Pflichtdelikt und Beteiligung: Zugleich ein Beitrag zur Einheitlichkeit der Zurechnung bei Tun und Unterlassen [1 ed.] 9783428496129, 9783428096121

Die Abhandlung liefert einen Beitrag zu der erstmals von Roxin begründeten Pflichtdeliktslehre. Zunächst wird geprüft, o

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German Pages 267 Year 1999

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Pflichtdelikt und Beteiligung: Zugleich ein Beitrag zur Einheitlichkeit der Zurechnung bei Tun und Unterlassen [1 ed.]
 9783428496129, 9783428096121

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JAVIER SANCHEZ-VERA

Pflichtdelikt und Beteiligung

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg

und Dr. Friedrich-Christian Schnieder ord Professor der Rechte an der Universität Regensbuig

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 117

Pflichtdelikt und Beteiligung Zugleich ein Beitrag zur Einheitlichkeit der Zurechnung bei Tun und Unterlassen

Von

Javier Sanchez-Vera

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Günther Jakobs, Bonn

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Sänchez-Vera, Javier: Pflichtdelikt und Beteiligung : zugleich ein Beitrag zur Einheitlichkeit der Zurechnung bei Tun und Unterlassen / von Javier Sänchez-Vera. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Strafrechtliche Abhandlungen ; N.F., Bd. 117) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09612-6

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-09612-6 Gedruckt auf alterungsbestSndigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706θ

Meinen lieben Eltern

Das Gesetz kann klüger sein als seine Verfasser - es muß sogar klüger sein als seine Verfasser Gustav Radbruch

Vorwort

Die nachfolgende Arbeit hat im Wintersemester 1997/98 der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation vorgelegen. Sie ist für die Veröffentlichung nur unerheblich gekürzt worden. Meinem hochverehrten Lehrer und Doktorvater, Herrn Professor Dr. Günther Jakobs, danke ich sehr für die Betreuung und Förderung der Arbeit, die andauernde Gesprächsbereitschaft, auch für die Anregungen, die er mir im Hinblick auf die Veröffentlichung gegeben hat, sowie für die ausgezeichneten Arbeitsbedingungen an seinem Lehrstuhl zur Zeit meiner Tätigkeit als Wissenschaftliche Hilfskraft. Mein herzlicher Dank gilt auch meinem Lehrer in Spanien, Herrn Prof. Dr. Dr. Enrique Bacigalupo, der in seinen Madrider Vorlesungen und Seminaren mein Interesse am Strafrecht geweckt, seit dem Beginn meiner Studienzeit meinen wissenschaftlichen Werdegang maßgeblich beeinflußt und gefördert sowie das Entstehen dieser Arbeit von Anfang an mit Interesse verfolgt hat. Zu Dank verpflichtet bin ich weiterhin Herrn Professor Dr. Hans-Joachim Rudolphi für die freundliche Erstellung des Zweitgutachtens sowie den Herren Professoren Dres. Eberhard Schmidhäuser und Friedrich-Christian Schroeder, die die Aufnahme der Untersuchung in die „Strafrechtlichen Abhandlungen n. F." befürwortet haben. Für stetige Diskussionsbereitschaft, wertvolle Ratschläge sowie redaktionelle Endarbeiten bin ich Herrn Privatdozent Dr. Heiko Lesch sehr verbunden. Ebenso möchte ich mich bei der studentischen Hilfskraft bei Prof. Dr. G. Jakobs, Frau Isabel Voßgätter genannt Niermann, für immerwährende Aufopferung und Unterstützung des Fortgangs dieser Arbeit sowie das Lesen der Korrekturen bedanken. Mein Dank gilt auch Herrn Florian Höfer M.A. für verschiedentlichen Einsatz, vor allem bei der Erstellung der Druckvorlage.

10

Vorwort

Dank schulde ich nicht zuletzt der San Pablo Stiftung (Madrid) für die Gewährung eines vierjährigen Zuschusses zur Förderung von Dozenten. Weiteren Personen, die mir bei dieser Arbeit in vielfacher Art und Weise geholfen haben, schulde ich meinen herzlichen Dank. Ich bitte um ihr Verständnis dafür, daß ich sie hier nicht im einzelnen aufzählen kann. Doch sei an dieser Stelle noch Frau Heidi Gerharz genannt, die stets für eine angenehme Arbeitsatmosphäre unter den „Rechtsphilosophen" in Bonn sorgt. Bonn - Bad Godesberg, im Juni 1998

Javier Sänchez-Vera

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

19

Teil 1 Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

§ 1 Die erste Formulierung: Roxin

22

A. Der Begriff des Pflichtdelikts

22

B. Materielle Begründung der Pflichtdelikte

27

§ 2 Der Ansatz Jakobs' zur Lehre vom Pflichtdelikt

29

A. Die Unterscheidung zwischen Delikten kraft Organisationszuständigkeit und Delikten kraft institutioneller Zuständigkeit 29 B. Das Charakteristikum der Institutionen im allgemeinen

31

C Die Erweiterung des Bereichs der Pflichtdelikte

34

D. Die Reduzierung des Bereichs der Pflichtdelikte

35

§ 3 Die Unterlassungsverbrechen als Pflichtdelikte? A. Die Auffassung Roxins

38 38

I. Die Unterlassung bei „positivierten Pflichtdelikten"

38

II. Die Unterlassung bei „Herrschaftsdelikten"

39

1. Grundlagen

39

2. Das Problem: Tatherrschaft bei Unterlassung?

39

12

nsverzeichnis

3. Die Auflösung des Dilemmas: Die Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte

43

4. „Soziale Tatherrschaft" und Strafzumessung B. Intrasystematische Kritik

45 47

Teil 2 Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

§ 4 Nochmals: Zur Frage der Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte A. Die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen bei Automatisierungen

51 51

B. Die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen bei den Herrschaftsdelikten

53

I.

53

Das Problem

II. Ansatz der Lösung, insbesondere über den Begriff der Person

55

III. Die Lösung

58

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte

67

A. Die negative Institution „neminem laede" - insbesondere als Grundlage auch von Handlungspflichten

67

B. Positive Institutionen

76

§ 6 Genaueres über die Verbote und Gebote und über die Institutionen

89

A. Das Problem

89

B. Die Lösung

90

I.

Die erste, sprachliche Ebene

90

II. Die zweite, materielle Ebene

92

§ 7 Pflichtdelikte als unzulässige Moralisierung des Rechts?

102

nsverzeichnis

A. Die Postulate positiver Institutionen und die daraus entspringenden Antinomien: Ein Hindernis für die Pflichtdeliktslehre? I. Die Diskussion im Strafrecht

102 103

II. Das ideengeschichtliche Fundament der strafrechtlichen Diskussion . . . . 105 III. Die mangelnde Präzisierbarkeit der Gebote positiver Institutionen B. Auflösung der Antinomien

109 111

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten - Erste Überlegungen zur Beteiligung bei Pflichtdelikten 126 A. Herrschaft versus Pflichtverletzung? - Die Modelle von Gallas, Schünemann und Freund 126 B. Vermittelnde Auffassungen

137

C. Weitere Präzisierungen: „Aussteigen" aus der positiven Institution?

142

Teil 3 Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

§ 9 Die Beteiligung bei Pflichtdelikten

147

A. Täterschaft (und Teilnahme)

147

B. Mittäterschaft bei den Pflichtdelikten?

158

C. Mittelbare Täterschaft des Verpflichteten?

161

D. Strafbarkeit des Intraneus als Anstifter?

165

§ 10 Die Beteiligung an Pflichtdelikten A. Zur generellen Möglichkeit einer Teilnahme am Pflichtdelikt. Zugleich: Einiges über deren Strafgrund

167 167

B. Nochmals: Gemeinschaftliches Verhalten von Extraneus und Verpflichtetem als Mittäterschaft? 172 C. Mittelbare Täterschaft eines Extraneus durch Benutzung eines Intraneus? . 174

14

nsverzeichnis

D. Beihilfe und Anstiftung zum Pflichtdelikt

177

§ 11 Eine harmonische Lösung für § 28 StGB im Lichte der Lehre vom Pflichtdelikt 180 A. Einleitung

180

B. Das Problem

181

C. Der richtige Weg zur Lösung - insbesondere der Vorschlag Cortes Rosas . 186 D. Einige Stolpersteine auf dem richtigen Weg zur Lösung

192

E. Die Lösung

195

F. Weitere Absicherung der Lösung

203

G. Offene Fragen

205

§ 12 Anhang: Konkurrenzen und Strafmilderungsmöglichkeiten bei Pflichtdelikten 207 A. Scheinbare Konkurrenzen

207

B. Strafmilderungsmöglichkeiten des beteiligten Extraneus am Pflichtdelikt .211

Zusammenfassung

214

Literaturverzeichnis

227

Sachregister

261

Abkürzungsverzeichnis

a

articulus (Artikel)

aA.

andere Ansicht

aaO.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

a.E.

am Ende

a.F.

alte Fassung

AK

Alternativkommentar

Alt.

Alternative

Anm.

Anmerkung

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art.

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

Aull.

Auflage

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch von 18. 8. 1896, RGBl. S. 339

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof in Strafsachen. Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschafl

Bsp.

Beispiel

BT

Besonderer Teil

BT-DrS.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

c

caput (Kapitel)

ca.

zirka

ders.

derselbe

d.h.

dasheißt

16

Abkürzungsverzeichnis

d.i.

das ist

dies.

dieselbe

Diss.

Dissertation

DJ

Deutsche Justiz

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DStR

Deutsches Strafrecht [= GA]

dt.

deutsch

E

Einwand bei Thomas von Aquin-Zitaten, der die Untersuchung einleitet, aber nicht notwendigerweise die Meinung von Thomas darstellt

ebd.

ebenda

EG

Einfuhrungsgesetz

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

etc.

et cetera

f.(ff.)

folgende Seite(n)

FamRZ

ggf.

Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, begründet v. Th. Goltdammer, 1880 - 1933; Goltdammer's Archiv für Strafrecht, 1953 ff. genannte(r) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23. 5. 1949, BGBl. 1949 S. 1 gegebenenfalls

GS

Der Gerichtssaal/Gedächtnisschrifi

h.L.

herrschende Lehre

hrsg.

herausgegeben

GA gen. GG

i.d.F.v.

in der Fassung von

i.d.S

in dem Sinne/in diesem Sinne

i.E.

im Ergebnis

i.e.S.

im engeren Sinne

insb.

insbesondere

i.S.

im Sinne

i.S.d.

im Sinne des

i.S.v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

i.w.S.

im weiteren Sinne

Abkürzungsverzeichnis

JA

Juristische Arbeitsblätter

JR

Juristische Rundschau

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

LG

Landgericht

LK

Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch

m.

mit

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

m.E.

Meines Erachtens

MSchrfKrim

Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform ( 19041936); Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform (1937-1944), Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

ΝΚ

Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch

no.

Numero

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

ÖstGB

Österreichisches Strafgesetzbuch

OLG

Oberlandesgericht

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten v. 24.5.1968, BGBl. I S. 481

q

quaestio (Frage)

Rdn.

Randnummer

resp.

respektive

RG

Reichsgericht in Strafsachen; Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, hrsg. von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Reichsanwaltschaft

RStGB

Reichsstrafgesetzbuch

s.

siehe

S.

Seite

seil.

scilicet

SchwZStr

Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht

2 Sänchez-Vera

18

Abkürzungsverzeichnis

SK

Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch

sog.

sogenannte(r)

StGB

Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung v. 103. 1987 (BGBl. I S. 945, 1160), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes v. 26. 1. 1998 (BGBl. IS. 160) Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung v. 7. 4.

StPO

1987, BGBl. I S. 1074, Berichtigung S. 1319 StrRG

Gesetz zur Reform des Strafrechts

StV

Strafverteidiger

StVO

Straßenverkehrsordnung v. 16. 11. 1970, BGBl. I S. 1565, Berichtigung BGBl. 1971 I, S. 38

u.

und

u.a.

unter anderem/und andere

u.a.m.

und anderen mehr

u.a.m.

und ähnliches mehr

usw.

und so weiter

u.U.

unter Umständen

v.

von/vom

vgl.

vergleiche

Vol.

Volumen

Vorbem.

Vorbemerkung(en)

wistra

Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht

zahlr.

zahlreich(en)

z.B.

zum Beispiel

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert

ZphF

Zeitschrift für philosophische Forschung

ZschwR

Zeitschrift für Schweizerisches Recht

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

z.T.

zum Teil

Zus.

Zusatz

Einleitung Die vorliegende Abhandlung versteht sich als Beitrag zu der erstmals von Roxin entfalteten Lehre vom Pflichtdelikt. Ihr Ziel besteht darin, den Begriff des Pflichtdelikts weiterzuentwickeln und für die Beteiligungslehre fruchtbar zu machen. Der Schwerpunkt liegt auf den Pflichtdelikten qua Unterlassung, es geht also zugleich um einen Beitrag zur traditionellen Dogmatik der Unterlassungsdelikte. In Einleitungen bezeichnet man gewöhnlich den Gegenstand der jeweiligen Untersuchung als Stiefkind der betroffenen Disziplin, um eine Abhandlung zu jeweiligen Thematik zu rechtfertigen. Ohne mich dieser Unsitte anschließen zu wollen, beansprucht diese Bezeichnung für die Pflichtdelikte gewiß Richtigkeit: Dem grundlegenden Begriff des Pflichtdelikts wurde bisher ex professo keine Monographie gewidmet. Zwar hat man sich in der Strafrechtstheorie teilweise dieser Lehre angeschlossen bzw. sie abgelehnt. Aber ihre Problematisierung erfolgte bisher in Teilstücken oder im Rahmen anderer Untersuchungsziele, so daß eine spezielle, eingehende Abhandlung notwendig war.

I. Die Studie beginnt in § 1 mit einer Darstellung der Pflichtdeliktslehre Roxins, die jedoch nur zusammenfassend bleibt, weil diese Lehre in Anbetracht der in der wissenschaftlichen Literatur hervorgerufenen Resonanz als bekannt vorausgesetzt werden darf. Es ist Roxins längst anerkanntes Verdienst, die Pflichtdeliktslehre formuliert und dem Pflichtverletzungsgedanken in der Beteiligungslehre einen eigenständigen Rang neben dem Tatherrschaftsprinzip zugewiesen zu haben. Anschließendend wird die Auffassung Jakobs', die nach Roxins Einschätzung als bisher wichtigste Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt zu gelten hat, dargestellt (§ 2). In § 3 wird die Lehre Roxins wieder aufgegriffen, soweit sie sämtliche Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte betrachtet. Bei der Würdigung und intrasystematischen Kritik ergeben sich einige Friktionen, die eine Korrektur 2*

Einleitung

20

dieses Ansatzes herausfordern, was ohne Rekurs auf die eigenen dogmatischen Grundlagen nicht möglich ist. II. Im zweiten Teil geht es um die Entfaltung dieser Grundlagen, zunächst wiederum um die Frage, ob alle Unterlassungsstraftaten Pflichtdelikte sind, und zwar anhand der Begriffe der „Erwartung" und der „Rolle", insbesondere des Begriffes der „Person" (§ 4). In den nächsten beiden Abschnitten (§§ 5, 6) werden die bis dorthin gewonnenen Ergebnisse rechtsphilosophisch untermauert und erweitert. Die Argumentation bedient sich berühmter Worte, und zwar u.a. derer von Cicero, der Ansätze der Naturrechtslehrer Pufendorf und Svarez, aus der Zeit des deutschen Idealismus Kants und Hegels, und dessen Zeitgenosse Fries', ferner auch des Kantianers Schmalz', Schopenhauers, oder der einflußreichen Monographie Ferdinand Tönnies', Gemeinschaft und Gesellschaft. Trotz der sehr unterschiedlichen philosophischen Ansätze, die sich vielleicht in anderen Punkten schwer vereinbaren lassen*, haben alle diese Autoren zwei unterschiedliche Arten von Pflichten erkannt und systematisiert. Anhand dieser Erkenntnisse werden die geistesgeschichtlichen Grundlagen der Herrschafts- und der Pflichtdelikte dargelegt, sowie die Begründung von Handlungspflichten

im

Strafrecht gewonnen. Weiterhin setzt sich die Untersuchung mit zwei klassischen Einwänden gegen die Pflichtdeliktslehre auseinander. Zunächst wird der Vorwurf erörtert (§ 7), die Handlungspflichten der Pflichtdelikte stellten eine unzulässige Moralisierung des Rechts dar, weil sie die Freiheit des Einzelnen mehr als die Unterlassungspflichten der Herrschaftsdelikte beschränken. Ferner werden die monistischen Modelle, die allein auf die Herrschaft abstellen (Gallas, Schünemann, Freund) sowie die vermittelnden Auffassungen, die neben der Pflichtverletzung auch die Tatherrschaft voraussetzen (insb. Bloy), diskutiert (§ 8). * Erinnert sei an die sog. Senilitäts-These Schopenhauers (vgl. E., S. 119) zu Kants Metaphysik der Sitten (die Rechtslehre Kants sei „deplorabel", die Metaphysik der Sitten überhaupt stünde überwiegend unter dem Einfluß Kants Altersschwäche) oder an die „guten Beziehungen" zwischen Hegel und Fries. Hegel bezeichnet in der Vorrede seiner Rechtsphilosophie die Äußerungen Fries' als „Seichtigkeit, die sich Philosophieren nennt", während Fries seinerseits meinte, Hegels Lehre gehöre „ihrem großen Einfluß nach mehr in die Geschichte der Schulpolizei zu Berlin als in die Geschichte der Philosophie41 (Geschichte der Philosophie, II. Band, S. 671; dazu auch Dooren, Kant-Studien 61 [1970], S. 217 ff).

Einleitung

III. Nach der Darstellung der dogmatischen Grundlagen der Pflichtdeliktslehre und der Zurückweisung der Einwände dürften für die Frage der Beteiligung bei und an Pflichtdelikten in ihren Grundlinien keine besonderen Schwierigkeiten eintreten. Zunächst werden die möglichen Beteiligungsformen im Bereich der Pflichtdelikte untersucht (§ 9). Es geht also darum, ob Polizisten, Richter, Eltern etc. immer als Täter haften, oder aber auch Mittäter, mittelbare Täter und Gehilfen oder Anstifter sein können. Es folgt die Erörterung der Frage der Beteiligung am Pflichtdelikt, also der Frage, wie die Beteiligung an den Straftaten von Polizisten, Richtern, Eltern etc. zu behandeln ist (§ 10), erstens über die - inzwischen kaum mehr in Frage gestellte - generelle Möglichkeit dieser Beteiligung, zweitens über die verschiedenen Formen der Beteiligung am Pflichtdelikt. Dabei ist vor allem die Anwendung des § 28 StGB problematisch (§11). Bisher ist der Lehre eine befriedigende Lösung zur Interpretation dieser Vorschrift noch nicht gelungen. Die im Laufe der Abhandlung bereits gewonnenen Erkenntnisse zeigen sich jedoch bei der Untersuchung dieses Problems als sehr hilfreich. Anhand der Lehre vom Pflichtdelikt wird ein neuer Lösungsvorschlag unterbreitet. Der dritte Teil endet mit einigen notwendigen Erläuterungen zu den Konkurrenzen und Strafmilderungsmöglichkeiten bei Pflichtdelikten (§ 12). Da die Untersuchung als solche kurz gefaßt wurde, habe ich auf eine zusammenfassende Darstellung am Ende jedes Abschnitts verzichtet, so daß das Resümee am Ende der Untersuchung ausführlicher als eine bloße Aufstellung von Thesen ohne jeglichen Zusammenhang ausfällt.

Teil 1 Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

§ 1 Die erste Formulierung: Roxin A. Der Begriff des Pflichtdelikts Roxin definiert den Täter der Straftat als „die Zentralgestalt des konkreten Handlungsgeschehens".1 Diese Zentralgestalt soll sich jedoch nicht bei sämtlichen Delikten anhand derselben Kriterien ermitteln lassen. Bei den meisten Delikten habe der Gesetzgeber die Tathandlungen so präzise wie möglich beschrieben. In diesem Fall sei Täter, wer die jeweils beschriebene Tat beherrsche. Bezugspunkt für die Beurteilung der Herrschaftsverhältnisse soll also das im gesetzlichen Tatbestand beschriebene Geschehen sein. Roxin nennt die betreffenden Delikte „Handlungs-" oder „Herrschaftsdelikte". 2 Beispiel:3 Wenn der Tatbestand des § 249 StGB lautet: „Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen", dann handle es sich dabei um eine Deskription äußerer und innerer Fakten, die in ihrer Gesamtheit das typische Tatbild eines „Räubers in Aktion" festlegen sollen. Täter sei hier deshalb derjenige, der die Tatherrschaft über das beschriebene Geschehen innehabe.

1

Roxin, TuT, S. 25 ff., 108, 335ff.; ebenso ders., JZ 1966, S. 293; siehe auch Bloy, Zurechnungstypus, S. 202 ff; Busse, Täterschaft, S. 148 ff., 151. 2 Von Handlungsdelikten spricht Roxin noch in: Kriminalpolitik, S. 17, ansonsten jedoch von Herrschaftsdelikten, z.B. in: TuT. - Die Herrschaftsdelikte sind allerdings nicht in einem naturalistischen (Kausalität zum Erfolg), sondern in einem normativen Sinn (Zuständigkeit für die Tat nach den Regeln der objektiven Zurechnung) zu verstehen, wie unter anderem Roxin in seinen „Bemerkungen zum Regreßverbot" {Roxin, Tröndle FS, S. 177 ff., 191; ders., AT, 24/26 ff) ausgeführt hat. 3 Nach Roxin,, Kriminalpolitik, S. 16 f. Vgl. auch Gimbemat, ZStW 80 (1968), S. 915 f., 932 f. Es handelt sich um den sog. restriktiven Täterbegriff: Roxin in LK, Vorb. § 25, Rdn. 12; ebenso Bacigalupo, Chengchi Law Review 50 (1994), S. 398.

§ 1 Die erste Formulierung: Roxin

23

Von diesem Standpunkt aus untersucht Roxin in seiner Abhandlung Täterschaft und Tatherrschaft

die Frage, ob es Delikte gibt, die einem anderen Täterkriterium

folgen als demjenigen der Tatherrschaft. Zur Verdeutlichung dieser Frage präsentiert Roxin folgenden Fall: 4 Jemand nötigt einen Beamten zu einer Aussageerpressung (§ 343 StGB). Er habe somit die Tatherrschaft über das Geschehen - was nach Roxin im Normalfall Täterschaft begründen würde -, soll aber trotzdem nicht als Täter einer Aussageerpressung haften, und zwar deshalb nicht, weil der Tatbestand nur von einem Beamten verwirklicht werden könne. Da der § 343 StGB (a.F.: „Ein Beamter, welcher...") 5 die Beamtenqualität des Täters ausdrücklich erfordere, bedeute es eine unzulässige Ausdehnung der Strafbarkeit, einen Nichtbeamten als Täter zu qualifizieren, auch wenn dieser die Tat beherrsche. Daraus folgert Roxin, daß die Tatherrschaft kein Universalprinzip zur Bestimmung des Begriffs der Zentralgestalt und somit der Täterschaft sei, jedenfalls dort nicht, wo der Gesetzgeber Tatbestände mit spezifischen Täterqualifikationen formuliert habe.6 Vielmehr komme es dem Gesetzgeber bei manchen Tatbeständen auf die äußere Beschaffenheit des Täterverhaltens nicht an, sondern der Grund der Sanktion liege darin, daß jemand gegen die Leistungsanforderungen einer von ihm übernommenen sozialen Rolle - in dem ausgeführten Beispiel: der Rolle als Beamter - verstoße.7 Bei solchen Tatbeständen, die Roxin Pflichtdelikte nennt, sei die Herrschaft über das äußere Geschehen irrelevant. Sogar bei den Pflichtdelikten durch Begehung, bei denen die Anwendung des Tatherrschaftsprinzips theoretisch denkbar wäre, komme es darauf nicht an.8 Die Kategorie der Pflichtdelikte orientiere sich nicht am Erfolg - genauer: an der Herrschaft über den Erfolg -, sondern an der Person des Täters 9 (z.B. hier: an seiner Rolle als Beamter). 4

Roxin, TuT, S. 352.

5

Auch noch heute: „Wer als Amtsträger, der...". - Wohlbemerkt: Eine solch ausdrückliche Forderung des Tatbestandes ist keine conditio sine qua non der Pflichtdelikte: Im Falle der Untreue etwa handelt es sich trotz der Formulierung „wer" gleichermaßen um ein Pflichtdelikt (Roxin, AT, 10/128). 6

Roxin in LK, § 25, Rdn. 36. Ebenso Rudolphe GA 1970, S. 361; Schünemann, GA 1986, S. 331; ders. in LK, § 14, Rdn. 17; Blei, AT, S. 254 f.; Bloy, Zurechnungstypus, S. 213; Schönke/SchröderCramer, Vorbem. §§ 25 ff., Rdn. 70; Hardwig, JZ 1967, S. 88 (allerdings kritisch bezüglich der Pflichtdeliktslehre). 7

Roxin, Kriminalpolitik, S. 17.

8

Roxin, TuT, S. 463.

9

Eine ähnliche Meinung zur Begründung der Täterschaft bei der Unterlassung vertritt Herzberg: Die Beschützergarantenstellung (der Garant muß das bedrohte Rechtsgut vor Schaden schlechthin ohne Rücksicht auf den Kausalverlauf bewahren) führe grundsätzlich zur Täterschaft. Grund dafür sei, daß der Beschützergarant keine bestimmte, einzelne Gefahrenquelle zu überwachen habe; vgl. dazu Herzberg, Unterlassung, S. 261. Ebenso: Otto, AT, S. 266; Schönke/Schröder-Cramer, Vorbem. §§ 25 ff, Rdn. 104; Schmidhäuser, AT, 17/12 (2a).

24

Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

Dasselbe gelte 10 bei den §§ 300 a.F. (Verletzung des Berufsgeheimnisses), 266 (Untreue), 246 Abs. 2 (veruntreuende Unterschlagung), bei den sog. echten und unechten Amtsdelikten (etwa §§ 340,348 Abs. 1, 350 a.F.). Auch die Standesdelikte seien Pflichtdelikte, ebenso wie diejenigen Tatbestände, die Verstöße gegen bestimmte familiäre oder familienrechtsähnliche Verpflichtungen pönalisieren (§§ 170 a.F. [Eheerschleichung, inzwischen aufgehoben], 170 a-d a.F. [Verschleuderung von Familienhabe, inzwischen aufgehoben, Verletzung der Unterhaltspflicht, Versagung der Hilfe gegenüber einer Geschwängerten, inzwischen aufgehoben, Vernachlässigung eines Kindes], 171 a.F. [Doppelehe], 172 a.F. [Ehebruch, inzwischen aufgehoben]). Ferner Straftaten gegen Obhuts- und Fürsorgeaufgaben (§§ 174 a.F. [Unzucht mit Abhängigen], 181 a.F. [Schwere Kuppelei], 221 [Aussetzung], 223b a.F. [Mißhandlung Abhängiger]), sowie § 142 (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort), § 288 (Vereiteln der Zwangsvollstreckung), § 330 a.F. (Verletzung von Regeln der Baukunst), und § 360 Ziff. 8 a.F. (Unrichtige Angabe gegenüber einer zuständigen Behörde). Letztlich seien auch die von Roxin bezeichneten „unechten eigenhändigen Delikte" (Fahnenflucht [§ 16 WStG], und Aussagedelikte, also §§ 153 [falsche uneidliche Aussage], 154 [Meineid] und 156 [falsche Versicherung an Eides Statt]) Pflichtdelikte. Täter dieser Tatbestände könne nur derjenige sein, welcher eine ihm obliegende spezifische Pflicht verletze. Der Tatbestand solcher Delikte setze nämlich das Vorliegen einer solchen speziellen Pflicht voraus. Zur Begründung der Täterschaft sei eine daneben stehende Tatherrschaft nicht erforderlich. 11 Allerdings handle es sich bei der insoweit maßgeblichen Pflichtverletzung nicht um die jedem Delikt zugrundeliegende allgemeine, auch auf Anstifter und Gehilfen erstreckte Pflicht zur Normbefolgung, sondern vielmehr um die Verletzung einer außerstrafrechtlichen

Pflicht, die nicht notwendig jeden Deliktsbeteiligten treffe,

die aber für die Tatbestandsverwirklichung erforderlich sei. 12 Der Gesetzgeber beziehe sich also auf außerstrafrechtliche, schon zwischen den Beteiligten festgelegte Pflichten. 13 Roxin kommt daher zu folgender Definition: iyPflichtdelikte

sind

10

Näher dazu Roxin, TuT, S. 384 ff.; die folgenden §§ des StGB von 15. 5. 1871 in der Fassung der Bekanntmachung v. 25. 8. 1953. 11

Siehe Roxin, JZ 1966, S. 295 und grundlegend in: TuT, S. 352 ff.

12

Roxin, TuT, S. 344. - Das Phänomen der Pflichtdelikte tritt insbesondere auch in Nebenstrafgesetzen auf: Insoweit auch Roxin folgend Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 140. 13

Roxin, Kriminalpolitik, S. 17.

§ 1 Die erste Formulierung: Roxin Tatbestände, bei denen Täter nur sein kann, wer eine dem Tatbestand gerte außerstrafrechtliche

Sonderpflicht

verletzt'.

25 vorgela-

14

Weiterhin erklärt Roxin, daß die Unterscheidung zwischen Herrschafts- und Pflichtdelikten nicht aus der Konzeption des Täterbegriffs, sondern aus der differierenden Struktur der Tatbestände folge. 1 5 In jedem Fall sei zu bemerken, daß der Strafgrund hier „ w i e sonst" in der Rechtsgüterverletzung liege; die Sonderpflichtverletzung konstituiere nur die Täterschaft. 16 In dieser Zweiteilung der Tatbestände in Herrschafts- und Pflichtdelikte spiegelt sich nach Roxins Auffassung die soziale Realität wider. Denn die Tatbestände der Pflichtdelikte sollen die „Funktionsfähigkeit" von „schon durchgeformten Lebensbereichen" schützen. Bei den Herrschaftsdelikten hingegen breche der Täter in Bereiche ein, die „er von Recht wegen unangetastet zu lassen hätte". 1 7 Diese neue Konzeption hat vor allem zwei Konsequenzen in zwei unterschiedlichen Bereichen der Strafrechtsdogmatik, nämlich zum einen i m Bereich der Teilnahmelehre (1) und zum anderen in dem der Unterlassung (2). (1) Teilnahme. Bei der Teilnahmelehre geht es allgemein - so R o x i n 1 8 - um ein Tatbestandsproblem: Anstiftung und Beihilfe kämen nur in Betracht, wenn das 14

Roxin in LK, § 25, Rdn. 37; ders., TuT, S. 354. Abgesehen von der in anderen Anm. behandelten Literatur (sowie der im folgenden § 2 erwähnten) haben folgende Autoren prinzipiell die Pflichtdeliktslehre anerkannt bzw. bei ihren Überlegungen vorausgesetzt: Bacigalupo, Chengchi Law Review 50 (1994), S. 406; Bauer, Mittäterschaft, S. 18 f.; Blauth, „Handeln für einen anderen", S. 78; Bottke, wistra 1991, S. 83 und öfter; Breuer, Der Im- und Export von Abfällen, S. 166 ff.; Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 425; v. Danwitz, Mittäterschaft, S. 34 Anm. 166; Ebert, AT, S. 39, 174; Franzheim, Umweltstrafrecht, S. 71; Gimbernat, ZStW 80 (1968), S. 943; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 108 ff.; Herzberg, Täterschaft, S. 32 f.; ders., Unterlassung, S. 51 ff.; ders., JuS 1975, S. 172; ders., JuS 1974, S. 377; Holthausen, NStZ 1993, S. 568 ff.; Kaiser, Opferverantwortung, S. 103 ff.; Köhler, AT, S. 129 sowie Kap. 9 passim; Murmann, Nebentäterschaft, S. 181; Nappert, Umweltstrafrecht, S. 98, 119, 136 und öfter; Rudolphi, ZStW 82 (1970), S. 628 f.; ders., Mäurach FS, S. 63; Schall, JuS 1979, S. 109; Schönke/Schröder, 12. Aufl., Vorbem. § 47, Rdn. 7 und 24; Schönke/Schröder-Cramer, Vorbem. §§ 25 ff, Rdn. 71; Schönke/Schröder-Lenckner, § 326, Rdn. 21; Schittenhelm, GA 1983, S. 322; Scholl, Umweltrecht, S. 237 (siehe aber S. 243 ff.); Schumann, Selbstverantwortung, S. 71 Anm. 2; Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 200; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, S. 110; Volk, Tröndle FS, S. 224; Wagner, Amtsverbrechen, S. 72 (siehe aber auch S. 165 mit Anm. 96); Wessels, AT, Rdn. 514. Auf Ordnungswidrigkeiten bezogen Trunk, Einheitstäterbegriff, S. 136 ff. sowie Schumann, Einheitstätersystem, etwa S. 39 und passim. Auf das Bürgerliche Recht angewendet, etwa für §§ 839, 286,447 II BGB, Hanau, Die Kausalität der Pflichtwidrigkeit, S. 84 ff. 15 Roxin, TuT, 379 f.; zustimmend Lange, ZStW 77 (1965), S. 318; Haft, AT, S. 187 ff. („Tatbestände, die für oder gegen Täterschaft [Tatherrschaftserwägungen] vorprogrammiert sind"). 16

Roxin, TuT, S. 371; Busse, Täterschaft, S. 351. Vgl. dazu auch Lange, ZStW 77 (1965), S. 320.

17

Roxin, Kriminalpolitik, S. 18.

18

Siehe etwa in: Kriminalpolitik, S. 20 f.

26

Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

Verhalten des Beteiligten nicht unter die Deliktsbeschreibung subsumiert werden könne, mit anderen Worten, wenn er nach der tatbestandlichen Deskription nicht Täter sein könne. Wie bereits dargestellt, vertritt Roxin die Auffassung, bei den Pflichtdelikten sei für eine solche Deskription nicht - wie bei den Herrschaftsdelikten - die äußere Beschaffenheit des Täterverhaltens relevant, sondern eine außerstrafrechtliche Pflicht. Daraus folge: Tatbestandsmäßig könne nur derjenige handeln, welcher die Pflicht verletze, und wer die Pflicht verletze, handle immer tatbestandsmäßig und daher täterschaftlich. Es genüge jedes wie auch immer beschaffene „Bewirken". Im Umkehrschluß heiße dies: Der Nichtqualifizierte komme als Täter nie in Betracht. Roxins Erwägungen fuhren deshalb auch zu dem Ergebnis, daß Teilnehmer derjenige sei, welcher auf irgendeine Weise an der Tatbestandserfullung mitwirke ohne die täterschaftsbegründende außerstrafrechtliche Sonderpflicht zu verletzen. 19 (2) Unterlassung. Weiterhin zeigt Roxin eine andere Konsequenz der Pflichtdeliktslehre, und zwar im Bereich der Unterlassung, genauer: der Unterscheidung von Tun und Unterlassen. Liege bei den Pflichtdelikten der Strafgrund in der Verletzung einer sozialen Rolle, die der Täter übernommen habe, dann soll es offenbar gleichgültig sein, ob die Verletzung der Pflicht durch Tun oder Unterlassen geschehe.20 Beispiel: 21 Ob der Aufseher, der einem Gefangenen zur Freiheit verhelfen wolle, pflichtwidrigerweise durch positives Tun die Tür der Haftanstalt öffne oder sie entgegen der Vorschrift zu schließen unterlasse, mache für den Tatbestand der Gefangenenbefreiung (§ 347 StGB a.F.; § 120 StGB n.F.) keinerlei Unterschied aus. Schließlich rechnet Roxin sämtliche Unterlassungsstraftaten zur Kategorie der Pflichtdelikte, worauf an späterer Stelle noch ausführlich zurückzukommen sein wird. 22

19

Roxin,, TuT, S. 364; ebenso Seier, JA 1990, S. 382 f.

20

Roxin, Kriminalpolitik, S. 18 f.; ders., TuT, S. 460 f.; ders., JZ 1966, S. 296; ders., JZ 1995, S. 51; Stratenwerth, AT, Rdn. 983 f.; Herzberg, Unterlassung, S. 51ff.; Cortes Rosa, ZStW 90 ( 1978), S. 425 f.; Vogel, Norm und Pflicht, S. 97; so noch Schünemann in GuG, S. 370 (siehe aber auch schon S. 145 ff.) und Jura 1980, S. 576 f. Schünemann hat - wie noch ausführlich zu zeigen /st - die Pflichtdeliktslehre später jedoch abgelehnt (siehe unten § 8 [S. 126 ff.]). 21 Beispiel nach Roxin in TuT, S. 460; ihm folgend etwa Herzberg, Unterlassung, S. 53. Schon vor Roxin vgl. Traeger, Unterlassungsdelikte, S. 12 und Böhm, JuS 1961, S. 179 mit weiteren Beispielen. Siehe auch Busse, Täterschaft, S. 177, 182, 294 f., 350 f., 369 (der in diesem Zusammenhang von „normierten Tatbeständen" spricht). Zur Behandlung der Problematik bei diesem und ähnlichen als Pflichtdelikte positivierten Tatbeständen vor der Lehre vom Pflichtdelikt siehe Lubberger, Strafbare Teilnahme durch Unterlassung, S. 2 ff, 15 ff, m.w.N. 22

Siehe unten § 3 (S. 38 ff).

§ 1 Die erste Formulierung: Roxin

27

B. Materielle Begründung der Pflichtdelikte Roxin hat eine eingehende Begründung der Pflichtdelikte und eine Behandlung von Einzelheiten nicht unternommen. Schon von der Systematik her ist bemerkenswert, daß Roxin sich erst am Ende seiner Abhandlung über die Pflichtdelikte, und zwar im VI. Abschnitt seiner Darstellung, mit den Grundlagen befaßt. Es soll nun trotzdem eine kurze Darstellung seines Konzepts einer materiellen Begründung der Pflichtdelikte folgen. Roxin geht davon aus, daß „es Sache einer gesetzgeberischen Wertentscheidung" ist, „ob er einen Tatbestand als Herrschafts- oder als Pflichtdelikt ausgestalten will. Ob er so oder anders vorgeht, wird davon abhängen, fur wie bedeutsam er eine Pflichtenstellung im Rahmen der Rechtsgutsverletzung ansieht. Wird der Strafwürdigkeitsgehalt des Deliktes durch sie nach seiner Meinung wesentlich beeinflußt, so wird er den Pflichtigen ohne Rücksicht auf den Handlungsverlauf im Zentrum des Geschehens sehen und die Strafbarkeit Außenstehender erheblich einschränken". 23 Die Abgrenzung von Pflicht- und Herrschaftsdelikten ist also nach Roxin keine logisch-begriffliche, sondern eine ausgesprochen teleologische Frage, nämlich eine solche der Auslegung der einzelnen Tatbestände. „Durch die Trennung von Herrschaft und Pflicht" - so heißt es - „wird nicht eine doktrinäre, aus irgendwelchen hineingetragen,

Oberbegriffen

abgeleitete Unterscheidung

in das Gesetz

sondern es wird im Gegenteil eine in den Einzeltatbeständen

angelegte strukturelle Differenzierung berücksichtigt (...)". 24 Viel deutlicher ist Roxin an anderer Stelle: „Die Begriffe der »Herrschaft 4 und der ,Pflicht', die, isoliert betrachtet, schon mehr oder weniger normativen Charakter aufweisen, stellen sich doch gegenüber den jeweiligen Tatbeständen als fest geformte

Vor-

gegebenheiten dar, zwischen denen der Gesetzgeber zwar nach seinen Intentionen wählt, die aber nach getroffener Wahl die Regelung aller Teilnahmefragen vorzeichnen und die Abgrenzung im individuellen Fall aus der kasuistischen Vereinzelung emporheben und in einen tatbestandsgelösten höheren Ordnungszusammenhang einfügen". 25 Die Auffassung Roxins läßt sich also wie folgt zusammenfassen: a) Als „fest geformte Vorgegebenheiten" existieren die Begriffe der Herrschaft und der Pflicht, b) Der Gesetzgeber untersucht im Rahmen der Rechts23

Roxin, TuT, S. 385 f. Ähnlich auch Herzberg, Unterlassung, S. 55: „Daß der Gesetzgeberfrei ist in der Entscheidung, wie weit er den Kreis der tauglichen Täter einengen will, wird niemand bestreiten" 24

Roxin, TuT, S. 396 (Hervorhebung von mir); siehe ferner ebenda, S. 424.

25

Roxin, TuT, S. 386 (Hervorhebung von mir); zustimmend Lange, ZStW 77 (1965), S. 320.

Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

28

güterverletzung, ob die Strafwürdigkeit eines Deliktes durch die Pflichtenstellung beeinflußt wird, resp. er bewertet die Pflichtenstellung hinsichtlich ihres Einflusses auf die Strafwürdigkeit, c) Falls ein solcher Einfluß als wesentlich zu bewerten ist, wird ein Pflichtdelikt gewählt und der Tatbestand dieser Auswahl entsprechend formuliert, d) Das Vorliegen eines Pflichtdelikts ergibt sich aus einer entprechenden Auslegung des einschlägigen Tatbestandes. Die Argumentation scheint plausibel, läßt aber, wie Roxin selbst zugibt, 26 etwa folgende entscheidenden Fragen offen: Was versteht man unter einer „Pflichtenstellung"? Welche Pflichtenstellungen gibt es? Lassen sie sich auf einen Oberbegriff zurückführen? Ist die Formulierung der verschiedenen Tatbestände per se immer maßgeblich? Unter welchen „teleologischen" Aspekten hat die Auslegung des konkreten Tatbestands zu erfolgen? Weshalb kann eine „außerstrafrechtliche Sonderpflicht" den Tatbestand - überhaupt die Strafwürdigkeit - eines Deliktes, also ein Phänomen innerhalb des Strafrechts beeinflussen? Diese Fragen können nicht ohne eine tragfahige materielle Begründung der Pflichtdelikte beantwortet werden. Eine Antwort dazu, eine genauere Begründung der Pflichtdelikte überhaupt, ist Ziel dieser Untersuchung - besonders insoweit sie zum Verständnis der Beteiligung bei und an den Pflichtdelikten notwendig ist. Zunächst muß jedoch noch auf eine andere Konzeption der Lehre vom Pflichtdelikt eingegangen werden, und zwar auf diejenige von Jakobs, der Roxins Lehre aufgegriffen und weiterentwickelt hat. Denn mit Recht sagt Roxin von der Konzeption Jakobs', sie sei „der bisher wichtigste Beitrag zur Weiterentwicklung der Lehre von den Pflichtdelikten". 27

26

Roxin, TuT, S. 384: „Es ist nicht Aufgabe dieser Arbeit, über das Grundsätzliche hinaus dem Pflichtbegriff bis in jede einzelne Strafbestimmung nachzugehen (...)". 27

Roxin, TuT, S. 672. - Insoweit a.A. Usch, GA 1994, S. 126.

§ 2 Der Ansatz Jakobs 9 zur Lehre vom Pflichtdelikt A. Die Unterscheidung zwischen Delikten kraft Organisationszuständigkeit und Delikten kraft institutioneller Zuständigkeit Ebenso wie Roxin hauptsächlich 1 zwischen zwei Deliktskategorien unterscheidet, nämlich zwischen Herrschafts- und Pflichtdelikten, nimmt Jakobs eine Dichotomie der Deliktskategorien an, 2 nämlich „Herrschaftsdelikte" bzw. „Delikte kraft Organisationszuständigkeit" 3 und „Pflichtdelikte". 4 Diese verschiedenen Deliktsarten beruhen nach Jakobs' Auffassung auf unterschiedlichen Haftungsgründen. 5 Bei den Herrschaftsdelikten geht es um eine Haftung kraft Organisationszuständigkeit, bei den Pflichtdelikten um eine Verantwortlichkeit kraft institutioneller Zuständigkeit. Bei Jakobs tritt als normale Erscheinungsform des Verbrechens also neben die Haftung per falscher Organisation - die i m Grundsatz 1 Die Wichtigkeit der anderen, von Roxin vorgestellten Kategorie, nämlich die der eigenhändigen Delikte (TuT, S. 399 ff ), möchte ich relativieren, jedenfalls ist sie für die in dieser Untersuchung verfolgten Zwecke kaum von Bedeutung. Zum einen sind die von ihm dieser Kategorie zugeordneten Fälle - wie Roxin selbst bemerkt - „inzwischen überwiegend von Strafe freigestellt worden", wie etwa die §§ 361 Ziff. 3 und 5, 175, 175b, 172 etc. (vgl. Roxin, TuT, S. 674 ff.). Zum anderen sind Fälle wie Rechtsbeugung vielleicht auch eigenhändige Delikte, jedenfalls aber zugleich Pflichtdelikte und insoweit der für die letzteren entwickelten Regel unterzogen. 2

Vgl. zusammenfassend Jakobs, AT, 28/16.

3

Jakobs hat begrifflich seine Lehre insofern weiter entwickelt, daß der Begriff „Herrschaftsdelikte" oft von „Delikten kraft Organisationszuständigkeit" ersetzt wird. Das soll stärker verdeutlichen, daß er die Tatherrschaft nicht im faktisch-naturalistischen, sondern im normativen Sinn versteht. Siehe auch oben S. 22 Anm. 2. - Im Laufe der Untersuchung werden beide Termini als Synonyme verwendet. 4

Als Sondergruppierung nennt Jakobs noch die „echten Unterlassungsdelikte". Bei ihnen bestehe der Haftungsgrund in der Verletzung der Mindestsolidarität (etwa §§ 138, 323c StGB). Daß solche Delikte auf einer humanitären Solidarität basieren, ist h.L.: Siehe etwa Kühl, AT, 1/11 und öfter; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 44ff.; Gössel, ZStW 96 (1984), S. 328 f.; a.A. Kargl, GA 1994, S. 260. 5

Zur Haftung kraft Organisationszuständigkeit und qua institutioneller Zuständigkeit grundlegend Jakobs in seinem Lehrbuch: Hier und im folgenden siehe 1/7, 7/57, 7/68, 7/70, 21/2 f., 21/16, 21/116, 29/29, 29/57 f. und öfter. Siehe auch: Volk, Tröndle FS, S. 237; Timpe, Nötigung, S. 91 f.; ders., JR 1990, S. 429 f.; ders., Strafmilderungen, S. 188,190 ff; Lesch, Sukzessive Beihilfe, S. 268 f.; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 184 f., 225, 240, 247; Kaiser, Opferverantwortung, S. 109 ff, 117 ff; Hüwels, Fehlerhafter Gesetzesvollzug, S. 123 f., 124 f., 126ff ; ferner: Heintschel-Heinegg, Prüfungstraining, Rdn. 668 ff, 677 ff.

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Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

der Roxinschen Herrschaft entspricht - auch eine Haftung wegen der Verletzung von Pflichten zu solidarisch institutionell abgesicherter Sorge für ein Gut. Es handelt sich daher um zwei verschiedene Zurechnungsmotive, nämlich entweder um Organisationsfreiheit und ihre Kehrseite der Folgenverantwortung oder um Institutionen, die das gleiche elementare Gewicht besitzen wie Organisationsfreiheit und Folgenverantwortung. Bei der Haftung aus Organisation geht es darum, Organisationsfolgen zuzurechnen; bei derjenigen kraft Institution um die Zurechnung eines Geschehens in einer gemeinsamen Welt. Diese Ergebnisse sind im wesentlichen neuerdings von Vogel bestätigt worden, der in seiner Untersuchung die Haftung aus Organisation (Herrschaftsdelikte) mit eingehender Begründung weiterentwickelt hat.6 Wie bei Roxin ergeben sich bei Jakobs aus der Lehre vom Pflichtdelikt zwei wichtige Konsequenzen, und zwar im Rahmen der Teilnahmelehre und im Unterlassungsbereich. Erstens wird die Täterschaft bei den Organisationsdelikten auch nach Jakobs' Auffassung durch die Tatherrschaft konstituiert - genauer: durch das Quantum der Organisationsanmaßung -, während bei den Pflichtdelikten allein die Pflichtverletzung

täterschaftsbegründend

wirkt. Der Grundgedanke der Roxin-

schen Lehre von den Pflichtdelikten, nämlich die Existenz einer Gruppe von Tatbeständen, bei denen das Pflichtverletzungskriterium über die Täterschaft entscheidet, findet sich also auch bei Jakobs wieder. Das Pflichtverletzungskriterium soll hier allerdings nicht nur ein Täterschaftskriterium, sondern den Zurechnungsgrund überhaupt darstellen. Die Trennung der Haftungsgründe führe wie bei Roxin auch dazu, daß die Beteiligung jeweils verschiedenen eigenen Regeln folge. Das Verhältnis TäterGut sei bei den Pflichtdelikten positiv durch den Status des Täters im Verhältnis zum Gut bestimmt und deshalb komme prinzipiell nur täterschaftliche Haftung in Betracht. 7 Die Zuständigkeit des Beteiligten werde somit aufgrund eines speziel6 Vogel, Norm und Pflicht, S. 26, 282 (allgemein), 358 ff. (Organisation), 366 ff. (Institution). Vogel gibt eine eingehende Begründung der Haftung kraft Organisation z.T. im Anschluß an Adolf Merkel und Jürgen Welp. Der wesentliche Unterschied zwischen der Auffassung von Jakobs und der Weiterentwicklung Vogels besteht darin, daß Vogel aus der Erkenntnis, es gebe eine Haftung kraft Organisation, nicht auch eine Garantenstellung im Begehungsbereich als Grundlage jeder Verantwortung herleiten will (ebenda, S. 373 f.; so aber Jakobs, AT, 7/56, 7/51 ff. und öfter; ders., Armin Kaufmann GS, S. 285). Jedenfalls kommt Vogel mittels des von ihm im Anschluß an Klaus Günther entwickelten Grundsatzes der „Anwendungsangemessenheit" in den meisten Fällen zur gleichen Lösung wie Jakobs (Vogel, aaO., § 6, insb. S. 174 ff., 176 ff., 180 ff.). 7

Jakobs, AT, 2/17,29/106,29/112; Vogel, Norm und Pflicht, S. 88. Ausnahmsweise, wie schon bei Roxin, kommt auch nach Jakobs Teilnahme in Betracht, wenn der Verpflichtete nicht Täter sein kann, weil er nicht alle Tätermerkmale in seiner Person erfüllt (dazu Jakobs, AT, 29/107).

§ 2 Der Ansatz Jakobs' zur Lehre vom Pflichtdelikt

31

len Status und nicht wegen einer Ausdehnung des Organisationskreises festgestellt. Jakobs hebt auch besonders hervor, daß der Bezugspunkt für die Beurteilung der Beteiligungsformen bei den Pflichtdelikten nicht die Tatherrschaft sein könne: Mangels Relevanz des Organisationskreises, also auch des Organisationsquantums, entfalle die Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme nach diesem Quantum. Das Gewicht des objektiven Tatbeitrags solle daher völlig bedeutungslos sein. Was das Unterlassen betrifft, kommt Jakobs im Ergebnis zu denselben Konsequenzen wie Roxin: Bei den Pflichtdelikten sollen sich lediglich äußerliche Unterschiede zwischen Begehung und Unterlassung finden lassen.8 In den Fällen der Pflichtdelikte werde die Beziehung des Täters zum Gut nicht erst durch das deliktische Verhalten vermittelt, sondern bestehe (schon vorher) unabhängig von der Deliktsbegehung, also völlig unabhängig davon, ob der Täter gehandelt oder unterlassen habe.

B. Das Charakteristikum der Institutionen im allgemeinen Wie oben erörtert, stellen sich für Roxin die Begriffe der Herrschaft und der Pflicht gegenüber „den jeweiligen Tatbeständen als fest geformte Vorgegebenheiten dar". Jakobs hat sich um eine gewisse Präzisierung dieser „geformten Vorgegebenheiten" bemüht. Das gemeinsame Charakteristikum der vorgegebenen Pflichten bestehe darin, daß sie an eine „Institution" geknüpft seien:9 Menschen gestalten nicht nur die für sie äußere Welt, sondern sie leben auch immer in einer bestimmten, schon gestalteten sozialen Welt. „Sie haben einen besonderen Status, etwa als Mutter oder ältester Sohn oder Staatsangehöriger etc., werden also durch ein Bündel von Rechten und Pflichten definiert." 10 Es handelt sich um Institutionen, die für den gesellschaftlichen Bestand von elementarer Bedeutung sind, anders ausgedrückt, die ebenso viel wie das Synallagma OrganisationsfreiheitFolgenverantwortung wiegen, d.h. um Institutionen, „die die Gestalt der Gesellschaft als ein Leben in einer gemeinsamen Welt prägen und zu denen es in der Regel - jedenfalls generell - keine Alternative gibt" 11 . Solche Institutionen haben 8

Allerdings ist das bei Jakobs keine spezifische Konsequenz der Pflichtdelikte, weil bei Organisationsdelikten dasselbe gilt; vgl. hierzu Jakobs, AT, 7/71, 28/14; ders., Tun und Unterlassen, passim. 9 Näher dazu Jakobs, AT, 7/70,28/15. Ebenso: Bottke, Täterschaft, S. 95; Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 200,251 mit Anm. 217; Vogel, Norm und Pflicht, S. 88; Timpe, JR 1990, S. 429 f. 10

Jakobs, La competencia, 12 f. und passim.

11

Jakobs, Beteiligung bei Herrschaftsdelikten und bei Pflichtdelikten, S. 2; ders., AT, 29/58 mit

32

Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

einen positiven Inhalt, „nämlich das Gebot zur Bildung einer ganz oder partiell gemeinsamen Welt, was vor allem heißt, zum Inhalt gehört auch die Leistung von Zuwendungen, die nicht nur Nachteile ausgleichen, die der Leistende organisiert hat oder organisieren wird, sondern die den Empfänger besser stellen" 12 . Hierin liegt der Ansatzpunkt fur die Jakobssche Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt: Die besondere Täterqualifikation wird auf das Bestehen einer Institution zurückgeführt. Als Institutionen sind nach Jakobs' ursprünglicher Auffassung das Eltern-Kind-Verhältnis, die Ehe, das sog. besondere Vertrauen, und die „genuin staatlichen Pflichten" zu nennen. Später hat Jakobs diese Liste jedoch gekürzt und die Institution der Ehe gestrichen. 13 Allgemein sei die Institution durch die besondere Beziehung zwischen Täter und Rechtsgut gekennzeichnet, die unabhängig von der Tat bestehe. „Die Institutionen sind (...) verfestigte Gründe für Solidarität, verfestigt, weil es auf eine individuelle Begründbarkeit der Solidarität aus Liebe oder Mitleid oder erwarteter Reziprozität nicht ankommt. Eltern müssen ihr Kind auch dann versorgen, wenn sie es nicht lieben; der Staat muß auch solchen Bürgern bei Katastrophen helfen, die ihm nicht nützen etc." 14 Jedes Geschehen innerhalb einer gemeinsamen Welt werde zugerechnet und zwar unabhängig von einer vorangegangenen Organisation. Die Funktion dieser Institutionen bestehe in der „Garantie von Erwartungen, die auf Gütererhalt bezogen" seien.15 Der strafrechtliche Schutz diene aber darüber hinaus „stets auch der Festigung der Institution" 16 . Deshalb sei das Beteiligungsquantum bei den Pflichtdelikten irrelevant. Es gehe darum, den Bestand eines Guts überhaupt oder gegen bestimmte Gefahren solidarisch zu garantieren. 17

Anm. 115. - Der ansonsten überwiegend zustimmende Vogel hat hierzu kritisch bemerkt, daß es „generell nicht erwartet wird, daß Menschen heiraten" (Norm und Pflicht, Anm. 370 auf S. 367); dazu auch Timpe, Nötigung, Anm. 41 auf S. 92. 12 Jakobs, Beteiligung bei Herrschaftsdelikten und bei Pflichtdelikten, S 3. Vgl. auch Bottke, Täterschaft, S. 95. 13

Näher dazu Jakobs, Tun und Unterlassen, S. 35 mit Anm. 76. - Auf eine Erörterung dieser Frage wird im Rahmen der hiesigen Untersuchung verzichtet. 14

Jakobs, Beteiligung bei Herrschaftsdelikten und bei Pflichtdelikten, S. 3.

15

Jakobs, AT, 29/58. Allerdings garantieren die Pflichten nur einen Mindeststandard an Fürsorge (ebenda, 29/60). Siehe auch Vogel, Norm und Pflicht, S. 367. 16 Jakobs, AT, 29/58. - Der strafrechtliche Schutz sei nur ein Teil der Institution. Denn beispielsweise sei ein Beamter nicht durch Unbestechlichkeit hinreichend definiert, ein Zeuge durch das Fehlen von Falschaussagen, und Eltern auch nicht dadurch, daß sie ihre minderjährigen Kinder nicht verhungern lassen {Jakobs, AT, 25/45). 17

Jakobs, AT, 29/106; ebenso, zur Teilnahme, Schultz, JuS 1985, S. 275.

§ 2 Der Ansatz Jakobs' zur Lehre vom Pflichtdelikt

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„Der Pflichtige soll" - so heißt es bei Jakobs - „mit dem Begünstigten, was die Erhaltung des Guts angeht, eine gemeinsame Welt bilden, sich also um das Gut kümmern wie um ein eigenes."18 Und wie man sein eigenes Gut entweder preisgeben oder aber bewahren, nicht aber nur helfen könne, es preiszugeben oder nur dazu anstiften könne, so könne auch der Pflichtige nur die Gemeinsamkeit mit dem Opfer ausschlagen oder sie aber wählen. Als Pflichtiger könne er nicht nur einen fremden Fehler fordern. Mit anderen Worten, wenn man zur Solidarität verpflichtet sei, verhalte man sich solidarisch, oder man tue es nicht, jedenfalls sei man nicht nur Gehilfe fremder Unternehmungen. Bei Pflichtdelikten hafte „der Pflichtige also nicht aus Gründen der Akzessorietät, sondern weil er selbst eine gemeinsame Welt mit dem Opfer nicht hergestellt" habe. Die Haftung kraft institutioneller Zuständigkeit sei unvermittelt in dem Sinn, daß der Pflichtige stets für die Verletzung des Guts einzustehen habe, ohne auf Zuständigkeit anderer verweisen zu können. Da das Charakteristikum der Pflichtdelikte mithin in dem Fehlen der Akzessorietät bestehe, wäre es genauer gewesen, sie als „Delikte mit akzessorietätsüberspringender Pflicht" zu bezeichnen.19 Die Jakobssche doppelte Neugliederung der Verbrechenshaftung in solche kraft Organisationszuständigkeit und kraft institutioneller Zuständigkeit, die Roxin für „recht plausibel" hält, hatte auch dieser bereits ansatzweise erkannt und in groben Zügen formuliert: „Der praktische Ertrag einer solchen systematischen Zweiteilung [Herrschaftsund Pflichtdelikte, J. S.-V.] scheint mir in folgendem zu liegen: Zunächst einmal bringt der normative Ausgangspunkt die soziale Realität, die alle dogmatischen Differenzierungen untergründet, mit überraschender Klarheit in den Blick. Bei den Pflichtdelikten sind es rechtlich schon durchgeformte Lebensbereiche [Institutionen i.S. Jakobs'] (die Beziehungen zwischen Vermögensfürsorger und Auftraggeber, Aufseher und Gefangenen, Rechtsanwalt und Mandanten), deren Funktionsfähigkeit durch die Tatbestände geschützt werden soll; bei den Handlungsdelikten bricht der Täter in friedensstörender Weise von außen (z.B. durch Totschlag, Raub, Öffnung fremder Briefe, heimliche Tonbandaufnahmen usw.) in Bezirke ein, die er von Rechts wegen unangetastet zu lassen hätte" [Ausdehnung des Organisationskreises i.S. Jakobs']. 20 18

Dieses und nächste Zitate: Jakobs, Beteiligung bei Herrschaftsdelikten und bei Pflichtdelikten, S. 4 f. 19 Jakobs, AT, 21/119; ihm folgend Seier, JA 1990, S. 383. 20

Roxin, Kriminalpolitik, S. 17 f.

3 Sinchez-Vera

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Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

In der Begründung sowie in einigen Einzelheiten bestehen jedoch Unterschiede zwischen den Konzepten Jakobs' und Roxins. Erstens hat Jakobs zur Begründung - über die Lehre Roxins hinaus - den Begriff der Institution eingeführt. Zweitens hat die Verletzung der Pflicht für Roxin nur die Bedeutung eines die täterschaftsmäßige von der teilnahmemäßigen Begehung unterscheidenden Merkmals, d.h. nicht sie, sondern die Rechtsgutsverletzung bildet den Strafgrund der Tat, während für Jakobs die Verletzung der Pflicht - neben der Ausdehnung des Organisationskreises - den Haftungsgrund überhaupt darstellt, denn der materielle Gehalt des Verbrechens besteht nicht in einer Rechtsgutsverletzung, sondern in einer Normverletzung. Im Ergebnis verhält sich Jakobs' Begriff des Pflichtdelikts zu demjenigen Roxins einerseits extensiv, andererseits restriktiv.

C. Die Erweiterung des Bereichs der Pflichtdelikte Da nach Jakobs alle Sonderpflichtigen aus der Institution ohne Beachtung der Handlungsform generell zur vollen solidarischen Sorge für ihr Schutzgut verpflichtet sind, werden die Jedermannsdelikte für Garanten kraft institutioneller Zuständigkeit auch für den Fall der Begehung stets zu Pflichtdelikten. Die Grundsatzunterscheidung zwischen der Haftung aus Organisationszuständigkeit und der Haftung aus institutioneller Zuständigkeit soll also nach Jakobs für alle Tatbestände einheitlich gelten. Er erstreckt daher den Kreis der Pflichtdelikte und somit das neue Instrument zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auf alle Fälle, in denen Institutionen eine Rolle spielen.21 Um ein Beispiel von Jakobs aufzugreifen: Der Vater, der dem Mörder seines Sohnes ein Messer reicht, leistet nicht nur Beihilfe zum Mord (Roxin), sondern ist schon Täter eines Mordes, weil er durch seine Handlung seine institutionelle Sonderpflicht zum Schutz des Kindes verletzt. Durch die Verletzung der zur Institution Eltern-Kind-Verhältnis gehörenden Sonderpflicht begeht der Vater ein Pflichtdelikt. Seine Pflichtverletzung ist also allein täterschaftsbegründend, ohne daß es auf die fehlende Tatherrschaft ankommt. Pflichtdelikte sind folglich nicht nur solche Verhaltensweisen, die unter den Wortlaut des Tatbestandes eines „positivierten" Pflichtdelikts, etwa 21

Ausfuhrlich dazu Jakobs, AT, 7/70, 21/115 ff. und öfter; ders., ZStW 97 (1985), S. 758; ders., Tun und Unterlassen, Anm. 77 (a); Vogel, Norm und Pflicht, S. 88, 284; Schumann, Selbstverantwortung, S. 71 Anm. 2; Wehrle, Fahrlässige Beteiligung, S. 101; i.E. ebenso: Busse, Täterschaft, S. 362 ff., 370,433,457,216 f.; Herzberg,, Unterlassung, S. 262 ff.; ders., JuS 1975, S. 171; Schröder in Schönke/Schröder, 10. Aufl., Vorbem. VI vor § 1,8a und Vorbem. III vor § 47; ähnlich Exner, Frank FS I, S. 595 f.

§ 2 Der Ansatz Jakobs' zur Lehre vom Pflichtdelikt

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eines Amtsdelikts, fallen, sondern vielmehr alle Verhaltensweisen, die gegen eine Institution verstoßen, und zwar selbst dann, wenn der betreffende Tatbestand, unter den das Verhalten subsumiert werden kann, als Jedermannsdelikt formuliert ist, etwa in dem genannten Beispiel der Tatbestand des § 211 StGB. Kurzum: Die als Jedermannsdelikte formulierten Tatbestände werden von Garanten kraft institutioneller Zuständigkeit stets, also nicht nur - wie bei Roxin - im Fall der Unterlassung als Pflichtdelikte begangen. Eine Stellungnahme dazu, ob dieser Weiterentwicklung der Pflichtdeliktslehre zugestimmt werden kann, erfolgt erst im dritten Teil der vorliegenden Arbeit (Beteiligung), und zwar erst nachdem im zweiten Teil die materielle Begründung der Pflichtdelikte gewonnen sein wird. 22

D. Die Reduzierung des Bereichs der Pflichtdelikte Aus der Bindung der Pflichtdelikte an den Bestand einer Institution ergibt sich aber nicht nur eine partielle Erweiterung, sondern auch eine teilweise Reduktion dieses Bereichs gegenüber der Roxinschen Konzeption. Um ein Beispiel von Jakobs aufzugreifen: Isolierte Pflichten, etwa die Leistungspflicht eines vermögensrechtlichen Schuldners, sollen keinen Status begründen, also nicht auf einer Institution basieren und folglich auch nicht zu einem Pflichtdelikt fuhren. Die bloße Schuldnereigenschaft mache kein Delikt - auch kein Unterlassungsdelikt - zum Pflichtdelikt, weil solche Eigenschaft nicht an eine Institution anknüpfe. Ein Status liege nur vor, wenn die strafrechtlich sanktionierte Pflicht Teil einer Institution sei (etwa beim Beamten, Soldaten, Vater etc.) oder aber den Pflichtigen in eine Institution hineinziehe (etwa den Zeugen bei den Aussagedelikten oder die Hilfsperson in § 203 Abs. 3 StGB). 23 Damit unterscheidet Jakobs also zwischen Sonder- und Pflichtdelikten, d.h. zwischen solchen Delikten, in denen eine rein äußerliche Begrenzung des Täterkreises vorliegt, und solchen, in denen der Gesetzgeber eine äußerliche Begrenzung gerade deshalb angeordnet hat, weil eine Institution im Hintergrund steht. Dazu entwickelt Jakobs folgenden Gedankengang: Die Eingliederung eines Deliktes als Sonder- oder Pflichtdelikt hänge davon ab, ob der Tatbestand der betreffenden Norm das Verhältnis des möglichen Täters lediglich begrenze oder ob er eine Pflicht zum Inhalt habe, die eine schon unabhängig von ihr bestehende

3*

22

Siehe unten § 9, A (S. 147 ff.).

23

Jakobs, AT, 25/46.

36

Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

Beziehung zu einem Gut strafrechtlich garantiere. Im letzteren Fall sei der Tatbestand dieser Pflicht wegen begrenzt formuliert worden. Pflichtdelikte setzten somit inhaltlich einen besonderen Status des Täters voraus. Als Beispiele fur die Pflichten, die zu Pflichtdelikten fuhren, nennt Jakobs die Amtspflichten bei den Amtsdelikten, die Pflichten des Aussagenden nach den §§ 153, 154 StGB und die Pflichten nach den §§ 174 ff. StGB gegen den Mißbrauch einer durch qualifiziertes Vertrauen oder sonst institutionell abgesicherten Stellung. Darüber hinaus kämen auch die nicht an bestimmte Tatbestände gebundenen Garantenpflichten kraft institutioneller Zuständigkeit in Betracht, d.h. die Fälle, in denen ein Garant kraft institutioneller Bindung einen nicht als Pflichtdelikt formulierten Tatbestand verwirkliche (etwa beim Totschlag eines Vaters an seinem Sohn).24 Keine Pflicht-, sondern Sonderdelikte im weiteren Sinn sollen dagegen diejenigen sein, die den Täterkreis nur beschränken, entweder deshalb, weil ein bestimmtes Gut nur in einer bestimmten Weise angegriffen werden könne, oder weil nur von einigen Personengruppen ein Gut in besonders leichter oder praktisch relevanter Art und Weise anzugreifen sei.25 Nach Jakobs sollen sich also die Sonderverbrechen im weiteren (Sonderdelikte) und im engeren Sinn (Pflichtdelikte) dadurch unterscheiden, daß bei den letzteren der Täter nur eine Person sein könne, die schon unabhängig von der Deliktsbegehung in einer Beziehung zu dem geschützten Gut stehe, während bei den ersteren die Beziehung erst durch das deliktische Verhalten hergestellt werde. Bei den Sonderdelikten sei die Beteiligungsform mit Hilfe des Tatherrschaftskriteriums zu ermitteln, jedoch mit der Besonderheit, daß nicht jedermann auf jede Art und Weise diese Tatherrschaft besitzen könnte. Beispiele dieser Gruppe seien: Grundfall der Unterschlagung (§ 246 Abs. 1 StGB [a.F.]), unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142), Gefangenenmeuterei (§ 121), Schiffsgefährdung (§ 297), exhibitionistische Handlungen (§ 183), unbefugter Gebrauch von Pfandsachen (§ 290), Vereiteln der Zwangsvollstreckung (§ 288), Bankrott (§ 283), etc. Es gehe in diesen Fällen 24 25

Jakobs, AT, 23/25; ferner ebenda, 29/112.

Dazu und zum folgenden: Jakobs, AT, 23/24. Ebenso: Seier, JA 1990, S. 383; Vogel, Norm und Pflicht, S. 136 f., 299 f.; Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 228 ff.; Lesch, Sukzessive Beihilfe, S. 295 f.; der Sache nach Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 172 f.; Schönke/Schröder-Cramer, Vorbem. §§ 25 ff., Rdn. 72. Bereits vor Jakobs siehe Herzberg, Unterlassung, S. 55 f., der - nur terminologisch verschieden - daraufhinweist, es gebe Tatbestände, die wohl „Pflichtdelikte" (mit Jakobsscher Terminologie: Sonderdelikte) insofern seien, als sie nicht jedermann, sondern nur herausgehobenen Personen mit Sonderpflichten Strafe androhen würden, die aber nicht zugleich „Garantendelikte" seien (in der hier verwendeten Terminologie: Pflichtdelikte), beispielhaft § 288 StGB; vgl. ferner Kohler, GA 1904, S. 172, 173 f.; Blauth, „Handeln für einen anderen", S. 78, 76 ff.

§ 2 Der Ansatz Jakobs' zur Lehre vom Pflichtdelikt

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schlechthin darum, daß der Tatbestand den Umfang des Organisationskreises des Täters beschreibe, ohne daß eine besondere Pflicht vorliege. Zur Verdeutlichung, daß eine faktische Begrenzung des Täterkreises nicht notwendig eine besondere Pflicht i.S. der Pflichtdelikte voraussetze, verweist Jakobs darauf, daß auch der Täter eines vollendeten Eigentumsdelikts (§§ 242 ff., 303 StGB) nur der Nichteigentümer sein könne und - noch krasser - der Täter einer vollendeten Tötung nur derjenige, der mit dem Opfer nicht identisch sei. 26 Kurzum: Wenn es sich um irgendeine Eigenschaft oder eine besondere Lage handle, gehe es nicht immer schon zugleich um ein Pflichtdelikt. Die praktische Relevanz der Differenzierung zwischen Sonderdelikten und Pflichtdelikten soll vor allem darin liegen, daß bei den Sonderdelikten § 28 StGB keine Anwendung finde. Denn bei ihnen handle es sich ebensowenig um ein besonderes persönliches Merkmal, wie zum Beispiel die Eigenschaft des Nichteigentümers bei den Eigentumsdelikten oder die des NichtOpfers bei den Tötungsdelikten eine spezielle Eigenschaft darstelle. Der Kreis der Pflichtdelikte ist aber bei Jakobs noch in einer weiteren Hinsicht enger zugeschnitten als derjenige Roxins. Denn nach Jakobs' Ansicht sind nicht - wie bei Roxin - alle durch Unterlassen realisierten Jedermannsdelikte als Pflichtdelikte qualifiziert, sondern nur diejenigen, die von Garanten kraft institutioneller Zuständigkeit begangen werden . 2 7 Alle unechten Unterlassungsdelikte aufgrund einer Garantenpflicht kraft Organisationszuständigkeit seien dem Haftungsgrund nach parallel zu den Begehungs-Herrschaftsdelikten zu beurteilen und gehörten deshalb nicht zum Bereich der Pflichtdelikte. 28 Das soll sogleich näher erörtert werden.

26 Jakobs, AT, 6/91. Verwandte Gedankengänge bei Brunrter, Täterkreis, S. 12 und Stratemverth, H. J. Bruns FS, S. 65. 27

Zu anderen Aspekten der Pflichtdelikte in der Lehre Jakobs\ etwa Versuch, Zumutbarkeit etc., die hier nicht weiter behandelt werden können, siehe Jakobs, AT, 15/15, 20/13, 21/97, 21/99, 25/43 ff, 28/13 ff., 29/14,29/89 f., 29/99, 29/115-126,29/192, 30/3. 28

Jakobs, AT, 28/14, 29/28 und öfter.

§ 3 Die Unterlassungsverbrechen als Pflichtdelikte? A. Die Auffassung Roxins I. Die Unterlassung bei „positivierten Pflichtdelikten" Wie bereits gezeigt, soll es nach Roxins Auffassung Tatbestände geben, bei denen nicht die Art und Weise des Täterverhaltens maßgeblich sei, sondern lediglich die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Pflicht. Der Gesetzgeber habe diese Tatbestände so formuliert, daß jedes Verhalten als tatbestandsmäßig zu betrachten sei, durch das die Pflicht verletzt - oder negativ formuliert: nicht erfüllt werde - und zwar unabhängig davon, ob das Verhalten in einem Unterlassen oder einem Tun bestehe: Beide Verhaltensformen seien völlig gleichgestellt. Als Beispiel nennt Roxin die Gefangenenbefreiung: 1 Ob der Gefängnisaufseher es bewußt unterlasse, die Tür abzuschließen, oder ob er den Häftlingen die Befreiung durch Zustecken des Schlüssels ermögliche, zähle gleich. Die Subsumtion eines Unterlassens erweise sich hier als unproblematisch. 2 Diese Art Tatbestände, die Roxin nicht speziell gekennzeichnet hat, werden hier „positivierte Pflichtdelikte" genannt, um terminologische Klarheit zu schaffen. Wie im Laufe der Untersuchung zu zeigen sein wird, sind diese Fälle in der Tat unproblematisch.

1 Vor Roxin bereits ähnlich: Schönke/Schröder, 12. Aufl., Vorbem. § 47, Rdn. 7 und 24; Böhm, JuS 1961, S. 179; Honig, Richard Schmidt FS, S. 12 ff. - Siehe auch Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 175 ff. (doppeldeutige Delikte) und Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 108 f., 165,143 ff. 2

Das bestreitet an sich selbst Armin Kaufmann nicht (JuS 1961, S. 174 Anm. 5; ebenso Grünwald, Unterlassungsdelikt, S. 44 Anm. 1), der ansonsten eine gesetzliche Fixierung als Wirkung des Nullumcrimen-sine-lege-Prinzips für sämtliche Unterlassungsfälle fordert. Es gibt Unterlassungen, „die das Strafgesetz selbst in einer Vorschrift zusammen mit dem entsprechenden Fall der Begehung behandelt und nach dem gleichen Strafrahmen ahndet: § 223b StGB a.F. (Vernachlässigung der Fürsorgepflicht mit der Folge einer Gesundheitsschädigung), § 121 StGB (Entweichenlassen Gefangener), § 123 Abs. 1 StGB (Hausfriedensbruch durch Unterlassen des Entfernens) u.a.m."; konsequenterweise behandelt er diese Unterlassungen als echte Unterlassungsdelikte, obwohl sie „der Strafe der entsprechenden Begehung unterstellt werden". - Allgemein wird die Existenz von diesen positivierten Pflichtdelikten selbst von denjenigen nicht bestritten, die die Pflichtdeliktslehre ablehnen; vgl. etwa jüngst Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 27 f., 174, 196. Siehe auch Stratenwerth, AT, Rdn. 983 f.

§ 3 Die Unterlassungsverbrechen als Pflichtdelikte?

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II. Die Unterlassung bei „Herrschaftsdelikten" 1. Grundlagen Nach Roxins Auffassung soll es aber daneben auch solche Tatbestände geben, in denen der Gesetzgeber eine exakte Beschreibung der Handlung vornehme, so daß es sich dabei im Prinzip um Herrschaftsdelikte handle. Trotz der präzisen Deskription der tatbestandsmäßigen Handlung könnten derartige Tatbestände nach allgemeiner Auffassung jedoch nicht nur per Handeln, sondern unter den Voraussetzungen des § 13 StGB auch per Unterlassen verwirklicht werden, d.h. gerade nicht durch das bestimmte äußere Verhalten, das im Tatbestand exakt fixiert worden ist.3 Beispiel:4 Ob der Bahnbeamte den Zusammenstoß zweier Züge durch falsches Stellen (Tun) oder durch NichtStellen (Unterlassen) der Weiche herbeiführe, sei gleichgültig. Bei den hier einschlägigen Tatbeständen (etwa §§ 223 und 303 StGB) handle es sich grundsätzlich - weil sie keine besondere außerstrafrechtliche Pflicht bezeichneten - nicht um „positivierte Pflichtdelikte", sondern - weil sie ein bestimmtes, exakt umrissenes Verhalten angäben - um ganz „normale" Herrschaftsdelikte, die freilich auch durch Unterlassen begangen werden könnten. 2. Das Problem: Tatherrschaft

bei Unterlassung?

Was die Frage nach einem geeigneten Abgrenzungskriterium der Beteiligung für diese Fälle angeht, in denen ein formulierungsmäßiges Herrschaftsdelikt durch Unterlassen begangen wird, befindet sich Roxin in folgendem Dilemma: Einerseits müßte er den Tatherrschaftsgedanken als Unterscheidungskriterium der verschiedenen Beteiligungsformen auch insoweit heranziehen, und zwar deswegen, weil die in Betracht kommenden Tatbestände - Körperverletzung, Sachbeschädigung etc. - dem Wortlaut nach Herrschaftsdelikte sind. Andererseits aber soll sich beim Unterlassungsdelikt gerade keine Herrschaft feststellen lassen, jedenfalls nicht mit Hilfe des für den Begehungsbereich verwendeten Herrschaftsbegriffs: Durch ein Nichtstun könne man den Geschehensverlauf nicht beherrschen, denn eine dominierende Lenkung des Verlaufs setze ein aktives Verhalten voraus, was aber gerade bei den Straftaten durch Unterlassen nicht gegeben sei.5 3

Deswegen äußert Roxin Zweifel in bezug auf das Bestimmtheitsgebot, in: Einführung in das neue Strafrecht, S. 2; ders., Kriminalpolitik, S. 18. 4 5

Nach Roxin, Kriminalpolitik, S. 19.

Roxin, TuT, S. 463. Ebenso die h.L.: Bloy, Zurechnungstypus, S. 214 f.; Otto, Jura 1985, S. 250; Schöneborn, ZStW 87 (1975), S. 922 mit Anm. 91; Stratemverth, AT, Rdn. 1062; Vogel, Norm und

Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

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Zur Auflösung dieser Problematik geht Roxin der Frage nach, ob nicht ein modifizierter Tatherrschaftsbegriff für die Unterlassung maßgeblich sein könnte, etwa im Sinne einer „Eingriffsmöglichkeit" oder einer „sozialen Tatherrschaft". Was die Tatherrschaft als „Eingriffsmöglichkeit" angeht, hat der Bundesgerichtshof etwa in verschiedenen Entscheidungen der Sache nach die Auffassung vertreten, daß schon die bloße Möglichkeit der Erfolgsabwendung die Tatherrschaft des Unterlassenden begründen könne.6 Dagegen wendet Roxin jedoch zu Recht ein, daß es für die Anstiftung und die Beihilfe - zumindest als selbständige Beteiligungsformen - kaum noch einen Raum gebe, wenn eine potentielle Hinderungsherrschaft schon eine reale Tatherrschaft darstelle. 7 Ferner stellt Roxin unter Berufung auf Gallas8 fest, daß eine solche potentielle Hinderungsherrschaft per se bereits zum Begriff der Begehung durch Unterlassen gehöre, so daß Unterlassen und Tatherrschaft demnach immer identisch sein müßten.9 Der Feststellung Roxins kann nur zugestimmt werden. Dazu ein Beispiel: Β verschafft dem A eine Bombe. Nach einer Woche installiert A sie in der Wohnung des C und stellt den Zeitzünder so ein, daß die Bombe drei Tage später explodiert. Vor und nach dem Handeln des A unterläßt es B, die Explosion zu verhindern, obwohl ihm dies ohne Schwierigkeiten - durch Warnung des C, durch Anrufen der Polizei, durch Entschärfung der Bombe etc. - möglich gewesen wäre. Das Beispiel zeigt, daß derjenige, der Hilfe zu der Tat eines anderen geleistet hat, danach

Pflicht, S. 275; Thiemann , Aufsichtspflichtverletzung, S. 24 f. Die Gegenmeinung versuchen Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 47, Rdn. 111 i.V.m. 87 ff. sowie eingehend Busse, Täterschaft, S. 162 ff. und passim, zu begründen.

6 BGH 2, 150 (156) (=JZ 1952, S. 370 ff.); BGH MDR 1960, S. 939 f. - Bei Suizidfällen heißt es etwa: „Wenn nämlich der Suizident die tatsächliche Möglichkeit der Beeinflussung des Geschehe (,Tatherr schaff) endgültig verloren hat, weil er infolge Bewußtlosigkeit nicht mehr von seinem Entschluß zurücktreten kann, hängt der Eintritt des Todes jetzt allein vom Verhalten des Garanten ab" (BGH 32, 367 [374], Hervorhebung von mir). Zum Teil auch unter Anwendung der subjektiven Teilnahmetheorie BGH 13, 162 (166) (=MDR 1959, S. 1024). A.A. jedoch BGH 19, 135. - Zum Thema siehe Roxin, TuT, S. 91 ff.; ders. in LK, § 25, Rdn. 202; sowie (a.A.) Busse, Täterschaft, S. 155 ff., speziell zum Unterlassen S. 158 ff., m.w.N. aus der Rechtsprechung. 7 Näher dazu Roxin, TuT, S. 463 ff., 313; ihm folgend Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 139, 150; Wehrle, Fahrlässige Beteiligung, S. 103; vgl. auch Kielwein, GA 1955, S. 227. 8 9

Gallas, JZ 1952, S. 372.

Siehe etwa jünst Roxin in LK, § 25, Rdn. 205; ders., NStZ 1987, S. 346; zustimmend Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 139; Vogel, Norm und Pflicht, S. 276; Schönke/Schröder-Cramer, Vorbem. §§ 25 ff., Rdn. 73; ders., Bockelmann FS, S. 395; Seelmann in NK, § 13, Rdn. 93; Thiemann , Aufsichtspflichtverletzung, S. 24 f.; Beulke/Bachmann, JuS 1992, S. 742. Vgl. auch Herzberg, JuS 1975, S. 172; S tree, GA 1963, S. 8; Schwalm, Engisch FS, S. 552; Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 73, 87; Busse, Täterschaft, S. 274; Lubber ger, Strafbare Teilnahme durch Unterlassung, S. 52,69 f.

§ 3 Die Unterlassungsverbrechen als Pflichtdelikte?

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häufig noch tatsächlich die Möglichkeit hat, den Erfolg abzuwenden. An eine Beihilfehandlung schließt sich also vielfach eine Unterlassung an. Aus dem Bestehen besonderer Teilnahmevorschriften folgt jedoch zwingend, daß diese Erfolgsabwendungsmöglichkeit niemals eine andere Verantwortlichkeit begründen kann als die Beihilfe selbst.10 Bliebe eine solche Unterlassung der Erfolgsabwendung nicht unberücksichtigt, bedeutete also diese potentielle Hinderungsherrschaft eine reale Tatherrschaft, so könnte jeder Fall von strafloser Beihilfe nämlich doch, und zwar auf dem Umweg über ein unechtes Unterlassungsdelikt, strafbar sein.11 So wäre etwa die versuchte Beihilfe per Begehung straffrei, ein qua Tatherrschaft kraft Hinderungsmöglichkeit begründeter, nachfolgender „täterschaftlicher" Versuch durch „Unterlassen" jedoch nicht. Auch würde sich beispielsweise die straflose Beihilfe zum Selbstmord zur täterschaftlichen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen wandeln (§216 StGB). 12 Im Ergebnis bleibt also mit Roxin festzuhalten, daß eine Eingriffsmöglichkeit (d.h. eine Möglichkeit, den Erfolg abzuwenden) die Tatherrschaft für die Unterlassung nicht begründen kann. Einwände gegen die Begründung Roxins lassen sich bis hierher nicht erheben.13 Weiterhin untersucht Roxin den Begriff der „sozialen Tatherrschaft" als für die Unterlassung maßgebliches Täterkriterium. 14 Eine solche „soziale Tatherrschaft" soll dann vorliegen, wenn sich „nach sozialer Auffassung Tun und Unterlassen nicht mehr unterscheiden" würden, wenn das Unterlassen also dem Sprachgebrauch nach nichts anderes als eine Erscheinungsform der Begehungstat sei. Zur Erläuterung bringt Roxin folgende Beispiele: (1) Wenn eine Mutter ihr Kind 10 Zu Recht betont von: Rudolphe Gleichstellungsproblematik, S. 146; Arzt, JA 1980, S. 558; Gallas, JZ 1960, S. 686 f. mit Anm. 56; Herzberg, JZ 1988, S. 183; ders., Unterlassung, S. 260; Jähnke in LK (10), Vorbem. § 211, Rdn. 24; Kielwein, GA 1955, S. 226; Lesch, Sukzessive Beihilfe, Bsp. 1/8 auf S. 71 f. und S. 307; Vogel, Norm und Pflicht, S. 279; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 335; zur Selbsttötung Grünwald, GA 1959, S. 121 f.; aus der Rechtsprechung BGH 11, 353 (355) (=JZ 1958, S. 506). 11 Eingehend Welp, Vorangegangenes Tun, S. 331 ff.; Ludovisy, Erfolgsqualifizierung und Unterlassung, S. 52 ff., 83 f. 12

Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen durch Unterlassen ist aber streitig. Während der BGH (13, 162 [166]) eine solche grundsätzlich für möglich hält, bleibt Eser unentschieden (in Schönke/Schröder, § 216, Rdn. 10) und hält Jähnke die Begehbarkeit des § 216 StGB durch Unterlassen schon prinzipiell fur ausgeschlossen (in LK, § 216, Rdn. 9) - jew. m. w. Nachw. 13 Genauer: Diese Eingriffsmöglichkeit bedeutet keine Steigerung des Beteiligungsquantums (sowohl als Täter wie auch als Teilnehmer). Oder anhand des Beispiels: Das Beteiligungsquantum des Β ist als Teilnahme zu bewerten - Verfügbarkeit des Tatmittels - und bleibt auch Teilnahme, wenn Β nach seiner Leistung oder nach der Handlung des Täters noch seinen Beitrag revozieren kann. Vgl. Vogel, Norm und Pflicht, S. 283 f., 286 und unten S. 152 f. Anm. 22. 14

Roxin, TuT, S. 465 ff. Siehe auch Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 74.

