Ostern als Thema der Göttinger Predigtmeditationen: Eine homiletische Analyse zu Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit 9783666623585, 3525623585, 9783525623589


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Ostern als Thema der Göttinger Predigtmeditationen: Eine homiletische Analyse zu Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit
 9783666623585, 3525623585, 9783525623589

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V&R

Arbeiten zur Pastoraltheologie

Herausgegeben von Peter Cornehl und Friedrich Wintzer

Band 35

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Ostern als Thema der Göttinger Predigtmeditationen Eine homiletische Analyse zu Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit

Von Birgit Weyel

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Weyel, Birgit: Ostern als Thema der Göttinger Predigtmeditationen : eine homiletische Analyse zu Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit / von Birgit Weyel. - Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1999 (Arbeiten zur Pastoraltheologie ; Bd. 35) ISBN 3-525-62358-5 © 1999 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindearbeiten: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die hier vorgelegte Studie zur Osterpredigt ist die im ersten Teil stark gekürzte und im folgenden geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 1997/98 von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin angenommen wurde. Mein Dank gilt zuerst Herrn Professor Dr. Peter C. Bloth, der mir im Rahmen einer Assistentenstelle die Gelegenheit gegeben hat, diese Arbeit zu schreiben, und der ihr Entstehen mit großer Aufmerksamkeit und steter Gesprächsbereitschaft begleitet hat. Herrn Professor Dr. Jürgen Henkys und Herrn Professor Dr. Klaus-Peter Jörns möchte ich für hilfreiche Hinweise danken. Herrn Professor Dr. Peter C. Bloth und Herrn Professor Dr. Jürgen Henkys gilt zudem mein herzlicher Dank für die Mühe der Gutachten. Herrn Professor Dr. Friedrich Wintzer und Herrn Professor Dr. Peter Cornehl danke ich für vielfältige Unterstützung bei der Veröffentlichung. Beiden Herausgebern gilt mein herzlicher Dank für die Aufnahme in die Reihe ,Arbeiten zur Pastoraltheologie'. Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Christof Landmesser, der mich in allen Phasen der Entstehung dieser Arbeit durch sein großes Interesse, immerwährende Bereitschaft zum Gespräch und konkrete Hilfe sehr unterstützt hat. Meinem Kollegen Herrn Carsten Großeholz danke ich für seine aufmerksame Lektüre und hilfreiche Anmerkungen. Frau Dorothee Risse sowie die studentischen Hilfskräfte Frau Karoline Jäger, Frau Debora Marschner und Frau Anne Weber haben sich die Mühe gemacht, Korrektur zu lesen. Den drei zuletzt Genannten danke ich darüber hinaus für die Erstellung der Stellen- und Personenregister. Schließlich möchte ich noch für großzügige finanzielle Unterstützung danken. Die Evangelische Kirche von Berlin-Brandenburg, die Evangelische Kirche im Rheinland sowie die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands haben freundlicherweise Zuschüsse zu den Druckkosten gegeben. Berlin, am 2. Sonntag nach Epiphanias 1999

Birgit Weyel

5

Inhalt Vorwort

5

Einleitung

11

ERSTER TEIL

Ostern in Predigtmeditationen Einleitung

17

1. Gegenwärtige Osterpredigt: Die Ergebnisse des Meditationsprozesses

21

1.1. Themen der Osterpredigt 1.1.1. Sendung, Zeugnis, Dienst, Nachfolge 1.1.2. Wirklichkeit und Erfahrung 1.1.3. Ereignisse in der Geschichte 1.1.4. Glaube 1.1.5. Sündenvergebung 1.1.6. Hoffnung 1.1.7. Konsequenzen 1.1.8. Inhalte der Meditation alttestamentlicher Texte für die Osterpredigt 1.2. Die Osterpredigt: Beobachtungen und Tendenzen 2. Kritik: Bezugnahmen auf den Predigttext 2.1. Verschiebungen, Ergänzungen und Korrekturen 2.2. Reduktive Verfahren 2.2.1. Reduktion auf Begriffe und Einzelaussagen 2.2.2. Aufnahme von Tendenzen 2.2.3. Differenzierung zwischen Gestalt und Gehalt 2.3. Wirkung und Funktion 2.4. Allegorisierung 2.5. Zusammenfassung 3. Kritik: Bezugnahmen auf gegenwärtige Wirklichkeit 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

Identifikation, Repräsentation, Vergleich Folgerungen Wirklichkeiten Aspekte von Wirklichkeit: Bereiche und Konkretion

21 21 24 25 26 27 28 29 29 31 36 37 41 41 45 46 49 51 53 55 56 59 61 63 7

4. Das Meditationsverfahren 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5.

68

Exegese Systematisch-theologischer Teil Hermeneutische Erwägungen Aktualisierende Überlegungen Material 4.5.1. Zitate

70 76 78 82 86 86

4.5.2. Literaturhinweise und -Verzeichnisse

89

4.5.3. Hinweise zur Predigtgestaltung 4.5.4. Hinweise zur Gottesdienstgestaltung

89 91

ZWEITER TEIL

Homiletische Nachfrage: Das Verfahren der GPM

5. Die Homiletik der Schriftleiter 5.1. Die Meditationstheorie Hans Joachim Iwands 5.1.1. Text 5.1.2. Wirklichkeit 5.1.3. Predigt 5.1.4. Meditation 5.1.5. Predigtmeditationen als literarische Predigthilfen 5.1.6. Die Zentralstellung der Predigt 5.1.7. Die ,Predigtnot' 5.1.8. „Besinnung auf Verkündigung": ,Evangelium' und ,Einheit' 5.1.9. Einflußnahme auf den Prediger 5.1.10. Predigtmeditation als ,Zeugnis' des Meditators 5.1.11. Das homiletische Verfahren 5.2. Schriftleitung GPM 15/1960/61 bis 24/1969/70. Martin Fischer: Das ,Abhören der alten Predigt' verbinden mit der ,Liebe' zur Gemeinde 5.2.1. Autorenkonferenz der GPM in Arnoldshain (18.-21.4.1961) 5.2.2. Kein übersteigerter Predigtbegriff! Kritik an Wolfgang Trillhaas, Die wirkliche Predigt (1963) 5.2.3. Situation und Konkretion 5.2.4. Grundzüge einer Evangelischen Predigtlehre 5.2.4.1. Die Selbstbewegung des Wortes Gottes und die Aufgabe der Praktischen Theologie 5.2.4.2. Aktualität als Qualität des Wortes Gottes 5.2.4.3. Die Liebe zur Gemeinde 5.2.4.4. Die Sprache des Gewissens 5.2.4.5. Das Wort Gottes als Subjekt der Predigt 5.3. Schriftleitung GPM 25/1970/71 bis 37/1982/83. Walther Fürst: ,Zeitbezug' und „auf der bisherigen Linie bleiben" 8

95 97 97 99 101 103 109 110 111 114 119 121 122 126 127 132 134 141 142 146 148 149 153 159

5.4. Schriftleitung GPM 38/1983/84 bis 44/1989/90. Klaus-Peter Jörns: Homiletik und Predigt als ,Glaubensgespräch' 163 5.5. Schriftleitung GPM 45/1990/91 bis 50/1995/96. Friedemann Merkel: „das Gesicht der ,Meditationen' wahren und gestalten" 172 5.6. Die Evangelischen Predigtmeditationen (EPM):1972-1991 176 5.6.1. Klaus-Peter Hertzsch: Identifikation und Horizontöffnung 180 5.6.2. Eberhard Winkler: Die homiletische Situation methodisch verstärken 183 5.7. GPM und EPM: Homiletische Tendenzen 185 5.7.1. Die Einladungsschreiben: Eine „homiletische Auslegung" wird erbeten 186 5.7.2. Die Schriftleiter: homiletische Tendenzen 191 DRITTER TEIL

Text- und Wirlichkeitsbezüge in der Predigtarbeit Einleitung

197

6. Der Text in der Predigtarbeit: Hermeneutik und Hermetik

198

6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5.

Einheit von explicatio und applicatio Verfahrenstechnische Maßgabe: Teleologie und Unmittelbarkeit Textauslegung als ,passives Vernehmen' des Wortes Gottes Schriftbindung und Textbeziehung Das Verfahren: Meditation als „homiletische Auslegung"

7. Der Wirklichkeitsbezug in der Predigtarbeit 7.1. 7.2. 7.3. 7.4.

„Predigtnot" oder „Misere"? Die Wirklichkeit als Ziel Steckt der Hörer im Text?... Zum Verständnis von Wirklichkeit 7.4.1. Kontraste und Weltverlust 7.4.2. Wirklichkeitswahrnehmung und das Hörerbild 7.4.2.1. Das Hörerbild in den Meditationen 7.4.2.2. Das Hörerbild nach der Homiletik der Schriftleiter 7.4.2.3. Wirklichkeitsexegese und pastorale Perspektive 7.4.3. Wirklichkeit und Transzendenz 7.4.3.1. Die Wirklichkeit und ihr Grund 7.4.3.2. Die semantische Komplexität von ,Wirklichkeit' 7.4.3.3. Wirklichkeit als Erschlossenheit 7.5. Die Predigt als „offenlegende Gebärde" 7.6. Interesse am wirklichen Hörer 7.7. Erfahrung als Zugang zur Wirklichkeit

198 200 203 206 208

211 211 213 215 217 219 220 221 222 225 227 228 230 230 232 235 237

9

8. Ostern in der Predigtarbeit 8.1. 8.2. 8.3. 8.4. 8.5. 8.6.

Die Exklusivität der Ostererscheinungen Erfahrung des Auferstandenen und Lebensbezug Hoffnung auf Leben über den Tod hinaus Himmelsbilder ,Ostern der Sprache' Ostererscheinungen und Erfahrungen des Lebens

241 242 243 244 246 248 250

Abkürzungsverzeichnis

253

Literaturverzeichnis

254

Anhang 1: Ubersicht über die ausgewerteten Predigtmeditationen

278

Anhang 2: Ubersicht über die Predigtperikopen

280

Stellenregister

281

Personenregister

283

Sachregister

287

10

Einleitung Die Predigt ist ein unverwechselbarer Bestandteil des gottesdienstlichen Rituals. Ihre Aufgabe ist es, christliche Traditionen im Horizont gegenwärtiger Lebenswirklichkeit zur Sprache zu bringen. Sie stellt einen interpretatorischen Akt dar, der sich auf einen biblischen Text bezieht, zugleich aber auf die Gegenwart zielt. Mit der Frage nach Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit ist darum eine grundlegende hermeneutische Themenstellung benannt. Zum einen ist nach der Wahrnehmung der beiden wesentlichen Faktoren, zum anderen aber auch nach ihrer Verknüpfung gefragt. Die Nachfrage nach der Aufgabe der Predigt fokussiert sich daher auf die Frage nach dem homiletischen Verfahren, das Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit auf angemessene Weise miteinander vermittelt. Das Interesse an der Predigt bekundet sich hier in der Aufmerksamkeit für die Predigtarbeit als dem konkreten Ort, an dem die hermeneutische Aufgabe zu bewältigen ist. Die vorliegende Arbeit nimmt als praktisch-theologische Studie ihren Ausgangspunkt bei praktischer Predigtarbeit. Literarische Predigtmeditationen ermöglichen einen Zugriff auf exemplarische Predigtarbeit und können in Hinsicht auf die gewählte Themenstellung ausgewertet werden. Die Nachfrage nach Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit wird im folgenden konkretisiert, indem die Predigtmeditationen auf das ihnen inhärente Verfahren hin analysiert werden. Wie nehmen die Meditatoren Text und Wirklichkeit wahr? Wie verknüpfen sie beide Faktoren? In einem ersten Teil werden die Ergebnisse der Analyse dargestellt. Die homiletische Studie nimmt also ihren Ausgangspunkt bei praktischer Predigtarbeit, die sie befragt und, ihren Fragehinsichten entsprechend, analysiert. Während die konkret vollzogene Vorbereitung einer Predigt der homiletischen Nachfrage in der Regel entzogen bleibt1 und sich homiletische Analysen auf das Endprodukt von Predigtarbeit, die gottesdienstliche Kanzelrede, konzentrieren, sollen hier die sich im Vorfeld der eigentlichen Predigt zeigenden Weichenstellungen und Entscheidungen erkundet werden. Uber die Abbildung der faktischen Predigtarbeit hinausgehend, wird in einem zweiten Teil nach der das Profil der Zeitschrift GPM kennzeichnenden homiletischen Theoriebildung gefragt. Um das Profil nachzuzeichnen, 1 Als eine Ausnahme könnte man die im Rahmen homiletischer Seminare und theologischer Examina angefertigten Predigtarbeiten betrachten.

11

ist es notwendig, die Homiletik der Schriftleiter über den Auswertungszeitraum (1983-1996) hinaus in den Blick zu nehmen. Da sich insbesondere das homiletische Nachdenken des Gründers der GPM, Hans Joachim Iwand, als weit über seine eigene Schriftleitung hinaus wirksam erwiesen hat, setzt die Darstellung der Homiletik der Schriftleiter mit ihm und der Gründung der GPM ein und verfolgt die Geschichte der Zeitschrift über 50 Jahre bis in die Gegenwart. Es werden nicht nur die homiletischen Grundeinsichten der einzelnen Schriftleiter dargestellt, sondern es wird auch der Versuch gemacht, zusammenfassend grundlegende homiletische Tendenzen zu benennen, die das konzeptionelle Selbstverständnis der G P M prägen und ihren Niederschlag in den Vorgaben an die Autoren finden. In einem dritten Teil werden praktische Predigtarbeit und homiletische Theoriebildungen der GPM aufeinander bezogen. Vor dem Hintergrund der Beobachtungen anhand der Meditationen und der homiletischen Tendenzen der GPM werden Überlegungen formuliert, wie Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit angemessen wahrgenommen und miteinander vermittelt werden können. Der Titel des vorliegenden Buches zeigt an, daß die Predigtarbeit exemplarisch anhand von Predigtmeditationen zum Gegenstand wird. Exemplarisch wird auch verfahren, indem Meditationen ausgewählt wurden, die auf das Fest Ostern zugehen. Die Auswahl zweier bestimmter Tage aus dem Kirchenjahr kommt der Vergleichbarkeit der einzelnen Meditationen zugute. Durch die Orientierung an einem Kanon von zwölf Texten, den die Lese- und Predigttextordnung für Ostersonntag und Ostermontag vorsieht, lassen sich unterschiedliche Zugänge zu wiederkehrenden Texten, vor allem aber die in Bezug auf ein bestimmtes Fest formulierten Themen und Inhalte miteinander vergleichen. Thematisch profiliert ist im Prinzip jeder Sonntag im Kirchenjahr. Ein herausgehobener Festtag bietet jedoch eine deutlichere thematische Konturierung. Festpredigten erlauben in besonderer Weise die Nachfrage nach dem, „was wesentlich ist am Christentum und warum das so ist" 2 . Nicht zuletzt aus theologischen Gründen ist die Wahl auf Ostern gefallen. Ostern stellt das Ursprungsdatum des christlichen Glaubens dar, und der Osterpredigt kommt von daher eine besondere Bedeutung zu 3 . Die immer wieder einmal entbrennende Diskussion um die Osterpredigt, 1994 entzündete sie sich an den Thesen Gerd Lüdemanns, kann zum einen als Indiz für ein breites öffentliches Interesse an den theologischen Fragen, welche mit Ostern verbunden sind, angesehen werden. Zum anderen ist sie auch als

2 W. Grab [1991], 16; hervorgehoben. 3 IKor 15,13-15 flechtet Paulus in unauflöslicher Weise das Predigen in den Zusammenhang von geschehener Auferstehung Christi und erhoffter, zukünftiger Auferstehung der Toten ein.

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Signal zu begreifen, daß zentrale hermeneutische Probleme, die in der Predigtarbeit zu Ostern aufbrechen, noch keineswegs ausreichend geklärt sind. Die Konzentration auf die Predigtmeditationen zum Osterfest führt zunächst zur Darstellung der Themen und Inhalte gegenwärtiger Predigtarbeit zu Ostern. Es können auch die hermeneutischen und homiletischen Probleme, die im Zusammenhang mit der Osterpredigt entschieden werden müssen, benannt werden. Darüber hinaus jedoch sollen die in der Arbeit insgesamt erarbeiteten Überlegungen zu ,Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit' abschließend zugunsten der Osterpredigt konkretisiert werden. Deshalb schließt die Studie mit homiletisch-systematischen Anstößen zum Thema,Ostern in der Predigtarbeit'.

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ERSTER TEIL

Ostern in Predigtmeditationen

Einleitung In diesem ersten Teil der vorliegenden Studie werden Predigtmeditationen analysiert. Sie stellen einen Ausschnitt homiletischer Arbeit dar und eröffnen somit methodisch die Möglichkeit, die komplexen Überlegungen, die innerhalb der Predigtarbeit vollzogen werden, exemplarisch in den Blick zu nehmen. Die Vorbereitung einer Predigt soll anhand publizierter Predigtmeditationen untersucht werden. Dabei ist zu beachten, daß Predigtmeditationen im Grunde ,Kunstprodukte' darstellen. Sie zeichnen nicht einfach die gedankliche Bewegung nach, mit der sich ein Prediger1 auf seine Predigt zubewegt. Die Meditation verrät nicht, ob der Autor selbst eine Predigt halten wird, die dann jedenfalls - sofern er sich an die geltende Perikopenordnung bei seiner Textwahl anlehnt - in deutlichem zeitlichen Abstand zur Vorbereitung stehen würde. Meditation und Predigt treten daher in einer Weise auseinander, wie dies in der pfarramtlichen Praxis ansonsten nicht der Fall ist. Es stellt zudem eine gewisse Künstlichkeit dar, daß der Predigtvorbereitende nicht in erster Linie für den eigenen Gebrauch meditiert, sondern seine Erwägungen als Hilfe für die Predigtarbeit anderer plant. Die literarische Predigtmeditation zielt darauf, den Lesern bei ihrer Predigtvorbereitung behilflich zu sein. Über die Gestalt der Predigten, die mit der veröffentlichten Predigtmeditation fertiggestellt werden, können daher keine Aussagen getroffen werden. Weder können wir wissen, ob und welche Predigt der Autor selbst abfassen wird, noch wie der Leser mit der Lektüre produktiv umgeht. Das eigentliche Endprodukt der Predigtarbeit bleibt der Analyse entzogen. Literarische Predigtmeditationen sind jedoch auch nicht ausschließlich als Hilfen für die Predigt zu sehen. Mit der Publikation der Arbeit liegt zugleich auch ein theologischer Gesprächsbeitrag für die wissenschaftliche und kirchliche Öffentlichkeit vor. Inwieweit dieser Sachverhalt Rückwirkungen auf die Meditation zeitigt, kann wohl kaum untersucht werden. Dies sollte aber bedacht sein, wenn man sich Rückschlüsse von der literarischen Predigtmeditation auf die Predigtarbeit im pfarramtlichen Vollzug

1 Zugunsten der Lesbarkeit wird darauf verzichtet, stets die männliche und die weibliche Sprachform zu nennen. Die grammatisch männliche F o r m schließt die weibliche im folgenden ein.

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erlaubt2. Wir haben es auch mit einem - freilich besonderen - Genus theologischer Fachliteratur zu tun3. Neben den skizzierten Differenzen zur üblichen Predigtarbeit kann die Predigtmeditation noch in einer weiteren Hinsicht als ,Kunstprodukt' gelten. Sie bildet ein homiletisches Verfahren ab, d.h. jede Predigtmeditation nimmt in einer spezifischen Weise vielfältige und vielschichtige Bezüge in einen Gedankengang auf, der auf eine Predigt zielt. Exegetische, systematisch-theologische und homiletische Reflexionen werden einbezogen und strukturieren den Duktus. Die literarische Predigtmeditation bietet also zum einen ein Extrakt von Predigtarbeit, und sie stellt zum anderen eine Fertigkeit dar, gedankliche Verknüpfungen vorzunehmen mit dem Ziel, die Anfertigung einer Predigt zu ermöglichen. Die Predigtarbeit, die ihre Versuche gewissermaßen unter diesen besonderen ,Laborverhältnissen' unternimmt, soll im folgenden ausgewertet werden. Das besondere Augenmerk gilt dabei dem zur Anwendung kommenden homiletischen Verfahren. Dieses soll erschlossen werden, indem von den Ergebnissen der Meditation zurückgefragt wird nach deren Zustandekommen. Die Darstellung wird sich auf eine Zeitschrift beschränken, um deren konzeptionelles Selbstverständnis (Teil 2) in den Blick nehmen zu können. Die Wahl fiel auf die Göttinger Predigtmeditationen, die älteste regelmäßig erscheinende Predigthilfe. Die GPM bieten sich für die exemplarische Nachfrage nach Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit an, weil sie selbst kein Verfahren explizit vorgeben, sondern die konkrete Verfahrensweise den Autoren überlassen. Eine solide Textarbeit wird erwartet, dar2 Die Rezeption der Predigthilfen stellt ein Forschungsdesiderat dar. Es gibt zwar einzelne Studien, die Umfragen unter Pfarrern auswerten (vgl. H.-G. Wiedemann [1974] und G. Otto [1982]), aber lediglich danach fragen, welche Meditationen abonniert werden und wie die Leser das jeweilige konzeptionelle Verfahren bewerten. Zudem sind diese Umfragen älteren Datums und werden somit kaum den sich durch ständige Neuerscheinungen ergebenden Veränderungen der Marktlage gerecht. Während der Markt der Predigthilfsliteratur zunehmend unübersichtlich wird, beziehen sich die Untersuchungen von H.-G. Wiedemann und G. Otto im wesentlichen auf die Konkurrenz der allerdings nach wie vor führenden Predigthilfen GPM und PSt(S). Keinerlei fundierte Aussagen lassen sich darüber machen, wie die Leser im Pfarramt mit den Predigthilfen umgehen, wenn sie diese für ihre eigene Predigtarbeit verwenden. 3 In der wissenschaftlichen exegetischen und systematisch-theologischen Literatur spielen Predigtmeditationen nach meinen Beobachtungen kaum eine Rolle. Die Berücksichtigung einer Predigtmeditation in der exegetischen Diskussion um eine Bibelstelle stellt eher eine Ausnahme dar (z.B. O. Hofius [1996], 38 Anm. 23, der zustimmend Hans Joachim Iwand zitiert). Es ist zu vermuten, daß eine Einweg-Rezeption stattfindet: exegetische und systematisch-theologische Forschungsarbeit fließt zwar in die Predigtarbeit ein, umgekehrt findet jedoch keine Kenntnisnahme statt. Somit spielt die konkrete homiletische Perspektive innerhalb der Textwissenschaft und der Dogmatik kaum eine Rolle. 18

über hinaus aber wird das Vorgehen kaum reguliert4. Der sich aus dieser offenen Konzeption heraus ergebende Freiraum ist von den Autoren selbständig auszufüllen. Eben dieses jeweils praktisch durchgeführte Verfahren kann Gegenstand der Auswertung werden. In dem folgenden Kapitel werden also zunächst die Ergebnisse des Meditationsprozesses dargestellt (1.). In der Regel empfiehlt der Meditator im Anschluß an seine exegetischen, hermeneutischen und homiletischen Überlegungen Inhalte für die Predigt, die entsprechend den Vorüberlegungen auszuführen sind. Zum Teil werden sie sogar im Rahmen einer Predigtdisposition geboten; findet sich eine abschließende Zusammenfassung nicht, so sind solche Inhalte dem Meditationsgang zu entnehmen. Diese Erträge sind selbstverständlich nicht als faktische Inhalte vorgetragener Predigten anzusehen. Sie sind jedoch empfohlene Inhalte und Anregungen für eine Predigt, die im Anschluß an die Meditation angefertigt wird. Darum kann man sie als Ergebnis der im Rahmen der literarischen Predigtmeditation angestellten Predigtvorarbeiten betrachten und auswerten5. Eine solche zusammenfassende Vorstellung der für die Osterpredigt vorgeschlagenen Inhalte gibt einen ersten Hinweis auf die Problemkonstellation gegenwärtiger Osterpredigt. Wir erhalten einen Einblick in die Auslegung von Ostertexten für die Predigt der Gegenwart. An die Darstellung schließt sich die Kritik an. Diese geht von der Voraussetzung aus, daß im Meditationsprozeß vor allem zwei Größen in Beziehung zueinander gesetzt werden: die der Meditation vorgegebene biblische Perikope und die gegenwärtige Wirklichkeit, an der die Hörer partizipieren und auf welche die Predigt zielt. Beide Größen sind im Auslegungsprozeß in einen Zusammenhang zu bringen. Der Untersuchung soll kein geprägtes Vorverständnis im Sinne einer festgelegten Verhältnisbestimmung von Predigttext und Wirklichkeit zugrundegelegt werden. Die Meditationen werden befragt nach ihren Bezugnahmen auf die zugrundeliegenden Predigttexte (2.) und die Wirklichkeit (3.). Wie nehmen die Autoren den biblischen Text wahr? Wie beschreiben sie gegenwärtige Wirklichkeit? Wie ausgeprägt sind die Bezüge? In welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Wie geschieht ihre Verknüpfung? Welches Beziehungsgeflecht lassen die Meditationen erkennen? Durch diese Rückfragen treten wesentliche Momente der Predigtarbeit zutage. Es lassen sich Aussagen machen über die das Ergebnis des Medita4 Vgl. dazu ausführlich 5.7.1. 5 Es ist nicht zu übersehen, daß die Predigtmeditationen inhaltliche Empfehlungen geben. Vgl. dazu Chr. Bizer [1996]: „Der Verfasser der Predigtmeditation antizipiert nicht die Sprachgestalt, aber die Inhaltlichkeit der Predigt, die er selber zum Text halten würde. Er entwickelt diese Inhaltlichkeit nachvollziehbar am Predigttext, der sie autorisiert, und an den Prämissen der theologischen Schule, die diese Inhaltlichkeit ausweisen" (414).

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tionsprozesses maßgeblich bestimmenden exegetischen, hermeneutischen und homiletischen Überlegungen. Abschließend soll der Aufbau der Meditationen nachgezeichnet werden (4.). Die Struktur des homiletischen Verfahrens tritt dabei hervor. Der Zeitraum der ausgewerteten Predigtmeditationen umfaßt die Jahre 1983 bis 1996. Der Zeitraum sollte möglichst nahe an die Abfassung der Arbeit heranreichen. Die Frage, mit welchem Jahr die Auswertung einsetzen sollte, erwies sich zunächst als offen. Die Analyse darf nicht auf zu knapp bemessener Textgrundlage basieren, so daß mindestens zehn Jahrgänge von vornherein einbezogen wurden. Ein zu großzügig bemessener Zeitraum wiederum hätte die Analyse zu sehr anwachsen lassen. Schließlich habe ich mich für insgesamt 13 Jahrgänge entschieden. Die Auswertung beginnt mit dem Jahr 1983. Es ergeben sich auf der Grundlage dieser Entscheidung sieben Jahrgänge, in denen GPM und EPM selbständig nebeneinander geführt wurden, und fünf Jahrgänge, in denen nur noch die GPM erschienen, bzw. die EPM die Beiträge der G P M vollständig übernommen haben 6 . Im Anhang findet sich ein Uberblick über die ausgewerteten Meditationen sowie eine Liste der Predigtperikopen, die nach der geltenden Lese- und Predigttextordnung für Ostersonntag und Ostermontag vorgesehen sind. Die Darstellung der Ergebnisse sowie die kritische Nachfrage nach den Bezugnahmen auf Text und Wirklichkeit wird zusammenfassend vorgenommen. Während ich in meiner Dissertation alle Predigtmeditationen einzeln und ausführlich unter den genannten drei Fragestellungen ausgewertet habe und die detaillierten Einzelanalysen dort 7 auch eingesehen werden können, sollen hier zugunsten einer kompakteren Darstellung im ersten Teil die wesentlichen Ergebnisse zusammengefaßt werden. Es bleibt bei der Lektüre zu beachten, daß sich die Auswertung auf eine wesentlich breitere Materialbasis bezieht, als dies die exemplarischen Hinweise erkennen lassen. Die ausgewählten Beispiele sollen die allgemein erhobenen Tendenzen daher nicht belegen, sondern vielmehr illustrieren.

6 Zur Geschichte der G P M / E P M vgl. unten Kapitel 5. Über die Trennung von GPM und EPM informiert insbesondere 5.6. 7 „Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit. Eine homiletische Erörterung zu Ostern in den Göttinger Predigtmeditationen", Humboldt-Universität Berlin 1997. Darin Teil 1: 9-188.

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1. Gegenwärtige Osterpredigt: Die Ergebnisse des Meditationsprozesses 1.1. Themen der Osterpredigt Was wird Ostern gepredigt? Die nachfolgend genannten Themen sind nicht selbst Inhalte heutiger Osterpredigt, da sie ja nicht anhand von Predigtanalysen gewonnen wurden8. Es handelt sich jedoch um Inhalte für die Osterpredigt. Die Präposition hält fest, daß die Ergebnisse der Predigtmeditationen Vorschläge zugunsten der Predigtarbeit des Lesers sind, aus der schließlich eine konkrete Osterpredigt erwächst. Als Ergebnis ihrer Überlegungen halten die meisten Meditationen einen theologisch zentralen Begriff fest, der in der Regel abstrakt formuliert ist. Auf der Grundlage des abstrakt gehaltenen ,Nenners' werden die Inhalte im folgenden in Themengruppen zusammengefaßt und miteinander verglichen. Ausgewählte Beispiele sollen die Inhalte veranschaulichen. 1.1.1. Sendung, Zeugnis, Dienst, Nachfolge Der dominierende Themenkreis gruppiert sich um die Begriffe Sendung, Zeugnis, Dienst und Nachfolge. Das ist zunächst ein überraschender Befund, denn man würde die genannten Begriffe nicht sogleich mit Ostern thematisch in Verbindung bringen. Die Begriffe lassen sich in einen Themenkreis zusammenordnen, weil sie nicht immer klar voneinander abzugrenzen sind. Neben inhaltlichen Korrespondenzen liegt die Aufnahme in eine Gruppe auch deshalb nahe, weil sich häufig Kombinationen9 der genannten Themen finden. Das Verständnis von Sendung divergiert stark.,Sendung' wird beispielsweise auf die Person der Maria bezogen10. Im Anschluß an Joh 20,17 wird ihre Beauftragung durch den Auferstandenen, den Jüngern zu sagen, was er ihr aufgetragen hat, als Sendung verstanden. Der Inhalt ihrer Beauftragung

8 Vgl. dazu oben die Einleitung in diesen ersten Teil: Ostern in Predigtmeditationen. Predigtsammlungen zu Ostern finden sich bei H . Nitschke [1974], ders. [1978] und E. Domay [1992], 9 So z.B.: „Sendung zum österlichen Zeugendienst" H.J. Held, 213. 10 K.G. Steck.

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wird mit der „Verkündigung der Bruderschaft Jesu" (208)11 wiedergegeben, wobei die Bezeichnung der Jünger als Brüder (V.17) hervorgehoben wird 12 . Die Bruderschaft besteht aber in der Zusage der Gemeinschaft mit Christus im Wort und seiner Gegenwart in seiner Botschaft (209). Andere dagegen beziehen ,Sendung' auf die Christen generell13. Sie besteht zum Beispiel14 in der Aussage der Hoffnung auf die Anwesenheit Christi bei der Begleitung der Armen und Traurigen 15 . „Die Wirkungskraft und Tragfähigkeit der Predigt besteht ... darin, daß man die endgültige, eschatologische Zukunft des Freundes der Armen und Traurigen verkündigt, der abgelehnt hat, den Willen Gottes mit Gewalt durchzusetzen und der auch die heutigen Menschen auf ihrem Weg begleitet" (145). Diese Hoffnung ist „verständlich" (ebd.) auszusagen. Darin liegt die Sendung der Christen in die Welt. Dem Prediger bleibt es überlassen, die Wegbegleitung jeweils mit Blick auf den Kontext der Hörer zu entfalten. ,Sendung' kann aber auch mit,Nachfolge' identifiziert werden 16 . Sie resultiert dann aus einem Glauben, der sich in die Schrift einweisen läßt (214). Für die Nachfolge aber ist, ebenso wie für Jesu Passion, das Leiden kennzeichnend. In solcher Nachfolge weist sich Glaube konkret als Glaube „zum Anfassen" (215) aus. Darin will der Autor dem „massiven Auferstehungsrealismus" entsprechen, der Lk 24,36-45 prägt (ebd.). Der Zeugenbegriff wird auf die die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft garantierenden, von Gott autorisierten Apostel bezogen 17 . Ihre Zeugenschaft ist betontermaßen eine Augenzeugenschaft. Gegenstand der Bezeugung ist die Auferstehung, und zwar in erster Linie unter dem Aspekt der Bestätigung Christi als Heilsbringer (163). Der Zeugenbegriff wird dann aber im Hinblick auf die Predigt verändert. Das petrinische ,wir' (Apg 10,42: „Wir sollen ihn bezeugen") wird in homiletischer Perspektive auf alle Christen bezogen: Alle sind Osterzeugen und bezeugen die Auferstehung. Das Verständnis von Zeuge und Zeugnis erfährt also eine deutliche Umbestimmung für die Predigt. Als Zeuge kommt auch betontermaßen der Prediger selbst in den Blick 18 . 11 Die im Text angegebenen Seitenzahlen beziehen sich immer auf das zuletzt angegebene Werk zurück. Auf Predigtmeditationen, die ausgewertet wurden, wird nur mit dem Namen des Autors hingewiesen. Wenn von einem Autor mehrere Meditationen vorliegen, tritt die Jahreszahl der Veröffentlichung als Unterscheidungsmerkmal hinzu. 12 Allerdings wird in V. 17 Jesu Himmelfahrt angekündigt. Aus diesem Grund wäre diese als Gegenstand der Verkündigung der Maria eher zu erwarten. 13 P. Pokorny und H.J. Held. 14 P. Pokorny. 15 Lk 24,13-35 steht im Hintergrund. 16 H J . Held. 17 R.-G. Schein, 162. 18 Vgl. E. Berger/Ch. Burkhardt [1992], Das Verständnis des Zeugnisses ist hier von unmittelbarer Bedeutung für die Homiletik. Ein ausgesprochen gewichtiges Verständnis des Predigers als exponierten Zeugen kommt zum Ausdruck.

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Unter der Überschrift „Das Zeugnis in unserem Mund"19 (195) wird ausführlich der Frage nachgegangen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, daß die Predigt wirklich Auferstehungszeugnis ist. Zwar ist „[kjeiner von uns ... als vorzüglicher Zeuge bescheinigt" (195f), aber die Prediger können Mut schöpfen dank der Zusage, daß „ja alles auf den uns erscheinenden und zum Zeugnis befreienden Christus ankommt" (196). Will der Prediger tatsächlich Zeuge sein, so muß er selbst „einbezogen" (195) sein in das, was er predigt. „Wenn wir etwas predigen, was wir an uns selbst als befreiendes Zeugnis nicht wahr werden lassen, gehören wir selbst zu den ,elendsten unter allen Menschen' (V.19)" (ebd.; Hervorhebung B.W.). Somit tritt der Prediger an die Stelle der Erscheinungszeugen. Was er sagt, hat nicht hinweisenden Charakter; er kann sich nicht auf das Zeugnis der Osterzeugen im Predigttext (1 Kor 15,1-11) stützen, sondern muß selbst das, was er sagt, erlebt haben. In seiner Erfahrung liegt die Wahrheit der Osterpredigt begründet. Denn sie garantiert die Glaubwürdigkeit des Osterzeugnisses (193). Auch in seiner zweiten, vier Jahre später verfaßten Meditation hebt derselbe Autor20 die Zeugenschaft des Predigers hervor. Er kommt zu dem Ergebnis - hier im Anschluß an die Predigtarbeit zu Apg 10,34a.36-43 -, daß Zeuge, Zeugnis und Bezeugter (Christus) einen unauflöslichen Zusammenhang darstellen. Dabei denkt er wieder an den Prediger und seine Predigt. „Die Wahrheit des Friedenkönigtums Christi bedarf der erlebbaren Bewährung durch den Zeugen" (203). Mit dieser Aussage schließt sich der Autor nahtlos an seine Äußerungen von vor vier Jahren an21. Unscharf bleibt, was unter Dienst verstanden werden soll. Der Glaube an die Auferstehung der Toten wird in der Meditation von Stühmeyer als „Notwendigkeit einer Verwandlung" (140) verstanden. Tatsächlich geht es weniger um den Gehalt der Aussagen über zukünftige Existenz, als vielmehr um gegenwärtiges Verhalten. Die somit heute und hier sich vollziehende Verwandlung ist eine „Tat des Menschen" (ebd.), der sich in Dienst nehmen läßt. Die Indienstnahme stellt sich als Glaube dar: „sich selbst verlassen und einlassen auf das Verläßliche" (ebd.). Das Thema ,Nachfolge' rückt Henkys im Anschluß an Mk 16,7 in das Zentrum seiner Meditation22. Er bestimmt Nachfolge als ein Sich-Verhalten zur Botschaft von der Auferstehung des gekreuzigten Jesus von Nazareth (141). Nachfolge ist die angemessene Lebensform der Gemeinde, die durch ihren Hirten Jesus Christus selbst gesammelt und geleitet wird (ebd.). Auch bei Blauert23 hat die Nachfolge eine wichtige Funktion, indem 19 Diese Passage ist durchgängig in der 1. Person Plural formuliert. Die Meditatoren als Prediger wenden sich an die Leser als Prediger. 20 E. Berger [1996]. 21 E. Berger/Ch. Burkhardt [1992] sprechen von einem „Bewährungszusammenhang" (197). 22 Angeschnitten wird das Thema Nachfolge auch bei W. Fürst und H.J. Held. 23 H. Blauert [1993],

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sie die Erfahrung von Auferstehung ermöglicht. „Dort, wo wir in der Nachfolge Jesu die Kreuze ... an- und übernehmen, werden wir die Macht der Auferstehung erfahren" (201).

1.1.2. Wirklichkeit und Erfahrung Ein zweiter stark vertretener Typ von Ostermeditation stellt die Begriffe ,Erfahrung' und ,Wirklichkeit' heraus. Im Zusammenhang mit Ostern ist von ,Ostererfahrung' und einer damit verbundenen neuen ,Wirklichkeitserfahrung' die Rede. Im Glauben werden uns extra nos Erfahrungen zuteil, „die das Leben verwandelt haben" 24 . Es wird betont, daß das Ostergeschehen unsere sonstige, „landläufige" Wirklichkeitserfahrung sprengt (Bunners, 209.211), bzw. „unsere Wirklichkeitsentwürfe" übersteigt (Frey, 203). Ostern und Auferstehung sind Ausdruck „umstürzender Erfahrung" (Blauert [1993], 197). Ein neuer „Lebenszusammenhang" steht von Ostern her in Geltung (Bunners, 211). Die neue Wirklichkeitserfahrung bringt „Osterenergie" hervor, die Müdigkeit, Fatalismus und drohende Kapitulation überwindet (ebd.). Es kommt darauf an, „verschlossene Wirklichkeitsansichten" aufzuspüren und zu benennen (204). Die Begriffe ,Wirklichkeit' und ,Erfahrung' bleiben hier eher unbestimmt. Die ,Neuigkeit', die die ,Ostererfahrung' bzw. ,Wirklichkeit' prägen soll, wird nicht näher entfaltet. Deutlich wird aber, worauf die Inhalte zielen: auf Engagement und die Gewinnung neuer Lebensperspektiven. Einer der Autoren differenziert zwischen den Begriffen ,Ostererfahrung' und ,Osterwirklichkeit' (Münchow, 156). ,Osterwirklichkeit' ist bezogen auf die Auferweckung Jesu - ,Ostererfahrung' dagegen auf den Auferstandenen und damit auf gegenwärtige Erfahrung. ,Osterwirklichkeit' und ,Ostererfahrung' sind aber nicht zu trennen, sondern miteinander verbunden. Eine präzise Verhältnisbestimmung fehlt. Vor allem die Differenzierung der Begriffe Erfahrung und Wirklichkeit wird nicht tatsächlich eingehalten25. Vergleichbar ist die Überlegung eines anderen Autors, der „Erfahrungen, die uns der Glaube in einem auf den Auferstandenen bezogenen Leben machen läßt", zum Thema heutiger Osterverkündigung erheben will (Blauert [1983], 150)26. Die sich im Predigttext Joh 20,11-18 niederschlagende Tradition vom leeren Grab hat die Funktion, die Wirklichkeit des Auferstehungsgeschehens zu bezeugen (149). Die Erfahrung der Wirklichkeit aber, von der der Text zeugt, ist - so der Autor - nicht vermittel24 25 sollen 26

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H. Hild, 180. Chr. Münchow bemerkt, daß die Erfahrungen der Gemeinde heute bezogen sein auf die „Lebenswirklichkeit des Auferstandenen" (157). H. Blauert [1993] spricht hier von „Nachfolge" (201).

bar. Erfahrung generell ist nicht vermittelbar. Folgerichtig kann nur von heutiger Ostererfahrung sachgemäß die Rede sein. Das aber bedeutet, daß Auferstehung „in den realen Bedingungen unserer Welt gelebt werden [will]" (Blauert [1993], 201). Was sich bei Münchow bereits andeutete, ist bei Blauert [1983] durchgeführt. Erfahrung des Auferstandenen und Wirklichkeit der Auferstehung fallen auseinander. Die Ostererfahrung heute27 ist eine andere als die, die sich in den Texten wie zum Beispiel Joh 20,11-18 niederschlägt. Der Meditator muß ihr denn auch einen neuen Inhalt geben, den er nicht mehr dem Predigttext entnehmen kann. Er entscheidet sich für die paulinische Trias Glaube, Liebe, Hoffnung (150). Hermeneutisch überaus interessant ist, welche Konsequenzen die Differenzierung von Wirklichkeit der Auferstehung und Erfahrung des Auferstandenen hat. Die sogenannte gegenwärtige Erfahrung des Auferstandenen wird in den Vordergrund gestellt und gegenüber der Auferstehung abgegrenzt. Letztere ist damit nicht erfahrbar, ja verliert im Grunde jede Relevanz, da die Erfahrung derselben nicht vermittelbar ist28. Für den Wahrheitserweis der Auferstehung, die Osterwirklichkeit, spielen die Textzeugnisse keine Rolle. Der Wahrheitserweis wird nämlich über den Erfahrungsbegriff in die Predigt verlegt bzw. mehr noch in das Leben der Menschen, denn die Predigt hat dafür „einzustehen", daß der Auferstandene in ihr Leben getreten ist und daß sie ihn „in seinem Wirken erfahren" (150). Mit der Einführung und der Betonung des Erfahrungsbegriffs im Hinblick auf Ostern, insbesondere mit dem Kompositum ,Ostererfahrung', sind deutliche Probleme der Osterpredigt markiert. Zugleich läßt sich festhalten, daß die Verwendung des Begriffs Wirklichkeit uneinheitlich ist.29 1.1.3. Ereignisse in der Geschichte Manche Meditationen bringen konkret benennbare Ereignisse in der Geschichte mit Ostern in Verbindung oder interpretieren sie sogar als Ostergeschehen. Bemerkenswert ist, daß die „Ereignisse im Herbst 1989" (Sagert, 128) nachhaltigen Niederschlag in den Ostermeditationen finden und als österliches Ereignis bzw. Auferstehung gefeiert werden. Dabei ist jedoch das Interpretament,Auferstehung' ausdrücklich offen für weitere Ereignisse. Die Frage nach den Kriterien und Voraussetzungen für eine solche Identifikation wird nicht erörtert und bleibt ungeklärt. 27 Auch K. Engelhardt spricht von Ostererfahrung im Hinblick auf gegenwärtige Erfahrung. 28 H. Blauert [1983], 149. 29 Auf G. Ebeling wird ausgesprochen häufig Bezug genommen. Vgl. z.B. H. Blauert [1983], 149, der G. Ebeling [1959], 79f, und [1979], 297, ausführlich darstellt.

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Unter dem Vorzeichen der „österlichen" Erfahrung fragt der damalige Ratsvorsitzende der EKD Engelhardt nach Veränderungen, die „österliche Freude" (196 u.ö.) auslösen, und nennt einige Beispiele für solche Veränderungen, beispielsweise Strukturveränderungen in der EKD. Anders als bei Sagerts Identifikationen sind die Veränderungen', die Engelhardt benennt, allererst herbeizuführen, so daß seine Predigt einen appellativen, vorwiegend handlungsanweisenden Charakter zu erhalten droht. Die ,Ostererfahrung' wird nicht einfach vorausgesetzt, sondern steht noch aus. Sie ist erst herbeizuführen. Dies gilt auch für eine weitere Meditation, in der ebenfalls eine „kirchliche Strukturveränderung" dringend empfohlen wird (Blauert [1993], 201).

1.1.4. Glaube Es überrascht nicht, daß,Glaube' im Zusammenhang mit Ostertexten in den Predigtmeditationen thematisiert wird. Er wird aber geradezu zum eigenständigen Thema der Osterpredigt. So beispielsweise in der Meditation Kruses über Lk 24,13-35, der danach fragt, wie „die Wirklichkeit der Auferstehung heute in der Gemeinde zum Zuge" kommt (216). Wort und Sakrament bringen „die Realität des Auferstandenen zur Gemeinde" (219). Unter der Realität des Auferstandenen versteht Kruse den Glauben, genauer: „die Erleuchtung zum Glauben", die „nicht unserer Vernunft und Kraft zuzuschreiben ist" (ebd.). Der Glaube der Gemeinde ist der Ort der gegenwärtigen Realität des Auferstandenen. Während Kruse auf die Bedeutung von Wort und Sakrament für den Glauben hinweist, betont Schmidt das Gerufensein des einzelnen (172) und entsprechend die Freiheit der Berufung durch Gott (175). Das Zustandekommen des Glaubens ist sein eigentliches Thema. Dieses Zustandekommen wird geradezu mit,Ostern' identifiziert, wenn Schmidt betont, „was Ostern für den einzelnen werden soll: daß wir von dem auferstandenen Christus aus der Verzweiflung in den Glauben gerufen werden" (172; Hervorhebung B.W.). Der Gegenstand des Glaubens jedoch bleibt undeutlich. Die Autoren Berger und Burkhardt wollen „Anwendungsfälle für den Bewährungszusammenhang" von Osterglaube und täglichem Leben (197) in der Predigt darstellen, indem sie zeigen, daß unabänderlich scheinende Zusammenhänge von Christus her veränderbar sind (198). Exemplarisch für die Predigt formulieren die Autoren, indem sie 1 Kor 15 aufnehmen: „,Wenn nun von Christus gepredigt wird, daß er von den Toten auferweckt worden ist' (V.12), wie können dann einige von euch sagen: Kriege wird es immer wieder geben! An der Umweltzerstörung ist nicht zu ändern! Der Mensch wird unweigerlich schuldig und stirbt!" (197) Die scheinbare Unausweichlichkeit ist mit Ostern aufgebrochen. Osterglaube wird hier zum Synonym für den Impetus zur Veränderung, die Überwindung 26

von Resignation. Er gründet in der Möglichkeit der Veränderung bestehender Verhältnisse und zielt immer auf Engagement. Die Bereitschaft zum Engagement hebt auch Held hervor, der auf den Zusammenhang von Glaube und Dienst hinweist. Der Gegenstand des Glaubens bleibt hier ebenfalls undeutlich. In jedem Fall jedoch drängt der Glaube auf „Konkretionen" (216). Alle diese Meditationen befassen sich ausschließlich mit dem Zustandekommen des Glaubens und mit seinen Auswirkungen auf das Leben. Der Gegenstand des Glaubens bzw. sein Inhalt wird nicht betrachtet. Sauter, dessen Meditation über Mk 16,1-8 geprägt ist von den Abgrenzungen gegenüber dem, was Ostern nicht ist, bietet als positive Predigtmöglichkeit allein dies: die Auferstehung Jesu Christi für uns gelten zu lassen (213f). Ausdrücklich auf Inhalte des Osterglaubens kommt Baumgartner zu sprechen, der sich gegen einen .halbierten Auferstehungsglauben' wendet. So gibt es Tendenzen, Auferstehung entweder ausschließlich als „, Aufstand gegen den Tod' - in all seinen Formen und Mächtigkeiten" (239) zu verstehen und damit die jenseits des Todes liegende universale Dimension der Hoffnung zu negieren, oder aber Auferstehung auf eben diese zukünftige, das Heute nicht tangierende, Totenauferweckung zu beschränken (ebd.). Die Predigt sollte daher, so der Autor, gegen die Reduktion des christlichen Auferstehungsglaubens vorgehen und stattdessen die Hoffnung umfassend entfalten.

1.1.5. Sündenvergebung Alle Meditationen, die die Sündenvergebung thematisieren, teilen die Intention, Vertrauen auf die Sündenvergebung Jesu Christi zu wecken (Bauer, 221; Winter, 135) bzw. Sündenvergebung zuzusagen (Kerlen, 212). Bauer (221) und Kerlen (213) betonen den Zusammenhang von Sündenvergebung und Richteramt Jesu Christi. Der Ansatzpunkt Winters (134) ist die Frage nach der Bedeutung der Auferstehung Jesu Christi und ihren Konsequenzen. Während Bauer (220) die tröstliche Relevanz der Sündenvergebung in Lebenssituationen zu thematisieren vorschlägt (z.B. als Ausweg aus Selbstmitleid), will Kerlen (212) die Situationen nicht zur Sprache bringen, sondern die Sündenvergebung in die Situation hinein zusagen, die dann freilich nicht profiliert wird, da sie ja als „uns deutlich" (ebd.) vorausgesetzt wird bzw. durch den Prediger je nach Gemeinde zu charakterisieren ist. Das Thema Sündenvergebung als Zusage der Rechtfertigung schlägt Hofius vor (208), wobei er jedoch keinen Hinweis auf eine konkrete Situation gibt. Winter dagegen schlägt die Aufdeckung von Sünden in der Predigt vor. Die durch Christi Auferweckung erwirkte Sündenvergebung bedeutet: „Wir brauchen uns nicht damit [sc. mit Übertretungen] zu quälen, indem wir 27

durch Wegschieben, Vergessen oder Bußleistungen etwas in Ordnung zu bringen versuchen". Daher können und sollen, so Winter, Sünden in der Predigt benannt werden. Damit ergibt sich allerdings eine deutliche Akzentverschiebung, denn der Aufweis von Sünden ist nicht mit der Zusage der Sündenvergebung gleichzusetzen.

1.1.6. Hoffnung

Als Thema begegnet die Hoffnung in einigen Meditationen an untergeordneter Stelle. Ausdrücklich wird sie nur bei Schräge und Ziemer thematisiert. Das ist ein erstaunlicher Befund, denn Aussagen zur Eschatologie würde man schließlich im Anschluß an Ostern und die Perikopen durchaus erwarten. Schräge widmet sich ausführlich der Semantik des Textes (1 Kor 15,5058), indem er die Vorstellung einer eschatologischen Verwandlung darstellt. Diese ist als zukünftige und jenseitige Gegenstand der Erwartung und geht nicht in immanenten Entwicklungsprozessen auf. Subjekt der Verwandlung ist Gott und nicht der Mensch (209). Diese Hoffnung, so Schräge, ist in der Predigt darzustellen. Gegenwärtige Konsequenzen sind zu bedenken (212). Zugleich ist die paulinische Aufforderung zum Festhalten an der Hoffnung aufzunehmen (211). Denn auch das „Weitertragen" der „von Todesangst befreienden Osterbotschaft" (212) als eine solche gegenwärtige Konsequenz kommt in den Blick. Auf der Grundlage seiner Arbeit an derselben Perikope kommt Ziemer dazu, die Hoffnung auf „unser Ostern" (196) zu thematisieren. Auch er nimmt eine doppelte Blickrichtung ein: die Hoffnung auf die zukünftige allgemeine Totenauferweckung bedeutet für die Gegenwart die Übernahme von Aufgaben für die Welt. Pokorny will die endgültige eschatologische Zukunft verkündigen (145). Worin sie besteht, wird allerdings nur angedeutet durch das Thema der Erkenntnis der Anwesenheit Christi in seiner Begleitung aller Menschen30. Fürst hält es für angemessen, in der Predigt des Textes (1 Kor 15,1-11) gerade die Zukünftigkeit der Auferstehung auszusagen (129). Die korinthische Häresie, die den Hoffnungscharakter der Auferstehung negiert, indem sie von einer schon geschehenen Auferstehung (130) ausgeht, überspringt gegenwärtiges Leiden und Tod. Eben dies aber gilt es wahrzunehmen. Nachfolge und Dienst sind demgemäß die adäquaten Konsequenzen der Tatsache, daß die Auferstehung Gegenstand der Hoffnung ist. Was bei Pokorny und Fürst angedeutet ist, tritt bei Ackermann deutlich hervor. Der Gegenstand der im Predigttext ausgesprochenen Hoffnung wird nicht erhoben, sondern lediglich als zeitgebundene und somit für heute nicht relevante Vorstellung apostrophiert (145). Ackermann fragt daher allein nach 30 Predigttext ist Lk 24,13-35. 28

der Wirksamkeit der Hoffnung auf Auferstehung. Diese Wirksamkeit ist im Hinblick auf „ethische Konsequenzen" (146) zu verstehen. Hoffnung wird hier allgemein erklärt als Motivation zur Veränderung bestehender veränderungsbedürftiger Verhältnisse. Der Gegenstand der Hoffnung ist dann - eher unbestimmt und eben sehr allgemein - eine „neue Struktur" (149). Auch Uhle-Wettler versteht Hoffnung in vergleichbarer Allgemeinheit, wenn er formuliert: „An die Auferstehung glauben bedeutet, gegen die Resignation - in mir, in den Menschen, in der Kirche und in der Gesellschaft - angehen." (185) 1.1.7. Konsequenzen Bei Ackermann konnte beobachtet werden, wie ethische Konsequenzen in den Vordergrund rücken. Diese benennt er mit den Stichworten: „Klassenkampf" (147f) und „mitnehmende Hoffnung auf eine neue Struktur" (149), die ergänzt werden durch Hinweise, nicht „zu resignieren" (148), sich in „Aktivität" und „Gelassenheit" (149) zu üben. Diese Konsequenzen werden von Ackermann jedoch nicht weiter ausgeführt. Wofür soll die Gemeinde „Partei ergreifen" (148)? Hier bleibt die Meditation zu allgemein und bietet keinen Inhalt. - Ähnlich verhält es sich bei Staemmler und Winkel, deren Meditation die Aufforderung zum Engagement für ,Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung' zum Ergebnis hat (158). Dieses Engagement soll verstanden werden als Interpretation der in 1 Kor 15,19-28 von Paulus ausgeführten Eschatologie im Sinne der Vollendung der Welt. Auch Bieritz greift im Anschluß an denselben Predigttext die Verwandlung der Welt thematisch auf. Er verbindet aber Konsequenzen und Inhalt eschatologischer Hoffnung miteinander. Erst nachdem die umfassende Hoffnung dargestellt ist, kommt er auf die Konsequenz zu sprechen, „Unzufriedenheit mit dem Zustand des eigenen Lebens, Unzufriedenheit mit dem Zustand der Welt" in der Predigt „zu säen" (206). 1.1.8. Inhalte der Meditation alttestamentlicher Texte für die Osterpredigt Eine gewisse Sonderrolle kommt der Meditation alttestamentlicher Texte für Ostern zu. Hier sollen zunächst ihre Inhalte zusammenfassend dargestellt werden. Sie sind vor allem vor dem Hintergrund der Verhältnisbestimmung der Testamente zueinander zu sehen. Hermeneutische Entscheidungen bestimmen das Ergebnis der Meditation, die Predigtinhalte, wesentlich mit. Welten erhebt aus dem Text (Jes 25,8-9) die Trias .erinnern - vergegenwärtigen - hoffen' als ein hermeneutisches Prinzip, das Text und Fest miteinander verbindet. Die Erinnerung an Gewesenes als Vergegenwärtigung einer Vision transzendiert zugleich die Gegenwart und bringt neue Zu29

kunftsvisionen hervor. Mit der ,Königsherrschaft Gottes' (181) als Gegenstand der Vision ist damit die Klammer gegeben, welche die zeitlich mehrdimensionale Trias zusammenhält. Im Anschluß an denselben Predigttext spricht Staudigel von einer ,ewigen Tatsache' (157), die darin besteht, daß Gott den Tod verschlingt (V.8) und zwar: „Nicht irgendwann einmal in unfaßbarer, nahezu hoffnungsloser Ferne, sondern ,ewig', jetzt und immer und von jeher" (154). Diese ,ewige Tatsache' betont deutlich die Kontinuität - man könnte zugespitzt auch von einer Identität sprechen - von alttestamentlichem Text und Osterzeugnis. Rose bringt den theologisch gewichtigen Begriff der,Gerechtigkeit Gottes' im Anschluß an den alttestamentlichen Text 1 Sam 2,1-10 sowohl in Kontinuität als auch in Diskontinuität im Hinblick auf Ostern zur Sprache. Die personale Bindung von ,Gerechtigkeit' an Gott führte bereits inneralttestamentlich - so Rose - zur Hoffnung auf Gerechtigkeit über den Tod hinaus und damit zu der Erwartung der Auferstehung (205). Die Ostererfahrung der Jünger aber brachte die „Extrem-Erfahrung des Lebens und Leidens Jesu mit der Extrem-Erwartung des A T in Verbindung" (ebd.). Damit geschieht die Auferweckung Jesu Christi am Ostermorgen zwar in Diskontinuität zur Erfahrung, wurde aber in Kontinuität zur alttestamentlichen Erwartung zur Sprache gebracht. Die Interdependenz von Erfahrung und Erwartung ermöglicht es auch Hertzsch, an das „Hoffnungsbild" anzuknüpfen, das der alttestamentliche Predigttext bietet, aber zugleich die hermeneutische Differenz zu Ostern nicht zu nivellieren. Das Festmahl bleibt auch für die christliche Gemeinde Gegenstand der Erwartung, bezieht sich aber wesentlich auf die österliche Erfahrung der Auferweckung zurück. Ebenfalls auf der Grundlage der Erfahrung argumentiert Koch. Er hält zunächst die Einmaligkeit der einzelnen Erfahrung fest. Die Erfahrungen der Hörer und des Predigers sind mit denen der Hanna ebensowenig in eins zu setzen wie mit denen der Jünger bzw. Jesu am Ostermorgen. Dennoch sind sie - abgesehen von ihrer individuellen Kontur - als Erfahrungen von Auferweckung anzusprechen. Allerdings stellt die Auferweckung Jesu eine herausragende Erfahrung dar. In ihr sind die Erfahrungen von Auferweckung aus dem Tode benachbarten Bereichen aufgehoben. Sie bedeutet „mehr". (179) Eine besondere Differenz wird somit geltend gemacht, ohne daß sie präziser bestimmt würde. Angesichts der Verhältnisbestimmung von alttestamentlichem Text und Ostern durch das Begriffspaar Erwartung und Erfahrung drängt sich die Frage auf, ob dieses nicht an die Stelle der älteren Dialektik von „Verheißung und Erfüllung" 31 bzw. „Weissagung und Erfüllung" 32 getreten sein 31 W. Zimmerli [1963], 32 R. Bultmann [1968], Vgl. auch den Bultmann-Schüler A.H.J. Gunneweg [1977]: „Verheißung, Weissagung, Typos" (23), sowie die Darstellung bei H.D. Preuß [1984], 56ff.

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könnte. Alle genannten Begriffspaare geben die spannungsreiche Beziehung zwischen Hoffnung und hoffnungsbegründenden Erfahrungen wieder. Allerdings wird von Erwartung und Erfahrung gesprochen, ohne daß eine klare Zuordnung im Sinne von alttestamentlicher Verheißung und neutestamentlicher Erfüllung geschieht. Das Modell ,Erwartung und Erfahrung' wird auch innerhalb des Alten Testaments geltend gemacht und ermöglicht zugleich, eine Beziehung zur Hoffnung der zeitgenössischen Hörer herzustellen, deren Erfüllung noch aussteht. Beide Testamente rükken auf diese Weise eng aneinander. Wenn sich die hier relevanten Erwartungen und Erfahrungen bereits inneralttestamentlich abwechseln, dann wird das Datum Ostern nicht als entscheidendes, unüberbietbares Ereignis der Erfüllung aller Erwartungen gesehen, sondern eher als ein hoffnungsvolles Datum unter anderen.

1.2. Die Osterpredigt: Beobachtungen und Tendenzen Bevor das Augenmerk auf das Zustandekommen der Ergebnisse des meditativen Verfahrens gelegt wird, sollen zunächst die Beobachtungen und Tendenzen zu Ostern in der Predigtarbeit zusammengefaßt und Probleme angezeigt werden. Es hat sich gezeigt, daß Predigtinhalte für die Osterpredigt vorgeschlagen werden, deren thematische Beziehung zu Ostern zunächst nicht sofort evident zu sein scheint. Es begegnen theologisch zentrale Begriffe, von denen man sich vorstellen kann, daß sie sehr wohl auch im Anschluß an andere Perikopen gewonnen werden könnten und die zugleich inhaltlich oftmals kaum präzise bestimmt werden. Es erweist sich zudem, daß unter ein und demselben Begriff bisweilen divergierende Inhalte firmieren und die inhaltliche Bestimmung häufig eigentümlich offen bleibt. In einer kritischen Nachfrage nach der Rezeption und Interpretation des Predigttextes durch den Meditator soll die Beziehung zwischen den Inhalten und der Perikope hervortreten. Vorläufig ist als Frage festzuhalten, wie die Gewinnung der Leitbegriffe im Verlauf der Meditation zustande kommt. Damit verbunden werden soll die Erörterung ihrer Funktion innerhalb der Meditation. Es wird nachgefragt, wie sich die semantische Unklarheit erklären läßt. Die bisherigen Erkundungen weisen jedoch schon darauf hin, daß der zuletzt genannte Befund der Unbestimmtheit im Zusammenhang mit der Bemühung um eine Grenzziehung zu sehen ist. Die Predigtarbeit, welche die Meditatoren bieten, wird begrenzt durch die Arbeiten, die an die Predigtarbeit des Lesers delegiert werden sollen. Was der Meditator leistet, bricht dort ab, wo die individuelle Predigtarbeit des Predigers weiterdenken soll. So sinnvoll eine solche Grenzziehung einerseits zu sein scheint, indem sie wesentliche homiletische Aufgaben dem Prediger überläßt und 31

ihn somit als Theologen ernst zu nehmen versteht, so läßt sich doch andererseits nicht übersehen, daß diese Grenzziehung Undeutlichkeiten der Vorschläge zur Folge hat. Weiter läßt sich beobachten, daß mit der Bemühung um eine Klärung dessen, was Ostern ist, häufig die Tendenz verbunden ist, MißVerständnisse ausgiebig abzuweisen. Die Darstellung, was Ostern nicht ist, nimmt breiten Raum ein. Während Sauter die Verneinung jeglicher Versuche, positiv zu sagen, was Ostern bedeutet, gerade als adäquate Auslegung seines Predigttextes einschätzt und damit programmatisch das Scheitern jeder Predigtbemühung zumindest für wahrscheinlich, wenn nicht sogar für notwendig erachtet, haben in den meisten anderen Meditationen die Abgrenzungsbemühungen gegenüber dem, was Ostern nicht ist, in erster Linie klärende Funktion. Die Verneinungen zeigen gewisse Mißverständnisse auf und sollen klarer hervortreten lassen, wie der Autor Ostern positiv bestimmen möchte. Vor allem zwei Mißverständnisse werden abgelehnt. Zum einen werden Deutungsansätze abgelehnt, die Ostern möglicherweise in Verbindung mit ,Historie' bringen. Die Auferstehung Jesu ist kein „welthistorisches Faktum"33. Historisch ist die Bezeugung, nicht aber ein dahinter liegendes Faktum34. Auch Bunners will ein „historistisches Mißverständnis" abwehren35. Die Beachtung der Thesen Gerd Lüdemanns in der Öffentlichkeit36 provoziert Hild dazu, einige grundsätzliche Bemerkungen zur Bedeutung der historischen Nachfrage für den Osterglauben in seiner Meditation zu piazieren. ,„Fakt' aus vergangenen Zeiten ist bei diesem Denken nur, was historisch dokumentiert ist" (177), beklagt Hild und führt die „Wirklichkeit" als Gegenbegriff ein. Die Wissenschaft selbst - Hild bezieht sich auf Heisenberg - rechnet mittlerweile „mit anderen Erfahrungen der Wirklichkeit" (ebd.). Die Ostertexte bezeugen Erfahrungen, die „aus einer anderen Wirklichkeit kommen" (ebd.). Nur der in der Osterpredigt gegenwärtige Auferstandene selbst kann diese Erfahrungen erschließen, indem er Glauben schenkt (178). Damit ist zur Geltung gebracht, daß die historische Nachfrage nach den Osterereignissen fehl geht, und stattdessen der Glaube der angemessene Modus ist, den Osterzeugnissen zu begegnen. Die Absage an die historische Nachfrage birgt das Anliegen, den Charakter des Osterglaubens als eines Glaubens zu wahren. Zudem läßt sich die Tendenz ablesen, auf die gegenwärtige Bedeutung von Ostern das Schwergewicht zu setzen. Die Beschäftigung mit Ostern im Blick auf die Predigt könnte in besonderer Weise das Interesse an der Bedeutung der Aussagen um Ostern und Auferstehung für die Menschen heute wecken und fördern. Es könnte

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K.G. Steck im Anschluß an K. Barth (204). Ebd. Ch. Bunners, 209. H. Hild spricht von einem „säkularen" Streit (177).

also auch an der spezifisch homiletischen Perspektive liegen, daß betont festgestellt wird, Ostern sei „kein Faktum mit wissenschaftlichem Stellenwert" und auch „keine theologische Kostbarkeit dem Menschen gegenüber" 37 . Es wird betont, „daß spätere Generationen von Christen nicht ärmer dran sind" 38 als die Jünger, die dem Auferstandenen begegnen durften. 39 Zum anderen wird vor einem reduzierten Glauben gewarnt, der sich auf manche Geltungsbereiche beschränkt und damit die umfassende Bedeutung von Auferstehung eingrenzt. Die Auferstehung darf nicht als „die vage Möglichkeit einer individuellen Fortexistenz nach dem Tode" 4 0 mißverstanden werden, sie ist keineswegs nur jenseitig zu verstehen 41 . Allerdings ist Auferstehung auch weder „nur und allein" Aufstand gegen den Tod 42 , noch eine bloße Metapher für „Auflebe-, Befreiungs- und Aufbruchserlebnisse" 43 . Es stellt sich im Anschluß an die zitierten Fehlschlüsse die Frage nach positiven Osterdeutungen. Wie kann man Ostern und Auferstehung angemessen verstehen? Definitorisch äußern sich nur wenige Meditationen. Ostern ist ein „Weg" 44 . Ostern ist „Leben" 45 . Ostern bedeutet „das Angebot eines Neuanfangs" 46 . Auferstehung wird losgelöst von seinem christologischen Ursprung und meist ohne eschatologischen Bezug verstanden als immerwährende bzw. immer wiederkehrende Uberwindung des Todes durch Gott 47 oder eher als unbestimmtes Befreiungsereignis48. Die Bedeutung von Ostern bzw. Auferstehung liegt in einem neuen „Lebenszusammenhang, der von Ostern her in Geltung steht" 49 . Der Mensch erfährt die „Wirksamkeit Gottes gerade auch an der Grenze menschlicher Möglichkeiten" 50 . Ostern wird zum Bild für das Festhalten an der Hoffnung auf Gerechtigkeit51 und dem Aufstehen „gegen die Todesmächte" 52 . Der spezifische 37 F.-K. Sagen, 128. 38 M. Kruse, 219. 39 In diesem Zusammenhang ist noch festzuhalten, daß in den Meditationen kaum erkennbar war, ob sie auf die Predigt am ersten oder am zweiten Feiertag zugehen. Ostersonntag und Ostermontag wurden nicht unterschiedlich akzentuiert. 40 K.-H. Bieritz, 206. 41 K. Baumgartner, 239. 42 Ebd., hervorgehoben. 43 E. Berger/Ch. Burkhardt [1992], 197. 44 F.-K. Sagen, 128. 45 Ebd. 46 H.-G. Bethge, 154. 47 Im Anschluß an Jes 25,8: ,„ewig', jetzt und immer und von jeher" (H. Staudigel, 154). 48 Vgl. F.-K. Sagen, 128. 49 Ch. Bunners, 211. 50 H.-G. Bethge, 154. 51 M. Rose, 205. 52 Ch. Bunners, 212.

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Begründungszusammenhang, in den die Aussagen zu Ostern und Auferstehung eingebettet sind, ist freilich nicht außer acht zu lassen. Die präzise Nachfrage nach dem, was Ostern positiv bedeutet, zeigt jedoch deutlich, daß Ostern und Auferstehung häufig als Chiffren für Hoffnung allgemein und Uberwindung von Leid sowie positive Veränderungen verstanden werden. Gefördert, wenn nicht sogar hervorgebracht, wird diese Tendenz möglicherweise durch die wohl im Interesse der Gegenwartsbedeutung der Texte gestellte Frage nach Konsequenzen, die sich ergeben. Wenn etwa die „Bedeutung" der Osterbotschaft, unterschieden von ihrer „Bezeugung"53, erhoben werden soll, ist damit zwar die zentrale hermeneutische Fragestellung der Predigtarbeit gestellt. Der Hinweis auf ,Konsequenzen', die sich ergeben, schränkt jedoch die Bedeutung der Osterbotschaft ein. Mehrfach kommen die Meditationen hier zu dem Ergebnis, die Predigt habe die Hörer zum Engagement aufzurufen, Veränderungen vorzunehmen. In homiletischer Perspektive tritt damit eine ethische Orientierung hervor, die zu ermutigen sucht, um die Gemeinde zu energischer Entschlossenheit aufzurufen, an Erneuerung und Verbesserung mitzuwirken 54 . Allerdings bleiben auch hier die Meditationen eher unkonkret. Was woraufhin verändert werden soll - dies wird in der Regel nicht erörtert. Die drängende Orientierung in der Predigtarbeit auf den Gegenwartsbezug der biblischen Texte rückt aber auch die Fragen nach Erfahrung, Erleben und Wirklichkeit in den Vordergrund. Tatsächlich handelt es sich insbesondere bei dem Begriff ,Erfahrung', aber auch bei ,Wirklichkeit' um vielfach begegnende Schlüsselworte. „Erfahrungen mit dem Auferstandenen"55 sollen den Hörern vorgestellt werden. Der Prediger soll Hinweise geben, „wo wir heute den Auferstandenen in seinem Wirken erfahren"56. Der „[österlichen Erfahrung"57 kommt somit eine wesentliche hermeneutische Funktion zu: Die Jünger haben den Auferstandenen erfahren, die Menschen heute können ihn ebenfalls erfahren. Die Erfahrung des Auferstandenen ist das entscheidende österliche Geschehen. Die Auferstehung Jesu Christi und eine zukünftige allgemeine Totenauferweckung58 treten dahinter zurück. Die gegenwärtige Erfahrung der Hörer soll transparent

53 J. Henkys, 136. 54 Auch H.H. Jenssen [1990] stellt fest: „Daß die ethischen Konsequenzen des Osterglaubens und der christlichen Hoffnung uns dieser Welt mit ihren Aufgaben nicht entfremden, sondern vielmehr für sie und zu entsprechendem Engagement motivieren, wird schon von der älteren liberalen Predigt herausgearbeitet und neuerdings in Beiträgen zur Osterp redigt ... nachdrücklich unterstrichen" (284). 55 Chr. Münchow, 157. 56 H. Blauert [1993], 150. 57 K. Engelhardt, 194. 58 Die allgemeine Totenauferweckung wird ausdrücklich nur im Anschluß an 1 Kor 15,50-58 thematisiert.

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gemacht werden für „Ostererfahrung"59. Welche Erfahrungen als Ostererfahrungen interpretiert werden können, diese Frage bleibt im Grunde unbeantwortet. Im wesentlichen handelt es sich um Erfahrungen, die das Alltägliche transzendieren, Veränderungen bedeuten und neue Perspektiven aufweisen. Die,Ostererfahrung' wird damit in gewisser Weise losgelöst von der Auferstehung Jesu Christi und der erhofften Totenauferstehung. Die Erinnerung an die Auferstehung Christi und die Hoffnung auf die Auferweckung am Ende der Zeit verlieren an Bedeutung. Christologie und Eschatologie sind als theologisches Reflexionspotential kaum relevant im homiletischen Nachdenken über die Bedeutung von Ostern für den heutigen Menschen. Die in den biblischen Texten beschriebenen Begegnungen der Jünger mit dem Auferstandenen sind damit keineswegs etwas Einmaliges, Besonderes, sondern rücken in eine Perspektive mit den Erfahrungen, die jeder Mensch macht und machen kann. Es bleibt letztlich auch nichts mehr zu erwarten, da bereits gegenwärtig alles zugänglich ist. Das in diesem Zusammenhang wirksame Verständnis von ,Erfahrung' erweist sich vor allem als ein nicht vermittelbares Selbst-Erleben. Es geht schließlich darum, ,Ostern' selbst zu erleben60. In inhaltlicher Hinsicht und auch im Blick auf den Wahrheitsgehalt hängt damit das, was Ostern und Auferweckung bedeutet, von den Erfahrungen der Hörer ab. Nur das, was gegenwärtig erfahrbar ist, wird auch als Ostererfahrung gelten können. Damit kann von Ostern und Auferweckung nur insoweit gesprochen werden, als es sich mit den Erfahrungen der Hörer bzw. mit ihrem Erleben in Verbindung bringen läßt. Für den Prediger ergibt sich eine doppelte Schwierigkeit. Er wird über Gebühr belastet, da er selbst als Zeuge der Osterbotschaft für die Wirklichkeit von Ostern einstehen soll und er zudem bei seinen Hörern ein angemessenes Verständnis für Ostern erst wecken muß.

59 Chr. Münchow, 156. 60 Vgl. dazu besonders K. Engelhardt, der .erleben' und .erfahren' synonym gebraucht. Daß Erfahrungen auch über Vermittlung gegenwärtig sein können, wird von einem Meditator ausdrücklich ausgeschlossen. „Erfahrungen aus der Uberlieferung können wir nicht übernehmen" (H. Blauert [1983], 150).

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2. Kritik: Bezugnahmen auf den Predigttext Im folgenden sollen die zuvor dargestellten Ergebnisse des Meditationsprozesses einer kritischen Analyse unterzogen werden. Kritik wird hier zunächst im Sinne von Unterscheidung verstanden. Unterschieden werden die Bezüge der Predigtinhalte zum Predigttext (2. Text bezug) und zur gegenwärtigen Wirklichkeit (3. Wirklichkeitsbezug). Die Meditationen interpretieren den ihnen vorgegebenen Predigttext. Sie tun dies in einer Weise, die Predigern bei ihrer eigenen Predigtarbeit zugute kommen soll. Dabei kommen sie im Verlauf ihres meditativen Verfahrens zu Ergebnissen, die Bezugnahmen auf gegenwärtige Wirklichkeit darstellen. Text und Wirklichkeit werden miteinander in einem interpretatorischen Akt verknüpft. Die Ergebnisse dieser Kompositionsleistung wurden bereits oben dargestellt. Im folgenden soll nach ihrem Zustandekommen zurückgefragt werden. Es wird danach gefragt, inwiefern die Predigtinhalte die Aussagen des Predigttextes aufnehmen und Bezüge zur gegenwärtigen Wirklichkeit erkennen lassen. Von einer doppelten Voraussetzung von Predigt wird ausgegangen: von einer Beziehung zum Predigttext und zur gegenwärtigen Wirklichkeit. Damit lassen sich - wenn auch nicht kurzschlüssig im Sinne einer Norm - Ansätze zu einer Beurteilung der Predigtinhalte erkennen. Mit der hier unternommenen Nachfrage soll auch ein Beitrag zur Aufhellung dessen geleistet werden, wie im Prozeß der Predigtvorbereitung die Bezugsgrößen Text und Wirklichkeit aufgenommen werden. Fragen und Probleme im Zusammenhang mit der Aufnahme von Text und Wirklichkeit als der Predigt vorgegebene Größen treten zutage und können näher betrachtet werden. Die Meditationen stellen in erster Linie Textarbeit dar. Auf breitem Raum findet die Auseinandersetzung mit dem Predigttext statt. Die Predigtarbeit wird somit in der Hauptsache als Textauslegung gestaltet. Der Vergleich der Endergebnisse der Meditationen mit den zentralen Aussagen des Predigttextes ermöglicht nähere Beobachtungen zu der Frage, wie mit dem Text verfahren wird. Die Rückfrage zielt auf das Zustandekommen der Interpretation. Im folgenden sollen die wesentlichen Ergebnisse des ersten kritischen Arbeitsganges zusammengetragen werden. Die Art und Weise der Aufnahme der exegetischen Ergebnisse in die Predigtempfehlung soll in den Blick treten. Welche Überlegungen spielen eine Rolle? Wie wird argumentiert? Wird Bezug genommen auf eine veränderte Situation, die entsprechend veränderte Inhalte nach Meinung der Meditatoren erfordert? Wie geschieht,Aktualisierung', Ubersetzungsarbeit? Das 36

angewandte Verfahren der homiletischen Textinterpretation ,auf Predigt hin' soll jeweils erkennbar werden. Schon bei der Formulierung der Fragestellungen wird deutlich, daß sich die Fragen nach Text- und Wirklichkeitsbezug nur aus methodischen Gründen voneinander trennen lassen. Bereits der Predigttext läßt vielfältige Wirklichkeitsbezüge erkennen. Von einer komplexen Konstellation von Text und Wirklichkeit ist zweifellos auszugehen. Wenn hier dennoch der Versuch gemacht wird, die Frage nach dem Textbezug gesondert zu stellen, geschieht dies, um den Textbezug der Predigt explizit in den Blick treten zu lassen.

2.1. Verschiebungen, Ergänzungen und Korrekturen Wenn man das Ergebnis des meditativen Verfahrens mit dem der Meditation vorausliegenden Predigttext vergleicht, so lassen sich zum Teil nicht unerhebliche Bedeutungsveränderungen feststellen. In einer Meditation über Lk 24,36-45 kommt Chr. Münchow zu dem Ergebnis, daß wir uns „an den guten Erfahrungen mit Christus besser Anteil geben" sollten, denn der Auferstandene erscheint den Jüngern und will auch „bei unserem Leben dabeisein" (158). Durch den Austausch der „guten Erfahrungen mit Christus" sollen mögliche Zweifel, die dem Osterglauben im Weg stehen, überwunden werden. Gegenüber dem Predigttext kann man an dieser Stelle eine deutliche Bedeutungsverschiebung feststellen. In den Versen 36-43 kommt ein betontes Interesse an der leiblichen Auferstehung zum Ausdruck 61 . Der Erweis der Körperlichkeit des Auferstandenen geschieht in der Klimax dreier Demonstrationen. Auf das Zeigen der Wundmale folgt die körperliche Berührung. Den Höhepunkt stellt ein demonstratives Essen vor den Jüngern dar: „wer Nahrung zu sich nimmt, kann kein Geist sein" 62 . Die Betonung der Körperlichkeit des Auferstandenen hat zudem die Funktion, die Glaubwürdigkeit des Osterzeugnisses festzuhalten. Zum einen ist der Personenkreis hier gegenüber der Erscheinung vor den beiden Emmausjüngern und Petrus (Lk 24,34) deutlich erweitert, zum anderen wird der mögliche Einwand, es handle sich um eine Sinnestäuschung oder auch um einen Geist, von vornherein aufgenommen und ausgeschlossen. Die Jünger machen hier alles andere als einen leichtgläubigen Eindruck, und dies scheint auch im Interesse der Erzählung zu liegen: Sogar die, auf die das Zeugnis von der Erscheinung des Auferstandenen zurückgeht, haben lange gezweifelt und mußten „erst durch den Auferstandenen selbst von der Tatsächlichkeit seines Lebens überzeugt werden" 63 . Während im Text die Zweifel der Jünger auf überaus spektakuläre Weise 61 Vgl. W . Wiefel [1987], 666. 62 A a O . , 6 6 8 . 63 K . H . Rengstorf [1974], 285.

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- durch Betasten! - überwunden werden, sollen unsere Zweifel - nach Münchow - dadurch entkräftet werden, daß wir uns gegenseitig Anteil geben an Erfahrungen. Während im Text der Auferstandene selbst die Zweifel ausräumt, sollen wir uns heute gegenseitig von der Wahrheit des Osterzeugnisses überzeugen. Blaß ist die Aussage, daß der Auferstandene „bei unserem Leben dabeisein will und es beansprucht" (158; Hervorhebung B.W.), wenn doch die Gegenwart des Auferstandenen schon vorauszusetzen ist (V.36). Weder wird der apologetische Zug der lukanischen Ostererzählung, der die Körperlichkeit des Auferstandenen betont, aufgenommen, noch wird die alle Hindernisse überwindende Selbstbezeugung des Auferstandenen in den Mittelpunkt der Predigtmeditation gerückt. Damit kann eine deutliche Verschiebung gegenüber dem der Meditation zugrundeliegenden Predigttext festgestellt werden. Ein anderer Autor, G. Wainwright, nimmt in seiner Meditation eine Ergänzung an dem Predigttext vor. Dies geschieht nicht etwa gleichsam aus Versehen; der Autor fügt vielmehr ganz bewußt einen Aspekt hinzu, den er vermißt hat. Sein Predigttext ist 1 Kor 15,19-28. Der Zusammenhang zwischen Christi Auferweckung und eschatologischer Totenauferweckung, der V. 12-20 thematisch bestimmte, wird von Paulus weiter verhandelt. Jetzt geht es vor allem um das zeitliche Verhältnis64. Paulus liegt daran, die enthusiastische Vorwegnahme der Auferstehung zu korrigieren, indem er darauf hinweist, daß Jesu Auferweckung und die eschatologische Totenauferweckung nicht im Sinne einer unmittelbaren Aufeinanderfolge zu verstehen sind. „Die Auferweckung der Christen steht noch aus, weil die Endvollendung noch aussteht"65. Vollendung bedeutet, daß Gott alles in allem (V.28b) ist. „Diesem radikalen Heilsverständnis entspricht die gegenwärtige Welt nicht, in der es noch Tod und Vergänglichkeit gibt; Auferstehung als Auferstehung von den Toten ist also Inhalt christlicher Hoffnung"66. Paulus betont, daß die Herrschaft Christi noch nicht vollendet ist. Er betont dies polemisch gegen den Vollendungsenthusiasmus der Korinther, „die mit Christus zu herrschen meinen (4,8a) und dies als Vollendetsein empfinden"67. Mit der Gottesherrschaft ist an die Uberwindung des Todes (V.24) gedacht, die sich in der eschatologischen Totenauferweckung vollzieht. Sie ist „Gegenstand christlicher Hoffnung auf die Vollendung der Königsherrschaft Gottes"68. Die Empfehlungen, die Wainwright für die Predigt gibt, orientieren sich zunächst stark am Text. Er schlägt als bestimmendes Thema die Hoffnung vor, die im Anschluß an den Predigttext in drei Hinsichten zu entfalten ist: 64 65 66 68 1 Kor

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Es liegt eine Häufung temporaler Verben vor. Ch. Wolff [1996], 382. Ebd. 67 AaO., 387. AaO., 381. Wolff formuliert dies als Überschrift über den gesamten Abschnitt 15,21-28.

Zum einen soll das historische Fundament der Hoffnung aufgezeigt werden, das in der Erscheinung des Auferstandenen begründet liegt (211). Sodann ist die theologische „Bürgschaft in Gottes Macht und Plan" darzustellen. Im Anschluß an V.24-27a versteht der Meditator darunter den Sachverhalt, daß Gott die Geschichte in der Hand hält (213). V.27b-28 bringen den eschatologischen Skopus des Predigttextes ausdrücklich zur Sprache. In der Predigt soll hier die Selbstunterwerfung des Sohnes unter den Vater thematisiert werden. Soweit lehnt sich die Predigtempfehlung denkbar eng an den Predigttext an. Allerdings, so Wainwright, ist ein Aspekt zu ergänzen, der im Text selbst „fehlt" (214). Ein paränetischer Punkt bleibt hinzuzufügen, denn „die Ermahnung bleibt notwendig" (ebd.). Diese Überlegung verträgt sich jedoch kaum mit der Aussageintention des Textes. Paulus wendet sich kritisch gegen ein enthusiastisches Selbstverständnis der Korinther, die meinen, schon gegenwärtig mit Christus zu herrschen. Demgegenüber betont er, daß die Vollendung noch aussteht. Die Zukünftigkeit dessen, was Gegenstand der Hoffnung ist, will er in das christliche Bewußtsein rücken. Wainwright ist zuzustimmen, wenn er festhält: „An diesem ,Fest der Feste' soll natürlich die ,frohe Botschaft' herrschen." Wenig überzeugend ist dagegen die rhetorische Frage, die er anschließt: „Darf aber die Ermahnung gänzlich unterbleiben?" (Ebd.) Ein weiteres Beispiel läßt sich ergänzen, in dem der Autor an seinem Predigttext eine für die Predigtarbeit bedeutsame Veränderung vornimmt. K. Engelhardt rückt in seiner Predigtmeditation die Osterfreude in den Vordergrund. Von Freude ist jedoch im Evangelium für den Ostersonntag Mk 16,1-8 keine Rede. Im Gegenteil: Zittern und Entsetzen löst die Nichtauffindbarkeit des Leichnams Jesu bei den Frauen aus. Der abrupte und schon in neutestamentlicher Zeit als ergänzungsbedürftig empfundene Schluß des Markusevangeliums beschreibt die Reaktion am Ostermorgen mit Furcht und Zittern und dem daraus resultierenden Schweigen. Warum aber reagieren die Frauen auf die Osterbotschaft mit Entsetzen statt mit Freude? Wie ist ihr Schweigen zu verstehen, das dem ausdrücklichen Auftrag des Auferstandenen, den Jüngern die gute Nachricht zu überbringen (V.7), zu widersprechen scheint? Zunächst ist festzuhalten, daß das leere Grab, das die Frauen vorfinden, noch kein hinreichender Grund ist, Glauben zu wecken. Das Phänomen des leeren Grabes als solches ist für Markus selbst schon mehrdeutig. So bedarf es des interpretierenden Kommentars des Engels: „Er ist auferstanden" deutet und erläutert die Aussage „er ist nicht hier". Aber auch der Hinweis des angelus interpres weckt keinen Osterglauben. Glauben kann nur der Auferstandene selbst wecken, dessen Erscheinung (V.7) in Aussicht gestellt wird. Markus verweist damit den Leser auf die erneute Lektüre („relecture"69) des Evangeliums. Hier begegnet nach Markus der Auferstandene dem Leser. Das Evangelium von Jesus 69 M. Horstmann [1973], 132. 39

Christus, dem Sohn Gottes (Mk 1,1) erweist sich von hier aus als Evangelium vom Gekreuzigten und Auferstandenen70. Diesen Zusammenhang belegt die Konzeption des sogenannten Messiasgeheimnisses. Das dem Messiasgeheimnis korrespondierende Schweigegebot an die Jünger hat die Funktion, darauf hinzuweisen, daß die Taten Jesu nur vom Ende des Evangeliums her zu verstehen sind: Tod und Auferweckung sind die hermeneutischen Voraussetzungen, um das Leben Jesu zu verstehen. Angesichts des leeren Grabes aber schweigen die Frauen trotz eines Redeauftrages. Das Deutewort des Engels am leeren Grab: „Er ist nicht hier!" gibt nun zu verstehen, daß im Evangelium, das vom leeren Grab aus allererst richtig zu verstehen ist, dem Auferstandenen begegnet werden kann71. Bei Markus hat das leere Grab daher eigentlich keine Bedeutung für den Glauben. Es weckt keinen Glauben, sondern es fordert vielmehr Unverständnis bzw. Furcht72 heraus. Es zeigt an, wo der Auferstandene nicht aufzufinden ist und weist damit darauf hin, wo er stattdessen zu finden ist: im Evangelium. Da die Frauen dem Auferstandenen selbst nicht begegnen, sind sie keine Zeuginnen der Auferstehung. Das durch den Engel gegebene Interpretament ist nicht ausreichend; noch verstehen und glauben die Frauen nicht, daß Jesus auferweckt wurde. Aus diesem Unverständnis folgt ihre Furcht73. Ihr Schweigen aber ist als Ausdruck dieser Furcht zu deuten74. Es unterstreicht, daß die Erscheinungen den Osterglauben begründen, nicht aber die bloße Entdeckung des leeren Grabes. Wenn Engelhardt das Entsetzen der Frauen in Freude wendet, berücksichtigt er die theologisch-konzeptionelle Bedeutung des Markus-Schlusses 70 Sehr richtig erkennt J. Gnilka [1989] die „Relation zum Anfang" (347). Auf den Rückbezug zu 1,14 weist D. Lührmann [1987], 271, hin. Vgl. dazu auch W . Wrede [1901]: [S]ie [sc. die Vorstellung vom Messiasgeheimnis] lässt sich bezeichnen als Nachwirkung der Anschauung, dass die Auferstehung der Anfang der Messianität ist, zu einer Zeit, wo man sachlich bereits das Leben Jesu mit messianischem Gehalt anfüllt." (228; hervorgehoben.) 71 Interessanterweise will W . Schmithals den ursprünglichen Schluß der von ihm angenommenen Grundschrift (3,13-19; 6,6b—13; 9,2-10) - eine Vorlage des Mk - von Mk redaktionell umgestellt wissen, nämlich integriert in das Evangelium. Dieser literarkritisch aufwendigen These Schmithals' muß man zwar nicht folgen, sie streicht aber das Österliche in der vorösterlichen Situation heraus, das sich allererst von Ostern her erkennen läßt (W. Schmithals [1986], 716). 72 Freilich verweisen τ ρ ό μ ο ς κ α ι έ'κστασίς (16,8) auf göttliches Handeln. 73 Vgl. auch 4,41 und 9,6. Hierin liegt ein typisches Motiv für Epiphanieerzählungen (vgl. R. Pesch [1986], 535). Die Deutung W . Schmithals' [1986], daß die Frauen nicht glauben, obwohl sie grundsätzlich die existentielle Möglichkeit dazu hätten (713), geht fehl. Der Auferstandene selbst öffnet den Blinden die Augen (E. Schweizer [1973], 216). 74 Spekulativ, weil unbedingt um eine historische Rekonstruktion der Ereignisse bemüht, meint B.H. Branscomb [1964], 309, daß die Frauen ihr Schweigen brachen, als die Jünger von der Erscheinung des Auferstandenen berichteten.

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nicht. Er trägt das Motiv der Freude ein ohne Bezug auf den Predigttext. In der Freude - so Engelhardt - liegt die Ursache für die Reaktion der Frauen, die zum Ausdruck kommt im „Stammeln im Nichtzurechtkommen mit den Phänomenen, die die Freudenbotschaft ausmachen" (191). Die Osterfreude wird hier korrigierend ergänzt. An dieser Stelle wird eine Harmonisierungstendenz wirksam. Die festliche Verbindung von Ostern und Freude erweist sich als durchsetzungsfähig gegenüber dem Predigttext. Die markinische Intention, der Hinweis auf eine Theophanie, wird nicht aufgenommen, eine Besonderheit dieses Ostertextes gegenüber anderen Erzählungen wird damit eingeebnet. Somit wird Widerständiges zugunsten des Erwarteten nivelliert.

2.2. Reduktive Verfahren

2.2.1. Reduktion auf Begriffe und Einzelaussagen Es läßt sich das wiederkehrende Verfahren feststellen, daß einzelne Begriffe und Aussagen aus dem Textganzen entnommen werden. Die inhaltliche Prägung durch den spezifischen Kontext geht häufig verloren, die Begriffe werden dann inhaltlich ungenauer und damit offen für neue Bestimmungen. Der Zusammenhang mit dem Text bleibt auf diese Weise eigentümlich lose und beschränkt sich im wesentlichen auf eine bloß formale Anknüpfung. Die Extrahierung läßt den Text zurücktreten. Die Funktion des Textes innerhalb der Predigtarbeit wird reduziert auf das Bereitstellen von Begriffen und Einzelaussagen. M. Rose knüpft in seiner Meditation über 1 Sam 2,1-10 mit drei für die Predigt wesentlichen Stichworten an den Predigttext an. Im Anschluß an V.l nimmt die Predigt die Freude der Hanna auf. Mit der Freude ist somit ein positiver Bezug zu Ostern hergestellt75. Ebenfalls im Anschluß an V. 1 greift Rose den Begriff Heil auf, den er als ,Ausgeglichen-Sein' interpretiert und damit das dritte Hauptwort vorbereitet, dem die Predigt am meisten Raum gibt: Der Mensch sehnt sich nach einer ausgleichenden Gerechtigkeit. Die Anbindung der Erwartung der Gerechtigkeit an Gott entnimmt Rose V.7. Das Festhalten an dieser Erwartung auch angesichts des Todes bis hin zur Hoffnung auf Auferstehung sieht er alttestamentlich begründet. Kontinuität ist mit diesen drei Begriffen ausgesagt - Kontinuität zwischen Altem und Neuem Testament allgemein und zwischen dem Lied der Hanna und der neutestamentlichen Osterbotschaft im besonderen. Damit will der Pre75 ,,[K]ann man anderes für Ostern sagen?!" (204), so fragt der Meditator rhetorisch. Damit ist zugleich die zur Predigteröffnung gestellte und bejahte Frage: „Ist das ein Ostertext?" (204) begründet.

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diger den „Weg vom Tod zur Auferstehung zusammen mit der Ostergemeinde theologisch ... durchdenken" (204). Deutlich wird, daß die Interpretation des Textes vom Fest76 her bestimmt ist. Ostern ist als Bezugspunkt des Predigttextes immer schon mit im Blick77. Zugleich ist die Auslegung geprägt von dem Bemühen, Kontinuität zu erheben und hierfür Anknüpfungspunkte im Text zu finden. Die Freude der Hanna mit der Osterfreude unmittelbar in Verbindung zu bringen, läßt nach den Kriterien für die Übertragbarkeit fragen. Welche Freude „nach einer unsagbar tiefen Depression" (204) ist denn dann keine ,Osterfreude'? Auch das, was unter Heil jeweils zu verstehen ist, wird nicht näher ausgeführt. Die Deutung des Hannaliedes als Erwartung ausgleichender Gerechtigkeit' tritt doch eigentlich zurück hinter die Aussage von Gottes unbedingter Allmacht. Die Warnung an die Feinde, die im Text dem Dank für die Rettung zur Seite gestellt ist, kommt ebensowenig in den Blick wie die Aussage, daß Gott tötet und lebendig macht (V.7). Der Text 1 Sam 2,1-10 wird in seiner Gesamtgestalt nicht für die Predigt fruchtbar gemacht. Der Predigttext stellt im wesentlichen die Begriffe zur Verfügung, an die dann jeweils angeknüpft wird, ohne daß ihr spezifischer Gehalt, der durch den Kontext bestimmt ist, ausgeführt und hinsichtlich seiner Vergleichbarkeit reflektiert wird. Dies zeigt sich besonders deutlich bei dem Motiv der,Gerechtigkeit', das zunächst als .ausgleichende Gerechtigkeit' bestimmt wird, schließlich aber übergangslos auf das Ostergeschehen angewendet wird78. Inwiefern ist hier noch das gleiche mit Gerechtigkeit gemeint wie im Predigttext, zumal der Terminus im Text selbst nicht vorkommt? Der festliche Kasus Ostern hat die Interpretation des Predigttextes maßgeblich bestimmt. Das äußert sich darin, daß vor allem nach Kontinuität zwischen diesem alttestamentlichen Text und der neutestamentlichen Osterbotschaft gefragt wird. Weder werden Unterschiede hervorgehoben, noch werden die Begriffe,Freude', ,Heil' und,Gerechtigkeit' inhaltlich anhand des Predigttextes profiliert. Stattdessen werden die zentralen Themen aus dem Text herausgelöst, um an sie anknüpfen zu können. Damit ist das Verständnis des Predigttextes entscheidend vorbestimmt. Auch der Meditation von E. Koch liegt 1 Sam 2,1-10 zugrunde. Im Lied der Hanna drückt sich die Erfahrung der Rettung vom Tode aus. Wenn der Meditator die Bedeutung der persönlichen Erfahrung hervorhebt, geht er nicht am Predigttext vorbei. Allerdings ist im Lied der Hanna die Erfahrung der Rettung integriert in den umfassenden Lobpreis der Allmacht 76 Mit Bezug auf neutestamentliche Ostertexte (vgl. aaO. Anm. 27). 77 Rose beginnt seine Meditation mit der Bemerkung: „Für mich ist diese Predigtmeditation meine erste Begegnung mit 1. Sam 2 als ,Ostertext"' (199). 78 „So zeigt sich die Gerechtigkeit Gottes: nicht im völlig ungerechten Tod von Karfreitag (,er, der von keiner Sünde wußte ...'), sondern in der österlichen Verherrlichung (V.lOb: ,erhöhen das Horn seines Gesalbten')" (205).

