicht eine gegebene erfahrbare Tatsache, sondern wir d e n k e n die Wärme als Molekularbewegung, eben um sie
Der Sinn der Warumfrage
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als identisch mit ihrer Wirkung der Ausdehnung der Körper und etwa anderer Wirkungen, z. B. Aufhebung der chemischen Stabilität, festhalten zu können. Die Möglichkeit, die Wärme, die als bloße körperliche Empfindung etwas durchaus Irrationales, nicht zu Beschreibendes oder zu Bestimmendes ist, als Molekularbewegung zu denken, liegt in der Notwendigkeit, das Geschehen auf Kräfte zurückzuführen, d . h . die Ursache als Kraft zu d e n k e n , also in dem Zusammenhang der Grundbegriffe oder Kategorien. Die Kraft als solche ist niemals erfahrbar. Wir können also ihre Bestimmungen so wählen, daß sie mit ihren räumlichen Wirkungen, z. B. Ausdehnung der Körper, oder mit ihren qualitativen Wirkungen (z. B. chemische Eröffnung der Körper) identisch wird. Die Notwendigkeit, das Wesen der U r s a c h e in d e m W e s e n d e r W i r k u n g w i e d e r z u f i n d e n , ist der Grund, warum wir a l l e s , was Bewegung h e r v o r r u f t , oder durch Bewegung hervorger u f e n w i r d , w i e d e r als b e w e g e n d e K r a f t , sei es l e b e n d i g e o d e r S p a n n k r a f t , d e n k e n m ü s s e n , und das Quantum beider Kräfte, das Q u a n t u m d e r E n e r g i e als das Wesen der Sache, also als unveränderlich denken müssen. Dies ist die G r u n d l a g e der sogenannten m e c h a n i s c h e n N a t u r a u f f a s s u n g . Diese ruft nun aber eine Schwierigkeit auf zwei Gebieten hervor; einmal läßt sie die Welträtselfrage entstehen, wie eine Bewegung die Ursache einer von ihr doch ihrem ganzen Wesen nach qualitativ verschiedenen Empfindung sein könne, z. B. wie eine Schwingung des Äthers von dieser und dieser Frequenz und Länge der Wellen zu der Empfindung blau und rot werden, sich in diese Empfindung v e r w a n d e l n könne; sodann ist von der Grundlage des Mechanischen, d . h . einer rein quantitativ gedachten Welt aus das Organische einfach unerklärlich, seine Entstehung wird ein bloßer Zufall, was zu dem fast wahnsinnig klingenden Satz führt, es sei ein Zufall, ob in der Welt überhaupt so etwas wie eine Seele, die sie empfinden, ein Geist, der sie verstehen kann, vorhanden sei. Das ist eine Bankerotterklärung des wissenschaftlichen Denkens. Von der Formulierung des ersten Problems, wie eine Bewegung sich in eine Empfindung verwandeln könne, ist nun zunächst zu sagen, daß sie eine falsche Formulierung ist, die den Tatbestand nicht richtig ausdrückt. Es ist keineswegs eine mechanische Welt der Bewegung g e g e b e n und eine Verwandlung dieser lichtlosen und stummen mechanischen Welt in eine leuchtende, farbige und tönende Welt, sondern gegeben ist nur die qualitative Welt der Empfindungen, des Gesichtssinns, Gehörsinns, Geschmacksinns usw. Die andere Welt, die wir als das Objektive konstruieren, die Welt der Ätherschwingungen, der Molekular- und Atombewegungen, ist nur eine gedachte Welt, die Welt,
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die wir uns konstruieren, um die gesetzmäßigen Zusammenhänge der gegebenen qualitativen Welt, verständlich zu machen. Alles Mechanische, der Äther selbst, Moleküle, Atome, Bewegungen dieser Elemente der Körperlichkeit, sind nicht gegebene Tatsachen, sondern zum Zweck der Erklärung gedacht und gesetzt. Das erste Problem ist also, genau gedacht, nicht, wie kann ein bloß Quantitatives ein Qualitatives, eine Ätherschwingung zu blau, rot, gelb werden, sondern es lautet: Wie kommt es, daß das allein gegebene Qualitative als ein Quantitatives gedacht, d. h. in seiner Gesetzmäßigkeit begriffen werden kann, also nicht, wie kann ein Quantitatives (etwa Ätherschwingungen) sich in ein Qualitatives (Farben) verwandeln, sondern umgekehrt, wie geht es zu, daß wir ein Qualitatives im Denken in ein Quantitatives verwandeln und dadurch seinen gesetzmäßigen Zusammenhängen auf die Spur kommen können. E i n e rein q u a n t i t a t i v e b e s t i m m t e m e c h a n i s c h e W e l t , dieses G e s p e n s t e i n e r W e l t , mit dem sich die Naturwissenschaft und die Philosophie so lange und so vielfach geplagt haben, diese Welt ohne Licht (das j a nur im Auge entsteht), g i b t es n i c h t . Sie ist nirgends gegeben, sondern nur von dem Geist zum Zweck der Erkenntnis der gesetzmäßigen Zusammenhänge gesetzt, eine bloße Abstraktion. Wer aber erklären will, wie es komme, daß das Qualitative durch das Qantitative gesetzt werden kann — und das ist eine unbezweifelbare Tatsache, bestätigt durch die geradezu ungeheuren Erfolge dieser Betrachtungsweise in der Konstruktion des Wirklichen, der Vorausbestimmung dessen, was unter gegebenen Bedingungen sein wird — der muß sich darüber klar werden 1. warum der Geist notwendig vom Qualitativen zum Quantitativen übergehen muß, das Qualitative durch das Quantitative setzen muß, 2. wie er das k a n n und wie dadurch die Zusammenhänge des Wirklichen in ihrer Gesetzmäßigkeit erkannt werden können. Die erste Frage beantwortet sich aus dem Bisherigen von selbst. Die Notwendigkeit von dem Qualitativen zurückzugehen, liegt in dem Zweck der Erkenntnis, das Gegebene v e r m ö g e der N a t u r des G e i s t e s zu setzen. Dies ist nur möglich auf dem Gebiete des Quantitativen, wie oben gesagt worden ist. Denn nur innerhalb der reinen Anschauungen von Raum und Zeit sind Zusammenhänge gegeben, die kraft der Begriffe setzbar sind, weil hier, wie wir bei der Besprechung der mathematischen Erkenntnisse gezeigt haben, ein Begriff von dem andern abhängt, z. B. der Begriff der Winkelgröße in einem Dreieck von dem Begriff der Entstehung (von dem genetischen Begriff) des Dreiecks. Soll also Erkenntnis im Sinne einer kausalen Erklärung des Geschehens verwirklicht werden, so muß das Wirkliche im Zusammenhang, d. h. das Geschehen in der Welt auf quantitative Verhältnisse
Zurückführung der Qualitäten
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zurückgeführt werden können. Das ist der bekannte Satz der kritischen Philosophie, daß in jeder empirischen Wissenschaft nur so viel wahres Wissen sein könne, als darin Mathematik ist. Nur muß der Begriff der Mathematik in der früher angegebenen Weise erweitert werden. Diesem Gesetz entspricht es, daß wir zum Zweck der Erklärung des Wirklichen mit einem Begriff des Wirklichen anfangen müssen, der noch nichts von Qualitäten, qualitativen Unterschieden enthält, sondern nur der des reinen Ineinanderwirkens, des zugleich seienden qualitätslosen Unterschieds, d. h. des Raums. Die Naturwissenschaft ist durch die natürliche Entwicklung des Denkens deswegen von selbst auf den Begriff des Ä t h e r s geführt worden, d. h. einer noch qualitätslosen Raumerfüllung, welche die Voraussetzung aller Qualitäten bildet. Der Äther ist selbstverständlich kein empirischer Begriff, er kann nie erfahren werden, sondern unsere Annahme des Äthers hat die Form: um das Wirkliche in seinen qualitativen Unterschieden denken zu können, muß zunächst der Äther g e d a c h t werden. Von dieser Voraussetzung aus gibt es zunächst nur quantitative Unterschiede, auf denen dann alle Qualitäten beruhen: durch die dann alle Qualitäten gedacht werden müssen, nämlich Bewegung, Verdichtung, Verdünnung, verschiedene Grade der Verdichtung und Verdünnung, verschiedene Geschwindigkeiten der Bewegung, positive und negative Richtung der Bewegung. Alle wesentlichen Eigenschaften der Körperlichkeit, alle Elemente der Wirklichkeit, Schwere, Wärme, Elektrizität, Licht, die chemischen Eigenschaften der Stoffe, müssen also durch diese apriorischen Begriffe gedacht werden. Auf dem Identitätsgesetz und dem daraus entspringenden Kausalgesetz beruht es dann, daß alle Veränderungen als bloße Veränderungen der Lage, der Zusammensetzung der Richtung, des Zusammenwirkens verschiedener Richtungen und Stärken (Parallelogramm der Kräfte) gedacht werden müssen, daß Bewegung nur aus der Bewegung entsteht und immer Bewegung hervorruft, freilich in der doppelten Form der latenten Bewegung (Spannung) und der lebendigen Bewegung, weiter in der dreifachen Form einer Massenbewegung, Molekularbewegung und Atombewegung, diese in der doppelten Form einer fortschreitenden und einer Zentralbewegung oder Schwingung, diese in der doppelten Form einer Longitudinal- und einer Transversalschwingung. Soll also das physische Gesehen in seinen Zusammenhängen verständlich und konstruierbar sein, so muß es durchaus als Bewegung und Bewegungsresultat gedacht werden. Schwieriger ist die zweite F r a g e zu beantworten, wie zwischen b e s t i m m t e r Bewegungsform und dem b e s t i m m t e n qualitativen Resultat der Bewegungsform, also z. B. zwischen einer bestimmten Geschwindigkeit der Ätherwellen und dem Eindruck Blau, Rot und Gelb, ein Zusammenhang hergestellt und so die Notwendigkeit oder
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Gesetzmäßigkeit der Veränderungen gedacht werden k a n n . An diesem Punkt ist uns die Naturwissenschaft noch manches schuldig geblieben, zurückgehalten durch die ganz richtige Erkenntnis, daß eben Empfindung etwas ganz anderes sei als die Bewegung, das Welträtsel von DuboisReymond. Die Möglichkeit, alles Qualitative in seiner Entstehung auf einen Bewegungsvorgang zurückzuführen, erklärt sich nun zuerst dadurch, daß jede Veränderung eine Bewegung als erste Ursache voraussetzt, und daß Bewegung demgemäß der erste Anfang einer Veränderung ist: die Möglichkeit, die Gesetzmäßigkeit d. h. die Identität von Ursache und Wirkung im Gebiet des Qualitativen zu erkennen, l i e g t in der Notwendigkeit des Ü b e r g a n g s vom E r f a h r b a r e n zum Apriorischen. Die z w e i t e B e d i n g u n g für die Möglichkeit, das Qualitative auf quantitative Verhältnisse zurückzuführen, liegt darin, daß das Qualitative selbst die Quantität an sich hat, nämlich immer einen Grad haben muß, der dadurch entsteht, daß es als Resultat eines Gegensatzes gedacht werden muß, genauer als ein bestimmtes Verhältnis entgegengesetzter Kräfte. Die Notwendigkeit es so zu denken, ist in der Entwicklung der Kategorienlehre aufgezeigt worden. Wenn Körper verschiedene Dichtigkeit haben, so muß das dadurch gedacht werden, daß eine zusammenfassende und eine ausdehnende Kraft in verschiedenem Verhältnis verbunden sind. Wenn Stoffe verschiedene Wärme kapazität haben, so muß dies so gedacht werden, daß eine der Wärme widerstrebende, entgegengesetzte Kraft in verschiedenem Verhältnis in den Körpern ist. Wäre die Zurückführung der Qualitäten auf quantitative, räumliche und zeitliche Bestimmungen überall durchgeführt, so wäre es möglich, überall die Identität von Ursache und Wirkung und damit den Zusammenhang der Erscheinungen als notwendig zu erkennen. Aber es zeigt sich, daß diese Zurückführung nur möglich ist, wo es sich um die Welt der materiellen Stoffe und der physikalischen Kräfte handelt, aber versagt bei der Entstehung und Entwicklung des Organischen und in der Erklärung der seelischen und geistigen Vorgänge. Diese durch die ganze Entwicklung der Wissenschaft vollkommen bestätigte Tatsache erklärt sich daraus, daß wir es bei allem Materiellen von vorn herein nur mit einer Abstraktion zu tun haben, die in der Weise des trennenden und in starren Gegensätzen verlaufenden Verstandesdenkens das, was in der Wirklichkeit nur vereinigt vorkommt, auseinanderreißt und eine einzelne Seite des Gegensatzes, auf dem alles Wirkliche beruht, verselbständigt und substanziert. Dies zeigt sich beim Beginn aller unserer Erkenntnis des Materiellen daran, daß diese Erkenntnis von zwei entgegengesetzten Prinzipien ausgeht, von denen keines
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aus dem andern erklärt werden kann. Wir sahen, daß der ganze zeitliche Verlauf des Wirklichen nur als Zustandsveränderung des Wirklichen gedacht werden kann, nicht als Wesensveränderung, und daß die Zustandsveränderung ihrerseits nur durch Bewegung gedacht werden kann, die das Seiende miteinander verbindet, voneinander trennt, neue Zusammensetzungen und Verbindungen schafft und diese wieder löst; daß ferner Bewegung nur durch Bewegung erklärt, d. h. verursacht gedacht werden kann. Sonst wäre die Identität von Ursache und Wirkung und damit die Notwendigkeit des Geschehens nicht zu erkennen. Wir müssen nun zwar erkennen, daß Bewegung in einer doppelten Form gedacht werden muß, nämlich als latente Bewegung oder Spannung und als lebendige Bewegung. Aber latente Bewegung, z. B. die in den Körpern als vorhanden gedachte Schwere oder Anziehungskraft der Stoffe, kann Bewegung nur hervorrufen, wenn irgend ein vorhandenes Gleichgewicht der Spannungen aufgehoben wird, und das ist selbst nur durch Bewegung möglich. Wir brauchen die Kategorie des G l e i c h g e w i c h t s entgegengesetzter Kräfte, um überhaupt den ruhigen Bestand der Dinge zu erklären, und betrachten deswegen den Stoff (denn stoffliches Dasein beruht eben auf diesem Gleichgewicht) als für sich träge (Gesetz der Trägheit der Materie). Der Apfel hängt z. B. ursprünglich an dem Baume, aus dem er sich entwickelt hat, indem der feste Zusammenhang seines Stiels mit ihm selbst und dem Baume der anziehenden Kraft der Erde das Gleichgewicht hält. Sein Fallen vom Baume kann nur gedacht werden durch eine in dem Baum und dem Stiel vorgehende Bewegung der kleinsten Teile, die den Zusammenhang lockert und so das Gleichgewicht der Kräfte stört. Erst durch diese Bewegung in der Struktur des Stiels kann eine Ursache für das Überwiegen der Erdschwere und das Fallen des Apfels gedacht werden. Wir haben also auf der einen Seite die träge Materie, auf der anderen die Bewegung als die zwei Elemente, auf denen alles materielle Gesehen beruht, zwei Elemente, von denen keines als die Ursache des andern gedacht werden kann. Sie können nur als notwendig verbunden gedacht werden durch den Begriff des Zwecks: Soll Veränderung in der Welt sein (und sie ist als tatsächlich gegeben), so muß die Zweiheit dieser Elemente von Anfang an gewesen sein. In dem Zweckgedanken: Materie und Bewegung, sind sie zu dem Zweck der Veränderung als verbunden zu denken; wird der abstrakte Gegensatz der beiden Elemente des Seins aufgehoben, kann keines (wie bei der kausalen Erklärung) durch das andere, sondern beides nur durch das Ganze der Wirklichkeit als notwendig gedacht werden. Das Ganze des Wirklichen ist also das Prinzip, aus dem alles Einzelne des Wirklichen erklärt oder durch das alles Einzelne des Wirklichen als notwendig erkannt werden muß und als notwendig gedacht werden kann. Das heißt aber
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nichts anderes, als daß die Wirklichkeit als solche als ein Organismus gedacht werden muß, in dem das ruhende Gleichgewicht des Daseienden ein Bestreben hat, sich selbst aufzuheben und wiederherzustellen. Der Zweck ist damit das sich selbst Verwirklichende. Ehe er verwirklicht ist, kann er nur als eine Idee, ein Gedanke gedacht werden, der sich in Wirklichkeit umsetzt, wie das bei der Entwicklung der Kategorien hinlänglich gezeigt worden ist. Die Warumfrage wird also schließlich zur Zweckfrage, und die Wirklichkeit erscheint dann als eine sich selbst verwirklichende Idee. Da aber ein solches Sich-Selbstverwirklichen einer Idee empirisch nur im Leben des Geistes vorhanden ist, erscheint das Ganze der W i r k l i c h k e i t als sich s e l b s t v e r w i r k l i c h e n d e r Geist. Es gibt keine andere Möglichkeit, im Ganzen der Welt Ursache und Wirkung als identisch zu denken, d. h. die Notwendigkeit der Veränderung zu denken, als die Vorstellung: der Anfang der Welt ist Geist, das Dasein der Welt ist Verwirklichung des Geistes und das Ziel der Welt ist Geist; Weltursache ist Geist und die Wirkung dieser Ursache ist damit identisch, indem sie wieder Geist ist. Mit dieser Vorstellung ist auch das einzige Mittel gegeben, die V e r ä n d e r u n g in der W e l t , d.h. die dadurch entstehenden Daseinsformen als ein vernünftiges Ganze, d. h. als Entwicklung zu denken. Die einzelnen Daseinsformen müssen als Stufen einer Entwicklung gedacht werden, die der Reihe nach alle die Mittel schafft, durch die der Geist zur Wirklichkeit kommen kann. Der Geist setzt das seelische Leben als das Subjekt seiner Selbstverwirklichung voraus: die Seele ist es, die sich durch ihre eigene Tätigkeit, d. h. durch Entwicklung der in ihr liegenden Anlage zur Freiheit gegenüber der organischen Grundlage und ihren Bedürfnissen zum Geist erhebt. Das bloß seelische, tierische Leben setzt das vegetative Leben voraus und ist nur die Verinnerlichung des organischen Daseins, das selbst wieder nur die auf ein innerlich Ganzes bezogene Form des materiellen Daseins ist. Das materielle Dasein in seiner qualitativen Bestimmtheit ist selbst nur eine Verinnerlichung in dem Ineinanderwirken der bloßen Äußerlichkeit des Raumes, des Äthers. W e n n der Geist n i c h t s ist als das I n n e w e r d e n der W e l t , so m u ß der Weg zum Geist die f o r t s c h r e i t e n d e V e r i n n e r l i c h u n g sein, und die Stufen auf diesem Weg müssen darin begründet sein, daß die auf der früheren Stufe erreichte Innerlichkeit auf der nächsthöheren zu einem bloßen Mittel für eine neue Verinnerlichung herabsinkt. Dies ist der großartige Entwurf der Welterklärung bei dem letzten großen Philosophen der idealistischen Schule, die damit, wenn auch nicht der Form nach, die ganz idealistisch bleibt, aber dem Grundgedanken nach in Sein Fehler Realismus umschlägt, bei Karl C h r i s t i a n P l a n c k .
Die Erfahrungswissenschaft
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besteht nur eben in dieser idealistischen Form, in dem Mangel einer voll bewußten erkenntnistheoretischen Grundlage. Die zweite Schwierigkeit von dem Boden der mechanischen Wissenschaft aus, die F r a g e d e r E n t w i c k l u n g , ist also auf folgende Weise zu lösen: a) es ist eine zweifellose Forderung des Denkens, daß aus einem A kein qualitativ verschiedenes B hervorgehen kann, daß also nur Zustände sich verändern können, aber nicht das Wesen. b) Da nun das Organische zweifellos im Lauf der Erdentwicklung entstanden ist; da es ferner ein qualitativ Neues gegenüber dem Unorganischen, innerhalb des Organischen das Tierische etwas Neues gegenüber dem Pflanzlichen, das Menschliche etwas Neues gegenüber dem Tierischen ist, dagegen umgekehrt alle Stufen des Wirklichen als Zustände des Geistes aufgefaßt werden können (Zustand des Unbewußten, der Bewußtheit, des Selbstbewußtseins, des Scheintods, der Ohnmacht, des Schlafes, des Traumes, des Wachens), so muß der G e i s t an den Anfang der Natur gesetzt und als d a s W e s e n d e r D i n g e aufgefaßt werden, wie uns das die erkenntnistheoretische Untersuchung gezeigt hat, nach der das Wesen der Dinge überall in dem geistig Apriorischen gefunden werden muß. c) Das Wesen der Natur muß also, wie die Entwicklung des geistigen Lebens selbst als ein System stufenweiser Verinnerlichung aufgefaßt werden. d) Dies i s t die e i n z i g e M ö g l i c h k e i t , E n t w i c k l u n g m i t d e n F o r d e r u n g e n des K a u s a l g e s e t z e s bzw. des I d e n t i t ä t s g e s e t z e s in E i n k l a n g zu b r i n g e n . Hiernach können wir nun die Gliederung der Wissenschäften und ihren inneren Fortschritt erschöpfend bezeichnen. I.
DIE ERFAHRUNGSWISSENSCHAFT a) Kenntnis Die Erfahrungswissenschaft hat zunächst die Aufgabe, das Tatsächliche im vollen Umfang zum Bewußtsein zu bringen, und zwar gemäß der Natur des Denkens, das immer auf Zusammenhang geht, die dauernden Zusammenhänge innerhalb des Tatsächlichen festzustellen, also alles Dasein mit seinen Eigenschaften, alles Geschehen mit seinen zeitlichen und räumlichen Zusammenhängen. Das Gesamtgebiet dieser ersten Form der empirischen Wissenschaft fällt unter die Tätigkeit des Forschens, der Erforschung; für die Wissenschaften selbst, die so entstehen, hat unsere Sprache den äußerst bezeichnenden AusD i e z , Sprechen, Denken und Erkennen.
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druck K u n d e , weil es sich hier um Kenntnisse handelt, die erworben werden. Wir unterscheiden also Himmelskunde, Erdkunde, Steinkunde, Völkerkunde, Staatenkunde, Rechtskunde, Seelenkunde' usw. Die Funktion ist eine doppelte: das Daß feststellen und ihm seinen Namen geben (worin schon liegt, daß die „Kunde" sich auf das Dauernde, Gattungsmäßige, Wiederholbare bezieht). Einteilung, Feststellung der logischen Ordnung, Unterscheidung von Ordnung, Familie, Gattung, Art sind die Haupttätigkeiten dieser Art von Wissenschaft. b) Erkenntnis Die Fragen der Forschung führen an vielen Punkten von selbst zur Erkenntnis in der Form der Erklärung. Menschenrassen z. B. können unmöglich mit Sicherheit festgestellt werden, ohne daß sie zur Frage der Abstammung führen, und sobald das Werden in Betracht kommt, drängt sich die Forderung einer Erklärung auf. Die Feststellung des Umlaufs der Planeten führt zu der Frage, was sie ursprünglich waren, ob sie mit dem Zentralkörper zusammenhingen; die Feststellung der Pflanzenarten zu den Abstammungsverhältnissen der Arten usw., die Feststellung der chemischen Stoffe zu der Unterscheidung von Elementen, chemischen Verbindungen, Mischungen, Lösungen, also ebenfalls zu der Frage der Entstehung gewisser Stoffe. Die Aufgabe dieser zweiten Stufe der empirischen Erkenntnis, kann also als E r f o r s c h u n g der U r s a c h e n , als die Beantwortung der Warumfrage (wie die erste Stufe als Beantwortung der Obfrage oder Daßfrage) gekennzeichnet werden; man könnte sie aber ebensogut als die Erforschung des Wesens bezeichnen, im Unterschied von der Erforschung der Tatsachen, die wir auf der ersten Stufe der empirischen Wissenschaft finden, denn nicht nur führt die Erforschung der Ursachen von selbst zu dem Wesen der Kräfte, sondern sie ist auch das einzige Mittel, um von dem bloßen Erscheinungsbegriff, der bloßen charakterisierenden Beschreibung der Daseinsformen, zu dem Wesensbegriff zu gelangen, indem man mit Hilfe der Ursachen die bloßen Erscheinungseigenschaften, die bloßen Beschaffenheiten, als an einem andern Wesen oder wenigstens m i t an einem andern Wesen haftend erkennt. Die Sprache hat für diese Art von Wissenschaften im allgemeinen die mit dem griechischen logos zusammengesetzten Bezeichnungen gewählt, die deswegen sehr treffend sind, weil hier in der Tat in ganz besonderem Maße die Vernunft in den Erscheinungen nachgewiesen wird. Daß etwas in der Natur sich verändert, ist in der Tat von Haus aus das dem Denken Widersprechende, daß in der Veränderung ein beharrendes Wesen erkannt wird, ist der besondere Beweis der Vernunft in der Natur.
Die Erfahrungswissenschaft c) Die konstruierende
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Wissenschaft
Nun folgt eine dritte Art der Erfahrungswissenschaft, die aber schon ein neues wissenschaftliches Verfahren enthält und zu einer ganz anderen Art von Wissenschaft überleitet. Zur Feststellung der Tatsachen gehört nicht bloß die Kenntnis von dem, was ist, sondern auch die Kenntnis von dem, was war und was sein wird. Was war und was sein wird in der erfahrbaren Welt, das gehört zu der Erforschung des Daß, der Tatsachen, nicht zur Erforschung des Wesens. Nennen wir das Daß der Dinge, das Tatsächliche an ihnen das Erfahrbare oder den gegebenen Gegenstand der Erfahrung, so gehört auch das war und das wird zum Gebiet der Erfahrung. Aber die Erkenntnis des „war" und „wird" ist niemals durch Beobachtung, also durch direkte Erfahrung zu erreichen, sondern nur durch eine K o n s t r u k t i o n aus dem B e o b a c h t e t e n d u r c h das W e s e n oder die G e s e t z e des S e i n s , oder v e r m i t t e l s t des W e s e n s und der G e s e t z e des Seins. Wir haben also hier den Übergang von der erklärenden Wissenschaft zu einer ganz neuen Form wissenschaftlicher Erkenntnis, der konstruierenden Wissenschaft. Beobachten, durch Beobachten feststellen kann die G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t nur das, was von der Vergangenheit berichtet und als ein Werk der Vergangenheit hinterlassen wurde. Der Geschichtsforscher kann diese Quellen studieren und das, was in ihnen enthalten ist, rein empirisch feststellen. Aber was wirklich w a r , ist damit noch nicht erkannt, sondern nur, was ein Subjekt einst für wahr erkannt oder zu erkennen vorgegeben hat. Diesem subjektiven Charakter des wirklich Gegebenen entspricht es dann, wenn die Quellen, wie oft der Fall ist, sich widersprechen. Die Aufgabe des Geschichtsforschers ist es dann zu unterscheiden, was von dem Berichteten nicht subjektiv und zufällig, sondern objektiv war, oder wahr gewesen ist. Dazu bedarf es einer • Konstruktion aus Gesetzen des Werdens, jener Abwägung des Wahrscheinlichen nach Wahrscheinlichkeitsgründen; es muß gezeigt werden: dies ist unwahrscheinlich, jenes wahrscheinlich, dies ist unmöglich, jenes möglich. Wie anders soll das geschehen, als daß man zeigt, von einmal gegebenen Voraussetzungen aus (die wichtigste ist bei der Menschengeschichte die Natur des Menschen überhaupt, die Natur des Menschen einer bestimmten Zeit) sei nach psychologischen, wirtschaftlichen und anderen Gesetzen dies und das der wahrscheinliche Effekt gewesen. Es handelt sich also in der Geschichtswissenschaft, da das Vergangene in keiner Weise g e g e b e n ist, immer um eine K o n s t r u k t i o n d e s V e r g a n g e n e n aus dem G e g e b e n e n auf G r u n d von G e 7*
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s e t z e n . Dies, nicht etwa in erster Linie das Individuelle in den Erscheinungen, macht den Unterschied der Geschichtswissenschaft von den erklärenden Wissenschaften aus; sie will und muß zunächst Tatsachen mittelst Konstruktion feststellen und Tatsachen allerdings sind immer individuell. Dann aber müssen die Tatsachen auch erklärt werden, und dies geschieht immer nach den aus uns selbst genommenen psychologischen Analogien, die voraussetzen, daß der Forscher sich in fremde Seelen versetzen kann. Ohne eine dichterische Anlage ist also kein Geschichtsforscher denkbar. Genau dasselbe ist bei dem der Fall, was wir im strengen Sinn N a t u r g e s c h i c h t e nennen, worunter wir also die Entstehungsgeschichte der Natur verstehen. Sie setzt voraus, daß die einzelnen Phasen dieser Entstehung zunächst festgestellt werden, daß festgestellt wird, was einst in der Natur w a r . Wie sollen wir nun erkennen, z. B. daß die Erde einst in einem feuerflüssigen Zustand war, daß einst keine organischen Wesen auf der Erde lebten ? Zunächst gilt es, Spuren dieses einstigen Zustands in der Gegenwart aufzusuchen, also wirklich empirisch Gegebenes festzustellen, z. B. die Vulkane, gewisse schlackenartige Gesteinsbildungen, Laven; dann muß festgestellt werden, daß die Erde dem Gesetz der Abkühlung unterlag, daß sie sich nach einem bestimmten Gesetz aus der glühenden Sonne losgelöst haben muß u. s. f. Überall handelt es sich um eine Konstruktion auf Grund des Gegebenen nach Gesetzen. Man sieht also, daß Geschichte in jeder Form Feststellung von Gesetzen, also die erklärende Wissenschaft voraussetzt. Man wird schon bei der Feststellung dessen, was w a r , immer die Neigung haben, seine Behauptungen experimentell zu beweisen; z. B. bei der Behauptung, daß die Erde sich einst an den Polen abgeplattete, versuchen, ob man diese Abplattung nicht an einem biegsamen Ring nachweisen kann; oder wenn man behauptet, daß die Erzählungen der alten Geschichte (Zahl der Perserheere) oft auf ungeheurlichen Übertreibungen beruhen, wird man das Experiment machen, irgend ein beliebiges auffallendes Ereignis zu konstruieren und zu beobachten, wie es sich im Munde aufeinanderfolgender Erzähler verändert. Dies ist der natürliche Übergang zu einer zweiten Art von konstruierender empirischer Wissenschaft, die von dem Gedanken geleitet wird, festzustellen, was in der Erfahrungswelt sein w i r d . Wir nennen diese Wissenschaften die E x p e r i m e n t a l w i s s e n s c h a f t e n . Wir sprechen mit Recht von Experimentalphysik, Experimentalchemie, Experimentalpsychologie, und wir könnten auch von Experimentalsoziologie sprechen wie von Experimentalästhetik. Jedenfalls verstehen wir darunter eine empirische Wissenschaft, die Wissenschaft davon, wie wir es machen können, um über die Zukunft, den zukünftigen Effekt, sicher zu sein. Es gehört auch zu einem guten Experimentator eine
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besondere wissenschaftliche Begabung, die aus der wissenschaftlichen und der technischen gemischt ist. Zu dieser, der t e c h n i s c h e n W i s s e n s c h a f t , führt uns dann der nächste Schritt. Technik ist keine Kunst, sondern eine Wissenschaft der Kunst, die Wissenschaft davon, wie man einen bestimmten Arbeitseffekt mit Hilfe der Naturdinge, der Naturkräfte und der Naturgesetze erreicht. Auch diese Wissenschaft trägt insofern empirischen Charakter, als sie sich auf die Erfahrungswelt bezieht und die Mittel der Erfahrungswelt benützt. Der Wert ihrer Produkte ist erfahrbar und muß sich in der Erfahrung bewähren. Aber sie stellt nicht das Gegebene fest, sondern sie k o n s t r u i e r t mit Hilfe des Gegebenen und gemäß den erkannten Gesetzen und lehrt so, wie die Wissenschaft für die Zwecke des Menschen benutzbar ist. Es gibt deswegen eine solche technische Wissenschaft überall, wo die Natur den Zwecken des Menschen dienstbar gemacht wird. Und nachdem schon hier (bei der Experimentalwissenschaft und der Technik) der Mensch als frei setzender Faktor mit willkürlicher Festsetzung der Zwecke, willkürlicher Annahme von Bedingungen, der Natur gewisse Wirkungsweisen aufgezwungen, nachdem dabei überall zu Tage getreten ist, daß nur genaues Maß den beabsichtigten Erfolg gewährleistet, führt die natürliche Konsequenz dazu, nun den Charakter der konstruktiven Wissenschaft rein durchzuführen und mit frei konstruierten Begriffen in einem bloß subjektiven geistigen Medium zu operieren, d. h. zu den m a t h e m a t i s c h e n W i s s e n s c h a f t e n überzugehen.