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Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

verhungern lasse, sei dieses Verhalten nach sozialem Urteil - das im Sprachgebrauch seinen Ausdruck finde - in der Weise zu bewerten, daß die Mutter das Kind „getötet" und das Geschehen „beherrscht" habe. Umgekehrt könne nach sozialem Urteil nicht die Rede davon sein, daß die Mutter, die ihr Kind hinreichend ernähre, einen Todeserfolg abwende. (2) Anders verhalte es sich aber, wenn ein Vater sein Kind nicht rette, das ohne sein Zutun ins Wasser gefallen sei. Hier lasse sich nach sozialem Urteil nicht feststellen, daß er sein Kind getötet, sondern nur, daß er den Erfolg nicht abgewendet habe. Wenn er das Kind gerettet hätte, könne man im Gegensatz zum ersten Fall hier wohl davon sprechen, daß er den Todeserfolg abgewendet habe. Man werde den Vater deshalb loben. Eine solche Differenzierung anhand der sozialen Beurteilung und des Sprachgebrauchs, die darauf beruht, ob (1) das Verhalten des Täters entweder im Rahmen seiner sozialen Funktion bleibt oder nicht, oder ob (2) das Verhalten des Täters Unglücksfälle korrigiert oder nicht, soll nach Roxins Auffassung recht plausibel sein:15 „Ein Unterlassen [kommt] dem aktiven Handeln an Strafwürdigkeit immer dann völlig gleich, wenn das gebotene Tun, wie es bei der Kinderernährung (...) der Fall ist, in den normalen Regelablauf des Lebens von vornherein eingeplant ist." 16 Als weiteren Fall, in dem eine solche soziale Herrschaft vorliege, bezeichnet Roxin das schon angeführte Beispiel des Weichenwärters: Auf die Strafwürdigkeit habe es keinen Einfluß, ob dieser den Zugzusammenstoß durch NichtStellen der Weiche oder durch ihr falsches Stellen herbeiführe. 17 Andere Fälle hingegen, in denen eine soziale Tatherrschaft nach Roxins Auffassung zu verneinen sei, in denen es sich also lediglich um Rettungsfälle handle, die mangels Begehungsgleichheit ihren Unterlassungscharakter behielten, sollen vorliegen, wenn z.B. ein Polizist pflichtwidrig ein Delikt, etwa eine Sachbeschädigung, nicht verhindere, 18 wenn jemand seine schwimmunkundige Frau zu retten unterlasse, die ohne sein Zutun ins Wasser gefallen sei, oder wenn jemand qua 15 Ebenso Schünemann, GuG, S. 95, 46 ff; vorher bereits Henkel, MSchrfKrim 1961, S. 180 mit Anm. 7. Zu einer solchen Anwendung des Sprachgebrauchs ebenso Busse, Täterschaft, S. 33 und Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 74. Dagegen Vogel, Norm und Pflicht, S. 99. Roxin will dann für die zweite Fallgruppe (keine soziale Tatherrschaft) eine Strafmilderung de lege lata gemäß § 13 Abs. 2 StGB vornehmen, diese Fälle aber de lege ferenda als qualifizierte Fälle des § 323c StGB (dazu siehe auch Schünemann, Zum gegenwärtigen Stand, S. 60 mit Anm. 51) oder als echte Unterlassungsdelikte behandeln. Siehe sogleich im Text S. 45 f. 16 Roxin, Einführung in das neue Strafrecht, S. 9. Diese Argumentation entspricht der allgemeinen Ansicht: siehe bereits Höpfher, ZStW 36 (1915), S. 121 oder jetzt Kühl, AT, 18/4 f., 18/48. 17

Roxin, Einführung in das neue Strafrecht, S. 9; ders., Kriminalpolitik, S. 19.

18

Roxin, TuT, S. 465.

§ 3 Die Unterlassungsverbrechen als Pflichtdelikte?

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Ingerenz hafte. 19 Jedenfalls müßten auch solche Sachverhalte ohne soziale Tatherrschaft nach den Kriterien der Unterlassungsdelikte behandelt werden. Damit könnte eine Differenzierung anhand der sozialen Tatherrschaft nach Roxins Ansicht fur zwei Bereiche relevant sein, nämlich für die Strafzumessung und für die Abgrenzung der Beteiligungsformen. Was letzteres angeht, wäre es denkbar, denjenigen, der eine sozial „eingeplante Tätigkeit" (soziale Tatherrschaft) nicht erbringt, als Unterlassungsfäter anzusehen und denjenigen, der lediglich in die „gestörte Ordnung" nicht erhaltend oder rettend eingreift (keine soziale Tatherrschaft), bloß als Teilnehmer per Unterlassen. Und doch will Roxin diese Konsequenz nicht ziehen. Obwohl er die Möglichkeit einer Differenzierung nach dem Kriterium der sozialen Herrschaft selbst vorgeschlagen hat, und eine derartige Differenzierung für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auch nach seiner eigenen Auffassung in Betracht kommen könnte, lehnt er diesen Weg ab. Als Begründung ist bei Roxin zu lesen, „daß sie [die soziale Tatherrschaft als Differenzierungskriterium] nicht erklären könnte, warum etwa der Bademeister, der den ertrinkenden Schwimmer umkommen lasse, als Täter gemäß § 212 StGB bestraft" werde. Denn was ihm vorgeworfen werde, sei kein Töten, sondern die unterlassene Rettung, was nach dem Kriterium der sozialen Tatherrschaft aber nur zur Teilnahme führe, 20 die hier überdies mangels rechtswidriger Haupttat auch noch straflos bleiben müsse.21 Die soziale Tatherrschaft sei demnach ein unbrauchbares Abgrenzungskriterium von Täterschaft und Teilnahme im Unterlassungsbereich. 3. Die Auflösung des Dilemmas: Die Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte Das von Roxin für den Bereich der Unterlassungsdelikte konstatierte Dilemma der Tatherrschaftslehre läßt sich also seiner Auffassung nach auch nicht mit einer 19

Roxin, Einführung in das neue Strafrecht, S. 9 mit Anm. 36.

20

Roxin, TuT, S. 467. - Roxins Einwand ist m.E. jedoch systemintern zirkulär. Der Grundsatz, daß der Bademeister in solchen Fällen als Täter bestraft werden muß, setzt eben voraus, daß die Frage nach der Richtigkeit des Kriteriums der sozialen Tatherrschaft schon beantwortet wurde. Anders formuliert: Das Prinzip, der Bademeister hafte als Täter, setzt eben die Täterschaft voraus - was in Frage steht. Wenn die Differenzierung nach dem Kriterium der sozialen Tatherrschaft korrekt ist (so Roxin), warum soll dann das Ergebnis (Täterschaft) im Fall des Bademeisters noch korrekter sein, und zwar in einer Weise, die die Plausibilität der Differenzierung unmöglich erscheinen ließe? Anders gefragt: Wenn das Kriterium der sozialen Tatherrschaft korrekt ist, warum sollen dann die daraus fur die Täterschaftslehre gezogenen Konsequenzen unrichtig sein? Es handelt sich meiner Ansicht nach um eine petitio principii: Es wird vorausgesetzt (die Täterschaft des Bademeisters), was erst bewiesen werden müßte. 21

Roxin, TuT, S. 467. Im Ergebnis ähnlich Schünemann, GuG, S. 96 f.

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Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

extensiven Interpretation der Tatherrschaft als soziale Herrschaft auflösen. Falls also etwa ein Bahnbediensteter einen Zusammenstoß durch Nichtsteilen der Weiche herbeiführe oder ein Polizist eine Sachbeschädigung nicht hindere, handle es sich der Formulierung

des Tatbestandes nach zwar um ein HerrschaftsâtïïkX

durch Unterlassen, aber eine wirkliche Tatherrschaft des Unterlassenden lasse sich in beiden Fällen weder mit dem üblicherweise im Begehungsbereich verwendeten Begriff der Tatherrschaft noch mit einem als „Eingriffsmöglichkeit" verstandenen Herrschaftsbegriff noch mit einem anderen, neuen, ad hoc für die Unterlassung geschaffenen, auf der „sozialen Tatherrschaft" basierenden Täterschaftsbegriff begründen. In allen diesen Fällen spricht Roxin von „verkappten Pflichtdelikten" oder „unechten Herrschaftsdelikten": 22 Um Herrschaftsdelikte handle es sich wegen ihrer (präzisen) Formulierung und unecht seien sie deshalb, weil das Unterlassen des Täters - statt eines Handelns - so zu bewerten sei, daß die präzise Tatbeschreibung als erfüllt verstanden werde, wenn der Täter eine besondere Pflicht verletze. Zur Auflösung des Dilemmas bleibt Roxin nur ein Weg: Die Herrschaftsdelikte sollen nicht nur - wie im Normalfall - durch Begehung, sondern auch durch Unterlassen begangen werden können, freilich ohne Tatherrschaft („verkappte Pflichtdelikte"). Bei diesen Herrschaftsdelikten handle es sich aber nicht nur um „verkappte", sondern um „echte" Pflichtdelikte, so daß die Pflichtverletzung zu dem insoweit maßgeblichen Täterkriterium avanciere. Rechtsgüterverletzungen, die im Rahmen der vom Gesetzgeber präzise beschriebenen Tatbestände im Fall des Begehens als Herrschaftsdelikte qualifiziert seien, verwandelten sich in Pflichtdelikte, wenn sie durch Unterlassen begangen würden - aber eben nur in diesem Fall. Diese Rechtsgüterverletzungen besäßen somit eine Doppelstruktur je nachdem, ob sie durch Begehen oder durch Unterlassen verwirklicht würden: Sie seien sowohl Herrschafts- als auch Pflichtdelikte, und daher folgten sie im ersten Fall dem Kriterium der Tatherrschaft und im zweiten Fall demjenigen der Pflichtverletzung. 23 Demnach wäre das Abgrenzungskriterium der Beteiligungsformen vom Vorliegen eines positiven Tuns oder Unterlassens abhängig. Dieses Ergebnis will Roxin nicht nur aus der Systematik der Teilnahmelehre, sondern auch aus der Unterlassungsdogmatik herleiten. Denn da nicht jeder Unterlassende als Täter in Frage komme, sondern immer nur derjenige, den eine konkrete Pflicht zur Abwendung des tatbestandlich umschriebenen Erfolges - die Garantenpflicht - treffe, 22

Roxin, Kriminalpolitik, S. 19.

23

Roxin, TuT, S. 460.

§ 3 Die Unterlassungsverbrechen als Pflichtdelikte?

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müßten die Unterlassungsdelikte strukturell selbständig, und zwar als Pflichtdelikte, behandelt werden. Die Erfolgsabwendungspflicht des Inhabers einer Garantenstellung sei eine Sonderpflicht im Sinne der Pflichtdeliktslehre. Wer diese Sonderpflicht verletze, also seine Erfolgsabwendungspflicht nicht erfülle, müsse stets als Täter eines Pflichtdelikts angesehen werden. 24 4. „Soziale Tatherrschaft"

und Strafzumessung

Allerdings soll das Kriterium der sozialen Tatherrschaft nach Roxins Auffassung im Rahmen der Strafzumessung doch noch eine gewisse Relevanz gewinnen. Die Erörterung dieser Frage bietet nun zugleich die Möglichkeit, die drei verschiedenen Arten von Unterlassungsdelikten - die drei Pflichtdelikte -, die Roxin der Sache nach unterscheidet, nochmals zusammenfassend darzustellen: 25 Bei der ersten Gruppe handelt es sich um die oben bezeichneten „positivierten Pflichtdelikte", bei denen der Tatbestand schon seiner Formulierung nach gleichermaßen durch Tun und Unterlassen erfüllt werden könne. Hier sei es für die Strafzumessung irrelevant, ob der Täter den Tatbestand durch Tun oder Unterlassen verwirkliche. Eine Strafmilderung sei jedenfalls nicht erforderlich. Dieser Fallgruppe sollen die Untreue, die Gefangenenbefreiung, die Fahnenflucht etc. unterfallen. Zu der zweiten Gruppe gehören diejenigen unechten (Herrschafts-) Unterlassungsdelikte, bei denen der Unterlassende die „soziale Tatherrschaft" besitze, etwa im Beispielsfall der Mutter, die ihr Kind verhungern lasse, oder in dem des Weichenwärters. Hier müsse eine Strafmilderung ebenfalls ausscheiden. Schließlich ist noch eine dritte Gruppe auszumachen, nämlich diejenige der unechten (Herrschafts-) Unterlassungsdelikte, bei denen der Unterlassende keine soziale Tatherrschaft innehabe. Diese seien zwar auch ohne soziale Tatherrschaft in die Kategorie der Pflichtdelikte einzuordnen, aber nur mit der Konsequenz einer Strafmilderung, so beispielsweise im Fall des Polizisten, der eine von einem Dritten verübte Sachbeschädigung nicht verhindere, oder in dem des Vaters, der 24 Näher dazu Roxin, TuT, S. 459 ff.; ders. in LK, § 25, Rdn. 206. Ebenso: Schönke/Schröder, 12. Aufl., Vorbem. § 47, Rdn. 7, 24; Arzt, JA 1980, S. 557; Haft, AT, S. 188; Bloy, ZurechnUngstypus, S. 216 ff., 219; ders., JA 1987, S. 492; Schönke/Schröder-Cramer, Vorbem. §§ 25 ff., Rdn. 73; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 139; ders. in SK, Vorbem. § 13, Rdn. 37 ff.; Stratenwerth, AT, Rdn. 107; Müsch, Jura 1989, S. 197; Wehr le, Fahrlässige Beteiligung, S. 103 mit Anm. 60; Wessels, AT, Rdn. 514; R. Meyer, Garantenstellung, S. 5; Nappert, Umweltstrafrecht, S. 134, 158. 25 Zur gesamten Problematik der Strafzumessung noch Vorschläge de lege ferenda Roxin, TuT, S. 596 ff., 502 ff; schon de lege lata ders., Einführung in das neue Strafrecht, S. 8 f. Wie Roxin. Bruns, JR 1982, S. 466; Jescheck/Weigend, AT, § 58 V 2; Jescheck in LK, § 13, Rdn. 62; Tröndle, StGB, § 13, Rdn. 20; Lackner, StGB, § 13, Rdn. 18. Ähnlich Schünemann, GuG, S. 96 mit Anm. 13, 315; vorher E. A. Wolff, Kausalität, S. 43 Anm. 23 m.w.N.

Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

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sein ins Wasser gefallenes Kind nicht rette, ferner im Fall des Bademeisters oder in den Fällen der Ingerenz. Da in allen diesen Beispielen keine soziale Tatherrschaft vorliege, seien sie dem Begehen nicht gleichgestellt, so daß es ungereimt wäre, die Unterlassungstat als Begehungstäterschaft nach deren Strafrahmen zu beurteilen. Hier sei eine Strafmilderung erforderlich, und zwar entsprechend dem Strafrahmen der Beihilfe (§§ 27, 49 Abs. 1 StGB). Denn die Unterlassungstäterschaft sei bei Vorhandensein eines Handelnden nie mehr als eine Begehungsbeihilfe und könne folglich auch nicht anders bestraft werden. 26 Wie oben gezeigt wurde, hat derjenige, der Hilfe zu der Tat eines anderen leistet, im Anschluß daran vielfach noch die Möglichkeit, den Erfolg abzuwenden. Selbst wenn ein solcher Beteiligter nicht nur als Gehilfe per Begehung, sondern daneben auch - qua Ingerenz - als Täter per Unterlassung qualifiziert wäre, so würde das nach Roxins Lösung also dennoch nicht zur Umgehung der vom Gesetz angeordneten Strafmilderung gemäß §§ 27, 49 Abs. 1 StGB führen, weil der Strafrahmen des Unterlassungstäters insoweit demjenigen des Gehilfen durch Tun entspräche und die Unterlassungstäterschaft deshalb hinter dsr Beihilfe als subsidiär zurücktreten könnte.27 Wenn der Unterlassende „Alleintäter" sei, wenn sich also sein Unterlassen nicht auf die Tat eines anderen, sondern auf eine per Naturgewalt herbeigeführte Rechtsgüterverletzung beziehe, gelte dasselbe, weil prinzipielle Wertunterschiede zwischen den verschiedenen Formen der Unterlassung nicht aufweisbar seien. Im Fall des Bademeisters sei dieser also, obwohl er das im Tatbestand präzise formulierte Verhalten (Herrschaftsdelikt) nicht begangen habe, wegen der Verletzung einer konkreten Pflicht zur Abwendung des Erfolges (Garantenpflicht) zwar Täter einer Tötung, aber die Strafe für dieses Pflichtdelikt müsse mangels sozialer Tatherrschaft auf den Rahmen der Beihilfe reduziert werden.

26

De lege ferenda schlägt Roxin aber vor, sie als qualifizierte Fälle des § 323c StGB oder als eigene neue echte Unterlassungsdelikte zu positivieren; dazu Roxin, Kriminalpolitik, S. 19; ders., Einführung in das neue Strafrecht, S. 9 mit Anm. 36: Es sei nach dem Unwertgehalt etwa nicht dasselbe, ob jemand seine schwimmunkundige Frau mit Tötungsabsicht ins Wasser stoße, oder ob er es nur unterlasse, ihr nachzuspringen, nachdem sie ohne sein Zutun ins Wasser gefallen sei. Roxin folgend z.B. Lange, ZStW 77 (1965), S. 317; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 143 ff.; ders., MDR 1967, S. 2. Vgl. auch Schünemann, GuG, S. 313 ff., 380 f. Hiergegen Busse, Täterschaft, S. 170, 187 ff., 193 ff., 257 ff., 267; Jakobs, AT, 29/124; Vogel, Norm und Pflicht, S. 144. 27

Roxin, ZStW 74 (1962), S. 417 Anm. 24; siehe auch Vogel, Norm und Pflicht, S. 279 Anm. 31.

§ 3 Die Unterlassungsverbrechen als Pflichtdelikte?

47

B. Intrasystematische Kritik Roxin postuliert eine Strafmilderung in den Fällen, in denen der Unterlassende nicht die sog. soziale Tatherrschaft innehat. Im Gegenteil soll das besondere Gewicht der sozialen Tatherrschaft dazu führen, daß der Unterlassende, der eine solche Tatherrschaft besitze, nicht milder bestraft werden müsse. Es ist jedoch fraglich, ob das von Roxin zur Differenzierung im Bereich der Strafzumessung herangezogene Kriterium der sozialen Tatherrschaft überhaupt ein taugliches Kriterium darstellt. Roxin will das Unterlassen in den Fällen sozialer Tatherrschaft

dem aktiven

Handeln hinsichtlich der Strafwürdigkeit gleichstellen, weil „das gebotene Tun, wie es bei der Kinderernährung und beim Weichenstellen des Bahnbeamten der Fall" sei, „in den normalen Regelablauf des Lebens von vornherein eingeplant" wäre. 28 Denn bei der Ausübung strafrechtsunabhängiger sozialer Rollen werde die Bedeutung von Tun und Unterlassen allein durch ihren Stellenwert im sozialen Beziehungsverhältnis bestimmt und enthalte von daher ihre tatbestandliche Relevanz. Immer dort, wo die Funktionsfähigkeit des gesellschaftlichen Organismus auf bestimmten, von vornherein eingeplanten Tätigkeiten basiere, stelle sich das Unterlassen des gebotenen Tuns nach seinem sozialen Sinn als Erscheinungsform des Begehens dar. 29 Nach diesen Prämissen wäre in den schon erörterten Beispielen nur der Mutter und dem Weichenwärter die soziale Tatherrschaft zuzusprechen und die Strafmilderung zu versagen, nicht jedoch dem Bademeister oder dem Polizisten, die vielmehr in den Genuß einer Strafmilderung kämen. Die Fragwürdigkeit dieser Lösung läßt sich jedoch schon anhand einer eingehenden Analyse dieser Beispiele verdeutlichen. Sowohl der Bademeister als auch der Polizist erfüllen nämlich gleichermaßen die genannten Voraussetzungen für die Zuschreibung der sozialen Tatherrschaft. Denn die Rettung eines Nichtschwimmers durch den Bademeister oder die Hinderung einer Sachbeschädigung durch die Polizei ist ebenso von vornherein in den normalen Regelablauf des Lebens eingeplant wie die Ernährung der Kinder durch die Mutter. Schließlich ist die Tätigkeit der Polizei überhaupt eine elementare Grundlage eines geordneten gesellschaftlichen Zusammenlebens. Andererseits soll die soziale Tatherrschaft nach Roxins Auffassung fehlen, soweit sich die Pflicht des Garanten auf eine Leistung bezieht, die er nicht seiner sozialen Rolle entsprechend alle Tage, son28

Roxin, Einfuhrung in das neue Strafrecht, S. 9.

29

Roxin, Kriminalpolitik, S. 19.

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Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

dem nur im Fall einer außergewöhnlichen Gefahr zu erbringen habe.30 Wo ein Tun im gewöhnlichen Ablauf der Dinge nicht vorgesehen sei, sondern - wie bei der Lebensrettung und der Deliktsvereitelung - von der Rechtsordnung nur zur Korrektur von Unglücksfällen oder anderen Störungen geboten werde, da sei die Untätigkeit auch nach ihrer sozialen Bedeutung kein Begehen, keine Beeinträchtigung des erwünschten Geschehensablaufs, sondern ein Nicht-Wiederherstellen der Ordnung und damit ein Unterlassen. 31 Aber auch dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, daß der Bademeister doch gerade zur Verhinderung von Badeunfällen und der Polizist zur Abwehr von Straftaten berufen ist, daß also die soziale Rolle eines Bademeisters bzw. eines Polizisten eben durch diese Aufgaben definiert ist, so wie auch die Rolle der Mutter durch die Ernährung ihrer Kinder geprägt wird. Deshalb erscheint die Erfüllung dieser Pflichten in allen diesen Fällen gleichermaßen „gewöhnlich". Hinzu kommt, daß Roxin seine Lösung, wie oben dargestellt, auf „die soziale Beurteilung" bzw. auf dasjenige gründet, was „im Sprachgebrauch seinen Ausdruck findet", also voraussetzt, daß der Sprachgebrauch in diesem Zusammenhang überhaupt relevant sein kann. Aber schon im Alltagssprachgebrauch sind Tun und Unterlassen zur Beschreibung eines Verhaltens oft ohne weiteres austauschbar, was anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden soll: Wenn ein Beschuldigter, der auf an ihn gerichtete Fragen gewöhnlich schweigt, beim zwanzigsten Mal plötzlich spricht (Tun!), ist es keinesfalls fernliegend, dieses Verhalten so zu beschreiben (Alltagssprachgebrauch), daß er es dieses Mal unterlassen hat, zu schweigen.32 Darüber hinaus erscheint es axiologisch ungereimt, wenn nach Roxins Auffassung für die Strafmilderung allein maßgeblich ist, ob das Unterlassen des Täters seine „normale" Tätigkeit betrifft oder nicht, weil dann die Lösung des Falles am Ende nur von der Zufälligkeit eines Prozentsatzes der Arbeitsorganisation abhängt. Ist das Stellwerk in unserem Beispielsfall so automatisiert, daß der Weichenwärter nur selten - also nicht mehr normalerweise - eingreifen muß, besitzt er - anders als in der Grundkonstellation ohne Automatisierung - keine soziale Tatherrschaft, so daß ihm im Fall einer Pflichtverletzung mangels sozialer Tatherrschaft eine Strafmilderung zugutekommt.

30

Roxin, Einführung in das neue Strafrecht, S. 9.

31

Roxin, TuT, S. 466.

32

Eingehend dazu Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 24 ff., 49, 100 f. (Beispiel auf S. 28).

§ 3 Die Unterlassungsverbrechen als Pflichtdelikte?

49

Es hat sich also gezeigt, daß das Kriterium der sozialen Tatherrschaft für eine Differenzierung im Bereich der Strafzumessung ebenso unbrauchbar ist, wie für eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Es liegt deshalb nahe, daß die Behauptung Roxins, alle Unterlassungsstraftaten seien Pflichtdelikte, nicht zutrifft. Denn wenn alle Unterlassungsdelikte Pflichtdelikte wären, so hätte das zur Folge, daß in Ermangelung eines tauglichen Kriteriums zur Differenzierung bei der Strafzumessung den Wertunterschieden, die in einigen Fallkonstellationen unstreitig existieren, nicht mehr angemessen Rechnung getragen werden könnte. Wenn es z.B. jemand unterläßt, seine Pistole zu sichern, so daß sie für einen anderen verfügbar ist, der damit einen Dritten erschießt, wäre der Strafrahmen der Täterschaft anzuwenden (Pflichtdelikt!) - mangels Kriteriums ohne Strafmilderungsmöglichkeit -, obwohl der Beteiligte im Fall eines Überlassens der Pistole durch Handeln gewiß nur als Gehilfe haften würde. 33 Auch in dem bereits erwähnten Fall, in dem jemand einem anderen eine Bombe verschafft, die erst drei Tage nach der Installation explodieren soll, wäre dieser Beteiligte nicht nur für seine Beihilfehandlung, sondern daneben auch für seine täterschaftliche Unterlassung zu bestrafen, wenn er den Erfolg noch abwenden konnte (wiederum: mangels Kriteriums der „sozialen Tatherrschaft" ohne Strafmilderungsmöglichkeit), so daß die Strafmilderung für die Beihilfe durch das qua Ingerenz begründete Pflichtdelikt unterlaufen würde. Die Zugehörigkeit der Unterlassungsdelikte zu den Pflichtdelikten soll nach Roxins Auffassung allerdings, wie gesehen, beim Besitz der sog. sozialen Tatherrschaft durch den Unterlassenden (etwa im schon angeführten Fall des Weichenwärters) keine Konsequenz im Strafrahmen des Unterlassenden haben. Selbst in diesen Fällen würden sich aber gewichtige andere Folgen für die Teilnahmelehre ergeben, wenn man alle Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte qualifizieren wollte. In Anbetracht dieser Konsequenzen ist auch in diesen Fällen eine Zuordnung als Pflichtdelikte keineswegs irrelevant. Wie noch ausführlich zu behandeln sein wird, ist die Strafe nach § 28 Abs. 1 StGB zu mildern, wenn beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) besondere persönliche Merkmale fehlen, welche die Strafbarkeit des Täters begründen. Für die hier zu behandelnde Problematik heißt das: Da die außerstrafrechtliche Sonderpflicht, die dem Pflichtdelikt zugrundeliegt, ein besonderes persönliches Merkmal darstellt, ergäbe sich für den

33 Zutreffend betont von Jakobs, AT, 29/101; Vogel, Norm und Pflicht, S. 283 f. - Vgl. noch unten. S. 152 f. Anm. 22.

4 Sänchez-Vera

Teil 1 : Die Lehre vom Pflichtdelikt - Ausgangspunkt

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Beteiligten, der kein Garant ist, stets eine Strafmilderung. 34 Diese Sicht fuhrt jedoch - wenn man den Prämissen Roxins folgt - im Ergebnis zu sehr zweifelhaften Konsequenzen. Beispiel: Stiftet ein nichtqualifizierter Passant (Extraneus) den Weichenwärter zu einem Zugzusammenstoß durch falsches Stellen der Weiche (Tun) an und geschieht der Unfall, so haftet letzterer als Täter einer Sachbeschädigung, Körperverletzung etc., und ersterer als Anstifter gemäß § 26 StGB gleich dem Täter. Stiftet aber der Passant zum Zugzusammenstoß durch NichtStellen der Weiche (Unterlassen) an, so haftet der Weichenwärter gleichfalls als Täter einer Sachbeschädigung etc., während der Passant hier wiederum als Anstifter bestraft würde, allerdings nicht, wie § 26 StGB grundsätzlich anordnet, gleich dem Täter, sondern gemäß § 28 Abs. 1 StGB aus einem nach § 49 Abs. 1 StGB obligatorisch gemilderten

Strafrahmen,

denn die Pflicht, den Erfolg abzuwenden, ist nach

Roxin ein besonderes persönliches Merkmal, das dem Anstifter fehlt. Dieser Bewertungsunterschied läßt sich jedoch nicht rechtfertigen. Man denke nur an den Fall, in dem der „Extraneus" den Weichenwärter zu einem Zugzusammenstoß anstiftet, ohne zu wissen, ob dieser es durch falsches Stellen der Weiche (Tun) oder durch NichtStellen der Weiche (Unterlassen) realisieren wird. Dieses Paradoxon wirft wiederum die Frage auf, ob schlechthin alle Unterlassungsstraftaten eine besondere Pflicht i.S. der Pflichtdelikte. Bisher wurde zu Roxins Lehre hauptsächlich kasuistisch Stellung genommen. Wie Roxin - freilich in anderem Kontext 35 - zutreffend hervorgehoben hat, können einige einzelne Beispiele, wie immer man zu ihnen stehen mag, eine Gesamtkonzeption jedoch weder bestätigen noch widerlegen. Deshalb soll jetzt auf die Grundposition Roxins Bezug genommen werden, um seine Auffassung kritisieren zu können. Es handelt sich um allgemeine Grundlagen des Verständnisses der Unterlassung, die nicht nur von Roxin geteilt werden. 34 Roxin, TuT, S. 515; ders. in LK, § 28, Rdn. 64, 1. Wie Roxin auch: Tröndle, StGB, § 28, Rdn. 6; Schünemann, Jura 1980, S. 357 (differenzierend aber in ZSchwR 97 [1978], S. 154: Strafmilderung nur bei Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes); Arzt, JA 1980, S. 557; Maurach/Gössel/Zipf AT II, S. 397; Langer, Lange FS, S. 244,262 und Anm. 12 (für Ingerenzfölle); Vogler, Lange FS, S. 271, 282 f. (wohlgemerkt: Vogler argumentiert nur anhand von Beispielen bezüglich Garantenstellungen aus - sog. - natürlicher Verbundenheit [vgl. dazu die hier vertretene Lösung unten S. 42]); Wessels, AT, § 13 IV 2; Sowada, Jura 1986, S. 400; Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 109 f., mit weiteren Literaturangaben. Zur Problematik siehe auch jüngst BGH 41, 1 ff.; insb. Busse, Täterschaft, S. 269 f. und passim, der in den meisten Fällen eines Unterlassens, etwa demjenigen des Weichenwärters, Tatherrschaft annimmt, so daß der gesagte Wertungsunterschied zwischen dem Dritten, der sich an einer Unterlassung beteiligt, und demjenigen, der an einem Begehungsdelikt teilnimmt, bei ihm nicht auftaucht. Im Ansatz ist jedenfalls die Auffassung Busses insoweit richtig, als nicht unbedingt alle Unterlassungsdelikte Pflichtdelikte sind; dazu unten § 4 (S. 51 ff., 58 ff ). 35

Roxin, JZ 1966, S. 294.

Teil 2 Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

§ 4 Nochmals: Z u r Frage der Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte A. Die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen bei Automatisierungen Eine scharfe Unterscheidung von Tun und Unterlassen ist zumindest seit den letzten Untersuchungen über die Unterlassungsdelikte in Mißkredit geraten. Denn früher wurde von der Literatur eine Tatgestaltung auf die konkrete Körperbewegung, also auf positives Tun beschränkt. Heute zeigt aber der Versuch „groteske Konsequenzen", jede soziale Verantwortlichkeit auf irgendeine konkrete Körperbewegung zurückzuführen. 1 Das kann leicht anhand eines Beispiels verdeutlicht werden:2 In der heutigen Zeit wird der Arbeiter durch einen Industrieroboter ersetzt und erhält die Aufgabe zugewiesen, bei Störungen des Ablaufs einzugreifen. Während ein fehlerhaftes Produkt in früheren Zeiten auf schlechter Arbeit, d.h. auf positivem Tun des Arbeiters beruhte, kommt es heutzutage dadurch zustande, daß der Arbeiter nicht in den automatisierten Prozeß eingreift, also die gebotene Korrektur unterläßt. Es ist damit eine klare Steigerung der praktischen Bedeutung der Unterlassungsdelikte zu verzeichnen. Seelmann spricht zutreffend von einer „Grenzverwischung" zwischen Unterlassen und Begehen durch die

1

Zutreffend Schünemann, GuG, S. 283,285 a.E., 250; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 112, Jakobs, Tun und Unterlassen, S. 1 ff.; Vogel, Norm und Pflicht, S. 250. Ähnlich Arzt, JA 1980, S. 554 f., der von einer „Verwandtschaft" von Tun und Unterlassen spricht und bei den „suspekten Garantenstellungen" (z.B. Verkehrssicherungspflichten), bei denen Tun und Unterlassen „ganz eng beieinander liegen", eine Trennung nicht für möglich hält. - Zum Teil wurde das auch von der älteren Literatur so gesehen; vgl. etwa: M.E. Mayer, Lehrbuch, S. 109; Rotering, GS 34 (1883), S. 207; v. Bar, Gesetz und Schuld im Strafrecht, II. Band, S. 268 mit Anm. 33a. 2

*

Nach Volk, Tröndle FS, S. 225.

52

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

moderne Technik, 3 Philipps von der „Vertauschbarkeit von T u n und Unterlassen im System" 4 . Diese Gleichwertigkeit von Begehen und Unterlassen gilt generell - wie im folgenden zu zeigen ist - für die Gestaltung der äußeren Welt. 5 Denn eine solche Gestaltung vollzieht sich - wie die Gesellschaft überhaupt - arbeitsteilig, d.h. also eben auch im System. Das soll nochmals anhand eines Beispiels von Automatisierung eingeleitet werden: 6 Entweder besteht die Pflicht eines Staudammwärters darin, trotz eines bestimmten Wasserstands ein Ventil nicht zu öffnen, weil sich ein Mensch vor dem Ventil befindet (Verbot); oder aber die Ventilöffhung ist automatisiert, so daß der Staudammwärter bei einem bestimmten Wasserstand den Automaten abschalten muß, wenn sich ein Mensch vor dem Ventil aufhält {„Gebot 1).

Befolgt der Wärter das „Gebot" nicht, indem er den

K n o p f nicht drückt, liegt ein Unterlassungsdelikt vor. Dort, wo früher die riskante Organisation in dem Drücken - dem Öffnen - bestand, ist nun das Nicht-Drücken, um das Geschehen zu vermeiden, riskant. Ob er bei Anwesenheit eines Menschen i m ersten Fall den K n o p f drückt oder i m zweiten Fall den K n o p f nicht drückt, spielt keine Rolle für die rechtliche Bewertung. Diese Verhaltensdifferenz - im ersten Fall die Verletzung des Verbots zur riskanten Organisation durch Handeln, i m letzten die Verletzung des „Gebots" zur riskanten Umorganisation durch 3 Seelmann, JuS 1987, L 33 ff., L 34; ders., GA 1989, S. 250; ders.. zuerst in AK, § 13, Rdn. 23; sodann in NK, § 13, Rdn. 23; ders., Privatrechtlich begründete Garantenpflichten?, S. 93. 4 Philipps, Der Handlungsspielraum, S. 140 ff, S. 144 (zum Modell des Spielraums S. 10, 15 ff ); ders., Recht und Information, S. 129; ders., Normentheorie, S. 287 f.; ihm folgend Puppe, Idealkonkurrenz, S. 283 f.; Vogel, Norm und Pflicht, S. 95; Timpe, Strafmilderungen, S. 162 f.; ders., JR 1990, S. 429. Vgl. ferner: Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 21 f., 122,127 f. und passim; Garzón Valdes, Allgemeine positive Pflichten, S. 180 f. und passim; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 211 f. - Der Terminus Vertauschbarkeit meint hier jedenfalls nicht, wie Struensee, Stree/Wessels FS, S. 134 f., kritisiert, daß „sowohl eine Handlung wie eine Unterlassung gegeben [sind]", wie das Beispiel sogleich im Text zeigen soll. 5 Grundlegend Jakobs, AT, 28/14, 6/28 ff., 6/31 ff., 28/Anm. 3; ders., Der strafrechtliche Handlungsbegriff, S. 30 f.; ders., Tun und Unterlassen, S. 19 ff. und passim; ders., Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, S. 27; Timpe, Strafmilderungen, S. 171 ff.; ders., Die Nötigung, S. 89 ff.; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 31 f.; Hüwels, Fehlerhafter Gesetzesvollzug, S. 122 f.; Freund, Erfolgsdelikt, S. 79 f., 103, 177, 271 Anm. 22 und passim; Vogel, Norm und Pflicht, S. 250, 264 ff.; Lesch, Sukzessive Beihilfe, S. 265. 6 Nach Philipps, Der Handlungsspielraum, S. 141 ff. - Auch ohne Automatisierungen, etwa bei fahrlässigen Delikten, ist die Vertauschbarkeit von Tun und Unterlassen möglich. Vgl. etwa RG 5,309 ff. (311). Bei diesen Delikten ist die Austauschbarkeit von Tun und Unterlassen alltäglich, weil bei ihnen das Verhalten sowohl Elemente des positiven Tuns als auch des Unterlassens enthält: Die Verantwortlichkeit bezieht sich z.B. auf eine unvorsichtige Handlung (Tun), die ihrerseits als Nichteinhaltung der gebotenen Sorgfalt betrachtet werden kann (Unterlassung des pflichtmäßigen Verhaltens). Dazu siehe etwa Roxin, Engisch FS, S. 380ff.; Engisch, Gallas FS, S. 163ff.; Androulakis, Studien, S. 134 ff; zusammenfassend Ranft, JuS 1963, S. 340 ff, 345; auf die Problematik Tun und Unterlassen bezogen Freund, Erfolgsdelikt, S. 166 f.; Seelmann in NK, § 13, Rdn. 27 ff 7

Ob es sich hier wirklich um ein Gebot handelt, wird gerade untersucht.

§ 4 Nochmals: Zur Frage der Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte

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Unterlassen - ist rechtlich irrelevant. Sie richtet sich schlechthin nach dem zufälligen status quo ante der Organisation. Wie Philipps es zutreffend formuliert: 8 Der Mensch schafft sich künstliche Welten, indem er Vorgänge in Bereichen, die seiner Organisation unterworfen sind, ausschließt. Die Festigkeit der Grenzen dieser Welten hängt vom Willen derer ab, die sie aufrechterhalten sollen. Deshalb sind diese aber auch verantwortlich für andere, die sich darauf verlassen dürfen, daß bestimmte schädigende Vorgänge ausgeschlossen sind. Man denke etwa an die Produkthaftung. Oder nochmals anhand des schon angeführten Beispiels: Von dem mit einer Reparatur am Ventil beschäftigten Arbeiter kann nicht verlangt werden, sich über die jeweilige interne Regelung des Systems zu informieren, damit er sein Verhalten entsprechend einrichten kann. In dem Fall, in dem der Staudammwärter den Knopf drücken muß, scheint es offensichtlich, daß er keine besondere Pflicht erfüllt. Der Arbeiter erledigt lediglich seine Arbeit. Diese Pflicht basiert schlechthin auf Erwartungen, die ihm als Arbeiter zugewiesen sind. Das Ziel der folgenden Überlegungen ist es, die Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Sicht bei Automatisierungen, zu überprüfen, um zugleich der Frage nachgehen zu können, ob alle Unterlassungsdelikte notwendigerweise Pflichtdelikte sind oder nicht.

B. Die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen bei den Herrschaftsdelikten I. Das Problem Die generelle Behauptung, daß das Unterlassen in einer rechtlich verfaßten Gesellschaft weniger strafwürdig sei als das Tun, dürfte wohl mindestens auf P.J.A. Feuerbach zurückzuführen sein:9 8 9

Philipps, Der Handlungsspielraum, S. 132.

Vor Feuerbach, aber nicht wie bei ihm in Form eines allgemeinen Grundsatzes, sondern in Form eines Topos für einige spezielle Fälle (etwa Hochverrat) vgl.: Hasse, Die Culpa, § 3 (S. 18 ff.); Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 119 ff; Jaschinski, Die Entwicklung des Begriffs , Erfolg', S. 26 ff., 34. - Schon J.S.F. Boehmer (ΙΊΊ0, dazu Moos, Verbrechensbegriff, S. 409 f.), der eine Gleichbehandlung von Tun und Unterlassen lehrte, hatte eine besondere Verpflichtung des Unterlassenden gefordert, ohne zu spezifizieren welche. - Auch Grotius nannte für das Zivilrecht als besondere Verpflichtung neben Vertrag und Gesetz noch einen dritten Grund, nämlich das „Vergehen" - also die heutige Ingerenz (De jure belli ac pacis, II, 17. cap., I). - Thomas, Summa Theologica, MI q 100 a 5 ad 4: „Die natürliche Vernunft befiehlt dem Menschen ohne weiteres, niemandem Unrecht zuzufügen. Die Gebote, die untersagen, den anderen zu schädigen, erstrecken sich daher auf alle. Die natürliche Vernunft befiehlt aber nicht ohne weiteres, etwas für einen anderen zu tun, es sei denn, der Mensch schulde ihm etwas."

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

„So ferne eine Person ein Recht auf wirkliche Äußerung unserer Thätigkeit hat, insoferne giebt es Unterlassungsverbrechen. Weil aber die ursprüngliche Verbindlichkeit des Bürgers nur auf Unterlassungen geht; so setzt ein Unterlassungsverbrechen immer einen besondern Rechtsgrund (Gesetz oder Vertrag) voraus, durch welchen die Verbindlichkeit zur Begehung begründet wird. Ohne diesen wird man durch Unterlassung kein Verbrecher." 10 Seither hat man die Handlungspflichten (Gebote) und folglich auch die Unterlassungsdelikte stets an eine Solidaritätspflicht geknüpft und daraus auf eine notwendige Differenz zur Begehung geschlossen: Ohne einen besonderen Rechtsgrund - so lautet Feuerbachs Diktum - wird man durch Unterlassen kein Verbrecher. Darüber hinaus wird, weil die „ursprüngliche Verbindlichkeit" nur auf Unterlassungen geht, behauptet, Gebote würden wegen der Pflicht, ein bestimmtes Verhalten zu vollziehen, die Freiheit stärker beschränken als Verbote. Somit seien die unechten Unterlassungsdelikte minder strafwürdig als die entsprechenden Begehungsdelikte.11 Die Prämissen der Roxinschen Unterlassungsdogmatik gehen also der Sache nach auf diese Deutung von Feuerbach zurück: Da Tun und Unterlassen jeweils verschiedenen Regeln folgen und die Handlungspflichten einen besonderen Rechtsgrund, eine spezielle Pflicht voraussetzen sollen, scheint die Einordnung sämtlicher Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte durchaus konsequent. Der Sache nach geht es um die Frage der strafrechtlichen Garantie von Erwartungen, seil, darum, daß diese Garantie bei den Begehungsdelikten ohne weiteres bestehe, bei den Unterlassungsdelikten dagegen nur dann, wenn den Täter eine besondere Pflicht

treffe. Mit der Lehre Feuerbachs als Instrument

10 Und zwar seit der 2. Aufl. des Feuerbachschen Lehrbuchs, § 24; siehe auch §§ 46, 211 (zu den Abweichungen der 1. Aufl. Krause, Rechtspflicht, S. 49 ff. und Clemens, Unterlassungsdelikte, S. 9 f., der darüber hinaus auf E.C. Westphal [1785] als Urheber der Formel Feuerbachs hinweist); Spangenberg, Neues Archiv des Criminalrechts IV (1820), S. 528 f., 535, 537; Mitter maier, Neues Archiv des Criminalrechts X (1829), S. 560; Hepp, Neues Archiv des Criminalrechts 1837, S. 30 f.; Henke, Handbuch des Criminalrechts, 1. Teil, S. 280 f.; Haupt, ZStW 2 (1882), S. 548 ff.; wörtlich auch Preuß. Obertribunal in GA 7 (1859), S. 551. Aus der Zeit zu Beginn dieses Jahrhunderts siehe statt vieler die einflußreichen Aufsätze von Nagler, GS 111 (1938), S. 59, 62 und passim sowie im Grundsatz auch Traeger, Unterlassungsdelikte, S. 27 ff., 77 ff. 11

Roxin, TuT, S. 501 ff., 482; ders., Einführung in das neue Strafrecht, S. 8; ders., JZ 1966, S. 297 mit Anm. 46; ders., ZStW 74 (1962), S. 417 Anm. 24 (ein Unterlassen sei im allgemeinen subsidiär zu einem Tun). So auch die bisherige überkommene Lehre, vgl.: Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 86, 300 ff.; Grünwald, GA 1959, S. 113,115; JescheckWeigend, AT, § 58 V 1; Rudolphi in SK, Vorbem. § 13, Rdn. 55; Tröndle, StGB, § 13, Rdn. 20; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 171; siehe auch Romeo Casabona, Grenzen der Delikte der Begehung durch Unterlassen, S. 89 ff. Wie schon oben gezeigt (S. 19 ff., 24 ff.), spiegelt sich diese Auffassung (Minderstrafwürdigkeit des Unterlassens) besonders kraß im Bereich der Beteiligung durch Unterlassen wieder: Ein Unterlassender solle neben einem Handelnden nur als Teilnehmer haften {Gallas), oder mindestens nach dessen Strafrahmen (Roxin).

§ 4 Nochmals: Zur Frage der Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte

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dränge sich also die Frage auf, wieso von einem Bürger, dessen „ursprüngliche Verbindlichkeit (...) nur auf Unterlassungen" gehe, eine aktive Rettung erwartet werden könne. Feuerbachs Behauptungen scheinen jedoch in Anbetracht der oben dargelegten Automatisierungs-Fälle allenfalls zum Teil zuzutreffen. Denn das Drücken des Knopfes zum Abschalten der automatischen Ventilöffhung etwa ist, wie schon gesehen, von einer besonderen Pflicht oder Solidarität so wenig abhängig, wie das Nicht-Drücken des Knopfes zum Öffnen des Ventils, wenn sich jemand vor dem Ventil befindet, als solidarisches Verhalten zu bewerten ist! Das Drücken des Knopfes ist in solchen Fällen lediglich eine Folge der Automatisierung. Dieser Gedanke erscheint auch verallgemeinerungswürdig. Um noch ein plastisches Beispiel zu nennen, das bereits Ende des letzten Jahrhunderts Rotering gebildet hat:12 Wenn ich ein Räderwerk bewege und wahrnehme, daß ein Kind demselben zu nahe kommt, so halte ich still; die Erwartung des Nichteingreifens in fremde Rechtssphären erfordert eine Unterlassung, nämlich die Bewegung des Rades fortzusetzen. Wenn ich aber durch Federkraft diesen Mechanismus in Bewegung gesetzt habe, muß ich eine Veränderung in dem Mechanismus vornehmen, um die Federkraft zu hemmen, also positiv handelnd in die Außenwelt eingreifen; die Erwartung - wiederum: das Nichteingreifen in fremde Rechtssphären - verlangt jetzt ein Tun, eine Handlung, den Mechanismus zu stoppen, weil ich vorher etwas organisiert habe. Der Übergang von einem Unterlassen zum positiven Tun scheint prima facie weder etwas mit einer besonderen Pflicht bei der Unterlassung, noch mit einer Solidarität zu tun zu haben. Derjenige, der dem „Gebot" entsprechend den Mechanismus stoppen muß, um das Kind nicht zu verletzen, und dies auch tut, scheint damit keine besondere Solidaritätspflicht gegenüber dem Kind zu erfüllen, sondern lediglich die allgemeine Pflicht, nicht fehlerhaft zu organisieren.

II. Ansatz der Lösung, insbesondere über den Begriff der Person Das Gesagte zeigt schon, daß das Rechtssystem das äußerliche Geschehen selbst interpretiert, d.h. seinen eigenen Code hat, der hier juristischer

Code

genannt werden soll. Die Existenz eines eigenen, juristischen Codes ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wenn von Rechtswissenschaft, und nicht etwa von 12 Rotering, GS 34 (1883), S. 207. Ähnliche Fallkonstellationen bei: Welp, Vorangegangenes Tun, S. 114ff.; Maiwald, JuS 1981, S. 482; Jakobs, AT, 28/14,6/35 und konsequent 32/33; Herzberg., GA 1991, S. 164; Schünemann, GuG, S. 240 (2), 283.

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Naturwissenschaft die Rede sein soll. Der „Stoff der Rechtswissenschaft", schreibt Gustav Radbruch in seiner Rechtsphilosophie, „ist ja nicht die formlose, amorphe Gegebenheit, sondern eine mittels vorwissenschaftlicher oder doch außerrechtswissenschaftlicher Begriffe vorgeformte Wirklichkeit. (...) Freilich [und hier liegt der entscheidende Passus] übernimmt die Rechtswissenschaft keinen außerrechtswissenschaftlichen Begriff, ohne ihn zugleich umzuformen. (...) Naturalistische Begriffe erleiden also, wenn die Rechtswissenschaft sie übernimmt, eine teleologische Umformung". 13 Der dem hier vertretenen Konzept zugrundeliegende juristische Code basiert, wie schon oben angedeutet, auf der Garantie normativer Erwartungen. 14 „Das Recht ist", wie Niklas Luhmann ausgeführt hat, „ein Mittel gesamtgesellschaftlicher Integration geblieben und repräsentiert, zumindest in den territorialen Grenzen politischer Systeme, die Erwartung von jedermann". 15 Weiterhin funktioniert der Code wie folgt: Da man nicht unmittelbar am Bewußtsein anderer teilnehmen, also Ego die Erwartungen von Alter nicht sicher kennen kann, ist das Erwarten der Erwartungen Alters nur dadurch möglich, daß Alter und Ego irgend etwas verbindet, an dem die Erwartungen gleichsam zusammen festgemacht werden, mit anderen Worten, wenn sie gleiche Identifikationsprinzipien bezüglich der Erwartungen besitzen. So bleiben die Erwartungen unberührt von den Besonderheiten des Einzelfalls. Um ein alltägliches Beispiel aufzugreifen: Man übergibt eine Münze, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, wie die Münze vom Standpunkt des anderen aussieht (es sei denn, der andere ist etwa ein Geisteskranker). Erkennt der Empfänger die Münze nicht als solche, und benutzt er sie als Amulett, so muß derjenige, der die Münze gegeben hat, nicht deshalb die Erwartung, daß Münzen als Zahlungsmittel gelten, preisgeben. Ego hat daher nicht die Erwartungen von Alter zu aktualisieren (das könnte er auch nicht). 16 Hinsichtlich des Strafrechts stellt sich deshalb die Frage, woran die Erwartungen angeknüpft werden müssen. Anders gefragt: Welche Identifikationsprinzipien gelten im Strafrecht?

13

Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 219 f. - Ähnlich Sauer, Grundlagen des Strafrechts, S. 450 f.; Tesar , Überwindung des Naturrechts, S. 170. Vgl. ferner Freund, Erfolgsdelikt, S. 138 f.; Puppe, ZStW 92 (1980), 864 f., 872; dies., JZ 1994, S. 1151. 14

Vgl. Jakobs, AT, 1/4 ff.; Müssig, Schutz abstrakter Rechtsgüter, S. 140 ff., 136,89 ff.; Kindhäuser, Gefährdung, S. 29 f., 79 und passim; Lesch, Sukzessive Beihilfe, S. 240 ff. 15

Luhmann, Rechtssoziologie, S. 79; grundlegend ebenda, S. 31 ff.

16

Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 81 f.

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Üblicherweise gilt im Strafrecht der Sache nach das Individuum als Identifikationsprinzip, wobei freilich die Normen regelmäßig nicht als Erwartungen interpretiert werden. Das Individuum wiederum, das den Adressaten der Zurechnung bildet, hat die überkommene Strafrechtsdogmatik - was primär eine Konsequenz der Imperativentheorie sein dürfte - seit jeher als psycho-physisches System behandelt. Knüpft man eine Erwartung an das In-dividuum (seil, das Un-teilbare) an, so bezieht sich diese Erwartung darauf, was diesem Menschen als solchem zugerechnet werden kann. Auf den ersten Blick könnte das optimal erscheinen: Ist das Individuum bekannt - etwa ein Freund -, so kann man mit relativer Sicherheit erwarten. Das Risiko einer Enttäuschung ist dann minimal. Aber dieser Gedanke ist eben nur richtig, sofern es sich um intime Kontakte handelt, um Kontakte also, in denen der einzelne gerade als unersetzbare Einheit auftritt und man sich grenzenlos aufeinander einläßt, wie das etwa bei den Kontakten einer Kommune der Fall ist. Die Generalisierung von individuenbezogenen Erwartungen ist jedoch in Gesellschaften unmöglich, die nicht (nur) aus solch intimen Kontakten (zwischen Individuen) bestehen. Ein Strafrecht also, das nicht nur intime, sondern gerade auch lockere und anonyme Kontakte ermöglichen soll - wie sie die aktuelle Gesellschaft ausmachen -, kann nicht in dieser Weise vorgehen: 17 Bei Anonymität werden individuenbezogene Erwartungen zu häufig enttäuscht. Es gibt viele, nicht mit dem Erwarteten übereinstimmende Ereignisse, so daß die Erwartungen nicht mehr als Orientierungsmuster dienen können. Da sich das Strafrecht also gerade mit Konflikten innerhalb gesellschaftlicher

Kontakte beschäftigt, wird sein Identi-

fikationsprinzip durch das Individuum in seiner Rolle in der Gesellschaft gebildet. Damit werden anonyme soziale Kontakte ermöglicht, Erwartungen durch Antizipation koordiniert. 18 „Soziale Rollen sind" - so lautet die übliche Definition „Bündel von Erwartungen, die sich in einer gegebenen Gesellschaft an das Verhalten der Träger von Positionen knüpfen". 19 Der Begriff der Rolle entstammt der 17

1.d.S. bereits Jakobs, AT, 6/22; ders., Das Schuldprinzip, S. 29.

18

Siehe Jakobs, AT, 1/8; ders., ZStW 107 (1995), S. 859 f.; ders., ZStW 101 (1989), S. 518 f.; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 179 f.; Reyes, ZStW 105 (1993), S. 116 f., 131; Vehling, Abgrenzung, S. 93 mit Anm. 18, 97 mit Anm. 31, 97 ff.; Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten, S. 131 ff.; Otto, AT, § 9, Rdn. 30 ff. - Beschränkt (nur auf die Unrechtsebene, nicht jedoch auf die Schuldebene, wo Maßstab der Mensch als „Individual-Person" sei) Maihofer, Rittler FS, S. 154 f. 19 Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 32 f., 56. In der Rechtssoziologie ist der Begriff „Rolle" allgemein angenommen: Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 52 f., 107 f., 145ff.; Röhl, Rechtssoziologie, S. 309 ff.; Reichardt, Soziologie für Juristen, S. 111 ff., 129; Luhmann, Rechtssoziologie, S. 86, 98; Raiser, zuerst in: Rechtssoziologie, S. 220 f., sodann in: Das lebende Recht, S. 193; Dux, Rechtssoziologie, S. 52 f.; Argyle, Soziale Interaktion, S. 271 m.w.N. aus dem englischen Sprachraum.

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Theaterwelt. Ebenso wie der Schauspieler etwas spielt, was vorher festgelegt wurde, kann bei den sozialen Rollen von einer Vorgeformtheit die Rede sein: Es wird abgegrenzt, was man von einem Arzt, Polizist, von einem Bürger überhaupt erwarten darf. Es werden allgemein zwei Formen der Rollenzuweisung unterschieden: Die Zuschreibung und der Erwerb einer Rolle. 20 Zugeschriebene Rollen sind solche, die dem Rollenträger unabhängig von seinem Verhalten zugeschrieben werden, wie z.B. die Geschlechterrolle. Bei erworbenen Rollen ist der Wille des neuen Rollenträgers beteiligt. Beim Organisieren wird zumindest eine Rolle gespielt, nämlich diejenige als Person. Rechtliche Zurechnung richtet sich - ganz im Sinne der Rechtsphilosophie Hegels - an Personen.21 „Was hier [im abstrakten Recht] wesentlich ist, ist daß ich rechtsfähig überhaupt, daß ich Person bin", 22 lautet jede erste Prämisse. Das Rechtsgebot „sei eine Person" (Rph., § 36) gebietet, die bestimmte Individualität aufzuheben. Die anderen werden nicht in ihrer Individualität, sondern in ihrem Personsein „respektiert". Es geht nicht um mehr - aber auch nicht um weniger! als um die Person als Grundbegriff des abstrakten Rechts, als Grundbegriff aller sozialen Interaktion. Die Person ist freies Wesen; sie ist Aufhebung aller Besonderheiten im Gegensatz zur atomischen Betrachtungsweise; sie ermöglicht eben Anonymität. Das Individuum wird „als allgemeine Person aufgefaßt (...), worin Alle identisch sind" (Rph., § 209). Das Individuum wird Person: „sei eine Person und respektiere die anderen als Personen" (Rph., § 36).

III. Die Lösung Als erste Konsequenz der Deutung des Strafrechts durch den gerade skizzierten, auf personenbezogenen Erwartungen basierenden juristischen Code23 ergibt 20

Vgl. Reichardt, Soziologie für Juristen, S. 114 im Anschluß an Ralph Linton , 1936.

21

Vgl. Larenz, Logos XX (1931), S. 209 ff., 218, 231 ff.; Bartuschat, ZphF 41 (1987), S. 30 ff; Busse, in Binder u.a., S. 50 ff; Schaber, Recht als Sittlichkeit, S. 48 ff.; Flechtheim, Hegels Strafrechtstheorie, S. 70 f., 85: „Die größte Leistung seiner [Hegels] strafrechtlichen Lehre besteht darin, das im Strafrecht begründet zu haben, was im Zivilrecht bereits die römische Rechtswissenschaft und -praxis geleistet hat. Seit den Tagen des römischen Prätors verschwindet der Mensch, sobald er als Person auftritt, vollkommen unter dem juristischen Gewände. Hegel ist der erste, der den Versuch gemacht hat, dem Menschen auch als Verbrecher eine rechtliche Charaktermaske anzulegen." 22 23

Hegel, Vorlesungsnachschrift v. Griesheims, S. 175, Rdn. 21 f.

Unten (§ 5 B [S. 76 ff], § 6 [S. 89 ff], § 7 B [S. I l l ff.]) wird ausführlich behandelt, wie „Kommunikationen anderer Systeme" rezipiert werden, etwa Solidarität, familiäre Loyalität etc. Sie bilden die Pflichtdelikte. Eine andere Konsequenz des juristischen Codes ist es also, daß die von Roxin

§ 4 Nochmals: Zur Frage der Unterlassungsstraftaten als P f l i c h t d e l i k t e 5 9

sich also für das Strafrecht eine entsprechende Umformung von Ereignissen, die im Prinzip in den Bereich außerhalb des Strafrechts fallen. Nicht alles, was in der (Um-)Welt (des Strafrechts) passiert, Tun oder Unterlassen, ist als solches strafrechtlich relevant; und nicht alles, was in der (Um-)Welt passiert und strafrechtlich relevant ist, ist für das Strafrecht in gleicher Art und Weise relevant, wie es in der Welt passiert ist. Das Rechtssystem arbeitet also mit bereits umgeformten Daten, die auf Erwartungen

an Personen basieren, nicht aber mit Handlungen

oder Unterlassungen per se, die freilich zur Umwelt gehören und als solche in der Umwelt bleiben. Daß es in der Umwelt ein Tun oder ein Unterlassen gibt, ist irrelevant: Solche Ereignisse (außerrechtswissenschafitliche Begriffe) gewinnen nur Bedeutung durch die Umformung des Rechtssystems durch den juristischen Code. Wiederum mit den Worten Luhmanns: „Alle sozialen Systeme, die sich innerhalb der Gesellschaft bilden, sind (...) gehalten, ihre Letztelemente als Kommunikationen zu bilden. Auch das Rechtssystem besteht nur aus kommunikativen Handlungen, die Rechtsfolgen auslösen - nicht zum Beispiel aus physischen Ereignissen und auch nicht aus isoliertem Einzel verhalten, das niemand sieht und hört; sondern eben nur aus der Thematisierung solcher und anderer Ereignisse in einer Kommunikation, die sie als rechtlich relevant behandelt und sich selbst damit dem Rechtssystem zuordnet." 24 Handlungen und Unterlassungen bleiben, solange sie nicht durch den Code transformiert worden sind, bloß physische Ereignisse, die „niemand sieht und hört". Das Rechtssystem „hört" nur, was es durch seinen Code hören kann, was heißt, daß physische Daten - Tun resp. Unterlassen - als solche außerhalb des Systems bleiben. Strafrechtliche Erwartungen sind insoweit weder - wie nach der alten Imperativentheorie - mit Individuen, noch per se mit Handlungen oder Unterlassungen, sondern allein mit Rollenträgern verbunden. Die klassische Imperativentheorie und die hier vertretene Deutung der Normen als institutionalisierte Erwartungen haben jedoch eines gemeinsam: In beiden Fällen wird das Identifikationsprinzip, d.h. das Individuum bzw. die Person, als eine black box behandelt. So lautet der - an Individuen gerichtete - Imperativ bei Verboten „nur", daß ein bestimmtes Motiv mit der Folge einer bestimmten Tätigkeit nicht gebildet werden soll; ob das Individuum sowieso nie auf die Idee gekommen wäre, solche Motive zu bilden,

genannte „außerstrafrechtliche Sonderpflicht" der Pflichtdelikte gemäß des juristischen Codes zur strafrechtlichen Pflicht wird (es handelt sich eher um eine terminologische Frage). 24

Luhmann, Rechtstheorie 14 (1983), S. 137. Im Strafrecht vgl. hierzu auch Lesch, Sukzessive Beihilfe, S. 255 ff., 265 ff., 304 und ders., ZStW 105 (1993), S. 274.

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oder nach längeren, inneren Kämpfen gegen seine Neigungen geschafft hat, solche Motive nicht zu bilden, ist irrelevant, denn dieser Vorgang geschieht innerhalb der black box; es kommt nur auf den output des Systems an, also darauf, daß das System keine falsch motivierten Körperbewegungen nach Außen produziert. 25 Auch die Person wird nach der hier vertretenen Auffassung als eine black box behandelt: Relevant ist nur, ob die Person die anderen als Personen respektiert, indem von ihrem Organisationskreis keine schädigenden Auswirkungen ausgehen. Die Person soll keinen anderen schädigen, die „ursprüngliche Verbindlichkeit

als

Bürger" also respektieren; was innerhalb des Systems Person passiert, interessiert schlechthin nicht. Kommt es zu einer Schädigung, so handelt es sich stets um ein verbotswidriges Verhalten, ohne Blick auf den internen, zufälligen status quo ante der Organisation. Denn als System sind der Person die Teile ihres Personwerdens zuzuschlagen, also jedenfalls der zufallige status quo ante ihrer Organisation. Der Person werden daher ihre Rechte (Synallagma Recht auf Freiheit - Verantwortung für die Folgen), namentlich auch das Eigentum zugeordnet. Alles was man als Eigentümer verwaltet, fällt auch unter die ursprüngliche Verbindlichkeit

des

Nicht-Schädigens. Ad exemplum: Der Eigentümer eines Hundes darf diesen nicht nur nicht auf Passanten hetzen, sondern muß ihn ebenso zurückpfeifen, wenn der Hund von selbst droht, Passanten zu beißen; beide Male geht es darum, das Verbot des Nicht-Schädigens nicht zu überschreiten und die ursprüngliche Verbindlichkeit zu respektieren. Wie der Person es gelingt, andere als Personen zu respektieren (nicht-loslassen, zurückpfeifen, etc.), ist ihre eigene Angelegenheit, da sie ja auch der eigene Herr ihres Organisationskreises ist. Oder anhand des bereits oben dargelegten Beispiels: Hat die Person ein Räderwerk durch Federkraft in Bewegung gesetzt, muß sie in den Mechanismus eingreifen (Tun), um die Federkraft zu hemmen, falls ein Kind demselben zu nahe kommt. Daß sie vorher das Räderwerk durch Federkraft in Gang gesetzt hat, gehört - als Systeminternum - ebenso zur eigenen Angelegenheit der Person, wie das (jetzige) „Tätigwerdenmüssen", um Schädigungen zu vermeiden. Das sagt uns der juristische Code. Das Strafrecht interessiert nur der output des Systems, d.h. daß sich aus dem System Person - man organisiert bzw. kann organisieren, weil man ja Person ist - keine Schäden entwickeln. Denn die Norm - um das nochmals zu betonen wird im abstrakten Recht an die Person gerichtet. 25 Darüber berichtet Jakobs, Tun und Unterlassen, S. 24, 20 und AT, 28/1, ausführlich. Eine Ausnahme dieses black-box-Prinzips bei der Imperativentheorie bildete allerdings der Versuch der Interferenztheorien (statt vieler: v. Buri , GS 21 [1869], S. 196 ff.), die Kausalität der Unterlassung als Unterdrückung eines natürlichen Hinderungswillens des Delikts, also systemintern, zu begründen.

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Generell gesprochen kann also sowohl ein Tun als auch ein Unterlassen erwartet werden - um terminologische Mißverständnisse zu vermeiden, werden hier die Unterlassungserwartungen als Nicht-Einmischungs-Erwartungen bezeichnet. Der Unterschied zwischen beiden Arten von Erwartungen liegt auf der Hand: Erwartungen, die auf ein Tun gerichtet sind (Tun-Erwartungen) zielen darauf ab, daß von Alter ein bestehender Zustand modifiziert, also ein neuer Zustand hergestellt wird. Ego erwartet etwa, daß Alter ihm bei den Hausaufgaben hilft. Eine NichtEinmischungs-Erwartung liegt hingegen vor, wenn Alter einen bestehenden Zustand nicht variieren soll. Sie bestehen also in einem Unterlassen. Ego erwartet von Alter etwa, während der Hausaufgaben nicht gestört zu werden. Die Enttäuschung einer nur auf ein Tun gerichteten Erwartung fuhrt zu einem echten Unterlassungsdelikt. Handelt es sich aber um eine Nicht-EinmischungsErwartung, kann ihre Enttäuschung prinzipiell sowohl zu einem sog. unechten Unterlassungs- als auch zu einem Begehungsdelikt fuhren. Der Umstand, daß die Enttäuschung einer Nicht-Einmischungs-Erwartung durch Begehen stattfindet, ist unproblematisch. Der Umstand aber, daß die Enttäuschung einer NichtEinmischungs-Erwartung - man erwartet keine Modifikation

des bestehenden

Zustands - zu einem Unterlassungsdelikt führen kann - wo es gerade deshalb bestraft wird, weil ein Zustand nicht geändert wurde -, mag paradox klingen, ist jedoch keineswegs widersprüchlich. Der Schein - hier: der Naturalismus - trügt. Denn es klingt paradox, wenn man bei den Unterlassungsdelikten allein die Äußerlichkeiten beachtet, etwa „eine Person aus dem Wasser zu holen" (wenn man sie hineingeworfen hat), „nach einem Unfall ins Krankenhaus zu bringen" etc. Diese Handlungen ändern naturalistisch gesehen in der Tat einen Zustand. Aber unter dem Raster des juristischen Codes interessiert nicht die Änderung eines naturalistischen Zustands, sondern die Änderung eines Rechtszustands, was zwar häufig durch Änderung eines naturalistischen Zustands geschieht, aber eben nur häufig und nicht immer. Es ist so, daß die Terminologie oft irreführend ist, und zwar deshalb, weil zwischen der Nicht-Einmischungs-Erwartung einerseits und dem Verhaltensmodus der Enttäuschung einer solchen Erwartung andererseits (Änderung des naturalistischen Zustands) zu unterscheiden ist! Kurz: Es ist zwischen der Form der Erwartung und der Form der Enttäuschung zu differenzieren. Letzteres mag beliebig - und deshalb rechtlich irrelevant - durch Tun oder Unterlassen geschehen, je nach dem status quo ante der Organisation, d.h. nur das erste interessiert.

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

Wie gesehen, ist die Form der Enttäuschung systemintern und als solche irrelevant. 2 6 Damit w i r d durch den juristischen Code eine Gleichstellung von Tun und Unterlassen herbeigeführt. 27 Die Verwendung des Wortes „Unterlassungsdelikt" mag zu Mißverständnissen fuhren: Worte wie „Unterlassungsdelikt" sind oft durch den alltäglichen Sprachgebrauch nicht so eindeutig gekennzeichnet, wie es der strafrechtliche Code erfordert. Denn häufig w i r d nämlich bei den sog. Unterlassungsdelikten im strafrechtlichen

Sinn nicht ein T u n erwartet, sondern eben nur ein Unterlassen, näm-

lich das Unterlassen, in fremde Rechtssphären einzugreifen. I m Falle der Übernahme z.B. muß man handeln, aber trotzdem wird keine Änderung im strafrechtlichen Sinn erwartet - nur i m naturalistischen Sinn -, sondern eben nur ein Unterlassen, seil, das Unterlassen, fremde Rechtssphären zu verletzen. Demgemäß entspringt in diesen Fällen, die üblicherweise auch Ingerenz-Fälle genannt werden, aus dem Verletzungsverèo/ ein Verhinderungsgeèoi. Es handelt sich jedoch - trotz der HandlungspfWchlen Jedermannsverbot,

- nach dem dargelegten juristischen Code um ein

und zwar unabhängig davon, ob der jeweilige Tatbestand als

Verbot formuliert wurde. 2 8 Hier gelten die berühmten Worte: „Das Gesetz kann klüger sein als seine Verfasser - es muß sogar klüger sein als seine Verfasser". 2 9

26

In dieser Richtung, freilich anhand einer Deutung des Unterlassens als „motivierter Willensakt", M.E. Mayers Handlungsbegriff (AT, S. 109): „... für die Handlung ist eine Willensverwirklichung wesentlich, zufällig aber die Technik dieser Willensverwirklichung; wie es gleichgültig ist, durch welche Muskeln jemand seinen Willen in die Außenwelt einschaltet, so kommt nichts darauf an, ob das Gewollte die äußere Ausprägung in einer Körperbewegung oder in der Körperruhe findet.". 27 Wohlgemerkt: eine Gleichstellung durch den juristischen Code und nicht eine Identität außer ihm, die im übrigen nur erreichbar wäre, wenn eben „das Unterlassen ein positives Tun wäre" (betont von Bacigalupo, in: Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung, S. 87). 28 Darauf wird im nächsten Kapitel noch zurückzukommen sein (§ 5, A [S. 67 ff.]). - Zu den Handlungspflichten aus Nicht-Einmischungs-Erwartungen grundlegend Adolf Merkel, in: Lehrbuch, S. 38 ff., 111 ff. und Kriminalistische Abhandlungen S. 76 ff.; ebenso Binding , Normen I, S. 118. Ferner: Höpfher, ZStW 36 (1915), S. 117; Stree, H. Mayer FS, S. 156; Lippold, Reine Rechtslehre, S. 256, 258; Arzt, JA 1980, S. 714; Bringewat, MDR 1971, S. 716; Freund, Erfolgsdelikt, S. 79 f.; Nagler, GS 111 (1938), S. 60 mit Anm. \09, Seelmann inNK, § 13,Rdn. 49; Vogel, Norm und Pflicht, S 95 f. mit Anm. 17, 98 f., 345; M.L. Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges, S. 26 mit Anm. 2; wohl auch Gössel, ZStW 96 (1984), S. 323. - Trotz aller Kritik i E. ähnlich (Handlungsverpflichtungen, ohne Träger einer Sonderpflicht zu sein) Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, S. 284 ff., 385 ff ; ders., GA 1993, S. 106, 110 ff. - Gleichfalls i.E. Köhler, AT, S. 219 f. -Zur Diskussion vgl. ferner Hruschka, AT, S. 128 f.; ders. JuS 1979, S. 386; Behrendt, Unterlassung, S. 78 ff., 80 ff. 29

Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 211. - Siehe auch BVerfGE 36, 342 (362): „Das Gesetz kann eben klüger sein als die Väter des Gesetzes"; dazu Stern, Staatsrecht I, S. 125. Ebenso Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, S. 17 f. mit Anm. 22. - Vorher Binding, Normen I, S. 203 Anm. 6: „allein ist das Gesetz nicht oft weit klüger und wissender als der Gesetzgeber?".

§ 4 Nochmals: Zur Frage der Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte

Die abstrakten Aussagen mögen anhand eines schon erwähnten Beispiels verdeutlicht werden: Von einem Spaziergänger kann - als Person - ein Tun (a) oder eine Unterlassung resp. eine Nicht-Einmischung (b) erwartet werden, (a) Eine Änderung eines Zustands wird - gemäß dem juristischen Code - z.B. von ihm erwartet, etwa eine Rettungshandlung, wenn er, ohne vorher etwas hinsichtlich einer Lage organisiert zu haben, auf dem Weg einen Menschen in Gefahrenlage sieht, der dringend auf Hilfe angewiesen ist, etc. Die Enttäuschung einer solchen „Tun-Erwartung" führt zu einem sog. echten Unterlassungsdelikt (§ 323c StGB). 30 (b) „Nur" eine Unterlassung, eine Nicht-Einmischung wird dagegen erwartet, wenn der Spaziergänger als Bürger eines liberal verfaßten Staates Organisationsfreiheit genießt. Es handelt sich um die Unterlassung, fremde Rechtssphären zu verletzen, wenn er organisiert, etwa wenn er mit seinem Hund spazieren geht. Hetzt er diesen auf Passanten, enttäuscht er die NichtEinmischungs-Erwartung (Nicht-Eingreifen) durch ein Tun. - Wenn er den Hund zurückpfeifen muß, um Verletzungen in fremde Rechtssphären zu vermeiden (wiederum: Nicht-Einmischungs-Erwartung), weil der Hund von selbst droht, Passanten zu beißen, und er dies nicht tut (Unterlassen), enttäuscht er ebensosehr die Nicht-Einmischungs-Erwartung, diesmal durch ein Unterlassen (nicht Zurückpfeifen) des verschiedenen status quo ante der Organisation wegen. Es ist also zwischen der Art der Erwartung (Tun- bzw. Nicht-Einmischungs-Erwartung) 31 einerseits und der Form der Enttäuschung (durch Tun bzw. durch Unterlassen) andererseits scharf zu unterscheiden, wobei nur die erste rechtlich interessiert. Organisation kann sich durch eigene Handlungen, durch Tiere, durch Maschinen, etc. vollziehen. Je nach der Art der Quelle der Organisation, also je nach den Organisationsmitteln der Weltgestaltung, wird der Organisator sich mehr oder weniger um sie kümmern müssen, was strafrechtlich gesehen jedoch nur eine phänotypische Variation ausmacht. Organisiert man beispielsweise etwas mit Hilfe von Tieren, 32 wird eine Enttäuschung der Nicht-Einmischungs-Erwar30 Als (Tun-) Erwartung kann sie - wie jede Erwartung - ebenso gut durch Tun wie durch Unterlassen enttäuscht werden. Wichtig ist aber nur - wie immer - die Form der Erwartung und nicht die Form der Enttäuschung. Zur Enttäuschung durch Begehen von Tun-Erwartungen (von „echten" Unterlassungsdelikten) siehe Jakobs, AT, 7/67, 7/50, 7/57,24/21,7/69; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 250 f.; Freund, Erfolgsdelikt, S. 70. 31 Die Folgen einer doppelten Erwartung, wenn also gleichzeitig eine Tun- und eine Unterlassungserwartung erwartet wird, sind noch aufzuzeigen (=Pflichtdelikte); siehe insb. unten S. 97 ff., 76 ff., 121 ff. 32 Vgl. etwa OLG Bremen NJW 1957, S. 72 f.; OLG Düsseldorf NJW 1987, S. 201; OLG Düsseldorf NStZ 1992, S. 592. Ferner: Freund, Erfolgsdelikt, S. 165, 175 f.; Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, S. 244; Hecker, NStZ 1990, S. 328 f.

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

tung - phänotypisch - eher durch Unterlassen geschehen, insbesondere wenn die Tiere gefährlich sind. Organisiert man etwas unter Einsatz von Maschinen, so wird die Enttäuschung phänotypisch beliebig davon abhängen, ob man - aus welchen (wirtschaftlichen) Gründen auch immer - das System völlig automatisiert hat (dann eher durch Unterlassen) oder nicht (dann eher durch Tun). 33 Organisiert man etwas mit den „eigenen Händen", so wird sich eine Enttäuschung - abermals rein phänotypisch betrachtet - eher durch Tun vollziehen, aber jedenfalls nicht selten - wie die vielen Fälle der Ingerenz zeigen - auch durch Unterlassen. Der juristische Code richtet sich jedoch nur mittelbar nach dieser Phänomenologie; solche Unterlassungen (und Handlungen) müssen erst umgeformt werden. Die hier vertretene Auffassung stimmt daher bei richtigem Verständnis mit dem ersten Teil von Feuerbachs These völlig überein, also damit, daß in dem Strafrecht einer liberal verfaßten Gesellschaft im Prinzip „die ursprüngliche Verbindlichkeit des Bürgers nur auf Unterlassungen [Nicht-Einmischungs-Erwartungen] geht". Der aus dieser richtigen Prämisse hergeleiteten Konsequenz, daß nämlich „ein Unterlassungsverbrechen immer einen besondern Rechtsgrund (...) voraussetzt", ist jedoch nicht zu folgen. Dabei handelt es sich lediglich um ein Produkt des damaligen, sehr naturalistisch geprägten Denkens, dem es fremd war, anzunehmen, daß Nicht-Einmischungs-Erwartungen auch durch Unterlassen enttäuscht werden können. Die Bestrafung wegen der Enttäuschung einer NichtEinmischungs-Erwartung durch Unterlassen 34 - üblicherweise als Übernahme oder Ingerenz gekennzeichnet -, bedarf deshalb keines besonderen Grundes, denn sie entspringt der „ ursprünglichen

Verbindlichkeit

". Insoweit kommt für diese Fälle

- trotz Unterlassen - § 28 StGB für die Beteiligten nicht in Betracht, so daß die oben gezeigten Ungereimtheiten nach der hier vertretenen Ansicht nicht auftreten. 35 Stiftet ein Extraneus einen Weichenwärter zu einem Zugzusammenstoß an, so ist gleichgültig, ob der Weichenwärter dies durch Tun oder durch Unterlassen vollzieht. In keinem von beiden Fällen begeht er ein Pflichtdelikt, was für den Extraneus bedeutet, daß seine Strafe auch im Falle der Unterlassung nicht zu mildern ist. Allerdings mag man aus didaktischen Gründen mit der herkömmlichen Lehre durchaus weiter von Unterlassungsdelikten reden, um die 33

Allerdings mag der Automat so gestaltet sein, daß gerade das Umgekehrte gilt.

34

Falls man Tun und Unterlassen klar unterscheiden kann und die Differenzierung - für welche Zwecke auch immer - noch gelten lassen will. Siehe aber die umfangreiche Monographie von Stoffers, Die Formel „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit", m.zahlr.w.N.; ders., GA 1993, S. 264 ff. und Struensee, Stree/Wessels FS, S. 136 ff. 35

Siehe oben S. 49 f.; insoweit a.A. trotz richtigen Ansatzes Seelmann in NK, § 13, Rdn. 90.

§ 4 Nochmals: Zur Frage der Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte

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Terminologie dem Phänotyp des Delikts anzupassen. Jedenfalls setzen diese Delikte aber genotypisch „keinen besonderen Rechtsgrund" voraus; sie sind also mit vielen anderen - wiederum nach dem Phänotyp benannten - Begehungsdelikten vergleichbar. Schon der berühmteste Schüler Feuerbachs, Mittermaier, für den es - wie für seinen Lehrer - „ein allgemeiner Grundsatz" war, „daß Unterlassungsverbrechen nur dann Strafe nach sich ziehen, wenn die Tätigkeit, welche zu unterlassen ist, durch ein Gesetz geboten war", modern gesprochen: nach dessen Ansicht man nur bei Vorliegen eines besonderen Gesetzes „Tätigkeiten" erwarten

durfte, sah

dieses Prinzip nicht besonderes eng. Denn der Grundsatz darf „nicht ängstlich und buchstäblich aufgefaßt werden", weil „es einer Gesetzgebung unmöglich ist, jeden möglichen Schritt der Bürger haarscharf vorzuzeichnen, und da durch ein gewisses Verhältniß in welchem jemand lebt, ohnehin eine ganze Summe von Pflichten bezeichnet wird, in Ansehung derer nur eine affectirte Unwissenheit sich entschuldigen könnte. Es ist daher die Behauptung ganz richtig" - schließt Mittermaier -, „daß auch durch das Staatsbürgerverhältniß

jeder Bürger gewiße Pflichten

übernimmt, zu denen es nicht erst einer speciellen Vorschrift bedarf (...)". 36 Halten wir also fest: Es ist gewiß das Verdienst Roxins, die Relevanz der Pflichtdelikte für die traditionelle Unterlassungsdogmatik gesehen und thematisiert zu haben. Aus der modernen, hier kurz skizzierten theoretischen Deutung der Unterlassung ergibt sich allerdings, daß die Ausführungen Roxins nur für ein Teilstück der Unterlassungsdogmatik gültig sind. Denn nicht alle Unterlassungsstraftaten sind Pflichtdelikte, ein Ergebnis, das bereits die Weiterentwicklung der Pflichtdeliktslehre durch Jakobs gezeigt hatte. Es geht also bei der Unterlassung nicht unbedingt um besondere Pflichten und damit auch nicht um Pflichtdelikte, sondern oft um eine aus der Person und den darauf bezogenen Erwartungen entspringende Pflicht. Da - von Fällen der Unzurechenbarkeit abgesehen - jeder organisieren kann, kann auch jede Person zum Täter eines Unterlassungs(jedermanns)delikts per Organisation werden. 37 36 Mittermaier, Neues Archiv des Criminalrechts X (1829), S. 560 (Hervorhebung von mir). Vgl. auch die eigenen Ausführungen von Feuerbach in seinem Anti-Hobbes, S. 43 f. 37

Den Grund fur die irrtümliche, hier widerlegte Einstufung sämtlicher Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte zu nennen, fällt jedoch nicht schwer. Denn die Verbindung der Unterlassungsdelikte mit einer besonderen Rechtspflicht war noch 1963, im Erscheinungsjahr der monographischen Abhandlung Roxins, h.L. in Lehrbüchern und Kommentaren (dies wurde schon von Schünemann, GuG, S. 378 f., zutreffend hervorgehoben; vgl. auch ders. in LK, § 14, Rdn. 17 und GA 1986, S. 332. - Schünemann hat allerdings die Pflichtdeliktslehre vollends abgelehnt [siehe u. § 8, A, S. 126 ff.]). So heißt es etwa bei Welzel- um nur ein Beispiel zu nennen: „Echte Sonderdelikte sind (...) alle unechten Unterlassungs5 Sänchez-Vera

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

Abgesehen von den für die hier verfolgten Zwecke gewonnenen Ergebnissen können aus der hier vertretenen Auffassung zahlreiche weitere Konsequenzen hergeleitet werden, die sich jedoch hier nur skizzenhaft andeuten lassen. So dürfte es zum Beispiel auf der Hand liegen, daß sich eine generelle Strafmilderung bzw. eine Strafzumessung nach dem Strafrahmen der Beihilfe für die Unterlassungsfälle per sen nicht rechtfertigen läßt. Denn wenn die Erwartung selbst (bzw. ihre Enttäuschung) und nicht die Form der Enttäuschung von Bedeutung ist, läßt sich nicht mehr begründen, warum Enttäuschungen durch - phänotypisches - Unterlassen weniger strafwürdig sein sollen als solche durch - phänotypisches - Tun. 39 Auch die Diskussion darüber, ob das Unterlassen einer ontologischen Ebene oder einer normativen Ebene angehört, verliert jede Relevanz für die Frage, ob Tun und Unterlassen demselben Handlungsbegriff unterfallen oder nicht. Selbst wenn die Unterlassung eine ontologische Natur besäße,40 wäre sie als solche für das Strafrecht nur ein Datum, das durch den juristischen Code erst noch umzuformen wäre. Es handelt sich hier also weder um den klassischen Code von A und non-A des Radbruchschen Handlungsbegriffs 41 - insoweit hat Radbruch hier die von ihm hervorgehobene „Umformung" nicht konsequent vollzogen -, noch um den modernen Code von non-Α und non-Α Herzbergs, 42 sondern um denjenigen von Β und Β, wobei Β jedes im Strafrecht interessierende Verhalten ist, weil es strafrechtlich garantierte Erwartungen enttäuscht.43

delikte, da bei ihnen die Täterschaft erst durch die Garantenstellung des Unterlassenden begründet wird" (Welzel, Lehrbuch, 7. Aufl., 1960, § 12 III; aus der Rechtsprechung siehe etwa: BGH 2, 150; BGH 9, 204). - Darüber hinaus wird auch der weitere Verlauf der Untersuchung zeigen, daß es nicht zutreffend war, die Beleidigung als Pflichtdelikt zu diagnostizieren (Roxin, TuT, S. 388; dazu richtig Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 242 Anm. 89; Auerbach, Die eigenhändigen Delikte, S. 91 f.). Roxin hat sich jedenfalls i.d.S. nicht wieder geäußert. 38

Es gibt Fälle, in denen es sich um eine Beihilfe durch Unterlassen handelt. Dann ist die Strafe als Gehilfe allerdings gemäß § 27 Abs. 2 StGB und nicht wegen des Unterlassens zu mildern. Dazu vgl. unten S. 152 f. Anm. 22. 39 Insoweit ist eine - durch den oben präsentierten juristischen Code zu vollziehende - Gleichstellung von Tun und Unterlassen auch auf anderen Ebenen der Strafrechtsdogmatik zu berücksichtigen. Man denke etwa an die Friktionen bezüglich des § 28 StGB (eingehend unten § 11 [S. 180 ff.]). 40 Näher dazu Gimbernat, Armin Kaufmann GS, S. 161 ff, 167 f.; Matt, Kausalität aus Freiheit, S. 201 f.; a.A. statt vieler Jescheck in LK, Vorbem. § 13, Rdn. 85: „Die Unterlassung hat ontologisch keine Realität". 41

Radbruch, Handlungsbegriff, S. 140 f.

42

Herzberg, Unterlassung, S. 170 ff.; Behrendt, Unterlassung, S. 121 ff., 135 ff. - Das Verdienst Herzbergs ist es, jedenfalls erkannt zu haben, daß sowohl das Unterlassen wie auch das Tun (non-A) ein normativer Begriff ist, d.h. mit den Worten der hier vertretenen Terminologie, daß der juristische Code stets (auch bei Handlungen!) in Betracht kommt. 43

I.E. auch Vogel, Norm und Pflicht, S. 306; ferner Freund, Erfolgsdelikt, S. 18 ff., 21, 23, 38.

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte A. Die negative Institution „neminem laede" - insbesondere als Grundlage auch von Handlungspflichten Die soeben gewonnenen Ergebnisse basieren auf einer vom Strafrecht garantierten althergebrachten Institution: „Die erste Aufgabe der Gerechtigkeit (...) ist es" - wie Cicero formuliert hat -, „daß keiner dem anderen schadet". Es handelt sich um die Institution, die - allgemeiner formuliert - im römischen Recht unter dem Namen neminem laede firmierte. 1 Nichts anderes ist mit der oben dargestellten Formulierung Feuerbachs gemeint, nach der „die ursprüngliche Verbindlichkeit des Bürgers nur auf Unterlassungen geht". Dieser Gedanke findet sich weiterhin bei so unterschiedlichen Autoren wie Pufendorf, Kant oder Schopenhauer. Bei dem ersten heißt es: „Unter den absoluten Pflichten oder den Pflichten eines jeden gegen jeden ist folgende Pflicht die wichtigste: Niemand soll dem anderen Schaden zufügen. Das ist die umfassendste aller Pflichten, die alle Menschen als solche trifft. Sie ist aber auch am leichtesten zu erfüllen, da sie lediglich in der bloßen Unterlassung einer Handlung besteht. (...) Sie ist auch die bei weitem wichtigste Pflicht, weil ohne sie das Leben der Menschen in der Gemeinschaft keinen Bestand haben kann. Auch mit jemandem, der mir keine Wohltat erweist und der mit mir nicht einmal die einfachsten Hilfsdienste austauscht, kann ich trotzdem in Ruhe leben, solange er mich nur nicht verletzt. Ja, von der Mehrzahl der Menschen erwarten wir gar nichts anderes als das. Güter werden nur unter wenigen ausgetauscht. Aber mit jemandem, der mir Schaden zufügt, kann ich auf keinen Fall in Frieden leben."2 Es geht also in der Gesellschaft prinzipiell, aber, wie noch unten zu zeigen sein wird, auch nur prinzipiell, um die „bloße 1 Cicero, De officiis, I, 7 und 28. Zur Geschichte des Grundsatzes „neminem laede" (von ihren römischen Anfängen - Justinian - an) vgl. eingehend Schiemann, Das allgemeine Schädigungsverbot: alterum non laedere, JuS 1989, S. 345 ff. - Im Bürgerlichen Recht siehe die Abhandlung von Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 169 ff., 173 („Die Norm negativen Sollens ist rechtslogisch und rechtsgeschichtlich der erste Sollensatz"), sowie die Betrachtungen über die obligatio positiva und negativa, ebenda, S. 191 ff. - Im Staatsrecht Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, erster Abschnitt. 2 Pufendorf, De officio hominis, I, 6, 2. Dazu erläuternd Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Pufendorf, S. 146 f., 142, 144 ff.

5*

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

Unterlassung einer Handlung", nämlich um das Nicht-Schädigen. Ganz in dieser Tradition hat Schopenhauer diesen Grundsatz des „neminem laede" auf folgenden knappen Satz gebracht: „Jeder hat das Recht, alles das zu tun, wodurch er keinen verletzt." 3 „Sobald eine Handlung nicht (...) in die Sphäre der fremden Willensbejahung, diese verneinend, eingreift, ist sie nicht Unrecht. Daher z.B. das Versagen der Hilfe bei dringender fremder Not, das ruhige Zuschauen fremden Hungertodes bei eigenem Überfluß, zwar grausam und teuflisch, aber nicht Unrecht ist (...)". 4 Auch Kant hat die negative Institution neminem laede gemeint, wenn er aus dem Grundgesetz der praktischen Vernunft: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne"5 den Begriff des Rechts herleitet: „Das Recht ist Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann."6 Jedenfalls geht es darum, daß die Freiheitssphären getrennt bleiben sollen. Das „Gesetz" bestimmt also die Rechtspflichten abstrakt gesehen ausschließlich negativ in Form von Verboten gegenüber den Anderen („Unterlassungspflichten") und nicht etwa in Form von Geboten, die an den Adressaten selbst gerichtet sind („Handlungspflichten"): Der eine soll den anderen nach dem allgemeinen Gesetz der Freiheit nicht in der Ausübung semer Freiheit stören, oder, wie es in der Kantisch geprägten Staatsphilosophie Feuerbachs heißt: „Der Gebrauch der Freiheit eines vernünftigen Wesens darf dem Gebrauche der Freiheit jedes anderen vernünftigen Wesens nicht widersprechen." 7 Die Liste der Rechtsphilosophen, die die negative Institution in ihren Systemen angeführt haben, ließe sich ohne weiteres verlängern. 8 Aber nur bei einigen findet man den - auch hier vertretenen - Ansatz, daß aus der Institution neminem laede, 3

Schopenhauer, E, S. 220; siehe auch ebenda, S. 213 f., 216,218.