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Jahwes und tritt somit zurück hinter das Bekenntnis zu Jahwe, in dessen Hand sowohl der Tod als auch die Rettung aus Todesnot liegt. Der Gedanke der Allmacht Jahwes, verbunden mit der impliziten Mahnung, sich zu Jahwe zu halten, findet bei Koch keine Berücksichtigung. Zweifellos ist der Gedanke der Allmacht Jahwes in der Meditation Kochs impliziert, da er eine notwendige Bedingung der Totenauferweckung darstellt, allerdings kommt er nicht ausdrücklich zur Sprache. Während die positive Erfahrung der Rettung durch Jahwe, die den Anlaß für das Hannalied darstellt, im Predigtvorschlag Kochs aufgenommen wird, läßt er die Kehrseite der Allmachtsaussage außer Acht. Der jeweils erste Teil der antithetischen Parallelismen in V.6f wird nicht berücksichtigt. Auf diese Weise wird die zum Verständnis des Wesens Jahwes unverzichtbare Aussage des Textes, daß er derjenige ist, der tötet und hinabführt zu den Toten, der arm macht und erniedrigt, nicht aufgenommen. In einer ganzen Reihe von Meditationen zeigt sich, daß das Verständnis dessen, was Gegenstand des Osterzeugnisses ist, und wer als Osterzeuge bezeichnet werden kann, nicht vom Text bestimmt wurde, sondern die Begriffe Zeugnis und Zeuge völlig neu gefüllt wurden. R.-G. Schein meditiert über die Rede des Petrus im Haus des Hauptmann Kornelius (Apg 10,34a.36-43). Das ,Wir' des Textes, das Petrus in der lukanisch gestalteten Rede spricht, wird unmittelbar79 identifiziert mit einem generellen ,Wir', das Meditator, Leser und alle Hörer miteinschließt. So geschieht die Anknüpfung der Predigt an den Text. Eine solche Identifikation aber entspricht dem lukanischen Zeugenbegriff nicht. Konstitutiv für den .Zeugen' hier ist die Augenzeugenschaft des Irdischen und des Auferstandenen - dieser Zeugenbegriff wird von daher in der Predigt anders verstanden als im Text, ohne daß dies thematisiert wird80. Den Inhalt des Zeugnisses faßt Schein zusammen mit der „Auferstehung oder Auferwekkung Jesu" (163). Bei den von ihm gebotenen Beispielen für Zeugnisse greift er nicht zurück auf die Aussagen des Textes (Vita Jesu, kerygmatische Aussagen), sondern stellt, ausgehend von seiner Zusammenfassung, die Frage: „Wo bezeugen wir, wo bezeugen Christen um uns, daß Jesus der Lebendige ist?", um dann ,Zeugen der Erfahrung der Auferstehung' zu zitieren (163f)81. Der Inhalt des Zeugnisses ist damit zunächst ein anderer als der im Predigttext dargestellte, der sich auf die Apostel bezog (Augenzeugenschaft

79 R.-G. Schein thematisiert nicht, ob eine solche Übertragung möglich ist. 80 Dies verwundert, da R.-G. Schein in einem exegetischen Durchgang ausdrücklich betont - unter Heranziehung von G. Schille [1983], 249 - , daß die Zeugenformel hier lukanisches Gepräge habe. R.-G. Schein selbst folgert daraus: „Ein Schwerpunkt dieser Perikope scheint mir zu sein, daß Lukas Petrus und die Apostel insgesamt als von Gott autorisierte Zeugen (V.41) ... hervorhebt" (162). 81 Es handelt sich hier um einen von Folter bedrohten Journalisten aus Guatemala und einen Alkoholkranken.

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der Wirksamkeit, Essen mit dem Auferstandenen). Die Predigt übernimmt dieses Zeugnis nicht, sondern - dies ist die Konsequenz der Voraussetzung, daß das ,Wir' (V.39.42) auf andere Personengruppen angewandt wurde benennt Erfahrungen, die diese, so Schein, mit dem Auferstandenen heute gemacht haben. Kriterien für solche Erfahrungen werden nicht angegeben. Entscheidend, um einen Erfahrungsbericht als .Zeugnis der Erfahrung des Auferstandenen' einzuschätzen, scheint hier allein die subjektive Gewißheit des Bezeugenden zu sein82. Das Autorenpaar E. Berger/Ch. Burkhardt versteht ausdrücklich die Prediger als Garanten der Glaubwürdigkeit der Osterbotschaft. Paulus zählt die Erscheinungszeugen (1 Kor 15,5-8) auf, um die Glaubwürdigkeit der Erscheinungen zu erweisen. Der Hauptakzent der Argumentation liegt hier auf der Betonung des paulinischen Apostolats, den er allein, wie angesichts seiner früheren Verfolgertätigkeit offenkundig ist, Gottes Gnade verdankt. Hinsichtlich seines Apostolats aber steht er den anderen Aposteln in nichts nach, denn allein die Erscheinung des Auferstandenen begründet das Apostelamt. Dabei ging Paulus offensichtlich davon aus, daß die Reihe der Erscheinungen nun abgeschlossen sei (V.8). Demnach kommen nur die genannten Personen als Erscheinungszeugen in Frage, denn ihnen ist der Auferstandene begegnet. Bei Berger/Burkhardt jedoch werden die Prediger zu Zeugen. Das widerspricht dem paulinischen Zeugenbegriff. „Wenn wir etwas predigen, was wir an uns selbst als befreiendes Zeugnis nicht wahr werden lassen, gehören wir selbst zu den ,elendsten unter allen Menschen' (V.19)" (195). Den Predigern wird zugemutet, was sie nach Paulus nicht leisten können: für die Wahrheit der Osterbotschaft einzustehen. Der Begriff ,Zeuge' wurde in der Predigtarbeit völlig neu verstanden. In einer Meditation zu Mk 16,1-8 trifft F.-K. Sagert eine hermeneutische Grundentscheidung, die für seine Ergebnisse von grundlegender Bedeutung ist. Seiner Meinung nach kommt es Markus allein auf die Aussage ήγε'ρθη an. Die Erzählung diene lediglich dazu, daß „die Formel in einer Rahmenhandlung besser zu den Hörern gelangt" (127)83. Sagert löst die Auferstehungsaussage aus dem Text heraus und kommt nun in seinen Überlegungen zur Predigt zu dem Ergebnis: „Überall und zu aller Zeit ereignet sich Auferstehung" (128). Ostern ist kein einmaliges geschichtliches Datum, sondern zeit- und ortlos. „In der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft: überall ist der Herr" (ebd.). Sagert nennt zudem ein Beispiel für Auferstehung: „Uberall und zu aller Zeit ereignet sich Auferstehung. Das berechtigt uns, Ereignisse in der Geschichte von der Auferstehung Christi her zu deuten. Die Ereignis82 „Ich weiß deshalb aus eigener Erfahrung, daß Jesus auferstanden ist, lebt und wirkt" (163). Mit diesen Worten schließt das Zitat des Alkoholkranken. 83 Der Verfasser nimmt denn auch die Perikope als ganze und ihre Einzelheiten kaum näher in den Blick.

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se im Herbst 1989 gehören dazu. Sie sind uns widerfahren. Wir haben sie geschehen lassen. Sie haben uns den Atem verschlagen. Denn der Herr vor uns ist sich und dem Leben treu geblieben." Dem Leser werden keine Kriterien für die Anwendung des Interpretaments ,Auferstehung' genannt84. Für den Leser wird nicht transparent, warum das genannte Ereignis diese Deutung verdient. Das Herauslösen der bloßen Formel „Er ist auferstanden" (V.6) aus dem Predigttext führt zur kontextlosen Formelhaftigkeit der Auferstehung, wie sie Sagert verstanden wissen will. 2.2.2. Aufnahme von Tendenzen

Ein reduktives Verfahren liegt auch dann vor, wenn lediglich Tendenzen des Textes für die Predigt aufgenommen werden sollen. Ch. Bunners bietet in seiner Predigtmeditation über Mt 28,1-10 drei mögliche Predigtaufrisse an (212), die jedoch lediglich verschiedene Aspekte der einen grundsätzlichen Einsicht variieren, daß das Ostergeschehen unsere übliche Weltwahrnehmung .gesprengt' hat (211). Allen Elementen des Textes kommt die Funktion zu, diese Einsicht zur Geltung zu bringen. Mit einem neuen Wirklichkeitsverständnis ist der entscheidende Gegenwartsbezug der Osterpredigt gewonnen. Denn „Osterpredigt führt zum Hören von Unerhörtem, weist ein in die Spurfolge der angebrochenen neuen Welt" (209). „Homiletische Überlegungen" beziehen die bisherigen Überlegungen auf den neuen „Lebenszusammenhang" (211). Die Anwendungsbereiche sind die Gottes- und Glaubensproblematik, „Situationen von Trauer, Tod, Hoffnungslosigkeit" und schließlich die „Indienstnahme für Aufgaben im kirchlichen und weltweiten Zusammenhang" (ebd.). Weder wird die Auswahl der Beispiele begründet, noch findet eine Konkretion statt. Das abstrakte Niveau der Meditation an dieser Stelle birgt deshalb gewisse Undeutlichkeiten. Inhaltliche Hinweise sollen „Impulstexte" (210f) nachtragen, die vor allem die Aufforderung zum Handeln in den Vordergrund stellen. Was Bunners für die zuletzt genannte dritte Predigtvariante als Predigtintention anführt, gilt tendenziell für alle genannten Inhalte: Es geht darum, „gegenüber heute oft drohender Kapitulation und müdem Fatalismus Osterenergie einzubringen" (211). Damit liegt der Text bezug der Meditation in der Hauptsache in der Aufnahme zweier ,Tendenzen'. Von Matthäus werden eine apologetische Tendenz und zugleich die Verweigerung einer Beweisführung für den Osterglauben übernommen. 84 Es liegt auf der Hand, daß die zitierte Aussage nicht unproblematisch ist. Welche Implikationen etwa hätte eine Interpretation der durch den Mauerfall eingeleiteten deutschen Einheit als ein solches „heiliges österliches Geschehen" (128), das unsere Ehrfurcht verdiente?

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Der Situationsbezug der matthäischen Apologie, der in der Abwehr des Gerüchts vom Diebstahl des Leichnams liegt, wird nicht thematisiert. Deutlich tritt das Bemühen des Meditators in den Vordergrund, der Aktualität der Osterpredigt Rechnung zu tragen. Es zeigt sich jedoch bei der Durchführung, daß die Ostererzählung nach Matthäus selbst für die von Bunners vorgeschlagene Predigt kaum konstitutiv ist. Der Textbezug der Predigt wird stark eingeschränkt, wenn lediglich Tendenzen für die Predigt eine Rolle spielen sollen. Die vorgeschlagene Hauptaussage für die Predigt, „die Folgen des ,Aufstandes' gegen die Todesmächte ... zu bedenken" (212), erscheint als losgelöst vom Predigttext. Für die theologisch-christologische Begründung dieser Aussagen bietet Bunners keine Ansätze. Dem Rekurs auf die matthäische Osterperikope als Predigttext kommt in diesem Zusammenhang keine begründende Funktion zu.

2.2.3. Differenzierung zwischen Gestalt und Gehalt Die Differenzierung zwischen „der sprachlichen Gestalt und dem zu vermittelnden Inhalt" 85 eröffnet den Meditatoren die Möglichkeit, sogenannte zeitbedingte Vorstellungen im Verfahren zu vernachlässigen. Die Vorstellungen des Matthäusevangeliums, die dem apokalyptischen Horizont der Zeitgenossen seines Verfassers entsprechen, sind nach Blauert für heutige Hörer nicht mehr nachzuvollziehen und darum eine „Zumutung" (197). Weder die Tradition vom leeren Grab noch die Ausgestaltung der Erzählung, die legendenhafte Züge trägt, sind darum für eine aktuelle Osterpredigt von Bedeutung. Es geht vielmehr grundsätzlich um Glaubenserfahrungen, die von der Osterbotschaft her „stimuliert" (198) werden. Erst nach dieser allgemeinen Aussage geht Blauert auf Einzelheiten der matthäischen Ostererzählung ein. Blauert weist auf die Erdbebenschilderung und die Engelerscheinung (Mt 28,2-4) hin. Auch hier handelt es sich wie bei der Tradition vom leeren Grab um zeitbedingte Vorstellungen. Der Evangelist setzt sie ein, um die Bedeutung der Auferstehung als Zeitenwende anschaulich zu machen. „Mit Kreuz und Auferstehung beginnt die Herrschaft Gottes sich in dieser Welt zu verwirklichen" (200). Im Kontext der matthäischen Gemeinde als einer gefährdeten „Gemeinde der ,kleinen Leute'" ist das Eingreifen Gottes „mit seiner beinahe tötlichen [sie!] Wirkung auf die Vertreter der staatlichen Macht" (ebd.) zu verstehen. Auch diese Besonderheit der matthäischen Ostererzählung nimmt Blauert in seine Predigtdisposition auf, welche die „Befreiung ... zu respektlosem Umgang mit den Mächtigen" als Ostererfahrung thematisiert (ebd.). Blauert verfährt mit dem Text in seiner Predigtarbeit so, daß er zunächst wesentliche Grundzüge der Erzählung (Stärkung der Tradition des leeren 85 M. Uhle-Wettler, 182.

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Grabes, Betonung der Theophanie) benennt, sie aber sogleich als zeitbedingte Vorstellungen etikettiert. Für die Predigt spielen sie keine Rolle mehr. Bei diesem Vorgehen findet die Intention des Evangelisten keinerlei Berücksichtigung. Charakteristisch für die matthäische Ostererzählung ist vor allem die Beschreibung der Begleitumstände der Auferstehung. Zum einen unterstreicht Matthäus die Öffnung des Grabes durch himmlische Einwirkung. Dies geschieht erzählerisch dadurch, daß das Grab bewacht wird und noch bewacht ist, als die Frauen dort ankommen 86 . Vor allem die ausgestaltete Angelophanie 87 und die theophanischen Elemente 88 unterstützen diese Tendenz. Erkennbar steht hier das Interesse im Hintergrund, das Gerücht vom Diebstahl des Leichnams zu widerlegen (vgl. 27,62-66 und 28,11-15), wenn Matthäus sowohl das hoheitliche Eingreifen Gottes 89 als auch die Sicherung des Grabes herausstellt. Matthäus verknüpft so Angelophanie und Graböffnung miteinander. „Die beiden Motive, das Erscheinen des Engels und das Wegwälzen des Steines bilden im Mt-Ev. eine Einheit ...; im Sinne des Mt ist die Öffnung des Grabes ein göttlicher Akt: Ein Engel Gottes (vgl. 1,20.24; 2,13.19) öffnet das Grab" 90 . Auf diese erzählerische Weise stellt Matthäus heraus, daß der Gekreuzigte aus der Macht Gottes auferweckt wurde 91 . Die dargestellte Tendenz wird gewertet als Schritt „in die Richtung eines Auferstehungsberichtes, der diese als objektiv feststellbares Ereignis verstehen möchte" 92 . Jedenfalls akzentuiert Matthäus das leere Grab, indem er die Auferstehungsbotschaft mit Nachdruck hier verankert 93 . Matthäus bietet 86 E. Klostermann [1975], 228, sieht auch die Möglichkeit, daß die Verben in V.2 plusquamperfektisch gemeint seien und εκαθητο mit „er saß" zu übersetzen sei. Dann hätten die Frauen von dieser Szene aus rückgeschlossen auf das, was vor ihrer Ankunft am Grab geschehen wäre. 87 Der markinische Jüngling wird von Matthäus ausdrücklich als Engel bezeichnet. Die Beschreibung seines Aussehens erinnert an die Beschreibung Gottes in Dan 7,9 und an die Beschreibung Christi in O f f b 1,14, die Dan 10,5f aufgenommen hat, sowie an die Verklärungsperikope (Mt 17,1-9). E. Schweizer [1973], 343, hält fest: „Alles erinnert also an die Zeichen, die sonst für das Kommen des Herrn beim Weltuntergang und beim Anbrach des Gottesreiches erwartet werden". 88 Das Erdbeben ist ein alttestamentliches Theophaniemotiv (vgl. Ex 19,18; 1 Kön 19,1 lf; Ps 114,7) und Topos der Befreiungswunderdarstellung (vgl. A. Sand [1986], 581). Auch die Wirkung des Bebens und die Furcht der Wachen gehören in diesen Zusammenhang. 89 Die Pose des auf dem Stein thronenden Engels Gottes ist hoheitliches Verhalten. Vgl. A. Sand [1986], 581. 90 Ebd. 91 Vgl. R. Schnackenburg [1975], 285. 92 E. Schweizer [1973], 344. 93 Vgl. J. Gnilka [1988], 489.495. J. Gnilka schätzt diese Tendenz als bedenklich ein und bezeichnet sie als theologisch „fragwürdig" (489).

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aber noch keine „legendenhafte Beweisführung"94, da er die Auferstehung selbst nicht schildert. Deutlich wird dies im Vergleich zum Petrus-Evangelium aus dem zweiten Jahrhundert, wo die Auferstehung selbst ausführlich vor den Augen der Grabwächter geschildert wird95. Ebenso wie für Markus gilt auch für Matthäus, daß „erst das den Vorgang deutende Wort, hier also die Botschaft des Engels, zum Verstehen führen kann, nicht schon das Sehen noch so absonderlicher Ereignisse"96. Ein deutlicher Widerspruch zwischen Blauerts Predigtempfehlung und der matthäischen Intention ist zu erkennen. Denn während für Blauert der österliche Herrschaftswechsel maßgeblich mit der Veränderung der Frauen und deren mutigem Handeln verbunden ist, weist Matthäus auf eine Theophanie hin, deren Kennzeichen die alleinige Initiative Gottes ist. Das Verständnis von Auferstehung dürfte jeweils grundverschieden sein: Matthäus denkt an ein einmaliges eschatologisches Eingreifen Gottes zugunsten des gekreuzigten Christus, für Blauert ist .Auferstehung' vor allem die Erfahrung von Veränderung, die in der Nachfolge von Menschen gelebt und das heißt allererst realisiert wird. Ein weiteres Beispiel für ein reduktives Verfahren gibt die Meditation von H. Stühmeyer. Es zeigt sich, daß die hermeneutische Überlegung Stühmeyers, das Augenmerk auf die Funktion der eschatologischen Aussagen zu richten, eine grundlegende Rolle für das Verständnis der Perikope insgesamt spielt. Stühmeyer hält zwar im Anschluß an Paulus daran fest, daß Auferstehung zu verstehen ist als Auferstehung der Toten (142) und daß die Verwandlung des Menschen durch Gott geschieht, entscheidend ist nun jedoch - anders als bei Paulus - das, was der Mensch selbst tun kann. „Erforderlich ist ein Herrschaftswechsel, indem der Mensch sich selbst aus der Hand gibt und in Dienst nehmen läßt durch den Herrn, der Bundestreue (Rechtfertigung) zusagt; also im Glauben: sich selbst verlassen und einlassen auf das Verläßliche" (140). Die Aussagen des Textes werden vernachlässigt, denn sie gelten nur als „- zeitbedingtes - Argumentationsmaterial bzw. Veranschaulichungshilfe" (137) und sind daher beliebig. Dieses Vorgehen aber kann nicht als adäquate Bezugnahme auf den Text verstanden werden. Offensichtlich liegen wesentliche Gründe hierfür im Predigtverständnis des Meditators. Die Predigt verfolgt nach Stühmeyer immer schon einen bestimmten Zweck. Die eschatologischen Aussagen des Paulus „sind nicht an sich Ziel der Verkündigung ... Das Ziel ist, Leben in den Dienst des Auferstandenen zu stellen" (ebd.). Stühmeyers Predigtverständnis ist von einer Alternative geprägt, die wohl kaum aufrecht zu erhalten ist: „Denn Verkündigung des Auferstandenen bzw. die der Auferstehung zielt im NT immer auf Indienstnahme, 94 Ebd. 95 Vgl. EvPe 35-49, in: W. Schneemelcher [1990], 180-188; besonders 187. 96 E. Schweizer [1973], 344.

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nicht einfach auf Mitteilung darüber, was aus den Toten wird bzw. was mit dem toten Jesus geworden ist" (ebd.). Sicher geht es nicht um eine rein technische Information, aber doch auch um „Mitteilung"97 im Sinne einer auch inhaltlichen Auseinandersetzung mit den eschatologischen Vorstellungen, die keineswegs rein funktional dem Zweck dienen, die Korinther zum ,Dienst' zu rufen. Die beiden Beispiele illustrieren die Absicht, die eigentliche Textabsicht, den „Inhalt", auch in der Predigt zur Geltung kommen zu lassen. Sogenannte zeitgenössische Anschauungen, die wir heute nicht mehr teilen, können demnach unberücksichtigt bleiben, ohne, so die Auffassung der Autoren, daß Wesentliches verloren ginge. Insbesondere mit apokalyptischen bzw. eschatologischen Vorstellungen wird so verfahren. Es hat sich jedoch gezeigt, daß die Differenzierung zwischen Inhalten und zeitgenössischen Vorstellungsformen so nicht möglich ist. Zentrale Textaussagen, die für das Verständnis des Textes konstitutiv sind, gehen verloren. Kann überhaupt zwischen Inhalt und Gestalt bzw. Inhalt und Form von Aussagen so unterschieden werden? In jedem Fall sollten die Kriterien für eine solche Differenzierung offengelegt werden, da ansonsten alles Widerständige von vornherein ausgeklammert wird.

2.3. Wirkung und Funktion Die Frage nach dem, was der Text bei den Hörern auslösen wollte, läßt die Semantik zurücktreten gegenüber der Wirkung, die erzielt werden soll. Was gesagt wird, erscheint als sekundär gegenüber den Reaktionen, die hervorgerufen werden sollen. So stellt beispielsweise die Meditation von D. Ackermann bereits eingangs die Frage nach der Wirkung der Auferstehung und der Wirksamkeit der Hoffnung auf Auferstehung (145). Im Interesse dieser Fragestellung wird die paulinische Argumentation auf ihre Funktion hin befragt. Weil es um eben dieses Ziel geht, können die einzelnen Inhalte des Predigttextes vernachlässigt werden, da es sich um zeitgebundene Vorstellungen handelt98. „Die übernommenen Vorstellungen dienen ihm [sc. Paulus] dazu, Hoffnung und Heil offenhalten zu können" (146). Damit ist der Gegen-

97 H. Stühmeyer führt in diesem Zusammenhang zustimmend G. Bornkamm [1977], 232, an. Bei G. Bornkamm findet sich dezidiert der Hinweis auf die Funktion der paulinischen Aussagen, aber keine alternative Gegenüberstellung und einseitige Ablehnung des inhaltlichen Aussagegehaltes. E. Schweizer [1970] ist ein weiterer wichtiger Gewährsmann für die Meditation, der vor allem den Gedanken der „In-Dienst-Nahme" (H. Stühmeyer, 139; Zitat E. Schweizer [1970], 176) stützt. 98 W . Scheidacker [1976] wird zugestimmt: „Was sollen die weltbildgebundenen apokalyptischen Vorstellungen, die wir nicht mehr teilen?" (147)

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wartsbezug der Aussagen in den Vordergrund" gerückt und zwar unter dem Aspekt der Veränderung. „So wachsen aus der Eschatologie ethische Konsequenzen" (ebd.). Mit Kurt Marti wird Auferstehung definiert als „Impuls des Aufstandes Gottes gegen alle Herren und gegen schlechte Praxis" (145). Konkrete Konsequenzen werden daher vor allem im Hinblick auf die „gesellschaftlichen und politischen Aspekte" benannt. Ackermann denkt hier an „Klassenkampf"100 (147f), ein Kampf, in den die Gemeinde „hineingezogen" ist. Dies bedeutet „Partei [zu] ergreifen" und Widerstand zu leisten, „gegen alle theoretischen und praktischen Einladungen zu resignieren" (148). Die Hoffnung auf Auferstehung der Toten wird interpretiert als „mitnehmende Hoffnung auf eine ,neue Struktur'", die Erwartung und Verhalten bestimmt (149). Neben „Aktivität" wird auch „Gelassenheit" freigesetzt (ebd.). Daß Paulus an der Zukünftigkeit der Auferstehung festhält, bedeutet also neben „Handlungsspielraum" für die Gegenwart (148) auch die „Erwartung, daß Neues auf uns zukommt, das nicht im Bereich unserer gestalterischen Möglichkeiten liegt, dem wir aber vertrauen und uns öffnen können" (149). Dem Prediger empfiehlt Ackermann, nicht wie Paulus zu behaupten und zu argumentieren, denn: „Wer behauptet, muß beweisen" (148). Da die Anerkennung der Auferstehung Jesu nicht mehr fraglos für die Predigthörer und möglicherweise auch die Prediger gilt, „scheint mir eine Predigt der Sache gemäßer, die lobt oder dankt oder eigenes Erstaunen wiedergibt oder bezeugt" (ebd.). Die Frage nach der Funktion des Textes zielt auf das, was er .auslösen' will. Damit kommen vor allem „ethische Konsequenzen" (146) in den Blick, die der Gemeinde nahegelegt werden sollen. Indem nicht der semantische Gehalt, sondern die intendierte Wirkung auf den Leser bzw. Hörer das Resultat der Textarbeit ist, ist eine Verkürzung des Predigttextes eingetreten. Ackermann fragt nach der Wirkung der im Predigttext ausgesagten Hoffnung. Hier denkt er im wesentlichen an ethische Konsequenzen. „Welche Veränderungen bewirkt diese Hoffnung in uns, was setzt sie frei?" (150) Erwartungen und Verhalten werden bestimmt durch Hoffnung, die Aktivität und Gelassenheit auslöst (149). Entscheidend für dieses Meditationsergebnis aber ist, daß Ackermann den Vorstellungen, die Paulus darlegt, selbst keine eigentliche Bedeutung beimißt. Paulus bediene sich lediglich apokalyptischer Vorstellungen und 99 Zitat H. Conzelmann [1981]: „Offensichtlich geht es Paulus in seiner Argumentation nicht um einen ,Ausblick in ein schönes Jenseits', sondern ,die Ausarbeitung der Existenz im Diesseits'" (146). 100 Was der Autor unter ,Klassenkampf' verstanden wissen will, läßt sich nur mit Blick auf seinen Kontext (DDR, 1983) vermuten. Er selbst läßt völlig offen, wer gegen wen kämpft, für wen die Gemeinde „Partei ergreifen" soll und wie dies aussehen könnte.

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Bilder des antiken Judentums, um „Gegenwart und Zukunft des Menschen offenhalten zu können" (146). „Die übernommenen Vorstellungen dienen ihm dazu, Hoffnung und Heil offenhalten zu können" (ebd.). Nicht der semantische Gehalt, sondern die intendierte Wirkung auf den Leser bzw. Hörer ist das Resultat der Textarbeit und konstituiert den Textbezug der Predigt. Damit ist eine Verkürzung des Predigttextes eingetreten. Der Meditator entscheidet sich dagegen, „zu behaupten, zu begründen, zu argumentieren oder zu beweisen" (148). Der Gegenstand der Hoffnung wird in der Predigt nicht - wie dies Paulus tut - argumentativ entfaltet. Er tritt zurück zugunsten der Wirkung. Lediglich die Funktion der paulinischen Aussagen, Veränderungen zu bewirken, bleibt als entscheidender Anknüpfungspunkt für die Predigt des Textes.

2.4.

Allegorisierung

Nicht selten werden einzelne Begriffe oder Beschreibungen des Predigttextes metaphorisch ausgelegt. Dies ermöglicht eine assoziative Anknüpfung an den Text. Bezüge können unmittelbar zur Lebenswirklichkeit der Hörer heute hergestellt werden. Allerdings ist angesichts eines solchen Verfahrens festzuhalten, daß die Texte selbst keine Anhaltspunkte dafür bieten, daß etwa einzelne Aussagen metaphorisch verstanden werden sollen. Sowohl der Stein, der seit Ostern das Grab nicht länger verschließt, als auch die Ortsangabe Galiläa werden als Metaphern verstanden101 und interpretiert. Sie werden von ihrer eigentlichen sinnhaften Bedeutung losgelöst. Durch die Interpretation als uneigentliche Redeweise wird die Voraussetzung dafür geschaffen, daß die einzelnen Begriffe assoziativ inhaltlich bestimmt werden können. Sie bieten auf diese Weise Anknüpfungspunkte, Bezüge zur heutigen Situation herstellen zu können.,Galiläa' beispielsweise wird als Ort des alten Lebens der Jünger interpretiert (195). ,Galiläa' wird nun bei Engelhardt - bei Mk der Ort der Erscheinungen des Auferstandenen und des Wirkens des irdischen Jesus - zu „unserfem] Galiläa, wo unser Leben, auch das kirchliche, im Kleinen wie im Großen so abgelebt erscheint" (ebd.). Die Frage der Frauen (Mk 16,3: „Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?") wird verstanden als Hinweis auf Zwänge. Unser Leben, wir selbst, unsere Gesichter, erscheinen versteinert. Wir werfen mit Steinen auf andere (vgl. 196). Entscheidend ist auch hier die Veränderung' der durch Stagnation (,Galiläa', .Versteinerung') charakterisierten Situation. ,Veränderung' wird zur paradigmatischen Ostererfahrung, die Freude zur Folge hat. An die Zeitangabe der Auffindung des leeren Grabes - der 101 Vom ,Stein' kommt K. Engelhardt zu Versteinerungen', von denen er dann ausdrücklich als Metapher spricht: „Die Metapher von den Versteinerungen löst genug Assoziationen zum Weiterdenken aus" (196). 51

Morgen nach dem Sabbat - knüpft der Meditator die Erfahrung der heilsamen Unterbrechung des Alltags102. Für uns Christen wurde der Auferstehungstag zum neuen Sabbat, an dem wir unser Tun unterbrechen, „damit Gottes rettendes und neuschaffendes Handeln weitergeht und so erfahren und bezeugt wird" (1941). Der Gesamtduktus des Textes bleibt unberücksichtigt. Der Autor greift einzelne Züge der markinischen Erzählung auf, um sie dann aber völlig neu inhaltlich zu füllen. Ein weiteres Beispiel für ein allegorisierendes Verfahren läßt sich bei H.J. Held beobachten. Nach Held zielt sein Predigttext (Lk 24,36-45) auf „Osterglaube" und „Sendung zum österlichen Zeugendienst" (213). Glaube und Dienst werden im Anschluß an Lk 24,36-45103 näher bestimmt. Das Zustandekommen von Glaube und Nachfolge steht thematisch im Vordergrund. Die Menschen selbst können nicht initiativ werden, sondern: „Sie müssen vielmehr dazu überwunden, bevollmächtigt werden: von außen, ,aus der Höhe' (V.49), unerwartet, ungebeten, überwältigend" (213). Dem Unvermögen der Menschen macht Christus selbst ein Ende, und zwar durch „österliche Einweisung" in die Schrift, die Held sich „als ein Wachsen in den ganzen Osterglauben hinein, allmählich und in Stufen" (214), mithin prozeßhaft, vorstellt. Den „massiven Auferstehungsrealismus" (215; hervorgehoben), der in der Perikope zur Geltung kommt, interpretiert Held als Betonung der Wirklichkeit der Auferstehung. „Das Evangelium steht und fällt mit der wie auch immer, auf jeden Fall aber wirklich geschehenen und verstandenen Auferstehung Jesu". Der „Leibhaftigkeit der Auferstehung" (ebd.) aber entspricht ein „Glaube zum Anfassen" (ebd.), der zu „Konkretionen" (216) drängt. In dieser gedanklichen Assoziation liegt der Zusammenhang von Glaube und Dienst. Dienst ist Nachfolge unter der Signatur des „göttliche[n] ,Muß' (δει des Leidens, das den Weg Jesu kennzeichnet und ihn als schriftgemäß ausweist", und auch „für den Weg der Kirche und für das Christenleben in seiner Nachfolge" (217i) gilt. 102 Es ist zu fragen, ob Engelhardt nicht den Begleitumstand der Auffindung des leeren Grabes zur Bedingung für das Handeln Gottes macht. Vgl. auch S. 192: „Ihre ,Unüberlegtheit' angesichts des von ihnen noch gar nicht recht verstandenen Geschehens von Kreuz und Auferstehung bringt sie auf den Weg; sie verhocken sich nicht in den nun einmal geschaffenen Situationen und Tatbeständen, um sich einen Reim darauf zu machen". Erzähllogisch leuchtet dieser Gedankengang nicht ein. Die Frauen wissen doch noch gar nichts von der Auferstehung, als sie sich auf den Weg machen, weshalb sich die Frage nach dem rechten Verständnis der Auferstehung noch gar nicht ergibt. M. Josuttis [1966], 23f, bezeichnet das Verfahren, bei dem die Begleitumstände eines Geschehens im biblischen Text in der Predigtarbeit zur Bedingung für die Erfahrung des Heils werden, als ,Analogieschematismus'. 103 Wenig überzeugend ist das Vorgehen H.J. Heids, V.46f ausdrücklich mit in die Interpretation einzubeziehen (213). Er bezieht sich zudem auch noch auf V.49 (ebd.), ohne die Perikopierung zu diskutieren bzw. zumindest die veränderte Abgrenzung in der Uberschrift kenntlich zu machen.

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Für die Verse 36-43 stellt Held einen „massiven Auferstehungsrealismus" fest (215; hervorgehoben). Lukas ging es um die „Leibhaftigkeit der Auferstehung Jesu", d.h. daß die Auferstehung „wirklich" geschehen ist (ebd.). Aus der,Leibhaftigkeit der Auferstehung' folgert Held die .Leiblichkeit', d.h. Konkretheit des Evangeliums, dem ein Glaube „zum Anfassen" (ebd.; hervorgehoben) entspricht. Die Stichworte .Leiblichkeit' und .zum Anfassen' begründen nach Held zum einen den Zusammenhang von Glaube und Dienst, zum anderen aber zeigen sie den Zusammenhang von Text und Predigt an. Die Betonung der Tatsächlichkeit der Auferstehung durch Lukas wird aufgenommen durch den ,österlichen Glauben' in der Nachfolge', der zu ,Konkretionen' drängt. Der Zusammenhang von Glaube und Konkretion im Anschluß an den Begriff ,Leiblichkeit' ist jedoch lediglich assoziativ hergestellt. Denn die Demonstration der Körperlichkeit des Auferstandenen und die Betonung der Glaubwürdigkeit der Osterzeugen, die doch nach Lukas skeptisch und keineswegs leichtgläubig sind, begründet sachlich nicht einen Glauben, der sich ,anfassen' läßt, d.h. einen Glauben, der sich konkret äußert. Der Auferstehungsleib (im Text) wird in der Auslegung von Held durch den Glauben (in der Predigt) ersetzt. Der Auferstandene erweist sich durch die Demonstrationen (z.B. das Anfassen in V.39) als wirklich. Er zeigt, daß er identisch ist mit dem irdischen, leidenden und gekreuzigten Jesus. Ein Subjektwechsel wird vorgenommen, wenn der Körper des Auferstandenen schließlich identifiziert wird mit einem Glauben, der in der Nachfolge ,konkret' wird. Christus, Evangelium und Glaube fallen auf diese Weise zusammen. 2.5.

Zusammenfassung

Es zeigt sich, daß der Text selten zunächst für sich genommen, gleichsam zweckfrei, exegesiert wird. Vielmehr steht bereits die Textarbeit unter dem Einfluß der zu planenden Predigt. Zwar geschieht die Exegese in der Tat im Rahmen von Predigtarbeit und wird daher immer auch innerhalb eines zielgerichteten Spannungsbogens piaziert sein, die angewendeten Verfahren jedoch zeigen, daß der Aussagegehalt der Predigtperikope häufig unzureichend in die Predigtarbeit einbezogen wird. Ein homiletisches Drängen auf mögliche Verbindungslinien, die in die Gegenwart führen könnten, und die rasche Suche nach potentiellen Anknüpfungspunkten, die der Text bietet, verhindern das Verweilen bei der Textarbeit. Der semantische Gehalt der biblischen Perikope kommt nur ausschnittweise in den Blick. Das Verfahren schränkt die Entdeckung komplexer thematischer Bezüge ein. Damit wird zugleich die konkrete und unverwechselbare Gestalt jeder einzelnen Predigtperikope für die Predigtarbeit unzureichend erschlossen. Die Einmaligkeit des Textes wird zugunsten allgemeiner Aussagen eingeeb53

net. Der Text verliert an Kontur und damit vermutlich auch die Predigt, die sich anschließt. Der Befund, daß die Ergebnisse der Meditationsverfahren sich trotz unterschiedlicher Ausgangstexte häufig ähneln und die vorgeschlagenen Predigtinhalte zum Teil kaum variieren, muß gedeutet werden als Verlust des Textprofils. Die Tendenz zu textübergreifenden Verallgemeinerungen, die in den Verfahren sehr häufig zu beobachten war, erklärt die Tendenz zu einander ähnelnden Predigtinhalten. Die Textarbeit steht bereits überwiegend im Zeichen der Suche nach Bezügen zur gegenwärtigen Wirklichkeit. Im folgenden analytischen Arbeitsgang wird der Versuch gemacht, näheren Aufschluß darüber zu erhalten, wie die Bezugnahmen erfolgen.

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3. Kritik: Bezugnahmen auf gegenwärtige Wirklichkeit Nachdem im vorangegangenen Kapitel die Ergebnisse der Meditation in ihrem Verhältnis zu den Predigttexten betrachtet wurden, sollen nun ihre Bezüge zur Wirklichkeit aufgezeigt werden. Mit dem Begriff der Wirklichkeit, der in diesem Kapitel vorausgesetzt wird, kommt neben dem biblischen Predigttext die zweite Bezugsgröße der Predigt in den Blick, die der Predigt als Anrede an den Hörer zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ihr charakteristisches Profil verleiht. Unter Wirklichkeitsbezügen der in den Predigtmeditationen erarbeiteten Inhalte für die Predigt werden also die erkennbar zum Ausdruck kommenden Zeit- und Ortsbestimmungen der Predigtarbeit verstanden. Das Verständnis von Wirklichkeit bleibt damit zunächst weit gefaßt. Auf diese Weise soll die Bezugnahme auf Wirklichkeit möglichst umfassend in den Blick treten. Erst dann kann das Verständnis von Wirklichkeit und die Art und Weise, in der Wirklichkeitsbezüge hergestellt werden, präzisiert werden. Die zum Ausdruck gebrachten Zeit- und Ortsbestimmungen sind nur insofern Gegenstand der Untersuchung, als sie ausdrücklich von den Mediatoren in ihre Überlegungen einbezogen werden. So soll die Analyse vor Spekulationen bewahrt werden, die bloße Vermutungen über den Hintergrund der der Analyse zur Verfügung stehenden Texte der Meditationen anstellen. Zudem können die Überlegungen der Meditatoren, die Wirklichkeitsbezüge herstellen, darstellen und begründen, ausgewertet werden. Die Wirklichkeitsbezüge werden erhoben, indem danach gefragt wird, welche Bereiche der Wirklichkeit zur Sprache gebracht werden. Es wird sich zeigen, welche Begebenheiten und Umstände der berücksichtigten Jahre in West und Ost explizit Eingang gefunden haben in die Predigtarbeit zu Ostern104. Wie werden diese charakterisiert? Wie werden sie theologisch qualifiziert? In welchem Verhältnis wird die Wirklichkeit zum Predigttext gesehen? Welche Bedeutung kommt ihr in der Predigtarbeit insgesamt zu?

104 Selbstverständlich ist damit noch keine Aussage gemacht zu den in den wirklich gehaltenen Predigten des genannten Zeitraums berücksichtigten Wirklichkeitsbezügen. Es soll hier auch nicht der Eindruck entstehen, als würden die Ergebnisse der Meditationen unmittelbar ,umgesetzt'. Bei A. Quade [1994] finden sich Hinweise auf Wirklichkeitsbezüge gehaltener Predigten. Er fragt danach, welche regional- und globalpolitischen Ereignisse und Sachverhalte Eingang gefunden haben in die von ihm ausgewerteten Bremer Osterpredigten aus dem Jahr 1986.

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Zweifellos hat jede einzelne Meditation ihr unverwechselbares Profil. Wenn man sich jedoch die angewendeten Verfahren, die Wirklichkeit in die Predigtarbeit einbeziehen, insgesamt vor Augen führt, so drängen sich vor allem folgende Beobachtungen auf. 3.1. Identifikation,

Repräsentation

und Vergleich

Es besteht die Tendenz, in sehr direkter Weise Parallelen zwischen Predigttext und heutiger Erfahrungswirklichkeit aufzusuchen und zu benennen. So werden etwa die Jünger und Frauen mit ,uns' verglichen. Dieser Vergleich zielt auf eine Identifikation. ,Wir' sind von denselben Erfahrungen geprägt. Ihre Erfahrungen und unsere Erfahrungen entsprechen einander im wesentlichen. Die Jünger repräsentieren uns. Sie fungieren als Platzhalter für uns und unsere Erfahrungen. Vor diesem Hintergrund kann ihr Verhalten und Erleben exemplarisch auch für unsere Wirklichkeit stehen. Ubereinstimmungen zwischen ihnen und uns, ihren und unseren Erfahrungen, die geltend gemacht werden können, ermöglichen und garantieren schließlich das Bestehen einer Kongruenz von Text und gegenwärtiger Wirklichkeit. Das beobachtete Vorgehen betont nicht nur besonders Verbindendes und Gemeinsames, mehr noch versucht es, die unterschiedlichen Ebenen von Text und Situation im wesentlichen zur Deckung zu bringen. Die Begegnung zwischen Maria und dem Auferstandenen und seine Anrede an sie (Joh 20,11-18) entspricht dem, was wir in der Taufe erfahren haben. Das gemeinsame Abendessen auf dem Weg nach Emmaus (Lk 24,13-35) korrespondiert unserer Abendmahlsfeier. Die Irrlehre, die Paulus in Korinth zu bekämpfen sucht (1 Kor 15,12-20), ist in ihren Grundzügen auch unter uns anzutreffen. Differenzen kommen hier kaum in den Blick. Einige wenige Beispiele sollen dieses Verfahren illustrieren. Martin Kruse postuliert eine Situationsanalogie zwischen den Emmausjüngern und der heutigen Gemeinde. ,Wir' sind wie die Jünger auch „noch auf dem Wege" (219). Dieses Unterwegssein qualifiziert Kruse sogleich näher. In dem Gesprächsbeitrag des Kleopas (Lk 24,19ff) spricht sich Enttäuschung aus, aber auch ein bestimmtes Gottesbild im Anschluß an seine Erfahrung und die Einsicht: „Daß einer, der Gott auf seiner Seite hat, der Israel erlösen soll, scheitert, das ist unfaßlich. Denn Gott ist doch ... der Allmächtige. Wo Gott ist, da ist Glück und Heil, da setzt er sich gegen alle Widerstände durch" (218). Das Unterwegssein der Jünger, das Erkennen des Auferstandenen in Wort und Sakrament haben Jünger (Text) und Gemeinde (Predigt) miteinander gemein. Es besteht hier eine ungebrochene Situationsanalogie. Das sich in der Rede des Kleopas aussprechende Gottesverständnis stimmt mit dem ,unseren' inhaltlich überein. Die Gemeinde, die mit den Jüngern verglichen wird, bevor diesen die Augen für die Identität des 56

Auferstandenen aufgehen, ist - auch wenn sie bereits von Ostern ,gehört' hat und sich deshalb nicht mehr in einer Situation der „reinen Enttäuschung" (219) befindet - quasi vorösterliche Gemeinde, die allererst „darauf angewiesen [ist], dem wirklichen Gott zu begegnen" (ebd.). Der Wirklichkeitsbereich, an den Kruse anknüpft, ist in erster Linie der Gottesdienst105. Hier begegnet die Gemeinde dem Auferstandenen in Wort und Sakrament wie die Jünger, hier ist sie ,unterwegs' wie die Emmausjünger auch. Darin ist ihre Situation dieselbe wie die der lukanischen Gemeinde. Sowohl die Frage, die Lukas bearbeitet („wie kommt die Wirklichkeit der Auferstehung heute in der Gemeinde zum Zuge" [216]), als auch ihre Beantwortung (in Wort und Sakrament) können nach Kruse in der Predigt ungebrochen übernommen werden. R.-G. Schein bezieht die Wirklichkeit der Hörer in das Meditationsverfahren ein mit der Frage: „Wo bezeugen wir - wo bezeugen Christen um uns, daß Jesus der Lebendige ist" (163). Petrus und ,wir* werden hier parallelisiert. Auch ,wir' sind Zeugen des Auferstandenen bzw. müssen uns kritisch auf diese Zeugenschaft hin befragen lassen. Schein stellt zwei Beispiele für gegenwärtige Zeugnisse vor. Eingeführt werden sie „als Anregung" (ebd.). Unklar bleibt ihre Funktion für den Nutzer der Meditation. Sollen ähnliche Beispiele aus der Situation der Gemeinde, die dem Prediger vor Augen steht, gesucht werden oder sollen die Zitate unmittelbar in der Predigt Verwendung finden? Diese Undeutlichkeit läßt spüren, daß die zitierten ,Osterzeugnisse' problematisch sind. Zum einen bezeichnen sie Extremsituationen (Folter, Sucht), die als solche eben nicht beispielhaft sind. Vor allem aber stellt sich die Frage nach einem Kriterium, anhand dessen entschieden werden kann, was als Osterzeugnis gelten kann und was nicht. Dies betrifft vor allem den Prediger, der eigene Beispiele heranziehen möchte und die genannten nicht einfach übernehmen will. Diese Frage aber bleibt unerörtert. Die Kriterien für das, was als Zeugnis gelten kann, bleiben undurchsichtig. Diese Undeutlichkeit aber ist ursächlich verbunden mit der einfachen Identifikation von Petruszeugnis und dem Zeugnis des Predigers, ohne daß das, was jeweils unter Zeugnis verstanden werden soll, näher bestimmt wird. Walther Fürst identifiziert die korinthischen Irrlehrer unterschiedslos mit den Predigthörern. Die Subjekte ,Korinther' und ,wir' werden quasi synonym gebraucht. Die Frage, ob die Identifikation naheliegt, wird nicht aufgenommen. Die Identifizierung wird unmittelbar hergestellt. Auch ,wir' blenden den Tod aus wie die Korinther, die kein Verständnis haben für Leiden und Arbeit, für die Armen und die Leidenden (vgl. 130). Beispiele dafür, daß ,wir' in derselben Situation wie die Korinther sind, werden 105 „Was hier geschieht, hat irgendwie eine Beziehung zum Gottesdienst heute" (216). M. Kruse stellt dies gleich zu Beginn der Meditation fest. „Anklänge an das Abendmahl sind sofort herauszuhören", V.29 ist bekannt, auch als Kanon (ebd.).

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nicht genannt. Vorausgesetzt ist offensichtlich, daß sich die Diagnose Fürsts von selbst versteht. Ein keineswegs nebensächlicher Unterschied zwischen den Korinthern und ,uns' wird allerdings benannt. Fürst spricht an, daß moderne wissenschaftliche Zweifel an der Auferstehung die Menschen heute „plagen" (ebd.). Die Korinther aber kannten diese nicht. Sie glaubten ja an die Auferstehung, wenn auch nicht an die Auferstehung der Toten. Auf die veränderte Situation, die sich daraus ergibt, will Fürst aber in der Predigt nicht argumentativ eingehen. „Ich würde auf dieses neuzeitliche Problem nicht eingehen, weil man ihm nicht apologetisch begegnen kann, sondern nur mit dem in V.55 enthaltenen Osterlachen" (ebd.). Diese Differenz zwischen damaliger und gegenwärtiger neuzeitlicher Wirklichkeit bleibt damit für die Predigt unwirksam. Zwar ist es selbstverständlich gut möglich, heutige Erfahrungen mit denen zu vergleichen, von denen die Texte sprechen. Die Predigtarbeit wird mit Recht vor allem Verbindendes und Gemeinsamkeiten zutage treten lassen, weil von einer Grundstruktur christlicher Existenz106 auszugehen ist und weil die Rezeption der Texte im Gottesdienst voraussetzt, daß diese auch heute noch Gültiges und Wirksames zum Ausdruck bringen und uns ansprechen und angehen können. Exemplarisch zur Sprache gebrachte Erfahrungen des heutigen Menschen können durchaus in einen Zusammenhang gebracht werden mit den Osterzeugnissen. Es entspricht gerade einer sinnvollen Lektüre, eigene Erlebnisse und Wahrnehmungen in eine Fluchtlinie mit dem Gelesenen zu bringen. Indem jedoch rasch und forsch auf eine Identifikation von Jünger und Hörer, Text und gegenwärtiger Wirklichkeit zugegangen wird, erweist sich das angewendete Verfahren als eindimensional. Die Bezüge zwischen Text und Wirklichkeit sind von geringer Komplexität. Von .Beziehungsarmut' läßt sich sprechen, wenn die Predigtarbeit wiederholt zu dem schlichten Ergebnis kommt: die Jünger - das sind wir. Weiter ist festzuhalten, daß die Besonderheit der in den Texten bezeugten Ostererfahrung eingeebnet wird zugunsten einer allgemeineren und verallgemeinerbaren .Erfahrung des Auferstandenen'. Dem Selbstverständnis mancher Texte dürfte dies zweifellos widersprechen107. Wenn man auch eigene Erfahrungen und Erlebnisse mit den Zeugnissen der Auferstehung in einen Zusammenhang zu bringen versteht, so ist doch ein gewisser Vor106 R. Preul [1989] hält fest: „Die biblisch-christliche Rede vom Menschen bezieht sich ihrer Intention nach nicht auf den Menschen einer bestimmten historischen Epoche ..., sondern auf den Menschen schlechthin, auf den Menschen coram Deo." (91) Der Grundbegriff christlicher Existenz, den Preul paulinisch-reformatorisch mit der Rechtfertigung des Menschen durch Gott füllt, ist als eine Norm in Anschlag zu bringen für eine Predigt, die sich „deskriptiv" versteht (aaO., 90f). 107 Der lukanische Zeugenbegriff etwa beinhaltet, daß der Zeuge sowohl das Leben und Sterben des Jesus von Nazareth erlebt hat, als auch, daß ihm eine Begegnung mit dem Auferstandenen zuteil wurde. Paulus hielt die Reihe der Offenbarungen des Auferstandenen für abgeschlossen (1 Kor 15,8). 58

sprung der Erfahrung des Auferstandenen bei den Jüngern, Maria und Paulus zu behaupten. Um eine Erfahrung als Erfahrung des Auferstandenen zu verstehen und zu deuten, bedarf es eines Kriteriums. Versteht man lediglich die Erfahrung von Veränderung und Freude, den gelungenen Neuanfang und den Ausgang aus Leid und Not als Ostererfahrung, so könnte der Eindruck entstehen, die Erfahrungen der Jünger am Ostermorgen seien schließlich nicht mehr als das, was wir mitunter an Positivem erfahren. Das Geschehen, das die Texte wiedergeben, würde austauschbar und beinahe beliebig verallgemeinerbar. Nicht nur die Unterschiede zwischen den dramatis personae der biblischen Texte und ,uns' werden durch ein auf Identifikation zielendes Verfahren zur Unkenntlichkeit nivelliert, auch die Unterschiede unter ,uns' bleiben wie selbstverständlich unberücksichtigt. Die erste Person Plural konstituiert eine Gemeinschaft, die vor allem homogen zu sein scheint. Prediger und Hörer sowie Hörer und Hörer können unterschiedslos miteinander identifiziert werden. Lebensweltliche Differenzen wie unterschiedliche religiöse Prägungen bleiben ausgeklammert. An dieser Stelle wird besonders deutlich, daß die Herstellung von Wirklichkeitsbezügen vor allem auf der Voraussetzung eines anthropologischen Strukturmodells basiert, das sich kontinuierlich durch alle Zeiten und Lebenswelten gleichermaßen durchhält. In diachroner Hinsicht markiert der Hinweis auf den .modernen Menschen' eine Differenz zwischen neutestamentlichen Schriftstellern und ihren Zeitgenossen einerseits und dem gegenwärtigen Prediger und Predigthörer im ausgehenden 20. Jahrhundert andererseits. Unabhängig vom Weltbild, sei es mythologisch oder neuzeitlich-aufgeklärt geprägt, können allerdings allgemeine Erfahrungen zugrunde gelegt werden, so daß die Differenzen in den Hintergrund treten. In synchroner Hinsicht kommen Unterschiede jedoch erst gar nicht in den Blick. Die Rezipienten erscheinen als homogene Einheit. Der Prediger versteht sich selbst als ihr Teil und Repräsentant. Daß seine Perspektive eine individuelle ist und sich - beruflich bedingt - pastoral darstellt, wird nicht Gegenstand der Predigtarbeit. Die Erfahrungen von Prediger und Hörer sowie der Hörer untereinander werden unterschiedslos in den biblischen Texten repräsentiert. Ein Verfahren, das auf rasche Wiederentdeckung der eigenen Lebenswirklichkeit und Erfahrung in den Osterzeugnissen drängt, läßt keinen Raum mehr übrig, Differenzen wahrzunehmen und Differenzierungen vorzunehmen. 3.2. Folgerungen Ein weiteres, häufig verwendetes Verfahren, Text und Wirklichkeit in Beziehung zu setzen, zielt darauf, Konsequenzen aufzuzeigen, die sich aus dem Text für die gegenwärtige Wirklichkeit ergeben. Die Bedeutung des 59

Textgehalts wird durch die Frage nach möglichen Konsequenzen erschlossen. Was folgt aus den Aussagen des Textes? Was ergibt sich daraus? Häufig wird die Gewinnung einer neuen Perspektive genannt. Wir haben Grund, Mut zu fassen und Hoffnung zu pflegen. Die Lektüre der Texte soll dazu ermuntern, eine neue Sichtweise auf die Wirklichkeit einzunehmen, die an den Gegebenheiten nicht verzweifelt. Hoffnung auf Veränderung aber konkretisiert sich im Einsatz für Erneuerung. Das Autorenpaar A. Staemmler und J. Winkel beispielsweise verbindet Predigttext und Wirklichkeit so, daß sie Konsequenzen aus dem Text für die gegenwärtige Wirklichkeit folgern. Diese Konsequenzen bestehen hauptsächlich im Appell an das Handeln der Gemeinde. Der „gegenwärtig verbreiteten Weltuntergangsstimmung" (158) soll durch das Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung begegnet werden. Weder wird näher ausgeführt oder durch Beispiele konkretisiert, was unter „Weltuntergangsstimmung" verstanden werden soll, noch erfährt der Leser, wie ein mögliches Engagement aussehen könnte. Die Wirklichkeitsbezüge, die über dieses auf Konsequenzen zielende Verfahren hergestellt werden, bleiben sehr vage. Auch J. Ziemer stellt den Wirklichkeitsbezug her, indem er betont, was christliche Hoffnung bewirkt. Zwar, so Ziemer, ist die gegenwärtige Wirklichkeit dadurch geprägt, daß der Tod noch nicht aus der Welt geschafft ist. Die Hoffnung auf die Totenauferweckung ermöglicht allerdings schon jetzt „von der Auferstehung her" (198) ein von Todesangst befreites Leben. Somit stellt das Eintreten gegen alles Lebensfeindliche (ebd.) den entscheidenden Wirklichkeitsbezug dar. Die christliche Hoffnung zielt damit auf das Wahrnehmen der „Aufgaben der Welt" (ebd.) Diese werden allerdings wie auch in dem vorangehenden Beispiel nicht näher präzisiert. Ebenso bleibt die Meditation allgemein und undeutlich, wenn sie keinen Aufschluß darüber gibt, was unter Lebensfeindlichem verstanden werden soll. Die „Konkretion" (ebd.) soll wohl bewußt offen gelassen werden. Bei diesem Verfahren der Folgerungen und Konsequenzen erweist sich die Bedeutung der Textaussagen im wesentlichen in ihrer Wirkung auf uns. Eine veränderte Weltsicht soll Engagement aus sich heraussetzen. Die Relevanz der biblischen Uberlieferung liegt vor allem darin, daß sie Folgen für unser Handeln impliziert und uns dazu ermuntert, entsprechend aktiv zu werden. Festzuhalten ist, daß zum Handeln allererst aufgerufen wird. Ob und in welchem Maße bereits Engagement bei den Hörern vorauszusetzen ist, wird nicht gefragt. Es wird demnach davon ausgegangen, daß noch gar keine oder jedenfalls keine ausreichende Aktivität bei den Hörern vorhanden ist. Die Lebenswirklichkeit kommt mithin in erster Linie als defizitäre in den Blick.

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3.3. Wirklichkeiten Es werden häufig zwei Wirklichkeiten kontrastierend einander gegenübergestellt. Die eine Wirklichkeit ist die gegenwärtige Lebenswirklichkeit der Hörer. Sie ist vor allem defizitär. Durch Zweifel, Hoffnungslosigkeit und Unfreiheit wird sie charakterisiert. Es ist die Welt des Leidens, in der der Mensch zum Tode bestimmt ist. Gegenüber der zweiten Wirklichkeit ist sie eine vorläufige Welt, die in gewisser Weise bereits überholt und darum alt ist. Die andere Wirklichkeit ist eine neue Wirklichkeit, die radikal von der alten unterschieden ist. Während das Bild der alten Wirklichkeit ausgiebig, wenn auch düster, gemalt wird, bleibt die neue Wirklichkeit eher unbestimmt. Sie ist ungebrochen positiv zu beschreiben. Darum ist sie auch eine andere Wirklichkeit, die Kontur gewinnt vor dem dunklen Hintergrund der alten Wirklichkeit. Sie ist die Osterwirklichkeit, die Wirklichkeit des Reiches Gottes. In unterschiedlicher Weise werden Verhältnisbestimmungen der beiden Wirklichkeiten vorgenommen. In jedem Fall dienen alte und neue Wirklichkeit einander als Folien, vor denen sich die jeweils andere in jeder Hinsicht abhebt. Darüber hinaus werden sie aber auch in Beziehung zueinander gesetzt. Entweder die beiden Wirklichkeiten stehen einander völlig unvermittelt gegenüber und sind kraß voneinander geschieden. Die Existenz der neuen Wirklichkeit läßt jedoch die alte in einem anderen Licht erscheinen. Obwohl der Mensch weiterhin ganz und gar in der alten Wirklichkeit beheimatet ist, weiß er um die neue und wird nun die todesverfallene Welt mit anderen Augen sehen. Oder aber die Wirklichkeiten sind, freilich nur punktuell, miteinander vermittelt. Dann gibt es Spuren der neuen Wirklichkeit in der alten. Die neue Wirklichkeit konkretisiert und verwirklicht' sich in der alten Wirklichkeit. Christian Bunners etwa stellt in seiner Meditation über Mt 28,1-10 zwei Wirklichkeiten einander kontrastierend gegenüber: die „Wirklichkeit des auferweckten Christus" (208) einerseits und die alte, vorläufige Wirklichkeit, auf die unsere „landläufige Wirklichkeitsauffassung" (209) bezogen ist. Beide sind, so betont Bunners, nicht miteinander vermittelbar. Mit Ostern ist jedoch ein neues Wirklichkeitsverständnis gegeben. Aufgabe der Predigt ist es, „den umwälzenden Charakter des Osterglaubens in den Vordergrund zu rücken" und die neue Wirklichkeit anzusagen (211)108. Kennzeichen der österlichen, neuen Wirklichkeit ist, daß sie den „.Aufstand' gegen die Todesmächte in individueller und gemeinschaftlicher Hinsicht" bedeu-

108 Diese Wirkung gilt im wesentlichen für die Subjekte ,der Auferstandene', ,Osterglaube', ,Predigttext' und ,Predigt'.

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tet und ,Konsequenzen' beispielsweise in politischer 109 und psychologischer110 Hinsicht beinhaltet (212). Pauschal wird in diesem Zusammenhang auf „Situationen von Trauer, Tod, Hoffnungslosigkeit, Resignation" (211) hingewiesen. Beide Wirklichkeiten treten nicht gesondert, je für sich in den Blick. Es finden sich keine Hinweise, wodurch das „landläufige Wirklichkeitsverständnis" charakterisiert wird oder wie die neue, österliche Wirklichkeit zu verstehen ist. Bunners geht es vor allem um die Wirkung, die sich aus der Gegenüberstellung ergibt. Die Ansage der österlichen Wirklichkeit soll die Hörer „erschüttern" und „neumachen" (206). Zwar leben die Menschen weiterhin in der alten Wirklichkeit, ihre Erfahrungen sind jedoch auf beide Wirklichkeiten bezogen. Neben die übliche, alltägliche Erfahrung von Vergeblichkeit und Sich-Abmühen tritt auch die Erfahrung der neuen Wirklichkeit. Positive und negative Erfahrungen sind jedoch nicht integriert. Die Hoffnung auf Veränderung und auf neuen Sinn hat ihren Ursprung immer in der neuen Wirklichkeit, die außerhalb der Lebenswirklichkeit liegt. Damit kommt die Lebenswirklichkeit der Menschen nach wie vor ausschließlich negativ in den Blick. Auch Klaus Engelhardt charakterisiert auf der Grundlage zweier voneinander scharf geschiedener Wirklichkeiten die gegenwärtige Lebenswirklichkeit der Hörer ausschließlich negativ. Engelhardt verbindet Predigttext und gegenwärtige Wirklichkeit durch die assoziative Füllung der Begriffe 'Galiläa' und Versteinerungen'.,Galiläa' und Versteinerungen' stehen für die „alte Welt" (195). Diese wird ausschließlich negativ qualifiziert. Sie ist „hartnäckige, steinharte, verkrustete, häßliche, alte Welt" (ebd.). Der Mensch ist ein Teil dieser Welt: „Wie versteinert kann uns manchmal unser Leben begegnen, wie versteinert erleben wir uns plötzlich selbst. Das eigene Herz ist steinhart geworden" (196). Die Diagnose der Stagnation betrifft Welt, Leben und Menschen gleichermaßen. Der ,verhärteten' Welt steht die „neue Welt" gegenüber. Sie ist „Gottes neue Welt" (195) und durch Erlösung qualifiziert (194)111. Alte Welt und neue Welt aber stehen nicht unverbunden gegeneinander. Die Osterbotschaft besagt, „daß Gott mit der Auferstehung Jesu Christi Bewegung und Leben in unsere versteinerte Welt gebracht hat" (196). Im Gottesdienst kann dies erfahren werden, denn er unterbricht „alle alte Routine" (ebd.). 109 In Anspielung auf die umfallenden Grabwächter formuliert Bunners: „Der Auferstandene macht Aufstand gegen die Weltmächte als die Hüter des Todes. Vor dem heilsamen Aufruhr von Jesu Liebe, so zeigt sich Ostern, haben angemaßte Machthaber abgewirtschaftet" (208). 110 Mit Hinweis auf die Frauen am Grab soll gelten: „Psychische Krisen werden oft überwunden dadurch, daß Angefochtenen ein neues Sinnsystem sich zeigt/gezeigt wird" (ebd.). 111 Das Zitat aus O f f b 21,4 dient der Illustration der „großefn], alles umfassendefn] Erlösung" (194).

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In der Veränderung aber, der Unterbrechung der das alte Leben bestimmenden Routine, „will sich Ostern auswirken" (195f). Die Polarisierung der Wirklichkeiten birgt die Tendenz zur Schwarzweißmalerei in sich. Diese Tendenz hat zum einen zur Folge, daß die Einseitigkeit die Wahrnehmung der gegenwärtigen Erfahrungswelt einschränkt und somit verdeckt, daß es neben Hunger, Verzweiflung und Tod doch auch andere, positive Erfahrungen gibt. Auf der Grundlage dieser umfassenderen Wahrnehmung wäre dann auch eine differenziertere Deutung von Wirklichkeit möglich, die sich nicht lediglich aus Entgegensetzungen speist. Indem jedoch die neue Wirklichkeit als Oster- bzw. Auferstehungswirklichkeit die alte glanzvoll überstrahlt, bleiben für die alte Welt lediglich düstere Attribute übrig. Zum anderen folgt aus der Zuordnung jeder positiven Erfahrung zur Osterwirklichkeit auch eine Reduktion dessen, was mit Auferstehung und Ostern ursprünglich bezeichnet wird. Alle Erfahrungen, die nicht von Tod und Leid dominiert sind, lassen sich scheinbar eo ipso als Ostererfahrungen titulieren. Trifft die Gegenüberstellung der Wirklichkeiten auf die Frage nach den Konsequenzen, die sich ergeben, so ist bisweilen auch die Tendenz zu beobachten, daß die neue Wirklichkeit lediglich der Möglichkeit nach besteht und durch Engagement und Uberwindung der Lebenswirklichkeit allererst herbeizuführen ist. In diesem Fall wird den Hörern die Verwirklichung des Neuen aufgebürdet. Dann aber können auch Ostern und Auferstehung inhaltlich nur mit dem gefüllt werden, was menschlichen Möglichkeiten entspricht. 3.4. Aspekte von Wirklichkeit: Bereiche und Konkretion Die Fokussierung auf die Wirklichkeitsbezüge zeigt, daß diese häufig unbestimmt bleiben. Wenn beispielsweise auf die Notwendigkeit von Veränderungen hingewiesen wird, dann bleibt zum einen weitgehend im Dunkeln, was woraufhin verändert, zum anderen, aus welchen Gründen verändert werden soll. Die Undeutlichkeit und mangelnde Präzision hält die Bezüge offen und mag den Lesern die Möglichkeit eigener Konkretion eröffnen. Der Umstand, daß zwar die Leser der Predigthilfe eine konkrete gottesdienstliche Situation und Gemeinde vor Augen haben, nicht aber der Meditator, mag zweifellos vor allem eine generalisierende Redeweise nahelegen, um auf Wirklichkeit Bezug zu nehmen. Eine gleichsam gattungsbedingte Unbestimmtheit könnte hier also ursächlich geltend gemacht werden. Es fragt sich allerdings, ob tatsächlich ein Wirklichkeitsbezug hergestellt ist, wenn dieser doch eher undeutlich und vage bleibt. J. Ziemer beispielsweise betont, daß die Hoffnung auf die Totenauferweckung schon jetzt „von der Auferstehung her" (198) ein von der Todesangst befreites Leben ermöglicht. Das Eintreten gegen alles Lebens63

feindliche stellt den entscheidenden Wirklichkeitsbezug seiner Meditation her. Die christliche Hoffnung zielt damit auf das Wahrnehmen der „Aufgaben der Welt" (ebd.). Diese denkbar allgemeine Formulierung wird allerdings nicht näher präzisiert. Ebensowenig gibt die Meditation Aufschluß darüber, was unter Lebensfeindlichem verstanden werden soll. Nach K.-A. Bauer soll im Anschluß an Apg 10,34a.36-43 die Bedeutung der Sündenvergebung in der Predigt thematisiert werden. Er schlägt den Predigenden vor, Situationen aus dem Leben der Hörer aufzugreifen, „in denen Jesu vergebendes und befreiendes Richten heute in seiner tröstlichen Relevanz aufleuchtet" (221). Eine Auswahl von Vorschlägen bietet er selbst nicht. Die Konkretisierung, das Finden und Auswählen solcher Situationen, ist den Predigern überlassen. Die Ausführung der grundsätzlichen Konsequenzen bei Bauer aber bietet einige Ansätze, z.B.: die „Unfähigkeit zu trauern" und die „Aufarbeitung von Schuld" (220). Die angesprochenen Problemkreise sind im Hinblick auf den einzelnen Menschen formuliert. Die politische Relevanz ist angesprochen, da die genannten Stichworte aus dem Problemkreis der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Deutschland stammen. Neben diesen Ansätzen weist der Meditator noch auf Gefahren hin. Er warnt vor der Gefahr einer „Individualisierung der Vergebung" (221) in der Predigt und empfiehlt Vorsicht, Beispiele aus der Zweidrittelwelt zu benennen.112 Die Bedeutung der Sündenvergebung wird in grundsätzlicher Hinsicht entfaltet. Die universalen Aussagen betreffen alle Menschen. Zugleich ist ihre Relevanz zu zeigen, indem sie auf das Leben des einzelnen konkret zugespitzt werden. Methodisch kann und will die Meditation hier nur Ansätze bieten und die Ausführung dem Prediger überlassen. Die ,Anwendung' soll sich in den dargestellten Beispielen offensichtlich von selbst verstehen. Die Hinweise bleiben in der Regel ohne argumentative Einführung. Sie werden nicht begründet, sondern zielen auf Evidenz. Gruppiert man die Wirklichkeitsbezüge, die generell angesprochen werden können, vor allem in einen politisch-sozialen und einen existentiellindividuellen Erfahrungsbereich113, so zeigt sich, daß beide Bereiche gleich häufig vorkommen. Da der existentiell-individuelle Bereich ansonsten in der Regel dominiert114, ist dies zunächst festzuhalten. Möglicherweise ist dieser Befund kasuell bedingt: Ostern würde demnach eher politische Be112 K.-A. Bauer, 221 Anm. 18, zitiert R. Bohren [1983], 11: „Die Deutschen konsumieren brasilianische Befreiungstheologie wie brasilianischen Kaffee und bezahlen für beides zu wenig." 113 Im Anschluß an K.-F. Daiber [1984], 490. Vgl. aber auch die Einteilung bei H. Hirschler [1977] in einen zwischenmenschlichen Bereich und einen Bereich des individuellen Erlebens. Ergänzend bestimmen strukturelle Probleme im Nahbereich sowie strukturelle Probleme im globalen Bereich die Lebenswirklichkeit (50f). 114 „Insgesamt deutlicher ausgeprägt ... ist in der Predigt das Individuelle" K.-F. Daiber [1984], 490.

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züge nahelegen als andere Feste und Sonntage. Tagespolitische Ereignisse können zwar im Gegensatz zur Predigt in die Meditationen nicht einfließen, vielleicht versuchen die Meditatoren aber, durch politische Themen, sofern sie davon ausgehen können, daß diese ihre Aktualität nicht zu schnell verlieren, dem Anspruch einer situationsbezogenen Predigt Rechnung zu tragen. Der Meditator würde somit eine „,Zeit'-,Stelle'" in seiner Predigtarbeit markieren wollen115, denn gegenüber den politischen Bezügen dürfte mit dem individuell-existentiellen Erfahrungsbereich eine gewisse Zeit- und Ortlosigkeit verbunden sein. Hierbei handelt es sich um Erfahrungen, die alle Menschen zu allen Zeiten machen. An politischen Bezügen tritt vor allem die Frage nach der Friedenssicherung hervor. Der sogenannte Nato-Nachrüstungsbeschluß vom Herbst 1983 mag sich hier ausgewirkt haben. Sowohl in den GPM als auch in den EPM wird zu Beginn der 80er Jahre dem Thema Weltfrieden spürbar eine besondere Bedeutung beigemessen. H.-G. Bethge betont 1984 in den EPM, daß man nicht vom Frieden zwischen Gott und Mensch sprechen könne, „ohne die aktuelle Friedensproblematik mit einzubeziehen" (154), die er jedoch nicht näher charakterisiert. Auch hier bleibt offen, in welcher Weise sich die Predigt auf die zeitgenössische politische Problemkonstellation beziehen kann und wie der Friede zwischen Gott und Mensch einerseits mit dem Weltfrieden andererseits zusammenhängen. In den folgenden Jahren übernimmt in den GPM vor allem die Umweltzerstörung die Rolle eines dauerhaften Krisenthemas, das Anfang der 90er Jahre dann auch in den EPM aufgenommen wird. E. Berger und Ch. Burkhardt kombinieren 1992, möglicherweise unter dem Eindruck des Golfkrieges, Krieg und Umweltzerstörung. Die Autoren schlagen den Predigern vor, daß Fragen aus heutiger Zeit aufgegriffen werden, die dann als „Anwendungsfälle für den Bewährungszusammenhang" von Osterglaube und täglichem Leben (197) dienen sollen. Krieg und Umweltzerstörung sind die von ihnen zur Geltung gebrachten Beispiele. Zwar sind wir selbst, so die Autoren, in diese scheinbar unabänderlichen Zusammenhänge schuldhaft verstrickt, diese sind jedoch nicht unausweichlich (198). Ein mehrfaches ,immerhin' leitet ein, was nach Meinung der Autoren gegen Resignation spricht: „Immerhin wir selbst können uns gegen die bedrohlichen Zeichen der Zeit wehren. Immerhin wir selbst können Schuld bekennen und vergeben lassen, damit bei uns wahr wird, was der Auferstandene mit den Worten zusägt: Friede sei mit Euch!" (Ebd.) Exemplarisch für die Predigt formuliert die Meditation: ,„Wenn nun von Christus gepredigt wird, daß er von den Toten auferweckt worden ist' (V.12), wie können dann einige von euch sagen: Kriege wird es immer

115 Zum Begriff vgl. P.C. Bloth [1994], vor allem 212.

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wieder geben! An der Umweltzerstörung ist nicht zu ändern! Der Mensch wird unweigerlich schuldig und stirbt!... Daraufhin muß die österliche Gewißheit am konkreten Problem dargetan werden!" (197) Eine weitere Möglichkeit stellt nach Ansicht der Meditatoren „ein Zuversicht bezeugendes Vorgehen" dar: „Ihr sagt, Krieg wird immer sein. Der Mensch wird sich im Blick auf seine Umwelt nicht belehren lassen, es sei denn unter dem Druck von Zwängen. Er ist und bleibt in tödliche Schuld verstrickt. Ich sage euch von Christus her: Nein, das alles ist nicht unausweichlich!" (198) In der D D R wird dagegen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre eine nicht näher spezifizierte Weltuntergangsstimmung diagnostiziert. A. Staemmler und J. Winkel beziehen sich auf eine „gegenwärtig verbreitete Weltuntergangsstimmung'' (158). Diese Stimmung wird in die Formel „apocalypse now" gegossen, allerdings ohne für Abfassungszeit und -ort (Frühjahr 1989, D D R ) belegt zu werden. In den GPM finden sich regelmäßig, wenn auch seit Beginn der 90er Jahre abnehmend, Hinweise auf eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung. Der Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung wird immer wieder empfohlen. Offensichtlich gibt diese Formel die wesentlichen Anliegen zusammenfassend wieder. Die politischen Wirklichkeitsbezüge sind mithin denkbar weit gefaßt. Angesichts ihrer Generalität und Globalität drängt sich jedoch die Nachfrage nach der Konkretion noch einmal auf. Zweifellos gibt es Ansatzpunkte für ein sich auf komplexe Problemkonstellationen beziehendes Engagement auch in den Gemeinden der Hörer. Als problematisch muß allerdings erscheinen, daß die Lösung weltweiter Probleme eine nicht zu bewältigende, übermächtige Aufgabe darstellt, wenn nicht zugleich erkennbar wird, wie ein einzelner Einfluß nehmen kann. Dem Prediger käme nun die Aufgabe zu, den Mangel an Konkretion und Beispielen auszufüllen. Ubernimmt er schlicht die allgemeinen Wirklichkeitsbezüge für seine Predigt, ist zu bezweifeln, ob dem Hörer anschaulich wird, wo er einen sinnvollen Beitrag leisten kann. Die Größen ,Friede' und ,Leben', aber auch der seit Ende der 80er Jahre mit dem Fall der Berliner Mauer auftauchende Begriff ,Veränderung', leisten eine Verbindung der Bereiche. Sie lassen sich sowohl auf globalpolitische Probleme beziehen als auch auf den individuell-privaten Bereich. Klaus Engelhardt empfiehlt dringend Veränderungen. Ausgehend von der Zeitangabe der Entdeckung des leeren Grabes bei Mk am Morgen nach dem Sabbat, meditiert Engelhardt das Thema ,Unterbrechung des Alltags'. Der Gottesdienst am Sonntag, den die Gemeinde feiert, stellt ebenso wie der Sabbat, der die Trauerarbeit der Frauen unterbrach, eine befreiende Unterbrechung dar: 66

„Wir sind hineingenommen in Gottes Tun, das nichts anderes als Rettung zum Ziel hat. Wo wir uns in unserer Aktivität unterbrechen lassen, leuchtet auf, daß sein rettendes, zurechtbringendes, alle Zerrissenheiten heilendes, Schuld vergebendes und versöhnendes Handeln weitergeht - weiter als wir mit unserem Weitermachen je erreichen könnten." (194)

Das Thema .Unterbrechung' bezieht er kurz nach dem Fall der Berliner Mauer auf die Situation der Kirchen in der EKD. „Gibt es lediglich eine um die DDR-Landeskirchen erweiterte EKD? ... Auch das wäre österliche Erfahrung, wenn unsere Kirche die einschneidenden Veränderungen als ungeplante, unerwartete Unterbrechung annimmt, damit Gemeinde Jesu weiter und umfassender erlebt und gelebt werden kann, als wir sie bisher ausgelegt haben. "(Ebd.)

Auch Blauert plädiert für eine kirchliche Strukturveränderung. Die Osterpredigt sollte die Suche nach einem „Weg aus der Enge einer Mittelstandskirche in die Weite einer solidarischen Gemeinde" in den Mittelpunkt rücken. (201) Dem existentiell-individuellen Bereich sind vor allem Erfahrungen von Tod und Sinnlosigkeit, Stagnation und Angst zuzuordnen. Ausgehend von der Erfahrung von Tod werden darüber hinaus vielfältige andere Erfahrungen genannt, die sich jedoch alle auf die existentielle Schlüsselerfahrung des Todes, des Verlustes eines Menschen oder der Sorge um das eigene Leben beziehen. Für diese Auswahl ist wohl nicht in erster Linie die pastorale Perspektive als ursächlich anzusehen116, sondern in diesem Fall der Osterkasus, der die Überwindung des Todes impliziert. Ein weiterer Befund soll an dieser Stelle festgehalten werden. Insbesondere die Meditationen der EPM nehmen eine Perspektive ein, die deutlich unterscheidet zwischen Kirchengemeinde und ,Welt'. P. Pokorny beispielsweise unterscheidet scharf zwischen Welt und Gemeinde (144). Auf die Welt wird aus der Innenperspektive Gemeinde nach „außen" (ebd.) geblickt. Nicht so sehr allgemein-menschliche Erfahrungen treten in das Zentrum der Überlegungen, sondern mehr der Christ, der dann wiederum kaum als einzelner, sondern als Glied der Gemeinde vor Ort in den Blick kommt. In diesem Zusammenhang ist eine Tendenz zur „Innen-Außen-Semantik"117 erkennbar. Gemeinde und Welt erscheinen deutlich voneinander abgrenzbar. Globale, ekklesiale und individuelle Bezüge entstammen den Bereichen, die einen gemeinsamen Hintergrund aller Leser und deren Predigthörer sicherstellen. 116 „Daß dieser Erfahrungsbereich [sc. Einsamkeit, Leiden, Tod] in der Predigt so wichtig ist, hängt nicht zuletzt an den Erfahrungsmöglichkeiten des Gemeindepfarrers, dessen Arbeit hier einen Schwerpunkt hat" (K.-F. Daiber [1984], 490). 117 Diesen Begriff verwendet R. Schieder [1995] zur Charakterisierung der Predigt in den fünfziger Jahren (331).

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4. Das Meditationsverfahren Ein weiterer Arbeitsgang folgt an dieser Stelle, mit dem die Analyse der Predigtmeditationen abgeschlossen wird. Bisher wurden die Ergebnisse der Meditationen (1.) dargestellt und nach ihrem Zustandekommen gefragt, indem die Bezugnahmen auf den Predigttext (2.) und die gegenwärtige Wirklichkeit (3.) herausgearbeitet wurden. Im folgenden soll darüber hinaus der Aufbau der Meditationen betrachtet werden. Ein umfassenderes Bild der Meditationsgänge kann auf diese Weise skizziert werden, denn es treten hier auch die Gegenstände und Überlegungen hervor, die mit der Nachfrage nach Text und Wirklichkeit noch nicht erfaßt wurden. Zudem wird die innere Struktur der Meditationsgänge deutlich werden. Welchen Verlauf nimmt der Gedankengang? Welcher Methodik folgt die konkrete Predigtarbeit? Das Meditationsverfahren zeichnet sich ab. Es wird der Versuch gemacht, den - im Kompositum ,Predigtmeditation' enthaltenen - hinsichtlich der impliziten Aufgaben und Herkünfte überaus schillernden Begriff der ,Meditation' soweit aufzuhellen118, daß erkennbar wird, welches homiletische Verfahren angewendet wird. Ziel dieser Teilstudie ist es, das angewandte homiletische Verfahren und damit das faktische Vorgehen der Meditationen in den Blick treten zu lassen. Im folgenden wird dargelegt, welchen Gegenständen die Predigtmeditationen nachdenken und in welche Segmente sie gegliedert werden können. Ihr Aufbau soll erhoben werden. Um die Meditationen sinnvoll gliedern und ihren jeweiligen Aufbau miteinander vergleichen zu können, möchte ich daher zur näheren Differenzierung der Predigtarbeit unterscheiden zwischen exegetischen, systematisch-theologischen, hermeneutischen und aktualisierenden Überlegungen. Die einzelnen Predigtmeditationen wurden auf diese Teilüberlegungen hin analysiert. Zu beachten ist, daß die Meditatoren nicht etwa selbst ihre Meditationen auf diese Weise glie-

118 Auf die vielfältigen Implikationen des Meditationsbegriffs soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Hier wäre insbesondere der Frage nachzugehen, wie ein aszetischer Meditationsbegriff und die Predigtvorbereitung zusammenhängen. Angesichts der Komplexität des Gegenstandes, von dessen geschichtlicher Entwicklung nicht abgesehen werden könnte, möchte ich im Rahmen dieser Arbeit nicht detailliert darauf eingehen. Ich nenne daher an dieser Stelle auch nicht einfach die Vielzahl von Literaturtiteln zum Thema, sondern möchte stattdessen auf J. Henkys [1980] verweisen, der nicht nur auf die Undeutlichkeit des Begriffs aufmerksam gemacht, sondern zugleich auch hilfreiche terminologische Klärungen zum Begriff ,Predigtmeditation' vorgelegt hat, die unbedingt zu beachten sind.

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dern, sondern das Gliederungsprinzip von außen an sie herangetragen wird. Es erweist sich als geeignet, die Struktur der Meditationen aufzuschließen und schließt alle Teilüberlegungen ein. Zur Exegese werden hier die Überlegungen gezählt, die sich um die Erklärung des Predigttextes unter Anwendung des historisch-kritischen Methodenkanons bemühen. Textkritische und literarkritische Entscheidungen fallen hier ebenso unter die Exegese wie traditions-, redaktions- und formgeschichtliche Überlegungen. Als systematisch-theologisch ist der Teil der Predigtmeditation gefaßt, der die Ergebnisse der Exegese zusammenfaßt 119 und gedanklich ordnet. Die Textaussagen werden systematisiert. Hinweise darauf, wie die Ergebnisse der Exegese bzw. des systematischtheologischen Teils zu verstehen sind, werden als hermeneutische Überlegungen verstanden. Ein Leitfaden zum Verstehen wird hier eingeführt und das Verfahren der Deutung ausdrücklich thematisiert. Von den bisher genannten Differenzierungen werden die Überlegungen unterschieden, die sich ausdrücklich mit der Übertragung der Textaussagen in die Gegenwart befassen. Es handelt sich um aktualisierende Überlegungen. Die vorgenommenen Unterscheidungen lassen den Aufbau der Meditationen erkennen. Gewichtungen, Übergänge und Leerstellen im Verfahren werden ausgewertet. Die Aufbauanalyse soll an dieser Stelle nicht auf eine rein formale Systematisierung hinauslaufen. Vielmehr werden die Themen, welche die Meditationen in den genannten Rubriken diskutieren, kurz skizziert und die jeweiligen Probleme benannt. Zu beachten ist, daß die in Kapitel 2 behandelte Frage nach dem Textbezug der Ergebnisse der Predigtmeditation nicht einfach identisch ist mit den exegetischen Überlegungen und daß die oben unter 3. behandelte Frage nach dem Wirklichkeitsbezug nicht identisch ist mit den aktualisierenden Partien der analysierten Predigtmeditationen. Das Zustandekommen der Text- und Wirklichkeitsbezüge der Meditationsergebnisse kann nur geklärt werden, wenn alle Schritte der in den Meditationen vollzogenen Predigtarbeit einbezogen werden. Das Verfahren muß daher als ganzes berücksichtigt werden. Über die bereits oben charakterisierten Teilüberlegungen hinaus finden sich noch weitere Partien in den Predigtmeditationen. Dazu gehören z.B. voran- bzw. nachgestellte Literaturangaben, Vorschläge zur Liedauswahl

119 M. Seitz [1969] definiert für die von ihm vorgeschlagene Methodisierung der Predigtarbeit anders. Er unterscheidet zwar zwischen „Historischer Erklärung" und „Theologischer Zusammenfassung", faßt jedoch beides unter den Begriff der „Exegetischen Arbeit" (15).

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und Predigtdispositionen. Auf die den exegetischen, systematisch-theologischen, hermeneutischen und aktualisierenden Überlegungen zugeordneten, zum Teil ausführlichen Zitationen ist ebenfalls zu achten. Neben den Hinweisen für die Gottesdienst- und Predigtgestaltung soll auch auf diese Zitationen eingegangen werden. Diese sehr unterschiedlichen Teile werden ebenfalls dokumentiert, bevor schließlich der Zusammenhang der verschiedenen Überlegungen und die Funktion der einzelnen Partien in den Blick treten. Die im folgenden wiedergegebenen Beobachtungen treffen selbstverständlich nicht auf jede einzelne der analysierten Meditationen zu. Es wurde vielmehr der Versuch gemacht, charakteristische Merkmale herauszustellen. Diese können jedoch als der Mehrheit der Meditationen entsprechende Tendenzen verstanden werden. 4.1. Exegese Einen exegetischen Teil weisen alle Meditationen auf. Gewichtung und Gestaltung der exegetischen Überlegungen sind im einzelnen jedoch sehr unterschiedlich. Trotz differierender Gewichtung läßt sich sagen, daß - jedenfalls in quantitativer Hinsicht - das Schwergewicht der Meditationen auf den exegetischen Überlegungen liegt. Die Exegesen erstrecken sich in der Regel mindestens über die Hälfte der Gesamtüberlegungen. Zum Teil machen sie sogar bis zu zwei Dritteln aus. Ein doppelter Befund kann hier festgehalten werden: Die Predigtmeditationen sind vor allem Exegesen, aber sie sind dies keineswegs ausschließlich. Es zeigt sich, daß die exegetischen Überlegungen mit anderen Überlegungen, etwa systematischtheologischer und hermeneutischer Art, sehr häufig in einem engen Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang prägt die Exegese. Wie sich diese Prägung im einzelnen auswirkt, soll weiter unten thematisiert werden. An dieser Stelle ist zu notieren, daß die Exegese selten als isolierbarer Teil innerhalb der Meditation in Erscheinung tritt, sondern häufig im Zusammenhang von Rahmenüberlegungen steht. Die wenigsten Meditationen setzen mit der exegetischen Arbeit am Text direkt ein. So bieten einige bereits die Zusammenfassung der wesentlichen Textaussagen, also systematisierende Überlegungen, bevor diese anhand einer exegetischen Passage belegt werden120. Es ist offensichtlich, daß in diesem Fall der Text nur insofern erklärt wird, als die Erklärung in direkter Beziehung zu den zusammenfassend vorangestellten Textaussagen steht. Der Text - exegetisch erläutert - wird dem Leser nicht in seiner Breite präsentiert, sondern die Exegese der Meditation stellt eine Auswahl exege-

120 Vgl. etwa G. Wainwright, H.J. Held und P. Pokorny.

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tischer Anmerkungen dar. Der Autor gibt einen Ausschnitt exegetischer Arbeit an die Leser weiter. Auch wenn die systematisierenden Überlegungen der Exegese folgen, ist die Exegese auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichtet. Sie läuft zu auf eine Zusammenfassung der Textaussage, die sehr häufig eine systematisch-theologische Begriffsbildung darstellt. Ein dogmatisch zentraler Terminus stellt - im Anschluß an die der Exegese folgenden systematisierenden Überlegungen - das Ergebnis der Exegese dar. Hermeneutische Überlegungen prägen die Exegese. Sie beschreiben die Fragehinsicht der Predigtarbeit und legen die Voraussetzung offen, unter der der Predigttext exegesiert wird. Mit einer bestimmten hermeneutischen Perspektive wird der Predigttext hauptsächlich hinsichtlich dieser Fragestellung exegetisch bearbeitet und kommt daher auch nur in der benannten Fragehinsicht in den Blick. Zu differenzieren ist allerdings zwischen solchen Meditationen, die trotz Zielgerichtetheit der Exegese die Textarbeit breit anlegen, und solchen, die nur die sich in die eigene Perspektive unmittelbar einfügenden Aspekte des Textes benennen. Hermeneutische Vorüberlegungen führen nicht automatisch dazu, daß kein eigenständiger exegetischer Part zu entdecken ist. Die Exegese gerät also nicht immer in den „Sog"121 ihrer Rahmenüberlegungen. Bei einem kleinen Teil der Meditationen werden aktualisierende Bemerkungen bereits in die exegetischen Überlegungen eingestreut. Hierbei handelt es sich um unmittelbare Bezugnahmen von Einzelaspekten des Textes auf die gegenwärtige Wirklichkeit. Der Zusammenhang der exegetischen mit anderen Überlegungen ist von grundlegender Bedeutung und konzeptionell zu berücksichtigen. Während dieser Zusammenhang in der Auswertung des Aufbaus der Predigtmeditationen in den Blick kommt, soll hier zunächst der Versuch gemacht werden, die exegetischen Überlegungen grundsätzlich zu charakterisieren, bevor der Aufbau der Predigtmeditationen und die Verknüpfung der Einzelüberlegungen näher untersucht werden. Zunächst soll betrachtet werden, wie sich exegetische Überlegungen als solche in Predigtmeditationen darstellen. Erst dann werden die Zusammenhänge im Verfahren näher analysiert und Fragen nach den Ursachen geklärt werden können. Die Gliederung der exegetischen Überlegungen in den Meditationen ist nicht orientiert an den methodischen Teilschritten der historisch-kritischen Exegese. Es wird entweder versweise verfahren, oder die Exegese orientiert sich an den wesentlichen Textaussagen, denen die jeweils relevanten Verse zugeordnet werden. In der Regel wird der Zusammenhang von Perikope und Kontext the-

121 M. Seitz [1969], 10, verwendet diesen Begriff im Zusammenhang mit der Frage nach der Methodik der Predigtarbeit. 71

matisiert. Der Beitrag des literarischen Kontextes für das Verständnis des Predigttextes wird erhoben, die Perikopierung zum Teil diskutiert, bisweilen auch kritisiert122 und in diesem Fall auch eine gegenüber dem Perikopenvorschlag veränderte Abgrenzung empfohlen. Textkritische Erwägungen finden sich selten. Sie finden sich im wesentlichen in alttestamentlichen Exegesen. Quellenscheidung wird durchgeführt, sowohl mündliche Tradition als auch schriftliche Vorlagen werden differenziert. Redaktionsgeschichtliche Fragen spielen eine große Rolle. Die Theologie der Evangelisten, des Paulus bzw. - im Falle der alttestamentlichen Autoren - der jeweiligen Redaktoren wird zur Klärung des Textes herangezogen. Begriffe werden erklärt und religionsgeschichtliche Hinweise zum Verständnis gegeben. Exegetische Bemerkungen im Zusammenhang der Predigtmeditationen basieren also in der Regel auf dem Methodenkanon der historischen Kritik. Es zeigen sich jedoch, etwa verglichen mit der Kommentarliteratur, charakteristische Merkmale, die es festzuhalten gilt. Die Exegesen in den Predigtmeditationen sind zum Teil in sehr engem Anschluß an Kommentare geschrieben. Mehrere Kommentare werden benutzt und angegeben, häufig auch ausführlich zitiert. Diskussionen über strittige Fragen, die für das Verständnis des Predigttextes von Bedeutung sind, finden sich jedoch selten. Das Zustandekommen der Texterklärungen ist für den Leser kaum anhand der Lektüre der Predigtmeditationen einsehbar. Eine Einführung in die wissenschaftliche Diskussion und die Argumente, die den exegetischen Entscheidungen jeweils zugrunde liegen, findet nicht statt. Häufig wird ein ,Extrakt' exegetischer Arbeit, bzw. eine Form von .Exzerpt' der vom Autor für die Leser stellvertretend durchgeführten Lektüre der exegetischen Kommentare notiert. Die Exegese der Predigtmeditationen ist also im Regelfall kaum Anleitung zur eigenen Arbeit am Text. Sie stellt vielmehr eine Lesefrucht aus den Kommentaren dar, die der Meditator dem Leser vorstellt. Auffallend ist, daß in den exegetischen Partien ausgesprochen häufig und bemerkenswert breit zitiert wird. Exegetische Erläuterungen aus Kommentaren werden ausführlich wiedergegeben. Der Exzerptcharakter der Exegesen wird durch die umfangreiche Zitation aus der Kommentarliteratur zusätzlich belegt. Vom Meditator selbständig angestellte exegetische Uberlegungen finden sich selten123. Die Predigtmeditation bietet im wesentlichen anstelle einer selbständigen Exegese exegetische ,Versatzstücke' der

122 So beispielsweise besonders kritisch gegenüber dem Vorschlag H. Staudigel: „Schon der flüchtige Uberblick zeigt, daß man die Perikope aus zwei willkürlich zerrissenen Texten zusammengeklebt hat" (152). P. Welten spricht von einer „absolut sinnwidrigen Abgrenzung" (176). 123 Eine Ausnahme stellen beispielsweise die von den Neutestamentlern O. Hofius und W. Schräge durchgeführten Exegesen dar.

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Sekundärliteratur124. Exegetische Ergebnisse der Kommentare werden in komprimierter Form referierend übernommen. In der ausführlichen Zitation125 exegetischer Literatur zeigt sich noch deutlicher, daß die Predigtmeditation in diesem Bereich keinen selbständigen Beitrag leistet, sondern hinsichtlich des Zustandekommens ihrer Exegese auf den Ort hinweist126, an dem exegetische Erläuterungen publiziert sind. Durch Referat und Zitat erübrigt sich für den Leser jedoch die eigene Lektüre und Arbeit mit den Kommentaren. Ein ausführliches Zitat legt nicht nahe, daß der Leser die Quelle noch einmal selbst zur Hand nimmt. Diese Beobachtung entspricht dem konzeptionellen Selbstverständnis der analysierten Predigthilfen. Die Textinterpretation der GPM soll „Informationsfunktion"127 haben. In den ersten Jahren ihres Erscheinens nach dem Zweiten Weltkrieg bestand ihre Aufgabe darin, unzugängliches exegetisches Material für die Predigtarbeit bereitzustellen128. Später wurde ihre Aufgabe variiert: Es „dürfte die Aufgabe heute vor allem darin bestehen, angesichts der unüberschaubaren Fülle von exegetischen Veröffentlichungen die wichtigsten Ergebnisse zu einem Text an die Prediger weiterzureichen"129. Die Autoren wählen aus, sortieren und geben an die Leser weiter130. Die Exegesen wollen also nicht selbst Forschungsbeiträge sein, sondern eine komprimierte Zusammenfassung der exegetischen Forschung darbieten, die für die Leser die Lektüre der wissenschaftlichen Primärquellen ersetzt. Diese Funktion wurde auch in Leserumfragen bestätigt: ,,,Υοη der Exegese erwarte ich saubere wissenschaftliche Arbeit. Darin 124 Als symptomatisch kann hier die Einleitung eines eng gedruckten 24zeiligen Zitates bei G. Wainwright angeführt werden: „Betreffs unseres Abschnitts ist die Auslegung Ernst Käsemanns (aaO. [E. Käsemann, (1962); B.W.], 280f) einflußreich und im allgemeinen überzeugend" (209). 125 Die Frage drängt sich auf, aus welchem Grund der Meditator hier nicht zusammenfaßt und selbständig formuliert. 126 Hinweischarakter haben auch die vor allem exegetischen Literaturangaben. Die Meditation von M. Rose bietet selbst keinen exegetischen Part, sondern verweist statt dessen auf andere exegetisch geprägte Meditationen: „Was die atl. Exegese betrifft, werden die treuen Leser von GPM bzw. E P M immer noch mit großem Gewinn die Ausführungen von U . Schröter für 1982 konsultieren" (200). 127 M.Josuttis [1972/73], 133. 128 1954 bemerkt K.G. Steck, daß einzelne Leser darum bitten, „von der teilweise ziemlich breiten Zitation und Wiedergabe vor allem der heutigen wissenschaftlichen Exegese abzusehen, da der Besitz der gängigen Kommentarwerke in den Bibliotheken der heutigen Pfarrer wohl vorauszusetzen sei", stellt dann aber fest, daß dies laut Umfrage gerade nicht der Fall ist: „Die Gründe für diesen immer noch bestehenden Mangel an Kommentaren in den Studierzimmern unserer Pastoren können hier nicht untersucht werden." (K.G. Steck [1954], 10.) 129 M. Josuttis [1972/73], 133. Dies dürfte auch heute so noch zutreffend sein. Die ,Unüberschaubarkeit' freilich ist eher noch größer geworden. 130 Vgl. ebd. M. Josuttis weist wiederholt auf das „unübersichtliche Material" der wissenschaftlichen Exegese hin.

