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German Pages 215 Year 2009
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 209
Unterlassen und Beteiligung Zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten
Von
Andreas Mosenheuer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
ANDREAS MOSENHEUER
Unterlassen und Beteiligung
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (y) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 209
Unterlassen und Beteiligung Zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten
Von
Andreas Mosenheuer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Henning Rosenau, Augsburg Die Juristische Fakultät der Universität Augsburg hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Process Media Consult GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-13103-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2007 von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg als Doktorarbeit angenommen. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von Dezember 2008. Sie wurde mit dem Dissertationspreis der Juristischen Gesellschaft Augsburg e.V. 2008 ausgezeichnet; für den damit verbundenen Druckkostenzuschuss möchte ich mich bedanken. Die Arbeit entstand im Wesentlichen während meiner Arbeit als wissenschaftlicher Assistent an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg, zunächst bei Prof. Dr. Jörg Tenckhoff, nach dessen Emeritierung bei Prof. Dr. Henning Rosenau. Beiden danke ich nicht nur für die schnelle Begutachtung der Arbeit, sondern vor allem für ihre Unterstützung und Förderung, und dabei nicht zuletzt für den eingeräumten Freiraum, der mir eine selbständige wissenschaftliche Tätigkeit ermöglicht hat. Ferner danke ich Prof. Dr. Andreas Hoyer und Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder für die Aufnahme der Arbeit in die „Strafrechtlichen Abhandlungen – Neue Folge“. Vielen gebührt für ihre Mithilfe und Anregungen Dank, herausheben möchte ich Dr. Christian Hanft, Frank Zimmermann und besonders Michaela Stecher, sowie Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Hillenkamp, der mich wie kein zweiter zum Nachdenken über das Strafrecht, auch über das Thema dieser Arbeit angeregt hat. Die Arbeit ist meinen Eltern Gisela und Dieter Mosenheuer gewidmet, ohne deren Unterstützung sie nicht denkbar gewesen wäre. Hamburg, im April 2009
Andreas Mosenheuer
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Gegenstand und Relevanz der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Erster Teil Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte als Ausgangspunkt für die Frage nach der Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme
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I. Begehungsdelikte und Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Der Verzicht auf eine Abgrenzung von Tun und Unterlassen: Die so genannte Konkurrenzlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Die verschiedenen Theorien zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . 29 a) Kausalitätskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Energiekriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 c) Die so genannte Schwerpunktformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 d) Vorrang des Tuns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Kritische Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Verhalten mit geringem Energieaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Rücktritt vom Gebotserfüllungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Technischer Behandlungsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 d) Omissio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 e) Aktive Teilnahme am Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4. Zwischenergebnis: Die Konkurrenzlösung als mögliche Lösung statt einer Abgrenzung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
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Inhaltsverzeichnis III. Die Konkurrenzlösung als sachgerechte Lösung bei der Bestimmung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Über die Notwendigkeit einer Unterscheidung von Tun und Unterlassen . . . . . . . 51 2. Die Überprüfung der Konkurrenzlösung anhand von § 13 Abs. 2 StGB . . . . . . . . 54 IV. Ergebnis: Die Eigenart des Unterlassungsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Unterlassen als Nichtvornahme einer Körperbewegung und die Konkurrenzlösung 57 2. Weitere Anforderungen an ein Unterlassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 V. Ergänzung: Echte und unechte Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Zweiter Teil Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
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I. Die gesetzlichen Regelungen als Ausgangspunkt für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Das differenzierte Beteiligungssystem des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Der materielle Täterbegriff als Schlüssel zum Verständnis des gesetzlichen Beteiligungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Der materielle Täterbegriff als Frage nach der Bestimmung des Tatsubjekts der einzelnen Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Der extensive (materielle) Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Der restriktive (materielle) Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Die Varianten des restriktiven Täterbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Inhaltliche Abweichungen zwischen gemäßigtem und extrem restriktivem Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 cc) Die Erklärung des Beteiligungssystems nach den beiden Varianten des restriktiven Täterbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 d) Ergebnis: Der extrem restriktive (materielle) Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . 70 e) Exkurs: Der Täterbegriff bei den Fahrlässigkeitsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Methodische Folgerungen aus der Analyse der gesetzlichen Regelungen über Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Theorien für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Gesetzliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Die mit dem differenzierten Beteiligungssystem verbundene kriminalpolitische Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Gesetzgeberische Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Inhaltsverzeichnis
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b) Begründungsansätze aus der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Stellungnahme: Die Funktion eines differenzierten Beteiligungssystems als Maßstab für die Beurteilung der Theorien zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Die subjektive Teilnahmelehre und die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Die Entwicklung der subjektiven Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 b) Die subjektive Theorie in der heutigen Rechtsprechung: Die „normative Kombinationstheorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4. Die Tatherrschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Die Grundlagen der Tatherrschaftslehre in Gestalt der herrschenden Ansicht im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Varianten der Tatherrschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5. Abweichende Ansätze aus der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Der Tatherrschaftslehre nahe stehende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Selbständige Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 6. Zusammenfassende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Dritter Teil Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Die unmittelbare Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Die unmittelbare Begehungstäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Die unmittelbare Unterlassungstäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 aa) Zur Möglichkeit einer Übertragung der Bestimmung der unmittelbaren Begehungstäterschaft auf Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Zur Erfolgsabwendungsmöglichkeit als Kriterium der unmittelbaren Unterlassungstäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 cc) Zur Idee des so genannten Tatherrschaftswechsels als Bestimmung der unmittelbaren Unterlassungstäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 dd) Ergebnis: Die unmittelbare Unterlassungstäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
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Inhaltsverzeichnis 2. Die mittelbare Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Die mittelbare Begehungstäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 aa) Grundidee und Grundprinzipien der mittelbaren Täterschaft . . . . . . . . . . . 99 bb) Fallgruppen der mittelbaren Täterschaft aufgrund Willensherrschaft . . . . 103 (1) Willensherrschaft kraft Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (2) Willensherrschaft kraft Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (3) Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate . . . . . . . . . . 108 (4) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 cc) Zur Abgrenzung von mittelbarer und unmittelbarer Täterschaft . . . . . . . . 113 b) Zur Rechtsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . 115 aa) Denkbare Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Konstruktive Probleme einer Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (1) Voraussetzungen einer möglichen mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (2) Zur „Werkzeugqualität“ des unmittelbar Handelnden . . . . . . . . . . . . . 117 (3) Die Pflicht zur Lenkung beziehungsweise Steuerung des unmittelbar Handelnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (4) Mittelbare Täterschaft durch Unterlassen und das Prinzip der Handlungszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 cc) Zur Notwendigkeit einer Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 dd) Zur fehlenden Sachgerechtigkeit einer Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 ee) Ergebnis und Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Die Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Die Mittäterschaft durch aktives Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Grundidee und Voraussetzungen der Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Der gemeinsame Tatplan und Tatentschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 cc) Die gemeinsame Tatausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Die Mittäterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Denkbare Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Konstruktive Probleme einer Mittäterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . 135 (1) Mittäterschaft durch Unterlassen und das Prinzip der Handlungszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (2) Zur Bedeutung eines gemeinsamen Tatentschlusses . . . . . . . . . . . . . . 136
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(3) Die gemeinsame Tatausführung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . 138 cc) Zur Notwendigkeit der Rechtsfigur einer Mittäterschaft durch Unterlassen 139 dd) Ergebnis: Zur fehlenden Sachgerechtigkeit der Rechtsfigur einer Mittäterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4. Die so genannte Nebentäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 III. Die Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Strafgrund und Akzessorietät der Teilnahme: Kann ein Unterlassen akzessorisch sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Strafgrund der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Unterlassen als akzessorischer Rechtsgutsangriff ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Die Anstiftung nach § 26 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Die Anstiftung durch aktives Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Zur Rechtsfigur einer Anstiftung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Konstruktive Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (1) Nichthinderung fremder Entschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (2) Unterlassen des Rückgängigmachens einer unvorsätzlichen Entschlussverursachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (3) Nichthinderung fremder Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Die Beihilfe nach § 27 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Die Beihilfe durch aktives Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Die Beihilfe durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) Anerkannte Fälle einer Beihilfe durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 bb) Problematische Fälle als Frage der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 cc) Unterlassene Taterschwerung als strafwürdige Beihilfe durch Unterlassen 154 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 IV. Die Begehung durch Unterlassen als eigenständige Beteiligungsform? . . . . . . . . . . 156 V. Ergebnis: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten und die sich daraus ergebenden Folgerungen für die Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
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Inhaltsverzeichnis Vierter Teil Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten 159 I. Die Abgrenzungsfrage als Frage der Tatbestandsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Beteiligungsfragen als Tatbestandsfragen: Zum Tatbestand der Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme (auch) bei Unterlassungsdelikten als Frage des subjektiven Unrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Zur Anwendung der subjektiven Theorie zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilname bei Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Zusammenfassende Analyse: Die Bedeutung des subjektiven Unrechts für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 II. Die Bedeutung der Garantenpflicht für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Die Garantenpflichtverletzung als Täterschaftskriterium: Die so genannte Pflichtdeliktslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Die Idee der Pflichtdeliktslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Die Pflichtdeliktslehre bei den Begehungsdelikten: Zur Unterscheidung von Pflichtdelikten und Herrschaftsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Pflichtdelikte: Besonderheiten und Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Zur Notwendigkeit einer Deliktsgruppe der Pflichtdelikte, insbesondere für die Fälle des so genannten qualifikationslos-dolosen Werkzeugs . . . . . . . 167 cc) Kritische Stellungnahme: Zur Sachgerechtigkeit einer Deliktsgruppe der Pflichtdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) Besondere Gründe für die Einordnung der Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Probleme und Wertungswidersprüche bei der Einordnung der Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Weitere Einwände gegen die Einordnung der Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
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2. Zur Differenzierung nach der Art der Garantenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Die Unterscheidung nach der Funktion der Garantenpflicht: Beschützer- und Überwachergaranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Idee und Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Anwendungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 cc) Zur Tragfähigkeit der Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Die Unterscheidung von Garantenpflichten kraft Organisationszuständigkeit oder kraft institutioneller Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 III. Die Bedeutung der Erfolgsabwendungsmöglichkeit bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Die Erfolgsabwendungsmöglichkeit als täterschaftsbegründendes Merkmal . . . . 182 2. Die Schwierigkeit der Erfolgsabwendung als Abgrenzungskriterium . . . . . . . . . . 183 3. Der Zeitpunkt der möglichen Erfolgsabwendung als Abgrenzungskriterium: Zur Idee des so genannten Tatherrschaftswechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4. Zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten als Frage der Entsprechungsklausel in § 13 Abs. 1 StGB a.E. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 IV. Der Gedanke der Tatherrschaft bei Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Tatherrschaft bei Begehungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Tatherrschaft bei Unterlassungsdelikten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Die Annahme regelmäßiger Beihilfe als Ausdruck fehlender faktischer Tatherrschaft des Unterlassenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Idee und Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Zur Anwendung der so genannten Gehilfentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Vorläufige Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 V. Zwischenergebnis: Verbleibende Möglichkeiten einer Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
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Inhaltsverzeichnis Fünfter Teil Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten als Frage der rechtlich relevanten Herrschaft über das tatbestandsmäßige Geschehen 191 I. Zur Möglichkeit einer Herrschaft über das tatbestandsmäßige Geschehen . . . . . . . . 191 1. Die Bedeutung der Ursache der Gefahr für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei pflichtwidriger Nichtabwendung des Erfolgseintritts . . . . . . . . . . 191 2. Die Bestimmung der Tatherrschaft durch Unterlassen als Frage der Perspektive: Beherrschung des Verlaufs oder Beherrschung der Situation? . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Unterlassungstäterschaft als Tatherrschaft kraft überlegener Hemmungsherrschaft 194 a) Die Nichthinderung eines vollverantwortlichen Begehungsunrechts eines Dritten als Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Denkbare Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 II. Die Konkretisierung der überlegenen Hemmungsherrschaft – die verschiedenen Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Die Überlegenheit bei fehlender Verantwortlichkeit des Begehungstäters . . . . . . 196 2. Die Überlegenheit bei eingeschränkter Verantwortlichkeit des Begehungstäters . 197 3. Die Überlegenheit durch eine gesteigerte Verantwortlichkeit des Unterlassenden 198 4. Überlegenheit bei mehreren Unterlassenden? – Auch zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei echten Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Einleitung I. Gegenstand und Relevanz der Untersuchung Wirken mehrere an der Begehung einer Straftat mit, verlangt das geltende Strafrecht, die Art der Beteiligung festzulegen. Bei Vorsatztaten1 wird in den §§ 25 ff. StGB zwischen Täterschaft und Teilnahme unterschieden. Wie diese beiden Grundformen der Beteiligung voneinander abzugrenzen sind, ist bekanntlich noch immer im Grundsatz wie im Detail umstritten, wenn auch für den Bereich der Begehungsdelikte im praktischen Ergebnis in aller Regel Einigkeit besteht.2 Während die Rechtsprechung prinzipiell einen subjektiven Ansatz wählt,3 ist in der strafrechtlichen Literatur eine materiell-objektive Theorie herrschend, die sich überwiegend an dem Leitgedanken der Tatherrschaft für die Begründung der Täterschaft orientiert.4 Bei den Unterlassungsdelikten ist das Bild ein anderes.5 Neben den etablierten Theorien werden in der Literatur dort vielfach Ansichten vertreten, die zum Teil die gesetzliche Differenzierung von Täterschaft und Teilnahme praktisch aufgeben und sich zu schematischen Lösungen bekennen, mit der Gefahr gesetzes- und gerechtigkeitsferner Ergebnisse.6 Grund für dieses zerstrittene Meinungsbild ist, dass die gesetzlichen Regelungen sowie die herkömmlichen Beteiligungslehren auf Begehungsdelikte zugeschnitten sind. Die andersartige Struktur der Unterlassungsdelikte, insbesondere das Fehlen eines aktiven Verursachungsbeitrags des Unterlassenden, bereitet einer Anwendung der §§ 25 ff. StGB sowie der unterschiedlichen Beteiligungstheorien bei den Unterlassungsdelikten Schwierigkeiten.7 1
Eine fahrlässige Teilnahme – also eine fahrlässige Anstiftung oder fahrlässige Beihilfe – kennt das Gesetz nicht; es gibt also nur eine Fahrlässigkeitstäterschaft. Umstritten ist, ob der Täterbegriff bei Fahrlässigkeitsdelikten ein restriktiver oder ein extensiver – i.S.e. alle Verursachungsbeiträge umfassenden Einheitstäterbegriffs – ist. Vgl. nur Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), Vor § 25 Rn. 4 f., § 25 Rn. 150 ff., und unten 2. Teil, I. 2. e). 2 Vgl. die Analyse von Küpper, GA 1986, 437 ff. 3 Nachweise z. B. bei Küpper, GA 1986, 437 (439 ff.), und unten 2. Teil, II. 3. 4 Vgl. zunächst nur Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 7 ff. m.w.Nw. in Rn. 11, und unten 2. Teil, II. 4. 5 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 757, bezeichnet die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten als das noch ungeklärteste Gebiet der Beteiligungslehre. 6 Ein kurzer Überblick über den Streitstand erfolgt sogleich unter II. 7 Noch die wenigsten Probleme hat wohl die sog. subjektive Beteiligungstheorie, nach der auch für den Bereich der Begehungsdelikte angesichts der angenommenen Gleichwertigkeit aller Verursachungsbeiträge eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme anhand objek-
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Einleitung
Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, die Bestimmung der jeweiligen Beteiligungsform, ist für die Bestrafung des jeweiligen Beteiligten jedoch von zum Teil erheblicher Relevanz. Das Strafmaß wird für den Gehilfen nach § 27 Abs. 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB gemildert. Ferner ist die versuchte Teilnahme nur in Form der versuchten Anstiftung zu einem Verbrechen strafbar (§ 30 Abs. 1 StGB). Aus der Akzessorietät der Teilnahme ergibt sich schließlich eine Orientierung – und damit vor allem eine Begrenzung – der Strafbarkeit am Unrecht der Haupttat; der Teilnehmer haftet für eigene qualifizierende und privilegierende Merkmale nur, sofern es sich um besondere persönliche Merkmale im Sinne von § 28 Abs. 2 StGB handelt, und profitiert von einer möglichen Rechtfertigung der Haupttat.8 Beteiligungsfragen bei Unterlassungsdelikten sind – auch in den letzten Jahren – mehrfach Gegenstand von zum Teil Aufsehen erregenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gewesen. In einem Urteil des 3. Strafsenats vom 4. Juli 19849 geht es um die bereits vorher wiederholt10 behandelte Frage, ob die unterlassene Suizidhinderung eines grundsätzlich Garantenpflichtigen eine mangels Haupttat straflose Teilnahme oder als Unterlassungstäterschaft strafbar ist. Der Angeklagte war Hausarzt einer schwer kranken 76jährigen Frau, von der er wusste, dass sie mit Suizidgedanken spielte. Bei einem Hausbesuch fand er die Frau bewusstlos vor; sie hatte eine Überdosis Morphium und Schlafmittel genommen. Auch aus dem Wissen um die Ernstlichkeit ihres Selbsttötungswillens unternahm er keinen Rettungsversuch, sondern blieb in der Wohnung, bis er den Tod der Patientin feststellen konnte. Der Bundesgerichtshof nahm eine Unterlassungstäterschaft an, weil der Suizident nur bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit die Tatherrschaft besitze; danach habe nur noch der Garant Tatherrschaft und Täterwillen.11 Im Mittelpunkt der zahlreichen Beiträge zu diesem Urteil stehen jedoch nicht die hier interessierenden Beteiligungsfragen, sondern die Garantenstellung des Arztes. Der Umfang der Pflichten, die sich aus der Garantenstellung des Arztes aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis ergeben, werden maßgeblich durch den Willen des Patienten bestimmt: Eine Behandlung gegen den Willen des Patienten ist nach den Grundsätzen unserer Rechtsordnung nicht erlaubt. Dies hat wohl auch bei einem freiverantwortlichen Suizid des Patienten zu gelten.12 tiver Kriterien unmöglich sein soll und daher subjektiv zu differenzieren sei; dies dürfte tatsächlich bei Unterlassungsdelikten ebenso funktionieren. 8 Ausführliche Darstellung der sich aus dem Gesetz ergebenden Bedeutung der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme mit Beispielen bei Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (822 f.). 9 BGHSt 32, 367 ff. 10 BGHSt 2, 150 ff.; 13, 162 ff.; MDR 1960, 939 f. 11 BGHSt 32, 367 (374). Trotzdem bestätigte der Senat den erstinstanzlichen Freispruch mit der Begründung, dass das Verhalten des Angeklagten angesichts der nur geringen Rettungschancen und der zu befürchtenden Schädigungen, sowie aus Respekt vor der Persönlichkeit der Sterbenden als Ausdruck einer ärztlichen Gewissensentscheidung nicht von Rechts wegen als unvertretbar angesehen werden könne; a.a.O., 380 f. 12 So die h.M.; vgl. die insoweit im Schrifttum ablehnenden Stellungnahmen zu dieser Entscheidung von Eser, MedR 1985, 6 (12 ff.); Gropp, NStZ 1985, 97 (101); Otto/Brammsen, Jura 1985, 592 (596); Schmitt, JZ 1984, 866 (868); Schultz, JuS 1985, 270 (272 ff.); sowie
I. Gegenstand und Relevanz der Untersuchung
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In der so genannten Lederspray-Entscheidung13 vom 6. Juli 1990 hatte der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs unter anderem den Fall zu entscheiden, dass mehrere nur gemeinschaftlich vertretungsberechtigte Geschäftsführer einer GmbH auf einer Sitzung der Geschäftsführung einstimmig den Beschluss gefasst hatten, den Rückruf eines bekanntermaßen gesundheitsschädlichen Produkts zu unterlassen. Die Strafbarkeit der Geschäftsführer für die Gesundheitsbeschädigungen der Nutzer dieses Produkts, die nach diesem Zeitpunkt erst verursacht wurden und daher durch einen Rückruf hätten verhindert werden können, begründet der 2. Strafsenat durch die Konstruktion einer Mittäterschaft durch Unterlassen: Jeder der mitangeklagten Geschäftsführer müsse sich die Unterlassungen aller anderen zurechnen lassen und hafte daher für den unterlassenen Rückruf insgesamt.14 Diese umstrittene Konstruktion15 war nach Ansicht des Senats für die Begründung der Strafbarkeit deshalb notwendig, weil jedes einzelne Mitglied der Geschäftsführung einwenden konnte, dass es auch bei einem anderen Abstimmungsverhalten von den anderen überstimmt worden wäre, ein pflichtgemäßes Verhalten des einzelnen also das Ergebnis der Abstimmung nicht hätte ändern können, der Rückruf dann trotzdem unterblieben wäre. Im Zusammenhang mit den Todesfällen an der innerdeutschen Grenze hatte der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einer Entscheidung vom 6. November 200216 die Strafbarkeit von mehreren Mitgliedern des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zu beurteilen, denen vorgeworfen wurde, sie hätten sich während ihrer Mitgliedschaft in diesem Gremium nicht dafür eingesetzt, dass der Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze aufgehoben wurde. Der 5. Senat sah eine Strafbarkeit wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft durch Unterlassen für die Todesfälle für gegeben, die sich bis zu der ausdrücklichen Erneuerung des Schießbefehls zugetragen hatten.17 Er bedient sich hier der umstrittenen Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen.18 Diese exemplarischen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs werfen unter anderem – wie gezeigt – auch Fragen der Beteiligung bei Unterlassungsdelikten auf. Die vielfach geäußerte Kritik – vor allem an den vom Bundesgerichtshof ausgeführten Begründungen – hat ihre Ursache auch in der bereits erwähnten Unsicherheit und Unklarheit bei der Abgrenzung der verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten. Dabei ist schon umstritten, welche Beteiligungsformen überhaupt in BGH, NJW 1988, 1532; OLG München, NJW 1987, 2940 (2943); a.A. BGHSt 32, 367 (378 f.); Herzberg, JA 1985, 177 (178 f., 184 f.); ders., JZ 1988, 182 (184 f.); Kutzer, MDR 1985, 710 (711 f.); vgl. ferner Schneider, in: MüKo-StGB (2003), Vor §§ 211 ff. Rn. 65 ff. m.w.Nw. 13 BGHSt 37, 106 ff. 14 BGHSt 37, 106 (129). 15 Vgl. 3. Teil, II. 3. b). 16 BGHSt 48, 77 ff. 17 BGHSt 48, 77 (89 ff.). Für die danach eingetretenen Todesfälle ergab sich eine Strafbarkeit durch positives Tun. 18 Vgl. dazu 3. Teil, II. 2. b).
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Einleitung
der Erscheinungsform des Unterlassens verwirklicht werden können. Der Versuch einer Klärung der damit verbundenen Probleme kann daher auch einen Beitrag liefern, die vielschichtigen und gesellschaftlich bedeutsamen Fragen im Zusammenhang mit der Beteiligung an einem Suizid oder Kollektiventscheidungen auf der Grundlage eines an individueller Verantwortlichkeit orientierten Strafrechts beantworten zu können.19 Bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten steht im strafrechtlichen Schrifttum jedoch die Frage im Mittelpunkt, ob der die Begehungstat eines anderen nicht hindernde Garant als Unterlassungstäter zu bestrafen oder bloßer Teilnehmer an der Tat des anderen ist. Solche Fallkonstellationen kommen in der Praxis häufig vor, betrachtet man nur Gewalttaten gegen Kinder in der Familie, gegen die garantenpflichtige Familienmitglieder nicht einschreiten, obwohl sie es könnten,20 oder Fälle im Rahmen der so genannten Geschäftsherrenhaftung, bei denen der Inhaber oder Leiter eines Geschäftsbetriebs dafür verantwortlich gemacht wird, dass er in diesem Betrieb begangene Straftaten nicht verhindert hat.21 Es geht somit um die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten, also um die Beteiligung durch Unterlassen. Hier nicht ausdrücklich behandelt werden soll die Frage, ob eine Teilnahme – insbesondere eine Anstiftung bzw. eine psychische Beihilfe – durch aktives Tun an einem Unterlassungsdelikt möglich ist. Dies wird heute auch nicht mehr bestritten,22 so dass in diesem Zusammenhang nur noch zu klären ist, ob die Garantenstellung ein besonderes persönliches Merkmal ist; dann wäre die Strafe nach § 28 Abs. 1 StGB für den aktiven Teilnehmer zu mildern, der selbst keine Erfolgsabwendungspflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB besitzt.23 19
Die anderen in den erwähnten Entscheidungen aufgeworfenen Fragen können hier nicht (vertieft) behandelt werden. 20 Vgl. zur tatsächlichen Dimension dieser Kriminalität Kaiser, Kriminologie, 3. Aufl. (1996), § 61, insb. Rn. 7 ff. m.w.Nw. 21 Über Grund und Reichweite einer solchen Pflicht besteht jedoch Streit; vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 32 Rn. 134 ff. m.w.Nw. 22 Anders noch Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 190 ff., und ihm folgend Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 206 f. – Dagegen die heute allg. Meinung; vgl. die Nachweise bei Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht, Allgemeiner Teil, 12. Aufl. (2006), S. 179 f., sowie die ausführliche Kritik bei Grabers, Täterschaft und Teilnahme in der Erscheinungsform des Unterlassens (1963), S. 94 ff., und Stree, GA 1963, 1 ff. – Eine knappe Auseinandersetzung mit den Grundlagen der ablehnenden Auffassung, die bei der Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme durch Unterlassung zu einer grundsätzlichen Täterschaft kommt, erfolgt unten 3. Teil, IV. 23 Für die Anwendung von § 28 Abs. 1 StGB Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2003), § 32 Rn. 18; Hake, JR 1996, 162 (164); Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: Januar 2001), § 28 Rn. 35; Köhler, Strafrecht, Allgemeiner Teil (1997), S. 550; Langer, Lange-FS (1976), 241 (262); Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 27 Rn. 68; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 191; Fischer, StGB, 56. Aufl. (2009), § 28 Rn. 5a; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil,
II. Überblick über den Meinungsstand
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II. Überblick über den Meinungsstand Die für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten vertretenen Ansichten lassen sich danach unterscheiden, ob die Lösung eher im Bereich der Beteiligungslehre oder im Bereich der Unterlassungsdogmatik gesucht wird.24 Der Beteiligungslehre zuzuordnen sind insbesondere diejenigen Ansichten, die für die Abgrenzung bei Unterlassungsdelikten im Grundsatz dieselben Kriterien wie im Begehungsbereich anwenden wollen. Nach der namentlich von der Rechtsprechung vertretenen subjektiven Theorie ist entscheidend, ob der Unterlassende mit Täter- oder Teilnehmerwillen untätig bleibt. Die Ermittlung des Willens erfolgt – wie bei den Begehungsdelikten – aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung.25 Die subjektive Theorie nimmt dabei für sich in Anspruch, dass angesichts der fehlenden tatsächlichen Kausalität des Unterlassens nur sie einen für Tun und Unterlassen gleichermaßen brauchbaren Abgrenzungsmaßstab liefere.26 Teilweise wird die für den Bereich der Begehungsdelikte im Schrifttum herrschende materiell-objektive Theorie auch für die Abgrenzung bei Unterlassungsdelikten als zutreffend angesehen. Zwar könne von einer Steuerung des Geschehens durch Unterlassen nicht gesprochen werden;27 das Leitbild der Tatherrschaft lasse sich jedoch 37. Aufl. (2007), Rn. 558. – Gegen die Anwendung von § 28 Abs. 1 StGB Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 28 Rn. 19; Geppert, ZStW 82 (1970), 40 (70 f.); Gropp, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2005), § 10 Rn. 112; Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 658; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 28 Rn. 6; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 28 Rn. 58. – Differenzierend Herzberg, GA 1991, 145 (161 ff.): § 28 Abs. 1 gelte nur bei den sog. Beschützergarantenpflichten; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 23. Abschn. Rn. 24 f., 29. Abschn. Rn. 112: nur bei den sog. Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit. 24 Eine Übersicht über das Problem geben Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht, Allgemeiner Teil, 12. Aufl. (2006), S. 121 ff., Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 125 ff., und Sowada, Jura 1986, 399 (401 ff.); sehr ausführlich: Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen (1996), S. 63 ff. 25 BGH, LM Nr. 10 Vorb. z. § 47 StGB a.F.; NJW 1966, 1763; StV 1986, 59 f.; NStZ 1992, 31; BGHSt 38, 356 (360 f.); 43, 381 (396). Bei einigen Entscheidungen – insbesondere in Fällen der Nichthinderung freiverantwortlicher Selbsttötungen – hat der BGH als Abgrenzungskriterium die Tatherrschaft ganz in den Vordergrund gestellt; vgl. BGHSt 2, 150 (155 f.); NJW 1960, 1821 (1822); BGHSt 32, 367 (373 f.); 48, 77 (91). Die Rechtsprechung des RG stand noch ganz im Zeichen der subjektiven Theorie; vgl. RGSt 58, 244 (246 f.); 64, 273 (275); 66, 71 (74 f.), hier jedoch bereits mit Anklängen einer Gesamtwertung unter Berücksichtigung objektiver Umstände. – Der Rechtsprechung zustimmend beispielsweise Arzt, JA 1980, 553 (558). 26 Exemplarisch Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2003), § 29 Rn. 71 ff. 27 So die Kritik z. B. von Rüping, Revue de Droit Int. 1974, 126 (128). – Dem widerspricht Jakobs: Bei einer Garantenpflicht kraft Organisationszuständigkeit können die Anteile am schädigenden Verlauf, die zum Organisationskreis des Unterlassungstäters gehören, mit den Anteilen der anderen Beteiligten in Beziehung gesetzt und bei Gleichwertigkeit der Beiträge als
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Einleitung
modifiziert auch bei den Unterlassungsdelikten anwenden, indem die Eingriffsmöglichkeiten unterschiedlich gewichtet würden.28 Andere nehmen eher eine generalisierende Betrachtung der Tatherrschaft vor und sehen den Unterlassenden neben einem voll verantwortlich handelnden Begehungstäter lediglich als Randfigur des Geschehens und somit in der Rolle des Gehilfen; erst wenn der Begehungstäter das Geschehen aus der Hand gibt, werde der Unterlassende zur Zentralgestalt des Geschehens, ihm falle dann die Tatherrschaft zu, so dass er als Täter anzusehen sei.29 Da dieses Ergebnis nicht allein mit der Tatherrschaftslehre begründet wird, lässt dies sich auch als eigenständige Ansicht begreifen. Der zuletzt genannten Ansicht vollkommen entgegengesetzt kommt ein großer Teil des Schrifttums zu dem Ergebnis, dass in aller Regel30 der Unterlassende Täter ist, also Teilnahme grundsätzlich ausscheide. Dies wird meist damit begründet, dass das täterschaftskonstituierende Merkmal der unechten Unterlassungsdelikte die Garantenpflicht sei; es handele sich um so genannten Pflichtdelikte, deren Eigenart es sei, dass allein die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Sonderpflicht – hier der Garantenpflicht – die Täterschaft begründe.31 Diese Ansicht bestimmt die Täterschaft bei Unterlassungsdelikten also ausschließlich mithilfe der Unterlassungsdogmatik. Ebenfalls an die Garantenpflichten knüpfen schließlich verschiedene Ansichten an, die nach dem Inhalt der Pflicht differenzieren. Meist wird dabei zwischen Beschützer- und Überwachergaranten unterschieden. Bei Beschützergaranten sei es gleichgültig, woher die Gefahr für das zu schützende Rechtsgut herrühre, da die Mittäterschaft eingeordnet werden; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 102. Ausführlicher zu diesem Ansatz unten 4. Teil, II. 2. b). 28 Bockelmann/Volk, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. (1987), § 26 I 2, S. 203; Gössel, ZStW 96 (1984), 321 (334 f.); Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. (1989), § 47 Rn. 111; Schroeder, Der Täter hinter dem Täter (1965), S. 105 ff.; Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 13 Rn. 94 f.; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 37. Aufl. (2007), Rn. 734. 29 Gallas, JZ 1952, 371; ders., JZ 1960, 686 (687); Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 696; Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 13 Rn. 57; Kielwein, GA 1955, 225 (227); Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 27 Rn. 5; Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (828 ff., 845 f.). 30 Ausnahmsweise kommt auch nach dieser Ansicht dann Teilnahme in Betracht, wenn der Unterlassende ein Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt, z. B. wenn ihm ein objektives Tätermerkmal oder eine besondere Absicht fehlt. 31 Blei, Strafrecht, Band I, Allgemeiner Teil, 18. Aufl. (1983), § 86 IV 2 b; Bloy, JA 1987, 490 (492); Haft, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. (2004), S. 192 f.; Mitsch, Jura 1989, 197; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 140 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1993), § 25 Rn. 38; ders., Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 354; Rudolphi, in: SK-StGB, 7. Aufl. (2000), Vor § 13 Rn. 37. – Im Ergebnis ebenso, jedoch mit abweichender Begründung Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 291 ff.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 222. – Wiederum anders Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 14 Rn. 13. – Ähnlich Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen (1996), S. 189 ff., der nur dann ausnahmsweise von einer bloßen Teilnahme ausgeht, wenn das Unterlassen einem täterschaftlichen Unrecht nicht entspricht.
II. Überblick über den Meinungsstand
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Pflicht auf den Bestand des Rechtsguts abziele; sie seien daher stets Täter. Überwachergaranten stünden dagegen wertungsmäßig einem Gehilfen näher, da in der unterlassenen Sicherung einer Gefahrenquelle grundsätzlich eher die Förderung einer fremden Tat zu sehen sei.32 Andere schränken – ausgehend von einer anderen Einteilung der Garantenpflichten – den Kreis der Pflichtdelikte noch weiter auf so genannte Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit ein.33 Beide grundsätzlichen Lösungswege sind jedoch erheblichen Einwänden ausgesetzt. Die subjektive Theorie und die Tatherrschaftslehre stehen vor dem Problem, dass ihre üblichen Abgrenzungskriterien auf Unterlassungen nicht ohne weiteres übertragbar sind. Das ist für den Begriff der Tatherrschaft augenfällig: Eine Beherrschung des tatbestandsmäßigen Geschehens34 durch bloßes Nichtstun, wie sich nun mal ein Unterlassen äußerlich darstellt, ist nur schwer vorstellbar.35 Manche der vorgeschlagenen Aspekte, wie beispielsweise der für die Erfolgsabwendung nötige Aufwand,36 spielen bei Begehungsdelikten für die Abgrenzung keine Rolle: Es verlangt bei einem Totschlag äußerlich unter Umständen weniger an Einsatz, eine Pistole abzudrücken (Täterschaft), als die Pistole illegal zu besorgen (Beihilfe). Es ist daher auch zweifelhaft, ob ein solches Kriterium einen entscheidenden Wertungsaspekt bei der Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten benennen kann.37 Aber auch die subjektive Theorie steht vor besonderen Schwierigkeiten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ermittelt man den Täterwillen wertend mithilfe einer Kombination verschiedener Indizien, insbesondere nach dem Grad des Interesses am Taterfolg, dem Umfang der Tatbeteiligung und der Tatherrschaft oder zumindest dem Willen zur Tatherrschaft.38 Bedenkt man die bereits erwähnten Proble32
Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 25 ff. Rn. 104 ff. 33 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 101 ff.; vorsichtig zustimmend jetzt auch Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 752 f. – Bei der anderen Gruppe von Garantenpflichten, den sog. Pflichten kraft Organisationszuständigkeit, soll die Abgrenzung wie bei den Begehungsdelikten erfolgen; vgl. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 102. 34 So beispielsweise die allgemeine Umschreibung für die Tatherrschaft von Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 13. 35 Kritisch zur Möglichkeit einer Tatherrschaft des Unterlassenden beispielsweise Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 133, 153. 36 Schroeder, Der Täter hinter dem Täter (1965), S. 105 f. 37 Das Argument der grundsätzlich bloße Beihilfe annehmenden Ansicht, solange der Begehungstäter die Tat beherrsche, könne der Unterlassende mangels Tatherrschaft die Tat nicht beherrschen, kann sich daher auch nicht auf den Umstand berufen, dass in den Eingriff in das Handeln des Begehungstäters höhere Anforderungen gestellt werden als an ein späteres Eingreifen; so bereits Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 296 f. 38 Exemplarisch BGHSt 37, 289 (291). – Weitere Nachweise bei Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 22 u. Fn. 22, der wegen der objektiven Gesichtspunkte bei der Bestimmung des Täterwillens die Ansicht der Rechtsprechung eine „normative Kombinationstheorie“ nennt. Ähnlich Frisch, Lexikon des Rechts, Strafrecht, Strafprozessrecht,
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Einleitung
me bei der Bestimmung der Tatherrschaft sowie den Umstand, dass bei einem Unterlassen der Umfang der Tatbeteiligung wohl kaum abgestuft werden kann, reduziert sich die Bestimmung des Täterwillens mehr oder weniger auf das Kriterium des Tatinteresses, was nicht nur die ohnehin im Hinblick auf das Fehlen einer klaren und damit überprüfbaren Grenzziehung bestehenden Bedenken gegen die subjektive Theorie verstärkt, sondern sie auch in eine gefährliche Nähe zu einem Gesinnungsstrafrecht rückt.39 Die bei der Unterlassungsdogmatik ansetzenden Lösungsvorschläge laufen demgegenüber Gefahr, mit der Beteiligungslehre selbst in Konflikt zu geraten. Geht man mit der Pflichtdeliktslehre von einer grundsätzlichen Täterschaft des unterlassenden Garanten aus, hat das zur Konsequenz, dass Garanten, die einen aktiven, aber lediglich eine Beihilfe begründenden Tatbeitrag geleistet haben, daneben als Unterlassungstäter bestraft werden müssen, wenn sie den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs hätten verhindern können.40 Mehr noch: Besteht für den aktiven Gehilfen nach dem Hilfeleisten die Möglichkeit, den tatbestandlichen Erfolg zu verhindern, müsste er ebenfalls noch wegen täterschaftlichen Unterlassens haften, sofern man die Beihilfehandlung als ein Vorverhalten ansieht, das eine Garantenpflicht aus Ingerenz begründet.41 Hier besteht die Gefahr, dass die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme bei den Begehungsdelikten von der Unterlassungsdogmatik her „aufgerollt“ wird.42 Diese Probleme haben die nach dem Inhalt der Garantenpflicht differenzierenden Ansichten nicht, da die Ingerenz weder eine Beschützergarantenpflicht43 noch eine Pflicht kraft institutioneller Zuständigkeit ist. Für die Träger dieser Pflichten müssten die Vertreter der differenzierenden Ansätze jedoch zumindest eingestehen, dass ein aktiver Gehilfe auch als Unterlassungstäter anzusehen ist.44 Dieses Ergebnis entspricht zumindest nicht dem überkommenen Rechtsverständnis.45 Diese Lehre muss sich darüber hinaus fragen lassen, ob die Unterschiedlichkeit hinsichtlich des Inhalts der Garantenpflichten angesichts des Umstands, dass es bei sämtlichen Pflichten um die Abwendung eines tatbestandlichen Erfolgs geht (so § 13 Abs. 1 StGB), tatsächlich der Wertungsdifferenz von Täterschaft und Teilnahme entspricht. 2. Aufl. (1996), 972 (975): „subjektive Theorie auf objektiv-tatbestandlicher Grundlage“. – Vgl. auch im zweiten Teil unter II. 3. 39 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 138. 40 Diese Konsequenz gesteht Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 147 f., zumindest für den Fall einer (straflosen) lediglich versuchten aktiven Beihilfe des Garanten ein. 41 Zur Begründung einer Garantenpflicht aus Ingerenz bei vorsätzlich-pflichtwidrigem Vorverhalten vgl. zunächst nur Stein, JR 1999, 265 ff. 42 Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (820). 43 Vgl. Sowada, Jura 2003, 236 (237 f.). 44 Für die von ihm sog. Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit insoweit konsequent Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 106. 45 Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (820).
III. Gang der Untersuchung
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Bereits diese knappe Analyse zeigt, dass wegen der Besonderheit der Unterlassungsdelikte die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme problematisch ist: Die herkömmlichen Abgrenzungstheorien aus dem Bereich der Begehungsdelikte lassen sich nicht einfach auf die Unterlassungsdelikte übertragen; eine Lösung allein mithilfe der Unterlassungsdogmatik kollidiert oftmals mit den Erkenntnissen der Beteiligungslehre.
III. Gang der Untersuchung In einem ersten Teil der Untersuchung soll daher zunächst der Gegenstand der hier gestellten Abgrenzungsfrage bestimmt werden: das Unterlassungsdelikt. Dabei geht es nicht nur um die umstrittene Abgrenzung von Begehen und Unterlassen; es geht auch darum herauszuarbeiten, welche Besonderheiten die Unterlassungsdelikte im Vergleich zu den Begehungsdelikten aufweisen. Im anschließenden zweiten Teil werden die Grundlagen der Beteiligungslehre analysiert, insbesondere die gesetzlichen Regelungen und die verschiedenen Beteiligungslehren. Aus den Erkenntnissen der ersten beiden Teile ergibt sich das Bedürfnis, in einem dritten Teil zu prüfen, welche Beteiligungsformen durch Unterlassen überhaupt verwirklicht werden können. Im vierten Teil werden nun die einzelnen Voraussetzungen eines Unterlassungsdelikts im Hinblick darauf untersucht, ob sie als Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme infrage kommen und wie eine solche Abgrenzung vorzunehmen wäre. Die möglichen Lösungen werden einerseits auf ihre praktischen Konsequenzen und ihre Widerspruchsfreiheit analysiert; andererseits wird die Tragfähigkeit und Überzeugungskraft ihrer Begründung kritisch geprüft. Im abschließenden fünften Teil der Untersuchung wird aufbauend auf den bereits gewonnenen Erkenntnissen die favorisierte eigene Lösung dargestellt und begründet.
Erster Teil
Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte als Ausgangspunkt für die Frage nach der Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme I. Begehungsdelikte und Unterlassungsdelikte Stellt man die Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei einer besonderen Deliktsart, ist vorab die Eigenart dieser Deliktsart zu bestimmen, aus der sich eine gesonderte Behandlung dieser Abgrenzungsfrage rechtfertigt. Bei den Unterlassungsdelikten steht dabei die Abgrenzung zu den Begehungsdelikten im Vordergrund. Grundsätzlich lassen sich die beiden Deliktsarten folgendermaßen umschreiben: Bei Begehungsdelikten knüpft der strafrechtliche Vorwurf an ein positives Tun, bei Unterlassungsdelikten an das Unterlassen eines solchen Tuns an.46 Die Unterscheidung dieser beiden Grundformen der strafrechtlichen Handlung47 – Tun und Unterlassen – ist dabei zunächst unproblematisch: Ein Tun ist die Vornahme einer Körperbewegung, ein Unterlassen die Nichtvornahme einer bestimmten Körperbewegung.48 Die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte haben nun Konsequenzen, insbesondere für die Frage der Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs zur Handlung. So ist beispielsweise die Bestimmung der Kausalbeziehung bei Begehungs- und Unterlassungsdelikten unterschiedlich vorzunehmen, schon allein weil zwischen dem Unter46 Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen einerseits, sowie die Abgrenzung von Begehungs- und Unterlassungsdelikt andererseits, hängen miteinander zusammen, betreffen aber unterschiedliche Ebenen und müssen daher nicht unbedingt nach den gleichen Kriterien erfolgen. Vgl. Struensee, Stree/Wessels-FS (1993), 133 (135), der beklagt, dass diese beiden Fragen oft vermischt werden. 47 Der Begriff der Handlung wird hier – wie zumeist im strafrechtlichen Schrifttum – in einem weiteren Sinn verwendet. Teilweise wird jedoch enger unter Handlung nur das hier sog. positive Tun verstanden. – Exemplarisch Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 8 Rn. 51, wo der Begriff der Handlung innerhalb eines Absatzes in beiden Bedeutungen verwendet wird. 48 Körperbewegungen als Bezugsobjekt lösen die Beliebigkeit der Zuordnung von Verhaltensweisen zu den Beschreibungskategorien Tun und Unterlassen auf; vgl. dazu Birnbacher, Tun und Unterlassen (1995), S. 28 ff., 35. Beispielhaft: Wer es unterlässt zu schweigen, nimmt gerade eine Körperbewegung vor: Er spricht. Mit diesem Unterlassen ist also gerade kein Unterlassen in dem oben genannten Sinn beschrieben. – Rechtlich relevant und damit Handlungen im strafrechtlichen Sinn sind natürlich nur solche Köperbewegungen, die unterlassen werden können, bzw. solche Unterlassungen, die vorgenommen werden können.
I. Begehungsdelikte und Unterlassungsdelikte
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lassen einer Handlung und einem Erfolg dieser Zusammenhang nur ein hypothetischer sein kann: Ob das Unterlassen kausal ist, lässt sich nur mithilfe der Hypothese bestimmen, was passiert wäre, wenn die unterlassene Handlung vorgenommen worden wäre. Die hierbei erforderliche Prognose führt zwangsläufig zu einem gewissen Grad an Unsicherheit bei der Bestimmung der Kausalität bei Unterlassungen. Es verwundert daher nicht, dass darüber gestritten wird, welcher Grad an Unsicherheit für die Erfolgszurechnung hingenommen werden muss: Bedarf es einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, dürfen keine vernünftigen Zweifel bleiben oder genügt die realistische Chance einer Erfolgsverhinderung?49 Die beiden Verhaltensformen Tun und Unterlassen sind also strukturell grundlegend verschieden, weshalb die Grundsätze der strafrechtlichen Zurechnung unterschiedlich sein müssen,50 auch für Beteiligungsfragen. Trotz der oben dargestellten, an sich klaren Grenzziehung ist die Unterscheidung von Tun und Unterlassen im Strafrecht umstritten. Das erklärt sich daraus, dass häufig in Hinblick auf einen tatbestandsmäßigen Erfolg – wobei Erfolg hier weiter, auch als Vollzug eines tatbestandlich umschriebenen Verhaltens (bei den so genannten Tätigkeitsdelikten), verstanden werden soll – sowohl an die Vornahme einer Körperbewegung als auch an die Nichtvornahme einer Körperbewegung angeknüpft werden kann.51 In solchen Fällen hält es die ganz herrschende Meinung für notwendig, Tun und Unterlassen voneinander abzugrenzen, sich also zu entscheiden, welche der beiden Verhaltensformen für die Prüfung der Strafbarkeit heranzuziehen ist, und welche aus rechtlichen Überlegungen auszuscheiden hat. Die Notwendigkeit einer Abgrenzung wird jedoch zunehmend angezweifelt. Sie könnte sich aber daraus ergeben, dass die Konsequenzen eines Verzichts auf eine Abgrenzung nicht akzeptabel sind.52 An sich ist es in der Strafrechtsanwendung üblich, in Fällen, in denen mehrere Handlungen in Betracht zu ziehen sind, wegen derer sich der Täter strafbar gemacht haben könnte, bezüglich jeder einzelnen Handlung die Strafbarkeitsvoraussetzungen aller denkbaren Delikte zu prüfen; ist das Ergebnis der Prüfung, dass mehrere Straftaten vorliegen, stellt sich die Frage, wie diese mit49
Vgl. dazu nur die ausführliche Darstellung bei Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 37 ff. m.w.Nw. 50 Exemplarisch Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), Vor § 13 Rn. 1. – Grundlegend dazu Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 87 ff., der aus diesen unterschiedlichen Strukturen die – jedoch von der ganz h.M. im Schrifttum abgelehnte – Konsequenz zieht, dass beim Unterlassungsdelikt die gleiche rechtliche Wirkung wie beim Begehungsdelikt eintrete, wenn in Bezug auf die unterlassene Handlung die umgekehrte Struktur vorliegt wie bei der begangenen Handlung (sog. Umkehrprinzip). – Dass es für die beiden Delikte unterschiedliche Regeln gibt, ist ganz h.M., wird aber auch bestritten; vgl. ausführlicher dazu unten 1. Teil, III. 1. 51 Beispielsfälle sogleich unter II. 1. 52 Natürlich kann es dann zwar nicht notwendig, aber immer noch sinnvoll sein, Tun und Unterlassen abzugrenzen, sofern es eine Vereinfachung der strafrechtlichen Prüfung bedeutet. Das dürfte jedoch kaum zutreffen und wird auch nicht als Rechtfertigung für die Abgrenzungsdiskussion vorgebracht.
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
einander konkurrieren. Wenn nun bezüglich eines Erfolgs sowohl die Voraussetzungen eines Begehungsdelikts als auch die eines Unterlassungsdelikts gegeben sind, müsste das Verhältnis ebenso als Konkurrenzproblem behandelt werden.53 Welcher der beiden Wege – Abgrenzungslösung oder Konkurrenzlösung – der zutreffende ist, soll im Folgenden genauer untersucht werden, wobei zunächst unter II. die Abgrenzungsfrage selbst im Vordergrund steht, also die als problematisch diskutierten Konstellationen untersucht werden sollen. Anschließend soll unter III. gefragt werden, ob das gefundene Ergebnis die durch die fakultative Strafmilderung in § 13 Abs. 2 StGB ausgedrückte Unwertdifferenz zwischen Tun und Unterlassen widerzuspiegeln vermag, und ob es richtig ist, das Vorliegen einer rechtlichen Einstandspflicht, also einer Garantenpflicht, als strafbarkeitseinschränkende Voraussetzung nur in den als Unterlassungen qualifizierten Fällen zu verlangen. Dass die Beantwortung der Frage, worin genau das Unterlassen besteht, das als Tathandlung eines Unterlassungsdelikt herhält, für Fragen der strafrechtlichen Zurechnung – auch hinsichtlich der Beteiligung – von Bedeutung ist, soll vorab noch kurz verdeutlicht werden. Man könnte beispielsweise überlegen, ob in Fällen, in denen ein phänomenologisches Tun rechtlich als Unterlassen gewertet wird,54 die Regeln für die Begehungsdelikte angewendet werden können, beispielsweise auch die für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Aber auch die Konsequenzen einer Konkurrenzlösung sind zu bedenken: Ist in vielen Fällen neben einem Begehungsdelikt auch noch ein Unterlassungsdelikt verwirklicht, sollte dies nicht zu Wertungswidersprüchen führen. Beispiel: Liegt eine Beihilfe durch aktives Tun vor, muss das dabei möglicherweise mitverwirklichte Unterlassungsdelikt wohl auch als Beihilfe beurteilt werden.55
II. Zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen 1. Der Verzicht auf eine Abgrenzung von Tun und Unterlassen: Die so genannte Konkurrenzlösung Anhand von vier Beispielsfällen, die typischen Problemkonstellationen entsprechen, soll zunächst – auch als Grundlage für die Beurteilung der verschiedenen Lösungsvorschläge zur Abgrenzungsfrage – gezeigt werden, zu welchen Ergebnissen 53 Eine solche Konkurrenzlösung wird u. a. vertreten von Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2003), § 15 Rn. 27; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 28. Abschn. Rn. 4; Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), § 13 Rn. 72; Otto, Jura 2000, 549 (550); Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl. (2001), S. 471; Rudolphi, in: SKStGB (Stand: April 2003), Vor § 13 Rn. 7; Sieber, NJW 1983, 431 (432, 436); Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 13 Rn. 7; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 203; ähnlich Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 84 ff., 97 f. 54 Vgl. zu diesen Fallgruppen sogleich unter II. 3. 55 Vgl. dazu bereits oben Einleitung II.
II. Zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen
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die bloße Anwendung der Konkurrenzlösung bei der Bestimmung von Tun und Unterlassen führt. Fall 1: Ein Autofahrer schaltet trotz starken Regens in der Dämmerung das Licht seines Autos nicht an, so dass ein Fußgänger, als er die Straße betritt, um sie zu überqueren, das Auto übersieht. Der Autofahrer kann nicht mehr bremsen und erfasst den Fußgänger, der tödlich verletzt wird. Der Autofahrer hat sich hier zum einen durch die Vornahme einer Körperbewegung – das Steuern des Autos – einer fahrlässigen Tötung schuldig gemacht, da das Fahren kausal für den Tod des Fußgängers und das Fahren ohne Licht bei schlechten Sichtverhältnissen sorgfaltswidrig ist (§ 17 Abs. 1 StVO). Zum anderen lässt sich auch an die Nichtvornahme einer Körperbewegung anknüpfen. Das Licht einzuschalten,56 war in der tatbestandsmäßigen Situation, also kurz bevor der Fußgänger die Fahrbahn betreten hat, möglich, der Autofahrer war dazu nach § 17 Abs. 1 StVO auch gesetzlich verpflichtet, so dass die Voraussetzungen einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassen gemäß §§ 222, 13 Abs. 1 StGB ebenfalls vorliegen. Da es ansonsten zu einer nicht sachgerechten doppelten Bewertung des Unrechts käme,57 ist das Unterlassungsdelikt als die weniger intensive Angriffsform (vergleiche die fakultative Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB) gegenüber dem Begehungsdelikt subsidiär58 und tritt daher im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück.59 Der Autofahrer hat sich also wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB zu verantworten, wodurch der deliktische Gehalt der Tat vollständig erfasst und abgegolten wird. Fall 2: Der Besitzer einer Pinselfabrik händigt an seine Arbeiter mit dem Milzbranderreger kontaminierte Ziegenhaare zur Verarbeitung aus, ohne diese vorher zu desinfizieren. Mehrere Arbeiterinnen werden infiziert und sterben.60 Die Aushändigung – eine Körperbewegung – begründet eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB: Sie war wegen des Infektionsrisikos für die Arbeiterinnen sorgfaltswidrig und die Tötung der Arbeiter sowohl objektiv als auch subjektiv vorhersehbar und vermeidbar. Demgegenüber scheidet eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen dafür aus, dass vor der Herausgabe die Ziegenhaare 56 Es lässt sich auch formulieren, dass der Autofahrer es unterlassen hat, die Vornahme der Körperbewegung Autofahren zu unterlassen; diese Unterlassungskonstruktion hat aber keine eigenständige Bedeutung, sie ist lediglich die Umformulierung des beschrieben Tuns. Zu Früchten dieses stets möglichen Gedankenspiels vgl. Herzberg, JuS 1996, 377 (382 ff.). 57 Samson/Günther, in: SK-StGB (Stand: April 2003), Vor § 52 Rn. 79. – Über diesen Grundgedanken der Gesetzeskonkurrenz dürfte trotz vieler Differenzen Einigkeit bestehen. Hier wird der üblichen Terminologie gefolgt. 58 Zur materiellen Subsidiarität vgl. wiederum nur Samson/Günther, in: SK-StGB (Stand: April 2003), Vor § 52 Rn. 92 ff. 59 Sofern Begehungs- und Unterlassungsdelikt ansonsten in der gleichen Weise verwirklicht werden; vgl. Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), § 13 Rn. 74. – Ob dieses gesetzlich vorgegebene Stufenverhältnis einer normativen Differenz von Tun und Unterlassen entspricht, ob also die Regelung des § 13 Abs. 2 StGB sachlich gerechtfertigt ist, kann hier offen bleiben; vgl. dazu unten 1. Teil, III. 2. 60 RGSt 63, 211 ff. („Ziegenhaarfall“).
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
nicht desinfiziert worden sind. Dieses Unterlassen ist solange nicht pflichtwidrig, wie nicht ausnahmsweise eine Pflicht zur Herausgabe besteht:61 Wenn die Ziegenhaare an niemanden herausgegeben werden müssen, brauchen sie zunächst auch nicht desinfiziert werden. Es bleibt bei einer Strafbarkeit nach § 222 StGB, konkurrierende Straftatbestände gibt es nicht. Fall 3: Ein Autofahrer verschuldet einen Verkehrsunfall, bei dem ein Fußgänger lebensgefährlich verletzt wird. Nach einer nur oberflächlichen Untersuchung nimmt er irrtümlich an, der Fußgänger sei bereits tot, so dass er die noch mögliche Hilfe nicht leistet und der Fußgänger stirbt. Hier lässt sich eine Strafbarkeit zum einen an das Autofahren selbst anknüpfen, also an die Vornahme einer Körperbewegung, für die er sich nach § 222 StGB zu verantworten hat, zum anderen auch daran, dass er es unterlassen hat, die mögliche Hilfe zu leisten, zu der er aus Ingerenz verpflichtet war. Hier ergibt sich die Strafbarkeit aus §§ 222, 13 Abs. 1 StGB. Die beiden Vorwürfe, insbesondere die beiden Sorgfaltsverstöße, sind jedoch – anders als in Fall 1 – grundverschieden: Autofahren einerseits und unterlassene Hilfe auf Grund der oberflächlichen Untersuchung62 andererseits. Aber auch hier kommt dem nicht so schwerwiegenden Unterlassen gegenüber dem ansonsten gleichartigen Begehen keine eigenständige Bedeutung zu, so dass das Unterlassungsdelikt als mitbestrafte Nachtat hinter das Begehungsdelikt zurücktritt.63 Fall 4: Wie Fall 3, nur unterlässt es der Autofahrer, Hilfe zu leisten, obwohl er erkannt hat, dass sie nötig und möglich ist, und nimmt dabei den Tod des Verletzten billigend in Kauf. Neben die fahrlässige Tötung durch aktives Tun durch das nicht sorgfaltsgemäße Autofahren tritt hier nun eine Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Totschlags durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB. Will man auch hier eine doppelte Verwertung des Erfolgsunrechts – Tod des Fußgängers – vermeiden, muss das fahrlässige Begehungsdelikt hinter das schwerer wiegende vorsätzliche Unterlassungsdelikt zurücktreten.64
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Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 28. Abschn. Rn. 6. An die Untersuchung selbst lässt sich keine Strafbarkeit anknüpfen, da auch durch eine sorgfältige Untersuchung allein der Tod des Fußgängers nicht vermieden worden wäre. Sie ist nur Voraussetzung dafür, dass man die rettungstauglichen Maßnahmen erkennt. Die Vornahme dieser Körperbewegung war also nicht kausal für den Tod im Sinne einer positiven Kausalität, wie es allerdings für Begehungsdelikte notwendig ist. 63 Hier zeigt sich, dass in der Sache die Figur der mitbestraften Nachtat mit der Subsidiarität eng verwandt ist; vgl. Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 18 Rn. 17. 64 Teilweise wird auch Konsumtion angenommen; vgl. die Nachw. bei Stein, JR 1999, 265 (266 f. Fn. 14). Realkonkurrenz kann angenommen werden, wenn das Unterlassungsdelikt lediglich versucht wurde, um klarzustellen, dass der Erfolg eingetreten ist; vgl. BGHSt 7, 287 (289). 62
II. Zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen
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2. Die verschiedenen Theorien zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen Für diese vier Beispielsfälle soll nun untersucht werden, ob die einzelnen Abgrenzungstheorien von den allein mithilfe der Konkurrenzlehre gewonnenen Ergebnissen abweichen. Die verschiedenen Ansichten lassen sich danach unterteilen, ob die für sie entscheidenden Kriterien eher naturalistischer (Kausalität, Einsatz von Energie) oder normativer Art sind (Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit, Vorrang des Tuns).65 a) Kausalitätskriterium Nach einer im Schrifttum weit verbreiteten Ansicht ist die Abgrenzung von Tun und Unterlassen anhand des Kriteriums der Begehungskausalität66 vorzunehmen. Danach ist positives Tun anzunehmen, wenn der Täter für den Eintritt des Erfolgs im Sinne einer gesetzmäßigen Bedingung kausal geworden ist.67 Begründet wird dieser Ansatz mit der Eigenart des Unterlassens, die gerade im Fehlen einer naturgesetzlichen Kausalität gesehen wird.68 In den Fällen 1 bis 3 kommt man damit ersichtlich zu denselben Ergebnissen wie die Konkurrenzlösung: Die Begehungskausalität wurde oben bereits bejaht. Interpretiert man diesen Ansatz als eine Abgrenzungstheorie, müsste man auch in Fall 4 ein positives Tun annehmen. Diese Konsequenz wird jedoch nicht gezogen, vielmehr sollen bei einem zeitlichen Nacheinander von Tun und Unterlassen (Sukzession der Verhaltensformen) Begehungs- und Unterlassungsdelikte konkurrieren.69 Warum jedoch bei einem zeitlichen Zusammenfallen von Tun und Unterlassen (Koinzidenz der Verhaltensformen) etwas anderes gelten soll, bleibt offen. Schwächen hat dieser Ansatz darüber hinaus bei den Delikten, die für die Tat-
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Eine ausführliche Darstellung des umfangreichen Diskussionsstands kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Es wird sich auf die Grundgedanken und die zum Teil problematischen Konsequenzen beschränkt. Vgl. umfassend Stoffers, Die Formel „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ bei der Abgrenzung von Tun und Unterlassen? (1992), S. 3 ff., 69 ff., und Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), S. 53 ff.; ferner Haas, Kausalität und Rechtsverletzung (2002), S. 112 ff. 66 Meist wird als Abgrenzungskriterium nur die Kausalität genannt, was jedoch ungenau ist, da die Kausalität oder auch Quasi- bzw. hypothetische Kausalität des Unterlassens für den Eintritt des Erfolgs gerade nicht gemeint sein kann. 67 Jescheck, Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), vor § 13 Rn. 90; Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), § 58 II 2, S. 603 f.; Joecks, StuK-StGB, 7. Aufl. (2007), § 13 Rn. 15a; Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik (1990), S. 73 f.; Samson, Welzel-FS (1974), 579 ff.; Stoffers, GA 1993, 262 ff. 68 Diese Sichtweise wurde maßgeblich geprägt von Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 61 ff. 69 Beispielhaft: Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 96 f.
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
bestandsverwirklichung keinen Erfolg verlangen und bei denen daher die Kausalität grundsätzlich keine Bedeutung besitzt.70 Festzuhalten bleibt, dass die auf das Kriterium der Begehungskausalität abstellende Ansicht gegenüber einem Verzicht auf eine Abgrenzungstheorie keinen sachlichen Gewinn bringt. Vielmehr läuft sie Gefahr, die Frage nach der Unterscheidung von Tun und Unterlassen mit Problemen der Kausalität zu überfrachten; denn anders als das Kriterium der Vornahme einer Körperbewegung ist die Feststellung der Begehungskausalität nicht stets unproblematisch und eindeutig, wie beispielsweise der Problemfall des aktiven Abbrechens eigener Rettungsbemühungen zeigt.71 b) Energiekriterium Für einen Teil des Schrifttums liegt positives Tun dann vor, wenn der Täter Energie in eine bestimmte Richtung einsetzt, Unterlassen, wenn er keine Energie in eine bestimmte Richtung einsetzt.72 Dabei wird Energieeinsatz teilweise rein naturwissenschaftlich-physikalisch,73 teilweise normativ verstanden, also als Leistung oder Anstrengung in einem sozialen Sinn,74 schließlich häufig mit dem Kausalitätskriterium verbunden.75 Lässt man beiseite, dass das Merkmal „in eine bestimmte Richtung“ unbestimmt und daher problematisch ist,76 entspricht das Merkmal „Energieeinsatz“ im Wesentlichen dem oben bei der Konkurrenzlösung zu Grunde gelegten Kriterium der Vornahme einer Körperbewegung: Schließlich benötigt man Energie, um eine Körperbewegung vorzunehmen. Das Energiekriterium soll deshalb jedoch vorzugswürdig sein, weil es die – in der fakultativen Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB zum Ausdruck kommende – Wertungsdifferenz zwischen Tun und Unterlassen widerspiegele.77
70
Wobei zuzugeben ist, dass bei den schlichten Tätigkeitsdelikten die Abgrenzung generell unproblematisch sein dürfte. Das beseitigt jedoch nicht den Einwand fehlender Einheitlichkeit dieses Abgrenzungswegs. 71 Siehe unten 3. b). 72 Der Ansatz geht im Wesentlichen auf Engisch zurück; vgl. Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände (1931), S. 29; Gallas-FS (1973), 163 (167, 171 ff.); Dreher-FS (1977), 309 (325 f. Fn. 22). 73 Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände (1931), S. 29. 74 Engisch, Gallas-FS (1973), S. 163 (171 ff.); wohl auch Androulakis, Rechtsproblematische Studien über die unechten Unterlassungsdelikte (1962), S. 53 f. 75 Güntge, Begehen durch Unterlassen (1995), S. 18 ff.; Seelmann, in: NK-StGB (Stand: März 2003), § 13 Rn. 28; Sieber, JZ 1983, 431 (434 f.); Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung (1968), S. 112 ff.; im Ausgangspunkt ebenso Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 73, 78; Rudolphi, in: SKStGB (Stand: April 2003), Vor § 13 Rn. 6. 76 Vgl. dazu Brammsen, GA 2002, 193 ff. 77 Engisch, Gallas-FS (1973), 163 (173 Fn. 24); Sieber, JZ 1983, 431 (434 f.).
II. Zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen
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Das überzeugt jedoch wenig, da auch sonst der Energieeinsatz als naturwissenschaftlich-physikalisch verstandener Begriff für die Strafzumessung keine Rolle spielt78 und möglicherweise auch die Frage nach der Abgrenzung von Tun und Unterlassen überfordert wird. Ferner besteht – insbesondere bei einem normativen Verständnis des Energiekriteriums – die Gefahr, durch die Annahme einer inneren Anspannung oder Energie dann ein positives Tun anzunehmen, wenn der Vorwurf eindeutig darin besteht, dass eine geforderte Handlung unterlassen wird. Beispiel: Ein Fahrgast, der auf die Frage des Schaffners, ob alle einen gültigen Fahrausweis besitzen, schweigt, obwohl er keinen hat, verwirklicht keinen Betrug durch positives Tun durch Vornahme einer schlüssigen Erklärung, auch wenn er dabei einen erhebliches Maß an Anspannung und „innerer Energie“ aufwendet.79 Dies lässt sich einfach begründen, wenn man fragt, was von dem Fahrgast zu verlangen war, um die Tatbestandsverwirklichung – hier den Irrtum des Schaffners, alle Fahrgäste hätten einen gültigen Fahrausweis, als den tatbestandsmäßigen (Zwischen-)Erfolg von § 263 StGB – zu vermeiden,80 also wenn man nach den konkreten Forderungen an das richtige, also an das die Tatbestandsverwirklichung vermeidende Verhalten fragt: Der Fahrgast hätte sich hier dem Schaffner bemerkbar machen, also eine Körperbewegung vornehmen müssen; der strafrechtliche Vorwurf besteht folglich darin, diese Körperbewegung unterlassen zu haben.81 In den vier Beispielsfällen kommt man mit Hilfe des Energiekriteriums jedoch zu denselben Ergebnissen wie die Konkurrenzlösung. In den Fällen 1 bis 3 setzt der Täter jeweils Energie in eine bestimmte Richtung ein: Er fährt Auto und er händigt Ziegenhaare aus. In Fall 4 tut er dies zwar auch, wiederum durch Autofahren, das vorsätzliche Unterlassen behält jedoch wohl – ähnlich wie bei dem Kausalitätskriterium – aufgrund der Sukzession der Verhaltensformen seine eigenständige Bedeutung. c) Die so genannte Schwerpunktformel Der Bundesgerichtshof grenzt in ständiger Rechtsprechung82 unter Zustimmung eines beachtlichen Teils des Schrifttums83 nach dem so genannten Schwerpunkt 78 Schon gar nicht vermag das Energiekriterium die Beschränkung der Haftung bei begehungsgleichem Unterlassen nach § 13 Abs. 1 StGB auf Sonderpflichtige begründen; vgl. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 28. Abschn. Rn. 13. 79 So aber Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 95, von dem das Beispiel stammt. 80 Vgl. Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), § 13 Rn. 73: „Begehen ist die Vornahme des zur Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung zu unterlassenden Verhaltens, und Unterlassen ist die Nichtvornahme des zur Abwendung des Tatbestandsverwirklichung auszuführenden Verhaltens“ (Hervorhebungen im Original). 81 Ob sich der Fahrgast im Beispielsfall wegen eines Betrugs durch Unterlassen strafbar gemacht hat, hängt davon ab, ob er gegenüber dem Schaffner bzw. dem Beförderungsunternehmen eine Garantenpflicht in Form einer Aufklärungspflicht hat. 82 BGHSt (GS) 6, 46 (59); zuletzt NStZ 2003, 657 m.w.Nw.
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der Vorwerfbarkeit ab.84 Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen könne danach nicht nach rein äußeren oder formellen Kriterien erfolgen, sondern verlange eine normative Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns. Maßgeblich sei demnach, wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liege:85 in dem Tun oder in dem Unterlassen. Ein solches Vorgehen führt wohl zu denselben Ergebnissen wie die auf eine Abgrenzung verzichtende Konkurrenzlösung. In den Fällen 1 und 3 liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit jeweils im Fahren des Autos, in Fall 4 wegen des wesentlich schwerer wiegenden Vorsatzvorwurfs im Unterlassen. Auch in Fall 2 dürfte ein Tun anzunehmen sein, da bezogen auf den tatbestandsmäßigen Erfolg – den Tod der Arbeiter – die Herausgabe der Ziegenhaare den Schwerpunkt des Tatvorwurfs bilden dürften; in Hinblick auf den sozialen Handlungssinn lässt sich jedoch auch ein anderes Ergebnis begründen: Sinn der Ausgabe des Materials ist dessen Verarbeitung, Sinn der Desinfektion der Schutz der Arbeiter; danach läge der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Unterlassen.86 Der letzte Fall zeigt die entscheidende Schwäche der Abgrenzung nach der so genannten Schwerpunktformel: Eindeutige Kriterien für eine klare Zuordnung existieren nicht.87 Darin dürfte jedoch verbreitet zugleich ein Vorteil gesehen werden. Die normative Betrachtung erlaubt es, positives Tun als Unterlassen zu werten, um dann über das zusätzlich zu verlangende Merkmal der Garantenpflicht zu Ergebnissen zu gelangen, die als sachgerechter empfunden werden. Klassisches Beispiel hierfür ist die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen durch aktives Tun in manchen Fällen so genannter passiver Sterbehilfe.88 Vor allem jedoch konstruktiv vermag die so genannte Schwerpunktformel nicht zu überzeugen. Sie ist nämlich keine Abgrenzungsformel, vielmehr setzt sie die Bestimmung von Tun und Unterlassen voraus, wenn sie danach fragt, ob sich der Schwerpunkt des Vorwurfs auf das Tun oder das Unterlassen bezieht. Diese Frage kann sich jedoch erst nach der Beurteilung eines Verhaltens als Tun und/oder Unterlassen stellen89 und wird typischerweise als Problem der Konkurrenzlehre behandelt.90 83
Blei, Strafrecht, Band I, Allgemeiner Teil, 18. Aufl. (1983), § 84 II; Stree, in: Schönke/ Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 13 ff. Rn. 158; Tag, in: HK-Gesamtes Strafrecht (2008), § 13 StGB Rn. 6; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 37. Aufl. (2007), Rn. 700. 84 Die Ansicht geht auf wohl Mezger zurück, der sie so formuliert hat: „Deshalb muß man sich klar darüber sein, daß diese Frage nicht nach der äußeren Gestaltung des einzelnen Falles, sondern allein danach beantwortet werden kann, wogegen der rechtliche Vorwurf sich jeweils richtet.“; vgl. Strafrecht I, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1948), S. 61. Das entspricht wohl in der Sache der im Text verwendeten Formel der Rechtsprechung. 85 BGH, NStZ 2003, 657. 86 Mezger, Strafrecht I, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1948), S. 61. 87 Knappe Zusammenfassung der Kritik z. B. bei Otto, Jura 2000, 549; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 79 ff. 88 Siehe dazu sogleich unter 3. c). 89 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 79, bezeichnet die sog. Schwerpunktformel daher als zirkelschlüssig.
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d) Vorrang des Tuns Deutlicher wird auf die Ergebnisse von Konkurrenzüberlegungen zurückgegriffen, wenn als wertendes Abgrenzungskriterium auf den Vorrang des Tuns verwiesen wird, was jedoch auch nur „im Zweifel“ gelten soll.91 In der Regel besitzt – wie bereits oben gezeigt – ein Tun gegenüber einem Unterlassen einen solchen Vorrang, weil das Unterlassen als weniger intensive Angriffsform subsidiär gegenüber einem ansonsten gleichartigen Tun ist.92 Ein „Zweifelsfall“ liegt dann wohl bei Fall 4 vor, in dem das fahrlässige Tun keinen Vorrang gegenüber dem vorsätzlichen Unterlassen beanspruchen kann. e) Zwischenergebnis Die bisherige Untersuchung der im Wesentlichen vertretenen Theorien zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen hat gezeigt, dass sie in den hier dargestellten typischen Fallkonstellationen zu denselben Ergebnissen führen, die auch bei einem Verzicht auf eine eigenständige Abgrenzung von Tun und Unterlassen erzielt werden. Aber: Indem sie auf besondere Strafbarkeitsvoraussetzungen des Begehungsdelikts wie die Kausalität zurückgreifen, werden lediglich Fragen dieses – noch nicht einmal in allen Delikten vorkommenden – Tatbestandsmerkmals ohne Gewinn vorverlagert. Und indem sie sich auf wertungsoffene Kriterien berufen, verzichten sie auf eine klare Abgrenzung; insbesondere die so genannten Schwerpunktformel ersetzt die relativ gesicherten Erkenntnisse der Konkurrenzlehre durch ein unbestimmtes, rational nicht nachprüfbares Kriterium, was schlussendlich auf einen bloßen Appell an das Rechtsgefühl hinausläuft und willkürliche Entscheidungen ermöglicht.93 Der Gewinn einer wertenden Abgrenzung soll nun jedoch – wie oben bereits angedeutet – darin liegen, dass sie in kritischen Fallgruppen sachgerechte Ergebnisse ermöglichen kann, indem äußerliches Tun in ein Unterlassen umgedeutet wird. Nur wenn sich ein solches Vorgehen als notwendig erweist, lässt sich eine Abgrenzung von Tun und Unterlassen als eigenständige Frage unmittelbar rechtfertigen. Die besonderen Fallgruppen sollen daher im Einzelnen behandelt werden. 3. Kritische Fallgruppen Für die Fallgruppen, in denen trotz äußerlichen Tuns eine Bestrafung aus einem Unterlassungstatbestand erwogen wird, wird vielfach die Bezeichnung „Unterlassen
90 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 28. Abschn. Rn. 4; Sieber, JZ 1983, 431 (433). 91 Arthur Kaufmann, Eb. Schmidt-FS (1961), 200 (212); Spendel, Eb. Schmidt-FS (1961), 183 (194). 92 Siehe oben 1. bei Fall 1 und 3. 93 Otto, Jura 2000, 549.