4

Schopenhauer, W I , S. 400. Ebenso Schnabel, Naturrecht, S. 6 f. und Haupt, ZStW 2 (1882), S. 546 f. 5

Kant, Kritik der praktischen Vernunft (AA V), S. 30.

6

Kant, Metaphysik der Sitten (AA VI), S. 230. - Erläuternd zu den negativen Pflichten bei Kant eingehend Matt, Kausalität aus Freiheit, S. 176 und passim; Jakobs, Tun und Unterlassen, S. 12; Lorenz, Richtiges Recht, S. 46 f. Siehe auch E. A. Wolff, Kausalität, S. 71, der bemerkt, die Pflichten seien bei Kant „zwar zunächst negativ4' (s. auch S. 38 a.E. und f.), und zutreffend kritisiert, man müsse aber darüber hinaus „noch entschiedener auf das Vorhandensein der Freiheit abstellen". 7 8

Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 13.

Siehe etwa Heineccius, Elementa iuris naturae et gentium, I, §§ 122, 175; Achenwall/Pütter, Elementa iuris naturae, §§ 213-219, 261, 812; Locke, Zwei Abhandlungen, II, §§ 6 f. und öfter; Spencer, Ethik, §§ 27 f., 120 f., sowie S. 296ff.; Humboldt, Idee, cap. X und XUI; sobald auch im Text Fries, Hegel etc. oder auch Schnabel, Naturrecht, §§4, 11; Adolf Lasson, Rechtsphilosophie, S. 209.

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte

d.h. aus dem Verbot, andere zu schädigen, auch Handlungspflichten

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herzuleiten

sind, und zwar - insoweit gerade gegen Feuerbach - ohne „einen besonderen Rechtsgrund". Diese Handlungspflichten setzen weder eine besondere Pflichtstellung voraus - sie stammen ja aus einem Jedermannsverbot -, noch benötigen sie einen besonderen Rechtsgrund. Das soll im folgenden mit der Autorität einiger rechtsphilosophischer Systeme untermauert und weiter vertieft werden. Gemeint sind insbesondere die Überlegungen von Fries, Schmalz, Svarez und Hegel.9 Ausgangspunkt von Fries ist seine Würdigung der Kantischen Rechtsphilosophie. Obwohl seine Kritik an Kant gleichermaßen auf dem Gedanken der Freiheit als Urrecht aufbaut, geht er einen Schritt darüber hinaus. An der entscheidenden Stelle heißt es:10 „[Kant] setzt (...) das ursprüngliche Recht in die persönliche Freiheit und macht dies zu einer unmittelbaren Folge dieser Freiheit. Aber dies ist fehlerhaft. Kant denkt sich unter einem Rechte hier nur eine Befugnis und nicht ein Recht, von andern etwas zu fordern. Er setzt mein ursprüngliches Recht in die ausschließliche Befugnis, etwas zu tun. Allein hier macht nicht eigentlich die Befugnis, sondern allein das Ausschließen des andern mein Recht aus, welches seiner Rechtspflicht entspricht. Mein Recht besteht hier eben darin, daß ich ihn von etwas ausschließen darf." Und weiter: „(...) wir verstehen unter dem Rechte eigentlich ein Recht zu fordern, den rechtlichen Anspruch, die Forderung, welche einer an den andern hat. (...) Wenn mich ein anderer behandelt, soll er mich meiner Würde gemäß behandeln, ich habe also das Recht, den Rechtsanspruch, an ihn, daß er mich meiner Würde gemäß behandelt."11 Die Lehre Fries' bedeutet insoweit gegenüber der Rechtsphilosophie Kants eine Fortführung, die 9

Lothar Philipps und neuerdings Holger Matt zählen Kant zu dieser Liste. Nach Philipps, Handlungsspielraum, S. 151 f., hat Kant „sehr gut gesehen", „daß nach dem Zusammenschluß sozialer Verbindungen das reine Verbotsprinzip zum normativen Schutz nicht mehr ausreicht und durch ein Garantieprinzip zu ergänzen ist, da infolge der Arbeitsteilung die Güter und ihre Erhaltungsbedingungen nicht mehr in denselben Händen zu liegen brauchen"; i E. sollen also auch für Kant Handlungspflichten aus der negativen Institution herzuleiten sein. Matt, Kausalität aus Freiheit, insb. S. 180 ff., 202 ff, hat ebenfalls versucht nachzuweisen, „warum Recht [bei Kant] in Form einer sog. »spezifischen Rechtsverbindlichkeit' objektiv gegen die Autonomie auftreten würde", d.h. warum überhaupt Handlungspflichten aus einem Verbot, Freiheitssphären zu stören, herzuleiten sind. Ob beide Versuche gelungen sind, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht werden (siehe aber die Kritik von Fries sogleich). Jedenfalls scheinen die im Text ausgeführten anderen philosophischen Ansichten - vor allem diejenige Hegels - für die hier verfolgte Argumentation klarer zu sein. - Sollten die Interpretationen von Philipps und Matt zutreffen, würde jedenfalls die hier vertretene Auffassung einmal mehr bestätigt. 10

Fries, Philosophische Rechtslehre, S. 46; ferner S. 25: „(...) die Freiheit jedes Einzelnen soll [bei Kant] zur Zustimmung mit der Freiheit aller beschränkt werden. So würde also die Rechtslehre zu einer Lehre von der Beschränkung der Rechte gemacht und man müßte noch erst eine eigentliche Lehre von den Rechten selbst hinzusetzen." 11

Fries, Philosophische Rechtslehre, S. 23.

70

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

die Grundlage des hier vertretenen Verständnisses darstellt: Fries betont, daß es sich beim Recht nicht nur um die Abgrenzung von Rechtssphären, sondern um ein „Fordern-Können" handelt. Während Kant seine Rechtslehre auf die Idee der Freiheit fundiert, geht Fries - und hier liegt der entscheidende Aspekt - von der Idee der Gleichheit aus.12 Der atomistisch-individualistische Ansatz Kants, der in der Kantischen Definition des Rechts seinen Ausdruck findet, sei nicht ausreichend. Die Auffassung Kants, das Recht garantiere - modern gesprochen - prinzipiell „nur" eine negative Institution, die ihrerseits allein getrennte Rechtssphären schützt, kritisiert Fries zwar nicht, aber die Erklärung des Problems lediglich anhand des Gedankens der Abgrenzung der Freiheit scheint ihm - richtigerweise -, zu wenig. Das Dasein eines Rechts könne nicht - wie Kant meint - vor dem Bestehen gegenseitiger Verhältnisse existieren. Dementsprechend formuliert Fries seinerseits den Gedanken der Negativität wie folgt: „Alle Rechtspflichten sind ursprünglich negative Pflichten der Unterlassung [Überschrift des Abschnittes]. In der Rechtspflicht verpflichtet ein jeder den andern seine Persönlichkeit zu respektieren; sie geht also überhaupt auf eine wechselseitige Ausschließung der Sphäre der eigenen Tätigkeit eines jeden von der Sphäre der eigenen Tätigkeit des andern." 13 „Es kann also die juridische Gesetzgebung der Rechtspflicht nur auf die formale Zusammenstimmung meiner äußeren Tätigkeit mit der Tätigkeit jedes andern gehen, die Rechtspflicht kann nur aus dem Gebote entspringen: daß jeder die Person des andern als Zweck respektieren solle. Das oberste Rechtsgesetz ist also: Es soll niemand den andern der Würde seiner Person und der persönlichen Gleichheit eines jeden mit allen zuwider behandeln. Aus allen ursprünglichen Verboten entspringen Rechtspflichten; aus den Geboten nur Tugendpflichten." 14 Obwohl die Formulierung Fries' derjenigen Kants ähnelt, betont Fries erstens die Wechselseitigkeit

der Ausschließung der Sphären und ergänzt zweitens - und das

ist entscheidend - die Definition Kants durch ein neues Element: Es handelt sich um negative Pflichten, die aus „ursprünglichen" Verboten, nämlich aus der negativen Institution entspringen. Die Antwort Fries' kann zwar insgesamt gesehen 12 Siehe zu den Beziehungen und Unterschieden zwischen den Rechtslehren Fries' und Kants sowie speziell zu den „ursprünglich(en) negativen Unterlassungspflichten" bei Fries Ross, Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis, S. 333 ff (insb. S. 335 mit Anm. 29). Vgl. auch Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, S. 181 und Westermann, Recht und Ethik bei Fries und Nelson, S. 119 ff. 13

Fries, Philosophische Rechtslehre, S. 13 (Hervorhebung von mir). Ders., Tugendlehre, § 61, S. 245. 14

Fries, Philosophische Rechtslehre, S. 14 (Hervorhebung von mir); auf die Fragen, warum Fries in diesem Zusammenhang von dem „Gebot" (kein Verbot!?), „die Person des andern" zu respektieren, spricht und ob aus den Geboten nur Tugendpflichten entspringen, ist später noch zurückzukommen (vgl. unten B [S. 76 ff.] und sogleich § 6 [S. 89 ff.]).

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte

71

nicht völlig befriedigen, weil - wie unten noch zu behandeln sein wird - nicht „alle" Rechtspflichten aus ursprünglichen Verboten (aus der negativen Institution) stammen. Die von Fries gekennzeichnete Gegenseitigkeit, Fordern-Können und vor allem: die Existenz von „ ursprünglichen" Verboten ist aber der richtige Ansatz, um zu verstehen, daß nicht alle Handlungspflichten eine besondere Rechtspflicht voraussetzen, daß also mit anderen Worten nicht alle Fälle der sog. unechten Unterlassungsdelikte Pflichtdelikte sind. Dieses Verständnis bleibt jedenfalls in der deutschen Rechtsphilosophie beileibe keine Ausnahmeerscheinung. So wird vier Jahre später - 1807 - in der Rechtsphilosophie Theodor von Schmalz' 15 i.S. Kants und Fries' zwar ausgeführt, daß Juridische Rechte und Pflichten nur negative sein [können], mit Ausschließung aller affirmativen [ I 6 ] " , weil sie sich „nur auf Erhaltung der äußeren Freiheit" beziehen, „also nur darauf, daß alles unterlassen werde, wodurch sie gestört würde"; zugleich betont Schmalz jedoch: „Aus der inneren Freiheit aber mögen affirmative

Pflichten im Äußern hervorgehen, so oft nämlich äußerlich etwas

geschehen muß, um sie, diese innere Freiheit, zu erhalten. (...) Aber die äußere Freiheit will nichts als die Negation ihrer Störung". 17 Und er ergänzt beispielhaft: „Bezahle deine Schuld, heißt nichts anderes, als: Halte das Eigentum anderer nicht länger zurück, als sie es erlauben; ist also nichts als negative Pflicht." Mithin geht es um Handlungspflichten, die aus der negativen Institution neminem laede stammen! Bereits zuvor (1793) hatte Carl Gottlieb Svarez dasselbe gelehrt, nämlich daß aus der allgemeinen Pflicht „gegen die Mitbürger überhaupt", d.h. aus der „Pflicht, niemandem Schaden zuzufügen", auch Handlungspflichten herzuleiten sind. Denn „ein jeder ist schuldig, sein Betragen so einzurichten, daß er weder durch Handlungen noch Unterlassungen anderer Leben oder Gesundheit in Gefahr setzt".18 Am deutlichsten finden sich diese Überlegungen jedoch in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts sowie in den dazu veröffentlichten Vorlesungsmitschriften, wo der Gedanke, daß - modern gesprochen - die negative Institution 15

Schmalz, Rechtsphilosophie, S. 57 f., auch S. 54; ders. schon, Das reine Naturrecht, § 42.

16

Insoweit greift das Modell Schmalz' zu kurz, wie es schon bei Fries der Fall war (oben Anm. 14), weil auch ursprüngliche „affirmative Pflichten" als Rechtspflichten in Betracht kommen können (eingehend unten B [S. 76 ff]). Selbst Schmalz hält seine Behauptung nicht konsequent durch: Siehe unten Anm. 50 auf S. 83. 17

Schmalz, Rechtsphilosophie, S. 57 f.

18

Svarez, Unterricht für das Volk über die Gesetze, S. 13 und 16 (Hervorhebung von mir).

72

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

„neminem laede" sowohl durch Tun wie auch durch Unterlassen verletzt werden kann, klar hervortritt: Es gibt strafbare Unterlassungen, die keine besondere Pflicht voraussetzen, weil sie aus einem Jedermannsverbot entspringen. In der Zeit vor Hegel ist das Recht mehr (etwa bei Kant) oder weniger (i.E. bei Fries oder Schmalz) dadurch gekennzeichnet, daß es die natürliche Freiheit beschränkt. Erst Hegel sieht das Recht als Dasein des freien Willens. Es geht also bei dem Begriff des Rechts nicht nur um die Abgrenzung von Freiheitssphären, sondern vielmehr um die Freiheit selbst.19 Die Kantische Auffassung des Rechts als Beschränkung soll daher nicht das Substantielle des Rechts sein. Auf dieser Basis vollendet Hegel in semer Auffassung vom abstrakten Recht den Weg, den Kant betreten, und Fries fortgeführt hat: Die negative Institution neminem laede kann auch durch ein Unterlassen verletzt werden, aber jedenfalls durch ein Unterlassen, das aus einem ursprünglichen Verbot herzuleiten ist, also durch das Unterlassen einer Pflichterfüllung, die keine besondere Rechtspflicht voraussetzt. Der Begriff der wechselseitigen Anerkennung der Menschen als Personen bildet die Grundlage, die es Hegel erlaubt, den gerade angesprochenen Ansatz zu finden. In den Nürnberger Schriften heißt es:20 „Das Recht besteht darin, daß jeder einzelne von dem anderen als ein freies Wesen respektiert und behandelt werde, denn nur insofern hat der freie Wille sich selbst im Anderen zum Gegenstand und Inhalt". „Insofern jeder als ein freies Wesen anerkannt wird, ist er erne Person. Der Satz des Rechts läßt sich daher auch so ausdrücken: es soll jeder von dem anderen als Person behandelt werden." Das grundlegende, aus dem Begriff der Person ableitbare Rechtsgebot ist deshalb: „Sei eine Person und respektiere die anderen als Personen" (Rph., § 36). Damit macht Hegel den Begriff der wechselseitigen Anerkennung zum Hauptthema des abstrakten Rechts; er betont die Respektierung des anderen, und das ist eine Respektierung, die sich nicht in einem bloßen Nicht-Schädigen durch Tun erschöpfen kann. Es wird gefordert, daß die Person als Wesen, das die anderen als Personen anzuerkennen hat, die Freiheitssphäre des anderen nicht verletzt, was aber kaum allein durch Unterlassungen zu leisten ist. Zwar legt dieses rein formelle (abstrakte) Recht also nicht fest, was die Person tun soll (Gebot), sondern, was sie nicht tun darf (Verbot): „Das Verhältnis gegen andere [im abstrakten Recht] ist insofern negativer Natur, und es gibt

19

Vgl. Hegel, Rph., § 29 Anm.

20

Hegel Philosophische Propädeutik (Werke 4), S. 232 f. (§§ 3 und 4).

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte deshalb keine Rechtsgebote, sondern nur Verbote", 2 1 jedoch

73

sagt das noch gar

nichts darüber aus, ob ein solches negatives Verbot, d.i. das Gebot zur Respektierung des anderen, nicht auch durch Unterlassungen verletzt werden könnte, i m Gegenteil: „ I n Beziehung auf die konkrete Handlung und moralische und sittliche Verhältnisse ist gegen deren weiteren Inhalt das abstrakte Recht nur eine Möglichkeit, rechtliche Bestimmung daher nur eine Erlaubnis

die

oder Befugnis. Die Notwendig-

keit dieses Rechts beschränkt sich aus demselben Grunde seiner Abstraktion auf das Negative, die Persönlichkeit und das daraus Folgende nicht zu verletzen. Es gibt daher nur Rechtsverbote, und die positive Form von Rechtsgeboten hat ihrem letzten Inhalte nach das Verbot zugrunde liegen." 2 2 Damit hat Hegel am prägnantesten das, was i m vorangegangenen Kapitel i m Lichte des juristischen Codes gewonnen wurde, formuliert und anhand des Systems seiner Rechtsphilosophie begründet. Hegels Gedankengang verläuft wie folgt: 2 3 Erstens: Daß „das abstrakte Recht nur eine Möglichkeit [ist]", d.h. daß das Recht nur „eine Befugnis" ist, „ w e i l es nur eine Seite des ganzen Verhältnisses ist" (Rph., Zus. zu § 37), bedeutet i m Prinzip nichts anderes als eine Konkretisierung des Begriffs Person. Es werden lediglich einige Verhaltensweisen als un21 Hegel, Vorlesung 1819/20, S. 68 f., Rdn. 31 f.; ders., Philosophische Propädeutik (Werke 4), S. 59 ff. (§§ 182 und 189), 232ff. (§§ 3 und 7). 22 Hegel, Rph., § 38; vgl. ebenda, §§ 112 f. - im Gegensatz zur Moral, bei der es um „eine positive Beziehung" geht; auch ausdrücklich ders., Philosophische Propädeutik (Werke 4), S. 234 f. (§ 7). 23

Zu anderen Deutungen über die Korrelation zwischen der Unterlassungsdogmatik und dem § 38 der Rechtsphilosophie Hegels siehe: Hösle, Was darf und was soll der Staat bestrafen?, S. 20 ff, insb. 23 ff; ders., Hegels System, S. 491 (Hösle ist der Meinung, § 38 beziehe sich auf die sog. unechten Unterlassungsdelikte insgesamt, und nicht - wie im Text - nur auf die unechten Unterlassungsdelikte per Organisation - nicht qua positiver Institution [Pflichtdelikte]); ebenso: Jakobs, Tun und Unterlassen, S. 12ff. (aber wohl ähnlich wie hier S. 15 [normlogisch ist es jedoch korrekt, von einem Verbot zu sprechen, weil die Adressaten von Normen immer Personen sind, dazu oben S. 58ff. und noch gleich S. 89 ff.]); ders., Arthur Kaufmann FS, S. 460 ff Ferner: Philipps, Der Handlungsspielraum, S. 24; Binder, in Binder u.a., S. 71 f.; Schaber, Recht als Sittlichkeit, S. 44 ff, 48 ff. Siehe zu früheren Schriften Hegels Flechtheim, Hegels Strafrechtstheorie, S. 61, jedoch m.E. unzutreffend auf S. 72, 83 (er übersieht, daß es „scheinbare Rechtsgebote" gibt, denen ihrem letzten Inhalt nach das Verbot zugrunde liegt; dazu gleich im Text); Sameluck, Zur Unterscheidung des Begehungsdelikts vom Unterlassungsdelikt, S. 53 f. mit Anm. 63. - Völlig a.A. als hier: Kaltenbacher, Freiheitsdialektik, S. 36 und Seelmann, Zurechnung als Deutung und Zuschreibung, S. 112 f.: Beide bezeichnen die Negativität des abstrakten Rechts als „Defizit", als Limitation, weil Handlungspflichten nicht begründbar seien. Die Kritik ist m.E. - wie im folgenden gezeigt wird - unzutreffend: Erstens sind Handlungspflichten bei der Organisationszuständigkeit begründbar und zweitens ist das abstrakte Recht nur ein Teil der Rechtslehre Hegels, d.h. rein positive Pflichten sind auch auf anderen Ebenen seines Systems begründbar (vgl. unten S. 80 und S. 94 f., 96.

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

74

möglich verboten, und zwar diejenigen, welche die „Persönlichkeit und das daraus Folgende" verletzen. Ansonsten ist ein Verhalten schlechterdings erlaubt, deshalb aber noch nicht geboten. Modern gesprochen: Die Organisationsfreiheit ist nur eine Möglichkeit. Das Recht ist eine Erlaubnis, weil es nur die Möglichkeit enthält, etwas zu organisieren; „laß den Andern! ist also ein bloß negatives"24; man muß nicht organisieren! Dies entspricht Hegels Konzeption des Rechts: Die Freiheit ist das Recht. „Dies, daß ein Dasein überhaupt Dasein des freien Willens ist, ist das Recht. Um ein häufig verwendetes Beispiel heranzuziehen: Es gibt für Unbeteiligte (also ohne eine vorangegangene Organisation und auf der Ebene des abstrakten Rechts, d.h. ohne eine institutionelle Bindung) keine Pflicht, die Schwimmer bei einem Wettschwimmen mit seinem Motorboot zu begleiten - es besteht nur die Möglichkeit, sich so zu verhalten. Zweitens: Aus der Abstraktheit des (abstrakten) Rechts ergibt sich nicht nur dieser Erlaubnischarakter, sondern auch eine Verbotsstruktur: „Es gibt daher nur Rechtsverbote (...)" heißt es. Im abstrakten Recht ist die einzige Rechtspflicht das Nicht-Eingreifen in fremde Rechtssphären, also ein Rechts verbot, in der oben verwendeten Terminologie: eine Nicht-Einmischungs-Erwartung. Es wird nur erwartet, daß der eigene Organisationskreis in Ordnung gehalten wird, nicht aber, daß für einen anderen etwas Positives geleistet wird. Um bei dem erwähnten Beispiel zu bleiben: Dem Unbeteiligten, welcher keine Begleitung der Schwimmer mit seinem Motorboot organisiert hat, obliegen auch - zumindest im abstrakten Recht - keine Rettungspflichten gegenüber einem Schwimmer, den die Kräfte verlassen, und zwar deshalb nicht, weil das abstrakte Recht ein „bloß negatives" darstellt, das ein Nicht-Eingreifen fordert. Drittens: Trotzdem gibt es im abstrakten Recht auch „Rechtsgebote". Aber „die positive Form von Rechtsgeboten hat ihrem letzten Inhalte nach das Verbot zugrunde liegen" (Rph., § 38). Für den Anderen ist meine „Möglichkeit" zu organisieren, „nicht bloß Möglichkeit" - dies hat bereits Fries erkannt -, „sondern Notwendigkeit mich zu respektieren" 25 und umgekehrt, d.h. ich schulde den Anderen auch Respekt. Man kann sagen, daß die „Rechtsverbote", die die negative Institution neminem laede bezeichnen und keine „Rechtsgebote" darstellen, auch durch Unterlassen übertreten werden können, wenn man schon etwas organisiert und damit die „Möglichkeit" genutzt hat. Denn die „positive Form" von 24 Hegel, Vorlesungsnachschrift Hotho, S. 195, Rdn. 14 f. - Vgl. auch Quante , Hegels Begriff der Handlung, S. 45 f. 25

Hegel, Vorlesungsnachschrift v. Griesheims, S. 175, Rdn. 31 f.

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte

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„Rechtsgeboten" liegt „ihrem letzten Inhalte nach" dem ursprünglichen Verbot zugrunde. Es ist also das Verdienst Hegels, die Handlungspflichten des abstrakten Rechts (des Herrschaftsdelikts) im ursprünglichen Verbot erfaßt zu haben. Abermals anhand des schon mehrfach erwähnten Beispiels: Hat jemand die Rettungsaufsicht über das Wettschwimmen übernommen, hat er also etwas organisiert, so ist er aus der negativen Institution neminem laede verpflichtet. Unternimmt er nichts, wenn ein Schwimmer ertrinkt (etwa weil diesen die Kräfte verlassen haben), so haftet er wegen Tötung durch Unterlassen, aber das setzt keine besondere Pflicht voraus, das Delikt ist also kein Pflichtdelikt. Das „Gebot" „tätig-zu-werden" basiert vielmehr allein auf dem Verbot des Nicht-Schädigens. Denn ein solches „Gebot" ist lediglich die „selbstlose Folge" der Freiheit (Vernünftigkeit) des Willens. Anhand eines Beispiels von Hegel erklärt: 26 „Der allgemeine Rechtsgrundsatz, von welchem die anderen nur besondere Anwendungen sind, heißt: ,du sollst das Eigentum [die Rechtssphäre27] eines anderen ungekränkt lassen!' Dies heißt aber nicht: du sollst dem anderen etwas Positives erweisen oder eine Veränderung in Umständen hervorbringen, sondern enthält nur die Unterlassung der Verletzung des Eigentums [der Rechtssphäre]". Hegel weist aber darauf hin, daß diese Unterlassung auch eine Tätigkeit im naturalistischen Sinne erfordern kann. Im Vertragsrecht etwa muß geleistet werden, „was stipuliert worden ist". Aber ebenso wie etwas „empirischer Weise nach" positiv, „dem Rechte nach" hingegen „negativ" sein kann (weil es sich nur scheinbar um „eine affirmative Beziehung [Gebot] auf den Anderen" 28 handelt), können sich die Rettungspflichten qua Organisation in empirischer Hinsicht auf „etwas Positives" - nämlich auf ein Handeln, um den Erfolg abzuwenden - richten, während sie „dem Rechte nach" aber „etwas Negatives" fordern, seil, ein Nicht-Schädigen. In diesem Sinne stellen die Rettungspflichten qua Organisation lediglich ein Moment der negativen Institution (auch hier handelt es sich nur scheinbar um „eine affirmative Beziehung [Gebot] auf den Anderen") und keine besonderen Pflichten dar.

26 Hegel, Philosophische Propädeutik (Werke 4), S. 234 f. (§ 7); siehe auch ders., Rph., § 79. Ebenso: Lasson, Rechtsphilosophie, S. 209; dazu Hohmarm, Personalität und strafrechtliche Zurechnung, S. 54, 51 ff. - Zum Verständnis des Beispiels ist zu bemerken, daß es in der Vertragslehre Hegels - im Gegensatz zum positiven Recht - kein Abstraktionsprinzip gibt, daß also der Eigentumswechsel schon mit dem Vertragsabschluß stattfindet. 27

Zu Hegels Eigentumsbegriff gehören Leistungen, Leben, Leib und Freiheit. - Vgl. dazu Hösle, Hegels System, S. 492. 28 Hegel, Vorlesungsnachschrift v. Griesheims, S. 176 f., Rdn. 24 ff., 1 f. - Vgl. auch ders., Vorlesungsnachschrift Hotho, S. 195, Rdn. 31-35.

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

Die Idee, daß Handlungspflichten auch aus der negativen Institution neminem laede herzuleiten sind, findet zwar ihre prägnanteste philosophische Formulierung durch Hegel und kurz vorher - mehr oder weniger klar - durch Svarez, Fries und Schmalz, reicht aber im Ansatz noch viel weiter zurück und findet sich mindestens schon bei Thomas von Aquin, wenngleich sich ihre Behandlung hier in einem sehr begrenzten Zusammenhang vollzog. Bei der Behandlung der quaestio über die „Wiedererstattung" (restitutio) wirft Thomas (aus Gründen, die hier dahinstehen bleiben können) die Frage auf, ob „die Notwendigkeit der Wiedererstattung" auf ein „tatforderndes Gebot" zurückgehe. Seine Antwort lautet i.E. ganz in dem hier vertretenen Sinne: „Wiewohl das Gebot der Wiedererstattung der Form nach [tat-] fordernd ist, enthält es doch ein Verbot, wodurch ims verboten wird, die Sache eines anderen zu behalten."29 Die Pflicht, eine Sache zu restituieren, ergibt sich - so das Ergebnis Thomas' - nicht aus einem (tatfordernden) Gebot, sondern der Sache nach aus einem Verbot und zwar deshalb - so die hier vertretene Erklärung -, weil diese Pflicht schlechterdings die Konsequenz einer falschen Organisation ist - so könnte man hierzu argumentieren -, etwa indem man die Sache weggenommen hat. Die Pflicht zu restituieren ist also keine besondere Pflicht.

B. Positive Institutionen Daß die soeben dargelegte, mit der Verantwortlichkeit aus der Inanspruchnahme von Organisationsfreiheit korrespondierende Institution neminem laede unverzichtbar ist, scheint heute ziemlich selbstverständlich zu sein, mag jedoch in anderen denkbaren Gesellschaften anders sein bzw. gewesen sein. Denn die Institution Nicht-Schädigen kann in gewissen Gesellschaften verdrängt werden resp. ihre Grenzen können historisch so variieren - daß sie variieren, ist sogar der Normalfall -, daß das Bild der Institution mit dem heutigen Verständnis von „neminem laede" nicht mehr vereinbar sein kann. Die negative Institution besteht 29 Thomas, Summa Theologica, II-II q 62 a 8 ad 1. Ebenso Domingo de So to, De iustitia et iure, IV q VII a IV; Heineccius, Elementa iuris naturae et gentium, I, §§ 174 f.: Zu den „unbedingten (vollkommenen) Pflichten" des Rechts gehöre nicht nur die Verpflichtung „niemanden zu schädigen", sondern darüber hinaus das „Jedem das Seine zuteilen", also eine Art „positive Verpflichtung", die dennoch nicht auf die „bedingten (unvollkommenen) Pflichten" der „Tugend" zurückzuführen sei - die kennt auch Heineccius -, sondern eben auf das Neminem-laede-Verbot. Ähnlich Christian Thomasius, Fundaments iuris naturae et gentium, I, c IV, 90: Bei den Pflichten des , justum" handelt es sich um „ne pacem turbent et ut turbatam restituant", d.h. eine „Restitution" des „Friedens", die auch aus dem Justum" ohne weiteres und nicht etwa aus Tugend herzuleiten ist (zu der negativen Bestimmung des Rechts bei Thomasius vgl. auch Arthur Kaufmann, ARSP 80 [1994], S. 481).

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte

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zwischen Personen; das Verständnis, wer als Person gilt, mag jedoch wechselhaft sein. Dazu einige Beispiele: Daß das Verhalten einer Mutter, die ihr neugeborenes Kind tötet, (u.a.) gegen die negative Institution neminem laede nach heutigem Verständnis verstößt, scheint eindeutig. Sind jedoch die Berichte Spangenbergs richtig - und für Zweifel besteht kein Anlaß -, gab es Gesellschaften, in denen jenes „eindeutige" Ergebnis keine Selbstverständlichkeit war. Denn „aus dem Stillschweigen" von Gesetzen wie den ,,Westgotische[n] oder Baiersche[n] Rechtsbücher[n]", der „Lombarda" oder den „Capitularien", ergab sich, daß der „Kindermord, welchen die Mutter selbst verübte, (...) kein Verbrechen" war, und zwar ebensowenig wie „das Abtreiben der Leibesfrucht". 30 Die negative Institution erfaßte also nicht alles, was heute als Person gesehen wird. Ein weiteres Beispiel: Als Gott Abraham auf die Probe stellte, seinen einzigen Sohn zu nehmen und ihn auf einem Berg „als Brandopfer darzubringen", baute Abraham den Altar, fesselte seinen Sohn, legte ihn darauf und nahm schließlich sein Messer, „um seinen Sohn zu schlachten"; was - nach heutigem Verständnis jedenfalls - eine versuchte Tötung darstellt, das heißt mit anderen Worten, Abraham hat auf die negative Institution verzichtet, er wollte ja sein eigenes Kind einer anderen Institution, nämlich des Gott-Geschöpf-Verhältnisses wegen, töten. Und dennoch, rief der Engel des Herrn - wie die Bibel weiter berichtet - Abraham zum zweitenmal zu und sprach: „Weil du das getan hast und deinen einzigen Sohn mir nicht vorenthalten hast, will ich dir Segen schenken in Fülle (...)". 31 Weitere, auch aktuelle Beispiele sind denkbar, die freilich ihrer Aktualität wegen sämtlich umstritten und deshalb nicht so sehr geeignet sind, zu zeigen, daß die Grenzen der negativen Institution (wer ist Person?) durchaus variiert werden können: Sind etwa die Fälle von Euthanasie als Verstoß gegen das Neminem-laede-Prinzip oder als Erfüllung einer anderen Institution zu qualifizieren, die die Protagonisten der Euthanasie aus der Menschenwürde herzuleiten pflegen? Oder: Ist die Todesstrafe lediglich die Verwirklichung einer anderen Institution namens Justiz oder ein krasser, staatlicher Verstoß gegen die Institution neminem laede?

30 Spangenberg, Neues Archiv des Criminalrechts III (1819), S. 4 f., 2 ff. (Kindertötung) bzw. II (1818), S. 11 (Abtreibung). Siehe auch ausführlich Schwarz, Der Schutz des Kindes im Recht des frühen Mittelalters, S. 7 ff., 35 ff., 94 ff., der beweist, daß viele Fälle der Kindestötung nur mit Buße gedroht gewesen waren, also mit einer Art zivilrechtlichem Schadensersatz. - Die Gesetze Hamurabis z.B. kannten ebenfalls die Abtreibung als Verbrechen nicht (vgl. Schmersahl, DJZ 1903, S. 112). 31 Gen. 22, 1-19. - Die Behauptung Birnbachers: „Die Pflicht, andere nicht zu schädigen, wiegt schon aus begrifflichen Gründen schwerer als die Pflicht, anderen Wohltaten zu erweisen" (Tun und Unterlassen, S. 173, Hervorhebung von mir), muß also in ihrer Allgemeinheit relativiert werden.

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

Das Strafrecht hat die negative Institution jedoch zumindest in ihrem Kernbereich zu garantieren. 32 Jedenfalls in der heutigen Gesellschaft ist sie als solche unverzichtbar, mindestens, solange die Gesellschaft eben die gegenwärtige Gesellschaft zu sein beansprucht. Der Grundsatz neminem laede umfaßt den Schutz der Menschenwürde und der persönlichen Freiheit, wie sie u.a. in Art. 1 und 2 des Bonner Grundgesetzes bestimmt werden: Jeder Mensch hat mindestens ein Recht auf Achtung, auf NichtVerletzung. Daß die Institution in ihrem Kern anerkannt wird, heißt: Die Unverzichtbarkeit der negativen Institution betrifft ihre Grundsätze, seil, ihre Ausgestaltung, so wie das GG bzw. die Europäische Menschenrechtskonvention sie geschildert haben. So etwa hat das Β VerfG festgestellt: „Das Grundgesetz ist eine wertgebundene Ordnung, die den Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Zweck allen Rechts erkennt". 33 Gewiß gilt: Ebenso wie das Organisieren überhaupt nur möglich ist, wenn das Synallagma von Organisationsfreiheit und Folgenverantwortung akzeptiert wird, muß die Person des jeweils anderen geachtet bleiben, darf sie also infolge des Prinzips neminem laede nicht geschädigt werden. Die Reichweite der Institution mag jedoch unterschiedlich fixiert werden. Denn die Dimensionen und die genaueren Grenzen der Institution sind im einzelnen, wie die Gesellschaft selbst, fließend. Sie sind historisch und kulturell geprägt und deshalb Veränderungen unterworfen. Die Konturen des erlaubten Risikos etwa variieren, ohne damit jedoch das abstrakte Neminem-laede-Prinzip zu tangieren. Aber die einzelnen konkreten Unterlassungs- und daraus entspringenden Handlungspflichten der Herrschaftsdelikte können ohne den Gedanken des erlaubten Risikos nicht festgelegt werden. 34 Im übrigen sind die oben dargestellten Beispiele unter einem anderen Aspekt sehr lehrreich. Abraham hat auf die negative Institution, wonach er keinem Menschen Schaden zufügen darf, deshalb verzichtet, weil noch eine weitere Institution im Spiel war, nämlich die Institution des - wie ich sie genannt habe - GottGeschöpf-Verhältnisses, nach der die Menschen - ohne etwas organisiert zu haben

32 Man vgl. dazu nur Joerden, ARSP 74 (1988), S. 311 f.; Lorenz, Richtiges Recht, S. 49 f.; Raiser, Das lebende Recht, S. 222 f.; ferner: Νunner-Winkler, Verantwortung, S. 182 f.; Stern, Staatsrecht I, S. 925.

" BVerfGE 12, 45 (51). 34

Vgl. etwa Vogel, Norm und Pflicht, S. 189 ff., 192 ff. (Unterlassungspflichten), 194 ff., 197 ff. (Handlungspflichten [jedoch nicht nur diejenigen aus dem Neminem-laede-Prinzip]) und Jakobs, Tun und Unterlassen, S. 36 ff. - Dazu, daß die Institutionen und somit die strafrechtliche Zurechnung historisch und kulturell variieren, zutreffend Mir Puig, Jahrbuch für Recht und Ethik 2 (1994), S. 226 f.

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte

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- auch zur Erfüllung positiver Pflichten verpflichtet sind, die „in erster Linie aus Dankesbezeugungen des Menschen gegenüber Gott für alle erhaltenen Wohltaten [bestehen]".35 Auch im Fall der Todesstrafe wird von deren Befürwortern vorgebracht, daß nicht nur die negative Institution, nach der keiner geschädigt werden solle, sondern noch eine weitere, positive 36 Institution in Betracht komme, nämlich die Justiz, hinter jene negative Institution zurücktreten müsse. Die Beispiele sollen jedoch nicht in die Problematik einführen, in welcher Beziehung die Institutionen zueinander stehen, oder wie man Kollisionsprobleme löst. Das ist nicht Ziel dieser Untersuchung. Vielmehr reicht es anhand des Berichts über die Kontingenz der negativen Institution zu zeigen, daß es andere Institutionen gibt, die offenbar nicht nur negativ geprägt sind - und das ergibt sich aus den Beispielen ganz deutlich. Damit haben wir den Bereich der Herrschaftsdelikte verlassen und wieder denjenigen der Pflichtdelikte betreten. Es liegt auf der Hand, daß die gesamte Problematik der relevanten Institutionen mit der Erörterung der negativen Institution nur zum Teil erschöpft wurde. Vielmehr gibt es auch noch weitere, nicht nur negative, sondern positive Institutionen, die ebenfalls strafrechtliche Relevanz beanspruchen. Bis jetzt sind sie in der Darstellung der rechtsphilosophischen Ansätze über die Institution des neminem laede unerwähnt geblieben, um den Zusammenhang nicht zu zerstören. Würde man jedoch annehmen, daß die oben genannten Autoren nur die negative Institution gekannt und berücksichtigt hätten, so würde man sie unterschätzen.37 Denn sie haben doch mehr als die bloße negative Zuständigkeit aus Organisation gesehen, nämlich auch positive Institutionen, wenn vielleicht auch einige nur am Rande ihrer Systeme, was - wie später näher

35

Pufendorf

De officio hominis, I, 4, 7.

16

Sie sei insoweit positiv, als die Justizgewährleistung für alle unabhängig davon erfolgt, ob der „Untertan" vorher etwas gemeinsam mit dem Staat „organisiert" hat oder nicht. 37 Eine Ausnahme bilden Achemvall/Pütter in ihren Elemento iuris naturae. Sie haben keine reine positive Verbindlichkeit anerkannt (in das Recht gehören nur die erzwingbaren vollkommenen Pflichten, § 208), sondern nur eine sog. „affirmative Verbindlichkeit", die „eine Handlung voraussetzt, an die das Gesetz [die „positive"] Verbindlichkeit knüpft" (aaO., § 820). Das sei der Fall, wenn „aus einer Handlung, die eine negative Verbindlichkeit verletzt oder ein Verbotsgesetz übertritt, eine positive Verbindlichkeit zur Genugtuung" entstehe (aaO., § 816). Es handelt sich also um eine Art Ingerenz, d.h. gerade um keine positive Verbindlichkeit. Wie Achenwall/Pütter an mehreren Stellen wiederholen, gehe es schließlich um die „vollkommenen Pflichten", um die negative Institution „verletze niemanden" (aaO., §§ 812, 261, 198 i.V.m. 208, 213-219). Vgl. dazu auch Jan Schröder, Kommentierung zu den Elemento iuris naturae , ebenda, S. 337 und 338. - Ausdrücklich gegen positive Pflichten Humboldt, Idee, S. 157 f. (dazu Papageorgiou, ARSP 76 [1990], S. 344 und passim).

80

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

zu zeigen sein w i r d 3 8 - aber unter historischen Aspekten durchaus verständlich erscheint. Wie bereits oben dargestellt wurde, beschränkt Hegel seine Ausführungen über die negative Institution auf das abstrakte Recht. Das weist schon daraufhin, daß die Prinzipien rechtlicher Verantwortung damit noch nicht erschöpft sein können. Denn „das abstrakte Recht ist auch nur ein Moment der konkreten Wirklichkeit des Ich, und [stellt] daher selbst demselben nur eine Möglichkeit (...) [dar]". 3 9 Die oben dargelegte Aussage, das abstrakte Recht sei nur „eine Möglichkeit" hinsichtlich des weiteren Inhalts der „konkrete(n)

Handlung und moralische(n) und

sittliche(n) Verhältnisse", bedeutet - anders als bei K a n t 4 0 -, daß auf anderen Ebenen des Systems Hegels, nämlich: auf der Stufe der Sittlichkeit,

über die rein

negative „respektiere die anderen als Personen" hinaus auch noch weitere institutionelle Bindungen in Betracht kommen. Es gibt auch Bindungen, die aus anderen Institutionen als dem abstrakten Recht entspringen, also aus Institutionen, die sich wenigstens nicht unmittelbar an die Person richten. Die Sittlichkeitslehre ist nämlich, i m Gegensatz zur Lehre des abstrakten Rechts, eine positive tenlehre.

Pflich-

41

38

Siehe unten § 7 B a.E. (S. 116 ff.).

39

Hegel, Vorlesungsnachschrift Hotho, § 37, S. 194, Rdn. 4 ff.

40

Was bei Kant m.E. als Wesen des Rechts überhaupt erscheint, ist für Hegel nur Wesensmerkmal des abstrakten Rechts; insoweit ist die Verantwortung gemäß positiver Institutionen mit dem Kantxschen System schwer vereinbar. Vgl. Matt, Kausalität aus Freiheit, S. 180 ff, 202 ff, der zugibt, daß im Arischen Rechtssystem nur Verbote und keine Gebote - wie in der Ethik - existieren, und deshalb „ist die Eigenverantwortlichkeit der Menschen die einzige Möglichkeit, ein Bewirken durch Unterlassen zum rechtlichen Nachteil eines Anderen zu begründen". Es handelt sich um eine sog. „Kausalität aus Freiheit". Der Sache nach sind eigentlich Ingerenzfälle gemeint oder verallgemeinert: Verantwortlichkeit aus Organisation, also die negative Institution. Deshalb ist der Versuch sehr zweifelhaft, wenn Matt auch mit der „Kausalität aus Freiheit" eine Haftung aus positiven Institutionen begründen will. So ist selbst bei Matt z.B. die Rede davon, daß solche Pflichten „theoretisch" und „asymmetrisch" sind. Sie sind m.E. ein Fremdkörper im System. Vgl. insoweit schon die Kritik von Wundt, Völkerpsychologie, IX. Band, S. 78 und die Ausführungen von Reiner, Grundlagen der Sittlichkeit, S. 19 f. mit Anm. 16, der davon ausgeht, daß der Begriff „kategorischer Imperativ" „nur ein Gebot von Unterlassungen und somit nur Verbote enthält", jedoch auch die Möglichkeit von Geboten im Kantischen System i.E. anerkennt, jedenfalls aber unter der Bezeichnung „eigenartige Konstruktion". - Jedenfalls würde die Auffassung Matts die hier vertretene Position um so mehr bestätigen. Siehe zur Unterstützung Matts auch das gleich unten (Anm. 46) angeführte Zitat von Fries, in dem dieser sich zur Begründung positiver Pflichten gerade auf Kant bezieht, sowie die von Philipps, Handlungsspielraum, S. 150 f., zitierte Passage aus Kants Metaphysik der Sitten, nach der Kant „zwischen dem , Verbotsprinzip4 des ,neminem laedere' und dem ,Garantieprinzip'" unterscheide. - Zur „Kausalität aus Freiheit" auch Köhler, AT, S. 117, 206 f., 229; Kahlo, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 269ff. m.w.N. 41

Vgl. auch Morgenstern, Unterlassene Hilfeleistung, S. 65 ff.

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte

81

In Pufendorfs Rechtslehre, nach der „niemand dem anderen Schaden zufügen" soll, kommt die Anerkennung einer anderen Institution als der negativen noch deutlicher als im komplexen System der Rechtsphilosophie Hegels zum Ausdruck. Nach Pufendorfs Auffassung soll es Pflichten geben, die gleichsam zwischen den „moralischen [!] Pflichten des Menschen gegen sich selbst" und dem rechtlichen neminem laede - der „Pflicht aller gegen alle" - stehen. Das sind die „gegenseitigen Pflichten der Menschlichkeit", die zum Teil zu eigentlichen Rechtspflichten ausgestaltet werden. „Da nämlich von Natur aus eine Verwandtschaft

zwischen

allen Menschen besteht, wäre es zu wenig, die andern nicht zu verletzen oder zu verachten. Vielmehr muß man den andern alles zuteil werden und sich alles gegenseitig zukommen lassen, woraus das gegenseitige Wohlwollen unter den Menschen gespeist wird." 4 2 „Denn anderen muß etwas Gutes gewidmet werden, weil ja die Seelen der Menschen mit noch engerem Band zusammengehalten werden müssen. Und es hat keine Schuld der Gesellschaft erfüllt, wer mich durch irgendeine feindselige oder unfreundliche Tat nicht von sich fortgejagt hat; (...)"· 43 Auch Fries und Schopenhauer zeigen anhand einiger Beispiele diese andere Zuständigkeit,

die sich eben nicht als „Nicht-Schädigen" bezeichnen läßt. Zwar

geht Fries - wie wir schon gesehen haben - davon aus, daß alle Rechtspflichten „Pflichten der Unterlassung" sind, daß sie also „zunächst einen verneinenden Anspruch der Unterlassung" erfordern, 44 doch schreibt er an anderer, für die hier verfolgte Argumentation entscheidender Stelle: „Die Eltern sind den Kindern positiv verpflichtet,

für sie zu sorgen, so weit es nämlich äußerlich in der Macht

des Menschen steht, sein Leben zu ordnen." 45 Und er erklärt ausführlicher: 46 „Was ferner das Verhältnis der Eltern zu den Kindern betrifft, so sagen wir mit Kant: dieses Verhältnis muß so angesehen werden, daß die Eltern ihre Kinder willkürlich und eigenmächtig in die Gesellschaft eingeführt haben, wofür auf ihnen unmittelbar die Verbindlichkeit haftet, die Kinder soviel irgend in ihren Kräften steht, mit ihrem Zustand zufrieden zu machen. Die Idee des Rechtsgesetzes tritt zwischen Eltern und Kinder und legt den Eltern in Rücksicht derselben Rechts42

Pufendorf De officio hominis I, 8, 1 (Hervorhebung von mir). Zu den Pflichten bei Pufendorf erläuternd Lorenz, Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie 10 (1944), S. 113 f.

43 Pufendorf De iure naturae et gentium, III, 3,1: ,βοηϊ quoque aliquid in alterum est conferendu siquidem arctiore adhuc vinculo animi hominum sunt coniungendi. Nec socialitatis debitum qui infesto aliquo, out ingrato facto me abs sese non protelavif, (...)" (Hervorhebung von mir). 44

Fries, Tugendlehre, § 61, S. 245.

45

Fries, Tugendlehre, § 42, S. 171 f. (Hervorhebung von mir).

46

Fries, Tugendlehre, § 84, S. 316 f. (Hervorhebung von mir); siehe auch ebenda, §§ 81 ff.

6 Sänchez-Vera

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

pflichten auf, gibt den Kindern Rechte." Es läßt sich also nicht nur die bisher angesprochene, negative „Pflicht der Unterlassung" (neminem laede) ausmachen, sondern - zumindest in der Beziehung der Eltern zu ihren Kindern daneben auch eine „positive Verpflichtung", die nicht auf dem neminem laede basiert, die also nicht einmal ursprünglich

in dem ursprünglichen Verbot subsumiert zu werden

braucht - wie die Handlungspflichten der Herrschafisdelikte -, sondern die eben eine positive Begründung hat. Schopenhauer, dessen Pflichtenlehre gleichfalls auf dem Nicht-Schädigen basiert, erwähnt seinerseits zwei Gründe positiver Pflichten und damit auch zugleich die beiden wichtigsten positiven Verpflichtungen der gegenwärtigen Gesellschaft: Die Familie und den Staat. Zu der Institution des Eltern-KindVerhältnisses sagt Schopenhauer: „Nur eine Verpflichtung ist mir bekannt, die nicht mittels einer Übereinkunft [d.h. eine, die nicht aus Organisation entspringt 47 ], sondern unmittelbar durch eine bloße Handlung übernommen wird; weil der, gegen den man sie hat, noch nicht da war, als man sie übernahm: es ist die der Eltern gegen ihre Kinder. Wer ein Kind in die Welt setzt, hat die Pflicht, es zu erhalten, bis es sich selbst zu erhalten fähig ist... Denn durch das bloße Nichtleisten der Hilfe, also eine Unterlassung, würde er ein Kind verletzen ja, dem Untergange zufuhren." 48 Daneben nennt er - es sei flüchtig und als Ausnahme aber jedenfalls sehr zutreffend - noch eine weitere, positive Begründung von Pflichten: „Positive Pflichten des Staates sind bloß die zu seiner eigenen Erhaltung und eine leicht begreifliche Ausnahme", heißt es.49 Abgesehen von Einzelheiten in den Formulierungen von Schopenhauer, Fries, Pufendorf und Hegel ergibt sich, daß diese weitere Institutionen als die negative anerkannt haben, und zwar das Eltern-Kind-Verhältnis sowie die staatlichen

47 Negative Pflichten können in Schopenhauers Rechtssystem im Prinzip nur darauf beruhen, daß man sich dazu vertraglich verpflichtet hat (Organisation); dazu Ν eider t, Die Rechtsphilosophie Schopenhauers, S. 23 f. 48 Schopenhauer, E, S. 221 (Hervorhebung von mir). Daß Schopenhauer beide positiven Institutionen gekannt hat, ist oft übersehen und ihm deshalb zu Unrecht vorgeworfen worden: etwa von Damm, Schopenhauer Rechts- und Staatsphilosophie, S. 57 f. und von Hartmann , Das sittliche Bewußtsein, S. 408 f. Im übrigen nennt Hartmann auch andere positive Institutionen (aber auch einige negative!), wie die Vormundschaft oder die „Vaterlandsverteidigung", die ihrer Positività wegen auch nicht zu dem bloßen „laesio" (neminem laede) des Systems Schopenhauers passen, wie Hartmann - insoweit doch - zutreffend erwidert. 49 Schopenhauers handschriftlicher Nachlaß, Anmerkungen zu Kant, S. 28. - Die Behandlung positiver Institutionen am Rande hat, wie oben gesagt, eine historische Erklärung. Vgl. dazu unten § 7 Β a.E. (S. 117 ff.).

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte

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Pflichten. 50 Oben ist die Entscheidung des BVerfG 12, 45 (51) nicht vollständig dargestellt worden, 51 um den Zusammenhang der Darstellung über die negative Institution nicht zu zerreißen. Nun können sie in diesem anderen Zusammenhang der positiven Institution fortgesetzt werden, um das Gesagte zu ergänzen. Denn auch das Bundesverfassungsgericht stellt nicht nur - wie oben erwähnt - fest, daß „das Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung [ist], die den Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Zweck allen Rechts erkennt", sondern es begründet darüber hinaus eine positive Verpflichtung, namentlich „die allgemeine Wehrpflicht", um die es in der Entscheidung ging. „Das Menschenbild" des Grundgesetzes, so heißt es nämlich, ist „nicht das des selbstherrlichen Individuums, sondern das der in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit". Den damit bezeichneten Unterschied zwischen dem Subjekt in der Gesellschaft und dem in der Gemeinschaft hat Tönnies ansatzweise sehr gut gesehen und mit treffenden Worten beschrieben. Er differenziert nämlich zwischen zwei Arten menschlicher Verbindungen, der Gemeinschaft und der Gesellschaft, die im Grundsatz mit den positiven Institutionen und der negativen Institution korrespondieren: „Alles vertraute, heimliche, ausschließliche Zusammenleben (...) wird als Leben in Gemeinschaft verstanden. Gesellschaft ist die Öffentlichkeit, ist die Welt. In Gemeinschaft mit den Seinen befindet man sich, von der Geburt an, mit allem Wohl und Wehe daran gebunden. Man geht in die Gesellschaft wie in die Fremde. Der Jüngling wird gewarnt vor schlechter Gesellschaft; aber schlechte Gemeinschaft ist dem Sprachsinne zuwider. (...) Die Getrauten wissen wohl, daß sie in die Ehe als vollkommene Gemeinschaft des Lebens (communio totius vitae) sich begeben; eine Gesellschaft des Lebens widerspricht sich selber. Man leistet sich Gesellschaft; Gemeinschaft kann niemand dem anderen leisten (...)". 52 Auf 50 Von den anderen oben erwähnten Autoren kennen Heineccius, Elementa iuris naturae et gentium, II, §§ 59 ff., 62,75, und Svarez, Unterricht fur das Volk über die Gesetze, S. 40, ohne weiteres positive Verpflichtungen in vielfältigen Bereichen (Pflichten der Eltern gegenüber den Kindern, Vormundschaft, Ehe, etc.). Schmalz, Rechtsphilosophie, S. 467 f., hat seinerseits auch die Problematik gesehen, die die Beschränkung des Rechts auf die negative Institution neminem laede darstellt, und deshalb auch positive Pflichten erkannt. „Es haben die Eltern die Pflicht, ihre Kinder zu ernähren und zu erziehen. Die Pflicht, das Kind zu ernähren, umfaßt alle die Sorge für die Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit nach der Eltern besten Einsicht. (...) Ob diese Pflichten juridische oder ethische seien, kann ich nicht bestimmen. Wäre es bloß um Nahrung des Körpers, um Erhaltung des Lebens zu tun: so würde ich nicht zweifeln, daß es juridische Pflicht sei/4 S. 469: „Im Staate aber ist die Regierung allerdings berechtigt, auch die ethischen Pflichten der Eltern für juridisch zu erklären." Vgl. bereits ders. in seinem natürlichen Familienrecht von 1795, § 18.

6*

51

Siehe oben S. 78 mit Anm. 33.

52

Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 3 f., ferner S. 14 ff., 40 ff.

84

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

den Begriff der Gemeinschaft und die Lehre des BVerfG wird noch zurückzukommen sein. Am Ende soll noch daraufhingewiesen werden, daß bereits Cicero, mit dessen Worten unsere Erörterung begonnen hat, neben der „erste(n) Aufgabe der Gerechtigkeit", seil, den anderen nicht zu schädigen, auch positive Verpflichtungen aufgestellt hat: Diejenigen Personen, welche „die im Stich (lassen), die zu schützen sie schuldig wären", „halten sich fern von der einen Art der Ungerechtigkeit [neminem laede], verfallen aber in die andere. Denn sie treten heraus aus der Lebensgemeinschaft, da sie für sie nichts beitragen aus ihrer Tätigkeit, ihrer Arbeit und ihren Mitteln". 53 Aus der Lebensgemeinschaft ergibt sich also auch nach Cicero eine andere Art der Ungerechtigkeit, die Verletzung positiver Verpflichtungen, gleichsam ein „Nicht-im-Stich-lassen".54 Es geht also im Recht nicht nur darum, daß andere nicht geschädigt werden, sondern daneben vielfach auch um eine „tätige Fürsorge" oder ein „Pflegen" (Pufendorf), seil, eine „positive Verpflichtung", und zwar auch und gerade dann, wenn keine Organisation vorangegangen ist - ansonsten bestünde keine Besonderheit, sondern eben nur die Zuständigkeit aus dem Neminem-laede-Prinzip. Die in Betracht kommende Rolle bei den positiven Institutionen ist nicht mehr nur die Person - wie im abstrakten Recht Hegels -, sondern die Person in ihrer Rolle als Vater, als Mutter etc. oder in ihrer Verbindungs-Rolle mit den positiven Pflichten des Staates, etwa in ihrer Rolle als Polizist (innere Sicherheit), als Richter (JustizGewährleistung) etc. Der juristische Code operiert also auch mit diesen Rollen bzw. Erwartungen, und dementsprechend wird auch zugleich die Umformung der äußeren Daten vollzogen.55 Beispiel: Das außerstrafrechtliche Unterlassen eines Richters etwa, der nicht alle bewiesenen Tatsachen im Urteil berücksichtigt, wird transformiert und daher als Verletzung der positiven Institution verstanden, weil 53

Cicero, De offieiis 1,9. Vgl. auch Hasse, Die culpa des römischen Rechts, § 3 (S. 18 mit Anm. b).

54

Die ansonsten zutreffenden Ausführungen von Philipps, Handlungsspielraum, S. 145 ff. und passim, etwa über die Vertauschbarkeit von Tun und Unterlassen im System, greifen deshalb m.E. zu kurz, wenn bei ihm nur von Handlungspflichten als Folge von Verboten - was nur bei Organisation zutrifft - und nicht auch als Folge von Geboten - bei den positiven Institutionen - die Rede ist. Darüber hinaus scheint es mir widersprüchlich zu sein, wenn Philipps, aaO., S. 150, selbst über Handlungspflichten als Folge von Verboten -also über diejenigen, die nicht aus einer besonderen Pflicht resultieren -, schreibt: „Dennoch kann man die Handlungspflicht des Garanten nicht unmittelbar aus den strafrechtlichen Verboten ableiten, sondern nur aus entsprechenden Normen des eigenen Interesses. Man braucht daher eine zusätzliche Ausnahme darüber, daß diese den gleichen normativen Rang haben wie Verbote." 55

Vgl. oben § 4 (S. 55 ff., 58 ff.).

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte

85

der juristische Code auch mit den dargelegten positiven Verpflichtungen operiert. Mit Roxin gesprochen geht es insoweit nicht nur darum, daß der Täter nicht in fremde Sphären einbrechen soll, die „er von Rechts wegen unangetastet zu lassen"56 hat (neminem laede), sondern vielmehr um Gebote, die die „Funktionsfähigkeit" von „schon durchgeformten Lebensbereichen" (die positiven Institutionen) schützen sollen, die also - in der Formulierung Jakobs' - „zu einer ganz oder ausschnittsweise gemeinsamen Weltgestaltung"57 verpflichten. Das Strafrecht soll sich somit nicht nur in der Sicherung äußerer Freiheitssphären erschöpfen, sondern es verlangt darüber hinaus auch die Herstellung positiver Beziehungen, die wiederum auf positiven Institutionen basieren und die in der Lehre vom Pflichtdelikt zum Ausdruck kommen. Die übliche Kritik hierzu lautet jedoch, der Begriff der Institution sei auf einem zu „hoh(en) Abstraktionsgrad angesiedelt und deshalb außerstande, Kriterien für die strafrechtliche Begehungsgleichheit des Unterlassens zu liefern". 58 Abgesehen davon, daß die positiven Institutionen nachfolgend noch weiter präzisiert werden sollen, kann im Rahmen dieser Arbeit auf diesen Einwand nicht weiter eingegangen werden. Denn diese Kritik beruht auf einer strafrechtsdogmatischen Anschauung, die mit der hier vertretenen Auffassung bereits im Grundsatz nicht zu vereinbaren ist. Danach soll das Strafrecht stets mit mathematischer Exaktheit operieren und auf systematische Grundbegriffe mit einer gewissen Abstraktionshöhe generell verzichten - so zumindest dem Einwand nach.59 Die andere, hier befürwortete Anschauung teilt hingegen mit der Gesellschaft - bewußt - fließende Tatbestände. Jene Sicht - das wage ich ohne weiteres einzuwenden - wird jedoch keineswegs konsequent durchgehalten, denn wenn ein gewisser Abstraktionsgrad bei den 56

Roxin, Kriminalpolitik, S. 18.

57

Jakobs, Tun und Unterlassen, S. 43 und öfter.

sg Schünemann, Zum gegenwärtigen Stand, S. 60,62 („rhetorische Scheinbegründungen"); ders. in LK, § 14, Rdn. 16; ihm zustimmend Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 147 Anm. 387. Ähnlich Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 354, 357; Brammsen, Entstehungsvoraussetzungen, S. 146; wohl auch Dencker, Stree/Wessels FS, S. 162. Siehe jedoch Schünemann, Einführung, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 6 ff, wo die Rede von einem „offenen" bzw. „elastische(n) System" ist. 59 Vgl. hierzu auch Bacigalupo, Probleme der Täter- und Teilnahmelehre, S. 92 f., der bezüglich der anderen Seite der Medaille der Pflichtdelikte, die Herrschaftsdelikte, zutreffend darauf hinweist, es gehe nur darum, „einen offenen Begriff zu bilden, also nur die richtigen Richtlinien für eine Entscheidung über die Täterschaft anzugeben". Bacigalupo zeigt, daß die Stimmen, die „offene Begriffe aus dem Bereich der Täterschaft ausschließen" wollen, ihre Ansprüche in anderen Bereichen der Strafrechtsdogmatik überhaupt nicht konsequent durchhalten, · also ebenso wie diejenigen Stimmen, die die positiven Institutionen versuchen abzulehnen (dazu sogleich im Text). Ebenso auf den Begriff Herrschaft bezogen bereits Roxin, TuT, S. 396, 122 ff.

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

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positiven Institutionen zu kritisieren wäre, dann träfe dies gewiß auch auf die negative Institution zu. Begriffe wie das Handeln auf eigene Gefahr oder das unerlaubte Risiko resp. die sog. „Sorgfaltspflichtverletzung", mit denen im Rahmen der negativen Institution operiert wird, sind prinzipiell ebenso abstrakt wie etwa die Begriffe des Eltern-Kind-Verhältnisses oder der staatlichen Pflichten. Fragen wie z.B. die Grenzen des erlaubten Risikos in den streitigen Fällen von Produkthaftung zeigen dies mit aller Deutlichkeit. Wenn man allein die positive und nicht auch die negative Institution für allzu abstrakt hält, so liegt das ausschließlich daran, daß die Lehre sie nicht in derselben Weise dogmatisch entwikkelt hat wie die Grundinstitute der negativen Institution. Zu kritisieren ist deshalb nicht der „höhere Abstraktionsgrad" der positiven Institutionen, sondern lediglich die Vernachlässigung der positiven Institutionen in der wissenschaftlichen Erforschung. Im Grunde wird es bekanntlich bemängelt, daß die positiven Institutionen als solche im Strafrecht nicht - zumindest nicht generell - positiviert seien, insbesondere nicht geregelt wäre, was eine positive Institution sein solle, ferner auch nicht - jedenfalls nicht ausdrücklich -, daß die positiven Institutionen in der Verbrechenslehre überhaupt eine Rolle zu spielen hätten.60 Aber dieses Schicksal teilt jede positive auch mit der negativen Institution. Denn daß die §§ 212,223 StGB z.B. den Totschlag und die Körperverletzung unter Strafe stellen, sagt prinzipiell - und das wird leicht übersehen - ebensowenig über die negative Institution wie über die positive. 61 Ob etwa die Grenzfälle des Handelns auf eigene Gefahr im Bereich der AIDS-Problematik einen Verstoß gegen das Neminem-laede-Prinzip bedeuten oder nicht, steht ebensowenig in §§ 212 oder 223 StGB wie dort etwas über die Institution Eltern-Kind-Verhältnis geregelt ist. So wurde kurz nach der Geburt der Pflichttheorie Feuerbachs bereits erkannt, daß Vertrag und Gesetz zur Begründung positiver Pflichten nicht ausreichen, daß also die „mathematische Exaktheit" des Stück Papiers eines Gesetzes bzw. Vertrages 62 die Verhältnisse der

60 Vgl. nur etwa neuerdings Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 174; vor der Einführung des § 13 StGB gab es in der Lehre sogar Bestrebungen, positive Verpflichtungen im einzelnen zu normieren, siehe Busch, v. Weber FS, S. 203 ff. m.w.N. 61 Sachlich übereinstimmend Freund, Erfolgsdelikt, S. 13 f., 16, 70 (freilich auf Begehen und Unterlassen bezogen) im Anschluß an Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, passim. 62

Im übrigen ist gleichwohl an der mathematischen Exaktheit dieses Stück Papiers zu zweifeln. Zu denken ist an die Probleme für die Garantenstellung von unwirksamen Verträgen etc. (vgl. statt vieler Blei, H. Mayer FS, S. 123 ff, S tree, ebenda, S. 148 ff.) oder auch daran, daß ein „Gesetz" ohne mehrere Auslegungsmöglichkeiten wohl die Ausnahme ist.

§ 5 Die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte

87

Gesellschaft nicht treffen würde. Gerade ein Schüler Feuerbachs, Spangenberg,63 nimmt zwar - wie jener - „als Grundprinzip" an, „daß die Verpflichtung des Staatsbürgers (...) lediglich nur auf Unterlassungen gerichtet" sei und die Handlungspflichten deshalb immer einen besonderen Rechtsgrund voraussetzten, der stets eines speziellen positiven Gesetzes bedürfe. Er erweitert dennoch den Kreis der Handlungspflichten und betont, daß für „einige rechtliche Verhältnisse, abgesehen von speziellem positivem Gesetz und Vertrage,

besondere Verpflich-

tungen entspringen, deren unterlassene Erfüllung, selbst wenn sie nicht durch ein spezielles Gesetz mit Strafe bedroht worden sein sollte, strafbar bleiben muß". 64 Als solche besonderen rechtlichen Verhältnisse nannte er gerade einige positive Institutionen: „Die Ehe, das Verhältnis zwischen Ascendenten und Descendenten, das Vormundschaftsverhältnis", sowie die Pflichten des Soldaten etc. 65 Was unter dem „Schutz von durchgeformten

Lebensbereichen" und seinem

Komplement „Aufbau einer gemeinsamen Welt" zu verstehen ist, was also die genannten positiven Pflichten beinhalten, mag anhand eines Beispiels weiter erläutert werden. Beobachtet etwa ein Spaziergänger, wie ein fremdes Kind in einen Teich zu fallen droht, und entfernt er sich trotzdem, um das Kind nicht retten zu müssen, so haftet er, wenn das Kind in den Teich fällt und ertrinkt, gegebenenfalls nach § 323c StGB. Denn als Fremder war er nicht dazu verpflichtet, eine gemeinsame Welt mit dem Kind aufzubauen. Wenn aber der Spaziergänger der Vater des Kindes ist, dann haftet er wegen Tötung: Als Vater muß er die „tätige Fürsorge" leisten, die schon Pufendorf nannte. Obwohl es sich um dasselbe Kind handelt, das derselben Hilfe bedarf; obwohl dieselbe Situation vorliegt, auf der die Hilfsbedürftigkeit des Kindes beruht, obwohl das Kind sowohl durch Eingreifen des Spaziergängers als auch durch Eingreifen des Vaters hätte gerettet werden können, gibt es einen wesentlichen Aspekt, der beide Fälle unterscheidet: Beim Vater geht es um das Gebot, mit dem Kind eine gemeinsame Welt zu bauen. Die Pflicht, eine gemeinsame Welt aufzubauen, zwingt, sich hilfsfähig zu halten! 66 Das unterscheidet in krasser Form die Handlungspflichten der positiven Institutionen bei den Pflichtdelikten von denjenigen der negativen Institution bei den Herrschaftsdelikten, und übrigens auch von denjenigen bei den Unglücksfällen im 63 Spangenberg, Neues Archiv des Criminalrechts IV (1820), 528 ff; ihm folgend Henke, Handbuch des Criminalrechts, S. 395 ff. 64

Ebenda, S. 531.

65

Ebenda, S. 539.

66

A.A. wohl Vogel, Norm und Pflicht, S. 284 f. - Siehe noch dazu unten S. 123 ff, 144 f.

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

Sinne des § 323c StGB. Letzterenfalls ist jeder prinzipiell zur Hilfe verpflichtet, aber trotzdem darf weder das Opfer noch die Gesellschaft die Bildung einer gemeinsamen Welt erwarten, und auch nicht, daß Dritte sich hilfsfähig erhalten. Denn „es ist zufällig, ob eine Person in die betreffende Lage kommt", ob also jemand überhaupt in der Lage ist, zu helfen, und „daher baut das System gesellschaftlicher Fürsorge seinen Kalkül nicht hierauf 4 . 67 Positive Pflichten resp. die darauf bezogenen Erwartungen beruhen - wie gesehen - auf durchgeformten Lebensbereichen, jedenfalls nicht auf Zufälligkeiten. Damit dürften die Wurzeln der Pflicht- und Herrschaftsdelikte im Ansatz dargelegt sein. Es hat sich erwiesen, daß es dabei um zwei völlig verschiedene Institutionen geht. Es handelt sich um die Frage, ob eine Person positiv oder - eben nur als Person - negativ mit einem bestimmten Rechtsgut verbunden ist. Im folgenden geht es darum, die Konturen der positiven, über das Neminem-laedePrinzip hinausgehenden Institutionen näher herauszuarbeiten.

67 Kohler, Studien aus dem Strafrecht 1,1890, zit. nach E. A. Wolff, kritisch Morgenstern, Unterlassene Hilfeleistung, S. 134 f.

Kausalität, S. 44 mit Anm. 24;

§ 6 Genaueres über die Verbote und Gebote und über die Institutionen A . Das Problem Der aufmerksame Leser hat vielleicht schon bemerkt, wie unbefangen einige der oben angeführten Autoren mit den Begriffen „Verbot" und „Gebot" scheinbar umgehen, jedenfalls unbefangener, als man es von Rechtsphilosophen erwarten würde. Zur Verdeutlichung mag ein Zitat ausreichen. Einerseits ist bei Fries zu lesen: „(...) die /tec/rtspflicht kann nur aus dem Gebote entspringen: daß jeder die Person des andern als Zweck respektieren solle",1 und zwei Zeilen weiter stellt er andererseits fest: „aus den Geboten entspringen nur Tugendpflichten"'.

Das Pro-

blem bedarf keiner weiteren Verdeutlichung. Geht es nun um Verbote oder um Gebote? Ist die Terminologie „nachlässig" oder ist die oben getroffene Unterscheidung zwischen negativer und positiver Institution schlechthin falsch? Was stimmt dann nicht? Eine undifferenzierte Begriffsbildung kann strafrechtsdogmatisch keinen Bestand haben. Die vorhergehenden Erörterungen haben ja gezeigt, daß sich die Unterlassungspflicht neminem laede (Verbot) und die positive Verpflichtung zum „Aufbau einer gemeinsamen Welt" (Gebot) begrifflich unterscheiden. Zwischen einem Verbot und einem Gebot besteht also ein wesentlicher Unterschied. Die Organisationsdelikte verletzen nur das Nicht-Schädigungs-Verbot, die Pflichtdelikte zumindest auch das Gebot zum Aufbau einer gemeinsamen Welt. Daß die Organisationsdelikte stets einem Verbot (neminem laede) widersprechen, heißt, daß selbst die Organisationsdelikte durch Unterlassen derselben Verbotsnorm (keine Gebotsnorm!) widersprechen wie die Organisationsdelikte durch Tun. Die Pflichtdelikte ihrerseits beruhen dagegen immer auf der Verletzung einer Gebotsnorm. Es ist deshalb erforderlich, insoweit eine terminologische und materielle Klarheit zu schaffen.

1

Fries, Philosophische Rechtslehre, S. 14 (Hervorhebung von mir) und öfter (vgl. oben Anm. 14 auf S. 70). Ähnlich Schmalz, Schopenhauer etc.

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

90

B. Die Lösung I. Die erste, sprachliche Ebene Die oben genannten Zitate sind freilich bei genauerem Hinsehen gar nicht so widersprüchlich wie sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Denn tatsächlich ist mit der absolut herrschenden Lehre davon auszugehen, daß die Begriffe Verbot und Gebot - zumindest sprachlich - beliebig austauschbar sind. Eine alte Formulierung lautet: „Jedes positive Gebot schließt in sich der Sache nach das Verbot des Gegenteils (wem z.B. geboten ist, den Nächsten zu lieben, dem wird gerade dadurch auch alles verboten, was im Widerspruch zur Nächstenliebe steht)."2 Mit der modernen Lehre 3 ist aber aus normlogischen Gründen nicht nur festzustellen, daß ein Gebot stets zugleich das gegenteilige Verbot enthält, sondern darüber hinaus auch umgekehrt, daß sich Verbote stets in Gebote umformulieren lassen. Verbot und Gebot sind also keine unterschiedlichen Normtypen, sondern nur verschiedene Formen der Normformulierung. Der Begriff des Verbots kann mit Hilfe des Begriffs des Gebots und dieser mit Hilfe des Verbots definiert werden. Logisch gesehen ist es ohne weiteres möglich, ein Gebot als Verbot zu formulieren und vice versa. Man kann nur vom Verbot ausgehen und dann in dem Verbotsgesetz das positive Element hervorheben, oder nur vom Gebot ausgehen und dann das negative Element betonen. Schon Immanuel Kant hat in einer früheren Schrift plakativ festgestellt: „Verbote sind negative Gebote".4 Und in der Tat kommt man mit einem - mit nur einem! - deontischen Operator aus, entweder mit einem Gebot: „Es ist geboten, daß H", wobei dann - gleichsam automatisch immer auch verboten ist, daß non-Η, oder mit einem Verbot: „Es ist verboten, daß 2

Pufendorf, De officio hominis, Vorrede (S. 19). Dasselbe Beispiel auch bei Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 73. - Dazu noch unten S. 97 f.

3 Die Literatur ist Legion: v. Wright , Norm und Handlung, S. 121; ders., Handlung, Norm und Intention, S. 110; ders., Normenlogik, S. 28; ihm folgend Mir Puig, ZStW 95 (1983), S 425 Anm. 37; Rödig, Denkform der Alternative, S. 72 (§ 14.5), S. 88 f.; Joerden, Dyadische Fallsysteme, S. 104, 100ff.; v. Kutschera, Logik der Normen, S. 21; Adomeit, Rechtstheorie, S. 44 (im Anschluß an das Normenquadrat Benthams)-, Christiane und Ota Weinberger, Logik, S. 114 f.; Geddert, Recht und Moral, S. 162; Koller, Theorie des Rechts, S. 67; Brinkmann, Rechtsphilosophie, 179; Hardwig, Zurechnung, S. 139 mit Anm. 338; Vogel, Norm und Pflicht, S. 94; Koriath, Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, S. 55, 325. - Vgl. auch Husserl, Negatives Sollen im Bürgerlichen Recht, S. 153, 155,168 und Lehmarm, Unterlassungspflicht im Bürgerlichen Recht, S. 7,9 f. - Siehe auch etwa schon Luden, Abhandlungen, II. Band, S. 220 f. (im Anschluß an Paulus) und Thomas von Aquin, Summa Theologica, I-II, q 92, a 2, ad 1 : „Wie das Abstehen vom Bösen etwas vom Guten hat, so auch das Verbot etwas vom Gebot1'. 4 Kant, Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen (AA II), S. 184. Zur Austauschbarkeit von Verboten und Geboten anhand des kategorischen Imperativs Ebert, KantStudien 67 (1976), S. 577 f. und Radermacher, ARSP 74 (1988), S. 43.

§ 6 Genaueres über die Ver- und Gebote und über die Institutionen

91

H", wobei dann auch geboten ist, daß non-Η. Versteht man non-Η als kontradiktorischen Gegensatz zu H (das Unterlassen von H), nicht etwa als alles, was nicht H ist, so sind die Formulierungen sachlich vollkommen gleichbedeutend. Das beruht auf dem Prinzip duplex negatio est affirmatio.

Wenn also jemand die Unterlas-

sung einer Handlung unterläßt, so fuhrt er diese Handlung aus. Demzufolge läßt sich dieser Gedanke auch auf die Unterscheidungsbegriffe Tun und Unterlassen übertragen: Jedes Tun kann in ein Unterlassen umgedeutet werden; wer tötet, hat es unterlassen, nicht zu töten: er hört mit dem Nichttöten auf und tötet.5 Noch ein Beispiel:6 In § 142 StGB ist das Gebot, am Unfallort zu bleiben, mit dem Verbot identisch, vom Unfallort wegzugehen. Nicht-Weggehen ist gleichbedeutend mit Da-Bleiben und Nicht-Dableiben mit Weggehen; das Gebot dazubleiben läßt sich also ebenso gut durch das Verbot wegzugehen ausdrücken. Auch die Rechtsprechung hat sich gelegentlich i.d.S. geäußert. In einer alten Entscheidung hat das Reichsgericht treffend festgestellt, daß es möglich ist, „im Wege der Dialektik jedes positive Tun zugleich als Unterlassen eines Nichttuns (...) begrifflich zu erfassen". 7 Und der Bundesgerichtshof hat einmal ausgesprochen: „Das Verbot einer Handlung verpflichtet dazu, sie zu unterlassen. Das Verbot, eine bestimmte Handlung zu unterlassen, gebietet es, sie vorzunehmen." 8 Zutreffend hat Kelsen die Zusammenhänge wie folgt dargelegt: „Gebieten und Verbieten sind nicht zwei verschiedene Funktionen der autoritären Ordnung, sondern beide sind ihrer Natur nach dasselbe; das Verbieten kann ebensogut als Gebieten, und das Gebieten als Verbieten formuliert werden, je nachdem man die Handlung oder ihr kontradiktorisches Gegenteil, die Unterlassung heranzieht: Eine gebotene Handlung ist eine verbotene Unterlassung und eine gebotene Unterlassung eine verbotene Handlung. Wenn einmal gebotene, d.i. gesollte Handlungen und Unterlassungen angenommen sind, dann ist die Annahme von verbotenen Handlungen und Unterlassungen eigentlich überflüssig, denn die

5

Hall, Grünhut GS, S. 225; Rödig, Analytische Rechtslehre, S. 38 f., 81; Röhl, Rechtslehre, S. 195, 496; M. E. Mayer, AT, S. 109; Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 39 f.; K. Wolff, Verbotenes Verhalten, S. 8; Puppe, Idealkonkurrenz, S. 271: „... verneinende und bejahende Sätze sind gegeneinander austauschbar", im Anschluß an Wittgenstein. 6 7 8

Nach Schmidhäuser, JZ 1955, S. 435 f., der diese Austauschbarkeit zutreffend für unerheblich hält. RG 20, 131 (133). BGH 19, 295 (298).

92

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

gebotenen Unterlassungen sind dasselbe wie die verbotenen Handlungen und die gebotenen Handlungen fallen zusammen mit den verbotenenen Unterlassungen."9 Damit komme ich zu einem ersten Ergebnis: Ist eine Formulierung beliebig austauschbar - Verbot oder Gebot als kontradiktorischer

Gegensatz -, kann daran

auch keine rechtlich relevante Unterscheidung geknüpft werden. Ob der Gesetzgeber zufällig - jedenfalls beliebig - eine Norm als Verbot oder als Gebot ausformuliert hat, oder der Richter sie als Verbot oder als Gebot interpretiert, ist also normativ bedeutungslos.10 Klassifizierungen der Art: Normen, die als Gebot formuliert sind, können nur von Garanten übertreten werden, sind prinzipiell - d.h. ohne weitere Präzisierungen - ebensowenig aussagekräftig wie Klassifizierungen der Art: Normen, die als Verbot formuliert sind, können von jedermann übertreten werden. Auf die Normart per se kommt es nie an.

II. Die zweite, materielle Ebene Einerseits wurde oben festgestellt, 11 daß es Unterlassungsdelikte gibt, die jedoch keine Pflichtdelikte sind, weil sie nicht auf der Verletzung eines Gebots, sondern auf derjenigen eines Verbots beruhen. Andererseits hat sich aber gerade gezeigt, daß die Formulierung als Verbot oder als Gebot rechtlich nicht maßgeblich sein kann, weil sie - als kontradiktorischer

Gegensatz - beliebig aus-

tauschbar ist. Dieser - scheinbare - Widerspruch bedarf einer Erklärung. 9 Kelsen, Hauptprobleme, S. 669; ebenso ders., Reine Rechtslehre, S. 15, 26 und Allgemeine Theorie der Normen, S. 73, 76 f.; ihm folgend etwa Kucsko-Stadlmayer, Rechtsnormbegriff, S. 24; Güntge, Begehen durch Unterlassen, S. 27; del Vecchio, Rechtsphilosophie, S. 394. 10 Auch Engisch und andere haben erkannt, daß für die strafrechtliche Bewertung die Formulierung nicht maßgeblich sein kann (MSchrfKrim 24 [1933], 239 f.; ders., Weltbild, S. 37 f. Anm. 70; ders., JZ 1962, S. 189; ders., Henkel FS, S. 56 f.; Peperoni , Gebot und Verbot, S. 145 ff.; Sameluck, Zur Unterscheidung des Begehungsdelikts vom Unterlassungsdelikt, S. 59 f.; ähnlich Lehmann, Unterlassungspflicht, S. 13 f.; Androulakis, Studien, S. 57 ff.). Allerdings stellt Engisch nicht, wie es zutreffend wäre, auf die negative Institution sowie die positiven Institutionen ab (dazu sogleich im Text), sondern auf das von ihm entwickelte Konzept des Energieeinsatzes. Der Charakter der Norm als Gebots- oder Verbotsnorm sei davon abhängig, ob die Norm auf ein Tun oder ein Unterlassen gerichtet sei, was wiederum danach zu beurteilen sei, ob die Norm in einer bestimmten Richtung einen Energieeinsatz (Leistung bzw. Anstrengung) verlangt oder nicht (ausführlich Engisch, Gallas FS, S. 171 f., 186 f.; ebenso Kamps, Ärztliche Arbeitsteilung, S. 87 f.). Beispiel: Ein Kraftwagen wird durch gleichmäßiges ruhiges Treten auf das Gaspedal in Gang gehalten und somit stellt das Autofahren eine Leistung dar. - Daß es sich in solchen Fällen um eine Leistung handelt sowie die von Engisch allgemein angenommene Erkenntnis, nämlich, daß die Zuwiderhandlung gegen eine Gebotsnorm nur eine Unterlassung ist, die Zuwiderhandlung gegen eine Verbotsnorm nur eine Handlung ist, ist jedoch schon als unhaltbar bewiesen. Vgl. auch kritisch Beriet, Sollen, Dürfen, Können, S. 146 f. 11

Siehe oben § 4, B, III. (S. 58 ff.) und § 5 A (S. 69 ff.).

§ 6 Genaueres über die Ver- und Gebote und über die Institutionen

93

Dazu kann das Modell von Bärwinkel und Schmidhäuser über die Auslegungsund Kodifikationstatbestände herangezogen werden. 12 Danach muß der Interpret des Gesetzes resp. eines Sachverhalts in zweierlei Hinsicht differenzieren. Zunächst läßt sich ein Auslegungstatbestand ausmachen, das ist ein „überpositivrechtlicher Begriff 4 , „dessen Erfassung Ziel einer jeden Auslegung ist". Dieser Tatbestand besitzt keine formellen (positiven) Grenzen, weil er von der Rechtswissenschaft geschaffen wurde. Abzustellen ist nicht auf den Wortsinn, sondern vielmehr auf den Gesamtsinn, der von der Rechtswissenschaft zu ermitteln ist. Von diesem Auslegungstatbestand ist der Kodifikationstatbestand

zu unterschei-

den. Dieser Tatbestand ist derjenige, „mit dem man die im Wortlaut eines Gesetzesparagraphen ausgedrückte Strafbestimmung meint". Im Gegensatz zum Auslegungstatbestand bringen die Kodifikationstatbestände nicht immer im Detail die Auslegungstatbestände zum Ausdruck. Denn die Faktoren der Gesetzestechnik, die einen konkreten Kodifikationstatbestand beherrschen, schaffen es - ihrer Beschränkungen wegen - nicht immer, daß der Wortlaut des jeweiligen Paragraphen eindeutig mit dem in Betracht kommenden Auslegungstatbestand korrespondiert. Der Inhalt der Kodifikationstatbestände ergibt sich häufig aus dem natürlichen Lebenssprachgebrauch, der schon bestimmte Vorstellungsbilder beinhaltet. Deutet man die bisher gewonnenen Ergebnisse nach dem Raster dieses Modells, so ergibt sich folgendes: Die rechtsphilosophische Tradition hat - wie gesehen - zwei, für das Strafrecht bedeutsame, verschiedene Auslegungstatbestände gewonnen. Danach gibt es einerseits die positiven Institutionen, andererseits die negative Institution. Jene streben den Aufbau einer gemeinsamen Welt an, diese ein Nicht-Schädigen. Solche Auslegungstatbestände sind das Instrument zur Interpretation des geltenden Rechts.13 Die Lehre der logischen Austauschbarkeit von Verboten und Geboten bezieht sich jedoch - im Gegensatz zu der philosophischen Tradition - allein auf die Kodifikationstatbestände.

In diesem Sinne, d.h. auf die Kodifikationstatbestände

bezogen und als Ausnahme zu der allgemeinen Begriffbestimmung dieser philosophischen Tradition, die sich im Grundsatz nur auf die Auslegungstatbestände 12 Siehe Bärwinkel, Zur Struktur der Garantieverhältnisse, S. 16 f., 18 und passim; Schmidhäuser, AT, 2/4,5/42,16/11; Hruschka, Bockelmann FS, S. 435; Nitze, Entsprechensklausel, S. 106 f.; Kamps, Ärztliche Arbeitsteilung, S. 91. Wohl auch Freund, Erfolgsdelikt, S. 13 f., 85 ff., 125. - Vgl. ferner Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, S. 380 ff., 387: „Die Gesetze selbst und die Instrumente der Gesetzesauslegung haben Funktionen, die sich in letzter Instanz nur rechtsphilosophisch bestimmen lassen." 13

Vgl. noch dazu unten insbesondere S. 121 f., 147 ff, 195 ff, 207 ff

94

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

bezieht, sind die oben angeführten Zitate von Fries zu verstehen. Denn die Austauschbarkeit der Verbote und Gebote war in dieser philosophischen Tradition bereits bekannt. Am deutlichsten zeigt sich das bei Hegel, der - wie dargestellt das abstrakte Recht nur auf Verbote gründet, auf die wiederum die Gebote (der Kodifikationstatbestände) zurückzuführen sind: „Man (kann) die Rechtsverbote positiv als Gebote ausdrücken", 14 hat er insoweit bemerkt. Denn jedem Herrschaftsdelikt liegt, wie wir gesehen haben, ein Verbot zugrunde, und zwar selbst dann, wenn „empirischer Weise nach", als Kodifikationstatbestand, ein Tun geboten ist. Nochmals mit Hegel: „Es geht überhaupt so, - nur das Allererste ist ganz dem Begriff [des Auslegungstatbestandes] gemäß".15 Im abstrakten Recht ist nur das Allererste - der auf die negative Institution bezogene Auslegungstatbestand - ganz dem Begriff der Negativität gemäß und nicht - gleichsam - das Erste, der Kodifikationstatbestand, also oft die Formulierung als Gebot bzw. die Pflicht zum Handeln. Die These, Verbote und Gebote (des Kodifikationstatbestands) seien austauschbar, ergänzt deshalb die oben vertretene Auffassung, der Täter eines Herrschaftsdelikts könne das Verbot neminem laede (auch) durch eine Unterlassung übertreten. Anders ausgedrückt bietet diese Austauschbarkeit eine weitere Erklärung für die Auffassung, die besagt, daß aus dem neminem laede auch Handlungspflichten herzuleiten sind. 16 Fraglich ist hier nur noch - obwohl die Antwort eigentlich schon auf der Hand liegen soll -, ob sich die Auslegungstatbestände - die positiven Institutionen resp. die negative Institution - kontradiktorisch zueinander verhalten wie die Kodifikationstatbestände, ob sie also gleichermaßen beliebig austauschbar sind. Sind sie 14

Hegel, Philosophische Propädeutik (Werke 4), S. 234 f. (§ 7).

15

Hegel, Rph., Notiz zu § 38.