II. MATHEMATISCHE ODER REIN KONSTRUIERENDE WISSENSCHAFTEN Während es sich im ganzen Gebiet der bisher genannten Wissenschaften darum handelt, entweder Dasein festzustellen oder Wesen oder ein Dasein vermöge des Wesens, — immer aber dabei die Feststellung des objektiv Gegebenen das Ziel ist, gibt nun der erkennende Geist dieses Ziel auf und begnügt sich mit einem bloß subjektiv Gegebenen, nimmt aber dafür eine freie konstruktive Tätigkeit für sich in Anspruch. Dies geschieht in den mathematischen Wissenschaften in dem weiteren Sinn, den wir oben aufgestellt haben; d. h. in der formalen Logik einerseits, Arithmetik, Algebra und Geometrie anderseits, und endlich in der reinen Mechanik. Alle diese Wissenschaften führen mit Recht den Namen „reine" Wissenschaften, denn sie entspringen aus der Erkenntnis, daß uns im ganzen Gebiet der Erfahrungswissenschaften
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nirgends eine reine, d. h. von allen Zufälligkeiten entblößte Wissenschaft entgegentritt, während doch die Absicht überall eine vollkommene oder wie man früher sagte, absolute Erkenntnis ist. Konstruierend sind diese Wissenschaften in einem doppelten Sinn: 1. Das Wesen, die Begriffe, mit denen sie operieren, sind frei gesetzt, nicht aus der Erfahrung gebildet, wobei allerdings keinem Zweifel unterliegt, daß manche mathematische Begriffe unter Anleitung der Erfahrung entstanden sein können, wie der der Kugel aus dem Tropfen Wasser, der der Geraden vielleicht aus dem geraden Weg des Lichts. Aber andererseits ist sicher, daß eine solche Anleitung der Erfahrung nur zufällig ist. 2. sind die mathematischen Wissenschaften konstruktiv in dem Sinn, daß sie zu den festgestellten Begriffen neue Anschauungen dazukonstruieren, weil man in der Mathematik von einer Anschauung zur andern gelangt, z. B. von dem Dreieck zu seiner Winkelsumme. Ja es kann sogar, wie ich anderwärts gezeigt habe, die ganze Mathematik als eine Wissenschaft von der Konstruierbarkeit der freigesetzten Begriffe betrachtet werden; man kann z. B. die ganze Geometrie in Sätze fassen, wie die folgenden: ein Dreieck mit zwei rechten Winkeln ist nicht konstruierbar; ein Dreieck ist konstruierbar aus zwei Seiten und dem eingeschlossenen Winkel. In dieser Form lassen sich auch die anderen mathematischen Sätze ausdrücken und ihr Charakter tritt darin am schärfsten zu Tage. Die übliche Geometrie trägt diesem Gedanken Rechnung durch ihre Konstruktionsaufgaben; nur verfälscht sie den rein wissenschaftlichen Charakter dadurch, daß sie willkürliche Bedingungen einführt; z. B. Konstruierbarkeit rein mit dem Lineal und dem Zirkel, während wissenschaftlich betrachtet kein Grund ist, warum wir eine Ellipse nicht ebenso konstruierbar und ebenso als ein Element der Konstruktion ansehen können, wie den Kreis. Denn was ist w i s s e n s c h a f t l i c h für ein Unterschied zwischen dem Instrument Zirkel und dem Instrument der um zwei feste Punkte sich bewegenden Schnur von bestimmter Länge ? Immerhin zeigen solche willkürlichen Einschränkungen, wie wir sie dann namentlich auch in der Geometrie der Lage finden („konstruierbar rein mit dem Lineal" z. B. an den Kreis oder einen anderen Kegelschnitt rein mit dem Lineal von einem bestimmten Punkt aus 2 Tangenten ziehen; durch den Schnittpunkt zweier Geraden, der nicht gegeben ist, eine Gerade ziehen) ganz besonders deutlich den willkürlichen Charakter der Setzung in den mathematischen Wissenschaften. Wenn ich die Aufgabe stelle: von fünf gegebenen Punkten eines Kegelschnitts aus rein mit dem Lineal beliebig viele andere zu finden bzw. zu konstruieren, oder vorher den Satz aufstelle: mit fünf Punkten ist ein Kegelschnitt gegeben, so haben wir in beiden Sätzen einen genauen Einblick in das Wesen der mathematischen
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Wissenschaft: ich stelle in dem ersten Satz eine willkürliche Forderung der Konstruktion eines willkürlichen Begriffs auf; ich sehe in dem zweiten Satz, daß man von dem willkürlichen Gesetzten zu einem Gegebenen kommen will, weil jedes Urteil seinen Erkenntniswert nur hat als Ausdruck eines Gegebenen. Wodurch gegeben ? Das Bisherige hat uns gezeigt, daß die Antwort darauf lautet: durch das, was in dem Begriff bewußt gesetzt ist (und was wir deswegen genau überschauen) und durch das, was uns im Denkapparat genau ebenso vor Augen liegt, wie wir die Tatsache blau, rot, warm vor Augen haben! die tatsächliche Natur des Raumes als Anschauung, des Begriffs als Zusammenfassung von Anschauungen als den Fortschritt von einem Begriff zum andern bedingend. Wir sehen (in der Logik) ganz genau, daß unser Denkapparat keine anderen Möglichkeiten zuläßt als: zwei Größen müssen entweder gleich sein oder ungleich; wenn sie ungleich sind, muß die eine größer als die andere sein. Es gibt niemand, der daran zweifelt. Ebenso wissen wir ganz sicher: ein Zentriwinkel und ein Peripheriewinkel müssen entweder so liegen, daß die Spitze des Zentriwinkels in den Peripheriewinkel fällt oder außer ihm oder auf ihn und daß eine weitere Möglichkeit nicht existiert. Wir sehen (in der Geometrie), daß ein im Raum bewegter Punkt sich zur Linie, eine bewegte Linie sich zur Fläche und eine bewegte Fläche sich zur (geometrischen) Körperlichkeit entwickelt, eine weitere Bewegung aber immer nur wieder einen Körper gäbe. Mit Hilfe dieser einfachen Konstatierung des tatsächlich in unserem Intellekt Gegebenen, rein durch Selbstanschauung Auffaßbaren, bewältigen wir alle Sätze der Logik, Algebra, Geometrie und Mechanik. Die G l i e d e r u n g dieser W i s s e n s c h a f t e n ergibt sich nun folgendermaßen: Ich kann konstruieren 1. Eine Einheit, die ein beliebiges Mannigfaltige der Anschauung allgemein und dauernd u n t e r sich und ein Mannigfaltiges des Begriffs in sich befaßt. Das ist die erste Konstruktion, der erste Akt des Denkens überhaupt; wir sehen, daß es eine notwendige Konstruktion ist, weil ohne sie das Denken überhaupt unmöglich ist, die K o n s t r u k t i o n des B e g r i f f s . Während nun der Begriff zu dem unter ihm befaßten Anschaulichen in dem Verhältnis des Umschließens steht, kann er zu seinem Inhalt und anderem Inhalt im Verhältnis des Einschließens und Eingeschlossenwerdens, des Ausschließens und Ausgeschlossenwerdens, des Umschließens und Umschlossenwerdens stehen, und es handelt sich für die Logik um nichts anderes als bei willkürlich angenommenem Verhältnis zweier Begriffe oder zweier Sätze festzustellen, welche Einschließungs-, Umschließungs- und Ausschließungsverhältnisse gemäß dem Gesetz des Erkenntnisgrunds: Das Denken muß bei dem Gesetzten beharren,
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sich ergeben. Dies ist der Sinn und das Recht der sogenannten f o r m a l e n Logik. Charakteristisch für sie ist, daß der I n h a l t der Begriffe höchstens zur Verdeutlichung oder Veranschaulichung eine Rolle spielt, daß man Subjekt und Prädikat durch Buchstaben bezeichnen kann, und daß überall die räumliche Veranschaulichung des Einschließens usw. möglich ist. Der Begriff ist also nicht nach seiner realen Geltung, sondern rein nach seiner formalen Natur in Erwägung gezogen; die Operationen, die mit ihm vorgenommen werden, werden ganz ohne Rücksicht auf ihren realen Wert angesetzt, wie z. B. Schlußfiguren, die praktisch gar keine Bedeutung haben, in der formalen Logik ein volles Recht besitzen. Die Logik zeigt ihren Ursprung aus der Technik des Denkens, die man in alten Zeiten wohl Dialektik nannte, darin, daß sie selbst in erster Linie noch Technik ist; und nur als solche, nicht als Inbegriff von Lehrsätzen (die weit über das praktische Bedürfnis hinausgehen) bildet sie auch die Voraussetzung für die übrigen mathematischen Wissenschaften. Ebenso fängt auch die erste der mathematischen Wissenschaften im engeren Sinn, die A r i t h m e t i k , die die freie Konstruktion der Z a h l b e g r i f f e voraussetzt, noch ganz als Technik an. Jedoch strebt die Wissenschaft aus dem Technischen, mit dem die Mathematik überall anfängt, rasch ins Theoretische hinauf. Sie wird dann eigentliche Z a h l e n l e h r e . Sätze, z. B. wie der: Zahlen, deren letzte Nummer sich mit 2 dividieren läßt, sind als Ganze mit 2 dividierbar, mit vier, wenn die beiden letzten Nummern mit 4 dividierbar sind; mit 8, wenn die drei letzten Nummern mit 8 dividierbar sind; mit drei, wenn die Quersumme durch drei dividierbar ist; die Zahlen: 0 + 1; 0 + 1 + 3 ; 0 + 1 + 3 + 5 ; 0 + 1 + 3 + 5 + 7 usw., d. h. alle Zahlen, die durch Summierung der ungeraden Zahlen in lückenloser Reihenfolge entstanden sind, sind Quadratzahlen, — solche Sätze haben schon die Bedeutung von eigentlichen Gesetzen. Die Arithmetik entwickelt sich also von einer bloßen Technik zu einer eigentlichen Theorie in der Zahlenlehre. In der dritten Stufe steigen alle diese mathematischen Wissenschaften zur Empirie h e r a b , sie suchen den Weg in das Wirkliche und benützen hier neue Erkenntnisquellen. Denn wenn ich mir z. B. die Frage vorlege, in welcher Zeit zwei Röhren, die einen See jede allein in fünf und in sieben Stunden füllen können, ihn zusammen füllen, so wird hier aus der Erfahrungswelt der Satz aufgenommen, daß die Wirkung beider Röhren sich einfach addiert und vollkommen gleichmäßig ist, ein Satz, der nicht aus der Mathematik stammt, oder auch so lange wir im mathematischen Gebiet bleiben, nur eine willkürliche Voraussetzung ist, wie auch die ganze Annahme von zwei oder beliebig vielen anderen Röhren und ihrer Füllfähigkeit eine vollkommen frei-
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gesetzte Voraussetzung, der Schlußsatz damit ein rein hypothetischer bleibt. Die Mathematik schreitet zu der dritten willkürlichen Setzung weiter. In der Logik herrschte das reine Was ? Die Setzung in der Arithmetik und Zahlenlehre, das Quot ?, das Wieviele ? (nämlich diskrete Einheiten); in der G r ö ß e n l e h r e das Quantum, das Wieviel, welches allerdings das Quot einschließt. Damit kommen wir zur dritten freien Konstruktion des Geistes, dem G r ö ß e n b e g r i f f , und damit zur eigentlichen Größenlehre, der Algebra, oder wenn wir auch die Raumgrößen unter ihr befassen, der A n a l y s i s . Die Algebra streckt also einen Zweig nach der Arithmetik, einen anderen nach der Geometrie aus. Das letztere kann sie deswegen, weil auch jede Gestalt (wie Descartes entdeckt hat) als eine Größenbestimmung aufgefaßt werden kann, wenn man nur eine einzige Lage im Raum beliebig festlegt (ein Koordinatensystem) und die wechselnden Entfernungen der Gestalt von dieser Lage aus bezeichnet. Bedenken wir nun, daß natürlich auch die Algebra die Tendenz hat, ins Gebiet des Wirklichen herabzustreben (eine Tendenz, die sich eigentlich schon in der geometrischen Anwendung bemerklich macht, sofern sie wenigstens das Kontinuierliche, diese allgemeinste F o r m alles Wirklichen, in sich aufnimmt), so erscheint auch die Algebra in drei Stufen: als allgemeine Form der Zahlenlehre (sogenannte niedere Analysis); als Reduktion des Räumlichen auf die Bestimmungen der Größe oder Entfernung (analytische Geometrie); als Anwendung auf konkrete Verhältnisse, wo sie ihren höchsten Triumph in der Bewältigung der kontinuierlichen Veränderung und Bewegung in der Form der sogenannten höheren Analysis, d. h. der Differential- und Integralrechnung findet. Sie hat also in ihren Gegenstand eine Bewegung von der diskreten Größe aus zu dem unendlichen Wechsel in der kontinuierlichen Veränderung und zeigt dadurch die offenbare Tendenz, aus dem gedachten, rein apriorischen Element, diesem Äther des Geistigen, zum Reellen durchzudringen. Eine Formel für eine Kurve aufzustellen, aus dieser Formel die Größe einer unendlich kleinen Raumveränderung zu entwickeln, und dann durch die bloß mathematische Behandlung der Formel (die Analysis derselben, daher der Name Analysis) die ganze Erscheinung, Maxima, Minima, Wendepunkte zu bestimmen, das ist die höchste Vollendung, zu der die allgemeine Größenlehre gelangen kann. Das unendlich kleine Element, zu dem sie schließlich aufsteigt, ist im Grund ein diskretes; nur ist dieses qualitativ gefaßt, als flüssiges Moment genommen (Newton: Fluxionentheorie) und ein bloßer Grenzbegriff, dessen Größe vernachlässigt werden kann. Analysis heißt die Wissenschaft mit Recht, weil sie ihre freie Konstruktion in einer Gleichung aufstellt, die die Forderung einer Konstruktion enthält und durch deren reine mathematische Diskussion
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die einzelnen Bestimmungen der Gestalt (z. B. Maxima, Minima, Wendepunkte) erkannt werden können. Dagegen hat man die eigentliche G e o m e t r i e mit Recht als s y n t h e t i s c h e G e o m e t r i e bezeichnet, sofern darin die Anschauung des Raumes und die in ihm enthaltenen und möglichen Synthesen, die anschaulichen Gestalten mit ihren Hilfslinien, immer eine Rolle spielen. Aus der Anschauung entspringt zwar nie eine Erkenntnis, aber die allgemeine Anschauung von der Gleichartigkeit des Raumes ist eine Bedingung für die Anwendung der freigesetzten geometrischen Begriffe, aus denen die eigentliche Erkenntnis fließt, die Begriffe geometrischer G e s t a l t e n . Man kann deswegen die Geometrie im ursprünglichen Sinn die Lehre von den Raumgestalten nennen, und das ist also der vierte frei gesetzte Begriff, mit dem er die Mathematik zu tun hat, der Begriff der R a u m g e s t a l t . Die Geometrie erhebt sich zunächst in ihrem Übergang von der Euklidischen Form zur Geometrie der Lage, wie die Arithmetik, wenn sie zur Zahlenlehre übergeht, zur reinen Theorie, während sie als Euklidische noch eine Menge von Elementen des bloßen Sehens, Zufälligkeiten, Hilfslinien enthält, also von dem bloßen praktischen Zweck der Messung noch abhängig erscheint. Darauf aber nimmt sie einen empirischen Faktor in sich auf, zu dem die synthetische Geometrie von selbst hinleitet, nämlich das empirische Gesetz des Sehens aus einem Punkte, und läßt daraus die Projektionslehre mit ihren Unterabteilungen (Schattenkonstruktion, Schnittkonstruktion, Perspektive) hervorgehen, so daß nun die Projektionslehre im allgemeinsten Sinn als der Übergang von der reinen Theorie des Gedachten und Apriorischen zu der des Wirklichen erscheint. Die Erkenntnis wird jetzt überall durch das bloße Auge nachprüfbar, denn wir sehen einer perspektivischen Landschaft leicht an, ob sie richtig konstruiert ist; sie bleibt apriorisch, weil die Doppeläugigkeit nicht berücksichtigt, also ein willkürlicher Faktor angenommen ist, weil beliebige und willkürliche Schnitte angenommen werden usw. Also kann an dem rein mathematischen Charakter dieser Wissenschaft kein Zweifel sein. Wir gehen endlich zur letzten Konstruktion des Geistes über, zu derjenigen, die nun wirklich ins Gebiet des Realen herabsteigt, aber das Reale in Form freier Konstruktionen bearbeitet, zu der Konstruktion einer einheitlich wirkenden Kraft, der der gleichmäßige Raum als ihr Wirkungsfeld gegenüber gestellt wird. Dies ist das Gebiet der r e i n e n Mechanik. Rein ist die Mechanik und ist also eine mathematische Wissenschaft so lange, als sie nicht das erfahrungsmäßige Geschehen der Körperwelt in seiner Kompliziertheit behandelt und also das G e g e b e n e , Wirkliche, zu e r k l ä r e n , sondern aus den allgemeinen apriorischen Bedingungen des Geschehens, d. h. aus der Natur des Raumes und der Zeit verbunden
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mit einer willkürlichen angenommenen Kraft die Gesetze des Geschehens zu b e s t i m m e n sucht. In dieser Weise ist also nicht nur die ganze Mechanik der Alten, z. B. des Heron und des Archimedes, sondern auch noch die des Galilei reine Mechanik, wie schon daraus hervorgeht, daß sie ganz von geometrischen Erwägungen ausgeht. Zwar entspringt auch diese Wissenschaft (wie die Mathematik überhaupt) aus praktischen Problemen; etwa aus dem Problem, wie ein bestimmt gestalteter Körper gestützt werden müsse, um festzustehen; wie ein Bogen gespannt werden müsse, um eine so und so viel stärkere Wirkung zu erzielen; wie ein Hebel gestaltet sein müsse, um mit der gleichen Kraft eine so und so viel schwerere Last zu heben; aber die Lösungsmethoden für diese Aufgabe sind zunächst rein geometrischer Art; der Punkt, die Linie, die Fläche, der Körper bekommen einfach zu ihren geometrischen Eigenschaften noch das Merkmal der Festigkeit, der Bewegung, des Gewichtes, der Kräftesummierung, also bestimmte eindeutige und einheitliche Wirkungsweisen; und die Resultate der angenommenen Bedingungen werden einfach aus der Natur des Raumes entnommen. Diese, die rein geometrische Mechanik, können wir als die erste eigentümliche erkenntnistheoretische Ausprägung der reinen Mechanik ansehen, die e r s t e Stufe ihrer inneren Entwicklung. Es fragt sich aber nun, wie die Mechanik sich erkenntnistheoretisch entwickeln und inhaltlich bereichern kann, ohne zu einer erklärenden Wissenschaft zu werden und also gänzlich in das Gebiet der Erfahrungswissenschaften herabzusinken. Offenbar geschieht dies, indem einerseits der Charakter freier Konstruktion der Bedingungen festgehalten wird, also der von dem Intellekt ausgehende apriorische Charakter; anderseits aber doch die apriorischen Elemente der empirischen Forschung aufgenommen werden. Dies geschieht zuerst durch die bewußte Aufnahme des apriorischen Gesetzes von der Erhaltung der Bewegung (also der Unendlichkeit einer einmal vorhandenen Bewegung, die nicht gestört wird, ihrer Geradlinigkeit, ihrer Zusammensetzbarkeit aus verschiedenen Bewegungen usw.). Mit Hilfe dieser Prinzipien kann die Mechanik ein zweites Gebiet der Wirklichkeit bearbeiten, nämlich die Massenbewegung im freien, störungslosen Raum. Endlich wird dann die Mechanik auch noch die innere Teilbarkeit der Körper unter Gleichbleiben ihres qualitativen Wesens, und bestimmte Teilkräfte: Elastizität, Kohärenz, Repulsion, ihren Konstruktionen zu Grunde legen, und wir bekommen als dritte Stufe der Mechanik die Theorie der Schwingungen, Wellenbewegung, Sättigung oder Mischung usw., d. h. diejenige Form, in welcher die Mechanik unmittelbar das Instrument für die Erklärung aller qualitativen Erscheinungen der Körperweit werden kann.