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durch Tun“ verwendet.94 Daneben bereitet die Abgrenzung bei den so genannten Verhaltensformen mit geringem Energieaufwand95 Schwierigkeiten und ist daher umstritten. Mit ihr soll begonnen werden. a) Verhalten mit geringem Energieaufwand Als Ausgangsfall dient folgender vom Bundesgerichtshof entschiedener Sachverhalt einer „passiven“ Gesprächsteilnahme:96 Drei Rechtsanwälte begleiten drei Mandanten zu einem Gespräch mit dem späteren Opfer. Im Verlauf des Gesprächs versuchen die Mandanten und zwei der Anwälte das Opfer zu erpressen. Der dritte Anwalt beteiligt sich daraufhin nicht mehr an dem Gespräch, bleibt jedoch weiterhin anwesend, obwohl er erkennt, dass seine bloße Anwesenheit als Rechtsanwalt das Vorgehen gegen das Opfer psychisch unterstützt und fördert, sowie den Druck auf das Opfer erhöht. Hat der sich passiv verhaltende Anwalt eine Beihilfe zu der versuchten Erpressung durch positives Tun begangen, wenn er noch nicht einmal durch wechselnde Zuwendung seiner Aufmerksamkeit an dem Gespräch teilnimmt?97 Prüft man die Voraussetzungen der Beihilfe durch positives Tun, bleibt als Anknüpfungspunkt lediglich die bloße Existenz des Rechtsanwalts an diesem Ort, da mangels Vorsatzes eine Strafbarkeit dafür ausscheidet, dass sich der Anwalt zu dem Gespräch hinbegeben hat, schließlich ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nichts von dem Vorhaben der anderen. Aber bereits die Existenz des Anwalts ist wohl kausal gewesen für die geschilderte Förderung der versuchten Erpressung.98 Trotzdem sind die Voraussetzungen einer Begehungsbeihilfe nicht erfüllt. Denn die bloße Existenz eines Menschen kann zwar ein Risiko für ein Rechtsgut bedeuten, dieses Risiko ist jedoch keinesfalls unerlaubt und damit auch nicht rechtlich relevant, so dass nach der Lehre von der objektiven Zurechnung99 eine Strafbarkeit wegen positiven Tuns 94 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 99 ff.; ders., Engisch-FS (1969), 380 ff. Die Rechtsfigur geht auf v. Overbeck, GerS 88 (1922), 319 ff., zurück; vgl. ausführlich Stoffers, JA 1992, 138 ff. – Dieser Lehre ist zugute zu halten, dass sie das mit der wertenden Betrachtung verbundene Ziel deutlich benennt. Sie ist daher auch – anders als die rein normative sog. Schwerpunktformel – kritisch überprüfbar. 95 Der Begriff stammt von Sieber, JZ 1983, 431 (432). 96 BGH, StV 1982, 517 f. mit Anm. Rudolphi, StV 1982, 518 ff., und Bspr. Sieber, JZ 1983, 431 ff. 97 Insofern ist der vom BGH mitgeteilte Sachverhalt jedoch nicht eindeutig. 98 Sieber, JZ 1983, 431 (434) mit weiteren Beispielen. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass unter Begehungskausalität eigentlich der Zusammenhang zwischen einem tatbestandsmäßigen Erfolg und der Handlung eines Menschen verstanden wird und nicht der Zusammenhang zwischen dem Erfolg und dem Menschen an sich. 99 Diese Lehre ist bei den Fahrlässigkeitsdelikten allgemein anerkannt. Für den Bereich der Vorsatzdelikte kann – in Übereinstimmung mit der ganz h.M. im Schrifttum – nichts anderes gelten, da auch hier die Tatbestandsverwirklichung bereits objektiv das Werk des Täters sein muss. Im Einzelnen ist jedoch mehr oder weniger alles – insbesondere auch terminologisch – umstritten. Vgl. nur Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), Vor § 13 Rn. 14 m.w.Nw., auch zu der die Lehre von der objektiven Zurechnung ablehnenden Gegenansicht. Einer grundsätzlichen
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ausscheidet.100 Rechtlich relevant ist vielmehr die Existenz des Rechtsanwalts an diesem bestimmten Ort. Wenn es jedoch wie hier strafrechtlich nicht vorwerfbar ist, sich an den Ort begeben zu haben, bleibt als rechtlicher Anknüpfungspunkt nur noch der Vorwurf, den Ort – also die Besprechung – nicht verlassen zu haben, also ein Unterlassen. Ob die Voraussetzungen einer Beihilfe101 zur versuchten Erpressung durch Unterlassen vorgelegen haben, insbesondere eine Garantenpflicht des Anwalts, soll hier dahingestellt bleiben.102 Die Vertreter des Energiekriteriums meinen demgegenüber, dass die richtige Auffassung – gemeint ist die Ablehnung eines positiven Tuns – nur mit dem Fehlen des Energieaufwands in eine bestimmte Richtung zu begründen ist.103 Wie gezeigt ist das nicht der Fall. Vielmehr ist das Ergebnis deshalb richtig, weil es an einer Voraussetzung des Begehungsdelikts fehlt, an der objektiven Zurechnung. Ein Rückgriff auf das Kriterium des Energieeinsatzes in eine bestimmte Richtung bedeutet dagegen nur ein Mehr an Unsicherheit. Denn auch für die Aufrechterhaltung der bloßen Existenz muss man Energie aufbringen: Sitzen, Atmen und so weiter verlangen den Einsatz von Energie. Entscheidend kann daher nur sein, in welche Richtung die Energie eingesetzt wird. Dieses Merkmal ist jedoch unbestimmt, jedenfalls unbestimmter als das Merkmal der Schaffung oder Steigerung eines rechtlich relevanten oder auch unerlaubten Risikos für das Rechtsgut im Rahmen der objektiven Zurechnung. Wichtiger ist aber, dass mit dem Kriterium des rechtlich relevanten Risikos der entscheidende sachliche Aspekt genauer benannt ist. Zur Verdeutlichung: Wandelt man den Ausgangsfall so ab, dass der Anwalt sich zwar nicht in das Gespräch einschaltet, es aber interessiert verfolgt, indem er sich jeweils demjenigen zuwendet, der gerade spricht, setzt er durchaus Energie in Richtung des Gesprächsinhalts ein, so dass mit Hilfe des Energiekriteriums ein positives Tun anzunehmen ist.104 Aber allein der Einsatz von Energie, die für den Erfolg – hier die Förderung des erpresserischen Drucks auf das Opfer – kausal gewesen ist, vermag eine Strafbarkeit nicht zu begründen, denn es ist per se nicht unerlaubt, einem Gespräch zu folgen. Zwar kann es durchaus sein, dass das Opfer sich durch die nonverbale Gesprächsteilnahme stärker unter Rechtfertigung der Lehre von der objektiven Zurechnung und der hier gewählten Grundformel bedarf es im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht. 100 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 13 Rn. 3, grenzen Tun und Unterlassen sogar allein nach dem Merkmal der rechtlich relevanten Gefahr ab: Tun liegt danach vor, wenn der Täter die Gefahr herbeigeführt oder gesteigert hat, Unterlassen, wenn er sie nicht vermindert hat. 101 Eine Täterschaft durch Unterlassen kam hier nicht in Betracht, da dem schweigenden Rechtsanwalt die Absicht gefehlt haben dürfte, sich oder einen Dritten zu bereichern. 102 Vgl. dazu Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 206; Rudolphi, StV 1982, 518 (521); Sieber, JZ 1983, 431 (437). 103 Ausführlich Sieber, JZ 1983, 431 (434 ff.); zustimmend Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 92. 104 Sieber, JZ 1983, 431 (437), der den Sachverhalt, der der Entscheidung des BGH zugrunde liegt, in die Richtung eines das Gespräch mitverfolgenden Besprechungsteilnehmers „lebensnah“ auslegt.
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Druck gesetzt fühlt. Die Verursachung der Förderung kann jedoch nur als „Werk“ des Anwalts angesehen werden und damit von ihm zu verantworten sein,105 wenn das Opfer die „Körpersprache“ des Anwalts auch so verstehen durfte. Mit anderen Worten ist das interessierte Mitverfolgen des Gesprächs dann als Schaffung eines rechtlich relevanten, unerlaubten Risikos für die Willensfreiheit des Opfers anzusehen, wenn der Anwalt durch sein Verhalten konkludent zum Ausdruck bringt, dass er die Erpressung der anderen unterstützt, sich also deren Aussagen inhaltlich anschließt.106 Das Energiekriterium ist gegenüber solchen Erwägungen jedoch ebenso „blind“ wie das Kriterium der Begehungskausalität, so dass es keinen Gewinn bringt. Wohl auf der Grundlage der so genannten Schwerpunktformel hat der Bundesgerichtshof im Ausgangsfall ein positives Tun angenommen,107 wirft dem Anwalt jedoch in der Sache ein Unterlassen vor, wenn es heißt, er „hätte [die Förderung] … nur vermeiden können, indem er sich alsbald entfernt hätte oder den Forderungen der übrigen Beteiligten entgegengetreten wäre.“108 Für ein positives Tun muss jedoch ein anderer Vorwurf erhoben werden können: Was hätte der Anwalt unterlassen müssen, um die Förderung der Erpressung zu vermeiden? In ähnlich gelagerten Fällen sieht die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs daher auch in der bloßen Anwesenheit am Tatort keine aktive Beihilfe.109 Eine klare Abgrenzungslinie kann jedoch mit einer rein normativen Theorie nicht gezogen werden. Für die Fallgruppe des Verhaltens mit geringem Energieaufwand hat sich also gezeigt, dass sich die Schwierigkeiten bei der strafrechtlichen Würdigung allein mit den allgemein anerkannten Voraussetzungen von Begehungs- und Unterlassungsdelikt nicht nur bewältigen, sondern sogar sachgerechter lösen lassen, als mit einer besonderen Theorie zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen, weil insbesondere das hierbei oftmals herangezogene Energiekriterium die entscheidenden Wertungsfragen nicht zutreffend erfassen kann.
105 So lässt sich die Aufgabe der Lehre von der objektiven Zurechnung umschreiben, also als Haftungsbegrenzung auf diejenigen Ursachen, die aus strafrechtlicher Sicht erheblich sind, die als Gegenstand strafrechtlicher Verantwortung in Betracht kommen, so dass die Tatbestandsverwirklichung (auch) als das Werk des Handelnden erscheint; vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 11 Rn. 44 ff. 106 Ebenfalls mit der Lehre von der objektiven Zurechnung kritisiert Rudolphi, StV 1982, 518 (521), die Entscheidung des BGH. Er interpretiert jedoch den Beitrag des Anwalts lediglich als eine Förderung des Tatentschlusses der anderen und erklärt diesen psychischen Prozess zu Unrecht allein als eine (Kausal-)Angelegenheit der Täter; vgl. Sieber, JZ 1983, 431 (437). 107 BGH, StV 1982, 517 (518): „tätige Förderung der Erpressung“. 108 A.a.O. 109 Vgl. die Analyse bei Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 204 ff.
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b) Rücktritt vom Gebotserfüllungsversuch Umstrittener ist die Einordnung als Tun oder Unterlassen, wenn jemand mit der Rettung eines gefährdeten Rechtsguts begonnen hat, von diesen Rettungsbemühungen jedoch durch die Vornahme einer Körperbewegung110 wieder zurücktritt. Als Ausgangsbeispiel soll folgender Fall dienen: Ein zufällig vorbeikommender Spaziergänger sieht, wie in einem See ein Schwimmer zu ertrinken droht. Er wirft ihm einen an einem Seil befestigten Rettungsring zu, der auf den Schwimmer zutreibt. Als der Spaziergänger erkennt, um wen es sich bei dem Schwimmer handelt, besinnt er sich anders und zieht den Rettungsring wieder ans Ufer zurück, bevor er den Schwimmer erreicht hat. Der Schwimmer ertrinkt. Ohne das Zurückziehen hätte der Schwimmer den Rettungsring noch erreichen und sich dadurch retten können. Hat sich der Spaziergänger durch diese Körperbewegung wegen eines Totschlags strafbar gemacht? Nicht unproblematisch, aber kaum noch umstritten ist, dass bei einem tätigen Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs dieses Tun für den Eintritt des schädigenden Erfolgs kausal im Sinne einer Begehungskausalität ist. Bisweilen wird jedoch bereits dies angezweifelt, vor allem wenn der rettende Kausalverlauf kein rein naturgesetzlicher ist, sondern durch menschliches Handeln vermittelt wird. Es wird eingewandt, es fehle an der Kausalität, diese sei vielmehr nur hypothetisch, da man sich den rettenden Kausalverlauf hinzudenken müsse. Es komme daher nur ein Unterlassen in Betracht.111 Im Ausgangsfall verbliebe – bei Fehlen einer Garantenstellung des Spaziergängers – eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB. Ein solches naturalistisch-physikalisches Verständnis der Kausalität ist jedoch unangemessen. Bei der Kausalität geht es rechtlich gesehen um die gesetzmäßige Aufeinanderfolge von Ereignissen, also um das, was sich ereignen muss, damit ein Erfolg eintritt.112 Das Verhindern eines rettenden Verlaufs bedingt jedoch einen Er110
Besteht der „Rücktritt“ vom Gebotserfüllungsversuchs lediglich im Abbruch der Rettungsbemühungen im Sinne eines bloßen „Aufhörens“, kommt nach allgemeiner Meinung nur ein Unterlassen in Betracht, da als einziger Anknüpfungspunkt für ein Tun die bisherigen Rettungsbemühungen in Betracht kommen, die jedoch für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs in aller Regel nicht kausal sein dürften. 111 Seelmann, JuS 1987, L 33 (L 34); ders., in: NK-StGB (Stand: März 2003), § 13 Rn. 25; im Ausgangspunkt ebenso Gössel, ZStW 96 (1984), 321 (333 f.), der jedoch eine Garantenpflicht aus Ingerenz wegen der Gefahrerhöhung durch den Abbruch des rettenden Kausalverlaufs annimmt. – Ähnlich Gropp, Schlüchter-GS (2002), 173 (179 f.), der jedoch meines Erachtens widersprüchlich davon ausgeht, dass man Unterlassungen und deren Folgen zwar aktiv hervorrufen aber nicht aktiv beherrschen kann. Bezogen auf das Opfer sei das tatherrschaftliche Verhindern einer fremden Rettung insgesamt als Unterlassen zu werten. Die Bedenken richten sich wohl an die Zurechnung: Der Erfolg sei nicht das vollständige Werk des Täters, es werde vielmehr erst durch das Unterlassen eines rettungswilligen Dritten vermittelt. Diese Wertung führt jedoch zu der absurden Konsequenz, dass derjenige, der mehr tut (gemeint ist, den Rettungswilligen stärker beherrscht), möglicherweise geringer bestraft wird, nämlich nur dann, wenn er keine Garantenstellung hat. 112 Ganz h.M.; vgl. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 7. Abschn. Rn. 22; Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), Vor § 13 Rn. 83; Puppe, in: NK-StGB
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folg ebenso wie das Bewirken eines Erfolgs in einem naturwissenschaftlich-physikalischen Sinn,113 so dass aus rechtlicher Sicht kein Grund besteht, diese beiden Formen der Erfolgsverursachung unterschiedlich zu behandeln.114 Das Zurückziehen des Rettungsrings im Ausgangsfall war daher kausal für den Tod des Schwimmers. Ferner bestehen keine Zweifel an der objektiven Zurechenbarkeit des Erfolgs, so dass sich nach den allgemeinen Regeln der Spaziergänger wegen Totschlags durch positives Tun zu verantworten hat.115 Dieses Ergebnis wird teilweise als unbillig angesehen, was sich aus folgendem Vergleich ergeben soll: Macht jemand seinen eigenen Rettungsversuch rückgängig, führt das zu demselben Ergebnis, wie wenn er von Anfang an untätig geblieben wäre. Seine Tat sei deshalb auch rechtlich ebenso zu beurteilen: als Unterlassungsdelikt.116 Ein Begehungsdelikt liege erst dann vor, wenn der rettende Kausalverlauf die Sphäre des Opfers erreicht hat.117 Die auf den ersten Blick bestechende Plausibilität dieser Wertung lässt sich jedoch bereits erschüttern, wenn man einen anderen Fall zum Vergleich heranzieht: Warum sollte jemand, der seine eigenen – für sich genommen ausreichenden – Rettungsbemühungen wieder rückgängig macht, anders behandelt werden als derjenige, der fremde Rettungsbemühungen beseitigt? Dies wird allgemein als Verwirklichung eines Begehungsdelikts angesehen. In beiden Fällen verschlechtert der Täter die Lage für das an sich bereits gerettete Rechtsgut.118 Dieser Gegenvergleich offenbart die für diese Fallgruppe entscheidende (Wertungs-)Frage: Sind die Ergebnisse der bereits erfolgten Rettungsbemühungen allein die Angelegenheit des Retters oder auch schon die Angelegenheit des Opfers oder 2. Aufl. (2005), Vor § 13 Rn. 98 f.; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 11 Rn. 33 f.; Rudolphi, in: SK-StGB (Stand: April 2003), Vor § 1 Rn. 43. 113 Deutlich Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 7. Abschn. Rn. 22: „Der Bedingungszusammenhang zwischen dem Lösen einer auf schiefer Ebene befestigten Kugel und deren Bewegung ist nicht weniger real als derjenige zwischen dem Anstoßen einer Kugel auf gerader Ebene und wiederum deren Bewegung.“ 114 Anderes gilt jedoch für rechtswidrige Handlungen, deren Hinzudenken bei der Zurechnungsbegründung zur Vermeidung rechtlicher Perplexität ausgeschlossen sein muss; vgl. dazu Mitsch, Weber-FS (2004), 49 (57); ders. JuS 1996, 309 (311). 115 Das Ergebnis entspricht der h.M. im Schrifttum: Blei, Strafrecht, Band I, Allgemeiner Teil, 18. Aufl. (1983), § 84 II 5.; Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), § 13 Rn. 80; Rudolphi, in: SK-StGB (Stand: April 2003), Vor § 13 Rn. 47; Samson, Welzel-FS (1974), 579 (698 ff.); Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 13 ff. Rn. 160. 116 Bertel, JZ 1965, 53 (55 Fn. 16a); Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 109; ders., Engisch-FS (1969), 380 (382 f.); wohl ebenso Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 108, der allerdings lediglich ausführt, dass ein Unterlassungsdelikt vorliegt, nicht jedoch, ob zusätzlich auch ein Begehungsdelikt durch das aktive Rückgängigmachen der eigenen Rettungsbemühungen verwirklicht wurde. 117 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 110. – Eine solche Grenze ergibt sich jedoch nicht ohne weiteres aus der dogmatischen Konstruktion Roxins: Das „Abbruchverbot“ sei nur die sekundäre – gemeint ist wohl unselbständige – Folgenorm des Rettungsgebots. 118 Samson, Welzel-FS (1974), 579 (598 f.).
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eines anderen Rettungswilligen? Anders gewendet: Wer darf über diese Rettungschancen bestimmen?119 Die Verfügungsbefugnis allein in das Belieben desjenigen zu stellen, der die Chancen eröffnet hat, greift offensichtlich zu kurz, blieben doch die Interessen des gefährdeten Rechtsguts unberücksichtigt. Und hierum dürfte es in der Sache eigentlich gehen: um eine Abwägung widerstreitender Interessen. Der übliche strafrechtliche Ort für eine solche Abwägung ist § 34 StGB. Demnach hat folgendes zu gelten: Der Abbruch eigener Rettungsbemühungen ist zwar ein positives Tun, aber dann nicht rechtswidrig und somit kein Unrecht, wenn ansonsten Interessen des Handelnden verletzt zu werden drohen und diese Interessen die durch sein Tun beeinträchtigten Interessen wesentlich überwiegen. Im Ausgangsfall dürfte es bereits an einem rechtlichen Interesse des Spaziergängers fehlen, so dass das Zurückziehen des Rettungsrings rechtswidrig war. Das hier behandelte Problem ist somit keine Frage der Abgrenzung von Tun und Unterlassen, sondern ist nach dem Maßstab des § 34 StGB zu beurteilen, der die strafrechtlich maßgelbliche Norm beim Widerstreit verschiedener Interessen ist. Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen rechtliche Interessen des Handelnden vorhanden sind. Wenn sich zum Beispiel jemand seine bereits abgesendete Verbrechensanzeige im Sinne von § 138 StGB von der Post wieder herausgeben lässt und dadurch die Tötung eines Menschen nicht verhindert werden kann, ist immerhin das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Anzeigenden betroffen.120 Möglicherweise gerät er durch seine Mitwisserschaft selbst in Verdacht der Beteiligung oder hat gar von den Angezeigten Repressalien zu erwarten. Aber auch hier bleibt es bei einer Strafbarkeit wegen Beihilfe zu der ausgeführten Tötung, da die Wahrung dieser Interessen auf Kosten der Gefahr für ein Menschenleben eindeutig unverhältnismäßig wäre. Anders sieht es jedoch möglicherweise dann aus, wenn der Absender keine Katalogtat des § 138 StGB anzeigen wollte, sondern beispielsweise eine einfache Sachbeschädigung.121 Ein wesentliches Überwiegen der Interessen des Anzeigenden gegenüber den Interessen des Sacheigentümers lässt sich aber hier regelmäßig wohl nur dann begründen, wenn der Umstand, dass der Anzeigende ausschließlich die von ihm selbst geschaffenen Rettungschancen wieder beseitigt hat, bei der Abwägung dieser Interessen zu seinen Gunsten Berücksichtigung findet. Dies ist zunächst grundsätz-
119 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 7. Abschn. Rn. 63, in dessen Terminologie es um die Abgrenzung des Innen- und Außenbereichs des Organisationskreises des einzelnen geht. 120 Nach der Rechtsprechung des BVerfG besitzt der Einzelne die Verfügungsbefugnis über seine personengebundenen Daten und, da es keine belanglosen Daten bzgl. der Person gibt, somit auch über sein Wissen (genauer: über die Information, welches Wissen er besitzt); dieser Aspekt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung scheint insoweit ähnlich ausgestaltet zu sein wie das Eigentumsrecht. Vgl. nur Dreier, in: Dreier, GG, Kommentar, Band I, 2. Aufl. (2004), Rn. 78 ff. zu Art. 2 Abs. 1. 121 Beispiel von Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 113.
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lich nicht ausgeschlossen, da man mit der ganz überwiegenden Ansicht sämtliche denkbaren Umstände des konkreten Falls in die Abwägung einbeziehen kann.122 Dass dies angebracht ist, soll kurz erläutert werden. Die mit dem Notstandsrecht des Retters korrespondierende Duldungspflicht des Opfers stellt eine Einschränkung des Autonomieprinzips dar. Vom Eingriffsopfer wird in § 34 StGB ein Sonderopfer zugunsten eines fremden Rechtsgutsträgers verlangt.123 Diese Rechtspflicht zur Solidarität kann jedoch in einer freiheitlichen Gesellschafts- und Rechtsordnung nur in engen Grenzen Legitimation beanspruchen.124 Für den „Normalfall“ des so genannten Aggressivnotstands verlangt § 34 StGB daher auch ein wesentliches Überwiegen des Interesses125 des Erhaltungsguts gegenüber dem des Eingriffsguts.126 Der Abwägungsmaßstab verschiebt sich dagegen zugunsten des Erhaltungsguts, wenn die Gefahr vom diesem selbst ausgeht.127 Diesen so genannten Defensivnotstand regelt § 228 BGB ausdrücklich für den Fall, in dem die Gefahr von einer Sache ausgeht; dieser Maßstab gilt aber nach ganz überwiegender Meinung auch in vergleichbaren anderen Fällen.128 Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Opferung eines Guts, das für andere Güter gefährlich ist, lässt sich nicht als „Sonderopfer“ eines Unbeteiligten verstehen, sondern rechtfertigt sich vielmehr aus der Verantwortung desjenigen, von dessen Gütern Gefahren für andere ausgehen. Überträgt man nun die Erkenntnis, dass der Umstand, ob der Eingriff für den Betroffenen ein Sonderopfer darstellt, für die Abwägung ein wesentlicher Gesichtspunkt ist, auf die hier behandelte Fallgruppe des aktiven Abbruchs eigener Rettungsbemühungen, lässt sich folgende Überlegung anstellen: Solange der rettende Kausalverlauf das Opfer noch nicht erreicht hat, stellt der Verlust der Rettungschance durch den Abbruch der Rettungsbemühungen für das Opfer kein Sonderopfer dar; dies muss dann wohl auch Auswirkungen auf die Abwägung der widerstreitenden Interessen in § 34 StGB haben, und zwar zugunsten des Erhaltungsinteresses. Die materielle Begründung dafür findet sich in den Grundprinzipien des rechtfertigenden Notstands, insbesondere aus der bereits angesprochenen Erkenntnis, dass ein Notstandseingriff für das Opfer eine Verletzung dessen Selbstbestimmungsrechts 122
Vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 16 Rn. 26; dort auch in Fn. 39 Hinweise zur Gegenansicht. 123 Vgl. zum Sonderopfer aufgrund der Duldungspflicht nur Küper, JZ 2005, 105 m.w.Nw. 124 Die Diskussion um die Legitimation des rechtfertigenden Notstands kann hier nur angedeutet werden; vgl. dazu Küper, JZ 2005, 105 ff. m.w.Nw. 125 Zum Verständnis des Begriffs „wesentlich“ im Sinne von deutlich und nicht von eindeutig vgl. Hoyer, Küper-FS (2007), S. 173 ff. 126 Zu den Begriffen Erhaltungsgut und Eingriffsgut vgl. Küper, JZ 1976, 510; ders., JuS 1987, 81. 127 Dabei ist umstritten, ob es sich bei diesem Umstand um einen Abwägungsfaktor (unter anderen) handelt oder um zwei ganz unterschiedliche Abwägungsmaßstäbe; vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 16 Rn. 75 einerseits und Günther, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), § 34 Rn. 14, 39 f. andererseits. 128 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 16 Rn. 72 ff.
II. Zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen
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darstellt, da es über sein Gut nicht mehr selbst frei verfügen kann. Für den Normalfall des aggressiven Notstands wird daher in § 34 StGB auch ein wesentliches Überwiegen des Erhaltungsinteresses verlangt. Im hier interessierenden Fall der aktiven Beseitigung von Rettungschancen ist die Lage eine andere: Die Rettungschancen sind, solange sie das Opfer noch nicht erreicht haben, diesem noch nicht zuzuordnen, mit der Folge, dass ihre Beseitigung keinen Eingriff in sein Selbstbestimmungsrecht darstellt. Ganz im Gegenteil: Wenn der Notstandstäter die eigenen Rettungschancen wieder beseitigt, befinden diese sich – bildlich gesprochen – bei ihm, da er ja auch die grundsätzliche Verantwortung für sein Handeln und dessen Folgen trägt. Der Abbruch seiner Rettungsbemühungen betrifft also seine Autonomie. Dies ist mit der Situation beim so genannten defensiven Notstand nach § 228 BGB vergleichbar, bei dem durch eine fremde Sache – durch das Eingriffsgut – in die Freiheitssphäre des Notstandstäters, in sein Erhaltungsgut eingegriffen wird. Damit lässt sich – in Anlehnung an die Formulierung in § 228 BGB – als Ergebnis festhalten, dass derjenige, der seine eigenen Rettungsbemühungen aktiv abbricht, wegen Notstands gerechtfertigt handelt, wenn die Interessen des Eingriffsopfers zur Abwendung der Gefahren für die Interessen des Täters nicht außer Verhältnis stehen.129 Für unser Ausgangsbeispiel ergibt sich dann: Lässt sich jemand eine briefliche Warnung an den Eigentümer vor einer bevorstehenden Sachbeschädigung wieder herausgeben, und zwar aus Angst vor wahrscheinlichen, nicht unerheblichen Repressalien durch den späteren Täter, hat er zwar den Tatbestand einer Beihilfe durch aktives Tun zu der Sachbeschädigung verwirklicht, ist jedoch nach § 34 StGB gerechtfertigt, wenn die drohenden Repressalien nicht anders abwendbar sind und die Schäden durch die Sachbeschädigung gegenüber den Repressalien nicht außer Verhältnis stehen. Aus den angestellten Überlegungen lässt sich auch eine unterschiedliche rechtliche Behandlung im Vergleich zu dem Fall des aktiven Abbruchs fremder Rettungsbemühungen erklären: Da solche Rettungschancen weder dem Abbrechenden noch – nach dem hier vorgestellten Ergebnis – bereits dem zu Rettenden zuzuordnen sind, ist für keinen von beiden ein Sonderopfer gegeben. Für den Abwägungsmaßstab hat diese grundsätzliche rechtliche Gleichwertigkeit zur Folge, dass ein Abbruch fremder Rettungsbemühungen – parallel zu der Konstellation der so genannten rechtfertigenden Pflichtenkollision, bei der es ja auch um die Kollision grundsätzlich rechtlich gleichwertiger Pflichten geht – wegen Notstands gerechtfertigt ist, wenn die Gefahren für die Interessen des Abbrechenden mit den Interessen des Eingriffsopfers gleichwertig sind. Gegen den hier vorgestellten Lösungsweg – die Fälle des aktiven Abbruchs von Rettungshandlungen nicht als Problem der Abgrenzung von Tun und Unterlassen zu verstehen, sondern dieses aktive Tun nach dem Maßstab des § 34 StGB zu beur129 Zu einem anderen Ergebnis muss man kommen, wenn man § 34 StGB rein utilitaristisch interpretiert; dazu Günther, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), § 34 Rn. 10 m.w.Nw.
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
teilen – lässt sich zwar einwenden, dass eine klare Grenzziehung nur schwierig durchzuführen ist;130 dies betrifft aber nicht die Abgrenzung von Tun und Unterlassen, sondern das Gesetz selbst: § 34 StGB enthält notwendigerweise nur eine Richtschnur für die Ermittlung eines überwiegenden Interesses. Immerhin kann man für die Fälle des Abbruchs eigener Rettungsbemühungen festhalten, dass eine Rechtfertigung überhaupt nur dann in Betracht kommt, wenn eigene Interessen des Abbrechenden betroffen sind und keine Pflicht zur Vornahme der Rettungshandlung besteht.131 Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass der doch beachtliche Aufwand, mit dem diese Fallgruppe wissenschaftlich diskutiert wird, nicht im Verhältnis zur ihrer praktischen Relevanz steht.132 Umstritten ist nämlich – wie sich aus der Darstellung des Streitstands ergeben hat – die rechtliche Beurteilung des Abbruchs eigener Rettungsbemühungen nur zwischen dem Zeitpunkt, in dem der Abbrechende bereits alles getan hat, was zur Rettung notwendig gewesen wäre, und dem Zeitpunkt, in dem der rettende Kausalverlauf das Opfer erreicht hat. Vor diesem – in aller Regel – schmalen Zeitfenster fehlt es nämlich an der Begehungskausalität: Der Täter muss noch weitere Aktivität entfalten, die jedoch nicht hinzugedacht werden darf, da er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr rettungswillig war;133 nach diesem Zeitfenster wird allgemein Begehungskausalität angenommen. c) Technischer Behandlungsabbruch aa) In dem umstrittensten und meistdiskutierten Fall aus dem Bereich des „Unterlassens durch Tun“ geht es um den technischen Behandlungsabbruch. Als Ausgangsfall soll der so genannte Respirator-Fall dienen:134 Ein Arzt schließt seinen Patienten, der nicht mehr über ausreichende Spontanatmung verfügt, schwerst hirngeschädigt und irreversibel bewusstlos ist, an ein mechanisches Beatmungsgerät (Respirator) an. Nach einigen Tagen bricht der Arzt die Behandlung wieder ab und schaltet den Respirator aus, nachdem er erkannt hat, dass eine Weiterbehandlung keine Aussicht 130
So aber auch ein Einwand Samsons, Welzel-FS (1974), 579 (599), gegen die ein Unterlassen annehmende Minderheitsauffassung. 131 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 7. Abschn. Rn. 62 f., der bereits die Haftung für den eigenen Organisationskreis und damit die objektive Zurechnung ausschließt, solange weder eine Handlungspflicht des Abbrechenden noch eine Duldungspflicht für ihn besteht. Diese Lösung geht insofern weiter als die im Text vorgestellte, als danach ein Haftungsausschluss grundsätzlich auch dann in Betracht kommt, wenn keine eigenen Interessen des Abbrechenden betroffen sind. 132 Es sei denn, man sieht zu Unrecht den sogleich zu behandelnden Fall des technischen Behandlungsabbruchs als einen Sonderfall des Rücktritts vom Gebotserfüllungsversuch an; vgl. dazu nur Samson, Welzel-FS (1974), 579 (599 Fn. 83). 133 Hier besteht ein Unterschied zu der Fallgruppe des Abbruchs fremder Rettungsbemühungen; die noch ausstehenden weiteren Aktivitäten können bei der Kausalität als Bedingungszusammenhänge also nicht berücksichtigt werden, wenn sie gar nicht vorgenommen werden sollen; vgl. Mitsch, Weber-FS (2004), 49 (57); ders., JuS 1996, 309 (311). 134 Hier angelehnt an BGHSt 40, 257 ff.
II. Zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen
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auf Erfolg hat und ihre Beendigung auch dem Willen des Patienten entspricht. Die Vornahme der Körperbewegung – Abschalten des Respirators – ist eine begehungskausale und objektiv zurechenbare Tötung eines anderen Menschen, schließlich ist es generell unerlaubt, ein Beatmungsgerät abzustellen, wenn der betroffene Patient darauf angewiesen ist. bb) Rechtsprechung und herrschende Meinung im Schrifttum135 lassen dieses Verhalten dessen ungeachtet unter ein Unterlassungsdelikt fallen, um über das dort zu verlangende, aber nicht vorliegende Tatbestandsmerkmal der Garantenpflicht136 zu dem kriminalpolitisch wünschenswerten Ergebnis einer Straflosigkeit zu gelangen. Begründet wird diese Gleichbehandlung des aktiven und des passiven Behandlungsabbruchs insbesondere damit, dass es keinen rechtlichen Unterschied machen könne, auf welche Art und Weise eine zulässige Behandlungseinstellung vorgenommen wird.137 Die Gegenmeinung138 geht demgegenüber von einem Begehungsdelikt aus, kommt jedoch mit sehr unterschiedlichen Ansätzen trotzdem zu einer Straflosigkeit des behandelnden Arztes.139 Für die herrschende Meinung sind zwei Aspekte von entscheidender Bedeutung. Zum einen geht es ihr – wie eben bereits gesagt – um die Gleichbehandlung mit den sonstigen Fällen der so genannten passiven Sterbehilfe: Ein aktiver Behandlungsabbruch soll unter denselben Voraussetzungen zulässig sein wie das Unterlassen einer Behandlung, auch wenn als Folge der Tod des Patienten eintritt. Zum anderen soll auf diese Weise das Tabu des Verbots direkter aktiver Sterbehilfe gewahrt bleiben: Wenn man den aktiven Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung als Begehungsdelikt und trotzdem als rechtlich zulässig ansieht, lässt man eine Form der aktiven direkten Sterbehilfe zu, mit der Folge, dass die klare Grenze zwischen – unter bestimmten Voraussetzungen zulässiger – passiver Sterbehilfe und grundsätzlich unzulässiger aktiver Sterbehilfe aufgegeben wird; dabei wird die Gefahr eines Dammbruchs beim grundsätzlich absolut geltenden Schutz des Rechtsguts Leben gesehen.140
135
Vgl. die Nachweise bei Stoffers, MDR 1992, 621 (623 Fn. 13 – 19). Auf die Diskussion um die Voraussetzungen einer zulässigen passiven Sterbehilfe, bei deren Vorliegen die Pflicht zur Behandlung entfällt, insbesondere die Fragen, ob der Sterbeprozess bereits eingesetzt haben muss und ob es – zumindest in manchen Fällen – einer Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht bedarf, kann hier nicht eingegangen werden; vgl. nur Otto, Jura 1999, 434 (437 ff.) m.w.Nw. 137 Exemplarisch: Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 116. 138 Vgl. die Nachweise bei Stoffers, MDR 1992, 621 (623 Fn. 21 – 29). 139 Einen Überblick gibt Jähnke, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (2001), Vor § 211 Rn. 18 m.w.Nw. 140 Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Auf. (2006), Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 160; vgl. auch Ch. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung, (1997), S. 49; ausführlich zum „Dammbruch“ im Rahmen der Diskussion um § 216 StGB Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots (2004), S. 191 ff. m.w.Nw. 136
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
cc) Zunächst zu dem „Dammbruchargument“: Es kann aus zwei Gründen wenig überzeugen. Erstens ist – um bei diesem Bild zu bleiben – der „Damm“ auch im Bereich der Sterbehilfe bereits durchlöchert, ohne dass er dadurch gleich gebrochen wäre: Die indirekte Sterbehilfe, also die Schmerzbehandlung trotz das Leben verkürzender Nebenwirkung, wird allgemein als aktives Tun und trotzdem als erlaubt angesehen. Lediglich über die Begründung dieses allgemein anerkannten Ergebnisses wird gestritten.141 Zweitens bedeutet auch die Umwertung eines positiven Tuns in ein Unterlassen, verbunden mit der Straflosigkeit dieses Unterlassens, in der Sache die gleiche Durchbrechung des Grundsatzes des absoluten Lebensschutzes wie das ausnahmsweise Erlauben einer aktiven Lebensbeendigung, im Ausgangsfall durch Abschalten eines Respirators. Ein solches Verhalten als Unterlassen anzusehen, durchlöchert den „Damm“ ebenso; durch die Umetikettierung wird lediglich – um das Bild zu ergänzen – die Fassade eines unbeschädigten „Damms“ gewahrt. Auch die Wertung hinter dem zweiten Argument der herrschenden Meinung – dem „Gleichwertigkeitsargument“ – ist nur auf den ersten Blick stichhaltig. Zunächst soll der Gedanke anschaulich gemacht werden: Die lebenserhaltenden technischen Geräte – im Ausgangsbeispiel der Respirator – würden lediglich die manuellen Lebenserhaltungsmaßnahmen des Arztes ersetzen. Würde dieser nun im Fall manueller Lebenserhaltung seine Behandlung einstellen, liegt – nach allgemeiner Ansicht – lediglich ein Unterlassen der weiteren lebenserhaltenden Handlungen vor. Dieser Fall dürfe jedoch rechtlich nicht anders behandelt werden als die aktive Beendigung einer technischen Lebenserhaltung. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob die beiden Vergleichsfälle – technische Lebenserhaltung einerseits, manuelle Lebenserhaltung andererseits – wirklich unter allen rechtlich relevanten Gesichtspunkten identisch sind. Zur Erläuterung: Die maschinelle Beatmung und Aufrechterhaltung der Kreislauf- und Körperfunktionen dürfte in aller Regel für den Patienten die sicherere Behandlung darstellen, die deshalb auch der behandelnde Arzt, sofern beide Methoden zur Auswahl stehen, im Hinblick auf den Schutz des Patienten wählen muss. Es handelt sich also nicht um zwei gleichwertige Therapiemethoden, sondern um qualitativ unterschiedliche, weshalb die bessere – also die technische Lebenserhaltung – von Rechts wegen vorgenommen werden muss. Dies hat auch rechtliche Konsequenzen: Allein die technische Lebenserhaltung dürfte dem anzuwenden medizinischen Standard entsprechen.142 Entscheidender ist jedoch, dass die Konstruktion eine differenzierte und damit sachgerechte Lösung sämtlicher Fälle eines aktiven technischen Behandlungsabbruchs nicht ermöglichen kann. Sieht man nämlich den Respirator lediglich als einen „verlängerten technischen Arm“ des behandelnden Arztes an, muss das Abschalten des Apparats durch 141
Vgl. nur BGHSt 42, 301 (305); Otto, Jura 1999, 434 (440 f.). Dieser Aspekt spricht auch gegen den Einwand Roxins, der meint, man müsse nur die Beatmungsgeräte so konstruieren, dass sie zum Weiterlaufen täglich einen positiven Handlungsimpuls erfordern; vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 116. Eine solche Konstruktion dürfte rechtlich bedenklich sein, weil er das Leben des Patienten ohne sachlichen Grund gefährdet. 142
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einen anderen als den Arzt stets als ein positives Tun angesehen werden, eben wie ein Abbruch fremder Rettungsbemühungen. In dem vom Landgericht Ravensburg zu entscheidenden Fall, in dem der Ehemann auf Verlangen seiner Frau deren Beamtungsgerät abstellt,143 müsste dann eigentlich ein positives Tun angenommen werden. Diese Konsequenz wird jedoch in diesem speziellen Fall allgemein nicht gezogen, auch wenn das Recht, das Gerät abzuschalten, grundsätzlich nur der Arzt haben soll.144 Eine sachlich überzeugende Begründung wird jedoch für diese differenzierende Wertung nicht geliefert.145 Richtigerweise sollte man daher das Abschalten eines Respirators als positives Tun verstehen und die – insoweit ist der herrschenden Meinung Recht zu geben – rechtspolitisch wünschenswerte Straflosigkeit des Arztes, der dies aufgrund des ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willens des sterbenden Patienten tut,146 auf andere Weise begründen. dd) Schwierigkeiten ergeben sich hierbei aus § 216 StGB, nach dem eine aktive147 Tötung sogar dann strafbar ist, wenn der Täter durch ein ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen des Opfers zur Tat bestimmt worden ist. Der tatsächliche oder mutmaßliche Wille des Patienten in unserem Ausgangsfall scheint daher als Ausgangspunkt für die rechtliche Bewertung des Respiratorfalls keine Rolle zu spielen. Dies ist jedoch nur scheinbar der Fall. Ausgangspunkt für die Lösung ist, dass in dem Fall eine Pflichtenkollision vorliegt: einerseits die Pflicht, die Tötung eines Menschen durch Abschalten des Beatmungsgeräts zu unterlassen, und andererseits die Pflicht, die rechtswidrige, weil dem hier rechtlich allein maßgeblichen Patientenwillen widersprechende, Behandlung des Patienten zu beenden. Maßstab für die Beurteilung, ob die Befolgung einer Pflicht auf Kosten einer anderen rechtmäßig ist, ist – zumindest bei der Kollision einer Unterlassungs- mit einer Handlungspflicht148 wie im vorliegenden Fall – § 34 StGB. Da § 216 StGB jedoch nur den Rechtfertigungsgrund der
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LG Ravensburg, NStZ 1987, 229 f. Exemplarisch Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 123; a.A. Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), vor § 211 Rn. 32; dagegen Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), vor § 211 Rn. 8. 145 Roxin meint, es läge daran, dass die Patientin das Abschalten gegenüber dem Täter ausdrücklich verlangt hat; vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 123: Warum dies dann nur den Ehemann, nicht jedoch irgendwelche Dritten strafrechtlich zu entlasten vermag, wird damit nicht deutlich, obwohl diese differenzierte Lösung als zutreffend erscheint. 146 Auf die genauen Voraussetzungen einer rechtlich zulässigen sog. passiven Sterbehilfe kann hier nicht eingegangen werden; dies würde den Rahmen sprengen. Entscheidende Voraussetzung ist jedoch, dass der Behandlungsabbruch dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, der – im Falle eines Unterlassens – die Garantenpflicht des Arztes begrenzt. Vgl. zum Ganzen nur Otto, Jura 1999, 434 (437 ff.). 147 Ob die Einwilligungssperre des § 216 StGB auch für eine Tötung durch Unterlassen gilt, ist umstritten; eine Strafbarkeit scheitert jedoch in aller Regel am Fehlen einer Garantenpflicht in der konkreten Situation; vgl. dazu nur H. Schneider, in: MüKo-StGB (2003), § 216 Rn. 61 ff. 148 Küper, JuS 1987, 81 (90). 144
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
Einwilligung sperrt,149 ist die Zulässigkeit des aktiven Behandlungsabbruchs somit wiederum am Maßstab des § 34 StGB zu messen. Gegen eine grundsätzliche Anwendbarkeit von § 34 StGB in diesen Fällen spricht zunächst nicht, dass hier Interessen desselben Rechtsgutsträgers aufeinander treffen. Weder der Wortlaut der Norm, noch seine systematische Stellung sprechen für eine Beschränkung auf Kollisionen verschiedener Rechtsgutsträger.150 Die Bedenken ergeben sich wohl aus dem grundsätzlichen Verhältnis von § 34 StGB zur Einwilligung: Die Einwilligung lässt sich als Spezialfall für Konstellationen ansehen, bei denen ausschließlich Rechtsgüter eines Rechtsgutsträgers betroffen sind.151 Dieser speziellere Rechtfertigungsgrund152 wird für das Rechtsgut Leben durch § 216 StGB für unanwendbar erklärt. Im vorliegenden Fall schlagen diese dogmatischen Erwägungen jedoch nicht durch, weil hier der für die Behandlung zuständige Arzt in einer besonderen Pflichtenposition befindet: Er hat die Pflicht, die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Patienten durch seine – dessen Willen widersprechende – Behandlung zu beenden. Eine Anwendbarkeit des § 34 StGB trotz der Kollision widerstreitender Interessen eines Rechtsgutsträgers in Fällen des technischen Behandlungsabbruchs besteht also immer dann, wenn den Abbrechenden persönlich eine grundsätzliche rechtliche Handlungspflicht trifft.153 Ferner vermag auch der Einwand, das Rechtsgut Leben könne als verfassungsrechtlicher Höchstwert bei einer Abwägung nach § 34 StGB niemals unterliegen, nicht durchzuschlagen: Zum einen wird der Grundsatz der Abwägungsresistenz des menschlichen Lebens beispielsweise für den Fall der so genannten indirekten 149 Statt aller H. Schneider, in: MüKo-StGB (2003), § 216 Rn. 52 f. m.w.Nw.: Die Einwilligungssperre „besagt lediglich, dass das bloße Tötungsverlangen die Tat nicht rechtmäßig macht; sie verlautbart jedoch nichts darüber, ob der vom Grundgedanken her anders strukturierte § 34 [StGB] Anwendung finden kann“; ausführlich Ch. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1997), S. 280 ff. 150 H. Schneider, in: MüKo-StGB (2003), Vor §§ 211 ff. Rn. 101 m.w.Nw. 151 In der Sache geht es um die Frage der sog. Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen, deren Beantwortung als nicht geklärt gelten kann. Vgl. dazu nur den knappen Überblick bei Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 14 Rn. 45 ff. – Für das Verhältnis von rechtfertigendem Notstand und Einwilligung ist bereits umstritten, ob hier ein solches Konkurrenzverhältnis überhaupt besteht und wenn ja, mit welchen Folgen. Denkbar wäre es, die Anwendung von § 34 StGB grundsätzlich auszuschließen, sofern Rechtsgüter eines Rechtsgutsträgers kollidieren. Überzeugender erscheint es aber, die Wertungen des spezielleren Rechtfertigungsgrundes in die Abwägung bei § 34 StGB einfließen zu lassen. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen in § 34 StGB im Fall kollidierender Rechtsgüter disponibler Rechtsgüter eines Rechtsgutsträgers muss deshalb im Sinne des Grundgedankens der Einwilligung entscheidend das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen berücksichtigen, mit der Folge, dass grundsätzlich das Interesse überwiegt, welches dieser gerettet haben möchte. 152 Die Einordnung der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund wird immer häufiger bestritten; vgl. nur Rönnau, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), Vor § 32 Rn. 148 m.w.Nw. Diese Frage spielt hier jedoch keine Rolle. 153 Dieser Gedanke lässt sich auch auf die Fälle der sog. indirekten Sterbehilfe übertragen, in denen der Arzt die Pflicht hat, die Schmerzen des Patienten zu behandeln.
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Sterbehilfe bereits aufgegeben;154 zum anderen würde dieser Einwand auch auf diejenigen zurückfallen, die die Straflosigkeit eines zulässigen technischen Behandlungsabbruchs über eine Wertung als Unterlassen einer Weiterbehandlung erreichen; was ist dieser Wertungsakt anderes als eine Abwägung mit dem Inhalt, dass hier das menschliche Leben nicht um jeden Preis erhalten werden muss? Diese Abwägung wird nur durch eine Verschiebung in die Problematik der Abgrenzung von Tun und Unterlassen verdeckt. Es sprechen somit keine grundsätzlichen Einwände dagegen, die Frage, welche der beiden im Ausgangsfall kollidierenden Pflichten überwiegt, über § 34 StGB zu beantworten. Vergleicht man dabei den Ausgangsfall mit der – hinsichtlich Handlungs- und Unterlassungspflicht – umgekehrten Konstellation, scheint die Lösung eindeutig: Verweigert ein tödlich Verletzter eigenverantwortlich die Einwilligung in die lebenserhaltende Behandlung, darf ein Arzt diese nicht vornehmen. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, seine Autonomie geht vor.155 Ob man dieses Ergebnis nun auf den Fall des Abschaltens eines Beatmungsgeräts, sofern die Einstellung der Behandlung dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, ohne weiteres übertragen kann, ist jedoch zweifelhaft. Denn im Fall der Behandlungsverweigerung durch einen Verletzten besitzt der Arzt gerade keine Rechtspflicht zur Vornahme der Behandlung im Sinne einer Garantenpflicht nach § 13 Abs. 1 StGB; es liegt also keine echte Pflichtenkollision vor.156 Trotzdem dürfte auch im Fall des Abschaltens das Selbstbestimmungsrecht des Patienten vorgehen. Bei der Abwägung der sich bei den kollidierenden Pflichten gegenüberstehenden Interessen des Lebens einerseits und der körperlichen Unversehrtheit andererseits, muss nämlich, wenn es sich um Rechtsgüter desselben Trägers handelt, dessen Wille maßgeblich berücksichtigt werden. Ansonsten würde das aus dem Grundgesetz hergeleitete Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen missachtet werden. 154
Dabei spielt es keine Rolle, ob dies offen geschieht, indem man für den Fall einer das Leben verkürzenden Nebenfolge einer Schmerztherapie eine Rechtfertigung nach § 34 StGB zulässt, oder ob man verdeckt argumentiert und die Straflosigkeit in diesen Fällen über eine Reduktion des Tatbestands erreicht; denn auch dann spielen für diese Restriktionen Erwägungen der Qualität des verbleibenden Lebens des Patienten argumentativ eine maßgebliche Rolle. Vgl. die Analyse bei H. Schneider, in: MüKo-StGB (2003), Vor §§ 211 ff. Rn. 101 m.w.Nw. 155 Zur Klarstellung: Dass eine eigenmächtige Heilbehandlung nach unserer Rechtsordnung – vor allem angesichts des überragenden Stellenwerts des Selbstbestimmungsrechts – nicht zulässig ist, wird soweit ersichtlich nicht bestritten. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob die eigenmächtige Heilbehandlung eine tatbestandliche Körperverletzung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB ist; vgl. zu dieser Problematik nur Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 223 Rn. 8 m.w.Nw. 156 Es liegt jedoch eine Kollision der Pflicht, die Behandlung gegen den Willen des Patienten zu unterlassen, mit der allgemeinen Hilfeleistungspflicht aus § 323c StGB vor. In solchen Fällen die erforderliche Hilfe zu leisten, ist wohl nicht zumutbar, da das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen sich gegen die dem § 323c StGB zugrunde liegende allgemeine Solidaritätspflicht durchsetzt: Eine Hilfe gegen den vollverantwortlichen Willen des in Not Geratenen betrifft eben offensichtlich nicht die Pflicht zur Solidarität innerhalb der Gemeinschaft.
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Parallel zu dem Fall der indirekten Sterbehilfe ist es wohl allein der Rechtsgutsträger selbst, der darüber bestimmen kann, welchen Wert sein Leben hat, zumindest wenn er seine Entscheidung eigenverantwortlich fällt. Nochmals: Dies entspricht auch der Sichtweise der ein Unterlassen annehmenden überwiegenden Ansicht, die über den (Um-)Weg einer Umwertung des aktiven Tuns in ein Unterlassen eben wegen des Selbstbestimmungsrechts des Patienten eine Garantenpflicht des „Unterlassenden-durch-Tun“ verneint. Gegen die Rechtfertigung des aktiven Behandlungsabbruchs, also gegen die dadurch verwirklichte aktive Tötung eines Menschen mit dessen Willen, lässt sich schließlich auch nicht § 216 StGB ins Feld führen. Soweit überindividuelle Aspekte – wie beispielsweise die Unantastbarkeit der Menschenwürde, Tabuisierung, Beweisschwierigkeit, sowie Dammbrucherwägungen –157 für die Einwilligungssperre in § 216 StGB angeführt werden, spielen diese hier keine Rolle und betreffen im Übrigen in gleicher Weise Fälle der eigentlichen passiven Sterbehilfe, also Fälle der auf Grund des (mutmaßlichen) Willens des Patienten unterlassenen Behandlungsaufnahme. Vorzugswürdig erscheint jedoch ohnehin eine Rechtfertigung der Einwilligungssperre des § 216 StGB mit dem Schutz individueller Interessen. Danach sollen Defizite an Bereitwilligkeit158 und übereilte Entscheidungen159 ausgeschlossen werden, indem von dem Lebensmüden verlangt wird, den lebensbeendenden Akt selbst vorzunehmen.160 Diese Gesichtspunkte spielen jedoch in aller Regel in Fällen des aktiven Behandlungsabbruchs keine Rolle, da der Patient typischerweise bewusstlos ist oder zumindest nicht (mehr) eigenverantwortlich zu handeln vermag, weshalb aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht verlangt werden kann, dass der Patient seinem Leben selbst ein Ende setzt. Es hat sich also gezeigt, dass die von der herrschenden Ansicht postulierte Gleichwertigkeit des technischen Behandlungsabbruchs durch den Arzt mit Fällen der unterlassenen Behandlung in Fällen der so genannten passiven Sterbehilfe richtig ist. Der hier vorgestellte Begründungsweg ermöglicht dabei jedoch differenzierte Lösungen in anderen besonderen Konstellationen. Beispielsweise lassen sich differenzierte Ergebnisse erzielen, je nachdem, wer den technischen Behandlungsabbruch vornimmt. Denn Vorraussetzung für eine Anwendung von § 34 StGB trotz der Einwilligungssperre in § 216 StGB bei der dem Willen des Opfers entsprechenden Lebensbeendigung ist – wie oben ausgeführt – das Vorliegen einer grundsätzlichen Handlungspflicht des Abbrechenden. In den Genuss einer Rechtfertigung kommt daher 157 Vgl. nur die Übersicht zu diesen Deutungen und die überzeugende Kritik bei H. Schneider, in: MüKo-StGB (2003), § 216 Rn. 2 f., und von Hirsch/Neumann, GA 2007, 671 ff., jeweils m.w.Nw. 158 Roxin, NStZ 1987, 345 (348). 159 Jakobs, Kaufmann-FS (1993), S. 459 (467 f.). 160 Dieser Erklärungsansatz verdient vor allem deshalb Zustimmung, weil er die gesetzgeberische Entscheidung erklären kann, zwar die Tötung auf Verlangen zu verbieten, die Teilnahme am (freiverantwortlichen) Suizid aber straflos zu lassen; vgl. H. Schneider, in: MüKo-StGB (2003), § 216 Rn. 6 ff. m.w.Nw.
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nicht jedermann,161 sondern nur der Arzt oder ein sonstiger Garant für die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen, wie beispielsweise der Ehepartner des Patienten.162 Diese Lösung erscheint – wie ebenfalls bereits oben dargestellt – sachgerecht. d) Omissio libera in causa Unter der Bezeichnung omissio libera in causa werden Fallkonstellationen diskutiert, in denen jemand seine Handlungsfähigkeit durch aktives Tun beseitigt und es ihm dadurch zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr physisch-real möglich ist, die dann erst rechtlich geforderte Handlung auszuführen. Beispiel: Eine mit der Pflege ihrer Mutter überforderte Frau betrinkt sich bis zur Besinnungslosigkeit, um sich außerstande zu setzen, ihrer Mutter ein lebenswichtiges Medikament zu verabreichen. Die Mutter stirbt, weil die Frau nicht in der Lage ist, ihr das Medikament, als sie es benötigt, zu verabreichen. Die Verwirklichung des Tatbestands einer Tötung durch Unterlassen ist hier fragwürdig, weil die rechtlich geforderte Handlung zu dem Zeitpunkt, als sie hätte vorgenommen werden müssen, für die Frau physisch-real nicht möglich war. Im Ergebnis wird eine Strafbarkeit nach diesen Vorschriften jedoch überwiegend mit der Begründung angenommen, die Frau habe ihre Handlungsunfähigkeit in Kenntnis ihrer späteren Pflicht selbst verursacht und damit zu verantworten.163 Die an sich nicht mögliche Bestrafung wegen des späteren Unterlassens wird also mithilfe eines vorherigen Tuns – im Beispielsfall das Sichbetrinken – begründet. Die dahinter stehende Konstruktion gleicht der der so genannten actio libera in causa.164 Ob die Bestrafung auch gerechtfertigt ist, lässt sich mit guten Gründen bezweifeln; diese Problematik soll jedoch nicht weiter vertieft werden, da im hiesigen Zusammenhang lediglich die Frage interessiert, ob durch das aktive Tun der Tatbestand der §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB verwirklicht wird und daher mit einer Verurteilung aus einem Unterlassungsdelikt eine Umwertung eines aktiven Tuns in ein Unterlassen vorliegt. Anders gewendet: Ist die so genannte omissio libera in causa zumindest auch eine Frage der Abgrenzung von Tun und Unterlassen? Auch für diese Konstellation lässt sich mit der hier favorisierten Konkurrenzlösung die eigentliche Fragestellung ebenso gut beantworten, denn: Eine Bestrafung aus dem Begehungsdelikt ist auch im Ausgangsfall nicht möglich, da die Vornahme der Körperbewegung „Sichbetrinken“ den Tod der Mutter nicht verursacht hat, schließlich kann man sie hinweg denken, ohne dass dann auch der Tod entfiele. Es liegt auch kein Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs vor, da die Frau, als sie 161
So aber bspw. H. Schneider, in: MüKo-StGB (2003), Vor §§ 211 ff. Rn. 111. Vgl. den bereits zitierten Fall des LG Ravensburg, NStZ 1987, 229 f., mit zust. Anm. Roxin, NStZ 1987, 345 ff. 163 Vgl. nur aus der Rechtsprechung BGHSt 47, 318 (320 ff.) m.w.Nw. 164 Satzger, Jura 2006, 513 (517): Die omissio libera in causa ist somit auch prinzipiell den gleichen Einwänden ausgesetzt wie die actio libera in causa. 162
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
ihre Handlungsfähigkeit ausgeschaltet hat, überhaupt nicht handlungswillig war.165 Da also die Voraussetzungen eines Begehungsdelikts nicht vorliegen, muss man prüfen, ob die des entsprechenden Unerlassungsdelikts vorliegen. Mangels Handlungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Handlungspflicht lässt sich das jedoch nur annehmen, wenn man entweder im Sinne eines Ausnahmemodells der Frau im Ausgangsbeispiel wegen ihres vorwerfbaren Vorverhaltens eine Berufung auf ihre Handlungsunfähigkeit verweigert. Das verletzt jedoch das Koinzidenzprinzip, nach dem sämtliche Voraussetzungen eines Delikts zu einem Zeitpunkt gegeben sein müssen, also hier Handlungsfähigkeit und Handlungspflicht. Oder man weitet im Sinne eines Tatbestandsmodells den Tatbestand des Unterlassungsdelikts derart aus, dass man die Handlungspflicht auf den Zeitpunkt ausdehnt, in dem die Frau ihre Handlungsfähigkeit ausschließt, was jedoch eine rechtsstaatlich bedenkliche weite Auslegung des Tatbestands in Richtung einer bloßen Fiktion bedeutet.166 Die Rechtsfigur des Unterlassens durch Tun bringt auch in dieser Fallkonstellation keinen erkennbaren Gewinn gegenüber der so genannten Konkurrenzlösung.167 Zwar ist zuzugeben, dass der rechtliche Grund für eine Bestrafung hier maßgeblich darin zu sehen ist, dass der Täter etwas getan hat, nämlich seine Handlungsunfähigkeit herzustellen; das hat aber – wie gezeigt – nichts mit der Abgrenzung von Tun und Unterlassen zu tun. Die Behandlung beider Fragen – konstruktive Rechtfertigung einer Bestrafung trotz fehlender Handlungsfähigkeit einerseits, Abgrenzung von Tun und Unterlassen andererseits – unter einem Begriff verwirrt eher, als dass sie zur Lösung der auftretenden Fragen beiträgt. e) Aktive Teilnahme am Unterlassungsdelikt Die grundsätzlich gleichen Einwendungen lassen sich gegen die Einordnung der aktiven Teilnahme am Unterlassungsdelikt in die Diskussion um die Abgrenzung von Tun und Unterlassen erheben.168 Stiftet jemand einen Unternehmer an, die Sozialversicherungsbeiträge für die Angestellten des Unternehmens nicht abzuführen, macht er sich nach den §§ 266a Abs. 1, 26 StGB strafbar.169 Dass er dabei trotz Anknüpfung der Strafbarkeit an die Vornahme einer Körperbewegung – die Anstiftungshandlung – 165 Vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 105, und bereits oben 1. Teil, II. 3. b) a.E. 166 Vgl. zu den unterschiedlichen Lösungsansätzen und der Kritik an ihnen den Überblick von Satzger, Jura 2006, 513 (517 f.). 167 Dies gilt erst recht für die omissio libera in causa bei sog. echten Unterlassungsdelikten, bei denen also keine entsprechenden Begehungsdelikte existieren, da dort ohnehin nur eine Bestrafung aus diesem Unterlassungsdelikt möglich ist. Hier hat die Rechtsfigur wohl auch ihre eigentliche praktische Bedeutung; das gilt insbesondere für § 266a StGB, aber auch für § 170 StGB. 168 So bereits Samson, Welzel-FS (1974), 579 (582). 169 Dies wird heute nicht mehr bestritten; a.A. noch Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 190 ff., und ihm folgend Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 206.
III. Die Konkurrenzlösung als sachgerechte Lösung für Tun und Unterlassen
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aus einem Unterlassungsdelikt bestraft wird,170 erklärt sich aus der Akzessorietät der Teilnahme, stellt aber keine Besonderheit dar, insbesondere nicht für die Frage nach der Abgrenzung von Tun und Unterlassen. 4. Zwischenergebnis: Die Konkurrenzlösung als mögliche Lösung statt einer Abgrenzung von Tun und Unterlassen Nachdem die verschiedenen als problematisch diskutierten Fallgruppen bei der Diskussion um die Abgrenzung von Tun und Unterlassen dargestellt wurden, lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass eine Notwendigkeit für eine solche Abgrenzung nicht besteht. Die unterschiedlichen Fallkonstellationen lassen sich vielmehr auch bei einem Verzicht auf eine echte Abgrenzung allein mit der Anwendung der Konkurrenzregelungen lösen, die dann heranzuziehen sind, wenn eine Strafbarkeit an die Vornahme einer Körperbewegung und an die Nichtvornahme einer Körperbewegung angeknüpft werden kann. Ganz im Gegenteil: Die Verortung der strafrechtlichen Diskussion in den angesprochenen Fällen unter der Überschrift der Abgrenzung von Tun und Unterlassen versperrt bisweilen den Blick auf die eigentlichen Sachargumente, die sich teilweise um Fragen der Erfolgszurechnung, aber auch um solche der Rechtfertigung drehen.
III. Die Konkurrenzlösung als sachgerechte Lösung bei der Bestimmung von Tun und Unterlassen Von der Frage, ob die Konkurrenzlösung eine mögliche Lösung für die unter dem Stichwort der Abgrenzung von Tun und Unterlassen diskutierten Probleme bietet, ist zu unterscheiden, ob sie auch die sachlich zutreffende Antwort auf die Frage nach der Bestimmung von Tun und Unterlassen als Anknüpfungspunkt für Begehungs- und Unterlassungsdelikte ist. Hierbei dürften zwei Gesichtspunkte von entscheidender Bedeutung sein: Zum einen ist zu klären, ob eine Unterscheidung von Tun und Unterlassen, Begehungs- und Unterlassungsdelikten überhaupt von Relevanz ist, zum anderen, ob die hier gefundene Unterscheidung, die allein an die Begriffe Vornahme und Nichtvornahme einer Körperbewegung anknüpft, die hinter der fakultativen Strafmilderung in § 13 Abs. 2 StGB stehenden Wertdifferenz zwischen Begehungsund Unterlassungsdelikten widerspiegelt. 1. Über die Notwendigkeit einer Unterscheidung von Tun und Unterlassen Der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen wird bisweilen eine Bedeutung gänzlich abgesprochen. Ein zentrales Argument ist in diesem Zusammenhang die praktische Austauschbarkeit von Tun und Unterlassen bei der Gestaltung des (mo170
Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 102.
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
dernen) Lebens,171 die insbesondere durch die technische Entwicklung ermöglicht worden ist. Als Beispiel dient dabei der hier bereits behandelte Fall des technischen Behandlungsabbruchs: Es ist ohne weiteres möglich, einen Respirator so zu konstruieren, dass es nicht notwendig ist, ihn durch Drücken eines Knopfes abzuschalten, sondern dass er sich von selbst abschaltet, wenn er nicht in gewissen Abständen durch das Drücken eines Knopfes in Gang gehalten wird.172 Aus der praktischen Austauschbarkeit von Tun und Unterlassen in den einzelnen Lebensbereichen wird nun der Schluss gezogen, beide Fälle müssten rechtlich gleich behandelt werden, schließlich sei es gleichgültig, welche von mehreren technisch möglichen Konstruktionen gewählt wird. Der dogmatische Grund für diese Gleichbehandlung ließe sich folgendermaßen formulieren: Es gehe bei der Handlung – und damit bei Tun und Unterlassen – nicht um Natur im Sinne von rein naturgesetzlichen Zusammenhängen, sondern eigentlich um die Zuordnung von Mensch und Ereignis, um die Verbindung eines Menschen mit einem Erfolgsverlauf; diese Zuordnung geschieht aufgrund der Zuständigkeit des Menschen für den Erfolg, in der Terminologie der Unterlassungsdelikte, auf Grund seiner Stellung als Garant. Dabei habe auch der „Begehungstäter“ eine solche Garantenstellung inne, schließlich hafte er für den von ihm geschaffenen Verlauf, was nur erklärbar sei, wenn er für die Vermeidung dieses Verlaufs garantieren müsse.173 Stimmt diese Überlegung, müsste die hier gestellte Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zwangsläufig bei Begehungs- und Unterlassungsdelikten gleich beantwortet werden. Eine eigene Untersuchung bei den Unterlassungsdelikten könnte sich dann darauf beschränken, die üblicherweise auf Begehungsdelikte zugeschnittene Darstellung für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Sinne dieses normativen Handlungsbegriffs umzuformulieren.174 Wie bereits ausgeführt, lässt sich die These der Austauschbarkeit der Verhaltensformen bereits aus tatsächlichen Gründen relativieren.175 Gegen diese vollständige Normativierung der Verhaltensformen von Tun und Unterlassen unter einen Begriff des – wenn man so will – „Sich-zum-maßgeblichen-Grund-des-Erfolgs-Machens“ sprechen jedoch auch gewichtige rechtliche Einwände: Erstens unterscheidet das Gesetz selbst in den §§ 9 Abs. 1, 9 Abs. 2 S. 2, 13 Abs. 1 StGB176 zwischen Handlung – verstanden als positives Tun – und Unterlassen. Beson171
Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 28. Abschn. Rn. 14; ders., Der strafrechtliche Handlungsbegriff (1992), S. 30 ff.; Wohlers, in: NK-StGB, 2. Aufl. (2005), § 13 Rn. 5. 172 Wohlers, in: NK-StGB, 2. Aufl. (2005), § 13 Rn. 5. 173 Exemplarisch Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff (1992), S. 30 ff. 174 In diesem Sinne dann auch konsequent Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 101 ff.; dazu ausführlicher unten 4. Teil, II. 3. 175 Siehe oben 1. Teil, II. 3. c) cc). 176 Hinzu kommen eine Reihe von Vorschriften des Besonderen Teils des Strafrechts, die zwischen Tathandlungen durch positives Tun und Unterlassen unterscheiden.
III. Die Konkurrenzlösung als sachgerechte Lösung für Tun und Unterlassen
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dere Bedeutung gewinnt dabei § 13 Abs. 2 StGB, der nur für den Fall der Tatbegehung durch Unterlassen eine fakultative Strafmilderung zulässt und damit eine Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen verlangt. Zweitens kann auch die Behauptung, der aktiv Handelnde besitze stets ebenfalls eine Garantenstellung, nicht restlos überzeugen. Zum einen erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Haftung eines aktiv Handelnden aufgrund seines gegenüber einem Unterlassenden vorhandenen steuernden Einflusses auf das Geschehen weiter geht, als die eines Unterlassenden; wenn dann die Garantenstellung des Unterlassenden möglicherweise enger ist, und zwar enger wegen der unterschiedlichen äußeren Gestalt des Verhaltens, müsste nun innerhalb der Bestimmung der Pflichten doch wieder unterschieden werden. Zum anderen bedarf es insbesondere bei der Garantenstellung aus Ingerenz eines maßgeblichen Grundes für die Entstehung einer Handlungspflicht, die wohl letztendlich nur in einem gefährlichen Tun angenommen werden kann;177 wiederum benötigt man im Rahmen der Pflichtbegründung die an sich abgelehnte Unterscheidung. Schließlich führt die – bei Zugrundelegen dieser Konzeption – notwendige Prüfung einer Zuständigkeit im Sinne einer Garantenstellung in Fällen äußerlichen Tuns zu einer unschönen Verkomplizierung der Prüfung. Beispielhaft: Verletzt jemand einen Angreifer in Notwehr, müsste man im Rahmen einer Garantenpflicht als Frage der Tatbestandsmäßigkeit eigentlich inzident prüfen, ob die Voraussetzungen des § 32 StGB vorliegen; denn nur dann ist er für den Normgeltungsschaden zuständig. Man kann zwar argumentieren, dass im Rahmen der Zuständigkeit zwischen einer generellen Zuständigkeit für schadensverursachende Folgen und einer konkreten Zuständigkeit in einer besonderen Situation – im Beispiel die eines Angriffs – unterschieden werden kann; dies entspricht aber gerade nicht dem gewöhnlichen Inhalt einer Garantenpflicht beim Unterlassungsdelikt; denn dort wird stets nach der Handlungspflicht in der konkreten Situation gefragt. Wandelt man nämlich den Fall ab, dass der Verletzte nun zu sterben droht, würde man bei der Prüfung eines anschließenden Unterlassens im Rahmen der Garantenpflicht fragen, ob das Vorverhalten – die Verteidigung – eine Garantenpflicht aus Ingerenz begründen kann. Dieses Beispiel soll zeigen, dass die Garantenpflichten bei Tun und Unterlassen nicht inhaltlich gleich sein können, eine Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen somit nicht verzichtbar sein dürfte. Drittens erschwert die normative Gleichsetzung von Tun und Unterlassen die Rechtsanwendung: Eine Subsumtion realer Lebenssachverhalte unter den Begriff des „Sich-zuständig-Machens“ ist nicht ohne Weiteres möglich. Will man die umgangssprachlich umschriebenen Lebenssachverhalte mit Rechtsbegriffen vergleichen, müssen die Rechtsbegriffe vielmehr soweit wie möglich umgangssprachlich beschrieben, also entnormativiert werden. Gerade hier zeigt sich die Stärke der rein deskriptiven Beschreibungen von Tun und Unterlassen als Vornahme und Nicht177 Brammsen, in: Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse bei Straftaten in bürokratischen Organisationen des Staates, der Wirtschaft und der Gesellschaft (2000), S. 105 (111) m.w.Nw.
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
vornahme einer Körperbewegung.178 Neben den Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung kann man in diesem Zusammenhang auch den Rechtsunterworfenen selbst in den Blick nehmen. Zur Verdeutlichung: Ein Verurteilter, der fragt, was ihm vorgeworfen wird, wird auf die Antwort, dass er sich zum maßgeblichen Grund für den Normgeltungsschaden gemacht hat, nachfragen, wie er dies konkret bewerkstelligt habe. Die Antwort kann in einem auf Normen aufbauenden Rechtssystem, das ein richtiges Verhalten der Rechtsunterworfenen erreichen möchte, vielmehr nur lauten, dass er eine bestimmte Köperbewegung nicht unterlassen hat und deshalb ein Begehungsdelikt verwirklicht hat oder weil er eine bestimmte konkrete Körperbewegung nicht vorgenommen hat und dadurch ein Unterlassungsdelikt begangen hat. Nur wenn diese konkreten realen Verhaltensweisen vor Augen geführt werden, lässt sich Verhalten steuern. Die Unterscheidung von Tun und Unterlassen wird somit nicht nur vom Gesetz gefordert, sondern bleibt vor allem auch für die Rechtsanwendung notwendig. Die hier vorgeschlagene Anknüpfung an Körperbewegungen erscheint dafür besonders geeignet. Der Wert der hochabstrakten normativen Zusammenführung von Tun und Unterlassen liegt daher auf einer anderen Ebene: Sie zeigt auf, dass Begehungsund Unterlassungsdelikte eine größere Ähnlichkeit besitzen, als angesichts der realen Unterschiede der beiden Verhaltensweisen Tun und Unterlassen zu vermuten wäre. Ob diese Ähnlichkeit auch für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gilt, soll durch diese Arbeit auch ein Stück weit geklärt werden.
2. Die Überprüfung der Konkurrenzlösung anhand von § 13 Abs. 2 StGB Schließlich bedarf die Konkurrenzlösung noch einer Überprüfung anhand der gesetzlichen Regelungen in § 13 StGB. Insbesondere die fakultative Strafmilderung in § 13 Abs. 2 StGB ist hier von Bedeutung. Die durch sie ausgedrückte, regelmäßig geringere Strafwürdigkeit der Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen muss sich in der hier vorgeschlagenen Unterscheidung von Tun und Unterlassen als Vornahme beziehungsweise Nichtvornahme einer Körperbewegung widerspiegeln. Da die Strafmilderung jedoch gerade nicht obligatorisch, sondern lediglich fakultativ vorzunehmen ist, kann man die Frage besser folgendermaßen formulieren: Ist es sachgerecht, dem Täter in sämtlichen Fällen, in denen er den Tatbestand durch Vornahme einer Körperbewegung verwirklicht, die Berufung auf die Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB zu verweigern? In den Gesetzesmaterialen findet sich als Begründung für die Strafmilderung lediglich der Hinweis, dass ein Unterlassen der Abwendung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs regelmäßig weniger schwer wiege als die – unter sonst gleichen Umständen 178 Vgl. dazu Schünemann, in: Gimbernat/Schünemann/Wolter, Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung und der Unterlassungsdelikte (1995), S. 49 (51), sowie ders., Arthur Kaufmann-FS (1993), S. 299 ff.
III. Die Konkurrenzlösung als sachgerechte Lösung für Tun und Unterlassen
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erfolgte – Herbeiführung dieses Erfolgs durch ein Tun.179 Dies hilft jedoch nicht weiter, weil die regelmäßig unterschiedliche Strafwürdigkeit nur behauptet wird, aber nicht begründet wird, woraus sie sich konkret ergibt. Es kann daher auf Grundlage der Gesetzesbegründung keine Aussage darüber getroffen werden, ob die Strafwürdigkeitsdifferenz durch die Unterscheidung anhand der Vornahme und Nichtvornahme einer Körperbewegung angemessen ausgedrückt wird. In der Strafrechtswissenschaft sind die Stellungnahmen uneinheitlich.180 Soweit sie ganz ablehnend sind181 oder vorgeschlagen wird, die Strafmilderung nicht für die Unterscheidung von Tun und Unterlassen heranzuziehen,182 spielen sie für die Überprüfung der Konkurrenzlehre anhand von § 13 Abs. 2 StGB keine Rolle.183 Überwiegend geht man jedoch davon aus, die verminderte Strafwürdigkeit begründe sich aus der regelmäßig geringeren Schuld und/oder dem geringeren (Handlungs-) Unrecht eines Unterlassens,184 die beziehungsweise das sich daraus ergebe, dass der Gesetzgeber vom Normadressaten beim Unterlassungsdelikt mehr verlangt, indem er ihm eine Rettungsaktion auferlegt und nicht bloß fordert, von der Tatbegehung Abstand zu nehmen.185 Auf der Grundlage dieser Erklärung lassen sich dann 179
BT-Drucks. V/4095, S. 8. – Der E 1962 hat auf eine Strafmilderung noch verzichtet, obwohl nicht zu übersehen sei, dass „die Tatbestandsverwirklichung durch ein Unterlassen in vielen Fällen im Unrechtsgehalt hinter der durch ein Tun zurückbleibt.“ BT-Drucks. IV/650, S. 126. Man wollte darauf verzichten, weil die Strafmilderung ansonsten in einem auffälligen Widerspruch zu dem Entsprechenserfordernis – im E 1962 noch als Gleichwertigkeitserfordernis bezeichnet – in § 13 Abs. 1 stünde. – Aus diesem Grund für eine Abschaffung der Strafmilderung auch Lerman, GA 2008, 78 (91). 180 Einen ausführlichen Überblick geben Bruns, Tröndle-FS (1989), S. 125 ff., Lerman, GA 2008, 78 (79 ff.), und Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot (1983), S. 152 ff. 181 Androulakis, Rechtsproblematische Studien über die unechten Unterlassungsdelikte (1962), S. 243; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen und Strafgesetz (1974), S. 338 ff. 182 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 124, der erwägt, die Strafmilderung auf Unterlassungsdelikte kraft institutioneller Zuständigkeit anzuwenden, aber eben auch bei Pflichtdelikten, selbst wenn sie durch Begehen verwirklicht worden sind; ferner Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 300 ff. 183 Dies gilt auch für die neuere Rechtsprechung, nach der im Sinne einer Gesamtbetrachtung nicht nur unterlassungsspezifische Aspekte bei der Frage nach der Anwendung des § 13 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen sind; vgl. BGH, JR 1999, 292 (293). – Dazu kritisch Freund, in: MüKo-StGB (2003), § 13 Rn. 291; Rudolphi, JR 1999, 293 (294); Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12.Aufl. (2007), § 13 Rn. 99 f. – Anders noch BGH, NJW 1982, 393, StV 1987, 527 f., NStZ 1998, 245, die zumindest im Wesentlichen auf unterlassungsrelevante Kriterien abstellen; dabei könne eine besondere Rolle spielen, ob die Handlung mehr als den normalen Einsatz rechtstreuen Willens verlangt. 184 Freund, in MüKo-StGB (2003), § 13 Rn. 282; Jescheck, in LK, 11. Aufl. (1992), § 13 Rn. 61; Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 610 f.; Lackner/ Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 13 Rn. 17 f.; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil II (2003), § 31 Rn. 239; Rudolphi, in SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), § 13 Rn. 65; Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 13 Rn. 98. – Ähnlich Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 13 Rn. 64: „geringere verbrecherische Energie“. 185 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 239.