16

Der überwiegend negative Wortlaut der Tatbestände des BT - sowie die auf positives Tun zugeschnittene Terminologie des StGB (vgl. dazu Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 40 f.) - besteht trotz aller Austauschbarkeit nicht von ungefähr. Solche negativ formulierten Tatbestände verweisen vor allem auf eine historisch vorgestellte Kasuistik; der Grund also, warum mehr Normen als Verbote ausformuliert werden, ist vielfach zu finden. Einige Gründe sind: a) Die Gesetzestechnik neigt dazu, die Normen auszuformulieren, so wie der Gesetzgeber die naturalistische Vorstellung hat, wie diese Normen zu übertreten sind. In einer Welt ohne Technisierung kam der Übertretung durch - phänotypisches - Tun eine größere praktische Bedeutung zu als derjenigen durch - phänotypisches - Unterlassen (siehe oben S. 51 ff., 63 f.). b) Darüber hinaus waren in einem von der Lehre des corpus delicti beherrschten Strafrecht Übertretungen durch Unterlassen kaum zu beweisen (demonstrativ etwa Temme, Lehrbuch, § 67; vgl. ferner Jakobs, Tun und Unterlassen, S. 7; ähnlich im römischen Recht anhand des Satzes „cogitationis poenam nemo patitur", dazu Jaschinski, Die Entwicklung des Begriffs ,Erfolg', S. 28 f. und im Recht des Sachsenspiegels, ebd., S. 54 mit Anm. 152). c) In den Zeiten der Kodifizierung ging es noch um eine bloße liberale Weltanschauung, die - wie ausführlicher gleich zu sehen ist (unten S. 103 ff, 116 ff.) - für den Verbotscharakter juristischer Normen plädiert, weil Gebote eine moralische Prägung besitzen sollen.

§ 6 Genaueres über die Ver- und Gebote und über die Institutionen

95

nicht kontradiktorisch, dann dürfen sie auch nicht beliebig ausgetauscht werden, was für die hier behandelte Problematik zur Folge hat, daß sie - den oben dargelegten Thesen entsprechend - die maßgeblichen Kriterien sein sollen. Zur Beantwortung der Frage muß man sich den Unterschied zwischen kontradiktorischen und „lediglich" konträren Begriffen vor Augen halten. Zwar sind konträre Begriffe einander entgegengesetzt, sie verneinen sich aber nicht wie kontradiktorische Begriffe, und insoweit sind sie auch «/c/i/ beliebig austauschbar. Wiederum mit den Worten Hegels:17 Zwei „Bestimmungen sind kontradiktorisch, insofern die eine die wesentliche Bedeutung hat, zu sein, was die andere nicht ist, oder sie als positive und negative einander entgegengesetzt sind. Konträr sind sie, insofern sie nur als verschieden voneinander gesetzt sind oder die eine noch eine positive Bestimmung hat, nach welcher sie unmittelbar der anderen nicht entgegengesetzt ist. Allein die kontradiktorischen Bestimmungen haben notwendig auch das Moment der Gleichgültigkeit gegen die andere [= Austauschbarkeit], und die konträren haben auch das Moment der Entgegensetzung an ihnen". Ein alltägliches Beispiel: Schwarz und nicht-schwarz sind kontradiktorisch. Deshalb ist es logisch möglich und gleich zu sagen, „Bei Trauerfeiern sollst Du schwarze Kleider anziehen" bzw. „Bei Trauerfeiern sollst Du nicht nicht-schwarze Kleider anziehen". Schwarz und weiß sind jedoch „nur" konträr. Umformulierungen beider Begriffe sind deshalb nicht möglich, ohne daß die Bedeutung sich ändert: „Bei Trauerfeiern sollst Du schwarze Kleider anziehen" und „Bei Trauerfeiern sollst Du nicht weiße Kleider anziehen" sind nicht gleichbedeutend - im zweiten Fall könnte man etwa in rot kommen! Zwei Begriffe, die kontradiktorisch sind, sind zueinander stets konträr, was aber nicht generell umgekehrt gilt (schwarz und nicht-schwarz sind kontradiktorisch und konträr, schwarz und weiß sind konträr, aber nicht kontradiktorisch). Dasselbe geschieht bei den Institutionen. Die negative Institution Nicht-Schädigen verhält sich nicht kontradiktorisch zu der positiven Institution, eine gemeinsame Welt aufzubauen. Denn der kontradiktorische Begriff von Schädigen ist nicht „Wohl-tun" oder „Aufbau einer gemeinsamen Welt", sondern lediglich „Nicht Schädigen".18 Mit anderen Worten, der kontradiktorische 17

Hegel, Philosophische Propädeutik (Werke 4), S. 195 (§ 101); ferner ebenda, S. 128 f. (§ 20 ff.); ders., Logik II, S. 340 f. 18 Das wird leicht übersehen. So etwa die alte Formulierung von Hasse, Die Culpa, § 3 (S. 18): „Durch Unterlassen niemanden schädlich sein dürfen, sagt eben so viel, als umgekehrt: jedem andern nützlich sein müssen, wo man kann"; auch Studi, Können Verbote durch Unterlassen, Gebote durch Handeln übertreten werden?, S. 96 f. - Auf diesen logischen Fehler - freilich im Rahmen der Irrtumslehre - macht auch Puppe, Lackner FS, S. 203 (a.E.), aufmerksam.

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

96

Gegensatz von Nicht-Schädigen ist etwas zu tun, was das entsprechende Gut schädigt, nicht jedoch etwas zu tun, was die Lage des Guts verbessert. Die negative Institution und die positiven Institutionen sind also nur scheinbar kontradiktorisch. Die negative Institution lautet: „Du brauchst überhaupt nicht zu organisieren, wenn du aber organisierst, kümmerst du dich um die Folgen deiner Organisation", während die positive Institution vorschreibt: „Du sollst eine gemeinsame Welt aufbauen" (i.d.S., daß man doch etwas organisieren muß). Die negative Institution, ganz i.S.d. abstrakten Rechts Hegels,19 gibt nur an, was einer nicht tun soll, nicht aber, was ansonsten getan werden soll. Die negative Institution neminem laede schließt die Erlaubnis, untätig zu bleiben, ein. Insgesamt liegt es auf der Hand, daß die Auslegungstatbestände, also die positiven Institutionen und die negative Institution, nicht ausgetauscht werden können, weil sie nicht kontradiktorisch sind, sondern lediglich konträr (sie sind „nur als verschieden voneinander gesetzt"). Die moderne Lehre der Austauschbarkeit von Verboten und Geboten ist also zutreffend, sofern sie sich auf die (kontradiktorisch) austauschbaren Verbote und Gebote der Kodifikationstatbestände

bezieht. Eine Umdeutung der Verbote des

Auslegungstatbestandes (besser: negative Institution) in Gebote des Auslegungstatbestandes (besser: positive Institution) ist jedoch nicht durchführbar. Die negative Institution (beim Auslegungstatbestand) läßt sich nicht in eine positive Institution umbilden, weil sie dann inhaltlich mehr umfassen würde, als sie - ihrer Negativität wegen - eigentlich umfaßt. Bei den Kodifikationstatbeständen unterscheiden sich Verbot und Gebot nur sprachlich, bei den Auslegungstatbeständen hingegen auch sachlich. Wenn es um materielle Unterschiede geht, hier: um den Unterschied zwischen der negativen Institution und den positiven Institutionen, besteht die Differenzierung unabhängig davon, ob die Institutionen äußerlich als Verbot oder als Gebot formuliert sind. Innerhalb der negativen Institution kann das Verbot „nicht schädigen" in das Gebot, alles zu unterlassen, was schädigt, umformuliert werden (kontradiktorischer Gegensatz, „die konträren [Bestimmungen] haben auch das Moment der Entgegensetzung an ihnen" 20 ). Unabhängig von derartigen Umformulierungen 19 20

Vgl. oben S. 73 ff.

Hegel, wie oben Anm. 17. - Die Formulierung der negativen Institution als „Gebot' ist, wie gesagt, sprachlich möglich, würde jedoch das Charakteristikum der negativen Institution - die Negativität - kaum widerspiegeln: Es gibt keine Pflicht, etwas zu organisieren.

§ 6 Genaueres über die Ver- und Gebote und über die I n s t i t u t i o n e n 9 7

bleibt aber der materielle Inhalt der Institution, ihre Negativität, bestehen. Oder, anhand eines Beispiels einer positiven Leistung erläutert: Ob der Aufbau der neuen Bundesländer - der Formulierung nach - darin bestehen soll, daß geboten wird, Hilfe zu leisten, oder verboten wird, keine Hilfe zu leisten, die Hilfe zu untersagen etc., ist materiell betrachtet gleich. In jedem Fall geht es um eine positive Leistung unabhängig von der Formulierung als Gebot oder Verbot. 21 Das Ganze lehrt noch einen weiteren Unterschied zwischen der negativen Institution neminem laede und den positiven Institutionen: Ist der Aufbau der neuen Bundesländer (als positive Institution verstanden) geboten (oder sein Unterlassen verboten), scheint es folgerichtig zu sein, daß zugleich alles, was diesen Aufbau verhindert, verboten werden soll (oder es soll die Unterlassung davon geboten werden, was den Aufbau verhindert). Insoweit kommt eine zweifache Erwartung in Betracht: Es wird sowohl ein „Tun", der Aufbau einer gemeinsamen Welt, als auch ein „Unterlassen" von Handlungen erwartet, die diesen Aufbau verhindern könnten. Mit dieser Frage bin ich - wie versprochen - zu der alten Definition Pufendorfs zurückgekehrt. Denn dies ist gerade die von Pufendorf mit der oben dargelegten Formel ausgesprochene Erkenntnis. „Jedes positive Gebot schließt in sich der Sache nach das Verbot des Gegenteils" hat er den Gedanken ausgedrückt; „wem z.B. geboten ist, den Nächsten zu lieben, dem wird gerade dadurch auch alles verboten, was im Widerspruch zur Nächstenliebe steht". Diese Idee ist in der Literatur vielfach zu finden. 22 Als Thomas von Aquin untersuchte, ob der Dekalog zutreffend formuliert wurde, stellte er dieselben Zusammenhänge dar, und zwar mit einer wichtigen Präzisierung für die Umkehrung des Denkvorgangs: 23 „Der Bejahung folgt immer die Verneinung des Gegenteils; nicht immer dagegen folgt der Verneinung des einen Gegensatzgliedes die Bejahung des anderen. Denn dieser Satz ist schlüssig: ,Was weiß ist, ist nicht 21

Die hier durchgeführte Unterscheidung wurde in der Literatur zwar nicht vollständig erkannt man übersah die Bedeutung der Institutionen -, gelegentlich dennoch anhand verschiedener Beispiele z.T. angedeutet, allerdings ohne weitere Argumente. Vgl.: Κ Wolff, Grundlehre des Sollens, S. 54 f.; ders., Verbotenes Verhalten, S. 143, 155. Auch ohne weitere Begründung, Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 4; ders., Normen, S. 103 f.; Fischer, Die Rechtswidrigkeit, S. 17 ff.; Hardwig, Zurechnung, S. 139; Kunz, Diss., S. 9 ff. Ferner: Bierling, Juristische Prinzipienlehre, I. Band, S. 75; W. Jellinek, Gesetz, S. 124 f.; v. Salhvürk, Ethik, S. 158. 22 Vgl. etwa Bierling, Juristische Prinzipienlehre, I. Band, S. 76 und IV. Band, S. 388 ff.; Wundt, Ethik, III. Band, S. 181; Husserl , Person, Sache, Verhalten, S. 94 f. mit Anm. 196; Philipps, Handlungsspielraum, S. 65 mit Anm. 88; Landsberg, Commissivdelikte durch Unterlassung, S. 35; Bertel, JZ 1965, S. 55; Lehmann, Unterlassungspflicht, S. 10; M. L. Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges, S. 26; Schumann, Einheitstätersystem, S. 43. 23 Summa Theologica, I-li, q 100, a 7, ad 1; später ebenso Domingo de Soto, De iustitia et iure, II, q III, a VII.

7 Sânchez-Vera

98

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

schwarz 4; aber dieser Satz ist nicht schlüssig: ,Was nicht schwarz ist, ist weiß 4 ." Auch Walter Jellinek etwa meinte: „Jedes Gebot ist zugleich ein Verbot. Wenn ich um 9 Uhr als Zeuge vor Gericht erscheinen soll, so ist mir damit zugleich verboten, um 9 Uhr spazieren zu gehen oder überhaupt etwas vorzunehmen, was sich mit der Gebotserfüllung nicht verträgt 44. Und für die Kehrseite betont er: „Daraus darf man nicht umgekehrt schließen, jedes Verbot müsse auch ein Gebot sein.4424 Im gleichen Sinne äußert sich Spencer: „Halten wir (...) fest, daß (...) [das] Gesetz die Bedingungen feststellen will, durch deren Erfüllung die größte Summe von Glückseligkeit erzielt wird, so verbietet es selbstverständlich auch jede Tat, die körperlichen Schmerz oder sonstige Störung mit sich bringt." 25 Beim richtigen Verständnis, d.h. wenn man die Verbote mit der negativen Institution, die Gebote mit den positiven Institutionen (Auslegungstatbestände) identifiziert, kann dem Gesagten nur zugestimmt werden, ist sogar eine solche Zustimmung logisch zwingend. Denn die notwendige logische Konsequenz einer positiven Institution besteht darin, daß aus ihr das Verbot solcher Verhaltensweisen folgt, die die Verwirklichung des Positivums verhindern würden, dies jedoch nicht umgekehrt. Mit der Setzung der positiven Institution ist dieses „Verbot 44 notwendig mitgesetzt. Eine Umkehrung des Gedankens ist deshalb nicht möglich, weil - wie gesehen - sich die Institutionen zueinander nicht kontradiktorisch verhalten. 26 Erwartungen, die auf den Aufbau einer gemeinsamen Welt gerichtet sind, sind doppelt, Nicht-Einmischungs-Erwartungen hingegen nicht. Beispielhaft: Die Pflicht einer Mutter zum Aufbau einer gemeinsamen Welt mit ihrem Kind schließt selbstverständlich zugleich die Pflicht ein, es nicht zu schädigen. Etwas anderes gilt im umgekehrten Fall: Die Pflicht bezüglich eines Dritten zum Nicht-Schädigen schließt nicht zugleich eine Pflicht zum Aufbau einer gemeinsamen Welt ein. Insoweit haftet etwa ein nur aus dem Neminem-laedePrinzip verpflichteter Passant, der einfremdes Kind nicht rettet, nicht wegen eines Tötungsdelikts. Das heißt: Wer positiv zum Aufbau einer gemeinsamen Welt verpflichtet ist und die negative Institution verletzt, verstößt damit zugleich auch 24

W. Jellinek, Gesetz, S. 124.

25

Spencer, Ethik, S. 71.

26

Logisch möglich ist es, daß positive Institutionen (positive) Verpflichtungen verlangen, die extern mit der negativen Institution kollidieren. Man denke an das oben gebrachte Beispiel Abrahams (S. 77), oder - realistischer - an eine Pflicht der Eltern (streitig), Blut für ihre Kinder zu spenden (Körperverletzung [neminem laede]/Eltem-Kind-Verhältnis). - Dies läßt jedoch die im Text dargelegte These unberührt. Wenn die positive Pflicht im ersten Beispiel lautet, Gott zu lieben, muß man vielleicht dabei das eigene Kind opfern. Aber mit der positiven Verpflichtung, Gott zu lieben, wird intern gewiß notwendig alles verboten (!), was diese Liebe verhindern könnte.

§ 6 Genaueres über die Ver- und Gebote und über die Institutionen

99

gegen die positive Institution. Wiederum läßt sich das nicht umkehren: Wer positiv verpflichtet ist und die positive Institution verletzt, verstößt nicht notwendigerweise gegen die negative Institution. Nochmals beispielhaft: Die Mutter, die ihr Kind ertränkt, verletzt die positive Institution Eltern-Kind-Verhältnis. Die Mutter aber, die ihr eigenes, bereits ins Wasser gefallenes Kind nicht rettet, verstößt nicht gegen die negative Institution, vielmehr ergibt sich ihre Haftung allein aus der Verletzung der positiven Institution. Auch hier bleiben also positive und negative Institution begrifflich verschieden. Als Zusammenfassung mag wiederum eine alte Formulierung dienen, und zwar die von Achenwall und Pütter in ihren Elementa iuris naturae aus dem Jahr 1750. Zwar haben sie in ihrem System keine reinen positiven Verpflichtungen akzeptiert, 27 aber durchaus schon erkannt, daß erstens die Verletzung einer negativen Institution für positiv Verpflichtete auch einen Verstoß gegen die positive Institution bedeutet, zweitens eine Umkehrung dieses Gedankens unzutreffend wäre (positive und negative Institutionen verhalten sich nicht kontradiktorisch), und drittens eine solche Umkehrung bei den Verboten der Kodifikationstatbestände dennoch möglich wäre (als kontradiktorischer Gegensatz ließe sich jedes Verbot im Bereich der Kodifikationstatbestände als Gebot umformulieren). So verstanden gewinnen die drei knappen Sätze des § 107 einen guten Sinn: „Das gebietende Gesetz umfaßt zugleich das Verbot des Gegenteils. Aber das verbietende Gesetz enthält nicht zugleich das Gebot des Gegenteils. Es gibt jedoch Verbotsgesetze, die zugleich das Gebot der entgegengesetzten Handlung enthalten." Die Erwartungsgarantie, die das Strafrecht mit Hilfe der Pönalisierung von Herrschaftsdelikten zum Ausdruck bringt, unterscheidet sich also von derjenigen (doppelten) bei den Pflichtdelikten grundsätzlich. Der als Verbot kodifizierte Tatbestand wird - wie gesehen - nicht nur von vornherein als Beschreibung eines Herrschaftsdelikts,

sondern auch zugleich als Beschreibung eines Pflichtdelikts

aufgefaßt. Er ist also Ausdrucksform sowohl eines Herrschafts- als auch eines Pflichtdelikts. Anders ausgedrückt: Der im Gesetz kodifizierte Tatbestand kann prinzipiell die Auslegungstatbestände der negativen Institution und der positiven Institutionen enthalten.28 Dabei besteht kein Widerspruch in dem Sinne, daß eine Norm nicht gleichzeitig eine positive und eine negative Verpflichtung ausspre27 28

Siehe oben Anm. 37 auf S. 79.

Die vom Gesetzgeber schon als „positivierte Pflichtdelikte" formulierten Tatbestände enthalten auch die Begehung durch Organisation - wenngleich sie ebenso als Pflichtdelikt anzusehen sind. Dazu auch unten S. 207 ff. 7*

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

chen könne. Vielmehr handelt es sich um zwei verschiedene Ebenen, die zu beachten sind, seil, zum einen die des Kodifikationstatbestandes und zum anderen die des Auslegungstatbestandes.29 Die Vorschrift „Du sollst nicht töten" soll zweifach interpretiert werden, namentlich nach den beiden hier dargelegten Auslegungstatbeständen. Sie enthält erstens die - gewöhnlich als Verbot bezeichnete - negative Institution, die nicht nur durch Handlungen, sondern z.B. im Fall der Ingerenz auch durch Unterlassungen verletzt werden kann, sowie zweitens die üblicherweise als Gebote bezeichneten positiven Institutionen, die wiederum nicht nur durch Unterlassungen verletzt werden können (etwa beim Ertrinkenlassen eines Kindes durch seinen Vater), sondern auch durch Handlungen (etwa beim Ertränken des Kindes durch seinen Vater oder bei der Anstiftung des Vaters zum Ertränken seines Kindes). Welche der beiden Auslegungstatbestände in Betracht kommt, hängt freilich - wie oben gesehen - von der Rolle des Beteiligten ab. Durch diese Rolle wird bestimmt, ob eine Rechtsnorm, die sowohl eine negative als auch eine positive Institution erfassen kann, den Sinn eines Negativums („Du sollst nicht schädigen") oder denjenigen eines Positivums („Du sollst eine gemeinsame Welt aufbauen") annimmt. Ein außerrechtliches Tun (oder Unterlassen) kann im strafrechtlichen Sinne (des juristischen Codes) nur ein Herrschaftsdelikt ergeben, sofern jenes nur Teil einer negativen Institution ist. Ein außerrechtliches Unterlassen (oder Tun) mag im strafrechtlichen Sinne ein Pflichtdelikt sein, sofern jenes im Bereich einer positiven Institution steht.30 Die Pflichtdelikte bestehen nicht stets in der Nicht-Vornahme einer Handlung, in einem Untätigsein - z.B. wenn die Mutter ihr Kind verhungern läßt -, sondern im generellen Begriff des Nicht-Aufbaus einer gemeinsamen Welt. Die Herrschaftsdelikte ihrerseits gründen auch nicht stets in der Vornahme einer Handlung, in einem Tätigsein - z.B. Ertränken -, sondern in einem Schädigen. 29 Die Existenz dieser beiden Ebenen wird selbst von Autoren übersehen, die der Sache nach die Relevanz der Auslegungstatbestände erkannt haben. So etwa von Armin Kaufmann (Dogmatik, S. 5 und Normen, S. 105) in seiner Kritik an Karl Wolff, ebenso von Peperoni , Gebot und Verbot, S. 127 f. 30 Damit wird hier grundsätzlich eine andere Auffassung vertreten als diejenige, die für Handlungspflichten selbständige Gebotstatbestände verlangen, weil Handlungspflichten nicht einem Verbotstatbestand unterfallen könnten (siehe Grünwald, Unterlassungsdelikt, S. 44 f.; Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 274; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 237 ff., 251 ff., 342 ff.; vorher ähnlich Engisch, MSchrfKrim 24 (1933), S. 239 und ihm folgend Peperoni, Gebot und Verbot, S. 149). Die Norm, die hinter einem (Kodifikations)Tatbestand steht, ist in der Regel doppelt, da sie im Licht der Auslegungstatbestände interpretiert werden muß. I.E. ähnlich wie hier, aber nur auf die negative Institution bezogen (z.B. Tötungsverbot enthält Unterlassungs- wie Handlungspüichten der Organisation), E. A. Wolff, Kausalität, S. 44 f. und vorher Höpftter, ZStW 36 (1915), S. 111 mit Anm. 9 sowie oben S. 62 mit Anm. 28. - Ferner: mutatis mutandis (auf Begehung/Unterlassen und nicht auf positive/negative Institutionen bezogen) Schünemann, GuG, S. 46 f., 56 ff., 57; Freund, Erfolgsdelikt, S. 283 und öfter.

§ 6 Genaueres über die Ver- und Gebote und über die Institutionen

101

Ebenso wie die Lehre vom Pflichtdelikt zu Recht hervorgehoben hat, daß die Schlüsselbegriffe für den Verhaltensmodus im Strafrecht nicht Tun und Unterlassen, sondern negativer und positiver Status sind, so ist hier erwiesen, daß für den Normmodus nicht die Verbote und Gebote der Kodifikationstatbestände die Schlüsselbegriffe sein können, sondern die Verbote und Gebote der Auslegungstatbestände, d.h. genauer: die negative Institution und die positiven Institutionen, die den oben angesprochenen rechtsphilosophischen Ansätzen zugrundeliegen. Im Spiegel der beiden Auslegungstatbestände sind die Tatbestände des Besonderen Teils auszulegen. Denn das Gesetz muß klüger sein als seine Verfasser. Dennoch spricht nichts dagegen, die Normen nach wie vor als „Gebote" und „Verbote" zu charakterisieren, sofern dabei bedacht wird, daß damit richtigerweise die positiven Institutionen bzw. das Neminem-laede-Prinzip gemeint sind (aus Verboten negativen Institutionen - entspringen dann auch Handlungspflichten etc.) und nicht bloß die Verbote und Gebote der Kodifikationstatbestände. Denn ansonsten wäre eine solche Bezeichnung - wie dargelegt - eine leere Hülse.

§ 7 Pflichtdelikte als unzulässige Moralisierung des Rechts? A. Die Postulate positiver Institutionen und die daraus entspringenden Antinomien: Ein Hindernis für die Pflichtdeliktslehre? In den beiden vorangegangenen Paragraphen wurde nachgewiesen, daß es neben der aus dem Neminem-laede-Prinzip herzuleitenden auch noch eine weitere, positive Zuständigkeit gibt, die sich auf positive Institutionen gründet. Wir haben aber zugleich gesehen, daß die zitierten Philosophen diese positiven Pflichten eher nur der Moral zuschlagen wollten und sie im Recht als Ausnahmeerscheinung behandelten. Dies soll im folgenden weiter vertieft werden. Denn in der Tat ist der Umstand, daß ein Täter haften soll, weil er eine positive Institution verletzt, für einige dieser Philosophen problematisch und darauf beruht auch zugleich eine der wichtigsten Kritiken an der Lehre von den Pflichtdelikten, die der Sache nach lautet, daß die Statuierung von (positiven) Handlungspflichten nach Art der Pflichtdelikte als eine unzulässige Moralisierung

des Rechts an-

zusehen sei. Darüber hinaus kommen weitere Vorwürfe in Betracht: Die Gebote der positiven Institutionen seien zu unpräzise, um Rechtsnormen bilden zu können; sie dürften deshalb bestenfalls zum Bereich der Moral gehören. Dieses andere Argument ist also lediglich eine Variante des Hauptarguments: Die Handlungspflichten, die die Lehre vom Pflichtdelikt als Grundfälle betrachtet, werden durch der Moral angehörende positive Institutionen statuiert.

Sie seien deshalb

unzulässig: Der Rechtsstaat dürfe als Garant der äußeren Freiheit seiner Bürger überdies nicht mehr verbieten als das Verhalten, das dieser Freiheit schadet oder sie gegebenenfalls gefährdet, d.h. ein bloßes Negativum. Die Verantwortlichkeit des Täters bei einer positiv institutionell begründeten Zuständigkeit folgt jedoch nicht aus seiner Organisation, d.h. er hat nichts übernommen, ist nicht Ingerent etc., und deshalb läßt sie sich mit dem Synallagma von Freiheit und Folgenverantwortung nicht begründen. Dabei scheint im wesentlichen wiederum das vielfach zitierte Diktum Feuerbachs hervor, nach dem „die ursprüngliche Verbindlichkeit

§ 7 Pflichtdelikte als unzulässige Moralisierung des Rechts?

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des Bürgers nur auf Unterlassungen geht".1 - Die im folgenden zu prüfende Kritik an der Pflichtdeliktslehre basiert also auf der allgemeinen rechtsphilosophischen Diskussion über die Rechts- und Tugendpflichten, einer Diskussion, von der allerdings die Strafrechtsdogmatik - wie Seelmann zutreffend bemerkt hat - leider „so gut wie keine Kenntnis genommen [hat]". 2

I. Die Diskussion im Strafrecht Das erste Argument gegen die Annahme von Handlungspflichten qua positiver Institution, seil, gegen die Pflichten zu einer gemeinsamen Weltgestaltung, geht auf die Überlegung zurück, daß Handlungspflichten die Freiheitssphäre des Einzelnen in größerem Maße als Unterlassungspflichten beeinträchtigen. Diese Auffassung wurde vor allem von Gallas vertreten und kann darüber hinaus mit der Autorität Karl Engischs belegt werden. 3 Sie beruht auf der Annahme, daß die Befolgung von Geboten eine „Steigerung des Kraftaufwandes" bedeutet, was wiederum notwendigerweise eine Beschränkung der Freiheit implizieren soll. 4 Ohne ein vorangegangenes Tun (also eine Organisation) des Täters dürfe der Aufbau einer gemeinsamen Welt allenfalls moralisch, aber jedenfalls nicht rechtlich erwartet werden. Alles andere bedeutete eine unzulässige Moralisierung des Rechts. Mit dem Gebot eines bestimmten Tuns (hier: dem Aufbau einer gemeinsamen Welt) sei der Aktionsbereich der Person hinsichtlich ihres Handelns erheblich beschränkt, jedenfalls stärker als durch das Verbot, niemanden zu schädigen. 1

Feuerbach, Lehrbuch, § 24; siehe auch ders., Revision, S. 53,65.

2

Seelmann, Solidaritätspflichten, S. 299, der mit nur wenigen eine Ausnahme bildet.

• Die Arbeit von Gallas stammt von 1963 und kann naturgemäß auf die TuT von Roxin nicht verweisen. Dasselbe gilt z.T. auch für die im folgenden zitierte Literatur. Daß es aber der Sache nach bei den im Text zu behandelnden Auffassungen um die Pflichtdeliktslehre geht, läßt sich ohne weiteres annehmen. 4 Engisch, MSchrfKrim 1939, S. 423; ders., MSchrfKrim 24 (1933), S. 240 a.E.; ders., Gallas FS, S. 173, 189. Schon vorher etwa: Redslob, Die kriminelle Unterlassung, S. 67; W. Jellinek, Gesetz, S. 293,123,256; Kissin, Rechtspflicht zum Handeln, S. 93 f.; Traeger, Enneccerus FS, S. 67; Höpfrier, ZStW 36 (1915), S. 111 f., 120; Sauer, Grundlagen des Strafrechts, S. 457; ähnlich Spangenberg, Neues Archiv des Criminalrechts IV (1820), S. 536; Husserl , Negatives Sollen, S. 152 f. Aus jüngerer Zeit: Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 86; Peperoni , Gebot und Verbot, S. 153 ff., 163 f.; Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 277 f., 261,46; Schmidhäuser, JZ 1955, S. 435; Baumann/Weber, AT, S. 234 (§ 18 I 1); Fuchs, (ö)AT, S. 351; Kamps, Ärztliche Arbeitsteilung, S. 86; Lippold, Reine Rechtslehre, S. 258 f. mit Anm. 26 u. 27; Puppe, Idealkonkurrenz, S. 271 mit Anm. 3; Röhl, Rechtslehre, S. 496; R. Meyer, Garantenstellung, S. 4 f.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 80,107 f.; ähnlich, Stratenwerth, AT, Rdn. 156; Bärwinkel, Zur Struktur der Garantieverhältnisse, S. 17. Vgl. ferner Westermarck, Moralbegriffe, S. 258 ff; Reichardt, Soziologie für Juristen, S. 75 f.; Lundstedt, Unwissenschaftlichkeit, S. 76 f.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 209, 206 ff.

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

Denn das Gebot weise dem Adressaten einen Weg des Verhaltens (der Adressat habe nur eine Möglichkeit: das Handlungsziel), während das Verbot nur einen ganz bestimmten Weg des Verhaltens sperre, und alle anderen Verhaltensmöglichkeiten offen blieben.5 Erfülle jemand die Pflicht „nicht-schädigen" der negativen Institution, habe er noch unendlich viele andere Verhaltensmöglichkeiten, während bei der Erfüllung der Pflichten einer positiven Institution unendlich viele andere Verhaltensmöglichkeiten ausgeschlossen seien. Denn allgemein gelte, daß in einer Welt immer viel mehr Negationen wahr sind als Positionen. „Jede Position schließt eine Unzahl anderer Positionen aus."6 Dieses Argument von der Leichtigkeit des Unterlassens war bereits zur Zeit Thomas' von Aquin bekannt. Auf die Frage, ob die Unterlassungssünde schwerer als die Sünde der Übertretung wiege, führt der Doctor Angelicus in seiner Summa Theologica als „sed contra" i.d.S. aus: „Leichter ist, sich vom Bösen abzuwenden, als das Gute zu tun." 7 Wie oben dargestellt, hat Samuel Pufendorf gleichfalls diese Auffassung vertreten: Die Pflicht, niemandem Schaden zuzufügen, „ist (...) am leichtesten zu erfüllen, da sie lediglich in der bloßen Unterlassung einer Handlung besteht". Genau dieser Gedanke der Leichtigkeit bzw. der Beschränkung der Freiheit ist es, den Gallas gegen die Handlungspflichten der Pflichtdelikte ins Feld führt. Der Grund für die Statuierung von Handlungspflichten soll - so Gallas - „in dem Anschauungswandel" liegen, „unter dessen Einfluß der Bereich strafwürdiger Passivität immer weiter in ein Gebiet vorgeschoben worden ist, das zuvor ausschließlich moralischer Wertung vorbehalten war". 8 Wegen dieser eigentlich moralischen Wertung der Handlungspflichten dürfte für die Annahme von typischen Handlungspflichten zum Aufbau einer gemeinsamen Welt „nur wenig Raum" 9 bleiben, z.B. für die Annahme von Garantenpflichten aus einem Angehörigkeitsverhältnis. Sollten derartige Handlungspflichten sich kriminalpolitisch als unverzichtbar erweisen, so sei für diese Fälle (die eben die Grundfälle der Pflichtdelikte durch Unterlassen sind!) nur eine Bestrafung nach § 330c StGB (§ 323c StGB n.F.) angebracht.

5 Husserl , Person, Sache, Verhalten, S. 94 f., Anm. 196; Peperoni , Gebot und Verbot, S. 155; Kaufmann, Dogmatik, S. 86. Vgl. auch Hruschka, JuS 1979, S. 386. 6

Puppe, ZStW 92 (1980), S. 898.

7

Summa Theologica, ΙΙ-Π, q 79, a 4. - Siehe dazu auch Honig, Richard Schmidt FS, S. 29 f.

8

Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 67, siehe auch S. 72.

9

Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 91 f.

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§ 7 Pflichtdelikte als unzulässige Moralisierung des Rechts?

II. Das ideengeschichtliche Fundament der strafrechtlichen Diskussion Die Behauptung Gallas' und Engischs, die Pönalisierung von Handlungspflichten in Form von Pflichtdelikten stelle eine Moralisierung des Rechts dar, ist - wie gesagt - auf einige längst bekannte Erwägungen in der Rechtsphilosophie zurückzuführen. Mit den auch schon angesprochenen Korrekturen

10

geht die

rechtsphilosophische Tradition davon aus, daß Unrecht ausschließlich durch die Verletzung der negativen Institution konstituiert werden kann. Diesen Gedanken hat der spanische Theologe und Rechtsgelehrte, Beichtvater des Kaisers Karl V., Domingo de Soto 1556 - soweit ersichtlich - erstmals klar ausformuliert. Denn für Soto11 läßt sich aus der Verpflichtung, „niemanden zu schädigen", noch nicht ableiten, „daß wir eines Rechtsgesetzes wegen verpflichtet sind, Wohl zu tun". „Das Verbot, Böses zu tun, ist umfangreicher als das Gebot, Gutes zu tun. (...) Wir müssen weder jemanden töten noch dessen Vermögen berauben, und doch aber nicht fremdes Leben oder Vermögen von allen bewahren, nur bei heftigen Notfällen; dies gehört jedoch nicht zu dem Rechtsgesetz, sondern zu dem Mitleidsgesetz." Über zwei Jahrhunderte später hat Kant diesen Gedanken erneut entfaltet. Kant unterscheidet zwischen negativen oder vollkommenen Pflichten, die darin bestehen, die Freiheit des anderen nicht zu verletzen, und positiven oder unvollkommenen Pflichten, die die fremde Glückseligkeit, das Wohl fördern sollen. Nur die vollkommenen Pflichten seien rechtsfähig, weil nur sie zwangsweise durchgesetzt werden könnten. Allein die Unterlassungspflichten seien Rechtspflichten, die Handlungspflichten („die Handlungen der Wohltätigkeit") jedoch bloß Tugendpflichten. Rechtspflichten könnten nur - negative - Unterlassungspflichten sein, also lediglich aus der negativen Institution und nicht aus positiven Institutio10 Wie schon dargestellt, versuchen die genannten Autoren trotz dieses Grundsatzes einige positive Pflichten - zutreffend - als Rechtspflichten zu integrieren. - Noch zu nennen sei Trendelenburg, Naturrecht, S. 83: „Indem das Recht die inneren Zwecke des Sittlichen wahrt, dem Eingriff wehrt und allenthalben Grenzen zieht, hat es in diesem erhaltenden Charakter vorwiegend eine negative, repulsive Tätigkeit; aber wie alle Verneinung in der Kraft einer Bejahung wurzeln muss, so liegt hinter ihr als positiver Ursprung die volle Energie des Sittlichen/'.

11 Soto, De iustitia et iure, II, q III, a VII: „... no omnibus quibus tenemur no nocere, subinde obligamur lege iustitiae benefacere. Nam latius patet malorum prohibitio, quam bonorum tio,... Tenemur in quam nemi nem occidere , nenimen q; suis bonis expoliare, no tarnen alien aut bona omnibus conseruare: nisi urgens ingruat necesitas : quae non comprehenditur lege sed misericordiae ." Später auch Thomasius , Fundamenta iuris naturae et gentium (1705), dazu Seelmann, Privatrechtlich begründete Garantenpflichten?, S. 95; siehe auch ders., GA 1989, S. 252 und H.-L. Schreiber, Rechtspflicht, S. 18. - Zum ähnlichen Ansatz Christian Wolffs: Winiger, Das rationale Pflichtenrecht Chr. Wolffs, S. 201 f.

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

nen entspringen. 12 Kants Differenzierung zwischen vollkommenen (rechtlichen) und unvollkommenen (moralischen) Pflichten war indes keineswegs neu, sondern spiegelte freilich die in seiner Zeit - mehr oder minder begründete - herrschende Auffassung wieder. Beispielsweise findet sich der Gedanke auch bereits in den Elementa iuris naturae et gentium von Heineccius (1737), einem Lehrbuch, das in weiten Teilen eine Synthese der Naturrechtslehren der Frühaufklärung bietet.13 Auch nach Heineccius gibt es „vollkommene" bzw. „unbedingte" Verpflichtungen, die zu der „Gerechtigkeit" gehören und „unvollkommene" resp. „bedingte" Verpflichtungen, welche die „Tugend" ausmachen. Eine unbedingte Pflicht sei etwa das Verbot, „niemanden zu Schaden zu bringen", eine bedingte z.B. das Gebot, „Hilfsbedürftigen zu helfen". 14 Die nachfolgenden Philosophen bleiben dieser Lehre ebenfalls treu. „Aus allen ursprünglichen Verboten entspringen Rechtspflichten; aus den Geboten nur Tugendpflichten", 15 heißt es etwa bei Fries, der „affirmative Anforderungen der Liebe und Freundschaft..." annimmt, die zwar das „geistig Edelste und Schönste für den Menschen fordern, welches aber nicht Pflicht wird". 1 6 Ähnliches ist auch in der Rechtsphilosophie des Kantianers Schmalz zu finden. Seiner Auffassung nach müssen die Gesetze nach ihrer Qualität in negative, verbietende, und affirmative, gebietende, geteilt werden; die negativen seien die Rechtsgesetze, die affirmativen hingegen die Moralgesetze. Den Grund dieser Zweiteilung sowie deren Konsequenz erklärt Schmalz wie folgt: „Juridische Rechte und Pflichten 12 Dazu auch: Seelmann, GA 1989, S. 252; ders., Solidaritätspflichten, S. 297; ders., Rechtsphilosophie, S. 76,79; Matt, Kausalität aus Freiheit, S. 169 f., 176 und passim; Morgenstern, Unterlassene Hilfeleistung, S. 60 f., 56ff.; Kersting, ZphF 37 (1983), S. 405; Klesczewski, ARSP Beiheft 66 (1997), S. 85 f.; Eder, Soziale Welt 29 (1978), S. 253; Köhler, GA 1987, S. 154; Stranzinger, Weinberger FS, S. 179 ff., insb. S. 185; Tugendhat, ARSP Beiheft 14 (1980), S. 13; Kühl, Die Kantische Unterscheidung von Legalität und Moralität, S. 171 ff; Nunner-Winkler, Verantwortung, S. 176 f.; Vogel, Norm und Pflicht, S. 307 f.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 206. 13

Vgl. Christoph Bergfeld,

in: Heineccius, Elementa iuris naturae et gentium, S. 509 ff, 521 ff.

14

Heineccius, Elementa iuris naturae et gentium, I, §§ 122, 173-175, 84, 9. Ein ähnlicher Gedanke ist ebenso bei dem von Kant hoch geschätzten Naturrechtslehrer Achenwall zu finden, und zwar in seinem mit Pütter veröffentlichten Lehrbuch Elementa iuris naturae (§§ 198,196 i.V.m. 208. 185 und 220); ferner Martini, Lehrbegriff des Naturrechts, § 157 (S. 49). Danach Werner, Archiv des Criminalrechts IV (1802), 3. Stück, S. 132 f. 15 16

Fries, Philosophische Rechtslehre, S. 14.

Fries, Tugendlehre, § 42, S. 171. Ausführlicher: „Die Ideale des Rechts machen nur die verneinenden Anforderungen der Achtung vor der persönlichen Würde jedes Andern und binden mich so an die Achtung persönlicher Gleichheit; die Ideale der Freundschaft dagegen enthalten eine positive der Gesinnung gehörende Gemeinschaft des Lebens, die Freunde vereinigt ein gemeinschaftliches Interesse im Leben und jeder interessiert sich für Leben und Zwecke des Andern" (§ 74, S . 291 f. [Hervorhebung von mir]; siehe auch § 61, S. 245 f.).

§ 7 Pflichtdelikte als unzulässige Moralisierung des Rechts?

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müssen nur negative sein, mit Ausschließung aller affirmativen. (...) Die Freiheit ist an sich etwas negatives. Sie w i l l nichts, als nur frei sein von fremder Bestimmung. (...) Daher kommt die Liebe dem leidenden Nächsten zu Hilfe, damit nicht seine leidende Sinnlichkeit über sein edleres Ich herrsche, sondern dieses die Herrschaft übe, wie es ihm gebührt". 1 7 Darin stimmt - um einen letzten 1 8 deutschen Philosophen zu zitieren - auch Arthur Schopenhauer i m Ergebnis überein. Er bringt in einer handschriftlichen Anmerkung zur kantischen K r i t i k der reinen Vernunft den Gedanken prägnant auf den Punkt: „Rechtspflicht ist negative Pflicht (...); Tugendpflicht ist aber positiv (...). Rechtspflicht gegen andere ist: Schade nicht! Tugendpflicht gegen andere: Tue w o h l ! " 1 9 „Demnach läßt sich nur das Negative, welches eben das Recht ist, nicht das Positive, welches man unter dem Namen der Liebespflichten, oder unvollkommenen Pflichten verstanden hat, erzwingen." 2 0 Derselben Tradition - und damit soll diese Darstellung historisch nicht weiter fortgeführt werden - gehören schließlich auch die englischen Utilitaristen an. So stellte Bentham bereits 1780 die These auf, daß es „zwei Arten [gibt], das Wohl der Andern zu berücksichtigen, eine negative, indem man sich enthält, es zu vermindern, und eine positive, indem man strebt, es zu vermehren: die erste begründet die Rechtschaffenheit, die zweite die Wohltätigkeit". 2 1 Alles 17

Schmalz, Rechtsphilosophie, S. 48, 57 f. Erläuternd dazu Nef, Recht und Moral in der deutschen Rechtsphilosophie seit Kant, S. 21, zu Kant S. 17 ff. 18 Die Liste läßt sich vermehren: Siehe etwa Stahl, Philosophie des Rechts, II. Band, I, S. 275; Wundt, Ethik, III. Band, S. 138; Störring, Ethische Grundfragen, S. 210; Achelis, Ethik, S. 136 f.; Sauer, Rechtsphilosophie, S. 70; Vorst, Neues Archiv des Criminalrechts VII (1825), S. 682; Hepp, Neues Archiv des Criminalrechts 1837, S. 32; A. Lasson, Rechtsphilosophie, S. 209; A. Merkel, Juristische Enzyklopädie, § 74. Ebenso Schelling, dazu eingehend Philipps, Handlungsspielraum, S. 18, 24 und Anm. 21 auf S. 25. Neuerdings z.B.: Stratenwerth, in: Geiger/Stratenwerth, Gegenwartsprobleme, S. 71 f., 76 und Koller, Theorie des Rechts, S. 248. Auch so im kanonischen Recht, dazu Jescheck, ZStW 77 (1965), S. 136 f. - Zum Thema siehe ferner Lübbe-Woljf, ARSP 68 (1982), S. 233 ff; Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, S. 315 ff, 326 ff, 339ff. (zu Thomasius insb. S. 320 a.E.); Steinvorth, Menschenrechte und Sozialstaat, S. 10 f. 19

Schopenhauers handschriftlicher Nachlaß, Anmerkungen zu Kant, S. 27 f. Ansonsten aber kritisch zurfozrt/ischen Unterscheidung von Rechts- und Tugendpflichten (vgl. ebenda sowie E, S. 117 ff, insb. S. 159). 20 Schopenhauer, W I, S. 409. Ausdrücklich dagegen del Vecchio, Rechtsphilosophie, S. 380 und neuerdings Geddert, Recht und Moral, S. 162. 21 Bentham , Prinzipien der Gesetzgebung, S. 84 f. (12. Kap.); J.S. Mill sieht die Zulassung von Handlungspflichten im Recht als Ausnahme: „Es gibt aber auch manche positiven Handlungen zum Besten anderer, zu deren Vollzug man mit Recht Zwang anwenden kann, (...). Man kann anderen nicht nur durch seine Taten, sondern auch durch seine Untätigkeit Übles antun, (...). Der zweite Fall fordert allerdings eine viel vorsichtigere Handhabung des Zwanges als der erste. Jemanden für das Übel haftbar machen, das er anderen zufügt, ist die Regel; ihn dafür verantwortlich zu machen, daß er es nicht verhindert hat, kann im Vergleich dazu nur Ausnahme sein" (Über die Freiheit, S. 18 f.). Jedenfalls könnten positive Pflichten z.B. aus der Gründung einer Familie erwachsen (ebd., S. 112). Zum Ganzen erläuternd Seelmann, Rechtsphilosophie, S. 77; Morgenstern, Unterlassene Hilfeleistung, S. 73 ff;

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

in allem hat also die Lehre von Domingo de Soto im Laufe der Zeit zumindest im Ansatz von ihrer Radikalität nichts eingebüßt. Damit liegt die Frage auf der Hand: Können die positiven Pflichten der Pflichtdelikte überhaupt als rechtliche Pflichten statuiert werden, oder muß man vielmehr zunächst mit Soto, später mit Kant etc. und letztendlich mit Gallas und Engisch behaupten, daß diese Pflichten dem Bereich der Moral angehören? Anders gefragt: Kann der Staat andere Pflichten als die des Nicht-Schädigens auch rechtlich verlangen? Daß das Recht tatsächlich auch positive Pflichten begründet, zeigt sich jedenfalls an dem Schulbeispiel der Mutter, die ihr Kind nicht ernährt. Darüber hinaus haben wir gesehen, daß sich die oben zitierten Philosophen trotz ihres Ansatzpunktes bemüht haben, positive Pflichten - wenn auch vielleicht nur ausnahmsweise - als Rechtspflichten zu begründen. Die Frage Schopenhauers: „Warum ist aber der Staat bloß beim Gebot ,Schade nicht!4 stehen geblieben und hat nicht auch das ,Tue wohl!' geboten?" ist deshalb vielleicht ein wenig zugespitzt formuliert, weil der Staat weder damals noch heute beim „Schade nicht" geblieben ist, was natürlich auch Schopenhauer nicht entgangen ist. Aber diese Frage ist dennoch in einem weiteren Sinn berechtigt. Denn ein Teil der Lehre zweifelt zwar nicht daran, daß der Staat über das Schade-nichtPrinzip hinausgehen kann, aber jedenfalls doch daran, daß diese „Erweiterung" demselben Strafrahmen wie das Schade-nicht-Prinzip unterliegen kann. Schopenhauers Erklärung zu obiger Frage lautet: „Weil dieses [Thue wohl] nicht, wie jenes [Schade nicht], gegenseitig sein kann, und jeder der passive Teil würde sein wollen." 22 Mit dieser Antwort bringt er ein Argument zum Ausdruck, das Teil eines umfangreicheren Einwands gegen Gebote im Recht ist: Die Gebote der positiven Institutionen seien nicht so präzise wie die negative Institution. Schopenhauer nennt allerdings nur einen Aspekt davon, nämlich: Die Tatbestände der Gebote positiver Institutionen lassen sich nicht so präzise feststellen wie die Verbote der negativen Institution. Damit bin ich beim zweiten Argument gegen die Lehre von den Pflichtdelikten angekommen: Die mangelnde Präzisierbarkeit der Gebote positiver Institutionen.

Wolf „Utilitarismus", S. 190 Anm. 46; Gräfrath, „Über die Freiheit", S. 18 f., 98 f.; Neumann, ARSP 72 (1986), S. 121 ff.; Arthur Kaufmann, ARSP 80 (1994), S. 482 ff. 22

Schopenhauers handschriftlicher Nachlaß, Anmerkungen zu Kant, S. 28.

§ 7 Pflichtdelikte als unzulässige Moralisierung des Rechts?

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III. Die mangelnde Präzisierbarkeit der Gebote positiver Institutionen Die These von der Unvollkommenheit der Handlungspflichten vollkommenen Unterlassungspüichten

gegenüber den

und der damit verbundenen mangelnden

Präzisierbarkeit der Handlungspflichten wird schon seit geraumer Zeit vertreten. Thomas von Aquin 23 hat sie - wenn auch kurz und ohne weitere Begründung - an mehreren Stellen seiner Summa Theologica angedeutet und auch der Neuscholastik war dieser Gedanke geläufig. So heißt es etwa bei Francisco Suarez 1612 in seinem Tractatus de legibus et legislatore Deo: „Divisio legis in aflfirmativam, et negativam (...) Das positive Gesetz verpflichtet immer, jedoch nicht für immer; denn seitdem es lex lata ist, beginnt es, zu verpflichten, und verpflichtet immer, während es dauert - weil Verpflichten dessen quasi-natürlicher Effekt ist - Jedoch nicht für immer, weil es nicht in jedem einzelnen Moment oder zu jeder Zeit, sondern nur in einer bestimmten Zeit, für die es die Aufgabe, tätig zu werden, aufdrängt. Das negative Gesetz dagegen verpflichtet immer und für immer, weil dessen Verpflichtung mit ihm (dem negativen Gesetz) immer dauert, und weil - dessen Negativität wegen - zu jeder Zeit verpflichtet, (...)". 24 Damit ist folgendes gemeint:25 Verbote der negativen Institution können zeitlos formuliert werden, sie verpflichten immer und für immer (leges negativae obligant semper et pro semper ), während die Gebote der positiven Institutionen, wenn sie den Charakter einer Norm beanspruchen sollen, zeitlich terminiert werden müssen: sie ver23

Summa Theologica II-II, q 79, a 3, ad 3: „Die tatfordernden Gebote verpflichten nicht für jeden Augenblick, sondern nur für die bestimmte Zeit1'; Π-ΙΙ, q 33, a 2; ferner (E [!]) II-II, q 62, a 8, object. 1 : „Die [tat-]fordernden Gebote verpflichten nicht für immer"; II-II, q 71, a 1, object. 3 (E): „Das Gebot, die Werke der Barmherzigkeit zu üben, verpflichtet, da es sich um ein tatforderndes Gebot handelt, je nach Ort und Zeit,..." 24

De legibus, I, c XV, no. 4: ,J)msio legis in affirmativam, et negativam... (Nam) lex affirmat dicitur obligare semper, non tarnen pro semper, quia ex quo lata est incipit obligare, et sem quadiu durât, quia obligatio est quasi naturalis effectus ejus, non tarnen pro semper, quia pro singulis momentis out temporibus, sed solum pro certo tempore, pro quo imponit opera Lex autem negativa obligat semper et pro semper, quia et ejus obligatio cum ilia semper propter negationem quam includit, pro omni tempore,... est (S. 60); ebenda: II, c X, no. 10 und III, XVII, no. 5 (a.E ). Ebenso Domingo de Soto, De iustitia et iure, IV, q VII, a IV und V, q Vili, a I. Außer den in der nächsten Anm. zitierten Autoren sind aus der älteren Literatur noch zu nennen: Cathrein, Moralphilosophie, I. Band, S. 373 f.; Hölscher, Sittliche Rechtslehre, I. Band, S. 120; beschränkt: Lehmann, Unterlassungspflicht, S. 177 ff., 184 f. Siehe ferner: Hinrichs, Geschichte der Rechts- und Staatsprinzipien, I. Band, S. 6 und Hasse, Die Culpa, § 3 (S. 18). 25 Zum Thema auch eingehend Seelmann, JuS 1995, S. 282 („Spielraumargument"); ders., GA 1989, S. 247; ders., Solidaritätspflichten, S. 299; ders., Rechtsphilosophie, S. 76 ff.; ders. in NK, § 323c, Rdn. 3 ff.; Philipps, Normentheorie, S. 283 f.; ders., Handlungsspielraum, S. 10,15 ff., 21 ff., 65 mit Anm. 89, 173. Ferner: Maihofer, GA 1958, S. 293; Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 251, 45 f., 257 f.; Kühl, Die Kantische Unterscheidung von Legalität und Moralität, S. Ml, Nunner-Winkler, Verantwortung, S. 171; Peperoni , Gebot und Verbot, S. 138.

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pflichten „immer, jedoch nicht für immer" {leges affirmativae

obligant semper,

sed non pro semper ), d.h. sie bleiben zwar beständig als Gesetze in Kraft, aber sie verpflichten nicht, in jedem Augenblick die gebotene Handlung vorzunehmen, sondern nur zu bestimmten Zeiten. Die Gebote der positiven Institutionen seien deshalb nicht so präzise wie die Verbote der negativen Institution. Nach dieser Auffassung ist die Übertretung eines Verbots gewiß und unwiderruflich; wann und wer aber ein Gebot nicht befolgt hat, läßt sich nicht so einfach feststellen: das positive Gesetz „verpflichtet nicht fur immer". Das Verbot, niemanden zu schädigen, bilde nicht von ungefähr die Regel und das Gebot, eine gemeinsame Welt zu bauen, die Ausnahme. Wer dem Eingriffsverbot zuwiderhandle, verstoße gegen die Regel, während derjenige, der eine positive Pflicht nicht befolge, sich mit der Grundregel im Einklang befinde. 26 Die Aufforderung, jemandem zu helfen, jemanden zu versorgen oder zu pflegen sei darüber hinaus hinsichtlich seines konkreten Gehaltes wesentlich unbestimmter als die Aufforderung, jemanden nicht zu verletzen. Man argumentiert ferner beispielhaft: Daß etwa X, der gemordet habe, das Verbot, niemanden zu schädigen, übertrete, sei evident; welche Maßstäbe aber sollten maßgeblich sein, um zu entscheiden, daß das Gebot zum Aufbau einer gemeinsamen Welt an X und nicht an R, S oder Τ gerichtet sei? Der Sache nach liegt diesem weiteren Argument ein Gedanke zugrunde, der schon im Neuen Testament zu finden ist. Als Erwiderung auf das - einer positiven Institution entsprechende - Gebot „Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst" wurde Jesus von dem Gesetzeslehrer gefragt: „Und wer ist mein Nächster?". 27 Die These von der mangelnden Präzisierbarkeit der Gebote der positiven Institutionen im Verhältnis zum Verbot der negativen Institution bestimmt auch - vor allem im englischen Sprachraum - die ethische Diskussion über die Begründung von allgemeinen positiven Pflichten. 28 Ein Argument aus diesem Bereich lautet: Die sich aus der negativen Institution ergebenden Pflichten seien selbst dann unproblematisch, wenn der Adressatenkreis groß sein sollte; „... das nemi-

26

Stratenwerth,

27

Das Beispiel vom barmherzigen Samariter, Lk 10,27-29.

28

in: Geiger/Stratenwerth, Gegenwartsprobleme, S. 71.

Vgl. auch die verschiedenen Argumente bei Garzón Valdés , Allgemeine positive Pflichten, S. 168, 170, der sie ablehnt; Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 251; Husserl , Person, Sache, Verhalten, S. 94 f. Anm. 196. - Die Vorwürfe gegen allgemeine positive Pflichten (bzw. Gebote) stimmen logischerweise z.T. mit denjenigen gegen die Goldene Regel überein: vgl. Joerden y ARSP 74 (1988), S. 323 f.

§ 7 Pflichtdelikte als unzulässige Moralisierung des Rechts?

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nem laede kann von Allen zugleich geübt werden", wie Schopenhauer sagte.29 Etwas anderes gelte dagegen für die positiven Institutionen. Diese würden entweder zu einer „Verdoppelung der Bemühungen" und letztlich zum Chaos fuhren („Viele Köche verderben den Brei" sagt der Volksmund) 30 oder aber nie erfüllt werden, da jeder darauf warte, daß der andere das gebotene Verhalten vornehme. Es handle sich um „das Phänomen der Verantwortungsabschwächung durch Verantwortungsvervielfachung". 31

B. Auflösung der Antinomien Dem Hauptargument über die Moralisierung des Rechts (Gallas) liegt dreierlei zugrunde: Erstens sollen positive Institutionen die Freiheit stärker einschränken als die negative. Die aus positiven Institutionen stammenden Pflichten seien deshalb moralische Pflichten, und d.h. wiederum: die auf positive Institutionen bezogenen Erwartungen dürften von Alter vielleicht moralisch, aber jedenfalls nicht rechtlich erwartet werden. Zweitens: Die vorausgesetzte, außer Zweifel stehende Trennung von Moral und Recht habe deshalb zur Folge, daß die positiven Institutionen im Rechtsbereich prinzipiell keine Handlungspflichten statuieren könnten. Drittens: Die Gebote der positiven Institutionen seien vor allem wegen ihrer mangelnden zeitlichen Präzisierbarkeit untauglich, Rechtsnormen zu bilden. Sollten sich diese Vorwürfe nicht ausräumen lassen, so würden die Handlungspflichten aus den positiven Institutionen - wie die Pflichtdelikte überhaupt entweder immer noch eine Ausnahme im System, einen Fremdkörper neben der negativen Institution neminem laede darstellen, 32 wie es etwa bei Schopenhauer der Fall gewesen ist („positive Pflichten des Staates sind... eine leicht begreifliche Ausnahme"), oder es wäre zuzugeben, daß Pflichten zum Aufbau einer gemeinsamen Welt neben der Organisationszuständigkeit keinen Platz finden, was im 29

Schopenhauer, E, S. 217.

30

So Engisch, MSchrfKrim 1939, S. 422; ders., MSchrfKrim 24 (1933), S. 241; Nagler, GS 111 (1938), S. 20; Rödig, Analytische Rechtslehre, S. 82 (Bsp ). 31 32

Vogel, Norm und Pflicht, S. 309. Ferner Nunner-Winkler,

Verantwortung, S. 184 f.

Neben Gallas vgl. noch unten die Lösungsansätze etwa von Schünemann und Freund (§ 8 A [S. 126ff.]). - Ähnlich Seelmann, GA 1989, S. 255 f., der alle Unterlassungsfälle mittels des Prinzips „Handlungsverantwortung als Verpflichtungsgrund", d.h. des Prinzips der Herrschaft lösen will. Er muß aber darüber hinaus zugeben, daß „von diesem Grundsatz eine Ausnahme nur für diejenigen familiären und staatlichen Pflichten [gilt], die Bedingung der Möglichkeit eines auf Handlungsverantwortung gründenden Systems von Handlungspflichten sind/4

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übrigen Gallas in einigen Fällen für richtig gehalten hat, oder es wäre in den Grundkonstellationen des Pflichtdelikts, in denen eine Strafbarkeit kriminalpolitisch als unverzichtbar erscheint, mit Gallas für eine Bestrafung wegen eines echten Unterlassungsdelikts (wie etwa § 323c StGB) zu plädieren. Denn die Moralisierung des Rechts durch positive Pflichten ließe sich sicherlich leichter ertragen, wenn die Höhe der Strafe gering wäre. Alle Alternativen - Pflichtdelikte als Fremdkörper, Straflosigkeit der Pflichtdelikte und Strafbarkeit in Form echter Unterlassungsdelikte - können aber m.E. dogmatisch nicht befriedigen. Trotzdem wird sich nachfolgend herausstellen, daß die angeführten Argumente ganz oder zum Teil zutreffend sind, daß aber die Lehre von den Pflichtdelikten dadurch jedoch keineswegs widerlegt werden kann. Das Argument über die Beschränkung der Freiheit durch positive Pflichten scheint mir unwiderleglich zu sein. Handlungspflichten zu erfüllen, heißt, den eigenen Spielraum in der Gesellschaft einzuschränken. Wer positive Pflichten zum Aufbau einer gemeinsamen Welt erfüllen soll, muß seine Lebensführung von vornherein entsprechend einrichten: Eltern können nicht wie vor der Geburt ihrer Kinder ins Kino gehen oder müssen einen Baby-Sitter organisieren, was aber auch Aufwand (Mühe, Zeit, Geld etc.) kostet. Die Handlungsfreiheit der Eltern wird somit eingeschränkt. Existiert keine vorangegangene Organisation (gäbe es sie, so wäre sie von der Verantwortung kraft positiver Institution unabhängig), bedeutet die Aufforderung durch ein Gebot, eine gemeinsame Welt zu bauen, eine größere Beeinträchtigung der Freiheitssphäre der Person als die Aufforderung, niemanden zu schädigen. Im letzten Fall darf die Person alles tun, „was sie will", nur das verbotene Verhalten nicht. Kraß: Bei dem Jedermannsverbot aus dem Neminemlaede-Prinzip, „ein Kind nicht zu töten", bleibt die Freiheit, so oft ins Kino zu gehen, wie man will, bestehen. Bei Respektierung des Neminem-laede-Prinzips gilt lediglich das Organisationsfreiheitsprinzip: Man ist nicht verpflichtet zu organisieren, aber wenn man organisiert, muß man die Folgen tragen. Bei der den Pflichtdelikten zugrundeliegenden Pflicht, eine gemeinsame Welt zu bauen, darf man im Gegensatz dazu gerade nicht untätig bleiben, sondern muß etwas unternehmen, nämlich die Bedingungen dafür schaffen, daß diese Pflicht erfüllt wird. Wegen der positiven Verpflichtung zur Sorge für die eigenen Kinder ist man verpflichtet, viele Dinge zu unterlassen, die man - mindestens zeitlich - unternehmen könnte. Zu erinnern sei hier an den oben dargelegten Unterschied zwischen der „bloßen" Hilfeleistung aus Solidarität (§ 323c StGB) und der Pflicht, eine

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gemeinsame Welt zu bauen: man ist gezwungen, sich hilfsfähig zu erhalten! Darauf wird später noch einmal zurückzukommen sein.33 Allerdings ist diese Auffassung in der Literatur nicht unumstritten geblieben. Samson34 beispielsweise hält es für nicht ausgemacht, ob Gebote vom Täter tatsächlich mehr verlangen als Verbote, denn „es sind Fälle denkbar, in denen das Ingangsetzen der rettenden Kausalkette vom Täter nur eine sehr geringfügige Leistung verlangt", wie zum Beispiel „das Öffnen einer Tür". Es lasse sich deshalb auch nicht uneingeschränkt behaupten, daß ein Gebot den Verhaltensspielraum des Normadressaten stärker begrenze als ein Verbot. Zu dieser Thematik nennt Samson weitere zwei Beispiele: Es gebe Fälle, bei denen der Verhaltensspielraum von der Gesamtheit der Normen bestimmt werde, mit der Folge, daß eine Häufung von Verbotsnormen den Verhaltensspielraum in weit stärkerem Maße beschränken könne, als es vielleicht nur vereinzelt vorkommende Gebotsnormen täten. So werde etwa der Verhaltensspielraum beim Straßenverkehr vornehmlich durch die Menge der Verbote und nicht durch die in diesem Bereich auch existenten Handlungsgebote eingeschränkt. Ferner würden auch einzelne Verbote den Verhaltensspielraum stärker reduzieren als zahlreiche Gebote, wie etwa das Verbot an den Strafgefangenen, die Gitterstäbe durchzusägen, oder das Verbot der Fahnenflucht. In diesem Zusammenhang interessant ist das Beispiel von Vogel, das beweisen soll, daß Verbote die Freiheit ebensosehr beschränken können wie Gebote: Wer sich in einem Tunnel befinde, in welchem Halteverbot herrsche, könne nichts anderes tun als weiterfahren; somit werde seine Freiheit durch ein Verbot sehr beschränkt. 35 Die Kritik Samsons geht m.E. an der hier vertretenen Deutung von Verboten und Geboten anhand der negativen Institution und der positiven Institutionen vorbei. In einigen Fällen hat Samson gewiß Recht, wenn er sagt, daß das Gebot „Öffnen einer Tür", als „minimale Anstrengung", „eine sehr geringfügige Leistung verlangt". Manchmal kann sogar das „Öffnen einer Tür" durch Unterlassen verwirklicht werden. Erinnert sei an den Staudammwärter im oben geschilderten Fall bei automatisierter Öffnung des Ventils. 36 Aber das ist nicht das Entscheiden33

Siehe oben S. 87 f. sowie noch unten S. 123 ff., 144 ff.

34

Hierzu und zum folgenden: Samson, Welzel FS, S. 586, 590; Rödig, Analytische Rechtslehre, S. 81; Seelmann, Rechtsphilosophie, S. 78 f.; ders., Solidaritätspflichten, S. 301; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 233; z.T. Jakobs, AT, 28/13. 35

Vogel, Norm und Pflicht, S. 306; ebenso bereits W. Jellinek, Gesetz, S. 124.

36

Siehe oben S. 52 f.

8 Sänchez-Vera

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de. Daß das „Öffnen einer Tür" als „minimale Anstrengung" die Freiheit kaum oder sogar überhaupt nicht beschränkt, daß das keine „Leistung" bedeutet, trifft aber nur zu, sofern derjenige, der die Tür öffnen muß, dazu per Organisation zuständig ist. Dann stellt das Ganze keine Leistung dar, weil dann „das Öffnen einer Tür" nur die Kehrseite der Ausübung seiner Freiheit bedeutet. Auch das Öffnen kann - eben bei Organisationszuständigkeit - einen Teil der Organisation darstellen, ebenso wie das beim Schließen in der Regel der Fall ist. Ansonsten, also wenn derjenige, der die Tür öffnen muß, kein Garant kraft Organisationszuständigkeit ist, handelt es sich um eine - wenn auch geringfügige - Leistungl Es geht also nicht um die Frage, ob eine Person eine Tür öffnen oder schließen muß, sondern vielmehr darum, ob die Person mit dem Geschehen „nur" wegen der negativen Institution verbunden, also per Organisation, oder aber positiv verpflichtet ist. Demnach ist per se irrelevant, ob die Erfüllung der Pflicht eine minimale Anstrengung darstellt oder nicht. Dazu ein weiteres Beispiel: Wer einen anderen aus Versehen in einem Gebäude einschließt, muß ihn befreien (Öffnen der Tür), sobald er seinen Hilferuf hört. Er ist für das Geschehen zuständig und zwar per Organisation (Ingerenz). Befreit er ihn nicht, haftet er ebenso, wie wenn er ihn „nicht aus Versehen" eingeschlossen hätte. Ihn durch Öffnen der Tür zu befreien, bedeutet keine Leistung. Der Grund liegt hier aber nicht darin, daß das „Öffnen einer Tür" eine „minimale Anstrengung" darstellt, sondern darin, daß in dem Fall das „Öffnen der Tür" Teil der Organisation des Akteurs ist: Er muß die Tür öffnen, weil er falsch organisiert hat. Läge der Grund der Haftung bzw. der Aufforderung

in der „minimalen An-

strengung" des Öffhens einer Tür, würde sich jeder Dritte wegen Freiheitsberaubung strafbar machen, wenn er nur an dem Gebäude vorbeiginge und den Eingeschlossenen nicht befreien würde. Die Grenzen der Zuständigkeit aus Ingerenz wären überschritten, und zwar immer dann, wenn die „Rettungshandlung" eine „minimale Anstrengung" erforderte. Die in Lehre und Jurisprudenz anerkannte Differenzierung zwischen den sog. echten und unechten Unterlassungsdelikten würde nicht mehr gelten: Immer dann, wenn die Handlungspflichten in einer minimalen Anstrengung lägen, wäre wegen unechten Unterlassungsdelikts zu bestrafen (im Beispielsfall wegen Freiheitsberaubung). Anders bei den positiven Institutionen: Muß der Akteur die Tür öffnen und ist das „Öffnen einer Tür" kein Teil seiner Organisation - er hat vorher gar nichts organisiert -, so wird die Pflicht zu diesem Verhalten nur damit begründet sein, daß der Akteur mit dem Opfer eine gemeinsame Welt aufbauen soll. Das bedeutet für den Einzelnen jedenfalls eine

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- sei es minimale - Anstrengung. Denn sie besteht aus einem Verhalten, das ohne eine vorangegangene Organisation nur als Leistung angesehen werden kann. Wiederum anhand des obigen Beispiels: Hört ein Vater den Hilferuf seines von einem Dritten eingesperrten Sohnes, so muß er ihn befreien, obwohl er vorher nichts organisiert hat. Es handelt sich insoweit um eine solidarische Leistung. Selbst Samson fuhrt in einem anderen Zusammenhang aus: „Die Verbote [negative Institution] entstammen individualistischem Denken, die Gebote [positive Institutionen] bestimmen den Umfang der Pflicht zu gegenseitiger Solidarität." 37 Weiterhin glaubt Samson, in der Fahnenflucht ein Verbot gefunden zu haben, das die Freiheit des Einzelnen erheblich beschränkt. Die Fälle von Fahnenflucht sind aber nicht auf ein Verbot zurückzuführen, sondern eben auf eine positive Institution - als Auslegungstatbestand.38 Aufgrund dessen ist - wie Samson i.E. zutreffend bemerkt - der Verhaltensspielraum des Normadressaten beeinträchtigt. Die Formulierung des Kodifikationstatbestands als „Verbot" (nicht „verlassen", nicht „fernbleiben") ist, wie gesehen, völlig irrelevant. Auch das oben dargelegte Beispiel von Vogel über den Tunnel mit Halteverbot ist nicht geeignet, die hiesige Position zu entkräften. Wer sich in einem Tunnel mit Halteverbot befindet, kann in der Tat nichts anderes tun als weiterfahren; aber seine Freiheit ist ebensosehr bzw. -wenig beschränkt, wie wenn er etwa vor einer Ampel bremsen muß, um niemanden zu überfahren. Es handelt sich in beiden Fällen, wenn nicht eine positive Bindung aufgrund einer positiven Institution hinzukommt, um das Synallagma Organisationsfreiheit (in den Tunnel hinein zu fahren bzw. auf der Straße zu fahren) und Folgenverantwortung (weiterzufahren resp. zu bremsen), also um die negative Institution neminem laede. Man wird sicherlich mit der herkömmlichen Lehre dagegen einwenden, Bremsen sei als Tätigkeit eben nicht die Erfüllung eines Verbots, sondern eines Gebots, während Im-Tunnel-weiter-fahren die Erfüllung eines Verbots sei. Bereits oben wurde aber

37

Samson, Welzel FS, S. 595. - Jakobs, AT, 28/13, ist ebenfalls der Überzeugung, daß Gebote nicht unbedingt mehr von der Person verlangen als Verbote. Der Sache nach ist jedoch Jakobs Auffassung nicht so weit von der hier vertretenen entfernt. Die „Gebote", die er als Beispiele für nichtfreiheitsbeschränkende-Gebote erwähnt (Gebote wegen der Verkehrssichening oder Ingerenz - wie z.T. auch Samson), sind nach der oben gezeigten Lösung gerade keine „Gebote" (nur als Kodifikationstatbestände), sondern sie gehen auf das „ursprüngliche" Verbot, genauer auf die negative Institution „neminem laede" zurück. Deshalb verlangen sie von der Person nicht mehr als Verbote. 38 Dasselbe gilt - nach dem Beispiel Samsons - für das „Verbot" an den Strafgefangenen, die Gitterstäbe durchzusägen (oben S. 113): Eigentlich ist ein solches „Verbot" auch auf eine positive Institution zurückzuführen, seil, auf die Justiz.

8*

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verdeutlicht, daß „das Gebot" zum Bremsen auf ein (ursprüngliches) Verbot zurückzuführen i s t . 3 9 ' 4 0 Alles in allem scheint es prima facie so zu sein, daß positive Institutionen - da sie eine Leistung des Einzelnen und somit eine Beschränkung der Freiheit bedeuten - eher mit der M o r a l als mit dem Recht zu tun haben, wie in der rechtsphilosophischen Tradition überwiegend angenommen worden ist. Unproblematisch wäre eine solche „Moralisierung", wenn sich begründen ließe, daß Recht und Moral zumindest gelegentlich verbunden sein können. Die Leitfragen folgender Überlegungen lauten daher: W i e und wann ist diese „Moralisierung" des Rechts nicht unzulässig? U n d zugleich: W i e und wann kann bzw. muß der Rechtsstaat mehr gewährleisten als die bloße Abgrenzung der Freiheitssphären durch das Verbot neminem laede? I m Grunde geht es u m die Frage, ob die auf den Aufbau einer gemeinsamen Welt gerichteten Erwartungen rechtlich institutionalisiert sind - d.h. normativ erwartet werden dürfen -, obwohl der Täter vorher nichts organisiert hat (zugeschriebene Rollen). 4 1 Die einst vielumstrittene Frage nach dem Verhältnis von Recht und M o r a l kann i m Rahmen dieser Untersuchung gewiß nicht erschöpfend behandelt werden. Einige Bemerkungen über die M o r a l i m Recht sind jedoch darzulegen, insofern 39

Die weitere Behauptung Samsons, eine Häufung von Verbotsnormen könne in weit stärkerem Maße die Freiheit beschränken als vereinzelte Gebote, geht an der hier vertretenen Ansicht vorbei: Auf die Frage, ob eine Häufung von Verboten mehr als ein einziges Gebot wiegt, kommt es gar nicht an. Es geht vielmehr um den Vergleich zwischen einem Verbot (besser: negativer Institution), „SchädigeNicht", und einem Gebot (besser: positiver Institution), „Baue eine gemeinsame Welt auf. 40 Darüber hinaus wird oft argumentiert, die Erfüllung von Unterlassungspflichten, z.B. nicht mehr zu rauchen, das fortgesetzte Unterlassen des Essens, das Stillhalten bei einer Operation etc., verlange vom Einzelnen vielmehr - „mehr Energie" - als die Erfüllung von Handlungspflichten (etwa Rödig, Analytische Rechtslehre, S. 81; Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 141 f.; M.E. Mayer, AT, S. 108). Dieser Gedanke läßt die hier vertretene Konzeption wiederum unberüht. Denn ob jemand innerliche Kraft aufwenden muß, um einer Unterlassungspflicht nachzukommen, also ob eine Unterlassung ein positives inneres Tun fordert, oder jemand ohnehin schon dazu neigt, eine Pflicht (zum Handeln oder zum Unterlassen) zu erfüllen, ist nicht maßgeblich: Was systemintern geschieht, bleibt eben intern! (vgl. hierzu auch Peperoni , Gebot und Verbot, S. 155 f. Anm. 2). Relevant ist nur, ob die genannten Verhaltensweisen auf eine positive oder negative Institution zurückzuführen sind. Nur im ersten Fall handelt es sich normativ um eine besondere Pflicht und somit um eine Leistung. Beispielhaft: Hört man mit dem Rauchen als Folge eigener Organisation auf, etwa weil man einen Raum mit Rauchverbot freiwillig betreten hat, dann handelt es sich um keine Leistung, egal ob es für den Einzelnen viel Energie gekostet hat. Hört man mit dem Rauchen auf, weil man aufgrund einer positiven Institution dazu „verpflichtet" ist, etwa als Schwangere, dann geht es um eine Leistung. 41 Siehe oben S. 58. - Selbst wenn der Täter etwas „getan" hat, kommt es bei den Pflichtdelikten nicht darauf an. Insoweit sind die Begründungen Fries' und Schopenhauers für positive Pflichten der Eltern anhand des Erzeugungsakts entbehrlich (oben S. 81 f.). Man denke nur an die Zeugenpflichten, bei denen die einseitige Zuordnung der Pflichten besonders kraß ist (dazu noch ausführlich unten Anm. 58 auf S. 122 und S. 132 ff ).

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sie die positiven Institutionen betreffen. Generell trifft es zwar zu, daß nicht alles, was Recht ist - etwa rechts zu fahren - einen moralischen Gehalt besitzt, sowie umgekehrt nicht alles, was moralisch von Bedeutung ist - z.B. einen kranken Freund zu besuchen - auch rechtlich relevant wird. Aber Recht und Moral fallen vielfach auch zusammen: Ein beziehungsloses Nebeneinander beider Bereiche ist - nach h.L. - nicht möglich. 42 Mehr noch: Gerade im Strafrecht sind Recht und Moral meist eng miteinander verbunden. Das Eindringen der Moral ins Recht bzw. die Beschränkung der Freiheit durch positive Institutionen, sowie die frühere Situation, nach der das Recht vorrangig die negative Institution neminem laede garantieren sollte, lassen sich historisch sehr wohl erklären. Denn die Auffassung, die das Unrecht ganz oder überwiegend als Verletzung der negativen Institution interpretiere, war das Kind ihrer Zeit, nämlich des Liberalismus. Erinnert sei nur an die ursprüngliche sprachliche Bedeutung des Adjektivs liberal als „zur Freiheit gehörig". Das primäre Ziel dieses Liberalismus war der Schutz der individuellen Freiheit vor Eingriffen, vor allem vor Eingriffen des Staates. Der vom liberalen Denken angemeldete Anspruch eines jeden Individuums auf einen individuellen Freiheitsraum hatte - wie oben dargestellt - die prinzipielle Ablehnung der positiven Institutionen zur Folge, die diese Freiheit durch die Auferlegung positiver Pflichten über Gebühr beeinträchtigen. Der Kantische Rechtsgedanke der Nichtinterferenz (neminem laede) entsprach sicherlich dieser Konzeption. Derselbe Gedanke prägte auch - mehr oder weniger bewußt - etwa die Pflichtenlehre Fries' oder später auch diejenige Schopenhauers. Diesem Modell eines auf das neminem laede beschränkten Rechts hat man jedoch schon seit jeher auch seine Unzulänglichkeit vorgeworfen. Wie oben dargestellt, haben selbst die Protagonisten eines derartigen Rechts immer wieder Ausnahmen zugelassen, um auch positive Pflichten in ihre Systeme integrieren zu können. Hegel sah im Liberalismus ein „Prinzip der Atome, der Einzelwillen" und stellte deshalb kritisch fest: „ M i t diesem Formellen der Freiheit, mit dieser Abstraktion lassen sie nichts Festes von Organisation aufkommen". 43 Versteht man die Freiheit also in einem positiven Sinn wie Hegel, so scheint das Verbot des 42 Näher dazu Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 138ff.; H.-L. Schreiber, Dünnebier FS, S. 635 ff.; Bockelmann, Radbruch GS, S. 256 ff. - Siehe selbst Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 95 ff, 97, 185 ff 43 Hegel, Philosophie der Geschichte (Werke 12), S. 534. - Zu einer Staatsintegration der Person durch Rechte und (positive) Pflichten ferner Hegel, Rph., § 261 (a.E.) und erläuternd dazu Isensee, DÖV 1982, S. 618.

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abstrakten Rechts nicht auszureichen, um die Freiheit zu schützen. Deshalb treten in Hegels System - in der Sittlichkeit - positive Institutionen bzw. Pflichten hinzu. Auch gegen das individualistische Modell Schopenhauers hat man von diesem Gesichtspunkt aus Bedenken geäußert: „Bei Erörterung des Pflichtbegriffes läßt Schopenhauer ein ungemein wichtiges Moment offenbar absichtlich außer acht [sie!], nämlich den Umstand, daß Pflichten doch nur im Rahmen einer sozialen Gemeinschaft, also vor allem des Staates, entstehen und bestehen können. Losgelöst von dieser realen Grundlage und infolge dessen auch unter völliger Ignorierung des großen Reichtums an historischen Besonderheiten, wird die,Pflicht 4 zum farblosen Problem, dem er nun auf logischem, verstandesmäßigem Wege beizukommen sucht." 44 Ähnliche Bedenken werden auch in bezug auf Kant angemeldet: „Eine sozialstaatliche (...) Konzeption läßt sich nur in einem Rechtssystem verwirklichen, das nicht ausschließlich auf einer Moral der Nichtinterferenz aufgebaut ist", 45 d.h. in einem Staat, der nicht ausschließlich auf der negativen Institution neminem laede basiert. Selbst Engisch, der in diesem Zusammenhang ganz i.S. der philosophischen Tradition plakativ formuliert: „Liberale Rechtsordnungen bevorzugen Verbote [der negativen Institution] (...) Der Polizeistaat und der ,totale Staat' dagegen greifen gerne zum Gebot [positive Institutionen]", gesteht ein, daß „in der Regel die modernen Rechtssysteme so beschaffen [sind], daß sie die Mitte halten zwischen einer durch den Grundsatz,neminem laede' beschränkten allseitigen Handlungsfreiheit (...) und absoluter Strangulierung des Daseins".46 44 Damm, Schopenhauers Rechts- und Staatsphilosophie, S. 57 f.; sie! bezieht sich auf „absichtlich"; es wurde darüber hinaus schon dargestellt, daß Schopenhauer einerseits zwar positive Pflichten als „Ausnahmen" bezeichnete, neben der negativen Institution aber andererseits die positiven Institutionen des Eltern-Kind-Verhältnisses und des Staates anerkannte (oben S. 82). 45

Tugendhat, ARSP Beiheft 14 (1980), S. 20,19ff.; das ist Kant seit langem vorgeworfen worden, siehe etwa Vorst, Neues Archiv des Criminalrechts VII (1825), S. 676 f. und Schwalbach, GS 31 (1879), S. 539 f. und passim; einen Mittelweg versuchte Schnabel, Naturrecht, S. 2 ff, 9 ff. - I.d.S. auch die Bedenken von Philipps, Recht und Information, S. 125 f.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 207; Wildt, ARSP 83 (1997), 159 ff, 165,169 ff; Kühl, Die Kantische Unterscheidung von Legalität und Moralität, S. 174 f. - Zu dem ähnlichen Ansatz Humboldts sowie zu v. Mohl und Lorenz von Stein siehe Stratenwerth, Eichenberger FS, S. 81ff. - Beschränkt auf die Diskussion über die Zwangsarbeitsstrafe als „gemeinnützige Arbeit" hat Köhler, GA 1987, S. 154 f. und passim, im Anschluß an Kant zwar bemerkt, daß „die wechselseitig anerkannte Freisetzung der Rechtssubjekte in äußeren Bedingungen des Zwecksetzens" zunächst „Rechtspflichten zur Unterlassung verletzenden Verhaltens (Verbote) [begründet]". Aber zugleich gibt er zu, daß es auch „Rechtspflichten zum Tun" gibt, und nennt gerade Pflichten aus einer positiven Institution, nämlich die „familienrechtlichen Tätigkeitspflichten". 46 Engisch, Der rechtsfreie Raum, S. 39 f.; ihm folgend Kreuzer, Ärztliche Hilfeleistungspflicht, S. 20 ff Siehe ferner: Mir Puig, ZStW 95 (1983), S. 416; Naucke, Strafrecht, § 7, Rdn. 243 f.; Schünemann, ZStW 96 (1984), S. 299 f.

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Hierzu gehören die Pflichtdelikte des Strafrechts. In der Tat ist die heutige Gesellschaft so gestaltet, daß das Strafrecht sich nicht nur mit der Garantie der individuellen Freiheit i.S. der negativen Institution zufrieden geben kann, also mit dem neminem-laede-Grundsatz, sondern darüber hinaus den Kreis der Rechtspflichten erweitern muß. Der Staat kann auf die Idee der positiven Institutionen ebensowenig verzichten wie auf die Idee der Freiheit. Das gegenwärtige Strafrecht kann sich nicht lediglich mit einem System der Nichtinterferenz, d.h. mit den Herrschaftsdelikten - die verschiedenen Herrschaftsbereiche müssen ungestört bleiben -, begnügen. Es werden also Kommunikationen anderer Systeme, etwa Solidarität aus der Institution Staat oder Familie im Strafrecht durch den juristischen Code umgeformt und rezipiert. Denn hier ist nicht mehr nur die Person das Identifikationsprinzip der Erwartungen, sondern daneben auch die Rolle etwa als Vater, Amtswalter, etc. Auch auf positive Institutionen gerichtete Erwartungen sind also institutionalisiert - dürfen erwartet werden -, denn auch positive Institutionen identifizieren die Gesellschaft, ja sichern sogar die existentiellen Grundbedingungen äußerer Freiheit überhaupt. 47 Durch die positiven Institutionen werden nämlich die realen Bedingungen der Verwirklichung der negativen Institution garantiert.

Ebenso wie etwa für den

Arbeitslosen Berufsfreiheit nutzlos ist, ist die negative Institution ohne positive Institutionen inhaltsleer. Kraß: Ein negatives Recht auf Freiheit der negativen Institution hilft oft nur dann, wenn man es auch im Prozeß verteidigen kann, d.h. wenn es z.B. zugleich eine positive Pflicht des Zeugniszwangs gibt, allgemeiner gesprochen, wenn es eine positive Institution namens Justiz überhaupt gibt. 48 Man denke auch an die Worte Tönnies - wenn man, wie oben, auch mit ihm Gesellschaft mit der negativen, Gemeinschaft mit der positiven Institution assoziiert: „Gemeinschaft ist alt, Gesellschaft neu, als Sache und Namen." 49 Weitere Beispiele: Das Recht der Kinder auf Leben ist nutzlos, wenn den Eltern nicht zugleich gewisse positive Pflichten zugeordnet werden. Oder man denke ferner an den liberalen Ursprung vieler Amtsdelikte als Schutz der Rechte des Einzelnen 47 Zutreffend hervorgehoben von: Köhler, GA 1987, S. 154; Weinberger, Freiheit und die Trennung von Recht und Moral, S. 159; Steinvorth, Menschenrechte und Sozialstaat, S. 9 ff., 20; Stober, Rechtstheorie 15 (1984), S. 45; ders., Scupin FS, S. 654. Ein ähnlicher Ansatz zur Begründung der positiven Pflicht des § 323c StGB Pawlik, GA 1995, S. 360 ff. (mit § 323c nehme der Staat die Bürger „im Interesse der Stabilisierung der Bedingungen ihrer eigenen Autonomie" in Anspruch). Siehe ferner Köhler, AT, S. 207 ff. und Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 21, 33 und passim. 48 Insoweit auch schon die treffende Anmerkung Jakobs' (Tun und Unterlassen, S. 33) zum abstrakten Recht Hegels. 49

Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 4.

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(negative Institution) vor der Willkür staatlicher Funktionäre. 50 Der Sinn der Verfassung kann es nicht sein, zwar den Schutz der negativen Institution neminem laede auszusprechen, aber dieser negativen Institution die Mittel vorzuenthalten, nämlich die positiven Institutionen, die auch zu ihrem Schutz nötig sind. Etwas anderes „liefe auf ein Mißverständnis von Freiheit hinaus, bei dem verkannt würde, daß sich persönliche Freiheit auf die Dauer nicht losgelöst von Funktionsfähigkeit und Gleichgewicht des Ganzen verwirklichen läßt (...)", 51 wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend festgestellt hat. Insoweit ist die Annahme, die Berücksichtigung positiver Institutionen stelle eine unzulässige Moralisierung des Rechts dar, anders gesprochen, die auf positive Institutionen gerichteten Erwartungen dürften nicht normativ erwartet werden, unzutreffend. Die zugeschriebenen Rollen der positiven Institutionen sind zulässig. Selbst wenn die Pflichtdelikte eine „Moralisierung" des Strafrechts darstellten, 52 wäre sie jedenfalls nicht unzulässig. Es geht nicht darum, - wie im totalitären Staat - den Schutz der Individualinteressen auf Kosten der Gemeinschaft abzubauen, sondern diese Individualinteressen mit den für die Erhaltung der negativen Institution, d.h. für die Erhaltung der gegebenen Gesellschaft notwendigen positiven Institutionen zu ergänzen. Positive Institutionen im verfassungsmäßigen Sinne sind also ein Ausgleich zwischen exzessivem Liberalismus und Kollektivismus sozialistischer, faschistischer oder kommunistischer Provenienz. 53 Darüber hinaus sei auch an die Worte Emile Dürkheims zu erinnern: „Zweifellos 50

Vgl. Amelung, Dünnebier FS, S. 499 ff. m.w.N.

51

BVerfGE 33, 303 (334); dazu auch Klein, Der Staat 14 (1975), S. 159 und passim.