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III. PHILOSOPHISCHE WISSENSCHAFTEN Die Anordnung, in der wir hier die erklärenden Wissenschaften einerseits, die konstruktiven anderseits aufgeführt haben, ist die psychologische. Die Wissenschaft geht immer aus von dem praktischen Bedürfnis und fängt so mit den Versuchen an, das Wirkliche zu bearbeiten, um es in die Gewalt zu bekommen. Der innere, erkenntnistheoretische Zusammenhang verlangt aber die umgekehrte Anordnung. Logisch betrachtet ist die konstruktive Wissenschaft die Voraussetzung der Erfahrungswissenschaft. Ihrer eigenen Natur nach, nicht nach dem geschichtlichen, sondern nach dem logischen Zusammenhang, kann die Erkenntnis nur von dem Begriff ausgehen, also von ihrer eigenen Setzung, und muß sehen, was sie von da aus erreichen kann. Dies führt zunächst, solange sie innerhalb des Begriffs bleibt, zur L o g i k , die innerhalb der D e n k f o r m bleibt und die das Wirkliche nur zur Veranschaulichung benutzt. Der natürliche Fortschritt der Wissenschaft ist dann, daß sie zunächst die im Intellekt selbst begründeten allgemeinen Formen der Wirklichkeit zu bewältigen sucht. Sie schreitet also von der eigenen Einheit des Selbstbewußtseins zunächst fort zu der diskreten M a n n i g f a l t i g k e i t der Zahl, weiterhin zu der Größe überhaupt, sodann zu der k o n t i n u i e r l i c h e n , schon über das bloße Denken hinaus liegenden und ihr problematischen U n t e r s c h i e d e n h e i t des Raumes, endlich zu dem G e g e n s a t z der Wirkung und des Bewirkten, in den uns die reine Mechanik hineinführt. Hiemit haben wir nun alle a l l g e m e i n e n F o r m e n der Wirklichkeit dem Denken und der Erkenntnis unterworfen; und von hier aus steht der Weg zu der konkreten Wirklichkeit in ihrer Irrationalität offen, die einer Erklärung bedarf. Alles Vorhergehende, alles Mathematische, bedarf keiner Erklärung, weil es von dem an sich Klaren ausgeht, das durch keine Definition klarer werden kann. Es erklärt nicht, es bestimmt nur, konstruiert nur, schafft Anschauung im Denken und bewältigt die Anschauung, indem sie das gegebene gesetzmäßige Moment in ihr zum Bewußtsein bringt. Umgekehrt muß nun die Erfahrungswissenschaft aus der unendlichen Mannigfaltigkeit und dem Wechsel zur Einheit zurückkehren; sie schafft nicht Anschauung — diese hat sie in übergroßer Fülle — sondern verliert sie in der Zurückführung der bestimmten Erscheinung auf allgemeine Begriffe. Und in diesen allgemeinsten Begriffen und Sätzen, auf die sie zuletzt alles erklärend zurückführt, findet sie nun mit Erstaunen ein System, das nicht erfahrungsmäßiger Art ist, ein S y s t e m v o n B e g r i f f e n , die d e r Geist für seine eigenen Zwecke zu seiner eigenen S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g als denkender, fühlender, wollender braucht und also auch
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g e s c h a f f e n h a t , geschaffen hat — eben i n d e m er sich gegen die Erfahrungswelt zu behaupten, sie zu bewältigen sucht. Und in der Bearbeitung der geistigen Welt dieser Begriffe, Sätze und Schlüsse erhebt sich nun eine neue Aufgabe für die Wissenschaft, die A u f g a b e d e r P h i l o s o p h i e . P h i l o s o p h i e , können wir unmittelbar schließen, ist das s y s t e m a t i s c h e n t w i c k e l t e B e w u ß t s e i n von dem, w a s d e r G e i s t , s e i n e r N a t u r e n t s p r e c h e n d , in d e r A u s f ü h r u n g s e i n e r a l l g e m e i n e n i d e a l e n T ä t i g k e i t , in W i s s e n s c h a f t , K u n s t , S i t t l i c h k e i t , zunächst ohne Bewußtsein von dem Sinn seines Tuns, dem dunklen Drang seiner allgemeinen Natur folgend, zu t u n sich v e r a n l a ß t f ü h l t . Philosophie will also den Geist zum vollen Bewußtsein seines allgemeinen wesentlichen Tuns bringen. Diese Definition wird durch jede Phase der Philosophie bestätigt. Beim Beginn der neueren Philosophie hat B a c o n die Frage aufgestellt: was machen wir eigentlich, wenn wir Wissenschaft treiben ? Hat sie, so wie wir sie machen, einen Zweck? D e s c a r t e s : Was haben wir eigentlich erreicht mit unserer Wissenschaft ? ist es das, was wir mit ihr bezwecken ? Wir wollen einen neuen Weg einschlagen, bei dem wir mit jedem Schritt wissen, was wir tun und warum wir es tun. K a n t : Wie entstehen die Begriffe, die wir zur Erkenntnis brauchen, in Wissenschaft, Sittlichkeit, Kunst und Religion und welche Bedeutung haben sie? H e g e l : Was schafft sich eigentlich in Wissenschaft, Kunst, Religion, Philosophie, Recht, Geschichte einen Ausdruck ? Antwort : unser eigenes Selbstbewußtsein in der Form der Überindividualität oder des Absoluten. Die Frage bei S p i n o z a , L e i b n i z oder schon bei S o k r a t e s , P l a t o , A r i s t o t e l e s : was ist eigentlich und k a n n sein Gegenstand wahrer Erkenntnis ? — obwohl objektiv gewendet, ist doch auch nichts anderes, als die Frage, was tust du eigentlich, was ist der Zweck deines Tuns, wenn du denkst, an das Gute glaubst, gerecht bist usw. Was wir bei der W i s s e n s c h a f t vermöge der Natur unseres Geistes erstreben, kommt zutage in den Tätigkeiten des Forschens, Erklärens, Konstruierens, Begründens, Beweisens und dann in den Produkten dieser Tätigkeiten, in den Begriffen, Sätzen und Methoden, nach denen wir die Wirklichkeit deuten und beurteilen und denen wir die Wirklichkeit unterwerfen. Was wir bei der Kunst tun, bringen wir zum Bewußtsein durch die Unterscheidung der Tätigkeiten des Ausdrückens, Bildens, Darstellens, des Schmückens, Spielens, Beseelens u. s. f., und in den Begriffen der Künste und ihrer Richtungen, den Begriffenen des Erhabenen, Anmutigen, Komischen, Tragischen, Schönen, endlich in den Regeln, die wir für diese Künste aufstellen. Sind diese Dinge zum Bewußtsein gebracht, so ist zunächst eine empirische Arbeit vollzogen, es sind Tatsachen festgestellt, es ist eine Bestimmung des
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Wissenschaftlichen, Künstlerischen erreicht in der Weise unserer ersten Art von Wissenschaft. Das ist also der empirische Ausgangspunkt der philosophischen Selbstbesinnung, noch nicht Philosophie, sondern eine erfahrungsmäßige Geisteswissenschaft. Ihr folgt auch hier eine erklärende Wissenschaft: wie kommt der Geist dazu, diese Tätigkeiten zu entwickeln, diese Begriffe zu erzeugen ? Die Antwort kann nur eine p s y c h o l o g i s c h e sein. Zunächst gliedern sich diese Tätigkeiten idealer Art nach den wesentlichen Funktionen des Geistes, nach Denken, Wollen und Fühlen; dann entspringt ihre bestimmte Art aus dem geistigen Charakter dieser Funktionen; wir erkennen, daß das Denken als frei schöpferische Tätigkeit bei der bloßen Aufnahme des Wirklichen (wenn sie überhaupt möglich wäre) nicht stehen bleiben kann, sondern die Erscheinung in ihre eigenen Formen umsetzen, das Wirkliche als vom Geist aus setzbar denken muß, und verstehen dadurch die Tätigkeiten des Bestimmens, Konstruierens, Erklärens und die Begriffe, Regeln, Postulate, die daraus hervorgehen. Wir sehen, daß der fühlende Geist sein Ziel in dem Selbstgefühl freien Schaffens und Schauens haben muß, und verstehen daraus das Entstehen und die Elemente der Kunst. Man sieht, wie die Psychologie eine Propädeutik der Philosophie heißen kann. Aber Philosophie ist dieses Erklären noch nicht, sondern wiederum empirische Wissenschaft, die auch wie alle empirische nichts ergibt als eine Möglichkeit, die Möglichkeit, daß Wissenschaft, Kunst, usw. aus der besonderen Natur des Geistes hervorgehen. Es muß aber mehr geleistet werden; es muß gezeigt werden, daß ohne diese Funktionen der Geist überhaupt nicht Geist ist, daß er sich ohne sie nicht verwirklichen kann, daß sie die unentbehrlichen Formen der Selbstverwirklichung des Geistes sind. Anders ausgedrückt: es genügt nicht zu erklären, daß die Kunst, die Sittlichkeit, das Recht t a t s ä c h l i c h aus dem menschlichen Geist hervorgehen; denn diese Tätigkeiten kommen uns als ideale Tätigkeiten zum Bewußtsein, die sein sollen, an denen das eigentliche Wesen des Menschen hängt. Es muß also gezeigt werden: wenn Geist sein soll, wenn Geist sich verwirklichen soll, so m ü s s e n diese Tätigkeiten geübt werden. Die Frage nach dem Wesen des Rechts wird nicht beantwortet durch die empirische Erkenntnis: dies hat einmal als Recht gegolten, und so und so ist diese Geltung aus der Natur des Menschen psychologisch zu erklären, sondern: dies ist in Wahrheit Recht, muß Recht sein, ist mit Recht als Recht zu bezeichnen; nicht: dies hat als schön gegolten, sondern: dies ist schön und wird schön bleiben und muß schön sein. Ein solcher Beweis ist auf keine andere Weise zu führen als so, daß man zeigt: der Geist k ö n n t e als solcher n i c h t w i r k l i c h w e r d e n , o h n e E r k e n n t n i s , K u n s t t ä t i g k e i t , R e c h t u n d S i t t l i c h k e i t . Es ist gezeigt worden, daß eine solche Erkenntnis, als Zweckerkenntnis, allein Notwendigkeit
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gibt und daß dazu unbedingt nötig ist zu erkennen: mit dem Begriff des Geistes nach seinem Denken, Fühlen, Wollen sind sie ganz von selbst gesetzt; sie lassen sich aus ihm analytisch entwickeln; wirklich denken, d. h. gemäß der Natur des Geistes Vorstellungen verbinden, ist schon Wahres denken, und das gemäß dieser Natur Gedachte ist das Wahre, wie das gemäß der Natur des Geistes Gewollte das Gute und das gemäß der Natur des Geistes Gefühlte das Schöne ist. Mit dem denkenden wollenden, fühlenden Geist sind ganz von selbst als seine objektiven Korrelate die logischen, ethischen und äthetischen Grundbegriffe gegeben, welche die Leitsterne der obengenannten menschlichen Tätigkeiten bilden. Es steht so allerdings am Anfang der Philosophie eine philosophische Psychologie. Das konkrete Selbstbewußtsein ist der Anfang aller Philosophie, und es war z. B. der Fehler Fichtes, Hegels u. a., daß sie glaubten von Qualität und Quantität sprechen zu können, ehe sie von Empfindung und Anschauung gesprochen hatten. Man hat gesagt, das Prinzip der Philosophie bei Descartes könnte ebensogut heißen: ich will, also bin ich; ich fühle, also bin ich; und es ist wahr, daß diese beiden in dem Denken mitgesetzt sind; denn ich kann unmöglich sagen: ich denke, ohne daß ich mir ebenso klar bewußt bin, daß ich denken will und daß ich eine L u s t des Denkens in mir habe. Man müßte also die Philosophie mit dem Wort anfangen, zu dem Descartes gleich nachher in erschlichenem Beweis gelangt: ich bin ein geistiges Wesen, oder richtiger: ich setze mich selbst als Geist oder als Selbstbewußtsein, Selbstwillen und Selbstgefühl. Aber Hegel hat richtig gesehen, daß die Philosophie überhaupt nicht mit einem Satz anfangen kann. Wenn er statt dessen den Imperativ: Denke! vorschlägt, so ist auch dies nicht genug; es m u ß h e i ß e n : V e r s u c h e dich als Geist zu d e n k e n und du w i r s t alle j e n e Begriffe u n d S ä t z e m i t d e n k e n , die den G e g e n s t a n d der P h i l o s o p h i e a u s m a c h e n Und nun erhebt sich die große F r a g e der P h i l o s o p h i e : Wie k a n n in dem Begriff des Geistes e t w a s m i t g e s e t z t s e i n , was ich n i c h t von v o r n e h e r e i n a u s d r ü c k l i c h in ihm d e n k e ? (denn es ist ja keine Frage, daß z. B. der Begriff des Selbstbewußtseins zunächst einfach Bewußtsein eines Bewußtseins ist und nichts sonst). Nur dann ist das möglich, wenn wir den Geist ohne jene Begriffe nicht vollständig denken können, wenn wir die ganze Fülle jener Begriffe brauchen, um ihn überhaupt zu denken. Es ist doch z. B. klar, daß wir den Geist nicht ohne den Begriff des Ganzen und seiner Teile denken können, da er selbst als das Subjekt aller seiner Bewußtseinszustände ein Ganzes mit seinen Teilen ist; nicht ohne den Begriff der Ursache, da er selbst in seiner Tätigkeit sich bewußt ist, Ursache zu sein; nicht ohne den Begriff des Grundes, da er in seinem Motiv den Grund eines Handelns hat, nicht ohne den Begriff des Wahren, da er
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sich stets bewußt ist, in seinem Denken Wahres Denken zu wollen. Dies weist darauf hin, daß der allgemeine Begriff des Selbstbewußtseins nur eine abstrakte Formel ist, daß aber der konkrete Geist damit noch nicht gedacht ist, so daß also die A u f g a b e für den F o r t s c h r i t t der P h i l o s o p h i e die wäre, von dem a b s t r a k t e n Begriff des Geistes zu dem k o n k r e t e n Begriff zu gelangen. Das Mittel des Fortschritts ist die Kritik, die wir an dem jedesmaligen Begriff des Geistes üben, indem wir erkennen, daß er immer noch abstrakt ist und eines anderen Begriffes bedarf, um ein konkreter Begriff zu werden. Von dem abstrakten Begriff des Bewußtseins eines Bewußtseins zu dem konkreten Begriff des lebendigen persönlichen Geistes zu gelangen — mit allen seinen Bestimmtheiten —, dies kann als die Aufgabe der Philosophie bezeichnet werden. Hier zeigt sich nun das Merkwürdige, daß man die Wahrheit der Philosophie nicht in Sätzen aussprechen kann, sofern jeder Satz über das Wesen des Geistes falsch ist, weil er abstrakt ist und also einen anderen Satz aus sich hervortreibt, der den ersten leugnet; da der erste Satz aber ebenfalls im Zwang der Notwendigkeit ausgesprochen ist, so muß er ebenso wahr als falsch sein, d. h. er muß wahr sein in seiner Einschränkung durch den entgegengesetzten, wodurch er konkreter wird. „Der Geist ist frei" gegenüber der tierischen Seele, ist z. B. ein Satz, den wir schon brauchen, um den Geist gegenüber dem Tier zu charakterisieren. Als absolut gedacht, d. h. als Bezeichnung der Wirklichkeit des Geistes, ist er aber falsch; denn eben indem der Geist frei sein wollte im Sinne der Willkür, würde er unfehlbar (da er ohne Motive auf die Dauer nicht handeln kann) in die außergeistige Knechtschaft der Triebe fallen; er ist also frei nur durch Selbstbeschränkung. Oder: der Satz: der Geist ist frei, wenn er wirklich Geist ist, hat sich gegenüber den Satz: der Geist, wenn er wirklich Geist ist, ist immer gebunden an seine vernünftige Natur; und die beiden Sätze vereinigen sich in dem dritten: er ist durch sich selbst gebunden, er ist immer Selbstbindung, er unterliegt einer i n n e r e n Notwendigkeit. Dadurch sind die abstrakten Begriffe Freiheit und Zwang durch den konkreten Begriff innere Freiheit = innere Notwendigkeit ersetzt. Daraus folgt, daß die philosophische Wahrheit als solche nicht in einzelnen Sätzen beschlossen sein kann, sondern stets nur in einem Ganzen von innerlich zusammenhängenden Sätzen; besser: die Wahrheit der Philosophie liegt in dem Zusammenhang ihrer Sätze, oder P h i losophie ist n u r als S y s t e m möglich; ferner, da ein solcher Prozeß einen Anfang und, wenn es ein Ganzes werden soll, ein natürlich gegebenes Ziel haben muß, so muß das Ende sich als das gegebene Ende des Anfangs, die Vollendung des Anfangs ausweisen, in dem es das Bewußtsein mit sich führt: weiter geht es nicht. Dies ist nur möglich,
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wenn das Ende das unbedingt absolut Konkrete von dem Anfangsbegriff ist, also der Geist zu sich selbst zurückkehrt, sodaß die P h i l o s o p h i e d a s d u r c h i h n s e l b s t , gemäß ihm s e l b s t voll a u s g e w i c k e l t e B e w u ß t s e i n des Geistes von sich selbst i s t . Hiernach ergeben sich zunächst zwei v e r s c h i e d e n e S e i t e n der P h i l o s o p h i e . Offenbar ist die erste Aufgabe der Philosophie, ausgehend von den Erfahrungswissenschaften, das allmählich in ihnen herausgearbeitete apriorische Gut zum Bewußtsein zu bringen. Einen Teil dieser Arbeit besorgt die Erfahrungswissenschaft selbst, indem sie, dem Drang nach Bestimmung und Erklärung folgend, sich im Verlauf der Geschichte immer selbst korrigiert und das Empirische allmählich umzuwandeln sucht. Man könnte eine solche Darstellung der Geschichte der Wissenschaften, die diese Entwicklung zum Apriorischen zum Bewußtsein bringt, mit Hegel (der nur zuviel hereingenommen hat) eine P h ä n o menologie des Geistes nennen. Eine solche Wissenschaft würde von selbst zu dem System der allgemeinsten Sätze, der Grundsätze jeder Wissenschaft führen. Allein damit wäre nicht das ganze Geschäft getan. Es gälte weiter das apriorische Gut als solches zu erkennen und zu klassifizieren. Dies gibt eine Kritik der Erfahrungswissenschaften und der konstruktiven Wissenschaften auf ihre erkenntnistheoretische Wahrheit. Dieser Kritizismus war bisher eine Epoche in der Geschichte der Philosophie. Er beginnt aber schon bei Bacon, Locke, Hume und ist in Wahrheit das logisch e r s t e Moment aller P h i l o s o p h i e , ihr Zusammenhang mit den Erfahrungswissenschaften. Er enthält das, was man E r k e n n t n i s t h e o r i e zu nennen pflegt. Der Einwand, daß es widersinnig sei, eine Erkenntnistheorie vor der Erkenntnis zu versuchen ist bei dieser Auffassung hinfällig. Sie setzt die Arbeit der Erfahrungswissenschaften voraus. Notwendig ist sie, um das Wesen der Philosophie zum Bewußtsein zu bringen, da es nicht angeht, daß die Philosophie, die das Bewußtsein des Geistes von seinem wesentlichen Tun schaffen soll, ihr Geschäft ohne Bewußtsein darüber beginne. Philosophisch ist diese Wissenschaft (nicht etwa empirisch), weil sie nicht beschreibt, was tatsächlich in der Wissenschaft geschieht, sondern das, was tatsächlich in ihr geschieht, aus dem Zweck des Denkens kritisiert. Die ganze Arbeit, die jetzt hinter uns liegt, gehört also diesem Teile der Philosophie an. Sind auf diese Weise die apriorischen Elemente der Wissenschaften, Begriffe, Grundsätze, Grundschlüsse, herausgestellt, so erhebt sich die Aufgabe, sie in ihrem notwendigen Zusammenhang und in ihrer Ganzheit als Elemente des Selbstbewußtseins in der geschilderten Weise durch strengen Fortgang von einem Begriff und Satz zu dem andern Satz und Begriff zu konstruieren. Das methodische Verfahren dabei ist, wie wir sahen, dialektisch, und der gegebene Name für diese Wissenschaft D i e z , Sprechen, Denken und Erkennen.
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ist also D i a l e k t i k . Sie umfaßt alles apriorische Gut von Begriffen, Sätzen und Schlüssen und zeigt, wie eines aus dem andern hervorgeht. Nicht nur, wie der Begriff des Seins zu dem der Natur als eines Kreislaufs von Veränderungen zu dem Zweck der Erzeugung von Existenzen führt, die eine Zeitlang beharren, sondern auch, wie der Begriff der Natur seine Wahrheit, seine Erfüllung, sein konkretes Dasein in dem des Organismus hat, dieser in dem der Seele und des Geistes, und wie endlich der Geist sein konkretes Dasein in seinen idealen Tätigkeiten hat und diese in dem Begriff Gottes. Es ist die der Mathematik verwandte konstruktive Seite der Philosophie; früher ist sie oft Metaphysik genannt worden (wobei man dann allerdings auch von einer Metaphysik der Sitten oder des Guten, des Schönen sprechen muß). Wir ziehen vor, den Namen Metaphysik nun demjenigen ihrer Teile zu geben, der es mit den allgemeinsten Seinsbegriffen zu tun hat. Sind die Begriffe nun auf diese Weise festgestellt in der kritischen Philosophie, als notwendig erkannt in der Dialektik, so gilt es nun den letzten Schritt zu tun zur Vollendung der gesamten Wissenschaft. Nachdem man in der Erfahrungswissenschaft gesehen hat, daß das Wesen aller Erscheinung in den apriorischen Begriffen, in der kritischen und dialektischen Philosophie, daß das Wesen der apriorischen Begriffe in dem Selbstbewußtsein steckt, gilt es nun die Gesamtheit des Wirklichen, sein Zusammensein in dem Zeitmoment oder in dem Raum, sein Werden in dem Fluß der Zeit zu begreifen durch den Zweck des Selbstbewußtseins, also den Versuch zu machen, zu zeigen, daß die Mannigfaltigkeit des Naturdaseins sich erklärt aus einer Abzweckung auf die Produktion eines geistigen Wesens, und die Mannigfaltigkeit des Geschehens aus einer Abzweckung auf die Selbstproduktion, die Selbstverwirklichung des geistigen Wesens. Diese Seite der Philosophie heißt s p e k u l a t i v e P h i l o s o p h i e im eigentlichsten Sinne des Wortes; denn der Geist will durch diese Wissenschaft in der Welt, wie in einem Spiegel, sich selbst sehen. Die spekulative Philosophie ist die Probe auf die Richtigkeit nicht bloß der kritischen und dialektischen Philosophie, sondern aller Wissenschaft überhaupt; sie schließt den Ring der Wissenschaften, indem sie wieder zur Bearbeitung der Erfahrung, aber im Unterschied von der empirischen Wissenschaft nicht zu einer kausalen, sondern zu einer Zweckbetrachtung der Erfahrungswelt zurückkehrt. Gehen wir nun zur G l i e d e r u n g der d r e i p h i l o s o p h i s c h e n W i s s e n s c h a f t e n und zunächst zu der der k r i t i s c h e n P h i l o s o p h i e über, so lehnt sich diese in voller Breite an die Erfahrungswissenschaften einerseits, an die Mathematik anderseits an, denn sie beabsichtigt ja, die apriorischen Elemente aus ihnen herauszuschälen, und zu beurteilen, ob die Sätze gemäß den Bedingungen des Denkens geformt sind. Eine
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solche Philosophie, als Ganzes gedacht, würde eine kritische Darstellung der Grundlagen und letzten Resultate der Erfahrungswissenschaften und der mathematischen Wissenschaften werden; es ist derjenige Sinn der Philosophie, der auch von dem extremsten Positivismus aus noch bestehen bleibt, eine Auffassung der Philosophie etwa im Sinne C o m t e s , kurz eine kritisch gerichtete Zusammenfassung aller Wissenschaften. Wir würden sie Kritik der einzelnen Wissenschaften nennen: Kritik der Mathematik, der Physik, der Chemie; als Ganzes: p o s i t i v i s t i s c h e Philosophie. Eine zweite F o r m nimmt diese Kritik an, wenn sie sich der Geschichte der Wissenschaften selbst bedient, um an der in ihrem Fortschritt liegenden Selbstkritik die allmähliche Herausarbeitung ihres reinen Charakters aufzuzeigen. Das ist die Richtung, die wir oben als Phänomenologie des Geisteslebens bezeichnet haben nach dem gigantischen, freilich nicht rein durchgeführten, sondern schon mit der Forderung einer vernunftgemäßen Entwicklung belasteten Gedanken Hegels. Um das letztere handelt es sich hier noch nicht, sondern nur um die Erfassung der Ziele, die in dem Fortschritt der Entwicklung sich allmählich enthüllen. Wir würden diese Wissenschaften am besten mit dem Namen: „ K r i t i s c h e G e s c h i c h t e " , kritische Geschichte der Mechanik, der Chemie usw. bezeichnen; bei den Geisteswissenschaften gesellt sich zu solchen kritischen Geschichten der Wissenschaft auch noch die kritische Geschichte der Sache selbst, z. B. zu einer kritischen Geschichte der Rechtswissenschaft eine kritische Geschichte des Rechts, zu einer kritischen Geschichte der Ästhetik (wie es die von Schasler und von Lotze sind und wie sie viele ästhetische Systeme als Einleitung haben) eine kritische Geschichte der Kunst, wie sie neuerdings durch den Hinweis auf den Wechsel der künstlerischen Ideale und Ausdrucksmittel mehrfach versucht worden ist (z. B. von Wölfflin). Das letzte in dieser kritischen Aufgabe der Philosophie wäre dann die s y s t e m a t i s c h e Z u s a m m e n s t e l l u n g aller der Begriffe, Sätze, Methoden, die in den verschiedenen Wissenschaften zutage treten, in einer systematischen Darstellung des Begriffs und der Arten der Wissenschaft und ihrer Erkenntnisse selbst, also das, was wir in diesem letzten Teil unserer Ausführungen zu geben versucht haben. Diese Wissenschaft enthält dann die Erklärung für all das, was die beiden vorhergehenden Zweige der kritischen Philosophie als tatsächlichen apriorischen Einschlag aller Wissenschaften zutage gefördert haben. Man könnte diesen Zweig auch T r a n s z e n d e n t a l p h i l o s o p h i e nennen. Hat nun die kritische Philosophie den sich über sein eigenes Tun besinnenden Geist aus der Welt des Wirklichen in sich zurückgeführt, 8*
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so zeigt die d i a l e k t i s c h e Philosophie umgekehrt, wie sich das Selbstbewußtsein vermöge seiner eigenen Natur zu der ganzen Fülle der Begriffe entfaltet, mit Hilfe deren wir das Wirkliche erfassen und als vernünftig denken können. Dabei ist zu beachten, daß es sich hier nur u m die D e n k n o t w e n d i g k e i t der Begriffe als Begriffe, noch nicht aber um die Denknotwendigkeit des Wirklichen handelt. Die Mannigfaltigkeit der Begriffe wird als Entwicklung gesetzt, noch nicht die Mannigfaltigkeit des Wirklichen, wie in der spekulativen Philosophie. Diese Bewegung von der Einheit zur Mannigfaltigkeit verhindert, daß diese Wissenschaft so wie die kritische Philosophie in getrennte Zweige auseinanderfallen kann. Sie ist d u r c h a u s e i n e , alle ihre Bestimmungen heben und tragen sich gegenseitig, und es ist ganz unmöglich, etwa eine Naturphilosophie im Sinne dieser dialektischen Wissenschaft unabhängig von einer Metaphysik und einer Religionsphilosophie zu bearbeiten. Sie faßt das Ganze der Begriffe, Urteile usw., in denen wir die Welt denken, in seinem notwendigen Zusammenhang auf, und ist so im eigentlichen Sinn W e l t w i s s e n s c h a f t . Nur d r e i A b s c h n i t t e heben sich naturgemäß hervor: sie behandelt zunächst die Voraussetzungen des Selbstbewußtseins, d. h. alle die Seinsbegriffe, die wir brauchen, um das konkrete Selbstbewußtsein voll zu denken, zuerst die Begriffe des reinen abstrakten Seins, dann die Naturbegriffe, endlich den Geistbegriff: das ist der Teil, den wir M e t a p h y s i k nennen; sodann behandelt die D i a l e k t i k diejenigen Begriffe usw., die wir als Konsequenzen des Selbstbewußtseins bezeichnen können, d. h. die Begriffe, mit deren Hilfe das Selbstbewußtsein sich in bewußter Tätigkeit verwirklicht; Begriffe also, die dem Menschen als wesentliche Ziele oder als Ideale vor Augen stehen: D i a l e k t i k d e r I d e a l b e g r i f f e . Hier also wird die Entstehung der Begriffe der Wahren, Guten, Schönen aus dem Seinsbegriff zutage treten. Endlich werden drittens diese Konsequenzen des Selbstbewußtseins selbst als seine wahren Voraussetzungen, die Zwecke des Geistes als die Gründe seines Daseins verstanden in den Begriffen der Religionsphilosophie, im Begriffe der Welt und Gottes: D i a l e k t i k d e s Unbedingten. Man kann den Fortgang dieser Wissenschaften und zugleich ihre Gliederung so zum Bewußtsein bringen, daß man sagt: Zunächst erweist sich in der dialektischen Bearbeitung des bloßen Seinsbegriffs als die Wahrheit, der konkrete Gehalt, dieses Begriffs der des W i r k l i c h e n ; als die Wahrheit des Wirklichen der Begriff der N a t u r als eines Kreislaufs von Veränderungen; als die Wahrheit der Natur der Begriff des O r g a n i s m u s , als die Wahrheit des Organismus der Begriff der B e s e e l u n g , als die Wahrheit der Beseelung der Begriff des G e i s t e s , als die Wahrheit des Geistigen der Begriff des I d e a l e n , als die Wahr-
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heit des Idealen der Begriff G o t t e s (sofern jede ideale Tätigkeit als ein Soll des Menschen rein nicht zu begründen wäre ohne den Gedanken Gottes). Die etwa möglichen Einteilungen der Metaphysik in Ontologie, Physik und Organik, der Idealphilosophie in Logik, Ästhetik und Ethik, der Religionsphilosophie in Kosmologie, Pneumatologie und Theologie haben also nicht mehr die Bedeutung selbständiger Wissenschaften, sie können immer nur im Zusammenhang behandelt werden. In noch höherem Maße gilt das von der s p e k u l a t i v e n P h i l o s o p h i e , die nun die Gesamtheit der wesentlichen Formen der Welt aus dem letzten höchsten Begriff, dem des Weltgrundes oderdesUnbedingten, der seinen Inhalt vom Weltzweck bekommt, zu begreifen sucht. Sie ist nur als ein großer Gedankenwurf zu denken; P h i l o s o p h i e der W e l t g e s c h i c h t e im weitesten Sinn des Wortes. Auch hier ergeben sich erkenntnistheoretisch d r e i S t u f e n , in denen diese Wissenschaft fortschreitet; die e r s t e ist eigentlich beschreibend oder bestimmend; sie entwirft nur das Bild des großen Systems von Zweckmäßigkeit, das in der Welt herrscht. Die Zweckmäßigkeit liegt erst in dem Objekt selbst, der Welt, die durchaus unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit betrachtet wird. Die z w e i t e Stufe faßt die Welt al3 Entwicklung, eine Betrachtungsweise, die nur auf teleologischen Gesichtspunkten beruht, weil man von Entwicklung nicht sprechen kann ohne ein Ziel, das dabei herauskommen soll. Entwicklung setzt einen Keim voraus, und der Keim ist das Ziel als b l o ß e Möglichkeit g e d a c h t , die in der Keimentwicklung wirklich wird. Anders kann man den Begriff des Keims nicht definieren. Wie die erste Stufe der spekulativen Philosophie, die wir mit dem allgemeinen Namen Teleologie oder Zweckkunde bezeichnen können, die höchste Form der bestimmenden Wissenschaft ist, so ist diese zweite Stufe die höchste Form der erklärenden Wissenschaft; denn sie stellt die Gesetze der Weltentwicklung von Sonnen und Planeten bis zu Staaten, Wissenschaften und Künsten, die Gesetze der Natur- und Kulturentwicklung auf, soferne sie den Fortschritt als eine s t u f e n m ä ß i g e , auf ein bestimmtes Ziel hindrängende Entwicklung erscheinen läßt. Endlich versucht die d r i t t e Stufe das Werden der Welt aus dem letzten Grund, aus der Idee Gottes, zu k o n s t r u i e r e n . Es ist die letzte, am tiefsten dringende Form der Philosophie, die hier das ganze religiöse Bewußtsein in sich aufgenommen hat. Ihre einzelnen Zweige kann man passend durch Wortzusammensetzung mit dem Begriff der Weisheit bezeichnen, also als Kosmosophie, Anthrosophie und Theosophie. Die Philosophie ist hier von dem Glauben beflügelt, nähert sich dem dichterischen Charakter und läßt sich nur als großer Wurf eines vom Geist der ganzen Zeit durchdrungenen, die Wissenschaft der ganzen Zeit überschauenden Genius denken. Es ist im allgemeinen das, was Au-
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gustin in der Schrift de civitate Dei versucht hat, was die Theologie (im gewöhnlichen Sinn des Wortes) sein müßte, wenn sie ein Recht unter den voraussetzungslosen Wissenschaften haben wollte. Ihr Vorbild müssen wir in den letzten Stufen der Schellingschen Philosophie und vorher bei Jakob Böhme, aber auch schon bei Plato suchen. Wesentlich ist für diesen Zweig der spekulativen Philosophie, daß sie nicht denkbar ist, ohne auch die Ziele der Entwicklung aufzustellen. Das Entwerfen eines Z u k u n f t i d e a l s für Wissenschaft, Kunst, Staats-, Rechts-, Gesellschaftsleben des Menschen und für das religiöse Leben ist ihr wesentlich. Schon Lessings Schrift über die Erziehung des Menschengeschlechts gibt den Rahmen für ihren wichtigsten Teil; alle oder fast alle Systeme der Rechts- oder Religionsphilosophie, Kants Schrift vom ewigen Frieden, die praktische Philosophie Karl Christian Planks, gehören dazu. Es i s t die l e t z t e A u f g a b e d e r P h i l o s o p h i e , das I d e a l der W i r k l i c h k e i t k r i t i s c h g e g e n ü b e r z u s t e l l e n u n d das Ziel a u f z u w e i s e n , dem die M e n s c h h e i t entgegengeht.
DRITTES BUCH WAS GEHT VOR, WENN WIR ERKENNEN? (ERKENNTNISLEHRE)
I.