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
auch die Fälle zumindest im Ansatz benennen, in denen die Strafrahmenverschiebung nach § 13 Abs. 2 StGB ausnahmsweise nicht vorzunehmen ist:186 zum einen, wenn die gebotene Handlung in den normalen Regelablauf des Lebens von vornherein eingeplant ist,187 zum anderen bei Fahrlässigkeitsdelikten, bei denen es stets einheitlich um die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt geht.188 Aus dem Umstand, dass das Unterlassen einen Eingriff in den Geschehensablauf verlangt, lässt sich auch – etwas anders akzentuiert – folgende Aussage formulieren: Der Unterlassende nutzt in der Regel eine für das Rechtsgut gefährliche Situation bloß aus, während der aktiv Handelnde diese Situation (mit-)schafft. Die geringere Strafwürdigkeit erklärt sich dann – etwas überspitzt gesagt – daraus, dass beim Unterlassen Umstände mitwirken, die eher dem Schicksal zuzuordnen sind. Ein solches Ausnutzen ist grundsätzlich weniger, aber unter den Voraussetzungen des § 13 StGB immerhin noch strafwürdig.189 Das Versagen der Strafmilderung in normalen Regelabläufen des täglichen Lebens und bei der Fahrlässigkeit lässt sich so anschaulicher machen: In diesen Fällen fehlt es am Ausnutzen schicksalhafter Geschehnisse. Die auf der Grundlage der Konkurrenzlösung gewählte Beschreibung von Tun und Unterlassen als die Vornahme beziehungsweise Nichtvornahme einer Körperbewegung spiegelt die beschriebene – § 13 Abs. 2 StGB zugrunde liegende – regelmäßige Unwertdifferenz der beiden Verhaltensformen zunächst anschaulich wider: Die Vornahme einer bestimmten Körperbewegung verlangt vom Normadressaten mehr, als bloß von der Tatbegehung Abstand zu nehmen, also eine Körperbewegung zu unterlassen. Praktisch entscheidender ist jedoch die Frage, ob bestimmte – hier auf Grundlage der Konkurrenzlösung als aktives Tun eingeordnete – Verhaltensweisen zu Recht aus dem Anwendungsbereich von § 13 Abs. 2 StGB ausgeschlossen sind. Diskussionswürdig erscheinen hier zwei Fallgruppen: zum einen der Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs und zum anderen der technische Behandlungsabbruch. Beim Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs wird dem Täter vorgeworfen, dass er eine bestimmte Körperbewegung vorgenommen hat, und zwar unabhängig davon, ob er fremde Rettungsbemühungen oder seine eigenen vereitelt. Er hätte durch das schlichte Unterlassen dieser Handlung die Normverletzung vermeiden können. Hier werden also keine erhöhten Forderungen an den Täter erhoben, so dass auch keine Veranlassung besteht, eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB zu erwägen.
186 Bereits in der Gesetzesbegründung ging man davon aus, dass die Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB der Regelfall ist; vgl. BT-Drucks. V/4095, S. 8. 187 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 242; kritisch Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 124. 188 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 243; a.A. Rudolphi, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), § 13 Rn. 65. 189 Ähnlich Kargl, GA 1999, 459 (476 f.), der die Privilegierung des Unterlassens mit den weniger verlässlichen Prognosen künftiger Entwicklungen begründet; er bezieht sich dabei auf Erkenntnisse der Kognitionsforschung.
IV. Ergebnis: Die Eigenart des Unterlassungsdelikts
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Diese Erwägungen gelten im Prinzip ebenso für den Fall des technischen Behandlungsabbruchs. Hier bedarf es jedoch noch einmal einer Auseinandersetzung mit der so genannten Austauschbarkeitsthese. Nach dieser soll sich die Notwendigkeit einer Gleichbehandlung von Tun und Unterlassen in Fällen ergeben, in denen es ohne Weiteres möglich wäre, die tatsächlichen Gegebenheiten einmal so zu gestalten, dass vom Normadressaten die Vornahme einer Körperbewegung verlangt wird, oder so, dass von ihm lediglich die Nichtvornahme einer Körperbewegung verlangt wird. Die Reichweite dieser These beschränkt sich jedoch auf den Zweck, eine Straflosigkeit im Falle zulässigen Sterbenlassens auch bei einem aktiven Verhalten zu erreichen; liegen die Voraussetzungen einer zulässigen Sterbehilfe im konkreten Fall jedoch nicht vor, verlangt die postulierte Gleichwertigkeit, für sämtliche Fallkonstellationen den identischen Strafrahmen vorzusehen. Wertet man den aktiven technischen Behandlungsabbruch als ein Unterlassen, ist dies gewährleistet, da stets § 13 Abs. 2 StGB angewendet werden könnte. Nach der hier vertretenen Lösung ist dies für den technischen Behandlungsabbruch ausgeschlossen, da er als Tun qualifiziert wird. Eine Gleichwertigkeit lässt sich somit nur erzielen, wenn auch bei einem Behandlungsabbruch durch Unterlassen eine Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB ausgeschlossen wird. Dies dürfte im Ergebnis auch die zutreffende Lösung sein. Denn: Die Versorgung und Behandlung eines Patienten gehört zum normalen Regelablauf in einer medizinischen beziehungsweise pflegerischen Einrichtung, so dass nach der herrschenden Ansicht trotz eines Unterlassens eine Strafmilderung hier in aller Regel auszuscheiden hat. Gegen die Konkurrenzlösung lässt sich somit auch nicht einwenden, dass sie für bestimmte Fälle die Anwendung der fakultativen Strafmilderung zu Unrecht ausschließt. Die Konkurrenzlösung hält damit auch einer Überprüfung anhand von § 13 Abs. 2 StGB stand. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum jemandem, der durch die Vornahme einer Körperbewegung ein Begehungsdelikt verwirklicht, die Möglichkeit dieser Strafmilderung eröffnet werden sollte.
IV. Ergebnis: Die Eigenart des Unterlassungsdelikts 1. Unterlassen als Nichtvornahme einer Körperbewegung und die Konkurrenzlösung Als Ergebnis lässt sich also festhalten, dass ein Begehungsdelikt vorliegt, wenn durch eine vom Täter vorgenommene Körperbewegung sämtliche Strafbarkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Ein Unterlassungsdelikt liegt vor, wenn seine sämtlichen Voraussetzungen an die Nichtvornahme einer bestimmten Körperbewegung geknüpft werden können. Tun und Unterlassen entsprechen somit der Vornahme beziehungsweise der Nichtvornahme einer bestimmten Körperbewegung. Einer Abgrenzung von Tun und Unterlassen bedarf es angesichts der klaren Unterscheidung der beiden Anknüpfungspunkte für die Strafbarkeit nicht. Vielmehr kann mithilfe der Konkur-
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
renzregelungen ein angemessenes Ergebnis erzielt werden, wenn im Rahmen eines Geschehens sowohl die Voraussetzungen eines Begehungsdelikts als auch die eines Unterlassungsdelikts gegeben sind. Beziehen sich beide auf denselben Tatbestand des Besonderen Teils, tritt das Unterlassungsdelikt wegen seiner regelmäßig geringeren Strafwürdigkeit als subsidiär zurück. Die unter der Fahne der „Abgrenzung von Tun und Unterlassen“ diskutierten rechtlich schwierigen Fallkonstellationen lassen sich – wie im Einzelnen gezeigt wurde – mithilfe der Instrumente des Strafrechts, insbesondere der Lehre von der objektiven Zurechnung und der Rechtfertigungslehre, nicht nur ebenso gut lösen, sondern sind in ihrem jeweiligen sachlichen Zusammenhang auch besser aufgehoben. Zusätzliche mehr oder weniger normative Merkmale, die als Abgrenzungskriterien vorgeschlagen werden, bringen keinen sachlichen Gewinn, sondern führen vielmehr zu einem gefährlichen Maß an Unbestimmtheit für die Rechtsanwendung oder überschneiden sich überflüssigerweise – zumindest teilweise – mit den sonstigen Voraussetzungen einer Strafbarkeit. In diesem Zusammenhang lässt sich auch ein letzter Einwand gegen die Unterscheidung von Tun und Unterlassen als die Vornahme beziehungsweise Nichtvornahme einer Körperbewegung entkräften. Er lautet: Das Körperbewegungselement könne nicht erklären, warum das Recht in einem Fall erhöhte Anforderungen an eine Strafbarkeit stellt, da es als rein äußerliches Kriterium die normative Differenz nicht widerspiegele.190 So richtig die hinter dieser Aussage stehende Forderung nach einer von Wertungswidersprüchen freien Strafrechtsordnung ist, bleibt jedoch offen, warum die dabei auftretenden normativen Fragen mit einer Abgrenzung von Tun und Unterlassen gelöst werden müssen. Viel näher liegend, sachgerechter und damit vorzugswürdig ist es, den nach den gesetzlichen Formulierungen prima facie geringeren Anforderungen bei den Begehungsdelikten damit zu begegnen, dass die notwendigen normativen Einschränkungen bei den einzelnen Voraussetzungen dieser Deliktsgattung vorgenommen werden. Hier sind wieder die Lehre von der objektiven Zurechnung und die Rechtswidrigkeit zu nennen, mit deren Hilfe generell oder ausnahmsweise erlaubtes Verhalten aus dem Bereich des Strafbaren herausgenommen werden kann. Der Umfang der Unterlassungspflichten bei den Begehungsdelikten wird so inhaltlich dem Umfang der Handlungspflichten bei den Unterlassungsdelikten angenähert.191
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Kargl, GA 1999, 459 (464). Die Fruchtbarkeit der Bemühungen, den materiellen Unterschied zwischen Tun und Unterlassen zu erklären, also den Unterschied in der Strafwürdigkeit, besteht daher meines Erachtens nicht in der Lösung der Abgrenzungsfrage, sondern eher darin, dass mit ihrer Hilfe erklärt werden kann, in welchen Fällen eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB angezeigt ist. 191
IV. Ergebnis: Die Eigenart des Unterlassungsdelikts
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2. Weitere Anforderungen an ein Unterlassen? Es ist üblich, an den Begriff des Unterlassens im Strafrecht weitere Anforderungen zu stellen. In eher faktischer Hinsicht wird eine individuelle Handlungsfähigkeit des Unterlassenden verlangt, in normativer Hinsicht irgendeine Form der Handlungserwartung.192 Beide Forderungen sind berechtigt: Das verfassungsrechtlich begründete strafrechtliche Schuldprinzip fordert – ganz allgemein formuliert und im Prinzip unbestritten –, dass dem Täter sein Verhalten vorgeworfen werden kann.193 Für den Unterlassungstäter heißt das, es muss ihm objektiv möglich gewesen sein, die konkrete Körperbewegung vorzunehmen, er muss die Handlungsfähigkeit besessen haben. Eine Handlungserwartung, also der Umstand, dass irgendjemand die Vornahme der konkreten Körperbewegung erwartet, misst dem Unterlassen überhaupt erst eine soziale Relevanz zu, ohne die es für das Recht und seine Funktion, das Zusammenleben der Menschen zu regeln, ohne Bedeutung wäre. Die Bedeutung der beiden Begriffsmerkmale für die strafrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts sind jedoch gering. Zunächst verlangt das Strafrecht nicht irgendeine Handlungserwartung, sondern eine spezifisch strafrechtliche, die sich aus besonderen Handlungspflichten spezieller Delikte oder aus § 13 Abs. 1 StGB ergeben kann. Diese Handlungspflichten sind als strafbegründende Verbrechensvoraussetzungen Merkmale der Tatbestandsmäßigkeit. Eine zweistufige Prüfung der Handlungserwartung – zunächst vortatbestandlich als ganz allgemeine Erwartung und dann tatbestandlich als strafrechtliche – bringt jedoch keinen ersichtlichen Gewinn. Demgegenüber ist die Handlungsfähigkeit echte Strafbarkeitsvoraussetzung. Hier muss jedoch differenziert werden. Nicht sämtliche Fälle, die zur Folge haben, dass es unmöglich ist, eine Körperbewegung vorzunehmen, betreffen die objektive Handlungsfähigkeit und damit den Begriff des Unterlassens. Zwar ist es dem Unterlassenden auch unmöglich, die Handlung vorzunehmen, wenn er die tatbestandsmäßige Situation oder die erforderlichen Handlungsmittel nicht erkennt; dies betrifft aber den Vorsatz und ist Teil der Lehre vom Tatbestand.194 Auch die Frage einer rechtlichen Unmöglichkeit zur Handlung ändert nichts daran, dass der Unterlassende die konkrete Körperbewegung tatsächlich hätte vornehmen können; es fehlt jedoch an der Pflicht, rechtswidrige Handlungen vorzunehmen.195 Zur objektiven Handlungsfähigkeit eines Menschen gehören somit nur die physischen Kräfte, Hilfsmittel, technischen Kenntnisse und intellektuellen Fähigkeiten, die erforderlich sind, um die Kör192 Vgl. nur Rudolphi, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), Vor § 13 Rn. 1 ff. m.w.Nw.; sowie Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 5 ff. 193 Exemplarisch BGHSt 2, 194 (200). 194 Statt aller Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 11; Rudolphi, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), Vor § 13 Rn. 3; a.A. Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 41 ff.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 201. 195 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 14.
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
perbewegung vorzunehmen.196 Aber auch hier muss man sich bewusst machen, dass die Anforderungen an einen vortatbestandlichen Unterlassungsbegriff wesentlich höher sind als die an eine strafrechtliche Handlung im Sinne eines aktiven Tuns. Dort werden nämlich nur solche Körperbewegungen ausgeschieden, die willentlich nicht steuerbar sind.197 Kenntnisse und Fähigkeiten sind jedoch grundsätzlich erlernbar und damit auch grundsätzlich willentlich steuerbar, nur eben nicht für die konkrete Person in der konkreten Situation.198 Es spricht somit einiges dafür, auch die objektive Handlungsfähigkeit in strafrechtlicher Hinsicht als Tatbestandsfrage zu behandeln, ohne dass dies für das konkrete Ergebnis von Bedeutung sein dürfte.199
V. Ergänzung: Echte und unechte Unterlassungsdelikte Herkömmlich werden Unterlassungsdelikte in echte und unechte unterteilt. Nach dem üblichen Verständnis der Attribute „echt“ und „unecht“ ist ein Delikt einer besonderen Deliktsart echt, wenn es kein „Gegenstück“ gibt, das die Besonderheit nicht aufweist, unecht, wenn es ein solches „Gegenstück“ gibt.200 Echte Unterlassungsdelikte sind dann solche, bei denen kein ansonsten gleichartiges Begehungsdelikt existiert, bei den unechten Unterlassungsdelikten gibt es ein solches Gegenstück. Diese Unterscheidung ist jedoch bei den Unterlassungsdelikten unüblich, vielmehr wird eine Reihe anderer Kriterien vorgeschlagen,201 was zu einer uneinheitlichen Verwendung der Begriffe führt.202 Sachlich geht es dabei um Folgendes:203 Unstreitig ist, dass 196
Rudolphi, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), Vor § 13 Rn. 2. Zu dieser Funktion des Handlungsbegriffs als sog. Grenzelement vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 8 Rn. 4. 198 Auch bei der Fahrlässigkeit werden die individuellen Fähigkeiten erst im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit bzw. von der wohl herrschenden Ansicht hinsichtlich der individuellen Vermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung sogar erst bei der Schuld berücksichtigt. 199 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 225, 616 f. 200 Exemplarisch: Von „echten“ Sonderdelikten spricht man, wenn eine Strafbarkeit lediglich bei Vorligen der besonderen Tätereigenschaft gegeben ist, von „unechten“, wenn diese Eigenschaft lediglich strafverschärfend wirkt; vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 10 Rn. 130. 201 Einen Überblick über die einzelnen Ansichten geben Kahlo, Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs bei den unechten Unterlassungsdelikten (1990), S. 26 ff.; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 16 ff.; Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 13 ff. Rn. 137. 202 Daher wird vorgeschlagen, auf die Verwendung der Begriffe zu verzichten; vgl. Schmidhäuser, Müller-Dietz-FS (2001), 761 (771); Seelmann, in: NK-StGB (Stand: März 2003), § 13 Rn. 13; ders., JuS 1991, 290 (291): Diese „Unterscheidung … ist heute nicht mehr besonders hilfreich.“ 203 Vgl. zur praktischen Bedeutung der Unterscheidung auch Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 28 ff. 197
V. Ergänzung: Echte und unechte Unterlassungsdelikte
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§ 13 StGB eine Regelung für unechte Unterlassungsdelikte ist.204 Die Bestimmung des Begriffs der unechten Unterlassungsdelikte kann so Auswirkungen auf den Anwendungsbereich von § 13 StGB haben. Zum einen geht es um die Frage, welche Begehungsdelikte über § 13 StGB auch durch Unterlassen verwirklicht werden können. Meint man beispielsweise, zum Tatbestand eines unechten Unterlassungsdelikts gehört neben der Nichtvornahme der geforderten Handlung der Eintritt eines bestimmten Erfolgs,205 wäre § 13 StGB auf schlichte Tätigkeitsdelikte wie etwa die Begünstigung nach § 257 StGB206 nicht anwendbar, da diese dann keine unechten Unterlassungsdelikte wären. Zum anderen geht es um den Anwendungsbereich von § 13 Abs. 2 StGB: Versteht man unter den unechten Unterlassungsdelikten nur solche, für die es im Besonderen Teil des Strafrechts keinen eigenen Unterlassungstatbestand gibt,207 könnte dies die Frage präjudizieren, ob § 13 Abs. 2 StGB auch auf im Besonderen Teil ausdrücklich geregelte Unterlassungsdelikte angewendet werden kann, wenn es ein entsprechendes – mit demselben Strafrahmen versehenes – Begehungsdelikt gibt. Klar dürfte sein, dass allein durch die Bestimmung von Begriffen, zumal wenn sie dem Gesetz fremd sind, keine Sachfragen gelöst werden können. Die Frage nach der Anwendung von § 13 StGB auf schlichte Tätigkeitsdelikte betrifft vielmehr die Auslegung des Begriffs „Erfolg“ in § 13 Abs. 1 StGB;208 bei der Frage nach der Anwendbarkeit von § 13 Abs. 2 StGB auf extra geregelte Unterlassungsdelikte geht es um Sinn und Zweck dieser fakultativen Strafmilderung209 und um die Auslegung der entsprechenden Tatbestände. Die oben beschriebene klassische Verwendung der Attribute „echt“ und „unecht“ auch bei den Unterlassungsdelikten präjudiziert keine dieser Fragen: Wenn § 13 StGB auf ein Delikt des Besonderen Teils anwendbar ist, gibt es zu diesem Unterlassungsdelikt ein entsprechendes Gegenstück, so dass es sich um ein unechtes Unterlassungsdelikt handelt; wenn auch solche Delikte, die in ihren Gesetzesformulierungen sowohl eine Begehungs- als auch eine Unterlassungsvariante enthalten, unechte Unterlassungsdelikte sind, kann man unvoreingenommen die Frage stellen, ob auf sie die Regelung der anderen – über § 13 StGB zu konstruierenden – unechten Unterlassungsdelikte, insbesondere § 13 Abs. 2 StGB, anzuwenden sind. Diese Begriffsbestimmung ist somit vorzugswürdig. Unechte Unterlassungsde204
Vgl. nur Tenckhoff, Spendel-FS (1992), 347 (352). So z. B. Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 605; Rudolphi, in: SK-StGB (Stand: April 2003), Vor § 13 Rn. 8; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 37. Aufl. (2007), Rn. 697. 206 Hilfeleisten i.S.v. § 257 StGB erfordert lediglich eine Handlung, die objektiv geeignet ist, dem Vortäter die aus der Vortat erlangten Vorteile zu sichern. Vgl. im Einzelnen nur Küper, Strafrecht, Besonderer Teil, 7. Aufl. (2008), S. 202 ff. 207 So z. B. Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 277; Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), § 13 Rn. 1 f.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 13 Rn. 6; Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 13 ff. Rn. 137. 208 Vgl. nur Tenckhoff, Spendel-FS (1992), 347 ff. 209 Vgl. dazu bereits oben 1. Teil, III. 2. 205
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1. Teil: Die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte
likte haben also ein entsprechendes Begehungsdelikt als „Gegenstück“, echte Unterlassungsdelikte nicht.210
210
Ebenso Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil II (2003), § 31 Rn. 16.
Zweiter Teil
Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme Nachdem zunächst die Deliktsart, die Gegenstand der Untersuchung ist, inhaltlich bestimmt wurde, soll nun die eigentliche Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten behandelt werden. Dabei steht die Behandlung der Grundlagen der Beteiligungslehre am Anfang; aus ihr sollen die Prinzipien der Abgrenzung entwickelt werden. Ausgangspunkt müssen dabei die gesetzlichen Normen zur Beteiligung mehrerer Personen an einer Straftat sein.
I. Die gesetzlichen Regelungen als Ausgangspunkt für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme 1. Das differenzierte Beteiligungssystem des StGB Die §§ 25 ff. StGB regeln die „Täterschaft und Teilnahme“.211 § 25 StGB beschreibt drei Formen der Täterschaft. Wer die Tat selbst begeht, ist nach § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB unmittelbarer Täter, wer sie durch einen anderen begeht, nach § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB mittelbarer Täter, und wer sie mit einem oder mehreren anderen gemeinschaftlich begeht, ist nach § 25 Abs. 2 StGB Mittäter. Die §§ 26, 27 StGB regeln mit der Anstiftung und der Beihilfe die zwei Formen der Teilnahme. Das Gesetz verwendet in § 28 Abs. 1 StGB den Begriff des Teilnehmers in diesem engen Sinn. Bisweilen wird der Begriff der Teilnahme auch als Oberbegriff für alle Arten der Mitwirkung an einer Tat verstanden.212 Um Verwechselungen zu vermeiden, wird hier jedoch – in Übereinstimmung mit § 28 Abs. 2 StGB – als Oberbegriff für alle Formen von Täterschaft und Teilnahme der Begriff der Beteiligung verwendet und als Teilnahme werden nur Anstiftung und Beihilfe bezeichnet. Dem StGB liegt somit ein differenziertes Beteiligungssystem zugrunde, also ein System, das zwischen Täterschaft und Teilnahme unterscheidet und daran verschiedene Rechtsfolgen anknüpft. So ist beispielsweise der Strafrahmen der Beihilfe nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB zu mildern. Die versuchte Anstiftung ist gemäß § 30 Abs. 1 211 So die amtliche Überschrift des Dritten Titels des Zweiten Abschnitts des Allgemeinen Teils des StGB. 212 Das erklärt sich aus der alten Gesetzesfassung, die den Begriff des Teilnehmers für Mittäter, Anstifter und Gehilfen verwendete.
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2. Teil: Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
StGB nur bei Verbrechen strafbar, die versuchte Beihilfe ist mangels entsprechender Regelung generell straflos.213 Auch die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat begrenzt die strafrechtliche Verantwortung.214 Das Gegenmodell der so genannten Einheitstäterlehre unterscheidet demgegenüber – zumindest hinsichtlich der Rechtsfolgen – nicht zwischen verschiedenen Mitwirkungsformen.215 Als Vorteil eines solchen Einheitstätersystems wird angeführt, dass so den Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ausgewichen werden könne.216 Ob eine solche Vereinfachung tatsächlich erreicht würde, wird zu Recht bezweifelt,217 kann aber dahinstehen, da im Zuge der am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Reform des Allgemeinen Teils des Strafrechts218 an dem differenzierten Beteiligungssystem festgehalten worden ist. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der Gesetzgeber die Bewertung von Art und Gewicht der Beteiligung nicht den Instanzengerichten überlassen solle, die dies bei der Strafzumessung zu berücksichtigen hätten; gerechte Ergebnisse seien ferner nur zu erzielen, wenn es möglich ist, in bestimmten Fällen versuchter und untergeordneter Beteiligung die Strafe zu mildern oder von Strafe abzusehen.219 Das differenzierte Beteiligungssystem gilt jedoch nicht für das gesamte Strafrecht. Es beschränkt sich insbesondere auf den Bereich der Vorsatzdelikte, da nach den §§ 26, 27 StGB für die Teilnahme Vorsatz erforderlich ist und auch nur an einer vorsätzlichen Tat erfolgen kann. Bei Fahrlässigkeitsdelikten wird somit auf eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme verzichtet, zum einen, weil in den häufigen Fällen unbewusster Fahrlässigkeit mangels einer Beziehung zwischen der Vorstellung des Handelnden und der Tatbestandsverwirklichung eine Abgrenzung mittels der herkömmlichen Theorien, also der subjektiven Theorie und der Tatherrschaftslehre, nicht erfolgen kann,220 zum anderen, weil es einer Abstufung von Graden der Beteiligung bei den Fahrlässigkeitsdelikten mit ihrem ohnehin gegenüber den
213
Allgemeine Meinung; statt aller Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 27 Rn. 9. Am augenfälligsten ist dies bei der Mitwirkung an Selbstverletzungen oder Selbstgefährdungen: Da sich in diesen Fällen das Opfer selbst nicht strafbar machen kann, scheidet eine Teilnahme mangels Haupttat aus. 215 Zu den unterschiedlichen Modellen einer Einheitstäterschaft – formales und funktionales Einheitstätersystem – vgl. nur Kienapfel, JuS 1974, 1 (5 f.). 216 Exemplarisch wiederum Kienapfel, JuS 1974, 1 (6). 217 Vgl. nur Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), Vor § 25 Rn. 10; sowie aus der Reformdiskussion Gallas, Gutachten (1954), S. 121 (143 ff.); E 1962, BTDrucks. IV/650, S. 147. 218 2. StrRG vom 4. Juli 1969, BGBl. I, S. 717 ff. 219 BT-Drucks. V/4095, S. 12, wo insoweit auf die Begründung des E 1962, BT-Drucks. IV/ 650, S. 147, verwiesen wird. 220 Roxin, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 217, der jedoch zu Recht darauf hinweist, dass bei bewusster Fahrlässigkeit eine Abgrenzung durchaus möglich wäre, aber die bewusste und die unbewusste Fahrlässigkeit im deutschen Strafrecht gleich behandelt werden. 214
I. Die gesetzlichen Regelungen
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Vorsatzdelikten wesentlich geringeren Unrechts- und Schuldgehalt aus rechtsstaatlichen Erwägungen nicht bedarf.221
2. Der materielle Täterbegriff als Schlüssel zum Verständnis des gesetzlichen Beteiligungssystems a) Der materielle Täterbegriff als Frage nach der Bestimmung des Tatsubjekts der einzelnen Delikte Indem das StGB die in § 25 StGB genannten Beteiligungsformen unter der Überschrift „Täterschaft“ zusammenfasst, wird der Begriff des „Täters“ restriktiv verwendet, denn er umfasst nicht sämtliche Formen denkbarer Tatbeteiligung. Dieser gesetzliche, man könnte auch sagen formelle Täterbegriff ist von dem materiellen Täterbegriff zu unterscheiden, der für das Verständnis des Regelungsgehalts der §§ 25 ff. StGB von Bedeutung ist. Dabei geht es um die Reichweite der strafrechtlichen Tatbestände,222 genauer um die Frage, welche Formen der Tatbeteiligung bereits vom Wortlaut der einzelnen Tatbestandsbeschreibungen umfasst sind, mit der Folge, dass ihre Regelungen in den §§ 25 ff. StGB dann eine lediglich klarstellende und konkretisierende Funktion besitzen. Für die nicht unter diesen materiellen Täterbegriff fallenden Beteiligungsformen haben die gesetzlichen Regelungen dagegen dann eine strafbegründende Wirkung. Die Suche nach dem zutreffenden materiellen Täterbegriff ist dabei vor allem eine Suche nach dem zutreffenden systematischen Verständnis der gesetzlichen Regelungen über Täterschaft und Teilnahme und deren Bedeutung bei der Anwendung auf die einzelnen Delikte. b) Der extensive (materielle) Täterbegriff223 Nach dem extensiven Täterbegriff ist jeder Täter, der die Tatbestandsverwirklichung mitverursacht hat.224 Begründet wird diese Gleichsetzung von Täterschaft und Verursachung mit der Äquivalenztheorie, nach der alle Verursachungsbeiträge gleichwertig sind und es somit eine Differenzierung im Rahmen der Verursachung 221 Insofern ist es konsequent, auch bei den noch geringer wiegenden Ordnungswidrigkeiten auf eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme zu verzichten; vgl. § 14 OWiG. Dies ist aber nicht vollständig gelungen, da beispielsweise eine Beteiligung an der Ordnungswidrigkeit eines anderen nach herrschender Ansicht voraussetzt, dass der andere vorsätzlich handelt (vgl. BGHSt 31, 309 ff.); zu den sich daraus ergebenden Konsequenzen vgl. nur Rengier, in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Aufl. (2006), § 14 Rn. 4 ff. 222 Vgl. nur Kienapfel, JuS 1974, 1 f. – Wenn über den „Täterbegriff“ gestritten wird, geht es stets um diesen materiellen Täterbegriff. 223 Die Begriffe extensiver und restriktiver Täterbegriff stammen von Zimmerl, ZStW 49 (1929), 39 ff. 224 So beispielsweise Baumann, JuS 1963, 125 (127); Spendel, JuS 1974, 749 (754); vorsichtiger Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2003), § 18 Rn. 28 ff.
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2. Teil: Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
eines tatbestandsmäßigen Erfolgs nicht geben könne. Alle Verursachungsbeiträge sind daher – ohne eine abweichende gesetzliche Regelung – grundsätzlich gleich zu behandeln, eben als täterschaftliche Beiträge.225 Solche abweichenden Regelungen seien insbesondere die §§ 26, 27 StGB, die für bestimmte Mitwirkungsbeiträge die Strafbarkeit beziehungsweise die Rechtsfolgen einschränken würden. Nach dem extensiven Täterbegriff sind sie daher als Strafeinschränkungsgründe aufzufassen. Zunächst ist festzustellen, dass dem extensiven Täterbegriff durch die Schaffung des § 25 StGB keine Absage erteilt worden ist und wohl auch nicht erteilt werden sollte.226 In der formellen Begriffsbestimmung der Täterschaft lässt sich keine Aussage darüber erkennen, welche Beteiligungsformen in den Beschreibungen der einzelnen Deliktstatbestände enthalten sind. Anders gewendet: Die Funktion des § 25 StGB besteht nicht darin, eine Aussage über die Reichweite der Tatbestände des Besonderen Teils zu treffen. Prüft man dessen ungeachtet die Brauchbarkeit dieses Konzepts an den gesetzlichen Regelungen, sind jedoch erhebliche Einwendungen zu erheben. Zunächst lassen sich die §§ 26, 27 StGB nicht ausnahmslos als Strafeinschränkungsgründe begreifen. Bei der in § 28 Abs. 1 StGB gesetzlich vorausgesetzten und allgemein als strafwürdig angesehenen Teilnahme eines Extraneus am echten Sonderdelikt erfüllen sie zweifellos eine strafbegründende Funktion, da der Extraneus selbst ja mangels Täterqualifikation nicht Täter sein kann. Hier gerät der extensive Täterbegriff an seine Grenzen.227 Darüber hinaus ist der extensive Täterbegriff mit dem Wortlaut der einzelnen Deliktstatbestände kaum vereinbar. Dies gilt sowohl für den allgemeinen, als auch für den juristischen Sprachgebrauch. Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Verschafft jemand einem anderen ein Mordwerkzeug, wird man ihm wohl kaum vorhalten, er habe einen Menschen getötet. So umschreiben jedoch die einschlägigen Tatbestände der §§ 211 Abs. 2, 212 Abs. 1 StGB die Täterschaft. Der allgemeine Sprachgebrauch sperrt sich vielmehr gegen ein solch weites Verständnis jeder Mitverursachung eines Todes als Tötung. Aber auch das Gesetz selbst unterscheidet zwischen „töten“ in den genannten Vorschriften einerseits und „den Tod eines Menschen verursachen“ in § 222 StGB andererseits. Der Haupteinwand gegen den extensiven Täterbegriff richtet sich jedoch gegen seine dogmatische Herleitung aus der Äquivalenztheorie. Aus der Gleichwertigkeit aller Verursachungsbeiträge für die Frage der Kausalität einer Beteiligung lässt sich 225 Zur Begründung des extensiven Täterbegriffs aus der Kausalitätslehre vgl. nur Kienapfel, JuS 1974, 1 (2). 226 Auch wenn die Begründung für die heute geltenden Beteiligungsregeln die Teilnahmeregeln nicht als Strafeinschränkungsgründe versteht; vgl. E 1962, BT-Drucks. IV/650, S. 128, wo es heißt: „Unter der Handlung … ist die in den Tatbeständen des Besonderen Teils beschriebene Tathandlung zu verstehen, einschließlich der Erweiterungen, die sich aus den Vorschriften über Versuch, Beteiligung und Versuch der Beteiligung ergeben“ (Hervorhebungen nicht im Original). 227 Statt aller Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 4. – Dasselbe gilt für die Teilnahme an den sog. eigenhändigen Delikten.
I. Die gesetzlichen Regelungen
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nicht einfach folgern, dass jeder kausale Beitrag auch hinsichtlich der Art und Weise der Tatbeteiligung gleichwertig ist. Die Wertung, dass alle Bedingungen gleich sind, bezieht sich vielmehr nur auf die Frage nach der Kausalität, die zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für eine strafrechtliche Erfolgszurechnung ist. Die so genannte Lehre von der objektiven Zurechnung hat zu Recht mit den Mindestvoraussetzungen einer rechtlich missbilligten Risikoschaffung und einer Risikorealisierung weitere wertende Anforderungen an eine objektive Erfolgszurechnung aufgestellt.228 Wenn aber eine Bewertung einzelner Verursachungsbeiträge möglich (und auch notwendig) ist, ist dem extensiven Täterbegriff die dogmatische Grundlage entzogen. Schließlich ist der extensive Täterbegriff rechtsstaatlich problematisch, da er die in den einzelnen Tatbeständen beschriebenen Tathandlungen nicht beachtet und an ihre Stelle eine undifferenzierte und unbestimmte Kausalitätsbetrachtung setzt. c) Der restriktive (materielle) Täterbegriff aa) Die Varianten des restriktiven Täterbegriffs Vorzugswürdig ist daher eine restriktive Interpretation der Reichweite der Deliktstatbestände, wonach die Teilnahme, also Anstiftung und Beihilfe, nicht in den Beschreibungen des tatbestandsmäßigen Verhaltens enthalten ist. Die §§ 26, 27 StGB beschreiben demzufolge Strafausdehnungsgründe, die zwanglos auch bei der Teilnahme des Extraneus am Sonderdelikt oder am eigenhändigen Delikt angewendet werden können. Dieser restriktive Täterbegriff wird zumeist in einer – hinsichtlich des Grades der Restriktion – gemäßigten Variante vertreten, nach der sämtliche Formen der Täterschaft im Sinne von § 25 StGB sich unmittelbar unter den Wortlaut der Deliktstatbestände subsumieren lassen.229 „Töten“ in § 212 Abs. 1 StGB umfasst dann nicht nur das einen anderen Selbst-Töten, sondern auch das Gemeinschaftlich-Töten und das Durch-einen-anderen-Töten. Ein solches Verständnis war vor der Neuregelung der Vorschriften über Täterschaft und Teilnahme durch das 1975 in Kraft getretene zweite Strafrechtsreformgesetz vor allem angesichts der Tatsache notwendig, dass eine Regelung der allgemein anerkannten mittelbaren Täterschaft fehlte.230 In jüngerer Zeit wird jedoch vermehrt ein extrem restriktiver Täterbegriff favorisiert, nach dem ausschließlich die unmittelbare Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB in den Tatbestandsbeschreibungen der einzelnen Delikte enthalten sei. Die 228 Vgl. nur die „Wiederentdeckung“ dieser Lehre von Roxin, Honig-FS (1970), 133 ff., und zuletzt Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 11 Rn. 44 ff. m.w.Nw. 229 Exemplarisch Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), Vor § 25 Rn. 14. 230 Dem Bedürfnis, die strafwürdige mittelbare Täterschaft zu erfassen, ist übrigens auch die Entwicklung des extensiven Täterbegriffs zu verdanken; vgl. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 8; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 99.
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2. Teil: Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
Folge einer solchen Betrachtung ist dann, dass nicht nur die §§ 26, 27 StGB, sondern auch die §§ 25 Abs. 1 Var. 2, 25 Abs. 2 StGB als Strafausdehnungsgründe aufzufassen wären.231 Welche der beiden Spielarten des restriktiven Täterbegriffs den Vorzug verdient, hängt nun zum einen davon ab, welche inhaltlichen Unterschiede sich aus ihnen ergeben, und zum anderen davon, welche die Funktion des materiellen Täterbegriffs besser zu erfüllen vermag, welche also die Systematik der Beteiligungsregeln des StGB passender beschreiben kann. bb) Inhaltliche Abweichungen zwischen gemäßigtem und extrem restriktivem Täterbegriff Auf der Grundlage des extrem restriktiven Täterbegriffs ist eine täterschaftliche Bestrafung nur möglich, wenn eine der drei in § 25 StGB geregelten Täterschaftsformen gegeben ist. Für die Annahme weiterer – theoretisch denkbarer – Täterschaftsformen fehlt es an einer die Strafbarkeit begründenden rechtlichen Regelung.232 Zu einem anderen Ergebnis kann man auf der Grundlage der gemäßigten Variante des restriktiven Täterbegriffs kommen, nach der der Reglung der drei Täterschaftsformen in § 25 StGB nur eine deklaratorische Bedeutung zukommt: Die Beschreibungen der Tatbestände des Besonderen Teils umfassen danach ja bereits selbst sämtliche Ausprägungen der Täterschaft. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses ist es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, andere als die in § 25 StGB normierten Täterschaftsfiguren als ebenfalls in den Deliktsbeschreibungen enthalten anzusehen. Dies wurde vor Schaffung des § 25 StGB für die mittelbare Täterschaft – wie bereits gesagt – auch getan.233 Eine solche zusätzliche Art der Täterschaft wird jedoch – auch von den Vertretern der gemäßigten Variante des restriktiven Täterbegriffs – nicht präsentiert;234 im Umkehrschluss aus § 25 StGB dürfte vielmehr folgen, dass nur Täter sein kann, wer eine der drei dort genannten Voraussetzungen für eine Täterschaft erfüllt. § 25 StGB enthält somit sämtliche Täterschaftsformen.235 Zwar nicht für den Bereich der Vorsatzdelikte, aber für Fahrlässigkeitsdelikte können sich jedoch dann Unterschiede zwischen den beiden Varianten des restriktiven Täterbegriffs ergeben, wenn man für beide Deliktsformen einen einheitlichen Täterbegriff propagiert. Da nämlich nach ganz überwiegender Ansicht die §§ 25 ff. StGB nicht auf Fahrlässigkeitsdelikte anzuwenden sind, würde der extrem restriktive Täterbegriff den Bereich des Strafbaren bei diesen Delikten möglicherweise einschrän231 Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (März 2000), Vor § 25 Rn. 15; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung (1997), S. 71. 232 Exemplarisch: Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (März 2000), § 25 Rn. 2. 233 Vgl. nur Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 141. 234 Zur sog. Nebentäterschaft siehe unten 3. Teil, II. 4. 235 Davon geht auch die Begründung des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs (E 1962) aus, dessen § 29 dem heutigen § 25 StGB entspricht; vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 149.
I. Die gesetzlichen Regelungen
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ken. Diese Konsequenz ziehen die Vertreter dieses Täterbegriffs jedoch nicht; sie wollen vielmehr § 25 StGB auch auf die Fahrlässigkeitsdelikte anwenden,236 so dass die beiden Spielarten des restriktiven Täterbegriffs auch hier nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Schließlich wird durch die Wahl einer der beiden Varianten des restriktiven Täterbegriffs auch keine Festlegung hinsichtlich der konkreten Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme getroffen. Für die gemäßigte Variante ergibt sich jedoch wohl die zusätzliche Anforderung, eine sämtliche Täterschaftsformen umfassende Definition der Täterschaft anbieten zu müssen. cc) Die Erklärung des Beteiligungssystems nach den beiden Varianten des restriktiven Täterbegriffs Da somit mit der Diskussion um die beiden Varianten des restriktiven Täterbegriffs keine erkennbaren unmittelbaren inhaltlichen Konsequenzen verbunden sind, kommt es bei der Entscheidung für eine von beiden allein darauf an, welche die Funktion eines solchen materiellen Täterbegriffs besser erfüllt, welche also für das systematische Verständnis der Beteiligungsregelungen des StGB hilfreicher erscheint, welche dieses System besser erklären kann. Hier hat der extrem restriktive Täterbegriff gegenüber dem gemäßigten drei Vorteile. Erstens ist er widerspruchsfreier, da er für sämtliche Vorsatzdelikte einheitlich gilt. Der gemäßigt restriktive Täterbegriff muss nämlich für die weitgehend anerkannten so genannten eigenhängigen Delikte, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass hier ausschließlich eine unmittelbare Täterschaft denkbar ist,237 einen anderen Täterbegriff als bei allen anderen Delikten zugrunde legen. Anderes gilt für den extrem restriktiven Täterbegriff, nach dem das in den Delikten beschriebene tatbestandsmäßige Verhalten ausnahmslos lediglich die unmittelbare Täterschaft umschreibt. Zweitens ist der extrem restriktive Täterbegriff genauer, da er anders als der gemäßigte deutlich zum Ausdruck bringt, dass die unmittelbare Täterschaft die stärkste Form der Täterschaft ist. Auch wenn in § 25 StGB die verschiedenen Täterschaftsvarianten gesetzlich gleichgestellt sind, unterscheiden sie sich doch hinsichtlich der Qualität der Tatbestandsverwirklichung. Während nämlich bei der Mittäterschaft und der mittelbaren Täterschaft das Gelingen der Tat von der Vornahme fremder Handlungen abhängig ist, fehlt es daran bei der unmittelbaren Täterschaft, bei der der Handelnde die Tat allein in der Hand.238
236 So insbesondere Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (März 2000), Vor § 25 Rn. 4, § 25 Rn. 150 ff., und Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung (1997), S. 261 ff. 237 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 288. 238 Ausführlicher zu den unterschiedlichen Intensitäten bei den Täterschaftsformen s. unten 2. Teil, II. 6.
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2. Teil: Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
Drittens ist der extrem restriktive Täterbegriff auch rechtsstaatlich vorzugswürdig, da er mit kriminalpolitisch wünschenswerter Deutlichkeit zum Ausdruck bringt, dass über den Wortlaut des § 25 StGB hinaus weitere Täterschaftsformen nicht existieren und auch nicht geschaffen werden dürfen, indem sie in die Deliktsbeschreibungen des Besonderen Teils hineininterpretiert werden. d) Ergebnis: Der extrem restriktive (materielle) Täterbegriff Als Ergebnis lässt sich festhalten: Die Systematik der Beteiligungsregelungen wird sowohl sprachlich genauer als auch inhaltlich widerspruchsfreier auf der Grundlage des extrem restriktiven Täterbegriffs beschrieben. Die Reichweite der Tatbestände ist somit in Hinblick auf das Tatsubjekt auf den unmittelbaren Täter nach § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB begrenzt. Sämtliche gesetzlichen Regelungen für die anderen Beteiligungsformen sind Strafausdehnungsgründe und haben daher eine konstitutive und nicht bloß einen deklaratorische Bedeutung. e) Exkurs: Der Täterbegriff bei den Fahrlässigkeitsdelikten Die meisten Vertreter eines restriktiven Täterbegriffs legen bei den Fahrlässigkeitsdelikten jedoch einen anderen Täterbegriff zugrunde, nämlich einen extensiven. Täter eines Fahrlässigkeitsdelikts ist danach jeder, der objektiv sorgfaltswidrig die Tatbestandsverwirklichung (zumindest mit-)verursacht hat.239 Dafür sprechen zunächst teleologische Erwägungen: Die gesetzlich vorgegebene Beschränkung der Teilnahmevorschriften auf eine vorsätzliche Verwirklichung soll sicherlich nicht den Zweck verfolgen, die strafrechtliche Haftung für Fahrlässigkeit gegenüber der Haftung für vorsätzliches Handeln zu beschränken. Die Geltung des extensiven Täterbegriffs ergibt sich jedoch auch aus dem Wortlaut der Fahrlässigkeitsdelikte, die – jedenfalls bei den Erfolgsdelikten – die bloße Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolgs genügen lassen; beispielhaft: Nach § 222 StGB wird bestraft, wer „den Tod eines Menschen verursacht“, was offensichtlich etwas anderers umschreiben soll, nämlich etwas Weiteres, als die in § 212 Abs. 1 StGB verwendete Formulierung: „Wer einen Menschen tötet“. Und da es – wie bereits ausgeführt – bei dem hier so genannten materiellen Täterbegriff um die Interpretation der Reichweite der Tatbestände geht, spricht auch grundsätzlich nichts dagegen, wegen der abweichenden gesetzlichen Formulierungen auch unterschiedliche Täterbegriffe bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten zu verwenden. Schließlich geht auch das Gesetz selbst in § 18 StGB davon aus, dass ebenso wie ein Täter auch der Teilnehmer an einem Grunddelikt eine schwere Folge, also einen tatbestandsmäßigen Erfolg, fahrlässig verursachen kann.240 239
Exemplarisch Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 8. Einen restriktiven Täterbegriff bei Fahrlässigkeitsdelikten propagieren jedoch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung (1997), S. 261, und Hoyer, in: SK240
II. Theorien für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
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3. Methodische Folgerungen aus der Analyse der gesetzlichen Regelungen über Täterschaft und Teilnahme Aus dem hier favorisierten Verständnis der Beteiligungssystematik ergeben sich nun Konsequenzen für das methodische Vorgehen bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Die Betonung der Bedeutung der gesetzlichen Regelung jeder einzelnen Beteiligungsform formuliert die Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme um: Genau genommen geht es eigentlich darum, ob die Voraussetzungen der jeweiligen Beteiligungsform vorliegen oder nicht. Täterschaft ist demnach anzunehmen, wenn entweder die Voraussetzungen der unmittelbaren Täterschaft oder die der mittelbaren Täterschaft oder die der Mittäterschaft gegeben sind, Teilnahme wenn (nur) die Voraussetzungen der Anstiftung oder der Beihilfe vorliegen. Das Problem der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme wird somit konkretisiert als Frage der spezifischen Voraussetzungen der einzelnen gesetzlichen Beteiligungsformen. Die Bestimmung dieser Voraussetzungen ist jedoch vor allem deshalb schwierig und daher auch so umstritten, weil sich dafür in den maßgeblichen §§ 25 bis 27 StGB nur wenige Anhaltspunkte finden. Aber auch hier lässt sich mithilfe der Konzeption des extrem restriktiven Täterbegriffs die Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme konkreter formulieren: Unter welchen Voraussetzungen lässt es sich rechtfertigen, dass jemand, der den Tatbestand eines Strafgesetzes nicht selbst verwirklicht, rechtlich einem solchen unmittelbaren Täter gleichgestellt wird?241 Was ist der Grund dafür, den mittelbaren Täter und den Mittäter genauso zu bestrafen wie den unmittelbaren Täter?
II. Theorien für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme 1. Gesetzliche Vorgaben Im Gesetz finden sich – wie gerade angedeutet – keine klaren und konkreten Kriterien für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Aus den Regelungen für Anstiftung und Beihilfe ergibt sich lediglich, dass die Teilnahme eine Beteiligung an der Tat eines anderen ist. Daraus lässt sich allgemein formulieren, dass der Täter eine StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), Vor § 25 Rn. 4. In der Sache geht es ihnen wohl um zwei Fragen: zum einen, ob eine fahrlässige Mittäterschaft möglich ist, was jedoch losgelöst von der Frage nach dem Täterbegriff diskutiert werden kann; zum anderen geht es um das sog. Regressverbot. Meines Erachtens lässt sich die Legitimation und Reichweite eines solchen Regressverbots jedoch nicht mit dem Täterbegriff erklären, bei dem es – wie gesagt – zunächst nur um das systematische Verständnis der Beteiligungsregeln geht. Geeigneter zur Klärung der damit zusammenhängenden Fragen scheint die Lehre von der objektiven Zurechnung zu sein, die die entscheidenden Wertungsaspekte der Diskussion berücksichtigt. Vgl. nur Roxin, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 217 ff. 241 So auch Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), Vor § 25 Rn. 14.
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2. Teil: Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
eigene Tat begeht, wohingegen der Teilnehmer sich bloß an einer fremden Tat beteiligt.242 Was nun jedoch die entscheidenden wertenden Gesichtspunkte für die Einordnung einer Tat als eigene oder fremde sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Dies lässt sich daher nur aus der mit der Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme, genauer gesagt, aus der mit der Differenzierung zwischen den verschiedenen Beteiligungsformen verfolgten kriminalpolitischen Zielsetzung ermitteln. Anders gewendet: Bevor man Kriterien für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme entwickelt, muss man wissen, worin der Sinn der Unterscheidung besteht; denn nur daraus lassen sich dann die für die Abgrenzung entscheidenden Wertungen entnehmen. 2. Die mit dem differenzierten Beteiligungssystem verbundene kriminalpolitische Zielsetzung a) Gesetzgeberische Motive In der Begründung für den Entwurf des Strafgesetzbuchs von 1962 (E 1962),243 dessen §§ 29 bis 31 den heutigen §§ 25 bis 27 StGB entsprechen, finden sich mehrere Hinweise auf den kriminalpolitischen Hintergrund der Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme. Als Begründung für die Beibehaltung des differenzierten Beteiligungssystems wurde angeführt: „Für bestimmte Fälle versuchter oder untergeordneter Beteiligung müßte der Gesetzgeber, um ungerechte Ergebnisse zu vermeiden, doch die Möglichkeit vorsehen, die Strafe zu mildern oder von Strafe abzusehen. … Außerdem gäbe der Gesetzgeber die Wertung der verschiedenen Beteiligungsgrade in die Hand des Richters, der um ein gerechtes Ergebnis willen jedenfalls bei der Strafzumessung Art und Gewicht der Beteiligung doch festlegen und berücksichtigen müßte.“244 Und später heißt es bei der Beihilfe: Der obligatorischen Strafmilderung in § 27 Abs. 2 StGB „liegt der Gedanke zugrunde, daß die entferntere Mitwirkung des Gehilfen in der Regel auf eine geringere Schuld schließen läßt und ein Schuldstrafrecht dem bei den gesetzlichen Strafandrohungen Rechnung tragen sollte.“245 Aus diesen wenigen Hinweisen lassen sich bei aller Vorsicht folgende Aussagen entnehmen: Die verschiedenen Formen der Beteiligung besitzen ein unterschiedliches Gewicht, wobei insbesondere bei untergeordneter und entfernterer Mitwirkung die Strafwürdigkeit geringer ist. Konkretere Ausführungen, aus denen Grundsätze für eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme abgeleitet werden können, enthalten jedoch weder die gesetzlichen Formulierungen noch die Materialien. Daneben klingen aber auch rechtsstaatliche Aspekte an, wenn indirekt gesagt wird, man möchte die Strafzumessung hinsichtlich der Gewichtung der Beteiligung nicht (allein) den Gerichten überlassen. 242 243 244 245
Ähnlich Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), Vor §§ 25 – 31 Rn. 20. BT-Drucks. IV/650. BT-Drucks. IV/650, S. 147 in Auseinandersetzung mit der Einheitstäterlehre. BT-Drucks. IV/650, S. 151.
II. Theorien für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
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b) Begründungsansätze aus der Rechtswissenschaft Auch in der Rechtswissenschaft sind die Stellungnahmen hinsichtlich der Funktion eines differenzierten Beteiligungssystems nicht so greifbar, dass sich daraus konkrete Schlüsse auf die Art und Weise der Abgrenzung ziehen lassen. Sie lassen sich grob folgendermaßen zusammenfassen. Im Ausgangspunkt dürfte Einigkeit bestehen: Die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme ist – historisch gesehen – das Ergebnis eines lang andauernden Bemühens, die Mitwirkung mehrerer an einem Verbrechen in ihrem jeweils unterschiedlichen Strafwürdigkeitsgehalt zu erfassen.246 Abweichungen ergeben sich jedoch hinsichtlich der Frage, woraus sich die unterschiedliche Strafwürdigkeit ergibt. Die Gesetzesbegründung stellt wie – oben dargestellt – auf die Schuld ab. Das Schrifttum nennt – in aller Regel ohne besondere Begründung – zumeist folgende Momente, die bei Tätern einerseits und Teilnehmern andererseits unterschiedlich ausgeprägt sein sollen: das Gewicht der Tatbeiträge,247 ihre Intensität,248 der Unwertgehalt,249 das Handlungsunrecht,250 die Verantwortlichkeit251 oder die Zuständigkeit für das deliktische Geschehen.252 Neben diese Ansätze, die sich einer (sach-)gerechten Bewertung der unterschiedlichen Mitwirkungsformen an einem Delikt verpflichtet sehen, kommen Aspekte der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hinzu, wenn beispielsweise hervorgehoben wird, dass durch die gesetzlichen Regelungen eine differenzierte Strafzumessung im groben vorbereitet wird:253 Hier tritt der bereits in der Gesetzesbegründung genannte Aspekt wieder zutage, dass eine Rechtsanwendung, die den Gerichten die Strafzumessung in großem Maße überlässt, Gefahren für eine einheitliche und dadurch auch gerechte Rechtsprechung bringen.254 Noch deutlicher auf das Ziel einer klaren und berechenbaren Rechtsanwendung gerichtet ist der Hinweis, die Differenzierung zwischen Tätern, Anstiftern und Gehilfen werde den im Alltagssprachge-
246
Maiwald, Bockelmann-FS (1979), 343 (344). Maiwald, Bockelmann-FS (1979), 343 (344). 248 Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), Vor §§ 25 – 31 Rn. 3. 249 Gallas, Gutachten (1954), S. 121 (145). 250 Frisch, in Lexikon des Rechts, Strafrecht, 2. Aufl. (1996), S. 972; Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 645. 251 Frisch, in Lexikon des Rechts, Strafrecht, 2. Aufl. (1996), S. 972 (973). 252 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 1 ff. 253 Frisch, in Lexikon des Rechts, Strafrecht, 2. Aufl. (1996), S. 972 (973). 254 Die Bedeutung dieses Aspekts sollte jedoch angesichts der in aller Regel weiten Strafrahmen der einzelnen Tatbestände nicht überbewertet werden. Der Gesetzgeber muss jedoch angesichts von Art.103 Abs. 2 GG durch die Angabe des Strafrahmens seine Bewertung des Delikts bzw. des Verhaltens deutlich zum Ausdruck bringen. – Vgl. dazu ausführlich im Zusammenhang mit den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatze Danneker, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 1 Rn. 233 ff. 247
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2. Teil: Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
brauch zum Ausdruck kommenden sozialen Anschauungen gerecht.255 Dahinter steht die Überlegung, dass die Orientierung der Rechtsbegriffe an der Lebenswirklichkeit die Rechtsanwendung erleichtert und so auch klarer und berechenbarer macht.256 c) Stellungnahme: Die Funktion eines differenzierten Beteiligungssystems als Maßstab für die Beurteilung der Theorien zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme aa) Die kurz dargestellten Erklärungsansätze für die Funktion der gesetzlichen Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme lassen bei allen Unterschieden und bei aller Vagheit der genannten Wertungsgesichtspunkte grundsätzliche Gemeinsamkeiten erkennen: Es geht um eine gerechte Erfassung von hinsichtlich ihrer Strafwürdigkeit differenzierenden Mitwirkungsformen einerseits und eine bereits gesetzlich vorgeschriebene Konkretisierung verbotener Mitwirkungsformen andererseits, vereinfacht um Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. Um aus der Funktion der Differenzierung konkrete Schlussfolgerungen insbesondere für das Problem der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ziehen zu können, bedarf es jedoch einer genaueren Analyse. Ausgangspunkt ist dabei die Erkenntnis, dass Beteiligungsfragen die Unrechtsbegründung betreffen:257 Die Beteiligungslehre ist ein Stück der Lehre vom Tatbestand.258 Von daher liegt es nahe, die Funktion der Differenzierung der Beteiligungsformen vor dem Hintergrund der Funktion des Tatbestands im Straftatsystem zu entwickeln. Die verschiedenen Wertungsstufen im Straftatsystem dienen zunächst der Ordnung, der Systematisierung. Dies allein ist bereits wertvoll, ermöglicht es doch eine gleichmäßige und differenzierte Rechtsanwendung.259 Jede einzelne Stufe erfüllt darüber hinaus eine jeweils spezifische Funktion im Rahmen der Aufgabe des Strafrechts, Rechtsgüter (subsidiär) zu schützen260 beziehungsweise die Einhaltung der
255
Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 3. Vgl. zu diesem Aspekt bereit oben 1. Teil, III. 1. im Zusammenhang mit der Unterscheidung von Tun und Unterlassen. 257 Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2005), § 20 Rn. 5. 258 Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 643; Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl. (1973), S. 20; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 98. 259 Zu den Vorzügen dieses Systemdenkens vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 7 Rn. 38 ff., sowie Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen des modernen Strafrechtssystems (1984), S. 1 ff. 260 Darin sieht die ganz herrschende Ansicht im Schrifttum die allgemeine Aufgabe des Strafrechts; vgl. nur ausführlich Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 2. 256
II. Theorien für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
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elementaren sozialethischen Handlungswerte zu sichern.261 In einem diesem Ansatz folgenden so genannten zweckrationalen Straftatsystem262 erfüllt der Tatbestand zwei Aufgaben: Auf der Wertungsstufe der Tatbestandsmäßigkeit soll einerseits das Unrecht einer Person zugerechnet werden und andererseits die abstrakte Strafandrohung durch den gesetzlichen Tatbestand generalpräventiv wirken.263 bb) Zunächst zur Zurechnungsfunktion: Während früher die bloße Verursachung einer Tatbestandsverwirklichung als für die Unrechtsbegründung genügend angesehen wurde, besteht mittlerweile Einigkeit darin, dass eine solche bloße Erfolgshaftung das Schuldprinzip missachtet. Notwendig ist vielmehr eine normative Zurechnung des Unrechts bereits in objektiver Hinsicht, durch die einer Person erst die objektive Verantwortlichkeit für das Unrecht zugeschrieben wird.264 Dies ist im Hinblick auf das Ziel einer Verhaltenssteuerung durch das (Straf-)Recht auch angezeigt, da die hinter den strafrechtlichen Normen stehende Anweisung an den Rechtsunterworfenen sinnvollerweise lauten muss: Vermeide Risiken für Rechtsgüter, und nicht: Vermeide die Verursachung von Schäden.265 Diesen Aspekt berücksichtigt die Lehre von der objektiven Zurechnung, die verlangt, dass der Täter ein unerlaubtes Risiko geschaffen haben muss. Es geht mit anderen Worten um die rechtliche Verantwortlichkeit einer Person für das Unrecht. Das differenzierte Beteiligungssystem lässt sich in diese Aufgabe der Wertungsstufe Tatbestandsmäßigkeit unschwer integrieren. Zwar geht es bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zumeist nicht um die Frage, ob eine Person für das Unrecht verantwortlich ist. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen der verschiedenen Beteiligungsformen der Täterschaft, der Anstiftung und der Beihilfe lassen sich jedoch als unterschiedliche Grade der Verantwortlichkeit begreifen. Der Täterschaft entspricht dann die volle Verantwortlichkeit, der Anstiftung eine durch die Akzessorietät und die eingeschränkte Versuchsstrafbarkeit reduzierte und der Beihilfe die ge261
Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 1 ff., sieht darin die eigentliche Aufgabe des Strafrechts, erst darin eingeschlossen gehe es auch um den Schutz der einzelnen Rechtsgüter; a.a.O., S. 4. 262 Eine ausführliche Begründung dieses zweckrationalen Straftatsystems und eine Auseinandersetzung mit abweichenden Konzepten kann diese Arbeit nicht leisten und erscheint auch nicht unbedingt notwendig. Hier geht es nämlich speziell um die Funktion oder auch Aufgabe der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit, über die sich jenseits der Diskussion um das „richtige“ Straftatsystem weitgehend Einigkeit erzielen lassen dürfte. – Vgl. Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl. (1973); ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 7 Rn. 57 ff.; Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen des modernen Strafrechtssystems (1984), S. 1 (45 ff.). 263 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. (2006), § 7 Rn. 61 ff. 264 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. (2006), § 7 Rn. 63, 28. – Skeptisch für den hier relevanten Bereich der Vorsatzdelikte jedoch beispielsweise Hilgendorf, Weber-FS (2004), S. 33 ff. m.w.Nw. 265 Diese Erkenntnis ist für den Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte Allgemeingut: Fahrlässigkeit erfordert die Verletzung einer objektiven Sorgfaltspflicht; vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 24 Rn. 4. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum für Vorsatzdelikte anderes gelten soll.
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2. Teil: Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
ringste Verantwortlichkeit, da für sie eine obligatorische Strafmilderung und keine Versuchsstrafbarkeit vorgesehen ist. Der Bezug zur Tatbestandsmäßigkeit und dessen Funktion im Straftatsystem offenbart somit, dass die im Gesetz angelegte unterschiedliche Strafwürdigkeit von Täterschaft und Teilnahme Ausdruck einer differenzierten Verantwortlichkeit der unterschiedlichen Beteiligten ist. Soweit – wie oben dargestellt – andere Gesichtspunkte genannt werden, sind sie entweder lediglich denkbare Kriterien zur Bestimmung des Grades der Verantwortlichkeit (Umfang und Intensität der Beteiligung, Handlungsunwert) oder bloßer Reflex der differenzierten Verantwortlichkeit; letzteres gilt vor allem für die Schuld, die bekanntlich Unrecht voraussetzt und damit auch in ihrer Höhe durch das Maß des Unrechts begrenzt wird. cc) Die generalpräventive Funktion des Tatbestands hängt eng mit dem Grundsatz nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG) zusammen. Dieses für ein freiheitliches und demokratisches Strafrecht fundamentale Prinzip hat insbesondere zwei Wurzeln:266 Es legt fest, dass allein der demokratisch legitimierte Gesetzgeber die Kompetenz haben darf, Strafgesetze zu erlassen. Aber vor allem kann die beabsichtigte abschreckende Wirkung einer Strafandrohung, also der von der Norm ausgehende psychologische Zwang, nur funktionieren, wenn die verbotene Handlung möglichst exakt beschrieben ist. Beide Aspekte haben für die Bestimmung der Funktion des differenzierten Beteiligungssystems Bedeutung. Durch die differenzierten Rechtsfolgen der einzelnen Beteiligungsformen wird die Berücksichtigung der mit der Art der Mitwirkung an einer Tat verbundenen unterschiedlichen Strafwürdigkeit nicht allein den Gerichten – also der dritten Gewalt – überlassen, sondern durch den Gesetzgeber – die erste Gewalt – zumindest grob vorbereitet.267 Aber auch hinsichtlich der Generalprävention erfüllt das differenzierte Beteiligungssystem eine rechtsstaatliche Funktion. Der von den strafrechtlichen Normen ausgehende psychologische Zwang lässt sich nur erzeugen, wenn sie so bestimmt formuliert sind, dass sie klare Verhaltensanforderungen an die Normadressaten, also die Bürger enthalten. Unbestimmte und offene Strafgesetze können schwerlich generalpräventive Wirkung entfalten. Diese Anforderungen des Grundsatzes nulla poena sine lege betreffen in erster Linie den Besonderen Teil des Strafrechts, also die einzelnen Deliktsbeschreibungen. Ob und wieweit er auch für den Allgemeinen Teil des Strafrechts Geltung beanspruchen kann, ist nicht nur angesichts dessen notwendigerweise höheren Abstraktionsgrades fraglich. So dürfte es sogar verfassungsrechtlich unbedenklich sein, wenn der Gesetzgeber Bereiche der allgemeinen Verbrechenslehre ungeregelt lässt, um die weitere Entwicklung durch Rechtsprechung und Lehre nicht zu behindern. Diese Lücken waren bei Schaffung der Verfassung bekannt und akzeptiert; Art 103 Abs. 2 GG
266
Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 5 Rn. 19 ff.; Schünemann, in: Hefendehl (Hrsg.), Symposium für Bernd Schünemann (2005), S. 349 (351 f.). 267 Vgl. bereits oben 2. Teil, II. 2. a).
II. Theorien für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
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muss vor diesem Hintergrund eingeschränkt ausgelegt werden.268 Trotzdem verpflichtet der Grundsatz nulla poena sine lege den Gesetzgeber, auch den Allgemeinen Teil des Strafrechts zumindest so bestimmt wie möglich zu formulieren. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine weitere rechtsstaatliche Funktion des differenzierten Beteiligungssystems formulieren: Indem in den §§ 25 ff. StGB die einzelnen Formen einer strafbaren Mitwirkung an einer Tat plastisch beschrieben werden, treten die an den Normadressaten gerichteten Verhaltensanforderungen klar hervor. Die generalpräventive Wirkung der Strafgesetze wird verstärkt, wenn die genaue Art und Weise strafbarer Mitwirkung an einer Tat mit Begriffen beschrieben wird, die nicht nur allgemein verständlich sind, sondern sich ganz vergleichbar im Alltag finden und somit bekannt sind: Was sich hinter Formulierungen wie GemeinschaftlichBegehen, Hilfe-Leisten oder Anstiften verbirgt, ist deutlicher als Begriffe wie mittelbar oder unmittelbar Mitwirken, Kausalwerden oder Zuständigwerden. Die Orientierung der gesetzlich geregelten Beteiligungsformen an sozial bekannten Strukturen hat nicht nur Vorteile bei der Rechtsanwendung, indem die Subsumtion eines Lebenssachverhalts unter die Gesetzesbegriffe erleichtert wird, sondern fördert auch die generalpräventive Wirkung der Strafnormen, indem die Verhaltensanforderungen an die Normadressaten verständlich formuliert sind. dd) Die Funktion des geltenden differenzierten Beteiligungssystems kann somit durch die Bezugnahme auf die Tatbestandslehre, zu der die Beteiligungslehre gehört, wie folgt zusammengefasst werden: Zum einen hat sie das Ziel, die unterschiedlichen Arten der Mitwirkung an einer Straftat nach dem Grad der Verantwortlichkeit eines jeden einzelnen für das tatbestandliche Unrecht differenziert zu erfassen und dient damit einer gerechten Ahndung von Straftaten. Zum anderen bewirkt die konkrete Formulierung einzelner Beteiligungsformen ein hohes Maß an Bestimmtheit, wodurch die generalpräventive Wirkung des Strafrechts gefördert wird. Diese beiden Ziele einer Unterscheidung zwischen einzelnen Formen der Tatbeteiligung können dabei aber durchaus miteinander in Konflikt geraten. So ist vorstellbar, dass ein Verhalten, das an sich die volle Verantwortlichkeit für das Unrecht begründen müsste, dennoch unter die gesetzlichen Begriffe für die Täterschaft nicht ohne weiteres gefasst werden kann. Im Folgenden sollen nun die wesentlichen heute vertretenen Ansichten zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme vorgestellt und kritisch analysiert werden. Ein wichtiger Prüfstein der einzelnen Ansichten ist dabei, ob die Theorien in der Lage sind, die mit dem differenzierten Beteiligungssystem verbundenen Funktionen zu erfüllen.
268
Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 5 Rn. 78.
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2. Teil: Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
3. Die subjektive Teilnahmelehre und die Rechtsprechung a) Die Entwicklung der subjektiven Theorie Die subjektive Theorie zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme hat bis heute eine vor allem in der Praxis große Bedeutung. Sie hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts von Anfang an beherrscht.269 Ihr dogmatischer Ausgangspunkt ist die Äquivalenztheorie, nach der alle Bedingungen für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs gleichwertig sind. Die vom Naturalismus geprägte Rechtswissenschaft der damaligen Zeit reduzierte das äußere Unrecht dabei auf die Kausalität. Folge dieser Betrachtungsweise war, dass eine objektive Abgrenzung der einzelnen Mitwirkungsbeiträge nicht möglich erschien. Die Abgrenzung habe daher subjektiv zu erfolgen. Täter sei, wer mit „Täterwillen“ (animus auctoris), Teilnehmer, wer mit „Teilnehmerwillen“ (animus socii) handele. Am Anfang der Rechtsprechung des Reichsgerichts erfolgte die Unterscheidung danach, ob der Mitwirkende einen selbständigen oder einen unselbständigen Willen hat. Zur Verdeutlichung soll eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1881 zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe dienen: „Will aber hiernach der Mitthäter seine eigene That zur Vollendung bringen, der Gehilfe aber nur eine fremde That, diejenige des Thäters, unterstützen, so kann hierin nur die Bedeutung gefunden werden, daß der Gehilfe nur einen von demjenigen des Thäters abhängigen Willen haben darf, er also seinen Willen demjenigen des Thäters dergestalt unterwirft, daß er es ihm anheimstellt, ob die That zur Vollendung kommen solle oder nicht. Im Gegensatz zu diesem abhängigen Willen des Gehilfen erkennt hingegen der Mitthäter einen den seinigen beherrschenden Willen nicht an.“270 In der weiteren Entwicklung wurde jedoch der Gedanke der Willensunterordnung durch andere subjektive Kriterien zunächst ergänzt und später zurückgedrängt. Insbesondere das Tatinteresse rückte in den Vordergrund. Aufsehen erregender Höhepunkt dieser Entwicklung war der so genannte Badewannenfall, in dem die Schwester einer Mutter deren gerade geborenes uneheliches Kind auf deren Geheiß und in deren Interesse eigenhändig in einer Badewanne ertränkte. Das Reichsgericht hob die Verurteilung der Schwester wegen täterschaftlichen Mordes auf, weil es Zweifel an deren Täterwillen hatte:271 „Ob jemand die Tat als eigene will, richtet sich vornehmlich, wenn auch nicht ausschließlich, nach dem Grade seines Interesses am Erfolg.“ Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die subjektive Theorie des Reichsgerichts übernommen, indem sie die Begriffe „Täterwille“ und „Teilnehmerwille“ als Ausgangspunkt für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gewählt hat. Dabei wurden jedoch vermehrt weitere Kriterien zur Bestimmung des „Tä269 Die Rechtsprechung des Reichsgerichts stand dabei im Einfluss des Reichsgerichtsrats von Buri. – Vgl. nur die Analyse von Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 51 ff. m.w.Nw. 270 RGSt 3, 181 (182 f.). 271 RGSt 74, 84 (85).
II. Theorien für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
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terwillens“ verwendet. Vor allem die Tatherrschaft gewann und gewinnt an Bedeutung.272 Die Verwurzelung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in dem subjektiven Ansatz zeigt jedoch noch einmal in aller Deutlichkeit die Entscheidung des 3. Strafsenats im so genannten Staschynskijfall aus dem Jahr 1962.273 Ein sowjetischer Agent, der zwei Exilpolitiker eigenhändig ermordet hatte, wurde lediglich wegen Beihilfe verurteilt. Der Leitsatz der Entscheidung formuliert dafür die Grundlage: „Wer eine Tötung eigenhändig begeht, ist im Regelfalle Täter; jedoch kann er unter bestimmten, engen Umständen auch lediglich Gehilfe sein.“ Zur weiteren Begründung wird angeführt: „Gehilfe ist, … wer die Tat nicht als eigene begeht, sondern nur als Werkzeug oder Hilfsperson bei fremder Tat mitwirkt. Maßgebend dafür ist die innere Haltung zur Tat.“274 Danach kommt „als bloßer Gehilfe auch derjenige [in Betracht], der alle Tatbestandsmerkmale eigenhändig erfüllt …, wenn ein solcher Teilnehmer meist auch als Täter zu verurteilen sein wird“.275 Die besonderen Umstände, wegen denen ein Täterwille und damit eine Täterschaft des Agenten ausnahmsweise nicht vorgelegen haben sollen, sah der Senat vor allem darin, dass sich der Agent „letztlich der Autorität seiner damaligen politischen Führung wider sein Gewissen unterworfen und daß er die Tatausführung in keinem wesentlichen Punkte selber bestimmt hat. [Seine Opfer] als ,zu beseitigende Feinde der Sowjetunion anzusehen, entsprang nicht seiner eigenen politischen Eingebung. Solche Vorstellungen sind ihm … von Jugend auf ohne wirklichen Erfolg indoktriniert worden.“276 b) Die subjektive Theorie in der heutigen Rechtsprechung: Die „normative Kombinationstheorie“ Diese extrem subjektiven Entscheidungen dürfen jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass die Rechtsprechung sich im Ergebnis und in der Begründung in erheblichem Maße der im Schrifttum herrschenden Tatherrschaftslehre angenähert hat.277 Dies gilt insbesondere für die mittelbare Täterschaft,278 aber auch für die Mittäterschaft, die nach ständiger Rechtsprechung von der Beihilfe nach einer wertenden Gesamtbetrachtung abzugrenzen ist. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Wertung liegen „im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so daß 272
Für die Entscheidungen bis 1962 vgl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 90 ff. 273 BGHSt 18, 87 ff. 274 BGHSt 18, 87 (89 f.). 275 BGHSt 18, 87 (90) unter Berufung auf BGHSt 8, 70 (73). 276 BGHSt 18, 87 (95). 277 Vgl. nur die insoweit aber sehr optimistische Analyse von Küpper, GA 1986, 437 ff.; differenzierender Roxin, BGH-FG IV (2000), S. 177 ff.; ders., Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 642 ff; kritisch Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 31. 278 Roxin, BGH-FG IV (2000), S. 177 (190 ff.).
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Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Angeklagten abhängen.“279 Die neuere Rechtsprechung kombiniert somit mit dem Tatinteresse und der Willensunterordnung Elemente der subjektiven Theorie mit der Tatherrschaftslehre und dem Ziel einer wertenden Zuschreibung des Täterwillens. Ihre Bezeichnung als „normative Kombinationstheorie“ ist daher durchaus treffend.280 Bei aller Annäherung darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Rechtsprechung einen wesentlichen Aspekt der subjektiven Theorie bisher nicht aufgegeben hat: Jeder auch noch so geringe Kausalbeitrag kann grundsätzlich eine Mittäterschaft begründen, sofern er mit Täterwillen erbracht worden ist.281 c) Stellungnahme aa) Zunächst kann der dogmatische Ausgangspunkt der subjektiven Theorie nicht überzeugen. Sie ist dabei prinzipiell denselben Einwänden ausgesetzt wie der extensive Täterbegriff:282 Die Vorstellung, das objektive Unrecht sei auf ein Kausal-Werden für die Tatbestandsverwirklichung beschränkt, muss als überholt gelten. Nicht nur die Lehre von der objektiven Zurechnung hat gezeigt, dass es über die bloße Welt des naturwissenschaftlich Fassbaren hinaus objektive Unterschiede in der Erscheinungswelt gibt.283 Dem Argument, mangels objektiver Unterschiede bei der Mitwirkung an einer Tat sei ein Ausweichen ins Subjektive notwendig, ist damit die Grundlage entzogen. Die Rechtsprechung setzt sich auch selbst in Widerspruch zu diesem dogmatischen Ausgangspunkt. Das lässt sich bereits am Leitsatz der so genannten Staschynskij-Entscheidung zeigen. In der Feststellung, wer „eine Tötung eigenhändig begeht, ist im Regelfalle Täter“, wird nämlich ausdrücklich ein objektives Kriterium benannt – eben die Eigenhändigkeit der Tatbegehung –, das zumindest für den Regelfall die Täterschaft begründen soll. Noch deutlicher tritt dieser Widerspruch bei der so genannten normativen Kombinationstheorie hervor, die wie dargestellt in verstärktem Maße auf objektive Gesichtspunkte bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zurückgreift. bb) Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme mithilfe der subjektiven Theorie beziehungsweise der normativen Kombinationstheorie kann ferner die Funktionen des differenzierten Beteiligungssystems nicht zufrieden stellend erfüllen. 279
So die gleich lautenden Formulierungen in BGH, StV 1981, 275 f., und in den dort angegebenen Urteilen; vgl. ferner die umfangreichen Nachweise bei Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 22 Fn. 22. 280 Der Begriff stammt wohl von Roxin; vgl. Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 644. 281 Vgl. die zusammenfassende Analyse von Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 645. 282 Siehe bereits oben 2. Teil, I. 2. b). 283 Vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 21 m.w.Nw.