52

Der Staatsanwalt, der - innerhalb der positiven Institution Justiz - Straftaten verfolgen und Unschuldige nicht verfolgen soll, verhält sich zwar nicht persönlich solidarisch (er verdient lediglich sein Gehalt); übt aber jedenfalls eine vom Staat abgeleitete Solidarität aus (das übersieht Sangenstedt, Garantenstellung und Garantenpflicht, S. 357). Denn Anspruch auf Justiz haben alle, selbst wenn sie ihre Kosten nicht bezahlen können. - Zu den Pflichten des Beamten im allgemeinen m.w.N. pro und contra eingehend M. Schultz, Amtswalterunterlassungen, S. 45 ff., 56 ff, 66 ff 33 Binnen dieses verfassungsmäßigen Rahmens mögen die positiven Institutionen bzw. ihre Bedeutungen variieren. Sie sind also nicht im Verhältnis zur Beweglichkeit der Gesellschaft starr, vielmehr wie die negative Institution - dynamisch. - Zur Wandlung von Institutionen im allgemeinen siehe etwa Henkel, Rechtsphilosophie, S. 361 f.; zur Wandlung positiver Pflichten und insbesondere der Wehrpflicht Stober, Scupin FS, S. 645 ff., 660. Vgl. auch Vogel, Norm und Pflicht, S. 370,372, der aber die Pflichten kraft positiver Institutionen für „dynamischer" hält als die kraft negativer Institution. Das ist m.E. in dieser Generalität nicht richtig. Denn die Grenzen des erlaubten Risikos etwa sind ebenso dynamisch, ja sogar dynamischer, als z.B. die Grenzen der Handlungspflichten der Institution ElternKind-Verhältnis. - Nach der hier vertretenen Auffassung ist deshalb eine Kodifikation positiver Pflichten, wie gelegentlich vorgeschlagen wurde (Grümvald, ZStW 70 [1958], S. 412 ff.; R. Meyer, Garantenstellung, S. 71 ff, 130 ff.), nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich. Man denke in der Umkehrung nur an einen Versuch, alle möglichen Grenzen des erlaubten Risikos zu kodifizieren.

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bildet sich überall, wo sich eine Gruppe bildet, auch eine moralische Disziplin". „Die Menschen können nicht zusammenleben, ohne sich zu verstehen und folglich nicht, ohne sich gegenseitig Opfer zu bringen, ohne sich wechselseitig stark und dauerhaft zu binden. Jede Gesellschaft ist eine moralische Gesellschaft." 54 Die hier vertretene Konzeption entspricht vollkommen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts. Diejenigen Meinungen, die von einer unzulässigen Moralisierung des Rechts bei positiven Institutionen ausgehen, meinen der Sache nach, daß Art. 2 Abs. 1 GG bei positiven Pflichten verletzt wird, weil Handlungspflichten die freie Entfaltung der eigenen Organisation beschränken. Im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit,

die Art. 2 Abs. 1 GG schützt, hat das Bundes-

verfassungsgericht aber vielfach anerkannt, daß deren Einschränkung durch die „verfassungsmäßige Ordnung" möglich ist, genauer: durch die „Gemeinschaftsgebundenheit", und das heißt wiederum im hier verwendeten Sinn: durch positive Institutionen. An der entscheidenden Stelle heißt es: „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum - Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten. Das ergibt sich insbesondere aus einer Gesamtsicht der Art. 1, 2, 12, 14, 15, 19 und 20 GG. Dies heißt aber: der Einzelne muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt." 55 Insoweit wird die Freiheit der Bürger, „als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger", 56 nicht durch die positiven Institutionen in unzulässiger Weise beschränkt, ja sogar - wie gesehen - wird Freiheit durch positive Institutionen ermöglicht. Positive Institutionen tasten die Handlungsfreiheit nicht an: denn diese Freiheit kann „im Hinblick auf diese Gemeinschaftsgebundenheit nicht »prinzipiell unbegrenzt' sein". 57 Speziell zu der (positiven) Wehrpflicht - und d.h. 54 Durkheim , Arbeitsteilung, S. 69 und 285, vgl. ferner S. 112 sowie 51 ff. - Zu einer rechtsanthropologischen Begründung der „Solidarität des Zusammenlebens" siehe Lampe, ARSP 74 (1988), S. 290, 296 ff. - Vgl. auch Art. 12 I der Verfassung von Baden-Würtenberg; Art. 33 der Verfassung von Rheinland-Pfalz und Art. 7 I der Verfassung von Nordrhein-Westfalen. 55 BVerfGE 4, 7 (15 f.); ebenso 8, 274 (328 f.); 27, 1 (7); 30, 1 (20); 32, 373 (379); 33, 303 (334); 33, 367 (376 f.) etc. 56

BVerfGE 27,344 (351).

57

BVerfGE 45, 187 (227 f.).

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für das Strafrecht: u.a. für das Pflichtdelikt der Fahnenflucht - hat z.B. das Bundesverfassungsgericht, wie bereits oben zum Teil dargestellt, folgendes festgestellt: „Das Institut der allgemeinen Wehrpflicht verstößt als solches weder gegen die Menschenwürde noch sonst gegen die Grundlagen unseres verfassungsrechtlichen Wertsystems"; es geht um eine Pflicht, „in der ideelle Grundprinzipien gerade eines demokratischen Gemeinwesens - die Zugehörigkeit zu dem allen gemeinsamen, nicht mehr obrigkeitlichen Staat, der Grundsatz der gleichen Lasten für alle - sich besonders deutlich aussprechen. (...) Das Grundgesetz ist eine wertgebundene Ordnung, die den Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Zweck allen Rechts erkennt; sein Menschenbild ist nicht das des selbstherrlichen Individuums, sondern das der in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit." 58 Freilich können diese Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts nicht dahingehend verstanden werden, daß mit der Rolle als „gemeinschaftsbezogener" resp. „gemeinschaftsgebundener Bürger" zugleich eine Garantenstellung kraft positiver Institution und infolgedessen schon ein Pflichtdelikt begründet werden könnte. Die von den Pflichtdelikten garantierten Erwartungen sind eben nicht auf die allgemeine Rolle als gemeinschaftsgebundener Bürger bezogen - insoweit läßt sich nur eine generelle Mindestsolidarität fordern, wie sie etwa in § 323c StGB positiviert worden ist -, sondern auf diejenigen - speziellen -, von besonders gewichteten positiven Institutionen generierten Rollen, die ihrerseits jedoch wiederum ihre normative Legitimation aus der Gemeinschaftsgebundenheit

der Person beziehen.

Ich ziehe folgendes Fazit: Es ist zwar richtig, daß Handlungspflichten zu einer gemeinsamen Weltgestaltung, positive Institutionen, die Verhaltensfreiheit in der Gesellschaft praktisch mehr beschränken als die negative Institution neminem laede, aber eine solche „Beschränkung" ist nicht als unzulässig zu betrachten. Denn das Strafrecht kann eine solche „Beschränkung" (verdient das dann noch den Namen „Moralisierung" bzw. „Beschränkung"?) zulassen, will sie ja zulas58 BVerfGE 12, 45 (50 f.). Vgl. auch BVerfGE 33, 1 (10 f.) und Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, S. 21 f. - Das Zitat lehrt ein weiteres: Positive Institutionen haben zwar oft etwas mit einem tatsächlichen „Konsens" (i.S.d. klassischen Anerkennungstheorien) der Betroffenen zu tun (etwa bei den Beamten), aber jedenfalls nicht immer. Man denke etwa an Untersuchungspflichten, an Steuerpflichten, an die Pflichten von Zeugen und Schöffen etc. (zu den letzten vgl. auch Jakobs, Jescheck FS, S. 633 Anm. 29). Der berühmte (vgl. nur Traeger, FS Ennecerus, S. 75; Georgakis, Hilfspflicht, S. 8, 21, 33), allgemein für Unterlassungsfälle angeführte Vergleich, nach dem jemand (der Garant) von der Rechtsordnung „auf Posten" gestellt wurde, beschreibt die Lage insofern auch für die positiven Institutionen zutreffend. Allerdings stellt das Recht oft Mechanismen auf, nach denen man aus der Institution „aussteigen" darf. Man denke etwa daran, daß die Eltern ihr Kind zur Adoption frei geben können. Siehe ausführlicher unten § 8 C (S. 142 ff).

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sen: Die positiven Institutionen sichern auch die Freiheit, die realen Bedingungen der Verwirklichung der negativen Institution. Damit dürfte nicht nur die Zulässigkeit der den Pflichtdelikten zugrundeliegenden positiven Institutionen, sondern auch ihre Notwendigkeit im Strafrecht dargetan sein. Noch zu beantworten bleibt allerdings die oben gestellte Frage über die mangelnde Präzisierbarkeit der von positiven Institutionen erzeugten Pflichten, obwohl diese Argumente im Grunde nur das gerade abgelehnte Freiheitsbeschränkungsargument bekräftigen sollten. Diese Frage hängt mit der Beantwortung einer anderen zusammen, und zwar - wie gleich zu zeigen ist - mit der Stellungnahme zu derjenigen Auffassung, die im Prinzip eine Statuierung von positiven Pflichten im Strafrecht akzeptiert, diese Statuierung aber innerhalb der Grenzen des § 323c StGB beläßt. Gallas z.B. wollte, wenn überhaupt eine Bestrafung bei der Verletzung positiver Pflichten stattfinden solle, nicht den Strafrahmen des § 323c StGB überschreiten. 59 Ähnlich ist Seelmann der Auffassung, daß die „Garantie von Solidarität" sowohl etwa in § 323c StGB als auch bei den Pflichtdelikten ihren Ausdruck finde. 60 Die Erörterung der These über die mangelnde Präzisierbarkeit positiver Pflichten und dieser anderen Problematik soll nun gemeinsam erfolgen. Allgemein können positive Pflichten in unbedingter und universeller auftreten:

61

Form

Eine unbedingte Form liegt vor, wenn die Pflichten ihrem zeitlichen

Element nach immer und überall befolgt werden müssen. Universell sind positive Pflichten, wenn ihr persönliches Element unbegrenzt ist; sie sind deshalb von jedem zu erfüllen. Ein Beispiel einer positiven Pflicht unbedingter und universeller Natur wurde schon oben angedeutet: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst"; dieses Gebot ist immer - ohne Zeitbestimmung (unbedingte Natur) - und von jedem - gültig für jedermann (universelle Natur) - zu erfüllen. Auf diese Art positiver Pflichten trifft - wie gesehen - die oben dargelegte Kritik über die mangelnde Präzisierbarkeit zu. Die positiven Pflichten der Pflichtdelikte bestehen jedoch nicht in dieser Form. Ihre Gestalt ist eine völlig andere: Sie sind hinreichend individualisiert und von 59 Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 70 ff.; vgl. auch ders., JZ 1952, S. 396. Ähnlich WelzeU NJW 1953, S. 328; ders., Schaffstein FS, S. 46, 50 f. 60 Seelmann, Solidaritätspflichten, 296. - Die Auffassung Seelmanns ist zutreffend. Denn die Unterschiede zwischen beiden Verpflichtungsarten (Pflichtdelikte und § 323c) finden sich auf einer ganz anderen Ebene; dazu sogleich im Text. 61

Vgl. Philipps, Handlungsspielraum, S. 21 ff.

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daher in diesem Zusammenhang nicht von dem Neminem-laede-Verbot der negativen Institution verschieden. Dem rechtstheoretischen Argument der Tradition über die mangelnde Präzisierbarkeit wird dadurch begegnet, daß man durch die Reduktion der positiven Pflichten auf besondere positive Institutionen bereits den Handlungsspielraum des einzelnen Verpflichteten hinreichend individualisiert. Die Normen des Auslegungstatbestandes bei den Pflichtdelikten treffen nicht jeden, sondern nur Angehörige bestimmter Rollen wie Richter, Beamte, Eltern, Vormünde etc. Das Gebot zum Aufbau einer gemeinsamen Welt richtet sich nicht an alle Personen und besitzt demzufolge stets eine hinreichende Bestimmung. Es liegt also auf der Hand, daß die Pflichten der positiven Institutionen von der Kritik der mangelnden Präzisierbarkeit nicht getroffen werden. Ganz anders verhält es sich bei den positiven Pflichten aus Mindestsolidarität, namentlich aus § 323c StGB. Auf einen Unterschied wurde schon hingewiesen.62 Der Hilfsbedürftige kann sich nicht darauf verlassen, daß jemand gegenwärtig ist, der ihm helfen soll. Denn keiner ist verpflichtet - wie bei den positiven Pflichten der Pflichtdelikte -, sich hilfsbereit zu erhalten. Ein weiterer Unterschied ergibt sich aus der gerade angesprochenen Grenze der Individualisierung positiver Pflichten. Bei § 323c StGB wird nur derjenige verpflichtet, der erstens von einem Unglücksfall Kenntnis erlangt, und zweitens in der Lage ist, Hilfe zu leisten. Beides sind Zufallsmomente und dürfen auch - wie Philipps zutreffend hervorgehoben hat Momente des Zufalls sein.63 Es läßt sich nicht prognostizieren, daß es überhaupt einen Retter geben wird. Leistet jemand die gebotene Hilfe nach § 323c StGB nicht, so kann man ihm zwar sein normwidriges Verhalten vorwerfen, ihm aber nicht den Zufall anlasten, daß er auf den Verunglückten stieß und die Fähigkeit hatte, ihn zu retten. Der Verunglückte konnte nicht von Rechts wegen erwarten, von ihm gefunden und gerettet zu werden, sondern nur, wenn Um jemand - per Zufall - fand, gerettet zu werden. Diese von mir genannten Tun-Erwartungen 64 entsprechen also positiven Pflichten, die universell

sind, weil sie prinzipiell

jedermann treffen können, und unbedingt: Die Situationsbedingungen sind nicht auf einen Einzelfall beschränkt. Jedermann (universell) soll Hilfe leisten, zwar nicht immer und jederzeit, sondern nur wenn man zufällig in die entsprechende Lage (des § 323c StGB) gerät. Aber diese vom Zufall abhängige zeitliche Be62

Siehe oben S. 87 f. und noch unten S. 144 f.

63

Philipps, Handlungsspielraum, S. 158 f.; ders., Recht und Information, S. 127.

64

Siehe oben S. 61 ff

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grenzung ist eigentlich als Individualisierung zu schwach, weil sie als Frage des Zufalls immer und jederzeit geschehen kann. Eine solche mangelnde Präzisierbarkeit,, genauer: ein solcher doppelter Zufall ist überhaupt zugelassen, weil die Tat viel milder bestraft wird als ein Pflichtdelikt. 65 Kurzum: Nicht die Existenz einer positiven Pflicht ist es, die - wie bei den Pflichtdelikten - die Zuständigkeit des Täters für den Unglücksfall begründet, sondern überhaupt die Existenz des Unglücksfalls, die erst die positive Pflicht des Täters und insoweit seine Zuständigkeit begründet. Damit dürften weitere Differenzen zwischen den positiven Pflichten der Pflichtdelikte und denen des § 323c StGB gezeigt und zugleich die These der mangelnden Präzisierbarkeit bezüglich der Pflichtdelikte überwunden sein.

65 1.d.S. bereits Seelmann, GA 1989, S. 253; ders., Solidaritätspflichten, S. 302; vgl. auch Matt, Kausalität aus Freiheit, S. 185 f., 166. - Andere Kritikpunkte, etwa die Erfüllung der Pflichten aus positiven Institutionen führe zum Chaos, können einfach entkräftet werden, und sind auch von der h.L. im Rahmen der Unterlassungsdogmatik seit langem überwunden. Positive Pflichten sind zeitlich und persönlich hinreichend bestimmt. Sie bestimmen präzis, wer zuständig ist, etwa ein Vater, ein Richter, der Verwalter im Falle der Untreue etc. Mittels des Begriffs der positiven Institutionen sind die „Einszu-eins"-Verpflichtungen erreicht, auf die Vogel, Norm und Pflicht, S. 309, zutreffend aufmerksam gemacht hat, um die mögliche „Durchkreuzung verschiedener Erfolgsabwendungsversuche" zu vermeiden. Auch das oben dargestellte Phänomen der Verantwortungsabschwächung durch Verantwortungsvervielfachung trifft insoweit die Pflichtdelikte nicht.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten Erste Überlegungen zur Beteiligung bei Pflichtdelikten A. Herrschaft versus Pflichtverletzung? - Die Modelle von Gallas, Schünemann und Freund Die zuvor skizzierte Meinung von Gallas, daß die Anerkennung von Pflichtdelikten eine unzulässige Moralisierung des Strafrechts bedeute, hat diesen dazu bewogen, zur Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme ausschließlich auf die Tatherrschaft zurückzugreifen. Er entwirft also ein monistisches Modell, das die Begehungsgleichwertigkeit des Unterlassens allein mit Hilfe der Tatherrschaft begründen soll. Der grundlegende Vorwurf einer unzulässigen Moralisierung des Rechts hat sich jedoch als nicht haltbar erwiesen. Deshalb soll der Schwerpunkt der folgenden Untersuchung auf die Standpunkte Schünemanns und Freunds gelegt werden, die gleichermaßen für eine Generalisierung des Herrschafisprinzips plädiert und die Pflichtdeliktstheorie verworfen haben. Für Schünemann ist das deliktische Geschehen Ausdruck der vom Täter getroffenen Entscheidung, was in seinem Herrschaftsbereich passieren solle und was nicht, und zwar als „Herrschaft über den Grund des Erfolges". 1 Diese Herrschaft sei stets eine „aktuelle Herrschaft, die entweder durch eine eigene Körperbewegung oder aber durch eine schon vorher existierende Beherrschung des sozialen Feldes (Gefahrenquelle bzw. hilfloses Rechtsgutobjekt)" gekennzeichnet werde. 2 Auf dieser Basis fragt Schünemann nach den kriminalpolitischen Bedürfnissen, die den Gesetzgeber zur Statuierung ernes Pflichtdelikts bestimmt haben könnten, wobei er am Ende seiner Überlegungen die Lehre vom Pflichtdelikt jedoch über1

Zu Schünemanns Lehre von den Garantenstellungen siehe GuG, S. 235 ff, 241, 281 ff, 341; zusammengefaßt in: ders. y Unternehmenskriminalität, S. 84 ff. - Allerdings ist zu bemerken, daß Schünemann in GuG (siehe etwa S. 146 mit Anm. 76 und 78) teilweise noch der Lehre der Pflichtdelikte gefolgt ist (mit der Ausnahme, sämtliche Unterlassungsstraftaten seien Pflichtdelikte [ebd., S. 379]), und erst danach auf Grund einer Konkretisierung seiner Garantenlehre die Auffassung Roxins völlig abgelehnt hat; hier sei nur auf die aktuellste Auffassung des Autors eingegangen, wobei deren Grundlagen nach wie vor in GuG liegen. 2 Schünemann, Chengchi Law Review 50 (1994), S. 415 f.; zur »Aktualität" der Herrschaft ders., GuG, S. 241 a.E., 243 f., 246, 316, 345.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten

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haupt ablehnt, genauer, für überflüssig hält. Zwar sollten die Rechtsgüter gegenüber denjenigen Personen besonders intensiv geschützt werden, denen gegenüber im sozialen Umfeld eine gesteigerte Schutzlosigkeit bestehe, jedoch lasse sich das auch bereits mit Hilfe eines richtigen Begriffs der Herrschaft erreichen. Denn auch in der Sonderstellung des Pflichtenträgers müsse eine Art Herrschaft über den Grund des Erfolges, genauer: eine „Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes" gesehen werden.3 Für die meisten, wenn nicht für alle Sonderdelikte, möge also zwar die Verletzung einer Zivilrechtspflicht häufig als ratio cognoscendi für die Täterschaft dienen, ratio essendi sei aber nicht die darin zum Ausdruck kommende metastrafrechtliche Rechtswidrigkeit, sondern die auf einem Vertrauensakt beruhende faktische Schutzherrschaft

über das Rechtsgut. Es handle

sich infolgedessen nicht um Pflichtdelikte, sondern um Herrschaftsdelikte. Die Unterlassungstäterschaft soll bei diesen Delikten nicht etwa an die Verletzung einer Zivilrechtspflicht als solche anknüpfen, sondern vielmehr eine faktische Näheposition des Täters zu dem betroffenen Rechtsgut voraussetzen. In der Gegenauffassung liege ein Rückfall in die formelle Rechtspflichttheorie. Das Sonderdelikt könne folglich auch gleichermaßen durch Begehung wie durch Unterlassung des Garanten begangen werden und stelle im Verhältnis zu den vom Täterprinzip der Tatherrschaft geprägten Herrschaftsdelikten i.e.S. dieselbe Variante der Obhutsherrschaft zur Handlungsherrschaft

dar, wie sie auch bei den

unechten Unterlassungsdelikten im Verhältnis zu den Begehungsdelikten anzutreffen sei.4 Institutionen könnten deshalb durchaus eine Basis für die faktische Herrschaft bilden - ratio cognoscendi -, weshalb man sie aber nicht mit der strafrechtlichen Garantenstellung selbst verwechseln dürfe - ratio essendi -, die - wie immer - der Herrschaft über den Grund des Erfolges zugrundeliege.5 Aus diesen Überlegungen zieht Schünemann - ad exemplum - folgenden Schluß für die Pflichtdeliktsproblematik: Verwandtschaftsverhältnisse selbst nächsten Grades sollen per se keine Garantenstellung begründen. Eltern-Kind-Verhältnisse oder Ehe als solche seien allein für das Familienrecht relevant. Es komme für die strafrechtliche Haftung nur darauf an, ob jemand über die „konstitutionelle" oder „partielle" Hilflosigkeit des Opfers kraft existentieller Vorgegebenheit die „tat-

3

Schünemann, ZSchwR 97 (1978), S. 152 f.; ders., Zum gegenwärtigen Stand, S. 82; ders., wistra 1982, S. 46; ders. in LK, § 14, Rdn. 17 f. 4 5

Schünemann, GA 1986, 333 f.; ders., Unternehmenskriminalität, S. 93.

Schünemann, Zum gegenwärtigen Stand, Anm. 121 auf S. 77; vgl. auch ders., Jura 1980, S. 574, 576 f. und in LK, § 14, Rdn. 17; ähnlich Schroeder, Täter hinter dem Täter, S. 140.

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

sächliche personale Schutzherrschaft" ausübe. Die Täterstellung setze bei allen Pflichtdelikten, die verkappte Herrschaftsdelikte

seien, nicht mehr und nicht

weniger als eine Schutzherrschaft über die Anfälligkeit des Rechtsguts voraus. 6 Diese Auffassung entspricht im wesentlichen derjenigen von Gallas, auch wenn dieser nicht explizit mit dem Begriff der Tatherrschaft operiert. „Ich bin der Meinung", so Gallas, „daß der Garantengedanke, soll er überhaupt noch einen sachlichen, am Schutzzweck der Begehungstatbestände orientierten Sinn behalten, zum mindesten voraussetzt, daß das gefährdete Rechtsgut, wenn schon nicht durch eine Vorhandlung des Unterlassenden, dann doch infolge eines schon vor der Notsituation bestehenden Verhältnisses zu ihm als von dessen Schutz abhängig, als, Schützling4 des Garanten erscheint". „Geht man hiervon aus, so bleibt für die Annahme von Garantenpflichten aus einem Angehörigkeitsverhältnis

nur wenig

Raum." Jedenfalls aber könne, jeder Angehörige durch faktische Übernahme der Sorge oder durch vorausgegangenes gefährliches Tun zum Garanten werden". 7 Kommt man also stets mit dem Begriff der Tatherrschaft aus? Kann man auf die Lehre vom Pflichtdelikt verzichten, ohne zugleich unerträgliche Strafbarkeitslücken zu schaffen? Sind mit einem normativen Tatherrschafts- oder Garantenbegriff im Sinne Schünemanns oder Gallas' auch diejenigen Fälle zu lösen, die mit einem naturalistischen Tatherrschaftsbegriff nicht lösbar erscheinen? Versuche, den Begriff der Tatherrschaft auszudehnen, um Lücken zu schließen, sind nicht neu. Bekanntlich hat man etwa auch schon das Problem des sog. „qualifikationslosen, doch dolosen Werkzeugs" mittels einer Modifikation des Tatherrschafisgedankens zu lösen versucht und die insoweit (angeblich) bestehenden Strafbarkeitslücken dadurch geschlossen, daß man auf eine „soziale" (Welzel) bzw. auf eine „normativ-psychologische" (Jescheck) Tatherrschaft abstellte.8 Ob ein erweiterter Tatherrschaftsbegriff auch im Rahmen der Pflichtdelikte angemessene Ergebnisse liefert, soll nun eingehend untersucht werden. Schünemann verdeutlicht seine Position anhand des Eltern-Kind-Verhältnisses und will die (wenn auch reduzierte) faktische

Obhutsherrschaft

der ins Kino

gegangenen Eltern über ihre daheim schlafenden Kinder damit begründen, „daß sie über den Wohnungsschlüssel verfügen, den Aufenthaltsort der Kinder und die 6

Schünemann, GuG, S. 341 ff, 240 (3); ders., Unternehmenskriminalität, S. 93.

7

Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 92 und 94.

8

Welzel, ZStW 58 (1939), S. 543 f.; ders., Lehrbuch, S. 104; Jescheck/Weigend, AT, S. 669 f., m.w.N.; jüngst Bacigalupo, Chengchi Law Review 50 (1994), S. 405. Dagegen Roxin, TuT, S. 253 ff.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten

129

Gefahrenquellen der Wohnung kennen u.a.m.".9 Demgegenüber verneint er aber eine Rückrufpflicht des Herstellers eines gefahrlichen Produkts mangels Herrschaft - und zwar selbst bei sorgfaltswidrigem Handeln des Herstellers. 10 Aber diese ungleiche Behandlung beider Fälle erscheint nicht angemessen. Denn der Hersteller kennt die Gefahrenquellen des Produkts ebensosehr wie die Eltern diejenigen der Wohnung. Warum sollte also kein Herrschaftsverlust eintreten, wenn die Eltern im Kino sind, wohl aber, wenn der Hersteller in der Fabrik bleibt und der Rückrufpflicht bezüglich seines gefährlichen Produkts nicht nachkommt? Die Haftung der Eltern soll hier nicht bestritten werden. Nur: Warum bejaht Schünemann dann die Garantenstellung im ersten Fall (Eltern), im zweiten (Produkthaftung) aber nicht? Geht man von einer aktuellen Tatherrschaft i.S. Schünemanns aus, ist in der Tat eine solche nicht nur bei der Produkthaftung (insoweit ist seine Ablehnung zwar m.E. unrichtig, aber konsequent), sondern ebenso im Falle der Eltern abzulehnen. Bleibt man dem Begriff „Herrschaft" treu, so muß man sagen: Was die Eltern eigentlich innehaben, ist eine bloße - wenn auch gleichsam „ursprüngliche" - potentielle Herrschaft, mehr nicht. Wenn man bei den Eltern im Kino noch eine täterschaftliche

Herrschaft bejaht, so müßte man auch bei allen

Beteiligten in der Regel Herrschaft annehmen, so daß es kaum noch Möglichkeiten für eine Teilnahme gäbe.11 Denn Herrschaft läge schlechthin in einer bloß potentiellen Herrschaft und diese haben aber nicht nur die Eltern inne, sondern gleichermaßen überhaupt jeder Beteiligte - er kennt die „Gefahrenquelle" seiner Tat ebenso wie die Eltern diejenige der Wohnung -, ja sogar in Rettungsfällen jeder beliebige Dritte, der die Voraussetzungen des § 323c StGB erfüllt. Konsequenter - wenngleich im Ergebnis ebenfalls unzureichend - erscheint deshalb die Position von Gallas, der einräumt, daß das Eltern-Kind-Verhältnis mit seinem System kaum zu erfassen ist. „Eine Garantenpflicht der Eltern ließe sich nur gewaltsam auf die Erzeugung des Kindes als die die Abhängigkeit begründende , Vorhandlung 4 stützen."12 Und an einer anderen Stelle heißt es: „Bis zu einem

9

Schünemann, Zum gegenwärtigen Stand, S. 78 mit Anm. 130; siehe auch ders., GuG, S. 346; ein anderes Beispiel: ders., wistra 1982, S. 47. 10

Schünemann, wistra 1982, S. 44 f.; ders., Unternehmenskriminalität, S. 99; ders., GuG, S. 290,

288 ff. 11

Vgl. bereits oben S. 40 f.

12

Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 92 (Hervorhebung von mir). Daß der Erzeugungsakt nicht relevant sein kann, beweist schon der Fall einer Mutterschaft aufgrund einer Vergewaltigung; dazu sogleich im Text (S. 132 ff.). 9 Sänchez-Vera

130

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

gewissen Grad haben wir eine solche Konzession [Durchbrechung seines monistischen Modells] schon bei den Garantenpflichten der Eltern machen müssen " l3 Warum nun gelangt Schünemann im Fall der Produkthaftung und bei den Eltern zu unterschiedlichen Ergebnissen? Und warum sieht sich Gallas zu Konzessionen gezwungen? Handelt es sich im Falle der Eltern um eine Erklärung ad hoc? Oder in der Terminologie Schünemanns gesprochen: Was haben die Eltern mit dem Grund des Erfolges zu tun, etwa mit einem Mörder, der ihr Kind umgebracht hat? Verknüpft nicht vielmehr in diesem und ähnlichen Fällen die Eltern-Kind Beziehung, also eine positive Institution, Eltern und „Grund des Erfolges"? Ist es nicht widersprüchlich von einer „aktuellen Herrschaft" zu sprechen, die „durch eine schon vorher existierende Beherrschung des sozialen Feldes" gekennzeichnet werden soll? In der Behauptung Schünemanns, in der Sonderstellung - etwa im Falle der Eltern - sei eme Art „Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsgutes" zu sehen, versteckt sich m.E. nichts anderes als die Anerkennung einer besonderen Verpflichtung, nämlich genau derjenigen, die auch den Pflichtdelikten zugrundeliegt. Nur so läßt sich erklären, weshalb die „Herrschaftsbeziehung" bei den Eltern noch zur Zeit der Tatbegehung besteht.14 Denn es ist zwar terminologisch nicht falsch, von einer Anfälligkeit des Opfers (Kind) etc. zu reden, aber dieser Umstand begründet gerade keine Herrschaft. Mit anderen Worten, Schünemann verwendet der Sache nach dort einen Begriff der „Herrschaft" i.w.S. (gleichsam: i.S. der Pflichtdelikte), wo tatsächlich ein Pflichtdelikt vorliegt. Aber insoweit geht es gerade nicht um Herrschaft, zumindest nicht um Herrschaft, die diesen Namen verdient. Es gibt in der Tat eine Institution, die - mit den Worten Schünemanns auf „die Kompensation der konstitutionellen oder partiellen Hilflosigkeit" eines Kindes gerichtet ist, nämlich die Institution des Eltern-Kind-Verhältnisses, aber diese begründet gegebenenfalls ein Pflicht- und kein Herrschaftsdelikt. Daß sich in einigen Fällen darüber hinaus auch eine „tatsächliche personale Schutzherrschaft kraft eigenen Zugriffs" bejahen läßt, also eine Art Übernahme, steht, wie noch zu zeigen sein wird, der Pflichtdeliktslehre nicht entgegen. Schon die frühere Terminologie Schünemanns zeigt - wie auch diejenige von Gallas -, daß der Begriff der Herrschaft allein nicht ausreicht. Schünemann spricht von dem „Sonderfall 13 14

der Mutter-Kind-Beziehung" und gibt weiterhin zu, daß „nach unserer

Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 93 (Hervorhebung von mir).

Abgesehen davon, daß im Falle der Produkthaftung auch eine Garantenstellung kraft Organisation (Ingerenz) vorliegt und insoweit auch die Haftung des Produktherstellers zu bejahen ist.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten

131

Familienordnung die Herrschaft aber normalerweise auch nach der Geburt fortdauert", 15 d.h. es ist letzten Endes die Familienordnung, und nicht die Herrschaft, die fur Schünemann den Ausschlag gibt. 16 Gallas hat, wie schon gesehen, insoweit eine „Konzession" gemacht. Weiterhin ist bei ihm zu lesen: „Folgt man dem von uns vertretenen materiellen, am Schutzzweck der Begehungstatbestände orientierten Garantenbegriff, so bedeutet das also, daß, abgesehen von der Verletzung von Sorgepflichten

im Eltern-Kind-Verhältnis,

nur die Verletzung von

Garantenpflichten aus der Übernahme einer Garantenstellung und aus vorausgegangenem gefährlichen Tun eine Strafbarkeit wegen Begehung durch Unterlassen zu begründen vermag." 17 Die Frage liegt auf der Hand: Warum muß man „abgesehen von der Verletzung von Sorgepflichten im Eltern-Kind-Verhältnis" argumentieren? Auch Freund hat in jüngerer Zeit wiederum ein monistisches Modell vorgeschlagen.18 Nach seiner Auffassung können alle Pflichtdelikte „letztlich auf denselben (besonderen) Haftungsgrundgedanken - nämlich auf den der Sonderverantwortlichkeit für das drohende schadensträchtige Geschehen - zurückgeführt werden". Bei den Pflichtdelikten handle es sich um „gerade keine reine Verpflichtung zur Aufopferung", um keine „Garantie von Solidarität". Denn in den angeblichen Fällen der Pflichtdelikte beruhe die Verantwortlichkeit, wie auch 15 Schünemann, (allerdings noch in) GuG, S. 360 mit Anm. 1 und S. 343 (Hervorhebung von mir); siehe auch ebd., S. 191. Vgl. insoweit schon die Kritiken von Maiwald, JuS 1981, S. 480 (Replik Schünemann, wistra 1982, Anm. 26 und ZStW 96 [1984], Anm. 26 auf S. 294); Hsü, Garantenstellung des Betriebsinhabers, S. 217 f.; dies., Chengchi Law Review 50 (1994), S. 359; Jakobs, AT, 29/Fn. 53 (zu 4). - Zwar könnte man den Begriff der „Herrschaft über den Grund des Erfolges" für die Pflichtdelikte noch dadurch zu retten versuchen, daß man mit Schünemann, GA 1986, S. 334 Anm. 187, den Begriff der Herrschaft ganz neu definiert, weil er „selbstverständlich keinen abschließend definierten Begriff, sondern ein semantisch zwar nicht inhaltsleeres, aber doch auf weitere Ausfüllung hin angelegtes Prinzip darstellt, gegen dessen dogmatische Fruchtbarkeit deshalb nichts eingewendet werden kann..."; aber dann ginge es wiederum einerseits um eine „Herrschaft" bei den Herrschaftsdelikten, andererseits um „eine andere Herrschaft" bei den Pflichtdelikten: Das monistische System wäre gesprengt! 16 Es mag sein, daß die Herrschaftskonzeption Schünemanns innerhalb der Herrschaftsdelikte fruchtbar sein kann. Wie oben dargestellt (S. 51), hat er in seiner Abhandlung „Grund und Grenzen" z.B. die Vertauschbarkeit von Tun und Unterlassen bei Automatisierungen zutreffend erkannt und hervorgehoben. Sein Herrschaftsbegriff hat sich aber für die Problematik der Pflichtdelikte als ungeeignet erwiesen. 17 18

Gallas, Studien zum Unterlassungsdelikt, S. 94 (Hervorhebung von mir).

Siehe Freund, Erfolgsdelikt, S. 177 Anm. 66 und S. 274 Anm. 6. Vgl. ferner ebenda, S. 139 ff. (zu Schünemanns Ansatz). - Die andere, an gleicher Stelle geübte Kritik, daß „die Delikte der Eltern so wenig und so viel Pflichtdeliktscharakter wie die Herrschaftsdelikte besitzen", ist nach der oben gewonnenen Konzeption leicht zu entkräften. Denn in der Tat geht es sowohl bei den Pflicht- als auch bei den Herrschaftsdelikten um eine Pflicht, aber nicht um dieselbe. Einmal handelt es sich um eine negative Pflicht, das andere Mal um eine positive. 9*

132

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

sonst, im „Nutzen für die berechtigten Belange des Güterschutzes", mit anderen Worten, sie sei die „selbstverständliche Kehrseite" des „legitimen Nutzens der Normeinhaltung". So gebe beispielsweise in Anbetracht der gegenwärtigen rechtlichen Organisationsstrukturen von Familie und Gesellschaft die Elterneigenschaft einen die „Inpflichtnahme zur Gefahrenabwendung" gegenüber den eigenen minderjährigen Kindern in besonderer Weise legitimierenden Grund ab: Diejenigen, die die Kinder „ins Leben gerufen haben", seien gerechterweise primär für deren Wohlergehen zuständig, - das g^fahrenvorsorgliche „Dasein-Müssen" der Eltern werde gemeinhin auch als die geradezu selbstverständliche Kehrseite der Elternrechte empfunden; deren „Haben" als auch eine Art von Freiheit könne nun einmal nicht umsonst sein.19 Dasselbe gelte für andere, hier als Pflichtdelikte bezeichnete Fälle: Man könne nicht die Vorteile der jeweiligen Funktionärsstelle beanspruchen wollen, ohne zugleich die entsprechenden Konsequenzen zu tragen. 20 Mit seinem Modell sieht sich Freund - im Gegensatz zu Gallas - vom Erfordernis einer „Konzession" im System befreit und hält im Ergebnis auch die hier als Pflichtdelikte bezeichneten Fallkonstellationen innerhalb seines Systems für lösbar. Die Ausführungen Freunds sind jedoch zum Teil - was die Begründung anhand der „Kehrseite" betrifft - m.E. nicht richtig, zum Teil stellen sie eine Art protestatio facto contraria dar. Denn seine Behandlung der hier als Grundfälle der Pflichtdelikte bezeichneten Sachverhalte sowie die dabei erzielten Ergebnisse scheinen mit seiner ausdrücklichen Ablehnung der Pflichtdeliktslehre oftmals nicht im Einklang zu stehen. Zum einen gibt es entgegen den Ausführungen Freunds durchaus Fälle, in denen die von ihm beanspruchte „Kehrseite" Rechte/Pflichten nicht nachzuweisen ist. Es handelt sich um diejenigen - von Freund selbst erörterten - Fälle, in denen der Einstieg in die positive Institution durch erne „normative Zuordnung des gefährdeten Rechtsguts zum Organisationskreis" 21 des Verpflichteten vollzogen 19 Freund, Erfolgsdelikt, S. 72 f., 274; Kühl, AT, 18/49. - Darüber hinaus gebe es noch einen Grund für die Verantwortlichkeit - „zwei Säulen": Wenn jemand für die Abwendung bestimmter Gefahren im wahrsten Sinne des Wortes dazusein habe, weil ihm im Blick auf bestimmte Rechtsgüter Gefahrenabwendungspflichten oblägen, dann sei er nicht nur wegen des Nutzens für diese Güter in die Pflicht zu nehmen, sondern wegen dieses besonderen Bezugs zum bedrohten Rechtsgut genau die Person, an die solche Pflichten adäquaterweise primär zu richten seien. - Hierbei handelt es sich also um - für die hier behandelte Frage - unproblematische Übernahmefälle. 20

Näher dazu Freund, Erfolgsdelikt, S. 286,295,305.

21

Freund, Erfolgsdelikt, S. 284.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten

133

wird. Die Pflichten werden dem Rollenträger unabhängig von dessen Willen zugeschrieben (zugeschriebene Rollen). 22 Denn eine solche Zuschreibung bedeutet, daß - entgegen Freund - zumindest zu Beginn, nämlich bei dem normativ obligatorischen Einstieg in die positive Institution, von einer „Kehrseite" nicht die Rede sein kann. Zuordnung und Kehrseite passen nicht zueinander, weil die Zuordnung bereits dem Begriff nach eine Einseitigkeit

beinhaltet. Im Falle der

Eltern etwa kann eine Verpflichtung als Kehrseite der Rechte der Eltern nicht begründet werden, weil die Eltern von Anfang an (bei der Zuordnung) nur Pflichten haben, nämlich entweder sich um das Kind zu kümmern, sobald es geboren ist, oder aber es gegebenenfalls - als Ausnahme - zur Adoption freizugeben. Beiden Pflichten korrespondiert gewiß noch keine für die Eltern günstige Kehrseite (Nutzen)™ aus der sie generiert werden könnten. Die Argumentation Freunds hinsichtlich der Kehrseite käme also im Prinzip - wenn überhaupt - nur für die erworbenen Rollen 24 im Betracht, d.h. dort, wo der neue Rollenträger an der Rollenzuordnung beteiligt ist (keine obligatorische Zuordnung). Hier wäre eine „Kehrseite" vielleicht denkbar. Aber selbst insoweit sind Zweifel angebracht. Denn nach zutreffenden soziologischen Erkenntnissen werden erworbene Rollen, wenn der Erwerb längere Zeit zurückliegt, fast wie zugeschriebene Rollen behandelt. Wer denkt schon bei einem älteren Akademiker daran, daß dieser vor Jahren einmal ein Examen abgelegt hat?25 Freilich basiert Freunds Begründung der Kehrseite Rechte/Pflichten nicht auf diesem ersten Moment des normativ obligatorischen („zugeordneten") Einstiegs in die positive Institution, sondern geschickterweise 26 darauf, daß der Verpflichtete gleichsamfreiwillig

in der Institution bliebe, so daß er die Rechte der Institu-

tion nutze, und daher eine Verpflichtung als Kehrseite begründbar sei. Im Falle einer Mutterschaft aus Vergewaltigung, in dem die (von Anfang an und obligatori22

Vgl. oben S. 58.

23

Der Pflicht, sich um die Kinder zu kümmern, entspricht das Recht, sich darum zu kümmern. Es korrespondiert allgemein jeder Pflicht ein Recht, nämlich das Recht, die Pflicht zu erfüllen. Das ist es allerdings nicht, was Freund mit der „Kehrseite" meint. Bei der „Zuordnung" von Pflichten bedeutet jenes Recht, die Pflicht zu erfüllen, keine günstige, „selbstverständliche Kehrseite" des „legitimen Nutzens der Normeinhaltung", keinen Vorteil, sondern eine dem Begriff Pflicht nach logische Notwendigkeit, die nicht die „Kehrseite" i.S. Freunds ist. 24

Vgl. oben S. 58.

25

Dazu Reichardt, Soziologie für Juristen, S. 114.

26

Damit lassen sich mit der von Freund vorgeschlagenen theoretischen Konstruktion mehr Fälle erfassen, als wenn die Begründung auf dem ersten Moment des normativ zugeordneten Einstiegs in die positive Institution basierte. - Aber eben nur einige mehr und nicht alle; dazu sogleich im Text.

134

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

sehe) Zuordnung positiver Pflichten zum Organisationskreis der Mutter besonders kraß ist, stellt er fest: „Wer das normativ diktierte ,Zufallen 4 der vollwertigen Rechts- und Pflichtenstellung nicht haben will [nämlich die Pflichten der Mutter trotz Vergewaltigung], muß einen möglichen und zulässigen Ausweg wählen - also etwa das Kind sofort nach der Geburt in ein Pflegschaftsverhältnis geben oder zur Adoption freigeben (oder ggf. abtreiben) - und kann sich, wenn er einen solchen Ausweg nicht wahrnimmt, nicht damit entlasten, das Kind sei ihm in Wahrheit »aufgenötigt' worden, er habe das Kind gar nicht gewollt. 4427 Das ist in dem Fall richtig, aber - wie gleich zu zeigen - nicht generalisierbar. Abgesehen davon,28 daß die von Freund genannte ab-initio-Verpflichtung zum „Wählen eines Ausweges44 - wie soeben dargestellt - gewiß keine (günstige) Kehrseite darstellt (besonders kraß bei Vergewaltigung!), vermag auch seine Begründung der Kehrseite als einer Art „In-der-Institution-bleiben 44 nicht zu überzeugen. Genauer: Selbst beim Abstellen auf dieses „zweite Moment44, d.h. darauf, daß der Verpflichtete freiwillig - ohne „auszusteigen44 - in der positiven Institution bleibt, kann der Ansatz Freunds - entgegen seinem Anspruch - nicht alle Fälle erklären. Mit seinem Ansatz nicht lösbar sind namentlich diejenigen Fälle, in denen die rechtliche Zuordnung der positiven Institution die Möglichkeit eines „Ausstiegs44 nicht anbietet.29 Wer zum Wehrdienst oder zum Zivildienst verpflichtet ist, hat nicht die Möglichkeit, „einen zulässigen Ausweg zu wählen44, jedenfalls keinen solchen Ausweg - und das meint eigentlich Freund -, der keine anderen ähnlichen positiven Pflichten beinhaltet. Praktisch bedeutsamer sind z.B. die prozessualen Pflichten i.S. der §§ 153 ff. StGB. Geschützt ist damit die positive Institution der Rechtspflege als staatliche Funktion und - abgesehen von Ausnahmen für Angehörige etc. - bieten auch diese keinen „Ausweg44. Verschweigt die Aussageperson 27

Freund, Erfolgsdelikt, S. 275 mit Anm. 7. Vgl. auch Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, S. 96; ders., Haftung aus Nichtverhütung von Straftaten, S. 23. - Auch eine Art generelle Übernahme oder ein „In-der-Institution-bleiben" verlangt Köhler für einige Fälle der Pflichtdelikte: Garantenpflichten resultierten u.a. aus „dem Verhältnis familiärer Personensorge, worin die tätige Gewährleistung für das Ganze der Existenz des anderen (in der Ehe) und für zunächst unselbständige Personen (Kinder) übernommen wird" (AT, S. 211). „Der Inhalt der Garantenpflicht richtet sich" in solchen Fällen, heißt es weiter, „nach der gesetzlichen oder gewillkürten Typizität der wirklich privatautonom übernommenen Personensorge" (AT, S. 216). Hierzu gelten die im Text geübten Einwände entsprechend (siehe aber richtig ders., AT, S. 226 f., 228). 28 Davon dürfte dogmatisch aber nie abgesehen werden. - Diese Ausführungen Freunds bestätigen die soeben im Text dargelegte Ansicht: Es liegt keine „Kehrseite" vor. Die Frau hat ab initio nur Belastungen: „das Kind sofort nach der Geburt in ein Pflegschaftsverhältnis [zu] geben oder zur Adoption frei[zu]geben (oder ggf. abtreiben)". Im letzteren Fall muß sie ja als, Ausweg" einen medizinischen Eingriff dulden! 29

Vgl. bereits oben S. 122 Anm. 58.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten

135

bestimmte Umstände, weil sie sich nach wie vor nicht (positiv) dazu verpflichtet fühlt, auszusagen, so ist die Wahrheitspflicht verletzt und die unvollständige Aussage damit falsch. Alles in allem: Selbst wenn man darüber hinwegsieht, daß sich die Zuordnung einer positiven Institution einseitig vollzieht und insoweit keineswegs als Kehrseite anzusehen ist, läßt sich ein „In-der-positiven-Institutionbleiben" als Kehrseite für die mit ihr verbundenen Pflichten auch nicht generell begründen, jedenfalls nicht in den Fällen, in denen die Institution keinen Ausweg anbietet. Schließlich ist es auch keineswegs ausgemacht, daß einer positiven Verpflichtung stets - wann und wie auch immer - zugleich eine güngstige Kehrseite korrespondiert, die ihre Begründung liefert. Daß etwa mit der Pflicht des Zeugen, auszusagen, Rechte oder überhaupt irgendeine güngstige Kehrseite verknüpft sein sollen, scheint ebenso zweifelhaft zu sein wie die Annahme, der Wehr- oder Zivildienst bringe für den Einzelnen ein günstiges Synallagma. Nicht von ungefähr differenziert Freund zwischen den Normen, „die ihre Legitimation gerade auch daraus herleiten, daß der Normadressat dem Zielort der abzuwendenden Gefahr zu diesem Zweck - normativ - zugeordnet ist", also den Normen, die der Sache nach den Pflichtdelikten zugrundeliegen, und denjenigen, „die Verbote aktiver Gefahrenschaffiing zum Inhalt haben", d.h. solchen, die eigentlich die Herrschaftsdelikte begründen. 30 Und in der Tat stimmen die Überlegungen Freunds, wie schon angedeutet, weitgehend mit der Pflichtdeliktslehre überein. Seine erste Prämisse, daß es sich nämlich bei den Pflichtdelikten gerade nicht um eine „reine Verpflichtung zur Aufopferung", um eine „Garantie von Solidarität" handle, hält er selbst nicht streng durch. So beschränkt er sich z.B. nicht darauf, als Pflichten der Eltern nur die Sorge „für die Unversehrtheit" der Kinder zu benennen, sondern hebt darüber hinaus hervor, daß Eltern sich auch um „das Wohlergehen" der Kinder zu kümmern haben,31 mit anderen Worten, daß sie mit ihnen eine gemeinsame Welt bauen sollen und eben nicht nur eine negative, sondern auch eine positive Institution existiert. Ähnlich verhalte es sich bei der Ehe. 32 Die Garantenstellung der Eheleute zueinander sei damit zu begründen, daß die Ehe „als Verhältnis zweier Personen" definiert werde, das „- auch - auf gegenseitigen Schutz und gegenseiti30

Freund., Erfolgsdelikt, S. 103.

31

Freund,, Erfolgsdelikt, S. 273.

32

Freund, Erfolgsdelikt, S. 289.

136

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

ge Fürsorge angelegt (sei)". Daß es hier wiederum selbst nach Freunds Auffassung nicht nur um eine bloße negative Institution geht, bedarf keiner weiteren Erörterung. Darüber hinaus erkennt Freund etwa bei der Feuerwehr, dem Unfallrettungsdienst, dem notärztlichen Bereitschaftsdienst und der Polizei auch andere Fälle positiver Pflichten ausdrücklich an,33 die - gegen die Auffassung Freunds gewiß eine „Garantie von Solidarität" darstellen. Zwar geht es bei solchen Einrichtungen - insoweit zutreffend - um „keine reine Verpflichtung [des Täters] zur Aufopferung" - der Feuerwehrmann hilft schlechthin, weil er dafür bezahlt wird -, 3 4 aber doch um staatlich garantierte Solidarität: Anspruch auf Hilfe im Brandfall hat jeder, gleichgültig, ob die Rettung aus seinen Steuern mitfinanziert ist, ja sogar falls er keine Steuer bezahlt hat. Freund akzeptiert auch ein weiteres Merkmal der Pflichtdelikte, nämlich den Umstand, daß die positive Institution als Pflicht zum Aufbau einer gemeinsamen Welt die Freiheit des Einzelnen in gewisser Weise beschränkt. Er geht nämlich im Grundsatz davon aus, daß „die Gütererhaltungsinteressen des Kindes Vorrang vor den Freiheitsentfaltungsinteressen der Eltern" besitzen.35 Ferner verlangt er etwa ein „jDasein-Müssen4 der Eltern zum Zwecke der Gefahren Vorsorge bzw. - nötigenfalls - Gefahrenabwendung", 36 also ein Sich-bereit-Halten zur Hilfe im Sinne der oben dargelegten Pflichtdeliktslehre: 37 Will man die Verantwortlichkeit der Eltern nur mit dem Synallagma Freiheit/Folgenverantwortung begründen, läßt sich diese Pflicht zur Hilfsbereitschaft nicht erklären. Schließlich macht Freund auch der Sache nach zutreffend darauf aufmerksam, daß in denjenigen Fällen, in denen ein Verhältnis, etwa das Verlöbnis, einer strafrechtlich garantierten positiven Institution nicht entspricht, selbstverständlich eine Verantwortlichkeit aus Organisation, also für ein Herrschaftsdelikt möglich ist. Beispielsweise fehlt es im Fall eines nichtehelichen Vaters „an einer normativen Zuordnung", aber dennoch ist es - wie Freund feststellt -,glicht ausgeschlossen (...), eine besondere Verantwortlichkeit des nichtehelichen Vaters aus anderen Rechtsgründen - also insbesondere mit Rücksicht auf ein konkretes Betreuungsverhältnis - herzuleiten". 38

33

Freund, Erfolgsdelikt, S. 291 f.

34

Anders bei den Verpflichtungen der Eltern.

35

Freund, Erfolgsdelikt, S. 278.

36

Freund, Elfolgsdelikt, S. 274, ähnlich S. 284.

37

Siehe oben S. 87 f., 124.

38

Freund, Erfolgsdelikt, S. 275, ähnlich S. 291.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten

137

Insgesamt ist es aufgrund der Ergebnisse und der Ausführungen Freunds über die positiven Institutionen - trotz seiner eigenen Worte - schwierig, ihn als Gegner der Pflichtdeliktslehre einzustufen, wenn man von seiner Begründung - positive Pflichten als Kehrseite der „Rechte" aus den positiven Institutionen - einmal absieht. Der Unterschied zwischen dem Ansatz Freunds - sowie den Lehren Gallas' und Schünemanns - auf der einen und der hier vertretenen Konzeption auf der anderen Seite liegt jedoch nicht nur in der Terminologie. Es geht nicht nur darum, ob man auch in diesen Fällen lieber von Tatherrschaft oder von Pflichtverletzung sprechen will. Denn hinter dieser Differenzierung verbergen sich dogmatische Konsequenzen vor allem im Bereich der Beteiligung. Man denke nur an die Unmöglichkeit einer mittelbaren Täterschaft des Extraneus, an § 28 StGB und die von ihm behandelten besonderen persönlichen Merkmale etc. Darauf ist unten im dritten Teil näher einzugehen.

B. Vermittelnde Auffassungen Von den monistischen Modellen sind noch diejenigen vermittelnden Ansichten zu unterscheiden, die sich zwar nicht allein auf die Tatherrschaft stützen wollen, sie aber immerhin prinzipiell neben die Pflichtverletzung stellen. Im Gegensatz zu jenem Standpunkt hat dieser eine größere Anhängerschaft gefunden. Denn während die Existenz der Pflichtdelikte als solche im Grunde kaum grundsätzlich kritisiert worden ist, und heute weitgehend anerkannt ist, gehen die Meinungen darüber, ob die Sonderpflichtverletzung die einzige oder aber nur eine neben anderen Voraussetzungen für die Täterschaft sein soll, weit auseinander. Der Versuch, ein Herrschaftsmoment neben der Pflichtverletzung zu finden, ist sogar älter als die Lehre vom Pflichtdelikt selbst und bereits in der alten Lehre vom Sonderdelikt aufgetaucht. Schon 1939 hatte Welzel 39 die Bedeutung der besonderen Eigenschaften zwar betont, sie allerdings neben die Tatherrschaft gestellt. Denn innerhalb des objektiven Unrechtstatbestands und neben den objektiven Tatelementen (neben der durch Tatherrschaft

zu bestimmenden Aus-

führungshandlung) gäbe es auch die „objektiv-täterschaftlichen Elemente", d.h. die objektiven Tätervoraussetzungen, etwa die Eigenschaft als Beamter oder

39 Welzel, ZStW 58 (1939), S. 543, 522; ders., Lehrbuch, S. 100 f. - Um nur einen Autor zu zitieren, dessen Schriften im Bereich der Pflichtverletzungsproblematik aus der Zeit vor der Monographie Roxins stammen.

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

Soldat. Eine „besondere Pflichtenstellung des Täters" als eigenständiges Charakteristikum der Täterschaft ohne finale Tatherrschaft

kannte Welzel also nicht.

Dieser Gedanke wurde, wie gesagt, von einem Teil der Lehre bis heute tradiert. Seit Roxin zum ersten Mal den Begriff des Pflichtdelikts aufgeworfen hat, werden Einwände vor allem auf der Basis dieses Standpunkts geltend gemacht. Die von Hardwig 40 in seiner Rezension zu der Habilitationsschrift Roxins geübte Hauptkritik etwa basiert bereits auf dieser Relativierung der Trennung zwischen Herrschafts- und Pflichtdelikten und greift auch bei den letzteren auf den Gedanken der Tatherrschaft zurück. Der theoretischen Neuformulierung sei entgegenzuhalten, so Hardwig, daß das Konzept der Pflichtdelikte zu starr und abgetrennt neben den Herrschafts- und eigenhändigen Delikten sowie schematisch gebildet sei. Dieser Argumentation haben sich weitere Autoren angeschlossen. Die Sonderpflichtverletzung sei eine notwendige Voraussetzung der Täterschaft, aber keine hinreichende. 41 Der Grundsatz, bei den Sonderdelikten könnten nur spezielle Pflichtenträger Täter sein, ließe sich also nicht dahin umkehren, daß diese Pflichtenträger auch regelmäßig Täter wären. 42 Im Grunde genommen geht es hier zum Teil wiederum um die oben angesprochene Frage, ob eine Unterscheidung zwischen Sonderdelikten und Pflichtdelikten sinnvoll ist. 43 Denn nach Auffassung der Kritiker soll die Schaffung eines Sonderpflichtdelikts nur den Kreis der möglichen Tatherren begrenzen (Sonderdelikte i.w.S.), nicht aber einen Verzicht auf das Erfordernis der Tatherrschaft zum Ausdruck bringen; es gehe also nach wie vor in allen Fällen um Sonderdelikte im klassischen Sinn, nicht um die neue Kategorie der Pflichtdelikte. Man kann das Ganze mit Gössel auf einen Nenner bringen: „Die Tatherrschaft ist (...) stets notwendiges, aber nicht immer [eben nicht bei den Pflichtdelikten] hinreichendes Täterschaftsmerkmal. (...) Auch bei den Pflichtdelikten ist die Tatherrschaft unverzichtbares Täterschaftskriterium - kann aber allein nicht für jedermann Täterschaft begründen, sondern nur für das jeweils vom Gesetz genau bezeichnete Tatsubjekt." 44 40

Hardwig,, JZ 1965, S. 667,669; ebenso ders., JZ 1967, S. 88.

41

In diesem Sinne Langer, Das Sonderverbrechen, S. 227; Otto, Jura 1987, S. 251, 257; Schöneborn, ZStW 87 (1975), S. 922; vgl. auch Gallas, Engisch FS, S. 610. 42

Sehr oeder, Täter hinter dem Täter, S. 86 f.; Jescheck/Weigend,

43

Siehe oben S. 35 ff.

44

AT, S. 652 Anm. 30

Gössel, AT, § 47IV, Rdn. 91; ders., ebenda, § 47 V, Rdn. 114, der speziell für die Unterlassung als Pflichtdelikt „das kumulative Vorliegen von Tatherrschaft und Garantenstellung" für notwendig erachtet; ebenso Küpper, Grenzen, S. 147. Eine Erweiterung des Begriffs der Tatherrschaft, um Fälle der Pflichtdelikte umfassen zu können, schlägt auch Stratenwerth, AT, Rdn. 795, vor.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten

139

Wie Bloy zutreffend hervorgehoben hat, gehen diese Auffassungen kaum über die „unspezifizierte Gegen-Behauptung" hinaus, bei den Pflichtdelikten spiele die Tatherrschaft doch eine Rolle. Bloy 4 5 hat deshalb im Anschluß an Herzberg 46 versucht, die Existenz gemischter Pflicht- und Herrschaftsdelikte nachzuweisen. Diese glaubt Bloy in den sog. Pflichtdelikten mit spezialisierter

Begehungsweise

gefunden zu haben. Bei ihnen würde schon der Tatbestand zum Ausdruck bringen, daß neben der besonderen Pflichtenstellung jedenfalls eine Tatherrschaft notwendig sei, und zwar eine Herrschaft in der Art und Weise wie der Tatbestand sie ausgedruckt habe. § 343 Abs. 1 StGB (Aussageerpressung) lasse zum Beispiel als Nötigungshandlung nur eine körperliche Mißhandlung, sonstige Gewaltanwendung, Androhung von Gewalt und seelisches Quälen ausreichen, andere denkbare Nötigungsmittel, „die ebenfalls pflichtwidrig" seien, etwa Drohungen mit einem sonstigen Übel, wären dagegen ausgeschlossen. Die Tathandlung könne also nur durch die tatbestandlich formulierte Begehungsweise vollzogen werden, die sich aber nicht in der Pflichtverletzung erschöpfe. Darüber hinaus sei in § 343 Abs. 1 StGB dem Begehen einer Körperverletzung das Begehenlassen wie in § 340 Abs. 1 StGB nicht gleichgestellt. Ein weiteres Beispiel sei in § 348 Abs. 1 StGB (Falschbeurkundung im Amt) zu finden, in dem die Tathandlung ebenfalls näher umschrieben sei. Nur der Intraneus, der eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkunde oder in öffentliche Register bzw. Bücher falsch eintrage, sei Täter der Falschbeurkundung im Amt. Ein gleichermaßen zuständiger Kollege, der nur seinen Federhalter zur Verfügung stelle oder letzte Bedenken ausräume, beurkunde nicht und nehme auch keine Eintragung vor. Er sei Teilnehmer. Zusammengefaßt: Einige Tatbestände setzten voraus, daß der qualifizierte Täter eine bestimmte Handlung vornehme, und für die Frage, ob er das getan habe, könne kein anderer Maßstab als das Kriterium der Tatherrschaft gelten.47 Diese Überlegungen sind jedoch m.E. nicht stichhaltig. Die genannten Tatbestände setzen nicht voraus, daß der Täter „eine bestimmte Handlung" vor45 Zum folgenden Bloy, Zurechnungstypus, S. 230 ff., der im übrigen auch „die Existenz von reinen Pflichtdelikten" nicht bestreitet; ebenso Wohlers, ZStW 108 (1996), S. 83 f. mit Anm. 91; Samson in SK, § 25, Rdn. 109; Seier, JA 1990, S. 383; Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 21; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 28. Ähnlich Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, S. 112 ff; ders., Coimbra-Symposium, 245; Pizarro Beleza, Coimbra-Symposium, S. 278 f. und passim; Liiderssen, Strafgrund der Teilnahme, S. 194. - Siehe ferner Jakobs, AT, 21/117, der unter Berufung auf Bloy ebenfalls auf solche Tatbestände hinweist, ohne jedoch dafür ausdrücklich die Tatherrschaft zu verlangen. 46 47

Herzberg, Unterlassung, S. 56 ff.

Vgl. Stratenwerth, AT, Rdn. 795; ihm folgend Maiwald, ZStW 88 (1976), S. 739; dagegen bereits Roxin, ZStW 84 (1972), S. 1009 sowie TuT, S. 665 f.

140

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

nimmt, zumindest nicht in dem Sinne, daß eine Tatherrschaft verlangt wird. Die genannten (näheren) Umschreibungen der „Tathandlung" und andere „spezialisierte Begehungsweisen", sind lediglich die üblichen Einschränkungen bei der Charakterisierung der Tat, die der Gesetzgeber wegen des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) notwendigerweise bei der Kriminalisierung gewisser Verhaltensweisen treffen muß. Aber das ist kein Spezifikum einiger sog. „Pflichtdelikte mit spezialisierter Begehungsweise", sondern trifft generell für alle Tatbestände zu. Auch bei der Tötung ist dann „eine bestimmte Handlung" (besser: Verhalten) vorzunehmen, nämlich diejenige, welcher die Bedeutung „einenMenschen-töten" zukommt, also in der Regel etwa schießen, und nicht z.B. wegnehmen. Daß bei der Aussageerpressung nach der Formulierung des Tatbestandes nur körperliche Mißhandlungen, sonstige Gewaltanwendungen, Androhungen von Gewalt und seelische Qualen in Betracht kommen können, heißt nicht, daß die Tatherrschaft in Form besonderer Begehungsweise vorliegen muß, nicht einmal, daß der Tatbestand überhaupt Tatherrschaft voraussetzt. Solche Bestimmungen des Tatbestandes beschreiben nur, was überhaupt unter einer Aussageerpressung zu verstehen ist, setzen also keine Herrschaft dabei voraus. Wie wäre das Nullum-crimen-sine-lege-Prinzip zu erfüllen, wenn nicht gewisse Verhaltensbeschreibungen im Tatbestand getroffen würden? Wenn ein Polizist z.B. eine mündliche Anzeige (§ 158 I StPO) falsch beurkundet, indem er eine nicht angezeigte Person zuviel angibt in der Hoffnung, letztere werde darob gestehen, bedeutet in der Regel keine Aussageerpressung, obwohl sie pflichtwidrig ist. Ist als Tatbeitrag die Drohung mit einem sonstigen Übel nicht ausreichend, dann nur deshalb, weil die strafwürdigen Fälle schon unter andere Beschreibungen des Tatbestandes fallen. Drohungen mit einem sonstigen Übel etwa damit, daß Angehörige ungerechtfertigt verfolgt oder Mißhandlungen ausgesetzt würden, sind etwa nach h.L. als Unterfälle des seelischen Quälens anzusehen.48 Gewiß lassen sich andere Fälle von Drohungen nicht unter das Merkmal der seelischen Qualen subsumieren; aber Fälle übler Nachrede oder Beleidigung seitens des Beamten sind von § 343 StGB ebensowenig erfaßt, solange sie keine seelische Qual darstellen. Nicht jedes verwerfliche Verhalten, nicht einmal jedes deliktische Verhalten eines Amtsträgers in einem Strafverfahren bedeutet eine Aussageerpressung.49 Unzutreffend ist auch die Behauptung, in § 343 Abs. 1 StGB seien das Begehen einer Körperverletzung und das Begehenlassen nicht gleichgestellt wie 48

Siehe nur Schönke/Schröder-Cramer,

49

So auch ausdrücklich BT-DrS. 7/550, S. 278 (mit Beispielen).

§ 343, Rdn. 12; Tröndle, StGB, § 343, Rdn. 9.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten

141

in § 340 StGB. Man denke nur an das Vorenthalten von Essen oder das Verdurstenlassen, um einen Häftling zu nötigen, in dem Verfahren etwas auszusagen. Dasselbe gilt - mutatis mutandis - fur § 348 Abs. 1 StGB. Die Bezeichnungen „falsch beurkunden" oder „falsch eintragen" beschreiben keine „Tathandlung" i.S. Bloys, verlangen also keine „Tatherrschaft neben der Pflichtverletzung", sondern stellen lediglich fest, um welches Delikt es hier überhaupt geht. Wenn - in Bloys Beispiel - ein „zuständiger Kollege (...) nur seinen Federhalter zur Verfügung stellt", beurkundet er in naturalistischem Sinne tatsächlich nichts. Ist er aber doch für die Beurkundung zuständig, und trägt der Kollege etwas Falsches ein, so haftet jener wegen der Unterlassung. Ansonsten würde jeder Beamter einen (vorsätzlichen) Dritten einschalten, um auf diesem Weg straffrei seine tatbestandsmäßigen Ziele zu erreichen. 50 Und was die Gleichstellung von Tun und Unterlassen angeht, gelten auch die Regeln der Pflichtdelikte: Ob ein Mitglied des Wahlvorstandes zum Beispiel falsche Angaben in der Wahlniederschrift macht - statt 100 Stimmen für die Partei Ρ 1000 -, indem er eine Null mehr hinzufügt (Tun), oder die richtige Angabe unterläßt - 100 statt 1000 -, indem er eine Null weniger schreibt (Unterlassen), ist irrelevant. 51 Er hat vielmehr in beiden Fällen gleichermaßen falsch beurkundet. 52 Wiederum ist hier festzustellen, daß der Tatbestand nicht die Vornahme einer bestimmten Handlung vom qualifizierten Täter voraussetzt, sondern lediglich beschreibt, welche Pflichtverletzungen überhaupt in Betracht kommen. Scheint der Tatbestand eines Pflichtdelikts auf ein bestimmtes Verhalten (bzw. eine Handlung) begrenzt zu sein, so handelt es sich lediglich um die infolge des Nullum-crimen-sine-lege-Prinzips getroffene Charakterisierung des Tatbestandes. Der Verpflichtete muß zwar - wie sonst - solche „Beschreibungen" in der Tat „vollziehen", aber das stellt keine Besonderheit dar und bedeutet nicht, daß die Tatherrschaft das maßgebliche Täterkriterium darstellt: Die Pflichtverletzung muß sich überhaupt immer auf eine spezifische Tatbeschreibung beziehen, und zwar nicht nur, wie Bloy glaubt, bei Tatbeständen wie dem des § 348 Abs. 1 (Inöffentliche-Bücher-Eintragen), sondern gleichermaßen etwa bei dem Tatbestand der Rechtsbeugung, der auch nur durch die Vornahme ernes ganz bestimmten Verhaltens eben der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache begangen

50

Vgl. auch RG 28, 110.

51

Hier sieht man wiederum deutlich, wiefließend die Grenze zwischen Tun und Unterlassen verläuft. Siehe dazu schon oben S. 51 ff. 52

Vgl. auch RG 56, 387. - Hinzu kommt wohl § 107a StGB in Idealkonkurrenz (vgl. Schönke/Schröder-Eser, § 107a, Rdn. 10).

142

Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

werden kann. Denn „Voraussetzung für die (...) Annahme eines echten Pflichtdelikts" ist gewiß nicht - entgegen der oben referierten Meinung -, „daß das Gesetz jedes beliebige Handeln für den Sonderpflichtigen ausreichen läßt", 53 nicht einmal jedes beliebige Verhalten, Tun oder Unterlassen, vielmehr sind die notwendigen Tatbeschreibungen zu treffen.

C. Weitere Präzisierungen: „Aussteigen44 aus der positiven Institution? Das oben bei der Würdigung der Auffassung Freunds angesprochene Thema des „Aussteigens" aus einer positiven Institution verdient noch einige weitere eingehende Überlegungen, wobei sich allerdings - mit einigen Präzisierungen das Grundprinzip bestätigen wird: Die Herrschaft spielt bei den Pflichtdelikten keine Rolle. Es wurde im Laufe der Untersuchung bereits vielfach angedeutet, daß positiv Verpflichtete unabhängig von einer tatsächlichen Übernahme stets verpflichtet sind, d.h. gewissermaßen „rund um die Uhr". Wozu soll es denn z.B. die Pflichten der Eltern zur Personensorge (§ 1626 BGB) überhaupt geben, wenn -jedes Mal, für jedes Geschehen - eine tatsächliche Übernahme stets erforderlich wäre? Worin läge dann der Unterschied zwischen den Eltern und einem beliebigen Dritten? Dies muß jedoch für einige Fälle in zweifacher Hinsicht konkretisiert werden. Erstens gibt es positive Institutionen, die die Möglichkeit eines „Ausstiegs" bieten.54 Die Pflichten der Eltern etwa enden üblicherweise mit der Volljährigkeit des Kindes, gegebenenfalls jedoch auch früher, und zwar dann, wenn das von der Institution vorgesehene Verfahren für einen ordnungsgemäßen Ausstieg eingehalten worden ist, 55 z.B. wenn gemäß § 1751 BGB die elterliche Sorge des Elternteils ruht (Adoption). Wie bereits bei der Auseinandersetzung mit der Position 53

So jüngst wieder Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 173.

54

In der Umkehrung mag auch der Ausstieg unabhängig von dem Verpflichteten stattfinden. Ein Fall, in dem die Belastung des Organisationskreises des Akteurs mit der Verwaltung der Institution unabhängig von ihm begrenzt wird, ist etwa der Fall der §§ 1673 ff. BGB: Die elterliche Sorge ruht bei rechtlichem Hindernis, etwa wenn die Eltern psychisch krank sind, wenn die Sorge auf längere Zeit tatsächlich nicht ausgeübt werden kann etc. Man denke auch an die Wehrpflicht, die nach dem Erreichen eines gewissen Alters nicht mehr besteht. 55

Einige Institutionen mögen sogar grundlos kündbar sein, jedoch nur dann, wenn ein gewisses Verfahren eingehalten wird; ansonsten liegt mindestens ein strafbarer Versuch vor. Dazu sogleich im Text.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten

143

Freunds bemerkt wurde, läßt sich die Existenz einer solchen Ausstiegsmöglichkeit freilich nicht generalisieren. 56 Denn die positiven Institutionen haben - um es nochmals zu betonen - mit einem „Konsens" des positiv Verpflichteten nichts zu tun. Zweitens - und praktisch bedeutsamer - gibt es insbesondere auch eine Delegation von Verpflichtungen. Als Wirkung der Handlungsfreiheit darf der positiv Verpflichtete sich dann nicht um das Rechtsgut kümmern, wenn er die „Verwaltung" der positiven Institution vorübergehend ordnungsgemäß übertragen hat. Einige Beispiele mögen verdeutlichen, um welche Fallkonstellationen es geht: Wenn ein Vater für die Zeit eines Opernbesuchs einen Baby-Sitter bestellt, den er ordnungsgemäß ausgewählt und überprüft hat, etwa die Großmutter des Kindes, ist er für diese Zeit entlastet. Hier sind vor allem die Regeln der objektiven Zurechnung maßgeblich. Es liegt etwa eine erlaubte momentane Delegation bei der Institution Eltern-Kind-Verhältnis vor, wenn das Verhalten eines Vaters vom Vertrauensgrundsatz gedeckt ist. Der Vater darf nämlich z.B. sein Kind im Krankenhaus lassen und haftet nicht, wenn er die ärztlichen Behandlungsmaßnahmen nicht „rund um die Uhr" kontrolliert. Die Grenzen der zulässigen Übertragung sind im Einzelfall allerdings fließend. Beispiel: 57 Es mag umstritten sein, ob sich ein Arzt als positiv gegenüber dem Patienten Verpflichteter darauf verlassen darf, daß seine Hilfskräfte die Mengen eines verordneten Medikamentes richtig notiert haben oder aber vielmehr verpflichtet ist, alle Anordnungen, mögen sie sich auf gefährliche oder auf ungefährliche Mittel beziehen, selbst schriftlich zu erteilen. Denn es ist durchaus denkbar, daß die Pflichten der positiven Institutionen zum Aufbau einer gemeinsamen Welt einige haftungsbefreiende Subinstitute der objektiven Zurechnung, etwa das besondere Vertrauen, verkürzen. Allerdings wird der positiv Verpflichtete in diesen Fällen der Delegation von seinen Pflichten nicht absolut befreit. Denn wenn er die Gefahr für das positiv gesicherte Rechtsgut erkennt, ist er immer noch zur Verhinderung verpflichtet - er muß ja die gemeinsame Welt aufbauen. Das soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Um den Vater mit einer fahrlässigen Körperverletzung zu belasten und damit das Sorgerecht des gemeinsamen Kindes in einem bald zu entscheidenden Scheidungsprozeß zu bekommen, unternimmt die Mutter nichts, als sie - per Zufall - bemerkt, daß in dem Kindergarten, in den der Vater das Kind gebracht 56 57

Siehe oben S. 134 f.

Vgl. BGH 3,91 ff. - Zum Vertrauensgrundsatz im Rahmen der institutionellen Zuständigkeit vgl. Vogel, Norm und Pflicht, 207 ff., 215 f.; zu dem Fall ders., ebenda, S. 210, 214 mit Anm. 224.

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

hat, zum Mittagessen Lebensmittel gereicht werden, gegen die das Kind allergisch ist. Sie muß eingreifen, obwohl das Kind sich zur Zeit schon in der „tatsächlichen personalen Schutzherrschaft" anderer Personen und nicht in der eigenen befindet, und zwar obwohl der Vater - und nicht die Mutter - das Kind in den Kindergarten gebracht hat (also eine Haftung aus vorangegangenem Tun ausscheidet). Noch ein Beispiel: 58 Unterläßt die Hebamme, die Sorge für das neugeborene Kind zu leisten, so ist die Mutter verpflichtet, diese Sorge selbst zu übernehmen. Außer den oben genannten beiden Fällen, in denen man unter Einhaltung der dafür vorgesehenen Regeln endgültig aus der Institution „aussteigt" oder deren Pflichten momentan delegiert, bleibt die Haftung - zumindest wegen Versuchs bei jedem „Ausstieg" aus der Institution erhalten. Das ist allerdings nicht unbestritten. Vogel meint etwa, daß ein Vater, der einen Mörder seines Kindes gedungen habe und sich einen Tag vor dem verabredeten Termin auf Reisen begebe, ebensowenig Unterlassungstäter sein könne wie derjenige, der in Kenntnis eines von ihm nicht veranlaßten Mordanschlags abreise; zu dem entscheidenden Zeitpunkt habe der Vater ggf. keine Erfolgsabwendungsmöglichkeit (und wisse dies auch). Es bleibe also im ersten Fall bei einer bloßen Anstifiungs-, im zweiten bei einer bloßen Beihilfestrafbarkeit. 59 Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Hier sind nämlich die normativen Erwartungen an den Vater gerade darauf gerichtet, daß er sich hilfsbereit hält. Denn es besteht zwischen den beiden, von Vogel verglichenen Fällen doch ein gewichtiger Unterschied: Der Vater ist kraft positiver Institution zur Erfolgsabwendung verpflichtet, der Dritte aber nicht. Wenn der Vater durch die Abreise aus der positiven Institution „aussteigt", wird dadurch gerade seine Täterschaft begründet, im Gegensatz zur Lage bei einem beliebigen Dritten, der gar nicht bzw. allenfalls gemäß § 323c StGB eingreifen muß, weil diesem eben nicht die Pflicht auferlegt wird, sich hilfsbereit zu halten und er vielmehr abreisen darf. Das soll mit zwei Beispielen aus der Rechtsprechung noch weiter verdeutlicht werden. Erstens: 60 Hat eine Mutter ihre Kinder nur für eine Nacht versorgt in einer verschlossenen Wohnung allein gelassen, und kehrt sie am nächsten Morgen nicht zu 58 Beispiel nach RG JW 1930, S. 1595. Auch insoweit zutreffend: RG 66, 72. - Vgl. auch (freilich bezüglich der gewiß nicht mehr gesellschaftsindentifizierenden Institution Großeltern-Kinder) Spangenberg, Neues Archiv des Criminalrechts IV (1820), S. 541 und RG 64, 316; 72, 373. 59 60

Vogel, Norm und Pflicht, S. 284 f.

Nach BGH 21,44 (a.A. aber: Aussetzung des sog. Gefährdungsvorsatzes wegen). Siehe auch zur Problematik zutreffend Spendei, YL 1973, S. 141.

§ 8 Die „Jagd" nach der Herrschaft in den Pflichtdelikten

145

ihnen zurück, so liegt schon der strafbare Versuch einer Tötung vor, und zwar nicht nur, wenn sie die Wohnung abgeschlossen (Ingerenz), sondern auch, wenn sie gar nichts organisiert hat, d.h. sie haftet kraft positiver Institution. Zweitens:61 Die Ehefrau vergiftet nachts mit Tötungsvorsatz ihre drei Kinder. Ihr Mann, der Vater der Kinder, hatte einige Zeit vorher die Wohnung verlassen und trieb sich zunächst ziel- und planlos umher. Er rechnete mit der Möglichkeit der Tötung der Kinder durch seine Frau und nahm diese Möglichkeit auch billigend in Kauf: Haftung wegen eines Tötungsdelikts, denn das Verlassen der Wohnung begründet schon ein deliktisches Versagen. Unter einem „Ausstieg" ist also dasjenige Unterlassen oder Tun zu verstehen, mit dem der Akteur seine Zuständigkeit für ein Geschehen beseitigen will. Es ist gleichsam das Gegenteil einer Organisationsanmaßung. Wer als Autofahrer z.B. ein Fahrzeug bewegt, ist - solange er fährt - dafür zuständig. Hat er aber das Auto ordnungsgemäß geparkt, ist er - unabhängig davon, ob man das als Unterlassen (nicht weiterfahren) oder als Tun (manövrieren, Verlassen des Autos durch Aussteigen) betrachtet - in diesem Bereich nicht mehr zuständig (solange nicht etwas hinzu kommt, etwa: er hat die Handbremse falsch oder gar nicht gezogen). Denn der „Ausstieg" aus einer Organisation befreit - im Gegensatz zur Lage beim „Ausstieg" aus einer positiven Institution - den Betroffenen von seiner Zuständigkeit. Es gibt auch bei den Herrschaftsdelikten Fälle, in denen der Akteur tätig werden muß, aber dies stellt keine besondere Verpflichtung dar wie bei den Pflichtdelikten. Nochmals anhand des vorgenannten Beispiels: Der Autofahrer muß bremsen, wenn das erforderlich ist - etwa weil ein Passant auf die Straße läuft - und wenn er diese Tätigkeit nicht vollzieht, haftet er wegen der Enttäuschung der entsprechenden Nicht-Einmischungs-Erwartung resp. der negativen Institution durch Unterlassen. Diese Enttäuschung hat jedoch - wie schon dargestellt62 - nichts mit einer besonderen Pflicht zu tun, weiter organisieren zu müssen, sondern lediglich mit der negativen Institution neminem laede. Bei den Herrschaftsdelikten geht es nicht darum, eine neue Organisation anzuknüpfen, sondern ausschließlich darum, nichts Falsches zu organisieren. Der Autofahrer ist - um bei dem soeben angeführten Beispiel zu bleiben - nicht dazu verpflichtet, 61 BGH MDR 1957, S. 266; das Gericht nimmt jedoch irrtümlich statt Täterschaft Beihilfe an. - Auch Fälle fahrlässiger Versäumnis sind möglich: vgl. BGH MDR 1971, S. 361; BGH JZ 1973, S. 319; RG JW 1926, S. 1189 f. 62

Vgl. oben S. 58 ff., 69 ff.

10 Sänchez-Vera

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Teil 2: Weiterentwicklung der Lehre vom Pflichtdelikt

eine gemeinsame Welt mit dem Passanten zu bauen. Es gibt keine Pflicht zur Organisation, - etwa Auto zu fahren. 63 Deshalb besitzt Parken eines Autos nicht die Bedeutung einer Tötungshandlung, und dies auch dann nicht, wenn das AutoFahren nötig gewesen wäre, um ein Leben zu retten. Beispiel: Wer, ohne positiv verpflichtet zu sein, das Opfer eines Herzinfarkts mit dem eigenen Auto nicht ins Krankenhaus bringt, haftet nicht wegen Tötung, sondern nur aufgrund der Mindestsolidarität, seil, wegen unterlassener Hilfeleistung. Ganz anders bei den Pflichtdelikten: Handelte es sich im Beispielsfall um einen positiv Verpflichteten, verstieße schon der „Ausstieg" aus der Institution (durch Parken), gegen die entsprechende positive Institution. Beispiel: Angenommen, der Vater eines kranken Kindes parkt sein Auto und bringt daher das Kind nicht ins Krankenhaus, haftet er wegen des Tötungsdelikts und nicht nur wegen unterlassener Hilfeleistung. Der Verpflichtete bei den Pflichtdelikten kann zwar vorher etwas organisiert haben, muß es aber nicht, und ist dennoch verpflichtet, die gemeinsame Welt stets herzustellen.

63

Vgl. oben S. 73 ff, 115.

Teil 3 Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

§ 9 Die Beteiligung bei Pflichtdelikten A. Täterschaft (und Teilnahme) „Wenn die Frau eines Mannes wegen eines anderen Mannsbildes ihren Ehemann töten läßt, wird man diese Frau auf einen Pfahl tun", lautete das 153. Gesetz des Königs Hammurabi von Babylon um die Wende des dritten vorchristlichen Jahrtausends.1 Es handelte sich um den Fall, daß eine Ehefrau ihren Geliebten anstiftete, ihren eigenen Mann zu töten bzw. diese Tat nicht verhinderte. Seit Bestehen dieses Rechts ist viel Zeit vergangen, aber das Gesetz erweist sich noch immer als sehr lehrreich und in einigen Punkten als höchst aktuell. Die Regel steht am Anfang einiger - so hat man sie eingestuft - Sittlichkeitsdelikte.2 Denn für das Delikt des Gattenmordes war nicht die Tötung per se wesentlich - vorsätzlichen Mord und Totschlag erwähnt das Gesetz freilich nicht, da die Strafe bereits gewohnheitsrechtlich feststand -, 3 sondern gerade die Tatsache, daß das Opfer der eigene Mann war. Hierin liegt - mutatis mutandis - eine gewisse Aktualität. Der Verstoß gegen die Institution Ehe, die die Frau dazu verpflichtete, nicht wegzugehen, ihr Haus nicht zu vergeuden und ihren Gatten nicht zu vernachlässigen (143. Gesetz), wurde eigens bestraft, d.h. es wurde hier eine positive Institution besonders hervorgehoben und die Verletzung dieser Institution für besonders strafwürdig erachtet sowie als spezielles Delikt „positiviert". Der Ungeheuerlichkeit des Verbrechens entsprach auch die Strafe: 4 Die Todestrafe wird 34mal im Codex Hammurabis ausgesprochen, darunter nur in 1

Zitiert nach der Übersetzung von David H. v. Müller, Die Gesetze Hammurabis.

2

Vgl. hierzu v. Müller, Die Gesetze Hammurabis, Anmerkungen, S. 128.

3

Vgl. Schmersahl DJZ 1903, S. 112.

4

Vgl. Jeremias, Moses und Hammurabi, S. 25.

10*

148

Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

diesem Fall in der schwersten qualifizierten Form der Pfahlung. Der Verstoß gegen die Institution hatte darüber hinaus noch zur Folge - und hier gewinnt der Codex erneut Aktualität -, daß das Gesetz die Anstiftung zum Totschlag am eigenen Mann, ja sogar - wenn die Frau nicht Anstifter gewesen war - das Unterlassen der Verhinderung des geplanten Totschlags als qualifizierte Fälle unter Strafe stellte. Anstiftung und Unterlassen wurden im „Tatbestand" gleichgestellt, in beiden Fällen machte sich die Frau gleichermaßen strafbar. Gewiß ist dieses 153. Gesetz nur eine Rarität, aus der dogmatische Ergebnisse nicht herzuleiten sind. Es zeigt aber, daß man schon seit jeher aus positiven Institutionen, die die Gestalt der Gesellschaft prägen - und das war hinsichtlich der Ehe zu Hammurabis Zeiten der Fall -, Handlungspflichten hergeleitet hat, die durch Unterlassen (Nicht-Hinderung des Mordes) und pflichtwidriges

Tun (An-

stiftung zum Mord) gleichermaßen verletzt werden können. Im Grunde geht es hier um eine Frage, die zu Beginn dieser Untersuchung noch offen gelassen wurde, 5 nämlich darum, ob die Jedermannsdelikte für alle positiv Verpflichteten auch im Fall der Begehung, etwa einer aktiven Anstiftung, zu Pflichtdelikten werden. Auf diese Frage soll nun näher eingegangen werden. Es ist gleichgültig, ob neben dem positiv Verpflichteten ein Handelnder - tatbeherrschend oder tatherrschaftslos -, ein Unterlassender oder Naturkräfte an dem Verlauf zum tatbestandsmäßigen Erfolg „mitwirken": Er haftet immer als Täter. 6 Denn unabhängig vom Gewicht seines Tatbeitrages für das Geschehen bzw. von seiner Tatherrschaft - oben wurde schon die Notwendigkeit der Tatherrschaft abgelehnt -, 7 wird der Verpflichtete schon aufgrund seiner Pflichtverletzung, seil, seines Verstoßes gegen die positive Institution zur voll zuständigen Person für das Geschehen, oder, in der Terminologie Roxins,8 zur Zentralgestalt des rechtsgutsbeeinträchtigenden Geschehens, d.i. zum Täter erklärt. Bereits der s

Siehe oben S. 34 f. (Jakobs) sowie die dort angegebene Literatur.

6

Vgl. zutreffend jüngst BGH 41, 113 (116 f.); BGH 38, 325 ff.; BGH 9, 203 (217 f.); i.E. auch BGH 39, 381 ff. (freilich wird die Beteiligungsform nach dem Phänotyp des Delikts genannt, dazu eingehend unten [S. 160, 163, 165]); ferner: LG Koblenz NStZ 1987, S. 281 f.; LG Koblenz NStZ 1988, S. 460 f. - Siehe auch: BGH 38, 388 ff. und BGH NStZ 1986, S. 503 (zutreffend dié Annahme der Garantenstellung, verfehlt die der Gehilfenschaft statt Täterschaft). - Zu den - hier nicht weiter zu behandelnden - zeitlichen Grenzen positiver Verpflichtungen vgl. BGH 5,225 ff.; OLG Karlsruhe NStZ 1988, S. 503 f.; BGH NStZ 1989, S. 223 f.; BGH 4, 110 ff. 7 8

Siehe § 8 (S. 126 ff., 137 ff ).

Vgl. oben §§ 1 (S. 22 ff.) und 2 (S. 29 ff.); Roxin, TuT, S. 352 ff.; Jakobs, AT, 2/17, 29/106, 29/112; Vogel, Norm und Pflicht, Anm. 26 auf S. 278; Busse, Täterschaft, S. 371, 177; Wagner, Amtsverbrechen, S. 375 f.; i.E. Renzikowski y Restriktiver Täterbegriff, S. 146 ff.