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kann ich den G P M eine gute Zensur geben'. ,Ich habe das Zutrauen, daß die G P M m i r den Stand heutiger wissenschaftlicher Exegese angeben'" 1 3 1 . Die beschriebene T e n d e n z gilt jedoch nicht für alle Predigtmeditationen. Manche 1 3 2 , freilich wenige, Exegesen weisen ein in exegetische Diskussionen und sind u m eine sachliche Begründung ihrer der Interpretation des Textes zugrundeliegenden Entscheidung bemüht. Sie beziehen sich auf andere Auslegungen in K o m m e n t a r e n oder Predigtmeditationen, kritisieren diese und grenzen sich ab. Sie stellen somit ihren Beitrag in die gegenwärtige exegetische Gesprächssituation hinein und weisen auf weiterführende und vertiefende L e k t ü r e hin 1 3 3 . D e m Leser werden nicht n u r exegetische B e m e r k u n g e n angeboten, er erhält zugleich Einblicke in die Problemstellungen, Positionen und A r g u m e n t e . E r kann i m A n s c h l u ß an die Exegese der Predigtmeditation eigene Entscheidungen begründet treffen. E r m u ß der gebotenen Exegese nicht einfach n u r folgen. D i e der Predigtmeditation zugrundeliegende Auslegung w i r d transparent. D e r Leser ist auch als E x e g e t angesprochen. D a ß der Leser exegetische K o m p e t e n z besitzt, wird z w a r einerseits generell vorausgesetzt 1 3 4 , aber n u r in diesem Fall tatsächlich berücksichtigt. Z u beachten ist, daß bei der Auswahl und

131 Leservoten zitiert nach H.-G. Wiedemann [1975], 36. Meines Wissens ist die 1971 durch Wiedemann [1974] im Rahmen seines Dissertationsvorhabens durchgeführte Umfrage unter Gemeindepfarrern zur Nutzung von Predigtvorbereitungshilfen die letzte Umfrage, auf deren Ergebnisse hier zurückgegriffen werden muß. Zuvor hatte es bereits drei Umfragen im Abonnentenkreis der GPM gegeben: 1954, 1964 und 1973. Die Auswertungen sind nachzulesen bei K.G. Steck [1954] und K. Engelhardt [1964], 237. Bei Engelhardt finden sich allerdings nur einige wenige Notizen zu der von Martin Fischer durchgeführten Umfrage. Eine detailliertere Auswertung ist jedoch nicht publiziert worden (vgl. auch H.-G. Wiedemann [1975], 142 Anm. 5), was möglicherweise an dem geringen Rücklauf liegt: Obwohl die Fragen im Vorwort des Heftes erschienen, kamen bei einer Bezieherzahl von 11000 nur 50 Rückmeldungen. Quelle: M. Fischer [1963/64b] und H.-G. Wiedemann [1975], 12. H.-G. Wiedemann vermutet sicher nicht zu Unrecht, daß die geringe Beteiligung darauf zurückzuführen ist, daß bei vielen Lesern „keine Lust mehr bestand" (ebd.) zu antworten, nachdem schon K.G. Steck [1954] Kritik der Leser an den GPM in eine Kritik an den Lesern gewendet hatte. 132 Vgl. beispielsweise J. Henkys und P. Welten. 133 Selbstverständlich haben Neu- bzw. Alttestamentler hier in der Regel einen besseren Einblick in diese Fragen als Vertreter anderer Fächer oder außeruniversitäre Autoren. Das kommt auch in der Textarbeit zum Ausdruck. 134 Dies entnehme ich der Tatsache, daß griechische und hebräische Sprachkenntnisse in der Regel selbstverständlich vorausgesetzt sind. Als Leserkreis sind Prediger im Blick, die offensichtlich ein wissenschaftliches Hochschulstudium absolviert haben. Die Lektüre ist also nicht vorgesehen für Prediger, die diese Voraussetzung nicht teilen. Zwar wird in manchen Vorworten begeistert darauf hingewiesen, daß auch ,Laien' GPM-Leser sind (vgl. z.B. sehr früh schon H.J. Iwand [1947], 3), und der Verlag startete 1969 eine gezielte Werbekampagne für .interessierte Laien'. Die Bitte aber etwa um Ubersetzung der fremdsprachlichen Zitate wird nur zurückhaltend aufgenommen bzw. bleibt faktisch unberücksichtigt.

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Zusammenstellung des exegetischen Informationsmaterials doch bereits grundlegende exegetische Entscheidungen notwendig werden. Nicht nur die Lektüre der Kommentare wird also stellvertretend für den Leser geleistet, dem Leser - sofern er nicht doch wieder auf die Kommentare zurückgreift - sind bereits für das sachgemäße Verständnis des Textes wesentliche Entscheidungen abgenommen. Wird auf eine transparente Argumentation der getroffenen Entscheidungen durch den Autor verzichtet, bleibt dem Leser tatsächlich nur das Zutrauen in die Exegese der Meditation. Bisher war vor allem von der Exegese als Durchführung historisch-kritischer Methodenschritte die Rede. Aber nicht in jedem Fall wird wirklich historisch-kritisch mit dem Text verfahren. Zwar wird nicht ausdrücklich eine andere oder weitere Methode der Texterschließung angewandt, aber der Predigttext wird mitunter auch allegorisierend ausgelegt135. Daß weitere Methoden der Texterschließung keine Anwendung finden, ist durchaus bemerkenswert angesichts der gegenwärtigen Tendenz, den historisch-kritischen Methoden „Wege lebendiger Bibelauslegung"136 hinzuzufügen. Es wird nicht so sehr um die Sachgemäßheit der einen oder anderen Methode gestritten137, sondern grundsätzlich auf ergänzende, erweiternde Aspekte der Textinterpretation hingewiesen, die sich aus einer Methodenvielfalt ergeben. Gerade die auch von seiten der Praktischen Theologie vorgebrachten Hinweise auf die auf ihren ,Gebrauch'138 hin ausgerichtete Auslegung von biblischen Texten werden nicht berücksichtigt. 135 Vgl. beispielsweise K. Engelhardt: „Denken wir jetzt einmal an die Steine, die unsere Welt verbauen und uns seufzen lassen wie die Frauen, wenn uns mitten in unseren engagierten Planungen die Zwänge bewußt werden: ,Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?' Wie versteinert kann uns manchmal unser Leben begegnen, wie versteinert erleben wir uns plötzlich selbst. Das eigene Herz ist steinhart geworden" (196). H.J. Held spricht von dem „tiefen, verborgenen Sinn der Heiligen Schrift" (214) und behauptet damit die hermeneutische Voraussetzung für eine allegorisierende Schriftauslegung. Allgemein religionsgeschichtlich definiert C.-M. Edsman [1986]: „A. [sc. Allegorie] bedeutet, daß ein sprachlicher Ausdruck oder eine Kunstform bildlicher oder monumentaler Art etwas anderes aussagt ( ά λ λ α αγορεύει), einen tieferen Sinn als den buchstäblichen oder unmittelbaren hat" (238). Vgl. dazu auch H . Rendtorff [1986], der feststellt: „Die umfangreiche, wenig erforschte Literatur der pr. Sehr. [sc. praktischen Schriftauslegung] hat die A. [sc. Allegorie; muß es nicht besser Allegorese heißen?; B.W.] als Mittel zur Vergegenwärtigung der biblischen Schrift reichlich verwendet, um den Abstand zwischen den heilsgeschichtlichen Ereignissen und der Gegenwart zu überbrücken ..." (240). Nachdem die Bindung der Schriftauslegung an den buchstäblichen einen Sinn lange unbedingt galt, läßt sich gegenwärtig die Tendenz bemerken, einen mehrfachen Schriftsinn ,wiederentdecken' zu wollen. Vgl. z.B. U . H . J . Körtner [1994]. 136 So H . K . Berg [1991], 137 Selbstverständlich gibt es auch Kritik, so beispielsweise an der tiefenpsychologischen Exegese, die in Eugen Drewermann einen populären Vertreter hat. Vgl. etwa G . Lohfink/R. Pesch [1987], 138 Vgl. den Titel von H . Schröer [1985]: „Bibelauslegung durch Bibelgebrauch". Vgl. auch ders. [1995].

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Darauf, daß die historische Kritik ergänzungsbedürftig sei, ist in diesem Zusammenhang wiederholt hingewiesen139 sowie die Kontextualität von Schriftauslegung betont worden140. Wenn sich diese Tendenzen in den analysierten Predigtmeditationen nicht niederschlagen, so können Gründe nur vermutet werden. Zum einen ist sicher in der Leserschaft ein breiter Konsens hinsichtlich der historisch-kritischen Methodik vorauszusetzen, für andere Methoden gilt das kaum. Möglicherweise wissen sich auch die Autoren der historischen Kritik verpflichtet. Mit Sicherheit steht im Hintergrund141 die traditionelle Konzeption der GPM, wie sie von Iwand und anderen Herausgebern geprägt wurde. Programmatisch galt dabei die wissenschaftliche, d.h. historisch-kritische Exegese als der adäquate Zugang zum Predigttext, weil nur sie „die Fremdartigkeit und Ferne der Texte" 142 erschließt. Exegetische Überlegungen im Rahmen der Predigtmeditation beziehen vereinzelt auch schon sich aus der Perspektive auf Gottesdienst und Predigt ergebende Aspekte mit ein. Dies wird ersichtlich bei der Bezugnahme auf weitere gottesdienstliche Lektionen 143 sowie bei der Akzentuierung von für die Predigt wesentlichen Textpassagen. In erster Linie aber zielen die Exegesen auf ihre Ergebnisse zusammenfassende, systematisierende Überlegungen.

4.2. Systematisch-theologischer Teil Die systematisch-theologischen Überlegungen stellen sich dar als die Ergebnisse der Exegese zusammenfassende und rekapitulierende Passagen. Sie haben offensichtlich die Funktion, die wesentlichen Textaussagen zu konzentrieren. Dieser Funktion entsprechend, sind sie der Exegese zugeordnet. Meist finden sie sich im Anschluß an die Exegese oder sind - seltener bereits integriert in die exegetischen Erläuterungen. Charakteristisch für die systematisierenden Aussagen in den Predigtmeditationen ist, daß sie ihre Inhalte im Anschluß an systematisch-theologische, meist dogmatische Begriffsbildungen formulieren. Die texterklären139 Vgl. exemplarisch I. Baldermann [1987]. 140 Konkret im Hinblick auf Frauen als Schriftauslegende vgl. z.B. A. Noller [1995] u n d W . Köhler [1996]. 141 Wie weiter unten gezeigt werden wird, sind die GPM konzeptionell im wesentlichen unverändert geblieben. Auch wenn theologische Unterschiede zwischen den Herausgebern Iwand, Fürst und Fischer selbstverständlich wahrnehmbar sind und mit der Übernahme der Schriftleitung durch Jörns, Merkel und zuletzt Möller neue und ergänzende Akzente gesetzt wurden, so blieb die Stellung der Exegese davon unberührt. Vgl. ausführlich unten 5.7. 142 K.G. Steck [1954], 22. 143 Vgl. Chr. Münchow.

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den Aussagen werden in einen gedanklichen Zusammenhang mit zentralen systematisch-theologischen Bezeichnungen gebracht. Die Textaussagen werden so in dogmatische Begrifflichkeit,gegossen' und in dieser Form zumeist auch als vorläufige Predigtinhalte den Lesern präsentiert 144 . Die Begriffsbildung geschieht zum Teil in engem Anschluß an den Text 145 , sie birgt jedoch die Gefahr der Verallgemeinerung in sich, da es sich um ein reduktives Verfahren handelt. Besonders deutlich wird dies, wenn ein grundlegender dogmatischer Begriff in der Predigtperikope bereits genannt ist und dann in der Regel einfach nur übernommen wird. Der Predigttext mit seiner Eigenheit und in seiner inhaltlichen Komplexität schmilzt so gleichsam auf diesen einen Begriff zusammen. Man könnte meinen, daß dies grundsätzlich in der Natur einer konzentrierten Zusammenfassung liegt. Allerdings zeigt sich in der Analyse der Predigtmeditationen, daß gerade an der Stelle, an der die Textaussagen auf den Punkt gebracht werden sollen, diese durch die verwendeten Begriffe generalisiert und vom Text losgelöst werden. Was beispielsweise unter ,Zeugnis' verstanden wird, wird zunächst nicht erläutert und bleibt damit in gewisser Weise auch variabel. Es zeigt sich hier das Problem, daß dogmatische Begriffe in isolierter Verwendung inhaltlich überaus schillernd und letztlich in Hinsicht auf ihre Bedeutung undeutlich sind. Dadurch, daß ein relativ eingrenzbares 146 ,Angebot' an solchen Leitbegriffen verwendet wird, führt deren häufige Verwendung zur Monotonisierung und birgt die Gefahr in sich, daß die Begriffe eine Art,Eigendynamik' entfalten, indem sie Bedeutungen transportieren, die nicht präzise bestimmbar sind. Beispielsweise wurden sehr unterschiedliche Predigttexte und auch jeweils sehr unterschiedliche Inhalte auf den Begriff .Zeugnis' und ,Zeuge' gebracht. Eine beachtliche Bedeutungsverschiebung von der Exegese hin zum Predigtinhalt war zu beobachten, wenn sowohl der Gegenstand des Zeugnisses variierte, als auch die Befähigung zum Zeugen je anders verstanden wurde. Die gedankliche Stringenz ging an dieser Stelle im Verfahren verloren. Vor allem der zuletzt genannte Punkt zeigt, daß die systematisch-theologischen Passagen der Predigtmeditationen eine bedeutende ,Schaltstelle' im Verfahren darstellen. Sie sind wesentlich für den Konnex von Textexegese und aktualisierenden Überlegungen, denn die Aussagen des Textes gehen auf in den systematisch-theologischen Begriffsbildungen, an welche die aktualisierenden Hinweise anknüpfen. Offensichtlich ist von Bedeutung, ob die Systematisierung der Aussagen der Exegese in enger Verbindung mit dieser geschieht und der systematisch-theologische Begriff, der gefunden

144 Dies hat die Zusammenstellung der Inhalte oben in Kapitel 1 ergeben. 145 Wenn beispielsweise der Begriff auch im Predigttext selbst genannt wird. Vgl. R.-G. Schein, der dem Begriff des Zeugnisses im Anschluß an Apg 10,42 nachdenkt. 146 Vgl. oben 1.1.

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wurde, inhaltliche Rückbindung an den Text erfährt, mit dem dann auch noch die aktualisierenden Überlegungen sachlich in Verbindung stehen. Die sich anschließenden aktualisierenden Hinweise stellen Konkretionen des gefundenen dogmatischen ,Nenners' der Textaussagen dar. Seine Form ist einerseits offen, etwa für aktuelle Beispiele und Gegenwartsbezüge, andererseits aber auch völlig unbestimmt und somit ohne Aussagewert. 4.3. Hermeneutische

Erwägungen

Man kann davon ausgehen, daß hermeneutische Grundlagen und Voraussetzungen immer zur Anwendung kommen, wenn Auslegung stattfindet. Als hermeneutische Erwägungen in den analysierten Predigtmeditationen sollen jedoch im folgenden nur die Passagen benannt werden, in denen sich die Autoren ausdrücklich mit Fragen nach einem angemessenen Verstehen der Predigttexte im Zusammenhang der Predigtarbeit befassen. Die Mediatoren legen die Hinsicht offen, in der der Text bearbeitet werden soll. Die Formulierung einer Leitfrage bestimmt den Verstehensprozeß insgesamt. Hermeneutische Überlegungen wirken sich deutlich sichtbar aus auf andere Teile der Predigtmeditation. Sie beeinflussen das Ergebnis maßgeblich. Einige Meditationen setzen mit hermeneutischen Fragen ein, andere lassen sie der Exegese folgen. Jedenfalls erfordert offensichtlich gerade die Exegese in der Predigtarbeit die Klärung hermeneutischer Fragen. Welche Fragen wurden gestellt? Welche Problemkonstellation wird aufgezeigt? Fragen zum Verständnis der Predigttexte treten besonders im Zusammenhang mit Überlegungen zum Kasus hervor. Der Text wird als Ostertextu7 wahrgenommen. Dies gilt nicht nur, aber besonders deutlich für die Meditation alttestamentlicher Texte. Die Frage: „[W]as eröffnet sich der Ostern feiernden Gemeinde, wenn sie an diesem Festtag diesen alten, fremden, nicht ihr gehörenden Text liest"148, deutet die Komplexität der hermeneutischen Problemkonstellation an. Der alttestamentliche Text als Predigttext im Ostergottesdienst der christlichen Gemeinde heute wirft Fragen nach dem Verstehen eines Textes auf, der aus einer lange zurückliegenden Zeit stammt und ursprünglich selbstverständlich keinen christlichen Bezug intendierte. Der Kontext der Predigt, der mit den Begriffen christlicher Gottesdienst',,Ostern',,Feier' knapp umrissen werden kann, gibt der Predigtarbeit hermeneutische Fragen auf. Die hermeneutische Diskussion alttestamentlicher Texte erarbeitet Interpretationsmodelle, die als Strukturmodelle zeitlosen Charakter haben 147 Vgl. M. Rose, 199. 148 P. Welten, 177.

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und so Anknüpfung über zeitliche Differenzen hinweg ermöglichen. Peter Welten etwa gewinnt mit der Trias .erinnern - vergegenwärtigen - hoffen' ein Modell, das sowohl für die Situation, in der der alttestamentliche Predigttext entstand, als auch für die heutige gottesdienstliche Gemeinde, die zu Ostern diesen Text liest und vergegenwärtigt, anwendbar ist. Helgalinde Staudigel erarbeitet am alttestamentlichen Text die Aussage, daß Gott den Tod ,ewig' verschlingt. ,Ewig' ist zeitlos verstanden: „jetzt und immer und von jeher"149. Unter diese Perspektive ist bruchlos auch die gegenwärtige Osterpredigt zu rücken. Differenzen treten in den Hintergrund und das Moment der Kontinuität wird stark betont. Die Frage nach der Auslegung alttestamentlicher Texte erweist sich nicht als Sonderproblem, sondern als Zuspitzung der hermeneutischen Frage, die sich der Predigtarbeit generell stellt: Welche „Bedeutung" hat der Predigttext „für heute"?150 Mit der Frage nach der Bedeutung für den heutigen Predigthörer tritt dieser - angesichts des alttestamentlichen Textes im Zusammenhang der christlichen Gemeinde - nun vor allem als ,moderner Mensch' in den Blick, dessen ,modernes Menschenbild und heutiges Weltbild' inkomparabel zu sein scheint mit den Vorstellungen, die für die Abfassungszeit der biblischen Texte vorauszusetzen sind151. Offensichtlich bezeichnen gerade die mit dem Begriff,Moderne' verbundenen Implikationen eine in einmaliger Weise als schwierig und unüberbrückbar erscheinende Diskrepanz152. Denn es wird hier nicht der Sachverhalt thematisiert, daß sich generell Menschen- und Weltbilder wandeln und von einem stetigen Wandlungsprozeß auszugehen ist, sondern das Datum .Moderne' gibt der Predigtarbeit insbesondere hermeneutische Probleme auf. Das grundlegend veränderte Selbst- und Weltverständnis erfordert vom Prediger, das im Predigttext Gesagte,heute anders' auszusagen. Die Voraussetzungen sind ande-

149 H. Staudigel, 154. 150 K. Baumgartner überschreibt den ersten Teil seiner Meditation: „Eine Perikope für heute?" (235) J. Henkys fragt: „Wie kommt unsere Predigt über die Bezeugung der Auferstehung zur Bedeutung der Auferstehung" (136). Er formuliert die Frage im Anschluß an die Perikopenkritik von P.C. Bloth [1977], die dieser anläßlich der Ersetzung von 1 Kor 5,7-8 durch 1 Kor 15,1-11 als Epistellesung an der letzten Revision übte. 151 Damit ist die Problemstellung angesprochen, die R. Bultmann [1984] programmatisch formuliert hat: „Für den Menschen von heute sind das mythologische Weltbild, die Vorstellung vom Ende, vom Erlöser und der Erlösung vergangen und erledigt" 152 R. Bultmann [1984], 157f, begründet dies mit der Unterscheidung zwischen mythologischem und naturwissenschaftlichem Weltbild. Zwar ist „[d]ie Wissenschaft heute nicht mehr dieselbe wie im 19. Jahrhundert, und sicherlich sind alle Ergebnisse der Wissenschaft relativ", aber „der Mensch erkennt nur solche Phänomene oder Ereignisse als Wirklichkeit an, die innerhalb der rationalen Ordnung des Universums begreiflich sind". Darin unterscheidet sich das moderne, vom naturwissenschaftlichen Denken geprägte Bewußtsein prinzipiell vom mythologischen Bewußtsein.

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re. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, in der Predigt darauf inhaltlich zu reagieren 153 . Im Zusammenhang mit der Frage nach der Bedeutung der Predigttexte für die gegenwärtigen Hörer ist dem Begriff der ,Erfahrung' ein hoher Stellenwert beizumessen. Hermeneutische Überlegungen bereiten aktualisierende Hinweise für die Predigt vor. Sie bedenken die Frage, w o und wie die Gemeinde heute „Erfahrungen mit dem Auferstandenen" 154 macht. Thema der Meditationen ist in der Regel nicht,Auferstehung', sondern ,Erfahrung des Auferstandenen'. Im Aufspüren von sogenannter ,Ostererfahrung' und Erfahrung des Auferstandenen in der Gegenwart, im Leben der Gemeinde, wird der Bezug zwischen Predigttext 155 und Hörer hergestellt. Der Begriff der ,Erfahrung' leistet insofern die Uberbrückung der zeitlichen und weltbildhaften Differenzen. Die eigene Erfahrung ist notwendige Voraussetzung für den Osterglauben 156 . Der Begriff der Erfahrung ist eng verbunden mit dem Begriff der W i r k lichkeit'. ,Ostererfahrung' und ,Osterwirklichkeit' 157 bilden einen Zusammenhang. Die Ostererfahrung, die sich im biblischen Text als Voraussetzung gegenwärtiger Predigt ausspricht, bezieht sich auf die ,Osterwirklichkeit' 158 ebenso wie die der heutigen Menschen. Somit ist der gemeinsame Bezug festgestellt und die Synchronisation 159 von Text und heutigen Predigthörern erreicht 160 .

153 „Was Paulus als bekannt voraussetzt, wird heute von vielen als Neuigkeit gehört, welche ... die meisten gleichgültig läßt... Möglicherweise müssen wir also 1 Kor 15 so predigen, daß der Punkt erst erreicht wird, den sein Zeugnis voraussetzt" (E. Berger/ Ch. Burkhardt [1992], 196). Die „Beschwörung der Augenzeugen" macht heute „vielen von uns Mühe" und bewirkt, „daß nicht ohne Grund die Kirchen an Ostern leer sind bzw. mit anderen Themen gefüllt werden" (E. Kerlen, 212). 154 Chr. Münchow, 157. 155 Implizit scheint damit vorausgesetzt, daß auch die Predigttexte Niederschlag von Erfahrungen - der Jünger, der Gemeinde des jeweiligen Autors - sind. 156 Zwar - so H. Blauert [1983] - schlagen sich in den Uberlieferungen Erfahrungen nieder, nur können diese nicht glaubensbegründend sein, denn: „Jeder Mensch, jede Generation muß seine bzw. ihre eigene Erfahrung machen" (149). Heutige Osterverkündigung muß daher von „Erfahrungen" sprechen, „die uns der Glaube in einem auf den Auferstandenen bezogenen Leben machen läßt" (150, mit Bezug auf G. Ebeling [1979], 291.316). 157 Vgl. ausführlich Chr. Münchow, 156. 158 Ebd.: die „mit den Methoden der historischen Forschung nicht feststellbare^] Auferweckung Jesu". 159 Die Verwendung des Begriffs in homiletischen Zusammenhängen findet sich m.W. erstmals bei H. Schröer [1967]: Synchronisation' nimmt „den durch Kierkegaard theologisch geprägten Begriff der Gleichzeitigkeit' auf" (101). 160 Vgl. nochmals Chr. Münchow: „Das auf die Lebenswirklichkeit des Auferstandenen bezogene Dasein als ein ,Dabeisein' wird Erfahrungen mit dem Auferstandenen machen" (157). 80

Häufig wird in Zusammenhang mit dem Gebrauch des Begriffes Wirklichkeit' ausdrücklich Gerhard Ebeling genannt161. Der Hinweis auf Ebeling hat die Funktion, die Bedeutung des Osttvglaubens zu betonen und eine ,historisierend-objektivierende Auslegung' des leeren Grabes abzulehnen. Das leere Grab wird gedeutet als Hinweis auf die „Wirklichkeit des Auferstehungsgeschehens"162. Offensichtlich sind es gerade sogenannte apologetische Tendenzen wie die Tradition vom leeren Grab, das Betasten der Wundmale und das demonstrative Essen des Auferstandenen, die hermeneutische Klärungen herausfordern. Mit der Abgrenzung gegenüber einer „historisierend-objektivierende[n] Auslegung des leeren Grabes"163 wird die Bedeutung des Osterglaubens betont und zugleich auch, daß Christus „wirklich"164 auferstanden ist. Eine weitere hermeneutische Überlegung findet sich im Anschluß an die Frage nach der „Wirklichkeit der Auferstehungshoffnung"165. Die Wirksamkeit der Auferstehung wird in den Vordergrund gestellt. Welche Wirkung hat die Hoffnung auf Auferstehung? „Was löst der Text... aus? Wozu befreit er?"166 Die Textaussagen werden auf ihre Funktion hin befragt und entsprechend ausgelegt167. Hier beginnt der pragmatische Aspekt, die Predigtarbeit nachhaltig zu bestimmen. Schon die Exegese ist an der perlokutionären Rolle168 ihrer Aussagen orientiert. Mit der Konzentration auf die Wirkung des Predigttextes treten vor allem ethische Aspekte als Konsequenzen in den Blick169. Hermeneutische Erwägungen wirken sich hier sichtlich auf applikative Tendenzen aus.

161 Es ist bemerkenswert, wie häufig Ebeling referiert, vor allem aber zitiert wird: vgl. etwa Ch. Bunners [1987], 209; H. Blauert, 149; Chr. Münchow, 156. F. Winter stellt ein ausführliches Zitat (G. Ebeling [1959], 68f) seiner Meditation voran (132). 162 H. Blauert, 149. 163 Ch. Bunners, 209, mit Hinweis auf G. Ebeling [1979], 279ff. 164 H. Blauert [1983], 149, mit Hinweis auf G. Ebeling, aaO., 297. 165 D. Ackermann, 145. 166 Ebd. 167 H. Stühmeyer betont, daß den Aussagen „kein inhaltliches Eigeninteresse zukommt." Sie haben „funktionalen Charakter" und „sind nicht an sich Ziel der Verkündigung, sondern - zeitbedingtes - Argumentationsmaterial bzw. Veranschaulichungshilfe" (137). 168 Vorauszusetzen ist, daß jede sprachliche Äußerung in lokutionärer, illokutionärer und perlokutionärer Hinsicht betrachtet werden kann. Die Konzentration auf eine Hinsicht - wie hier die der perlokutionären Wirkungen - führt in jedem Fall zu einem eingeschränkten Verständnis. Vgl. im ganzen J.L. Austin [1979], 137 u.ö. In die Homiletik hat die Sprechakttheorie vor allem durch die Vermittlung H . Luthers [1986] Eingang gefunden. Die Austin-Rezeption erfolgt häufig auch über J.R. Searle [1990]. 169 Vgl. dazu auch im folgenden 4.4. 81

4.4. Aktualisierende Überlegungen Die aktualisierenden sind von den hermeneutischen Überlegungen zu unterscheiden, denn sie erörtern nicht grundsätzliche Fragen zum Verstehen des Textes, sondern stellen konkret Bezüge zur gegenwärtigen Wirklichkeit her. Beispiele und Anschauungshilfen werden vorgestellt; Predigttext und Leben der Hörer applikativ aufeinander bezogen. Die Meditationen, die ausdrücklich aktualisierende Hinweise geben, begründen diese zum Teil nicht. Der Lebensbezug ist somit selten Gegenstand von Reflexionen. Bezüge zum Leben der Hörer werden meist unmittelbar hergestellt. Die Wahl der Wirklichkeitsbezüge und Anwendungsbereiche wird nicht thematisiert. Aktualisierende Überlegungen stellen daher auch selten einen selbständigen Abschnitt dar. Häufig finden sich solche Hinweise nur in Form eingestreuter Bemerkungen. Zunächst ist festzuhalten, daß viele Meditationen keine konkreten Hinweise auf aktuelle Bezüge geben, sondern die Anwendung der erarbeiteten Predigtinhalte auf das Leben der Hörer dem Leser überlassen. Offenkundig ist hier eine Grenze markiert zwischen dem, was die Meditation leisten will, und den Arbeitsaufgaben, die dem Leser überlassen bleiben sollen. Wenn etwa die Meditation mit dem Hinweis auf einen dogmatischen Leitbegriff endet, bleibt dem Leser die Aufgabe überlassen, Konkretionen und Gegenwartsbezüge aus diesem Begriff anschaulich zu entwickeln. Auf diese Weise bleibt häufig undeutlich, wie das Meditationsergebnis in seiner allgemeinen Formulierung zu verstehen ist. Lassen sich Konkretionen überhaupt,ableiten' aus dogmatischen Begriffen? Besteht nicht die Gefahr, daß die Auswahl der Konkretionen und Wirklichkeitsbezüge sehr beliebig geschieht? Ein vergleichbares Problem stellt sich bei den Meditationen, die selbst keine aktualisierenden Hinweise geben, den Lesern aber Texte als Material anbieten, um die Aktualisierung selbst zu gestalten. Die Texte werden selten eingeführt und nicht näher kommentiert. Ihre Funktion bleibt somit undeutlich. Diese Offenheit scheint aber gerade intendiert zu sein: Ein Spektrum an Auslegungsmöglichkeiten wird dem Leser angeboten. Die ausgewählten Texte werden als „Impulstexte"170 verstanden und bereitgestellt für die Predigtwerkstatt des einzelnen Lesers. Welche Beobachtungen können formuliert werden, wenn man die applikativen Hinweise und Konkretionen betrachtet, welche die Meditatoren selbst bieten? Ausgesprochen häufig findet sich die Verschränkung von

170 Ch. Bunners, 210, der Texte völlig unmotiviert zusammenstellt (210f). R.-G. Schein führt zwei Texte ein als „Beispiele" und „Anregung" für die Frage: ,,[W]o bezeugen Christen um uns, daß Jesus der Lebendige ist"? (163) Hier sind die Texte also unter einer gemeinsamen Fragestellung angeboten.

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T e x t und Wirklichkeit durch die Herstellung einer Situationsanalogie 171 . Die J ü n g e r und die Frauen, die a m O s t e r m o r g e n das leere G r a b entdecken, sind wie ,wir' 1 7 2 . Die Identifikation bzw. der Vergleich w i r d meistens unmittelbar v o r g e n o m m e n , z u m Teil aber auch begründet. J ü r g e n H e n k y s weist darauf hin, daß die F r a u e n in M k 1 6 , 1 - 8 „das Abbild unserer Existenz" sind (142), „mit ihrer abwegigen E h r u n g und blinden Sorge, ihrem kreatürlichen Entsetzen, ihrem vieldeutigen Schweigen" (ebd). H e r m a n n Schmidt sieht in der Person der Maria die Situation des zweifelnden Menschen dargestellt. D i e in den T e x t e n v o r k o m m e n d e n Personen sind quasi ,wir', insofern sie ebenso Menschen sind wie ,wir'. E i n e allgemeine anthropologische G r u n d s t r u k t u r wird offensichtlich vorausgesetzt, welche die Herstellung einer Analogie über alle historischen und sonstigen Differenzen 173 hinweg ermöglicht. D e r Mensch an sich ist der Vergleichspunkt. Eine „anthropologische Analogisierung" 1 7 4 wird auf diese Weise ermöglicht. Mit d e m G e b r a u c h der ersten Person Plural ist eine sprachliche F o r m gewählt, die den Leser anspricht und eine Beziehung der Aussagen zu dem Angeredeten herstellt. Die Meditation trägt in diesen Passagen Züge, die

171 J. Tolk [1972] kommt durch Predigtanalyse - allerdings in sehr beschränktem Umfang - zu dem Ergebnis, daß ausgehend vom Predigttext eine Situationsanalogie zur heutigen Gemeinde hergestellt werden kann nur, indem „jeweils eine Reduktion auf das Allgemeine vorausgeht ..., und daß dann in der Gegenwart nach Phänomenen bzw. Verhaltensweisen gesucht wird, die sich unter dieses Allgemeine subsumieren lassen" (58). Er kritisiert, daß nicht von einer gegenwärtigen Situation ausgegangen wird, sondern diese nur - bedingt durch das Verfahren - auf eine sehr allgemeine Weise in den Blick kommt. Stattdessen ist, so Tolk, alsbald von der gegenwärtigen Situation auszugehen, um von ihr aus nach einem Predigttext mit vergleichbarer Situation zu suchen. Konsequent plädiert er daher für die „Abschaffung der Perikopenreihen" (vgl. 148-152; Zitat 148). M. Josuttis [1966] untersucht das Problem der Analogiebildung zwischen Text und Gegenwart differenzierter, kritisiert aber einen „naiven Analogieschematismus", ,,[d]essen Grundstruktur lautet: Was damals gegolten hat, gilt auch uns; was damals von Gott getan oder von Menschen gefordert war, gilt auch für unsere Zeit. Und bezogen auf Einzelpersonen heißt das etwa: So wie es diesem oder jenem biblischen Zeugen ergangen ist, so ergeht es auch mir und dir in der Gottesbegegnung" (23). 172 „Wie oft ähneln wir den Jüngerinnen der Osternacht". Vgl. F.-K. Sagert, 128. Beispiele für ein anreihendes Vorgehen finden sich bei H.J. Held: „Soll den Aposteln damals, soll uns heute zu verstehen gegeben werden, ..." (215). „... [E]r [sc. der Predigttext] spiegelt auch die Mühe Jesu mit seinen begriffsstutzigen Jüngern, mit uns, die wir so wenig aufgeschlossen sind für die Wahrheiten der Heiligen Schrift, ..." (213). ,,[D]er Tod, den die Korinther offenbar nicht ernst nehmen ... Wer den Tod ausblendet, wie wir es immer wieder tun" (W. Fürst, 130). 173 Auch das Datum ,Moderne' schafft hier keine Distanz. 174 N. Hasselmann [1977], 65, beobachtet diese Verfahren „der gebräuchlichsten Form der Synchronisierung des Damals mit dem Heute" häufig in den Meditationen von G. Eichholz. Er urteilt: „Das Muster ist einfach und vielfach variabel ... Dieses dauernd eingeflochtene ,wir, uns, unser' ist eines der wesentlichen Stilmittel der Ubertragung ins Heute, der Vergegenwärtigung" (ebd.). 83

auch für eine Predigt charakteristisch sind. In der ersten Person Plural scheinen Autor und Leser zu einer ,Gemeinde' zusammengefaßt. Die Predigtmeditation wird zu einer „Predigt an Prediger"175. Die Analogiebildungen zielen auf Einverständnis. Da sie unmittelbar hergestellt und nicht begründet werden, setzt der Autor offensichtlich Evidenz voraus. Ansatzweise wird die Komparabilität erörtert, wenn auf eine grundsätzliche Gemeinsamkeit zwischen den Personen bzw. dem Geschehen, in das die Personen des Predigttextes einbezogen sind, und der heutigen Gemeinde hingewiesen wird: So wird die Taufe identifiziert mit dem Anruf des Auferstandenen an Maria (Joh 20,16)176, oder wir begegnen dem Auferstandenen wie die Emmausjünger (Lk 24,30.31a) in Wort und Sakrament177. Die Wirklichkeitsbezüge werden in unmittelbarer Abhängigkeit zum Predigttext gesucht. Eine Gemeinsamkeit, die die Synchronisation ermöglicht, wird aufgezeigt. Das gefundene Tertium comparationis bezieht sich eng auf die eigene Erfahrung. Die Leitfrage lautet: Wo, wie und wann erfahren wir, was im Text gesagt ist? Es zeigt sich, daß die hermeneutische Frage nach der Wirkung des Textes und dem, was er ,auslösen will', dazu führt, daß hauptsächlich auf die Motivation zum Engagement verwiesen wird. Die Betonung der Pragmatik rückt mit dem Hinweis auf ,Konsequenzen' vor allem die Aufforderung zum verändernden Handeln in den Blick. Eine „neue Lebenspraxis"178 und „verantwortliches Eintreten für die Gegenwart"179 geben in allgemeiner Weise Zielvorstellungen an. Die Hörer sollen aufgefordert werden, aktiv zu werden. ,Hoffnung' ist häufig ausgelegt als Impetus zum verändernden Engagement180. .Zeugnis und Dienst'181 werden als solche theologischen Leitbegriffe verwendet, die diese applikativen Tendenzen intendieren. Fragt man einmal danach, auf welche Bereiche von Wirklichkeit die applikativen Überlegungen zielen, so zeigt sich, daß vor allem allgemein menschliche krisenhafte Erfahrungen in den Blick kommen: Trauer, Tod, Leid, tödliche Gefahren. Das Verfahren, die Synchronisation durch Analogiebildungen auf anthropologischer Basis zu erreichen, korrespondiert diesem Bereich: der dominierende Wirklichkeitsbezug ist der der allgemein menschlichen Erfahrung. 175 N. Hasselmann [1977], 75, zu Iwands Meditationsweise. 176 Vgl. H. Schmidt. 177 Vgl. M. Kruse. 178 P. Welten, 183. 179 A. Staemmler/J. Winkel, 158. 180 Zur Betonung der Wirkung der Hoffnung und der Motivation zum Engagement vgl. D. Ackermann; Chr. Frey; F. Winter; R.-G. Schein; W . Fürst; A. Staemmler/ J. Winkel; H. Stühmeyer und P. Welten. 181 Vgl. beispielsweise: „Nachfolge im Dienst Christi" (W. Fürst, 129); „Wo bezeugen wir ..., daß Jesus der Lebendige ist?" (R.-G. Schein, 163).

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Eine Einstellung bzw. ein Verhalten wird zu den krisenhaften Erfahrungen thematisiert. Hoffnungslosigkeit und Selbstmitleid sowie die Unfähigkeit zu trauern' werden festgestellt. Ziel der Predigt ist es, zu einem neuen Umgang mit den negativen Erfahrungen aufzufordern. Die Einstellung soll verändert werden. Die Textaussagen werden vorwiegend auf diese Weise funktional interpretiert. Für die Predigt wird die entsprechende Wirkung auf den Hörer angestrebt. Aus Hoffnungslosigkeit soll Hoffnung werden, Leiderfahrungen sollen nicht mehr überspielt werden müssen. Neben den Hinweisen auf allgemein-menschliche Erfahrungen wie Trauer, Hoffnungslosigkeit, Leid finden sich auch globale Bezüge in sehr allgemeiner Form. Aufgaben im kirchlichen und weltweiten Zusammenhang werden genannt, Frieden, Engagement für .Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung'. Auch liegt in dem sich von Ostern her ergebenden Perspektivwechsel der Grund für Hoffnung und für den Impetus zur Veränderung. „Ostern ist der durch Christus befreite Blick auf das, was in harten Fesseln liegt, ein Blick, der befreiende Kräfte in den Alltag einträgt" 182 . Individuelle, allgemein-menschliche und global-politische Bezüge gründen gleichermaßen in neu zu gewinnender ,Hoffnung' und zielen auf E n gagement'. Der Tenor dieser aktualisierenden Tendenzen kann mit dem im Anschluß an das vielzitierte Gedicht von Kurt Marti formulierten - Slogan vom ,Aufstehen aus Hoffnungslosigkeit' zusammengefaßt werden. Bei der Aktualisierung des - mit vier (!) Perikopen vertretenen - Paulustextes in 1 Kor 15 zeigt sich, daß die korinthische Gemeindesituation sehr profiliert in den Blick kommt. Alle untersuchten Predigtmeditationen explizieren die Irrlehre, mit der sich die paulinische Argumentation auseinandersetzt. Die Kenntnis der Irrlehre und insofern der im Text vorausgesetzten Situation wiederum erzeugt die Suche nach Vergleichspunkten heute. Dieselbe Irrlehre 183 bzw. ein Äquivalent 184 wird in der gegenwärtigen Situation aufgespürt und benannt. Damit ist die Voraussetzung für die paulinische Argumentation gegeben und seine Korrektur trifft die Korinther wie auch uns heute gleichermaßen. Drängt sich also eine konkrete, profilierte Situation im Predigttext auf, wie beispielsweise bei dem expliziten Hinweis auf eine Irrlehre im Predigttext, so findet diese in der Meditation auch homiletisch Beachtung, während ansonsten die Situation des Verfassers bzw. seiner Adressaten lediglich in exegetischer Hinsicht angesprochen wird.

182 E. Berger/Ch. Burkhardt [1992], 197. 183 Das ,Nicht-Ernstnehmen des Todes' ist nach W. Fürst für die Korinther wie ,für uns' gleichermaßen bezeichnend (130). 184 Etwa als ,halbierter Auferstehungsglaube' bei K. Baumgartner, 239.

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4.5. Material Unter Material werden hier Zitate und Literaturverzeichnisse sowie Hinweise zur Gottesdienst- und Predigtgestaltung verstanden. Bei den Gestaltungshinweisen handelt es sich um Angebote an den Benutzer, welche die vorangegangenen Überlegungen ergänzen. Die Zitate sind zum Teil integriert in die exegetischen, systematischen, hermeneutischen und aktualisierenden Reflexionen. Andererseits aber stehen sie zum Teil auch isoliert, etwa der Meditation voran, und werden weder eingeführt noch ausgewertet. Unabhängig von ihrer jeweiligen Verwendung haben die Zitate einen relativ großen Anteil an den Meditationen und sind hinsichtlich ihrer Herkunft so heterogen, daß sie hier in gesonderter Perspektive betrachtet werden sollen.

4.5.1. Zitate Zunächst ist festzuhalten, daß die analysierten Predigtmeditationen in der Regel ausgesprochen materialreich sind185. Zitate theologischer Provenienz finden sich am häufigsten. Die größte Dichte und Häufigkeit von theologischen Zitaten ist im Zusammenhang vor allem der exegetischen, aber auch der systematischen und hermeneutischen Überlegungen zu beobachten, so daß in diesem Zusammenhang davon gesprochen werden kann, daß die Predigtmeditationen Züge einer ,Collage' erkennen lassen. Die Verwendung der Zitate ist vielseitig. Sie belegen und illustrieren186. Sie zeigen die Quelle an, an die sich der Meditator ausdrücklich anschließt oder von der er sich abgrenzt. Teilweise werden sie nicht nur als Material für die Predigtarbeit, sondern auch als Angebot zur Übernahme in die Predigt bereitgestellt. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß häufig wörtlich und ausführlich zitiert wird. Die theologischen Zitate werden nicht mit eigenen Worten wiedergegeben und nahtlos eingearbeitet, sondern kommen als selbständige Stimmen neben dem Autor zu Wort. Die Predigtarbeit wird hier zu einem vielstimmigen Verfahren. Der am häufigsten187 zitierte Theologe ist Karl Barth188, gefolgt von Martin Luther189. Ebenfalls häufig werden Hans Joachim Iwand, Gerhard

185 Vgl. beispielsweise K. Baumgartner und E. Kerlen. 186 So ausdrücklich A. Staemmler/J. Winkel, 158. 187 An dieser Stelle soll noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß sich die Auswertung nur auf die analysierten Meditationen bezieht. 188 Zitiert bei A. Staemmler/J. Winkel, H. Stühmeyer, W . Fürst, K.G. Steck, E. Kerlen, G. Wainwright. 189 Zitiert bei G. Sauter, H. Blauert, K.G. Steck und E. Kerlen.

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Ebeling und Kurt Marti angeführt. An dritter Stelle sind Oetinger, Graß, Brecht und Nietzsche zu nennen. Bemüht man sich nun um eine gruppierende Zuordnung der Zitate, so stellt sich heraus, daß schwerpunktmäßig Theologen angeführt werden, die man - im weitesten Sinne - der sogenannten Wort-Gottes-Theologie zuordnen und - ohne sie hinsichtlich ihrer Bedeutung und Wirkung damit einzuschränken - als ,Kirchenväter' der Bekennenden Kirche bezeichnen möchte. Neben Barth, der in der Häufigkeit der Zitationen an der Spitze steht, sind vor allem Iwand"0, Bonhoeffer und Miskotte zu nennen. Neben Luther, dem am zweithäufigsten Genannten, tritt Calvin in die Gruppe der Reformatoren, die einen weiteren Schwerpunkt bildet. In der Häufigkeit der Nennungen werden die Reformatoren dicht gefolgt von Pietisten: Oetinger, Bengel und Frommel. Die Alte Kirche findet kaum Berücksichtigung. Nur ein Autor nennt hier überhaupt Gewährsmänner: Irenäus und Chrysostomos. Stärker vertreten ist dagegen eine Gruppe von Theologen, die befreiungstheologisch orientiert ist bzw. soziale Aspekte betont: Ragaz, Cardenal, MoltmannWendel, Solle und Braun. Fragt man einmal speziell nach den bei der Klärung hermeneutischer Fragestellungen angeführten Theologen, zeigt sich, daß hier vor allem Ebeling und Graß, aber auch Vögtle, Sievring und Schierse zu nennen sind. Weitere Einfachnennungen können vernachlässigt werden. Festzuhalten ist aber an dieser Stelle, daß - abgesehen von den hier nicht näher in Betracht gezogenen Exegeten - vergleichsweise wenige zeitgenössische Theologen zitiert werden. Die Tendenz, sich in der Predigtarbeit auf Kirchenväter' zu beziehen, tritt deutlich hervor. Die Bedeutung der ,Wort-GottesTheologie' bzw. der Epoche der Bekennenden Kirche ist besonders hervorzuheben191. Neben Zitaten aus theologischer finden sich auch Wiedergaben aus belletristischer Literatur. Allerdings nur jede fünfte der analysierten Meditationen bezieht Belletristik ein. Manche Meditationen bieten dafür gleich mehrere literarische Werke192. Kurt Marti wird insgesamt dreimal, Bert Brecht zweimal angeführt. Sonstige Nennungen sind einfach193. Es handelt sich hierbei in der Regel um verbreitete Autoren.

190 Dieser Befund ist zweifellos auch im Zusammenhang mit seiner Bedeutung für die GPM zu sehen (vgl. dazu unten 5.1. und 5.7.). 191 Nicht nur der numerische Befund belegt dies. Die Zitate dieser Gruppe sind auch in der Regel sehr ausführlich. Vgl. beispielsweise H. Stühmeyer, der ein 32zeiliges Zitat von D. Bonhoeffer (140f) und ein 17zeiliges von K. Barth (142) bietet. 192 Vgl. G. Sauter und Ch. Bunners, besonders Chr. Münchow. 193 Insgesamt elf weitere Schriftsteller werden zitiert.

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Wie nun beziehen sich die Meditatoren auf die zitierte schöne Literatur? Häufig grenzen sie sich kritisch ab. Sauter etwa fragt rhetorisch im Anschluß an Goethes Osterspaziergang: „Doch bringt, was derart als Erwachen und Wiederbelebung in Natur und Geschichte erfahren wird, uns das Ostergeschehen wirklich nahe?"194 Brecht wird sehr kritisch195 und als für ein Denken typisch eingeführt, mit dem sich die Predigt auseinanderzusetzen hat196. Das Gedicht hat hier die Funktion, die christliche Auferstehungshoffnung in der Abgrenzung besonders zu profilieren. Eine vergleichbare Funktion hat auch die Aufnahme von Zitaten, die eine für die Predigt vorauszusetzende Situation illustrieren. Im Kontext aktualisierender Überlegungen stehen hier belletristische Zitate für die Wirklichkeit, wie sie sich etwa ohne die im Predigttext ausgesprochene Perspektive darstellt. Sie vertreten in gewisser Weise eine ,vorchristliche' Haltung und die Perspektive auf die Wirklichkeit, die ,νοη Ostern her' zu verändern ist, die aber zugleich auch unter Christen anzutreffen ist197. Illustrativen Charakter hat die Verwendung des Zitates von Kurt Marti198, insofern es einen Gedanken zum Ausdruck bringt, dem sich die Meditatoren anschließen und den sie besonders hervorheben wollen. Eine weitere, insgesamt eher gering repräsentierte Gruppe von Zitaten ist abschließend zu nennen. Es handelt sich um Einzelstimmen, die als Material Eingang finden: Voten von Gemeindegliedern zum Thema Auferstehung (Bunners), Erfahrungsberichte aus Guatemala (Münchow, Schein), eine Zeitungsnotiz (Bieritz), die Erzählung einer Begegnung mit einem Alkoholiker (Schein), Assoziationen zum Predigttext aus dem Kreis von Vikaren (Münchow) und eine knappe Erzählung (Ackermann). Vor allem drei Formen der Verwendung sind hier erkennbar: (1) den Bezug zur Wirklichkeit herzustellen und Hinweise auf die Verschränkung von Wirklichkeit und Auferstehungshoffnung zu geben (,Zeugenvoten'), (2) die vorfindliche Wirklichkeit exemplarisch aufzuzeigen und (3) den Gedanken der Meditation zu illustrieren und Material für die Predigt bereitzustellen.

194 G. Sauter, 208. 195 Vgl. W. Schräge und F. Winter. Beide beziehen sich auf dasselbe Gedicht: „Laßt euch nicht verführen/Zu Fron und Ausgezehr!/Was kann euch Angst noch rühren?/ Ihr sterbt mit allen Tieren/Und es kommt nichts nachher" (zitiert nach W. Schräge, aaO., 210). 196 Bei F. Winter, 134. 197 Vgl. beispielsweise bei Chr. Münchow, der aufzählt: „Geheime oder offene Sehnsüchte angesichts der Mutlosigkeit, die teilweise oder völlige Unzufriedenheit, die Sprödigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen (auch in der Gemeinde) und der Wunsch nach Besserung. Die Hoffnung, daß uns das, was wir uns vornehmen, besser gelingen möchte (,Mich verändert alles. Ich verändere nichts', M. Walser bzw. ,Der, der ich bin, grüßt wehmütig den, der ich sein möchte'; F. Hebbel)" (158). 198 Bei Chr. Münchow und D. Ackermann. Kritisch dagegen nur W. Schräge. 88

4.5.2. Literaturhinweise und •Verzeichnisse Die Literaturverzeichnisse der Predigtmeditationen belegen vor allem die innerhalb der Meditation verwendete Literatur. Entweder sind Literaturhinweise in die Anmerkungen aufgenommen oder sie stehen als geschlossenes Literaturverzeichnis dem Text der Meditation voran. Damit weisen sich die Predigthilfen als ein Stück wissenschaftliche Arbeit aus, insofern sie ihre Quellen angeben und die Uberprüfbarkeit gewährleisten. Daneben stellen die Literaturverzeichnisse auch die Möglichkeit sicher, die Quellentexte vertiefend nachzulesen und ein selbständiges Literaturstudium anzuschließen. In diese Richtung weisen auch über die verwendete Literatur hinausgehende, ergänzende Hinweise. Hier gewinnt die Bibliographie den Charakter einer knappen, teilweise kommentierten Bücherschau. Vor allem Exegetica werden genannt. Das Literaturverzeichnis signalisiert, daß die Meditation vor allem Textauslegung ist und in die Exegese einführen will. Angegeben werden ebenfalls hermeneutische und systematisch-theologische Titel. Auf gebräuchliche Dogmatiken199 wird hingewiesen. Schließlich wird auch noch auf weitere Predigthilfen verwiesen, und zwar insbesondere auf frühere Beiträge in den GPM/EPM, aber auch auf an anderen Orten erschienene Meditationen (z.B. Gottfried Voigt). Sieht man von den Meditationen ab, wird auf homiletische Literatur nicht verwiesen. Sie bleibt unberücksichtigt. Die auf dem Hintergrund von Sekundärliteratur durchgeführte wissenschaftliche Arbeit der Meditationen bezieht sich ausschließlich auf Exegetica und systematisch-theologische Literatur. Dies erstaunt angesichts der Tatsache, daß den Heften zeitweise ein ausführlicher,homiletisch-liturgischer Buchanzeiger'200 beigegeben war. Die hier rezensierte und den Lesern empfohlene Literatur findet in den Beiträgen durch die Meditatoren keinen erkennbaren Niederschlag.

4.5.3. Hinweise zur Predigtgestaltung Die Predigt ist der Zielpunkt der Meditation als AWigimeditation. Wie konkret nun kommt die Predigt in der Meditation bereits in den Blick? Welche Hinweise für die Predigt gibt der Autor an den Leser weiter, der die Meditation im Rahmen seiner Predigtarbeit nutzt?

199 Dies gilt vor allem für die Entwürfe von Gerhard Ebeling und Karl Barth. 200 Zunächst fanden sich nur vereinzelte Hinweise, seit der Übernahme der Schriftleitung durch Klaus-Peter Jörns (Berlin) zu Beginn der 80er Jahre, fortgeführt seit 1990/ 91 von Friedemann Merkel (Münster), gab es einen ausführlichen Buchbericht, den jedoch Christian Möller (Heidelberg) seit 1996/97 nicht fortgesetzt hat.

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Mit dieser Frage ist der Übergang von der durch den Meditator geleisteten in die durch den Leser noch zu leistenden Arbeit markiert. Aktualisierende und andere grundlegend inhaltliche Überlegungen sind zuzuspitzen auf die konkrete Frage nach der Predigtgestaltung. Mehr als ein Drittel der analysierten Predigtmeditationen nehmen überhaupt keinen expliziten Bezug auf die Predigtgestaltung. Sie beschließen das Meditationsverfahren mit systematischen oder allgemein aktualisierenden Hinweisen. Die Mehrheit der Meditationen schließt immerhin mit ausdrücklichen Hinweisen für die Predigtgestaltung, die selten als eigener Abschnitt201, meist als Nachklapp zu den aktualisierenden Überlegungen aufgeführt werden. Wozu finden sich nun Hinweise? Meistens wird eine Predigtdisposition an den Schluß gestellt. Ein Vorschlag zum Aufbau der Predigt wird skizziert, indem Überschriften genannt werden, die inhaltlich durch die vorangehenden Überlegungen vorbereitet wurden. Die Ausführung ist unterschiedlich umfangreich. Es finden sich sowohl knappe, stichwortartige Aufzählungen202 als auch ausführlichere inhaltliche Hinweise, die den Überschriften zum Aufbau der Predigt zugeordnet sind203. Andere Meditationen geben einen Hinweis auf die Form der Predigt. So empfiehlt beispielsweise Münchow als Ausgangspunkt für die Predigtgestaltung die „im Text vorgegebene Situation: Gespräch bzw. Diskussion (am Abend) in der Gemeinde"204. Kruse regt an, ebenfalls analog zum Predigttext die Predigt als Erzählung zu gestalten205. Verbreitet findet sich der Hinweis auf einen Ansatzpunkt in Form einer Frage- oder Themenstellung206, die den „Grundzug" (Henkys) der Predigt bestimmen kann. Es kann vom Angebot eines ,Predigteinfalles'207 gespro201 So aber bei Ch. Bunners, 212: „Gliederungsvorschläge". Hier typographisch abgesetzt von der sonstigen Meditation. 202 Vgl. H. Blauert: „So wird der Auftrag unserer Osterpredigt ... sein, von dem Anruf durch den Auferstandenen, dem Weg mit dem Auferstandenen und der Erfahrung des Auferstandenen zu sprechen" (151). 203 Ausführlich, über mehr als eine Seite: M. Rose, 204. 204 Chr. Münchow, 157. Predigttext ist Lk 24,36-48. Der Hinweis auf den abendlichen Zeitpunkt ist zu verstehen vor dem Hintergrund, daß der Ostermontag in der D D R ein Werktag war und der Gottesdienst erst abends stattfinden konnte. 205 M. Kruse, 219. Predigttext ist Lk 24,13-35. 206 Vgl. etwa R.-G. Schein: Sind wir wirklich Zeugen? 207 Der Begriff selbst wird von den Meditatoren nicht verwendet. J. Henkys spricht vom „Grundzug" der Predigt, R.-G. Schein von „Anregungen für die Predigt". Der Begriff ,Predigteinfall', wie er von M. Josuttis [1985] im Anschluß an die Kreativitätsforschung definiert und entfaltet wird, trifft aber das, was der Hinweis auf die Predigtgestaltung hier bietet: „Im Predigteinfall findet der Pfarrer den Punkt, an dem sich die Relevanz des Textes für die Gegenwart in Anknüpfung und Widerspruch aufschließt. Der Einfall kann eine Frage sein, die sich aus der Gegenwart an den Text rich-

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chen werden. Damit geht die Meditation eigentlich sehr weit, insofern es sich hier um den „Kristallisationskern für das Ganze der Predigt"208 handelt. Auch eine Predigtdisposition gibt die inhaltliche Organisation der Predigt vor.

4.5.4. Hinweise zur

Gottesdienstgestaltung

Der Gottesdienst als Kontext der Predigt wird in der Predigtarbeit der Meditationen kaum berücksichtigt. Predigtmeditation stellt sich ausschließlich als /Vei/zgfmeditation dar; daß der Leser im Regelfall einen gesamten Gottesdienst vorzubereiten hat, wird nicht berücksichtigt. Aber auch dem Zusammenhang von Liturgie und Predigt im gottesdienstlichen Geschehen wird kaum Beachtung geschenkt209. Einige wenige gottesdienstliche Bezüge werden hergestellt. Liedvorschläge finden sich vereinzelt. Die Anzeige der Lieder, mitunter einzelner Liedstrophen aus dem E K G bzw. EG, erfolgt meist unvermittelt 210 , ohne Gründe für die Empfehlung geltend zu machen. Die liturgische Zuordnung der vorgeschlagenen Lieder ist bisweilen unklar. Auf den Gottesdienst wird Bezug genommen durch den Hinweis, daß nur mit einer kleinen Gemeinde zu rechnen sei211 und daß am Ostermontag der Gottesdienst in der D D R an einem Werktagabend stattfinden wird 212 . Neben Gestaltungsvorschlägen 213 finden sich hierzu v o r allem praktische Erwägungen 214 . Die Feier des Abendmahles wird vorgeschlagen mit An-

tet, er kann in einem Thema bestehen, das sich aus dem Text für die Gegenwart ergibt, er kann ein Modell zum Inhalt haben, in dem Text und Gegenwart in ihrer wechselseitigen Problematik sich treffen" (74). 208 Ebd. 209 Als eine Ausnahme ist an dieser Stelle auf die Meditation von G. Wainwright hinzuweisen, der den Zusammenhang der gottesdienstlichen Lesungen berücksichtigt. Bei K.-A. Bauer, 221, findet sich ebenfalls eine Bemerkung zum Evangelium. Daß ansonsten etwa der Bezug zum Evangelium des Sonntages völlig ausgeblendet wird, verwundert um so mehr, als mit der Perikopenordnung auch ein für alle Prediger gleichermaßen vorauszusetzender Predigtkontext gegeben ist. 210 Vgl. z.B. Ch. Bunners. 211 Vgl. E. Kerlen. 212 Vgl. H.-G. Bethge. K.G. Steck weist auf eine kleiner werdende Gemeinde hin. 213 Chr. Münchow macht ausführliche Vorschläge, so z.B. wie der Gottesdienst am Werktag möglichst „festlich" (159) zu gestalten ist. Er schlägt die Versammlung um eine geschmückte Tafel und das Singen zur Gitarre (!) vor. 214 R.-G. Schein etwa notiert, daß voraussichtlich kein Osterfrühstück mit den Gemeinden möglich sein wird, da der Prediger im - ländlichen - Regelfall mehrere Gottesdienststätten nacheinander besuchen wird. Chr. Münchow weist darauf hin, daß ein Abendgottesdienst „nach einer kurzen Predigt verlangt" (159).

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merkungen zur liturgischen Gestaltung 2 1 5 . Die genannten gottesdienstlichen Bezüge sind insgesamt gesehen relativ gering ausgeprägt. D e r liturgische Z u s a m m e n h a n g m u ß als vernachlässigt eingeschätzt werden.

215 Eine liturgische Anregung zur Präfation findet sich hier nur bei K.-A. Bauer, 22 lf. Warum R.-G. Schein die Warnung ausspricht, das Abendmahl nicht zu einem ,,mystische[n] Schnellimbiß" (164) verkommen zu lassen, ist nicht ohne weiteres verständlich, auch wenn er begründend angibt: „Brot und Wein wollen beim Abendmahl nach wie vor von SEINER Gegenwart zeugen" (165). 92

ZWEITER TEIL

Homiletische Nachfrage: Das Verfahren der GPM

5. Die Homiletik der Schriftleiter Die Predigtmeditationen wurden im ersten Teil im Hinblick auf das in ihnen zur Anwendung kommende Meditationsverfahren ausgewertet. Im folgenden soll nachgefragt werden nach der konzeptionellen Prägung der Zeitschrift, in der die Meditationen erschienen sind1. Das meditative Verfahren der G P M wird in den Blick genommen. Das Meditationsverfahren geht im wesentlichen auf Hans Joachim Iwand zurück. Sein Einfluß hat sich als außerordentlich bestimmend erwiesen. Iwands Homiletik ist in das Verfahren eingeflossen, seine eigenen Me-

1 Die konzeptionelle Auswertung kann sich auf die GPM beschränken. Die GPM erscheinen zwar im Zusammenhang mit der Zeitschrift PTh (Ehemals: „Halte, was Du hast", seit 1911: MPTh, seit 1970: WPKG, seit 1981: PTh), im wesentlichen jedoch sind PTh und GPM voneinander unabhängig. Seit 1930 war der Abdruck von Predigtmeditationen in den MPTh üblich. Diese Neuerung ging auf Leonhard Fendt zurück, der als Schriftleiter gewonnen wurde. Robert Frick, ebenfalls seit 1930 und mit Unterbrechungen bis 1970 Schriftleiter, setzte sich für ein „bekenntnisgebundenes, offenbarungstheologisch zentriertes Blatt" (P. Stolt [1995], 221) ein. 1941 mußte die MPTh ihr Erscheinen einstellen. Nach Kriegsende erschienen zunächst, schon seit Herbst 1946, die GPM, während die MPTh erst nach der Währungsreform im November 1948 (38. Jahrgang, herausgegeben von Robert Frick und Gerhard Kunze) ein Heft vorlegen konnte. Ein Jahr später, im Herbst 1949, erscheinen GPM und MPTh im Zusammenhang, allerdings können die GPM auch gesondert bezogen werden. Für ein Zusammengehen spielten wirtschaftliche Gründe eine Rolle, aber zunächst auch die gemeinsame theologische Prägung, die sich dem Kirchenkampf und der Bedeutung der Verkündigung verpflichtet wußte. Die Herausgeber der MPTh betonen im ersten Heft: „Die Mitte der geistigen Arbeit des Pfarrers wird von der Predigt eingenommen." (MPTh 38 [1948], 1.) Der Schriftleiter der GPM ist immer auch Mitglied des Herausgeberkreises der PTh. Darüber hinaus bleiben MPTh bzw. WPKG bzw. PTh einerseits und GPM andererseits im wesentlichen unabhängig voneinander, so daß eine Konzentration auf die GPM methodisch naheliegt. P. Stolt betont rückblickend als Argument für den Zusammenhang erneut die Bedeutung der Predigtarbeit für die pastoraltheologische Arbeit: „Zur PTh sollen die Predigtmeditationen, die GPM, gehören ... Weil sich in all den Jahren immer bestätigte: die Christenheit wird mit dem Wort geweidet, die ausgelegte Schrift befähigt zur Pastoral - darum bleibt das Ineinander von PTh und GPM das .Rückgrat' dieser Art pastoraltheologischer Zeitschrift." (Vgl. zur Geschichte der PTh ausführlicher P. Stolt [1995], 221-233: 233. Zu fragen bleibt, ob dies immer so gesehen werden konnte, etwa auch in den zehn Jahren zwischen 1970 und 1980, in denen die MPTh reformfreudig in WPKG umbenannt wurde und eine Kirchen- und Pfarrer- zentrierte Perspektive programmatisch überwunden werden sollte. Zur Diskussion vgl. das Heft 1 der PTh 70 [1981].)

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ditationen galten als paradigmatisch 2 und sind dies im wesentlichen bis heute3. Aus diesem Grund wird mit einer Darstellung der homiletischen Grundlagen Iwands eingesetzt (5.1.)4. Darüber hinaus ist jedoch auch das homiletische Profil der nachfolgenden Schriftleiter von Interesse (5.2. bis 5.5.). Es entsteht auf diese Weise ein Uberblick über die homiletischen Akzentuierungen der insgesamt fünf Schriftleiter über einen Zeitraum von 50 Jahren. Dadurch sollen gemeinsame Tendenzen aufgezeigt werden (5.7.), um anschließend vor diesem Hintergrund das homiletische Verfahren vertiefend auswerten und beurteilen zu können (Teil 3). Für die EPM gelten hinsichtlich des Verfahrens dieselben konzeptionellen Grundlagen. Besondere Tendenzen jedoch, wie sie sich nach der redaktionellen Trennung von den GPM ergeben haben, sollen erfragt werden Die Darstellung der Homiletik der Schriftleiter fußt im wesentlichen auf die in den GPM/EPM-Vorworten veröffentlichten Hinweise. Beiträge aus der Zeitschrift PTh konnten ebenfalls ausgewertet werden, sofern sie für das Verständnis der GPM von Interesse sind. Auch homiletische Äußerungen der Schriftleiter, die an anderen Orten erschienen, wurden miteinbezogen. Darüber hinaus konnten unveröffentlichte Texte genutzt werden. Die Einladungsschreiben der Schriftleiter von Iwand bis Möller stellen eine grundlegende Quelle dar, die Auskunft über die Vorgaben für die Autoren gibt. Für die Zeit der Schriftleiterschaft Fischers bietet der Nachlaß Martin Fischers insbesondere Aufschluß über einige Einzelheiten zur Reaktion auf die Gründung der Stuttgarter Predigtstudien und zur Aufspaltung der 2 H. Schröer [1974] nennt in diesem Zusammenhang den häufigen „Rückgriff" auf Iwands Arbeiten in den GPM, vor allem aber eine „ähnliche Schwerpunktverteilung" (419f). Vgl. zur Prägung auch N . Hasselmann [1977], 68f. 3 H. Schröer (aaO.) stellt bereits 1974 „Modifikationen und Infragestellungen" des „tragenden Paradigmas" fest, qualifiziert sie jedoch zutreffend als individuelle Vorstöße' (420). Das Verhältnis von Tradition und Neuerungen innerhalb der G P M in konzeptioneller Hinsicht soll unten genauer in den Blick genommen werden. 4 Auf eine geschlossene Darstellung der Theologie Iwands wird hier verzichtet. Sie müßte vor dem Hintergrund einer Analyse seiner Lutherinterpretation erfolgen. Die Auseinandersetzung mit Iwand muß sich hier vielmehr auf seine Homiletik beschränken. Vgl. aber die umfassende Darstellung und Würdigung der Theologie Iwands in: E. Lempp/E. Thaidigsmann [1990], die zugleich seine Bedeutung für gegenwärtige Theologie zu entfalten versuchen, sowie zur Christologie R. Heinrich [1982]. Auf die Bedeutung Hegels für Iwands theologisches Denken hat E. Thaidigsmann [1989] hingewiesen. Auch auf Notizen zur Vita Iwands kann hier verzichtet werden. Vgl. dazu den Lebensabriß im Zusammenhang der Briefdokumentation bei P. Sänger [1992], 27ff, sowie die fragmentarisch gebliebene Biographie von E. Burdach [1982], Das Iwand-Archiv in Beienrode bietet noch reichhaltiges Quellenmaterial zur Homiletik Iwands. Es enthält auch Briefwechsel, die Iwand als Herausgeber der G P M geführt hat. Für die hier verfolgte Fragestellung konnte das von Iwand an die Autoren versandte Einladungsschreiben aus dem Fundus des Beienroder Archivs ausgewertet werden.

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GPM in zwei voneinander weitgehend unabhängige Zeitschriften für Ost und West. Das öffentlich zugängliche Quellenmaterial zum konzeptionellen Selbstverständnis der EPM ist leider sehr spärlich. U m so erfreulicher ist es daher, daß neben einigen Hinweisen aus dem Nachlaß Fischers auch ein Referat von Eberhard Winkler in die Darstellung einbezogen werden kann, das im Rahmen einer konzeptionellen Diskussion gehalten wurde.

5.1. Die Meditationstheorie Hans Joachim Iwands Teilaspekte der Homiletik von Hans Joachim Iwand sind bereits mehrfach Gegenstand von Untersuchungen gewesen5. Seine Homiletik soll im Rahmen dieser Nachfrage nur insoweit ausgewertet werden, als sie der Hintergrund für das homiletische Verfahren der GPM ist und sich in konzeptioneller Hinsicht als prägend erwiesen hat. Die folgende Darstellung nimmt dieses Interesse auf, indem sie sich zunächst an den homiletischen Grundfaktoren Text und Wirklichkeit orientiert, bevor sie das Predigtverständnis beschreibt, um schließlich nach den Bedingungen des verbindenden Verfahrens, der ,Meditation', zu fragen. Im Anschluß an diese grundlegenden Klärungen werden die Konsequenzen für die Gattung ,Predigtmeditation' aufgezeigt. Ihre Funktion und Bedeutung sowie ihr Aufbau treten vor dem Hintergrund der Theologie Iwands zutage.

5.1.1. Text Ausgangspunkt jeder Predigtbemühung ist - so Iwand - der biblische Text. Dieser ist „nicht nur ... ein .klassisches' Dokument der christlichen Religion", sondern vor allem „Zeugnis der Heiligen Schrift, das neu verkündet werden soll" 6 . Biblische Texte sind also in besonderer Weise einmalige Texte. Sie sind dadurch qualifiziert, daß sie selbst,Verkündigung' sind. Die biblischen Texte als Predigttexte sind also nicht nur Ausgangspunkt für die Predigt, sondern sie sind selbst Predigt bzw. waren Predigt und wollen es wieder werden7. In dieser doppelten Weise als Predigttexte bestimmt, ist ,Verheißung' ihr entscheidendes Charakteristikum. Verheißung qualifiziert einen Bibeltext als Predigttext8. „Der biblische Text ist ihm [sc. 5 Vgl. vor allem Chr. Bizer [1972], 87-106; J. Gandras [1975]; N. Hasselmann [1977], 68-85; W . Bittner [1981]; J. Hermelink [1992], 31-122. 6 H.J. Iwand [1964], 530. 7 Zu beachten ist, daß die Texte selbst Subjekt sind. „Sie sind ursprünglich Verkündigung - und sie wollen immer wieder Verkündigung werden!" (AaO., 195.) 8 Vgl. Chr. Bizer [1972], 94; N. Hasselmann [1977], 72.

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Iwand] dabei primär Wort Gottes, nicht menschliche Antwort auf dieses Wort" 9 . Im Begriff der, Verheißung' haben die biblischen Texte ein einheitliches Merkmal. Insofern stehen sie in einem „organischen Gesamtzusammenhang"10. Mit dem Begriff der ,Verheißung' ist eine ,Mitte' der Schrift gegeben11. „Der Text will als .gepredigter' zum speculum (Spiegel) des Ganzen werden"12. Iwand macht eine bedeutungsvolle Voraussetzung, die Konsequenzen für die Auslegung der Texte im Rahmen der Predigtarbeit hat. Insofern die biblischen Texte ihrem Wesen und ihrer Intention nach Verheißung sind13, unterscheiden sie sich grundlegend von allen möglichen anderen Texten. Die Schrift ist als ganze14 gegenüber sonstigen schriftlichen Erzeugnissen in besonderer Weise qualitativ ausgewiesen. Somit ist auch ihre Auslegung besonderen Bedingungen unterworfen, die sich von denen nichtbiblischer Texte unterscheiden. Dieser Besonderheit kann daher nur eine Auslegung gerecht werden, die den Verheißungscharakter der Texte erhebt. Die Beschäftigung mit dem Predigttext ist geleitet vom Auffinden der Verheißung, die im Text „enthalten"15 ist. Die Auslegung ist durch die im Text vorausgesetzte Verheißung determiniert. Eine weitere Konsequenz ergibt sich aus der besonderen Qualität der Schrift. Ihr Text ist für die Predigt gleichermaßen normativ wie für die wissenschaftliche Theologie. „Keine ist von der anderen abhängig, beide leben von der Schrift, dem Text, der Auslegung, der Exegese"16. Das bedeutet zum einen, daß Predigt nur als Predigt im Anschluß an einen biblischen Text denkbar ist, zum anderen aber besteht eine betonte Verbindlichkeit des Predigttextes für die Predigt, der in der Predigtarbeit Rechnung zu tragen ist. Was aber versteht Iwand unter dem für seine Hermeneutik so bedeutsamen Begriff der,Verheißung'? Was macht die Qualität der biblischen Texte aus, die die Verheißung beinhalten? Diese Frage ist im Zusammenhang mit Iwands Verständnis von Wirklichkeit zu klären.

9 N . Hasselmann (1977), 85. 10 J . Gandras [1975], 81. 11 A a O . , 8 2 . 12 H.J. Iwand [1963], 11. 13 Vgl. J . Gandras [1975], 91-97. 14 Darauf ist besonders hinzuweisen. Die einzelnen biblischen Texte müssen ihre Qualität als Verheißung nicht erst erweisen, sie wird ihnen vielmehr allein auf Grund ihrer Zugehörigkeit zum Kanon unterstellt. Die Probleme im Zusammenhang der Kanonfrage kommen nicht in den Blick. 15 H.J. Iwand [1964], 60. 16 A a O . , 5 2 8 .

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5.1.2. Wirklichkeit In Hinsicht auf den Begriff der Wirklichkeit ist innerhalb Iwands Theologie zu unterscheiden zwischen der tatsächlichen, erfahrbaren, vorfindlichen Wirklichkeit einerseits und Gottes neuer Wirklichkeit andererseits. Gottes Wirklichkeit ist die dem Menschen verheißene Wirklichkeit, die der faktischen Wirklichkeit unvermittelt gegenüber steht. Denn die Wirklichkeit des Menschen ist grundsätzlich bestimmt durch Sünde und Todesverfallenheit, sie ist die „nackte Wirklichkeit der Sünde, des Todes und des Verfalls" 17 . Gottes Wirklichkeit ist vor allem dadurch charakterisiert, daß sie Verheißung ist und Verheißung bleibt, insofern sie nie Teil der menschlichen Wirklichkeit ist und mit dieser vermittelt werden kann 18 . Einerseits besteht nun bei Iwand ein großes Interesse an der .wirklichen Welt'. Sehr zu Recht betont Hermelink in seiner Darstellung die Bedeutung der ,wirklichen Welt' für die Predigt nach Iwand 19 . Sie ist „Kriterium"20 und „Ziel"21 der Predigt. Zudem ist Wirklichkeit bei ihm bemerkenswert umfassend verstanden. Sie ist nicht eingrenzbar auf den einen oder anderen Bereich. Sein Wirklichkeitsverständnis umspannt individuelle wie gesellschaftliche, private wie politische Hinsichten 22 . Allerdings kommt die 17 AaO., 535, in einer Meditation zu Jes 62,10-12. 18 In der genannten Adventsmeditation betont er: „Nein, es geht darum, daß diese Heimgekehrten, die Neu-Anfangenden, die Erfahrung machen mußten, daß die Verheißung Gottes nie und nirgends greifbare, konstatierbare, unsere Augen oder unsere Begriffe erfüllende Wirklichkeit ist. Daß sie nicht aufgehen kann in irgendeinem konkreten, geschichtlichen Ereignis ... Nie, auch nicht dann, wenn und wo Ereignisse eintreten, die wir als Erfüllung seiner Worte, als Bestätigung unseres Glaubens, als Erhörung unserer Gebete ansehen dürfen, werden wir darin Gott finden. Nie! Wir müssen immer wieder erfahren, daß unsere beste Erwartung und unsere höchste Hoffnung an diesen ,Tatsachen' zuschanden wird, daß sterben und untergehen muß, was daran menschlich ist, um das Auge aufs neue zu Gott selbst zu erheben und sein Wort neu als Verheißung seines Kommens zu vernehmen. Nie wird es eine ,christliche Welt' geben ... Erst wenn wir das begriffen haben ... Erst dann wird die Wirklichkeit um uns her unter Gottes immer noch ausstehender Verheißung stehen, erst dann wird die Christenheit den Advent des neuen Kirchenjahres recht begehen können". (AaO., 535.) 19 J. Hermelink [1992], 31-122. 20 AaO., 31. 21 AaO., 32. 22 Diese Tatsache ist Gegenstand zahlreicher Würdigungen. Vgl. beispielsweise K.M. Beckmann [1971], besonders 210f, sowie ders. [1988], M. Stöhr [1988] und J. Seim [1988], Iwands eigenes Engagement, vor allem in Osteuropa, heben u.a. H. Gollwitzer [1979] und P. Sänger [1979] hervor. Sängers Würdigung („Mythus vom Eisernen Vorhang" [299]) ist zum Teil zumindest sprachlich mit problematischen Nebentönen versehen. Weit hergeholt scheint sein Versuch zu sein, 1989 die Parallelität von Iwands und Gorbatschows Denken nachzuweisen (P. Sänger [1989a), 329-331). - Vgl. im übrigen auch die von G.C. den Hertog herausgegebene und kommentierte Aufsatzsammlung (H.J. Iwand [1988]). Zur theologischen Begründung von H.J. Iwands Denken vgl. E. Thaidigsmann [1981],

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tatsächliche Wirklichkeit nur als von vornherein und unverrückbar negativ qualifizierte Wirklichkeit in den Blick. „Gegenüber der Verheißung der Gnade Gottes kann die Lebenswirklichkeit immer nur eine dunkle Folie leidvoller Erfahrung sein"23. Die Sicht tatsächlicher Wirklichkeit und ihrer Erfahrung durch den Menschen ist durchaus einseitig und hält keinerlei Möglichkeit zur Differenzierung offen. Die von Paulus 2 Kor 5,7 formulierte Alternative von ,Glauben' und ,Schauen'24 nimmt Iwand auf und verwendet sie, um das Verhältnis des Glaubenden zu Gottes Wirklichkeit bzw. der faktischen, menschlichen Wirklichkeit zu beschreiben. „Die Spannung zwischen Glauben und Schauen, Hoffen und Sehen, Hören und Empfangen muß bleiben, solange wir leben ... Gottes Verheißung meint nicht, was wir sehen und greifen" 25 . Indem es nun gerade nicht auf das ,Schauen' ankommt, sondern vielmehr nur die Verheißung der Wirklichkeit Orientierung zu geben vermag, ist die ,wirkliche' Wirklichkeit faktisch ausgeblendet. „Denn es kommt nicht aufs Sehen an, sondern aufs Hören und darum nicht auf die Wirklichkeit, in der wir leben, sondern auf die Botschaft, von der wir in unserer Wirklichkeit leben" 26 . Am unverrückbaren Widerspruch beider Wirklichkeiten ist aus theologischen Gründen unbedingt festzuhalten27. Iwands Interesse liegt in der Be23 J. Hermelink [1992], 55. 24 Neben dieser mit Bezug auf Paulus formulierten Alternative nennt Iwand immer wieder die Orientierung an ,bloßen heilsgeschichtlichen Fakten' und das ,Verfallen in lehrgesetzliche Orthodoxie' als weitere ,Schreckgespinste', die unbedingt zu vermeiden seien. So auch die knappe Darstellung zum Thema ,Verheißung' bei P. Sänger [1992], 18-21. Iwands Homiletik ist zum Teil zu verstehen als Abgrenzungsbemühung, die sich dazu herausgefordert sieht, Gegensätze zu formulieren, um sich abgrenzen zu können. Die Gegensatzpaare allerdings, die Iwand aufstellt, sind nicht immer ohne weiteres einsehbare Alternativen. 25 H.J. Iwand [1973], 142. 26 Ders. [1964], 391. 27 Iwand kann den Begriff ,Wahrheit' für die Wirklichkeit Gottes, den nicht näher bestimmten Begriff ,Wirklichkeit' aber für die Lebenswirklichkeit des Menschen verwenden: „Daß Gottes Wort unter uns wohnte, das müßte doch bedeuten, daß es ein Wort ist, das uns erleuchtet, so daß unsere Augen anfangen, die Wahrheit zu erkennen, daß sie anfangen, auf die Wahrheit zu sehen und nicht mehr auf das, was wir Wirklichkeit nennen und was doch gemeinhin immer nur die Wirklichkeit des Bösen, der Sünde, des Todes und jenes Menschen ist, der von Gott nichts weiß und wissen will" (aaO., 122 u.ö.). Die Wahrnehmung und Erschließung von Wirklichkeit als solcher und ihre Einbeziehung als selbständigen Faktor etwa in die Predigtvorbereitung schließt er implizit aus, wenn er fortfährt: „Dieser falsche und böse Glaube an die Wirklichkeit, die man ,siehet' und die darum immer eine hoffnungslose, trügerische, eben nicht von Gott und seinem Wort her erfaßte Wirklichkeit ist, muß dann Schritt für Schritt aus unserem Herzen weichen, es bleibt keine Möglichkeit für das Nebeneinander zwischen dem Wort und diesem .Glauben', durch den uns die sichtbare Welt mit ihren Mächten und Gewalten bezaubert, durch den sie unser Denken und Trachten regieren möchte" (ebd.).

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tonung der Unverfügbarkeit und Selbstmächtigkeit des Wortes Gottes, das dem Menschen nicht zuhanden ist, auch nicht als erfüllte Verheißung. Erfüllung ist immer nur als neue Verheißung des noch Ausstehenden zu verstehen. „Was am Gewordensein interessiert, ist der Prozeß, das Werden, nicht das Gewordene, das Fertige. Wo aber umgekehrt die Verheißung auf ein Gewordensein, auf ,Geschichte' im Sinne des Abgeschlossenen, Endgültigen begründet wird, da wird dem Toten Macht gegeben über das Lebendige, dem Gestern Macht über das Morgen"28. Verheißung ist das entscheidende Merkmal von Offenbarung überhaupt, die als Verheißung eben keine Anschaulichkeit besitzt und daher nur geglaubt' werden kann. „Der Glaube ist seinem Wesen nach verheißungsorientiert" 29 . „Es entspricht also der Verheißung durchaus ein Sein, gerade ihr, aber dieses Verheißungsgut ist in Christus Wirklichkeit, es bleibt also meiner irdischen Gegenwart gegenüber immer ein zukünftiges, ich habe es nur im Glauben" 3 0 . Der auf die Verheißung ausgerichtete Glaube und die Erfahrung der Lebenswirklichkeit stehen bei Iwand dennoch in einer denkbar engen Beziehung. Die Erfahrung kommt hier allerdings wiederum nur negativ, als Erfahrung der ,Anfechtung' in den Blick. Denn „es muß so sein, ihr müßt in einer widrigen Welt leben, ihr müßt erfahren, daß ihr eben doch noch nicht die Erlösten seid, daß alles, was ihr glaubt, wovon ihr lebt, noch nicht Wirklichkeit ist ... Je tiefer die Anfechtung, desto freier wird euer Glaube sein ... ihr werdet lernen, daß der Glaube erst dann ganz echt ist, ganz wahr, ganz frei, wenn er sich auf nichts anderes mehr stützt als auf die Verheißung Gottes" 3 '. Iwands Wirklichkeitsverständnis beinhaltet erkennbar ein dynamisches Moment, das zum Tragen kommt in der Konfrontation der scharf unterschiedenen Wirklichkeiten. Der Ort, an dem beide Wirklichkeiten miteinander in Beziehung treten, ist die Predigt.

5.1.3.

Predigt

Predigt ist,Verkündigung' der im Text enthaltenen' Verheißung. Insofern ist sie unbedingt gebunden an den Text. Zugleich ist sie als viva vox bezogen auf die Lebenswirklichkeit des Menschen. ,Wort Gottes' und Wirklichkeit werden miteinander vermittelt. 28 29 30 31

AaO., 534. H. Tacke [1983], 396. H.J. Iwand [1964], 513 Anm. 1. Aus einer Predigt vom 10.3.1945. Ders. [1963], 160.

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Die Vermittlung geschieht, indem das .Wort Gottes' auf die Wirklichkeit wirkt 32 . Subjekt der Vermittlung ist das .Wort Gottes' selbst. Der Ort der Vermittlung ist die Predigt der Kirche. Predigt ist bei Iwand nicht auf die sonntägliche Kanzelrede zu begrenzen. Da sie Tat Gottes ist, liegt es in der Konsequenz dieser Voraussetzung, daß sich das ,Wort Gottes' ohne jede Bindung an institutionelle Bedingungen zur Sprache bringen kann. .Predigt' kann also jederzeit an jedem denkbaren Ort geschehen. Wo sie geschieht, ist .Kirche'. „Wenn Gottes Wort wieder bei uns Wohnung nimmt, wenn eine Gemeinde, eine Schar von Menschen, und seien es zwei oder drei, sich darum sammelt, sei es im Gotteshaus oder im Rathaus, sei es da, w o dies Wort geheim oder sei es, w o es offen erklingt und verkündet wird: immer wird es geschehen, daß Gott mit seiner eigenen, wunderbaren Gerechtigkeit aus denen, die nicht sein Volk sind, Sein Volk und Sein Eigentum macht, eine ihm in Glauben und Dankbarkeit gehorsame Schar, die sich in seinem Gnadenbund bewahrt und geheiligt weiß" 3 3 .

,Kirche' ist also ein Resultat von ,Predigt'; sie ist creatura verbi und als solche - wie Predigt auch - nicht an institutionelle Rahmenbedingungen gebunden. Sie ist jedoch nicht nur einfach institutionell ungebunden, sie wird geradezu durch die Institution Kirche behindert oder gar verhindert, wenn diese nicht die Voraussetzungen dazu schafft, daß Kirche, gedacht als „gleichsam spontaner Handlungszusammenhang''1"',,immer wieder neu' Kirche wird35. Das Wort Gottes vermittelt sich, indem es verkündigt wird und so Gottes Wort und menschliche Wirklichkeit in Beziehung gesetzt werden. Iwand betont, daß das Wort Gottes unabhängig, für sich, besteht. „Es trägt seine eigene Wirklichkeit und Gewißheit in sich selber" 36 (388). Seine Selbstvermittlung gestaltet sich als .Offenbarung'. Die Wirkung ist umwälzend: 32 Zur Wirkung des Wortes Gottes auf die Wirklichkeit nach Iwand vgl. ausführlich J. Hermelink [1992], 40-68, dessen Darstellung insgesamt auf die ,homiletische Situation' abzielt, die sich bei Iwand darstellt als „Vermittlung von Wort und Wirklichkeit im Subjekt des Predigers" (69ff). 33 H.J. Iwand [1964], 122. 34 J. Hermelink [1992], 59. Zur institutionskritischen Ekklesiologie bei Iwand vgl. ausführlicher aaO., 58f. 35 Vgl. auch Iwands Auseinandersetzung mit Luthers Kirchenverständnis in: H.J. Iwand [1980], 189-239. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang ebenfalls die Auseinandersetzung um das Kirchenverständnis zwischen Rudolf Hermann und Hans Joachim Iwand. Hermann hatte Iwand wie der Bekennenden Kirche grundsätzlich die Trennung von profaner und heiliger Sphäre und letztlich „Verherrlichung der Kirche" vorgeworfen. Vgl. dazu A. Wiebel [1995], 78f. 36 Diese Einsicht ist Gegenstand seines Aufsatzes „Wider den Mißbrauch des ,pro me' als methodisches Prinzip in der Theologie" (H.J. Iwand [1954]). Vgl. dazu auch die Darstellung von J. Gandras [1975], 40f.

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„Es wird wirklich etwas Neues geschehen, nicht nur im Menschen, sondern auch um ihn her. Das Kommen des Wortes Gottes ist auch innerweltlich ein umwälzendes Ereignis! ... Alles, was ist, gerät darum in Bewegung. Alles wandelt sich. Nur das Wort bleibt, was es ist"37. Predigt bewirkt so verstanden Veränderung, Verwandlung. Sie betrifft zunächst den einzelnen Menschen als Hörer, wirkt aber umfassend, indem sie ihn in allen seinen Bezügen betrifft38 und auf Öffentlichkeit zielt39. Die Wirkung des Verheißungswortes bezieht von vornherein die Wirklichkeit des Menschen mit ein, allerdings so, daß eben diese Wirklichkeit transzendiert wird. „So - als das Aufzuhebende, im Gehorsam des Glaubens nicht mehr als real, als wirklich Hinzunehmende - kommt alles vor, was ,noch' wirklich ist ..."40 5.1.4.

Meditation

Den Begriff Meditation verwendet Iwand grundsätzlich für sein Verständnis von Predigtarbeit41. Meditation bezeichnet den Arbeitsgang zwischen Exegese und Verkündigung. Charakteristisch ist gerade diese nicht präzise zu beschreibende „Zwischenstellung"42. Obwohl die Exegese nicht eigentlich zur Meditation dazugehört, ist die Meditation prinzipiell Hinwendung zum Predigttext, dem Verheißungsträger. „Meditieren heißt..., im Text das Evangelium suchen, im Geschriebenen die viva vox, im Buchstaben den Geist vernehmen".43 Die Beschäftigung mit dem Text läßt sich im Grunde nicht wirklich beschreiben. Typisch ist die Verwendung von Verben wie .abklopfen', anklopfen'44 und ,befragen'. Es geht darum, die Verheißung aus dem Text her37 H.J. Iwand [1964], 388. 38 „Offenbarung heißt doch wohl Erleuchtung des Ganzen der menschlichen Existenz unter Einbeziehung der Weltsituation dieses Menschen" (aaO., 61). 39 „Es [sc. das Wort Gottes] sucht seinen Prediger. Es will öffentlich kundgemacht sein im Akt der Verkündigung. So begründet es das Amt der Verkündigung" (aaO., 388). 40 Ebd. 41 Gerade die Undeutlichkeit des Begriffs läßt ihn als geeignet erscheinen, Iwands Verständnis wiederzugeben, da Iwand ausdrücklich jede Methodisierbarkeit verneint. H. Schröer [1967] stellt generell zum heute zweifellos nicht mehr so üblichen Begriff Meditation fest: „Trotz oder gerade wegen der Beliebtheit des Wortes Meditation herrscht keine Klarheit über Wesen und Methode der Predigtmeditation". Aufgrund mangelnder Methodisierung wird die .Meditation' zu einer „.geheimen Verschlußsache' der Predigtvorbereitung"(2). 42 N . Hasselmann [1977], 70. Zu beachten ist, daß Iwand die Begriffe .Exegese', .Auslegung' und .Meditation' untereinander austauschen kann. 43 H.J. Iwand [1964], 196. 44 AaO., 94.

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auszulösen, sie freizusetzen. Die mangelnde Präzision hinsichtlich der Handlungen in Bezug auf den Text ist theologisch-sachlich begründet. Die Selbsttätigkeit des Wortes Gottes bringt es notwendig mit sich, daß das W o r t Gottes eigentliches Subjekt der Auslegung wird. Das Evangelium kann nicht Gegenstand eines methodischen Verfahrens sein, es bringt sich vielmehr selbst zur Sprache. Es k o m m t in .Bewegung' und somit zur Wirkung. Ein methodischer Zugriff auf den Weg zwischen Exegese und Predigt ist aber mit dem Hinweis auf die Selbsttätigkeit des Wortes Gottes nicht einfach nur überflüssig oder bedeutungslos. Methodik und konkrete Handlungshinweise können es erschweren und verhindern, daß das W o r t Gottes sich erschließt 45 . Aus diesem Grund sind sie im Rahmen v o n ,Meditation' unbedingt zu vermeiden. „Das Endprodukt Predigt darf also nach diesen theologischen Prämissen in der Meditation gar nicht methodisch in den Griff genommen werden" 46 . Ein Vermittlungsproblem v o n Text und Wirklichkeit existiert damit im Grunde nicht. Denn Vergegenwärtigung wird nicht als eine hermeneutische Aufgabe begriffen. Eine Zweiteilung der Predigtarbeit, etwa in explicatio und applicatio, lehnt Iwand aus diesem Grund ab. „Denn auch die Richtung, in der das W o r t Gottes uns trifft und anspricht, liegt in ihm selbst, das W o r t behält sich auch bei seiner ,Anwendung' in der Hand". 47 45 Ein vergleichbarer Gedankengang findet sich bei E. Thurneysen [1921], 106: „alle Ratschläge und Versuche, zu zeigen, wie's gemacht wird, gerade wenn sie klug, ernst und treu gemeint sind und aus reicher Erfahrung stammen, steigern nur die Schwierigkeit des Unternehmens, müssen gerade das Gegenteil bewirken von dem, was sie möchten. Sie bewirken, daß die menschliche Anstrengung aufs höchste steigt; der Pfarrer gibt sein Bestes her, er geht überdies ausgerüstet mit dem trefflichsten Handwerkszeug, das vor ihm von den bewährtesten Meistern dieser Kunst des Unmöglichen angewendet wurde, hinter seine Predigtaufgabe: aber je höher die menschliche Leistung und Technik, je angespannter die menschliche Bemühung, desto steiler und tiefer nur die Kluft, die notwendigerweise gerade da am tiefsten und unzugänglichsten wird, wo das Menschliche seine letzte, seine höchste und edelste Höhe erreicht, Calvins unde discimus, deum in sua inscrutabili altitudine non esse investigandum! ist gerade an dieser Stelle, gerade über Kanzeln und Kathedern allen Naiven, Unvorsichtigen und Übermütigen zur Warnung und, wo sie nicht gehört wird, zum Gerichte angebracht. Man könnte auch sagen: je eifriger und geschäftiger geschaufelt wird, um den Kanal auszuheben, durch den die Wasser des göttlichen Wortes rinnen sollten, desto gähnender schaut uns nur die Leere dieses Kanals entgegen; denn kein Schaufeln und Graben und Formen auf unserer Seite zwingt die Offenbarung von der andern Seite herbei". Zu fragen bleibt, ob mit der vehementen Ablehnung einer Methodik nicht eigentlich die andererseits so betonte Selbstdurchsetzungskraft des Wortes Gottes unterschätzt wird? Das ,ubi et quando visum est' müßte es doch unbedingt - auch unbeschadet methodischer Arbeit - zur Geltung bringen. 46 Chr. Bizer [1972], 92. 47 H.J. Iwand [1964], 94, reagiert hier auf die von Lesern häufig geäußerte Kritik an den GPM, diese seien zwar exegetisch fundiert, böten aber keine homiletische Anregung. 104

Das Wort Gottes zielt in seiner Eigenbewegung auf die Wirklichkeit. Entfaltet die Verheißung ihre Dynamik, so stellt sich die Frage nach einer angemessenen Vergegenwärtigung erst gar nicht. „Denn das Wort Gottes ist in sich selbst Tat und insofern .praktisch'". 48 Die Wirklichkeit kann nicht als selbständiger Faktor in die Predigtarbeit einbezogen werden, weil die Erfahrungswirklichkeit ja gerade nicht selbständig, ohne die Perspektive des Evangeliums, gesehen werden kann. Die Situation der Hörer kann nur im Licht der Verheißung gesehen werden. Die Beschäftigung des Predigers gilt daher ausschließlich dem Text 49 . Die Lebenswirklichkeit kommt nur in Abhängigkeit vom Text in den Blick. Daraus ergibt sich tatsächlich der „steile Absolutheitsanspruch, daß im Text selbst die Probleme der Hörer und die Situation von heute mitenthalten sind" 50 . Meditation kann als konkrete Handlungsanweisung nur an die Beschäftigung mit dem Predigttext verweisen. Die Meditation, die jedoch die Mitte zwischen Exegese und Predigt ist, bleibt der methodischen Predigtarbeit entzogen. Meditation ist der Bewegung des Wortes Gottes überlassen. Wie aber stellt sich die der Meditation vorangehende, die Bewegung gleichsam provozierende Exegese dar? Wie gestaltet sich das ,Anklopfen' am ,Buchstaben' der Schrift? Iwand betont, daß die historisch-kritische Exegese einen angemessenen Zugang zu den biblischen Texten darstellt. Aus der Externität des Wortes Gottes folgt, daß dieses zunächst und zuerst,fremdes Wort' ist51. Die historische Kritik setzt die Abständigkeit des biblischen Textes voraus und trägt damit dem Sachverhalt Rechnung, daß Gottes Wort unserer Wirklichkeit gegenübersteht. Die Voraussetzung der historischen Kritik, die die biblischen Texte wie andere historische Dokumente auch betrachtet, wird dem Verheißungscharakter der Schrift nicht gerecht. Iwand spricht von einem „Angelegtsein" der Schrift „auf das Kundwerden der Botschaft an alle Welt und zu jeder Zeit". Aufgrund dieser kerygmatischen Struktur muß jede „Unterordnung der Schrift unter menschliche, auch und gerade kirchliche,

48 AaO., 408. Auf die Bedeutung der „Erkenntnis, daß in der christlichen Botschaft Wort Gottes und Tat eins ist" für Iwands Denken, weist H. Gollwitzer [1964], 6, hin. 49 „Vom Meditieren im Sinne eines autopsychotherapeutischen Exerzitiums, das im Dienst geistlicher Lebensgestaltung steht, ist Iwand wahrscheinlich völlig unberührt gewesen. Mehr noch, er muß einen tiefen Verdacht gehegt haben, es könne sich hier leicht eine Konzentration auf eine falsche Mitte einstellen." 0. Henkys [1990b], 49.) 50 N . Hasselmann [1977], 73. 51 An dieser Stelle tritt der wesentliche Zug der Iwandschen Homiletik exemplarisch in den Blick. Er orientiert die homiletischen Grundlagen dogmatisch-normativ, indem er diese aus bekenntnisorientierten dogmatischen Grundbegriffen unmittelbar folgert. Neben der .Externität' des Wortes Gottes ist vor allem der Grundsatz, daß sich die Schrift selbst auslegt, offensichtlich homiletisch wirksam.