ERSTE BESTIMMUNG DES BEGRIFFS DER ERKENNTNIS 1. Obwohl das Denken, wie wir sahen, eine Funktion nicht des bloßen Bewußtseins, sondern des Selbstbewußtseins ist, tritt es doch zunächst in der Form der Unmittelbarkeit auf, d. h. der Geist ist sich dessen, was er denkend tut, weder in seinem Umfang noch in seinem Recht voll bewußt. Allein das Selbstbewußtsein sucht, als solches, zum Bewußtsein dessen, was es in unmittelbarer Weise tut, zu gelangen, und aus diesem Bestreben, sofern es sich auf die Wissenschaft selber bezieht, entsteht die Wissenschaft der Logik, und sofern es sich auf den Zweck des Denkens bezieht, das Denken der Erkenntnistheorie. Diese haben die Aufgabe, den Geist zum vollen Bewußtsein dessen zu führen, was im Denken und im Erkennen vor sich geht, und dadurch den notwendigen Zusammenhang der Denk- und Erkenntnisvorgänge zum Bewußtsein zu bringen. Da die Philosophie nichts ist, als das wissenschaftlich entwickelte Bewußtsein von dem, was der Geist vermöge seiner Natur tut, so sind diese Wissenschaften philosophische Wissenschaften und neben der Wissenschaft von dem, was der d e n k e n d e Geist gemäß seiner Natur tut, der W a h r h e i t s p h i l o s o p h i e , gibt es auch noch eine Wissenschaft von dem, was der w o l l e n d e Geist vermöge seiner Natur tut, die S i t t l i c h k e i t s p h i l o s o p h i e oder Ethik, und von dem, was der f ü h l e n d e G e i s t vermöge seiner Natur tut, die S c h ö n h e i t s philosophie oder Ä s t h e t i k . Schließlich gibt es auch noch eine Philosophie des G e i s t e s s e l b s t , die Religionsphilosophie. Der Geist ist also der Gegenstand der Philosophie. Eine Philosophie der Wirklichkeit außer uns gibt es nicht oder nur insofern als die Bedingungen der Wirklichkeit, ihre Möglichkeit, in der Wahrheitsphilosophie zum Bewußtsein gebracht werden. 2. Deswegen darf auch das Erkennen von Haus aus nicht definiert werden als Übereinstimmung des Denkens mit dem was i s t , denn das, was ist, ist selbst nur im Denken gegeben, ist selbst ein Element des Selbstbewußtseins, — sondern es muß definiert werden als die Ubereinstimmung der f r e i e n T ä t i g k e i t des Denkens mit dem, was dem denkenden Bewußtsein g e g e b e n ist. Ob dieses Gegebene von außer-
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halb des Bewußtseins gegeben ist, davon weiß die Erkenntnistheorie zunächst nichts; die Entscheidung darüber muß anderswo als in der bloßen Erkenntnislehre erfolgen. Diese bleibt ganz innerhalb des Denkens. Die Erkenntnislehre bestimmt als Zweck des Denkens die Übereinstimmung des T ä t i g e n im D e n k e n m i t d e m G e g e b e n e n im D e n k e n und diese Übereinstimmung kann zunächst in doppelter Form gedacht werden; wenn wir uns erinnern, daß das Denken in der Sprache sich verwirklicht, daß die Sprache den Zweck der Mitteilung hat, so kann das Bedürfnis der Mitteilung (die wir zunächst als Mitteilung an andere fassen) einen doppelten Grund haben. Entweder habe ich selbst eine gegebene Anschauung in meinem Bewußtsein, die der andere nicht hat; daraus entsteht der Antrieb, dem andern zu sagen, daß eine Anschauung jetzt und hier gegeben ist oder damals und dort gegeben war. Vorausgesetzt ist dabei, daß der andere den Namen schon hat, z. B. weiß, was mit dem Satz: es regnet oder es hat gestern geregnet, gemeint ist. O d e r : wir haben beide eine gegebene Anschauung, von der aber nur ich weiß, wie sie bezeichnet wird; dann sage ich z. B., das was wir beide jetzt gesehen haben, ist ein Meteor. Es wird also im ersteren Fall eine Anschauung, eine Tatsache, im letzteren ein Name mitgeteilt. 3. Wenn wir den Zweck des Sprechens aus dem Bedürfnis der Mitteilung ableiten, so muß, wie wir sahen, das nicht notwendig die Mitteilung des einen an den andern sein, der „Verständigung" mit andern, wie die Sprache so charakteristisch sagt, sondern es kann auch eine Mitteilung des allgemeinen Ich an das individuelle oder umgekehrt sein, die S e l b s t v e r s t ä n d i g u n g , und daraus ergeben sich dieselben beiden Möglichkeiten: es kann entweder im individuellen Ich etwas gegeben sein, das ins allgemeine erhoben wird, oder umgekehrt, im allgemeinen Ich etwas gegeben sein, das zum Besitz des individuellen Ich gemacht wird. Das eine geschieht, wenn ich mir zum Bewußtsein bringe: das was ich jetzt draußen höre, ist Regen; das andere, wenn ich mir zum Bewußtsein bringe: es regnet. 4. Beiden Vorgängen liegt nun zugrunde, daß ich selbst, der Mitteilende, die dem individuellen Ich gegebene Tatsache oder die Erscheinung als unter den betreffenden Namen des allgemeinen Ich fallend zum Bewußtsein gebracht habe. D i e s e n V o r g a n g b e z e i c h n e n w i r m i t d e m N a m e n „ E r k e n n e n " . Wir müssen durchaus von dem ursprünglichen Wortsinn dieses Namens ausgehen. „Ich erkenne diesen Mann" heißt: ich bin mir bewußt, daß die momentane Anschauung des individuellen Ich, dieses gegebene Bild eines Mannes, mit dem im allgemeinen Ich gesetzten Namen zusammengehört, durch diesen Namen allgemein bezeichnet wird. Erkenntnis beruht also auf der Vergleichung eines individuellen Eindrucks mit einer allgemeinen Setzung
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und auf einer Identifizierung beider. Kenntnis dagegen nur auf der Vergleichung eines individuellen Erinnerungsbildes mit einer individuellen Anschauung. „Ich kenne den Mann" braucht nichts weiter zu heißen als: den Mann habe ich schon gesehen. 5. Dem Erkennen im Unterschied von dem bloßen Kennen ist also eine besondere Form der Gewißheit oder das Bewußtsein einer Vollständigkeit der bloßen Kenntnis eigen, wie sie die Sprache in der Vorsilbe „er" ausdrückt. 6. „Aus dem Grunde kennen" muß aber in dem vollen Wortsinn genommen werden: Erkenntnis ist nie ohne Bewußtsein ihres Grundes, d. h. ohne das Bewußtsein, daß ich durch die vorausgegangene Setzung des allgemeinen Ich g e z w u n g e n bin, den Namen hier anzuwenden. Das Denken wird also im Erkennen ein Denken mit dem vollen Bewußtsein der Notwendigkeit, eines Zwanges nicht nur im Denken (dadurch, daß dem Denken etwas ohne sein Zutun gegeben wird) sondern auch d u r c h das Denken, durch die eigenen Setzungen und die eigene Natur des Denkens. Die Notwendigkeit liegt darin, daß das Denken an seine Voraussetzungen, an das, was es vorher allgemein gesetzt hat, gebunden bleibt, weil s o n s t d e r Z w e c k d e r B e z e i c h n u n g v e r e i t e l t w ü r d e . Hier zeigt sich also als das allgemeinste Gesetz des Denkens die Regel: S e t z e n i c h t s o h n e G r u n d . Der Grund einer Erkenntnis kann nur darin liegen, daß die Verbindung von Anschauungen, die als A allgemein gesetzt ist oder mit dem Namen A bezeichnet ist, immer mit diesem Namen bezeichnet werden muß, und umgekehrt, daß der Name immer der Anschauung verbunden werden muß, für die er gesetzt ist. Erkenntnis hat also eine F o r m : Notwendigkeit, bzw. Bewußtsein der Notwendigkeit, und einen doppelten möglichen I n h a l t : entweder teilt sie einen Namen mit, erhebt also den individuellen momentanen Gehalt des Bewußtseins zu einer allgemeinen Setzung, oder sie teilt eine Tatsache mit, füllt also die bloße Form eines Namens mit einem momentan gegebenen Inhalt.
II. LOGISCHE FORM DER ERKENNTNIS 7. Beide Sätze können nun aber auch ohne Bewußtsein ihres Grundes ausgesprochen werden als einfache Tatsachen. Erst, wenn ich auf die Frage: warum sagst du, daß das Schnee ist oder daß es jetzt schneit? den E r k e n n t n i s g r u n d angeben kann, liegt eine wirkliche Erkenntnis vor. Ohne das nennen wir die Sätze bloße Behauptungen. Gründe aber für einen solchen Satz bringen wir nur dann zum Bewußt-
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sein, wenn uns vorher ein Zweifel oder eine Unsicherheit erfaßt hat, wenn wir gefragt werden oder wenn wir uns selbst die Frage vorlegen, was ist denn das ? Erkenntnis wird also mit Notwendigkeit nur eintreten, wenn ein Zweifel oder eine Frage vorhergegangen ist. 8. Mit dieser Entscheidung zwischen zwei (oder mehr) Möglichkeiten aus einem bestimmten G r u n d , mit der der Satz zur Erkenntnis wird, erhält er den Sinn eines U r t e i l s . Urteil, aus dem richterlichen Sprachgebrauch entnommen, enthält immer die begründete Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten oder m i n d e s t e n s zwei Möglichkeiten; — es können auch mehr sein, z. B. kann eine Tötung Mord oder Totschlag oder Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode sein. In diesem Sinn hat Hegel das Urteil von dem Satz unterschieden; z. B. Cäsar ist im Jahre 44 ermordet worden, als einfache Mitteilung einer unbezweifelten Tatsache, ist ein Satz. Napoleon ist im Jahre 1768 und nicht, wie er behauptete, im Jahre 1769 geboren (wo Korsika schon französisch war), ist ein Urteil. Kenne ich die Gründe, warum wir annehmen müssen, Napoleon sei 1768, nicht 69 geboren, so ist das eine Erkenntnis, und die Erkenntnis hat die Form eines Urteils. 9. Wie ist nun dieses Urteil zustande gekommen ? Wenn der Erkenntnis normaler Weise der Zweifel vorausgeht, der allein uns auffordert, unsere Unterscheidung zu begründen, so beginnt die Erkenntnis mit der Feststellung v e r s c h i e d e n e r M ö g l i c h k e i t e n ; Napoleon kann im Jahre 1768 oder 69 geboren sein; für das erstere sprechen etwa die Kirchenbücher, für das letztere seine eigene Angabe. Außer dem d i s j u n k t i v e n U r t e i l a b e r g e h t der s c h l i e ß l i c h e n E r k e n n t n i s noch eine F o l g e r u n g v o r a u s : Die Voraussetzung für diese Folgerung ist offenbar, daß die Disjunktion vollständig ist, und daß so viele negative Urteile vorangegangen sind, als sie Glieder hat, w e n i g e r eins, dem einen Glied, daß dann vermöge einer Folgerung bejaht wird. Ebenso ist es in dem zweiten Beispiel. Nach den überlieferten Nachrichten ist Napoleon entweder im Jahre 68 oder im Jahre 69 geboren; eine weitere Möglichkeit anzunehmen haben wir keinen Grund. Nun ist die Angabe Napoleons selbst, daß er 1769 geboren sei, zweifelhaft, weil er ein Interesse daran haben konnte, als Franzose geboren zu sein, was erst im Jahre 1769 der Fall gewesen wäre, also muß die Angabe, er sei 1768 geboren, bejaht werden. 10. Prüfen wir nun, was diesem Gedankengang zugrunde liegt, so sieht man, daß zunächst eine vollständige Kenntnis davon vorausgesetzt ist, was mit dem Namen bezeichnet wird: Haben wir eine solche Kenntnis von dem, was mit dem Namen bezeichnet ist, so daß wir sowohl die Gattung, unter die die Erscheinung fällt, als das unterscheidende Artmerkmal (die differentia specifica) kennen, so ist der Name zu einem Begriff geworden, d. h. es ist zum vollen Bewußtsein gebracht
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worden, was in dem Namen durch das allgemeine Ich gesetzt ist, geradeso wie der Satz zum Urteil geworden ist, wenn er nach seinem Grund zum vollen Bewußtsein gebracht worden ist. Artmerkmale können aber nur dadurch zum Bewußtsein gebracht werden, daß das, wovon 6ie sich unterscheiden, ebenfalls zum Bewußtsein gebracht ist. 11. Dies führt auf zwei neue Denkgesetze, die einesteils das negative, andernteils das positive Urteil begründen: das eine lautet in der Anwendung auf den vorliegenden Fall: Artbegriffe schließen sich aus, denn was nicht A ist, das ist N i c h t - A , das Gesetz des Widerspruchs oder des Ausschließens des Entgegengesetzten, und A m u ß entweder A 1 oder A 2 sein, d. h. die Gattung kann nicht für sich, sondern nur in einer ihrer Arten verwirklicht sein; die Verneinung der einen Art bringt die Bejahung der andern Art mit sich: das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten. Dem begründeten Urteil, von der Form „dies ist Schnee, dies ist eine Orchidee" liegt also der Begriff als volle Kenntnis der Gattung und ihrer Arten zugrunde. Nach dem Denkgesetz A = a (erste Form des Gesetzes vom Grunde) muß die Gattung von der Art ausgesagt werden, denn das Denken muß in Übereinstimmung mit seinen Voraussetzungen bleiben; wir können dies das Gesetz des E i n s c h l i e ß e n s nennen: Der Begriff gefrorenes Wasser schließt den des Schnees ein. Darauf muß die Art von der Art ausgeschlossen werden: Gesetz des Ausschließens: A 1 schließt A 2 aus, was A 1 ist, kann nicht A 2 sein, die Freiheit der Kristalle schließt das Zusammengebacken-sein aus. Endlich wird zum Bewußtsein gebracht: was A ist, muß entweder A 1 oder A 2 sein: Gesetz des Umschließens. Das erste Gesetz wird gewöhnlich das Gesetz der I d e n t i t ä t genannt, das zweite: das Gesetz des W i d e r s p r u c h s , das Dritte das Gesetz des a u s g e s c h l o s s e n e n D r i t t e n . Alle diese drei Gesetze sind nur Formen von dem Gesetz des Grundes: das Denken muß in Übereinstimmung mit seinen Voraussetzungen bleiben, oder alle Aussagen müssen in den vorausgesetzten Benennungen des allgemeinen Ich begründet sein. 12. Werden nun auch diese Gesetze, nach denen die Folgerung, die dem Urteil vorausgeht, erfolgt, ausdrücklich zum Bewußtsein gebracht, so erhebt sich auch die F o l g e r u n g zu einer höheren Form. Wie aus dem S a t z ein Urteil, aus dem N a m e n ein Begriff werden muß, wenn eine Erkenntnis in vollem Sinn zustande kommen soll, so muß aus der Folgerung ein Schluß werden. Also da die eine Möglichkeit durch die Erscheinung ausgeschlossen ist, muß n a c h dem D e n k gesetz die andere statthaben. In j e d e r voll zum B e w u ß t s e i n g e b r a c h t e n F o l g e r u n g ist das D e n k g e s e t z einer der v o r b e r e i t e n d e n S ä t z e , und nur durch das Bewußtwerden dieses Satzes wird die F o l g e r u n g zum w i r k l i c h e n Schluß.
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13. Darnach können wir nun die logische Form der Erkenntnis formulieren: E r k e n n t n i s s e t z t einen Begriff v o r a u s u n d g e h t d u r c h einen S c h l u ß g e m ä ß e i n e m D e n k g e s e t z zum U r t e i l über. Die Sätze, die ursprünglich nur die Übereinstimmung eines Namens mit einer gegebenen Anschauung ausdrücken, werden, als Urteile, zu den zwei Formen eines Wesensurteils: dies ist seinem Wesen oder seinem Begriff nach Schnee, und eines E x i s t e n t i a l u r t e i l s : Das Wesen Schnee ist jetzt und hier Dasein geworden, dem individuellen Ich gegeben. Auch bei den Existentialurteilen ist es schließlich immer der Begriff, auf den das begründete Urteil zurückgeht, so daß wir sagen können: es gibt überhaupt kein begründetes Urteil, das nicht aus einem Begriff entspränge. Zunächst ist es klar, daß die Aussage über eine Existenz der Natur der Sache nach viel seltener einem Zweifel begegnet als das Wesensurteil. „Es schneit", diese Aussage wird man nur selten bezweifeln können. Der Zweifel tritt hier erst ein, wenn es sich um die Aussage über eine Existenz handelt, die vergangen oder zukünftig ist. Außerdem bezieht sich das Existentialurteil nur in seltenen Fällen (wie etwa: Jesus hat gelebt oder nicht gelebt, Teil ist eine historische Person oder nicht) auf die Existenz als solche. In der Regel werden es nur die näheren Bestimmungen der Existenz sein, Ort und Zeit, welche einem Zweifel begegnen, z. B. Jesus ist im Jahre 753 der Stadt Rom geboren, oder er ist 6 Jahre später zur Zeit des ersten Census in Judäa geboren. Die Geschichte der Menschheit führt auf 6000 Jahre vor Christus zurück, oder sie ist viel älter usw. Wird eine solche Angabe begründet, z. B. Napoleon ist im Jahre 1768 geboren, so kommen wir zunächst etwa auf einen Grundsatz, auf den Satz: eine Aussage, die im subjektiven Interesse des Aussagenden liegt, ist von zweifelhafter Objektivität. Aber der Grundsatz selber beruht offenbar auf einem Begriff, hier dem der Objektivität. Heute wird es regnen: dieses Urteil kann nur durch den Begriff der Regendisposition in der Atmosphäre begründet werden, d. h. die Entscheidung über Sein oder Nichtsein, Hier- und Dortsein einer Erscheinung wird immer gemäß einem gültigen Begriff erfolgen müssen.
III. ERWEITERUNG UND VERTIEFUNG DES ERKENNTNISBEGRIFFES: DIE DREI ARTEN DER ERKENNTNIS 14. Die genannten Urteile setzen also aus einem Begriff gemäß dem Denkgesetz, das eine ein Wesen, das andere ein Dasein. Wesen und Dasein sind, wie wir früher sahen, Kategorien oder Verbindungsformen zwischen dem Ich und seinen Vorstellungen oder dem Objekt
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des Ich. „ W e s e n " bedeutet, daß das Objekt eine Setzung des Ich ist und zwar eine Setzung des allgemeinen Ich, Dasein bedeutet, daß das Objekt dem individuellen Ich in der Form des Gegebenseins zum Bewußtsein kommt. Beide Urteile sind Einzelurteile. Das Subjekt „Dies" bezeichnet ein Einzelnes, denn das Gegebene im strengen Sinne ist immer ein Einzelnes; aber auch „es schneit" ist ein Einzelurteil, denn es hat die Form, es schneit j e t z t und h i e r . Aber beide sprechen ein Gegebensein aus, wie das Urteil immer t u t : H i e r ist das W e s e n des Schnees gegeben, hier ist das D a s e i n des Schnees gegeben. Beide enthalten die Begründung: gegeben nach den Voraussetzungen des Denkens oder durch die Voraussetzungen des Denkens, den Begriff und die Denkgesetze; sie bedeuten also ein Gegebensein durch das Denken: gemäß den Begriffen und Gesetzen des Denkens muß dies als Schnee oder muß Schnee als daseiend gesetzt werden; Dasein und Wesen des Schnees sind kraft des im Denken V o r a u s g e s e t z t e n gegeben. Jedes Einzelurteil hat aber für das Denken einen Mangel, denn es ist im strengen Sinn nicht allgemein mitteilbar. Das „hier und jetzt" ist nur für einen oder einzelne Menschen hier und jetzt; das „dies" ist nur für einzelne Menschen ein „ D i e s " , d. h. ein dem individuellen Ich Gegebenes. Einzelurteile haben also die natürliche Tendenz zu Allgemeinurteilen zu werden. Der Satz: „dies ist Schnee" will schon in seiner Begründung übergehen zu dem Satz: S c h n e e i s t i m m e r d a , wo d i e s e u n d j e n e E i g e n s c h a f t e n v e r e i n i g t s i n d ; der Satz: es schneit jetzt und hier, will übergehen zu dem Satz: E s s c h n e i t i m m e r , w e n n . . . Die erste Form führt zu der Definition eines Dings, einer dauernden Vereinigung von Eigenschaften, die zweite zu einem Gesetz, dem Gesetz einer dauernden Verbindung von Geschehen; die erste zu einer dauernden oder sich gleichbleibenden Gleichzeitigkeit und Gleichörtlichkeit von Eigenschaften, die letztere zu einer sich immer wiederholenden Folge von Geschehnissen. Beide Urteile schalten das individuelle Ich aus, und verbinden nicht eine Anschauung mit einem Begriff oder umgekehrt, sondern Begriffe mit Begriffen z. B. den Begriff der Geruchlosigkeit und Flüssigkeit mit dem Wasser, den der Sonne mit dem der Wärme, den der Wärme mit dem der Ausdehnung. Sie werden dadurch statt Existentialurteile und Wesensurteile B e s t i m m u n g s u r t e i l e , sie geben dem Wasser die Bestimmung flüssig, der Sonne die Bestimmung Wärme, der Wärme die Bestimmung Ausdehnung, sie sagen nicht eine Art der Verbindung zwischen dem Ich und seinen Vorstellungen aus, sondern eine Verbindungsart zwischen den Vorstellungen selbst durch objektive Kategorien, wie die des Dings mit seinen Eigenschaften, der Ursache mit ihren Wirkungen, des Ganzen mit seinen Teilen.
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15. Sobald nun die Urteile allgemeine Bestimmungsurteile geworden sind, entsteht das Problem, wie ein Begriff mit einem anderen in notwendiger Weise verbunden sein kann oder wie s y n t h e t i s c h e Urteile in der Form der Notwendigkeit — synthetische Urteile a priori, möglich sind. Hier reichen die Denkgesetze in ihrer subjektiven Form nicht mehr aus, die Verbindung zu begründen, weil es sich hier nicht um einen Erkenntnisgrund, sondern um einen Realgrund handelt. Daß dies, was ich hier sehe, Schnee ist, sage ich aus auf Grund des Begriffs Schnee. Der Grund meiner Aussage, also meiner Erkenntnis ist der Begriff Schnee, der Begriff Schnee wird nur analysiert, es entsteht ein bloß a n a l y t i s c h e s Urteil, das nicht mehr aussagt, als schon im Begriff gesetzt ist. Denn das Denkgesetz verlangt von mir, daß ich den Begriff immer mit derselben Anschauung, für die er gebildet ist, verbinde. A (den Begriff) mußt du immer mit a (der Anschauung) verbinden, du darfst ihn nicht mit von — a verbinden, du mußt ihn entweder mit a 1 oder a 2 verbinden, aber niemals mit b. Wenn ich aber einen objektiven Bestimmungssatz ausspreche, wie: das Wasser ist flüssig, so ist der Sinn: mit der Vorstellung Wasser sei immer auch die Vorstellung der geschmack- und geruchlosen Flüssigkeit verbunden, also einmal z. B. der Satz: das Meer, als Wasser, oder das ich als Wasser kenne, muß eben deswegen auch flüssig oder geschmacklos und geruchlos sein. Dann zeigt mir unter Umständen die Erfahrung, daß der Begriff nicht richtig gebildet ist und kein dauerndes Zusammensein von Eigenschaften bedeutet. Ein richtiges Urteil auf Grund der Denkgesetze setzt also einen richtigen Begriff voraus, einen Begriff, der nur das Wesen, d. h. das wesentlich Verbundene bezeichnet, ohne das er gar nicht gedacht werden kann. Ist ein solcher Begriff nicht erreicht, so kann alles, was aus ihm gemäß den Denkgesetzen gefolgert war, falsch sein. Das Problem der Erkenntnis lautet also zunächst: wie sind richtige Begriffe möglich, d. h. Begriffe, deren Bestimmungen als notwendig verbunden erkannt werden. 16. Hier springt nun, wie sich schon bei Kant gezeigt hat, sofort die Bedeutung ins Auge, welche die M a t h e m a t i k für die Erkenntnislehre hat, weil es in ihr zweifellos giltige Begriffe und synthetische Urteile gibt, die mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit ausgesprochen werden, also ein Urmuster der Erkenntnis. Daher die besondere Bedeutung, welche die Mathematik z. B. bei Descartes für die Entwicklung der Erkenntnislehre gehabt hat. Daher Piatos Inschrift: Keiner trete ohne Geometrie ein. 17. Schon Kant hat darauf hingewiesen, daß es noch eine zweite Art von synthetischen Urteilen a priori gebe, nämlich die Grundsätze des reinen Verstands, z. B. den Satz: alles Wirkliche ist eine extensive Größe, oder alles Wirkliche ist eine intensive Größe (d. h. alles Wirkliche
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hat ein Maß und einen Grad); oder: in allen Veränderungen des Wirklichen beharrt die Substanz (das durch sich selbst Existierende, nicht in einem andern Begründete), jede Veränderung des Wirklichen setzt eine Ursache voraus, aus der sie mit Notwendigkeit hervorgeht; was mit den subjektiven Bedingungen der Erfahrung übereinstimmt, ist möglich u. s. f. Das sind zweifellos lauter synthetische Sätze, d. h. Sätze, in denen ein Begriff mit einem anderen verbunden wird. Denn das Wirkliche ist z. B . seinem Begriff nach einfach das, was unabhängig von der subjektiven, spontanen Tätigkeit des Subjekts existiert; darin liegt weder, daß es eine extensive, noch daß es eine intensive Größe sein muß. Die Substanz ist ihrem Begriff nach das durch sich Existierende, das nur durch sich erkannt werden kann, darin liegt keine Beziehung zur Zeit, also zu dem Beharren, Veränderung oder Geschehen ist nur der Wechsel der Eigenschaften an den Dingen oder das Entstehen eines neuen oder das Vergehen eines alten Seins; die Behauptung, daß das immer eine Ursache haben müsse, will aber sagen, daß jede Veränderung in einem Wesen beruhen müsse, oder daß die Veränderung ein G e w i r k t e s sein müsse, was keineswegs im Begriff des Geschehens liegt. Trotzdem wir in diesen Sätzen von einem Begriff zu einem andern übergehen, haben wir das Bewußtsein, daß dieser Übergang notwendig sei, wir bilden also ein synthetisches Urteil a priori. Auch hier sind die Begriffe: das Wirkliche, das In-sich-Begründete, das Geschehen, vollkommen klare und bestimmte Begriffe, aber nicht kraft der Begriffe allein wird von einem Begriff zum andern übergegangen ; wir haben nur ein auf Selbstanschauung beruhendes unmittelbares Bewußtsein davon, daß die Begriffe mit einander verbunden sind. 18. Zwischen beiden Arten von Begriffen und Sätzen, den letztgenannten und den mathematischen, sind nun aber wesentliche Unterschiede vorhanden. 1. Die Begriffe der Mathematik sind willkürlich, frei von dem schaffenden Intellekt gesetzt. Das ist bei den Zahlbegriffen selbstverständlich, da sie nur Ausdruck der freien subjektiven Tätigkeit des Zählens sind. Sie sind keineswegs Eigenschaften der Dinge, die uns gegeben sind. Gegeben ist zwar sicher jedes Ding in einer gewissen Menge; ein Wald hat z. B . 100 Bäume. Aber wenn ich sage: der Wald hat 100 Bäume, so ist dies etwas ganz anderes, als wenn ich sage, der Wald ist grün; grün ist mir auch gegeben, es ist deswegen eine objektive Eigenschaft des Waldes. Aber daß er hundert Bäume hat, das bedeutet e i n m a l , daß ich den Wald in Einheiten, einzelne Bäume auflöse durch meine eigene subjektive Tätigkeit; sodann, daß ich die Bäume durch meine eigene subjektive Tätigkeit z ä h l e . Ich kann nicht objektiv sagen: Das ist der 62. Baum, wie ich sagen kann: das ist der hellgrünste Baum, sondern der Baum, den ich als Nr. 62 bezeichne, D i e z , Sprechen, Denken und Erkennen.
