Die Wirklichkeit der Wissenschaften und die Metaphysik


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Die Wirklichkeit der Wissenschaften und die Metaphysik

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MORITZ GEIGER

DIE WIRKLICHKEIT DER WISSENSCHAFTEN UND DIE METAPHYSIK

0

~

1966 GEORG OLMS VERLAGSBUCHHANDLUNG HILDESHEIM

INHALT Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Einleitung Die wissenschaftliche Wirklichkeit und die Wirklichkeit der Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.

Kapitel. Die beiden Einstellungen I.

2.

1

Die Charakterisierung der Einstellungen A. Die naturalistische Einstellung . . B. Die unmittelbare Einstellung . . . Das Physische und das Psychische . Nicht·physische Objektsbereiche . .

14

IS 20 21

23

Kapitel. Das Wahrnehmungsproblem und die Einstellungen Die Korrelation von Einstellung und Strukturantik Das Wahrnehmungsproblem . . . . . . . 3· Die Abbildtheorie der Wahrheit . . . . . 4· Die Korrespondenztheorie der Wahrheit ·. 5. Die Deckungstheorie der Wahrheit 6. bie Wahrnehmung und der Leib . . . . I.

2.

30 31 39 42

46

49

3· Kapitel. Die Haltungen Die strukturfixierend·objektivistische und die perspektivistisch-subjektivistische Haltung ~ 54 Zeit und Geschichtswissenschaft . 55 Raum und Physik . 56 Biologie . . . . . . . . . . . . . . 57 ) s OZlO . 1ogte. . . . . . . . . . . . . . 57 2. Subjektivistische und Gegebenheitshaltung. 6I 3· Die Haltungen und die Philosophie . 64 '4. Die neutralistische Haltung . . . . 68 5· Primäre und sekundäre Qualitäten 71 I.

Reprografieeher Nachdruck der Ausgabe Bonn 1930 Lizenzausgabe des Verlages G. Schulte·Bulmke, Frankfurt a. Main der 1930 im Verlag Friedrich Cohen erschienenen Originalausgabe Printed in Germany Herstellung: Druckerei Lokay, Reinheim Best.·Nr. 5101 364

V

55·5~~ J

A l.j.,

7

4· Kapitel. Die Einstellungen in den Wissenschaften Naturwissenschaft und Geschichtswissenschaft Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . 3· Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4· Logik . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

2.

Seite

76 81 88 107

5· Kapitel. Die philosophischen Einzelprobleme und die Einstellungen Der Zusammenhang von Leib und Seele Universalienproblem . . . . . . . 3· Determinismus und Indeterminismus 4· Das Problem der Unsterblichkeit. . . I.

123

2. Das

128 I36 141

6. Kapitel. Metaphysik und Einstellung I.

Die philosophischen Systeme . . . . . . . . . . . . .

144

7. Kapitel. Die metaphysische Verabsolutierung der Einstellungen Die Einstellungen und das Problem der Verabsolutierung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verabsolutierung der natur~li.st~s~he~ ·S~r~kt~r: ontik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . 3· Die Verabsolutierung der unmittelbaren Strukturantik 4· Das Erkenntnisproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

VI

VORWORT

159

162 168 1 79

Aus Arbeiten zur Grundlegung der Metaphysik hat sich dieses Buch als ein besonderes, selbständiges Kapitel losgelöst. Der Inhalt gibt weniger und mehr als der Titel vermuten läßt :--weniger - denn es wird keineswegs das Verhältnis zwischen der Wirklichkeit der Wissenschaften und der Wirklichkeit der Metaphysik. allseitig untersucht und zur Lösung gebracht; es werden vielmehr nur die allgemeinsten Voraussetzungen der Wissenschaften aufgewiesen und gezeigt, daß sie sich nicht dazu eignen, metaphysisch verabsolutiert zu werden; es wird dargetan, daß solche Verabsolutierung auf Widersprüche fuhrt, die - so lange man innerhalb der Voraussetzungen der Wissenschaft bleibt - nicht zu lösen sing. Nach dieser Richtung hin liegt der Schwerpunkt des Buches in den drei ersten und in den zwei letzten -Kapiteln. Andererseits will das Buch jedoch mehr geben als der Titel andeutet: Die Verschiedenheiten in den immanenten wissenschaftlichen Voraussetzungen sind nicht bloß etwas, was nur den! Philosophen angeht, die Beschäftigung mit ihnen ist nicht eine bloße Liebhaberei methodisch interessierter Geister. Vielmehr: viele der Streitigkeiten innerhalb der Rechtswissenschaft, der Staatslehre, der Soziologie, der Sprachwissenschaften, der Biologie usw. hängen letztlich mit der Unklarheit über diese immanenten Voraussetzungen zusammen, beruhen auf der Vermischung oder Nicht· Sonderung entgegengesetzter Strukturontiken. Nur, daß der in die Fachwissenschaft Eingeschlossene sich nicht klar darüber zu sein pflegt, daß in den anderenWissenschaften ähnliche Kämpfe sich abspielen; er würde zuweilen die Analogie zu den Kämpfen innerhalb seiner eigenen Wissenschaft auch dann nicht wiederVII

erkennen, wenn ihm die Kämpfe in der fremden Wissenschaft bekannt wären, weil die Einkleidung der Voraussetzungen von Wissenschaft zu Wissenschaft wechselt. So liegt in der scheinbar -jedoch nur scheinbar- bloß methodischen Scheidung der Strukturantiken eine Auseinandersetzung mit heutigen Wissenschaftsprinzipien überhaupt beschlossen. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Gegensatz der Struk-·· turontiken in seiner Bedeutung durch alle Wissenschaften hindurch zu verfolgen, an den aktuellen Diskussionen heutiger Wissenschaft die Geltung und Wichtigkeit der Scheidungen aufzuzeigen. Dazu aber wäre ein Eingehen auf die Problematik der Wissenschaften nach ihrer prinzipiellen Seite hin notwendig geworden; es war vorauszusehen, daß in dem Versuch die heutige wissenschaftliche Problemlage im einzelnen nach derSeiteder immanenten Voraussetzungen hin zu entwirren, die scharfe Linie des Buches verlorengegangen wäre. So habe ich es mir versagt, das große Material, das mir als Beleg ftir den Gegensatz der Einstellungen und Strukturantiken in Wissenschaft und Philosophie zur VerfUgung stand, in das Buch hineinzuarbeiten; ich habe mich damit begnügt, die Tendenzen herauszuarbeiten und jeweils mit prägnanten Beispielen zu belegen. Es besteht die Absicht, das Material aus Philosophie und Einzeldisziplinen, das hier nicht zur Verwendung gelangen konnte, gelegentlich in Einzelaufsätzen zu verwerten, die nicht von oben, vom Philosophischen her, sondern von unten, von der Einzelwissenschaft aus, die Fruchtbarkeit der aufgewiesenen Gegensätzlichkeiten zeigen können. Göttingen, im August I929. M. Geiger

VIII

EINLEITUNG

Die wissenschaftliche Wirklichkeit und die Wirklichkeit der Metaphysik. I

Das Verhältnis zwischen der Wirklichkeit, wie sie durch die Wissenschaft bestimmt wird, und der Wirklichkeit, die die Metaphysik zu erkennen bestrebt ist, wurde in dem Augenblick zweideutig,' in dem sich die Wissenschaft von der Philosophie loslöste. Von jetzt ab war die Philosophie nicht mehr Erkenntnis alles Wirklichen schlechthin, sondern Erkenntnis des schlechthin Wirklichen. Es war also eine rein formale Bestimmung, durch die nunmehr der Gegenstand der Metaphysik gekennzeichnet wurde: Sie wurde die Lehre vom letzten unabhängigen, in sich selbst ruhenden Sein. Der Inhalt dieses letzten Seins konnte jedoch aus dieser formalen Bestimmung nicht entnommen werden; und ebensowenig ließ sich ohne weiteres entscheiden, wenn nun irgendein Sein mit dem Anspruch auftauchte, das letzte zu sein das Wasser oder die Luft, die Ideen oder die Materie, der Wille oder der Logos - , ob dieser Anspruch gerechtfertigt sei oder nicht. Andererseits war jedoch durch die Formalität dieser Bestimmung der Metaphysik auch in keiner Hinsicht eine Methode angezeigt, wie man zu einer inhaltlichen Bestimmung des letzten Seins gelangen könne. Auf diese Weise war das metaphysische Sein zu einem fernen Land geworden, von dem man nicht wußte, wo es lag, und von dem man nicht einmal die Richtung kannte, in der es zu suchen sei. Und demgemäß mußte jeder Metaphysiker aufs neue aus eigener Wahl sich eine Straße bahnen, ohne die Sicherheit zu besitzen, daß sie auch wirklich zum Ziele führe. I

Wenn so die Metaphysik durch die Trennung von der Wissenschaft inhaltlich und methodisch aufs Ungewisse gestellt wurde, so hat die Wissenschaft ihrerseits durch die Trennung von der Metaphysik nur gewinnen können. Befreit von dem Zwang, sich an einem letzten Sein zu orientieren, konnte sie sich inhaltlichen Aufgaben zuwenden. Jede Wissenschaft, jede Wissenschaftsgruppe bearbeitet von jetzt ab bestimmte inhaltlich determinierte Seinsgebiete (oder inhaltliche Gebiete unter bestimmten Gesichtspunkten): Die anorganische Natur, die Lebensvorgänge, das Gebiet des Seelischen, die historischen Geschehnisse usw. - Gebiete, die ihr zunächst die natürliche Erfahrung zuweist. Damit ist auch, trotz allen Schwierigkeiten im einzelnen, der Wissenschaft methodisch der Weg gewiesen. Ihr Ausgangspunkt ist die natürliche Erkenntnis. An sie knüpft die Wissenschaft an und füllt die Vorzeichnungen aus, die ihr die natürliche Erkenntnis liefert. Was die natürliche Erkenntnis sporadisch, unexakt, Einzelheiten zu Einzelheiten häufend an Wirklichkeitsmaterial beibringt, bearbeitet die Wissen s c h a f t methodisch, präzisiert es, erweitert es, befreit es von Widersprüchen, stellt es in Zusammenhänge hinein, erklärt es und ordnet es zum wissenschaftlichen System. Damit aber tut sich eine Kluft auf zwischen Metaphysik und Wissenschaft. Beide suchen auf ihre Weise Wirklichkeiten zu erfassen: die Metaphysik das letzte Sein, die Wissenschaft eine Wirklichkeit, die sie aus der natürlichen Erkenntnis herauskristallisiert, ohne daß sie sich darum kümmert, ob sie nun gerade das letzte Sein in Händen hält oder nicht. So erhebt sich für alle ernsthafte Philosophie die Frage: Wie stehen metaphysische und wissenschaftliche Wirklichkeit zueinander? Aus der vorläufigen Ansage, die wir vomWesender beiden Wirklichkeiten gegeben haben, läßt sich nichts über ihre Beziehungen entnehmen: Die Definitionen, die wir von ihnen brachten, grenzten die Wirklichkeiten jede für sich ab, ohne sie in Beziehung zueinander zu 2

setzen. Es bedarf neuer gedanklicher Griffe, um eine solche Beziehung herzustellen, neuer Gesichtspunkte, um die beiden Wirklichkeiten nicht unvermittelt nebeneinander bestehen zu lassen. 2

Die Lösung des Pr_gblems der Beziehung der beiden Wirklichkeiten zueinander kann von zwei Seiten her in Angriff genommen werden: Man kann von der Metaphysik her die wissenschaftliche Wirklichkeit zu durchleuchten suchen, und man kann von der wissenschaftlichen Wirklichkeit aus zum Sein der Metaphysik vorzudringen sich bemühen. Die prinzipielle Lösung bringt einzig derAus gang von der Metaphysik. Es soll ein Maßstab gefunden werden, ob und inwi~weit die wissenschaftliche Wirklichkeit einen Beitrag liefert zum letzten Sein; und einen solchen Maßstab kann einzig das letzte Sein selbst beibringen. Nur von einer feststehenden Metaphysik aus kann entschieden werden, welche Position man gegenüber dem Anspruch der Wissenschaft Wirklichkeitserkenntnis zu bieten, einzunehmen hat: Ist die wissenschaftliche Wirklichkeit in derTat (wie es die geheime Überzeugung aller wissenschaftlichen Arbeit ist) eine Vorstufe zur letzten Wirklichkeit? Oder ist vielleicht auf dem Wege der Wissenschaft überhaupt die Wirklichkeit nicht zu finden- nicht die vorletzte, geschweige denn die letzte Wirklichkeit? Bedarf es vielleicht radikaler Umkehr gegenüber der Wissenschaft zu metaphysischer Dialektik, zu mystischer Versenkung, zu einem nicht forschenden, sondern hingebenden Horchen auf das, was in Ekstase, in unmittelbarer religiöser Erleuchtung, in der Offenbarung durch das Wort eines von Gott inspirierten Propheten sich darbietet? Ist solcher unmittelbaren Erfassung des letzten Seins gegenüber das wissenschaftliche Erkennen ein absolutes Nichts oder nur ein relatives? Ist es eine so untergeordnete Form des Wissens, das sich zur metaphysischen Erkenntnis wie das Endliche zum Unendlichen verhält? Oder: Darf die Wissenschaft von sich 3

aus überhaupt keinen Anspruch auf Erkenntnis machen nicht einmal einen unendlich kleinen weil sie nichts ist al~ eine denkökonomische Veranstaltun~, um die unüberschaubaren Massen der Empfindungen mit selbstgeschaffenen Mit- . teln von Begriffen und Gesetzen für das Bewußtsein beherrschbar zu machen (Mach, Petzoldt)? Gibt sie aus der Unerschöpflichkeit, das jedem einzelnen Stück der Wirklichkeit nicht nur dem Universum als Ganzem zukommt eine Auswahl, indem sie diese Wirklichkeit mit Individuai- oder AIIg:mei~begriffen ~eis!ert (Rickert)? Oder schafft umgekehrt die WIssenschaft m emem unendlichen Prozeß erst das was wir Wirklichkeit nennen, indem sie mit ihrer Method~ den Gegenstand näher und näher bestimmt (Marburger Neukantianismus)? Ist vielleicht die Wissenschaft als Lebensausdruck : zu verstehen, wie Kunst und Religion (Dilthey)? Vielleicht aus der Fülle der menschlichen Existenz stammend vielleicht auch nur eine Ausgeburt des In t e 11 e k t s eine; ihrem Ursprung nach praktischen Lebensbetätigung '(biologischer Pragmatismus), die daher auch nicht an die Wirklichkeit heranzukommen vermag, sondern die Erkenntnis des letzten Seins anders gearteten Erkenntnisquellen, wie z. B. der Intuition überlassen muß (Bergson)? Oder ist es gerade ~er In~ellekt, der wissenschaftliche und metaphysische Wirklichkeit zu ergreifen vermag, weil die eine menschliche Vernunft a:uch nur eine Methode der Erkenntnis besitzen kann (Descartes), wenn auch der menschliche Verstand sich in den Realwissenschaften mit der Erkenntnis der verites des faits begnügen muß, deren rationaler Auflösung sich ftir endliche Wesen unübersteigliche Hindernisse in denWeg legen (Leib. )?. usw. usw. mz Al~ solche Lösungen sind metaphysischer Natur (mögen ~uch thre Anhänger sich noch so sehr dagegen sträuben, Ihre Anschauungen als Metaphysik bezeichnet zu sehen sie ~Wissenschaftstheorie c, , Erkenntniskritik c, , T ranszendentalphilosophie ~ oder sonstwie nennen) - der metaphysische 4

Hintergrund ist von diesen Lösungen nicht zu trennen, auch wenn er nicht bewußt ist oder gar bestritten wird. Man stellt sich in all solchen Lösungen außerhalb der Wissenschaft, um sie verstehen zu können, nimmt sie nicht hin, als das, als was sie sich gibt: als Wirklichkeitserkenntnis. Man meditiert vielmehr von außen her darüber, ob sie nun auch in der Tat Wirklichkeitserkenntnis sei, und wie weit sie es sei. Deshalb bedarf es einer ausgeführten Metaphysik, um auf diesem Wege der Beziehung zwischen wissenschaftlicher und metaphysischer Wirklichkeit Herr zu werden; man muß die wissenschaftliche Fragestellung einbetten in diese Metaphysik und die wissenschaftliche Wirklichkeit festklammern an dem sicheren Grund ultimativen Seins. Der umgekehrte Weg, der Weg von der wissenschaftlichen Wirklichkeit her zum letzten Sein ist weniger prinzipiell und weniger durchschlagend. Da er von der Wissenschaft herkommt, k~mn er von sich aus keine Kritik an der wissenschaftlichen Haltung üben. Er bleibt in der Auffassung der Wirklichkeit befangen, wie sie die communis opinio jeglicher Epoche der Wissenschaft gegenüber einnahm: Es ist das Ethos aller wissenschaftlichen Arbeit, daß durch ihr Nachsinnen, F ersehen und Experimentieren ein Stück Wirklichkeit erobert werden könne, das der natürlichen Erkenntnis unzugänglich ist. Führt nun der Weg von der Wissenschaft zur Met~physik, so muß dieser Anspruch der Wissenschaft auf Wirklichkeitserkenntnis ausdrücklich anerkannt werden; man muß versuchen, diese wissenschaftliche Wirklichkeit derart auszuwerten, daß aus ihr die Wirklichkeit letzten Seins herausdestilliert wird. Nicht von außen her, sondern in der Haltung der Wissenschaft bleibend, muß man sich klar darüber werden, ob die Wissenschaft sich über sich hinausheben kann zur Metaphysik, oder ob sie auf ewig in ihre eigene Wirklichkeit gebannt ist. Lautet die Antwort: Eine Eroberung des letzten Seins von der Wissenschaft her ist möglich, so bedarf es nicht

5

noch einmal eines gesonderten Weges zur Metaphysik; der Zugang zur Metaphysik führt in diesem Falle durch die Wissenschaft. Lautet die Antwort, diese Eroberung sei unmöglich, prinzipiell unmöglich, so ist diese Antwort zunächst nur negativ wertvoll: Die Ansprüche einer Metaphysik von der Wissenschaft her sind ein für allemal abgewiesen; man wird auf den ersten der alternativen Wege zurückgeworfen: Die Metaphysik muß sich aus eigener Kraft aufbauen. Hier - im Zusammenhang dieses Buches - soll einzig der zweite Weg beschritten werden. Es wird zunächst der Wissenschaft die Bedeutung zugeschrieben, die sie sich selbst zuschreibt: daß sie Wirklichkeitserkenntnis liefert. Es soll dieser Anspruch der Wissenschaft nicht angefochten werden, sondern im Sinne des zweiten Weges soll versucht werden in wissenschaftlicher Haltung weiter vorzustoßen, soll die Probe gemacht werden, ob sich die wissenschaftliche Haltung zur metaphysischen erweitern läßt. 3 Der Szientifismus gibt eine radikale Lösung der Probleme, die von dieser Fragestellung aus auftauchen: Es existiert für ihn keine Erkenntnis der Wirklichkeit, außet derjenigen, die durch die Wissenschaft geleistet wird: Eine metaphysische Erkenntnis neben der wissenschaftlichen ist unmöglich. Solcher Szientifismus ist ein Kind der wissenschaftsdogmatischen Epoche in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Erst als die Wissenschaften auf den Koloß ihrer Leistungen hinweisen konnten, mehr noch: erst als das Bewußtsein der Allgemeinheit sich anschickte, das wissenschaftliche Wehbegreifen gegenüber dem religiösen und dem philosophischen in den Vordergrund zu schieben, konnte sich der Szientifismus ausbilden. Er begann in seiner exakten Form mit der These: Wissenschaftliches und metaphysisches Sein sind identisch. Die Wissenschaft erkennt die 6

Welt so wie sie an sich ist; das Sein der Wissenschaft trägt ultimativen Charakter; es gibt kein,> letztes c Sein, das hinter dem Sein der Wissenschaft läge. Durch die Einzelwissenschaften wird prinzipiell jede Erkenntnis des Seienden gewonnen, , jede andere Ontologie c (hier gleich Metaphysik), , ist leeres Geschwätz« (Schlick), ist» Begriffsdichtung c (F riedr. Alb. Lange). An Konsequenz gibt dieser Szientifismus dem Kalifen Omar nichts nach. Wie die Sage erzählt, erteilte er den Befehl, die Bibliothek von Alexandria zu verbrennen, weil die Bücher dieser Bibliothek, wenn sie dasselbe enthielten, wie der Koran, unnötig, wenn sie etwas anderes enthielten, falsch und ketzerisch seien. Der Koran dieser Form des Szientifismus ist die Enzyklopädie der Wissenschaften. Nicht jeglicher Szientifismus bleibt bei dieser extremen These. Es gibt eine gemäßigte Spielart, die neben den Einzelwissenschaften auch eine übergeordnete Wissenschaft anerkennt, der sie zuweilen den Namen , Metaphysik' nicht versagt. Solche wissenschaftliche Metaphysik hat eine doppelte Aufgabe. Sie soll einmal den Zusammenhang zwischen den Gebieten der einzelnen Wissenschaften herstellen; sie soll i. B. den Zusammenhang zwischen Leib und Seele erforschen. Das Problem dieses Zusammenhangs gehört weder in den Bereich der Psychologie, die nur das seelische Geschehen, noch in das der Physiologie, die einzig körperliche Vorgänge untersucht; nur eine über die Einzelwissenschaft übergreifende Wissenschaft kann diesen Zusammenhang aufklären. Die Metaphysik dieser Artung hat noch eine zweite Aufgabe: Die Ereignisse der Einzelwissenschaften müssen · zu einer einheitlichen Weltanschauung verarbeitet werden: , Metaphysik ist der auf der Grundlage des gesamten wissenschaftlichen Bewußtseins des Zeitalters oder besonders hervortretender Inhalte desselben unternommene Versuch, eine die Bestandteile des Einzelwissens verbindende Weltanschauung zu gewinnen« (Wundt).

7

Solche Metaphysik ist nichts als eine Wissenschaft unter anderen, nur eine Wissenschaft höheren Grades. Sie verhält sich etwa zu den Einzelwissenschaften wie die Einzelwissenschaften zu ihren Teildisziplinen. Aus der Lehre von der Wärme, dem Licht, der Elektrizität usw. ist die einheitliche Physik gewonnen worden, indem man die Ergebnisse aufihre Gemeinsamkeiten hin prüfte, durch umfassende Hypothesen unterbaute, zu einer physikalischen Gesamtanschauung verarbeitete. Entsprechend sollen hier die Ergebnisse aller Einzelwissenschaften durch eine gesamtwissenschaftliche Weltanschauung unterbaut werden. Ist solche wissenschaftliche Weltanschauung mit der Metaphysik als Erkenntnis letzten Seins identisch? Die Antwort des Szientifismus ist nicht eindeutig: er schwankt zwischen zwei Auffassungen: die primitive Form des Szientifismus ist überzeugt, daß mit den Mitteln der Wissenschaft das letzte Sein erkannt werden könne, und daß daher die vollendete wissenschaftliche Weltanschauung zugleich die so lange gesuchte Metaphysik darstelle. Für die skeptische Form des Szientifismus ist eine Erkenntnis des letzten Seins nicht möglich (Spencer), metaphysisch im strengsten Sinn ist der Agnostizismus das letzte Wort. Gerade dieser Richtung des Szientifismus mußte der negative Teil der Kautsehen Vernunftkritik besonders sympathisch sein: Metaphysik als Wissenschaft ist unmöglich; alle Wissenschaft bleibt in der empirischen Realität befangen. Für diesen agnozistischen Szientifismus gibt also die wissenschaftliche Weltanschauung nicht das letzte Sein; allein diewissenschaftliche Methode ist doch die einzige Methode, die überhaupt zu einer Erkenntnis der Wirklichkeit führt. So weit diese Methode trägt, so weit können wir die Wirklichkeit erkennen; wo sie versagt, ist es mit unserer Wirklichkeitserkenntnis zu Ende. Beide Ausdeutungen des Szientifismus sind dogmatisch: Der Glaube, die Wissenschaft könne das letzte Sein seinem 8

Inhalt nach erkennen, ist inhaltlicher Dogmatismus, der Glaube, die wissenschaftliche Methode sei die einzige Methode die zur Erkenntnis der Wirklichkeit führe, ist methodisch~r Dogmatismus. Gemeinsam ist beiden die Ablehnung''finer nicht-wissenschaftlichen Metaphysik. ~>-i

/

4

Die Kritik des Szientifismus hat sowohl den inhaltlich dogmatischen wie auch den· methodischen Dogmatismus zu prüfen: . . . Ist wirklich die wissenschafthebe Erkenntnis Imstande die Erkenntnis letzten Seins zu vermitteln? Ist ~irklich die wissenschaftliche Methode die einzige Methode der Wirklich~e.itserkenntnis? . · Die zweite dieser Fragen kann emztg von der Metaphysik her beantwortet werden von einer Metaphysik her, die auch andere Farmen der Erk~nntnis außer der wissenschaftlichen (Intuition intellektuelle Anschauung usw.) kritisch untersucht. Nur die Metaphysik kann entscheiden, o~ d!e wi~senschaft­ liche Methode die einzige Methode der Wtrkhchkeitserkenntnis ist oder nicht. Da diese prinzi pi eil metaphysische Fragestellung hier ausgeschaltet werden soll, so ·liegt ~ie Kritik des methodischen Dogmatismus außerhalb des Gebiets unserer Betrachtung .. Dagegen ist die Kritik des in~altlichen Dogmatismus ein zentrales Problem für unsere Uberlegungen. 5 Im Zusammenhang dieses Problems tritt der Gegensatz · der immanenten· Strukturantik der Einzel wissensehaften und der transzendenten Strukturontik, der Strukturantik des letzten Seins in den Vordergrund. Die transzendente Strukturantik ist der Gegenstand der Metaphysik. Sie untersucht das Strukturreale. schlec~t­ hin, sowie es an sich ist, abgesehen von aller Erschemung fur 9

~in Subjek~, abgesehen von aller Auffassung durch ein SubJekt". Idealismus und Realismus, Spiritualismus und Materialismus sind Lösung-en des Problems der transzendenten Strukturantik Daneben aber enthält jede Wissenschaft und jede Wissenschaftsgruppe immanente Voraussetzungen über die Beschaffenheit ihres Gebietes, - Voraussetzungen, die ihr u?d nur ih: zukommen. Sie nimmt diese Voraussetzungen hm, ohne ste zu prüfen; als Rahmen, innerhalb dessen sich ihre Forschungen vollziehen. So setzen alle Wissenschaften (~it Ausnahme ~er reinen M~thematik, der Logik und der' retnen Wesenswtssenschaften) - alle Naturwissenschaften wie Geisteswissenschaften - die Existenz einer realen subjektsunabhängigen Welt voraus;· die reale · Existenz ihrer Welt gehört zur immanenten Strukturantik dieser Wissenschaften. Derimmanente Realismus der Wissenschaften darf jedoch nicht mit dem transzendenten Realismus verwechselt werden (wie es der Szientifismus dogmatisch zu tun pflegt). Der immanente Realismus der Naturwissenschaften präjudiziert in keiner Weise die Stellungnahme zum transzendenten Sein. Es folgt aus dem immanenten Realismus der Wissenschaften nicht, daß die Außenwelt in meta p h ys i s c h e m Sinn real sei. Realismus und transzendenter Idealismus sind widerspruchslos miteinander vereinbar (wie bereits Kant gesehen hat). Über den gemeinsamen immanenten Realismus von Naturund Geisteswissenschaften hinaus macht jede einzelneWissenschaft noch einegroße Zahl speziellerer, nur für diese Wisse?schaf~ gel~ender strukturontischer Voraussetzungen. So sptelen steh dte Geschehnisse von Biologie und Geisteswissenschaften in einem dreidimensionalen euklidischen Raum und einer eindimensionalen Zeit ab, während die relativistische Physik für ihre Welt diese Voraussetzungen ablehnt. So nimmt die Physik ferner die sekundären Qualitäten von Far10

b~n

und Tönen nicht in die realen Voraussetzungen ihrer Welt mtt auf, sondern .läßt nur die quantitativen Bestimmurigen gelten, während die Geschichtswissenschaften die Farben und Töne in .ihrer vollen Anschaulichkeit als real anerkennen: Die Ansprachen, mit denen Alexander der Große seine meuternden Truppen beruhigte, sind für sie keine Luftschwingungen, sondern anschauliche sinnerfüllte Klänge; die Farben der roten und weißen Rosen, die sich die Anhänger der Häuser Y ork und Lancaster zu Beginn des Krieges der beiden Rosen ansteckten, sind für die Geschichtswissenschaften keine Atomstrukturen, sondern real in der Anschaulichkeit in der sie wahrgenommen werden. ' Es wäre grotesk, die immanenten strukturontischen Voraussetzungeneiner Wissenschaft gegen die eineranderen aus. zuspielen, etwa von der Geschichtswissenschaft zu verlangen, daß sie auf die atomstrukturellen Bestandteile ihrer Ge~enstände zurückging~. Das _bedeutete eine Verkennung des Immanenten und damit relativen Charakters dieser strukturontischen Voraussetzungen. Was für die Physik - immanen.t-stru~turontisch - gilt oder nicht gilt, ist für die Geschichtswissenschaft belanglos. Die Relativitätstheorie hat nichts an der Realität des Raumes für die Nationalökonomie geändert. Die Forderung einer gleichartigen V oraussetzungsgrundlage für alle Wissenschaften verwechselt transzendente und immanente Strukturantik . Die Existenz immanenter Voraussetzungen der Einzelwissenschaften hängt mit der Abkunft der Wissenschaften aus der natürlichen Erkenntnis zusammen. DieWissenschaften haben ihre _Gebie~e nicht vom Himmel heruntergeholt; sie haben an dte Gebtete angeknüpft, die ihnen die natürliche Erk~nntnis zuerteilte. So übernahmen sie vonAnfang an die Gebtete ungeklärt und - wie sich zeigen wird - mit wider· spruchsvollen Bestimmungen behaftet. Die immanenten Voraussetzungen der natürlichen Erkenntnis sind zunächst auch die natürlichen Voraussetzungen der Wissenschaften; die II

Wissenschaften reinigen diese Voraussetzungen, soweit es ihren Zwecken entspricht, aber eben auch nur soweit es ihren Zwecken entspricht. Es ist gar nicht ihre Absicht, überhaupt ohne immanente Voraussetzungen auszukommen (wenn etwas dergleichen überhaupt möglich ist), sondern nur ihre Voraussetzungen in sich möglichst widerspruchsfrei zu gestalten. Dabei opfern sie von den immanenten Voraussetzungen, 'die ihnen die natürliche Erkenntnis überliefert hat, nur so viel, als innerhalb ihrer Untersuchungen notwendig ist: Die Geschichtswissenschaft z. B. weniger als die Physik. Die prinzipielleFrage nach dem letztenSeinwird daher von keiner Einzelwissenschaft gestellt, und auf ihrem Wege der Bereinigung ihrer immanenten Voraussetzungen wird sie nie zur Beantwortung dieserFrage kommen. Nehmen wir etwa an, der subjektive Idealismus sei im Recht: die ganze Welt sei nichts als meine Vorstellung. Wie sollte die Physik von sich aus zu einer solchen Metaphysik gelangen können, da doch die Realität der Welt mit zu ihrer unaufhebbaren immanenten Strukturantik gehört? Die Wissenschaften geben Wirklichkeit, aber sie geben nicht letzte Wirklichkeit. Sie bleiben im Reich der !56~a, sie dringen nicht zur bua-dJ!.t1J vor. Natürliche Erkenntnis und wissenschaftliche Erkenntnis erfassen beide ein Mittleres zwischen Sein und Nichtsein, sie gehören beide zur !56~a, das .hat Plato richtig gesehen (vgl. Politeia 533). Sie gehen auf ein Mittleres zwischen Sein und Nichtsein. Zwar auf ein Nichtsein also; d. h. die Wissenschaften geben nicht letzte Wirklichkeit. Aber sie gehen doch auch auf ein Sein, nur daß dieses Sein in , Hypotheseis c, in strukturontische Voraussetzungen eingehüllt ist, auf ein Sein, durch das hindurch vielleicht der Weg zum wirklichen Sein führen kann (und für Plato wirklich führt). Viel klarer hat Plato dieses Problem der gleichzeitigen Positivität und Negativität, der außermetaphysischen Erkenntnis der natürlichen und wissenschaftlichen !56~a gesehen I as K an t, dem, innerhalb der theoretischen 12

Philosophie, nur die metaphysischeN egativität der imma· nenten Strukturantik zum Bewußtsein kam. Sie allein hat er herausgearbeitet,· wenn er die Strukturantik wissenschaftlichen Seins in den Anschauungsformen von Raum und Zeit und den Kategorien erblickt, während er die Positivität des Verhältnisses von wissenschaftlichem und metaphysischem Sein durch das Schlagwort des Verhältnisses von den , Dingen, wie sie an sich selbst sind~, und den , Erscheinungen c mehf verdunkelte als enthüllte. Die Beziehung der immanenten Strukturantik der Wissenschaften zur transzendc::nten Strukturantik -gesehen von der Strukturantik der Wissenschaften aus - zu klären, das ist das Ha,uptproblem dieses Buches. Es sollen- nach einer bestimmten Seite hin .- die Strukturantiken der Wissenschaften herausgearbeitet werden. Es soll gezeigt werden, daß der V ersuch, sie von ihrer Immanenz zu befreien, sie zu einer transzendenteil Strukturantik zu verabsolutieren, mißlingt, daß dieser Versuch auf unaufhebbare Widersprüche fUhrt. Und daß so - zu Ende gedacht -· die Haltungen der Wissenschaften und ihre Strukturantiken sich selbst widerlegen, daß sie von sich aus nach einer selbständigen Metaphysik verlangen, die nicht von den Wissenschaften aus g.e h t, sondern die Wissenschaften und ihre Wirklichkeiten begreift und durchleuchtet.

1. KAPITEL.

DIE BEIDEN EINSTELLUNGEN.

I.

Die Charakterisierung der Einstellungen.

Man kann den Unterschied der immanenten strukturontischen Voraussetzungen der einzelnen Wissenschaften keines~ wegs dadurch kennzeichnen, daß man die Wissenschaften in eine Reihe ordnet, deren Glieder immer weniger an immanenten Voraussetzungen beanspruchen. Etwa so, daß die Relationstheorie (die nur das Vorhandensein von Relationen als Voraussetzung benötigt und nicht einmal reale 'Existenz ihrer Relationen fordert) an dem einen Ende stünde und die Geisteswissenschaften (die die immanenten Voraussetzungen der natürlichen Erkenntnis in ihrer ganzen qualitativen Fülle sich zu eigen machen) am anderen; während etwa Mathematik, Physik, Chemie, Biologie die Zwischenglieder zwischen diesen Endpunkten darstellten. Solche Eindimensionalität besteht nicht. Vielmehr existieren zwei prinzipiell unterschiedeneTypen von immanentenVoraussetzungen der Wissenschaften, von immanenten Ontiken, die den Einzelwissenschaften Gerüst und Struktur für ihre Einzel.ergebnisse liefern. Diese beiden immanentenStrukturantiken sindFormungen der Welt, deren sich das Bewußtsein - das wissenschaftliche, wie das außerwissenschaftliche - in zwei Einstellungen bemächtigt, die grundlegend sind für die Betrachtungsart der Wissenschaften. Diese beiden Einstellungen, in denen jeweils die immanente Strukturantikerfaßt wird, sollen als die naturalistische und die unmittelbare Einstellung einander gegenübergestellt werden.

A. Die naturalistische Einstellung 1• Ihren .reifsten Niederschlag findet die naturalistische Ein'· . ,stellung in. dem Weltbild der exakten Naturwiss~nschaf­ .t e n · wie es sich seit der Renaissance herausgebtldet hat. Zwei allgemeinste Momente sind für die naturalistische . . Einstellung charakteristisch. . . . . 1. Sie nimmt die Existenz emer an steh setenden, m steh gegründetenrealenAußenweltzum.Ausgangspunkt.Diese Außenwelt ist selbst-ständig - auf steh selbst stehend. Dagegen wäre es verfehlt-·- solange man in der naturalistischen Einstellung selbst bleibt- sie als »subjektsunabhängige zu bezeichnen. '> Subjektsunabhängigkeit c negiert die Abhängigkeit von einem Subjekt, setzt also voraus, daß in der Gru?dkonzeption dieser Welt ein Subjekt mit e.ingeschlo~sen 1st. Das ist zunächst nicht der Fall. Von emem Subjekt als einem Bestandteil der aufgefaßten Welt weiß die naturalistische Einstellung zunächst nichts. Es wäre für die ~elt der naturalistischen Einstellung sehr wohl denkbar, daß keme Subjekte existierten. Tatsächlich n_im~t ja auch di~ ~stro­ nomie und Erdgeschichte an, daß m dteser naturahsttschen Welt ungeheure Zeiträume hindurch die Subjek~e _fehlten. Die. Vermutung liegt nahe, daß es zur naturahsttsch gesehenen Welt gehöre, rein quantitativ bestimmt zu sein; diese Vermutung ist unzutreffend. An sich ist der Ausgang von der physischen Welt indifferent dagegen~ ob. diese W,elt bloß quantitative oder daneben auch qualitative B~sttm­ mungen enthält. Die Annahme der heutige~ N.aturwtss~n­ schaft, daß die Außenwelt nur durch quantitative Besttm• »Naturalistische Einstellung• ist nicht ~dentisch m~t jenem Typus der den Dil they als »N~turahsmus• ?ez~lc.h~et hat. Ebensowenig lassen sich die weiterhin zu diskutierenden »ObjektiVIStischen und su}>jektivistischen I;Ialtungen « mit Diltheys »oJ:>jek~~vem Iq~alis!Dus• _und • Idealtsmus der Freiheit• in Parallele setzen. Gew1sse außere Ahnhchke1ten beste~en nach mehreren Richtungen hin; doch sind Ausgangspunkt, Weg und Absicht der Diltheyschen Einteilungen yon !Ype~ der Weltanschauunge~ g~und­ sätzlich verschieden von der h1er emz1g m Betracht kommenden Emteilung von Strukturantiken und·Einsf"etlun.gen. Weltanschau~ng,

15

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mungen gekennzeichnet werden dürfe, gibt der naturalisti~chen Welt eine eingeschränkte Formung, stammt nicht aus threm Wesen, sondern aus methodischen Erwägungen. Eine ~atu.ralistisch_gesehene Welt kann sehr wohlneben den quantttattven Bestimmungen auch von qualitativen Momenten von Farbe und Ton erfüllt sein. ' 2. Charakteristischer als die bloße Tatsache des Aus~a~gs von ~er realen AußeJilwelt ist die Haltung der naturahsttschen Emstellung dem P s y c h i s c h e n gegenüber: Ein zweiter Realitätsbereich neben dem Physischen (wie es das Psychische ist) gehört nicht zu den unbedingt erforderlichen ~austeinen der naturalistischen Welt - ihren Grundkonzepttonen nach. Allein das Psychische existiert nun einmal Wahrnehmungen, Willensakte, Gefühle sind nun einmal reale Vorkommnisse, und deshalb muß die naturalistische Einstellung versuchen, so gut es geht, sie in die physische Welt einzuordnen. Es ist nun höchst charakteristisch, wie die naturalistische Einstellung diese Einordnung vornimmt: Die psychische Realität wird in ihrer Faktizität anerkannt, aber sie ist für die naturalistische Einstellung methodisch nicht eine Realität ~!eichen Rechtes, gleicher Ursprünglichkeit wie das Phystsche. In der Grundkonzeption der naturalistischen Welt war das Psychische nicht vorgesehen; die Welt wäre so wundervoll in sich vollendet, wenn es die unbequeme Tatsache des Psychischen nicht gäbe: Aber nun drängt sich an einigen Stellen der Welt, in bestimmten Anhäufungen der Materie - wie etwa im Zusammenhang mit dem Zentralnervensystem der Tiere - das Psychische in die in sich g:schlossene Welt der äußeren Natur. Das Sinnesorgan des Tteres- das Auge, das Ohr- wird durch einen Lichtstrahl eine Luftschwingung gereizt. Die Erregung wird zum Zen~ tralnervensystem weitergeleitet; und jetzt entstehen im Zusammenhang mit dem Gehirn Realitäten, die prinzipiell verschieden sind von den Realitäten, von denen die naturalisti16

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sehe Einstellung ausging: Es entstehen etwa Empfindungen von blau, sauer, hart, - es stellen sich Wahrnehmungen von Gegenständen ein: mit einem Wort: es entstehen p s ychisehe Realitäten. Wie ist der Zusammenhang zwischen den beiden Realitäten, zwischen den Vorgängen im Zentralnervensystem und den psychischen Tatbeständen näher zu charakterisieren? Die naturalistische Einstellung als solche weiß nichts darüber zu sagen. Sie ist indifferent gegenüber den einander widerstreitenden Lösungen: Materialistische Auffassung der psychophysischen Kausalität, Parallelismus, Wechselwirkungstheorie sind in gleicherWeise mit der naturalistischen Einstellung vereinbar. Es bedarf noch der Einführung speziellerer Gesichtspunkte, Hilfsannahmen und argumentativer Erörterungen um sich für die eine oder die andere dieser Möglichkeiten 'zu entscheiden. Nur darüber, daß eine Beziehung physischer und psychischer Realitäten besteht, darüber ist für die naturalistische Einstellung kein Zweifel möglich. Soweit die immanente Strukturontik. Die naturalistische Einstellung führt jedoch von dieser immanenten Strukturantik aus auf ein bestimmtes transzendent metaphysisches Problem (von dem sich späterhin zeigen wird, daß es nur von dem Boden der naturalistischen Einstellung aus sinnvoll ist). Es läßt sich nämlich die Frage aufwerfen, ob die beiden empirisch verschieden gearteten Realitäten des Physischen und Psychischen auch metaphysisch getrennte Realitäten darstellen. Gibt es also zwei letzte Seinsqualitäten oder auch zwei getrennte metaphysische , Substanzen«, die physische und die psychische Substanz? Ist- wie empirisch, so auch metaphysisch - der Dualismus das letzte Wort? Oder existiert metaphysisch eine höhere tragende Einheit, in der die beiden empirisch verschiedenen Seinsarten des Physischen und Psychischen aufgehoben sind (Monismus)? Es ist daher kein Zufall, .Jaß der wesentlich naturalistisch eingestellten Zeit am Ende des I g. Jahrhunderts der Zu-