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auch und gerade historisch-philologische Autorität" vermieden werden52. Eine historisch-kritische Exegese reicht daher nicht aus. Garantiert sie einerseits durch die strenge Orientierung am Wortlaut der biblischen Texte die Schriftbindung, so ist sie doch auch in ein komplexeres Auslegungsgeschehen zu integrieren und in eine Perspektive einzuordnen, die der Besonderheit der Texte entspricht. „Wir werden die philologischen, historischen, philosophischen Methoden anwenden müssen - andere haben wir nun einmal nicht - u m immer wieder zu sehen, daß sie uns nur bis zu der Grenze führen, w o sie ... von der der Bibel eigentümlichen Sache zerbrochen werden. So wird die Auslegung immer zugleich ein Ereignis sein" 53 .

Die Auslegung muß sich am .Buchstaben' der Schrift orientieren, zugleich aber bemüht sein, den Verheißungscharakter zu entdecken und die Bewegung des Wortes Gottes zu provozieren. Hierbei kommt der Person des Predigers bei Iwand eine „Schlüsselstellung"54 zu, die sich bereits mit der Bestimmung des Predigers als .Zeugen' und der Predigt als ,Zeugnisrede' andeutete. Während es keine methodischen Hinweise für die Arbeit an der Predigt gibt, beschreibt Iwand ausführlich die angemessene Haltung des Predigers als ,Zeuge'55. Gestaltet sich die Suche nach dem Wort Gottes einerseits methodisch als Beschäftigung mit der Schrift, so muß andererseits die unverfügbare Bewegung des Wortes Gottes den Prediger ergreifen. Meditation ist so verstanden Ereignis und Widerfahrnis. Das johanneische ,Ich bin's nicht' (Joh 1,21) interpretiert Iwand in paradigmatischer Weise für die Person des Predigers als Zeuge. Es ist die „notwendige, unvermeidliche, menschliche Existenzweise der sich selbst erweisenden Realität Gottes gegenüber"56. In dieser Negation ist einerseits die Bedeutung des Predigers deutlich betont, 52 H.J. Iwand [1964], 254. Das Zitat lautet vollständig: „Dieses Angelegtsein der Schrift auf das Kundwerden der Botschaft an alle Welt und zu jeder Zeit - das zu glauben, in Ordnung und Lehre zu bezeugen und jeder Unterordnung der Schrift unter menschliche, auch und gerade kirchliche, auch und gerade historisch-philologische Autorität zu wehren, das ist evangelisch und das ist die Wüstenwanderung der Kirche, die nichts vor sich sieht als eben die Schrift - aber in ihr und mit ihr Gottes Wort, Apostel und Propheten und das ewige Heil in Jesus Christus" (254f). Iwand weist anschließend ausdrücklich auf Überlegungen Karl Barths [1975] in KD 1/2 §§ 19.20 hin, von denen er eine „Probe" (255) abdruckt. 53 H.J. Iwand [1962], 274. 54 J. Hermelink [1992], 85. 55 K. Hüttel von Heidenfeld [1979] sieht Iwands Beschäftigung mit der Person des Predigers homiletisch an die Stelle einer Situationsanalyse treten. Er stellt fest, daß Iwand „die Bedeutung der Situation sehr wohl kannte. Dennoch läßt er sich nur ganz selten auf eine Situationsanalyse ein. Statt dessen wendet er sich ganz intensiv dem Prediger zu" (296). 56 H.J. Iwand [1964], 421.

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andererseits liegt paradoxerweise seine Bedeutung gerade im Fehlen seiner Bedeutung für das Auslegungsgeschehen. Der Prediger muß gerade von sich und den Erfahrungen seiner Lebenswirklichkeit absehen und dem Wort Gottes, das ihn erfaßt, Glauben schenken. „Meditieren heißt, daß wir im Wort die Wahrheit suchen und nicht in uns"57. Der Prediger sollte sich bemühen um die Haltung des schwachen, von seiner eigenen Leistung völlig absehenden und nur so der Kraft des göttlichen Wortes völlig vertrauenden Glaubenden. Diese Haltung ist die - beruflich bedingte - „enge Pforte", durch die jeder Prediger „hindurch muß" 58 . Nur so kann er Zeuge sein und das heißt „der leere Rahmen, in dem dann das Bild selbst erscheint, als Stimme, in der das Wort selbst laut wird"59. An die Stelle einer Methode treten Haltung und Glaube des Predigers. Voraussetzung für eine gelingende Predigt ist vor allem das rechte Verständnis von seinem Predigtamt als Zeugenstand. Die Predigtarbeit gerät zu einem Glaubensakt. Insofern das eigentliche Subjekt der Predigtarbeit wie auch der Predigt das Wort Gottes selbst ist, ist der Prediger Objekt. Von Voraussetzungen für gelingende Predigt, die in menschlichen Händen liegen, kann streng genommen keine Rede sein60. Das besondere Interesse Iwands liegt zweifellos darin zu zeigen, daß „der Zeuge sich zutiefst vom Produzenten unterscheidet, der Prediger des Wortes Gottes vom homo faber"61. Problematisch ist allerdings, daß ein analytischer und wissenschaftlichen Ansprüchen genügender Zugriff auf Predigtarbeit verweigert wird. Homiletik im Sinne einer „Theorie der allgemeinen Bedingungen jeweils individueller Predigtproduktivität"62 ist für Iwand nicht denkbar. Indem bei ihm das Wort Gottes selbst zum Subjekt des Auslegungsgeschehens erklärt wird, bleibt das hermeneutische Verfahren der Verknüpfung

57 AaO., 195. 58 Ebd. 59 Ebd. Vgl. auch die präzise Analyse bei J. Hermelink [1992], 69-86. Er rückt in den Blick, daß Iwand hinsichtlich des Predigers wie des Glaubenden grundsätzlich „nicht berücksichtigen [kann], daß die gegebene Wirklichkeit auch als Ort der Verheißung zu sehen ist, daß sie also für die Entstehung des Glaubens nicht zuletzt konstruktive Bedeutung hat" (86). 60 Chr. Bizer [1972] weist zu Recht auf die Schwierigkeiten hin, mit denen die Interpretation von Iwands Texten verbunden ist. Bei Iwand wird im Grunde durchaus eine „spätpietistische Komponente im Zeugenbegriff" spürbar (104f Anm. 301, mit Hinweis auf ein Vorwort Iwands, in dem dieser an den Willen des Predigers appelliert), aber andererseits ist der Zeuge „geradezu Unperson". „Wenn sich das Wort Gottes in seiner Bewegung vom Text auf die Kanzel als Subjekt in der Hand hat, dann hat die Forderung nach subjektiver Wahrhaftigkeit des Predigers konsequenterweise gar keinen Raum" (aaO., 93f Anm. 269; Zitat 94). Was bei Iwand als Wirkung des Wortes Gottes gedacht zu sein scheint, begegnet an anderer Stelle als Forderung. Vgl. dazu das Beispiel bei Chr. Bizer [1972], 104 Anm. 301. 61 K. Hüttel von Heidenfeld [1979], 296. 62 V. Drehsen [1986a], 11.

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von Text und Wirklichkeit 63 der Nachfrage entzogen. Denn das Wort Gottes sucht sich seine ,Anwendung' ja selbst. Die genannten Probleme von Iwands Meditationsverständnis haben eine wesentliche Wurzel in seinem Schriftverständnis. Die Schrift ist nicht einfach auf Grund menschlicher Deutung zu „öffnen". Die Inspiration der Schrift bedeutet die .Abgrenzung gegenüber aller nur menschlichen, innerweltlich, historisch, religiös oder ethisch orientierten Hermeneutik'. Das Schriftverständnis gerät wie das Auslegungsgeschehen auch zu einem Glaubensakt: „Wir müssen wieder Ja sagen können zur Göttlichkeit der Heiligen Schrift". Iwand legt größten Wert darauf, die Autorität der Schrift über die der Kirche zu stellen. „Hier [sc. im Gottesdienst der Reformationskirchen] ist die Schrift nicht in der Verfügungsgewalt der Kirche, sondern die Kirche anerkennt, daß die Schrift ein ihr einwohnendes, geheimnisvolles, aber zugleich auch mächtiges und autoritäres Auslegungsprinzip hat. Wenn der Geist über die Schrift kommt, dann redet die Schrift durch den Mund ihrer Menschen, und wenn die Schrift redet und zu reden beginnt, dann predigt es [! B.W.] in der Welt!" 64 Indem der Schrift unbedingte Autorität zukommt, partizipiert zweifellos auch der,Zeuge' an dieser Autorität. Auch wenn er von sich weg weist, bleibt dennoch sein .Zeugnis' der kritischen Nachfrage enthoben. Für Predigt als ,Zeugnisrede' kann also ebenso ein aus sonstiger menschlicher Rede herauszugrenzender Sonderbereich reklamiert werden wie für die biblischen Texte im Verhältnis zu sonstigen schriftlichen Äußerungen. Die Hochschätzung der Predigt als Verkündigung ist bei Iwand verbunden mit der Ablehnung der analytischen, insbesondere der methodischen Nachfrage nach ihren Bedingungen und Voraussetzungen als Predigtproduktion. Läßt sich dennoch Einfluß nehmen auf das Predigen, und ist es möglich, die Predigt als kirchenbegründende viva vox zu fördern? Iwand sah in der Gattung der literarischen Predigtmeditationen eine solche Möglichkeit.

63 Wirklichkeit als selbständigen Faktor in der Predigtvorbereitung würde Iwand gerade nicht akzeptieren, da die Lebenswirklichkeit ja nur im Verhältnis zum Wort Gottes und dessen Wirklichkeit gesehen werden kann und dann freilich nur als überwundene, nur negativ qualifizierte Wirklichkeit gesehen werden muß. Überlegungen, die sich um eine differenzierte Sicht von Wirklichkeit mit Verfahrensmöglichkeiten zur Aufnahme der Wirklichkeit in die Predigtvorbereitung bemühen, sind von vornherein ausgeschlossen. 64 H.J. Iwand [1964], 253f. 108

5.1.5. Predigtmeditationen als literarische Predigthilfen Literarische Predigtmeditationen sind „Hilfe"65, „Anleitung"66 zum Predigen. Da nach Iwands Meditationstheorie das eigentliche Subjekt der Predigtarbeit das Wort Gottes selbst ist, stellt sich die Frage, inwieweit menschliche Einflußnahme auf das entscheidende Auslegungsgeschehen überhaupt denkbar ist. Die Frage nach der Anteilhabe des Predigers an seiner eigenen Predigtproduktion innerhalb des Meditationsprozesses stellt sich im Hinblick auf die literarische Predigtmeditation gleichermaßen: Inwieweit kann ein Meditator literarisch einen Beitrag leisten zur Predigtvorbereitung der Leser, wenn die Auslegung doch grundsätzlich dem methodischen Zugriff entzogen ist, sofern sie als Selbstauslegung des Wortes Gottes verstanden wird? Eine zweite, das Unternehmen Predigthilfen problematisierende Frage gesellt sich hinzu. Iwand betont die Bedeutung des einzelnen Predigers als Zeugen, der zwar einerseits von seiner eigenen Leistung völlig absehen muß, andererseits aber gerade eine große Rolle spielt, indem er sich dem ,Textwillen' unterwirft und sich der ,Bewegung' des Wortes Gottes nicht entgegenstellt. Wenn er in seiner Subjektivität als ,Zeuge' unvertretbar ist, wie kann ihm da literarisch geholfen werden? Iwand bleibt seinen homiletischen Grundlegungen vollkommen treu, wenn er mit einer literarischen Predigthilfe präzise da ansetzt, wo menschliche Einflußnahme im Predigtgeschehen möglich ist: im Vorfeld der eigentlichen Meditation, wo das ,Anklopfen' an der Schrift notwendig ist. Literarische Predigtmeditation stellt eine ,Hilfe' dar, indem sie den einzelnen potentiellen Zeugen zur Beschäftigung mit dem biblischen Text,anleitet'. Diese Anleitung stellt sich nun so dar, daß gerade der Bedeutung des Predigers als Zeuge Rechnung getragen wird. Da es auf seine „religiöse Disposition"67 ankommt, will die Predigtmeditation auf diese einwirken und den Prediger in die rechte Beziehung zum Text einweisen. Tatsächlich stellen für Iwand „die GPM ein Verfahren bereit, das die Praxis der Prediger im Grunde nur dadurch bestimmt, daß es deren Subjektivität zu prägen sucht"68. Wie ist nun eine derart qualifizierte Einflußnahme zu gestalten? Sie geschieht in den die Hefte begleitenden Vorworten und natürlich in den von

65 AaO., 152.419. 66 AaO., 196. 67 W . Grab [1988], 245. Die Predigtmeditation nach Iwand ist „nicht zuerst durch das Ziel bestimmt, daß der Prediger dadurch zu brauchbaren Gedanken kommt", sondern sie soll „zum Glauben an die Predigt vor der Predigt" verhelfen, indem sie darauf hinweist, daß die Predigt (im Text) schon vor der (durch den Prediger zu haltenden) Predigt da ist. (J. Henkys [1990b], 49.) 68 So das Ergebnis der Analyse von J. Hermelink [1992], 87.

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Iwand und verschiedenen Mitarbeitern verfaßten Predigtmeditationen selbst. In den Vorworten Iwands69 werden wiederkehrende Themen behandelt. Iwand wertet die homiletische und kirchliche Lage und erläutert das Selbstverständnis der GPM und den rechten Gebrauch der Predigtmeditationen. Er erklärt, was die GPM leisten können und worin ihre Grenze liegt. Der Leser wird in die Konzeption der GPM und damit zugleich in die homiletischen Grundüberlegungen Iwands eingeführt. 5.1.6. Die Zentralstellung

der Predigt

Iwand weist immer wieder auf den Stellenwert der Predigt hin. Sie ist „die zentrale Aufgabe und darum auch die zentrale Frage der kirchlichen Existenz"70. Predigtamt und Kirchenleitung fallen zusammen. Er ruft die Leser auf: „Vergessen wir es doch nicht..., daß in die Hände des Predigtamtes die Kirchenleitung gelegt ist! Denn wie sollte sich die Kirche anders führen lassen als eben durch die Erkenntnisse, die ihr immer neu durch die Auslegung der Schrift und die Verkündigung des Evangeliums geschenkt werden"71. Fragen der Ordnung und Gestalt von Kirche sind Barmen III entsprechend zu klären. „Die Gestalt der Kirche muß Zeugnis und Ausdruck dessen sein, daß das Wort läuft"72. Für Iwand ist das Evangelium sogar „die oberste Norm"73. Daher hat „die Kirche primär nach dem Wort zu fragen, um das Wort sich zu bemühen und nicht nach ihrer Gestalt"74. Iwand spricht die Hoffnung aus, „daß die ganze Gemeinde zu begreifen anfängt, wieviel an der rechten Verkündigung hängt"75, und er schärft seinen Lesern eindringlich ein, daß „die Predigt immer noch die Mitte alles gemeindlichen Lebens sein soll"76. Wenn er feststellt: „Es drängt förmlich 69 Diese sind leicht zugänglich in H.J. Iwand [1964], Allerdings sind sie dort nicht vollzählig zu finden. Es fehlen dort die Vorworte aus GPM 2/1947/48 Heft 1 und Heft 3. Da die Rezeption in der Regel auf H.J. Iwand [1964] zugreift, möchte ich an dieser Stelle auf folgende geringfügigen Veränderungen des Wiederabdrucks gegenüber den Originalen hinweisen: H.J. Iwand [1964], 76, ist gekürzt gegenüber dem Vorwort GPM 1/1946/47 Heft 3, 2. Die Überschrift „Vorwort" (GPM 2/1947/48 Heft 4, 3) wurde zutreffend korrigiert in „Nachwort" (H.J. Iwand [1964], 151). Die Überschrift „Statt eines Vorwortes" (GPM 5/1950/51 Heft 1, 1) wurde geändert in „Vorwort" (H.J. Iwand [1964], 248) und zugleich um ein lateinisch-deutsches Zitat Luthers gekürzt, auf das allerdings anschließend Bezug genommen wird. Der Hinweis auf „[d]ie vorangestellten Thesen" (H.J. Iwand [1964], 248) bleibt darum unverständlich. 70 H.J. Iwand [1964], 151. 71 AaO., 557; vgl. auch 530, jeweils mit dem zustimmenden Hinweis auf Schleiermacher. 72 AaO., 222. 73 AaO., 221. 74 Ebd. 75 A a O , 197. 76 A a O , 531.

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alles wieder zu der einen Frage hin, die nach dem ersten Weltkriege die Theologie und hernach die Kirche wachrief und erneuerte: Wie steht es um unsere Verkündigung?"77, so liegt darin eindeutig eine kritische Pointe. Erkennbar wird, daß die Predigt nach Einschätzung Iwands nicht die Mitte ist, sondern erst werden soll.

5.1.7.

Die,Predigtnot'

Mit der Betonung der Bedeutung der Predigt geht die Feststellung einer herrschenden ,Predigtnot' einher. Die Klage über die ,Predigtnot', die bereits Trillhaas notierte, durchzieht die Vorworte der GPM während der Redaktion durch Iwand. Von „Not" und „Sorge" ist die Rede78, vom „Elend unserer Verkündigung", „Lähmung" und dem Versuch, sich im „Nebel" zu orientieren79. Als Grund für diese negative Einschätzung der zeitgenössischen Predigt wird das Ausbleiben des Wortes Gottes genannt. Die Sorge gilt der Frage, „ob er [sc. Gott] vielleicht sein Schweigen bräche, ob es vielleicht noch einmal heißen könnte: von uns, von diesen armen, leidenden, zerquälten, in ihrer Blindheit neuen Katastrophen entgegentreibenden Menschen: ,Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein helles Licht'" 80 . Iwand geht also davon aus, daß das Entscheidende gerade nicht eintritt, denn Gottes Wort wird in der gegenwärtigen Predigt nicht wirksam. Dieses Urteil ist vernichtend, weil es nicht differenziert und sich ausnahmslos auf alle Predigten bezieht. Um so erstaunlicher ist es, daß letztlich keine Begründung angeführt wird. Die „Predigtnot" wird einfach festgestellt. Es wird nicht versucht, die Einschätzung der Lage plausibel und einsehbar zu machen. Offensichtlich zielt die Diagnose auf Evidenz: „der Verfall der Predigt in unserer Kirche ... [liegt] offen zutage"81. Hier stellt sich die Frage nach den Kriterien, die Iwand seiner Fundamentalkritik zu Grunde legt. Woran vermag er abzulesen, daß Gottes Wort nicht zur Sprache kommt? Iwand nennt allerdings Ursachen für die ,Predigtnot'. Getreu seiner Meditationstheorie liegt eine Ursache in der falschen Einstellung der Prediger zum Wort Gottes. Die ,Predigtnot' ist zunächst und zuerst „Schuld" der Prediger. „Jede gute Meditation muß von der Voraussetzung ausgehen, daß, wenn es gelingt zu hören, was hier zu hören ist, alle anderen Sorgen und Fragen in dem einen, was nottut, aufgehoben sein könnten, daß jeder, der mit dem A m t dieses Hörens und Sagens betraut ist, dieser ungeheuren Möglichkeit nahe ist (und dar-

77 Ebd. 79 AaO., 327. 81 AaO., 392.

78 AaO., 196. 80 AaO., 196.

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um wir alle die Ferne dazu als besonders bitter und als unsere tiefe Schuld empfinden). ... Und die Schuld liegt wohl meist darin, daß wir nicht bedürftig genug, nicht leer, arm, blind, lahm und gottfern genug an den Text herankommen, daß wir schon immer etwas, unter Umständen sogar unser dogmatisches-orthodoxes, unser konfessionell .gegebenes' Verständnis mitbringen, daß wir nicht wahr haben wollen, daß das Leben, die Wahrheit, das Licht eben nicht in dem Menschen liegt, der sich dem Wort naht, sondern im Wort, das dem Menschen ,nahe ist'"82. Iwand spricht das Gewissen des Predigers an. Er praktiziert im Grunde einen Schuldaufweis. Die Ursachenforschung der behaupteten und keineswegs belegten ,Predigtnot' gerät zur „Predigt an den Prediger"83, in der dieser zur Umkehr und zum Glauben gerufen wird. Iwand sucht Einfluß auf die Predigt zu nehmen, indem er die Prediger dazu aufruft, die Predigt zur Mitte des gemeindlichen Lebens zu machen und an die Beschäftigung mit dem biblischen Text so ,leer' heranzugehen, wie Iwand dies beschreibt. Das negative Verständnis von Wirklichkeit kommt auch in der Einschätzung der homiletischen Lage als einer Notlage zum Tragen. Indem die ,wirkliche Welt' nur als zu kritisierende Größe in den Blick tritt, fügt sich die ,Predigtnot' ins Bild und erscheint zugleich als begründet in eben diesem Wirklichkeitsverständnis84. Die Zeit des Kirchenkampfes erscheint allerdings durchweg als eine Zeit, in der die homiletische Lage im wesentlichen eine andere war. Iwand lobt das Verhältnis der „die Schrift in Exegese und Lehre auslegenden Theologie und der diese Schrift in der Verkündigung, der viva vox evangelii, bezeugenden Kirche" zur Zeit der Bekennenden Kirche und spricht die Hoffnung aus, durch die GPM dieses Verhältnis „so lebendig und unzerreißbar zu halten [zu] suchen, wie uns das in den Tagen der Anfechtung und des Kampfes neu geschenkt und gelehrt wurde"85. Die Klage über die herrschende ,Predigtnot' verbindet sich mit dem Hinweis auf die bessere, ver-

82 AaO., 195. 83 So N . Hasselmann [1977], 75, in bezug auf die Meditationen. So auch Chr. Bizer [1996]: „H.-J. Iwand verfällt dabei ins Predigen ... Aber seine Predigt ist eine Predigt an Prediger zu ihrer theologischen Amtsführung, mithin ein exemplum theologischer Konstruktion." (416) 84 Nach J. Hermelink [1992] wird die .Predigtnot' geradezu vertieft: „Auf Grund ihrer systematischen Prämissen können die GPM nicht anders, als jene Erfahrung der Predigtnot zu vertiefen, die sie eigentlich überwinden wollen. Die ,wirkliche Welt', der nach Iwands Auffassung die Predigtpraxis zugute kommen soll, bleibt für seine Predigttheorie ein ungelöstes Problem." (95) In der Tat ist Hermelink zuzustimmen, daß die Probleme von Iwands Predigttheorie darin liegen, daß dieser gerade nicht „in prinzipieller Weise die theologischen Kategorien reflektiert, denen sich seine Deutung der Wirklichkeit verdankt", und „die homiletische Erschließung der Wirklichkeit ... in diesem Rahmen nicht als ein eigentümlicher Aspekt der Predigtarbeit begreiflich werden [kann]" (ebd.). 85 H.J. Iwand [1964], 354.

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gangene Situation. Die Predigt der Gegenwart ist elend, „anders als in den schweren, aber doch kirchlich und theologisch so fruchtbaren Jahren zuvor [Hervorhebung B.W.]"86. Nachdem Trillhaas bereits im ersten Heft der GPM 1946 feststellte: „Die Predigtnot hat sich nicht gebessert. Trotz der Führungen und Erfahrungen, die der Kirche in der jüngsten Geschichte zuteilgeworden sind, hört man überall müde Predigten"87, notiert Iwand zehn Jahre später mit Bezug auf Trillhaas: „Die Predigtnot ist geblieben. Das war nicht immer so"88. Iwand gibt einen Hinweis darauf, warum zur Zeit des Kirchenkampfes keine ,Predigtnot' bestand: „Wir haben eine Epoche in unserer jüngsten Kirchengeschichte gehabt, in der die Predigt der Kirche etwas war und etwas galt"89, ein Hinweis, der allerdings nicht befriedigen kann. Ebenso wie die Einschätzung der homiletischen Gesamtsituation als totalem Notstand zielt der Hinweis auf vergangene, bessere Zeiten auf Evidenz, steht jedoch in keinem Begründungszusammenhang. Erstmals nennt Iwand aber auch praktische Ursachen für die gegenwärtige Lage. Bauliche Aufgaben und neue „Wirkungsmöglichkeiten, die der Kirche nach 1945 in zunehmendem Maße zugefallen sind", haben den Prediger „in Anspruch genommen und ihn zerstreut"90. Er faßt zusammen: „Unser Wiederaufbau hat von außen begonnen, die innere, geistige und geistliche Seite desselben ist weithin vernachlässigt". Die Prediger entlastet er hinsichtlich der Vernachlässigung' einerseits, andererseits aber spitzt er die Ursache der Predigtnot dramatisch zu: „Aber das ist nicht alles, nicht das Letzte, nicht das Ernsteste. Das Geschehen des Wortes Gottes ist und bleibt kontingentes Geschehen, bleibt etwas, was wir nicht in der Hand 86 A a O . , 3 2 7 . 87 W. Trillhaas [1947], 3. Zu beachten ist, daß Trillhaas Gründe für die .Müdigkeit' sogleich benennt, die primär in den Anforderungen an das Zeitdeputat des Pfarramtes liegen. „Viele Pfarrer haben ihre nötigsten Bücher verloren und entbehren das selbstverständliche Handwerkszeug. Die Gemeinden quellen allenthalben über von Fremdlingen und man muß ununterbrochen unterwegs sein, um den Uberblick zu behalten. ... Und dann tritt die Folge ein, die für alle geistlichen Dinge tödlich ist: man hat keine Zeit. .Zeithaben' bemißt sich nicht nach der Uhr. Es ist eine Sache der äußeren Ruhe, der inneren Sammlung und Stille, des Gebets." (Ebd.) Zwar sieht Trillhaas hier vergleichbar mit Iwand die ,geistliche' Situation der Prediger als ursächlich für die .Predigtnot' an, allerdings resultiert diese seines Erachtens erst aus einem strukturellen Pfarramtsproblem. Mit der Kategorie .Schuld' operiert Trillhaas nicht. Zudem läßt er anders als Iwand - seiner Feststellung der .Predigtnot' praktische Hinweise zur Predigtarbeit folgen, die erkennen lassen, daß seine Lösungsansätze in einem anderen Koordinatensystem zu verorten sind als die Iwands. (Vgl. W. Trillhaas [1947], 3f.) 88 H.J. Iwand [1964], 528. 89 AaO., 528. 90 Ebd. Dieser Hinweis geht in eine ähnliche Richtung wie der von W . Trillhaas. Zwei Jahre später, 1957, findet sich erneut ein diagnostischer Hinweis. „Man bekommt heute leicht den Eindruck, daß sehr viel Betrieb ist, aber viel zuwenig echte Entscheidung, zu wenig Flamme, sehr wenig Licht und Wärme" (H.J. Iwand [1964], 590).

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haben, das man aber auch mit der besten Theologie nicht garantieren und erzwingen kann. Gott kann auch schweigen"91. Ein Ende der .Predigtnot', so sehr sie .Schuld' ist, liegt nicht in der Hand der Prediger, vielmehr in derjenigen Gottes. Die Rede von der,Predigtnot' aber zielt darauf, den Predigern ihre Lage bewußtzumachen: „Immerhin wäre es wichtig, wenn man sich dieser Not wirklich bewußt würde"92.

5.1.8. „Besinnung auf Verkündigung"93:,Evangelium'

und,Einheit'

Das Unternehmen der GPM selbst ist wiederholt Gegenstand von Erklärungen. Iwand legt offensichtlich Wert darauf, die Arbeit in einen Zusammenhang mit der kirchlichen und homiletischen Lage zu stellen, das Programm zu erläutern und in den rechten Gebrauch der Predigtmeditationen einzuführen. Ausgangspunkt des Unternehmens ist die herrschende ,Predigtnot'. Trillhaas leitet das erste Heft ein, indem er die ,Predigtnot' skizziert. Predigt ist allzu oft „Gerede", in dem man „nicht an die Sache herankommt" und um „den Text herum [geht] wie die Katze um den heißen Brei". Die Intention der Gemeinschaftsarbeit Göttinger Professoren94 ist es nun, „an die Sache des Textes heranzuführen" 95 . Als Predigthilfe verstanden, will sie „nicht einfach die Arbeit abnehmen, sondern zur rechten Bewältigung anleiten" 96 . Damit sind zwei wesentliche Motive der GPM benannt, die in der Folgezeit variiert und ausgeführt werden97. Die Predigthilfe zielt auf die Praxis der Predigt, indem sie diese zu verbessern sucht. Sie versteht sich als „Bemühen um die rechte Predigt"98. Diese ist vor dem Hintergrund der Zentralstellung der Predigt insgesamt zu sehen. Insofern ist die Arbeit an der Predigt zugleich „Besinnung auf Verkündigung"99. Grundlegend ist die Einsicht, daß allein die Beschäftigung mit dem Text für die Predigt förderlich ist. Diese Voraussetzung gilt ungebrochen und steht nicht zur Diskussion. Die Predigtmeditationen wollen nun auf den Leser einwirken, daß der Prediger dem Predigttext die angemessene Bedeutung zukommen läßt, und sie wollen ihm bei der Beschäftigung mit dem Text eine ,Hilfe' bereitstellen. 91 AaO., 528. Vgl. auch zum Schweigen Gottes ausführlich aaO., 196. 92 AaO., 528. 93 AaO., 2. 94 Gründungsmitglieder sind neben Η .J. Iwand und W . Trillhaas noch J. Jeremias, G. von Rad und O. Weber (vgl. W . Trillhaas [1947], 3). 95 Alle Zitate aaO., 3. 96 Ebd. 97 Inwiefern Trillhaas andere Akzentsetzungen erkennen läßt als Iwand, kann auf der Grundlage der kurzen Redaktionsarbeit von Trillhaas nicht thematisiert werden. 98 H.J. Iwand [1964], 196. 99 Ders. [1948], 2.

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Fragt man, worin diese Hilfe bestehen soll und welcher Anspruch mit den Predigtmeditationen verbunden ist, so mag es erstaunen, daß mit der ,Hilfe' ein bemerkenswert hoher Anspruch verbunden ist. „Eine Hilfe für dieses echte Finden seines Wortes in unserer wissenschaftlichen, geistigen und politischen Wirklichkeit wollen unsere Meditationen sein"100. Das Projekt GPM zielt darauf, die beklagte ,Predigtnot' zu beseitigen. Es ist getragen von der Hoffnung, daß „Gottes Wort wieder bei uns Wohnung nimmt" 101 . Die Meditationen sollen einen Beitrag dazu leisten, daß das Wort Gottes zur Sprache und in der Wirklichkeit zur Wirkung kommt 102 . Dieser - im Grunde nicht mehr zu überbietende - Anspruch einer literarischen Predigthilfe kann im Rahmen von Iwands Überlegungen eigentlich nur ein vermittelter sein, insofern die Meditationen Einfluß auf die Predigt nehmen, der die Vermittlung von Gottes Wort und Wirklichkeit allein zukommt. Eine solchermaßen geprägte Verhältnisbestimmung von Meditation und Predigt wird denn auch hinsichtlich ihres Gebrauchs thematisiert und unterstrichen. Sie ist „Anleitung" zur eigentlichen „Anstrengung"103 und somit lediglich eine „vorläufige Bemühung"104. Die Meditationen können nur „das Handwerkszeug bereitlegen für die eigentliche Arbeit, die ein anderer leisten muß, der Bruder, der die Verkündigung in der Gemeinde und an die Welt ausrichtet"105. Meditation und Predigt verhalten sich zueinander wie „leere Schale" und „Frucht"106. Hinsichtlich ihrer Bedeutung aber steht die literarische Predigtmeditation der Predigt in nichts nach. Ihre Bedeutung ist denkbar groß gedacht. „Das möchten unsere Meditationen sein, nichts anderes als ein Ausschauhalten nach diesem Licht [Bezug: ,Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein helles Licht'; B.W.], ein Rufen und Fragen, ob die Nacht schier hin ist, ein Postenbeziehen an der einzigen Stelle, wo wirklich Hilfe kommt, wo das Herz fest wird und ein neuer, gewisser Geist unser wartet. Ein Anklopfen möchten sie sein, und ein Einlaßbegehren an der Tür, die ins ewige Leben führt" 107 .

Eine Unterscheidung von Predigt und Predigthilfe ist auf dieser Ebene nicht mehr erkennbar. Als Bemühung um das Wort Gottes ist diese jener gleichgestellt. Zum Teil ist die Hilfsfunktion der GPM gegenüber der Predigt festgehalten. Iwand spricht im Vorwort zum siebten Jahrgang die Hoffnung aus, daß die GPM bald wieder auch im Osten erscheinen können, um fortzufahren: „[W]ir erwarten ..., daß sie auf diese Weise dazu helfen, das Evangelium als das eine und unteilbare in und über dem Gegensatz von Ost und West kundzumachen und auszubreiten"108. Er kann aber auch 100 102 104 106 108

Ders. [1964], 419. AaO., 530. AaO., 531. Ebd. A a O , 327.

101 103 105 107

AaO, AaO, AaO, AaO,

122. 196. 530. 196.

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die Licht-Metapher, die bei ihm häufig mit ,dem Evangelium' belegt ist, für einen Band der Predigtmeditationen beanspruchen. „Möchte er [sc. der achte Jahrgang] ... ein helles Licht, ein Licht des Friedens und der Freude, in unserer bedrängten Welt ausstrahlen lassen"109. Da Iwand keine präzise Verhältnisbestimmung bietet, ist davon auszugehen, daß als Bemühung um das Wort Gottes und ,Anklopfen' am Text in Erwartung der Bewegung des Wortes Gottes eigentlich kein Unterschied zwischen Predigt und Meditation besteht. Als Bemühung um das Wort Gottes, die auf seine Wirkung zielt, werden die das Wort Gottes verkündigende Predigt und die literarische Predigtmeditation also durchaus auch parallelisiert. Zudem zeigt sich die Tendenz, der Predigtmeditation die Wirkung ,des Evangeliums' zu unterstellen. Predigt, Predigthilfe und Wort Gottes bzw.,Evangelium' sind nicht immer klar voneinander abgegrenzt. Eine weitere Parallele zwischen Meditation und Predigt ergibt sich dadurch, daß Meditator und Prediger in „Gemeinschaft"110 verbunden sind. Die GPM werden verstanden als „Band"111. Um die Dimension dieser Verbundenheit begreifen zu können, ist zunächst dem Begriff der ,Einheit' nachzugehen, mit dem eine Mehrzahl von Zielsetzungen zusammenfassend benannt ist. Das Unternehmen der GPM soll die Einheit von Theologie und Verkündigung fördern. Daß „Theologie und Kirche"112 bzw. „Wissenschaft" und „Praxis"113 keine ,Gegensätze' darstellen, wird Iwand nicht müde zu betonen. Konfessionalismus ist ebenfalls zu überwinden. „So haben sich denn unsere Meditationen v o n Anbeginn bemüht, den praktischen Erweis in der Auslegung des Wortes zu erbringen, daß Evangelium und geschichtlich-gewordene Konfession nicht auf ein und derselben Ebene, in ein und derselben dogmatischen Relevanz zu sehen sind" 114 .

Es ist - so resümiert Iwand im Nachwort schon des zweiten Jahrganges der GPM - „gelungen, der leichtfertig ausgestreuten Rede von der,konfessionsbedingten' Verschiedenheit der Evangeliumsverkündigung innerhalb der evangelischen Kirchen ein sichtbares Zeichen gegenteiligen Willens und gegenteiliger Wirklichkeit entgegenzustellen"115. Auch den „Gegensatz" zwischen Ost und West gilt es zu überwinden116. Iwand wandte große Mühe dafür auf, ein Erscheinen der Predigtmeditationen in beiden Teilen Deutschlands zu ermöglichen und auch den Mitar-

109 110 111 112 113 114 115 116

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AaO., 471. AaO., 592. H.J. Iwand [1947], 3; ders. [1964], 528. Ders. [1964], 354. AaO., 392. AaO., 151. Vgl. auch 195. Ebd. Vgl. aaO., 327.471.

beiterkreis entsprechend zu erweitern. Auch Kirchen weiterer osteuropäischer Länder werden programmatisch mit einbezogen117. Die Existenz unterschiedlicher theologischer Schulen wertet Iwand negativ118. Die Theologie, mit der sich der Ausleger identifiziert, steht der ,Leere' entgegen, mit der er eigentlich an den Text herangehen sollte. Hermann Diems Dogmatik begrüßt Iwand daher überschwenglich als ein Buch, „vielleicht mehr als ein Buch", das „vielleicht in der Lage [ist], ein wirklich bedenkliches Auseinanderleben innerhalb der Theologenschaft der protestantischen Kirche zu verhindern" 119 . Die theologische Schulbildung äußert sich im „Riß" zwischen sogenannter dogmatischer und exegetischer Methode, von der selbst die Meditationen „gezeichnet" sind120. Damit sind sehr unterschiedliche Themen genannt. Sie werden bei Iwand jedoch in die eine Perspektive von zu überwindenden Differenzen und Gegensätzen gerückt.,Einheit' ist die zugrundegelegte Zielvorstellung. Diese wird konstituiert durch das eine Evangelium, dem ein Zeugnis entspricht. ,,[E]s geht uns um das Zeugnis der Heiligen Schrift, das neu verkündigt werden soll, das auf ungezählten Kanzeln, in der theologischen und kirchlichen, politischen und gesellschaftlichen Verschiedenartigkeit unseres Lebens und Dienstes als das eine Zeugnis des einen Gottes in Jesus Christus laut werden möchte"121. Wiederholt betont Iwand die Gemeinschaft der Prediger und Meditatoren untereinander, sie sind in ihrem Dienst an dem ,einen' und ,unteilbaren' Evangelium verbunden, das die genannten Gegensätze und Differenzen überwindet. Die Besinnung auf das Wort Gottes ist zugleich Besinnung auf diese Einheit. Die Einheit ist eine Wirkung des Evangeliums. Und auf diese Wirkung zielen die GPM, deren Arbeit zu verstehen ist als „ein gemeinsames Bemühen, das Wort Gottes im Zeugnis der Schrift so vernehmlich zu machen, daß es uns eint" 122 . Die Verbundenheit des Leser- und Meditatorenkreises ist im Zusammenhang mit der umfassenden einheitsstiftenden Wirkung des Evangeliums zu

117 Vgl. besonders das Vorwort zum 14. Jahrgang in: aaO., 666-668. 118 AaO., 195. Seine Kritik scheint sich auch gegen die ,Unübersichtlichkeit' zu richten, wenn er vom „Gestrüpp von Theologie" spricht (666). 119 AaO., 470. Keiner weiteren Publikation schenkt Iwand in den Vorworten so viel Aufmerksamkeit wie dem 2. Band der Dogmatik von Hermann Diem mit dem Titel „Der Weg zwischen Historismus und Existentialismus". 120 „Besonders ist der Riß zwischen exegetischer und dogmatischer Methode inzwischen deutlicher in Theologie und Kirche als das noch nicht bewältigte Problem hervorgetreten. In unseren Meditationen, die die Begegnung zwischen Forschung und Verkündigung zum Ausdruck bringen, wurde diese Not zuweilen sehr greifbar. Würden wir hoffen können, einiges zu ihrer Uberwindung beizutragen, wenn wir nicht selbst von ihr gezeichnet wären?" (AaO., 327.) 121 AaO., 530. 122 Ebd.

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sehen. Der Kreis um die Predigtmeditationen ist Ausdruck dieser Gemeinschaft, andererseits wird diese als Bemühung um das Wort Gottes durch die G P M erst geschaffen. „Es mag manche stille Verbindung zwischen den einzelnen Verfassern unserer Schriftauslegungen und dem Prediger des Wortes zustande gekommen sein. N u r selten hören wir davon etwas. Das Entscheidende bleibt im Unsichtbaren, geschieht in der stillen Voraussetzung der κ ο ι ν ω ν ί α π ν ε ύ μ α τ ο ς (Phil. 2,1), die uns alle verbindet in dem, was durch die Verkündigung geschieht, geschehen könnte, geschehen sollte." 123

Die Betonung der Verbundenheit weist offensichtlich auf die Intention hin, Gemeinschaft unter den Lesern vorauszusetzen und an diese zu appellieren. Die Vorstellung von einem imaginierten Konvent drängt sich anschaulich auf124. Leser und Meditatoren, Praxis und Wissenschaft, Ost und West, kommen - abgesehen von der konkreten Wirklichkeit, in der sie stehen, - via G P M zusammen. „So stehen wir mit allen, die den Dienst auf der Zinne des Tempels ausrichten, in einer zwar unsichtbaren, aber doch unzerstörbaren Gemeinschaft. ... U n d wir glauben, daß es eine Stimme und ein Zeugnis ist, das im Evangelium kund wird, ob das nun im Oderbruch geschieht oder im Getriebe einer modernen Großstadt, ob es dies auszurichten gilt in unseren Dörfern, die aufhören, Dörfer zu sein, oder in der Industriesituation des mechanisierten Lebens" 125 .

Dem einzelnen, unvertretbaren Zeugen, der mit seinem Bemühen um das Wort Gottes in der Predigtvorbereitung der Erfahrung der Anfechtung ausgesetzt ist, vermitteln die G P M die Gemeinschaft mit anderen prüdem' 126 . Passagenweise erwecken die Voten Iwands den Eindruck, daß sie Geborgenheit und Trost 127 , vor allem aber Orientierung zu vermitteln suchen. Orientierung will die ,Weggemeinschaft' der G P M geben, „mit der wir in den mancherlei kirchlichen Wirrnissen und Bewegungen unserer Tage einen relativ klar vorgezeichneten Weg zu sehen und zu gehen meinen" 128 . In der programmatischen Hinwendung zum Text liegt grundsätz123 A a O . , 5 2 9 . 124 Chr. Bizer [1996] spricht in bezug auf die vor 1947 brieflich ausgetauschte Gattung der Meditation von einem „zur literarischen Form geronnene[n] mutuum colloquium theologicum predigender Brüder" (412). 125 H.J.Iwand [1964], 531. 126 Peter-Paul Sänger zur Funktion der Predigtmeditation nach Iwand: Sie will dem Prediger „in seiner Abgeschiedenheit das Bewußtsein gemeinsamer ... Vorbereitung auf die Predigt durch die Benutzung der gleichen Meditation verleihen" (H.J. Iwand [1979], 328). 127 Trost wird auch von Iwand gesucht und von den Lesern gespendet. Iwand bedankt sich für „einige sehr freundliche und trostreiche Briefe von bekannten und unbekannten Freunden und Lesern" (H.J. Iwand [1964], 530). 128 AaO., 122; vgl. auch zur ,Weg'-Metapher 392.

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lieh die entscheidende Orientierung, die sich als praktische Anleitung zur einzelnen Predigt konkretisiert. Die Leser werden zwar zur Mithilfe aufgerufen, „auf der Bahn zu bleiben"129, Orientierung innerhalb der Gemeinschaft wird indessen einseitig von seiten der Meditatoren den Lesern gegeben130. Konsequenterweise werden die Leser denn auch um „Vertrauen" gebeten131. Indem die GPM sich um das Wort Gottes bemühen und in der Gemeinschaft auch andere anleiten zu dieser Besinnung, partizipieren sie selbst an der kirchengründenden Wirkung des Evangeliums. Die Predigtmeditationen sind „die Stimme einer communio sanctorum"132. Den GPM kommt somit eine der Predigt vergleichbare Wirkung zu.

5.1.9. Einflußnahme auf den Prediger Die Einflußnahme auf die Prediger gestaltet sich konkret als ein Einschärfen der genannten homiletischen Grundlagen, die für Iwand zur Behebung der ,Predigtnot' wesentlich sind. Der Leser als Prediger wird vorbereitet auf die individuelle Predigtarbeit, indem seine Bereitschaft geweckt wird, sich von der Bewegung des Wortes Gottes ergreifen und in den Selbstauslegungsprozeß des biblischen Textes hineinnehmen zu lassen. Ihm wird eingeschärft, daß „das Leben, die Wahrheit, das Licht eben nicht in dem Menschen liegt, der sich dem Wort naht" und er sich daher „loslassen" und der Wahrheit „überlassen" soll133. Die Autorität der Predigttexte wird be129 AaO., 392. 130 Damit ist ein gewisses Gefalle impliziert. Auf die Zweiseitigkeit, daß einerseits Vermittlung durch theologische Lehrer geschieht, andererseits den Lesern Selbständigkeit und Freiheit zu ihrer eigenen Predigt zugestanden wird, hat Christoph Bizer hingewiesen: „So vereint die Predigtmeditation den Anspruch auf theologisch-sachliche Verbindlichkeit mit dem personalen Element des kirchlich-theologischen Lehrers, der den predigenden Bruder einerseits in die Verantwortung für den Predigtinhalt ruft, andererseits ihm den Raum für eigenes Predigen freigibt." (Chr. Bizer [1996], 414.) 131 „Wir grüßen alle unsere Leser und bitten weiter um ihr Vertrauen" (H.J. Iwand [1964], 528f). 132 „Freilich, wir müßten noch ein anderes Wort über den Anfang dieses neuen Jahrgangs stellen, wenn wir das würdigen wollten, was uns, sehr unvorhergesehen und als ein wirkliches Geschenk, zuteil geworden ist. Diesmal dürften unsere ,Meditationen' bekennen: .Herr, Gott meines Herrn Abraham, du hast Gnade zu meiner Reise gegeben.' Sie haben nicht nur wachsend an Zahl und hoffentlich nicht abnehmend an Weisheit ihren Weg gemacht, sondern sie haben die Partnerschaft gefunden, die wir bei unserem Anfang kaum zu hoffen wagten. Sie haben nicht nur die nationale Enge durchstoßen, sondern mehr: Sie sind ein lebendiges Zeichen für die versöhnende Kraft des Glaubens nach Krieg und Gewalttat geworden und sind heute die Stimme einer communio sanctorum, die, wenn ich an die Zeit nach 1918 denke, undenkbar gewesen wäre" (aaO., 666). 133 AaO., 195.

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tont, noch bevor sich der Prediger an die Arbeit mit ihnen gemacht hat. Die besondere Qualität der Schrift wird beispielsweise mit Hinweis auf die Apostolizität der Episteltexte unterstrichen: „Das ist das Wichtige an den Episteltexten. Hier unterstellen wir uns, zumal in der Angefochtenheit unserer Tage, eben jener Autorität, die im Unterschied zu uns eine ausgezeichnete Stellung in der Kirche für alle Zeiten einnimmt, dank eines nur ihnen geltenden decretum Dei"134. Der Prediger wird in seinen Dienst als ,Zeuge' eingewiesen. In seiner Vereinzelung wird ihm die Gemeinschaft mit anderen ,Zeugen' und ,Trost' in der Anfechtung zugesagt, die aus dem Gegensatz von Wort Gottes und erfahrener Wirklichkeit resultiert. Gerät die Predigtarbeit zum Glaubensakt, so ist es konsequent, daß eine Predigthilfe zuallererst diesen Akt unterstützt und die Wirkung des Wortes Gottes zu fördern versucht. Die Predigtmeditationen stellen sich vor diesem Hintergrund dar als exemplarische Meditation, in der ein Prediger seine Erfahrung im Umgang mit dem Text vorstellt und die Bewegung nachzuzeichnen versucht, in die er selbst hineingenommen wurde. Der Meditator bezeugt seine Begegnung mit dem Wort Gottes und damit dessen Wirkung. Der Leser kann dieses Zeugnis nun nicht einfach übernehmen. Er findet jedoch in jedem Fall ein Vorbild für seine Beschäftigung mit dem Text. Da die Predigtmeditation - verstanden als individuelles ,Zeugnis' des Meditators - an denselben Möglichkeiten wie die Predigt partizipiert, wird der Leser möglicherweise von dem bezeugten Wort Gottes ,ergriffen', so daß er eine Hilfe für sein eigenes, selbständiges Zeugnis, die Predigt, findet135. Die Meditation wirkt als „Ferment" 136 .

134 AaO., 248. Konkret zeigen sich an dieser Stelle die Probleme, die Iwands Schriftverständnis mit sich bringen. Pauschal wird eine besondere Autorität behauptet, ungeachtet der inhaltlichen Aussagen oder der Autorenschaft. Eine Kritik der Texte verbietet sich im Grunde von vornherein, Widersprüche und Spannungen innerhalb des Kanons können wohl kaum zur Kenntnis genommen werden. 135 Insofern kann eine Predigtmeditation ohne weiteres als .Predigt an den Prediger' verstanden werden. Die betonten Hinweise Iwands (aaO., 530 u.ö.) darauf, daß die Meditation nicht schon die Predigt ist, zielen auf die Individualität der Predigt als Zeugnis'. Das Wort Gottes kann sich dem Leser eben nur in eigener Bewegung am Text erschließen; vgl. dazu Chr. Bizer [1972], 95. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die Predigtmeditation im Verhältnis zur Predigt, sondern für jedes .Zeugnis'. Ziel jeder Schriftauslegung ist, daß der Text selbst spricht und das .Zeugnis' nur auf diesen .hinweist'. „Es könnte ja auch einem Pfarrer gegeben sein, den Text so zu erläutern, daß er als solcher sich dem Hörer erschließt, es könnte sein, daß in solchen Gemeinden, wo noch in der Hausgemeinde die Predigt rekapituliert wird, dann die Bibel aufgeschlagen, der Text gelesen und der Predigthörer vom Vormittag selbst zum Schriftausleger wird" (H.J. Iwand [1964], 61). 136 Chr. Bizer [1972], 95.

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Aus diesem Verständnis dessen, was eine Predigtmeditation leisten soll, ergeben sich die im folgenden aufzuzeigenden Konsequenzen für die Gestaltung der einzelnen Predigtmeditationen. Das angewandte Verfahren, Text und Wirklichkeit homiletisch in Beziehung zu setzen, wurzelt jedoch gänzlich in der geschilderten programmatischen Konzeption.

5.1.10. Predigtmeditation als, Zeugnis' des Meditators Die Predigtmeditation ist „praktische Anleitung zur einzelnen Predigt" 137 . Für die konkrete Gestaltung ergeben sich aus den dargestellten homiletischen Voraussetzungen folgende normative Konsequenzen. Die Meditation soll ausschließlich Textauslegung sein. Sie sollte allein hinweisen auf das im Text enthaltene' Wort Gottes und zugleich ,bezeugen', inwiefern das Wort Gottes den Meditator ,getroffen' und ihn in die ,Bewegung' des Selbstauslegungsprozesses hineingenommen hat. Die Meditation darf sich also neben dem Predigttext keinen weiteren Aspekten zuwenden. Der Meditator muß gerade von seiner eigenen Persönlichkeit absehen, seine Fragen und Probleme wie die der Gemeinde dürfen ebensowenig in die Arbeit mit einbezogen werden. „Jede gute Meditation muß von der Voraussetzung ausgehen, daß, wenn es gelingt zu hören, was hier zu hören ist, alle anderen Sorgen und Fragen in dem einen, was not tut, aufgehoben sein könnten, daß jeder, der mit dem A m t e dieses Hörens und Sagens betraut ist, dieser ungeheuren Möglichkeit ganz nahe ist" 138 .

Auf der Grundlage des sich vollziehenden Subjektwechsels im Auslegungsprozeß können die Bezüge des Predigttextes zur gegenwärtigen Wirklichkeit nicht durch den Meditator hergestellt werden, sondern das zur Wirkung kommende Wort Gottes orientiert und piaziert seine Bedeutung selbst. „[D]ie Exegese darf nicht zerfallen in Textauslegung und Anwendung. Beides muß zusammengesehen werden, daß es sich hier nicht um eine willkürliche Anwendung handeln kann, sondern der Text selbst die Zielsetzung bestimmt, in der die Predigt zu gehen hat" 139 . Die Predigtmeditation stellt dar, welche Anwendung sich exemplarisch für den Meditator ergeben hat. Dies ist das Zeugnis des Meditators. Weder kann eine Analyse gegenwärtiger Wirklichkeit durchgeführt und in die Predigtarbeit einbezogen werden, noch sind die sich für den Meditator darstellenden Bezüge des Predigttextes zur gegenwärtigen Wirklichkeit inter-

137 Ders. weist zutreffend darauf hin: „Ist das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit in der homiletischen Theoriebildung gestört, so wird in der Tat die praktische Anleitung zur einzelnen Predigt unabweisbares Bedürfnis" (aaO., 87). 138 H.J. Iwand [1964], 195. 139 AaO., 591.

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subjektiv zu vertreten. Die Wirklichkeitsbezüge sind selbst ,Widerfahrnis' und ,Textwille' als Resultat der Selbstauslegung des Wortes Gottes 140 . Obwohl ihr Geltungsanspruch auf die Person des Meditators beschränkt ist, ist doch zugleich der ungeheure Anspruch mitgesetzt, daß die für den Verfasser erkennbaren Wirklichkeitsbezüge sich der Wirkung des Wortes Gottes selbst verdanken. Von daher können diese allenfalls nachgezeichnet werden, sind aber nicht in einen Argumentationszusammenhang einzubinden. Die Meditation soll allein Schriftauslegung sein. An eine sachgemäße Auslegung aber sind bestimmte Bedingungen zu stellen. Vorausgesetzt ist, daß der Text,Evangelium' ist und ihm von vornherein eine solchermaßen bestimmte Autorität zuerkannt werden muß 141 . Diese fundamentale Voraussetzung ist insofern für die Auslegung von Bedeutung, als sie - will sie der besonderen Qualität der Schrift gerecht werden - von dem Ziel geleitet sein muß, ,das Evangelium' im Text zu entdecken. Die Auslegung steht vor der Aufgabe, den vorgängig unterstellten besonderen Charakter der Texte im Auslegungsvollzug nachträglich zu erweisen.

5.1.11. Das homiletische Verfahren Konzentriert man den Blick auf das angewandte homiletische Verfahren, so läßt sich folgendes bemerken. Die Predigtmeditationen beschränken sich nicht auf Textauslegungen. Die Beschäftigung mit dem Text zielt auf die Entdeckung des ,Evangeliums' im Text und zeichnet die Wirkung des entdeckten Wortes Gottes auf den Meditator nach. Dessen .Zeugnis' weist Bezüge zur Wirklichkeit auf. Predigttext und Wirklichkeit werden auf diese Weise miteinander in Beziehung gesetzt. 140 „Der Verfasser einer Meditation, der das Wirken des hl. Geistes an seiner Person, im literarischen Produkt vorwegnehmen muß, jedoch eben dieses für den Leser, weder kann noch darf, hält diese Spannung nur unter konsequenter Beschränkung auf die Parole ,Allein Auslegung der hl. Schrift' durch. Was der Verfasser ,gefunden' hat, ist nun als .Wille des Textes selbst' ohne Seitenblicke auf praktizierte Praxis darzustellen; und doch darf der Anspruch nicht erhoben werden, die dargestellte Textintention sei für den Leser verbindlich Wort Gottes, weil sich dieses ihm nur in eigener Bewegung am Text erschließen kann" (Chr. Bizer [1972], 95). 141 Als Beispiel für die enge Verbindung von Evangelium und Text sei hier folgendes zitiert: „Am Evangelium, am Text als solchem, liegt es wahrlich nicht, wenn das Wort des Lebens nicht laut wird, wenn uns Glaube und Friede fehlt" (H.J. Iwand [1964],195). Selbstverständlich ist zu konzedieren, daß Iwand keine naive Identifikation vornimmt. Seine Unterscheidung zwischen .Buchstabe' und,Geist' im Hinblick auf den einzelnen Text, der seine Wirkung als .Evangelium' erst zu entfalten sucht, erweist sich allerdings als hermeneutisch unzureichend. Da jeder Predigttext .Predigt' war und wieder werden ,will' (vgl. oben 5.1.1.), birgt er grundsätzlich die Möglichkeit in sich, als .Evangelium' zur Wirkung zu kommen.

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Vor dem Hintergrund der homiletischen Theoriebildung Iwands ist das Verfahren so zu gestalten, daß die Herstellung der Wirklichkeitsbezüge nur in Abhängigkeit von der Textauslegung geschehen kann. Diese Abhängigkeit ist dahingehend zu präziseren, daß unmittelbar Bezüge hergestellt werden, die weder hinsichtlich der vertretenen Wirklichkeitsbereiche noch hinsichtlich ihrer Beschaffenheit zu begründen und argumentativ zu vermitteln sind. Die Wirklichkeitsbezüge stellen sich dar als Wirkungen des Textes, die sich dem Willen des Textes selbst verdanken. Das homiletische Verfahren schließt sich nicht an die Exegese an, sondern ist Teil der Textauslegung - freilich einer Textauslegung, deren Subjekt nicht (mehr) der Meditator, sondern das ,Wort Gottes' selbst ist. Es entspricht dem ,Zeugnis'charakter der Wirklichkeitsbezüge, daß diese persönliche Betroffenheit durch den ,Zeugen' erkennen lassen, freilich ohne den Anteil der Persönlichkeit zu markieren und zum Gegenstand theoretischer Überlegungen zu erheben142. Da nach Iwand dem Wort Gottes prinzipiell eine gegenüber der faktischen Wirklichkeit kritische Potenz zukommt, kann der Bezug auf die Wirklichkeit auch nur in kritischer Perspektive wahrgenommen werden. Die Kritik an der vorfindlichen Wirklichkeit kann geradezu als Ausweis dafür gelten, das ,Wort Gottes' im Text gefunden zu haben. Der die Predigtarbeit dominierende Faktor ist das im Predigttext vorgegebene und zu entdeckende ,Evangelium'. Es ist der Ausgangspunkt für die von ihm selbst intendierten Wirklichkeitsbezüge und zugleich Zielpunkt der Exegese143. So dürfen die zustimmenden Voten Iwands zur Verwendung historischkritischer Methoden der Textauslegung in der Predigtarbeit nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihre Verwendung in einem speziellen hermeneutischen Zusammenhang steht, der diese prägt und die Ergebnisse bestimmt. Die Suche nach dem ,Evangelium'144 leitet die Exegese, welche somit zu 142 Die Persönlichkeit tritt nicht wirklich in Erscheinung. Durch ein formales ,wir' wird die Betroffenheit stilistisch ins Licht gesetzt. Auf die sich ergebende pastorale Perspektive wies Hermelink [1992] hin. - Die Kontextualität von Predigtarbeit ist keineswegs im Anschluß an Iwand zu bestreiten. „Die Meditation, die wir bieten, macht den Versuch, von dem Standort aus, der der unsrige ist, hinzuhören auf dieses,,es predigt', die Quelle zu finden, die auch für uns, wie für die vorangegangenen Generationen, unerschöpflich fließt" (H.J. Iwand [1964], 195; Hervorhebung B.W.). Der .Standort' kann freilich nie selbst Gegenstand einer homiletischen Analyse werden. Dem .Evangelium' haftet zunächst eine zeitlose und ortsunabhängige Qualität an. Erst später rückt der Kontext des .Hörers' als jeweilige Konkretion des letztlich kontextlosen .einen Evangeliums' in den Blick. 143 H.-W. Surkau [1987] notiert, daß die G P M mit Recht „als das Modell für den Weg vom ,Text zur Predigt'" gelten. Zugleich bleibe für Iwand „das Ganze der Schrift" gegenüber einem Abschnitt vorrangig (430). Die Orientierung der Exegese an der ,Schriftmitte' aber wirkt auf die Exegese zurück und dominiert die Auslegung. 144 J. Gandras [1975], 125, verwendet den Begriff „Verheißungsgehalt des Textes".

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dogmatisch zentralen Leitbegriffen führen muß, um die vorausgesetzte Qualität des Textes als Predigtxext zu erweisen und seine Autorität zu behaupten145. Die Einsicht in die Voraussetzung historisch-kritischer Arbeit am Text, daß es sich zunächst um eine Quelle menschlicher Lebensäußerung wie andere auch handelt, wird bei Iwand gerade durch die Behauptung einer besonderen Qualität und Autorität nicht geteilt. Deshalb wird das homiletische Verfahren von ihm nicht methodisch behandelt. Homiletik ist darum bei Iwand dogmatisch-normativ orientiert. Im Vordergrund steht die Verteidigung des Dogmas von der Selbstauslegung der Schrift: scriptura sacra sui ipsius interpres. Der Prediger kommt entsprechend nicht als Interpret, sondern ausschließlich als gehorsamer Zeuge in den Blick. Sein ,Zeugnis' ist wissenschaftlich orientierter Nachfrage entzogen, zugleich ist es aber mit einem hohem Anspruch verbunden, insofern es beansprucht, sich der Wirkung des Wortes Gottes zu verdanken. Die Exegese des biblischen 145 Eine Analyse der eigenen Predigtmeditationen Iwands soll an dieser Stelle nicht durchgeführt werden. Dies würde den der Darstellung der Homiletik Iwands im Rahmen der Fragestellung vorliegender Studie zuzumessenden Rahmen sprengen. Nicht das Verfahren Iwands selbst soll hier beschrieben werden, sondern vielmehr die für das homiletische Verfahren sich ergebenden Konsequenzen aus Iwands homiletischen Voraussetzungen. Daß Iwand selbst auch entsprechend seinen eigenen homiletischen Einsichten verfährt, soll zwar behauptet, kann aber nicht ausführlich gezeigt werden. Immerhin sei verwiesen auf Joachim Gandras, dessen ausführliche Darstellung der „Predigt als Zeugendienst bei Hans Joachim Iwand" [1975] zwar geradezu überschwenglich der Theologie Iwands zugewendet ist und kritische Bemerkungen vermissen läßt, jedoch eine Beschreibung der Predigtmeditationen vornimmt und zu dem Ergebnis kommt, daß diese nach ,,dogmatische[n] Leitlinien" angelegt seien. Als Beispiele zählt er das ,trinitarische' Dogma sowie eine johanneisch verstandene Inkarnationschristologie (141) auf. Eine Gruppe - insgesamt will Gandras die Meditationen Iwands in drei Gruppen einteilen - stellt „Anläufe nach Schlüsselwörtern" (148) dar, wie z.B. nach Gesetz und Evangelium (151) oder theologia crucis (152). Keineswegs - und in dieser Abweisung wird einmal mehr die Tendenz der Arbeit Gandras' erkennbar, Iwands Theologie der kritischen Nachfrage zu entziehen - handele es sich bei diesem Verfahren um eine „Auflösung des Textes in Begriffe" (152; hervorgehoben). Deutlich trete jedoch hervor, daß die Exegese daraufhin betrieben wird, einen systematisch-theologisch zentralen Begriff zu gewinnen, von dem her sich der Text wiederum erschließen und deuten läßt. Offenbar gestaltet sich die Suche nach dem ,Evangelium' als Auffinden eines dogmatisch zentralen und gefüllten Leitbegriffes. N . Hasselmann [1977], der exemplarisch eine Meditation Iwands analysiert, kommt zu dem Ergebnis, daß dieser „gegen besseres Wissen" den Text in einer den Aussagen des Textes nicht angemessenen Weise interpretiert, gerade um der Gewinnung einer bestimmten dogmatischen Kategorie willen. „Hier haben wir ein eklatantes Beispiel für ein bewußtes Uminterpretieren der Ergebnisse historischer Forschung in eine erwünschte dogmatische Aussage" (76-84; Zitate: 80f). Positiver dagegen urteilt H. Benckert [1970]: „Iwands Predigtmeditationen sind Musterbeispiele für eine außerordentlich materialreiche systematische Durchdringung des Textes mit dem Ziel der Verkündigung." (191) Da Iwands Meditationen nicht selbst Gegenstand der Analyse sind, wird an dieser Stelle auf ein Urteil verzichtet.

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Textes ist am Entdecken eines dogmatischen Zentralbegriffes orientiert. Die Wirklichkeitsbezüge aber sind unmittelbar an die so verstandene Exegese anzuschließen. Nur so ist gewährleistet, daß sie sich tatsächlich der direkten Beschäftigung mit dem biblischen Text verdanken und nicht ,νοη außen' herangetragen werden. Sie können nicht reflektiert und begründet eingeführt werden, denn sie werden ja nicht eigentlich in einem Interpretationsakt ,hergestellt', sondern sind von dem im Text,enthaltenen' Wort Gottes intendiert. Die Unmittelbarkeit der Wirklichkeitsbezüge ist daher wesentliches Charakteristikum des Meditationsverständnisses Iwands. Die Verwendung der 1. Person Plural stellt dabei ein homiletisch-technisches Verfahren bereit, direkte Bezüge zu ,uns' zu formulieren. Der Mensch als solcher, ungeachtet seiner Individualität und seiner Erfahrung, ebenso ungeachtet der Zeit und des Kontextes, in dem er lebt, ist der entscheidende Bezugspunkt des Evangeliums. Eine theologische Anthropologie, die alle Differenzierungen ausklammert, ermöglicht diese Unmittelbarkeit. Geht man davon aus, daß die Meditation allein „ein nachdenkliches Sichversenken in den Sinn des Textes"146 ist, so ist die Beschäftigung mit dem Text zielgerichtet, und zwar darauf, daß das Wort Gottes seine Wirkung entfaltet, dessen Widerfahrnis der Meditator ,bezeugt'. Diese Wirkung ist das Ziel der Predigtarbeit147. Das Nachzeichnen der Wirkung auf den Meditator (,Zeugnis') soll ja dem Leser neben der unabdingbaren eigenen Beschäftigung mit dem Text zu einem eigenen, individuellen ,Zeugnis' verhelfen. Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, daß die Wirkungsgeschichte der Predigttexte eine bedeutende Rolle spielt. Sie ist selbst bei der ,Auslegung' des Textes heranzuziehen148 und steht, wie es scheint, gleichberechtigt neben der „wissenschaftliche[n] Exegese unserer Zeit"149. Mußte auch das Vorhaben, „eine Geschichte der Predigt an Hand der Evangelien des Kirchenjahres zu geben"150, aufgegeben werden, so bildet sich doch die Tendenz heraus, die Predigtgeschichte einzubeziehen und zwar häufig 146 J. Gandras [1975], 135. Das Meditationsverständnis Iwands wäre so in Hinsicht auf die mystisch-kontemplative Konnotation von ,Meditation' interpretiert! 147 „Iwands Predigtmeditationen sind Hinwendungen zum Bibelwort in der Weise, daß Exegese, kirchliche Lehre, Auslegungsgeschichte und Gegenwartserfahrung, gerade auch die politische, sich zusammenfinden zu einem einzigen Vorgang des Anklopfens, des dringlichen Lauschens und Wartens auf das lebendige Wort, das zur Predigt auf der Grundlage des geschriebenen Wortes ermächtigt." (J. Henkys [1990b], 49.) 148 „Beides, die sich in der Gegenwart vollziehende, zeitgenössische Auslegung der ntl. Wissenschaft und die in der Predigt der Kirche Ereignis gewordene, diese Kirche selbst bestimmende, vielleicht auch spaltende, vielleicht in Entscheidungen hineintreibende Auslegung in ihrer Verkündigung und Lehre, steht in einem sachlichen Zusammenhang miteinander, wie ja schließlich die Texte selbst ursprünglich als Predigt, als Verkündigung des einen Evangeliums, der Botschaft von Jesus Christus, erzählt und niedergeschrieben sind." (H.J. Iwand [1964], 195.) 149 Ebd. 150 Zum Kirchenjahr 1949/50; ebd.

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durch vorangestellte Zitate. Diese gehen in der Regel auf die Reformationszeit zurück. Die Wirkungsgeschichte ist hier tatsächlich im wesentlichen auf die Reformationszeit beschränkt. Als zweite wirkungsgeschichtlich interessierende ,Epoche' ist die des sogenannten Kirchenkampfes zu nennen. Die meisten Zitate, die Iwand bietet, stammen von Martin Luther und Karl Barth. Ihre Zeugnisse haben gleichsam als Höhepunkte der Wirkungsgeschichte des Wortes Gottes zu gelten. Das homiletische Verfahren, das die Predigtmeditationen abbilden, geht konsequent aus Iwands homiletisch-theologischem Verständnis hervor. Das Verfahren impliziert die zugrundeliegenden Einsichten. Charakteristisch sind die Unmittelbarkeit, mit der der Hörerbezug hergestellt wird, und die Ausrichtung der Exegese auf die Leitbegriffe, welche gewissermaßen als Gelenk zwischen Text- und Wirklichkeitsbezügen fungieren. Der Wirkungsgeschichte der Predigttexte kommt eine auch für gegenwärtige Auslegung wesentliche Bedeutung zu. Freilich ist diese zugespitzt auf die ,Höhepunkte', an denen sich die Wirkung des Wortes Gottes deutlich zeigt. Die Zuspitzung auf Luther und Barth als epochale Exponenten läßt erkennen, daß der Reformation und dem Kirchenkampf herausragende Bedeutung zukommen151. Unbestritten kommt Iwands Homiletik eine denkbar große Bedeutung für die GPM zu. Im folgenden soll der Frage nach Kontinuität und Entwicklung des konzeptionellen Selbstverständnisses der GPM weiter nachgegangen werden. 5.2. Schriftleitung GPM 15/1960/61 bis 24/1969/70. Martin Fischer: DasAbhören der alten Predigt' verbinden mit der,Liebe' zur Gemeinde Nach dem Tode Iwands bringt bereits das Geleitwort durch den Verlag152 programmatisch zum Ausdruck, wie die GPM fortgeführt werden sollen: Ein Erbe soll in Treue verwaltet werden153. Der Nachfolger Iwands in der 151 Es deutet sich eine Sichtweise an, die kirchengeschichtliche Epochen und Zeitabschnitte pauschal positiv oder negativ bewertet. Eine differenzierte Wertung innerhalb einer Epoche begegnet bei Iwand kaum. Wirkungsgeschichte ist hier verstanden als Wirkungsgeschichte des als .Evangelium' verstandenen Wortes Gottes und nicht etwa als Rezeptionsgeschichte der biblischen Texte. 152 Die Unterzeichner sind Robert Frick und Günther Ruprecht. 153 „Nach dem Tode von Hans Iwand war es uns deutlich, daß die Arbeit der Predigtmeditationen fortgesetzt werden müsse, und daß uns hier ein Erbe anvertraut sei, das es in Treue zu verwalten gelte" (GPM 15/1960/61, 1). Von der Übernahme eines Erbes spricht Fischer auch in einem Entwurf für ein Anschreiben an die Autoren, das er den Mitherausgebern Günther Bornkamm und Walter Kreck am 26.7.1960 vorlegte: „Ein solches Erbe kann man nur behutsam, geduldig und kräftig fortzuführen versuchen." (M. Fischer [1960a])

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Schriftleitung, der Berliner, an der Kirchlichen Hochschule lehrende Praktische Theologe Martin Fischer bekräftigt in seinem sich anschließenden Vorwort: „An Plan und Weg der GPM wollen wir vorderhand nichts ändern"154. Seine homiletisch-konzeptionellen Aussagen gleichen den in Iwands Vorworten eingeschärften Einsichten. Fischer betont: „Die entscheidende Predigthilfe aber ist und bleibt der Text, dem wir nahebleiben wollen durch Bemühung um jede Wendung seiner Aussage"155. Denn nur „zähe, vielleicht harte Bemühung um die Texte wird auf die Länge unsere Predigt erneuern"156. Freilich, und auch dieser Hinweis begegnete schon häufig bei Iwand, „kann den Predigern die Mühe um das rechte Wort für die eigene Gemeinde nicht abgenommen werden"157. Die Hinsicht auf die Hörer wird vertreten - und dies ist für Fischer charakteristisch - durch den Leitbegriff „Liebe zu den Menschen"158. Dem Geleitwort durch den Verlag als auch dem Vorwort durch die Herausgeber nach ging es zunächst vor allem um Kontinuität; der Hinweis auf die geplante Autorenkonferenz im Frühjahr 1961 könnte mögliche Veränderungen erwarten lassen159.

5.2.1. Autorenkonferenz der GPM in Arnoldshain (18.-21. 4. 1961) „Auftrag und Weg" der GPM wurden „gemeinsam bejaht"160. Nachdem „einmütig" festgestellt werden konnte, „daß die Arbeit der GPM nicht mehr entbehrt werden kann und darf"161, stellt sich die Zusammenfassung 154 Im Vorwort (GPM 15/1960/61, lf; hier: 2). Mitunterzeichner sind G. Bornkamm und W. Kreck. Es ist allerdings zu vermuten, daß die Abfassung in der Hauptsache auf den neuen Schriftleiter zurückging. 155 M. Fischer/G. Bornkamm/W. Kreck [1960/61], 2. 156 Ebd. 157 Ebd. 158 „Liebe zu den Menschen, die als lebendige Zeitgenossen Hörer des Wortes werden sollen, wird sprechen lehren." (Ebd.) 159 Der Hinweis auf die Konferenz ist verbunden mit dem Ziel, „den weiteren Weg der Predigtmeditationen mit Rücksicht auf die uns zugegangenen Kritiken zu erörtern. Bis dahin wollen wir den bisherigen Weg erproben und prüfen" (ebd.; Hervorhebung B.W.). Bereits das Geleitwort der Verleger enthielt die ausdrückliche Bitte um „jedes Echo helfender und fördernder Kritik" (R. Frick/G. Ruprecht [1960/61], 1). - In eine andere Richtung jedoch weist das Einladungsschreiben für Arnoldshain, in dem Fischer die GPM in ihrer „Gestalt..., wie sie sich jetzt herausgebildet hat", sehr positiv bewertet (M. Fischer [1961]). Ausführlich zitiert er aus Iwands Einladungsschreiben, das dieser, die Tagung für 1960 planend, wenige Wochen vor seinem Tod am 11.3.1960, abgefaßt hatte. Mit dem Zitat gibt Fischer zu erkennen, daß er seine Schriftleitung vor allem als Weiterführung der von Iwand begonnenen Arbeit versteht. 160 Vgl. M. Fischer [1960/61]: Unsere Autorenkonferenz der GPM im 4. Heft der GPM (15/1960/61), 249-254, hier: 250. 161 Ebd. Iwand hatte bisweilen angedeutet, daß es nicht selbstverständlich sei, die Arbeit fortzuführen (vgl. z.B. H.J. Iwand [1964], 353).

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von Fischer162 als Bestätigung der bisherigen Konzeption dar. Die Predigtmeditationen sind - verstanden als exegetische Arbeit in Perspektive auf die Predigt - vor allem eine Hilfe zum ,Hören der Predigt des Textes' 163 . Die Bedeutung der wissenschaftlichen Exegese besteht darin, die ,Neuheit' und ,Fremdheit' der biblischen Texte in der Predigtarbeit zur Geltung zu bringen. Fischer warnt davor, daß Predigten auf .Tradition' zurückgreifen, im traditionellen' bleiben. Die wissenschaftliche Exegese mit ihren fortschreitend neuen Erträgen zeigt, daß je neues,Hören' nötig ist164. Indem die historisch-kritischen Methoden auf die konkrete Situation gerichtet sind, in welcher der biblische Text abgefaßt wurde und auf die er zielt, wird der Prediger durch die Unterschiedenheit der Situationen darauf hingewiesen, daß seine Predigt ein eigenständiges .Zeugnis' sein muß. „Die historischkritische Exegese läßt dem Text die Fremdheit seiner unwiederholbaren Situation und nötigt zu der gehorsamen Bemühung, die Botschaft durch eigene Verkündigung zur Sprache zu bringen" 165 . Im wesentlichen begegnen also auch bei Fischer die homiletischen Aussagen, die bereits Iwand zur Geltung brachte. Der Predigttext ist selbst Predigt bzw. Verkündigung, die - im gehorsamen Hören - an den Prediger ergeht. Entscheidender Faktor in der Predigtarbeit ist auch für Fischer das Vertrauen auf die ,Selbstbewegung' des Wortes Gottes, das von selbst zur Wirkung kommt. 162 AaO., 250-254. 163 Vgl. vor allem aaO., 250f Anm. 5. Charakteristisch ist hier die Verwendung des Begriffes ,Hören' für die Predigtarbeit als exegetische Arbeit am Text: „Wer die alten Texte hört ...; Das auf die Predigt gerichtete intensive Hören des Wortes Gottes ...; ... von Text zu Text neu zu hören und zu gehorchen". Eine Zielperspektive legt das Kompositum .abhören' nahe: „daß Gottes Wort in den Texten auf den Zukunftswillen des lebendigen Gottes abgehört ist" (ebd.). 164 Interessanterweise formuliert Fischer diese Einsicht im Anschluß an die Erfahrung, die wiederholte Behandlung der alten Evangelien (Reihe I) in den G P M ließe erkennen, „daß die - in der Kirche nicht selten beargwöhnte - exegetische Arbeit neue wichtige Erträge erbracht hat". Die Wiederbehandlung derselben Texte hat also „tg]egen die Erwartung ... nicht zu überflüssigen Wiederholungen Anlaß gegeben" (250). Wiederholungen hat es jedoch, so Fischer, deshalb nicht gegeben, weil die biblischen Texte immer in ihrer besonderen Qualität dem Prediger voraus sind, der sie nicht wirklich auszuschöpfen versteht. Nicht Neuerungen innerhalb der exegetischen Disziplinen in den letzten Jahren oder eine sich aus sonstigen Veränderungen speisende neue Situation schließen die Wiederholung aus, sondern: „Offenbar sind theologische Entscheidungen an den Texten zu gewinnen, zu denen wir uns in der ganzen Breite ihrer Bedeutung noch gar nicht aufraffen würden." (M. Fischer [1961]) 165 M. Fischer [1960/61], 252. Diese Zusammenfassung könnte sich rückbeziehen auf den von Gerhard Ebeling in Arnoldshain gehaltenen Vortrag, der angekündigt war unter dem Titel „Wissenschaftliche Theologie und kirchliche Verkündigung" (M. Fischer, [1961]). G. Ebeling [1960a] und [1962] bestimmt auf diese Weise die Funktion der historisch-kritischen Exegese für die Predigtarbeit wie für die Theologie.

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„Zu glauben ist, daß der lebendige Gott in seinem Wort selber ausrichten will, was er den heutigen Hörern gegenüber auszurichten vor hat. Zu glauben ist, daß dem Worte Gottes selbst ein Wille, eine Bewegung, ein Gefalle eignet, daß das Wort Gottes in einer lebendigen Selbstbewegung auf die Hörer zu verstehen ist und daß der erst rechter Prediger ist, der dieser Selbstbewegung folgt, sich ihr anpaßt, sie aufnimmt; der also abhört, was Gott in seinem Wort gesagt haben will. Nicht er bringt dieses Wort in Bewegung, sondern dieses lebendige Wort erweckt ihn und gibt ihm ein Wort in Auftrag voller Wahrheit und Leben."166 Die dogmatische Einsicht in die Potenz des Wortes Gottes wird hier unmittelbar auf die konkrete Predigtarbeit angewendet. Um Aktualisierung' darf sich der Prediger gar nicht bemühen167. Gefordert werden von ihm keine homiletischen und hermeneutischen Fähigkeiten, sondern Glaube und Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes. N u r so, in der .Anpassung' an den Willen des Textes und durch Abhören des Wortes Gottes, wird er in die Lage versetzt, durch sein persönliches Zeugnis das Gehörte seiner Gemeinde zu erschließen. Eine literarische Predigtmeditation ist Anleitung zur Beschäftigung mit dem Text: Sie weist auf den Text hin und bietet exegetische und theologische Informationen. Darüber hinaus wird dem Prediger „als persönlich geforderter, unvertretbarer Hörer und Zeuge"168 Gemeinschaft mit anderen zuteil. „Gerade wenn er [sc. der Prediger] nicht nur die Traditionen der Väter fortsetzt, kann ihm das Wunder widerfahren, daß Gott selber ihm Vater und Bruder als Gefährten zeigt. Auch dafür sind die Predigthilfen ein Hinweis"169. Darüber hinaus bringt Fischer - und dies ist für das Selbstverständnis der GPM nicht unwesentlich - den Anspruch der GPM zur Geltung, eine wichtige Funktion für die Theologie insgesamt zu haben. So leisten die Predigtmeditationen als exegetische Arbeit am biblischen Text in der Perspektive der Predigt der Kirche einen Beitrag zur wissenschaftlichen Theologie, indem sie für diese neue, durch die Textarbeit gewonnene Impulse bereithält. Fischer scheint hier vor allem an die Uberwindung von Schulbildungen zu denken. 166 M. Fischer [1953], 13. Es handelt sich hierbei zwar um einen älteren Text, die dort geäußerten homiletischen Aussagen scheinen aber offensichtlich später nicht verändert worden zu sein, so daß sie sich als Hintergrund einführen lassen. 1953 hatte Fischer bereits den Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Berlin inne. Möglicherweise schien Martin Fischer gerade u m dieser Kontinuität mit Iwand willen als dessen Nachfolger besonders geeignet zu sein. 167 Die Bemühung stellt - so Fischer - eine Häresie dar. „Es wird in der Regel behauptet, daß der Prediger das Wort Gottes zu aktualisieren 'habe. Er soll es anwenden, er soll es lebendig machen. Es kann kein Zweifel sein, daß der Prediger damit hoffnungslos überfordert ist. Häresien überfordern meist. Wie sollte er, der Tote, das Wort des lebendigen Gottes lebendig machen können!?" (Ebd.) 168 M. Fischer [1960/61], 251 Anm. 5. 169 M. Fischer [1960/61], 251.

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So ist wohl der Hinweis auf die ,Fronten' im Zusammenhang mit der Vielfältigkeit der Autoren und ihrer Beiträge zu sehen. „In der Bemühung um die Predigt stehen wir heute in der vordersten Front theologischer Bemühungen. Das, was wir in der Gesamtkonzeption oft noch nicht bewältigen, gelingt nicht selten an dieser Front. Die Ergebnisse werden von verschiedenen Autoren in verschiedener Weise geboten und verantwortet. Das ist kein Schade. Die Aufmerksamkeit der theologischen Wissenschaft auf die hier gebotenen Arbeiten wächst"170. Die GPM bieten auch wissenschaftliche Information für die Prediger. „Die Pfarrer im Predigtamt, die sich die Arbeit mit den Göttinger Predigtmeditationen gönnen und leisten, bleiben in dem theologischen Gespräch, das heute geführt wird, und gehören damit zu den gebildeteren [!; B.W.] Pfarrern ihrer Kirche" 171 . Wie schon bei Iwand begegnet auch bei Fischer der betonte Hinweis auf die Grenze dessen, was eine Predigthilfe leisten kann und darf - und was nicht. Er betont gleichfalls, daß dem Prediger als Leser der GPM nichts ,erspart' .nichts abgenommen' wird: selbstverständlich nicht die „Gestaltung seiner eigenen Predigt" 172 , aber auch weder die exegetische noch die theologische Arbeit 173 . Die Grenze liegt da, wo das eigene,Zeugnis' des Predigers gefordert ist. „Sie [sc. die Predigtmeditation] führt den Prediger dahin, wo seine Verkündigung notwendig wird als Zeugnis eines Glaubens, der durch gehörte Botschaft Vollmacht erhalten hat" 174 . Deutlich wird, daß für Fischer die Predigtmeditation eigentlich nur „Wiedergabe der exegetischen Ergebnisse" sein darf und der Bezug zur gegenwärtigen Wirklichkeit in die Verantwortung des einzelnen Predigers gestellt werden muß175. Er kann daher nicht Gegenstand der Predigthilfe werden. Offensichtlich ist jedoch gerade die Frage des Wirklichkeitsbezuges in Arnoldshain thematisiert und kontrovers diskutiert wor170 AaO., 250f. Vgl. dazu auch 250 Anm. 5, wo zum dritten Mal in diesem Zusammenhang von der „Front theologischer Kämpfe und Entscheidungen" die Rede ist. 171 AaO., 251. 172 Der Begriff,Gestaltung' ist denkbar weit gefaßt und umfaßt die Bezogenheit auf die Gemeinde: „sie [sc. die Gestaltung] ist ja nur in der verantwortlichen Bemühung um eine konkrete Gemeinde zu finden" (aaO., 250 Anm. 5). 173 AaO., 251. 174 AaO., 252. Das Verständnis des Predigers als Zeugen erweist sich auch hier als homiletisch bedeutungsvoll. Fischer weist in diesem Zusammenhang empfehlend auf A. Niebergall, Der Prediger als Zeuge, Gütersloh 1960, hin. Aufschlußreich sind hier besonders die Passagen über die Bedeutung der für unerläßlich gehaltenen Anfechtungserfahrung' für die Predigtarbeit (F. Niebergall [1960], 85-88). Auf die Bedeutung der ,Anfechtung' weist Fischer 1953 hin (M. Fischer [1953]). 175 AaO., 251. Die gegenwärtige Wirklichkeit wird über die Person des Predigers in die Predigtarbeit einbezogen, freilich implizit in der im Tätigkeitsbegriff .Hören' konzentrierten Auslegungsbemühung des Predigers. „Er [sc. der Prediger] wird die rechten, von Gott aufgegebenen Worte für das Wort Gottes nur finden, wenn er für seine

Gemeinde hört und formuliert" 130

(ebd.; Hervorhebung B.W.).

den176. Der Bericht von Gerhard Barth177 beinhaltet Überlegungen, die zwar mit dem Bericht Fischers zusammenstimmen, die aber auch davon zeugen, daß im Hinblick auf das homiletische Verfahren bzw. die Einbeziehung des Wirklichkeitsbezuges in die Beiträge der GPM Weitergehendes gedacht wurde. „Bleiben nicht die Meditationen zu weit von der Wirklichkeit des heutigen Menschen entfernt?"178 Diese Frage leitet die knappe Wiedergabe der Diskussion ein, in der erörtert wurde, inwieweit die Situation der Predigthörer in die Meditationen einbezogen werden könne. Es wurde der Wunsch geäußert, grundsätzlich etwas zu erfahren über „die Situation des heutigen Menschen", und zwar „über den Predigthörer, seine Theologie und sein Selbstverständnis"179. Auch in diesem Zusammenhang fehlt nicht der Hinweis darauf, daß „in den Meditationen nichts mundgerecht serviert werden" dürfe, sich „die eigene Verantwortung des Pfarrers ... hier am deutlichsten" zeige und „die Predigtsituation nun doch in jeder Gemeinde grundverschieden ist"180. Interessant und konkret das Verfahren der GPM betreffend ist die Frage Heintzes, „ob nicht gleichwohl die Verfasser paradigmatisch im Blick auf eine bestimmte, ihnen bekannte Gemeinde sich Gedanken machen könnten" 181 . Der Vorschlag, Wirklichkeitsbezüge exemplarisch hinsichtlich einer konkreten Gemeinde herzustellen und damit gleichsam das Verfahren offenzulegen, geht über die bisherige Konzeption der GPM hinaus. Das zur Sprache gebrachte Problem wurde aber so aufgenommen, daß ein künftig engerer Kontakt zwischen Professoren (Meditatoren) und Pfarrern (Benutzer) den Austausch über die Meditationen fördern möge182. Der Gesprächsgang tangiert im Ergebnis also das Verfahren der GPM nicht. Der Wirklichkeitsbezug soll auch künftig nicht 176 Dies erwähnt Fischer, ohne freilich näher darauf einzugehen: „Wieweit die einzelnen Autoren den Pfarrer begleiten dürfen in der Findung von Intention und Gefälle, Ordnung und Darbietung, Sprache und Anrede der Predigt, wurde verschieden beantwortet" (aaO., 251). 177 G. Barth, Konferenz von Mitarbeitern und Benutzern der Göttinger Predigtmeditationen. Arnoldshain vom 18. bis 20. April 1961, in: MPTh 50 (1961), 378-383. Die beiden Berichte von Barth und Fischer zeigen unterschiedliche Einschätzungen. 178 G. Barth [1961], 382. 179 Ebd. 180 Ebd. 181 Ebd. Es handelt sich um den teilnehmenden Landessuperintendenten Gerhard Heintze (Hildesheim). 182 Ebd. Fischer nennt weitere Vorsätze, z.B. „ein Bändchen Predigten vorzulegen von Autoren, die auf Grund ihrer eigenen Meditationen Predigten erarbeitet und gehalten haben" (M. Fischer [1960/61], 253). Neben dem singulären Abdruck einer Predigt von H. Gollwitzer erschien 1965 ein Band „Gepredigte Rechtfertigung. Fünfzehn Predigten über Galater 2" [M. Fischer, 1965], der von Martin Fischer herausgegeben und eingeleitet ist. Allen 15 Predigten ging die Lektüre einer Meditation von Werner Krusche voraus (15). Auf diese Weise sollte auch das Endprodukt der Predigtarbeit, die Predigt, in den Blick gerückt werden. Man erhoffte sich von diesem Projekt, dem Desiderat der Praxisnähe Abhilfe verschaffen zu können. Das ,Lösungsmodell' greift das ge-

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etwa exemplarisch oder paradigmatisch Gegenstand der Meditationen werden. Das Desiderat bleibt bestehen. Der konzeptionelle Standpunkt bleibt von einem verstärkten Austausch zwischen Meditatoren und Lesern unberührt. Im Anschluß an ein von Ernst Lange gehaltenes Referat über „den Versuch neuartiger Gemeindearbeit am Brunsbütteler Damm in Berlin"183 wurde die in eine ähnliche Richtung wie die nach der Wirklichkeit des heutigen Menschen' weisende Frage nach dem „Problem der Sprache"184 diskutiert. „Könnten die Meditationen nicht auch Sprachhilfen geben, etwa indem der Verfasser hin und wieder ... ihre [sie!] Meditation damit schließen, daß sie eine überzeugende Übertragung des Textes versuchen?", fragt Barth, läßt aber im Hinblick auf den Ertrag der Gespräche zusammenfassend erkennen, daß das homiletische Programm der GPM in Arnoldshain im Grunde nicht verändert wurde oder überhaupt zur Disposition stand. „Das Entscheidende ist, daß es zu einem wirklichen Kontakt zwischen Verfassern und Benutzern ... kam"185. 5.2.2. Kein übersteigerter Predigtbegriff} Kritik an Wolfgang Die wirkliche Predigt (1963)

Trillhaas,

Der von Wolfgang Trillhaas 1963 in der Festschrift für E. Hirsch publizierte Aufsatz „Die wirkliche Predigt" ist zu sehen vor allem als Kritik an dem zeitgenössischen, sich in erster Linie der Wirkung Karl Barths verdankenden dogmatischen Predigtbegriff im Anschluß an Bullingers Definition: praedicatio verbi Dei est verbum Dei. Trillhaas' Überlegungen zeigen eine für die Folgezeit charakteristische Hinwendung zur Predigtempirie

gestellte Problem nicht auf der Ebene homiletischer Theoriebildung auf, sondern bedenkt zum einen die Lösung im Rahmen praktischer Anleitung durch theologische Lehrer und Vorbilder (im Blick auf Gollwitzer) und verfolgt zum anderen einen apologetischen Zweck, indem der Predigtband zeigt, daß es durchaus Gemeindepfarrer gibt, welche die Predigtmeditationen auch als Anregung zu verstehen wissen, ohne mehr praktische Anleitung zu fordern. Martin Fischer betont daher in seiner Einleitung: „Die Göttinger Predigtmeditationen muten Arbeit zu ... Sie machen eben das Predigen so schwer, wie es ist." (14) 183 G. Barth [1961], 382. Das Referat ist angekündigt unter dem Titel „Neue Wege für Verkündigung und Gemeindeaufbau" (M. Fischer [1961]). 184 G. Barth [1961], 383. 185 Ebd. Auf Spannungen während der Tagung weist ein Brief von Ernst Lange an Martin Fischer hin: „Vielen Dank, daß ich in Arnoldshain dabeisein durfte. Ich habe für mich Entscheidendes mitgenommen, obgleich es ja etwas bedrückend war, wie schwierig das Gespräch zwischen Theologie und kirchlicher Praxis inzwischen geworden ist und wie wenig das an den Leuten der Universität liegt." (E. Lange [1961])

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bereits an 186 . Fischer setzt sich in einem V o r w o r t der GPM 1 8 7 mit Trillhaas' Kritik auseinander 188 . Deutlich wird, daß Fischer von einer Orientierung der Homiletik an dem Predigtbegriff ,Gottes W o r t in Menschenmund' 189 nicht absehen möchte. Die v o n Trillhaas beschriebene Predigtpraxis, die den hohen Anspruch des dogmatischen Predigtbegriffes Lügen zu strafen scheint und darum dessen Tauglichkeit in Frage stellt, subsumiert Fischer schließlich unter die f ü r den Prediger grundsätzlich unabdingbare Erfahrung der ,Anfechtung'. W e n n er auch die beschriebenen problematischen Phänomene einer Predigtpraxis, die einem - so Trillhaas - übersteigerten Predigtbegriff untersteht, durchaus nicht leugnet 190 , so macht er doch deutlich: „um das erbetene Wunder: Gotteswort im Munde des Zeugen kommen w i r ja w o h l nicht herum" 191 . Die Diskrepanz zwischen Empirie und Dogmatik müsse bestehen bleiben 192 . 186 Vgl. dazu die Einleitung von V. Drehsen [1986a], 9-11. J. Henkys [1990a] zeigt überzeugend auf, daß Wolfgang Trillhaas bereits in der ersten Auflage seiner Evangelischen Predigtlehre (1935) „offen zu sein [scheint] auf das Plädoyer hin, das er 1963 für die .wirkliche Predigt' halten wird" (40). Trillhaas hatte seine Predigtlehre, die 1964 in fünfter Auflage erschien, insbesondere von der 2. bis zur 4. Auflage stark überarbeitet. Zehn Jahre später legte er mit seiner .Einführung in die Predigtlehre' eine „völlig neue Konzeption" vor (W. Trillhaas [1974], S. X). 187 M. Fischer [1963/64a], 1-9: 4-6. 188 Die Stellungnahme von Fischer ist nicht zuletzt daher von Interesse, daß Trillhaas 1945 Mitbegründer der GPM und langjähriger Mitarbeiter war. Die Schwierigkeiten, die Fischer offensichtlich mit der Neuorientierung Trillhaas' hatte, werden in folgendem Zitat deutlich: „Obwohl W. Trillhaas uns alle lange genug homiletisch angeleitet hat und in seiner Predigtlehre manches so noch nicht gesagt hat und so wohl auch nicht formuliert haben würde, wird man ihm zuzuhören haben" (M. Fischer [1963/ 64a], 4). 189 Mit Hinweis auf das Buch von Heinrich Vogel: Gottes Wort in Menschenmund, das 1962 erschien und heute als Bd. 4 der Gesammelten Werke [1982] zugänglich ist. 190 Vgl. M. Fischer [1963/64a], 4. 191 AaO., 5. Es geht freilich nicht darum, die Probleme zu analysieren und Ursachen zu erforschen. Der Hinweis auf die ,Schwere' des Predigtamtes und die Erfahrung der .Anfechtung', die keinem Prediger, der seinen Auftrag ernst nimmt, erspart bleiben kann, ersetzt die Nachfrage. 192 Gegen das Beharren auf der Ausrichtung der Homiletik allein an ihrem prinzipiellen Anspruch legte Dietrich Rössler bereits 1965 Veto ein: „Eine Predigtlehre, in der sich Prinzip und Erfahrung kritisch vermitteln, mag in jeder Epoche eine neue Aufgabe sein. Ganz gewiß ist sie das homiletische Problem der Gegenwart." (D. Rössler [1966], 38.) Zur „Krise des dogmatischen Predigtbegriffs" vgl. insbesondere die Analyse von Wilhelm Grab [1988], 1 Iff. Chr. Bizer [1972] sieht gerade in dem .gestörten' „Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit in der homiletischen Theoriebildung" einen wesentlichen Grund für die wachsende Bedeutung der literarischen Gattung der Predigtmeditationen in den Jahren seit dem 2. Weltkrieg. „Ist das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit in der homiletischen Theoriebildung gestört, so wird in der Tat die praktische Anleitung zur einzelnen Predigt unabweisbares Bedürfnis" (87). 133

„Nun wird es wenige Prediger geben, die in ihren Anfechtungen sich nicht so und wahrscheinlich noch viel tiefer in Frage gestellt sähen. Und sie werden sich dies ja nicht durch einen noch so richtigen und wichtigen Predigtbegriff sparen, sondern die Wunde gerade in ihm offenhalten."193 An diesem Beispiel der Auseinandersetzung mit Trillhaas 194 kann gesehen werden, wie Fischer auf Kritik an der zeitgenössischen, sich im wesentlichen der Wirkungsgeschichte der Wort-Gottes-Theologie verdankenden Theologie der Predigt reagiert. Neuansätze lehnt er ab. Allein die Arbeit an den biblischen Texten, für die die GPM stehen, kann „Hilfe" bringen. „Wir arbeiten aber ... weiter in der Hoffnung, daß - wenn irgend etwas - unsere Texte (Gottes W o r t in diesen Texten!) uns auf den Weg bringen.... Liebe zu den Hörern wird uns sprechen lehren" 195 .