Die Beteiligung bei Pflichtdelikten

Gesetzgeber hat in zahlreichen Tatbeständen (den positivierten Pflichtdelikten) allein der Verletzung einer positiven Verpflichtung täterschaftsbegründende Wirkung beigemessen.9 So sind zum Beispiel in § 354 Abs. 2 Nr. 3 StGB die Förderung oder Gestattung einer Verletzung des Postgeheimnisses durch einen Postbeamten - also Tatbeiträge, die typischerweise nur eine Gehilfenschaft konstituieren („Fördern") -, als tatbestandsmäßige täterschaftliche Handlungen aufgeführt. Gibt ein Postbeamter z.B. einem Dritten ein der Post zur Übermittlung anvertrautes Paket, damit dieser sich von seinem Inhalt Kenntnis verschaffen kann, begeht er ebenso eine Verletzung des Postgeheimnisses nach § 354 StGB, wie wenn er selbst das Paket unbefugt geöffnet hätte.10 Oben wurde auch das Ergebnis gewonnen, daß es eine Art „Abschwächung" dieser positivierten Pflichtdelikte i.S. eines sog. Pflichtdelikts mit spezialisierten Herrschaftsformen nicht gibt. Der Herrschaftsgedanke ist ausgeschlossen.11 Vielmehr ist der positiv Verpflichtete allein kraft seiner Pflichtverletzung verantwortlich, und zwar stets als Täter. Dasselbe gilt für die anderen, nicht positivierten Pflichtdelikte, wie im Schulbeispiel der Mutter, die ihr Kind verhungern läßt, oder etwa bei pflichtwidrigen Unterlassungen bzw. Handlungen eines Polizisten. Nicht nur bei positivierten Pflichtdelikten - d.h. bei denjenigen, deren Tatbestand die Haftung als Täter bereits dem Wortlaut nach zum Ausdruck bringt - ist also Täterschaft anzunehmen, sondern überhaupt in allen Fällen, in denen eine positive Institution verletzt wird. Was für jene Delikte gilt, nämlich daß der Verstoß gegen die positive Institution Täterschaft begründet, muß in anderen Fällen der Verletzung positiver Institutionen gleichermaßen gelten, unabhängig davon, ob das in dem Tatbestand - aus welchen Gründen der Gesetzestechnik auch immer - wörtlich zum Ausdruck gebracht wird oder nicht. Wie oben dargelegt, gewinnen nur die Auslegungstatbestände Relevanz,12 und der Auslegungstatbestand besagt in beiden Fällen jeweils dasselbe: Es handelt sich um die Verletzung einer positiven Institution. Auf diese Weise wird übrigens auch bereits in einigen Fällen der Unterlassungs9

Zutreffend betont von Roxin, TuT, S. 358, 362 f.; Sehr oeder, Täter hinter dem Täter, S. 139 ff; Herzberg, Unterlassung, S. 51 ff; Schürmann, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 77 ff 10 Ähnliches Beispiel bei Hardwig, JZ 1965, S. 670, der nur Gehilfenstellung annehmen will. Roxin, JZ 1966, S. 296, hat zutreffend hiergegen erwidert, es handele sich bereits dem Wortlaut des § 354 StGB nach um täterschaftliche Haftung. Siehe auch Gimbemat, ZStW 80 (1968), S. 943 und Schumann, Einheitstätersystem, S. 43. 11

Wie Anm. 7.

12

Siehe oben S. 92 ff.

150

Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

delikte verfahren. In dem Schulbeispiel der Mutter, die ihr Kind verhungern läßt, ist ihre Täterschaft (der Verletzung der positiven Institution des Eltern-KindVerhältnisses wegen) unbestritten, obwohl § 212 StGB diese Täterschaft - auch in Verbindung mit § 13 StGB - keineswegs ausdrücklich anordnet. Damit liegt die Antwort auf die Frage, ob die „Jedermannsdelikte" für alle positiv Verpflichteten auch im Fall der Begehung zu Pflichtdelikten werden, auf der Hand. Sie ergibt sich aus einem argumentum a majore ad minus (i.S.v. „mindestens in dem gleichen Maße" 13 ): Wenn der Verpflichtete semer Pflichtverletzung per Unterlassen wegen zum Täter wird, dann muß dasselbe für den Begehenden gelten, der positiv verpflichtet ist. Immer dann, wenn eine positive Institution verletzt wird, liegt eine täterschaftliche Haftung vor, und zwar, wie in Hammurabis Gesetz, unabhängig davon, ob die Verletzung durch Unterlassung oder durch Tun begangen wurde. 14 In einigen Fällen - und das führt zu Mißverständnissen - läßt sich auch schon unabhängig von der Verletzung der positiven Beziehung eme täterschaftliche Haftung aus der Herrschaft begründen. Es handelt sich um Fälle, in denen der Verpflichtete etwas organisiert hat, und das Organisationsquantum so gewichtig ist, daß es gleichfalls seine Täterschaft begründet. Erwürgt etwa die Mutter ihr Kind, dann ist sie ohnehin Täter eines Herrschaftsdelikts, und die Tatsache, daß sie die positive Institution Eltern-Kind-Verhältnis dabei verletzt hat, scheint prima facie nicht relevant zu sein. Denn im Gegensatz zum Schulbeispiel des Unterlassens läßt sich hier schon aus ihrer Tatherrschaft die Strafbarkeit wegen täterschaftlicher Tötung begründen. 15 Aber der Sachverhalt kann auch anders aussehen - etwa wenn die Mutter zur Tötung ihres Kindes „nur" Hilfe leistet - und deshalb 13 Die Form „mindestens in dem gleichen Maße" gilt als argumentum a majore ad minus ebenso wie die eigentliche Form „erst recht...". Denn die eigentliche Rechtfertigung des „argumentum a majore ad minus" liegt in dem Gebot der Gerechtigkeit, axiologisch gleichgelagerte Fälle gleich zu behandeln (siehe nur Lorenz, Methodenlehre, S. 390). Hier wurde die Formulierung „mindestens in dem gleichen Maße" gewählt, weil bei den positiven Institutionen das Unterlassen nicht ein „minus" darstellt, aus dem das „majus", nämlich das ,3egehen", herzuleiten sei, sondern vielmehr Begehen und Unterlassen völlig gleichzusetzen sind. 14

Sollte das Unterlassen der h.L. zufolge weniger als das Tun wiegen, verwundert es, daß der Vater, der dem Mörder seines Sohnes das Messer reicht (Tun!), (nur) als Gehilfe zum Mord bestraft werden solle, während der Vater, der gar nichts tut, schon als Täter angesehen werden solle. Der Widerspruch ist nicht lösbar; vielmehr soll hier als Antwort die Formel nego suppositum gelten: Es ist falsch, daß im Rahmen einer positiven Verpflichtung die Unterlassung weniger als das Tun wiegt, - deshalb kommt es auf die äußere Form des Verhaltens Tun oder Unterlassen nicht an. 13 Selbst wenn eine Tatherrschaft vorliegt, d.h. wenn der positiv Verpflichtete - etwa die Mutter ohnehin Täter ist, ist nur die Verletzung der positiven Institution - wie noch bei den Konkurrenzen (Gesetzeskonkurrenz; unten S. 207 ff.) zu zeigen sein wird -, dennoch von Bedeutung.

Die Beteiligung bei Pflichtdelikten

ist es wichtig, sich stets vor Augen zu halten, daß, unabhängig vom Herrschaftsquantum, bei positiv Verpflichteten prinzipiell eine täterschaftliche Haftung begründet ist, also eine täterschaftliche Haftung, die von einem möglichen Herrschaftsdelikt per Organisationsanmaßungen völlig unabhängig bleibt. Das ergibt sich aus den oben gewonnenen Ergebnissen. 16 Denn die auf positive Institutionen bezogenen Erwartungen bestehen - im Unterschied zu den Nicht-EinmischungsErwartungen der negativen Institution - schon dem Begriff nach in doppelter Hinsicht: Jede positive Institution schließt in sich die negative Institution ein (aber nicht umgekehrt). Die Pflicht einer Mutter zum Aufbau einer gemeinsamen Welt mit ihrem Kind beinhaltet selbstverständlich zugleich die Pflicht, es nicht zu schädigen. Das gilt also insbesondere für den gerade angesprochenen Fall, in dem der Verpflichtete zwar deliktisch tätig wird, jedoch nur - der äußerlich-kausalen Tätigkeit nach - als „Gehilfe". In diesem Fall ist die täterschaftliche Haftung allein (aber immerhin!) aus der positiven institutionellen Verbindung zu begründen, also nicht aus einer Organisationszuständigkeit, die hier lediglich zur Beihilfe führt. Organisiert die Mutter die Beihilfehandlung gegen das Kind, so verletzt sie damit notwendig zugleich die positive Institution, was heißt, daß sie ein Pflichtdelikt begeht, was wiederum heißt, daß sie Täter ist. Dies wurzelt, wie schon gesagt, in den oben gezeigten Verhältnissen zwischen der negativen Institution und den positiven Institutionen, nach denen die positive Institution in sich die negative einschließt: Verletzt die Mutter die negative Institution durch eine Handlung, die „an sich" Beihilfe darstellt, so verstößt sie zugleich auch gegen die positive Institution. Wenn einerseits derjenige, der als Postbeamter einem anderen Dritten ein Paket gibt, damit es der letztere unbefugt öffnen kann, als Täter des § 354 StGB kraft seiner Pflichtverletzung haftet, obwohl er keine Tatherrschaft hat, und andererseits die Mutter, die ihren Sohn verhungern läßt, ebenso Täter kraft ihrer Pflichtverletzung ist, auch wenn sie wiederum keine Tatherrschaft innehat, folgt daraus zwingend, daß die Mutter, die dem Mörder ihres Sohnes das Messer reicht, auch ihrer Pflichtverletzung wegen - ohne Tatherrschaft - als Täter haftet. 17 Sie hat - wie in den anderen Fällen - ihre Pflicht verletzt und daneben auch noch etwas organisiert, wenngleich ohne Tat-

16 17

Siehe oben u.a. § 8 (S. 126 ff., 137 ff.) sowie S. 97 ff

Damit wird die insoweit immer wieder - neuerdings etwa von Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 174 f. - geübte Kritik an der Pflichtdeliktslehre entkräftet.

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herrschaft. 18 Es wäre axiologisch ungereimt, etwa anzunehmen, daß die Ehefrau einerseits ihren Ehemann retten und bei der Unterlassung dieser Rettung als Täter haften müsse,19 andererseits aber, wenn sie beispielsweise durch das Beschaffen von Gift Hilfe zur Tötung ihres Mannes geleistet habe, nur Gehilfe wäre. 20 Hätte sie sich im letzten Fall nicht einmal „die Mühe" gemacht, das Gift für Dritte zu beschaffen, sondern lediglich das Geschehen untätig beobachtet, dann hätte sie die Voraussetzungen des ersten angeführten Falles erfüllt, also ihren Mann nicht vor dem Tod gerettet, so daß sie als Täter zu bestrafen wäre. Die Mutter, Ehefrau etc., die deliktisch unterläßt, würde härter bestraft als diejenige, die deliktisch unterläßt und darüber hinaus noch deliktisch handelt.21 Es wäre somit vollkommen unangemessen, die Ehefrau bei gleichzeitiger Verletzung der negativen und positiven Institution nur wegen Beihilfe zu bestrafen. Auch in den Fällen, in denen sie herrschaftslos etwas Deliktisches organisiert, hat sie ihre Pflicht, mit ihrem Ehemann eine gemeinsame Welt aufzubauen, nicht erfüllt - soweit man mit der Rechtsprechung eine solche Pflicht aus der Ehe noch herleitet. Ebenso ungereimt wäre es, wenn etwa die Mutter, die einen vermeintlichen Mörder ihres Kindes zu unterstützen sucht, ihm also z.B. zur Ausführung des vermeintlichen Mordes ein Messer reicht, wegen bloß versuchter Beihilfe straflos bliebe, während sie bei Untätigkeit in derselben Situation wegen täterschaftlichen Versuchs (durch Unterlassen) bestraft werden müßte.22 18

Es handelt sich um eine scheinbare Konkurrenz zwischen der positiven Pflichtverletzung und dem, was der Täter organisiert. Dazu siehe unten § 12, A (S. 207 ff). 19 Vgl. nur BGH 2, 150 und jüngst BGH JR 1994, S. 510 f.; beim Verlöbnis BGH JR 1955, S. 104 f. - Zur Institution Eltern-Kind-Verhältnis vgl. nur die Entscheidung BGH 41,113 (116 f.), die darüber hinaus zutreffend davon ausgeht, ein positiv Verpflichteter könne ein Quälen durch Unterlassen im Sinne des § 223b StGB a.F. begehen. 20 BGH MDR 1989, S. 491; BGH 31, 136 ff.; i E. für das Umweltstrafrecht Scholl, Umweltrecht, S. 242 ff. - Vgl. ferner Lubberger, Strafbare Teilnahme durch Unterlassung, S. 65 m.w.N. 21 Das richtige Ergebnis ist es auch nicht, die „tätige Ehefrau (Mutter etc.)" härter zu bestrafen als die „nur" unterlassende Ehefrau (Mutter etc.), sondern beide gleich. Dazu unten § 12 A (S. 207 ff.) über die scheinbaren Konkurrenzen. 22

Vgl. zur Problematik Rudolphi, MDR 1967, S. 1 und S. 4 f. (4. Fallkonstellation) i E. wie hier; Jakobs, AT, 21/118. Siehe auch Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 177, 190 (i.E. ebenso Seier, JA 1990, S. 384; Herzberg, JA 1985, S. 180 f.), der im Anschlufl an Jakobs (AT, 29/105) zeigt, daß diese Lösung, nämlich immer Täterschaft, für die Organisationsdelikte (Herrschaftsdelikte) durch Unterlassen genauso unlösbare Probleme aufwerfen würde, wie die im Text kritisierte Beihilfe-Lösung bei den Pflichtdelikten. Die Hingabe (Tun) eines Messers zu einer Haupttat, die nicht mindestens versucht wird, wäre als nur versuchte Beihilfe straffrei, während das pflichtwidrige NichtS ichern desselben Messers bei Anwendung der Regeln des Pflichtdelikts (stets Täterschaft) bereits zu einem täterschaftlichen Versuch führte. Diese Lösung ist aber für die Pflichtdelikte (die Mutter reicht das Messer), wo der Verpflichtete eine gemeinsame Welt aufbauen soll, sachgerecht. Denn, wie im Text belegt, wird mit der Hingabe schon die Pflicht zum Aufbau einer gemeinsamen Welt verletzt (die Lösung will Schwab, aaO., S. 220, jedoch ebenfalls nicht für die Pflichtdelikte). - Für die Beteiligung

Die Beteiligung bei Pflichtdelikten Die Rechtsprechung hat sich für die Amtsdelikte im Ergebnis längst der soeben gezeigten Lösung angeschlossen. A u c h der B G H hält es nämlich für nicht hinnehmbar, die Unterlassung einer Erfolgshinderung als Täterschaft und die Förderung desselben Erfolgs in derselben Situation nur als Beihilfe zu bestrafen. Wer „entgegen seiner Pflicht als Dienstvorgesetzter wie als Polizeibeamter" das deliktische Vorhaben seines Untergebenen - etwa eine Tötung - fördert und dadurch seine positiven Pflichten verletzt, haftet deshalb nicht als Gehilfe, sondern als Täter. 2 3 Speziell gegen das oben angenommene argumentum a majore ad minus, nach dem u.a. aus der Existenz von positivierten Pflichtdelikten (etwa § 354 StGB) die Annahme von Täterschaft für die gesamten Pflichtdelikte zu schließen ist, erwidern einige Stimmen in der Lehre, diese Existenz sei kein Beleg für die Täterschaft, weil man gerade aus diesem und anderen Paragraphen ebensogut ein

durch Tun oder Unterlassen bei Herrschaftsdelikten gelten, wie gesagt, diese Regeln (stets Täterschaft) nicht. Die Teilnahme wird erstens deshalb von späteren Unterlassungen nicht „aufgerollt", da der aktive deliktische Beitrag des Teilnehmers keine besondere Pflicht aus positiver Institution bedeutet und somit spätere Unterlassungen keine täterschaftlichen Pflichtverletzungen sind (damit wird die Kritik von Brammsen, G A 1993, S. 107 entkräftet). Dasselbe gilt zweitens für Beiträge durch Unterlassen. Beispiel: Der Sprengmeister S greift nicht ein, als er bemerkt, daß der Terrorist Τ Sprengstoff aus der Pulverkammer entwendet, um ein Attentat zu verüben. Er ist zuständig, er ist in das gemeinsame deliktische Werk eingebunden, da er den nicht allgemein verfügbaren Sprengstoff nicht gesichert hat. S haftet aufgrund dieses Beteiligungsquantums wegen Beihilfe durch Unterlassen ebenso wie im Fall des Hingebens. Spätere Unterlassungen, etwa die Nichtverhinderung des erst eine Woche später stattfindenden Attentats, fuhren nicht zur Täterschaft des Sprengmeisters. Denn er ist immer nur wegen seiner Organisation an dem deliktischen Geschehen verbunden, nicht wegen einer positiven Institution, so daß die Regeln der Pflichtdelikte - stets Täterschaft bei Nichtverhindern - nicht gelten. Siehe Jakobs, AT, 29/101 ff., 29/105; Freund, Erfolgsdelikt, S. 226 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 139 ff., 142 ff.; Köhler, AT, S. 539 m.w.N. aus der Rechtsprechung; Seelmann in NK, § 13, Rdn. 96; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 326 ff.; Vogel, Norm und Pflicht, S. 281 ff. - Insoweit geht die Kritik Gössels, G A 1990, S. 570, bei den unechten Unterlassungsdelikten würde die Innehabung der Pflichtenstellung als alleiniges Merkmal der Täterschaft zum mißlichen Ergebnis führen, entgegen dem Gesetz nicht mehr zwischen Täterschaft und Teilnahme unterscheiden zu können, an der hier vertretenen Auffassung vorbei. Im Bereich der sog. unechten Unterlassungsdelikte ist auch eine Teilnahme möglich, nämlich bei denjenigen Unterlassungsfällen, die nicht zugleich - mangels einer positiven Institution - Pflichtdelikte sind. 23 BGH 3, 349. Vgl. auch zutreffend BGH NJW 1959, S. 584 (585) und BGH NJW 1950, S. 435 (436 zu 3.). Freilich könnte der BGH hierzu anhand der ausdrücklichen Formulierung des § 357 StGB argumentieren. Siehe auch Hüwels, Fehlerhafter Gesetzesvollzug, S. 217; Seelmann in NK, § 13, Rdn. 139; Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten, S. 106 f.; Hug, Umweltstrafrechtliche Verantwortlichkeiten, S. 185 ff., 68,48 ff.; Kühl, AT, 18/83 ff. - Ebenso argumentiert Rudolphi in SK, § 13, Rdn. 35, anhand des § 357 StGB, der ansonsten aber eine allgemeine Garantenstellung der Amtsträger, etwa von Polizisten, ablehnt (ebenda, § 13, Rdn. 36, 36a, 54b ff. sowie ders. eingehend in JR 1987, S. 336 ff. jew. m.w.N. pro und contra). Nach der hiesigen Deutung der Pflichtdeliktslehre ist zwar mit Rudolphi vorauszusetzen, daß die von Polizisten zu verhindernden Straftaten in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht jedoch- wie Rudolphi darüber hinaus verlangt - eine tatsächliche Übernahme der Gefahr.

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argumentum a majore ad minus wie ein e contrario herleiten könne. Denn - so lautete das angebliche argumentum e contrario - wenn wirklich jede Pflichtverletzung die Täterschaft begründete, wäre die vereinzelte Aufnahme von Beihilfehandlungen des positiv Verpflichteten in einigen gesetzlichen Tatbeschreibungen überflüssig, weil die betreffenden Handlungen ohnehin von der eigentlichen Deliktsschilderung umfaßt wären. 24 Diese Kritik kann dennoch nicht überzeugen. Denn die Bedingungen zum Aufstellen eines argumentum e contrario sind viel strenger als nach Darstellung dieser Auffassung. Allgemein besagt eine Argumentation e contrario folgendes: 25 Eben deshalb, weil das Gesetz die Rechtsfolge R nur (!) an den Tatbestand A geknüpft hat, gilt sie für andere Tatbestände, auch wenn diese A ähnlich sein sollen, nicht. Die erste Frage lautet deshalb, ob man überhaupt behaupten kann, daß das Gesetz die Charakteristika der positivierten Pflichtdelikte (etwa § 354 StGB) nur (!) an sie geknüpft hat, oder ob vielmehr zu dem Schluß zu kommen ist, daß das Gesetz die in diesen Tatbeständen positivierten Eigenschaften auch für andere Tatbestände offen gelassen hat. Im ersten Fall, aber nur dann, ist der Umkehrschluß berechtigt. Das Aufstellen des argumentum e contrario setzt also voraus, daß man schon die Frage nach der Interpretation des Gesetzes beantwortet hat, man darf ja nicht umgekehrt das Gesetz nur aus der deductio e contrario auslegen, wie es die gerade dargestellte Meinung versucht. Der Sinn des Gesetzes verbietet hier aber gerade die Annahme einer deductio e contrario und gebietet vielmehr ein argumentum a majore ad minus. Es gibt nur Anhaltspunkte zu behaupten, daß die in Tatbeständen wie §§ 354 oder 340 StGB gezeigten Konsequenzen auch auf andere, nicht ausdrücklich positivierte Fälle der Verletzung einer positiven Institution zu erstrecken sind. Die Absurdität einer gegenteiligen Auffassung ist soeben gezeigt worden. Darüber hinaus haben verschiedene rechtsphilosophische Ansätze gleichfalls gezeigt, daß die Pflichtdelikte in den positiven Institutionen wurzeln, also jedenfalls nicht nur in einigen, mehr oder weniger glücklich formulierten Tatbeständen des StGB. 26 Ferner ist daran zu erinnern, daß die Formulierungen des Strafgesetzbuches bezüglich der negativen 24

Sehr oeder, Der Täter hinter dem Täter, S. 86; Langer, Sonderverbrechen, S. 224 f.; Deichmann, Grenzfölle der Sonderstraftat, S. 22; hiergegen bereits zutreffend Roxin, JZ 1966, S. 296 Anm. 38; im Ansatz ebenso Bloy, Zurechnungstypus, S. 231. 25

Siehe nur Lorenz, Methodenlehre, S. 390 f., der zutreffend betont, daß das argumentum e contrario sich nicht in einem formallogischen Schlußverfahren erschöpft, sondern in eine normativteleologische Beweisführung mündet, m.w.N. - Dazu sogleich im Text. 26

Siehe oben § 5 B (S. 76 ff.), § 6 Β II. (S. 92 ff.), § 7 B (S. 111 ff.).

Die Beteiligung bei Pflichtdelikten

Institution und der positiven Institutionen kontingent sind und es damit nicht darauf ankommen kann, ob ein Tatbestand die Folgen einer positiven Institution ausdrücklich festlegt. Vielmehr ist insoweit stets auf die Auslegungstatbestände abzustellen.27 Gerade aus der Tatsache, daß die Problematik der Pflichtdelikte i.E. im geltenden Recht zum Teil in einer Art geregelt ist, die der hier vertretenen Darstellung entspricht, kann nicht per argumentum e contrario geschlossen werden, daß Pflichtdelikte nur diese wenigen positivierten Fälle wären. Der Grund, weshalb bei einigen Tatbeständen Verhalten wie „Fördern" im Tatbestand ausdrücklich aufgenommen sind, ist lediglich folgender: Solche Formulierungen gründen schlechthin in der Vorstellung des Gesetzgebers, wie das deliktische Geschehen üblicherweise

aussieht. Bei der Formulierung des

§ 354 StGB z.B. ging die Vorstellung des Gesetzgebers - übrigens zu Recht wohl dahin, daß das Delikt in vielen Fällen in einem Fördern bestehen könne. Denn es ist sehr wohl vorstellbar, daß Postsendungen unterdrückt werden, indem ein Postbediensteter einem Dritten das Öffnen der Sendung zugänglich macht. Es wäre ja Zufall, daß sich der Postbedienstete für ein Paket interessiert, das gerade beim Sortieren in seine Zuständigkeit fällt, es scheint vielmehr lebensnah zu sein, daß derjenige - Dritte oder Postbediensteter -, der sich für ein fremdes Paket interessiert, die Hilfe eines Postbediensteten oft benötigt. Bei Tatbeständen wie der Tötung z.B. liegen die Dinge anders: Nicht der Fall der Mutter, die dem Mörder ihres Kindes das Messer reicht, ist üblich, sondern der Fall eines Organisationstäters, der das Opfer tatbeherrschend tötet, also der Fall eines Herrschaftsdelikts. Das bringt der formulierte Tatbestand des § 212 StGB auch in erster Linie zum Ausdruck, ebenso wie der des § 354 StGB ein anderes typisches Verhalten, nämlich das Fördern, zum Ausdruck bringt. Der juristische Code achtet jedoch auf die Auslegungstatbestände und nicht - wie schon vielfach im Laufe dieser Untersuchung belegt - auf mehr oder minder gelungene Formulierungen. Das Strafgesetzbuch ist also nicht in dem Sinne zu verstehen, daß die Charakteristika der positivierten Pflichtdelikte nur in den von ihnen bezeichneten Fällen einzutreten hätten. Ohne Anhaltspunkte für die Annahme, daß das Gesetz diese Charakteristika lediglich (!) an die positivierten Pflichtdelikte geknüpft hat, scheitert also das argumentum e contrario schon aus logischen Gründen (gleichsam: an der „inurVoraussetzung"). Nach wie vor gilt daher die These, daß der positiv Verpflichtete prinzipiell als Täter haftet, und zwar auch im Begehungsfall.

27

Siehe oben § 6 Β II. (S. 92 ff).

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Das gewonnene Ergebnis mag an den extensiven Täterbegriff erinnern. 28 Denn in der Tat bestehen zwischen dem extensiven Täterbegriff und der Konzeption der Pflichtdelikte einige Ähnlichkeiten. Bei dieser handelt es sich insoweit um eine Art „extensiven Täterbegriff 4, als die Täterschaft nicht von der Vornahme der beim Wort genommenen tatbestandlichen Ausführungshandlung überhaupt abhängt,29 vielmehr jedes auf bestimmte Tatbeschreibungen (des Auslegungstatbestandes) bezogene Verhalten, Tun oder Unterlassen, das die positive besondere Pflicht verletzt, zur täterschaftlichen Haftung ausreicht. Beim extensiven Täterbegriff begründet jeder kausale Beitrag schon per se Täterschaft, bei den Pflichtdelikten führt jede Pflichtverletzung prinzipiell zur täterschaftlichen Haftung. Oder: Die Theorie des extensiven Täterbegriffs versteht die Vorschriften über die Teilnahme im Verhältnis zum betreffenden besonderen Tatbestand als lex specialis; die Lehre vom Pflichtdelikt geht davon aus, daß nur in Ausnahmefallen eine Teilnahme des Sonderverpflichteten anzunehmen ist. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß sich - abgesehen von diesen Ähnlichkeiten - beide Konzeptionen zueinander wie Feuer und Wasser verhalten. 30 Gerade Gallas, einer der überzeugtesten Vertreter der monistischen Herrschaftstheorie, 31 hat bemerkt, daß die Konzeption des extensiven Täterbegriffs gerade bei den Pflichtdelikten untauglich ist: „Täter eines echten Amtsdelikts kann nur ein Beamter (...) sein. Dies geben auch die Anhänger des extensiven Täterbegriffs zu; sie vermögen es jedoch von ihrem Standpunkt aus nicht zu erklären. Denn einen kausalen Beitrag zur Verletzung des durch die betreffenden Tatbestände jeweils geschützten Rechtsguts leistet auch der ,extraneus', der den unmittelbar handelnden Beamten, (...) zu dessen Tun veranlaßt". 32 Es geht also um einen Paradigmenwechsel: Pflichtdelikte werden nicht maßgeblich durch bloße Kausalbeiträge, sondern durch die Verletzung einer positiven Institution geprägt, und die daran geknüpften dogmatischen Konsequenzen sind von enormer Tragweite. 28 In diese Richtung zielt die Kritik von Langer, Sonderverbrechen, S. 226 mit Anm. 60 und Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 20 ff. - Siehe auch Sehr oeder, Täter hinter dem Täter, S. 86; Lesch, Sukzessive Beihilfe, S. 129. 29 Vgl. bereits oben S. 139 ff. - Übrigens bildet die Vornahme der beim Wort genommenen tatbestandlichen Ausführungshandlung auch bei den Herrschaftsdelikten eher die Ausnahme als die Regel, wie die Notwendigkeit der Entwicklung der Lehre von der objektiven Zurechnung belegt. 30

Vgl. hierzu auch Roxin, TuT, S. 379.

31

Sieheoben§8 A(S. 128 ff).

32

Gallas, Materialien I, S. 124.

Die Beteiligung bei Pflichtdelikten

Nach der Lehre vom Pflichtdelikt kommt allerdings eine Teilnahme dann in Betracht, wenn der Verpflichtete nicht Täter sein kann, weil er nicht alle Tätermerkmale in seiner Person erfüllt. 33 Dies folgt lediglich aus dem „sekundären Teilnahmebegriff', der die Teilnahme als eine Beteiligung außerhalb der für den jeweiligen Tatbestand maßgebenden Täterschaft definiert. 34 Ein Intraneus ist also etwa als Gehilfe zu bestrafen, wenn das Pflichtdelikt durch Unterlassen begangen wurde, aber ein Unterlassungstatbestand fehlt. Dies gilt beispielsweise für die sog. eigenhändigen Delikte und die sog. qualifizierten Herrschaftsdelikte (insbesondere die Zueignungsdelikte35). Besteht bei diesen Delikten eine Erfolgsabwendungspflicht kraft positiver Institution und erfüllt der Garant seine Pflicht nicht, so ist mangels Täterqualifikation nur Beihilfe anzunehmen. Beispiel: 36 Wenn die Mutter nicht verhindert, daß ihr Ehemann mit ihren beiden fünfzehn und siebzehn Jahre alten Töchtern aus erster Ehe geschlechtlich verkehrt, haftet sie allenfalls als Gehilfe, da sie durch bloßes Unterlassen den Verhaltenstatbestand des § 174 StGB nicht erfüllen kann, obwohl sie ihrer Pflicht nicht nachgekommen ist. Die Garantenstellung bei den Pflichtdelikten besitzt mithin eine doppelte Funktion. Sie begründet erstens die Strafbarkeit und zweitens zugleich - im Regelfall die Täterschaft. 37 In bestimmten Konstellationen können demgemäß die Erfordernisse der Strafbarkeit - die Pflichtverletzung der Mutter -, nicht aber die der Täterschaft - z.B. wegen fehlenden Unterlassungstatbestandes - gegeben sein. Normalerweise liegen allerdings beide Momente gleichzeitig vor. Weiterhin ist eine (Unterlassungs-)Beihilfe bei Pflichtdelikten in den seltenen Fällen anzunehmen, in denen der positiv Verpflichtete ein von ihm abzuwendendes Unrecht geschehen läßt, wenn dieses Unrecht nur einer Beihilfe entspricht, 33

In diesem Sinne bereits Roxin, TuT, S. 477 ff; ders. in LK, § 25, Rdn. 209; Rudolphi in SK, Vorbem. § 13, Rdn. 41, 9 ff.; Jakobs, AT, 29/107, 21/2; Stratenwerth, AT, Rdn. 1079 f.; Lesch, ZStW 105 (1993), S. 289 f.; Hüwels, Fehlerhafter Gesetzesvollzug, S. 217 Anm. 36; Nappert, Umweltstrafrecht, S. 135 f.; hauptsächlich auch Bloy, Zurechnungstypus, S. 219 ff. Vgl auch Busse, Täterschaft, S. 44 ff., ferner S. 361, 377; Lubberger, Strafbare Teilnahme durch Unterlassen, S. 77 f. 34

Roxin, TuT, S. 27, 476 f.; ihm folgend neuerdings Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 189. 35 Streitig: Vgl. Herzberg, Unterlassung, S. 137 ff., 142; Roxin, TuT, S. 481 f.; Blei, AT, S. 318; Rudolphi in SK, § 13, Rdn. 11. - Der Meinungsstreit ist vor allem von Bedeutung, wenn der Unterlassende nicht die Absicht hat, sich die Sache zuzueignen. Das gilt nach dem 6. StrRG v. 26. Januar 1998 (BGBl. 1998/1, S. 164 ff.) für nur wenige Sachverhalte. Siehe bereits Lesch, Sukzessive Beihilfe, S. 291 ff. und jetzt ders., JA 1998, S. 476. 36 Nach BGH StV 1984, S. 460; i.E. zustimmend Ranft, JZ 1987, S. 908 f. - Ebenso jüngst BGH 41, 242 ff. Ob die Eigenhändigkeit bei den Pflichtdelikten, also ein Merkmal, das eher mit dem Phänotyp des Delikts zu tun hat, aufrechterhalten werden kann, mag allerdings bezweifelt werden. 37

Vgl. auch Roxin, TuT, S. 477 (jedoch nur auf Pflichtdelikte durch Unterlassen bezogen).

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

wenn etwa der Vater die Lieferung des Tatwerkzeugs an die Täter durch seinen minderjährigen Sohn nicht hindert. Entsprechendes gilt, - mutatis mutandis - wenn der Beitrag eine Anstiftung darstellt. 38

B. Mittäterschaft bei den Pflichtdelikten? Bezüglich der Mittäterschaft sind zwei Fragen zu unterscheiden, nämlich erstens, ob es eine Mittäterschaft zwischen dem Täter eines Herrschaftsdelikts und dem eines Pflichtdelikts gibt und zweitens, ob eine Mittäterschaft zweier positiv Verpflichteter möglich ist. Der erste Fall ist unproblematisch: 39 Konkurriert die Pflichtverletzung eines positiv Verpflichteten mit dem deliktischen Verhalten eines Organisationstäters, so sind Verpflichteter und Organisationstäter Nebentäter, wenn man die Nebentäterschaft mit der h.L. als das zufällige Mitwirken mehrerer Alleintäter zu einem tatbestandlichen Erfolg definiert. 40 Beispiel: Begeht jemand eine Körperverletzung neben einem positiv institutionell Verpflichteten, etwa einem zuständigen Polizisten, der das Ganze geschehen läßt, so haften beide unabhängig voneinander als Nebentäter. Der Beamte ist unmittelbar als Garant für die Körperverletzungen zuständig (§ 340 StGB), der andere haftet kraft seiner Tatherrschaft ebenso wegen Körperverletzung (§ 223 StGB). Beide sind - in der Terminologie Roxins - unabhängig voneinander Zentralfiguren des - jeweils für sich selbständigen - Tatgeschehens. Die Möglichkeit einer Mittäterschaft zwischen einem Organisationstäter und einem Pflichtdeliktstäter ist also ausgeschlossen, da die Mittäterschaft einheitliche Zurechnungskriterien der Beteiligten voraussetzt,41 die jedoch beim äußerlichen Zusammentreffen einer Haftung aus Tatherrschaft und einer solchen aus positiver Zuständigkeit nicht vorliegen. Die Verletzung der Pflicht bei den Pflichtdelikten ist immer - wie die Pflicht selbst eine höchstpersönliche, das heißt eine solche, die mit der JedermanmvexXsVzxmg der Herrschaftsdelikte allenfalls rein äußerlich zusammenwirken kann. Damit ist auch die Frage hinsichtlich des Konkurrierens zweier positiv Verpflichteter im Ansatz bereits beantwortet. Ob mehrere Verpflichtete die Pflicht 38 Rudolphi in SK, Vorbem. § 13, Rdn. 42. Ihm folgend Roxin in LK, § 25, Rdn. 210; Biel, AT, S. 318 f.; Wessel, Die umweltgefährdende Abfallbeseitigung durch Unterlassen, S. 195 f.; Gröger, Die Haftung des Amtsträgers, S. 112. 39

Vgl. noch unten § 10 B (S. 172 f.) dasselbe betrachtet aus der Perspektive des Extraneus.

40

Anders - fur Mittäterschaft - Bottke, Haftung aus Nichtverhütung von Straftaten, S. 37.

41

Zu Recht betont von Roxin, TuT, S. 470.

Die Beteiligung bei Pflichtdelikten

- jeweils fur sich - nicht erfüllen, ist für die Beteiligungsform unerheblich. Da jeder die Pflichtverletzung in seiner Person vollständig und unabhängig von dem anderen erfüllt, ist jeder für sich gesehen immer Alleintäter. Mittäterschaft scheidet infolge des persönlichen Status, d.h. infolge der unmittelbaren Beziehung des Beteiligten zum Gut, aus.42 Roxin und sein Schüler Busse43 verneinen zwar ebenso die Mittäterschaft, wenn sich die Verpflichtung ihrer Natur nach auf die Einzelperson beschränke, etwa bei der Pflicht zur Unterhaltszahlung. In anderen Fällen halten sie jedoch eine Mittäterschaft mehrerer Verpflichteter für möglich. Die Voraussetzungen einer solchen Mittäterschaft sollen allerdings von denen der Mittäterschaft bei den Herrschaftsdelikten abweichen. Eine gemeinsame Beherrschung des Geschehensablaufes neben dem Pflichtverstoß sei nicht erforderlich. Selbst wenn ein Beteiligter den Geschehensablauf überhaupt nicht beherrsche, sei er aufgrund der Nichterfüllung der Pflicht Mittäter. Mittäterschaft liege deshalb vor, wenn mehrere Personen eine gemeinsame Pflicht gemeinsam verletzten. Als Beispiel führt Roxin die Vernachlässigung der Bewachung von Gefangenen durch mehrere Wärter an (§ 347 StGB a.F., - § 120 Abs. 2 n.F.). Hier liege Mittäterschaft vor, da die Pflichtenträger - falls es zu einem deliktischen Geschehen komme - eine gemeinsame Pflicht gemeinsam verletzen würden. Roxin meint also Fälle der sog. kumulativen Mehrfachunterlassung: 44 Das vom Gesetz gewünschte, also nicht deliktische Ergebnis wird nur erzielt, wenn mehrere Verpflichtete ihre Pflicht erfüllen, so wie umgekehrt, der tatbestandsmäßige Erfolg nur eintritt, wenn mehrere Pflichterfüllungen unterlassen werden, die alle gleichermaßen notwendig sind. Auch die Rechtsprechung hat sich gelegentlich in diesem Sinne geäußert, zwar ausdrücklich nur im Bezug auf das Unterlassen, der Sache nach jedoch auf die Verletzung positiver Institutionen übertragbar. Im Falle RG 66,71 z.B. hat das Reichsgericht die Mittäterschaft von Eltern bejaht, die ihr neugeborenes Kind ohne Hilfe an einem menschenleeren Ort liegen ließen, damit es sterbe. An der entscheidenden 42

In diesem Sinne bereits Jakobs, AT, 21/22; Lesch, Sukzessive Beihilfe, S. 299 f.; Vogel, Norm und Pflicht, S. 286; beschränkt Wagner, Amtsverbrechen, S. 377. Vgl. ferner Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen, S. 52,214, aber auch S. 213. Insoweit auch richtig die · allerdings als Kritik an der Pflichtdeliktslehre gedachten - Überlegungen von Deichmann, Grenzfölle der Sonderstraftat, S. 20. 43 Roxin, TuT, S. 357; Busse, Täterschaft, S. 383 f., 76 ff.; Bauer, Mittäterschaft, S. 71; Hug, Umweltstrafrechtliche Verantwortlichkeiten, S. 95; Gröger, Die Haftung des Amtsträgers, S. 112; ebenso früher der Sache nach Baumbach, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 34. Wohl auch Köhler, AT, S. 517 und Kühl, AT, 20/268. Vgl. ferner BGH 14, 123 ff. (128 ff.) und BGH 39, 381 ff. 44

Näher dazu Birnbacher, Tun und Unterlassen, S. 164 f., 88.

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

Stelle führt das RG aus: „Mittäterschaft ist rechtlich auch da möglich, wo eine strafbare Handlung durch die einverständliche Unterlassung mehrerer Personen begangen wird". Abgesehen von vielleicht gutgemeinten didaktischen Gründen, aus denen man die Terminologie auf die äußere Erscheinung des Geschehens anzupassen versucht - mehrere Pflichtverletzungen bildeten so etwas wie eine Mittäterschaft auch bei Pflichtdelikten -, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden, und zwar m.E. selbst dann nicht aus den Prämissen Roxins. Denn daß es hier um eine gemeinsame Pflicht gehe, wird von Roxin weniger begründet als vorausgesetzt. Problematisch ist nicht nur, ob die Verpflichteten „gemeinsam" die Pflichtverletzung begehen, sondern zunächst vielmehr, ob überhaupt eine gemeinsame Pflicht vorliegt, die die positiv Verpflichteten gemeinsam verletzen können. Bleibt man jedoch der Pflichtdeliktslehre treu, so ist die Möglichkeit „gemeinsamer Pflichten" abzulehnen. Zwar mögen positive Institutionen den Aufbau einer gemeinsamen Welt von mehreren Verpflichteten gleichzeitig verlangen, aber die Pflichten sind stets individuell (höchstpersönlich) und nie gemeinsam.45 Den beiden Beamten, die einen Gefangenen zu bewachen haben, obliegt diese Pflicht jeweils in eigener Person und nicht gemeinsam. Aus dem Gesetzeswortlaut des § 120 StGB geht die Gemeinsamkeit der Pflichten nicht hervor. Jeder unterläßt die Erfüllung seiner Pflicht als eigene, selbständige Tat. Derjenige Amtsträger nämlich, der die von ihm zu überwachende Tür nicht schließt, ist schon wegen versuchter Gefangenenbefreiung zu bestrafen, ohne daß es darauf ankommen kann, ob zugleich auch die anderen Wärter ihre Pflicht verletzen. Daß das gewünschte Ergebnis (die Gefangenen entfliehen nicht) dann und nur dann eintritt, wenn mehrere Verpflichtete ihre Pflicht erfüllen - sog. kumulative Mehrfachunterlassung -, begründet für sich noch keine Mittäterschaft. Selbst bei den Herrschaftsdelikten durch Begehen, bei denen eine Mittäterschaft gewiß möglich ist, spielen kumulative Mehrfachhandlungen - das Gegenstück von kumulativen Mehrfachunterlassungen - prinzipiell keine Rolle. A kann Β etwa dann und nur dann erschießen, wenn C ihm die Pistole rechtzeitig liefert und Β am Tatort vorbei kommt, aber deshalb kann von einer Mittäterschaft zwischen allen nicht die Rede sein. Auch wenn die Verpflichteten arbeitsteilig handeln, also wenn sie die Ausführungshandlungen zusammen begehen, handelt es sich um keine gemeinsame Pflichtverletzung: Die Verpflichteten könnten zwar als Mittäter angesehen werden, aber eben nicht kraft Verletzung positiver Institution, sondern kraft 45

Zutreffend hervorgehoben von Lesch, Sukzessive Beihilfe, S. 299.

Die Beteiligung bei Pflichtdelikten

gemeinschaftlicher Organisation im Sinne einer funktionellen arbeitsteiligen Tatherrschaft. Beispiel: Vater und Mutter organisieren gemeinsam mit jemandem die Ermordung ihres Kindes: Kein Pflichtdelikt in Mittäterschaft, sondern zwei Pflichtdelikte und mittäterschaftliehe Haftung für ein Herrschaftsdelikt. Jedem obliegt für sich die Pflicht, jeder hat dem Kind gegenüber die Pflicht verletzt. 46 Die Konkurrenzen zwischen dem Pflichtdelikt und dem mittäterschaftlichen Herrschaftsdelikt sind noch unten zu behandeln.47

C. Mittelbare Täterschaft des Verpflichteten? Bezüglich der mittelbaren Täterschaft bei den Pflichtdelikten, sind zunächst einmal zwei Fallgruppen zu untersuchen, nämlich erstens die Fälle, in denen der „Vordermann" ein Extraneus (ein nicht positiv Verpflichteter) und zweitens diejenigen, in denen der „Vordermann" ebenso wie der „Hintermann" ein Intraneus ist. Am Ende wird auch die Frage kurz erörtert, wie es sich verhält, wenn der positiv Verpflichtete die von einem Dritten begangene Straftat begehen läßt, obwohl er für den Defekt dieses Dritten einer positiven Institution wegen zuständig ist. Was die „Mitwirkung" eines Intraneus an der „Tat" eines Extraneus betrifft, war die Möglichkeit einer mittelbaren Täterschaft des Intraneus als „Hintermann" in der alten, vor der „Entdeckung" der Pflichtdelikte entfalteten Dogmatik der Sonderverbrechen allgemein anerkannt. 48 Auch der Täter des Sonderverbrechens könne den Verbrechenserfolg durch einen Deliktsunfähigen, insbesondere durch einen Geisteskranken oder ein Kind oder auch durch ein zurechnungsfähiges aber unqualifiziertes Werkzeug herbeiführen. Roxin seinerseits bejaht eine solche Möglichkeit auch nach der modernen Pflichtdeliktslehre, also wenn der Vorder46 Man könnte weiterhin denken (vgl. etwa Kühl, AT, 20/268 a.E.), die Mittäterschaft bei den Pflichtdelikten besäße dort eine eigenständige Bedeutung, wo eine positive Verpflichtung vorläge, die -jeweils für sich - mehrere beträfe, die also zwar prinzipiell keine gemeinsame Pflicht wäre, jedoch nur von mehreren gemeinsam erfüllt werden könnte. Beispiel: Um das Kind vor den Flammen zu retten, müssen Vater und Mutter, beide zusammen, die schwere Leiter gemeinsam bis zur Wohnung tragen; ein Elternteil alleine hätte das nicht geschafft. - Falls sie das Kind nicht retten, handelt es sich m.E. hier wiederum nicht um ein Pflichtdelikt in Mittäterschaft, sondern lediglich um eine Frage der physischrealen Handlungsmöglichkeit, die zum objektiven Tatbestand des Phänotyps „Unterlassen" · also sowohl bei den Herrschafts- als auch bei den Pflichtdelikten - gehört. 47

Siehe unten § 12 A (S. 207 ff ).

48

Man vgl. die Fragestellung nur bei Nagler, Die Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 68 ff; Frank, StGB, S. 102; Ebermayer/Lobe/Rosenberg y StGB, S. 94; Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 239. 11 Sänchez-Vera

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

mann ein Extraneus ist und der positiv verpflichtete Hintermann den äußeren Handlungsvollzug diesem Vordermann ilberläßt. 49 Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft unterscheiden sich nach Roxin bei den Pflichtdelikten nur dadurch, daß im ersten Fall mehrere Verpflichtete, im zweiten ein Intraneus und ein Extraneus zur Erreichung des Erfolges zusammenwirken. Auch Vogel 50 nimmt eine mittelbare Täterschaft des positiv Verpflichteten durch den Einsatz eines extranen Werkzeugs an, weil ansonsten die Versuchsgrenze der unmittelbaren Täterschaft übersprungen werde. Lasse der Pfleger eines gefährlichen Geisteskranken abends dessen Tür offenstehen und gehe dann nach Hause, so liege (noch) kein unmittelbares Ansetzen vor; vielmehr beginne der Versuch erst mit demjenigen des Geisteskranken, und zu diesem Zeitpunkt sei der Pfleger nicht (mehr) erfolgsabwendungsfähig. Gegen die Annahme einer mittelbaren Täterschaft bei den Pflichtdelikten spricht prima facie jedoch schon ein Gedanke, der aus den Grundlagen der Roxinschen Lehre herzuleiten ist, nämlich der Umstand, daß es bei den Pflichtdelikten auf die Tatherrschaft nicht ankommt - wie Roxin immer wieder zutreffend betont. Daraus folgt: Ist bei den Pflichtdelikten die Tatherrschaft zur Erlangung der mittelbaren Täterschaft nicht erforderlich - so auch Roxin -, fehlt es an der Verbindung (durch Herrschaft)

zwischen „Hintermann" und „Vordermann", so daß

eine mittelbare Täterschaft streng genommen nicht möglich ist. Eine solche Verbindung könnte nur noch dadurch begründet werden - allerdings nicht nach der hier vertretenen Auffassung -, daß mehrere Beteiligte in demselben Pflichtbündel stünden. Dann wäre aber - nach Roxin - statt mittelbarer Täterschaft Mittäterschaft anzunehmen. Die Figur der mittelbaren Täterschaft ist also m.E. nicht dazu geeignet, um im Falle einer Wirkung (bzw. Überlassung) eines Intraneus an der Tat eines Extraneus die unmittelbare Haftung des Intraneus erklären zu können. Die Pflicht des positiv Verpflichteten bezieht sich eben ausschließlich auf den Schutz des ihm anvertrauten Rechtsgutes, ohne Rücksicht

49 Roxin, TuT, S. 360 ff; Köhler, AT, S. 506; aus der Rechtsprechung vgl. BGH 2,169 ff. und BGH 39, 381 ff. Siehe auch Roeder, ZStW 69 (1957), S. 226 Anm. 12, 240, 256 f., der die Auffassung vertritt, daß mittelbare Täterschaft schon von Gesetzes wegen anzunehmen sei („so das Gesetz selbst in den §§ 340, 341, 343 StGB") und zu dem Ergebnis kommt, daß, wenn „ein Intraneus an der Tat eines verantwortlich handelnden Extraneus mitwirkt), so der Intraneus als mittelbarer Täter, der Extraneus als Gehilfe strafbar (ist)". Das ist jedoch - abgesehen von der Pflichtdeliktslehre - schon mit dem Begriff der mittelbaren Täterschaft nicht vereinbar. Denn wenn der Extraneus als Gehilfe strafbar sein soll, dann handelt es sich nicht mehr um ein bloßes Werkzeug, also um schiere Natur, so daß auch eine mittelbare Täterschaft nicht mehr in Betracht kommt. 50

Vogel, Norm und Pflicht, S. 288.

§ 9 Die Beteiligung bei Pflichtdelikten

163

darauf, woher und auf welche Weise diesem Gefahren drohen. Aus dieser positiv unmittelbaren Bindung ergibt sich dann auch die unmittelbare Haftung des verpflichteten Hintermannes, ohne daß es auf die Figur der mittelbaren Täterschaft ankäme.51 Ob darüber hinaus der Intraneus per Organisation als mittelbarer Täter eines Herrschaftsdelikts anzusehen ist, ist für die Lehre vom Pflichtdelikt - wie im Falle der Mittäterschaft - ohne Belang. Man mag wohl in diesen Fällen aus rein didaktischen Gründen die Formulierung nach dem Phänotyp, d.h. nach der Erscheinung des Delikts vornehmen - immerhin ist äußerlich „zwischen" dem positiv Verpflichteten und dem Geschehen ein meist verantwortlicher Extraneus eingeschaltet - und das Ganze - mit Roxin - als mittelbare Täterschaft zu bezeichnen, aber dann ist immer zusätzlich zu erklären resp. zu betonen, daß jedenfalls auch hier nur die unmittelbare Pflichtverletzung des positiv Verpflichteten Täterschaft begründet und nicht irgend eine Art Willensherrschaft kraft Irrtums eines Werkzeugs, Willensherrschaft bei Benutzung von Unzurechnungsfähigen oder Jugendlichen, oder ähnliches, kurzum: daß keine Tatherrschaft vorliegen muß. Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Sonderverpflichtete nicht einen irrenden Extraneus, sondern einen dolosen Extraneus als „Werkzeug" benutzt. Es geht um den Fall der sog. „mittelbaren Täterschaft durch Einsatz eines qualifikationslosen aber dolosen Werkzeuges". 52 Der Verpflichtete ist hier - phänotypisch als unmittelbarer Täter anzusehen, während das „Werkzeug" - mangels Täterqualifikation - nur als Gehilfe haftet. Wenn z.B. ein Bediensteter der Post zur Verletzung des Postgeheimnisses einen Nichtbediensteten einschaltet, verletzt er die Pflicht ebenso unmittelbar wie wenn er den Nichtbediensteten - ohne ihn zu steuern - eine solche Verletzung vornehmen läßt, wie § 354 Abs. 2 Nr. 3. ausdrücklich regelt. Allgemein: Läßt ein positiv Verpflichteter das „tatbestandliche" Verhalten eines Dritten geschehen, ist er eigentlich ebenso unmittelbarer Täter, wie wenn er ihm dabei hilft. Man mag hier wiederum aus didaktischen Gründen nach dem Phänotyp die plastische Konstruktion der „mittelbaren Täterschaft 51 Zutreffend betont bereits von Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 170 Anm. 14 und Pizarro Beleza, Coimbra-Symposium, S. 273 f.; i.E. Kühl, AT, 20/267. - Vgl. auch Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 21, der jedoch - im Unterschied zu der im Text vertretenen Auffassung - die Annahme von unmittelbarer Täterschaft als Kritikpunkt an der Pflichtdeliktslehre versteht. 52 Roxin in LK, § 25, Rdn. 134 ff. m.w.N.; ders., TuT, 654 f.; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 32 f.; ders., JuS 1974, S. 377 Anm. 25; i.E. Spendet, Lange FS, S. 155 f.; wohl auch Schünemann, Jura 1980, S. 570 Anm. 90. - A.A., jedoch i.E. ähnlich Köhler, AT, S. 511 f., 551. - Zur alten Lehre des Sonderverbrechen ähnliche Überlegungen bei Merkel, Lehrbuch, S. 141; Nagler, Die Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 70 f.

11*

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

durch Einsatz eines qualifikationslos dolosen Werkzeugs" terminologisch beibehalten, zwingend ist das bei stringenter Anwendung der Lehre vom Pflichtdelikt aber jedenfalls nicht. 53 Eine Diskussion darüber zu führen, wäre allerdings ein müßiger Streit um Worte und ohne jede praktische Bedeutung. Denn selbst wenn man diese Fälle dem Begriff der mittelbaren Täterschaft unterordnet, wird man genauso sagen müssen, daß das unmittelbare Ansetzen zum Versuch - wie oben gesehen54 - bereits mit jedem Versagen der Pflichterfüllung beginnt. Insoweit geht die Auffassung Vogels, nach der die Notwendigkeit einer mittelbaren Täterschaft bei den Pflichtdelikten mit der gegenteiligen Überlegung im Bereich des Versuchs nachgewiesen werden sollte, an der hier vertretenen Auffassung vorbei. Läßt ein positiv verpflichteter Pfleger eines gefährlichen Geisteskranken abends dessen Tür offen und geht er nach Hause, so hat er seine Pflicht bereits verletzt. Was die „Mitwirkung" eines Intraneus an der Tat eines Intraneus angeht, hat die alte Lehre vom Sonderverbrechen die Möglichkeit einer mittelbaren Täterschaft auch bejaht. Kenne der Intraneus die Unverantwortlichkeit des intranen „Täters", so benutze er Um in gleicher Weise wie Naturkräfte. Es handele sich also um einen „Normalfall mittelbarer Täterschaft". 55 Beispiel: Der Mitvormund A lasse es absichtlich pflichtwidrig geschehen, wie der andere gesetzliche Vertreter seines Mündels Β zu dessen Nachteil Verfügungen vornehme. Es stelle sich heraus, daß der zweite Mitvormund Β zur Tat durch Drohungen genötigt worden und A diese Situation bekannt gewesen sei (bzw. A habe Β selber genötigt, Β habe sich bei der Tat geirrt etc.). Hier ist indes die Lage nach denselben Maßstäben wie beim Einsatz eines Extraneus zu behandeln: Die Annahme einer mittelbaren Täterschaft, d.h. die Bezeichnung des Delikts nach seinem Phänotyp, erscheint nicht notwendig, kann aber die Anschaulichkeit der ohnehin gegebenen unmittelbaren Haftung aus didaktischen Gründen vielleicht vereinfachen. Ferner: Handelt der verpflichtete „Hintermann" ohne Überlegenheit, weil er lediglich an der Tat ernes nicht irrenden Qualifizierten mitwirkt, liegt kerne bloße Teilnahmestrafbarkeit des „Hintermannes", sondern kraft positiver Pflichtverletzung eine unmittelbare Täterschaft vor.

53 Vgl. insoweit - für unmittelbare Täterschaft - etwa RG 28, 109 in einem Fall von Falschbeurkundung im Amt. Auch Täterschaft: Jakobs, AT, 21/104; Busse, Täterschaft, S. 385 ff; Schmidhäuser, AT, Studienbuch, 10/97 (auf Unterlassungsfälle bezogen). 54 55

Vgl. oben u.a. S. 87 f., 144 f.

Ν agier, Die Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 132; das folgende Beispiel dort Anm. 1. - Vgl. auch hierzu H. Schultz, SchwZStr 71 (1956), S. 259.

Die Beteiligung bei Pflichtdelikten

Abzugrenzen sind schließlich diejenigen Fälle, in denen der positiv Verpflichtete die Straftaten eines Dritten - etwa eines Kindes oder eines seelisch kranken Menschen - nicht hindert, für den er gerade der positiven Institution wegen zuständig ist. 56 Bei der „mittelbaren Täterschaft" ist allgemein zu ermitteln, ob der Hintermann fur ein bestimmtes Verhalten oder einen Irrtum zuständig ist. Es handelt sich also um (phänotypische) mittelbare Täterschaft kraft Herrschaft oder kraft Verletzung einer positiven Institution, je nachdem, ob die Zuständigkeit für das Werkzeug per Organisation oder positiver Verpflichtung entstanden ist. Beispiel: Schaut die Mutter untätig zu, wie ihr Sohn im Nachbarsgarten Schäden verursacht, so haftet sie wegen Sachbeschädigung (nach der üblichen Terminologie in mittelbarer Täterschaft). Der Grund dafür liegt darin, daß die Zuständigkeit der Mutter nicht auf einer organisatorischen Beziehung zu dem Werkzeug, sondern direkt auf einer positiv institutionellen Begründung beruht. Dies ist seinerseits nicht davon abhängig, ob das Werkzeug deliktisch unterläßt oder begeht. Wenn dieser Fall hier auch nach dem Phänotyp des Delikts als mittelbare Täterschaft qualifiziert wurde, so wäre es doch materiell an sich richtig, wie oben erklärt, das Verhalten ohne Beachtung seiner Äußerlichkeiten als unmittelbare Täterschaft einzustufen. Aber auch hier soll ein Streit um Worte vermieden werden.

D. Strafbarkeit des Intraneus als Anstifter? Wie oben dargestellt wurde, 57 kann der Intraneus nur in der seltenen Fallkonstellation Anstifter sein, in der er ein von ihm abzuwendendes Anstiftungsunrecht geschehen läßt, beispielsweise wenn der Vater bemerkt, wie sein Sohn damit beginnt, einen Dritten zu einer Straftat anzustiften, und er weder die Anstiftung noch die Tat selbst verhindert. Darüber hinaus sind auch Fälle denkbar, in denen eine Zuständigkeit für fremde Tatentschlüsse (nur) positiv institutionell begründet wird, insbesondere im Ver-

56 Vgl. etwa LG Göttingen NStZ 1985, S. 410 f. (das Gericht bejaht fahrlässige Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft eines Arztes, der einen Geisteskranken schlecht verwahrt hat, wobei nach dem Sachverhalt auch eine Bestrafung wegen dolus eventualis denkbar wäre); dazu Schaffstein, Lackner FS, S. 796ff. Siehe auch Freund, Erfolgsdelikt, S. 247ff., 252; Köhler, AT, S. 217,227; Rudolphi in SK, § 13, Rdn. 32 ff; Wolff-Reske, Berufsbedingtes Verhalten, S. 167 ff - Vgl. ferner Nappert, Umweltstrafrecht, S. 155 ff. 57

Siehe oben S. 157 f. im Anschluß an Rudolphi.

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

hältnis der Eltern zu ihren minderjährigen Kindern. Beispiel: 58 Der Sohn und Hoferbe erklärt, er wolle den Hof abbrennen, werde dies aber nur tun, wenn der Vater das Sparbuch nicht wegschließe, damit es nicht ein Raub der Flammen werde; daraufhin läßt der Vater das bereits offen daliegende Sparbuch einfach liegen. Abgesehen von diesen recht seltsamen Fällen liegt immer Täterschaft vor. Denn eine Zuständigkeit kraft positiver Institution zur Verhinderung fremder Tatentschlüsse führt nach der hier vertretenen Auffassung stets zur Täterschaft, und nicht zur Anstiftung, wie gelegentlich behauptet wird. 59 Beispiel: 60 A berichtet einer Mutter, daß er deren Sohn hasse und sich überlege, ob er ihn töten solle. Entgegen ihrer positiven Verpflichtung, das Leben ihres Kindes zu schützen, tut die Mutter nichts, um A seinen Plan auszureden: Täterschaft durch Unterlassen eines Pflichtdelikts und nicht Anstiftung durch Unterlassen (eines Herrschaftsdelikts).

58 Formulierung nach Vogel, Norm und Pflicht, S. 290 im Anschluß an Jakobs, AT, 29/104. Siehe vorher bereits ähnlich Lubber ger, Strafbare Teilnahme durch Unterlassung, S. 110 Anm. 14. 59

Siehe Schmidhäuser, AT, 17/10 mit Nachweisen.

60

Das Beispiel stammt von Schmidhäuser, wie in vorheriger Anm.

§ 10 Die Beteiligung an Pflichtdelikten A. Zur generellen Möglichkeit einer Teilnahme am Pflichtdelikt Zugleich: Einiges über deren Strafgrund Lange Zeit war es umstritten, ob eine Beteiligung des Extraneus am Pflichtdelikt überhaupt möglich sei. Wenn es auch heute einhelliger Meinung entspricht, daß eine solche Möglichkeit de lege lata gegeben ist1 - insoweit mögen einige Ausführungen dazu prima facie überflüssig erscheinen -, so sei die Frage im folgenden dennoch kurz erörtert, um dabei einige Grundsätze über den Strafgrund der Teilnahme am Pflichtdelikt zu verdeutlichen. Kritische Überlegungen hinsichtlich der Teilnahme am Pflichtdelikt resultieren zunächst aus einem Aspekt, der, soweit ersichtlich, erstmals von Brackenhöft, später auch von Köstlin angesprochen wurde. 2 Danach soll die Beihilfe akzessorischer Natur sein, jedoch dürfe man daraus noch nicht schließen, daß die Beihilfe eines Extraneus auch in den Fällen strafbar sei, in denen der Gehilfe selbst die Tat überhaupt nicht hätte begehen können. Es handle sich um einen dem in der Literatur ähnelnden, unstreitigen Fall, daß der „Trabant" nicht für die Qualifizierung hafte, wenn er keine Kenntnis von ihr habe. Die Tätigkeit des Extraneus, der Hilfe geleistet habe, sei vielleicht sehr unmoralisch, rechtlich aber indifferent. Weiterhin könnte man dahin argumentieren, die durch die Pflichtdelikte garantierten Erwartungen gingen den Beteiligten gar nichts an. Die Tat sei eben nur für denjenigen strafwürdig, der das „besondere persönliche Merkmal" aufweise, und nicht für Dritte. Der Teilnehmer könne, wenn ihm die im konkreten Falle erforderlichen persönlichen Eigenschaften, nämlich die Zugehörigkeit zur jeweiligen positiven Institution, fehlt, die aus ihr entspringenden Erwartungen gar nicht 1 Selbst Schmidhäuser, AT, 14/85 Anm. 25 und Langer, Sonderverbrechen, S. 483 (ders., Lange FS, S. 248), die ansonsten de lege ferenda für das Gegenteil plädieren; jüngst Miseri, Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 109. 2 Brackenhöft, Archiv des Criminalrechts 1840, S. 421 ff.; Köstlin, System, S. 282 ff; siehe auch Roßhirt, Archiv des Criminalrechts 1851, S. 516 ff., insb. 520. - Ausführliche Darstellung bei Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 7 ff. - Zu anderen älteren Autoren, die eine Bestrafung der Teilnahme am Sonderverbrechen für möglich gehalten haben, siehe wiederum Hake, aaO., S. 10 f.

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enttäuschen, weil sie ihm gegenüber von der Gesellschaft nicht gehegt würden. Der Umstand, daß der Haupttäter solche beschränkt garantierten Erwartungen enttäusche, könne niemals auf den Teilnehmer übergreifen, wenn ihn selbst diese Erwartungen nichts angingen. Die Beschränkung des Täterkreises bei den Pflichtdelikten würde die Straflosigkeit des extranen Teilnehmers bedeuten.3 Zuletzt könnten Vorwürfe aus der Perspektive der Akzessorietät denkbar sein. Wie gesehen, ist dem positiv Verpflichteten, selbst wenn er den Tatbestand mit anderen in faktischer Arbeitsteilung verwirklicht, das Verhalten dieser anderen wie ein natürlicher Kausalverlauf zuzurechnen, also akzessorietätsüberspringend und normativ unmittelbar. Eine (mögliche) Herrschaft des positiv Verpflichteten ist für den Tatbestand des Pflichtdelikts irrelevant, es kommt vielmehr nur auf die Verletzung der positiven Institution an.4 Der Verpflichtete ist - wie oben dargelegt5 - immer Täter, und zwar unabhängig davon, ob er die Tatherrschaft innehat oder nicht. Auf dieser Grundlage wären wiederum Einwände denkbar, denen derselbe Gedanke wie oben zugrundeläge, nämlich die Ablehnung der Möglichkeit einer Beteiligung Extraner am Pflichtdelikt. Denn die Möglichkeit, den Täter als Zentralgestalt, den Teilnehmer als Randfigur des deliktischen Geschehens zu begreifen, setze voraus, daß es sich für alle um ein und dieselbe Tat handele, was bei den Pflichtdelikten zu bezweifeln sei. Wenn die besonderen persönlichen Umstände bei den Pflichtdelikten eben dem Begriff nach höchstpersönlich seien, so ergebe sich, daß dem außenstehenden Teilnehmer die Pflichtverletzung des Täters der Höchstpersönlichkeit wegen nicht per Akzessorietät zugerechnet werden könne.6

3 Terminologisch anders, der Sache nach aber ebenso Schmidhäuser, AT, 14/85 mit Anm. 25; ders., Studienbuch, 10/38; Langer, Sonderverbrechen, S. 484 ff.; Bambach, Straflosigkeit der Teilnahme am Sonderdelikt, insb. S. 87 ff.; M.-K. Meyer, Die Strafwürdigkeit der Anstiftung, S. 155 f.; dies., GA 1979, S. 269; Miseré , Delikte mit strafbegründender besonderer Folge, S. 99 ff., 101 ff. - Vgl. auch die gesetzliche Lage in Österreich (zufrüherer Dietz Materialien, II. Band, S. 338 mit Anm. 47; zur heutigen, etwas gelockerten [§ 14 ÖStGB] Fuchs, AT, S. 330 ff.). - I.E. ebenso der Entwurf zu einem Strafgesetzbuch der Freien Hansestadt Bremen, zitiert nach Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 15. Weitere Nachweise bei Langer, Sonderverbrechen, S. 137 ff., 150 ff. 4

Siehe oben § 8 A und B (S. 126 ff., 137 ff.).

5

Siehe oben § 9 A (S. 147 ff.).

6

Darüber hinaus käme noch in Betracht, daß die Annahme strafbarer Teilnahme eines Außenstehenden am Pflichtdelikt vor der Einführung des § 28 StGB zwar ständiger, aber keineswegs begründeter Rechtsprechung entsprach. Denn die Entscheidungen stützten sich mehr auf bloße Behauptungen als auf wirkliche Beweise, zahlreiche Entscheidungen verwiesen auf frühere Entscheidungen, in denen keine Begründung vorlag; siehe dazu Bambach, Straflosigkeit der Teilnahme am Sonderdelikt, S. 7 ff, 11. Vgl. auch Baumbach, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 47.

§ 10 Die Beteiligung an Pflichtdelikten

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Diese Vorwürfe - wollte man sie noch de lege lata geltend machen - träfen jedoch nicht. Der erste Einwand, daß nämlich der Extraneus sich deshalb nicht an einem Pflichtdelikt beteiligen könne, weil er mangels Qualifikation grundsätzlich kein Täter des Pflichtdelikts sein könne, würde etwas voraussetzen, was schlechthin das Gesetz nicht vorsieht. Denn die §§26 und 27 StGB machen die Strafbarkeit des Teilnehmers nicht davon abhängig, daß er auch Täter sein kann, vielmehr setzt § 28 StGB Abs. 1 - gerade umgekehrt - voraus, daß der Teilnehmer nicht Täter sein kann.7 Tauglicher Täter ist der Teilnehmer „in seiner Rolle als Teilnehmer", bemerkt Jakobs zutreffend, „also ohne Tatherrschaft oder ohne Sonderpflicht, nie". 8 Das wußte schon Beling, 9 der richtig hervorhebt, daß der „Mangel am Tatbestand" - etwa Nicht-Intraneus-Sein - für die Teilnahme bedeutunglos ist, da der Teilnehmer den „Tatbestandskern", den „Typus im eigentlichen Sinne" nicht verwirklichen muß. Daraus zieht er den Schluß, daß Anstiftung und Beihilfe mit den persönlichen Strafbarkeitsbedingungen des Täters soviel zu tun haben wie mit dessen Ausführungshandlung. Auch die Rechtsprechung vertritt dieses Ergebnis schon seit langem. Speziell für die Anstiftung führt etwa RG 6, 414 ff. (415) folgendes aus: „Das Gesetz hat (...) zum strafrechtlichen Begriff der Anstiftung nur gefordert, daß jemand durch seine Tätigkeit vorsätzlich die Ursache der von einem Anderen begangenen strafbaren Handlung geworden ist, nicht aber, daß bezüglich seiner diejenigen persönlichen Eigenschaften vorhanden sind, welche etwa erforderlich sind, um die strafbare Handlung als Täter begehen zu können. Es ist daher der Begriff der Anstiftung auch zu einem Beamtendelikt nicht dadurch ausgeschlossen, daß derjenige, welcher den Beamten zu dem Beamtendelikt vorsätzlich bestimmt hat, seinerseits, weil er nicht selbst die Beamteneigenschaft besitzt, das Beamtendelikt als Täter nicht hätte begehen können". 10 Die Unmög7

Vgl. noch unten S. 195 ff. mit Anm. 55.

8

Jakobs, AT, 22/8; siehe auch Herzberg, GA 1991, 145 f., 159; ders., JuS 1975, S. 579; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 344 a.E. und f.; auf die „notwendige Teilnahme" bezogen ders., ebenda, S. 117. Der Vergleich mit der Tatherrschaft lehrt noch etwas: Ebensowenig wie die Herrschaft akzessorischer Natur ist - ansonsten wären die Teilnehmer eben keine bloßen Teilnehmer mehr, sondern Täter -, ist die Pflichtverletzung auf die Teilnehmer übertragbar. Trotzdem ist bislang - zu Recht - noch niemand auf die Idee gekommen zu behaupten, daß die Teilnahme an Herrschaftsdelikten nicht möglich sei, weil die Teilnehmer keine Herrschaft innehätten. Warum sollte der Teilnehmer am Pflichtdelikt positiv verpflichtet sein, um Teilnehmer zu sein? I.d.S. bereits Roxin, ZStW 83 (1971), S. 399 und Samson in SK, Vorbem. § 26, Rdn. 16. 9

Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 420 ff.; Merkel, Lehrbuch, S. 148, 139.

10

Dieselbe Argumentation findet sich bei Frank, StGB, S. 103, mit der Ausnahme der Teilnahme von Zivilpersonen an eigentlichen militärischen Delikten; siehe auch dazu Baumbach, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 46 f.; RG 27, 157 ff. (159), jedoch anhand der subjektiven Theorie der Teilnahme. Weitere Nachweise der Jurisprudenz bei Nagler, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 106 f.

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

lichkeit eigener Täterschaft spricht also nicht dagegen, daß man sich an einem Pflichtdelikt beteiligen kann. Die an zweiter Stelle dargelegten Bedenken gegen die Möglichkeit einer Teilnahme am Pflichtdelikt schlagen ebenfalls nicht durch. Es trifft nämlich nicht zu, daß die von den Pflichtdelikten garantierten Erwartungen den positiv Nichtverpflichteten nichts angehen. Die Besonderheit solcher Erwartungen besteht freilich darin, daß sie ohne einen Verpflichteten nicht enttäuscht werden können. Das Verhalten des an einem Pflichtdelikt mitwirkenden Extraneus ist keineswegs rechtlich indifferent, vielmehr wird ihm die Tat des Verpflichteten zugerechnet, wenn ihn auch das Fehlen einer täterschaftlichen Steigerung der Verantwortlichkeit, der Mangel der positiv besonderen Pflichtverletzung weitgehend entlastet. Nur über die Person des positiv Qualifizierten - aber immerhin - wird der Beitrag des Nicht-Qualifizierten überhaupt relevant. Die Enttäuschung der Erwartung durch das Verhalten des Täters ist also - bildlich gesprochen - „das Nadelöhr, das von allem Beteiligtenunrecht passiert werden muß". 11 Die positive Institution kann zwar nur über den Sonderpflichtigen angegriffen werden, aber auch den Extraneus gehen solche Erwartungen mittelbar etwas an. Denn die Rollen grenzen, wie gesehen,12 den Status innerhalb einer Gesellschaft ein, was aber außerhalb der Rolle steht, ist jedoch noch überwiegend Gesellschaft und nicht bloße Natur, d.h. überwiegend auch von Rollenträgern mittelbar (durch den Verpflichteten) angreifbar. Die positiven Institutionen gelten zwar primär nicht für jeden in der Gesellschaft, aber sie sind für die gesamte Gesellschaft unverzichtbar, insoweit die Gesellschaft auch etwas von Gemeinschaft hat - wie das BVerfG 13 annimmt. Daher gehen die Erwartungen dieser positiven Institutionen mindestens mittelbar alle an. 14 „Teilnahme bei Sonderdelikten führt zur Zurechnung trotz Rollentrennung", hat Jakobs treffend festgestellt, „Teilnahme bei Jedermannsdelikten hingegen zur Zurechnung trotz Arbeitsteilung". 15 Die vom GG in seinem Grundrechtskatalog aufgestellte Wertordnung,

11 Jakobs, AT, 22/16. Deshalb ist bei Sonderdelikten die Quantität des Unrechts eines teilnehmenden Extraneus höchstens so groß wie das Unrecht, das der Intraneus verwirklicht {Jakobs, AT, 22/7). Vgl. auch Roeder, ZStW 69 (1957), S. 260. 12

Vgl. oben S. 57 f.

13

Vgl. oben S. 121 f.

14

Zutreffend hervorgehoben von Jakobs, AT, 23/15; Köhler, AT, S. 494; Vogel, Norm und Pflicht,

S. 92. 15

Jakobs, AT, 22/7.

Die Beteiligung an Pflichtdelikten

die u.a. die positiven Institutionen zum Ausdruck bringt, gilt als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bürger. 16 Für die Frage der Akzessorietät findet sich bereits eine ähnliche Antwort in der ersten umfangreichen monographischen Behandlung des Themas der Teilnahme am Sonderdelikt von Nagler aus dem Jahre 1903.17 Nach der Naglerschen Deduktion sei es zwar richtig, daß ein Extraneus alleine nicht den Verstoß gegen die Norm verursachen könne, die Frage solle aber eine ganz andere sein, wenn er mit einem tauglichen prinzipalen Angreifer - also einem Intraneus - verbündet vorgehe. Es komme also darauf an, ob nicht jeder „Untertan" zwar nicht primär, wohl aber sekundär, verpflichtet sei, zumindest wenn er seine Tätigkeit durch einen primär „Vinkulierten" mit der Sondernorm verknüpfe. Kurz: Fraglich sei, ob nicht der Gesetzesbefehl alle Rechtsgenossen wenigstens in zweiter Linie träfe, und zwar, wenn ein primär „Vinkulierter" dazwischen stehe. Die Antwort liegt für Nagler zu Recht auf der Hand: Die Schranken, die der Erreichbarkeit des geschützten Objekts für den Extranen entgegenstanden, sind gefallen, wenn ein Intraneus schon die Gehorsamspflicht verletzt. Die positive Institution ist dann dem Extranen mittelbar zugänglich geworden. An dieser Auffassung wurde kritisiert, daß die von Nagler erwähnten „sekundären Normen" eine Hypothese seien, die sich auf nichts stütze. Sie sei eine absolut willkürliche Annahme Naglers, weil er keinen Nachweis dieser Normen erbringe. 18 Jedoch hat sich dieser Einwand jedenfalls durch die Einführung des § 28 StGB erledigt. 19 Allgemein gilt, daß der Tatbestand, so wie er im BT beschrieben ist, nicht vom Teilnehmer übertreten wird. Vielmehr verwirklicht er einen durch die Teilnahmeregelungen erweiterten Tatbestand.20 Bei den Pflichtdelikten kommen aber nicht nur §§ 26 und 27 StGB wie prinzipiell bei den Herrschaftsdelikten hi Betracht, sondern auch noch zusätzlich § 28 StGB. Deshalb hat die Strafbarkeitserweiterung bei den Pflichtdelikten einen anderen Inhalt als bei den Jedermannsdelikten.21 Denn bei den Pflichtdelikten verbindet die Haupttat 16

Vgl. in diesem Sinne auch Wagner, Amtsverbrechen, S. 394.

17

Nagler, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 113 ff.; vgl. im Ergebnis auch: Binding , Handbuch, S. 333; ders., Grundriss, S. 77; Olshausen, StGB, § 49, Rdn. 20; Frank, StGB, S. 103; R. Schreiber, Täterschaft, S. 56 f.; Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 425 Anm. 2. 18

Baumbach, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 55, siehe auch S. 27.

19

Statt vieler neuerdings Roxin, Stree/Wessels FS, S. 366.

20

Siehe Jakobs, AT, 22/7; Otto, Lange FS, S. 207 und 211 ff.; Stratemverth,

21

Hierzu und zum folgenden: Jakobs, AT, 22/7.

AT, Rdn. 860.

172

Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

den Teilnehmer mit einer positiven Institution, die ihn ansonsten nichts angeht. Bei den Pflichtdelikten erweitern die Teilnahmeregeln (§§ 26, 27, 28 StGB) den Kreis derjenigen, denen ein (fremdes) normwidriges Verhalten zugerechnet werden kann. Es handelt sich um eine „Akzessorietät" i.S. der ursprünglichen Bedeutung des lateinischen Terminus accedere, nämlich „sich an etwas anschließen": Der Extraneus „partizipiert" an dem Pflichtdelikt, indem er sich lediglich an fremde Pflichtverletzung anschließt. Mit § 28 StGB hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, daß die durch die Pflichtdelikte garantierten Erwartungen auch den Extranen etwas angehen - man kann § 28 als die Naglersche „sekundäre Norm" betrachten - und zugleich positiv festgestellt, nach welcher Regel sie dann zu behandeln ist. 22

B. Nochmals: Gemeinschaftliches Verhalten von Extraneus und Verpflichtetem als Mittäterschaft? Bereits oben23 wurde die Figur der Mittäterschaft zwischen dem Täter eines Herrschaftsdelikts und einem positiv Verpflichteten abgelehnt. Allerdings wurde dies fast ausschließlich anhand von Überlegungen aus der Perspektive des positiv Verpflichteten festgestellt und darüber hinaus nicht für die Fälle positivierter Pflichtdelikte untersucht. Nun ist das Ganze - im Zusammenhang mit der Beteiligung am Pflichtdelikt - aus der Perspektive des Extraneus kurz zu betrachten. Von dieser Sicht ausgehend hat schon die alte Sonderverbrechenslehre zutreffend anerkannt, 24 daß nur „die Angehörigen eines besonderen Personenkreises" Mittäter des Sonderverbrechens sein können, weil die Mittäterschaft die charakteristischen Merkmale des Täterbegriffs nicht berühre: Ein Extraneus könne ebensowenig Mittäter wie Täter sein. Heute gilt das immer noch für die Pflichtdelikte, 25 und zwar auch in den Fällen, in denen der Extraneus die „Tatherrschaft" innehat, da die Tatherrschaft bei den Pflichtdelikten keine Mittäterschaft zu begründen vermag. Ein Extraneus kann z.B. nicht Täter einer Aussageerpressung im Amt 22

Dazu unten § 11 (S. 180ff., insb. 195 ff).

23

Siehe § 9 Β (S. 158 ff).

24

In diesem Sinne bereits Merkel, Lehrbuch, S. 142; Nagler, Die Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 79,48; Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 236,239,408 f.; Ebermayer/Lobe/Rosenberg, StGB, S. 94 und 247; Olshausen, StGB, § 47, Rdn. 20; Baumbach, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 33. 25 Zutreffend betont von Roxin, TuT, S. 355. - Vgl. ferner Jakobs, AT, 21/59; Derksen, GA 1993, S. 175.

Die Beteiligung an Pflichtdelikten

sein, gleichgültig ob er Mitträger der „Tatherrschaft" ist oder nicht. Er haftet immer als Gehilfe, wobei der Umstand der Ausübung oder Nichtausübung dieser „Tatherrschaft" bei der Strafzumessung Berücksichtigung findet. 26 Oben wurde dargelegt, daß das Zusammentreffen zwischen dem Täter eines Herrschaftsdelikts und dem eines Pflichtdelikts eine Nebentäterschaft darstellt. Damit ist aber der Verpflichtete zunächst nur als solcher in Betracht genommen, d.h. richtigerweise allein in seiner Rolle als positiv Verpflichteter. Aber darüber hinaus kann der positiv Verpflichtete - wie jeder Dritte - auch etwas organisiert haben. In diesem Fall begeht er an sich auch noch zugleich ein anderes Delikt, nämlich ein Herrschaftsdelikt. Der Verpflichtete kann also mit dem Extraneus ein Beteiligten-Kollektiv bilden, indem beide arbeitsteilig organisieren und zwar selbst in der Weise, daß er durch die Organisation zum (Mit-)Täter wird, aber dann eben zum Mittäter eines Herrschaftsdelikts und nicht eines Pflichtdelikts. 27 Zu den Konkurrenzen zwischen beiden Delikten, nämlich zwischen dem Pflichtund dem Herrschaftsdelikt, wird noch an einer späteren Stelle eingehend die Rede sein.28 Beispiel: Wenn eine Mutter einen Dritten anstiftet, ihr Kind zu töten, so handelt es sich um ein Pflichtdelikt (Eltern-Kind-Verhältnis), wobei aber Mutter und Dritter auch gemeinsam organisieren: Ist der Beitrag des Dritten hinreichend für die Begründung seiner Täterschaft, so ist er auch Täter kraft Herrschaft, selbstverständlich nicht des Pflichtdelikts, sondern eben eines Herrschaftsdelikts. Das ist nur dann ausgeschlossen, wenn das Pflichtdelikt als positiviertes Pflichtdelikt formuliert worden ist, etwa im Fall der Untreue: Wer in „Mittäterschaft" zusammen mit dem Vormund organisiert, kann nicht Mittäter eines Herrschaftsdelikts sein, weil das Delikt als positiviertes Pflichtdelikt formuliert ist - man muß selbst etwa Vormund sein -, aber sein an sich mittäterschaftlicher

Beitrag am

Geschehen ist jedenfalls im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. 29

26

Siehe noch unten § 12 Β (S. 211 ff.).

27

Vgl. schon Lesch, ZStW 105 (1993), S. 289.

28 Siehe unten § 12 A (S. 207 if.). - Für den Extraneus heißt das: Er beteiligt sich an einem Pflichtdelikt ([MitJTäter kann er nicht sein!) mit einem „Mittäter"-Quantum und begeht zugleich als Täter ein Herrschaftsdelikt, was wohl eine Idealkonkurrenz bedeutet (sonst kommt das schwere Unrecht, an einem Pflichtdelikt mitgewirkt zu haben, nicht zum Ausdruck). - Die Seite des Extraneus soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden. 29

Siehe noch unten § 12 B (S. 211 ff.).

174

Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

C. Mittelbare Täterschaft eines Extraneus durch Benutzung eines Intraneus? In der Diskussion über die Strafrechtsreform hat Gallas zur Problematik angeblicher Strafbarkeitslücken im Bereich der Beteiligung am Pflichtdelikt folgendes bemerkt: „a) Straflos ist, wer sich bei der Begehung der Tat vorsätzlich eines ohne Vorsatz oder schuldlos Handelnden bedient und nicht als mittelbarer Täter bestraft werden kann, weil das betreffende Delikt nur eigenhändig begehbar ist oder besondere Tätermerkmale (Eigenschaften, Verhältnisse, Absichten) voraussetzt, die zwar bei dem Werkzeug, nicht aber bei ihm vorliegen, b) Straflos ist, wer bei der Begehung der Tat mit einem ohne Vorsatz oder schuldlos Handelnden vorsätzlich zusammenwirkt, jedoch nicht als Täter bestraft werden kann, weil das betreffende Delikt nur eigenhändig begehbar ist oder besondere Tätermerkmale (...) voraussetzt, die zwar bei dem anderen, nicht aber bei ihm vorliegen". 30 Nachfolgend wird die Frage untersucht, wie diese Fälle, in denen ein Extraneus einen jedenfalls straflosen Intraneus als „Werkzeug" benutzt bzw. mit ihm „zusammenwirkt, im Lichte der Pflichtdeliktslehre zu behandeln sind. Als Schulbeispiel gilt folgendes: Eine Prozeßpartei veranlaßt den getäuschten Richter zu einer Entscheidung, die objektiv eine Rechtsbeugung darstellt. Das angebliche Problem dieser Fallkonstellation besteht darin, daß der Extraneus straffrei ausgeht: Eine Teilnahme (Anstiftung) erscheint nicht möglich, da der Vordermann und positiv Verpflichtete mangels Vorsatzes keine tatbestandsmäßige Rechtsbeugung begeht, so daß lediglich eine Bestrafung des Extraneus wegen mittelbarer Täterschaft in Betracht kommt, die aber ihrerseits daran scheitert, daß es sich um ein Pflichtdelikt handelt und dem Hintermann die erforderliche Qualifikation gerade fehlt. Eine erste, einfache Lösung läge in der Bejahung der mittelbaren Täterschaft eines Extraneus. Sie wird jedoch in der Literatur kaum vertreten, 31 und zwar zu Recht. Mit den Worten Gallas': „Eine mittelbare Täterschaft ist (...) von vornherein dort ausgeschlossen, wo (...) es in der Person des mittelbar Handelnden an den besonderen Eigenschaften, Verhältnissen oder Absichten fehlt, von denen das 30 31

Gallas, Materialien I, S. 140.

Siehe aber v. Hippel, Deutsches Strafrecht, 2. Band, S. 482 f. (m.w.N. in Anm. 4); ders., Lehrbuch, S. 167 (5), 168 bei und in Anm. 6; Germann, ZStW 71 (1959), S. 174 f. Ebenso die Entwürfe der Strafrechtskommission von 1913 (§ 37 I) und von 1919 (§ 30), zit. nach Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 42 Anm. 22; siehe auch ders., ebenda, Anm. 102 auf S. 178. Vgl. ferner H. Schultz, SchwZStr 71 (1956), S. 260 f.

Die Beteiligung an Pflichtdelikten

Gesetz den deliktischen Charakter der Tat abhängig macht". 32 In der Tat: Der mittelbare Täter ist jedenfalls Täter und muß daher - ebenso wie oben für den MitTäter dargelegt - höchstpersönlich die Sonderpflicht verletzen. Eine solche Pflichtverletzung kann jedoch auch nicht dadurch begründet werden, daß er einen Intraneus als Werkzeug zur Durchführung des verpönten Aktes benutzt. Denn aus der Höchstpersönlichkeit der Pflicht ergibt sich die Konsequenz, daß der Hintermann entweder verpflichtet ist und damit per se zum Täter wird, 33 oder daß er es eben nicht ist, ihm dann aber - als Extraneus - die Tatbestandsverwirklichung unzugänglich bleibt. Ein physisches Mittel kann der Extraneus jederzeit beschaffen, die rechtlichen Voraussetzungen positiver Institutionen aber nicht. „Die Überleitung der persönlichen Qualität, die dem Werkzeug anhaftet, auf den Handelnden, vergewaltigt deren höchstpersönliche Natur", 34 hat Nagler zutreffend festgestellt. Ist der „Hintermann" nicht qualifiziert, muß das ganze Geschehen strafrechtlich irrelevant sein, denn eine positive Institution ist nicht verletzt worden. Das entspricht seit jeher der Rechtsprechung, die - wie Roxin - das deliktische Geschehen mit Vorliebe nach dem Phänotyp bezeichnet, also von einem mittelbaren Täter spricht. Voraussetzung für die Annahme einer strafbaren mittelbaren Täterschaft ist, wie es in einer alten Entscheidung des RG heißt, „daß den »mittelbaren Täter 4 die eigene Vornahme der Ausführungshandlung in gleicher Weise strafbar machen würde". 35 „Sonderstraftaten, zu deren Tatbestand besondere Tätereigenschaften gehören - wie die Beamteneigenschaft bei den Amtsverbrechen, die Eigenschaft eines Bevollmächtigten bei einer bestimmten Art der Untreue -", heißt es einige Jahre später, „können im Wege der mittelbaren Täterschaft nur von solchen Personen begangen werden, bei denen jene Tätereigenschaften vorhanden sind." 36

32 Gallas, Materialien I, S. 133; siehe auch Roeder, ZStW 69 (1957), S. 240. - Selbst Eb. Schmidt, Frank FS, II. Band, der vertritt, daß „alle Delikte in mittelbarer Täterschaft begehbar sind" (S. 128), läßt für die Sonderdelikte eine Ausnahme gelten (S. 130). 33

Dazu siehe ausführlich oben § 9 A (S. 147 ff.).