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s~mmenhang

zwischen Physischem und Psychischem, und dte Frage der Bedeutung für die Strukturantik dieses Zusammenhanges zum beherrschenden Problem der Metaphysik werden konnte. Nicht nur erkenntnismethodisch, sondern auch methodisch- begrifflich wird das Physische vor dem Psychischen bevorzugt : Psychisch und physisch sind ftir die naturalistische Einstellung kontradiktorische Gegensätze· was nicht physisch ist, ist psychisch; was nicht p;ychisch ist ist physisch -das ist ihr methodischer Grundsatz. Jedoch nur das Physische wird von dem Naturalismus begrifflich al~ du~ch sich s~lbst be~timmt angesehen: das Psychisc}:le wtrd emfach als dte Negatton des Physischen, als das NichtPhysische betrachtet. Das Physische ist das Reale in Raum und Z~it; es ist das >Objektive«; das Psychische dagegen ist das Ntcht-Räumliche und Nicht-Objektive. Alles, was nichtobjektiv, »bloß« subjektiv ist, ist psychisch. Demgemäß wird man im Zweifelsfall einen Tatbestand nicht daraufhin untersuchen, ob er psychisch ist· denn dem Psychischen fehlt die eigenständige Begriffsbestimmung. Man wird vielmehr zu prüfen haben, ob der Tatbestand physischer Natur ist. Ist er es nicht so steht von vornherein fest, daß er psychisch ist. So we;den etwa im gewöhnlichen Leben die anschaulichen Farben und Töne als der phys_ischen Welt zugehörig betrachtet; ftir die heutige Na tu_rwts.senscha_ft hingegen sind sie als nicht-quantitativ z~gletch mcht-phystsch. Indem sie als nicht-physisch deklariert werden, ist jedoch ohne weiteres entschieden daß sie psychisch sind, denn ein Drittes, neben dem Physischen und ~em Psychisch~n existiert nach dieser Anschauung nicht. Nt_cht anders dte Wertmomente der Gegenstände: Die Zergh:derung des physikalischen Objektes läßt z. B. niemals dte Schönheit unter seinen konstitutiven physischen Momenten auffinden. Also muß Schönheit nach der naturalistischen Auffassung etwas Psychisches sein: Das Sein der 18

Schönheit besteht im Schönheitsgefühl, I?it dem d~s Sub~ekt auf ein Objekt reagiert: >Schön ist das Objekt nur, msow.eit es geeignet ist, ein Schönheitsgefühl zu erzeugen c (Th .. Lipps). Ähnlich die >Bedeutung« von Worten. Physisch betrachtet gibt es so etwas nicht wie die Bedeutung des W or~es. Physisch betrachtet ist das gespro_chene Wort sam~. semer Bedeutung nichts als eine Luftschwmgung. Demgernaß muß die Bedeutung des Wortes etwas Psychisches ~ein. Man hat die Wahl worin man dieses Psychische, das ~Ie Bedeutung des W or~es ausmacht, sehen will: in der Bereitst_ellung von Reproduktionstendenzen, in der V erkn~pfung emes W o:tzeichens oder einer Sachvorstellung mit latenten As~ozia­ tionen (wie fast die gesamte naturalistische Psychologie nach dem Vorbilde Humes - die Wortbed:utung auffaßt), in der einfachen Assoziation eines Wortes mit Gegenstandsvorstellungen in bestimmten l> Bedeutungsgefühlen c (W undt), in besondere~ Bedeutungserlebnissen usw., usw. Entsprechend kann, von der naturali_stisc~en Einstell'!ng aus, dem Staat als politischem und soz10logischem Gebil?e keine Eigenexistenz zugesprochen w:rden. Der Staat I~t entweder identisch mit der Gesamtbett der Me?-sche?, die sich im Staate zusammengeschlossen haben, sie » bil~en « den Staat- oder der Staat existiert als V orstellungs~ebild~, als Idee in den einzelnen Menschen; eine Alternative, wie siez. B. folgerichtig Max Weber vom Standpunkt der naturalistischen Einstellung aus vertreten h~t. .. Nach einer etwas anderen Richtung hegt es, daß es ~ur die konsequent denkende naturalistische Einstellung keme l> Subjekte c als Ausgangspun~te psychisc?er Akte usw. geben darf. Im Zusammenhang mit dem Gehirn entstehen ? s Ychisehe Einzeltatsachen, die sich miteina~der verbi?den können·; aber für die Annahme der Existenz emes von dtes~n psychischen Tatsachen gesonde~t:n Subjektes be~teht kem Anhalt. Man kann sich, naturalistisch geseh~n, em. solches Subjekt nur nach Analogie eines äußeren Dmgs, emes Ob19

jektes denken; als Träger der psychischen Tatsachen. W esha!b aber soll . neben den einzelnen psychischen Ges~hehmssen noch em Träger, ein Substrat dieser Gescheh~Is~e angenommen werden? So hat denn auch die naturalistische ~sychologie die Existenz dieses Subjekts des Ichs aufs. heft~gste bek.ämpft. Schon Beneke hat das Ich- da~ Subjekt m dem hier vorliegenden Sinn - als , Verschmelzungsprodukte bezeichnet, für John St. Mill ist es nichts als th~ P.erma~ent possibility of feeling, und fast die ganze naturalistisch :I~gestellte Psychologie sieht im Ich nichts als die Gesamtheit der Erlebnisse (Taine, Ribot, Ebbinghaus) oder den Z~sammenhang de.r Bewußtseinserlebnisse (Wundt); oder n:a~ l~ßt das I.ch gar mit dem Leib identisch sein, wie die matenahstisc? gencht~te? Philo~ophen (Demokrit, Haeckel). .Da di~ naturah~tische Emstellung, solange sie konsequent bleibt, keme ,~ubjekte«. kennt, sondern nur psychische Einzelge~chehms~e; so hegt hierin ein weiterer Grund, wesh~lb ~Ie natu:ahstische Außenwelt nicht als > subjektsunabh~ngig c bezeic~net wer~en ·darf. Wo es keine Subjekte gibt, gibt es auch keme Subjektsunabhängigkeit. B. Die unmittelbare Einstellung. . Di~ unreflektierte Haltung des gewöhnlichen Lebens ist mcht ~~e natura~istische, sondern dieunmittelbare Einstellung. W,ahrend die naturalistische Einstellung von der Außen~~lt Ihr~n Ausgang nimmt und Subjekte konsequenterweise I~ Ihr. kemen Platz fi.nden, ist umgekehrt das Gegen ü her von Subjekt und Objekt das Rückgrat der unmittelbaren Einstellung1. Die unmittelbare Einstellung kennt also von An1:-iese G~genüb~rstellung von •Subjektcc und •Objekt• soll nicht im Sinne • 1rgen emer philosophischen Theorie angesetzt werden - es soll nur dem · ede ~eka~.ten T:l;tbest~nd de: unmittelbaren Einstellung Ausdruck verliehe~ we~ 1 en. ~~ gew1ß phllosop.hJsch ~llzu. belasteten Worte •Subjekt« und •Objekt• ass~n s1ch .kaum yerme1den; vielleicht gibt ihnen gerade diese Belastun eine gewisse phllosoph1~che Indifferenz, die nicht vorhanden wäre wenn mfn sie ~urc_h andere schem?ar weniger belastete Worte ersetzte, die dafür sofort ganz estimmte metaphysische Stellungnahme involvieren.

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fang an nicht einen sondern zwei verschiedene Realitätsformen grundverschiedener Art: die Subjekte. und ?ie Objektwelt. Die Subjekte si~d Z~ntren, d:ne~ die Objektwe~t gegeben ist, auf die_ sie. hmbhcken, di~ s~e auffassen, d~e sie erkennen . über die sie nachdenken, die sie bewerten, die sie bearbeit~n die sie zum Gegenstand ihres W ollens, ihrer Wünsche madhen, zu der sie Stellung nehmen, die sie genießen über die sie sich ängstigen usw. usw. Und umgekehrt affizi~ren die Objekte unmittelbar das Subjekt, beeindrucken es, lenken die Aufmerksamkeit auf sich, regen· zu Handlungen an usw. usw. Das Physische und das Psychische

Die Orientierung dtr unmittelbaren Einstellung am Gegensatz von Subjekt und Objekt ergibt eine begriffliche .und stru~­ turontische Bestimmung des Physischen und Psychischen~ die von derjenigen der naturalistischen ~instellung a?v:eicht. Das Physische zwar bleibt, was es bei der naturahstis~hen Einstellung war. Physisch-materiell ist alles, was als 0 b J ~kt im Raume sich findet: Häuser, Bäume, Möbel, Steme, lebende Körper (unter denen der eig:ne Lei~ eine besondere Bedeutung für das vorfindende SubJekt besitzt). Das Psychische hingegen ändert .sich von Gr~nd ~us: Es ist nicht mehr bloß das Nicht- Physische; es wird vielmehr inhaltlich bestimmt als dasjenige, das von dem Subjekt unmittelbar als dem Subjekt zugehörig erlebt wird (und darüber hinaus als das was dem Subjekt unmittelbar als Teil, als Zuständlichkeit ~ls Grundlage angehört): seine Hoffnungen seine Wü~sche seine Triebe und seine Leidenschafte~ seine Akte de~ Erkennens und Wollens, Einstellungen, Halti:.mgen, Charaktereigenschaften, das Unbewußte, das die Dynamik des Seelenerlebens beherrscht usw. Die Führerrolle des Physischen in der Abgrenzung .der Realitätsbereiche ist damit aufgehoben; jeder der Bereiche erhält seine eigene, nicht von andern abhängige Wesens21

bestimmung. Di~ unmi~telbar e rl ~ b t e Zugehörigkeit zum Ich (od~r die Ableitung aus dieser unmittelbaren Zugehörigkeit wie bei > Charaktereigenschaften ~) entscheidet d~rüber, o~ etwas psychisch ist oder nicht. Meine ·Freude wird a~~ mir ~u~ehöri~ erlebt und ist deshalb psychisch, die Rose, uber die Ich mic? freue, ist nicht mir zugehörig und kann deshalb unter kemen Umständen psychisch sein au~h wenn.sie bloß ?alluziniert ist. Demnach ist das Psy~hi~che von .vornherem enger begrenzt als bei der naturalistischen Emstellung, wo das Psychische ein Sammelkasten war für all dasjenige, was im Physischen keinen Platz fand. So. darf also bei. der unmittelbaren Einstellung nichts dem. Psychischen zuge~Iesen werden, was unmittelbar als Objekt oder als dem Objekt zugehörig vorgefunden wird: Farben und Töne sind daher für die unmittelbare Einstellung ~ufke~nen Fall psychischer Natur. Sie werden von dem SubJekt mcht als Bestandteil seiner selbst sondern als Bestandteil des Objekts erlebt. Keine wissenschaftliche ~rkenntnis kann s~e als psychisch erweisen; denn nie und m_mme:, durch noch so tiefe wissenschaftliche Entdeckungen, Wird die Farbe der Rose zu meiner Farbe sie bleibt immer Farbe .des Objekts. Es wäre für die unmittelbare Einstellung ei~ ebenso schlimmer Fehler, die Farbe als psychisch z~ bezeichnen, weil _si~ ni~ht-physis~h i~t, wie sie als phySisch anzusetzen, weil sie mcht-psychtsch Ist. Die Alternative . der ~aturalistischen Einstellung verliert unter allen Umständen Ihre G_ültigkei~ bei der unmittelbaren Einstellung; sie da:f wed~r m der ~Ichtung_ von dem Physischen auf das Psychische h~n, noc~ m der Richtung von dem Psychischen auf das. Phys1sche · hm angewendet werden. Farben werden im ?bJ~kt vorge~unden und sind daher in diesem Sinn >obJ~ktivc: · D~bei kann :vollkommen zu Recht bestehen, daß die Naturwissenschaft Ihre , Subjektivität c: im Sinne der Nichtzugehörigkeit erwiesen hat. Die Subjektivität der Farbe, von 22

der die Natnrwissenschaft spricht, hat eine andere Bedeutung als die Subjektivität, durch die das Psychische konstituiert wird. Subjektiv-psychisch bedeutet Subjektszugehörigkeit. Die Farben sind hingegen >subjektiv« im Sinne der Subjektsabhängigkeit, der Gesetztheit durch das Subjekt. Sie sind Bestimmtheiten des Objekts, die vom Subjekt abhängig sind, von ihm gesetzt sind. Die Farben (und sekundären Qualitäten aller Art) teilen diese Form der Subjektivität mit einer großen Zahl von Obiektgattungen und Gatturigen objektiver Bestimmtheiten. Der Riese, den ich phantasiere, das Luftschiff, von dem ich träume, die Pferde, die ich halluziniere, besitzen bloß subjektive Existenz; sie haben keine Stelle in der objektiven realen Welt, aber sie sind deshalb vom Standpunkt der unmittelbaren Einstellung aus nicht psychisch: es gibt keine psychischen Luftschiffe, Riesen und Pferde. Solche subjektsgesetzten (Farbe, Halluzinationen), bewußt vom Subjekt geschaffenen Objekte (Phantasieobjekte) sollen als mentale Objekte bezeichnet werden. Daß diese Betrachtungsweise .ungewohnt erscheint, hat seinen Grund darin, daß wir doch immer wieder die Gesichtspunkte der naturalistischen Einstellung in die unmittelbare Einstellung hineintragen; daß man immer wieder den Gegensatz physisch-psychisch als einen kontradiktorischen Gegensatz empfindet, und alles, was nicht physisch-real ist, dem Psychischen zuschreiben möchte . Nicht-physische Objektsbereiche

Daß der Gegensatz physisch-psychisch nicht kontradiktorisch ist, hat noch weitere Konsequenzen: Es bleibt noch Platz ftir weitere Seinsbereiche, außer den mental~n, subjektsal;>hängigen Seinsbereichen, die weder physisch noch psychisch sind. Sie finden nicht auf der Seite des Subjekts ihren Platz, denn alles ,Subjektivec: im Sinne der Subjektszugehörigkeit ist psychisch; aber das Reich der 0 b je k t e

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ist durch das Gebiet des Physischen, das Gebiet der materiellen Existenz nicht ausgeschöpft. So gehören z. B. alle Kunstwerke der objektiven Welt an, ohne physisch zu sein. Physisch ist am Gemälde nur die bemalte Leinewand, nicht das »Bild«, das »Konterfei< des Menschen oder der Landschaft; da , draußen c im physischen Sinn ist kein dreidimensionales ~Abbild von Julius II. «, sondern eine Fläche von bestimmter Struktur, kein , Erlkönige, sondern schwarze Buchstaben auf weißem Papier in einem Buch, keine »Matthäuspassion c, sondern Luftschwingungen. Aber das Bild, das Gedicht, das Musikwerk sind auch nicht einfach eine Summe von Er I e b n iss e n, die das Objekt, genannt Bild, Gedicht, Musikwerk konstituieren. Julius II., der Erlkönig, die Matthäuspassion sind vielmehr 0 b je k t e für mich, nicht Erlebnisse. Da sie keine physischen Objekte sind, da sie von Menschen geschaffen wurden, so liegt es demgemäß nahe, sie den mentalen Objekten zuzurechnen (wie die Träume, die Halluzinationen usw.). Diese Kennzeichnung trifft nicht zu; Mentale Objekte sind stets nur dem einzelnen Subjekt unmittelbar zugänglich - darin sind sie dem Psychischen verwandt. Aber gerade die Transsubjektivität, im Sinne der vorgefundenen Unabhängigkeit vom Subjekt ist wesentlich ftir das Kunstwerk. Das Kunstwerk, der» Faust«, die )) Ilias «, die »Neunte Symphoniec, die ,Mona Lisa« sind für die unmittelbare Einstellung als selbständige Objekte vorhanden, die von einer großen Zahl von Menschen gleichzeitig aufgefaßt werden. Das Gedicht, das Bild, das Musikwerk entstehen nicht immer aufs neue, wenn Menschen sie sich vergegenwärtigen; so wenig das Haus neu entsteht, so oft Menschen es sehen. Das Kunstwerk gehört von der unmittelbareu Einstellung aus gesehen, einem dritten realen Reich an, das weder physisch noch psychisch ist: dem Reich der , geistigen Gebilde«. Die sinnvolle Einheit des Gedichts realisiert sich in den Drucken und Rezitationen des Gedichtes, aber seineExistenzbesteht nicht

in solcher physischen Verleiblichung. Denn das Kunstwerk ist als sinnvolles Gebilde real, - daran kann nicht gezweifelt werden: es ist geschaffen worden in der Zeit, es kann zugrunde gehen, wenn sein realisierender Leib zerstört wird (wenn das Gemälde etwa verbrennt) oder sein ideeller Gehalt unzugänglich geworden ist (beim Gedicht, wennallseine Realisierungen in Büchern und Handschriften vernichtet sind und sein Wortlaut vergessen ist) usw. Die Kunstwerke sind nicht die einzigen Arten realer geistiger Gebilde; es gibt eine große Zahl von ihnen. DerStaat z. B. ist ein reales geistiges Gebilde - nicht der Staat als »Idee«, nicht als , Wesen«, nicht als , Begriff«, sondern der konkrete einzelne Staat, der italienische, englische, französische Staat. Das römische Recht gehört zu ihnen, die französische Sprache, die deutsche Wissenschaft usw. usw. Dieser kurze Hinweis auf das Reich der realen geistigen Gebilde möge genügen. Nur auf die Realität des Staates soll noch mit ein paarWorteneingegangen werden. Es wurde gezeigt, wie die naturalistische Einstellung den Staat in physische und psychische Momente auflöst; ftir die unmittelbare Einstellung ist er geistig real. Der italienische Staat z. B. ist in der Zeit real; in der Zeit entstanden; wie alles Reale verurteilt in der Zeit zu vergehen. In dieser Weise empfindet auch die Auffassung des gewöhnlichen Lebens den Staat als real als eine Realität neben den Individuen, als eine Reali' . tät, die den Individuen als reale Macht gegenübertritt, ste zwingt ihre Gesetze zu befolgen, Steuern zu zahlen usw. Und ebenso ist für die Geschichtswissenschaft der Staat eine Realität. Wenn Napoleon dem Zaren die Kriegserklärung überschickt, so entsteht nicht eine Fehde zwischen zwei mächtigen Herren, sondern ,Frankreich« hat an »Rußland< den Krieg erklärt. Wenn die Vereinigten. Staaten die Sklaven ftir frei erklären, so tun das nicht einzelne Menschen, sondern der » Kongreß « eine Realität - als Repräsentant einer anderen Realität, des amerikanischen Staates.

Der Gegensatz der Einstellungen in der Art, wie sie den Staat betrachten, ist zunächst einfach und klar: Die konsequente naturalistische Einstellung wird den Staat arealistisch (atomistisch oder psychologistisch) auffassen, die konsequente unmittelbare Einstellung realistisch. Allein Tendenzen politischer und kulturphilosophischer Art durchkreuzen diese einfache Alternative: Sie stellen die Auffassungen von der Existenzart des Staates in den Dienst ihrer nicht mehr rein analysierenden, sondern bewertenden Stellungnahme. Es geht ihnen um das Verhältnis des Einzelnen zum Staat; ist der Staat das Höhere gegenüber dem Einzelnen? Hat sich der Einzelne vor allem als ein Glied dieser höheren Einheit zu fühlen? Ist der Staat nicht nur de facto allmächtig, sondern hat er aufGrund seinergrößeren Allgemeinheit eine höhere ethische und metaphysische Würde? Wer diese Fragen bejaht, der schreibt dem Staat Realität zu, nicht aus irgendeiner methodischen Einstellung heraus, sondern weil es seine Auffassung von der Wertpriorität des Staates so verlangt. So haben denn alleVerteidigerder Omnipotenz des Staates (Hobbes z. B.) oder der höheren Würde des Staates, wie Hegel und die Romantik, wie bestimmte Richtungen des Sozialismus (Schäffle), wie die Vertreter einer konservativen Weltanschauung (Stahl, Gierke, Spann, Tönnies) sich nicht nur zur Realität des Staates bekannt, sondern diese Realität nochdadurch unterstrichen, daß sieden Staatals Persönlichkeit oder als Organismus faßten. Solche Übersteigerung liegt jedoch nicht in der unmittelbaren Konsequenz der unmittelbaren Einstellung. Für sie ist der Staat gewiß Realität- Realität welcher Art er ist, ist jedoch durch die Strukturantik der unmittelbaren Einstellung nicht präjudiziert. Gegen diese Anschauung von der Wertprävalenz des Staates stellen sich diejenigen, flir die die Einzelnen Träger der sozialen Werte sind, oder ftir die eine andere Gemeinschaft- die Kirche etwa - , die Wertpriorität gegenüber dem Staate besitzt. Es ist nicht notwendig, daß die Anhänger 26

dieser Anschauungen die Realität des Staates negieren (und gerade die Lehre von der Höherwertigkeit der Kirche gesteht meist dem Staate eine selbständige, nur weniger wertvolle Existenz zu). Der soziale Individualismus geht jedoch im allgemeinen weiter: Nicht nur, daß er den Wert des Staates aus den Interessen und Werten des Einzelnen ableitet, er hat - vor allem im I 8. Jahrhundert- dem Staat zugleich auch die Realität abgesprochen. Er geht auf diese Weise am sichersten - seine Ablehnung der W ertsuperiorität des Staates ist auf diese Weise am besten fundiert. Was keine selbständige Realität besitzt, kann auch nicht den Anspruch machen, dem realen Einzelnen gegenüber wert· prävalent zu sein. Daher haben auch Zeiten und Denker, die die unmittelbare Einstellung einnahmen, dennoch die Realität des Staates bestritten, wenn sie zugleich soziale Individualisten waren (Aufklärung, Liberalismus). Denn durch die Entrealisierung des Staates waren sie am besten gegen die Theorie von der Wertprävalenz des Staates gefeit. Sie suchten daher nach Gesichtspunkten, die es ihnen trotz ihrer unmittelbaren Einstellung erlaubten, den Staat zu entrealisieren: Bald behielten sie zwar die Sicht auf die Vorfindlichkeit bei, so daß der Staat für sie den Objektcharakter bewahrte, - aber sie faßten dieses Objekt nicht als reales, sondern als mentales Objekt, als eine bloße , Idee c. Oder sie gaben die Richtung auf die Vorfindlichkeit auf und fragten statt dessen: Wie ist der Staat genetisch zustandegekommen (Vertragstheorie), oder wie lassen sich seine Funktionen aus den Interessen der Einzelnen, die den Staat , bilden c, erklären? Oder sie legten den Nachdruck darauf, daß sich die Staatsakte einzig in den Gedanken und Handlungen der Menschen realisierten, wie sich. die Gedichte in den Rezitationen, Drucken und den Erlebnissen der Menschen , realisieren c • In all diesen Fällen wurde die Vorfindlichkeit mißdeutet oder an der Vorfindlichkeit vorbeigesehen: Denn von der unmittelbaren

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Einstellung aus muß die Realität des Staates als Vorfindlichkeit unbedingt anerkannt werden. Neben diesen realen geistigen Gebilden existieren für die unmittelbare Einstellung noch weitere Objektreiche nichtrealen Charakters: DieReiche der ideellen Gegenstände: sie sind objektive, subjektsunabhängige Gebilde, aber nicht real. Die Begriffe gehören zu ihnen, die logischen und mathematischen Gesetze, die Wesen und Wesensgesetzmäßigkeiten. Der Begriff> Mensch« ist weder physisch noch psychisch, er ist ein Objekt, das vom Subjekt als von ihm unabhängig erfaßt wird, über das wahre Aussagen gemacht werden können; wie z. B. : der Begriff Mensch ist dem Begriff Säugetier untergeordnet usw. Daß in diesen Gebilden eigene Seinsregionen vorliegen, die mit den Regionen der , realen c Gegenstände im gewöhnlichen Sinn nicht ver-. wechselt werden dürfen, ist seit Plato immer wieder (zuletzt von Husserl) entdeckt worden - immer dann, wenn die Philosophie von der unmittelbaren Einstellung ausging; es wurde ebensooft wieder vergessen oder wieder verdunkelt, wenn die Zeit sich der naturalistischen Einstellung zuwandte. Allein auch dort, wo die Region des ideellen Seins anerkannt wird, gehen die Anschauungen weit auseinander, wie das ideelle Sein aufzufassen sei. Ob , ideelles Sein« doch nur ein Name sei für das letztlich reale Sein, demgegenüber die sogenannte Realität der zeitlich-irdischen Welt nur eine Realität niederen Grades darstelle (Plato), ob es sich um eine geistig geschaffene oder an sich seiende nichtreale Welt handele (Husserl), ob dieser Welt überhaupt der Seinscharakter zukomme, oder ob in ihr ein bloßes Sosein der Dinge aus der Realität losgelöst sei usw. usw. Nicht auf die Diskussion des Seinscharakters dieser ideellen Gegenstände kommt es in diesem Zusammenhange an, sondern nur darauf, daß sich in ihnen Objektwelten auftun, deren Seinscharakter auf keinen Fall in eine Linie gestellt werden darf mit dem Seinscharakter realer Gegenstände.

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Es muß zusammenfassend noch einmal betont werden, daß die Subjektsunabhängigkeit der geistig-realen wie der ideellen Gegenstände eine vom Subjekt vor gefundene Unabhängigkeit ist. Über den Ursprung dieser Gegenstände ist durch diese Vorfindlichkeit nichts ausgesagt: Die kausalgenetische wie die bewußtseinsgenetische Fragestellung ist ausdrücklich ausgeschaltet; den Lösungen, die sich von solchen Fragestellungen her ergeben, wird durch die Ergebnisse der V orfindlichkeit nicht vorgegriffen. Es ist sehr wohl denkbar, daß die geistig-realen wie die ideellen Gegenstände überhaupt nur für ein Bewußtsein vorhanden sein können, daß ihre Konstitution sich nur aus dem Bewußtsein heraus verstehen läßt, daß z. B. die Zahlen Schöpfungen des menschlichen Geistes sind, die Kunstwerke bewußtseinskorrelativ zu deuten sind usw. usw. Probleme dieser Art sollen hier nicht aufgegriffen werden; es unterbleibt jegliche Stellungnahme zu ihnen. Die Vorfindlichkeit ist hier der einzige Maßstab über Realität und über Idealität, über den physischen oder psychischen Charakter der Gegenstände. Und von hier aus gesehen zeigt die Strukturantik der unmittelbaren Einstellung fünf verschiedene Gruppen von Tatbeständen (von denen jeweils nur Beispiele gegeben wurden): I. Die psychischen Tatsachen (Wünsche, Gefühle, Willensakte). 2. Die physischen Objekte (Häuser, Bäume, Tierleiber). 3· Die realen geistigen Objekte (Staaten, Kunstwerke). 4· Die ideellen Objekte (Begriffe, mathematische Funktionen). 5. Die mentalen Objekte (Phantasiegebilde, Halluzinationen). Es möge diese kurze Aufzählung und Charakterisierung der Objektreiche genügen. Die ernsten philosophischen Probleme beginnen erst hinter dieser Aufreihung; sie auch nur anzudeuten, würde uns weit von dem Wege wegführen, den zu verfolgen hier unsere Aufgabe ist.

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2. KAPITEL

DAS WAHRNEHMUNGSPROBLEM UND DIE EINSTELLUNGEN.

Die Korrelation von Einstellung und Strukturontik. 1.

Vor zwei Mißverständnissen der Einstellungen muß gewarnt werden: 1. Die Einstellungen sind nicht ~Gesichtspunkte c, unter denen die Welt aufgefaßt wird, nicht subjektive Formungsrunktionen im Sinne irgendeiner idealistischen Konzeption. Vielmehr sind sie die subjektiven Korrelate zu den Strukturontiken; sie sind die Haltungen, unter denen die Strukturontiken aufgefaßt, betrachtet werden. Der Gegensatz der Strukturontiken schreibt dem auffassenden Subjekt den Gegensatz der Einstellungen vor, nicht umgekehrt. Es existieren zwei Einstellungen, weil es zwei Strukturontiken, zwei Weltgeformtheiten gibt. Freilich haben die Einstellungen neben ihrer rein zur Strukturontik korrelativen, zugleich auch eine methodische über diese Korrelation hinausgehende Bedeutung. Wenn z. B. die naturalistische Strukturantik ein gleichwertiges Nebeneinander von Physischem und Psychischem zeigt, so wird doch methodisch die physische Welt durch die Art der Einstellung bevorzugt. Die Sichtnahme der naturalistischen Einstellung kommt, sowohl erkenntnismethodisch als auch begriffsmethodisch, von der physischen Welt her, die Strukturontik als solche hingegen kennt keine Sichtnahme. Ebenso ist begrifflich-methodisch das Physische vor dem Psychischen bevorzugt, indem das Psychische nur als das Nichtphysische begriffsinhaltlich bestimmt wird; auch die Begriffsmethodik 30

ist also Sache der Einstellung und nicht der Strukturontik. (Von ähnlichen methodischen Pointierungen innerhalb der · Strukturontik der unmittelbaren Einstellung wird noch zu sprechen sein.) Allein diese methodischen Momente setzen bereits voraus, daß die Strukturontik feststeht. Nur innerhalb einer sichergestellten Strukturontik kann methodisch pointiert werden. 2. Die Einstellungen sind jedoch ebensowenig oder besser: noch weniger - bloße klassifikatori·sche Gesichtspunkte - etwa derart, daß die >Begriffe c unter der Klassifikation der naturalistischen Einstellung betrachtet als >psychische« Gebilde, unter dem >Gesichtspunkte der unmittelbaren Einstellung als >ideelle c Gebilde erscheinen, ohne daß sachlich eine Verschiedenheit vorliegt. Eine solche Auffassung sieht vollkommen vorbei an der Tatsache, daß die Strukturontiken - die Weltkorrelate Dasselbec ein strukturell verschiedenes Gepräge annimmt, je nach der Strukturontik, in die es hineingestellt wird, sei der Tatbestand derWahrnehmungangeführt: , Ich sehe einen Baum c. 31

Von der naturalistischen Einstellung her betrachtet ist das Sehen ein kau s a I er Prozeß. Von dem Baum her verläuft dieser Prozeß nach dem Psychischen hin: nach der Wahrnehmung. Dabei ist entscheidend: Durch die Wahrnehmung wird der Gegenstand ver d o p p e I t: , Ich sehe einen Baum c: bedeutet naturalistisch: Der äußere Gegenstand bewirkt in mir die Vors t e 11 u n g Baum. Der Baum ist zugleich als äußerer Gegenstand vorhanden und als Vorstellung, die diesen Gegenstand ab b i I d e t. Diese Verdopplung ist nach naturalistischer Einstellung ein integrierender Bestandteil des Sehprozesses; man kann diese Verdopplung in verschiedener Weise auffassen, aber niemals wegdeuten. Für die unmittelbare Einstellung hingegen hat det Tatbestand: , Ich sehe einen Baum c einen völlig anderen Sinn: >Sehenc ist hier kein kausaler Prozeß, sondern ein unmittelbarer Erfassensakt des Subjekts, eine vom Subjekt gegen das Objekt gerichtete Intention, eine Subjektsaktion. Zur Annahme der> Verdopplung« des Objektsliegt im Sehen unmittelbar keine Veranlassung vor. Wenn man den Baum im Garten sieht, ist man überzeugt, den Baum selbst, den realen Baum durch Subjektsakt zu ergreifen- den Baum, so wie er ist; es schiebt sich zwischen Beschauer und Baum nicht noch eine Vorstellung ein. Man wende hier nicht ein, daß der Baum doch nicht unmittelbar flir mich da sei, sondern durch Vermittlung der Luftschwingungen, des Sehprozesses im Auge usw. usw. Dieser Einwand fällt in die naturalistische Einstellung zurück. Es handelt sich zunächst nur um die bewußte V orfindlichkei t. Und flir sie gilt, daß b.ei der unmittelbaren Einstellung in der Wahrnehmung kein Zweierlei gegeben ist, sondern nur das erfaßte Objekt, der gesehene Baum. Ebensowenig läßt sich eine Verdopplung des Objekts in Vorstellung und Gegenstand durch folgenden Gedankengang rechtfertigen: In der Wahrnehmung, selbst wenn sie als unmittelbare Ergreifung aufgefaßt wird, könne mir nichts

gegeben sein als das Objekt, wie es für mich ist, also ein bloßes , Bild« des Objekts. Ob ich das Objekt ergreife, wie es , an sich" ist, könne ich niemals wissen. Deshalb müsse

I. NatuPalistische Strukturantik Bereich des Psychischen

BePeich

des Physischen

Baum

man prinzipiell das Bild des Baumes, sein Aussehen , ftir mich« von dem , An sich c: des Baumes scheiden. Auch voin Standpu11kt der unmittelbaren Einstellung aus sei also eine Verdopplung nötig; das Aussehen des Baumes für mich und der Gegenstand, so wie er an sich ist, der Gegenstand, 33

auf den ich in dem Akte des Erfassens abziele, müßten geschieden werden. Allein gerade dann, wenn die Wahrnehmung wirkliche Wahrnehmung ist, verschwindet ftir die unmittelbare Einstellung dieser Gegensatz: Der Baum, den ich sehe, und der Baum, wie er an sich ist, ist nicht mehr zweierlei. Darin besteht gerade für die unmittelbare Einstellung das KeQ.nzeichen der echten Wahrnehmung, daß es kein Auseinanderfallen von wahrgenommenem und seiendem Gegenstand gibt. Das Sein ist auch ftir sie gewiß nicht identisch mit dem Wahrgenommenwerden; das Sein des Baum·es und sein Wahrgenommenwerden sind zwei verschiedene Dinge, allein II. Unmittelbare Strukturantik Sub"ekt '7·'

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das Seiende und das Wahrgenommene (der Baum, der ist, und der, der wahrgenommen wird) sind bei der echten Wahrnehmung identisch. (Ob es freilich realiter jemals einen Fall echter Wahrnehmung gibt, bleibe dahingestellt.) Trotzdem ist es völlig berechtigt zu behaupten> daß auch dieunmittelbareEinstellungdie VerdopplungdesObjekts in VorstellungundrealenGegenstandkenne,jedochnichtimFalle der echten Wahrnehmung, sondern in zwei anderen Fällen: 1. Im Falle der Täuschung: Wenn ein halb ins Wasser gesteckter Stab an der Eintauchstelle gebrochen erscheint, 34

so besteht ein Gegensatz zwischen dem >Bild c des Stabes und dem Stab, wie er wirklich ist. Allein diese Art der :. Verdopplung« des Gegenstandes ist grundverschieden von der Verdopplung bei der naturalistischen Einstellung. Bei der naturalistischen Einstellung besteht eine wirkliche, zeitlich getrennte Zweiheit: Der Gegenstand und die Vorstellung des Gegenstandes sind durch eine Kausalkette voneinander getrennt. Im Falle der Täuschung jedoch besteht ein solches Auseinander nicht. Der Stab, den ich sehe, ist der Stab, der in das Wasser getaucht ist. Die Intention erfaßt den wirklichen Stab. Nur daß diese Intention für mich anders erfüllt ist, als sie in Wirklichkeit ist. Der Stab ist in Wirklichkeit gerade, für mich ist er gebrochen. Es sind also nicht zwei :. Stäbe« vorhanden, ein gesehener und ein wirklicher realer Stab; vielmehr nur ein wirklicher Stab, er ist zugleich vorhanden und im Sehen gemeint. Nicht der Stab, nur die Art seiner Erfüllung ist zweimal vorhanden; er ist >gerade« (als wirklicher Stab) und :.gebrochen« (als gesehener Stab). Die Zweiheit ist übereinandergelagert und zugleich an einem identischen Beziehungspunkt, dem Stab, zusammengeheftet. Ein solcher Beziehungspunkt der Wirklichkeit, der nur einmal vorhanden ist, muß immer aufzuweisen sein, wo Täuschung, Halluzination, Fata Morgana usw. vorliegen. Nur kann der Beziehungspunkt wechseln. Bei der Täuschung darüber, daß der Stab gerade ist, ist der Stab selbst der Beziehungspunkt, der gemeint und zugleich existent ist. Wenn der Stab eine bloße Halluzination ist, so ist die Raums t e 11 e, an der ich den Stab zu sehen glaube, in Wirklichkeit auf andere Weise ausgefüllt; die Raumstelle ist der feste Beziehungspunkt. Im Falle von Täuschung, Halluzination usw. muß also ein fester Beziehungspunkt gegeben· sein; und außerdem eine :. Verdopplung«, die die Erfüllung des Beziehungspunktes betrifft: Es muß eine m e n t a 1e Objektivation, das täuschende >Bild« einer realen (oder bei mathematischen

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Gegenständen , idealen«) Objektivation überlagert sein. Beides gehört zur Täuschung: der feste Beziehungspunkt und die doppelte Erftillung. Fehlt der Beziehungspunkt, so stehen zwei Gegenstände nebeneinander, die sich nichts angehen: Ein wahrgenommener Stab an einer Raumstelle und etwa eine wirkliche Blume an einer andern Raumstelle ergeben keine Täuschung. Fehlt andererseits die Verdopplung, das Gegeneinander von Mentalem und Realem, so liegt ebenfalls keine Täuschung vor, sondern der Gegenstand ist ein Objekt echter Wahrnehmung; er ist wahrgenommen, so wie er ist. 2. Ganz anders beschaffen ist der zweite Fall der Verdopplung bei unmittelbarer Einstellung: Die Vergegenwärtigung oder die Erinnerung eines an sich Wirklichen. Ich stelle mir etwa anschaulich das Ulmer Münster vor, oder erinnere mich etwa an das gestrige Zusammentreffen mit einem Bekannten. Im Falle der Vergegenwärtigung des Ulmer Münsters ziele ich auf das reale Objekt, das in Ulm steht, und diese Intention ist zugleich anschaulich erftillt. Aber die Erfüllung der Intention ist eine bloß bildmäßige (keine :) leibhaftige« [Husserl] wie bei der Wahrnehmung); ich bin mir bewußt, daß die Anschauung, die ich vor mir habe, ein mehr oder minder klares Vorstellungs> Bild« des Ulmer Münsters ist, nicht das wirkliche Ulmer Münster selbst. Der Abbildcharakter ist also hier ein phänomenales · Charakteristikum der Vorstellung (ähnlich wie beim Porträt oder dem Landschaftsbild). Es soll daher von der p h ä n omenalen Abbildrelation der Vergegenwärtigungs-und Erinnerungsvorstellungen gesprochen werden. Im Gegensatz zur realen Abbildrelation, wie sie etwa vorliegt, wenn der Sohn das , Abbild seines Vaters« ist, wo zwei verschiedene Gegenstände, die nicht Bildcharakter tragen, im Verhältnis von Vorbild und Abbild stehen. Es ist unmöglich, dem Sohn anzusehen, daß er Abbild des Vaters ist. 36

Im Falle einer adäquaten Vergegenwärtigung des Ulmer Münsters bestehen beide Abbildrelationen nebeneinander: Die phänomenale und die reale: Die anschauliche V ergegen~ wärtigung trägt Bildcharakter; und sie ist außerdem realiter ein Abbild des Ulmer Münsters. Es sind also folgende Fälle streng auseinander zu halten: 1. Die Verdopplung bei der naturalistischen Einst e 11 u n g. Gegenstand und Vorstellung sind kausal miteinander verknüpft. Die Vorstellung ist im günstigsten Fall tatsächlich ein Bild des Gegenstandes, wiederholt den Gegenstand gleichsam in anderem Material. 2. Bei derunmittelbaren Einstellung ist die echte Wahrnehmung ein Erfassen des Gegenstandes, so wie er ist. Eine Verdopplung ist nicht vorhanden. 3· Im Falle der Täuschung ist etwas Wirkliches unmittelbar erfaßt. Aber die Erfüllung der auf dieses Wirkliche gerichteten Intention ist verfehlt. Es besteht eine doppelte >Erfüllung«: Die Erfüllung durch das wirkliche Sein und die durch das wahrgenommene. Die wahrgenommene Erfüllung ist jedoch gerade kein Abbild der Seinserfüllung, der anschaulichen Wirklichkeit (das Gebrochensein des Stabes kein Abbild des wirklichen Geradeseins). Die beiden Erftillungen decken sich nicht und dürfen sich nicht decken, wenn der Fall der Täuschung vorliegen soll. 4· In der anschaulichen Vergegenwärtigung eines Wirklichen ebenso wie bei der anschaulichen Erinnerung ist die Vorstellung nicht nur ein tatsächliches Abbild, sondern sie hat auch phänomenalen Bildcharakter. Die Fälle der Täuschung usw. einerseits, der Vergegenwärtigung und der Erinnerung andererseits wurden einzig angeführt, um sie gegen die Wahrnehmung zu kontrastieren, bei der in unmittelbarer Einstellung keine Verdopplung vorliegt.. Es hat sich also ftir die Wahrnehmung eine völlig verschiedene Struktur ergeben, je nachdem man sie vom Stand-

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punkt der unmittelbaren oder der naturalistischen Einstellung aus betrachtet, und zwar als Folge der verschiedenen Strukturantiken des Wahrnehmungsaktes: Bei der naturalistischen Einstellung eine Verdopplung des Gegenstandes in wirklichen Gegenstand und Bild, verbunden durch einen kausalen Prozeß vom Gegenstand zu der Vorstellung hin; bei der unmittelbaren Einstellung ein Gegenstand, der durch einen Subjektsakt erfaßt wird. So finden sich auch in allen philosophischen Systemen, die konsequent eine einheitliche Einstellung einnehmen, je nach ihrem Standpunkt, in der Analyse der Wahrnehmung Verdopplung oder Nichtverdopplung des Gegenstandes. Eine typische Umdeutung der naturalistischen immanenten Strukturantik in eine naturwissenschaftliche Theorie zeigt sich bei Demokrit. Nach der immanenten Metaphysik des Naturalismus ist die Vorstellung ein Abbild des Gegenstandes. Die einfachste naturwissenschaftliche Erklärung dieses Verhältnisses liegt dann vor, wenn man mit Demokrit annimmt, daß sich el'~wla, kleine Bilderehen von den Gegenständen ablösen und in die Seele hineinwandern. Besonders deutlich läßt sich der Gegensatz der naturalistischen und der unmittelbaren Wahrnehmungstheorien an der Entwicklung der relativ einfach konstruierten Systeme der englischen Empiristen verfolgen: In den Grundlagen seiner Anschauungen huldigt Locke der naturalistischen Einstellung. Er beginnt daher folgerichtig seine Analyse der Ideen: , Erstens bringen unsere Sinne gemäß der mannigfachen Art, wie Gegenstände auf sie einwirken, eine Mehrzahl unterschiedener Wahrnehmungen ins Bewußtsein. Auf diese Weise kommen wir zu den , Ideen c, die wir von gelb, weiß, wärm, kalt, weich, hart, bitter, süß und allem dem, was wir sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften nennen, besitzen. Von ihnen sage ich: Die Sinne bringen sie uns ins Bewußtsein; indem ich meine: sie bringen von äußeren Gegenständen das ins Bewußtsein, was in ihnen solche

Wahrnehmungen hervorruft« (Locke, Über den menschlichen Verstand, 3· Kap., § 3). Das ist ganz naturalistisch gedacht im Sinne der kausalen Verdopplungstheorie. Berkeley hingegen weiß, vom Standpunkt der unmittelbaren Einstellung aus, mit solcher Verdopplung nichts anzufangen. Er bringt nicht etwa Argumente gegen die Verdopplung vor; er wiederholt immer nur fast Seite für Seite, daß er keinen Unterschied finden könne zwischen Vorstellungen und Dingen. Man merkt seinen Ausführungen deutlich an, daß er überhaupt nicht recht begreift, wie Locke zu einer solchen absurden Meinung, wie es nach Berkeleys Meinung die Verdopplungsanschauung ist, hatte kommen können; Berkeley vermag sich überhaupt nicht in die ihm fremde naturalistische Einstellung hineinzuversetzen. Für Hume endlich ist die naturalistische Abbildtheorie überhaupt kein Problem mehr; er setzt sich nicht mehr mit Locke auseinander - das hat Berkeley bereits für ihn getan. Abbildverhältnis besteht für ihn nur noch zwischen impressions und ideas, zwischen dem unmittelbaren Eindruck u~d der abbildenden Vorstellung im Sinne der Vergegenwärtigung eines jetzt nicht sinnlich anschaulich Vorhandenen. (Wobei Hume freilich den phänomenalen Abbildcharakter der Vorstellungübersieht und nur das tatsächliche Abbildungsverhältnis berücksichtigt. Die , Ideen c werden einfach als ,abgeblaßte«:, ,schwächere« Impressionen gefaßt.) Wie Hume, so hat bisher noch jede Philosophie, die strikt vom , Gegebenen c ausging, die Verdopplung von Vorstellung und Gegenstand in der Wahrnehmung zurückgewiesen (die phänomenologische Schule, Scheler, Mach, die Mehrzahl der Immamenzphilosophen). 3, Die Abbildtheorie der Wahrheit. Von solch verschiedener Deutung der Wahrnehmung her erwachsen auch für die beiden Einstellungen entgegengesetzte 39

Anschauungen darüber, wann ein Gegenstand der Außenwelt , richtige aufgefaßt ist, und wann nicht. Zunächst werde die Richtigkeitstheorie der n a tu r a 1is t i s c h e n Einst e 11 u n g diskutiert: Nach der naturalistischen Einstellung ist die richtige Auffassung eines Gegenstandeseine Relation zwischen Vorstellungund Gegenstand: Gibt eine Wahrnehmungs-Vorstellung den Gegenstand richtig wieder, so ist die Auffassung des Gegenstands richtig (Konformi tätstheorie). Wann aber ist die Wiedergabe eines Gegenstandes durch die Wahrnehmung eine richtige? Entweder dann, wenn die Vorstellung den Gegenstand naturgetreu abbildet, oder wenn doch wenigstens die Vorstellung dem Gegenstand in einer eindeutigen Weise zugeordnet ist, ihm eindeutig korrespondiert. Danach lassen sich innerhalb der Konformitätsanschauung Abbildungstheorie und Korrespondenztheorie unterscheiden. Die Abbildtheorie der richtigen Vorstellung wird zu einer Abbildtheorie der Wahrheit des Urteils erweitert. Zull.ächst besagt die Abbildtheorie nur: Eine Wahrnehmungsvorstellung oder Erinnerungsvorstellung ist dann und nur dann richtig,, wenn sie den Gegenstand so abbildet, wie er wirklich ist. Die Wahrnehmungsvorstellung (und die Erinnerungsvorstellung) eines grünen Baumes ist nur dann richtig, wenn der Baum auch in Wirklichkeit grün ist. Ein Urteil jedoch ist für die übliche naturalistische Anschauung eine Verbindung von Vorstellungen oder stützt sich zum mindesten auf eine Verbindung von Vorstellungen. Im Urteil: Der Baum ist grün, werden danach die Vorstellung des Baumes und die Vorstellung des Grün verbunden. Demgemäß ist nach der Abbildtheorie das Urteil: , Der Baum ist grün c dann wahr, wenn diese Vorstellungsverbindung die Wirklichkeit abbildet. Es besteht dabei für die naturalistische Einstellung kein Unterschied zwischen Wahrnehmungsurteil und ErinnerungsurteiL In beiden Fällen ist für sie eine abbildende .