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Zunächst zur Aufgabe, zwischen unterschiedlichen Graden der Verantwortlichkeit zu unterscheiden: Zwar weisen die Kriterien, die im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen sind, teilweise auch auf Aspekte hin, die mit der Kategorie der Verantwortlichkeit in Zusammenhang stehen. Dies gilt wohl für den Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft. Die weiteren Gesichtspunkte – Wille zur Tatherrschaft und Tatinteresse – verfehlen diese Aufgabe jedoch. Wenn allein der Wille, die Tat zu beherrschen, bereits ein Indiz für die volle Verantwortlichkeit einer Person für das Unrecht sein soll, wird das subjektive Unrecht – das Voll-Verantwortlich-Sein-Wollen mit dem Unrecht – dem Voll-VerantwortlichSein – gleichgesetzt und damit in gefährlicher Weise Versuchs- in Vollendungsunrecht umgedeutet. Der Wille zur Tatherrschaft ist – verstanden als Vorsatz hinsichtlich der die Tatherrschaft begründenden Umstände – sicherlich notwendig; in diesem Sinne wird das Kriterium „Wille zur Tatherrschaft“ von der Rechtsprechung jedoch ersichtlich nicht verstanden, da der Zusatz „zumindest“ deutlich macht, dass der Wille zur Tatherrschaft auch ohne eine objektive Tatherrschaft ein die Täterschaft (mit-)begründender Umstand sein soll. In besonderem Maße ist jedoch das „Tatinteresse“ nicht geeignet, die Verantwortlichkeit einer Person für das Unrecht zu begründen. Der Grund dafür liegt schlicht darin, dass das Eigeninteresse in erster Linie für die Schuld relevant ist und nicht für die Tatbestandsverwirklichung und damit das Unrecht, obwohl die Beteiligungslehre Teil der Tatbestandslehre ist.284 Wesentlich schwerer wiegt jedoch ein anderer Einwand: Die normative Kombinationstheorie erlaubt keine Abgrenzung, die den Bestimmtheitsanforderungen gerecht wird. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe. Erstens: Die Aufzählung der einzelnen Kriterien für die wertende Gesamtbetrachtung lässt offen, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Was passiert, wenn die Kriterien zu unterschiedlichen Ergebnissen führen? Sind alle gleich wichtig? Ist die Aufzählung abschließend? Wenn nein, welche weiteren Umstände haben Einfluss auf die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme? Diese Fragen zeigen das hohe Maß an Unbestimmtheit bei der Anwendung der normativen Kombinationstheorie. Der Widerspruch zum Bestimmtheitsgrundsatz wird dabei besonders deutlich, wenn den Tatsachengerichten bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ein der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht zugänglicher Beurteilungsspielraum eingeräumt wird.285 Zweitens: Insbesondere das Merkmal des Tatinteresses bleibt unklar.286 Zunächst versagt es bei Delikten, die ein Handeln in fremdem Interesse verlangen wie bei284
Treffend Roxin, BGH-FG IV (2000), S.177 (197). Roxin, BGH-FG IV (2000), S.177 (197). – So aber beispielsweise BGH, NStZ 2003, 253 f. m.w.Nw. 286 Prägnante Zusammenfassung der Kritik am Merkmal des „Tatinteresses“ bei Roxin, BGH-FG IV (2000), S.177 (196 f.). 285
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spielsweise § 216 StGB, und bei sämtlichen Delikten, die eine Drittbereicherungsoder Drittzueignungsabsicht genügen lassen. Ferner bleibt unklar, ob das Eigeninteresse bei sämtlichen Täterschaftsformen eine Rolle spielt. Außerdem dürfte es kaum Fälle geben, in denen sich jemand ohne eigenes Interesse an einer Tat beteiligt; auch Anstifter und Gehilfe haben in aller Regel ein Tatinteresse. Schließlich ist das Merkmal des Eigeninteresses im Strafrecht ohnehin eher ambivalent: Ein und derselbe Umstand wirkt – wie bei der Selbstbegünstigung im Rahmen der §§ 257 f. StGB – einerseits unrechtsausschließend, andererseits bei der Frage der Beteiligung unrechtserhöhend. Drittens: Eine auf der Grundlage der subjektiven Theorie mögliche Bestrafung wegen Beihilfe trotz eigenhändiger Tatbestandsverwirklichung287 hat die Rechtsprechung bis heute für extreme Ausnahmefälle – soweit ersichtlich – nicht ausgeschlossen. Eine solche widerspricht jedoch dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes in § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB, wonach Täter ist, wer die Tat selbst begeht. cc) Die subjektive Theorie kann somit auch in Gestalt der heute von der Rechtsprechung vertretenen normativen Kombinationstheorie nicht überzeugen. Ihre dogmatische Grundlage ist überholt, sie vermag die Unterschiede hinsichtlich des Grades der Verantwortlichkeit nicht darzustellen und ist in ihrer Anwendung in bedenklichem Maße unbestimmt. Gerade jedoch der letzte Aspekt wird – in anderem Gewand – verbreitet als Vorteil gegenüber anderen Abgrenzungstheorien angesehen. In einer engen und starren Unterscheidung läge eine bedenkliche Vergröberung und damit die Gefahr, nicht mehr jeden Tatbeteiligten möglichst gerecht beurteilen zu können.288 Dies wäre in der Tat rechtsstaatlich noch vertretbar, wenn sich diese Korrekturen auf Fälle beschränken lassen könnten, in denen eine an sich vorliegende Täterschaft zu einer Beihilfe herabgestuft wird; schließlich ist Art. 103 Abs. 2 GG als Schutzvorschrift für den Rechtsunterworfenen konzipiert. Ob dies in der Praxis tatsächlich so gehandhabt wird, muss jedoch bezweifelt werden, wie ein Hinweis auf die bereits angesprochene Rechtsprechung belegt, nach der jeder noch so kleine Kausalbeitrag eine Mittäterschaft begründen könne.289 Hinzu kommt, dass die Motive für eine Herabstufung einer Täterschaft zur Beihilfe in Extremfällen und deren Folgen nicht stets unbedenklich sind: Mag die Bestrafung der Schwester als Gehilfin im so genannten Badewannenfall durch das Reichsgericht angesichts der ihr ansonsten damals zwangsläufig drohenden Todesstrafe vor allem aus heutiger Sicht gut nachvollziehbar sein,290 so gilt dies nicht mehr für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im bereits dargestellten Staschynskijfall, der gewollt oder ungewollt als Leitentscheidung bei vielen 287 Vgl. die bereits vorgestellten spektakulären Entscheidungen in RGSt 74, 84 ff. und BGHSt 18, 87 ff. 288 Exemplarisch BGHSt 18, 87 (92 f.). – Zustimmend: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2003), § 29 Rn. 59 ff. 289 Vgl. oben 2. Teil, II. 3. b). 290 Zu den Motiven des Gerichts eindrucksvoll Hartung, JZ 1954, 430 f.
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Aburteilungen befohlener Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft diente.291 4. Die Tatherrschaftslehre a) Die Grundlagen der Tatherrschaftslehre in Gestalt der herrschenden Ansicht im Schrifttum Die Tatherrschaftslehre dominiert in der Rechtswissenschaft die Diskussion um die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Sie liegt beinahe allen aktuellen Lehrbuch- und Kommentardarstellungen zugrunde.292 Zur Durchsetzung verholfen hat ihr vor allem Roxin mit seiner grundlegenden Monografie „Täterschaft und Tatherrschaft“,293 dessen Interpretation bis heute eine beherrschende Stellung einnimmt.294 Sie soll daher auch die Grundlage der folgenden Darstellung der Tatherrschaftslehre bilden. Danach ist der Täter die Zentralgestalt des tatbestandsmäßigen Geschehens. Dieses Leitprinzip ist nun anhand der realen Gegebenheiten deliktischen Handelns schrittweise zu entfalten und zu konkretisieren.295 In aller Regel ist dabei derjenige als Zentralgestalt anzusehen, der das zur Deliktsverwirklichung führende Geschehen beherrscht, wer also die Tatherrschaft besitzt. Es gebe jedoch auch Deliktsgruppen, bei denen die Täterschaft nicht durch die Tatherrschaft vermittelt werde, sondern durch andere Merkmale. Zu nennen sind hier die eigenhändigen Delikte, bei denen für die Täterschaft die eigenhändige Verwirklichung des Tatbestands notwendig 291
Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 654 m.w.Nw. 292 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 25 ff. Rn. 71 ff.; Gropp, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2005), § 10 Rn. 40; Heinrich, Strafrecht, Allgemeiner Teil II (2005), Rn. 1206; Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), § 25 Rn. 10 ff.; Ingelfinger, in: HK-Gesamtes Strafrecht (2008), § 25 StGB Rn. 7 f.; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 35; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 651 ff.; Joecks, in: MüKo-StGB (2003), § 25 Rn. 28 f.; Krey, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil 2, 2. Aufl. (2005), Rn. 67 ff.; Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2005), § 20 Rn. 29; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), Vor § 25 Rn. 6; Maurach/Gössel, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. (1989), § 47 Rn. 84 ff.; Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. (2004), § 21 Rn. 22 ff.; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 27 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 30 ff.; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 32 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 16 f.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 99; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 37. Aufl. (2007), Rn. 517 f. 293 1. Aufl. (1963); 8. Aufl. (2006); zu Vorläufern siehe dort S. 60 ff. 294 Aktuell werden sie von Roxin zusammengefasst in Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 10 ff., 27 ff., 38 ff.; sowie in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 7 ff., 34 ff. 295 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 25 ff.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 12; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 36.
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sei, und die so genannten Pflichtdelikte, bei denen die Täterschaft allein durch die Verletzung einer – meist außerstrafrechtlichen – Sonderpflicht vermittelt werde. Die Tatherrschaft wird somit nicht als Universalprinzip begriffen,296 was angesichts der Tatbestandsbezogenheit der Täterschaft nicht nur zulässig, sondern auch konsequent erscheint. Aber auch der Begriff der Tatherrschaft wird nun weiter entfaltet und konkretisiert. Der unmittelbare Täter habe die Handlungsherrschaft, indem er die Tat eigenhändig durchführt. Der Mittäter besitze die funktionelle Tatherrschaft, weil er eine für das Gelingen des gemeinsamen Tatplans wesentliche Funktion erfülle. Der mittelbare Täter schließlich habe wegen seiner Überlegenheit gegenüber dem unmittelbar die Tat ausführenden Tatmittler eine Willensherrschaft.297 Bei der Willensherrschaft wird weiter danach differenziert, worauf die Überlegenheit beruht: auf Zwang (Willensherrschaft kraft Nötigung), auf Täuschung (Willensherrschaft kraft Irrtums) oder auf der Benutzung eines organisatorischen Machtapparats (Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate).298 b) Varianten der Tatherrschaftslehre Wie gesagt bekennt sich der ganz überwiegende Teil des Schrifttums zur Tatherrschaft als dem entscheidenden Kriterium für eine Täterschaft. Innerhalb dieser Tatherrschaftslehre besteht jedoch eine Reihe von – zum Teil auch erheblichen – Differenzen sowohl in der Begründung als auch in manchen Ergebnissen. So ist schon umstritten, ob es überhaupt Deliktsgruppen gibt, bei denen die Täterschaft mithilfe anderer Kriterien bestimmt werden muss oder ob die Tatherrschaft nicht doch das Tätermerkmal aller (vorsätzlichen) Delikte ist. Auch über die grundsätzliche Reichweite der einzelnen Tatherrschaftsformen besteht Streit: Können nur Tatbeiträge im Ausführungsstadium die funktionelle Tatherrschaft begründen? Ist eine mittelbare Täterschaft auch dann möglich, wenn der unmittelbar Ausführende für die Tat (voll) verantwortlich ist? Der dogmatische Hintergrund dieser Auseinandersetzungen ist wohl vor allem in der Frage zu sehen, wie der Begriff der Tatherrschaft grundsätzlich zu bestimmen ist: eher faktisch, als tatsächliche Beherrschung des tatbestandsmäßigen Geschehens,
296
Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 337 f.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 13 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 36 ff. 297 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 126; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 28; vgl. auch ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 36. 298 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 141 f.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 46; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 54.
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oder eher normativ, also unter Einbeziehung wertender, insbesondere rechtlicher Gesichtspunkte.299 Am Anfang der Entwicklung stand dabei eine eher faktische Betrachtungsweise, zum Teil orientiert an der Struktur der menschlichen Handlung, wonach derjenige Täter ist, der durch zweckbewusste Lenkung des Kausalgeschehens auf den tatbestandsmäßigen Erfolg hin Herr über die Tatbestandsverwirklichung ist,300 zum Teil – daran anknüpfend – auf die Möglichkeit abstellend, die Tat ablaufen lassen, hemmen oder abbrechen zu können.301 Bei der knappen Darstellung der Tatherrschaftslehre Roxins ist jedoch deutlich geworden, dass bereits früh eine Ergänzung des Begriffs der Tatherrschaft mit normativen Kriterien erfolgt ist. Soweit ersichtlich unumstritten ist dabei eine Orientierung an dem Deliktstatbestand, also an der Strafrechtsnorm. Der Täter muss die Verwirklichung des spezifischen Tatbestands beherrschen. Es geht also beispielsweise bei der mittelbaren Täterschaft nicht um die generelle Beherrschung einer fremden Handlung, sondern um die Beherrschung der konkreten tatbestandsmäßigen Handlung. Zur Verdeutlichung: Händigt jemand einem Räuber ein Mittel aus, von dem er behauptet, es führe lediglich zur Bewusstlosigkeit des Opfers, tatsächlich wirkt es jedoch tödlich, ist er mittelbarer Täter des Tötungsdelikts, indem er den insoweit vorsatzlos handelnden Räuber beherrscht, obwohl diese Handlung – bezogen auf den Raub – eine vollverantwortliche Tat des unmittelbar Handelnden darstellt. Teilweise wird die Tatherrschaft auch weitergehend auf die rechtlichen Normen bezogen, so dass eine mittelbare Täterschaft nur dann in Betracht zu ziehen sei, wenn der Tatmittler hinsichtlich des konkreten Delikts nicht verantwortlich handelt. Man könne insoweit von einer rechtlichen Beherrschung durch den Hintermann nicht mehr sprechen.302 Nach diesem Verständnis ist einerseits die Rechtsfigur des „Täters hinter dem (für die Tat verantwortlichen) Täter“ ausgeschlossen, andererseits aber eine mittelbare Täterschaft durch Benutzung so genannter absichtslos-doloser beziehungsweise qualifikationslos-doloser Werkzeuge angezeigt. Deutlicher auf die Notwendigkeit einer Wertung bei der Bestimmung der Tatherrschaft wird abgestellt, 299 Auf eine detaillierte Darstellung sämtlicher Spielarten der Tatherrschaftslehre kann wohl verzichtet werden, da es in dieser Untersuchung vornehmlich um das gemeinsame Grundprinzip der Tatherrschaft und dessen Anwendbarkeit auf Unterlassungsdelikte geht. Es soll daher an dieser Stelle nur die Entwicklung in ihren groben Zügen dargestellt werden. Eine ausführliche Darstellung der unterschiedlichen Varianten der Tatherrschaftslehre gibt beispielsweise Murmann, Die Nebentäterschaft im Strafrecht (1993), S. 69 ff., jedoch vor allem auf den Gegenstand seiner Untersuchung – die sog. Nebentäterschaft – fokussiert. Vgl. auch Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 655 ff. 300 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 99 f.; Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik (1990), S. 136 ff. 301 Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. (1989), § 47 Rn. 89. 302 So ausdrücklich Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 664 f.
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wenn an der Selbstbegehung bei der unmittelbaren Täterschaft als Grundfall einer Tatherrschaft angeknüpft wird und verlangt wird, dass die Tatherrschaft bei der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft mit dieser gleichwertig sein muss.303 Schließlich wird auch vorgeschlagen, die Tatherrschaft gänzlich normativ zu bestimmen, beispielsweise als Bezeichnung für die volle Zuständigkeit einer Person für die Tatbestandsverwirklichung, die sich mithilfe verschiedener Herrschaftsbereiche – insbesondere mithilfe der Elemente der Entscheidungs- und der Gestaltungsherrschaft – begründen lasse.304 Der hier nur kurz angedeutete Streit über die Notwendigkeit und Form einer normativen Bestimmung der Tatherrschaft hat jedoch – wie angeklungen sein dürfte – vor allem Konsequenzen für spezielle Konstellationen bei den einzelnen Täterschaftsformen, so dass eine intensivere Auseinandersetzung, soweit dies für den Gegenstand dieser Arbeit erforderlich ist, dort erfolgen kann. c) Stellungnahme Auch für die Tatherrschaftslehre gilt es nun nachzuweisen, inwieweit mit ihrer Hilfe die mit dem differenzierten Beteiligungssystem verbundenen Ziele verwirklicht werden können. Zunächst zu der Aufgabe, nach Graden von Verantwortlichkeit zu unterscheiden: Auffallend ist dabei, dass nach der Tatherrschaftslehre – zumindest bei den meisten Delikten, den so genannten Herrschaftsdelikten – allein das Kriterium der Tatherrschaft für die Abstufung der Verantwortlichkeit herangezogen wird. Dies erscheint auf den ersten Blick etwas kurz gegriffen, da für die Frage nach der Verantwortlichkeit einer Person für ihr Tun gewiss eine Reihe von Aspekten von Bedeutung sein dürfte. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Beteiligungslehre ein Stück der Lehre vom Tatbestand ist.305 In der Wertungsstufe der Tatbestandsmäßigkeit geht es um die Frage, ob jemand die Voraussetzungen eines Deliktstatbestands erfüllt hat und damit etwas per se Verbotenes getan, beziehungsweise etwas per se Gebotenes nicht getan hat. Die Wertung des Verhaltens als tatbestandsmäßig ist jedoch in verschiedener Hinsicht vorläufig, da es insbesondere noch auf der Wertungsstufe der Rechtswidrigkeit an der Gesamtrechtsordnung gemessen und auf der Wertungsstufe der Schuld festgestellt werden muss, ob die Tat demjenigen auch vorwerfbar ist.306 Bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme geht es also um einen spezifischen Ausschnitt bei der Bestimmung der Verantwortlichkeit, nämlich um die tatbestandsmäßige Verantwortlichkeit. 303 Gallas, Gutachten (1954), S. 121 (128); Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), Vor § 25 Rn. 14 f.; vgl. auch Schünemann, GA 1986, 293 (328). 304 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 35. 305 Siehe oben 2. Teil, II. 2. a) aa). 306 Statt vieler vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl. (2006), § 7 Rn. 61 ff.
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Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Aspekte der Schuldfähigkeit, der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens oder gar des Unrechtsausschlusses, die beim möglichen Täter gegeben sein könnten, für die so verstandene Verantwortlichkeit keine Rolle spielen. Entscheidend ist vielmehr, wer bei einer Beteiligung mehrerer für die Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Geschehens, also für das Gelingen der Tat in der tatbestandsmäßigen Situation, als hauptverantwortlich erscheint und wer eine bloß eingeschränkte Verantwortung dafür trägt. Das von Roxin geprägte Leitmotiv – „Täter ist die Zentralgestalt des tatbestandsmäßigen Geschehens“ –307 bringt dies treffend auf den Begriff. Und die Konkretisierung dieser Zentralgestalt bei den Allgemeindelikten als denjenigen, der die Tatherrschaft besitzt, also den tatbestandsmäßigen Geschehensablauf vorsätzlich in den Händen hält, macht diesen Begriff anschaulich.308 Die Tatherrschaftslehre erfüllt aber nicht nur die Aufgabe des differenzierten Beteiligungssystems, die unterschiedlichen Grade von Verantwortlichkeit voneinander abzugrenzen. Durch die weitere Entfaltung der Tatherrschaft in die – den einzelnen Täterschaftsformen entsprechenden – Tatherrschaftsformen wird auch dem Bedürfnis nach bestimmten – für die Generalprävention notwendigen – Verhaltensbeschreibungen genüge getan. Handlungsherrschaft als eigenhändige Ausführung, Willensherrschaft als Überlegenheit im Wissen und Wollen und funktionelle Tatherrschaft als Erbringen eines für das Funktionieren eines gemeinsamen Plans wesentlichen Beitrags sind nicht nur subsumierbare Rechtsbegriffe, sondern vermitteln auch den Rechtsunterworfenen eine anschauliche Bestimmung der täterschaftlichen Beteiligungsformen. Die positive Bewertung der Tatherrschaftslehre in Bezug auf die Erfüllung der mit dem differenzierten Beteiligungssystem verbundenen Ziele wird auch nicht dadurch geschmälert, dass in Extremfällen eine trennscharfe Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht möglich ist. Dies zu fordern, wäre schlicht unrealistisch. Hier streiten die verschiedenen Varianten der Tatherrschaftslehre über die zutreffenden Ergebnisse im Detail. In vielen dieser Fälle geht es dabei gerade um die Frage, welcher der beiden Funktionen des differenzierten Beteiligungssystems der Vorzug zu geben ist, weil sich eben nicht beide gleichzeitig optimal verwirklichen lassen. Beispiel: Ob ein Tatbeitrag im Vorbereitungsstadium eine Mittäterschaft begründen kann,309 ist auch eine Frage der Bestimmtheit, die durch den Ausschluss entfernterer Tatbeiträge besser gewahrt wird, jedoch möglicherweise auf Kosten einer gerechten Verantwortlichkeitsaufteilung unter Berücksichtigung des Tatplans.
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Siehe oben 2. Teil, II. 4. a). Vgl. jedoch die teilweise berechtigten kritischen Erwägungen zur Tatherrschaftslehre, insbesondere zum Tatherrschaftsbegriff bei Haas, ZStW 119 (2007), 519 (523 ff.). 309 Siehe zu diesem Problem unten 3. Teil, II. 3. a) cc). 308
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5. Abweichende Ansätze aus der Rechtswissenschaft Neben der im Ausgangspunkt subjektiven Abgrenzungstheorie der Rechtsprechung, die die Praxis dominiert, und der Tatherrschaftslehre, die die Rechtswissenschaft dominiert, gibt es eine Reihe weiterer Theorien zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, die sich grob danach einteilen lassen, ob sie der Tatherrschaftslehre nahe stehen oder einen ganz selbständigen Ansatz verfolgen. a) Der Tatherrschaftslehre nahe stehende Ansichten Der Tatherrschaftslehre nahe stehen zunächst die Ansichten, die die täterschaftliche Verantwortung aus der Autonomie310 beziehungsweise aus dem Selbstverantwortungsprinzip311 herleiten wollen. Bei diesen Konzepten geht es vor allem um die Bestimmung oder Begrenzung der mittelbaren Täterschaft, die ausgeschlossen sein soll, sofern der unmittelbar die Tat Ausführende noch „frei“ oder selbst verantwortlich ist. Inwieweit ein solches Prinzip312 tatsächlich für sämtliche Fallkonstellationen sachgerecht ist, soll im Zusammenhang mit der mittelbaren Täterschaft erörtert werden. Vor allem im Ergebnis der Tatherrschaftslehre nahe steht der Vorschlag, Täterschaft als Entscheidungsträgerschaft zu sehen.313 Den einzelnen Beteiligungsformen entspricht dann die „originäre Entscheidungsträgerschaft“ des unmittelbaren Täters,314 die „Entscheidungsübernahme“ bei der mittelbaren Täterschaft315 und der „Entscheidungsverbund“ bei der Mittäterschaft.316 Dass ein solcher Ansatz zu ähnlichen Ergebnissen wie die Tatherrschaftslehre kommen muss, ergibt sich schon daraus, dass sich die Tatherrschaft weiter auffächern kann in eine Entscheidungs- und eine Gestaltungsherrschaft.317 Ob der Verzicht auf das Element der Gestaltungsherrschaft insbesondere bei der Mittäterschaft sachgerecht ist, erscheint jedoch zweifelhaft.318
310 Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum (1984); Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung (1997). 311 Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen (1986). 312 Vor allem der Begriff der Autonomie erscheint dafür auch nicht unbedingt geeignet, da er wohl zu unbestimmt ist; vgl. dazu vor allem die Kritik an Meyer von Küper, JZ 1986, S. 219 ff. 313 Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft (2002). 314 Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft (2002), S. 199 ff. 315 Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft (2002), S. 202 ff. 316 Heinrich, Rechtsgutszugriff und Entscheidungsträgerschaft (2002), S. 285 ff. 317 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 35. 318 Vgl. auch Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft (2006), S. 668.
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b) Selbständige Ansichten aa) Die subjektive Theorie hat bis heute Befürworter in der Rechtswissenschaft.319 Da sie sich zur Begründung – wie die Rechtsprechung – vor allem auf die objektive Gleichwertigkeit aller Ursachen und damit aller Tatbeiträge berufen, kann auf die Kritik an der Rechtsprechung verwiesen werden.320 Ein der neueren Rechtsprechung und ihrer so genannten normativen Kombinationstheorie ähnlicher Ansatz möchte die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme in einem ganzheitlichen Zusammenhang von einer ganzen Reihe von subjektiven und objektiven Momenten abhängig machen, wobei es vom jeweiligen Einzelfall abhängen soll, welche Merkmale jeweils entscheidend sind.321 Dieser Ansatz vermag jedoch die Funktionen des geltenden differenzierten Beteiligungssystems nicht zu erfüllen: Seine Anwendung ist zu unbestimmt, auch verbunden mit der Gefahr willkürlicher Entscheidungen; und soweit Kriterien berücksichtigt werden sollen, die schuldrelevant sind, kann mit seiner Hilfe auch nicht die tatbestandliche Verantwortlichkeit zutreffend erfasst werden. bb) Einen ganz anderen Ansatz wählt Stein, der die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auf der Ebene der Verhaltensnormen vornehmen möchte. Danach sollen die Verhaltensnormen für die Täterschaft, die Anstiftung und die Beihilfe von unterschiedlicher „Dringlichkeit“ sein. Die für die Täterschaft seien am dringlichsten, während die Teilnahmeverhaltensnormen deshalb von geringerer Dringlichkeit seien, weil die dem Täter auferlegte Verhaltenspflicht bereits einen relativ stabilen „Schutzwall“ für das Rechtsgutsobjekt errichtet habe.322 Die „Dringlichkeit“ einer Verhaltensnorm ergebe sich dabei aus der Aufstellung der Verhaltensnorm, die sich stets aus einer Abwägung von Gesichtspunkten für und gegen die Existenz der Norm ergebe; die Dringlichkeit der Norm hänge von dem Maß dieses Überwiegens ab.323 In der Sache erscheint der Ansatz vor allem einen Perspektivenwechsel darzustellen, da er in seinen Ergebnissen kaum von der Tatherrschaftslehre abweicht: Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme erfolgt nicht auf der Basis der Sanktionsnorm, sondern auf der Basis der Verhaltensnorm. Überspitzt kann man sagen, dass eine Mitwirkung mit Tatherrschaft eine Verhaltensnorm mit größerer „Dringlichkeit“ verletzt, der lediglich akzessorische Rechtsgutsangriff des Teilnehmers324 eine mit 319 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2003), § 29 Rn. 59 ff.; Arzt, JA 1980, 553 (556). 320 Siehe oben 2. Teil, II. 3. c). 321 Schmidhäuser, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Studienbuch, 2. Aufl. (1984), 10. Abschn. Rn. 46; ähnlich Geerds, Jura 1990, 176. 322 Vgl. nur die Darstellung der Leitprinzipen dieses Ansatzes von Stein, Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre (1988), S. 238 ff. 323 Stein, Die strafrechtliche Beteiligungsformenlehre (1988), S. 76. 324 Zum Strafgrund der Teilnahme siehe unten 3. Teil, III. 1.
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2. Teil: Grundlagen der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
geringerer „Dringlichkeit“. Ein solcher Perspektivenwechsel erscheint vor allem für die Absicherung und Begründung gewonnener Ergebnisse hilfreich. Es ist jedoch zweifelhaft, ob Steins neuer Weg tatsächlich einen besseren Ansatz für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bedeutet, da er zum einen mit der Verhaltenspflicht einen an sich nicht quantifizierbaren Begriff in den Mittelpunkt rückt, der zudem zu sehr an einen Einzeltäter anknüpft, und ferner das Unrecht nicht sachgerecht auf das Verhaltensunrecht reduziert, sondern das Erfolgsunrecht faktisch ausblendet.325 Die Tatherrschaftslehre erscheint daher das Maß der Verantwortlichkeit für das Unrecht besser nachzuzeichnen, als die „Dringlichkeit“ von Verhaltensnormen. Zudem erscheint dieser zentrale Begriff der Konzeption als zu unbestimmt im Hinblick auf den Grundsatz nulla poena sine lege und dessen generalpräventive Funktion im Rahmen der Tatbestandslehre. 6. Zusammenfassende Stellungnahme Die Analyse der wesentlichen Ansätze zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme hat ergeben, dass die Tatherrschaftslehre die Funktionen des geltenden differenzierten Beteiligungssystems am besten erfüllt. Die einzelnen Arten der Tatherrschaft bei den jeweiligen Täterschaftsformen erfüllen die Anforderungen an den – die Generalprävention sichernden – Bestimmtheitsgrundsatz und machen die unterschiedliche Verantwortlichkeit für das tatbestandsmäßige Unrecht durch den Bezug auf die Beherrschung des tatbestandsmäßigen Geschehens plausibel. Dieses Bekenntnis zur Tatherrschaftslehre ist jedoch zunächst nur ein erster Schritt zur Lösung des hier behandelten Problems der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten. Die im ersten Teil herausgearbeitete Besonderheit des strafrechtlichen Vorwurfs bei den Unterlassungsdelikten führt insbesondere zu der Frage, ob man durch die Nichtvornahme einer Körperbewegung ein tatbestandsmäßiges Geschehen beherrschen kann. Es geht also – anders gewendet – um die Reichweite des Tatherrschaftsgedankens für die Bestimmung der Täterschaft im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Deliktstatbestände. Die Tatbestandsbezogenheit der Beteiligungslehre erfordert aber zunächst einen Blick auf die einzelnen Beteiligungsformen. Wie dargelegt geht es bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes konkret um die Bestimmung der spezifischen Voraussetzungen der einzelnen Beteiligungsformen, die einer genaueren Analyse unterzogen werden müssen, speziell anhand des Gesichtspunkts, inwieweit eine Verwirklichung durch die Nichtvornahme einer Körperbewegung, also durch Unterlassen möglich ist. Die Grundlage dieser Analyse bildet dabei die Tatherrschaftslehre.
325 Zur Kritik vgl. ausführlich Küper, ZStW 105 (1993), 445 (470 ff.); Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 661 f.
II. Theorien für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme
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Tatherrschaft lässt sich dabei unterteilen in Entscheidungsherrschaft und Gestaltungsherrschaft, also in die Beherrschung des „Ob“ und des „Wie“ der Tat.326 Diese Einzelelemente der Tatherrschaft sind bei den verschiedenen Täterschaftsformen nun sicherlich verschieden ausgeprägt. Vereinfacht lässt sich zusammenfassen, dass der unmittelbare Täter die Handlungsherrschaft hat, indem er selbst vollständig über das „Ob“ und „Wie“ der Tatbestandsverwirklichung bestimmt. Der mittelbare Täter besitzt demgegenüber aufgrund seiner durch Irrtum oder Zwang begründeten Überlegenheit die Willensherrschaft, indem er das „Ob“ der Tat durch seinen überlegenen Willen beherrscht, sowie das „Wie“ der Tat durch seine mehr oder weniger klaren Anweisungen bestimmt. Der Mittäter schließlich beherrscht das „Ob“ und das „Wie“ der Tat mit den anderen Mittätern gemeinschaftlich. Aus diesem ersten kurzen Blick auf die konkreten Täterschaftsfiguren wird bereits ersichtlich, dass der unmittelbare Täter wohl die intensivste Form der Tatherrschaft besitzt. Mittelbare Täter und Mittäter sind demgegenüber vom Verhalten anderer abhängig, auch wenn das fremde Verhalten möglicherweise nicht frei ist. Daraus lässt sich ableiten, dass für die genaue Bestimmung der Willensherrschaft und der funktionellen Tatherrschaft als Richtschnur angesetzt werden kann, dass sie annähernd mit der Handlungsherrschaft gleichwertig sein müssen, auch wenn der mittelbare Täter und der Mittäter im Vergleich zu einem unmittelbaren Täter über ein Weniger an Tatherrschaft verfügen.327 Dieser Befund stützt den aus der Analyse der gesetzlichen Systematik gewonnenen extrem restriktiven Täterbegriff.328 Wenn nämlich der gemäßigt restriktive Täterbegriff sämtliche Täterschaftsformen in die Deliktsbeschreibungen der einzelnen Tatbestände des Besonderen Teils hineinliest, suggeriert er eine Gleichwertigkeit hinsichtlich der Tatherrschaftsformen. Dies vermeidet der extrem restriktive Täterbegriff, nach dem nur die unmittelbare Täterschaft unter die Deliktsbeschreibungen fällt und damit auch die §§ 25 Abs. 1 Var. 2, 25 Abs. 2 StGB Strafausdehnungsgründe sind. Diese Interpretation harmoniert somit auch besser mit der für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme grundsätzlich zutreffenden Tatherrschaftslehre.
326 327 328
Siehe bereits oben 2. Teil, II. 4. a). Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), Vor § 25 Rn. 14. Siehe oben 2. Teil, I. 2. d).
Dritter Teil
Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten I. Einleitung Im zweiten Teil wurde die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme genauer als Abgrenzung der gesetzlich vorgegebenen Beteiligungsformen bestimmt, ohne dass bisher auf deren jeweilige Konstruktion konkreter eingegangen worden ist. Dies soll nun erfolgen. Dabei sollen die Besonderheiten der Unterlassungsdelikte einbezogen werden. Die im ersten Teil herausgearbeiteten Unterschiede zwischen Begehungs- und Unterlassungsdelikten hinsichtlich ihrer jeweiligen Anknüpfungspunkte – in erstem Fall die Vornahme, im zweiten die Nichtvornahme einer Körperbewegung – und die dadurch bedingten Unterschiede in der Zurechnung werfen die Frage auf, ob sämtliche Beteiligungsformen auch durch Unterlassen verwirklicht werden können oder ob die Besonderheit des Unterlassens und der Unterlassungsdelikte eine Konstruktion einzelner Beteiligungsformen nicht zulässt. Diese Frage rechtfertigt sich insbesondere aus der Besonderheit des Allgemeinen Teils des Strafrechts. Die Bildung eines Allgemeinen Teils bezweckt, bestimmte für die Delikte des Besonderen Teils gemeinsame geltende Bestimmungen „vor die Klammer zu ziehen“. Der Vorteil dieser Gesetzgebungsmethode liegt auf der Hand: Sie ist systematisch klar und ökonomisch. Sie hat jedoch auch Nachteile: Der notwendigerweise hohe Abstraktionsgrad der Regelungen des Allgemeinen Teils führt unvermeidlich zu unscharfen, nicht immer klar bestimmten Formulierungen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Regelungen in den Allgemeinen Teil gezogen werden, die nicht für sämtliche Delikte des Besonderen Teils gelten. Der Allgemeine Teil hat insofern eine gewisse überschießende Tendenz.329 Vor diesem Hintergrund sollen in diesem Teil die einzelnen Beteiligungsformen zunächst für den in ihrer Existenz gesicherten Bereich der Begehungsdelikte dargestellt und dann jeweils gefragt werden, ob eine entsprechende Ausgestaltung in Form eines Unterlassens denkbar ist. Auch wenn dabei auf die verschiedenen hierbei diskutierten Fallgruppen eingegangen werden soll, steht nicht so sehr die genaue Umgrenzung der einzelnen Beteiligungsformen im Vordergrund. Ziel dieses Abschnittes ist vielmehr herauszuarbeiten, welche Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten 329 Zu diesen Gefahren vgl. Gropp, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2005), § 1 Rn. 66 mit Bsp.
II. Täterschaft
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überhaupt abgegrenzt werden müssen, weswegen vor allem ihre dogmatische Konstruktion im Mittelpunkt stehen soll.
II. Täterschaft 1. Die unmittelbare Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB a) Die unmittelbare Begehungstäterschaft Unmittelbarer Täter ist, wer die Tat selbst begeht. Dies wird üblicherweise umschrieben als die eigenhändige – beziehungsweise eigenkörperliche – Erfüllung des gesamten Tatbestands.330 Die Tatherrschaft begründet sich aus der Vornahme der tatbestandsentsprechenden Handlung, weshalb die Tatherrschaft des unmittelbaren Täters meist als Handlungsherrschaft bezeichnet wird.331 Aber auch das Kriterium der Eigenhändigkeit bedarf näherer Erläuterung. Denn auch ein mittelbarer Täter, sogar ein Anstifter oder Gehilfe erbringt seinen jeweiligen Mitwirkungsbeitrag eigenhändig. Eine eigenhändige Verwirklichung des Tatbestands und damit eine unmittelbare Täterschaft liegt daher nur dann vor, wenn es keiner Zurechnung fremder Tatbeiträge bedarf, um das Vorliegen des kompletten Tatbestands zu begründen. Eigenhändige Erfüllung im Sinne einer unmittelbaren Täterschaft meint also genauer die vollständige eigenhändige Tatbestandsverwirklichung; die eigenhändige Verwirklichung nur einer von mehreren zur Tatbestandsverwirklichung führenden Handlungen rechtfertigt daher nicht die Annahme einer unmittelbaren Täterschaft.332 Ein Verhalten ist daher – genauer formuliert – als eigenhändige Tatbestandserfüllung anzusehen, wenn dadurch der Tatbestand unmittelbar verwirklicht wird, wenn es also eines nachfolgenden Verhaltens eines anderen Menschen nicht bedarf.333 Aber auch dieses Ergebnis bedarf weiterer Konkretisierung. Zur Verdeutlichung ein Beispiel:334 Kommt das Opfer eines tödlichen Angriffs bei einer lege artis durchgeführten Notoperation zu Tode, kann dies offensichtlich nichts am Vorliegen der unmittelbaren Täterschaft des Angreifers ändern, obwohl die Handlung des operierenden Arztes den 330 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Tei, Bandl II (2003), § 25 Rn. 38; ders., Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 127 ff.; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 37. 331 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 38; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 35, bezeichnet sie – ohne Unterschied in der Sache – als formelle Tatherrschaft. 332 Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), § 25 Rn. 32; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vor § 25 Rn. 75. – Ein anderes Verständnis würde die Voraussetzungen von § 25 Abs. 2 StGB umgehen; so zutreffend Hoyer, a.a.O. 333 Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), § 25 Rn. 34; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 37. 334 Vgl. dazu Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März: 2000), § 25 Rn. 33 f.; Rudolphi, in: SK-StGB, 6. Aufl. (Stand: Juni 1997), Vor § 1 Rn. 58 ff., 73 f.
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
Tod letztlich verursacht hat. Daraus folgt, dass eine unmittelbare Täterschaft gegeben ist, wenn dem Täter der tatbestandsmäßige Erfolg aufgrund eines eigenhändig geschaffenen Risikos zugerechnet werden kann, ohne dass es der Zurechnung von daran anschließenden Handlungen Dritter bedarf.335 Eine solche Konkretisierung erlaubt auch die zutreffende Erfassung des Beispielsfalls: Das ärztliche Handeln als zeitlich letzte Ursache spielt für die Zurechnung keine Rolle, da es dem vom Angreifer geschaffenen Risiko entgegenarbeitet.336 Wer nach diesen Grundsätzen das unerlaubte Risiko einer Tatbestandsverwirklichung eigenhändig geschaffen hat, besitzt die Herrschaft über das „Ob“ der Tat und damit die Entscheidungsherrschaft und über das „Wie“ der Tat, also die Gestaltungsherrschaft, da allein ein unerlaubtes Risiko nach den Grundsätzen der Lehre von der objektiven Zurechnung für die Tatbestandsverwirklichung rechtlich relevant ist. Es bleibt jedoch noch zu klären, ob die eigenhändige Schaffung des unerlaubten Risikos stets zur Annahme einer unmittelbaren Täterschaft führt oder nur Voraussetzung dafür ist, dass eine unmittelbare Täterschaft zwar in der Regel vorliegt, aber nicht zwangsläufig auch vorliegen muss. Die Rechtsprechung hat es vor der Schaffung von § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB – wie bereits dargestellt – grundsätzlich für möglich gehalten, dass trotz vollständiger eigenhändiger Tatbestandsverwirklichung lediglich Beihilfe gegeben sein kann.337 Unter der Geltung dieser Vorschrift zur unmittelbaren Täterschaft hat sie dies – soweit ersichtlich – nicht mehr getan. In den Mauerschützenfällen, die bezüglich der unmittelbar Ausführenden eine gewisse Ähnlichkeit mit der Staschynskij-Entscheidung aufweisen, hat der Bundesgerichtshof dies noch nicht einmal erwogen.338 Trotzdem hat er eine solche Lösung in extremen Ausnahmefällen bisher noch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Auf der Grundlage der Tatherrschaftslehre und angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB339 ist die Möglichkeit einer Beihilfe trotz eigenhändiger Schaffung des unerlaubten Risikos jedoch abzulehnen.340 Die Gründe für das 335 Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März: 2000), § 25 Rn. 34 ff.; vgl. auch Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 38, Fn. 91a. 336 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 675. 337 Siehe oben 2. Teil, II. 3. a). 338 BGHSt 40, 218 ff. 339 In der Begründung des E 1962 (BT-Drucks. IV/650, S. 149) heißt es dazu: „Diese begriffliche Bestimmung macht deutlich, daß, wer die Tat selbst begeht, … stets Täter ist und nicht etwa wegen fehlenden Täterwillens Teilnehmer sein kann, wie in der Rechtsprechung früher bisweilen angenommen worden ist.“ 340 Dies entspricht der ganz h.M. im Schrifttum; vgl. nur Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 53 ff. m.w.Nw. – Nach Schlösser, JR 2006, 102 (108 f.), schließt der Wortlaut von § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB bei einem normativen Begriffsverständnis eine Beihilfe des die Tat unmittelbar Ausführenden nicht aus. Dies sei ferner mit der Tatherrschaftslehre vereinbar, zumindest könne die Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des unmittelbar Handelnden in Fällen der sog. Organisationsherrschaft einen Umfang erreichen, der zur Verneinung der Tatherrschaft führe, ohne dass dies auch eine Gehilfenschaft ausschlösse.
II. Täterschaft
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Vorgehen der Rechtsprechung, in extremen Ausnahmefällen bloße Beihilfe anzunehmen, betreffen nämlich nicht die Frage der Verantwortlichkeit für die Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Unrechts, sondern sie ergeben sich aus anderen für die Strafzumessung relevanten Aspekten, insbesondere aus einer geringeren Schuld angesichts einer Abhängigkeit des unmittelbar Ausführenden, die jedoch für die Frage des „Ob“ der strafrechtlichen Verantwortlichkeit insgesamt keine Auswirkungen hat. Deutlich wird dies beispielsweise in der Begründung des Bundesgerichtshofs in der Staschynskij-Entscheidung, in der ausführlich auf die politische Erziehung beziehungsweise Indoktrination, die Unterwerfung unter fremde Autorität und die persönlich-finanzielle Abhängigkeit des die Tat unmittelbar Ausführenden eingegangen wird.341 All dies vermag jedoch nichts an der Verantwortlichkeit für die reine Tatbestandsverwirklichung zu ändern, da der Täter die Tat vollständig eigenhändig ausgeführt hat. Dem Bundesgerichtshof war jedoch aufgrund der absoluten Strafandrohung des § 211 StGB eine Berücksichtigung dieser Strafzumessungsgesichtspunkte verwehrt, weshalb er wohl den Weg zu einer Strafmilderung über die Beihilfe eingeschlagen hat, um die nach seiner Ansicht sachgerechten Ergebnisse zu erzielen. Dieser Ausweg musste jedoch – und dies dürfte der wesentliche Unterschied sein – in den Mauerschützenfällen nicht gegangen werden, da den unmittelbar die Tötung ausführenden Grenzsoldaten in der Regel die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun. Dieser Verbotsirrtum war zwar vermeidbar, weshalb sie bestraft worden sind;342 § 17 S. 2 StGB eröffnete jedoch die Möglichkeit einer Strafmilderung, weshalb die angeführten schuld- und strafzumessungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt werden konnten.343 All dies legt die Vermutung nahe, dass die Rechtsprechung mit dem Weg einer Bestrafung wegen bloßer Beihilfe trotz eigenhändiger Tatbestandsverwirklichung in bestimmten Fällen trotz gesetzlich festgelegter absoluter Strafandrohung eine Strafzumessung ermöglichen wollte. Es liegt auf der Hand, dass es zur Vermeidung ungerechter Ergebnisse im Einzelfall besser ist, eine Restriktion der betreffenden Delikte – vor allem im Mordtatbestand – vorzunehmen.344
341
BGHSt 18, 87 (95 f.). Vgl. nur Rosenau, Tödliche Schüsse im staatlichen Auftrag, 2. Aufl. (1998), S. 276 ff. 343 Zudem kamen bei den Mauerschützen selbst Mordmerkmale in der Regel nicht in Betracht; vgl. Rosenau, Tödliche Schüsse im staatlichen Auftrag, 2. Aufl. (1998), S. 266 ff. 344 Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn 57 f.; zu den Vorschlägen in diesem Zusammenhang vgl. nur Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), Vor § 211 Rn. 18 ff. m.w.Nw., auch zu der von der Rspr. favorisierten sog. Rechtsfolgenlösung. 342
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
b) Die unmittelbare Unterlassungstäterschaft aa) Zur Möglichkeit einer Übertragung der Bestimmung der unmittelbaren Begehungstäterschaft auf Unterlassungsdelikte Eine Unterlassungstäterschaft liegt jedenfalls in den Fällen vor, in denen nur der Unterlassende den tatbestandsmäßigen Erfolg abwenden kann und kein anderer an der Verwirklichung dieses Erfolgs beteiligt war. Es liegt dann keine Beteiligung mehrerer vor, der Unterlassende ist alleiniger Täter, wenn man so will: unmittelbarer Unterlassungstäter. Interessanter ist jedoch die Frage, inwiefern die Erkenntnisse zur unmittelbaren Begehungstäterschaft auf Unterlassungen übertragen werden können. Aus der entwickelten Bestimmung der unmittelbaren Täterschaft als eigenhändige – von der Zurechnung anschließender Handlungen unabhängige – Schaffung des Risikos lassen sich zwei mögliche Schlussfolgerungen für die unmittelbare Unterlassungstäterschaft ziehen, die kritisch überprüft werden sollen: Da es beim Unterlassen nicht um die Schaffung eines unerlaubten Risikos geht, sondern um die unerlaubte Nichtbeseitigung eines Risikos für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs, kann man zum einen die These formulieren, dass eine unmittelbare Unterlassungstäterschaft dann gegeben sei, wenn der Unterlassende vollständig eigenhändig das Risiko beseitigen kann. Zum anderen lässt sich auch restriktiver eine solche Täterschaft bejahen, wenn der Unterlassende vollständig eigenhändig dieses Risiko durch eine Handlung beseitigen kann, die den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verhindert hätte, zu dem es sonst ohne eine weitere Handlung eines Dritten unweigerlich gekommen wäre. bb) Zur Erfolgsabwendungsmöglichkeit als Kriterium der unmittelbaren Unterlassungstäterschaft Unmittelbare Unterlassungstäterschaft als Möglichkeit der eigenhändigen Beseitigung des Risikos für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs zu bestimmen, hieße, die Erfolgsabwendungsmöglichkeit als Voraussetzung aller Erfolgsunterlassungsdelikte als täterschaftsbegründendes Merkmal zu bezeichnen.345 Zunächst ist richtig, dass die Erfolgsabwendungsmöglichkeit eine notwendige Voraussetzung zur Begründung von Kausalität und objektiver Zurechnung bei Unterlassungsdelikten ist, sofern es um die Verhinderung des Eintritts eines tatbestandsmäßigen Erfolgs geht. Dies allein vermag jedoch eine Täterschaft nicht zu begründen, denn: Auch im Begehungsbereich gibt es Handlungen, die für die Tatbestandsverwirklichung unerlässlich sind, ohne dass dieser Umstand zwangsläufig gleich die Täterschaft begründen würde. Beispiel: Derjenige, der einem Attentäter ein Präzisions345 In diese Richtung lassen sich Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 14 Rn. 8, 13, verstehen; deutlicher noch Stratenwerth, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl. (1981), Rn. 1062.
II. Täterschaft
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gewehr verkauft, ohne das ein Attentat auf das schwer bewachte Opfer chancenlos wäre, ist bloßer Gehilfe, weil er die Tat des Attentäters nicht beherrscht. Allein der Umstand, dass bei Unterlassungsdelikten die Tathandlung des Unterlassenden stets unerlässlich ist, da ja ansonsten der Erfolg nicht abwendbar gewesen wäre, stellt jedoch keinen sachlichen Grund dar, diese Voraussetzung zu einem die Täterschaft begründenden Merkmal aufzuwerten. Dieses Ergebnis lässt sich auch mithilfe der Tatherrschaftslehre stützen. Der Grund, warum die vollständige eigenhändige Tatbestandsverwirklichung bei Begehungsdelikten stets die unmittelbare Täterschaft begründet, liegt darin, dass ein solcher Täter die volle Entscheidungs- und Gestaltungsherrschaft über das tatbestandsmäßige Geschehen besitzt. Eine derartige Sachlage liegt bei Unterlassungen jedoch nicht vor: Dem Unterlassenden fehlt es gerade sowohl an der Gestaltungsherrschaft, als auch an der Entscheidungsherrschaft, die er nur in negativer – also in Form der Verhinderungsmöglichkeit – aber nicht in positiver Hinsicht hat, so dass er nicht bestimmen kann, ob das Tatobjekt überhaupt einem unerlaubten Risiko ausgesetzt wird oder nicht. Ohne die die Tatherrschaft des unmittelbaren Begehungstäters begründenden Umstände lässt sich eine Täterschaft des Unterlassenden in der parallelen Konstellation der vollständigen Eigenhändigkeit der Vornahme des tatbestandsmäßigen Verhaltens jedoch nicht ohne Weiteres rechtfertigen. cc) Zur Idee des so genannten Tatherrschaftswechsels als Bestimmung der unmittelbaren Unterlassungstäterschaft Fraglich ist jedoch, ob eine solche Täterschaft bejaht werden kann, wenn der Unterlassende nicht nur vollständig eigenhändig dieses Risiko durch eine Handlung beseitigen kann, sondern zum Zeitpunkt der Erfolgsabwendungsmöglichkeit keine Handlung eines Dritten mehr notwendig ist, damit es zum Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs kommt. Beispiel: Der Vater hat sein Kind tödlich verletzt und die Mutter unternimmt anschließend nichts, um das Kind zu retten, obwohl dies noch möglich gewesen wäre. Auf einen Begriff gebracht verbirgt sich hinter dieser Überlegung die Idee eines Tatherrschaftswechsels, der besonders deutlich wird, wenn der unmittelbar Ausführende auch noch seine „Herrschaft“ über das tatbestandsmäßige Geschehen verloren hat. Bekanntes Beispiel aus der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang ist der bereits in der Einleitung kurz dargestellte Fall346 des Hausarztes, der seine bewusstlose Patientin sterben lässt, nachdem er sie nach der Einnahme einer Überdosis Schlafmittel gefunden hat, um ihren Sterbewillen zu respektieren. Nach Eintritt der Bewusstlosigkeit habe sie – so der Bundesgerichtshof – ihre Tatherrschaft verloren, die nun auf den Arzt übergegangen sei.347
346 347
Siehe Einleitung I. BGHSt 32, 367 (374).
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
Gegen diese Idee des Tatherrschaftswechsels, nach dessen Eintritt der Unterlassende unmittelbarer Täter werde, lassen sich zwei Einwendungen erheben, eine eher pragmatische und eine aus der Tatherrschaft des unmittelbaren Täters abzuleitende dogmatische. In praktischer Hinsicht spricht gegen diesen Ansatz, dass er zu zufälligen Ergebnissen führt, und zwar je nachdem, ob eine Rettung des Rechtsguts auch nach Abschluss der Handlung des Begehungstäters noch möglich ist, ohne dass ersichtlich wäre, welchen Einfluss dies auf die Verantwortlichkeit des Unterlassenden haben soll. Diese Zufälligkeit der Ergebnisse wird besonders deutlich, wenn man mit der Rechtsprechung eine Garantenpflicht grundsätzlich auch bei einem freiverantwortlichen Suizid annimmt.348 Wählt der Suizident ein unmittelbar tödlich wirkendes Mittel, bliebe ein potentiell anwesender Garant straflos, auch wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, die Selbsttötungshandlung zu verhindern; wählt er ein Mittel, das zunächst zur Bewusstlosigkeit führt, aus der er noch gerettet werden könnte, würde der Unterlassende nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB bestraft. Es ist auch dogmatisch nicht einsichtig, warum der Umstand des Zeitpunkts der Erfolgsabwendungsmöglichkeit bei der Frage nach der Verantwortlichkeit des Unterlassenden für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs von Bedeutung sein sollte. Anders ist die Situation im Begehungsbereich, bei dem die Frage, ob jemand den zeitlich letzten notwendigen und unerlaubten Risikofaktor für die Tatbestandsverwirklichung setzt, von entscheidender Bedeutung ist. Denn in diesem Fall besitzt der die Tat unmittelbar Ausführende die positive und die negative Entscheidungsherrschaft, also er entscheidet über das „Ob“ der Tat, und besitzt auch insofern die Gestaltungsherrschaft, als er die Gestaltung der Tat durch seinen notwendigen Beitrag komplettiert. Im Bereich der Unterlassungsdelikte sind demgegenüber derartige Änderungen hinsichtlich der Beherrschung des Geschehens nicht ersichtlich. dd) Ergebnis: Die unmittelbare Unterlassungstäterschaft Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine unmittelbare Unterlassungstäterschaft existiert. Die Grenzziehung für die unmittelbare Begehungstäterschaft ist jedoch nicht auf die unmittelbare Unterlassungstäterschaft übertragbar, da die Kriterien der Entscheidungs- und Gestaltungsherrschaft durch positives Tun, die die unmittelbare Begehungstäterschaft begrenzen, im Unterlassungsbereich keine entsprechende Wirkung für die Verantwortlichkeit über das tatbestandsmäßige Geschehen entfalten. Daraus muss jedoch nicht ohne Weiteres folgen, eine Tatherrschaft durch Unterlassen gebe es gar nicht, und somit funktioniere die Tatherrschaftslehre bei Unterlassungsdelikten nicht. Es dürfte nur klar sein, dass eine Tatherrschaft bei Begehungsdelikten anderen Kriterien folgen muss als bei Unterlassungsdelikten.
348 Vgl. zu diesem Streit im Zusammenhang mit BGHSt 32, 367 ff., bereits die Nachweise oben in der Einleitung I.
II. Täterschaft
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2. Die mittelbare Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB a) Die mittelbare Begehungstäterschaft aa) Grundidee und Grundprinzipien der mittelbaren Täterschaft Nach § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB ist mittelbarer Täter, wer die Tat durch einen anderen begeht. Kennzeichnend dafür ist, dass ein anderer die unmittelbar den Tatbestand verwirklichende Handlung ausführt, für die jedoch – anders als bei Anstiftung oder Beihilfe – der Hintermann insofern verantwortlich ist, als er den Vordermann gleichsam als Werkzeug für sich handeln lässt.349 Nach der Tatherrschaftslehre ist mittelbarer Täter, wer die Handlung des Vordermanns beherrscht. Die Tatherrschaft des mittelbaren Täters ist die so genannte Willensherrschaft, weil er die steuernde Willensmacht über den Tatmittler besitzt.350 Steuernder Wille und damit Tatherrschaft kann nach ganz überwiegender Ansicht in folgenden drei Konstellationen vorkommen: aufgrund überlegenen Wissens (Willensherrschaft kraft Irrtums), aufgrund Zwangs (Willensherrschaft kraft Nötigung) und durch das Ausnutzen eines organisierten Machtapparats (Organisationsherrschaft).351 Die Überlegenheit des Willens begründet die Entscheidungsherrschaft, das Steuernde des Willens die Gestaltungsherrschaft als die beiden Elemente der Tatherrschaft. Wenn vereinzelt der mittelbaren Täterschaft die Existenzberechtigung abgesprochen wird, weil auch der mittelbare Täter die Handlungsherrschaft habe – schließlich handele auch er selbst und verwirkliche den Tatbestand, indem er ein (menschliches) Werkzeug benutze –352 kann dem aus zwei Gründen nicht zugestimmt werden. Zum einen wird verkannt, dass unmittelbare und mittelbare Täterschaft möglicherweise zwar normativ gesehen gleich sind, aber phänomenologisch unterschiedlich353 und der Gesetzgeber gerade auch im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz und dessen Funktion zu Recht auf solche realen Phänomene abstellt. Zum anderen verstellt eine solche Sichtweise den Blick auf die Unterschiede bei der Benutzung von menschlichen und mechanischen Werkzeugen. Während mechanische Werkzeuge allein mittels der Natur, also faktisch beherrscht und damit benutzt werden, kann die Benutzung von Menschen zur Tatbestandsverwirklichung nur normativ bestimmt werden, da der Mensch zumindest grundsätzlich einen freien Willen besitzt. Um diesem Unterschied und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Bestimmung der Täterschaft 349
Vgl. nur Frisch, in: Lexikon des Rechts, Strafrecht, 2. Aufl. (1996), S. 972 (976). Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S.142. 351 Vgl. bereits oben 2. Teil, II. 4. a). 352 Schild, Täterschaft als Tatherrschaft (1994); ders., in: NK-StGB, 2. Aufl. (2005), § 25 Rn. 59; so auch Frister, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (2007), 25. Kap. Rn. 8 f. 353 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 677. – Es ist jedoch zuzugeben, dass dieser phänomenologische Unterschied bisweilen ganz in den Hintergrund tritt, weil die Täterschaft des Hintermanns so evident ist wie bei einer unmittelbaren Täterschaft; vgl. die Beispiele bei Frister, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (2007), 25. Kap. Rn. 9. 350
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
gerecht werden zu können, ist die Differenzierung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft auch normativ gerechtfertigt. Bisweilen wird für die Bestimmung der mittelbaren Täterschaft statt auf die Tatherrschaft auf das Prinzip der Autonomie beziehungsweise der Selbstverantwortung zurückgegriffen.354 Gemeinsame Grundidee dieser Ansichten ist, dass die autonome oder selbstbestimmte Entscheidung des unmittelbar handelnden Vordermanns eine Täterschaft des Hintermanns ausschließe.355 Gegen diese der Tatherrschaftslehre vor allem in den Ergebnissen nahe stehende Methode356 sind jedoch drei Einwände zu erheben: Erstens geht es bei der Begehung der Tat durch einen anderen nicht nur um die Eigenschaften des die Tat unmittelbar Ausführenden, sondern vor allem um die Beziehung des Hintermanns zu ihm und zur Tat, welche jedoch durch den Fokus allein auf den Vordermann unbeachtet bliebe.357 Zweitens lässt sich bezweifeln, ob das Prinzip der Autonomie beziehungsweise der Selbstverantwortung für die Bestimmung des Grades einer Verantwortlichkeit geeignet ist, da diesem Prinzip an sich die Aufgabe zukommt, die Grenzen des Verbotenen insgesamt zu bestimmen.358 Drittens schließlich dürften die Begriffe Autonomie und Selbstverantwortung mit der Aufgabe der Bestimmung einer täterschaftlichen Verantwortung nach § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB überfordert sein, da sie dafür schlicht zu unscharf und unbestimmt sind.359 Bei aller Kritik darf jedoch nicht übersehen werden, dass das Verantwortungsprinzip allgemein bei der Bestimmung der Willensherrschaft durchaus eine Bedeutung hat, aber eben bei der Frage nach einem steuernden überlegenen Willen in Bezug auf den Hintermann und auf die Tat insgesamt.360 Grundprinzip der mittelbaren Täterschaft ist somit die Tatherrschaft. Die Willensherrschaft als Tatherrschaft bei mittelbarer Täterschaft unterscheidet sich jedoch von der Handlungsherrschaft bei unmittelbarer Täterschaft. Durch die Benutzung eines Menschen als Werkzeug wird die Tatbestandsverwirklichung über einen fremden Willen vermittelt. Dies hat folgende Konsequenzen für die Tatherrschaft: Während der unmittelbare Täter bei der Handlungsherrschaft die volle Entscheidungsherrschaft über die Tatbestandsverwirklichung besitzt, indem er allein entscheidet, ob er die Handlung vollzieht oder nicht, ist die Entscheidungsherrschaft des mittelbaren 354 Meyer, Ausschluß der Autonomie durch Irrtum (1984); Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung (1997); Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen (1986). 355 Dass diese Idee auch von den Vertretern dieses Ansatzes nicht konsequent umgesetzt wird und wohl auch nicht werden kann, weist Roxin nach; vgl. Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 678 ff. 356 Vgl. bereits oben 2. Teil, II. 5. a). 357 Neumann, GA 1985, 476 (477); Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 679; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 65. 358 Frisch, JZ 1988, 655; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 680. 359 Frisch, JZ 1988, 655; Küper, JZ 1986, 219 (229); Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 679 ff. 360 Vgl. auch Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 65.
II. Täterschaft
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Täters geringer. Der mittelbare Täter ist davon abhängig, dass der Tatmittler die Handlung auch seinem Willen entsprechend vornimmt. Zwischen der Entscheidung des Hintermanns und dem tatbestandsmäßigen Erfolg steht somit noch eine Entscheidung des Vordermanns, die aufgrund der grundsätzlichen Willensfreiheit des Menschen anders als bei rein naturgesetzlichen Zusammenhängen nicht als vollständig determiniert angesehen werden kann.361 Die Unsicherheit beim Einsatz eines menschlichen Werkzeugs ist daher eine andere als die beim Einsatz eines mechanischen Werkzeugs (obwohl das womöglich auch einmal nicht funktionieren kann), da ein Mensch trotz Irrtums oder Zwangs niemals vollständig gezwungen ist, sich so oder so zu verhalten.362 Aber nicht nur die Entscheidungsherrschaft ist bei der mittelbaren Täterschaft gegenüber der unmittelbaren Täterschaft geringer, sondern auch die Gestaltungsherrschaft. Das Maß der Gestaltung kann dabei im Einzelfall durchaus sehr gering sein. Beispiel:363 Der Vater schickt seinen zehnjährigen Sohn mit dem Auftrag aus dem Haus, er solle ihm ein Bier besorgen, obwohl der Sohn kein Geld hat, um es legal zu beschaffen. Eine mittelbare Täterschaft des Vaters hinsichtlich etwaiger Eigentums- oder Vermögensdelikte, die begangen werden müssen, damit der Sohn das Bier für den Vater besorgen kann, dürfte trotz unklarer Vorstellung hinsichtlich des genauen Tatablaufs gegeben sein. Die Gestaltung der Tat ist jedoch allein dem Sohn, also dem Tatmittler überlassen. Beide Elemente – Entscheidungsherrschaft und Gestaltungsherrschaft – müssen jedoch vorhanden sein, um eine der unmittelbaren Täterschaft annähernd gleichwertige Tatherrschaft annehmen zu können. Für die Entscheidungsherrschaft bedarf es einer Überlegenheit im Wissen oder Wollen gegenüber dem Tatmittler. Für die Gestaltungsherrschaft ist notwendig, dass der mittelbare Täter die Tat steuert. Erst diese Steuerung macht aus der überlegenen Entscheidungsherrschaft die Tat des Hintermanns, welcher die Überlegenheit zur Begehung der Tat ausnutzt und damit nicht nur das Werkzeug grundsätzlich beherrscht, sondern auch konkret die Tat beherrscht. Hinsichtlich dieses Steuerungselements ähneln sich mittelbare Täterschaft und Anstiftung. Sie unterscheiden sich durch die überlegene Entscheidungsherrschaft. Zu klären bleibt, welche konkreten Anforderungen an dieses Element der Steuerung des tatbestandsmäßigen Geschehens als Mindestmaß für die Gestaltung der Tat 361 Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), Vor § 25 Rn. 12; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung (1997), S. 71; Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen (1986), S. 111. – Auf die umfangreiche Diskussion um die Willensfreiheit, die besonders in den letzten Jahren durch neuere Erkenntnisse der Hirnforschung wieder überaus lebendig geworden ist, kann hier nicht eingegangen werden; vgl. nur Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), Vor § 13 Rn 26 f. m.w.Nw. Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass die Motivierbarkeit durch Normen die Basis der gesamten Rechts- und Gesellschaftsordnung und daher zu akzeptieren ist. 362 So zutreffend Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), Vor § 25 Rn. 12, gegen Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 173. 363 Nach Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 66.
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
durch den mittelbaren Täter zu stellen sind.364 Dabei muss klar sein, dass es bei der mittelbaren Täterschaft um die Instrumentalisierung eines Menschen als Werkzeug geht – dies ist der Grund für die täterschaftliche Haftung eines Hintermanns – und nicht um sonstige Beiträge zur Deliktsverwirklichung wie Planung, Verschaffung des Tatwerkzeugs und ähnliches, auch wenn sie noch so erheblich sind.365 Das Element der Gestaltungsherrschaft bei der mittelbaren Täterschaft ergibt sich vielmehr aus der Idee der Instrumentalisierung, die – wie dargelegt – als Mindestanforderung eine Lenkung des Tatmittlers verlangt,366 durch die auch die Tat selbst in eine bestimmte, vom Hintermann gewählte Richtung gesteuert wird.367
364
Dies scheint die eigentliche Frage hinter der Diskussion zu sein, inwieweit der mittelbare Täter nicht nur Kenntnis von seiner Überlegenheit haben muss, sondern diese Überlegenheit noch ausnutzen oder gar geschaffen haben muss; vgl. zu dieser Diskussion nur Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 68 ff. mit Fn. 136; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 665, 668 f.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 686 ff. 365 Küper, JZ 1989, 935 (938 f.). 366 Küper, JZ 1989 , 935 (942); Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. (1989), § 48 Rn. 4; vgl. auch Bloy, Die Beteiligungsformen als Zurechnungstypus im Strafrecht (1985), S. 337. 367 Diese Einschränkung kann in manchen Fällen zu Strafbarkeitslücken führen. Es geht insbesondere um die Mitwirkung an unvorsätzlichen Ausführungshandlungen ohne Lenkung durch den Mitwirkungsbeitrag. Beispiel (nach Jakobs): Eine Mutter bittet um ein Glas Wasser, um ihrem Kind ein Medikament zu geben, wobei sie jedoch das Medikament mit einem Gift verwechselt. Durchschaut nun derjenige, der um das Wasser gebeten wurde, die Verwechslung und kommt der Bitte trotzdem nach, fehlt es wohl an einem solchen lenkenden Moment, so dass eine mittelbare Täterschaft ausscheiden würde. Eine Teilnahme an der unvorsätzlichen Tat kommt wegen des eindeutigen Wortlauts von § 27 StGB ebenfalls nicht in Betracht (zur Teilnahme an unvorsätzlicher Tat vgl. ausführlich Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. [2006], S. 352 ff.). Nun ist es möglich, aus den §§ 26 f. StGB zu folgern, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, eine Strafandrohung für die Teilnahme an einer unvorsätzlichen Tat müsse nicht geregelt werden, da in solchen Fällen der vorsätzlichen Mitwirkung an unvorsätzlicher Tatausführung stets eine mittelbare Täterschaft gegeben sei (so Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. [1991], 21. Abschn. Rn. 72). Dies würde einen Verzicht auf Gestaltungsherrschaft bedeuten, um Strafbarkeitslücken zu schließen. Dagegen sprechen jedoch mehrere Einwände: Erstens hat der Gesetzgeber bei der Schaffung der §§ 26 f. StGB durchaus bewusst Strafbarkeitslücken in Kauf genommen, nämlich bei der Mitwirkung eines Extraneus an der unvorsätzlichen Begehung eines Sonderdelikts durch einen Intraneus, so dass das Schließen unbewusster Lücken durch eine solche Auslegung nicht angezeigt ist. Zweitens ist in den denkbaren Beispielsfällen oftmals zweifelhaft, ob überhaupt eine Teilnahmebestrafung in Betracht kommt, auch wenn eine Teilnahme an unvorsätzlicher Tat möglich wäre, da die „Teilnahmehandlungen“ in der Regel sog. neutrale Alltagshandlungen sind (vgl. zu dem Streit um die Behandlung dieser „neutralen Beihilfe“ nur Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. [2007], § 27 Rn. 2a m.w.Nw.). Drittens besteht der eigentliche Vorwurf in solchen Fällen eher darin, dass der vorsätzlich Mitwirkende die Tat nicht verhindert hat, was ein Unterlassungsvorwurf ist. Bei Vorliegen der Voraussetzungen eines entsprechenden Unterlassungsdelikts – insbesondere bei Bestehen einer Garantenpflicht – ist dies auch möglich; vgl. zu diesen Fallkonstellationen unten fünfter Teil.
II. Täterschaft
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bb) Fallgruppen der mittelbaren Täterschaft aufgrund Willensherrschaft Nach der Darstellung der Grundprinzipien der mittelbaren Täterschaft soll noch ein Überblick über die drei üblicherweise anerkannten Fallgruppen der Willensherrschaft gegeben werden, bei dem insbesondere die Anforderungen an die Entscheidungsherrschaft des mittelbaren Täters, die bisher nur als Voraussetzung genannt worden ist, konkretisiert werden sollen. (1) Willensherrschaft kraft Irrtums Bei der Irrtumsherrschaft ermöglicht ein Wissensvorsprung des Hintermanns gegenüber dem ausführenden Vordermann die Beherrschung des tatbestandsmäßigen Geschehens. Klassisches Beispiel: Ein Arzt veranlasst eine Pflegekraft, einem Patienten eine vermeintliche Beruhigungsmittelspritze zu injizieren, die jedoch tatsächlich – wie der Arzt weiß – ein tödliches Gift enthält. Der Arzt hat sich eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft schuldig gemacht. Dieses Ergebnis ist allgemein akzeptiert, muss jedoch begründet werden. Dabei geht es um zwei Fragen. Erstens: Warum ist der Ausführende bloßes Werkzeug? Zweitens: Wie beherrscht der Hintermann dieses Werkzeug? Die Werkzeugeigenschaft des unmittelbar die Tat Ausführenden erklärt sich zunächst damit, dass er den „sozialen Bedeutungsgehalt“ seines Verhaltens nicht oder zumindest nicht vollständig erfasst.368 Dies wird im oben genannten Beispiel deutlich: Die Pflegekraft weiß nicht, dass sie Gift injiziert, begreift also ihr Verhalten nicht als Tötungshandlung. Diese Unwissenheit führt dazu, dass bei der Pflegekraft ein Hemmungsmotiv wegfällt: Wenn sie nicht weiß, dass sie tötet, fehlt aktuell die Hemmung vor der Tötung eines anderen Menschen. Hinsichtlich des Handlungszwecks handelt sie unfrei, ohne volle – das heißt Wissen voraussetzende – Autonomie.369 Der Hintermann, der, wie im Beispielsfall der Arzt, den Irrtum herbeiführt oder auch bloß ausnutzt, hat wegen dieser „Blindheit“ die Möglichkeit, den Vordermann für seine Ziele zu „instrumentalisieren“.370 Zusammenfassend kann man die Willensherrschaft kraft Irrtums also folgendermaßen beschreiben: Der Wissensmangel des Tatmittlers führt zu einem Ausfall von Hemmungsmotiven, weil das Bewusstsein fehlt, einen Normverstoß zu begehen; ein solches Bewusstsein ist jedoch gerade der wesentliche Grund, derartige Handlungen zu unterlassen. Dies ermöglicht seine Beherrschung durch den Hintermann für dessen eigene Zwecke.371 In einer ganz ähnlichen Richtung, aber mit einer stärkeren Orientierung am Hintermann, wird die Irrtumsherrschaft mit dessen beherrschendem Willen begründet: 368
Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S.232. Küper, JZ 1989, 935 (942 ff.). 370 Küper, JZ 1989, 935 (942, 944), nennt dies den „zweckrationalen Aspekt“ der Tatherrschaft. 371 Grundsätzlich ebenso Ingelfinger, in: HK-Gesamtes Strafrecht (2008), § 25 StGB Rn. 19. 369
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
Sein überlegenes Wissen ermöglicht eine zweckhafte Lenkung des Kausalgeschehens. Das an sich freie Verhalten des Ausführenden wird durch eine „sinnsetzende Überdetermination“ des mittelbaren Täters beherrscht.372 Die die Tatherrschaft begründende Wissensüberlegenheit kann sich dabei grundsätzlich auf sämtliche Stufen des Verbrechenssystems beziehen. Neben dem vorsatzlos und damit tatbestandslos handelnden Tatmittler373 ist ein irrtumsbedingt rechtmäßig handelndes Werkzeug etwa zu bejahen, wenn jemand aufgrund einer vorsätzlich falschen Aussage nach § 127 Abs. 2 StPO vorläufig festgenommen wird.374 Ein schuldlos handelndes Werkzeug wäre beispielsweise jemand, der sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befindet.375 Während in diesem im Ergebnis gesicherten Bereich lediglich über die Begründung der Tatherrschaft gestritten wird, gehen die Ansichten zu den Fallgruppen auseinander, in denen der die Tat unmittelbar Ausführende für sein Tun selbst verantwortlich ist. Es geht allgemein gesagt um die Legitimation eines „Täters hinter dem (verantwortlichen) Täter“. Neben der Konstellation eines lediglich vermeidbaren Verbotsirrtums beim Vordermann, mit der sich der Bundesgerichtshof in der so genannten Katzenkönig-Entscheidung zu beschäftigen hatte,376 fallen darunter Fälle, in denen der Ausführende volldeliktisch handelt, sich jedoch beispielsweise über die Unrechtshöhe, qualifizierende Umstände oder die Identität des Opfers irrt. Schwierigkeiten ergeben sich hier mit dem so genannten Verantwortungsprinzip. Allgemein besagt dieses, bezogen auf die mittelbare Täterschaft, dass trotz einer möglichen tatsächlich-psychologischen Überlegenheit und einer damit verbundenen Art faktischer „Beherrschung“ die Tatherrschaft durch Benutzung eines anderen als Werkzeug als rechtliches Phänomen dort ihre Grenzen findet, wo das Recht das Verhalten des unmittelbar Handelnden als ein freies Verhalten wertet, das seine persönliche Verantwortung begründet.377
372 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 170 ff., 232, 671 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 73; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 62 ff. 373 Vgl. zu dem Fall des noch nicht einmal fahrlässig handelnden Vordermanns sogleich unter cc). 374 Vereinzelt wird eine mittelbare Täterschaft in diesen Fällen abgelehnt, da es mit der Rolle eines korrekt handelnden Organs der staatlichen Rechtspflege unvereinbar sei, es als Werkzeug des Anzeigenden zu verstehen; vgl. Otto, Grundkurs Strafrecht, Die einzelnen Delikte, 7. Aufl. (2005), § 28 Rn. 7; dagegen überzeugend Amelung/Brauer, JR 1985, 474 ff. 375 Anders jedoch Köhler, Strafrecht, Allgemeiner Teil (1997), S. 509 ff., der bei schuldlos Handelnden stets Anstiftung annimmt, da sie an sich selbstbestimmt seien; es handele sich lediglich um eine besonders starke Form der Anstiftung; dagegen zu Recht Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 662 ff.; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 64. 376 BGHSt 35, 347 ff. 377 Gallas, Gutachten (1954), S. 121 (134).
II. Täterschaft
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Auf der Grundlage der Bestimmung der Tatherrschaft des mittelbaren Täters als sinnsetzende oder auch finale Überdetermination ist jedoch fraglich, ob das Verantwortungsprinzip hier überhaupt Geltung beanspruchen kann. Begründet wird dies damit, dass die Willensherrschaft kraft Irrtums anders als die Willensherrschaft kraft Nötigung nicht darauf beruhe, dass das Werkzeug „unfrei“ sei, sondern darauf, dass es hinsichtlich gewisser Umstände „blind“ sei und deshalb sein an sich freies Verhalten nicht richtig erfasse.378 Ganz stimmig ist diese Konzeption jedoch nicht, wenn die Ausführungshandlung, die final überdeterminiert wird, als bloßer Kausalfaktor bezeichnet wird,379 da dies eine eindeutige Kennzeichnung dieses Verhaltens als „unfrei“ ist.380 Wie soll auch sonst eine fremde Handlung determiniert werden können? Jedenfalls kann das Verantwortungsprinzip bei der mittelbaren Täterschaft kraft Irrtumsherrschaft nicht streng gelten, wie bereits ein Blick auf den hier dargestellten Ausgangsfall zeigt: Wenn der Pflegekraft vorgeworfen werden kann, dass sie fahrlässig den wahren Inhalt der Spritze verkannt hat, handelt auch sie verantwortlich; sie hat sich einer fahrlässigen Tötung schuldig gemacht. Also gerade der „Paradefall“ der mittelbaren Täterschaft in Form der Irrtumsherrschaft, nämlich die Benutzung eines vorsatzlos handelnden Tatmittlers, gerät mit einem strengen Verständnis des Verantwortungsprinzips in Konflikt.381 Will man jedoch die Tatherrschaft nicht als ein rein tatsächlich-psychologisches Phänomen, sondern als ein rechtliches Phänomen erfassen, können die rechtlichen Wertungen, bei denen es gerade um die Verantwortlichkeit geht, nicht vollständig ausgeblendet werden. Der Schlüssel dafür liegt in der bereits dargestellten Begründung für die Tatherrschaft des Hintermanns bei einem unvorsätzlichen Tatmittler: Die Beherrschung wird durch den aktuellen Ausfall von Hemmungsmotiven beim unmittelbar handelnden Tatmittler ermöglicht, der durch den Hintermann für dessen Ziele in der konkreten tatbestandsmäßigen Situation instrumentalisiert wird. Hierbei können jedoch nur solche Beeinträchtigungen von Hemmungsmotiven berücksichtigt werden, die das Recht für relevant hält, um dem Hintermann eine rechtlich gleichwertige Verantwortlichkeit für die Tatbestandsverwirklichung vorwerfen zu können wie einem unmittelbaren Täter. Denn darum geht es bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme.382 Insofern ist das Verantwortungsprinzip auch bei Irrtumsherrschaft grundsätzlich von Bedeutung, muss jedoch, da es um die aktuelle Beherrschung fehlender Hemmungsmotive geht, insofern modifiziert werden, als dass es allein darauf ankommt, ob die Hemmungsmotive beim Ausführenden aktuell vorhanden sind, und nicht, ob er fähig gewesen wäre, die
378 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 170 ff.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 62; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 73. 379 Vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 62. 380 Küper, JZ 1989, 935 (947). 381 Vgl. nur Küper, JZ 1989, 935 (942, 947). 382 Vgl. oben 2. Teil, II. 2. c).