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kann ebensogut jede andere Zahl haben je nach der Reihenfolge, in der ich zähle. 19. Anders ist es mit den Begriffen des Geschehens, des Unbedingten, des Wirklichen, der Ursache. Zwar gleichen sie den mathematischen Begriffen darin, daß auch sie wenigstens nicht von äußeren Dingen veranlaßt sind. „Geschehen" ist schon notwendig, wenn überhaupt etwas gegeben sein soll, es muß dann im Subjekt ein Geschehen eingetreten sein: „Gegebenwerden" ist selbst ein Geschehen. In der ganzen Natur kennen wir nichts Unbedingtes, alles hat dort Farbe, Licht, Härte oder Weiche u. s. f., hängt also ab von anderem, ist bedingt durch anderes, ein „Ding", abgesehen von seinen Eigenschaften, ist nirgends gegeben. Im ganzen Gebiet des äußerlich Gegebenen kennen wir keine Ursache, der Begriff erhält seinen Sinn nur durch das Verhältnis unseres Willens zu unseren Bewegungen. Aber der Unterschied der zwei Arten aus dem Innern stammender Begriffe ist der, daß die letztgenannten keine willkürlich und frei gesetzten Begriffe sind, sondern daß sie uns im D e n k e n ganz von selbst und notwendig entstehen, daß wir sie unwillkürlich durch eine innere Notwendigkeit erzeugen und anwenden. Sie werden nicht gesetzt, sondern sie setzen sich selbst. Das kann nur so verstanden werden, daß sie in unserer Denkorganisation ihren Ursprung haben. Wir nennen solche Begriffe, wie früher gezeigt, Denkbegriffe oder Kategorien. Sie unterscheiden sich von den mathematischen Begriffen durch ihre Notwendigkeit. Derselben Art wie die genannten Begriffe sind auch die Begriffe des Schönen, des Guten, Gottes, der Welt, der Seele; man würde vergebens versuchen, das Wesen des Schönen aus den einzelnen schönen Gegenständen abzuleiten; denn um diese als schön erkennen zu können, muß man den Begriff schon in sich haben. Er muß also ebenfalls aus dem Subjekt stammen, und zwar entsteht auch er, wie der des Wahren und Guten, durch eine unbewußte und unwillkürliche Tätigkeit des Subjekts. 20. 2. Die Begriffe der Mathematik als rein willkürlich, sind nicht nur selbst nichts Objektives, sondern auch die synthetischen Sätze, die aus ihnen entwickelt werden, bezeichnen nichts Objektives, sondern zwar etwas unter Voraussetzung der Begriffe Gegebenes, aber durchaus Unwirkliches. Sie enthalten kein Moment der B e o b a c h t u n g , sondern man kann sie rein aus dem Geist selbst entwickeln. Dagegen meinen die apriorischen oder philosophischen Begriffe immer etwas Wirkliches oder zu Verwirklichendes. „Das Unbedingte", die „Ursache", die „Substanz" sollen Bezeichnungen von etwas Existierendem sein, und demgemäß haben die Sätze, die aus diesen Begriffen gebildet werden, den Sinn nicht von subjektiven Gesetzen, sondern von Naturgesetzen. Der Satz: alles was geschieht, hat seine Ursache, behauptet, daß zu allem, was geschieht, eine Ursache v o r h a n d e n sein
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müsse; „die Substanz beharrt", daß in allem Wirklichen eine unveränderliche Substanz zu f i n d e n sein müsse. Der Satz: das Schöne ist das Wahre in seiner Erscheinung, meint: wo wir im Wirklichen die Wirkungen der Schönheit erfahren, müssen wir auch die Wirkungen der Wesenhaftigkeit auf unser Denken gewahren; „das Unbedingte ist Gott" meint: wo das Denken die Eigenschaft des Unbedingten erkennt, erkennt die Religion eine Wesensbestimmung Gottes. Apriorische Urteile von der letzteren Art, die etwas enthalten, was uns zwar nicht als wirklich, aber als etwas zu Verwirklichendes zum Bewußtsein kommt, enthalten zwar keine Verbindung des Objektiven außer uns, aber sie meinen wirkliche Zusammenhänge im wirklichen Leben der Seele, keine bloß logischen Verknüpfungen. Wir wollen mathematische Begriffe und Sätze irreal heißen, weil der Geist innerhalb der Mathematik selbst von ihrer Realität vollständig absieht, philosophische Begriffe und Sätze dagegen ideal, weil sie etwas zu Verwirklichendes oder ein Ideal aussprechen, also zunächst zwar auch keine oder nur eine subjektive Realität haben, aber der Wirklichkeit ein Gesetz auferlegen. 21. 3. Die mathematischen B e g r i f f e selbst setzen die philosophischen Begriffe voraus, denn sie bewegen sich zwischen den beiden apriorischen Polen der Einheit und Unendlichkeit und schaffen konkrete Begriffe nur, indem sie die Einheit in die Unendlichkeit hineinkonstruieren und so die Unendlichkeit mit der Einheit zu bewältigen suchen. Die Einheit, in die Unendlichkeit des Raumes gesetzt, gibt den ausdehnungslosen unwirklichen Punkt; mit ihm und der Geraden, die die Einheit der Richtung ausspricht, bewältigt die Geometrie den ganzen Raum (so wie die ganze Unendlichkeit der Masse durch die Krafteinheit und die Bewegung, die Unendlichkeit des reinen Seins durch den Begriff und seine Merkmale bewältigt wird). Ebenso setzen die mathematischen U r t e i l e die philosophischen Urteile voraus. Jedermann weiß, daß z. B. in der Euklidischen Geometrie solche Sätze, wie: Gleiches zu Gleichem addiert, von Gleichem subtrahiert, mit Gleichem multipliziert und dividiert gibt Gleiches, eine Rolle spielen. Man nennt solche Sätze, die man weiter nicht beweisen kann, Axiome. Sie sind in Wahrheit philosophische Sätze, d. h. apriorische Sätze, notwendige Sätze als Voraussetzungen oder Bedingungen des Denkens. 22. Die aus der Erfahrung entstandenen Begriffe aber, die empirischen Begriffe und Sätze unterscheiden sich wesentlich von den mathematischen und philosophischen. Ein empirischer Begriff ist zunächst nicht fest und nicht klar, so daß wir bestimmt sagen könnten, was für ein dauerndes Zusammen von Eigenschaften in ihm liegt, sondern er ist von Haus aus ganz problematisch. Er ist zwar auch eine Setzung des Geistes und überschreitet das Gegebene, so daß ihm als 9*
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solchem keine Anschauung mehr entspricht (es g i b t keinen Baum an sich), aber die Setzung ist nicht frei oder willkürlich wie die mathematische, noch durch das Denken selbst gegeben oder notwendig wie das Apriorische. Wir bilden solche Begriffe als bloße Erscheinungsbegriffe immer nur vorläufig und geben ohne weiteres zu, daß sie i h r e m Wesen n a c h etwas ganz anderes sein könnten und ganz andere Merkmale haben könnten, als die Erscheinung uns zeigt. Das rein empirische Urteil kann also nie kategorisch, sondern muß hypothetisch sein. 23. Verfolgen wir die Entwicklung eines empirischen Begriffs zu Urteilen, so sieht man z. B. beim Wasser, daß er von irgend einer Erscheinung ausgeht, die ein an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten Gleiches enthält. Dieses Gleiche ist beim Wasser die Flüssigkeit, Klarheit und Durchsichtigkeit von körperlichen Massen, die uns als Bach, Fluß, See, Regen entgegentreten; meistens sind es die sichtbaren, in zweiter Linie die greifbaren Erscheinungen, die zur Bildung eines empirischen Begriffs Veranlassung geben. Es entsteht also die Vorstellung eines Dings mit Eigenschaften. Hier taucht nun eine erste Reihe von Sätzen auf, wie: das Wasser ist flüssig, feucht, durchsichtig, geschmacklos, geruchlos, die den apriorischen Satz voraussetzen: ein Ding ist nicht ohne Eigenschaften, durch die es auf uns wirkt, ein bestimmtes Ding nicht ohne bestimmte Eigenschaften, die in bestimmter Weise auf uns wirken. Da wir das Ding niemals als solches sehen, so heißen solche Sätze nichts anderes als: wo bestimmte Eigenschaften sind, z. B. beim Regen die Eigenschaft der Flüssigkeit und Feuchtigkeit, da sind auch andere Eigenschaften: Durchsichtigkeit, Geruchlosigkeit, Geschmacklosigkeit; die Sätze sind also von Haus aus synthetisch. Es wird mit diesen synthetischen Sätzen eine dauernde Verbindung von Eigenschaften behauptet. Der ganze Begriff wird deswegen in Frage gestellt, sobald die Erfahrung zeigt, daß eine der Eigenschaften verschwinden kann. Es entstehen dann zwei Sätze: 1. der negative: die Eigenschaft gehört nicht zum Wesen des D i n g s ; denn (apriorischer Satz:) das Wesen bleibt sich selbst gleich, 2. der positive: die sich verändernde Eigenschaft kann nur eine Beziehung des Dings zu einem anderen Ding bedeuten; denn (apriorischer Satz:) was nicht im Wesen eines Dings begründet ist, muß im Wesen von mehreren Dingen begründet sein. Die anfänglich behauptete Eigenschaft muß auf dem Wesen eines anderen Dings mit beruhen oder auf einer außerhalb des ersten Dings bzw. unabhängig von dem ersten Ding existierenden Ursache. Wenn also das Wasser einmal fest wird, so muß eine Ursache gesucht werden, auf der die Flüssigkeit beruht hat. Worin diese Ursache besteht, kann gefunden werden nach der apriorischen Regel: die Erscheinung, mit deren Eintreten eine andere Erscheinung regelmäßig als zeitliche Folge verbunden ist, durch deren Steigerung die Erschei-
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nuiig gesteigert wird, ist ihre Ursache, d. h. die an einem Ding neu eintretende Eigenschaft ist in der Eigenschaft eines anderen Dings zu suchen, das sich mit dem ersten zeitlich und räumlich verbunden hat. Sie gehört nicht zum Wesen, sondern nur zum Zustand des Dings (daher Aggregat z u s t a n d ) . Hat das geschmack- und geruchlose Wasser einmal plötzlich einen bestimmten Geschmack und Geruch bekommen, so muß sich ein anderer Stoff mit ihm verbunden haben, der diesen Geschmack und Geruch an sich hat, a l s s e i n W e s e n oder zu seinem Wesen gehörig. 24. Es wird also im Verlauf der denkenden Verarbeitung eines Erscheinungsbegriffs eine Kritik an ihm geübt, die den bloßen Zustand von dem Wesen unterscheidet und das Wesen herausschält. Durch diesen Prozeß wird dann alles, was wir ursprünglich als Eigenschaft des Gegenstands bezeichnet haben, als eine bloße Zustandsbedingung erkannt, m i t A u s n a h m e d e r j e n i g e n B e s t i m m u n g e n , ohne die wir den K ö r p e r ü b e r h a u p t n i c h t m e h r als K ö r p e r d e n k e n k ö n n e n . Es gehört deswegen auch eine etwaige Zusammensetzung des Körpers noch zu seinem Zustand, und das Wasser wird schließlich als eine chemische Verbindung von Sauerstoff und Wasserstoff bestimmt, die sich von anderen nur d u r c h ein b e s t i m m t e s Maß unterscheiden kann, in dem die E i g e n s c h a f t e n der K ö r p e r l i c h k e i t ü b e r h a u p t a u f t r e t e n . Daher endet alle Wesensbestimmung einzelner Körper in den Maßbestimmungen ihres spezifischen Gewichts, ihrer spezifischen Wärme, ihrer elektrischen Leitungsfähigkeit u. s. f. Kurz: ein e m p i r i s c h e r B e g r i f f i s t e r s t am E n d e des g a n z e n E r k e n n t n i s p r o z e s s e s zu h o f f e n — vorher haben wir nur S ä t z e , keine Urteile — während der m a t h e m a t i s c h e B e g r i f f am A n f a n g der mathematischen Erkenntnis steht und der p h i l o s o p h i s c h e B e g r i f f selbst der Mathematik und unserer Kritik an den Erscheinungsbegriffen vorausgesetzt ist. 25. Was sind nun die „Eigenschaften der Körperlichkeit überhaupt", durch deren Maßbestimmungen allein das W e s e n eines Stoffes gültig bestimmt werden kann? Der K ö r p e r , das chemische Element, ist ein gegen die allgemeinen, in der Körperlichkeit wirksamen Mächte, die Naturkräfte, sich selbst in seiner Existenz und Eigenart behauptendes Dasein, und seine Eigenschaften die Bestimmungen, die seine E i g e n h e i t ausmachen, bedeuten das Maß seiner Selbstbehauptung gegenüber den Einwirkungen der allgemeinen Naturkräfte, gegenüber dem Licht, der Wärme, der Elektrizität, dem Stoß und Druck der Massen, also das Maß seiner Durchdringbarkeit durch die verschiedenen Strahlen des Lichts, der Wärme, der Elektrizität, also durch die allgemeinen Bewegungsformen der Natur. Diese haben alle die Eigenschaft, daß sie die Eigenheit der Stoffe aufzu-
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lösen suchen, weswegen Wärme, Licht und Elektrizität überall die Bedingungen der chemischen Veränderungen sind. Was wir als spezifisches Gewicht, spezifische Wärme, elektrische Leitungsfähigkeit, chemische Valenz usw. bezeichnen, ist in der Tat nichts anderes, als das Maß der Selbstbehauptung des Körpers gegen die allgemeinen Bewegungsmomente der Natur. Diese aber unterscheiden sich nur durch 1. das Subjekt der Bewegung, Masse, Molekül, Atom, Äther, die Art der Bewegung: fortschreitende Bewegung und Zentralbewegung oder Schwingung und das Richtungsverhältnis beider (Longitudinal- und Transversal-Schwingung), — d. h. s c h l i e ß l i c h w i r d j e d e r empir i s c h e B e g r i f f auf a p r i o r i s c h e B e s t i m m u n g e n z u r ü c k g e f ü h r t , deren Möglichkeit a priori in sicheren Disjunktionen festgestellt werden kann. Die Notwendigkeit zur Bestimmung empirischer Begriffe auf apriorische Begriffe zurückzugehen, ergibt sich, wie früher gezeigt, schon aus der einfachen Erwägung, daß jede Frage nach dem Wesen: was ist das ? offenbar das Unbekannte auf das Bekannte zurückführen will, also zuletzt auf das Ansichbekannte, das Apriorische, das sich selbst Setzende, kommen muß. 26. Empirische Erkenntnisse also, d.h. synthetische Urteile a priori in Beziehung auf Erfahrungsgegenstände, sind nur möglich durch Zu r ü c k f ü h r u n g e m p i r i s c h e r Erscheinungen auf apriorische Begriffe, empirischer Sätze auf apriorische Sätze oder durch philosophische und mathematische Begründung und Bestimmung. Dabei muß freilich der Begriff Mathematik, wie wir schon angedeutet haben und an seinem Ort weiter begründen werden, erweitert werden, so daß er die Sätze der reinen (oder formalen) Logik und der reinen Mechanik mitumfaßt. Es wird sich also zeigen, daß diese von gleicher Art und Gewißheit der Erkenntnis sind. Tatsachen des geistigen Lebens entziehen sich der Mathematik im engeren Sinne oder der Größenlehre, nicht aber den Gesetzen der reinen Logik; Tatsachen der Physik können nicht direkt mathematisch begründet werden, sondern nur durch die Mittel der reinen Mechanik. Als Resultat dieser vergleichenden Betrachtung der Begriffe und Urteile aber springt hier der Satz heraus: d a ß die E r k e n n t nis d r e i u n t e r ganz v e r s c h i e d e n e n B e d i n g u n g e n s t e h e n d e F o r m e n h a t : m a t h e m a t i s c h e , p h i l o s o p h i s c h e und e m p i r i s c h e E r k e n n t n i s , und die Ahnung davon, daß diese drei Formen nur im Zusammenwirken Erkenntnis im vollen Sinn zu geben vermögen. Zuerst aber ist die Frage zu untersuchen, wie es möglich ist, k r a f t eines Begriffes über einen Begriff hinauszugehen.
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IV. DIE MÖGLICHKEIT DER ERKENNTNIS UND IHRE DREI PROBLEME 27. Ein Begriff hat den Zweck 1. als N a m e eine bestimmte •wiederholbare Anschauung zu b e z e i c h n e n mit der Absicht, das Allgemeine, Dauernde oder Identische an der Anschauung im Bewußtsein festzuhalten und im allgemeinen Ich oder in dem Ich anderer eine b e s t i m m t e A n s c h a u u n g hervorzurufen. Zu diesem Zweck muß er unzweideutig sein (darf nicht auf zwei verschiedene Anschauungen „deuten"), darf, wie die Logik sagt, nicht zu weit und nicht zu eng sein. Dann nennen wir ihn „ d e u t l i c h " , weil er auf etwas ganz Bestimmtes „deutet" und jeder, der das Wort aussprechen hört, ihn auf die ihm entsprechende Anschauung d e u t e n kann. 2. Wird aus dem Namen ein Begriff, so hat der Begriff den Zweck, uns zum Bewußtsein zu bringen, was eine allgemeine Anschauung im System der Begriffe b e d e u t e t . Der Name ist nur die erste Antwort auf die Frage: was ist das ? Es folgt die Frage, was ist das, was ist ? und diese Frage verlangt, wie wir sehen, das bloß Gegebene auf das Apriorische, das Ansichbekannte, zurückzuführen. Ist dies geschehen, so haben wir den Begriff geklärt oder e r k l ä r t und wir nennen ihn k l a r . Deutlichkeit und Klarheit sind also die Eigenschaften, die jeder vollendete Begriff haben muß. Aber Klarheit kann z. B. der empirische Begriff erst am Ende des wissenschaftlichen Prozesses gewinnen, Deutlichkeit dagegen muß er von Anfang an haben, sofern er eine ganz bestimmte Anschauung bedeuten muß. Nun haben wir oben gesagt, daß der empirische Begriff den Sinn habe, mit gewissen Anschauungen seien andere Anschauungen verbunden, wesentlich oder immer verbunden. Daher ist es möglich einen Gegenstand, ein Ding, durch Anschauungen unzweideutig zu bestimmen, die n i c h t a l l e s e n t h a l t e n , was in ihm von Anschauungen gesetzt ist, sondern nur den Teil, mit dem dann die andern notwendig verbunden sind. Die Möglichkeit einer notwendigen Synthese auf Grund des Begriffs liegt also 1. darin, daß ein Begriff vollkommen deutlich sein kann, ohne daß in ihm die ganze Anschauung gesetzt ist, die dem Begriff entspricht, und dies wieder beruht 2. darauf, daß in den Anschauungen ein innerer Zusammenhang ist, der sie zu einem G a n z e n macht. Der B e g r i f f i s t u n v o l l s t ä n d i g , er e n t h ä l t n i c h t a l l e s , was zu der A n s c h a u u n g eines D r e i e c k s g e h ö r t ; er enthält ein bloß subjektives Moment, indem er nur das ins Auge faßt, was zur Unterscheidung, zur Kennzeichnung oder zur Deutlichmachung des Begriffs gehört. A u s dieser t a t s ä c h l i c h e n U n v o l l s t ä n d i g k e i t j e d e s B e g r i f f e s , dem ihm a n h a f t e n d e n b l o ß s u b j e k t i v e n
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M o m e n t , e r k l ä r t es s i c h , daß sich zeigen k a n n , wie obj e k t i v m e h r in ihm l i e g t , als er a u s s a g t , s o b a l d man zu der ihm z u g r u n d e l i e g e n d e n A n s c h a u u n g h e r a b s t e i g t . 28. Dieses subjektive Moment in den Begriffen erklärt also die allgemeine Möglichkeit, daß mehr in ihnen liegt und gemäß den Begriffen ausgesagt werden kann, als das Denken bewußt in ihnen gesetzt hat. Es erklärt aber noch nicht, wie der Zusammenhang innerhalb der Anschauung, zu der man, um den Begriff zu erweitern, herabsteigt, als ein notwendiger erkannt und unter einem logischen Zwang des Denkens ausgesagt werden kann. Die Begriffe sind von Haus aus bedingt nur durch den subjektiven Zweck der Bezeichnung. Sie meinen aber ein Objektives und stellen dadurch den Begriff in einen objektiven Zusammenhang, und sofern dieser Zusammenhang mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit zu erkennen ist, sind synthetische Urteile in der Form der Notwendigkeit möglich. Der Zusammenhang kann nun ein dreifacher sein. Der m a t h e m a t i s c h e B e g r i f f ist nur der einer Konstruktion des Geistes, also einer geistigen T ä t i g k e i t ; das Material, mit dem sie arbeitet, in das sie konstruiert, ist die reine Anschauung der Zeit und des Raumes, also das Q u a n t i t a t i v e . Der empirische Begriff ist der einer B e s t i m m t h e i t des Geistes durch eine Qualität der Sinnesempfindung, er setzt also von vorneherein einen Zusammenhang des Qualitativen voraus. Der philosophische Begriff ist eine n o t wendige Konstruktion des Geistes oder die B e s t i m m t h e i t zu e i n e r T ä t i g k e i t des Geistes; der Zusammenhang, in dem diese letzteren Begriffe stehen, ist der der Momente der Selbstanschauung und — nach der ihnen innewohnenden Notwendigkeit ausgedrückt — der Zusammenhang der Bedingungen des Selbstbewußtseins (etwa so, wie die Prozesse der Verbrennung und der Assimilation die sich gegenseitig fordernden Bedingungen des Lebens sind). Auf welche Weise wird nun ein solcher Zusammenhang von Anschauungen, Qualitäten und Begriffen als durch den Begriff selbst gefordert erkennbar? 29. Wir müssen bei der Beantwortung dieser Fragen von der E r f a h r u n g s e r k e n n t n i s ausgehen. Denn alle Erkenntnis bezieht sich von Haus aus auf die Erfahrung und geht darauf aus, zu zeigen, daß die unendliche Mannigfaltigkeit und der Wechsel der Erscheinungen begrifflich setzbar, mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit denkbar ist. Dadurch wird uns zum Bewußtsein gebracht, wie wir im ersten Teil ausgeführt haben, daß das Wirkliche vernünftig ist oder den Bedingungen unseres Denkens entspricht. Es muß also in einer vollständigen Beantwortung der Frage, wie synthetische Urteile mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit der Erfahrungswelt oder der Welt der Erscheinungen gegenüber möglich sind, jede Art von möglicher Erkenntnis
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oder möglicher Verbindung von Vorstellungen in der Form der Notwendigkeit vorkommen. Es zeigt sich nun, daß die Erfahrungserkenntnis drei verschiedene Probleme enthält, von denen das erste das zweite und dieses das dritte aus sich hervortreibt. 30. Zunächst beginnt alle Erfahrung mit S ä t z e n (nicht Urteilen), und zwar Sätzen von partikularer Art. Ich kann auf Grund der Erfahrung nur sagen: in einigen Fälle ist die Qualität A mit der Qualität B verbunden und dann weiter zu dem Satz fortschreiten: in allen bisher von mir und anderen beobachteten Fällen hat z. B. das Wasser bei 100 Grad Celsius .zu sieden angefangen. Aber schon in dieser Formulierung ist der Satz problematisch, da es schwer, ja unmöglich ist, alle Fälle zu konstatieren; vollends aber, wenn ich nun den Satz objektiv wende und sage: das Wasser siedet bei 100 Grad Celsius, wird der Satz im höchsten Maße problematisch (wie er ja auch umgestoßen wurde, als die Bedeutung des Luftdrucks oder des Drucks überhaupt für den Verdampfungspunkt bekannt wurde). Der Satz hat also keine Notwendigkeit und es erhebt sich das Problem: Wie ist es möglich, v o n vielen b e o b a c h t e t e n Fällen auf alle zu k o m m e n , oder wie ist es möglich von bloß gegebenen Anschauungen aus zu einem Begriff zu kommen? Wie sind allgemeine Sätze in Beziehung auf Naturzusammenhänge möglich ? Dies ist das erste Problem einer Erfahrungserkenntnis, das P r o b l e m der I n d u k t i o n . 31. Verfolgen wir den Gang der Erkenntnis weiter, so gelangen wir zu der zweiten Formulierung des Problems. Ist ein Satz wie der obige, ausgesprochen, so wird nun der beständige zeitliche Zusammenhang zwischen dem bestimmten Wärmegrad und der Verdampfung (der, wie wir sahen, selbst schon problematisch ist) zu einem neuen Problem. Er muß in der Form der Notwendigkeit gedacht werden, und die Denkform, durch die das geschieht, ist die der K a u s a l i t ä t . Ist der zeitliche Zusammenhang als beständig erkannt, so wird die Wärme zur U r s a c h e des Verdampfens. Die zweite Frage nach der Möglichkeit einer synthetischen Erfahrungserkenntnis ist also dieFrage: wie k a n n der zeitliche Z u s a m m e n h a n g als ein Kausalzusammenhang, als ein Zusammenhang von U r s a c h e u n d W i r k u n g e r k a n n t w e r d e n ? Oder, da die Ursache sehr häufig etwas qualitativ anderes ist als die Wirkung: wie kann der Zusammenhang von Qualitäten erkannt werden ? Das Problem der D e d u k t i o n = Ableitung einer Anschauung aus der anderen gemäß ihrem Begriff. 32. Denken wir uns nun die beiden eben genannten Fragen gelöst, so würden wir zu einer Reihe fester Daseinsbegriffe und Begriffen von Kräften oder Gesetzen von Kräften gelangen, die von dem Daseienden ausgehen und bestimmte Wirkungen hervorbringen. Und hier ent-
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steht nun die d r i t t e Formulierung des Problems: Wie können verschiedene Substanzen mit Kräften, Fähigkeiten, Eigenschaften als in der Wirklichkeit notwendig verbunden zum Bewußtsein kommen? Hier ist die Frage nicht: wie ist Substantialität möglich ? noch, wie ist Kausalität möglich ? sondern: wie ist innerhalb der Substantialität selbst eine Kausalität möglich, wie können Eigenschaften der Substanzen und die Substanzen selbst notwendig zusammenhängen ? Die Antwort kann nur lauten: sie sind in dem Zweck des Ganzen verbunden. Das dritte Problem ist also das des Zwecks. Um sich klar zu machen, um was es sich hier handelt, darf man sich immer nur folgende Sätze im Bewußtsein halten: In dem Organischen ist zum Zweck des Lebens. Verbrennung notwendig; aber bloße Verbrennung würde die organischen Körper auflösen; es ist also zu dem Zweck des Lebens auch ein entgegengesetzter Prozeß, Assimilation, nötig. Um den Körper überhaupt zu denken, ist eine ausdehnende Kraft nötig; aber die bloße Ausdehnung würde den Körper ins Unendliche verflüchtigen; es ist also, um den Körper als raumerfüllende Substanz zu denken, auch eine entgegengesetzte zusammenziehende Kraft notwendig. Der Begriff des Zweckes also bringt uns zum Bewußtsein, wie synthetische Urteile a priori oder logische Konsequenzurteile zustande kommen können. Hiermit können wir zur Lösung der drei Probleme übergehen. 33. A. das P r o b l e m der S u b s t a n t i a l i t ä t . Es ist klar, daß eine logische Notwendigkeit dafür, daß was in hundert Fällen eingetreten ist oder verbunden war, in den weiteren Fällen ebenfalls verbunden ist, nicht vorhanden ist. Wir können hier nicht mit dem Satz des Grundes in seiner subjektiven Form: Setze nichts ohne Grund, d. h. bleibe mit deinen Setzungen mit den vorangegangenen Setzungen in Übereinstimmung, operieren. Dazu müßte ein Begriff schon vorausgesetzt sein; aber den Übergang von vielen Fällen zu allen brauchen wir schon, um überhaupt die Möglichkeit eines Erfahrungsbegriffes einzusehen. Am Beginn der Erfahrungserkenntnis steht, wie wir sahen, nur ein Erscheinungsbegriff (z. B. Wasser eine so und so beschaffene Flüssigkeit), der keine Gewähr dafür bietet, daß er ein Wesen ausdrückt. Das einzige Mittel, das wir haben, um über die Möglichkeit des Anderswerdens hinauszukommen, ist, daß wir den Satz: Setze A immer gleich A, objektiv wenden und ein Naturgesetz daraus machen: A = A, A bleibt sich immer gleich, oder: das Wesen beharrt. Was in hundert Fällen immer so oder so war, kann nicht ohne die Einwirkung eines anderen Wesens auf einmal anders werden. Wir schützen uns also gegen die Möglichkeit einer Veränderung durch den Satz: Ist das Wasser u n t e r gewissen Bedingungen flüssig gewesen, sei es nun hundertmal oder einmal, so wird es unter denselben Bedingungen immer flüssig sein. Alle Allgemeinheit empirischer Sätze ist also nur möglich