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, Verdopplung c des Gegenstandes in der Vorstellung gegeben. In einem Fall wird auf Grund der Wahrnehmungsvorstellung, die den grünen Baum abbildet, das Urteil gefallt, im anderen Fall auf Grund der Erinnerungsvorstellung. Es gibt auch innerhalb der u n mit t e 1baren Einstellung bestimmte Sondererscheinungen, die einer Abbildtheorie der Wahrheit huldigen. Doch ist ftir die unmittelbare Einstellung eine solche Abbildtheorie der Wahrheit nur möglich, wenn es sich um Urteile handelt, die sich nicht aufunmittelbar Wahrgenommenes beziehen, sondern um Urteile, die an Vergegenwärtigungen eines Früheren anknüpfen. Denn: sehe ich den grünen Baum (stelle ihn nicht bloß vor), so liegt für die unmittelbare Einstellung keine Verdopplung vor und danach auch ':keine Abbildung. Dagegen würde ein Urteil: »Der Baum auf der Höhe des Hügels, den wir gestern besuchten, ist trotz der frühen Jahreszeit schon grün c, auch von seiten d~r unmittelbaren Einstellung eine Abbildungsinterpretation zulassen. Es muß dann behauptet werden: das Urteil werde stets auf Grund einer anschaulichen Vergegenwärtigung des gestern Gesehenen gefallt. In der üblichen Definition der , Wahrheit« spielt die Abbildtheorie eine große Rolle. Sie ist diejenige Auffassung der Wahrheit, auf die man stößt, wenn man überhaupt beginnt, über das Problem der Wahrheit nachzudenken. Dort, wo die Abbildtheorie im populären Denken als selbstverständlich vorausgesetzt wird, wirft man meist die , reale c Abbildtheorie der naturalistischen Einstellung mit der phänomenal-realen der unmittelbaren Einstellung zusammen; man denkt bei ,Abbild« ungeschieden an die reale Abbildung eines Gegenstands durch die Wahrnehmung nach naturalistischer Anschauung, und an die Tatsache, daß jede Vorstellung in sich das Abbild eines Gegenstandes darstellt. Nicht viel anders pflegt es sich bei der philosophischen Abbildtheorie zu verhalten. Es kann jedoch hier nicht aufEinzel41

ausführungen der Abbildtheorie eingegangen werden, da diese philosophische Theorie meist noch von weiteren philosophischen und psychologischen Vorgriffen mitbestimmt ist, die in diesem Zusammenhang nicht erörtert werden dürfen. 4· Die Korrespondenztheorie der Wahrheit.

Die Abbildtheorie (sei es, daß sie der naturalistischen, sei es, daß sie der unmittelbaren Einstellung entstamme), macht eine doppelte Voraussetzung: 1. Daß bei Urteilen über sinnlich wahrnehmbare Gegenstände die Vergegenwärtigung dieser Gegenstände in sinnlich anschaulicher Form erfolgt. Daß also, wenn das Urteil gefällt wird: Der Schnee ist weiß, im Bewußtsein des Urteilenden sich eine Vorstellung weißen Schnees einstelle. Diese Grundlage der Abbildtheorie ist für den Fall der vergegenwärtigenden Vorstellung heute aufgegeben. Seit Galtons Versuchen, der nachwies, daß bei der Vorstellung oft gesehener Gegenstände (etwa des täglichen F rühstückstisches) sich nicht ein ausgeführtes Bild des Frühstückstisches einzustellen braucht, während doch richtige Urteile über die Tassen, die Teller usw. gefällt werden können; seit Einführung des Begriffes des , Meinens c und der , leeren c Intention in die Urteilstheorie durch die Brentanoschule; seit den Experimenten Bühlers über , Gedanken c ; seit der Einführung des Begriffes der unanschaulichen Gegebenheiten in der Külpeschule usw. ist dieser Form der Abbildtheorie der Boden entzogen. Es läßt sich nur in engumgrenzten Fällen die Behauptung aufrecht erhalten, daß, auch bei ,richtigere Vergegenwärtigung eines wahrnehmbaren Gegenstandes, eine sinnlich anschauliche Vergegenwärtigung eine Abbildung des Wirklichen sei. Die naturalistische Einstellung kann, nach dem Wandel der Anschauungen über den Charakter der Vorstellungen; die Abbildtheorie der Wahrheit - wenn überhaupt - nur

noch für W ahrn ehm un gs urteile aufrechterhalten, da allgemeinnurimFalleunmittelbarerWahrnehmungvoneinerAbbildung des Gegenstandes durch die Wahrnehmung gesprochen werden kann. Die unmittelbare Einstellung hingegen muß aufjedenFall dieAbbildungstheorieals prinzipielle Theorie aufgeben: Bei der Wahrnehmung fehlt für sie die Verdopplung, die die Grundlage jeglicher Abbildung ist, und bei der vorstellenden Vergegenwärtigungist die anschauliche Vergegenwärtigung ein Ausnahmefall. 2. Allein auch die Abbildtheorie der Wahrnehmung, wie sie der naturalistischen Einstellung naheliegt, hat im Laufe der Zeit Bedenken hervorgerufen: Nur der naive Realismus des gewöhnlichen Lebens setzt voraus, daß die Wahrnehmung ein getreues Konterfei der Wirklichkeit sei; die exakten Naturwissenschaften ersetzen den naiven Realismus durch einen kritischen. Für sie sind die Wahrnehmungen nicht länger vollkommene Abbilder der Dinge, sondern je nachdem: Zeichen, Symbole, Repräsentanten. Nur den primären Qualitäten (Lage, Größe, Bewegung usw.) ent· spricht ein Abbild in der Wahrnehmung, nicht aber den sekundären Qualitäten, wie Farbe, Ton, sauerusw. Es existiert für sie in der Außenwelt keine anschauliche Farbe Rot, keine Rotqualität, sondern einzig atomistische Strukturen bestimmter Art. Der Behauptung: Die Wahrnehmung der roten Nelke sei ,richtige, liegt daher ein anderer Richtigkeitsbegriff zugrunde als der, welcher der Abbildungstheorie des naiven Realismus entspricht. An Stelle der Abbildungstheorie tritt eine bloße Korrespondenztheorie. Gegenstand .und Vorstellung stehen nicht im Verhältnis von Urbild und Abbild, sondern von Gegenstand und adäquat erzeugter Vorstellung: Wenn die reale Nelke im Garten die Fähigkeit besitzt, Lichtstrahlen von der Wellenlänge 700 pp zurückzustrahlen und die Wahrnehmungsvorstellung die anschauliche Rotqualität besitzt, so gilt die Wahrnehmungsvorstellung als adäquat erzeugt. 43

Was heißt das: Eine Wahrnehmung sei adäquat erzeugt? Es besagt z. B.,daß beinormaler Beleuchtungund normaler Beschaffenheit des Auges, normaler Zuleitung zum Gehirn als Reaktion auf die Wirkung eines Gegenstandes, der Licht von der Wellenlänge 700 pp zurückstrahlt, eine Wahrnehmungsvorstellung: »Rot c erfolgt. Eine adäquate, d. h. unter normalen Bedingungen erzeugte Vorstellung ist >richtig c; die Wahrnehmung ist dagegen »unrichtig«, wenn etwa bei der Dämmerung, also unter nicht-normalen Bedingungen, die Nelke als schwarz wahrgenommen wird, das Wahrnehmungsbild also inadäquat erzeugt ist. Theoretisch ist der Begriff der ~normalen« , der >adäquaten c Erzeugung schwer ganz exakt zu fassen. Man müßte alle Bedingungen der Normalität genau erforschen, die einzelnen Momente exakt herausarbeiten, die zur normalen Beleuchtung gehören usw. Die praktische Verwertbarkeit des Begriffes der normalen Erzeugung wird durch solche theoretische Schwierigkeiten nicht beeinträchtigt; es ist in den wenigsten Fällen ein Zweifel darüber vorhanden, was ,normal ( ist und was nicht. Durch zwei Momente wird diese Feststellung der Normalität erleichtert: Einmal braucht man nicht etwa auf die theoretische Grundlage- Lichtschwingungen von derWellenlänge700pp-zurückzugehen, umfestzustelle?, was :nor?Iale Bedingungen« für die Auffassung des Rot smd; wtr wtssen aus der Erfahrung des praktischen Lebens, was normale Beleuchtung ist, aus welcher Entfernung wir den Gegenstand in seiner richtigen Farbe zu sehen pflegen usw. Wenn auf diese Weise die Normalität festgelegt ist, wird umgekehrt nun die Wellenlänge der Lichtstrahlen aufgesucht, die dieser ,normalen« Farbe entspricht. Es stelle sich heraus, sie betrage 700 pp. Und nun schließt man wieder umgekehrt: Wenn der Gegenstand, der Lichtstrahlen von der Wellenlänge 7oo pp reflektiert, die Wahrnehmung >Rot« erzeugt, dann liegen normale Bedingungen vor. 44

Auf diesen Begriff der adäquaten Erzeugung als des Correlats der Richtigkeit stützt sich nun auch der Wahrheits. begriff der Wahrnehmungsurteile bei der kritischen _na.turalistischen Einstellung: Ein Wahrnehmungsurtetltst dann wahr, wenn die betreffende Wahrnehmung adäquat erzeugt ist. Die Situation ist nicht ganz einfach: Strenggenommen dürfte von >richtiger« Wahrnehmung, von ~Wahrheit« der Wahrnehmung überhaupt nicht gesprochen werden .. Kausale Prozesse kennen nicht den Gegensatz von W ahrhett und Falschheit von Richtigkeit und Unrichtigkeit. Licht von der Wellenlän~e 700 pp erzeugt das eine Mal unter ~10rmalen Bedingungen den Eindruck Rot, unter anderen Bedmgungen Schwarz· beides ist kausal eine gleicherweise >richtige« Erzeugung~ Erst das Urteil bezieht, nach naturalistischer Anschanung das wahrgenommene Rot oder das wahrgenommene Schwarz auf den Gegenstand; und erst jetzt kann von Richtigkeit oder Unrichtigkeit die Rede sein. Deshalb darf die Korrespondenztheorie, wenn sie konsequent sein will zwar von einer »adäquat erzeugten«, aber nicht von einer ;richtigen« Wahrnehmung sprechen; Richtigkeit und Wahrheit kann für sie erst im Urteil zustandekommen. Dagegen hat Richtigkeit einer Wahrnehmung sowohl für die Abbildtheorie einen guten Sinn, wie auch ftir die noch zu besprechende Deckungstheorie der unmittelbaren Einstellung. Man wird erstaunt sein, daß trotz der naturalistischen Einstellung der exakten Naturwissenschaften der Richtigkeitsbegriff, der sich auf die adäquate Erze~gu~g st?t~t, auch von denjenigen Denkern nicht herausgearbeitet 1st, dte thre Erkenntnistheorie an die exakten Naturwissenschaften anknüpfen -geschweige denn, daß man versucht ~ätte, diesen Begri~ der adäquaten Erzeugung exakt zu analysteren. D~r Grund he~t darin daß - meines Wissens - nirgends dte Erkenntmstheorie den naturalistischen Standpunkt rein durchgehalten 45

hat. Man hat entweder den pragmatistischen Wahrheitsbegriff in die naturalistische Einstellung mit hineingenommen oder die Grundlagen der Naturwissenschaften idealistisch umgedeutet. Auch dort, wo der Realismus der Naturwissenschaften festgehalten wurde, hat man nicht die Konsequenzen im Sinne der naturalistischen Korrespondenztheorie für den Wahrheits- und Richtigkeitsbegriff gezogen. So verbreitet ~ie ~bbildtheorie von Richtigkeit und Wahrheit ist, so wenig tst dte Korrespondenztheorie der Wahrheit und Richtigkeit akzeptiert worden. Von den Gründen, die zu solchen Inkonsequenzen geführt haben, wird später noch zu sprechen sein. 5· Die Deckungstheorie der Wahrheit. Für die unmittelbare Einstellung liegt das Wahrheitsproblem anders als für die naturalistische Einstellung. In der unmittelbaren Einstellung tritt die Abbildtheorie der Wahrheit in den Hintergrund. Nur einige Sonderausprägungen der unmittelbaren Einstellung - so wurde gezeigt - haben sich die Abbildtheorie der Wahrheit zu eigen gemacht. Und zwar auch nur für solche Urteile, die sich auf Erinnerungen an Vergangenes stützen; nicht für die Wahrnehmungsurteile. Allein auch für solche Urteile konnte die Abbildtheorie nicht rein durchgeführt werden. Die eigentliche Konsequenz der unmittelbaren Einstellung geht nach anderer Richtung: Die Richtigkeit einer Wahrnehmung kann für sie weder in der Abbildung des Gegenstandes durch die Wahrnehmung noch in der Korrespondenz von Wahrnehmungsvorstellung und Gegenstand liegen. Die Voraussetzung beider Anschauungen: >Die Verdopplung des Gegenstandes« ist für sie nicht gegeben. Die Wahrnehmu~g ist vielmehr für sie dann und nur dann richtig, wenn ste den Gegenstand gerade so erfaßt ' . wie er .tst; wenn der Gegenstand, wie er ist und wie er wahrgenommen wird, sich decken (Deckungstheorie). Auch hier 46

bedeutet richtiges Wahrnehmen eine Relation; aber nicht zwischen Gegenstand und Vorstellung, sondern zwischen dem Gegenstand, wie er ist, unddem Gegenstand, wie er erfaßt wird. Das Erfassen, das Meinen des Gegenstandes ist ein Plus gegenüber dem bloßen Sein des Gegenstandes, ohne daß dieses Plus in einer Wiederholung des Gegenstandes besteht. Zu allen Zeiten haben Denker die Richtigkeit der Wahrnehmung, die > Wahrheitc: der Wahrnehmung in d!esem Sinne gefaßt; am schärfsten ist diese Deckungstheorie der Wahrnehmung von Husserl herausgearbeitet worden. Gerade an dem Begriff der , Richtigkeit der Wahrnehmungc läßt sich der Gegensatz immanenter Strukturantik und transzendenter Strukturmetaphysik deutlich machen. Die immanente Strukturontik, sowohl der naturalistischen, als auch der unmittelbaren Einstellung ist realistisch: Eine reale Welt wird bei beiden zugrunde gelegt. Von einer transzendent-idealistischen Anschauung aus hingegen verlieren alle Richtigkeitsbegriffe, die wir analysiert haben, ihre Geltung: Wenn der Gegensatz zwischen einer realen Außenwelt und dem Psychischen (naturalistische Einstellung) oder der Gegensatz zwischen einer realen Außenwelt und dem auffassenden Bewußtsein {unmittelbare Einstellung) nicht existiert, so kann die Richtigkeit einer Wahrnehmung, weder in einer Abbildung der Wirklichkeit, noch in einer Korrespondenz mit der Wirklichkeit, noch im Erfassen der Wirklichkeit gesucht werden. Der Gegensatz von Wirklichkeit und Unwirklichkeit fallt bei einer idealistischen Auffassung ins Bewußtsein selbst; es fehlt daher ein transzendenter Maßstab für die Richtigkeit einer Wahrnehmung. Nur zwei Möglichkeiten bestehen für die konsequent denkende transzenden t-idealis tischeAnschauung: Entweder wird der Maßstab der Richtigkeit der individuellen Wahrnehmung in dem Verhältnis zur, Wahrnehmungc eines überin d i v i du e 11 e n Wesens gesucht. Der Maßstab der Rich-

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tigkeit, der ftir den immanenten Realismus in der Beziehung zu einer objektiven Wirklichkeit gegeben war, wird nun in der Beziehung auf die >Gedanken Gottes c oder auf ein > überindividuelles Bewußtsein« gefunden. In primitiverForm findet sich eine solche Anschauung etwa bei Berkeley, in geläuterter und ins Erkenntnistheoretische gewandter Form in der Annahme eines , Bewußtseins überhaupt c im Kantianismus. Läßt man jedoch so wo h 1 den Maßstab einer festen Realität, wie auch eines richtunggebenden , Bewußtseins überhaupt c fallen, so fehlt jeglicher über die Vorstellungen selbst hinausgehender Maßstab. Man muß dann das Kriterium von Wahrheit und Falschheit in den Beziehungen von Wahrnehmungen und Vorstellungenuntereinander suchen. So haben denn meist die idealistischen Theorien die w i d erspruchslose und gesetzmäßige Verknüpfung der Wahrnehmungsinhalte untereinander zum Gradmesser der Wirklichkeit erhoben. Nach dieser Anschauung ist die einzelne Wahrnehmung in bezug aufRichtigkeit und Unrichtigkeit an der Gesamtheit der übrigen Wahrnehmungen zu messen; die einzelne Wahrnehmung in ihrer Isolierung betrachtet, ist weder wahr noch falsch - sie ist einfach da. Erst von dem Gesamtsystem der Vorstellungen und Wahrnehmungen aus erhält sie den Index der Richtigkeit oder Unrichtigkeit; erst aus dem Zusammenhang der Gesamtwelt ergibt sich, ob der Baum, den ich sehe, eine Halluzination ist oder nicht, ob die anschauliche Farbe einereale Gegenstandsbestimmtheit darstellt oder bloß subjektiver Natur ist. Nachdem durch Berkeleys esse est percipi für allen subjektiven und transzendentalen Idealismus jegliche Konformitäts- .oder Deckungstheorie der Wahrheitstheorie unmöglich geworden war, hat sich für die idealistischen Theorien immer mehr der Wahrheitsbegriff in die Übereinstimmung der Vorstellungen miteinander zurückgezogen. K an t zwar war sich noch wohl bewußt, daß es sich hier

um eine metaphysische Theorie handele, die »Namenserklärung der Wahrheit« (d. h. in Wirklichkeit: die unmetaphysische, rein sachliche ~?terpretation der Wahrheit) bestand auch für ihn in der Ubereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande (Kritik der reinen Vernunft, B. 82), aber die neukantischen und konszientialistischen Interpretationen der Wahrheit nehmen die Wahrheit sofort vom Standpunkt ihrer metaphysischen idealistischen Deutung der Welt als Übereinstimmung der Gedanken untereinander. In der Lehre vom >Bewußtsein überhaupt« pflegen sich diese beiden idealistischen Deutungen zu treffen: Die Wahrheit wird gedeutet als Übereinstimmung der Vorstellungen mit einem überindividuellen Bewußtsein, das zugleich als Norm der Übereinstimmung der Gedanken untereinander aufgestellt wird. 6. Die Wahrnehmung und der Leib.

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In großen Zügen werden auch die Meinungen über die Bedeutung des Leibes für die Wahrnehmung (und ebenso fur das Wollen) durch den Gegensatz der naturalistischen und der unmittelbaren Einstellung bestimmt. Aus der naturalistischen Einstellung ergibt sich eine einfache Lösung des Leib-Wahrnehmungsproblems: Das Psychische wird im Zusammenhang mit dem Gehirn erzeugt; der Leib ist eine Durchgangszone des psychophysischen Kausalprozesses, nicht anders als die elektromagnetischen Lichtwellen. Die prinzipiellen Schwierigkeiten des Wahrnehmungsvorganges liegen nicht be!!ll Leibe als Glied des kausalen Prozesses, sondern beim Ubergang vom Gehirn zum Psychischen und umgekehrt. Die unmittelbare Einstellung .bedarf weit komplizierterer Gedankengänge, um sich das Verhältnis von Wahrnehmung und Leib verständlich zu machen. Die Wahrneh49

mung hat für sie eine doppelte Seite: Das Subjekt muß durch das wahrzunehmende Objekt affiziert, zum Wahrnehmen angeregt werden; und auf Grund dieser Affektion, dieser Anregung ergreift das Subjekt das Objekt in der Wahrnehmung. Man kann demgemäß die Wahrnehmungstheorie entweder so ausbauen, daß der Leib in den Affektionsprozeß oder daß er in den Vorgang des Ergreifens des Objekts durch das Subjekt eingeschaltet wird; entweder in den Weg vom Objekt zum Subjekt oder in den Weg vom Subjekt zum Objekt. (Meist ist man sich jedoch über diese Alternative nicht klar und verwertet beide Möglichkeiten nebeneinander.) Nimmt man den Leib in den Affektionsprozeß mit hinein, so schließt man sich mehr oder weniger eng an eine modifizierte naturalistische Anschauung an: Das Objekt regt durch den Leib, durch die Sinne hindurch das Subjekt an, das Objekt unmittelbar zu ergreifen. Wenn man den Leib hingegen ftir den Weg vom Objekt zum Subjekt hin in Anspruch nimmt, so kann man auf diese Weise zwar eine Lösung des Wahrnehmungsproblems proponieren, nicht aber - von der unmittelbaren Einstellung aus- dem Willensproblem nahekommen. Zum Verständnis des Wollens muß der Leib zwischen Subjekt und Objekt in der Richtung auf das Objekt hin eingeschaltet werden; das Subjekt muß mittels des Leibes seine W ollungen in Handlungen umsetzen, damit die gewollte Veränderung in der äußerenWelterreicht wird. Demgemäß liegt es nahe, dann ·auch für die Wahrnehmung eine Anschauung zu versuchen, bei der der Leib eine Rolle in der Subjekt-Objektrichtung beim Ergreifen des Objekts durch das Subjekt spielt. In diesem Falle aber wird die Beziehung zwischen Wahrnehmung und Leib, wie auch zwischen Wollen und Leib schwer interpretierbar. Der Leib wird jetzt zu einem zwischengeschalteten Vermittlungsorgan, zu einer unerläßlichen Bedingung, um das Ergreifen des Objekts zu ermöglichen. Wie diese Vermittelung zu denken ist, darüber sagt die

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unmittelbare Einstellung nichts. Auch mit den üblichen Relationsbegriffen, wie Kausalität, Mittel usw. ist diesem Verhältnis von Subjekt und Wahrnehmung nicht beizukommen: Man hilft sich mit Vergleichen. Das Subjekt ist der Steuermann, der das Schiff des Leibes lenkt (Plato), der Leib ist .ein Organ der Seele (eine Anschauung, wie sie von Platin bis zur Romantik in einem breiten Unterstrom das Denken über die Seele durchzieht); oder der Leib ist ein , Analysator« für die Außenweltsgegebenheit, eine einschränkende Bedingung ftir die Wahrnehmung des realen Seelenlebens c (Scheler 1). Da das Subjekt im wahrnehmenden Ergreifen des Objekts, wie in der willensmäßigen Betätigung ein aktiver Faktor ist, so liegt es ftir die unmittelbare Einstellung nahe, das Seelische, die Subjektsaktivität als ein Bewegungsprinzip zu deuten. Gegenüber dem Körper ist das Seelische das Bewegende, das Lebendige. An Stelle der naturalistischen Zweiteilung Physisches-Psychisches tritt jetzt die Zwei1 ) Ich kann es mir nicht versagen, eine physiologische Anschauung in ex· tenso wiederzugeben, die im Gegensatz zu unserer heutigen naturalistischen Deu· tung des.Wahrnehmungsprozesses, rein von der unmittelbaren Einstellung aus an das WahrnehmungsP.roblem herangeht. In des Nicolaus Cusanus liber de mente (zitiert nach der Übersetzung von Heinrich Cassirer in Ernst Cassirers »Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance« S. 254-256) wird der Philosoph gefragt, wie sich die Physiker das Entstehen der Empfin· dungen denken, und er gibt folgende charakteristische Auskunft: »Die Phy· siker sagen, daß die Seele mit einem ganz feinen Lebensgeist gemischt sei, welcher durch die Adern zerstreut sei, und zwar so, daß jener Lebensgeist das Vehikel der Seele ist ... Es ist also der Lebensgeist ... ein Werkzeug der Seele, vermöge dessen sie den Gesichtssinn zur Ausübung bringt . . . Der Lebensgeist aber, der zum Auge gelenkt wird, ist von höchster Beweglichkeit. Vilenn er also ein störendes Hindernis von außen vorfindet, wird er zurück· getrieben, und die Seele wird dazu bewogen, dasjenige, was hinderlich ist, zu betrachten ... Der Umstand, daß sich die Augenstrahlen so kräftig, so fein und scharf auf die Luft richten, bewirkt, daß die Luft dem Auge weichen muß, und daß nichts ihm widersteht außer dem Groben der Erde und des Wassers. Da also jener Lebensgeist ein Werkzeug der Sinne ist, so sind Auge, Nase und die andern Sinneswerkzeuge gleichsam Fenster und Wege, auf denen. jener Lebensgeist den Ausgang zum Wahrnehmen findet. • Hier ist alles, völlig im Sinne der unmittelbaren Einstellung, derart gedeutet, daß das Wahrnehmen sich als Subjektsaktivität darstellt. Das Subjekt schickt die Augenstrahlen aus, die auf ein Hindernis stoßen und in das Subjekt zurückkehren.

SI

teilung Körperliches-Lebendiges: Das Seelische wird damit ein Unterfall! eine Ausformun_g des Lebendigen. So ~at mehr.oder w_emger bewußt beretts die ganze voraristotehsche Phdosophte das Problem des Seelischen gesehen (mit Ausnahme des naturalistischen Demokrit, bei dem diese Anschauung jedoch ebenfalls anklingt); bewußt hat sie Aristoteles ausgebaut, und überall, wohin sein Einfluß reichte im Mittelalte.r, wi~ in ~er n~ue~ten Philosophie (Bergson, Drie~ch, Scheler) 1st dte v 1t alt s t 1s c h e Auffassung des Seelischen grundlegend für die unmittelbare Einstellung geblieben. Umgekehrt besteht ftir die naturalistische Einstellung die Tendenz, das Leben in das Mechanische aufzulösen und das Seelische avitalistisch, rein zuständlich inaktiv zu fassen (Demokrit, Descartes in den naturalisti~chen Teilen seines ~ystems, der Naturalismu~ des rg. Jahrhunderts). Jener beruhmte Zus~mmenstoß zwtschen den Anhängern der Lebensk~~ft. und thren Gegnern auf der Naturforschertagung in Gottmgen I 8 54 war in letzter Linie ein Zusammenstoß z':"ischen den beiden Einstellungen, und er mußte mit dem St~g der G~gne~ des Vitalismus (Du-Bois Reymond) enden, wed nun dte Zett der naturalistischen Einstellung ge· kommen war. . Die. vftal!stfsche N~igung der unmittelbaren Einstellung, d!e an~tvtt~hsttsche Netgung der naturalistischen Einstellung smd mcht m dem Maße zwingend daß sie nicht noch Raum f~r diese Neigungen durchkreuze~de Tendenzen ließen. So gtbt es z. B. einen Vitalismus, der nicht aus der unmittelbaren Einstellung stammt und sich deshalb ohne Inkonsequ~nz. mit ~er naturalistisc~en Einstellung vereinen läßt: Rem •.nnerwtssenschaftliche Uberlegungen haben eine Reihe vo~. Btologen ~m ~ie Jahrhundertwende zu der Überzeugung gefuhr~, daß steh dte Zweckmäßigkeiten im Bau von Pflanzen und Ttere~ und ebenso _die zweckmäßige Restitution von Organen mcht ohne Zuhtlfenahme von Determinanten Entelechien, zielstrebigen Lebenskräften erklären ließen. S~lche

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Anschauungen können prinzipiell sehr wohl auf dem Boden der naturalistischen Einstellung erwachsen; allein es ist bezeichnend, daß der Naturalismus sie nur zögernd und ungern annimmt, während Gedankengänge aus unmittelbarer Einstellung sich leicht mit ihnen befreunden. Mit dieser verschiedenartigen Stellung des Seelischen zum Leib, je nach der Einstellung, ergibt sich auch eine verschiedenartige Interpretation, die die Bezeichnung ~mein Leib c: für die jeweilige Einstellung gewinnt. Für die streng naturalistische Einstellung, die kein Subjekt als Strukturbestandteil der Welt kennt, wird die Einheit des Psychischen (die bei der unmittelbaren Einstellung auf der Einheit des Subjekts beruht), letztlich nur durch die Einheitlichkeit des Leibes oder des Gehirns, an die das Psychische angeschlossen ist, gewährleistet. So individualisiert hier nicht das Subjekt den Leib, sondern der Leib umgekehrt dasjenige, was beim Naturalismus dem Subjekt entspricht: das Psychische in seiner Einheit. , Mein c Leib ist naturalistisch gesehen derjenige Leib, der bestimmten psychischen Erlebnissen die Einheit gibt. Umgekehrt bei der unmittelbaren Einstellung: Das Subjekt ist für sie in sich individuiert; und das Subjekt bezeichnet den Leib, der ihm Kunde von der Außenwelt gibt, der ihn zur Erfassung der Außenwelt anregt, und durch dessen Vermittlung er die Welt erfaßt und sich in der Welt betätigt, als >seinen« Leib. Der Gegensatz in der Beurteilung des Verhältnisses von Seele und Leib wird in den philosophischen Systemen nicht nur durch das Verhältnis der jeweiligen Einstellung zum Problem Wahrnehmung-Leib, Wille-Leib bestimmt, sondern auch noch durch die Lösung anderer Probleme, die das SeeleKörperproblem mannigfach verschränken - Probleme, die im 5. Kapitel zu erörtern sind.

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;.KAPITEL.

DIE HALTUNGEN.

. Natu~alistische und unmittelbare Einstellung liefern nur die Umrisse der Strukturontiken. Das Bild der Welt wird im U~k;eis der u~mitte_lbaren Einstellung noch weiterhin komphziert und differenziert durch drei verschiedene methodische Haltungen, die 1. als die strukturfixierende (abgekürzt die fixierende) oder auch objektivistische Haltu~g, 2. als die su?jektivistische oder perspektivistische und 3.als die Gegebenheitshaltung bezeichnet werden sollen. Die strukturfixierend-objektivistische und die pers pekti vis tisch-su bj ektivis tis ehe Hai tung.

I.

Die strukturfixierende Haltung zeigt die Struktureines Tatbestandes auf, so wieersiehnach der unmittelbaren Eins~ellung ergibt. So.ist etwa für die unmittelbare Einstellung die Tatsache, daß .em Gemälde auf ein Subjekt wirkt, sein Ge~allen erregt, em Wechselspiel zwischen Subjekt und Ob~ek.t. Das Gemälde affiziert das Subjekt; das Subjekt ergreift Im Sehensakt das Gemälde; die gesehenen, wertvollen Momente des Gemäldes affizieren ihrerseits wieder dieaffektive Seite des Subjekts, und das Subjekt reagiert mit einer Stellungnahme des Gefallens. (Für die naturalistische Einstellung würde sich der Vorgang ganz anders darstellen: Von der physischen Atomstruktur der Leinwand führt ein kausaler Proze~ ~um G7hirn, es entsteht die Vorstellung des K~ns.twer~s, dte ~hrerseits Gefallenserlebnisse erzeugt; natur~hst~sch hegt k~me Wechselwirkung vor, sondern ein einSinnig vom Objekt zum Psychischen laufender Prozeß.)

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Bei dieser Analyse der Wechselwirkung zwischen Objekt und Subjekt wurde weder Objekt noch Subjekt methodisch bevorzugt; es wurde einfach fixiert, was nach der unmittelbaren Einstellung vorliegt; Objekt und Subjekt sind Gegenspieler. Allein sachlich liegt schoneinegewisse Bevorzugung des Objekts vor dem Subjekt im Aufbau der Weltstruktur selbst. Das Subjekt wird von der unmittelbaren Einstellung als in der Objektwelt befindlich, als in die Objektwelt hineingestellt betrachtet. Die Sichtnahme erfolgt wesentlich vom Objekt her. Deshalb wird im folgenden diese Haltung (wenn der Gegensatz zur subjektivistischen Haltung im Vordergrund steht) als objektivistische Haltung bezeichnet werden. Bei der s u bj ekti vis tisch en Haltung hingegen (die ebenfalls ein Sonderfall der unmittelbaren Einstellung ist) stellt man sich auf den Standpunkt des Subjekts und fragt: Wie sieht vom Standpunkt des Subjekts die Welt aus? Diese Haltung ist eine perspektivistische Haltung gegenüber der Welt. Der Unterschied von fixierend-objektivistischer und perspektivistisch-subjektivistischer Haltung möge an einer Reihe von Beispielen klargemacht werden : Zeit und Geschichtswissenschaft. In der fixierenden Haltung ist die Zeit eine subjektsunabhängige Linie, eine Linie, die sich von Ewigkeit zu Ewigkeit erstreckt, und ftir die der jetzige Zeitpunkt ein belangloser Punkt ist wie jeder andere; von der perspektivischen Haltung au!i wird die Zeit vom Standpunkt des die Zeit erkennenden Subjekts aus betrachtet: Vom Subjekt aus gesehen ist das >Jetzt« ein ausgezeichneter Punkt; das Subjekt sieht vom Jetzt, von der Gegenwart aus rückwärts auf die Vergangenheit, vorwärts in die Zukunft. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sind perspektivisch ungleichwertig. In der Geschichtswissenschaft finden sich diese Zeitauffassungen in merkwürdiger Verschränkung verwertet. Die Gesamthaltung der Geschichtswissenschaft ist struktur-

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fixierend: Die Eroberung von Babylon, die Kreuzzüge, der 30jährige Krieg, die französische Revolution, die historischen Ereignisse des Jahres 20 I 7 sind ftir sie gleichwertig als Geschehnisse in der objektiven Zeit (wobei nur der jetzige Historiker das Pech hat, die Ereignisse des Jahres 20I 7 einem später lebenden Kollegen zur Erforschung überlassen zu müssen). All diese Ereignisse reihen sich ftir die Geschichtsforschung auf den Faden der objektiven Zeit auf. Die Geschichtsdarstellung hingegen ist im wesentlichen perspektivisch (soweit sie die Ereignisse nicht einfach konstatierend nebeneinander stellt: erst geschah das, dann dieses, dann jenes). Die eigentliche Geschichtsdarstellung versetzt sich in einen bestimmten Zeitpunkt, sagen wir in das Jahr I 247. Sie spricht davon, welches gerade ,jetzt' die historische Situation ist, welche Pläne Friedrich li. >ftir die Zukunft~ hat, wie er die Einnahme von Parma durch die Guelfen wett machen will, wie er die Blößen, die sich Innocenz IV. etwa ) bisher« gegeben hat, ausnutzen, und wie er den kommenden, gegen ihn gerichteten Anschlägen vorbeugen kann. Dann aber wird rein fixierend geschildert, wie die Ereignisse ablaufen. Nun wiederholt s1ch dasselbe Spiel etwa ftir das Jahr I 248: Die neue Situation wird zum Ausgangspunkt genommen für die Darstellung der neuen Überlegungen, Entschlüsse, Maßnahmen. (Die Stilkritik der Epik findet in diesem Ineinander von fixierender und perspektivischer Haltung des Erzählers ein wertvolles charakterisierendes. Moment.) Raum und Physik: Ähnlich läßt sich eine subjektivistische und eine objektivistische Haltung dem Raum gegenüber einnehmen. Wir beziehen im gewöhnlichen Leben letztlich alle Geschehnisse im Raum perspektivisch auf das >Hier c. Die Lehre von der Raumperspektive wertet diese Stellungnahme aus; sie nimmt den Standpunkt des in den Raum hineinschauenden Subjektes ein. Die Mathematik hingegen betrachtet im allgemeinen den Raum als in allen seinen Teilen gleichwertig: ein Punkt ist ihr so gut wie der andere.

