Neuauflage der Datumtheorie im Internationalen Privatrecht: Dissertationsschrift 9783161568886, 9783161568893, 3161568885

Im Internationalen Privatrecht ordnen Verweisungsregeln einem Sachverhalt das mit ihm am engsten verbundene Recht zu. Di

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German Pages 256 [277] Year 2019

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
A. Einführung in das Thema
B. Untersuchungsgegenstand
C. Gang der Untersuchung
D. Begriffsklärung
Erster Teil: Problemaufriss
A. Die klassische Verweisungsmethode
B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis
I. Ausländische Eingriffsnormen (Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO)
1. Einführung in die Problematik
2. Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen
a) „Trading with the enemy“
b) „Nigerianische Masken“
c) Zwischenergebnis
3. „Griechische Spargesetze“
a) Zum Sachverhalt
b) Sperrwirkung von Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO?
c) Entscheidung des EuGH (Nikiforidis) und Urteil des BAG
II. Sicherheits- und Verhaltensregeln (Art. 17 Rom II-VO)
1. Art. 17 Rom II-VO
2. „Verkehrsunfall in Südafrika“
III. Schadensberechnung (Erwägungsgrund 33 Rom II-VO)
IV. Zwischenergebnis
C. Das Spannungsverhältnis zwischen Verweisungsmethode und Berücksichtigung
I. Unschärfe der dogmatischen Begründung von „Berücksichtigungsvorgängen“
II. Relevanz der Untersuchung
1. Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 3 GG
2. Systemfremde statutistische Elemente
3. Kompetenzverteilung, Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV
4. IPR-Methodik und prozessuale Behandlung
5. Rechtssicherheit
D. Ergebnisse für den ersten Teil
Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie als Berücksichtigungsmethode
A. Die Berücksichtigung als sachrechtlicher Subsumtionsvorgang
I. Kein tertium zwischen Verweisungs- und Sachrecht
II. Sachnorm als normative Grundlage der Berücksichtigung
1. Geschriebene Berücksichtigungsanordnung
2. Argumentation mit der Natur der Sache
3. Verweisungsrechtliche Sonderanknüpfung
a) Die Sonderanknüpfung im IPR
b) Übertragbarkeit auf die Berücksichtigungsmethodik
c) Bilanz
4. Ungeschriebene Regel des herkömmlichen verweisungsrechtlichen Kollisionsrechts?
a) Zweistufenlehre (Erik Jayme/Hans-Joachim Hessler/Egon Lorenz)
b) Art. 3 EGBGB
5. Zwischenergebnis
III. Zwischenergebnis
B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung
I. Kriterien der Trennung von Verweisungs- und Sachrecht
1. Inhaltliches Interessenkriterium
2. Formelles Rechtsfolgekriterium
II. Zuordnungsversuch nach dem inhaltlichen Interessenkriterium
III. Zuordnungsversuch nach dem formellen Rechtsfolgekriterium
IV. Positiv-rechtlich funktionale Zuordnung nach dem Berücksichtigungsobjekt
1. Abgrenzung
2. Funktionale Zuordnung zum Verweisungs- oder Sachrecht
a) Regelungen ohne staatlichen Regelungscharakter (soft law)
aa) Begriff
bb) Kollisionsrechtliche Einordnung
(1) Zwischenstellung im Rechtssystem
(2) Kollisionsrechtliche Behandlung am Beispiel von Art. 17 Rom II-VO
(3) Zuordnung nach dem funktionalen Kriterium
b) Rechtsprechungsgrundsätze (z. B. richterliche Verschuldensmaßstäbe)
c) Normunabhängige Ereignisse (Tatsachen)
aa) Berücksichtigung der tatsächlichen Auswirkung einer Norm?
(1) „Nigerianische Masken“
(2) „Trading with the enemy“
(3) „Iranisches Bierimportverbot“
(4) „Sensor-Entscheidung“
bb) Berücksichtigung der Norm selbst
(1) Berücksichtigung normativer Auswirkungen
(2) Erfolgte vs. bevorstehende Normbefolgung
cc) Zwischenergebnis
V. Zwischenergebnis
C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen sachrechtlichsubsumtiver Form und verweisungsrechtlicher Funktion
I. Historie und Forschungsstand
1. US-amerikanische Herkunft der Datumtheorie
a) Conflicts Revolution
b) Brainerd E. Currie
c) Albert A. Ehrenzweig
aa) Die Ehrenzweig’sche Anknüpfungsleiter
bb) Local and moral data theory
(1) Local data
(2) Moral data
(3) Rezeption in den USA
2. Forschungsstand zur Datumtheorie im deutschen IPR
a) Import durch Erik Jayme
aa) Die Datumtheorie
bb) Einordnung sog. moral data
b) Rezeption im deutschen IPR
aa) Der Begriff „Datumtheorie“
(1) Theorie der faktischen Berücksichtigung ausländischen Rechts als Tatsache
(2) Rechtsrealistische Betrachtungsweise
(3) Vehikel zur methodischen Offenlegung und Konkretisierung der Berücksichtigung
bb) Der Begriff der local data
cc) Zwischenergebnis
3. Kritik
a) Rechtsunsicherheit
b) Hybridisierung von Verweisungs- und Sachrechtsebene
II. Die Datumtheorie als Theorie der faktischen Berücksichtigung von Recht als Tatsache?
1. Legal Transplant? Ideengeschichtliche Dekonstruktion: Die Datumtheorie als deskriptiver Rechtsrealismus
a) Die US-amerikanische Datumtheorie als Rechtsrealismus
b) Keine qualitativ andere Art der Heranziehung von Recht im US-amerikanischen Common Law
c) Das Zufallsmoment bei der Entstehung der Datumtheorie
d) Zwischenergebnis
2. Berücksichtigung ausländischer Rechtssätze als Tatsachen?
a) Materielles Sachrecht: Irrelevanz der allgemeinen Sein-Sollen-Dichotomie
b) Prozessrecht: Irrelevanz der beweisfähigen Auslandsnorm
c) Kollisionsrecht: Irrelevanz der Unterscheidung zwischen Anwendung und Berücksichtigung
aa) Stellung der zu berücksichtigenden Norm im rechtswissenschaftlichen Syllogismus
(1) Die Berücksichtigung im inländischen Sachverhalt
(2) Existenz unselbständiger Normen
(3) Vergleich mit der verweisungsrechtlichen Vorfragenanknüpfung
(4) Zwischenergebnis
bb) Berücksichtigung der tatsächlichen Auswirkungen einer Norm
d) Zwischenergebnis
3. Keine Kodfikation der Behandlung von Recht als Tatsache durch Art. 17 Rom II-VO
4. Keine Anerkennung der Berücksichtigung von Recht als Tatsache durch den EuGH (Nikiforidis)
5. Zwischenergebnis
III. Rechtsrealistische Betrachtungsweise?
D. Ergebnisse für den zweiten Teil
Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung und Konkretisierung der Berücksichtigung
A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung
I. Defizite des formalen Verweisungsmechanismus
1. Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen
a) Die analytische Methode des IPR (Goldschmidt)
b) Eviktionswirkung
c) Das Problem abstrakt-genereller Vorhersagen im IPR
2. Nacheinander verschiedener Rechtsordnungen
3. Spannungslagen im unionsrechtlich harmonisierten IPR
4. Zwischenergebnis
II. Funktion der richterlichen Berücksichtigung
1. Notwendigkeit der angemessenen Abbildung der Internationalität eines Sachverhaltes?
a) Völkerrecht
b) Grundgesetz
c) Unionsrechtliches Primärrecht
d) Zwischenergebnis
2. „Dogmatisches Ventil“
a) Ausgleich typisierender Anknüpfungen
b) Internationaler Entscheidungseinklang
c) Kulturelle Vielfalt
3. Abgrenzung zu bestehenden verweisungsrechtlichen Auflockerungsmethoden
a) Ausweichklausel
b) Sonderanknüpfung (von Eingriffsnormen)
c) Teilfrage, Erstfrage, Vorfrage
aa) Teilfrage
bb) Erstfrage und Vorfrage
d) Ordre public-Vorbehalt
e) Zwischenergebnis
4. Gesetzgeberische Anerkennung der richterlichen Berücksichtigung
III. Regelungsbedürfnis der richterlichen Berücksichtigung
1. Anerkannte Auflockerungsmethoden auf Sachrechtsebene
a) Substitution
b) Transposition
c) Handeln unter fremdem Recht
d) Sachrechtliche Anpassung
e) Zwischenergebnis
2. Sachnormen im IPR
3. Auslandssachverhalt (Kegel)
4. Tatbestandswirkung ausländischen Rechts (Stoll)
5. Adaption an die Internationalität des Sachverhaltes (von Bar/Mankowski)
6. Unechte Vorwirkung von Rechtsnormen
IV. Zwischenergebnis
B. Anwendungsvoraussetzungen
I. Importoffene Sachnorm
1. „Normativer“ Begriff
a) Abgrenzung zu deskriptiven Begriffen
b) Einzelfallbedingte Auslegungsabhängigkeit
2. Bilateralisierung
a) Unilateraler Ursprung der Datumtheorie
b) Vermeintliche Hürden der Bilateralisierung
c) Auswirkungen der Bilateralisierung
3. Einzelfallbedingtes Defizit der Verweisungsentscheidung
4. Doppelter Rechtsordnungsbezug
a) Erfordernis einer engen Verbindung zum Sachverhalt
b) Normative Relevanz
c) Ausgestaltung im Einzelnen
d) Zwischenergebnis
5. Grenzen
a) Aus der Sachnorm
b) Verweisungsrechtliche Grenzen
c) Grundsatz der engen Auslegung
6. Zwischenergebnis
II. Berücksichtigungsfähige Bezugsobjekte
1. Normen ohne staatlichen Regelungscharakter (soft law)?
2. Rechtslagen?
a) Die Anerkennung von Rechtslagen
aa) Abgrenzung zum Anerkennungsprinzip
bb) Die Anerkennungsmethode
b) Berücksichtigung von Rechtslagen
c) Zwischenergebnis
3. Moral data?
4. Zwischenergebnis
C. Rechtsfolge
I. Auslegungsspielraum des Gerichts
1. Abgrenzung zu diskretionären Berücksichtigungsanordnungen
2. Beispiele
II. Zwischenergebnis
D. Prozessuale Behandlung
I. Ausländisches Recht
II. Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften im Rahmen des Art. 17 Rom II-VO
III. Übertragbarkeit auf die Datumtheorie
IV. Zwischenergebnis
E. Anwendungsbeispiele
I. „Griechische Spargesetze“
II. „Verkehrsunfall in Südafrika“
F. Ausblick: Alternative Regulierungsansätze
I. Ausweitung der Teilfragenanknüpfung
II. Ausbau der Anerkennung von Rechtslagen
III. Kodifikation der Datumtheorie
1. Unionsrechtliche Kompetenz gem. Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV?
2. Zweckmäßigkeit der Kodifikation
G. Ergebnisse für den dritten Teil
Zusammenfassung in Thesenform
Literaturverzeichnis
Entscheidungsverzeichnis
Sachverzeichnis
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Neuauflage der Datumtheorie im Internationalen Privatrecht: Dissertationsschrift
 9783161568886, 9783161568893, 3161568885

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 430 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann

Charlotte Harms

Neuauflage der Datumtheorie im Internationalen Privatrecht

Mohr Siebeck

Charlotte Harms, geboren 1989; Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Freiburg und Padua; Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Heidelberg; 2018 Promotion; derzeit Rechtsanwältin in Berlin.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Vereins zur Förderung des Deutschen, Europäischen und Vergleichenden Wirtschaftsrechts e.V. ISBN 978-3-16-156888-6 / eISBN 978-3-16-156889-3 DOI 10.1628/978-3-16-156889-3 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­nal­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-­KarlsUniversität Heidelberg im Sommer 2017 als Dissertation angenommen. Die ­A rbeit entspricht im Wesentlichen dem Stand der Literatur und Rechtsprechung von Sommer 2017. Ausgewählte Literatur und Rechtsprechung konnten bis ­April 2019 berücksichtigt werden. Mein herzlichster Dank gilt meinem verehrten Doktorvater, Professor Dr. Marc-Philippe Weller, Licencié en droit privé. Er hat das Thema vorgeschlagen und die Arbeit umfassend betreut. Während meiner Zeit an seinem Lehrstuhl und auch danach hat er mich stets mit wertvollem Rat begleitet und mir neben vielem anderen nicht zuletzt zwei Forschungsaufenthalte im Ausland ermöglicht. Auf die schöne Zeit an seinem Lehrstuhl und die damit verbundene besondere Förderung werde ich immer gern zurückblicken. Professor Dr. Dres. h.c. Herbert Kronke danke ich zum einen für wertvolle Hinweise während der Entstehung der Arbeit und zum anderen für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Professor Dr. Dr. h.c. mult. Erik Jayme, LL.M. (Berkeley), trug zur Fertigstellung dieser Arbeit durch seine stete Gesprächsbereitschaft über Albert A. Ehrenzweig und die Datumtheorie bei und hat die mündliche Doktorprüfung als Vorsitzender geleitet. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat die Arbeit durch ein Promotionsstipendium gefördert. Die Gibson, Dunn & Crutcher LL.P. hat meinen Forschungsaufenthalt am UC Berkeley durch ein Reisestipendium mitfinanziert; der LERU Doktorandenaustausch hat mir einen weiteren Forschungsaufenthalt ermöglicht. Den Herausgebern der Schriftenreihe „Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht“ (StudIPR) danke ich für die Aufnahme der Arbeit. Der Verein zur Förderung des Deutschen, Europäischen und Vergleichenden Wirtschaftsrechts e.V. hat die Drucklegung dankenswerterweise mit einem Druckkostenzuschuss gefördert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht in Heidelberg haben die Entstehung der Arbeit mit gutem Rat und fachlichem Austausch begleitet. Für ihre kritischen Anmerkungen und teilweise auch für das mühevolle Korrekturlesen ­danke ich allen voran Dr. Leonhard Hübner, M.Jur (Oxford), sowie Dennis

VI

Vorwort

­ordan, Jakob Gleim, Dr. Nikolas Guggenberger, LL.M. (Stanford), Irene F ­Hauber, Dr. Maximilian Pika, Professor Dr. Chris Thomale, LL.M. (Yale), und Dr. Ludwig U ­ lmer, MBA (Chicago). Gabriele Schuler verdanke ich das wert­ volle Lektorat während der Zeit der Drucklegung. Mein größter Dank gilt meiner Schwester und meinen Eltern für ihre verlässliche Unterstützung. Berlin, im Mai 2019

Charlotte Harms

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Einführung in das Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 D. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Erster Teil: Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Die klassische Verweisungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . 13 C. Das Spannungsverhältnis zwischen Verweisungsmethode und Berücksichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 D. Ergebnisse für den ersten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie als Berücksichtigungsmethode . . . . . . . . . . 45 A. Die Berücksichtigung als sachrechtlicher Subsumtionsvorgang . . . 47 B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung . . . . . . . 58 C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen sachrechtlichsubsumtiver Form und verweisungsrechtlicher Funktion . . . . . . . 84 D. Ergebnisse für den zweiten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung und Konkretisierung der Berücksichtigung . . . . . . 125 A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung . . . . . . . 126 B. Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

VIII

Inhaltsübersicht

C. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 D. Prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 E. Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 F. Ausblick: Alternative Regulierungsansätze . . . . . . . . . . . . . . 212 G. Ergebnisse für den dritten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Einführung in das Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 D. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Erster Teil: Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Die klassische Verweisungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Ausländische Eingriffsnormen (Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO) . . . . 14 1. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen . . . . . . . 18 a) „Trading with the enemy“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 b) „Nigerianische Masken“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3. „Griechische Spargesetze“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 a) Zum Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 b) Sperrwirkung von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO? . . . . . . . . 23 c) Entscheidung des EuGH (Nikiforidis) und Urteil des BAG 26 II. Sicherheits- und Verhaltensregeln (Art.  17 Rom II-VO) . . . . . . 27 1. Art.  17 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. „Verkehrsunfall in Südafrika“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Schadensberechnung (Erwägungsgrund 33 Rom II-VO) . . . . . 29 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 C. Das Spannungsverhältnis zwischen Verweisungsmethode und Berücksichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

X

Inhaltsverzeichnis

I. Unschärfe der dogmatischen Begründung von „Berücksichtigungsvorgängen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Relevanz der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Gewaltenteilung, Art.  20 Abs.  3 GG . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Systemfremde statutistische Elemente . . . . . . . . . . . . . 40 3. Kompetenzverteilung, Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV . . . . . . 41 4. IPR-Methodik und prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . 42 5. Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 D. Ergebnisse für den ersten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie als Berücksichtigungsmethode . . . . . . . . . . 45 A. Die Berücksichtigung als sachrechtlicher Subsumtionsvorgang . . . 47 I. Kein tertium zwischen Verweisungs- und Sachrecht . . . . . . . 47 II. Sachnorm als normative Grundlage der Berücksichtigung . . . 49 1. Geschriebene Berücksichtigungsanordnung . . . . . . . . . . 49 2. Argumentation mit der Natur der Sache . . . . . . . . . . . . 50 3. Verweisungsrechtliche Sonderanknüpfung . . . . . . . . . . 51 a) Die Sonderanknüpfung im IPR . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Übertragbarkeit auf die Berücksichtigungsmethodik . . . 52 c) Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4. Ungeschriebene Regel des herkömmlichen verweisungsrechtlichen Kollisionsrechts? . . . . . . . . . . . 54 a) Zweistufenlehre (Erik Jayme/Hans-Joachim Hessler/ Egon Lorenz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Art.  3 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung . . . . . . . 58 I. Kriterien der Trennung von Verweisungs- und Sachrecht . . . . 58 1. Inhaltliches Interessenkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Formelles Rechtsfolgekriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 II. Zuordnungsversuch nach dem inhaltlichen Interessenkriterium 61 III. Zuordnungsversuch nach dem formellen Rechtsfolgekriterium . 63 IV. Positiv-rechtlich funktionale Zuordnung nach dem Berücksichtigungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Funktionale Zuordnung zum Verweisungs- oder Sachrecht . 66 a) Regelungen ohne staatlichen Regelungscharakter (soft law) 67

Inhaltsverzeichnis

XI

aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Kollisionsrechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . 68 (1) Zwischenstellung im Rechtssystem . . . . . . . . . 68 (2) Kollisionsrechtliche Behandlung am Beispiel von Art.  17 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (3) Zuordnung nach dem funktionalen Kriterium . . . 69 b) Rechtsprechungsgrundsätze (z. B. richterliche Verschuldensmaßstäbe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 c) Normunabhängige Ereignisse (Tatsachen) . . . . . . . . . . 72 aa) Berücksichtigung der tatsächlichen Auswirkung einer Norm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (1) „Nigerianische Masken“ . . . . . . . . . . . . . . . 73 (2) „Trading with the enemy“ . . . . . . . . . . . . . . 74 (3) „Iranisches Bierimportverbot“ . . . . . . . . . . . 74 (4) „Sensor-Entscheidung“ . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Berücksichtigung der Norm selbst . . . . . . . . . . . 77 (1) Berücksichtigung normativer Auswirkungen . . . 77 (2) Erfolgte vs. bevorstehende Normbefolgung . . . . 78 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen sachrechtlichsubsumtiver Form und verweisungsrechtlicher Funktion . . . . . . . 84 I. Historie und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. US-amerikanische Herkunft der Datumtheorie . . . . . . . . 85 a) Conflicts Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Brainerd E. Currie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 c) Albert A. Ehrenzweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) Die Ehrenzweig’sche Anknüpfungsleiter . . . . . . . . 89 bb) Local and moral data theory . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Local data . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (2) Moral data . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (3) Rezeption in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Forschungsstand zur Datumtheorie im deutschen IPR . . . . 94 a) Import durch Erik Jayme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Die Datumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 bb) Einordnung sog. moral data . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Rezeption im deutschen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 aa) Der Begriff „Datumtheorie“ . . . . . . . . . . . . . . 97 (1) Theorie der faktischen Berücksichtigung ausländischen Rechts als Tatsache . . . . . . . . . 97

XII

Inhaltsverzeichnis

(2) Rechtsrealistische Betrachtungsweise . . . . . . . 99 (3) Vehikel zur methodischen Offenlegung und Konkretisierung der Berücksichtigung . . . . 99 bb) Der Begriff der local data . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Hybridisierung von Verweisungs- und Sachrechtsebene . 102 II. Die Datumtheorie als Theorie der faktischen Berücksichtigung von Recht als Tatsache? . . . . . . . . . . . . 103 1. Legal Transplant? Ideengeschichtliche Dekonstruktion: Die Datumtheorie als deskriptiver Rechtsrealismus . . . . . . 103 a) Die US-amerikanische Datumtheorie als Rechtsrealismus 104 b) Keine qualitativ andere Art der Heranziehung von Recht im US-amerikanischen Common Law . . . . . . . . . . . . 107 c) Das Zufallsmoment bei der Entstehung der Datumtheorie 108 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Berücksichtigung ausländischer Rechtssätze als Tatsachen? . 110 a) Materielles Sachrecht: Irrelevanz der allgemeinen Sein-Sollen-Dichotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Prozessrecht: Irrelevanz der beweisfähigen Auslandsnorm 111 c) Kollisionsrecht: Irrelevanz der Unterscheidung zwischen Anwendung und Berücksichtigung . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Stellung der zu berücksichtigenden Norm im rechtswissenschaftlichen Syllogismus . . . . . . . 112 (1) Die Berücksichtigung im inländischen Sachverhalt 114 (2) Existenz unselbständiger Normen . . . . . . . . . 114 (3) Vergleich mit der verweisungsrechtlichen Vorfragenanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Berücksichtigung der tatsächlichen Auswirkungen einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Keine Kodfikation der Behandlung von Recht als Tatsache durch Art.  17 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4. Keine Anerkennung der Berücksichtigung von Recht als Tatsache durch den EuGH (Nikiforidis) . . . . . . . . . . . 119 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 III. Rechtsrealistische Betrachtungsweise? . . . . . . . . . . . . . . 121 D. Ergebnisse für den zweiten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

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XIII

Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung und Konkretisierung der Berücksichtigung . . . . . . 125 A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung . . . . . . . 126 I. Defizite des formalen Verweisungsmechanismus . . . . . . . . 127 1. Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen . . . . . . . 127 a) Die analytische Methode des IPR (Goldschmidt) . . . . . . 127 b) Eviktionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Das Problem abstrakt-genereller Vorhersagen im IPR . . . 129 2. Nacheinander verschiedener Rechtsordnungen . . . . . . . . 130 3. Spannungslagen im unionsrechtlich harmonisierten IPR . . . 131 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 II. Funktion der richterlichen Berücksichtigung . . . . . . . . . . . 132 1. Notwendigkeit der angemessenen Abbildung der Internationalität eines Sachverhaltes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Unionsrechtliches Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 135 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. „Dogmatisches Ventil“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Ausgleich typisierender Anknüpfungen . . . . . . . . . . . 136 b) Internationaler Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . 139 c) Kulturelle Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3. Abgrenzung zu bestehenden verweisungsrechtlichen Auflockerungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Ausweichklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Sonderanknüpfung (von Eingriffsnormen) . . . . . . . . . 144 c) Teilfrage, Erstfrage, Vorfrage . . . . . . . . . . . . . . . . 144 aa) Teilfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 bb) Erstfrage und Vorfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 d) Ordre public-Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 4. Gesetzgeberische Anerkennung der richterlichen Berücksichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 III. Regelungsbedürfnis der richterlichen Berücksichtigung . . . . . 152 1. Anerkannte Auflockerungsmethoden auf Sachrechtsebene . . 154 a) Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Transposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Handeln unter fremdem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 157

XIV

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d) Sachrechtliche Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Sachnormen im IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Auslandssachverhalt (Kegel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 4. Tatbestandswirkung ausländischen Rechts (Stoll) . . . . . . . 164 5. Adaption an die Internationalität des Sachverhaltes (von Bar/Mankowski) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 6. Unechte Vorwirkung von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . 166 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 B. Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Importoffene Sachnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. „Normativer“ Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Abgrenzung zu deskriptiven Begriffen . . . . . . . . . . . 170 b) Einzelfallbedingte Auslegungsabhängigkeit . . . . . . . . 171 2. Bilateralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 a) Unilateraler Ursprung der Datumtheorie . . . . . . . . . . 174 b) Vermeintliche Hürden der Bilateralisierung . . . . . . . . 175 c) Auswirkungen der Bilateralisierung . . . . . . . . . . . . 176 3. Einzelfallbedingtes Defizit der Verweisungsentscheidung . . 176 4. Doppelter Rechtsordnungsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Erfordernis einer engen Verbindung zum Sachverhalt . . . 178 b) Normative Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Ausgestaltung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5. Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Aus der Sachnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Verweisungsrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Grundsatz der engen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . 186 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 II. Berücksichtigungsfähige Bezugsobjekte . . . . . . . . . . . . . 187 1. Normen ohne staatlichen Regelungscharakter (soft law)? . . 187 2. Rechtslagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Die Anerkennung von Rechtslagen . . . . . . . . . . . . . 189 aa) Abgrenzung zum Anerkennungsprinzip . . . . . . . . 189 bb) Die Anerkennungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Berücksichtigung von Rechtslagen . . . . . . . . . . . . . 191 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Moral data? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

Inhaltsverzeichnis

XV

C. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I. Auslegungsspielraum des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Abgrenzung zu diskretionären Berücksichtigungsanordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 II. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 D. Prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 I. Ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 II. Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften im Rahmen des Art.  17 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . 202 III. Übertragbarkeit auf die Datumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . 203 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 E. Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. „Griechische Spargesetze“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 II. „Verkehrsunfall in Südafrika“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 F. Ausblick: Alternative Regulierungsansätze . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Ausweitung der Teilfragenanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . 212 II. Ausbau der Anerkennung von Rechtslagen . . . . . . . . . . . . 214 III. Kodifikation der Datumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Unionsrechtliche Kompetenz gem. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV? . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Zweckmäßigkeit der Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . 217 G. Ergebnisse für den dritten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AG Amtsgericht / Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) AGBG Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen AktG Aktiengesetz Am.J.Comp.L. The American Journal of Comparative Law Ann.Surv.Am.L. Annual Survey of American Law Art. Artikel BAG Bundesarbeitsgericht BB Der Betriebs-Berater BeckOGK Beck’scher Online-Großkommentar BeckOK Beck’scher Online-Kommentar BerDGesVR Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Beschl. Beschluss BG Schweizerisches Bundesgericht BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BGHZ Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen bspw. beispielsweise BT-Drucks. Drucksachen des deutschen Bundestags Buff.L.Rev. Buffalo Law Review BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ca. circa Cal.L.Rev. California Law Review Colum.L.Rev. Columbia Law Review d. h. das heißt ders. derselbe dies. dieselbe Duke L.J. Duke Law Journal ebd. ebenda

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

ed. edition EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Einf. Einführung Einl. Einleitung EL Ergänzungslieferung EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EuLF The European Legal Forum EUV Vertrag über die Europäische Union EuZA Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EVÜ Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von 1980 EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht FamFG Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht f., ff. folgende Fn. Fußnote FS Festschrift Ga.J.Int’l & Georgia Journal of International & Comparative Law   Comp. L. GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls gem. gemäß GleichberG Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts GPR Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR Int Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil GYIL German Yearbook of International Law Harv.L.Rev. Harvard Law Review Hk-BGB Handkommentar Bürgerliches Gesetzbuch Hrsg. Herausgeber/Herausgeberinnen i. d. R. in der Regel IPR Internationales Privatrecht IPRG Gesetz über das Internationale Privatrecht IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts i. S. d. im Sinne des i. S. e. im Sinne einer IWRZ Zeitschrift für internationales Wirtschaftsrecht JR Juristische Rundschau jurisPK-BGB juris Praxiskommentar Bürgerliches Gesetzbuch JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung KG Kammergericht KSchG Kündigungsschutzgesetz LAG Landesarbeitsgericht lat. lateinisch

Abkürzungsverzeichnis

XIX

Law and Contemp. Law and Contemporary Problems  Probs. L.Q.Rev. Law Quarterly Review LG Landgericht lit. litera LMK Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier Möhring m.Anm. mit Anmerkung Mercer L.Rev. Mercer Law Review Mich.L.Rev. Michigan Law Review Minn.L.Rev. Minnesota Law Review MünchKommBGB Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch MünchKommZPO Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung m. w. N. mit weiteren Nachweisen NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nr. Nummer NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) OLG Oberlandesgericht Okla.L.Rev. Oklahoma Law Review ÖstZÖR Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht PWW Hanns Prütting/Gerhard Wegen/Gerd Weinreich, BGB Kommentar RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RdA Recht der Arbeit RG Reichsgericht RGZ Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RIW Recht der Internationalen Wirtschaft Rn. Randnummer Rom I-VO Verordnung (EG) Nr.  593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Rom II-VO Verordnung (EG) Nr.  864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) Rocky Mntn. Rocky Mountain Law Review  L.Rev. Rs. Rechtssache Rz. Randziffer S. Seite, Satz sog. sogenannt StAZ Zeitschrift für Standesamtwesen StVO Straßenverkehrsordnung SVR Straßenverkehrsrecht SZIER Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Tul.L.Rev. Tulane Law Review UK Vereinigtes Königreich U.Ill.L.Rev. University of Illinois Law Review

XX

Abkürzungsverzeichnis

Urt. Urteil usw. und so weiter UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. a. vor allem Var. Variante VersR Versicherungsrecht vgl. vergleiche vs. versus Wash.Lee.L.Rev. Washington and Lee Law Review WM Wertpapiermitteilungen z. B. zum Beispiel ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht ZfRV Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZVglRWiss Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft ZPO Zivilprozessordnung

Einleitung A. Einführung in das Thema Das Internationale Privatrecht (IPR) dient der Achtung vor dem Fremden.1 Es verwirklicht Gerechtigkeit durch die räumliche Zuteilung eines Sachverhaltes zu der mit ihm am engsten verbundenen Rechtsordnung.2 Die Zuordnung ge­ schieht herkömmlich durch geschriebene und ungeschriebene Verweisungs­ regeln.3 In Verweisungsregeln werden entlang der überkommenen zivilrecht­ lichen Kategorien Systembegriffe (Anknüpfungsgegenstände) gebildet und ­einem bestimmten Recht zugeordnet, das mithilfe von Anknüpfungspunkten wie der Staatsangehörigkeit oder dem gewöhnlichen Aufenthalt ermittelt wird.4 Die Verweisungsentscheidung mittels solcher Verweisungsregeln erfolgt typi­ siert und insbesondere ungeachtet des sachrechtlichen Ergebnisses im Einzel­ fall.5 Wie das nach der Verweisung anwendbare Recht den Sachverhalt löst, ist nicht Gegenstand des IPR.6 Die Auswahlentscheidung für eine Rechtsordnung gleicht vielmehr einem Sprung ins Dunkle (Leo Raape).7 Zugleich hat sie Evik­ tionswirkung: Auf einen Sachverhalt ist idealerweise nur die eine verweisungs­ rechtlich ausgewählte Rechtsordnung anwendbar, die übrigen mit dem Sachver­ halt verbundenen Rechtsordnungen werden grundsätzlich verdrängt.8 1  Goldschmidt, Die philosophischen Grundlagen des Internationalen Privatrechts, in: FS Wolff (1952), S.  203, 205. 2  Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 752. 3  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  1 ff. 4  Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 771. 5  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  14; §  6 Rn.  136. 6  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 1. 7  Raape/Sturm, IPR, 6.  Aufl. 1977, §  13 I 1. 8  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 195 f.: „Das Internationale Privatrecht trifft Auswahlentscheidungen: Unter mehreren in Frage kommenden Rechtsord­ nungen wird nur eine zur Anwendung berufen. Als Kehrseite hat der Anwendungsbefehl Eviktionswirkung: Anderen Rechtsordnungen mit Sachverhaltsnähe wird die Anwendung versagt. Geprägt ist der Auswahlvorgang dabei von einer binären Logik. Es wird entweder das Recht des Staates A oder aber dasjenige des Staates B für anwendbar erklärt.“ Zur Notwen­ digkeit der Korrektur und Ergänzung der Verweisungsentscheidung vgl. Dritter Teil A.II.2.

2

Einleitung

Die typisierte Zuordnung eines Sachverhaltselements zu einer Rechtsord­ nung wird häufig nicht der Vielgestaltigkeit international-privatrechtlicher Sachverhaltskonstellationen gerecht.9 Die Gerichte korrigieren deshalb die Eviktionswirkung der Verweisungsentscheidung, indem sie an sich verdrängte Rechtsnormen bei ihrer Entscheidung mitberücksichtigen.10 Die klassische Verweisungsmethode führt durch einen Wandel der Anknüp­ fungspunkte von der Staatsangehörigkeit zum gewöhnlichen Aufenthalt11 und aufgrund politischer Unilateralisierungstendenzen (Marc-Philippe Weller) zu­ dem immer häufiger zur Berufung der lex fori.12 Um der Internationalität der Sachverhalte Rechnung zu tragen, werden den Verweisungsregeln zunehmend Methoden hinzugefügt, die Normen ausländischer Rechtsordnungen auf andere Weise als durch Verweisung heranziehen.13 Ergänzt wird der herkömmliche Verweisungsmechanismus namentlich durch die Anerkennung von Rechtslagen und die jüngst vermehrt diskutierte Berücksichtigungsmethode.14 Weller sieht in der Berücksichtigung neben der Verweisung und Anerkennung eine eigene Methode des IPR.15 Die Methode der Berücksichtigung ist bislang nicht ab­ schließend definiert.16 Die Gerichte begründen ihre Relevanz für die Falllösung bislang traditionell mit „der Natur der Sache“.17 9  Goldschmidt, Die philosophischen Grundlagen des Internationalen Privatrechts, in: FS Wolff (1952), S.  203, 208 ff.; Jayme, Zugehörigkeit und kulturelle Identität (2012), S.  31 ff.; Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 195 ff.; ders., Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmoderne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  53 f. 10  Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 772 ff. 11  Looschelders, in: Staudinger, BGB Neubearbeitung 2019, Einl zum IPR Rn.  230; Weller, Das Personalstatut in Zeiten der Massenmigration, in: BerDGesVR Band 49 (2018), S.  247, 250. 12  Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 757 ff. 13  Ebd., S.  770 ff. 14  Ebd., S.  770 ff. 15  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 203 ff.; ders., RabelsZ 81 (2017), 747, 775 ff. Ähnlich unterscheidet Wendehorst zwischen Verweisung und Anerken­ nung, nennt aber als dritte Kategorie das Geltungsparadigma, das der Idee folge, dass Nor­ men aufgrund ihres personalen oder territorialen Geltungsanspruchs aus sich selbst heraus Anwendung fänden, wie dies z. B. bei Eingriffsnormen der Fall sei, Wendehorst, Denkschu­ len im Internationalen Privatrecht, in: BerDGesVR, Band 45 (2012), S.  33, 42 ff., 49 f.; vgl. zu einer ähnlichen Unterscheidung bzgl. der verschiedenen Möglichkeiten, ausländischen Ein­ griffsnormen Rechnung zu tragen, Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41, 62 ff. 16  Vgl. dazu Erster Teil C. und Zweiter Teil Einleitung. 17  BGH, Urt. v. 23.11.1971, VI ZR 97/70, BGHZ 57, 265: „Es ist allgemein anerkannt, dass stets die verkehrsrechtlichen Verhaltensnormen des Handlungsorts anzuwenden sind. Es ist

A. Einführung in das Thema

3

Ein Beispiel für die Berücksichtigung in der Rechtsprechung ist ein Ver­ kehrsunfall zweier in Deutschland lebender Studentinnen in Südafrika. Die Ur­ sache für den Unfall war, dass die Fahrerin beim Abbiegen das südafrikanische Linksfahrgebot missachtet hatte und infolgedessen mit einem entgegenkom­ menden Fahrzeug kollidiert war. Nachdem die Beifahrerin die Fahrerin in Deutschland auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagt hatte, stellte sich für das Gericht die Frage nach dem auf den Sachverhalt anwendbaren Recht. Grundsätzlich war gem. Art.  40 EGBGB (heute: Art.  4 Abs.  2 Rom II-VO) deut­ sches Recht anwendbar, da beide Personen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten.18 Das Gericht subsumierte den Sachverhalt demzufolge un­ ter §  823 Abs.  1 Var. 2 und 3 BGB. Bei der Frage, ob die Fahrerin den Unfall zu verschulden hatte, berücksichtigte der BGH – ohne erneute verweisungsrechtli­ che (Teilfragen-) Anknüpfung – das südafrikanische Linksfahrgebot.19 Eine Begründung schien überflüssig, es wäre nachgerade absurd gewesen, die Rechtswidrigkeit und das Verschulden im südafrikanischen Straßenverkehr an deutschen Straßenverkehrsvorschriften zu messen. Es finden sich viele weitere Fälle, in denen ähnliche Bezugnahmen auf statutsfremde Vorschriften ohne nä­ here Erklärung vorgenommen werden.20 Indes bleibt die dogmatische Begrün­ dung des Vorgangs hinter dem Begriff der „Natur der Sache“ verborgen. Die theoretische Fundierung dieses Vorgangs birgt mehr als nur einen Zuge­ winn an Rechtssicherheit. Denn die Berücksichtigung führt zu einer Frage der Gewaltenteilung: In welchen Fällen darf das Gericht ausnahmsweise aus dem anwendbaren Sachrecht heraus die vorhersehbare und rechtssichere verwei­ sungsrechtliche Entscheidung des Gesetzes korrigieren? Darüber hinaus stellt sich ein weiteres Kompetenzproblem: Handelte es sich bei der Berücksichti­ gung um eine sachrechtliche Frage, könnte dies zum Anlass genommen werden, zu prüfen, ob nach Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV überhaupt die gesetzgeberische Kompetenz für den Erlass von Berücksichtigungsanordnungen wie Art.  17 Rom II-VO bestünde.21 Sache dieses Staates zu bestimmen, wie sich die Verkehrsteilnehmer auf den Straßen seines Hoheitsgebiets zu verhalten haben. Das ergibt sich aus der Natur der Sache und ist im Inte­ resse der Verkehrssicherheit geboten [...].“ 18  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482. 19  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485: „Das Berufungsgericht hat der Bewertung des Verhaltens der Beklagten zu Recht deutsches Recht zugrunde gelegt. Allerdings beurteilt sich die Frage, ob ein Fehlverhalten im Straßenverkehr als grob anzuse­ hen ist, grundsätzlich nach den am Tatort geltenden Verkehrsnormen.“ 20  Vgl. dazu Erster Teil B. 21  Dabei kann die Einordnung der Berücksichtigung als Sach- oder Verweisungsrecht le­ diglich Ausgangspunkt dafür sein, die Kompetenz nach Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV infrage zu

4

Einleitung

Mit der Diskussion um die Berücksichtigung erfährt auch die Datumtheorie vermehrt Aufmerksamkeit. Den Begriff der Datumtheorie prägte insbesondere Albert A. Ehrenzweig.22 Er nutzte den Begriff „Datumtheorie“, um die richter­ liche Berücksichtigung statutsfremden Rechts innerhalb des anwendbaren Sachrechts rechtsrealistisch zu beschreiben.23 Für ihn war der Begriff ein Gegen­entwurf zur (europäischen) Übertheoretisierung abseits jeglichen Reali­ tätsbezugs.24 Nachdem Erik Jayme die Datumtheorie in die deutsche Rechtswis­ senschaft „importiert“ hatte,25 sieht Weller in ihr heute Potential für eine zu­ künftig zentrale Ausprägung der Berücksichtigungsmethode.26 Für die Datumtheorie stellen sich dieselben Fragen nach Rechtssicherheit, Gewaltenteilung und Erlasskompetenz wie für die Berücksichtigung. Zudem wird das Verhältnis von Berücksichtigungsmethode und Datumtheorie nicht einheitlich beschrieben und es existiert für keinen der beiden Begriffe eine all­ gemein anerkannte Definition. So finden sich im international-privatrechtlichen Schrifttum gleich auf den ersten Blick drei Möglichkeiten, die Datumtheorie zu definieren: erstens als Methode zur faktischen Berücksichtigung ausländischen Rechts als Tatsache oder als datum; zweitens als bloße rechtsrealistische Be­ schreibung der richterlichen Tätigkeit oder drittens als Vehikel zur Offenlegung und Konturierung der Berücksichtigung. Die Legitimation der Datumtheorie, wie sie sich diese Arbeit zum Ziel setzt, begegnet deshalb der Schwierigkeit, eine uneinheitlich beschriebene „Datum­ theorie“ in eine ebenfalls unscharfe „Berücksichtigungsmethode“ einzupassen.

stellen. Letztlich könnte sich auf unionsrechtlicher Ebene der Begriff des „Kollisionsrechts“, unionsrechtsautonom ausgelegt, anders bestimmen als aus nationaler deutscher Sicht. 22  Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev., 55 ff. (1966). Der Begriff des datums geht zurück auf ­Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (1963), S.  67; vgl. dazu Zweiter Teil C.I.1. und II.1. 23  Reimann, Albert A. Ehrenzweig and the American Conflict of Laws, in: Der Einfluß deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland (1993), S.  397, 414 f.: „Ehrenzweig’s ‚data-theory‘ is much less central than his ‚lex fori approach‘ for an evaluation of his lasting influence in America simply because it was never meant as a normative idea according to which American conflicts law should be shaped but rather pre­ sented as a descriptive statement about the choice-of-law process as it is“; vgl. zur Datumthe­ orie Ehrenzweigs auch Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sach­ normen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37 ff. 24  Ehrenzweig, Wirklichkeiten einer „lex-fori Theorie“, in: FS Wengler (1973), S.  251 ff. 25  Vgl. z. B. Jayme, StAZ 1971, 65, 72; ders., Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37 ff. 26  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 207 f.