5.2.3. Situation und

Konkretion

Für die zweite Hälfte des Jahrzehntes der Schriftleiterschaft Fischers ist eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der in den G P M zu leistenden „Konkretion" 196 zu beobachten, die zweifellos zumindest zum Teil als Reaktion auf die Theoriebildungen von Ernst Lange zur,homiletischen Situa-

193 M. Fischer [1963/64a], 5. 194 Sieben Jahre später übersendet Fischer seine Rezension an Trillhaas, die dieser bis dahin noch nicht zur Kenntnis genommen hatte, mit den Worten: „Ich denke, Sie erkennen auch in der kritischen Anfrage den bleibenden Dank." (M. Fischer [1970a]) Trillhaas bedankt sich postwendend: „Wenn man nur immer mit einer so noblen und behutsamen ,Polemik' zu tun bekäme! Dann würde man auch gerne und unverbittert .einstecken', besser gesagt: man wäre dann auch bereitwilliger, sich belehren zu lassen." (W. Trillhaas [1970]) Im Rückblick scheint Trillhaas sich von seinem Aufsatz etwas zu distanzieren, wenn er fortfährt: „Freilich muß ich mich wohl auch zugleich erklären, um nicht zu sagen: entschuldigen. 1963 war für mich ein Krisenjahr, es begann mit einem Krankenhausaufenthalt. Mein sehr distanziertes Verhältnis zu den GPM hing mit dem Erbe Iwands zusammen, mit dem ich nie recht .konnte'. Gerade damals schwebte auch die Frage, ob ich seinen Lehrstuhl übernehmen könnte. Ja, meine Distanzierung von der Barthschen Theologie hängt mit den Krisen jener Zeit auch zusammen, wozu die kirchenpolitischen Manipulationen der barthschen Sache, die ich nun ständig hier vor der Haustüre hatte, ihr gerütteltes Maß mit beigetragen haben. Kurz - so kam es, beides, daß ich die GMP [sie!] nicht zu Gesicht bekam, und daß ich diesen Aufsatz auf den Geburtstagstisch von Hirsch legte." (Ebd.) 195 M. Fischer [1963/64a], 6. 196 In seinem Bericht über die ,Autorenkonferenz der Göttinger Predigtmeditationen in Arnoldshain' (19.2.-22.2.1968) verwendet H. Schröer [1968] diesen Begriff, um die grundsätzliche Frage nach dem „Schritt von der Auslegung des Textes zur Durchführung in die Konkretion (nicht nur der Sprache, sondern auch der damit verbundenen Sache)" (260; Hervorhebung B.W.) zu formulieren. Vgl. auch: „Welche Konkretion läßt sich in den GPM erreichen?" (AaO., 263.) 134

tion'197 und die Gründung der Predigtstudien zu verstehen ist. Im wesentlichen stellt sich die Auseinandersetzung, jedenfalls wie sie den von Fischer abgefaßten Vorworten zu entnehmen ist, als Verteidigung und Behauptung der bisherigen Konzeption der GPM dar. Zwar werden „Versuche" konstatiert, „in einzelnen Meditationen ... die Aufgabe und die Form der Meditationen neu zu konzipieren"198, aber homiletisches Verfahren und konzeptionelles Selbstverständnis der GPM bleiben, gerade weil es sich hierbei um ,einzelne Versuche' handelt, im wesentlichen unberührt. Fischer votiert zwar wiederholt für die Beachtung von „Welt und Situation" und betont: „Wir möchten in den GPM von der Exegese und der dogmatischen Besinnung her der praktisch-homiletischen Aufgabe so nahekommen wie nur möglich"199, so daß man vermuten könnte, daß er seinen Standpunkt behutsam einer Revision zuführt, letztlich bleibt er jedoch im Rahmen bisheriger Überlegungen, indem er die Bemühungen in die Predigtarbeit des einzelnen delegiert. Die Wirklichkeit von Prediger und Predigthörer - und der Prediger ist ja, so Fischer, im Grunde auch nur Predigthörer - ist der Ort, wo ,gehört' wird. Der Wirklichkeitsbezug der Predigt stellt sich so auch weiter gleichsam automatisch' ein200. „Aufgabe jedes Predigers" ist es, „sich über die Welt seiner Hörer zu informieren"201, auch „[methodische Bemühung um geordnete Erfahrung von Zeit und Zeitgenossen"202 will Fischer nicht ausschließen. „Hilfswissenschaften bieten sich an"203, und auch die GPM „können und sollen Gesichtspunkte zeigen für die recht verstandene homiletische Situation"204 [Hervorhebung B.W.]. Entscheidend aber ist: „Letztlich kann nur der Prediger das rechte Wort für seine Gemeinde finden, der sie kennt und liebt"205. Die Frage, „was kann in den GPM mehr geschehen, um der homiletischen Verantwortung im engeren Sinn zuzuführen, die Gemeinde zu sichten und die Sprachmittel zu prüfen"206, wird zwar gestellt, Fischer betont aber, daß die Situation nicht „selbst entscheidendes Gesetz der Botschaft" oder auch „nur entscheidendes Prinzip der Gestaltung" werden dürfe207. Offensichtlich ist, daß die Situation nicht selbständig und keineswegs 197 Vgl. dazu J. Hermelink [1992], 156-222. 198 M. Fischer [1966/67], 332. 199 Ebd. 200 In seinem Nachruf auf Otto Weber lobt Fischer: „Er nutzte aufgeschlossen die Methoden historisch-kritischer Wissenschaft, um nach Erarbeitung der Textaussage scheinbar mühelos die Aktualität für den Prediger und die hörende Gemeinde zu erheben" (aaO., 5; Hervorhebung B.W.). 201 AaO., 332. 202 Ebd. 203 AaO., 333. 204 Ebd. 205 Ebd. 206 Ebd. Die Frage klingt wie ein Hilferuf und ist mit Pathos vorgebracht, wenn sie schließt: „Wer Rat hat, helfe". 207 AaO., 334. 135

homiletisch-methodisch zu behandeln ist. Eigentlich ist sie im .Hören' aufgehoben, denn das „Wort Gottes ... macht Predigen situationsgebunden"208. So gesehen besteht eigentlich gar keiii hermeneutisch-homiletisches Problem. Entscheidend ist vielmehr: „mit Menschen haben wir es auf alle Fälle zu tun, die bei aller Verschiedenheit von demselben Gott geschaffen und für denselben Gott bestimmt sind"209. Im Anschluß an die Mitarbeitertagung in Arnoldshain (19.-22.2.1968) gehen den Autoren Hinweise zur Gestaltung ihrer Beiträge zu, die erstmals mehr als nur rein technische Maßgaben aufführen210. Zur Exegese wird angemahnt, daß das „besondere Profil eines Textes" nach Möglichkeit durch die Bearbeitung „nicht nivelliert" werden sollte. Ziel der Exegese ist es, den Text als ganzen „in das Sprachfeld des Predigers" zu führen. Die sich anschließende Meditation fragt nach „verbindlicher Botschaft"211, die vom Verfasser „selbst formuliert" werden sollte. „Dokumentationen aus der Arbeit früherer und gegenwärtiger Ausleger", - hingewiesen wird auf Väterzitate wie auch auf Anregungen aus der modernen Literatur - sollen dazu anregen, „ein kritisches Uberprüfen der eigenen Sprache zu ermöglichen"212. Es fällt auf, daß die Hinweise das besondere Augenmerk auf die Frage der sprachlichen Gestaltung legen. Predigtarbeit wird in erster Linie als Sprac^problem gewertet und entsprechend behandelt. Das Ziel wird erkennbar, näher an die Predigt heranzuführen, als dies bisher in den GPM der Fall war. Unter der Uberschrift zur „Sprache der Meditation" steht die ausdrückliche Bitte: „Zeitgenössische Konkretion ist erwünscht"213. Während diese Hinweise für die Autoren und die Vorworte des 21. Jahrganges (1966/67) durchaus Ansätze erkennen lassen, wenn auch nicht die

208 Ebd. 209 Ebd. 210 M. Fischer [1968], Es ist zu vermuten, daß Fischer das Papier verfaßt hat. Es ist auf der Autorentagung diskutiert worden. Zweifellos sind Verbesserungsvorschläge von Lesern und kritische Stimmen von Predigern einbezogen worden. 211 Eine Formulierung der „Botschaft des Textes" hatte Eduard Thurneysen in einem Brief an Fischer angeregt: „Darf ich als Benützer der Meditationen doch noch einen Wunsch aussprechen: Könnte nicht doch in manchen dieser Beiträge der Ansatz zur Predigt stärker und hilfreicher zum Ausdruck kommen. Ich meine keineswegs eine Art ,Eselsbrücke', aber ich meine das, was ich jeweilen den Studenten als Ausgang von Exegese und Meditation als feste Kategorie unter dem Titel ,Die Botschaft des Textes' nahegelegt habe ... [E]s wäre doch wohl kein Unglück, wenn man in dieser Sache ein klein wenig schulmeisterlich' eine solche Zusammenfassung erwarten würde. Ich denke, Du verstehst, was ich meine. Innerhalb der Meditationen sind ja stets solche Hinführungen zum Text als Botschaft, die auszurichten wäre, vorhanden." (E. Thurneysen [1964]) Fischer bedankt sich für die Anregung. „Dort [sc. auf der Mitarbeiterkonferenz 1964 in Arnoldshain] wird mir Deine Anregung nützlich sein, unter dem Titel ,Die Botschaft des Textes' zusammenzufassen, was die Exegese erbracht hat" (M. Fischer [1964]). 212 Ebd.

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213 Ebd.

eigene K o n z e p t i o n zu überarbeiten 2 1 4 , so sich doch v o n der homiletischen Diskussion anregen zu lassen 215 , zeigen die V o r w o r t e des 24. Jahrganges 1 9 6 9 / 7 0 , des letzten Jahres der Schriftleitertätigkeit Fischers, daß die neueren Tendenzen eigentlich n u r als „ U n r u h e u m die homiletische T h e o r i e und Praxis" 2 1 6 gesehen werden. Die Rede ist v o n „Wachsamkeit und Z u c h t " , der T e i l n a h m e an „Kämpfen" und „Kontrolle der Predigtpraxis der Kirche" 2 1 7 . Interesse an einem Gespräch scheint nicht zu bestehen 218 . A m E n d e des Jahrganges lobt Fischer anläßlich des 10. Todestages Iwands dessen theologische Arbeit. „Sie ist taufrisch" 2 1 9 . Die F o r d e r u n g nach theologischer Rückbesinnung 2 2 0 dominiert angesichts der als bedrohlich 2 2 1 empfundenen veränderten Situation.

215 Vgl. dazu auch den Aufsatz von A. Funke [1965/66], der Anregungen zur Predigtmeditation geben will und darauf hinweist, daß die ,Situationsübertragung' bedacht werden will. Allerdings geht auch er davon aus, daß diese sich bei sorgfältiger Exegese .aufdrängt'. „Die Situationsübertragung ist nicht unserer Willkür anheimgestellt, sondern will im Bedenken des Kerygmas im Text und im Vergleich der Umstände im Text mit der heutigen Lebenswirklichkeit sich aufdrängen" (335). 216 M. Fischer [1969/70], 1. 217 Ebd. 218 Daß die Auseinandersetzungen auch zum Teil als Generationenkonflikt zu verstehen sind, wird immer wieder deutlich an der Kritik Fischers an .jungen Theologen' (aaO., 2 u.ö.). 219 AaO., 277. 220 Iwand wird hochgelobt gerade mit Seitenhieb auf Lange. Fischer schreibt: Iwands Predigtmeditationen „wirken unter uns in unverbrauchter Kraft. Ihre Höhe hat keiner von uns halten können. Daß übrigens der Blick auf Situation und homiletische Großwetterlage letztlich nicht entscheidend ist für das Gewinnen des biblischen Zeugnisses, also für das, was Ernst Lange so schön die Relevanzerfahrung an biblischen Texten nennt, erweist die erleuchtende Kraft dieser Meditationen, die mit der vor Gottes Angesicht gewonnenen Botschaft auch heute und wohl gerade heute aktuelle Hilfe für den wirklichen Menschen und den angefochtenen Prediger bieten" (aaO., 278). 221 Während Fischer [1965/66] von einer „reißenden Stromschnelle, in der heute Theologie und Predigt in unbekanntes Land gerissen werden", spricht (344), stellt er zwei Jahre später sogar einen .geistigen Erdrutsch' fest ([1967/68], 256). „Angesichts des geistigen Erdrutsches, der sich - bisher kaum genügend erkannt - im letzten Jahr ereignet hat, und der besonders die Jugend vieler Länder in elementare Unruhe versetzt hat, sind auch Fragen um Gottesdienst und Predigt neu in Bewegung gekommen ... Angriffe auf die .autoritäre Monopolstellung' der Predigt sind an der Tagesordnung. Das Geheimnis: Gottes Wort in Menschenmund, wie es H. Vogel vor mehr als 30 Jahren formuliert hat, wird von neuem gelehrt werden müssen ... Neben den neuerlichen Versuchen, zu orientieren und zurechtzuhelfen, werden gerade jetzt ältere theologische Arbeiten zur Homiletik, von denen hier oft die Rede gewesen ist, in Erinnerung gerufen werden müssen" (ebd. Hervorhebung B.W.). Es schließt sich der Hinweis an auf Heinrich Vogel, Gottes Wort in Menschenmund, 1962, und Karl Barths 1966 erschienene Homiletik aus den Jahren 1932/33. Mit aller Deutlichkeit zeigt sich hier, daß Fischer offensichtlich die Lösung gegenwärtiger Fragen und Problemstellungen von einer theologischen Äric&wendung erwartet. 137

Die Gründung der Stuttgarter Predigtstudien als methodisch reflektierte Predigthilfe, die sich besonders um die Wirklichkeitsbezüge der Predigt bemüht, scheint von nicht geringem Einfluß auf die Entwicklung der GPM zu sein: sowohl auf die vorsichtige Bereitschaft zur Öffnung als auch schließlich auf die konzeptionelle Restauration. Bereits 1965 kursierten Gerüchte über die Formierung eines Kreises, „der den Versuch machen würde, Meditationen nach einem ganz bestimmten Schema zu schreiben"222, die den Verleger der GPM, Günther Ruprecht, veranlaßten, bei Dietrich Rössler nachzufragen. Von Rössler erfuhr er aber nur, daß dieser der Meinung sei, „daß die GPM nicht genügend nahe an die Predigt heranführten, und er [sc. Rössler] glaube, daß eine Alternative dazu möglich sei."223 Vor allem müßten „die Bezüge zur Welt des Hörers genauer abgeschritten werden."224 Abschließend notiert Ruprecht: „Erkennbar blieb nur eine starke Ablehnung der gegenwärtigen Form der Meditationen."225 Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt, zu dem die Gründung der Predigtstudien noch nicht in Sicht ist, regt der Verleger eine Weiterentwicklung der GPM an. Dieses Interesse scheint nicht unabhängig zu sein von der erwarteten Konkurrenzsituation. „Bisher haben alle Konkurrenzversuche, wo sie auch erschienen sind, uns noch keinen Abbruch getan. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, zu überlegen, ob und wo es Wege gibt, den Pfarrer von der Exegese her noch dichter an die eigentliche Predigt heranzuführen als es in den meisten Meditationen bisher geschieht."226 Martin Fischer zeigte sich am Gespräch mit Ernst Lange interessiert, der ja zu diesem Zeitpunkt noch sein Fachkollege an der Kirchlichen Hochschule Berlin war. Und auch Lange zeigte sich dialogbereit. Zur Gründung der Predigtstudien im Zusammenhang der Arbeitstagung „Zur Theorie und Praxis der Predigtarbeit" (22.-24.9.1967) in Esslingen lädt er auch den Schriftleiter der GPM ein. „Das ist nun im Wesentlichen freilich eine Veranstaltung der Jüngeren Generation' ... Wir [sc. neben Lange sind die Einladenden Peter Krusche und Dietrich Rössler] möchten es aber auf keinen Fall versäumen, schon der besseren Verbindung und der offenen Diskussion wegen, Sie sehr herzlich zu diesem Unternehmen einzuladen ... Es könnte uns gar nichts Besseres passieren, als Ihre Erfahrungen, auch Ihre Kritik unserer Fragestellungen, die ja zum Teil offenkundig Fragestellungen der Homiletik vor 1922 sind, dabeizuhaben."227 222 G. Ruprecht [1965a], Er vermutet jedoch vor allem Gert Otto hinter einem solchen Unternehmen und, daß bei dieser neuen Predigthilfe „eine Entmythologisierung und Ubersetzung der Begriffe im Sinne Ebelings wahrscheinlich eine besondere Rolle" spielen würden (ebd.). 223 Ebd. 224 G. Ruprecht [1965b], 225 Diese Äußerung bezieht sich nicht nur auf die GPM, sondern umfassend auf alle auf dem Markt befindlichen Predigthilfen (ebd.). 226 G. Ruprecht [1965a], 227 E. Lange [1967], 138

Handschriftlich ergänzt er: „hoffentlich können Sie kommen" 228 . Aber Fischer muß absagen229. Er läßt erkennen, daß er Lange gerne in die Arbeit der GPM stärker einbezogen, am liebsten sogar integriert hätte: „Natürlich hätte ich am liebsten gesehen, wenn das, was Sie einzubringen haben, den vielen Lesern der GPM zu Gute gekommen wäre. Denn was immer dort gefehlt haben mag und fehlt, muss ja gerade denen zugeführt werden, die sich oft mit rührender Treue der bisherigen Form der GPM angenommen haben. Sie wissen, wie ich mich darum bemüht habe, daß Sie bei Autorenkonferenzen Ihr Wort und Ihre Anregungen einbringen könnten. ... Aber Ihnen hätte innerhalb der GPM jede Tür offen gestanden."230

Fischer vermag dem Projekt zunächst Positives abzugewinnen, auch als sich schon herausgestellt hat, daß Lange nicht innerhalb der GPM mitarbeiten will, sondern sich an der Neugründung einer Predigthilfe beteiligen wird. „Ich werde, was Sie tun, mit Spannung verfolgen und sehen, ob es sich fruchtbar machen läßt. Vielleicht hilft es weiter. Dann müßten es alle erfahren"231. Lange hatte in seiner Einladung an Fischer die Predigtstudien als Unternehmen der jüngeren Generation vorgestellt, das freilich auf die Fragestellungen der liberalen Homiletik zurückgreift. Fischers Antwort zeigt, daß dieser die Neuansätze in der Homiletik vor allem als Abwendung von der herrschenden Homiletik und damit auch als Gesprächsabbruch versteht. „Ein bißchen bekümmert bin ich über den revolutionären Stil in unserem geistigen und geistlichen Leben, wo alles, was jung gegründet wird, meint, damit das Alte schon als veraltet abtun zu dürfen. So entwickeln wir uns in Sprüngen, und die Zusammenarbeit von Alt und Jung wird künstlich schwierig."232

Diese kritische Bemerkung gegenüber denen, die „jung" sind, ist nicht in erster Linie als Reaktion eines Älteren zu verstehen, der sich gekränkt

228 Ebd. 229 „Wegen einer Reise ... kann ich Ihrer Einladung für Ihre Konferenz nicht folgen." (M. Fischer [1967b] 230 Ebd. (Da die Briefwechsel nicht publiziert sind, zitiere ich ausführlich, damit die Aussagen im Zusammenhang erscheinen.) Dasselbe äußerte Fischer auch gegenüber Walther Fürst am 15.6.67: „An Langes Kritik ist manches beachtlich. Ich hatte ihn innerhalb der GPM fruchtbar machen wollen." (M. Fischer [1967a] Auch Robert Frick, einer der Mitherausgeber der GPM, schlug vor, Ernst Lange einzubinden: „Sehr ungut fände ich es, wenn Ernst Lange versuchen wollte, die .Pastoralblätter' zu neuem Leben zu erwecken. Man sollte doch alles versuchen, ihn für uns zu gewinnen und ihm dafür jede Chance anbieten, ob er nun im größeren Herausgeberkreis oder im engeren Kreis der Schriftleiter mitarbeiten will." (R. Frick [1966]) Zu erwähnen ist, daß Ernst Lange schließlich 1974 Schriftleiter der W P K G wird, im selben Jahr jedoch stirbt. 231 M. Fischer [1967b], 232 Ebd.

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fühlt 233 . Vielmehr tritt die Skepsis gegenüber dem Rückgriff auf die homiletische Theoriebildung vor 1922234 und damit die homiletisch-sachliche Differenz hervor 235 . Für die Folgezeit läßt sich eine pauschale Ablehnung der nun vor allem als bedrohlich charakterisierten neueren Tendenzen feststellen. Von einer Aufnahme von Anregungen, einer vorsichtigen Öffnung gar, kann keine Rede mehr sein. Der Nachfolger von Fischer in der Schriftleitung, Walther Fürst, hatte bereits 1966 mit Blick auf die Zeitschrift theologia practica scharf geurteilt: „Das erste Heft war dann gleich schlimm genug, jedenfalls der programmatische Aufsatz von D. Rössler über ,das Problem der Homiletik'. Praktische Theologie macht man als Theologie kaputt und kehrt ...zu ,Opas Kirche' zurück. Sie ist die modernste Neuentdeckung"236. Fischer schließlich bringt seine Ablehnung scharf zum Ausdruck, wenn er etwa zeitgenössische Tendenzen als „die Barth wegterrorisierende herrschende Meinung"237 und als eine „los-von-der-BK-Bewegung"238 charakterisiert. Es zeigte sich zwar recht bald nach Erscheinen der neuen Predigthilfe, daß von den Abonnenten die Predigtstudien eher als Ergänzung denn als Alternative zu den GPM angenommen wurden 239 und damit keine bedrohliche Situation entstanden war. Dennoch wirkt sich die Konkurrenz so aus, daß für die Zeit nach 1968 bei den GPM eine Verfestigung des bisherigen homiletischen Ansatzes der GPM zu beobachten ist. Neuansätze innerhalb der Homiletik werden beantwortet mit der Rückbesinnung auf die homiletischen Grundlagen von Karl Barth240 und Hans Joachim Iwand. Die 233 Eine gewisse Kränkung kommt verständlicherweise zum Ausdruck: „Aber sie [sc.: Dietrich Rössler und Ernst Lange] wollen allein Neues pflügen, um anderes zu veralten." (M. Fischer [1967a]) 234 Das Datum dürfte gewählt sein mit Bezug auf Friedrich Niebergalls Homiletik. Diese umfaßt drei Bände, die 1905, 1906 und 1921 erschienen sind, und ist insgesamt überschrieben: „Wie predigen wir dem modernen Menschen?" Mit dieser Anspielung ist in jedem Fall die Wiederaufnahme eben der Fragestellung intendiert, die für die Neuansätze in der Homiletik zwischen 1890 und 1920 kennzeichnend war. Vgl. zur Predigtreformbewegung um die Jahrhundertwende die Darstellung von F. Wintzer [1969], 119ff. 235 Fischer schreibt weiter: „Wie unzureichend unsere Arbeit trotz aller Sorgfalt ist, weiß ich selber am besten. Ob wir freilich mit den Fragestellungen von vor 1922 wirklich weiterkommen, ahne ich nicht. Wir begraben zu vieles lebendig, was uns zum Leben angeboten war." M. Fischer [1967a] Bemerkenswert ist, daß er mit der 1. Person Plural die Gemeinsamkeit homiletischer Bemühungen in den Vordergrund stellt. 236 W. Fürst [1966], 237 M. Fischer [1969], 238 M. Fischer [1970b], 239 Vgl. dazu die Umfrageergebnisse von H.-G. Wiedemann [1975] und G. Otto [1982], 240 Sowohl das Erscheinen von Karl Barths Homiletik 1966 als auch sein Tod 1968 könnten wirksam sein. 1969 gab es einen Nachruf von Walther Fürst in den GPM. Von verlegerischer Seite ist die distanzlose Würdigung nicht unkritisch kommentiert worden: „Der Nachruf von Prof. Fürst auf Karl Barth kommt mir bei aller sachlichen Berechtigung etwas sehr monolithisch vor, und ich könnte mir vorstellen, daß manche

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konzeptionelle Profilierung der Predigtstudien dürfte die homiletische Selbstreflexion der GPM, freilich in scharfer Abgrenzung, herausgefordert haben. Daß die Predigtstudien gerade an einem neuralgischen Punkt der GPM ansetzen und sich des - häufig von den Lesern der GPM angemahnten, aber auch von Mitarbeitern, Verleger und dem Schriftleiter eingestandenen - Desiderates annahmen, näher an die Predigt heranzuführen, dürfte mit dazu geführt haben, daß man schließlich innerhalb der GPM das Problem kaum noch aufzunehmen bereit war241. Die sachlichen Differenzen sind allerdings nicht zu übersehen. Daher ist verständlich, daß positive Impulse einer seit Anfang der 60er Jahre einsetzenden Neuorientierung der Homiletik bzw. die Herausbildung einer eigenständigen praktisch-theologisch orientierten homiletischen Theoriebildung weder für das theologische Profil noch für konzeptionelle Fragen der GPM genutzt werden können. Eine Öffnung hätte dazu führen müssen, von der entscheidenden homiletischen Grundeinsicht abzurücken, daß der Hörer im Text stecke und der Text die Bezüge auf die gegenwärtige Wirklichkeit aus sich selbst heraus entfalte. Das freilich hätte eine Revision der homiletischen Voraussetzungen zur Folge haben müssen. Die homiletisch programmatischen Begriffe Hören und Lieben aber zeigen an, daß bei Fischer Meditation im wesentlichen ein Glaubensakt der Prediger ist, auf den die literarische Predigtmeditation durch praktische Anleitung Einfluß nimmt. Gerade weil Neuansätze innerhalb der GPM sich nur in der Gestaltung einzelner Beiträge niederschlagen, bleiben konzeptionelles Selbstverständnis und homiletisches Verfahren von den Veränderungen nahezu unberührt. 5.2.4. Grundzüge einer Evangelischen Predigtlehre Dem Verständnis der in der Schriftleitertätigkeit Martin Fischers wirksamen homiletischen Äußerungen kann der vertiefende Blick auf seine in der Zeitschrift „Wege zum Wort" 1949 bis 1952 in mehreren Teilen erschienene Homiletik dienen. Tatsächlich handelt es sich um einen homiletischen Entwurf, den Fischer selbst „Grundzüge einer Evangelischen Predigtlehre"242 nannte. Da Fischer hier seine homiletischen Überlegungen gegliedert243 darlegt, können die „Grundzüge" zum Verständnis der für Fischer zentralen und für das Gelingen von Predigt letztlich entscheidenden Anforjüngere Bezieher der GPM dadurch zu einigen Fragezeichen provoziert werden." (G. Ruprecht [1969]) 241 Anders aber Ruprecht. 242 M. Fischer [1949/50], 313 u.ö. 243 Allerdings sind sie geprägt von Wiederholungen und nicht eigentlich systematisch zu nennen.

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derungen an den Prediger - der Liebe zur Gemeinde und dem Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes - beitragen. Es tritt offen zutage, worin die vehemente Ablehnung gegenüber jedem methodischen Nachdenken über Predigtarbeit begründet liegt. Wie auch bei Iwand erweist sich der Gedanke der Selbstbewegung des Wortes Gottes als außerordentlich wirksam. Das Wort Gottes ist sowohl das Subjekt der Predigtarbeit als auch der Predigt und somit die alleinige und alles bestimmende Größe244. Ausgehend von dieser normativen dogmatischen Grundlegung erfolgt die Organisation der Homiletik. Sie wird konsequent aus der dogmatischen Einsicht entfaltet. 5.2.4.1. Die Selbstbewegung des Wortes Gottes und die Aufgabe der Praktischen Theologie Auch das Verhältnis von Dogmatik und Praktischer Theologie generell bestimmt Fischer ebenso wie das Verhältnis von Dogmatik und Homiletik. „Die Dogmatik sucht die Wahrheit in für uns verbindlicher Form". Aufgabe der Praktischen Theologie ist es, die Umsetzung der verbindlich vorgegebenen „Wahrheit" in die Praxis zu bedenken: „Die Praktische Theologie sucht, erforscht, prüft alle Mittel, mit denen die Kirche heute ihrem himmlischen Herrn treu bleiben kann"245. Im selben Atemzug weist Fischer auf die besondere Gefährdung der Praktischen Theologie hin. Sie greift zwar auf „Psychologie, Rhetorik, Volkskunde, Lehre vom Menschen und andere Theorien"246 zurück, steht aber in der Gefahr, zur „Lehre von Geschicklichkeit und Vermögen des Menschen" zu werden. Dann freilich ist sie keine rechte Praktische Theologie mehr. Denn „Geschicklichkeit und Vermögen des Menschen kommen bei Baal mehr auf ihre Kosten".247 Sehr deutlich wird an dieser Stelle, daß Fischer eine scharfe Entgegensetzung248 vornimmt. Schließt sich praktisch-theologisches Nachdenken in erster Linie an erfahrungswissenschaftliche Einsichten an, hat sie das Wort Gottes aus ihrer Mitte verloren. Richtet sie ihr Augenmerk auf die Möglichkeiten menschlicher Einflußnahme und der Entfaltung und Vermittlung von Techniken („Geschicklichkeit"), verfehlt sie ihre Aufgabe. Praktische 244 Vgl. dazu auch K. Barth [1966] zustimmend zu Fezers Predigtdefinition: „Vor allem ist ... die Meisterstellung des Predigers aufgegeben. Er ist nicht mehr der Führende, Gebende, Übermittelnde, sondern er tritt zurück. Gott ist das Subjekt des entscheidenden Vorgangs, er erbaut und schenkt, nicht der Prediger." (24) 245 M. Fischer [1949/50], 314. Dort finden sich die beiden Zitate in umgekehrter Reihenfolge (Hervorhebung B.W.). 246 Ebd. 247 AaO., 315. 248 Es handelt sich bei solchen Entgegensetzungen, die sich unbedingt auszuschließen scheinen, um ein typisches Strukturmerkmal von Fischers Theologie. Diese Konstruktion von Alternativen ist vor dem Hintergrund der Tendenzen der sogenannten Dialektischen Theologie insgesamt zu sehen.

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Theologie bemüht sich daher nur dann in angemessener Weise um das Wort Gottes als ihre „Mitte", wenn die dogmatische Einsicht in die,Alleinwirksamkeit' ihres somit prinzipiell entzogenen Gegenstandes auch Konsequenzen zeitigt im Hinblick auf Fragen der Methodik und des Verfahrens. Ist das Wort Gottes allein wirksam, so darf es auch in der Predigtarbeit nur als alleiniges Subjekt zur Wirkung kommen. In der Predigt als Ort der Begegnung von Wort Gottes und Hörer kommt die Selbstbewegung des Wortes Gottes zu ihrem Ziel. Denn: „Hier spricht Gott!"249 Es liegt auf der Hand, daß es Fischer gerade darum geht, an dieser Grundbestimmung von Predigt festzuhalten. Er legt sie konsequent seinem homiletischen Entwurf zugrunde. Ausgangspunkt der Predigtarbeit ist der biblische Text. Er wird gewissermaßen mit dem Wort Gottes identifiziert, denn er ist selbst „Predigt" bzw. „Verkündigung"250. Das Wort Gottes ist in ihm somit bereits manifest geworden. Aus der geschehenen Verkündigung soll gegenwärtige Verkündigung werden. Damit ist nicht etwa die Arbeitsaufgabe des Predigers beschrieben, sondern der Wille des Wortes Gottes selbst wiedergegeben, das zur Wirkung kommen will. Das Wort ist „in sich selbst von einem bestimmten Willen auf eine bestimmte Gemeinde hin erfüllt"251. Den im Predigttext enthaltenen Willen252 - und hier kommt die Person des Predigers mit ins Spiel - gilt es in der Predigtvorbereitung aufzufinden. Aufgabe des Predigers ist es, sich auf den Text zu konzentrieren, um den Textwillen zu erkennen und in seiner Predigt wiederum zur Geltung zu bringen. Allerdings kommt dem Prediger selbst bei diesem Vorgang eigentlich keine eigenständige Bedeutung zu. Der Prediger ist hier nicht als selbständiges Subjekt gesehen. Wenn Fischer etwa formuliert: „Ich suche also den Willen des Textes selbst zu ermitteln bis in die Disposition hinein, die er sich selbst gibt, die ich - in der Regel - dann auch meiner eigenen Predigt gebe"253, so wird deutlich: Selbst da, wo die Arbeitsaufgaben des Predigers beschrieben werden sollen, ist betontermaßen das dominierende Subjekt der Text. Um der Alleinwirksamkeit des Wortes Gottes willen muß der Beitrag des Predigers zur Predigtarbeit so gering wie nur möglich veranschlagt werden. Letztlich ist er nur Empfänger der Textintention, keineswegs aber selbständiger Interpret. Maximale Passivität wird daher vom Prediger gefordert. Er überläßt sich dem Willen Gottes, beugt sich gehorsam, er fügt sich. Predigtarbeit ist so verstanden keineswegs ,Arbeit', sondern 249 AaO., 378. 250 Ders. [1952], 230. 251 AaO., 70. 252 Es wird nicht eindeutig herausgestellt, wer Subjekt des Willens ist. Text und Wort Gottes erscheinen hier quasi synonym als Willensträger. (Man vgl. etwa [1949/ 50], 509, mit [1952], 229.) 253 Ders. [1952], 229.

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Ausdruck einer fest umrissenen praxis pietatis. Fischer verwendet daher keine Begriffe für die Predigtvorbereitung, die in irgendeiner Weise beschreibbare Arbeitsgänge oder technisches Vorgehen konnotieren, sondern er benutzt in der Hauptsache den Terminus „Meditation" 254 , der für ihn mit Gebet zusammenfällt. „Texte zu beten, das heißt meditieren" 255 . „Ihn [sc. den Willen des Textes] zu finden, ist Sache des Gebetes" 256 . N u n lehnt aber Fischer die methodisch geleitete historisch-kritische Arbeit am Predigttext keineswegs ab. Es schließt sich daher die Frage an, welche Bedeutung der wissenschaftlich orientierten Auslegungstechnik im Meditationsprozeß zukommt. Hier ist zunächst Fischers Hinweis zu beachten, daß alles Menschenmögliche unbedingt einzubringen sei: „Man tue zum Verstehen des Wortes Gottes, was man menschlich tun kann" 257 . Hierzu zählt er neben der Exegese die „gegenseitige Beratung mit Brüdern", die allerdings nicht im Sinne der Teilnahme an einem wissenschaftlichen Diskurs zu verstehen ist. Die Exegese ist - und dies zeigt die weitere Aufzählung258 deutlich - in die Perspektive einer praxis pietatis gerückt, die das eigentliche Verstehen des Textes lediglich vorbereiten und begleiten kann. Das Menschenmögliche zielt auf die Einübung in eine Haltung, die gerade die Ausschaltung der Subjektivität und Eigenständigkeit des Predigers zum Ziel hat. Und in eben diesen Zusammenhang wird auch die Exegese gestellt. Ihre Notwendigkeit wird zwar festgehalten, inwieweit sie allerdings zur Einsicht in die Textintention beiträgt, bleibt mindestens undeutlich. Ihre Bedeutung scheint nicht unterschätzt werden zu dürfen, wenn Fischer notiert: „Was da steht und was es besagt, soll ermittelt werden" 259 . Ihre Funktion - gerade in der Verhältnisbestimmung zur eigentlichen Meditati254 Als Überschrift aaO., 489. 255 AaO., 230. Das ist ein erstaunlicher Befund, wenn man sich die mittelalterliche Trias von meditatio, tentatio und oratio vergegenwärtigt, die meditatio und oratio zu unterscheiden wußte. Vgl. dazu ausführlicher und insbesondere zur Aufnahme der Trias durch Luther M. Nicol [1991], 256 M. Fischer [1952], 230. 257 Ebd. 258 „Man lasse sich finden unter Gottes Gebot, das den Feiertag (und den Feierabend) heiligen heißt; man lasse sich fordern zum Hören, Beten, Singen des Wortes Gottes." (Ebd.) 259 Ders. [1951], 685. Man beachte im übrigen die erstaunliche Begründung, die angeführt wird, um die Sachgemäßheit eines historisch-kritischen Umgangs mit den biblischen Texten zu begründen. Nicht etwa der hermeneutische Sachverhalt wird angeführt, daß biblische Texte wie prinzipiell alle schriftlichen Zeugnisse nur dann verstanden werden können, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer Abfassungssituation betrachtet werden, sondern die glaubensmäßige Einsicht: „Hoheit und Niedrigkeit der Heiligen Schrift wollen zugleich bedacht sein. Die Knechtsgestalt Jesu Christi liegt auch über der Heiligen Schrift. Dem werden wir gerecht durch die Arbeit an der genauesten Erkenntnis des im vorliegenden Text gemeinten Gehaltes." (685)

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on, dem Gebet - bleibt jedoch unbestimmt. Fischer scheint den Sinn der historisch-kritischen Exegese vor allem in der konzentrierten Beschäftigung mit dem Text zu sehen. Die Bedeutung der Exegese liegt darin, daß man sich detailliert mit dem Text befaßt. Der Ertrag aber liegt noch auf der Ebene des bloß Historischen, das durch Distanz zur Gegenwart geprägt ist. Zum eigentlichen Verstehen tragen die historisch-kritischen Methoden daher noch nicht bei. Sie bereiten dieses nur vor, indem sie den Prediger zur wortwörtlichen Konzentration auf den Text anhalten260. Von einem wirklichen Verstehen kann erst dann die Rede sein, wenn der Text seine Predigtwirkung entfaltet und den Prediger existentiell erfaßt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Beschäftigung mit dem einzelnen Predigttext nicht abzulösen ist von der hermeneutischen Voraussetzung einer Schriftmitte. Erst in seiner Beziehung zum Kanon als ganzem ist der einzelne Predigttext sachgemäß zu verstehen261. Christus als die Mitte der Schrift ist als hermeneutisches Prinzip unbedingt einzubringen in die Beschäftigung mit jeder Perikope. Der einzelne Text gewinnt seine Autorität aus seiner Zugehörigkeit zum Kanon262. Zugleich ist vorausgesetzt, daß er in einer bestimmten Hinsicht auszulegen ist: „sein Zeugnis ist eines: die Botschaft vom Heil."263 Bei dieser handelt es sich „um eine feste Botschaft, die genau eingehalten werden will"264. Nur so - in dieser doppelten Perspektive - ist festgehalten, daß die Bibel „ihr eigener Ausleger"265 ist. Selbstbewegung und Selbstauslegung der Schrift bedingen einander. Der Ertrag des exegetischen Arbeitsganges bleibt vor diesem Hintergrund undeutlich, bzw. er rückt insgesamt in die Perspektive des Hinhörens auf das Wort Gottes im biblischen Text. Damit wird Textauslegung nicht wirklich als technische Handhabung eines methodischen Instrumentariums gesehen, sondern als rechtes Hören auf die im Text enthaltene Verkündigung. Der Prediger ist hier nicht Exeget, erst recht kein Interpret, sondern vor allem selbst Predigthörer.

260 „Jeder redliche Umgang mit literarischen Dokumenten nimmt diese in ihrem Wortlaut ernst. Gottes Wort auszurichten, hat den Zeugen der Bibel eine hohe Zucht auferlegt. Sie verpflichtet ... zunächst zum wörtlichen Abhören des Textes." (AaO., 540.) 261 „Der Text steht im Ganzen der Heiligen Schrift und kann nur im Ganzen der Heiligen Schrift recht verstanden werden. Das Ganze der Heiligen Schrift beruft in die theologische Verantwortung, die wir in der Exegese des Einzeltextes zu bewähren haben." (AaO., 685.) 262 Festzuhalten ist, daß hier rein formal argumentiert wird. Der einzelne biblische Text erweist nicht etwa seine Autorität, sondern durch seine Zugehörigkeit zum Kanon ist seine Autorität unbedingt vorausgesetzt. (Vgl. dazu aaO., 538f.) 263 AaO., 539. 264 Ders. [1949/50], 382. 265 Ders. [1951], 685.

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5.2.4.2. Aktualität als Qualität des Wortes Gottes Indem der Prediger zunächst und zuerst selbst als Predigthörer verstanden wird, wird zugleich eine für Fischer folgenreiche Grundlegung hinsichtlich der Vermittlungsprozesse von Predigttext und gegenwärtiger Wirklichkeit festgehalten. Denn der Prediger ist der paradigmatische Predigthörer, auf den in der Meditation das Wort Gottes wirkt. Er selbst ist sozusagen das erste Ziel der Selbstbewegung des Wortes Gottes und sagt in der Predigt lediglich weiter, was er selbst als Widerfahrnis erfahren hat. Es versteht sich vor diesem Hintergrund von selbst, daß die Wirklichkeitserfahrung der heutigen Predigthörer nicht als selbständiger Faktor in der Predigtarbeit zur Geltung kommen kann, wenn man so verfahren will, wie es nach Fischer einzig sachgemäß ist. Die Deutung gegenwärtiger Wirklichkeit, ihr Befund und die Frage, wie Erfahrung einerseits mit christlicher Tradition in den biblischen Texten andererseits, zu vermitteln ist, ist vom Prediger selbst keineswegs zu leisten. Denn auch hier kommt er nicht als Interpret in den Blick, sondern ist lediglich selbst Predigthörer, den das Wort Gottes ebenso trifft, wie es im Anschluß seine Predigthörer treffen soll. Die Bezugnahmen auf die Wirklichkeit der Hörer nimmt das Wort Gottes als alleiniges Subjekt selbst vor. Es ist aktuell. Aktualität ist nicht Ziel der Predigtarbeit, sondern eine dem biblischen Text zuzutrauende Qualität. Das Wort Gottes selbst agiert, indem es auf gegenwärtige Wirklichkeit zielt. „Das Wort ist lebendig und aktuell. Gottes Wort macht sich auf den Weg, Gottes Wort hat etwas vor, und der rechte Prediger hat die einzige Aufgabe, sich der Selbstbewegung des Wortes Gottes anzuvertrauen ... Aktuell predigen macht uns radikal zu Hörern, die in der Vorentscheidung des Glaubens, zu dem sie durch das lebendige Wort erweckt sind, ein heiliges, ja ein unbändiges Zutrauen haben zur Selbstbewegung des Wortes Gottes. Eine große Erwartung liegt über dem Hören des Predigers. Er aktualisiert nicht, er weiß und glaubt die hohe Aktualität auch der verborgensten Seiten der biblischen Botschaft."266

Das glaubende Vertrauen darin, daß dem Wort Gottes selbst ein Bezug zur gegenwärtigen konkreten Situation der Hörer innewohnt, den es auch selbst dynamisch zu entfalten versteht, ist der entscheidende Beitrag des Predigers zur gelingenden Predigtarbeit. Sein Beitrag besteht somit in der Passivität, um dem eigentlichen Subjekt der Predigt nicht im Wege zu stehen. Aufgabe der Homiletik ist es offensichtlich nach Fischers Verständnis, auf den Prediger einzuwirken, daß er sein Zutrauen in die Selbstbewegung des Wortes Gottes stärkt und sich in Selbstbeschränkung übt. Denn „[w]er Texte aktualisieren will, übernimmt sich. Sie sind in sich selbst um Gottes willen aktuell" 267 . 266 Ders. [1952], 12. 267 AaO., 13. 146

Aktualität ist eine geradezu signifikante Eigenschaft des Wortes Gottes. Fischer wird nicht müde darauf hinzuweisen, daß es gerade nicht um das „Darlegen zeitloser Wahrheiten"268 gehen kann. Ja, die Bedeutung der konkreten und unverwechselbaren Konstellation, in der Predigen geschieht, ist bei Fischer geradezu auf die Spitze getrieben, wenn er meint: „Eine rechte Predigt versteht nur Gott im Himmel und die bestimmte gottesdienstlich versammelte Gemeinde auf Erden. Und Prediger und Gemeinde verstehen sie vielleicht auch nur in dieser bestimmten Stunde."269 Aber die Aktualität des Wortes Gottes trägt dieses in sich selbst. „Wäre nicht das Wort in sich selbst von einem bestimmten Willen auf eine bestimmte Gemeinde hin erfüllt, so wäre alles konkrete Sprechen gefährliche Anmaßung."270 Der Prediger als paradigmatischer Predigthörer ist der erste Hörer, der sodann das Gehörte an seine Hörer in der Predigt weitergibt. Die Beziehung des Predigers zum Text, der das Wort Gottes freisetzt, ist durch den Begriff des Gehorsams bei Fischer bezeichnet. Der Prediger hört auf den Textwillen, er hört den Text ab, dem unbedingte Geltung zukommt. In welcher Weise aber werden die Hörer einbezogen in die Predigtarbeit? Es zeigt sich, daß die Hörer erstaunlich homogen gefaßt werden. Obwohl konzediert wird, daß die „ Verschiedenheit unserer Hörer... unendlich" ist, können alle bestehenden Differenzen und die entsprechend vorzunehmenden Differenzierungen außer acht gelassen werden. Denn „in der Mitte der Sache sind sie sich alle sehr nahe: sie sind Sünder, die Gott seligmachen will."271 So - also von einer theologischen Anthropologie aus - gesehen, bleiben unterschiedliche Prägungen, religiöse und lebensweltliche Erfahrungen tatsächlich unberücksichtigt. Für Fischer gibt es den Predigthörer par excellence: Es ist der Sünder272. Erst wenn der Hörer so charakterisiert wird, können die faktisch bestehenden und von Fischer ja auch eingeräumten Differenzen in den Blick treten. Allerdings sind sie nicht Gegenstand der Homiletik. Die Hörer werden also nicht etwa theoretisch, wissenschaftlich gar - beispielsweise soziologisch - bedacht, und er selbst geht denn auch nicht weiter auf sie ein. Die nähere Kenntnis der Hörer ist Aufgabe des einzelnen Predigers. Dieser soll „viele Wege machen"273, um „den wirklichen Menschen kennen" zu lernen274. Die Kenntnis der konkreten Gemeinde mit den Predigthörern trägt jedoch nur ergänzende Züge. Die grundlegende Charakteristik der Hörer ist mit dem theologischen Urteil abgegeben, daß sie „im Augenblick der Predigt gezeichnet [sind] durch 268 Ders. [1949/50], 440. 269 Ebd. 270 Ders. [1952], 70. 271 Ders. [1951], 606. 272 „Hier in dieser Mitte - also theologisch gesehen - , liegt der Grund zu der Möglichkeit, Fromme und Gottlose zugleich anzureden" (aaO., 306). 273 AaO., 307. 274 AaO., 429.

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ganz bestimmten Ungehorsam, durch ihren Unglauben" 275 . Der Unglaube kennzeichnet die Hörer unterschiedslos276, da sie im Augenblick der Predigt die Tendenz haben, „das Wort fliehen [zu] wollen ... Sie werden es nicht wahr haben wollen" 277 . 5.2.4.3. Die Liebe zur Gemeinde Das Verhältnis des Predigers zu seinen Hörern ist jedoch nicht nur dadurch gekennzeichnet, daß er sich darum bemüht, sie kennenzulernen. Fischer fordert vom Prediger, daß er seine Gemeinde liebt. Liebe sollte die Beziehung zwischen Prediger und Gemeinde prägen. Was meint Fischer? Was versteht er in diesem Zusammenhang unter,Liebe'? Die Begründung, die Fischer anführt, ist christologisch zu verstehen. Weil Christus die Menschen liebt, darum „muß ihnen auch die Liebe des Predigers gelten"278. Dem Prediger kommt somit eine stellvertretende Rolle zu: Er spricht der Gemeinde stellvertretend für Christus das erlösende Wort zu. Seine Liebe ist somit als Hinwendung zu verstehen und ganz in die Perspektive der Vermittlung gerückt. Die Liebe des Predigers zu seiner Gemeinde ist wohl weniger eine Emotion, sondern ergibt sich aus der Funktion, die der Prediger wahrzunehmen hat. Seine Aufgabe ist es, die Liebe Gottes in Jesus Christus zu den Menschen auszusagen und somit weiterzugeben. Insoweit braucht es nicht zu verwundern oder gar als paradox zu erscheinen, daß Fischer den Prediger zur Liebe aufruft, denn er legt ihm damit lediglich nahe, sich auf seinen zentralen Auftrag zu besinnen, und fordert ihn nicht etwa dazu auf, sich ein Gefühl abzuringen. Aber noch in einer weiteren Hinsicht ist die Liebe von Bedeutung für die Predigtarbeit. Aufgabe des Predigers ist es, „Worte für das Wort Gottes"279 zu finden. Er muß „die fälligen, die notwendigen, die in Auftrag gegebenen, die vertretbaren, die verständlichen Worte für das Wort" 280 suchen. Dieser Aufgabe kommt die Liebe zugute. „Liebe lehrt sprechen." 281 Es handelt sich hierbei um mehr als die bloße Frage nach der angemessenen Wortwahl in der Predigt, vielmehr geht es um eine adressatenorientierte, in jedem Fall auch den Inhalt betreffende, umfassende Gestaltungsaufgabe des Predigers. Zum einen vermittelt die Liebe die Kenntnis der Gemeinde, da sich der liebende Prediger auf den Weg macht, um seine Gemeindeglieder aufzusu275 276 277 278 279 280 281 148

Ders. [1952], 491. „Fromme und Gottlose zugleich" (ders. [1951], 306). Ders. [1952], 491. Ders. [1951], 240. Ders. [1952], 72. Hervorgehoben! Ebd. AaO., 73. Hervorgehoben!

chen. Das seelsorgerliche Gespräch ermöglicht dem Prediger, den wirklichen Menschen wahrzunehmen. Der Zusammenhang zwischen Liebe und Seelsorge besteht in der Erniedrigung: „Die Seelsorge bringt zusammen mit dem Unbekannten, dem Namenlosen, dem Niedrigen. Wer nicht den Mut zu den Schwachen und den Niedrigen hat, wird nicht Seelsorger sein können."282 Dabei verhindert die Seelsorge die Abstraktion, weil sie den Prediger mit der Wirklichkeit konfrontiert: „Die Demütigung des Seelsorgers in den Staub der Wirklichkeit wird seine Predigt um manchen eingebildeten Glanz bringen. Aber sie wird die Predigt gleichzeitig der Würde der Wahrheit annähern."283 In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis zu verstehen, der Prediger möge sich auf den Weg zu seinen Hörern machen: „Der rechte Prediger wird viele Wege zu machen haben. Prediger ohne viele Schuhreparaturen, nur immer am Schreibtisch, werden in der Predigt vielleicht erheblich referieren, vielleicht geistvoll vor staunenden Zuschauern mit dem Zeitgeist ringen, - aber nicht mit dem Hörer um sein Heil."284 5.2.4.4. Die Sprache des Gewissens Damit ist bereits der zweite Hinweis angesprochen, den Fischer als Funktion der Liebe zur Geltung bringt. Die in der Seelsorge vertiefte Liebe übt ein in die der Predigt angemessene „Sprache des Gewissens"285. Mit dieser begrifflichen Wendung sind Inhalt und Ziel der Predigt benannt. Inhaltlich geht es in der von der Sprache des Gewissens geprägten Predigt um Gesetz und Evangelium. Es geht „um Sünde und Gnade, es geht darum, dem Teufel zum Schaden vor den Menschen die Herrlichkeit Christi über Tod und Sünde zu predigen."286 Ziel der Predigt ist es, den Hörer als Sünder zu überführen 287 und ihn so zum Empfang des Evangeliums zu befreien. Von hier aus wird deutlich, warum es Fischer darauf ankam, den Hörer vor allem als Sünder zu beschreiben, so daß außer und neben dieser Charakterisierung kaum ein besonderes Hörerprofil in den Blick treten kann. Denn in der Predigt muß es um das Heil des Menschen gehen. Diese Einsicht stellt die grundlegende Bestimmung der Predigt sicher. ,,[E]s handelt sich um eine feste Botschaft, die genau eingehalten werden will."288 Auf

282 Ders. [1951], 431. 283 Ebd. 284 AaO., 307. 285 Ders. [1952], 563 u.ö. 286 Ders. [1951], 242. 287 Fischer setzt nicht eigens zu einer Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium in der Predigt an. Der usus legis elenchticus steht für ihn allerdings offensichtlich im Vordergrund. 288 Ders. [1949/50], 382.

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dem Hintergrund der Rechtfertigungslehre, wie sie vor allem Luther289 zur Geltung gebracht hat, ist der natürliche Mensch aber dadurch charakterisiert, daß er gegenüber dem Wort Gottes Widerstand leistet. Er opponiert vor allem dagegen, daß er von sich aus keinen Beitrag zu seiner Erlösung zu leisten vermag, sondern diese sola gratia empfängt. Allein der Appell an das Gewissen vermag den Selbstrechtfertigungstendenzen ein Ende zu bereiten, indem er dem homo incurvatus in seipse seine Grenzen aufzeigt, so daß dieser zerbricht. „Das Hören des Wortes Gottes tötet und macht lebendig."290 Der seelsorgerlichen Arbeit des Predigers kommt eine wichtige Funktion für die Predigt zu. Denn ,,[w]er Beichte hören darf, wird am ehesten die Sprache des Gewissens zu sprechen lernen. Denn in der Beichte geht es um den Tod des alten und das Lebenswort zum Leben des neuen Menschen. Die Beichte bringt den hörenden Prediger mit seinem Beichtkind an den Rand der Todesgefahr und über diesen Rand hinweg. Hier im Äußersten, vor dem wir alle zurückschrecken, wird die Sprache des Gewissens gefunden, die uns ... das selige Evangelium nach Gottes Willen verkündigen läßt. Das einzig reelle und unbestechliche Wissen um den Hörer gewinnt der Prediger in der Beichte."291

Seelsorge und Sprache des Gewissens bilden demnach einen engen Zusammenhang und sind von der geforderten Liebe durchdrungen. Die Liebe führt zu den Menschen hin und sucht sie auf, um ihnen die bedingungslose Liebe Gottes stellvertretend zuzusprechen. Sie prägt somit zugleich grundlegend die Gestalt der Predigt - sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht. Es besteht eine Korrespondenz zwischen dem Inhalt der Predigt, der Heilszusage, und ihrer Form, der Sprache des Gewissens. Sie wurzelt in der Liebe zu den Hörern292. Weiterhin ist ein enger Zusammenhang zwischen Predigt und Seelsorge festzustellen. Predigt und Seelsorge sind nicht etwa als zwei relativ selbständige Arbeitsfelder des Pfarrers zu betrachten. Ihre Mitte hat die pfarramtliche Tätigkeit für Fischer offensichtlich in der Predigt. Die sonstigen Tätigkeiten und Anforderungen treten nun nicht einfach hinter die Predigt zurück. Vielmehr sind sie konzentrisch auf die Predigt bezogen. Die Seel289 Ich erlaube mir an dieser Stelle den pauschalen Hinweis auf Luther und die knappe Skizze, ohne auf die differenzierte Bezugnahme Luthers etwa auf Paulus einerseits und die Rezeption durch die sogenannte Lutherrenaissance bzw. die Dialektische Theologie andererseits einzugehen. Es ist zu beachten, daß Fischer diese Zusammenhänge selbst nicht geschlossen darstellt. 290 Ders. [1951], 242. 291 AaO., 308. 292 Auf diesen engen Zusammenhang weist auch P.C. Bloth [1973] in seiner das akademische Wirken Fischers ausführlich würdigenden „Rede für Martin Fischer zum 60. Geburtstag am 9. August 1971" (277) hin.

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sorge etwa bildet in der für die rechte Predigt so bedeutsamen Sprache des Gewissens aus und ermöglicht, daß der Prediger eine Rückmeldung auf seine Predigt durch den Hörer erfährt. Zugleich stellt das seelsorgerliche Gespräch eine Funktion der Liebe dar, die die Arbeit des Pfarrers grundsätzlich durchwirkt. Stellt man im Interesse der konkreten Predigtarbeit die - hier einmal von materialen Aspekten abgesehen - nähere Nachfrage nach der für die Predigtgestaltung so wesentlichen Sprache des Gewissens, so findet man bei Fischer den Hinweis auf die „Einfalt"293 als Leitbegriff einer den Inhalten angemessenen sprachlichen Predigtgestaltung. Da es in der Predigt entscheidend darum geht, den widerstrebenden Hörer in seinem Gewissen zu treffen, muß sich die Predigtsprache an dieser Funktion orientieren. „Die Grenze zwischen zentralem Gehalt und technischem Ausdruck ist ganz beweglich. Der Ausdruck will eben dem Gehalt dienen"294. Mit der Sprache der „Einfalt" soll hier Korrespondenz erzielt werden. Zugleich gewährleistet sie, daß die Hörer, unabhängig von ihrem eigenen sprachlichen Niveau und somit erheblicher Bildungsunterschiede ungeachtet, unterschiedslos zuhören und verstehen können. Im wesentlichen bedeutet „Einfalt" aber auch in diesem Zusammenhang die Konzentration auf den elementaren Predigtinhalt. „Den Bildungsunterschied in der Gemeinde so zu durchbrechen, daß alle hören können, ist nur möglich für den, der etwas Wirkliches zu sagen hat, so daß der Bauer und der Professor gleichzeitig zuzuhören in der Lage sind."295 Fischer liegt also unbedingt daran, Predigtgestaltung umfassend zu verstehen als Inhalt und Form gleichermaßen betreffend. Die Frage nach der sprachlichen Darstellung ist demnach in keiner Arbeitsphase abzulösen von der Besinnung auf das, was in der Predigt gesagt werden muß. Vermutlich aus dieser Einsicht heraus verweigert Fischer nähere homiletische Hinweise zur Sprache der Predigt. Allerdings läßt Fischer seine Leser nun auch nicht völlig im unklaren darüber, welche sprachliche Form der Predigt angemessen ist. Der gewählte Begriff „Einfalt" weist bereits auf eine einfache, schnörkellose Diktion hin. „Eine Sprache, die um Menschen ringt, kann im Vergleich zu gepflegten Kunstprodukten roh und grob wirken und trifft doch das Rechte."296 Auf eine deutliche Abgrenzung und zwar konkret gegenüber einer an der Rhetorik geschulten Rede kommt es Fischer offensichtlich an. Die Rhetorik ist eindeutig negativ besetzt. Sie ist ein verdächtiges Phänomen, verbunden mit vielerlei Gefahren. Sieben Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Ära weist Fischer aus naheliegenden Gründen und zu Recht auf die Gefahr der „Demagogie"297 hin. Aber er fürchtet auch „Intellektualismus" und „Sentimentalität"298. 293 294 296 298

M. Fischer [1952], 228 u.ö. AaO., 558. Ders. [1951], 242. Ebd.

295 Ebd. 297 Ders. [1952], 565.

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Es ist hier vor allem zu beachten, daß die Bewertung, die Fischer der Rhetorik zuteil werden läßt, in einem engen Zusammenhang steht mit einer grundsätzlichen Reserve gegenüber jeder Kunstlehre, die etwas mit erlernbaren Fertigkeiten und Methoden zu tun hat299. Kunst lehnt er ab, da er Kunst und Glaube als Alternativen betrachtet. Wenn die „Kunstformen der gebildeten Redner" einerseits der „Einfalt des Glaubens" andererseits entgegenstehen300, so tritt klar zutage, daß Rhetorik, wie sie Fischer versteht, aus theologischen, präzise gesagt aus soteriologischen Gründen abgelehnt werden muß. Denn er sieht die Gefahr einer „Künstelei, die sich im gelungenen theologischen und formalen Kunstwerk gerechtfertigt weiß"301. Den über rhetorische Fähigkeiten verfügenden Prediger, der seine Predigt nach allen Regeln der Kunst zu gestalten versucht, sieht Fischer somit in der Gefahr der Se/fairechtfertigung. Der Prediger tritt hervor als aktiv gestaltendes Subjekt seiner Predigt und sollte doch ganz und gar selbst Hörender sein, der im Glauben das Wort Gottes empfängt und das Empfangene lediglich weiterreicht. Rhetorisch kunstvolle Gestaltung hat demnach immer etwas mit hohler, letztlich sinnentleerter Äußerlichkeit und widergöttlichem Glanz zu tun. Rhetorik in der Predigtarbeit wirkt geradezu kontraproduktiv, indem sie ein falsches Verständnis vom Subjekt der Predigt befördert, von den elementaren Inhalten der Predigt durch ihre künstlerische Form ablenkt und das Ziel der Predigt, die Uberwindung des Sünders, verfehlt, da sie ihn eher zu erbauen, statt zu überführen droht. Der von Fischer zugrundegelegte Begriff von Rhetorik ist freilich sehr undeutlich und vor allem von der Abwehr zweier Feindbilder' geprägt. Neben einer im Dienste des Massenmordes stehenden Demagogie hat Fischer in Hinsicht auf rhetorische Irrwege offensichtlich auch die kulturprotestantisch geprägte Predigt der liberalen Theologie vor Augen, wenn er feststellt: „Die rhetorischen Kunstprodukte der großen Kanzelredner Berlins am Ende des 19. Jahrhunderts haben nicht alle Hörer befriedigt. Sie leisteten nicht selten dem Irrtum Vorschub, als sei ein Gottesdienst ein weltanschaulich förderndes Ereignis."302 Er macht insbesondere Schleiermacher verantwortlich für eine an der Rhetorik orientierte Predigt. Das Erbe Schleiermachers hat seines Erachtens eine „verhängnisvolle Rolle"303 gespielt. Das vernichtende Urteil Fischers basiert nun aber nicht auf einer Analyse der liberalen Predigt, sondern kritisiert generell und zugleich pauschal, daß dem biblischen Text nicht die Bedeutung zuerkannt wird, die ihm eigentlich zusteht. „Die religiöse Rede ist so sehr auf die religiöse Mög-

299 300 301 302 303 152

Vgl. hierzu oben 5.2.4.1. Im Rahmen seiner kurzen Predigtgeschichte: M. Fischer [1949/50], 439. Ders. [1951], 242 (Hervorhebung B.W.). Ebd. Ders. [1949/50], 504.

lichkeit des Redners gelegt, daß die Freiheit des Wortes Gottes gar nicht in Sicht kommt." 304 An dieser Bewertung wird noch einmal deutlich, daß für ihn Rhetorik gleichbedeutend ist mit einer eigenmächtigen Fertigkeit des Menschen, der eine „religiöse Rede" 305 hervorzubringen vermag, aber eben keine Predigt, von der zu sagen ist, daß sie Gottes vollmächtiges Wort ist. In dieser Zuordnung der Rhetorik liegt offensichtlich die Wurzel für ihre Ablehnung durch Fischer. Denn selbstverständlich räumt er eine „[technische Verantwortung" des Predigers für die Gestaltung seiner Predigt durchaus ein. Diese fällt dann aber nicht unter seinen Rhetorikbegriff, und so kann er denn auch urteilen, beispielsweise Luther sei „ohne eigentliche Rhetorik" 306 gewesen. 5.2.4.5. Das Wort Gottes als Subjekt der Predigt Es geht bei der Frage nach der Rhetorik in der Predigtarbeit vor allem um die Autoritätsfrage. Wer spricht? Gott oder Mensch? Ist die Predigt Gottes Wort oder religiöse Rede eines Menschen? Vor dem Hintergrund dieser scharf unterschiedenen Alternativen kommt das mißbilligende Urteil Fischers zustande. Da unbedingt das Wort Gottes als Subjekt der Predigt zu behaupten ist, läßt sich der Anteil des Predigers am Predigtgeschehen nicht konkret in Arbeitsaufgaben beschreiben. Die Beteiligung des Predigers kann nur in einer bestimmten gläubigen Haltung gegenüber dem eigentlichen Subjekt zum Ausdruck kommen. Mit ,Gehorsam' und ,Liebe' beschreibt Fischer diese Glaubenshaltung des Predigers. Gegenüber dem Predigttext, der das Wort Gottes birgt, legt der Prediger Gehorsam an den Tag, das Verhältnis zu seinen Hörern ist bestimmt durch liebende Zuwendung. Damit sind Gehorsam und Liebe die entscheidenden Verhältnisbegriffe, die Text und Gemeinde in die Predigtarbeit einbeziehen. Durch Gehorsam und Liebe des Predigers werden Text und Gemeinde in Beziehimg gesetzt und vermittelt. Die Predigtarbeit stellt sich dann so dar, daß sich der Prediger ganz allein auf das Wort Gottes konzentriert. Er ist bereit, auf das Wort Gottes im Text zu hören. Zwar ist auch er als paradigmatischer Predigthörer widerstrebender Sünder. Die Konzentration auf den Text aber stellt die Voraussetzung dafür dar, daß ihn das Wort Gottes erfaßt und trifft. Die Hörer der Predigt sind jedoch bereits in das Hören des Predigers eingeschlossen. Denn der Prediger vertritt sie zum einen, zum anderen aber hat er in der liebenden Grundhaltung den Blick auf sie gerichtet. In der Liebe zur Gemeinde ist die konkrete Gemeinde in der Predigtarbeit prä-

304 A a 0 „ 504. 305 Ebd. ,Religiös' ist negativ besetzt. 306 A a O . , 4 4 4 .

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sent. Ihre Sorgen und Probleme, wie er sie in der Seelsorge kennengelernt hat, hat der Prediger vor Augen. Die Meditation stellt sich so dar, daß, geprägt durch Gehorsam einerseits und Liebe andererseits, der Prediger den biblischen Text im Ohr und die Gemeinde vor Augen hat307. Die entscheidende Vermittlung geschieht, wenn das Wort Gottes durch seine Selbstbewegung aus dem Text heraustritt und seine Aktualität entfaltet. Das Wort Gottes erweist sich als das eigentliche Subjekt der Predigtarbeit und sucht sich seine Anwendung selbst. Es spricht zum Prediger, der dann in der Predigt gehorsam das weitergibt, was er selbst gehört hat. Zu diesem Zweck, und dem eigentlichen Geschehen erst nachgeordnet, formt der Prediger seine Rede und sucht nach Worten für das Wort308, um das auszudrücken, was das Wort Gottes ihm zuvor erschlossen hat. Damit ist festzuhalten, daß der Prediger als ein Medium in der Meditation fungiert. „Im rechten Prediger begegnen sich Wort und Gemeinde"309. Von einer Selbstbeteiligung am grundlegenden Vermittlungsgeschehen kann im Grunde keine Rede sein. Auch an der Voraussetzung für die rechte Meditation, an seiner Haltung, die durch Gehorsam und Liebe bestimmt ist, hat er eigentlich selbst keinen Anteil, denn Gehorsam und Liebe sind ja Funktionen des Glaubens und also auch allererst durch das Wort Gottes gewirkt. Die Subjektivität und Individualität des einzelnen Predigers ist auf ein Minimum reduziert. Die Geschlossenheit des Fischerschen Entwurfs verdankt sich seiner konsequenten Orientierung am Wort Gottes als dem alleinwirksamen Subjekt der Predigt. Der Prediger wird als Subjekt der Predigtarbeit ausgeschlossen, um für die Predigt sagen zu können: „Hier spricht Gott!"310 An diesem Anspruch muß unbedingt festgehalten werden, und Fischer meint, nur dann daran festhalten zu können, wenn jedes menschliche M'fwirken systematisch ausgeschlossen wird. Vor dem Hintergrund einer scharfen Grenzziehung zwischen Wort Gottes und dem, was Menschen aufgrund ihrer eigenen religiösen Erfahrungen sagen können, muß die Predigt betontermaßen Wort Gottes sein, das sich von außerhalb der Erfahrungswirklichkeit der Menschen her autoritativ Gehör verschafft. Das Ausschließen des Predigers als Subjekt aus dem entscheidenden Auslegungsgeschehen ist somit vor allem im Interesse einer eindeutigen Klärung der Autoritätsfrage

307 Fischer denkt sich die Meditation nicht auf die konkrete Predigtvorbereitung beschränkt, sondern versteht vielmehr die Meditation als permanente Haltung. Der Prediger verbringt „in ständiger Meditation sein Leben" (ders. [1952], 561). Auch in diesem Zusammenhang wird deutlich, daß sich Fischer das Leben des Predigers als von der Predigtaufgabe total bestimmt denkt. 308 AaO., 72. 309 AaO., 492 (Hervorhebung B.W.). 310 Ders. [1949/50], 378. 154

zu verstehen. Die Predigt ist Wort Gottes und nicht ein menschliches Deutungsangebot. Der Prediger ist kein selbständiger Interpret, der gegenwärtige Wirklichkeit mit Hilfe christlicher Tradition aufzuschließen versucht, sondern ausschließlich Zeuge, der das, was Gott ihm zu verstehen gegeben hat, bloß weiterreicht, indem er es verkündigt. So gesehen darf der Prediger auf der Kanzel in dem Bewußtsein stehen, daß er „[g]ehüllt [ist] in die Hoheit, Macht und Autorität des göttlichen Wortes"311. Kritische Bemerkungen zu Fischers gesamtem homiletischen Unterfangen müssen an seinem Verständnis von Homiletik anknüpfen. Konsequent läßt er konkrete Fragen der Predigtarbeit zunächst beiseite und entfaltet seine Homiletik deduktiv aus einer dogmatischen Grundeinsicht heraus. Das homiletische Verfahren bleibt nicht nur als Gegenstand der Homiletik unberücksichtigt, sondern wird aus prinzipiellen Gründen ausgeschlossen. Das Resultat ist, daß die Predigtarbeit als eine Art ,black box' vorgestellt und homiletischer Theoriebildung entzogen ist312. Die kritische Nachfrage nach dem Zustandekommen von Predigt muß sich im wesentlichen mit dem Hinweis auf das vom Prediger ,Gehörte' begnügen. Studierende der Homiletik haben weder konkrete Anleitung zur Predigtarbeit zu erwarten, noch die Möglichkeit, transparente Verfahrensmodelle zu befragen, sondern sie erfahren in erster Linie eine Prägung ihrer praxis pietatis im Hinblick auf ihren künftigen Beruf. Die homiletische Ausbildung stellt das Zentrum der praktisch-theologischen Ausbildung dar. Zugleich ergibt sich für den Studierenden von dieser Mitte aus eine Perspektive, die es ihm möglich macht, sein Studium der Praktischen Theologie wie der Theologie insgesamt als eine Einheit zu begreifen, die durch die Orientierung auf die Predigtaufgabe gestiftet wird313. Sieht man von dem Hinweis auf Liebe zur Gemeinde und Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes ab, bleiben allerdings die Bedingungen für gelingende Predigt eigentlich im Dunkeln. Das Gelingen einer Predigt hängt letztlich vom Glauben des einzelnen Predigers ab, der damit eine unglaubliche Belastung erfährt. Zwar kann die Konzentration auf die stellvertretende Zusage der Liebe Jesu Christi durchaus als die Predigtarbeit organisierende Maßgabe verstanden werden. Auf das entscheidende Charakteristikum gelingender Meditation, die Selbsterschließung des Wortes Gottes, hat der Prediger gerade keinen Einfluß, es sei denn durch rechten Glauben und unbedingten Gehorsam, die ihn zum Empfang der aktuellen Botschaft prädisponieren. Obgleich Fischer darauf hinweist, daß die Prediger „in ihrem 311 AaO., 508. 312 Fischer betont neben der Hoheit den Charakter des Wortes Gottes als „Geheimnis" (ders. [1952], 490). 313 Vgl. dazu auch M. Fischer [1973], 262, der zustimmend G. Ebeling zitiert: „Die Theologie ist nur insoweit notwendig, als sie sich selbst überflüssig und die Verkündigung notwendig macht".

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Amt um seiner Botschaft willen" Grund haben „fröhlich" zu sein 314 , wendet er sich zugleich mit kaum mehr zu überbietendem Gewicht an das Gewissen des einzelnen: „Er muß lernen, daß seine Grundsünde die wäre, wenn er das Evangelium nicht verkündigte. Er mag von Sünden angefochten sein wie andere Menschen auch, - die Grundsünde seines Lebens aber liegt in der falschen Predigt, in der falschen Lehre, in der falschen Theologie." 315 Selbst ein Prediger, der mit großem Ernst und unter vollem Einsatz seiner Arbeitskraft sein Amt wahrnimmt, muß sich, gerade weil ihm die entscheidenden Prozesse entzogen sind, doch stets fragen, ob er seiner Aufgabe gerecht wird oder nicht. Man kann sich leicht vorstellen, daß diese Unsicherheit, die die entscheidende Anfechtung des Predigers und notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung seines Amtes darstellt, zur unerträglichen Belastung werden kann. Darf sich nach Fischer der Prediger einerseits verstehen als „[g]ehüllt in die Hoheit, Macht und Autorität des göttlichen Wortes" 316 , so wird an dieser Stelle nun die Kehrseite dieses Amtsverständnisses deutlich. „In keinem A m t kann man so tief schuldig werden. Keine Sünde auf Erden wiegt so schwer - und wäre es Morden, Huren und was an Ungeheuerlichem zu denken wäre - wie die Verkehrung der Predigt" 317 . N u r der mit diesem Ernst angefochtene Prediger ist ein rechter Prediger. Die Anfechtung stellt die „Predigtnot" dar, die nur Gott selbst überwinden kann. 318 Abgesehen von dem Sündenverständnis, das hier zum Ausdruck gebracht wird 319 , stellt sich das Predigen und der Beruf des Pfarrers insgesamt als Gratwanderung dar. Es droht die Gefahr, unermeßliche Schuld auf sich zu laden. Der Beruf kann für einen weniger selbstbewußten Prediger zur unerträglichen Gewissensbelastung werden, gerade weil keine durch homiletische Theoriebildung bereitgestellten Kri-

314 M. Fischer [1953], 11. 315 AaO., 8. 316 Ders. [1949/50], 508. 317 AaO., 443. 318 Ders. [1953], 12. Zur ,Predigtnot' vgl. oben 5.1.7 und unten 5.4. und 7.1. Bei Fischer ist der Begriff deutlich mit positiven Konnotationen verbunden. Der Einfluß der Homiletik Karl Barths auf Martin Fischer sollte an dieser Stelle nicht unterschätzt werden. (Vgl. zur Homiletik Barths die Darstellung bei H. Genest [1995].),Predigtnot' ist hier verstanden als Krise der Predigt, die ein Eingreifen Gottes hervorrufen kann. „Sprechen wir aber von der Predigtnot in der Tiefe der Anfechtung und lassen Christus heran an diese Not, so könnte ein Segen mitten in der Anfechtung beschlossen liegen." (M. Fischer [1953], 12.) Wie auch bei Iwand kommt die Epoche des Kirchenkampfes bei Fischer in seinem knappen Abriß zu Predigtgeschichte überaus positiv in den Blick. ,,[D]a begann das Wort Gottes zu glänzen." (Ders. [1949/50], 448.) 319 Zu kritisieren ist, daß Sünde vor allem als Tat des Menschen verstanden wird und weniger als Grundverfaßtheit des Menschseins. Es schließt sich zudem die Nachfrage nach der hier vorgenommenen Gewichtung der benannten Sünden an.

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terien zuhanden sind, an denen sich die Selbsteinschätzung intersubjektiv orientieren kann 320 . Diese Konsequenz von Fischers Entwurf resultiert aus der für seine Homiletik generell mangelnden Differenzierung zwischen „geglaubter und gepredigter Predigt" 321 . Er unterscheidet nicht zwischen den verschiedenen Ebenen innerhalb der Predigtarbeit und in Bezug auf die Predigt. Die Bedingungen des homiletischen Verfahrens und des Predigtvollzugs bleiben ausgeblendet zugunsten eines mit ihnen keineswegs auch nur ansatzweise vermittelten prinzipiellen Predigtverständnisses, das einer dogmatischen Wesensbestimmung der Predigt folgt. Die so begründete Verweigerung, die Komplexität des Phänomens Predigt und Predigtarbeit anzuerkennen und in ihrer Vielschichtigkeit in homiletisches Nachdenken aufzunehmen, hat ein undifferenziertes Schriftverständnis zur Folge. Indem Fischers Homiletik für die Predigt unbedingt den Anspruch reklamiert, Gottes Wort zu sein, ist zugleich die Identifikation von biblischem Text und Wort Gottes erforderlich. Wort Gottes zu sein - , diese Qualität wird dem Text unbedingt unterstellt. Mit seiner Zugehörigkeit zum Kanon ist beschlossen, daß der einzelne Predigttext sich als Wort Gottes erwiesen hat und eine harmonische Beziehung zu einer Schriftmitte aufweist. Die Wortwahl Fischers läßt darauf schließen, daß er sich den Text als eine Art Behältnis vorstellt, das jedenfalls das Wort Gottes in sich birgt. Tritt die Selbstbewegung des Wortes in Kraft, wird es aus dem Text entlassen und verschafft sich aktuell Gehör. Der Prediger begegnet dem biblischen Text mit dem Vorverständnis, daß dieser Gottes Wort enthält. Dieses Vorverständnis aber darf in keiner Phase der Predigtarbeit aufs 320 Man vermag sich vorzustellen, daß das Pendel in die eine oder andere Richtung ausschlagen wird. J e nach Persönlichkeitsstruktur und momentaner Stimmungslage wird der Prediger entweder ängstlich besorgt sein, den erhobenen Ansprüchen nicht zu genügen und in der zitierten Weise schuldig zu werden, oder aber überheblich von sich überzeugt, gegenüber kritischen Tönen vollständig immunisiert sein. Z u m Verhältnis von „Persönlichkeitsstruktur und Predigt" vgl. vor allem W. Engemann [1992a]. In seinen Eingangsbemerkungen zur Frage nach dem Verhältnis von Subjektivität und Objektivität weist Engemann auf die Konsequenzen hin, die sich ergeben aus dem „Versuch, den Predigtvorgang (fiktiv) der Prozedur elementarer Verständigungsprozesse entziehen zu wollen - sei es, indem die ,Offenbarung' als Kommunikationsmodalität beansprucht wird, sei es, indem man behauptet, die Rezeption von Gottes Wort sei ein passiver Vorgang." (AaO., 16.) Die Grundgefahr liegt in folgendem: „Wenn ein Prediger die Unerheblichkeit seiner Subjektivität beteuert, bleibt diese dennoch latent wirksam, wird sich u . U . hinter vermeintlich objektiven Größen ... verbergen und unreflektiert zum Zuge kommen. Das vermeintlich ,Objektive' hat dabei viel mit unkontrollierter Autonomie zu tun, ist womöglich in hohem Maße das Resultat subjektiver Eigengesetzlichkeit." (AaO., 16f. Hervorhebungen B.W.) 321 Damit ist Frage nach dem Verhältnis von dogmatischer Wesensbestimmung von Predigt und konkretem Predigtvollzug angesprochen (vgl. H.W. Dannowski [1985], 15f).

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Spiel gesetzt werden. Das gehorsame ,Abhören' des Textes schließt die Möglichkeit der Kritik am Text aus. Die Wahrnehmung von Widersprüchen innerhalb der Schrift, die Ablehnung einzelner Aussagen aus heutiger Sicht und die daraus resultierende begründete Distanzierung ist nicht möglich. Fischer geht davon aus, daß die Bibel inkarniertes Wort Gottes ist, und an dieser Qualität partizipiert jeder einzelne Text durch seine Kanonzugehörigkeit. Die Auslegung muß diesem Sachverhalt Rechnung tragen. So entscheidet sich Fischer für eine Art von hermeneutica sacra. Für die Auslegung der Heiligen Schrift gelten somit grundsätzlich andere Bedingungen als für die Interpretation sonstiger Texte. Der Predigttext muß sich nicht erst als befreiendes Wort Gottes in der Predigt erweisen. Wort Gottes zu sein ist keine potentielle, vielmehr eine von der Wirkung abgelöste, in jedem Fall tatsächliche Bestimmung der einzelnen Predigtperikope. Flankiert wird diese Grundbestimmung durch die Beziehung des einzelnen Textes zur den Kanon konstituierenden Schriftmitte. Eine konsonantische Beziehung ist zum einen mit der Eigenschaft, Wort Gottes zu sein, ebenfalls vorgängig unterstellt, zum anderen ist sie im Auslegungsprozeß zu behaupten: Der Predigttext wird auf die unbedingte Zusage des Heils in Christus hin ausgelegt. Die Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit der konkreten Predigtperikope könnte jedoch für die Predigt verloren gehen, wenn sie in einer festgelegten Perspektive ausgelegt wird. Es ergibt sich die Gefahr, daß die Vielfalt der Predigtinhalte von vornherein eingeschränkt wird. Die Aufgabe des Predigers, wie sie Fischer vorsieht, nämlich den ihm vorgeschlagenen Predigttext auf das Wort Gottes hin abzuhören, kann praktisch zu einem reduktionistischen Verfahren führen, wie wir es bei Thurneysen paradigmatisch formuliert finden: „Keine Abwechslung in der Predigt! Es muß jeden Sonntag alles und darum jeden Sonntag das gleiche gesagt werden."322 Drastisch eingeschränkt finden wir bei Fischer auch die Wahrnehmung der Verschiedenheit der Predigthörer. Sie kommen ja nur in den Blick als sich dem Wort Gottes widersetzende Menschen. Ein positives Anknüpfen an ihre Erfahrungswirklichkeit ist nicht möglich. Als Christen, die bereits ernstzunehmende Glaubenserfahrungen gemacht haben, können sie kaum betrachtet werden. Der Predigthörer ist Sonntag für Sonntag an jedem Ort der Mensch, der sich das Heil nicht sola gratia schenken lassen will und religiöse Konstruktionen in den Dienst seiner Selbstrechtfertigung stellt. Als solcher ist er immer der zu überwindende Mensch, der sich falsche Vorstellungen macht. Das Evangelium kann also nur in Negation dazu zur Sprache gebracht werden323. Deshalb darf der Hörer auch nicht erbaut, son322 E. Thurneysen [1921], 116. M. Fischer spricht von dem einen Zeugnis der Texte ([1951], 539). 323 Möglicherweise wirkt sich diese Tendenz zur Negation so aus, wie Wolfgang Trillhaas 1948 seine Predigterfahrung mit der ,jungen' Generation beschreibt. Er finde

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d e m m u ß an den Punkt geführt werden, an dem er sich mit seinen Möglichkeiten am Ende fühlt 324 . Die Predigt zielt darauf, den Hörer zu überwinden, nicht aber durch Argumentation und Begründung um ihn zu werben. Nicht durch Einsicht, sondern durch eine vorab behauptete Autorität will die Predigt zur Wirkung kommen 325 . Fischers homiletischer Entwurf, der ganz im Zeichen der Selbstbewegung des Wortes Gottes steht, ist v o r allem als Versuch zu verstehen, zugunsten der Autorität des Wortes Gottes den menschlichen Anteil am Predigtgeschehen nach Möglichkeit in jeder Beziehung auszuschließen.

5.3. Schriftleitung GPM 25/1970/71 bis 37/1982/83. Walther Fürst: , Zeitbezug' und „auf der bisherigen Linie bleiben " Nachdem Martin Fischer die Schriftleitung abgeben mußte 326 , übernahm sie Walther Fürst f ü r 13 Jahre. Auch zu Beginn seiner Schriftleitertätigkeit wird festgehalten: „Eine Fortführung der Zeitschrift im Sinne ihres Erbes und Auftrags f ü r die Gegenwart ist unser gemeinsames Ziel"327. Fürsts Umgang mit dem die G P M begleitenden V o r w u r f eines ,homiletischen Defizits' bei,exegetisch-theologischer Gründlichkeit' stimmt im Tenor mit den Stimmen seiner Vorgänger überein: Trifft die Kritik, „der Mensch mit seinen Anliegen, seiner Denkweise, seinem Selbstverständnis komme zu in deren Predigt vor allem „Abwehr, Kampf gegen Mißverständnisse, gegen Überheblichkeit des menschlichen Geistes, vor allem gegen alle möglichen .Gefahren'. (Sollte man es für möglich halten, daß eine Erntedankpredigt mit dem Satz beginnt: ,Wenn wir heute Erntedankfest feiern, so liegt darin eine doppelte Gefahr.'? Ich habe es aber erlebt.) Kurz, unsere heutige durchschnittliche Predigt ist apologetisch, ängstlich, abwehrend." (W. Trillhaas [1948], 77.) 324 In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf die Kampfesmetaphorik hinzuweisen, deren sich Fischer häufig bediente; vgl. z.B.: „Durchbruchsschlacht" (M. Fischer [1949/50], 442). 325 Mit Hinweis auf 2 Kor 5,20 betont Fischer allerdings 1973, daß „christliche Verkündigung von autoritärer Form der Rede" unterschieden sei. Da die Predigt aber an der Autorität des Wortes Gottes immer schon partizipiert, ergibt sich in jedem Fall ein Autoritätsgefälle - auch wenn der Prediger im Anschluß an Paulus seine Predigt im Modus der Bitte vorträgt. 326 Begründet wurde dies zutreffend mit dem Wechsel in ein kirchenleitendes Amt (W. Fürst/A. Ruprecht/G.Ruprecht [1970/71], 1), nämlich das des Präsidenten der EKU-Kirchenkanzlei (West); dann, nachdem die GPM schon zwei Jahre später nicht mehr als Lizenzausgabe der EVA erscheinen konnte, folgt die Näherbestimmung, daß Fischer durch „Druck aus der DDR" zum Rücktritt genötigt wurde (A. Ruprecht [1975/76], 369): „Walther Fürst übernahm die Herausgabe 1970 in einer dramatischen Situation, als die DDR-Behörden das Weiterbestehen der gemeinsamen Ausgabe der GPM in Ost und West von Martin Fischers Rücktritt abhängig machten" (ders. [1982/ 83), 392). Vgl. zum Wechsel auch unten die Geschichte der EPM 5.6. 327 W. Fürst/A. Ruprecht/G.Ruprecht [1970/71], 2. 159

kurz", dann stellt diese Kritik „in Wahrheit die Güte unserer Exegesen in Frage"328. „Gegenwartsanalyse" kann es nur „im Licht der biblischen Botschaft geben". Der „heutige Mensch und die heutige Welt" dürfen nicht „gleichgewichtiger Partner der biblischen Botschaft sein". Das Resultat wäre die Ausschaltung' des Textes und die Predigt schließlich nur noch „Selbstgespräch des Menschen"329. Eine zunächst für sich betrachtete und als selbständiger Faktor in die Predigtarbeit einbezogene empirische Wirklichkeit kann es daher für Fürst nicht geben. Die Vorstellung, daß das Wort Gottes im Predigttext selbst die Situation vorgibt und den Bezug zur Gegenwart selbst schafft, hält sich unverändert durch. Selbstverständlich muß ein Prediger „die Situation seiner Hörer kennen und verstehen". Dies ist eine notwendige Voraussetzung, um sich ihnen „verständlich" zu machen, aber Situation kann in der Predigtarbeit nur verstanden werden im Sinne „der Situation, die das mit Hilfe der Texte zu hörende Evangelium vorgibt"330. Fürst thematisiert das Verhältnis von Text und Situation in der Predigtarbeit besonders ausführlich im Zusammenhang des Rückblicks auf die bis zum 27. Jahrgang zu nehmenden Rücksichten auf die Zensur durch die DDR-Behörden. Er verteidigt die GPM gegen den Vorwurf, „wir hätten an der Situation der DDR vorbeigeredet, weshalb wir dort einem,DDR-spezifischen' Unternehmen Platz zu machen hätten", sowie gegen die nun schon so oft vorgebrachte Kritik, die Beiträge der GPM ließen keinen Situationsbezug erkennen. Fürst wendet ein, gerade die bis zuletzt stetig zunehmenden Korrekturvorschläge der Zensurbehörden ließen erkennen, „daß es öfter, als die Leser vielleicht gemerkt haben, gelungen ist, die Botschaft der Texte ins Heute zu übersetzen, zwar nicht zu zeitgemäßer, aber zu zeitbezogener Verkündigung zu k o m m e n und das ewige Wort nicht zu einer zeitlosen Wahrheit absinken zu lassen. Sofern es hörbar wurde (offensichtlich ist es gehört worden), hat es keine Situation unberührt gelassen und konnte es selbst durch den Rotstift nicht ganz unhörbar gemacht werden" 3 3 1 .

Es liegt demnach vor allem an den Lesern, ob sie den Situationsbezug zu ,hören' verstehen oder nicht. Die Notwendigkeit einer konzeptionellen Reform der GPM besteht daher nicht. „Hauptaufgabe" ist und bleibt die „Behandlung der Texte", ohne daß ein „Schema ... vorgeschrieben, nicht einmal vorgeschlagen" werden kann332. 328 W. Fürst [1971/72], 2. 329 Ebd. 330 Ders. [1972/73], 3. 331 AaO., 2. 332 AaO., 6. Die Distanzierung von jeglicher Art von „Schema" ist im Zusammenhang mit einem theologisch-christologisch begründeten Vorbehalt gegen Methodisierung der Predigtarbeit zu sehen, wie sie auch bei Fürsts Vorgängern schon ausgeprägt erkennbar wurde. Vgl. dazu auch wieder E. Thurneysen [1921], Zwar konzediert Fürst,

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Die „Arbeitsweise" der GPM bleibt insofern „auf der bisherigen Linie"333. Der Wirklichkeitsbezug der Predigt soll weiterhin nicht methodisch bedacht werden. Denn eine Orientierung an der gegenwärtigen Wirklichkeit würde bedeuten, sich an diese zu verlieren334. Der Prediger sollte stattdessen die „,vor-gegebene' Situation" 335 wahrnehmen. Diese Situation ist „der Ort coram Deo, der dem Menschen in der Verkündigung angewiesen wird". Diese Grundsituation des Menschen ist unwandelbar. Sie ist stets dieselbe „damals wie heute". Der zu Christus gehörende Mensch ist „heute vom selben Licht beschienen wie vor zweitausend Jahren." 336 Es wird also konzeptionell daran festgehalten, daß das Wort Gottes die Lage „schafft" 337 . Der Schriftleiter Walther Fürst meldet sich jedoch zu aktuellen gesellschafts- und kirchenpolitischen Fragen wiederholt zu Wort. Dies ist so zu deuten, daß durch seine konkreten Stellungnahmen die Perspektive der Leser auf die gegenwärtige Wirklichkeit beeinflußt und somit - mittelbar - die aktuelle Situation einbezogen wird. Der Bezug zur gegenwärtigen Situation muß von dem einzelnen Prediger durchgeführt und verantwortet werden. „Sie ist das Wagnis, das jeder Predigt aufgegeben ist und das jeder Prediger zu verantworten hat, und zwar in seiner jeweiligen Situa-

daß Methoden „als solche hilfreich und darum notwendig" sind, er warnt aber zugleich davor, von ihnen „das Heil [zu] erwarten und methodengläubig [zu] werden" (ders., aaO., 3). Mit der pauschalen Warnung vor Methodengläubigkeit wird die sachlich angemessene Frage nach Möglichkeiten und Leistung von Methoden im Grunde von vornherein erst gar nicht gestellt. „Die im Glauben an Gottes Gegenwart und Kondeszendenz begründete Hoffnung hat jedenfalls ein solideres, ein auch durch Rückschläge und Scheitern weniger bedrohtes Fundament als eine Hoffnung, die Veränderung sich verspricht von analytischen, kommunikativen und humanwissenschaftlichen Methoden und damit sich und den Menschen zu überfordern droht" (ebd.). 333 Ebd. Vgl. dazu insbesondere den Artikel zum Gedächtnis an Hans Joachim Iwand zehn Jahre nach dessen Tod im DtPfBl 1970 (ders. [1970a]). Einen nahtlosen Anschluß an Karl Barths Predigtlehre läßt ders. [1956] erkennen. Zu Fürsts homiletischem Profil vgl. aber neben W. Fürst [1967] und [1969] auch die von Klaus-Peter Jörns herausgegebene Aufsatzsammlung (W. Fürst [1986]). Die Bibliographie weist insbesondere eine Fülle von Predigtmeditationen auf (202-205). 334 Vgl. dazu ders. [1970a], 266. 335 Ders. [1964], 499. 336 Ebd. 337 „Das vorgesetzte Wort schafft grundsätzlich ,die Lage'", so Walter Feurich (Dresden) in der sich einem Vorwort von Fürst anschließenden ausführlichen Rezension von Eberhard Winklers (Halle) Studie .Kommunikation und Verkündigung', Berlin 1977 (W. Feurich [1979/80], 150). Feurich kritisiert die differenzierte Aufnahme von Ernst Langes homiletischen Denkansätzen durch Winkler. Er sieht sich Karl Barths Theologie verpflichtet, wenn er gegen Winkler „die These" aufstellt: „Die Theologie und die durch sie gewonnenen Erkenntnisse sind bereits Methodologie der Verkündigung" (aaO., 148).

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tion"338. Zur Konturierung der Situation allerdings trägt Fürst bei. Weniger als Fischer339, aber doch ganz ähnlich wie Iwand, nimmt er wiederholt Stellung zur Zeitgeschichte. Seine Voten lassen an politischer Deutlichkeit keineswegs zu wünschen übrig. 1974 kritisiert er scharf den „Antikommunismus" und den hessischen Synodalbeschluß zur „Unvereinbarkeit von DKP-Zugehörigkeit mit pfarramtlichem Dienst"340. 1976 kritisiert er ein Wort des EKD-Ratsvorsitzenden, „das alle Christen in marxistischen Parteien de facto ausschließt"341. 1978 lehnt er es empört ab, einen GPM-Beitrag zum ,Tag des ausländischen Mitbürgers' vorzusehen. „Sollen wir hier mit billiger Gebrauchstheologie zu einem billigen Alibi verhelfen?"342 Die politische Lage im gleichen Jahr sieht er gekennzeichnet, durch „den Markt und die Medien überschwemmende Reminiszenzen an die Hitlerzeit" und „ein Verwaltungsgerichtsurteil, das der NPD Verfassungskonformität bescheinigt"343. 1980 stellt er fest, daß Kirche und Gesellschaft „immer stärker restaurativ und reaktionär werden"344. Als die Schriftleitung Fürsts 1983 endet, merkt für die Mitherausgeber und den Verlag Arndt Ruprecht rückblickend an: „Politisch haben wir es nicht immer leicht miteinander gehabt"345. Das Verdienst Fürsts ist es zweifellos, den Mitarbeiterkreis etwa um Autoren aus der ,Kirchenpraxis' erweitert und vor allem verjüngt zu haben. Bewußt hat er sich darum bemüht, jüngere Theologen als Meditatoren und Leserin die GPM einzubeziehen346. Schließlich gibt er die Schriftleitung ab, damit „die Verantwortung an Jüngere übergeht; an solche habe ich mich mehr und mehr gewendet - um der Zukunft der Zeitschrift willen"347. Seinen Nachfolger, den Berliner Praktischen Theologen Klaus-Peter Jörns, stellt er vor, um zugleich das grundlegende konzeptionelle Selbstverständnis der GPM zusammenzufassen und das Moment der Kontinuität zu beto338 W . Fürst [1973], 86. 339 Selbstverständlich mußte Fischer Rücksicht nehmen, um ein Erscheinen der Lizenzausgabe in Berlin (Ost) nicht zu gefährden. 340 W . Fürst [1974/75], 287. 341 Ders. [1975/76], 371. Positiv dagegen bewertet er Hempel und Krusche: „Beide Bischöfe in der D D R schlagen Töne an, die aufhorchen lassen; im bundesdeutschen Bereich ist man diese Sprache nicht gewohnt" (ebd.). 342 Ders. [1977/78], 351. „So bedrängend das Gastarbeiterproblem ist und immer mehr wird - der schöne Name ,Mitbürger' allein ändert nichts an entwürdigenden Zuständen, und ein solcher ,Tag' ist nicht geeignet, Licht in die Finsternis zu bringen, solange die Ursachen der Arbeitslosigkeit gerade der Ausländer nicht behoben, ja auch nur wahrgenommen werden" (ebd.). Auch Nebensätze bergen polemische Spitzen, etwa gegen die F A Z , deren „Geist... im Geld versickerte" (ebd.). 343 344 345 346 347

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Ebd. Ders. [1980/81], 1. A. Ruprecht [1982/83], 392. W . Fürst [1981/82], 233. Ders. [1982/83], 1.

nen. Bis in die Diktion hinein ist das homiletische Erbe Iwands präsent. „Wie er [sc. Jörns] mich schon wissen ließ, wollen sie den von H.J. Iwand eingeschlagenen Weg weitergehen, wie Martin Fischer und ich es versuchten - , so daß die Bemühung um die Schrift die wahre und erstrangige Bemühung um die Erneuerung der Kirche bleibt, und daß die explicatio auch die applicatio regieren muß"348. 5.4. Schriftleitung GPM 38/1983/84 bis 44/1989/90. Klaus-Peter Jörns: Homiletik und Predigt als,Glaubensgespräch' In demselben Jahr, in dem Klaus-Peter Jörns die Schriftleitung übernimmt, veröffentlicht er ein „Plädoyer für die Predigtnot"349. .Predigtnot' beschreibt er als homiletische Aufgabe: „Gottes Wort soll in unseren Worten hörbar werden"350. Als solche ist sie zwar eine „Last", aber doch zugleich ein notwendiges und unabänderliches Phänomen. Es gilt, ihr Wesen „theologisch zu begreifen" und ihr „standzuhalten". „Denn nur wo dieser Not standgehalten wird, kann auch die Verheißung der Predigt erfahren werden"351. Die vorherrschende Tendenz homiletischer Publikationen352 besteht jedoch darin, der ,Predigtnot' auszuweichen und sie zu „verdrängen"353. Insbesondere die in der Rubrik der Predigthilfen firmierende Literatur befördert die ,Predigtnot', indem sie dieser vor allem funktional zu begegnen versucht. Predigthilfen konzentrieren sich auf methodische Verfahren und präsentieren sich als Materialsammlungen, aus denen sich der Prediger Versatzstücke herausgreifen kann. Theologische Homiletik wird hier jedoch abgekoppelt von den so verstandenen Praxishilfen. „Wo Verfahren zur Montage von Fertigteilen angeboten werden, hat Theorie keine Chance"354. Jörns weist nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer homiletischen Debatte hin, die sich nicht in methodischen Einzelfragen des Verfahrens verliert, sondern mit „mehr Atem"355 geführt werden muß. Homiletik muß in einem nicht zu eng zu fassenden Zusammenhang theologischer Theorie-

348 AaO., 191. 349 K.-P. Jörns [1983], Es handelt sich um eine Sammelrezension. 350 AaO., 5. 351 Ebd. 352 Die Sammelrezension umfaßt insgesamt 85 Titel. 353 Ebd. 354 AaO., 64. Besonders ausführlich und kritisch beurteilt Jörns die von H. Nitschke und anderen herausgegebene Reihe ,Gottesdienstpraxis'. „Sprache und Sprachlosigkeit des Pfarrers werden mit Sprache anderer versetzt... Stammeln wäre besser" (8). 355 AaO., 116.