In die Physik hat die perspektivische Haltung durch die Relativitätstheorie ihren Einzug gehalten. Die Newtonsehe Physik stellte die Subjekte in die objektive Welt eines absoluten Raumes und einer absoluten Zeit hinein; ftir die Relativitätstheorie hingegen erscheinen die Ereignisse von jedem Beschauer aus Qe nach seinem Bewegungszustand) anders. Die physikalischen Gesetze werden auf das Subjekt hin relativiert. Und wennEinstein in seinem > Weltgesetz' der Trägheit von der Relativität auf das Subjekt loszukommen sucht, so ist doch der Unterschied gegenüber der früheren Physik charakteristisch: es wird keine Formel gesucht, die, wie die Gesetze der Newtonsehen Physik, vom Subjekt tatsächlich unabhängig sind, sondern bei der die Abhängigkeit vom Subjekt dadurch unschädlich gemacht wird, daß die Formel ftir den Bewegungszustand aller Subjekte in gleicher Weise gilt: die Invariante der Perspektiven wird aufgesucht, nicht ein aperspektivisches Gesetz. Biologie: In derselben Weise zeigt die Biologie neue;dings einen Einbruch perspektivischer Gedankengänge m die im ganzen aperspektivischeWissenschaft. Aperspektivisch sind die schlichten Untersuchungen über Entwicklungsmechanik, über Vererbung, über die Beeinflussung psychischer und physischer Eigenschaften durch das Klima, durch den Standort usw. Üxküll hingegen hat in seinen Forschungen bewußt den perspektivischen Standpunkt eingenommen: Er hat auf diese Weise festgestellt, daß die Umwelt des Tieres, dasjenige, was das Tier von der Welt erfaßt, durch das Interesse seiner Lebenserhaltung, nicht durch die Intensität und den Umfang der objektiven Reizwelt bestimmt ist usw. Er interessiert sich also für die , Umwelt« des Tieres; ftir die Welt, wie sie in der Auffassung durch das Tier sich konstituiert. Soziologie: Gleiche Gegensätze perspektivisch-subjektivistischen und aperspektivisch-fixierenden Denkens lassen sich ftir die Soziologie aufstellen, obwohl hier in den Forschungen die Differenzierung im einzelnen noch nicht deut57

lieh greifbare Gestalt gewonnen hat: Hier wird z. B. der Gegensatz von , Milieu c und ,objektivem Tatbestand einerseits«, von ,Umwelt« und >Situation« andererseits bedeutsam. Die Milieutheorie der goer Jahre, die materialistische Geschiehtsauffassung erklären den Menschen und die sozialen Geschehnisse aus den objektiv-sozialen, besonders den wirtschaftlichen Bedingungen. Wenn etwa die materialistische Geschiehtsauffassung behauptet, die deutschen Einheitsbestrebungen hätten sich mit Notwendigkeit aus der wirtschaftlichen Entwicklung von Handel und Industrie ergeben, die auf ein großes durch keine Zollschranken durchbrochenes, in Verwaltung und Wirtschaftsorganisation geeintes Reich hintrieb- so ist eine solcheErklärungwenigstens der Absicht nach rein von den Objekten ausgehend, strukturfixierend gemeint. Oder wenn die Milieutheorie (Comte, Taine)- und programmatisch das Milieudrama und der Milieuroman den Menschen aus Milieu und angeborenem Charakter zu verstehen suchen, so gehen sie rein objektivistisch vor. Man nimmt die Sichtnahme vom Milieu her: das Milieu bewirkt die Einheitsbestrebungen. Soziologische Untersuchungen anderer Richtung visieren umgekehrt die Welt vom Subjekt her: Es werden die sozialen Umwälzungen nicht rein wirtschaftlich-objektiv, sondern aus nacherlebba~_en Gesinnungsänderungen der Individuen begriffen. Der Obergang zu liberalen Gesellschafts- und Staatseinrichtungen etwa wird als Niederschlag der inneren Umwandlung der Menschen verstanden usw. usw. Die »verstehende c Soziologie (Max Weber) ist in wesentlichen Punkten subjektivistisch eingestellt. Ebenso pflegt die übliche Biographie eines Einzelmenschen sich an die subjektivistisch nachlebende Darstellung der Geschichtswissenschaft anzuschließen; sie versetzt sich auf den Standpunkt des Helden der Biographie, schildert, wie , Umwelteinflüsse « auf ihn wirken, die Erlebnisse ihn beeinflussen, wie die Situationen, in die er hineingerät, ftir seine innere Entwicklung wichtig werden usw. -

Der Gegensatz von strukturfixierend-objektivistischer und perspektivisch-subjektivistischer Haltung bewegte sich innerhalb einer gemeinsamen Strukturontik: Objekte und Subjekte sind beide real; zwischen ihnen besteht eine Wechselwirkung: Objekte wirken auf das Subjekt, Subjekte auf das Objekt. Daneben existiert gleichsam ein Überschuß auf seiten des Subjekts. Das Subjekt erkennt, erfaßt das Objekt im Wissen-das Objekt hingegen besitzt kein solchesWissen vom Subjekt. DerUnterschied zwischen beiden Haltungen liegt in der Parteilichkeit der subjektivistischen Haltung: Sie will nicht einfach fixieren, was an sich vorhanden ist, sondern vom Standpunkt des Subjekts aus das für das Subjekt Vorhandene fixieren. Allein auch diese Perspektiven des Subjekts werden von der Wissenschaft und dem gewöhnlichen Leben als Perspektive einer wirklichen Welt aufgefaßt. In jedem Momente sprechen wir subjektivistisch von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; jedoch sollen diese Zeitmodi nur Pointierungen innerhalb der objektiven Zeit bedeuten, nicht ins Leere greifende Perspektiven, die nicht Perspektiven von etwas sind. Der Historiker, der sich in die Ereignisse des Jahres 1247 versetzt und nach dem Aspekt der Welt in diesem Jahre fragt, sieht zugleich diesen Aspekt eingebettet in die objektive Zeit. Der Biologe, der die Umwelt des Tieres untersucht, faßt diese Umwelt als einen Ausschnitt aus der Realität; der Relativitätsphysiker (solange er nur Physiker ist und nicht die ~hilosophie in seine Überlegungen hineinträgt) legt seinen Uberlegungen eine reale Welt zugrunde; nur daß er (im Gegensatz zur klassischen Physik) zu dem Ergebnis gelangt, daß diese Welt nach der raumzeitlichen Seite hin für jeden Beobachter je nach seinem Bewegungszustand verschieden aussehen muß usw. usw. Es ist ein erkenntnismethodisches Problem, wie man es anfängt, von der subjektivistischen Perspektive zu der Erkenntnis der objektiven Welt sich durchzuarbeiten: Denn 59

zunächst kennt jeder in jedem Moment nur die Perspektiven dieses Moments: Man muß von dem Aussehen des Hauses . es sie . h von vorn, von hinten, von innen präsentiert zu' wie einer Gesamtanschauung des Hauses vordringen, zu einer Anschauung, wie das Haus wirklich beschaffen ist. Man muß sich aus den perspektivischen Zeitbildern aller momentanen Jetzte. und aus. dem Rückblick auf die Vergangenheit, dem Vorblick auf die Zukunft von diesen Jetzten aus, eine Gesamtanschauung des eigenen Lebens und der Geschehnisse in ihm herausarbeiten: Es ist eine Synthese der perspektivischen Weltbilder vonnöten. Die Realität der Objekte die Objektivität von Zeit und Raum ist dabei stets vor~ ausgesetzt. Dies so gewonnene räumliche und zeitliche Bi~d ~rweitert sich durch persönliche Erfahrungen, durch Mittedungen anderer) durch Traditionen. Das persönliche L:eben. beginnt diese Erweiterung und objektive Fixierung, die Wissenschaft geht weiter. Sie muß die perspektivischen Bilder der verschiedenartigsten Menschen dazu benutzen die objektive Realität herauszuschälen: Sie benutzt etwa di~ Memoiren Lord Greys, Paleologues, Kaiser Wilhelms li., die Rot-, Weiß- und Blaubücher, die Zeitungen der Zeit und hundert anderes, um, wie der Richter aus den Zeugenaussa~en, den .objektiven Verlauf des Beginns des Weltkriegs fixierend wtederherzustellen. Der Mann der Naturwissenschaf~en stößt von den Einzelbeobachtungen, die seine Perspektiven darstellen - indem er sie miteinander konfrontiert - durch Induktion und Schlußfolgerungen, zu seiner Realität, der Natur, vor: Immer ist das Problem dasselbe: Die Haltung des einzelnen im Erleben.ist subjektivistisch das Ziel ist, in objektivistischer Haltung die Wirklichkei~ zu fixieren, wie sie ist. Die prinzipielle Untersuchung dieses Übergangs hat noch nichts mit 1 Philosophie" im Sinne der Metaphysik zu tun. Es ist ein Problem, das innerhalb der Strukturantik der Wissenschaften bleibt. 6o

2.

Subjektivistische und Gege benhei tshal tung.

Die dritte Haltung der unmittelbaren Einstellung - die Gegebenheitshaltung - teilt mit der subjektivistischen Haltung den Ausgang vom Subjekt. Deshalb wird sie in philosophischen und wissenschaftsmethodischen Überlegungen oft mit ihr verwechselt und vermischt. Allein in jeder anderen Hinsicht, außer in dieser Sichtnahme vom Subjekt her, ist sie der subjektivistischen Haltung diametral entgegengesetzt. Die Gegebenheitshaltung fragt nicht: Wie sieht die objektive Welt für das Subjekt aus? Sondern: was ist dem Subjekt gegeben, und wie ist es gegeben? Es sei an einer Reihe von Beispielen der Unterschied klargemacht: In subjektivistischer Haltung stelle ich fest: vor mir steht ein Tisch; ich sehe ihn. Hinter mir zur Seite steht ein zweites kleines Tischehen - ich sehe es nicht, aber ich weiß, daß es dort steht; daß auf diesem Tisch eine Zeitung liegt, vermute ich nur. So sieht ein kleines Stück der objektivenWeltvon meiner Perspektive in diesem Augenblick aus. Hingegen weiß die Gegebenheitshaltung nichts von einer objektiven Welt, sondern nur von Eindrücken. Gegeben sind mir, wenn ich den Tisch sehe, einige anschauliche Eindrücke, die durch eine Intention auf den Tisch hin zusammengehalten sind: gegeben ist mir anschaulich nur recht wenig vom Tisch. Es ist eine Frage der Gegebenheit, wie die Härte des Tisches z. B. fiir mich da sei, - ob ich sie sehe, ansehe, assoziiere oder wie sonst; wie das »Tischsein ( von mir erfahren wird usw. Entsprechend im Zeitlichen: Die perspektivische Haltung und die Gegebenheitshaltung gehen beide von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus. In beiden Fällen stelle ich fest: Ich erinnere mich des gestrigen Spaziergangs, aber die Gegebenheitshaltung fragt weiter: in Momenten welcher Art ist mir die Erinnerung gegeben? In sinnlich anschau6I

liehen Bildern oder im bloßen Meinen? oder zum Teil anschaulich, zum Teil in leerer Erinnerung? In verschwommenen Bildern oder wie sonst? Und wie ist das Erinnern selbst gegeben? Als bloßes Bewußtsein des >früher Erlebthabens c oder als »Vergegenwärtigung c, als >Einfühlung in Früheres«? Wie ist mir die Zukunft gegeben? Als ,Erwartung«. (Corneliu~), als >Vorlaufen« (Heidegger)? usw. usw. Em entscheidender Unterschied der perspektivistischen und der Gegebenheitshaltung ist ihre Stellung zur Realität. Zur Strukturontik der subjektivistischen Haltung gehört die V~raussetzu~g der objektiven Realität; für die Gegebenhettsha_Itung Ist alles bloße , Gegebenheit«, also weder real no~h mchtreal. Das Realitätsmoment ist selbst ein Gegebenhe~tsmoment: U~ter den Gegebenheiten, die zum Gegebenbettskomplex >Tisch c gehören, findet sich auch das »als realGegebensein c des Tisches. Er teilt dieses »als real«- Geg~benst;in ~~t _der Halluzination und der Täuschung. Für dte subJe~t1Vlstische. Haltung ist es dagegen wichtig, ob etwas real Ist oder mcht -ob der Tisch nur Halluzination ~st; _dt;n~ die s~bjektivistische Haltung strebt stets zur objektivistisch-fixierenden hin; sie sucht von dem für ein Subje~t r_eal Vorhande~en zum Objektiv-Realen vorzudringen. ~ur ~Ie Gegeb~nhettshaltung hingegen sind die echte Halluz~nat~on und dte Wahrnehmung völlig gleichwertig, sobald sie steh als Gegebenheiten nicht unterscheiden. . Die Verw:chslu~g von ~ubjektivistischer und Gegebenh~ttshaltu~g heße sich an vielen Problemen aufzeigen, es sei hter nur emes angeführt, bei dem auch noch überdies eine philosophische Fragestellung hineinspielt: Das Problem des Bewußtseins vom fremden Ich. .. Diese~ Problem en~hält eine dreifache Fragestellung: Zun~chst et~e erk~nntms-theoretisch-philosophische: In dtesem Smne w1rd gefragt: Mit welchem Recht wird die Existenz fremder lche angenommen? Die subjektivist i sehe Haltung stellt diese Frage nicht. Für sie sind die fremden

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lche so gewiß existierend, wie die Welt der Objekte, und die Rechtsfrage wird demgemäß hinfällig. Die subjektivistische Haltung interessiert sich vielmehr dafür, mit Hilfe welcher Erkenntnisquelle sich dasSubjektdes fremden Ichs wissend bemächtigt [etwa durch Einfühlung (Th. Lipps)]; oder durch F remdwahrnehmung(Scheler) und was das Subjektdurch diese Quellen vom fremden Ich erfahren kann (z. B., daß das fremde Ich zornig ist, aber nicht, welches der letzte Einheitspunkt seines Charakters ist). Die Gegebenheitshaltung endlich fragt: In welchen Momenten welcher Art sind mir die fremden Iche gegeben? Es muß analysiert werden, ob es richtig ist, daß mir nur eigene Erlebnisse gegeben sein können, die dann in den fremden Körper hineinprojiziert werden; es muß gefragt werden, in welchen Gegebenhe~ts­ momenten ist fremder Zorn für mich gegeben? Ist es eme »Assoziation« oder eine »symbolische Intention«, in der der Ausdruck des Zorns für mich im fremden Gesicht gegeben ist? Sind Charaktereigenschaften, wie Güte, Bosheit usw. in denselben anschaulichen Momenten gegeben, wie Affekte, wie Zorn usw. usw.? Diese drei Fragen: die Rechtsfrage, die Frage, wie sich das fremde Ich dem Subjekt darstellt, und die Gege benhei tsfrage werdenimmerwieder verwechselt. Scheler wirft der Einfühlungstheorie von Lipps vor, daß sie die Existenz des fremden Ich voraussetze. Das ist in der Tat der Fall, allein deshalb wäre sie noch nicht falsch, wenn sie nichts weiter sein wollte als eine Angabe, wie man das fremde Ich erfaßt; wie man ihm nahekommt. In Wahrheit freilich glaubt die Einfühlungstheoriedie Rechtsfrage beantworten zu können, ohne dazu imstande zu sein; aber auch Scheler seinerseits schwankt in seinen Untersuchungen zwischen der rein perspektivischen Frage: Mit welchen Mitteln erfasse ich das fremde Ich? und der Gegebenheitsfrage: In welchen Momenten ist mir das fremde .Ich gegeben? Dasselbe gilt für alle mir bekannt gewordenenVersuche zur Lösung des Problems des fremden Ichs. 63

Die Gegebenheitshaltung ist keine Haltung, die von einer der altüberkommenen Wissenschaften eingenommen wird; und auch dem gewöhnlichen Leben ist die Frage: in welchen Momenten ein Tatbestand gegeben ist, völlig fremd. Die Gegebenheitshaltung hat sich als philosophische Haltung, nicht als wissenschaftliche, herausgebildet, und so verschmelzen denn auch meist sofort philosophische Deutungen mit der reinen Gegebenheitsanalyse. Es gibt nur eine einzige Wissenschaft, die das Gegebene rein als solches untersucht: die Phänomenologie in ihrer ursprünglichen Ausbildung, zu der sich Ansätze bereits bei Aristoteles finden. 3· Die Haltungen und die Philosophie. In den beiden letzten Kapiteln dieses Buches soll klargestellt werden, ob sich die Haltungen und Einstellungen und die ihnen korrelativen Strukturantiken zur metaphysischen Verabsolutierung eignen. An dieser Stelle soll nicht von den Verabsolutierungen der Haltungen, der Erweiterung der Strukturantik gesprochen werden, sondern von der Affinität der Haltungen zu gewissen philosophischen Stellungnahmen zur Realitätsfrage - Stellungnahmen, die nicht ohne weiteres durch die betreffenden Haltungen mitgegeben sind. Dazu ist nötig, zunächst sich über die immanente Strukturantik der Haltungen in ihrer Beziehung zu den Gegensätzen des Realismus und Idealismus Klarheit zu verschaffen. Die natürliche wie die wissenschaftliche Weltanschauung ist r e a I ist i s c h, und so ist auch die immanente Strukturantik sowohl der fixierend-objektivistischen, wie der perspektivisch- subjektivistischen Haltung realistisch. Daß außer den realen Objekten und Subjekten noch Welten von ideellen Gegenständen anerkannt werden, ändert am realistischen Grundcharakter nichts. Wenn auch beide Haltungen den natürlichen Realismus voraussetzen, so sind sie doch darin verschieden, was an

realistischen Momenten durch die Haltung selbst jeweils mitgesetzt ist. Für die fixierende Haltung wäre eine Welt der Objekte ohne Subjekte sehr wohl denkbar. Die Objekte sind nach der fixierenden Haltung subjektsunabhängig; es könnte also eine Objektwelt vorhanden sein, ohne daß Subjekte sie auffassen. Im Wesen des Subjektes liegt es hingegen, daß es erkennend, nachdenkend, wollend, wertend, fühlend, handelnd, stets auf Objekte gerichtet ist, daß es in eine Welt der Objekte hineingestellt ist. Es gibt für die fixierende Haltung kein Subjekt ohne Objekt, dagegen gibt es Objekte ohne Subjekt. In diesem Punkt ist die subjektivistische Haltung' eingeschränkter als die fixierende. Da sie sich für die Perspektiven vom Subjekt aus interessiert, so müssen diese Subjekte notwendigerweise existieren; allein es ist auch für die subjektivistische Haltung nicht ausgeschlossen, daß einzelne Objekte existieren, die in keine Perspektive irgendeines Subjekts eingehen, etwa sehr entfernte Sterne oder urweltliche Erdzustände usw. Es gilt also auch hier: »kein Subjekt ohne Objekt~, nicht aber »kein Objekt ohne Subjekt«; vielmehr sagt die subjektivistische Weltansicht: Ich interessiere mich ftir kein Objekt, das nicht Objekt ftir ein Subjekt ist. Im Gegensatz zur realistischen Strukturantik der objektivistischen wie der subjektivistischen Haltung ist die Strukturantik der Gegebenheitshaltung nicht realistisch, aber auch nicht idealistisch, sondern indifferent. Nur das Sosein, dasGegebensein für das Subjekt interessiert sie; die Gegensätze von Realismus und Idealismus liegen außerhalb ihres Gesichtskreises. Das Bild ändert sich, wenn man die philosophischen Deutungen betrachtet, die nicht durch die einzelnen Haltungen .mitgesetzt,. sondern nur durch sie nahegelegt werden: Die fixierende Haltung hat eine Tendenz zum transzen-

denten Realismus, - eine Tendenz, die Realität ihrer Welt einfach ins Metaphysische zu transponieren. Dagegen hat sowohl die subjektivistische wie die Gegebenheitshaltung eine Tendenz zum Idealismus, dessen Charakter jedoch noch recht verschieden gedacht werden kann. Es seien nur ein paar bezeichnende Formen herausgegriffen: I. Der erkenntnismethodische Gang der subjektivistischen Haltung zur fixierenden Haltung hin läßt sich in verschiedener Weise idealistisch umdeuten. Die subjektivistische Haltung gewinnt durch einen allmählichen Annäherungsprozeß aus den Perspektiven des Subjekts die objektive Realität. Dieser Prozeß wird von manchen idealistischen Richtungen nicht als ein Prozeß der Gewinnung, sondernderSetzungder Realität gedeutet; der Gegenstand ist nicht gegeben, sondern »aufgegeben c. Die Synthese der Perspektiven schafft erst die Realität (erkenntnismethodischer Idealismus des Neukantianismus). Eine zweite idealistische Ausdeutung besagt: es gelingt überhaupt nicht, zu einer Realität vorzustoßen (ganz gleich, ob sie existiert oder nicht); das einzig Zugängliche sind die Perspektiven selbst: >Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, daß sie sind, der nicht-seienden, daß sie nicht sindc (relativistischer Idealismus). 2. Auch ohne daß man auf den Erkenntnisprozeß Rücksicht nimmt, durch den aus den Perspektiven zur objektiven Welt durchgestoßen wird, läßt sich die Strukturantik der subjektivistischen Haltung idealistisch deuten. Etwa in folgender Weise: Die subjektivistische Haltung weiß nur von einem Objekt für ein Subjekt; die perspektivischen ,Ansichtenc der Objektwelt sind selbstverständlich nur für ein Subjekt vorhanden, aber auch wenn in den Perspektiven eine reale Welt vorausgesetzt ist, so ist doch diese reale Welt eben von einem Subjekt vorausgesetzt. Diese Tatsache, daß die reale Welt von einem Subjekt gewußt, von ihm vorausgesetzt wird, deutet eine bestimmte Form des Idealismus dahin, daß

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sie auch nur für das Subjekt vorhanden sei. Im Sinne dieses Idealismus gibt es also keine Objekte, die nicht für Subjekte existieren (vielleicht nur für einzelne Subjekte~ vielleicht auch für ein» Bewußtsein« überhaupt). Wie es kein Subjekt ohne Objekt gibt, so auch kein Objekt ohne Subjekt. (Korrelativer Idealismus.) Es kann noch hinter diese Fragestellung zurückgegangen werden: Es läßt sich unter Zugrundelegung des zuletzt gegebenen Idealismus noch weiter fragen: \Voher kommt es, daß kein Objekt ohne Subjekt existiert? Und die Antwort kann lauten: Weil das Objekt eine Setzung des Ich ist (setzender Idealismus, Fichte). Man gelangt so zu einer Art von potenziertem Idealismus, der eine idealistische Grundanschauung , Kein Objekt ohne Subjekt« in einem tieferen Sinne noch einmal idealistisch ausdeutet. Es ist wichtig, zu betonen, daß all diese Formen des Idealismus das Sein der Objekte nicht negieren, sondern nur alle Objektivität auf das Subjekt r e I a t i vier e n. 3· Der aus der Umdeutung der Gegebenheitshaltung stammende Idealismus ist prinzipiell verschieden von solchen aus der subjektivistischen Haltung hervorgehenden Formen des Idealismus. Daß die Gegebenheitshaltung das für ein Subjekt Gegebene untersucht, wird dahin umgedeutet, daß überhaupt nur Gegebenes, einem Subjekt Gegebenes existiere. Wie soll dieses Gegebene seiner Natur nach aufgefaßt werden! Entweder das Objekt ist, als für das Subjekt bestehend, Bewußtseinsinhalt, ist » Vorstellunge des Subjekts, es besteht aus einer Summe von Eindrüc~en (subjektiver Idealismus Berkeleys und der lmmanenzphdosophie). Oder das Objekt bleibt als Objekt in seiner Gegebenheit gewahrt; nur wird behauptet, daß a!le Obje~te sich im Bewußtsein und durch das Bewußtsem konstituieren. (Konstitutiver Idealismus Husserls.) All dieser Gegebenheitsidealismus - wie er auch formuliert wird - ist seinem Wesen nach solipsistisch (soweit

nicht metaphysische Hypothesen ihn vom Solipsismus befreien). Aus sich selbst heraus kann er den Solipsismus nicht überwinden: Alle Gegebenheit ist Gegebenheit nicht nur für ein Subjekt, sondern zunächst nur für ein Subjekt; die fremden Menschen können diesem Subjekt nichts weiter bedeuten als Gegebenheiten besonderer Art. Alle Ge~ebenheitsphilosophie, alle Philosophie, die die Gegebenbettshaltung überhaupt philosophisch auszudeuten unternimmt, ist in steter Gefahr, solcher idealistischen Umdeutung der Gegebenheiten zu erliegen; und fast alle Gege.benheitsphilosophen sind ihr erlegen, von Berkeley an mit semem esse est percipi über Humes Anschauung, daß die Gesamtheit des Seins in impressions und ideas beschlossen sei, bis zu Machs Analyse der Empfindungen und den idealistischen Umformungen der Phänomenologie. 4· Die neutralistische Haltung. Nicht ein Sonderfall einer der beiden Einstellungen ist die neutralistische Haltung (wie die bisher angeführten Haltungen Sonderfälle der unmittelbaren Einstellung waren), sondern sie greift gleichsam an der Indifferenzzone beider Einstellungen an. Die Weltbilder der beiden Einstellungen zeigen an zwei Stellen eine Gemeinsamkeit: Einmal bei den unzweifelhaft psychischen Tatbeständen,- bei denjenigen Tatbeständen, die für beide Einstellungen psychischer Natur sind: wie das Wollen, das Fühlen, die Freude, die Zuständlichkeit der Angst usw. Diese psychischen Tatbestände gehören in gleicher \V eise in die Strukturantik der unmittelbaren wie der naturalistischen Einstellung; ihnen selbst kann man nicht ansehen, ob sie in naturalistischer oder in unmittelbarer Einstellung aufgefaßt sind. Allein man kommt nicht weit, wenn man die psychischen Tatbestände in ihrer Abgeschlossenheit betrachtet, in der

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sie beiden Einstellungen gemeinsam sind. Die Feststeliung .~Die Freude ist eh~ Gefühl« isoliert künstlich das Psychische; 1m Leben kommt d1e Freude nur vor als Freude ü her etwas J über ein liebes Geschenk etwa - das Wollen als Wollen von etwas, - man will· etwa eine Reise machen. Die Beziehung des Psychischen zum Objektiven ist nicht wegzudenken, sie ist wesenhaft ftir das Psychische: Mit dieser Beziehung zum Objektiven tritt jedoch der Unterschied der beiden Einstellungen in Erscheinung; die Beziehung zu den Objekten wird je nach der Einstellung anders beschrieben. Für die unmittelbare Einstellung sind diese Tatbestände: Das Geschenk, über das ich mich freue, das Unheil, vor dem ich mich ängstige usw. unmittelbar er faßte objektive Tatbestände, ftir die naturalistische Einstellung Vorstellungen eines Subjekts usw. Daher zeigt sich in allen konkreten Übertretungen über das Psychische sehr bald, ob sie das Psychische im Sinne der unmittelbaren oder der naturalistischen Einstellung auffassen. Anders bei dem zweiten Gegenstandsbereich, der indifferent ist gegenüber den Einstellungen: Bei der Welt des physischen Geschehens. (Alles andere, alles was nicht rein psychisch ist im Sinne der Subjektzugehörigkeit oder rein physisch materiell, alles was ~zwischen c Subjekt und physischer Welt liegt! die geistigen Realitäten, die ideellen Gegenstände, die mentalen Objekte werden von den beiden Einstellungen in verschiedener Weise interpretiert: hier als Gegenstände, dort als psychische Vorstellungskomplexe usw.) Diese zweite Indifferenzzone der Einstellungen - die physische Welt - läßt sich, in ihrer Abgeschlossenheit betrachtet, beschreiben und analysieren, ohne daß man für eine der beiden Einstellungen Partei nimmt. Man stellt etwa fest: , Die Planeten bewegen sich um die Sonne in Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. c Dieser Satz läßt nichts von einer bestimmten Einstellung erkennen. Man vergleiche damit die anderen Sätze: , Licht von der Weilen6g

länge 700 ftft bewirkt eine Rotempfindungc:, »der Grünewald-Altar besitzt einen hohen Kunstwerte: - es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der erste dieser Sätze aus naturalistischer, der zweite aus unmittelbarer Einstellung heraus konzipiert ist. Man kann nicht nur nicht eindeutigbestimmen, in welche Strukturantik das Keplersche Gesetz hineingestellt wird, es liegt auch keine eindeutige Strukturantik bei seiner Bestimmung vor. Man hat bei der Feststellung des Keplerschen Gesetzes kein Interesse an einem bestimmten Weltbild naturalistischer oder unmittelbarer Art, eben weil es sich hier um ein Gebiet handelt, dasbeiden Strukturantiken angehört. Wir wollen in diesem Fall, in dem die Einstellung eingeschränkt, rudimentär, strukturontisch indifferent geworden ist, von neutralistischer Haltung sprechen. Die neutralistische Haltung ist keine volle Einstellung, denn ihr fehlt als Korrelat eine Strukturontik, die· Physisches und Psychisches umfaßt; sie greift nur ein Stück Welt, das beiden Einstellungen gemeinsam ist, heraus und betrachtet es für sich. Nur scheinbar widerspricht die Existenz der neutralistischen Haltung im Gebiet der Naturwissenschaften unserer früherenBehauptung,das Weltbild derexakten Naturwissenschaft sei naturalistisch. Es muß zwischen der Strukturantik des tatsächlichen Betriebes der Wissenschaft und ihrem Weltbild unterschieden werden: Der tatsächliche Betrieb der exakten Naturwissenschaft ist neutralistisch; denn er hat es für gewöhnlich mit den zwischen den Einstellungen nicht strittigen Punkten zu tun; er schließt sich in die physische Welt und ihre Probleme ein. Dagegen ist das Weltbild, die Strukturantik der Naturwissenschaften in ihrer ganzen Ausdehnung betrachtet, naturalistisch. Das zeigt sich sofort, wenn Fragen ins Spiel kommen, in denen die Einstellungen differieren- wenn z. B. psychephysiologische Probleme angerührt werden, wenn Theorien über Farben

aufgestellt werden usw. Da tritt der naturalistische Charakter der Strukturantik der Naturwissenschaft ans Licht, und es macht sich bemerkbar, daß die neutralistische Haltung hier nur eine Verengung der naturalistischen Einstellung bedeutet. Die Einstellung des gewöhnlichen Lebens ist die unmittelbare. Aber das gewöhnliche Leben kann trotzdem die Ergebnisse der Naturwissenschaften übernehmen, weil .si: nicht aus der naturalistischen, sondern aus der neutrahsuschen Haltung stammen. Wenn das gewöhnliche Leben die Ergebnisse der Naturwissenschaften benutzt, so bettet sie die neutralistische Haltung in diesem Fall in die unmittelbare Einstellung ein. Die beiden Gesichter der neutralistischen Haltung - das der unmittelbaren und das der naturalistischen Einstellung zugewandte - werden so von großem Vorteil für die Verwendung der in neutralistischer Haltung gewonnenen Tatbestände: Sie können je nachdem in die Strukturantik der unmittelbaren oder der naturalistischen Einstellung eingelassen werden. 5· Primäre und sekundäre Qualitäten. Die neutralistische Haltung hat sachliche Vorzüge, da · bei ihren Problemen auf die Unterschiede der Strukturantiken keine Rücksicht genommen zu werden braucht. Phi 1o sop h i s c h jedoch hat sie den Nachteil, .~aß durch ihre In.differe?z gegenüber den Einstellungen der Ubergang von emer Emstellung zur anderen verschleiert wird; daß man, ohne es zu bemerken durch die neutralistische Einstellung hindurch von der einen' Einstellung zur anderen hinübergleitet. Als Beispiel solcher Unklarheit über die tatsächlich eingenommene Einstellung sei die Lehre von den primären und sekundären Qualitäten herangezogen. Die Aufgabe, den Unterschied der primären und sekundären Qualitäten anzugeben, scheint man sehr einfach lösen zu 71

können: Die primären Qualitäten (Farbe, Ton, Geschmacksqualität usw.) sindnur subjektiv, die sekundären Qualitäten auch objektiv. Was es bedeutet, die Farbqualität der Rose sei ,nur subjektive, ist einleuchtend; ftirdie naturalistische Einstellung heißt es, sie ist psychisch, nicht physisch; ftir die unmittelbare Einstellung, sie ist mental und nicht physisch-objektiv. Ebenso ist klar, was es bedeutet, die Gestalt der Cheopspyramide sei , auch c objektiv; hier zeichnen sich die Unterschiede der Einstellungen noch deutlicher ab. Für die naturalistische Verdopplung der Gegenständlichkeit bedeutet die Aussage, die Gestalt der Pyramide sei ,auchc objektiv vorhanden, daß diese Gestalt zweimal existiere: als Gestalt der Pyramide im Raum und. als Gestalt der vorgestellten Pyramide ,inc mir. Das ,auchc Objektivsein der Gestalt bedeutet also hier, daß die Gestalt nicht nur in meiner Vorstellung existiert, sondern auch in der diese Vorstellung erzeugenden objektiven Welt. Für die unmittelbare Einstellung hingegen kann der Satz: Die Gestalt der Pyramide existiere , auch c objektiv, nicht besagen, daß eine Verdopplung vorliege: Das , Auch c meint hier, daß die Cheopspyramide nicht nur als ,erfaßtec existiere, sondern , auch c wirklich sei, daß sie kein mentaler, sondern ein wirklicher Gegenstand sei. Die Gestalt sei in derselben Weise wirklich, wie sie erfaßt ist. T h e o r e t i s c h ist der Gegensatz in der Auffassung der beiden Einstellungen durchsichtig; allein in praxi gehen die Deutungen so sehr durcheinander, daß man bei kaum einem Denker sagen kann, welche Einstellung er nun wirklich einnimmt. Sehr oft verbindet sich mit einer n.aturalistischen Verwendung des Gegensatzes der primären und sekundären Qualitäten ein Unterbau, der von der unmittelbaren Einstellung herkommt. Am ehesten noch hat Demokrit, der Begründer der Lehre von den primären und sekundären Qualitäten, in seiner Eidolatheorie die naturalistische Einstellung rein durchgeführt. Die primären Qualitäten schicken , Bilderehen c

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in uns hinein; die sekundären Qualitäten sind nur subjektiv, sie sind nur 110f.UP vorhanden. Die Wiederaufnahme der Lehre von den primären und sekundären Qualitäten in der Philosophie der Neuzeit war weniger konsequent: Locke ftihrt zwar den Unterschied von der naturalistischen Strukturantik aus ein: Durch Druck und Stoß wirken die Körper auf uns: , Es ist einleuchtend, daß sich von dem äußeren Objekt her eine Bewegung durch unsere Nerven oder Lebensgeister, durch gewisse Teile unseres Leibes bis in das Gehirn oder den Sitz der Sinneswahrnehmung fortpflanzen muß, um hier in unserem Bewußtsein die eigentlichen Ideen hervorzubringen, die wir von ihnen habenc (Über d. menschl. Verstand, 2. Buch, 8. Kap., S I I); demgemäß ,läßt sich leicht der Schluß ziehen, da~ die Ideen der primären Eigenschaften der Körper Eben b 1I d er derselben sind und ihre Muster wirklich in den Körpern selbst existieren. Hingegen sind die von den sekundären Eigenschaften in uns hervorgebrachten Ideen den Eigenschaften der Körper ganz und gar nicht ähnlich; in den Körpern selbst existiertnichts, was unseren Ideen gleich wärec (§ IS). Das ist konsequent naturalistisch gedacht. Diese rein naturalistische Auffassung der primären Qualitäten ist jedoch nicht durchgehalten worden: Zunächst mußte der kontinentale Rationalismus zu einer erkenntnismethodisch völlig anderen Auffassung der primären Qualitäten gelangen: Denn seine Haltung gegenüber der Welt war nachdererkenntnismethodischenSeitehin subjektivistisch. · Descartes erkennt all das als existierend an, quod clare et distincte percipitur: Die primären Qualitäten gehören zu den/ klar und distinkt wahrgenommenen Eigenschaften des Körpers, also existieren sie. Der hier ve~ndte W ahrne~­ mungsbegriff ist der der unmittelbaren Emstellung; d1e Qualitäten werden unmittelbar erfaßt. _In .der Su~stanzen­ lehre hingegen denkt Descartes naturalistisch: D1e res extensae und die res cogitantes sind naturalistisch durch den

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influxus physicus miteinander verbunden, und demgemäß werden die Ideen sowohl der primären als auch der sekundären Qualitäten als kausale Erzeugnisse der Wirkung des Körpers auf den Geist aufgefaßt. Nur daß eben die Ideen der sekundären Qualitäten konfus und undeutlich sind, die der primären Qualitäten klar und deutlich. In dem schillernden Begriff der , Ideesogenannten« realen Wirklichkeit der Natur das Problem noch kompliziert. Aber auch bei Leibniz erkennt der Verstand einmal unmittelbar die Beschaffenheit der realen Welt der Natur, soweit sie aus den primären Qualitäten besteht, andererseits werden auch hier naturalistisch alle Qualitäten durch den Körper vermittelt. Jedoch so, daß auch die sekundären Qualitäten zunächst als quantitative Bestimmtheiten übermitteltwerden und erst durch die Reflexion >der Erkenntnistrug der Farbenvorstellungen entsteht- nicht in der Repräsentation selbst, sondern erst in den Reflexionen, im teilweisen Versagen der perzipierenden Tätigkeit unserer SeeleKieselsteinund Pfefferkuchenarithmetik ~, wie er sie nennt, bekämpft. Es ließe sich über seine Argumente hinaus noch mancherlei gegen die Millsche Anschauung von der realistischen ~tru~­ tur der Arithmetik und der Geometrie anführen. Allem wtr dürfen uns hier p ri n z i p i e 11 nicht auf die Diskussion der empiristischen Argumente einlassen. Wenn wir es täten, so machten wir ihnen damit das Zugeständnis, daß überhaupt aus genetischen Überlegungen irgendwelcher Art etwas über

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die Struktur der Mathematik entschieden werden könnte. In Wahrheit jedoch kann die immanente Struktur der Mathematik einzig durch die direkte Betrachtung der V orfindlichkeit dieser Struktur selbst aufgeklärt werden, und eine solche Betrachtung zeigt· einwandfrei, daß die Mathematik eine Wissenschaft aus unmittelbarer Einstellung ist. Die empiristische Philosophie hat zuweilen freilich den Spieß umgekehrt: Da aus genetischen (und sonstigen) Gründen die Mathematik eine Wissenschaft sei, die aus der Abstraktion und Idealisation realer Tatsachen herstamme, so müsse sie auch in diesem Sinn begründet werden. Die üblichen Begründungen seien demgemäß, wenn auch nicht gerade falsch, so doch unvollständig. So darf man nach dieser Ansicht in der Geometrie nicht etwa von dem Begriff des Punktes, der weder Länge noch Breite noch Tiefe hat, ausgehen, sondern man muß von physischen Punkten den Ausgang nehmen, die nach allen Richtungen hin ausgedehnt sind; und von da aus darf man erst allmählich durch Abstraktion und Idealisierung zu dem ideellen Punkte hingelangen. , Die erfolgreiche Anwendung, welche die Geometrie fortwährend in den Naturwissenschaften und im praktischen Leben erfährt, beruht jedenfalls nur darauf, daß die geometrischen Begriffe ursprünglich genau den empirischen Objekten entsprechen, wenn sie auch allmählich mit einem Netz von künstlichen Begriffen übersponnen werden, um die theoretische Entwicklung zu fördern: Und indem man sich von vornherein auf denempirischen Kern beschränkt, bleibt der Geometrie der Charakter der Naturwissenschaft erhalten. c (Pasch, Vorlesungen über neuere Geometrie, Vorwort zur 1. Aufl.). Für Pasch sind demgemäß die, Punkte c physische Objekte, deren Teile vernachlässigt werden sollen. Die gerade Strecke hat demgemäß nur eine endliche Zahl von Punkten; zwei Punkte dürfen nicht zu nahe aneinanderrücken, wenn sie noch eine Gerade bestimmen sollen usw.

usw. Es werden also die uns bekannten Eigenschaften und Sätze der geometrisehen Gebilde aus >Vernachlässigungen c gewonnen; im Grunde finden nur Annäherungen an die Sätze der Geometrie statt; alle Geometrie ist in Wahrheit nur Approximationsgeometrie. Eine solche empiristische Begründung der Geometrie ist gerade das, was wir eine Wissenschaftsverlagerung nannten. Man kann gewiß auf dieWeise des Empirismus eine Wissenschaft der Geometrie aufbauen; eben die Approximationsgeometrie, die ihren großen Wert hat. Allein die Geometrie und die Mathematik, wie sie die großen Mathematiker aufgebaut haben, kommt auf dieseWeise nicht zustande. Diese echte Mathematik ist ohne Interesse ftir den Zusammenhang ihrer Gebilde, ihrer Zahlkörper, ihrer Funktionen, ihrer Geometrien mit der Realität; es ist völlig gleichgültig, ob ihre Gebilde ein Maß an der Realität besitzen oder nicht; die Quaternionen sind ihnen prinzipiell nicht weniger wesentlich als die natürlichen Zahlen, und irgendwelche nicht-euklidischen Geometrien nicht weniger als die euklidische. Das macht gerade den strukturellen Unterschied von der Physik aus: eine Physik, die etwa der Wärme Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten zuschriebe, die die reale Wärme nicht besitzt, hätte bloßen Phantasiewert. Die Mathematik hingegen kümmert sich um die Realitätsbedeutung ihrer Gebilde nie und nirgends. Nicht weniger verfehlt sind jene Theorien, die sich auf die andere Seite der naturalistischen Alternative physischpsychisch bewegen und etwa die Zahlen zu psychischen Gebilden zu stempeln suchen; sie berufen sich darauf, daß die Zahlen im Zählensakt entstehen oder doch zum mindesten sich erst durch das Bewußtsein und im Bewußtsein konstituieren. Ganz gleich, ob diese Anschauungen genetisch sachlich im Recht sind; sie treffen so wenig den strukturellen Charakter der mathematischen Gebilde, wie jene Lehren, die die Gedichte als psychische Gebilde zu deuten versuchen,

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weil sie im Bewußtsein entstehen und für Menschen mit Bewußtsein vorhanden seien. Allein, wenn auch alle genannten Anschauungen nichts dazu beitragen, die Struktur der mathematischen Gebilde aufzuklären, weil sie mit genetischen und indirekten Gesichtspunkten an ein Problem herangehen, das nur durch direkte Strukturanalyse geklärt werden kann, so machen sie doch auf zwei Probleme aufmerksam, die auch dann noch bedacht werden müssen, wenn feststeht, daß die Mathematik eine Wissenschaft aus unmittelbarer Einstellung ist. I . Wie ist es möglich, daß eine Wissenschaft wie die Mathematik im Laufe der Geschichte ihren Charakter vollständig wandeln konnte, so daß die Geometrie aus der Feldmeßkunde, also einer Realwissenschaft zu einer Idealwissenschaft wurde, und in derselben Weise die Zahlenlehre aus einer Lehre von den Zahlgesetzmäßigkeiten der realen Gegenstände zu einer Wissenschaft, die auf Reales keinen Bezug mehr nimmt? Hat damit die Mathematik nicht zugleich ihre Einstellung geändert, oder wie ist diese Änderung sonst aufzufassen? 2. Die Mathematik ist nicht nur eine Hilfswissenschaft, sondern eine Grundwissenschaft der exakten Naturwissenschaften. Nun wurde festgestellt: Die Mathematik ist eine Wissenschaft aus unmittelbarer Einstellung, mit den immanent strukturontischen Grundlagen der Wissenschaften aus unmittelbarer Einstellung; die exakten Naturwissenschaften ·dagegen entstammen der naturalistischen Einstellung. Wie ist es möglich, daß eine Wissenschaft mit der Struktur einer bestimmten Einstellung Grundwissenschaft einer Wissenschaft sein kann, die eine durch eine andere Einstellung bestimmte Struktur besitzt? Den Schlüssel für die Beantwortung dieser Fragen gibt die neutralistische Haltung: Als ideale Gegenstände sind die mathematischen Gegenstände in der Tat einzig der unmittelbaren Einstellung zugänglich, aber al:s Gestalten realer 86