B. Untersuchungsgegenstand

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B. Untersuchungsgegenstand Am häufigsten verbreitet ist die Ansicht, die Datumtheorie nehme einerseits für sich in Anspruch, ausländisches Recht nicht als Recht, sondern nur als „Tatsa­ che“ oder als datum27 zu berücksichtigen, könne jedoch andererseits nicht erklä­ ren, worin genau der Unterschied zwischen der Anwendung einer Rechtsnorm und der Berücksichtigung eines datum besteht.28 Dies macht die Datumtheorie zum Gegenstand von Kritik.29 Laut Hans-Jürgen Sonnenberger vermische die Datumtheorie Verweisungs- und Sachrechtsebene und führe zu einem „Metho­ denmix“ und einer „willkürlichen Manipulation“ der verweisungsrechtlichen Entscheidung über die anwendbaren Sachnormen.30 Es bleibe unklar, ob es sich bei der Berücksichtigung von ausländischem Recht über die Datumtheorie um einen verweisungs- oder sachrechtlichen Vorgang handele.31 Laut Thomas von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  129: Nach der Datumtheorie „soll ausländisches Recht nicht nur kraft ausdrücklicher kollisionsrechtlicher Anordnung anwend­ bar sein, sondern auch als Tatsache (Datum) im Rahmen des Tatbestands einer deutschen Sachnorm berücksichtigt werden. [...] Im Unterschied zur Anwendung ausländischen Rechts kraft kollisionsrechtlicher Verweisung, bei der die ausländischen Normen als Recht – nicht als Tatsache – Anwendung finden, spricht die Datumtheorie von der Berücksichtigung aus­ ländischen Rechts als local data (Tatsache).“ 28  Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  608; von Hoffmann/ Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  129: „Ungeklärt ist das Verhältnis dieser Methode zur klassischen kollisionsrechtlichen Verweisung auf ausländisches Recht.“ 29  Vgl. dazu auch Zweiter Teil C.I.3. 30  Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  608: „Betrachtet man, wohin die Datumtheorie bei der Handhabung einer ausländischen lex causae führen kann [...], so wird allerdings auch deutlich, dass damit nicht alle Gefahren einer Verwischung von kollisions- und sachrechtlicher Ebene und einer willkürlichen Manipulation der Sach­ normen gebannt sind“; vgl. dazu auch von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  129: „es besteht die Gefahr der willkürlichen Manipulation von Sachnormen entgegen dem kolli­ sionsrechtlichen Rechtsanwendungsbefehl“; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2a: „Der Begriff des ‚local datum‘ kann die Grenze zwischen Anwendung einer fremden Norm und ihren bloß faktischen Auswirkungen leicht zugunsten der letzteren verwischen: Ist ein Verkehrsunfall zwischen Deutschen im Ausland nach deutschem Deliktsrecht zu beurteilen, so sind die ausländischen Verkehrsregeln nicht nur ein lokales ‚Datum‘; sie sind vielmehr kollisionsrechtlich zur Anwendung berufen, und das deutsche Deliktsrecht muß sich dem anpassen (z. B. §  823 II BGB in Verbindung mit ausländischen Verkehrsvorschriften)“; von Bar/Mankowski, 2.  Aufl. 2003, IPR I, §  4 Rn.  23; Dannemann, Die ungewollte Diskriminie­ rung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  115 ff.; Leifeld, Das Anerkennungs­ prinzip im Kollisionsrechtssystem des internationalen Privatrechts (2010), S.  158 f.; von Overbeck, Diskussionsbeitrag zur Datum-Theorie, lex fori, internationales Wirtschaftsrecht, in: Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht (1986), S.  165; Schurig, Kolli­ sions­norm und Sachrecht (1981), S.  313. 31  Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  7, 608 ff.; Leifeld, 27 

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Einleitung

Pfeiffer unterliege die Datumtheorie tendenziell einem Widerspruch, wenn sie sich vorbehalte, durch die bloße Berücksichtigung von Rechtsnormen rein sach­ rechtlich zu wirken, da jeder Bezugnahme auf fremdes Recht zugleich eine Art Verweisung auf eben jenes innewohne.32 Sonnenberger bezeichnet die Datum­ theorie zudem als eine überflüssige Quelle „dogmatischer Unruhen“.33 Die Da­ tumtheorie sei letztlich keine Methode des IPR, sondern stelle einen Anwen­ dungsfall der sachrechtlichen teleologischen Auslegung dar.34 Klaus Schurig betont, die Datumtheorie beschreibe das, was ohnehin geschehe, und bemerkt, „schlichte Erkenntnisse von fundamentaler Richtigkeit“ solle man nur dann als Datumtheorie bezeichnen, „wenn man Freude an einer dem Außenstehenden unverständlichen Nomenklatur hat.“35 Auch Oliver Remien zufolge ist die Da­ tumtheorie nicht mehr als ein überflüssiges „Etikett“.36 „Die“ Datumtheorie ist bislang umstrittener als die bisweilen zufällig anmu­ tende Berücksichtigung statutsfremder Rechtserscheinungen selbst. Ihre Legiti­ mation setzt voraus, dass sie sich lückenlos und widerspruchsfrei in das deut­ sche IPR einfügt. Dies untersucht diese Arbeit de lege lata aus der Perspektive des deutschen Rechts. Im Ergebnis wird sich zeigen, dass die Datumtheorie nicht Recht als datum oder als „Tatsache“ berücksichtigt, sondern das Verweisungsrecht fortbildet, in­ dem sie bestimmte Rechtsnormen als solche zur Anwendung bringt, die auf­ grund der vorherigen Verweisungsentscheidung verdrängt sind. Wie jede Rechtsfortbildung bedarf dieser Vorgang der Rechtfertigung und gewisser Rah­ menbedingungen. Beides hält die Datumtheorie bereit. Sie ist dabei keine Me­ thode des Sachrechts, sondern dem IPR zuzuordnen.

C. Gang der Untersuchung Der Bearbeitung vorangestellt ist ein Glossar mit Begriffen, die im Zusammen­ hang mit der Datumtheorie relevant werden. Diese Begriffe werden in der inter­ national-privatrechtlichen Literatur nicht immer einheitlich verwandt. Das Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem des internationalen Privatrechts (2010), S.  158 f. 32  Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Klaus Schurig (2012), S.  229, 234. 33  Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  608. 34  Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  609. 35  Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 241. 36  Remien, in: PWW, BGB Kommentar, 13.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  46; vgl. ähn­ lich von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  129.

C. Gang der Untersuchung

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Glossar zeigt, wie die gewählten Begriffe in dieser Arbeit – im Ergebnis – ver­ standen werden und gibt damit zugleich einen Ausblick auf das Untersuchungs­ ergebnis. In einem ersten Teil werden sodann nach der Skizzierung des klassischen IPR als Verweisungsrecht typische Fälle der Berücksichtigung in der Praxis darge­ stellt. Dabei zeigt sich, dass die Berücksichtigung nur in wenigen Fällen gesetz­ lich angeordnet und vielmehr häufig Folge richterlicher Sachnormauslegung ist. Dieser richterliche Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene entspricht zwar im Ergebnis regelmäßig dem allgemeinen Rechtsempfinden, ist aber in seiner dogmatischen Begründung kontrovers. Gründe hierfür sind, wie ab­ schließend dargestellt wird, Gewaltenteilungs-, Kompetenz- und Rechtssicher­ heitserwägungen. Im zweiten Teil soll der Berücksichtigungsvorgang durch Auslegung der an­ wendbaren Sachnormen, d. h. abseits einer Berücksichtigungsanordnung, dog­ matisch untersucht und systematisiert werden.37 Hierbei wird deutlich werden, dass die Berücksichtigung auf Sachrechtsebene vor dem Hintergrund von Ge­ waltenteilung und Rechtssicherheit einer Rechtfertigung bedarf. Weil die Da­ tumtheorie eine solche Rechtfertigung bereithalten könnte, wird sodann der aktuelle Forschungsstand zur Datumtheorie dargestellt. Daran anknüpfend wird gezeigt, dass die Datumtheorie zwar keine Theorie der Berücksichtigung aus­ ländischen Rechts als Tatsache ist. Ebensowenig ist sie eine bloße Beschreibung der Realität richterlicher Rechtsfindung. Ihr Potential liegt jedoch darin, den Vorgang der richterlichen Berücksichtigung ausländischen Rechts auf Sach­ rechtsebene, also außerhalb einer die Berücksichtigung anordnenden Rechts­ norm, offenzulegen und zu konturieren. Der dritte Teil dieser Arbeit dient der Rechtfertigung der Datumtheorie als Ausprägung und Rahmen für die richterliche Berücksichtigung auf Ebene des Sachrechts. Sodann werden Anwendungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen so­ wie die prozessuale Behandlung der Datumtheorie und der durch sie berück­ sichtigten Normen nachgezeichnet. Zuletzt werden mögliche Regelungsalterna­ tiven de lege ferenda untersucht, wobei insbesondere nach der Zweckmäßigkeit einer Kodifikation der Datumtheorie gefragt wird. 37 

Juristische Dogmatik dient der Wahrung von Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit einer Rechtsordnung. Durch die Systematisierung vorhandenen Rechtsstoffs sollen Entschei­ dungen vorhersehbar und damit rechtssicherer gemacht und überdies potentiell Rückschlüsse für die Gesetzgebung gewonnen werden, Rüthers, Rechtspolitisches Forum Nr.  15 (2003), 27 f., 30; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, §  1 Rn.  23, §  7 Rn.  321 ff. Zur Funktion von Dogmatik und Theorie vgl. z. B. Canaris, JZ 1993, 377 ff.; H. Wagner, JuS 1963, 457, 458 ff. Zum inflationären Gebrauch des Begriffs der Theorie vgl. Dreier, Recht-Mo­ ral-Ideologie (1981), S.  70; Thomale, Leistung als Freiheit (2012), S.  10 Fn.  29.

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Einleitung

D. Begriffsklärung Anwendung: Eine Norm wird angewandt, wenn ein Sachverhalt unter ihre Tat­ bestandsmerkmale subsumiert wird. Die Anwendung einer Norm setzt nicht voraus, dass die Rechtsfolge der Subsumtion der jeweiligen Norm selbst ent­ nommen wird.38 Vielmehr ist es auch denkbar, dass eine Norm insofern ange­ wandt wird, als ihr Tatbestand in eine weitere Norm eingebaut wird, aus der sich sodann die Rechtsfolge ergibt (bspw. die Anwendung einer ausländischen Ver­ botsnorm innerhalb von §  138 Abs.  1 BGB, wobei sich die Rechtsfolge des Ver­ stoßes gegen die Verbotsnorm aus §  138 Abs.  1 BGB ergibt).39 Berücksichtigung: Die Berücksichtigung kann inländische wie ausländische Tatsachen und Normen umfassen. Die Berücksichtigung von Tatsachen ist kei­ ne Frage des Kollisionsrechts, sondern der sachrechtlichen Subsumtion.40 Die Berücksichtigung statutsfremder Normen kann durch eine geschriebene Norm angeordnet werden oder ohne eine geschriebene Berücksichtigungsregel durch das entscheidende Gericht erfolgen. Ist die Berücksichtigung nicht gesetzlich angeordnet, d. h. handelt es sich um eine sog. „richterliche[...] Berücksichtigung in Auslegung der Sachnormen oder in Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale der Sachnorm“ bzw. eine „Be­ rücksichtigung auf Sachrechtsebene“, führt sie im Falle der Berücksichtigung von statutsfremden Normen zu deren Anwendung. Die Anwendung erfolgt je­ doch mittelbar, indem die betreffenden Vorschriften in eine Ausgangsnorm des anwendbaren Sachrechts eingebaut werden.41 Aus Perspektive des Verwei­ sungsrechts handelt es sich hierbei um eine (notwendige und deshalb gerechtfer­ tigte) Rechtsfortbildung. Für diesen Vorgang lassen sich unter dem Dach der Datumtheorie Anwendungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen entwickeln.42 Da es vorliegend um die Legitimation der Datumtheorie geht, wird im Folgenden unterstellt, die richterliche Berücksichtigung sei bislang nicht als allgemeine Lehre im IPR anerkannt (und deshalb nicht über Art.  3 EGBGB zu legitimie­ ren). Dafür spricht, dass ihre Zulässigkeit und kollisionsrechtliche Einordnung bislang umstritten sind. Außerdem wurde die Berücksichtigung bislang nur für einzelne Teilbereich wie z. B. im Rahmen der Rom II-VO mit Art.  17 Rom II-VO kodifiziert.43 Bei den bestehenden Berücksichtigungsanordnungen ist zudem strittig, wie sich diese jeweils in das herkömmliche Verweisungssystem einord­ 38 

Vgl. dazu Zweiter Teil C.II.2.c). Vgl. dazu Zweiter Teil C.II.2.c). 40  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV. 41  Vgl. dazu Zweiter Teil A.–C.; Dritter Teil C. 42  Vgl. dazu Dritter Teil. 43  Vgl. dazu Erster Teil B.II.1. und Zweiter Teil A.I; II.1. 39 

D. Begriffsklärung

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nen lassen. Es ist deshalb zu untersuchen, wie sich der Berücksichtigungsvor­ gang zum Verweisungsrecht als Kollisionsrecht im engeren, herkömmlichen Sinne – abseits der neueren Überlegungen zur Erweiterung des Kollisionsrechts um die Methode der Anerkennung und Berücksichtigung – verhält.44 Berücksichtigung, materiell-rechtliche: Die materiell-rechtliche Berücksich­ tigung ist ein Terminus, der im Kontext der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen verwendet wird.45 Er bedeutet, dass eine ausländische Ein­ griffsnorm nicht gesondert angeknüpft, sondern bei Anwendung des verwei­ sungsrechtlich anwendbaren Rechts berücksichtigt wird. Insoweit deckt sich der Begriff mit der richterlichen Berücksichtigung statutsfremder Normen unab­ hängig von einer geschriebenen Berücksichtigungsanordnung. Datumtheorie: Es existieren verschiedene Definitionen der Datumtheorie.46 Im Ergebnis wird die Datumtheorie in dieser Arbeit weder als rechtsrealistische Beschreibung des Berücksichtigungsvorgangs noch als Theorie der faktischen Berücksichtigung statutsfremder Normen als Tatsachen verstanden.47 Vielmehr liefert die Datumtheorie Rahmenbedingungen für die gesetzlich nicht angeord­ nete Berücksichtigung statutsfremder Normen auf Ebene der anwendbaren Sachnormen.48 Kollisionsrecht (IPR): Das Recht, das bestimmt, wie die Internationalität ei­ nes Sachverhaltes zur Geltung gebracht wird. Dies umfasst geschriebene Kolli­ sionsregeln sowie die allgemeinen Lehren des IPR. Zum Kollisionsrecht gehört deshalb vor allem das Verweisungsrecht. Hinzu kommen geschriebene Berück­ sichtigungsanordnungen wie Art.  17 Rom II-VO oder Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO, die erlassen wurden, um dem Gericht die ermessensabhängige Berücksichti­ gung des Auslandsbezugs im Einzelfall zu ermöglichen. Die im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchende Berücksichtigung ausländischen Rechts abseits einer Berücksichtigungsanordnung gehört, wie im Folgenden allerdings erst zu zei­ gen sein wird, im Ergebnis ebenfalls zum Kollisionsrecht. Normunabhängige Ereignisse: Tatsachen, die entweder unabhängig von ei­ ner Norm existieren oder kausal auf deren Anwendung beruhen.49 Nicht hierun­ ter fallen Ereignisse, die erst infolge der Anwendung einer Norm (als überwie­ gend wahrscheinlich) einzutreten drohen.50

44 

Vgl. dazu Zweiter Teil. Vgl. dazu Erster Teil B.I; Zweiter Teil B.IV.2.c). 46  Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.2.b). 47  Vgl. dazu Zweiter Teil C.II., III. 48  Vgl. dazu Dritter Teil B.–D. 49  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2.c). 50  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2.c). 45 

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Einleitung

Rechtsnormen mit staatlichem Regelungscharakter: Rechtsnormen, die in ei­ nem staatlichen Gesetzgebungsprozess entstanden sind und die durch die Ver­ weisungsregeln berufen werden.51 Rechtsnormen ohne staatlichen Regelungscharakter: Soft law, das de lege lata weder im deutschen noch im europäischen Recht von den Verweisungsre­ geln berufen wird.52 Rechtsprechungsgrundsätze: Maßstäbe der Rechtsprechung, z. B. Verschul­ densmaßstäbe, die in Auslegung der Rechtsnormen entstehen und deshalb von der Verweisungsentscheidung mitberufen werden, da Verweisungsregeln an­ ordnen, ausländisches Recht so anzuwenden wie es von den ausländischen Ge­ richten angewandt und ausgelegt wird.53 Sachrecht: Sachrecht ist im Vergleich zum Verweisungsrecht das Recht, das keine räumliche Anwendungsentscheidung, sondern eine Entscheidung in der Sache trifft.54 Statutsfremde Vorschriften: Solche Sachnormen, inländisch oder auslän­ disch, die verweisungsrechtlich nicht anwendbar sind und deshalb nicht zum verweisungsrechtlichen Statut gehören. Verweisungsrecht: Das Verweisungsrecht umfasst geschriebene Verwei­ sungsregeln sowie ungeschriebene Verweisungsregeln, die einen Sachverhalt mittels eines Anknüpfungsgegenstandes und Anknüpfungspunktes einer Rechtsordnung zuweisen.55 Es ist dem Kollisionsrecht zuzuordnen.

51 

Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2. Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2.a). 53  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2.b). 54  Vgl. dazu Erster Teil A.; Zweiter Teil A.I. 55  Vgl. dazu Erster Teil A.; Zweiter Teil A.I. 52 

Erster Teil

Problemaufriss Im IPR herrscht die klassische Verweisungsmethode vor (A.). Die Fälle in Ge­ setzgebung und Rechtsprechung, in denen die Besonderheiten des internationa­ len Sachverhalts auf andere Weise als über die üblichen Verweisungsnormen zur Geltung kommen, sind jedoch vielfältig. Wie zunächst exemplarisch gezeigt wird, erfolgt die Berücksichtigung des Auslandsbezugs rechtsgebietsübergrei­ fend sowohl aufgrund von Normen wie Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO oder Art.  17 Rom II-VO als auch infolge richterlicher Auslegung des anwendbaren Sach­ rechts (B.). Die Berücksichtigungsmethodik führt zu Spannungslagen im Ver­ hältnis zum Verweisungsrecht, was vor dem Hintergrund von Gewaltentei­ lungs-, Kompetenz- und Rechtssicherheitsaspekten problematisiert wird (C.).

A. Die klassische Verweisungsmethode Nach dem Begründer des modernen IPR, Friedrich Carl von Savigny (1779– 1861), ist dessen Ziel, „daß bei jedem Rechtsverhältnis dasjenige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältnis seiner eigentümlichen Na­ tur nach angehört oder unterworfen ist (worin dasselbe seinen Sitz hat)“.1 Das IPR hat bis heute die Aufgabe, einem Lebenssachverhalt das mit ihm am engs­ ten verbundene Recht zuzuweisen.2 Die Ermittlung des Sitzes eines Rechtsver­ hältnisses erfolgt nicht durch eine individualisierende Schwerpunktermittlung, sondern typisiert durch abstrakt-generelle Verweisungsnormen.3 In den Ver­ weisungsnormen werden entlang der überkommenen zivilrechtlichen Kategori­ en Systembegriffe (Anknüpfungsgegenstände) gebildet und einem bestimmten Recht zugeordnet, das mithilfe von Anknüpfungspunkten wie z. B. der Staats­ angehörigkeit oder dem gewöhnlichen Aufenthalt ermittelt wird.4 Gegenüber Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII (1849), S.  28, 108. von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  29 ff.; deutlich wird dies exemplarisch an der Formulierung des Art.  4 Abs.  3 Rom I-VO. 3  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  14. 4  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 204 ff.; zur Struktur und 1  2 

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Erster Teil: Problemaufriss

dem sachrechtlichen Ergebnis im Einzelfall verhält sich das Kollisionsrecht idealer ­weise neutral.5 Das Ergebnis der Verweisung gleicht einem „Sprung ins Dunkle“ (Leo Raape).6 Das Verweisungsrecht ist insofern konzeptionell vom Sachrecht getrennt.7 Leitprinzipien des Savigny’schen IPR sind die Gleichwertigkeit in- und aus­ ländischen Privatrechts, das Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs sowie die hiermit verbundene Allseitigkeit der Verweisungsnormen.8 Der Ge­ danke der Gleichberechtigung der Rechtsordnungen vor dem Hintergrund der Souveränität staatlicher Gesetzgebung hat seinen Ursprung in dem von dem niederländischen Völkerrechtler Ulrich Huber (1636–1694) entwickelten und von Joseph Story (1779–1845) weitergeführten Prinzip comitas gentium (lat. Gemeinsamkeit der Völker), wonach sich Völker zueinander freundlich zu ver­ halten haben.9 Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs ist es sodann, die Auswahlentscheidung des auf einen Sachverhalt anwendbaren Rechts unab­ hängig vom Ort des entscheidenden Gerichts zu treffen.10 Zu diesem Zweck sind die Verweisungsregeln grundsätzlich allseitig ausgestaltet; sie beschreiben nicht lediglich den Anwendungsbereich der eigenen Sachnormen, sondern verweisen ebenso gleichrangig ins ausländische Recht.11 So wird ein Heimwärtsstreben

Typologie von Verweisungsnormen von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  56 ff. 5  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  30; Kronke, 286 Recueil des Cours (2000), S.  261, 282; Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 197. 6  Raape/Sturm, IPR, 6.  Aufl. 1977, §  13 I 1. 7  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  1; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  4; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466, 467. Zur Tren­ nung zwischen Sach- und Kollisionsrecht vgl. Zweiter Teil A.I. 8  Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII (1849), S.  23 ff., 28: „freund­ liche Zulassung unter souveränen Staaten“; von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  13 f.; Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmens­ recht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 197; ders., Anknüp­ fungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht – eine neue „kopernikanische Wende“?, in: Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts (2016), S.  133, 136. 9  Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1306. 10  Lüderitz, Anknüpfung im Parteiinteresse, in: FS Kegel (1977), S.  31; von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  3 f. 11  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 197.

B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis

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(Arthur Nussbaum)12 der Gerichte, der Gegenpol des internationalen Entschei­ dungseinklangs, vermieden.13 Die Verweisungsnormen ordnen dabei zugunsten von Rechtssicherheit und -klarheit einem Sachverhalt eine Rechtsordnung zu, die sodann in der Sache entscheidet.14 Die Sachentscheidung wird dann idealerweise von nur dieser einen verweisungsrechtlich anwendbaren Rechtsordnung getroffen.15 Andere mit dem Sachverhalt verbundene Rechtsordnungen werden zunächst verdrängt (sog. Eviktionswirkung des IPR).16

B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis Im Folgenden wird exemplarisch illustriert, in welchen Fällen ausländische Be­ züge unabhängig von der zuvor erfolgten Verweisungsentscheidung bei der Be­ urteilung von grenzüberschreitenden Sachverhalten Berücksichtigung finden. Anschauungsbeispiele existieren in Gesetzgebung und Rechtsprechung zwar rechtsgebietsübergreifend, typischerweise aber für das Vertragsrecht bei der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen (I.) und für das Deliktsrecht in Bezug auf Sicherheits- und Verhaltensregelungen (II.) sowie im Rahmen der Schadensberechnung (III.).17 Nussbaum, Grundzüge des internationalen Privatrechts (1952), S.  36 ff. Zum internationalen Entscheidungseinklang vgl. Neuhaus, Die Grundbegriffe des in­ ternationalen Privatrechts, 2.  Aufl. 1976, S.  49 ff.; zum Heimwärtsstreben vgl. ebd., S.  67 ff. 14  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  2 II 3c; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  13 II. 15  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  23; von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  274: „Wenn das IPR positiv anordnet, ein bestimmtes Recht an­ zuwenden (etwa das des gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen), liegt darin prima facie zugleich die negative Aussage, ein anderes, verdrängtes Recht (etwa das der Staatsangehö­ rigkeit) umgekehrt gerade nicht anzuwenden“; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  3 II 2 b: „In der Regel soll aber für einen privatrechtlichen Sachverhalt immer eine und nur eine Rechts­ ordnung anwendbar sein. Dies entspricht dem modernern Prinzip der Vollständigkeit der Rechtsordnung [...]“; Weller, IPRax 2014, 225, 226: „[Die IPR-Dogmatik] ist der binären Lo­ gik und dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten verhaftet: Im Interesse der Rechtsklarheit werden grenzüberschreitende Sachverhalte auf eine einzige Rechtsordnung festgelegt. Ent­ weder das Recht des Staates A oder aber dasjenige des Staates B findet Anwendung, tertium non datur“; ders., Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmens­ recht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 195 f. 16  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 195 f. 17  Dornis, Local Data, in: Encyclopedia of Private International Law (2017), S.  1166 f.; Hans-Joachim Hessler beschreibt die Berücksichtigung im Zusammenhang mit familien­ rechtlichen Generalklauseln, Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Fa­ milienrecht (1985); vgl. dazu auch E. Wagner, Statutenwechsel und dépeçage im internatio­ 12 

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Erster Teil: Problemaufriss

I. Ausländische Eingriffsnormen (Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO) Ein klassisches Beispiel der Berücksichtigungsmethode ist für das Vertrags­ recht der Umgang mit ausländischen Eingriffsnormen.18 1. Einführung in die Problematik Eingriffsnormen sind nach der verallgemeinerungsfähigen Definition des Art.  9 Abs.  1 Rom I-VO Vorschriften mit internationalem Geltungswillen, die überin­ dividuellen, öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt sind, d. h. nicht nur Pri­ vatinteressen ausgleichen.19 Sie werden als Eingriffsnormen bezeichnet, um sie vom zwingenden nationalen Recht abzugrenzen. Zwingendes nationales Recht ist nur innerhalb des nationalen Rechts nicht dispositiv, während Eingriffsnor­ men sich aufgrund ihres internationalen Geltungswillens auch gegenüber der verweisungsrechtlichen Entscheidung durchsetzen.20 Typische Eingriffsnormen sind Devisenbestimmungen, Ein- und Ausfuhr- sowie ehemalige „Feindhan­ delsverbote“, im öffentlichen Interesse liegende Arbeitnehmerschutzvorschrif­ nalen Deliktsrecht (1988), S.  178 ff. Für Beispiele der Berücksichtigung im Kontext des Un­ ternehmensprivatrechts vgl. Thomale, AG 2015, 641, 649; Weller, ZGR 2016, 384, 407 ff.; ders., RabelsZ 81 (2017), 747, 775 ff.; ders. IPRax 2017, 167, 173. Zu Fällen der Berücksichti­ gung ausländischen Rechts im Rahmen von §  1 UWG a. F., vgl. z. B. BGH, Urt. v. 24.7.1957, I ZR 21/56, GRUR 1958, 189 ff.; Kreuzer, Diskussionsbeitrag zur Datum-Theorie, lex fori, internationales Wirtschaftsrecht, in: Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privat­ recht (1986), S.  161; Steindorff, JZ 1958, 243, 244. Zu einem Fall, in dem der BGH innerhalb des Tatbestandsmerkmals der Namensberechtigung aus §  12 S.  1 BGB unter anderem das Bestehen eines Namens- oder Kennzeichenrechts nach statutsfremden Rechtsregeln berück­ sichtigt, vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2012, I ZR 150/11, GRUR 2013, 294 ff., Rz. 17 f. m.Anm. Weller, LMK 2013, 344766. Für weitere Fälle der Berücksichtigung vgl. z. B. C. Zimmer, IPRax 2015, 180, 181; Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  164 Fn.  1; Mansel, VersR 1984, 97 ff; Siehr, Die lex-fori-Theorie heute, in: Al­ bert. A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht, S.  35, 121 ff.; H. Stoll, International­ privatrechtliche Probleme bei Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, in: FS Beitzke (1979), S.  759, 761; Weller, IPRax 2005, 428, 430. 18  Vgl. dazu Freitag, IPRax 2009, 109 ff.; von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  2 Rn.  55 f.; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  52 X 2. Ein weiteres Beispiel der Berücksichti­ gung im Vertragsrecht ist die Berücksichtigung statutsfremder Erfüllungsmodalitäten am Ort der Erfüllung. Dies ordnet z. B. Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO an. Vgl. dazu Freitag, in: Rau­ scher, EuZPR/EuIPR, 4.  Aufl. 2016, Art.  12 Rom I-VO Rn.  10 ff.; Geiben, in: jurisPK–BGB, 7.  Aufl. 2015, Art.  12 Rom I-VO Rn.  25 ff.; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO Rn.  17 ff.; Staudinger, in: Hk-BGB, 10.  Aufl. 2019, Art.  12 Rom I-VO Rn.  5. 19  Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Art.  9 Rom I-VO Rn.  12, 24; Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  10. 20  Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 387, 389.

B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis

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ten oder Kartellverbote.21 Ebenfalls als Eingriffsnormen zu qualifizieren sind die zahlreichen Embargoverordnungen der EU.22 Traditionell stellen Eingriffsnormen die Ausnahme vom abstrakt-generellen Verweisungsmechanismus dar, der beim Sachverhalt und nicht beim Geltungs­ willen der Norm ansetzt.23 Normalerweise wird nicht geprüft, ob eine Norm nach ihrem Regelungsgehalt auf einen bestimmten Sachverhalt angewandt wer­ den soll, sondern es wird vom Sachverhalt ausgehend untersucht, in welcher Rechtsordnung der Sachverhalt seinen „Sitz“ (Savigny) hat.24 Die so ermittelten Normen sind sodann auf den Sachverhalt anwendbar.25 Bereits bei Savigny klingt jedoch die Notwendigkeit zur besonderen Behandlung „streng positiver Gesetze“ an, die sich unabhängig vom Sitz des Sachverhaltes auf ihn auswir­ ken.26 Wie sich Eingriffsnormen dogmatisch in das IPR einfügen, ist häufiger Gegenstand wissenschaftlicher Debatte.27 Inländische Eingriffsnormen, d. h. solche der lex fori, sind stets anzuwenden.28 Schwieriger ist hingegen die Be­ 21  Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art.  9 Rom I-VO Rn.  19; zu Ein- und Ausfuhrbestimmungen vgl. z. B. RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182 („Trading with the enemy“); BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82 („Nigerianische Masken“); BGH, Urt. v. 21.12.1960, VIII ZR 1/60, BGHZ 34, 169, 175 ff. („Borax“); BGH, Urt. v. 24.5.1962, II ZR 199/60, NJW 1962, 1436 („Borsäure“); Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  61 ff.; Wandt, VersR 2013, 257 ff.; Wengler, Internationa­ les Recht und Diplomatie (1956), 191, 201 ff.; zu Devisenbestimmungen vgl. die Nachweise bei Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Anh. II; zu kartellrecht­ lichen Bestimmungen vgl. z. B. BGH, Beschl. v. 12.7.1973, KRB 2/72, NJW 1973, 1609; Thorn, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, 4.  Aufl. 2016, Art.  9 Rom I-VO Rn.  39 ff.; Magnus, in: Staudinger, BGB (2016), Art.  9 Rom I-VO Rn.  182; zu Arbeitnehmerschutzvorschriften vgl. z. B. BAG, Urt. v. 18.4.2012, 10 AZR 200/11, BAGE 141, 129; von Bar, IPR II (1991), §  4 Rn.  448 ff.; Thorn, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, 4.  Aufl. 2016, Art.  9 Rom I-VO Rn.  50. 22  Niestedt, in: EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, 12. EL Oktober 2018, V.50.H Rn.  96; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art.  9 Rom I-VO Rn.  19; vgl. z. B. zur Russ­ land-Embargoverordnung Schwendinger/Trennt, EuZW 2015, 93 ff.; zur Iran-Embargover­ ordnung Wandt, VersR 2013, 257, 258 ff.; vgl. dazu auch Alférez, Embargo, in: Encyclopedia of Private International Law (2017), S.  599 ff. 23  Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  3 II 4: „Es läuft hier ein Riß durch das moderne euro­ päische IPR, der es in zwei verschieden strukturierte Teile spaltet: Im Kernbereich des IPR, im eigentlichen Privatrecht, geht die Fragestellung vom Sachverhalt her nach dem anwendba­ ren Recht. Im Bereich der Eingriffsnormen dagegen wird vom Gesetz her nach dessen An­ wendungsbereich gefragt.“ 24  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  3 –4 ff.; vgl. dazu bereits Erster Teil A. 25  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  3 –4 ff. 26  Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII (1849), S.  32 ff.; vgl. dazu von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  34. 27  Vgl. z. B. Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  52 IX, X. 28  E. Lorenz, RIW 1987, 569, 579 f.; Kronke, Rechtstatsachen, kollisionsrechtliche Metho­ denentfaltung und Arbeitnehmerschutz im internationalen Arbeitsrecht (1980), S.  97 ff.

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Erster Teil: Problemaufriss

handlung von ausländischen Eingriffsnormen des anwendbaren Rechts (statuts­ eigene Eingriffsnormen) oder dritter Staaten (drittstaatliche Eingriffsnormen), die auf den Sachverhalt einwirken, ohne Teil der lex fori zu sein.29 Für die Behandlung von Eingriffsnormen existieren vielfältige methodische Erklärungsansätze wie die Schuldstatutstheorie, die Sonderanknüpfung oder die materiell-rechtliche Berücksichtigung.30 Nach der Schuldstatutstheorie sind lediglich Eingriffsnormen des Forums so­ wie des jeweils anwendbaren Rechts relevant.31 Die Verweisungsentscheidung bringe eine Rechtsordnung insgesamt zur Anwendung, d. h. auch inklusive sämtlicher ihrer international zwingenden Normen.32 Auf Eingriffsnormen drit­ ter Staaten werde aber nicht verwiesen.33 An der Schuldstatutstheorie wird kri­ tisiert, sie missachte den Unterschied zwischen Eingriffsrecht und sonstigem, „einfachem“ Privatrecht.34 Anders als das sonstige Privatrecht diene Eingriffs­ recht vor allem staatlichen Interessen und nicht dem Interessenausgleich zwi­ schen Privaten.35 Als Vehikel zur Anwendung von Eingriffsnormen ist deshalb vielmehr die Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen im Vordringen begrif­ fen.36 Die kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung fordert für die Anwendung aus­ ländischer Eingriffsnormen, neben ihrem internationalen Geltungswillen, ihre enge Verbindung zum Sachverhalt.37 Durch die Sonderanknüpfung soll ein in­ ternationaler Entscheidungseinklang hergestellt werden.38 Umstritten ist, wel­ cher Rechtsordnung die Rechtsfolge eines Eingriffsgesetzes zu entnehmen ist: Die Rechtsfolge könnte entweder der lex causae oder dem sonderangeknüpften Eingriffsrecht entstammen.39 Konsequenterweise sollte die Sonderanknüpfung 29  Vgl. dazu z. B. Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen im internationalen Vertrags­ recht (1989); Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386 ff.; Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986); Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325, 332 ff.; Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41 ff. 30  Vgl. dazu z. B. Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  52 X; Siehr, RabelsZ 53 (1988), 41, 62 ff. 31  Vgl. dazu Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  52 X 1. 32  Vgl. dazu von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  119. 33  Vgl. dazu ebd. 34  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  120. 35 Ebd. 36  Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  52 X 3; nach herrschender Meinung ordnet Art.  9 Rom I-VO die Sonderanknüpfung der Eingriffsnormen an, vgl. Martiny, in: MünchKomm­ BGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  42 ff. 37  Vgl. dazu Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 ff.; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  52 X 3; vgl. dazu auch Zweiter Teil A.II.3. 38  Vgl. dazu von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  110. 39  Vgl. dazu ebd., Rn.  111.

B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis

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jedoch grundsätzlich zur Anknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge der Ein­ griffsnorm führen.40 Würde alleine der Tatbestand der Eingriffsnorm sonderan­ geknüpft und die Rechtsfolge der lex causae entnommen, läge dies der materi­ ell-rechtlichen Berücksichtigung der Eingriffsnorm näher.41 Im Gegensatz zur Sonderanknüpfung werden bei der materiell-rechtlichen Berücksichtigung die Eingriffsnormen innerhalb des anwendbaren Rechts be­ rücksichtigt, d. h. in Auslegung der anwendbaren Sachnormen.42 Typischerwei­ se geschieht dies im Rahmen von Generalklauseln oder offenen Tatbeständen wie §§  138 Abs.  1 BGB oder 275 BGB.43 Drittstaatliche Eingriffsnormen als Verbotsgesetze i. S. d. §  134 BGB anzuerkennen lehnte die Rechtsprechung bis­ lang ab.44 Bei statutseigenen Eingriffsnormen besteht seit jeher eine Tendenz, sie zur Anwendung zu bringen.45 Kontrovers diskutiert und Gegenstand der nachfol­ genden Betrachtung ist dagegen die Behandlung drittstaatlicher Eingriffsnor­ men.46 In Bezug auf drittstaatliche Eingriffsnormen galt lange der Grundsatz, sie seien als ausländisches öffentliches Recht von den Gerichten nicht anzuwen­ den.47 Mit Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO hat die Behandlung drittstaatlicher Eingriffs­ normen eine Regelung auf Gesetzgebungsebene erhalten:48 „Den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtun­ gen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, kann Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Bei der Ent­ scheidung, ob diesen Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck die­ ser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwen­ dung ergeben würden.“49

von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  111. mittelbaren Anwendung von Normen durch ihre Berücksichtigung vgl. Zweiter Teil A.–C. 42  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  272; Martiny, in: Münch­ KommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  45. 43  Vgl. dazu Erster Teil B.I.2.a) und b). 44  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“); BGH, Urt. v. 17.11.1994, III ZR 70/93, BGHZ 128, 41, 53; LG Hamburg, Urt. v. 3.12.2014, 401 HKO 7/14, juris Rz. 24; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  52 X 2; vgl. dazu auch G. Fischer, IPRax 1996, 332, 334; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art.  9 Rom I-VO Rn.  32; vgl. dazu Dritter Teil B.I.1.b). 45  Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325, 332 ff. 46  Vgl. dazu ebd., S.  332 ff. 47  Vgl. dazu ebd., S.  335, 341. 48  Ebke, ZVglRWiss 109 (2010), 397, 421; Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  44. 49  Vgl. Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO. 40 

41  Zur

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Erster Teil: Problemaufriss

Schon vor Erlass von Art 9 Abs.  3 Rom I-VO wurden drittstaatliche Eingriffs­ normen aber von der Rechtsprechung, wie im Folgenden ausgeführt wird, regel­ mäßig „materiell-rechtlich“, d. h. auf Grundlage der anwendbaren Sachnormen, „berücksichtigt“.50 2. Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen Typische Fälle der „materiell-rechtlichen“ Berücksichtigung ausländischer Ein­ griffsnormen sind das Reichsgerichtsurteil „Trading with the enemy“51 (a)) so­ wie das Urteil des BGH „Nigerianische Masken“52 (b)). a) „Trading with the enemy“ Das Paradebeispiel, nicht nur für die materiell-rechtliche Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffsnormen, sondern auch für die Unterscheidung zwi­ schen einer verweisungsrechtlichen Anwendung einer Norm und ihrer bloßen Berücksichtigung auf Ebene des anwendbaren Sachrechts, ist diese Reichsge­ richtsentscheidung von 1918.53 In der Entscheidung ging es um die Folgen eines britischen Verbotsgesetzes, das Handelsgeschäfte mit Kriegsgegnern untersag­ te („trading with the enemy act“).54 Am 1. Januar 1914 hatte der Kläger mit der Beklagten, einer englischen Gesellschaft, einen Vertrag geschlossen, in dem sich die Beklagte verpflichtete, eine gewisse Warenmenge an den Kläger zu

50 

Vgl. dazu Erster Teil B.I.2. RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182 („Trading with the enemy“). 52  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82 („Nigerianische Masken“). 53  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182 („Trading with the enemy“). Vgl. für eine neuere Entscheidung zur (fehlenden) Berücksichtigungsfähigkeit des argentinischen Staats­ notstandes im Rahmen des anwendbaren Rechts BGH, Urt. v. 24.2.2015, XI ZR 193/14, Rz. 13 ff., JZ 2015, 1002, 1003 ff. sowie BGH, Urt. v. 24.2.2015, XI ZR 47/14, juris Rz. 13 ff. („Argentinischer Staatsnotstand“); vgl. dazu Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Kri­ sen-)Staaten (2013), S.  43 ff.; Weller/Grotz, JZ 2015, 989 ff. und OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 25.9.2018, 16 U 209/17, RIW 2019, 231 m.Anm. Mankowski, RIW 2019, 180 ff; vgl. dazu auch Freitag, NJW 2018, 430 ff.; Weller/Schlürmann, Methodenvielfalt im IPR des 21. Jahr­ hunderts – Ein Deutsch-Französischer Vergleich, in: Mélanges En l’Honeur du Professeur Claude Witz (2018), S.  893, 906; Weller/Lieberknecht, JZ 2019, 317, 318 ff. Nach dieser Ent­ scheidung ist einem kuwaitischen Einheitsgesetz zum Israel-Boykott in der BRD als Ein­ griffsnorm nach Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO keine Wirkung zu verleihen. Allerdings könne die faktische Existenz dieser Verbotsnorm mit ihren Auswirkungen bei der Flugbeförderung eines israelischen Staatsbürgers mit Zwischenstopp auf kuwaitischem Staatsgebiet ein tat­ sächlich entgegenstehendes Leistungshindernis darstellen. 54  Vgl. dazu Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechts­ anwendung (2004), S.  91. 51 

B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis

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liefern.55 Bei Kriegsausbruch waren noch 6360 Tonnen Ware rückständig.56 Die Beklagte verweigerte die weitere Erfüllung mit der Begründung, die Lieferung sei ihr unmöglich geworden.57 Sie berief sich dafür auf ein englisches Gesetz, das den Handel mit dem „Feind“ verbot.58 Auf den Vertrag war deutsches Recht anwendbar.59 Das Reichsgericht hielt es für einen Verstoß gegen den ordre public, dass die Vorinstanz die Berufung der Beklagten auf das englische Handelsverbot (als Eingriffsnorm) zugelassen hat­ te.60 Der ordre public – so die Argumentation des Rechtsgerichts – schließe die Anwendung eines ausländischen Gesetzes aus, sofern dieses gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoße.61 Ein Verstoß gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes sei jedenfalls gegeben, wenn der Unterschied zwischen den staatspolitischen oder sozialen Anschauungen, auf denen das ausländische Recht und das konkurrierende deutsche Recht beruhten, so erheblich sei, dass die Anwendung des ausländischen Gesetzes die Grundla­ gen des deutschen staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens bedrohen würde.62 Vorliegend sei Zweck des englischen Gesetzes, den deutschen Handel zu treffen und somit den feindlichen Staat selbst zu schädigen.63 Dies verstoße gegen den Zweck der deutschen Rechtsordnung, das staatliche Wohl zu fördern.64 Eine Anwendung des ausländischen Gesetzes komme deshalb nicht in Frage.65 Aller­ dings liege eine „Anwendung“ des Gesetzes nur dann vor, wenn vom Gericht ausgesprochen werde, ein bestimmter Fall sei von einer bestimmten Rechtsvor­ schrift erfasst und nach ihr zu ordnen.66 Keine Anwendung stelle es aber dar, wenn das deutsche Gericht die Vertragserfüllung infolge des englischen Han­ delsverbotes im Sinne des deutschen Rechts für unmöglich (i. S. d. heutigen §  275 BGB) erachte.67 Insoweit handele es sich nicht um eine verbotene Rechts­ anwendung des Handelsgesetzes, sondern um eine Anwendung des deutschen 55 

RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 („Trading with the enemy“). RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 („Trading with the enemy“). 57  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 („Trading with the enemy“). 58  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 („Trading with the enemy“). 59  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182 ff. („Trading with the enemy“). 60  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 („Trading with the enemy“). 61  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 („Trading with the enemy“). 62  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 („Trading with the enemy“). 63  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 f. („Trading with the enemy“). 64  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 184 („Trading with the enemy“). 65  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 184 („Trading with the enemy“). 66  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 184 („Trading with the enemy“). 67  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 184 („Trading with the enemy“); vgl. zu diesem Argument Drobnig, Die Beachtung von ausländischen Eingriffsgesetzen – eine Inte­ ressenanalyse, in: FS Neumayer (1985), S.  159, 174 ff. 56 

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Erster Teil: Problemaufriss

Rechts, „das die Augen vor dem englischen Act nicht verschließen“ könne und dürfe.68 Im Ergebnis bejahte das Reichsgericht deshalb das Vorliegen tatsächli­ cher Unmöglichkeit.69 b) „Nigerianische Masken“ Ein weiterer, häufig im Zusammenhang mit der Berücksichtigung drittstaatli­ cher Eingriffsnormen diskutierter Fall dreht sich um die Gültigkeit eines See­ güterversicherungsvertrages, der die Ausfuhr von afrikanischen Masken und Figuren aus Nigeria zum Gegenstand hatte.70 Die Ausfuhr solchen Kulturgutes war in Nigeria aufgrund eines Gesetzes zum Schutz des staatlichen Kunstbesit­ zes verboten.71 Ein Unternehmen in Nigeria hatte bei der Beklagten (einer Ver­ sicherungsgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland) für einen Seetrans­ port von drei Kisten mit afrikanischen Masken und Figuren von Nigeria nach Hamburg eine Seetransportversicherung abgeschlossen.72 Der Kläger machte aus abgetretenem Recht der Versicherungsnehmerin einen Anspruch auf Ent­ schädigung wegen des Verlustes von sechs Bronzefiguren geltend.73 Die Be­ klagte beantragte, die Klage abzuweisen.74 Sie berief sich unter anderem darauf, der Versicherungsvertrag sei unwirksam, weil der versicherte Transport gegen ein nigerianisches Ausfuhrverbot von Kunstgegenständen verstoße.75 Der BGH führte aus, eine wirksame Versicherung setze ein erlaubtes versichertes Interes­ 68 

RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 184 („Trading with the enemy“). RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 184 („Trading with the enemy“): „[...] so hat es das englische Gesetz nicht angewendet sondern nur entschieden, ob dieses im Sinne des deutschen Rechtes ein Hindernis für die Vertragserfüllung gebildet, eine tatsächliche Unmöglichkeit für sie geschaffen hat.“ 70  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82 („Nigerianische Masken“). Zu ähn­ lichen Sachverhalten vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1960, VIII ZR 1/60, BGHZ 34, 169, 175 ff. („Bo­ rax“); BGH, Urt. v. 24.5.1962, II ZR 199/60, NJW 1962, 1436, 1437 („Borsäure“); zur Berück­ sichtigung ausländischen Rechts im Rahmen von §  138 Abs.  1 BGB vgl. Busse, ­ZVglRWiss 95 (1996), 386, 404 ff.; Junker, JZ 1991, 699 ff.; Lorenz, Rechtsfolgen ausländischer „Ein­ griffsnormen“, in: FS Jayme I (2004), S.  549, 554; Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  48; Schnyder, Die Anwendung des zuständigen fremden Sach­ rechts im Internationalen Privatrecht (1981), S.  217 f. Eine ausländische Eingriffsnorm in Ge­ stalt eines thailändischen Embargos fand in einem weiteren Fall im Rahmen von §  826 BGB Berücksichtigung, vgl. BGH, Urt. v. 20.11.1990, VI ZR 6/90, JZ 1991, 719 ff. m.Anm. von Hoffmann, IPRax 1991, 345 f.; m.Anm. Junker JZ 1991, 699 ff.; Martiny, in: MünchKommB­ GB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  49. 71  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 83 („Nigerianische Masken“). 72  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 83 („Nigerianische Masken“). 73  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 83 („Nigerianische Masken“). 74  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 83 („Nigerianische Masken“). 75  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 83 („Nigerianische Masken“). 69 

B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis

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se voraus.76 Ob ein solches vorliege, sei für diesen Fall nach deutschem Recht zu beurteilen.77 Eine Anwendung von §  134 BGB komme nicht in Betracht, weil das ausländische Verbotsgesetz im Inland keine unmittelbare Verbindlichkeit besitze und deshalb kein gesetzliches Verbot im Sinne des §  134 BGB sein kön­ ne.78 Eine direkte Anwendung des Verbotsgesetzes sei deshalb ausgeschlossen. Allerdings könnte das Gesetz mittelbar bei der Frage danach berücksichtigt werden, ob das versicherte Vorhaben gegen die guten Sitten i. S. d. §  138 Abs.  1 BGB verstoße.79 Denn das Ausfuhrverbot bezwecke die Erhaltung des künstle­ rischen Erbes im Ursprungsland und den Schutz des Landes vor Ausplünderung durch ausländische Kunstliebhaber und Händler.80 Die Umgehung eines solchen Schutzgesetzes sei als Verstoß gegen das Interesse aller Völker an der Erhaltung von Kunstwerten an Ort und Stelle auch aus deutscher Sicht verwerflich i. S. d. §  138 BGB.81 c) Zwischenergebnis In beiden Fällen waren ausländische Verbotsgesetze bei der Beurteilung des Sachverhaltes ausschlaggebend, die infolge der verweisungsrechtlichen Ent­ scheidung eigentlich hätten verdrängt sein sollen. Sowohl das Reichsgericht als auch der BGH berücksichtigten die jeweiligen Verbotsnormen bei der Ausle­ gung der anwendbaren Sachnormen. Während das Reichsgericht die Berück­ sichtigung mit den tatsächlichen Auswirkungen des ausländischen Verbotsge­ setzes begründete, argumentierte der BGH mit dessen ubiquitärem Schutzge­ danken, der sich letztlich auch im deutschen Recht wiederfinde. 3. „Griechische Spargesetze“ Die Frage nach der „Berücksichtigung“ ausländischer Eingriffsnormen statt ih­ rer „Anwendung“ ist auch nach Erlass von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO weiterhin umstritten.82 Ein aktuelles Beispiel zu drittstaatlichen Eingriffsnormen ist die Vorlageentscheidung des BAG 5 AZR 962/13 vom 25.2.2015 an den EuGH.83 Darin stellt das BAG die Frage, ob Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO gegenüber der so­ 76 

BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“). BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“). 78  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“). 79  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“). 80  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“). 81  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“). 82  Vgl. dazu Erster Teil B.I.3.b). 83  BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75; dazu Junker, EuZA 2016, 1 f.; Thomale, EuZA 2016, 116 ff.; Schacherreiter, ZfRV 2015, 172. 77 

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Erster Teil: Problemaufriss

eben dargestellten84 materiell-rechtlichen Berücksichtigung Sperrwirkung habe. a) Zum Sachverhalt Hintergrund der Entscheidung sind die Lohnnachzahlungsforderungen eines Lehrers an einer in griechischer Trägerschaft stehenden Schule gegen den Staat Griechenland.85 Aufgrund einer konkludenten Rechtswahl der Parteien war auf den Vertrag (noch) nach Art.  27 EGBGB grundsätzlich deutsches Recht an­ wendbar, wonach eine Gehaltskürzung nur durch eine – nicht erfolgte – Ände­ rungskündigung gem. §  2 KSchG oder §  626 BGB möglich gewesen wäre.86 Die Vertreter der Republik Griechenland gingen dagegen davon aus, die griechi­ schen Spargesetze würden – als Eingriffsnormen – ungeachtet des anwendbaren Rechts unmittelbar auf das Vertragsverhältnis einwirken.87 Mit dem Erlass die­ ser Gesetze war der griechische Staat zuvor den Vorgaben der Kommission der EU, der Europäischen Zentralbank sowie des Internationalen Währungsfonds nachgekommen.88 Die Gesetze verfolgten damit einen außerprivatrechtspoliti­ schen Zweck und wurden vom BAG deshalb als international zwingend, d. h. als Eingriffsnormen, eingeordnet.89 Die Behandlung statutsfremder Eingriffsnormen richtet sich im Anwen­ dungsbereich der Rom I-VO nach deren Art.  9 Abs.  3.90 Danach kann Eingriffs­ normen am Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung Wirkung verliehen werden.91 Da der Erfüllungsort der Gehaltszahlung in Deutschland liegt, ist den griechischen Gesetzen unabhängig davon, ob sie überhaupt Eingriffs­ normencharakter i. S. d. Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO haben92 und die Rom I-VO zeitlich anwendbar ist,93 nach Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO keine Wirkung zu verlei­ 84 

Siehe dazu oben Erster Teil B.I.1. BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75, 76. 86 Vgl. zur Anwendbarkeit deutschen Rechts die Vorinstanz LAG Nürnberg, Urt. v. 25.9.2013, 2 Sa 253/12, juris Rz. 74, 98 ff. 87  Gesetz Nr.  3833/2010 sowie Gesetz Nr.  3845/2010. 88  BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A) Rn.  2 , BAGE 151, 75, 76. 89  Gegen die Klassifizierung der griechischen Spargesetze als international zwingende Eingriffsnormen vgl. Thomale, EuZA 2016, 117, 119 f. 90  Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO; Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  112 ff. 91  Vgl. zum Wortlaut des Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO oben Erster Teil B.I.1. 92  Zur Frage, ob es sich bei den griechischen Spargesetzen um Eingriffsnormen handelt, vgl. Thomale, EuZA 2016, 116, 118 f. 93  Die zeitliche Anwendbarkeit der Rom I-VO ist ebenfalls Bestandteil der Vorlagefrage des BAG an den EuGH, vgl. BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75 ff. Fraglich war, welches Recht auf Dauerschuldverhältnisse angewandt wird, d. h. wie das 85 

B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis

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hen.94 Dennoch erwägt das BAG, die Wertung der griechischen Spargesetze innerhalb des deutschen Vertragsstatuts durch eine Modifikation des vertragli­ chen Pflichtprogramms gemäß §  241 Abs.  2 BGB „materiell-rechtlich“ zu be­ rücksichtigen, wie dies vor Erlass der Rom I-VO von der deutschen Rechtspre­ chung bei Auslegung von Normen wie §§  138 Abs.  1, 275 Abs.  1 sowie 313 BGB praktiziert wurde.95 b) Sperrwirkung von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO? Das BAG legte dem EuGH deshalb die Frage vor, ob mit Erlass von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO eine materiell-rechtliche Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffs­ normen gesperrt sei.96 Aufgrund der Gesetzgebungsgeschichte wird argumentiert, bei Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO handele es sich um einen Minimalkonsens; die Anordnung der Vor­ schrift bestehe darin, die Relevanz der Eingriffsnormen am Erfüllungsort zu garantieren, weshalb sie eine darüber hinausgehende Beachtung erfüllungsort­ fremder Eingriffsnormen nicht sperre.97 Dagegen argumentiert Martiny in Ein­ klang mit einer verbreiteten Meinung mit dem Zweck der Vorschrift, Eingriffe statutsfremden Rechts möglichst zu beschränken, und spricht sich deshalb dafür aus, ausländische Eingriffsnormen nicht auf einem anderen Weg als über Art.  9 Abs.  3 Rom I-Verordnung anzuwenden.98 Nicht geklärt sei damit allerdings, ob die Vorschrift auch Sperrwirkung zulasten der materiell-rechtlichen Berück­ sichtigung der Eingriffsnormen auf Sachrechtsebene entfalte.99 Merkmal „geschlossen“ i. S. d. Art.  28 Rom I-VO für Dauerschuldverhältnisse auszulegen ist, vgl. Thomale, EuZA 2016, 116, 121 f.; vgl. dazu bereits Siehr, RdA 2014, 206, 208. 94  BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75, 81. 95  BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75, 81. 96  BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75 ff. 97  Zu diesem Argument vgl. Freitag, IPRax 2009, 109, 110 f.; Martiny, in: MünchKomm­ BGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  113. Ähnlich insgesamt gegen eine Sperrwirkung argumentierend Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR (2013), S.  264 ff. Vgl. zum Fehlen der Sperrwirkung von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO auch Thomale, EuZA 2016, 116, 123; ders., IPRax 2013, 375, 379. Zur Gesetzgebungsgeschichte des Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO vgl. Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 61, 96 f.; Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung (2012), S.  68. Vgl. insoweit zur Rechtslage nach der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Weller/Thomale/Zwirlein, ZEuP 2018, 892, 913. 98  Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  113. 99  Vgl. insoweit zur Rechtslage vor Erlass der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Martiny, in: MünchKommBGB, 6.  Aufl. 2015, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114; zur Rechtslage nach der Entscheidung vgl. Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114 ff.: „Der EuGH hat bestätigt, dass weiterhin von der Zulässig­ keit einer materiellrechtlichen Berücksichtigung ausgegangen werden kann“ (Rn.  114).

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Erster Teil: Problemaufriss

Einige100 vertreten aufgrund der sonst drohenden Umgehung des restriktiven Tatbestandes des Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO die Unzulässigkeit einer darüber hin­ ausgehenden materiell-rechtlichen Berücksichtigung, andere101 sehen den mate­ riell-rechtlichen Vorgang auf Ebene des anwendbaren Sachrechts als nach wie vor möglich an.102 Martiny weist zutreffend darauf hin, dass der jeweilige Standpunkt maßgeblich davon beeinflusst wird, ob Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO zu­ vor als rein kollisionsrechtliche oder Kollisions- und Sachrecht vermischende Vorschrift angesehen, d. h. wie das „Wirkungsverleihen“ interpretiert wird.103 Sofern vertreten werde, Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO erfasse auch die materiell-recht­ liche Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffsnormen, liege es zumindest nahe, eine Sperrwirkung ebenfalls zulasten der materiell-rechtlichen Berück­ sichtigung sonstiger Eingriffsnormen anzunehmen.104 Dieses Verständnis von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO wäre allerdings insoweit problematisch, als die Union auf den ersten Blick keine Gesetzgebungskompetenz zur Vereinheitlichung von Vorgängen auf Sachrechtsebene hat, vgl. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV.105 Würde 100  So jedenfalls zur Rechtslage vor Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Deinert, Internationales Arbeitsrecht (2013), §  10 Rn.  161, 175; Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung (2012), S.  116 f.; Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 61, 98 f.; Thorn, in: Rauscher, EuZPR, EuIPR, 4.  Aufl. 2016, Art.  9 Rom I-VO Rn.  81. 101  Zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) vgl. Einsele, WM 2009, 289, 296: „Ist das deutsche Recht das maßgebliche Vertragsstatut und gleichzeitig die lex fori, ist der deutsche Richter durch Art.  9 Abs.  3 nicht daran gehindert, die fremdstaatliche Eingriffsnorm des ‚Exportstaates‘ materiellrechtlich – etwa wegen Unmöglichkeit der Erfüllung bzw. über Generalklauseln wie §  138 BGB – zu berücksichtigen; denn hiermit wendet er lediglich das in diesem Fall maßgebliche deutsche (Vertrags-)Recht an“; Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Art.  9 Rom I-VO Rn.  27; Junker, Internationales Vertragsrecht, 2.  Aufl. 2017, §  15 Rn.  71; Martiny, in: MünchKommBGB, 6.  Aufl. 2015, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114; Roth, EWS 2011, 314, 326 f.; Schacherreiter, ZfRV 2015, 172; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art.  9 Rom I-VO Rn.  30; Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten (2013), S.  43 f. 102  Vgl. insoweit zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Martiny, in: MünchKommBGB, 6.  Aufl. 2015, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114a; zur Rechtslage nach der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) vgl. Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114 f. 103  Vgl. insoweit zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Martiny, in: MünchKommBGB, 6.  Aufl. 2015, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114; vgl. dazu auch Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114 f. 104  Vgl. insoweit zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Martiny, in: MünchKommBGB, 6.  Aufl. 2015, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114. 105  Vgl. dazu von Hein, ZEuP 2009, 6, 24 (im Zusammenhang mit der Frage der Sperrwir­ kung von Art.  16 Rom II-VO zulasten der materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländi­ schen Eingriffsrechts). Thomale argumentiert, der europäische Gesetzgeber habe eine mini­

B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis

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hingegen Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO als Ausprägung der kollisionsrechtlichen Son­ deranknüpfung eingeordnet, läge die Annahme einer Sperrwirkung ferner.106 Einige differenzieren nicht danach, ob eine Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffsnormen aus dem jeweils anwendbaren Sachrecht heraus erfolgt oder Folge einer Verweisungsnorm ist, sondern vielmehr nach der jeweiligen Norm, innerhalb derer die materiell-rechtliche Berücksichtigung drittstaatlicher Ein­ griffsnormen stattfindet.107 Nach dieser Ansicht ist die Berücksichtigung dritt­ staatlicher Eingriffsnormen im deutschen Recht auf Grundlage von Normen wie §§  138 und 826 BGB durch Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO gesperrt; die Berück­ sichtigung der tatsächlichen Auswirkungen einer Eingriffsnorm im Rahmen des Leistungsstörungsrechts wie z. B. §§  275 und 313 BGB sei hingegen nach wie vor möglich.108 Denn im ersteren Falle würde die Wertung der Norm in Bezug genommen; im letzteren Falle ginge es lediglich um die Berücksichti­ gung ihrer tatsächlichen Auswirkungen.109

male annexartige Sachrechtsharmonisierungskompetenz bei der Harmonisierung von Kolli­ sionsrecht, vgl. Thomale, EuZA 2016, 116, 124 Fn.  30. 106  Vgl. insoweit zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Martiny, in: MünchKommBGB, 6.  Aufl. 2015, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114. 107  Vgl. insoweit zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Martiny, in: MünchKommBGB, 6.  Aufl. 2015, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114c: „Art.  9 Abs.  3 will die Wirkung des fremden Eingriffsrechts möglichst beschrän­ ken. Ist aber das ausländische Eingriffsrecht ausgeschlossen, so kann man argumentieren, darf ihm nunmehr nicht auf dem materiellrechtlichen Weg Wirkung auf den Bestand des Vertrages beigemessen werden. Dagegen könnte die Argumentation für Leistungsstörungen, die einem faktischen Zwang des Schuldners Rechnung tragen sollen (Unmöglichkeit, Ver­ zug, Störung der Geschäftsgrundlage, usw.), eine großzügigere sein“; Freitag, IPRax 2009, 109, 115; zur Rechtslage nach der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) vgl. Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  115. 108  Vgl. insoweit zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Martiny, in: MünchKommBGB, 6.  Aufl. 2015, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114c; Freitag, IPRax 2009, 109, 115; vgl. dazu auch nach Erlass der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Roth, IPRax 2018, 177, 184; vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.3.c) und Dritter Teil E.I. 109  Vgl. insoweit zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis) Martiny, in: MünchKommBGB, 6.  Aufl. 2015, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114c; Freitag, IPRax 2009, 109, 115; vgl. zu dieser Argumentation und der hier vertrete­ nen Ansicht Zweiter Teil B.IV.2.c) und Dritter Teil E.I.

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Erster Teil: Problemaufriss

c) Entscheidung des EuGH (Nikiforidis)110 und Urteil des BAG111 Für das BAG war streitentscheidend, ob ausländische Gesetze weiterhin neben Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO unmittelbar oder mittelbar Anwendung finden könn­ ten.112 Nach der Entscheidung des EuGH ist weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Anwendung ausländischer Normen abseits des Art.  9 Rom I-VO möglich.113 Art.  9 Rom I-VO sei eng auszulegen, da er von dem in Art.  3 der Rom I-VO verankerten Grundsatz der Vertragsautonomie der Parteien bei der Wahl des anwendbaren Rechts abweiche.114 Würde dem angerufenen Gericht die Möglichkeit eingeräumt, nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht an­ dere als die in Art.  9 der Rom I-Verordnung genannten Eingriffsnormen anzu­ wenden, könnte das den begrenzenden Zweck des Art.  9 Rom I-VO umgehen und zugleich die Vorhersehbarkeit der auf den Vertrag anwendbaren sachrecht­ lichen Vorschriften beeinträchtigen.115 Die Aufzählung der Eingriffsnormen in Art.  9 Rom I-VO, denen das angerufene Gericht Wirkung verleihen könne, sei deshalb abschließend.116 Daraus folge, dass andere als in Art.  9 Rom I-VO auf­ gezählte Normen nicht als Rechtsvorschriften angewandt werden dürften.117 Dies gelte sowohl für ihre unmittelbare als auch für ihre mittelbare Anwen­ dung.118 Allerdings verbiete Art.  9 Rom I-VO nicht, ausländische Eingriffsnor­ men „als tatsächliche Umstände zu berücksichtigen, soweit eine materielle Vor­ schrift des nach den Bestimmungen dieser Verordnung auf den Vertrag an­ wendbaren Rechts dies [vorsehe].“119 Denn die Rom I-Verordnung harmonisiere nur die Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse, nicht aber die materiellen Vorschriften des Vertragsrechts.120 Soweit letztere verlangten, dass

110  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis); m.Anm. Duden, EuZW 2016, 940 ff.; Mankowski, RIW 2016, 815 ff.; Maultzsch, EuZA 2017, 241 ff.; Pfeiffer, IWRZ 2017, 38; Roth, IPRax 2018, 177 ff.; vgl. dazu auch Freitag, NJW 2018, 430 ff.; Martiny, ZEuP 2018, 218, 237 ff.; Schlachter, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19.  Aufl. 2019, Art.  9 Rom I-VO Rn.  22. 111  BAG, Urt. v. 26.4.2017, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 159, 69, 75 ff. m.Anm. Roth, IPRax 2018, 177 ff.; Siehr, IPRax 2018, 44 ff. 112  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  20, 22 (Nikiforidis). 113  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  40 ff. (Nikiforidis). 114  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  42 ff. (Nikiforidis). 115  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  47 (Nikiforidis). 116  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  49 (Nikiforidis). 117  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  50 (Nikiforidis). 118  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  50 (Nikiforidis). 119  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  51 (Nikiforidis). 120  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  52 (Nikiforidis).

B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis

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das angerufene Gericht eine Eingriffsnorm als tatsächlichen Umstand berück­ sichtigt, könne Art.  9 Rom I-VO dem nicht entgegenstehen.121 Das deutsche BAG wies daraufhin die Revision zurück.122 Die griechischen Spargesetze würden nicht unmittelbar in Deutschland gelten. Mittelbar könnten sie nach der EuGH-Entscheidung ebenfalls keine Berücksichtigung finden. Da­ mit verbleibe, sie als tatsächliche Umstände zu berücksichtigen. Da das deut­ sche Arbeitsrecht aber keine Verpflichtung des Arbeitnehmers kenne, aus Rück­ sicht auf die finanzielle Lage des Arbeitgebers Gehaltskürzungen ohne eine wirksame Vertragsänderung hinzunehmen, fehle es für eine Berücksichtigung der griechischen Gesetze als tatsächliche Umstände an einer dies anordnenden Sachnorm.123 Wie sich die mittelbare Anwendung einer Eingriffsnorm und ihre Berücksichtigung als tatsächlicher Umstand voneinander abgrenzen lassen, musste das BAG deshalb nicht mehr entscheiden. II. Sicherheits- und Verhaltensregeln (Art.  17 Rom II-VO) Die Berücksichtigung von ausländischen Normen findet sich aber nicht nur im Vertragsrecht, sondern wird traditionell auch im Hinblick auf Sicherheits- und Verhaltensvorschriften diskutiert. Die Berücksichtigung ausländischer Sicher­ heits- und Verhaltensvorschriften lässt sich anhand von Art.  17 Rom II-VO (1.) sowie der BGH-Entscheidung „Verkehrsunfall in Südafrika“124 veranschauli­ chen (2.). 1. Art.  17 Rom II-VO Art.  17 Rom II-VO ordnet die Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhal­ tensvorschriften explizit an: „Bei der Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, sind faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen, die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind.“125

Art.  17 Rom II-VO sieht eine flexible Möglichkeit zur Sonderbehandlung von ortsbezogenen Sicherheits- und Verhaltensvorschriften vor und dient damit ei­ nem angemessenen Interessenausgleich zwischen den Parteien.126 Insbesondere sichert er der schädigenden Person ein gewisses Maß an Vorhersehbarkeit für 121 

EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  52 (Nikiforidis). BAG, Urt. v. 26.4.2017, 5 AZR 962/13, BAGE 159, 69. 123  BAG, Urt. v. 26.4.2017, 5 AZR 962/13, BAGE 159, 69. 124  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482. 125  Vgl. Art.  17 Rom II-VO. 126  Spickhoff, BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art.  17 Rom II-VO Rn.  1. 122 

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Erster Teil: Problemaufriss

den Fall zu, dass das anwendbare Recht nicht mit dem des Handlungsorts des schädigenden Ereignisses identisch ist.127 Dabei ist die Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln nach der Kommissionsbegründung von ihrer Anwendung wie folgt zu unterscheiden: „Das Gericht wendet ausschließlich das durch die Kollisionsnorm bezeichnete Recht an, muss aber fremdes Recht wie ein Sachverhaltselement berücksichtigen, z. B. wenn es darum geht, zur Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes, das Verschulden oder die Gut- bzw. Bösgläubigkeit des Schädigers zu würdigen.“128

Art.  17 Rom II-VO ist kein Novum der Rom II-VO.129 Im deutschen Recht war die Geltung von Sicherheitsvorschriften des Handlungsortrechts ungeachtet der verweisungsrechtlichen Entscheidung schon vor Erlass von Art.  17 Rom II-VO in ständiger Rechtsprechung anerkannt.130 Das Parlament hielt die Berücksich­ tigung von Sicherheits- und Verhaltensregelungen sogar für so selbstverständ­ lich, dass es im autonomen deutschen Kollisionsrecht bewusst auf eine Art.  17 Rom II-VO entsprechende Regelung verzichtete.131 2. „Verkehrsunfall in Südafrika“ Ein Beispiel, bei dem Sicherheits- und Verhaltensvorschriften außerhalb des Anwendungsbereichs von Art.  17 Rom II-VO auf Sachrechtsebene Berücksich­ tigung fanden, bietet die Entscheidung des BGH zu einem Verkehrsunfall zwei­ Rentsch, GPR 2015, 191, 194. Kommissionsvorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Ra­ tes über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), S.  28; vgl. zu Art.  17 Rom II-Verordnung Zweiter Teil C.II.3 und Dritter Teil A.II.4. 129  Kommissionsvorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Ra­ tes über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), S.  28; von Hein, Die Behandlung von Sicherheits- und Verhaltensregeln nach Art.  17 Rom II-Verordnung, in: FS von Hoffmann (2011), S.  139, 141 f.; Junker, in: MünchKomm­ BGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom II-VO Rn.  3. Zu den Vorgängernormen der Vorschrift sowie ähnlichen Regelungen in nationalen Kodifikationen vgl. Dritter Teil A.II.4. 130  BGH, Urt. v. 23.11.1971, VI ZR 97/70, BGHZ 57, 265, 267 f.; BGH, Urt. v. 23.1.1996, VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732 m. w. N.; vgl. dazu von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  277; Junker, NJW 2007, 3675, 3681; ders., JZ 2008, 169, 177; Stoll, De­ liktsstatut und Tatbestandswirkung ausländischen Rechts, in: FS Lipstein (1980), S.  259, 262. 131  BT-Drucks. 14/343 S.  11: „Der Entwurf verzichtet schließlich auf eine ausdrückliche Regelung über die Anwendung örtlicher Verkehrsregeln und Sicherheitsvorschriften sowie über den Geltungsbereich des Deliktsstatuts. Örtliche Verkehrsregeln und Sicherheitsvor­ schriften sind selbstverständlich zu berücksichtigen, wenn sich das haftungsbegründende Geschehen wie bei Verkehrsunfällen ohne weiteres örtlich einordnen läßt (NJW-RR 1996, 732 m. w. N.). Insoweit fehlt ein Bedürfnis für eine Sonderregelung“; Junker, in: Münch­ KommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom II-VO Rn.  5. 127  128 

B. Berücksichtigungsvorgänge in der Praxis

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er in Deutschland lebender Studentinnen in Südafrika.132 Während der Zeit ih­ res gemeinsamen Praktischen Jahrs mieteten sich die Studentinnen zur gemein­ samen Nutzung ein Auto und vereinbarten (konkludent) für den Fall eines Unfalls die Geltung einer dem deutschen Rechtszustand vergleichbaren Absi­ cherung. Bei einem Wochenendausflug verursachte die Beklagte einen Unfall. Die Klägerin machte daraufhin in Deutschland die infolge des Unfalls erlitte­ nen materiellen und immateriellen Schäden gegenüber der Beklagten geltend.133 Das deutsche Gericht wendete auf den Fall gem. Art.  40 Abs.  2 S.  1 EGBGB deutsches Recht an, da die Rom II-VO zeitlich noch keine Anwendung fand und beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach wie vor in Deutschland hat­ ten.134 Zur Beurteilung des Sachverhaltes zog das Gericht die südafrikanischen Verkehrsregeln heran, insbesondere das von der Klägerin missachtete südafri­ kanische Linksfahrgebot.135 Die Berücksichtigung des Linksfahrgebots für die Beurteilung des Verschuldens der Beklagten stellte das Gericht lediglich fest, ohne dies zu näher begründen.136 Bezüglich des Sorgfaltsmaßstabes führte es aus, diesen ausnahmsweise nicht dem (verweisungsrechtlich nicht anwendba­ ren) südafrikanischen Tatortrecht, sondern der deutschen Rechtsordnung zu entnehmen, da die Studentinnen insoweit ihre Rechtsbeziehungen aus Deutsch­ land mitgenommen hätten.137 Das Rechtsfahren sei deshalb – trotz des bestehen­ den Linksfahrgebots – nicht grob fahrlässig.138 III. Schadensberechnung (Erwägungsgrund 33 Rom II-VO) Auf Rechtsfolgenseite wird im Deliktsrecht die Berücksichtigung des Auslands­ bezuges eines Sachverhaltes regelmäßig bei der Berechnung von Schadenser­ satz relevant. Erwägungsgrund 33 Rom II-VO spiegelt die richterliche Praxis 132  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482; vgl. zu diesem Beispiel bereits in der Einleitung. Zu einem ähnlichen Urteil zu einem Verkehrsunfall in Frankreich, bei dem die Datumtheorie im Zusammenhang mit der (möglichen) Berücksichtigung ausländischer Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften explizit Erwähnung fand vgl. AG Frankenthal, Urt. v. 30.6.2017, 3a C 278/16, juris. 133  Vgl. dazu bereits in der Einleitung. 134  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482. 135  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485. 136  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485; die Vorinstanz stellte ebenfalls lediglich fest, es sei unstreitig, dass die Beklagte aufgrund der Verletzung des in Südafrika geltenden Linksfahrgebotes fahrlässig gehandelt habe, vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 7.1.2008, 5 U 161/2007, juris Rz. 35: „Ebenso unstreitig ist die Beklagte für den von ihr ver­ ursachten Unfall verantwortlich, weil sie das in Südafrika geltende Linksfahrgebot fahrlässig verletzt hat.“ 137  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485. 138  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485.

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Erster Teil: Problemaufriss

wider, den Auslandsbezug eines Sachverhaltes bei Kostenentscheidungen im Rahmen des Sachrechts zu berücksichtigen:139 „Gemäß den geltenden nationalen Bestimmungen über den Schadensersatz für Opfer von Straßenverkehrsunfällen sollte das befasste Gericht bei der Schadensberechnung für Perso­ nenschäden in Fällen, in denen sich der Unfall in einem anderen Staat als dem des gewöhnli­ chen Aufenthalts des Opfers ereignet, alle relevanten tatsächlichen Umstände des jeweiligen Opfers berücksichtigen, insbesondere einschließlich tatsächlicher Verluste und Kosten für Nachsorge und medizinische Versorgung“.140

In einem Urteil, das außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereiches der Rom IIVO ergangen ist, aber heute einen Anwendungsfall von Erwägungsgrund 33 darstellen könnte, ging es um die Gewährung von immateriellem Schadenser­ satz nach einem Autounfall eines Österreichers und eines Deutschen in Serbi­ en.141 Auf diesen war – noch nach Art.  40 Abs.  1 S.  1 EGBGB – serbisches Tat­ ortrecht anwendbar.142 Der Bemessung des Schmerzensgeldes lag folglich die serbische Bemessungspraxis zugrunde.143 Das so kalkulierte Schmerzensgeld umfasste aber nur etwa ein Zehntel des deutschen Entschädigungssatzes:144 Für Schäden der vorliegenden Art gab es nach serbischem Recht 300.000 Dinar (ca 3.000 Euro),145 im Vergleich dazu hätte der Geschädigte bei Geltung deutschen Rechts bis zu 25.000 Euro erhalten.146 Mit dem Argument des engen Sachver­ haltsbezuges zu Deutschland – der Deutsche habe dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt und es sei für ihn reiner Zufall gewesen, dass sich der Unfall 139  Eine ähnliche Vorschrift findet sich z. B. in Art.  14 Protokoll über das auf Unterhalts­ pflichten anzuwendende Recht (Haager Unterhaltsprotokoll) v. 23.11.2007: „Bei der Bemes­ sung des Unterhaltsbetrags sind die Bedürfnisse der berechtigten Person und die wirtschaft­ lichen Verhältnisse der verpflichteten Person sowie etwaige der berechtigten Person anstelle einer regelmäßigen Unterhaltszahlung geleistete Entschädigungen zu berücksichtigen, selbst wenn das anzuwendende Recht etwas anderes bestimmt.“ 140  Erwägungsgrund 33 der Rom II-VO. 141  LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013, 27 O 218/09, juris. Zu ähnlichen Konstellationen vgl. z. B. OLG München, Urt. v. 10.12.1982, 10 U 3675/82, VersR 1984, 745 („Über die Berech­ nung des Schmerzensgeldes nach portugiesischem Recht, jedoch nach deutschen Richtsät­ zen“); AG Göppingen, Urt. v. 17.7.1984, 1 C 719/83-06, juris („Auch bei Anwendung deut­ schen Rechts ist der einem belgischen Kfz-Halter aus Anlaß eines Unfalls in der Bundesre­ publik erwachsene Anspruch auf Ersatz merkantilen Minderwerts und auf Entschädigung für Kfz-Nutzungsausfallentschädigung nach den in Belgien herrschenden wirtschaftlichen Verhältnissen zu bemessen.“) (gefunden bei Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  164 Fn.  1). Für einen Anwendungsfall von Erwä­ gungsgrund 33 vgl. z. B. AG Frankenthal, Urt. v. 15.10.2014, 3 a C 158/13, juris. 142  LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013, 27 O 218/09, juris Rz. 21. 143  LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013, 27 O 218/09, juris Rz. 88. 144  LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013, 27 O 218/09, juris Rz. 88 ff. 145  LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013, 27 O 218/09, juris Rz. 95. 146  LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013, 27 O 218/09, juris Rz. 95.

C. Das Spannungsverhältnis zwischen Verweisungsmethode und Berücksichtigung 31

gerade in Serbien und nicht in Deutschland vollzogen habe – passte das Land­ gericht Stuttgart das Schmerzensgeld an deutsche Bemessungsgrößen an147 und verdoppelte es auf 6.000 Euro.148 IV. Zwischenergebnis Demnach finden sich in Gesetzgebung und Rechtsprechung rechtsgebietsüber­ greifend Beispiele für eine Berücksichtigung des Auslandsbezugs, die der Ver­ weisungsentscheidung nachgeschaltet ist. In einigen Fällen ist die Berücksichti­ gung gesetzlich vorgesehen, wie z. B. bei Art.  17 Rom II-VO oder Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO. Darüber hinaus scheint die Rechtsprechung dem Auslandsbezug, ungeachtet der zuvor getroffenen Verweisungsentscheidung, in Auslegung der anwendbaren Sachnormen Rechnung zu tragen.

C. Das Spannungsverhältnis zwischen Verweisungsmethode und Berücksichtigung Die Berücksichtigungsvorgänge entsprechen im Ergebnis regelmäßig dem all­ gemeinen Rechtsempfinden, sind in ihrer dogmatischen Einordnung jedoch um­ stritten (I.). Warum die dogmatische Einordnung relevant ist, soll nachfolgend gezeigt werden (II.). I. Unschärfe der dogmatischen Begründung von „Berücksichtigungsvorgängen“ Die Rechtsprechung begründet die Einbeziehung verweisungsrechtlich nicht anwendbarer Normen allenfalls mit der „Natur der Sache“ oder damit, dass dies „allgemein anerkannt sei.“149 Die Betonung der Selbstverständlichkeit einer Be­ rücksichtigung lässt offen, wie dieser Vorgang rechtsdogmatisch einzuordnen ist.150

147 

LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013, 27 O 218/09, juris Rz. 96. LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013, 27 O 218/09, juris Rz. 97. 149  BGH, Urt. v. 23.11.1971, VI ZR 97/70, BGHZ 57, 265, 267 f.; LG Kleve, Urt. v. 17.2.2012, 5 S 128/11, SVR 2013, 99; BGH, Urt. v. 23.1.1996, VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732. 150  Zur unklaren Einordnung der „Berücksichtigung“ vgl. stellvertretend für viele z. B. Dörner, JR 1994, 6, 9; ders., Alte und neue Probleme des Internationalen Deliktsrechts, in: FS Stoll (2001), S.  491, 496; Mülbert, IPRax 1986, 140, 141: „Soweit die Rechtsprechung ausländische Eingriffsnormen im Rahmen des Sachrechts berücksichtigt, geschieht dies un­ 148 

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Erster Teil: Problemaufriss

Handelt es sich bei der Berücksichtigung des südafrikanischen Linksfahrge­ botes um einen kollisionsrechtlichen Vorgang, z. B. durch eine gesonderte An­ knüpfung an die ausländischen Verkehrsvorschriften im Rahmen einer Teil­ frage?151 Oder wird das südafrikanische Linksfahrgebot nicht als rechtliches Gebot angewandt, sondern faktisch (als Tatsache oder datum) berücksichtigt152 und deshalb die vorherige Verweisungsentscheidung ins deutsche Recht, die zu­ gleich die Unbeachtlichkeit der südafrikanischen Vorschriften bedeutete,153 von vornherein nicht tangiert? Auch in seiner Entscheidung „Trading with the enemy“ ließ das Reichsgericht offen, wie die Berücksichtigung der englischen Feindhandelsverbotsnorm reflektiert, ohne zugrunde liegendes theoretisches Konzept“; Weller, LMK 2013, 344766: „Ohne sie explizit zu nennen, macht der BGH in casu von der Datumtheorie Gebrauch.“ 151  Vgl. dazu z. B. Dörner, Alte und neue Probleme des Internationalen Deliktsrechts, in: FS Stoll (2001), S.  491, 496 ff. Kegel/Schurig bezeichnen die Heranziehung ausländischer Verkehrsvorschriften als kollisionsrechtlichen Vorgang, Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2a. Zur hier vertretenen Ansicht zur rechtsdogmatischen Einordnung von Art.  17 Rom II-VO vgl. Zweiter Teil C.II.3 und Dritter Teil A.II.4. 152  Überwiegend wird der Vorgang der Berücksichtigung ausländischer Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften bereits vor Erlass von Art.  17 Rom II-VO den local data-Überlegun­ gen Albert A. Ehrenzweigs zugeordnet (zum Ursprung der Datumtheorie bei Ehrenzweig vgl. Zweiter Teil C.I.1.): Dornis, SZIER 2015, 183 ff.; Eckert, GPR 2015, 303, 305: „Damit ist Art.  17 Rom II-VO keine Kollisionsnorm, sondern eine ‚Hilfsnorm‘, mittels derer faktische Gegebenheiten des Handlungsorts (sog. local data) zur Ausfüllung des Tatbestands einer materiell-rechtlichen Haftungsnorm herangezogen werden. Diese Ansicht folgt der [...] Da­ tumtheorie“; von Hein, Die Behandlung von Sicherheits- und Verkehrsregeln nach Art.  17 der Rom II-VO, in: FS von Hoffmann (2011), S.  139, 141: „Dennoch führt Art.  17 Rom II-VO nicht zu einem zweispurigen IPR-Ansatz, der das anwendbare Recht in Fragen der Verhaltenssteu­ erung einerseits und Fragen der Schadensverteilung andererseits aufspalten würde. Nach der local data-Theorie, deren Vorreiter Ehrenzweig und andere waren, verpflichtet Art.  17 Rom II-VO das Gericht lediglich dazu, die Sicherheits- und Verhaltensregeln als Tatsachen zu berücksichtigen, nicht aber, sie als Rechtsnormen anzuwenden [...]“; Lehmann, in: Münch­ KommBGB, 7.  Aufl. 2018, Internationales Finanzmarktprivatrecht Rn.  520 f.; Sonnenberger, Eingriffsnormen, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  429, 438 f.: „Diese Normen werden aber nicht als Rechtsnormen angewendet. Es treten also nicht die dort vorge­ sehenen Rechtsfolgen ein. Sie sind nur tatsächliche Wertungsfaktoren, die den auslandsbezo­ genen Sachverhalt, die im Ausland getätigte Handlung und ihre Beurteilung prägen, wofür sich der Ausdruck ‚Datum‘ eingebürgert hat“; Stoll, Die Behandlung von Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internatio­ nalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse (1983), S.  160, 174: „Die beson­ deren Verhältnisse eines ausländischen Unfallortes, namentlich die dort geltende Verkehrsre­ gelung, sind ‚local data‘ für die sachgerechte Anwendung der berufenen Sachnormen, wie insbesondere Ehrenzweig gezeigt hat“; ders., IPRax 1989, 89, 92. 153 Zur Eviktionswirkung der Verweisungsentscheidung vgl. Erster Teil A. und unten Zweiter Teil A.I.

C. Das Spannungsverhältnis zwischen Verweisungsmethode und Berücksichtigung 33

rechtsdogmatisch einzuordnen und zu begründen ist.154 Es bleibt deshalb un­ klar, inwiefern das englische Feindhandelsverbot trotz der entgegenstehenden verweisungsrechtlichen Anwendungsentscheidung relevant werden durfte. Liegt hierin eine im Verhältnis zum Verweisungsrecht nicht legitimierte, nach­ trägliche Anwendung des Verbotsgesetzes „durch die Hintertür“ des Sach­ rechts? Oder führt das Vorliegen des Verbotsgesetzes dazu, dass die Lieferung genauso unmöglich war wie sie es im Falle einer Beschlagnahme der Ware ge­ wesen wäre? Und was passiert, wenn die Berücksichtigung einer statutsfremden Norm nicht selbstverständlich ist? Umstritten ist beispielsweise, ob neben dem süd­ afri­kanischen Linksfahrgebot auch der Maßstab des Verschuldens aus dem aus­ ländischen Recht heranzuziehen ist oder nicht.155 Die international-privatrechtliche Literatur begründet die ausnahmsweise Berücksichtigung ausländischer Normen bei den dargestellten156 Fällen dogma­ tisch uneinheitlich. Die materiell-rechtliche Berücksichtigung statutsfremder Eingriffsnormen wird z. B. derart beschrieben, die statutsfremden Eingriffsnor­ men würden nicht als Normen angewandt, sondern lediglich in ihren Auswir­ kungen als Tatsachen oder data in den Subsumtionsvorgang integriert.157 Diese 154  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182 („Trading with the enemy“), vgl. dazu Erster Teil B.I.2.a) und Zweiter Teil B.IV.2.c.aa) (2). 155  Vgl. zu dem BGH-Urteil „Verkehrsunfall in Südafrika“, BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482; vgl. dazu Erster Teil B.II.2 und Dritter Teil E.II. 156  Vgl. dazu Erster Teil B. 157  Vgl. dazu Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 387, 394: „Die faktische Beeinflussung des Sachverhalts durch die ausländische Rechtsnorm führt mitunter dazu, daß auch die rechtliche Beurteilung des Rechtsverhältnisses davon nicht unberührt bleiben kann. [...] In derartigen Fällen wird die ausländische Norm somit als ‚Auslandssachverhalt‘, als ‚Datum‘ berücksich­ tigt“; Großfeld/Junker, Das CoCom im Internationalen Wirtschaftsrecht (1991), S.  105: „Dem materiell-rechtlichen Lösungsweg der Rechtsprechung sucht ein Teil der Literatur ein theoretisches Fundament zu geben. Die Vertreter dieser Ansicht wollen die Existenz der fremden Eingriffsnorm als Tatsache hinnehmen und ihre Auswirkungen im Rahmen des Vertragsstatuts berücksichtigen“; Mentzel, Sonderanknüpfung von Eingriffsrecht im Inter­ nationalen Vertragsrecht (1993), S.  110: „Danach [nach der Datumtheorie] beruht die Anwen­ dung gewisser ausländischer Normen nicht auf theoretischen kollisionsrechtlichen Überle­ gungen, sondern ergibt sich gewissermaßen selbstverständlich aus deren Berücksichtigung als Tatsachen im Rahmen des Sachrechts des Vertragsstatuts“; Kreuzer, Ausländisches Wirt­ schaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S.  51 f: „Der Grundsatz der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts hindert den BGH jedoch nicht, fremdes [...] Devisenrecht als Grund für die tatsächliche Unmöglichkeit der Leistung zu beachten. Drittstaatliche [...] Eingriffsnormen wurden und werden in keinem Fall im strengen Sinne einer unmittelbaren Subsumtion ‚angewandt‘ [...]. Jedoch verleiht die Rechtsprechung drittstaatlichen Eingriffs­ normen vor wie nach 1960 indirekt dadurch Wirkung, daß diese bei der Anwendung des deutschen Rechts als entscheidungserheblicher Umstand, als ausländisches datum berück­

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Erster Teil: Problemaufriss

Wirkweise wird zum Teil der Datumtheorie zugeordnet.158 Neuhaus hingegen bezeichnet die Berücksichtigung drittstaatlichen Eingriffsrechts innerhalb von Generalklauseln des anwendbaren Rechts als „Vorstufe einer gleichberechtig­ ten, durch allseitige Kollisionsnormen vermittelten Anwendung fremden Rechts“.159 Andere wiederum ordnen die materiell-rechtliche Berücksichtigung als üblichen teleologischen Auslegungsvorgang ein.160 Maultzsch bezeichnet die materiell-rechtliche Berücksichtigung und die Sonderanknüpfung als zumin­ dest funktional äquivalent.161 Bisweilen wird für die Zuordnung des Berücksichtigungsvorgangs zum Kol­ lisionsrecht oder Sachrecht nach der Ausgangsnorm unterschieden: Die Berück­ sichtigung der tatsächlichen Auswirkungen einer Eingriffsnorm im Rahmen des Leistungsstörungsrechts, z. B. im Rahmen von §§  275 und 313 BGB, wie sie das Reichsgericht vornehme, sei ein rein sachrechtlicher Vorgang, während der­ selbe Vorgang auf Grundlage von Normen wie §§  138 und 826 BGB wegen der damit verbundenen Anerkennung des normativen Gehalts der ausländischen Normen zum Kollisionsrecht gehöre.162 Dahinter steht folgender Gedanke: Das eine Mal wird aufgrund der Struktur der Ausgangsnorm (z. B. der „Feststellung von Unmöglichkeit“ i. S. d. §  275 Abs.  1 BGB) lediglich auf die tatsächlichen Auswirkungen einer Norm Bezug genommen. Es ist dasselbe, ob ein durch ein Naturereignis entstandenes Leistungshindernis oder ein aus einem Gesetz re­ sultierendes oder zu erwartendes Leistungshindernis berücksichtigt wird. Das andere Mal hingegen setzt die Ausgangsnorm (z. B. die Beurteilung der „Sitten­ widrigkeit“ i. S. d. §  138 Abs.  1 BGB) zwangsläufig die Berücksichtigung der Rechtsnorm als solche voraus. Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit i. S. d. §  138 Abs.  1 BGB wird insofern nicht lediglich auf tatsächliche Umstände abge­ stellt. sichtigt werden“; kritisch dazu stellvertretend für viele a. a. O. S.  79 f.; Remien, in: PWW, BGB Kommentar, 13.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  46. 158  Vgl. dazu z. B. Ehrenzweig/Jayme, Private International Law, Special Part Volume III (1977), S.  10. Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.2.b)aa)(1). 159  Neuhaus, RabelsZ 35 (1971), 401, 404; vgl. dazu auch Kreuzer, Ausländisches Wirt­ schaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S.  79 f. 160  Vgl. z. B. Berger, ZVglRWiss 96 (1997), 316, 335: „Dieser materiellrechtliche Ansatz und die Grundsätze der kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung liegen auf unterschiedli­ chen rechtlichen Ebenen. Genau besehen handelt es sich hier nicht mehr um ein kollisions­ rechtliches Problem, sondern um eine Frage teleologischer Auslegung des materiellen Rechts.“ 161  Maultzsch, EuZA 2017, 241, 250. 162  Vgl. in diesem Zusammenhang zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH (Niki­ foridis) Martiny, in: MünchKommBGB, 6.  Aufl. 2015, Art.  9 Rom I-VO Rn.  114c; Freitag, IPRax 2009, 109, 115; Schlachter, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19.  Aufl. 2019, Art.  9 Rom I-VO Rn.  22.