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unter der Voraussetzung, daß das Wesen in seiner Gesamtheit beharrt; daß unter den gleichen Bedingungen immer dasselbe eintritt, daß dasselbe Dasein immer dasselbe Dasein bewirkt, derselbe Vorgang immer denselben Vorgang im Gefolge hat. Ein gültiger empirischer Begriff setzt also den Satz voraus: aus Gleichem e n t s t e h t u n t e r gleichen B e d i n g u n g e n i m m e r das Gleiche. Dieser Satz ist ein philosophischer, weil er durch den Zweck des Denkens oder der Verwirklichung des Selbstbewußtseins gefordert wird. Würde er nicht gelten, so wäre es nicht möglich, die Wirklichkeit durch den Begriff zu fassen, oder Denken wäre unmöglich. Gilt er dagegen, so können wir von einzelnen Fällen, ja schon von einem Fall, wenn wir nur alle seine Bedingungen mitdenken, auf alle schließen, also von einem Moment des Daseins auf den andern, und so eine bloß relative tatsächliche Synthesis von Anschauungen zu einer notwendigen machen. 34. B. Das P r o b l e m der K a u s a l i t ä t . Derselbe Satz hilft nun auch das Problem der Kausalität lösen, obwohl er ihm zunächst zu wiedersprechen scheint. Es gibt zwar Fälle, in denen er direkt angewandt werden kann, so wenn ich sage: Die Ursache von der Nässe des Bodens ist der Regen, oder die Ursache des Hellwerdens, wenn der Tag kommt, ist das Sonnenlicht. Dies ist, wie wir sahen, nur ein unvollständiger Ausdruck des Gedanken. Er müßte eigentlich heißen: die Ursache von der Nässe des Bodens ist die Nässe des Regens; noch genauer: die in den Boden eingedrungene, an dem Boden haftende Nässe des Regens, die mit der Wirkung identisch ist. Man sieht da, daß die vollständig gedachte Ursache von der Wirkung nicht mehr verschieden ist, daß also in den Veränderungen des Wirklichen das Wesen sich selbst gleich bleibt; es liegt ihnen nur eine Veränderung des Zu8tandes, z. B. eine Lageveränderung zugrunde, die das Wesen nicht berührt. Die Nässe des Regens ist einfach räumlich auf den Boden übergegangen. Aber wenn Wärme die Ausdehnung der Körper, wenn Licht eine chemische Veränderung auf der photographischen Platte bewirkt, so ist die Wirkung von der Ursache verschieden ui)d hiergegen erhebt sich nun der Satz: das Wesen kann sich nicht verändern, zum Widerspruch. Was hat Wärme, diese Hautempfindung, mit der Ausdehnung zutun ? oder Licht, dieser Gesichtseindruck, mit der chemischen Veränderung ? Dies zwingt uns zu schließen: wo eine Qualität aus der anderen hervorzugehen scheint, müssen beide durch eine gemeinsame Anschauung gedacht werden; und diese kann, da jede Veränderung irgendwie das Übergehen von einem auf das andere braucht, nur die Bewegung sein. Da Wärme, die wir zunächst nur als Hautempfindung kennen, Ausdehnung hervorruft, so kann sie nichts sein als eine ausdehnende Kraft in den Körpern selbst, also etwa eine Bewegung der kleinsten Teile, die einander stoßen, umso mehr, je lebhafter die Be-
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wegung, je größer die Stoßkraft der Bewegung und der Raum ist, den sie einnimmt. Hierin liegt nun die Erklärung, wie es möglich ist, daß ein Vorgang als die Ursache eines andern erkannt wird. Es ist nur dadurch möglich, daß die Wirkung als identisch mit dem Wesen der Ursache eines andern erkannt wird. Es ist nur dadurch möglich, daß die Wirkung als identisch mit dem Wesen der Ursache g e d a c h t werden kann. Daß aus einem A ein von ihm verschiedenes B hervorgeht, ist auf alle Fälle undenkbar, da A immer gleich A bleiben muß, sofern überhaupt denken möglich sein soll. Wenn also eine Qualität die andere hervorzubringen scheint, so müssen sie beide durch ein und dasselbe Wesen gedacht werden; Qualitäten selbst, wie gelb, hart, warm, können als solche, als das rein Gegebene, Irrationale nicht gedacht, d. h. nicht zur K l a r h e i t des Begriffs gebracht werden; sie müssen also auf apriorische Elemente und sofeme sie im Raum wirksam werden, auf räumliche Eigenschaften, auf Bestimmungen des Raums, Lage, Gestalt, Größe, Bewegung, Form der Bewegung, Geschwindigkeit der Bewegung zurückgeführt werden, wenn eine als die Ursache der andern erkannt werden soll. Oder eine Qualität kann als die Ursache der andern erkannt werden, sobald in beiden dasselbe Wesen gedacht werden kann, sobald sie auf Eigenschaften der reinen Anschauung zurückgeführt werden können, die mittelst der mathematischen Erkenntnis als wesentlich identisch, nur subjektiv verschieden, d. h. durch Lage und Zusammensetzung verschieden, gedacht werden können. Wir geben also einem bloßen zeitlichen Zusammenhang Notwendigkeit, indem wir A als Ursache von B denken, d. h. die Eigenschaft a von A, ihrem Wesen nach als identisch mit der Eigenschaft b von B denken, oder indem wir beide in einem G a n z e n d e r A n s c h a u u n g zusammenfassen, in welchem sie sich nur durch subjektive Momente unterscheiden. 35. G. Das P r o b l e m des Zwecks. Bin ich nun auf diesem Wege etwa dazu gekommen, Wärme als die in allen Körpern in einem gewissen Grad vorhandene Bewegung der kleinsten Teile aufzufassen, so erscheint diese Bewegung zweifellos als Bedingung für die Existenz der Körperlichkeit, also der Raumerfüllung, denn sie gehört dann zu dem Begriff des Körpers und kann nicht von ihm weggedacht, der Körper kann nicht ohne sie gedacht werden. Nun zeigen aber die verschiedenen Körper ein sehr verschiedenes Verhalten zu der Wärme, also zur Ausdehnung und Raumerfüllung. Daraus folgt, daß in der Körperlichkeit auch ein Moment sein muß, daß der in ihr vorhandenen Wärmebewegung entgegengesetzt ist, oder es zeigt sich, daß die Wärmebewegung, als Bedingung der Körperlichkeit betrachtet, eine andere fordert, nämlich eine der Ausdehnung entgegenwirkende Kraft, ver-
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möge der sich die Körper zu den Wirkungen verschieden verhalten können, d. h. nachdem durch die kausale Erklärung der Ausdehnung eine Bewegung innerhalb des Körpers gesetzt ist, verlangt der Zweck der E x i s t e n z des K ö r p e r s , daß auch eine der Wärme entgegenwirkende Hemmung dazu gedacht wird, sonst könnte er als bestimmter Körper nicht existieren. Wir sind genötigt anzunehmen, daß eine vorhandene Bewegung an und für sich räumlich und zeitlich unendlich ist. Die innere Bewegung der Moleküle würde also für sich dem Körper eine unendliche Ausdehnung geben. Diese tritt aber erst ein, wenn der Körper gasförmig geworden ist. Vor diesem Zustand muß also eine entgegenwirkende Kraft die ausdehnende gehemmt haben. Verhalten sich die Körper verschieden in Beziehung auf den Vergasungspunkt, so muß diese Kraft in ihnen in verschiedenem Grade vorhanden sein. Ein solches verschiedenes Verhalten zeigt uns die Erfahrung; die Luft ist bei unseren Temperaturen gasförmig, das Wasser flüssig, der Granit und das Eisen fest. Wir gelangen also von einem Begriff, dem der Wärme, indem wir ihn an der Gesamterscheinung der Körperlichkeit messen, mit Notwendigkeit zu einem andern Begriff (sagen wir, etwa dem der Schwere) und verstehen so, wie diese zu dem Zweck der Körperlichkeit zusammenwirken müssen. Es ist also die Kategorie des Zwecks, durch die eine neue Form synthetischer Erfahrungsurteile a priori möglich ist. Man kann sagen, daß mit der Wasfrage und ihrer Durchführung das Interesse des Denkens am Wirklichen erschöpft ist. Wenn man weiß, was alles ist und was das Ganze ist, so hat das Denken sein Geschäft beendet; denn es setzt dann das Gegebene gemäß der Natur des Geistes, indem es die ganze erscheinende Welt auf die durch die Natur des Geistes gegebenen Begriffe zurückgeführt hat. Aber die Wasfrage ist nicht befriedigend gelöst, solange nicht auch die Veränderung der Dinge gemäß apriorischen Begeln setzbar ist; das bedeutet, daß die Wasfrage auch die Warumfrage in sich schließt, ja diese Frage scheint das Hauptgeschäft der Erfahrungswissenschaft zu sein, weil es die Veränderung ist, die sich dem Streben nach festen Begriffen entgegensetzt. So beginnt die Erfahrungswissenschaft allerdings mit Begriffsbestimmungen, mit dem Bemühen, zuerst alles kennen zu lernen, was tatsächlich in der Welt vorhanden ist und das Kennengelernte dann in ein System von allgemeineren und spezielleren Begriffen, von Gattungen, Ordnungen, Familien zu gliedern. Aber diese am Anfang der Wissenschaft stehende Begriffsbestimmung ist nur eine vorläufige; die ursprünglich in der Welt gefundenen Elemente, z. B. Erde, Wasser, Luft, Feuer, verlieren mit der Zeit die Bedeutung, die allgemeinsten Gestaltungen des Materiellen zu sein; der Sauerstoff und damit das Element im höheren Sinne tritt als ein gemeinsamer Faktor für diese 4 Gebilde zutage. Sobald aber nach der Entstehung dieser Gebilde, ihrem Werden,
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gefragt wird, werden sie unter den Begriff der Veränderung subsumiert, und dann geht die Wissenschaft in die Warumfrage über und wird Erkenntnis von der Gesetzmäßigkeit des Werdens. Erst wenn diese hinter uns liegt, kommt die letzte Frage der Wissenschaft, wie die Stoffe und Kräfte, auf welche wir durch die Warumfrage gekommen sind, zum Ganzen der Dinge zusammenwirken, welche Rolle sie als Mittel zum Zweck des Ganzen spielen, und damit erst ist das Streben, die Welt als vernünftig zu begreifen, als Äußerung der Vernunft zu erkennen, befriedigt. 36. Es liegt also in der Natur der Sache, wie wir zu Beginn dieser Erörterung bemerkt haben, daß unter dem Begriff der Erfahrungserkenntnis alle Erkenntnis vorkommen muß, die es überhaupt gibt; denn das Erkenntnisstreben geht immer vom Gegebenen aus und ist im ganzen nichts als das Bemühen, das Gegebene kraft des Geistes, gemäß der Natur des Geistes zu setzen. Die Philosophie steht durchaus unter dem Problem des Z w e c k s : wie sind die p h i l o s o p h i s c h e n Begriffe und Sätze im Zweck des Selbstbewußtseins oder des Denkens verbunden ? Alle unsere bisherigen Erörterungen stehen unter dieser Frage. Das eigentliche Problem der E r f a h r u n g s e r k e n n t n i s aber bleibt die Frage, wie in der Mannigfaltigkeit und im Wechsel der Erscheinung feste Begriffe möglich sind, d a , wie wir sehen, die b e i d e n e r s t e r e n F r a g e n aus der d r i t t e n n o t w e n d i g h e r a u s w a c h s e n , so i s t k l a r , daß E r k e n n t n i s in v o l l e m S i n n n u r auf e i n e m Z u s a m m e n w i r k e n der drei E r k e n n t n i s a r t e n b e r u h e n k a n n .
V. DER PROZESS DER ERKENNTNIS IN DEN DREI ERKENNTNISARTEN Um zu erkennen, wie die drei Erkenntnisweisen, die von Begriffen a u s g e h e n d e mathematische Erkenntnis, die in Begriffen e n d i g e n d e empirische Erkenntnis, und die ganz in Begriffen v e r l a u f e n d e philosophische Erkenntnis, zu dem Ganzen der Erkenntnis zusammenwirken, ist es nötig, die A r t der B e g r ü n d u n g auf den drei Gebieten zu untersuchen. Wir beginnen mit der mathematischen Erkenntnis und untersuchen den Satz, daß mit drei nicht auf einer Geraden liegenden Punkten ein bestimmter Kreis gegeben ist. In dem Satz stecken zunächst zwei Sätze von verschiedenem Sinn. 1. der Satz, daß sich durch drei nicht auf einer Geraden liegende Punkte i m m e r ein Kreis legen läßt und 2. der Satz, daß sich n u r E i n Kreis durch sie legen läßt, oder negativ ausgedrückt: durch die drei Punkte lassen sich nicht zwei oder mehr verschiedene Kreise legen. In dem Ausdruck: ein Kreis ist durch die drei Punkte b e s t i m m t ,
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liegt also eine Behauptung über eine M ö g l i c h k e i t : immer ist durch die drei Punkte ein Kreis möglich; und über eine U n m ö g l i c h k e i t : zwei verschiedene Kreise durch die drei Punkte sind unmöglich. Einen Kreis durch drei Punkte zu ziehen ist immer möglich; das bedeutet g e m ä ß dem B e g r i f f des K r e i s e s : es gibt immer einen Punkt, der von drei gegebenen Punkten die gleichen Entfernung hat, so daß gemäß dem B e g r i f f der G e r a d e n , wonach diese die Entfernung zweier Punkte mißt, die drei Verbindungsgeraden zwischen dem vierten Punkt und den drei gegebenen als verschiedene Lagen einer und derselben um einen ihrer Endpunkte gedrehten geraden Strecke, angesehen werden können. Wir haben also nur zu untersuchen, ob es wirklich immer einen Punkt gibt, der von drei gegebenen, nicht in einer Geraden liegenden Punkten dieselbe Entfernung hat. Dabei können und müssen wir sehen, wie eine Anschauung von der andern abhängig ist. Wir bilden nun den Satz: der geometrische Ort für alle Punkte, die von zwei gegebenen Punkten die gleiche Entfernung haben, ist das Mittellot auf ihrer Verbindungslinie. Darin stecken wieder zwei Sätze: Es gibt nur eine Verbindungslinie zwischen zwei Punkten, und es gibt nur ein Mittellot auf dieser Verbindungslinie. Genau genommen setzt dieser letztere Satz noch einen dritten voraus: es gibt nur einen Punkt, der die gerade Strecke in zwei gleiche Teile teilt, also nur einen Mittelpunkt einer geraden Strecke. Es sind also drei Sätze zu begründen: mit der geraden Strecke (der Geraden von bestimmter Größe) ist ihr Mittelpunkt gegeben, mit dem Mittelpunkt ist das Mittellot gegeben, mit dem Mittellot bzw. den einzelnen Punkten des Mittellotes ist die bestimmte Entfernung von b e i d e n Endpunkten der Geraden gegeben. Daß eine Gerade nur einen Mittelpunkt haben kann, ist der Anschauung ohne weiteres klar; aber der bloß anschauende Geist ist sich der Notwendigkeit dieses Satzes, des Grundes, aus dem er allgemein gilt, nicht bewußt. Dieses Bewußtsein tritt erst ein, wenn wir uns klar machen, daß eine Gerade die Bewegung von einem Punkt zum andern ist und daß dabei die Entfernung von dem Ausgangspunkt sich beständig vergrößert, die vom Zielpunkt beständig oder k o n t i n u i e r l i c h verkleinert, weswegen es nur einen Punkt geben kann, auf dem die Entfernungen gleich sind. Man schließt dabei aus dem Begriff der Geraden; Bewegung von einem Punkt zum andern, und aus dem Begriff des Raumes, als einer kontinuierlichen Vielheit, endlich aus dem Satze: wenn ein Ganzes geteilt wird, sind die Teile entweder gleich oder ungleich. Sind sie ungleich, so ist der eine Teil größer, der andere kleiner; je größer der eine Teil wird, umso kleiner muß der andere werden. Daß auf dem Mittelpunkt nur eine Senkrechte möglich ist, geht aus demselben Gedankengang hervor: Lasse ich die eine Hälfte der geraden Strecke sich um den Mittelpunkt drehen, so teilt sie den Raum auf der einen
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Erstreckung der Ebene in zwei Winkel, von denen der eine immer größer, der andere infolgedessen (da das Ganze sich gleich bleibt) immer kleiner wird — nach den eben ausgesprochenen Grundsätzen. Die Winkel können deswegen nur in einer Lage der Drehungslinie gleich sein, also nach dem Begriff der Senkrechten kann die Drehungsgerade nur in einer Lage senkrechte Stellung haben. Endlich ist der Hauptsatz zu beweisen, daß jeder Punkt dieser Senkrechten von beiden Endpunkten der Geraden die gleiche Entfernung hat. Dazu müssen wir das Gebilde in zwei Teile zerlegen, zwei rechte Winkel, die einen Schenkel gemeinsam haben. Nehmen wir auf dem ursprünglich gemeinsamen Schenkel in d e r s e l b e n Entfernung vom Scheitelpunkt einen Punkt an, so haben wir zwei vollkommen gleiche Gebilde, die sich nur durch die Lage unterscheiden, zwei rechte Winkel, die dem B e g r i f f n a c h , als Rechte kongruent sind, mit gleicher Länge der beiden Schenkel. Verbinden wir nun die beiden Endpunkte der Schenkel in beiden Gebilden, so geschieht an dem Gleichen das Gleiche und es kommt der Grundsatz zum Bewußtsein: aus Gleichem kann durch das Gleiche nichts Ungleiches entstehen, also müssen die beiden Verbindungslinien gleich sein. Hiermit ist nun der Satz bewiesen, daß das Mittellot einer geraden Strecke der geometrische Ort ist für alle Punkte, die von den Endpunkten der Geraden gleich weit entfernt sind, und es folgt nun die einfache Subsumtion der vorliegenden Gebilde unter diesen Lehrsatz gemäß der Regel: was von dem Allgemeinen gilt, gilt auch von dem Besonderen. Von den drei gegebenen Punkten läßt sich A mit B, B mit C durch eine Gerade verbinden und zwar nur durch e i n e Gerade, da eine Gerade i h r e m B e g r i f f n a c h durch zwei Punkte bestimmt ist. Mit den beiden Geraden ist nach den obigen Sätzen je der Mittelpunkt und das Lot in diesem Mittelpunkt gegeben. Da die drei Punkte nach der Voraussetzung nicht in einer Geraden liegen, kann BG nicht in der Fortsetzung von AB liegen, muß also gegen AB geneigt sein, oder mit ihr einen Winkel bilden, gemäß d e m B e g r i f f des W i n k e l s . Daraus folgt hinwiederum, daß auch die Lote gegeneinander geneigt sein müssen; denn wenn man die Lote zunächst auf einer und derselben Geraden denkt, dann die Gerade zwischen beiden Loten teilt und den einen Teil gegen den andern um den Teilpunkt dreht, so kann wegen der Gleichmäßigkeit und Qualitätslosigkeit des Raumes, vermöge deren die Bewegung im Raum an einem Gebiet nichts ändern kann, das Lot seine Lage zu der gedrehten Geraden nicht ändern, muß also ebenfalls gegen das andere Lot gedreht werden oder aus der parallelen Lage zu dem anderen in eine schiefe Lage kommen. Zwei Gerade, die nicht parallel sind, schneiden sich; denn zwei Gerade müssen nach dem Denkgesetz des ausgeschlossenen Dritten entweder parallel sein oder gegeneinander geneigt sein, sich nicht schneiden oder sich schneiden. Es folgt
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wieder ein negativer oder beschränkender Satz: zwei Gerade können sich nicht in zwei Punkten oder nur in einem Punkt schneiden. Dieser Satz enthält wieder zwei Sätze: zwei verschiedene Gerade können nur Punkte gemeinsam haben, da sie ihrem Begriff gemäß nur Punkte enthalten oder da das Subjekt der Bewegung, aus der sie entstehen, nur ein Punkt ist; und: sie können nur einen Punkt gemeinsam haben, weil sie als verschiedene Gerade, um sich schneiden, d. h. irgendwo zusammenfallen zu können, von verschiedenen Punkten aus sich einander nähern und, da sie ihrem Begriff nach ihre Richtung nicht ändern, nach dem Zusammenfallen sich ins Unendliche von einander entfernen müssen, also nicht ein zweites Mal miteinander zusammenfallen können. Der Schnittpunkt beider Lote ist also von der Lage beider Lote abhängig, die selbst von der Lage der Geraden, auf denen sie stehen, abhängig ist, und diese Lage ist abhängig von der der zwei Punktpaare AB und BC, da eine Gerade ihrer Lage nach von zweien ihrer Punkte abhängig, durch sie bestimmt ist. Der Schnittpunkt beider Lote muß endlich von den drei Punkten dieselbe Entfernung haben. Diese Entfernung ist durch die Lage des Schnittpunkts der Lote und den einen der gegebenen Punkte bestimmt; da bei der Drehung dieser Geraden um den Schnittpunkt der Lote diese Gerade wegen der gleichmäßigen Unbestimmtheit des Raumes gemäß dem Begriff des Raumes weder ihre Geradheit noch ihre Größe ändern kann, muß der freie Endpunkt der Drehlinie der Reihe nach durch die beiden anderen Punkte gehen, d. h. sie müssen gemäß dem Begriff des Kreises auf einem Kreis liegen. Man braucht also zur Begründung dieses Kreissatzes ausschließlich 1. die Definition geometrischer Begriffe, der Geraden, des Mittellotes, des Kreises, 2. den Zusammenhang der Anschauungen, aus denen die Begriffe gebildet sind, z. B. den Zusammenhang von Punkten und Linien: eine Linie ist durch zwei Punkte gegeben, den Zusammenhang der Geraden und der Entfernung: eine Gerade mißt die Entfernung zweier Punkte, und damit ihre eigene Größe oder Länge; 3. den Satz: der geometrische Raum ist in allen seinen Teilen gleichmäßig, unbestimmt und nur durch eine Operation des Geistes, durch diese aber immer bestimmbar, woraus folgt, daß ein geometrisches Gebilde im Raum verschiebbar ist, ohne seinen Charakter zu ändern, eine Gerade z. B. drehbar, ohne aufzuhören eine Gerade zu sein oder ihre Größe zu ändern. Diesen Satz als einfache nicht zu beweisende Tatsache der Selbstanschauung nennen wir das A x i o m der Geometrie. 4. den Grundsatz: aus Gleichem kann durch das Gleiche nichts Ungleiches hervorgehen: ein P o s t u l a t des Denkens. Die Frage also, wie ein Raumgebilde als abhängig von einem andern erkannt werden kann, fand die Antwort: weil alle Raumbegriffe von einander, z. B. von dem Begriff des Punktes der Begriff der Geraden, Diez, Sprechen, Denken und Erkennen.
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abhängen ; weil sie alle vom Begriff des Raumes oder dem Axiom abhängen, endlich, weil die Entstehung aller Raumbegriffe, ihre Verwirklichung, ihre Konstruktion unter der Denkforderung steht: aus Gleichem kann durch die gleiche Operation, oder allgemeiner: unter gleichen Bedingungen, nichts Ungleiches entstehen, einem Satz, der zuweilen auch die Form annehmen kann: aus Ungleichem kann durch die gleiche Operation nur wieder Ungleiches entstehen. 40. Das Axiom und das Postulat sind die unbedingte Voraussetzung aller geometrischen Erkenntnis. Sie liegen deswegen auch allen Beweisen der Gleichheitsgeometrie, also der euklidischen Geometrie, zugrunde, nicht nur in den allgemeinen Regeln: Gleiches zu Gleichem addiert, von Gleichem subtrahiert usw. gibt Gleiches, sondern auch in den fundamentalen Sätzen, die die Form, einer Beschränkung, ein „Nur" haben: zwischen zwei Punkten ist nur eine Gerade möglich oder: durch drei Punkte läßt sich nur ein Kreis legen, in einem Punkte einer Geraden läßt sich nur ein Lot errichten, oder in reinen Disjunktionen: Dreiecke müssen entweder — „können nur" — entweder rechtwinklig, spitzwinklig oder stumpfwinklig sein. Das Axiom: der Raum ist in allen seinen Teilen gleichmäßig, und das Postulat: aus Gleichem kann unter gleichen Bedingungen nur das Gleiche entstehen, tritt mit dem Anspruch vollkommener Allgemeingültigkeit auf; der letztere ist also ein philosophischer Satz, der nichts enthält als eine Forderung, die das Denken stellen m u ß , um seinen Zweck: Erkennen zu erreichen; er k a n n auf dem Gebiet der Geometrie oder Raumiehre angewendet werden, weil wir aus der Anschauung unserer selbst wissen, daß der Raum das vollkommen gleichmäßige ist, reiner Unterschied, reine bestimmungslose Quantität. Alle m a t h e m a t i s c h e Erkenntnis b e r u h t also auf e i n e m p h i l o s o p h i s c h e n S a t z , einem P o s t u l a t , und auf einem empirischen Satz, e i n e m A x i o m . Die Mathematik bedarf der Philosophie, um das volle Bewußtsein ihrer Notwendigkeit, der Allgemeingültigkeit ihrer Sätze und, wie wir sehen werden, der Grenzen ihrer Anwendbarkeit und ihres Rechtes zu bekommen, und sie bedarf der Erfahrung von dem, was in uns vorgeht, wenn wir den Begriff der Räumlichkeit bilden. Die Sätze der Mathematik werden begründet, wie alle Erkenntnis, gemäß einem vorher festgesetzten Begriff und gemäß der Natur des Denkens, also, zusammengefaßt, gemäß dem Vorausgesetzten. 41. Wenn nun schließlich die geometrische Erkenntnis immer auf dem Bewußtsein beruht, daß der Satz: der Raum ist in allen seinen Teilen gleichmäßig, so daß jedes geometrische Gebilde, das in verschiedene Teile des Raumes auf die gleiche Weise, durch dieselben apriorischen Begriffe und Maße konstruiert wird, vollkommen gleich wird, daß ein geometrisches Gebilde, im Raum verschobon oder gedreht,
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dadurch sein Wesen, seine Gestalt und seine Größe n i c h t verändert, daß es beliebig geteilt und wieder zusammengesetzt werden kann, ohne daß die Summe der Teile, der Rauminhalt sich verändert, so daß, was in den Raum auf gleiche Weise durch denselben Begriff hinein konstruiert wird, überall gleich oder kongruent ist, so bleibt uns noch die Frage übrig, wie denn ein solches A x i o m möglich ist. Die Antwort kann nur lauten: 1. weil der Raum, den wir in der Geometrie behandeln, gliedern und in einzelnen Gebilden abgrenzen, schneiden, bewegen, ein apriorisches Gebilde ist, dessen Wesen wir durch Selbstanschauung zum Bewußtsein bringen. Der Begriff des geometrischen Raumes entsteht, wenn wir von der erfahrbaren Körperlichkeit alle Sinnesqualitäten abziehen; dann bleiben nur noch die quantitativen Eigenschaften: kontinuierliche Ausdehnung, reiner Lageunterschied bei qualitativer Gleichartigkeit übrig. Im rein Quantitativen ist jeder Teil dem andern qualitativ gleich. 2. Weil das Problem, wie wir von dem Einen auf allgemeine Sätze kommen können, hier keine Rolle spielt, da wir es nur mit einer unendlichen Anschauung zu tun haben, oder, wie man das schon mit Recht ausgedrückt hat, weil die Anschauung des Raumes mit ihrem Begriff identisch ist, weil mit der Anschauung des Raumes ein sicherer Begriff des Raumes gegeben ist. Wo das nicht der Fall wäre, wäre ein Satz wie das genannte Postulat des Denkens: aus Gleichem unter gleichen Bedingungen das Gleiche, nicht anwendbar. Er setzt voraus, daß vorher die Gleichheit der Bedingungen, also hier die vollkommene Gleichmäßigkeit des Raumes, erkennbar ist. Die Geometrie hat also an ihrem Anfang als ihre allgemeine Voraussetzung den Begriff des Raumes als einer inneren Anschauung aufzustellen: der Raum ist, so wie er in d e r G e o m e t r i e b e h a n d e l t w i r d , das reine kontinuierliche, also lückenlose (innerlich unendliche) und unbegrenzte (äußerlich unendliche), qualitätslose Außereinander, das, was an den äußeren Dingen übrig bleibt, wenn wir alle sinnlichen Qualitäten abziehen, von allen sinnlichen Qualitäten abstrahieren. Der Punkt, das absolut Einfache, und die Unendlichkeit sind seine Grenzbegriffe, seine Gebilde werden in ihrer bestimmten Mannigfaltigkeit alle geschaffen, indem sich der Punkt in das Unendliche hineinbewegt. Die einheitliche, gesetzmäßige Bewegung ist das einzige Mittel, durch das der Punkt das geometrische Gebilde schafft: zunächst die Linie, dann durch Bewegung der Linie die Fläche, durch Bewegung der Fläche den unendlichen Raum selbst, durch Begrenzung der Linien und Flächen das einen Raum umschließende oder einschließende Gebilde von einer bestimmten Gestalt und Größe, durch die Einheitlichkeit der Bewegungsrichtung die Gerade und durch ihre Bewegung die Ebene usw. Man kann es als das zweite geometrische Axiom betrachten, daß der Raum nur durch die Konstruktion des Geistes, durch diese aber 10*