Gegenstände sind sie gegen die Einste1lungen solange indifferent, als nicht spezifische Einstellungsprobleme ins Spiel treten; so bedarf es keinesWechselsder Einstellung beim Übergang von physischen realen Gegenständen zu idealen Gegenständen oder umgekehrt. pie Einstellung der Feldmeßkunde ist neutralistisch; beim Ubergang zur Mathematik als Idealwissenschaft ist nur eine Präzisierung der Einstellung, keine Umwandlung vonnöten. Und andererseits, wenn die Mathematik auf reale Probleme angewandt wird, etwa die Lehre von den regulären Körpern auf die Bestimmung von Kristallformen, so geht umgekehrt die unmittelbare Einstellung in die neutralistische, nicht in die naturalistische Haltung über. Daß das Weltbild der exakten Naturwissenschaft im ganzen naturalistisch ist, ist für das konkrete Einzelproblem belanglos. Damit ist zugleich auch die prinzipielle Frage beantwortet, wie die Mathematik Grundwissenschaft der exakten Naturwissenschaft sein könne. Die Frage ist falsch gestellt, wenn sie sich auf die Mathematik als Idealwissenschaft bezieht. Die Mathematik als Idealwissenschaft ist gar nicht Grundwissenschaft der Naturwissenschaft. Es ist in der Tat unmöglich, daß eine Idealwissenschaft Grundwissenschaft einer Realwissenschaft sein könne (wenn man unter Grundwissenschaft eine Wissenschaft versteht, die die tragenden Fundamente der Gegenstände der Realwissenschaft behandelt). So gefaßt sind Fundamente der physischen Realitäten bestimmte mathematisch faß bare Gestalten, Bewegungsformen, Relationen usw., die selbst real sind. Diese seihen mathematischen Gestalten usw. sind dagegen für die Mathematik nicht real, sondern Sonderfalle einer idealen Gegenstandswelt. Aus einer unendlichen Menge von Zahlmöglichkeiten sind die Zahlen der Arithmetik ein Spezialfall; aus der unendlichen Menge von Geometrien ist die physikalisch realisierte Geometrie ein SpezialfalL Es ist ein ähnliches Verhältnis wie zwischen einem Bauwerk, das der Architekt in der Vorstellung entwirft, und

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dem Bauwerk, das er in die Wirklichkeit hineinstellt. Der Sachgehal t ist derselbe; aber das eine Bauwerk ist ein mentaler, das andere ein realer Gegenstand. So ist die Zahl 6 der Mathematik ein idealer Gegenstand; in der Anzahl: , sechs Kieselsteine« dagegen die Sechs eine reale Gegenstandsbestimmtheit von gleichem Sachgehalt wie der ideale Gegenstand Sechs der Mathematik. Das Absinken in die Realität bedeutet hier nicht einenWechselder Einstellung, sondern einen Wechsel der Gegenständlichkeit. Oder vielmehr: die unmittelbare Einstellung den idealen Gegenständen gegenüber wird neutralistisch den physischen Gegenständen gegenüber. (Die Besprechung der eigentlichen Schwierigkeiten der neutralistischen Haltung muß dem letzten Kapitel des Buches vorbehalten bleiben.) Für den lebendigen Betrieb der Mathematik ist die Gefahr des Naturalismus niemals ernstlich akut geworden; nur gelegentlich haben naturalistisch voreino-enommene Theorien die Mathematik als naturalistische Wiss~nschaft interpretiert, ohne dadurch an der Behandlung aktueller Probleme höherer mathematischer Gebiete irgend etwas zu ändern: Nur in dem Streit um die Grundlagenforschung, die in neuester Zeit so. viel Staub aufgewirbelt hat (Hilbert, Brouwer VVeyl) spielen . G egensätze der Einstellung gelegentlich, 'wenn auch ' dIe verschränkt und in schwer zu entwirrender Weise hinein: Aber auch diese Diskussionen haben die mathematische Einzelforschung kaum beeinflußt. Diese Einzelforschung wird viel zu sehr durch die den Problemen selbst innnewohnende Stoßkraft in ihrer Richtung und Methodik bestimmt, als daß hier philosphisch orientierte methodische Erwägungen etwas ändern könnten. 3· Psychologie. Die dauernde Methodenkrise der Psychologie - sie existiert nicht erst seit dem Auftauchen der heutigen Gegensätze innerhalb der psychologischen Forschung, auch nicht 88

erst seit Willys gegen Wundt gerichtetem Buch , Die Krisis in der Psychologie« (1 889), sie lebt in Herbarts Kampf gegen die Vermögenspsychologie, ja bereits in des Aristoteles Auseinandersetzung mit den vorangegangenen psychologischen Auffassungen - diese dauernde Methodenkrise hat ihren tiefsten, wenn auch nicht ihren einzigen Untergrund in dem Gegensatz der beiden Einstellungen. Es müßte unverständlich erscheinen, daß eine Wissenschaft, deren Tatsachenbereich so offen daliegt, so zugänglich für jedermann ist, wie das der Psychologie, zu solch heftigen Kontroversen über die Methode ihrer Behandlung Anlaß geben konnte, wenn nicht schon in der Formung der Tatsachen selbst die Gegensätze sich offenbarten. In der Tat bestehen solche Gegensätze der Formung: es gibt eine Betrachtung der psychischen Tatsachen aus unmittelbarer, und es gibt eine Betrachtung aus naturalistischer Einstellung. Die Psychologie steht damit im Gegensatz zu allen anderen Wissenschaften: die meisten unter ihnen besitzen eine adäquate Einstellung, die ihnen durch ihr Gegenstandsgebiet eindeutig vorgeschrieben wird und wenn auch für die exakte Naturwissenschaft (in ihrem realen Betrieb) eine solche adäquate, unbedingt geforderte Einstellung fehlt, so erwachsen ihr keine Schwierigkeiten hieraus, sie zieht nur Vorteil aus diesem Umstand. Denn wo die Strukturantik des Wissenschaftsgebietes indifferent ist gegenüber der Einstellung, die man zu ihr einnimmt, fallen auch all die Mißhelligkeiten weg, die durch inadäquate Einstellung entstehen könnten - Mißhelligkeiten, die sich bereits bei der Mathematik andeutungsweise zeigten, und die bei Logik, Ethik, Ästhetik (wie noch darzutun sein wird) bis zur Verwirrung der Wissenschaften sich steigern. Für die Psychologie hat das Fehlen einer adäquaten Einstellung eine von Grund aus andere Bedeutung als ftir die Naturwissenschaften. Denn ihr Gebiet ist nicht indifferent gegenüber den Einstellungen; man gelangt nicht etwa von

beiden Einstellungen her zu denselben Ergebnissen. Das psychische Gebiet und seine Probleme erhalten vielmehr, wenn sie von den verschiedenen Einstellungen her bearbeitet werden, ein völlig anderes Gepräge; die Ergebnisse differieren in weitem Maße. Naturalistische und unmittelbare Einstellung ergeben eine jeweils verschiedene Psychologie. Die Versuchung liegt in diesem Falle nahe, für denjenigen, der sich über den Unterschied der Einstellungen nicht klar ist, aus verschiedenen Einstellungen stammende Ergebnisse zu einer Einheit zu verarbeiten und ungeklärt Tatsachen verschiedenen strukturontischen Hintergrundes durcheinanderzuwerfen. So wird das Fehlen einer adäquaten Haltung dem psychischen Gebiet gegenüber nicht zu einer Quelle der Kraft für die Psychologie, sondern der Schwierigkeiten, der Krisen, der Schwäche. Wie ist eine solche Diskrepanz der Einstellungen und demgemäß der Ergebnisse aufzufassen? Lassen sich alle psychologischen Probleme sowohl von der einen als auch von der andern Einstellung aus behandeln? Oder existiert vielleicht eine Scheidung nach Problemgruppen derart, daß für manche Problemgruppen die unmittelbare, ftir andere die naturalistische Einstellung die adäquatere ist? In der Tat ist im wesentlichen das letztere der Fall. Es gibt drei Arten von Problemen: solche, ftir die die naturalistische Einstellung die adäquate ist; solche, für die es nur Sinn besitzt, sie aus unmittelbarer Einstellung heraus zu behandeln; und endlich solche, die eine Behandlung von beiden Einstellungen her zulassen. a) Überall dort ist innerhalb des psychologischen Problemkreises die naturalistische Einstellung die gegebene, wo bereits durch die Fragestellung der Weg von außen nach innen gewiesen ist: so finden alle psycho-physiologischen Fragen ihre natürliche Antwort innerhalb der naturalistischen Einstellung: Naturalistisch konzipiert sind etwa solche Fragen: Wie macht sich die Verschiedenheit der Wellenlängen

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der Lichtstrahlen im Bewußtsein von der Farbe, in den >Farbempfindungen c bemerkbar? Wie ist der Weg beschaffen, der von der linearen Anordnung der Lichtstrahlen zum dreidimensionalen Farbkörper führt? Oder: welche psychische Rückwirkung, welche Bewußtseinsveränderungen entstehen durch die Wirkungen von Alkohol oder anderen Giften auf das Gehirn? Wie wirken körperliche Krankheitsprozesse, wie wirken Gehirnverletzungen auf die Psyche? In all diesen Fällen muß man das Schicksal der äußeren Vorgänge ~ der Lichterregungen, der Gifte - durch den Körper hindurch zum Gehirn und von da aus zur Psyche verfolgen - die naturalistische Einstellung ist hier unbedingt gefordert. Für einen anderen Typus naturalistisch zu behandelnder Probleme sei das genetische Problem des » Raumbewußtseins « als Beispiel angeführt: In der Außenwelt werden dreidimensionaler Raum und dreidimensionale Raumgebilde als wirklich vorausgesetzt; auf der andern Seite werden auch in meinem Bewußtsein Gegenstände als dreidimensional aufgefaßt: es befinden sich in meinem Bewußtsein Vorstellungen dreidimensionaler Gebilde. Allein der dreidimensionale Raum, die dreidimensionale Anordnung der Gegenstände wandert nicht einfach in mein Bewußtsein hinüber, wie etwa ein feierlicher Aufzug, der draußen, außerhalb des Festsaals, in der gewünschten Anordnung aufgestellt wird und nun in der festgelegten Zugfolge in den Festsaal hineinmars-::hiert. Vielmehr löst sich die Dreidimensionalität der äußeren Gegenstände bei der Zuleitung zum Körper wieder auf; sie wird als Projektion zweidimensional auf die Netzhaut übertragen wie auf eine photographische Platte; und die vorher dreidimensionalen Gegenstände sind nun zweimensional zusammengepreßt. Die Auflösung schreitet noch weiter fort; denn die Zuleitung von der Netzhaut zum Gehirn bewahrt nicht einmal die zweidimensionale Anordnung des Netzhautbildes; das steht fest, wie man sich diesen Prozeß auch im einzelnen vorstellen mag. 91

Bei der Lektüre psychologischer - mehr noch physiologischer Bücher und Abhandlungen - hat man zuweilen den Eindruck, als ob die V erfass er sich über diese erneute Auflösung nicht klar wären. Das sei an einem oft diskutierten Problem als einem Beispiel für viele gezeigt: Nach physikalischen Gesetzen wird das Bild eines Gegenstandes bei seiner Projektion auf die Netzhaut auf den Kopf gestellt; was in Wirklichkeit oben ist, ist auf der Netzhaut unten, und umgekehrt. Da wird nun oft die Frage gestellt: Wie kommt es, daß wir trotzdem die Gegenstände aufrecht sehen? In dieser Frage gehen eine Reihe von Mißverständnissen durcheinander: 1. Man macht sich nicht deutlich, daß die zweidimensionalen Netzhautbilder nicht etwa einfach so, wie sie sind, ins Gehirn wandern; gewiß steht obige Fragestellung nicht mehr auf dem Standpunkt der Demokritischen Eidolatheorie, nach der sich Bilderehen von den Gegenständen ablösen, aber doch unbewußt auf dem Standpunkt einer modifizierten Eidolatheorie, als ob die Bilderehen der Netzhaut ins Gehirn übertragen werden. Die Auflösung der Zweidimensionalität bei der Zuleitung zum Gehirn tritt nicht in den Gedankenkreis des betreffenden Forschers. 2. Man geht noch weiter: Man nimmt an, daß das Bewußtsein nicht nur das Netzhautbild so erfassen müßte, wie es ist, sondern man gebärdet sich auch so, als ob im Gehirn ein Beobachter säße, der unmittelbares Bewußtsein von der realen Außenwelt habe. Denn die Frage: wie kommt es, daß wirtrotz der Umkehrung im Netzhautbild die Gegenstände aufrecht sehen? setzt voraus, daß wir »eigentlich« von dem ~Auf-dem-Kopf-stehen c ein Bewußtsein haben. Dazu wäre notwendig, daß wir gleichzeitig mit dem Netzhautbild auch die reale Außenwelt erfaßten, sonst könnte es keinen Eindruck des Verhältnisses der Lage des Netzhautbilds zur realen Außenweltsanordnung geben. Es wird hier also die 92

unmittelbare Einstellung (direktes Erfassen der Außenwelt) und die naturalistische Einstellung (Übermittlung durch kausale Prozesse) durcheinandergeworfen; ohne diese V ermengung hat die angeführte Frage überhaupt keinen Sinn. So werden hier einmal die beiden Einstellungen ineinandergemischt, und es fehlt außerdem das Bewußtsein, daß bei der Zuleitung zum Gehirn nicht einmal die Zweidimen- . sionalität des Netzhautbildes gewahrt bleibt. Für die richtige genetisch orientierteFragestellunglautet das Problem der Raumvorstellung: Wie kommt es, daß die Dreidimensionalität J> draußen« zur Dreidimensionalität , drinnen c wird, obwohl alle Zwischenglieder keinen dreidimensionalen Gehalt aufweisen? Das ist rein naturalistisch gefragt: Der Raum kommt doppelt vor: , draußen\[ und , drinnen c; und es wird ein kausaler Prozeß vom äußeren Gegenstand bis zum Psychischen hin verfolgt. Da die psycho-physiologischen Fragen ihre Beantwortung von der naturalistischen Einstellung her verlangen, ist es wohl verständlich, daß die experimentelle Psychologie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als naturalistische Psychologie ihren Anfang nahm: sie war von Physikern wie Fechner, von Physiologen wie Helmholtz, Wundt und Lotze geschaffen worden, denen die naturalistische Einstellung von Haus aus nahe lag; man war von Fragen der Sinnesphysiologie zu den psychologischen Problemen und demgemäß gerade zu den naturalistisch zu behandelnden fortgeschritten; und endlich mußte auch die -von den exakten Naturwissenschaften übernommene - Bevorzugung der experimentellen Methoden zur naturalistischen Psychologie führen. Nicht als ob nur vom naturalistischen Standpunkte aus experimentiert werden könnte. Die experimentellen Arbeiten des letzten Vierteljahrhunderts haben gerade vom Standpunkt der unmittelbaren Einstellung aus fördernde Arbeit geleistet (Achs Untersuchung der Willensvorgänge, Bühlers Denkexperimente, Jaenschs Eidetik u. a. m.); allein wenn man psycho93

logisch zu experimentieren beginnt, ist es am naheliegendsten und einfachsten zu fragen, in welchen Empfindungen sich bestimmte Reize äußern, und welche Veränderungen in den Empfindungen durch die Veränderung der Reize bewirkt werden; - es ist also das Gegebene, an Problemen der Sinnespsychologie naturalistisch einzusetzen. Für diese naturalistische Behandlung psychologischer Probleme besteht eine Schwierigkeit, die zu mancherlei Komplikationen geführt hat - eine Schwierigkeit, die tief im Wesen der naturalistischen Einstellung begründet liegt. Strukturontisch stehen für die naturalistische Einstellung Psychisches und Physisches gleichwertig nebeneinander; methodisch - so wurde gezeigt - wird das Physische bevorzugt. Man geht vom Physischen aus: man verfolgt etwa einen Lichtstrahl bis zum Gehirn, bis in die molekularen Vorgänge des Gehirns - wenn es möglich ist. Allein auch wenn es möglich wäre, auch wenn das Gehirn so groß wäre wie ein Haus, so vermöchte man nichts von einer Farbenempfindung darin zu entdecken (Leibniz). Es bedarf eines Wechsels der Sichtnahm e, um das Psychische zu finden: Die Farbenempfindung wird von der subjektiven Seite her erlebt, die nun ihrerseits unmittelbar nichts vom Gehirn weiß. Es ist wie bei einer Tunnelbohrung, bei der von beiden Seiten her in den Berg vorgestoßen wird bis zur Mitte, nur daß hier - im Gebiet des Psychophysischen - niemals ein Durchschlag erfolgt. Diese Tatsache der gegenseitigen Unzugänglichkeit des Physischen und des Psychischen ist es ja gerade, die die Theorie des Parallelismus hat entstehen lassen, indem sie die gegenseitige Unzugänglichkeit zum metaphysischen Prinzip - zum mindesten zum methodischen .- erhebt. Diese Unzugänglichkeit ist es, die dem metaphysischen Weltbild solche großen Schwierigkeiten bereitet, indem sie das Psychische als Fremdkörper in den geschlossenen Kosmos des Physischen eindringen läßt. Sie ist es auch, die - und das ist in diesem Zusammen94

hang einzig von Interesse - die E?twicklung d~r naturalistischen Psychologie in mehr als emem Punkte m falsche Bahnen gedrängt hat. Denn wen~ die Psychologie den J?hys.iologischen Prozeß bis zum Geh1rn verfolgt hat, so w1rd 1hr der Wechsel der Sichtnahme, der nötig ist, um das Psychische festzustellen, nicht nur zum erkenntnistheoretischen sondern auch zum methodischen Hemmnis. Denn da sich 'nicht von außen etwas über das Psychische feststellen läßt da niemand über die Empfindungen Auskunft geben kan~ als der Mensch selbst, der diese E~pfi~dung~n erlebt so entsteht hier eine widerspruchsvolle S1tuat1on: D1e natur~listische Einstellung untersucht prinzipiell die Welt vom Objekt her, auch das Psychische soll von außen her als ein mit den Gehirnvorgängen in die äußere Natur verflochtenes Geschehen begriffen werden; erfahren jedoch wird das Psychische nur aus subjek~iver Sichtnahme heraus: D~s ist ein Schlag für den Naturahsmus, der alles auf objektiv festlegbare Tatsachen zurückführen möcht~. Wie soll man da mit :. objektiven« Methoden das Psychische behandeln können, jene objektive Exaktheit erreichen, die das ~iel d~r Wissenschaft ist? Nicht einmal die schlichte Tatsächhchke1t des psychischen Geschehens kann durch eine Sichtnahme vom 1 Objekt aus konstatiert werden, um wieviel weniger können ·diese Tatsachen objektiv exakt fixiert werden. Da nur dem einzelnen, die psychischen Tatsachen erlebende? Me~schen die psychischen Tatsachen unmittel~ar z~gänghch smd, so fehlt die direkte Kontrolle durch d1e Mitmenschen, durch den Psychologen. Die beliebteste (zuerst von Münster~erg aufgestellte) Definition des Psychischen benutzt gerad; d1ese für den Naturalismus fatale Eigenschaft des Psychischen: das Psychische sei dasjenige, was nur einem Subjekt zugänglich sei. . . . An und für sich wäre es für d1e naturahst1sche Psychologie das Gegebene gewesen, diesen Wechsel der Sichtnahme einfach hinzunehmen, ihn ohne Bedenken anzuerken-

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nen und konkrete Probleme unbefangen in dieser Weise zu behandeln. Denn strukturell ist ja -naturalistischPsychisches und Physisches gleichberechtigt. Allein methodisch ist die naturalistische Einstellung vielzusehr in der Sichtna~me vom Physischen her befangen, als daß sie sich ohne wet~eres dazu hätte ~ers~ehen können. Das Übergewicht des Physischen machte steh Immer wieder bemerkbar. Bald wurde- wie etwa in der ursprünglichen Fassung der Y oungHelmholtzschen Farbentheorie- das Psychische in seiner Ei.genart nicht bei der Aufstellung der physiologischen Theorie mttverwertet, sondern die physikalischen Tatsachen bei den Deutungen bevorzugt, bald wurde die Gesamtheit des Psychischen auf , Empfindungen« reduziert weil man so am besten glaubte, die Analogie zu den physiscl~en Tatsachen herstellen zu können, bald wurden die Gesetzmäßigkeiten des Psychischen so gefaßt, daß sie möglichst den Gesetzen der äußeren Natur an~eglic~en wurden (Assoziationspsychologie) 1 . Am ~tßtramschsten war man gegen diejenige Erkenntnisquelle, dte den Ausdruck des Wechsels der Sichtnahme bedeu~ete:. gegen die Selbstbeobachtung. Daß die Mißhelligkeiten der Selbstbeobachtung zwar nicht ganz aufgeh?ben, aber doch auch vom naturalistischen Standpunkt emgeschränkt werden könne (Schulung des Beobachters Häufung der Zahl der Versuchspersonen usw.) wollte ma~ lange Zeit nicht gelten lassen. Nicht die In e x ~ k t h e i t war es letztlich, die man so sehr beanstandete, sondern die Sei bstbeobach tung als Ganzes: daher immer wieder die Versuche zu einer objektiven Psychologie zu gelangen (Bechtere~), daher ~ie bereits erwähnten Versuche, Psychologie in Gehirnanatomie und Physiologie aufzulösen, daher auch das Interesse der naturalistischen Psychologen für objektiv festlegbare Reaktionen. So etwa wurde in den ersten Jahrzehnten der ~sychologie bei der Untersuchung des Vergleichseindrucks zweter Strecken einzig Wert darauf gelegt, wie oft mit 1

Vgl. Das Unbewußte und die psychische Realität.

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) gleich«, >ungleich«, >>unentschieden c usw. reagiert wurde; denn diese Reaktionen waren objektiv faßbar. Dagegen wurde kaum gefragt, welche Er 1e b n i s s e diese Reaktionen begleiteten, oder welche subjektiven Prozesse gerade zur Abgabe dieses und keines anderen Vergleichsurteils geführt haben, oder wie überhaupt der seelische Prozeß beschaffen ist, der zur Abgabe von Vergleichsurteilen führt usw. Es bedurfte erst einer langen Entwicklung, bis man sich auch ftir die begleitenden Erlebnisse interessierte. Es gibt ein Teilgebiet der Psychologie, bei dem die Ausschaltung der Selbstbeobachtung zur Notwendigkeit wird: die Tierpsychologie. Hier muß unter allen Umständen nach objektiven Kriterien gesucht werden, um Aufschluß über das seelische Leben zu gewinnen; das Tier selbst vermag keine Auskunft über sein Seelenleben zu geben. Da nur das Verhalten der Tiere studiert werden kann, so bleibt der Rückschluß von diesem V erhalten auf das Psychische, dessen Ausdruck das V erhalten ist, prekär - um so prekärer, je weiter das beobachtete Tier in der T~erreihe v?m Menschen absteht: Wir konstatieren etwa aus emwandfre1en Experimenten, daß die höheren Tiere Farben unter~cheid~n können· allein ob ihnen die Farben genau so .erschemen w1e uns - 'ob sie auf bestimmte Wellenlängen des Lichtes mit denselben Farbenempfindungen reagieren wie wir, läßt sich niemals mit völliger Gewißheit feststellen. Ja, in vielen Fällen läßt sich umgekehrt direkt durch neue Experimente dartun daß die aus der Analogie zu unserem eigenen Seelenleben ~aheliegendste Deutung des Verhaltens der Tiere nicht zutrifft: eine Katze, der man in ihrer Abwesenheit von ihren sechs Jungen eines weggenommen hat, wird den Verlust sofort bemerken wenn sie wiederkommt. Die Deutung liegt nahe daß sie ih~e Jungen gezählt habe. Es läßt sich nachweis~n daß diese Deutung falsch ist. Es ist die Verschiedenheit d~s konfiguralen Gesamteindrucks, was ihr die veränderte , Anzahl« zu bemerken erlaubt.

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Es sind jedoch nur glückliche Ausnahmefälle, in denen wir konstatieren können, ob der Schluß von unserem eigenen Seelenleben auf das der Tiere berechtigt ist oder nicht; in vielen Fällen fehlt uns die menschliche Analogie (wie beim Orientierungssinn der Brieftauben), und wenn man zu den Ameisen und Bienen herabsteigt, werden die Schlüsse auf die Art ihres Seelenlebens immer zweifelhafter. (Der Streit zwischen Wasmann und seinen Gegnern, ob die Insekten überhaupt ein Seelenleben besitzen, hat die Schwierigkeit der Entscheidung über das Psychische, die aus dem Wechsel der Sichtnahme entsteht, aufs deutlichste dargetan.) Aus dieser Not macht der in Amerika weitverbreitete >Behaviorismus« eine Tugend. Zunächst stellt er nur die Forderung, sich aller Rückschlüsse auf das Seelenleben der Tiere zu enthalten und sich auf das Konstatierbare, auf die Feststellung des Verhaltens der Tiere zu beschränken. In der zweiten Phase wurde er kühner: Jetzt dekretiert er das Prinzip, daß wir kein Recht hätten, dasjenige, was wir nicht objektiv beobachten können, überhaupt als existierend anzunehmen. Aus dem methodischen Prinzip der Beschränkung auf das Beobachtbare wurde das existentielle Prinzip der Nichtexistenz des Nichtbeobachtbaren: ein Bewußtsein der Tiere existiert nicht, wurde behauptet. Zugleich wurde das Prinzip auf den Menschen übertrage~. Auch beim Menschen läßt sich .immer nur konstatieren, welche Reaktionen auf gegebene Reize eintreten; das Seelenleben eines anderen Menschen ist nicht konstatierbar und nicht objektiv beobachtbar. Deshalb sei es unnötig, dem Menschen ein Bewußtsein zuzuschreiben (wie schon William James aus anderen Gründen behauptet hatte). Es gibt keine einfachere Methode, den Standpunktswechsel beim Übergang zum Psychischen unschädlich zu machen: Indem man die Existenz des Bewußtseins leugnet, entfallen alle Schwierigkeiten 1 • 1 Eine andere weitverbreitete Methode, sich der Schwierigkeiten zu entziehen, die das Psychische der naturalistischen Einstellung bereitet, ist der

b) Die unmittelbare Einstellung in der Psychologie beginnt erst dann, wenn erstens das Psychische nicht mehr von der Außenwelt her untersucht wird, sondern man die Subjekt-Objektstellung in subjektivistischer Haltung einnimmt, wenn das Subjekt von seinem Ich aus die Welt und das Psychische betrachtet; und zweitens das Interesse an psychophysischen Zusammenhängen von dem Interesse an den wirklich psychischen Zusammenhängen verdrängt wird. In diesem Sinn ist bereits alle vorwissenschaftliche Psychologie der Dichter und Historiker Psychologie aus unmittelbarer Einstellung: Dichter und Historiker versetzen sich in die Seele ihrer Helden und deren Gegenspieler und verstehen von dort aus das Gegeneinander der Menschen und Geschehnisse. Auf den gleichen Bahnen bewegen sich die aphoristische Psychologie Pas c a I s und Niet z s c h es, die Realpsychologie von Novalis, Kierkegaards existentielle Psychologie, die Psychologie der Mystik, in heutiger Zeit die Psychologie von Litt und Spranger, von Jaspers und den Phänomenologen. Die sinnespsychologischen Fragen sind aus ihren Arbeiten völlig verschwunden, aber die Probleme des Verstehens, der Einfühlung, der Stellungnahmen, der Motivationszusammenhänge, des Erlebens von Sinn und Wert nehmen einen breiten Raum ein. Es ist unmöglich, ein Buch wie Jaspers' Psychologie der Weltanschauungen in die Begriffe der naturalistischen Psychologie zu pressen. Oder man versuche einmal, den Nietzsche-Aphorismus: >Wer sich selbst verachtet, achtet sich doch immer noch dabei als Verächter« naturalistisch zu interpretieren. Oder das Adlersehe Problem der Entstehung der Neurosen durch Organminderwertigkeit oder das Problem des Erlebens des Tragischen und vieles anderes mehr. Das Erleben des Tragischen z. B. wird bis zur Unkenntlichkeit entstellt, wenn man es als Materialismus: Wenn nur das Physische existiert, so brauchen wir keine zweite Realit.ätssphäre. Das Problem, weshalb gerade an bestimmten Punkten der psychischen Welt diese zweite Realitätssphäre sich vorfindet, besteht nicht; der Standpunktswechsel ist vermieden -, alles ist wunderbar einfach.

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eine psychische Reaktion auf die etwa von der Bühne her auf Auge und Ohr wirkenden und zum Gehirn fortgeleiteten Sinneseindrücke auffaßt; es wird nur verstanden, wenn man es als eine Erlebnisstellungnahme zu dem geistig-seelischen Gehalt der unmittelbar erfaßten Vorgänge begreift. Es waren ehemals zwei verschiedene vom Subjekt ausgehende Haltungen (innerhalb der unmittelbaren Einstellung) unterschieden worden: die subjektivistische Haltung und die Gegebenheitsbaltung. Aus ihnen entspringen zwei Arten von psychologischen Problemen und demgemäß zwei Formen von Psychologien aus unmittelbarer Einstellung: die dynamische Subjektspsychologie unddieanalytischgenetische Gege benhei tsps ychologie. Weshalb fällt mir etwa mitten in einer Unterredung über wissenschaftliche Dinge eine belanglose Begebenheit aus meiner Studentenzeit ein? Welches sind überhaupt die Faktoren, die das Subjekt dazu bringen, in einem Momente dieses, im anderen jenes aus dem Vorrat seiner Erinnerungen herauszuholen? Das sind Fragen der dynamischen Psychologie. Wie bei aller subjektivistischen Haltung wird hier die Objektwelt in ihrer Realität hingenommen und die Beziehung des Subjekts zur Objektwelt (nach der psychischen Seite hin) untersucht. Die Erinnerung fungiert hierbei als Funktion; sie wird als Tatsache anerkannt, und es wird nur gefragt: wann erinnere ich mich? wessen erinnere ich mich? usw. Hingegen kann man auch die Erinnerung selbst in ihrer Gegebenheit analysieren: Wir hatten bereits bei der Analyse der Gegebenheitshaltung selbst die Erinnerung als Beispiel herangezogen: wie sieht irgend ein Ereignis meiner Studentenzeit für meine Erinnerung aus? Ist es sinnlich anschaulich gegeben oder nur vage, in leeren Intentionen? Welches ist überhaupt der prinzipielle Gegebenheitscharakter der Erinnerung? Wie ist in ihr der Hinweis auf das , Frühere gegeben? Solche Untersuchungen gehören in die Gegebenheitspsychologie. IOO

Prinzipiell gesprochen: in der d y n ~ m i s. c h e n ~sycho­ logie wird das Subjekt in der J?ynamik ~emer Bez1~hung zur Welt und der inneren Entwicklung semes psychischen Ablaufs untersucht: Der Nachdruck liegt auf der Dynamik des Zusammenhangs: Was bestimmt das Wollen? Wie wirkt das Wollen auf den Ablauf des Seelischen? Wie beeindruckt das Äußere das Subjekt, und wie reagiert das Subjekt auf solche Eindrücke? Das Subjekt wird als ein Zentrum angesehen, auf das Wirkungen ausgeübt werden, das mit Akten der Stellungnahme, des W ertens, des Auffassens des Fühlens Denkens, W ollens reagiert, mit Zuständli~hkeiten und Befindlichkeiten aller Art, die nun ihrerseits im Subjekte weiter wirken. So ist der Nietzschische Begriff des Ressentiments ein dy~ami~cher .Begriff. ~es­ sentiment ist eine dynamische F unktwn; auf seme Schwache und das Gefühl der Minderwertigkeit, das in der Schwäche liegt, reagiert das Subjekt mit einer Umwertung: d~s ~e~d, die Schwäche das aus der Schwäche stammende M1tle1d 1st das eigentlich Wertvolle für das ~ubj~kt, das in de~ Weise des Ressentiments erlebt. Ob, w1e N 1e t z s c h e memt, das Christentum als Sklavenaufstand in der Moral aus dem Ressentiment stamme oder nicht- oder ob, wie Scheler in Umkehrung der Nietzeschen Auffassung beha?ptet, gerade die demokratischen und liberalen Aufklärungs1deen Ressentimentgewächse sind- das sind ~ragen der ang~wand ten _ dynamischen Psychologie. Ferner 1st F reuds Begnff der Verdrängungdynamisch wie die gesamte Psychoanalyse. ~her auch Untersuchungen derart: wie Haß auf Menschen w1rkt, etwa derart daß er den Hassenden selbst depraviert usw. Hingegen sind es Fragen der Gegebenh~it.sps~ch.ologie: wie sieht die Gegebenheit des Hasses aus, w1e 1st d1e mnere Stellung des hassenden Menschen zu. denjenigen, ~ie er ~aßt, beschaffen? Sind Haß und Liebe emfach kontrad1ktatonsche Akte sind sie mit , GeHihlen c, wie Freude ihrem Gegebenheits~harakter nach in eine Reihe zu stellen? Oder eine anIOI

d.ere -~egebenheitsfrage: in welchen Gegebenheiten bauen steh außere Gegenstände für mich auf? Niemals ist ihre ~olle Drei~ime~sionalität sinnlich anschaulich gegeben: Das a~ßere Dmg. wtrd stets nur von bestimmten Seiten her er~hckt, und die ~oll: Erfüll~ng .der auf einen Gegenstand ger~~hteten Intention Ist nur ~n emem gesetzmäßig zusammenhang:nden Ablauf von Ansichten möglich (Busserl) usw. usw. Dte Gegebenheitspsychologie hat ihren ersten konsequenten Vertreter i? H um e gefunden, nachdem Locke und Be r k e I e y zu thr den Weg gebahnt hatten. Die von den Naturwissenschaften beeinflußte aber nicht rein naturalistisch or~entierte psychi.sche Eleme~taranalyse des 19 .Jahrhunderts Ist Gegebenhettspsychologie, meist mit recht unzulänglich:n Mitteln (Wund t z. B. in den Grundzügen der Psychologie), der Neopositivismus Machs (Analyse der Empfin.dungen), ?ie Psycholog~e der Selbstbeobachtung (~h. Ltpps, der Je~o~~ Im Begnff der Einfühlung ein dynamisches Moment emfuhrt), Brentano ist Gegebenheitspsychologe, vor allem aber hat Husse r1 bewußt und methodisch gegebenheitspsychologische Untersuchungen des G.~genstan~~aufbaues und de: Er~enntnisakte vorgenommen, wah:en~ Pfander andererseits die Gegebenheitsanalyse der Mottvat10?en und der Gesinnungen meisterlich durchführte. . Sachlich g~hören dynamische Psychologie und Gegebenheitspsychologte zusammen; sie streiten nicht miteinander sondern sie ergänzen einander: Zu einer durchgeführte~ Analys: des W ollens z. B. gehört die Durchforschung seiner Dynamik, der Kräfte, die zum Wollen fuhren und der Wirk~ngen, die von ihm ausgehen, so gut wi~ die Analyse semer Gegebenheit. Der Gegensatz der Psychologie aus unmittelbarer und

n~turalistischer Einstellung war seit langem latent. Allein

wte. überhaupt die naturalistische Einst e 11 u n g in der Ge~ schtchte des Geistes bis zur Mitte des 1 9· Jahrhunderts stets 102

nur ein Zwischenspiel gewesen ist, so auch die naturalistische Psychologie. Da sie überdies noch meist verquickt war mit dem metaphysischen Materialismus (Demokrit, Epikur, La Mettrie), so wurden ihre Einbrüche fast immer theologisch, metaphysisch, moralisch abwertend beantwortet. Nicht aber ließ man sich auf eine psychologische Diskussion ein, geschweige denn, daß man die naturalistische Psychologie aus dem Gegensatz der Einstellungen heraus zu verstehen suchte. Erst das Erstarken der naturalistischen Psychologie um die Mitte des vorigen Jahrhunderts hat das Problem des Gegensatzes naturalistischer und nichtnaturalistischer Psychologie ernstlich aktuell werden lassen. So alleinherrschend war- nun für mehr als eine Generation hindurch die naturalistische Psychologie, daß es eines langen Weges von gegenseitigen Mißverständnissen und methodischen Fehlansätzen bedurfte, ehe eine neue Psychologie der unmittelbaren Einstellung sich von der naturalistischen Psychologie loslösen konnte. Auch heute ist das tatsächliche Geschiedensein der beiden Problemgruppen weiter fortgeschritten als das methodische Bewußtsein ihrer Abhebung. Die Unduldsamkeit auf beiden Seiten läßt es schwer dazu kommen, auch ftir die andere Seite Verständnis zu gewinnen. Es gehörte die ganze Weite eines Geistes wie Dilthey dazu, neben der , beschreibenden Psychologie«, der Psychologie aus unmittelbarer Einstellung, der sein Herz gehörte, noch eine , erklärende« Psychologie gelten zu lassen. (Es ist hier gleichgültig, ob der Gegensatz der beiden Arten von Psychologien von Dilthey mit diesen Adjektiven klar und richtig charakterisiert worden ist.) Diltheys Gegner Ebbinghaus fehlte diese Weite, für ihn gab es letztlich nur die naturalistische Psychologie; und wenn er auch vielfach in seinen einzelnen Argumenten gegen Dilthey im Recht war, so übersah ·er doch, daß er von der Basis aus, von der er focht, niemals an dies Prinzipielle der Diltheyschen Scheidungen herankommen konnte- es verhielt sich hier, wie so oft in 103

Wissenschaft und Philosophie: Wer keine verschränkte Problematik sieht, wird das innerhalb seiner Linie Liegende deutlicher erkennen als derjenige, dem sich die Gegenstände in vielen Beleuchtungen zeigen. Aber er wird auch blind sein für all das, was bei der ihm allein zugänglichen Beleuchtung nicht erblickt werden kann. c) Eine Reihe von Problemen der Psychologie liegt jenseits der beiden Einstellungen, weil es ftir die Struktur des zu erforschenden Tatbestandes im Effekt gleichgültig ist, ob man von der naturalistischen oder der unmittelbaren Einstellung aus an sie herantritt. Zu solchen Problemen gehört z. B. das Problem der Untersuchung des Gedächtnisses (solange man sich nicht auf physiologische Erklärungsversuche einläßt): Die Wirkung der Einprägung einer Reihe von sinnlosen Silben, die Untersuchung der Wiederholungszahl, die notwendig ist, um sie fehlerfrei herzusagen, oder die Untersuchung der Art und Weise, in der die einmal gelernte Reihe allmählich abklingt, für all solche Probleme macht es keinen Unterschied, ob man sie naturalistisch oder unmittelbar anfaßt. Dennoch läßt sich in diesen Fällen nicht schlechtweg von einer neutralistischen Haltung sprechen wie bei der Bearbeitung der Mehrzahl der Probleme der exakten Naturwissenschaften. Bei den Naturwissenschaften war es ohne Belang, von welcher Einstellung man ausging, weil das physische Gebiet beiden Einstellungen gemeinsam ist. Hier dagegen würden die Einstellungen verschiedene Deutungen des Tatbestandes ergeben, wenn man die Deutungen von den Einstellungen aus wirklich ins einzelne durchführte. Allein das Interesse, das man an diesen Tatsachen und Gesetzmäßigkeiten nimmt, reicht nicht so tief, daß diese verschiedenen Deutungen von Belang werden. Bei der Deutralistischen Haltung war die Beschränkung, die man sich auferlegte, extensiv: man interessierte sich nicht für dasjenige, was außerhalb des physischen Bereichs lag. Hier dagegen ist die Beschränkung intensiv: man dringt gar nicht bis zu 104

den Tiefen vor, in denen die Gegensätze der Einstellungen wirksam werden. Man untersuche etwa, nach wieviel Lesungen eine Reihe sinnloser Silben (unter bestimmten Umständen) lückenlos reproduziert werden kann, und stelle fest: nach 20 Lesungen gelingt die lückenlose Reproduktion. Hier ist es irrelevant, ob man nach naturalistischer oder nach unmittelbarer Einstellung deutet: naturalistisch interpretiert werden die sinnlosen Silben zu , äußeren Reizen c, die Häufung der Lesungen der Reihe zu einer Häufung der Reize und die frei reproduzierte Reihe, die durch die Wiederholung der Reize erzeugte Vorstellungswirkung. Man wird also zu formulieren haben: die zwanzigfache Wiederholung der äußeren Reize bewirkt (unter bestimmten Umständen), daß die ihr entsprechenden Vorstellungen in lückenloser Aufeinanderfolge ins Bewußtsein treten und demgemäß lückenlos in dieser Reihenfolge hergesagt werden können. Die Lesungen werden als Reize aufgefaßt; das Reproduzieren als eine Verdopplung des Gegenstandes in der Vorstellung. Von der unmittelbaren Einstellung aus hingegen interpretiert man: Die Reihe wird zwanzigmal hintereinander lesend er faßt; solange bis die Reihe lückenlos vergegenwärtigt werden kann. Die Unterschiede der Interpretation sind belanglos. Die schlichte Formulierung der Gesetzmäßigkeit: bei zwanzigfacher Wiederholung der Reihe ist die Versuchsperson imstande, sie lückenlos zu reproduzieren, läßt nichts von den Unterschieden der Deutung erkennen. Während in diesen und ähnlichen Fällen die Unterschiede der Deutung unwichtig, zum mindesten uninteressant sind, verändert in anderen Fällen die Deutung das Bild des Gesamtergebnisses. Hierher gehören z. B. die mit dem Webersehen Gesetz zusammenhängenden Fragen. Dem Entdecker des Gesetzes, dem Physiologen Ernst Heinrich Weber, konnte überhaupt keine andere Deutung in den Sinn kommen als die naturalistische; und die experimentelle 105

Psychologie, die sich später mi~ diesen !'r~gen ~es~häf­ tigte, war ebenfalls von vornherem naturahsttsch orientiert. So war es selbstverständlich für sie, daß die Fragestellung des Wehersehen Gesetzes interpretiert wurde: Wie macht sich der Reizzuwachs in dem Zuwachs der zugehörigen Empfindungen bemerkbar? Wenn es sich etwa um das Verhältnis der mit physikalischen Mitteln herzustellenden Lichtintensität zu dem Helligkeitseindruck, oder um das Verhältnis der physikalischen In t e n s i t ä t eines Tons zu der gehörten ,Lautheitc: dreht, ist in der Tat die naturalistische Interpretation näherliegend Denn hier wird ein physikalischer Tatbestand zu einem heterogenen psychischen in Beziehung gesetzt. Allein es gibt Fälle, in denen die naturalistische Deutung direkt gezwungen wirkt. Bei Untersuchungen über den Vergleich von Raumstrecken wird man wohl am natürlichsten formulieren: Wie groß muß der Unterschied zwei er Strecken sein, damit er vom Beschauer b emerkt wird? Man wird also das bloße Sein der Strecken von derri Bemerken ihres Unterschiedes scheiden und nicht etwa naturalistisch formulieren: Weiche Strecken muß man auf das Auge der Versuchspersonen wirken lassen, damit sie in der Versuchsperson das Bewußtsein eines Unterschiedes erzeugen? Solche Formulierung klingt gezwungen. Das Problem wird hier also am besten als die Frage nach dem Verhältnis der wirklichen und der aufgefaßten, bemerkten Größenunterschiede,derwirklichen Gegenstände und der Gegenstände, wie sie vermeint sind, gefaßt; eine Interpretation, die keine Verdopplung des Gegenstandes kennt, sondern nur einen Gegenstand, einmal wie er ist, und einmal, wie er aufgefaßt wird. Es ist keinesweg_s gleichgültig, ob man also das Webersehe Gesetz als reme Aussage über das Verhältnis von Reizzuwachs zu E~pfindu~gs­ unterschied oder als Aussage über das Verhältms von wirklichen und bemerkten Unterschieden formuliert. Trotz des 106

gleichen Sachgehaltes präsentieren sich die Probleme und die Ergebnisse völlig verschieden 1 . 4· Die Logik. Während die Mathematik durch den Gegensatz der Einstellungen niemals im Innersten berührt worden ist, ist in der Nachbarwissenschaft der Mathematik, in der Logik, der Streit um die Strukturantik weniger harmlos geblieben. Dieser Streit beginnt erst im Laufe des I 9· Jahrhunderts. Noch im letzten Drittel des I 8. Jahrhunderts konnte Kant seine berühmte Behauptung aufstellen, daß die Logik »seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen c. Nicht als ob ihre Aufgabe von jeher ganz eindeutig bestimmt gewesen wäre. Bacos erkenntnismethodisch gemeinte Logik der Induktion hatte z. B. völlig andere Zielsetzungen als des Aristoteles metaphysisch gedeutete Logik; allein diese Gegensätze bewegten sich doch innerhalb eines strikt abgegrenzten Umkreises: Eine wesentliche Übereinstimmung aller Logiker bis zu Kants Zeiten bestand darin, daß sie die Logik als Einzeldisziplin behandelten (auch wenn sie ihr metaphysische Bedeutung zuschrieben). Die Logik hatte schlicht die logischen Formen des Schließens zu untersuchen, das Gesetz des Widerspruchs, das Urteil, den Begriff usw. Wenn man auch weiterhin noch die Bedeutung dieser formallogischen Tatsachen für die Erkenntnis klarzustellen suchte, so bildete doch den Untergrund stets die formale Logik. Gerade von Kant wurde der Schritt >rückwärts~ getan. Im Zusammenhang seiner Philosophie wurde die Logik aus 1 Der Gegensatz der beiden Einstellungen steht überall im Hintergrunde meiner Arbeiten über Psychologie. In den »methodologischen und experimentellen Beiträgen zur Quantitätslel-tre• (Leipzig, Engelmann 1907) wurde gerade am Beispiel des Webersehen Gesetzes deutlich gemacht, wie verschiedenartig das Ergebnis ist, je nachdem man die eine oder die andere Einstellung einnimmt. In dem öfters zitierten »Fragment über das Unbewußte und die psychische Realität« 1921 wurde innerhalb des Wollensproblems gegen den Naturalismus und für die unmittelbare Einstellung Partei ergriffen.