C. Das Spannungsverhältnis zwischen Verweisungsmethode und Berücksichtigung 35

Die Unklarheit der dogmatischen Einordnung der Berücksichtigung statuts­ fremder Eingriffsnormen zeigte nicht zuletzt die Vorlagefrage an das BAG zur Sperrwirkung von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO gegenüber der mittelbaren Berück­ sichtigung ausländischen Rechts.163 Ob und wann statutsfremde Eingriffsnor­ men im Rahmen des anwendbaren Rechts Berücksichtigung finden dürfen, ist auch nach der Entscheidung des EuGH nicht abschließend geklärt. Denn nach dem EuGH sperrt Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO die mittelbare Anwendung von sta­ tutsfremden Eingriffsnormen, nicht jedoch ihre Berücksichtigung als tatsächli­ cher Umstand, sofern dies von einer anwendbaren Sachnorm angeordnet wer­ de.164 Unklar bleibt, wo die mittelbare Anwendung von statutsfremdem Recht aufhört und ihre Berücksichtigung als tatsächliche Umstände beginnt.165 Nicht eindeutig ist zudem, welche anwendbaren Sachvorschriften für die Berücksich­ tigung von Gesetzen als tatsächliche Umstände geeignet sein sollen. Ebenso ungeklärt ist die dogmatische Einordnung der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensvorschriften. Überwiegend wird Art.  17 Rom II-VO mit der Datumtheorie in Verbindung gebracht,166 ohne dass allerdings deutlich ist, was sich hinter der Datumtheorie genau verbirgt und ob die Datumtheorie selbst dem Sach- oder Kollisionsrecht zugeordnet wird.167 Nach der Kommis­ sions­begründung und dem Gesetzeswortlaut heißt es, es müsse zwischen der Anwendung und der Berücksichtigung fremden Rechts als Sachverhaltselement unterschieden werden.168 Auch nach dieser Begründung bleibt unklar, was es 163 

Vgl. dazu Erster Teil B.I.3. EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  50 f. (Nikiforidis). 165  Duden, EuZW 2016, 940, 943: „Ungelöst bleiben verschiedene Folgefragen, z. B. wo eine materiell-rechtliche Berücksichtigung endet und eine Anwendung als Rechtsvorschrift anfängt“; vgl. zur hier vertretenen Ansicht Zweiter Teil B.IV; C.II.4. 166  Vgl. z. B. AG Frankenthal, Urt. v. 30.6.2017, 3a C 278/16, juris; Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Art.  17 Rom II-VO Rn.  1 ff.; Junker, in: Münch­ KommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom II-VO Rn.  2; Looschelders, in: Staudinger, BGB Neu­ bearbeitung 2019, Einl zum IPR Rn.  100; Maultzsch, in: BeckOGK (1.12.2018), Art.  17 Rom II-VO Rn.  62; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art.  17 Rom II-VO Rn.  1. 167  Vgl. dazu Dornis, Local Data, in: Encyclopedia of Private International Law (2017), S.  1166, 1168; von Hein, Die Behandlung von Sicherheits- und Verhaltensregeln nach Art.  17 der Rom II-Verordnungen, in: FS von Hoffmann (2011), S.  139, 141: „Nach der local data-Theorie, deren Vorreiter Ehrenzweig und andere waren, verpflichtet Art.  17 Rom II-VO das Gericht lediglich dazu, die Sicherheits- und Verhaltensregeln als Tatsachen zu berück­ sichtigen, nicht aber, sie als Rechtsnormen anzuwenden [...]. Von einem methodologischen Standpunkt aus ist es jedoch nicht immer leicht, eine klare Grenze zwischen der Berücksich­ tigung eines ausländischen Rechts und seiner tatsächlichen Anwendung zu ziehen.“ 168  Kommissionsvorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Ra­ tes über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), S.  28; dazu und zum Gesetzeswortlaut vgl. bereits Erster Teil B.II.1. 164 

36

Erster Teil: Problemaufriss

bedeutet, fremdes Recht nicht anzuwenden, sondern zu berücksichtigen. Unklar ist deshalb auch, ob Art.  17 Rom II-VO bloß die Berücksichtigung statutsfrem­ den Rechts oder auch darüber hinaus die Berücksichtigung von Tatsachen an­ ordnet und ob letzteres dazu führt, dass Art.  17 Rom II-VO keinen (reinen) kol­ lisionsrechtlichen Gehalt aufweist.169 Berücksichtigungsvorgänge, wie sie Erwägungsgrund 33 beschreibt,170 wer­ den regelmäßig aus nationaler Sicht nicht als kollisionsrechtliche Vorgänge ein­ gestuft.171 Einige sehen in Erwägungsgrund 33 alleine einen deklaratorischen Hinweis auf den üblichen sachrechtlichen Auslegungsvorgang.172 Von Hein be­ zeichnet Erwägungsgrund 33 darüber hinaus als Einfallstor der Datumtheo­ rie.173 Sofern Art.  17 Rom II-VO in der international-privatrechtlichen Literatur kollisionsrechtlicher und Erwägungsgrund 33 Rom II-VO sachrechtlicher Ge­ halt zugeschrieben wird, aber beide mit der Datumtheorie assoziiert werden, wirft dies nicht zuletzt die Frage auf, ob die Datumtheorie diese Vorgänge wirk­ lich unter ihrem Dach vereinigen kann. II. Relevanz der Untersuchung Die dogmatische Einordnung von Berücksichtigungsvorgängen, insbesondere die Abgrenzung von Verweisung und Berücksichtigung und die Zuordnung der Berücksichtigung zum Sach- oder Kollisionsrecht – möglicherweise mithilfe der Datumtheorie –174 geschieht nicht zum Selbstzweck. Relevant ist die dogma­ tische Einordnung aufgrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes (1.), der Frage danach, ob in der Berücksichtigung statutistische Elemente liegen (2.), der Kom­ petenzverteilung zwischen nationaler und EU-Gesetzgebung (3.), der Bestim­ mung der Anwendbarkeit international-privatrechtlicher Grundsätze auf die

169  Vgl. dazu z. B. H. Stoll, Zur Flexibilisierung des europäischen internationalen Delikts­ rechts, in: FS Reischauer (2010), S.  389, 407. Vgl. zur hier vertretenen Ansicht Zweiter Teil C.II.3 und Dritter Teil A.II.4. 170  Vgl. dazu Erster Teil B.III. 171  Vgl. z. B. Junker, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  15 Rom II-VO Rn.  17; Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Klaus Schu­ rig (2012), S.  229, 231; vgl. zur Entstehungsgeschichte von Erwägungsgrund 33 Rom II-VO R. Wagner, Das Vermittlungsverfahren zur Rom II-VO, in: FS Kropholler (2008), S.  715, 721 f. 172  Maultzsch, in: BeckOGK (1.12.2018), Art.  17 Rom II-VO Rn.  56; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art.  15 Rom II-VO Rn.  6: „Erwägungsgrund 33 betrifft also nicht das Kollisionsrecht, sondern eine – soweit möglich – Auslegungsrichtlinie für das anzuwen­ dende Sachrecht“. Zu der hier vertretenen Ansicht vgl. Zweiter Teil B.IV.2. 173  von Hein, Die Behandlung von Sicherheits- und Verhaltensregeln nach Art.  17 der Rom II-Verordnungen, in: FS von Hoffmann (2011), S.  139, 150. 174  Vgl. dazu Zweiter Teil C. und Dritter Teil.

C. Das Spannungsverhältnis zwischen Verweisungsmethode und Berücksichtigung 37

Berücksichtigung ausländischen Rechts (ggf. in Gestalt der Datumtheorie) (4.) sowie aufgrund des rechtsstaatlichen Bedürfnisses nach Rechtssicherheit (5.). 1. Gewaltenteilung, Art.  20 Abs.  3 GG Die richterliche Berücksichtigung könnte in einem Spannungsverhältnis zur ge­ setzgeberischen Verweisungsentscheidung stehen. Zieht das Gericht bei seiner Entscheidung verweisungsrechtlich nicht anwendbare Normen heran, korrigiert oder ergänzt es damit die gesetzgeberische Entscheidung. Die mögliche Korrek­ tur der Verweisungsnormen durch die Berücksichtigung wirft die Frage auf, inwiefern die Berücksichtigung in Einklang mit dem in Art.  20 Abs.  3 GG ver­ ankerten Grundsatz der Gewaltenteilung steht.175 Zwar existiert für die Berücksichtigung statutsfremden Rechts aus dem an­ wendbaren Sachrecht heraus (z. B. in Auslegung von §  138 Abs.  1 BGB) in sel­ bigem eine Legitimationsgrundlage;176 das Gericht handelt im Verhältnis zum anwendbaren Sachrecht regelmäßig nicht eigenmächtig. Die Berücksichtigung statutsfremden Rechts ist deshalb unter demokratietheoretischen Gesichtspunk­ ten aus Sicht des jeweils anwendbaren Sachrechts jedenfalls dann nicht proble­ matisch, wenn sich das Gericht im Bereich gesetzeskonkretisierender und gesetzes­ergänzender Rechtsfortbildung bewegt.177 Jedoch könnte dies im Ver­ hältnis zu den Verweisungsnormen anders zu bewerten sein: Durch die Berück­ sichtigung statutsfremden Rechts setzt sich das Gericht – in Auslegung der an­ wendbaren Sachnorm – möglicherweise über die zuvor getroffene verweisungs­ rechtliche Entscheidung hinweg.178 Es handelte sich deshalb aus Perspektive der 175  Zum Grundsatz der Gewaltenteilung vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, 84. EL (2018), Art.  20 GG V Rn.  1 ff. 176  Vgl. dazu Zweiter Teil A.II.5. 177  Zur gesetzeskonkretisierenden und gesetzesergänzenden Auslegung vgl. Ipsen, Richt­ errecht und Verfassung (1975), S.  63 ff.; 188 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, §  9 Rn.  392. 178  Vgl. in diesem Zusammenhang Basedow, GYIL 27 (1984), 109, 136: „It is of course open to debate whether they [conflicts of obligations] should be imposed by a court or rather by the legislative and executive branches […]. But this issue relates to the separation of pow­ ers under the national constitution and not the conflicts of obligations as such“; Kratz, Aus­ ländische Eingriffsnorm und inländischer Privatrechtsvertrag (1986), S.  91: „Da es dem Grundsatz der Gewaltenteilung entsprechend jedoch nicht zu den Aufgaben der Richter ge­ hört, Außenpolitik [durch die (Nicht-)Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen] zu betreiben, bleibt zu wünschen, daß die Bundesregierung in Zukunft häufiger von den oben­ genannten Mitteln Gebrauch macht.“ Vgl. zur richterlichen Rechtsfortbildung im Bereich des IPR auch auch Bucher, Grundfragen der Anknüpfungsgerechtigkeit im IPR (1975), S.  247 ff.; vgl. zur zivilrichterlichen Rechtsschöpfung und deren Verhältnis zur Gewaltenteilung Bruns, JZ 2014, 162 ff.

38

Erster Teil: Problemaufriss

nur zu einer Rechtsordnung führenden Verweisungsnormen um eine Rechts­ fortbildung praeter legem.179 Diese ist dem IPR nicht unbekannt. Im Gegenteil: Gerade im IPR ist es üblich und notwendig, die herkömmlichen Verweisungsre­ geln mittels verschiedener Methoden wie der Vorfrage, der Substitution oder der Anpassung zu ergänzen und ggf. zu korrigieren.180 Dass eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt, bedeutet nicht, dass eine Rechtsfortbildung verfassungsrechtlich unzulässig ist.181 Die mit der Rechts­ fortbildung verbundene Verlagerung der gesetzgeberischen Entscheidung hin zum Gericht ließe sich, wie später ausgeführt wird,182 – de lege ferenda – durch den Erlass von Öffnungsnormen nach dem Vorbild von Art.  17 Rom II-VO ab­ mildern.183 Doch auch ohne eine gesetzgeberische Berücksichtigungsanord­ nung ist die Berücksichtigung statutsfremden Rechts de lege lata nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung184 nicht per se unzulässig. Verfassungsrechtlich lässt sich die richterliche Rechtsfortbildung durch die Unterscheidung zwischen Gesetz und Recht in Art.  20 Abs.  3 GG legitimieren.185 Dass das Gericht, weil es i. S. d. Art.  20 Abs.  3 GG auch an „Recht“ und nicht nur an das „Gesetz“ ge­ bunden ist, Gesetze auch über ihren Wortlaut hinaus zur Lückenschließung fort­ bildet, ist notwendig und anerkannt.186 Gerade das Verweisungsrecht wird – aufgrund der Vielgestaltigkeit internationaler Sachverhalte – seit jeher von der richterlichen Einzelfallentscheidung geprägt.187 Eine punktuelle Ersatzgesetz­ gebung durch die Judikative ist im Verhältnis zur Legislative insofern legitim, als die Legislative gesetzliche Lücken selbst ausfüllen könnte. Solange aber kei­ ne Lückenschließung erfolgt, ist die Lückenschließung als Teil der rechtspre­ chenden Gewalt i. S. d. Art.  92 GG zulässig.188 Allerdings darf die Möglichkeit zur Rechtsfortbildung nicht dazu genutzt werden, dass das Gericht seinen eige­ nen Vorstellungen gegenüber denjenigen der Legislative Vorzug gibt.189 Eine 179  Zur Rechtsfortbildung praeter legem vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz (1964), S.  17 ff.; zum Begriff der Rechtsfortbildung vgl. Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft (2011), §  8 Rn.  3. 180  Vgl. dazu Dritter Teil A.II.3. und III. 181  BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973, 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287 ff.; BVerfG, Beschl. v. 11.10.1978, 1 BvR 84/74, BVerfGE 49, 304, 318 m. w. N. 182  Vgl. dazu Dritter Teil F.III. 183  Vgl. zum Unterschied zwischen richterlicher Berücksichtigung in Auslegung der an­ wendbaren Sachnormen und einer Berücksichtigungsanordnung vgl. Dritter Teil F.III. 184  Vgl. dazu Grzeszick, in: Maunz/Dürig 84. EL (2018), Art.  20 GG V Rn.  1 ff. 185  Sauer, Juristische Methodenlehre, in: Grundlagen des Rechts, 3.  Aufl. 2019, §  9 Rn.  35. 186  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3.  Aufl. 2008, §  80 II. 187  Goldschmidt, Die philosophischen Grundlagen des Internationalen Privatrechts, in: FS Wolff (1952), S.  203, 211 ff. 188  Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft (2011), §  8 Rn.  15. 189  Zu den Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung vgl. z. B. BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973, 1

C. Das Spannungsverhältnis zwischen Verweisungsmethode und Berücksichtigung 39

Rechtsfortbildung ist unzulässig, wenn das Gericht „die Grenzen, die einer schöpferischen Rechtsfindung mit Rücksicht auf den Verfassungsgrundsatz der Rechts- und Gesetzesbindung gezogen sind“, erkennbar überschritten hat.190 Das Gericht hält sich hingegen im Bereich zulässiger Rechtsfortbildung, wenn es „die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert hat und den anerkann­ ten Methoden der Gesetzesauslegung gefolgt ist“.191 Die Legitimität einer Rechtsfortbildung setzt den Nachweis einer planwidrigen und regelungsbedürf­ tigen Regelungslücke im Gesetz voraus.192 Bislang allerdings berücksichtigt die Rechtsprechung, wie aus den Beispielfällen im ersten Teil dieser Arbeit hervor­ geht,193 statutsfremde Normen innerhalb des eigenen Sachrechts oft in unreflek­ tierter Weise, ohne die Berücksichtigung methodisch offen zu legen und die international-privatrechtliche Dimension des Falles zu thematisieren.194 Kein Eingriff in die gesetzgeberische Entscheidung läge vor, wenn der Be­ rücksichtigungsvorgang rein sachrechtlich einzuordnen wäre. Bezöge das Ge­ richt beispielsweise statutsfremdes Recht „als Tatsache“ bei der Falllösung ein, könnte argumentiert werden, die gesetzgeberische Verweisungsentscheidung würde deshalb von vornherein nicht tangiert, weil die Berücksichtigung eben nicht zur Anwendung bereits verdrängten (und deshalb eigentlich nicht mehr anwendbaren) Rechts führte.195 Einige scheinen der Datumtheorie zuzuschrei­ ben, sie wolle eine solche Begründung liefern.196 Andere ordnen die Datumthe­ orie jedoch letztlich als „versteckte Anknüpfungsregel“ ein.197 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287 ff.; BVerfG. Beschl. v. 20.1.1981, 2 BvR 632/78, BVerfGE 56, 99, 107 ff.; BVerfG, Beschl. v. 19.10.1983, 2 BvR 485/80, BVerfGE 65, 182, 190 ff.; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315, 371 f.; BVerfG. Beschl. v. 3.4.1990, 1 BvR 1186/89, BVerfGE 82, 6, 11 ff.; Sauer, Juristische Methodenlehre, in: Grund­ lagen des Rechts, 3.  Aufl. 2019, §  9 Rn.  35. 190  BVerfG, Beschl. v. 19.10.1983, 2 BvR 485/80, BVerfGE 65, 182, 194. 191  BVerfG, Beschl. v. 12.11.1997, 1 BvR 479/92, BVerfGE 96, 375, 395; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 11.  Aufl. 2018, S.  226 Rn.  303. 192  Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft (2011), §  8 Rn.  18. 193  Vgl. dazu Erster Teil B. 194  Vgl. dazu Mülbert, IPRax 1986, 140, 141; vgl. zum umgekehrten Fall einer angeblich zu Unrecht unterlassenen Berücksichtigung ohne nähere Begründung: de Boer/Kotting, IPRax 1984, 108, 112: „Das Gericht hat die methodische Grundlegung seiner Entscheidung nicht klar herausgestellt.“ 195  Zur Eviktionswirkung der Verweisungsentscheidung vgl. Erster Teil A. und Zweiter Teil A.I. 196  Vgl. dazu oben Einleitung und Zweiter Teil C.I.2.b)aa)(1). 197  Vgl. z. B. Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld von Kollisionsnormen, Hoheitsin­ teressen und wohlerworbenen Rechten (2017), S.  6: „Der Gedanke der Datumtheorie er­ schöpft sich [...] – zumindest bei sogenannten local data – im Aufstellen einer, wenn auch oftmals offensichtlichen, Kollisionsnorm“. Die Gefahr der fehlenden Aufdeckung kollisions­ rechtlicher Interessen wurde bereits bei Currie kritisiert: „There may be danger, however, in

40

Erster Teil: Problemaufriss

Die Berücksichtigung statutsfremden Rechts ohne einen verweisungsrechtli­ chen Anwendungsbefehl allein auf Grund einer Sachnorm wäre aber nicht nur vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung rechtfertigungsbedürftig. 2. Systemfremde statutistische Elemente Seit Savigny gilt im deutschen IPR ein System abstrakt-genereller Verweisungs­ normen, mit denen vom Sitz des Rechtsverhältnisses aus das anwendbare Recht bestimmt wird.198 Die Anwendungsentscheidung wird damit vom Sachverhalt (nicht von der Norm ausgehend) getroffen und ordnet einem Lebenssachverhalt die zugehörigen Sachnormen zu.199 Entsprechend findet im deutschen IPR der­ zeit im Regelfall die Anwendung von Sachnormen über den Verweisungsme­ chanismus statt. Die Berücksichtigung könnte, jedenfalls sofern sie nicht durch Normen wie Art.  17 Rom II-VO oder Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO angeordnet ist, insofern sys­ temfremd sein, als sie ungeachtet einer Verweisungsregel in Auslegung der an­ wendbaren Sachnormen erfolgte.200 Damit erhielte möglicherweise eine Sach­ norm die Entscheidungshoheit darüber, welches Recht (punktuell) auf den Sachverhalt Anwendung findet. Hierin läge ein Element der klassischen Statu­ tenlehre, die im deutschen IPR spätestens seit Savigny als überwunden gilt.201 Denn die Rechtsanwendung nach Sinn und Zweck des nationalen Rechts ist eine statutistische Tradition. Nach der Statutenlehre sollte im Grundsatz das Recht angewendet werden, das vom Gericht als besser oder zweckmäßiger beurteilt separating datum point questions from rule of decision questions. [...] The dangers are that a court might uncritically accept a ‚datum point‘ label and overlook a substantial forum inter­ est or fail to avoid a false conflict“; Traynor, 49 Cal. L.Rev., 845, 875 (1961). 198  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  2 Rn.  29 ff.; zum IPR Savigny’scher Prä­ gung vgl. Erster Teil A. und Zweiter Teil A.I. 199  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  2 Rn.  32. 200  Vgl. dazu Schiffer, ZVglRWiss 90 (1991), 390, 405: „der materiell-rechtliche Ansatz [... stellt] einen systemfremden Lösungsansatz dar, während der Ansatz der Sonderanknüpfun­ gen als systemkonform einzustufen ist“. 201  Vgl. insoweit zur Substitution: Rehm, RabelsZ 64 (2000), 104, 120: „Überdies stellt die Substitution schon in ihrem originären Anwendungsbereich in gewissem Umfang eine Bil­ ligkeitslösung dar. Es wird gesagt, daß es bei der Substitution um den Anwendungsbereich einer Norm des eigenen Rechts geht und man sich die Frage stellen muß, ob die eigene Rechtsnorm auch Erscheinungen fremden Rechts als hinreichend ansieht. Darin liegt in ge­ wisser Weise ein Kompromiß zwischen der Konzeption des modernern IPR seit Savigny, nämlich dem Denken vom Sitz des Rechtsverhältnisses her, und dem der mittelalterlichen Statutentheorie zugrundeliegenden Gedanken, Kollisionsrecht sei die Auslegung von Sach­ recht in dem Sinne, daß Kollisionsfälle durch Bestimmung des Anwendungsbereichs jeder Norm zu lösen seien“; zur Statutenlehre vgl. Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1306.

C. Das Spannungsverhältnis zwischen Verweisungsmethode und Berücksichtigung 41

wurde.202 Den Gerichten kam hierbei ein großes Ermessen zu.203 Zwar ging es dabei um die Bestimmung des Anwendungsbereichs einer Norm durch Ausle­ gung derselben.204 Sollte die Berücksichtigung statutsfremder Normen infolge der teleologischen Auslegung der anwendbaren Sachnorm erfolgen, ist sie damit insofern nicht identisch, als die zu statutsfremde Norm ihren Anwendungsbe­ reich nicht selbst bestimmt, sondern im Wege der Auslegung einer anderen für anwendbar erklärten (Sach-)Norm berücksichtigt wird.205 Jedoch wäre der Be­ rücksichtigung und statutistischen Tradition gemeinsam, dass eine Sachnorm darüber entscheiden würde, welches Recht den Fall löste. Aus der möglichen Systemfremdheit folgte ebenso wenig wie aus der Ge­ waltenteilungsproblematik, dass der Berücksichtigungsvorgang unzulässig wäre. Allerdings spräche die mögliche Systemfremdheit dafür, den Berücksich­ tigungsvorgang nicht mit der Natur der Sache und seiner Selbstverständlichkeit zu begründen, sondern ihn in seiner Wirkweise zu untersuchen und ggf. als systemfremdes Element bei der Falllösung offen zu legen. 3. Kompetenzverteilung, Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV Daneben streiten auch potentiell kompetenzrechtliche Fragen für eine dogmati­ sche Einordnung des Berücksichtigungsvorgangs und insbesondere der Bestim­ mung, ob es sich hierbei um Kollisions- oder Sachrecht handelt. Zum einen stellt sich die Frage nach der Sperrwirkung von Berücksichtigungsanordnungen, wie z. B. jüngst im Rahmen von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO.206 Zum anderen besteht gem. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV nur die Kompetenz zur Vereinheitlichung der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen.207 Eine Berücksichtigungs­ anordnung könnte, sofern man die Berücksichtigung dem Sachrecht zuordnete, allenfalls über eine Annexkompetenz zur Harmonisierung von Sachrecht gem. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV begründet werden.208 Alternativ dazu könnte über­ legt werden, den Kollisionsrechtsbegriff i. S. d. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV uni­ onsrechtsautonom abweichend vom deutschen Kollisionsrechtsverständnis aus­ zulegen. Die Zuordnung des Berücksichtigungsvorgangs zum Sach- oder Kolli­ sionsrecht bildet den Ausgangspunkt für diese Fragen. 202 

von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  2 Rn.  10.

203 Ebd. 204 

Ebd., Rn.  23. anwendbaren Sachnorm als Ausgangspunkt der richterlichen Berücksichtigung vgl. Zweiter Teil A.II.5. 206  Vgl. dazu bereits Erster Teil B.I.3. 207  Rossi, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5.  Aufl. 2015, Art.  81 AEUV Rn.  22. 208  Vgl. dazu Thomale, EuZA 2016, 116, 124 Fn.  30. 205  Zur

42

Erster Teil: Problemaufriss

4. IPR-Methodik und prozessuale Behandlung Neben den genannten Gründen sind die Zuordnung des Berücksichtigungsvor­ gangs zum Kollisions- oder Sachrecht und die Frage, welche Rolle die Datum­ theorie hierbei spielt, ausschlaggebend für die prozessuale Behandlung der be­ rücksichtigten Vorschriften sowie die Anwendbarkeit von international-privat­ rechtlichen Grundsätzen, wie z. B. der Bilateralität.209 5. Rechtssicherheit Indem die Rechtsprechung die Kriterien für die Berücksichtigung nicht immer offenlegt, entsteht Rechtsunsicherheit. Bereits dies zeigt die Notwendigkeit ei­ ner Aufarbeitung des dogmatischen Fundaments des Berücksichtigungsvor­ gangs. Nach der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Rechtssicherheit210 sollen staat­ liche Hoheitsakte so klar, bestimmt und beständig sein, dass der Bürger sein Verhalten nach ihnen ausrichten kann.211 In diesem Sinne führt auch die An­ wendung abstrakt-genereller Kollisionsnormen zu einer vorhersehbaren Ent­ scheidung, indem sie eine Rechtsordnung für anwendbar erklärt, nach der die Parteien ihr Verhalten ex ante ausrichten können.212 Das Erfordernis kollisions­ rechtlicher Rechtssicherheit ist in Erwägungsgrund 16 Rom I-VO und Erwä­ gungsgrund 14 Rom II-VO erwähnt. Das Prinzip streitet grundsätzlich für ein­ heitliche Statute, weil so gewährleistet ist, dass die Parteien ihr Verhalten an einer bestimmten Rechtsordnung ausrichten können.213 Der Berücksichtigungs­ vorgang könnte das Prinzip des Einheitsstatuts durchbrechen und machte damit möglicherweise die Beurteilung eines Sachverhaltes weniger rechtssicher.

D. Ergebnisse für den ersten Teil 1. Die räumliche Zuordnung eines Sachverhaltes zu der mit ihm am engsten verbundenen Rechtsordnung geschieht im herkömmlichen IPR durch Verwei­ 209 

Vgl. dazu Dritter Teil B. BVerfG, Urt. v. 1.7.1953, 1 BvL 23/51, BVerfGE 2, 380, 403; BVerfG, Beschl. v. 20.4.1982, 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, 267; Grzeszick, in: Maunz/Dürig 84. EL (2018), Art.  20 GG VII B Rn.  49. 211  Grzeszick, in: Maunz/Dürig 84. EL (2018), Art.  20 GG VII B Rn.  50. 212  Vgl. zu den Zielen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit im IPR von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  3 ff. 213  Vgl. dazu im Zusammenhang mit der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnor­ men Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 61, 97 f. 210 

D. Ergebnisse für den ersten Teil

43

sungsregeln. Die Verweisungsentscheidung erfolgt ungeachtet des sachrechtli­ chen Ergebnisses im Einzelfall. Die Verweisung gleicht damit einem „Sprung ins Dunkle“ (Leo Raape). Die Auswahlentscheidung hat Eviktionswirkung: Auf einen Sachverhalt ist idealerweise nur die eine verweisungsrechtlich ausgewähl­ te Rechtsordnung anwendbar, die übrigen mit dem Sachverhalt verbundenen Rechtsordnungen werden grundsätzlich verdrängt. 2. Die Verknüpfung eines Sachverhaltes mit verschiedenen Rechtsordnungen wird aber nicht nur im Rahmen der Verweisung, sondern nochmals bei Anwen­ dung der Sachvorschriften relevant. Dies zeigt sich rechtsgebietsübergreifend nicht nur in der Rechtsprechung, sondern spiegelt sich auch auf Gesetzgebungs­ ebene wider (z. B. durch Normen wie Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO und Art.  17 Rom II-VO). 3. Die Berücksichtigung wird rechtsdogmatisch uneinheitlich bewertet. Ins­ besondere ist unklar, wie sich Anwendung und Berücksichtigung in ihrer Zu­ ordnung zum Sach- oder Kollisionsrecht voneinander unterscheiden lassen. Ebenfalls ungeklärt ist, welche Funktion der Datumtheorie bei der Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Verweisungs- und Berücksichtigungs­ methodik zukommt. 4. Die rechtsdogmatische Bewertung von Berücksichtigungsvorgängen, ins­ besondere ihre Zuordnung zum Sach- oder Kollisionsrecht, dient keinem Selbst­ zweck. Die mit der richterlichen Berücksichtigung auf Ebene der anwendbaren Sachnormen möglicherweise verbundene Kompetenzverlagerung von der Le­ gislative hin zur Judikative bedürfte als rechtsfortbildender Vorgang vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes i. S. d. Art.  20 Abs.  3 GG der Rechtfertigung. Die Berücksichtigung könnte darüber hinaus auch insofern rechtfertigungsbedürftig sein, als sie mit der grundsätzlichen Entscheidung der Legislative konfligierte, ausländisches Recht durch Verweisungsnormen und nicht infolge der Auslegung einer Sachnorm für anwendbar zu erklären (Kon­ flikt mit der Abkehr vom sog. statutistischen Ansatz). Darüber hinaus könnte die Zuordnung der Berücksichtigung zum Verweisungs- oder Sachrecht für die Kompetenzfrage relevant sein, ob nur das nationale oder auch das unionsrecht­ liche Gesetzgebungsorgan i. S. d. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV zur Harmonisie­ rung von Berücksichtigungsvorgängen befugt ist. Jedenfalls ist die Zuordnung Ausgangspunkt für die Frage, ob der Begriff des Kollisionsrechts i. S. d. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV möglicherweise unionsrechtsautonom anders ausgelegt wer­ den muss als auf nationaler Ebene. Die Einordnung der Berücksichtigung ent­ scheidet nicht zuletzt über die Anwendung international-privatrechtlicher Grundsätze sowie ihre prozessuale Behandlung. Schlussendlich streitet der ­Aspekt der Rechtssicherheit dafür, den Berücksichtigungsvorgang dogmatisch einzuordnen und zu verstehen, welche Rolle die Datumtheorie hierbei spielt.

Zweiter Teil

Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie als Berücksichtigungsmethode Der Terminus der „Berücksichtigung“ findet sich in vielen Rechtsvorschriften, ist aber nicht legaldefiniert.1 Das Phänomen der Berücksichtigung als eigenstän­ dige Methode des IPR beschrieben zuletzt vor allem Götz Schulze und Marc-Philippe Weller.2 Die Berücksichtigung im IPR als eigenständige Methode wurde vor ihnen insbesondere durch Erik Jayme angesprochen3 und von Gerhard Dannemann4 im Zusammenhang mit der Figur der Anpassung sowie durch Mathias Kuckein5 mit Blick auf ausländische Eingriffsnormen untersucht. Schulze versteht den Berücksichtigungsbegriff als einen spezifisch kolli­sions­ rechtlichen Vorgang, wie er auch durch geschriebene Berücksichtigungsanord­ nungen wie Art.  17 Rom II-VO zum Ausdruck komme.6 Weller nutzt den Termi­ 1 

Vgl. z. B. Art.  17 Rom II-VO; Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO; Art.  43 EGBGB. Zur umstritte­ nen dogmatischen Einordnung der Berücksichtigung Seibl, IPRax 2010, 347, 352. Vgl. stell­ vertretend z. B. zur unklaren Einordnung der Berücksichtigungsanordnung in Art.  43 Abs.  3 EGBGB Brinkmann, in: PWW, BGB Kommentar, 13.  Aufl. 2018, Art.  43 EGBGB Rn.  19; Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  147 f.; Junker, Internationales Privatrecht, 2.  Aufl. 2017, §  17 Rn.  54; Mansel, in: Staudinger, BGB (2015), Art.  43 EGBGB Rn.  1313 f. Zu Art.  17 Rom II-VO vgl. Erster Teil B.II.1., Zweiter Teil C.II.3. und Dritter Teil A.II.4., zu Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO vgl. Dritter Teil A.II.4. 2  Götz Schulze, Die Berücksichtigung von Sachnormen als Methode des IPR, Vortrag an der Universität Heidelberg am 3.6.2016; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 775 ff. 3  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 49: „Was seine Datum-Theorie angeht, so zeigt sie bei den ‚local data‘ vor allem, daß man der Auslandsberührung nicht nur durch eine Verweisung auf auslän­ disches Recht, sondern auch durch eine Berücksichtigung ausländischer Rechtsregeln ge­ recht werden kann.“ 4  Dannemann, Sachrechtliche Gründe für die Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts, in: FS Stoll (2001), S.  417 ff.; Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004); vgl. dazu Looschelders, RabelsZ 70 (2006), 601 ff. 5  Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen in­ ternationalen Vertragsrecht (2008), S.  50 ff. 6  Götz Schulze, Die Berücksichtigung von Sachnormen als Methode des IPR, Vortrag an der Universität Heidelberg am 3.6.2016.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

nus der Berücksichtigung als systematisierungsbedürftigen Oberbegriff für sog. „synthetische Methoden“7 des IPR (Werner Goldschmidt), also für sämtliche Methoden, die der richterlichen Einzelfallanalyse entspringen.8 Er sieht in der Berücksichtigung neben der Verweisung und Anerkennung eine eigene Metho­ de des IPR (Methodentrias).9 Auf der Berücksichtigungsebene siedelt Weller Methoden wie den Lewald’schen Dreiklang10 aus Transposition, Anpassung und Substitution an.11 Zur Berücksichtigung zählt er aber auch Normen wie Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO oder Art.  17 Rom II-VO.12 Unter die Berücksichtigungsmetho­ dik fasst er nicht zuletzt die Berücksichtigung des Auslandsbezugs durch die in ihren Voraussetzungen noch weiterzuentwickelnde Datumtheorie.13 In welchem Verhältnis die Berücksichtigung (ggf. in Gestalt der Datumtheo­ rie) zur Verweisung steht, ist bislang nicht abschließend untersucht. Wie bereits dargestellt könnte die Berücksichtigung in einem Spannungsverhältnis zur vor­ herigen gesetzgeberischen Verweisungsentscheidung stehen und dadurch Er­ lasskompetenz und Rechtssicherheitsfragen aufwerfen und vor dem Hinter­ grund der gesetzgeberischen Verweisungsentscheidung (als Rechtsfortbildung) rechtfertigungsbedürftig sein.14 Zudem ist fraglich, ob auf den Berücksichti­ gungsvorgang international-privatrechtliche Grundsätze (wie die Bilateralität) anzuwenden sind und wie die berücksichtigten Normen prozessual behandelt werden. Relevant ist die Untersuchung, ob die Berücksichtigung ein kollisionsrechtli­ cher oder ein rein sachrechtlicher Vorgang ist, nicht zuletzt im Hinblick auf die Diskussion im Anschluss an das EuGH-Urteil Nikiforidis: Dort hatte der EuGH entschieden, dass die Aufzählung der Eingriffsnormen in Art.  9 Rom I-VO, de­ nen das angerufene Gericht Wirkung verleihen könne, abschließend sei.15 Dar­ aus folge, dass andere als in Art.  9 Rom I-VO aufgezählte Normen nicht als Rechtsvorschriften angewandt werden dürften.16 Dies gelte sowohl für ihre un­ mittelbare als auch für ihre mittelbare Anwendung.17 Allerdings verbiete Art.  9 Rom I-VO nicht, ausländische Eingriffsnormen „als tatsächliche Umstände zu 7  Goldschmidt, Die philosophischen Grundlagen des Internationalen Privatrechts, in: FS Wolff (1952), S.  203, 211 f. 8  Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 775. 9  Ebd., S.  775 ff. 10  Lewald, 69 Recueil des Cours (1939-III), 1, 127 ff. 11  Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 775 ff. 12 Ebd. 13 Ebd. 14  Erster Teil C. 15  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  49 (Nikiforidis). 16  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  50 (Nikiforidis). 17  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  50 (Nikiforidis).

A. Die Berücksichtigung als sachrechtlicher Subsumtionsvorgang

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berücksichtigen, soweit eine materielle Vorschrift des nach den Bestimmungen dieser Verordnung auf den Vertrag anwendbaren Rechts dies vorsieht.“18 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wann die Berücksichtigung zu einer (kollisionsrechtlichen) mittelbaren Anwendung führt und wann es sich um die (sachrechtliche) Berücksichtigung von Tatsachen handelt. Um dies zu untersuchen, soll zunächst dargestellt werden, wie sich das her­ kömmliche Kollisionsrecht als Verweisungsrecht vom Sachrecht abgrenzt. Da­ rauf aufbauend wird hergeleitet, dass die Berücksichtigung jedenfalls abseits einer Berücksichtigungsanordnung in Auslegung der anwendbaren Sachnor­ men erfolgt (A.). In einem zweiten Schritt wird gefragt, ob der Berücksichti­ gungsvorgang funktional dem Sachrecht oder dem Kollisionsrecht zuzuordnen ist (B.). Erst dann wird untersucht, welche Rolle die Datumtheorie im Hinblick auf den Berücksichtigungsvorgang einnimmt (C.).