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
Hemmungsmotive aufzubauen. Rechtlich relevant sind dabei solche Hemmungsmotive, die aus der Einsicht resultieren, etwas Verbotenes zu tun.383 Aus diesen Grundsätzen folgt für die Reichweite einer Willensherrschaft kraft Irrtums, dass nicht nur ein unvorsätzlich Handelnder als Werkzeug in Betracht kommt, und zwar auch dann, wenn ihm hinsichtlich seiner Tatumstandsunkenntnis Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, sondern ebenfalls ein im Verbotsirrtum Handelnder, und zwar wiederum unabhängig davon, ob seine Fehlvorstellung unvermeidbar war oder nicht.384 Keine Tatherrschaft kraft Irrtumsherrschaft ist in Fällen anzunehmen, in denen sich die Fehlvorstellung des Vordermanns auf solche Umstände bezieht, die allein den konkreten Handlungssinn berühren.385 Solche Irrtümer betreffen nicht die Vorstellung, etwas Verbotenes zu tun oder nicht, so dass von einem Ausfall der Hemmungsmotive gerade nicht ausgegangen werden kann. Diese Irrtümer – insbesondere ein Irrtum über die Schadenshöhe und die Identität des Tatobjekts – drehen sich lediglich um das Interesse an der Tat, bei dem es sich jedoch nicht um einen Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit für das Tatgeschehen handelt, sondern um einen Schuldgesichtspunkt, weshalb er für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme und die damit verbundenen Funktionen irrelevant ist.386 383
Küper, JZ 1989, 935 (944). Dies ist vor allem hinsichtlich eines vermeidbaren Verbotsirrtums beim Vordermann sehr umstritten; das hier vertretene Ergebnis entspricht jedoch der h.M.; vgl. nur BGHSt 35, 347 (353 f.), dem jedoch grds. eine Abgrenzung aufgrund einer Wertung des konkreten Einzelfalls vorschwebt, sowie Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2003), § 29 Rn. 139; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 25 Rn. 38; Gropp, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2005), § 10 Rn. 52; Herzberg, Jura 1990, 16 ff.; Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2005), § 20 Rn. 20 ff.; Küper, JZ 1989, 935 (944); Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 25 Rn. 4; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 199 ff., 697; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 82; Schroeder, Der Täter hinter dem Täter (1965), S. 76 ff., 126 ff. – Anders (bloße Teilnahme) Bloy, Beteiligungsformen als Zurechnungstypus im Strafrecht (1985), S. 347 ff.; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 96; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 669; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 53 ff. 385 Anders vor allem Roxin, von dem auch dieser zusammenfassende Begriff für die einzelnen Fallgruppen stammt; vgl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 212 ff., 700 ff.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 94 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 96 ff. – Diese Ansicht ist auf der Grundlage seines Konzepts deshalb möglich, weil er dem Verantwortungsprinzip bei der Irrtumsherrschaft jegliche Bedeutung abspricht. Dieser Standpunkt wurde bereits dargestellt und abgelehnt. 386 Eine Zwischenstellung nimmt der Irrtum über qualifikationsbegründende Umstände ein, da er sich auf den Vorsatz bzgl. eines gesetzlichen Tatbestands bezieht und die Frage der Beteiligung eine Tatbestandsfrage ist, die daher grds. für jede Tatbestandsverwirklichung isoliert betrachtet werden muss; vgl. nur Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), § 25 Rn. 66 m.w.Nw. – Aber auch hier ist wohl eine mittelbare Täterschaft im Ergebnis abzulehnen: Erstens liegt eine Beherrschung der Tat lediglich hinsichtlich des überschießenden, also des qualifizierenden Teils der Tat und nicht über die Tat insgesamt vor; zweitens lässt sich aus der gesetzgeberischen Entscheidungen, ob er eine tatbestandliche Qualifikation normiert oder sich 384
II. Täterschaft
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(2) Willensherrschaft kraft Nötigung Bei der Nötigungsherrschaft beruht die Tatherrschaft des Hintermanns auf Zwang. Beispiel: Jemand wird durch die Drohung mit körperlichen Misshandlungen gezwungen, eine Sachbeschädigung zu begehen. Der unmittelbar die Tat Ausführende befindet sich in einem Nötigungsnotstand und ist zumindest nach § 35 Abs. 1 StGB entschuldigt, sofern ihm kein anderer Ausweg bleibt.387 Der nötigende Hintermann beherrscht über die Drohung das tatbestandsmäßige Geschehen und ist im Beispielsfall einer Sachbeschädigung in mittelbarer Täterschaft schuldig. Das Hauptproblem bei der Bestimmung der Grenzen der Nötigungsherrschaft liegt darin, wie stark der Druck auf den Vordermann sein muss, damit er als Werkzeug angesehen und als solches vom Hintermann instrumentalisiert werden kann. Dieses konkrete Abgrenzungsproblem wird üblicherweise mithilfe des Verantwortungsprinzips gelöst. Dem liegt folgender Gedanke zugrunde: Es entspreche der in § 35 Abs. 1 StGB zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung, dem Hintermann die Tatbestandsverwirklichung zuzurechnen, sobald der Ausführende wegen des auf ihn ausgeübten Drucks von der Verantwortlichkeit für die Tatbestandsverwirklichung entlastet wird.388 Daraus folge, dass bei einem Druck unterhalb dieser gesetzlichen Schwelle, also in Fällen so genannter „notstandsähnlichen“ Situationen, eine mittelbare Täterschaft des nötigenden Hintermanns ausscheide. Ein so verstandenes Verantwortungsprinzip ist jedoch problematisch. Erstens ist die Entlastung von Verantwortlichkeit oder ihre Einschränkung als solche noch keine ausreichende Begründung für ein Herrschaftsverhältnis,389 um das es jedoch bei der Frage der Begehung einer Straftat durch einen anderen geht. Zweitens wird die Grenze einer zulässigen Gesetzesauslegung überschritten, wenn man § 35 Abs. 1 StGB die Funktion beimisst, eine Herrschaftsposition des Hintermanns zu begründen: Die Norm regelt ausschließlich die fehlende Schuld und damit die fehlende Strafbarkeit desjenigen, der unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift eine Straftat begeht.390 Eine bessere Begründung liefert daher eine parallele Sicht des Herrschaftsverhältnisses bei Nötigungs- und Irrtumsherrschaft. Denn in beiden Konstellationen mangelt der Regelbeispielstechnik bedient, nicht schließen, dass er im ersten Fall eine andere Tat annimmt, im zweiten jedoch nicht. 387 Dabei ist jedoch umstritten, ob in solchen Fällen auch § 34 StGB in Betracht kommt, obwohl der unmittelbar Ausführende auf die Seite des Unrechts tritt, wenn auch gezwungenermaßen, und – falls man dies bejaht – ob dieser Umstand zumindest im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen wäre; vgl. nur Roxin, Strafrecht AT, Band I, 4. Aufl. (2006), § 16 Rn. 67 m.w.Nw. 388 Vgl. nur Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 143 ff., 685 ff.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 48 m.w.Nw.; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 61. – Dies gilt im Übrigen erst recht, wenn der unmittelbar Handelnde nach § 34 StGB gerechtfertigt ist. In diesem Fall gibt es kein Unrecht, für das er verantwortlich gemacht werden kann. 389 Küper, JZ 1989, 935 (948). 390 Küper, JZ 1989, 935 (948).
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
es dem unmittelbar ausführenden Vordermann an Hemmungsmotiven. Bei der Irrtumsherrschaft erkennt er das Verbotensein seines Handelns nicht, weshalb er keine Hemmungsmotive überwinden muss. Bei der Nötigungsherrschaft werden die Hemmungsfaktoren, die durch das Erkennen des Verbotenseins der Tat an sich vorhanden sind, unterdrückt oder beseitigt, weil gegenläufige Motive erzeugt werden, indem der Selbsterhaltungs- beziehungsweise Gefahrabwendungswille aktiviert wird. Das Ergebnis – fehlende Hemmungsmotive beim Vordermann – ist somit bei Irrtumsherrschaft und Nötigungsherrschaft dasselbe, einmal wird jedoch bereits ihre Entstehung verhindert, das andere Mal werden sie unterdrückt; die Unfreiheit des Tatmittlers ist gleich, die Gründe dafür sind phänomenologisch unterschiedlich.391 Ausgehend davon kann das oben benannte Abgrenzungsproblem umformuliert werden: Wann ist der Druck auf den Vordermann so groß, dass die Hemmungsfaktoren soweit beseitigt sind, dass er als ein Werkzeug erscheint, das vom Hintermann benutzt werden kann? Dies ist eine Wertungsfrage, die wohl am besten mithilfe der gesetzlichen Regelungen beantwortet werden sollte und kann. Erst an dieser Stelle kommt § 35 Abs. 1 StGB ins Spiel, der einen Motivationsdruck gesetzlich typisiert, bei dem grundsätzlich eine Verantwortlichkeit für die Entscheidung gegen das Recht nicht mehr besteht: In einer solchen Situation wird von Rechts wegen dem Ausführenden nicht mehr vorgeworfen, sich gegen das Unrecht entschieden zu haben. Das Verantwortungsprinzip ist vor diesem Hintergrund also zwar kein Begründungsprinzip, aber ein notwendiges Maßprinzip für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme in Nötigungskonstellationen.392 (3) Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate Die umstrittenste Fallgruppe der mittelbaren Täterschaft bildet die Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate, kurz Organisationsherrschaft. Grundidee ist dabei, dass ein Geschehen auch beherrscht werden könne, indem man über einen Machtapparat gebietet, der die Ausführung von Befehlen auch ohne Zwang und Täuschung sichert, weil der Apparat als solches die Ausführung des Befehls gewährleistet.393 Als Beispiel für eine solche Täterschaft können die unzähligen staat391
Vgl. zum Ganzen Küper, JZ 1989, 935 (947). Küper, JZ 1989, 935 (948). – Zur Ergänzung: Geht der Vordermann irrtümlich von einem Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 StGB aus, liegt gleichsam eine Kombination von Irrtums- und Nötigungsherrschaft vor, bei der nach dem hier vertretenen Ansatz – unabhängig von einer Unvermeidbarkeit der Fehlvorstellung – grds. eine mittelbare Täterschaft in Betracht kommt: Geht es doch stets um eine aktuelle Herrschaft, die auch möglich ist, wenn die Hemmungsmotive durch entgegenstehende Gefahrabwendungsmotive i.S.v. § 35 Abs. 1 StGB unterdrückt werden. (Nur) im Ergebnis ebenso Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 91 ff. 393 Vgl. nur den wesentlichen Entwickler dieser Idee Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 242 ff., 704 ff.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 105 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 128 ff.; ferner Schroeder, Der Täter hinter dem Täter (1965), S. 166 ff. 392
II. Täterschaft
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lich befohlenen Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland zwischen 1933 und 1945 dienen. Die Kritik an dieser Form der mittelbaren Täterschaft hat mehrere Stoßrichtungen. Zunächst besteht wohl ein Konflikt mit dem Verantwortungsprinzip, schließlich sind die unmittelbar die Tat ausführenden „Rädchen im Getriebe“ des Machtapparats selbst als unmittelbare Täter für ihr Handeln voll verantwortlich.394 Vornehmlich wird jedoch die Tragfähigkeit der Hauptbegründung für die Organisationsherrschaft infrage gestellt: die unbegrenzte Austauschbarkeit des unmittelbaren Täters in solchen Machtapparaten, ihre „Fungibilität“.395 Hierbei spielt sicherlich auch die Gefahr einer kaum noch vertretbaren Ausdehnung der Organisationsherrschaft auf sämtliche Formen „regelhafter Abläufe“ eine Rolle.396 Alternativ wird daher vorgeschlagen, die Hintermänner solcher Straftaten als Anstifter397 oder möglicherweise auch als Mittäter398 zu verurteilen. Intuitiv erscheint jedoch die Annahme einer mittelbaren Täterschaft derartiger „Schreibtischtäter“ richtig: Die hierarchische Struktur der Organisationen, sowie ihre Verantwortlichkeit und Befehlsgewalt gegenüber den unmittelbar Ausführenden lassen vor allem die Annahme einer bloßen Teilnahme an den Taten der Vordermänner als unangemessen erscheinen. Zur Absicherung der Rechtsfigur der Organisationsherrschaft werden daher auch ergänzend oder alternativ weitere Begründungen vorgeschlagen. Dabei spielen vor allem folgende Aspekte eine Rolle: die Rechtsgelöstheit der Organisation und die generelle Tatbereitschaft der Ausführenden.399 Ohne auf die verschiedenen Modelle, deren Vor- und Nachteile im Einzelnen und die Probleme einer Anwendung der Organisationsherrschaft auf wirtschaftliche Organisationen im Detail eingehen zu können, soll zumindest kurz untersucht werden, 394 395
So ausdrücklich auch Roxin, Strafrecht AT, Band II (2003), § 25 Rn. 107. Insbesondere Roxin begründet die Tatherrschaft ganz wesentlich mit dieser Besonder-
heit. 396
Dies tritt eindrucksvoll zu Tage bei der Darstellung der Anwendung der Organisationsherrschaft durch die Rspr. bei Nack, GA 2006, 342 ff. – Das dort postulierte kriminalpolitische Bedürfnis, in Fällen des sog. Lieferantenbetrugs den Chef eines in einer wirtschaftlichen Krise befindlichen Unternehmens als Betrüger in mittelbarer Täterschaft haften zu lassen, unabhängig davon, ob der konkret handelnde Angestellte Kenntnis von der Krise hat oder nicht (a.a.O., 343 f.), erscheint jedoch zumindest zweifelhaft. Der eigentliche Vorwurf gegen den Chef lautet doch, das Unternehmen trotz Krise weitergeführt zu haben. Ob er sich daher wegen Insolvenzdelikten strafbar gemacht hat, ist jedoch oftmals in der Praxis nur schwer und mit erheblichem Ermittlungsaufwand nachzuweisen. Dann auf die vermeintlich leichter zu beweisenden Betrugsdelikte auszuweichen, erscheint vor diesem Hintergrund rechtsstaatlich problematisch, erweckt es doch nicht nur den Eindruck einer Verdachtsstrafe, sondern löst sich auch von der einzelnen Tat, also dem konkreten Betrug gegenüber dem jeweiligen Lieferanten. 397 Herzberg, in Amelung, Individuelle Verantwortung u.s.w. (2000), 33 (48); Rotsch, ZStW 112 (2000), 518 (562). 398 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2003), § 29 Rn. 68, 146 f.; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 103; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 670. 399 Die einzelnen Ansätze und deren Kritik zusammenfassend Otto, Jura 2001, 753 ff.
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
ob die Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate auf der Grundlage der hier vertretenen Konzeption der Tatherrschaft bei mittelbarer Täterschaft tragfähig ist. Wird – wie hier – die Willensherrschaft auf den Ausfall beziehungsweise auf die Unterdrückung von Hemmungsmotiven beim Vordermann gestützt, muss für die Organisationsherrschaft wohl ebenfalls nachgewiesen werden, dass bei den die Taten unmittelbar Ausführenden die Hemmungsmotive in rechtlich relevanter Weise fehlen. Dies vermag jedoch weder das Merkmal der Fungibilität noch die generelle Tatbereitschaft der unmittelbar Ausführenden leisten. Die Fungibilität erklärt nur die hohe Wahrscheinlichkeit einer Tatbegehung aus der Sicht des Befehlshabers in einer hierarchisch organisierten Struktur; dies allein bietet jedoch keine tragfähige Begründung für die Beherrschung des konkreten tatbestandsmäßigen Geschehens. Auch die unbedingte Tatbereitschaft des Vordermanns allein, die übrigens in einem gewissen Widerspruch zum Merkmal der Fungibilität steht, dessen Grundgedanke ja gerade die Austauschbarkeit bei fehlender Tatentschlossenheit ist, kann eine mittelbare Täterschaft nicht begründen, da auch die Annahme eines Erbietens eines anderen nach § 30 Abs. 2 Var. 2 StGB lediglich als Anstiftung angesehen wird, als Unwandlung eines Tatgeneigten in einen Tatentschlossenen.400 Der entscheidende Gesichtspunkt für eine tragfähige Begründung dürfte daher in der Rechtsgelöstheit der Organisation zu sehen sein.401 Wenn die Organisation selbst eine Gemeinschaft mit eigenen Regeln bildet, die das anbefohlene Verhalten als richtig bewertet, obwohl es Unrecht ist, könnte sich für die unmittelbar Ausführenden eine vergleichbare Situation ergeben wie in den Fällen eines Verbotsirrtums beim Vordermann: Beide gehen davon aus, etwas an sich nicht Verbotenes zu tun, einmal jedoch orientiert am Recht, das andere Mal an den Regeln der (Unrechts-)Organisation; es entstehen jedoch in beiden Fällen nicht genügend Hemmungsmotive, weshalb der Vordermann für die Ziele der Organisation instrumentalisiert werden kann. Solche Konstellationen finden sich insbesondere bei staatlichen Machtapparaten, in denen die unmittelbar die Tat Ausführenden auch keine Sanktionen durch den (Unrechts-)Staat zu befürchten haben. Dann spielt es auch keine Rolle, wenn ihnen bewusst ist, etwas eigentlich – also an den Maßstäben des Rechts gemessen – Verbotenes zu tun. Eine so begründete Tatherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate ist erkennbar auf extreme Fälle beschränkt. Die Begründung trägt keinesfalls eine Übertragung auf jede hierarchische Struktur mit regelhaften Abläufen, insbesondere nicht auf Straftaten im Rahmen der Tätigkeit von Wirtschaftsunternehmen. Aber bereits bei Straftaten organisierter Kriminalität sind kaum Fälle denkbar, in denen die Hem400
Vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 28 Rn. 82 m.w.Nw. in Fn. 110. 401 In diese Richtung insbesondere auch Urban, Mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft (2004), S. 151; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 123.
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mungsmotive der Ausführenden in einem vergleichbaren Maß ausfallen, wie bei jemandem, der sich in einem Verbotsirrtum befindet.402 (4) Sonderfälle Der Vollständigkeit halber soll abschließend noch kurz auf einige Konstellationen eingegangen werden, die sich nicht sogleich unter eine der drei dargestellten Formen der Willensherrschaft einordnen lassen. Die Instrumentalisierung eines Schuldunfähigen zur Tatbegehung wird üblicherweise entweder als Irrtums- oder als Nötigungsherrschaft aufgefasst, je nachdem, ob der Grund für die Schuldunfähigkeit nach den §§ 19, 20 StGB beziehungsweise § 3 JGG darin liegt, dass die Person unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen – dann Irrtumsherrschaft – oder nach dieser Einsicht zu handeln – dann Nötigungsherrschaft.403 Dies kann jedoch nicht überzeugen, da es in beiden Fällen um den Ausfall der Hemmungsmotive beim schuldunfähigen Vordermann geht: Fehlt ihm die Einsichtsfähigkeit, ist es ihm bereits unmöglich, Motive zu entwickeln, die ihn an der Ausführung der Tat hemmen könnten; fehlt ihm die Steuerungsfähigkeit, haben die Motive für ihn keine hemmende Wirkung. Jedenfalls entwickelt er keine rechtlich relevanten Hemmungsmotive. Eine Unterdrückung derartiger Motive durch den Hintermann, wie es für die Nötigungsherrschaft kennzeichnend ist,404 spielt hier keine Rolle. Diese Lösung führt jedoch nur in den Fällen der §§ 20 StGB, 3 JGG zu zweifelsfreien Ergebnissen, da in diesen Fällen die Schuldunfähigkeit für die einzelne Tat jeweils konkret festgestellt wird. Bei § 19 StGB handelt es sich jedoch lediglich um eine – für die Annahme der Schuldfähigkeit – unwiderlegliche Vermutung für Personen unter 14 Jahren, die bei einer konkreten Prüfung tatsächlich anders ausfallen könnte, wenn beispielsweise einem Zwölfjährigen das Unrecht seiner Tat sehr wohl bewusst ist und er auch nach dieser Einsicht handeln könnte. Trotzdem wird man auch bei der Benutzung von Kindern im Sinne von § 19 StGB unabhängig von ihrem Reifegrad eine mittelbare Täterschaft annehmen dürfen,405 da die möglicherweise vorhandenen Hemmungsmotive für die Bestrafung keine Rolle spielen und somit rechtlich irrelevant sind. Hier zeigt sich wiederum die bereits oben dargestellte begrenzte Wirkung des Verantwortungsprinzips als Maßprinzip auch bei der Irrtumsherrschaft.406 402 Keine Organisationsherrschaft liegt vor allem vor, wenn die Straftat nur ausgeführt wird, weil die Sanktionen der verbrecherischen Organisation härter sind als die des Staates; dann ist jedoch möglicherweise ein Fall der Nötigungsherrschaft gegeben. 403 Exemplarisch Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 139. 404 Siehe oben 3. Teil, II. 2. bb) (2). 405 Dies entspricht im Ergebnis der h.M; vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 140 m.w.Nw. auch zur Gegenansicht. 406 Vgl. oben 3. Teil, II. 2. bb) (1) a.E. – Zu der kaum diskutierten Frage der Benutzung eines nach § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähigen Vordermanns, vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 149 ff. m.w.Nw.
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
Unter den Begriffen qualifikationslos-doloses Werkzeug und absichtslos-doloses Werkzeug wird diskutiert, ob eine mittelbare Täterschaft in Fällen anzunehmen ist, in denen dem unmittelbar die Tat ausführenden Vordermann im Gegensatz zum Hintermann eine besondere im Tatbestand vorausgesetzte Täterqualifikation beziehungsweise eine besondere Absicht fehlt, aber ansonsten keine Strafbarkeitsdefizite aufweist. Auf die Behandlung der die Tat qualifikationslos-dolos Ausführenden soll erst später im Zusammenhang mit der so genannten Pflichtdeliktslehre eingegangen werden, da nach weit verbreiteter Ansicht in diesen Fällen nicht die Tatherrschaft, sondern die hinter der Täterqualifikation stehende besondere Pflichtenstellung die Täterschaft begründen soll.407 Anders bei der Benutzung eines absichtslos-dolosen Vordermanns: Die besonderen tatbestandlichen Absichten wie beispielsweise die Zueignungsabsicht beim Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB spiegeln keine besonderen Pflichten wider, sondern verlangen eine gesteigerte Form des Vorsatzes bezogen auf einen Umstand, der oftmals noch nicht einmal objektiv vorliegen muss, wie die Zueignung beim Diebstahl. Durch die Ausweitung der meisten Vermögensdelikte auf Fälle der Drittzueignungs- beziehungsweise Drittbereicherungsabsicht durch das sechste Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998408 sind solche Fälle jedoch kaum noch denkbar.409 Theoretisch verbleibt beispielsweise der Fall, in dem die Aufforderung zur Wegnahme einer fremden Sache durch einen Dritten mit Zueignungsabsicht erfolgt, ohne dass der Aufgeforderte selbst eine (Dritt-)Zueignungsabsicht besitzt, sondern hinsichtlich der Zueignung lediglich mit direktem Vorsatz oder Eventualvorsatz handelt.410 Hier ist der die Wegnahme vornehmende Vordermann mangels Zueignungsabsicht kein Täter, so dass der Hintermann mangels vorsätzlicher und rechtswidriger Haupttat nicht wegen einer Teilnahme bestraft werden kann. Lehnt man eine mittelbare Täterschaft ab, kommt unter Umständen bei den in der Praxis allein relevanten Eigentumsund Vermögensdelikten höchstens noch eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung in Betracht.411 Im Kern geht es hierbei wohl um die Frage, ob die gegenüber dem die
407
Siehe unten 4. Teil, II. 1. Vgl. dazu nur die Übersicht von Hörnle, Jura 1998, 169 ff. 409 Zu den Beteiligungsproblemen des insoweit „besonderen“ räuberischen Diebstahl nach § 252 StGB, der keine Drittbesitzerhaltungsabsicht enthält, vgl. Dehne-Niemann, JuS 2008, 589 ff. 410 Zu Recht weist Roxin darauf hin, dass es schwer fällt, sich praktisch Fälle dieser Art vorzustellen. Nicht unter die Fallgruppe eines absichtlos-dolosen Vordermanns gehören nämlich die Fälle, in denen dem Ausführenden jeglicher Vorsatz hinsichtlich der Zueignung fehlt, der also gar nicht weiß, dass er für einen Diebstahl missbraucht wird; hier ist das Werkzeug nicht dolos, so dass ein gewöhnlicher Fall eines vorsatzlos handelnden Tatmittlers vorliegt. – Vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 156 f. 411 So beispielsweise Wessels/Hillenkamp, Strafrecht, Besonderer Teil/2, 30. Aufl. (2007), Rn. 153a. 408
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Tat unmittelbar ausführenden Vordermann gesteigerte Vorsatzform des Hintermanns eine Tatherrschaft in Form der Willensherrschaft begründen kann. Auf der Grundlage eines auf die aktuelle Beherrschung des tatbestandsmäßigen Geschehens abstellenden Tatherrschaftsbegriffs kann zunächst eine gesteigerte voluntative Komponente des Vorsatzes keine Bedeutung für die Tatherrschaft haben, da sie allein das Tatinteresse betrifft und somit für die Verantwortlichkeit bei der Tatbestandsverwirklichung keine Rolle spielt. Anders bei der kognitiven Seite des Vorsatzes: Ist sich der Hintermann beispielsweise sicher, dass der tatbestandsmäßige Erfolg eintreten wird, während der Vordermann dies lediglich in Form des Eventualvorsatzes ernsthaft für möglich hält, erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, diesen quantitativen Wissensvorsprung als besondere Form der Irrtumsherrschaft anzuerkennen. Sofern die Willensherrschaft kraft Irrtums als „finale Überdetermination“ des tatbestandsmäßigen Geschehens durch den Hintermann begriffen wird, ist dies möglicherweise auch folgerichtig.412 Dies wurde oben jedoch zu Gunsten einer aktuellen Beherrschung eines Vordermanns abgelehnt, dem aufgrund seines Wissensdefizits rechtlich relevante Hemmungsmotive fehlen.413 Auf dieser Grundlage muss jedoch eine mittelbare Täterschaft in Fällen dieser lediglich quantitativen Wissensüberlegenheit ausscheiden, da die Rechtsordnung an die unterschiedlichen Vorsatzformen grundsätzlich keine unterschiedlichen Rechtsfolgen knüpft. Die Hemmungsmotive eines mit Eventualvorsatz und eines mit direktem Vorsatz Handelnden werden insofern rechtlich gleich behandelt. Eine mittelbare Täterschaft durch Benutzung eines absichtlos-dolos handelnden Vordermanns ist somit nicht anzuerkennen, da es die Überlegenheit hinsichtlich des Vorsatzes in keiner denkbaren Konstellation rechtfertigt, den Vordermann als Werkzeug des Hintermanns zu betrachten.414 cc) Zur Abgrenzung von mittelbarer und unmittelbarer Täterschaft Nach der Darstellung der Fallgruppen der mittelbaren Begehungstäterschaft, die vor allem auch vor dem Hintergrund erfolgt ist, eine Übertragung der Grundsätze und Erkenntnisse auf Unterlassungsdelikte erörtern zu können, soll aus ähnlichen Gründen abschließend noch eine knappe Grenzziehung der mittelbaren Täterschaft zur unmittelbaren Täterschaft vorgenommen werden;415 denn möglicherweise gibt es in bestimmten Fallkonstellationen vergleichbare Schwierigkeiten. 412
Vgl. nur Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 224 f. Siehe oben 3. Teil, II. 2. bb) (1). 414 Eine a.A. ist wohl nur aufgrund einer streng normativen Deutung der Tatherrschaft möglich, der hier nicht gefolgt wird; vgl. dazu Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 25 Rn. 4 m.w.Nw. 415 Zur praktischen Relevanz dieser Grenzziehung vgl. andeutungsweise nur Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen (1986), S. 93. 413
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
(1) Benutzt jemand einen anderen Menschen als rein mechanisches Werkzeug, indem er ihn beispielsweise mit absoluter Gewalt gegen eine Scheibe stößt, so dass diese zerspringt, macht er sich einer Sachbeschädigung in unmittelbarer Täterschaft schuldig, da er diesen Menschen nicht als handelndes Subjekt, sondern als nicht handelndes Objekt verwendet. Die Tat wird in solchen Fällen nicht „durch einen anderen“ begangen, wie es § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB verlangt, weil das voraussetzt, dass dieser andere auch etwas begeht, dass die Tat also durch die Handlung eines anderen vermittelt wird.416 (2) Teilweise wird auch bei einem vorsatzlos handelnden Vordermann eine unmittelbare Täterschaft des Hintermanns angenommen,417 obwohl dies – wie auch hier – gewöhnlich als typischer Fall, gleichsam als Normalfall der mittelbaren Täterschaft bezeichnet wird.418 Dies wird heute419 damit begründet, dass die Verantwortlichkeit des Hintermanns allein eine Frage der objektiven Zurechnung sei.420 Diese Ansicht unterscheidet sich im Ergebnis wohl nicht so sehr von dem hier dargestellten Lösungsweg über die mittelbare Täterschaft und erscheint insbesondere dort plausibel, wo der Vordermann noch nicht einmal fahrlässig handelt, weil die Parallele zwischen einem mechanischen und einem menschlichen Werkzeug besonders deutlich wird, wenn dieses Werkzeug in keiner Weise Verantwortung für sein Verhalten trifft.421 So gesehen erscheint die Frage, ob in diesen Fällen unmittelbare oder mittelbare Täterschaft des Hintermanns anzunehmen ist, vor allem die einer unterschiedlichen Perspektive: Soll vornehmlich auf die Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs zum Verhalten des Hintermanns abgestellt werden oder soll dem Umstand, dass sich der Hintermann eines Menschen zur Tatbestandsverwirklichung bedient, Rechnung getragen werden? Insbesondere zwei Aspekte sprechen für die letztere Sichtweise: Erstens wird dieser Weg dem äußeren Erscheinungsbild eines solchen Tatgeschehens eher gerecht, was im Hinblick auf die Bedeutung des Bestimmtheitsgrundsatzes auch für die Rechtsanwendung bei der Beteiligung mehrerer wichtig ist.422 Zweitens erscheint auch der Begründungsweg über die Willensherrschaft, als die Lenkung eines Menschen, dem die rechtlich relevanten Hemmungsmotive fehlen, vor dem 416 Ingelfinger, in: HK-Gesamtes Strafrecht (2008), § 25 StGB Rn. 13; Küpper, GA 1998, 519 (519 f.). 417 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 102. 418 Siehe oben 3. Teil, II. 2. bb) (1). 419 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 109, hat diese Ansicht früher damit begründet, dass ein Vordermann ohne Tatbestandsvorsatz nicht final handele, sondern dies allein der Hintermann tue, so dass die finale Tatherrschaft allein letzterem zufalle. – Dies kann jedoch allein deshalb nicht überzeugen, weil auch die Handlung des Vordermanns in diesen Fällen final ist, lediglich der Inhalt der Finalität bezieht sich nicht auf die Begehung einer Straftat; vgl. Küpper, GA 1998, 519 (521 f.). 420 So insbesondere Jakobs, GA 1997, 553 ff. 421 Hoyer, in: SK-StGB, 7. Auf. (Stand: März 2000), § 25 Rn. 70, der unmittelbare Täterschaft auch nur bei noch nicht einmal fahrlässig handelnden Vorderleuten annimmt; vgl. auch Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 38 Rn. 91a m.w.Nw. 422 Vgl. ausführlich oben 2. Teil, II. 2. c).
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Hintergrund stichhaltiger, dass es hier um ein Werkzeug geht, das trotz aller Blindheit – eben im Unterscheid zu einem rein mechanischen Werkzeug – einen grundsätzlich freien Willen und damit auch grundsätzlich Handlungsfreiheit besitzt. Die Benutzung eines vorsatzlosen Tatmittlers ist somit stets eine Form der mittelbaren Täterschaft, sogar wenn dem Vordermann keine Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann. (3) Ferner ist auch die Benutzung eines Tatmittlers gegen sich selbst als mittelbare Täterschaft einzuordnen. Der Wortlaut von § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB umfasst auch den Fall, dass der dort genannte „andere“ zugleich das Opfer der Tat ist.423 Auch lassen sich die einzelnen Konstellationen ohne Probleme in die hier vorgestellten Fallgruppen der Irrtums- und Nötigungsherrschaft einordnen.424 Trotzdem weist die mittelbare Täterschaft bei Selbstschädigung des Opfers Besonderheiten auf, die sich daraus ergeben, dass bei der Bewertung einer Aufopferung eigener Rechtsgüter grundsätzlich andere rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt werden, vor allem um dem verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrecht zu genügen. Daraus folgt, dass bei der Beurteilung, ob der Ausfall beziehungsweise die Unterdrückung von Hemmungsmotiven rechtlich relevant ist, so dass sie die Verantwortlichkeit für den das Geschehen lenkenden Hintermann begründen können, dann auch diese speziellen Maßstäbe heranzuziehen sind. Insbesondere bei der Irrtumsherrschaft ist daher zu fragen, ob die Fehlvorstellung des sich selbst schädigenden Opfers dazu führt, dass sein Handeln nicht mehr als ein Akt der Selbstbestimmung aufzufassen ist. Diese Frage entspricht der Sache nach der Problematik, wann ein Willensmangel im Rahmen der Einwilligung deren Wirksamkeit ausschließt, und sollte daher ebenso beantwortet werden. Diese Grundsätze gelten dann auch für die Nötigungsherrschaft bei Selbstschädigung des Opfers.425 b) Zur Rechtsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen aa) Denkbare Fallkonstellationen Als eine typische Form der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen werden nun Fälle angesehen, in denen eine schuldunfähige Person eine Straftat begeht, die von einer Aufsichtsperson hätte verhindert werden müssen und können. Aber selbstverständlich sind auch Fälle typischer Irrtumsüberlegenheit denkbar, wenn jemand beispielsweise unvorsätzlich, aber pflichtwidrig eine Fehlvorstellung bei einem anderen erregt, aufgrund derer dieser eine Handlung vornimmt, durch die unvorsätzlich oder 423
Anders insbesondere Spendel, JuS 1974, 751 f.; ders., JR 1997, 134 Fn. 9. – Auch die Rspr. neigt – ohne Begründung – in manchen Fällen zur Annahme unmittelbarer Täterschaft; exemplarisch BGHSt 43, 177 (180), wo dies lediglich als eine der mittelbaren Täterschaft verwandte Struktur angesehen wird. 424 Küpper, GA 1998, 519 (520). 425 Im Ergebnis entspricht dies der überwiegend vertretenen sog. Einwilligungslösung; vgl. nur die Nachweise bei Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 56 Fn. 71. – Zur Gegenansicht (sog. Exkulpationslösung) vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 54 mit Fn. 68.
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
auch nur ohne Unrechtsbewusstsein eine Rechtsgutsverletzung bewirkt wird. Schließlich sind auch Fälle denkbar, in denen es nicht um die unterlassene Hinderung fremden aktiven Tuns geht, sondern um die unterlassene Ermöglichung fremder Rettungshandlungen. Dazu ein Beispiel: Auf einem Spaziergang zweier Freunde läuft auf die kleine Tochter des einen plötzlich ein Hund zu. Wird nun der Vater durch die nicht ernst gemeinte, ironische Bemerkung des Freundes „Der will sicher nur spielen!“ von einer Hilfe abgehalten und seine Tochter verletzt, ist eine Strafbarkeit desjenigen denkbar, der nun erst erkennt, dass der Vater die Bemerkung wider Erwarten ernst genommen hat, und zwar dann, wenn er durch eine Aufklärung des Vaters noch eine rechtzeitige Hilfeleistung ermöglicht hätte.426 Diese Beispielsfälle zeigen bereits, um welche Fälle es bei der Diskussion um die mittelbare Unterlassungstäterschaft geht und worum es nicht geht. Als denkbare Konstellationen einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen werden nicht Situationen angesehen, deren Besonderheit darin besteht, dass für die Erfolgsabwendungsmöglichkeit ein Dritter eingeschaltet werden muss, also gleichsam mittelbare Rettungshandlungen. Es geht – wie bei der mittelbaren Begehungstäterschaft – um die mittelbare Tatbestandsverwirklichung, um die besondere Form einer Täterschaft trotz fremdhändiger Tatbestandsverwirklichung. Im Folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, ob eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen in den beschriebenen Fällen anzuerkennen ist. Dabei soll untersucht werden, ob eine solche Rechtsfigur überhaupt konstruktiv möglich und ob sie notwendig beziehungsweise sinnvoll ist, um diese Fälle rechtlich bewerten zu können.427 bb) Konstruktive Probleme einer Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen (1) Voraussetzungen einer möglichen mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen Gegen die Möglichkeit einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen wird oftmals eingewandt, dass die Tatbegehung „durch einen anderen“ eine Einschaltung dieses anderen durch aktives Tun verlange.428 Das Kriterium der Aktivität ist jedoch lediglich ein Aspekt der Abgrenzung von Tun und Unterlassen,429 so dass die pauschale Aussage, mittelbare Täterschaft benötige Aktivität, zunächst lediglich eine Behaup426
Eine Garantenpflicht des Freundes des Vaters ist hier sicherlich zweifelhaft, lässt sich jedoch möglicherweise aus dem Umstand begründen, dass er durch seine gefährliche und in einer solch zugespitzten Gefahrensituation nicht nur unangebrachte, sondern wohl auch pflichtwidrige Bemerkung den Schutz für die körperliche Unversehrtheit des Kindes durch dessen Vater beseitigt hat. 427 Die Frage ist im Schrifttum unstritten; vgl. die Nw. bei Ranft, Otto-FS (2007), 403 Fn. 2 f. 428 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 471; Grünwald, GA 1959, 110 (122). 429 Brammsen, NStZ 2000, 337 (339).
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tung ist, aber keine Begründung. Eine sachliche Auseinandersetzung sollte daher in einem ersten Schritt eine denkbare Konstruktion der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen formulieren, die eine parallele Struktur zu der durch aktives Tun aufweist, und diese Konstruktion auf ihre Tragfähigkeit untersuchen. Dabei ist selbstverständlich zu beachten, dass der Unterlassende gerade keine Aktivität entfaltet, da ihm nämlich allein die Nichtvornahme einer Körperbewegung vorgeworfen wird. Danach könnte eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen vorliegen, wenn erstens demjenigen, der die eigentliche den Tatbestand verwirklichende Handlung vornimmt, in rechtlich relevanter Weise die Hemmungsmotive fehlen, die ihm von der Begehung einer Straftat abhalten sollten, und zweitens der Unterlassende dieses Geschehen ein Stück weit gestaltet. Diese Gestaltung, die bei einer mittelbaren Täterschaft durch positives Tun in einer Lenkung des tatbestandsmäßigen Geschehens besteht, bedarf jedoch bei einem Unterlassen einer Umformulierung: Die Gestaltung der Tat durch einen anderen, also durch dessen Handlung, geschieht dadurch, dass man diese Handlung nicht verhindert, obwohl man gerade die Pflicht hat, steuernd beziehungsweise lenkend in solche gefährlichen Handlungen einzugreifen. Die Anerkennung einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen verlangt nun, dass diese beiden Voraussetzungen – rechtlich relevante „Unfreiheit“ des Handelnden und Pflicht zur Steuerung des Handelnden – die Annahme einer täterschaftlichen Verantwortlichkeit des Unterlassenden ebenso tragen, wie dies bei der mittelbaren Begehungstäterschaft der Fall ist. (2) Zur „Werkzeugqualität“ des unmittelbar Handelnden Hinsichtlich des Ausfalls der rechtlich relevanten Hemmungsmotive beim Vordermann durch Irrtum oder bei Schuldunfähigkeit, beziehungsweise der Unterdrückung dieser Motive in Fällen der Nötigung bestehen keine Unterschiede bei den hier vorgestellten Konstellationen einer möglichen mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen zu den oben ausführlich dargestellten Formen einer mittelbaren Begehungstäterschaft. Bei genauerer Betrachtung der Fallgruppen fällt jedoch auf, dass der Grund für die Annahme dieser „Werkzeugqualität“ des unmittelbar Handelnden in aller Regel identisch ist mit dem Grund dafür, dass der Unterlassende rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, also mit dem Grund für das Bestehen einer Garantenpflicht: Der Grund für eine Überwachungspflicht eines Schuldunfähigen ist seine Schuldunfähigkeit;430 der Grund für eine Aufklärungspflicht gegenüber einem Irrenden ist dessen Irrtum. Aus diesem Befund drängen sich bereits Zweifel auf, ob die Frage der Täterschaft in diesen Fällen nicht eher im Zusammenhang mit der Qualität
430 Zu den Schwierigkeiten bei der Begründung von Garantenpflichten zur Verhinderung von Straftaten Dritter vgl. bspw. OLG Celle, NJW 2008, 1012 ff. mit Bspr. Bosch, JA 2008, 471 ff.
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der Garantenpflicht stehen könnte und ob dann überhaupt die Lösung der Fälle über die mittelbare Täterschaft noch sachgerecht ist.431 (3) Die Pflicht zur Lenkung beziehungsweise Steuerung des unmittelbar Handelnden Sicherlich problematischer ist die zweite Voraussetzung einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen, die Lenkung beziehungsweise Steuerung des Geschehens. Der Einwand, der Garant mache den Begehungstäter nicht zu seinem Werkzeug,432 greift jedoch nicht, da ein solcher Vorwurf sicherlich nur einem aktiv Handelnden gemacht werden kann. Bei einem möglichen Unterlassungstäter geht es aber auch um etwas anderes: Einem Garanten kann immerhin vorgeworfen werden, dass er das Werkzeug entgegen seiner Pflicht nicht beherrscht hat. Dies entspricht zwar nicht der aktuellen Beherrschung eines tatbestandsmäßigen Geschehens bei der mittelbaren Begehungstäterschaft, was jedoch bei einem Unterlassen naturgemäß gerade nicht möglich ist; es kann also lediglich um eine Art „potentielle Tatherrschaft“ gehen.433 Diese Pflicht zur Steuerung der anderen Person wäre dabei sicherlich eine Mindestvoraussetzung einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen. Für die Instrumentalisierung eines Begehungstäters genügt es jedoch nicht, wenn der Unterlassende den tatbestandsmäßigen Erfolg dergestalt abwenden hätte können, dass er die Handlung eines anderen nicht verhindert hat. Um davon sprechen zu können, dass der Begehungstäter als sein „Werkzeug“ benutzt wird und damit die Tat nach § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB „durch einen anderen“ begangen wird, bedarf es einer besonderen Pflicht gegenüber dem Werkzeug selbst, wie dies im Fall des Aufsichtspflichtigen gegeben ist, der die Tat des zu Beaufsichtigenden verhindern muss. Erst dann kann von einer vergleichbaren Konstellation zwischen mittelbarer Begehungstäterschaft und mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen gesprochen werden.434 Eine solche spezifische Pflicht zur Lenkung oder Steuerung von Handlungen eines anderen Menschen ist jedoch in Unterlassungsfällen für die Begründung der tatbestandlichen Verantwortlichkeit nicht konstitutiv. Beispiel: Sieht der Vater eines kleinen Kindes tatenlos zu, wie es von einem fremden Kind geschlagen wird, ist er zwar nicht verpflichtet, das Handeln des fremden Kindes grundsätzlich zu überwachen und damit zu lenken, aber zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit seines eigenen Kindes hätte er diese konkrete Handlung verhindern müssen. Indem er dies nicht tut, instrumentalisiert er jedoch gerade nicht das fremde Kind als „Werkzeug“ für seine Ziele. Anders als bei der mittelbaren Begehungstäterschaft hat somit die Lenkung beziehungsweise ihr Äquivalent beim Unterlassen keine Bedeutung. Es geht 431 432 433 434
Siehe sogleich unter cc). Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 175. Insoweit zutreffend Brammsen, NStZ 2000, 337 (339 f.). Dies übersieht Ranft, Otto-FS (2007), 403 (411).
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also bei der Haftung für ein Unterlassen nicht um die „potentielle Beherrschung“ fremder Handlungen, sondern allein um die „potentielle Beherrschung“ von Erfolgen. Hier zeigt sich die unterschiedliche und damit nicht vergleichbare Zurechnungsstruktur bei Tun und Unterlassen. (4) Mittelbare Täterschaft durch Unterlassen und das Prinzip der Handlungszurechnung Ein weiteres konstruktives Problem bei einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen ergibt sich, wenn § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB als eine Norm verstanden wird, die eine Zurechnung fremder Handlung als eigene bewirkt.435 Eine solche Handlungszurechnung ist bei der Nichthinderung fremden Begehungsunrechts durch einen Garanten nicht denkbar. Dies hätte nämlich die absurde Konsequenz, dass der unterlassende Garant wegen einer solchen Zurechnung der fremden Handlung eigentlich als Begehungstäter zu bestrafen wäre. Dies ist sicherlich nicht vertretbar. Auch die Zurechnung fremder Unterlassungen ist, ungeachtet der offensichtlich fehlenden Notwendigkeit eines solchen Vorgehens, nicht möglich, da die Zurechnung eines pflichtwidrigen Unterlassens als Ausdruck der Verletzung einer persönlichen Pflicht eines jeden Garanten offensichtlich ausgeschlossen ist. Ob § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB und übrigens auch § 25 Abs. 2 StGB solcherart Handlungszurechnungsnormen sind, wird jedoch bestritten.436 Dafür wird vor allem angeführt, dass ansonsten – wenn man also beispielsweise die Bedeutung der mittelbaren Täterschaft auf die „Vermittlung“ eines bloßen Bedingungszusammenhangs reduziert – eine mittelbare Täterschaft ausschließlich bei schlichten Verursachungsdelikten, also bei den reinen Erfolgsdelikten möglich wäre.437 Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, da man natürlich auch Verhaltensweisen verursachen kann, so dass auch Tätigkeiten gleichsam als Erfolge aufgefasst werden können. Dies lässt sich gut am Tatbestand des Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB verdeutlichen: Durch die Täuschung des Täters wird das Opfer zu einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung veranlasst. Anders formuliert: Die Täuschung verursacht eine Vermögensverfügung des Getäuschten, also ein Verhalten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Eine mittelbare Täterschaft ist daher auch ohne die Idee einer Handlungszurechnung bei so genannten verhaltensgebundenen Delikten durchaus möglich. Daher ist es auch nicht von vornherein ausgeschlossen, reine Tätigkeitsdelikte wie beispielsweise die Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB in mittelbarer Täterschaft zu verwirklichen. 435
So bspw. Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 25 Rn. 6a; Joecks, in: MüKo-StGB (2003), § 25 Rn. 48; Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), § 25 Rn. 40; Küper, JZ 1983, 361 (369); ders., JZ 1989, 935 (947); Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen (1986), S. 73 ff.; vgl. auch BGH, NJW 1989, 2826. 436 Meist wird zu den konkreten Rechtsfolgen bei Vorliegen der §§ 25 Abs. 1 Var. 2, 25 Abs. 2 StGB nicht ausdrücklich Stellung genommen. Explizit ablehnend gegenüber der Idee einer Handlungszurechnung jedoch bspw. Herzberg, JuS 1985, 1 (3 f.). 437 Exemplarisch Küper, JZ 1989, 935 (947).
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
Die Grenze einer solchen Konstruktion ist aber da erreicht, wo der Tatbestand die Verletzung einer Verhaltenspflicht unter Strafe stellt, die eine höchstpersönliche Pflicht des Täters ist. Bei diesen so genannten eigenhändigen Delikten ist eine mittelbare Täterschaft, ebenso wie eine Mittäterschaft ausgeschlossen.438 Vor diesem Hintergrund ist § 316 StGB wohl nicht als eigenhändiges Delikt anzusehen, da dort ein Verhalten deshalb unter Strafe gestellt wird, weil es in erster Linie (abstrakt) gefährlich für die Sicherheit des Straßenverkehrs ist, und nicht weil es Ausdruck einer fehlerhaften Haltung des Fahrers ist.439 Die Sicherheit des Straßenverkehrs ist aber auch (abstrakt) gefährdet, wenn beispielsweise jemand einen fahruntüchtigen Fahrer zu einer Fahrt zwingt; er ist daher einer Trunkenheit im Straßenverkehr in mittelbarer Täterschaft schuldig, auch wenn er selbst nicht fahruntüchtig ist. cc) Zur Notwendigkeit einer Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen Angesichts der dargestellten konstruktiven Schwächen einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen, stellt sich die Frage, ob diese Rechtsfigur für die Begründung der Strafbarkeit wegen des Unterlassens überhaupt benötigt wird. Diese Frage wird überwiegend verneint. Ihre Entbehrlichkeit wird gewöhnlich damit begründet, dass es für die strafrechtliche Beurteilung einer Garantenpflichtverletzung irrelevant sei, ob die Gefahr für das Rechtsgut durch Naturgewalten oder durch menschliches Verhalten drohe.440 Ob diese Aussage in der formulierten Allgemeinheit tatsächlich gilt, ist jedoch zu bezweifeln441 und soll an späterer Stelle genauer behandelt werden.442 Die fehlende Notwendigkeit der Rechtsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen lässt sich jedoch auch anders begründen. Da bei einem Begehungsdelikt die tatbestandliche Verantwortlichkeit aus der Beziehung einer bestimmten Körperbewegung zum tatbestandsmäßigen Erfolg begründet wird, kommt es wesentlich auf die konkrete Ausgestaltung dieser Beziehung an, um den Grad der Verantwortlichkeit beurteilen zu können. Diese Beziehung ist der Bedingungszusammenhang. Bei einem Unterlassungsdelikt ist der Zusammenhang zwischen dem tatbestandsmäßigen Er438 Diese Konsequenz bei eigenhändigen Delikten ist soweit ersichtlich allgemein anerkannt. – Noch nicht abschließend geklärt ist jedoch, welche Delikte in diesem Sinne eigenhändige Delikte sind und was genau das Wesen solcher Delikte ist; vgl. dazu nur Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 399 ff., 757 ff.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 288 ff.; Schünemann, Jung-FS (2007), 881 ff. 439 Anders die wohl h.M.; vgl. nur Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 316 Rn. 31 i.V.m. § 315c Rn. 45 m.w.Nw. 440 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 25 Rn. 55; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 472; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 14 Rn. 14. 441 Insoweit zutreffend Brammsen, NStZ 2000, 337 (341 f.). 442 Siehe unten 4. Teil, II. 1., 5. Teil, I. 1.
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folg und der Nichtvornahme einer Körperbewegung naturgemäß ein lediglich hypothetischer Bedingungszusammenhang. Das Unterlassen steht somit weder in einem mittelbaren noch in einem unmittelbaren tatsächlichen Zusammenhang mit dem Erfolg. Die Beziehung zwischen dem Unterlassen und dem Erfolg ist phänomenologisch gleich, eben lediglich hypothetisch. Insofern bedarf es – anders als bei einem Begehungsdelikt mit seinem tatsächlichen Bedingungszusammenhang – keiner Unrechtsbegründung über eine fremde Handlung als Teil dieses Bedingungszusammenhangs. Kurz: Bei einem Unterlassen ist der Umweg über eine fremde Handlung für die Unrechtsbegründung nicht notwendig. Daraus muss jedoch nicht gleich der Schluss gezogen werden, dass die Bewertung eines Unterlassens als täterschaftliches Unterlassungsdelikt oder lediglich als Teilnahme durch Unterlassen vollkommen unabhängig davon ist, ob die Gefahr für das Rechtsgut, die ein Garant abzuwehren verpflichtet ist, von einer Naturgewalt oder von einem menschlichen Verhalten ausgeht.443 Es besagt nur, dass die Rechtsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen entbehrlich ist, wenn man den Grund der Haftung eines Unterlassenden, der den Eintritt eines durch eine fremde Handlung bewirkten Erfolgs pflichtwidrig nicht verhindert hat, in seiner hypothetischen Beziehung zum Erfolg sieht und nicht in einer (dann ebenfalls hypothetischen) Beziehung zu diesem fremden Verhalten. Wie diese Erfolgsbeziehung vor dem Hintergrund des geltenden differenzierten Beteiligungssystems zu beurteilen ist, steht auf einem anderen Blatt. dd) Zur fehlenden Sachgerechtigkeit einer Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen Wenn nun die Rechtsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen nicht unbedingt notwendig ist, bleibt abschließend zu fragen, ob sie trotz ihrer konstruktiven Schwächen sachgerecht ist. Zweifel ergeben sich zunächst in phänomenologischer Hinsicht bei einem Blick auf den Zeitpunkt der Erfolgsabwendungsmöglichkeit. Begeht ein zu Überwachender eine strafbare Handlung, ohne dass eine überwachungspflichtige Person dies verhindert, ist die Beurteilung der Strafbarkeit des Aufsichtspflichtigen offensichtlich ganz unabhängig davon, ob er die Tat dadurch hätte verhindern können, dass er bereits die Handlung des Schuldunfähigen unterbindet oder erst die Gefahren als Folgen der Handlung wieder beseitigt. Beispiel: Sticht ein Schuldunfähiger einen anderen mit einem Messer nieder, so ist es für die Verantwortlichkeit des Garanten wegen eines Totschlags durch Unterlassen gleichgültig, ob er die Tötung im konkreten Fall nur durch Verhinderung des Stichs oder nur durch Rettung des verletzten Opfers hätte verhindern können. Da eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen jedoch 443 So aber die Befürchtung von Bottke, Haftung aus Nichtverhütung von Straftaten Untergebener in Wirtschaftsunternehmen de lege lata (1994), S. 35 f., 42 ff., 54 f., 65; Brammsen, NStZ 2000, 337 (341); Schroeder, Der Täter hinter dem Täter (1965), S. 105 ff.
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
überhaupt nur im ersten Fall infrage kommt, schließlich kann nur hier von einer „Begehung durch einen anderen“ im Sinne von § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB gesprochen werden, erscheint eine unterschiedliche Einteilung der beiden Fälle allein aufgrund des Zeitpunkts der Erfolgsabwendungsmöglichkeit nicht sachgerecht.444 Hier zeigt sich erneut die bereits angesprochene Unterschiedlichkeit der Zurechnungsstruktur beim Unterlassungsdelikt, bei dem es um die Zurechnung von Erfolgen geht. Maßstab für die Beurteilung der Sachgerechtigkeit dieser Rechtsfigur ist jedoch in erster Linie die Funktion des differenzierten Beteiligungssystems. Die einzelnen Beteiligungsformen dienen einerseits der Erfassung unterschiedlicher Grade tatbestandsmäßiger Verantwortlichkeit und andererseits einem möglichst hohen Maß an Bestimmtheit der verschiedenen Mitwirkungsformen durch die einzelnen gesetzlichen Regelungen.445 Zunächst zur Bestimmtheitsfunktion: Bei der Frage nach Verantwortlichkeit für einen Erfolg aufgrund der Nichtvornahme einer Körperbewegung lassen sich in phänomenologischer Hinsicht die einzelnen Verhaltensweisen nicht differenzieren. Wie bereits bei der Frage nach der (Ir-)Relevanz des Zeitpunkts der Erfolgsabwendungsmöglichkeit – also der Nichtvornahme der Körperbewegung – deutlich geworden ist, geht es bei einem Unterlassungsdelikt stets um die insoweit unmittelbare Beziehung zwischen dem Unterlassen und dem tatbestandsmäßigen Erfolg. Wenn somit nach dem äußeren Erscheinungsbild des Unterlassens keine sinnvolle Differenzierung möglich ist, ist die Rechtsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen vor dem Hintergrund der Funktion des Bestimmtheitsgrundsatzes auch nicht sinnvoll und damit nicht sachgerecht. Hinsichtlich der Funktion einer Differenzierung unterschiedlicher Maße der Verantwortlichkeit erscheint es jedoch auf den ersten Blick durchaus denkbar, dass eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen sachgerecht ist, sofern dem Umstand, ob die Gefahr für das Rechtsgut von einem Menschen oder von Naturgewalten droht, für die Verantwortlichkeit des Unterlassenden grundsätzlich Bedeutung beigemessen wird. Auf den zweiten Blick kommen jedoch Zweifel. Sachgerecht wäre diese Rechtsfigur als gleichsam analoge Figur zur mittelbaren Begehungstäterschaft nämlich nur dann, wenn die Kriterien für die Annahme der beiden Erscheinungsformen mittelbarer Täterschaft grundsätzlich gleich oder zumindest gleichwertig sind. Darin liegt aber zugleich die Gefahr der Rechtsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen, die sich dann nämlich auf die analogen Fallgruppen der mittelbaren Begehungstäterschaft reduziert und dabei unberücksichtigt lässt, dass durch die unmittelbare Zurechnungsstruktur des Unterlassens zum Erfolg durchaus abweichende Fallkonstellationen denkbar sind, bei denen eine täterschaftliche Verantwortlichkeit auch dann infrage kommen könnte, wenn die analogen Voraussetzungen einer (quasi) mittelbaren Täterschaft durch pflichtwidriges Unterlassen der Steuerung fremder Handlungen 444
Siehe auch die insoweit vergleichbaren Ausführungen zur Irrelevanz des Zeitpunkts im Rahmen der unmittelbaren Unterlassungstäterschaft oben 3. Teil, II. 1. cc). 445 Vgl. dazu auch oben 2. Teil, II. 2. c).
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nicht vorliegen. Das Prinzip der Mittelbarkeit ist aufgrund der unmittelbaren Zurechnungsstruktur beim Unterlassungsdelikt wohl nicht sachgerecht, um die Frage nach der täterschaftlichen Verantwortlichkeit eines Unterlassens zu beantworten. Eine Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen führt bei der Suche nach den Graden der tatbestandsmäßigen Verantwortlichkeit als Funktion eines differenzierten Beteiligungssystems daher prinzipiell in eine falsche Richtung. Die Rechtsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen ist daher auch im Hinblick auf die entwickelten Funktionen einer Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht sachgerecht. ee) Ergebnis und Ansicht der Rechtsprechung Die Annahme einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen ist also nicht nur aufgrund der konstruktiven Schwierigkeiten dieser Beteiligungsform in der Erscheinungsform des Unterlassens zweifelhaft, sondern wegen der Struktur des unmittelbaren Zurechnungszusammenhangs zwischen Unterlassen und Erfolg nicht notwendig und – was entscheidend sein dürfte – auch nicht sachgerecht. Die Rechtsprechung hat sie in zwei unterschiedlichen Entscheidungen jedoch anerkannt. In einem Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 13. September 1994 ging es um die schriftliche Anweisung eines Arztes und eines Betreuers an das Pflegepersonal, die künstliche Ernährung der Mutter des Betreuers auf Tee umzustellen, um deren irreversibles Leiden zu beenden.446 Der Senat hat hier das Verhalten erstens als Unterlassen angesehen447 und es zweitens – in Abgrenzung zu einer Anstiftung – als mittelbare Täterschaft bewertet.448 Beide Aussagen sind nach den hier vertretenen Ansichten nicht zutreffend. Das den strafrechtlichen Vorwurf begründende Verhalten des Arztes und des Betreuers, also das Geben einer schriftlichen Anweisung, ist als Vornahme einer Körperbewegung ein positives Tun, auch wenn sich daran nach deren Vorstellung ein Unterlassen anderer Personen anschließen soll.449 Auch die Voraussetzungen einer mittelbaren Täterschaft liegen hier nicht vor, weil zum einen beide davon ausgegangen sind, dass ihr eigenes Verhalten wie das des Pflegepersonals rechtlich einwandfrei war,450 so dass sie keinen Vorsatz hinsichtlich der Voraussetzungen einer Benutzung des Pflegepersonals als menschliche Werkzeuge im Sinne einer Irrtumsherrschaft hatten. Zum anderen ist allein die unterschiedliche Rollenverteilung zwischen Arzt und Pflegepersonal innerhalb der Organisationsstruktur Pflegeheim nicht ausrei-
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BGHSt 40, 257 ff. BGHSt 40, 257 (266). 448 BGHSt 40, 247 (267 f.). 449 Siehe oben 1. Teil, IV. 1. und speziell zu solchen Konstellationen anschließenden Unterlassens II. 3. b). 450 BGHSt 40, 247 (263 f.). 447
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
chend, um eine mittelbare Täterschaft kraft eines organisatorischen Machtapparats begründen zu können.451 Für die Frage nach der Anerkennung einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen gibt dieser Fall aber insbesondere deshalb wenig her, weil es sich bei dem Vorwurf gegen die „Hintermänner“ der Tat phänomenologisch um ein positives Tun handelt, bei dem eine mittelbaren Täterschaft selbstverständlich ohne konstruktive Probleme möglich ist. Schwierigkeiten ergeben sich erst dann, wenn der strafrechtliche Vorwurf an die Nichtvornahme einer Körperbewegung anknüpft. Insoweit trägt die Entscheidung nicht weiterführend zu der Diskussion um eine Anerkennung einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen bei.452 In der bereits in der Einleitung erwähnten Entscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 6. November 2002 ging es unter anderem um Folgendes:453 Im Zusammenhang mit den Todesfällen an der innerdeutschen Grenze wurde mehreren Mitgliedern des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vorgeworfen, sie hätten sich während ihrer Mitgliedschaft in diesem Gremium nicht dafür eingesetzt, dass der Schießbefehl an der deutsch-deutschen Grenze aufgehoben wurde. Der Senat sah eine Strafbarkeit wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft durch Unterlassen für die Todesfälle für gegeben, die sich bis zu der ausdrücklichen Erneuerung des Schießbefehls ereignet hatten.454 Für die danach eingetretenen Todesfälle ergab sich eine Strafbarkeit durch aktives Tun. Unterstellt man eine Erfolgsabwendungsmöglichkeit der Angeklagten, erscheint es zunächst plausibel, sie für ihr Unterlassen, den Schießbefehl aufzuheben, in gleicher Weise verantwortlich zu machen, wie für die Erneuerung des Schießbefehls, wenn beide Verhaltensweisen jeweils ursächlich dafür waren, dass durch Schüsse
451
So aber BGHSt 40, 257 (266); kritisch Ranft, Otto-FS (2007), 403 (414 ff.), auch zu weiteren Beteiligungsprobelmen. 452 Die hier vertretene Ansicht, bei den Fällen der aktiven Verhinderung fremder Rettungsbemühungen handele es sich um aktives Tun, entspricht der ganz h.M. im Schrifttum [vgl. oben 1. Teil, II. 3. b)]; diskutiert wird jedoch darüber, ob in solchen Konstellationen eine mittelbare Täterschaft oder vielmehr eine unmittelbare Täterschaft in Betracht kommt. Da die Bestimmung der Täterschaft in solchen Fällen wohl nach den Kriterien für die mittelbare Täterschaft zu erfolgen hat, sollte sie auch so genannt werden. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass die aktive Verhinderung zu einer Handlungsunfähigkeit des potentiellen Retters geführt hat; zur insoweit parallelen Abgrenzung in „reinen“ Begehungsfällen vgl. oben 3. Teil, II. 2. a) cc). – Die Ansicht, jede Form des Abhaltens eines anderen von einer Rettung sei als täterschaftliches Begehungsunrecht im Hinblick auf das betroffene Rechtsgut anzusehen (Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte [1959], S. 190 ff.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. [1969], S. 206), wird heute nicht mehr vertreten. Ihre Prämisse, es gebe keinen Unterlassungsvorsatz, ist nicht haltbar; zur Kritik vgl. nur Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 510 ff.; Stree, GA 1963, 1 ff. 453 BGHSt 48, 77 ff. 454 BGHSt 48, 77 (89 ff.).
II. Täterschaft
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an der deutsch-deutschen Grenze Flüchtlinge getötet wurden: als mittelbare Täter eines Totschlags in Form der Organisationsherrschaft.455 Ob diese Sichtweise richtig ist, lässt sich jedoch bezweifeln, wenn man sich klarmacht, was den Angeklagten genau vorgeworfen wurde. Nachdem sie in die verantwortliche Position eines organisatorischen Machtapparats eingerückt waren, hoben sie die faktisch geltenden Befehle ihrer Vorgänger nicht auf. Betrachtet man insbesondere nicht das Verhältnis zwischen den Angeklagten und den Mauerschützen, sondern das Verhältnis zwischen den Angeklagten und den vorherigen Machthabern, ist das Ergebnis des wertenden Vergleichs zwischen Nichtaufhebung des Befehls einerseits und seiner späteren Bestätigung andererseits plötzlich nicht mehr so klar. Insofern ist die Beziehung doppelt mittelbar, zum einen über die Mauerschützen und zum anderen über die vorherigen Machthaber. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist jedoch nicht so klar, wie der 5. Senat dies offenbar sieht: Allein der Hinweis auf dieselbe Art der Ursächlichkeit im Sinne einer Verantwortungskette greift jedenfalls zu kurz, da im Fall des Unterlassens – wie dargelegt – ein „Kettenglied“ hinzutritt und zwar mit den ehemaligen Entscheidungsträgern vollverantwortlich handelnde Personen. Es zeigt sich somit hier wiederum, dass es beim Unterlassen eben vornehmlich um das unmittelbare Verhältnis zwischen dem Unterlassen und dem tatbestandsmäßigen Erfolg geht. Für die Bestimmung der Verantwortlichkeit sollte daher auch auf diese Zurechnungsstruktur Bezug genommen werden. Die kurze kritische Analyse der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, soweit darin die Rechtsfigur einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen Anerkennung gefunden hat, hat somit ihre hier begründete Ablehnung nicht erschüttern können, sondern sogar bestätigt. 3. Die Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB a) Die Mittäterschaft durch aktives Tun aa) Grundidee und Voraussetzungen der Mittäterschaft Während es bei der mittelbaren Täterschaft um eine gleichsam vertikale Zurechnungsstruktur geht, also um ein Überordnungsverhältnis, ist die Mittäterschaft durch ein gleichberechtigtes arbeitsteiliges Vorgehen mehrerer geprägt. Es handelt sich also um eine – wenn man so will – horizontale Struktur. Voraussetzung einer Mittäterschaft ist nach § 25 Abs. 2 StGB, dass mehrere eine Tat „gemeinschaftlich“ begehen, was nach üblicher Lesart zweierlei verlangt: erstens einen gemeinsamen Tatplan oder Tatentschluss und zweitens eine gemeinsame Tatausführung.456 Als Ausgangsbeispiel soll folgender Fall dienen: Absprachegemäß überfallen zwei Personen einen 455 Für den Bereich der Begehungsdelikte wurde dies oben anerkannt; vgl. 3. Teil, II. 2. a) bb) (3); ausführlich zur Frage der Gleichbehandlung zuletzt Schlösser, GA 2007, 161 ff. 456 Statt aller Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 188 f., jedoch bereits mit besonderen Voraussetzungen an die gemeinsame Tatausführung.
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
Dritten, indem der eine ihn festhält, während der andere sein Fahrrad wegnimmt. Handeln beide mit Zueignungsabsicht, haben sie sich eines Raubs in Mittäterschaft schuldig gemacht. Der eine hat Gewalt angewendet, der andere die Wegnahme vorgenommen. Erst in der durch § 25 Abs. 2 StGB bewirkten Zusammenfügung beider Beiträge entsteht das Unrecht des Raubs. Dieser Fall zeigt, dass das Gelingen der Tat „Raub“ davon abhängig ist, dass beide ihre abgesprochenen Tatbeiträge auch erbringen. Der Grad der Tatherrschaft ist – noch deutlicher als bei der mittelbaren Täterschaft457 – durch diese Abhängigkeit von einem anderen Menschen, der in aller Regel voll verantwortlich handelt, für jeden einzelnen weniger intensiv als für einen unmittelbaren Täter, der allein über das „Ob“ und „Wie“ der Tat entscheidet.458 Also auch hier gilt es, die Voraussetzungen der Mittäterschaft so zu bestimmen, dass eine annähernde Gleichwertigkeit hinsichtlich der Beherrschung des tatbestandsmäßigen Geschehens gegeben ist. Eine gewisse Kompensation für das geringere Maß an Tatherrschaft lässt sich bereits dadurch begründen, dass eine durch mehrere begangene Tat – wie auch im Ausgangsbeispiel – eine erhöhte Gefährlichkeit aufweisen kann. Nach der Tatherrschaftslehre besteht die besondere Form der Tatherrschaft bei der Mittäterschaft darin, dass der jeweilige Tatbeitrag im Rahmen des Tatplans eine wesentliche Bedeutung im Sinne einer gleichsam unersetzlichen Funktion hat, durch die dann die Tat mitbeherrscht wird. Durch die wechselseitige Abhängigkeit der einzelnen Beiträge im Hinblick auf das Funktionieren des Plans besitzen die Mittäter daher eine so genannte funktionelle Tatherrschaft.459 Trotz dieser weitgehenden Übereinstimmung im Ausgangspunkt besteht innerhalb der Tatherrschaftslehre über die genaue Ausgestaltung dieser Form der Tatherrschaft Streit, und zwar nicht nur darüber, wie die Wesentlichkeit eines Beitrags genau zu bestimmen ist, insbesondere ob dazu ein Tatbeitrag im so genannten Ausführungsstadium notwendig ist, sondern auch bereits über die Anforderungen an den Tatplan beziehungsweise Tatentschluss. bb) Der gemeinsame Tatplan und Tatentschluss (1) Der gemeinsame Tatentschluss wird als das gegenseitige Einverständnis der Beteiligten bestimmt, die Tat als gleichberechtigte Partner arbeitsteilig auszuführen.460 Seine Form ist unbeachtlich. Die Einigung kann somit ausdrücklich oder auch konkludent erfolgen, solange dadurch ihr notwendiger Inhalt kommuniziert
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Siehe dazu oben 3. Teil, II. 2. a) aa). Vgl. dazu bereits oben 2. Teil, II. 6. 459 Exemplarisch Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 188. – Insbesondere lässt sich die Mittäterschaft nicht als eine wechselseitige mittelbare Täterschaft begreifen; vgl. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 40; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 276. 460 Statt vieler Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 25 Rn. 10 m.w.Nw. 458
II. Täterschaft
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wird.461 Sie kann auch noch nach Beginn der Tat erfolgen, wenn beispielsweise jemand erst während eines Diebstahls in den gemeinsamen Tatplan eintritt.462 Nach zutreffender Ansicht ist eine solche so genannte sukzessive Mittäterschaft jedoch nur bis zur Vollendung der Tat möglich und eine Zurechnung von Erschwerungsgründen, die zum Zeitpunkt des Eintritts in die Tat bereits vollständig abgeschlossen sind, ausgeschlossen.463 Auch wenn der gemeinsame Tatentschluss bisweilen als die subjektive Voraussetzung der Mittäterschaft bezeichnet wird,464 ist dies insofern ungenau, als es sich um eine gemeinsame subjektive Grundlage der Tat handelt, die daher – zumindest auch – intersubjektiv ist und damit objektiv.465 Ebenso wie bei einem zivilrechtlichen Vertragsschluss bedarf es eben einer tatsächlichen, also objektiv vorliegenden Einigung über eine gleichberechtigte und arbeitsteilige Tatbegehung. Die Funktion des gemeinsamen Tatentschlusses besteht – knapp zusammengefasst – darin, die Einheit der Mittäter zu begründen und zu begrenzen.466 Begründen bedeutet, dass erst dadurch eine Gemeinschaftlichkeit der Tat entstehen kann; weder ein gegenseitiges Voneinanderwissen, noch ein einseitiges Einverständnis soll für die Begründung einer Mittäterschaft oder mittäterschaftlichen Zurechnung fremder Tatbeiträge genügen.467 Begrenzen heißt, dass der gemeinsame Tatentschluss den Umfang der mittäterschaftlichen Zurechnung festlegt. Überschreitet ein Beteiligter die Grenzen des gemeinsamen Tatplans, ist dieser so genannte Exzess dem oder den anderen nicht zurechenbar. In der Regel fehlt es in solchen Fällen auch am Vorsatz hinsichtlich des Exzessteils der Tat.468 (2) Die Notwendigkeit eines gemeinsamen Tatplans oder Tatentschlusses wird in neuerer Zeit bisweilen bestritten, und es wird teilweise versucht, die Mittäterschaft vornehmlich als Frage der objektiven Erfolgszurechnung zu bestimmen.469 Gegen diese Ansicht wird vor allem zweierlei angeführt: Erstens setze der Wortlaut von § 25 Abs. 2 StGB, indem er eine gemeinschaftliche Tatbegehung verlangt, eine Willensübereinstimmung voraus und zweitens verlange die Tatherrschaftslehre mit dem 461 Puppe, ZIS 2007, 234 (238); Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 192. – Zu weitgehend daher BGHSt 37, 289 (292). 462 Insoweit allg. Meinung; vgl. statt aller Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 219. 463 So die h.M. im Schrifttum; vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 220 ff. m.w.Nw. auch zur Gegenmeinung. 464 So bspw. von Roxin, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 173. 465 Dencker, Kausalität und Gesamttat (1996), S. 149; Hoyer, in: SK-StGB (Stand: März 2000), § 25 Rn. 130; Marlie, JA 2006, 613 (616). 466 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 80. 467 Ganz h.M.; vgl. zunächst nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 191. 468 Statt aller Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 194. 469 Derksen, GA 1993, 163 ff.; Lesch, ZStW 105 (1993), 271 ff.; ähnlich Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 43.
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
Merkmal der Arbeitsteilung gerade eine Einigung darüber, wer welchen Beitrag für die gemeinsame Tat erbringt.470 Diese Einwände vermögen jedoch noch nicht die Hauptstoßrichtung der die Notwendigkeit eines gemeinsamen Tatentschlusses verneinenden Ansicht abzuwehren. Die Tatherrschaft des Mittäters besteht nämlich vor allem in einer Gestaltungsherrschaft. Nun sei es aber durchaus möglich, dass jemand die Tat ganz wesentlich mitgestaltet, ohne dass derjenige, der die Tat schließlich unmittelbar begeht, überhaupt davon Kenntnis erlangt.471 Beispiel: Jemand verabreicht dem Opfer, das von einem anderen erschlagen werden soll, ein Schlafmittel, ermöglicht den Zutritt zur Wohnung des Opfers, legt ein geeignetes Tatmittel zurecht und passt während der Ausführung auf, dass niemand den Ausführenden bei der Tat stört; dies geschieht alles ohne Verabredung. Hier sind zwar dem unmittelbar Ausführenden diese erheblichen Tatbeiträge nicht zurechenbar, und zwar bereits mangels Vorsatzes, schließlich weiß er nicht, dass sie in Hinblick auf seine Tat von einem anderen erbracht worden sind. Der heimliche Unterstützer könne jedoch als Mittäter des Totschlags bestraft werden, da er durch seine Einpassung in die Tat des anderen diese wesentlich mitgestaltet hat; und es komme allein auf diese objektive Zuständigkeit für die Tat an. Es genüge daher für diesen Beteiligten in diesen Fällen statt eines gemeinsamen Tatentschlusses ein so genannter Einpassungsentschluss für die Begründung seiner Mittäterschaft.472 Sieht man wie hier Tatherrschaft als Gestaltungs- und Entscheidungsherrschaft an,473 muss jedoch auch in diesen einseitigen Einpassungskonstellationen begründet werden, inwiefern dabei auch das „Ob“ der Tat (mit-)beherrscht wird. Dies scheint der Fall zu sein. Vorausgesetzt, der unmittelbar die Tat Ausführende könnte ohne die Beiträge des anderen seine Tat nicht verwirklichen, hat derjenige, der die Ausführung ohne Absprache unterstützt, zumindest eine Hemmungsmacht, also gleichsam eine negative Entscheidungsherrschaft: Er könnte die Tat verhindern. Was ihm jedoch fehlt, ist eine positive Herrschaft in dem Sinne, dass er mitentscheidet, ob die Tat auch abläuft.474 Eine solche – zumindest ansatzweise – positive Verwirklichungsherrschaft setzt jedoch voraus, dass der Ausführende die Tat nicht nur für sich begeht, sondern als Teil eines gemeinsamen Plans auch für einen anderen.475 Dazu bedarf es aber 470 Exemplarisch Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 190; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 175. 471 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 43, von wo auch das im Text folgende Bsp. stammt. 472 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 44. – Derksen, GA 1993, 163 ff., und Lesch, ZStW 115 (1993), 271 ff., gehen noch weiter und wollen die Bedeutung der Tat allein objektiv bestimmen; kurze Zusammenfassung mit Kritik an diesen Ansätzen bei Ingelfinger, JZ 1995, 704 (708); ausführlich Küpper, ZStW 115 (1993), 295 ff. 473 Vgl. dazu oben 2. Teil, II. 6. und 3. Teil, II. 1. a) (für die unmittelbare Täterschaft), sowie 3. Teil, II. 2. a) aa) (für die mittelbare Täterschaft). 474 Zu der Unterscheidung dieser beiden Herrschaftselemente vgl. Küper, JZ 1979, 775 (785 f.). 475 Siehe dazu auch Haas, ZStW 119 (2007), 519 (534 ff.), der von einem gegenseitigen „Mandat“ der einzelnen Mittäter spricht.