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einer formalen Einzeldisziplin zu einem Teil der Philosophie. Er fragte in seiner transzendentalen Logik nach dem philosophischen Ursprung der logischen Beziehungen und Begriffe. Die Logik blieb nicht länger in ihrer einzelwissenschaftlichen Abgelöstheit betrachtet, sondern wurde von ihm und seinen Nachfolgern, wie auch von dem gesamten Neukantianismus in die Verwehung philosophischer Fragestellungen hineingezogen. Diese philosophische Begründung der Logik - die Aufweisung ihrer Konstitution im Bewußtsein, die Frage nach ihrer metaphysischen Stellung, nach ihrer inhaltlich weltgestaltenden Bedeutung usw. -ist gewiß eine fundamentale Aufgabe philosophischen Denkens. Ihr darf jedoch in diesem Zusammenhang nicht unser Interesse gehören; die Strukturontik der Logik als einer Einzelwissenschaft, als formaler Logik ist unser Problem. Diese formale Logik ist nach zwei grundverschiedenen Richtungen hin ausgebaut worden: Die formale Logik ist eine Wissenschaft anderen Gepräges innerhalb der von Aristoteles herkommenden Tradition einerseits und innerhalb der mathematischen Logik andererseits. Die von Aristoteles herkommende Tradition interessiert sich für die logischen Beziehungen und Tatbestände, wie sie vom aktuellen Denken als >logisch« (was das heißt, soll hier nicht untersucht werden) eingesehen werden können; daß die Schlußform: Alle S sind P, Q ist einS Q ist P richtig ist, läßt sich ohne weiteres einsehen. Ein ganz anderes Gesicht zeigt diejenige Form der Logik, die sich - nach einzelnen vorgreifenden Versuchen bei Leibniz - seit dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts als mathemathische oder symbolische Logik entwikkelt hat. Hier handelt es sich nicht nur darum, die logischen 108

Schlußweisen und Bezeichnungen, soweit es möglich ist, zu formalisieren und zu symbolisieren, sondern auch I. die komplizierten Beziehungen - more geometrico - aus einfachen Beziehungen abzuleiten und 2. mit möglichst wenig Bezeichnungen und Grundbegriffen auszukommen; so läßt sich z. B. zeigen, daß der Begriff >oder< (im Sinn des lateinischen vel) immer ersetzt werden kann durch die Kombination anderer Grundbegriffe der Logik: >nicht«, >folgte usw. Wenn man diese Ersetzung vornimmt, so erhält man Formeln, mit denen der menschliche Geist nichtdirekt eine logische Bedeutung verbindet, aus denen jedoch Formeln abgeleitet werden können, die solche logische Bedeutung haben. Es ist ähnlich wie in der Mathematik: Es ist sehr wohl möglich, die Zahlbeziehungen aus Beziehungen abzuleiten, die als solche keine Zahlbedeutung mehr haben (man vergleiche z. B. wie Peano die Zahl I logistisch herleitet), die unmittelbar nichts zu tun haben mit den Regeln, deren sich das aktuelle Zählen der Zahlen bedient. Versteht man unter Zahlenlehre die Lehre von den im Zählen realisierten Zahlbeziehungen, so ist die Lehre, die die den Zahlen zugrunde liegenden Relationen erforscht, keine Zahlenlehre mehr. Versteht man jedoch darunter einen systematischen Aufbau der einfachsten Beziehungen und Sätze, aus denen sich die aktuellen Zahlbeziehungen ableiten lassen, so darf man auch eine solche formalistische Lehre als Zahlenlehre bezeichnen. Genau so bei der Logik: Logik als Lehre von tatsächlichen logischen Beziehungen zwischen Begr.iffen und Gegenständen ist formale Logik in üblicher Bedeutung, ftir die mathematische Logik hingegen ist es nicht wichtig, ob die Beziehungen und Sätze, mit denen sie es zu tun hat, unmittelbar logischen Sinn haben oder nicht; es wird von ihr einzig verlangt, daß sich die unmittelbar logischen Beziehungen daraus ableiten lassen. · Dieser kurze Hinweis über den Unterschied der reinen formalen Logik und der mathematischen Logik war notI()()

wendig, um das Gebiet der Logik für den Zusammenhang der hier vorliegenden Probleme abzustecken: Mathematische Logik ist entweder Mathematik eines bestimmt gearteten Gebietes, Mathematisierung der Logik - oder sie ist (wie sie Russell und seine Schule ansieht) Logik, eine Logik, deren Teil oder Anwendungsgebiet die Mathematik ist. Nach beiden Auffassungen muß die Logik Wissenschaft aus unmittelbarer Einstellung sein. Als Mathematik aufgefaßt, teilt sie selbstverständlich die Einstellung aller Mathematik; ist die Mathematik hingegen einT eil der Logik, so kann die Logik als Ganzes ebenfalls keine andere Ein stellung haben als die Mathematik als ein Teil dieser Logik; daß sie Wissenschaft aus unmittelbarer Einstellung ist, bleibt also auch in diesem Fall außer Frage. Im äußersten Gegensatz zu dieser Verdopplung von Mathematik und Logik steht die Auffassung der psychologischen Logik, die Mathematik und Logik weit auseinanderreißt. Die Mathematik ist eine apsychologische Disziplin daran pflegt auch die psychologische Logik nicht zu rütteln; indem jedoch die Logik und Mathematik als . Disziplinen grundverschiedenen Charakters angesehen werden, ist nun Raum geschaffen für eine völlig veränderte Auffassung der Logik: Die Logik ist nun p s y c h o I o g i s c h e Disziplin: ein Teilgebiet oder Anwendungsgebiet der Psychologie. Die Mathematik hat mit der Wissenschaft der Logik nichts mehr zu tun. Demgemäß wird die psychologische Logik zwar die Möglichkeit einer mathematischen Logik anerkennen, aber sie als bloße Spielerei zur Seite schieben, sie zum mindesten als wissenschaftlich wertlos aus dem Kreis ihrer Betrachtungen verbannen. Die Auffassung der Logik als einer psychologischen Disziplin ist heute überholt. Husserl hat es im I. Band seiner Logischen Untersuchungen theoretisch dargetan und Alexander Pfänder in einer ausgeführten Logik praktisch gezeigt, daß die Gegenstände, mit denen es die Logik zu tun hat: BeI IO

deutung, Urteil, Schluß, Relation, Ding, Eigenschaften usw. als solche weder physische noch psychische Gegenstände sind· es kann heute kein Zweifel mehr darüber herrschen, daß' die psychologische Auffassung der logischen Gegenstände den Akt des Schließens z. B. mit dem Schluß, die Relationsauffassung mit der Relation usw. verwechselt. Wie man etwa den Satz des Widerspruchs auch als formal-logischen Satz auffassen mag: ,a und non a sind an demselben Gegenstand in derselben Hinsicht unvereinbar«, oder :.von zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Urteilen kann nur eines wahr sein« oder wie sonst, in jedem Fall spricht die Logik keineswegs von- psychischen oder physischen - Tatbeständen, die in eine naturalistisch geformte Welt hineingehören, sondern von Gegenstandsbereichen, die in unmittelbarer Einstellung erfaßt werden müssen. Das Verhältnis zwischen reiner und psychologischer Logik ist nicht dadurch ausgeschöpft, daß man nachweist, daß die beiden Disziplinen im Gegensatz zueinander stehen. Nur die negative Seite des Problems Logik-Psychologie ist damit begriffen. Es gilt umgekehrt, sich ebenso über die Verbindun g beider Gebiete klar zu werden; denn die Verwechslung von psychologischer Untersuchung logischer Tatsachen und reiner Logik hat einen sachlichen Hintergrund. Es genügen für unsere Zwecke einige Andeutungen: Nicht nur von bestimmten philosophischen Fragestellungen aus (Konstitution des Logischen im Bewußtsein) wird man auf psychologische Probleme gestoßen, sondern auch von der Logik als Einzelwissenschaft her ergibt sich ein solcher Zusammenhang, und zwar in doppelter Weise: Einmal: Das Logische ist nicht bloß ein Gebiet ideeller Gegenstände· das Urteil nicht bloß ein gegenstandsbezogener, bewuß~seinsunabhängiger Tatbestand; die Schlüsse nicht bloß abstrakte Zusammenhänge von Urteilen, sondern all das hat seine Bedeutung im aktuellen Leben des DenI I I

kens. Die Begriffe, das Urteil, der Schlußmögen an sich ideelle Gebilde sein; das Interesse, das wir an ihnen nehmen, stammt aus der lebendigen Wirklichkeit unseres Denkens. Im Begriff, im Urteil bemächtigt sich das Ich der Wirklichkeit, im Schluß erweitert es seine Erkenntnis des Seienden. Begriff, Urteil, Schluß funktionieren in der lebendigen Tätigkeit des Individuums; sie kristallisieren sich im Kampfe des Individuums um die Wirklichkeit heraus; sie sind in die psychische Wirklichkeit des Denkens verflochten. Von der Aktualität des Lebens aus betrachtet, ist das Logische in seiner idealen Form ein NiederschIa g dieses Lebens. Das Logische hat jedoch zugleich noch eine zweite Beziehung zum Psychischen, die wissenschaftstheoretisch fast immer in den Vordergrund gerückt wird: Die Gesetze der Logik bedeutenNormen für das Denken, und das Denken verfährt in einer - in der Psychologie noch nicht restlos aufgeklärten Weise - ihnen gemäß, wenn es richtig denkt. Dennoch sind die logischen Gesetze, auch wenn man sie in ihrer Beziehung zu den Tatsachen des Denkens betrachtet, nicht schlechtweg als psychische Gesetze aufzufassen. Niemand, der die Sterblichkeit des Sokrates als Tatsache behauptet, weil nun einmal alle Menschen sterblich sind, vollzieht im aktuellen Denken den Schluß nach der berühmten Schlußformel; und wer jemals versucht hat, irgend einen auch nur etwas komplizierteren Satz wie etwa: , Ich muß heute Besuch von der Bahn abholen, daher kann ich nicht pünktlich um 8 Uhr zum Essen zu Hause sein« in schulgerechte Schlüsse zu übersetzen, wird sofort sehen, daß eine solche Auseinanderlegung gar nicht einfach ist, und daß das wirkliche Denken weit entfernt ist, sich an die logischen Formeln zu halten. Die formalen Gesetze der Logik setzen sich also nicht einfach ins Psychologische um, wenn gemäß ihrer gedacht wird. Daher besteht auch nicht die Möglichkeit, umgekehrt 112

die logischen Gesetze aus dem psychischen Ablauf des Denkens herauszudestillieren. Es ist ein doppeltes Mißverständnis, das der psychologischen Logik unterläuft. Einmal: die logischen Gesetze sind als solche keine p s y c h i s c h e n Gesetze; andererseits sind sie auch nicht abgeleiteterweise psychische Gesetze, nicht Gesetze, nach denen das Denken verläuft, wenn es richtig denkt, wie die ganze psychologische Logik (Lipps, Heymans usw.) glaubt. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, einesteils dem tatsächlichen Ineinander des Logischen und Psychischen nachzugehen, und andererseits nachzuspüren, welche Seiten dieses Ineinander es waren, die die Logik für den Psychologismus zu einer psychologischen Disziplin werden ließen (auch durch Husserls Logische Untersuchungen ist erst ein Anfang in der Aufklärung dieser Beziehungen gemacht). Hier jedoch interessiert weniger das Ineinander von Psychischem und Logischem als das Ineinander der beiden Eins teil u n gen in n er h a I b der psychologischen Logik. Es liegt nahe zu glauben: die formale Logik ist Logik aus unmittelbarer Einstellung, die psychologische Logik ist Wissenschaft aus naturalistischer Einstellung. Allein so einfach liegen die Verhältnisse nicht. Für die formale Logik, so sahen wir, trifft es zwar zu, daß sie in unmittelbarer Einstellung betrieben werden muß; die psychologische Logik hingegen ist ein viel zu kompliziertes Gebilde, als daß man sie einfach auf diese Weise erklären könnte. So viel ist jedoch an dieser schlichten Gegenüberstellung richtig: daß der Irrweg der psychologischen Logik im I 9. Jahrhundert sich ausbilden und populär werden konnte, so daß er von der Mehrzahl der Logiker als etwas Selbstverständliches hingenommen wurde, rührt in der Tat zum großenTeil daher, daß die zweite Hälfte des I 9· Jahrhunderts die Zeit der natl}ralistischen Einstellung war. Sie prävalierte so sehr, daß sich ihre Gedankengänge und Einteilungen unbewußt noch mehr als bewußt eindrängten: So kannte man als Wis113

sensehaften nur Realwissenschaften, und zwar nur Realwissenschaften physischer oder psychischer Struktur. Die Logik ist sicherlich keine physische Realwissenschaft, also ist sie eine psychische Wissenschaft, eine Wissenschaft von den Gesetzen des Denkens -das war die naheliegende Folgerung. Die meisten Schwierigkeiten und Verwechslungen der psychologischen Logik sind durch die naturalistische Einstellung a priori an sie herangetragen, nicht so sehr aus dem Nachdenken über den Gegenstand der Logik selbst erwachsen. So darf es z. B. - darauf wurde bereits hingewiesen von dieser Einstellung aus, Begriffe, Schlüsse, Urteile usw. als vom Subjekt unabhängige geistige Gebilde überhaupt ni eh t geben; nicht weil man Schluß und Schließen, Urteilen und Urteil zusammenwarf, kam man zum Psychologismus, sondern umgekehrt, weil die naturalistische Einstellung eine Logik verlangte, die sich in der Analyse psychischer Geschehnisse erschöpfte, mußte man Schluß und Schließen, Urteilen und Urteil durcheinanderwerfen, mußte man die Allgemeingültigkeit der logischen Gesetze in die komparative Allgemeinheit psychischer Gesetze umdeuten. Der Neukantianismus, der die Verfehltheit des Psychologismus einsah, war nicht imstande, die psychologistische Logik zu widerlegen, da er sich sofort in die philosophische Untersuchung des >Ursprungs c des Logischen hineinwarf und die formale Logik als solche nicht absonderte. Ganz abgesehen davon, daß ihn sein idealistisches Glaubensbekenntnis in den Einzelausführungen oft bedenklich nahe an den Psychologismus heranftihrte. Auf jeden Fall mußte die philosophisch-idealistische Grundlegung der Logik ihm den Weg zur klaren Herausarbeitung des apsychologischen Charakters der Logik als Einzelwissenschaft versperren. Dieser apsychologische Charakter konnte nur begründet werden, wenn man sich strikt aller philosophischen Ursprungsüberlegungen enthielt. Erst als Husserl im Anschluß an Bolzano und Frege im 1. Band seiner Logischen Untersuchungen sich die formale I I

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Logik als Einzelwissenschaft vornahm, und die Logik aus der naturalistischen Einstellung in die unmittelbare zurückdrehte, sprang der Gegensatz zwischen Akten des Schließens und Schluß, zwischen psychologischen und logischen Gesetzen klar heraus; die durch den Naturalismus (und doch zum Teil auch durch den Kantianismus) verlorengegangene Tradition der klassischen Logik konnte wiederhergestellt, den logischen Gegenständen ihr Recht als idealen Gegenständen wieder verschafft werden. So ist von dieser Seite her gesehen die psychologische Logik das typische Beispiel einer Wissenschaftsverlagerung: Die logischen idealen Gegenstände werden von einer ihnen inadäquaten Einstellung her gefaßt, in deren Sinn als psychologische Gegenstände umgebaut, und demgemäß wird mit der Logik im echten Sinn der formalen Logik die an sich berechtigte psychologische Disziplin, die die Akte des Schließens, Begriffebildens usw. untersucht, verwechselt, eine Disziplin, die den Namen der Logik nicht verdient. Diese Wissenschaftsverlagerung hat während mehrerer Jahrzehnte die Logik in Unordnung gebracht, ihre Probleme verschoben, ihre Methodik verunstaltet. Die naturalistische Grundtendenz war - das wurde bereits betont- das wesentlichste Motiv, das die Behandlung der Logik ins psychologistische Fahrwasser trieb. Daneben haben freilich Einzelargumente herhalten müssen, um den psychologischen Charakter der Logik darzutun, um der psychologischen Logik das gute Gewissen zu verschaffen, dessen sie bei ihrer Ablehnung der formalen Logik bedurfte. Allein nachdem erst einmal der psychologische Charakter der Logik feststand, wurde in sehrvielen Fällen die naturalistische Grundtendenz, die zum Psychologismus geführt hatte, vergessen, und nun die Logik als psychologische Disziplin von dem Standpunkt aus bearbeitet, der für das gerade vorliegende Problem der al1gemessenste erschien. Das war aber in den meisten Fällen nicht die naturalistische Einstellung, sondern die sub115

jektivistische Haltung der unmittelbaren Einstellung. Prinzipiell ist z. B. die natürlichste Interpretation der »Induktion« diejenige, die von der subjektivistischen Haltung der unmittelbaren Einstellung ausgeht: Aus der unmittelbaren Erfassung einer Reihe sich wiederholender objektiver Zusammenhänge heraus verallgemeinert das Subjekt ein allgemeines Gesetz: Es hat beobachtet, daß an bestimmten Tagen des Mai Kälterückschläge sich einzustellen pflegen, es verallgemeinert daher, daß die drei Eisheiligen in jedem Jahr Kälte bringen werden. Von naturalistischer Einstellung ist hier keine Rede mehr. Hierdurch kam es, daß auch dort, wo im Prinzip von der Logik die naturalistische Einstellung eingenommen wurde, man die Induktion doch immer aus unmittelbarer Einstellung interpretiere. Dasselbe gilt auch für die übrigen Erkenntnismethoden: Die logische Methode der Deduktion findet ja ihren naheliegendsten Anwendungsbereich bei den mathematischen Gegenständen, die sich schwer anders denn als ideale Gebilde aus unmittelbarer Einstellung deuten lassen. So hat man sehr selten in der psychologischen Logik die naturalistische Einstellung völlig rein durchgdührt; es sind eigentlich nur unbedeutendere Autoren, die die volle Konsequenz der naturalistischen Einstellung auf sich nahmen. Weit öfters wird nur derHintergrundder Logik naturalistisch gesehen; man baut auf eine allgemein naturalistische · Strukturantik die allgemeinen Ausführungen, benutzt jedoch bei den einzelnen !Problemen diejenige Einstellung, die für das betreffende Problem am geeignetsten ist. So lauten z. B. die Eingangsworte der Logik von Lotze rein naturalistisch: ~Auf Anregungen der Sinne entstehen uns fast in jedem Augenblick unseres wachen Lebens verschiedene Vorstellungen zugleich oder in unmittelbarer Abfolge. Von ihnen haben manche ein Recht, in unserm Bewußtsein so zusammenzutreffen, weil auch die Wirklichkeit, 116

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aus der sie stammen, ihre veranlassenden Ursachen immer zugleich erzeugt oder aufeinanderfolgen läßt. c Verfolgt man jedoch die Ausführungen seiner Logik ins einzelne, so wird man viele Auseinandersetzungen antreffen (in der Lehre von den Schlüssen, von den Erkenntnismethoden usw.), die sich nur schwer mit einer naturalistischen Strukturantik vereinen lassen. Ähnliches gilt überall: Es gibt einesteils Probleme, die indifferent dagegen sind, von welcher Einstellung aus man sie behandelt - sie wird die naturalistisch orientierte Logik mit Vorliebe naturalistisch deuten. Vom » Wahrheitsbegriffe wurde bereits in früheren Auseinandersetzungen gezeigt, daß er sowohl eine Interpretation aus unmittelbarer, wie auch aus naturalistischer Einstellung zuläßt, und so finden sich denn auch in den Kapiteln, die mit dem Wahrheitsbegriff zusammenhängen, die verschiedenartigsten Ausführungen innerhalb der psychologischen Logik - von der extremsten naturalistischen Wahrheitsinterpretation der Abbildtheorie bis zur subjektivistisch orientierten der Deckungstheorie -je nachdem, welche Probleme in den Vordergrund treten. Die Unstimmigkeiten, die sich in der Behandlung der Logik durch den Wechsel der Einstellung ergeben, würden den psychologistischen Logikern wohl deutlicher zum Bewußtsein gekommen sein, wenn ihnen nicht ein nach allen Einstellungen hin schillernder Begriff zu Hilfe gekommen wäre und ihnen diese Unstimmigkeit verdeckt hätte. Es ist der Begriff der »Vorstellung~. Von der großen Zahl seiner Bedeutungen kommen für dies Ineinanderschieben der Einstellungen vor allem drei in Betracht: 1. Für die naturalistische Einstellung ist alles Wahrgenommene Wahrnehmung eines vorstellungsmäßig >in mir« Vorhandenen. Die Sinne erzeugen die > Vorstellunge des Hauses (vgl. die zit. Stelle aus Lotze); vom realen Haus wissen wir unmittelbar nichts. 117

Von der unmittelbaren Einstellung aus läßt sich der Gegenstand als Vorstellung bezeichnen, wenn man die Gegebenheitseinstellung einnimmt und sie idealistisch interpretiert: ~Ich sehe ein Haus. « Das besagt: Es ist mir ein Haus im Sehen gegeben. Deutet man das Gegebensein idealistisch, so wird man dieses Gegebensein ausdrücken: »Ich habe eine Hausvorstellung. « Spricht man jedoch diesen Satz für sich allein aus, ohne daß andere Aussagen präzisieren, welche Einstellung man einmmmt, so läßt sich ihm nicht ansehen, ob er naturalistisch gemeint ist (es ist von den Sinnen in mir eine· Hausvorstellung erzeugt worden) oder idealistisch im Sinne der Gegebenheit (in meinem Bewußtsein ist eine Hausvorstellung). Es eignet sich also eine solche Art der Ausdrucksweise besonders gut dazu, die Gegensätze der Einstellungen zu verschleiern. 3· Endlich schillert die »Vorstellung« eines Hauses in der psychologischen Logik in einer Weise, die in der Literatur bei anderen Gelegenheiten (z. B. von Th. Lipps, Husserl) schon öfters hervorgehoben ist: >Vorstellung« ist einmal p s y c h i s c h gefaßt: die Vorstellung des Hauses ist eine Hausvorstellung (so hatten wir in den beiden vorangegangenen Fällen interpretieren müssen); oder man versteht unter der Vorstellung des Hauses das vot:"gestellte Haus, den Gegenstand selbst - so wie man in einer Ausstellung der Ausgrabungen die ausgegrabenen Gegenstände ausstellt. Dadurch, daß man Vorstellung in diesem gegenständlichen Sinne nimmt, ist der Vorstellungsbegriff auch für die subjektivistische Haltung verwendbar. (Es sei daran erinnert, daß subjektivistische Haltung bedeutet, daß die Haltung vom Subjekt ausgeht, nicht aber subjektivistisch in dem Sinne ist, daß ihr die Gegenstände zu subjektiven Inhalten werden. Im Gegenteil: In der subjektivistischen Haltung der unmittelbaren Einstellung weiß man die Objekte als real sich gegenüber.) Am leichtesten läßt sich ein solcher schillernder Vor2.

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stellungsbegriff verwenden, wenn man die Gegebenheitshaltung einnimmt und die Welt als einen Inbegriff mir gegebener Vorstellungen auffaßt; denn die idealistische Deutung der Gegebenheitshaltung ist einerseits eine Unterform der unmittelbaren Einstellung; andererseits faßt sie die Gegenstände als >Vorstellungen für ein Ich«, ähnlich wie es in der Konsequenz der naturalistischen Einstellung liegt. So hat denn die psychologische Logik die idealistische Gegebenheitshaltung bevorzugt, wo es nur irgend ging: Das Urteil: der Schnee ist weiß, wird von hier aus zu einerSynthese von Vorstellungen gestempelt, obwohl weder der Schnee, noch das Weißsein eine Vorstellung ist. In diesen Teilen ist die psychologische Logik nicht mehr eine Wissenschaftsverlagerung, sondern gehört zum h ybriden Wissenschaftstyp; statt der subjektivistischen Haltung wird auf unangemessene Tatbestände die idealistische Gegebenheitseinstellung angewandt. (Erst bei der Untersuchung der Erkenntnismethoden, die das Gegenüber von Subjekt- und realer Objektwelt verlangen wie Induktion und Deduktion, tritt dann mit Vorliebe die subjektivistische Haltung wieder in ihr Recht, indem man den Vorstellungsbegriff im dritten Sinn [Vorstellung als vorgestellter Gegenstand) verwendet.) So gesellt sich denn als Drittes zur naturalistischeh und subjektivistischen die idealistische Gegebenheitsauffassung logischer Probleme. In den meisten Fällen (siehe das Beispiel von der Induktion) wäre die Deutung aus der subjektivistischen Haltung die naheliegende, bei der die Gegenstände als Gegenstände erscheinen und nicht als Vorstellungen. Nachdem aber erst einmal das naturalistische Vorurteil sich eingenistet hat und die Gegenstände als Vorstellungen be zeichnet werden, tritt die analytische Gegebenheitspsychologie in den Vordergrund. Von den führenden psychologischen Logikern findet man sie vor allem bei Sigwart bevorzugt: Die Logik wird ihm I i

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dadurch im wesentlichen zu einer analytischen Gegebenheitspsychologie, während Mill z. B. stärker die rein subjektivistische Haltung mit ihrer Anerkennung von Gegenständen einnimmt.

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Diese Beispiele des Gegensatzes und des Ineinandergreifens der Einstellungen, der Verwendung adäquater und inadäquater Strukturantik mögen genügen: Die Probleme, die Wissenschaftsverlagerungen und Irrtümer wiederholen sich je nach der .(\rt der Wissenschaften. Es bedürfte eines näheren Eingehens auf die Strukturen der Wissenschaften selbst, um diese Verhältnisse klarzustellen. So liegen die Probleme etwa bei der Ästhetik ähnlich wie bei der Logik, nur daß hier historisch die falsche__ naturalistische Einstellung innerhalb der psychologischen Asthetik weit größeren Einfluß gewonnen hat 1 . Komplizierter ist der Tatbestand der Ethik nach der Seite der Einstellung hin zu kennzeichnen. Schon die Unmöglichkeit, ein einheitliches Gebiet aufzufinden, das alle Ethiker als das eigentlich Ethische anerkennen (Glückslehre, Lehre vom sittlichen Handeln, der ethischen Gesinnung usw.), verwirrt und verschränkt die Problematik. Wie in den philosophischen Einzeldisziplinen wiederholen sich die Verkennungen der Einstellungen bei allen Geistes-

wissenschaften. Sie alle haben zur Grundlage Gegenstände, die nur von unmittelbarer Einstellung her gewonnen werden können (Recht, Staat, Wirtschaft, Religion usw.); sie alle enthalten Grenzprobleme, die mit der naturalistischen Einstellung zusammenhängen; sie alle um greifen Problemgruppen, die von subjektivistischer, und solche, die von objektivistischer Haltung her zu bearbeiten sind. Und bei ihnen allen hat sich immer wieder die Tendenz zu Wissenschaftsverlagerungen gezeigt, zur psychologistischen Auflösung der realen geistigen oder idealen Gegenstände, mit denen es die Wissenschaft zu tun hat - aus inadäquater Einstellung heraus. Bei ihnen allen werden immer wieder die legitimen psychologischen Probleme, die innerhalb dieser Wissenschaften tatsächlich bestehen, als die Probleme der betreffenden Wissenschaft überhaupt angesetzt.

1 Diese Wissenschaftsverlagerung der Ästhetik nach der naturalistischen Einstellung hin - um so erstaunlicher, da das Kunstwerk in noch höherem Maße nur aus subjektivistischer Haltung zu verstehen ist als die Gegenstände der Logik- erklärt sich wohl aus dem Einfluß G. Th. Fechners, des Begrün. ders der psychologischen Ästhetik im 19.}ahrhundert. So kommt es, Freiheit« seiner Entscheidung braucht nicht , Willküre zu bedeuten. Die Motive, die vom Objekt her auf es einwirken, bestimmen es mehr oder weniger: Die T ode&,androhung mehr als der Wunsch eines Fet:nstehenden, die Angst vor dem Gesetz stärker als bloße Ermahnung. . Ein Grenzfall ist die vollständige eindeutige Bestimmung der Willensentscheidung durch die objektiven Faktoren. In der Tat wird diese Anschauung durch manche Anhänger der , Milieutheorie« vertreten (die sich zwar natura-

listisch gebärdet, aber im allgemeinen die objektivistische HaltungderunmittelbarenEinstellungeinnimmt): Dieäußeren Faktoren, zu denen auch die vererbte Anlage des Subjekts gehört, bestimmen eindeutig die Willensentscheidung. Im Effekt gelangt dieser Grenzfall zu demselben Ergebnis wie die naturalistische Einstellung: Es existiert keine Willensfreiheit. Allein die strukturontischenVerhältnisse liegen anders als bei der naturalistischen Einstellung. Hier ist bei der durchgängigen Naturkausalität die Wahlfreiheit ein sinnloser Begriff; bei der unmittelbaren Einstellung hingegen besteht die theoretische Möglichkeit der Wahlfreiheit; allein sie ist ftir die unmittelbare Einstellung, wenn sie deterministisch denkt, durch ein Gesetz der durchgängigen Bestimmtheit alles Seins und Geschehens aufgehoben. Der Unmöglichkeit der Wahlfreiheit bei der naturalistischen Einstellung steht hier die Aufhebung der Wahlfreiheit gegenüber. Nur hier bei der unmittelbaren Einstellung - ist der Ausdruck >Determinismus c am Platz; aus ihr allein ergibt sich eine Lehre von dem eindeutigen Bestimmtwerden des Wollens. So findet sich z. B. in der Stoa eine Mischung von Kausalismus und Determinismus. In den Teilen ihres Systems, in denen die naturalistische Grundeinstellung im Vordergrund steht, wird das Subjekt, als ein Teil der materiellen Welt wie jeder andere, auch als ebenso notwendig kausiert angesehen wie jedes andere Objekt. Allein zu dieser materialistischen Anschauung will ihre ethische Grundhaltung wenig passen. Die ethische Grundfrage: Wie soll das Subjekt sich zu der Welt verhalten? weist auf die unmittelbare Einstellung. Und von der ethischen Seite her wird demgemäß von der Stoa die Unfreiheit desWillens als Zwang,nichtalsNotwendigkeit gefaßt: Wenn für sie die Götter nolentem ducunt, volentum trahunt, so verrät sich hierbis in die Fassung hinein die umriittelbare Einstellung. Von , Führen c und >Zwingen c kann nur bei unmittelbarer Einstellung die Rede sein. Der Indeterminismus Epikurs nimmt die gleiche Pro139

blemhaltung ein, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Die Stoa fUhlte sich verantwortlich und doch zugleich abhängig vom Weltgrund, bestimmt - eindeutig bestimmt durch den Weltgrund. Epikur fllhlt sich nicht verantwortlich; nicht in dem Sinne, daß er auf die Naturkausalität alle , Verantwortung« abschiebt, sondern weil er sich ,freie -frei im Sinne ·der Willkür - fühlt. Er fühlt sich nicht gezwungen durch die Objektwelt, und deshalb ist sein Indeterminismus das genaue Gegenstück des Determinismus der Stoa. Das Subjekt will sich seine Willkür nicht rauben lassen, die Freiheit der Laune haßt deterministische Eingeschränktheit. Daß letztlich, ganz konsequent gedacht, die beiden Einstellungen zu entgegengesetzten Lösungen des Problems der Willensfreiheit fUhren - naturalistische Einstellung zum Kausalismus, unmittelbare Einstellung zum Indeterminismus (mit dem Grenzfall des Determinismus) - wird nirgends deutlicher als in Kants System. Seine Grundeinstellung in der Kritik der reinen Vernunft ist kompliziert und an dieser Stelle nicht zu erörtern; jedenfalls aber ist sein Kausalitätsbegriff an der Newtonsehen Physik orientiert und führt ihn demgemäß zu einer durchgängigen Naturkausalität ;. der Wille als Natur unterliegt dem Gesetz der kausalen Bestimmtheit wie jedes andere Naturgeschehen. In der zweiten Kritik hingegen ist die Willensfreiheit ein Postulat der praktischen Vernunft, weil ohne sie keine echte ethische Verantwortlichkeit bestehen könnte; in der Kritik der praktischen Vernunft führt die ethisch-unmittelbare Einstellung daher geraden Wegs zum Indeterminismus. Wie läßt sich beides vereinen? Nur, wenn man an der Gegensätzlichkeit der Einstellungen selbst ansetzte, sie metaphysisch auflöste, ließe sich zu einer wirklichen Entscheidung kommen. So radikal geht Kant nicht vor: Der Knoten wird von Kant nicht gelöst, sondern durchhauen. Die Kausalität bleibt in Geltung für das Reich der Erscheinungen, die Freiheit verweist er in das Reich der Dinge an sich selbst.

Gerade dadurch, daß Kant der Gegensätzlichkeit der Probleme, die auf Entscheidung drängen, unvoreingenommen ins Auge sieht, wird die Kluft zwischen den Gegensätzen in Wahrheit unüberbrückbar, solange man die entgegengesetzten Einstellungen - jede fllr die Gruppe von Problemen, für die sie zuständig ist - indiskutiert beibehält. 4· Das Problem der Unsterblichkeit.

Tiefer noch als das Universalienproblem und das Problem der Willensfreiheit fUhrt die Frage der Unsterblichkeit in metaphysisches Gebiet. Auch bei ihr ist die Lösungsrichtung durch die jeweilige Einstellung vorgezeichnet. Die naturalistische Einstellung besitzt kein Organ fUr das Unsterblichkeitsproblem; kein naturalistisches Gedankenmotiv führt zur Annahme einer persönlichen Unsterblichkeit. Das Psychische - jene Realität zweiten Grades für die naturalistische Einstellung, jene in dem Zusammenhang des Physischen bloßnachträglicheingeschobene Realität-müßte bei der Annahme der Unsterblichkeit über die naturalistischprimäre, die physische Realität hinausgehoben werden. Damit wäre die ursprüngliche Rangordnung innerhalb der naturalistischen Strukturantik umgekehrt. Deshalb liegt von Hause aus dem Naturalismus eine , Unsterblichkeit des Stoffes« nahe, nicht aber eine Unsterblichkeit der Seele. Mit dem Materialismus ist die Unsterblichkeit der Seele überhaupt unvereinbar; der Parallelismus führt, ins Kosmische erweitert, zu einer Allbeseelung, nicht aber zu einer persönlichen Unsterblichkeit. Nur die Wechselwirkungslehre läßt die Möglichkeit der Unsterblichkeit wenigstens offen; wenn auch die Annahme der Unsterblichkeit der naturalistischen Wechselwirkungslehre recht wenig angemessen ist: Die enge Beziehung, in die das Psychische zum Physischen durch alle Ausprägungen der naturalistischen Strukturantik gesetzt wird, macht die Annahme einer Ablösung des See-

lischen vom Körper auch für die Wechselwirkungslehre äußerst prekär. So würde die naturalistische Einstellung niemals von sich aus zur Unsterblichkeit der Seele gelangen; es bedarf eines Einbruchs von Motiven fremden Ursprungs (von religiösen Motiven vor allem), damit die naturalistische Einstellung sich zur Umbiegung ihres eigenen Standpunktes entschließt; und zwar ist diese Umbiegung- wie gezeigt- innerhalb der naturalistischen Strukturantik nur mit der Wechselwirkungslehre vereinbar. Nur dann kann der Naturalismus sich ohne allzu große Verrenkungen zur Unsterblichkeit bekennen, wenn auch im Tode Leib und Seele nicht getrennt werden; wenn - wie in vielen Religionen angenommen wird - der Mensch a 1s Ganzes , als Einheit von Leib und Seele, in einer jenseitigen Welt weiterlebt. Umgekehrt drängen starke Gedankenmotive innerhalb der unmittelbaren Einstellung zur Annahme der Unsterblichkeit. Das Subjekt erlebt sich als existent; der Gedanke seiner Nichtexistenz ist ihm unfaßbar. Es kann rückwärtsschauend nicht begreifen, daß die Welt bestanden haben solle, ehe es selbst existierte -. noch weniger kann es vorwärtsblickend sich damit abfinden, daß die Welt weiter existieren solle ohne seine eigene Gegenwart: es kann sein eigenes Nichtexistieren nicht ernstlich denken. Nach derselben Richtung greifen ethische Motive, die aus der unmittelbaren Einstellung stammen; das Subjekt hat durch seine Taten in dieser Welt Strafe oder Lohn verdient (auch der Begriff des , Verdienstes« ist nur von der subjektivistischen Haltung aus verständlich). Die 'Sittliche Weltordnung« verlangt, daß das Subjekt diese Strafe oder diesen Lohn erhält, wenn nicht im Diesseits, so doch im Jenseits. Die Unsterblichkeit ist ein Postulat der praktischen Vernunft. Kant hat mit dieser Behauptung eine Wahrheit ausgesprochen- wenn auch vielleicht keine Wahrheit über die Realität der Unsterblichheit, - so doch eine Wahrheit

über ein psychologisches Motiv, das zur Setzung der Unsterblichkeit in den Anschauungen der Menschen in der Religion und der Ethik führt. Allein, wenn die Unsterblichkeit auch nur aus der unmittelbaren Haltung Sinn und Möglichkeit gewinnt, so ist sie doch kein notwendiges Ergebnis der unmittelbaren Einstellung: Die Strukturwelt der unmittelbaren Einstellung kennt Objekte und Subjekte; die Objekte können ohne Subjekte weiterexistieren. Es ist rein objektivistisch betrachtet kein Grund zur Annahme der Unsterblichkeit vorhanden, freilich auch kein Grund, die Unsterblichkeit zu leugnen. So ist auch beim Unsterblichkeitsproblem und seineo. Lösungen der Gegensatz der Einstellungen ausschlaggebend. Von der naturalististischen Einstellung her führt kein Motiv zur Unsterblichkeit; noch mehr: sie ist mit der naturalistischen Einstellung kaum vereinbar. Umgekehrt drängen von der subjektivistischen Haltung aus starke Motiv~ zur Setzung der Unsterblichkeit: Die Unbegreifiichkeit, die für das Subjekt in der Annahme seines Zerstörtwerdens liegt: dasPostutat der. Bestrafung und Belohnung nach Verdienst. Die objektivistische Haltung hingegen kennt weder Motive, die die Unsterblichkeit fordern, noch solche, die sie verneinen. So zeigen alle 4:1ngeführten Beispiele, wie die metaphysischen Einzelprobleme in Fragestellung und -Iösung mit den Strukturontiken der Einstellungen zusammenhängen. Die Beispiele· ließen sich häufen; es gibt kein metaphysisches Einz~lproblem, das indifferent den Einstellungen gegenüber ist. Doch ist bei den. meisten dieser Probleme der Zusammen• bang nicht so einfach erkennbar wie etwa bei dem Problem der Willensfreiheit oder der Unsterblichkeit. Gesichtspunkte anderer Art drängen sich vor, und es bedürfte ausführlicher Analysen, um die Wirkung der Einstellungen bloßzulegen. Deshalb mögen die angeführten Beispiele genügen. 143

6.KAPITEL

METAPHYSIK UND EINSTELLUNG

1.