A. Die Berücksichtigung als sachrechtlicher Subsumtionsvorgang Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich die Berücksichtigung dem klassi­ schen IPR zuordnen lässt. Dazu wird dargestellt, wie das Verweisungsrecht als klassisches Kollisionsrecht in Abgrenzung zum Sachrecht definiert ist (I.). Be­ dingung für eine Zuordnung zum herkömmlichen IPR wäre, dass dem Berück­ sichtigungsvorgang ein (verweisungsrechtlicher) Anwendungsbefehl der lex fori vorgeschaltet ist (II.). I. Kein tertium zwischen Verweisungs- und Sachrecht Warum und wie ausländisches Recht ausnahmsweise im Inland angewendet werden kann, ist eine klassische Grundfrage des IPR.19 Im IPR herrscht die Ansicht vor, ausländisches Recht werde nicht kraft ausländischer Souveränität oder eines hierarchisch über dem nationalen stehenden Rechts, sondern allein aufgrund eines entsprechenden inländischen Normbefehls angewandt.20 Grund für das Erfordernis einer inländischen Legitimationsgrundlage sind letztlich 18 

EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  51 (Nikiforidis). Vgl. zur Diskussion über die „Anwendbarkeit“ ausländischen Rechts Schinkels, Norm­ satzstruktur des IPR (2007), S.  11 ff. 20  Basedow, RabelsZ 47 (1983), 141, 155: „Gerichte beachten ausländisches Recht nicht ohne eine entsprechende Weisung ihrer eigenen Kollisionsnormen“; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  31 I: „Zwar entfaltet ein ausländischer Rechtssetzungsakt als solcher keine verbind­ liche Wirkung über den Hoheitsbereich des betreffenden Staates hinaus; vielmehr bedarf es für die Anwendung fremden Rechts eines entsprechenden Befehls der inländischen Rechts­ ordnung“; Schiffer, ZVglRWiss 90 (1991), 390, 396. 19 

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Souveränitätserwägungen.21 Kollisionsrecht ist damit – heutzutage häufig uni­ onsrechtlich überformtes – nationales Recht.22 Dass ein Anwendungsbefehl der lex fori Legitimationsgrundlage für die Anwendung ausländischen Rechts ist, ändert sich auch nicht dadurch, dass die Ausgestaltung des nationalen Rechts zunehmend auf das Unionsrecht rückführbar ist. Das klassische IPR umfasst insofern Anknüpfungsregeln, die dem anwend­ baren Sachrecht vorgeschaltet sind (Verweisungsnormen).23 Die Sachentschei­ dung erfolgt sodann in Anwendung der verweisungsrechtlich anwendbaren Sachnormen.24 Neben Verweisungs- und Sachrecht gibt es im IPR klassischer Prägung kein tertium (tertium non datur).25 Grundsätzlich kann das rechtspoli­ tische Ziel, den Auslandsbezug eines gegebenen Sachverhalts angemessen zu berücksichtigen, zwar entweder durch Bildung von Verweisungsnormen oder durch Auslegung auf Sachrechtsebene erreicht werden. Für das Ergebnis spielt es i. d. R. keine Rolle, ob ein verweisungsrechtlicher oder ein sachrechtlicher Weg beschritten wird. Allerdings werden im kontinentaleuropäischen IPR Ver­ weisungs- und Sachrecht grundsätzlich getrennt.26 Verweisungsnormen haben Benzenberg, Die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen im Internationalen Pri­ vatrecht (2008), S.  37: „Ausländische Rechtssätze als Ausdruck einer fremden Staatsmacht besitzen im Territorium des Forumstaates daneben [...] keine unmittelbare Geltungskraft. Der zur Lösung eines Auslandssachverhaltes heranzuziehende in- oder ausländische Norm­ bestand ist daher zunächst mit Hilfe des Kollisionsrechts verbindlich zu bestimmen und fest­ zulegen.“ 22  Bogdan, 348 Recueil des Cours (2011), 9, 34 ff.; von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  39–41, 48; Rauscher, IPR, 5.  Aufl. 2017, §  1 Rn.  7; Stoll, Völkerrechtliche Vor­ fragen bei der Anwendung ausländischen Rechts, in: BerDGesVR, Band 4 (1961), S.  131, 151; zu Vereinheitlichungstendenzen des IPR durch Staatsverträge vgl. von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  39–41; Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305. 23  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  1; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 1. 24  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 1. 25  Weller, IPRax 2014, 225, 226: „[Die IPR-Dogmatik] ist der binären Logik und dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten verhaftet: Im Interesse der Rechtsklarheit werden grenz­über­ schreitende Sachverhalte auf eine einzige Rechtsordnung festgelegt. Entweder das Recht des Staates A oder aber dasjenige des Staates B findet Anwendung, tertium non datur“; von Bar/ Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  12: „Ein Tertium zwischen Kollisions- und Sachnor­ men gibt es nicht“; Kropholler, 6.  Aufl. 2006, IPR, §  13 V: „Neben Kollisions- und Sachnor­ men gibt es kein Tertium“; Mankowski, Das Bündelungsmodell im Internationalen Privat­ recht, in: Liber Amicorum Klaus Schurig (2012), S.  159, 165; Weller, Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmoderne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  53 f.; vgl. auch Glenn, 364 Recu­ eil des Cours (2012), S.  186 ff. und dazu Weller, IPRax 2012, 284, 285. 26  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  1; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  4; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466, 467: „Im konti­ 21 

A. Die Berücksichtigung als sachrechtlicher Subsumtionsvorgang

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andere Funktionen als sachrechtliche Normen:27 Die im Ausgangspunkt beste­ hende Aufgabe des IPR ist es, das räumlich beste, nicht das sachrechtlich ge­ rechteste Recht zu finden.28 II. Sachnorm als normative Grundlage der Berücksichtigung Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Berücksichtigung in Auslegung der anwendbaren Sachnormen ungeachtet eines klassischen verweisungsrechtli­ chen Anwendungsbefehls geschieht. Nicht in allen Fällen der Berücksichtigung existiert eine geschriebene Berücksichtigungsanordnung (1.). Ein geschriebener Anwendungsbefehl ist auch nicht ausnahmsweise aufgrund der Argumentation mit der „Natur der Sache“ entbehrlich (2.). Bei dem Berücksichtigungsvorgang handelt es sich auch nicht um eine Variante der im herkömmlichen Kollisions­ recht anerkannten Sonderanknüpfung statutsfremder Normen, bei der die zu berücksichtigenden Normen aus eigener Machtvollkommenheit Anwendung finden (3.). Zuletzt ist die Frage zu klären, ob sich eine Zuordnung der Berück­ sichtigung zum herkömmlichen Kollisionsrecht mithilfe der Zweistufentheorie oder mit dem etwaigen Status der Berücksichtigung als „allgemeine Lehre des IPR“ i. S. d. Art.  3 EGBGB begründen lässt (4.). 1. Geschriebene Berücksichtigungsanordnung Eine Möglichkeit, statutsfremdes Recht ungeachtet der Verweisungsentschei­ dung zu berücksichtigen, besteht regelmäßig dann, wenn die Legislative ent­ sprechende „Berücksichtigungsanordnungen“ erlässt.29 Berücksichtigungsan­ ordnungen bewirken, dass ausnahmsweise doch auf solche Normen Rücksicht genommen werden kann, die nach der zuvor getroffenen Verweisungsentschei­ dung nicht zur Anwendung berufen sind.30 Beispiele hierfür sind Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO sowie Art.  17 Rom II-VO.31 Die Existenz der Berücksichtigungsan­ ordnungen zeigt zwar, dass die Legislative die Notwendigkeit der Berücksichti­ gung anerkennt. Kodifizierte Berücksichtigungsanordnungen existieren aller­ dings nur für wenige Bereiche. Eine generelle Antwort auf die Frage, wie sich nentaleuropäischen IPR ist es allgemein üblich, das Kollisionsrecht vom Sachrecht mehr oder weniger scharf zu trennen.“ 27  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 1. 28  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  58 f.; Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 197. 29  Vgl. dazu Siehr, IPR, 2001, §  47 IV 3. 30 Ebd. 31  Vgl. dazu Erster Teil B. und unten Zweiter Teil C.II.3. sowie Dritter Teil A.II.4.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

die richterliche Berücksichtigung in Auslegung der Sachnormen, d. h. abseits einer Berücksichtigungsanordnung, zu der Verweisungsentscheidung grund­ sätzlich verhält, können die Berücksichtigungsanordnungen deshalb nicht lie­ fern. Zudem ist der dogmatische Regelungsgehalt der Berücksichtigungsanord­ nungen umstritten, wie im ersten Teil dieser Arbeit sichtbar wurde.32 Teilweise werden sie dem Sachrecht, teilweise dem Kollisionsrecht zugeordnet. Insgesamt werden sie häufig als Kodifikation oder Einfallstor der Datumtheorie beschrie­ ben. Dies spricht dafür, den richterlichen Berücksichtigungsvorgang abseits der Berücksichtigungsanordnungen zum alleinigen Gegenstand der Untersuchung zu machen. Aus den hierdurch gewonnenen Erkenntnissen lassen sich dann ge­ gebenenfalls Rückschlüsse auf den bislang dogmatisch umstrittenen Inhalt von Berücksichtigungsanordnungen ziehen.33 2. Argumentation mit der Natur der Sache Gerade Gerichte argumentieren bei der Berücksichtigung z. B. statutsfremder Verkehrsregeln häufig, ihre Relevanz ergebe sich „aus der Natur der Sache“.34 Ein besonderer Anwendungsbefehl könnte deshalb entbehrlich sein, weil sich die zu berücksichtigende Norm nachgerade aufdrängt und ihre Berücksichti­ gung insofern als ein „Gebot der Vernunft“ erscheint.35 Ist eine juristische Problemlösung allgemein anerkannt, ist sie nicht weiter begründungsbedürftig.36 Die Rechtsfindung aus der Natur der Sache besteht in­ soweit darin, dass aus einer Gegebenheit (Sache) ein Merkmal (Natur) betont wird, aus dem sich eine Rechtsfolge ableiten lässt.37 Das Folgern einer juristi­ 32 

Vgl. dazu Erster Teil B., C. Rückschlüsse müssten allerdings für jede Berücksichtigungsanordnung jeweils gesondert erfolgen. 34  BGH, Urt. v. 23.11.1971, VI ZR 97/70, BGHZ 57, 265, 267 f.; vgl. dazu Einleitung, Ers­ ter Teil B.II.2. und C.I. 35  Zur Selbstverständlichkeit der Berücksichtigung örtlicher Sicherheits- und verhaltens­ vorschriften vgl. BGH, Urt. v. 23.11.1971, VI ZR 97/70, BGHZ 57, 265, 267 f.; BT-Drucks. 14/343, S.  11. Vgl. zur selbstverständlichen Berücksichtigung nicht anwendbarer Verkehrsre­ gelungen für die USA Symeonides, Territoriality and Personality in Tort Conflicts, in: Essays in Memory of Peter E. Nygh (2004), S.  402, 425. 36  „Mit der ‚Natur der Sache‘ wird häufig argumentiert, wenn der Verwender eine juristi­ sche Problemlösung […] für plausibel, für unbestritten, für nach Lage der Dinge ‚vernünftig‘, also intersubjektiv zustimmungsfähig hält. Besteht dieser […] Konsens tatsächlich, so kommt es auf seine Begründung nicht an. Das Ergebnis wird dadurch getragen […] daß niemand widerspricht“, Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, §  22 Rn.  920; vgl. zur ju­ ristischen Argumentation mit der „Natur der Sache“ Dreier, Zum Begriff der „Natur der Sache“ (1965); Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, §  22 Rn.  919 ff.; §  25 Rn.  988 ff. 37  Neuhaus, RabelsZ 15 (1949), 364 f. 33  Diese

A. Die Berücksichtigung als sachrechtlicher Subsumtionsvorgang

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schen Problemlösung aus der „Natur der Sache“ ist aber grundsätzlich unzuläs­ sig.38 Häufig bringt ein solches Vorgehen im Ergebnis nämlich nicht eine allge­ meingültige Anschauung über eine Problemlösung hervor, sondern es ist das Gericht, das letztlich darüber entscheidet, ob ein Rechtsanwendungsergebnis aus der „Natur der Sache“ folgt.39 Dann aber droht die Herleitung der jeweiligen richterlichen Problemlösung aus der „Natur der Sache“ zu verschleiern, dass das Gericht das Gesetz nicht beachtet.40 Dass die Berücksichtigung häufig nicht selbstverständlich ist, zeigt sich z. B. bei der Frage, ob die griechischen Sparge­ setze bei der Falllösung nach deutschem Recht Berücksichtigung finden können oder nicht.41 Die Berücksichtigung statutsfremder Rechtsnormen ist zudem häufig mit Wertungsfragen verbunden, z. B. wenn an sich nicht anwendbare Eingriffsnor­ men berücksichtigt werden sollen.42 Das Erfordernis einer zusätzlichen Berück­ sichtigungswertung ist mit der Argumentation aus der „Natur der Sache“ aller­ dings unvereinbar. Deshalb ergibt sich aus der „Natur der Sache“ nicht die Ent­ behrlichkeit eines Anwendungsbefehls. 3. Verweisungsrechtliche Sonderanknüpfung Es könnte aber zu überlegen sein, ob sich ein Anwendungsbefehl mithilfe der Sonderanknüpfungslehre (a)) konstruieren lässt (b)). a) Die Sonderanknüpfung im IPR Sonderanknüpfungen sind Verweisungsentscheidungen, die von der Hauptan­ knüpfung abweichen.43 Die Sonderanknüpfung wurde insbesondere von Wilhelm Wengler und Konrad Zweigert für den Bereich der Eingriffsnormen be­

Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, §  22 Rn.  913 ff.; kritisch gegenüber der Terminologie der Natur der Sache Dreier, Zum Begriff der „Natur der Sache“ (1965), S.  127. 39  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, §  23 Rn.  923. 40  Ebd., Rn.  923, §  25 Rn.  988 f.; „Machtausübung neigt zur Verleugnung ihrer Existenz. Aus diesen Gründen werden richterliche Normsetzungen (‚Rechtsfortbildungen‘) als rechts­ politische Akte nicht offengelegt, sondern durch scheinwissenschaftliche Argumente und Ableitungen verschleiert“ (Rn.  914). 41  BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75; EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis); BAG, Urt. v. 26.4.2017, 5 AZR 962/13, BAGE 159, 69. Vgl. dazu Erster Teil B.I.3. 42  Vgl. dazu Großfeld/Junker, Das CoCom im Internationalen Wirtschaftsrecht (1991), S.  105. 43  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  6 I 4. 38 

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

schrieben.44 Bei ihr finden Normen, die ungeachtet des verweisungsrechtlich anwendbaren Rechts den Sachverhalt regeln wollen, Anwendung.45 Eingriffs­ normen sind nach der verallgemeinerungsfähigen Definition des Art.  9 Abs.  1 Rom I-VO Normen, die Gemeinwohlbelangen dienen, hinreichend eng mit dem Sachverhalt verbunden sind und unbedingten internationalen Geltungswillen haben.46 Rechtstechnisch werden sie zur Geltung gebracht, indem die durch die Eingriffsnorm geregelte Fragestellung aus dem nach dem Verweisungsbefehl anwendbaren Recht gelöst und erneut (gesondert) angeknüpft wird.47 Der An­ wendungsbefehl für gesondert anzuknüpfende Normen erfolgt sodann durch eine einseitige sachnormbezogene Kollisionsnorm, die sich im Wege der Ausle­ gung aus der Eingriffsnorm selbst ergibt.48 Hierbei handelt es sich um einen verweisungsrechtlichen Mechanismus.49 Diese Sonderanknüpfungsmethodik könnte auf die Berücksichtigung übertragbar sein. b) Übertragbarkeit auf die Berücksichtigungsmethodik Die zu berücksichtigenden statutsfremden Vorschriften könnten ausnahmswei­ se aufgrund ihres eigenen Geltungswillens Anwendung finden. Dafür spricht insbesondere, dass sich ihre Anwendung häufig geradezu aufdrängt. Anerkannt ist die Sonderanknüpfung statutsfremder Normen bislang aller­ dings nur für Eingriffsnormen.50 Eine Ausdehnung der Sonderanknüpfung auf andere Vorschriften wird abgelehnt.51 Der Ausnahmecharakter der Sonderan­ knüpfung gründet darin, dass das Verweisungssystem kontinental-europäischer Prägung nicht auf einzelne Rechtsnormen, sondern auf eine Rechtsordnung im Ganzen verweist.52 Ein Lebenssachverhalt soll möglichst einheitlich beurteilt Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168 ff.; Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283, 295; vgl. dazu Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386, 393. 45  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  86. 46  Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Art.  9 Rom I-VO Rn.  12, 24; Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  10. Vgl. dazu bereits Erster Teil B.I.1. 47 Vgl. zur gesonderten Anknüpfung von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  111 f. 48  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII; Mankowski, Das Bündelungsmodell im Internationalen Privatrecht, in: Liber Amicorum Klaus Schurig (2012), S.  159, 166 f.; Mansel, Eingriffsnormen im internationalen Sachenrecht, in: FS Roth (2015), S.  375, 376. 49  Freitag, IPRax 2009, 109, 114. 50  Zum Begriff der Eingriffsnormen vgl. Erster Teil B.I.1. 51  Mankowski, Das Bündelungsmodell im Internationalen Privatrecht, in: Liber Ami­ corum Klaus Schurig (2012), S.  159, 166 f. 52  Vgl. insoweit zur Sonderanknüpfung von Teilfragen infolge einer dépeçage von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  105. 44 

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werden, weil innerhalb derselben Rechtsordnung Rechtssätze im Regelfall auf­ einander abgestimmt sind.53 Zu vermeiden, dass zusammenhängende Norm­ komplexe auseinandergerissen werden, soll nicht zuletzt dem Interesse der Par­ teien an einer vorhersehbaren Entscheidung dienen.54 Schon deswegen ist das Instrument der Sonderanknüpfung aus Gründen der Rechtssicherheit restriktiv zu handhaben.55 Will man einer statutsfremden Sachnorm einen ungeschriebe­ nen, zwingend einseitigen verweisungsrechtlichen Befehl zuordnen, besteht hierfür im herrschenden Kollisionsrechtssystem eine Begründungslast.56 Eine Rechtfertigung für die gesonderte Anknüpfung einzelner Normen ungeachtet des Verweisungsergebnisses besteht nur dann, wenn Normen – als Eingriffs­ normen – einen besonderen Geltungswillen ausweisen.57 Internationalen Gel­ tungswillen haben z. B. Ein- und Ausfuhrbestimmungen oder Währungs- und Devisenvorschriften.58 Bei der Berücksichtigung statutsfremder Regelungen geht es aber nicht nur um Eingriffsnormen, sondern ebenso um Vorschriften ohne internationalen Geltungswillen wie z. B. Skipistenregeln.59 Ein weiterer Grund für die Unzulässigkeit der Ausdehnung der Sonderan­ knüpfung auf andere Normen als auf Eingriffsnormen ist die Befürchtung, die „Entdeckung“ von in Sachnormen versteckten Kollisionsnormen würde zu ei­ nem Heimwärtsstreben der Gerichte führen, an dessen Ende sie die lex fori ge­ gen die Verweisungsentscheidung durchsetzen.60

Schwind, RabelsZ 23 (1958), 449, 456 f. Benzenberg, Die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen im Internationalen Pri­ vatrecht (2008), S.  119 ff. 55  Vgl. dazu im Zusammenhang mit Art.  9 Rom I-VO z. B. Martiny, in: MünchKommB­ GB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  4. 56  Mankowski, Das Bündelungsmodell im Internationalen Privatrecht, in: Liber Ami­ corum Klaus Schurig (2012), S.  159, 166 f. 57  Vgl. dazu auch Benzenberg, Die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen im Inter­ nationalen Privatrecht (2008), S.  122: „Sprechen gewichtige Überlegungen dafür, so sind auch im Sachzusammenhang stehende Einzelfragen voneinander zu trennen und einer ge­ sonderten Schwerpunktbestimmung und Anknüpfung zu unterwerfen.“ 58  Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  58 ff. 59  Zum fehlenden Eingriffsnormencharakter von Verkehrsregeln vgl. Stoll, Die Behand­ lung von Verhaltensnormen und Sicherheitsvorschriften, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnis­ se (1983), S.  160, 173. 60  Mankowski, Das Bündelungsmodell im Internationalen Privatrecht, in: Liber Ami­ corum Klaus Schurig (2012), S.  159, 166; vgl. dazu auch von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  94: „Je mehr Normen des eigenen Rechts man per Sonderanknüpfung neben der eigentlichen Anknüpfung beruft, desto rechtsimperialistischer wird man“; vgl. dazu auch Erster Teil C.II.2. 53 

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Hinzu kommt, dass die Berücksichtigung statutsfremden Rechts sowie die Sonderanknüpfung unterschiedliche Rechtsfolgen haben. Während es bei der Sonderanknüpfung im Regelfall zu einer Anknüpfung der vollständigen Ein­ griffsnorm mitsamt ihrem Tatbestand sowie ihrer Rechtsfolge kommt und hier­ durch das anwendbare Recht partiell überlagert wird, wird bei der Berücksich­ tigung statutsfremdes Recht aus der lex causae heraus einbezogen und in die jeweils anwendbare Sachvorschrift eingefügt.61 c) Bilanz Aus diesen Gründen bietet die Lehre der Sonderanknüpfung keine taugliche Erklärung für die ausnahmsweise Zulässigkeit einer Berücksichtigung statuts­ fremder Normen in Auslegung der jeweiligen verweisungsrechtlich anwendba­ ren Sachnorm. 4. Ungeschriebene Regel des herkömmlichen verweisungsrechtlichen Kollisionsrechts? Möglicherweise ist die Berücksichtigung jedoch deshalb als kollisionsrechtlich einzuordnen, weil das herkömmliche Kollisionsrecht eine entsprechende unge­ schriebene Regel bereithält. Eine solche ungeschriebene Regel kann sich nicht aus der Zweistufentheorie ergeben (a)). Denkbar wäre es aber, die Berücksichti­ gung als allgemeine Lehre des IPR über Art.  3 EGBGB dem IPR im herkömm­ lichen Sinne zuzuordnen (b)). Ob sich die Berücksichtigung statutsfremden Rechts über einen (ungeschrie­ benen) Verweisungsbefehl hinaus z. B. als Rechtsfortbildung der Verweisungs­ regeln z. B. mit dem Grundsatz der Wahrung kultureller Identität rechtfertigen ließe, ist Gegenstand des Dritten Teils dieser Arbeit.62 a) Zweistufenlehre (Erik Jayme/Hans-Joachim Hessler/Egon Lorenz) Im Folgenden wird gezeigt, dass die Zweistufentheorie, wie sie Jayme und so­ dann Hessler und E. Lorenz entwickelten,63 nicht für sich in Anspruch nimmt, 61  Vgl. z. B. Weller/Grotz, JZ 2015, 989, 991; zur Abgrenzung der Sonderanknüpfung von der Berücksichtigung auf Sachrechtsebene, vgl. auch Piehl, RIW 1988, 841, 842. 62  Vgl. dazu Dritter Teil A. 63  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 43; ders., Versorgungsausgleich mit Auslandsberührung und Theo­ rie des internationalen Privatrechts, in: Der Versorgungsausgleich im internationalen Ver­ gleich (1985), S.  423, 424 f.; ders., Internationales Familienrecht heute, in: FS Müller-Freien­ fels (1986), S.  346, 369 f.; ders., Ein Internationales Privatrecht für Europa (1991), S.  21 f.; ders., Società multiculturale e nuovi sviluppi del diritto internazionale, in: Rechtsverglei­

A. Die Berücksichtigung als sachrechtlicher Subsumtionsvorgang

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die Berücksichtigung als zum IPR gehörig zu legitimieren, sondern vielmehr die Notwendigkeit beschreibt, ausländisches Recht auch innerhalb der verwei­ sungsrechtlich anwendbaren Sachnormen zu berücksichtigen. Nach der Zweistufentheorie besteht das Kollisionsrecht auf einer ersten Stufe aus Verweisungsnormen.64 Auf einer zweiten Stufe wird das anwendbare Recht erforderlichenfalls durch die Berücksichtigung statutsfremden Rechts an die Besonderheiten des internationalen Sachverhaltes angepasst.65 Hessler erklärt die Zweistufigkeit mit der Existenz von Spannungslagen zwi­ schen anwendbarem und verdrängtem Sachrecht.66 Jayme sieht den Anwen­ dungsbefehl für die Berücksichtigung statutsfremden Rechts innerhalb der an­ wendbaren Sachnormen selbst begründet, deren Zweck es verlange, dem Aus­ landsbezug des Sachverhaltes angepasst zu werden.67 Die Zweistufentheorie verdeutlicht auf diese Weise das gedankliche Funda­ ment, auf dem die Berücksichtigung aufbaut: Mithilfe zweier Stufen macht sie als Denkmodell deutlich, dass es in bestimmten Fällen notwendig ist, den Aus­ landsbezug nicht nur durch eine Verweisungsentscheidung, d. h. auf Kollisions­ rechtsebene, sondern auch bei Anwendung der verweisungsrechtlich anwendba­ ren Vorschriften, d. h. auf Sachrechtsebene, zu berücksichtigen.

chung – Ideengeschichte und Grundlagen von Emerico Amari zur Postmoderne (2000), S.  137, 143 f.; Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht (1985), S.  59 ff.; ders., Datum-Theorie und Zweistufigkeit des internationalen Privatrechts, in: Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht (1986), S.  137, 139 f.; E. Lorenz, FamRZ 1987, 645 ff.; ders., Die Grundsätze des deutschen internationalen Betriebsverfas­ sungsrechts, FS W. Lorenz (1991), S.  441, 464 ff.; vgl. dazu von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  129; Looschelders, RabelsZ 65 (2001), 463, 471 f.; Looschelders, in: Staudinger, BGB Neubearbeitung 2019, Einl zum IPR Rn.  245 ff.; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität (1988), S.  49 f.; Weller, ZGR 2010, 679, 694 f. 64  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 43. 65  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 43; ders., Società multiculturale e nuovi sviluppi del diritto inter­ nazionale privato, in: Rechtsvergleichung – Ideengeschichte und Grundlagen von Emerico Amari zur Postmoderne (2000), S.  137, 143 f.; ders., Internationales Familienrecht heute, in: FS Müller-Freienfels (1986), S.  341, 369 f.; E. Lorenz, Die Grundsätze des deutschen interna­ tionalen Betriebsverfassungsrechts, FS W. Lorenz (1991), S.  441, 464 ff.; Weller, ZGR 2010, 679, 694 f. 66  Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht (1985), S.  77 ff. Vgl. dazu E. Lorenz, FamRZ 1987, 645 f., 647. 67  Jayme, Internationales Familienrecht heute, in: FS Müller-Freienfels (1986), S.  341, 369; vgl. dazu E. Lorenz, FamRZ 1987, 645 f., 647.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

b) Art.  3 EGBGB Ein ungeschriebener Verweisungsbefehl könnte sich aus Art.  3 EGBGB erge­ ben. Danach „bestimmt sich das anzuwendende Recht bei Sachverhalten mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat nach den Vorschriften dieses Kapitels (Internationales Privatrecht).“ Zwar könnte man hierunter neben den klassischen Verweisungsvorschriften des EGBGB auch die gängige Norman­ wendungsmethodik („die Allgemeinen Lehren des IPR“) fassen und ihr die Me­ thode der Berücksichtigung auf Ebene des Sachrechts zuordnen.68 Allerdings geht diese Arbeit davon aus, dass die Berücksichtigung von ausländischem Recht (in Gestalt der Datumtheorie) gerade noch keine anerkannte Allgemeine Lehre des IPR, sondern als solche erst noch zu rechtfertigen ist. Hierfür spricht nicht zuletzt, dass die Berücksichtigung de lege lata in ihrer dogmatischen Be­ gründung umstritten ist.69 5. Zwischenergebnis Als Zwischenstand lässt sich festhalten, dass bei dem Berücksichtigungsvor­ gang auf Sachrechtsebene ein verweisungsrechtlicher Anwendungsbefehl im herkömmlichen Sinne fehlt.70 Aus dem fehlenden verweisungsrechtlichen Anwendungsbefehl lässt sich, vorbehaltlich der Anerkennung der Berücksichtigungsmethodik als Allgemeine Lehre des IPR,71 schließen, dass statutsfremde Rechtsnormen de lege lata aus­ schließlich deshalb berücksichtigt werden, weil es die verweisungsrechtlich an­ wendbare Sachnorm (Ausgangsnorm) verlangt.72 In den Fällen statutsfremder Eingriffsnormen stellt sich so z. B. die Frage, ob §  138 Abs.  1 BGB eine Berück­ sichtigung ausländischer Rechtswertungen anordnet. Es wäre allerdings zirkelschlüssig, aus der Verortung eines Vorgangs auf Sachrechtsebene auf seine Zuordnung zum Sach- oder Verweisungsrecht zu fol­ 68  Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten (2013), S.  47 f.; ders., IPRax 2014, 225, 231. 69  Vgl. dazu Erster Teil C.I. 70 Vgl. dazu Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht (1985), S.  149 ff., 178: „Das verdrängte ausländische Recht wird auf materiellrechtlicher Ebe­ ne als rationales Element bei der Ausfüllung der inländischen Generalklausel berücksichtigt. Eines Anwendungsbefehles bedarf es nicht, weil die ausländische Regel eben nicht angewen­ det wird [...]“; von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  273 ff. 71  Vgl. dazu soeben Zweiter Teil A.II.4.b). 72  Vgl. dazu z. B. Armbrüster, NJW 2001, 3581, 3585 Fn.  52; von Hein, in: MünchKommB­ GB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  280; Jayme, Internationales Familienrecht heute, in: FS Mül­ ler-Freienfels (1986), S.  341, 369 f.; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  609.

A. Die Berücksichtigung als sachrechtlicher Subsumtionsvorgang

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gern. Vielmehr gilt: Handelt es sich eigentlich um einen verweisungsrechtlichen Vorgang, wäre nach der Konzeption des IPR ein verweisungsrechtlicher An­ wendungsbefehl gerade notwendig und eine Verortung des Vorgangs auf Sach­ rechtsebene als tertium zwischen Sach- und Verweisungsrecht offenlegungsund rechtfertigungsbedürftig.73 Im Folgenden ist deshalb zu klären, ob der Berücksichtigungsvorgang aus dem anwendbaren Sachrecht heraus funktional verweisungsrechtliche Elemente aufweist. III. Zwischenergebnis 1. Im IPR wird im Ausgangspunkt zwischen Sach- und Kollisionsrecht getrennt (tertium non datur). Notwendige Bedingung der Zuordnung zum klassischen IPR (d. h. der Verortung eines Vorgangs auf Kollisionsrechtsebene) ist eine verweisungsrechtliche Entscheidung der Gesetzgebung. Infolge der verweisungs­ rechtlichen räumlichen Zuordnung des Sachverhaltes zu einer Rechtsordnung trifft das hiernach anwendbare Sachrecht eine Entscheidung in der Sache. 2. Die Berücksichtigung wäre jedenfalls dann ohne Weiteres kollisionsrecht­ licher Art, wenn ihr ein klassischer verweisungsrechtlicher Anwendungsbefehl zugeordnet werden könnte. Annehmbar ist dies jedenfalls, soweit die Berück­ sichtigung ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist, z. B. mit Art.  17 Rom II-VO. Berücksichtigungsanordnungen existieren jedoch nur für einzelne Teilbereiche und sind nicht verallgemeinerbar. Dies gilt umso mehr, als ihr Verhältnis zum herkömmlichen Verweisungsrecht umstritten ist. Berücksichtigungsanordnun­ gen zeigen zwar, dass die Gesetzgebung die Notwendigkeit zur Beurteilung des Auslandsbezugs eines Sachverhaltes in Auslegung der anwendbaren Normen anerkennt. Sie können deshalb potentiell zur Rechtfertigung der Berücksichti­ gung beitragen. Vorliegend geht es allerdings um die Frage, ob die der Verwei­ sung nachgelagerte Berücksichtigung ausländischen Rechts als systemfremdes Element überhaupt der Rechtfertigung bedarf oder sich vielmehr ohnehin dem herkömmlichen Verweisungsrecht zuordnen lässt. Dies spricht dafür, den rich­ terlichen Berücksichtigungsvorgang zunächst abseits der Berücksichtigungsan­ ordnungen zu untersuchen. 3. Der Berücksichtigung statutsfremder Sachnormen in Auslegung der ver­ weisungsrechtlich anwendbaren Sachnorm kann kein klassischer Anwendungs­ befehl zugeordnet werden. Ein solcher Anwendungsbefehl folgt weder aus der Natur der Sache, noch können zu berücksichtigende Normen generell aufgrund ihrer eigenen Machtvollkommenheit im Wege der Sonderanknüpfungslehre 73 

Vgl. dazu Zweiter Teil A.I. Zur Rechtfertigung vgl. Dritter Teil A.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Anwendung finden. Eine Zuordnung des Berücksichtigungsvorgangs zum her­ kömmlichen Kollisionsrecht ergibt sich zudem nicht aus Art.  3 EGBGB. Denn für eine Legitimation gem. Art.  3 EGBGB müsste die Berücksichtigung eine etablierte Methode des IPR sein. In dieser Arbeit soll es aber gerade um die Frage gehen, ob sich die Berücksichtigungsmethodik (in Gestalt der Datum­ theo­rie) als eine allgemeine Methode des IPR rechtfertigen lässt. Hierfür kann nicht auf Art.  3 EGBGB zurückgegriffen werden (Zirkelschluss), weshalb im Folgenden unterstellt wird, die Berücksichtigungsmethodik habe sich bislang noch nicht etabliert. Eine Einpassung der richterlichen Berücksichtigung auf Sachrechtsebene in das herkömmliche Verweisungssystem kann auch nicht durch die sog. Zweistufentheorie erfolgen. Die Zweistufentheorie, entwickelt von Jayme, Hessler und E. Lorenz, ist vielmehr ein Denkmodell, wonach der Auslandsbezug eines Sachverhaltes auf einer ersten Stufe durch Verweisung und, nachgeschaltet, auf einer zweiten Stufe durch Berücksichtigung zur Gel­ tung gebracht wird. 4. Ein Berücksichtigungsvorgang abseits einer geschriebenen Berücksichti­ gungsanordnung findet auf Sachrechtsebene, d. h. alleine in Auslegung der an­ wendbaren Sachnormen statt. Hieraus lässt sich aber nicht ohne weiteres fol­ gern, dass es sich auch funktional um einen sachrechtlichen Vorgang handelt. Vielmehr ist danach zu fragen, ob der Vorgang funktional kollisionsrechtlich ist und deshalb entweder gesetzlich legitimiert werden müsste oder als Rechtsfort­ bildung einer Rechtfertigung bedarf.

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung Um zu untersuchen, wann die Berücksichtigung abseits einer Berücksichti­ gungsanordnung funktional sachrechtlich ist (und deshalb die Verweisungsent­ scheidung nicht tangiert) oder doch verweisungsrechtliche Elemente aufweist, werden zunächst die herkömmlichen Kriterien der funktionalen Trennung zwi­ schen kollisionsrechtlichem Verweisungs- und Sachrecht dargestellt (I.) und diese sodann auf den Berücksichtigungsvorgang übertragen (II. und III.). Im Anschluss wird gezeigt, dass es für die funktionale Zuordnung der auf Sach­ rechtsebene stattfindenden Berücksichtigung zum Kollisions- oder Sachrecht auf das jeweilige Berücksichtigungsobjekt ankommen sollte (IV.). I. Kriterien der Trennung von Verweisungs- und Sachrecht Wann im Einzelfall ein sachrechtlicher und wann ein verweisungsrechtlicher Vorgang vorliegt, ist, wie im Folgenden zu sehen sein wird, schwer zu unter­

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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scheiden.74 Die Zuordnung erfolgt herkömmlich nach inhaltlichen Kriterien (1.) oder dem formalen Rechtsfolgenkriterium (2.). 1. Inhaltliches Interessenkriterium Inhaltlich lassen sich Verweisungs- und Sachrecht abstrakt danach unterschei­ den, welchen Interessen sie jeweils dienen.75 Während die Verweisungsnorm „funktionell vorgeordnet“76 der international-privatrechtlichen, d. h. räumli­ chen Gerechtigkeit dient, verwirklicht das Sachrecht materielle Gerechtigkeit.77 Beide Gerechtigkeitsaspekte sind zwar zwei Seiten derselben Medaille, indem sie der Gerechtigkeit dienen, wie sie vornehmlich in der Rechtswissenschaft verstanden wird: als Streben nach der inhaltlich richtigen Entscheidung.78 Ver­ weisungsnormen vermuten aber, das räumlich beste sei auch das sachlich ge­ rechteste Recht.79 An diese Unterscheidung anknüpfend wird die Zugehörigkeit des Berück­ sichtigungsvorgangs zum Sachrecht teilweise damit begründet, sie geschehe aus sachrechtlichen Erwägungen heraus. Hessler z. B. erklärt die sachrechtliche Einordnung des Berücksichtigungsvorgangs damit, dieser diene sach- und nicht verweisungsrechtlichen Interessen.80 Ähnlich könnte sich Dannemann interpre­ tieren lassen, nach dem eine Berücksichtigung statutsfremden Rechts aus sach­ rechtlichen Gründen den Schluss zulasse, dass es sich um Sachrecht handele.81 74  Vgl. dazu auch Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 1; Kegel, Begriffs- und Inte­ ressenjurisprudenz im internationalen Privatrecht, in: FS Lewald (1953), S.  259, 269; Raape/ Sturm, IPR, 6.  Aufl. 1977, §  1 II 3. 75  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII; Kegel, Begriffs- und Interessenjurispru­ denz im internationalen Privatrecht, in: FS Lewald (1953), S.  259, 270 ff.; Schurig, Kolli­ sions­norm und Sachrecht (1981), S.  59. 76  Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 558. 77  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII. 78  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  6 Rn.  94 f. 79  Ebd., §  6 Rn.  94. 80  Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht (1985), S.  168: „Erst nachrangig, auf der zweiten Stufe, wird aus materiellrechtlichen Notwendigkei­ ten bei der Anwendung des durch Kollisionsrecht berufenen Rechtes durch eine Berücksich­ tigung des verdrängten Rechtes eine Modifikation erzielt. Da sie aus materiellrechtlichen Gründen erfolgt, ist sie keine kollisionsrechtliche Frage [...]. Die Bedeutung der materiellen Harmonie neben und über der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit rechtfertigt die Einbeziehung der ausländischen Norm als datum ohne Verweisungsbefehl in der General­ klausel des Familienrechts.“ 81  Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  100: „Soweit die Parteien tatsächlich nicht wählbares Recht zugrunde gelegt ha­ ben, ist evident, dass das gewählte Recht nicht auf den Fall angewandt wird, aber dennoch herangezogen werden muss, um den Parteiwillen zu erforschen und damit das beste ver­

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Sachrechtliche Gründe zur Berücksichtigung von Normen lägen z. B. in der Feststellung der Sittenwidrigkeit.82 Auch Zweigert weist im Zusammenhang mit der Notwendigkeit zur Berücksichtigung ausländischer Verbotsnormen, die zu einer Unmöglichkeit der Leistung führen, auf die unterschiedlichen inhaltlichen Maßstäbe von Sach- und Kollisionsrecht hin.83 2. Formelles Rechtsfolgekriterium Die Zugehörigkeit zum Verweisungsrecht lässt sich auch formell nach der je­ weiligen Rechtsfolge einer Norm konkretisieren.84 Danach ist eine Verwei­ sungsnorm jeder Rechtssatz, der zumindest so formuliert werden kann, dass er Rechtsnormen räumlich für anwendbar erklärt.85 Eine Sachnorm hingegen „ge­ währ[e], verbiete[e], autorisier[e]“.86 Schurig bezeichnet einen Vorgang dann als verweisungsrechtlich, wenn die „einzig mögliche Alternative [...] die Verweisung auf entsprechende Rechtssätze einer anderen nationalen Rechtsordnung ist.“87 Ein Beispiel für einen verwei­ sungsrechtlichen Vorgang wäre demnach die Berücksichtigung des englischen straßenverkehrsrechtlichen Linksfahrgebotes, deren Alternative die Anwen­ dung des eigenen Straßenverkehrsrechts wäre. Anders liege der Fall, wenn auf das Verbot des Schnellfahrens in einer geschlossenen Ortschaft Bezug genom­ men würde; hier sei eine Alternativregelung die generelle Höchstgeschwindig­

gleichbare Rechtsinstitut innerhalb des anwendbaren Rechts zu finden. Der Grund für die Berücksichtigung des nicht anwendbaren Rechts ist somit ein sachrechtlicher, nämlich die Feststellung des Parteiwillens. Hier stimmt die Aussage, dass Berücksichtigung nicht an­ wendbaren Rechts nichts anderes als die Auslegung des anwendbaren Rechts ist“; vgl. dazu auch a. a. O. S.  98: „Sind die Gründe [der Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts] kolli­ sionsrechtlicher Natur (unten III.E), dann lässt sich die Heranziehung eines weiteren Rechts in der Regel nicht als reine Auslegung des (primär) berufenen Sachrechts erklären.“ 82  Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  136 f. 83  Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283, 302. 84  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  55 ff.; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 II. 85  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII. 86  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  2; vgl. auch Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  55, 58. 87  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  60 f.; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII: „Bei einer Kollisionsnorm (IPR-Norm) ist Alternative der ausgesprochenen Verweisung die Sachregelung einer anderen (nationalen) Rechtsordnung. Bei einer Sach­ norm mit räumlicher Anknüpfung ist Alternative der ausgesprochenen Abgrenzung eine an­ dere Sachregelung derselben Rechtsordnung.“

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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keit außerhalb geschlossener Ortschaften.88 Dieser Vorgang sei deshalb ein sachrechtlicher.89 II. Zuordnungsversuch nach dem inhaltlichen Interessenkriterium Zunächst ist fraglich, ob das Interessenkriterium für jeden denkbaren Berück­ sichtigungsfall eine Zuordnung zum Verweisungs- oder Sachrecht ermöglicht. Generell wird die Berücksichtigung statutsfremden Rechts innerhalb von Normen wie §  138 BGB zwar tatsächlich häufig aus sachrechtlichen Gerechtig­ keitserwägungen heraus geschehen.90 Im Einzelfall ist es jedoch gerade im Rah­ men der Anwendung von Generalklauseln wie §  138 Abs.  1 BGB nicht immer klar, aus welchen Erwägungen heraus ein Berücksichtigungsvorgang stattfin­ det.91 Die Unterscheidung zwischen verweisungs- und sachrechtlichen Interes­ sen zur funktionalen Zuordnung des Berücksichtigungsvorganges zum Sachoder Verweisungsrecht ist vor allem dann fragwürdig, wenn eine Norm verwei­ sungs- und sachrechtlich zur Geltung gebracht werden kann, wie im Falle von drittstaatlichen Eingriffsnormen. Drittstaatliche Eingriffsnormen können rechtstechnisch entweder auf Verweisungsebene (durch Sonderanknüpfung) oder durch Berücksichtigung innerhalb der anwendbaren Sachrechtsvorschrif­ ten auf Sachrechtsebene („materiell-rechtlich“) einbezogen werden.92 Die Gründe für die Einbeziehung, also die Verwirklichung von räumlicher oder in­ haltlicher Gerechtigkeit, ändern sich nicht je nachdem, wie die Einbeziehung stattfindet. Deshalb dient der Zweck der Berücksichtigung bzw. das hiermit ver­ wirklichte Interesse nicht als trennscharfes Unterscheidungskriterium für die Zuordnung eines Vorgangs zum Kollisions- oder Sachrecht. Gegen eine Zuordnung eines Vorgangs nach dem mit ihm verwirklichten In­ teresse spricht zudem, dass letztlich das kollisionsrechtliche Verweisungsrecht selbst auf gebündelten sachrechtlichen Erwägungen beruht: Verweisungsnor­ men entstehen, veranschaulicht durch das sog. Bündelungsmodell Schurigs, da­ durch, dass jeder Sachnorm eine „Elemente-Kollisionsnorm“ zugeordnet wird, die unter speziell verweisungsrechtlicher Interessenfeststellung ihren Anwen­

Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  62 f. Ebd., S.  61. 90  Steindorff, Sachnormen im internationalen Privatrecht (1958), S.  237; Schurig, ­R abelsZ 54, (1990), 217, 241; vgl. dazu auch Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  6 III 2 bei Fn.  16. 91  Vgl. dazu Dannemann, Sachrechtliche Gründe für die Berücksichtigung nicht anwend­ baren Rechts, in: FS Stoll (2001), S.  417, 436; ders., Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  132 ff. 92  H. Stoll, Rechtliche Inhaltskontrolle bei internationalen Handelsgeschäften, in: FS Ke­ gel (1987), S.  623, 643. 88  89 

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

dungsbereich festlegt.93 Sodann werden vertikal alle zu einer Normgruppe ge­ hörenden Anwendungsbereichsnormen gebündelt, horizontal alle Anwendungs­ bereichsnormen der entsprechenden ausländischen Normgruppen.94 Das Ergeb­ nis sind abstrakt-generelle, allseitige Verweisungsnormen.95 Mit diesem Bündelungsmodell lässt sich letztlich auch der Berücksichti­ gungsvorgang nachvollziehen. Ein Berücksichtigungsvorgang ist regelmäßig Ausdruck dessen, dass sachrechtliche Wertungen (noch) nicht in pauschalisie­ render Weise zu Verweisungsnormen gebündelt werden können.96 Für diese Fäl­ le können also von vornherein keine typisierten räumlichen Entscheidungen getroffen werden. Berücksichtigungsanordnungen werden deshalb auch als Normvorstufen von Verweisungsnormen eingeordnet.97 Das heißt aber nicht, dass die Berücksichtigung statutsfremder Vorschriften deshalb nicht zumindest auch aus räumlichen Gerechtigkeitserwägungen heraus geschehen kann. Einzi­ ge Aussage der fehlenden Verweisungsnorm ist, dass jene noch nicht typisiert festgelegt werden können. Nicht zuletzt würde selbst die Tatsache, dass der Berücksichtigungsvorgang aus sachrechtlichen Gründen geschieht, nichts daran ändern, dass verweisungs­ rechtlich nicht anwendbare Normen auf den Sachverhalt angewandt würden und hierfür ein verweisungsrechtlicher Anwendungsbefehl notwendig wäre.98 Dass das Kriterium, welchem Interesse eine Norm dient, nicht als Abgren­ zungskriterium zwischen Sach- und Verweisungsrecht dienen kann, ergibt 93  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  89 ff.; vgl. dazu Mankowski, Das Bündelungsmodell im Internationalen Privatrecht, in: Liber Amicorum Klaus Schurig (2012), S.  159 ff. 94  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  102 ff.; 105 f. 95  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  106 ff. 96  Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Klaus Schurig (2012), S.  229, 235 f.: „Diese Bündelung hält der Normgeber hier (noch) nicht für abschließend möglich und definiert es mit dem Tatbestandsmerkmal der Berücksichtigung deshalb als gemeinsame Aufgabe von Sach- und Kollisionsrecht, der Verlass-, Koordina­ tions- und Steuerungsfunktion der örtlich maßgebenden Sicherheits- und Verhaltensregeln eine angemessene Beachtung zu verschaffen.“ 97  Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  99. 98  Köhler, Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen im Europäischen Inter­ nationalen Vertragsrecht, in: Internationale Dimensionen des Wirtschaftsrechts (2013), S.  199, 204: „Denn sobald auf den konkreten Regelungsgehalt einer existierenden ausländi­ schen Bestimmung abgestellt wird, geht dem denknotwendig eine kollisionsrechtliche Auswahlentscheidung zugunsten dieses – wenn auch nur ‚sachrechtlich berücksichtigten‘ – Rechtssatzes voraus, weil wir eben diesen und nicht einen anderen inhaltlich konkurrieren­ den Rechtssatz eines weiteren Staates ‚berücksichtigen‘. Die Erwägungen, die dieser Auswahlentscheidung zugrunde liegen, sind damit spezifisch kollisionsrechtlicher Natur, auch wenn sie im Rahmen einer materiellen Norm ‚versteckt‘ wurden.“