II. Täterschaft
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eines gemeinsamen Tatplans beziehungsweise Tatentschlusses, der eine gewisse gegenseitige Verpflichtung unter den Mitwirkenden begründet.476 Richtigerweise muss also verlangt werden, dass ein Mittäter nicht nur seinen eigenen Tatbeitrag faktisch beherrscht und damit mittelbar eine Hemmungsmacht in Bezug auf die Verwirklichung der Tat insgesamt, also eine negative Entscheidungsherrschaft innehat, sondern dass er zusätzlich Einfluss auf die Tatbeiträge der anderen Mittäter hat.477 Erst dann ist eine Beherrschung der Tat im Ganzen gegeben und eine Bestrafung wie die eines unmittelbaren Täters gerechtfertigt, trotz des im Vergleich zu diesem geringeren Maßes an Tatherrschaft. Dieser Einfluss kann nur durch einen gemeinsamen Tatentschluss vermittelt werden, der Folgendes bewirkt: Er bestärkt jeden einzelnen Mittäter in seinem Tatentschluss und zwar auch noch in höherem Maße als eine gewöhnliche psychische Unterstützung durch Bestärkung des Tatentschlusses, da er auf Gegenseitigkeit beruht. Und dieser Einfluss des üblicherweise in der vorbereitenden Planungsphase getroffenen gemeinsamen Tatentschlusses wirkt zudem bei der Ausführung der Tat fort.478 Bezogen auf das Ausgangsbeispiel des mittäterschaftlichen Raubüberfalls lässt sich zusammenfassend feststellen: Der eine hält das Opfer nur fest, weil er weiß, dass der andere das Fahrrad wegnehmen wird; dieser nimmt es nur weg, weil er weiß, dass das Opfer festgehalten wird. Ein gemeinsamer Tatentschluss ist somit zur Begründung einer positiven Entscheidungsherrschaft über die gesamte Tat eine unverzichtbare Voraussetzung.479 cc) Die gemeinsame Tatausführung (1) Wie bereits gesagt, verlangt die Tatherrschaftslehre einen für das Funktionieren des gemeinsamen Tatplans wesentlichen Tatbeitrag des Mitwirkenden, damit er als Mittäter die Tat (mit-)beherrscht. Wann einem Tatbeitrag ein solches Gewicht zukommt, lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres trennscharf bestimmen. Neben diesem grundsätzlichen Problem werden vor allem zwei spezielle Aspekte im Zusammenhang mit den Anforderungen an einen die Mittäterschaft begründenden Tatbeitrag diskutiert. Erstens wird gefragt, ob die Mittäterschaft einen kausalen Tatbeitrag erfordert, zum anderen, ob jeder Mittäter seinen Tatbeitrag im so genannten Ausführungsstadium erbringen muss. (2) Bei der Frage nach der Erforderlichkeit eines kausalen Beitrags stehen Fälle so genannter alternativer beziehungsweise additiver Mittäterschaft im Vordergrund der Diskussion.
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Puppe, GA 1984, 101 (112). So auch Ingelfinger, JZ 1995, 704 (710). 478 Ingelfinger, JZ 1995, 704 (710). 479 Im Ergebnis ebenso Puppe, ZIS 2007, 234 (235 f.), die jedoch die Mittäterschaft als gegenseitige Anstiftung interpretiert; dazu vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 258. 477
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
Bei der alternativen Mittäterschaft besteht der gemeinsame Tatplan darin, dass mehrere bereit stehen, um das Delikt zu verwirklichen, aber nur einer es schließlich ausführt oder ausführen kann. Beispiel: Aus Protest gegen eine öffentliche Äußerung eines Politikers entschließen sich zwei Personen, ihn mit einem Farbbeutel zu bewerfen. Dazu positionieren sie sich an den beiden Ausgängen des Gebäudes, in dem sich das Büro des Politikers befindet. Als er das Gebäude durch einen der Ausgänge verlässt, bewirft ihn die Person, die dort wartet, mit dem Farbbeutel, so dass wie geplant die Kleidung des Politikers beschädigt wird. Kann nun auch die Person, die an dem anderen Ausgang vergeblich gewartet hat, wegen einer Sachbeschädigung in Mittäterschaft bestraft werden, obwohl sie für den konkreten Erfolg nicht ursächlich geworden ist? Auch bei der additiven Mittäterschaft geht es um ein Kausalitätsproblem. Hier liegt die Besonderheit aber darin, dass die Beiträge zwar erbracht worden, aber nicht alle für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs ursächlich geworden sind. Beispiel: Ein aus mehreren Personen bestehendes Erschießungskommando erschießt einen Menschen, wobei nur einer der von allen abgegebenen Schüsse den Tod konkret bewirkt hat. Haften auch die anderen Schützen, obwohl ihr Beitrag für den Erfolg nicht ursächlich gewesen ist? In diesem Zusammenhang werden auch die problematischen Fälle bei Kollegialentscheidungen diskutiert, in denen sich im Nachhinein herausstellt, dass die einzelne Stimme an dem Ergebnis der Mehrheitsabstimmung insgesamt nichts geändert hätte. Hier hilft man sich zumeist mit der Figur der alternativen Kausalität.480 Das Rechtsgefühl verlangt in diesen Fällen eine Bestrafung wegen mittäterschaftlicher Tatbeteiligung auch derjenigen, deren Beiträge sich später als nicht konkret ursächlich erwiesen haben. Für dieses Ergebnis lassen sich zwei Aspekte anführen.481 Erstens ist in all diesen Fällen die Tat als Ganzes für den tatbestandsmäßigen Erfolg ursächlich. Zweitens hätte es aus der ex-ante Sicht auf jeden dieser Beiträge ankommen können. Dass deshalb die bei einer unmittelbaren Täterschaft einhellig verlangte tatsächliche – also ex-post – festgestellte Ursächlichkeit der Handlung für den konkreten Erfolg bei der Mittäterschaft – bezogen auf die einzelnen Beiträge – nicht erforderlich ist, wird jedoch bestritten.482 Diese Kritik kann jedoch nicht überzeugen. Zum einen besteht zumindest insofern eine tatsächliche Kausalität, als der gemeinsame Tatentschluss – wie oben dargestellt – eine Wirkung bei dem Erbringen jedes einzelnen und damit auch des tatsächlich ursächlichen Tatbeitrags entfaltet, indem dieser gerade auch erbracht wird, weil die anderen bereit sind, ebenfalls ihre Beiträge zu erbringen; diese psychische Unterstützung, die dazu führt, dass man den Beitrag gleichsam auch für die anderen Mittäter erbringt, ist jedoch unabhängig davon, ob die Beiträge der anderen schließlich 480
Vgl. nur Marlie, JA 2006, 613 (614); kritisch Puppe, ZIS 2007, 234 (239 f.); jeweils m.w.Nw. 481 Vgl. nur Marlie, JA 2006, 613 (615). 482 Vor allem von Puppe, ZIS 2007, 234 (240 f.) m.w.Nw.
II. Täterschaft
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auch tatsächlich für das Gelingen der Tat erforderlich gewesen sind. Eingeräumt werden muss, jedoch, dass diese Konstruktion einer quasi mittelbaren – also über den Beitrag eines anderen vermittelten – Kausalität in den Fällen scheitert, in denen das Fassen des gemeinsamen Tatentschlusses mit der Erbringung des Beitrags praktisch zusammenfällt, also bei den Abstimmungen in Kollegialentscheidungen. In diesen Fällen hilft die Mittäterschaft gerade nicht über mögliche Kausalitätsprobleme hinweg.483 Zum anderen ergibt sich die Notwendigkeit einer ex-ante Bestimmung bei der Bewertung eines Tatbeitrags als wesentlich auch aufgrund der Struktur der Arbeitsteilung. Die Aufteilung der „Arbeit“ bei der Verwirklichung eines Delikts erfolgt vor der Tat auf der Grundlage einer Prognose über den erwarteten Tatverlauf. Es liegt daher nahe, die Wesentlichkeit des Beitrags auch danach zu bestimmen, welche Funktion der einzelne zum Mitwirken bereite Beteiligte im Rahmen des Plans übernommen hat.484 Es würde nun aber der Idee der Mittäterschaft als einer gemeinsamen Tat widersprechen, wenn derjenige nicht wegen Mittäterschaft belangt werden könnte, bei dem sich ex-post herausgestellt hat, dass die Tat, aufgrund mehr oder weniger zufälliger Umstände, auch ohne seinen als wesentlich vorgesehenen Beitrag gelungen wäre. Erstens hat er nämlich seinen Beitrag geleistet, und zwar nicht nur im Falle der additiven, sondern auch im Falle der alternativen Mittäterschaft, indem er bereits stand, seinen Beitrag – falls erforderlich – zu bringen. Zweitens liegt in all diesen Fällen gerade keine Versuchskonstellation in dem Sinne vor, dass der Mitwirkende zwar die funktionelle Tatherrschaft haben wollte, sie dann aber tatsächlich nicht hatte, da sich die Taten genauso abgespielt haben, wie sie geplant war; die Zufälligkeit der tatsächlichen Verursachungsbedingungen sind bereits im Tatplan angelegt, sichern aber auch gleichzeitig das Gelingen der Tat. Die Wesentlichkeit der einzelnen Beiträge ist daher aus der ex-ante Sicht zu bestimmen, weshalb es insbesondere in den Fällen der alternativen und additiven Mittäterschaft nicht erforderlich ist, dass jeder einzelne Beitrag später tatsächlich für den Eintritt des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolgs ursächlich geworden ist.485 (3) Nach einer strengen Variante der Tatherrschaftslehre muss der Tatbeitrag eines Mittäters im so genanten Ausführungsstadium geleistet werden, also in der Phase zwischen Beginn des Versuchs und Abschluss der Tat.486 Diese Ansicht führt dazu, 483
Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), § 25 Rn. 125 m.w.Nw. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 283. 485 So auch die h.M.; vgl. nur Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), § 25 Rn. 109 ff.; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 25 Rn. 11; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 212 f.; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 195; jeweils m.w.Nw. 486 Bloy, Beteiligungsformen als Zurechnungstypus im Strafrecht (1985), S. 196 ff.; Puppe, ZIS 2007, 234 (241); Rudolphi, Bockelmann-FS (1979), 372 ff.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 292 ff.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 198 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 181 ff.; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 182. 484
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
dass beispielsweise der Bandenchef, der die spätere Tat detailliert plant, die Rollen der weiteren Tatbeteiligten verteilt und die notwendigen Tatmittel beschafft, nicht als Mittäter bestraft werden kann, wenn er bei der Tat selbst weder anwesend ist, noch die Tat sonst in der Ausführungsphase koordiniert. Das Hauptargument dieser Position ist, dass man eine Tatbestandsverwirklichung nicht beherrschen könne, wenn man nicht dabei ist, wenn man bei der Ausführung keine mitgestaltende Rolle spielt. Wer die Ausführung anderen überlässt, gebe die Tat und damit auch die Beherrschung der Tat aus der Hand.487 Demgegenüber lässt eine insofern gemäßigte Variante der Tatherrschaftslehre, ebenso wie die Rechtsprechung, auch bestimmte Handlungen im Vorbereitungsstadium genügen.488 Dahinter steht die Idee, dass das – durch das Fehlen eines Tatbeitrags im Ausführungsstadium bedingte – „Weniger“ an Entscheidungsherrschaft ausgeglichen werden könne durch ein „Mehr“ an Gestaltungsherrschaft, wie es bei einem Bandenchef im oben angeführten Beispiel geschehe.489 Diese gemäßigte Variante ist überzeugend. Für sie sprechen mehrere Gründe: Erstens ist es nicht richtig, dass demjenigen, der allein im Vorbereitungsstadium tätig wird, keine Entscheidungsherrschaft zukommt. Wie im Zusammenhang mit der Begründung für die Notwendigkeit eines gemeinsamen Tatentschlusses bereits dargelegt worden ist, erbringen die einzelnen Beteiligten ihre Tatbeiträge auch als Verpflichtung gegenüber den anderen, also auch für diese. Dieses Pflichtgefühl besteht insbesondere auch dann, wenn jemand zu einem Zeitpunkt handelt, in dem ein anderer seine Beiträge bereits erbracht hat. Die besondere Qualität der psychischen Unterstützung eines gemeinsamen Tatentschlusses gibt somit jedem Tatbeteiligten einen Teil der Entscheidungsherrschaft auch in einem positiven Sinn.490 Zweitens ist nicht ersichtlich, warum es gerade sachgerecht sein soll, auf den Beginn des Versuchs abzustellen. Denn auch ein Tatbeteiligter, der beispielsweise bei einem Einbruchsdiebstahl die Wohnungstür aufbricht und ansonsten nichts mehr zur Tat beiträgt, gibt die weitere Tatausführung anschließend aus der Hand. Er handelt zwar im Ausführungsstadium, hat aber grundsätzlich keine größere Entscheidungsherrschaft als jemand, der seinen Beitrag vor Versuchsbeginn leistet. Er gestaltet die Tat wohl auch kaum mehr als derjenige, der durch eine detaillierte und koordinierte Planung zur Tat beiträgt.491 Die zeitliche Grenze des Versuchsbeginns erscheint vor 487
Statt aller Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 198. Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 25 Rn. 66; Gropp, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2005), § 10 Rn. 84 ff.; Hoyer, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), § 25 Rn. 119; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 48; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 680; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 93 f.; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 37. Aufl. (2007), Rn. 528 f. – Aus der Rspr. BGHSt 14, 123 (128 f.); 37, 289 (292); 40, 299 (301); NStZ 2003, 253; jeweils m.w.Nw. 489 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 48. 490 Sie oben 3. Teil, II. 3. bb). 491 Anders Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 199. 488
II. Täterschaft
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diesem Hintergrund nicht sachgerecht, um die Verantwortlichkeit für die Tatbestandsverwirklichung zu begründen. Drittens führt eine konsequente Anwendung des Standpunkts, dass ein Tatbeitrag im Ausführungsstadium notwendig sei, weil nur dieser eine Beherrschung der Tat vermitteln könne, dazu, dass allein solche Beiträge für die Beurteilung, ob der Beitrag des Mitwirkenden für das Funktionieren der Tat wesentlich ist und daher die funktionelle Tatherrschaft begründet, herangezogen werden dürften.492 Ein solcher Ausschluss von Beiträgen im Vorbereitungsstadium bei der Bewertung der arbeitsteiligen Rollenverteilung ist jedoch nicht sachgerecht, da die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch nach § 22 StGB nicht die Funktion hat, solche Handlungen auszuscheiden, die mit der Tatbestandsverwirklichung und dem Unrecht nichts zu tun haben, sondern allein den Zeitpunkt im Rahmen einer Deliktsdurchführung bestimmen soll, in dem der verbrecherische Wille nach außen in Erscheinung tritt, wodurch der Rechtsfrieden so gefährdet ist, dass eine Bestrafung präventiv notwendig wird.493 Aber die Verwirklichung eines Verbrechens durchläuft eben mehrere Stadien oder Stufen, zu denen auch die Vorbereitung gehört; auch sie gehört zur Tat und kann daher bei der Frage der Tatherrschaft berücksichtigt werden.494 Es ist somit nicht sachgerecht, Tatbeiträge, die nicht im Ausführungsstadium geleistet worden sind, bei der Frage, ob sie für die Begründung einer mittäterschaftlichen Beteiligung genügen, unberücksichtigt zu lassen. (4) Wenn nach den bisherigen Erörterungen der Tatbeitrag eines Mittäters weder ex-post ursächlich für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs noch im Ausführungsstadium geleistet werden muss, stellt sich nun das Problem, welche Anforderungen konkret an ihn zu stellen sind. Zunächst kann nicht entscheidend sein, ob der Beitrag des Mitwirkenden für die Tatbestandsverwirklichung unbedingt notwendig ist; denn sowohl der Beitrag eines Anstifters, der jemanden durch Bezahlung zur Begehung einer Straftat bringt, als auch ein Gehilfenbeitrag, durch den die Tat erst möglich wird, wie beispielsweise das Besorgen eines Nachschlüssels für einen Einbruchsdiebstahl, können in diesem Sinne notwendig sein, ohne dass eine Mittäterschaft vorläge. Hierbei handelt es sich vielmehr um typische Fälle einer Teilnahme.495 Es bleibt daher nur übrig, die Abgrenzung eines mittäterschaftlichen Tatbeitrags von einem bloßen Gehilfenbeitrag anhand von Kriterien wie Erheblichkeit, Wesentlichkeit oder auch vom Umfang an der Tatbeteiligung vorzunehmen; keine Mittäterschaft können lediglich untergeordnete Beiträge begründen.496 492
So ausdrücklich Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 211. Vgl. zum Strafgrund des Versuchs nur Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 22 Rn. 11 m.w.Nw. 494 Vgl. auch Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 47. 495 Deutlich bspw. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 48. 496 Dies entspricht den üblichen Formulierungen der Vertreter der Tatherrschaftslehre; vgl. nur Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 25 Rn. 63 ff.; Roxin, 493
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
Dies ist vor dem Hintergrund, dass es nicht um eine Frage der Qualität der einzelnen Beiträge geht, sondern um das Maß der Beteiligung, auch richtig. Denn: Die Tatherrschaft ist bei der Mittäterschaft im Vergleich zur unmittelbaren Täterschaft – wie bereits oben dargestellt – offensichtlich reduziert. Wie ein unmittelbarer Täter beherrscht der Mittäter nur seinen eigenen Tatbeitrag. Die anderen Tatbeiträge werden von eigenverantwortlich Handelnden vorgenommen. Ob man nun die Tat insgesamt durch seinen Beitrag beherrscht, lässt sich nur danach bestimmen, ob eine gemeinschaftliche Begehung im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB vorliegt, ob also eine gemeinsame Tatausführung gegeben ist. Dies erfordert einen Vergleich der einzelnen Tatbeiträge der Mitwirkenden untereinander. Ein die Mittäterschaft begründender Beitrag setzt demnach voraus, dass er im Vergleich zu denen der anderen gleichwertig ist. Mittäterschaft als gleichberechtigte und arbeitsteilige, also gemeinschaftliche Tatbegehung verlangt dann, dass der Tatbeitrag des Beteiligten im Vergleich zu den anderen Mitwirkungsbeiträgen eine solche Bedeutung hat, dass er als gleichberechtigter Partner bei der Deliktsverwirklichung erscheint. Diese Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe hinsichtlich der Tatausführung ist damit nicht qualitativer, sondern quantitativer Art, für die viele Faktoren eine Rolle spielen können. Ohne dass hier ins Detail gegangen werden kann, sind beispielhaft folgende Aspekte zu nennen: Umfang der Beteiligung, Bedeutung des Beitrags für das Gelingen der Tat, das Maß der Gestaltung der Tat durch den Beitrag, aber auch die zeitliche Entfernung zur eigentlichen Tatbestandsverwirklichung, so dass ein Minus im Ausführungsstadium durch ein Plus im Vorbereitungsstadium ausgeglichen werden muss,497 und außerdem die Anzahl der Tatbeteiligten: Je mehr Personen bei der Tatbestandsverwirklichung mitwirken, desto geringer muss der Tatbeitrag sein, um gegenüber den anderen als gleichwertig zu erscheinen.498 Diese Erkenntnis mag ernüchternd sein; aber schließlich besitzt eine Tatherrschaft im eigentlichen Sinne, wie sie idealtypisch bei einer unmittelbaren Täterschaft gegeben ist, bei einer mittäterschaftlichen Tatbegehung eigentlich nur derjenige, der die letzte für die Tatbestandsverwirklichung notwendige Handlung vornimmt.499 Eine Täterschaft im Rahmen einer gemeinschaftlichen Begehung kann diesen Grad an Tatherrschaft aber nicht verlangen, sondern muss sich hinsichtlich der objektiven Voraussetzung auf einen Beitrag beschränken, durch den die Tat insgesamt gleichberechtigt mitgestaltet wird.
Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 280; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 211. 497 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 48. 498 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 49. 499 Frisch, Lexikon des Rechts, Strafrecht, 2. Aufl. (1996), 972 (975), der zu Recht betont, dass die Aufgabe, die Bedeutung eines Beitrags zu bestimmen, auch auf der Basis der normativen Kombinationstheorie der Rspr. möglich ist, zumindest sofern sie sich auf objektive Kriterien zur Bewertung der Tatbeiträge beschränken würde.
II. Täterschaft
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b) Die Mittäterschaft durch Unterlassen aa) Denkbare Fallkonstellationen Für eine Mittäterschaft durch Unterlassen erscheinen zunächst folgende Fallkonstellationen vorstellbar: Zum einen können ein Begehungstäter und ein Unterlassungstäter dergestalt zusammenwirken, dass sie sich darüber einigen, dass der eine die Tat durch positives Tun begeht und der andere die Tat entgegen einer Garantenpflicht nicht verhindert. Beispiel: Die Mutter misshandelt ihr Kind, nachdem der Vater sich bereit erklärt hat, sie nicht daran zu hindern. Ist der Vater einer Körperverletzung in Mittäterschaft durch Unterlassen schuldig? Zum anderen lassen sich auch Fälle finden, in denen mehrere etwas entgegen ihrer Handlungspflicht unterlassen. Hier gilt es jedoch weiter danach zu unterscheiden, ob es jedem für sich möglich war, den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs zu verhindern, oder ob dies nur gemeinsam hätte gelingen können. Als Beispiel für die erste Konstellation dient der Fall, dass die Eltern es einverständlich unterlassen, ihr todkrankes Kind ins Krankenhaus zu bringen, obwohl dies jedem für sich genommen möglich gewesen wäre. Haben die Eltern sich eines Totschlags durch Unterlassen in Mittäterschaft schuldig gemacht, wenn ihr Kind aufgrund der unterbliebenen Behandlung stirbt? Für die zweite Konstellation eignet sich folgendes Beispiel:500 Jemand ist versehentlich in einem Tresorraum eingeschlossen worden, der nur durch die zwei Inhaber verschiedener Schlüssel gleichzeitig geöffnet werden kann. Diese beiden kommen nun überein, dass sie den Tresorraum erst am nächsten Tag öffnen. Haben sich die beiden Schlüsselinhaber einer Freiheitsberaubung in Mittäterschaft durch Unterlassen schuldig gemacht? Diese Fallkonstellationen sollen im Folgenden unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht werden. Zunächst sollen Probleme bei der Konstruktion einer Mittäterschaft vor allem im Hinblick auf die beiden Voraussetzungen einer Mittäterschaft – gemeinsamer Tatentschluss und gemeine Tatausführung – diskutiert werden. Im Anschluss daran wird die Frage behandelt, ob es notwendig ist, diese Fälle mithilfe der Rechtsfigur einer Mittäterschaft durch Unterlassen zu lösen, und schließlich noch, ob es auch sachgerecht wäre, so vorzugehen. bb) Konstruktive Probleme einer Mittäterschaft durch Unterlassen (1) Mittäterschaft durch Unterlassen und das Prinzip der Handlungszurechnung Probleme ergeben sich – ähnlich wie bereits bei der mittelbaren Täterschaft –501 zunächst aus der Rechtsfolge von § 25 Abs. 2 StGB, die nach herrschender Ansicht in einer wechselseitigen Zurechnung der jeweiligen Tatbeiträge besteht: Jedem Mit500 501
Nach Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 14 Rn. 18. Siehe oben 3. Teil, II. 2. bb) (4).
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
täter werden die Tatbeiträge des oder der anderen Mittäter so zugerechnet, als habe er sie selbst vorgenommen.502 Eine solche Zurechnung ist in den oben geschilderten Fallkonstellationen jedoch nicht möglich. Bei der einverständlichen Nichthinderung fremden Begehungsunrechts wäre die Folge, dass dem Unterlassenden die fremde Tathandlung zugerechnet werden müsste, so dass die Bestrafung eigentlich auch für den Unterlassenden aus dem Begehungsdelikt zu erfolgen hätte. Wie bei der mittelbaren Täterschaft wäre dies auch hier eine absurde und nicht vertretbare Konsequenz. Auch eine Zurechnung des Unterlassens des Vaters zum Handeln der Mutter ist nicht möglich. Dies wird deutlich, wenn man den Fall so abwandelt, dass kein Garant – wie die Mutter – das Begehungsunrecht verwirklicht, sondern ein Nichtgarant. Hier scheitert die Zurechnung des garantenpflichtwidrigen Unterlassens des Vaters zum Handeln des Dritten daran, dass dieser Dritte eben gerade kein handlungspflichtiger Garant ist und eine solche Pflicht ihm auch nicht zugerechnet werden kann. Aus diesem Umstand – also wegen der höchstpersönlichen Natur der Garantenpflichten – folgt dann aber auch, dass in den Fällen des gemeinschaftlichen Unterlassens eine Zurechnung fremder Unterlassungen ausgeschlossen ist. Ein Unterlassen ist eben rechtlich nur relevant, wenn es eine rechtliche Handlungspflicht gibt, die jedoch jeder selbst besitzen muss. Ähnlich wie bei der mittelbaren Täterschaft ist jedoch auch bei der Mittäterschaft die Idee einer unmittelbaren Tätigkeitsanrechnung umstritten. Und wie dort ist es sicherlich auch möglich, die Rechtsfolge der Mittäterschaft anders zu bestimmen. Sie könnte beispielsweise darin zu sehen sein, dass der Gesamterfolg der Tat jedem Mittäter zugerechnet wird,503 so dass allein wegen dieser Bedenken hinsichtlich einer Handlungszurechnung eine Mittäterschaft durch Unterlassen nicht unbedingt ausgeschlossen sein muss. (2) Zur Bedeutung eines gemeinsamen Tatentschlusses Bezüglich des gemeinsamen Tatentschlusses scheinen sich zunächst keine Probleme zu ergeben: Selbstverständlich ist es möglich, dass sich mehrere Personen darüber verständigen, dass einer oder alle die mögliche Abwendung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs unterlassen werden. Dies genügt jedoch nicht. Entscheidend für die Tragfähigkeit der Rechtsfigur einer Mittäterschaft durch Unterlassen ist vielmehr, ob eine solche Einigung eine vergleichbare Funktion erfüllt wie der gemeinsame Tatentschluss bei der Mittäterschaft durch aktives Tun. Zunächst kann dabei gefragt werden, ob die Einigung der Beteiligten in den drei Ausgangsfällen überhaupt eine Funktion 502 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 25 Rn. 61; Ingelfinger, JZ 1995, 704 (710); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 675 f.; Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2005), § 20 Rn. 100; Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft (1987), S. 60; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 25 Rn. 9; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 155. 503 So bspw. die Formulierung bei Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 37. Aufl. (2007), Rn. 526; vgl. vor allem Valdgua, ZStW 98 (1986), 839 (852 ff.).
II. Täterschaft
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erfüllt, ob sich also an der Beurteilung der Strafbarkeit des beziehungsweise der Unterlassenden etwas ändert, wenn keine Einigung zwischen den Beteiligten vorliegt. Im Fall der Nichtverhinderung eines fremden Begehungsunrechts dürfte der Vater, der die körperlichen Misshandlungen an seinem Kind durch die Mutter nicht verhindert, unabhängig davon haften, ob er dies vorab mit ihr abgesprochen hat oder nicht. Seine vorherige Erklärung, nicht einzugreifen, erscheint insoweit nur als eine Absichtserklärung, die für seine Verantwortlichkeit ohne Bedeutung ist. Eine Förderung der Tat der Mutter, also des Begehungsdelikts, ist darin auch nicht erkennbar. Möglicherweise fühlt sich der Begehungstäter in solchen Konstellationen durch die Einigung bestärkt. Diese Förderung hat ihre Ursache jedoch nicht darin, dass der Begehungstäter die Tat für den Unterlassenden begeht, sondern allein darin, dass er sieht, dass die Chancen für die Verwirklichung des Delikts höher sind, wenn er durch den Eingriff eines Garanten nicht daran gehindert wird. Dies schließt nicht aus, dass die Erklärung des Vaters im Beispielsfall eine psychische Beihilfe durch aktives Tun sein kann, wenn er dadurch bewusst den Tatentschluss der Mutter bestärkt hat, indem er beispielsweise bei der Mutter noch vorhandenen Hemmungen beseitigt hat. Diese Wirkung der Einigung unterscheidet sich jedoch von der eines gemeinsamen Tatentschlusses bei der Mittäterschaft durch aktives Tun ganz wesentlich, weil darin keine gegenseitige Verpflichtung hinsichtlich der Erbringung von Tatbeiträgen liegt, durch die die Tat erst insgesamt verwirklicht werden kann. Der Begehungstäter kann die Tat vielmehr stets auch ohne den Garanten verwirklichen. Auch in der Fallkonstellation von zwei Unterlassenden, die jeder für sich den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verhindern könnten, erfüllt eine vorherige Einigung der beiden Garanten keine Funktion, die eine Bedeutung für die Verantwortlichkeit aus dem Unterlassungsdelikt hat. Beide würden genauso haften, wenn der andere ohne vorherige Absprache die Rettung unterlässt. Etwas anders stellt sich die Situation dar, in der die beiden Unterlassenden – wie im Tresorbeispiel – nur gemeinsam den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verhindern können. Hier scheint gerade die Einigung der beiden Garanten das Schicksal des betroffenen Rechtsguts zu besiegeln. Ob dies tatsächlich so ist, verrät aber erst ein Blick auf die konkreten Pflichten der Garanten in einer solchen tatbestandsmäßigen Situation: Jeder Garant muss zum einen seinen eigenen Beitrag zur Rettung des Rechtsguts leisten und zugleich den anderen Garanten dazu bringen, dass dieser seinen Anteil ebenfalls leistet. Hinsichtlich der Einwirkung auf den anderen Garanten sind nun zwei Konstellationen zu unterscheiden. Erstens kann der andere Garant grundsätzlich bereit gewesen sein, seinen Beitrag zu erbringen, lässt sich jedoch davon überzeugen, dies nicht zu tun. Zweitens kann er auch von vornherein dazu nicht bereit gewesen sein. Nun zeigt sich aber, dass in beiden Fällen die Einigung der beiden Garanten für die Begründung des Unrechts wiederum ohne Bedeutung ist. Im ersten Fall haftet er, weil er seinen Handlungspflichten nicht nachgekommen ist, nämlich weder seinen eigenen Beitrag erbracht, noch den fremden eingefordert hat. Die zusätzliche Einigung vermag das Unrecht nicht zu erhöhen; es erscheint
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
dann lediglich als Bekenntnis zu seiner Tat. Im zweiten Fall ändert ebenfalls die Einigung nichts an seiner Verantwortlichkeit, da ihm die Möglichkeit fehlt, den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs zu verhindern. Es fehlt schlicht an der Erfolgsabwendungsmöglichkeit, wenn der andere überhaupt nicht bereit ist, seinen Beitrag zur Rettung des Rechtsguts zu leisten. Diese Ansicht führt jedoch in dem Fall, dass beide Garanten von vornherein nicht bereit gewesen sind, ihren Tatbeitrag zu erbringen, zu der eigenartig anmutenden Konsequenz, dass eine Strafbarkeit für beide mangels einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit ausscheidet. Aber auch dann ist nicht einzusehen, dass die Einigung über das Unterlassen – oder besser: die gegenseitige Bestätigung der Entscheidung – eine Strafbarkeit zu begründen vermag. Dieses Bekenntnis zur eigenen Untätigkeit ist lediglich der Ausdruck einer Unrechtsgesinnung, die jedoch für sich nicht strafwürdig ist. Die Einigung hat somit in den denkbaren Konstellationen einer Mittäterschaft durch Unterlassen entweder überhaupt keine Bedeutung oder erfüllt zumindest keine vergleichbare Funktion wie in den Fällen der Mittäterschaft durch positives Tun. Dies spricht gegen eine Anerkennung der Rechtsfigur einer Mittäterschaft durch Unterlassen. (3) Die gemeinsame Tatausführung durch Unterlassen Auch hinsichtlich der Bedeutung einer gemeinsamen Tatausführung soll zwischen den verschiedenen Konstellationen denkbarer Mittäterschaft durch Unterlassen unterschieden werden. Im Falle der Nichthinderung fremden Begehungsunrechts scheint eine gleichberechtigte und arbeitsteilige Tatbestandsverwirklichung bereits deshalb auszuscheiden, weil der Unterlassende an sich nichts zur Tat beiträgt. Dieser Einwand ist jedoch problematisch, da bei einem Unterlassungsdelikt der Vorwurf ja gerade darin besteht, den Eintritt des Erfolgs nicht zu verhindern und man daher auch bei der Mitwirkung mehrerer nicht mehr verlangen kann als die Hinderung der Tat. Die Bedenken sind aber möglicherweise berechtigt, wenn man sich klarmacht, dass auch der Begehungstäter die Tat verhindern könnte, indem er es schlicht unterlässt, sie zu begehen. Wie bereits bei der Darstellung des Unterlassens gesehen ist nämlich im Prinzip in jedem Begehungsdelikt ein solches Unterlassungsdelikt enthalten, das jedoch in der Regel als subsidiär zurücktritt.504 Vergleicht man nun die Verantwortlichkeit des aktiv Handelnden mit der des nur Unterlassenden, ist der Beitrag des Begehungstäters offensichtlich ungleich größer, so dass die Vorstellung eines gleichberechtigten und arbeitsteiligen Vorgehens nicht passt. Daraus folgt jedoch nicht ohne Weiteres, dass der Unterlassende nicht täterschaftlich haftet. Er haftet lediglich nicht als Mittäter, da die Kriterien der Mittäterschaft in Abgrenzung zur Beihilfe hinsichtlich der gemeinsamen Tatausführung bei aktivem Tun nicht auf die Fälle übertragbar sind, in 504
Vgl. 1. Teil, II. 1.
II. Täterschaft
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denen einer aktiv handelt und der andere unterlässt. Dies dürfte wiederum daran liegen, dass der Grund der Haftung für ein Unterlassen stets in dem unmittelbaren Verhältnis zum tatbestandsmäßigen Erfolg besteht und daher die Einbeziehung aktiv Handelnder bei der Täterschaftsbegründung problematisch ist.505 Solche Schwierigkeiten bestehen jedoch nicht, wo es gleichsam um das Zusammenwirken mehrerer Unterlassender geht, da dann sämtliche Mitwirkende haften, weil sie den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs pflichtwidrig nicht verhindert haben. Eine Bewertung der einzelnen Unterlassungsbeiträge als gleichberechtigte Mitwirkung lässt sich so dann auch rechtfertigen. Darin eine Arbeitsteilung zu sehen, also eine Tatbegehung, bei der erst durch das Zusammenwirken der einzelnen Beiträge die Tat insgesamt verwirklicht wird, erscheint jedoch unsinnig, und zwar sowohl in dem Fall, in dem jeder Garant für sich den Eintritt des Erfolgs abwenden könnte, als auch in dem Fall, in dem die Garanten dafür zusammenwirken müssten, da – wie im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Tatentschluss bereits dargelegt – es auch hier um eine individuelle Pflicht geht, nämlich, selbst zu handeln und den anderen zur Vornahme dessen Handlung zu bringen. Die Konstruktion einer Mittäterschaft durch Unterlassen ist somit auch hinsichtlich der gemeinsamen Tatausführung zum Teil unmöglich, zum Teil nicht überzeugend. cc) Zur Notwendigkeit der Rechtsfigur einer Mittäterschaft durch Unterlassen Der hauptsächlich erhobene Einwand gegen eine Mittäterschaft durch Unterlassen ist jedoch, dass die Rechtsfigur nicht notwendig ist, um eine Strafbarkeit des Unterlassenden zu begründen.506 Dies trifft jedenfalls für den Fall einer Nichthinderung fremden Begehungsunrechts und den Fall mehrerer Unterlassender zu, die jeweils für sich den Erfolg hätten abwenden können. Nach der hier begründeten Auffassung gilt dies jedoch auch in den Fällen, in denen die Unterlassenden nur gemeinsam den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verhindern können. Dies folgt daraus, dass der Unterlassende auch für sich den Erfolg abwenden könnte, wenn es ihm möglich war, den anderen zur Mithilfe zu bewegen, und wenn dies nicht möglich war, eine Unterlassungshaftung mangels Erfolgsabwendungsmöglichkeit auszuscheiden hat.507
505
Vgl. dazu bereits bei der Analyse der mittelbaren Täterschaft oben 3. Teil, II. 2. b). Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 25 Rn. 79; teilweise auch Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 173; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 213; jeweils m.w.Nw. 507 Vgl. dazu bereits oben 3. Teil, II. 3. b) bb) (2). 506
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
dd) Ergebnis: Zur fehlenden Sachgerechtigkeit der Rechtsfigur einer Mittäterschaft durch Unterlassen Angesichts der konstruktiven Probleme einer Mittäterschaft durch Unterlassen und ihrer fehlenden Notwendigkeit bei der Lösung der Probleme in den denkbaren Fallgruppen kann ihre Anerkennung nicht als sachgerecht angesehen werden. Dies liegt vor allem an der Zurechnungsstruktur des Unterlassungsdelikts, die in einer unmittelbaren Beziehung zwischen Nichtvornahme der Handlung und dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs besteht. Die Rechtsprechung hat sich der Rechtsfigur der Mittäterschaft durch Unterlassen jedoch wiederholt bedient. Beispielhaft sollen kurz zwei Entscheidungen kritisch dargestellt werden. In einem Urteil des fünften Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 5. Juli 1966508 wurde die Inhaberin einer Gastwirtschaft wegen einer Körperverletzung durch Unterlassen in Mittäterschaft verurteilt, weil sie duldete, dass vier männliche Stammgäste einer jungen Frau, die sich geweigert hatte, mit einem von ihnen ein zweites Mal zu tanzen, gewaltsam das Haupthaar und einen Teil der Schamhaare abschnitten. Die Mittäterschaft der Gastwirtin ist nach Ansicht des Senats begründet, weil sie das Treiben der vier Männer billigte und sich mit ihnen identifizierte. Sieht man davon ab, dass in diesem Fall bereits die Annahme einer Garantenpflicht der Gastwirtin problematisch ist509 und die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme aufgrund rein subjektiver Kriterien – Billigung und Tatinteresse – kaum vertretbar erscheint,510 wird in diesem Fall deutlich, dass es für die Begründung einer täterschaftlichen Verantwortung eines Rückgriffs auf die Mittäterschaft nicht bedarf. Der Senat geht auch in seiner Begründung auf die Voraussetzungen einer Mittäterschaft, auf das Vorliegen eines gemeinsamen Tatentschlusses und einer gemeinsamen Tatausführung, folgerichtig gar nicht ein. Allein der Täterwille ist für ihn entscheidend. In diesen Fallkonstellationen sollte daher auch nicht auf die Rechtsfigur der Mittäterschaft durch Unterlassen zurückgegriffen werden. Ungleich komplizierter verhält es sich in der so genannten Lederspray-Entscheidung des zweiten Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 1990.511 Der Sache nach ging es um eine Konstellation, in der das Zusammenwirken mehrerer zur Abwendung des Erfolgs notwendig war. In dem Fall hatten mehrere nur gemeinschaftlich vertretungsberechtigte Geschäftsführer einer GmbH auf einer Sitzung der Geschäftsführung einstimmig den Beschluss gefasst, den Rückruf eines bekanntermaßen gesundheitsschädlichen Produkts zu unterlassen. Da jedoch jedes einzelne Mit508
BGH, NJW 1966, 1763. Vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 32 Rn. 116 ff. 510 Zur subjektiven Theorie der Rspr. vgl. bereits oben 2. Teil, II. 3., sowie speziell bei Unterlassungsdelikten unten 4. Teil, I. 2.; zu dieser Entscheidung siehe auch Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 572 ff. 511 BGHSt 37, 106 ff.; vgl. bereits oben Einleitung I. 509
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glied der Geschäftsführung einwenden konnte, dass er auch bei einem anderen Abstimmungsverhalten von den anderen überstimmt worden wäre, ein pflichtgemäßes Verhalten des Einzelnen also das Ergebnis der Abstimmung nicht hätte ändern können, begründete der Senat die Strafbarkeit über die Konstruktion einer Mittäterschaft durch Unterlassen hinsichtlich der Körperverletzungen durch das Produkt: Jeder der mitangeklagten Geschäftsführer müsse sich die Unterlassungen aller anderen zurechnen lassen und hafte daher für den unterlassenen Rückruf insgesamt.512 Nach der hier entwickelten Ansicht ist dies nicht möglich. Eine Haftung ist jedoch auch ohne diese Konstruktion begründet, wenn der einzelne Geschäftsführer das Abstimmungsverhalten der anderen hätte beeinflussen können. Insofern ist der mitgeteilte Sachverhalt unklar. Wenn dies aber unmöglich war, scheitert eine Bestrafung in Bezug auf den Vorwurf eines rechtswidrigen Abstimmungsverhaltens jedoch an der Möglichkeit, den tatbestandsmäßigen Erfolg dadurch abzuwenden, dass der einzelne Geschäftsführer für einen Rückruf stimmt.513 Dies war keine geeignete Erfolgsabwendungsmöglichkeit. Das Fehlverhalten bei der Abstimmung war dann ein strafrechtlich irrelevanter Ausdruck unrechter Gesinnung. Die Ansicht, dass eine Bestrafung wegen eines Unterlassungsdelikts jedoch stets eine solche Möglichkeit voraussetzt, führt in diesem Fall jedoch nur zu einer Straflosigkeit der Geschäftsführer, wenn dies die einzige denkbare Rettungshandlung in Bezug auf die körperliche Unversehrtheit der Verbraucher gewesen ist. Dies ist jedoch zu bezweifeln: Jedem einzelnen Geschäftsführer wäre es sicherlich auch möglich gewesen, die zuständige Behörde über das gesundheitsschädliche Produkt zu informieren, so dass von staatlicher Seite die Maßnahmen zur Gefahrenabwehr hätten getroffen werden können. Also auch hier hätte jeder für sich den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verhindern können. Es ist jedoch zuzugeben, dass es zweifelhaft sein kann, ob ein solches Verhalten den Geschäftsführern auch zumutbar wäre. Dies hängt von vielen Faktoren ab und kann hier nicht abschließend geklärt werden. Die Zumutbarkeit erscheint jedoch durchaus als geeigneter Ort, um die Fragen der Strafwürdigkeit eines solchen Unterlassens zu bewerten. Hinzu kommt, dass bei einer solchen Abstimmung – ebenso wie in vergleichbaren Fällen aktiven Tuns –514 auch ein gemeinsamer Tatplan oder Tatentschluss im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB nicht vorliegen dürfte, zumindest wenn es sich nicht um eine vorher abgesprochene Abstimmung handelt, da das Fassen eines gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Unterlassen, die geforderte Handlung vorzunehmen, zusammenfällt und somit die oben begründete Funktion des gemein-
512
BGHSt 37, 106 (129). Zur Klarstellung: Das Unterlassen, für den Rückruf zu stimmen, ist der Vorwurf, um den es hier geht. Der Vorwurf, gegen den Rückruf gestimmt zu haben (ein positives Tun!), hat die Körperverletzungen der Verbraucher auch nicht im Sinne einer tatsächlichen (Begehungs-) Kausalität verursacht. 514 Beispiel: Das Gremium beschließt, ein gesundheitsschädliches Produkt zu produzieren und zu vermarkten. 513
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
samen Tatentschlusses nicht zum Tragen kommt, eine gegenseitige Verpflichtung der Beteiligten zu schaffen.515 Die in der Rechtsprechung behandelten Konstellationen können somit durch die Rechtsfigur der Mittäterschaft durch Unterlassen nicht sachgerecht gelöst werden. Die hier vertretene ablehnende Haltung wird somit bestätigt. 4. Die so genannte Nebentäterschaft Unter einer so genannten Nebentäterschaft versteht man die Herbeiführung desselben tatbestandsmäßigen Erfolgs durch mehrere Personen, die jedoch keine Mittäter sind.516 Eine solche Nebentäterschaft ist in der Erscheinungsform des Unterlassens leicht vorstellbar. Beispiel: Die Eltern lassen ihr Kind sterben, ohne dass ihnen jeweils bewusst ist, dass der andere von der kritischen Lage weiß. Jeder hätte für sich das Leben des Kindes retten können. Nach der hier zur Möglichkeit einer Mittäterschaft durch Unterlassen vertretenen Ansicht dürfte eine Nebentäterschaft durch Unterlassen sogar recht häufig vorkommen, da auch die Fälle miteinbezogen werden können, in denen die Unterlassenden voneinander wissen. Trotzdem hat die so genannte Nebentäterschaft auch im Bereich des Unterlassens keine selbständige Bedeutung. Sie ist gesetzlich nicht geregelt und darf daher auch keine strafbegründende Wirkung entfalten. Folglich müssen diese Fälle mithilfe der Regelungen für die anderen Täterschaftsformen gelöst werden. Das heißt, die Frage nach der Täterschaft muss, da es sich gerade nicht um eine Mittäterschaft handelt, für jeden einzelnen Beteiligten selbständig beurteilt werden.517 Es müssen also die Voraussetzungen der unmittelbaren Täterschaft vorliegen.518 Die so genannte Nebentäterschaft ist daher kein Rechtsbegriff, schon gar keine eigenständige, gesetzlich nicht geregelte Täterschaftsform, sondern eine Bezeichnung für bestimmte Fallkonstellationen mit typischen Problemstellungen.
515
Vgl. bereits oben 3. Teil, II. 3. a) bb) und cc) (2). Statt aller Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 265. 517 Fincke, GA 1975, 161 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 679; Murmann, Die Nebentäterschaft im Strafrecht (1993); Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 266; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 221 f. 518 Im Begehungsbereich stellen sich dabei oftmals Probleme hinsichtlich der objektiven Zurechnung; vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 266; im Unterlassungsbereich ist dies selten, da die Zurechnung hier über die Erfolgsabwendungsmöglichkeit erfolgt, die bei einem Unterlassungsdelikt konstitutiv ist. 516
III. Die Teilnahme
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III. Die Teilnahme 1. Strafgrund und Akzessorietät der Teilnahme: Kann ein Unterlassen akzessorisch sein? a) Gesetzliche Grundlagen Die Teilnahme ist nach den §§ 26, 27 StGB eine Beteiligung an der Tat eines anderen, also an einer fremden Tat. Wer selbst Täter ist, kann nicht zugleich an dieser Tat teilnehmen. Die Teilnahme wird daher auch als sekundärer Begriff bezeichnet.519 Eine Teilnahme ist ohne Haupttat grundsätzlich nicht möglich,520 die Teilnahme ist akzessorisch. Da eine vorsätzliche und rechtswidrige, aber keine schuldhafte Haupttat erforderlich ist, ist diese Akzessorietät limitiert. b) Strafgrund der Teilnahme Über den Grund, die nicht täterschaftliche Tatbeteiligung zu bestrafen, besteht Streit. Denkbar sind zwei grundsätzlich verschiedene Ansatzpunkte: Zum einen kann man darauf abstellen, dass der Teilnehmer zwar auch das tatbestandsmäßige Unrecht (mit-)verwirklicht, dies aber, ohne Täter zu sein. Zum anderen kann man, statt den Blick auf den Erfolg der Tat zu lenken, auf den Täter schauen und den Strafgrund der Teilnahme dann darin sehen, dass der Teilnehmer die täterschaftliche Handlung eines anderen verursacht oder gefördert hat. Eine allein auf die Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolgs abstellende Erklärung, die so genannte reine Verursachungstheorie,521 kann die Notwendigkeit einer akzessorischen Haupttat, also das Akzessorietätsprinzip nicht erklären und ist daher mit dem Gesetz nicht vereinbar.522 Ebenfalls mit den geltenden Regelungen unvereinbar ist es, den Grund der Strafbarkeit darin zu sehen, dass der Teilnehmer „den Täter macht“, indem er ihn in Schuld verstrickt, da gerade keine schuldhafte Tat des Haupttäters verlangt wird.523 Daher wird der Strafgrund der Teilnahme meist in der Verur-
519
Roxin, Strafrecht AT, Band II (2003), § 26 Rn. 10. Eine eigentümliche Ausnahme bildet § 9 Abs. 2 S. 2 StGB für die Teilnahme an einer Auslandstat; vgl. dazu nur Werle/Jeßberger, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 9 Rn. 47 ff. 521 So vor allem Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme (1967), S. 161 ff.; ähnlich Schmidhäuser, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Studienbuch, 2. Aufl. (1984), 10. Abschn. Rn. 9. 522 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 13 ff.; die Akzessorietät wäre dann ein bloßer Aspekt der Strafbegrenzung ohne Bezug zum Unrecht der Teilnahme selbst. 523 Vgl. zu dem Versuch, den Ansatz mit dem geltenden Recht derart zu harmonisieren, dass man die Verstrickung in Unrecht genügen lässt, nur die kritische Darstellung von Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 17 ff. 520
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
sachung eines rechtswidrigen Verhaltens eines anderen gesehen.524 Dieser Ansatz wird dem Akzessorietätsprinzip vollkommen gerecht, berücksichtigt jedoch nicht, dass das Verhalten, um strafwürdig zu sein, auch für den Teilnehmer grundsätzlich verboten sein muss. Daher ist zusätzlich erforderlich, dass das Rechtsgut, das der Teilnehmer mittelbar – also über die fremde Haupttat – angreift, auch ihm gegenüber geschützt sein muss.525 Die Teilnahme ist somit kurz zusammengefasst ein „akzessorischer Rechtsgutsangriff“.526 c) Unterlassen als akzessorischer Rechtsgutsangriff ? Für die Frage, ob es eine Teilnahme durch Unterlassen gibt, könnte nun entscheidend sein, ob ein solcher akzessorischer Rechtsgutsangriff überhaupt durch ein Unterlassen erfolgen kann.527 Dies lässt sich angesichts der Zurechnungsstruktur bei Unterlassungsdelikten anzweifeln, die in einem gleichsam unmittelbaren Verhältnis zwischen Erfolg und Unterlassen besteht.528 Aus dieser Struktur lässt sich jedoch immerhin ableiten, dass ein eigener Rechtsgutsangriff des Garanten vorliegt, und zwar durch Unterlassen, weil er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt. Diese unmittelbare Zurechnungsstruktur bei einem Unterlassen schließt jedoch eine zusätzliche andere Betrachtung nicht aus: Durch das Unterlassen fördert der Garant auch die Tat des anderen; indem er den Erfolg dieser Begehungstat nicht verhindert, ermöglicht er sie. Durch diese Förderung verursacht der Unterlassende in Form der hypothetischen Kausalität auch eine fremde Tat, die ansonsten nicht hätte vollendet werden können, so dass das Unterlassen auch als ein akzessorischer Rechtsgutsangriff aufgefasst werden kann.
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So die sog. akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie; vgl. Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 25 ff. Rn. 21; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 685 f.; Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), Vor §§ 25 – 31 Rn. 16; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), vor § 25 Rn. 8; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 121 f. 525 Dieser Aspekt wird auch bei der von Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen (1986), S. 49 ff., entwickelten Ansicht, der Strafgrund der Teilnahme bestehe in der Solidarisierung mit fremdem Unrecht, nicht genügend berücksichtigt; kritisch daher Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 22 ff. 526 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht (1985), S. 252 ff.; Hoyer, in:SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), Vor § 26 Rn. 17 ff.; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 22. Abschn. Rn. 9; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 1 ff., 11; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), Vor § 26 Rn. 6 ff.; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), Vor § 26 Rn. 7. 527 Bloy, JA 1987, 490 (492), hält dies sogar für eine entscheidende, aber kaum diskutierte Frage im Zusammenhang mit der Problematik der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten. 528 Bloy, JA 1987, 490 (493).
III. Die Teilnahme
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Der Einwand, ein Unterlassen könne nicht akzessorisch sein,529 betrifft danach nicht die Möglichkeit der Konstruktion einer Teilnahme durch Unterlassen, sondern speist sich aus der Erkenntnis, dass die Teilnahme als sekundärer Begriff nur vorliegen kann, wenn keine Täterschaft gegeben ist. Eine Teilnahme scheidet dann aber nur aus, wenn die beschriebene unmittelbare Zurechnungsstruktur zwischen Unterlassen und Erfolg stets eine Täterschaft begründet. Dies ist jedoch eine Wertungsfrage, die sich allein aus dem Prinzip der Akzessorietät nicht logisch zwingend ableiten lässt. Es ist somit grundsätzlich nicht ausgeschlossen, einen akzessorischen Rechtsgutsangriff durch Unterlassen vorzunehmen und damit eine Teilnahme durch Unterlassen zu konstruieren. Dies betrifft aber nur die Vereinbarkeit des Strafgrunds der Teilnahme und des Akzessorietätsprinzips mit der Verhaltensform des Unterlassens. Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob die beiden gesetzlich geregelten Teilnahmeformen mit ihrem jeweils spezifischen Handlungsunwert durch Unterlassen verwirklicht werden können. 2. Die Anstiftung nach § 26 StGB a) Die Anstiftung durch aktives Tun Anstifter ist nach § 26 StGB, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener und rechtswidriger Tat bestimmt hat. Bestimmen bedeutet dabei – im Sinne einer Mindestvoraussetzung – das Verursachen des Tatentschlusses bei einem anderen.530 Dies wird teilweise sogar als ausreichend angesehen, so dass dann jede beliebige Form der Verursachung des Tatentschlusses ein Bestimmen sein soll.531 Der Begriff des Bestimmens legt eine solche Auslegung möglicherweise auch nahe.532 Im Schrifttum wird demgegenüber ganz überwiegend eine Einschränkung verlangt, um die in § 26 StGB angeordnete Bestrafung „gleich einem Täter“ rechtfertigen zu können. Wie die Einschränkung beschaffen sein soll, wird jedoch ganz unterschiedlich gesehen. Neben der Forderung nach einer kommunikativen Beeinflussung des Täters durch den Anstifter im Sinne einer Aufforderung533 wird auch – noch restriktiver – ein Unrechtspakt zwischen Täter und Anstifter,534 eine Abhän529
So vor allem Bloy, JA 1987, 490 (493); im Ergebnis relativierend a.a.O., 494. Statt aller Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 26 Rn. 2. 531 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht (1985), S. 328 f.; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme (1977), S. 146 f.; BGHSt 2, 279; 45, 373 (374). 532 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme (1977), S. 147; Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2005), § 20 Rn. 171. 533 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 686; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 143; Fischer, StGB, 56. Aufl. (2009), § 26 Rn. 3. – Den Aufforderungscharakter stärker betonend Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 74 ff.; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 26 Rn. 4; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Auf. (2007), § 26 Rn. 15; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 37. Aufl. (2007), Rn. 568. 534 Puppe, GA 1984, 101 ff. 530
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
gigkeit des Täters vom Willen des Anstifters535 oder auch eine Planherrschaft des Anstifters verlangt.536 Richtigerweise muss sich die Anstiftung von der geringer bestraften Beihilfe, für die in § 27 Abs. 2 StGB eine obligatorische Strafmilderung vorgeschrieben wird, hinsichtlich der Strafwürdigkeit unterscheiden, die in dem besonderen Handlungsunrecht – also in den besonderen Handlungsformen – der Anstiftung einerseits und der Beihilfe andererseits zum Ausdruck kommen muss. Vor diesem Hintergrund kann das schlichte Verursachen des Tatentschlusses nicht genügen, da die Kausalität für die Begründung unterschiedlicher Grade der Strafwürdigkeit nicht geeignet ist.537 Entscheidend ist ein anderer Aspekt: Im Gegensatz zu dem unterstützenden Beitrag des Gehilfen enthält die Anstiftung ein lenkendes Moment, das auch darin deutlich wird, dass der Anstifter am Anfang der deliktischen Entwicklung steht.538 Insofern ähneln sich Anstiftung und mittelbare Täterschaft,539 wobei die Besonderheit der Anstiftung dann zunächst darin besteht, einen vollverantwortlichen Täter zu lenken.540 Dieses Charakteristikum beschreibt zwar den wesentlichen Unterschied zur Beihilfe, kann aber noch nicht die gleiche Bestrafung einer Anstiftung als Lenkung einer Tat ohne Tatherrschaft wie eine mittelbare Täterschaft als Lenkung einer Tat mit Tatherrschaft plausibel machen. Die gegenüber der Beihilfe erhöhte Strafwürdigkeit muss somit noch weitergehend begründet werden. Ohne die Diskussion hier ausführlich aufnehmen zu können, kann immerhin als Lösungsweg der folgende Ansatz dienen: Eine versuchte Anstiftung ist in bestimmten Fällen nach § 30 Abs. 1 StGB strafbar, nämlich hinsichtlich eines Verbrechens im Sinne von § 12 Abs. 1 StGB, eine versuchte Beihilfe nicht.541 Der Grund für die unterschiedliche Behandlung muss in der besonderen Gefährlichkeit der Anstiftung liegen, die sich daraus ergeben dürfte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Tat schließlich auch vom Täter ausgeführt wird, bei einer Anstiftung höher ist als bei einer Beihilfe. Die Gefahr der Tatbegehung verlangt dann aber nicht nur eine derartige Konkretisierung, dass der Täter die Tat aufgrund der Anstiftung ausführen könnte,542 sondern auch eine gewisse Bindungswirkung dergestalt, dass der Täter die Tat auch für den Anstifter begeht, ohne dass dies unbedingt eine so starke Bindung wie bei einer Mittäterschaft darstellen muss.543 Diese Bin535
Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 22. Abschn. Rn. 21 ff. Schulz, JuS 1986, 933 (938 f.). 537 Ingelfinger, Anstiftervorsatz und Tatbestimmtheit (1992), S. 124. 538 Ingelfinger, Anstiftervorsatz und Tatbestimmtheit (1992), S. 125; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. (1989), § 51 Rn. 7. 539 Zum lenkenden Moment der mittelbaren Täterschaft siehe oben 3. Teil, II. 2. a) aa). 540 Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl. (1989), § 48 Rn. 11. 541 Vgl. dazu Stratenwerth, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (1981), Rn. 882. 542 Für § 30 Abs. 1 StGB siehe Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 30 Rn. 3; Mosenheuer, ZIS 2006, 100 ff. 543 Zur Bedeutung des gemeinsamen Tatentschlusses für die Verbindung der Mittäter und ihrer Tatbeiträge siehe oben 3. Teil, II. 3. a) bb). 536
III. Die Teilnahme
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dungswirkung kann aber nur bestehen, wenn der Täter weiß, dass er angestiftet worden ist. Aus diesem Grund ist die Forderung nach einer auffordernden kommunikativen Beeinflussung des Täters durch den Anstifter berechtigt. Um die tätergleiche Bestrafung zu rechtfertigen, müssen als Anforderungen an das Bestimmen somit einerseits ein lenkendes Moment und andererseits ein bindendes Moment in Form der Kenntnis des Täters von der Anstiftung vorhanden sein. b) Zur Rechtsfigur einer Anstiftung durch Unterlassen aa) Fallkonstellationen Geht man von der Grunddefinition des Bestimmens als Verursachung eines Tatentschlusses aus, lassen sich folgende Konstellationen einer Anstiftung durch Unterlassen vorstellen.544 Erstens: Ein Garant verhindert nicht, dass ein Begehungstäter einen Tatentschluss fasst. Zweitens: Ein Garant unterlässt es, den Tatentschluss eines Begehungstäters rückgängig zu machen, nachdem er ihn zuvor unvorsätzlich verursacht hat. Und drittens: Ein Garant verhindert nicht die Anstiftung durch eine von ihm zu überwachende Person. Diese drei Konstellationen sollen im Folgenden anhand der oben entwickelten Kriterien daraufhin untersucht werden, ob sie eine tragfähige Konstruktion für eine tätergleiche Bestrafung besitzen. In diesem Zusammenhang kann jedoch bereits festgehalten werden, dass der Einwand nicht durchgreifen kann, bei einem Unterlassen fehle an einer ausdrücklichen Kommunikation, da anerkanntermaßen die Anstiftung durch aktives Tun auch in Form eines konkludenten Verhaltens möglich ist.545 bb) Konstruktive Probleme (1) Nichthinderung fremder Entschlussfassung Ausgangsbeispiel: Eine Mutter verhindert nicht, dass ihr Kind den Entschluss fasst, eine Sachbeschädigung zu begehen, wie es dann später auch geschieht. Unterstellt man eine Erfolgsabwendungsmöglichkeit der Mutter, also – bezogen auf den Tatentschluss – eine Möglichkeit der Einwirkung, durch die das Kind gar nicht erst den Entschluss fasst, die Sachbeschädigung zu begehen,546 ist bereits das Bestehen einer Garantenpflicht der Mutter zweifelhaft, da § 13 Abs. 1 StGB eine Erfolgsabwendungspflicht verlangt. Einen Tatentschluss als ein Erfolg in diesem Sinne aufzufassen, ist jedoch nicht möglich, da der Entschluss an sich so lange rechtlich irrelevant ist, wie er noch nicht nach außen in Erscheinung getreten ist. Die Entschluss544 545
Bloy, JA 1987, 490 (493 f.). Bloy, JA 1987, 490; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 26
Rn. 5. 546 Praktisch werden daher solche Fallgestaltungen kaum vorkommen; vgl. Herzberg, Das Unterlassen im Strafrecht und das Garantenprinzip (1972), S. 126.
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
fassung ist als Ausdruck bloßen Gesinnungsunrechts nicht strafbar. Anders als eine rechtswidrige Handlung ist also der Tatentschluss selbst nicht als Erfolg im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB anzusehen. Eine Garantenpflicht der Mutter im Ausgangsbeispiel lässt sich somit nur als Vorverlagerung der Erfolgsabwendungspflicht verstehen: Diese impliziere eine – wenn man so will, unselbständige – Pflicht zur Verhinderung einer Entschlussfassung.547 Diese Vorverlagerung führt jedoch zu kaum tragbaren Konsequenzen, wie die folgende Abwandlung zeigt: Fasst das Kind den Entschluss, ein Verbrechen zu begehen, und gibt ihn später ohne Zutun der Mutter wieder auf, müsste diese wegen der Nichthinderung der Entschlussfassung an sich wegen einer versuchten Anstiftung durch Unterlassen zu diesem Verbrechen nach § 30 Abs. 1 StGB bestraft werden, weil sie sich eine Strafbefreiung nach § 31 StGB nicht verdient hat, und zwar auch dann, wenn sie die Tat insgesamt noch hätte verhindern können. Das ist ein absurdes Ergebnis. Neben diesen Bedenken werden jedoch noch weitere dogmatische Einwände gegen die Annahme einer Anstiftung in dem Fall der Nichthinderung einer Entschlussfassung erhoben. Nicht durchgreifend ist der Einwand einer fehlenden Kausalität des Unterlassens,548 da es bei einem Unterlassen nicht um das Verursachen des Tatentschlusses im Sinne einer tatsächlichen Kausalität gehen kann, die es nicht gibt,549 sondern nur um die Nichtabwendung des Quasi-Erfolgs, also der Entstehung eines Tatentschlusses.550 In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, ob die Nichthinderung fremder Entschlussfassung ein lenkendes Moment enthält, wie es für die Anstiftung in Abgrenzung zu einer Beihilfe zu fordern ist. Dies muss verneint werden, da das Äquivalent der Lenkung einer fremden Tat zwar in der Nichtlenkung einer fremden Tat gesehen werden kann, dies aber nicht den spezifischen Unwertgehalt dieses Elements der Anstiftung widerspiegelt. Durch eine Nichtsteuerung bestimmt der Garant gerade nicht, welches konkrete Rechtsgutsobjekt angegriffen wird. Neben dem lenkenden Moment fehlt auch das bindende Element einer Anstiftung in diesen Fällen. Dazu wäre erforderlich, dass der spätere Begehungstäter aus dem Nichteingreifen des Garanten schließen kann, dass der Garant möchte, dass er die Tat begeht. Dann läge eine solche Bindungswirkung in dem Sinne vor, dass der Täter die Tat auch ein wenig für den Garanten begeht. Ein Unterlassen könnte tatsächlich in bestimmten Fällen eine solche motivierende Wirkung für den Begehungstäter
547 Bloy, JA 1987, 490 (494 f.); Herzberg, Das Unterlassen im Strafrecht und das Garantenprinzip (1972), S. 125 f.; Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 292. 548 So aber Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2003), § 30 Rn. 67; Grünwald, GA 1959, 110 (122 f.). 549 Speziell für diese Konstellation nachgewiesen von Bloy, JA 1987, 490 (495). 550 Herzberg, Das Unterlassen im Strafrecht und das Garantenprinzip (1972), S. 120.
III. Die Teilnahme
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haben; dies rechtfertigt jedoch keine Haftung des Unterlassenden als Anstifter.551 Das ergibt sich aus den allgemeinen Regeln der objektiven Zurechnung: Der beschriebene Zusammenhang zwischen Unterlassen und Motivation wird nämlich allein von dem Begehungstäter hergestellt, ohne dass der Unterlassende dafür verantwortlich gemacht werden kann. Dies entspricht im Prinzip den bei der mittelbaren Täterschaft diskutierten Fällen, in denen beispielsweise eine schuldunfähige Person droht, jemanden umzubringen, wenn ein Dritter sie nicht heirate. Auch hier ist der Dritte nicht eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft schuldig, wenn die Tat schließlich von der Schuldunfähigen umgesetzt wird.552 Für diese willkürliche Verknüpfung ist der Dritte ebenso wenig zuständig, wie im Ausgangsbeispiel der Garant, der die Entschlussfassung eines Dritten nicht hindert. Eine Anstiftung durch Unterlassen in Form der Nichthinderung fremder Entschlussfassung ist also aus dogmatischen Gründen nicht möglich. (2) Unterlassen des Rückgängigmachens einer unvorsätzlichen Entschlussverursachung Auch für diese Konstellation soll zunächst ein Beispielsfall gebildet werden: Erkennt jemand, dass aufgrund der nicht ernst gemeinten Aufforderung, eine bestimmte Person zu verprügeln, sein Gesprächspartner den Entschluss zu einer entsprechenden Körperverletzung fasst, könnte man eine Anstiftung durch Unterlassen annehmen, wenn der gleichsam fahrlässige „Anstifter“ nichts unternimmt, um den Entschluss bei seinem Gesprächspartner wieder rückgängig zu machen. Diese Konstellation unterscheidet sich zwar nicht hinsichtlich des Fehlens eines lenkenden Moments von der zuvor behandelten, da das lediglich fahrlässige Verhalten keine bewusste Steuerung in Richtung eines konkreten Rechtsgutsobjekts darstellt. Immerhin ist der Unterlassende aber aufgrund seines Verhaltens für das bindende Element (mit-)verantwortlich, da der Gesprächspartner ja von einer Aufforderung durch den Garanten ausgeht.553 Es sprechen aber zwei gewichtige Gründe gegen die Annahme einer Anstiftung durch Unterlassen in diesen Fällen: Erstens würde über ihre Anerkennung praktisch eine Strafbarkeit der fahrlässigen Anstiftung konstruiert, obwohl nach dem eindeutigen Wortlaut von § 26 StGB eine Anstiftung nur vorsätzlich begangen werden kann.554 Zweitens wird dem Garanten der Vorwurf, eine Handlung unterlassen zu haben, erst zu dem Zeitpunkt gemacht, in dem der Begehungstäter bereits zur Tat ent-
551
So aber Bloy, JA 1987, 490 (496). Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 71a. 553 Dies gilt jedoch nicht für die in diesem Zusammenhang auch diskutierten Fälle, in denen der spätere Begehungstäter erkennt, dass er nicht bewusst von dem Garanten zur Tatbegehung aufgefordert worden ist; Bloy, JA 1987, 490 (496 f.). 554 Ähnlich Bloy, JA 1987, 490 (496), der hier jedoch auf die fehlende Handlungsmodalitätenäquivalenz abstellt. 552
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
schlossen war, so dass er als so genannter omnimodo facturus nicht mehr angestiftet werden kann;555 eine Anstiftung des Unterlassenden scheidet daher aus. Eine Anstiftung durch Unterlassen ist somit auch in den Fällen ausgeschlossen, in denen der Garant eine fahrlässige Entschlussverursachung anschließend nicht wieder rückgängig macht. (3) Nichthinderung fremder Anstiftung Ganz überwiegend wird eine Anstiftung durch Unterlassen jedoch in dem Fall bejaht, dass ein Garant die Anstiftung durch einen zu Überwachenden nicht verhindert.556 Beispiel: Ein Vater verhindert nicht, dass sein Sohn einen Dritten zu einer Sachbeschädigung anstiftet. Für die Annahme einer Anstiftung wird vor allem angeführt, dass den Garanten in diesen Fällen nur die Pflicht treffe, die Anstiftung zu verhindern, nicht jedoch die Sachbeschädigung durch den Dritten selbst, weil er lediglich den Anstifter zu überwachen habe.557 So plausibel dieses Argument zunächst klingt, so widersprüchlich ist es bei genauerer Betrachtung. Denn wenn argumentiert wird, mangels einer Verpflichtung gegenüber dem Dritten oder gegenüber dem Opfer komme weder eine strafrechtliche Haftung des Unterlassenden wegen einer täterschaftlichen Sachbeschädigung durch Unterlassen noch eine Beihilfe durch Unterlassen zu dieser Tat in Betracht,558 muss man fragen, wie dann eine Anstiftung durch Unterlassen zu dieser Haupttat vorliegen kann. Mit anderen Worten: Auch in dieser Fallgruppe muss geprüft werden, ob es gerechtfertigt ist, den Garanten wegen einer Anstiftung durch Unterlassen zu der späteren Haupttat zu bestrafen, wobei die Besonderheit zu berücksichtigen ist, dass hier insofern eine mittelbare Zurechnungsstruktur vorliegt, als es eine Anstiftung durch positives Tun gibt. Von den beiden für eine Anstiftung notwendigen Elementen der Lenkung durch den Anstifter und der Bindung gegenüber dem Anstifter,559 fehlt jedenfalls eine Lenkung durch den Garanten auf das konkret angegriffene Rechtsgutsobjekt hin. Und auch eine Bindung des Täters der Sachbeschädigung gegenüber dem Garanten ist nicht vorhanden. Aber – und dies dürfte die relative Nähe dieser Fallgruppe zur Anstiftung erklären – es existiert immerhin eine Bindung des Täters gegenüber dem An555
Bloy, JA 1987, 490 (497). Bloy, JA 1987, 490 (497); Herzberg, Das Unterlassen im Strafrecht und das Garantenprinzip (1972), S. 121; Ingelfinger, in: HK-Gesamtes Strafrecht (2008), § 26 StGB Rn. 9; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 104; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 87; Rudolphi, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), Vor § 13 Rn. 42; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 26 Rn. 56. 557 Bloy, JA 1987, 490 (497); Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 87. 558 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 87. 559 Vgl. oben 3. Teil, III. 2. a). 556
III. Die Teilnahme
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stifter durch aktives Tun, also gegenüber dem Sohn im Beispielsfall, die die besondere Gefährlichkeit im Vergleich zu einer Beihilfe begründen könnte. Dieser Quasi-Erfolg des besonderen Verhaltensunrechts einer Anstiftung liegt somit vor, und zwar schlicht deshalb, weil es jemanden gibt, der dieses Verhalten durch aktives Tun verwirklicht hat. Das allein rechtfertigt jedoch nicht die Annahme einer Anstiftung; denn auch hier ist nicht der Garant derjenige, der die wegweisenden Entscheidung darüber fällt, ob und gegenüber wem eine Straftat begangen wird. Dieses lenkende Moment ist jedoch stets zu verlangen, wenn eine Bestrafung „gleich einem Täter“ erfolgen soll. cc) Ergebnis Die Analyse der diskutierten Fallgruppen hat gezeigt, dass aus dogmatischen Gründen eine Anstiftung durch Unterlassen nicht anerkannt werden kann. Vielmehr dürfte es hier um die Frage nach der Abgrenzung von unmittelbarer Täterschaft und Beihilfe gehen, je nachdem, ob man die unmittelbare Zurechnungsstruktur zwischen Unterlassen und Eintritt des Erfolgs oder die mittelbare Struktur zwischen dem Unterlassen und der fremden Tat als maßgeblich ansieht. Eine der Anstiftung vergleichbare mittelbare Struktur ist in den Fällen jedoch nicht anzuerkennen.
3. Die Beihilfe nach § 27 StGB a) Die Beihilfe durch aktives Tun Gehilfe ist nach § 27 Abs. 1 StGB, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Hilfe leisten wird üblicherweise bestimmt als ein Tatbeitrag, der die Rechtsgutsverletzung ermöglicht oder verstärkt, beziehungsweise die Tatdurchführung erleichtert oder absichert.560 Die Mittel der Beihilfe sind dabei grundsätzlich unbegrenzt.561 Der Hauptstreitpunkt im Bereich der Beihilfe ist, ob der Gehilfenbeitrag den Erfolg der Haupttat mitverursacht haben muss,562 wobei eine so genannte Zufluss- oder Verstärkerkausalität für ausreichend angesehen wird,563 oder ob es grundsätzlich genügt, wenn der Beitrag die Handlung des Haupttäters irgendwie gefördert hat.564 Berücksichtigt man, dass bei der Beurtei560
Statt aller Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 27 Rn. 2 m.w.Nw. Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2005), § 20 Rn. 223. 562 Dies verlangen bspw. Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 27 Rn. 10; Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2005), § 20 Rn. 214 f.; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 27 Rn. 2; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 184 f.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 158. 563 Dies dürfte jedoch keine Besonderheit der Beihilfekausalität sein; vgl. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 185. 564 RGSt 58, 113 (114 f.); BGH, NJW 2001, 2409 (2410); Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 37. Aufl. (2007), Rn. 582. 561
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
lung der Kausalität des Tatbeitrags wie immer das Hinzudenken von Reserveursachen unzulässig ist, reduziert sich die Relevanz des Streits wohl im Wesentlichen auf die Fälle, in denen der Beitrag keinen Einfluss auf die Tat hatte, weil beispielsweise das zur Verfügung gestellte Tatmittel ungeeignet war.565 Vor allem angesichts des Strafgrunds der Teilnahme als akzessorischer Rechtsgutsangriff566 ist die Forderung nach einem kausalen Beitrag für die Beihilfe zuzustimmen. Ohne Kausalität würde ferner bloßes Versuchsunrecht in die Beihilfe einbezogen, was der vom Gesetzgeber gewollten Straflosigkeit der versuchten Beihilfe widerspricht.567 Diese Einwände sprechen auch gegen die Ansichten, die Beihilfe als abstraktes oder konkretes Gefährdungsdelikt auffassen.568 b) Die Beihilfe durch Unterlassen aa) Anerkannte Fälle einer Beihilfe durch Unterlassen Die Möglichkeit einer Beihilfe durch Unterlassen wird mittlerweile allgemein anerkannt,569 da die garantenpflichtwidrige Nichtverhinderung fremden Begehungsunrechts die Tat zumindest ermöglicht. Ein pflichtwidriges570 Unterlassen ist nämlich für die Vollendung der Tat hypothetisch kausal, sofern der Unterlassende eine Erfolgsabwendungsmöglichkeit besitzt. Im Ergebnis wird dann auch eine Beihilfe durch Unterlassen jedenfalls dann angenommen, wenn der Unterlassende ein Tatbestandsmerkmal nicht in eigener Person 565 Die Relevanz des Streits wird noch geringer, wenn man in der Lieferung eines Tatmittels, auch wenn es an sich ungeeignet ist, eine psychische Förderung der Tat sieht (so bspw. Jescheck/ Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. [1996], S. 692). Aber allein die damit einhergehende Billigung der Tat ist dafür nicht ausreichend. Auch eine psychische Beihilfe durch Bestärkung des Tatentschlusses muss dann einen konkreten Erfolg verursachen, so dass verlangt werden muss, dass durch den Beitrag nachweisbar letzte Zweifel oder Hemmungen beim Täter weggefallen sind (Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. [2005], § 20 Rn. 225 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. [2004], § 12 Rn. 159). – Eine (vollendete) Beihilfe zu einer versuchten Haupttat liegt allerdings vor, wenn der Haupttäter mit dem ungeeigneten Tatmittel das Delikt zu begehen versucht. 566 Siehe oben 3. Teil, III. 1. 567 Siehe oben 2. Teil, II. 2. a). 568 Vgl. dazu nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 26 Rn. 191 ff. 569 Anders nur, wenn das Unterlassen prinzipiell als eigne Täterschaftsform angesehen wird; vgl. dazu die kurze Darstellung unten 3. Teil, IV. 570 Selbstverständlich ist eine Garantenpflicht auch bei einer Beihilfe durch Unterlassen notwendige Voraussetzung für eine Bestrafung wegen der Nichtvornahme einer Körperbewegung. Die abweichende Auffassung, nach der eine Strafbarkeit wegen Beihilfe durch Unterlassen auch vorliegt, wenn jemand einen bereits gefassten Handlungsentschluss wieder aufgibt, damit eine fremde Tat durchgeführt werden kann, die ansonsten durch die unterlassenen Handlung verhindert oder erschwert worden wäre (Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. [2006], S. 487 f. mit Bsp.), ist mit dem Wortlaut von § 13 Abs. 1 StGB nicht vereinbar; Rudolphi, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), Vor § 13 Rn. 43.