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bildung betrieben werden356. Die Gemeinde ist als Subjekt theologischer Schriftauslegung stärker zu beachten, statt sie zum ,Hörer'-Objekt zu verkürzen357. Das Gespräch in ihr und mit ihr ist so notwendig wie auch das homiletische Gespräch mit den Vätern, will man homiletisch nicht eine geschichtslose Provinzialität pflegen. Ansatzpunkte zu einem angemessenen Umgang mit der homiletischen Aufgabe sieht Jörns vor allem in diesem zweifach dimensionierten Gespräch: mit und in der Gemeinde als Gemeinschaft sowie mit den Vätern. Es mag zunächst überraschen, daß ein radikaler Kritiker zeitgenössischer Predigthilfen die Schriftleitung für eine solche übernimmt. Es gelingt Jörns jedoch, in der traditionellen Konzeption der GPM die von ihm erkannten homiletischen Notwendigkeiten vertreten zu sehen und zugleich auch Neuerungen einzuführen. Gemeinsam mit seinen Mitherausgebern Friedemann Merkel und Hinrich Stoevesandt formuliert er ein Vorwort, welches das Programm der GPM vor allem im Anschluß an Zitate Iwands positiv wertet. Zwei wesentliche Programmpunkte sind festgehalten: Die GPM verstehen sich als Heranführung an den Text, der die „größte Predigthilfe ist und bleibt". Ein „Gegenüber von Theorie und Praxis" kann es nicht geben, sondern Meditation ist zu verstehen als „Gegenüber von Schrift und Verkündigung", dessen „Spannung" auszuhalten ist. Besonderer Wert ist dabei immer auf das Gespräch zwischen Meditatoren und Lesern gelegt worden358. Dieser Ansatz hat sich „bewährt". Besonders herauszustellen ist, daß Schriftauslegung in einen denkbar weiten Horizont gestellt wird und nicht in erster Linie an einem handhabbaren Verfahren interessiert ist. Die GPM stellen keine Materialien bereit, sondern verhelfen vielmehr „zu eigener theologischer Arbeit und zu einer eigenen, unverwechselbaren Sprache, die aus dem ständigen Gespräch mit der Schrift und mit den Menschen in der Gemeinde wächst"359. Von den beobachteten problematischen Tendenzen gegenwärtiger homiletischer Literatur, besonders der sogenannten Predigthilfsliteratur, scheinen die GPM somit ausgenommen zu sein. Jörns kann den homiletischen Ansatz Iwands bruchlos positiv werten. Insbesondere den Dialog zwischen Meditatoren und Lesern betont er, schlägt aber zugleich eine Ergänzung vor: Der Geprächszusammenhang der Gemeinde, in welcher der einzelne Prediger steht, soll stärker berücksichtigt werden.

356 Jörns formuliert ansatzweise konkrete Vorschläge für das geforderte Umdenken. Er betont vor allem die Bedeutung des Gesprächs mit den Menschen in der Gemeinde als wesentliche und langfristige Predigtvorbereitung (aaO., 118). 357 AaO., 116. Jörns sieht die Ursache für die Reduzierung der Gemeinde zu bloßen Adressaten der Predigt letztlich im Institut der Perikopen- und Kanzelpredigt und setzt damit zu einer radikalen Kritik gegenwärtiger Predigtpraxis an (aaO., 60). 358 H.J. Iwand zitiert bei K.-P. Jörns/F. Merkel/H. Stoevesandt [1983/84], 1. 359 Ebd.

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Eine Neuerung kündigen die Herausgeber an, die nicht an eine GPMTradition anknüpft. Und zwar soll der „Zusammenhang von Predigt und Liturgie" künftig stärker beachtet werden360. Dies wird mit der Bitte an die Autoren umgesetzt, bei der Bearbeitung des Predigttextes die Bezüge zu den weiteren gottesdienstlichen Lesungen und zum Kirchenjahr zu beachten361. Mit dem 40. Jahrgang werden die Lesungstexte mitabgedruckt, und zwar nicht nur für die 1978/79 eingeführte Evangelische Lese- und Predigttextordnung (LPO), sondern auch für den katholischen ordo lectionum missae (OLM). Der von Jörns eingeführte ausführliche ,homiletisch-liturgische Buchanzeiger' ist in dem Zusammenhang der grundlegenden Intention der GPM zu sehen, die Leser als Theologen anzusprechen und ihnen eine Hilfestellung zu geben, ihre eigene Theologie und Sprache zu bilden. Zuvor wurde zwar wiederholt auf einzelne Veröffentlichungen hingewiesen; regelmäßig und auf relativ breitem Raum homiletische und liturgische Literatur vorzustellen ist jedoch als eine mit dem 40. Jahrgang eingeführte Neuerung zu betrachten362. Während der Buchanzeiger relativ breiten Raum einnimmt, beschränken sich die Vorworte des Schriftleiters auf wenige Informationen. Homiletisch ausführlich meldet sich Jörns erst wieder nach sieben Jahren, am Ende seiner Amtszeit, zu Wort363. Hier knüpft er zunächst an seine Diagnose364 von 1983 an: Auf die,Predigtnot' wird durch steigende Produktion von „Predigtvorbereitungs-Hilfen und Predigt-Fertigproduktefn]"365 reagiert, welche die ,Predigtnot' allerdings weiter fördert. Dieses wechselseitige Verhältnis ist so zu interpretieren, daß sich „,Predigtnot' und .Predigthilfen' gegenseitig stabilisieren"366. Bereits zuvor hatte Jörns Kritik an der perikopenorientierten Kanzelpredigt geäußert367. In seinem Vorwort als scheidender Schriftleiter setzt er jedoch zu einer grundsätzlichen Kritik an. Er fordert allerdings nicht die Abschaffung der Kanzelpredigt, sondern schlägt neue Wege vor, die neben das Institut der sich an der Perikopenordnung orientierenden Kanzelpre360 A a O . , 2 . 361 K.-P. Jörns [1985/86], lf. 362 A a O . , 2 . 363 Im .Vorwort des scheidenden Schriftleiters', in: GPM 44/1989/90, 376-380. 364 K.-P. Jörns [1983]. 365 Ders. [1989/90], 377. 366 Ebd. 367 Daß das Erscheinen von Predigthilfen überhaupt erst ermöglicht wird durch die Existenz einer Ordnung der Predigttexte, ist ein wesentlicher Grund, den er ausführlich vorgestellt hat (ders. [1983], 60) und auf den er hier (ders. [1989/90], 377) anspielt. Im Zusammenhang seiner Kritik an Perikopenpredigt überhaupt ist zweifellos die durch die Herausgabe von Beiheften unterstützte Empfehlung der Predigt über Continua-Texte zu sehen.

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digt treten können. Ziel ist es, durch die zu beschreitenden neuen Wege die „Entfremdung" zwischen Gemeinde und Bibel zu überwinden, so daß diese „wirklich zu beurteilen vermag, was da von der Kanzel gesagt wird"368. Damit widmet Jörns seine Überlegungen einer weiteren Ursache für bestehende ,Predigtnot'. Die ,Entfremdung' zwischen Gemeinde und Bibel, die er konstatiert369, will er offensichtlich verstanden wissen als ein Resultat bestehender Predigtpraxis. Bisher hatte er nur das Problem der praktischen Predigthilfen angesprochen, welche die Notwendigkeit homiletisch-theoretischer Überlegungen anzeigen und zugleich verhindern. Jetzt jedoch setzt er mit seiner Kritik grundsätzlicher an, indem er als scheidender Schriftleiter der GPM eine .Entfremdung' von Gemeinde und Bibel diagnostiziert und Überlegungen dazu anstellt, wie diese durch neue Wege neben der üblichen Kanzelpredigt zu überwinden sei370. Vor allem zwei Überlegungen nennt er in diesem Zusammenhang. Den Begriff ,Glaubensgespräch' hat Jörns bisher lediglich auf die Predigtvorbereitung bezogen: Zum einen bezeichnet das ,Glaubensgespräch' die Auseinandersetzung mit den Auslegungen der,Väter' und zum anderen das Gespräch mit der Gemeinde selbst, in der die Predigt stattfinden soll371. Jetzt allerdings bezeichnet das,Glaubensgespräch' eine homiletische Alternative zur,Kanzelpredigt'. Jörns schlägt vor, Predigt künftig zu verstehen und zu gestalten als das „in einer gottesdienstlichen Versammlung (möglicherweise in Gruppen) geführte Glaubensgespräch aller Beteiligten"372. Während die monologische Kanzelrede des mit den Methoden der historischen Kritik auslegenden Predigers den Eindruck erweckt, daß „eine allein wissenschaftlich zu gewinnende Schriftgelehrtheit vor das Verstehen der Schrift gesetzt" ist, können dagegen im ,Glaubensgespräch' auch die „geistlichen Einsichten" der anderen Gottesdienstteilnehmer zum Ausdruck kommen. In dem von Theologen einerseits und Gemeinde andererseits gemeinsam geführten Gespräch ist die „Schriftgelehrtheit" der wissenschaftlich Gebildeten adäquat in den „Dienst" der Gemeinde gestellt, und die Kenntnisse der 368 AaO., 379. Damit wird vorausgesetzt, daß die Gemeinde gegenwärtig nicht wirklich die Predigt zu beurteilen vermag. Die Mündigkeit der Gemeinde im theologischen Zusammenhang des Priestertums aller Gläubigen stellt ein besonderes Anliegen von Jörns dar. Vgl. dazu vor allem ders. [1996a]. 369 An dieser Stelle ist einzuwenden, ob man diesen Sachverhalt so einfach voraussetzen kann. Woran mißt sich die konstatierte ,Entfremdung'? 370 Er bezieht sich dabei auf Überlegungen, die er zum Thema ,Exegese und Homiletik. Erwägungen zu einem schwieriger gewordenen Verhältnis' (ders. [1990]) angestellt hat. Auf diesen Aufsatz ist unten noch einzugehen. 371 Vgl. ders. [1983], 118, mit Hinweis auf seinen 1982 erschienenen Aufsatz ,Der Gang in die Wüste als Weg zur Predigt'. Er schlägt vor, daß jeder künftige Prediger zunächst ein Jahr lang keine Predigt hält, stattdessen nur mit seinen künftigen Predigthörern spricht, auf sie hört und mit ihnen gemeinsam die Bibel studiert. 372 Ders. [1989/90], 378. Für Ergänzungen zum Glaubensgespräch und Hinweise zur Durchführung vgl. ders. [1997], 279-281.

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Theologen bilden „nicht mehr die enge Pforte, durch die aus der Perspektive der Gemeinde das Verstehen der Schrift grundsätzlich hindurchgegangen sein müßte, um Verstehen genannt werden zu können"373. Ebenso können „gemeinsame Schlußfolgerungen für das Leben" gezogen werden374. Mit diesem Hinweis ist bereits der Gegenstand der zweiten Erwägung angedeutet: Predigt sollte nicht in erster Linie Textauslegung, sondern vielmehr „Lefewauslegung aus dem Fundus des Glaubens" sein. Jörns rückt mit diesem Hinweis das Ziel der Predigt, den Lebensbezug, in den Blick375. Sein Vorwort als scheidender Schriftleiter, das darauf zielt, die Entfremdung' zwischen Gemeinde und Bibel zu überwinden, will seine im selben Jahr veröffentlichten Überlegungen zur ,Entfremdung' zwischen Exegese und Homiletik ergänzen376. Dort377 befaßt er sich ausführlich mit der Verhältnisbestimmung von Exegese und Homiletik und stellt seine bisherigen homiletischen Überlegungen in einen hermeneutischen Gesamtzusammenhang. Der Begriff ,Glaubensgespräch' gewinnt von hier aus noch stärker Kontur. Im Anschluß an Rom 10,17 beschreibt Jörns Predigen als „Hörensagen"378. Predigt ist so als Teil und „Fortsetzung" eines Prozesses zu verstehen, „in dem überlieferte Glaubenszeugnisse neu bezeugt und also zum eigenen Glaubenszeugnis der bisherigen Hörer werden". Jede Predigt ist somit ein Glied innerhalb einer Überlieferungskette, die auf einen „Ursprung" bzw. „Urheber" zurückzuführen ist: Christus. Die Beziehung des „jetzt" Predigenden zum „Urheber" ist eine mittelbare, d.h. eine durch Hören vermittelte Beziehung379. 373 Ebd. 374 Ebd. Jörns entwickelt seine Einsichten konsequent weiter, wenn er später betont, daß die Kommunikation von Glaube und Glaubenserfahrung des Evangeliums nicht allein Sache der Theologen sein darf, sondern daß jeder Christ durch die Taufe „zum geistlichen Stand" ordiniert ist (ders. [1996a], 236). 375 Ders. [1989/90], 379. Vgl. dazu auch den Titel seiner homiletischen Aufsatzsammlung: ,Der Lebensbezug des Gottesdienstes' (ders. [1988]). 376 Ders. [1989/90], 377. 377 Ders. [1990], 378 AaO., 20. Meines Wissens reflektiert Jörns an keiner Stelle, daß der Begriff .Hörensagen' auch die Bedeutung von .oberflächlich', .gerüchteweise' usw. hat. (Vgl. G. Wahrig [1994], 811: „gerüchteweise, nur von anderen, vom Erzählen, nicht aus eigener Erfahrung oder Anschauung".) Jörns füllt den Begriff zwar ausführlich und qualifiziert ihn theologisch. Dennoch ist zu fragen, ob das .Hörensagen' aufgrund seiner Konnotation als Predigtdefinition im Anschluß an Rom 10,17 geeignet ist. Ein Beispiel für seine negative Bedeutung findet sich in der Ubersetzung eines Gedichts von Sidney Carter durch Jürgen Blum und Ernst Lange, die dem Beiheft 1 der PSt(S) [1968] vorangestellt ist: „Dein frommes Hörensagen/ist nicht überzeugend:/Bring mir die gute Nachricht/ für die Gegenwart." 379 Vgl. dazu auch K.P. Jörns [1989], 156ff, wo er die Bedeutung der Predigtanalyse durch seine Predigtdefinition begründet.

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M k 1,1 bezeichnet - so Jörns - die literarische Gattung Evangelium als ά ρ χ η , d.h. als „Ursprungsgeschichte, auf die sich die ά κ ο η , die auch von uns noch gehörte und zu hörende Predigt bzw. Botschaft, verbindlich bezieht". Gottesdienstliches, schriftgebundenes ,Hörensagen' stellt sich dar als ein Gewebe (Text), das vier „Fäden" miteinander verbindet. 1. Die ,Ursprungserfahrungen', die ,hinter' den Texten stehen. „In ihnen hat sich Gott bestimmten Menschen in ganz bestimmten Situationen und auf Weisen zu erkennen gegeben, die offenbar gemacht haben, wer er für uns Menschen ist, war und sein wird". Jörns wählt mit Hinweis auf Bedeutung und Funktion des Begriffes in der Mythosforschung den Begriff αρχαί für diese „Ersterfahrungen". 2. Die „in der kanonischen Textfassung durch Analyse erkennbaren Stadien der an die jeweilige Arche anknüpfenden Geschichte ihrer Neubezeugungen und ihrer sich dabei wandelnden Wahrnehmungsgestalt"380. Traditions- und Uberlieferungsgeschichte der ,Ursprungsgeschichte' sind hier im Blick. 3. Das Glaubenszeugnis der heutigen Gemeinde, das sich versteht als ein Auslegungsgeschehen, das hört „auf die bis zur kanonischen Textgestalt reichende Uberlieferung und auf die durch die Kirchengeschichte weitergegangene Neubezeugung" und das „aus dem Glauben an das in allem Hörensagen sich Gehör verschaffende Wort Gottes heute Gottes Anspruch und Zuspruch weiter[sagt]"381. 4. Als Auslegungsgeschichte sollen Gottesdienst- und Sozialgeschichte verstanden und gleichermaßen einbezogen werden382. Auf der Grundlage dieses hermeneutischen Modells kann Jörns Aufgaben und Arbeitsweisen von Exegese und Homiletik zueinander in Beziehung setzen und im Verhältnis zur jeweils anderen Disziplin beschreiben 383 . Bemerkenswert ist zunächst die Komplexität der Faktoren, die hier einbezogen werden. Sowohl die der kanonischen Endgestalt der Texte vorangehenden Stadien mündlicher und schriftlicher Uberlieferung als auch ihre nicht auf die Rezeptionsgeschichte allein reduzierte Wirkungsgeschichte sind berücksichtigt 384 . Gottesdienstliches und soziales Leben werden als Auslegungsgeschichte einbezogen. Indem Jörns auf die άρχαί der Mythosforschung zurückgreift, kann er einen ,Anfang' der Uberlieferung annehmen, auf den sich alle Überlieferung zurückbezieht. E r greift ,hinter' die ältesten Uberlieferungsstadien, die man sondieren kann, zurück. So unterschiedlich und facettenreich die Überlieferungen und Traditionen im einzelnen auch sein mögen, sie sind doch im Bezug auf die zugrundeliegende α ρ χ ή miteinander verbunden. 380 Ders. [1990], 20. 381 AaO., 21. 382 Ebd. Vgl. ergänzend ders. [1995], 383 Diese sollen zwar nicht beschrieben, aber soweit sie zum Verständnis beitragen, in die folgenden Analyse mit einbezogen werden. Dargestellt sind sie bei Jörns [1990], 21-26. 384 Daß Kirche und Gemeinde als Zusammenhang von „credere, orare, convivere" zu verstehen, betont Jörns wiederkehrend. AaO., 22, notiert er dies kurz. Vgl. aber ausführlich dazu auch ders. [1988],

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Besonderes Gewicht liegt auf dem ,Faden', der „das Glaubenszeugnis in der heutigen Gemeinde" repräsentiert385, denn er führt zur aktuellen Predigt. Die Definition der Predigt als,Hörensagen' beinhaltet diesen Zusammenhang: Dem Predigen geht ein .Hören auf' voraus, und es stellt selbst ein glaubensgebundenes ,Sagen' von Gottes ,Anspruch und Zuspruch' dar. An dieser Stelle ist eine Parallele zur Homiletik sowohl Hans Joachim Iwands als auch Martin Fischers festzustellen. ,Hören auf' zielt als Synonym für,Gehorsam' auch bei Jörns vor allem auf die Glaubenshaltung des Predigers. Predigtarbeit wird somit bei Jörns wie auch bei seinen Vorgängern in der Schriftleitung als Akt des Gehorsams gegenüber Gottes Wort verstanden. Das vom Prediger zu leistende Hören wird beschrieben als Gehorsam gegenüber Gottes Wort, das sich selbst „Gehör" verschafft. Dem Gehorsam des Predigers steht andererseits die Selbstdurchsetzung des Wortes Gottes gegenüber. Zwar ist bei Jörns das Wort Gottes nicht grammatisches Subjekt der Predigt, aber im Hinweis auf das sich Gehör verschaffende Wort Gottes tritt doch die für die Predigtarbeit entscheidende Bedeutung des Wortes Gottes zutage, die auch im Mittelpunkt der homiletischen Äußerungen Iwands und Fischers stehen. Die Unterschiede sollen freilich nicht aus dem Blick geraten. Dazu ist zunächst die Frage nach den Kriterien zu stellen, die offenlegen und klären können, wodurch sich ,Hörensagen' als Gottes Wort zur Sprache bringendes und insofern qualifiziertes ,Hörensagen' ausweisen kann. Die in Anlehnung an die Terminologie Karl Barths gebrauchte Formulierung „Anspruch und Zuspruch"386 deutet zwar auf Inhalt und Wirkung des Wortes Gottes als Gesetz und Evangelium hin, klärt die Nachfrage aber noch nicht. Die Wahrheitsfrage ist vielmehr im Umfeld des Begriffs der άρχή und in dem betonten Bezug auf die kanonische Textgestalt anzusprechen. Den Begriff άρχή verwendet Jörns mit Bezugnahme auf Kurt Hübner für ,Ersterfahrungen' mit dem Göttlichen. Es handelt sich dabei um ,Ursprungsgeschichten', die Beginn und Ausgangspunkt von Uberlieferungsketten darstellen387. Zur Präzisierung sind die von Hübner selbst gebotene Definition einer αρχή und der Zusammenhang seiner Ausführungen näher zu betrachten. Es geht bei Hübner grundsätzlich um die Verhältnisbestimmung von Wissenschaft und Mythos. E r versucht zu klären, was „mythisch der wissenschaftlichen Vorstellung von Naturgesetzen einerseits und von in Gesellschaft wie Geschichte wirkenden Regeln andererseits" entspricht 388 . Der Bedeutung und Funktion von

385 Ders. [1990], 21. 386 Ebd. Anmerkenswert ist, daß Jörns hier der von K. Barth [1935] programmatisch vorgenommenen Umkehrung der klassischen Reihenfolge ,Gesetz und Evangelium' nicht folgt. 387 Vgl. zum Begriff und seiner Verwendung im Zusammenhang des Kirchenjahres K-. P. Jörns/K.-H. Bieritz [1989], 577f u.ö. 169

Naturgesetzen und Regeln in Geschichte und Gesellschaft für die Wissenschaft entspricht in Hinsicht auf den Mythos dessen Ursprungsgeschichte: seine αρχή. „Irgendeinmal hat ein numinoses Wesen zum ersten Mal (τα πρώτα) eine bestimmte Handlung vollzogen, und seitdem wiederholt sich dieses Ereignis identisch immer wieder"389. Eine αρχή ist demnach nicht nur ein Vorbild, oder eine Nachahmung, sondern eine identische Wiederholung90. Notwendige Bedingung für die Wiederholung ist, daß ein göttliches Wesen substanzhaft Anteil nimmt. Das Göttliche nimmt durch substantielles Eindringen, sein Pneuma, Einfluß auf das Geschehen391. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß Hübners Überlegungen vom griechischen Mythos ausgehen3'2. Biblische Texte sind bei ihm in diesem Zusammenhang nicht im Blick. Daher ist die Frage zu stellen, ob sich die Aussagen zur αρχή bruchlos in den homiletischen Kontext integrieren lassen. Gibt es überhaupt eine Arche in der biblischen Uberlieferung, die als prototypisch gelten kann und identisch wiederholt wird? Kann man im Zusammenhang von Neubezeugungen überhaupt generell von einer substanzhaften Anteilhabe des Göttlichen sprechen? Hier sind Bedenken anzuzeigen. Die biblischen Texte stellen Gottes Taten und sein Wirken in einen konkreten, einmaligen, unwiederholbaren geschichtlichen Kontext. Die Rezeption kann daher von dem geschichtlichen Kontext der Erzählungen und Geschichten nie absehen, und sie wird sich zugleich ihrer eigenen Situation bewußt werden. Vergegenwärtigung bedeutet darum Erinnerung an ein Handeln Gottes in der Zeit, keineswegs aber identische Wiederholung. Diese Differenz ist nicht unwesentlich. Das zeigt der Blick auf Rom 6,10, wo Paulus gerade die Einmaligkeit des Sterbens Christi (εφαπαξ) betont. Diesem Sachverhalt wird in der Feier des Abendmahls durch eine anamnetische Vergegenwärtigung, nicht aber eine Wiederholung des Opfers Rechnung getragen. Jörns verwendet den von Hübner übernommenen Begriff in mehrfacher Weise. Er belegt die ,Ursprungsgeschichten' (άρχαί) und die literarische Gattung Evangelium (Mk 1,1: άρχή) gleichermaßen mit dem Begriff άρχη. Hinzu tritt eine dritte Verwendung. Jesus Christus selbst ist „die gültige Arche" 393 . Die Christus-Prädikation εγώ ... ή άρχή και τό τ έ λ ο ς (Offb 21,6; 2,13) beschreibt christologisch „Anfangs- und Zielpunkt des ganzen Hörensagens trefflich" 394 . Damit ist für die Wahrheitsfrage das entscheidende Kriterium benannt:

388 K. Hübner [1985], 135. Jörns selbst geht nicht weiter auf die Grundlagen des Begriffs bei Hübner ein, sondern verweist pauschal auf die Seiten 134ff. 389 Ebd. 390 A a O , 139. 391 AaO., 138f. 392 Der gesamte zweite Teil des Buches bezieht sich auf „Das Denk- und Erfahrungssystem des griechischen Mythos" (aaO., 8). Allerdings kommt Hübner zu dem Ergebnis, daß die christliche Religion „weitgehend mythische Strukturen" zeigt (343). Ob die biblischen Texte aber adäquat als mythisch geprägte verstanden und ausgelegt sind, scheint mir eine bei Hübner ungeklärte Frage zu sein. 393 K.-P. Jörns [1990], 22. 394 Ebd.

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„Und es gibt für christliche Exegese und Homiletik keine andere, keine bessere Probe als die Rückbindung aller auf uns gekommenen oder kommenden Archai auf die eine Arche des Evangeliums von Jesus Christus, dem Gottessohn. Was zu ihr und was zu dem mit ihr verbundenen Telos paßt, was also für Jesus Christus spricht, dem werden auch Exegese und Homiletik gemeinsam zur Sprache helfen"3'5. Das Kriterium für homiletisches Nachdenken und für das Predigen ist benannt. In dem denkbar weit gespannten und verwobenen Glaubensgespräch ist die Rückbindung auf das, was ,für Christus' spricht, ausschlaggebend. Man mag hier an Luther denken und den von ihm postulierten Kanon im Kanon ,was Christum treibet'. ,Was für Christus spricht' - das von Jörns vorgeschlagene Kriterium zur Klärung der Wahrheitsfrage bietet einerseits eine christologische Zuspitzung, die im Kontext christlicher Schriftauslegung festzuhalten ist396. Damit stellt sich aber andererseits die inhaltliche Frage nach einer sachgemäßen Christologie und wie der Christusbezug für Christus' denn nun eigentlich auszuführen ist. Durch die dreifache Verwendung des Begriffes άρχη postuliert Jörns einen Zusammenhang zwischen mythischen .Ursprungserfahrungen', literarischem Evangelium und schließlich Christus selbst, der zugleich als inneres Kriterium anzusehen ist für das, was zur Sprache zu bringen ist. Im Christusbezug einerseits, im gehorsamen,Hören auf' Gottes Wort andererseits liegen die entscheidenden Akzente der homiletischen Ausführungen von Jörns. Auch bei dem dritten Nachfolger Iwands in der Schriftleitung der GPM werden die homiletischen Fragen vor allem zurückgeführt auf den Glauben des Predigers sowie das Vertrauen auf das „sich Gehör ver395 AaO., 25. 396 Jörns begegnet hier ausdrücklich Tendenzen, die in der Homiletik im Zusammenhang der Frage der Predigt alttestamentlicher Texte im christlichen Gottesdienst eine Rolle spielen und zur Geltung bringen, daß „eine Übertragung von ,Haus Israel' auf die Kirche auf nichts anderes als auf eine Enteignung Israels hinauslaufe" (aaO., 12). Das vielerorts als Argument in die Diskussion eingebrachte ,Besitzverhältnis' zu einem biblischen Text ist trotz Verständnis für die zweifellos berechtigte Sensibilität im Verhältnis zu Israel unsinnig. Ob und inwiefern der christlichen Gemeinde ein Text .gehört', kann nicht beantwortet werden. Die Rezeption von Texten aus einem nichtchristlichen Kontext steht im christlichen Gottesdienst als dem aktuellen Auslegungskontext immer in Bezug dazu, daß es sich um einen christlichen Kontext handelt. Es ist daher hilfreich, daß Jörns diese hermeneutische Frage hier aufgreift, sie sachgemäß zuspitzt auf die im Grunde nicht auf die Auslegung alttestamentlicher Texte zu begrenzende Frage: „Welches Recht haben wir Heutigen, das, was im AT und NT (von) geschichtlichen einzelnen und Gruppen gesagt worden ist und was historisch-kritische Exegese an bestimmten Punkten der Vergangenheit temporal, lokal und personal festzumachen sich bemüht, auf uns zu beziehen und heutigen Gottesdienstteilnehmern als viva vox, als Gottes jetzt ergehendes und Menschen für Zeit und Ewigkeit bindendes Wort zu verkündigen?" (aaO., 13), um schließlich die Relevanz der Texte christologisch zu begründen.

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schaffende Wort Gottes"397. Der Vorschlag, die öffentliche Kanzelrede zugunsten eines Glaubensgesprächs aufzugeben398, heißt dann allerdings auch, die Bedeutung der historisch-kritischen Methoden für die Auslegung biblischer Texte im Hinblick auf das Predigen auf einen Gesprächs^eiirag, den der ,schriftgelehrte1 Theologe in die Predigt als Glaubensgespräch einzubringen versteht, zu reduzieren, zugunsten der das wissenschaftliche Instrumentarium nicht beherrschenden Gemeinde. 5.5. Schriftleitung GPM 45/1990/91 bis 50/1995/96. Friedemann „das Gesicht der,Meditationen'wahren und gestalten"

Merkel:

Bei seiner Übernahme der Schriftleitung weist Friedemann Merkel auf seine Vorgänger hin. „Angesichts dieser Ahnenreihe von Η.J. Iwand bis K.-P. Jörns bin ich mir der Verpflichtung bewußt, die ich übernehme."399 Als langjähriger Mitarbeiter und ehemaliger Fachkollege Martin Fischers in Berlin fühlt er sich mit den GPM verbunden und will „das Gesicht der .Meditationen' wahren und gestalten"400. Der „Charakter" der GPM soll bewahrt werden. Merkel skizziert das Selbstverständnis in aller Kürze: „Die Benutzer sollen wissen, was sie an den Predigtvorbereitungen haben: Sie sollen sorgfältig über den biblischen Text informiert werden, sie sollen zu systematischen Reflexionen angeleitet werden und Ratschläge f ü r die Gestaltung der Predigt erhalten, ohne daß ein bestimmtes K o n z e p t ,erzwungen' wird. Die Einheits-Predigt w a r noch nie das Ziel der G P M und w i r d es auch unter meiner Schriftleitung nicht werden." 4 0 1

Es wird versichert, die Tradition der Zeitschrift fortzusetzen und an ihrem Wesen nichts verändern zu wollen. In besonderer Weise betont Merkel die Vielfalt in der Mitarbeiterschaft. Er weist auf die Zusammensetzung der GPM-Mitarbeiter hin: „Diese Mischung ist nicht zufällig oder eine Notlösung, sondern sie ist gewollt, weil dadurch die Vielfalt der Gaben und Er397 A a O . , 2 1 . 398 Eine methodische und theologische Ausführung des Vorschlags steht noch aus. Die Vorteile der Kanzelpredigt diskutiert Jörns bislang nicht. Das Argument K.-F. Daibers für die öffentliche Kanzelrede ist nicht so leicht von der Hand zu weisen: „Der einzelne wird in der A r t seiner Teilnahme, in seinem Hörverhalten, vor der Öffentlichkeit der Gemeinschaft geschützt. Er kann sich subjektiv entscheiden, wie er sich mit dem Gesagten auseinandersetzt. So eröffnet gerade die Kommunikationsform des Monologs die offenere Teilnahme an den Gottesdiensten, durchaus im Sinne der unverbindlicheren, auch der testenden Teilnahme. In einer gesellschaftlichen Situation, in der religiöser Glaube immer wieder erst gesucht und erprobt werden will, scheint dies besonders bedeutsam zu sein." (K.-F. Daiber [1991], 205.) 399 F. Merkel [1990/91], 1. 400 Ebd. 401 AaO., 2. 172

fahrungen in die Predigtarbeit eingebracht wird."402 Der Gestaltungswille des neuen Schriftleiters bezieht sich damit vor allem auf die Vielfalt: „Ich weiß natürlich, daß dies auch Probleme mit sich bringen mag, weil dadurch das Profil verschwimmen kann. Aber dies muß hier - wie in der gesamten Kirche - riskiert werden, ohne daß damit der Charakter der GPM aufs Spiel gesetzt wird."403 Merkel hebt besonders die Offenheit der Meditationen hervor. Wesentliche Gestaltungsfragen bleiben programmatisch dem Benutzer überlassen. Dieser erhält Informationen, Anleitungen und Ratschläge. Die Predigtarbeit der Leser soll auf diese Weise allenfalls begleitet, ihnen aber keineswegs abgenommen werden. In der Rezension eines Predigtbandes von Gottfried Voigt hebt Merkel hervor, daß die Auslegungen „den Prediger nicht in eine von ihm nicht gewollte und auch nicht zu verantwortende Richtung drängen. Was kann man über eine Predigtvorbereitungshilfe besseres sagen?"404 In seinen Vorworten bezieht sich der Schriftleiter häufig auf die Geschichte der GPM. Er weist auf die Bedeutung der GPM bzw. EPM als Verbindungsstück zwischen Ost und West hin. Die GPM waren „durch lange Jahre hindurch ein hoffnungsvolles Zeichen der Verbindung trotz bestehender Trennung."405 Walther Fürsts Schriftleitung würdigt er zu dessen 80. Geburtstag: „Innerhalb der danach [sc. nach 1972] sehr engen Beschränkungen hat er den Austausch von Beiträgen mit den neu entstehenden Evangelischen Predigtmeditationen in der DDR bis zur Grenze des Zulässigen ausgeschöpft und so weiterhin die Brücke über die schmerzliche Trennung geschlagen."406 Anläßlich der Wiedervereinigung von GPM und EPM mit dem 46. Jahrgang (1991/92) wertet er rückblickend das Erscheinen der GPM in Ost und West als „eine theologische Klammer zwischen den Kirchen in beiden Staaten", und für die Zeit nach 1972 gilt immerhin, daß „trotz eigenständigen [sie!] Redaktionen die innere Zusammengehörigkeit wirksam werden konnte"407. Iwand hatte für die GPM eine umfassend einheitsstiftende Wirkung erhofft, die konfessionelle Spannungen, theologische Schulbildungen und Gegensätze zu überwinden vermag, die mit den Begriffspaaren Theologie und Kirche, Wissenschaft und Praxis, Ost und West angedeutet sind408. Merkel weist jedoch nur auf die Brückenfunktion der Meditationen zwischen den Kirchen in der Bundesrepublik und den Ostblockländern hin. 402 AaO., 1. Im Autorenkreis stellen jedoch weibliche Meditatoren nach wie vor eine verschwindende Minderheit dar. Unter den 40 Autoren, deren Meditationen im ersten Teil dieser Arbeit ausgewertet wurden, ist nur eine (!) Autorin zu finden. 403 AaO., lf. 404 Ders. [1968], 202. 405 Ders. [1990/91], 1. 406 AaO., 253. 407 AaO., 363. 408 Vgl. oben 5.1.8.

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Allerdings ist dies nicht nur eine äußerliche, formale Klammer. Ziel ist „die geistliche Einheit im Dienst der Wortverkündigung über die politischen Grenzen hinaus"409. Damit nimmt Merkel das zentrale Anliegen Iwands auf. Für Iwand lag die Hoffnung auf Einheit letztlich begründet im Glauben an das einheitsstiftende Evangelium, in dessen Dienst sich die GPM stellen. Die gemeinsame Besinnung auf das eine Evangelium war für ihn der entscheidende konzeptionelle Grundgedanke der GPM. Dieser denkbar komplexen Einheit korrespondiert die Vielfalt der Predigt. Merkel nimmt nun diesen Zusammenhang von Einheit und Vielfalt auf, indem er Iwand zitiert. „,Der Vielfalt der Mitarbeiter entspricht die Vielfalt der Predigt. Uniformität ist niemals ein Zeichen geistlicher Einheit, der wahren Einheit im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung gewesen.'"410 Merkel kommt es aber offensichtlich eher auf den Gedanken der Vielfalt an, wenn er anschließend fortführt: „So bringen die Mitarbeiter ihre ganz persönlichen und spezifischen Erfahrungen aus ihrer eigenen Predigtarbeit mit. Und sie sollen sie einbringen."411 Die sich aus dem Zusammenschluß der beiden Zeitschriften ergebende Erweiterung des Mitarbeiterkreises hat offensichtlich bei einigen Lesern Unmutsäußerungen hervorgerufen. Merkel wirbt hier für Toleranz, die Vielfalt412 „auszuhalten": „Dabei sind nicht nur recht unterschiedliche theologische und homiletische Positionen auszuhalten, vielmehr werden gerade in den Beiträgen, in denen wünschenswert praktisch' meditiert wird, die oft recht divergenten Erkenntnisse und Erfahrungen auf den Kanzeln und unter den Kanzeln greifbar." Der Schriftleiter richtet an seine Leser „die herzliche Bitte, beim Durcharbeiten der .Meditationen' diese Unterschiedlichkeiten zu bedenken und nicht gleich zu reagieren: Damit kann ich nichts anfangen. Unnötig zu sagen, daß sich diese Verschiedenheiten nicht einfach als Ost-West-Differenzen beschreiben lassen; die Landschaften sind allesamt bunter." 4 1 3

Merkel spricht im Blick auf die GPM immer in einem Atemzug von Bewahrung und Veränderung. Es gilt, „das Gesicht der ,Meditationen' [zu] wahren und [zu] gestalten" Er wünscht sich Mitarbeiter, die danach streben, „das Bewährte zu bewahren und dem Neuen aufgeschlossen zu sein"414. Das Verdienst Fürsts bestand in seinem Beitrag dazu, „daß die 409 F. Merkel [1993/94], 1. 410 H.J. Iwand, hier zitiert bei F. Merkel [1990/91], 363. 411 Ebd. 412 Den Begriff Vielfalt gebraucht Merkel bemerkenswerterweise in diesem Fall nicht. Er spricht stattdessen von Unterschieden, Verschiedenheiten, Divergenzen und benutzt damit negative und neutrale Begriffe. Von einer positiven Konnotation könnte man allein im Blick auf die ,Buntheit' der Landschaft sprechen. 413 F. Merkel, [1992/93], 1. 414 Ders. [1990/91], 1.

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GPM ihren unverwechselbaren Charakter erhalten und fortentwickeln konnten" 415 . Es ging darum, „das unverwechselbare theologische Profil der GPM zu wahren, ohne sich Neuerungen zu verschließen"416. Sieht man einmal von der knappen Aufgabenbeschreibung der Meditationen ab417, finden sich keine Hinweise, denen der Leser entnehmen kann, worin präzise das „unverwechselbare theologische Profil" besteht, das bewahrt werden soll, und welche Entwicklungen oder gar Neuerungen positiv aufgenommen werden sollen. Vermutlich handelt es sich im wesentlichen um die konzeptionelle Offenheit, die bestehen bleiben soll. Die Neuerungen dürften weniger die Konzeption betreffen, da den Mitarbeitern ja methodisch kaum Vorgaben gemacht werden. Sondern sie betreffen vielmehr generell die in den Meditationen wirksam werdenden theologischen Positionen und die Erfahrungen, die „in die Predigtarbeit eingebracht"418 werden. Das .Einbringen' von Erfahrungen setzt Merkel offensichtlich voraus. Erfahrungen werden in der Predigtarbeit immer wirksam. Aber er bewertet diesen Sachverhalt ausdrücklich positiv und ruft die Mitarbeiter, ihre eigenen Erfahrungen in ihre Predigtarbeit einzubeziehen. Der Seitenblick auf einige homiletische Veröffentlichungen von Friedemann Merkel soll dazu dienen, das Profil des Schriftleiters etwas näher bestimmen zu können und zu illustrieren. Merkel geht von einer „Prävalenz der biblischen Tradition"419 in der Predigtarbeit aus. Neben dieser Vorrangstellung der Arbeit am biblischen Text 420 aber bringt Merkel sehr deutlich die Bedeutung der Hörer für den Vollzug der Predigtarbeit zur Geltung. Die „Auseinandersetzung mit der Gemeinde und mit der Welt" 421 ist konstitutiv für die Predigtvorbereitung. Die Predigt tritt ein „in die Auseinandersetzung mit den Zweifel und Versuchung weckenden Anfragen der Zeit"422. Einer methodischen Berücksichtigung von Text und Hörersituation gleichermaßen stimmt Merkel offenbar zu, eine theologische Gleichrangigkeit jedoch lehnt er ab423. Anläßlich der Herausgabe der Homiletik Karl Barths kritisiert er an Barth, daß bei ihm die Hörer entschieden zu wenig berücksichtigt werden. Er bezieht sich zwar einerseits positiv auf Barth424, andererseits distanziert er sich

415 AaO., 253. 416 Ders. [1993/94], 1. 417 Ders. [1990/91], 2. Oben zitiert. 418 AaO., 1. 419 Ders. [1971], 44. 420 Zu beachten ist, daß damit nicht allein die einzelne Predigtperikope gemeint ist, sondern daß der Begriff der biblischen Tradition umfassender ist. 421 Ders. [1968], 202. 422 Ders. [1992a], 22. 423 Ders. [1971], 47. 424 AaO., 196; ders. [1992a], 16.

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jedoch auch deutlich von ihm mit seiner Kritik an der mangelnden Berücksichtigung der Hörer. Predigt ist für Merkel immer auch „Interpretation" 425 , d.h. er rechnet mit einer individuellen und kreativen Beteiligung des Predigers. Um die Predigtarbeit näher zu charakterisieren, greift er auf Schleiermacher zurück, der die Vorbereitung des Predigers als ein dialogisches Verfahren beschreibt: ,,[E]s ist ein Dialog mit seiner Schriftstelle, die er fragt und die ihm antwortet, und mit seiner Gemeinde" 426 . Das Gespräch, das entsteht, führt schließlich zur „Einheit von Text und Thema im Prediger und durch ihn in der Gemeinde" 427 . Predigtarbeit stellt sich demnach dar als „doppelter Dialog"428. Nähere methodische Hinweise finden sich nicht. In einem Buchbericht aus dem Jahre 1971 findet man in der Eingangspassage Äußerungen, die darauf hinweisen könnten, auch Merkel konstatiere wie seine Vorgänger in der Schriftleitung der GPM eine zeitgenössische Predigtnot. „Wer die gegenwärtigen Probleme des Gottesdienstes und besonders der Predigt mit wachen Augen sieht, der meint oft, daß wir uns heute in einer exzeptionell schwierigen Lage befinden"429. Aber er kommt schließlich zu der Einschätzung, daß es keinen Anlaß gibt, „die mancherorts vorgetragene These, daß die Zeit der Predigt vorbei sei", zu teilen. „Die Bemühungen um sie und deren Ergebnisse sprechen jedenfalls dagegen."430 5.6. Die Evangelischen Predigtmeditationen (EPM): 1972-1991 1949 hatte Hans Joachim Iwand eine Lizenzzusage für die Evangelische Verlagsanstalt (EVA) erhalten: Die Göttinger Predigtmeditationen mit Beiträgen von Autoren aus dem ostdeutschen Kontext konnten schließlich seit 1954 auch in der D D R und anderen osteuropäischen Ländern erscheinen431. Die Entstehungsgeschichte der Göttinger Predigthilfen ist in diesem Zusammenhang zu beachten. Dem Erscheinen der GPM im Verlag ab 1947 ging der Austausch von Meditationen als „streng theologische Traktate zur Predigtvorbereitung" 432 in der ostpreußischen Pfarrerschaft voraus. Das Er425 Ders. [1992a], 21. 426 F. Schleiermacher [1850], 148, zitiert bei F. Merkel [1992b], 41. 427 F. Merkel [1992b], 41. 428 Ebd. 429 Ders. [1971], 40. 430 AaO., 52. 431 1954 bis 1972 erschienen die GPM als Lizenzausgabe in Berlin (Ost). 1972/1973 bis 1990/1991 waren die EPM ein selbständiges Schwesterunternehmen. 1991/1992 erschienen EPM und GPM in zwei Ausgaben, aber miteinander identisch. Seit dem Jahrgang 1992/93 erscheinen die wiedervereinigten GPM. 432 Chr. Bizer [1996], 412. Er weist auf folgendes hin: „Im Hintergrund der Gattung stehen die unzähligen Predigten, die in der Bekennenden Kirche mit acht Durchschlägen und mehr, auf mechanischen Schreibmaschinen einzeilig abgetippt, über regelrechte Verteilersysteme als Band geistlicher Gemeinschaft verbreitet wurden." (Ebd.)

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scheinen derselben Predigthilfe in Ost und West ist nicht losgelöst zu sehen vom konzeptionellen Selbstverständnis der GPM. Ziel der Bemühung um die Predigt ist die Uberwindung von Gegensätzen und Differenzen im Dienst an dem einen unteilbaren Evangelium, das seine einheitsstiftende Wirkung entfaltet, wo es bezeugt wird433. Das Erscheinen der Lizenzausgabe war mit einigen Beschwernissen verbunden. Änderungen waren vorzunehmen nach Maßgabe des Kulturministeriums434. Die Vorlage der Beiträge beim Kulturministerium erforderte einen vorgezogenen Abgabetermin. Dennoch verhinderte das Zensurverfahren bisweilen ein pünktliches Erscheinen. Geplante Konferenzen, an denen Autoren aus Ost und West teilnehmen sollten, konnten schließlich nicht stattfinden435. Bereits 1962 empfahl ein Gutachter eine „Neuorientierung hinsichtlich der Predigtmeditationen von Seiten des Kulturministeriums''436. Rosemarie Müller-Streisand, die von 1962/63 bis 1985/86 die EPM begutachtete, hielt sich mit Kritik zurück, solange Hans Joachim Iwand noch Herausgeber war. Denn dieser wurde von ihr als .progressiv' bezeichnet und entsprechend geschätzt. Mit der Übernahme der Schriftleitertätigkeit durch Martin Fischer seit GPM 1966/67 änderte sich ihre gutachterliche Einstellung. An die Stelle der Kritik an einzelnen Autoren tritt der prinzipielle Hinweis auf „Verfall... an reaktionäre Tendenzen". Bereits zu Heft 3 des Jahrganges 1967/68 merkte sie an, daß „das Erscheinen bei der EVA je länger je mehr problematisch" werde. Anläßlich von Heft 4 notiert sie: „Ich kann nur mein ceterum censeo aufsagen: wie lange sollen die GPM, die den Geist von Iwand längst verlassen haben, noch in der DDR erscheinen?"437 Als Martin Fischer 1970 Kirchenpräsident der EKU-Kanzlei wird, gab es Anzeichen dafür, daß dieser Wechsel des Schriftleiters von seinem Lehrstuhl in ein kirchenleitendes Amt von den DDR-Behörden nicht hingenommen werden würde. Die Sorge, daß die GPM mit Martin Fischer als verantwortlichem Schriftleiter in der DDR nicht weiter würden erscheinen können, führte zu Überlegungen, wie man die Lizenzausgabe dennoch halten könnte. Die drohende Gefahr eines Verbotes sollte durch einen Wechsel in der Schriftleitung im voraus abgewendet werden438. Martin Fi433 Vgl oben 5.1.8. 434 Einen Einblick in die Zensur während der Schriftleitung Martin Fischers gibt die Akte 153 aus dem Nachlaß Fischers im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin. Beispielsweise durfte das Wort „Mauer" nicht verwendet werden. Es wurde stets umgeändert in „Trennung" oder „Begrenzung". 435 Z.B. 1967 in Eisenach. 436 Kurt Meier, zitiert nach S. Bräuer/C. Vollnhals [1995], 237. 437 Vgl. dazu die Darstellung aaO., 237f. 438 Günther Ruprecht schlägt zunächst vorsichtig einen Tausch zwischen Hauptund Mitherausgeberschaft vor (G. Ruprecht [1970a]). Fischer schlägt Walter Kreck oder Walther Fürst als Nachfolger vor (M. Fischer [1970c]).

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scher bot seinen R ü c k t r i t t an. W a l t h e r F ü r s t wurde zu seinem N a c h f o l g e r bestimmt 4 3 9 . D e n n o c h k o n n t e n die G P M nicht wie bisher weiter in O s t und W e s t erscheinen. Das Kulturministerium setzte sich schließlich mit sein e m Vorschlag durch, die Evangelische Verlagsanstalt solle „eine eigene Predigtmeditationsreihe der D D R aufmachen" 4 4 0 , bemerkenswerterweise mit der Begründung, daß „Predigtmeditationen notwendigerweise einer bestimmten gesellschaftlichen Situation zugeordnet seien" 4 4 1 . Die neue, v o n den G P M unabhängige „Ost-Zeitschrift", in der „überwiegend Mitarbeiter der D D R , n u r gelegentlich solche aus der Bundesrepublik, und einige aus dem Ausland mitschreiben" 4 4 2 , sollte also den DDR-spezifischen K o n t e x t in die Predigtarbeit angemessen einbeziehen, mithin die Einsicht angemessen berücksichtigen, daß sich in Predigtmeditationen das gesellschaftliche U m f e l d des jeweiligen A u t o r s widerspiegelt. D e r neue Schriftleiter vermutete hierin eine sachliche U b e r e i n s t i m m u n g theologischer T e n d e n z e n in O s t und W e s t : „ H i n t e r allem (oder als V o r w a n d v o r allem) steht das Postu-

439 Dies geschah auf der notwendig gewordenen Kurztagung „Die Lage der Theologie und die Zukunft der GPM" am 15. und 16.7.1970 in Göttingen. Das Protokoll der Tagung hält als ersten Punkt fest: „Trotz der in der Bundesrepublik reichlich erscheinenden Meditationsliteratur erscheint die Fortführung der GPM notwendig." (M. Fischer [1970g]) - Fischer ist es gelungen, mit Walther Fürst seinen Wunschkandidaten auch gegen Widerstände durchzusetzen. A. Ruprecht [1970b] notiert, er habe das Gefühl, „nicht alle Mitarbeiter sehen sich von Fürst so repräsentiert wie von Fischer", er selbst kritisiert, „daß ein Wechsel, der nicht eine Verjüngung in sich schließt, einem Lebensgesetz zuwider läuft". Der Herausgeber der WPKG, Wolf-Dieter Marsch, lehnte Fürst als Nachfolger Fischers ab. Fürst erwog, mit den GPM aus dem Verbund mit WPKG auszuscheiden (W. Fürst [1970b]). Fischer bat ihn, nichts zu überstürzen (M. Fischer [1970h]) und verteidigte ihn gegenüber dem Verlag erneut (ders. [1970f]). Walter Kreck war zuvor angefragt worden, sagte aber aus Zeitgründen ab (ders. [1970b]). Fischers vorrangiges Interesse war es offensichtlich, die theologische Kontinuität gewährleistet zu wissen. „Es war nicht ganz leicht, Prof. Fürst - Friedberg durchzudrücken statt anderer Namen, die aus der bisherigen Linie der Arbeit herausgefallen wären." (ders. [1970e]) Er vermutete hinter den Reserven gegenüber Fürst „die übliche ,Los-vonder-BK-Theologie'" (ders. [1970d]). Einig konnte er sich mit den Verlegern wissen, daß es vor allem um inhaltlich-konzeptionelle Kontinuität geht. „Der für Sie und uns übergeordnete Gesichtspunkt kann ja nur der sein, daß das Erbe Hans Iwands in rechter Weise weiterhin verwaltet, fortgeführt und behutsam so weiterhin gestaltet wird, wie er es unter dem Eindruck der heute veränderten Situation sicherlich auch getan hätte." (G. Ruprecht [1970c]) 440 Für das Kulturministerium: Frau Dr. Marquardt bei einem Gespräch mit Arndt Ruprecht und Vertretern der EVA am 26.5.1970, zitiert nach einer Aktennotiz von A. Ruprecht [1970a], 441 Ebd. 442 Ebd. Mit „Ausland" ist vor allem das östliche Ausland gemeint. Vgl. auch F. Wintzer [1994b], 552. - Das Hauptinteresse des Kulturministeriums dürfte in der Verselbständigung liegen, die jeden „gesamtdeutschen" Anspruch hinter sich läßt. (Vgl. dazu das Gutachten zu EPM 1972/73 Bd. 1 bei S. Bräuer/C. Vollnhals [1995], 234). 178

lat einer ,DDR spezifischen Theologie' ...; es unterscheidet sich kaum von dem im Westen vielfach aufgestellten Programm, dass die Situation für die Predigt bestimmend sein müsse und eben nicht der Text." 443 Indem sich die Zensurbehörde mit ihren Plänen umfassend durchsetzte, war politisch durch den Rücktritt Fischers nichts gewonnen worden444. Vom Kulturministerium wurde die Einstellung der GPM-Ostausgabe im Dezember 1970 verlangt445. Die eigenständige Herausgabe einer Predigthilfe scheint jedoch von einigen Theologen innerhalb des BEK begrüßt worden zu sein446. Am 5. Januar 1972 konnte in einer gemeinsamen Besprechung von Herausgebern der GPM, des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht, von Vertretern der Evangelischen Verlagsanstalt und der künftigen Evangelischen Predigtmeditationen447 die zukünftige Zusammenarbeit von GPM und EPM diskutiert werden. Auch in dieser Zusammenkunft wird die „Chance einer regional orientierten Zeitschrift" gesehen, da die Verkündigung „stark situationsabhängig" sei. Allerdings wird beschlossen, einen Teil der Beiträge, etwa sechs pro Jahr, künftig auszutauschen, „da trotz politischer Systemunterschiede die Gemeindesituation doch recht ähnlich sei"448. In ihrem Gutachten zum ersten Band der EPM urteilt Müller-Streisand: „Insgesamt hat sich vom Inhaltlichen her gegenüber den GPM im Grunde nichts gebessert, unter einer neuen Fahne führt das Schiff mit alter Mannschaft den alten Kurs."449 Während sich dieses Urteil vor allem auf die Autoren und ihre kirchenpolitischen Positionen bezieht, merkt sie in inhaltlicher Hinsicht an: „Die Mehrzahl der Meditationen ist blaß und besteht zu 9/10 aus Exegese; die eigentlichen Meditationen bleiben meist sehr allgemein".450 Durch den Austausch der Meditationen und den Wechsel zweier GPM Herausgeber zu den EPM, durch die Übernahme des Abonnentenkreises sowie den Sachverhalt, daß die EPM in den GPM geschichtlich ihre Wurzel 443 W . Fürst [1971], 444 Dies beklagt Fischer in einem Brief an seinen Nachfolger (M. Fischer [1971]). 445 A. Ruprecht [1971], 446 Vgl. ebd. 447 Den Vorschlag, „das Wort Göttinger im Titel fallen zu lassen und eventuell durch ,Evangelische' zu ersetzen", hatte Günther Ruprecht gegenüber der E V A formuliert, als noch Hoffnung bestand, eine gemeinsame Zeitschrift zu halten (G. Ruprecht [1970b]). Die Herausgeber sind Karl-Heinz Bernhardt, Heinz Blauert und Johannes Hempel. Blauert hatte bis dahin die Meditationen der Zeitschrift,Zeichen der Zeit' betreut, Bernhard und Hempel waren seit Heft 1 des Jahrganges 1970/71 Mitherausgeber der GPM. Zu den homiletischen Akzenten Hempels vgl. J. Hempel [1974], 448 Gedächtnisprotokoll [1972]. Wenn hier die Gemeindesituation angesprochen wird, so ist mitzubedenken, daß in den EPM deutlich mehr Pfarrer mitarbeiteten als in den GPM (vgl. F. Wintzer [1994b], 552). Im Auswertungszeitraum 1983 bis 1990 sind von den für Ostersonntag und Ostermontag angefertigten Meditationen insgesamt drei ausgetauscht worden. 449 R. Müller-Streisand [1972], 235. 450 Ebd.

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haben, liegt die konzeptionelle Kontinuität der EPM nahe. EPM und GPM differieren hinsichtlich der homiletisch wirksamen Grundlagen nicht. Ausführliche konzeptionelle Reflexionen gab es nicht, selten gibt es ein Vorwort der Herausgeber, das Aufschluß über das homiletische Selbstverständnis der EPM geben könnte. Das Erscheinen des siebten Jahrganges jedoch scheint einen Anlaß geboten zu haben, den homiletischen Grundlagen der Meditationen nachzugehen. Ein Aufsatz von Klaus-Peter Hertzsch wurde abgedruckt, der Hinweise dazu gibt, „was wir Prediger nötig haben und wozu auch unsere Meditationsreihe helfen will"451. Im selben Jahr 1978 hielt Eberhard Winkler auf einer Autorentagung ein Referat, in dem er zwei Jahresbände der EPM in homiletisch-konzeptioneller Hinsicht auswertete.

5.6.1. Klaus-Peter Hertzsch: Identifikation und

Horizontöffnung

„Das bedrängendste Problem bei der Predigtvorbereitung" ist, so Hertzsch, „zuletzt nicht der Text, sondern der Hörer."452 Das Hörerproblem scheint er jedoch nicht als Teil eines hermeneutischen Problems zu verstehen, bei dem es darum geht zu klären: „Wie soll man diesen Text verstehen? Was will er sagen? Wie ist das Gesagte gemeint?" Entscheidend ist vielmehr die Frage: „Wen interessiert das denn? Wird das, was ich zu sagen habe, den Hörern wichtig sein?"453 Bedrängend ist also nicht in erster Linie die Verständnisfrage, die um eine angemessene Deutung der biblischen Uberlieferung für den zeitgenössischen Predigthörer bemüht ist, sondern die Relevanzfrage, die zu begründen versucht, „warum er [sc. der Hörer] diese alten Texte verstehen soll"454. Die Welt, „die sich nicht mehr christlich versteht", erfordert demnach eine besondere Zielrichtung der Predigt, die der hermeneutischen Frage vorausgeht, indem die Predigt allererst zu vermitteln versucht, daß es sich lohnt, die biblische Tradition zu rezipieren. Im gegenwärtigen Kontext der Predigt, wie ihn Hertzsch deutet, besteht die Aufgabe der Predigt darin, die biblischen Texte dem Hörer „als nützlich und hilfreich"455 nahezubringen. Somit ist der „Gehalt" der Predigt von grundlegender Bedeutung, nicht aber ihr „Informationswert"456. Gehaltvoll aber ist die Predigt, wenn sie die Möglichkeit eröffnet, daß sich der Hörer in ihr

451 So der Herausgeber Heinz Blauert in seiner Vorbemerkung (H. Blauert [1978/ 79]). 452 K.-P. Hertzsch [1978/79], 7. 453 Ebd. 454 AaO., 8. 455 Ebd. 456 Die Unterscheidung führt Hertzsch (aaO., 9) ein. Es ist zu fragen, ob der Begriff Information nicht gerade den von ihm formulierten zweiten Aspekt der Predigt, die Neuheit, angemessen wiedergibt.

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wiederfindet. Gelingt es der Predigt, daß der Hörer „sein eigenes Leben" 457 in ihr widergespiegelt sieht, so wird sie nicht nur der Relevanzfrage des zeitgenössischen Hörers gerecht, sondern entspricht damit auch in vorzüglicher Weise der Intention der biblischen Texte. „All ihre [sc. der Bibel] Aussagen und Geschichten rechnen damit, daß der, der da angeredet wird, etwas aus seinem Leben wiedererkennt, ... daß er eigene Erfahrung, eigene Erinnerung und eigene Sehnsucht, eigene Furcht und eigene Hoffnung hinzu- und in das Gesagte einfügt." 458 Dieser „Modellcharakter" der biblischen Texte, die von wiederkehrenden Situationen und Geschichten erzählen, „als wären sie irgendwo irgendwem geschehen, und geschehen doch überall und ständig", kommt in der Predigt zur Geltung, wenn diese auf Wiedererkennung zielt und „im biblischen Text unsere lebendige, selbst erfahrene Wirklichkeit entdeckt und aufdeckt, daß sie es den Hörern ermöglicht, sich im Gesagten wiederzufinden." 459 Das homiletische Verfahren, das Hertzsch vorschlägt, ist die „Identifikation" 460 . Aber es kann nicht nur um Identifikation und Wiedererkennen gehen, „es geht zugleich um Neuverstehen". Denn „unsere Geschichte ..., die hier zur Sprache kommt, ... wird hier durch fremde Erfahrung ergänzt und also erweitert, sie gewinnt erkennbare Alternativen oder eine ungeahnte Fortsetzung, sie erscheint unter anderen Aspekten, in einem neuen Kontext, in einem größeren Horizont" 461 . Der Identifikation tritt somit die „Horizontöffnung" 462 zur Seite. „So identifizieren wir uns mit dem Volk Israel, das sich fürchtet vor dem Einzug ins Gelobte Land ..., und doch erkennen wir zugleich: Sie brauchen sich doch gar nicht zu fürchten, Gott erwartet sie dort schon. So sind wir die prahlenden Jünger und wissen doch zugleich: Ehe der H a h n kräht, fallen sie alle um. So sind wir die, die den Lebendigen bei den Toten suchen, und wissen doch als Leser und Hörer ganz gut: Sie suchen falsch." 4 6 3

Hertzsch rechnet damit, daß immer auch eine neue Perspektive auf das eigene Leben gewonnen werden kann. „So gewinnt unser Leben, das wir im Text wiedererkannt, assoziiert, mit eingebracht hatten, eine Klärung und Öffnung, eine neue Deutung und Tiefenschärfe." 464 457 AaO., 10. 458 Ebd. 459 Ebd. Einerseits spricht Hertzsch von allen Aussagen und Geschichten der Bibel, andererseits sagt er, daß der Modellcharakter auf viele Aussagen zutrifft. Insbesondere auf die Urgeschichten der Genesis und die Gleichnisse Jesu weist er in diesem Zusammenhang hin. Die Frage, ob tatsächlich alle Texte modellhaft zu verstehen sind, wird m.E. nicht ausreichend geklärt. Allerdings versucht Hertzsch zu erweisen, daß selbst „das ein für allemale in Christus Geschehene ... auf Wiedererkennbarkeit hin erzählt" ist. Seine Begründung vermag freilich kaum zu überzeugen, da er sich rhetorisch ein Wortspiel zunutze macht: „Er ist an unserer Stelle gestorben - also auch an der Stelle, an der wir heute stehen." (Ebd.) 460 AaO., 12. 461 AaO., 11. 462 AaO., 12. 463 AaO., 11. 464 Ebd.

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Hertzsch geht mit seiner Meditationstheorie nach wie vor vom biblischen Predigttext aus. Von ihm aus werden in Gestalt von Identifikationen Bezüge auf die gegenwärtige Wirklichkeit hergestellt. Ausgedehnte narrative Passagen der Predigten intendieren die Identifikation des zeitgenössischen Hörers mit den biblischen Protagonisten. In der Predigtarbeit versucht der Prediger zunächst „das richtige Stück unseres Lebens" 465 in den Texten zu erkennen. Ein assoziativer, vorwissenschaftlicher Auslegungsgang oder auch das ,unbefangene Gespräch mit andern'466 fördert Identifikationsmöglichkeiten zutage. Die Exegese sollte dann erst angeschlossen werden. Von ihr erwartet Hertzsch offenbar den Ertrag für die Horizontöffnung 467 . Der Angelpunkt des homiletischen Verfahrens ist die Annahme, daß der Hörer im Text steckt. Damit birgt der Predigttext selbst den Bezug zur Wirklichkeit des gegenwärtigen Hörers in sich. Text und Wirklichkeit werden stets durch dasselbe Verfahren, die Identifikation, miteinander verbunden. Unser Leben, unsere Erfahrungen, wir selbst sind „im Text enthalten"468. Die Suche nach Identifikationsfiguren und -konstellationen in der Predigtarbeit gewinnt durch die Problemanzeige, daß es vor allem um den Aufweis der Relevanz der biblischen Tradition für das Leben der Menschen geht, eine besondere Zielrichtung. Die Bedeutung der Texte wird vor allem funktional verstanden. Versteht es die Predigt, „eine positive Erfahrung" mit den Texten zu vermitteln? Erweisen sie sich „als nützlich und hilfreich"469? Weniger ihr semantischer Gehalt steht im Vordergrund des Interesses, die Auslegung zielt vielmehr von vornherein auf die Wirkung. Inhalt und Relevanz, oder: Information und Gehalt, wie Hertzsch differenziert, werden hier programmatisch auseinandergerückt ebenso wie die korrespondierenden Arbeitsgänge: die Auslegung und die Suche nach der Relevanz. Diese Differenzierung steht im Dienste der Akzentuierung des jeweils zweiten Teils der Begriffspaare: Relevanz und Gehalt gehen vor Inhalt und Information. Entsprechend ist die Predigtarbeit vor allem als Aufzeigen von Relevanz zu gestalten und nicht als Auslegung. Der Aufsatz widmet sich eindringlich der Frage nach dem Situationsbezug in der Predigtarbeit und in einer Predigthilfe und plädiert für eine deutlichere Bezugnahme. Mit seiner Empfehlung, assoziative und dialogische Arbeitsgänge der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Predigttext vorausgehen zu lassen, rückt er jedoch auch ab vom klassischen konzeptionellen Modell der GPM, das mit der (historisch-kritischen) Exegese ein465 AaO., 12. 466 Ebd. 467 „Aus dem, was uns selbst auf- und einfiel, und dem, was dann die Exegese uns zeigt, ergibt sich erst die homiletische Spannung. Eins braucht das andere: die Identifikation und die Horizontöffnung." (Ebd.) 468 Ebd. 469 AaO., 8.

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setzt. An entscheidender Stelle jedoch bleibt Hertzsch der homiletischen Grundannahme verhaftet, daß der Text selbst die Bezüge auf die gegenwärtige Wirklichkeit enthält und diese in der Predigtarbeit nur noch „gefunden"470 werden müssen. Diese homiletische Voraussetzung spitzt Hertzsch gewissermaßen zu. Denn Text und gegenwärtige Wirklichkeit sollen durch das Verfahren der Identifikation miteinander vermittelt werden.

5.6.2. Eberhard Winkler: Die homiletische Situation methodisch verstärken Das Referat im Rahmen der Autorentagung am 4.9.1978 setzt ein mit der Auswertung der beiden letzten Jahrgänge der EPM. Insbesondere zwei Beobachtungen hebt Winkler hervor: Die Beiträge differieren zunehmend hinsichtlich ihrer homiletischen Konzeption. An die Stelle der starren Abfolge von der Exegese zur Predigt sind unterschiedliche Gestaltungsmodelle getreten, die insgesamt ein bunteres Bild bieten. Zunehmend werden Assoziationen zum Text an den Anfang gestellt und der Praxisbezug verstärkt. Vor dem Hintergrund konzeptioneller Offenheit 471 haben sich Modelle herausgebildet, die als Modifikationen der klassischen Struktur zu bewerten sind. Mit Seitenblick auf das Schwesterunternehmen in der Bundesrepublik stellt Winkler fest, daß die homiletische Bedeutung der Situation stärker als in den GPM hervortritt 472 , jedoch „auffallend selten wird auf die spezif. Situation in der D D R Bezug genommen. Wenn überhaupt, dann meist innerkirchlich" 473 . Der Verstärkung des Praxisbezuges steht somit ein Mangel an DDR-Situation gegenüber. Winkler kritisiert hier offenbar die Reduktion der Praxisbezüge auf bestimmte Bereiche, die das Leben „außerhalb der Kirchenmauer" 474 ausklammern. Das Hauptaugenmerk liegt auf der innerkirchlichen Situation475. Trotz einer Verstärkung des Praxisbezuges werden die „Lebensfragen der Hörer" 476 wenig berücksichtigt. Als Ursache macht Winkler die Situation in der D D R geltend, die eine doppelte „Furcht" bei den Autoren bedinge. Positive Hinweise auf die Situation in der sozialistischen Gesellschaft könnten „Widerstand" bei den Predigern hervorrufen, negative Hinweise, die die Verhältnisse kritisieren, würden eventuell Anstoß bei der Zensur erregen. Daraus resultiere vermutlich der beobachtete „Verzicht" 477 . 470 AaO., 12. 471 E. Winkler [1978], 2, spricht davon, daß eine „homil. Konzeption ... nicht erkennbar" ist. 472 „Die Homil. Bedeutung der Sit. tritt stärker hervor als in GPM" (ebd.). 473 Ebd. 474 AaO., 3. 475 Als Beispiele nennt Winkler „kleiner werdende Gemeinden, Gefahr der Resignation u. dgl." (2), und er hat somit vor allem eine negativ qualifizierte, innerkirchliche Wirklichkeit im Blick. 476 AaO., 3. 477 Ebd. 183

Die Anregungen, die der Referent im Anschluß an seine Beobachtungen vorträgt, zielen insbesondere auf die Methodenfrage und die Frage nach dem Stellenwert der homiletischen Situation. Winkler schlägt vor, in den EPM ein Forum für homiletische Diskussion und Selbstreflexion entstehen zu lassen. Modelle sollten erarbeitet werden, die den Autoren als Vorschläge dienen könnten. Er begrüßt zwar die beobachteten Tendenzen zur Modifikation des klassischen Weges von der Exegese zur Predigt, hält es jedoch für angezeigt, die Methodenfragen nicht weiterhin „dem Schöpfertum der Bearbeiter [zu] überlassen", um die Konkretheit und Anschaulichkeit der Predigtmeditation „methodisch zu verstärken" 478 . Eine solche Forderung nach methodischer Klärung und Verstärkung der Wirklichkeitsbezüge rührt jedoch an das homiletische Selbstverständnis der G P M / E P M . Der Grundsatz, daß aus der Beschäftigung mit dem Text der Weg zur Predigt von selbst erwächst und die gegenwärtige Wirklichkeit daher nicht selbständig in die Predigtarbeit einbezogen werden muß, widerspricht dem Vorschlag, den Praxisbezug zu verstärken. Vor allem aber ist die Empfehlung, sich um die Methodisierbarkeit der Predigtarbeit zu bemühen und modellhafte Verfahren den Bearbeitern vorzugeben, mit dem homiletischen Selbstbewußtsein der G P M / E P M und einer erklärtermaßen offenen, eben nicht methodisch orientierten Meditationstheorie kaum zu vereinbaren. Die Anregungen Winklers wurden nicht aufgenommen, sie zeigten keine Wirkung. Im Rückblick auf sein Referat und die sich anschließende Diskussion erinnert sich Winkler: „Es sprachen vor allem Kollegen v o m exegetischen Fach, die der Meinung waren, die richtige Exegese sei die Hauptsache und im Grunde das Einzige, das man objektiv klären und vorgeben könne. Die praktische Umsetzung müsse jedem überlassen werden, ja dürfe den Predigern und Predigerinnen gar nicht abgenommen werden." 4 7 9

Die EPM haben sich konzeptionell nicht weiter- und damit auch nicht von den GPM fortentwickelt. Die eher seltenen homiletischen Reflexionen 480 bewirkten keine Veränderungen am Entwurf der Predigthilfe. Die EPM können daher in homiletisch-konzeptioneller Hinsicht als Schwesterunternehmen der G P M gelten. Anläßlich des Auszuges der EPM aus den GPM wurde mehrfach der Plan formuliert, eine Predigthilfe herauszugeben, die die spezifische Situation in der D D R in der Predigtarbeit berücksichtigt 481 .

478 AaO., 5. 479 E. Winkler [1995]. 480 Auf den Autorentagungen mußte man sich auch mit den jeweiligen Tendenzen des Kulturministeriums befassen. Das war zweifellos zeitaufwendig. 481 So zum Beispiel der EPM-Mitherausgeber H. Blauert (vgl. Gedächtnisprotokoll [1972]).

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Offenbar hat man erwartet, daß sich der Situationsbezug automatisch dadurch einstellt, daß - sieht man einmal von dem regelmäßigen Austausch der Beiträge mit den GPM ab - Autoren aus der DDR für Prediger in der DDR schreiben. Der Befund von Winkler konstatiert demgegenüber jedoch einen Mangel an Bezügen für das Leben der Predigthörer in der DDR außerhalb der Gemeindegrenzen482. Der Situationsbezug fokussiert sich gerade auf das Leben innerhalb der Gemeinde, während doch das Leben der Menschen, sofern sie nicht hauptamtliche kirchliche Mitarbeiter sind, in der Hauptsache außerhalb der Kirchenmauern stattfindet. Von den einleuchtenden Gründen, die Winkler angibt, einmal abgesehen, liegt es durchaus nahe, die Ursache für diesen Mangel in der konzeptionellen Anlage der EPM zu sehen. Ist der Situationsbezug nicht methodisch geklärt, so liegt es nahe, daß der Autor als professioneller kirchlicher Mitarbeiter, der für Pfarrer schreibt, sich vor allem auf die gemeinsame innerkirchliche Lage bezieht.

5.7. GPM und EPM: Homiletische Tendenzen Der Zeitraum, in dem die genannten Schriftleiter wirkten, erstreckt sich über 50 Jahre483. Der theologiegeschichtliche Horizont hat sich in diesem halben Jahrhundert erheblich verändert, und auf dem Gebiet der Homiletik hat es zweifellos manche beträchtliche Entwicklung gegeben484. Ein Wechsel in der Schriftleitung brachte selbstverständlich immer auch neue Impulse und Akzentuierungen mit sich. Dennoch lassen sich Grundzüge 482 Das sahen die Herausgeber offenbar anders. „Wir bemühen uns, eine methodisch geklärte homiletische Hilfe für die Alltagsarbeit des Predigers anzubieten, die an den Fragen nicht vorbeigeht, welche sich angesichts christlicher Existenz in einer sozialistischen Gesellschaft stellen und predigttextbezogen reflektiert werden wollen." (K.-H. Bernhardt/H. Blauert/J. Hempel [1979/80]; Hervorhebungen B.W.) Dies wird übrigens ausdrücklich festgehalten als Ergebnis der Mitarbeitertagung im September 1978. 483 Mit der Ubergabe der Schriftleitung an Christian Möller zum Kirchenjahr 1996/97 erscheinen die GPM im 50. Jahrgang. Möller führt mit Heft 2 eine Neuerung ein: Jedes Heft der GPM wird mit einem kurzen homiletischen Aufsatz von unterschiedlichen Autoren eingeleitet. Bisher erschienen: ,Kanzelscham' von R. Bohren [1997] und .Geschichten erzählen in Predigt und Gottesdienst' von H.-J. Uhle [1997]. Man kann dies verstehen als ein Anknüpfen an die ausführlichen homiletischen Vorbemerkungen von Iwand und Fischer, mit denen diese das homiletische Selbstverständnis und die Predigtpraxis der Leser zu beeinflussen suchten. 484 Eine einschneidende Entwicklung bedeutete zweifellos die von Klaus Wegenast für die Religionspädagogik konstatierte .empirische Wendung', die zugleich auch für andere praktisch-theologische Disziplinen seit den 60er Jahren zu beobachten ist (K. Wegenast [1968]). Aber auch von diesem Datum abgesehen sind Veränderungen nicht zu übersehen. Vgl. zu den letzten 15 Jahren überblicksartig H. Schröer [1982], F. Wintzer [1987] und ders. [1994a].

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beobachten, die allen Schriftleitern gemeinsam sind und das Profil der GPM beschreiben. Der Rückbezug auf die homiletische Position des Gründervaters, Hans Joachim Iwand, hat die Tendenz unterstützt, die Konzeption im wesentlichen zu bewahren. Der langjährige Einfluß von Martin Fischer hat zusätzlich für Kontinuität gesorgt485. Im folgenden sollen die gemeinsamen homiletischen Grundeinsichten, wie sie in den GPM wirksam werden, zusammenfassend aufgezeigt werden. Unterschiedliche Akzentuierungen und Differenzen werden freilich mitberücksichtigt. Es wurde bereits festgestellt, daß die GPM methodisch offen sind486. Es mag daher das homiletische Profil näher konturieren, wenn man die Anschreiben in den Blick nimmt, mit denen die Schriftleiter die Autoren um Beiträge gebeten haben. Welche konzeptionellen Vorgaben wurden gemacht? Gemeinsame Tendenzen treten bei einer solchen Untersuchung ebenso zutage wie besondere Akzentsetzungen, Ergänzungen und Veränderungen, die der jeweils neue Schriftleiter in seinem Einladungsschreiben gegenüber seinem Vorgänger vorgenommen hat487. 5.7.1. Die Einladungsschreiben: Eine „homiletische Auslegung"4™ wird erbeten Homiletische und methodische Bemerkungen nehmen in den Einladungsschreiben nur relativ wenig Raum ein. Allerdings zeigt die Synopse der Briefe, daß es im Laufe der Zeit zu einem Anwachsen der Gestaltungshinweise für die Autoren gekommen ist489. Das mag nur zu einem geringen Teil auf die Vergrößerung des Mitarbeiterkreises zurückzuführen sein, bei 485 Martin Fischer hat zudem weit über seine eigene zehnjährige Schriftleiterschaft das homiletische Profil der GPM mitbestimmt, indem er nicht nur seinen unmittelbaren Nachfolger Walther Fürst bestimmte (M. Fischer [1970e]), sondern auch dessen Nachfolger Klaus-Peter Jörns empfahl und bereits den Namen Friedemann Merkel nannte (ders. [1981]). 486 F. Wintzer [1994b] stellt in seiner Rezension der EPM 1985/86 bis 1989/90 fest: „Grundsätzlich ist den E P M künftig ein deutlicheres Profil zu wünschen." (552) 487 Eine Mitarbeiterin von Vandenhoeck & Ruprecht, Frau Uta-Ε. Zwipp, antwortete auf meine Anfrage nach dem Zustandekommen der Einladungsschreiben: ,,[i]ch denke jedoch, daß der jeweilige schriftleitende Herausgeber dieses nach dem Vorgängerschreiben immer wieder neu überarbeitet und aktualisiert hat, wahrscheinlich ohne die anderen Herausgeber einzubeziehen." (Vandenhoeck & Ruprecht [1996]) 488 Der Begriff stammt aus dem Schreiben der Schriftleiter an die Autoren. Vgl. W. Fürst [o.J.], K.-P. Jörns [o.J.] und F. Merkel [o.J.]. Er geht zurück, ohne daß dies kenntlich gemacht würde, auf Martin Doerne, der seine Predigtmeditationen im Untertitel so genannt hat. Vgl. etwa Doerne [1947], 489 Walther Fürst hat die homiletischen Hinweise gegenüber Martin Fischer deutlich ergänzt, ebenso wiederum Klaus-Peter Jörns gegenüber Fürst. Friedemann Merkel

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dem man nicht mehr ohne weiteres davon ausgehen kann, daß jeder das Profil der G P M kennt 490 . V o r allem dürfte das Interesse wirksam werden, daß die Beiträge stärker in homiletischer Perspektive verfaßt werden und das Ziel der Predigtarbeit mehr als bisher berücksichtigt wird. Denn die Hinweise, die verstärkt wurden und angewachsen sind, gehen vor allem auf die Predigt zu. Freilich wird v o r allem Textarbeit von den Autoren erbeten. Während Fischer noch lapidar eine „Meditation" erbeten hatte, haben sich seine Nachfolger darum bemüht, die Erwartungen an die Autoren zu präzisieren. „Eine sorgfältige Exegese soll den Text aufschließen und selbst schon, ebenso wie die Meditation, den Benutzern helfen, das Evangelium den heutigen Hörern zu predigen." 4 " Zwischen Exegese und Meditation wird nunmehr differenziert. Mit der Bitte, bei der Exegese Sorgfalt walten zu lassen, erhält die Exegese ein deutliches Gewicht vor der Meditation. V o n ihr werden die entscheidenden Impulse erwartet. Die Verhältnisbestimmung zur Meditation bleibt allerdings undeutlich. Wenn sie „selbst schon, ebenso wie die Meditation" einen Beitrag zur Predigt leisten soll, bleibt ungeklärt, welche unvertretbare Funktion Exegese und Meditation je für sich und im Verhältnis zueinander innerhalb der Predigtarbeit haben. Die Zweiteilung in Exegese und Meditation haben die Nachfolger übernommen und insbesondere den engen Zusammenhang v o n Exegese und

hat die Vorgaben inhaltlich nicht reduziert, aber deutlich straffer formuliert. Christian Möller hat einen völlig neuen Text verfaßt. 490 Das Standardeinladungsschreiben, das H.J. Iwand [1952] versenden ließ, enthielt nur einen Hinweis auf den Umfang der Manuskripte. Allerdings ließ er den Mitarbeitern auch Rundbriefe zukommen, in denen er sich u.a. zur Konzeption der GPM äußerte. In einem Brief an die Autoren vom 26.8.1950 hält er neben der Bitte, die „Geschichte der Predigt" stärker einzuarbeiten, fest: „Aus der Pfarrerschaft wird immer wieder der Wunsch laut, die Meditationen möchten etwas praktischer gehalten sein. Ich teile diese Meinung nicht. Praktisch gehaltene Meditationen haben wir genug, die teilweise auch vorzüglich sind, sodass es garnicht nötig ist, ihnen andere gegenüber zu stellen. Wichtig ist nach wie vor, dass unsere Meditationen den Uebergang anzeigen zwischen der Exegese, d.h. der Forschung, und der Verkündigung. Wenn wir bei den Episteln den Prediger durch bestimmte anschauliche Beispiele oder auch durch eine kurz angedeutete Disposition helfen, so wird das von den Lesern begrüsst werden ... Aber im Grunde genommen soll es dabei bleiben, dass jede Exegese in sich selber in die Verkündigung übergeht, wie es [sie!];« auch der Text, den es auszulegen gilt, selbst Verkündigung ist." (H.J. Iwand [1950]; Hervorhebung B.W.) - Auch M. Fischer [1960b] bot in seinem Einladungsschreiben nur einen Satz, der über die technischen Hinweise zur Manuskriptgestaltung hinausgeht: „Sie kennen die Arbeit und wissen, wie wesentliche Dienste die GPM den Pfarrern in Ost und West leisten." Auch F. Merkel spielt darauf an, daß der angeschriebene Autor informiert ist über die konzeptionelle Anlage der Predigthilfe: „Als bewährte Mitarbeiter/in und sicher auch als treue ,Benutzer' kennen Sie den Charakter und das Profil der GPM." (F. Merkel [o.J./b]) 491 W. Fürst [o.J.].

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Meditation betont492. Ohne einen Hinweis zur Unterscheidung der Arbeitsgänge zu geben, nennt auch Jörns als Ziel, „das Evangelium im Gespräch mit diesem Text [zu] finden und [zu] verstehen". Und zwar sollen ,,[b]eide"493, Exegese und Meditation, dies zu erkennen geben. Ein Zitat von Iwand zum Zusammenhang von explicatio und applicatio soll offensichtlich theologisch begründen, warum Exegese und Meditation betontermaßen nahtlos aneinandergerückt werden494. „Denn auch die Richtung, in der das Wort Gottes uns trifft und anspricht, liegt in ihm selbst, das Wort behält sich auch bei seiner ,Anwendung' selbst in der Hand."495 Zwischen explicatio und applicatio kann somit kaum sachgemäß unterschieden werden496. Eine Differenzierung würde immer schon den engen Zusammenhang und damit theologisch die Qualität des Wortes Gottes bestreiten. Jörns beschreibt die Arbeitsaufgabe als ein Hören. Der Meditator ist gegenüber den Lesern, „den GPM-Benutzern", der „erste Hörer"497. Somit versteht er die Tätigkeit des Meditators als die eines Predigers, freilich zunächst gegenüber den Lesern, die ja dann wiederum zu ersten Hörern und Predigern in ihren Gemeinden werden498. Die Gattung der Predigtmeditation wird hier nicht eigentlich unterschieden von der Predigt. In beiden Fällen geht es um die Weitergabe des Gehörten. Die Beschäftigung mit dem biblischen Text wird gleichermaßen und grundlegend als Hören bezeichnet, unabhängig davon, ob die Auseinandersetzung mit dem Text geschieht, indem ein Beitrag abgefaßt, eine Predigt geschrieben oder eine Predigt gehört wird. Es geht in jedem Fall darum, „das Evangelium"499 zu hören. Merkel verwendet, anders als seine Vorgänger, den Begriff Meditation nicht mehr. Die Zweiteilung von Exegese und Meditation kommt bei ihm nicht mehr vor. Statt dessen nimmt er eine Dreiteilung vor, die zwar nach wie vor der Exegese einen hervorragenden Stellenwert innerhalb des Ver492 K.-P. Jörns [o.J./a]: „Wir bitten um eine sorgfältige Exegese und um eine Meditation." 493 Ebd. 494 In der überarbeiteten Fassung formuliert K.-P. Jörns [o.J./b], daß sich Exegese und Meditation „verbinden sollen". 495 Zitat H.J. Iwand bei K.-P. Jörns [o.J./a] und ders. [o.J./b], 496 Es darf nicht „zwischen einer an sich richtigen explicatio und einer auf einem anderen Blatt stehenden ... applicatio" unterschieden werden. Zitat H.J. Iwand ebd. 497 K.-P. Jörns [o.J./a] und ders. [o.J./b] (in der überarbeiteten Fassung „erste" hervorgehoben). 498 Dieser enge Konnex wird durch den Begriff .Hören' hergestellt. Christian Möller betont ihn besonders und bringt ihn in einem Wortspiel zur Geltung: „Wer selbst zum ersten Hörer seines Textes geworden ist, kann auch andere, die über diesen Text predigen sollen, in dieses Hören mit hineinziehen und sie dazu bringen, daß sie mit ihrer Predigt etwas zu Gehör kommen lassen, was Menschen aufhorchen läßt und ihnen die Ohren öffnet." (Ch. Möller [1997]) 499 W . Fürst [o.J.]; K.-P. Jörns [o.J./a] und ders. [o.J./b],

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fahrens einräumt, jedoch die der Exegese nachfolgenden Arbeitsgänge präzisiert. Er erbittet eine „exegetische Erschließung", der eine „systematischtheologische Verknüpfung und Vertiefung" folgt, sowie „Ratschläge für die Gestaltung einer Predigt"500. Indem er Gestaltungsfragen der Predigt ausdrücklich in die Arbeitshinweise mit einbezieht, bringt er verstärkt das homiletische Ziel, die Predigt, zur Geltung. Zwar hat schon Fürst eine Predigtgliederung erbeten501, die Predigtgestaltung aber dürfte komplexer und ausführlicher zu verstehen sein, zumal Merkel darüber hinaus noch wie seine Vorgänger auch eine Predigtgliederung erbittet. Fürst und Jörns haben die Behandlung homiletischer, hermeneutischer und liturgischer Probleme vorgeschlagen, allerdings ohne sie in die Strukturierung des Beitrages aufzunehmen502. Merkel integriert den Hinweis auf die Erörterung von Problemen aus den genannten Bereichen in seinen Strukturvorschlag und klärt somit ihre Behandlung methodisch. Die Tendenz, den gottesdienstlichen Kontext in der Predigtmeditation zu berücksichtigen, ist bereits in dem Einladungsschreiben von Fürst erkennbar. Er bittet die Autoren, Gebete und Lieder vorzuschlagen503. Jörns hat dies zunächst so übernommen, um dann aber die Bitte um Gebetsvorschläge wegzulassen, allerdings für die Berücksichtigung des Kirchenjahres und der gottesdienstlichen Lesungen neben dem Predigttext zu plädieren504. Mit der Bitte um die Beachtung des liturgischen Zusammenhanges für die Predigtarbeit geht Jörns weit über bloß einzelne Vorschläge für Lied und Gebet hinaus, denn hier wird dem Gottesdienst als Kontext eine hermeneutische Funktion für die Predigt zugestanden. Aus dieser Einsicht heraus führte Jörns als Konsequenz den Abdruck der Textordnungen in den Kopf des Beitrages ein, der zunächst unter seinem Nachfolger Merkel fortgeführt wurde. In seinem Einladungsschreiben weist Merkel auf den gottesdienstlichen Konnex hin, wenn er schreibt, daß „der Zusammenhang mit dem 500 „Ohne Ihnen starre Vorgaben zu machen, möchten wir Sie bitten - um eine klare, zielgerichtete exegetische Erschließung der Perikope in ihrem Kontext; - um eine dienliche systematisch-theologische Verknüpfung und Vertiefung; - um förderliche Ratschläge für die Gestaltung einer Predigt." (F. Merkel [o.J./b]) 501 Der Hinweis auf eine Predigtgliederung findet sich im offiziellen Einladungsschreiben erstmals bei Fürst und wird dann von Jörns und Merkel übernommen. In einem Rundbrief sprach aber auch schon Iwand von der Möglichkeit, „eine kurz angedeutete Disposition" zu bieten (H.J. Iwand [1950]). 502 Vgl. W . Fürst [o.J.]; K.-P. Jörns [o.J./a]. In der überarbeiteten Fassung deutet sich bei Jörns aber bereits eine Gliederung an, die auf die Abfolge von Arbeitsschritten hinzuweisen scheint. „Formulieren Sie die Botschaft des Textes und stellen Sie homiletische und liturgische Erwägungen an, wie die Predigenden damit in der Predigtarbeit und Gottesdienstgestaltung umgehen können." (K.-P. Jörns [o.J./b]) Die Formel „Botschaft des Textes" hatte Thurneysen in einem Brief an Fischer benutzt und für die GPM vorgeschlagen. (E. Thurneysen [1964]; vgl. oben 5.2.3.) 503 W. Fürst [o.J.], mit dem einschränkenden Hinweis „ggf.". 504 K.-P. Jörns [o.J./b und c]. Vgl. dazu auch oben 5.4.

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Kirchenjahr, d.h. aber auch mit anderen Texten dieses Sonntags beachtet werden" möchte505. Seit Heft 1 des Jahrganges 1996/97 unter dem neuen Schriftleiter Christian Möller wird auf den Abdruck der Textordnungen wieder verzichtet. Die Neuerung, die Jörns eingeführt hatte, ist somit abgeschafft worden. Möller hält in seinem Schreiben an die Autoren lediglich fest: „Achten Sie auf den gottesdienstlichen und kirchenjahreszeitlichen Kontext Ihrer Perikope ... Der Zusammenklang dieser verschiedenen gottesdienstlichen Texte, den die Gemeinde ja v o r der Predigt ins O h r bekommt, kann auch den Predigttext selbst noch einmal ganz neu zum Klingen bringen." 5 0 6

Die Bitte darum, die Wirkungsgeschichte des Textes zu beachten, findet sich bei Fürst und ist von allen nachfolgenden Schriftleitern übernommen worden. Der Vorschlag, „charakteristische Hinweise auf die Behandlung der Texte in der Theologie- und Predigtgeschichte"507 zu geben, war denkbar weit gefaßt und wurde durch eine Konzentration auf „wenigstens einen Fund aus der Predigtgeschichte und -literatur"508 bzw. „ein Beispiel aus der Predigtgeschichte"509 ersetzt. Der Hinweis auf die Wirkungsgeschichte stimmt zusammen mit deren Hochschätzung durch Iwand, die sich der homiletischen Einsicht verdankt, daß die Wirkungsgeschichte die Potenz des im Text enthaltenen Wortes Gottes bezeugt510. Die Synopse der Einladungsschreiben dokumentiert das Interesse, den Autoren hilfreiche Vorschläge zu machen, sie ansatzweise auf die Konzeption der Predigthilfe aufmerksam zu machen und Rückmeldungen der Leser weiterzugeben511. Ein methodisches Verfahren wird ihnen freilich nicht vorgegeben. Die Gliederung in zwei bzw. drei Teile stellt ein offenes Strukturmodell dar, das insbesondere die Frage der Verknüpfung von Text und Wirklichkeit ausklammert und dem jeweiligen Bearbeiter überläßt. Eben dies ist offensichtlich intendiert. Die Vorschläge und Hinweise der 505 F. Merkel [o.J.]. 506 Ch. Möller [1997], 507 W. Fürst [o.J.]; K.-P. Jörns [o.J./a], 508 K.-P. Jörns [o.J./b]. Es folgt der Hinweis darauf, daß ein Fund möglich ist „von den Kirchenvätern bis zur jüngsten Vergangenheit". Jörns kommentiert dieses Vorgehen folgendermaßen: „stellen Sie so die Predigtarbeit in die Auslegungsgeschichte hinein" (ebd.). 509 F. Merkel [o.J.]. Der begründende Nachsatz, den er anschließt, nimmt die Formulierung „erster Hörer", die Jörns verwendet hatte, um den Meditator als ersten Hörer gegenüber dem Leser anzusprechen, auf, um sie freilich völlig anders zu gebrauchen. „Keiner ist der erste Exeget des Textes und keiner ist der erste Prediger der Perikope. Jeder Text hat seine Auslegungs- und Predigtgeschichte." 510 Vgl. die Beispiele oben in 5.1.11. 511 Vgl. beispielsweise F. Merkel [o.J.]: „Viele Leser/innen sind dankbar für Anregungen zu einer Gliederung einer möglichen Predigt und freuen sich über Liedvorschläge." (Hervorgehoben.)

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Schriftleiter sollen „nicht in die Freiheit der Verfasser eingreifen"512 und dürfen keineswegs als „starre Vorgaben"513 mißverstanden werden. Die entscheidende Maßgabe ist die Beschäftigung mit dem Text in der Perspektive auf die Predigt hin. Wie diese Perspektive wahrgenommen und wie das Ziel der Bemühungen, die Predigt, berücksichtigt wird, bleibt allerdings offen. Eine „homiletische Auslegung"514 wird erwartet, mithin vor allem eine Exegese, die jedoch qualifiziert ist durch ihren homiletischen Bezugspunkt und damit erkennen läßt, daß sie im Rahmen von Predigtarbeit und mit einem Interesse an der Predigt geschieht515.

5.7.2. Die Schriftleiter: homiletische Tendenzen Der biblische Text ist der maßgebliche Ausgangspunkt der Bemühung um die Predigt. Da er Bestandteil des biblischen Kanons ist, kann vorausgesetzt werden, daß er das Evangelium beinhaltet. Er hat seine Wirksamkeit bereits erwiesen und ist selbst Predigt. Die Auslegung des Textes stellt sich als Aufsuchen und Auffinden des Evangeliums dar. Die Beschäftigung mit dem Text kann somit als Hörvorgang beschrieben werden. Das Hören der alten Predigt durch den Prediger als ein gezieltes Abhören auf das Evangelium hin hat, wenn es erfolgreich geschieht, die Botschaft des Textes samt ihren zeitgenössischen Bezügen zum Ergebnis. Denn das Evangelium zielt auf das Leben der Menschen. Somit ist es in jedem Fall wirklichkeitsbezogen. Es bringt seine Wirklichkeitsbezüge gleichsam mit sich. Diese werden nicht durch den Interpreten hergestellt, sondern den biblischen Texten ist die Eigenschaft zuzuerkennen, ihre Relevanz auch für den gegenwärtigen Predigthörer bereits zu implizieren und im Auslegungsgeschehen selbst zu applizieren. Auslegung und Anwendung fallen so gesehen zusammen. Von daher werden die Wirklichkeitsbezüge immer eine gewisse Unmittelbarkeit haben. Text und Wirklichkeit müssen eigentlich nicht miteinan512 K.-P. Jörns [o.J./b]. 513 F. Merkel [o.J.]. 514 M. Fischer [1960b] bat um eine „Meditation". Fürst hat stattdessen den Begriff „homiletische Auslegung" verwendet, den Jörns und Merkel übernommen haben. 515 M. Dutzmann [1997] hält in einer Rezension zu EPM 1990/91 bis 1995/96 fest, daß „in der Regel sorgfältige Textauslegung mit homiletischer Perspektive geboten wird", die Überlegungen zur Predigt jedoch „wirken wie ein Appendix". Aus diesem Grund plädiert Dutzmann für Veränderungen, „damit die gottesdienstliche Predigt nicht nur textgemäß, sondern auch lebensnah ist." (197f) Freilich stellt sich die Frage, ob damit nicht die Konzeption der GPM grundsätzlicher angefragt ist, als dies durch einige „Veränderungen" (198) zu bewerkstelligen sein könnte. Denn deutlich ist, daß die Textauslegung stets im Zentrum steht und homiletische Hinweise an die Textauslegung - mehr oder weniger gut mit dieser verbunden - immer erst angeschlossen werden.