Die philosophischen Systeme.

Nicht nur die vorwissenschaftliehen Anschauungen, nicht nur die Einzelwissenschaften und nicht nur die philosophischen Einzelprobleme erhalten die Grundierung ihrer Realitätsbasis durch den Gegensatz der beiden Einstellungen, sondern was entscheidender ist, die philosophischen Gesamtsysteme werden in ihren fundamentalen Lösungsrichtungen von den Einstellungen her vorgeforrnt. Mit anderen Worten: die immanente Strukturontik, wie sie durch die Einstellung gegeben wird, wird determinierend für die transzendente Strukturantik - und hebt damit deren Charakter als einer in sich ruhenden, autonomen, von allen Vorgriffen befreiten metaphysischen Grundlage auf. Es ist schließlich im Prinzip nichts anderes, als was der Szientifismus tut, nur auf breiterer Basis. Der Szientifismus verallgemeinert die Ergebnisse, die auf Grund einer bestimm· ten vorausgesetzten Strukturantik gewonnen sind, zu einer transzendenten Metaphysik; bei ihm wird nicht nur die immanente Strukturantik selbst in ihrer Grundform ins Transzendente gesteigert, sondern zugleich werden auch die auf dem Hintergrund der immanenten Strukturantik eingezeichnetenErgebnissezur transzendenten lnhal ts bestimmung des letzten Seienden. Der Szientifismus ist nach einer Richtung hin unvorsichtiger als solche Verabsolutierungen immanenter Strukturantiken; denn er nimmt neben der Strukturantik selbst auch noch die wissenschaftlichen Ergebnisse mit hinüber ins Transzendente. Möglicherweise ist jedoch gerade diese unvorsich144

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tige Hinübernahme der Wahrheit näher kommend. Denn wenn etwa bei einem einwandfreien Vorstoß ins Transzendente eines der beiden Momente fallen müßte, so ist es wahrscheinlicher, daß die Strukturantik dasjenige Moment ist, auf das Verzicht zu leisten ist. In den wissenschaftlichen Ergebnissen als solchen, so dürfen wir annehmen, liegt doch wohl ein Hinweis auf die letzte Realität, während möglicherweise die strukturontische Einkleidung nichts als eine Vordergrundsformung bedeutet. Solche Überlegungen überschreiten jedoch bereits den Rahmen der hier gesteckten Aufgabe. Sie sollten nur einen Fingerzeig daftir geben, daß eine Metaphysik, die von den üblichen Einstellungen ausgeht, damit noch nicht prinzipiell weiterführend sein muß, als der primitive Szientifismus. Durch die ganze Geschichte der Metaphysik läßt sich diese vorgreifende Bedeutung der Einstellungen verfolgen: wo die naturalistische Einstellung eingenommen wird, wird die Willensfreiheit verneint, da liegt die Leugnung der Unsterblichkeit nahe, da bekennt man sich zum Nominalismus, da herrscht eine starke Tendenz zum Materialismus oder doch wenigstens zum Parallelismus, seltener zur W echselwirkungstheorie. Alle naturalistische Philosophie ist realistisch. Fast eintönig wiederholt die Philosophie derjenigen, die von der naturalistischen Einstellung ausge~.en, dieselben Argumente, dieselben Grundanschauungen. Uber die Jahrhunderte weg zieht sich eine gerneinsame Linie von Demokrit und Lukrez über La Mettrie und Holbach zu den naturalistisch gerichteten Materialisten und Monisten der jüngst vergangenen Zeit. Die Variationen sind gering, nur daß die jeweilig herrschenden naturwissenschaftlichen Einzelanschauungen die immer gleiche Grundfläche der naturalistischen immanenten Strukturantik anders ornamentieren. Differenzierter und verästeher sind die Systeme, in denen sich die unmittelbare Einstellung niedergeschlagen hat. Nicht als ob die unmittelbare Einstellung nicht ebenfalls die 145

letzte Realität mit ihren immanent-strukturontischen Voraussetzungen durchsetzte, allein, wie an den Beispielen der philosophischen Einzelprobleme gezeigt wurde, gibt die unmittelbare Einstellung innerhalb der Grenzen ihrer immanenten Strukturontik mehr Raum für verschiedenartige Lösungen; sie ist biegsamer gegenüber den Forderungen der Einzelprobleme. Die Unterarten der unmittelbaren Einstellung- die objektivistische, die subjektivistisshe und die Gegebenheitshaltung - verstärken. noch durch ihre Umformung und wechselnde Pointierung der Strukturontik in ihrer Wirkung auf die Gestaltung der Metaphysik die Buntheit des Bildes, so daß doch letztlich die unmittelbare Einstellung den Inhalt der Metaphysik weniger im voraus festlegt als die naturalistische Einstellung. Es wurde bereits früher daraufhingewiesen: objektivistische und subjektivistische Haltung fuhren zu einer realistischen Strukturontik. Die Existenz einer realen Welt ist bei beiden vorausgesetzt; werden sie metaphysisch verallgemeinert, so erweitert sich die immanente zu einer transzendenten Realität. Andererseits trägt die Gegebenheitshaltung durch ihr Betonen der Gegebenheit für ein Subjekt idealistischen, ja solipsistischen Charakter, wenn man sie zu einer Welthaltung erweitert: So entstehen innerhalb der Metaphysik der unmittelbaren Einstellung solch entgegengesetzte Systeme wie die von Plato, von Aristoteles und von Hume. Bei Pla to prävaliert die subjektivistische Haltung: Schon sein starkes Interesse ftir die Wissenschaftstheorie (Politeia), ftir die Frage, wie das Subjekt sich in der Wissenschaft zum Objekt hindurcharbeitet, ist ein Zeichen hierftir. Ebenso lassen sich die ethischen Dialoge der Frühzeit, Protagoras und Gorgias, ebenso wie die erkenntnistheoretischen der späteren Zeit, Theätet und Sophistes kaum anders als in subjektivistischer Haltung verstehen. Seine Seelenmetaphysik als solche 146

ist indifferent gegenüber den Haltungen; allein die Art der Konzeption dieser Metaphysik, das Ausgehen von der Erkenntnis apriorischer mathematischer Gesetzmäßigkeiten und ihre Begründung auf die Anamnesis im Meno, die Konzeption des großen Seins der schauenden Seele, des Erkenntniswegs dieser schauenden Seele, aufsteigend vom Einzelnen bis zum Allgemeinsten und Metaphysischen im Phaidros und Symposion, setzt die Sichtnahme vom Subjekt her voraus. Nur der Timaios mit seiner Weltschöpfungslehre hält den rein objektivistischen Standpunkt fest: Hier wird von dem Objekte ausgegangen, von der nach den Prinzipien der Vollkommenheit geschaffenen Welt. Wie wir schon bei der Geschichtswissenschaft gesehen haben, daß objektivistische und perspektivisch subjektivistische Haltung sich ohne Widerspruch verbinden können, so schlingen sich auch bei Plato diese beiden Haltungen ineinander; doch überwiegt bei ihm der Ausgang von der subjektivistischen-Haltung. Es konnte Plato gelingen, die subjektivistische Haltung relativ· rein durchzuführen, weil in seiner Lehre die naturwissenschaftlichen Probleme zurücktraten. Der naturwissenschaftlich interessierte Aristoteles hingegen mußte die objektivistische Haltung bevorzugen. Die Stufenfolgevon Form und Stoff, einheitlich auf die ganze Welt angewandt, von der niedersten Stufe, der Materie, bis zur höchsten, der Gottheit aufsteigend, ist objektivistisch gedacht. V9m Objekt her wird die Entwicklung gesehen, auch die Seele ist ein Stück der Objektwelt, von den gleichen Prinzipien durchwaltet wie alle anderen , Objekte c. Noch merkwürdiger ist es, daß der Gegensatz der Haltungen die so .eng verwandten Systeme Platos und des Neuplatonismus scheidet. Hier wird der Timaios des Plato wirksamer als alle seine anderen Dialoge insgesamt. Indem für den Neuplatonismus das Hervorgehen der Welt aus Gott zum vornehmsten Gegenstand der Metaphysik wird, erhalten 147

Begriffe, Kategorien, Systemelemente und Systemrelationen Platos einen neuen objektivistischen Sinn: Die Seele ist eine Stufe im Hervorgehen der Welt aus Gott; eine Sonderstellung besitzt sie nicht auf Grund dieser Stufenfolge, sondern höchstens auf Grund bestimmter, sie auszeichnender Qualitäten. Schon in dieser Grundkonzeption zeigt sich die objektivistische Haltung; denn für die subjektivistische Haltung ist die zentrale Stellung des Subjekts im Weltall unaufhebbar. Erst in der Ethik, bei dem Problem des Rückganges der Seele zu Gott gewinnt innerhalb der neuplatonischen Gedankenwelt die subjektivistische Haltung wieder das Übergewicht. Dieselbe Verbindung aus subjektivistischer und objektivistischer Haltung ist nun auch für das Mittelalter charakteristisch. Der in den ersten Jahrhunderten neuplatonische, späterhin aristotelische Hintergrund der eigentlichen Metaphysik verlangt die objektivistische Haltung: Zwischen Scotus Eriugena und Thomas von Aquino, zwischen Meister Eckhart und Duns Scotus ist kein prinzipieller Unterschied; für sie alle ist zunächst objektivistisch die Seele in die Objektwelt hineingestellt, nur eine Form, eine Stufe unter anderen. Metaphysisch ist die Betrachtungsweise des Mittelalters objektivistisch; allein der religiöse Ausgangspunkt ihres Denkens verlangt ebenso energisch die subjektivistische Haltung; das Wissen der Seele von ihrer Einzigkeit, das Bewußtsein von Sünde und Verantwortlichkeit, das Ringen um Erlösung ist prinzipiell subjektivistisch konzipiert (Augustin). Jener Konflikt der mittelalterlichen Philosophie, auf den man oft hingewiesen hat, der Gegensatz des doch letztlich pantheistischen Hintergrunds ihrer philosophischen Systematik mit ihrer religiösen Grundeinstellung ist zugleich ein Konflikt der objektivistischen Haltung, für die die Seele ein Objekt unter Objekten ist, mit der subjektivistischen Haltung, der das Subjekt das Zentrum der Welt bedeutet (wenn auch 148

nicht notwendigerweise ein Zentrum im Sinne des modernen Perspektivismus). Man wird dies Vorherrschen der objektivistischen Haltung im Hochmittelalter, das ein Abweichen von den Wegen Augustins bedeutete, verstehen, wenn man daran denkt, daß im Mittelpunkt des mittelalterlichen Denkens die religiöse Erkenntnis stand, die Beziehung des Subjekts auf einen dogmatisch festgelegten (nicht aus den Perspektiven eines Subjekts herausgearbeiteten) Realitätsinhalt; nicht aber subjektivistische Probleme der persönlichen Heilssuche usw. Zu der Auffassung der Erkenntnis, wie sie das Hochmittelalter brauchte, führte aber nur die objektivistische Haltung. Die Existenz von Objekten und Subjekten steht für die objektivistische Haltung von vornherein fest; das Vorhandensein der Erkenntnis wird nicht bezweifelt. Das ganze Erkenntnisproblem reduziert sich letztlich auf die Frage: Wie sieht der Weg aus, auf dem das Subjekt zu den Objekten hingelangt? Es liegt keine Spur von Skepsis in der objektivistischen Haltung; es ist alles von vornherein festgegründet: Objekt, Subjekt und Erkenntnis. Nur über das Wie der Erkenntnis kann man im Zweifel sein, nicht über ihr Daß. Wieweit trägt die Ratio? fragt man. Wieviel von der religiösen Tatsachenwelt, zu der die Offenbarung direkten Zugang verschafft, ist die Ratio ihrerseits imstande beizubringen? Der ontologische Gottes"> Beweis c ist nicht ernstlich ein Beweis für etwas, dem man sonst nicht beikommen könnte, wie es bei einem mathematischen Beweis der Fall wäre, sondern die Eröffnung einer neuen Zufahrtstraße zu einem Ort, der auch sonst längst bekannt ist. Hier liegt die große Wendung zu Beginn der Neuzeit: Die objektivistische Haltung wurde im wesentlichen aufgegeben; man entfernte sich von ihr einerseits zugunsten der naturalistischen, andererseits zugunsten der subjektivistischen Haltung, die nun schroff und unversöhnt nebeneinander stehen. 149

Auch für die naturalistische Haltung ist die Erkenntnis als solche kein Problem (obwohl, wie sich im letzten Kapitel zeigen wird, die Erkenntnis von Rechts wegen für sie ein sehr schwerwiegendes Problem sein müßte). Für sie ist von vomherein alles festgelegt: Die Existenz der physischen Objektwelt, die Existenz des Psychischen; nur der Zusammenhang zwischen beiden macht noch Schwierigkeiten. Die subjektivistische Haltung hingegen ist die eigentlich »erkenntnistheoretische' Haltung. Die Existenz der \V e 1t steht freilich auch hier außer Zweifel, aber sie fragt: Wie bemächtige ich mich der Welt? Gibt es überhaupt einen Zugang zu ihr? Man hat oft darauf hingewiesen, daß der antike Skeptizismus (der die subjektivistische Haltung einnimmt) eigentlich die Existenz einer Außenwelt nicht prinzipiell leugne, sondern nur ihre Erkennbarkeit für uns. Noch weniger ist der methodische Zweifel Descartes' skeptisch. Er ist , erkenntnismethodisch c gemeint. Wie kanil ich, das Subjekt, von der Perspektive meines Sehens aus zur Welt kommen? Das Problem ist das Problem der erkenntnism(i!thodischen Grundlegung für das Subjekt, nicht das bloße Problein des Zugangs zum Objekt, wie für das Mittelalter; Es ist das Problem: Wie gelange ich von meiner Perspektive aus dazu, die Welt in ihrer Objektivität zu erfassen? Vielleicht überhaupt nicht- so mag die Antwort lauten - , vielleicht nur teilweise in unendlicher Annäherung - so behauptet die Wissenschaft-, vielleicht nur in Formen, die das Subjekt liefert, so sagt Kant - vielleicht mit Hilfe der Ratio oder der intellektuellen Anschauung usw., so sagen Descartes, Spinoza, Leibniz, so sagen die Idealisten des 19. Jahrhunderts. Von diesem Standpunkte Descartes' aus hat auch der · ontologische Gottesbeweis eine völlig andere Bedeutung als. bei Anselmus; er will von der Perspektive des Subjekts aus an das Objekt, Gott (an dem er ernstlich nicht. zweifelt), herankommen. So ist auch in den Gedankengängen, die zum

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cogito ergo sum führen, Descartes' System der reinste Ausdruck des Denkens aus unmittelbarer subjektivistischer Einstellung. Das zeigt sich schon in diesem Ansatzpunkt des cogito ergo sum. Jede rein durchdachte subjektivistische Haltung muß sich zur Selbstgewißheit als dem Quellpunkt ihrer ganzen Systematik bekennen, als dem sichersten Ausgang alles ihres Denkens (wenn auch nicht alle Systeme aus subjektivistischer Haltung sich dieser ihrer Voraussetzung bewußt geworden sind). Und methodisch noch tiefer: Jene Verankerung des Weltverständnisses in der Ratio, jener methodische Idealismus Descartes', auf den der Neukantianismus so großen Wert gelegt hat, ist gerade das aus der subjektivistischen Haltung stammende Neue in der Philosophie Descattes'. Deshalb hat auch alle , Erkenntnistheorie c, d. h. alle Grundlegung der Objektivität von der Perspektive des Subjekts aus sich Descartes und ebenso den andem Denkern aus subjektivistischer Haltung Plato, Leibniz, Kant verwandt gefühlt (wie der Marburger Neukantianismus), während sie mit den Objektivisten Aristoteles, dem Mittelalter, Spinoza nichts anzufangen wußte. Es ist eigenartig, aber verständlich, daß in dem Augenblick, wo für die Philosophie das d o g m a tisch-religiöse Problem zurücktritt -. in der Philospphie der Neuzeit -·, die subjektivistische. Haltung in den Vordergrund rückt,· die doch den religiösen Problemen näherzustehen scheint als die Haltung des Objektivismus. Es ist verständlich, weil f'ür das Mittelalter es im Lauf der Zeit immer mehr darauf ankam, die Objektivität ihrer Metaphysik, ihrer dogmatischen Realität gesichert zu wissen, alsdie subjektiv-religiösen Probleme philosophisch zu fundieren. Mehr und mehr wurde die Erlösung nicht in erster Linie etwas, das seinen Schwerpunkt in einem um Erlösung ringendem Subjekt hatte, sondern sie wurde zu einer objektiven Tatsache- zu einer Beziehung zwischen Gott, Kirche und Mensch, die daher auch

objektiv zu begründen war. Auch der nur :.methodisch« gemeinte Zweifel bedeutete bereits ein auf das Subjektstellen der Erkenntnis und der Erkenntnismöglichkeit; die ganze subjektivistische Haltung der nun heraufkommenden Philosophie - nicht bloß die zufällige Wendung, die ihr Descartes gab - mußte von dem Objektivismus der Kirche abgelehnt werden. Allein Descartes' System hat neben dem subjektivistischen Ausgangspunkt noch eine andere Seite: Die Lehre von den zwei Substanzen ist ganz naturalistisch gesehen: Die Auffassung der Tiere als Automaten, die Scheinlösung des Zusammenhanges von Leib und Seele durch den influxus physicus im Gehirn (schon der Ausdruck influxus physicus - nicht etwa influxus psychicus - weist auf die Richtung vom Physischen zum Psychischen) ist Naturalismus reinster Prägung. So stoßen bei Descartes die beiden Tendenzen der neuen Zeit- naturalistische Einstellung und subjektivistische Haltung - fast unvermittelt aufeinander· und damit ist der Auftakt für die moderne Philoso' .. phie gegeben: Der Gegensatz lautet nun in erster Ltme nicht mehr subjektivistische oder objektivistische Haltung, die doch beide noch innerhalb der unmittelbaren Einstellung sich bewegen, sondern, wie bei Desccartes, subjektivistische Haltung oder naturalistische Einstellung. Bei dem philosophisch primitiveren Locke werden die Strukturantiken der verschiedenen Haltungen nicht mehr, wie bei Descartes, zu einem einheitlichen System zusammengeschweißt, bei dem nur an den Übergängen von einer Strukturantik zur anderen die Uneinheitlichkeit sichtbar wird, sondern die Strukturantiken werden innerhalb derseihen Problemen vermischt. Bei ihm sind jedoch die kontrastierenden Haltungen nicht mehr die naturalistische und die subjektivistische Haltung, sondern die naturalistische und die Gegebenheitshaltung, die hier erst in die Philosophie eingeführt wird. Der allgemeine strukturontische

Hintergrund seiner Anschauungen ist naturalistisch: Gegenstände, die durch die Sinne hindurch Vorstellungen in uns erzeugen. Seine methodische Einsatzposition hingegen ist die Gegebenheitshaltung: Um entscheiden zu können, wieweit unsere Erkenntnis trägt, zergliedert er die Gegebenheiten unseres Bewußtseins und faßt sie als Vorstellungen. Allein er bleibt nicht konsequent in dieser bewußtseinsanalytischen Position: Sein naturwissenschaftliches Wissen macht ihm - wie so vielen seitdem -- einen Strich durch die Rechnung: Die Ideen, ursprünglich als Inhalt unseres Bewußtseins das einzige, von dem wir wissen können, werden nun auf einmal als von den Sinnen bewirkte Nachwirkungen der äußeren Gegenstände angesehen. Nachdem erst einmal diese Vermischung der Haltungen sich eingenistet, bleibt sie typisch für Lockes weitere Behandlung der philosophischen Probleme. In seinen Nachfolgern trennen sich die Einstellungen wieder: Der naturalistische Zug seines Wesens wirkt nach Frankreich hinüber und gelangt im Sensualismus Co n d i 11 a c s (sein Beispiel von der Statue, auf die nach und nach die Sinneseindrücke Einfluß gewinnen, ist rein naturalistisch konzipiert), im Materialismus von La Mettrie und Holbach zu reinem Ausdruck. Von seinen englischen Nachfolgern Be r k e 1e y und H um e hingegen wird gerade diese Seite seines Wesens unterdrückt. Berkeley führt als Erster den Gegebenheitsstandpunkt strikte durch und gelangt, indem er die Gegebenheitshaltung idealistisch deutet, zu jenem rein subjektiven Idealismus, der überhaupt einzig und allein vom Gegebenheitsstandpunkt möglich ist. Denn selbst die skeptische Lösung der subjektivistischen Haltung kann immer nur zu einem non liquet kommen; sie kann immer nur behaupten: Wir wissen nicht, ob jenseits der perspektivisch gesehenen Reali· tät noch eine andere objektive existiert. Für den subjektiven Idealismus der philosophisch- verabsolutierten Gegeben153

heitshaltung hingegen steht es von vornherein fest: Alles Gegebene ist mein Bewußtseinsinhalt, und jenseits des Gegebenen kann nichts existieren. Der subjektive Idealismus der Gegebenheitshaltung ist, wenn er konsequent denkt, positiver Skeptizismus der transsubjektiven Welt gegenüber; er bezweifelt sie nicht bloß; er weiß, daß sie nicht existieren kann. Gegenüber dieser Gegebenheitshaltung von Berkeley und Hume bedeutet Kants Stellung, im Großen gesehen, eine Wiederaufnahme der subjektivistischen Haltung. Gerade deshalb gehört er zu Descartes (dem Descartes des cogito ergo sum) und zu Leibniz, nicht zu Locke und Hume. Trotz seiner Übernahme mancher naturalistischer Gedankengänge aus der Newtonsehen Physik- sein Kausalitätsbegriff wurde bereits erwähnt- ist seine Gesamtlösung nur aus einer konsequenten unmittelbaren su bj ekti vis tischen Eins t e 11 u n g zu verstehen. ·· Nicht von einer realen Welt in Raum und Zeit wird von Kant ausgegangen, in die das Psychische eingegliedert wird, sondern vom Erfaßtwerden des Objekts durch ein Subjekt. Das ist es gerade, was seine kopernikanische Wendung bedeutet: die Ablehnung jeglichen prinzipiellen Naturalismus, ja auch jeglicher objektivistisch-unmittelbaren Einstellung. Nur von der subjektivistischen Einstellung aus hat es Sinn, Raum und Zeit als apriorische Anschauungsformen aufzufassen, unter denen allein uns Gegenstände gegeben werden können, und die Kategorien als apriorische Formen des Verstandes, die zum Aufbau der Gegenstandswelt erforderlich sind. Nur von der subjektivistischen Einstellung aus ist der transzendentale Gesichtspunkt möglich, die synthetische Einheit der Apperzeption, die Diskussion der Antinomien usw. Aber auch die Lehre von ,den Dingen an sich selbstc ist ein Ergebnis der ins Metaphysische gesteigerten subjektivistischen Haltung. Der Perspektivismus verlangt zunächst, daß die Perspektiven eben Perspektiven einer an sich 154

seienden objektiven Realität sind, und so sind die :.Dinge an sich selbst« gerade für Kant diese an sich seiende Realität, die dem Subjekt unter der Perspektive der Anschauungsformen und der Kategorien erscheinen. Auf höherer Stufe des Perspektivismus läßt man diese letzte objektive Realität aus dem Zusammenklang der verschiedenen Perspektiven konstituiert (Scheler) oder sie selbst wieder von dem Subjekt gesetzt werden (Fichte) - davon wurde bereits früher gesprochen. Kants Nachfolger sind ihm im wesentlichen auf der Linie der unmittelbaren subjektivistischen Einstellung gefolgt: Ihr Idealismus ist - wie aller Idealismus, der nicht Gegebenheitsidealismus ist - nur von ihr aus verständlich (doch sind gerade innerhalb der nachkantischen Philosophie [in Schellings Naturphilosophie, in der Identitätsphilosophie z. B.] die einzigen Systeme aus neuerer Zeit zu finden, die der objektivistischen Haltung Einlaß gewähren). Ist es nicht ftir diese Herrschaft der unmittelbaren Einstellung bezeichnend, daß Fichte dort, wo er die möglichen Ausgangspunkte der Philosophie schildert (erste Einleitung in die Wissenschaftslehre 1 79 7), er nur den ob j e k t ivistisch orientierten Dogmatismus und den subjektivistisch orientierten Idealismus einander gegenüberstellt, aber vom Naturalismus schweigt, oder ihn vielmehr mit dem Objektivismus zusammenwirft? Wirklich zugänglich ist ihm von seiner unmittelbaren Einstellung aus nur die Wechselbeziehung von Objekt und Subjekt; selbst der Materialismus wird so gedeutet, als ob er einer objektivistischen unmittelbaren Einstellung entstammte. Niemals hätte der Zusammenbruch der Hegels c h e n Phi 1o so p h i e in dieser katastrophalen Weise sich vollziehen können, wenn nicht mit der Zuwendung zu den Naturwissenschaften zugleich auch ein prinzipieller Wechsel der philosopbischen Einstellung erfolgt wäre. Für die jetzt alleinherrschende n a tu r a li s t i s c h e E b s t e 11 u n g waren 155

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nicht nur die Lösungen, sondern selbst die Probleme der unmittelbaren Einstellung sinnlos geworden. Das Subjekt wurde im Sinne psychischer Erlebnisse umgedeutet; was sollten da nochalldie Probleme des >Subjekts als Substanz c:, der , transzendentalen Apperzeption«, des >Selbstbewußtseins c, des > An-und-ftir-sich-Seins c - lauter Probleme, die die unmittelbare Haltung voraussetzen? Die naturalistische Haltung, die für Hegel nur ein untergeordnetes, aufzuhebendes Moment gewesen war, konnte nun ihrerseits den Hegeischen Standpunkt aufheben, aber nicht mehr selbst aufgehoben werden. Nichts ist bezeichnender für das Unverständnis, das man jetzt der subjektivistischen Einstellung entgegenbrachte, als die Art, in der man Kant naturalistisch umdeutete - und dennoch glaubte Kantianer zu sein. Der naturalistischen Einstellung mußte das , Ding an sich« zur raumzeitlichen Atomwelt werden, denn diese Atomwelt ist die letzte Realität der naturalistischen Einstellung. Damit aber wurde die Kautische , Welt der Erscheinungen c: (die ftir das Subjekt geformte empirisch-reale Welt) mit der psychischen V arsteil ungswel t identisch, die die Atomwelt in uns erzeugt; das unmittelbare Affiziertwerden des Gemütes durch die objektive Welt der Dinge an sich wurde zum kausalen Bewirktwerden der Vorstellungen durch den psychophysischen Prozeß. Dieser ganze kausale psychophysische Prozeß, der ftir Kant eine Art· - gelegenheit innerhalb der Erscheinungswelt war, wurde zum eigen t I ich e n kosmischen Geschehen: Weiterhin: bereits der Naturalismus Lackes hatte Descartes' Ideae innatae als , angeborene Ideen c: aufgefaßt. Ähnlich interpretiert jetzt der Naturalismus Kants a priori. Das Apriori, das die Form bedeutet, durch die die Erfahrung möglich gemacht wird, wird nun zum Angeborensein im Sinn der psychophysischen Organisation (Johannes Müller, Fr. Alb. Lange) -konsequent gedacht im Sinne des Naturalismus, dem ein I

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u n mit t e I bares Erfassen des Objekts unverständlich sein mußte. Schon bei Schopenhauer finden sich groteske Vermischungen der beiden Einstellungen: So bezeichnet er naturalistisch den Intellekt als Produkt des Gehirns und die Kategorien als Gehirnfunktionen, andererseits läßt er aber im Sinne der Kantischen unmittelbaren Einstellung die ganze Erscheinungswelt (einschließlich des Gehirns) durch die Kategorien geformt sein. Die letzten zwanzig Jahre haben eine erneute Rückkehr zur unmittelbaren Einstellung gebracht. Sie war vorbereitet durch die erkenntnistheoretische Bewegung in ihren späteren Phasen. Ursprünglich war die , Erkenntnistheorie c ftir den naturalistischen Szientifismus nichts als ein Mittel, die Philosophie unschädlich zu machen. Die Erkenntnis des Wirklichen behielten sich die Wissenschaften vor, die Philosophie hatte keine andere Aufgabe mehr, als die Erkenntniswege und Erkenntnismethoden der Wissenschaft zu untersuchen, nachzudenken, was die Wissenschaft ihr vor-getan hatte. Allmählich jedoch ging diese Erkenntnistheorie weiter. Sie analysierte die Erkenntnis als solche, selbständig, ohne Rücksicht auf die Wissenschaften; sie fragte, welcherTatbestand in der , Erkenntnis c vorliege, wie Erkenntnis , gegeben c: sei (psychologische Erkenntnistheorien, phänomenologische Erkenntnisanalysen). Und endlich suchte sie noch die Bedingungen der Erkenntnis überhaupt aufzuspüren, forschte ihren Ursprüngen nach und stellte sich jenseits der wissenschaftlichen Erkenntnis, indem sie diese wissenschaftliche Erkenntnis zu begründen und zu rechtfertigen unternahm (Neukantianismus). Die beiden letzten Richtungen der Erkenntnistheorie gingen von der unmittelbaren Einstellung bald in Gegebenheitshaltung, bald in subjektivistischer Haltung aus, und so war hier die Wendung zur unmittelbaren Einstellung bereits in der naturalistischen Epoche wieder vollzogen.

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Au~h als i? der neuesten Phase der Philosophie die Erkenntnistheorie zurücktrat und die Metaphysik sich wieder zu r:gen began~, blieb es d~ch immer eine Metaphysik aus unmittel~arer Emstellung -Je nachdem: idealistisch phänomenologisch, existenziell orientiert. So stark hat si~h diese Tendenz zur unmittelbaren Einstellung durchgesetzt daß ?eute sc?on wi~der die umgekehrte Gefahr besteht, ~ie zu Jener Zei~, da die Hegeische Philosophie unterlag: daß vergessen wird, d~ß auch die naturalistische Einstellung und die e::'ak~e Naturwissens~?aft der Philosophie Probleme stellen, die mcht dadu~ch gelost v:erden, daß man sie ignoriert (wie es z. B. von sexten der Existenzphilosophie geschieht).

7.KAPITEL

DIE METAPHYSISCHE VERABSOLUTIERUNG DER EINSTELLUNGEN

Die Einstellungen und das Problem der Verabsolutierung. I.

So ist heute die Situation ii:n tieferen Sinn noch die gleiche wie fast zu allen Zeiten seit den Tagen Descartes': Metaphysiken aus subjektivistischer Haltung - meist idealistisch orientiert - stehen neben einem einseitigen Naturalismus. Wie soll die Entscheidung getroffen werden? Es genügt nicht, sich einfach für eine der Haltungen zu entschließen; es geht nicht an, mit Fichte zu sagen: , Was für eine Philosophie man hat, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist« und dann für den Idealismus und damit für die subjektivistische Einstellung zu optieren. Ebensowenig darf man die beiden Haltungen miteinander verbinden: Das Beispiel von Descartes und Locke hat allzu sehr Schule gemacht: Wo man die Probleme des Entstehen s der Sinnesempfindungen, die Wirkung der äußeren Welt auf das Seelische behandelt, pflegt man ohne Bedenken die naturalistische Strukturantik zu verwenden; dort, wo man die Welt vom Subjekt aus sieht, die subjektivistisch unmittelbare Einstellung. Solche Vermischung der Haltungen und damit der Strukturantiken läßt sich bei fast allen Philosophen der Gegenwart nachweisen, auch wenn sie noch so sehr auf die Einheitlichkeit ihres Standpunktes pochen - es sind auch in der Philosophie nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten. I

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Die Aufgabe~ die adäquate Einstellung der Metaphysik zu finden, ist weit schwieriger als die gleiche Aufgabe bei den Einzelwissenschaften. Die Einzelwissenschaft nimmt diejenige Einstellung an, die der Strukturantik ihres bereits vorgegebenen Tatsachengebiets adäquat ist. Dieser Weg ist der Metaphysik verschlossen. Ihr Gebiet ist nur formal bestimmt: es ist das letzte Sein. Von dieser formalen Bestimmung erhält man keine Auskunft über die Strukturantik des Gebiets der Metaphysik und damit über die ihr adäquate Einstellung. So wissen wir von der adäquaten Einstellung der Metaphysik nichts weiter, als daß sie imstande sein muß, das letzte Sein zu erfassen. Es bestehen nur zweiMöglichkeiten weiterzukommen; von ihnen wurde bereits in der Einleitung gesprochen. Entweder man erhebt sich über die beiden Einstellungen von einem Standpunkt aus, der die beiden Einstellungen kritisch prüft und zu überwinden imstande ist. Eine solche Überwindung durch einen Sprung in eine höhere Sphäre ist nur möglich, wenn man den höheren metaphysischen Standpunkt, den wir suchen, bereits besitzt. Es liegt jedoch nicht auf unserem Wege, einen solchen Standpunkt prinzipiell - abseits von den Wissenschaften - zu begründen. Oder - das ist die zweite Möglichkeit - man bleibt jeweilig innerhalb einer Einstellung und versucht, inwieweit sich ihre Strukturantik widerspruchslos zu einer transzendenten Strukturantik erweitern läßt. Diese Möglichkeit soll weiterhin diskutiert werden. Es ist nicht a priori gewiß, daß > Widerspruchslosigkeit«, die wir von der transzendenten Strukturantik verlangen, eine Forderung bedeutet, die an die letzte Strukturantik gestellt werden darf. Alle dialektisch, alle antinomisch orientierten philosophischen Systeme verneinen sie. Allein soviel darf gesagt werden: DieForderung der Widerspruchslosigkeit muß als regulatives Prinzip die metaphysische Forschung beherrschen. Es muß versucht werden, soweit es irgend geht, 160

auftauchende Widersprüche aufzulösen. Erst wenn sich zeigt, daß die Widersprüche nicht auflösbar sind - am besten, wenn man zu zeigen imstande ist, daß sie ihrer Natur nach nicht aufgelöst werden können - , darf man den Widerspruch als konstitutives Moment der Strukturantik anerkennen. Wohin käme man auch, wenn man von vornherein auf die Forderung der Widerspruchslosigkeit verzichten wollte? Jedes in sich widerspruchsvolle System wäre mit jedem anderen gleichberechtigt. Es ist kein , Rationalismus c, der sich hinter der methodischen Forderung der Widerspruchslosigkeit verbirgt, sondern die Forderung eines Leitfadens, auf den nicht verzichtet werden kann und auch niemals ernstlich verzichtet worden ist. So ist wenigstens der erste Anfang des Weges vorgezeichnet, den wir zu verfolgen haben: Man gehe jeweils von einer der beiden Einstellungen aus und verabsolutiere hre Strukturantik Gelingt es, sie über den Bereich der Gegenstände hinaus, für die sie zunächst bereitgestellt wurden, widerspruchslos auf alle Gegenstände anzuwenden, so ist wenigstens die primitivste Forderung, die an ihre metaphysische Brauchbarkeit gestellt werden kann, erfüllt. (Dafür, daß die betreffende Strukturantik nun auch wirklich die meta physische Strukturantik ist, ist die Tatsache ihrer Widerspruchslosigkeit freilich noch nicht beweisend.) Erfüllt die Strukturantik die Forderung der Widerspruchslosigkeit jedoch nicht, so scheidet sie von vornherein als metaphysische Strukturantik aus - es sei denn, daß man positive Gründe hat, den Widerspruch für im Metaphysischen selbst verankert zu halten. Es sind also zunächst die beiden Einstellungen zu verabsolutieren und die Konsequenzen aus solcher Verabsolutierung· zu ziehen.

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2.

Die Verabsolutierung der naturalistischen Strukturon tik.