34

Nagler, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 73. Be ling, Lehre vom Verbrechen, S. 239, ferner S. 328 ff; Frank, StGB, I, S. 102; Ebermayer/Lobe/Rosenberg, StGB, S. 94. - Man könnte sich aber wegen des Einsperrens einer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft nach §§ 239, 25 12. Alt. StGB schuldig gemacht haben (BGH 3, 4 ff; aus der Literatur siehe nur Nagler, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 75, 131 f. oder Jakobs, AT, 21/86 m.w.N.). 35

RG 44,69 ff. (71).

36

RG 63, 313 ff (315).

176

Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

Insoweit kann in dem Beispielsfall des Richters (oder in ähnlich gelagerten Fällen) eigentlich weder von einer Problematik noch von einer ausfüllungsbedürftigen Strafbarkeitslücke die Rede sein. Denn es liegt auf der Hand, daß nicht per se jeder Fall von Straflosigkeit kriminalpolitisch unbefriedigend ist, w e i l es durchaus - etwa in dem hier diskutierten Fall - denkbar erscheint, daß schlechterdings gar kein Strafbedürfnis besteht. 37 Die Rechtsbeugung setzt voraus, daß der Richter bewußt falsch entscheidet, nicht aber, daß er durch Irrtum oder auch durch Täuschung zu einer irrtümlichen Entscheidung gelangt. 3 8 Läßt man das unberücksichtigt, so wäre jeder „ T r i c k " eines Rechtsanwaltes, der zu einer materiell oder prozessual fehlerhaften Entscheidung führen würde, eine Rechtsbeugung, da hier „ o b j e k t i v " eine „Rechtsbeugung" vorliegt. Oft würde ein Zivilprozeß in einen Strafprozeß einmünden. Die Erschleichung eines Urteils wäre Rechtsbeugung in mittelbarer Täterschaft! Eine Bestrafung solcher Fälle würde zwar in Einzelfällen vielleicht einem Strafbedürfnis entsprechen, generell gesehen aber zu weit gehen. 39 37 Ein ähnliches Problem bilden die Fälle der Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat, bei denen dem Hintermann eine formulierte persönliche Eigenschaft fehlt (es geht also nicht um Pflichtdelikte, sondern um Sonderdelikte i.w.S.). Zwei Beispiele: (1) Der Angeklagte A hat einen Arzt unter der Vorspiegelung, es handle sich um eine zulässige kollegiale Auskunft, zur Preisgabe des Berufgeheimnisses veranlaßt (BGH 4, 355 ff; dazu Roxin, TuT, S. 368 f.). (2) Der an einem Unfall nicht Beteiligte Ν hat den Fahrer (also einen Unfallbeteiligten) durch die unrichtige Behauptung, daß alles in Ordnung sei, zum Verlassen der Unfallstelle bewegt (BGH MDR 1959, S. 508; dazu Roxin, TuT, S. 369). - Nach der Tatherrschaftslehre ist in diesen Fällen keine Teilnahme möglich, weil es eine Teilnahme an unvorsätzlicher Tat nicht gibt. Denn wenn der Hintermann den Sachverhalt durchschaut, kann er gerade nicht Teilnehmer sein, weil er den Ablauf beherrscht; andererseits kann der nicht tatherrschaftlich handelnde Vordermann nicht Täter sein, weil Täterschaft Tatherrschaft voraussetzt (Roxin, TuT, S. 355 f.). Nach Roxin ist aber eine Teilnahme an unvorsätzlicher Haupttat denkbar; denn die Teilnahme werde bei den Pflichtdelikten nicht mehr durch eine Mitwirkung ohne Tatherrschaft, sondern durch eine Beteiligung ohne Sonderpflichtverletzung charakterisiert (Roxin, TuT, S. 367 ff.; ders., ZStW 85 [1973], S. 102 f.; siehe auch Rudolphi, GA 1970, S. 361 ff.). - Nach Jakobs sind diese Fälle jedoch keine Pflichtdelikte, weil keine positive Institution in Betracht kommt, sondern vielmehr Herrschaftsdelikte, in denen der Täterkreis - aus welchen Gründen auch immer - vom Gesetzgeber beschränkt wurde. Insoweit scheide eine mittelbare Täterschaft mangels der Qualifizierung des Hintermanns aus, eine Teilnahme wegen der Unvorsätzlichkeit der Haupttat. Siehe Jakobs, AT, 22/12 und ferner 21/72; Köhler, AT, S. 512; Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 232 f., 259 f.; Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 64 f. (aber auch S. 79 f., wo Hake solche Tatbestände der Sache nach als Pflichtdelikte einstuft); H. Mayer, Rittler FS, S. 264 f., 273. - Während im Falle des Fahrers - nach der hier dargelegten Konzeption - keine positive Institution in Betracht kommt, scheint mir jedoch im Falle des Arztes die Schweigepflicht einer positiven Institution zu entspringen - er muß den Patienten z.B. auch über die Nebenwirkungen eines Medikaments aufklären, selbst wenn dieser nicht danach gefragt hat - und insoweit handelt es sich um ein Pflichtdelikt. Aber gerade deshalb ist die Verletzung der positiven Institution nur durch den positiv Verpflichteten erreichbar, das bedeutet für das Beispiel Straflosigkeit des „Hintermanns" genauso wie im Fall des getäuschten Richters (dazu im Text). 38 Vgl. H. Mayer, Rittler FS, S. 249,266; Welzel, ZStW 61 (1942), S. 212; neuerdings Köhler, AT, S. 507. 39

Vgl. Gallas, Materialien I, S. 145; Jakobs, AT, 21/104.

Die Beteiligung an Pflichtdelikten

Dem Gesetzgeber ist die soeben dargelegte Auffassung auch in weiteren Fällen zu unterstellen. Dazu zunächst ein Beispiel: 40 Der des Mordes verdächtige A will ins Ausland fliehen. Mit gefälschten Dokumenten bewegt er den Beamten Β dazu, ihm einen Reisepaß mit falschem Namen auszustellen. Auch wenn man den A wegen seiner Tatherrschafi als mittelbaren Täter des in § 348 StGB beschriebenen Aktes der Falschbeurkundung sähe, könnte er nach dieser Vorschrift nicht bestraft werden, weil sie die Täterschaft auf bestimmte Beamte beschränkt. Weiterhin scheidet Anstiftung zu § 348 StGB aus, weil Β unvorsätzlich handelt. Der Gesetzgeber hat diese Lücke erkannt und mittels § 271 Abs. 1 StGB geschlossen. § 271 StGB ist also ein weiterer Beweis dafür, daß die „mittelbare Täterschaft" einer Person ohne Täterqualifikation durch „Benutzung eines Qualifizierten" vom Gesetzgeber nicht anerkannt wird; ansonsten wäre die Schaffung des § 271 StGB nicht nur überflüssig, 41 sondern geradezu verfehlt. Denn die von einem Extraneus in mittelbarer Täterschaft durch den Einsatz eines Intraneus als Werkzeug begangene Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) würde mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe belegt, so daß es für die geringere Strafe der mittelbaren Falschbeurkundung des § 271 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) keine plausible Erklärung gäbe.

D. Beihilfe und Anstiftung zum Pflichtdelikt Jeder Dritte kann grundsätzlich zur Tat eines positiv Verpflichteten Hilfe leisten bzw. zu einem Pflichtdelikt anstiften. Hier treten im Prinzip keine Schwierigkeiten auf, die nicht auch im Bereich der Herrschaftsdelikte auftreten würden. Problematisch ist eigentlich in solchen Fällen nur die Rolle des § 28 StGB, der sogleich im nächsten Abschnitt zu behandeln ist. Im Hinblick auf die Fälle, in denen ein Dritter einen Beitrag zu einem Pflichtdelikt leistet, ist zunächst danach zu differenzieren, ob der Dritte selbst positiv verpflichtet ist oder nicht. Insoweit lassen sich zwei verschiedene Fallkonstellationen bilden, wobei die erste freilich mit der Beihilfe zum Pflichtdelikt eigentlich nichts zu tun hat. (a) Gehört nämlich der „Gehilfe" selbst zu den positiv Verpflichteten, so ist sein Beitrag jedenfalls als täterschaftlicher Beitrag zu bewerten, wie schon oben ausführlich dargestellt wurde. 42 Dazu ein zu Beginn dieses Jahr40

Nach Herzberg., JuS 1974, S. 240.

41

So etwa Roeder, ZStW 69 (1957), S. 240.

42

Vgl. oben § 9 A (S. 147 ff., 150 ff.).

12 Sänchez-Vera

178

Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

hunderts erörtertes Beispiel: 43 „Der Postbote A will die Bestellung eines für ihn gravierlichen, der Post anvertrauten Briefs (etwa eines Kündigungsschreibens) auf einige Tage unbefugt verzögern und hat sich dazu des Postbeamten Β versichert, der ihm von dem Eingange des Poststückes Kenntnis geben soll. Der Brief kommt bei dem Sortieren dem Β in die Hände. Da A nicht zugegen ist und damit die Ausführung seines Vorhabens in Frage gestellt wird, entschließt sich B, den Brief einstweilen in seine Tasche zu stecken, und übergibt ihn später dem A, der ihn an sich (etwa mit in seine Wohnung) nimmt und nun tatsächlich bis zum Ablauf der Frist zurückbehält". Hier hat sich Β nicht als bloßer Gehilfe, sondern als Täter gemäß § 354 Abs. 2 StGB strafbar gemacht, (b) Wandelt man das Beispiel so ab, daß Β kein Postbeamter, sondern irgendein Dritter ist, so haftet er nur als Gehilfe. Allgemeiner gesprochen, wenn derjenige, der die Hilfe leistet, nicht selbst positiv Verpflichteter ist, kommt nur eine Beihilfe in Betracht. Wie oben nachgewiesen wurde - und schon Nagler 44 festgestellt hat -, ist es im Ergebnis belanglos, ob der Extraneus eine „untergeordnete Bedingung zum Erfolg setzt" oder „im Dienste des Täters den gesamten äußeren Erfolg verursacht": er ist auf jeden Fall Gehilfe, wobei - wie noch unten ausführlich zu behandeln sein wird 45 - das unterschiedliche Quantum des Beitrags zum Erfolg bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist. An sich wird auch die Anstiftung zum Pflichtdelikt seit jeher als unproblematisch angesehen.46 Wenn z.B. ein Bäckermeister einen Steuerbeamten veranlaßt, in einem öffentlichen Register zum Zwecke der Steuerersparnis etwas Falsches einzutragen, liegt - wie bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts das preußische Obertribunal dargelegt hat 47 - eine Anstiftung zum Pflichtdelikt vor, nämlich zur Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB). Die Entscheidung beschäftigt sich aber - wie erwartet - nicht lange mit der Anstiftung als solcher - sie war schon damals für Lehre und Rechtsprechung unproblematisch -, sondern vielmehr mit der Frage, ob „die Strafe des Anstifters demselben Strafgesetze zu entnehmen (ist), wie die 43

Nagler, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 128 f. Vgl. auch Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 421. 44

Nagler, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 129 f.

45

Siehe unten § 12 B (S. 211 ff). - Wie oben gesagt, ist die Konkurrenz mit einem Herrschaftsdelikt möglich. 46 Man vgl. nur die Thematik bei Nagler, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 148 ff; Olshausen, StGB, § 48, Rdn. 20; Ebermayer/Lobe/Rosenberg, StGB, S. 251. Heute vgl. etwa (allerdings speziell für die Unterlassungsfälle) Roxin, TuT, S. 524 a.E. und f.; S tree, GA 1963, S. 1 ff., 12 f.; Vogel, Norm und Pflicht, S. 296; Mobs, AT, 29/109 mit Anm. 218. 47

Preuß. Obertribunal, GA 20 (1872), S. 184 ff.

Die Beteiligung an Pflichtdelikten

des Angestifteten". Dabei wurde zwischen solchen Amtsdelikten, „die ein Gemeindelikt enthalten, das durch die Beziehung desselben zu der amtlichen Stellung des Thäters in seiner Strafbarkeit erhöht wird", und solchen, „in denen die Handlung ohne diese Beziehung gar keine Straftat darstellt", unterschieden. Wie der Leser aber schon bemerkt haben wird, sind dies keine Fragen der Anstiftung zum Pflichtdelikt an sich, sondern solche über die Wirkungen bei der Teilnahme von der besonderen positiven Pflichtstellung des Täters, d.h. heute eine Frage über die Anwendbarkeit des § 28 StGB genauso wie zur Zeit der Entscheidung eine solche der Anwendbarkeit des alten § 50. Damit sind wir beim eigentlichen Problem der Anstiftung (und der Beihilfe) zum Pflichtdelikt angekommen, nämlich der Frage, wie § 28 StGB in diesen Fällen anzuwenden ist.

§ 11 Eine harmonische Lösung für § 28 StGB im Lichte der Lehre vom Pflichtdelikt A. Einleitung Es ist bereits gezeigt worden, daß die Beteiligung Extraner am Pflichtdelikt überhaupt möglich ist.1 Problematisch erscheint jedoch vor allem die Regelung, nach der diese Beteiligung behandelt werden soll. In groben Zügen läßt sich heute wie im Jahre 1840 mit Brackenhöft immer noch fragen, „ob die Strafbarkeit des Gehülfen nach dem Verbrechen zu bestimmen sei, welches der concrete Täter begangen, oder nach demjenigen, welches der Gehülfe im concreten Falle begangen haben würde, wenn er die Rolle des Täters gespielt hätte".2 Zwar ist die Rechtslage de lege lata inzwischen natürlich nicht mehr dieselbe, aber es lassen sich doch gewisse Parallelen ausmachen. Brackenhöft hat die alte Rechtslage wie folgt geschildert: „Zwei Gesetze geben einen Anhaltspunkt für die Beantwortung dieser Frage, widerstreiten sich aber gradeswegs, indem die persönlichen Verhältnissse des Täters, welche Einfluß auf die Strafbarkeit desselben haben, nach dem einen denselben Einfluß auf die des Gehülfen äußern, nach dem andern nicht." Und in der Tat ist die Lage bis heute ähnlich geblieben, jedenfalls sind ähnliche Lösungsansätze denkbar. Denn auch die Regelung des § 28 StGB scheint zwei gänzlich verschiedene Lösungen zur Behandlung der Beteiligung eines Extraneus an der Straftat eines Intraneus anzubieten. Nach § 28 Abs. 2 haben die „persönlichen Verhältnisse des Täters" keinen „Einfluß auf die Strafbarkeit des Gehülfen" - so könnte man das mit der alten Terminologie ausdrücken -, nach Abs. 1 haben sie zwar nicht „denselben Einfluß" - wie Brackenhöft schilderte -, weil die Strafe des Beteiligten gemäß § 49 StGB zu mildern ist, aber immerhin einen Einfluß dergestalt, daß der Beteiligte nach dem Strafrahmen des vom positiv Verpflichteten begangenen Delikts bestraft werden soll. Die hier zu untersuchende Frage bewegt sich im Rahmen dieser beiden Alternativen. Andere Lösungsansätze sind denkbar, jedoch nach den bisher vorhandenen 1 2

Siehe oben S. 167 ff, 177 ff.

Dieses und das nächste Zitat Brackenhöft, S. 410 ff.

Archiv des Criminalrechts 1840, S. 415, siehe auch

§ 11 Lösung fur § 28 StGB im Lichte der Pflichtdeliktslehre

181

Überlegungen schon von vornherein abzulehnen. Möglich wäre etwa eine voll akzessorische Behandlung des Beteiligten am Pflichtdelikt, ihn nämlich ohne jegliche Besonderheit (d.h. - abgesehen von der Regelung des § 27 Abs. 2 Satz 2 ohne jegliche Strafmilderung) nach dem Pflichtdelikt zu behandeln. Abgesehen davon, daß diese Lösung den oben gewonnenen Ergebnissen widerspräche (der Extraneus kann nur durch den positiv Verpflichteten auf die positive Institution zugreifen 3), wäre dieser Vorschlag mit § 28 StGB jedenfalls nicht vereinbar - wie selbst seine Verfechter zugeben.4 Die andere denkbare Lösung bestünde - im Gegenteil - gerade darin, jede Verbindung zwischen dem positiv verpflichteten Täter und dem Extraneus zu verneinen, und somit für die Straflosigkeit des Extraneus zu plädieren, 5 was aber oben bereits abgelehnt wurde. Im folgenden sind deshalb nur diejenigen Ansätze zu berücksichtigen, die - zumindest prima vista - mit § 28 StGB vereinbar sind. Dabei werden vor allem die auf dem Boden der Pflichtdeliktslehre gewonnenen Ergebnisse zum Ausgangspunkt der Überlegungen gemacht. Denn es wird hier nicht untersucht, wie § 28 StGB auf andere, sehr umstrittene Fragen wirkt - etwa auf die der Mordmerkmale, der sog. Eigenhändigkeit oder der Schuld -, sondern nur - ohne Anspruch auf Vollständigkeit außerhalb dieses Bereichs - wie sich die Lösung auf die Pflichtdelikte auswirkt.

B. Das Problem Nach h.L. soll der extrane Anstifter oder Gehilfe, der einen Intranen zu einem sog. unechten Sonderdelikt (hier: „unechten Pflichtdelikt") bestimmt bzw. ihm dabei Hilfe leistet, als Teilnehmer nicht am Pflichtdelikt, sondern gemäß § 28 Abs. 2 am „Grunddelikt" bestraft werden, d.h. wegen Teilnahme an dem Delikt, welches übrigbleibt, wenn man im Hinblick auf ein Pflichtdelikt die besondere Pflichtenstellung des Täters wegdenkt.6 Dagegen sei § 28 Abs. 1 3

Siehe oben S. 170 f.

4

Siehe etwa Grünwald, Armin Kaufmann GS, S. 561 ff., 570: „Jedenfalls die Amtsträgereigenschaft" sei nach § 28 StGB zu behandeln. 5 6

Siehe bereits oben § 10 A (S. 167 ff.).

Siehe Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 116 f.; ders. y GA 1991, S. 161 ff.; Köhler, AT, S. 548 f.; Kühl, AT, 20/150 f., 20/161, 20/163; Baumann/Weber/Mitsch, AT, 32/20 f., 32/23 ff.; Maurach/Gössel/Zipf, AT I, 53/118 ff, AT II, 53/129 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 657; Lackner StGB, § 28, Rdn. 8; Samson in SK, § 28, Rdn. 22 ff.; Schönke/Schröder-Cramer, § 28, Rdn. 28; Haft, AT, S. 204 ff.; Küper, ZStW 104 (1992), S. 577 ff.; Eser, Strafrecht U, Fall 42 A, Rdn. 17 ff.; Otto, AT, 22/13 ff; Sippel, Kettenanstiftung, S. 39 ff.; V. Hassemer, Delictum sui generis, S. 58 ff; Lüdersen, Strafgrund der Teilnahme, S. 197 f.; i.E. ähnlich Gerì , Besondere persönliche Merkmale, S. 269 ff, 246 ff; aus der Perspektive der Lehre vom Teilnehmerdelikt: M.-K Meyer, GA 1979, S. 261; aus

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

anzuwenden und die Strafbarkeit des Teilnehmers nach dem Strafrahmen des Pflichtdelikts zu bestimmen, wo es keinen Grundtatbestand bezüglich des Pflichtdelikts gebe - sog. echtes Sonderdelikt (hier: „echtes Pflichtdelikt"). In § 28 Abs. 1 werde eine Strafmilderung nach der allgemeinen Regelung des § 49 Abs. 1 StGB angeordnet und zwar vom Strafrahmen des - echten - Pflichtdelikts, während der Gesetzgeber in § 28 Abs. 2 vom Strafrahmen des Gemeindelikts ausgehe. Kurzum: Die h.M. behandelt Abs. 1 nur als Strafzumessungsvorschrift, Abs. 2 hingegen als Anordnung einer Tatbestandsverschiebung. Dazu zwei Beispiele: Stiftet ein Extraneus einen Amtsträger, etwa einen Richter, zu einer Rechtsbeugung an, soll der nicht positiv verpflichtete Extraneus gemäß § 28 Abs. 1 nach dem Strafrahmen der Rechtsbeugung bestraft werden, d.h. gemildert nach § 49 Abs. 1. Stiftet ein Extraneus dagegen einen Amtsträger zu einem Delikt an, das nach der herkömmlichen Lehre einen Grundtatbestand aufweist, etwa zur Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB), soll der angestiftete Täter aus dem Strafrahmen des § 340, der Anstifter aber nur aus dem des Grundtatbestandes, also hier des § 223 StGB (i.V. mit § 26 StGB), bestraft werden. Das bedeutet, daß ein und dasselbe (persönliche) Merkmal, etwa die Beamteneigenschaft, einmal, nämlich bei den sog. echten Pflichtdelikten, eingeschränkt akzessorisch wirkt (die Strafe soll gemildert werden), weil die Strafbarkeit des Teilnehmers gemäß § 28 Abs. 1 aus dem Deliktstyp des Haupttäters bestimmt wird, ein anderes Mal aber gar nicht übertragbar ist, weil der Teilnehmer aus dem Strafrahmen des Grundtatbestandes zu bestrafen ist (etwa bei der Körperverletzung im Amt, § 28 Abs. 2). Indem bei den „echten" Pflichtdelikten die Beteiligten nach dem Deliktstyp der Haupttat bestraft werden, hebt Abs. 1 die Akzessorietät nicht völlig auf, während es sich bei den „unechten" Pflichtdelikten nach dieser Lehre um eine Durchbrechung der Akzessorietät gemäß § 28 Abs. 2 handelt. Daß sich ein und dasselbe Merkmal einerseits auf die Wahl des Deliktstyps (§ 28 Abs. 2), andererseits auf die des Strafrahmens (§ 28 Abs. 1) auswirkt, kann

der Rechtsprechung: BGH 22, 375 ff.; BGH 26, 53 ff; BGH wistra 1987, S. 30 f. - Besonders kritisch i.E. aber übereinstimmend, weil sie dem positiven Recht verhaftet zu sein glauben: Jakobs, AT, 23/30 mit Anm. 33, 23/34; Hirsch, Hilde Kaufmann GS, S. 143 f. mit Anm. 31; ders. in LK, § 340, Rdn. 16; Stratenwerth, AT, Rdn. 936 ff., 941. Ohne Abs. 2 für eine Bestrafung aus dem Grunddelikt Anwendung machen zu wollen Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 213. Siehe weitere Nachweise bei Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 38. - Vor dem Inkrafttreten des § 28 war eine unterschiedliche Behandlung der sog. strafmodifizierenden und der sog. strafbegründenden Merkmale herrschende Rechtsprechung, wobei dann die Zugehörigkeit zu dieser oder jener Kategorie überhaupt für die Strafmilderung entscheidend war; siehe dazu BGH 1,235 (240), BGH 5,75 (81 f.),RG55,181 (182) und Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 51 ff, 70 ff.

§ 11 Lösung fur § 28 StGB im Lichte der Pflichtdeliktslehre

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nur verwundern. 7 Vom hier vertretenen Standpunkt aus ist die Lage noch überraschender: Da es sich sowohl im Fall der sog. echten Pflichtdelikte, etwa der Rechtsbeugung, als auch in dem der sog. unechten Pflichtdelikte, z.B. der Körperverletzung im Amt, um ein Pflichtdelikt handelt, ist es schwer zu erklären, weshalb es für die Teilnehmer an dem jeweiligen Pflichtdelikt einen rechtlich relevanten Unterschied geben soll. Aber der Umstand, daß ein und dasselbe besondere persönliche Merkmal 8 einerseits (eingeschränkt) akzessorisch wirkt, andererseits aber gar nicht, ist nicht nur an sich unharmonisch, sondern führt darüber hinaus auch zu erheblichen axiologischen Ungereimtheiten. Selbst diejenigen Autoren, 9 die für eine Bestrafung aus dem Grunddelikt plädieren (also Abs. 2), wollen aber auch noch zusätzlich den im Vergleich zur Teilnahme am Herrschaftsdelikt schwereren Vorwurf, der den an einem unechten Pflichtdelikt teilnehmenden Extraneus trifft, im Rahmen der Strafzumessung zum Ausdruck bringen. Und dieser Gedanke scheint in der Tat richtig zu sein: Das Verhalten des Nichtverpflichteten etwa, der einen Beamten vorsätzlich zu einer Körperverletzung im Amt bestimmt, ist strafwürdiger als das eines Nichtverpflichteten, der einen Nichtverpflichteten vorsätzlich zu einer Körperverletzung veranlaßt. Im ersten Fall wiegt das Unrecht schwerer: Bei der Körperverletzung im Amt wird das Vertrauen des Bürgers an der Ausübung der Staatsgewalt und damit an den Wirkungen einer positiven Institution erschüttert. Der Teilnehmer am „unechten Pflichtdelikt" verwirklicht mehr Unrecht als der Teilnehmer am „entsprechenden Grunddelikt". 10 Dasselbe gilt für andere Pflichtdelikte. Es ist gewiß verwerflicher, als Extraneus an der von einem Vater gegen dessen Sohn begangenen Tötung

7 Dies ist in der Literatur seit langem erkannt: vgl. etwa Langer, Sonderverbrechen, S. 485 f.; Jakobs, NJW 1979, S. 492; Samson in SK, § 28, Rdn. 6; Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), S. 36. Zum früheren Recht besonders kritisch etwa Zimmert, Aufbau des Strafrechtssystems, S. 153, 155; ders., ZStW 54 (1935), S. 588; Bambach, Straflosigkeit der Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 18 ff, 39 ff; Kohlrausch, Bumke FS, S. 50 f.; Kern, ZStW 64 (1952), S. 271 ff.; Piotet, ZStW 69 (1957), S. 20. Vgl. auch die von Bambach, aaO., S. 7 f. und neuerdings von Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 20 anhand der Entscheidung RG 28, 100 ff. gezeigten Weitwidersprüche. 8

Die doppelte Bezeichnung der Merkmale als „persönliche" und „besondere" ist überflüssig. Vgl. Geppert, ZStW 82 (1970), S. 52 f.; ebenso m.w.N. und zum Begriff der „besonderen persönlichen Merkmale" eingehend Schünemann, Jura 1980, S. 354 ff. (366). 9

Vgl. Schönke/Schröder -Cramer, § 28, Rdn. 30 m.w.N. Siehe auch noch unten S. 195 f.

10

Vgl. auch Wagner, Amtsverbrechen, S. 391 ff., 394,396; Hardwig, GA 1954, S. 71; Bockelmann, Täterstrafrecht, S. 73.

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

mitzuwirken, als an der von einem Fremden an einem anderen Fremden ausgeführten. 11 Wenn § 28 überhaupt irgend einen Sinn haben soll, so ist sicherlich unter anderem zum Ausdruck zu bringen, daß die Teilnahme an einem Pflichtdelikt, bei dem der Täter eine positive institutionelle Bindung gebrochen hat, strafwürdiger ist als die Teilnahme an einem Gemeindelikt, bei dem der Täter „nur" negativ verpflichtet war. Anders formuliert: Fälle, in denen ein Pflichtdelikt als Haupttat vorliegt, sind gewiß nicht in gleicher Weise zu behandeln wie diejenigen, in denen die Haupttat ein Jedermannsdelikt ist. Wenn man jedoch der h.L. folgt, wird bei den „unechten" Pflichtdelikten aus dem Rahmen des Grunddelikts bestraft, was heißt, daß der Extraneus (abgesehen von möglichen Strafzumessungskorrekturen) ebenso bestraft würde, wie wenn die besondere Eigenschaft des Täters überhaupt nicht vorhanden wäre. Ob man sich an einer Körperverletzung oder an einer Körperverletzung im Amt beteiligt, zählte gleich: Jedenfalls würde der Teilnehmer als Gehilfe einer Körperverletzung haften (bei der Körperverletzung nach §§ 223, 27 StGB; im Falle der Körperverletzung im Amt gemäß §§ [340], 28 Abs. 2,223,27 StGB). Die Teilnahme an der Verletzung der positiven Institution, die der Teilnehmer gewiß begangen hat, bliebe völlig unberücksichtigt, und zwar im krassen Gegensatz zu den „echten" Pflichtdelikten bzw. zu Abs. 1 des § 28, wo die Eigenschaft, daß der Haupttäter eine positive Institution gebrochen hat, stets in Rechnung gestellt wird. Die Lage ist ähnlich und jedenfalls genauso unbefriedigend wie diejenige, die der Gesetzgeber mit der Einführung des § 50 Abs. 2 i.d.F.v. 24. Mai 1968 (EGOWiG) ausräumen wollte (heute: § 28 Abs. 1). Bis dahin war die Rechtslage so gekennzeichnet, daß - nach herrschender Auffassung - das Gesetz in den Fällen strafbegründender Qualifikation (etwa bei der Rechtsbeugung) keine Milderung für den extranen Teilnehmer enthielt, im Gegensatz zu den Fällen strafschärfender Qualifikationen (z.B. der Körperverletzung im Amt), in denen das Gesetz eine Strafmilderung für die extranen Teilnehmer bestimmte.12 Die Teilnahme etwa an einem unechten Amtsdelikt - bei dem eine solche Strafmilderung vorgesehen war - war damit gegenüber der Teilnahme an einem echten Amtsdelikt privile11

Zutreffend hevorgehoben von Gimbernat, ZStW 80 (1968), S. 939. - Die Rechtslage ist im Ausland nicht besser, vgl. dazu Bacigalupo, Probleme der Täter- und Teilnahmelehre, S. 94 f., mit dem kritischen Hinweis, das spanische Recht (art. 60 StGB a.F., 65 n.F.) kenne keine Regelung für die strafbegründenden persönlichen Merkmale. 12 Zur Entstehungsgeschichte des § 28 StGB siehe insbesondere Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 33 ff. und Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 14 ff., 28 ff, 89. Ferner: Maurach, JuS 1969, S. 249 f. sowie RG 25, 266 (270 ff.).

§ 11 Lösung f r § 28 StGB im Lichte der Pflichtdeliktslehre

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giert. Ohne Grund stand der Teilnehmer an einem „echten" Pflichtdelikt schlechter (mangels anderer gesetzlicher Vorschriften richtete sich seine Strafe nach dem fur den Täter vorgesehenen Strafrahmen ohne Milderungsmöglichkeit) als derjenige an einem „unechten" Pflichtdelikt. Beispielsweise verhielt sich also die Beamteneigenschaft bei der Rechtsbeugung völlig akzessorisch (was für den teilnehmenden Nichtqualifizierten Bestrafung ohne jene Milderungsmöglichkeit bedeutete), bei der Körperverletzung im Amt hingegen nicht (Bestrafung als Teilnehmer an einer Körperverletzung). Der Teilnehmer an einer Körperverletzung im Amt war folglich gegenüber dem Teilnehmer an einer Rechtsbeugung privilegiert, obwohl es sich in einem wie in dem anderen Fall um ein Amtsdelikt handelt, d.h. in einem wie in dem anderen Fall um ein Pflichtdelikt. Folgt man der h.L., so kommt man immer noch zu einer ungerechtfertigten Privilegierung, nämlich zu derjenigen des Teilnehmers an einem „unechten" Pflichtdelikt gegenüber dem Teilnehmer an einem Gemeindelikt. Denn die Teilnahme an einem „unechten" Pflichtdelikt ist eine Beteiligung an der Verletzung einer positiven Bindung und insoweit strafwürdiger als die Teilnahme an einem Gemeindelikt, die sich „lediglich" durch die Mitwirkung an der Verletzung der negativen Institution neminem laede auszeichnet. Und dennoch wird die Teilnahme in beiden Fällen von der h.L. im Prinzip 13 identisch behandelt, nämlich als Teilnahme am Grundgemeindelikt. Aber wenn der Gesetzgeber die frühere Privilegierung mittels der Einführung des § 50 Abs. 2 beseitigen wollte, kann die von der h.L. hergeleitete Privilegierung nicht richtig sein. Die Worte, die Zimmerl bereits gegen die alte Privilegierung gerichtet hat, passen insoweit gleichermaßen auf die heutige Rechtslage nach der herrschenden Interpretation des § 28: Genauso wie „der Laie (...) ebensowenig wie der Wissenschaftler begreifen [würde], wieso ein und derselbe Umstand das eine Mal streng persönlich [damals bei den unechten Sonderdelikten], das andere Mal auf alle Beteiligten wirken [könnte] [bei echten Sonderdelikten]..." 14 - so Zimmerl -, wird er heute begreifen, daß der Teilnehmer an einem „unechten" Pflichtdelikt gegenüber demjenigen, der sich an einem Jedermannsdelikt beteiligt, privilegiert wird, indem beide als Teilnehmer an demselben Delikt bestraft werden.

13 Abgesehen von den schon oben erwähnten Verlegenheitslösungen, die den schwereren Vorwurf, den der an einem unechten Pflichtdelikt teilnehmende Extraneus verdient, bei der Strafzumessung innerhalb des Strafrahmens des Teilnehmers am Grunddelikt berücksichtigen. 14 Zimmerl, ZStW 54 (1935), 588 f.; siehe auch die Kritik von Schwerdtfeger, che Unrechtsmerkmale, S. 47.

Besondere persönli-

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Man könnte dahin argumentieren, die sog. unechten Pflichtdelikte seien in Wahrheit keine Pflichtdelikte, weil „sie nur qualifizierte Fälle der entsprechenden gemeinen Delikte" 15 darstellen. Der Tatbestand der Körperverletzung im Amt sei also nichts anderes als ein durch eine Pflichtverletzung qualifiziertes Herrschaftsdelikt. Damit wäre für die hier in Rede stehende Problematik scheinbar zweierlei gewonnen: Erstens wäre die hier kritisierte unterschiedliche Behandlung der „unechten" Pflichtdelikte gegenüber den sog. „echten" Pflichtdelikten überwunden: Der Extraneus würde auch im Falle eines „unechten" Pflichtdelikts aus dem Rahmen der vom Täter begangenen Tat bestraft - etwa wegen Körperverletzung im Amt -, als ob es sich um ein zwar qualifiziertes aber jedenfalls von Jedermann begehbares Delikt handeln würde (also ohne jede Strafmilderung gemäß § 28 Abs. 1 oder 2). Zweitens würde die Gleichbehandlung mit der Teilnahme am Jedermannsdelikt ebenfalls überwunden: Der Strafrahmen des Teilnehmers wäre stets derjenige des Haupttäters, also nicht nach einem sog. Grundtatbestand zu bestimmen. Diese Lösung, die vor Einführung des heutigen § 28 Abs. 1 formuliert wurde, mag zwar seinerzeit ihre Rechtfertigung gehabt haben, ist aber nach der hier vertretenen Deutung nicht haltbar. Denn auch bei den sog. unechten Pflichtdelikten wird eine positive Institution tangiert - darauf weist etwa die angedrohte Strafe hin -, und insoweit sind sie gewiß nicht als Herrschaftsdelikte einzustufen.

C. Der richtige Weg zur Lösung insbesondere der Vorschlag Cortes Rosas Eine andere Lösung zu dieser scheinbar durch das positive Recht bedingten Lage ist von Cortes Rosa entwickelt worden. Ihr haben sich zuerst Roxin, dann weitere Autoren und jüngst auch Hake in einer monographischen Arbeit - letzterer allerdings zum Teil mit anderer Begründung - angeschlossen.16 Diesem Vorschlag nach17 ist der extrane Anstifter oder Gehilfe nach geltendem Recht zwar gemäß der Vorschrift des § 28 Abs. 2 aus dem Strafrahmen des Gemeindeliktstatbestan15

Roeder, ZStW 69 (1957), S. 241; ferner Piotet, ZStW 69 (1957), S. 31 ff.

16

Die Lösung von Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 413 ff., schließt sich teilweise an Wagner, Amtsverbrechen, S. 391 ff, 398, an, der eine ähnliche Lösung schon für die von ihm bezeichneten Staatszurechnungsdelikte formuliert hat. - Wie Cortes : Roxin in LK, § 28, Rdn. 3 ff; Rudolphi in SK, Vorbem. § 331, Rdn. 5; Horn in SK, § 340, Rdn. 10; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 41 ff., 350; Jescheck in LK, Vorbem. § 331, Rdn. 12; siehe aber jetzt Jescheck/Weigend, AT, S. 657 mit Anm. 51; Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, S. 119. - Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 150 ff. 17

Hierzu und zum folgenden: Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 423 ff., 433 und passim. Siehe auch Roxin in LK, § 28, Rdn. 3.

§ 11 Lösung fur § 28 StGB im Lichte der Pflichtdeliktslehre

des zu bestrafen, aber wegen Teilnahme am (unechten) Pflichtdelikt

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schuldig zu

sprechen. § 28 Abs. 2 könne nur so verstanden werden, daß auch hier der Teilnehmer, dem strafschärfende Unrechtsmerkmale fehlten, aus dem vom Täter verwirklichten Tatbestand schuldig zu sprechen sei, und daß lediglich bei der Strafzumessung auf den Strafrahmen des Grundtatbestandes zurückgegriffen werden solle. Nach § 28 Abs. 1 und 2 werde also beim Extraneus, dem das besondere persönliche Unrechtsmerkmal fehle, nur der Strafrahmen gemildert. Daß dies auf eine etwas verschiedene Weise geschehe, nämlich bei strafbegründenden Merkmalen mit Hilfe des § 49 Abs. 1 und bei strafschärfenden durch den Rückgriff auf den Strafrahmen des Grunddelikts, möge man als kleinen Schönheitsfehler ansehen.18 § 28 enthalte also bei rechtem Verständnis gar keine Durchbrechung des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät. Nicht nur im Absatz 1, sondern auch in den Fällen des Absatzes 2 werde das Täterunrecht dem Teilnehmer zugerechnet und somit seien - abgesehen von anderen praktischen Konsequenzen19 - die oben dargelegten Ungereimtheiten beseitigt. Die Strafrahmenmodifizierungen bedeuteten lediglich Strafzumessungsregeln, wie sie auch sonst im Bereich der Teilnahme (etwa § 27 Abs. 2) vorkämen. 20 Vor einer Würdigung dieser Auffassung ist zunächst auf eine weitere Problematik einzugehen, die ebenfalls in einem engen Zusammenhang mit der Interpretation des § 28 steht, und anhand derer Cortes Rosa seine eigene Lösung entwickelt hat. Es handelt sich um die Frage nach der Teilnahme am Unterlassungspflichtdelikt. Cortes Rosa hat primär auf sie hingewiesen, um zu beweisen, daß die Lösung der h.L. nicht haltbar sei, also - um das noch einmal zu wiederholen diejenige Auffassung, nach der der Teilnehmer am „unechten" Pflichtdelikt - und d.h. auch am „unechten" Pflichtdelikt durch Unterlassen -, nach dem Deliktstypus und Strafrahmen des sog. Grunddelikts zu bestrafen sei. Die Problematik verhält sich folgendermaßen:

18

So Roxin in LK, § 28, Rdn. 5.

19

Dabei sei darüber hinaus zweierlei gewonnen (Cortes Rosa, ZStW 90 [1978], S. 434 ff ): Erstens solle damit die Strafbarkeit des Extraneus nicht - wie bei der h.L. - von einem wirksamen Strafantrag abhängen, sofern ein solcher auch für die Haupttat des Intraneus nicht erforderlich sei. Zweitens könne die Einwilligung des Verletzten etwa bei der Körperverletzung im Amt auch in bezug auf die Bestrafung des Extraneus außer Acht gelassen werden, denn die „Vorschrift des § 226a [a.F.] ist sinnvollerweise weder auf den Amtsträger, der eine Körperverletzung im Amt begeht, noch auf die Extranen, die sich als Anstifter oder Gehilfen daran beteiligen, anzuwenden". Siehe auch Rudolphi in SK, Vorbem. § 331, Rdn. 5. Kritisch jedoch Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 145 f. 20

Roxin in LK, § 28, Rdn. 9.

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

Nach allgemeiner Ansicht gibt es Tatbestände,21 die, je nachdem, ob sie durch Tun oder durch Unterlassen begangen werden, gleichsam „unechte" wie „echte" Pflichtdelikte bilden. Dabei bedeutet „unecht", daß aus dem jeweiligen Pflichtdelikt ein Grundtatbestand herauszukristallisieren ist. Werden diese Tatbestände durch Tun begangen, bilden sie, so die h.L., ein „unechtes" Pflichtdelikt, und somit sei der Teilnehmer gemäß § 28 Abs. 2 nach dem Grundtatbestand zu bestrafen. Werden sie aber durch Unterlassen verwirklicht, so läge ein Grunddelikt gar nicht vor: Die Tatbestände bildeten dann ein „echtes" Pflichtdelikt, so daß der Extraneus nach demselben Deliktstypus (Pflichtdelikt) wie der Täter zu bestrafen sei (§ 28 Abs. 1). Beispiel: 22 Ein Extraneus verleitet einen Gefängniswärter zu einer Gefangenenbefreiung im Amt (§ 120 Abs. 2 StGB) etwa durch das Öffnen der Tür, also durch Tun. Der Gefängniswärter soll hier gemäß § 120 Abs. 2 haften, der Extraneus wegen Anstiftung zum Gemeindelikt gemäß §§120 Abs. 1, 26,28 Abs. 2. Denn da hier das Pflichtdelikt durch Tun begangen wurde, liege ein „unechtes" Pflichtdelikt vor: Die qualifizierende besondere Verpflichtung des Gefängniswärters schärfe die ohnehin gegebene Strafbarkeit der Gefangenenbefreiung (§ 120 Abs. 1). Die Strafe des Tatbestandes, aus der nach dieser Lösung die Bestrafung des Anstifters bestimmt wird (§ 120 Abs. 1), besteht in einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe. Im Fall der Begehung durch Unterlassen verhalten sich die Dinge aber ganz anders: Verleitet ein Extraneus einen Gefängniswärter wiederum zu einer Gefangenenbefreiung im Amt, diesmal durch Unterlassen, nämlich durch das Nichtabschließen einer Zellentür, dann handelt es sich nach der h.L. um ein „echtes" Pflichtdelikt. Denn ein Dritter hätte nicht die Pflicht besessen, die Zellentür zu schließen. Der Gefängniswärter würde wiederum wegen Gefangenenbefreiung im Amt (§ 120 Abs. 2), der Extraneus diesmal jedoch wegen Anstiftung nicht zum Gemeindelikt gemäß § 28 Abs. 2, sondern zum (echten) Pflichtdelikt,

also gemäß § 28 Abs. 1 bestraft, da im

Falle des Unterlassens die positive Sonderpflicht des Gefängniswärters erst die Strafbarkeit begründen soll. Der Teilnehmer hätte hier also gemäß §§120 Abs. 2, 26 i.V.m. § 28 Abs. 1 und 49 Abs. 1 mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren und neun Monaten oder mit Geldstrafe zu rechnen. 21 22

Vgl. zum folgenden Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 429 ff

Das ursprünglich auf die Körperverletzung (§ 223 StGB) und die Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) bezogene Beispiel von Cortes Rosa ist nicht mehr so klar wie bei Abfassung des Aufsatzes von Cortes Rosa, weil der Strafrahmen dieser Paragraphen inzwischen geändert wurde - zuletzt vom VerbrechensbekämpfungsG v. 28. 10. 1994. Das im Text dargelegte Beispiel wird von Cortes Rosa ebenfalls erwähnt - wenn auch nicht so ausführlich behandelt -, und enthält immer noch die von ihm für seine Argumentation für notwendig erachteten Elemente.

§ 11 Lösung f r § 28 StGB im Lichte der Pflichtdeliktslehre

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Die Argumentation der h.L. würde zu dem absurden Ergebnis führen, daß jemand, der einen Intranen zu einer Unterlassungstat überredet, grundsätzlich strenger zu behandeln wäre als derjenige, der den Intranen dazu bestimmt, denselben Erfolg durch ein Tun zu bewirken. Man denke nur an den oben dargelegten Fall, in dem der Extraneus den Gefängniswärter nur deshalb zu einem Tun überreden muß, weil das Sicherheitssystem des Gefängnisses so automatisiert ist, daß die Zellentüren sich selbsttätig schließen, während es früher - ohne die Automatisierung - mit dem Unterlassen des Abschließens der Zellentür sein Bewenden gehabt hätte. Denkbar ist auch etwa der Fall, in dem der Anstifter den Gefängniswärter dazu veranlaßt, das Entweichen eines bestimmten Gefangenen zu ermöglichen, und zwar ohne genaueres über das Sicherheitssystem zu wissen, d.h. ob es automatisiert ist oder nicht, und d.h. wiederum ohne zu wissen, ob er eigentlich zum Tun oder zum Unterlassen an(ab)stiftet! Was die Höhe der Strafbarkeit des Teilnehmers betrifft, bedeutet die unterschiedliche Behandlung beider Fälle, daß die Anstiftung zur Pflichtverletzung (zur Verletzung einer positiven Institution) durch Tun milder bestraft würde als diejenige zur Pflichtverletzung (zur Verletzung einer positiven Institution) durch Unterlassen. Vom hier vertretenen Standpunkt aus ist diese Lösung, wie schon Cortes Rosa festgestellt hat, nicht haltbar, 23 weil Tun und Unterlassen bei den Pflichtdelikten gleich zu behandeln sind.24 Nach der Lehre vom Pflichtdelikt verletzt der Gefängniswärter sowohl beim Tun als auch - in der Variante - beim Unterlassen seine Pflicht, seil, eine Pflicht, die immer dieselbe ist. Wieso soll das einen Unterschied für den beteiligten Extraneus bedeuten? Kann man die Strafbarkeit des Beteiligten überhaupt von der internen Organisation des Sicherheitssystems des Gefängnisses abhängig machen? Die Lösung der h.L. bricht also in sich zusammen, und zwar aus zwei Gründen. 25 Erstens: Soweit die Entscheidung dazu führt, daß im Fall des Unterlassens wegen Teilnahme am (echten) Pflichtdelikt bestraft und § 28 Abs. 1 angewendet wird, so ist das, wie gerade gezeigt, nicht plausibel: Der Dritte, der den Gefängniswärter dazu anstiftet, einen Häftling durch Öffnen der Zellentür zu befreien, würde schwächer bestraft (§ 28 Abs. 2) als derjenige, der den Gefäng23

Für die Lehre, die das Unterlassen für weniger strafwürdig hält als das Tun, übrigens auch nicht.

24

Siehe u.a. oben S. 147 ff.

25

Siehe auch die Friktionen, die Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 33 f., zutreffend im Rahmen des § 223b (a.F.) bezüglich des „Grundtatbestandes" § 223 StGB gezeigt hat. Sie verstärken um so mehr die an der h.L. zu übende Kritik. - Zu weiteren Ungereimtheiten im Bereich des Beteiligungsversuchs (§ 30 Abs. 1 ) siehe Jakobs, AT, 27/6. Siehe noch unten Anm. 36.

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niswärter dazu überredet, einem Häftling durch Nicht-Abschließen der Zellentür die Flucht zu ermöglichen (§ 28 Abs. 1). Zweitens: Es gibt auch Fälle, in denen kein „Grundtatbestand" zu finden ist, obwohl „an sich" ein sog. unechtes Sonderdelikt vorliegt. Es ist falsch, daß stets dann, wenn man beim Tatbestand eines sog. unechten Pflichtdelikts die besonderen Tätermerkmale wegdenkt, ein Gemeindelikt übrigbleibt, so daß der extrane Anstifter oder Gehilfe immer wegen Teilnahme an diesem Gemeindelikt schuldig gesprochen werden kann. Das Beispiel des Gefängniswärters zeigt, daß nicht überall, wo eine Gefangenenbefreiung im Amt - also nach h.L. ein unechtes Pflichtdelikt - vorliegt, eine Bestrafung wegen Gefangenenbefreiung als Grundtatbestand möglich ist (eben dann nicht, wenn die Gefangenenbefreiung im Amt durch Unterlassen begangen wurde). Den Anstifter des Gefängniswärters im Falle des Unterlassens wegen Teilnahme am Gemeindelikt schuldig zu sprechen, hieße doch, jemanden wegen Anstiftung zu einer Unterlassung zu bestrafen, die selbst mit keinerlei Strafe bedroht ist (die Unterlassung ist nur strafbar, wenn eine besondere Pflicht vorliegt). 26 Kraß: Da der Tatbestand des § 120 Abs. 1 gar nicht verwirklicht worden ist (handelte es sich bei dem Täter nicht um einen Amtsträger, wäre das Ganze straflos geblieben!), erscheint es ebenso willkürlich, den Beteiligten als Teilnehmer an einem Delikt nach § 120 Abs. 1 zu bestrafen, wie es willkürlich wäre, ihn - überspitzt argumentiert - wegen Teilnahme an einer räuberischen Erpressung zu bestrafen. Entweder bestraft die h.L. hier wegen Teilnahme am „echten" Pflichtdelikt - ein Gemeindelikt gibt es nicht! - und führt dann zu den oben angesprochenen Ungereimtheiten sowie zu einem Widerspruch zu der Annahme, daß bei den sog. unechten Pflichtdelikten (was Gefangenenbefreiung im Amt nach dieser Auffassung ist) wegen Teilnahme am Gemeindelikt zu bestrafen sei. Oder die h.L. bleibt konsequent und kommt dann zu dem sehr unbefriedigenden Ergebnis, daß der Teilnehmer straflos bleibt (ein Gemeindelikt gibt es nicht). 27 26 Zutreffend Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 427 f. Ähnlich vorher schon Gimbernat, ZStW 80 (1968), S. 942. 27

Hake schließt sich jetzt einerfrüher von Rudolphi (bei Cortes Rosa, ZStW 90 [1978], S. 440) vorgebrachten, später aber aufgegebenen Kritik an, wonach es falsch sei, daß in Fällen der unechten Pflichtdelikte durch Unterlassung kein Grundtatbestand vorliege, so wie Cortes Rosa das angenommen hat und auch hier vertreten worden ist. Denn der intrane „Täter" sei notwendigerweise Träger einer Garantenpflicht im Hinblick auf die Abwendung des Erfolges, der (auch) im jeweiligen Grunddeliktstatbestand verpönt sei, und werde deshalb von diesem Tatbestand (i.V.m. § 13 Abs. 1) - in Gesetzeskonkurrenz mit dem Tatbestand der unechten Sonderstraftat - erfaßt. Es liege also doch ein Grundtatbestand vor, nämlich durch Unterlassen, an dem sich der extrane Teilnehmer beteiligt habe und nach dem bestraft werden könne. Beispiel: Im Fall des Gefängniswärters, der durch Unterlassen das Entweichen eines Gefangenen ermögliche, gebe es einen Grundtatbestand, nämlich das Gemeindelikt (§ 120 I) durch Unterlassen, denn der Gefängniswärter sei auch im Hinblick auf diesen Tatbestand Garant.

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Eine Lösung insbesondere für diese Problematik und allgemein für die Interpretation des § 28 hat - wie schon erwähnt - Cortes Rosa selbst vorgeschlagen. Zunächst stellt er fest: Obwohl in den oben angesprochenen Fällen die Sonderqualifikation des intranen Täters im Falle des Unterlassens insofern strafbegründend wirke, weil das Verhalten des Täters per Unterlassen nur im Hinblick auf den Sonderdeliktstatbestand, nicht auf den Gemeindeliktstatbestand tatbestandsmäßig sei, bedeute dies aber nicht, daß es dem Sinn des Gesetzes entsprechen würde, die Teilnahme an der Unterlassungstat nach § 28 Abs. 1 und die an der Begehungstat nach § 28 Abs. 2 zu behandeln.28 Denn der Gesetzgeber habe weder bei § 28 Abs. 1 noch bei § 28 Abs. 2 an die Besonderheiten solcher Fälle gedacht. Anderes anzunehmen, würde darauf hinauslaufen, dem Gesetzgeber zu unterstellen, er hätte sehenden Auges die oben erwähnten, von jedem Streben nach Gerechtigkeit entfernten Ergebnisse gebilligt. Der Argumentation Cortes Rosas ist insoweit zuzustimmen, als es nicht Sinn des Gesetzes sein kann, die Teilnahme an der Unterlassungstat nach § 28 Abs. 1, an der Begehungstat aber nach Abs. 2 zu behandeln. Das ergibt sich auch aus den oben dargelegten Ausführungen, nach denen Enttäuschungen durch Tun resp. durch Unterlassen von den Erwartungen zum Aufbau einer gemeinsamen Welt im Spiegel des juristischen Codes gleich zu behandeln sind. 29 Cortes Rosa30 schlägt für diejenigen, im Anschluß an Herzberg „Garantendelikte" genannten und hier als positivierte Pflichtdelikte bezeichneten Delikte, bei Insoweit sei richtig - entgegen der Behauptung im Text -, daß, wenn man die besonderen Tätermerkmale wegdenke, ein Grundtatbestand vorliege. - Der Kritik ist indes nicht zuzustimmen, genauer: sie geht an der im Text dargelegten Auffassung vorbei: a) Die hier vertretene These lautet: Nicht immer wenn man bei einem sog. unechten Sonderverbrechen die besonderen Tätermerkmale wegdenkt, bleibt ein Gemeindelikt übrig, wie die h.L. annimmt, b) Paradebeispiel sind die Unterlassungsfälle, c) Die Gegenmeinung von Hake dazu lautet: Es gebe doch einen Grundtatbestand, da z.B. der Gefängniswärter im Hinblick auf den Grundtatbestand (§ 1201) auch Garant sei. d) Aber: Denkt man den Umstand weg - und nur darum geht es hier -, daß der „Täter" Beamter ist, dann liegt kein „Grundtatbestand eines Pflichtdelikts" mehr und auch kein „Gemeindelikt durch Unterlassen" vor, weil dann der Akteur eben nicht Garant ist. Man kann - mit Hake - nur dann behaupten, daß es auch bei Pflichtdelikten durch Unterlassen einen Grundtatbestand i.V.m. § 13 gibt, bzw. daß man den Teilnehmer aus dem jeweiligen Grundtatbestand i.V.m. §§ 13, 26, 27 StGB bestrafen kann, wenn man zu diesem Grundtatbestand bereits gelangt ist, d.h. wenn man eben schon die Vorschrift anwendet, nach der man die besonderen Tätermerkmale wegdenken muß (§ 28 Abs. 2) - ansonsten gelangt man nicht zu diesem Grundtatbestand, sondern eine Strafe wäre gleichsam direkt am (unechten) Pflichtdelikt angebracht. Aber wenn man gemäß dieser Regel die besonderen Tätermerkmale wegdenkt, dann liegt auch nicht der Grundtatbestand, etwa § 120 I durch Unterlassen vor, da der „Täter" dann eben nicht (mehr) Garant ist. 28

Zum folgenden Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 430.

29

Vgl. auch oben S. 97 ff., 119, 147 ff.

30

Hierzu und zum folgenden: Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 430 f. Siehe auch Roxin in LK, § 28, Rdn. 86, 3 ff., 72 f.

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denen Tun und Unterlassen schon der Formulierung nach völlig gleichgestellt sind, in bezug auf § 28 folgende Korrektur vor: Wenn man dieser Gleichstellung Rechnung tragen wolle, so müsse man im Hinblick auf die Bestimmung des § 28 Abs. 1 eine restriktive, bezüglich der Vorschrift des § 28 Abs. 2 aber eine extensive Auslegung praktizieren. Danach unterstehe die Teilnahme an Unterlassungstaten, die vom Tatbestand eines „Garantendelikts" erfaßt würden, immer jener Regelung (§ 28 Abs. 1 oder § 28 Abs. 2), die auf die Teilnahme an einer denselben Garantendeliktstatbestand erfüllenden Begehungstat anzuwenden sein solle. Um Klarheit zu schaffen, nennt Cortes Rosa hierzu zwei Beispiele: „Bestimmt jemand einen Rechtsanwalt dazu, der Gegenpartei dadurch zu ,dienen 4 (§ 356 StGB), daß er eine Frist verstreichen läßt, so ist der Anstifter deshalb nach § 28 Abs. 1 zu behandeln, weil diese Bestimmung auch dann maßgebend wäre, wenn er den Anwalt zu einem Parteiverrat durch Tun überredet hätte. Wer aber einen Gefängniswärter dazu anstiftet, eine Gefangenenbefreiung im Amt (§ 120 Abs. 2) durch das Nichtabschließen einer Zellentür zu ermöglichen, untersteht der Regelung des Abs. 2 des § 28, weil dieser auch dann anzuwenden wäre, wenn er den Beamten etwa zum Öffnen der Tür (zwecks Entweichenlassen des Gefangenen) verleitet hätte." Zusammengefaßt: Abgesehen davon, wie sich der Haupttäter verhalten habe (Tun oder Unterlassen), richte sich die Behandlung des Teilnehmers danach, ob - gleichsam: abstrakt - ein unechtes oder ein echtes Sonderdelikt vorliege. Darüber hinaus gelte auch hier die allgemeine Regel, daß bei den unechten Sonderverbrechen der Strafrahmen des Teilnehmers zwar nach dem des Grundtatbestandes zu bestimmen sei, er aber als Teilnehmer am Sonderdelikt schuldig zu sprechen sei.

D. Einige Stolpersteine auf dem richtigen Weg zur Lösung Das große Verdienst Cortes Rosas besteht vor allem darin, daraufhingewiesen und betont zu haben, daß erstens eine verschiedene Beurteilung von sog. unechten und sog. echten Pflichtdelikten zu vermeiden ist, und daß zweitens in den oben angesprochenen Fällen die Teilnahme an der Unterlassungstat und diejenige an der Begehungstat nicht unterschiedlich behandelt werden kann. Dennoch ist Cortes den richtigen Weg zur Lösung nicht zu Ende gegangen. Um die hier vorgeschlagene Lösung schon vorwegzunehmen: Der Extraneus ist nicht nur wegen Teilnahme am (unechten) Pflichtdelikt schuldig zu sprechen, wie Cortes Rosa i.E. zutreffend vorschlägt, sondern seine Bestrafung ist auch nach dem

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Strafrahmen des Pflichtdelikts zu richten, und zwar immer gemäß § 28 Abs. 1 ; mit anderen Worten, auch bei den sog. unechten Pflichtdelikten handelt es sich um Fälle, die unter § 28 Abs. 1 fallen. Wendet man mit Cortes Rosa den Strafrahmen des sog. Grunddelikts gemäß § 28 Abs. 2 an, wenn der angestiftete Gefängniswärter die Zellentür nicht abschließt, weil dieser Abs. auch dann anzuwenden wäre, wenn der Wärter die Tür geöffnet hätte,31 so ist hiergegen eine ähnliche Kritik vorzubringen wie gegen die herrschende Lehre. Zwar muß der Teilnehmer nach der Lösung Cortes Rosas wegen eines tatsächlich verwirklichten Delikts schuldig gesprochen werden (Pflichtdelikt) - und nicht wie nach der Ansicht der h.L. gemäß dem sog. Grunddelikt -, und insoweit ist gegenüber der h.L. schon viel gewonnen, aber die Strafe richtet sich nach dem Strafrahmen eines Gemeindeliktstatbestandes, der, wenn man gemäß § 28 Abs. 2 das besondere Merkmal wegdenkt, überhaupt nicht verwirklicht worden ist (!). Anhand des obigen Beispiels erklärt: Hat jemand einen Gefängniswärter dazu angestiftet, eine Gefangenenbefreiung im Amt (§ 120 Abs. 2) durch Unterlassen zu begehen, so liegt ausschließlich eine Gefangenenbefreiung im Amt vor, wenn man mit § 28 Abs. 2 die Beamteneigenschaft wegdenkt. Die Annahme, man könne den Strafrahmen der Bestrafung des Anstifters vom Gemeindelikt der Gefangenenbefreiung (§ 120 Abs. 1) abhängig machen, läßt sich dogmatisch nicht begründen. Weiterhin ist zu kritisieren, daß die im Ansatz richtigen Überlegungen von Cortes Rosa sich nicht auf alle Pflichtdelikte erstrecken, obwohl er ankündigt, sich „auf eine Gruppe von Delikten" zu beziehen, „die Roxin erstmals (unter dem Namen ,Pflichtdelikte 4) verselbständigt" 32 habe, und er am Ende seiner Überlegungen auch davon spricht, daß seine Ergebnisse „bei allen unechten Sonderstraftaten" gültig seien. Erinnert sei nur an das Beispiel der Mutter, die untätig beobachtet, wie ihr ins Wasser gefallenes Kind ertrinkt, in der Variante, daß sie zu ihrem Unterlassen von einem Dritten angestiftet wurdé. Für diesen Fall lassen sich die Vorschläge Cortes Rosas nicht fruchtbar machen. Cortes schließt sich der Meinung an, daß die Garantenpflicht bei den unechten Unterlassungsdelikten ein besonderes persönliches Merkmal und deshalb einen Anwendungsfall des § 28 Abs. 1 darstelle. 33 Das ist nur bedingt richtig, nämlich nur für die Unterlassungs31

Das setzt allerdings schon voraus, was erst zu beweisen wäre. Denn es ist nicht selbstverständlich, im Falle des Tuns § 28 Abs. 2 statt § 28 Abs. 1 anzuwenden. Vgl. unten S. 195 ff. 32

Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 425.

33

Siehe Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 440 f.

13 Sänchez-Vera

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delikte, die zugleich Pflichtdelikte sind, also jedenfalls für das Schulbeispiel der Mutter, so daß man mit Cortes Rosa hier den § 28 Abs. 1 fur anwendbar erklären kann. Sehr zweifelhaft ist aber, ob Cortes Rosa mit seiner eigenen Lösung überhaupt zu diesem Ergebnis gelangen kann. Denn danach ist an sich weder Abs. 1 noch Abs. 2 des § 28 anzuwenden. Ein mögliches argumentum ad absurdum könnte hierzu etwa lauten: Da das Schulbeispiel der Mutter gewiß unter den Anwendungsbereich des § 28 fällt, ist nur zu entscheiden, ob § 28 Abs. 1 oder § 28 Abs. 2 anzuwenden ist. Wendet man § 28 Abs. 1 nicht an, so ist selbstverständlich § 28 Abs. 2 anzuwenden und umgekehrt. § 28 Abs. 1 gilt nach Cortes Rosa im Fall der Unterlassung dann, wenn er bei Vorliegen eines Tuns ebenfalls Anwendung gefunden hätte. Hätte die Mutter das Kind durch Tun getötet, und wäre sie dazu angestiftet worden, so hätten weder die h.L. noch Cortes § 28 Abs. 1 angewendet. Deshalb ist auch § 28 Abs. 1 - dieser Argumentation zufolge nicht anzuwenden, wenn die Mutter ihr Kind nicht rettet. 34 Die Unstimmigkeit dieser Lösung liegt auf der Hand. Die oben angesprochene Ankündigung Cortes Rosas, er beziehe sich auf Pflichtdelikte und seine Ergebnisse seien „bei allen unechten Sonderstraftaten" gültig, ist also nicht zutreffend. Sollen diese Fälle aber nach anderen Regeln behandelt werden, bleibt Cortes Rosa die Erklärung schuldig, aus welchen Gründen eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt ist und welchen Regeln dann diese Pflichtdelikte, die nicht Garantendelikte sind (in der oben verwendeten Terminologie: die nicht positivierte Pflichtdelikte sind), unterfallen. Dann wäre die Lehre vom Pflichtdelikt aufgespaltet. Stattdessen wird hier eine Lösung vorgeschlagen, die auf alle Pflichtdelikte zutrifft. Nun zum dritten und letzten Einwand: Gewiß ist die Behauptung Cortes Rosas richtig: „Genauso, wie es vom wertenden Gesichtspunkt, der auch im Wortlaut des § 120 II zum Ausdruck kommt, gleich ist, ob der Gefängniswärter das Entweichen des Gefangenen dadurch ermöglicht, daß er ihm die Zellentür nachts heimlich öffnet, oder dadurch, daß er die Zellentür abends vorschriftswidrig nicht abschließt, sind die Anstiftung zu jener Handlung und die zu dieser Unterlassung der gleichen Regelung zu unterstellen." 35 Aber das ist lediglich der Beweis dafür, daß beide Fälle gleich zu behandeln sind und jeweils ein Schuldspruch wegen Teilnahme am (unechten) Pflichtdelikt erfolgen muß - was Cortes Rosa richtig 34

Wollte man umgekehrt argumentieren, im Falle des Tuns gelte § 28 Abs. 2, ist dann § 28 Abs. 1 aber im Falle des Unterlassens nicht anwendbar, so daß die Lösung ebenfalls nicht befriedigen kann. Denn nach der hier kritisierten Argumentation von Cortes Rosa ist § 28 Abs. 1 nur anzuwenden, wenn er im Falle des Tuns auch anzuwenden wäre. 35

Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 430.

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gesehen hat. Daraus ergibt sich aber nicht, wie er darüber hinaus i.E. schließt, nach welcher Regelung diese Fälle zu behandeln sind, also insbesondere nicht die Anwendung des § 28 Abs. 2 auf den Begehungsfall. Es ist nicht zwingend - wie er anhand des Gesetzes glaubt -, daß solche Fälle § 28 Abs. 2 unterfallen. Einiges ist dabei sicher: Die Anwendung dieser Vorschrift erbringt auch - wie gesehen - das erwünschte Ergebnis nicht vollständig. Denn abgesehen von anderen, schon gezeigten Ungereimtheiten, 36 ist der anzuwendende Strafrahmen nicht derjenige des Pflichtdelikts, so daß auch der schwerere Vorwurf gegenüber der Teilnahme an einem Jedermannsdelikt nicht zum Ausdruck gebracht wird. Man kann nicht einfach voraussetzen, was erst zu beweisen ist, nämlich ob in den hier untersuchten Fällen die Pflichtverletzung ein besonderes persönliches Merkmal darstellt, das die Strafbarkeit begründet oder bloß die Strafe schärft.

E. Die Lösung Daß die Lösung Cortes Rosas jedoch nicht vollständig befriedigen kann, gesteht er konkludent mit der Behauptung ein, „daß innerhalb des Strafrahmens des Gemeindeliktstatbestandes das erhöhte Unrecht und die Schuld des Teilnehmers - im Vergleich mit dem Anstifter oder Gehilfen, der sich am Gemeindelikt beteiligt - bei der Strafzumessung berücksichtigt werden sollen". 37 Ganz in diesem Sinne bedauert er an anderer Stelle, daß „die neue Regelung [Milderung nach § 49 Abs. 1 gemäß § 28 Abs. 1] konsequenterweise nicht auf den Bereich der Teilnahme am echten Sonderdelikt" zu beschränken sei, „sondern auf den der Teilnahme am unechten Sonderverbrechen ausgedehnt werden" solle. 38 Ähnlich haben auch Roxin 39 und andere eingestanden, daß es „die harmonischste Lösung 36 Siehe oben Anm. 25 auf S. 189. - Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 150, hat zutreffend noch auf eine weitere Ungereimtheit hingewiesen, die er jedoch nur als „kleinstes Übel" versteht: „Zwar bliebe eine Ungleichbehandlung noch insoweit bestehen [bei der Lösung von Cortes Rosa, der sich Hake selbst i.E. anschließt], als bei strafbegründenden Merkmalen eine Strafmilderung nach Maßgabe des § 49 Abs. 1 StGB eingreift, bei den strafmodifizierenden Merkmalen hingegen eine im StGB einmalige Milderung durch Anwendung des Strafrahmens eines anderen Deliktes erfolgen würde. Des weiteren würde es sich um eine sehr starre und vergröbernde Strafzumessungsregelung handeln [§ 49 Abs. 1], die zudem im Verhältnis zu der Tat, wegen der schuldig zu sprechen wäre, den Strafrahmen oft sehr weit nach unten verschieben würde." 37

Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 433; ferner: Roxin in LK, § 28, Rdn. 87.

38

Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 440 m.w.N.

39 Roxin in LK, § 28, Anm. 11; ebenso: Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 120; ders., JuS 1975, S. 579 mit Anm. 33; Wagner, Amtsverbrechen, S. 396 f. - Ebenso diejenigen, die mit Cortes Rosa bzw. Roxin nicht übereinstimmen, etwa Hirsch in LK, § 340, Rdn. 27; ders., Hilde Kaufmann

13»

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wäre, auch in § 28 Abs. 2, soweit es um Unrechtsmerkmale geht, für den Extraneus eine Milderung nach § 49 Abs. 1 vorzusehen". In der letzten monographischen Behandlung dieses Themas schließt sich Hake der hier in Rede stehenden Lösung an, betrachtet sie jedoch nicht als optimale Lösung, sondern lediglich als „kleinstes Übel" de lege lata. 40 Von diesen und einigen weiteren Autoren, die allerdings für die Anwendung des § 28 Abs. 2 plädieren, wird also jedenfalls anerkannt, daß bei den sog. unechten Pflichtdelikten doch das Unrecht eines (echten) Pflichtdelikts vorliegt. § 28 Abs. 2 soll in den hier in Rede stehenden Fällen nur deshalb anzuwenden sein, weil es sich um „unechte" Pflichtdelikte handle, d.h. mit anderen Worten, weil das besondere persönliche Merkmal die Strafe schärfe. Aber beide Aussagen passen bei genauerer Betrachtung eigentlich nicht zueinander. Wenn die unechten Pflichtdelikte das Unrecht echter Pflichtdelikte enthalten, dann sind sie keine unechten Pflichtdelikte oder die Bezeichnung „unecht" ist bloß eine leere Hülse. Wenn aber das Unrecht der unechten Pflichtdelikte nicht mit demjenigen echter Pflichtdelikte übereinstimmt, so stellt es nicht gerade „die harmonischste Lösung" dar, beide Fälle dennoch gleichermaßen nach § 49 Abs. 1 zu behandeln (nicht einmal den Beteiligten wegen des Pflichtdelikts schuldig zu sprechen). Die Frage, um die es im Grunde genommen geht, lautet vielmehr, ob es überhaupt „unechte" Pflichtdelikte gibt, ob die besonderen persönlichen Merkmale bei den unechten Pflichtdelikten überhaupt die Strafe schärfen oder sie nicht stattdessen erst begründen resp. ob die sog. Grundtatbestände tatsächlich Grundtatbestände des jeweiligen Pflichtdelikts sind oder nicht. 41 Zur Lösung liefert die ausführliche Untersuchung von Cortes Rosa selbst bereits einige Andeutungen. So heißt es etwa, daß sich der Bürger bei der Körperverletzung im Amt ,ja von jemandem, der ihn mittelbar oder unmittelbar vor Willkür und Gewalt schützen soll, angegriffen [sieht]. Hier liegt eine Sinndimension der Körperverletzung im Amt, die zwar den Verstoß des Amtsträgers gegen eine ihm obliegenden Sonder-

GS, S. 143 f.; Stratenwerth,

AT, Rdn. 941; Jakobs, AT, 23/34.

40

Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 150 ff. mit Anm. 402. Siehe auch insoweit seine de lege ferenda für § 28 StGB vorgeschlagene Formulierung auf S. 193. 41 In begrenzten Zusammenhängen sind darüber gelegentlich bereits Zweifel geäußert worden, aber auch insoweit hat man geglaubt, dem positiven Recht verhaftet zu sein. Wagner, Amtsverbrechen, S. 169, bezeichnet die Körperverletzung im Amt als „eigenständiges Delikt" und in diesem Sinne „qualitativ" verschieden vom „Gemeinunrecht" der Körperverletzung. Bereitsfrüher vgl. Hardwig, GA 1954, S. 72; ders., GA 1957, S. 174; Kern, ZStW 64 (1952), S. 274. Zur Gegenauffassung statt vieler Schneidewin, Materialien I, S. 185 f.

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pflicht voraussetzt, aber keineswegs nur ihn bzw. das Innenrechtsverhältnis zwischen ihm und dem Staat betrifft. Es geht vielmehr um das - für die Rechtsgemeinschaft außerordentlich wichtige - Vertrauen aller in jene, denen die Verteidigung der Rechtsordnung und die Verwirklichung der Idee des Rechtsstaates in besonderem Maße überlassen werden." Und weiter: „Die Teilnahme an einer, wenn auch leichten, Körperverletzung, die von einem Beamten in amtlicher Eigenschaft begangen wird, ist aber kein geringfügiges Unrecht. (...) Bei einer leichten Körperverletzung im Amt ist nämlich die Körperverletzung selbst nicht so bedeutend wie die Tatsache, daß sie von einem Beamten in amtlicher Eigenschaft verübt wird. Denn der Beamte hat während der Ausübung seines Dienstes (...) eine Vertrauensstellung inne, deren Mißbrauch das Bewußtsein der Rechtsgemeinschaft tief erschüttert (...)". 42 In diesem Sinn hat auch schon Wagner für seine „Staatszurechnungsdelikte" festgestellt, daß „beide Rechtsgutsverletzungen [etwa bei der Körperverletzung im Amt, die Gesundheitsschädigung und das Vertrauenkönnen der Allgemeinheit in „die Sauberkeit der Amtsführung"] nicht nebeneinander oder in einer Rangfolge zueinander stehen", sondern „unauflösbar miteinander verbunden" sind.43 In diesen Stellungnahmen ist im Grunde genommen - was der Leser gewiß bemerkt hat - von den positiven Institutionen die Rede. Auch beim sog. unechten Pflichtdelikt - wie der Körperverletzung im Amt - wird eine positive Institution verletzt, wirkt der Teilnehmer also auch an der Verletzung in all ihren Aspekten mit, im Beispiel also nicht nur an der Körperverletzung, sondern auch am Versagen des Aufbaus einer gemeinsamen Welt. Gerade darin liegt einer der bedeutensten Unterschiede zwischen der Lehre vom Pflichtdelikt und der klassischen, etwa von Langer und jüngst von Deichmann vertretenen Lehre des Sonderverbrechens. Denn diese Lehre sieht im Sonderverbrechen nicht die Verletzung einer positiven Institution. Vielmehr wird die Sonderpflichtverletzung lediglich als Modifizierung, als quantitative Steigerung des Unrechtsgehaltes eines Gemeindelikts gedeutet.44 Wendet man die Lehre vom Pflichtdelikt also konsequent an, gibt es für „unechte" Pflichtdelikte keinen Raum. Entweder liegt keine Verletzung einer positiven Institution vor und folglich auch kein Pflichtdelikt, oder es liegt eine solche

42

Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 435 f.

43

Wagner, Amtsverbrechen, S. 302 f. Ähnlich siehe etwa Grünwald, Armin Kaufmann GS, S. 561 oder Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 77 f., 85. 44 Vgl. Langer, Sonderverbrechen, S. 245 ff., 390 ff.; ähnlich Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 25 ff.

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vor, dann aber begründet sie die Strafbarkeit des Täters überhaupt. „Steigerungen des Unrechtsgehalts" sind innerhalb der Pflichtdeliktslehre fremd. Positiv verpflichtet zu sein, heißt, eine gemeinsame Welt aufbauen zu müssen, und zwar - wie gezeigt - unabhängig davon, ob man zugleich die negative Institution verletzt hätte, wenn man nicht positiv verpflichtet gewesen wäre (Bsp. des Gefängniswärters, der die Gefangenenbefreiung durch Tun begeht), d.h. in der üblichen Terminologie, unabhängig davon, ob es einen sog. Grundtatbestand gibt oder nicht. Die negative Institution ist - mit der rechtsphilosophischen Tradition scharf von den positiven Institutionen zu trennen. 45 Die Strafbarkeit wird nur durch die Pflichtverletzung begründet: Auf die (mögliche) Tatherrschaft bei den Pflichtdelikten kommt es nicht an, und somit auch nicht auf die (mögliche) Tatherrschaft über ein „Grunddelikt", das die negative Institution garantieren soll. 46 Es gibt auch kein Unrecht mittleren Grades zwischen den sog. echten Pflichtdelikten und den Gemeindelikten der negativ Verpflichteten, das in den sog. unechten Pflichtdelikten läge. Die Annahme, das Unrecht eines sog. unechten Pflichtdelikts sei anders (schwächer?) als dasjenige eines echten Pflichtdelikts, verbietet sich nach der Pflichtdeliktslehre von selbst. In beiden Fällen handelt es sich in gleicher Weise um die Verletzung einer positiven Institution. Entweder ist diese Verletzung gegeben - insoweit wäre die Bezeichnung des Pflichtdelikts als unecht völlig überflüssig -, oder sie ist es nicht, aber dann liegt auch kein Pflichtdelikt vor: Tertium non datur. Ob es einen äußerlich vergleichbaren sog. „Grundtatbestand" wie das Pflichtdelikt gibt, der durch Organisation von einem nur negativ Verpflichteten begangen werden kann, ist für den Tatbestand des Pflichtdelikts völlig gleichgültig, weil sich weder aus der Fassung des § 28, noch aus der Lehre vom Pflichtdelikt eine verschiedene Behandlung für diesen Fall ergibt. 47 Das ist schlechthin eine Frage, die - soweit ein solcher „Grundtatbestand" tatsächlich in Betracht kommt - im Rahmen der Konkurrenzen zu behandeln sein wird. 45

Die oben (§ 5 A u. B [S. 67 ff, 76 ff], § 6 [S. 89 ff., insb. 92 ff.]) ausführlich dargelegte Unterscheidung zwischen der negativen Institution neminem laede und den positiven Institutionen bietet also - wie noch zu zeigen sein wird - die harmonische Lösung für § 28 StGB und ist nicht, wie man denken könnte, nur eine „theoretische", rechtsphilosophische, nicht auf die Praxis bezogene Unterscheidung. Denn, wie Puppe, Spendel FS, S. 467, zutreffend hervorgehoben hat, „(können sich) in einer systematischen Disziplin, um nicht zu sagen Wissenschaft, Fehler und Nachlässigkeiten, die an einer Stelle begangen werden, weil sie als theoretische, in der Praxis aber irrelevante Ungenauigkeit erscheinen, an ganz anderer Stelle unberechenbar und verhängnisvoll auswirken". 46 47

Vgl. oben S. 150 ff., 126 ff., 137 ff.

Ebenso wie die Beurteilung eines Täters, der ein qualifikationslosdoloses Werkzeug eingesetzt hat, die gleiche ist, unabhängig davon, ob es sich um ein sog. unechtes oder ein sog. echtes Pflichtdelikt handelt; zutreffend Roxin in LK, § 25, Rdn. 91 sowie § 28, Rdn. 6; Hirsch in LK, § 340, Rdn. 9.

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Es wird gezeigt, daß selbst wenn der positiv Verpflichtete den „Grundtatbestand" gleichzeitig „verwirklicht" hat, etwa als Täter durch Begehen (z.B. ein Polizist verprügelt einige Demonstranten [§ 340 und im Prinzip auch § 223]), die Beurteilung des Teilnehmers am Pflichtdelikt niemals verschieden sein kann. Denn insoweit liegt - um die Lösung schon vorwegzunehmen - bloß eine scheinbare Konkurrenz vor. 48 Auch in diesen Fällen wird durch die Pflichtverletzung die Strafbarkeit begründet und nicht etwa eine ohnehin gegebene erhöht, weil es sich um zwei gänzlich verschiedene Delikte handelt. Wenn der Amtsträger eine Körperverletzung durch Tun begeht, begründet die Pflichtverletzung die Strafbarkeit wegen Körperverletzung im Amt (Pflichtdelikt), und dies unabhängig davon, ob er auch wegen Körperverletzung strafbar gewesen wäre, ohne Beamter zu sein (Herrschaftsdelikt). Ebenso wie die Tötung ihres minderjährigen Kindes per Organisation für die Eltern ein Pflichtdelikt ist (die Pflichtverletzung begründet die Strafbarkeit des Pflichtdelikts und erhöht nicht die mitunter auch unabhängig davon gegebene), so ist die Körperverletzung im Amt ein Pflichtdelikt, und zwar auch dann, wenn der Amtsträger organisiert hat. Wollte man das nicht akzeptieren, dann würde man zu der Absurdität gelangen, daß die Eltern, wenn sie dem Mörder ihres Sohnes das Messer reichten, nur als Gehilfen hafteten, aber dann, wenn sie gar nichts tun würden, als Täter (einer Unterlassung). 49 Denn die Verantwortlichkeit der Eltern als Täter basiert gerade darauf, daß ihre Pflichtverletzung als Eltern die Strafbarkeit überhaupt - und zwar als Täter - begründet, unabhängig davon, ob sie gehandelt haben (Hinreichen des Messers), d.h. unabhängig davon, ob sie auch - ohne die positive Verpflichtung - strafbar gewesen wären (aber als Gehilfen!). Ein „unechtes" Pflichtdelikt, das so zu verstehen wäre, wie die übliche Lehre es versteht, „funktioniert" eigentlich nie. Der positiv Verpflichtete habe das Pflichtdelikt wegen der Pflichtverletzung begangen, aber wenn er seine Pflicht nicht verletzt hätte, wäre er ebenso verantwortlich, diesmal aber wegen der Verwirklichung des sog. „Grundtatbestands" (gemeint ist: eines Herrschaftsdelikts). Aber das trifft jedenfalls in den bereits oben behandelten Fällen nicht zu, in denen der Verpflichtete unterläßt. Aber selbst wenn er handelt, ist diese Lösung ungereimt. Denn dann wäre er zwar wohl „ebenso" verantwortlich, aber doch nicht in demselben Maß. Die Amtsdelikte sind mit einer höheren Strafe bedroht als die „entsprechenden" Gemeindelikte. Das gilt auch für andere, nicht positivierte Pflicht48

Siehe dazu unten § 12 A (S. 207 ff.).

49

Die Absurdität einer solchen Auffassung ist bereits oben belegt; siehe S. 150 ff.

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delikte: Das Verhalten der Mutter, die ihr Kind ertränkt (oder unterläßt, es zu retten), ist strafwürdiger als dasjenige eines außenstehenden Dritten, der ebenso gehandelt hätte, und dies muß bei der Strafzumessung entsprechend berücksichtigt werden. Darüber hinaus bereiten auch diejenigen Fälle Schwierigkeiten, in denen der Verpflichtete unter dem Aspekt des Herrschaftsgedankens eigentlich nur Hilfe geleistet hat. Denn in diesen Fällen entspräche der „Grundtatbestand" nur einer Beihilfe, so daß, wenn man die „Lehre vom unechten Pflichtdelikt" konsequent anwenden wollte, hier nur Anstiftung zur Beihilfe bzw. Beihilfe zur Beihilfe, also in beiden Fällen Beihilfe anzunehmen wäre. Ein Beispiel: Der Extraneus E stiftet den Beamten Β an (bzw. hilft ihm), bei einer vom Dritten D begangenen Körperverletzung Hilfe zu leisten. Soll der Extraneus - der „Lehre vom unechten Pflichtdelikt" zufolge - nach dem Grundtatbestand bestraft werden, muß er wegen Anstiftung zur Beihilfe (bzw. Beihilfe zur Behilfe) und nicht wegen Anstiftung zur täterschaftlichen

Körperverletzung haften, da das Gestaltungsquantum des

Beamten im Rahmen des Grundtatbestandes, wenn man dieser Lehre gemäß die Pflichtenstellung wegdenkt, nur einer Beihilfe entspricht! Halten wir die hier vertretenen Thesen noch einmal fest: Die Pflichtverletzung ist immer konstitutiv für den Normbruch. Die Jedermannsdelikte, die den Pflichtdelikten bei äußerlich-kausaler Betrachtung mitunter scheinbar entsprechen - etwa die „einfache" Körperverletzung der Körperverletzung im Amt - sind kein „Grundtatbestand" des jeweiligen Pflichtdelikts. Die sog. Grundtatbestände bei den sog. unechten Pflichtdelikten lassen sich nicht als „Grund" bezeichnen: Zwar konkurrieren sie meist mit dem Pflichtdeliktstatbestand, aber eben nur meistens und selbst wenn sie konkurrieren, sind beide Tatbestände - wie noch zu zeigen sein wird 50 - nach den Regeln der scheinbaren gesetzlichen Konkurrenzen zu behandeln. Relevant ist nur, daß die Verletzung einer positiven Institution stets die Strafbarkeit des Täters i.S.d. § 28 Abs. 1 begründet. Insoweit kann das positive Recht nicht dahin interpretiert werden, daß die Teilnahme des Extranen am „unechten" Pflichtdelikt anders behandelt wird als diejenige am „echten" Pflichtdelikt. Nach der hier vertretenen Auffassung kommt das erhöhte Unrecht des Teilnehmers an einem sog. „unechten" Pflichtdelikt nicht nur - wie Cortes Rosa und Roxin i.E. zutreffend bemerkt haben - im Schuldspruch zum Ausdruck, sondern auch bei der Strafzumessung, und zwar unmittelbar gemäß § 28 Abs. 1. Der gleiche Umstand, etwa die Beamteneigenschaft, wirkt sich insoweit nicht in einem Fall, z.B. bei der Vorteilsannahme (§ 331 StGB), strafbegründend und in 50

Siehe unten § 12 A (S. 207 ff).

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einem anderen Fall, z.B. bei der Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB), straferhöhend aus, sondern wird stets gleich behandelt. Wer etwa einen Beamten zu einer Körperverletzung im Amt anstiftet oder ihm dabei Hilfe leistet, beteiligt sich nicht an einer bloßen Körperverletzung, sondern auch an der Verletzung positiver Pflichten, die aus der Institution Staat herzuleiten sind (innere Sicherheitsgewährleistung), und dies soll sowohl im Schuldspruch als auch im Strafrahmen zum Ausdruck kommen, so wie § 28 Abs. 1 es auch vorsieht. Diese Lösung ergibt sich lediglich aus einer Interpretation des § 28 im Lichte der Pflichtdeliktslehre. Denn „die juristische Interpretation" ist, wie Gustav Radbruch treffend ausgedrückt hat, „nicht Nachdenken eines Vorgedachten, sondern Zuendedenken eines Gedachten". 51 Und das Zuendedenken des § 28 StGB geschieht hier unter Entfaltung der Konsequenzen aus der Lehre vom Pflichtdelikt. Diejenigen Autoren, die für eine Differenzierung zwischen straferhöhenden und strafbegründenden persönlichen Merkmalen plädieren, selbst diejenigen, die diese Differenzierung für nicht angemessen halten, glauben allerdings, daß ein solches „Zuendedenken" de lege lata nicht möglich sei.52 Aber eine Bestrafung aus dem Strafrahmen des sog. „Gemeindeliktstatbestandes" wird nur insoweit von § 28 Abs. 2 „eindeutig" vorgeschrieben, 53 als die besondere Pflichtenstellung des Pflichtdelikts überhaupt die Strafe schärft, und ob das der Fall ist, läßt sich wiederum nicht an § 28 ablesen, sondern muß - vorab! - erst einmal dogmatisch geklärt werden. Eine Definition der straferhöhenden bzw. strafbegründenden Merkmale läßt sich dem § 28 ebensowenig entnehmen wie § 15 StGB eine Definition des Vorsatzes enthält. Vielmehr ist diese Vorschrift - wie Küper zutreffend hervorgehoben hat - „deliktssystematisch ,neutral' formuliert; ihr Wortlaut läßt die Aufbaustufe im Verbrechenssystem offen, der die strafbegründenden, strafschärfenden bzw. -mildernden oder strafausschließenden Faktoren jeweils zuzuordnen sind". 54 Die in § 28 getroffene Unterscheidung zwischen Abs. 1 und 2 läßt die Lehre vom Pflichtdelikt also eigentlich unberührt. Das Gesetz enthält eine Regelung, wie die Fälle zu behandeln sind (§ 49 Abs. 1), in denen eine 51 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 211; ders., Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 253 f. Vgl. auch Schmidhäuser, AT, 5/31 und Rudolphi in SK, Vorbem. § 1, Rdn. 32. 52

Vgl. nur Wagner, Amtsverbrechen, S. 397 (auf die von ihm gen. Staatszurechnungsdelikte bezogen). 53 Insoweit a.A. Cortes Rosa, ZStW 90 (1978), S. 431,422. Ebenso auf den Wortlaut des § 28 StGB stützt sich die ständige Rechtsprechung; dazu und zu den - m.E. nicht weiterhelfenden - rein wortlautorientierten Ansätzen vgl. die Darstellung und Würdigung von Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 141 ff 54

Küper, ZStW 104 (1992), S. 560; ähnlich Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 151 f.