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d u r c h a u s zu einzelnen Gestalten bestimmbar ist; aber dieses zweite Axiom ist schon in dem ersten enthalten. Die Geometrie hat also eigentlich nur ein Axiom, das der unbedingten Gleichmäßigkeit des Raumes. Dieses Axiom ist der erfahrungsmäßige Grund der geometrischen Erkenntnis; erfahrungsmäßig, weil er auf der inneren Erfahrung beruht, wie wir den Begriff des Raumes bilden. — Diese Erfahrung hat für ihre Gültigkeit nur noch eine Voraussetzung: daß in allen Menschen die gleiche Natur ist, daß die Natur des Denkens in allen Menschen gleich ist, ein U r g l a u b e der M e n s c h h e i t , ohne den das Denken nicht m i t g e t e i l t werden könnte, also eine religiöse Voraussetzung. 42. Wie begründen wir nun philosophische Sätze, wie den Satz: aus Gleichem kann nur das Gleiche entstehen, oder: alles, was geschieht, hat seine Ursache ? Was den ersten Satz betrifft: zu allem Geschehen muß das Denken eine Ursache suchen, alles Geschehen muß als verursacht gedacht werden, so geht die Begründung wie bei mathematischen Sätzen von dem Begriff des Geschehens aus und will erhärten, daß alles Geschehen seinem Begriff nach ein v e r u r s a c h t e s sein muß. Nun ist das Geschehen seinem Begriff nach nichts als das Auftreten eines Neuen im Gegebenen, also eine Veränderung, ein Anderswerden des Gegebenen, und in diesem Begriff liegt nichts von einer Ursache! Um vom Geschehen zu der Ursache zu kommen, müssen wir also wieder heruntersteigen in die Anschauung, z u r ü c k k e h r e n zu der Anschauung, aus der der Begriff herausgewachsen ist, und sehen, ob in dieser Anschauung des Geschehens das Geschehen mit einem anderen begrifflich verbunden ist. Es kommt uns dabei zum Bewußtsein, daß die Veränderung die N e g a t i o n dessen ist, was wir im Begriff des Wesens denken, nämlich des Beharrens und der Identität im Sein, während doch dieses Beharren, diese Identität durch das Wesen des Denkens, die Natur des Begriffs, gefordert ist. Der Satz: das Wirkliche muß als ein beharrendes Wesen gedacht werden, setzt sich also der Tatsache der Veränderung entgegen, aber kann natürlich die Veränderung als eine gegebene, von der Tätigkeit des Subjekts unabhängige Tatsache nicht aufheben. Es muß also eine Formel gesucht werden, durch die sich der Widerspruch aufhebt und dafür ist nur eine Wendung möglich, daß die Veränderung selbst aus dem Wesen hervorgeht, gemäß einem beharrenden Wesen erfolgt. Das ergibt den Satz, der die eigentliche Bedeutung und den eigentlichen Sinn des Kausalgesetzes ausspricht: Alle Veränderungen des Wirklichen erfolgen gemäß dem Wesen des Wirklichen, oder haben ihren Grund in dem Wesen des Wirklichen. Nur noch eine Erkenntnis ist notwendig, um zu dem Begriff der Ursache zu gelangen: die Erkenntnis, daß es nicht das Wesen des Sichverändernden ist, aus dem die Ver-
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Änderung hervorgehen kann, denn Wesen ist eben das Unveränderliche; also muß es das Wesen eines andern sein, und dieses Wesen eines andern nennen wir die Ursache, d. h. die ursprüngliche Sache, aus der eine Veränderung gemäß i h r e m Wesen hervorgeht. Dies ergibt dann die ganz bestimmte Form des Kausalgesetzes: in allen V e r ä n d e r u n g e n des W i r k l i c h e n b e h a r r t das Wesen des W i r k l i c h e n u n d n u r sein Z u s t a n d v e r ä n d e r t sich. 3. Der Zusammenhang der Begriffe kommt also zum Bewußtsein durch eine Vergleichung dessen, was der Begriff tatsächlich leistet, mit dem was er meint, nämlich Ausdruck des Wirklichen, Konkreten zu sein. Es entsteht zunächst ein negativer Satz: der Begriff leistet nicht was er meint, und dann ein beschränkender Satz: er leistet es nur in einer neuen Form, die aus einer Vereinigung des positiven und negativen Satzes hervorgeht. Das ist es, was Hegel die innere Negativität des Begriffs oder der Vernunft genannt hat; und die Notwendigkeit des Zusammenhangs der Begriffe, des Übergangs von einem zum andern beruht ganz auf dieser Negativität, d. h. d a r a u f , daß der Begriff an seinem Zweck, Ausdruck des Wirklichen zu sein, gemessen und dadurch als ungenügend erkannt wird. Die Begriffe werden durch diesen Prozeß immer vermittelter, immer konkreter. Aber dieser Prozeß ist nicht ein progressus in infinitum, sondern er endet mit dem einzigen ganz konkreten Dasein, das uns gegeben ist, mit dem Begriff des individuellen Geistes. Am Ende des Prozesses kommt zutage, daß diese sich selbst setzenden Wirklichkeitsbegriffe nur die Mittel sind, durch die der Geist seiner selbst bewußt wird, oder die E l e m e n t e des S e l b s t b e w u ß t seins. 43. P h i l o s o p h i s c h e E r k e n n t n i s also ist dadurch möglich, daß jeder einzelne der sich selbst setzenden Begriffe sich als ein bloßes Element des Selbstbewußtseins erweist, das der andern bedarf, um wirklich Ausdruck des Selbstbewußtseins zu werden. Durch die Setzung des einen Begriffs, seine Negation vermittelst einer Kritik an dem einzigen Begriff der Wirklichkeit, der uns unmittelbar gegeben ist, unsere eigene Wirklichkeit oder die Wirklichkeit des Selbstbewußtseins, entsteht der Zusammenhang des Begriffs mit einem neuen Begriff, der konkreter ist und dem Wesen des Selbstbewußtseins näher kommt. Das ist hier das einzige Mittel, um mit Notwendigkeit von einem Begriff zum andern zu gelangen: die Messung des Begriffs an seinem Zweck, Ausdruck der Wirklichkeit zu sein. Hegel hat diese Erkenntnis verdunkelt durch den Schein einer S e l b s t b e w e g u n g des B e g r i f f » , eine Art von P e r s o n i f i k a t i o n des B e g r i f f s , und die damit zusammenhängende Vorstellung, als ob es ein rein logischer Prozeß wäre, durch den sich ein Begriff entwickelt. Auf rein logischem Wege bleibt der Begriff, was er ist, A = A; durch das bloße Denken kommt man
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nicht über den Begriff hinaus. Es ist dazu nötig, einmal die Selbstanschauung, die psychologische Erfahrung von dem, was in uns vorgeht, und sodann die K r i t i k des B e g r i f f s d u r c h s e i n e n Zweck. Nur durch den Zweck kann das qualitativ verschiedene als verbunden erkannt werden, wie wir gesehen haben. D a s D e n k e n der P h i l o s o p h i e , die M e t h o d e der P h i l o s o p h i e i s t a l s o t e l e o l o g i s c h : zum Zweck, das Wirkliche zu denken, sind diese und jene Begriffe notwendig und so und so miteinander verbunden: Wir denken in Begriffen; Begriffe zeichnen das in Zeit und Raum Identische, also das Beharrende, die Wirklichkeit ist das Sichverändernde, also muß, wenn der Begriff möglich sein soll, in der Veränderung selbst ein Beharrendes gefunden werden, ein B e g r i f f o d e r G e s e t z der V e r ä n d e r u n g . Dieses Gesetz, nachdem die Veränderung erfolgt, ist als W e s e n der Ursache zu denken. 44. Anders erfolgt die B e g r ü n d u n g des S a t z e s von der U r s a c h e in der z w e i t e n B e d e u t u n g , in der Bedeutung eines objektiven Gesetzes: Alles was geschieht, h a t seine Ursache. Der erste subjektive Satz hat die Form: Wenn Denken als Erkennen des Wirklichen möglich sein soll, so muß sich zu allem Geschehen eine Ursache finden lassen. Aber warum soll Denken im Sinne des Erkennens möglich sein ? Zum Objektiven, zu einer Behauptung über die von uns unabhängige Welt, können wir nur gelangen, wenn wir die Voraussetzung machen: nun soll denken als Erkennen möglich sein, oder: wir sind zum Denken b e s t i m m t . Dieser Satz, ein religiöser Satz, enthält die Voraussetzung für die objektive Wendung des Kausalgesetzes. Von diesem Zusammenhang, der ein Hinausgehen über das Denknotwendige enthält, wird später die Rede sein. 45. Zwei Sätze liegen noch in diesem Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Bedeutung der philosophischen Sätze begründet : die Philosophie für sich, als ein System des Denknotwendigen, ist nach der alten Wolfschen Definition nur eine Wissenschaft des Möglichen, und: i h r e M e t h o d e i s t d i a l e k t i s c h . Denn aus der obigen Begründung des subjektiven Satzes ergibt sich unvermeidlich: Alles Wirkliche läßt sich nur durch entgegengesetzte Bestimmungen erreichen. Denn jeder einzelne Begriff ist dem Wirklichen gegenüber von einer abstrakten Unendlichkeit, die die Bestimmtheit aufheben würde. Wir haben z. B. zunächst Grund zu sagen, weil die Materie raumerfüllend ist, so daß sie einer anderen Materie den Eintritt in ihren Raum verwehrt, muß sie durch eine sich in dem Raum ausdehnende, ihn durchdringende, Kraft gedacht werden. Aber eine solche Kraft, für sich und abstrakt gedacht, würde sich in der Unendlichkeit des Raums verlieren, sie würde keinen bestimmten konkreten Stoff ergeben. Es muß also eine entgegengesetzte Kraft gedacht werden, eine zusammenziehende Kraft, die
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sich der ausdehnenden in e i n e m b e s t i m m t e n M a ß e widersetzt: erst dadurch kann die Materie als ein konkretes Sein gedacht werden. Oder das Wirkliche wird zunächst als ein Sein gedacht; aber dieses Sein erweist sich als eine leere, ganz vom Geist gesetzte Abstraktion, die nichts Gegebenes enthält, sondern nur erst das Gegebensein ausdrückt. Es muß also an dem Wirklichen auch das Gegenteil vom Sein, das Nichtsein sein, und das Wirkliche muß ein Sein sein, dem auch das Nichtsein anhaftet, also ein begrenztes und dadurch bestimmtes Sein. 46. Aus diesen Beispielen ergibt sich nun die Art der Notwendigkeit, die in der philosophischen Erkenntnis wirksam ist. Die abstrakt allgemeine Kategorie, wird stets an der Wirklichkeit unseres eigenen Wesens gemessen, dann als einseitig und subjektiv erkannt; dadurch wird der entgegengesetzte Begriff als zur Bestimmung des Wirklichen notwendig erkannt und die w a h r e Wirklichkeit in einer Synthese beider Begriffe gefunden. Die philosophische Begründung geht also folgendermaßen vor sich: Mit jedem apriorischen Begriff A beabsichtigt der Geist das Wirkliche zu bestimmen. Nun zeigt ihm aber die Selbstanschauung der geistigen Wirklichkeit, daß zwischen dieser und dem Begriff eine Kluft ist, die zu dem Satz führt, die Wirklichkeit ist nicht A oder Non A, und da doch der erste Satz seine Berechtigung behält, muß logisch geschlossen werden, das Wirkliche sei die Synthese von A und Non A. Diese Synthese unterliegt dann, weil sie immer noch ein allgemeiner Begriff ist, demselben Prozesse, der so lange fortgehen muß, bis der Geist zu der einzigen Wirklichkeit gelangt, die ihm als konkretes Dasein gegeben ist, zu seiner eigenen Wirklichkeit. Auch hier also, wie in der Mathematik, geht der Geist vom Begriff aus; auch hier bemerkt er, daß der Begriff in einem Zusammenhang steht, dem Zusammenhang einer Anschauung, die mehr in ihn legt, als ursprünglich in ihm gesetzt ist, so daß man kraft des Begriffes zu einer neuen Anschauung übergeht. Aber in der philosophischen Erkenntnis ist diese neue Anschauung die der ersten einfach entgegengesetzte, welche die Funktion hat, die erste einzuschränken und dadurch konkreter und wirklicher zu machen. Der Satz, der sich aus dem Verfahren der Philosophie ergibt, lautet: Alles Wirkliche muß als Synthese von Entgegengesetztem gedacht werden, ein Satz, der unmittelbar einleuchtet. 47. Die Sätze der empirischen Erkenntnis zeigen endlich ein Doppelgesicht: sie entspringen aus philosophischen Sätzen und vollenden sich in mathematischen Sätzen, denn alles Wirkliche erweist sich als wirklich dadurch, daß es Maß und Zahl an sich hat, und erst, wenn auch ihr Zusammenhang erkannt ist, ist das W i r k l i c h e erklärt. 48. Fassen wir zusammen, was über die verschiedenen Zweige der Erkenntnis gesagt ist, so ergibt sich folgendes Resultat: Alle wirkliche Erkenntnis ist von dem Bewußtsein der Notwendigkeit begleitet,
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und sie ist synthetischer Art, spricht sich also aus in synthetischen Urteilen a priori. Ihre Absicht ist auf den Zusammenhang der Erscheinungen gerichtet und sucht die Notwendigkeit in diesem Zusammenhang der Erscheinungen. Notwendigkeit im Zusammenhang der Erscheinungen charakterisiert diese als einen Organismus. Erkenntnis geht also auf den organischen Zusammenhang der Erscheinungen, in dem diese als Mittel für den Zweck des Ganzen erscheinen. Da diese Organe zeitlich nacheinander auftreten, also das Wirkliche sich aus sich selbst entwickelt, so muß das Wirkliche als ein Sichselbstverwirklichen gedacht werden wie der Geist und das Subjekt dieser Selbstverwirklichung kann erst am Schluß erscheinen. Am S c h l u ß der N a t u r e n t w i c k l u n g e r s c h e i n t der G e i s t ; die N a t u r ist also S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g des Geistes. Am Schluß der Menschheitsentwicklung oder als Zweck des Menschen erscheint das Ideal. Die Weltgeschichte ist also die Geschichte des sichselbstverwirklichenden Ideals. Das sich selbst verwirklichende Ideal ist also der letzte Grund der Welt, das Unbedingte, Gott. Die G e s a m t h e i t des W i r k l i c h e n ist also die S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g G o t t e s , die ewige Selbstb e t ä t i g u n g der G o t t h e i t . Mit diesen Sätzen knüpfen wir an den ersten Ausgangspunkt an, den Satz: daß das Denken eine Verbindung von Anschauungen in der Form der Notwendigkeit ist, und ebenso an den ganzen Inhalt der erkenntnistheoretischen Ausführungen, die uns gezeigt haben, daß der Sinn alles Erkennens die Zurückführung der Erscheinung auf diejenigen Bestimmungen ist, die im Zweck des Geistes begründet sind, die apriorischen Bestimmungen, daß Erkenntnis also den Zweck hat, zum Bewußtsein zu bringen, daß das Wirkliche seinem Wesen nach Geist ist.
VI. DER LOGISCHE CHARAKTER DER DREI ERKENNTNISARTEN 49. Es bleibt uns noch übrig, das rein logische Element in den verschiedenen Erkenntnissen zu charakterisieren und auch hier nachzuweisen, daß sie den Kreis des Möglichen ausfüllen und so ein System bilden. Der m a t h e m a t i s c h e Begriff ist, wie wir sahen, als Begriff, die vollkommenste Verwirklichung der beiden ersten Eigenschaften, die ein Begriff haben muß, der D e u t l i c h k e i t und K l a r h e i t ; er ist von vorneherein auf apriorische Elemente, Einheit und Unterschied, begründet und ist Ausdruck eines ganz bestimmten unveränderlichen Wesens. Aber er erkauft diesen Vorzug mit seinem Mangel an Realität, er ist eine ganz willkürliche Konstruktion des Geistes und durchaus unwirklich. Punkt, Linie, Ebene, geometrische Körper ohne Gewicht
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und Masse existieren nicht in der Wirklichkeit. Umgekehrt ist der E r f a h r u n g s b e g r i f f , der nur das Gegebene setzen will, von vorneherein real. Er ist auch deutlich, da er eine Erscheinung so bestimmt, daß man sie erkennen und richtig bezeichnen kann. 50. Dieser Unterschied der Begriffe macht sich selbstverständlich auch in den U r t e i l e n bemerklich, die auf sie begründet werden. Das m a t h e m a t i s c h e U r t e i l , von einem festen und sicheren Begriff ausgehend, ist eben deshalb begrifflich. Das p h i l o s o p h i s c h e U r t e i l dagegen hat, wie die philosophischen Begriffe, einen Doppelcharakter. Der Satz: alles, was geschieht, hat seine Ursache, aus der es gesetzlich (gemäß einem Begriff) geschieht, hat ganz die Form eines hypothetischen und mit voller Betonung a l l g e m e i n e n U r t e i l s . Immer, wo ein Geschehen eintritt, ist auch eine Ursache eingetreten bzw. vorhergegangen. Der Satz erlaubt aber und hat von Haus aus eine andere Form. Er lautet als Satz über das Selbstbewußtsein, was er an sich ist: das Geschehende ist ein Verursachtes oder muß als ein Verursachtes gedacht werden. I n d i e s e r F o r m i s t er k e i n h y p o t h e t i s c h e r , s o n d e r n e i n i d e n t i s c h e r S a t z : Der Begriff des Geschehens ist gleichzusetzen dem Begriff des Verursachten, bedeutet, v o l l gedacht, das Verursachte. Er verknüpft also zwei B e g r i f f e : Man kann deswegen die philosophischen Sätze umdrehen. Das Schöne ist das Wahre in seiner Erscheinung, das Wahre, soferne es erscheint, ist auch schön. Der erste Ausdruck bedeutet, wie das mathematische Urteil, ein Begriffsurteil, der zweite besagt, daß mit der Erscheinung des Wahren, wenn diese Erscheinung in Existenz tritt, auch der Eindruck des Schönen eintritt oder in Existenz tritt. 51. Allein damit ist noch nicht der wesentliche Charakter des philosophischen Urteils ausgesprochen; diesen bekommen wir erst, wenn wir die M o d a l i t ä t der Urteile in Betracht ziehen. Das mathematische Urteil als Urteil über eine bloße Tatsache des Bewußtseins — der Raum ist so und so beschaffen — von der die Mathematik keineswegs in Betracht zieht, ob sie notwendig ist, sondern die sie einfach als gegeben nimmt, ist assertorisch, es behauptet schlechtweg die Verhältnisse der Anschauung als eine gegebene Tatsache. Da es aber der Wirklichkeit gegenüber eine bloße Forderung ist, so bedarf es der Bestätigung durch die Erfahrung: die ganze Erfahrungserkenntnis ist eine Probe für die Richtigkeit der apriorischen Gesetze. Es ist also (da in der Wissenschaft doch immer gedacht werden soll) die absolute Voraussetzung aller Wissenschaft, der einzige Quell, aus dem eine Erkenntnis überhaupt fließen kann. Dies zeigt sich, wenn wir nun zu den Schlußarten in den verschiedenen Formen der Erkenntnis übergehen. 52. Ehe wir das tun können, muß einiges Allgemeine über den S c h l u ß vorangeschickt werden.
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Wir sahen, daß jedes zum vollen Bewußtsein gekommene Urteil auf einem Schluß beruht, der den Grund für das Urteil enthält. Zwar beruht die Wirklichkeit aller Erkenntnis durchaus auf dem Gegebensein der im Urteil zum Bewußtsein gebrachten Verbindung, und der Grund bringt nur ihre Wahrheit, d. h. den im Urteil liegenden Zwang des Denkens zum Bewußtsein, die richtige, durch die Natur des Denkens selbst gegebene Einordnung in die Setzungen des Denkens. Aber dieses Bewußtsein der Notwendigkeit ist nur durch einen Schluß möglich. Der Schluß ist also die eigentliche Form der Erkenntnis, und man begreift deswegen, wenn Hegel sagt: a l l e s V e r n ü n f t i g e ist ein S c h l u ß . Er faßt Begriff und Urteil zusammen; ist der Begriff der Ausdruck einer Setzung des Geistes, das Urteil der Ausdruck eines Gegebenen, so ist das Gegebene im Schlußurteil ein gemäß der Natur des Geistes Gesetztes, also auch ein durch die Natur des Geistes — unter gewissen Voraussetzungen — Gegebenes. Trotzdem wissen wir alle, daß ein richtiger Schluß keine Gewähr für die Richtigkeit des Schlußsatzes bietet, daß diese vielmehr auch von der Richtigkeit der Prämissen abhängt. Wären nun diese selbst Urteile, so würden wir in einen schlimmen Zirkel geraten, da sie wiederum einen Schluß, dieser wiederum Urteile, diese wiederum Schlüsse voraussetzen würden, so daß also eine wirkliche Erkenntnis nicht zu erreichen wäre. Die Prämissen der eigentlichen Schlüsse können also keine Urteile, sondern nur Sätze sein, d. h. Behauptungen, die eines Beweises nicht bedürfen. Bringen wir das Denkgesetz, dem gemäß geschlossen wird, auch noch zum Bewußtsein, so gestaltet sich die Urform eines gültigen Schlusses folgendermaßen: I. a (diese subjektive Anschauung) nenne ich A. Nun ist I I . a hier gegeben (als subjektive Anschauung des individuellen Ich). I I I . Wo a (die Anschauung) gegeben ist, muß A der Begriff, als gegeben bezeichnet werden (Identitätsgesetz). IV. Also muß A (diese Setzung, dieser Begriff) hier als gegeben gesetzt werden. 53. Wie aber ist das nun bei jenen Urteilen der M a t h e m a t i k usw., die ihrem Wesen nach synthetisch sind? Es kann auch hier nicht anders sein, denn entweder wird ein mathematischer Satz aus einem andern abgeleitet, wobei dann ein einfacher Subsumtionsschluß nach dem Grundsatz: was von dem Allgemeinen gilt, gilt auch von dem besonderen, d. h. ebenfalls nach dem Identitätsgesetz", vorliegt. Oder wir haben es mit einem der Ursätze der Mathematik zu tun, die keines andern eigentlich mathematischen Satzes zu ihrer Begründung bedürfen. Beide Fälle kommen uns zum Bewußtsein, wenn wir so einen einfachen Satz nehmen, wie: Scheitelwinkel sind einander gleich, den wir so formulieren können: Dreht man
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eine Gerade um einen ihrer Punkte, so bildet die gedrehte Gerade mit der ursprünglichen Geraden nach den entgegengesetzten Erstreckungen der Geraden und der Ebene denselben Winkel. Dieser Satz setzt einen noch einfacheren voraus: Die Gerade verhält sich zu beiden Erstrekkungen der Ebene, in der sie liegt, gleichmäßig. Der letztere Satz wird folgendermaßen begründet: I. Die Gerade ist in allen ihren Teilen gleichmäßig oder in sich kongruent (ihrem Begriff nach). I I . Die Ebene ist in allen Teilen in sich gleichmäßig oder kongruent. I I I . Aus Gleichem kann durch das Gleiche nur das Gleiche entstehen. IV. Also kann durch eine Drehung der Geraden um einen ihrer Punkte auf den verschiedenen Seiten der Geraden und der Ebene nur das Gleiche entstehen. Es folgt nun die Subsumtion des Scheitelwinkels unter den Begriff der gedachten Geraden: V. Scheitelwinkel entstehen ihrem Begriff nach durch die Drehung einer Geraden um einen Punkt nach entgegengesetzten Erstreckungen der Geraden und der Ebene. VI. Also sind Scheitelwinkel einander gleich. Auch hier haben wir es nur mit subjektiven Tatbeständen zu tun, mit Definitionen freier Setzungen des Geistes, und dem Denkgesetz als subjektiver Forderung an das Denken, endlich mit dem Satz, der eine einfache Tatsache der Anschauung enthält: Daß der Raum, in dem die Gerade bewegt wird, in allen Teilen gleichmäßig und in sich kongruent ist. Nur Ein Urteil ist unter den Prämissen: Aus Gleichem kann durch das Gleiche nur das Gleiche entstehen. Auch dieser Satz ist von Haus aus nur eine subjektive Denkforderung; halte das Wesen in seinen Wirkungen unbedingt fest. Er hat aber eine objektive Wendung bekommen : A = A oder das Wesen bleibt sich selbst gleich. In dieser Form bedarf er einer Begründung. Er ist ein philosophischer Satz und folglich bedarf jeder mathematische Satz, um in seinem R e c h t vollkommen zum Bewußtsein zu kommen, einer Begründung durch die Philosophie. 54. Betrachten wir ein Urteil der E r f a h r u n g s w i s s e n s c h a f t , z. B. den Satz: Chemische Elemente verbinden sich mit anderen chemischen Elementen immer in bestimmten Gewichtsverhältnissen. So ausgesprochen als allgemeiner Satz ist der Satz zweifellos ein Urteil, das eine Begründung verlangt. Er ist kein Urteil, solange die innere und äußere Anschauung, auf der er beruht, g e n a u ausgesprochen ist, z. B . wenn ich sage: I c h f a n d s t e t s , daß bei der Zerlegung des Wassers in seine Elemente zwei Gewichtsteile Wasserstoff und ein Gewichtsteil Sauerstoff entstanden. Auch dann ist er noch kein Urteil,
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sondern ein bloßer Satz, wenn ich, ihn erweiternd, sage: alle, die das Wasser und andere chemische Verbindungen zerlegt haben, fanden ein bestimmtes, sich gleich bleibendes Gewichtsverhältnis der verbundenen Stoffe. Aber wenn ich über die Konstatierung des subjektiven Tatbestandes hinausgehe und ein objektives Gesetz daraus mache: chemische Elemente verbinden sich mit einander immer und wesentlich nach gleichbleibenden Gewichtsverhältnissen, so habe ich von vielen subjektiven Beobachtungen aus einen Schluß auf den objektiven Tatbestand gemacht, und zu diesem Schluß muß ich einen Rechtsgrund haben. Dieser Rechtsgrund ist nicht logischer Art, wie man schon längst erkannt hat, d. h. er beruht nicht auf dem Bewußtsein der vollzogenen Benennung oder auf dem Satz: das Denken muß in Ubereinstimmung mit seinen Benennungen bleiben. Man kann aus 1000 Fällen, in denen ein Zusammenhang beobachtet ist, logisch in keiner Weise schließen, daß der Zusammenhang im nächsten Falle derselbe sein werde, wenn man nicht den allgemeinen Satz einschiebt: unter gleichen Bedingungen entsteht in der Natur immer das Gleiche. Dadurch entsteht der Satz: es liegt im W e s e n der chemischen Elemente, daß sie sich mit den anderen immer in einem bestimmten Volumverhältnis vereinigen. So gestaltet sich der Schluß, durch den ein empirisches Urteil zustandekommt, folgendermaßen: I. In allen Beobachtungen ergab sich der subjektive Tatbestand, daß unter den gegebenen Bedingungen A mit B verbunden war. II. Was in allen Beobachtungen einer Erscheinung identisch ist, nennen wir des Wesen der Erscheinung. I I I . Aus demselben Wesen kann nach der Denkforderung: aus Gleichem nur Gleiches, nur das Gleiche hervorgehen. IV. Also sind A und B immer und wesentlich mit einander verbunden. Man sieht, daß die Prämissen lauter subjektive Tatbestände enthalten, I. einen Tatbestand der individuellen Subjekte, II. als Benennung einen Tatbestand des allgemeinen Subjekts. Sie sind also Sätze, keine Urteile. In Satz I I I steckt eine weitere subjektive Voraussetzung des Schlusses, der philosophische Satz: aus Gleichem kann nur Gleiches hervorgehen. Dieser Satz ist zunächst nur eine D e n k f o r derung. Wir müssen sehen, wie er begründet wird, als objektiver Satz, als ein Gesetz der Wirklichkeit. Also zeigt sich auch in der Erfahrungserkenntnis ein philosophisches Urteil als eine der Prämissen, und wir müssen sehen, wie philosophische Urteile begründet werden. 55. D e r p h i l o s o p h i s c h e S a t z : aus G l e i c h e m k a n n u n t e r d e n s e l b e n B e d i n g u n g e n n u r das G l e i c h e h e r v o r g e h e n , ist als allgemein gültiger Satz, wie wir sahen, nur eine F o r d e r u n g mit dem Sinn: wenn Denken sein soll, so muß aus gleichen Bedingungen das Gleiche hervorgehen. In dieser Form einer subjektiven Forderung, eines Postulates des Denkens, wird der Satz folgendermaßen begründet:
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I. durch einen Begriff, also eine Setzung des Denkens, kann nichts anderes gedacht werden als eine und dieselbe Verbindung von Anschauungen. Dies ist das u r s p r ü n g l i c h e D e n k g e s e t z : A (als Begriff) = a (als Anschauung): Der Begriff muß immer mit der Anschauung, die durch ihn gesetzt worden ist, verbunden bleiben. Es ist ein logisches Gesetz, das nichts als das tatsächliche psychologische Wesen des Denkens beschreibt, und enthält nur die selbstverständliche Forderung, daß das Denken seiner Natur gemäß verfahren muß. Einen solchen Satz weiter zu begründen, ist unmöglich, da er nur durch sich selbst begründet werden könnte, oder da jede Begründung ihn selbst voraussetzt. II. Unter den B e d i n g u n g e n eines Daseins verstehe ich das Dasein, durch dessen Denken ich gezwungen bin, ein anderes Dasein als gegeben zu denken. Dies ist eine bloße Definition, also ein subjektiver Tatbestand, der keinem Zweifel begegnen kann. Einem Zweifel begegnen könnte nur die Behauptung, daß es für jedes Dasein ein anderes g i b t , durch dessen Denken ich gezwungen bin, das erste zu denken. Durch diese Behauptung würde ich aus der subjektiven Denkforderung ein objektives Gesetz machen, ein Gesetz der Wirklichkeit, über die ich vom bloßen Denken aus nichts aussagen kann. III. Aus einem Begriff kann kein Dasein gefolgert werden als die in ihm gegebene Anschauung, aus demselben Begriff also nur dieselbe Anschauung. IV. Also kann ich aus gleichen Bedingungen immer nur das Gleiche folgern. Eine philosophische Begründung kann also keine andere Voraussetzung mehr haben als das Denkgesetz, und dieses keine andere Voraussetzung als das Denken. Es war also ganz richtig gedacht, wenn Descartes die Philosophie mit dem Satz begann: ich denke. Dies ist die absolute und unaufhebbare Voraussetzung alles Denkens. Man kann sie auch in einen Befehl umwandeln: denke! Aber dies bedeutet keinen Unterschied. Denn Voraussetzung der Philosophie wird der Befehl nur, wenn ihm die Antwort wird: Nun gut, ich denke, und die Gegenantwort: denkst du, so mußt du so denken. Über die Selbstanschauung des Denkens als letzte und zwar psychologische Voraussetzung des Denkens kommt keine Philosophie hinaus. 56. Nun wird freilich der Satz: aus gleichen Bedingungen kann nur das Gleiche hervorgehen, nicht als bloße Denkforderung aufgestellt, sondern als ein Gesetz der Wirklichkeit gedacht. In dieser Form muß an die Spitze der philosophischen Sätze statt des „ich denke" der Satz gestellt werden: ich muß denken, im Sinn von: ich bin b e s t i m m t zu denken, Denken ist einer der wesentlichen Zwecke des Menschen oder ein I d e a l des Menschen. Damit wird das Denken aus dem