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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letztlich auch ein Vergleich mit der Kegel’schen Interessenlehre. Nach der Kegel’schen Interessenlehre, die er vor dem Hintergrund der Interessenjurispru­ denz Hecks99 entwickelte,100 lassen sich typische kollisionsrechtliche Interessen den Kategorien des Parteiinteresses, des Verkehrsinteresses und des Ordnungs­ interesses zuordnen.101 Ein typisches Parteiinteresse sei es, dass jede Partei zu dem sie prägenden und ihr am vertrautesten Recht gelangt.102 Verkehrsinteres­ sen seien vornehmlich durch das Interesse an einer rechtssicheren Entscheidung geprägt, während Ordnungsinteressen durch den äußeren und inneren Entschei­ dungseinklang charakterisiert würden.103 Sachinteressen kommen hingegen in den anwendbaren Sachnormen zum Ausdruck. Kegels Interessenlehre be­ zweckte aber ausschließlich, Anknüpfungen zu legitimieren und bei der Bil­ dung von neuen Anknüpfungsregeln als Maßstab zu dienen. Die Interessenlehre Kegels diente damit nicht der strikten Unterscheidung von Verweisungs- und Sachrecht, sondern als Richtungsvorgabe zur Bildung von Verweisungsnor­ men.104 Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass die Berücksichtigung statutsfrem­ den Rechts häufig nicht eindeutig entweder einem verweisungs- oder einem sachrechtlichen Interesse zuzuordnen ist. Die Unterscheidung zwischen verwei­ sungs- und sachrechtlichen Interessen in der Interessenlehre Kegels diente zu­ dem der Verweisungsnormbildung und nicht der im Einzelfall erfolgenden funktionalen Zuordnung eines Vorgangs zum Sach- oder Kollisionsrecht. Das Kriterium, welches Interesse die Berücksichtigung einer Norm verwirklicht, ist deshalb nicht zur hier vorzunehmenden funktionalen Zuordnung des Berück­ sichtigungsvogangs zum Verweisungs- oder Sachrecht geeignet. III. Zuordnungsversuch nach dem formellen Rechtsfolgekriterium Mit der Begründung, der Berücksichtigungsvorgang verdränge inländische Vorschriften,105 könnte dieser Vorgang nach dem formellen Rechtsfolgenkrite­ 99 Vgl. Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung (1932), S.  26 ff.; ders., AcP 142 (1936), 129 ff., 297 ff.; vgl. dazu Auer, ZEuP 2008, 517 ff. 100  Kegel, Zum heutigen Stand des Internationalen Privatrechts: Theorie und Rechtspoli­ tik, in: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht (1985), S.  1, 5. 101  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  2 VII 1; Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1307. 102  Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität (1988), S.  72. 103  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  2 VII 2 und 3. 104  Vgl. dazu Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1307; Kühne, ZVglRWiss 114 (2015), 355 ff.; vgl. dazu auch Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  2 II. 105  So z. B. im Rahmen des Art.  17 Rom II-VO Maultzsch, in: BeckOGK (1.12.2018), Art.  17 Rom II-VO Rn.  61: „Die Berücksichtigung lokaler Sicherheits- und Verhaltensregeln

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

rium als kollisionsrechtlicher Vorgang eingestuft werden. Dementsprechend ordnet beispielsweise Schurig die Berücksichtigung statutsfremder Verhaltensund Sicherheitsvorschriften als kollisionsrechtlich ein: Statt die inländischen Verkehrsvorschriften anzuwenden, würden sie durch die zu berücksichtigenden ausländischen Verkehrsvorschriften verdrängt.106 Ein weniger eindeutiges Ergebnis scheint das formelle Rechtsfolgekriterium dann zu liefern, wenn im Rahmen von §§  275 oder 313 BGB auf nur vermeintlich tatsächliche Auswirkungen von Normen Bezug genommen wird wie in der Reichsgerichtsentscheidung „Trading with the enemy“,107 in der das Gericht ein englisches Feindhandelsgesetz als ordre public-widrig nicht anwandte, aber dennoch im Rahmen der Unmöglichkeitsvorschriften berücksichtigte. Schurig ordnet dies als Sachrechtsproblem ein, da in diesem Fall die sachrechtliche „Ge­ schäftsgrundlage“ der jeweils anwendbaren Norm berührt sei und es nicht um die Heranziehung einer Alternativregelung gehe, die die Anwendung einer in­ ländischen Norm verdränge.108 Er weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass nur dann ein sachrechtlicher Vorgang vorliege, wenn auf Aus­ wirkungen „rein ‚tatsächlicher‘ Art Rücksicht genommen würde, wie z. B. ‚Un­ möglichkeit‘ wegen ausländischer Leistungsverbote“.109 Die zu berücksichti­ genden Leistungsverbote dürften nicht „echt ‚berufen‘“ sein.110 Wird in diesem Sinne die „Geschäftsgrundlage“ einer Norm durch den Ein­ fluss einer statutsfremden Norm berührt, stellt sich die Frage, ob und inwieweit dieser Einfluss ausnahmsweise trotz Fehlens eines verweisungsrechtlichen An­ wendungsbefehl berücksichtigt werden darf. Für die Zuordnung zum Kolli­ sions- oder Sachrecht sollte deshalb nach der Funktion eines Vorgangs unter­ schieden werden. Es ist mit anderen Worten danach zu unterscheiden, ob ein Vorgang funktional in den Kompetenzbereich des Verweisungs- oder des Sach­ rechts fällt. Diese funktionale Unterscheidung sollte, wie im Folgenden ausge­ führt wird (IV.), nach dem jeweiligen Berücksichtigungsobjekt vorgenommen werden. dient gleichwohl nicht nur einer Konkretisierung bzw. Ergänzung der Vorgaben des kolli­ sions­rechtlich anwendbaren Rechts, sondern kann auch die Verhaltensstandards der lex cau­ sae verdrängen.“ 106  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  62; vgl. zu dieser Einordnung auch Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Klaus Schu­ rig (2012), S.  229, 235. 107  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182 („Trading with the enemy“); vgl. dazu Erster Teil B.I.2.a). 108  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  333 f. 109  Ebd., S.  333. 110 Ebd.

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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IV. Positiv-rechtlich funktionale Zuordnung nach dem Berücksichtigungsobjekt Im Folgenden zeigt sich, dass die Zuordnung des Berücksichtigungsvorgangs zum Verweisungs- oder Sachrecht funktional anhand der Unterscheidung nach dem jeweiligen Berücksichtigungsobjekt erfolgen kann (2.). Was sich hierunter versteht, soll in Abgrenzung zu den vorherigen Kriterien dargestellt werden (1.). 1. Abgrenzung Wie eingangs klargestellt, ist es für das Ergebnis der Anwendung statutsfrem­ den Rechts unerheblich, ob dieses auf Sachrechts- oder auf Verweisungsebene herangezogen wird.111 Der Grund für die Trennung von Sach- und Verweisungs­ recht ist letztlich die ursprüngliche gesetzgeberische Entscheidung. Die Verwei­ sungsregeln legen fest, wann eine ausländische Norm auf einen grenzüber­ schreitenden Sachverhalt Anwendung findet.112 Die übrigen mit dem Sachver­ halt verbundenen Normen werden dabei verdrängt.113 Ein Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene ist deshalb funktional kollisionsrechtlich, wenn dieser Vorgang nach der gesetzgeberischen Entschei­ dung und Konzeption des Kollisionsrechts im „Kompetenzbereich“ der Verwei­ sungsnormen de lege lata liegt, wie sie vor deutschen Gerichten angewandt ­werden. Die funktionale Zuordnung zum Kollisions- oder Sachrecht wird mit anderen Worten positiv-rechtlich vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungs­ grundsatzes zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung i. S. d. Art.  20 Abs.  3 GG bestimmt. Kompetenzgemäß erlassenes Verweisungsrecht wird aus dieser Perspektive dann auf Sachrechtsebene korrigiert und ergänzt, wenn auf Phäno­ mene rekurriert wird, deren Bezugnahme nach der Konzeption des IPR eine entsprechend ausgestaltete Verweisungsnorm voraussetzte. Die Abgrenzung des funktionalen Kriteriums zum inhaltlichen Kriterium ergibt sich ohne Weiteres. Für die Frage nach dem Eingreifen des Gerichts in den Kompetenzbereich der Legislative ist es unbeachtlich, ob dieser Eingriff in Verwirklichung räumlicher oder sachrechtlicher Gerechtigkeitserwägungen vorgenommen wird. Wie sich das formelle Rechtsfolgekriterium und die funktionale Zuordnung voneinander unterscheiden, ist schwieriger zu bestimmen. Dies würde voraus­ setzen, dass für das formelle Rechtsfolgekriterium deutlicher wird, wann und weshalb es für die Fälle der Berücksichtigung einer statutsfremden Norm im 111 

Vgl. dazu Zweiter Teil B.I. Vgl. dazu Erster Teil A. und Zweiter Teil A.I. 113  Vgl. dazu Erster Teil A. und Zweiter Teil A.I. 112 

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Rahmen von Unmöglichkeitsvorschriften um die „Geschäftsgrundlage“ der Unmöglichkeitsvorschrift geht und sich die Frage nach der Alternativregelung deshalb erübrigt. Man könnte nämlich auch argumentieren, dass es bei jeder Berücksichtigung einer ausländischen Norm potentiell auch eine Alternativre­ gelung in der inländischen Rechtsordnung gibt, und sei es in Form einer Nicht-Regelung. Denn ob eine ausländische oder eine inländische Verkehrsvor­ schrift einbezogen wird, ist identisch mit der Berücksichtigung einer ausländi­ schen Eingriffsnorm (die im Fall X besteht) statt der Berücksichtigung einer inländischen Eingriffsnorm (die im Fall X nicht besteht). Versteht man dies an­ ders, grenzt sich das funktionale Kriterium vom formellen Rechtsfolgekriteri­ um dadurch ab, dass im Falle des funktionalen Kriteriums ausschließlich da­ nach gefragt wird, ob durch die Berücksichtigung die zuvor getroffene Verwei­ sungsentscheidung tangiert wird und hierfür deshalb grundsätzlich die Zustimmung des verweisungsrechtlichen Gesetzgebungsorgans notwendig wäre. 2. Funktionale Zuordnung zum Verweisungs- oder Sachrecht Im Folgenden wird herausgearbeitet, wann bei der Berücksichtigung im Einzel­ nen ein Vorgang vorliegt, der eigentlich dem Verweisungsrecht anheimgestellt wird und wann nicht. Das Kollisionsrecht bestimmt de lege lata ausschließlich, welches Recht anwendbar ist, vgl. Art.  3 EGBGB.114 „Recht“, das gem. Art.  3 EGBGB von den deutschen Kollisionsnormen für anwendbar erklärt wird, ist nach der gängigen Interpretation das von den Staaten geschaffene oder zugelas­ sene Recht.115 Es handelt sich um alle Rechtssätze, die innerhalb einer Rechts­ ordnung geltendes Recht darstellen.116 Verweisungsnormen setzen entsprechend neben einem Lebenssachverhalt eine inländische oder ausländische verwei­ sungsfähige Rechtsnorm voraus.117 Sofern deshalb statutsfremde Sachnormen mit staatlichem Regelungscharak­ ter das Berücksichtigungsobjekt darstellen, wäre hierfür ein Anwendungsbefehl vonnöten, da es sich um einen Vorgang handelt, der im „Kompetenzbereich“ des

114  „Soweit nicht [...] maßgeblich sind, bestimmt sich das anzuwendende Recht bei Sach­ verhalten mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat nach den Vorschriften dieses Kapitels (Internationales Privatrecht)“, Art.  3 EGBGB; vgl. dazu Lorenz, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Einl. IPR Rn.  1. 115  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 IX; von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  212, Art.  3 a EGBGB Rn.  3; Lorenz, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Einl. IPR Rn.  1. 116  Schinkels, Normsatzstruktur des IPR (2007), S.  11. 117  Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR (2013), S.  184.

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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Verweisungsrechts liegt. Jeder Berücksichtigung (statutsfremden) Rechts ist deshalb ein verweisungsrechtliches Element inhärent.118 Bezugsobjekte der Berücksichtigung können aber nicht nur Regelungen mit staatlichem Regelungscharakter, sondern auch Regelungen ohne staatlichen Re­ gelungscharakter (a)), von der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze (b)) so­ wie „normunabhängige Ereignisse“ sein (c)). a) Regelungen ohne staatlichen Regelungscharakter (soft law) Zu untersuchen ist, ob im Falle der Berücksichtigung von Normen ohne staatli­ chen Regelungscharakter dasselbe wie für Normen mit staatlichem Regelungs­ charakter gilt. Dazu wird zunächst der Begriff der Normen ohne staatlichen Regelungscharakter näher umrissen (aa)). Sodann erfolgt die kollisionsrechtli­ che Einordnung (bb)). aa) Begriff Regelungen ohne staatlichen Regelungscharakter, d. h. ohne Gesetzesqualität, sind Leitlinien, Erfahrungssätze, Vereinbarungen oder ähnliches ohne rechtli­ che Verbindlichkeit.119 Darunter fallen etwa Geschäftsbräuche und ethische Be­ rufsregeln sowie private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter wie DIN-Normen, Regelwerke von Religionsgemeinschaften, Modellentwürfe und Musterregeln.120 Für solche Regelungen ohne Gesetzesqualität hat sich biswei­ len die Bezeichnung soft law eingebürgert.121 Der Begriff des nichtstaatlichen Rechts ist denkbar weit.122 Für die Zwecke dieser Untersuchung ist es allerdings ausreichend, den Begriff des nichtstaatlichen Rechts negativ zu bestimmen.123 In diesem Sinne fallen unter den Begriff des nichtstaatlichen Rechts sämtliche Regelungen, die nicht staatlich gesetztes Recht sind (Regelungen ohne staatli­ 118 

„Man darf sich aber nicht irreführen lassen: daß die Bestimmungen, von denen die Rede ist, ‚ohne Rücksicht auf das auf den Vertrags anzuwendende Recht‘ zu beachten sind, heißt nicht, daß sie unabhängig vom IPR anzuwenden wären; solche Normen gibt es nicht“, Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 233; die Bezugnahme auf Sicherheits- und Verkehrsvor­ schriften weise „systematisch-funktional stets auch [ein] Element kollisionsrechtlicher Ver­ weisung [auf]“, Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Ami­ corum Klaus Schurig (2012), S.  229, 235. 119  Vgl. für Beispiele Basedow, NJW 1989, 627, 636; Jayme, BB Beilagen 1993, Beilage 10, 50, 52. 120  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 IX. 121  Vgl. z. B. Basedow, NJW 1989, 627, 635 f. 122  Hellgardt, RabelsZ 82 (2018), 654, 657. 123 Zur Negativabgrenzung zur Bestimmung des Begriffs nichtstaatlichen Rechts vgl. ebd.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

chen Regelungscharakter).124 Staatliches Recht umfasst nur solche Rechtssätze, die ein verfassungsrechtlich zuständiges Organ in einem dafür vorgesehenen Verfahren erlassen hat.125 bb) Kollisionsrechtliche Einordnung Dass sich die Antwort auf die Frage, ob der Berücksichtigung von soft law ein verweisungsrechtliches Element innewohnt, nicht aufdrängt, liegt an der Zwi­ schenstellung des soft law im deutschen Rechtssystem (1). Bevor untersucht wird, wie sich die Zuordnung nach dem funktionalen positiv-rechtlichen Zuord­ nungskriterium darstellt (2), soll skizziert werden, wie mit Regelungen ohne staatlichen Regelungscharakter im Rahmen von Art.  17 Rom II-VO umgegan­ gen wird (3). (1) Zwischenstellung im Rechtssystem Normen ohne staatlichen Regelungscharakter sind nicht mit staatlichem An­ wendungsbefehl versehen.126 Sie befinden sich regelmäßig nicht wie Tatsachen im Untersatz, sondern im Obersatz des rechtswissenschaftlichen Syllogismus, d. h. sie sind generell-abstrakte Sätze, unter die ein konkret-individueller Sach­ verhalt subsumiert werden kann.127 Die besondere Stellung, die sie einnehmen, lässt sich nicht nur an ihrer Benennung als soft law, sondern auch in ihrer pro­ zessualen Behandlung erkennen: Normen ohne staatlichen Rechtsanwendungs­ befehl wie die Unidroit-Principles oder Corporate Governance-Kodizes wer­ den prozessual zwar nicht als Recht behandelt. Rechtssätze ohne Normqualität werden aber weitestgehend wie Rechtsnormen behandelt, jedenfalls soweit sie allgemeine Geltung beanspruchen.128 Sie sind prozessual keine voll beweiswür­ digen Tatsachen, sondern müssen vielmehr analog §  293 ZPO wie ausländisches Recht nicht von den Parteien behauptet werden und unterliegen nicht den Re­ geln der objektiven Beweislast.129 Obwohl sie zudem kein materielles Recht i. S. d. §  545 Abs.  1 ZPO sind, prüft das Revisionsgericht, ob sie richtig ausge­ legt wurden.130

124 

Vgl. dazu ebd.

125 Ebd.

Adomeit/Hähnchen, Rechtstheorie für Studenten, 7.  Aufl. 2018, Rn.  23. Prütting, in: MünchKommZPO, 5.  Aufl. 2016, §  284 ZPO Rn.  44; zum Subsumtions­ vorgang vgl. Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft (2011), §  6 Rn.  11. 128  Prütting, in: MünchKommZPO, 5.  Aufl. 2016, §  545 ZPO Rn.  10. 129  Ebd., §  284 ZPO Rn.  4 4. 130  Ebd., §  545 ZPO Rn.  3. 126  127 

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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(2) Kollisionsrechtliche Behandlung am Beispiel von Art.  17 Rom II-VO Ein Indiz für eine kollisionsrechtliche Einordnung der Berücksichtigung von Normen ohne staatlichen Regelungscharakter könnte die Literatur zu Art.  17 Rom II-VO liefern. Nach Erwägungsgrund 34 S.  2 Rom II-VO gelten als Sicher­ heits- und Verhaltensregeln alle verhaltens- und sicherheitsregulierenden Vor­ schriften. Häufig wird argumentiert, die Vorschrift erfasse nicht nur Rechtsnor­ men mit staatlichem Regelungscharakter, sondern auch solche Verhaltens- und Sicherheitsstandards, die keine Normqualität aufweisen.131 (3) Zuordnung nach dem funktionalen Kriterium Für das Fehlen eines verweisungsrechtlichen Elements bei der Berücksichti­ gung von Normen ohne staatlichen Regelungscharakter spricht aber wie bereits hervorgehoben,132 dass das deutsche Kollisionsrecht de lege lata einzig staatli­ ches Recht beruft.133 Daraus folgt, das auf Ebene des Sachrechts auf statuts­ fremde Vorschriften ohne staatlichen Rechtsanwendungsbefehl Bezug ge­ nommen werden kann, ohne dass dies die kollisionsrechtliche Verweisungsent­ scheidung berührt. Die Gesetzgebung überlässt die Entscheidung über die 131  Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Art.  17 Rom I-VO Rn.  4: „Verkehrsverhaltenspflichten stehen wohl im Mittelpunkt, Art 17 kann aber auch andere Ver­ haltensnormen [...], auch privat gesetzte ‚Standards‘ (‚compliance‘, ‚good governance‘) be­ treffen.“ Ähnlich zur Berücksichtigung von Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften vor Er­ lass von Art.  17 Rom II-VO von Hein, Die Behandlung von Sicherheits- und Verhaltensregeln nach Art.  17 der Rom II-VO, in: FS von Hoffmann (2011), S.  139, 146 f.: „Sogar ausschließlich private Sicherheits- und Verhaltensstandards [...] sind als Regeln im Sinne des Art.  17 Rom IIVO anzusehen“; vgl. in diesem Zusammenhang generell für die Berücksichtigung ausländi­ scher Verkehrsregelungen auch Dornis, SZIER 2015, 183, 198: „erfasst sind nun auch privat­ rechtliche Normen, ungeschriebenes Richterrecht und sogar örtliche Verkehrsgepflogenhei­ ten ohne Normqualität.“ Dagegen vgl. Diel, IPRax 2018, 371, 374 ff. 132  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2. 133  Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 286, 314 f.; Mansel, Die kulturelle Identität im Internati­ onalen Privatrecht, in: BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137, 186; ders., in Jauernig, Bürgerli­ ches Gesetzbuch, 17.  Aufl. 2018, Vor Art.  1 Rom I Rn.  20; Martiny, ZEuP 2015, 838, 844. Zur Wählbarkeit nichtstaatlichen Rechts vgl. Hellgardt, RabelsZ 82 (2018), 654 ff.; Schilf, Allge­ meine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut (2005), S.  229: Im Kollisionsrecht seien die Parteien „grundsätzlich auf die Wahl geltenden staatlichen Rechts beschränkt [...]. Allgemei­ ne Vertragsgrundregeln können nach herkömmlicher Sicht grundsätzlich nur im Rahmen staatlicher Rechtsordnungen, d. h. im Wege einer materiell-rechtlichen Verweisung Anwen­ dung finden.“ Vgl. in dem Zusammenhang in Bezug auf das Euroäische Schuldvertragsüber­ einkommen von 1980 aber auch Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut (2005), S.  138 ff., 412 ff.; Metzger, Extra legem, intra ius: Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht (2009), S.  255 ff., 256: „Eine dem internationalen Privatrecht im­ manente Beschränkung auf staatlich gesetzte Rechtsnormen existiert nicht.“

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Berücksichtigungsfähigkeit der Vorschriften ohne staatlichen Anwendungsbe­ fehl insofern dem jeweils anwendbaren staatlichen Recht134 und verleiht den nicht-staatlichen Vorschriften keine eigene normative Autorität über die Ent­ scheidung des Falles. In Fällen, in denen Vorschriften ohne staatlichen Rechtsanwendungsbefehl berücksichtigt werden, kann die Einbeziehung deshalb über den üblichen teleo­ logischen Auslegungsvorgang erklärt werden.135 In dem serbischen Schmer­ zensgeldfall136 ist demzufolge danach zu differenzieren, ob das Gericht auf sta­ tutsfremde Rechtsnormen zur Regelung der Schadensersatzhöhe oder auf als Richtlinie konzipierte ausländische Kostentabellen Bezug nimmt, die keine Rechtsnormqualität haben. Nur der erste Fall bedürfte aus Sicht des Verwei­ sungsrechts eines verweisungsrechtlichen Anwendungsbefehls und greift ent­ sprechend in die Verweisungsentscheidung ein, sofern die entsprechenden Re­ gelungen abseits eines solchen Anwendungsbefehls berücksichtigt werden. Die Berücksichtigung ausländischer Kostentabellen ohne staatlichen Regelungscha­ rakter wäre hingegen ohne Weiteres aus dem anwendbaren Sachrecht heraus möglich, ohne dass hierdurch die zuvor getroffene gesetzgeberische Verwei­ sungsentscheidung korrigiert würde. Soweit Art.  17 Rom II-VO zugeschrieben wird, auch nichtstaatliche Vor­ schriften als berücksichtigungsfähige Bezugsobjekte zu umfassen, stellt sich die Frage, ob Art.  17 Rom II-VO überhaupt kompetenzgemäß nach Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV erlassen wurde. Diese Frage müsste letztlich aber in unions­ rechtsautonomer Auslegung der Trennung von Sach- und Kollisionsrecht im IPR beantwortet werden. Die in der Literatur vertretene Ansicht, Art.  17 Rom IIRoth, Zur Wählbarkeit nichtstaatlichen Rechts, in: FS Jayme I (2004), S.  757, 763. Vgl. dazu z. B. KG, Beschl. v. 14.9.1984, 1 W 427/84, NJW 1985, 68 f. In dem Fall ging es um eine Minderjährige, die zunächst in der Türkei aufgewachsen war und später im Haus­ halt ihrer Eltern in Berlin wohnte. Sie wendete sich mit der Bitte um Hilfe an das Jugendamt und Vormundschaftsgericht, weil sie die Sorge hatte, von ihren Eltern in die Türkei zurück­ gebracht und dort zwangsverheiratet zu werden. Fraglich war die ernstliche Gefährdung des Kindeswohls. Hierfür kam es darauf an, ob die durch die heimatliche Rechts- und Sittenord­ nung geprägte Vorstellung der Eltern über die erzieherische Behandlung ihrer Kinder bei Entscheidungen über Eingriffe in das Sorgerecht berücksichtigt werden mussten. Das KG bejaht dies unter dem Vorbehalt, dass es sich bei den zu berücksichtigenden ausländischen Gebräuchen nicht um Rechtsnormen mit staatlichem Regelungscharakter handele. Denn an­ ders als im Falle traditioneller Gebräuche handele es sich bei der Berücksichtigung von Rechtsnormen um eine Frage des anwendbaren Rechts, über die sich die Berücksichtigung nicht ohne weiteres hinwegsetzen könne. Gerade in dem vorliegenden Fall beruhte die Grundhaltung der Eltern aber nach Meinung des KG nicht auf bestimmten Normen des gel­ tenden türkischen Zivilrechts, sondern auf traditionellen, islamisch geprägten Vorstellungen. Diese konnten deshalb ungeachtet der Verweisungsentscheidung berücksichtigt werden. 136  LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013, 27 O 218/09, juris; vgl. dazu Erster Teil B.III. 134  135 

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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VO umfasse die Berücksichtigung von Verhaltensvorschriften ohne staatlichen Regelungscharakter,137 könnte auch als deklaratorischer Hinweis darauf ver­ standen werden, Art.  17 Rom II-VO habe bezüglich der Anwendung von Rechts­ normen ohne staatlichen Regelungscharakter keine Sperrwirkung, weil es sich hierbei eben auch nach der unionsrechtsautonomen Auslegung nicht um eine Frage des Kollisionsrechts handelte. Jedenfalls abseits einer unionsrechtlichen Berücksichtigungsanordnung wäre die Berücksichtigung nichtstaatlicher Vorschriften nur dann ein kollisions­ rechtlicher Vorgang, wenn das Tatbestandsmerkmal „Recht“ in Art.  3 EGBGB so ausgelegt würde, dass es auch nicht-staatliche Regelungen umfasste oder wenn wie bei §  1051 ZPO im Rahmen der Schiedsgerichtsverfahren feststünde, dass nichtstaatliche Normen von den Parteien verweisungsrechtlich für an­ wendbar erklärt werden könnten.138 Dann würde durch die Berücksichtigung von nichtstaatlichen Vorschriften aus einer anderen als der verweisungsrecht­ lich berufenen Rechtsordnung die bestehende gesetzgeberische Entscheidung des Kollisionsrechts umgangen. Solange dies aber nicht der Fall ist, können nichtstaatliche Vorschriften über den sachrechtlichen teleologischen Ausle­ gungsvorgang Berücksichtigung finden, ohne dass hierfür eine gesonderte Er­ klärung notwendig ist. Die Behandlung nichtstaatlicher Normen betrifft vor allem typisches soft law wie DIN-Normen oder die Unidroit-Principles. Offen bleibt, wie damit umge­ gangen wird, wenn auf statutsfremde Rechtsprechungsgrundsätze wie z. B. Ver­ schuldensmaßstäbe Bezug genommen wird. b) Rechtsprechungsgrundsätze (z. B. richterliche Verschuldensmaßstäbe) Die kollisionsrechtliche Beurteilung sog. richterlicher Verschuldensmaßstäbe, z. B. die Feststellung grober Fahrlässigkeit, berührt ihre schwierige rechtliche Einordnung, insbesondere die Unterscheidung zwischen der Feststellung von Tatsachen und deren rechtlicher Würdigung.139 Zur Veranschaulichung dient der Unfall zweier Studentinnen in Südafrika:140 Anhand der BGH-Entschei­ dung lässt sich die Frage formulieren, ob das Verweisungsrecht Kriterien dafür liefern kann, welcher Rechtsordnung ein (normativer) Verschuldensmaßstab 137 

Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2.a)bb)(2). Vgl. insoweit zu §  1051 ZPO Wilske/Markert, in: BeckOK ZPO 31. Edition (2018), §  1051 ZPO Rn.  4. 139  Zur Trennung von Tat- und Rechtsfrage vgl. z. B. Scheuerle, AcP 157 (1958/1959), 1 ff.; zur uneinheitlichen prozessualen Behandlung von Verkehrssitten und Handelsbräuchen im Zivilprozess vgl. z. B. Oestmann, JZ 2003, 285 ff. 140  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482; vgl. dazu Erster Teil B.II.2. und Dritter Teil E.II. 138 

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

entnommen wird. Handelt es sich bei einem Verschuldensmaßstab aus interna­ tional-privatrechtlicher Perspektive um eine Art Regelung ohne staatlichen Re­ gelungscharakter mit der Folge, dass ihre Anwendung bzw. Berücksichtigung wie die von soft law unabhängig von der Entscheidung der Verweisungsnormen möglich ist? Für ein verweisungsrechtliches Element bei der Berücksichtigung von Ver­ schuldensmaßstäben spricht der Grundsatz, die Verweisungsregel verweise auf das ausländische Recht, so wie es von den ausländischen Gerichten ausgelegt wird (law in action).141 Die richterlichen Verschuldensmaßstäbe stellen sich in­ soweit aus Sicht des Verweisungsrechts als zur jeweils anwendbaren Rechtsvor­ schrift zugehörig dar. Berücksichtigt das Gericht Verschuldensmaßstäbe einer anderen als der anwendbaren Rechtsordnung, korrigiert es deshalb hierdurch punktuell die vorherige Verweisungsentscheidung. Anders wäre es dann zu be­ werten, wenn bei der Subsumtion unter den Verschuldensmaßstab auf tatsächli­ che Gegebenheiten des Auslandssachverhaltes abgestellt würde, wie durch die Anpassung der Erfordernisse der gebotenen Sorgfalt an eine im Vergleich zum Inland erhöhte oder geringere Diebstahlsgefahr.142 Dann werden nicht ausländi­ sche Verschuldensmaßstäbe herangezogen, sondern der Inländische entspre­ chend den tatsächlichen Gegebenheiten im Ausland angepasst. Hierin liegt kei­ ne Korrektur der Verweisungsentscheidung. Im Einzelfall ist diese Abgrenzung schwierig. c) Normunabhängige Ereignisse (Tatsachen) Im Falle der Berücksichtigung von Tatsachen wie z. B. der Anpassung von Fris­ ten an verlängerte Lieferwege143 scheint nach den obigen Ausführungen das Ergeb­nis eindeutig: Verweisungsnormen wählen aus unterschiedlichen Rechts­ ordnungen zur Verfügung stehende Rechtsnormen mit staatlichem Regelungs­ charakter aus.144 Sie sind insoweit „rechtssatzbezogen“.145 Durch die Berück­ sichtigung von „Auslandstatsachen“ wird die gesetzgeberische Verweisungs­ entscheidung nicht umgangen. Die Berücksichtigung von Tatsachen gehört deshalb nicht zum IPR im herkömmlichen Sinne.146 141  Vgl. dazu z. B. BGH, Beschl. v. 4.7.2013, V ZB 197/12, NJW 2013, 3656, 3658; Bacher, in: BeckOK ZPO 31. Edition (2018), §  293 BGB Rn.  18. 142  Vgl. dazu Harms, in: Thume, CMR, 3.  Aufl. 2013, Art.  29 Rn.  15, 39 f. 143  Vgl. zu diesem und ähnlichen Beispielen Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  164. 144  Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privatrecht, in: BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137, 186; Martiny, ZEuP 2015, 838, 844. 145  Hug, Die Substitution im Internationalen Privatrecht (1983), S.  41. 146  Vgl. dazu z. B. A. Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht (2002), S.  287;

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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Aus diesem Grunde wird auch Erwägungsgrund 33 insoweit als deklarato­ risch bezeichnet, als er darauf hinweist, dass bei der Schadensberechnung aus­ ländische kostenrelevante Faktoren, z. B. Lebenshaltungskosten, relevant wer­ den können.147 Die kostenrelevanten Faktoren werden allerdings häufig auch durch ausländische (z. B. sozialrechtliche) Rechtsvorschriften beeinflusst. Hier zeigt sich das Problem der kollisionsrechtlichen Einordnung vermeintlich „nor­ munabhängiger Ereignisse“: Wird nur auf Tatsächliches Bezug genommen oder liegt in der Berücksichtigung unter dem Deckmantel der Heranziehung nor­ munabhängiger Ereignisse zur Falllösung in Wahrheit doch eine Anwendung von Rechtsnormen? aa) Berücksichtigung der tatsächlichen Auswirkung einer Norm? Schwierig ist die Unterscheidung zwischen der Berücksichtigung einer Norm und der Berücksichtigung von Tatsachen, wenn das angeblich berücksichti­ gungsfähige tatsächliche Ereignis noch nicht eingetreten ist, sondern sein Ein­ tritt aufgrund der drohenden Befolgung einer Norm „nur“ (sehr) wahrscheinlich erscheint. Dies zeigt sich im Zusammenhang mit Entscheidungen wie der des BGH zu „Nigerianische Masken“ (1), dem Reichsgerichtsurteil „Trading with the enemy“ (2), dem Fall „Iranisches Bierimportverbot“ (3) und der „Sensor-­ Entscheidung“ (4). (1) „Nigerianische Masken“ Ein Beispiel für eine angeblich „sachrechtliche“ Berücksichtigung ist der Fall „Nigerianische Masken“.148 In dem Fall wurde die Sittenwidrigkeit eines Rechts­ geschäfts gem. §  138 Abs.  1 BGB auf den ersten Blick damit begründet, dass es gegen eine nigerianische (nicht anwendbare) Norm verstoße.149 Der Fall „Nige­ Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen im Internationalen Wirtschafts­ recht (2001), S.  65. 147  Maultzsch, in: BeckOGK (1.12.2018), Art.  17 Rom II-VO Rn.  56; vgl. dazu auch Jakob/ Picht, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, 4.  Aufl. 2016, Art.  17 Rom II-VO Rn.  14; Stone, The Rome II Regulation on Choice of Law in Tort, Ankara L.Rev. 4 (2007), 95, 128: „It’s not clear what effect, if any, this declaration will have.“ 148  Vgl. dazu Erster Teil B.I.2.b). 149  BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“). Vgl. zur umfassenderen Begründung des Gerichts sogleich Zweiter Teil B.IV.2.c)(bb). Ähnliche Fragen, wie sie sich für das Reichsgericht nach dem ersten Weltkrieg stellten, sind vor kur­ zem vor dem LG Hamburg im Zusammenhang mit US-amerikanischen Embargovorschriften relevant geworden, LG Hamburg, Urt. v. 3.12.2014, 401 HKO 7/14, juris. In dem Fall machte die Klägerin einen Deckungsanspruch unter einer bei der Beklagten eingedeckten Transport­ versicherung geltend, die einen Transportschaden von iranischem Lakritzpulver betraf, der

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

rianische Masken“ wird oft von dem folgenden Fall abgegrenzt, in dem es nicht wie hier um eine Berücksichtigung der normativen Aussage einer nicht anwend­ baren Norm, sondern um die Berücksichtigung der tatsächlichen Auswirkung einer Norm ging. (2) „Trading with the enemy“ Ein typisches Beispiel für die angebliche Berücksichtigung tatsächlicher Aus­ wirkungen von Normen ist die Reichsgerichtsentscheidung „Trading with the enemy“.150 Nachdem das Reichsgericht die verweisungsrechtliche Anwendung eines englischen Feindhandelsverbots als Eingriffsnorm aufgrund dessen ordre public-Widrigkeit abgelehnt hatte, prüfte es auf der Ebene des Sachrechts er­ neut, ob das englische Verbotsgesetz im Rahmen der Unmöglichkeitsvorschrif­ ten Berücksichtigung finden könne.151 Das Reichsgericht betonte, das englische, gegen deutsche Interessen verstoßende Feindhandelsgesetz aus politischen Gründen nicht anwenden zu wollen.152 Eine Anwendung läge dann vor, wenn ein bestimmter Fall von einer Rechtsfolge erfasst werde und nach ihr zu ordnen sei.153 Statt das Gesetz in diesem Sinne anzuwenden, entschied das Gericht das Gesetz mit seinen drohenden Folgen durch Auslegung der anwendbaren Leis­ tungsstörungsvorschriften (nur) zu berücksichtigen und infolgedessen den Schuldner aufgrund der ihm drohenden Zwangslage von seiner Leistungspflicht zu entbinden.154 (3) „Iranisches Bierimportverbot“ Ähnlich liegt der Fall des iranischen Bierimportverbots. Die Klägerin, eine ira­ nische Importfirma, hatte bei der Beklagten, einer deutschen Brauerei, Ex­

auf der Strecke von Bandar Abbas nach Hamburg eingetreten war. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, vor einer Realisierung sei die Zustimmung der US Behörden notwendig, da der Realisierungsvorgang ein Land involviere, welches unter die Wirtschafts- und Handelssank­ tionen der USA falle. Die Klägerin hingegen trug vor, die Sanktionsklausel in der streitge­ genständlichen Police betreffe nur Sanktionen und Embargos der EG. Ausländische Verbots­ normen seien für das Vertragsverhältnis, das deutschem Recht unterliege, unbeachtlich. Die Beklagte meinte, das Gericht habe vor dem Hintergrund der §§  134, 138, 275 BGB zu prüfen, ob der Versicherungsvertrag in Anbetracht der ausländischen Eingriffsnorm Deckungs­ schutz begründe. 150  Vgl. dazu Erster Teil B.I.2.a). 151  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182 („Trading with the enemy“). 152  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 f. („Trading with the enemy“). 153  RG, Urt v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 184 („Trading with the enemy“). 154  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 184 („Trading with the enemy“).

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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port-Bier bestellt.155 Die Ware war bereits verschifft und bezahlt worden.156 Bei Untersuchung der Ware stellte die Klägerin aber fest, dass ca 40  % der Ware beschädigt und unbrauchbar war.157 Aus diesem Grunde schlossen die Parteien einen Vergleich, nach dem der iranische Importeur das Bier als Entschädigungs­ leistung für einige Monate zu einem Vorzugspreis beziehen durfte.158 Während der Laufzeit dieser Vereinbarung kam es im Iran zu einem Machtwechsel, infol­ ge dessen ein – unter der Androhung der Todesstrafe stehendes – Verbot erlas­ sen wurde, Alkohol in den Iran einzuführen oder damit zu handeln.159 Die Klä­ gerin verlangte deshalb Schadensersatz für das nunmehr angeblich unbrauchba­ re Bier. Der BGH wendete auf den Vergleich zwar deutsches Recht an.160 Dort be­ rücksichtigte er aber im Rahmen der Geschäftsgrundlagenstörung i. S. d. heuti­ gen §  313 BGB, dass der zuvor geschlossene Vergleich wegen der iranischen Revolution und dem darauffolgenden Alkoholimportverbot nicht mehr durchge­ führt werden konnte.161 Mit Erlass des Alkoholimportverbots sah der BGH die Geschäftsgrundlage dieses Vergleichs, nämlich die legale Bezugs- und Weiter­ verkaufsmöglichkeit für Bier, als entfallen an, ohne dass es darauf ankam, ob das iranische Recht und damit das Alkoholverbot, überhaupt verweisungsrecht­ lich anwendbar war.162 Der BGH nahm also keine erneute Prüfung des auf den Sachverhalt anwendbaren Rechts vor, sondern bezog sich allein auf den tatsäch­ lichen Wegfall der Handelsmöglichkeit mit Alkohol im Iran infolge des Verbo­ tes.163 Hierdurch scheint der BGH „lediglich den sich daraus [aus dem Verbots­ gesetz] auf das zwischen den Parteien vereinbarte Pflichtenprogramm ergeben­ den faktischen Auswirkungen Rechnung [zu tragen]“.164

155 

BGH, Urt. v. 8.2.1984, VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746. BGH, Urt. v. 8.2.1984, VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746. 157  BGH, Urt. v. 8.2.1984, VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746. 158  BGH, Urt. v. 8.2.1984, VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746. 159  BGH, Urt. v. 8.2.1984, VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746. 160  BGH, Urt. v. 8.2.1984, VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746. 161  BGH, Urt. v. 8.2.1984, VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746; vgl. dazu von Hein, in: Mün­ chKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  280. 162  BGH, Urt. v. 8.2.1984, VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746 f. 163  BGH, Urt. v. 8.2.1984, VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746 f. 164  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  280; ähnlich z. B. BGH, Urt. v. 16.4.1975, I ZR 40/73, BGHZ 64, 183, 188 ff. (Berücksichtigung einer nicht anwendba­ ren Vorschrift zum sowjetischen Außenhandelsmonopol im Rahmen von §  138 Abs.  1 BGB, zumindest sofern „die Behörden der UdSSR ihrerseits in der Lage [wären], seine Grundsätze durchzusetzen“, a.a.O, 190). 156 

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

(4) „Sensor-Entscheidung“ Im sog. Sensor-Fall stellte sich die Frage, ob ein amerikanisches handelsbe­ schränkendes Gesetz in seinen Auswirkungen auf einen Vertrag berücksichtigt werden konnte, der zwischen einer niederländischen Tochter (Sensor B.V.) eines amerikanischen Mutterunternehmens und einer französischen Gesellschaft (C.E.P.) geschlossen wurde und auf den grundsätzlich niederländisches Recht Anwendung fand.165 C.E.P. hatte bei der Sensor B.V. ein seismographisches Gerät bestellt. Nach­ dem die Sensor B.V. das Kaufangebot schriftlich angenommen hatte, teilte die Gesellschaft mit, dass sie ihre Lieferpflicht nicht pünktlich erfüllen könne, da sie als Tochter der amerikanischen Gesellschaft einem jüngst vom amerikani­ schen Präsidenten verhängten Exportverbot Folge leisten müsste. C.E.P. klagte deshalb vor einem niederländischen Gericht auf Lieferung des seismographi­ schen Gerätes. Da die Parteien keine Rechtswahl getroffen hatten, unterlag der Vertrag nach dem in Art.  4 des „Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“, das von den Niederlanden ratifiziert worden war, als internationaler Schuldvertrag dem Recht des Landes, in dem die Partei, die die charakteristische Leistung erbringen musste, ihren Hauptsitz hatte. Damit gelangte das Gericht zur Anwendbarkeit niederländischen Rechts. Das Gericht verneinte die Anwendung des fraglichen US-Gesetzes, weil es das Gesetz für völkerrechtswidrig und deshalb für nicht maßgeblich hielt. Dies führte zu Diskussionen: De Boer und Kotting warfen dem Gericht vor, das US-amerikanische Verbotsgesetz zu Unrecht nicht bei der Auslegung des an­ wendbaren Rechts berücksichtigt zu haben.166 Sie waren der Meinung, das Ge­ richt hätte die amerikanische Strafandrohung in ihrer tatsächlichen Auswirkung bedenken müssen.167 Dieses Petitum kritisierte wiederum Basedow, der auf die grundsätzliche fehlende Anwendbarkeit des Gesetzes hinwies.168

165 

Vgl. zur nachfolgend dargestellten Entscheidung Pres. Rb. Den Haag 17.9.1982, Recht­ spraak van de Week/Kort Geding 1982 Nr.  167; vgl. die deutsche Übersetzung Basedows in RabelsZ 47 (1983), 141, 143; vgl. dazu auch Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Ein­ griffsnormen im Internationalen Wirtschaftsrecht (2001), S.  49 f. 166  de Boer/Kotting, IPRax 1984, 108 ff. 167  Ebd., S.  112: „Auf Grund einer völkerrechtlichen Prüfung hat das Gericht der ameri­ kanischen Strafbestimmung jede Wirkung versagt; wie wir meinen zu Unrecht, weil dadurch für Sensor die tatsächliche Strafandrohung und somit die faktische Leistungsunmöglichkeit nicht verringert wurde.“ 168  Basedow, RabelsZ 47 (1983), 141, 156 ff.; vgl. dazu auch Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen im Internationalen Wirtschaftsrecht (2001), S.  49 f.