202

Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

Teilnahme am Pflichtdelikt vorliegt, läßt aber offen, welche Fälle sie als strafbegründend betrachtet. 55 Damit ist folgendes Fazit zu ziehen: Der Extrane, der sich an einem - „echten" oder „unechten", wie auch immer man es nennen mag - Pflichtdelikt beteiligt, w i r d stets nach dem Strafrahmen und Deliktstypus des Pflichtdelikts gemäß §§ 28 Abs. 1,49 Abs. 1 bestraft. Die sog. iwechten Pflichtdelikte sind also keine Fälle des § 28 Abs. 2, sondern sämtlich nach der Regelung des § 28 Abs. 1 zu behandeln. Damit haben sich sämtliche, oben gezeigten Ungereimtheiten erledigt. Die „ harmonischste Lösung " ist - im Lichte der Lehre vom Pflichtdelikt

- erreicht

und § 28 StGB damit „zuendegedacht". Hier gilt also, was Radbruch formuliert hat und als M o t t o dieser Untersuchung vorangestellt worden ist: „Das Gesetz kann klüger sein als seine Verfasser - es muß sogar klüger sein als seine Verfasser".

55 Langer und jüngst Deichmann glauben, Abs. 1 sei mit der Pflichtdeliktslehre nicht vereinbar {Langer, Sonderverbrechen, S. 480; ders., Wolf FS, S. 339 Anm. 15; Deichmann, Grenzfälle der Sonderstraftat, S. 17 f.; ferner Trunk, Einheitstäterbegriff, S. 137; Pizarro Beleza, Coimbra-Symposium, S. 278 f.): Die Pflichtdeliktslehre widerspreche dem Gesetz, weil § 28 Abs. 1 nur die Strafmilderung für den Teilnehmer regle, der nicht qualifiziert sei und somit die Möglichkeit bloßer Teilnahme seitens eines Sonderpflichtigen voraussetze. Auch der Qualifizierte könne Gehilfe sein. - Dem ist jedoch aus mehreren Gründen nicht zuzustimmen. (1.) Abs. 1 enthält mehrere Auslegungsmöglichkeiten, nämlich eine, die von Langer und Deichmann hervorgehoben worden ist und in der Tat mit der Pflichtdeliktslehre nicht zusammenpaßt, eine andere jedoch, die die Pflichtdeliktslehre bestätigt. Denn § 28 Abs. 1 ist nicht - wie Langer und Deichmann meinen - zwingend zu entnehmen, daß das Gesetz von der Möglichkeit einer Intranenteilnahme ohne Strafmilderung ausgehe. Er läßt vielmehr ebenso den Schluß zu - der Abs. ist mehrdeutig verfaßt! -, daß er die Pflichtdeliktslehre voraussetzt, und lediglich die Regelung darüber enthält, wie die Teilnahme am Pflichtdelikt zu behandeln ist (Strafmilderung na § 49 Abs. 1). Mit anderen Worten ist es möglich diese Regelung auch folgendermaßen zu formulieren: „Unter der Voraussetzung, daß der Richter sich vor einen Fall der Teilnahme am Pflichtdelikt gestellt sieht, hat er die Strafe des Teilnehmers nach § 49 Abs. 1 zu mildern." (2.) Keine von beiden Interpretationen ist dem Gesetzeswortlaut nach - wie Langer und Deichmann glauben - zwingend, also auch nicht ihre eigene! Welche von beiden richtig ist, ist vielmehr der Lehre überlassen. Denn § 28 enthält selbst keine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme, wie Deichmann selbst anerkennt (aaO., S. 17 im Anschluß an Roxin, TuT, S. 663 Anm. 411), enthält also auch nicht die Lehre vom Pflichtdelikt, sondern setzt sie voraus. (3.) Beachtet man also eine (hier: nach der Pflichtdeliktslehre) schon getroffene Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme - wie Deichmann zugibt -, um § 28 auszulegen, dann ist die im Text nach der Pflichtdeliktslehre befürwortete Auslegungsmöglichkeit des Abs. 1 nicht nur eine mögliche unter anderen, sondern die einzig richtige. Die Vorschrift regelt insoweit nicht die Möglichkeit einer Teilnahme des Verpflichteten, sondern die Frage, wie die Teilnahme am Pflichtdelikt zu behandeln ist (§ 49 Abs. 1). - Die hier vertretene Auslegung steht daher jedenfalls innerhalb und nicht außerhalb des Wortrahmens von § 28, so daß verfassungsrechtliche Bedenken dagegen nicht zu erheben sind.

§ 11 Lösung fur § 28 StGB im Lichte der Pflichtdeliktslehre

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F. Weitere Absicherung der Lösung Aber selbst der Rekurs auf den Willen des Gesetzgebers ist kaum ergiebig und mit vielfältigen Schwierigkeiten befrachtet. Zum einen beweist die Entstehungsgeschichte, daß sich die Einführung des § 50 (= § 28 Abs. 2) in das RStGB von 1871 aus allgemeinen Strafwürdigkeitserwägungen ergeben hat, „ohne daß versucht wurde, einen Ableitungszusammenhang aus allgemeinen Begriffen wie Unrecht, Akzessorietät usw. herzustellen". 56 Auch läßt sich das Motiv, warum die sog. strafbegründenden Merkmale ungeregelt geblieben sind, nicht mehr ermitteln, so daß dies auch nicht das Produkt einer besonderen Überlegung des Gesetzgebers gewesen zu sein scheint. Schließlich sei zu betonen, daß die Einfuhrung des heutigen § 28 Abs. 1 in das Gesetz als ein Versuch zu sehen ist, die damalige Forderung der Lehre zu erfüllen, eine harmonische Lösung zu finden, eine Lehre, die - was nicht vergessen werden darf - schon damals jede Unterscheidung zwischen den sog. straferhöhenden und den sog. strafbegründenden Merkmalen abgelehnt57 und - wie oben gezeigt58 - hinsichtlich der sog. strafbegründenden Merkmale für denjenigen Beteiligten, dem sie fehlten, eine Strafmilderung gefordert hatte, um so die Ungleichbehandlung zwischen den Fällen des § 50 Abs. 2 StGB und den von dieser Vorschrift nicht erfaßten Konstellationen abzumildern. Zur Rechtfertigung der Annahme des strafbegründenden Merkmals wird im allgemeinen von der Rechtsprechung

59

Charakters eines seit langen darauf

hingewiesen, daß der betreffende Umstand „ein Tatbestandsmerkmal" darstelle, „Teil des Tatbestandes" sei, „zum Tatbestand des Delikts" gehöre u.ä.m. Aber soll etwa die Amtsträgereigenschaft bei der Körperverletzung im Amt, also ein Umstand, der die Strafbarkeit als Straftat im Amt i.S.d. dreißigsten Abschnitts des StGB erst begründet, etwa kein Tatbestandsmerkmal bilden? Diese Frage zu stellen, heißt, sie zu bejahen. Oder umgekehrt formuliert: Die Judikatur nimmt 56 Schwerdtfeger, FS, S. 275.

Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 44, ferner, S. 162; Vogler, Lange

57 Insoweit respektiert die hier vorgeschlagene Auslegung des § 28 die vom BVerfG gesetzte Grenze jeder Auslegung, nämlich daß diese nicht zu dem erkennbaren Zweck des Gesetzes in Widerspruch stehen darf; vgl. dazu Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, S. 428 ff. 58 Vgl. oben S. 182 ff. insb. mit Anm. 7 und 14. Auch von Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 29, zutreffend hervorgehoben (m.w.N.). - Ferner Gropp, Deliktstypen mit Sonderbeteiligung, S. 117 Anm. 53. 59 Nach Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 55 f., der sich auf RG 36,148 (154); 55, 181 (182) und 56, 25 (26) bezieht.

204

Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

den straferhöhenden

Charakter eines Umstands an, wenn dieser „den deliktischen

Tatbestand an sich nicht berühr[e]", der Paragraph oder Absatz, der das straferhöhende Merkmal enthält, „keinen selbstständigen Tatbestand" bilde u.ä.m.60 Aber soll etwa die Beamteneigenschaft den deliktischen Tatbestand der Körperverletzung nicht berühren? Bleibt dieser etwa stets der gleiche, unabhängig davon, ob er amtsmäßig verübt wird oder nicht? Ist etwa § 340 StGB kein selbständiger Tatbestand?61 Selbst nach den Kriterien einer Rechtsprechung, die zwischen strafbegründenden und straferhöhenden Merkmalen differenziert, lassen sich also die Merkmale der sog. unechten Pflichtdelikte leicht als strafbegründende qualifizieren. Die begrifflichen Unsicherheiten der Rechtsprechung sind allerdings verständlich. Denn sie stammen aus einer Zeit, in der die Einstufung eines Merkmals als strafbegründend die Strafbarkeit des Teilnehmers ohne jegliche Strafmilderung bedeutete. Deshalb pflegte die Judikatur - vor der Alternative strqfbegründender Charakter eines Merkmals ohne Strafmilderung Charakter mit Strafmilderung

versus straferhöhender

stehend - der materiellen Gerechtigkeit wegen ein

Merkmal eher als strafmodifizierend zu klassifizieren. Über dieses verständliche Streben nach Gerechtigkeit hinaus lassen sich jedoch in der Rechtsprechung keine sachlichen Gründe für eine Differenzierung zwischen echten und unechten Pflichtdelikten finden. Ebenso verständlich ist es, warum weder Cortes Rosa noch Roxin zu der hier plädierten Lösung gelangt sind. Denn beide haben noch an der ursprünglichen Formulierung Roxins der Pflichtdeliktslehre festgehalten, nach der die Pflichtenstellung des Täters nur seine Täterschaft, nicht aber seine Strafbarkeit begründet. Diese Auffassung hat sich jedoch als zu kurzsichtig erwiesen, worauf Roxin selbst bereits für die Fälle der Unterlassungs-Pflichtdelikte hingewiesen hat. Denn die Pflichtenposition hat hier eine doppelte Funktion: Sie begründet die Strafbarkeit

und gleichzeitig die Täterschaft,

60 Wiederum nach Schwerdtfeger, auf RG 25, 266 (268) und 65 102 (104).

62

Daß diese Erkenntnis sich nicht

Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 55, unter Hinweis

61

Die Frage läßt sich nach den Prämissen der herkömmlichen Lehre nicht eindeutig beantworten. Vgl. etwa folgendes Zitat von Schwerdtfeger, Besondere persönliche Unrechtsmerkmale, S. 61 f.: „(...) hinsichtlich des Problems der Abgrenzung strafändernder von strafbegründenden Merkmalen hat sich schon recht früh eine relativ einheitliche Praxis herausgebildet. Danach kommt es darauf an, ob das betreffende Merkmal zu einem neuen Tatbestand führt - dann wirke es strafbegründend - oder ob es den alten Tatbestand gleichsam nur modifiziert - dann sei es strafändernd." - Es liegt jedoch m.E. auf der Hand, daß eine solche „einheitliche Praxis" zirkulär und nichtssagend ist. Ob das Merkmal zu einem neuen Tatbestand führt (bzw. führen kann) oder den alten Tatbestand (sog. Grundtatbestand) modifiziert (wenn das überhaupt möglich ist), ist ja gerade die Frage. 62

Roxin, TuT, S. 477. - Vgl. bereits oben S. 157.

§ 11 Lösung f r § 28 StGB im Lichte der Pflichtdeliktslehre

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nur auf den Bereich der Unterlassung beschränken kann, ergibt sich schon aus dem Umstand, daß bei den Pflichtdelikten Tun und Unterlassen völlig gleichzusetzen sind. Hier sei deshalb nur noch ein weiteres, bereits erwähntes Argument genannt. Wenn die Pflichtenstellung des Täters nach der alten Deutung der Pflichtdelikte nur im Falle des Unterlassens die Strafbarkeit, aber bloß die Täterschaft

im Begehungsfall

begründen soll, ist das oben dargelegte Ergebnis, nach

dem der positiv Verpflichtete mangels Täterqualifikation (etwa bei Zueignungsdelikten) als Gehilfe haftet, 63 nicht erklärbar. Denn in diesen Fällen begründet die Pflichtenstellung entweder auch die Strafbarkeit, oder es liegt kein Pflichtdelikt vor, da gerade die Täterschaft nicht gegeben ist.

G. Offene Fragen Die hier vertretene Interpretation des § 28 Abs. 2 führt nicht notwendig dazu, daß der Inhalt dieser Vorschrift völlig entleert ist. Denn jenseits des Bereichs der Pflichtdelikte sind durchaus noch Umstände denkbar, die die Strafe bloß schärfen. Das mag etwa bei der Gewerbsmäßigkeit in § 260 StGB der Fall sein (gewerbsmäßige Hehlerei). Da bei demjenigen, der die Absicht betätigt, durch wiederholte Begehung von Hehlerei sich aus deren Vorteilen eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, 64 keine positive institutionelle Bindung besteht, handelt es sich bei der Gewerbsmäßigkeit i.S.d. § 260 StGB nicht um das strafbegründende Merkmal eines Pflichtdelikts, sondern möglicherweise um ein qualifizierendes Merkmal der Hehlerei als Herrschaftsdelikt. Der Gehilfe wäre dann nur wegen einfacher Hehlerei gemäß § 28 Abs. 2 zu bestrafen. Denkbar erscheint auch die Anwendung des § 28 Abs. 2 auf § 243 Abs. 1, Nr. 3 (Besonders schwerer Fall des Diebstahls im Falle der Gewerbsmäßigkeit [in Anwendung des § 28 Abs. 2 Bestrafung aus Diebstahl]), § 292 Abs. 2, Nr. 1 (gewohnheitsmäßige Jagdwilderei), etc. Die Überprüfung dieser und anderer Fälle bedürfte aber einer genaueren Untersuchung, die jedenfalls den Rahmen dieser, speziell an den Pflichtdelikten orientierten Überlegungen sprengen würde. Im Rahmen der hier vorgenommenen Untersuchung muß ebenso offen bleiben, ob die sog. unrechtsbezogenen Gesinnungsmerkmale,65 etwa die subjektiv gefaßten Mordmerkmale der 1. und 3. 63

Siehe oben S. 157.

64

Siehe nur Tröndle, StGB, § 260, Rdn. 2.

65

Vgl. dazu die Darstellung und Würdigung des Meinungsstandes in bezug auf § 28 StGB bei Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 117 ff, 175 f.

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

Gruppe, oder die Begriffe „böswillig" in § 225, vom § 28 Abs. 2 erfaßt sind. Um das zu ermitteln, muß man ähnlich wie bei den Pflichtdelikten vorgehen. Es geht wiederum um die Frage, wie solche Merkmale zu verstehen sind. Nach Auffassung der Rechtsprechung verkörpern die §§ 211 und 212 StGB zwei selbständige Deliktstypen mit einem jeweils spezifischen Unrechtsgehalt. Deshalb dürfte für diese Rechtsprechung - anders als für die h.L. - § 28 Abs. 2 nicht anwendbar sein. Die Mordmerkmale wären keine „Steigerung" des Totschlags - wie bei den sog. unechten Pflichtdelikten die positive Pflichtverletzung keine „Steigerung" des sog. Grunddelikts ausmacht -, würden also keine strafschärfenden besonderen persönlichen Merkmale i.S.d. § 28 Abs. 2 bilden, sondern strafbegründende Merkmale i.S.d. Abs. 1. Doch soll das hier wiederum dahingestellt bleiben.

§ 12 Anhang: Konkurrenzen und Strafmilderungsmöglichkeiten bei Pflichtdelikten A. Scheinbare Konkurrenzen Verschiedene Fragen bezüglich der Konkurrenzen und des Strafrahmens der Pflichtdelikte sind - um den Zusammenhang nicht zu zerstören - im Laufe der Untersuchung offen gelassen worden bzw. ihre Antworten wurden vorausgesetzt. Sie seien hier kurz erörtert, soweit sie im Bereich der Beteiligung bei und an Pflichtdelikten relevant sind. Erstens ist das Zusammentreffen von Pflicht- und Herrschaftsdelikten beim positiv Verpflichteten

noch zu klären, etwa in dem Fall,

in dem eine Mutter ihr eigenes Kind ertränkt, oder in dem oben dargelegten Fall des Gefängniswärters, der eine Gefangenenbefreiung im Amt durch Öffnen der Zellentür begeht, so daß an sich auch § 120 Abs. 1 erfüllt ist. In beiden Fällen liegt neben der Verletzung der positiven Institution zugleich ein Verstoß gegen die negative vor, anders ausgedrückt, jeweils scheinbar ein Pflicht- und ein Herrschaftsdelikt. Bereits Schopenhauer hat diese Fälle klar erkannt, sie als „doppelte Ungerechtigkeit' bezeichnet, und - wie die Bezeichnung schon andeutet - wohl für strafwürdiger als den „Normalfall" gehalten, in dem der positiv Verpflichtete lediglich die positive, aber nicht die negative Institution verletzt, nämlich wenn die Mutter etwa ihr eigenes, ins Wasser gefallenes Kind „nur" nicht rettet. So stellt Schopenhauer fest: Es gibt „eine doppelte Ungerechtigkeit, die von jeder einfachen, sei diese noch so groß, specifisch verschieden ist, welches sich dadurch Kund giebt, daß die Größe der Indignation des unbeteiligten Zeugen, welche stets der Größe der Ungerechtigkeit proportional ausfällt, bei der doppelten allein den höchsten Grad erreicht, und diese verabscheut als etwas Empörendes und Himmelschreiendes, (...)". „Diese doppelte Ungerechtigkeit hat statt", wo jemand die Verpflichtung hat, „einen Andern in einer bestimmten Hinsicht zu schützen, folglich die Nichterfüllung dieser Verpflichtung schon Verletzung des Andern, mithin Unrecht wäre; er nun aber noch überdies jenen Andern, eben darin, wo er ihn schützen sollte, selbst angreift und verletzt. Dies ist z.B. der Fall, wo (...) der Vormund die

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Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

Mündel um ihr Eigenthum bringt, der Advokat prävaricirt, der Richter sich bestechen läßt, der um Rath Gebetene dem Frager absichtlich einen verderblichen Rath ertheilt; (...)".' Die Ausführungen Schopenhauers sind jedoch nur teilweise zutreffend. Die Verletzung positiver Institutionen ist nämlich zwar nicht doppelt so strafwürdig, aber jedenfalls strafwürdiger als die Verletzung der negativen Institution. Dafür sind bereits viele Gründe genannt worden: Positive Institutionen sichern die existentiellen Grundbedingungen äußerer Freiheit überhaupt, d.h. die negative Institution.2 Zudem ist die negative Institution materiell - als logische Notwendigkeit - in der positiven enthalten, aber dies gilt nicht umgekehrt. 3 Man denke auch an die soeben bezeichnete angeordnete Strafmilderung des § 28 Abs. 1 StGB oder an die ceteris paribus höheren Strafen der Amtsdelikte und anderer positivierter Pflichtdelikte im Vergleich zu den ähnlichen Gemeindelikten etc. Der Behauptung Schopenhauers aber, daß das Zusammentreffen der Verletzung einer positiven und einer negativen Institution im Verhältnis zum Täter, der „nur" die positive Institution verletzt habe, eine doppelte Ungerechtigkeit darstelle, ist jedoch nicht zuzustimmen. Denn diese Auffassung verkennt die Regeln der Gesetzeskonkurrenz und führt deshalb zu Friktionen zwischen der (phänotypischen) Begehung der Tat durch Tun und derjenigen durch Unterlassen - ähnlich wie das bereits oben für die Beteiligung bei Herrschaftsdelikten gezeigt wurde. 4 Ein Gefängniswärter nämlich, der eine Gefangenenbefreiung im Amt begeht, indem er eine Zellentür nicht abschließt (§ 120 Abs. 2 StGB), würde gleichsam „einfaches" Unrecht begehen, weil er „nur" die positive Institution verletzt. Ein Gefängniswärter hingegen, der eine Gefangenenbefreiung im Amt durch Öffnen einer Zellentür - etwa Drücken eines Knopfs - begeht, würde dagegen „doppeltes" Unrecht verwirklichen. Denn im letzten Fall verstößt er gegen die positive Institution und prima facie auch - ebenso wie jeder Dritte, der den Knopf drückt gegen die negative Institution (vgl. § 120 Abs. 1 StGB). Die Argumentation Schopenhauers hinsichtlich des doppelten Unrechts führte dann zu dem absurden Ergebnis, daß die Beurteilung des Verhaltens des Täters - „normale" oder „dop1

Schopenhauer, E, S. 219 f. (er nennt allerdings andere Beispiele, die zur negativen Institution gehören). Hier wurde auch davon abgesehen, daß Schopenhauer fälschlich auf das Moment der „Übernahme" einer positiven Institution abstellt. Dazu siehe bereits oben Anm. 41 auf S. 116, S. 132 ff., 122 mit Anm. 58. 2

Siehe oben S. 119 ff.

3

Siehe oben S. 97 ff.

4

Siehe oben S. 49 f., 64.

§ 12 Konkurrenzen und Strafmilderungsmöglichkeiten

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pelte" Strafwürdigkeit - im Grunde von der Zufälligkeit abhinge, ob das Sicherheitssystem des Gefängnisses automatisiert ist oder nicht.5 Die Regeln der Gesetzeskonkurrenzen führen jedoch zu einem anderen Ergebnis, und zwar anhand der oben gewonnenen Erkenntnisse über die materiellen Unterschiede zwischen der negativen und den positiven Institutionen.6 Sie zeigen, daß es sich nicht um mehrere verwirklichte Delikte und insoweit auch nicht um doppeltes Unrecht handelt, sondern vielmehr, daß das Zusammentreffen eines Pflicht- und Herrschaftsdelikts in der Person des Verpflichteten eine scheinbare Konkurrenz beider Delikte begründet. Zwar sind die bei den Gesetzeskonkurrenzen auftretenden Fragen „bis in die Terminologie hinein stark umstritten". 7 Aber dennoch lassen sich die hier zu behandelnden Fälle ohne weiteres der sog. Spezialität zuschlagen. Darunter ist ein Einschlußverhältnis (Subordination, Inklusion) zu verstehen, bei dem jedes Element der kleineren Klasse auch der größeren angehört, aber nicht umgekehrt. Anders ausgedrückt: Spezialität liegt vor, wenn ein Tatbestand (lex specialis) die Merkmale eines anderen (lex generalis) sämtlich enthält und noch weitere darüber hinaus.8 Und genau das ist der Fall, wenn der positiv Verpflichtete neben der positiven die negative Institution verletzt. Wie oben gesehen, fällt jedes Verhalten des positiv Verpflichteten, das die negative Institution verletzt, - logisch zwingend - auch unter die positive Institution (ohne daß zugleich das umgekehrte gilt). Die positive Institution enthält alle Merkmale der generellen, nämlich der negativen Institution - der positiv Verpflichtete darf nicht schädigen -, und darüberhinaus mindestens ein Merkmal mehr: der positiv Verpflichtete muß auch eine gemeinsame Welt aufbauen. 9 Paradebeispiel für die Gesetzeskonkurrenz in der Form der Spezialität ist etwa die Verdrängung des § 223 StGB von einem (positivierten) Pflichtdelikt, nämlich von § 340 StGB. 10 Dieses Verhältnis der Subordination besteht beispielsweise auch im Fall der Mutter, die ihr eigenes Kind ertränkt, da diese Tat, nicht nur die negative, sondern zugleich auch die 5

Vgl. zu Automatisierungen allgemein oben S. 51 ff.

6

Siehe oben S. 97 ff.

7

So Jescheck/Weigend,,

8

AT, S. 733.

Hierzu und zum folgenden etwa Puppe in NK, Vorbem. § 52, Rdn. 7; Wegscheidel scheinbare Konkurrenz, S. 222 f.

Echte und

9

Denn hierbei zählt - wie sonst auch - als Deliktsformulierung nicht allein der Gesetzestext, sondern das Ergebnis seiner interpretatorischen Konkretisierung, d.h. der Auslegungstatbestand. Dazu oben S. 92 ff. 10

§ 223 StGB ist freilich auch als Pflichtdelikt vorstellbar. Vgl. etwa oben S. 99 f., 92 ff.

14 Sänchez-Vera

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positive Institution verletzt. Sehr plastisch läßt sich dieses Verhältnis zwischen Herrschafts- und Pflichtdelikten in der Person des Verpflichteten mit dem Bild zweier konzentrischer Kreise veranschaulichen: Alle im inneren Kreis (negative Institution) gelegenen Sachverhalte gehören auch in den äußeren Kreis (positive Institution). Es gibt also zwei Kategorien von Sachverhalten, nämlich solche, die sowohl dem engeren als auch dem weiteren Kreis unterfallen (die Mutter ertränkt ihr Kind, der Gefängniswärter begeht eine Gefangenenbefreiung im Amt durch Tun) und solche, welche „nur" unter das weitere Delikt subsumiert werden können (die Mutter unterläßt es, ihr eigenes, ins Wasser gefallenes Kind zu retten; der Gefängniswärter begeht eine Gefangenenbefreiung im Amt durch Unterlassen).11 Die Rechtsfolgen dieser Gesetzeskonkurrenz sind bekannt: lex specialis derogat legi generali. Die Verletzung der positiven Institution durch einen positiv Verpflichteten ist ein Spezialfall der Verletzung der negativen Institution durch denselben positiv Verpflichteten. Deswegen tritt die Verletzung der negativen Institution als lex generalis hinter diejenige der positiven Institution zurück. Verletzt ein positiv Verpflichteter prima facie auch die negative Institution, liegt keine echte Konkurrenz vor, obwohl zunächst der Anschein dafür besteht. Es ist nur ein einziges Delikt verwirklicht und zwar das Pflichtdelikt, so daß die Annahme eines doppelten Unrechts abzulehnen ist. 12 Wenn eine Mutter ihr Kind ertränkt, ist das also genauso strafwürdig, wie wenn sie es nicht aus dem Wasser holt. 13 Dasselbe gilt für das oben dargelegte Beispiel des Gefängniswärters: Begeht er eine Gefangenenbefreiung im Amt, indem er einen Knopf drückt und dadurch eine Zellentür öffnet, so ergibt das kein doppeltes Unrecht, obwohl der Gefängniswärter dabei zugleich die negative Institution verletzt - wäre er kein Beamter, hätte er sich gleichfalls strafbar gemacht -, sondern dasselbe (erhöhte)

11 Man könnte denken, es liege keine Spezialität vor, weil sehr wohl auch Verletzungen der negativen Institution denkbar sind, die nicht gleichzeitig die positive Institution verletzen. Das wäre jedoch verfehlt. Denn es ist zwar richtig, daß es Verletzungen der negativen Institution gibt, die nicht zugleich gegen die positive verstoßen, aber dann handelt es sich auch nicht um einen Fall eines positiv Verpflichteten. In den Erörterungen im Text geht es um die Gesetzeskonkurrenzen bei einem positiv Verpflichteten, und bei diesem ist es nicht denkbar, daß er die negative Institution verletzt, ohne zugleich die positive zu verletzen (vgl. oben S. 97 ff). 12

Dies bestätigt um so mehr die oben, S. 195 ff (Auslegung des § 28 StGB), gewonnenen Erkenntnisse. Das verdrängte Gesetz, d.h. der sog. Grundtatbestand wird nicht angewendet. 13 Die höhere Strafwürdigkeit des Pflichtdelikts muß im Rahmen der Strafzumessung und -bemessung der Tötung berücksichtigt werden, da es keinen besonderen Tatbestand für dieses Pflichtdelikt (Verwandtenmord) gibt (wie etwa Körperverletzung im Amt für die Pflichtverletzungen eines Beamten). Bei absoluter Strafe (etwa Mord) hat der Gesetzgeber der hohen Strafwürdigkeit wegen darauf verzichtet, weitere Strafrahmenunterschiede zu machen.

§ 12 Konkurrenzen und Strafmilderungsmöglichkeiten

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Unrecht, wie wenn er die Gefangenenbefreiung im Amt begeht, indem er eine Zellentür nicht abschließt.

B. Strafmilderungsmöglichkeiten des beteiligten Extraneus am Pflichtdelikt Nunmehr soll die mögliche gemeinsame Organisation des positiv Verpflichteten mit einem nicht verpflichteten Dritten aus der Perspektive dieses Dritten näher betrachtet werden. Was die Strafzumessung hinsichtlich des Dritten angeht, ist - im Gegensatz zur Lage beim positiv Verpflichteten, dessen Organisation qua Spezialität von der Pflichtverletzung verdrängt wird und somit bei der Strafzumessung nicht mehr zu Buche schlägt - das Organisationsquantum maßgeblich. Organisiert beispielsweise die Ehefrau eines Richters mit diesem eine Rechtsbeugung, so mag das Organisationsquantum der Frau einer „Täterschaft", „Anstiftung" oder „Gehilfenschaft" entsprechen. Der Extraneus kann nämlich mit dem Intraneus zusammengewirkt haben („täterschaftliches" Quantum), oder dem Intraneus Hilfe geleistet bzw. ihn zu der Tat veranlaßt haben (Quantum als Gehilfe bzw. als Anstifter). Von dieser Perspektive ausgehend, taucht folgende, oben14 offen gelassene Problematik auf: Da die Teilnahme am Pflichtdelikt als eine Mitwirkung ohne Pflichtverletzung definiert wird, gleichen sich alle diese drei Formen des Mitwirkens, was seinerseits die Frage aufwirft, ob eine Mitwirkung (ohne Pflichtverletzung) mit dem Quantum einer „Täterschaft" zur Teilnahme, eine Mitwirkung aber mit dem Quantum eines Gehilfen gleichfalls zur Teilnahme führen soll. Diese Problematik hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung zutreffend gelöst. Dabei ging es um einen Fall, in dem der Angeklagte nur deshalb als Gehilfe zur Untreue und nicht als Täter angesehen wurde, „weil ihn keine besondere Pflicht dazu verband, die Vermögensinteressen der geschädigten Firma wahrzunehmen".15 Der BGH hält hier nur eine Strafmilderung für angebracht, da „ein und dieselbe Tatsache, nämlich das Fehlen eines besonderen persönlichen Merkmals, bestehend im Treueverhältnis zu der geschädigten Firma, sowohl über § 28 14 15

Siehe oben S. 172 f.

BGH 26, 53 ff. [=JR 1975, 509 f.;=NJW 1975, 837]; BGH NJW 1983, S. 1807 (1810); BGH wistra 1988, S. 303. - Eine doppelte Strafmilderung wurde bereits vom BGH angewendet (Beschluß vom 19. 9. 1978-5 StR 499/78 -, MDR 1979, S. 105 bei Holtz; bekräftigt durch Beschluß vom 11. 5. 1983 - 4 StR 211/83 -, StV 1983, S. 330). 14*

212

Teil 3: Die Beteiligung bei und an Pflichtdelikten

Abs. 1 StGB wie über § 27 Abs. 2 StGB allein und ohne Hinzutreten irgendeines anderen Umstandes zur Anwendung der Strafmilderung nach den Grundsätzen des § 49 StGB" führe. „Der Senat neigt jedoch dazu" - so heißt es weiter -, „eine Doppelverwertung auch im Verhältnis von § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 StGB immer dann als möglich und geboten anzusehen, wenn die Gehilfenschaft sich neben dem Fehlen eines besonderen Merkmals auch aus anderen Tatsachen, etwa aus dem nur mit Gehilfenwillen [sie] geleisteten geringen Tatbeitrag ergibt. Sonst wäre das Stufenverhältnis zur Anstiftung verfehlt." Die Entscheidung verdient i.E. Zustimmung und trägt lediglich dem soeben dargelegten Gedanken Rechnung, daß der beteiligte Extraneus am Pflichtdelikt drei mögliche, verschiedene Beteiligungsquanten aufweisen kann, abgesehen von der generellen Strafmilderung, die daraus folgt, daß für den Extraneus die Tat weniger strafwürdig ist als für den Intraneus. Denn die Berücksichtigung der unterschiedlichen Quanten erfolgt, wie der BGH zutreffend gesehen hat, gegebenenfalls mittels einer neuen Strafmilderung - neben der nach §§28 Abs. 1,49 für den Extraneus. Im einzelnen bedeutet das: Erfüllt der Tatbeitrag des Extraneus an sich das Quantum eines „Täters" - hat er also „Tatherrschaft" -, soll er aber mangels Qualifikation als Gehilfe bestraft werden, so kommt ihm eine Strafmilderung nur einmal zugute, weil ansonsten ein und dasselbe Merkmal zweimal verwertet würde. Dies war der Fall, der der BGH-Entscheidung zugrunde lag: Nur weil der Angeklagte kein Treueverhältnis zur Firma aufwies (also § 28 Abs. 1 StGB), war er zugleich als Gehilfe zu qualifizieren. Hat der Extraneus aber, abgesehen von seinem Mangel an Qualifikation, an sich nur das Quantum einer Gehilfenschaft verwirklicht, weist sein Verhalten also die Struktur einer bloßen Beihilfe auf, so ist hingegen eine Doppelstrafmilderung angebracht. 16 Beispiel: Die Ehefrau des Anwalts wirkt bei dessen brieflicher Geheimnisoffenbarung als Schreibgehilfin mit: § 28 Abs. 1 StGB und §21 Abs. 1 StGB. Schließlich: Stellt das Quantum des Extraneus eigentlich eine Anstiftung dar, so ist seine Strafe nur einmalig zu mildern, denn anderenfalls würde die Bestimmung des Gesetzes, daß die Beihilfe milder als die Anstiftung bestraft werden muß, ignoriert.

16

Wie hier i.E. bereits Herzberg, GA 1991, S. 159 f. (das Beispiel stammt von ihm); Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft, S. 118; W. Hassemer, JuS 1975, S. 401; Holthausen, NStZ 1993, S. 570; Puppe in NK, § 348, Rdn. 37; Samson in SK, § 27, Rdn. 20; Schönke/Schröder-Stree, § 49, Rdn. 6; Schünemann,, GA 1986, S. 341 f.; ders., Jura 1980, S. 367,577,582 f.; Seelmann in NK, § 13, Rdn. 91 ; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 339; Vogler, Lange FS, S. 272 f.; z.T. auch Bruns, JR 1975, S. 511; Langer, Lange FS, S. 248 mit Anm. 35 und S. 251 mit Anm. 53; ders., Wolf FS, S. 336 ff.

§ 12 Konkurrenzen und Strafmilderungsmöglichkeiten

213

Nach § 50 StGB darf ein Umstand, der allein oder mit anderen Umständen die Annahme eines minder schweren Falles begründet und der zugleich einen besonderen gesetzlichen Milderungsgrund nach § 49 StGB darstellt, nur einmal berücksichtigt werden. Auf der Basis dieser Vorschrift ist der hier vertretenen Lösung entgegen gehalten worden, es handle sich beim Zusammentreffen von §§27 Abs. 2 und 28 Abs. 1 StGB um denselben Umstand, der „nach verschiedenen Vorschriften Milderung vorschreibt oder zuläßt", und somit gehe es um eine gerade von § 50 StGB verbotene Doppelverwertung von Umständen.17 Abgesehen davon, daß eine solche Lösung, wie der BGH schon erwidert hat, „das Stufenverhältnis zur Anstiftung" verfehlt, ist diese Auffassung schon deshalb nicht stichhaltig, weil sie voraussetzt, daß es immer um „ein- und dasselbe Merkmal" geht. Denn es trifft zwar in einigen Fällen - wie in dem der BGH-Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt - zu, daß nur ein Merkmal in Betracht kommt, aber dies ist keineswegs stets der Fall: Hat der Extraneus „nur" als Gehilfe organisiert, ist dies dann ein Umstand, der sich mit dem Manko an Qualifikation nicht deckt. Ginge es immer um „ein- und denselben Umstand", so wäre es bereits logisch ausgeschlossen, daß einer vorläge - der Beteiligte ist nicht besonders verpflichtet -, ohne daß der andere zugleich vorliegen würde - der Beteiligte hat keine Herrschaft. Die doppelte Strafmilderung bedeutet eine Mehrfachverwertung hinsichtlich des Zusammentreffens mehrerer Milderungsgründe nach § 49 StGB, die jedenfalls zulässig ist. Aus der Tatsache, daß § 50 Abs. 2 StGB a.F. entgegen den vorherigen Entwürfen die generell vorgesehene obligatorische Strafmilderung - diejenige der Beihilfe - nicht mehr als ausreichend ansah, kann man auch schließen, daß es sich um verschiedene Umstände handelt.18 17 18

Vgl. Tröndle, StGB, § 50, Rdn. 3.

Roxin in LK, § 28, Rdn. 88 ff, will allerdings die Strafe für den Gehilfen immer doppelt mildern, also nicht nur - wie im Text vorgeschlagen - in den Fällen, in denen das Quantum des Beteiligten einer Beihilfe entspricht. Denn nach Roxin wird auch von der hier vertretenen Lösung das „Stufenverhältnis" zur Anstiftung außer acht gelassen, und „deshalb erscheint es als richtiger, in allen Fällen des Zusammentreffens von § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 die Strafe doppelt zu mildern". In Fällen, in denen jemand nur wegen der fehlenden Täterqualifikation Teilnehmer an einem Pflichtdelikt sei, würden sich Anstiftung und Beihilfe entgegen der gesetzgeberischen Wertung im Strafrahmen nicht mehr unterscheiden. - Die Kritik trifft die hier vertretene Auffassung nicht: Zwar wird eine Gleichbehandlung des nichtqualifizierten, aber mit Tatherrschaft handelnden „Gehilfen" mit dem Anstifter vorgenommen, d.h. Anstiftung und „Beihilfe" dem gleichen Strafrahmen unterstellt - für beide Fälle eine einzige Strafmilderung -, jedoch geschieht dies nicht „entgegen dem Gesetz". Denn dort, wo es an sich um ein Quantum von „Täterschaff 4 geht (der Nichtqualifizierte hat Tatherrschaft), ist jedenfalls eine Strafe wie für einen Anstifter angemessen, und dies selbst wenn der Beteiligte „Gehilfe" genannt wird. Daß der ohne Tatherrschaft am Pflichtdelikt beteiligte tatveranlassende Extraneus nur eine Milderung seiner Anstifterstrafe enthält, entspricht seinerseits lediglich der gesetzgeberischen Entscheidung, den Anstifter gleich einem Täter zu bestrafen.

Zusammenfassung

Zu §§ 1, 2 und 3: Die von Roxin begründete Pflichtdeliktslehre 1 sowie deren Fortentwicklung durch Jakobs2 hat sich im Laufe der Untersuchung in ihren Grundzügen bestätigt und eine Weiterentwicklung erfahren. Allerdings haben sich in der Lehre Roxins bereits einige intrasystematische Friktionen herausgestellt, soweit dort sämtliche Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte qualifiziert sind. Diese Auffassung ist im Grunde genommen eng mit derjenigen Roxins verknüpft, nach der die Strafe des Täters zu mildern sei, wenn dieser die sog. soziale Tatherrschaft nicht aufweise. 3 Die soziale Tatherrschaft werde lediglich durch die Verpflichtung des Unterlassenden zu für ihn Alltäglichem, nicht aber durch die Verpflichtung zur Rettung aus ungewöhnlichen Gefahren begründet. Mit dieser Differenzierung will Roxin der Sache nach einer Vernachlässigung unbestrittener Wertunterschiede zumindest in der Strafzumessung entgegenwirken: Wenn dem Unterlassenden die soziale Tatherrschaft fehle, so sei er zwar als Täter, aber milder zu bestrafen. Eine Differenzierung nach diesem Kriterium hat sich jedoch als nicht durchführbar erwiesen.4 Denn in den Fällen, in denen Roxin eine soziale Tatherrschaft annimmt, läßt sich unter denselben Prämissen ebensogut auch das Gegenteil vertreten. Damit wird den erwünschten Wertunterschieden nicht hinreichend Rechnung getragen, so daß die Auffassung, alle Unterlassungsstraftaten seien Pflichtdelikte, verfehlt erscheint. Wer etwa die Sicherung einer Pistole vorsätzlich unterläßt, damit ein Dritter etwas Deliktisches damit begehen kann, würde (mangels eines tauglichen Strafmilderungskriteriums) mit der Strafe eines Täters belegt (Pflichtdelikt), obwohl er beim Hinreichen der Pistole bloß als Gehilfe verantwortlich wäre. Auch angesichts des § 28 StGB hat sich der Versuch, alle Unterlassungsstraftaten als Pflichtdelikte einzugliedern, als paradox erwiesen. Stiftet ein Passant einen Weichenwärter zu einem Zugzusammenstoß 1

Siehe oben S. 22 ff.

2

Siehe oben S. 29 ff

3

Siehe oben S. 38ff., insb. S. 41 ff.

4

Siehe oben S. 47 ff.

Zusammenfassung

215

durch Nichtsteilen der Weiche an, kommt ihm eine Strafmilderung gemäß § 28 Abs. 1 zugute. Denn die Garantenstellung des Unterlassenden - als Täter eines Pflichtdelikts - sei ein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 StGB. Wenn aber der Passant zu einem Zugzusammenstoß durch falsches Stellen der Weiche, also durch Tun anstiftet, weil der Betrieb automatisiert ist, so daß nun der Weichenwärter tätig werden muß, käme ihm keine Strafmilderung zugute. Die Strafbarkeit des Beteiligten hinge von der Zufälligkeit ab, ob der Betrieb automatisiert ist (keine Strafmilderung) oder nicht (Strafmilderung). Man denke nur an den Fall, in dem der Passant den Weichenwärter zu dem Zugzusammenstoß anstiftet, ohne zu wissen, ob dieser es durch falsches Stellen der Weiche (Tun) oder durch Nichtsteilen der Weiche (Unterlassen) realisieren wird. 5 - Die Problematik der Unterlassung wurde unter Darstellung der hier vertretenen Konzeption weiter erörtert: Zu §4: Feuerbachs Diktum lautet, daß man ohne einen besonderen Rechtsgrund durch Unterlassen nicht zum Verbrecher wird, ein Diktum, das die Unterlassungsdogmatik jahrzehntelang geprägt hat. Aber damit war mehr vorausgesetzt als bewiesen. Denn bereits die heute existenten Fälle von Automatisierungen werfen ohne weiteres Schatten auf die These Feuerbachs.6 Bei automatisierter Organisation wird man nämlich durch Unterlassen in denselben Fällen zum Verbrecher, in denen man ohne die Automatisierung durch Tun zum Verbrecher wird, etwa wenn ein Arbeiter durch einen Industrieroboter ersetzt wird, so daß nun ein fehlerhaftes Produkt nicht auf seine schlechte Arbeit (Tun), sondern auf die Nicht-Korrektur der falschen Arbeit des Roboters, seil, auf ein Unterlassen zurückzuführen ist. Ob man hier zum Verbrecher wird, hängt offensichtlich nicht von einem besonderen Rechtsgrund, sondern von der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse ab. Deshalb wurde die Übertragbarkeit dieses Gedankens auf andere Verhaltensweisen des Einzelnen - auch ohne Automatisierungen - untersucht, allgemeiner: inwieweit eine Tätigkeitsforderung eine besondere Pflicht voraussetzt, so daß deren Verletzung ein Pflichtdelikt bedeutet. Das Rechtssystem operiert mit einem eigenen, juristischen Code.7 Durch ihn werden außerrechtswissenschafiliche Begriffe übernommen und zugleich „umgeformt". Dieser juristische Code basiert auf Erwartungen. Die Erwartungen werden 5

Siehe oben S. 49 f. und ferner S. 64.

6

Siehe oben S. 51ff., 53 ff.

7

Siehe oben S. 55 f.

Zusammenfassung

216

mittels eines Identifikationsprinzips verallgemeinert. 8 Üblicherweise gilt im Strafrecht das Individuum als Identifikationsprinzip. Dieser Ansatz hat sich jedoch als verfehlt erwiesen. Man kann nichts von Individuen erwarten, welche die Gesellschaftsmitglieder „persönlich" nicht kennenlernen können bzw. wollen. Da das Strafrecht vielmehr gerade auch anonyme gesellschaftliche

Kontakte

garantieren muß, ist das Identifikationsprinzip nicht das Individuum an sich, sondern das Individuum in seiner Rolle in der Gesellschaft. Erwartungen werden also mit bestimmten Rollen verbunden. Das Minimum jeder Interaktion bildet die Rolle als Person: Ego darf erwarten, daß Alter, eben als Person, keine fremde Rechtssphäre überschreitet. Das Rechtssystem arbeitet also - bei Herrschaftsdelikten - mit Erwartungen, die auf Personen basieren, nicht aber mit Handlungen oder Unterlassungen per se, die freilich als außerrechtliche, nicht durch den Code umgeformte Daten außer Acht bleiben.9 Von Bedeutung ist daher nur die Interpretation, die das Strafrecht von einem Tun bzw. Unterlassen als eigene Konstruktion in bezug auf das Identifikationsprinzip Person macht. Da der Person selbstverständlich die Teile ihres Personwerdens zuzuschlagen sind, etwa ihr Eigentum, allgemeiner: jedenfalls der zufällige status quo ihrer Organisation, wird die Person als eine black box behandelt: Es interessiert nicht die interne Gestaltung ihrer Organisation, sondern nur ihre Außenwirkung, d.h. daß die Person die anderen als Personen respektieren muß, also eine Nicht-Einmischungs-Erwartung. Insoweit kommt es deshalb nicht auf die äußere Form der Enttäuschung - die Form des Tuns oder Unterlassens - an, sondern nur auf die Enttäuschung selbst. Die äußere Form der Enttäuschung ist eine Angelegenheit der Person, weil die Person auch der eigene Herr ihrer Angelegenheiten, insbesondere ihrer internen Organisation ist. Die Bestrafung wegen der Enttäuschung einer auf jede Person bezogenen Nicht-Einmischungs-Erwartung durch Unterlassen - üblicherweise werden diese Fälle als Übernahme- oder Ingerenz-Fälle bezeichnet -, bedarf deshalb keines besonderen Grundes, weil sie der „ ursprünglichen

Verbindlichkeit

" entspringt, fremde Rechtssphären nicht zu

verletzen (genauso wie die Enttäuschung durch Tun). Diese Fälle bilden den Bereich der Herrschafts-, nicht der Pflichtdelikte. Zu § 5: Was bis jetzt als Nicht-Einmischungs-Erwartung, als Erwartung an die Person, die anderen als Personen zu respektieren (resp. als „ursprüngliche Ver8

Siehe oben S. 56 ff

9

Siehe oben S. 58 ff

Zusammenfassung

217

bindlichkeit"), bezeichnet wurde, korrespondiert mit der seit dem römischen Recht bekannten Institution neminem laede: Es muß unterlassen werden, jemandem einen Schaden zuzufügen. Diese Institution ist in der Rechtsphilosophie etwa seit Cicero bis in unsere heutigen Tage tradiert worden. 10 Auch zu der soeben angesprochenen Frage, nämlich ob aus dieser negativen Institution (Jedermanns)Handlungspüichten stammen, haben einige Philosophen einen wichtigen und gerade auch heute - angesichts der Lehre vom Pflichtdelikt - beachtenswerten Beitrag geliefert, namentlich Svarez, Fries, der Kantianer Schmalz und insbesondere Hegel in § 38 seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts.11 Einzelheiten sind hier nicht nochmals darzustellen, festzuhalten ist lediglich: Alle haben gesehen, daß es scheinbare „Rechtsgebote" gibt, die „ihrem letzten Inhalte nach" auf ein Verbot zurückzuführen sind. Im abstrakten Recht Hegels - und das heißt für die moderne Strafrechtsdogmatik: im Bereich der Herrschaftsdelikte - gibt es also Handlungspflichten,

die keine besonderen Pflichten darstellen, die vielmehr der

Jedermannsverpflichtung entspringen, die anderen als Personen zu respektieren. Es ist also das Verdienst Hegels, die Handlungspflichten

im ursprünglichen

Verbot (neminem laede) erfaßt zu haben, d.h. daß es auch Jedermanns(organisations)delikte (üblicherweise Herrschaftsdelikte genannt) gibt, die durch Unterlassen begangen werden können. Die genannten Philosophen, etwa Hegel im dritten Teil seiner Rechtsphilosophie - die Sittlichkeit -, und andere wie Pufendorf, Schopenhauer oder Tönnies haben über die negative Institution hinaus einige positive Pflichten anerkannt, die sich nicht in dem bloßen Verbot neminem laede erschöpfen, sondern die den positiven Aufbau einer gemeinsamen Welt rechtlich vorschreiben. 12 Namentlich im Anschluß an Schopenhauer kann man sie in zwei Hauptgruppen unterteilen, nämlich in die familiären und die staatlichen Pflichten. Als hervorzuhebendes Charakteristikum dieser positiven Pflichten wurde besonders genannt, daß der Verpflichtete sich hilfsfähiger halten muß. - Damit wurde die geistesgeschichtliche Begründung der grundlegenden Zweiteilung in Herrschafts- und Pflichtdelikt gezeigt. Die übliche Kritik lautet, daß der Begriff der positiven Institution allzu abstrakt sei, um strafrechtlich Verwendung finden zu können. Es wird bemängelt, daß die 10

Siehe oben S. 67 f.

11

Siehe oben S. 69 ff.

12

Siehe oben S. 76 ff.

Zusammenfassung

218

positiven Institutionen als solche im Strafrecht nicht - zumindest nicht generell positiviert seien, insbesondere nicht geregelt wäre, was eine positive Institution sein solle, ferner auch nicht - jedenfalls nicht ausdrücklich -, daß die positiven Institutionen in der Verbrechens lehre überhaupt eine Rolle zu spielen hätten. Aber dieses Schicksal teilt jede positive auch mit der negativen Institution. Denn daß die §§212, 223 StGB z.B. den Totschlag und die Körperverletzung unter Strafe stellen, sagt prinzipiell - und das wird meist übersehen - ebensowenig über die negative Institution aus, wie über die positive. Ob etwa die Grenzfälle des Handelns auf eigene Gefahr im Bereich der AIDS-Problematik einen Verstoß gegen das Neminem-laede-Prinzip bedeuten oder nicht, steht ebensowenig in §§ 212 oder 223 StGB, wie dort etwas über die Institution Eltern-Kind-Verhältnis geregelt ist. Zu § 6: Beide Institutionen, die positive und die negative, sind scharf zu trennen. Man pflegt in der rechtsphilosophischen Tradition die negative Institution als Verbot auszudrücken - „Du sollst nicht schädigen!" -, die positive als Gebot - „Du sollst zur Seite stehen!". Dennoch wird die negative Institution in dieser Tradition häufig umgekehrt als „Rechtsgebot" bezeichnet.13 Diese Bezeichnung erscheint akzeptabel. Denn nach dem Grundsatz duplex negatio est affirmatio

ist es logisch

prinzipiell möglich, ein Verbot als Gebot zu formulieren und umgekehrt, je nachdem, ob man die Handlung oder ihren kontradiktorischen Gegensatz - die Unterlassung - in Bezug nimmt. 14 Die äußere Form des Rechtssatzes besagt also noch nichts für die Bestimmung des materiellen Gehalts: Ist eine Formulierung beliebig austauschbar - Verbot oder Gebot als kontradiktorische Gegensätze -, kann daran keine rechtlich relevante Unterscheidung geknüpft werden. Ob der Gesetzgeber zufällig eine Norm als Verbot oder als Gebot ausformuliert hat, oder der Richter sie als Verbot oder als Gebot interpretiert, ist also normativ bedeutungslos. Die These, Verbote und Gebote (des Kodifikationstatbestands) seien austauschbar, ergänzt deshalb die gerade dargelegte Auffassung, der Täter eines Herrschaftsdelikts könne das Verbot neminem laede (auch) durch eine Unterlassung übertreten. Anders ausgedrückt bietet diese Austauschbarkeit eine weitere Erklärung für die Auffassung, die besagt, daß aus dem Neminem-laede-Prinzip auch Handlungspflichten herzuleiten sind. Die soeben erwähnte Austauschbarkeit gilt für den Begriff der Institutionen jedoch nicht: 15 Die negative Institution Nicht13

Siehe oben S. 89.

14

Siehe oben S. 90 ff.

15

Siehe oben S. 92 ff.

Zusammenfassung

219

Schädigen verhält sich nicht kontradiktorisch zu der positiven Institution, eine gemeinsame Welt aufzubauen. Denn der kontradiktorische Gegensatz zu der Institution Nicht-Schädigen ist, etwas zu tun, was das entsprechende Gut schädigt, nicht jedoch, etwas zu tun, was die Lage des Guts verbessert (Aufbau einer gemeinsamen Welt). Die negative Institution (deren Verletzung ein Herrschaftsdelikt ergibt) lautet: „Du brauchst überhaupt nicht zu organisieren, wenn du aber organisierst, hast Du dich um die Folgen deiner Organisation zu kümmern!". Demgegenüber schreibt die positive Institution (deren Verletzung zu einem Pflichtdelikt führt) vor: „Du sollst eine gemeinsame Welt aufbauen!". Die negative Institution (und zwar unabhängig von ihrer Formulierung als Verbot oder Gebot) sagt „nur", daß die anderen als Personen zu respektieren sind. Was die Person ansonsten tut, ist für die Rechtsordnung indifferent. Die positiven Institutionen beinhalten dagegen, daß jemand den Aufbau einer gemeinsamen Welt gestalten muß. Die Tatbestände müssen deshalb nach den nicht austauschbaren Begriffen negative Institution/positive Institutionen interpretiert werden. Wenn ein Tatbestand seiner Formulierung nach scheinbar ein Verbot - etwa das Verbot zu Töten - enthält, dann bedeutet das keine Identifizierung mit der negativen Institution und insoweit mit einem Herrschaftsdelikt. Diejenigen Vorschriften des Besonderen Teils, die angeblich als Verbote interpretiert werden, sind also nicht nur von vornherein als Beschreibung eines Herrschaftsdelikts, sondern im Prinzip auch zugleich als Beschreibung eines Pflichtdelikts

zu verstehen: Der Vater, der

sein Kind tötet, ist Täter eines Pflichtdelikts. Bei der Herausarbeitung der Unterschiede zwischen negativer und positiver Institution wurde eine weitere wichtige Erkenntnis gewonnen:16 Die auf positive Institutionen bezogenen Erwartungen haben - im Unterschied zu den NichtEinmischungs-Erwartungen der negativen Institution - schon dem Begriff nach einen doppelten Inhalt: Jede positive Institution schließt in sich die negative Institution ein (aber nicht umgekehrt). Die Pflicht einer Mutter zum Aufbau einer gemeinsamen Welt mit ihrem Kind beinhaltet selbstverständlich zugleich die Pflicht, es nicht zu schädigen. Organisiert die Mutter etwas Schädliches gegen das Kind, so verletzt sie notwendig zugleich die positive Institution, was heißt, sie begeht ein Pflichtdelikt. Zu § 7: Die rechtsphilosophische Tradition hat zwar positive Institutionen anerkannt und von der negativen scharf getrennt, sie allerdings im rechtlichen 16

Siehe oben S. 97 ff.

220

Zusammenfassung

Bereich eher als einen Spezialfall behandelt.17 Prinzipiell dürfe der Staat als Garant der Freiheit seiner Bürger nicht mehr verbieten als das Verhalten, das dieser Freiheit schadet oder sie gegebenenfalls gefährdet. Daraus wird von Teilen der Literatur (Gallas, Engisch) gefolgert, daß die aus den positiven Institutionen stammenden Pflichten und damit wiederum die Anerkennung von Pflichtdelikten eine unzulässige Moralisierung des Rechts darstelle. 18 Dieser Kritik ist jedenfalls für die heutige Gesellschaft nicht zuzustimmen.19 Zwar schränken positive Pflichten zum Aufbau einer gemeinsamen Welt den eigenen Verhaltensspielraum ein man muß sich etwa, wie gesehen, hilfsfähig erhalten -, gleichwohl ist dies - wie das Bundesverfassungsgericht vielfach ausdrücklich festgestellt hat - zulässig.20 Denn die positiven Institutionen sichern die existentiellen Grundbedingungen der Freiheit, 21 also die negative Institution überhaupt. Sinn der Verfassung kann es nicht sein, zwar den Schutz der negativen Institution neminem laede auszusprechen, aber dieser negativen Institution die Mittel vorzuenthalten, nämlich die positiven Institutionen, die auch zu ihrem Schutz nötig sind. Der Grund, aus dem die rechtsphilosophische Tradition die positiven Institutionen zwar schon lange anerkannt, aber nur am Rande behandelt hat, liegt in einer extrem liberalistischen Staatskonzeption, die auf das heutige Staatsmodell nach der Verfassung nicht mehr zutrifft. Zu § 8: Eine weitere Kritik an der Pflichtdeliktslehre äußern mehrere Ansätze, die auf den Gedanken der Tatherrschaft auch als geeignetes Kriterium für die Pflichtdelikte zurückgreifen. Alle Bemühungen der monistischen Auffassungen, Tatherrschaft als universales Täterkriterium auch bei den Pflichtdelikten geltend zu machen (Schünemann, Gallas),22 sind gescheitert: Ist die Lehre von der „alleinigen" Tatherrschaft konsequent, dann müßte sie die Strafbarkeit der Fälle von den Pflichtdelikten (etwa in dem Schulbeispiel des Mutter-Kind-Verhältnisses) als systemwidrig verneinen (Gallas z.B. spricht von einer „Konzession"); erkennt sie - auf welchem Umwege auch immer - solche Fälle hingegen als strafbar an, was kriminalpolitisch gesehen unverzichtbar erscheint, so büßt sie die logische Folgerichtigkeit ein. Auch der Ansatz Freunds, der - wie bei der negativen Institution 17

Siehe oben S. 105 ff.

18

Siehe oben S. 103 ff.

19

Siehe oben S. 111 ff., 113 ff, 116 ff.

20

Siehe oben S. 121 f.

21

Siehe oben S. 119 ff.

Zusammenfassung

221

versucht, die positive Verpflichtung als Kehrseite eines Rechts zu erklären, etwa die Pflichten der Eltern als Kehrseite von Elternrechten, 23 vermag nicht zu befriedigen. Denn in den Fällen - auch von Freund anerkannt -, in denen die Rechtsordnung ohne weiteres positive Pflichten dem Organisationskreis des Einzelnen zuordnet (Bsp.: Eltern-Kind-Verhältnis), kann man jedenfalls zu Beginn, d.h. bei dem normativ obligatorischen „Einstieg" in die positive Institution - von einer Kehrseite Rechte/Pflichten noch nicht sprechen. Zuordnung und Kehrseite decken einander nicht, weil die Zuordnung bereits dem Begriff nach eine Einseitigkeit beinhaltet. Mehr noch: Selbst wenn man die Kehrseite als eine Art „In-derInstitution-bleiben" ansieht (etwa: wenn die Frau das Kind nicht zur Adoption freigebe, genieße sie die Mutterschaftsrechte und habe deshalb auch Mutterschaftspflichten), versagt das Modell in denjenigen Fällen, in denen das „In-derInstitution-bleiben" obligatorisch ist (Zeugen können beispielsweise ihre Aussage nicht verweigern, wie eine Mutter ihr Kind zur Adoption freigeben kann, so daß sich daraus, daß sie freiwillig in der Institution „geblieben" sind, auch keine positiven Pflichten ergeben können). - Die vermittelnden Ansichten, die zwar nicht allein auf die Tatherrschaft, sie aber immerhin neben der Pflichtverletzung voraussetzen, wurden ebenso abgelehnt:24 Nach der hier vertretenen Konzeption gibt es keine gemischten Pflicht- und Herrschaftsdelikte. Zurück zum Thema des „In-der-Institution-bleibens": 25 Da der Organisationskreis des Täters mit der positiven Institution belastet wird, begründet jedes „Aussteigen" aus der Institution bereits eine Haftung, es sei denn, daß es sich um ein rechtlich anerkanntes „Aussteigen" handelt (für diejenigen positiven Institutionen, die dies überhaupt zulassen!). Darüber hinaus mag eine momentane Delegation der Pflichten der Institution zulässig sein, soweit sie von den Instituten der objektiven Zurechnung gedeckt ist. Es liegt etwa erlaubte momentane Delegation bei der Institution Eltern-Kind-Verhältnis vor, wenn das Verhalten eines Vaters vom Vertrauensgrundsatz gedeckt ist: Der Vater darf nämlich sein Kind im Krankenhaus lassen und haftet nicht, wenn er die Behandlungen der Ärzte nicht kontrolliert. Außer in diesen Fällen begründet jeder „Ausstieg", jedes Versagen, sich hilfsbereit zu erhalten, schon eine Haftung - zumindest wegen eines Versuchs.

23

Siehe oben S.131 ff.

24

Siehe oben S.137 ff., 139 ff.

25

Siehe oben S.142 ff.

Zusammenfassung

222

Zu §§ 9 und 12: Der positiv Verpflichtete haftet bei einer Pflichtverletzung grundsätzlich als Täter, und zwar gleichgültig, ob neben ihm ein Handelnder tatbeherrschend oder tatherrschaftslos -, ein Unterlassender oder Naturkräfte am tatbestandsmäßigen Erfolg „mitgewirkt" haben.26 Diese Täterschaft hat der Gesetzgeber sogar bereits für einige Fälle ausdrücklich ausgesprochen, indem er einige Pflichtdelikte speziell als solche positiviert und allein der Pflichtverletzung der positiven Institution täterschaftsbegründende Wirkung beigemessen hat. Diese Regel gilt aber auch für die anderen nicht ausdrücklich positivierten Pflichtdelikte, wie im Schulbeispiel der Mutter, die ihr Kind nicht vor einer Gefahr rettet. Immer wenn eine positive Institution verletzt wird, handelt es sich um ein Pflichtdelikt, unabhängig von der äußeren Formulierung des Tatbestands. Der Tatbestand soll nämlich im Lichte der in Betracht kommenden positiven bzw. negativen Institution ausgelegt werden. Dies gilt insbesondere auch, wenn der positiv Verpflichtete etwas organisiert hat, zum Beispiel eine Beihilfehandlung. Die Mutter, die dem Mörder ihres Sohnes das Messer reicht, haftet als Täterin. Denn die auf positive Institutionen bezogenen Erwartungen bestehen - im Unterschied zu den Nicht-Einmischungs-Erwartungen der negativen Institution - schon dem Begriff nach in zweifacher Hinsicht: 27 Jede positive Institution schließt in sich auch die negative Institution ein. Die Pflicht einer Mutter zum Aufbau einer gemeinsamen Welt mit ihrem Kind beinhaltet selbstverständlich zugleich die Pflicht, es nicht zu schädigen. Organisiert die Mutter eine Beihilfehandlung gegen das Kind, so verletzt sie deshalb notwendig zugleich die positive Institution, begeht also ein Pflichtdelikt, was wiederum heißt, daß sie - trotz äußerlicher Beihilfehandlung - Täterin ist. Diese Ansicht hat die Rechtsprechung im Bereich der Amtsdelikte bereits anerkannt: Fördert ein Polizist eine in seiner Zuständigkeit von einem seiner Untergebenen vorgenommene Tötung, so ist ihm das Geschehen auch zuzurechnen, und zwar nicht als Gehilfe (der Förderung per se wegen), sondern als Täter (der Pflichtverletzung wegen). Nach der Lehre vom Pflichtdelikt kommt allerdings Teilnahme in Betracht, wenn der positiv Verpflichtete nicht Täter sein kann, weil er nicht alle Tätermerkmale in seiner Person aufweist. 28

26

Siehe oben S.147 ff.

27

Siehe oben S.149 ff., 97 ff, 209 ff.

28

Siehe oben S.157 f.

Zusammenfassung

223

Zur Frage der Mittäterschaft: 29 (a) Konkurriert die Pflichtverletzung eines positiv Verpflichteten mit dem (mit-)täterschaftlichen Verhalten des Täters eines Herrschaftsdelikts, so sind beide Nebentäter. Für den positiv Verpflichteten liegt ein Pflichtdelikt vor (seine Organisation bzw. Tatherrschaft ist insoweit irrelevant), der Extraneus haftet als Gehilfe eines Pflichtdelikts (gegebenenfalls kommen noch Konkurrenzen mit dem von ihm auch begangenen Herrschaftsdelikt in Betracht). Der Extraneus kann nämlich, selbst wenn er die Tatherrschaft besitzt, kein Täter eines Pflichtdelikts sein, (b) Eine Mittäterschaft zweier positiv Verpflichteter ist auch nicht möglich - es sei denn, man versuchte aus gut gemeinten didaktischen Gründen, die Terminologie dem Phänotyp des Geschehens anzupassen. Denn die positiv Verpflichteten verletzen die positive Institution nicht gemeinsam, sondern die Verletzung erfolgt der Höchstpersönlichkeit der Pflicht entsprechend stets individuell. Bei gemeinschaftlicher Organisation zweier positiv Verpflichteter konkurriert andererseits dieses Zusammenwirken neben der Verletzung der positiven Institution, aber eben nicht als Pflichtdelikt in Mittäterschaft, sondern als mittäterschaftliches Herrschaftsdelikt, ein Herrschaftsdelikt, das allerdings im Rahmen der Gesetzeskonkurrenzen vom Pflichtdelikt verdrängt wird. 30 Beispiel: Vater und Mutter organisieren gemeinsam mit jemandem die Ermordung ihres Kindes: Kein Pflichtdelikt in Mittäterschaft, sondern zwei Pflichtdelikte und mittäterschaftliche Haftung für ein Herrschaftsdelikt. Jedem obliegt für sich die Pflicht, jeder hat dem Kind gegenüber die Pflicht verletzt. Zur Frage der mittelbaren Täterschaft: 31 (a) Wirkt ein Intraneus an der „Tat" eines Extraneus mit, dann liegt Täterschaft

vor, genauso als wenn er die „Tat" des

Extraneus nicht verhindert hätte. Da jedoch äußerlich vom positiv Verpflichteten ein meist verantwortlicher Extraneus eingeschaltet ist, ist aus didaktischen Gründen eine Beschreibung nach dem Phänotyp des Deliktes wohl möglich und somit der Begriff der mittelbaren Täterschaft auch bei Pflichtdelikten. Zu beachten ist dann aber, daß es sich um eine nur „terminologische mittelbare Täterschaft" handelt, also jedenfalls nicht um eine mittelbare Täterschaft aus den verschiedenen Formen der Tatherrschaft. Dasselbe gilt, wenn der positiv Verpflichtete nicht einen irrenden Extraneus, sondern einen dolosen Extraneus als „Werkzeug" eingesetzt hat (sog. mittelbare Täterschaft durch Einsatz eines qualifikationslosen aber dolosen Werkzeugs - Roxin). (b) Ein Pflichtdelikt liegt ebenfalls vor (als 29

Siehe oben S. 158 ff, 172 f.

30

Siehe oben S. 207 ff

31

Siehe oben S. 161 ff

224

Zusammenfassung

unmittelbare oder mittelbare Täterschaft zu bezeichnen), wenn der positiv Verpflichtete Straftaten eines Dritten - etwa eines seelisch kranken Menschen - nicht hindert, für den er gerade der positiven Institution wegen zuständig ist. Zu § 10: Zunächst wurde die Möglichkeit einer Teilnahme am Pflichtdelikt nachgewiesen.32 Die §§26 und 27 StGB machen die Strafbarkeit des Teilnehmers nämlich nicht davon abhängig, daß er auch Täter sein kann und § 28 StGB Abs. 1 setzt sogar voraus, daß der Teilnehmer nicht Täter sein kann. Der Extraneus kann durch den positiv Verpflichteten an der Verletzung der positiven Institution mitwirken. Anschließend wurde die Frage erörtert, wie die Fälle zu behandeln sind, in denen ein Extraneus einen straflosen Intraneus als „Werkzeug" einsetzt, wenn etwa eine Prozeßpartei den getäuschten Richter zu einer Entscheidung veranlaßt, die „objektiv" eine „Rechtsbeugung" darstellt. 33 Nach der Pflichtdeliktslehre ist die Annahme einer mittelbaren Täterschaft ausgeschlossen: Der mittelbare Täter ist nichts anderes als ein Täter und muß daher in seiner Person die besondere Verpflichtung erfüllen. Ist einerseits der „Hintermann" nicht qualifiziert (etwa nicht Richter), und hat sich andererseits der qualifizierte positiv Verpflichtete nicht deliktisch verhalten, so ist das ganze Geschehen strafrechtlich irrelevant, denn eine positive Institution ist nicht verletzt worden. - Beihilfe und Anstiftung zum Pflichtdelikt sind durchaus möglich, problematisch ist dabei eigentlich nur die Rolle des § 28 StGB: Zu § 11 und 12: Auf die Zusammenfassung der Darstellung der h.L. 34 zur Auslegung des § 28 StGB sowie Cortes Rosas, Roxins u.a.35 wird hier verzichtet, da sie als bereits bekannt gelten dürften. Auch ist hier nicht der richtige Ort, um die mit der h.L. verbundenen, ebenso bekannten Probleme, die sie jedoch als gesetzgeberische Willensentscheidung hinnehmen zu müssen glaubt, zu erörtern. Hinsichtlich der Lösung Cortes Rosas wurden auch einige Friktionen gezeigt.36 Sie zeigt zwar den richtigen Ansatz zur Lösung, befriedigt jedoch nicht vollkommen, wie auch ihre eigenen Verfechter eingestehen: „die harmonischste Lösung wäre", heißt es, „auch in § 28 Abs. 2, soweit es um Unrechtsmerkmale geht, für den Extraneus eine Milderung nach § 49 Abs. 1 vorzusehen". 37 Wenn die 32

Siehe oben S. 167 ff.

33

Siehe oben S. 174 ff.

34

Siehe oben S. 180 f., 181 ff.

35

Siehe oben S. 186 ff.

36

Siehe oben S. 192 ff.

37

Siehe oben S. 195 f.

Zusammenfassung

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harmonischste Lösung darin besteht, beide Absätze des § 28 nach § 49 Abs. 1 zu behandeln, liegen die Fragen klar auf der Hand: Gibt es überhaupt unechte Pflichtdelikte? Schärfen (Abs. 2) die besonderen persönlichen Merkmale bei den sog. unechten Pflichtdelikten die Strafe oder begründen (Abs. 1 ) sie erst? Sind die sog. Grundtatbestände tatsächlich Grundtatbestände des jeweiligen Pflichtdelikts? Die Antwort der Untersuchung lautet:38 Wendet man die Lehre vom Pflichtdelikt konsequent an, gibt es für „unechte" Pflichtdelikte keinen Raum, d.h. sämtliche Pflichtdelikte - „echte", „unechte" oder wie auch immer man sie nennen mag - sind stets der Regelung des § 28 Abs. 1 unterworfen. Entweder liegt die Verletzung einer positiven Institution vor, dann ist auch zugleich die Strafbarkeit begründet und die Bezeichnung des Pflichtdelikts als unechtes völlig überflüssig, oder es liegt keine Pflichtverletzung vor, dann aber handelt es sich auch nicht um ein Pflichtdelikt. Es gibt kein Unrecht mittleren Grades zwischen den sog. echten Pflichtdelikten und den Gemeindelikten der negativ Verpflichteten, das in den sog. unechten Pflichtdelikten läge. Positiv verpflichtet zu sein, heißt, eine gemeinsame Welt aufbauen zu müssen, und zwar unabhängig davon, ob man die negative Institution ebenso verletzt hätte, wenn man nicht positiv verpflichtet gewesen wäre, d.h. in der üblichen Terminologie, unabhängig davon, ob es einen sog. Grundtatbestand gibt oder nicht. Die negative Institution ist - wie schon die rechtsphilosophische Tradition erkannt hat - scharf von den positiven Institutionen zu trennen. Die Strafbarkeit wird nur durch die Pflichtverletzung begründet: Auf die (mögliche) Tatherrschaft kommt es bei den Pflichtdelikten nicht an, und somit auch nicht auf die (mögliche) Tatherrschaft über ein „Grunddelikt". Die Bezeichnung eines Pflichtdelikts als „unecht" ist nichtssagend und somit die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 für die Pflichtdelikte ausgeschlossen. Ob es einen äußerlich ähnlichen sog. Grundtatbestand wie das Pflichtdelikt gibt, der durch Organisation vom negativ Verpflichteten verwirklicht werden kann, ist für den Tatbestand des Pflichtdelikts völlig gleichgültig, weil weder die Fassung des § 28, noch die Lehre vom Pflichtdelikt eine unterschiedliche Behandlung für diesen Fall vorsehen. Die Jedermannsdelikte, die mit den Pflichtdelikten mitunter scheinbar korrespondieren - etwa die Körperverletzung mit der Körperverletzung im Amt - sind keine Grundtatbestände des jeweiligen Pflichtdelikts: Zwar konkurrieren sie meist mit dem Pflichtdeliktstatbestand, aber eben nur meist, und selbst wenn sie konkurrieren, wird das Herrschaftsdelikt (sog. Grundtatbestand) infolge der Regeln der

38

Siehe oben S. 195ff., 203 ff.

15 Sänchez-Vera

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scheinbaren gesetzlichen Konkurrenzen verdrängt. 39 Die Pflichtverletzung begründet auch in diesen Fällen die Strafbarkeit (§ 28 Abs. 1) und erhöht nicht etwa die (allerdings nicht so strafwürdige) ohnehin gegebene, weil es um zwei verschiedene Delikte geht. Wenn der Amtsträger eine Körperverletzung durch Tun begeht, begründet die Pflichtverletzung die Strafbarkeit wegen Körperverletzung im Amt (Pflichtdelikt), und zwar unabhängig davon, ob er auch wegen Körperverletzung strafbar gewesen wäre, ohne Beamter zu sein (Herrschaftsdelikt). Wollte man dies leugnen, würde man zu der Absurdität gelangen, daß die Eltern, die dem Mörder ihres Sohnes das Messer reichen, nur als Gehilfen hafteten, obwohl sie, wenn sie gar nichts getan hätten, Unterlassungsiäter gewesen wären. Denn ihre Verantwortlichkeit als Täter in jenem Fall basiert gerade auf der Tatsache, daß die Verletzung ihrer Pflicht als Eltern ihre Strafbarkeit überhaupt - und zwar als Täter - begründet, unabhängig davon, daß sie gehandelt haben (Hinreichen des Messers), d.h. unabhängig davon, daß sie auch strafbar gewesen wären (aber als Gehilfen!), wenn sie nicht positiv verpflichtet wären. Weitere Gründe wurden erwähnt, die sich freilich in dieser Zusammenfassung nicht wiederholen lassen. Nur noch auf ein Argument sei einzugehen, mit Hilfe dessen die h.L. gerne ihre Auffassung begründet. Es ist nämlich nicht zutreffend, daß die Trennung zwischen echten und unechten Pflichtdelikten entsprechend der Abs. 1 und 2 durch die Entstehungsgeschichte des § 28 StGB gerechtfertigt sei. Denn die Einführung des heutigen § 28 Abs. 1 in das Gesetz stellte einen Versuch dar, die Forderung der Lehre zu erfüllen, eine harmonische Lösung zu finden, eine Lehre, die schon damals keine Unterschiede zwischen den sog. straferhöhenden und den sog. strafbegründenden Merkmalen machen wollte. Kurzum: Der Extrane, der sich an einem - „echten", „unechten" oder wie auch immer man es nennen mag - Pflichtdelikt beteiligt, wird stets nach dem Strafrahmen und Deliktstypus des Pflichtdelikts gemäß §§28 Abs. 1, 49 Abs. 1 bestraft. Die hier vertretene Lösung ist kein Vorschlag de lege ferenda, vielmehr ein Ergebnis de lege lata. Die „ harmonischste Lösung " ist erreicht und zwar im Lichte der Lehre vom Pflichtdelikt. Anhand dieser Lehre - und so wird die Untersuchung mit den Worten beendet, mit denen sie begonnen wurde - kann das Gesetz klüger sein als seine Verfasser - es muß sogar klüger sein.

39

Siehe oben S. 207 ff.

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Aktualität der Herrschaft 126 ff. Akzessorietät 168, 171 f.

-

- zum Pflichtdelikt 178 f. - zur Unterlassung 49 f. Argumentum a majore ad minus 150, 153 ff. Argumentum e contrario 153 ff. Aufsichtspflichten, s. positive Pflichten Auslegungstatbestand 93 ff, 96 Aussageerpressung (§ 343) 23, 139 f. Austauschbarkeit von Verboten und Geboten 90 ff., 96 Automatisierungen 48, 51 ff.

durch Unterlassen bei Pflichtdelikten (= Täterschaft) 148 ff.

Anstiftung - bei Pflichtdelikten 165 f.

durch Unterlassen bei Herrschaftsdelikten 49, Anm. 22 auf 152 f.

-

durch Tun bei Pflichtdelikten ^ T ä terschaft) 150 ff.

-

versuchte Beihilfe eines Pflichtigen als täterschaftlicher Versuch 152

-

zum Pflichtdelikt 177 f.

Beleidigung - als Pflichtdelikt? Anm. 37 auf 65 Besondere persönliche Merkmale 180 ff. - bei Cortes Rosa 186 ff. - b e i der h.L. 181 ff. - strafbegründende 195 ff., 203 ff. - (sog.) straferhöhende 195 ff., 203 ff. - und Garantenstellung 49 f., 64

Babysitter 143 Bademeister 43, 47 ff. Begriff - des Pflichtdelikts mit fließendem Inhalt 78; 85 f. Beihilfe

- und Unterlassen 187 ff. Beteiligung an Pflichtdelikten 167 ff., 180 ff. Beteiligung durch Unterlassen - bei Organisationsdelikten 49, Anm. 22 auf 152 f. Bürgerpflicht 53 ff., 60, 64

262

Sachregister

Codejuristischer 55 f., 58 f.

112 ff. - mangelnde Präzisierbarkeit? 109 ff., 123 ff.

Deontischer Operator 90 f. Doppeltes Unrecht 208 ff.

Ehe 13. 135, 152

-

sprachliche Ebene 90 ff.

-

unbedingte und universelle 123 ff.

Gefangenenbefreiung im Amt (§ 120

Eigenhändige Delikte 157 mit Anm. 36

Abs. 2)

Eingriffsmöglichkeit als Unterlassungs-

-

herrschaft? 39 ff. Eltern-Kind-Verhältnis 81 ff, 87 f., 127 ff., 135, 142 f., 149 ff.

Mittäterschaft bei G.? 159 f.

- als (echtes) Pflichtdelikt 188 ff. Geheimnisverletzung Anm. 37 auf 176 Gemeinschaft (und Gesellschaft) 83, 121 f.

Erwartung (normative) - Allgemeines 55 ff, 59

Gesetzeskonkurrenzen, s. Konkurrenzen

- Doppelte Erwartung 61, 98 f.

Gleichstellung von Tun und Unterlassen

-

Nicht-Einmischungs-Erwartung

- bei Organisationsdelikten 51 ff., 58 ff., 69 ff.

61 ff., 74 - Tun-Erwartung 61, 63

-

149 ff.

- u. Teilnahme 167, 170 Extensiver Täterbegriff -

u. Pflichtdelikte 156

Fahnenflucht (§ 16 WehrStrG) 115, 122 Fahrlässigkeit - Unterlassungsmoment der Fahrlässigkeit Anm. 6 auf 52 Falschaussage (§ 153) 134 f. Falschbeurkundung im Amt (§ 348) 139, 141, 177 Freiheit - Beschränkung der 103 ff, 111 ff. - negative 117 ff.

Gebote - materielle Ebene der Gebote 92 ff. - als Freiheitsbeschränkung? 103 ff.,

bei Pflichtdelikten 97 ff., 100, 148,

Grunddelikt (sog.) bzw. Gemeindelikt 181 ff., 189 f., 195 ff.

Handlungsbegriff 66 Handlungsfreiheit 103 ff., 112 ff. Handlungspflichten - aus dem ursprünglichen Verbot 60 ff., 69 ff. Herrschaft, s. Tatherrschaft Herrschaftsdelikte -

durch Unterlassen 39 ff., 62 ff., 69 ff.

- Abgrenzung von den Pflichtdelikten 99, 67 ff., 76 ff., 92 ff.

Imperativentheorie 59 Individuum 57

Sachregister Ingerenz

-

und Mittäterschaft 159 f.

Ableitung aus einer Verbotsnorm 62, 69 ff.

Leistung, minimale 113 ff.

-

Liberalismus 64, 117 ff.

Keine Pflichtdelikte bei I. 62, 64 f., 76

Institutionen

Lücke - keine L. bei qualifikationslosem

- Ausstieg aus positiven I. (Pflicht-

Werkzeug 174 ff.

delikte) 133 ff., 142 ff. - Ausstieg aiis negativen I. (Herrschaftsdelikte) 145 f. -

bei Jakobs 31 ff.

-

Doppelwertigkeit der positiven I. 97 ff., 99 f.

- die positiven I. als Garantierung der

Menschenbild des GG 83, 121 ff. Merkmale, s. besondere persönliche M. Mindestsolidarität 122, 124 Mittelbare Täterschaft -

Einstieg in die I. 133 ff.

-

Unverzichtbarkeit der I. 76 ff.

-

Übertragung von ihren Pflichten? 142 ff.

doloses

Werkzeug? 163 f.

negativen I. 119 f. -

durch qualifikationslos

-

des Intraneus durch Benutzung eines Extraneus? 161 f., 165

- des Intraneus durch Benutzung eines Intraneus? 164 -

des Extraneus durch Benutzung eines Intraneus? 174 ff.

Jedermannsgebote, s. Ingerenz Justiz (Zeugnispflicht) 134 f.

Mittäterschaft -

zweier Intranei? 158 ff.

-

zwischen Intraneus und Extraneus?

Kausalität der Freiheit Anm. 40 auf 80

158, 172

Kinder, s. Eltern-Kind-Verhältnisse

Moralisierung des Rechts? 105 ff., 116 ff.

Kodifikation

Mordmerkmale

- der positiven Pflichten 99 f. mit Anm. 30

-

und § 28 StGB 206 f.

Mutter, s. Eltem-Kind-Verhältnisse

Kodifikationstatbestand 93 ff., 96 Konkurrenzen (scheinbare) 207 ff. Kontradiktorische Begriffe 91 f., 95 Konträre Begriffe 95 f. Körperverletzung im Amt (§ 340) - als (echtes) Pflichtdelikt 196 ff. Kumulative Mehrfachunterlassung

Negative Pflichten 67 ff., 105 ff. -

im positiven enthaltende 97 ff.

Negative Pflichten als Basis von Handlungspflichten -

bei Fries 69 ff.

-

bei Hegel 72 ff.

Sachregister

264 -

bei Schmalz 71

-

-

bei Svarez 71

-

-

Negativer Handlungsbegriff 66

-

Neminem laede, s. negative Pflichten

-

als Kodifikationstatbestand 90 ff., 93 ff

positivierte 38 ff., 45, 149, 153 ff. unechte P. (Unmöglichkeit ihrer Existenz) 195 ff., 203 ff.

Norm

-

gemischte Herrschafts- und Pflichtdelikte? 137 ff.

bei Thomas von Aquin 76

- als Auslegungstatbestand 93 ff.

Beteiligung bei und an P. 148 ff.

-

Vertreter der Lehre vom Pflichtdelikt 22 ff., Anm. 14 auf 25, 29 ff.

-

Weiterentwicklung 51 ff.

Pflichtverletzung Ontologischer Unterlassungsbegriff? 66 Organisationsdelikte, siehe Herrschaftsdelikte

-

als abstrakter Allgemeinbegriff 85 f.

Phänotypisch -

Unbeachtlichkeit

phänotypischer

Betrachtungen 63 ff., 163, 164 Person 55 ff., 60, 65 Pflichten - negative 67 ff., 105 ff. - positive 76 ff., 97 ff., 105 ff. Pflichten als Kehrseite von Rechten? 132 ff. Pflichten des Sich-bereit-Haltens 87 f., 144 f. Pflichtdelikte - Ablehnung der P. bei Bloy 139 ff.

Polizeieigenschaft -

als Täterkriterium 153

Positive Institutionen 76 ff. Positive Pflichten 105 ff. -

als Garantie der negativen 119 f.

-

bei Cicero 84

-

bei Fries 81 f., 106

-

bei Hegel 80

-

bei Pufendorf 81

-

bei Schopenhauer 82, 108

- Ablehnung der P. bei Freund 131 ff.

-

bei Spangenberg 87

- Ablehnung der P. bei Gallas 103 ff.,

-

bei Tönnies 83

128 ff.

Prozeßbetrug 174 ff.

- Ablehnung der P. bei Köhler Anm. 27 auf 134

Quantum der Beteiligung 211 ff.

- Ablehnung der P. bei Schünemann 126 ff. -

Begründung der P. bei Jakobs 29 ff.

-

Begründung der P. bei Roxin 22 ff., 27 f.

-

Begründung, eigene 51 ff., 119 ff.

Rechtsbeugung (§ 336) 174 ff, 176 Rollen (soziale) 57 f. -

erworbene 58, 133

-

u. Teilnahme am Pflichtdelikt 170

- zugeschriebene 58, 120, 133

Sachregister -

bei den Pflichtdelikten 172 ff., 158

Sonderdelikte i.e.S., s. Pflichtdelikte -

Sonderdelikte i.w.S. -

-

des Pflichtdelikts gegenüber dem Organisationsdelikt 209 f.

als nicht taugliches Abgrenzungskriterium 47 f.

-

als sekundärer Begriff 157 bei fehlendem Unterlassungstatbestand 157 f.

-

Möglichkeit einer T. an Pflichtdelikten überhaupt 167 ff.

Strafmilderung

Tierhalter 63 f.

bei Unterlassen 45 f., 66

- des beteiligten

tung)

-

Sprachgebrauch 41 f.

-

soziale 41 ff., 47 ff.

Teilnahme (s. auch Beihilfe und Anstif-

Spezialität

-

potentielle, kein Abgrenzungskriterium 39 ff.

u. der Begriff der Pflichtdelikte 35

Soziale Tatherrschaft, s. Tatherrschaft

-

kein Kriterium der Mittäterschaft

Extraneus

am

Pflichtdelikt 211 ff. Strafwürdigkeit

Tötung (§212) -

als Pflichtdelikt 100

Tugendpflichten 105 ff.

- der sog. unechten Pflichtdelikte 183 f., 195 ff. Strafzumessung - und soziale Tatherrschaft 45 f.

Übernahme, s. Ingerenz Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142) -

Tätermerkmale -

fehlende T. bei den Pflichtdelikten 157 f.

Täterschaft 147 ff. Tatbestandsformulierung 62, 90 ff., 99 f., Anm. 16 auf 94 Tatherrschaft

- Veranlassung zu Anm. 37 auf 176 Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c) 87 f., 104, 112, 123 ff. -

-

aktuelle 126 ff. Begriff der Tatherrschaft bei Schü-

-

nemann 126 ff.

-

bei Unterlassung 39 ff., 58 ff. bei Herrschaftsdelikten 22 f., 58 ff.

-

ff., 149, 150 ff.

als Sonderdelikt, bei Feuerbach bei Mittermaier 65 Gleichwertigkeit der U. mit positivem Tun 51 ff, 58 ff.,

-

Mehrere Unterlassende als Mittäter?

-

Strafmilderung für Unterlassungs-

159 ff.

kein Kriterium der Täterschaft bei den Pflichtdelikten 23, 126 ff., 137

als Pflichtdelikt, bei Roxin 43, 54 53 ff.

-

-

durch Begehen 63 mit Anm. 30

Unterlassung

-

-

als Gebot oder Verbot 91

delikte? 66

Sachregister

266 -

u. besondere persönliche Merkmale 187 ff.

-

Beihilfe des Intraneus 149, 153 ff.

Versuch bei Pflichtdelikten 144 f. Vollkommene Pflichten 105 ff.

Verfassungsgerichtshof -

und positive Pflichten 78, 83, 121 ff.

Verbot -

materielle Ebene 92 ff.

-

im Gebot enthaltenes 97 ff.

Wehrpflicht 121 f. Wortlaut des Gesetzes -

bei § 28 Anm. 55 auf 202 bei den Kodifikationstatbeständen 93 ff., 99 f.

- Jedermannsverbot, s. Handlungspflichten -

sprachliche Ebene 90 ff.

Verkehrspflichten, s. Ingerenz Verletzung des Post- und Femmeldegeheimnisses (§ 354)

Zueignungsdelikte 157 Zufall -

bei der unterlassenen Hilfeleistung 87 f., 124 f.