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der vermittelt werden. Die Wirklichkeit, auch die gegenwärtige, ist vielmehr im Text enthalten. Der Prediger, der seine Gemeinde kennt und Zeitgenosse ist, repräsentiert die gegenwärtige Wirklichkeit in der Predigtarbeit. Indem er das Evangelium hört und selbst betroffen wird, hat er das Evangelium mit seinem Wirklichkeitsbezug gewonnen und kann es in seiner Predigt bezeugen. Hier wird jedoch nicht flächig und pauschal jeder einzelnen Perikope zugesprochen, das Evangelium zu enthalten. Zwischen dem einzelnen Text und der Schrift als ganzer wird vielmehr differenziert. Streng genommen kommt der Heiligen Schrift die Eigenschaft zu, das Evangelium zu bewahren und immer wieder neu zur Wirkung zu bringen. Ihre besondere Qualität wird den Predigttexten jedoch mit ihrer Zugehörigkeit zum biblischen Kanon unterstellt. Auch bietet ihre Wirkungsgeschichte Beispiele, wie die Predigttexte die ihnen innewohnende Potenz zur Entfaltung gebracht haben. Immer aber ist bei der Auslegung des Einzeltextes der biblische Gesamtzusammenhang als Kontext mit zu berücksichtigen. Angemessen geht der Prediger mit dem Text um, wenn er sich ausführlich mit ihm beschäftigt. Die historisch-kritische Exegese trägt entscheidend zur Wahrnehmung bei, daß der Text Neues zu entdecken gibt und sich nicht hastig oder nahtlos mit dem eigenen Vorverständnis zur Dekkung bringen läßt. Die Sorgfalt, die philologische Methoden erfordern, schärft den Blick für Einzelheiten und Widerständiges. Wortwörtlich wird der Text berücksichtigt. Denn das im Text als vorhanden erhoffte und erwartete Wort Gottes ist immer ein dem Menschen fremdes und kritisches Wort. Der theologischen Qualität des Evangeliums ist daher ein Methodenkanon angemessen, der die Abständigkeit und Distanz der Texte markiert. Die sorgfältige historisch-kritische Exegese wird jedoch immer schon in einer bestimmten Perspektive geschehen. Im Rahmen der Predigtarbeit wird sie angestrengt, um das Evangelium für die Gegenwart aufzufinden. Diese Teleologie516 zeitigt Rückwirkungen auf die Exegese. Denn diese wird immer schon davon geprägt sein, evangeliumsgemäße relevante Bezüge zur gegenwärtigen Wirklichkeit aufzuspüren. Der Prediger ist selbst Predigthörer. In der Predigtarbeit hört er den Predigttext mit der Intention ab, von ihm betroffen zu werden. Allerdings ist er ein besonderer Predigthörer, denn er ist der erste Hörer gegenüber seiner Gemeinde. Das heißt, er hört stellvertretend für seine Gemeinde und mit der Intention, das Gehörte an sie weiterzuvermitteln. Er wird daher immer sein Bild von der Gemeinde mit einzubeziehen suchen. In gewisser Weise 516 Teleologisch meint in diesem Zusammenhang vor allem Zielgerichtetheit, nicht jedoch, daß etwas, was bereits wesenhaft immanent angelegt ist, entelechetisch zur Entfaltung kommt. Die Exegese geschieht teleologisch, das soll heißen, daß sie intentional dominiert wird von der Predigt, auf die hin sie durchgeführt wird.

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repräsentiert er sie in der Auseinandersetzung mit dem Text. Als Predigthörer kommt der Prediger nicht als selbständiger Interpret in den Blick. Seine homiletischen Gestaltungsmöglichkeiten richten sich darauf, die angemessene Sprache zu finden, um das, was ihm der Text zu verstehen gegeben hat, hörbar weitersagen zu können. Der Text beantwortet die Was-Frage. Das Evangelium mit seinen konkreten, zeitbezogenen Wirklichkeitsbezügen bringt sich selbst zur Geltung. Die entscheidenden Prozesse innerhalb der Predigtarbeit sind damit dem Prediger entzogen. Methodisch vorgegeben ist ihm die Auseinandersetzung mit dem Predigttext. Er wird sich um eine historisch-kritische Exegese bemühen. Entscheidend aber ist seine Bereitschaft, das erneuernde Wort zu hören. Die Predigtarbeit ist somit in erster Linie ein Glaubensakt und keineswegs methodisch - über die historisch-kritischen Methoden hinaus organisierbar. Da das Wort Gottes sich selbst zur Wirkung bringt, wird vom Prediger im entscheidenden Moment Passivität erwartet. Eine literarische Predigthilfe, die diesen homiletischen Tendenzen Rechnung tragen will, wird sich programmatisch in Selbstbeschränkung üben, und sie wird dies in doppelter Hinsicht tun. Zum einen gegenüber dem Autor der Meditation. Der Autor vollzieht und dokumentiert ein Stück Predigtarbeit. Das heißt, daß er dem Leser dabei hilft, den biblischen Text sachgemäß zu exegesieren. Er weist ihn ein in die eigene Beschäftigung mit dem Predigttext. Er wird aber auch selbst darum bemüht sein, das Evangelium im Text aufzufinden. Dazu aber lassen sich keinerlei methodische Vorgaben machen. Das Verfahren ist ihm überlassen. Man kann nur Wünsche bzw. Bitten formulieren und weitergeben, die der Meditator berücksichtigen möchte. Zum anderen wird gegenüber dem Leser eine Grenze gezogen werden. Er soll keineswegs das Zeugnis des Meditators einfach übernehmen. Vielmehr sollte er sich von dessen Zeugnis anregen und so einweisen lassen in die Arbeit mit dem Text, um schließlich selbst in der Auseinandersetzung mit dem Text im Blick auf seine Gemeinde sein eigenes unverwechselbares Zeugnis finden517. Diese Tendenzen finden sich bei allen Schriftleitern. Zunehmend werden Vorschläge zur Predigtgestaltung in die Beiträge einbezogen. Der Predigt des Benutzers werden mehr und mehr Hinweise zur Verfügung gestellt. Der gottesdienstliche Zusammenhang soll verstärkt in die Überlegungen integriert werden. Im wesentlichen aber bleibt dem Autor die methodische Vorgabe, sich intensiv mit dem Text zu beschäftigen und aus ihm heraus die wichtigsten Impulse für die Predigt zu gewinnen. Wie er diese gewinnt und welches Verfahren er anwendet, bleibt ihm überlassen, allerdings hat er sie in engem Anschluß an den Text zu gewinnen. Darin

517 W . Grab [1988] liest die Voten Iwands zutreffend als Argument für die „unabdingbare Individualisierung" der Predigtvorbereitung (244).

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liegt die grundlegende Einsicht, die das konzeptionelle Selbstverständnis und das Profil der GPM prägt. Die Arbeit am Text aber wird immer schon beeinflußt sein von der Suche nach dem Evangelium. Sachgemäße Exegese wird sich darum bemühen, ,das Evangelium' im Text aufzufinden. Das Evangelium erweist sich somit als ein Prinzip, auf das die Predigtarbeit hin ausgerichtet ist. Zugleich aber liegt hierin eine Undeutlichkeit. Denn eine präzise inhaltliche Klärung dessen, was ,das Evangelium' bezeichnet, fällt aus.

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DRITTER TEIL

Text- und Wirklichkeitsbezüge in der Predigtarbeit

Einleitung In einem ersten Teil der vorliegenden Arbeit konnten Probleme und offene Fragen angezeigt werden, die im Zusammenhang mit dem Umgang mit Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit und ihrer Verknüpfung in der Predigtarbeit anläßlich von Ostern wahrgenommen wurden. Auf die Auswertung der Predigtmeditationen im ersten Teil der Arbeit folgte die homiletische Nachfrage nach den homiletischen Theorieansätzen der Schriftleiter. Trotz der offenkundigen Unterschiede zwischen den Schriftleitern im Verlauf von 50 Jahren ließ sich doch ein für diese Predigthilfe charakteristisches konzeptionelles Profil aufweisen. In dem nun folgenden dritten Teil sollen Überlegungen formuliert und Vorschläge gemacht werden, die sich aus den vorangegangenen Arbeitsgängen ergeben. Die Homiletik der Schriftleiter wird vor dem Hintergrund der praktischen Auswertung kritisiert, so daß Problemanzeigen zugespitzt werden können. Ausgehend von der Kritik am Verfahren der GPM sollen jedoch auch ansatzweise Vorschläge formuliert werden, wie Text (6.) und Wirklichkeit (7.) angemessen wahrgenommen und in der Predigtarbeit vermittelt werden können. Schließlich soll noch einmal auf das Fest eingegangen werden, das den Anlaß der ausgewerteten Predigtmeditationen darstellt. Die Entscheidung1 fiel zugunsten einer abschließenden Konkretion der Vorschläge zum Umgang mit Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit anhand der Predigtarbeit zu Ostern (8.).

1 Es wurde von mir erwogen, die Ergebnisse dieser Überlegungen für die Konzeption einer Predigthilfe zu verwerten. Denn es ergeben sich aus der Analyse durchaus Impulse im Hinblick auf die Gestaltung dieser Zeitschriftengattung. Allerdings wäre ein solches Kapitel nur dann sinnvoll, wenn zugleich auch andere auf dem Markt befindliche Predigthilfen in die Darstellung und Diskussion einbezogen würden. Darauf wurde verzichtet, um den Rahmen dieser Studie nicht zu sprengen. Auch aus sachlichen Gründen kann darauf verzichtet werden, denn die Predigtmeditationen wurden ja in dieser Arbeit vor allem als Medium herangezogen, um auf Predigtarbeit generell zugreifen zu können.

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6. Der Text in der Predigtarbeit: Hermeneutik und Hermetik 6.1. Einheit von explicatio und applicatio Das homiletische Profil der GPM ist maßgeblich geprägt durch die Betonung, daß der Text die entscheidende Predigthilfe darstellt. Er ist der Predigtarbeit in der Regel vorgegeben. Zugleich aber ist er mehr als „Material"2, das dem Prediger für eine zu vollbringende kreative Leistung zur Verfügung steht, und mehr als ein christliches Traditionsgut, von dem man erwarten kann, daß es eine auch für den heutigen Menschen befreiende Wirkung entfalten kann, wenn es in jeder Hinsicht angemessen ausgelegt wird. Daß der Text eine dem Predigen vorgegebene Größe ist, bedeutet hier vielmehr, daß er in einem normativen Sinne zur Geltung zu bringen ist und zugleich selbst die Mittel in sich birgt, wirksam zu werden. Das Verfahren, das dieser Qualität des biblischen Textes angemessen ist, muß demnach unteilbar sein. Dies hält der mit Nachdruck vorgebrachte Hinweis fest, daß explicatio und applicatio nicht auseinanderdividierbar seien3. Geht man davon aus, daß der Predigttext selbst seine Wirkung aus sich heraus entfaltet, so darf der Auslegungsvorgang als ganzer weder durch Brüche noch durch Neuansätze abgeschnitten und somit gestört werden. Ein Mißverständnis wäre es allerdings anzunehmen, die ausschließliche Arbeit am biblischen Text genüge. Die Bezugnahmen auf gegenwärtige Wirklichkeit sind tatsächlich allererst herzustellen und nicht bereits im Text enthalten4. Im Hinblick auf die Predigtarbeit kann man kaum von wie 2 M. Josuttis [1985], 74. 3 Dieser Hinweis besitzt zweifellos eine hohe Plausibilität und wird wohl deshalb so häufig zitiert. Leider findet sich bei Iwand meines Wissens keine begriffliche Definition der beiden in Frage stehenden Begriffe, so daß letztlich unklar bleibt, was seine Entscheidung, explicatio und applicatio zusammensehen zu wollen, hermeneutisch und verfahrenstechnisch bedeutet. Der Hinweis auf den Zusammenhang fungiert als Argument zur Begründung des Verfahrens, daß Predigtarbeit identisch ist mit der Konzentration auf den biblischen Text und daß damit zugleich gegenwärtige Wirklichkeitsbezüge durch den Text erschlossen werden. Man könnte zugespitzt formulieren: Der Text entläßt die applicatio aus sich heraus. Die explicatio aber stellt dann kaum mehr als eine Vorstufe zum eigentlichen Verstehen des Textes dar. Die Ablehnung einer bloß historisierenden Erklärung des biblischen Textes in der Predigt führt hier m.E. dazu, daß die Gewichtung einseitig verschoben wird. 4 Die Einsicht, daß die im biblischen Text vorausgesetzte Situation nicht einfach identisch mit der gegenwärtigen Wirklichkeit sein kann, stand bei der Gründung der

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auch i m m e r gearteten Selbsterschließungsvorgängen des biblischen Textes ausgehen. Subjekt der Predigtarbeit ist in jeder Hinsicht stets der Prediger. Gerade i m Interesse einer sachgemäßen Textbeziehung der Predigt ist Predigtarbeit daher als selbständige Interpretationsbemühung des Predigers zu charakterisieren 5 . Einer Textbindung k o m m t , neben einer klarsichtigen W i r k l i c h k e i t s w a h r n e h m u n g und -diagnose, auch die distanzierende Freiheit v o m T e x t zugute. Die - nicht nur, aber auch historisch bedingte - abständige Perspektive, mit der der Prediger den T e x t w a h r n i m m t 6 , ist nun weder zu leugnen, n o c h gilt es, sie vorschnell überwinden zu wollen. Die Verflechtung v o n T e x t und Wirklichkeit erfordert ein komplexes Verfahren, welches das besondere A u g e n m e r k auf die A r t und Weise legt, wie T e x t und Wirklichkeit aufeinander bezogen werden. Die interpretierende L e k t ü r e biblischer T e x t e i m gottesdienstlichen K o n t e x t erfordert Transparenz i m H i n b l i c k darauf, wie die Interpretation i m A n s c h l u ß an den T e x t zustande k o m m t . D a d u r c h unterscheidet sich die öffentliche Textauslegung eines beauftragten Predigers v o n privater Bibellektüre und beiPredigtstudien im Vordergrand. In der Einladung zur Gründungstagung der Predigtstudien in Esslingen formulieren die Herausgeber Peter Krusche, Ernst Lange und Dietrich Rössler: „Wir vermuten ..., daß es quer zu allen theologischen Fronten so etwas wie einen ,negativen Konsensus' hinsichtlich der Predigtarbeit gibt. Und wir hoffen, daß es der Mühe wert sein könnte, diesen Konsensus herauszuarbeiten ... Der Inhalt des negativen Konsensus', den wir im Auge haben, läßt sich etwa in den folgenden Sätzen andeuten: Die Uberzeugung von der .Autobasileia des Wortes Gottes' ist unter uns faktisch verfälscht zu einer verhängnisvollen Theorie von der Autobasileia des Bibeltextes oder gar der kirchenamtlichen Perikope für den Predigtvollzug. Es ist aber nicht richtig, daß ,der Hörer' - der gegenwärtige Predigthörer, der Zeitgenosse - ,im Text steckt'. Es ist nicht richtig, daß die Situation, die den Text in seiner in der Bibel vorliegenden Gestalt herausgefordert und geformt hat, mit den Situationen, durch die die Kirche sich heute zur Predigt herausgefordert sieht, identisch oder auch nur ohne weiteres vergleichbar wäre. Es ist folglich nicht richtig, daß saubere Exegese des Bibeltextes gleichsam von selbst zur Predigt hinübertrüge" (P. Krusche/E. Lange/D. Rössler [1968], 9). Der „negative Konsensus" wendet sich, freilich ohne, daß die GPM genannt werden, deutlich und treffsicher gegen deren homiletische Konzeption und das hier herausgearbeitete, von ihnen angewandte Verfahren. 5 „Der Prozeß des Verstehens und Interpretierens - nicht nur von Texten - ist immer ein schöpferischer Akt." (W. Engemann [1996], 462.) Engemann legt überzeugend dar, daß es keine „Leser-geläuterte, also Interpretator-bereinigte Textinterpretation" geben kann (ebd.). Die „unglückliche Alternative zwischen intentio auctoris und intentio lectoris" (ebd.) gilt es hermeneutisch zu überwinden im Sinne einer „Kooperation" zwischen dem Text, als „Testament" des Autors, und seinem Leser (464 mit 469). 6 Wenig hilfreich ist es, die Fremdheit des zu verstehenden Gegenstandes, nämlich des biblischen Textes, in einen Zusammenhang zu stellen mit der theologischen Qualifizierung des Wortes Gottes als verbum alienum. Denn auf diese Weise wird der einfache Sachverhalt, daß ein Verstehensprozeß durch Distanz und Aneignung bestimmt ist, überhöht. Dann kann konsequenter- und orthodoxerweise nämlich nur von Selbsterschließungsvorgängen des Wortes Gottes, das sich stets selbst souverän in der Hand behält, die Rede sein, wie insbesondere von Iwand und Fischer betont wurde. 199

spielsweise von Bibelarbeit, die in Hauskreisen stattfindet. Ihrem Öffentlichkeitsanspruch7 trägt die Predigt Rechnung, wenn sie verstehbar darlegt, wie sie vor dem Hintergrund der im Predigttext notierten biblischen Aussagen zu Deutungen gegenwärtiger Erfahrungswirklichkeit gelangt. Einer reflektierten Methodik der Predigtarbeit entspricht daher die Durchsichtigkeit der Deutungen, die die Predigt vornimmt. Die Predigt setzt sich zum Ziel, dem Hörer Einsicht zu ermöglichen, nicht aber ihn zu überwältigen. Sie prononciert eine Auslegung und tritt nicht mit dem Anspruch auf, autoritative, mit göttlichem Anspruch versehene Wirklichkeitsdeutung zu proklamieren. Das Anliegen der GPM, den biblischen Text in den Mittelpunkt der Predigtarbeit zu rücken, ist unbedingt hochzuschätzen. Zu fragen ist aber, ob es tatsächlich angemessen ist, den Text als ,Norm' der Predigt zu verstehen. Die Analyse der Meditationen hat gezeigt, daß sich die Textbezüge häufig kaum plausibel nachvollziehen lassen. Die Aussagen des biblischen Textes werden im Verlauf des Verfahrens bisweilen eingeschränkt, etwa indem nur einzelne Begriffe und Teilaspekte extrahiert oder lediglich Tendenzen aufgenommen werden. Textaussagen werden metaphorisch interpretiert, um assoziativ mit ihnen weiter verfahren zu können. Die Anknüpfung an den biblischen Text in der Predigtarbeit kann in diesem Fall nur noch formal behauptet werden. Als zeitbedingt etikettierte Vorstellungen eschatologischer bzw. apokalyptischer Provenienz bleiben unberücksichtigt. Sogar ausdrückliche Widersprüche zu den Textaussagen konnten beobachtet werden. Eine Differenz zwischen dem Anspruch der GPM und der konkreten Umsetzung läßt sich konstatieren. Es schließt sich darum die Frage an, ob das normative Verständnis nicht zugunsten einer ,Loyalität' gegenüber dem Predigttext aufgegeben werden sollte. „Loyalität heißt: Bei der Ubersetzung darf die Intention des Ausgangstextes niemals aus dem Auge verloren werden."8

6.2. Verfahrenstechnische Maßgabe: Teleologie und Unmittelbarkeit Keineswegs können die hier notierten problematischen Tendenzen im Hinblick auf die Textbezüge in der Predigtarbeit monokausal auf die homiletischen Bemerkungen der Schriftleiter zurückgeführt werden. Von 7 Dem Offentlichkeitsanspruch einer gottesdienstlichen Veranstaltung wird nach wie vor im Regelfall kaum überzeugend Rechnung getragen. Vgl. zum Problem etwa P. Cornehl [1970] und den diagnostischen Titel von V. Drehsen [1986b]: „Das öffentliche Schweigen christlicher Rede". 8 Klaus Berger schlägt vor, den Begriff „Loyalität" zu verwenden, um das „Verhältnis des Ubersetzers eines Textes gegenüber dem Autor oder der Autorin" zu charakterisieren. (K. Berger [1995], 120-132: 129.)

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einer einheitlichen Homiletik der Schriftleiter kann auch angesichts der unterschiedlichen Akzente kaum die Rede sein. Allerdings gibt es durchaus konvergierende homiletische Grundsätze, die das Verfahren der G P M / EPM prägen und sich in der beobachteten Weise in den einzelnen Meditationen niederschlagen. Obgleich man also nicht meinen sollte, alle wirksamen Faktoren auf diese Weise benannt zu haben, kann man durchaus Zusammenhänge zwischen den Textbezügen und den mit den G P M verbundenen homiletischen Grundtendenzen aufzeigen. Die wesentliche Vorgabe für den Autor ist mit der Bitte um Textarbeit benannt. Seine Textauslegung, die wissenschaftlich exegetischen Ansprüchen genügen sollte, wird zugleich als homiletische charakterisiert, ohne daß verfahrenstechnische Hinweise gegeben werden, wie die homiletische Perspektive im Anschluß an die Textarbeit oder in Anbindung an sie gewonnen werden kann. Auf begrenztem Raum ist eine Exegese darzustellen, deren Ergebnisse im Hinblick auf eine Predigt reflektiert werden sollen. Von diesen Rahmenbedingungen her ergibt sich schon beinahe zwangsläufig, daß die applikativen Hinweise aus dem Text mit einer gewissen Unmittelbarkeit zu gewinnen sind. Das Verfahren zur Gewinnung von Wirklichkeitsbezügen folgt nicht der exegetischen Textarbeit nach, sondern bestimmt schon die Auslegung des Predigttextes. Der Text wird bereits mit dem Interesse bearbeitet, die gegenwärtige Wirklichkeit im Text aufzufinden. Die Wahrnehmung der biblischen Perikope wird geleitet von diesem Interesse und dürfte damit die Textarbeit in der genannten Weise bestimmen. Diese teleologische Ausrichtung der Exegese schränkt eine unbefangene Arbeit am Text ein, indem sie die Wahrnehmung des biblischen Textes bereits verengt auf die Suche nach Anknüpfungspunkten, die eine rasche und unmittelbare Bezugnahme auf gegenwärtige Wirklichkeit zu garantieren scheinen. Von dem Versuch, so schnell und bruchlos wie möglich die biblische Perikope auf die Lebens- und Erfahrungswelt der heutigen gottesdienstlichen Gemeinde zu beziehen, sollten sich jedoch Meditator und Prediger distanzieren. Zwar nehmen sie den Text im Rahmen ihrer Predigtarbeit und somit auch im Interesse einer Predigt wahr; der Predigt dient aber eine möglichst umfassende und methodisch geleitete Textarbeit, die sich sorgfältig mit dem Text befaßt, bevor sie Textaussagen auswählt, systematisch vertieft und mit Hilfe des Textes gegenwärtige Lebenswirklichkeit zu deuten versucht. Nur so dürfte der biblische Text vor einem bloß verwertenden Zugriff geschützt sein9. Mehr noch zählt, daß nur ein reflektiertes Deutungsverfahren Durchsichtigkeit ermöglicht und damit mehr bietet als die bloß formale Reklamation des Predigttextes für die subjektiven Deutun9 Scharf urteilt Engemann in einer Predigtanalyse: Der Text wird erniedrigt „zur rezitativischen Ornamentierung der Absicht der Predigt". Er ist „zur Stiege geworden, durch die der Prediger dahin gelangt, wohin er immer will" (W. Engemann [1996], 453).

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gen, die der Prediger vornehmen möchte. Transparenz im Blick auf das Zustandekommen der Predigt und die intersubjektive Kommunikabilität der Textinterpretation dürften in herausragender Weise einem genuin homiletischen Interesse entsprechen 10 . Die homiletische Perspektive wird dagegen verstellt, wenn die Arbeit des Predigers am biblischen Text als gehorsame Vorbereitung eines der Nachfrage entzogenen Selbsterschließungsgeschehens des Wortes Gottes beschrieben wird. Das Verstehen des biblischen Textes sollte weder einem wissenschaftlich plausiblen Zugriff entzogen sein, noch kann es von der Glaubenshaltung des Predigers abhängig gemacht werden 11 . Ebenso wie der Rekurs auf die Glaubenshaltung verhindert der Hinweis auf die Pneumatologie eine methodische Nachfrage und bricht das Gespräch ab. Die Inspiriertheit einer Auslegung kann bloß behauptet oder negiert, nicht aber vernünftig expliziert werden.

10 I.U. Dalferth [1996] weist auf die Notwendigkeit hin, daß die Kirchen „ihre Botschaft und ihr Gottesverständnis unmißverständlich zur Sprache bringen und ihr Bekenntnis, aus der Wahrnehmung göttlicher Wirklichkeit zu leben, in aller Öffentlichkeit so verantworten, daß eine freie Aneignung des christlichen Glaubens möglich wird, die auf Einsicht und Uberzeugung und nicht auf Überredung, spiritueller Bedürfnisbefriedigung oder religiöser Funktionserfüllung beruht." Der Theologie kommt, so Dalferth, die zentrale Aufgabe zu, „die Kirche bei dieser Pflicht zur öffentlichen Verantwortung zu behaften und gegen den modischen Trend zur mystischen Hermetik nachdrücklich auf einer öffentlichen Hermeneutik des christlichen Glaubens zu insistieren." (429Q 11 Ein solches Verständnis wird nicht nur in homiletischer Perspektive vertreten, sondern etwa bei Peter Stuhlmacher für die Exegese generell geltend gemacht: Es „lassen sich die auf Christus weisenden Heiligen Schriften (des Alten Testaments), die Jesustradition und das apostolische Zeugnis nur dann sachgemäß auslegen, wenn die Ausleger an dem Geist partizipieren, der all diese Traditionen durchweht, und ihre Auslegung kann auch nur dann verständig aufgenommen werden, wenn der Geist die Rezipienten dafür aufschließt." (P. Stuhlmacher [1995], 138; vgl. auch ders. [1993] und [1994].) Stuhlmacher schließt sich dem von Hartmut Gese formulierten Auslegungsgrundsatz an: „Ein Text ist so zu verstehen, wie er verstanden sein will, d.h. wie er sich selbst versteht." (H. Gese [1991], 249, zitiert bei P. Stuhlmacher [1995], 134.) Aus diesem Grund wird den biblischen Texten nur eine „geistliche Schriftauslegung" gerecht, „welche die historisch intensive und kritische Arbeit am Literalsinn der Schrift einbettet in die Bitte, von diesem Wort ergriffen und im Streit um die Wahrheit des Glaubens auch gehalten zu werden." (P. Stuhlmacher [1995], 143f; hervorgehoben. Positiv knüpfen an: F. Mildenberger [1997] und M. Seitz [1997].) Unklar ist, ob Stuhlmacher im Sinne einer hermeneutica sacra das Einverständnis voraussetzt oder ob dies der Bibellektüre nachfolgt. Vgl. dazu die Überlegungen von H. Weder [1997], 404f. Zur Kritik an einer Hermeneutik, die „ein inhaltlich bestimmtes Wissen" für ein sachgemäßes Verstehen voraussetzt, - auch mit Blick auf den von E. Schüssler Fiorenza [1986] vertretenen ,Verdacht' auf Androzentrismus biblischer Texte vgl. H. Weder, aaO., 408, und ders. [1996], 202

6.3. Textauslegung als ,passives Vernehmen'des Wortes Gottes Beschreibt man die Predigtarbeit an der Predigtperikope als Hörvorgang12, so ist damit einerseits zutreffend festgehalten, daß es um die Wahrnehmung der Textaussagen gehen soll, andererseits wird hier nahegelegt, es handele sich bei der Auslegung um einen einseitig rezeptiven Vorgang. Es ist unbedingt festzuhalten, daß die Auslegung eines Textes einen Interpretationsakt darstellt, der sich homiletischer Nachfrage nicht entziehen darf mit dem Hinweis auf scheinbar bloßes Hören. Die Beteiligung des Predigers an der Auslegung und Deutung des Predigttextes wird eher verdeckt als offengelegt, wenn Predigtarbeit als ein von einer Glaubenshaltung flankierter Hörvorgang charakterisiert wird. Die Maßgabe, daß das passiv Vernommene in der Predigt nur weiterzusagen ist und sich die aktive Teilhabe des Predigers an der Predigtarbeit im wesentlichen auf das Finden von Worten eingrenzen läßt13, verkennt die Bedeutung der komplexen Deutungsvorgänge, die tatsächlich einen selbständigen Interpretationsakt des Predigers darstellen. Allerdings bringt die Betonung der Passivität des Predigers in der Predigtvorbereitung das Interesse an der Potenz des göttlichen Wortes zur Geltung, das sich in der zu beanspruchenden Autorität der Predigt wie der unbedingten Normativität des biblischen Wortes äußert. Ein von menschlichen Deutungen unabhängiges Wort Gottes bringt sich selbst zur Sprache. Es löst sich aus dem biblischen Text selbständig heraus und aktualisiert sich durch den Prediger hindurch. Dieser wird als bloßes Instrument verstanden. Bloßes Hören und unverfälschtes Weitersagen des Gehörten garantieren, daß der Prediger nicht sich selbst, sondern Gottes Wort zu Gehör bringt. Daß die Predigt verläßliches Wort Gottes und nicht nur ein subjektives Wort des Predigers ist, - diese prinzipielle Grundbestimmung 12 Daß Predigtarbeit häufig als Hörvorgang charakterisiert wird, ist sicher auch vor dem Hintergrund von Rom 10,17 zu erklären. Luther gibt hier η ακοη mit Predigt wieder. Der von M. Fischer ([1951], 540 u.ö.) vorwiegend verwendete Begriff .Abhören' bringt Hören eindeutig als rein passiven Vorgang zum Ausdruck. Hören und Gehorsam sind eng verbunden. Hören kann allerdings auch als ein aktiver Vorgang verstanden werden. So legt es beispielsweise der katholische Homiletiker Klaus Müller [1994] ausführlich dar, allerdings im Blick auf das Hören einer Predigt (vgl. Kapitel 11 „Vom Hören", 235-248): „Die oder der Hörende ist ein Konstitutivum des Predigtvorgangs. Daraus wiederum folgt: Predigt gibt nicht einfach - und möglichst unbeschädigt - ein Bündel Wahrheiten weiter, sondern die Zuhörenden sind am Auffinden und Erschliessen dieser Wahrheit mitbeteiligt." (235) Die Einsicht in die Mitbeteiligung der Hörer beim Hören basiert auf der Entdeckung rezeptionsästhetischer und semiotischer Theoriebildungen für die Homiletik. Vgl. grundlegend W . Iser [1979], aber auch U. Eco [1987] und ders. [1990]. Zur Aufnahme in die Homiletik vgl. vor allem W . Engemann [1993], [1992b], [1991] und [1990], sowie W . Engemann/R. Volp [1992] und R. Volp [1992]. Vgl. dazu auch den Sammelband zur Ästhetik, herausgegeben von Th. Vogel [1996]; darin besonders G. Ueding: „Niemand kann größerer Redner sein als Hörer." 13 Vgl. M. Fischer [1952], 72 u.ö.

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gilt es, z.B. für Fischer, unbedingt zu sichern. Seine Hinweise zur Predigtarbeit sind daher vor allem geprägt durch das Interesse, die Autorität der Predigt zu behaupten. An dieser Stelle zeigt sich mit aller Deutlichkeit, wie ein bestimmtes dogmatisches Predigtverständnis die faktischen Gegebenheiten von Predigtarbeit ignorieren muß. Daß die Predigt die Auslegung einer biblischen Perikope darstellt14, ist eine entscheidende Maßgabe. Da die Auslegung jedoch als Se/feiauslegung des Wortes Gottes gesehen wird, rücken die interpretatorischen Anteile innerhalb der Predigtarbeit in den Hintergrund. Es entsteht ein Gefälle: Die Aussagen des Textes gilt es unbedingt in der Predigt zu piazieren. Die Predigtarbeit gerät dann aber unter die Herrschaft eines solchen einseitig normativen Verständnisses. Dieses Autoritätsverhältnis zwischen Text und Predigt ist erkennbar bei der Predigtarbeit wirksam. Es hat sich gezeigt, daß, von der behutsamen Kritik an einem allzu materialistischen Auferstehungsverständnis bei Lukas abgesehen, die Meditatoren sich in der Regel an die Aussagen und Intentionen des Textes anzuschließen bestrebt sind. Mehr noch: Da an einem Autoritätsgefälle unbedingt festgehalten wird, dürfte eine große Reserve herrschen, dem Text zu widersprechen. Das heißt aber, daß Problematisches, Widerständiges am Text kaum wahrgenommen wird, um sich nicht davon distanzieren zu müssen. Wenn das, was im Text gehört wird, unbedingt weiterzusagen ist, so kann das dazu führen, daß der Text nur selektiv wahrgenommen wird. Die Beobachtungen an den Ostermeditationen, Abständiges, Widerständiges häufig auszuklammern oder die Aussagen schlicht zu domestizieren, lassen sich gut verstehen, wenn man sie vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes betrachtet, möglichst ungebrochen das, was der Text sagt, weitersagen zu müssen 15 . Tatsächlich aber distanziert man sich von den Aussagen des Textes, ohne jedoch diesen Vorgang zu markieren. Die Auslegung wird dann ausgegeben als zeitgemäße Interpretation des Textes, die unter veränderten Bedingungen die Textaussagen gerade zu bewahren sucht. Offensichtlich ist eine homiletische Textbindung wirksam, die eine positive Anknüpfung an den Text erwartet und nahelegt. Die Predigt als Textauslegung soll unbedingt in inhaltlicher Kontinuität zum Predigttext stehen. Die Textbeziehung der Predigt sollte jedoch transparent sein. Das oben nochmals zusammenfassend dargelegte Verständnis ist daher zu kritisieren. Im Sinne einer transparenten Deutung wäre es vielmehr, Widersprüche und Abgrenzungen gegenüber dem Predigttext auch wahrzunehmen und 14 Für die Nachkriegshomiletik gilt: „Die dogmatische Bestimmung der Predigt zielt praktisch auf die Entfaltung des Wortes Gottes mittels der Auslegung eines biblischen Textes." 0- Hermelink [1992], 114.) 15 Selbstverständlich ist die Wirksamkeit dieses homiletischen Grundsatzes nicht auf das GPM-Umfeld allein zu begrenzen.

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zu kennzeichnen. Die Auseinandersetzung mit einem biblischen Text muß offen sein für Kritik am Text in einem qualifizierten Sinne. Eine Predigt kann sich in ihren Aussagen auch gegen einen Text richten. In diesem Fall muß jedoch die Distanzierung vom Text offengelegt werden. Der Text bzw. der biblische Autor sollte dann nicht für die eigene Deutung beansprucht und zitiert werden. Zwischen der Intention des Textes und der Intention des Predigers ist in einem solchen Fall zu differenzieren, um Durchsichtigkeit gewährleisten zu können. Die Frage nach der Funktion des biblischen Textes scheint kaum zufriedenstellend und ausdrücklich geklärt zu sein16. Mangelnde Klärungen aber sind untergründig wirksam. Die obigen Untersuchungen zur Homiletik der Schriftleiter haben gezeigt, daß insbesondere bei Iwand und Fischer, aber auch bei Fürst, die Normativität des biblischen Textes unbedingt gilt. Die Bereitschaft, sich mit den Aussagen des Textes zu identifizieren, sich widerstandslos erfassen zu lassen, gilt als Voraussetzung dafür, daß die Predigt Gottes W o r t sein kann. Denn die Heilige Schrift enthält das Evangelium, und die Predigt kann nur dann mit dem Anspruch auftreten, Gottes Wort zu sein, wenn sie auf eine unbedingte Kontinuität zum Predigttext verweisen kann. Die Einweg-Hermeneutik soll sichern, daß auf der Kanzel das im Text enthaltene Wort Gottes erneut laut wird. Der Normativitätsgrundsatz basiert demnach auf einem Schriftverständnis, das den Predigttext als eine Art Behältnis17 denkt, aus dem sich das Wort Gottes selbsttätig herauslöst.

16 Manfred Josuttis spricht von einem „beinahe unheimliche[n] Konsens", daß die gottesdienstliche Predigt eine biblische Perikope zur Grundlage hat, jedoch die Bedeutung des Textes für die Predigt nicht präzise geklärt ist: „Die feste Ordnung von Textverlesung und Predigt kann den trügerischen Eindruck erwecken, daß beim Predigen selber alles in Ordnung ist. Während es in Wahrheit hinsichtlich des prinzipiellen Zusammenhangs von Text und Predigt eine Reihe von gravierenden Schwierigkeiten gibt, die es verständlich erscheinen lassen, daß man den Sinn der Textorientierung von Predigt nicht gern erörtert." Josuttis hält die normative Begründung für unzureichend, da diese die Bedeutung des Predigers für die Predigt verkennt, indem sie ihn vor allem als Störfaktor wertet. Er beschreibt die Funktionen des Predigttextes als kreativ, kommunikativ und identitätsstiftend. (M. Josuttis [1983], 385-393: 393.) Das Problem freilich, inwiefern sich die Textbeziehung der Predigt auch als sachgemäß ausweisen kann, bleibt unberührt. - Auch Christian Möller benennt die Textbeziehung der Predigt als ungelöstes Problem: „Es gibt theologische Fragen, die man für erschöpfend beantwortet hielt und die sich trotzdem nach einiger Zeit von einer neuen Seite her wieder zu Wort melden. Dazu dürfte die Frage nach der Bedeutung des biblischen Textes für die Predigt zählen." (Ch. Möller [1990], 15.) Seine Lösungsvorschläge rücken wiederum die normative Funktion des Textes in das Zentrum: „Der biblische Text ordnet unsere Gedanken. Er nimmt in Zucht" (19), er fungiert als „Quelle und Widerstand der Predigt" (17). 17 H. Hirschler [1992] beispielsweise wählt die Metapher .Speicher', um die Qualität der biblischen Texte wiederzugeben (30).

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6.4. Schriftbindung und Textbeziehung Im Umgang mit der biblischen Perikope als dem der Predigt vorgegebenen Predigttext spiegelt sich der Wille zur Schriftbindung. Zwischen der konkreten Textbeziehung und einer prinzipiellen Schriftbindung der Predigt wird jedoch faktisch kaum unterschieden. Es konnte zwar beobachtet werden, daß im Verfahren systematisch-theologische Leitbegriffe eingeführt oder aber dem Text entnommen werden, die für den Fortgang der Predigtarbeit von großer Bedeutung sind, indem sie als Essenz des Predigttextes bzw. der Exegese verstanden werden, aber diese werden kaum als Organisationsprinzip der Predigtarbeit reflektiert. Was der Schrift als ganzer dogmatisch zugeschrieben wird, nämlich eine normative Bedeutung zu haben, wird faktisch dem einzelnen Text zuerkannt. Der Predigttext muß seine Autorität nicht erst erweisen und sich kritisch auf sein Verhältnis zum Schriftganzen oder zu einer offenzulegenden Schriftmitte hin befragen lassen, sondern ihm wird immer schon eine harmonische Beziehung unterstellt. Seine formale Zugehörigkeit zum kanonischen Corpus soll seine Autorität gewährleisten18. Text und Kontext, biblische Einzelperikope und Schrift als ganze, werden kaum mehr unterschieden. Die Qualität, die man der Bibel als Heiliger Schrift zuschreibt, geht faktisch im homiletischen Vollzug auf den einzelnen Predigttext über. Möglicherweise ist es auf diesen Mangel an Differenzierung zurückzuführen, daß häufig das Profil des einzelnen Textes im Verlauf der Meditation dekonturiert wird, indem der Text auf einen oder mehrere systematisch-theologische Leitbegriffe zusammengeschmolzen wird. Ein bestimmter Begriffskanon, auf den zurückgegriffen wird, um die Aussagen des einzelnen Textes zusammenzufassen und zu bündeln, scheint dogmatische correctness' zu garantieren. Indem der Text mit dem einen oder anderen zentralen Leitbegriff belegt wird, gilt seine Ubereinstimmung mit aus der Schrift gewonnenen Grundsätzen christlicher Uberlieferung als erwiesen. Der Schriftbindung hat man sich somit versichert. Auf das Problem, daß häufig dieselben Begriffe verwendet werden und damit das je eigene und unverwechselbare Textprofil nur unscharf in den Blick tritt, wurde bereits hingewiesen. In diesem Zusammenhang aber stellt sich überdies die Frage, ob die Leitbegriffe denn tatsächlich dem Text gemäß sind, also aus ihm heraustreten und dann auch in inhaltlicher Kontinuität zu ihm stehen oder ob sie nicht tatsächlich von außen - dem zeitgenössischen dogmatischen Kanon an zentralen Begriffen und Denkfiguren

18 Jede bloß formale Beanspruchung von Autorität aber ist unvernünftig und unkritisch. Vgl. dazu F. Wagner [1995]: Der Bruch zwischen biblischem Autoritätsdenken und vernünftig-argumentativem Selbstdenken (70-74).

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entnommen19 - an ihn herangetragen werden. Zugespitzt ließe sich die Anfrage an dieses Verfahren stellen, ob die Begriffe nicht einfach der konkreten Perikope aufgestempelt oder implantiert werden. Man könnte also sagen, daß die konkrete Textbeziehung überlagert wird von der beanspruchten Schriftbindung der Predigt. Der Text wird im Verfahren hingeordnet auf das Schriftganze oder eine Schriftmitte, die durch zentrale Theologumena repräsentiert werden. Widerständiges, Abweichendes von dem, was der Interpret als schriftgemäß vorversteht, hat keine Chance, wahrgenommen zu werden. Eine sorgfältige Differenzierung zwischen Text und Schrift im homiletischen Verfahren könnte demgegenüber von hohem Nutzen sein. Der Text sollte als solcher in seiner Komplexität und mit seinen möglichen Einsprüchen selbst gegenüber dem, was als rechtgläubiger theologischer Konsens gilt, erschlossen werden, bevor seine Inhalte und Aussagen in eine Beziehung zu einem offenzulegenden Kriterium oder einer „Leitperspektive"20 gesetzt werden. Nur so ist dann auch garantiert, daß es sich um ein korrelatives Verfahren handelt. Auch die als ,korrekt' geltenden Traditionen müssen der kritischen Anfrage durch die Texte ausgesetzt und damit potentiell einer Revision zugeführt werden. Zugleich ist der Predigttext als einzelne Perikope von seinem Kontext, den anderen biblischen Büchern und einem reflektierten kanonischen Kriterium her zu befragen und möglicherweise auch zu kritisieren. Die Aussagen des Textes sind nicht einfach in die Predigt hinein zu verlängern. Auf diese Weise würde man einen differenzierten, zugleich aber auch einen souveräneren Umgang mit der Schrift erzielen, der sich von einer formal behaupteten Autorität des biblischen Kanons und seiner Texte freihält und die Vorstellung endlich hinter sich läßt, zwischen den Buchdeckeln der Bibel sei das Wort Gottes wie in einem Behältnis vorhanden21. In der Einsicht, daß der Hinweis, eine Deutung ste19 Es konnte oben (4.2.) gezeigt werden, daß wohl die Leitbegriffe dem Text entnommen wurden, aber aus ihrem semantischen Beziehungsgeflecht extrahiert und in deutlich anderer Weise inhaltlich gefüllt wurden. 20 Diesen Begriff verwendet W . Härle [1995], 133.135 u.ö. Vgl. zur Diskussion um ,die Mitte der Schrift' den Diskussionsband Chr. Landmesser/H.-J. Eckstein/H. Lichtenberger [1997]; darin besonders I.U. Dalferth [1997]: Die Mitte ist außen. Anmerkungen zum Wirklichkeitsbezug evangelischer Schriftauslegung. 21 Wenig plausibel sind die Überlegungen von M. Josuttis zum Umgang mit dem biblischen Text im Rahmen seiner Pastoraltheologie [1996]. Im Sinne seiner Grundthese, das Heilige als „verborgene und verbotene Zone" (50 u.ö.) zu definieren, in welche die Pfarrerinnen und Pfarrer durch Grenzüberschreitung zu führen verstehen, bringt Josuttis im Zusammenhang mit Textauslegung Vorstellungen zur Geltung, die sich von einer transparenten Hermeneutik distanzieren und die biblischen Texte als Subjekte behaupten. Er vertritt nämlich die Ansicht, daß „einzelne Worte aus sich selbst etwas bewirken und insofern Machtträger sind" (59). Für den Auslegungsprozeß (hier im Bibliodrama) gilt: „man folgt den Bewegungen, die in Sätzen und Wörtern enthalten sind" (62). ,,[W]enn Menschen wirklich von der Macht der biblischen Texte ergriffen

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he in Übereinstimmung mit Aussagen der Heiligen Schrift, nicht mehr ausreicht, um seine Autorität zu belegen, liegt eine große homiletische Chance: Die Predigt muß sich um Plausibilität bemühen, begründen und argumentieren. Sie kann nicht formal mit dem Wort Gottes identifiziert werden, sondern muß sich als solches erweisen22.

6.5. Das Verfahren: Meditation als „homiletische A uslegung" Zweifellos kann man nicht einfach davon ausgehen, daß das hier skizzierte Verständnis für alle Meditatoren vorauszusetzen ist. Das besonders von Iwand und Fischer mit Nachdruck herausgestellte Verständnis ist jedoch in der in den Grundlinien unveränderten Konzeption der G P M / E P M wirksam23. Ausgangspunkt ist der Text, der als entscheidender Impulsgeber verstanden wird. Von den Meditatoren wird in jedem Fall eine ausführliche Textarbeit verlangt. Allein schon aus Platzgründen dürfte es kaum möglich sein, im Anschluß an diesen Arbeitsauftrag ein differenziertes hermeneutisches Verfahren durchzuführen. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß das homiletische Verfahren der GPM für die Meditatoren - in markanter Weise im Unterschied zu den Stuttgarter Predigtstudien - offen ist. Die Autoren der GPM können also homiletisch so verfahren, wie es ihren homiletischen Einsichten entspricht. Allerdings sind ihre Überlegungen von vornherein geprägt durch die Bitte um eine „homiletische Auslegung"24. Man kann kaum erwarten, daß jeder Meditator über ein reflektiertes homiletisches Verfahren verfügt. Die Vorgaben lassen sich so beschreiben, daß hier eine Exegese25 gefordert wird, die freilich auch homiletische Ansatzpunkte bieten soll. Die Auslegung des Textes wird daher bereits bewerden, geraten sie in das Wirkungsfeld jener Dynamik Gottes, jener göttlichen Energie." (63) Mit diesen Aussagen wird der Auslegungsakt, den der Prediger zu verantworten hat, wiederum verdeckt. 22 Abzuweisen ist daher die prinzipielle Identifikation von Predigt und Wort Gottes, wie sie von H. Bullinger in der Confessio helvetica posterior ([1562] Art. I, 21) vorgenommen und in der Homiletik etwa von R. Bohren [1993] noch immer zur Geltung gebracht wird. H.-M. Müller [1996] hält demgegenüber fest, daß die Autorität der Schrift „nicht die Voraussetzung, sondern das Ergebnis der homiletischen Bemühung" ist. „Das Gewicht, das dem biblischen Predigtstoff für den Glauben des Christen zukommt, erweist sich also erst im Vorgang des Predigens und Hörens selbst oder gar nicht." (21 Of) 23 Vgl. dazu auch oben das zusammenfassende Kapitel über die Homiletik der Schriftleiter (5.7.). 24 Vgl. oben 5.7.1. 25 H. Hirschler [1992] urteilt, daß die GPM „in einer Art trotziger Gradlinigkeit [sie!] bei ihrer fast ausschließlich auf den biblischen Text bezogenen Arbeit geblieben sind (auch wenn inzwischen die Situation des Hörers bei den Bearbeitern eine größere Rolle spielt als früher)" (50).

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stimmt sein von Aussagen und Vorstellungen, die eine positive Anknüpfung ermöglichen. Vor diesem Hintergrund setzen Harmonisierungsbemühungen ein. Was man für die Predigt nicht verwenden kann, wird von vornherein kaum berücksichtigt oder aber eingeschränkt. Was man für nicht kommunikabel hält, wird spätestens im Verlauf der Predigtarbeit eliminiert. Es besteht die Gefahr, daß die homiletische Produktion unter hermetische Bedingungen gerät. Aus diesen Gründen kann es von Vorteil sein, die homiletische Perspektive zunächst zu vernachlässigen, um den Text umfassend wahrzunehmen und seine semantischen Probleme frei von homiletischen Vorurteilen und Interessen klären zu können. Ein möglichst weiter Raum ist zu eröffnen26. Eine semantische und textstrategische Klärung sollte also jedem pragmatischen Interesse vorausgehen. Das Plädoyer von Klaus-Peter Hertzsch, die Information, die ein biblischer Text bietet, seinem „Gehalt"27 nachzuordnen, mithin in erster Linie nach dem Nützlichen und Hilfreichen zu fragen, ist daher mit Skepsis zu betrachten. Hertzsch vertritt eine Gewichtung explizit, wie sie tendenziell in vielen der analysierten Meditationen begegnet. Zweifellos sollte eine Predigt darauf bedacht sein, etwas das Leben der Hörer Bereicherndes, ihnen Dienliches zu sagen28. In den Ostermeditationen jedoch ist zu beobachten, daß, indem die Funktion der eschatologischen Vorstellungen betont wird, die Inhalte schließlich abgelöst werden. Was aus christlicher Perspektive erhofft und erwartet werden kann, ist kaum Gegenstand der Predigt. Statt dessen liegt alles Gewicht dar26 Das Bemühen, Einschränkungen zu verhindern und einen Interpretationsspielraum zu eröffnen, ist nicht nur unter kreativitätspsychologischen Aspekten in der Predigtarbeit zu fördern, sondern auch hermeneutisch angemessen. (Zur Kreativität in der Predigtarbeit vgl. M. Josuttis [1985], der dem „Predigteinfall" die entscheidende Vermittlungsfunktion von - mit der geläufigen homiletischen Terminologie Ende der 60er Jahre formuliert - „Tradition und Situation" [83] zuschreibt.) - W. Engemann urteilt: „Solange die Predigt am Text nur etwas erhärtet, was schon vor seiner Interpretation feststand, wirft sie den Text auf sich selbst zurück. Eine Theologie des Wortes und der Schrift darf dies nicht dulden; sie bedarf einer Hermeneutik, die dem Wort und der Schrift einen Interpretationsraum zu deren eigenen Bedingungen einräumt." (W. Engemann [1996], 469.) Die Bedingungen des Textes zu berücksichtigen aber bedeutet, das, was der Text offen läßt und vom Leser gefüllt wissen will, wahrzunehmen ebenso wie das, was der Text selbst klar semantisch bestimmt. 27 K.-P. Hertzsch [1978/79], 9. Unglücklich ist die von Hertzsch (ebd.) vorgenommene Alternative von „Gehalt" und „Informationswert". Der Begriff Information gibt den Aspekt der Neuheit wieder: Predigt, die Information bietet, läßt Neues erfahren, etwas, was ich bisher nicht schon wußte. Gerade darum ist es unverzichtbar, von der Predigt einen hohen Informationswert zu fordern. Hertzsch aber meint: „Das Gesagte bewegt mich nicht, weil es mir neu ist, sondern weil es mir so vertraut ist ... Hier wird ein Stück Einsamkeit überwunden." (Ebd.) 28 „Daß das Evangelium prinzipiell für alle Menschen - auch und gerade in unserer Zeit - wichtig und hilfreich ist, davon bin ich überzeugt" (K.-P. Hertzsch [1978/79], 7).

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auf, Optimismus und Zuversicht zu vermitteln, um die Hörer zum Engagement zu ermuntern. Die intendierte Wirkung aber ist eng gebunden an den Inhalt. Trost spenden kann nur eine Predigt, die Tröstliches zu sagen weiß. Die Predigtarbeit sollte daher von einer Klärung der Predigtinhalte keineswegs absehen und die Inhalte der wünschenswerten Wirkung auch nicht nachordnen29. Interesse werden christliche Glaubensinhalte dann wecken, wenn sie sich als hilfreich zu erweisen verstehen. Mit der Konzentration auf die Relevanzfrage innerhalb der Predigtarbeit aber geschieht die Wahrnehmung des Textes unter vorwiegend funktionalen Vorzeichen und wird somit eingeschränkt. In diesem Fall zielt die Predigtarbeit auf Identifikation 30 . Der Prediger wird sich daher sogleich auf die Suche danach machen, wo und wie gegenwärtige Erfahrungswirklichkeit in den Texten „wiedererkannt"31 wird.

29 In sprechakttheoretischer Perspektive ist davon auszugehen, daß jede sprachliche Äußerung sowohl semantische als auch pragmatische Aspekte umfaßt und die pragmatischen an die semantischen gebunden sind. 30 AaO., 11. 31 Ebd.

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7. Der Wirklichkeitsbezug in der Predigtarbeit 7.1. „Predigtnot" oder „.Misere "? Die in der Konzeption der GPM erkennbare Leidenschaft für die Predigt ist durchaus bedenkens- und bewahrenswert. Dadurch, daß von den tatsächlichen Bedingungen von Predigtarbeit nahezu völlig abgesehen wird, unterbleiben jedoch fundierte Überlegungen, die sich der Frage widmen, wie homiletische Prozesse beeinflußt werden können. Mit der immer wiederkehrenden Klage über die „Predigtnot" geht keineswegs die Arbeit an Kriterien einher, die Auskunft darüber geben können, was als gelungene bzw. mißlungene Predigt gelten kann32. Vielmehr wird die „Predigtnot", indem sie immer wieder festgestellt wird, zu einem scheinbar unabänderlichen Phänomen und damit gleichsam etabliert. Nach Iwand und Fischer stellt sie eine notwendige Erfahrung des Predigers dar. Sie wird verstanden als Konkretion von Anfechtungserfahrung und wurzelt darin, daß der Prediger gegenüber dem Wort Gottes Widerstand leistet. Somit ist sie Schuld des Predigers, die nur von Gott aufgehoben und beseitigt werden kann. Die Predigtnot stellt damit nicht in erster Linie eine mangelhafte Predigtpraxis dar, etwa als Erfahrungsurteil der Hörer. Der Begriff der Predigtnot wird vor allem durch ein prinzipielles Predigtverständnis provoziert, das mit den tatsächlichen Bedingungen der Predigtpraxis nicht vermittelt ist. Die Klage über die Predigtnot geschieht durchaus auch mit Blick auf die Wirklichkeit, indem sie festhält, „daß die reale Predigt nicht die durchgreifenden Wirkungen entfaltet, die ihr dogmatisch zugeschrieben werden."33 Der Begriff impliziert jedoch das unverrückbare Festhalten an einem Predigtbegriff, dem sich die Wirklichkeit widerständig entgegenstellt, und er will vor allem den dogmatischen Sachverhalt festhalten, daß der Prediger als Mensch - und somit als Sünder Gottes Wort zu verkündigen hat. Jörns erklärt ausdrücklich, daß die Predigtnot keine Diagnose der landläufigen Predigtpraxis oder eine Hörererfahrung darstellt, sondern vielmehr ein notwendiges und unabänderliches Phänomen ist. „Gottes Wort soll in unseren Worten hörbar werden".34 So verstanden muß man in der Tat für die Predigtnot plädieren35.

32 33 34 35

Vgl. auch oben 6.1. J. Hermelink [1992], 115, zu H.J. Iwand. K.-P. Jörns [1983], 5. Vgl. den Titel des Aufsatzes: „Plädoyer für die Predigtnot" (ders. [1983]).

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Denn damit ist die Predigtnot als Aufgabe beschrieben, der sich der Prediger zuwenden muß, will er seinem Predigtauftrag gerecht werden. Den Prediger bei dieser Aufgabe zu unterstützen, seinen Glauben in der Situation der Anfechtung zu stärken, das ist nach dem Selbstverständnis der G P M die Aufgabe einer Predigthilfe. Die Gründung der Predigtstudien ging im wesentlichen auf den „negativen Konsensus" 36 zurück, daß „,der Hörer' - der gegenwärtige Predigthörer, der Zeitgenosse - ,im Text steckt'" 37 , und wandte sich damit gegen die homiletischen Grundeinsichten der GPM. Diese Ablehnung stellte gewissermaßen die Herausforderung zur Konzipierung einer neuen und anderen Predigthilfe dar. Die Annahme, daß der Hörer im Text stecke, wurde zugleich als entscheidende Ursache für „die Misere der Predigt" 38 verantwortlich gemacht. Der seit Gründung der GPM aus deren Vorworten vertraute Begriff „Predigtnot" fällt an dieser Stelle zwar nicht, der Sache nach aber setzen auch die Predigtstudien bei der Diagnose einer defizitären Predigtpraxis an. Ebelings Diktum, „die Verkündigung des christlichen Glaubens" stelle „ - von Ausnahmen abgesehen - die institutionell gesicherte Belanglosigkeit" 39 dar, ist der Einladung nach Esslingen vorangestellt. Die etwas andere, nämlich im Vergleich zu dem eine gewisse Unabänderlichkeit implizierenden Begriff,Predigtnot' nüchternere Terminologie zur Beschreibung der Predigtpraxis könnte freilich auch schon einen anderen Umgang mit der Predigtkritik widerspiegeln: Die „Misere" 40 ist methodisch und verfahrenstechnisch zu bearbeiten. Sie stellt mithin eine Problemanzeige dar, welche impliziert, daß man mit Hilfe homiletischer Arbeit die „Misere" beenden kann 41 . „Im Grunde geht es um die Erwägung und methodische Erschließung jenes Vorgangs in der Predigtvorbereitung, der unglücklicherweise ,Meditation' genannt wird. Könnten wir dem Prediger genauer sagen, was er in der .Meditation' zu leisten, wie er zu fragen, welche Arbeitsschritte er zu bewältigen hat, wir hätten ihm ein gutes Stück weitergeholfen." 42 36 P. Krusche/E. Lange/D. Rössler [1968], 2. 37 Ebd. 38 AaO., 1. 39 G. Ebeling [1959], 13; zitiert ebd. 40 P. Krusche/E. Lange/D. Rössler [1968], 1. 41 In diesem Sinne bemerkt V. Drehsen [1986b], daß der Gottesdienst „eine eigene Geschichte seiner Krise und Krisenerfahrung" (261) aufweist und daß die Klage über die Unwirksamkeit der Predigt ins 19. Jahrhundert zurückreicht. M. Kiessmann [1996] stellt fest: „Die Krise der Predigt ist vielfach beschrieben, das Problem ihrer Unwirksamkeit, ihrer Kommunikationslosigkeit oft beklagt worden." (425) Drehsen und Kiessmann verbinden hier völlig sachgemäß die Kritik an der Predigtpraxis mit einer Ursachenanalyse. 42 P. Krusche/E. Lange/D. Rössler [1968], 2. Ein homiletisches Verfahren, das methodisch komplexer und präziser die Schritte der Predigtvorbereitung beschreibt, soll Abhilfe schaffen. Der Begriff der „Meditation", den die PSt(S) bewußt vermeiden, wird

212

Damit ist das homiletische Verfahren in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, das sich auf die Frage konzentriert, wie man sich methodisch-technisch auf gegenwärtige Wirklichkeit beziehen kann43.

7.2. Die Wirklichkeit als Ziel

Mit dem Begriff .Wirklichkeit' ist die Zielbestimmung der Predigt angesprochen. Theologisch und homiletisch dürfte dies von niemandem ernsthaft bestritten werden. Die Wirklichkeit ist der Ort, an dem die Hörer leben und wo sich die Relevanz des christlichen Glaubens zu erweisen hat. Wirklichkeit impliziert somit immer einen Zusammenhang mit der Lebenswelt44 der Predigthörer. Ebenso unstrittig ist die Diagnose, daß der Wirklichkeitsbezug der Predigt zumeist und nach wie vor nur mangelhaft ausgeprägt ist. „Der Wirklichkeitsbezug der Predigt ist schwach entwickelt."45 Bleibt dieser lediglich ein uneingelöstes Desiderat, wird die Predigt offenkundig ihrer Aufgabe nicht gerecht, das Leben der Menschen zu betreffen. An der Frage des Wirklichkeitsbezuges entscheidet sich schonungslos, ob das Zursprachebringen christlicher Tradition einen bedeutsamen Beitrag zur Deutung und Bewältigung menschlicher Lebensvollzüge zu leisten vermag oder das wirkliche Leben tatsächlich verfehlt. Wenn gegenwärtige Wirklichkeit bloß illustrative Funktion für die Predigt hat, wenn lediglich Klischees bedient und zementiert werden und mangelnde Differenzierung, falsche Unterstellung und schlampige Recherche zu Aussagen führen, die schlicht „nicht

daher wohl deshalb als „unglücklich" bezeichnet, weil er gleichsam programmatisch die Methode im Dunkeln läßt. 43 Uberzeugend zeigt J. Hermelink [1992], daß Ernst Lange zwar einen homiletischen Neuanfang probiert, jedoch ganz dem Predigtverständnis der Wort-GottesTheologie verhaftet bleibt, indem auch bei ihm .Verheißung' der bestimmende Leitbegriff der Predigtarbeit im Anschluß an Karl Barth ist. Die alltägliche Wirklichkeit ist somit in eine Wirklichkeit des Glaubens zu überführen und nicht bereits als solche Ziel der Predigt. Q. Hermelink [1992], 125ff; besonders 218-222; vgl. dazu die Rezension von W . Gräb [1993], 664.) 44 Vgl. zur begrifflichen Klärung W . Härle [1995], 165ff. An dieser Stelle soll nur auf folgendes hingewiesen werden: „Mit dem Begriff .Lebenswelt' ist der umfassende Zusammenhang gemeint, in dem sich alles menschliche Leben, Handeln und Denken vollzieht." (169) Auch der Begriff .gegenwärtige Wirklichkeit' scheint geeignet, den Wirklichkeitsbezug der Predigt wiederzugeben: denn er verbindet zwei Aspekte, die durchaus zusammengehören: „Einerseits geht es darum, daß christlicher Glaube selbst gegenwärtige Realität ist; andererseits darum, daß der christliche Glaube in der gegenwärtigen Lebenswelt seinen Ort hat." (168) 45 H . W . Dannowski [1985], 69. P. Bukowski [1992] gestaltet sein Teilkapitel „Zum Umgang mit dem ,Text der Wirklichkeit'" durchgängig als „Beichtspiegel" (93ff).

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stimmen" 4 6 , so verliert die öffentliche religiöse Rede ihre „wirklichkeitserschließende" 4 7 Kraft. E i n vorrangiges Interesse an der wirklichen W e l t ist auch bei den Schriftleitern der G P M zu konstatieren. Mit der Charakterisierung der Predigt als „viva v o x " 4 8 sind v o n Iwand Lebensbezug und Aktualität 4 9 als Desiderate benannt. Martin Fischer wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, daß es eben nicht u m das „Darlegen zeitloser W a h r h e i t e n " 5 0 gehen dürfe, sondern vielmehr das W o r t G o t t e s v o n unüberbietbarer Aktualität sei. W a l t h e r Fürst hat die politische Wirklichkeit in der Bundesrepublik mit g r o ß e m Engagement kommentiert 5 1 . Klaus-Peter J ö r n s definiert in kritischer Akzentsetzung gegenüber einem primären Verständnis v o n Predigt als Textauslegung, daß Predigt „Le&emauslegung" 52 sei. F r i e d e m a n n Merkel betont die Vielfalt der Erfahrungen, die die A u t o r e n aus differierenden K o n t e x t e n in die Arbeit an der Predigt einbringen 5 3 . Das U n t e r n e h m e n E P M sollte v o n Anfang an geprägt sein v o n der Einsicht in die Situationsabhängigkeit der Verkündigung 5 4 . E s wäre v o n daher falsch, w e n n m a n den G P M mangelndes Interesse an der Wirklichkeit unterstellen würde. Das Gegenteil ist der Fall 55 . Aller-

46 Vgl. P. Bukowski [1992], 93-104: 99. 47 Der Begriff hält fest, daß nicht nur in angemessener Weise gegenwärtige Wirklichkeit beschrieben und erfaßt wird, sondern daß diese zugleich auch vor dem Hintergrund christlichen Glaubens überboten wird. „Wesentliches Merkmal von religiöser Sprache ist ihre wirklichkeitserschließende und darin zugleich die jeweilige Wirklichkeit überbietende Kraft. Kompetentes religiöses Sprechen ... erschließt der Wirklichkeit neue Möglichkeitsdimensionen." (N. Mette [1979], 126.) 48 H.J. Iwand [1964], 196 u.ö. Zu Iwand vgl. oben 5.1.2. und J. Hermelink [1992], 31. P. Sänger weist in einer Würdigung der Wirkung Iwands auf dessen „kurzen Weg von der Bibelauslegung zur engagierten politischen Ethik" ([1989b], 185; hervorgehoben) hin. Zur politischen Predigt Iwands als Teil seiner Predigtmeditationen vgl. J. Seim [1984], 84f. 49 Freilich bleibt zu beachten, daß ,Aktualität' ebenso wie der von Ernst Lange verwendete Begriff .Situation' nur partiell das mit dem Begriff der Wirklichkeit Intendierte beinhalten. Der Begriff der Aktualität zielt auf die durch das Wort Gottes geschaffene neue Wirklichkeit, welche die alte vorfindliche bereits hinter sich gelassen hat. In der Gegenüberstellung von Situation und Tradition gibt der Situationsbegriff vor allem die durch die Erfahrung der Anfechtung gekennzeichnete ,homiletische Situation' des Predigers wieder. 50 M. Fischer ([1949/50], 440). 51 Vgl. oben 5.3. 52 K.-P. Jörns [1989/90], 379. 53 F. Merkel [1990/91], 363. 54 Vgl. oben 5.6. 55 Die Erfahrungen des Kirchenkampfes erweisen sich als wirkungsvoll für das Selbstverständnis der GPM. Vgl. dazu rückblickend Ch. Möller ([1996], 4): „Was war das für ein gemeinsamer Geist, der diesem neuen Unternehmen 1946 seine unverwechselbare, langanhaltende Prägung gab? Zunächst waren es die gemeinsamen Erfahrungen 214

dings stellt die Wirklichkeit keinen eigenständig und methodisch zu bearbeitenden Faktor in der Predigtarbeit dar, sondern es wird konzeptionell unterstellt, daß sich der Wirklichkeitsbezug durch die Beschäftigung mit dem biblischen Text ergibt. Aktualität wird demnach gerade dann erzielt, „wenn der biblische Text in der Predigt für sich sprechen darf"56.

7.3. Steckt der Hörer im Text? Wenn man davon ausgehen möchte, daß sich das Wort Gottes auch „bei seiner ,Anwendung' selbst in der Hand [behält]"57 und man daher auf der Einheit von explicatio und applicatio insistiert, wird sich dieses prinzipielle Verständnis in der tatsächlichen Predigtarbeit vor allem in zweierlei Hinsicht äußern. Die Predigtarbeit wird ausschließlich Textauslegung sein. Und: Die Bezugnahmen auf gegenwärtige Wirklichkeit müssen durch die Exegese gleichsam automatisch provoziert werden. Freilich ist die Etikettierung des Verfahrens, das die Wirklichkeitsbezüge offen läßt, mit der verkürzenden Formel, daß der Hörer „,im Text steckt'"58, polemisch und dürfte kaum dem Selbstverständnis der GPM entsprechen. Das Etikett hält fest, daß technisch der Wirklichkeitsbezug durch die Arbeit am biblischen Text erzielt werden soll. Es spiegelt auch den Befund wider, daß häufig Text und Wirklichkeit einfach gleichgesetzt wer-

im zurückliegenden Kirchenkampf, den sie [sc. die Gründer der GPM; B.W.] in der Bekennenden Kirche mitgemacht hatten. Dabei erfuhren sie vor allem im Predigtdienst, von welcher atemberaubenden Aktualität ein biblischer Text sein kann, auch wenn er gar nicht besonders aktualisiert wird. Im Gegenteil, gerade dann, wenn der biblische Text in der Predigt für sich sprechen darf und ein Prediger gleichsam zur Seite tritt, um den Text sprechen zu lassen, zeigt Gottes Wort, wie es eine neue Situation schaffen kann." Für die Präsenz der Erfahrungen aus dieser Zeit und ein theologisches Selbstverständnis, das untrennbar mit der BK verbunden ist, spricht auch die sorgenvolle Charakterisierung neuerer homiletischer Tendenzen und Aufbrüche in der 60er Jahren als eine „los-von-der-BK-Bewegung" (M. Fischer [1970b]). Für die Erfahrung, daß der Text gleichsam von selbst ,aktuell' ist, kann vermutlich der Umstand verantwortlich gemacht werden, daß die Wirklichkeit deutlicher konturiert war und darum weniger heterogen und komplex zu sein schien. Denn auch vor dem Hintergrund der Situation in der DDR 1989 wird die Erfahrung benannt, daß ein biblisches Wort nur für sich genommen schon brisante Aktualität entfaltet. (Z.B.: das bloße Zitat aus Jes 28,16: „Wer glaubt, flieht nicht" in einem Gemeindeschaukasten, während viele DDR-Bürger versuchten, das Land zu verlassen.) Man kann daher vielleicht verallgemeinern, daß in diesen Fällen eine sehr konkrete Situation im Hintergrund steht, die so gut wie alle Predigthörer in gleicher Weise betrifft und von ihnen als brisant erfahren wird. 56 Ch. Möller [1996], 4; Hervorhebung B.W. 57 H.J. Iwand [[1964], 94; vgl. dazu ausführlich oben 5.1.4. 58 P. Krusche/E. Lange/D. Rössler [1968], 4.

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den59. Es ignoriert jedoch, daß die Predigtarbeit theologisch als dynamischer Prozeß verstanden wird und eine „innere Bewegung" 60 des Textes den Wirklichkeitsbezug der Predigt zum Ergebnis haben soll. Die Offenheit der Konzeption soll der Einsicht Rechnung tragen, daß das Wort Gottes selbst „Ereignis" 61 wird. Kritische Rückfragen und Problemanzeigen kamen bereits zur Sprache62. An dieser Stelle ist insbesondere auf die theologischen Prämissen des Verfahrens einzugehen. Hier ist zunächst festzuhalten, daß ein prinzipielles Verständnis von Predigt (Wort Gottes schafft sich seine Aktualität selbst) einhergeht mit einer konzeptionellen Offenheit (Wirklichkeitsbezug wird sich von selbst einstellen). Diese Offenheit stellt sich technisch jedoch als Lücke im Verfahren dar, die durch den Prediger in irgendeiner Weise gefüllt werden muß. Wie er Bezug nimmt auf gegenwärtige Wirklichkeit, bleibt ihm selbst überlassen. Problematisch daran ist insbesondere, daß die Bezugnahmen auf die Wirklichkeit hier, gerade weil sie nicht als eigenständiger und subjektiver Interpretationsakt, sondern als gleichsam vom ,Text' her selbst intendiert verstanden werden, einer methodisch angeleiteten kritischen Nachfrage und theologischen Reflexion im wesentlichen entzogen bleiben. Zwei zu unterscheidende Ebenen werden hier zusammengesehen. Prinzipielle Vorstellungen und homiletische Vorgehensweisen stehen zwar immer in einem engen Zusammenhang. Im Fall der GPM jedoch verlangt ein prinzipielles Predigtverständnis (,Gott spricht'), daß die Predigtarbeit nicht methodisch angeleitet werden kann (,der Machbarkeit entzogen'). Konsequent übten sich die Schriftleiter in Zurückhaltung, wenn es darum ging, methodische Hinweise zu geben. Wenn eine homiletische Vorgehensweise beschrieben werden sollte, so zeichnete sich der verwendete Begriff gerade durch seine Unbestimmtheit und Vagheit aus63. Versteht man nicht mehr den Prediger, sondern das Wort Gottes als Subjekt der Predigtarbeit, so lassen sich die Tätigkeiten des Predigers eben auch nicht mehr als Einflußnahmen auf homiletische Prozesse charakterisieren. Die Predigtarbeit, insbesondere der Teil, der sich der Gegenwartsbedeutung des biblischen Textes widmet, bleibt methodisch undeutlich. Die Herstellung von Wirklichkeitsbezügen, wie sie faktisch durch den Prediger vorgenommen wird, 59 Vgl. die oben in 3.1. genannten Verfahren: Identifikation, Repräsentation und Vergleich. 60 Ch. Möller [1996], 6. Dies hält der neue Schriftleiter nach wie vor zum Selbstverständnis der GPM fest. 61 Ders. [1996], 5. 62 Vgl. 3.1. 63 Z.B. der Begriff des „Anklopfens" am Buchstaben der Schrift, der sich bereits bei Iwand findet und den Möller ungebrochen aufnimmt: Es gilt, „beharrlich am Buchstaben des biblischen Textes anzuklopfen, um so den heiligen Geist zu erwarten, der Stimme gibt und eine neue Situation schafft." (Ders. [1996], 11.)

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geschieht „im Verborgenen"64. Die Vorgabe an die Meditatoren, eine „homiletische Auslegung" zu verfassen, läßt offen, wie diese die gegenwärtige Wirklichkeit in ihre Auslegung einbeziehen und ob sie die homiletische Perspektive in der Auseinandersetzung mit dem Predigttext zu integrieren verstehen. Die Analyse der Wirklichkeitsbezüge in den Ostermeditationen hat gezeigt, daß unter dieser Voraussetzung vor allem Verfahren angewendet werden, die entweder die gegenwärtige Wirklichkeit mit der im Text erzählten Wirklichkeit, die Personen im Text mit den Predigthörern identifizieren oder aber nach Konsequenzen fragen, zu denen die Hörer schließlich aufgerufen werden sollen. Der behauptete enge Anschluß an den Text führt dazu, daß die gegenwärtige Wirklichkeit im Text gesucht wird und der Hörer im Text vermutet werden muß. Damit erweist sich dieses prinzipielle Predigtverständnis als unzureichend. Die Wirklichkeit der heutigen Menschen wird nicht als eigenständige Lebenswirklichkeit wahrgenommen65. Es wird ihr von vornherein und dies aus theologischen Gründen - kein eigenes Recht zugestanden. Einerseits also ist die Wirklichkeit Ziel der Predigt, andererseits jedoch kommt sie nur vermittelt durch den Text in den Blick, d.h. genau genommen: nur insoweit der Prediger sie im Text wiederentdecken kann. Damit stellt sich die Frage nach dem Verständnis von Wirklichkeit, das hier zugrunde liegt. 7.4. Zum Verständnis von Wirklichkeit Anhand der Ostermeditationen ließ sich bereits zeigen, daß in der Regel zwei Wirklichkeiten einander gegenübergestellt werden66, so daß man präziser von Wirklichkeiten statt von Wirklichkeit spricht. ,Alte' und ,neue' Wirklichkeit sind zwar aufeinander bezogen, dennoch scharf voneinander geschieden. Vor diesem Hintergrund läßt sich klären, auf welche Wirklichkeit die Predigtarbeit der GPM programmatisch zielt: auf die neue Wirklichkeit. Die Predigt will gerade die alte Wirklichkeit überwinden. Die Schaffung

64 D. Rössler hat 1965 (Vortrag) bzw. 1966 (Aufsatz) überzeugend dargelegt, daß der „etablierten Homiletik eine praktische Predigtlehre zur Seite steht, die ihre eigenen Wege sucht, soweit das im Verborgenen möglich ist" (D. Rössler [1966], 37). Ein „beharrliches und leidenschaftliches Bestehen auf der Prinzipienfrage" beantwortet die praktische Predigtaufgabe nicht. „Ihre Beantwortung geht dann eigene, selbständige und mit der Theorie unvereinbare Wege." (Ebd.) Mit der Gründung der PSt(S) wurde dann auch der Versuch der Klärung methodischer Fragen vorgelegt. 65 Ausdrücklich und programmatisch R. Bohren [1981] in seiner Kritik an Ernst Lange: „Wer mit der ,Wirklichkeit' beginnt, kommt in ihr um." (430) 66 Vgl. oben 3.

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einer „neue[n] Situation"67 wird erwartet. Diese neue Situation wird somit signifikant von der alltäglichen Lebenswelt der Hörer unterschieden68. Von der tatsächlichen, vorfindlichen Welt kann dann allerdings nur eingeschränkt die Rede sein. Sich ihr ausführlich zu widmen hieße, ihr ein eigenes Recht zuzuerkennen und sie damit aufzuwerten. Wiederum sind es theologische Gründe, die die Empfehlung nahelegen, sich nicht durch „Schauen", sondern durch „Glauben" zu orientieren: „So - als das Aufzuhebende, im Gehorsam des Glaubens nicht mehr als real, als wirklich Hinzunehmende - kommt alles vor, was ,noch' wirklich ist."69 Hier nun einfach Wirklichkeitsverlust zu konstatieren, würde dem impliziten Anliegen kaum gerecht. Das Interesse ist zu würdigen, die Wirkmächtigkeit des Wortes Gottes zu behaupten und davon auszugehen, daß es verändernde Kraft entfaltet, wo es sich Geltung verschafft. Für das Verstehen nicht unerheblich ist zudem, daß es offensichtlich die Sorge vor der Weltförmigkeit christlicher Rede von Gott ist, die es als geraten erscheinen läßt, sich der alltäglichen lebensweltlichen Wirklichkeit nicht rückhaltlos zuzuwenden, sondern vielmehr die göttliche Wirklichkeit als die ganz andere trotz und angesichts der vorfindlichen Realität zu behaupten. Dennoch ist das Problem anzuzeigen, daß in gewisser Weise eine Aufspaltung der Wirklichkeit geschieht. Lebenswelt des Menschen und Wirklichkeit Gottes treten adversativ auseinander. Die Entgegensetzung ist gerade das zugrundeliegende Kriterium, um Zuordnungen zu der einen oder anderen Wirklichkeit vorzunehmen. Gottes Wirklichkeit muß immer verstanden werden „als eine von allem, was Welt heißt, unzweifelhaft unterschiedene, ja in dieser Unterschiedenheit selbständige Wirklichkeit" 70 . Denn: „Nur eine Wirklichkeit, die mit der Welt nicht mehr verwechselt werden kann, verdient Gottes Wirklichkeit zu heißen."71 Freilich bleibt nachzufragen, ob die strikte Unterscheidung im Interesse der Vermeidung von Verwechslungen eine homiletisch bereits sachgemäße ist72.

67 Ch. Möller [1996], 11; vgl. dazu auch oben 5.1.2. 68 Interessanterweise stellt S. Holtz in einer historischen Studie zu „Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550-1750" für die lutherische Orthodoxie eine enge Beziehung zur Alltagswelt fest: „Eine Wirklichkeit ohne Wirken Gottes gibt es für die Prediger der lutherischen Orthodoxie nicht." (S. Holtz [1993], 51.) 69 H.J. Iwand [1964], 388. 70 W . Krötke [1996], 71, der in engem Anschluß an die dialektische Theologie ein dichotomisches Wirklichkeitsverständnis zur Geltung bringt. 71 W . Krötke (ebd.) plädiert dafür, diese Unterscheidung unbedingt zu berücksichtigen, um heute angemessen von Gott reden zu können. 72 Zur theologischen Kritik an einem dualistischen Wirklichkeitsverständnis vgl. auch H.-G. Heimbrock, in: W.-E. Failing/H.-G. Heimbrock [1998], 24.

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7.4.1. Kontraste und Weltverlust Die Kontrastierung führt dazu, daß die menschliche Wirklichkeit immer schon mit einem negativen Vorzeichen versehen ist. Die Perspektive auf sie wird geprägt sein von düsteren Ausmalungen: Es ist die Welt des Todes und der Todesverfallenheit. Die Welt erscheint als Jammertal. Sie ist zwar trotz ihrer Unverwechselbarkeit gegenüber der göttlichen Wirklichkeit nicht völlig losgelöst von dieser, zunächst aber bleiben für sie nur düstere Attribute übrig. Die Lebenswirklichkeit der Menschen wird damit jedenfalls abgewertet. Der Wahrnehmung der wirklichen Welt wird kaum eine auf Sorgfalt bedachte Aufmerksamkeit zukommen können. Denn jeder Extremismus imprägniert die Darstellung der Lebenswelt gegenüber Differenzierungen. Das Wirkliche wird infernalisiert. „[D]a es nicht das Paradies ist, gilt es als Hölle (als ob es dazwischen nichts gäbe)".73 Die radikale Herstellung von Kontrasten aber dürfte der Lebenswelt der Menschen kaum gerecht werden. Zweifellos ist es eine Stärke der christlichen Weltsicht, daß sie in der Lage ist, die Schattenseiten der Wirklichkeit wahrzunehmen und zur Sprache zu bringen. Daß die Predigt Enttäuschungen, Verluste, Ungerechtigkeit und Not, kurzum die gesamte Palette an Defiziten, mit denen Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit konfrontiert sein können, schonungslos abzubilden in der Lage ist, ohne sich in Abschwächung, Schönfärberei und Verdrängung flüchten zu müssen, ist nicht nur von entlastender Wirkung, sondern bedeutet geradezu einen Wirklichkeitsgewinn. Was wirklich ist, wird, so wie es ist, ausgesprochen und damit beim Namen genannt. Dieser Wirklichkeitsgewinn aber sollte nicht wieder verspielt werden, wenn andererseits Beglückendes, Erfreuliches und Gelungenes nicht ebenfalls als integrativer Bestandteil menschlicher Erfahrung zu Wort kommen. Die Predigt sollte darum auch darauf achten, daß sie dem „Glück im Unglück"74 ihre Stimme verleiht und nicht aus Furcht vor Weltförmigkeit an Welthaltigkeit verliert. Will sie ihr Ziel, die wirkliche Welt, nicht aus den Augen verlieren, wird sie sich auch darum bemühen müssen, dieser gerecht zu werden, indem sie deren Schattierungen nuanciert nachzeichnet. Die Wirklichkeit der Lebenswelt sollte darum in ihrer Relevanz nicht bestritten werden. Sie kann nicht lediglich als im Lichte des Glaubens immer schon überholte und überwundene in den Blick kommen, denn dann arbeitet die Predigt mit an der „Erhaltung des Negativitätsbe-

73 O. Marquard [1986a], 51. 74 „In ... der Lebenswelt der Menschen - ist das Glück immer neben dem Unglück, trotz des Unglücks oder gar durch das Unglück: das eigene oder das der anderen oder indem beides zusammenhängt. Menschliches Glück ist - ganz elementar - stets nur Glück im Unglück." (Ders. [1995], 11.) 219

darfs"75. Sie befestigt die „Wechselwirtschaft"76 zwischen scharfen Kontrasten, die einen Mangel an Realitätssinn zur Folge hat. Der Predigt steht hier in jeder Hinsicht Nüchternheit am besten an. 7.4.2. Wirklichkeitswahrnehmung

und das

Hörerbild

Der Tiefenschärfe von Wirklichkeitsdarstellung in der Predigt wird auch eine differenzierte Wahrnehmung des zeitgenössischen Menschen zugute kommen. Es dürfte unzutreffend sein, wenn von dem Predigthörer par excellence ausgegangen wird, wie dies einerseits in den analysierten Predigtmeditationen zum Ausdruck kommt, und andererseits insbesondere von Martin Fischer programmatisch vertreten wurde. Der Adressat der Predigt wird auf einen anthropologischen Nenner zurechtgestutzt, der es erlaubt, von differierenden Erfahrungen und lebensweltlichen Voraussetzungen der Hörer in der Predigtarbeit abzusehen. Es wurde bereits bemerkt, daß bei der Vorbereitung einer Predigt immer mit gewissen Verallgemeinerungen gearbeitet wird. Ein Hörerbild muß entworfen werden, das einer möglichst breiten Öffentlichkeit gerecht wird und auch für den unerwarteten77 Gottesdienstbesucher offen ist. Predigtarbeit, die selbst keine bestimmte Gemeinde vor Augen hat, zugleich aber von Predigern rezipiert wird, die jeweils in stark differierenden Kontexten zu predigen haben, wird erst recht auf Generalisierungen zugehen müssen. Als ausgesprochen problematisch jedoch erweist sich der Entwurf eines Bildes, das völlig absieht von der Vielfalt lebensweltlicher Erfahrungen und das prinzipiell immunisiert ist gegenüber Differenzierungen. Wenn sowohl 75 Ders. [1986b], 87. Während die moderne Kultur die Wirklichkeit des Menschen mehr und mehr entfeindlicht und vom Negativen entlastet, entwickelt der Mensch Strategien zur Erhaltung des Negativen. Es kommt „zur großen Suche nach Ersatz für die verlorengegangenen Widrigkeiten, nach negativitätsausfallkompensierenden Negativitäten, nach Bedrohlichkeiten, die überwundene Bedrohlichkeiten ersetzen" (90). Eine Technik zur Befriedigung des Negativitätsbedarfs ist das Pendeln zwischen Utopien und Apokalypsen. Interessant ist für unser Thema, daß die Erhaltung des Negativitätsbedarfs nach Marquard ein Merkmal von „Weltfremdheit" (87 u.ö.) darstellt, welche die moderne Welt prägt. Darüber hinaus ermuntert der Essay zur kritischen Selbstreflexion, inwieweit sich die Predigt an den diagnostizierten Schrecklichkeitsbestätigungen beteiligt. 76 Ebd. 77 Bewußt soll an dieser Stelle die Perspektive geöffnet werden dafür, daß prinzipiell jeder Mensch als Gottesdienstteilnehmer in Frage kommt und die Predigtarbeit sich nicht zu schnell lediglich auf die erwartete Gemeinde konzentriert. Fragwürdig sind daher Versuche, die Predigt unbedingt zuzuspitzen auf eine ganz bestimmte gottesdienstliche Versammlung. Denn in diesem Fall wird von einer unbedingt vorhersehbaren Gruppe in der Predigtarbeit ausgegangen. Dem Offentlichkeitscharakter des Gottesdienstes dürfte dieses Verfahren nicht entsprechen.

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in synchroner als auch in diachroner Perspektive ein einheitliches Menschenbild entworfen wird, so muß sich dieses kritisch daraufhin befragen lassen, ob es der Einsicht Rechnung trägt, daß von den geschichtlichen und wandlungsfähigen Lebenskontexten nie abgesehen werden kann. Nur wenn Differenzen und Unterschiede markiert werden, kann Verbindendes und Verallgemeinerbares zutage treten. Die Identifikation des einzelnen Individuums in der gottesdienstlichen Versammlung mit seinem Nachbarn einerseits und beispielsweise den Emmausjüngern andererseits wird diesem nur dann einleuchten, wenn die Predigt ausreichend Raum läßt für Unterschiede und Abstände. Die Individualität des Hörers muß homiletisch berücksichtigt werden, wenn schließlich der Hinweis „Du bist der Mann!"78 plausibel sein soll. Hinweise dafür ergeben sich möglicherweise, wenn man sich noch einmal vor Augen führt, daß nicht nur aus technischen Gründen von der Individualität des einzelnen abgesehen werden soll, sondern dies auch aus theologischen Gründen homiletisch empfohlen wird. Aber zunächst soll erinnert werden, welches Hörerbild mit wenigen groben Pinselstrichen in vielen Meditationen gemalt wird. 7.4.2.1. Das Hörerbild in den Meditationen Der Predigthörer wird von vornherein als Mängelwesen charakterisiert. Was für die Kennzeichnung seiner Lebenswirklichkeit als defizitäre, todesverfallene Welt des Leides und der Sorge gilt, läßt sich in Grundzügen auf ihn übertragen: Erfahrungen von Trauer und Leid dominieren und prägen den Predigthörer. Er ist ein deprimierter Mensch, der in der Gefahr steht, völlig der Hoffnungslosigkeit anheimzufallen. Es entsteht das Bild eines ausgesprochen passiven Menschen. Zur Aktivität muß er allererst aufgerufen werden. Offenbar gibt es keinerlei bereits vorhandenes Engagement, das wert wäre, Erwähnung zu finden. Nicht die Notwendigkeit, mehr zu tun, sondern überhaupt etwas zu tun, wird eingeschärft. Zwar wird der Hörer durchaus als Christ beschrieben, ernstzunehmende religiöse Erfahrungen werden ihm aber tatsächlich kaum zugestanden. Hinsichtlich seiner Glaubensgrundlagen sind vor allem Mißverständnisse vorauszusetzen. Folgerichtig bedenkt die Predigtarbeit, welche Korrekturen anzubringen sind. Der Predigthörer muß demnach in jeder Hinsicht zurechtgebracht werden. Dabei rechnet der Prediger von vornherein mit Widerstand, wenn er die angemessenen Aussagen zur Sprache bringt. Es zeigt sich, daß ein sehr negatives Bild vom Hörer entsteht. Es ist aber keineswegs voraussetzungslos. Dieses Bild wird immer dazu führen, daß in der Predigt ein Gefälle entsteht: auf der einen Seite der Prediger, der autori-

78 2 Sam 12,7.

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tativ seine Kritik piaziert; auf der anderen Seite der Predigthörer, der nur negativ in den Blick tritt. 7.4.2.2. Das Hörerbild nach der Homiletik der Schriftleiter Dieser Befund stimmt zusammen mit der Zielbestimmung der Predigt, wie diese sowohl von Hans Joachim Iwand als auch von Martin Fischer aufgezeigt wurde: Voraussetzung dafür, daß das Evangelium laut wird, ist der Schuldaufweis. Will der Prediger das die vorfindliche Wirklichkeit transzendierende Wort der Verheißung zur Sprache bringen, so kann dies nur gelingen, wenn er auch den Hörer als integralen Teil der zu überwindenden Wirklichkeit bezwingt. Im Appell an das Gewissen soll dem Hörer seine Erlösungsbedürftigkeit vor Augen geführt werden, so daß er bereit wird, sich das Wort von der gnädigen Zuwendung Gottes zusagen zu lassen. Der sündige Mensch ist stets widerständig eingestellt gegenüber der Zusage, daß ihm das Heil ohne jedes Mitwirken zuteil wird. Mit Ungehorsam und Unglauben wird er darum immer wieder auf das Evangelium reagieren. In diesem zu erwartenden Widerstreben liegt der Grund dafür, daß der Prediger darauf pochen muß, daß der Mensch vor Gott in keiner Hinsicht bestehen kann, daß er nichts vorzuweisen hat, was ihn auch nur im geringsten für das Heil prädisponiert. Um den Widerstand seiner Hörer zu brechen, wird der Prediger konsequenterweise ausschließlich deren Unzulänglichkeit und Mangelhaftigkeit einleuchtend zu erweisen versuchen. Erst vor dem Hintergrund eines ganz und gar dunklen Hörerbildes wird das Wort von der Vergebung hell leuchten und Vertrauen wecken. Geradezu kontraproduktiv wäre es daher, die Predigt würde auch auf Verdienstvolles hinweisen und ein Hörerbild entwerfen, das nicht nur schattenreich ist, sondern auch Beglückendes und Erfreuliches zu integrieren versteht. U m Buße herbeizuführen, bedarf es der einseitig negativen Darstellung, da sich ansonsten der Mensch nicht seiner Sündhaftigkeit überführen ließe. Er würde jeden Hinweis auf positive Aspekte seiner Existenz benutzen, um seine Selbstrechtfertigung argumentativ zu stärken. Da es in jeder Predigt stets erneut darum geht, das eine Evangelium zu verkündigen, und da zugleich damit zu rechnen ist, daß die Hörer immer wieder neu bestrebt sind, ihre Selbstrechtfertigung zu betreiben, ist das Menschenbild der Predigt prinzipiell bestimmt von dieser grundlegenden Aufgabe der Predigt. Sieht sie auch nur punktuell davon ab, verfehlt sie ihre Bestimmung. Daß die Hörer tatsächlich unendlich verschieden sind, wird durchaus gesehen, ist aber im Interesse der Aufgabenstellung der Predigt völlig zu vernachlässigen. Eine Berücksichtigung der Unterschiede ist sogar aus sachlichen Gründen zu ignorieren. Denn „in der Mitte der Sache sind sie sich alle sehr nahe: sie sind Sünder, die Gott seligmachen will"79. 79 M. Fischer [1951], 306.

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Analog zu den zwei streng zu unterscheidenden Wirklichkeiten, die einseitige Kontrastierungen nahelegen, ist auch das Menschenbild entworfen. Der Predigthörer kann nur als widerständiger Sünder in den Blick treten. Von seinen Erfahrungen, Kenntnissen, Leistungen und lebensweltlichen Voraussetzungen ist unbedingt abzusehen, da sie die Akzeptanz der Voraussetzungslosigkeit der göttlichen Liebe behindern können. Da die alte Wirklichkeit angesichts der Ansage der neuen göttlichen Wirklichkeit nur als schon überwundene verstanden wird und eigentlich nicht mehr „real"80 ist, ist der Mensch, sofern er coram Deo als Gerechtfertigter charakterisiert wird, seiner lebensweltlichen Bezüge enthoben. Nur losgelöst von diesen kann er an der neuen Wirklichkeit partizipieren. Hat die Kenntnis der lebensweltlichen Zusammenhänge dann überhaupt eine Funktion? Warum soll sich der Prediger darum bemühen, „den wirklichen Menschen"81 kennen zu lernen? Deutlich ist, daß die Lebenswirklichkeit der Menschen nur negativ nachgezeichnet werden kann. Die Kenntnis der Gemeindeglieder wird dem Prediger somit vor allem dazu verhelfen, ihre Gewissen zu erforschen, um den Bußkampf wirksam führen zu können. Die seelsorgerlichen Gespräche werden den Prediger daher materialiter bereichern. Wenn er „viele Wege"82 macht, wird ihm der Schuldaufweis in der Predigt wirkungsvoll gelingen. Er weiß, wie er seine Hörer treffen kann. Eine solche Kenntnis der Hörer ist mithin unbedingt zu unterscheiden von einem reflektierenden, sich empirischer Theoriebildung verdankenden Zugang zur Lebenswelt der Menschen. Die „vielefn] Schuhreparaturen"83 werden in polemischer Zuspitzung gegenüber der nachdenkenden Arbeit am Schreibtisch favorisiert. Fischer lehnt zwar die Humanwissenschaften nicht völlig ab, faktisch aber ist eine Vermittlung mit der theologischen Einsicht in die totale Peccatorstruktur menschlicher Existenz unmöglich. Denn es geht ja gerade um die Uberwindung des Alten Adams und nicht um eine Vertiefung in die Bedingungen menschlicher Existenz. Die Wirklichkeit, auf die die Predigt diesem Verständnis nach zielt, ist insofern unterschieden von der vorfindlichen Lebenswirklichkeit des Menschen. Dieser wird nicht wirklich zugestanden, wirkliche Welt zu sein. In Zusammenhang mit Gottes Verheißungen ist sie angesichts des Neuen faktisch abgetan. Die intensive Beschäftigung mit der wirklichen Welt birgt daher auch immer Gefahren in sich. Die Vertiefung in menschliche Lebensäußerungen, sofern diese nicht von der radikalen Erlösungsbedürftigkeit des Menschen her verstanden werden, kann deren akzeptierende Festschreibung 80 81 82 83

H.J. Iwand [1964], 388; vgl. dazu oben 5.1.3. M. Fischer [1951], 429. AaO., 307; hervorgehoben. Ebd.