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Reiche der subjektiven Willkür herausgehoben und als ein durch die Natur dem Menschen auferlegter Zweck, demgemäß als ein Stück der objektiven Wirklichkeit aufgefaßt: ich bin zum Denken durch die objektive Wirklichkeit bestimmt. Dieser Satz kann nur als wahr eingesehen werden, wenn wir in die Prämissen des Schlusses den Satz einfügen: D e r G e i s t i s t der Z w e c k d e r W e l t , die Verwirklichung des Geistes in seinem Denken, Fühlen, Wollen ist der Sinn der Welt. D i e s e r S a t z e n t h ä l t die r e l i g i ö s e V o r a u s s e t z u n g aller W i s s e n s c h a f t . Gilt er nicht, so haben wir nicht den geringsten Grund zu hoffen, daß die subjektiven Regeln des Denkens und das auf ihnen beruhende Denken uns einen Einblick in das wahre Wesen der Welt geben. Um also aus den Sätzen, in denen wir Denkforderungen aussprechen, Gesetze der Wirklichkeit zu machen, müssen wir uns zum Bewußtsein bringen, daß alle Erkenntnis die Voraussetzung h a t : w e n n D e n k e n E r k e n n e n s e i n s o l l , BO muß die Sache so oder so gedacht werden. Darauf muß dann der religiöse Satz folgen: Nun s o l l D e n k e n E r k e n n e n s e i n . Dann verwandelt sich die Folgerung, die Sache muß so und so gedacht werden, in die andere: sie muß so und so s e i n . So lange die Philosophie ganz in ihrem eigenen Gebiet, im Gebiet der logischen Folgerungen, bleibt, entwickelt sie nur das System des Möglichen oder des Denkbaren. Erst wenn sie die religiöse Voraussetzung hinzunimmt, entwickelt sie das System des Wirklichen. Dies ist das Wahre in der letzten Entwicklung der Schellingschen Philosophie. Es ist negative Philosophie, wenn gesagt wird: anders kann die Welt nicht gedacht werden, es ist positive Philosophie, wenn gesagt wird: so muß sie sein. 57. Kant hat bekanntlich die Objektivität dieser apriorischen Sätze, z. B. des Kausalgesetzes, auf andere Weise zu begründen gesucht, indem er die Regel angab, daß solche apriorischen Synthesen als Naturgesetze erkannt werden können, sofern sie als Bedingungen einer möglichen Erfahrung zum Bewußtsein kommen können. Und so hat er z. B. den Versuch gemacht, zu zeigen, daß das Kausalgesetz in der Wirklichkeit gelten müsse, weil ohne das Kausalgesetz das Geschehen überhaupt nicht als Geschehen erfahren werden könne. An dieser Stelle steckt der fundamentale Irrtum der Kantischen Philosophie, der zur Folge hatte, daß Kant die größte und intensivste Einheit, die es gibt, die Vernunft des Menschen, in zwei Teile auseinanderreißen mußte, die sie zur Bürgerin zweier Welten machten, die sie nach der einen Seite erkennen ließen, was sie nach der anderen nicht erkennen kann. Nicht etwa so, wie wir alle im Menschen ein sinnlich-natürliches Wesen und ein vernünftig-geistiges Wesen unterscheiden; sondern i n n e r h a l b der V e r n u n f t selbst sollte eine theoretische und eine praktische Vernunft mit ganz verschiedenen Tätigkeitsformen vorhanden sein. Schon Hegel hat gesehen und gesagt, daß dies das Ungeheuerlichste v
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ist, was je der menschlichen Vernunft zugemutet wurde. In der Überwindung dieses Gedankens liegt der eigentliche Fortschritt, der über Kant hinaus möglich und notwendig ist, um endlich in das Bewußtsein des Menschen wieder die lang ersehnte Einheit zu bringen und den Menschen von einem Zustand zu befreien, in dem er als religiöser und sittlicher Mensch etwas glauben soll, was ihm nach seiner theoretischen Seite ewig fremd bleiben muß. Diesem grausamen Dualismus gegenüber muß einerseits gezeigt werden, daß die Postulate der praktischen Vernunft, Gott Freiheit und Unsterblichkeit, kein Heimatrecht im Geist des Menschen hätten und keine dauernde Überzeugung des Menschengeschlechts bilden könnten, wenn sie nicht ebensoviel theoretisches Recht als praktische Bedeutung hätten; anderseits, daß jedes einfache Seinsurteil, sofern es als begründet und notwendig zum Bewußtsein kommen kann, an sich ebenso gut einen bloßen Wert ausdrückt, den das Gedachte für den Menschen hat, oder ein W e r t u r t e i l ist, wie die Anerkennung des Guten als eines Gesetzes der Menschheitsentwicklung. Beide haben in gleicher Weise die religiöse Voraussetzung. Schon Cartesius hat ganz richtig gesehen, daß ohne diese nicht einmal die Behauptung, daß unseren Vorstellungen eine Wirklichkeit entspricht, mit Grund aufgestellt werden könne. Der Geschichtsschreiber des Materialismus F. A. L a n g e und nach ihm noch viel bestimmter Vaih i n g e r in der Als-ob-Philosophie haben zum Bewußtsein gebracht, daß ohne die religiöse Voraussetzung die Idee der Wahrheit, das Streben, durch unser Denken zum Wesen der Dinge zu gelangen, vollständig in der Luft steht, und daß diese Begriffe ohne jene Voraussetzung nur Fiktionen sind, entsprungen aus dem Verlangen eine gewisse Harmonie und Ordnung in unser Bewußtsein und damit ein subjektives Wohlgefühl zu erreichen. In der Tat, es ist eine der einfachsten Wahrheiten, die dem philosophierenden Denken ebenso wie dem populären Bewußtsein einleuchtet, daß unsere Hoffnung, mit Fragen nach dem Wesen der Dinge, nach dem Wesen des Lichts, der Seele, des Geistes irgend etwas von der Realität der Welt erfassen zu können, von der Überzeugung abhängt, daß wir zu diesen Fragen durch dieselbe Wirklichkeit bestimmt sind, die die Planeten zwingt, in Ellipsen um die Sonne zu kreisen, d. h. durch den Grund der Welt, oder daß der Zweck des Menschen, Wahrheit zu suchen und zu erkennen, in dem Grund der Welt angelegt ist. 58. Hier enthüllt sich nun also der Weg, auf dem wir zu der z w e i t e n S y n t h e s i s in den philosophischen Begriffen, zur Objektivierung der philosophischen Sätze kommen. Zunächst kann alle Notwendigkeit nur als Denkforderung zum Bewußtsein kommen und erkannt werden. Setze A = a. Daraus folgt: wenn das Denken als Erkennen möglich sein, das Selbstbewußtsein wirklich werden soll, so muß A = a
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b l e i b e n , oder a muß in seinem Wesen beharren. Will ich nun zu dem Satz kommen, das Wesen beharrt, so muß ich fortfahren: nun soll Denken als Erkennen möglich sein, d. h. Denken ist einer der wesentlichen Zwecke der Welt, — ein religiöser Satz, beruhend auf einem Urteil des Menschen über den Wert des Geistes; also gibt es in der Welt ein beharrendes Wesen. Es ist also jeder einzelne Akt des wissenschaftlichen Denkens, in dem es gelingt, ein beharrendes Wesen festzustellen, ein Beweis dafür, daß die Welt auf den Zweck des Denkens geschaffen ist, oder ein Beweis für die religiöse Voraussetzung; und das ganze Unternehmen der Wissenschaft, die Welt auf die apriorischen Elemente, d. h. die Elemente, die den Geist konstruieren, zurückzuführen, hat nur einen Sinn unter der religiösen Voraussetzung. Andernfalls haben wir nicht die geringste Garantie dafür, daß wir mit unsern Konstruktionen, z. B. mit der ganzen Umdeutung des Qualitativen ins Quantitative, nicht bloß leeren Phantasien nachjagen oder rein bloß für das praktische Bedürfnis arbeiten, statt dem Wesen der Dinge näher zu kommen. 59. Diese wahren Prämissen der Schlußsätze in den verschiedenen Weisen der Erkenntnis bringen zum Bewußtsein, welch ein müßiges Spiel die Regeln der formalen Logik über die möglichen Schlüsse aus den verschiedenen allgemeinen und partikularen, positiven und negativen Prämissen sind: dennoch ist es von Wert, sich wenigstens zum Bewußtsein zu bringen, zu welchen allgemeinen und p o s i t i v e n Schlußsätzen die verschiedene Stellung des Mittelbegriffs führen kann, wenn man die eben entwickelten wahren Prämissen der Schlußsätze zu Hilfe nimmt. Der gewöhnliche Schluß: alle Menschen sind sterblich, Cajus ist ein Mensch, also ist Gajus sterblich, enthält einen offenbaren logischen Fehler, da der Satz: alle Menschen sind sterblich, den Schlußsatz: Cajus ist sterblich, schon voraussetzt, Man muß der ersten Prämisse also die Form geben: der Mensch ist seinem Begriff nach sterblich (z. B. als organisches Wesen), dann schließt er vom Allgemeinen, Begrifflichen auf das Besondere, das Anschauliche, und ist die normale Form der D e d u k t i o n . Verändert man die Stellung der Prämissen M — P, S — M, also S P so, daß der Mittelbegriff beide Male Prädikat wird, so führt der Schluß nur zu einem negativ allgemeinen Schlußsatz: alle S sind M, kein P ist M, also kein S — P, und kann durch die immer mögliche Umdrehung der negativen Prämisse auf die erste Schlußfigur zurückgeführt werden. Alle S sind M, kein M ist P, also ist kein S P. Die p o s i t i v e Folgerung, die aus der zweiten Stellung des Mittelbegriffs gezogen werden kann: alle S sind M, alle P sind M, ist nur, daß in S und P irgend ein gemeinsames Wesen steckt, daß sie etwa zu einer und derselben Gattung gehören oder denselben Ursprung haben. Das ist das Verfahren der Erfahrungswissenschaft, so wie die erste Schluß-
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figur der normale Schluß der Mathematik ist, der Schluß der I n d u k t i o n , sowie der erste der der Deduktion. So schließen wir z. B. aus der Beobachtung, daß Sonne, Erde und Mond sich von Westen nach Osten bewegen, daß sie aus einem zusammenhängenden rotierenden Nebelball entstanden sind u. s. f. Die dritte mögliche Stellung der Prämissen, in der der Mittelbegriff beide Male Subjekt ist: Alle M sind S, alle M sind P, also S — P ergibt die philosophische Schlußart. Wenn die Menschen sowohl denkende als sprachbegabte Wesen sind, so schließt man daraus, daß Denken und Sprachbegabung zum Zweck des Menschen zusammenwirken: S und P sind im Zweck des Menschen verbunden. 60. Es gibt indes noch eine andere Art von synthetischen Sätzen, deren Gewißheit dieselbe Art hat, wie die bisher besprochenen. Die oben aus dem Denkgesetz entwickelten Sätze z. B. zwei Begriffe, die koordiniert unter einen dritten fallen, schließen sich aus; oder die Sätze: ein Begriff muß einen andern entweder einschließen oder umschließen, oder ausschließen; ein allgemeiner Satz wird durch Umstellung von Subjekt und Prädikat zu einem partikularen Satz; der Schlußsatz folgt in seinem Charakter der schwächeren Prämisse, haben das Gemeinsame, daß sie alle auf der Anschauung quantitativer Verhältnisse beruhen. Sie können deswegen alle durch räumliche Bilder veranschaulicht werden, wie die Sätze der Algebra: man denke nur an die Kreise, durch welche wir die Schlußfiguren anschaulich machen. Soweit die Logik es mit solchen Sätzen zu tun hat, ist sie f o r m a l e Logik und diese ist also ein weiteres Gebiet, auf dem synthetische Sätze von allgemeiner Bedeutung möglich sind, die unmittelbar auf Selbstanschauung beruhen und also die Gewißheit der einfachen Tatsächlichkeit haben. Die formale Logik, die in diesem Sinn durchaus festzuhalten und scharf von einer philosophischen oder erkenntnistheoretischen Logik abzugrenzen ist, die ohne Vermischung ganz verschiedener Erkenntnisarten in keiner Weise zu erweitern ist, hat also mit den bisher besprochenen Erkenntnissen, den arithmetischen, algebraischen und geometrischen einerseits, denen der reinen Mechanik anderseits, denselben Gewißheitscharakter: n a c h der im D e n k o r g a n i s m u s t a t s ä c h l i c h g e g e b e n e n Ans c h a u u n g der Begriffsbildung ist das so und so. Dies ist genau, wie es in der Geometrie heißt: nach der tatsächlich im Bewußtsein gegebenen Natur des Raumes ist das so und so. Und sie hat diese Art von Gewißheit aus demselben Grund wie die Mathematik und Mechanik, weil es sich in ihr ebenfalls ausschließlich um quantitative Verhältnisse handelt. Alle logischen Sätze beruhen auf dem Begriff des Ganzen und seiner Teile, wobei das Ganze der Begriff und die Teile die in seinen Umfang fallenden untergeordneten Begriffe sind. 61. Wir wollen nun alle diese Erkenntnisarten, die logische, mathematische (arithmetische, algebraische und geometrische) und D i e z , Spreeben, Denken und Erkennen.
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endlich die der reinen Mechanik unter dem allgemeinen Namen der m a t h e m a t i s c h e n E r k e n n t n i s zusammenfassen, einem Namen, der vortrefflich paßt, weil es sich dabei überall um Erkenntnisse handelt, die im eigentlichen Sinn g e l e r n t werden können, d. h. nichts voraussetzen als unsere Denkorganisation selbst. In diesem Sinne aufgefaßt, entwickelt sich die mathematische Erkenntnis, sowie wir sie bis jetzt erkannt haben, so: Der Satz: aus Gleichem entsteht unter den gleichen Bedingungen das Gleiche, versteht, unter den gleichen Bedingungen, in der Logik die sich gleichbleibende Struktur unserer Begriffe, in der A r i t h m e t i k die sich in allen Teilen gleichbleibende Struktur unseres Zahlensystems, in der A l g e b r a die der Größe, in der G e o m e t r i e die des Raums und der gleichmäßigen Bewegung des Punktes im Raum, in der M e c h a n i k die des gleichmäßigen Wirkens im Raum. Hiernach ändert das Axiom seinen Inhalt; aber sein erkenntnistheoretischer Charakter ist immer die Aussage über eine in der Selbstanschauung gegebe Tatsächlichkeit, deren Geltung unmittelbar (ohne Beweis) als allgemein zum Bewußtsein kommt. Nun erst kann eingesehen werden, wie jede empirische Erkenntnis sich in einer mathematischen vollendet. Denn wenn ich z. B. die französische Revolution erklären will, so spielen die im engeren Sinn mathematischen Erwägungen zwar auch eine Rolle: z. B. ist es gewiß nicht ohne Bedeutung, wenn ich beobachte, daß dem Bauern von drei Garben nur eine übrig blieb oder daß */» sämtlicher Staatseinkünfte für den Hof verbraucht wurde, aber aus solchen Erwägungen heraus wird die französische Revolution nicht als notwendig erkannt. In der Tat wurden ja diese Zustände mehr als hundert Jahre lang ertragen, ehe die Revolution eintrat. Um zu erklären, wie diese geworden ist, brauche ich z. B. die Antwort auf die Frage, wie es gekommen ist, daß man die allgemeinen Stände einberief, und diese kann nur aus logischen Erwägungen der Regierenden hervorgehen, also aus Erwägungen, die den logischen Gesetzen folgten. Hier ist also nicht die Mathematik im engeren Sinn, sondern nur die Logik das Mittel der Erklärung. Ebenso ist es, wenn ich z. B. schließe: diese Tat kann nur von einem Wahnsinnigen begangen sein. Hier liegt der Gedankengang zugrunde: der normale Mensch handelt gemäß dem Begriffe des vernünftigen Menschen sinnvoll und zweckmäßig. Die vorliegende Tat ist aber im höchsten Maße sinnlos, sie kann also nicht aus einem normal menschlichen Bewußtsein hervorgegangen sein. Dabei ruht der Schluß auf einer Reihe von einfach logischen Sätzen, z. B. was nicht normal ist, das ist abnorm. Ein Mensch, der seinen gesunden Verstand hat, handelt seinem Begriff nach verständig, d. h. zweckmäßig u. s. f. Das ganze S y s t e m der S ä t z e der M a t h e m a t i k im weiteren S i n n , also der r e i n e n Logik, der r e i n e n G r ö ß e n -
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l e h r e und der r e i n e n M e c h a n i k k a n n und m u ß also als ein S y s t e m von aus der N a t u r des G e i s t e s h e r v o r g e g a n g e n e n Normen a n g e s e h e n w e r d e n , deren A n w e n d b a r k e i t auf das G e g e b e n e b e w e i s t , daß die N a t u r den G e s e t z e n und Z w e c k e n des G e i s t e s g e h o r c h t oder d a ß der G e i s t das W e s e n in der N a t u r b e d e u t e t .
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PERSONENVERZEICHNIS Archimedes 107. Aristoteles 19, 53, 109. Augustin 117 f. Bacon 109, 113. Böhme 118. Comte 81. Descartes 48, 109, 111, 128, 159. Eleaten 54. Fichte 111. Galilei 107.
K a n t 17, 25, 27, 30, 41,109, 118,128, 158. Lange 159. Leibniz 90,109. Locke 25, 113. Mach 88. Mill 61. Planck 45, 55, 70, 96 f„ 118. Plato 57, 109, 128. Schelling 53, 56, 73, 118, 158. Schopenhauer 72. Sokrates 109. Spinoza 109.
Hegel 21 f., 30, 38, 41, 53, 56, 59, 64, 74, 109, 111, 113, 124, 149, 154, 158. Herbart 90. Heron 107. Hume 19, 75, 113.
Vaihinger 159.
Indische Philosophie 54.
Wolff 150.
Ulrici 41.
SACHVERZEICHNIS aktiv und passiv (grammatisch) 29. A l l g e m e i n h e i t 36f., 45ff., 56f., 68. — u. Identität 38f. — u. Besonderheit (s. d.) 66 f. Allgemeinvorstellungen 16 f. analytische Urteile 43 f., 128. Anschauung 19, 24 f., 76. Ansichsein 49, 59. a p r i o r i 67 f., 85 f., 106, 113 f., 129 f., 134, 151, 160. Art 47, 57. Ästhetik 121. Äther 93. Äußeres und Inneres 49 f., 60. Axiome und Pestulate 145 f. Bedingung 48. begreifen 82. Begriff 22, 64, 124 f., 131, 133 f. — und Wesen 36. — und Konstruktion 103. — und Name 135. —, subjektives Moment im — 135 f. —, Negativität u. Selbstbewegung d. —s 149. Besonderheit 36f., 45ff., 57. bestimmen 82 f. Bestimmungsurteil 43 f., 127 f. bewußtes u. unbewußtes Denken 17f. Bewußtsein, individuelles u. allgemeines 15. — und Selbstbewußtsein 113. Beziehung 51. Dasein 35 f., 39 f., 48 f., 58 f., 68 f., 126 f. — und Satz 36. —, Gesetzmäßigkeit des —s 69. —surteile und Wesensurteile 44. Deduktion 137. D e n k e n als Vorstellungstätigkeit 11.
Denken und Sprechen 11 ff., 17 ff. — und Wirklichkeit 12. — als Erheben d. Einzelnen ins Allgemeine 17. —, unbewußtes 17. —, Elemente des —s 21 ff.: logische 21 f., transzendentale 22 f., metaphysische 23 f. —, Grundunterscheidungsformen des — s 2 6 ff.
— als Deuten des Gegebenen 75. — als schöpferische Tätigkeit 77, 110.
—, Zweck des — 122, 160. — als Ideal des Menschen 157 f. Denkforderungen 8. Denkgesetze 64 ff. dialektische Methode 22, 113. — Philosophie 114, 116. Ding u. Eigenschaften 21, 33f., 40, 50 f., 61 f. disjunktives Urteil 124. Dritte, Gesetz des ausgeschlossenen —n 66, 125. Du 27. Eigenname 15. Einzahl u. Mehrzahl 28. Einzelheit u. Allgemeinheit 36 f., 46 f., 57. Entwicklung 96 f. Erfahrung 136 f. Erfahrungswissenschaften 7, 97 ff. erkennen 81 ff., 98 ff., 121 ff. Erkenntnistheorie 115, 121. erklären 82 f. Erscheinung 49, 59 f. Ethik 121. Existentialurteil (s. Dasein) 126. Experiment 100 f. extensiv u. intensiv 31.
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Sachverzeichnis
Freiheit 112. Funktion u. Verhältnis 83. Fürsichsein 58 f. Ganzes und Teil 34, 39, 52 f., 62 ff. 73. Gattung 47, 57. Gattungsname 15. gegeben 12, 35, 121 f. —, Setzen des Gegebenen 13, 23, 74, 87. Geist (s. Natur) 48. — als Innewerden der Welt 96. —, abstrakter u. konkreter Begriff des —s 112. Geschichte 99f., kritische 115, Welt117. Gesetz; setzen, voraussetzen 35, 54 (s. gegeben). Gleichheit 46. Grad 31. G r u n d 35, 39, 49 f., 70 — u. Satzverbindung 36. —, u. Folge 50, 60 f., 71. —, Erkenntnis- u. Real- 50, 61. —, zureichender 61. —, Erkenntnis- 123 f. hypothetische Urteile 44. Ich 27. Ideal 118. Idealbegriffe 116. Idee 53, 64, 74. I d e n t i t ä t , metaphysische von Natur und Geist 24. — als logische Kategorie 36, 38, 45 f. — und Wirklichkeit 54 f. —sgesetz 65 f., 125. —surteil 42 f., 44. Indikativ und Konjunktiv 28. Induktion 137. Inhalt u. Umfang 47. intensiv (s. extensiv). Kategorien 19 f., 27, 32 ff., 41, 74. —, metaphysische, transzendentale und logische 32 f., 37 f. —, metaphysische 33f., 50. —, transzendentale 35 f., 68. —, logische 36 f. — tafel 38, 41.
Kategorien zweiter Ordnung 45. — als Formen des Sichselbstdenkens 75. — und mathematische Begriffe 130. Kausalität (s. Ursache) —, Satz der — 71 f., 158. Kenntnis u. Erkenntnis 97 f. Klarheit 135, 152. Konsequenzurteile 45. Kontinuum 26. Koordination u. Subordination 47. Kraft 34f., 38, 51, 62, 75. K r i t i k , Selbst- des Denkens 54 ff. — des Begriffs durch seinen Zweck 150. — der Erfahrungswissenschaften 113. Limitation 26 f., 37. L o g i k (s. Denken) —, formale 104, 108, 161. — und erkenntnistheoretische 161. Maß 31. M a t h e m a t i k 93, 101 ff., 128 11., 142 ff. —, mathematischer und empirischer Begriff 133 f., 136, 152f. —, —s Urteil 153. —, —r Schluß 154 f. —, —e Erkenntnis 162 f. Mechanismus 73, 91. Medium 29. Metaphysik 114, 116. Möglichkeit und Wirklichkeit 51. —, Philosophie als System des Möglichen 158. Monade 90. Natur u. Geist 24, 87, 92, 152, 167. Negativität des Begriffs 149. Negation 26 f., 37. N o t w e n d i g k e i t 36, 47, 57 f., 68 f. — und Zufälligkeit 47 f. Objektivität, Bedingungen der 39. Ontologie 117. Organismus 73, 86 f. passiv (s aktiv). P h i l o s o p h i e , „Anfang" der 7f. — als Selbstbewußtsein des Geistes 109 f.
Sachverzeichnis Philosophie, kritische 113 IT. —, spekulative 114 (s. dialektisch). —, positivistische 115. Phänomenologie des Geistes 113. Polarität 56. Position 26 f., 39. Postulate (s. Axiome). — der praktischen Vernunft 159. Psychologie als Grundlage der Philosophie 65. — als Propädeutik 110. Qualität 30 f. Quantität 30 f. rational und irrational 37. R a u m , geometrischer 147 f. — gestalt als mathematischer Begriff 106, 145 f. — und Zeit, Subjektivität von 25. (s. Unterschied). Realität 27. Relativitätstheorie 88 f. Religionsphilosophie 117, 121. S a t z 18f., 21 ff., 36. — u. Setzung 25. (s. gesetzt). S c h l u ß , 22, 64, 125 f., 154 f. —, mathematischer 154 f. S e i n , reines 30, 53f. —, das wahre — der Dinge 88. Selbstbewußtsein (s. Bewußtsein). Selbstgewißheit (cogito ergo sum) 48 Sinnlichkeit 24 f. Spannung 52, 72. spekulative Philosophie 114. S p r a c h e als Vorstellungsmitteilung 14 f. —, Sprechen u. Denken 11 ff., 17ff., 122. Stoff 51. Subjekt und Prädikat 23. Subjekt und Objekt 28, 42 f. Subordination und Koordination 47, 57, 67. Substanz 129, 138 f. Subsumtionsurteil 42 f., 44. Syllogistik 160 f.
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s y n t h e t i s c h e U r t e i l e 44 f., 128 f., 134, 138, 152. Technik 101. T e l e o l o g i e 74, 117. —, teleologische Methode 150. Theosophie 117. Trägheitsgesetz 95. Transzendentalphilosophie 115. Umfang und Inhalt 47. U n b e d i n g t e , das — als Fürsichsein 48. —, als das Apriorische 67 f. —, Dialektik des —n 116 f. Unterschied ; Raum und Zeit als Formen des reinen —s 25 f. U r s a c h e u n d W i r k u n g 39f., 51f., 61 f., 90 f., 137, 139 f. U r t e i l 22, 64, 71, 155 f. —e, formallogische u. transzendentale 43. —sformen 41 ft. (s. Mathematik). Vermögen 51. Wechselwirkung 52, 62, 73. Werden 69 f. W e s e n 35 f., 39, 49, 126 f. — surteile 44. — als Ansich des Daseins 49. — als Beharrendes 59, 149. — Gesetz des —s 70. — und Zustand 132 f., 149. W i d e r s p r u c h 46, 55 f., 66. —, Gesetz des —s 65. Wirklichkeit als Selbstverwirklichung des Geistes 96, 152. Wirkung (s. Ursache) W i s s e n s c h a f t 81 ff. —, Erfahrungs- 97 fi. —, konstruierende- 99 ff. —, philosophische-108 ff. Zeichen, Wort als — 15. Zeitwort 27 ff. Zweck und Mittel 53, 64. —, Begriff d. Zweckes 138, 140 ff. (s. Teleologie).
PHILOSOPHIE
in Auswahl:
Die geistige Situation der Zeit. Von Professor Dr. K a r l J a s p e r s . 5. neubearbeitete Auflage. 1933. (S. Göschen Bd. 1000.) Geb. RM 1.62 Geistige Strömungen der Gegenwart. Von Rudolf Eucken. Die Grundbegriffe der Gegenwart sechste, umgearbeitete Auflage. Unveränderter Neudruck. Oktav. X, 418 Seiten. 1928. RM 12.—, geb. 14.— Einführung in die Philosophie. Von Professor Dr. Max Wentscher. (S. Göschen Bd. 281.) Geb. RM 1.62 Philosophisches Wörterbuch. Von Dr. Max Apel. (S. Göschen Bd. 1031.) Geb. RM 1.62 Grundlagen der Philosophie. Von Akos von P a u l e r , o. ö. Professor der Philosophie an der Universität Budapest. Groß-Oktav. X, 348 Seiten. 1925. RM 12.—, geb. 14.— Gedanken zu einer ersten Philosophie. Von Felix Somlo. Groß-Oktav. 107 Seiten. 1926. RM 4.— Philosophie in Merksätzen. Von Hugo E h l e r s und H a n s Feist. I. Geschichte der Philosophie. Oktav. VII, 160 Seiten. 1933. Geb. RM 3.50 Geschichte der Philosophie. Bisher erschienen fünf Bände. Verzeichnis auf Wunsch kostenlos. Geschichte der Philosophie in der Sammlung Göschen. Bisher erschienen acht Bände. Jeder Band geb. RM 1.62 Geschichte der antiken Philosophie. Von E r n s t von Aster. Groß-Oktav. VI, 274 Seiten. 1920. RM 6.—, geb. 6.50 Geschichte der philosophischen Ideen von der Renaissance bis zur Gegenwart. Von H a r a l d K. Schjelderup, o. Professor an der Universität Oslo. Ins Deutsche übersetzt von M. L e i x n e r von G r ü n b e r g . Groß-Oktav. VIII, 232 Seiten. 1929. RM 6.30, geb. 7.20 Geschichte der neueren Philosophie von Nikolaus von Cues bis zur Gegenwart. Im Grundriß dargestellt von R i c h a r d F a l c k e n b e r g , weil. o. Professor zu Erlangen. Neunte Auflage, verbessert und ergänzt von E r n s t von Aster. Oktav. XI, 749 Seiten. 1927. RM 16.20, geb. 18.— Geschichte der neueren Erkenntnistheorie. (Von Descartes bis Hegel.) Von E r n s t von Aster. Groß-Oktav. VI, 638 Seiten. 1921. RM 15.—, geb. 16.50 Das Problem des geistigen Seins. Von Nicolai H a r t m a n n , o. ö. Professor an der Universität Berlin. Groß-Oktav. XIV, 482 Seiten. 1932. RM 10.—, geb. 12.— Logik. Logische Elementarlehre. Von Geh. Regierungsrat Benno E r d m a n n , weil. Professor an der Universität Berlin. Dritte, vom Verfasser umgearbeitete Auflage, herausgegeben von E r i c h Becher, weil. o. Professor an der Universität München. Groß-Oktav. XIV, 832 Seiten. 1923. RM 10.—, geb. 12.— Das erlebende Ich und sein Dasein. Von O t t o J a n s s e n , Professor an der Pädagogischen Akademie Dortmund, a. o. Professor an der Universität Münster i. W. Groß-Oktav. VHI, 247 Seiten. 1932. RM. 8.55, geb. 9.90 Unser Verzeichnis ,,Philosophie — Psychologie — Pädagogik" steht Ihnen auf Wunsch kostenlos zur Verfügttng.
VERLAG VON WALTER DE GRUYTER & CO. BERLIN W io, GENTHINER STR. 38