III. Die Teilnahme
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erfüllt, wie beispielsweise eine besondere Absicht oder Täterqualifikation, so dass er selbst nicht Täter sein kann. Beispiel: Eine Mutter unterlässt es, einen Diebstahl ihres neunjährigen Sohnes zu verhindern, obwohl sie es könnte, ohne dass sie damit die Absicht verfolgt, die Beute sich oder ihrem Sohn zuzueignen. Ein täterschaftlicher Diebstahl durch Unterlassen scheitert bei der Mutter am Fehlen der Zueignungsabsicht; eine Beihilfe durch Unterlassen an der nach § 19 StGB schuldlosen Tat ihres Sohnes bleibt jedoch möglich.571 Entsprechendes gilt für eigenhändige Delikte.572 bb) Problematische Fälle als Frage der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme Neben diesen allgemein anerkannten Formen werden weitere Konstellationen als typische Fälle einer Beihilfe durch Unterlassen angesehen, die jedoch sämtlich umstritten sind. Beihilfe soll vorliegen, wenn dem Unterlassenden lediglich die Nichtabwendung eines Beihilfeerfolgs vorgeworfen werden kann. Dies kann zum einen anzunehmen sein, wenn der Garant seine Pflicht verletzt, die aktive Beihilfe einer zu überwachenden Person zu verhindern.573 Zum anderen sind auch Fälle denkbar, in denen es nicht um die Überwachung von Personen geht, sondern in denen der Inhalt der Garantenpflicht in der Überwachung von gefährlichen Gegenständen besteht. Lässt beispielsweise jemand eine Pistole in der begründeten Hoffnung unbeaufsichtigt, eine bestimmte Person werde damit sein Vorhaben wahrmachen, einen Dritten zu erschießen, soll er hinsichtlich der Verantwortlichkeit an der Mitwirkung wie jemand behandelt werden, der dem Schützen die Waffe durch aktives Tun überlässt, eben als Gehilfe.574 Die Einordnung solcher Fälle als Beihilfe leuchtet unmittelbar ein. Die Begründung ist jedoch allein mit dem Hinweis auf die beschränkte Verantwortung für ein Beihilfeunrecht nicht überzeugend. Dies ergibt sich insbesondere aus einem Vergleich mit entsprechenden Konstellationen im Begehungsbereich. Dort kann nämlich ein und dieselbe Handlung einmal Beihilfe, ein anderes Mal Täterschaft sein. Beispiel: Reicht jemand einem anderen eine Waffe, damit dieser einen Menschen erschießen kann, hängt die Bewertung dieses Verhaltens als Täterschaft oder Teilnahme von dem Umstand ab, ob der Schütze davon ausgeht, auf einen Menschen zu schießen – dann liegt eine Beihilfe für den vor, der die Waffe reicht – oder irrtümlich meint, er 571 Weitere Bsp. für die einzelnen Fallgruppen bei Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 479 ff. 572 Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 27 Rn. 52. 573 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 144; zu der ähnlich gelagerten Konstellation der Nichthinderung einer fremden Anstiftung siehe oben 3. Teil, III. 2. b) bb) (3). 574 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 102, jedoch beschränkt auf die von ihm sog. Pflichten kraft Organisationszuständigkeit; siehe unten 4. Teil, II. 2. b).
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
visiere eine Vogelscheuche an; erkennt der Hintermann diesen Irrtum, ist er mittelbarer Täter. Ebenso kann man im Beispielsfall der unbeaufsichtigten Pistole argumentieren. Handelt es sich bei der „tatgeneigten Person“ um ein dreijähriges Kind, erscheint die Bestrafung des Waffenbesitzers wegen Beihilfe durch Unterlassen nicht sachgerecht. Die Einordnung dieser Fälle als Beihilfe verlangt also möglicherweise auch, dass derjenige, der die Tat schließlich ausführt, dafür vollverantwortlich ist. Eine eindeutige Zuordnung zur Beihilfe ist anders als beim Fehlen eines Umstands des gesetzlichen Tatbestands beim Unterlassen also nicht möglich. Es geht hier vielmehr bereits um die zutreffenden Kriterien für eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten, denen erst im vierten und fünften Teil nachgegangen werden soll. Ausgehend von der Erkenntnis, einen vollverantwortlichen Begehungstäter als Voraussetzung für die Annahme einer Beihilfe zu fordern, erscheint es dann im Übrigen auch nicht mehr fern liegend, die Nichthinderung eines solchen vollverantwortlichen Begehungsunrechts grundsätzlich als Beihilfe zu würdigen.575 cc) Unterlassene Taterschwerung als strafwürdige Beihilfe durch Unterlassen Eine besondere Problematik, die meist im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Beihilfe durch Unterlassen diskutiert wird, ergibt sich dann, wenn es dem Unterlassenden zwar nicht möglich war, die Tat zu verhindern, er die Tatbestandsverwirklichung für den anderen durch sein Eingreifen jedoch hätte erschweren können. Analog zu den Fällen einer aktiven Beihilfe durch Erleichterung der Haupttat erscheint es daher denkbar, diese Fälle als Beihilfe durch Unterlassen zu bestrafen.576 Gegen eine solche Handlungspflicht wird jedoch vorgebracht, sie führe zu grotesken Ergebnissen. Dazu ein Beispiel:577 Ein Fabrikwärter, der vor einer Übermacht Räuber flieht, würde sich wegen einer Beihilfe durch Unterlassen strafbar machen, wenn er sich nicht fesseln lässt, wenn er nicht den Versuch unternimmt, die Räuber durch Ausmalen der Tatfolgen von ihrem Tun abzuhalten, und so weiter. Überwiegend wird daher eine Pflicht, tätig zu werden, obwohl dadurch der Erfolg nicht abgewendet werden kann, für sinnlos erachtet.578 Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass ein Eingreifen durchaus sinnvoll sein kann, wenn es zwar nicht mit an Sicherheit 575
Zu dieser Ansicht siehe unten 4. Teil, IV. 2. In diesem Sinne RGSt 71, 176 (87); 73, 52 (54); BGH, NJW 1953, 1838; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 102a; Ranft, ZStW 97 (1985), 268 (288). – Ausführlich und kritisch Sering, Beihilfe durch Unterlassen (2000), S. 103 ff., insb. S. 133 ff. 577 Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 293. 578 Cramer/Heine in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), § 27 Rn. 16; Grünwald, GA 1959, 110 (118); Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 293; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 489; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 169; Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 27 Rn. 57. 576
III. Die Teilnahme
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grenzender Wahrscheinlichkeit den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verhindert, aber das Risiko dafür immerhin verringert hätte.579 Bei der Lösung dieser Fälle gilt es zwei Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen verlangt § 13 Abs. 1 StGB eine Erfolgsabwendungspflicht. Daraus folgt, dass das Unterlassen einer Taterschwerung, ohne dass dabei die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verringert werden kann, nicht mit Strafe bedroht ist. Eine solche Pflicht wäre auch kriminalpolitisch nicht sinnvoll, weil sie höchstens dazu führt, dass der Täter durch die Überwindung von dadurch geschaffenen Hindernissen mehr Unrecht begehen muss.580 Zum anderen geht es bei der Lösung der Fälle, in denen eine Handlung immerhin das Risiko für den Erfolgseintritt verringert, um die grundsätzliche Frage der Bestimmung einer Erfolgszurechung bei Unterlassungsdelikten. Wer mit der so genannten Risikoerhöhungslehre für die Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts auch bei Unterlassungsdelikten keine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit fordert, sondern eine Erhöhung des Risikos eines Erfolgseintritts genügen lässt, also lediglich verlangt, dass durch die Vornahme der gebotenen Handlung das Risiko für den Erfolgseintritt verringert worden wäre, kann in diesen Fällen nicht nur unproblematisch eine Erfolgsabwendungspflicht begründen, sondern muss diese Form der unterlassenen Taterschwerung auch vollkommen gleich behandeln mit den Fällen einer sicheren Erfolgsabwendungsmöglichkeit. Danach ginge es also nicht um einen speziellen Fall der Beihilfe durch Unterlassen, sondern um ein gewöhnliches Unterlassen, das sowohl eine Täterschaft, als auch eine Beihilfe sein könnte.581 Die Anwendung der Risikoerhöhungslehre erscheint jedoch zumindest bei Unterlassungsdelikten als nicht sachgerecht. Während nämlich bei Begehungsdelikten mit der realen Kausalität noch eine tatsächliche Grundlage für die Zurechnung reiner Risikoerhöhungen besteht, so dass diese Lehre im Ergebnis eine Einschränkung der Haftung bewirkt, ist dies bei Unterlassungsdelikten nicht der Fall. Mangels einer realen Kausalität zwischen Unterlassen und Erfolgseintritt tritt die objektive Zurechnung nicht zu einer Kausalbeziehung hinzu, sondern gleichsam an ihre Stelle, also als Begründung eines hypothetischen Bedingungszusammenhangs. Wenn man hier nun eine Risikoerhöhung durch das Unterlassen der gebotenen Handlung genügen lässt, verstößt man hinsichtlich der Erfolgszurechnung gegen den Grundsatz in dubio pro reo, da es anders als beim aktiven Tun gerade keine zweifelsfrei festgestellte Kausalitätsbeziehung gibt.582 Die Wahrscheinlichkeit, dass durch die Vornahme der 579 Ranft, ZStW 97 (1985), 268 (271); Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 170; Sowada, Jura 1986, 399 (409). 580 Darin sieht Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 102a Fn. 201, durchaus den Nutzen einer solcher Pflicht. 581 So folgerichtig Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 170; auch Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 27 Rn. 57, sieht die Frage allein als Problem der allgemeinen Unterlassungsdogmatik an. 582 Schünemann, StV 1985, 229 (232 f.).
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3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
gebotenen Handlung der Eintritt des Erfolgs verringert worden wäre, kann somit eine Strafbarkeit wegen eines täterschaftlichen Unterlassens nicht begründen. Anders aber nun für eine Beihilfe: Weil in diesen Fällen durch das Unterlassen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Tat des Dritten erschwert worden wäre, war das Unterlassen als Beihilfe kausal für die Haupttat; und weil die Vornahme der Handlung die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs der Haupttat immerhin verringert hätte, bestand auch eine Erfolgsabwendungspflicht in der konkreten Situation. Damit kann als Ergebnis festgehalten werden: Lehnt man wie hier zumindest für den Bereich der Unterlassungsdelikte die Risikoerhöhungslehre als Grundlage einer objektiven Erfolgszurechnung ab, sind die Fälle der unterlassenen Taterschwerung grundsätzlich als Beihilfe durch Unterlassen strafbar, sofern die Vornahme der Handlung zwar nicht den Eintritt des Erfolgs sicher verhindert, aber immerhin die Wahrscheinlichkeit dafür verringert hätte.583 Fehlt es auch daran, kommt eine Strafbarkeit nicht in Betracht.584 dd) Ergebnis Eine Beihilfe durch Unterlassen ist somit als Beteiligungsform dogmatisch möglich und in bestimmten Fällen auch sachgerecht. Umstritten ist lediglich, wie weit ihr Anwendungsbereich in Abgrenzung zur Unterlassungstäterschaft zu ziehen ist.
IV. Die Begehung durch Unterlassen als eigenständige Beteiligungsform? Schließlich soll noch kurz auf eine heute nicht mehr vertretene Ansicht eingegangen werden, nach der die Begehung durch Unterlassen als eigenständige Beteiligungsform angesehen wird.585 Dafür wurde zum einen angeführt, es ließen sich keine sinnvollen Kriterien für eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme finden.586 Zum anderen beherrsche der Unterlassenden die Tat noch weniger als selbst der aktive Gehilfe.587 Aus diesen Gründen eine eigenständige Form der Be583 Die grotesken Ergebnisse der Beispielsfälle im Rahmen der Diskussion, bei denen zumeist die Eingehung erheblicher Risken des Unterlassenden im Raum stehen, sind wohl eher Fragen der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, bei dessen Beurteilung auch die Frage eine Rolle spielt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Erfolgsverhinderung im konkreten Fall genau ist. Über diese Abwägung sind meines Erachtens sachgerechte Ergebnisse im Einzelfall zu erreichen. 584 In diese Richtung auch Sowada, Jura 1986, 399 (409). 585 Grünwald, GA 1959, 110 ff.; ähnlich Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959); S. 291 ff.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 222. 586 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959); S. 302; dazu sogleich ausführlich im vierten Teil. 587 Grünwald, GA 1959, 110 (113).
V. Ergebnis
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teiligung durch Unterlassen anzunehmen, die wertungsmäßig noch unterhalb der aktiven Beihilfe stehen soll, mag folgerichtig sein; die Ansicht ist jedoch mit dem geltenden Recht nicht vereinbar und führt nicht zu kriminalpolitisch sachgerechten Ergebnissen. Zunächst geht das Gesetz gerade nicht von einer „Einheitstäterschaft“ durch Unterlassen aus. Sowohl § 8 StGB, als auch § 9 Abs. 2 StGB setzen die Existenz einer Unterlassungstäterschaft und einer Teilnahme durch Unterlassen voraus. Ferner ist es kaum einsichtig, den aktiven Gehilfen wegen der obligatorischen Strafmilderung in § 27 Abs. 2 StGB prinzipiell milder zu bestrafen als den Unterlassenden, für den nach § 13 Abs. 2 StGB lediglich eine fakultative Strafmilderung vorgesehen ist, wenn die Unterlassungstäterschaft wertungsmäßig unterhalb der aktiven Beihilfe anzusiedeln sein soll. Schließlich ist die Annahme einer solchen selbständigen, gesetzlich nicht geregelten Beteiligungsform rechtsstaatlich problematisch: Die Formen möglicher Beteiligung sind vielmehr in den §§ 25 ff. StGB abschließend geregelt.588 Weiterhin führt die dargestellte Ansicht zu nicht sachgerechten Ergebnissen, wenn zwar das Unterlassen generell weniger strafwürdig als die aktive Beihilfe, jedoch anders als bei dieser der Versuch grundsätzlich strafbar sein soll. Aber auch wenn das Unterlassen gleichsam stets als unmittelbare Täterschaft begriffen wird,589 ist nicht einsichtig, warum eine Beihilfe nicht zumindest in den Fällen möglich sein soll, in denen eine Täterschaft wegen des Fehlens eines Umstands, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, nicht möglich ist.590 Dies wäre jedoch die Konsequenz bei Annahme einer eigenständigen Beteiligungsform durch Unterlassen. Die Ansicht einer undifferenzierten Beteiligung durch Unterlassen ist somit als gesetzes- und gerechtigkeitsfern abzulehnen.591
V. Ergebnis: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten und die sich daraus ergebenden Folgerungen für die Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten Nach der Analyse der einzelnen gesetzlichen Beteiligungsformen ergibt sich nun für den Bereich des Unterlassens folgendes Bild: Als Beteiligungsformen in der Erscheinungsform des Unterlassens gibt es lediglich die unmittelbare Täterschaft und die Beihilfe. Die Konstruktion einer mittelbaren Täterschaft, einer Mittäterschaft und 588
Vgl. bereits oben 2. Teil, II. 2. c) cc). So lassen sich insb. Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 291 ff., und Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969), S. 222, verstehen. 590 Zu diesen Fällen siehe oben 3. Teil, III. 3. b) aa). 591 Kritisch auch Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 468 f. 589
158
3. Teil: Die verschiedenen Beteiligungsformen bei Unterlassungsdelikten
einer Anstiftung durch Unterlassen ist aus unterschiedlichen dogmatischen Gründen nicht nur äußerst problematisch, sondern vor allem auch in den diskutierten Fallkonstellationen weder notwendig noch sachgerecht. Die Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten lässt sich vor dem Hintergrund dieses Befundes somit konkretisieren als die Frage nach der Abgrenzung von unmittelbarer Täterschaft und Beihilfe. Welche Kriterien für die Beantwortung dieser Frage sinnvoll sind, soll im folgenden Teil der Arbeit untersucht werden, wobei auf einige Erkenntnisse zurückgegriffen werden kann, die im Zusammenhang mit der Analyse der einzelnen Beteiligungsformen und den für diese diskutierten Fallgruppen bereits behandelt worden sind. Die Konkretisierung der Abgrenzungsfrage hat für das weitere Vorgehen bei der Suche nach der zutreffenden Abgrenzungsmethode jedoch noch weitere Konsequenzen. Die Beschränkung auf die Grundform der Täterschaft – die unmittelbare Täterschaft – und die Grundform der Teilnahme592 – die Beihilfe – beeinflusst auch die Funktion einer Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten. Zur Erinnerung:593 Ein differenziertes Beteiligungssystem verfolgt zwei Ziele – zum einen, die unterschiedlichen Arten der Mitwirkung an einer Straftat nach dem Grad der Verantwortlichkeit eines jeden einzelnen für das tatbestandliche Unrecht differenziert zu erfassen, und zum anderen, durch die konkreten Formulierungen einzelner Beteiligungsformen ein hohes Maß an Bestimmtheit zu erreichen, durch die die generalpräventive Wirkung des Strafrechts gefördert wird. Beschränkt sich nun die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten in den Fällen der Mitwirkung mehrerer auf die Frage, ob auf die unmittelbare Zurechnung zwischen Unterlassen und Erfolgseintritt abzustellen und damit eine unmittelbare Unterlassungstäterschaft anzunehmen ist, oder ob der Aspekt einer mittelbaren Ermöglichung fremder Handlungen durch Nichteingreifen entscheidend und damit eine Beihilfe durch Unterlassen anzunehmen ist, spielt der generalpräventive Aspekt der Gesetzesbestimmtheit offensichtlich keine Rolle. Bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten geht es somit allein um den Aspekt, die unterschiedlichen Grade der Verantwortlichkeit für das tatbestandsmäßige Geschehen zutreffend zu bestimmen. Wie dies zu erfolgen hat, soll im Folgenden untersucht werden.
592 Die Beihilfe als Grundform der Teilnahme zu bezeichnen, lässt sich aus dem Umstand rechtfertigen, dass die Anstiftung, wenn es keine gesetzliche Regelung gäbe, ohne weiteres unter den Begriff des Hilfeleistens gefasst werden könnte. 593 Ausführlich oben 2. Teil, II. 2., insb. unter c) dd).
Vierter Teil
Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten I. Die Abgrenzungsfrage als Frage der Tatbestandsmäßigkeit 1. Beteiligungsfragen als Tatbestandsfragen: Zum Tatbestand der Unterlassungsdelikte Die Beteiligungslehre ist Teil der Lehre vom Tatbestand.594 Die Anknüpfungspunkte für eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Beteiligungsformen müssen daher Elemente der Tatbestandsmäßigkeit sein. Bei den Begehungsdelikten bestimmt vor allem die besondere Art und Weise der Handlung des Beteiligten, sein Handlungsunrecht, darüber, welche Beteiligungsform im konkreten Fall vorliegt. Dies wurde im dritten Teil der Arbeit für die einzelnen Täterschafts- und Teilnahmetypen ausführlich dargestellt. Bei den Unterlassungsdelikten fehlt es an einer Tathandlung, die tatsächlich vorgenommen worden ist. Der Vorwurf besteht bei dieser Deliktsgattung vielmehr darin, eine bestimmte Handlung – verstanden als Vornahme einer Körperbewegung – gerade nicht vorgenommen zu haben. Es liegt nahe, an diese unterlassene Handlung auch bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme anzuknüpfen. Die Schwierigkeiten, die sich dabei ergeben, sind offensichtlich. Mangels einer realen Existenz der Unterlassung, gilt es, an die Umstände anzuknüpfen, die das Unterlassen rechtlich erheblich machen. Dies sind zum einen die Möglichkeit, durch Vornahme der Handlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs abzuwenden, und zum anderen der Grund dafür, dies tun zu müssen, also die rechtliche Einstandspflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB. Im Zusammenhang mit diesen beiden Tatumständen der Unterlassungsdelikte könnte es möglich sein, Kriterien für die konkrete Abgrenzung von unmittelbarer Täterschaft und Beihilfe zu entwickeln. Hinsichtlich der Erfolgsabwendungsmöglichkeit ließe sich auf deren Art und Weise, den Zeitpunkt, die mit der Vornahme der Handlung verbundenen Schwierigkeiten und ähnliches abstellen; bei der Garantenpflicht bieten beispielsweise Grund und Grenzen der konkreten Pflicht Ansatzpunkte für eine Differenzierung hinsichtlich von Graden der Verantwortlichkeit. Die bei die594
Vgl. ausführlich oben 2. Teil, II. 2. c).
160
4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
sen beiden Merkmalen vorgeschlagenen Kriterien sollen im Folgenden vor dem Hintergrund dieser konkreten Abgrenzungsaufgabe kritisch analysiert werden. Neben diesen objektiven Voraussetzungen der Unterlassungsdelikte, die im Wesentlichen das objektive Unrecht der Tat begründen, bedarf es jedoch selbstverständlich auch des subjektiven Unrechts, insbesondere eines Vorsatzes. Denn eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gibt es nur bei Vorsatzdelikten, was selbstverständlich auch für den Bereich der Unterlassungsdelikte gilt. Wie bei den Begehungsdelikten gehören die Umstände, die das Vorliegen einer bestimmten Beteiligungsform begründen, zu den das Unrecht begründenden Merkmalen, auf die sich nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB der Vorsatz beziehen muss. Wie bei den Begehungsdelikten wird jedoch auch bei den Unterlassungsdelikten der Lösungsansatz für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme insbesondere von der Rechtsprechung im Bereich des subjektiven Unrechts gesehen. Begründung und Tragfähigkeit einer solchen Lösung sollen zunächst untersucht werden. 2. Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme (auch) bei Unterlassungsdelikten als Frage des subjektiven Unrechts? a) Zur Anwendung der subjektiven Theorie zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilname bei Unterlassungsdelikten Dogmatischer Ausgangspunkt der subjektiven Teilnahmelehre ist die Ansicht, aufgrund der grundsätzlichen objektiven Gleichwertigkeit aller Verursachungsbeiträge könne eine Abgrenzung nur im Subjektiven erfolgen. Täter sei daher, wer mit Täterwillen, Teilnehmer, wer bloß mit Teilnehmerwillen handelt.595 Geht man von der Richtigkeit dieses Ausgangsbefunds aus,596 liegt es nahe, bei Unterlassungsdelikten ähnlich zu argumentieren. Da es bei Unterlassungsdelikten gerade keine reale Einflussnahme gibt, müsse wiederum davon losgelöst auf die innere Einstellung abgestellt werden; die subjektive Theorie könne daher ohne Weiteres auf Unterlassungsdelikte übertragen werden.597 Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Rechtsprechung die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten nach den allgemeinen – also für den Bereich der Begehungsdelikte entwickelten – Kriterien vorgenommen hat. Bevor dazu kritisch Stellung genommen wird, soll eine kurze Darstellung der höchstrichterlichen Rechtsprechung erfolgen, um die konkreten Kriterien der Abgrenzung – genauer die Kriterien für die Bestimmung des Täterwillens – auf ihre Sachgerechtigkeit analysieren zu können. 595
Siehe oben 2. Teil, II. 3. Zur Kritik vgl. oben 2. Teil, II. 3. c). 597 Arzt, StV 1986, 337 (338); vgl. auch ders., JA 1980, 553 (558); Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 11. Aufl. (2003), § 29 Rn. 89 mit Fn. 118. 596
I. Die Abgrenzungsfrage als Frage der Tatbestandsmäßigkeit
161
b) Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten in der Rechtsprechung aa) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Das Reichsgericht hat bereits früh die Möglichkeit einer Teilnahme durch Unterlassen anerkannt. In einer Entscheidung des vierten Strafsenats vom 21. April 1884 wurde dabei bereits klargestellt, dass dafür eine rechtliche Handlungspflicht Voraussetzung ist.598 Zur Frage, wie die dann notwendige Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme vorzunehmen ist, musste sich der Senat jedoch nicht äußern, da der Unterlassende keine für die Bestrafung wegen eines täterschaftlichen Diebstahls erforderliche Zueignungsabsicht hatte. Es verblieb daher lediglich eine Strafbarkeit wegen Beihilfe. Wegen des Fehlens von Tatumständen in der Person des Unterlassenden hat das Reichsgericht auch in einigen anderen Entscheidungen lediglich wegen Beihilfe verurteilt.599 Gleichsam umgekehrt war in einer Entscheidung des ersten Strafsenats vom 3. Dezember 1906600 wegen einer Nichtverhinderung fremden Begehungsunrechts nur eine Verurteilung wegen Täterschaft möglich, weil das Begehungsunrecht fahrlässig war, so dass eine Teilnahme daran nicht in Betracht kam. In den übrigen veröffentlichten Entscheidungen des Reichsgerichts ist die Frage, ob das Unterlassen als Täterschaft oder Teilnahme zu bestrafen ist, mit einer Ausnahme601 offen geblieben und zur Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen worden.602 Die dafür erteilten Vorgaben waren jedoch ganz im Sinne der subjektiven Theorie:603 „Je nachdem … [ob der Täter den] rechtswidrigen Erfolg selbst verwirklichen oder nur seine Verwirklichung durch andere fördern wollte, würde er auch bei
598
RGSt 11, 154 (155). RGSt 53, 292 f. (fehlende Zueignungsabsicht); 69, 349 f. (fehlende objektive Tätereigenschaft als Fahrzeugführer); 71, 176 ff. (fehlende Bereicherungsabsicht im Rahmen einer Zollhinterziehung); RG, JW 1925, 623 (fehlende Bereicherungsabsicht im Zusammenhang mit einer Schmuggelei). – In RGSt 71, 176 ff. und 73, 52 ff. kam deshalb nur eine Beihilfe infrage, weil es lediglich um das Unterlassen einer Taterschwerung ging. 600 RGSt 46, 337 ff. 601 RGSt 66, 71 ff. – In dieser Entscheidung ging es jedoch nicht um die besonders umstrittene Fallgruppe der Nichthinderung fremden Begehungsunrechts, sondern um das Unterlassen mehrerer: Der Angeklagte veranlasste seine von ihm schwangere Verlobte, die Geburt ihres Kindes an einem einsamen Ort geschehen zu lassen, wo sie es unversorgt sterben ließen. Das Reichgericht bestätigte die Verurteilung des Angeklagten wegen Mittäterschaft, wobei es bei der Würdigung äußere und innere Merkmale berücksichtigte. 602 RGSt 58, 244 ff.; 64, 273 ff.; 72, 373 ff. – Vor dem Hintergrund dieses Befunds ist die Aussage, das Reichsgericht hätte im Verhältnis zu einem vorsätzlichen Begehungstäter meist Beihilfe angenommen (Roxin, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. [1992], § 25 Rn. 201; ähnlich Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. [2007], § 25 Rn. 205), nicht haltbar. 603 In RGSt 72, 373 (375), wurden keine Vorgaben erteilt, jedoch angemahnt, auch eine Mittäterschaft zu erwägen, nachdem zuvor ausschließlich von einer Beihilfe die Rede war. 599
162
4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
völlig untätigem Verhalten … als Täter oder Gehilfe … anzusehen sein.“604 Oder: „Auch eine sich äußerlich als Beihilfe kennzeichnende Tätigkeit genügt zur Annahme … [einer Mittäterschaft], wenn der die Hilfe Leistende die Tat des anderen zugleich als seine eigene will“.605 bb) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs606 Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts in dieser Frage fortgesetzt, wobei bereits früh die Weiterentwicklung hin zu einer „normativen Kombinationstheorie“607 deutlich geworden ist. In einer Entscheidung des ersten Strafsenats vom 12. Februar 1952 werden die Grundsätze folgendermaßen zusammengefasst: „Denselben strafrechtlichen Erfolg … können mehrere Personen gemeinsam auf verschiedene Weise verursachen, sowohl durch verbotenes Handeln wie durch pflichtwidriges Unterlassen, und je nach ihrer inneren Haltung zum Taterfolg (Willensrichtung, Tatherrschaft, Interesse am Taterfolg, Umfang der eigenen Tatbestandsverwirklichung) als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen.“608 Dabei wird der oben genannte dogmatische Ausgangspunkt der subjektiven Teilnahmelehre klar angesprochen: „Besondere Sorgfalt verlangt die Prüfung der inneren Tatseite … Das Wesen der Unterlassungstat erlaubt es nicht, die Täterschuld aus einer Handlung des Täters zu entnehmen; sie läßt sich nur aus anderen, außerhalb des äußeren Hergangs liegenden Anhaltspunkten erschließen.“609 Diese Grundlagen beherrschen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bis heute;610 die für die Entscheidung des Einzelfalls ausschlaggebenden Kriterien variieren jedoch.611 Von daher erscheint es sinnvoll, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in verschiedenen Gruppen zusammenzufassen, um sie einer Gesamtanalyse unterziehen zu können.612
604
RGSt 58, 244 (246 f.). RGSt 64, 273 (275). 606 Eine ausführliche Darstellung der Rspr. des BGH liefert Sering, Beihilfe durch Unterlassen (2000), S. 8 ff. 607 Vgl. dazu oben 2. Teil, II. 3. b). 608 BGHSt 2, 150 (151). 609 BGHSt 2, 150 (155). 610 Vgl. bspw. BGHSt 43, 381 (396); 48, 77 (91), wo ganz im Sinne der normativen Kombinationstheorie der Täterwille aufgrund von Tatinteresse und Tatherrschaft als Kriterien genannt wird. 611 Vgl. auch die Analyse und Kritik von Sering, Beihilfe durch Unterlassen (2000), S. 16 ff. 612 Zu Recht weist Tenckhoff, in seiner Analyse der Entscheidung BGHSt 27, 10 ff. (JuS 1978, 308 [312]), jedoch darauf hin, dass darin die Aussage enthalten ist, die maßgeblichen Kriterien stehen noch nicht fest, worin eine Absage an diejenigen Ansichten zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten zu erkennen ist, die gleichsam als Extrempositionen entweder stets Täterschaft oder stets Beihilfe annehmen, aber auch an eine Unterscheidung nach Beschützer- oder Überwachungspflichten. 605
I. Die Abgrenzungsfrage als Frage der Tatbestandsmäßigkeit
163
Zunächst hatte auch der Bundesgerichtshof einige Entscheidungen zu treffen, in denen eine Verurteilung als Täter am Fehlen von Umständen des gesetzlichen Tatbestands scheiterte.613 In anderen Fällen wurde die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme für den konkreten Fall nicht vorgenommen, sondern an die Vorinstanz nach Maßgabe der normativen Kombinationstheorie zurückverwiesen.614 Auffallend sind einige Entscheidungen, in denen der Bundesgerichtshof ohne besondere Begründung lediglich eine Beihilfe annahm, obwohl grundsätzlich auch eine Bestrafung wegen täterschaftlichen Unterlassens denkbar gewesen wäre.615 Ihnen ist gemeinsam, dass das Vorliegen einer Garantenpflicht jeweils zweifelhaft gewesen ist. Die Zweifel an der Strafwürdigkeit des Unterlassens haben hier möglicherweise eine Beihilfe angesichts der obligatorischen Strafmilderung in § 27 Abs. 2 StGB angemessener erscheinen lassen. Bei den verbleibenden Entscheidungen lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. In der ersten Gruppe steht das eigene Interesse des Unterlassenden an der Tat und an dem Taterfolg ganz im Vordergrund: Die innere Einstellung zur Tat bestimme die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auch bei Unterlassungsdelikten.616 In der zweiten Gruppe dominieren Ausführungen zur Tatherrschaft. Eine gewisse Sonderstellung nimmt dabei die bereits behandelte Entscheidung zu den Todesschüssen an der deutsch-deutschen Grenze ein, wo auf die besondere Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft kraft organisatorischer Machtapparate abgestellt wurde.617 Die anderen auf die Tatherrschaft abstellenden Entscheidungen haben gemeinsam, dass sie Konstellationen unterlassener Selbsttötungshinderungen behandeln, zumeist geprägt von der Achtung des Unterlassenden vor dem Willen des Suizidenten.618 Vor diesem Hintergrund ist eine Täterschaftsbegründung wegen eines eigenen Interesses an der Tat auch offensichtlich ausgeschlossen. Dies sei hier aber nicht entscheidend, weil die Hilfspflicht bei fremden Selbsttötungshandlungen darin bestehe, sich diesem fremden Willen gerade nicht unterzuordnen.619 Die Begründung für die Tatherrschaft der Unterlassenden in den verschiedenen Entscheidungen ist jedoch wiederum nicht einheitlich. Teilweise wird mit der „Herr613
BGHSt 27, 10 ff. (sofern keine Bereicherungsabsicht nachweisbar ist); 43, 381 ff. (Fehlen einer eigenen Berichtigungspflicht nach § 153 AO). – Vgl. auch BGH, NJW 1953, 1383 f., wo es lediglich um einen Fall unterlassener Taterschwerung ging, und BGH, NStZ 1983, 117 f., bei dem eine Erfolgsabwendungspflicht des Unterlassenden verneint worden ist. 614 BGH, LM Nr. 10 Vorb. z. § 47 StGB a.F.; NStZ 1985, 24; JR 1993, 159 ff. 615 BGH bei Dallinger, MDR 1951, 144 f.; MDR 1957, 266; NJW 1964, 731 ff. (= BGHSt 19, 167 ff., dort aber nur gekürzt); BGHSt 27, 10 ff. 616 BGH, NJW 1966, 1763 f.; StV 1986, 59 f.; NStZ 1992, 31 f.; BGHSt 38, 356 (360 f.). 617 BGHSt 48, 77 (91); vgl. bereits oben 3. Teil, II. 2. b) ee). 618 Eine Ausnahme bildet hier BGH, NStZ 1994, 29, in der eine Täterschaft eines Ehemanns ohne Begründung bejaht worden ist, der es unterlassen hatte, die allerdings nicht eigenverantwortliche Selbsttötung seiner Frau zu verhindern. 619 Deutlich BGHSt 2, 150 (156): „Seine Pflicht gebietet es ihm, sich diesem Willen entgegenzustellen.“
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
schaft über die Sachlage“ argumentiert, die sich wohl aus der Erfolgsabwendungsmöglichkeit ergeben soll.620 In anderen Fällen wird entscheidend darauf abgestellt, ob der Suizident noch die Herrschaft über sein Tun hat, also noch bei Bewusstsein ist, solange habe nämlich der Unterlassende keine Tatherrschaft. Mit Eintritt der Bewusstlosigkeit gehe sie jedoch auf den Unterlassenden über.621 Sieht man davon ab, dass die Annahme einer Garantenpflicht in Fällen der Nichthinderung freiverantwortlicher Selbsttötungen angesichts des verfassungsrechtlichen Gebots der Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Suizidenten sehr bedenklich ist,622 stehen dieser Idee des Tatherrschaftswechsels auch angesichts der Straflosigkeit aktiver Suizidbeihilfe erhebliche praktische Bedenken entgegen. Überspitzt: Man darf einem Lebensmüden den Strick reichen, ist aber aus Ingerenz verpflichtet, nachdem er seinen Entschluss umgesetzt hat, ihn wieder abzuschneiden! Zu welchen inhumanen Konsequenzen diese Rechtsprechung führen kann, zeigt der bekannte Fall „Dr. Hackethal“:623 Der angeklagte Arzt besorgte einer Patientin ein Mittel, mit dem sich diese selbst töten konnte, und betreute sie während ihres Suizids. Damit er nach Eintritt der Bewusstlosigkeit nicht mehr rettend eingreifen konnte, wozu er nach Ansicht der Rechtsprechung verpflichtet gewesen wäre, gab er ihr ein sofort tödlich wirkendes Gift, das jedoch einen sehr schmerzhaften Tod der Patientin bewirkte. c) Zusammenfassende Analyse: Die Bedeutung des subjektiven Unrechts für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme Die mit der subjektiven Theorie – auch in der Form der so genannten normativen Kombinationstheorie der Rechtsprechung – verbundenen Gefahren zeigen sich besonders deutlich in den ergangenen Entscheidungen zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten.624 Eine klare Abgrenzung ist nicht möglich, wenn unklar bleibt, welche Kriterien für die Begründung entscheidend sind, insbesondere, wenn sie jedes für sich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Bei der Nichthinderung fremden Begehungsunrechts wird meist dem Tatinteresse die entscheidende Bedeutung beigemessen, wobei auch hier erhebliche Unklarheiten sichtbar werden, wenn zunächst die „Billigung“ als Argument für die Täterschaft angeführt wird,625 später dieser Umstand ausdrücklich als ungeeignet angesehen wird, weil auch der Gehilfe die Tat typischerwei620
BGHSt 2, 150 (156). BGHSt 13, 162 (167); NJW 1960, 1821 (1822); besonders deutlich in BGHSt 32, 367 (373 f.). 622 Vgl. bereits oben Einleitung I., S. 3.; sowie Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), Vor § 211 Rn. 15 m.w.Nw.; aus der Rspr. siehe BGH, NStZ 1983, 117 f. 623 OLG München, NJW 1987, 2940 ff. 624 Vgl. dazu ausführlich oben 2. Teil, II. 3. c) bb). 625 BGH, NJW 1966, 1763 f. 621
II. Die Bedeutung der Garantenpflicht
165
se billige.626 Allein das Abstellen auf die innere Einstellung des Garanten zu dieser Tat rückt die Abgrenzung zudem in die Nähe eines bloßen Gesinnungsstrafrechts.627 Bei Nichthinderung von freiverantwortlichen Selbsttötungen soll dies keine Rolle spielen, so dass allein die Tatherrschaft nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des Suizidenten die Täterschaft begründen soll. Die Tragfähigkeit des hier zentralen Gedankens eines Tatherrschaftswechsels ist angesichts der dogmatischen Bedenken628 und praktischen Konsequenzen sehr zweifelhaft. Dieser Befund lässt die Gefahr einer unbestimmten und willkürlichen Rechtsanwendung deutlich hervortreten,629 die sich dann möglicherweise eher durch ein diffuses Rechtsgefühl leiten lässt, um vermeintliche Einzelfallgerechtigkeit zu erreichen. Wie konkret diese Gefahr ist, zeigen insbesondere die zitierten Entscheidungen, in denen bei Zweifeln an dem Vorliegen einer Garantenpflicht ohne Begründung Beihilfe angenommen worden ist. Die Bedeutung des subjektiven Unrechts bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme beschränkt sich daher auf die Kenntnis der Umstände, die die jeweilige Beteiligungsform begründen. Welche Umstände hierfür bei Unterlassungsdelikten vorliegen müssen, wird im Folgenden behandelt.
II. Die Bedeutung der Garantenpflicht für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten 1. Die Garantenpflichtverletzung als Täterschaftskriterium: Die so genannte Pflichtdeliktslehre a) Die Idee der Pflichtdeliktslehre Nach der so genannten Pflichtdeliktslehre gibt es Delikte, deren wesentliches Unrecht durch die Verletzung einer besonderen tatbestandskonstituierenden Pflicht beschrieben wird: die so genannten Pflichtdelikte.630 Wer nun diese Pflicht innehat und sie – gleichgültig auf welche Art und Weise – verletzt, ist nach dieser Lehre Täter des betreffenden Delikts.631 Zum Kreis dieser Pflichten soll nun auch die Erfolgsabwendungspflicht, also die Garantenpflicht zählen, mit der Folge, dass bei Unterlassungs626
BGH, StV 1986, 59 f. Kritisch zu diesem Argument jedoch Arzt, JA 1980, 553 (558). 628 Siehe oben 3. Teil, II. 1. b) cc). 629 Vgl. auch die kurze Analyse von Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 206, der zu dem Urteil kommt, die Rechtsprechung sei schwankend und uneinheitlich (a.a.O. Rn. 207). 630 Grundlegend: Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 354 f., 384 ff.; zusammenfassend ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 267 ff. 631 Vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 268. 627
166
4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
delikten der Garant stets Täter ist, sofern er auch die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, allein weil er seine Erfolgsabwendungspflicht verletzt.632 Sowohl die Pflichtdeliktslehre an sich, als auch die Einordnung der Garantenunterlassungsdelikte als Pflichtdelikte haben in den letzten Jahren viel Zustimmung erfahren.633 Beide Thesen sollen im Folgenden kritisch untersucht werden. b) Die Pflichtdeliktslehre bei den Begehungsdelikten: Zur Unterscheidung von Pflichtdelikten und Herrschaftsdelikten aa) Pflichtdelikte: Besonderheiten und Bestimmung Der Ausgangspunkt der Pflichtdeliktslehre ist unbestritten: Es gibt Delikte, bei denen die Verletzung einer besonderen Pflicht zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Der Täter muss somit nicht nur eine solche Pflicht innehaben, sondern diese auch noch verletzt haben. Ohne Pflichtverletzung fehlt es an einem Tatumstand, so dass eine Täterschaft nicht möglich ist. Klassisches Beispiel für ein Pflichtdelikt ist die Untreue nach § 266 StGB, die die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht verlangt.634 Umstritten ist jedoch zum einen, welche möglichen weiteren Konsequenzen aus diesem Befund zu ziehen sind, und zum anderen, welche Tatbestände zum Kreis der Pflichtdelikte zu zählen sind. Die Besonderheit der Pflichtdelikte soll nun nicht so sehr darin bestehen, dass der Täter eines solchen Delikts eine besondere Eigenschaft aufweisen muss; dann wären Pflichtdelikte nur eine Form der Sonderdelikte. Die Besonderheit dieser Delikte soll vielmehr darin zu sehen sein, dass die Pflichtverletzung nicht nur notwendige Voraussetzung für eine Täterschaft bei diesen Delikten ist, sondern zugleich auch hinreichende Voraussetzung: Allein die Pflichtverletzung soll die Täterschaft begründen. Insbesondere müsse der so bestimmte Täter keine Tatherrschaft haben. Die Folge ist eine hinsichtlich der Bestimmung der Täterschaft vollkommen unterschiedliche Behandlung der Pflichtdelikte im Vergleich zu den so genannten Herrschaftsdelikten, bei denen die Tatherrschaft die Täterschaft begründet.635 Dieser Verzicht auf die Tatherrschaft als Voraussetzung für die Täterschaft wird wie folgt begründet:
632 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 459 ff.; ders., Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 140. 633 Cramer/Heine in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 25 ff. Rn. 84 f., § 25 Rn. 78; Gropp, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. (2005), § 10 Rn. 39; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme (1977), S. 33; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 21. Abschn. Rn. 116 ff.; Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), Vor §§ 25 – 31 Rn. 43; Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2005), § 20 Rn. 14; Wessels/Beulke, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 37. Aufl. (2007), Rn. 522 f. 634 Dies ist für den sog. Treubruchtatbestand unstreitig, für den Missbrauchstatbestand ganz h.M.; vgl. nur Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 266 Rn. 3. 635 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 13 f., 267.
II. Die Bedeutung der Garantenpflicht
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Erstens: Bei der Beteiligung mehrerer ist – ganz allgemein gesprochen – Täter, wer als Zentralgestalt des tatbestandsmäßigen Geschehens erscheint.636 Während die Bestimmung der Zentralgestalt bei den Allgemeindelikten mithilfe der Tatherrschaft zu erfolgen hat, erscheine bei den Delikten, bei denen als wesentliches Unrechtsmerkmal eine besondere Pflicht verletzt werden muss, der Pflichtige als Zentralgestalt und somit als Täter. Tatherrschaft einerseits und Pflichtverletzung andererseits sind danach lediglich Ausprägungen eines gemeinsamen Leitprinzips.637 Zweitens: Der Gesetzgeber habe durch die Beschreibung der Pflichtverletzung zum Ausdruck gebracht, dass es ihm bei diesen Delikten nicht auf das äußere Verhalten ankomme, sondern darauf, dass jemand gegen die Anforderungen an eine von ihm übernommene Rolle verstoßen hat.638 Die Pflichtverletzung erscheint dann als Umschreibung der spezifischen Tathandlung der Pflichtdelikte und Täter ist, wer die Tathandlung vornimmt. Drittens: Mithilfe dieser Pflichtdeliktslehre lassen sich die Fälle der mittelbaren Täterschaft durch Benutzung eines qualifikationslos-dolosen Werkzeugs lösen.639 Es geht dabei um Konstellationen, in denen dem unmittelbar Ausführenden eine besondere Täterqualifikation fehlt, weshalb er nicht als Täter bestraft werden kann, er zu dieser Handlung jedoch von jemandem aufgefordert oder bei ihr von jemandem unterstützt worden ist, der diese Täterqualifikation vorweist. Beispiel für § 348 Abs. 1 StGB:640 Ein Grundbuchbeamter – ein so genannter Intraneus dieses Delikts – veranlasst einen Nichtbeamten – einen so genannter Extraneus –, einen falschen Eintrag in das Grundbuch vorzunehmen. Der Nichtbeamte ist mangels Amtsträgereigenschaft nicht nach § 348 Abs. 1 StGB strafbar; der Beamte beurkundet selbst nichts. Nach der Pflichtdeliktslehre wäre der Beamte allein wegen seiner pflichtwidrigen Veranlassung der Beurkundung Täter,641 der Nichtbeamte Gehilfe dieser Tat. bb) Zur Notwendigkeit einer Deliktsgruppe der Pflichtdelikte, insbesondere für die Fälle des so genannten qualifikationslos-dolosen Werkzeugs Der Zweck der Pflichtdeliktslehre besteht somit darin, eine Täterschaft des Pflichtigen begründen zu können, ohne dass es einer Tatherrschaft bedarf. Vor einer kritischen Prüfung der Gründe und der Ergebnisse dieser Lehre soll aber zunächst gefragt 636
Siehe oben 2. Teil, II. 4. a). Roxin, Strafrecht, Allgemeiner, Band II (2003), § 25 Rn. 268, 274. 638 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 268. 639 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 275; ders., in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 134 f. 640 Dieses klassische Bsp. dürfte nicht besonders lebensnah sein; praktische Fälle sind auch sehr selten, vgl. Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 39. 641 Wobei er dann teils als mittelbarer Täter (so wohl Roxin, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. [1992], § 25 Rn. 135), teils wohl konsequenter als unmittelbarer Täter angesehen wird (so Snchez-Vera, Pflichtdelikt und Beteiligung [1999], S. 161 ff.). 637
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
werden, ob die Lehre überhaupt notwendig ist, ob – anders gewendet – nicht doch eine Tatherrschaft in den Fällen eines qualifikationslos-dolosen Werkzeugs begründet werden kann. Dann wäre die Lehre – jedenfalls für den Bereich der Begehungsdelikte – ohne praktischen Nutzen. Eine Tatherrschaft ließe sich nur als mittelbare Täterschaft begründen, da die unmittelbare Ausführungshandlung nicht durch den Intraneus vorgenommen wird und eine mittäterschaftliche Zurechnung wegen des Fehlens der besonderen Tätereigenschaft beim Extraneus ausscheidet. Eine Willensherrschaft könnte dann möglicherweise normativ begründet werden: Da ein strafrechtlich relevantes Geschehen erst auf Veranlassung des Intraneus entsteht, habe dieser den rechtlich beherrschenden Einfluss.642 Dieser Ansatz überzeugt jedoch nicht, da damit die Werkzeugeigenschaft des Extraneus nicht begründet werden kann. Nach der hier vertretenen Auffassung muss der unmittelbar Ausführende aufgrund fehlender Hemmungsmotive als menschliches Werkzeug benutzt werden können.643 Dies scheint zwar auf den ersten Blick gegeben zu sein, da der Extraneus selbst den Tatbestand nicht verwirklichen kann und daher rechtlich relevante Hemmungsmotive für ihn nicht existieren. Im Beispielsfall gibt es für den Nichtbeamten keine durch einen strafrechtlichen Normappell erzeugten Hemmungsmotive in Bezug auf die Falschbeurkundung. Auf den zweiten Blick erweist sich diese Erkenntnis jedoch als trügerisch, denn: Wenn er als menschliches Werkzeug des die Tat veranlassenden Intraneus angesehen werden würde, wäre dieser – was ja auch der Sinn dieser Konstruktion ist – mittelbarer Täter und die Handlung des Extraneus nun konsequenterweise als Förderung dieser fremden Tat einzuordnen, also als Beihilfe. Damit wäre sein Verhalten strafbar, weshalb bei ihm nun doch rechtlich relevante Hemmungsmotive vorhanden wären und er somit als Tatmittler einer mittelbaren Täterschaft nicht infrage käme. Die Begründung einer mittelbaren Täterschaft in diesen Fällen ist somit zirkelschlüssig.644 Der die Handlung eines Extraneus veranlassende Intraneus besitzt daher tatsächlich keine Tatherrschaft. cc) Kritische Stellungnahme: Zur Sachgerechtigkeit einer Deliktsgruppe der Pflichtdelikte Der hauptsächlich gegen die Pflichtdeliktslehre erhobene Einwand richtet sich gegen ihre Unbestimmtheit.645 Diese Kritik hat mehrere Ansatzpunkte.
642 Gallas, Gutachten (1954), S. 121 (135 f.); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 670. 643 Vgl. oben 3. Teil, II. 2. a). 644 Ähnlich Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 277. 645 Eine ausführliche Darstellung der Kritik gibt Chen, Das Garantensonderdelikt (2006), S. 38 ff.
II. Die Bedeutung der Garantenpflicht
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Zum einen ist unklar, welche Delikte zum Kreis der Pflichtdelikte zu zählen sein sollen. Alle Sonderdelikte als Pflichtdelikte einzuordnen,646 ist schon angesichts von § 28 Abs. 2 StGB problematisch, aus dem abgelesen werden kann, dass auch Teilnehmer eines Sonderdelikts sein kann, wer die besondere Täterqualifikation vorweist.647 Welche Sonderdelikte aber dann zu den Pflichtdelikten zu rechnen wären, lässt sich aus dem Wortlaut der einzelnen Tatbestände nur schwer ableiten. Nach welchen Auslegungskriterien lässt sich dem Wortlaut eines Tatbestands entnehmen, dass es für seine Verwirklichung gleichgültig ist, ob der tatbestandsmäßige Erfolg unmittelbar herbeigeführt werden muss oder nicht?648 Klar dürfte sein, dass allein ein Hinweis auf kriminalpolitische Bedürfnisse, auch wenn die erzielten Ergebnisse möglicherweise plausibel sind, mit einem Strafrecht nicht vereinbar ist, das dem Grundsatz „nulla poena sine lege“ verpflichtet ist.649 Der zweite im Zusammenhang mit dem Bestimmtheitsgrundsatz erhobene Kritikpunkt gegen die Pflichtdeliktslehre richtet sich gegen die Unbestimmtheit der Tathandlung, also der Pflichtverletzung, was auch im Hinblick auf die generalpräventive Zwecksetzung dieses Grundsatzes problematisch ist.650 Vor diesem Hintergrund ist dann auch kaum verständlich, dass für die reinen Erfolgsdelikte im Sinne eines restriktiven Täterbegriffs gefordert wird, dass die bloße Verursachung eines Erfolgs für die Annahme einer Tatbestandsverwirklichung nicht genügen soll, dies aber beispielsweise bei der Untreue anders sein soll, nur weil mit der Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal hinzutritt, dessen Zweck an sich jedoch in einer Einschränkung der Strafbarkeit besteht. Besonders deutlich werden die Probleme im Zusammenhang mit der Tathandlung, wenn der Tatbestand des Sonderdelikts die Vornahme einer bestimmten Tathandlung verlangt. Wer beispielsweise die Veranlassung zu einer Falschbeurkundung als Falschbeurkundung im Sinne von § 348 Abs. 1 StGB auslegt, verstößt gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege“.651 Aus den hinsichtlich der möglichen Tathandlungen weiter gefassten §§ 340 Abs. 1, 344 Abs. 1 und 357 Abs. 1 StGB auf ein allgemeines Prinzip der Pflichtdelikte zu schließen,652 erscheint vor diesem Hintergrund eher als verbotene Analogie zu Lasten des Täters.
646
So aber bspw. Kindhäuser, LPK-StGB, 3. Aufl. (2006), § 25 Rn. 43. Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft (1992), S. 118 f. 648 So die vage Bestimmung des Kreises der Pflichtdelikte bei Cramer/Heine, in: Schönke/ Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 25 ff. Rn. 84a; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 268. 649 Ähnlich Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft (1992), S. 112, 115. 650 Bottke, Täterschaft und Gestaltungsherrschaft (1992), S. 119 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung (1997), S. 27 ff.; eingeschränkt auch Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 40. 651 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 40; a.A. Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 284. 652 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 285. 647
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
Zweifel an der Tragfähigkeit der Begründung der Pflichtdeliktslehre ergeben sich somit hinsichtlich der Auslegung der infrage kommenden Delikte und auch angesichts des Umstands, dass die kriminalpolitische Zielsetzung, die Problematik bei so genannten qualifikationslos-dolosen Werkzeugen zu lösen, nicht vollständig erreicht werden kann, da schließlich nicht alle Sonderdelikte auch Pflichtdelikte sind. Hinzu kommt, dass die Herleitung der Täterschaft durch Pflichtverletzung aus dem Leitprinzip, Täter sei die Zentralgestalt des tatbestandsmäßigen Geschehens, in den Fällen nicht überzeugen kann, in denen mehrere Pflichtige zusammenwirken. Wenn beispielsweise ein Vermögensbetreuungspflichtiger einen anderen bei dessen das fremde Vermögen schädigender Handlung hilft, erscheint nur der unmittelbar das Vermögen Schädigende als Zentralgestalt und der Helfer als Randfigur. Da es nämlich immer nur um die Beteiligung an einem bestimmten Delikt geht, wäre vor dem Hintergrund des konkreten Tatbestands eine Verurteilung des Helfers als Gehilfe der Untreue des anderen mit dem Leitprinzip der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme als Zentralgestalt und Randfigur besser vereinbar. Wenn es aber in diesen Fällen doch auf die Tatherrschaft ankommt, ist nicht einzusehen, dass dies anders sein soll, wenn nicht mehrere Pflichtige zusammenwirken.653 Schließlich ist abschließend noch zu klären, ob trotz der rechtsstaatlichen und dogmatischen Einwände die Ergebnisse der Pflichtdeliktslehre sachgerecht sind. Der Sinn der Lehre soll zusammengefasst darin bestehen, dass die Rollen von Täter, Anstifter und Gehilfen anders als sonst verteilt werden, weil die zugrunde liegende soziale Realität eine andere sei; diese sei nämlich wesentlich durch eine Pflichtenbindung der Beteiligten geprägt. Eine Ausweitung der Strafbarkeit insgesamt sei damit aber gerade nicht verbunden, so dass der Vorwurf eines Verstoßes gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege“ nicht stichhaltig sei.654 Ganz so ist es aber nicht, wie bei der Betrachtung folgender Vergleichsfälle deutlich wird. Der Nichtbeamte, der einen falschen Grundbucheintrag beurkundet, macht sich mangels Amtsträgereigenschaft nicht strafbar. Wenn er aber durch einen Beamten dazu angestiftet worden ist, oder bei seiner Handlung Hilfe von einen Beamten erhält, wäre er nach der Pflichtdeliktslehre nun als Gehilfe der Tat des Beamten strafbar, ohne dass ersichtlich wäre, worin die höhere Strafwürdigkeit seiner Falschbeurkundung besteht. Die Pflichtdeliktslehre weitet also durchaus die Strafbarkeit insgesamt aus, nämlich für den Intraneus, der stets als Täter bestraft wird, und auch für den Extraneus, der überhaupt erst bestraft werfen kann. Ein plausibler kriminalpolitischer Grund dafür ist nicht erkennbar. Die fehlende Sachgerechtigkeit der mithilfe dieser Lehre erzielten Ergebnisse verdeutlicht folgende Konstellation: Erhält der Extraneus von einem Intraneus Hilfe, hängt seine Bestrafung davon ab, ob er weiß, dass ihm geholfen wird; denn nur dann hat er den notwendigen Beihilfevorsatz. Ein überzeugen-
653
Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 663
Fn. 1. 654
Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 283.
II. Die Bedeutung der Garantenpflicht
171
der Grund für die unterschiedliche rechtliche Behandlung ist dabei jedoch nicht ersichtlich. Das letzte Beispiel öffnet jedoch den Blick auf das, um was es in diesen Fällen eigentlich gehen dürfte. Gegen den Extraneus lässt sich bezüglich der Pflichtverletzung des Intraneus nur ein Vorwurf erheben, wenn er diese Pflichtverletzung veranlasst oder gefördert hat. Der wesentliche Inhalt der Pflichtverletzung des Intraneus besteht dann jedoch darin, dass er die fremde, das Rechtsgutsobjekt verletzende Handlung nicht verhindert hat. An diesem Unterlassensvorwurf kann nun natürlich auch ein Extraneus teilnehmen, indem er beispielsweise den Intraneus dazu anstiftet oder ihn in dem Entschluss, untätig zu bleiben, nachweisbar bestärkt. Diese Lösung deckt sich mit dem Vorschlag, die Problematik des qualifikationslos-dolosen Werkzeugs mithilfe einer Unterlassungstäterschaft des Intraneus zu lösen.655
c) Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte? aa) Besondere Gründe für die Einordnung der Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte Auch wenn die Pflichtdeliktslehre nach der hier vertretenen Ansicht für den Bereich der Begehungsdelikte weder dogmatisch überzeugen kann, noch zu sachgerechten Ergebnissen führt, soll im Folgenden untersucht werden, ob sie für den Bereich der Garantenunterlassungsdelikte haltbar ist. Deren Einordnung als Pflichtdelikte mit der Konsequenz einer grundsätzlichen Täterschaft wegen der Verletzung der Erfolgsabwendungspflicht wird im Wesentlichen wie folgt begründet: Die charakteristischen Tatbestandsmerkmale eines einfachen Garantenunterlassungsdelikts sind neben dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs zum einen die Möglichkeit, durch eine Handlung den Eintritt des Erfolgs zu verhindern, und zum anderen die rechtliche Pflicht, dies zu tun. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Unterlassungstatbestand verwirklicht. Da für eine Täterschaft nicht mehr gefordert werden kann als die Erfüllung des Tatbestands, begründen Erfolgsabwendungsmöglichkeit und Garantenpflicht die Täterschaft bei Unterlassungsdelikten.656 Insbesondere verwirkliche der Täter den Unterlassungstatbestand unabhängig von einem denkbaren Begehungstäter, der den Erfolg durch positives Tun bewirkt. Die Abhängigkeit von fremder Tat ist lediglich faktischer, nicht rechtlicher Natur.657 Da655
Schmidhäuser, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Studienbuch, 2. Aufl. (1984), 10. Abschn. Rn. 97; kritisch Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 25 Rn. 278; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 12 Rn. 40. 656 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 140; Rudolphi, in: SKStGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), Vor § 13 Rn. 37; im Ergebnis auch Hoyer, in: SKStGB, 7. Aufl. (Stand: März 2000), § 25 Rn. 149. – Es sei denn, es fehlt an einem weiteren besonderen Tatbestandsmerkmal; dann kann aber unter Umständen Beihilfe in Betracht kommen; vgl. dazu oben 3. Teil, III. 3. b) aa). 657 Bloy, JA 1987, 490 (492 f.); vgl. dazu bereits oben 3. Teil, III. 1. c).
172
4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
hinter steht vor allem die Überlegung, dass es für das Vorliegen des Unterlassungstatbestands keinen Unterschied mache, ob die abzuwendende Gefahr für das Rechtsgut von einem Menschen oder von Naturgewalten ausgeht.658 Schließlich wird die Täterschaft des Garanten gleichsam negativ begründet: Da es eine Tatherrschaft im eigentlichen Sinne nicht gibt, bleibt nur die Erfolgsabwendungsmöglichkeit als Zurechnungsgrund.659 Diese rein negative Geschehenssteuerung des Unterlassenden erlaube keine unterschiedliche Gewichtung.660 Hinter all diesen Argumenten steht ein einheitlicher Grundgedanke, der bereits bei der Analyse der einzelnen Täterschaftsformen herausgearbeitet worden ist:661 Für Unterlassungsdelikte ist die unmittelbare Zurechnung des Erfolgs zum Unterlassen der gebotenen Handlung kennzeichnend. Geht es bei der Täterschaft um diese Erfolgszurechnung, spielen folgerichtig weder der Grund der Gefahr, noch eine wie auch immer zu bestimmende Tatherrschaft oder ähnliches eine Rolle. Dass bei der Nichthinderung fremden Begehungsunrechts auch eine Beihilfe konstruktiv möglich ist, ändert dann an dem Vorliegen einer Täterschaft nichts, da die Teilnahme ein sekundärer Begriff ist, so dass Beihilfe nur anzunehmen ist, wenn ausnahmsweise keine Täterschaft gegeben ist.662 bb) Probleme und Wertungswidersprüche bei der Einordnung der Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte Gegen die grundsätzliche Annahme einer Täterschaft des unterlassenden Garanten wird eingewendet, dass es ungerecht sei, ihn härter zu bestrafen als einen aktiven Gehilfen, obwohl der Garant nichts tut.663 Dieser Einwand überzeugt jedoch grundsätzlich nicht, weil hier zwei vollkommen unterschiedliche Gründe für die Strafbarkeit miteinander verglichen werden: zum einen die aktive Teilnahme, weil sie einen akzessorischen Rechtsgutsangriff darstellt, zum anderen das Unterlassen, weil eine rechtliche Einstandspflicht für das Rechtsgut verletzt wird.664 Das hinter dem Argument stehende Wertungsproblem wird jedoch deutlicher, wenn es um die aktive Beihilfe eines Garanten geht. Beispiel: Die Mutter bestärkt den Vater in dem Entschluss, ihr gemeinsames Kind zu schlagen, indem sie bei ihm letzte Zweifel an dem Vorhaben ausräumt; es wäre ihr jedoch auch möglich ge658
Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 152. Gallas, JZ 1960, 649 (650 f.); Roxin, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 25 Rn. 205. 660 Bloy, JA 1987, 490 (491). 661 Vgl. oben 3. Teil, II. 662 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 142; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 14 Rn. 13; ähnlich Bloy, JA 1987, 490 (494): „Anwendung der Teilnahmevorschriften als Auffangregelungen“. 663 Vgl. Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen (1996), S. 171 f. 664 In diesem Sinne Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 145. 659
II. Die Bedeutung der Garantenpflicht
173
wesen, den Vater von seiner Tat abzuhalten. Die Mutter hat sich nach der Pflichtdeliktslehre sowohl wegen einer psychischen Beihilfe zur Körperverletzung des Vaters, als auch wegen einer Körperverletzung durch Unterlassen strafbar gemacht. Will man auf Konkurrenzebene berücksichtigen, dass sich beide Taten auf denselben konkreten tatbestandsmäßigen Erfolg beziehen, muss wohl eine der beiden im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktreten. Welche ist aber nun die subsidiäre Angriffsform? Lässt man das Unterlassen als grundsätzlich weniger schwerwiegend zurücktreten, würde die Mutter wegen der obligatorischen Strafmilderung in § 27 Abs. 2 StGB im Grundsatz besser gestellt werden, als wenn sie nichts gemacht hätte und daher allein eine Strafbarkeit wegen des Unterlassens in Betracht käme: Dann könnte man nämlich noch überlegen, ob die Mutter überhaupt die Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB verdient, wofür im Übrigen eigentlich nur unterlassungsspezifische Gesichtspunkte heranzuziehen wären.665 Lässt man die Beihilfe zurücktreten, macht es für den Schuldspruch keinen Unterschied, ob die Mutter einen aktiven Hilfebeitrag geliefert hat oder nicht.666 Beide Ergebnisse vermögen aus Konkurrenzgesichtspunkten somit nicht zu befriedigen. Die Annahme von Tateinheit aus Klarstellungsgesichtspunkten widerspricht schließlich allgemeinen Grundsätzen: So wird der Mittäter, der einen anderen Mittäter zu dieser Tat angestiftet hat, ja auch nicht wegen Mittäterschaft und Anstiftung zu der Tat verurteilt. Eine mit der Konkurrenzlehre harmonierende Lösung lässt sich erreichen, wenn auch das Unterlassen als Beihilfe angesehen wird: Die Beihilfe durch Unterlassen würde als weniger intensive Angriffsform hinter die Beihilfe durch aktives Tun als subsidiär zurücktreten. Dahinter steht aber noch ein ganz anderes Problem: Angesichts des Umstands, dass ein Unterlassen grundsätzlich genauso bestraft werden kann wie ein aktives Tun, schließlich ist die Strafmilderung in § 13 Abs. 2 StGB lediglich fakultativ, kann bei Garanten die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei aktiver Beteiligung durch das Unterlassungsdelikt überdeckt werden. Dies lässt sich nur verhindern, wenn in Fällen zusätzlicher Beihilfe des Garanten durch aktives Tun stets eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB bejaht wird; dies sind jedoch keine unterlassungsspezifischen Aspekte, um die es eigentlich bei der Frage der Anwendung dieser Regelungen gehen muss.667 Die hier angesprochenen Wertungsprobleme scheinen möglicherweise noch als Ausnahmekonstellationen tolerierbar zu sein. Sie kommen jedoch häufig vor, wenn man akzeptiert, dass eine aktive Beihilfehandlung stets eine Erfolgsabwen-
665 Darin besteht entgegen Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 145, tatsächlich eine nicht sachgerechte Privilegierung des aktiven Gehilfen gegenüber dem (nur) Unterlassenden. 666 Ähnlich Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen (1996), S. 172. 667 Vgl. dazu nur Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 13 Rn. 99 f. m.w.Nw., sowie bereits oben 1. Teil, III. 2.
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
dungspflicht aus Ingerenz begründet.668 Dann wäre nämlich der Gehilfe, dem es nach Erbringen seines Beitrags noch möglich gewesen wäre, die Tat zu verhindern, wegen einer Tatbegehung durch Unterlassen zu bestrafen, die nach der Pflichtdeliktslehre als täterschaftliches Unterlassen anzusehen wäre. Aus diesem Dilemma sind zwei Auswege denkbar, um die Annahme einer grundsätzlichen Täterschaft des Unterlassenden zu retten. Zum einen kann man das Vorliegen einer Garantenpflicht aus Ingerenz bestreiten,669 zum anderen kann man hier ausnahmsweise eine Beihilfe durch Unterlassen annehmen, weil es lediglich um die Pflicht zur Verhinderung eines Beihilfeunrechts geht. Beide Wege können aus unterschiedlichen Gründen nicht überzeugen. Zunächst lässt sich das Vorliegen einer Garantenstellung aus Ingerenz aufgrund eines vorherigen Beihilfeunrechts nicht verneinen. Ein solches Verhalten ist pflichtwidrig und gefährlich.670 Der Einwand, Ingerenz liege nicht vor, wenn es sich bei dem pflichtwidrigen Vorverhalten um ein vorsätzliches handelt, ist nicht stichhaltig. Nach der hier ausführlich begründeten Konkurrenzlehre671 lassen sich das aktive Tun und das anschließende Unterlassen als grundsätzlich verschiedene Gegenstände der strafrechtlichen Beurteilung getrennt betrachten; eine wertungsmäßige Zusammenfassung beider Verhaltensformen ist nicht sachgerecht.672 Dies ist bei einem fahrlässigen Vorverhalten und einem anschließenden vorsätzlichen Unterlassen – also gleichsam dem Paradefall der Ingerenz – auch allgemein anerkannt. Bei einem vorsätzlichen Vorverhalten kann dann aber nichts anderes gelten; das nachfolgende Unterlassen tritt jedoch in aller Regel als subsidiär zurück. Bei vorsätzlichem Vorverhalten eine Rettungspflicht zu verlangen, ist auch nicht deshalb sinnlos, weil ohnehin keine Befolgung zu erwarten wäre.673 Zum einen widerlegt dieses praktische Argument nicht, dass eine solche Pflicht prinzipiell sinnvoll und deshalb legitimierbar ist.674 Aufgrund einer tatsächlichen Nichtbefolgung einer rechtlichen Pflicht kann darüber hinaus niemals auf ihre fehlende Geltung geschlossen werden.675 Zum ande-
668
So die h.M. im Schrifttum; vgl. die Nw. bei Hillenkamp, Otto-FS (2007), 287 (288 Fn. 7). Vgl. die Nw. bei Hillenkamp, Otto-FS (2007), 287 (288 Fn. 4 – 6). 670 Dass es überhaupt eine Garantenpflicht aus Ingerenz bei einem pflichtwidrigen Vorverhalten gibt, ist – obwohl nicht unbestritten – ganz h.M.; vgl. dazu nur Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht, Allgemeiner Teil, 12. Aufl. (2006), S. 173 ff., insb. 176 f. 671 Siehe oben erster Teil. 672 Für diese Konstellation ausführlich Stein, JR 1999, 265 (267 ff.), auch mit praktisch relevanten Beispielen. 673 So lässt sich Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 228 Fn. 301, verstehen. – In diesem Sinne auch Hillenkamp, Otto-FS (2007), 287 (301 f.), der eine Garantenpflicht aus Ingerenz wohl nur anerkennen möchte, sofern ein Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in eine Pflichterfüllung besteht. Der Sache nach dürfte es um die Frage der grundsätzlichen Begründung der Garantenpflichten gehen. 674 Stein, JR 1999, 265 (270). 675 Stein, JR 1999, 265 (271). 669
II. Die Bedeutung der Garantenpflicht
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ren muss ein dem Rechtsgüterschutz verpflichtetes Strafrecht auch geringe Rettungschancen nutzen.676 Während der Einwand einer fehlenden Erfolgsabwendungspflicht also nicht durchgreift, ist der weitere Einwand, dass es sich hier nur um die Pflicht zur Verhinderung von Beihilfeunrecht handelt und daher ausnahmsweise nur eine Beihilfe durch Unterlassen vorliegt, mit der Grundannahme der Pflichtdeliktslehre nicht vereinbar. Wie im Zusammenhang mit der Darstellung der Beihilfe bereits ausgeführt, lässt sich diese allgemein anerkannte Fallgruppe einer Beihilfe durch Unterlassen nur unter Berücksichtigung des fremden Begehungsunrechts begründen;677 dies widerspricht jedoch der Grundannahme der Pflichtdeliktslehre bei Unterlassungsdelikten, nach der es allein auf die unmittelbare Beziehung zwischen Unterlassen und Erfolg ankommen soll. Die Anwendung der Pflichtdeliktslehre führt somit durch die Annahme einer generellen Täterschaft bei Unterlassungsdelikten zum einen zu Wertungswidersprüchen und gerät zum anderen in bestimmten Fällen in Konflikt mit ihren eigenen Grundlagen. cc) Weitere Einwände gegen die Einordnung der Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte Weitere Zweifel an der Pflichtdeliktslehre als Lösung für das Problem der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten ergeben sich schließlich noch daraus, dass sie eine Abgrenzung im eigentlichen Sinne gar nicht vornimmt, sondern durch die Annahme einer Täterschaft die an sich gesetzlich vorgegebene Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme für eine ganze Deliktsgruppe schlicht ablehnt. Dies wirkt gesetzesfern und ist dann gerechtigkeitsfern, wenn eine Abstufung von Graden der Verantwortlichkeit für eine Rechtsgutsobjektsverletzung auch hier möglich wäre. Schließlich lässt sich noch daran zweifeln, ob die Garantenpflichten oder zumindest sämtliche Arten von Garantenpflichten auch Pflichten im Sinne der oben dargestellten Pflichtdeliktslehre sind, da es sich um Erfolgsabwendungspflichten handelt. Denn auch hinter allen Begehungsdelikten mit ihren allgemein anerkannten unterschiedlichen Beteiligungsformen stehen erfolgsbezogene Pflichten: zwar keine Handlungspflichten, aber Unterlassungspflichten mit dem Inhalt, den Eintritt der tatbestandsmäßigen Erfolge zu vermeiden. Hinsichtlich des Inhalts der Pflichten besteht somit kein Unterschied zwischen den Handlungspflichten nach § 13 Abs. 2 StGB und den allgemeinen Unterlassungspflichten hinter den einzelnen Begehungsdelikten. 676
Ganz in diesem Sinne wird auch teilweise die Strafaufhebung nach einem Rücktritt gem. § 24 StGB mit Opferschutzgesichtspunkten gerechtfertigt. – Im Übrigen lassen sich durch die Anerkennung der Ingerenz nach vorsätzlich-pflichtwidrigem Vorverhalten Strafbarkeitslücken schließen; vgl. dazu – auch kritisch – Hillenkamp, Otto-FS (2007), 287 (302 ff.). 677 Siehe oben 3. Teil, III. 3. b) bb).
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
Warum nun allein wegen der unterschiedlichen äußeren Form der gebotenen Pflichterfüllung unterschiedliche Konsequenzen für das Maß der Verantwortlichkeit desjenigen, der die Pflicht verletzt, gezogen werden sollen, bleibt unklar. d) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Idee der Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte nicht zu folgen ist, weil zum einen die Konzeption der Pflichtdeliktslehre grundsätzlich nicht überzeugen kann und zum anderen die pauschale Einordnung aller Garantenpflichten als täterschaftsbegründende Pflichten im Sinne dieser Lehre sehr zweifelhaft ist. Unabhängig davon lassen sich die Ergebnisse dieser Lehre – anders begründet – jedoch durchaus vertreten. Angesichts der unmittelbaren Zurechnungsstruktur zwischen Unterlassen und Erfolg erscheint eine Bewertung des Unterlassens als (unmittelbare) Täterschaft durchaus plausibel, sofern der Unterlassende sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person erfüllt. Diese Sichtweise wird durch das wertende Argument gestützt, es könne für einen Garanten keinen Unterschied machen, ob die Gefahr für das Rechtsgut von einem Menschen oder von Naturgewalten drohe. Diese Ansicht zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten, man könnte sie wegen ihrer Ergebnisse als Tätertheorie bezeichnen, führt jedoch in der Anwendung zu Wertungswidersprüchen, insbesondere durch die Einebnung der Beteiligungsformen bei mit Begehungsunrecht konkurrierenden Unterlassungen zu einem „Aufrollen“ des differenzierten Beteiligungssystems über die Unterlassungsdelikte.678 2. Zur Differenzierung nach der Art der Garantenpflicht a) Die Unterscheidung nach der Funktion der Garantenpflicht: Beschützer- und Überwachergaranten aa) Idee und Begründung Ausgehend von der Kritik einer pauschalen Zuordnung sämtlicher Erfolgsabwendungspflichten zu den täterschaftbegründenden Pflichten hat sich eine Ansicht herausgebildet, die an die Unterscheidung zwischen so genannten Beschützer- und Überwachergaranten anknüpft. Nach dieser materiellen Unterteilung lassen sich die Garantenpflichten danach unterscheiden, ob sie die Funktion haben, ein Rechtsgut vor allen erdenklichen Gefahren zu beschützen (so genannte Beschützer- oder Obhutsgarantenpflichten) oder eine bestimmte Gefahrenquelle zu überwachen (so genannte Überwachergarantenpflichten), damit durch diese keine Rechtsgüter geschädigt wer-
678
Vgl. dazu Grünwald, GA 1959, 110 (114); Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (820).
II. Die Bedeutung der Garantenpflicht
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den.679 Die Idee ist nun, den Beschützergaranten – bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsmerkmale – stets als Täter des Unterlassungsdelikts anzusehen und den Überwachergaranten als bloßen Teilnehmer. Dies wird wie folgt begründet: Der Beschützergarant stehe dem Rechtsgut näher als der Überwachergarant, bei dem die Verbindung zum Rechtsgut erst über die Gefahrenquelle hergestellt wird.680 Die unmittelbare Beziehung zwischen Rechtsgut und Garant bei den Beschützerpflichten rechtfertige somit allein die unmittelbare und damit täterschaftliche Zurechnungsstruktur zwischen unterlassendem Garant und Erfolg zu berücksichtigen. In eine ähnliche Richtung geht das Argument, (nur) für den Beschützergaranten könne es keinen Unterschied machen, woher die Gefahr für das Rechtsgut komme, da er es gegen sämtliche Gefahren gleich beschützen müsse.681 Des Weiteren wird für die Einordnung der Überwachergaranten als bloße Gehilfen ein Vergleich zu den Begehungsdelikten angeführt. Auch der aktiv Handelnde sei eigentlich ein Überwachergarant, der seine eigene Person als Gefahrenquelle zu überwachen habe, woraus folge, dass die Überwachergarantenpflichten keine täterschaftsbegründenden Pflichten sein könnten. Im Vergleich zu einem aktiv Handelnden sei ein bloß unterlassender Überwachergarant stets als Gehilfe anzusehen.682 bb) Anwendungsprobleme Bevor die Tragfähigkeit der Ansicht samt ihrer Begründung für die Aufgabe der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme kritisch überprüft wird, soll zunächst untersucht werden, ob sich – ähnlich der hier so genannten Tätertheorie – bei ihrer Anwendung Wertungswidersprüche ergeben.