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zur Folge haben. Wird das negative Vorzeichen, daß sich der Mensch immer selbst sein Heil zu besorgen versucht, weggelassen, so wird zugleich der Boden der angemessenen theologischen Anthropologie verlassen. Kulturäußerungen und menschliche Selbsterklärungsversuche sind immer verdächtige Phänomene, da sie als Selbstrechtfertigungsbemühungen verstanden werden. Kultur und Intellekt wirken im Dienst der sündigen Daseinsstruktur; sie stehen Glaube und Gehorsam entgegen. Nun ist zunächst zu sehen, daß das skizzierte Menschenbild mit seinen homiletischen Konsequenzen vor allem den Darlegungen Iwands und Fischers entspricht und bei den nachfolgenden Schriftleitern so nicht begegnet. Walther Fürst hat sich nicht ausführlich dazu geäußert. Sein enger Anschluß an Iwand jedoch84 und der Hinweis darauf, daß die Situation durch das Evangelium vorgegeben sei, stellt ihn in einen engen Zusammenhang mit einem dichotomen Wirklichkeitsverständnis und dem entsprechenden Menschenbild. Für Jörns ist jedoch eine markante Differenz festzuhalten. Seine Kritik setzt an dem Gefälle zwischen Prediger und Hörer an und betont nachhaltig die Einsicht in das Priestertum aller Gläubigen. Als Respekt vor der religiösen Erfahrung der Hörer und als Einsicht in die Bedeutung ihrer Glaubenskompetenz ist es zu werten, daß Jörns vorschlägt, zukünftige Prediger sollen zunächst bereit sein zu hören, was ihre zukünftigen Hörer zu sagen haben85. Der Glaubenserfahrung der versammelten Gemeinde mißt er schließlich eine kaum zu übertreffende Wertschätzung bei, wenn er ein gleichberechtigtes Glaubensgespräch an die Stelle der monologischen Kanzelrede setzen will86. Die Differenz zum oben skizzierten Hörerbild ist bei Jörns nicht zu übersehen. Der Hörer ist nicht länger ein widerstrebender, in sich verkrümmter Sünder und somit ein gottloser Mensch, sondern ein mit keineswegs nur zu kritisierenden religiösen Erfahrungen ausgestatteter Christenmensch. Damit tritt eine Neubewertung der Erfahrung ein. Der Gottesdienstbesucher wird ernstgenommen als jemand, der sich zum christlichen Glauben bekennt und bereits zentrale Einsichten in diesen gewonnen hat. Er ist nicht in jeder Hinsicht korrekturbedürftig, sondern würdig, an der Kommunikation des Evangeliums mitzuwirken. Es ist jedoch zu beachten, daß Jörns hier kein neues Hörerbild für die Predigtarbeit liefert. Es wird nicht integriert in die professionelle Schriftauslegung des Theologen. Denn dieser bietet nur einen Gesprächsbeitrag unter anderen dar. Der Hörer aber bringt sich selbst in das Gespräch mit anderen und den biblischen Texten ein. Schließlich gibt es keinen Prediger und keinen Hörer mehr, sondern nur noch Gesprächsteilnehmer. Die gottesdienstliche Kommunikation stellt sich hier vor allem als Austausch von Glaubens84 Vgl. seinen Iwand-Nachruf (W. Fürst [1970a]). 85 K.-P. Jörns [1986], 86 Ders. [1989/90].

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erfahrung dar. Die hermeneutische Aufgabe aber, auf der Grundlage einer wissenschaftlich fundierten Schriftauslegung gegenwärtige Wirklichkeit zu deuten, ist als solche durch den Vorschlag von Jörns eigentlich nicht berührt. Ein deutlicher Bruch mit dem Hörerbild von Iwand bis Fürst ist auch bei Friedemann Merkel zu konstatieren, da auch er Erfahrungen grundsätzlich positiv wertet87. Vielfältige Erfahrungen bringen die Meditatoren als Prediger ein: Erfahrungen mit ihren Hörern in ihrem je eigenen Kontext. Damit ist das Hörerbild homiletisch für Differenzierungen geöffnet. Allerdings bleibt die konkrete Charakterisierung der Hörer auf einem vortheoretischen Niveau. Wahrnehmungen und subjektive Erfahrungen werden über die Person des Predigers in die Predigtarbeit einbezogen, jedoch nicht wirklich reflektiert. 7.4.2.3. Wirklichkeitsexegese und pastorale Perspektive Die Wirklichkeit bedarf jedoch ebenso einer Exegese wie der Predigttext88. Das Interesse an einer homiletischen Klärung des Wirklichkeitsbezuges der Predigt rückt die Bedeutung eines sachgemäßen Verständnisses von Wirklichkeit in den Blick. Es reicht nicht aus, wenn der Prediger lediglich seine Erfahrungen in die Predigtarbeit mit einbezieht. Die Wahrnehmung und Beschreibung von Wirklichkeit sollte daher zum einen professionalisiert werden. In der Ausbildung künftiger Prediger ist Gewicht darauf zu legen, daß sie hermeneutische Kompetenz erwerben, auch mit dem Text der Wirklichkeit umzugehen. Ein angemessenes Wirklichkeitsverständnis ist dazu eine unbedingte Voraussetzung89. Die kritische90 Kenntnis soziologischer und psychologischer Analysen sollte hinzukommen. Kulturwissenschaften sind unverzichtbare Gesprächspartner. Die Implikationen der Moderne sollten sorgfältig bedacht werden91, so daß die Kritik am biblischen Weltbild fundiert wird. Die Hörunterschiede sind somit unbedingt zu berücksichtigen. Die Predigt als öffentliche religiöse Rede muß offen sein für unterschiedliche Frömmigkeitstypen und psychische Dispositionen92. Die Kontexte, in denen der Hörer sich vorfindet, sind mit einzubeziehen, zu beschreiben, darzustellen93. 87 Vgl. dazu ausführlich oben 5.5. 88 Vgl P. Bukowski [1992], 93. 89 Vgl. dazu unten 7.4.3. und 7.6. 90 Wenig überzeugend ist die schlichte Übernahme von Analysen und Diagnosen. Ein eigenständiger und differenzierter Umgang ist unverzichtbar. 91 Vgl. dazu z.B.: U . Barth/W. Grab [1993], 92 Vgl. dazu neben W . Engemann [1992a] auch H.-Chr. Piper [1976]. 93 Die Predigt sollte also zwar einerseits Leerstellen bereithalten, die es dem Hörer ermöglichen, Bezüge zu seiner konkreten Wirklichkeit beim Hören vorzunehmen, sie

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Unverzichtbar wird damit zum anderen die Reflexion der pastoralen Perspektive. Wenn man einsieht, daß es nicht den Hörer par excellence gibt, so wird auch nicht länger einleuchten, daß der Prediger den Hörer in der Predigtarbeit repräsentiert. Die Subjektivität des Predigers wird immer einfließen94, sie ist auch zu nutzen, sie kann jedoch nicht unreflektiert dem Hörerbild zugrundegelegt werden. Der Hörer ist nicht nur eine Verlängerung des Predigers. Der Hinweis auf die „Eigentümlichkeit der pastoralen Perspektive"95 wird darum immer auch die Unterscheidung zwischen der Situation der Hörer und der Situation des Pfarrers mitbedenken müssen96. Erwägungen zur „Auslegungsanstrengung"97 des Predigers sind jedoch nicht ausschließlich auf die Bedingungen einer pastoralen Existenz zu fokussieren. Die genannte Unterscheidungsleistung ist zwar mit Recht zu erwarten, insgesamt geht jedoch die Herstellung des Wirklichkeitsbezuges der Predigt nicht in der Wahrnehmung und Beschreibung der .homiletischen Situation' auf. Es geht um mehr als um das Wirklichkeitsverständnis einer exemplarischen christlichen Existenz. Es geht darüber hinaus um die Bemühung um eine „das Christlich-Besondere zugleich ins Menschlich-Allgemeine vermittelnde Predigtarbeit"98. Denn nur in dieser Perspektive wird sich die ,Situation des Glaubens', die durch die alltägliche Wirklichkeit angefochten wird, öffnen für ein Wirklichkeitsverständnis, in dem Glaube und Leben wirklich miteinander vermittelt sind. Es stellt sich gleich anschließend die Frage, ob die Darstellung der Lebenswelt der Hörer und die Bemühung um eine differenzierte Beschreibung ihrer Erfahrungen und Lebensäußerungen tatsächlich der grundlegenden Aufgabe der Predigt gerecht werden, mehr zum Ausdruck zu bringen als nur ein Abbild der Wirklichkeit. Ziel der Predigt ist darüber hinaus wirklichkeitserschließende Deutung und trostreiche Vergewisserung. Nicht nur Affirmation der vorfindlichen Wirklichkeit, sondern „Streit um die Wirklichkeit" 99 ist Ausdruck des Glaubens. Wenn Iwand und Fischer die Selbstrechtfertigungstendenz des Sünders ihrem Hörerbild zugrundelegen, so ist dieses Verfahren in der Einsicht begründet, daß der darf den Wirklichkeitsbezug jedoch nicht an den Hörer delegieren. Wenig hilfreich ist daher der Hinweis von Gerhard Hennig, dem Hörer die Mündigkeit zuzugestehen, mit dem Text seine „eigenen Betroffenheiten zu verbinden: die Wirklichkeiten seiner alltäglichen Existenz (Rom 12, Iff) und die Wirklichkeit seiner daran wachsenden und darauf zurückkommenden Frömmigkeit. Nicht der Prediger allein, sondern auch der Hörer ist Bürge für den sogenannten Wirklichkeitsbezug der Predigt." (197) 94 W . Grab, der die Subjektivität des Predigers als „Organisationszentrum" der Homiletik begreift, ist grundsätzlich zuzustimmen (W. Grab [1988], 261). 95 J. Hermelink [1992], 279. 96 Vgl. dazu die Hinweise aaO., 288-292. 97 AaO., 278. 98 W . Gräb [1993], 665. 99 Vgl. G. Ebeling [1960b], Glaube und Unglaube im Streit um die Wirklichkeit.

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Mensch nicht nur, so wie er ist, in der Predigt bestätigt werden sollte. Die Predigt hat Darüberhinausgehendes zu verkündigen. 7.4.3. Wirklichkeit und Transzendenz Die wirkliche Welt ist das Ziel der Predigt. Die Predigt bringt aber zugleich die vorfindliche Wirklichkeit Entgrenzendes zur Sprache. Das Denkmodell von den zwei Wirklichkeiten, das in der Predigtarbeit der Ostermeditationen häufig zugrundegelegt wird, hält beides fest. Eine Gegenüberstellung ist jedoch wenig überzeugend, da sie letztlich zur Aufspaltung von Wirklichkeit führt. Die Gegenüberstellung von alter und neuer Wirklichkeit, Gottes Wirklichkeit und menschlicher Lebenswirklichkeit, bringt es - einer punktuellen Berührung zum Trotz - immer mit sich, daß die Lebenswelt der Hörer abgewertet wird. Kontrastierungen und eindeutige Attributvergaben werden die wirkliche Welt immer als eine dunkle, todesverfallene Welt beschreiben. Auf der Grundlage des Denkmodells der zwei Wirklichkeiten weist die Osterbotschaft weg von der Lebenswelt, denn diese ist nur als überwundene bzw. durch hoffnungsvolles Engagement des Menschen noch zu überwindende Welt betroffen. Will die Predigt jedoch Wirklichkeit deuten, indem sie deren Nuancenreichtum nicht verschweigt, sondern nachzeichnet, wird sie dies nur vor dem theologischen Hintergrund einer Wirklichkeit tun können. In dieser darf die Transzendenz nicht in der Lebenswirklichkeit der Menschen aufgehen. Das Interesse ist unbedingt zu bewahren, den Verlust der Unterschiedenheit Gottes vom Menschlichen abzuwehren, um soteriologisch Heil nicht etwa als Menschenmögliches denken zu müssen. Zugleich muß jedoch der Weltverlust christlicher Verkündigung unbedingt vermieden werden. Denn durch Zeitansagen und Ortsangaben100 wird sie ihrer Aufgabe allererst gerecht. Am Lebensbezug entscheidet sich die Relevanz allen Redens von Gott. Wenn man von einer unteilbaren Wirklichkeit ausgeht, so wird vermieden, daß der Weltbezug erst nachträglich hergestellt werden muß. Er ist dagegen schon immer da. Daß viele Predigtmeditationen Appelle und Aufrufe zum Engagement als Ergebnis ihrer Überlegungen präsentieren, kann gewertet werden als nachträgliche Vermittlungsbemühung. Der Weltbezug ist hier allererst herzustellen. Was die Predigt als Möglichkeit in Aussicht stellt, kann Wirklichkeit erst im Handeln der Hörer werden101.

100 Formulierung im Anschluß an H. Schröer [1991]: Lebendige Liturgie - Zeitansage und Ortsangabe. Der Begriff „Zeitansage" als Aufgabenbestimmung der Predigt begegnet auch bei F. Mildenberger [1984] und H . W . Dannowski [1992], 96. 101 Vgl. dazu meine Studie zur .Versöhnung' in Predigtmeditationen [1996], besonders 371-373.

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Welthaltig soll die öffentliche Rede von Gott sein. Zugleich soll sie mehr zur Sprache bringen als nur Welt, in der sich der Mensch immer schon vorfindet. Das Modell der zwei, einander kontrastierenden Wirklichkeiten wurde bereits problematisiert und demgegenüber die Einheit der Wirklichkeit favorisiert. Wie aber kann theologisch sinnvoll von einer einheitlichen Wirklichkeit gesprochen werden? An einer überzeugenden Beantwortung dieser Frage hängt nicht zuletzt die Gewißheit des Glaubenden, auch angesichts des Todes sagen zu können „Amen, so ist es!?"102. 7.4.3.1. Die Wirklichkeit und ihr Grund Eine überzeugende Lösung bietet Ellert Herms an, der seinen Ausgangspunkt bei der Selbstexplikation des Glaubens nimmt. „Sie [sc. die Theologie] setzt die Antwort des Glaubens voraus und beschränkt sich darauf, ihren Sinn im Medium des Denkens zu entfalten."103 In dieser Selbstbescheidung der theologischen Aufgabe liegt ein Gewinn. Denn es geht nicht darum, die „Denknotwendigkeit" des christlichen Wirklichkeitsverständnisses zwingend zu beweisen, sondern „bescheidener" die christliche Sicht von Wirklichkeit „als in Gott als ihrem Grund begründet, ihm zugehörig und von ihm beherrscht - also die Wirklichkeit in diesem Sinne als ,Gottes Wirklichkeit' - im Denken zu entfalten"104. Neben die Präzisierung und Begrenzung der Aufgabe tritt der Hinweis auf das „Denken", der nicht zu übersehen ist. Vielmehr hält er die fundamentale Aufgabe fest, sachgemäß die Selbstexplikation so zu betreiben, daß „die im überlieferten Glaubenszeugnis bekannte Einheit der Wirklichkeit in Relation zur Einheit ihres Grundes nicht nur behauptet, sondern gedacht wird"105. Folglich bedeutet es keinen Abschied aus dem Gespräch mit anderen Wirklichkeitssichten, wenn der Glaube als Voraussetzung gewählt wird, sondern im Gegenteil die Hinwendung zum Diskurs, da die vernünftige Argumentation sinnvolle Kommunikation allererst möglich macht. Es soll also von der Einheit der Wirklichkeit gesprochen werden, die außerhalb ihrer selbst, d.h. in Gott, begründet ist. Wie aber ist ein christli102 G. Ebeling [1993], 409. Es geht um die Frage nach dem „befreienden Gewißheitsgrund", „welcher der Wirklichkeit des Todes überlegen ist" (ebd.) 103 E. Herms [1992a], 339. Ich schließe mich um der Geschlossenheit und der Ubersichtlichkeit willen eng an seine Darstellung an. 104 Ebd. 105 AaO., 329. Die Wahrheitsfrage ist damit nicht ausgeklammert, sondern thematisiert: „Die Theologie hat nicht die Aufgabe, die Wahrheit des Glaubens zu beweisen und irgend jemand anzudemonstrieren. Aber sie hat sehr wohl die Aufgabe, die Aussage, die das überlieferte Bekenntnis des Glaubens als wahr vorträgt, samt diesem ihrem Wahrheitsanspruch zu denken-, sie also nicht nur als einen formahopsch widerspruchsfreien und folgerichtigen Aussagezusammenhang zu rekonstruieren, sondern auch die mögliche Stichhaltigkeit ihres Gehaltes gedanklich zu entfalten." (Ebd.)

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ches Wirklichkeitsverständnis angesichts der Pluralität von Wirklichkeitsverständnissen zu behaupten? Ist es nicht sachgemäß, plural von Wirklichkeiten zu sprechen, die in unterschiedlichen Perspektiven entworfen werden? Das christliche Wirklichkeitsverständnis wäre dann ein weiterer autonomer Entwurf, der neben andere Konstruktionen tritt. Herms wertet dies mit Recht als einen „Abweg"106, da auf diese Weise der Tendenz zur „gegenseitigen methodologischen Immunisierung"107 der Wissenschaften entsprochen würde und die Theologie die Einheit der Wirklichkeit eben nur behaupten, nicht aber begründen könnte. Sie könnte die Gültigkeit ihrer Wirklichkeitsauffassung nur beanspruchen, nicht aber plausibel darlegen. Legt man Herms' Entwurf dem Verständnis von Wirklichkeit zugrunde, so ist das kontrastierende Neben- und Gegeneinander von Gottes Wirklichkeit und der Wirklichkeit des Menschen nicht mehr möglich. Weder liegen zwei Wirklichkeiten miteinander im Streit, noch sprengt eine neue Wirklichkeit die alte auf, die damit als zwar noch vorhandene, aber doch letztlich schon überwundene charakterisiert wird. Vielmehr geht der christliche Glaube von der Einheit der Wirklichkeit aus, deren Grund außerhalb ihrer selbst liegt. Die Wirklichkeit ist somit transzendent begründet, d.h. in Gott „begründet, ihm gehörig und von ihm beherrscht"108. Damit stellt sich jedoch die Frage, wie Wirklichkeit hier präzise verstanden wird, wenn ihr Verständnis nicht zugleich als ein Wirklichkeitsentwurf neben andere treten soll109.

106 AaO., 327. Das „grandiose Beispiel" (ebd.) für diesen Entwurf stellt, so Herms, Karl Barths programmatische Bestimmung der Aufgabe der Theologie dar. Durchaus „zeitgemäß" insistiert Barth darauf, daß „die Theologie nicht weniger als andere Wissenschaften autonom, ein Unternehmen eigenen Rechtes sei, begründet durch eine spezifische Aufgabe und ein spezifisches Verfahren" (aaO., 328). 107 Ebd. 108 AaO., 320. 109 Ein radikal konstruktivistisches Verständnis von Wirklichkeit vertritt P. Watzlawick, der auf der Grundlage des Zusammenhanges von Wirklichkeit und Kommunikation darauf hinweist, daß durch Kommunikation „ganz verschiedene , Wirklichkeiten', Weltanschauungen und Wahnideen entstehen können". (P. Watzlawick [1996], 8; hervorgehoben.) Er beschreibt unterschiedliche Wirklichkeitswahrnehmungen und zeigt die Abhängigkeit der Wirklichkeitsauffassungen von Sprache. .Wirklichkeit' ist bei Watzlawick jeweils die eigene Sicht der Wirklichkeit. Sein Anliegen ist es zu zeigen, daß „der Glaube, daß die eigene Sicht der Wirklichkeit die Wirklichkeit schlechthin bedeute, eine gefährliche Wahnidee" ist (9).

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7.4.3.2. Die semantische Komplexität von ,Wirklichkeit' Der Begriff der Wirklichkeit ist zum „Rätsel"110 geworden. Klärend ist es, seine inhaltliche Uneindeutigkeit vor allem in zweierlei Hinsicht aufzuschließen. Der Begriff ,Wirklichkeit' nimmt teil an der Uneindeutigkeit der konkurrierenden Ausdrücke wie ,Sein', .Realität',,Gegebenheit',,Tatsächlichkeit' oder aber .Aktualität' bzw. .Wirksamkeit'. Einerseits ist der Inbegriff einzelner Instanzen bezeichnet, andererseits der Charakter der Instanzen, die jeweils zu einem solchen Inbegriff zählen. ,Wirklichkeit' kann den Inbegriff von allem Wirklichen meinen, aber auch den Charakter des Wirklichen als solchen. Alle genannten Begriffe bezeichnen eine „Bewußtseinsrelation", und zwar „die Relation zwischen möglicherweise Gewußtem und möglichem Wissen". Präzise gesagt ist genau „ein Relat dieser Relation, eben das möglicherweise Gewußte" in den Blick gefaßt111, und zwar unter zweierlei Aspekten. Während ,Sein', .Realität', ,Gegebenheit' und,Tatsächlichkeit' vor allem das Sosein von Gewußtem bezeichnen, faßt die Rede von der ,Aktualität' das Sosein des Gewußten unter dem Aspekt des Werdens in den Blick. 7.4.3.3. Wirklichkeit als Erschlossenheit Alle Positionen, die mit einer Vielzahl von Entwürfen von Wirklichkeit rechnen, stimmen darin überein, daß „das Handeln der wissenden Individuen jeweils einen prägenden Einfluß auf die Konstitution des Gewußten als solchen und sein bestimmtes Sosein nimmt"112. Die Tätigkeit des Wissenden hat „gegenstandskonstitutive Funktion"113. Als .wirklich' kann somit nur das „so und so bestimmt Gewußte in Abhängigkeit von der es konstituierenden Tätigkeit des Wissenden"114 gedacht werden. ,Wirklichkeit' bezeichnet somit „die Einheit des Konstitutionszusammenhanges zwischen allem möglichen Gewußten und der Tätigkeit der Wissenden"115. Bei der genannten Tätigkeit handelt es sich um eine „symbolisierende". Das Bestimmtsein von Gewußtem gibt es nur sprachlich verfaßt. „Das Zeichenbilden ist also jedenfalls die notwendige Bedingung für alles bestimmte Sosein von Gewußtem."116 Nicht unerheblich ist, daß die symbolisierende Tätigkeit keineswegs als hinreichende, sondern lediglich als notwendige Bedingung in Betracht kommt. Ihr ist nur zuzuerkennen, daß sie mitkonstituierender Ursprung des Bestimmtseins von Gewußtem ist, nicht aber alleinkonstituierender, denn in diesem Fall stünde ein solches Wissen

110 111 112 113 115

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E. Herms [1992a], 320. AaO, 322ff, Zitate: 323. AaO., 330; hervorgehoben. AaO., 331. Ebd.

114 AaO., 332. 116 AaO., 333.

jenseits der Alternative von wahr oder falsch: „es ist nicht irrtumsfähig, aber ebensowenig wahrheitsfähig" 117 . Die symbolisierende Tätigkeit ist also zwar konstitutiv und somit „unhintergehbar" 118 , zugleich aber nicht alleinkonstitutiv. Ein weiterer mitkonstituierender Sachverhalt ist in Anschlag zu bringen, der seinerseits aber nicht selbst konstituiert wird durch die symbolisierende Tätigkeit. Als ein solcher Sachverhalt kommt nur „der Inbegriff der Möglichkeitsbedingungen jeder irrtumsfähigen symbolisierenden Tätigkeit von Wissenden" 119 in Frage. Dieser Inbegriff aber ist die ,Wirklichkeit'. „Die Bedingungen, unter denen alle denkbaren falliblen Bezeichnungsakte möglich sind und die insofern auch die Gesamtsphäre bezeichnen, was überhaupt als das bestimmte Gewußte in irrtumsfähigem Wissen gedacht werden kann, sind ,die Wirklichkeit'. Als ,etwas Wirkliches' kommen alle Sachverhalte in Betracht, die in dieser Sphäre liegen; und die .Wirklichkeit', verstanden als der wesentliche Charakter jedes derartigen Sachverhaltes, besteht darin, daß er selber jeweils die Bedingungen erfüllt, die für alles gelten, was an dieser Sphäre des Wirklichen Anteil hat."120 Damit ist ein einheitlicher Wirklichkeitsbegriff gewonnen, der die begegnende Vielzahl von Wirklichkeitstypen als „Variationen", nicht aber als autonome plurale Wirklichkeiten versteht. Alle Entwürfe von Wirklichkeit unterstehen den Bedingungen von irrtumsfähigen Bezeichnungsakten und fallen damit in die Sphäre, „die alles umfaßt, was überhaupt durch fallible Symbolisierungsakte bezeichnet werden kann. Das ist die W i r k lichkeit', die Sphäre des ,Wirklichen'". 121 Damit ist der .Umfang' des Begriffs .Wirklichkeit' bezeichnet. Seinem .Inhalt' nach beschreibt er „den Charakter, an dem alles .Wirkliche' als solches (also qua Zugehörigkeit zur Sphäre des Wirklichen) teilhat (also gewissermaßen die Wirklichkeit des Wirklichen)" 122 . Der Charakter aber ist „genau durch die Bedingungen definiert, unter denen irrtumsfähige Bezeichnungsakte möglich sind" 123 . Die Frage nach den Bedingungen läßt sich beantworten mit Hinweis darauf, daß „alle Sachverhalte, die überhaupt durch irrtumsfähige Zeichenakte von Wissenden bezeichnet sind, auch für die Autoren derartiger Akte (also für die Wissenden) als solche - also als durch fallible Zeichenakte von Wissenden zu bezeichnende - erschlossen 117 AaO., 334. Man könnte in dem Fall, daß die symbolisierende Tätigkeit als absoluter Ursprung aller Bestimmtheit von Gewußtem verstanden wird, von Fundamentalismus sprechen, der grundsätzlich nicht bereit ist, seine Inhalte zu begründen und ihren Wahrheitsgehalt zu erweisen. 118 AaO., 335; hervorgehoben. 119 Ebd.; hervorgehoben. 120 AaO., 335f. 121 AaO., 336. 122 AaO., 337. 123 Ebd.

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sind. Wirklichkeit hat also den Charakter von Erschlossenheit."124 Damit stellt sich zugleich die Frage nach dem Grund, auf den hin etwas kraft Erschlossenheit als ,wirklich' ausgesagt werden kann. Uber den Erweis der Einheitlichkeit hinaus impliziert der vorstehende Wirklichkeitsbegriff die Frage nach dem Grund von Wirklichkeit. Diese wiederum läßt sich nur beantworten, indem auf etwas verwiesen wird, das selbst nicht in die Sphäre des Wirklichen fällt.125 Damit ist die Möglichkeit erwiesen, aus christlicher Sicht die Wirklichkeit als einheitliche und zugleich durch Gott begründete „im Denken zu entfalten"126. Gott und Wirklichkeit, Grund und Begründetes sind damit prinzipiell zu unterscheiden. Folglich ist darauf zu verzichten, Gott als wirklich oder nichtwirklich zu prädizieren. Als Grund der Wirklichkeit unterliegt er nicht der Alternative, wirklich oder nichtwirklich zu sein. „[E]r ist der unverwechselbare Ort der Entscheidung zwischen Wirklichkeit und Nichts."127 Die semantische Komplexität des Begriffs,Wirklichkeit' gefährdet somit keineswegs ein einheitliches Verständnis von ,Wirklichkeit'. Wenn behauptet wird, daß etwas ,wirklich' ist, so ist damit vielmehr zum einen ausgesagt, daß etwas zur Sphäre des Wirklichen gehört. Zum anderen aber ist zugleich seine Begründung zur Sprache gebracht. Tatsächlichkeit und Gewißheit, Wirklichkeit und das Zutrauen in die Wahrhaftigkeit erweisen sich somit lediglich als unterschiedliche Aspekte von Wirklichkeit. 7.5. Die Predigt als „offenlegende

Gebärde"m

Die Wirklichkeit ist das Ziel der Predigt. Will sie dieses nicht verfehlen, wird sie sich auf eine unteilbare Wirklichkeit beziehen müssen. Es gibt keinen Ausstieg aus der Wirklichkeit129. Der christliche Glaube sollte keine Sonderwirklichkeit für sich beanspruchen und nicht den Spagat proben, an mehreren Wirklichkeiten zugleich teilzunehmen130. Er kann sich „unmög124 AaO., 338. 125 Ebd. 126 AaO., 339. 127 AaO., 340. 128 P. Sloterdijk [1988] bemerkt über den Schriftsteller: es ist „eine offenlegende Gebärde vonnöten, ein Sieg über die Atemnot, ein Nachvornegehen, ein Herausstellen, ein Offenlegen und Zuhörengeben, ein Opfer an Heimlichkeit zugunsten von Öffentlichkeit, ein Verzicht auf Privatnacht und -nebel zum Vorteil eines Aufklarens unter gemeinsamen Himmeln" (20). Indem ich die Predigt als .offenlegende Gebärde' bezeichne, möchte ich bewußt auch die kreativ-künstlerische Bedeutung des Begriffs für die Charakterisierung der Predigt nutzen. 129 In Anlehnung an eine Formulierung von I. Bachmann [1982]: „Es ist auch mir gewiß, daß wir in der Ordnung bleiben müssen, daß es den Austritt aus der Gesellschaft nicht gibt" (276). 130 E. Herms legt dar, daß sich als Konsequenz aus der Konstruktion von autonomen pluralen Wirklichkeiten ergibt, daß die Benutzung eines Heimcomputers und die

232

lieh ausschließlich im Unterschied und im strukturgemäßen Gegensatz zur erfahrbaren Welt begreifen"131. Die Predigt wird ihrer Aufgabe als öffentliche Darlegung des christlichen Glaubens gerecht, wenn sie das Selbstverständnis des glaubenden Selbstbewußtseins in seinen welthaften Bezügen expliziert. Predigen kann demnach als eine „offenlegende Gebärde" des Rechtfertigungsglaubens132 verstanden werden. Diese Wesensbestimmung des Predigens lenkt die Aufmerksamkeit auf inhaltliche Aspekte. Der Rechtfertigungsglaube wird dargestellt im Horizont gegenwärtigen Lebens und hinsichtlich seiner Implikationen entfaltet. Die Predigt ist demnach mehr als bloß ein Abbild des aktuellen Selbstverständnisses der christlichen Gemeinde. Sie stellt nicht nur jeweils dar, was gerade Konsens oder mainstream der sich christlich verstehenden Zeitgenossen ist. Sondern sie orientiert immer wieder das gegenwärtige Selbstverständnis der christlichen Gemeinde an der Leitvorstellung christlichen Glaubens: der Rechtfertigung. Die Rechtfertigungslehre nimmt damit eine kritische und somit orientierende, regulative Funktion wahr. Da sie primär Soteriologie ist, rückt sie die positive Bedeutung des Glaubens, den Gewinn für die Menschen, in das Zentrum. Ihre christologische Begründung wird immer die Frage nach dem wahren Wesen Jesu Christi zur Sprache bringen und das spezifisch Christliche gegenüber anderen monotheistischen Religionen behaupten133. Der Rechtfertigungsglaube als Leitbegriff der Predigt birgt also durchaus ein Potential in sich, den Glauben zu konturieren und zu profilieren. Indem die Predigt überhaupt erst etwas hervortreten läßt, kann sie als Offenlegung verstanden werden. Zugleich aber wird sie nicht darum bemüht sein müssen, das christliche Selbstverständnis ausschließlich bzw. in erster Linie in Abgrenzung zu anderen Religionen und SinnTeilnahme an spiritistischen Sitzungen problemlos zusammengehen (aaO., 326). Indem ein einheitlicher Wirklichkeitsbegriff zugrundegelegt wird, dürfte die wohltuende Differenz des christlichen Glaubens zu esoterischen Angeboten wirksam zur Geltung gebracht sein. 131 W . H ä r l e / E . H e r m s [1979], 52. 132 A n dieser Stelle soll nicht ausgeführt werden, daß der christliche Glaube sachgem ä ß als Rechtfertigungsglaube näher zu bezeichnen ist. Vgl. dazu grundlegend W . H ä r l e / E . H e r m s [1979], welche die Rechtfertigungslehre als Ontologie entfalten: „Dieses [sc.: im Sinne der Rechtfertigungslehre gestaltete] Selbstbewußtsein des Glaubens hat nicht den Sinn einer empirischen, sondern einer metaphysischen - ontologischen - Erkenntnis." (51) Charakteristisch für den Rechtfertigungsglauben ist, „daß er als eine F o r m v o n Selbstbewußtsein gerade dieses sein eigenes Wirklichwerden, -sein und -bleiben in seinen Gehalt aufnimmt" (50). Damit ist für den Wirklichkeitsbezug des Glaubens durch seine Entfaltung als Rechtfertigungsglaube Entscheidendes gewonnen. Vgl. dazu auch W . G r ä b / D . Korsch [1985] sowie die Aufsatzsammlung Erfahrung und Rechtfertigung, von M. Beintker u.a [1995], 133 In eine andere, die Differenzen nivellierende Richtung zielen die Überlegungen von K.-P. Jörns [1996b].

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deutungen menschlicher Existenz zur Sprache zu bringen, sondern kann Gemeinsamkeiten entdecken und auf diese Bezug nehmen134. Ein weiteres wichtiges Charakteristikum des Rechtfertigungsglaubens stellt die Differenzierung zwischen drei zeitlichen Ebenen dar, auf die sich der Glaube in je spezifischer Weise bezieht135. Vor dem Hintergrund, daß die grundlegende Versöhnungstat Gottes bereits ,perfekt' ist, präsentiert die Predigt geschehene Versöhnung. Von daher ist es unsachgemäß, den Predigthörer bei seinem Sündersein zu behaften. Er ist vielmehr auf sein Neugeschaffensein hin anzusprechen136. Die Neubegründung menschlicher Existenz ermöglicht eine Perspektive auf die Gegenwart, die nicht immer wieder zurücktritt hinter die eschatologische Versöhnungstat Gottes. An die Stelle des Schuldaufweises tritt in der Predigt der Hinweis auf die Freiheit von überholten Bindungen. An die Stelle hartnäckigen Beharrens auf der Unzulänglichkeit des Menschen tritt die Akzeptanz alles Fragmentarischen137. Der unverlierbare Wert des einzelnen im Horizont der Rechtfertigung des Menschen durch Gott kann nur dann plausibel werden, wenn der Hörer auch als Gerechtfertigter angesprochen wird. Es ergibt sich ein nüchterner Blick auf die gegenwärtige Lebenswirklichkeit. Was noch138 von Gott trennt, wird nicht dramatisiert, sondern es wird Kreativität geweckt, mit der Vorläufigkeit des Lebens gegenwärtig zurechtzukommen. Der christliche Glaube gewinnt damit nicht nur an Wirklichkeitsbezug. Ihm erwächst aus dieser Perspektive ein Realitätsgewinn, indem er den Blick für das schult, was wirklich ist. Die Predigt wird also auch immer das Interesse an Wirklichkeit bewahren139.

134 Dieser Zusammenhang wird gegenwärtig vor allem mit dem Begriff des Synkretismus bezeichnet. Vgl. dazu V. Drehsen/W. Spam [1996], 135 Ausführlich kann dies hier nicht dargelegt werden. Vgl. aber B. Weyel [1996]: zur Exegese 350-356; zur homiletischen Grundlegung 373-378. 136 2 Kor 5,17. 137 Vgl. dazu exemplarisch H. Luther [1991b], W . Grab [1987] und F. Schweitzer [1994], 138 An dieser Stelle ist die Eschatologie mit der Akzentuierung der Zukünftigkeit zu berücksichtigen. 139 Dieser Aspekt ist kritisch in Anschlag zu bringen gegen die mögliche Gefahr, virtuelle Welten als wirklich auszugeben und die Unterschiede zwischen Wirklichkeit und Simulation zu verwischen. „Niemand mehr ist sehr an Wirklichkeit interessiert." Diese Diagnose läßt Philip Kerr (Das Wittgenstein-Programm [1992]) die Hauptfigur eines Zukunftsromans in einer computerdominierten Welt treffen. Wenn Bilder immer mehr zur Täuschung bzw. zur Wirklichkeitssimulation werden, könnte ,das Wort' als Medium demgegenüber in betonter Weise Verläßlichkeit ermöglichen und an Vertrauenswürdigkeit gewinnen.

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7.6. Interesse am wirklichen Hörer An das Interesse der modernen Predigt am wirklichen Menschen sollte angeknüpft werden. Wenn der Hörer theologisch grundlegend als Gerechtfertigter verstanden wird und die Predigt sich als Geste der Offenlegung der Wirklichkeitsbezüge des Glaubens versteht, dann rückt das Selbstverständnis der Hörer mit seinen Bezugnahmen auf die christliche Uberlieferung in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Unter dem Offentlichkeitsaspekt der Predigt ist die Hörerschaft nicht auf den kirchlich-institutionellen Rahmen einzugrenzen, sondern muß umfassender verstanden werden. Das religiöse Selbstverständnis der Hörer ist demnach ernstzunehmen und nicht grundsätzlich als Strukturmerkmal des Sünders in Mißkredit zu bringen140. Vielmehr wird die Predigt dieses darstellen und zutreffend abzubilden versuchen. Zugleich würde der Offentlichkeitsanspruch der Predigt aufs Spiel gesetzt, wenn die Predigt von vornherein nur eine ganz bestimmte141 Hörerklientel ins Auge faßt. Die Hinwendung zum wirklichen Hörer und seiner „gelebten Religion"142 ist unaufgebbar. Die öffentliche Kanzelrede in der Kirche sollte darum unbedingt auch religiöschristliche Lebenswelten berücksichtigen, die sich selbst nicht als ausgesprochen kirchlich verstehen143. Verhängnisvoll ist es etwa, wenn moderne Literatur lediglich abgrenzend als Material in der Predigt verwendet

140 Das Hörerbild M. Fischers ([1951], 306; [1952], 558), daß „der Bauer und der Professor" sich „in der Mitte der Sache" doch „sehr nahe" sind, weil sie „Sünder" sind, ist zu einseitig. In der Predigtarbeit ist statt dessen das homiletische Augenmerk auf die Unterschiede zu legen. Vgl. dazu Paul Drews: „Wir Menschen sind, sowohl was die einzelnen Individuen, als auch was die gesonderten Gesellschaftsgruppen anlangt, durchaus nicht in ein- und derselben Weise fromm. Der Bauer ist anders fromm als der Fabrikarbeiter, der Theologe anders als der Mediziner; der, der mehr Gemüt hat, anders als der mehr rational Gerichtete." (P. Drews [1901], 1.) 141 Häufig wird in Predigtarbeiten von Studierenden gefordert, die Predigt auf eine ganz bestimmte Gemeinde hin zu konzipieren. Zwar ist die Zuspitzung auf einen konkreten Predigtauftrag empfehlenswert, es stellt sich jedoch die Frage, ob die Unterstellung sinnvoll ist, daß ein Gemeindeprofil unverwechselbar im voraus erfaßbar ist. 142 Diese Entwicklung kann hier nur angedeutet werden. Vgl. ausführlich V. Drehsen [1988]. Erste Orientierung bietet die Rezension von F. Wagner [1990]. Vgl. auch die Darstellung P.C. Bloths: Vom pastoralen zum ekklesialen Paradigma, [1994] 43ff. Die liberale Homiletik um die Jahrhundertwende (1890-1920) hatte zum Ziel, „davon zu reden, was Gott und sein Reich für die Wirklichkeit bedeute, in der der Mensch lebt, handelt und leidet". (F. Wintzer [1969], 179.) Vgl. dazu exemplarisch Friedrich Niebergall, der 1905 für den modernen Zeitgenossen, dem die Predigt gerecht werden soll, einen „Hunger nach wirklicher Wirklichkeit um jeden Preis" konstatiert (F. Niebergall [1971], 19). Mit W. Trillhaas' Plädoyer für eine Neubestimmung der prinzipiellen Predigtaufgabe ist der Neuansatz zur Konzentration auf die „wirkliche Predigt" 1963 gewonnen (W. Trillhaas [1986]). 143 Vgl. dazu die Studie von V. Drehsen [1994a],

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wird144. Wenn die Zitation vorwiegend als negative Folie fungiert, von der sich christliches Selbstverständnis in der kirchlichen Kanzelrede abheben will, so werden nicht nur simplifizierend moderne Literatur und Kunst abgewertet, sondern auch eine kirchliche Binnenperspektive zementiert, die für alle außerhalb ihrer selbst angesiedelten religiös-selbständigen Gesprächsbeiträge nur einen pejorativen Blick übrig hat. Das Resultat ist die Herausbildung eines relativ kleinen, fest umrissenen Kanons an zitierfähigen145 und kirchlich sanktionierten Gedichten146, Anekdoten, Erzählungen mit unverkennbar moralisierenden Tendenzen, Heiligenlegenden147 einerseits und dem abwertenden Gebrauch von Material andererseits, das als Spiegel des nachchristlichen oder schlicht ungläubigen Bewußtseins148 in die Predigt eingeführt wird. Die bloß verwertende Verwendung von Kulturgut verpaßt die Chance einer wirklichen Auseinandersetzung149 mit außerkirchlicher Religionspraxis und Deutungskultur und schränkt die Wirklichkeitsbezüge der Predigt drastisch ein. Abgrenzungsbestrebungen bringen einen Mangel an Komplexität und Beziehungsreichtum mit sich, der die wirklichkeitserschließende Bedeutung selbständiger und distanzierter Deutungen christlicher Tradition und kultureller Sinnstiftung ignoriert. Die Hinwendung zum wirklichen Hörer schließt mithin die angemessene Berücksichtigung auch der potentiellen Hörer, und das heißt grundsätzlich aller Zeitgenossen, mit ein. Voraussetzung aber für die gelingende Be144 Vgl. dazu den Befund oben in 4.5.1. Dieser Befund stimmt zusammen mit dem Plädoyer M. Fischers für die „Einfalt" als Gestaltungskriterium ([1952], 228 u.ö.). 145 Es stellt sich die Frage, ob nicht die für die Arbeit der Prediger bereitgestellten Zitatsammlungen (z.B. H. Hamdorf-Ruddies/M. Josuttis/H.-D. Stolze [1993]) einen bloß verwertenden Gebrauch begünstigen können und die selbständige Lektüre zu ersetzen drohen. Jedenfalls dürfte sich die Gefahr der Redundanz erhöhen. Eine Anzeige in GPM 47/2/1993 bittet die Leser um Mitarbeit für ein „Großprojekt .Zitate für die Predigt'" für die sechs Perikopenreihen. Die Zitate, Erzählungen oder Fabeln sollten „kurz, treffend, mit homiletischem Bezug, nicht zu bekannt" sein (ebd.). 146 Kurt Maitis Gedichte können dazu gezählt werden, wenn auch bisweilen ein kritischer Hinweis beigefügt ist. Vgl. dazu wiederum oben 4.5.1. - E. Grözinger hat über einen Zeitraum von 16 Jahren die Berücksichtigung von Dichtung in der Predigtvorbereitung anhand der PSt(S) untersucht. Die Spitzenreiter ihrer Auswertung sind Bert Brecht, Max Frisch und Kurt Marti mit über 30 Nennungen (vgl. E. Grözinger [1992], Tabelle XXIII im Anhang). 147 Vgl. dazu H. Barie [1987], dessen Auswertung von Predigten des theologischen Nachwuchses nicht nur eine klar umrissene Spitzengruppe von Heiligen, nämlich Martin Luther, Dietrich Bonhoeffer, Mutter Teresa und Albert Schweitzer, zum Ergebnis hat (107), sondern der zugleich auch einen klischeehaften Umgang mit den Biographien der Genannten konstatiert (109 u.ö.). 148 Vgl. dazu oben (4.5.1.) den Umgang mit Gedichten von Bert Brecht. 149 Eine qualifizierte Auseinandersetzung steht noch aus. Gegenwärtig wird jedoch auf die Wahrnehmung von Religion große Aufmerksamkeit verwendet. Vgl. dazu beispielsweise K. Fechtner u.a. [1996],

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zugnahme auf gegenwärtige Wirklichkeit ist die Wahrnehmung, Beachtung und Deutung ihrer Erfahrungen.

7.7. Erfahrung als Zugang zur Wirklichkeit Erfahrung stellt einen Zugang zur Wirklichkeit dar. Erfahrung und Wirklichkeit sind untrennbar verbunden150. Erfahrungen der Hörer werden in der Predigt vorausgesetzt. Der Prediger nimmt Bezug auf die Erfahrungen der Hörer, um sich mit ihnen über Wirklichkeit zu verständigen. Die Analyse der Ostermeditationen ergab, daß die Gemeinsamkeit der Erfahrungen hervorgehoben wurde, um in diachroner Perspektive die hermeneutische Voraussetzung für identifizierende Verfahren zu schaffen und um sich in synchroner Hinsicht auf eine homogene Hörerklientel einstellen zu können. Die Predigtarbeit konzentriert sich ausgesprochen auf die Vergleichbarkeit und Gemeinsamkeit der Erfahrungen151. Das Benennen von Erfahrungen in der Predigt hat das Ziel vor Augen, die Identifikation zu plausibilisieren. Unterschiede werden in diesem Zusammenhang zumeist ausgeblendet. Zudem konnte beobachtet werden, daß in der Meditation der für Ostern vorgesehenen Perikopen als Konsequenz der Gemeinsamkeit Erfahrungen von Veränderung, Neuanfang und Freude als Ostererfahrungen bzw. Erfahrungen des Auferstandenen thematisiert werden. In dieser Deutung kommt die Gleichsetzung zum Ziel. An diesen Befund schließt sich nun die Frage an, was dies für die Qualifizierung der Ostererfahrung und die Deutung der allgemeinen Erfahrung von Freude und Veränderung bedeutet. Stellt die Erfahrung des Auferstandenen demgemäß ,nichts anderes' dar als eine positive, aber allgemein zugängliche Erfahrung? Entfällt die Behauptung der Besonderheit der biblischen Osterzeugnisse? Bedeutet dies andererseits eine Neubewertung und einen Deutungsgewinn der Erfahrung von Freude und Neuanfang? Bevor ansatzweise versucht werden soll, diese Fragen und Problemkonstellationen weiterzudenken, ist zunächst der Begriff der Erfahrung zu präzisieren. Gegenüber dem bloßen Erleben setzt eine Erfahrung eine Deutung voraus152. Somit ist zwischen Erfahrung und Erlebnis zu unterscheiden. Denn eine Erfahrung beinhaltet immer auch eine bestimmte Interpretation von Erlebtem. Erleben wird durch Auslegung in Erfahrung 150 Der Zusammenhang kann hier nur knapp skizziert werden. Vgl. dazu etwa W.H. Ritter [1982], 254f. 151 Auf dieses Problem, allerdings lediglich im Hinblick auf die Geschlechterdifferenz, weisen unablässig feministische Theologinnen hin. Sie werfen der „traditionellen Theologie" vor, daß in ihr .„männlich' sozialisierte Erfahrungen als Beschreibungen der menschlichen Existenz ausgegeben wurden" (A. Noller [1995], 150). 152 „Alle Erfahrung schließt Deutung und Interpretation ein." (I.U. Dalferth [1990], VI.)

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überführt. Somit ermöglicht Auslegung Erfahrung. „Erfahrung kann nur gemacht werden, weil sie erlebt wird; und weil sie perspektivisch erlebt wird, aber nicht solipsistisch, deshalb kann sie auch nur gemacht werden, wenn sie zuvor verstanden ist."153 Das Moment der Verarbeitung von Erlebtem hält die Bestimmung von Erfahrung als „erinnerte Praxis" 154 fest. Der Rekurs auf die Erfahrung birgt immer auch ein kritisches Moment. Es entspricht dieser aufklärerischen Tendenz, auf die Erfahrung Bezug zu nehmen, daß Uberlieferungen, die dem einzelnen Menschen begegnen, erst durch Erfahrungsbezug angeeignet und Autoritätsansprüche nicht einfach ungeprüft übernommen werden. Die eigene Erfahrung ist das entscheidende Kriterium, ob etwas als plausibel gelten kann oder nicht 155 . „Erfahrung wird beschworen einerseits gegen das bloß Gedachte, also gegen alle Weisen von Illusion, Dogmatismus und Ideologie, andererseits gegen das nicht selbst Gedachte, das bloß Uberlieferte, Ungeprüfte." 156 Erfahrung ist somit auch immer unvertretbar eigene Erfahrung und nicht abzulösen von ihrem Subjekt. Die Predigt leistet Deutungsarbeit. Mehr noch: Sie ermöglicht Erfahrung und legt sie offen. Indem sie Erfahrung versprachlicht, leistet sie einen unverzichtbaren Beitrag zur intersubjektiven Kommunikation von Erfahrung157: „wo Brandmarkung war, soll Sprache entstehen"158. Versteht sich Predigt als „offenlegende Gebärde" des Rechtfertigungsglaubens, so ergibt sich eine Präzisierung ihrer Aufgabe159. Sie bringt Erleb153 E. Herms [1992b], 269f. 154 Vgl. E. Herms [1982], 90, im Anschluß an Aristoteles. 155 Vgl. ausführlicher zur Erfahrung als Thema der Neuzeit: J. Track [1982], 116ff. 156 G. Ebeling [1978], 112. 157 Erfahrung ist zwar „unwiederholbare Einzelerfahrung in der Zeit und drängt doch auf ihre Vermittlung mit anderen Erfahrungen in Vergleich, Wiederholung, Regel und Zuordnung" (J. Track, aaO., 117; hervorgehoben). 158 P. Sloterdijk ([1988], 17) über den Schriftsteller: Für ihn gilt „in Abwandlung eines psychoanalytischen Mottos, der Satz: wo Tätowierung war, soll Kunst werden, oder: wo Brandmarkung war, soll Sprache entstehen. Mit dem bloßen Vorzeigen der alten Zeichnungen ist es in der Literatur ja nicht getan. Indem ich sprechen lerne, gewinne ich auch Freiheit von den Zeichen, die ich bin" (ebd.). Diese Aufgabenbestimmung läßt sich m.E. auch auf den Prediger übertragen: Wo Erleben war, soll Erfahrung werden. Zugleich ermöglicht die Offenlegung von Erlebtem die Distanz von dem, was dem Menschen widerfährt. Durch die Deutungsarbeit in der Predigt kann Freiheit vom Erlebten möglich werden. Vgl. dazu auch die Bestimmung von Welt als „Praxissituation endlicher Freiheit" in der Perspektive von Erfahrung und Offenbarung gleichermaßen (E. Herms [1992b], 272). 159 Zugleich wird an dieser Stelle der Versuch gemacht, praktische und prinzipielle Homiletik zusammenzusehen. Predigtdefinition und Organisation von Predigtarbeit sollen miteinander auf diese Weise vermittelt werden. W. Steck [1974] hat seit der neuerlichen Hinwendung zur praktischen Homiletik in den 60er Jahren auf die Notwendigkeit der Vermittlung gerade im Interesse des homiletischen Verfahrens aufmerksam gemacht: „Nur aus einer kritischen Vermittlung von prinzipieller und praktischer Ho-

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tes und Erfahrung zur Sprache, indem sie diese vom Rechtfertigungsglauben her interpretiert. Deutungen werden vorgenommen, die die Möglichkeit bergen, die eigenen biographischen Fragmente in eine Sinnperspektive zu integrieren. Wesentliche Hilfestellung zur Deutung leistet natürlich der biblische Text. Nicht nur im Blick auf die sprachliche Gestaltung, sondern auch hermeneutisch zum Verständnis der Lebenserfahrung im Glauben hat er eine unverzichtbare Funktion160. Freilich stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis biblischer Text und heutige Erfahrungswirklichkeit zueinander stehen. Kann man davon sprechen, daß „[u]nsere Lebenswirklichkeit im biblischen Text" 161 vorhanden ist? In vielfacher Hinsicht sind hier zunächst Unterschiede zu benennen. Sieht man einmal von individuellen Unterschieden ab, so sind auf jeden Fall Brüche und Unterschiede im Weltbild, zum Kulturkreis usw. nicht zu übersehen. Zwar erlebt jeder Mensch Freude und Leid, Stagnation und Veränderung und anderes mehr, die Deutung aber hängt stark vom einzelnen Individuum und den Erlebnis- und Erfahrungszusammenhängen ab, an denen es partizipiert. Deren Geschichtlichkeit und Wandelbarkeit können nicht einfach ausgeblendet werden, um Text und gegenwärtige Erfahrungswirklichkeit zur Deckung zu bringen. Von daher ergibt sich als Aufgabe der Homiletik162, Zeitdiagnostik zu treiben, die Implikationen der Moderne zu bedenken und mit christlicher Tradition zu vermitteln. Brüche und Differenzen müssen sorgsam reflektiert werden, um Gemeinsames und Fremdes jeweils erkennen und unterscheiden zu können. Traditionsabbrüche dürfen nicht ignoriert werden. Mit Recht wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, daß die Wahrnehmung des Fremden oder Abständigen hermeneutische Potenz in sich birgt163 und produktiv im Verstehensprozeß wirkt. Darüber hinaus aber sollte mehr Aufmerksamkeit auf die Differenzen gelegt werden, um klarer Diskontinuitäten benennen zu können. In der Predigtarbeit der Meditationen geriet der Hinweis auf die Moderne oft zufällig, nur um das eine oder andere distanzierende Verfahren zu begründen: Wovon sich distanziert wurde, welche Vorstellungen nicht übernommen werden sollten, wurde jedoch kaum begründet. Das Verfahren aber sollte nicht dem Zufall überlassen, sondern sorgfältig bedacht werden. Um individuelle Unterschiede zwischen den gegenwärtigen Hörern zu berücksichtigen, können plan-

miletik, von Theorie und Praxis der Predigtarbeit kann sich eine Predigtlehre entwikkeln, die den komplexen Bedingungen des homiletischen Aktes gerecht wird." (217) 160 Vgl. dazu die Darstellung von Luthers Homiletik bei D. Rössler [1983], besonders 212. 161 H. Hirschler [1992], 88. 162 Im Gespräch mit anderen theologischen Disziplinen. 163 Vgl. dazu V. Drehsen [1996] und R. Schieder [1995],

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voll164 Unbestimmheitsstellen in die Predigt eingeflochten werden, die der Hörer selbständig ausfüllen kann. Schließlich ist aber noch auf die Frage einzugehen, ob denn die Ostertexte, die für die Ostergottesdienste vorgesehen sind, von Erfahrungen sprechen, die prinzipiell von anderen Erfahrungen unterschieden sind, insofern sie Erfahrungen mit dem Auferstandenen darstellen. Dazu ist zunächst zu sagen, daß Glaubenserfahrung und Lebenserfahrung nicht prinzipiell zu unterscheiden sind. Glaubenserfahrung stellt keinen Bruch dar, sondern geschieht inmitten sonstiger Erfahrung, ja, Lebenserfahrung kann zur Glaubenserfahrung werden165. Von daher ist es auch nicht sinnvoll, von einem Bruch oder gar von einem Aufsprengen der Ostererfahrung gegenüber sonstiger Erfahrung zu sprechen. Eine Einheit der Wirklichkeit könnte in diesem Fall nicht mehr behauptet werden. Offenbarung und Erfahrung stehen sich nicht unvermittelt gegenüber, sondern: „Offenbarung geschieht - nota bene: unverfügbar - in, mit und unter Erfahrung in ihrer Normalität und Regelmäßigkeit."166

164 Für die Rezeption der Rezeptionsästhetik in der Homiletik bleibt zu beachten, daß die Leerstellen nicht einfach etwas ,offen' lassen, was .besetzt' und ,ausgefüllt' werden könnte durch beliebige Perspektiven. Die Interaktion zwischen Kunstwerk und Rezipient muß sorgfältig geplant werden. Vgl. dazu die kritischen Hinweise bei G. Sauter [1992], besonders 353f. 165 Gegen J. Track [1982]: „Gegenwärtiger Glaube ist unbedingtes Betroffensein durch das Evangelium. Solche Erfahrung bedeutet Unterbrechung des Selbstverständlichen, der gewohnten Erfahrung." (118) 166 „ihr Geschehen ist nicht auf besondere Feier- und Festbezirke unseres Lebens beschränkt, sondern es ist die ,Chance des Alltags'. Aber nicht eines beliebigen Alltags, sondern nur bestimmte Erinnerungen und Traditionen an kontingente Offenbarungsereignisse geprägten Alltags. Aber eben auch dies nur des durch diese Erinnerungen und Traditionen geprägten Alltags." (E. Herms [1992b], 266, mit Hinweis auf Ernst Lange.)

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8. Ostern in der Predigtarbeit Die Arbeit an der Osterpredigt läßt sich zum einen exemplarisch als ein solches Stück Predigtarbeit betrachten, wie sie auch im Zusammenhang mit jeder anderen Predigt entsteht. Darüber hinaus kann die Osterpredigt als „Prototyp jeder Predigt schlechthin"167 gelten. Die liturgische Einsicht, daß jeder sonntägliche Gottesdienst eine Osterfeier darstellt, ist auch homiletisch von Interesse. Der Osterpredigt kommt damit ein theologisches Gewicht zu, das auch die Arbeit an ihr prägt. Versteht man Ostern als Ursprungsdatum des christlichen Glaubens, dann gewinnt die Osterpredigt durch dieses besondere theologische Gewicht eine orientierende Funktion, die das Predigen insgesamt betrifft. Ausgangspunkt der vorliegenden Studie zu ,Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit' waren auch aus diesem Grunde Predigtmeditationen, die als exemplarisches Quellenmaterial ausgewertet wurden. Abschließend soll nun die Zuordnung der im ersten Teil untersuchten Predigtmeditationen zur Osterbotschaft168 noch einmal explizit Berücksichtigung finden. Problemanzeigen aus dem Quellenstudium werden zu Anregungen weiterentwickelt, die durch die grundsätzlichen Überlegungen in den beiden vorangegangenen Kapiteln zu Text und Wirklichkeit in der Predigtarbeit motiviert sind169. Der Ertrag der bisherigen Überlegungen wird mit einfließen, indem er an der Osterpredigt exemplarisch aufgezeigt wird. Darüber hinaus soll, von der besonderen theologischen Relevanz der Osterpredigt ausgehend, die damit verbundene orientierende Funktion für das Predigen insgesamt zu zeigen versucht werden170. 167 M. Josuttis [1975], 102. 168 Auf den liturgischen Konnex der Osterpredigt wird nicht eingegangen, weil die Analyse der Predigtmeditationen auf die Inhalte der Predigt konzentriert war. Ich möchte jedoch zum liturgischen und rituellen Aspekt verweisen auf: M.C. Jacobeiii [1992], T. Walther-Sollich [1996], P. Cornehl [1993], P. von der Osten-Sacken [1991], Ausführliche Literaturhinweise finden sich bei G. Vison [1995], 169 Auf die Fülle von Literatur aus den neutestamentlichen und systematisch-theologischen Disziplinen kann im folgenden kaum eingegangen werden. Ich beschränke mich im wesentlichen auf die homiletische Literatur zur Osterpredigt. Dennoch sei hingewiesen auf einige neuere Titel zum Thema. Aus der systematischen Theologie: L. Oberlinner [1986], K. Stock [1994], H . Kessler [1995], G. Essen [1995], H. Verweyen [1991] und ders. [1995], F.-J. Nocke [1993], Einen Überblick über die neutestamentlichen Erträge mit einer ausführlichen Bibliographie gibt P. Hoffmann [1988]. 170 Mit diesem Kapitel soll über die reine Darstellung gegenwärtiger Predigtarbeit

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8.1. Die Exklusivität der Ostererscheinungen Die Frage des Verhältnisses von ,Erfahrungen des Auferstandenen' und solchen Erfahrungen, die prinzipiell jedem Menschen offen stehen, wurde bereits mehrfach erwähnt. Offenkundig stellt sie ein Zentralproblem heutiger Osterpredigt dar: Sind die Erscheinungen des Auferstandenen vor den Osterzeugen vergleichbar mit positiven Erfahrungen von Veränderung, von Freude und Neuanfang, wie sie auch dem zeitgenössischen Predigthörer zuteil werden können? Oder beanspruchen die biblischen Osterzeugnisse eine Exklusivität, die ihnen auch im homiletischen Vollzug nicht genommen werden darf? Zur Beantwortung dieser Frage kann nicht einfach über das Selbstverständnis der Texte hinweggegangen werden. Paulus notiert ausdrücklich, daß er die Reihe der Erscheinungen des Auferstandenen für abgeschlossen hält (1 Kor 15,8)171. Und der lukanische Zeugenbegriff ist keineswegs offen für eine Erfahrung des Auferstandenen, die abzulösen wäre von der apostolischen Autorität. Diese impliziert neben der Teilnahme an einer Erscheinung des Auferstandenen auch die Augenzeugenschaft von Leben und Sterben des Jesus von Nazareth und seiner Himmelfahrt (Apg 1,21). Und nach Johannes kommt der ungläubige Thomas erst zum Glauben, nachdem er die Kreuzigungsmale des Auferstandenen betasten durfte. Für die, denen diese Erfahrung nicht zuteil wird, hält der Evangelist fest: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben." (Joh 20,29) Von der Exklusivität der im Neuen Testament beschriebenen Ostererscheinungen kann also nicht abgesehen werden. Die Erscheinungen des Auferstandenen gehören der Epoche der Apostel an. Deshalb kann von gegenwärtiger Ostererfahrung in diesem Sinn auch homiletisch keine Rede sein. Stimmt diese Annahme jedoch noch zusammen mit dem berechtigten Anliegen der ,modernen Predigt', gerade auf das eigene Dabeisein in der Predigt zu zielen? Sollte es nicht primär um „die Erfahrung der Auferstehungjesu im Leben .auferstandener Menschen' (Rittelmeyer) hier und heute"172 gehen? Beziehungsweise negativ gewendet: Hält die Abgeschlossenheit der Erscheinungen des Auferstandenen nicht zugleich die Abständig-

zu Ostern hinausgegangen werden. Vgl. dazu vor allem A. Quade [1994] und I.-G. Cheong [1994]. Eine ältere Darstellung liegt mit O. Krause [1965] vor. Neuere Ubersichten über die Geschichte der Osterpredigt gibt es meines Wissens nicht. Vgl. darum zur Geschichte (von der Alten Kirche bis 1945) die Studie von B. Dreher [1951]. 171 „Die Formulierung [sc. 1 Kor 15,8] läßt erkennen, daß für Paulus die Erscheinungen des Auferstandenen mit dieser Christophanie abgeschlossen sind; seit seiner Bekehrung (um 33 n. Chr.) gibt es keine mehr." (Ch. Wolff [1996], 373.) 172 Vgl. die Darstellung der modernen Predigt bei W . Grab [1996], hier: 113. Sowie zu Schleiermacher F. Wintzer [1979], 537: „Inhalt der Predigt soll die gegenwärtige Glaubenserfahrung sein, nicht die Spekulation über die Todesgrenze hinaus."

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keit des eigentlichen Heilsgeschehens fest und rückt den Lebensbezug des Bezeugten in denkbar weite Ferne? Dies ist jedoch keineswegs eine notwendige Konsequenz. Die Exklusivität der Ostererscheinungen ist denkbar ohne Verlust ihrer Gegenwartsbedeutung. Im Gegenteil: Ihre Unverwechselbarkeit schließt ihre bleibende Bedeutung allererst ein. Ihre Zeugnisse sind einmalig und unersetzlich, gerade weil die in ihnen zur Sprache gebrachten Erfahrungen nicht austauschbar oder wiederholbar, eben weil sie unvergleichlich sind. 8.2. Erfahrung des A uferstandenen und Lebensbezug Welche Bedeutung kommt der gottesdienstlichen Rezeption der Osterzeugnisse zu? Welchen Gewinn haben wir durch ihre Kenntnis? An erster Stelle ist hier die Erweiterung unserer Wirklichkeitswahrnehmung zu nennen. Die Ostertexte bezeugen Erfahrungen, die über unsere alltägliche Wirklichkeitserfahrung hinausreichen. Sie enthalten .Neuigkeiten' und besitzen somit unverwechselbaren und unersetzlichen Informationswert, der Neues eröffnet. Ihre Fremdheit birgt eine hermeneutische Potenz in sich. Diese ist weniger durch die historische Distanz bedingt, als vielmehr durch die Besonderheit der Erfahrungen, von denen sie sprechen. Die Ostertexte, welche die Erscheinungen des Auferstandenen bezeugen, entsprechen nicht dem Gewohnten, und sie überbieten selbst das, was wir an besonderer und herausragender Lebenserfahrung benennen können173. Die Selbstbezeugung des Auferstandenen, der endgültig174 dem Tod entrissen ist, ist den Osterzeugen einmalig widerfahren. Eben diese Exklusivität aber schließt keinen anderen Menschen aus. Wir partizipieren an dem Geschehen durch Uberlieferungsprozesse, indem wir von den Erscheinungen des Auferstandenen durch die Osterzeugen erfahren. In präzise dieser besonderen, ent173 Nicht alle Perikopen, die für Ostersonntag und Ostermontag als Predigttexte vorgeschlagen sind, bezeugen in dem hier dargestellten exklusiven Sinne Ostererfahrungen. Es ist darum in der Predigtarbeit zu unterscheiden zwischen den Texten, die eine Erscheinung des Auferstandenen bezeugen bzw. sich auf eine solche beziehen, und den Texten, die eine besondere Lebenserfahrung zum Ausdruck bringen, die aber nicht prinzipiell unterschieden ist von Erfahrungen, die auch Menschen heute möglich sind. Für die Predigtarbeit hat dies zur Konsequenz, daß auch die Texte, die keine exklusiven Ostererfahrungen beschreiben, zu beziehen sind auf die Selbstbezeugungen des Auferstandenen. Beispielsweise kann die Erfahrung, die das Lied der Hanna zum Ausdruck bringt (1 Sam 2,l-2[3-5]6-8a), durchaus mit gegenwärtiger Lebenserfahrung verglichen und parallelisiert werden, allerdings ist festzuhalten, daß die Osterbotschaft nicht in der Abbildung dieser Erfahrungen aufgeht, sondern Darüberhinausgehendes beinhaltet. 174 Die Auferstehung Jesu Christi stellt keine Totenwiederbelebung dar und ist als solche analogielos.

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scheidenden Hinsicht kann daher von Exklusivität keine Rede mehr sein. Die Hoffnung, ja die Gewißheit, die sich aus diesen Erscheinungen ergibt, betrifft die Welt als ganze175. In Hinsicht auf Hoffnung und Gewißheit besteht darum keinerlei Besonderheit der Osterzeugen. Mit der Erscheinung des Auferstandenen ist untrennbar die Zusage der universalen Totenauferweckung verbunden, und zwar unabhängig von der Art und Weise des Zugangs zu dieser Nachricht. Auf der einen Seite sind demnach die Ostertexte durch äußerste Fremdheit im Verhältnis zu unserer sonstigen Lebenserfahrung qualifiziert. Andererseits betreffen sie unser Leben in einer Weise, die über den Tod hinausreicht. Sie halten eine brisante Perspektive für das Leben bereit, indem sie dieses neu dimensionieren. 8.3. Hoffnung auf Leben über den Tod hinaus Die zugesagte Auferweckung der Toten kann sachgemäß als ein Versprechen' verstanden werden. Das Geschehen bleibt hinsichtlich seiner eschatologischen Verifikation auf Gott selbst angewiesen. Dennoch ist der Aspekt der Zukünftigkeit nicht zu isolieren. Im Versprechen ist die Zukunft vorweggenommen, indem es seine Erfüllung bereits als gegenwärtige Wirklichkeit setzt. Es setzt sich selbst als Bedingung dafür, „daß es gelingen wird, einfach deshalb, weil es die Wirklichkeit selbst schon im Akt ihrer Antizipation ist"176. Die Peripetie in den Ostererzählungen läßt „das Unwahrscheinliche' wirklich werden"177. „Der Wirklichkeit wird ein Horizont eröffnet, in dem gerade ,mehr' wirklich wird, als der Wirklichkeit von sich aus potentiell zukommt."178 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist die Gefahr vermeidbar, in der Predigtarbeit mit den Ostertexten lediglich reduktiv zu verfahren. 175 Vgl. z.B. 2 K o r 5,19: Das Christusgeschehen betrifft den Kosmos. 176 J. von Soosten [1992], 478-497: Zitate 486.479. Zum Begriff .Versprechen' vgl. auch R. Wonneberger/H.Ρ. Hecht [1986]. 177 Vgl. dazu die Analysen der Ostererzählungen bei J. von Soosten [1992], Von Soosten spricht in diesem Zusammenhang von einer Peripetie von Karfreitag zu Ostern. Charakteristisch ist: „Der Umschwung, der in den Auferweckungserzählungen erfolgt, läßt es dabei kaum zu, die Geschichte Jesu Christi als Happy-End-Geschichte aufzufassen." Anders als in der aristotelischen Poetik, in der die Peripetie zwar auf Überraschung zielt, sich jedoch in der Retrospektive stets als handlungsimmanent erweist, werden darum in den Ostergeschichten „die Spielregeln des Möglichen ... durchbrochen" (491). Karfreitag dient somit insbesondere der Glaubwürdigkeit des göttlichen Versprechens, weil sich das Versprechen Gottes als Ausdruck seiner Liebe nicht enthusiastisch über Zeit und Ort hinweghebt und nicht nur in der Person Jesu Christi aufgeht, sondern es geht vielmehr „in diejenige Wirklichkeit ein, unter deren Bedingungen die Erfüllung von Versprechen, die sich Menschen geben, notorisch versagt wird." (481) 178 AaO., 491, mit Hinweis auf E. Jüngel [1972],

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Sie müssen weder an einem Wirklichkeitsverständnis, das nur das Wahrscheinliche auch für das Mögliche und allein Wirkliche hält, orientiert, noch an eine allgemein zugängliche Welterfahrung angepaßt werden 179 . Der Prediger wird daher nicht mit dem Vorurteil seiner Worte die Wirklichkeit wie mit einem Netz überziehen180. Die differentia specifica der biblischen Osterzeugnisse hält fest, daß die Osterbotschaft mehr bereithält, als was für dieses Leben zu erhoffen bleibt. Das Verständnis von Ostern und Auferstehung wird somit nicht diktiert von den rein diesseitigen Machbarkeiten. Es bleibt mehr zu erhoffen, als was wir schon vorfinden oder auch jemals noch zu bewegen imstande wären. Die Osterpredigt bringt mithin eine Hoffnung zum Ausdruck und zur Geltung, die gegenüber menschlichen Einflußmöglichkeiten ein qualitatives Mehr bietet. Gegenstand der Hoffnung ist nicht nur die Summe aller potentiellen Veränderungen, zu denen Menschen im Idealfall fähig wären. Christliche Hoffnung erhofft mehr als Menschen bewegen können 181 . Denn sie erwartet Heilvolles gerade für die Situation, in der menschliche Kraft und Einflußnahme unüberbrückbar an ihr Ende gekommen sind. Diese Dimension des Osterglaubens ist auch und besonders für die Osterpredigt unverzichtbar. Das eschatologische Reflexionspotential sollte darum in der Predigtarbeit unverkürzt wirksam werden182. Die Verschiebung der Koordinaten183, welche die Erwartung als Appell zur „[AJuferstehung heute und jetzt" 184 auslegt, ist zwar verständlich als Versuch, die Präsenz des Heils in der Gegenwart aufzuweisen und so dem Vorwurf der Jenseitsvertröstung zu entgehen. Sie schränkt jedoch die Dimension von Hoffnung und Gewißheit drastisch ein. Hoffnung verflacht, wenn sie sich lediglich auf durch Menschen initiierte Veränderungen bezieht oder als gegenstandslose Moti179 Gerade darin liegt das hermeneutische Potential der Eschatologie. I. Schoberth [1997] stellt fest: „Die eschatologische Wachsamkeit verwandelt die Wahrnehmung der Welt; eschatologische Predigt muß folglich von der Verwandlung der Wirklichkeit sprechen." (448) 180 „Das Reden von Gott ist immer eine Preisgabe unserer selbst, eine Entäußerung, nicht ein suggestives Verbreiten unserer Eindrücke und Selbsterfahrungen. In diesem Reden, in dem der Mensch ganz .dabei' ist, tritt er zugleich hinter dem Gesagten zurück, wenn er die Welt nicht redend einfängt, wenn er nicht mit dem Vorurteil seiner Worte die Wirklichkeit wie mit einem Netz überzieht, wenn er die Angesprochenen nicht mit der Faszination seiner Wortmagie bezaubert." (G. Sauter [1981], 57.) 181 H. Weder [1998] weist darauf hin: „Die Botschaft von der Auferweckung Jesu gründet keinesfalls in der menschlichen Fähigkeit aufzuerstehen." (84) 182 Es sollte darauf geachtet werden, daß die .Doppelseitigkeit des Eschatologiebegriffs' stets präsent ist. Eschatologisches Reflexionspotential liegt in der Doppelheit von gegenwärtiger Heilsverwirklichung und zukünftiger Vollendung. Vgl. dazu ausführlich: S. Hjelde [1987], besonders 469ff. 183 So kritisch G. Sauter [1995], 210. 184 K. Marti [1986], 25.

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vation zum Handeln verstanden wird. Geht der Bezug verloren zu den einmaligen Erscheinungen des Auferstandenen vor den Osterzeugen und der Erwartung eines Lebens, zu dem wir nach dem Tod auferweckt werden, so erstickt die Hoffnung in jenem Menschenmöglichen, das der jeweilige bloße Augenblick hervorbringt. Zwar müssen nicht in jeder Predigt Grund und Ziel christlicher Hoffnung explizit ihren Platz finden, aber für die Arbeit an der Osterpredigt ist die Ausdehnung der Hoffnung von großer Bedeutung. Denn sie verhilft zur Rechenschaft über die Hoffnung185, der die Predigt Ausdruck verleiht. Und nur eine Hoffnung, die dem Tod nicht das letzte Wort einräumt, läßt sich als wirklicher Protest gegen den Tod verstehen186. Erst von der Hoffnung eines ,fessellosen Lebens'187 her läßt sich der umfassende Einsatz für gelingendes Leben motivieren.

8.4. Himmelsbilder „In unserer Kultur ... spielen nur noch minimalistische Vorstellungen vom Leben nach dem Tode eine gewisse Rolle." 188 Der Blick auf eine Kulturgeschichte des Himmels bietet Aufschluß darüber, daß es im Christentum zu allen Zeiten eine überaus reichhaltige Vorstellungswelt gab. In der Moderne tritt eine Konzentration auf das „irdische Paradies"189 ein. Für die Gegenwart jedoch ist ein Bildermangel zu konstatieren190. Die Anschaulichkeit geht ganz und gar in der Diesseitigkeit auf. Schließlich ist eine völlige

185 „Die Hoffnung wird nur dann nicht schamlos, wenn sie bedenkt, daß ,keine innerweltliche Besserung ausreichte, den Toten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen'". (H. Luther [1991a], 421, mit Zitat Th.W. Adorno [1970], 376.) 186 Diesen Zusammenhang impliziert Ernst Lange [1975]: .Nicht an den Tod glauben.' 187 „Der Protest gegen den Tod lebt also aus der Utopie eines fessellosen Lebens, das auch die Fessel des Todes überwunden hat." (H. Luther [1991a], 420.) 188 Zu diesem Ergebnis kommen B. Lang/C. McDannell [1990] - nicht ohne Bedauern - am Schluß ihrer Kulturgeschichte des ewigen Lebens: „,Ach, von jenem lebenswarmen Bilde/Blieb der Schauen nur zurück', heißt es bei Schiller, der den Göttern Griechenlands nachtrauert, an die niemand mehr glaubt und die nur noch in der Dichtung existieren. Die Geschichte des Himmels hat einen ganz ähnlichen Schluß, denn sie endet bei der Ansicht, daß Gott dem Menschen nur ein einziges Leben gegeben hat - das Leben zwischen Geburt und Tod - und daß wir das Beste daraus machen sollen." (469) 189 So der Titel von W. Hofmann [1991]. 190 K.-F. Daiber [1997] weist darauf hin, daß die christliche Symbolwelt „insgesamt dürr" (160) ist. Hinzu kommt die Tendenz der Theologie, „Sprachmöglichkeit an dieser Stelle einzuschränken" (ebd.). Weil ein Bedarf an Deutung und Symbolisierung bleibt, erklärt sich die zunehmende Herausbildung von eigenen Sprachversuchen und die Entstehung von Alltagssynkretismus.

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Jenseitsvergessenheit festzustellen, wenn die „Zukunft der Erlösung" 191 durch den Tod begrenzt wird. Jenseitsvorstellungen aus vergangenen Epochen können nicht einfach repristiniert werden. Die Frage nach dem, was wir hoffen dürfen, bleibt dennoch ein Thema der Predigtarbeit zu Ostern. Ihre Beantwortung stößt an die Grenze zwischen Leben und Tod, die nicht zuletzt eine Sprachbarriere ist. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt, etwas über das Leben nach dem Tod zu sagen, ohne zugleich unsere Kompetenz zu überschreiten192. Die Osterzeugnisse jedoch bieten Vorstellungen, die aufgegriffen und entfaltet werden können. Gegenstand christlicher Gewißheit ist keine Seelenwanderung, sondern eine Neuschöpfung; ein eschatologisches Endgericht, in dem wir auf ein gnädiges Urteil hoffen dürfen, ohne daß alle Greuel, die Menschen einander antun, einfach vergessen wären; eine Auferstehung des Fleisches193, aber zugleich eine wunderbare Neugestaltung unserer Körper; eine völlige Verwandlung, aber zugleich die Identität der Hoffenden mit den Auferweckten durch ihre Umgestaltung hindurch. Biblische Bilder legen eher theozentrische Vorstellungen nahe. Anthropozentrische Himmelsbilder sollten jedoch nicht ganz abgewiesen werden, da sie eine lebensbejahende Komponente in sich bergen und zugleich menschlichen Sehnsüchten entgegenkommen 194 . Der Hinweis auf die Analogielosigkeit des Erhofften entbindet nicht von der kreativen Aufgabe, Bilder zu finden bzw. neu zu erfinden. Ein generelles Bilderverbot 195 sollte darum gerade für Homiletik und Predigtarbeit nicht gepflegt werden, denn es wird den Entwurf neuer Himmelsbilder behindern, wenn es nicht sogar die Kreativität ganz und gar lahmlegen würde. Bei der Suche nach Bildern in der Predigtarbeit kann auch eine ikonographische Auswertung hilfreich sein196. In jedem Fall jedoch bleibt die Sachgemäßheit einzelner Bilder stets zu prüfen. 191 So der Titel des Sammelbandes von K. Stock [1994]. 192 „Wie Gott selbst entzieht sich auch Gottes Handeln jeder beobachtenden Feststellung und begrifflichen Beschreibung. Wir können deshalb immer nur gleichnishaft von ihm reden, also mit Hilfe von Bildern, Denk- und Sprechmodellen, die aus unserer Erfahrung genommen sind und mit deren Hilfe wir uns Gottes Handeln verständlich und die Erfahrung seines Handelns sprachlich kommunikabel machen." (I.U. Dalferth [1994], 70f; vgl. ausführlicher ders. [1981], 482ff.) 193 Die ältere Formulierung des Credo Apostolicum war eine „im Kern subversive Formel". Anders als eine unspezifischere ,Auferstehung der Toten' bedeutet die Auferstehung des Fleisches': „Keine abstrakte Auferstehung - irgendwie, sondern sinnlichleibnah" (H. Luther [1991a], 420). 194 Zur Unterscheidung und Charakteristik beider Vorstellungsmodelle vgl. ausführlich B. Lang/C. McDannell [1990], 471-478: besonders 474. 195 Vgl. zur „Dialektik von Wort und Bild" A. Grözinger [1987], der auf die Notwendigkeit der Verwendung von Bildern hinweist und zugleich die Notwendigkeit einer theologischen Ästhetik begründet (89-104:103). 196 Vgl. zum Thema .Auferstehung' die Studie von A. Stock [1979]. Der aufschluß-

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8.5. , Ostern der Sprache 'w Damit stellt sich das Sprachproblem. Anschaulich soll geredet werden von einer Sache, die sich der Anschauung noch entzieht. Die biblische Tradition hält eine Vielzahl von Bildern und Symbolen bereit, um Ostern zur Sprache zu bringen. Dieses Sprachpotential gilt es zu nutzen198. Auch darin liegt eine wesentliche Funktion199 der biblischen Texte für die Predigt. Daneben besteht die Möglichkeit, das mit der Predigt in einem unauflöslichen liturgischen Zusammenhang verbundene Liedgut aufzunehmen200. Die schöne Literatur stellt einen unverzichtbaren Gesprächspartner dar. Ein nur verwertender Gebrauch201 sollte allerdings vermieden werden. Der Griff zu Sammlungen, die Zitate für die Predigt bereithalten, wird in der Regel verbunden sein mit der beobachteten Entstehung eines redundanten Kanons. Die eigene Auseinandersetzung mit Literatur ist daher für den Prediger unverzichtbar. Darüber hinaus gehört es mit zur Interpretationsleistung des Predigers, daß er selbst sprachschöpferisch tätig wird. In der Predigtarbeit sind eigene Sprachschöpfungen auf ihre Sachgemäßheit hin zu überdenken. Dies erfordert neben einer theologischen Kritik der Inhalte zugleich auch die Reflexion der Ausdrucksformen. Wenn sich der Prediger der Bilder- und Symbolsprache bedient, sollte dies für die Predigthörer erkennbar sein. Metaphorische und poetische Redeweise sollten kenntlich gemacht werden, um die Gefahr zu bannen, daß ,Ostern' zur Chiffre wird und ,Auferstehung' zum Etikett, mit dem sich alle möglichen Wunschbilder bekleben lassen. Es muß erkennbar bleiben, was der Prediger meint, wenn er zum Beispiel vom Sieg des Lebens über den Tod spricht. Meint er die unerwartete Genesung von einer schweren Krankheit oder impliziert seine Rede ein Leben, das auch für den zu erhoffen bleibt, der nicht mehr gesund wird? Maßstab für die Angemessenheit

reiche Aufsatzband von A. Stock/M. Wichelhaus [1979] bemüht sich um eine theologische Auswertung von Ostern in seiner kulturellen Vielgestaltigkeit. 197 So der Titel des Aufsatzes von G.A. Krieg [1990] zur Frage der Anschaulichkeit der .modernen' Osterpredigt. 198 Als ein eindrückliches Beispiel ist Offb 21,3b-4 zu nennen. 199 Den betonten Hinweis auf die „Bereicherung der Redekompetenz" gibt M. Josuttis [1983], 390. 200 Eine Einführung in die Liedpredigt gibt J. Henkys [1996]. Er weist darauf hin, daß ihr ,Text' „nicht einfach das von seiner Melodie abgelöste Sprachgebilde" sein sollte, sondern daß von der „theologisch relevanten poetisch-musikalischen Einheit" auch in der „rednerischen Ausführung" auszugehen ist (1335). Vgl. auch P. Bukowski [1988], der Anregungen für die Osterpredigt dem Lied Paul Gerhardts „Auf, auf mein Herz, mit Freuden" (EG 112) entnimmt (209-211). 201 Vgl. oben 7.6.

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der sprachlichen Gestaltung der Osterpredigt ist, daß die Rede offen 202 bleibt für das Verständnis von Ostern als uneingeschränkten Sieg über den Tod203. Aufgabe der Predigtarbeit ist es mithin, daß sie sich mit der inhaltlichen Konturierung und Schärfung der Zukunftserwartung befaßt. Allerdings muß die Osterpredigt verständliche Rede sein. Der inflationäre Gebrauch einzelner komplexer Begriffe, der auf Präzisierung verzichtet und darauf hofft, durch das bloße Aussprechen eines Begriffs Verständigung mit den Hörern zu erreichen, führt zu einer Mythisierung von Begriffen 204 . Es konnte festgestellt werden, daß insbesondere der Begriff ,Veränderung' häufig verwendet wurde, ohne daß offengelegt wurde, was warum woraufhin verändert werden soll. Diese semantische Undeutlichkeit läßt den Hörer im unklaren darüber, was der Prediger meint, statt Kommunikation zu ermöglichen. Inhaltliche Klärungen dieser A r t sind in der Predigtarbeit unverzichtbar, bevor die Wirkung auf den Hörer ins Auge gefaßt wird. Gegenüber der beobachteten Konzentration auf die Wirkung ist der semantischen Kontur

202 Darauf weist auch H. Schroeter [1995], 531, hin: „Auch wenn das Ostergeschehen nicht auf den (Anknüpfungspunkt zu bringen ist, kann gefragt werden, ob es als Reibungs-Fläche homiletisch so in Szene gesetzt werden kann, daß der Bruch bzw. der Riß, den das Ostergeschehen markiert, nicht von unseren Erfahrungen, Wünschen und Vorstellungen zugeschüttet wird." So auch M. Josuttis [1975], 107: „Wir sollen die Bilder der Hoffnung malen, aber an keiner Stelle verhehlen, daß es nur Bilder sind." 203 Diese Offenheit läßt der Vorschlag Gert Ottos [1987] zur Osterpredigt vermissen. Dieser stellt zwar überzeugend die Frage in den Vordergrund: „Wie denn zu heutigen Predigthörern, die weder Theologen noch Zeitgenossen des Paulus sind, konkret, ihrem Leben verhaftet von Ostern zu reden sei." (127) Mit Recht fragt er kritisch an: „Könnte es sein, daß in unserer Homiletik nach Karl Barth das ,Wie' der Predigt doch noch immer eine mindere Frage ist" (ebd.). Nachvollziehbar ist auch sein Hinweis auf die Eignung poetischer Sprache, „die eigenen Sprachgrenzen (die theologischen, die begrifflichen) übersteigen zu lernen" (132). Hermeneutischer Ausgangspunkt seiner Uberlegungen ist jedoch die Frage „Wo kann ich erfahren, wie Auferstehung heute geschieht?" Überlegungen zum Verständnis von .Auferstehung' sollen „nirgendwo anders als bei uns und unserem Leben" einsetzen (ebd.). Mit diesem Verfahren schließt er von vornherein aus, daß ,Auferstehung' eine unser gegenwärtiges Leben transzendierende Dimension in sich birgt. Schließlich kommt er zu dem Ergebnis, daß man von Glückserfahrungen sprechen muß, wenn „hörbar, fühlbar, lebbar werden soll, was Auferstehung in unserem Leben heißt". Will man, so Otto, heute verständlich von Auferstehung sprechen, so muß man vom „Glück" reden (141). ,Glück' aber bleibt weit zurück hinter dem, was ,Auferstehung' tatsächlich bedeutet. 204 A. Quade [1994] formuliert dieselbe Beobachtung anhand des Begriffs ,Leben': „Der Gebrauch des Begriffs ,Leben' ist inflationär. Es hat den Anschein, als ob die Nennung dieses Begriffs gleichsam lebenserweckende Kräfte entbindet." Kritisch hält er fest: „Nach der Entmythologisierung der Botschaft von der Auferstehung ist in den Predigten nun die Tendenz zu beobachten, das Geschehen um die Auferstehung zu remythisieren." (169) 249

der Osterpredigt stärkere Beachtung zu schenken205. Was erhofft wird, warum Grund zur Freude besteht und woraus Mut zu schöpfen ist - diese Fragen sind sorgfältig zu beantworten. Denn Trost wird nur eine Predigt spenden können, die Tröstliches zu sagen weiß. Freuen wird sich nur, wer tatsächlich verstanden hat, warum er sich freuen kann. Hoffnung bedarf eines Gegenstandes, wenn sie mehr als nur eine flüchtige Stimmung sein soll.

8.6. Ostererscheinungen und Erfahrungen des Lebens Für das Gelingen der Osterpredigt ist von entscheidender Bedeutung, daß sie den Lebensbezug der Ostererscheinungen plausibel aufzuzeigen versteht. Die universale Hoffnungsbedeutung der exklusiven Erscheinungen des Auferstandenen ist nicht bloß zu behaupten, sondern auch darzustellen. Dies wird nur möglich sein, wenn die Predigt Bezug nimmt auf Erfahrungen, die ein Verständnis dafür vermitteln, was Leben in uneingeschränkter Fülle bedeuten kann206. Die Bruchstückhaftigkeit und Ambivalenz menschlicher Erfahrung darf allerdings nicht verleugnet werden. Erfahrungen sind immer mehrdeutig, d.h. sie sind prinzipiell offen für unterschiedliche Deutungen und Wertungen. Jeder Predigthörer wird Erlebnisse und Ereignisse des eigenen Lebens benennen können, die hoffnungsvoll oder trostlos sind, die Anlaß geben, optimistisch oder aber voller Verzweiflung der Zukunft entgegenzublicken. In der Verantwortung der Osterpredigt liegt es, solche Erlebnisse und Erfahrungen in einen Zusammenhang zu stellen mit der Botschaft der Ostererscheinungen. Dabei geht es um eine Perspektivierung lebensweltlicher Erfahrungen, die ein Deutungspotential eröffnet, welches mehr ermöglicht, als bloße Abbildung und Beschreibung von Erlebnissen es vermögen würden. Hoffnung und Gewißheit können auf diese Weise über das aus Erfahrungen Ableitbare hinausgehen und darum auch die Erfahrung transzendieren, daß der Tod unwider-

205 B. Lutz [1996] hält fest, daß auch in der Gegenwart die Hoffnung lebendig ist, daß es „ein Leben nach dem Tod" gibt. Umfragen zufolge wird dieses jedoch häufig als Wiedergeburt und Verlängerung der jetzigen Existenz gedacht. Daraus leitet Lutz die Konsequenz ab, daß die christliche Auferstehungshoffnung demgegenüber profiliert werden sollte. 206 H.W. Dannowski [1992] spricht zu Recht von der Gefahr, „die paradoxe Einheit von Perfectum und Futurum aufzulösen, nicht mehr die Zukunft des Auferstandenen anzusagen und nur mehr die Hoffnung dessen, der auferstehen soll." Aus diesem Grund ist zu beachten: „Wenn ich als Prediger mit der Auferstehung Jesu Christi als mit einem uns heute betreffenden Faktum rechne, dann muß sie auch in meine Wirklichkeitsanalyse einfließen, dann muß sie diese mitbeeinflussen, dann muß sie gerade auch dort miterzählt und mitbeschrieben werden." (11)

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ruflich die äußerste Begrenzung menschlichen Lebens darstellt207. Im Osterglauben erhält das Leben eine neue Dimension. Die Zweideutigkeit aller Lebenserfahrungen wird aber immer bestehen bleiben. Die Einbindung der neuen Dimension von Leben in die eigene Lebensperspektive läßt auf diese Weise Lebenserfahrungen zu Glaubenserfahrungen werden. Das gegenwärtige wirkliche Leben wird transparent für ein Leben über den Tod hinaus. Für die Predigtarbeit bleibt unbedingt zu beachten, daß nicht der Bezugnahme auf Lebenserfahrungen die Aufgabe zukommt, den Osterglauben zu begründen. Insbesondere soll Erfreuliches und Hoffnungsvolles in der Predigt nicht dazu benutzt werden, die Auferstehungshoffnung zu plausibilisieren, sondern es dient dem Verständnis dessen, was christliche Auferstehungshoffnung bedeutet. Es werden solche Erfahrungen im hier und jetzt benannt, „die eine Ahnung davon zu geben vermögen, was erfülltes Leben - Leben in Fülle ist"208. Die Entlastung der Lebenserfahrungen in der Predigt von jeder Funktion der Glaubensbegründung beinhaltet zugleich einen Perspektivwechsel. Sie sind nicht länger bloßes Material209, das die Glaubwürdigkeit der Osterbotschaft zu erweisen hätte, sondern dienen allein dem Zweck, daß die unverwechselbare Osterbotschaft vom Leben glaubwürdig in ihrem eigenen wirklichen Lebensbezug zum Ziel kommt. Hier tritt sowohl die lebensdienliche als auch die predigtkritische Kraft speziell der biblischen Ostererscheinungen zutage. Erst von diesem Standpunkt aus kann der Nuancenreichtum lebensweltlicher Erfahrungen wahrgenommen werden. Wenn auf erfreulichen und beglückenden Erlebnissen nicht das Gewicht lastet, eine das Leben umgreifende Hoffnung als plausibel zu erweisen, dann können auch weniger bedeutende Erlebnisse hervortreten. Vor allem aber wird eine Integration sogenannter negativer Erfahrungen in ihrer Tiefe und Abgründigkeit möglich. Die Schattenseiten menschlicher Existenz können abgebildet werden. In letzter Konsequenz muß deshalb sogar der Stachel des Todes weder verschwiegen noch schöngeredet werden. Negative Erfahrungen, Sorgen und Ängste stehen der Glaubenserfahrung nicht einfach unvermittelt gegen-

207 „Angesichts des Todes wird die Trostbedürftigkeit desjenigen Menschen offenbar, der auf einen ,Mehrwert' an Lebensmöglichkeiten hofft, auf eine Uberbietung der erfahrenen Lebensgestalt, die ihm eine Lebenswirklichkeit versagt, deren Unverfügbarkeit gegen die Erfahrung des Todes und Sterbens vor Augen führt: Trost ist demgegenüber die Ermutigung und Vergewisserung des Vertrauens in die Unabgeschlossenheit jedes menschlichen Lebens, das seinen Grund außerhalb seiner selbst hat." (V. Drehsen [1994b], 219.) 208 B. Lutz [1996], 306. 209 P. Bukowski [1992] weist auf die Gefahr hin, die Wirklichkeit zum „Illustrationsmaterial, zum Requisit" zu machen (94).

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über, etwa weil sie der Hoffnung zu widersprechen scheinen210. Lebenserfahrungen können in ihrer Vielschichtigkeit und ihrem Facettenreichtum hervortreten, weil sie nicht mehr herauszufallen drohen aus dem, was der Glaube für wirklich hält. Der Osterpredigt wäre eine orientierende Funktion für das Predigen insgesamt zuzuweisen, weil sie unbedingt daran erinnert, daß mehr zu predigen ist als die Lebenswelt der Prediger und Hörer selbst in ihrer Alltäglichkeit oder sogar Banalität211. Die österliche Hoffnung greift über dieses Leben hinaus. Erst aus dieser Gewißheit heraus resultiert eine wirklich neue Sicht. Aufgabe der Predigt als eine ,offenlegende Gebärde'212 ist es darum, diese neue Perspektive darzustellen und damit die Präsenz des Heils in gegenwärtigen Lebensvollzügen anzuzeigen.

210 Vgl. dazu die Überlegungen von P. Cornehl [1992] zur .Verschränkung von Eschatologie und Alltag'. 211 Vgl. die Kritik an gegenwärtiger Predigtpraxis und Homiletik von G.A. Krieg [1997], 226. 212 Zu diesem Begriff und seiner Verwendung vgl. oben 7.5.

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Abkürzungsverzeichnis Die verwendeten Abkürzungen folgen Siegfried M. Schwertner, IATG2, Berlin/ New York 1992. Die Abkürzungen der Biblischen Bücher sind orientiert am Ökumenischen Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien 21981; abgedruckt in: IATG2, XXXI. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: aaO. Anm. Bd. BEK BK bzw. d.h. ders. dies. ebd. EG EKD EKG EKU EVA Hg./Hgg. m.E. n. Chr. S. sc. u.a. u.ö. usw. V. v. Chr. vgl. z.B. z.St.

am angegebenen Ort Anmerkung Band Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR Bekennende Kirche beziehungsweise das heißt derselbe dieselbe ebenda Evangelisches Gesangbuch Evangelische Kirche in Deutschland Evangelisches Kirchengesangbuch Evangelische Kirche der Union Evangelische Verlagsanstalt Herausgeber (Singular/Plural) meines Erachtens nach Christi Geburt Seite scilicet und andere, und anderes, unter anderem, unter anderen und öfter und so weiter Vers, Verse vor Christi Geburt vergleiche zum Beispiel zur Stelle

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Literaturverzeichnis Das Literaturverzeichnis ist zweigeteilt: Unter 1. werden die als Quellen verwendeten Predigtmeditationen aufgeführt. Unter 2. ist sonstige Literatur genannt. Auf die im folgenden unter 2. genannten Werke wird in der Arbeit mit dem abgekürzten Vornamen und dem Nachnamen des Autors und dem Erscheinungsjahr der zitierten Auflage bzw. - falls dies im jeweiligen Zusammenhang von Bedeutung ist - der Erstauflage verwiesen. Sofern die Möglichkeit der Verwechslung gegeben ist, wird ein Buchstabe in alphabetischer Reihenfolge zum Erscheinungsjahr hinzugesetzt, der die Unterscheidung mehrerer Titel desselben Jahres ermöglicht. Die Reihenfolge, in der mehrere Werke desselben Autors aufgeführt werden, ist chronologisch orientiert. Die im folgenden unter 1. aufgeführten Titel werden der Einfachheit halber lediglich durch die Angabe des Autors benannt, wenn nicht mehr als eine Meditation von ein und demselben Autor stammt.

1. Als Quellen verwendete Predigtmeditationen: Ackermann, Dieter [1984]: Ostersonntag. 1. Korinther 15,19-28, in: EPM, Bd. 1, 1983/84,145-150 Bauer, Karl-Adolf [1990]: Ostermontag - 16.4.1990. Apostelgeschichte 10,34a. 36-43, in: GPM 44/1989/90, 215-222 Baumgartner, Konrad [1986]: Ostermontag - 31.3.1986. 1. Korinther 15,12-20, in: GPM 40/1985/86, 234-240 Berger, Eduard [1996]: Ostermontag - 8.4.1996. Apostelgeschichte 10,34a.36-43, in: GPM 50/1995/96, 199-203 Berger, Eduard / Burkhardt, Christian [1992]: Ostersonntag - 19.4.1992. 1. Korinther 15,1-11, in: GPM 46/1991/92, 192-198 und in EPM 1991/92, Bd. 1, 192-198 Bethge, Hans-Gebhard [1984]: Ostermontag. Apostelgeschichte 10,34a.36-43, in: EPM 1983/84, Bd. 1, 151-154 Bieritz, Karl-Heinrich [1984]: Ostersonntag - 22.4.1984, in: GPM 38/1983/84, 201-207 Blauert, Heinz [1983]: Ostersonntag. Johannes 20,11-18, in: EPM 1982/83, Bd. 1, 146-151 Blauert, Heinz [1993]: Ostersonntag. Matthäus 28,1-10, in: GPM 47/1992/93, 196-202 Bunners, Christian [1987]: Ostersonntag - 19.4.1987. Matthäus 28,1-10, in: GPM 41/1986/87, 206-212 und in EPM 1986/87, Bd. 1,149-153 Engelhardt, Klaus [1991]: Ostersonntag - 31.3.1991. Markus 16,1-8, in: GPM 45/ 1990/91, 191-196 254

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