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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bb) Berücksichtigung der Norm selbst Bei den soeben dargestellten Fällen muss für ihre jeweilige Zuordnung zum Verweisungs- oder Sachrecht differenziert werden. Unterschieden werden kann zwischen Fällen, in denen bereits deshalb verweisungsrechtlich auf eine Norm Bezug genommen wird, weil es sich um eine Berücksichtigung ihrer normativen Auswirkung, d. h. um eine Berücksichtigung der Norm, handelt (1) und Fäl­ len, in denen die tatsächlichen Auswirkungen einer Norm als Tatsachen berück­ sichtigt werden. Hier kommt es darauf an, ob die Norm die Auswirkung bereits zeitigt oder die Auswirkung lediglich bevorsteht (2). (1) Berücksichtigung normativer Auswirkungen Zum Fall „Nigerianische Masken“ sowie generell zu Fällen der Berücksichti­ gung ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen von Vorschriften wie §  138 Abs.  1 BGB ist zweierlei zu sagen: Erstens wurde die Berücksichtigung der ausländischen Eingriffsnormen in diesen Fällen häufig damit begründet, die je­ weilige ausländische Eingriffsnorm stimme mit inländischen Wertungen über­ ein oder enthalte einen ubiquitären Schutzgedanken, der im In- wie Ausland gelte.169 Wird das Ergebnis der Sittenwidrigkeit aber so begründet, bedeutet dies letztlich nicht die Anwendung des ausländischen Gesetzes, sondern die Anwen­ dung der eigenen Gesetze. Das ausländische Gesetz ist hier nicht mehr als eine Argumentationshilfe z. B. zur Veranschaulichung eines ubiquitären Schutzge­ dankens.170 Zweitens: Sofern nicht das eigene Recht angewandt wird, sondern es doch auf das ausländische Gesetz ankommt, handelt es sich nach fast einhelliger Mei­ nung um eine Berücksichtigung der Norm und nicht lediglich um eine Anerken­ nung ihrer faktischen Auswirkungen.171 Weil im Endeffekt die ausländische 169 

Vgl. z. B. RG, 30.9.1919, III 106/19, RGZ 96, 282, 283; BGH, Urt. v. 21.12.1960, VIII ZR 1/60, BGHZ 34, 169, 177 („Borax“); BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“); OLG Hamburg, Urt. v. 6.5.1993, 6 U 3/93, RIW 1994, 686, 687; vgl. dazu Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 387, 404 ff.; Wengler, JZ 1978, 64, 66; vgl. dazu auch Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283, 301 Fn.  301: „Das Rechtsgeschäft kann sittenwidrig sein, aber nicht wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz, sondern weil es nach dem sittlichen Denken des entscheidenden Richters auch dann zu mißbilligen wäre, wenn man sich das Verbotsgesetz hinwegdenkt.“ 170  Vgl. dazu auch Basedow, GYIL 27 (1984), 109, 123. 171  Vgl. dazu Armbrüster, NJW 2001, 3581, 3584: „Die Datum-Theorie will ausländische Verbote bei der Anwendung des materiellen Rechts – z. B. bei §  138 BGB – als Tatsachen berücksichtigen. Auch dies überzeugt nicht. Zwar ist die Beachtung ausländischer Regeln als Tatsachen (‚local data‘) nicht schlechtin ausgeschlossen. Die ‚Berücksichtigung‘ von Export­ verboten etwa im Rahmen von §  138 BGB verschleiert aber nur, dass es um die Anwendung

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Norm angewandt wird, führt die Berücksichtigung der jeweiligen ausländischen Eingriffsnorm zu einem kollisionsrechtlich erheblichen Vorgang. Ungeachtet der sachrechtlichen Legitimationsgrundlage (z. B. §  138 Abs.  1 BGB) handelt es sich funktional um Kollisionsrecht, denn berücksichtigt wird letztlich ein Ge­ setz, das für den Fall auf den ersten Blick mangels verweisungsrechtlichen An­ wendungsbefehls irrelevant ist.172 Die Fälle, in denen scheinbar nur die tatsächliche Auswirkung einer Norm zur Geltung gebracht wird, sind weniger eindeutig. Ist die Berücksichtigung solcher Auswirkungen einer Vorschrift eine rein tatsächliche Frage, die den Verweisungsmechanismus nicht tangiert?173 (2) Erfolgte vs. bevorstehende Normbefolgung Für eine Antwort ist zu differenzieren. Je nachdem, ob ein kausal auf eine Norm zurückzuführendes Ereignis berücksichtigt werden soll (Rolf Bär nennt dies ein uneigentlich rechtliches Hindernis)174 oder ob es um ein künftiges Ereignis

von Rechtsnormen geht“; Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht (2014), S.  191; Kratz, Ausländische Eingriffsnorm und inländischer Privatrechtsvertrag (1986), S.  111; Schurig, Lois d’application immédiate und Sonderanknüpfung zwingenden Rechts, in: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht (1985), S.  55, 73 f.; A. Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht (2002), S.  286: „Wie oben bereits angedeutet, besteht also z. B. ein erheblicher Unterschied zwischen der Berücksichtigung einer ausländischen Vorschrift (als solcher) im Rahmen des §  138 BGB und der Berücksichtigung der faktischen Auswirkungen über die Unmöglichkeitsvorschriften des deutschen Schuldvertragsrechts. Im ersten Fall hat eine wertende Betrachtung der ausländischen Vorschrift ergeben, daß ihr normativer Gehalt nach deutschem Kollisionsrecht zu berücksichtigen ist. Die ‚Einschaltung‘ des (materiell­ rechtlichen) §  138 BGB bedeutet nicht, daß keine kollisionsrechtliche Entscheidung getroffen würde. Über die Vorschrift des §  138 BGB wird die kollisionsrechtliche Frage beantwortet, ob die ausländische Norm zu beachten ist. §  138 BGB fungiert insoweit als ‚versteckte Kolli­ sionsnorm‘.“ 172 Vgl. dazu auch A. Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht (2002), S.  286 ff.; Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen im Internationalen Wirtschaftsrecht (2001), S.  52 ff., 55. 173  Vgl. zur schwierigen Abgrenzung der Berücksichtigung einer Norm und der Berück­ sichtigung von Tatsachen: Bucher, Grundfragen der Anknüpfungsgerechtigkeit im IPR (1975), S.  226; Erne, Vertragsgültigkeit und drittstaatliche Eingriffsnormen (1985), S.  123; von Hoffmann, IPRax 1991, 346; Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen internationalen Vertragsrecht (2008), S.  72 ff., 117; Schacherreiter, ZEuP 2015, 497, 500 f.; Schiffer, ZVglRWiss 90 (1991), 390, 393; Schurig, RabelsZ 54, 217, 241 f.; Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen im Internationalen Wirt­ schaftsrecht (2001), S.  55; vgl. auch Schnyder, Die Anwendung des zuständigen fremden Sachrechts im Internationalen Privatrecht (1981), S.  214. 174  Bär, Kartellrecht und internationales Privatrecht (1965), S.  48.

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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geht, das aus der Befolgung der Norm zu entstehen droht, handelt es sich um Sach- oder Verweisungsrecht. Ob die Ware nicht geliefert werden kann, weil sie infolge des Verstoßes gegen eine Eingriffsnorm auf dem Lieferhof einer Zollbehörde liegt oder weil ein Stein den Lieferweg versperrt, macht auch aus Perspektive des Verweisungs­ rechts keinen Unterschied.175 Die Kausalität zwischen einer Norm und einem eingetretenen Ereignis führt nicht dazu, dass bei der Berücksichtigung des Er­ eignisses die Norm angewandt wird.176 Anders liegt der Fall aber dort, wo das Gericht die bloß antizipierten Auswir­ kungen einer Norm berücksichtigt, wie es im Reichsgerichtsurteil „Trading with the enemy“ und in der Entscheidung zum „iranischen Bierimportverbot“ zu sehen ist sowie im Falle der Berücksichtigung des amerikanischen Export­ verbots im „Sensor“-Fall zu sehen gewesen wäre.177 Hier wird letztlich nicht auf das Ereignis, sondern auf die jeweilige Norm Rekurs genommen. Allein der psychische Druck eines ausländischen Verbotsgesetzes ist kein Umstand, der die Leistung im Sinne einer faktischen Gegebenheit unmöglich macht.178 Das Reichsgericht argumentierte in seiner Entscheidung „Trading with the enemy“ selbst, die Vertragserfüllung sei dem Schuldner angesichts des ausländischen 175  Vgl. dazu z. B. Junker, JZ 1991, 699, 702: „Schließlich gibt es Fälle, in denen nur die faktischen Auswirkungen ausländischer Eingriffsgesetze zu berücksichtigen sind, ihr nor­ mativer Gehalt dagegen ohne Bedeutung ist [...]. Für das Tatbestandsmerkmal ‚Unmöglich­ keit‘ spielt es keine Rolle, ob die Ware unwiderbringlich auf dem Meeresgrund liegt oder auf dem Hof einer Zollbehörde, ob sie von deutschen oder von fremden Behörden beschlagnahmt wurde oder ob wir das fremde Bechlagnahmegesetz gutheißen oder mißbilligen. Einer Wer­ tung bedarf es nicht; impossibilium nulla est obligatio.“ 176  Vgl. dazu Mankowski, IPRax 2016, 485, 490. 177  Vgl. zu den Fällen Zweiter Teil B.IV.2.c)aa)(2)–(4). 178  Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283, 306. Vgl. dazu aber auch jüngst die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 25.9.2018, 16 U 209/17, RIW 2019, 231, 234 zur fakti­ schen Berücksichtigung eines kuwaitischen Boykottsgesetzes gegen israelische Staatsbür­ ger: „Die vom Kläger gebuchte Flugbeförderung ist tatsächlich unmöglich, weil es zumin­ dest äußerst wahrscheinlich ist, dass ihr ein unüberwindbares Leistungshindernis entgegen­ stand und noch entgegensteht. Denn der Staat Kuwait, der an der Bewirkung der Leistung durch Gewährung des Umstiegs auf seinem Staatsgebiet mitwirken müsste, würde sich dem aller Voraussicht nach verweigern.“ Vgl. zur Kritik, tatsächliche Unmöglichkeit sei zu schnell bejaht worden, Mankowski, RIW 2019, 180, 183: „Wahrscheinlichkeit, sei es auch ‚äußerste‘, und eine Verweigerung ‚aller Voraussicht nach‘ bezeichnen keine wirklich festste­ henden und belegten Tatsachen.“ Die Vorinstanz nahm nicht tatsächliche, sondern rechtliche Unmöglichkeit an, vgl. dazu LG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.11.2017, 2-24 O 37/17, JZ 2018, 153, 154 m.Anm. Mörsdorf, JZ 2018, 156 ff.; zur möglichen Annahme tatsächlicher Unmög­ lichkeit i. S. d. §  275 Abs.  1 BGB, wenn damit gerechnet werden müsse, sich bei Erfüllung des Anspruchs im Ausland strafbar zu machen, vgl. auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.9.2006, 1 U 34/06 BeckRS 2006, 14495.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Verbotsgesetzes unzumutbar.179 Ähnlich formuliert es das OLG Frankfurt: Das bloße Bestehen einer Verbotsnorm führe nicht zur tatsächlichen Unmöglichkeit, was bereits die Vielzahl an Rechtsbrüchen, gerade im Hinblick auf bestehende Embargobestimmungen, zeige.180 Basedow argumentiert für die Richtigkeit der Entscheidung des niederländi­ schen Gerichts im Sensor-Fall, das amerikanische Exportverbot nicht zu be­ rücksichtigen,181 in der möglichen Berücksichtigung der amerikanischen Straf­ androhung liege letztlich nicht die Berücksichtigung einer Tatsache, sondern die Berücksichtigung einer statutsfremden Norm.182 Denn die Normdurchsetzung des ausländischen Staates, die – wie die Gerichte antizipieren – zur Unmöglich­ keit der Leistungserbringung führt, erfolge im Regelfall gerade dann nicht, wenn das inländische Urteil die Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung fest­ stelle.183 In solchen Fällen wäre damit zu rechnen, dass der ausländische Staat in 179 

RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 184 f. („Trading with the enemy“). OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 9.5.2011, 23 U 30/10, BeckRS 2011, 16032. In dem Urteil des OLG Frankfurt ging es um die Frage, ob die Berücksichtigung einer (auch als Eingriffsnorm) verweisungsrechtlich nicht anwendbaren US-amerikanischen Embargobe­ stimmung zur Unmöglichkeit i. S. d. §  275 BGB führte. Das Gericht verneinte dies mit dem Argument, die Vielzahl der Rechtsbrüche zeige, dass auch eine verbotene Leistung erbracht werden könne. Das Gericht wies zudem auf die Möglichkeit hin, dass zwischen dem eigenen und dem zu berücksichtigenden Recht Wertungswidersprüche bestehen. Dann sei es aber unbillig, die fehlende Anwendbarkeit des Gesetzes durch die Berücksichtigung seiner angeb­ lichen faktischen Auswirkungen zu umgehen. Hinzu komme, dass gerade amerikanische Gerichte und Behörden in der Regel von einer Ahndung der Verletzung einer Rechtspflicht mit extraterritorialer Reichweite absehen würden, wenn der Adressat geltend machen könne, er hätte bei ihrer Erfüllung eine rechtliche Verpflichtung seines Aufenthaltsstaates verletzen müssen. Vgl. dazu auch eine Formulierung des BG, Urteil der Ersten Zivilabteilung, 18.9.1934, BGE 60 II, 294, 311 f.: „Schon vor der Vorinstanz hat die Beklagte geltend ge­ macht, dass mindestens die Unmöglichkeit der Leistung anerkannt werden müsse, weil der schweizerische Richter hier gar nicht ausländisches Recht anwende, sondern nur entscheide, ob die ausländischen Vorschriften ein tatsächliches Hindernis für die Vertragserfüllung bil­ den. Diese Unterscheidung ist abwegig und kann [...] nicht zugelassen werden. Ob nämlich ausländische, der einheimischen öffentlichen Ordnung widersprechende Vorschriften direkt oder indirekt, auf dem Umwege über ihre tatsächlichen Wirkungen, angewendet werden, läuft praktisch auf dasselbe hinaus. Der schweizerische Richter muss deshalb die eine wie die andere Anwendung ablehnen und die Vorschriften also auch in ihren Wirkungen unberück­ sichtigt lassen [...].“ 181  Zur Sensor-Entscheidung vgl. Zweiter Teil B.IV.2.c)(aa)(4). 182  Basedow, RabelsZ 47 (1983), 141, 157. 183  Ebd.: „Normen mögen über die Betroffenen [...] wie Schicksalsschläge kommen, für den Richter eines Staates sind sie deswegen noch lange kein Datum, sondern nur zu berück­ sichtigen, wenn ihn sein Kollisionsrecht auf sie verweist“; vgl. auch Basedow, GYIL 27 (1984), 109, 135: „Since these questions [whether a court would not refrain from punishment under an international law standard of reasonableness, when delivery is mandated by another 180 

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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Anbetracht des entgegenstehenden Urteils von einer Durchsetzung der Norm absehen würde, um sich gegenüber anderen Staaten „freundlich“ zu verhalten (international law standard of reasonableness).184 Bevor also eine Norm durchgesetzt wurde, liegen keine tatsächlichen Aus­ wirkungen vor, die ungeachtet der Verweisungsentscheidung berücksichtigt werden können.185 Vielmehr wird in solchen Fällen die Norm selbst im Rahmen des anwendbaren Leistungsstörungsrechts berücksichtigt. Dass statutsfremde Normen tatsächliche Auswirkungen haben, auf die unge­ achtet der verweisungsrechtlichen Entscheidung Bezug genommen werden könnte, kommt nur selten vor.186 Sowohl der Fall „Trading with the enemy“ als auch der iranische Bierimportsverbotsfall sind deshalb Fälle, in denen letztlich das ausländische Gesetz berücksichtigt worden ist, weshalb der Berücksichti­ gungsvorgang verweisungsrechtliche Elemente aufwies. Dasselbe hätte für den Sensor-Fall gegolten, sofern das Gericht die amerikanische Verbotsvorschrift berücksichtigt hätte. court] do not receive clear-cut answers, it is not possible to equalize the foreign threat of punishment with an actual and definite burden hindering delivery. The foreign indictment is only a more or less probable event, and the degree of probability inter alia depends on the action taken by the local court.“ So auch OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 9.5.2011, 23 U 30/10, BeckRS 2011, 16032; vgl. zudem Wengler, AcP 158 (1959/1960), 543, 545. 184  Basedow, GYIL 27 (1984), 109, 135. 185  Schurig, RabelsZ 54, 217, 241 f. „Mit anderen Worten: die Lösung ist lediglich dann eine rein tatsächliche, wenn wirklich nur die faktischen Auswirkungen ausländischer Geset­ ze berücksichtigt werden, ihr normativer Gehalt dagegen ohne Bedeutung bleibt. Sobald man auf diesen abstellt, ‚wendet‘ man das Gesetz (im Rahmen der deutschen Norm) ‚an‘. [...] An diesen Kriterien gemessen, finden sich selten Beschränkungen auf das rein Tatsächliche. Insbesondere erweist sich das Vorschieben des §  138 BGB oft als Etikettenschwindel“; Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen im Internationalen Wirtschafts­ recht (2001), S.  55: „Ähnliche Probleme weist das Unmöglichkeitsrecht auf, das der BGH zur Lösung heranzieht. Oft wird im Rahmen der Unmöglichkeitsprüfung auf das bloße Verbot der ausländischen Norm abgestellt, nicht aber auf ihre unüberwindliche staatliche Durchset­ zung. Die Verbotsnorm selbst kann nur kollisionsrechtlich zur Anwendung kommen“; vgl. auch Schnyder, Die Anwendung des zuständigen fremden Sachrechts im Internationalen Pri­ vatrecht (1981), S.  214, der mit dem Argument, das Verbotsgesetz würde nicht zur tatsächli­ chen Unmöglichkeit führen, auf das Vorliegen von rechtlicher Unmöglichkeit abstellt. Teil­ weise wird in diesem Zusammenhang argumentiert, tatsächliche Unmöglichkeit i. S. d. §  275 Abs.  1 BGB würde beim Vorhandensein ausländischer Verbotsgesetze von den Gerichten „tatsächlich vermutet“. Diese tatsächliche Vermutung könne sodann von den Parteien wider­ legt werden. Mit dieser Argumentation könnte es zumindest näher liegen, in der Berücksich­ tigung des ausländischen Gesetzes kein kollisionsrechtliches Element zu sehen, sondern die­ sen Vorgang als reine Tatsachenfrage zu bezeichnen. Vgl. zu dieser Argumentation z. B. Freitag, NJW 2018, 430, 433. 186  Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht (1989), S.  181; Schurig, RabelsZ 54, 217, 242.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

cc) Zwischenergebnis Die Berücksichtigung der normativen Auswirkungen einer Norm, bspw. das Vorliegen von Sittenwidrigkeit aufgrund des Verstoßes gegen ein Verbotsge­ setz, ist eine Berücksichtigung der Norm selbst und dementsprechend ein Vor­ gang, der eines verweisungsrechtlichen Anwendungsbefehls bedürfte. Bei der Berücksichtigung angeblich tatsächlicher Auswirkungen einer Norm ist zu dif­ ferenzieren: Ist ein Ereignis kausal auf eine Norm zurückzuführen, ist die Norm eine unbeachtliche Ursache der Tatsache. Die Berücksichtigung des Ereignisses konfligiert nicht mit der zuvor getroffenen Verweisungsentscheidung. Wird hin­ gegen auf eine Auswirkung Bezug genommen, die die Befolgung einer Norm noch voraussetzt und vielmehr antizipiert, handelt es sich um eine Berücksich­ tigung der Norm. Dies beantwortet die oben im Rahmen von Erwägungsgrund 33 aufgeworfe­ ne Frage:187 Soweit statutsfremde Normen bereits tatsächlichen Einfluss auf die Schadenshöhe genommen haben und Erwägungsgrund 33 Rom II-VO ihre Be­ rücksichtigung anordnet, hat Erwägungsgrund 33 Rom II-VO diesbezüglich de­ klaratorischen Wert.188 Soweit es jedoch um Faktoren der Schadensberechnung geht, die sich aus der für die Zukunft erwarteten Befolgung statutsfremder Nor­ men ergeben, ist Erwägungsgrund 33 funktional kollisionsrechtlich. V. Zwischenergebnis 1. Die Einordnung der Berücksichtigung ausländischen Rechts als kollisions­ rechtlich oder sachrechtlich geschieht bislang entweder nach dem inhaltlichen Interessenkriterium oder dem formellen Rechtsfolgekriterium, unabhängig da­ von ob die Berücksichtigung in Auslegung der Sach- oder der Verweisungsnor­ men stattfindet. Das inhaltliche Kriterium trifft die Unterscheidung zwischen Kollisions- und Sachrecht nach dem mit der Berücksichtigung einer Norm ver­ wirklichten Interesse. Nach dem formellen Rechtsfolgekriterium wird danach differenziert, ob eine Norm die Anwendbarkeit einer bestimmten Norm in Al­ ternative zur Anwendung einer bestimmten anderen Norm eines anderen Staa­ tes bestimmt. 2. Nach dem Interessenkriterium kann der Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene nicht eindeutig als kollisions- oder sachrechtlich eingeordnet 187 

Vgl. dazu Erster Teil B.III. dazu Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Ami­ corum Klaus Schurig (2012), S.  229, 231: „Dass diese Rechnungsposten unter Berücksichti­ gung derjenigen Regeln ermittelt werden, die sich auf ihre Höhe auswirken, lässt sich als tatsachenbezogene sachrechtliche Maßgabe festhalten, ohne dass es hierfür denknotwendig einer eigenen Kollisionsregel im rechtstechnischen Sinne bedarf.“ 188  Vgl.

B. Verweisungsrechtliches Element der Berücksichtigung

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werden, da die Berücksichtigung häufig sowohl räumliche als auch sachrechtli­ che Interessen verwirklicht oder es zumindest uneindeutig bleibt, aus welchen Gründen auf statutsfremdes Recht Rücksicht genommen wird. Hierfür spricht auch letztlich die Funktion der Kegel’schen Interessenlehre, die vor allem dazu dient, Anknüpfungen zu legitimieren und bei der Bildung von neuen Anknüp­ fungsregeln als Maßstab zu dienen. 3. Das formelle Rechtsfolgenkriterium kommt bislang ebenfalls nicht für je­ den Berücksichtigungsfall auf Sachrechtsebene zu eindeutigen Ergebnissen. 4. Richtigerweise sollte deshalb danach gefragt werden, in welchen Fällen die Berücksichtigung Aufgaben des Verweisungsrechts übernimmt, wie es de lege lata konzipiert ist. Nach dieser positiv-rechtlichen Zuordnung handelt es sich bei der Berücksichtigung des Auslandsbezugs eines Sachverhaltes dann um einen verweisungsrechtlichen Vorgang, wenn das Kollisionsrecht zuvor ange­ ordnet hat, die zu berücksichtigenden Objekte seien einer bestimmten – anderen – Rechtsordnung zu entnehmen. 5. Die richterliche Berücksichtigung von Rechtsnormen findet zwar in Ausle­ gung der anwendbaren Sachnormen bei der sachrechtlichen Subsumtion statt, ist aber funktional kollisionsrechtlich, da die Frage der Anwendbarkeit von Recht grundsätzlich im Kompetenzbereich der Verweisungsregeln liegt. 6. Die Berücksichtigung einer Norm sowie die Berücksichtigung künftigen Verhaltens, das in antizipierter Befolgung der fraglichen Norm zu erwarten ist, erfordern in der herkömmlichen Konzeption des IPR als Verweisungsrecht eine Verweisungsregel. Ist eine solche nicht vorhanden, liegt in der Berücksichti­ gung eine Entscheidung im Kompetenzbereich des Verweisungsrechts. 7. Rechtsprechungsgrundsätze wie Verschuldensmaßstäbe liegen ebenfalls im Kompetenzbereich der Verweisungsnormen, weil im deutschen IPR gilt, ausländisches Recht sei so anzuwenden, wie es das ausländische Gericht an­ wenden und auslegen würde. In der Wahl eines anderen Auslegungsmaßstabs als dem des anwendbaren Rechts z. B. für die Bestimmung des Verschuldens­ maßes liegt eine Abweichung von diesem kollisionsrechtlichen Grundsatz. Wer­ den Rechtsprechungsgrundsätze aus anderen Rechtsordnungen als der anwend­ baren berücksichtigt, liegt hierin eine verweisungsrechtlich relevante Entschei­ dung. 8. Wenn es um die Berücksichtigung von Regelungen ohne staatlichen Rege­ lungscharakter (soft law) geht, liegt ein sachrechtlicher Auslegungsvorgang vor, der die Verweisungsentscheidung nicht tangiert. Denn Regelungen ohne staatli­ chen Regelungscharakter lassen sich verweisungsrechtlich de lege lata nicht für anwendbar erklären, weshalb es dem Sachrecht überlassen bleibt, über ihre An­ wendbarkeit zu entscheiden.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

9. Ereignisse, die entweder unabhängig von einer Norm existieren oder deren Existenz das Ergebnis der Befolgung einer Norm ist, können ungeachtet der Verweisung sachrechtlich berücksichtigt werden (sog. normunabhängige Ereig­ nisse). 10. Im Ergebnis folgt hieraus: Soweit die Berücksichtigung ausländischen Rechts gesetzgeberisch durch Normen wie Art.  17 Rom II-VO angeordnet ist, liegt hierin ein Vorgang, der weder vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungs­ grundsatzes aus Art.  20 Abs.  3 GG noch aufgrund von Kompetenzfragen z. B. nach Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV problematisch ist. Die richterliche Berücksich­ tigung ausländischen Rechts abseits eines Berücksichtigungsbefehls nimmt hingegen verweisungsrechtliche Funktionen in sachrechtlich-subsumtiver Form wahr. Die Berücksichtigung ist insofern ein in der Idealkonzeption des IPR rechtfertigungsbedürftiges und als solches offenzulegendes tertium.

C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen sachrechtlichsubsumtiver Form und verweisungsrechtlicher Funktion Bevor im dritten Teil dieser Arbeit dargestellt wird, inwiefern der Berücksichti­ gungsvorgang als tertium gerechtfertigt ist,189 soll skizziert werden, welche Rol­ le die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen Verweisung und Berücksichti­ gung spielt. Denn häufig wird der Datumtheorie zugeschrieben, sie führe zur (funktional) sachrechtlichen Einordnung des Berücksichtigungsvorganges ab­ seits einer Berücksichtigungsanordnung, indem sie ausländische Rechtsnormen als Tatsachen heranziehe.190 Neben diesem Verständnis werden der Datum­theo­ rie aber auch andere Inhalte, z. B. die rein rechtsrealistische Beschreibung rich­ terlicher Tätigkeit, zugeschrieben.191 Eine einheitliche Definition „der Datum­ theorie“ fehlt bislang. Als Ausgangspunkt für die Untersuchung soll deshalb die Historie und der aktuelle Forschungsstand zur Datumtheorie beschrieben werden (I.). Sodann wird gezeigt, dass die Datumtheorie keine Theorie der faktischen Berücksichti­ gung ausländischen Rechts als Tatsache ist (II.). Auch ihre rein rechtsrealisti­ sche Einordnung als Beschreibung richterlicher Tätigkeit wird abgelehnt (III.). Der dritte Teil dieser Arbeit widmet sich schließlich der Datumtheorie als Vehi­ kel zur methodischen Offenlegung und Konkretisierung der Berücksichtigung.

189 

Vgl. dazu unten Dritter Teil. Vgl. dazu im Folgenden Zweiter Teil C.I.2.b)aa)(1). 191  Vgl. dazu im Folgenden Zweiter Teil C.I.2.b)aa)(2). 190 

C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen Form und Funktion

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I. Historie und Forschungsstand Zunächst wird die Herkunft der Datumtheorie im Common Law dargestellt (1.). Dem folgt ein Überblick über die aktuelle rechtswissenschaftliche Verortung der Datumtheorie im deutschen IPR und über den Stand der derzeitigen Defini­ tionsangebote zu den Begriffen der „Datumtheorie“ und der über sie zu berück­ sichtigenden data (2.). 1. US-amerikanische Herkunft der Datumtheorie Die Datumtheorie kommt aus dem US-amerikanischen Recht. Im Zusammen­ hang mit der Berücksichtigung der Internationalität des Sachverhalts bei seiner Beurteilung nach inländischem Recht wurde der Begriff datum erstmals von dem US-amerikanischen Rechtswissenschaftler Brainerd E. Currie (1912– 1965) genutzt.192 Albert A. Ehrenzweig (1906–1974)193 nahm die Idee Curries auf, ausländische Prägungen des internationalen Sachverhalts im inländischen Recht als datum ungeachtet der Verweisungsentscheidung zu berücksichti­ gen.194 Um die Anfänge der Datumtheorie bei Currie (b)) und ihre Vollendung bei Ehrenzweig (c)) nachvollziehbar zu machen, wird zunächst das wissen­ schaftliche Umfeld zur Zeit ihres Wirkens erörtert (a)). a) Conflicts Revolution Ehrenzweig und Currie gehörten der Bewegung der Conflicts Revolution an, im Zuge derer sich Teile der US-amerikanischen Rechtswissenschaft gegen abs­ trakt-generelle IPR-Regelungen wendeten, wie sie bisher aus dem sog. First Restatement bekannt waren.195 Solche Restatements werden bis heute vom American Law Institute verfasst und dienen der systematischen Darstellung des je­ 192  Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (1963), S.  67 ff.; Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  83; vgl. dazu Ehrenzweig, 18 Okla.L.Rev., 340 (1965); ders., 16 Buff.L.Rev., 55 f. (1966). 193  Vgl. zu seiner Person Bolgár, Albert A. Ehrenzweig – Kurt H. Nadelmann – Stefan A. Riesenfeld, in: Der Einfluß deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland (1993), S.  95 ff.; Halbach, 54 Cal.L.Rev., 1419 ff. (1966); Hessel, Albert A. Ehrenzweigs kollisionsrechtliche Lehren – Person und Werk – (1990); Jennings/Newman/ Louisell/Riesenfeld/Blyberg/Lobe, 62 Cal.L.Rev., 1069 ff. (1974); Siehr, Ehrenzweig, Albert A., in: Encyclopedia of Private International Law (2017), S.  584. 194  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  77 ff., 83 ff.; ders., 16 Buff.L.Rev., 55 ff. (1966). 195  Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1308; zur American Conflicts Revolution vgl. Kegel, Vaterhaus und Traumhaus, in: FS Beitzke (1979), S.  551 ff.; Juenger, Choice of Law and Multistate Justice (1993), S.  88 ff.; Symeonides, Tort law and conflict of laws, in: Comparative Tort Law (2015), S.  39, 40 f.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

weiligen Standes des Common Law in Rechtsprechung und Wissenschaft.196 Die Restatements sind Kehrseite der geringen Kodifikationsdichte des US-amerika­ nischen Common Law im Vergleich zum kontinentaleuropäischen Zivilrecht.197 Das erste Conflicts Restatement stammte aus der Feder von Joseph Beale und stieß vor allem deshalb auf heftige Kritik, weil es nach Ansicht vieler amerika­ nischer Rechtswissenschaftler weniger den gegenwärtigen Stand als vielmehr die eigene Lehre Beales enthielt.198 Es herrschte die Befürchtung, die in dem Restatement vorgespurten Verweisungsentscheidungen würden in der Praxis entweder von vornherein nicht beachtet oder, im Falle ihrer Beachtung, nicht zu sachgerechten Ergebnissen führen.199 Die Conflicts Revolution brachte eine Vielzahl an alternativen Theorien zur Bestimmung des anwendbaren Rechts hervor, denen gemein war, das Recht nicht nur abstrakt nach räumlichen Gesichtspunkten, sondern passend für den Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Wertungen der jeweils berühr­ ten Sachrechte zu bestimmen.200 Im US-amerikanischen IPR bot sich diese Vor­ gehensweise vor allem deshalb an, weil es vornehmlich Kollisionsfälle im inter­ lokalen Kontext zum Gegenstand hatte201 und Gerichte in Kollisionsfällen des­ halb weniger als im deutschen IPR mit der mühsamen Übersetzung ausländischer Rechtsvorschriften und, die Rechtsordnung Louisianas ausgenommen, dem Verstehen anderer Rechtskulturen konfrontiert waren.202 Bis heute fehlt es an einem einheitlich kodifizierten IPR in den USA; die Ge­ richte verfolgen vielmehr von Gliedstaat zu Gliedstaat unterschiedliche ap­ Symeonides, Restatement (First and Second) of Conflict of Laws, in: Encyclopedia of Private International Law (2017), S.  1545 ff. 197  Zur gegenüber dem deutschen IPR geringen Kodifikationsdichte im amerikanischen IPR vgl. Kegel, Vaterhaus und Traumhaus, in: FS Beitzke (1979), S.  551, 558. 198  Vgl. dazu Borchers, 49 Wash.Lee.L.Rev., 357, 359 f. (1992); Ehrenzweig, Das Despe­ ranto des zweiten „Restatement of Conflict of Laws“, in: FS Rheinstein (1969), S.  343, 345; ders., ÖstZÖR 1956, 521 ff.; Symeonides, Restatement (First and Second) of Conflict of Laws), in: Encyclopedia of Private International Law (2017), S.  1545, 1546 ff.; ders., 384 Re­ cueil des Cours (2016), 33, 54 ff. 199  Vgl. dazu z. B. Symeonides, Tort law and conflict of laws, in: Comparative Tort Law (2015), S.  39, 40 f. 200  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  6 Rn.  83; vgl. dazu auch Sturm/Sturm, in: Staudinger, BGB (2012), Einl. zum IPR Rn.  65 ff.; vgl. dazu auch Symeonides, 82 Tul.L.Rev., 1741, 1746 (2007–2008). 201  Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1308. 202  Vgl. dazu z. B. Juenger, 30 Am.J.Comp.L., 117, 129 (1982). Für ein amerikanisches IPR explizit für internationale Sachverhalte setzte sich Ehrenzweig ein, blieb damit aller­ dings erfolglos, Jayme, Einführung, in: Internationales Privatrecht, Ideengeschichte von Mancini und Ehrenzweig zum Europäischen Kollisionsrecht (2009), S.  189; vgl. dazu auch Scoles, 54 Cal.L.Rev., 1599 ff. (1966); Symeonides, 2015 U.Ill.L.Rev., 1847 ff. (2015). 196 

C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen Form und Funktion

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proaches, die auf die jeweiligen rechtswissenschaftlichen IPR-Theorien zurück­ gehen.203 Auf dieser Grundlage entstand die Datumtheorie bei Currie und Ehren­z weig. b) Brainerd E. Currie Currie entwickelte im Zuge dieser Conflicts Revolution ein IPR-Konzept, bei dem sich das anwendbare Recht nicht anhand starrer Verweisungsnormen, son­ dern entlang einer Analyse der sachnorm-inhärenten staatlichen Rechtsanwen­ dungsinteressen (policies) bestimmte (governmental interest analysis).204 Den sich auf diese Weise ergebenden Kollisionsnormen (choice of law-rules) stellte Currie als datum zu berücksichtigende Verhaltensregeln (rules of conduct) ge­ genüber.205 Die Berücksichtigung dieser rules of conduct sei nicht von den Kol­ lisionsregeln angeordnet, sondern von den jeweils anwendbaren Sachnormen verlangt.206 Sie nicht zu beachten, wäre – insoweit gleicht die Argumentation der der deutschen Gerichte bei Berücksichtigung statutsfremder Verkehrsrege­ lungen – irrational.207 Hinsichtlich der Behauptungs- und Beweislast gelte des­ halb nicht dasselbe wie für das Auffinden des anwendbaren Rechts, das im US-amerikanischen Common Law schon zu Zeiten Curries von den Parteien 203  Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1308 f.; vgl. die Tabelle zu den methodischen Ansätzen von den US-amerikanischen Gerichten bei Scoles/ Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 4th ed. 2004, S.  85; vgl. auch Symeonides, 64 Am.J.Comp.L., 221, 291 (2016). 204  Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (1963), S.  67 ff.; Scoles/Hay/Borchers/ Symeonides, Conflict of Laws, 4th ed. 2004, S.  26: „nihilist view of conflicts law in the tradi­ tional sense“; zum governmental interest approach Curries vgl. Kay, 34 Mercer L.Rev., 521, 538 ff. (1983); Silberman, Currie, Brainerd, in: Encyclopedia of Private International Law (2017), S.  506 ff.; Symeonides, 2015 U.Ill.L.Rev., 1847 ff. (2015); ders., 384 Recueil des Cours (2016), 33, 103 ff. 205  Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (1963), S.  67: „Yet the ‚applicable‘ law – the law which furnishes the rule of decision – is of course the law of the forum and situs. The reference to the alien law has nothing to do with conflict of laws, but merely supplies a datum that is rendered material by the rule of decision which is found in the law of the fo­ rum“; a. a. O. S.  69: „The rule of the road is not a rule of decision but a rule of conduct. [...] The rule of conduct [...] can be found only in the law of the state where the conduct occurred“, zu einem Beispielfall vgl. ders., 18 Okla.L.Rev., 243, 271 (Fn.  110) (1965); vgl. zum datum-An­ satz Curries Weller, Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmoderne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privat­ recht (2019), S.  53, 69 f.; Wengler, 104 Recueil des Cours (1961-III), 271, 372 f. 206  Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (1963), S.  66: „There is no question of conflict of laws.“ 207  Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (1963), S.  66 f. „To apply the law of the forum in the absence of a showing of foreign law would simply be irrational.“

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

vorgetragen und bewiesen werden musste.208 Ein typischer Beispielfall für diese datum-Überlegungen ist der Fall Babcock v. Jackson, der dafür bekannt ist, dass ein amerikanisches Gericht erstmals vom bis dahin strikten Tatortprinzip abwich.209 In diesem Fall wendete das Gericht zwar nicht Tatortrecht an, zog jedoch – ähnlich wie die deutschen Gerichte vor Erlass und nun im Rahmen von Art.  17 Rom II-VO210 – punktuell die Verkehrsregeln des Tatorts als rules of conduct heran.211 Diese rules of conduct stufte Currie in Abgrenzung zu den rules of decision als datum ein.212 Hierin liegt vornehmlich die Beobachtung Curries, dass kollisionsrechtlich nicht anwendbare Vorschriften tatsächlichen Einfluss auf den Sachverhalt ha­ ben und deshalb Berücksichtigung finden müssen. Denn inwiefern sich die An­ wendung einer Norm infolge einer kollisionsrechtlichen Entscheidung und die Berücksichtigung einer Norm als datum infolge eines aus der anwendbaren Sachnorm resultierenden Bedürfnisses im Einzelnen voneinander abgrenzen lassen, ließ Currie offen.213 Nach Herma H. Kay lässt sich dies mit der Eigenart der von Currie beschriebenen datum-Fällen rechtfertigen, da sich bei ihnen die Anwendung einer bestimmten Norm ungeachtet der Verweisungsentscheidung und des Parteienvortrags geradezu aufdränge.214 Es handele sich von vornherein nicht um ein kollisionsrechtliches Problem.215 Den Ansatz Curries nahm Ehrenzweig auf und führte ihn weiter.

dazu Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnor­ men, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 40. 209  Babcock v. Jackson Court of Appeals of New York, 1963, 12 N.Y.2d 473, 240 N.Y.S.2d 743, 191 N.E.2d 279 (1963); vgl. dazu z. B. Cramton/Currie/Kay/Kramer, Conflict of Laws, 5th ed. 1993, S.  165 ff.; Symeonides, Tort law and conflict of laws, in: Comparative Tort Law (2015), S.  39, 40 ff. 210  Zur Ähnlichkeit von Art.  17 Rom II-VO und dem issue-by-issue approach im US-ame­ rikanischen Common Law, vgl. Dornis, EulF 2004, 152, 157. 211 Vgl. dazu Hay/Weintraub/Borchers, Conflict of Laws, 2013, S.  507 ff.; Scoles/Hay/ Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 4th ed 2004, S.  792 f. 212  Vgl. dazu z. B. Hay/Weintraub/Borchers, Conflict of Laws, 2013, S.  500 f. 213  Currie, 28 Law and Contemp.Probs., 754, 756 (1963); Traynor, Duke L. J., 426, 429 (1965): „Not all conflicts problems can be solved at once, and Currie does well to make haste slowly in the datum-point cases, which he sets apart for further study.“ 214  Kay, 53 Cal.L.Rev., 47, 63 (1965). 215  Kay, 53 Cal.L.Rev., 47, 63 (1965): „But in the datum point cases, there is usually not even a potential conflict of interests.“ 208  Vgl.