679
Grundlegend Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 282 ff. 680 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 25 ff. Rn. 104 ff.; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip (1972), S. 261; ders., Täterschaft und Teilnahme (1977), S. 83; ausführlich Busse, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten (1974), S. 294 ff., 407 ff. – Schünemann, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 211, führt zusätzlich an, die Unterlasungspflichtsverletzung bei Überwachergaranten finde meist im Vorbereitungsstadium statt und könne daher keine (Mit-) Täterschaft begründen. Dies überzeugt jedoch nicht, da zum einen nach der hier begründeten Ansicht ein Tatbeitrag im sog. Ausführungsstadium gerade nicht als unverzichtbare Voraussetzung für eine Mittäterschaft anzusehen ist – vgl. oben 3. Teil, II. 3. a) cc) – und zum anderen die Handlungspflichten durchaus im Ausführungsstadium fortwirken, da der Garant solange handeln muss, wie er den Eintritt des Erfolgs noch abwenden kann. 681 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 25 ff. Rn. 104; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip (1972), S. 261; ders., Täterschaft und Teilnahme (1977), S. 83. 682 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip (1972), S. 260; ders., Täterschaft und Teilnahme (1977), S. 97.
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
Hinsichtlich der aktiven Beihilfe durch Beschützergaranten, denen es möglich gewesen ist, den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs abzuwenden, bestehen dieselben Probleme bei Anwendung der Konkurrenzlehre,683 wiederum verbunden mit der Gefahr der Einebnung der Differenzierung der Beteiligungsformen durch das konkurrierende Unterlassen. Diese Probleme treten jedoch – anders als bei der Tätertheorie – bei der zwischen den Funktionen der Garantenpflichten unterscheidenden Ansicht nicht in den Fällen der Ingerenz auf, da diese als Überwachungspflicht keine grundsätzliche Täterschaft begründet.684 Wie die Tätertheorie ist jedoch auch die differenzierende Ansicht zu Ausnahmen von ihren Grundlagen gezwungen. Wenn nämlich die zu überwachende Gefahrenquelle – beispielsweise eine Schusswaffe – bei einer Rechtsgutsverletzung verwendet wird, erscheint die Einordnung des Unterlassens als Beihilfe zwar sachgerecht, wenn der Begehungstäter vollverantwortlich handelt, aber kaum vertretbar, wenn der aktiv Handelnde lediglich fahrlässiges Unrecht verwirklicht, weil er davon ausgeht, die Waffe sei ungeladen. Hier muss schon angesichts des Fehlens einer teilnahmefähigen vorsätzlichen Haupttat ein täterschaftliches Unterlassen angenommen werden, um den Garanten wegen eines Vorsatzdeliktes bestrafen zu können. Wertungsmäßig kann bei schuldlosen Begehungstätern trotz der Möglichkeit einer Teilnahme nichts anderes gelten.685 Die nach den Garantenpflichten differenzierende Ansicht muss somit auch Fälle anerkennen, in denen andere Kriterien eine Rolle spielen, und zwar insbesondere auch solche, die im Zusammenhang mit dem fremden Begehungsunrecht stehen.686 Als Beihilfefälle bleiben dann im Wesentlichen auch nach dieser Ansicht die Konstellationen, in denen dem Unterlassenden lediglich die Nichthinderung von Beihilfeunrecht vorgeworfen wird, so dass zwischen der nach der Funktion der Garantenpflicht differenzierenden Ansicht und der Tätertheorie im praktischen Ergebnis kaum Unterschiede bestehen dürften.687 cc) Zur Tragfähigkeit der Begründung Die auf den ersten Blick dennoch plausibel erscheinende Differenzierung kann jedoch vor allem aus drei Gründen nicht überzeugen:
683
Vgl. dazu insb. Herzberg, Täterschaft und Teilnahme (1977), S. 83 f., der konsequent die aktive Beihilfe lediglich als Strafzumessungsaspekt berücksichtigen möchte. 684 Zur Zuordnung der Ingerenz zu den Überwachergarantenpflichten vgl. statt aller Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 32 Rn. 107. 685 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 25 ff. Rn. 106; Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip (1972), S. 260 f. 686 Busse, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten (1974), S. 271 ff., 334 ff., 408; vgl. auch Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 161. 687 Vgl. zur praktischen Bedeutung auch Sowada, Jura 1986, 399 (407 f.).
II. Die Bedeutung der Garantenpflicht
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Erstens: Die Unterscheidung zwischen Beschützer- und Überwachergaranten ist nicht immer eindeutig. Klassisches Beispiel dafür ist die Begründung der Garantenstellung eines Bademeisters: Zum einen kann seine Garantenpflicht aus der Schutzfunktion gegenüber den Badegästen, zum anderen aber auch als Pflicht zur Überwachung der bei einem Schwimmbecken bestehenden Gefahren beschrieben werden.688 Welche Garantenpflicht ist nun zu berücksichtigen, wenn ein Nichtschwimmer von einem anderen vollverantwortlich in das Becken gestoßen wird und der Bademeister den Nichtschwimmer ertrinken lässt? Diese Zuordnungsprobleme sind nicht die Ausnahme; es dürfte vielmehr regelmäßig möglich sein, die identische Aufgabe als Überwachungspflicht wie als Schutzpflicht zu formulieren.689 Hinzu kommen Schwierigkeiten, wenn in einem konkreten Fall eine Person aus unterschiedlichen Pflichten den Erfolg abwenden muss. Zweitens: Das Gesetz kennt keine Abstufung von Erfolgsabwendungspflichten. § 13 Abs. 1 StGB stellt allein auf die Existenz einer solchen Pflicht ab. Dies ist auch konsequent, da der Inhalt der Pflicht stets identisch ist. Der Garant ist zur Abwendung des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolgs verpflichtet, und zwar unabhängig davon, worauf seine Pflicht beruht.690 Diese konkrete und hinsichtlich der Funktion der Erfolgsabwendungspflicht undifferenzierte Betrachtung ist auch deshalb maßgeblich, weil der eigentliche Grund für die strafrechtliche Haftung – auch bei Unterlassungsdelikten – ausschließlich in der Verwirklichung eines konkreten Unrechts, also einer konkreten Tat besteht und nicht durch die Verletzung sonstiger, in der Regel außerstrafrechtlicher Pflichten geprägt wird. Drittens: Der entscheidende Einwand gegen die differenzierende Ansicht dürfte jedoch darin zu sehen sein, dass die so genannte Funktionenlehre, die die Garantenpflichten nach ihrer jeweiligen Funktion unterscheidet, mit der Aufgabe der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme schlicht überfordert ist.691 Sie dient auch nicht der Begründung von Garantenpflichten.692 Ihr Nutzen besteht vielmehr darin, durch 688
Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 27. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 27. – Von diesem Einwand nicht so sehr betroffen ist, wer die Garantenpflichten abweichend einteilt, so dass eine klarere Unterscheidung möglich ist. Vgl. bspw. die Einordnung von Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte (1971), S. 377, ders., in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 25 Rn. 211 f., der die Pflichten nicht nach der Funktion, sondern nach ihrem Grund einteilt: Hat der Unterlassende die sog. Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts, ist er Täter, hat er die sog. Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache, ist er bloßer Teilnehmer. 690 Bloy, JA 1987, 490 (492); Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 162; Rudolphi, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), Vor § 13 Rn. 40; Sowada, Jura 1986, 399 (407). 691 Bloy, JA 1987, 490 (491). 692 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 27; Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl. (1992), § 13 Rn. 19; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 14 Rn. 15; Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 13 Rn. 18. 689
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
die Lenkung des Blicks auf den Inhalt der Pflichten die Anforderungen an den Garanten in der tatbestandsmäßigen Situation zu konkretisieren: Der Ertrag der Einteilung in Beschützer- und Überwachergarantenpflichten liegt somit in der Präzisierung des Leistungsinhalts bereits begründeter Handlungspflichten. Darin erschöpft er sich aber auch, so dass sich aus dieser Einteilung keine weitergehenden inhaltlichen Konsequenzen ziehen lassen.693 Es lässt sich somit festhalten: Auch wenn hinter den einzelnen Garantenpflichten grundsätzlich verschiedene soziale Verantwortungspositionen stehen mögen,694 lassen sich unterschiedliche Grade der Verantwortlichkeit in Hinblick auf die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht an die Einteilung der Funktionen von Garantenpflichten knüpfen,695 weil es bei der strafrechtlichen Ahndung von Unrecht nicht um eine generelle soziale Verantwortung eines Menschen geht, sondern um die konkrete Verantwortlichkeit für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs. Die Funktion der Garantenpflicht sagt darüber jedoch nichts aus. b) Die Unterscheidung von Garantenpflichten kraft Organisationszuständigkeit oder kraft institutioneller Zuständigkeit Ein ähnlicher Ansatz wird auf der Grundlage einer anderen Unterteilung von Pflichten verfolgt, nämlich der von Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit und Pflichten kraft Organisationszuständigkeit. Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit sollen sich aus rechtlich anerkannten und dauerhaften Beziehungen ergeben, die für den Bestand der Gesellschaft von elementarem Gewicht sind, den so genannten Institutionen im sozialwissenschaftlichen Sinn. Beispiele dafür seien das Eltern-Kind-Verhältnis, die Ehe, aber auch elementare Amtspflichten und Ähnliches.696 Hier bestehe die Pflicht in der unvermittelten und umfassenden Garantie für den Bestand der Güter, so dass ihre Verletzung stets als täterschaftlich zu werten sei.697 Der materielle Grund für diese extensive Haftung liege darin, dass durch die Verletzung einer institutionellen Pflicht zugleich die Institution selbst angegriffen werde.698 Daneben gebe es so genannte Pflichten kraft Organisationszuständigkeit, die zum Inhalt haben, dass jeder bei der Gestaltung seines Organisationskreises stets auf andere Rücksicht nehmen müsse.699 Beispiele seien hier die Ingerenz, Verkehrssicherungspflichten und Ähnliches. Bei diesen Pflichten soll die Abgrenzung von Täter693
Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 27. Otto, Jura 1987, 246 (251). 695 Ebenso Sowada, Jura 1986, 399 (406 f.). 696 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 58 ff. 697 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 106. 698 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 58: „Der strafrechtliche Schutz dient stets auch der Festigung der Institution.“ 699 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 28. Abschn. Rn. 14. 694
II. Die Bedeutung der Garantenpflicht
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schaft und Teilnahme bei Unterlassungen ebenso vorgenommen werden wie bei aktivem Tun, so dass insbesondere die Abgrenzung von Beihilfe und (Mit-)Täterschaft nach dem Umfang des Beitrags für die Tatgestaltung erfolgen soll.700 Auch eigenes Begehungsunrecht lasse sich als Verletzung einer solchen Organisationspflicht begreifen; denn auch dadurch wird der eigene Organisationskreis zu Lasten eines anderen ausgedehnt.701 Das Besondere dieses Ansatzes ist daher auch, dass die Unterscheidung zwischen den beiden Pflichten nicht nur bei Unterlassungsdelikten Auswirkungen haben soll, sondern auch bei Begehungsdelikten. Dies führe dann dazu, dass jemand, der ein Rechtsgut verletzt, für das er institutionell zuständig ist, unabhängig von der Art seines Tatbeitrags hafte, also vor allem unabhängig vom Bestehen einer Tatherrschaft.702 Pflichtdelikte im oben genannten Sinn seien daher Delikte, bei denen der Täter durch aktives Tun oder Unterlassen eine institutionelle Pflicht verletzt. Die Trennung zwischen Tun und Unterlassen sei daher gar nicht entscheidend, sondern die Trennung zwischen Pflichten kraft Organisationszuständigkeit oder kraft institutioneller Zuständigkeit.703 Gegen dieses vollkommen eigenständige Konzept lassen sich viele der oben erhobenen Einwände nicht erheben. Das gilt für die Wertungswidersprüche bei der Anwendung der Pflichtdeliktslehre im Hinblick auf konkurrierende Begehungsdelikte, da auch das aktive Tun eines institutionell Zuständigen unabhängig von der Art und Weise seiner Tatbeteiligung als Täterschaft gewertet wird, so dass beispielsweise eine Mutter, die dem Mörder ihres Kindes das Messer reicht, als Begehungstäterin zu betrafen wäre und das konkurrierende Unterlassungsdelikt dann zurücktrete. Das gilt ferner für die Abgrenzbarkeit der beiden unterschiedlichen Pflichten, die wohl im Gegensatz zu der Unterscheidung nach der Funktionenlehre trennscharf erfolgen kann. Schließlich ist auch im Rahmen der Pflichten kraft Organisationszuständigkeit eine wertungswiderspruchsfreie Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme möglich, wenn allein auf den Anteil am schädigenden Verlauf abgestellt wird. Trotzdem kann dieses Konzept aus verschiedenen Gründen, auf die im Rahmen dieser Arbeit bereits ausführlicher eingegangen worden ist, nicht überzeugen.704 Das gilt zunächst für das Leugnen einer Relevanz der Unterscheidung von Tun und Unterlassen: Diese Differenzierung ist nicht nur Grundlage des geltenden Rechts, sondern auch sinnvoll, um durch die Benennung konkreter Verhaltensweisen 700
Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 101 f. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 28. Abschn. Rn. 14: „Der Haftungsgrund für das Unterlassungsdelikt ist in diesen Fällen (Pflicht kraft Organisationszuständigkeit) mit dem Haftungsgrund für Begehungs-Herrschaftsdelikte identisch: Rücksichtnahme auf andere bei der Gestaltung eines Organisationskreises.“ 702 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 29. Abschn. Rn. 106. 703 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1991), 28. Abschn. Rn. 14. 704 Vgl. auch die Zusammenstellung der Kritik bei Chen, Das Garantensonderdelikt (2006), S. 76 ff. 701
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
das Ziel des Strafrechts zu erreichen, nämlich über Verhaltenssteuerung Rechtsgüter zu schützen.705 Das gilt ferner für die rein quantitative Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe, die nur funktionieren kann, wenn auf das Erfordernis eines gemeinsamen Tatentschlusses bei der Mittäterschaft verzichtet wird. Ein gemeinsamer Tatentschluss ist aber notwendig, um eine gegenseitige Abhängigkeit der Beiträge der einzelnen Mittäter und damit eine funktionelle Tatherrschaft im Sinne einer Herrschaft über die gesamte Tat bei der Mittäterschaft rechtfertigen zu können.706 Schließlich kann auch die Begründung der Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit als Pflichtdelikte nicht überzeugen. Insbesondere aus dem Umstand, dass der Garant zusätzlich die Institution verletze, kann eine stärkere Verantwortlichkeit für das tatbestandsmäßige Geschehen nicht abgeleitet werden, da die Tatbestände des Strafrechts gerade nicht diese Institutionen schützen, sondern ihre jeweiligen speziellen Rechtsgüter. Vor allem auch die Konsequenz, die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme bei Verletzung dieser Pflichten auch im Begehungsbereich einzuebnen, zeigt die Unvereinbarkeit dieser Lehre mit dem geltenden Recht.
3. Ergebnis Weder aus der Verletzung einer Erfolgsabwendungspflicht an sich, noch aus einer besonderen Qualität einzelner Pflichten lassen sich Konsequenzen für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ziehen. Die Gründe dafür sind zum einen, dass Erfolgsabwendungspflichten in der konkreten Situation und bezogen auf den konkreten Tatbestand nicht abgestuft werden können, und zum anderen, dass eine Erfolgsabwendungspflicht grundsätzlich auch von jedem Begehungstäter verletzt wird, ohne dass hieraus stets eine täterschaftliche Haftung resultieren kann.
III. Die Bedeutung der Erfolgsabwendungsmöglichkeit bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme 1. Die Erfolgsabwendungsmöglichkeit als täterschaftsbegründendes Merkmal Untersucht man die Bedeutung der Erfolgsabwendungsmöglichkeit für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten, steht am Anfang die Überlegung, ob nicht der Umstand einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit an sich die Täterschaft begründen könnte. Auf diese Ansicht wurde bereits im Zusammenhang mit der Darstellung der unmittelbaren Täterschaft eingegangen. Sie ist vor allem abzulehnen, weil allein der Umstand, dass dem Beteiligten die Abwendung des Erfolgs möglich gewesen ist, ebenso wenig die Täterschaft begründen kann, 705 706
Vgl. oben 1. Teil, III. 1. Vgl. oben 3. Teil, II. 3. a) bb).
III. Die Bedeutung der Erfolgsabwendungsmöglichkeit
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wie bei Begehungsdelikten der Umstand, dass jemand eine für die Tatbestandsverwirklichung notwendige Bedingung geschaffen hat, weil dies auch auf manche typischen Teilnahmehandlungen zutrifft.707 Vertretbar ist der Ansatz erst, wenn man nicht nur auf die Möglichkeit an sich abstellt, sondern ergänzend heranzieht, dass allein der objektive Zurechnungszusammenhang zwischen Unterlassen und Erfolg für die Bestimmung der Täterschaft maßgeblich ist. Dieser Ansatz entspricht zumindest im Ergebnis der im Zusammenhang mit der Pflichtdeliktslehre dargestellten Tätertheorie, die jedoch zu Wertungswidersprüchen bei der Anwendung führt und Ausnahmen zulassen muss, wenn es allein um die Abwendung reinen Beihilfeunrechts geht.708
2. Die Schwierigkeit der Erfolgsabwendung als Abgrenzungskriterium Denkbar erscheint es aber auch, die Erfolgsabwendungsmöglichkeit dahingehend als Abgrenzungskriterium nutzbar zumachen, dass die Art und Weise der erforderlichen Handlung in der konkreten tatbestandsmäßigen Situation als Maßstab verwendet wird. So wird beispielsweise vertreten, es mache einen Unterschied, ob ein kraftstrotzender Mann, der das Geschehen jederzeit nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann, zusieht, wie sein Kind ermordet wird, oder ob ein zitternder schmächtiger Mann die wenig Erfolg versprechende Gegenwehr unterlässt.709 Es geht hierbei also um mehr als das reine „Ob“ einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit, nämlich um das „Wie“, das so zu verstehen ist, dass desto eher Täterschaft zu bejahen sei, je weniger Aufwand der Unterlassende für die Erfolgsabwendung leisten müsse. Dahinter stehe eine Materialisierung des Begriffs der Tatherrschaft.710 Ein solcher Ansatz kann schon deshalb nicht überzeugen, weil die Schwierigkeit der Erfolgsabwendung auch bei Unterlassungsdelikten, in denen die Gefahr allein von Naturgewalten ausgeht, keine Rolle spielt.711 Eine solche Abgrenzung wird auch im Begehungsbereich nicht vertreten, insbesondere auch bei der Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe kommt es auf die Bedeutung eines Tatbeitrags für das Funktionieren des gemeinsamen Tatplans an, nicht auf den Aufwand beim Erbringen des Beitrags.712 Die Nichtberücksichtigung dieses Kriteriums ergibt sich dogma707
Vgl. ausführlich oben 3. Teil, II. 1. b) bb). Siehe oben 4. Teil, II. 1. c) cc), d). 709 Schroeder, Der Täter hinter dem Täter (1965), S. 105 f., der darüber hinaus weitere Kriterien nennt, bei denen ohne Rücksicht auf die Anforderungen an die Erfolgsabwendung eine (mittelbare) Täterschaft anzunehmen sei. Ähnlich auch Weigend, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. (2007), § 13 Rn. 94 f. 710 Schroeder, Der Täter hinter dem Täter (1965), S. 106. 711 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 464 f. 712 Vgl. dazu oben 3. Teil, II. 3. a) cc). 708
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
tisch gesehen daraus, dass es für die Frage der Tatherrschaft im Sinne einer Abschichtung verschiedener Grade von Verantwortlichkeit für die Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Unrechts keine Relevanz besitzt. Es bringt höchstens unterschiedliche Grade krimineller Energie zum Ausdruck, die (erst) im Bereich der Strafzumessung berücksichtigt werden sollten. 3. Der Zeitpunkt der möglichen Erfolgsabwendung als Abgrenzungskriterium: Zur Idee des so genannten Tatherrschaftswechsels Ebenfalls ausgehend von einer wertenden Interpretation des Begriffs der Tatherrschaft wird versucht, Täterschaft und Teilnahme danach abzugrenzen, ob der unterlassende Garant die Tat durch Einwirkung auf den Begehungstäter verhindern kann, oder ob dieser seine Handlung bereits abgeschlossen hat und daher der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs ausschließlich vom Verhalten des Garanten abhängt. Im ersten Fall besitze der Beitrag des Unterlassenden neben dem des die Tatherrschaft ausübenden Begehungstäters lediglich die Bedeutung einer Beihilfe; erst wenn der aktiv Handelnde seinen Tatbeitrag abgeschlossen habe, gehe die Tatherrschaft auf den Garanten über.713 Die Wertung eines Unterlassens als Beihilfe neben einem Begehungstäter soll an dieser Stelle nicht hinterfragt werden, sondern allein untersucht werden, ob das vorgeschlagene Kriterium eines Tatherrschaftswechsels prinzipiell für die Abgrenzungsfrage als sachgerecht angesehen werden kann. Dazu muss zunächst geklärt werden, wie es genau zu verstehen ist. Begründet man die Relevanz damit, dass eine Einwirkung des Garanten auf ein fremdes aktives Tun grundsätzlich höhere Anforderungen an den Garanten stellt als bei einem Tätigwerden, nachdem der andere seine Handlung abgeschlossen hat,714 so gilt zunächst das eben generell zur Schwierigkeit der Erfolgsabwendung als Kriterium Gesagte.715 Hinzu kommt, dass sich gerade keine generellen Aussagen darüber treffen lassen, wann die Anforderungen an die Erfolgsabwendung für den Garanten höher sind: bei einem Eingriff in die Handlung des Begehungstäters oder bei einem späteren Eingreifen.716 Die Idee eines solchen Tatherrschaftswechsels scheint somit nur als zeitliches Abgrenzungskriterium verstanden werden zu können. Wie bereits dargestellt,717 kann diese Idee weder praktisch überzeugen, da sie zu zufälligen Ergebnissen führt,718 713 Gallas, JZ 1952, 371 (372 f.); ders., JZ 1960, 649, 686 (687); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 696; Kielwein, GA 1955, 225 (227). 714 Gallas, JZ 1960, 649, 686 (687). 715 Siehe oben 4. Teil, III. 2. 716 Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 296 f.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 497 f., jeweils mit Bsp. 717 Siehe oben 3. Teil, II. 1. b) cc). 718 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 156.
III. Die Bedeutung der Erfolgsabwendungsmöglichkeit
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noch dogmatisch, weil es bei der Zurechnungsstruktur zwischen Unterlassen und Erfolg nicht wie bei Begehungsdelikten um eine Aneinanderreihung von Bedingungen geht, von denen die letzte die für das „Ob“ des Erfolgseintritts entscheidende ist, sondern um die unmittelbare Beziehung zwischen dem Unterlassen einer für die Erfolgsabwendung tauglichen Handlung und dem Erfolg. Anders gewendet: Wenn die „Übernahme der Tatherrschaft“ durch den Unterlassenden an der Tatherrschaft des Handelnden für seinen positiven Beitrag nichts ändern kann,719 kann eine „Übernahme der Tatherrschaft“ durch einen aktiv Handelnden an der „Tatherrschaft“ des Unterlassenden durch seinen „negativen“ Beitrag auch nichts ändern. Es bleibt daher festzustellen: Unabhängig von der Frage, ob ein Unterlassender eine Tatherrschaft innehaben kann, erfolgt jedenfalls kein Wechsel der Tatherrschaft durch den Abschluss der Ausführungshandlung eines Begehungstäters. 4. Zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten als Frage der Entsprechungsklausel in § 13 Abs. 1 StGB a.E. Schließlich wird vorgeschlagen, danach zu fragen, ob das Unterlassen der Erfolgsabwendung eher einer Begehungstäterschaft oder einer Begehungsbeihilfe entspricht, also die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme mithilfe der Entsprechungsklausel vorzunehmen.720 In der Regel soll so einem Unterlassenden neben einem Begehungstäter nur die Rolle eines Gehilfen zukommen.721 Sicherlich dürfte es zutreffend sein, die Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme als Wertungsfrage aufzufassen. Es besteht jedoch kein Anlass, diese Wertung an einem gesetzlichen Merkmal festzumachen, das für eine ganz andere Problematik der Garantenunterlassungsdelikte geschaffen worden ist.722 Die Entsprechungsklausel nach § 13 Abs. 1 StGB dient bei Delikten, die über die Verursachung eines Erfolgs hinaus bestimmte Handlungsmodalitäten verlangen, der Überprüfung, ob über die Erfolgsabwendungspflicht hinaus zusätzliche Merkmale erfüllt sein müssen, damit das tatbestandlich beschriebene Unrecht auch durch ein Unterlassen als vollständig verwirklicht angesehen werden kann.723 Eine Bezugnahme auf die Entsprechensklausel hätte nur Sinn, wenn sämtliche verschiedenen gesetzlich geregelten Beteiligungsformen mit ihrem jeweils typischen Handlungsunwert durch Unterlassen verwirklicht werden könnten. Hier könnte
719
So ausdrücklich Kielwein, GA 1955, 225 (227). Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen (1996), S. 189 ff., 197. 721 Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen (1996), S. 227. 722 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 167. 723 So die h.M.; vgl. nur Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 32 Rn. 225 m.w.Nw., sowie a.a.O. Rn. 224, 226 zu abweichenden Ansichten. 720
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
man dann nach Kriterien der Gleichwertigkeit suchen.724 Da es jedoch – wie oben ausführlich dargelegt – bei Unterlassungsdelikten vor allem wegen ihrer unmittelbaren Zurechnungsstruktur lediglich eine unmittelbare Täterschaft und Beihilfe gibt, führt eine Lösung über die Entsprechungsklausel nur zu einer vagen „Gesamtbetrachtung“ ohne klare Abgrenzung und ist damit – ganz ähnlich wie bei der subjektiven Theorie – lediglich noch das Ergebnis einer gefühlsmäßigen Wertung.725
IV. Der Gedanke der Tatherrschaft bei Unterlassungsdelikten 1. Tatherrschaft bei Begehungsdelikten Bei den Begehungsdelikten ist die Tatherrschaft das entscheidende Täterkriterium.726 Die Tatherrschaft lässt sich dabei unterteilen in Entscheidungsherrschaft und Gestaltungsherrschaft, also in die Beherrschung des „Ob“ und des „Wie“ der Tat. Diese Einzelelemente der Tatherrschaft sind bei den einzelnen Täterschaftsformen jedoch verschieden ausgeprägt. Während bei der unmittelbaren Täterschaft beide voll vorhanden sind, dominiert bei der mittelbaren Täterschaft das Element der Entscheidungsherrschaft, bei der Mittäterschaft dagegen das der Gestaltungsherrschaft. Trotzdem sind jeweils beide Elemente vorhanden.727 2. Tatherrschaft bei Unterlassungsdelikten? Bei den Unterlassungsdelikten ist eine Tatherrschaft in einer vergleichbaren Form wie bei den Begehungsdelikten nicht vorhanden. Eine Gestaltung der Tat ist durch bloßes Unterlassen nicht möglich, so dass es an einer Gestaltungsherrschaft fehlt. Aber auch die Entscheidungsherrschaft ist grundsätzlich auf eine negative Komponente beschränkt: Der Unterlassende kann zwar die Tatbestandsverwirklichung verhindern, ihren Ablauf jedoch nicht steuern. Diese negative Entscheidungsherrschaft hat bei den Begehungsdelikten aber beispielsweise auch ein Gehilfe, der einen für die Tatbestandsverwirklichung unerlässlichen Beitrag liefert, ohne dass ihm dies gleich eine (funktionelle) Tatherrschaft vermittelt. Nach weit verbreiteter Ansicht wird
724 Schwab, Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen (1996), S. 211 ff., geht dann auch folgerichtig die einzelnen Beteiligungsformen anhand von Bsp. durch und prüft jeweils das Vorliegen einer Gleichwertigkeit. 725 So die Zusammenfassung der Kritik von Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 168, an diesem Ansatz. 726 Vgl. oben 2. Teil, II. 6. – Dies gilt nach der hier vertretenen Auffassung ausnahmslos, also auch bei den sog. Pflichtdelikten; vgl. dazu oben 4. Teil, II. 1. a). 727 Für die mittelbare Täterschaft siehe oben 3. Teil, II. 2. a) aa), für die Mittäterschaft insb. 3. Teil, II. 3. a) bb).
IV. Der Gedanke der Tatherrschaft bei Unterlassungsdelikten
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daher eine Tatherrschaft durch Unterlassen abgelehnt, zumal sich dieser Aspekt der negativen Geschehenssteuerung nicht unterschiedlich gewichten lasse.728 Dagegen wird jedoch eingewendet, dass der unterlassende Garant aufgrund seiner Erfolgsabwendungsmöglichkeit immerhin eine potentielle Tatherrschaft besitze,729 die als Anknüpfungspunkt für die Begründung einer Täterschaft infrage komme.730 3. Die Annahme regelmäßiger Beihilfe als Ausdruck fehlender faktischer Tatherrschaft des Unterlassenden a) Idee und Begründung Diejenigen, die die Tatherrschaftslehre auch für den Bereich der Unterlassungsdelikte anwenden möchten, kommen überwiegend zu dem Schluss, dass die bloße potentielle Tatherrschaft des unterlassenden Garanten eine Täterschaft dann nicht begründen könne, wenn ein anderer die tatsächliche Tatherrschaft besitzt. Neben einem Begehungstäter komme dem Garanten somit lediglich die Rolle eines diese fremde Tat fördernden Gehilfen zu.731 Als Gründe für diese Wertung werden zum einen angeführt, dass es gerade einen Unterschied mache, ob die Gefahr für das Rechtsgut von einem Menschen ausgehe 728 Bloy, JA 1987, 490 (491); Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. (2006), Vorbem §§ 25 ff. Rn. 103; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme (1977), S. 83; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 462 ff., 750; Rudolphi, in: SK-StGB, 7. Aufl. (Stand: September 2000), Vor § 13 Rn. 40; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 5. Aufl. (2004), § 14 Rn. 8. 729 Gallas, JZ 1952, 371 (372). 730 Hieran anknüpfend möchte Sering die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme durch eine wertende Gesamtbetrachtung vornehmen, die daran anknüpft zu fragen, inwieweit das Unterlassen Einfluss auf die Motivation des Begehungstäters besitzt; hierüber ließe sich die Nähe zum tatbestandsmäßigen Erfolg abstufen (Sering, Beihilfe durch Unterlassen [2000], S. 91 f.), wobei hier – ähnlich wie die subjektive Theorie – das Tatinteresse ein große Bedeutung besitzen soll (Sering, Beihilfe durch Unterlassen [2000], S. 95 ff.). – Gegen diesen Ansatz lässt sich angesichts der wertenden Gesamtbetrachtung und der Bedeutung des Tatinteresses zunächst der Einwand der Unbestimmtheit erheben; hier gilt das zu normativen Kombinationstheorie der Rspr. des BGH bereits Gesagte; vgl. oben 4. Teil, I. 2. b) bb). Sering selbst betont auch seine Nähe zur normativen Kombinationstheorie (Sering, Beihilfe durch Unterlassen [2000], S. 90). Der Haupteinwand gegen diesen Ansatz dürfte jedoch darin bestehen, dass der Einfluss auf die Psyche des Begehungstäters nur in den Fällen besteht, in denen dieser Kenntnis von dem Unterlassen hat. Es bleibt dann nicht nur offen, wie eine Abgrenzung vorzunehmen wäre, wenn eine solche Kenntnis fehlt. Außerdem – und dies dürfte entscheidend sein – ist nicht nachvollziehbar, warum diese psychische Beziehung zwischen Unterlassenden und Begehungstäter eine solche Bedeutung haben soll. Im dritten Teil II. 3. b) bb) (2) wurde vielmehr nachgewiesen, dass zumindest ein gemeinsamer Tatentschluss für die Begründung täterschaftlicher Verantwortlichkeit bei Unterlassungsdelikten keine Rolle spielt. 731 Gallas, JZ 1952, 371 (372); ders., JZ 1960, 686 (687); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 696; Kielwein, GA 1955, 225 (227); Lackner/ Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 27 Rn. 4; Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (845 f.).
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
oder von Naturgewalten;732 diesen Unterschied gebe es auch im Begehungsbereich.733 Ferner sei der Zugang des Unterlassenden zum Erfolg beim Eingreifen eines vorsätzlich handelnden Dritten nur mittelbar.734 Dies führe sogar zu einer Abhängigkeit der Strafbarkeit des Unterlassenden von dieser fremden Begehungstat, so dass aus Akzessorietätsgründen lediglich eine Teilnahme in Betracht komme.735 Die Kritik an der so begründeten grundsätzlichen Annahme einer Beihilfe bei einem vollverantwortlich handelnden Begehungstäter liegt auf der Hand. Der Unterlassende hat immer nur potentielle Tatherrschaft, und zwar unabhängig davon, ob die Gefahr von dem Begehungsunrecht eines Dritten ausgeht oder von Naturgewalten; der Begriff der Tatherrschaft habe daher bei Unterlassungen wenig Sinn.736 Ferner sei der Unterschied hinsichtlich des Ursprungs der abzuwendenden Gefahr nur behauptet. Aus der Sicht des Garanten mache es gerade keinen Unterschied, da seine Pflicht allein darin bestehe, die Gefahr abzuwenden. Der Garant, der menschliche Angriffe abzuwehren hat, werde durch die Gehilfentheorie daher ohne Grund besser gestellt.737 Die Abhängigkeit des Garanten von der Begehungstat sei im Übrigen keine rechtliche, sondern eine rein faktische,738 die allein Auswirkungen darauf habe, ob überhaupt eine Erfolgsabwendungspflicht bestehe.739 Für die Bewertung der so genannten Gehilfentheorie sollen jedoch auch die Ergebnisse ihrer Anwendung miteinbezogen werden. b) Zur Anwendung der so genannten Gehilfentheorie Wie bereits im Zusammenhang mit der Tätertheorie dargestellt, vermeidet die Gehilfentheorie die Wertungswidersprüche, die bei einer grundsätzlichen Annahme einer Täterschaft durch Unterlassen auftreten, wenn das Unterlassungsdelikt mit einer aktiven Beihilfe konkurriert.740 Sie kommt auch bei der Nichthinderung bloßen Beihilfeunrechts zwanglos zu dem allseits als zutreffend angesehenen Ergebnis einer Beihilfe durch Unterlassen zu der fremden Begehungstat, ohne – anders als die Tätertheorie – dabei in Konflikt mit den eigenen Grundlagen zu geraten, da in diesen
732
Gallas, JZ 1960, 686 (687). Arzt, JA 1980, 553 (558 f.); Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip (1972), S. 260 f. 734 Gallas, JZ 1960, 686 (687); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996), S. 696; Kielwein, GA 1955, 225 (227). – Dieses „Verstellen“ des Zugangs soll jedoch nur solange gegeben sein, wie der Begehungstäter noch handelt; vgl. dazu oben 4. Teil, III. 3. 735 Ranft, ZStW 94 (1982), 815 (839 ff.). 736 Bloy, JA 1987, 490 (491); Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 497. 737 Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959), S. 296, 302. 738 Bloy, JA 1987, 490 (493). 739 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 754 f. 740 Siehe oben 4. Teil, II. 1. c) bb). 733
IV. Der Gedanke der Tatherrschaft bei Unterlassungsdelikten
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Fällen ja gerade einen Begehungstäter existiert, an dessen Tat der Unterlassende dann teilnehmen kann. Gegen die Gehilfentheorie wird jedoch vorgebracht, sie führe beim Versuch zu ganz ungereimten Ergebnissen.741 Es geht dabei vor allem um Irrtumskonstellationen. Beispiel: Nach der Gehilfentheorie würde ein Vater, der sein Kind in einem Schwimmbecken ertrinken lässt, wegen Beihilfe zum Totschlag strafbar sein, wenn es von der Mutter mit Tötungsvorsatz dort hineingestoßen wurde. Geht er nun irrtümlich davon aus, das Kind sei unverschuldet in das Becken geraten, würde eine Strafbarkeit wegen Beihilfe am fehlenden Vorsatz hinsichtlich der Haupttat scheitern. Da er jedoch von Umständen ausgegangen ist, die eine Täterschaft begründen würden, müsste er wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen bestraft werden. Im umgekehrten Fall, wenn also der Vater fälschlicherweise von einer Tat der Mutter ausgegangen wäre, tatsächlich jedoch ein Unglück die Ursache gewesen ist, würde nur eine straflose versuchte Beihilfe vorliegen. Diese Ergebnisse mögen tatsächlich unbefriedigend sein. Sie existieren jedoch ganz entsprechend im Begehungsbereich. Die Irrtümer über die eigene Beteiligungsrolle haben dort die gleichen Folgen. Geht ein Hintermann beispielsweise irrtümlich davon aus, der Vordermann handele ohne Vorsatz, ist er einer versuchten Tat in mittelbarer Täterschaft schuldig. Geht er umgekehrt irrtümlich davon aus, der Vordermann handele mit Vorsatz, und sein Beitrag sei objektiv lediglich als Beihilfe zu werten, bliebe der Hintermann straflos, weil es weder eine Beihilfe zu einer vorsatzlosen Tat, noch eine Strafbarkeit der lediglich versuchten Beihilfe gibt.742 Die vermeintlich unbefriedigenden Ergebnisse sind somit Folge zum einen des Akzessorietätsprinzips und zum anderen der Entscheidung des Gesetzgebers, weder die versuchte Beihilfe, noch die Teilnahme an unvorsätzlicher Tat unter Strafe zu stellen.743 Es ist jedoch nicht erkennbar, dass diese Konsequenzen im Unterlassungsbereich schwerer wiegen als im Begehungsbereich, so dass die Lösungen dieser Irrtumsfälle nicht gegen die Gehilfentheorie angeführt werden können. c) Vorläufige Bewertung Die Gehilfenlösung hat gegenüber den anderen vertretenen Ansichten den Vorteil, dass sie bei der Anwendung zu widerspruchsfreien Ergebnissen führt. Ihre dogmatische Herleitung ist aus zwei Gründen jedoch nicht überzeugend: Zum einen beruft sich die Gehilfentheorie hinsichtlich der zugrunde liegenden Wertung auf die Tatherrschaftslehre, ohne konkrete Aussagen darüber zu treffen, wie eine Tatherrschaft 741 Grünwald, GA 1959, 110 (116 ff.); Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte (1959); S. 293 f.; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II (2003), § 31 Rn. 157. 742 Ausführlich Sowada, Jura 1986, 399 (404 f.). 743 Vor allem Letzteres ist kriminalpolitisch umstritten; vgl. nur Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. (2006), S. 552 ff.
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4. Teil: Tatbestandliche Anknüpfungspunkte für die Abgrenzung
durch Unterlassen zu bestimmen ist. Der Hinweis auf die potentielle Tatherrschaft des Unterlassenden ist lediglich eine Umformulierung der ohnehin notwendigen Voraussetzung einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit. Zum anderen bleibt sie eine tiefere Begründung schuldig, warum es gerade einen Unterschied macht, ob die Gefahr für das zu schützende Rechtsgut von einem Menschen oder von Naturgewalten ausgeht.
V. Zwischenergebnis: Verbleibende Möglichkeiten einer Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten Nach der bisherigen Analyse verbleiben grundsätzlich zwei Möglichkeiten für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten. Auf der Grundlage der Tätertheorie kann der unterlassende Garant stets als Täter bestraft werden. Dies entspricht der unmittelbaren Zurechnungsstruktur zwischen dem Unterlassen und dem tatbestandsmäßigen Erfolg. Die Anwendung dieser Ansicht ist jedoch nicht frei von Wertungswidersprüchen, vor allem wenn es um das Verhältnis von konkurrierendem Begehungs- und Unterlassungsunrecht geht, aber auch bei Fällen der Nichthinderung bloßen Beihilfeunrechts. Die Gehilfentheorie ist zwar in ihrer Anwendung frei von Wertungswidersprüchen, leidet aber insbesondere unter einem Begründungsdefizit. Sie geht einerseits von der Tatherrschaftslehre aus, bestimmt aber anderseits nicht, wie eine Tatherrschaft durch Unterlassen ausgeübt werden kann. Es soll daher nun versucht werden, dieses Defizit auszugleichen, und einen Weg aufzuzeichnen, wie eine Tatherrschaft durch Unterlassen bestimmt werden könnte. Erst dann sollen die beiden unterschiedlichen Ansichten abschließend miteinander verglichen werden.
Fünfter Teil
Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten als Frage der rechtlich relevanten Herrschaft über das tatbestandsmäßige Geschehen I. Zur Möglichkeit einer Herrschaft über das tatbestandsmäßige Geschehen 1. Die Bedeutung der Ursache der Gefahr für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei pflichtwidriger Nichtabwendung des Erfolgseintritts Als eine der entscheidenden Fragen hat sich oben herauskristallisiert, ob es wertungsmäßig einen Unterschied macht, ob die Gefahr für das Rechtsgut durch menschliches Verhalten oder durch Naturgewalten droht. Zunächst muss klargestellt werden, dass dieser Umstand für das „Ob“ einer Verantwortlichkeit des Unterlassenden grundsätzlich keine Bedeutung hat. Es geht lediglich um das „Wie“ der Verantwortlichkeit, wenn nach einer Relevanz der Ursache der abzuwendenden Gefahr gefragt wird. Die eine solche Relevanz bejahende Ansicht argumentiert dabei vor allem auch mit einem Vergleich zu den Begehungsdelikten.744 Auch dort hat zwar die Frage nach der Ursache für das „Ob“ einer strafrechtlichen Haftung keine Bedeutung, aber für das „Wie“. Beispiel: Wer einen Menschen in eine Wohnung einlässt, damit dieser sie verwüsten kann, ist Gehilfe dieser Sachbeschädigung; wer einen Hund hineinlässt, damit dieser die Wohnung verwüsten kann, ist Täter der Sachbeschädigung. Warum sollen nun diese Fälle anders zu behandeln sein, als die Fälle, in denen dieselbe Person als Garant die Verwüstung der Wohnung durch den Menschen nicht verhindert, beziehungsweise die Verwüstung durch den Hund nicht verhindert, wenn er dazu jeweils in der Lage gewesen ist? Bei der Verwüstung durch den Hund ist der Mensch gleichsam als „alleiniger Vertreter der Menschheit gegenüber der Natur“745 allein verantwortlich und damit unmittelbarer Täter nach § 25 Abs. 1 744 Arzt, JA 1980, 553 (558 f.); Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip (1972), S. 260 f.; Schroeder, Der Täter hinter dem Täter (1965), S. 105 f.; Sowada, Jura 1986, 399 (403). 745 Schroeder, Der Täter hinter dem Täter (1965), S. 105.
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5. Teil: Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten
Var. 1 StGB in Form der Alleintäterschaft. Muss nun nicht dieselbe Person bei der Verwüstung durch einen vollverantwortlichen Menschen unabhängig von der Verhaltensform Tun oder Unterlassen als Gehilfe anzusehen sein? Dieser wertende Vergleich erscheint zunächst sehr plausibel. Fraglich ist jedoch, ob die beiden Situationen auch tatsächlich vergleichbar sind. Dazu muss geklärt werden, worin der Grund der unterschiedlichen Grade der Verantwortlichkeit in den beiden Begehungsfällen liegt, und anschließend geprüft werden, ob der gleiche Grund auch eine unterschiedliche Behandlung im Unterlassungsbereich trägt. Eine Täterschaft der die Tür öffnenden Person kommt bei der Verwüstung durch einen Menschen nicht in Betracht, weil er weder das unmittelbar das Rechtsgut verletzende Risiko eigenhändig geschaffen hat und daher kein unmittelbarer Täter ist, noch die Handlung des Menschen als mittelbarer Täter beherrscht hat und auch kein Mittäter ist, da sein Beitrag kein gleichwertiges und arbeitsteiliges Vorgehen mit dem unmittelbaren Täter begründet. Er hat also den Bedingungszusammenhang, der schließlich zum Erfolg der Sachbeschädigung geführt hat, nicht beherrscht. Diese Begründung spielt nun aber tatsächlich für den unterlassenden Garanten im Vergleichsfall keine Rolle. Bei der Verantwortlichkeit für ein Unterlassen geht es nämlich nicht um die Beherrschung eines Kausalverlaufs, sondern um eine ganz andere Zurechnungsstruktur: um die unmittelbare Beziehung zwischen dem Unterlassen einer Handlung, durch die der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verhindert worden wäre, und eben diesem Erfolg. Die Unmittelbarkeit dieser Beziehung ergibt sich daraus, dass die Handlung die Gefahr für das Rechtsgutsobjekt ohne Vermittlung über andere Faktoren beseitigt. Wiederum ist es also die unterschiedliche Zurechnungsstruktur bei Begehungsdelikten einerseits und Unterlassungsdelikten andererseits, die entscheidend ist. Somit besteht durchaus ein Unterschied zwischen dem Begehungs- und dem entsprechenden Unterlassungsfall, weswegen eine Vergleichbarkeit nicht gegeben ist. Zur Klarstellung: Aus dieser Argumentation folgt nicht, dass der Umstand, ob die Gefahr für das zu rettende Rechtsgut von einem Menschen ausgeht oder nicht, überhaupt keine Bedeutung für das „Wie“ der Verantwortlichkeit eines unterlassenden Garanten hat, sondern nur, dass allein der Vergleich mit den Begehungsdelikten kein Beleg dafür ist, dass er relevant ist. Seine Relevanz müsste daher anders begründet werden. Die Ablehnung einer Täterschaft des Unterlassenden muss sich dann vielmehr aus der besonderen Struktur der Verantwortlichkeit für ein Unterlassen ergeben.
2. Die Bestimmung der Tatherrschaft durch Unterlassen als Frage der Perspektive: Beherrschung des Verlaufs oder Beherrschung der Situation? Geht man von der These aus, Täterschaft sei Tatherrschaft, führt dies mit Blick auf die Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs zu einem Unterlassen zu den folgenden Schlussfolgerungen: Wegen der unmittelbaren Struktur dieser Beziehung liegt
I. Möglichkeit einer Herrschaft über das tatbestandsmäßige Geschehen
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gleichsam immer eine unmittelbare Beherrschung vor, bei der es sich aber wegen ihrer hypothetischen Natur lediglich um eine potentielle Herrschaft handelt. Da ein Unterlassender jedoch immer nur eine solche potentielle Herrschaft besitzt, führt eine Orientierung an der Zurechnungsstruktur zwangsläufig zu der Annahme regelmäßiger Täterschaft.746 Es ist aber durchaus auch möglich, eine andere Perspektive einzunehmen und die Frage nach der Beherrschung nicht auf den Zurechnungszusammenhang zu beziehen, sondern auf die tatbestandliche Situation. Gemeint ist damit Folgendes: Bei einem Unterlassungsvorwurf geht es um die Verletzung von konkreten Pflichten in einer konkreten tatbestandsmäßigen Situation.747 Die Problematik der Tatherrschaft lässt sich daher auch anders betrachten, nämlich als Frage, wer diese Situation beherrscht. Vor dem Hintergrund, dass die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten allein die Funktion hat, unterschiedliche Grade der Verantwortlichkeit abzugrenzen,748 fällt nun die Antwort auf die Frage, wer diese Tatsituation beherrscht, nicht mehr ganz so eindeutig aus, wie bei einer Orientierung an der Erfolgszurechnung. Neben einem vollverantwortlich handelnden Begehungstäter erscheint – mit Blick auf die Situation insgesamt – der die Tat nicht hindernde Garant nun eher als Randfigur und der Begehungstäter als Zentralgestalt. Beispiel: Bei der Misshandlung eines Kindes durch die Mutter, bei der der Vater nicht einschreitet, erscheint die Mutter als Herrscherin über die Situation, als die Hauptverantwortliche, der Vater jedoch nicht. Bevor nun diese Wertung überprüft und genauer ausgeführt wird, soll aber zunächst geklärt werden, auf welche der beiden Perspektiven es bei der Bewertung des „Wie“ der Verantwortlichkeit von Unterlassungen ankommt: Ist der Blick auf den Zurechnungszusammenhang oder auf die tatbestandliche Situation im Ganzen maßgeblich? Die besseren Gründe sprechen für eine Beurteilung der Verantwortungsgrade auf der Grundlage einer Berücksichtigung der tatbestandsmäßigen Situation. Der für die Zurechnung des Unrechts entscheidende Aspekt bei den Begehungsdelikten ist die objektiv zurechenbare Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolgs; dieser Zusammenhang bildet daher auch bei den Begehungsdelikten den zutreffenden Anknüpfungspunkt bei der Bewertung unterschiedlicher Grade der Verantwortung für die Tatbestandsverwirklichung; an ihn knüpfen die verschiedenen Tatherrschaftsformen an. Da es bei den Unterlassungsdelikten einen solchen Zusammenhang jedoch tatsächlich nicht gibt, ist der entscheidende Vorwurf gegenüber einem unterlassenden Garanten, dass er in einer bestimmten Lage seinen Pflichten nicht nachgekommen ist. Diese tatbestandsmäßige Situation ist die objektive Grundlage für die Bewertung des Verhaltens des Unterlassenden als strafrechtliches Unrecht, sie sollte daher An746 747 748
Dies entspricht der oben dargestellten Tätertheorie; vgl. 4. Teil, II. 1. d). Vgl. dazu bereits oben 4. Teil, II. 2. cc). Vgl. dazu oben 3. Teil, V.
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5. Teil: Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten
knüpfungspunkt sein, wenn es hinsichtlich eines Unterlassens um die Bewertung von Verantwortungsgraden geht. Neben diesem dogmatischen gibt es noch einen praktischen Grund. Die Frage nach Verantwortlichkeitsgraden von Menschen für die Verwirklichung eines Tatbestands ist nur sinnvoll, wenn dabei mehrere Menschen in den Blick genommen werden und deren jeweilige Verantwortlichkeit miteinander verglichen wird. Solange es keinen gesetzlichen oder logischen Vorrang gibt, auf den unmittelbaren Zurechnungszusammenhang zwischen Unterlassen und Erfolg als Anknüpfungspunkt abzustellen – und ein solcher ist nicht ersichtlich –,749 sollte eine Perspektive gewählt werden, die eine Bewertung der Verantwortlichkeitsgrade überhaupt erst ermöglicht. Dieses ist jedoch nur auf der Grundlage einer Bewertung der für alle vorliegenden tatbestandsmäßigen Situation möglich. Somit könnte der Umstand, ob die Gefahr für das Rechtsgut von einem Menschen droht oder nicht, für die Bewertung der Verantwortlichkeit des Unterlassenden im Rahmen der tatbestandsmäßigen Situation grundsätzlich berücksichtigt werden. Konkret ist nun in Hinblick auf die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zu fragen, ob der Unterlassende als Zentralgestalt der tatbestandsmäßigen Situation erscheint oder als bloße Randfigur. 3. Unterlassungstäterschaft als Tatherrschaft kraft überlegener Hemmungsherrschaft a) Die Nichthinderung eines vollverantwortlichen Begehungsunrechts eines Dritten als Beihilfe Für den Vergleich der Verantwortlichkeit eines Begehungstäters mit der eines diesen nicht hindernden Garanten soll folgender Ausgangfall dienen: Der Vater verhindert nicht, dass die Mutter ihr gemeinsames Kind schlägt. Hinsichtlich der Beherrschung der tatbestandsmäßigen Situation ist die Mutter als Zentralgestalt anzusehen. Die Verantwortlichkeit des Vaters erscheint im Vergleich dazu reduziert. Ob ihn dies zu einer bloßen Randfigur macht, bedarf jedoch einer genaueren Gegenüberstellung der einzelnen relevanten Aspekte. Bei diesem Vergleich muss zunächst unberücksichtigt bleiben, dass allein die Mutter als Begehungstäterin die Tat gestaltet, also die Gestaltungsherrschaft besitzt. Dieser Aspekt der Tatherrschaft ist für die Beurteilung des Unterlassenden irrelevant, weil ihm die Gestaltung der Tat auch gar nicht vorgeworfen wird. Der Vorwurf bezieht sich allein darauf, dass es zu einer Rechtsgutsverletzung gekommen ist, nicht aber darauf, wie dies geschehen ist. Stellt man Begehenden und Unterlassenden gegenüber, kommt es somit in Hinblick auf die Beherrschung des Geschehens allein auf die Entscheidungsherrschaft 749
So auch Sowada, Jura 1986, 399 (403).
I. Möglichkeit einer Herrschaft über das tatbestandsmäßige Geschehen
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an. Hier unterscheiden sich aktiv Handelnder und Unterlassender in Bezug auf die negative Komponente nicht: Beide können den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verhindern. Trotzdem ist das Maß der Entscheidungsherrschaft nicht gleich. Dem Unterlassenden fehlt nämlich eine positive Entscheidungsherrschaft, also die Möglichkeit, nicht nur darüber zu entscheiden, ob der Erfolg nicht eintritt, sondern auch darüber, ob er eintritt. Hinsichtlich dieser Komponente ist der Unterlassende abhängig von dem Begehenden. Hierin liegt nun auch wertungsmäßig der Unterschied zu den Fällen der Nichtabwendung von Gefahren, die durch Naturgewalten drohen. Dort hat der Unterlassende nämlich auch diese positive Entscheidungsherrschaft, da er hinsichtlich des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs nicht von dem Willen eines anderen abhängig ist und daher auch die volle Verantwortung für den Eintritt der Rechtsgutsverletzung trägt. Wegen dieser gegenüber dem Begehungstäter reduzierten Entscheidungsherrschaft kommt dem Unterlassenden somit nur die Position einer Randfigur zu, so dass er bloßer Gehilfe der Tat des anderen ist. Diese Begründung weist bereits den Weg zur Lösung der Fälle, in denen der Begehungstäter nicht vollverantwortlich handelt. Wandelt man beispielsweise den Ausgangsfall dergestalt ab, dass nicht die Mutter, sondern der fünfjährige Bruder das Kind schlägt, erscheint nun der die Tat nicht verhindernde Vater nicht mehr als Randfigur, sondern als Zentralgestalt der tatbestandsmäßigen Situation. Dies erklärt sich wiederum aus der Entscheidungsherrschaft. Zwar fehlt dem Vater auch in diesem Fall die positive Komponente der Entscheidungsherrschaft; denn er ist immer noch abhängig von dem (natürlichen) Willen seines fünfjährigen Sohns. Hinsichtlich der negativen Komponente ist seine Entscheidungsherrschaft der des Begehungstäters jedoch überlegen. Da ein Fünfjähriger nach § 19 StGB das Unrecht seines Handelns weder einsehen noch nach dieser Einsicht handeln kann, fehlen ihm die notwendigen Hemmungsmotive, die dagegen der Vater hat. Die Überlegenheit hinsichtlich der negativen Entscheidungsherrschaft oder – anders formuliert – die Überlegenheit der Hemmungsherrschaft macht den Vater zur Zentralgestalt des tatbestandsmäßigen Geschehens. Damit kann festgehalten werden: Die Tatherrschaft des Unterlassungstäters besteht trotz Fehlens einer positiven Entscheidungsherrschaft in der gegenüber einem Begehungstäter überlegenen Hemmungsherrschaft, die sich aus einem Mehr an Hemmungsmotiven begründet.
c) Denkbare Einwände Die soeben vorgeschlagene Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme beruht nicht auf der Unterscheidung von Tun und Unterlassen. Bei der ersten geht es um überlegene Hemmungsherrschaft, bei der zweiten um die grundsätzlich geringere Strafwürdigkeit des Unterlassens, die sich daraus ergibt, dass vom Normadressaten des Unterlassungsdelikts mehr verlangt wird, indem ihm eine Rettungsaktion aufer-
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5. Teil: Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten
legt und nicht bloß gefordert wird, von der Tat Abstand zu nehmen.750 Der Grund für die Annahme bloßer Beihilfe in Fällen der Nichthinderung vollverantwortlichen Begehungsunrechts eines Dritten hat damit nichts zu tun. Somit ist für den unterlassenden Gehilfen auch eine doppelte Strafmilderung möglich, also sowohl nach § 27 Abs. 2 StGB, als auch nach § 13 Abs. 2 StGB. Gegen die hier entwickelte Lösung kann auch nicht der Vorwurf erhoben werden, das Unterlassen könne kein akzessorischer Rechtsgutsangriff sein.751 Die Akzessorietät des Unterlassens ergibt sich – wie dargelegt – daraus, dass der Unterlassende hinsichtlich der Verwirklichung des Unrechts vom Willen des Begehungstäters abhängig ist, sofern dieser vollverantwortlich handelt. Dies ist aber gerade keine bloß faktische Abhängigkeit, was sich auch daran zeigt, dass bei der Nichthinderung von Naturgewalten diese Abhängigkeit gerade fehlt. d) Ergebnis Der das vollverantwortliche Begehungsunrecht eines Dritten nicht hindernde Garant ist lediglich einer Beihilfe zu dieser Tat schuldig. Eine Täterschaft liegt erst dann vor, wenn der Garant eine überlegene Hemmungsherrschaft besitzt, indem er im Vergleich zu dem Begehungstäter ein Mehr an Hemmungsmotiven überwinden müsste. Diese Lösung entspricht im Wesentlichen der so genannten Gehilfentheorie und hat daher mit ihr gemeinsam, dass sie Wertungswidersprüche bei der Anwendung vermeidet, unterscheidet sich jedoch von ihr in zwei Punkten: Erstens ist die Annahme einer Beihilfe vom Zeitpunkt einer möglichen Erfolgsabwendungshandlung unabhängig, da sie allein aus dem wertenden Vergleich der Entscheidungsherrschaft von Begehungstäter und Unterlassendem in der tatbestandlichen Situation im Ganzen hergeleitet wird. Zweitens muss aus demselben Grund die Grenze zwischen Beihilfe und Unterlassungstäterschaft etwas anders gezogen werden. Dies soll abschließend für die wichtigsten Konstellationen dargestellt werden.
II. Die Konkretisierung der überlegenen Hemmungsherrschaft – die verschiedenen Fallgruppen 1. Die Überlegenheit bei fehlender Verantwortlichkeit des Begehungstäters Dieser Fall wurde im Zusammenhang mit der Entwicklung der Lösung oben bereits erläutert. Fehlen dem Begehungstäter – wie im oben geschilderten Beispiel dem fünfjährigen Sohn – rechtlich relevante Hemmungsmotive, die ihn von der Begehung der Tat abhalten könnten, hat der Unterlassende eine überlegene Hemmungsherr-
750 751
Vgl. dazu ausführlich oben 1. Teil, III. 2. Zu diesem Vorwurf siehe oben 3. Teil, III. 1. c).
II. Die Konkretisierung der überlegenen Hemmungsherrschaft
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schaft. Neben schuldlos Handelnden sind in diese Fallkonstellation auch vorsatzlos handelnde Begehungstäter einzuordnen. Da der wesentliche Grund für die überlegene Hemmungsherrschaft das Fehlen von aktuellen Hemmungsmotiven ist, ist im Rahmen eines Verbotsirrtums des Begehungstäters nach § 17 StGB – parallel zu den Fällen mittelbarer Begehungstäterschaft – die Vermeidbarkeit dieses Irrtums durch den Begehungstäter unbeachtlich; der Unterlassende ist auch dann Täter.752 Trotz der Parallelen zur mittelbaren Täterschaft ist der Garant in diesen Fällen als unmittelbarer Unterlassungstäter anzusehen, da die Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs unmittelbar an das Unterlassen anknüpft.753 Die Überlegenheit führt hier auch nicht dazu, dass der Begehungstäter als Werkzeug benutzt wird; der Unterlassende ist, wie dargelegt, aus anderen Gründen die Zentralgestalt des tatbestandsmäßigen Geschehens. Daraus folgt im Übrigen, dass die Bewertung des Unterlassens als Täterschaft an der Täterschaft des aktiv Handelnden nichts ändert. Diese bestimmt sich nach anderen Regelen, nämlich nach den Tatherrschaftsformen für Begehungsdelikte. 2. Die Überlegenheit bei eingeschränkter Verantwortlichkeit des Begehungstäters Die Einordnung des Unterlassenden als unmittelbarer Täter hat nicht nur gleichsam terminologische Gründe, sondern sie ist auch aus sachlichen Gesichtspunkten angezeigt. Da der Unterlassende den Begehungstäter weder steuern noch sonst beherrschen muss, sind die Anforderungen an die überlegene Hemmungsherrschaft auch gegenüber den Anforderungen an eine mittelbare Täterschaft bei aktivem Tun geringer. Vor diesem Hintergrund ist eine Täterschaft des Unterlassenden bereits dann anzunehmen, wenn der Begehungstäter zwar für die Tat verantwortlich ist, er in seiner Verantwortlichkeit jedoch eingeschränkt ist, beispielsweise, wenn er nach § 21 StGB eingeschränkt schuldfähig ist. Hier sind die Hemmungsmotive des Unterlassungstäters wesentlich stärker als die des Begehungstäters, so dass der Garant die Position einer Zentralgestalt des tatbestandsmäßigen Geschehens besitzt. Darin zeigt sich die Besonderheit der Bestimmung der Tatherrschaft des Unterlassenden. Sie ergibt sich lediglich aus einem Vergleich mit den anderen Beteiligten im Rahmen der tatbestandsmäßigen Situation.
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Vgl. dazu oben 3. Teil, II. 2. a) bb) (1). Ausführlich siehe oben 3. Teil, II. 2. b).
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5. Teil: Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten
3. Die Überlegenheit durch eine gesteigerte Verantwortlichkeit des Unterlassenden Vor diesem Hintergrund wird es nun notwendig, eine genaue Grenzlinie zu ziehen: Wann ist die Überlegenheit des Unterlassenden hinsichtlich der rechtlich relevanten Hemmungsmotive für seine Tat derart ausgeprägt, dass von einer überlegenen Hemmungsherrschaft auszugehen ist? Die Grenze muss durch das Recht selbst gezogen werden. Danach ergibt sich eine rechtlich relevante Überlegenheit, wenn das Gesetz durch einen erhöhten Strafrahmen deutlich macht, dass die grundsätzlichen Hemmungen zur Begehung dieser Tat signifikant stärker sind. Beispiel: Wenn der Unterlassende einen qualifizierenden Umstand verwirklicht, der dem Begehungstäter fehlt, ist der Unterlassende Täter, weil er eine überlegene Hemmungsmacht besitzt, die durch die gesetzlichen Regelungen zum Ausdruck kommt. Dieses Ergebnis harmoniert insofern mit der Konkurrenzlösung zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen, da dort in einem anderen Zusammenhang Ähnliches gilt. Verwirklicht der Täter ein Begehungsdelikt und verhindert er anschließend nicht den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs, obwohl er dies noch könnte, tritt das Unterlassen dann ausnahmsweise nicht hinter das Begehungsunrecht als subsidiär zurück, wenn der Unrechtsgehalt des Unterlassungsdelikts nicht vollständig im Unrechtsgehalt des Begehungsdelikts enthalten ist. Beispiel: Jemand begeht eine vorsätzliche Körperverletzung und hilft anschließend dem Opfer nicht, obwohl er nun erkennt, dass das Opfer das Sehvermögen auf einem Auge verlieren wird, wenn es nicht ins Krankenhaus gebracht wird. Hier treten §§ 226 Abs. 2, 13 Abs. 1 StGB ausnahmsweise nicht hinter § 226 Abs. 1 StGB zurück.754 Mithilfe der überlegenen Hemmungsherrschaft lassen sich auch die unter dem Begriff des qualifikationlos-dolosen Werkzeugs diskutierten Problemfälle aus dem Bereich der Sonderdelikte lösen: Besitzt nur der aktiv Handelnde die qualifizierende oder strafbegründende Tätereigenschaft, ohne dass jedoch die Voraussetzungen der Tatherrschaft durch Begehen vorliegen, hat er gegenüber dem qualifikationslosen aktiv Handelnden eine überlegene Hemmungsmacht, die ihn zum Unterlassungstäter macht. An dieser Unterlassungstat kann dann der aktiv handelnde Extraneus unter Umständen teilnehmen.755 Keine überlegene Hemmungsmacht liegt jedoch bei Umständen vor, bei denen es nicht um die Verantwortlichkeit und auch nicht um das Maß der Verantwortlichkeit geht, sondern lediglich um die Frage, wie der Beteiligte konkret zu bestrafen ist. Hier754 Vgl. den insoweit ähnlichen Fall der Konkurrenz von § 227 Abs. 1 StGB zu §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB, in dem der BGH Tateinheit angenommen hat; BGH, NStZ 2000, 29 (30): Die Herbeiführung des Todeserfolgs darf dann aber bei der Strafzumessung nicht mehrfach zulasten des Angeklagten berücksichtigt werden. 755 Vgl. zu dieser Lösung der Fälle des sog. qualifikationslos-dolosen Werkzeugs bereits oben 4. Teil, II. 1. b) cc).
II. Die Konkretisierung der überlegenen Hemmungsherrschaft
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zu gehören vor allem Strafzumessungsgesichtspunkte, zu denen trotz ihrer Nähe zu Tatumständen auch Regelbeispiele zu zählen sind.756 Dafür spricht zweierlei: Zum einen geht es bei der Strafzumessung nicht um die Verantwortung für das tatbestandsmäßige Geschehen, sondern allein um die Frage, wie der konkrete Beteiligte gerecht zu bestrafen ist; zum anderen lässt sich eine klare Grenzziehung und damit eine dem Bestimmtheitsgebot genügende Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nicht durchführen, da bei Vorliegen eines Regelbeispiels der erhöhte Strafrahmen eben nur in der Regel anzuwenden ist. Vor allem vor dem Hintergrund des letzten Aspekts ist eine überlegene Hemmungsherrschaft schon gar nicht bei unbenannten Strafzumessungsvorschriften möglich. 4. Überlegenheit bei mehreren Unterlassenden? – Auch zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei echten Unterlassungsdelikten Geht es um das Zusammentreffen mehrerer Unterlassender, sind alle als Zentralgestalten des tatbestandsmäßigen Geschehens anzusehen. Dies begründet sich vor allem daraus, dass hier niemand eine positive Entscheidungsherrschaft besitzt, durch die er in eine überlegene Position geraten und so die anderen Unterlassenden an den Rand des tatbestandsmäßigen Geschehens gedrückt werden könnten. Dieses Ergebnis gilt dann auch unabhängig von einem denkbaren Unrechtsgefälle zwischen den beiden Unterlassenden, weil beispielsweise der eine ein qualifizierendes Merkmal erfüllt, und insbesondere auch, wenn sich mehrere an der Verwirklichung eines echten Unterlassungsdelikts beteiligen.757
756
So die ganz h.M.; teilweise werden die Merkmale der Regelbeispiele jedoch als Tatbestandsmerkmale angesehen; vgl. zu dieser Diskussion nur Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 46 Rn. 11 m.w.Nw. 757 Vgl. zu dem Begriff des echten Unterlassungsdelikts, bei dem qua definitionem kein Begehungsunrecht mit einem Unterlassungsunrecht zusammentreffen kann, oben 1. Teil, V.
Zusammenfassung 1. Unterlassungsdelikte unterscheiden sich von Begehungsdelikten vor allem durch ihren strafrechtlichen Anknüpfungspunkt. Während bei den Begehungsdelikten die Voraussetzungen der Strafbarkeit bei der Vornahme einer Körperbewegung ansetzen, also bei einem aktiven Tun, ist dies bei den Unterlassungsdelikten die Nichtvornahme einer Körperbewegung, also ein Unterlassen. Diese grundsätzliche Verschiedenheit ist der Ausgangspunkt für die Frage, ob und wie die für Begehungsdelikte entwickelten Regeln für die Beteiligung mehrerer an einer Straftat auch bei Unterlassungsdelikten gelten. 2. Die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme in den §§ 25 ff. StGB bezweckt zweierlei: Zum einen sollen die unterschiedlichen Formen der Mitwirkung in ihrem jeweiligen Grad der Verantwortlichkeit erfasst und strafrechtlich geahndet werden und zum anderen soll durch die Beschreibung der einzelnen plastischen Beteiligungsformen dem Bestimmtheitsgrundsatz genüge getan werden. Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auf der Grundlage der Tatherrschaftslehre erfüllt die beiden Funktionen am besten. Die Tatherrschaft konkretisiert das Leitbild der Zentralgestalt als Bezeichnung der Verantwortlichkeit für die Verwirklichung eines Tatbestands und die unterschiedlichen Arten der Tatherrschaft für die einzelnen Täterschaftsformen veranschaulichen die gesetzlichen Beteiligungsfiguren. In methodischer Hinsicht erfordert die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme daher vor allem eine Konkretisierung der einzelnen Beteiligungsformen. Abgrenzung meint dann genauer: Bestimmung der Voraussetzungen für die verschiedenen gesetzlichen Beteiligungsformen. 3. Eine Mittäterschaft oder eine mittelbare Täterschaft ist in der Erscheinungsform des Unterlassens nicht möglich. Die Nichtvornahme einer Körperbewegung vermag weder eine Steuerung und damit die Beherrschung eines menschlichen Werkzeugs zu begründen, noch eine funktionelle Arbeitsteilung zu vermitteln. Unterlassungstäterschaft ist somit stets unmittelbare Täterschaft. Dieser Befund wird durch die unmittelbare Zurechnungsstruktur zwischen Unterlassen und Erfolg bestätigt. Zwar kann auch ein Unterlassen akzessorisch zur Tat eines anderen sein; mangels einer die täterschaftsgleiche Bestrafung rechtfertigenden Steuerung ist eine Anstiftung durch Unterlassen jedoch konstruktiv nicht möglich, so dass es als Teilnahmeform lediglich eine Beihilfe durch Unterlassen existiert. Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten reduziert sich somit auf die konkrete Frage der Abgrenzung von unmittelbarer Täter-
Zusammenfassung
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schaft und Beihilfe. Die Aufgabe dieser Abgrenzung ist daher nicht die Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes durch ausdifferenzierte Beteiligungsformen, sondern es geht allein um die Unterscheidung von Verantwortungsgraden. 4. Eine undifferenzierte Verantwortlichkeit für alle pflichtwidrig Unterlassenden führt zu einem „Aufrollen“ der Beteiligungslehre im Unterlassungsbereich und kann auch nicht ausnahmslos durchgeführt werden, wodurch ihr die dogmatische Grundlage erschüttert wird. Auch die Art der Handlungspflicht liefert keinen Maßstab für die Abschichtung von Verantwortungsgraden, da sich in der konkreten tatbestandsmäßigen Situation die Pflichten nicht unterscheiden. Es geht stets um Erfolgsabwendungspflichten. Die Erfolgsabwendungsmöglichkeit selbst, ihre Art und Weise und insbesondere der Zeitpunkt, in der die Handlung zu erbringen ist, bieten keine Anknüpfungspunkte, die eine sachgerechte Abgrenzung von Graden der Verantwortlichkeit ermöglichen. Eine widerspruchsfreie Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten bietet allein die Lösung, den Garanten neben einem vollverantwortlichen Begehungstäter stets als Gehilfen anzusehen. Grund und Grenzen dieser Ansicht sind bisher nicht ausreichend geklärt. 5. Der Umstand, ob die vom Garanten abzuwendende Gefahr für das Rechtsgutsobjekt aus dem Verhalten eines Menschen oder aus Naturgewalten herrührt, ist für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme grundsätzlich von Bedeutung, weil es für die Bewertung des Grades der Verantwortung des Unterlassenden auf die Beherrschung der tatbestandsmäßigen Situation im Ganzen ankommt. Bei der Bewertung dieser Situation ergibt ein Vergleich der Entscheidungsherrschaft des aktiv Handelnden mit der des Unterlassenden eine Überlegenheit des Begehungstäters, der allein eine positive Entscheidungsherrschaft besitzt. Der Unterlassende ist – anders als bei der Abwendung von Naturgewalten – diesbezüglich vom Willen des Begehungstäters abhängig, was ihn zur Randfigur des Geschehens macht. Der unterlassende Garant ist jedoch Täter, wenn seine negative Entscheidungsherrschaft oder auch Hemmungsherrschaft gegenüber der des Begehungstäters überlegen ist. Diese Überlegenheit liegt nicht nur vor, wenn der Begehungstäter nicht verantwortlich handelt oder aktuell keine Hemmungsmotive entwickeln kann, die ihn von der Begehung der Tat abhalten, sondern auch dann, wenn die zu überwindenden Hemmungsmotive des Unterlassenden rechtlich als stärker zu bewerten sind als die des Begehungstäters. Die Täterschaft des Unterlassenden ergibt sich somit aus seiner rechtlich überlegenen Hemmungsherrschaft. Darin besteht die Tatherrschaft bei Unterlassungsdelikten.
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Sachwortverzeichnis Abgrenzung von mittelbarer und unmittelbarer Täterschaft 113 Abgrenzung von Tun und Unterlassen 26, 51 – Energiekriterium 30 – Kausalitätskriterium 29 – Konkurrenzlösung 26, 51, 57 – Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit 31 – Vorrang des Tuns 33 absichtslos-doloses Werkzeug 112 actio libera in causa 49 additive Mittäterschaft 130 Aggressivnotstand 40 aktive Teilnahme am Unterlassungsdelikt 50 akzessorischer Rechtsgutsangriff 144, 196 alternative Mittäterschaft 130 animus auctoris 78 animus socii 78 Anstiftung 145 – Anstiftung durch aktives Tun 145 – Anstiftung durch Unterlassen 147 Austauschbarkeit von Tun und Unterlassen 51 Autonomie 100 Badewannenfall 78 Beherrschung der Situation 192 Beihilfe 151 – Beihilfe durch aktives Tun 151 – Beihilfe durch Unterlassen 152 Beschützer- und Überwachergaranten Bestimmen 145 Dammbruchargument 44 Defensivnotstand 40 differenziertes Beteiligungssystem
Fahrlässigkeitsdelikte 70 funktionelle Tatherrschaft 84, 126 Funktionenlehre 179 Gehilfentheorie 20, 188 gemeinsame Tatausführung 129, 138 gemeinsamer Tatentschluss 126, 136 Handlungserwartung 59 Handlungsfähigkeit 59 Handlungsherrschaft 84, 93 Handlungszurechnung 119, 135 Herrschaftsdelikte 166 Ingerenz
174, 178
Katzenkönigfall 104 Kausalität des Gehilfenbeitrags 151 Kollegialentscheidungen 130, 140 Lederspray-Entscheidung 17, 140 limitierte Akzessorietät 143
176
63
echte und unechte Unterlassungsdelikte echte Unterlassungsdelikte 199 eigenhängige Delikte 69
Einheitstäterlehre 64 Einheitstäterschaft durch Unterlassen 156 Einpassungsentschluss 128 Entsprechungsklausel 185 Erfolgsabwendungsmöglichkeit 96, 182 extensiver Täterbegriff 65
Mittäterschaft 125 – Mittäterschaft durch aktives Tun 125 – Mittäterschaft durch Unterlassen 135 mittelbare Täterschaft 99 – mittelbare Begehungstäterschaft 99 – mittelbare Täterschaft durch Unterlassen 115
60 Naturgewalten 191 Nebentäterschaft 142
214
Sachwortverzeichnis
normative Kombinationstheorie nulla poena sine lege 76 omissio libera in causa
79, 162
49
Pflichtdelikte 166 Pflichtdeliktslehre 165 Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit 180 Pflichten kraft Organisationszuständigkeit 180 Produkthaftung 17, 141 qualifikationslos-doloses Werkzeug 167
112,
rechtfertigender Notstand 39 Respirator-Fall 42 restriktiver Täterbegriff 67 – extrem restriktiver Täterbegriff 67, 70 – gemäßigt restriktiver Täterbegriff 67 Risikoerhöhungslehre 155 Rücktritt vom Gebotserfüllungsversuch 37 Schuldunfähige als Tatmittler 111 Schwierigkeit der Erfolgsabwendung 183 Selbstbestimmungsrecht des Patienten 47 Selbstverantwortung 100 Sonderdelikte 166 Staschynskijfall 79, 94 Sterbehilfe – aktive Sterbehilfe 43 – indirekte Sterbehilfe 44, 46 – passive Sterbehilfe 43 Strafgrund der Teilnahme 143 subjektive Theorie 19, 78, 160 Suizid 16, 98, 164
Tatbeitrag im Ausführungsstadium 131 Tatbeitrag im Vorbereitungsstadium 132 tatbestandliche Situation 193 Täter hinter dem Täter 104 Täterbegriff 65 Tätertheorie 176 Täterwillen 78 Tatherrschaft bei Unterlassungsdelikten 186 Tatherrschaftslehre 19, 83 Tatherrschaftswechsel 97, 164, 184 Tatinteresse 81 Technischer Behandlungsabbruch 42 Teilnahme 143 Teilnehmerwillen 78 Tötung auf Verlangen 45, 48 überlegene Hemmungsherrschaft 194 unmittelbare Täterschaft 93 – unmittelbare Begehungstäterschaft 93 – unmittelbare Unterlassungstäterschaft 96 unterlassene Taterschwerung 154 Unterlassungsdelikte als Pflichtdelikte 171 Verantwortungsprinzip 104, 107 Verhalten mit geringem Energieaufwand 34 Willensherrschaft 84, 99 Willensherrschaft kraft Irrtums 103 Willensherrschaft kraft Nötigung 107 Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate 108 Zentralgestalt 83, 87, 170 Ziegenhaarfall 27