Es ist _unmögli~h, die n a tu r a 1ist i s c h e Einstellung zur ~etaphystschen Emstellung zu erweitern; ihre Verabsolutterung stößt auf Widersprüche: Die Gru?dvoraussetzung der naturalistischen Einstellung besteht darm, daß das Subjekt von der realen Außenwelt weiß; es nimmt in der naturalistischen Einstellung von dieser realen Welt seinen Ausgang; seine Sichtnahme ist von dieser realen Welt her. Allein als K o n s e q u e n z der naturalistischen Einstellung ergibt sich andererseits, daß das Subjekt nicht von der realen Welt weiß und nicht von ihr wissen kann. Denn nach der naturalistischen Einstellung wirkt die A~ßenwelt a~f d~s Gehirn und verschafft sich in Verbindung ~mt dem Gehtrn em Bewußtsein, ein Abbild, ein Symbol threr selbst. Diese Vermittlung kann parallelistischgedachtwerden. d. m~n nimmt an, daß die physische und die psychisch~ Rethe emander parallel laufen. Wie sollte es nach dieser Annahme jedoc~ möglich s:in, daß die psychische Reihe jemals erfahre, was. m der phystsche? vorgeht, ja, daß das Subjekt v~n der Extstenz emer phystschen Reihe überhaupt wisse? ~~~ Wahrne~mungsvorstellung einesfahrenden Wagens etwa tstthrem phanomenalen Charakter nach das Bild eines fahrenden Wagens; sie ist nach der parallelistischen Auffassung außerdem noch das reale Abbild eines fahrenden Wagens: der Wagen fährt tatsächlich in der realen Welt. Dennoch kann ich, der ichnurdie Vorstellung des fahrenden Wagens h~be, nie~als wi.ss~n, daß der Tatbestand, daß der Wagen fahrt, reahter :xtsttert. J?azu wäre es nötig, daß ich von der Vorstellungsreihe auf dte Weltreihe überspringen könnte· aber gera~e das _ist. nach Voraussetzung ausgeschlossen. ' Auch dte momsttsche Lösung Spinozas schiebt die Schwierigkeit nur um eine Stufe weiter zurück, aber löst sie nicht:



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Die beiden Reihen sind Attribute derselben Substanz; dieselbe Gesetzmäßigkeit der Aufeinanderfolge, die in der psychischen Reihe der , Gedanken c herrscht, muß auch in der physischen Reihe zu finden sein, da die Gesetzmäßigkeit der göttlichen Substanz beide Attribute durchwaltet. Für Spinoza hat es daher zwar keine Schwierigkeit, die Ordnung in der physischen Reihe zu verstehen - sie ist aus der parallelen psychischen Reihe bekannt, wenn erst einmal die Existenz des physischen Attributes sichergestellt ist. Woher aber soll das psychische Attribut von seinem Schwesterattribut, dem physischen, wissen? In Wirklichkeit bekennt sich in den späteren Teilen der Ethik Spinoza zu einer Auffassung des Parallelismus, die die naturalistische Einstellung weit hinter sich läßt. Parallel gehen ihm nun nicht mehr Physisches und Psychisches, wie es der Umbildung der Lehre Descartes' entsprechen würde, sondern Denken und Sein: Das Erfassen des Fahrens des Wagens und das Fahren des Wagens selbst. Hiermit ist der naturalistische Parallelismus verlassen, der in diesem Zusammenhang einzig in Frage steht, und ein Parallelismus in seine Lehre hineingekommen, der aus der unmittelbaren Einstellung stammt. (Der Gegensatz des naturalistischen Parallelismus [Psychisches-Physisches] und des Parallelismus aus unmittelbarer Einstellung [Denken-Sein] zeigt sich deutlich in Folgendem: Nach dem psychophysischen Parallelismus laufen seelisches Geschehen und Gehirnvorgänge parallel; für den Parallelismus, der vom Gegensatz Denken und Sein ausgeht, laufen einander parallel: Denken und Sein, das Denken, das Erfassen eines Geschehens und das Geschehen selbst. Nur die letzte Art des Parallelismus hat Spinoza in diesen Teilen seines Systems im Auge; sein Parallelismus unterscheidet sich daher prinzipiell der Strukturontik nach von dem Parallelismus Fechners und Haeckels.) Die kausale Auffassung des psychophysischen Zusammenhangs führt auf dieselben Antinomien: Das Haus in der

Außenwelt erzeugt auf dem Wege über das Gehirn dieVor~tel~ung de:,; Hauses. vyas also dem Bewußtsein gegeben ist, tst memals das Haus, die Welt selbst, sondern nur die Vorstellung von ihnen. Woher erlangt das Bewußtsein trotzdem das Wissen von der realen Außenwelt? Der konsequente Naturalismus muß die Antwort hierauf schuldig bleiben. Das Bewußtsein kann nichts von der realen Außenwelt wissen, ~eil :s -gerade nach den naturalistischen Anschauungenm seme Vorstellungen eingeschlossen ist, wie in ein Grab. Es fuhren alle Spuren , in die Höhle des Löwen« keine aus ihr zurück: Der Weg fuhrt aus der realen Welt i~ die Vorstellungswelt, aber nicht zurück von der Vorstellungswelt in die reale Welt. So hebt auch der kausale psychophysische Naturalismus sich selbst auf: Er geht von der realen Außenwelt aus· aber die Konsequenz ist, daß das Subjekt von der Existen~ einer solchen realen Außenwelt nichts wissen kann. Die naturalistische Strukturontik ist so ihrem Wesen nach widerspruchsvoll. Zuweilen ist- wenn auch nicht der volle Ernst des Widerspruchs gesehen wurde - so doch eine gewisse Schwierigkeit darin erblickt worden, wie man von den im Zusammenhang mit dem Gehirn erzeugten Vorstellungen im Wissen den Weg zu der realen Welt finden könne. Die Lösung, die gegeben wurde (Helmholtz, Schopenhauer) ist folgende: Wir besitzen die angeborene Fähigkeit des kausalen Schließens, wie auch .die Notwendigkeit, jedes Gescheben auf eine Ursache zu beziehen. Die Ursache unserer Vorstellungen finden wir nicht in der Vorstellungswelt, wir beziehen daher die Vorstellungen auf eine reale Welt als auf ihre Ursache. So ist durch das Kausalgesetz im Wissen selbst gleichsam die Umkehrung des realen Wegs gegeben. Kausal war der Weg vom Gegenstand zur Vorstellung; und kausal wird auch umgekehrt die Vorstellung (in unbewußten Schlüssen) auf den Gegenstand bezogen. 164

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Allein auch dieser Ausweg hilft nicht weiter. Vor allem ist es nur die Unklarheit im Begriff der Vorstellung, die diese Lösung so einleuchtend erscheinen läßt. Wie ist der Charakter der Vorstellungen beschaffen, die auf die reale Welt als ihre Ursache bezogen werden sollen? Entweder diese Vorstellungen enthalten in sich bereits eine Beziehung auf eine immanent-reale Welt: Man weiß also nicht, daß man es mit bloßen Vorstellungen zu tun hat, man glaubt, wenn man die Wahrnehmungsvorstellung eines fahrenden Wagens hat, daß man den Wagen wirklich fahren sieht. Wenn man diesen Glauben hat, ist kein Grund einzusehen, weshalb man hinter dieser wirklichen Welt, die man zu erfassen meint, noch einmal eine wirkliebere Welt aufsuchen sollte: eine wirklich wirkliche Welt, hinter der bloß vermeintlich wirklichen. Um das tun zu können, müßte man bereits wissen, daß die vermeintlich wirkllche Welt nicht die wirklich-wirkliche ist. Woher aber soll man das wissen, wenn man nicht gerade naturalistischer Philosoph ist? Oder: Man nimmt an, daß die Vorstellungen nicht nur realiter Vorstellungen sind; sondern daß .sie auch Vorstellungscharakter haben, d. h. daß man sich ihres bloß psychischen Charakters bewußt ist. Die Wahrnehmung eines fahrenden Wagens werde also demnach zunächst als psychisches Geschehnis angesehen. Man wisse also stets nur von seinen eigenen psychischen Geschehnissen und wisse zugleich, daß sie nur psychisch sind. Wenn man nach Ursachen dieser psychischen Geschehnisse sucht, so '!ird man sie demgemäß auch nur in anderen psychischen Geschehnissen suchen'. Von einer realen Welt weiß man nichts, nichts von einer Welt außerhalb der Vorstellungen, und wird auch nie auf den Gedanken kommen, daß es etwas dergleichen gäbe. Die Theorie setzt voraus, daß man gleichzeiti~ naives Subjekt ist, das nur von seinen Vorstellungen weiß, und naturalistischer Philosoph, der die Vorstellungen von der realen Welt unterscheiden gelernt hat, und daher von den I6S

Vorstellungen zur realen Welt mitteist des Kausalgesetzes durchstößt. So bleibt also bestehen: Die naturalistische Einstellung kann ihre eigene Voraussetzung, das Wissen des Subjekts von einer Außenwelt nicht begreiflich machen. Wenn ihre Voraussetzung von der Existenz der realen Außenwelt und ihre Annahme von der Erzeugung der Vorstellungen richtig sind, so ist die Konsequenz, daß wir niemals zu diesen Voraussetzungen gelangen können, daß wir nur von unserer Vorstellungswelt, nicht aber von der realen Außenwelt etwas wissen können. Die naturalistische Einstellung widerspricht in ihren Konsequenzen ihrem Ausgangspunkt. Wie kommt es, daß dieser Widerspruch nicht bemerkt zu werden pflegt? Es sind verschiedene Gründe hierfür verantwortlich zu machen: Einmal, daß man sich naturalistisch meist daran genügen läßt, denWeg zum Gehirn zu verfolgen, aber sich um das Problem des Wissens gar nicht kümmert. Zweitens, daß, wenn man das Wissen zum Problem werden läßt, man seinen naturalistischen Ausgangspunkt wieder vergißt, einzig vom Subjekt aus die Welt in subjektivistischunmittelbarer Haltung betrachtet. Am stärksten wirkt aber folgendes Moment darauf hin, daß der Widerspruch übersehen wird: Der naturalistisch denkende Naturwissenschaftler oder Philosoph denkt sich als unbeteiligten Zuschauer des naturalistischen Prozesses: Er steht außerhalb des Vorgangs; er weiß von der Existenz der realen Welt, und das genügt ihm; daß das Subjekt, das er naturalistisch betrachtet, nichts von dieser realen Welt wissen kann, kümmert ihn nicht. Die Hauptsache ist, daß er dem Vorgang der kausalen Erzeugung der Vorstellungen zusieht, daß er nicht selbst »mitspielte. Aber in Wahrheit spielt doch auch der naturalistische Philosoph mit: Er ist selbst ein solches Subjekt, das nur von seinen Vorstellungen weiß, ein Subjekt, das überhaupt von der realen Welt nichts wissen kann. Der ganze kausale Prozeß, von dem er spricht, 166

die ganze reale Außenwelt, darf als Konsequenz des Naturalismus nicht real, sondern nur seine Vorstellung sein, das fremde (oder auch das eigene) Gehirn nur seine Vorstellung und keine Realität usw. usw. Je tiefer man sich in die Konsequenzen hineinzudenken versucht, desto unentwirrbarer wird das Labyrinth. Man vergegenwärtige sich z. B. ernstlich ein Beispiel, an dem der naturalistisch orientierte, psychophysische Parallelismus seine Anschauung zu illustrieren pflegt: Zwei miteinander kämpfende Fechter halten sich ihre Schilde entgegen. Die Außenseite beider Schilder ist schwarz, die Innenseite weiß. Jeder sieht vom Schild des anderen nur die schwarze Außenseite, von seinem Schild nur die weiße Seite. Das Tertium comparationis ist klar: die schwarze Seite des Schildes symbolisiert die körperlichen Vorgänge des Menschen, die weiße Seite seine Seele. In diesem Vergleich ist bereits das Ineinander des unbeteiligten Betrachters und des im Parallelismus stehenden Subjekts zu finden. Auch von den fremden 'Menschen sieht man - naturalistisch streng gefaßt- nicht die körperlichen Vorgänge, sondern man hat nur die Vorstellung ihrer körperlichen Vorgänge. Der Fechter sieht nicht den schwarzen Schild des anderen, sondern hat nur Vorstellungen des fremden schwarzen Schildes, die also auf seine weiße, die psychische Seite gehören. Nur der direkt den Vorgang erfassende Zuschauer sieht von innen her die weiße Seite des Schildes, von außen her· die schwarze. Aber noch weiter geht die Kompliziertheit: Auch ftir den Zuschauer muß die parallelistische Theorie ihr Recht behalten: Daher darf auch er dieses ganze Schauspiel nur als seine Vorstellung besitzen, den wirklichen Kampf sieht er nicht usw. usw. Das Durcheinander ist hier, wie überall, wenn man die naturalistische Einstellung ernst nimmt, nicht zu entwirren. Das Ergebnis der Verabsolutierung der naturalistischen Einstellung lautet also: Die naturalistische Einstellung ist 167

ungeei~net, zur metaphysischen Einstellung erhoben zu werd;n: Sie verm~g aus dem Weltbild, das sie gibt, sich selbst mcht verständlich zu machen.

3· Die Verabsolutierung der unmittelbaren Einstellung. Die unmittelbare Einstellung befindet sich zunächst in e~ner gü~st~ger~n Lage als der Naturalismus:. Denn gerade die ~chwi~n~keit, an ~er die naturalistische Einstellung sich tothef, existiert !'tir dte unmittelbare Einstellung nicht: Wie kommt das Subjekt zu den Objekten? ist kein Problem für die unmittelbare Einstellung; sie konnte nur dort zum Prob~em werden, w? eine Verdopplung vorlag, wo demgemäß die Vorstellung thren Weg zum Objekt suchen mußte. Für die unii?ittelbare Einstellung, die diese Verdopplung nicht kenn~, hegt der Tatbe~tand sehr einfach: Das Subjekt erfaßt unmttt~l bar das Objekt; der Ausgangspunkt der unmittelbaren ~mstellung birgt zugleich auch die Lösung der für den Naturaltsmus unüberwindbaren Schwierigkeit. Das was der schwächste Punkt der naturalistischen Einstellung' war ist der stärkste Punkt der unmittelbaren: Das Wissen 1des Subjekts um das Objekt ist die Grundtatsache ihrer Strukturontik. Allein die Schwierigkeiten sind in Wahrheit durch diese einfache Lösung nicht aufgehoben, sondern einzig an eine andere Stelle gerückt: • 1. Das Objekt soll nach Anschauung der unmittelbaren Emstellung ~~r~kt erfaßt wer~en. Die direkte Ergreifung b;deutet naturhch. auch für dte unmittelbare Einstellung mcht, daß das Objekt .etwa ohne Vermittlung des Körpers erfaßt werden kann. Eme solche Anschauung wäre absurd: Man kann sich jederzeit überzeugen daß wenn man die Augen schließt, man nicht sieht, wedn ma~ sich die Ohren verstopft, man nicht hört. Nur soviel behauptet die unmittelI68

bare Einstellung, daß man zwar mit den Augen sieht, mittels der Augen (vielleicht auch, daß der kausale Prozeß zum Gehirn hin die Anregung gibt zum Ergreifen des Gegenstandes), aber daß die Erfassung trotzalledem unmittelbar durch den Raum hindurch den Baum, das Haus, den Menschen greift. Aber, was das unmittelbare Ergreifen durch den Raum hindurch bedeutet, bleibt völlig ungeklärt: Wir sehen etwa den Mond; wir erfassen ihn selbst - es ist der wirkliche Mond, den wir sehen. Jedoch wir sehen ihn nicht so, wie er ist; wir sehen ihn nicht als gewaltigen Himmelskörper von kosmischen Dimensionen. Er selbst wird gesehen, aber das Wie seines Seins, soweit es gesehen wird, ist bloß , subjektiv c, ein bloßes , Bild c des Mondes; nach unserer früheren Bezeichnung ein mentales Objekt. Wir erfassen zwar den wirklichen Mond - nur eben nicht so, wie er wirklich ist. Man muß sich also das Bild gleichsam dem wirklichen Objekt überlagert denken: Denn das Bild ist ebenfalls am Himmel, und zwar gerade an der Stelle, an der auch der wirkliche Mond ist, mit seinen wirklichen Bestimmtheiten. Es wäre eine völlige Verkennung der Sachlage, wenn man das >Bild des Mondes c als ) im Bewußtsein c befindlich bezeichnete. Es ist dort, wo auch der wirkliche Mond ist, nur: es ist nicht real. So kommt man im Fall der Täuschung doch wieder zur Verdopplung zurück - nur zu einer viel unverständlicheren Verdopplung als bei . der naturalistischen Einstellung: Die Scheibe des Mondes ist ein bloß subjektives Gebilde; aber sie ist dennoch nicht im Subjekt, sondern am Himmel. Wie kommt sie dorthin, wenn sie doch bloß subjektiv ist? Man hilft sich dainit, daß man sagt, sie werde an den Himmel ,verlegte. Aber ist diese Behauptung des > Verlegensc nicht viel mehr. ein Ausdruck der , Verlegenheit« als die Angabe eines Tatbestandes? Wie kann das Subjekt etwas an den Himmel hinbringen? 2. Ebensowenig wie das Hinverlegen eines Subjektiven 169

ari eine entfernte Stelle, ist das Ergreifen eines real Objektiven an dieser entfernten Stelle verständlich. Wie soll es das Subjekt anfangen, den Berg in der Ferne zu ,greifen« - ein Objekt, das mehrere Kilometer entfernt ist? Bei der Täuschung lag. ein Teil der Schwierigkeit darin begründet: Wie bringt das Subjekt das Bild an das Objekt? bei der adäquaten Erfassung: Wie bringt das Subjekt den Gegenstand zu sich heran? Die Lösung darf auch nicht darin gesucht werden, daß das Subjekt sich nicht den Gegenstand heranhole, sondern daß es an den Gegenstand, an den Berg, an den Mond herangehe. Das Subjekt ist vielmehr an den Körper gebannt, an die Erdstelle, an der der Körper existiert.· Wie soll man es sich daher vorstellen, daß das Subjekt von hier aus über den · gesamten Raum greift? Dieselbe Schwierigkeit tritt bei der Zeit in Erscheinung; auch hier wird sie klarer, wenn man sie sich an großen Zeiträumen vergegenwärtigt: Ein Stern, dessen Licht I o Millionen Jahre braucht, um zu unserer Erde zu gelangen, möge vor 9 Millionen Jahren erloschen sein. Wir aber sehen ihn noch immer. Was soll das heißen: wir sehen ihn, ihn selbst? Die naturalistische Einstellung hat es leicht, daraufAntwort zu geben: Wir sehen ihn jetzt, bedeutet, ·'daß erst jetzt auf Grund physikalischer Bedingungen die Wahrnehmung dieses Sterns in uns erzeugt wird. Wenn dagegen das Objekt direkt erfaßt werden soll, wie es sich die unmittelbare Einstellung denkt, so wird im Fall des Erloschenseins des Sterns· das Erfassen sinnlos: Der Stern ist jetzt nicht mehr vorhanden und kann daher auch nicht erfaßt werden. Man muß also sagen: Wir erfassen nicht den Stern selbst, sondern ein Bild des Sterns. Was hier an extremen Beispielen deutlich wird, gilt stets: Es besteht eine zeitliche Differenz zwischen dem Sein und dem Erfaßtwerden: Sie kann nur dadurch überbrückt werden, daß man annimmt, daß nicht der Gegenstand, sondern 170

das Bild des Gegenstands erfaßt werde. Damit taucht aufs neue die Frage auf: Wie kommen wir vom Bild zum wirklichen Gegenstand? (genau so wie bei der naturalistischen Einstellung gefragt werden mußte, wie kommen wir von der Vors teil un g zum Gegenstand?). . . . . . Es scheint einen Ausweg aus dtesen Schwtengketten zu geben. Die Möglichkeiten der Verabsolutierung d~r unmittelbaren Einstellung sind noch nicht ausgeschöpft; dte Strukturantik, die jene Unverständlichkei~en d;s J?-rfassens. de~ ?~­ jekte aufweist, ist die Strukturonttk, wte ste der objektr~rtstl­ schen und der subjektivistischen Haltung zugrunde hegt: Die Welt ist ftir sie Wechselspiel zwischen Objekt und Subjekt; das Objekt wirkt auf das Subjekt. und das Subjekt erfaßt das Objekt. Von der Gegebenbettshaltung wurde in diesen Zusammenhängen noch nicht gesprochen. Deren Verabsolutierung jedoch zeigt eine völlig andere Strukturantik: Nimmt man das Gegebensein alles Seins ftir ein Objekt als letzte Welttatsache ~n, so komm~ man zu e~ner idealistischen Gegebenhettsmetaphystk: Das Objekt wird dann entweder zu einem Bewußtseinsinhalt oder doch zu einer Setzung des Subjekts. Diese idealistische Gegebenheitsmetaphysik läßt sich leicht derart formulieren, daß die beiden Schwierigkeiten in Wegfall kommen, die bei den anderen H~ltungen dad~rch entstehen daß ein Objekt durch das Subjekt erfaßt wtrd: Die Schwierigkeit des 1> Verlegens « des Bildes an den Gegenstand hin (im Falle der Täuschung) und das Erfassen des Objekts über Raum- und Zeitentfernungen hinweg. . . . Der Gegebenheitsidealismus, wie ihn der NeoposttlViSmus ausgebildet hat, kennt nur Eindrücke als Gegebenheiten und sonst nichts: Eindrücke von Farben und Tönen, von Raum- und Zeitgestalten usw. Wenn man von einem realen Gegenstand spricht, den man nicht wahrnimmt, so liegt ftir ihn immer eine , Hilfskonstruktion c vor: Der gerade von mir jetzt nicht gesehene Baum auf dem Berge wird nur desI7I

halb als wirklich bezeichnet: weil eine Reihe von Eindrücken zu ihm hinführen könnte, der Eindruck der Treppe des Gartens usw. Ebenso ist der Mond als Gegenstand vo~ der Größe eines Himmelskörpers eine Konstruktion: Der Eindruck der Mondscheibe ist das Gegebene; er ist das unmittelbar Wirkliche. Um den Mond als einen Gegenstand mit festen dauernden Eigenschaften festhalten zu können schreibe ich ihm eine , wirkliche Größe c zu, wie sie di~ Astronomie berechnet. Allein dieser Begriff von Realität ist ein völlig anderer als der Begriff des Wirklichen im Sinne ?es un~it!elbar Wahrgenommenen. Das wirkliche esse liegt Im percipi, das wahrgenommene Sein ist das eigentlich Wirkliche. So ist denn auch nicht das ,Bild c des Mondes als Scheibe dem wirklichen Mond überlagert, man könnte eher umgekehrt sagen: Der ,wirkliche« Mond ist dem wahrgenommenen Mond untergelegt, um von 11demc Mond, um von 11 derc Größe des Mondes sprechen zu können· oder die Behauptung, der Stab sei gerade, auch wenn ~r ins Wasser getaucht ist, legt dem wahrgenommenen Stab, der gebr.ochen ist, einen wirklichen Stab unter, der gerade ist. Ahnlieh ist es vom Gegebenheitsidealismus aus gesehen um die objektive Zeit und den objektiven Raum bestellt. Es besteht der ,Eindrucke des »Frühere, des »Nähere und ,Entfernter«, aber der Raum, die Zeit als objektive Ordnungen sind Konstruktionen. Die verschiedenen Zeit- und ~au.meindrücke werden auf einen künstlich hergestellten obJektiven Raum, auf eine künstlich hergestellte objektive Zeit bezogen. Daher ist es auch sinnlos zu sagen, man erfasse d~n Gegenstand im Sehen durch den , objektiven Raum c hmdurch, den erinnerten gestrigen Spaziergang in der ,objektiven Zeit c. Es sind nichts als die Eindrücke vorhanden die den Baum bilden, und ein Eindruck der Entfernung de~ Baumes von meinem Körper, nichts als die Erinnerungseindrücke, die mir den Eindruck , gestern c übermitteln. So gibt es weder ein , Verlegen c des Bildes in den Raum 172

hinein (im Falle der Täuschung), noch ein Erfassen des Objekts durch den Raum hindurch; noch auch endlich einen Gegensatz zwischen wirklichem Gegenstand und seinem Bild; es gibt überhaupt nur Bilder, nur Eindrücke, die dem Subjekt gegeben sind. Diese Verabsolutierung der Gegebenheitseinstellung beseitigt alle Schwierigkeiten, aber um welchen Preis? Es seien alle metaphysisch tiefergehenden Einwände beiseite gelassen; es möge nur mit den Aussagen des Gegebenheitsidealismus in seinem Sinne Ernst gemacht werden. Da zeigt sich: Von diesem Standpunkt aus darf nicht behauptet werden, wie man es sonst tut: Der ,frühere als gerade gesehene Stab stelle sich ,jetzt«, ins Wasser getaucht, als gebrochen dar. Der Gegensatz »früher c und , jetzt c, wie er hier angewandt wird, setzt eine objektive Zeit voraus, von der aus man die beiden Gegebenheiten vergleicht: Man dürfte nur sagen, meine Erinnerungsgegebenheit zeigt mir einen früheren Zeitpunkt, indem der Stab gerade aussah, der unmittelbare Eindruck hingegen einen gebrochenen Stab. Man darf auch nicht von dem Baum auf dem Berge als Realität reden, sondern von der Folge von Eindrücken, Treppe, Garten, Tür, Weg usw., an deren Enden, wie man überzeugt ist, der Eindruck des Baumes auf dem Berge steht. Man ist in einer Welt der subjektiven Gegebenheiten, in einer Welt von Erinnerungsgegebenheiten, Erwartungsgegebenheiten und unmittelbaren Eindrücken eingeschlossen. Man ist nicht nur Solipsist - das Sein der anderen besteht auch nur fn Eindrücken - , man hat auch die Zeit und den Raum nur als in das momentane Bewußtseinsganze eingeschlossene Eindrücke. Allein - darauf wurde hingewiesen - , auch der Gegebenheitsidealist redet von realen Objekten, von der objektiven Zeit und dem objektiven Raum. Nur daß sie für ihn bloße Hilfskonstruktionen sind. Woher nimmt er das Recht zu solchen Hilfskonstruktionen? etwa zur Annahme 173

von Objekten, von dem Baum auf der Spitze des Berges, oder dem Mond als Hirntrielskörper? Er hat das Recht hierzu, weil es einen gesetzmäßigen Ablauf der Eindrücke gibt, weil Gesetze existieren, die ich kenne, nach denen der Ablauf der Eindrücke erfolgt. Wenn man den Weg durch den Garten nimmt, dann zur Rechten und immer geradeaus geht, den Berg hinansteigt (es sei darauf verzichtet, den ganzen Ablauf in >Eindrücke« zu übersetzen), so hat man den Eindruck des Baumes. Oder wenn man von der anderen Seite · her auf den Berg steigt, so hat man wiederum diesen Eindruck. Beim Mond dagegen kann man den Eindruck seiner >wirklichen" Größe niemals unmittelbar haben; aber alle Berechnungen erlauben die Fiktion, so zu tun, >als ob« da ein wirklicher Mond wäre. Genau dasselbe gilt für die objektive Zeit und den objektiven Raum. Die gesetzmäßige Abfolgeordnung der Eindrücke erlaubt es, sie auf einen objektiven Raum und eine objektive Zeit zu beziehen. Folgten die Eindrücke regellos aufeinander, tauchte jetzt plötzlich der Wahrnehmungseindruck des Baumes auf und ein anderes Mal in ganz anderem Zusammenhang wiederum, wären die Eindrücke des >Frühere und ,Später«, des >Entfernter< und >Nähere: regellos mit den Eindrücken der Geschehnisse und der Gegenstände verbunden, so wären die Hilfskonstruktionen des realen Objekts mit festen Eigenschaften, der objektiven Zeit und des objektiven Raums unmöglich. Dann besäßen wir in unserem Bewußtsein nichts als disjecta membra von Entfernungseindrücken, Zeiteindrücken usw. Der Gegebenheitsidealismus setzt also bei seinen Hilfskonstruktionen stets voraus, daß Gesetze der Abfolge der Eindrücke wirklich existieren; er muß die Realität, die Objektivität der Gesetze von Abfolgen der Eindrücke bei seinen Hilfskonstruktionen voraussetzen. Diese Gesetze treten als reale Gesetze der Abfolge der Eindrücke an Stelle der r e a I e n Gegenstände und der objektiven Zeit und des objek-

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tiven Raumes. An Stelle des Gegenstandsrealismus tritt also ein Gesetzesrealismus, der dem extremsten Begriffsrealismus des Mittelalters in nichts nachsteht. · Es wurde dieser Versuch der Lösung der Schwierigkeiten der mittelbaren Einstellung herangezogen, weil er einen viel begangenen Weg verfolgt. In Wirklichkeit gehört jedoch dieser Versuch nicht zu den Ve~absolut~erungen d~r Gegebenheitsontik, sondern bedeutet em Her~mtr.agen, ~m Hineindeuten metaphysischer Gesichtspunkte m dte an steh weder reaUstisch, noch idealistisch zu bewertende Gegebenheitsontik. So wird auch die Schwierigkeit mit einer ganz neuartigen Strukturantik zu überwinden gesucht, durch eine metaphysische Ontik, für die die Welt aus gegebenen Eindrücken besteht, die realen Gesetzen gehorchen. Bleibt man in der in den Wissenschaften zutage tretenden Strukturantik der unmittelbaren Einstellung, so lassen sich die Schwierigkeiten, die im Erfassen des Objektes liegen, nicht. beseitigen. Die unmittelbar: Einstellung ste~t als_? v~r ganz ähnlichen Unstimmigkeiten Ihrer Strukt?ronttk ~te d~e naturalistische Einstellung. Für den Naturaltsmus hteß dte Schwierigkeit: Wie kommt die Vorstellung zum Gegenstand? Bei der unmittelbaren Einstellung war die unmittelbare Erfassung des Gegenstandes durch das Subjekt vorausgesetzt. Allein es zeigte sich, daß in dieser unmittelbaren Er~assung selbst die Schwierigkeiten stecken. Und so lautet hter das ungelöste Problem: Wie ist es möglich, daß das Subjekt das Objekt erfaßt, daß das Subjekt zum Obj:kt komm~? Auch hier wieder mag man erstaunt sem, daß dtese Schwierigkeiten in der unmittelbaren Einstellung für gewöhnlich ebensowenig gesehen werden wie die entspreche?den der naturalistischen Einstellung. Die Gründe sind ähnhcher Natur: Das unmittelbare Wissen, das Erfassen des Objekts wird meist einfach als Tatsache hingenommen; man analysiert das Wissen nicht, sondern beruhigt sich dabei, daß man das Objekt direkt erfasse.

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Aber· auch wenn man sich für die Analyse des Wissens um die Objekte interessiert, so pflegt man meist nicht so vorzugehen, daß man fragt: Was ist im unmittelbaren Ergreifen der Objekte mit an Voraussetzungen enthalten? sondern statt die Analyse des Wissens selbst zu untersuchen fragt man: Wie kommt das Wissen zustande? und verfolgf den Prozeß der Entstehung der Vorstellung des Objekts auf naturalistische Weise. Aber, auch wenn gelegentlich die Schwierigkeit des Erfassens durch Raum und Zeit hindurch bemerkt wurde hat man sich über diese Unstimmigkeiten im Ergreifen des' Objekts mit einem vagen Idealismus hinweggeholfen: Raum und Zeit bestünden nur in meiner Vorstellung, seien nicht objektiv real; und deshalb liege in diesem Übergreifen über Raum und Zeit hinweg kein Problem. Gerade der Umstand, daß sich beide Einstellungen nicht restlos durchführen lassen, ohne zu Unstimmigkeiten zu fUhren, ist der G~~nd dafür, daß Philosophen und Logiker, Psychologen und Asthetiker so oft die Strukturantiken beider Einstellungen ineinanderfließen lassen (wie wir es an mehr als einem Beispiel gezeigt haben). Instinktiv wird den Schwierigkeiten und Widersprüchen aus dem Wege gegangen. Hat man es mit Problemen zu tun, die von außen nach innen führen, so benutzt man die naturalistische Einstellung und läßt die Sinne die Vorste11ungen in uns erzeugen. Bei Problemen, bei denen vom Subjekt ausgegangen wird, stellt man sich auf den Standpunkt der subjektivistischen Haltung und läßt das Objekt unmittelbar erfaßt werden. Der vieldeutige Begriff der , Vorstellung«, so sahen wir, hilft dazu, den Ubergang zu verschleiern, im unklaren zu lassen, ob das gegebene Objekt oder die durch die Sinne erzeugte Vorstellung gemeint sei. Selbst ein im allgemeinen so konsequenter Denker wie Hume, der im Prinzip nur impressions und ideas als Gegebenheiten kennt, spricht gelegentlich davon, daß die impressions of sensationdurch die Sinne

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in uns erzeugt würden, und gibt damit der naturalistischen Einstellung Raum. Besonders aber wird die Vermischung der Einstellungen dadurch erleichtert, daß die physische Welt indifferent ist gegenüber den Einstellungen, und daher die größte Zahl der Probleme der exakten Naturwissenschaften in neutralistischer Haltung behandelt werden können. Die Ergebnisse der Naturwissenschaft sind nicht abhängig davon, ob man sich die einstellungsindifferenten Tatbestände in die unmittelbare oder die naturalistische Strukturantik hineingestellt denkt. Treten jedoch Probleme in Erscheinung, bei denen die Einstellung nicht mehr gleichgültig ist, so pflegen dennoch die Naturwissenschaften nicht allzu ängstlich zu sein, welche Einstellung sie verwenden. Sie nehmen diejenige Einstellung an, die ihnen gerade ftir das betreffende Problem näher liegt. Derselbe Physiologe, der selbstverständlich naturalistisch denkt, wenn er mit inhaltlichen Problemen zu tun hat, der, wenn er die Netzhauterregung und ihre Fortpflanzung in den Nerven untersucht, streng daran festhält, daß draußen im Raum nichts sich befindet als Lichtwellen, und daß die Farbe erst als Empfindung im Zusammenhang mit dem Gehirn entsteht - derselbe Physiologe legt einen Nervenschnitt unter das Mikroskop und ist überzeugt, nicht bloß eine , Vorstellung c vor sich zu haben, sondern den Schnitt unmittelbar zu erfassen. Es ist nicht nur hier, sondern überall, für den Mann der Naturwissenschaft gerade wie für den Laien, bei der Erfassung der Welt die unmittelbare Einstellung die selbstverständliche. Der Chemiker, der eine Reaktion beobachtet, der Astronom, der einen Sterndurchgang fixiert, der Botaniker, der eine Blattform feststellt- sie alle sind überzeugt, die Wirklichkeit zu ergreifen und nicht in das Reich ihrer Vorstellungen eingeschlossen zu sein. Funktionell-methodisch gehen die Naturwissenschaften von der unmittelbaren Einstellung aus, inhaltlich ist ihre Welt die der naturalistischen Strukturantik Dieser Widerspruch wird nicht bemerkt,

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weil die Beobachtung von der unmittelbaren Einstellung aus nicht mit der naturalistischen Gegenständlichkeit in Konflikt kommt- die Beobachtung ist Sache des Forschers, die naturalistische Strukturantik Sache des erforschten Gegenstands. AufErgebnissekommtesdenNaturwissenschaften an, und da die Ergebnisse nicht dadurch berührt werden, daß der Beobachter eine andere Haltung einnimmt, als die ist, die der Strukturantik der Ergebnisse entspricht, so brauchen sich die Naturwissenschaften um diesen Widerspruch nicht zu kümmern. Wie sollten sie auch? Sollten sie etwa mit ihren Untersuchungen warten, bis die Metaphysik eine einheitliche widerspruchsfreie Einstellung herausgearbeitet hat? Wobei es noch fraglich ist, ob die Strukturantik der Metaphysik die naturwissenschaftlichen Probleme in derForm bestehen läßt, wie sie die Naturwissenschaften einzig stellen können. Der Logiker, Ästhetiker, Ethiker, Geisteswissenschaftler ist nicht in einer so günstigen Lage, sich ein Ineinander von Haltungen leisten zu dürfen: Die Gegenstände der Logik usw. sind nicht einstellungsindifferent, sie bedürfen - so fanden wir - der adäquaten Einstellung, und so rächt sich hier jegliche Inadäquatheit der Einstellung: Die Ergebnisse werden falsch; es treten Wissenschaftsverlagerungen auf, hybride Wissenschaften entstehen. Am verhängnisvollsten jedoch wirkt sich eine Vermischung der Einstellungen in der Philosophie aus. Die Vermischung der Einstellungen schafft hier ein zusammengeflicktes Seinsgefüge, ein Konglomerat von verschiedenen Strukturantiken - während doch gerade Einheitlichkeit die erste Anforderung eines Weltbildes sein sollte. Allein auch die Reinheit der Einstellung genügt nicht fti.r die Philosophie. Nicht nur eine ein h e i t 1ich e Einstellung wird gesucht, sondern die adäquate Einstellung. Und da steht es von vornherein gar nicht fest, ob überhaupt eine der beiden betrachteten Einstellungen die adäquate Einstellung der Metaphysik sein müsse. Daß es nur zwei wissen

schaftliehe Einstellungen gibt, besagt nicht, daß eine von ihnen nun auch als die Einstellung der Metaphysik zu gelten habe und nicht vielleicht eine dritte nichtwissenschaftliche. I~ Gegenteil: es zeigte sich, daß d~e Struktu~onti~ je~ er der beiden Einstellungen, ins Metaphysische erweitert, m steh unstimmig ist: Keine der beiden Einstellungen ist also ohne weiteres geeignet, zum Range einer metaphysischen Einstellung erhoben zu werden. Aus doppelten Gründen ist also der Szientifismus- selbst in seiner weitesten Form- im Unrecht mit seiner Annahme, daß man von der Wissenschaft aus unmittelbar zur Metaphysik kommen könne. Einmal: es gibt zwe_i Str~kt~ron~iken der Wissenschaft, nicht eine: Selbst wenn Jedem steh widerspruchslos wäre, so widersprechen sie doch einander: W, el~he von beiden soll man also als diejenige betrachten, dte ms Metaphysische erhoben werden darf? Fernerhin: Die Voraussetzung, die Strukturantiken seien in sich wi~erspruchslos, ist unrichtig. Jede von beiden, als metaphystsc~e St~uk­ turontik gesetzt, ist in sich widerspruchsvoll, - dte bet?en Strukturantiken sind zwar als Grundlage des vorletzten Sems, des Seins der jeweiligen Wissenschaft, aber nicht als Grundlage des letzten Seins, des Seins der Metaphysik geeignet. Die Metaphysik darf gewiß die Hinweise auf das le~zte Sein die in der wissenschaftlichen Wirklichkeit enthalten smd, nich~ vernachlässigen; allein den Aufbau ihrer Struktur~ntik muß sie aus eigener Kraft, nach eigenen Methoden letsten nicht durch Verallgemeinerung der wissenschaftlichen Strukturantik Eine selbständige, nicht von den Wissenschaften ausgehende Metaphysik ist gefordert - so lautet das Ergebnis all unserer Untersuchungen .. 4· Das Erkenntnisproblem. Die Strukturantiken beider Einstellungen scheiterten an der Aufgabe, eine widerspruchslose und in sich haltbare 179

Fundierunß" derTatsachedes Wissens, der Erkenntnis zu geben; beide heben sich selbst auf, wenn sie Rechenschaft geben sollten, wie Erkenntnis von Objekten auf ihrer Grundlage möglich sei. Daß gerade die Erkenntnis es ist, die dem Aufbau der Strukturantik solche Hindernisse in den Weg legt ist kein Zufall. Die Gründe sind mehrfacher Art: ' 1. Zunächst: Auf die Anerkennung der Realität der Erkenntnis kann innerhalb keiner Strukturantik verzichtet werd:n. Es kann nic?t etwa Erkenntnis - nicht irgendeine emzelne Erk~nntms, sondern Erkenntnis überhaupt -als bloße Erschemung, als Schein, als irreal in irgendeiner Philosophie (wie es bei sonst jeder anderen Tatsache möglich ist) abgetan werden. Denn alle Philosophie ist Erkenntnis. Wenn die Philosophie sich nicht selbst aufgeben will, so muß sie an der Realität der Erkenntnis festhalten. Vielleicht existiert solche Realität der Erkenntnis in Wahrheit nicht· so gibt es auch keine Philosophie, aber auch keine Wissenschaft - wir können nichts tun als schweigen. Solange wir Philosophie treiben, muß die Erkenntnis als reale Tatsache anerkannt werden. 2. Erkenntnis ist zugleich Funktion und Sein. Ich sehe eine Blume, ich erkenne ein Gesetz, ich verstehe einen fremden Menschen. So lebe ich im Erkennen: Das Erkennen funktioniert, es ist nicht Gegenstand. Hingegen: dies Sehen, dies Erkennen, dies Verstehen ist andererseits eine Tatsache (die als Tatsache ihrerseits erkannt wird). Die Schwierigkeiten der Einstellungen lagen darin begründet daß die Erkenntnis, das ~Bewußtsein von« als Funktio~ in der Einstellung benutzt wird und andererseits in der Strukturantik als Tatsache auftritt, die in ihrer Eigenart sich aus der vorausgesetzten Strukturantik ergeben soll. Durch diese Doppelseitigkeit der Erkenntnis ist die Aufgabe klar vorgezeichnet, die die metaphysische Strukturantik gegenüber der Erkenntnis zu erfüllen hat: Die meta-

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physische Strukturo~tik muß derart g~staltet sein, daß Erkenntnis als Funktwn und Erkenntms als Tatsache, als Sein sich nicht widersprechen, sondern sich stützen; daß die Funktion der Erkenntnis durch die Strukturantik verständlich gemacht wird. Gerade hierin versagten die beiden Einstellungen: Erkenntnis als Funktion verlangte im Natu, ralismus. daß wir die Welt als reale zu erfassen imstande sind; all~in für diese Funktion war in der Strukturantik des Naturalismus kein Platz; in ihr gibt es nur Erkenntnis von Vorstellungen. In der Strukturantik der unmittelbaren Einstellung andererseits wurde das Erfassen der realen Welt unproblematisch hingenommen, allein es ist nicht verständlich wie die Funktion des Erfassens sich über Raum und Zeit' hin ausweiten soll. Durch diese Notwendigkeit: Erkennen als Funktion und Erkennen als Sein miteinander in Einklang zu bringen, rückt nun das Erkenntnisproblem, oder in einem weiteren Sinn genommen, das Bewußtseinspro~lem. (denn all.es Bewußtsein ist kognitiv) in einem neuen Smn m den Mittelpunkt der Metaphysik. Das Problem der Erkenntnis hatte in einer vergangenen Generation aus sehr verschiedenen Gründen im Zentrum der Philosophie gestanden: 1. Weil man der Philosophie nur noch die Berechtigung zugestand, die Erkenntnismethoden der Wissenschaften. zu untersuchen, die die Wissenschaften ausgebildet hatten (hierauf wurde bereits hingewiesen). 2. Weil man der Anschauung war: Sein sei , Setzung im Denken« (Cohen), so daß also das Denken und Erkennen erst das Sein zu schaffen habe (erkenntnistheoretischer Idealismus). 3. Weil man - an Locke sich anschließend - überzeugt war daß man nicht eher imstande sei, die Tragweiten und Mö~lichkeiten des Erkennens zu übersehen, ehe m~n das Erkennen selbst geprüft habe. Das Instrument, m1t dem 181

man die Welt zu erkennen gedachte, sollte erst untersucht werden, ehe man es verwenden wollte. Nur so glaubte man die Widersprüche philosophischer Systeme lösen zu können. Von diesem Standpunkt aus schien Kants Vorgehen vorbildlich, wenn er die Möglichkeit einer Metaphysik als Wissenschaft dadurch zu entscheiden unternahm, daß er die Erkenntnismethoden der Wissenschaft untersuchte. Von all diesen drei Auffassungen der Bedeutung der Erkenntnisuntersuchung für die Philosophie rücken wir hier ab. Für die erste und die dritte angeführte erkenntnistheoretische Richtung liegt der Nachdruck auf der Erkenntnis als Funktion, als Werkzeug- Erkenntnis als Seinstatsache fällt außerhalb ihres Gesichtskreises· für die zweite ·' Anschauung, für die Sein Setzung im Denken ist fallen metaphysische und funktionelle Bedeutung der Erkenntnis zusammen. Für uns hier bleiben dagegen Erkenntnis als Funktion und Erkenntnis als Sein getrennt. Die Beziehung zwischen beiden herzustellen ist gerade eine der grundlegenden Aufgaben der Metaphysik: Die Strukturantik des letzten Seins muß so beschaffen sein, daß aus ihr Erkenntnis als Funktion verständlich wird. Umgekehrt muß die Erkenntnistheorie ihrem Forschen einen solchen funktionellen Erkenntnisbegriff zugrunde legen, daß sich aus ihm ein Sein als Gegenstand des Erkennens ergibt, das eben dieses Erkennen wiederum als Teilfaktum in sich enthielte: Die Erkenntnis als Funktion muß zu einer Auffassung des Seins hinführen, aus der die Erkenntnis-Funktion als Seinstatsache verständlich wird. Von hier aus gesehen sind Metaphysik und Erkenntnistheorie nur zwei Aspekte, unter denen derselbe Tatbestand beleuchtet werden kann: Man kann vom Sein ausgehen und die Erkenntnis des Seins verständlich machen und man kann von der Erkenntnis ausgehen und das Sei~ der Erkenntnis verständlich machen. In diesem Sinn machen 182

wir uns hier das Wort Nicolai Hartmanns zu eigen: , Erkenntnistheorie setzt Metaphysik ebenso voraus, wie Metaphysik Erkenntnistheorie c •

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An dieser Stelle müssen wir Halt machen: Diese metaphysische Untersuchung der Erkenntnis ist nicht mehr unsere Aufgabe. Es kam einzig darauf an, zu zeigen, daß die beiden Einstellungen der Wissenschaften und ihre ~trukturontiken nicht ausreichen, um die Metaphysik zu begründen. Freilich hat dieses Versagen bei beiden Einstellungen verschiedenes Schwergewicht: Die naturalistische Einstellung führt zu wirkli c h e n Widersprüchen; es ist keinWeg denkbar, der von der Vorstellungswelt, in die das Subjekt nach ihr eingeschlossen ist zur wirklichen Welt zurückführt - zur wirklichen Welt, die' doch Voraussetzung der naturalistischen Einstellung ist. Es sind nicht eigentliche Widersprüche, sondern bloße Unverständlichkeiten, Unstimmigkeiten, die uns nötigten, die VerabsolutierUng der unmittelbaren Einstellung aufzugeben. Es ist nicht einzusehen, wie bei der Täuschung das Bild des Gegenstandes an den Gegenstand selbst hinkommt, oder wie es geschehen kann, daß das Subjekt das Objekt durch Raum und Zeit hindurch angreift. Sollte es nicht möglich sein, die unmittelbare Einstellung so zu modifizieren, daß diese Unstimmigkeiten wegfallen? Sollte nicht bei ihr- und. nicht bei der naturalistischen .Einstellung - der Ansatzpunkt liegen, um weiter zu kommen, um eine in sich haltbare Strukturantik der Metaphysik aufzubauen?