C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen Form und Funktion

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c) Albert A. Ehrenzweig Ehrenzweigs IPR-approach mündete wie die von Currie entwickelte governmental interest analysis in der regelmäßigen Anwendung der lex fori.216 Sein IPR-Ansatz soll skizziert werden (aa)), bevor auf seine Vorstellung von der Da­ tumtheorie eingegangen wird (bb)). aa) Die Ehrenzweig’sche Anknüpfungsleiter Anders als Currie trat Ehrenzweig nicht für eine einzelfallabhängige Analyse der staatlichen Rechtsanwendungsinteressen ein, sondern entwickelte eine An­ knüpfungsleiter. Zunächst sollten die Gerichte die vorhandenen gesetzlichen Kollisionsnormen beachten ( formulated rules of choice of law).217 Würde es an solchen, wie häufig im US-amerikanischen IPR, fehlen, sollten die Gerichte nachfolgend auf kollisionsrechtliche Grundsätze zurückgreifen, die zwar nicht explizit formuliert, aber aus entsprechenden Gerichtsentscheidungen ableitbar wären (inchoate rules of choice of law).218 Wäre auf diese Weise das anwendba­ re Recht nach wie vor nicht feststellbar, sollten die Gerichte die Rechtsnormen der lex fori bezüglich ihres eigenen räumlichen Herrschaftsbereichs interpretie­ ren.219 Sodann, wenn die Rechtsnormen der lex fori selbst keine Anwendung beanspruchten, sollten sie danach befragt werden, ob sie ausnahmsweise durch das von den Parteien vorgetragene ausländische Recht ersetzt werden könnten oder vielmehr verlangten, dass sich das Gericht für diesen Fall für unzuständig erklärt.220 Erster Anhaltspunkt sei dabei die ratio der Norm der lex fori.221 Erst wenn sich hieraus weder die Anwendung eines ausländischen Sachrechts noch eine Unzuständigkeitserklärung des Gerichts ergebe, seien – im Zweifel – die 216  Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 4th ed. 2004, S.  38 f.; vgl. auch Looschelders, in: Staudinger, BGB Neubearbeitung 2019, Einl zum IPR Rn.  97 ff.; Rheinstein, 18 Okla.L.R., 238, 239 (1965); Siehr, Ehrenzweig, Albert A., in: Encyclopedia of Pri­ vate International Law (2017), S.  584 ff. 217  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  76 ff.; vgl. zur Ehrenzweig’schen Anknüpfungsleiter Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländi­ scher Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  35, 41; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  3 XI 2b; Weller, Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmoderne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privat­ recht (2019), S.  53, 69 ff. 218 Vgl. Ehrenzweig, Conflicts in A Nutshell (1974), S.  327. 219  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  93. 220  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  93; vgl. dazu Scoles/ Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 4th ed. 2004, S.  39. 221  Ehrenzweig, Wirklichkeiten einer „lex-fori Theorie“, in: FS Wengler (1973), S.  251, 258.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Sachnormen der lex fori selbst anwendbar (sog. Residualzuständigkeit der lex fori).222 Ehrenzweig wurde zwar bisweilen eine „Allergie“ gegen die Anwendung (governing) ausländischen Rechts attestiert.223 Er verneinte aber nicht die An­ wendung ausländischen Rechts als solches, sondern vielmehr die Existenz einer Art Überrecht (super law), das abseits der Wertungen der lex fori zur Relevanz ausländischen Rechts führen könnte.224 Ehrenzweig erkannte zudem an, dass bestimmte ausländische Gegebenheiten unabhängig vom anwendbaren Recht auf den Sachverhalt einwirkten, nämlich als „questions which typically can or must be subjected to foreign rules without resort to a ‚choice of law‘“.225 Diese Gegebenheiten würden von den Gerichten regelmäßig, und wie schon von Currie beschrieben, als sog. local data im inländischen Subsumtionsvorgang be­ rücksichtigt.226 bb) local and moral data theory Die Berücksichtigung bestimmter Regelungen abseits des Verweisungsmecha­ nismus komplettierten Ehrenzweigs Anknüpfungsleiter unter dem Stichwort der local and moral data theory (Datumtheorie).227 Seine local data-Überlegun­ gen lehnte er an Curries Vorarbeiten an und baute diese aus.228 Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  93: „Unless application of a foreign rule is required by a settled (formulated or nonformulated) rule of choice, all choice of law should be based on a conscious interpretation de lege lata of that domestic rule, which either party seeks to displace. If that interpretation does not lead either to a dismissal of the suit or to the application of a foreign rule, the forum rule, in a proper forum, applies as the ‚basic‘ or as I now prefer to call it, the ‚residuary‘ rule, as a matter of non-choice“; vgl. dazu Lipstein, 135 Recueil des Cours (1972), 104, 145. 223  Kegel, 112 Recueil des Cours (1964-II), 91, 227: „Accordingly, the last root for Ehren­ zweig’s basic rule of the lex fori is seen in his allergy to the ‚governing‘ foreign law“; vgl. dazu auch Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 4th ed. 2004, S.  40 Fn.  15. 224  Jayme, Einführung, in: Internationales Privatrecht, Ideengeschichte von Mancini und Ehrenzweig zum Europäischen Kollisionsrecht (2009), S.  189; Raape/Sturm, IPR, 6.  Aufl. 1977, §  1 III 2; vgl. dazu auch Zweigert, RabelsZ 37 (1973), 435, 439 f. 225  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  83; Hessel, Albert A. Ehrenzweigs kollisionsrechtliche Lehren – Person und Werk –(1990), S.  116 f. 226  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 40. 227  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  77 ff.; 83 ff; ders., Con­ flicts in A Nutshell (1974), S.  11 f.; vgl. dazu Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbe­ stand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 39; Siehr, Ehrenzweig, Albert A., in: Encyclopedia of Private International Law (2017), S.  584, 591. 228  Dornis, Local Data, in: Encyclopedia of Private International Law (2017), S.  1166; Reimann, Albert A. Ehrenzweig and the American Conflict of Laws, in: Der Einfluß deut­ 222 

C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen Form und Funktion

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(1) Local data Als Beispiel für einen Anwendungsfall der local data nennt Ehrenzweig einen Verkehrsunfall in Saudi Arabien, bei dem zwei US-amerikanische Personen, die eine aus Arkansas, die andere aus New York, beteiligt sind.229 Das New Yorker Gericht müsste zwar das anwendbare Recht (rule of decision) auf den Fall bestimmen; unabhängig von der Anwendungsentscheidung sei es aber nö­ tig, die saudi-arabischen Verkehrsregeln als datum heranzuziehen.230 Ehrenzweig vergleicht dabei die Berücksichtigung der Verkehrsregeln als local data mit der Ermittlung der Breite eines Bordsteins oder der Nüchternheit des Fah­ rers, also in seinen Worten mit factual data (Tatsachenfragen).231 Wie schon Currie sieht er diese ausnahmsweise von der Amtsermittlungspflicht des Ge­ richts umfasst.232 Eine Berücksichtigung von data sieht Ehrenzweig auch darin, dass Parteien nach einem Recht handeln, das im Ergebnis keine Anwendung findet und des­ halb lediglich bei Auslegung dessen, was jene beabsichtigten, als datum rele­ vant wird.233 In einem anderen von ihm herangezogenen Beispielfall macht die Witwe eines verstorbenen Arbeitnehmers Ansprüche aus einer Arbeiterunfall­ versicherung geltend (workmen’s compensation).234 Während für den Kompen­ sationsanspruch das New Yorker Recht als rule of decision anwendbar sei, wäre als vorherige Frage der Witweneigenschaft die unter italienischem Recht erfolg­ te Eheschließung als datum zu berücksichtigen.235 Als Anwendungsfall der Da­ tumtheorie versteht Ehrenzweig, wie auch schon Currie,236 zudem solche Fälle, in denen im Rahmen einer Gegenseitigkeitsanordnung237 auf ausländisches scher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland (1993), S.  397, 409. 229  Ehrenzweig, Conflicts in A Nutshell (1974), S.  11 f., 103. 230  Ebd., S.  11 f. 231 Ebd. 232  Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev., 55 (1966): „The court thus ignores [...] a presumably ap­ plicable foreign rule as not relied on by either party. Can it properly do so with regard to all unpleaded foreign rules? The answer is clearly in the negative since there are such rules that must be applied ex officio.“ 233  Ehrenzweig, Conflicts in A Nutshell (1974), S.  12. 234  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  83; vgl. dazu auch Kay, 53 Cal.L.Rev., 47, 63 (1965). 235  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  83. 236  Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (1963), S.  67. 237  Eine Gegenseitigkeitsanordnung ist eine Kollisionsnorm, die die Anwendung auslän­ dischen Rechts unter dem Vorbehalt anordnet, dass das jeweilige ausländische Recht eben­ falls die Anwendung fremden Rechts erlaubt, vgl. dazu Dannemann, Die ungewollte Diskri­ minierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  148 f.; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  5 I 1; Wengler, Internationales Privatrecht, Band 1 (1981) §  7 f (S.  109 ff.).

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Recht Bezug genommen wird.238 Das datum ist hierbei die jeweils spiegelbildli­ che Regelung, die die Anwendung des ausländischen Rechts im eigenen Land zulässt und auf die zur Feststellung der Gegenseitigkeit geblickt werden müsste. Möglich sei es weiterhin, zur Feststellung einer Unmöglichkeit der Leistung auf eine ausländische Verbotsvorschrift als datum Bezug zu nehmen.239 Weitere Beispiele seien die Berücksichtigung des Verstoßes gegen brasilianisches Straf­ recht im Rahmen einer zivilrechtlichen Beleidigungsklage unter New Yorker Recht sowie die Beachtung des Verstoßes gegen fremde Sitten in Auslegung einer inländischen Sittenwidrigkeitsvorschrift.240 Auch bei der Berücksichti­ gung ausländischer Regelungen zur Bestimmung der jeweiligen connecting factors in Kollisionsnormen, z. B. zur Bestimmung der Staatsangehörigkeit, hande­ le es sich um einen datum-Fall.241 Zusammenfassend bezeichnete Ehrenzweig als local data jede bei Anwen­ dung der lex fori notwendige Berücksichtigung ausländischen Rechts.242 (2) Moral data Der Bestimmung des anwendbaren Rechts nachgelegen sind in der Konzeption Ehrenzweigs aber nicht nur local data, sondern auch sog. moral data, also wer­ tende Vorschriften über „Sitte, Brauch [und] Anstand“.243 Was Ehrenzweig den moral data in Abgrenzung zu local data genau zuordnete, ist schwer zu er­ fassen. Bei seinen moral data geht es jedenfalls nicht um die Berücksichtigung ausländischen Rechts, sondern um die regelmäßige Anwendung bestimmter inländischer Vorgaben ungeachtet der kollisionsrechtlichen Entscheidung.244 Bei

238 

Ehrenzweig, 124 Recueil des Cours (1968), 179, 200.

239 Ebd.

240 Ebd.

241  Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev., 55, 59 (1966): „European conflicts rules referring to for­ eign nationality leave its determination, as a ‚datum‘, to the foreign law invoked“. 242  Ehrenzweig, Conflicts in A Nutshell (1974), S.  11 f.; Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 39: „Auf eine einfache Formel gebracht bedeutet sie [Ehrenweigs Datumtheorie] folgendes: Die Anwen­ dung gewisser Regeln – inländischer oder ausländischer – bedarf keiner theoretischen Über­ legung. Ihre Anwendbarkeit versteht sich sozusagen von selbst; das Kollisionsrecht befaßt sich lediglich mit ‚rules of decision‘“; vgl. dazu auch Siehr, RabelsZ 34 (1970), 585, 606. 243  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 39; vgl. dazu Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  77 ff. 244  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  77 ff.; vgl. dazu Dornis, 44 Ga.J.Int’l & Comp.L., 305, 306 (2015); Schulze, IPRax 2010, 290, 294 f.

C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen Form und Funktion

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moral data handelt es sich mit anderen Worten um forum law by non-choice,245 während local data foreign law by non-choice sind.246 Als Beispiel für moral data nennt Ehrenzweig Verhaltensgebote (standards of conduct), wie den Maßstab für die Bestimmung fahrlässigen Handelns.247 Unter moral data fasst er aber auch deliktsrechtliche Sanktionsvorschriften (sanctions of tortious behavior), die von Treu und Glauben geprägt seien, wie equitable remedies or defenses.248 Weiter nennt Ehrenzweig die nationalen Grundsätze zur gesellschaftsrechtlichen Durchgriffshaftung als Anwendungs­ fall der moral data.249 Ehrenzweig kritisiert im Zusammenhang mit seinen moral data-Erwägun­ gen, dass die Gerichte in diesen typischen moral data-Fällen die eigentlich statt­ findende Berücksichtigung von Wertungen der lex fori oft verschleierten, indem sie die eigenen Standards für „allgemeingültig“ erklärten, aber letztlich hier­ durch schlicht die eigenen Wertungen anwendeten, ohne dies offen zu legen.250 Wie die Grenze zwischen local und moral data zu ziehen ist, bleibt bei Ehrenzweig auch nach seiner eigenen Einschätzung251 nicht immer eindeutig.252 (3) Rezeption in den USA Der lex fori-approach Ehrenzweigs traf im In- wie Ausland auf Kritik.253 In vielen Kommentaren zum US-amerikanischen IPR finden Ehrenzweig und sein Werk und entsprechend seine Überlegungen zur local and moral data theory wenn überhaupt nur knapp Erwähnung.254 Dass ausländische Vorschriften ab­ Ehrenzweig, Conflicts in A Nutshell (1974), S.  39 f.; vgl. dazu auch Evrigenis, Regards sur la doctrine contemporaine de droit international privé, in: FS Wengler (1973), S.  269, 281. 246  Ehrenzweig, Conflicts in A Nutshell (1974), S.  11 f. 247  Ebd., S.  251 f. 248  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  77; ders., Conflicts in A Nutshell (1974), S.  40. 249  Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev., 55, 56 (1966). 250  Ehrenzweig, Conflicts in A Nutshell (1974), S.  96. 251  Ehrenzweig, Wirklichkeiten einer „lex-fori Theorie“, in: FS Wengler (1973), S.  251, 262 Fn.  62. 252  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  6 Rn.  90; dazu, wie die moral data im Sinne der Datumtheorie wie sie hier verstanden wird, einzuordnen sind, vgl. Dritter Teil B. II.3. 253  Vgl. z. B. Cavers, 18 Okla.L.Rev., 357, 360 ff. (1965); Currie, 1964 Duke L.J., 424 ff. (1964); Kegel, 112 Recueil des Cours (1964-II), 91, 224 ff., vgl. auch Rheinstein, 18 Okla.L. Rev., 238 ff. (1965). Zur praktischen Bedeutung des lex fori-approach vgl. z. B. Leflar, 18 Okla.L.Rev. 366, 369 ff. (1965). 254  Brilmayer/Goldsmith/O’Hara O’Conor, Conflict of Laws, 7th ed. 2015; Felix/Whitten, American Conflicts Law: Cases and Materials, 6th ed. 2015; Rosenberg/Hay/Weintraub, Conflict of Laws, 10th ed., 1996; Cramton/Currie/Kay/Kramer, Conflict of Laws, 5th ed. 1993; 245 

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

seits der kollisionsrechtlichen Verweisung Anwendung finden, scheint zwar an­ erkannt, wie z. B. der US-amerikanischen Fall First National Bank of Arizona v. British Petroleum Co., 324 F. Supp.  1348 S.D.N.Y. 1971 zeigt, in dem in Fußnote 9 explizit auf Curries datum-Konzept Bezug genommen wird.255 Ehrenzweigs Datumtheorie als solche ist aber in der US-amerikanischen Wissenschaft kaum reflektiert.256 Dies könnte auch damit zusammenhängen, dass Ehrenzweigs IPR-Konzept weniger als diskussionswürdige Theorie und mehr als Realitätsbe­ schreibung wahrgenommen wird.257 Wesentlich bessere Resonanz findet die Ehrenzweig’sche Datumtheorie im französischen 258 und deutschen 259 IPR. 2. Forschungsstand zur Datumtheorie im deutschen IPR Um den Forschungsstand zur Datumtheorie im deutschen IPR darzustellen, soll zunächst gezeigt werden, auf welchem Wege die Datumtheorie Eingang in die deutsche IPR-Diskussion gefunden hat (a)). Wo und wie sie im System des her­ kömmlichen Verweisungsrechts verortet wird, ist seither allerdings umstritten (b)). a) Import durch Erik Jayme Erik Jayme brachte die Datumtheorie nach Deutschland.260 Mit Ehrenzweig ver­ banden ihn eine jahrelange Freundschaft sowie ein intensiver wissenschaftli­ von Mehren/Trautmann, The Law of Multistate Problems (1965); ein Abschnitt zu Ehrenzweigs lex fori approach findet sich z. B. in Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 4th edition 2004, S.  38 ff.; Juenger, Choice of Law and Multistate Justice (1993), S.  105 erwähnt Ehrenzweigs lex fori-approach mit einem Satz; Kay prognostizierte ihm zudem noch 1965 erheblichen Einfluss auf das US-amerikanische IPR, Kay, 18 Okla.L.Rev., 233, 236 (1965); vgl. auch Leflar, 18 Okla.L.Rev., 366 (1965): „few American courts today would deal with any major conflict of laws problem without reading Ehrenzweig“; zur Bedeutung Ehrenzweigs Lehre in den USA vgl. auch Hessel, Albert A. Ehrenzweigs kollisionsrechtliche Lehren – Person und Werk –(1990), S.  186 ff. 255  Vgl. den entsprechenden Hinweis bei Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbe­ stand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 40 Fn.  15. 256  Reimann, Albert A. Ehrenzweig and the American Conflict of Laws, in: Der Einfluß deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland (1993), S.  397, 411, 415. Beschäftigt hat sich damit im US-Amerikanischen IPR insbesondere Kay, 53 Cal.L.Rev., 47 ff. (1965); mit der Unterscheidung zwischen „rule of decision“ und „datum point“ bei Currie beschäftigt sich z. B. Traynor, 49 Cal.L.Rev., 845, 873 ff. (1965); die datum-Terminologie findet sich auch bei Leflar, vgl. Leflar, 1967 Ann.Surv.Am.L., 1 (1967). 257  Vgl. dazu auch Zweiter Teil C.II.1. 258  Vgl. z. B. Kinsch, Le fait du prince étranger (1994), S.  332 ff. 259  Vgl. dazu sogleich Zweiter Teil C.I.2.b). 260  Vgl. z. B. Jayme, StAZ 1971, 65, 72; ders., Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37 ff.; ders., IPRax 2018, 230, 231;

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cher Austausch.261 Im Folgenden wird Jayme’s Verständnis der Datumtheorie dargestellt (aa)), bevor in Abgrenzung zur Ehrenzweig’schen Konzeption sein Umgang mit den sog. moral data skizziert wird (bb)). aa) Die Datumtheorie Jayme beschreibt die Berücksichtigung der Internationalität des Sachverhaltes auf Sachrechtsebene im deutschen IPR als immer häufiger auftretendes Phäno­ men.262 Die Verweisungstechnik werde deshalb in Zukunft nur noch eine unter vielen Methoden darstellen, um dem internationalen Sachverhalt gerecht zu werden.263 In der Datumtheorie Ehrenzweigs sieht Jayme neben der Verwei­ sungsentscheidung eine weitere Möglichkeit der Fremdrechtsanwendung, die der internationalen Prägung des Sachverhaltes auf Sachrechtsebene gerecht würde.264 Ob und welche statutsfremden Vorgänge als data berücksichtigt wer­ den könnten, hänge von der Auslegung der jeweils anwendbaren Sachnorm ab.265 Sofern ein datum berücksichtigt würde, konkretisiere es die inländischen Normen lediglich in ihrem Tatbestand; die Rechtsfolge würde nach wie vor der an sich anwendbaren Sachnorm entnommen.266 Ein typischer datum-Fall sei die Berücksichtigung statutsfremder Verkehrsregeln.267 Jayme modifiziert bei dem Import der Datumtheorie die zwischen moral und local data differenzierenden Beobachtungen Ehrenzweigs im deutschen IPR zu einer einheitlichen Theorie der Fremdrechtsanwendung in Auslegung der anwendbaren Sachnormen.268 zur möglichen Übertragung der Datumtheorie auf das Strafrecht Grundmann, NJW 1985, 1251 ff.; NJW 1987, 2129 ff.; kritisch dazu Nestler-Tremel, NJW 1986, 1408 ff. 261  Vgl. dazu z. B. Jayme, ZEuP 2015, 817, 825 f.; ders., Einführung, in: Internationales Privatrecht, Ideengeschichte von Mancini und Ehrenzweig zum Europäischen Kollisions­ recht (2009), S.  189 ff.; vgl. zum Briefwechsel Jaymes und Ehrenzweigs ders., Albert A. Eh­ renzweig: Briefwechsel, in: Internationales Privatrecht, Ideengeschichte von Mancini und Ehrenzweig zum Europäischen Kollisionsrecht (2009), S.  258 ff. 262  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 42 f. 263  Ebd., S.  43. 264  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 42 f.; 49; ders., Internationales Privatrecht als Lebensform, in: In­ ternationales Privatrecht Ideengeschichte von Mancini und Ehrenzweig zum Europäischen Kollisionsrecht (2009), S.  407, 410: „Ich versuchte, die beiden Theoreme zu verbinden und fremde Rechtslagen im Bereich der Generalklauseln zu beachten. Daraus wurde ein zweistu­ figes Internationales Privatrecht [...]“ 265  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 43. 266  Ebd., S.  45. 267  Ebd., S.  43 f. 268  Jayme, Internationales Privatrecht als Lebensform, in: Internationales Privatrecht

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bb) Einordnung sog. moral data Bei Vereinheitlichung der local und moral data zu einer einheitlichen Datum­ theorie differenziert Jayme zwischen zwei Bereichen der moral data: Grund­ sätzlich seien die moral data-Überlegungen Ehrenzweigs im Bereich der juris­ tischen Hermeneutik und der Theorie der richterlichen Entscheidung anzusie­ deln.269 Insofern stehe hinter den moral data-Erwägungen Ehrenzweigs die Überzeugung, das Kollisionsrecht habe die Anwendung gewisser inländischer moral data als Ergebnis psychologischer Erkenntnisse über die Entscheidungs­ findung des Gerichts hinzunehmen.270 Das Gericht würde die Entscheidung nämlich regelmäßig vor dem eigenen Wertungshorizont, der durch die eigene Rechtsordnung geprägt sei, treffen.271 Dies habe nichts mit dem Grundgedan­ ken der Datumtheorie gemein, Vorschriften in den Entscheidungsvorgang aktiv und ungeachtet der Verweisungsentscheidung mit einzubeziehen. Hessler hält die Berücksichtigung ausländischer Wertvorstellungen über die Datumtheorie dann für möglich, wenn sich diese in fassbaren Rechtsgebilden widerspiegelten.272 Anders als Ehrenzweig ordnet auch Jayme moral data nicht zwangsläufig der Rechtsordnung der lex fori zu, sondern erkennt in ihnen eben­ falls einen potentiellen Fall der Berücksichtigung statutsfremden Rechts.273 So­ weit ein berücksichtigungsfähiges datum in Form einer statutsfremden Vor­ schrift vorliege, gleich ob „local“ oder „moral“, sei es unabhängig von der zuvor getroffenen Verweisungsentscheidung zu berücksichtigen.274

Ideen­geschichte von Mancini und Ehrenzweig zum Europäischen Kollisionsrecht (2009), S.  407, 410; zur Unterscheidung zwischen moral und local data vgl. auch Dritter Teil B.II.3. 269  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 39. 270 Ebd. 271  Ebd., S.  39, 45 ff. 272  Hessler, IPRax 1986, 146, 148: „Nach Ehrenzweigs Vorstellungen sind dabei sittliche Standards in in- oder ausländischen Rechten immer durch inländische Vorstellungen als mo­ ral datum zu füllen. Anders ist dies bei der Berücksichtigung ausländischer Sittenvorstellun­ gen, die sich in Rechtssätzen widerspiegeln; das kamerunische Recht kann hier direkt als datum wirken, die ausländischen Vorstellungen von der Ehe finden als in Rechtssätzen kris­ tallisierte sittliche Maßstäbe in Form einer Modifikation des inländischen Sachrechts Be­ rücksichtigung.“ Vgl. dazu auch Dritter Teil B.II.3. 273  Jayme, Internationales Privatrecht als Lebensform, in: Internationales Privatrecht, Ideengeschichte von Mancini und Ehrenzweig zum Europäischen Kollisionsrecht (2009), S.  407, 410. 274  Ebd.; ders., The American Conflicts Revolution and its Impact on European Private International Law, in: Internationales Privatrecht, Ideengeschichte von Mancini und Ehren­ zweig zum Europäischen Kollisionsrecht (2009), S.  291, 301.

C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen Form und Funktion

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b) Rezeption im deutschen IPR Nachdem die Entstehung der Datumtheorie in den USA und ihr „Import“ nach Deutschland beschrieben wurde, soll nun gezeigt werden, was bislang unter der „Datumtheorie“ (aa)) und dem Begriff der data (bb)) verstanden wird. aa) Der Begriff „Datumtheorie“ Die Datumtheorie wird sehr häufig als Theorie der faktischen Berücksichtigung ausländischen Rechts als Tatsache oder als Datum bezeichnet (1). Andere sehen in ihr eine rechtsrealistische Beschreibung der Wirklichkeit (2). Jayme, Mansel und Weller betonen ihr Potential zur Offenlegung und Konturierung des Be­ rücksichtigungsvorgangs (3). (1) Theorie der faktischen Berücksichtigung ausländischen Rechts als Tatsache Die Datumtheorie wird in der international-privatrechtlichen Literatur häufig als Theorie der faktischen Berücksichtigung (von Hein) statutsfremder Normen als Tatsachen bezeichnet.275 Auf diese Weise könnte mittels der Datumtheorie 275  Zu Formulierungen, die zumindest nahelegen könnten, über die Datumtheorie würde ausländisches Recht nicht als Recht angewandt, sondern als Tatsache berücksichtigt vgl. Armbrüster, NJW 2001, 3581, 3584: „Die Datum-Theorie will ausländische Verbote bei der Anwendung des materiellen Rechts – z. B. bei §  138 BGB – als Tatsachen berücksichtigen“; von Hein, VersR 2007, 440, 446: „Die [...] präzisierte Formulierung macht deutlich, dass derartige Vorschriften lediglich als Sachverhaltselement (‚local data‘) in Betracht gezogen, aber nicht als Rechtsnormen zur Anwendung berufen sein sollen“; ders., Die Behandlung von Sicherheits- und Verhaltensregeln nach Art.  17 der Rom II-Verordnung, in: FS von Hoff­ mann, S.  139, 141, 153: „Art.  17 Rom II-VO folgt der local data-Theorie; das heißt, dass aus­ ländische Sicherheits- und Verhaltensregeln lediglich als Tatsache zu berücksichtigen sind“; von Hoffmann/Thorn, IPR, 7.  Aufl. 2009, §  1 Rn.  129: „Danach [nach der Datumtheorie] soll ausländisches Recht nicht nur kraft ausdrücklicher kollisionsrechtlicher Anordnung anwend­ bar sein, sondern auch als Tatsache (Datum) im Rahmen des Tatbestands einer deutschen Sachnorm berücksichtigt werden“; Jayme, IPRax 1987, 63, 64: „Dabei [bei der Datumtheo­ rie] geht es darum, daß auf einer ersten Stufe ein einheitliches Statut gebildet wird; auf der zweiten Stufe können dann andere Rechte als Tatsachen (local data) berücksichtigt werden [...]“; Kahn-Freund, 124 Recueil des Cours (1968-II), 5, 94: „It has been suggested that, to satisfy the postulate that when in Rome you should do as the Romans do, it was sufficient to use the rules of the place of the wrong as ‚data‘, as facts to assist the court in determining whether according to the law which furnishes the ‚rule of decision‘ a liability has been incur­ red“; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2a; Krings, Erfüllungsmodalitäten im inter­ nationalen Schuldvertragsrecht (1997), S.  120: „Auf der zweiten Stufe ist nämlich zu ermit­ teln, ob ein [...] Sachrecht nicht auch im Rahmen des Tatbestands von Normen des Geschäfts­ statuts zu ‚berücksichtigen‘ ist, und zwar als Tatsache, als ‚datum‘“; Lehmann, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Internationales Finanzmarktprivatrecht Rn.  520 f.; Ment-

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erklärt werden, weshalb bei der Berücksichtigung bestimmter ausländischer Vorschriften die vorherige Verweisungsentscheidung nicht tangiert wird. Für die Behauptung, ausländisches Recht als Tatsache oder als datum berücksichti­ gen zu können, wird die Datumtheorie zugleich vehement kritisiert.276 Manche begründen die Berücksichtigung von Rechtsnormen als Tatsachen oder als datum über die Datumtheorie damit, dass die faktischen Auswirkungen der Norm und nicht die Normen selbst inklusive ihrer Rechtsfolgeanordnung berücksichtigt würden.277 Von Bar/Mankowski z. B. beschreiben die Datum­ theo­rie als „theoretische Basis für die Unterscheidung zwischen normativer Be­ rufung und tatsächlicher Berücksichtigung der Auswirkungen“ von Normen.278 Andere stellen ähnlich auf die Konkretisierungsfunktion der data ab: Prägendes Merkmal der Datumtheorie sei, dass durch sie Rechtsnormen nicht als oberste Entscheidungsregel, sondern lediglich im Rahmen des Tatbestandes berück­ sichtigt würden, wodurch die Rechtsfolge weiterhin der verweisungsrechtlich

zel, Sonderanknüpfung von Eingriffsrecht im Internationalen Vertragsrecht (1993), S.  110: „Danach [nach der Datumtheorie] beruht die Anwendung gewisser ausländischer Normen nicht auf theoretischen kollisionsrechtlichen Überlegungen, sondern ergibt sich gewisserma­ ßen selbstverständlich aus deren Berücksichtigung als Tatsache im Rahmen des Sachrechts des Vertragsstatuts“; a. a. O. S.  111: „Der Vorstellung der Datumtheorie, bestimmte Normen seien gewissermaßen als ‚Tatsachen‘ von sich heraus ohne kollisionsrechtliche Verweisung anwendbar, muß aber noch begegnet werden“; Rentsch, Krisenbewältigung durch konstituti­ onalisiertes Kollisionsrecht, Eingriffsrecht als integraler Bestandteil des europäischen IPR, in: Konstitutionalisierung in Zeiten globaler Krisen (2015), S.  255, 283: „Daher soll das aus­ ländische Eingriffsrecht zwar nicht als Recht, wohl aber als Tatsache entscheidungsrelevant werden. Dieser als ‚Datumtheorie‘ bekannte Ansatz lässt sich de lege lata an Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO rückanbinden“; Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten (2013), S.  44: „Dagegen sollen nach der Datumtheorie ausländische Rechtsregeln nicht als solche, sondern nur als Tatsachen berücksichtigt werden“; vgl. auch Jayme, IPRax 1988, 95, 97: „Das vereinbarte Rechtsinstitut [die Morgengabe] wird als datum auf der Ebene der inländischen Sachrechtsanwendung berücksichtigt. [Ein] Verweisungsbefehl zur Mitberücksichtigung des verdrängten Rechts ist überflüssig.“ 276  Vgl. z. B. Mentzel, Sonderanknüpfung von Eingriffsrecht im Internationalen Vertrags­ recht (1993), S.  111 f.: „Der Vorstellung der Datumtheorie, bestimmte Normen seien gewis­ sermaßen als ‚Tatsachen‘ von sich heraus ohne kollisionsrechtliche Verweisung anwendbar, muß aber noch begegnet werden. Siehr stellt zu Recht fest, daß ausländische Normen keine Tatsachen im strengen Wortsinn sind, die allein auf Grund ihres Vorhandenseins zu berück­ sichtigen sind. Ob ausländische Normen berücksichtigt werden, kann nur durch das Kollisi­ onsrecht der lex fori bestimmt werden. Dabei können nicht einfach Normgruppen dadurch ausgeklammert werden, daß sie in ‚Tatsachen‘ uminterpretiert werden.“ Zur Kritik an der Datumtheorie vgl. Zweiter Teil C.I.3. 277  Vgl. z. B. Martiny, IPRax 1987, 277, 280; Vetter, ZVglRWiss 87 (1988), 248, 272. 278  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  124.

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anwendbaren Sachnorm zu entnehmen sei.279 Teilweise wird das Konzept der Datumtheorie darin gesehen, dass hierdurch lediglich auf die einer nicht an­ wendbaren Norm inhärente Wertung Bezug genommen würde.280 (2) Rechtsrealistische Betrachtungsweise Schulze hingegen akzentuiert wie auch Ehrenzweig vor allem die realitätsbe­ schreibende Komponente der Datumtheorie: Ihm zufolge scheint die Datum­ theo­rie in ihrer derzeitigen Ausprägung weniger ein dogmatisches Konzept zur Erklärung der ausnahmsweisen Korrektur des Verweisungsmechanismus in Berücksichtigung bestimmter statutsfremder Normen oder ihrer Auswirkungen bereitzustellen; es handele sich vielmehr um die bloße Anerkennung der Tatsa­ che, dass bestimmte statutsfremde Normen oder Tatsachen Auswirkungen auf den Sachverhalt zeitigten.281 Weil die Datumtheorie lediglich auf ein Problem bei der Anwendung des verweisungsrechtlich ermittelten Rechts hinweise, stünde sie nicht in Konkurrenz zur Ermittlung des anwendbaren Rechts.282 (3) Vehikel zur methodischen Offenlegung und Konkretisierung der Berücksichtigung Jayme nutzt den Begriff des datum vornehmlich dazu, die Notwendigkeit zu benennen, statutsfremde Rechtsnormen ungeachtet der Verweisungsentschei­ dung in die Falllösung zu integrieren, wenn sie im Einzelfall den Sachverhalt gleich einer Tatsache prägen und deshalb als Teil von ihm erscheinen.283 Dazu, wie dies rechtstechnisch umzusetzen ist, verhält er sich nicht. Auch Weller sieht 279  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  129; vgl. dazu auch Repasi, Wir­ kungsweise des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs im autonomen IPR (2018), S.  322. 280  Grundmann, RabelsZ 54 (1990), 283, 317: „Eine Frage des Sachrechts stellt sich auch [...] für die Erfassung internationaler Risiken durch deutsche Publizitätsvorschriften. Hierzu liefert die Datumtheorie den Lösungsansatz. Im Unterschied zur Substitution geht es hier nicht darum, einem nach ausländischen Verfahrensregeln erreichten Ergebnis en bloc Wir­ kung zu verschaffen, sondern darum, eine Wertung des ausländischen Rechts (neben anderen Gesichtspunkten) in die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals des deutschen Sachrechts einfließen zu lassen.“ 281  Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm, in: Kulturelle Identität und Internationa­ les Privatrecht (2003), S.  155, 159 ff.; Schmiegel, Diskussionsbericht. Methoden des Interna­ tionalen Privatrechts und Schutz der Person, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  85 ff. 282  Vgl. dazu Schmiegel, Diskussionsbericht. Methoden des Internationalen Privatrechts und Schutz der Person, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  85 ff. 283  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 39: „Die ‚local data‘ dagegen sind ortsgebundene Regeln, die Teil eines zu beurteilenden Sachverhalts sind wie andere Fakten auch.“

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in der Datumtheorie das Potential einer Theorie der Fremdrechtsanwendung im IPR, die insbesondere zur methodischen Erschließung der Berücksichtigungse­ bene beitragen könne.284 Hierfür müssten allerdings zunächst ihre materiellen und prozessualen Anwendungsvoraussetzungen präzisiert werden.285 bb) Der Begriff der local data Aus dem nicht eindeutigen rechtstechnischen Konzept hinter der Datumtheorie folgt die uneinheitliche Bewertung dessen, was alles ein datum im Sinne der Datumtheorie sein kann. Petra Krings definiert local data als Rechtsvorschriften des Ortes, an dem sich der Sachverhalt verwirklicht.286 Ein typisches datum sind hiernach Ver­ kehrsvorschriften. Auch nach Basedow umfasst die Datumtheorie vor allem technische Normen wie Straßenverkehrsnormen; local data sind ihm zufolge dann beachtlich, wenn sie „tatsächlich das gesellschaftliche Leben des auslän­ dischen Staates bestimmen“.287 Jayme oder Mansel hingegen sehen in der Da­ tumtheorie auch gerade eine Möglichkeit zur Erfassung nichtstaatlicher Ord­ nungsvorstellungen, wie z. B. nicht verbindliche völkerrechtliche Leitlinien oder religiöses Recht.288 Bisweilen wird darauf hingewiesen, auch Tatsachen (wie z. B. Sprachschwierigkeiten oder verlängerte Lieferwege)289 könnten local data sein.290 284  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmens­ recht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 207 f. 285  Weller, Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmo­ derne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  73 ff. 286  Krings, Erfüllungsmodalitäten im internationalen Schuldvertragsrecht (1997), S.  120. 287  Basedow, RabelsZ 47 (1983), 141, 156. 288  Jayme, BB Beilagen 1993, Beilage 10, 50, 52: „Es handelt sich zum großen Teil noch um sogenanntes ‚soft law‘, unverbindliche Leitlinien [...]. Für das internationale Privatrecht können sie als data – wie sonstige Sicherheitsstandards – im Rahmen der anwendbaren Sach­ normen herangezogen werden“; Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privat­ recht, in: BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137 ff., 204 ff.: „Die Datumtheorie ist als Methode nicht etwa auf die Berücksichtigung staatlichen Rechts in grenzüberschreitenden Sachver­ halten begrenzt; sie kann vielmehr auch verwendet werden, um nichtstaatliche Ordnungsvor­ stellungen, etwa eines ‚verdrängten‘ religiösen Rechts, in das anwendbare Recht zu integrie­ ren [...].“ 289  Vgl. zu diesen und ähnlichen Beispielen Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  164. 290  Vgl. dazu z. B. Schmiegel, Diskussionsbericht. Methoden des Internationalen Privat­ rechts und Schutz der Person, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  85 ff.: „Mansel lenkte den Blick auf den Begriff des Datums, das sowohl Tatsache als auch Recht sein könne.“

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cc) Zwischenergebnis Was unter der Datumtheorie genau zu verstehen ist, ist bislang ebensowenig allgemeingültig definiert wie der Begriff des datums. Die Datumtheorie könnte eine Theorie der Berücksichtigung ausländischen Rechts als Tatsache oder die rechtsrealistische Beschreibung richterlicher Tätigkeit sein. Zuletzt könnte sie auch als Ausprägung oder Fallgruppe der Berücksichtigung ein Vehikel zu de­ ren methodischer Offenlegung und Konkretisierung darstellen. 3. Kritik Die Datumtheorie wird kritisiert. Sie führe zu Rechtsunsicherheit und sei im Grunde überflüssig (a). Zudem hybridisiere sie Verweisungs- und Sachrecht (b). a) Rechtsunsicherheit An der Datumtheorie wird kritisiert, kein schlüssiges Konzept bereitzuhalten, wann ausländisches Recht ausnahmsweise herangezogen werden dürfe und wann nicht.291 Die Datumtheorie schaffe hierdurch Rechtsunsicherheit.292 Ne­ ben einer allgemein anerkannten Definition ihrer Anwendungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen fehle es zudem an einer Abgrenzung der Datumtheorie zu anderen Methoden.293 Als alleiniges allgemeines Konzept sei die Datumtheorie, so Remien, unbrauchbar.294 Sonnenberger stellt deshalb die Existenzberechti­ gung der Datumtheorie als verallgemeinerungsfähige Methode infrage.295 Für einen generalisierenden Erklärungsansatz zur Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene fehle, so auch von Hein, der praktische Bedarf.296

291  Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm, in: Kulturelle Identität und Internationa­ les Privatrecht (2003), S.  155, 163: „Eine Schwäche der Datum-Lehre besteht im Fehlen eines schlüssigen methodischen Konzepts, das angibt, wann die Berücksichtigung fremdrechtli­ cher data zulässig ist und wann nicht.“ 292  Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung (2012), S.  97 f.; vgl. auch Looschelders, Die Anpassung im Internationalen Privatrecht (1995), S.  110, der die Gefahr der Rechts­ unsicherheit in einem zweistufigen IPR-System zwar zugesteht, aber im Lichte der materiel­ len Einzelfallgerechtigkeit rechtfertigt. 293  Funken, Das Anerkennungsprinzip im internationalen Privatrecht (2009), S.  256; zum umstrittenen Verhältnis von Substitution und Datumtheorie vgl. Hess, Intertemporales Pri­ vatrecht (1998), S.  451. 294  Remien, in: PWW, BGB Kommentar, 13.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  46. 295  Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  7, 609 ff. 296  Vgl. insoweit in Bezug auf die Zwei-Stufen-Theorie von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  278 ff.; vgl. ähnlich Hess, Intertemporales Privatrecht (1998), S.  451.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

b) Hybridisierung von Verweisungs- und Sachrechtsebene Der Hauptangriffspunkt der Datumtheorie ist aus Sicht ihrer Kritiker ihr Ver­ hältnis zur kollisionsrechtlichen Verweisung.297 Die Bezeichnung als Datum­ theorie und die Behauptung, mit ihr die „traditionelle Verweisungstechnik“ durch Begründung einer „kollisionsrechtlichen Methodenvielfalt“ abzulösen, sei „irreführend“.298 Sie drohe, indem sie als kollisionsrechtliche Methode auf Sachrechtsebene auf statutsfremde Vorschriften rekurriere, laut Sonnenberger Verweisungs- und Sachrechtsebene zu vermischen und führe zu einem „Methodenmix“ und einer „willkürlichen Manipulation“ der verweisungsrechtlichen Entscheidung.299 Die Datumtheorie vermenge letztlich sach- und kollisionsrechtliche Interessen.300 Von Hein sieht die Gefahr, durch eine generalisierende Theorie der Berücksich­ tigung ausländischen Rechts auf Sachrechtsebene Anknüpfungsentscheidungen wie z. B. die rechtspolitische Entscheidung, an den gewöhnlichen Aufenthalt anzuknüpfen, zu unterlaufen.301 Zugleich wird der Datumtheorie vorgeworfen, ein „altbekanntes Thema des Sachrechts“ zu sein302 und im Grunde lediglich den üblichen richterlichen Aus­ legungs- und Konkretisierungsvorgang zu beschreiben.303 Dieser sei bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt vom telos der Berücksichtigung des Aus­

von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  129. Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  7. 299  Ebd., Rn.  608 f.; vgl. dazu z. B. auch von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  23 (allerdings in Bezug auf die Zweistufenlehre); Dannemann, Die ungewollte Diskrimi­ nierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  115 ff.; von Hoffmann/Thorn, 9.  Aufl. 2007, IPR, §  1 Rn.  129; Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssys­ tem des internationalen Privatrechts (2010), S.  158 f.; von Overbeck, Diskussionsbeitrag zur Datum-Theorie, lex fori, internationales Wirtschaftsrecht, in: Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht (1986), S.  165. 300 Insoweit allgemein zur materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Ein­ griffsnormen vgl. Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen im Interna­ tio­nalen Wirtschaftsrecht (2001), S.  63. Zeppenfeld betrachtet die Datumtheorie als theoreti­ sches Gerüst für die entsprechend kritisierte materiell-rechtliche Lösung, ders., Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen im Internationalen Wirtschaftsrecht, S.  45 Fn.  143. 301  Vgl. insoweit in Bezug auf die Zwei-Stufen-Theorie als Fortführung und Weiterent­ wicklung der Datumtheorie von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  279. 302  Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  7, 608 f.; Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen internationalen Vertragsrecht (2008), S.  116 f. 303  Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  608 f.; vgl. insoweit zur Zwei-Stufen-Theorie: von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  280. 297  298 

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landsbezugs getragen.304 Einer gesonderten Terminologie hierfür bedürfe es nicht.305 II. Die Datumtheorie als Theorie der faktischen Berücksichtigung von Recht als Tatsache? Die Auseinandersetzung mit der Kritik an der Datumtheorie erfordert zunächst eine Festlegung ihres Inhalts. Im Folgenden soll deshalb zunächst untersucht werden, ob Rechtsnormen über die Datumtheorie ausnahmsweise ungeachtet eines verweisungsrechtlichen Anwendungsbefehls als Tatsachen berücksichtigt werden können. In diesem Falle könnte die Datumtheorie erklären, weshalb der Berücksichtigungsvorgang dem Sachrecht zuzuordnen ist. Die Berücksichti­ gung in Auslegung der anwendbaren Sachvorschriften wäre sodann kein recht­ fertigungsbedürftiges tertium.306 Denn Verweisungsnormen ordnen an, welches Recht auf einen Sachverhalt anzuwenden ist und nicht welche Tatsachen bei Auslegung der anwendbaren Sachrechtsvorschriften zu berücksichtigen sind.307 Zu prüfen ist zunächst, ob sich die Berücksichtigung des Rechts als Tatsache über die Entstehungsgeschichte der Datumtheorie im Common Law ergibt (1.). Als zweites wird untersucht, ob es aus Sicht des deutschen Rechts begründbar ist, dass über die Datumtheorie Recht als Tatsache herangezogen wird (2.). Im Anschluss wird danach gefragt, ob sich aus Art.  17 Rom II-VO die Anerken­ nung der Berücksichtigung von Recht als Tatsache ergibt (3.) oder ob eine solche in dem EuGH-Urteil „Nikiforidis“308 liegt (4.). 1. Legal Transplant? Ideengeschichtliche Dekonstruktion: Die Datumtheorie als deskriptiver Rechtsrealismus Möglicherweise ergibt sich die angebliche Besonderheit der Datumtheorie, Recht als Tatsache zu berücksichtigen, aus ihrer Herkunft im Common Law. Wie soeben gezeigt309 brachte Jayme den Begriff der Datumtheorie nach For­ schungsaufenthalten in Berkeley, seit denen er in wissenschaftlichem Austausch mit Ehrenzweig stand, nach Deutschland. Bei jeder Übertragung einer Rechts­ regel oder eines Systems von Rechtssätzen von einer Rechtsordnung in die an­ Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  608 f. Ebd., Rn.  7, 608 f.; von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  129; Remien, in: PWW, BGB Kommentar, 13.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  46; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 241. 306  Vgl. dazu Zweiter Teil A., B. 307  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV. 308  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis), vgl. dazu Erster Teil B.I.3.c). 309  Vgl. Zweiter Teil C.I.2.a). 304  305 

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dere stellt sich die Herausforderung, dass der fremde Rechtssatz in die Dogma­ tik der jeweiligen anderen Rechtsordnung eingepasst werden muss.310 Dieser Herausforderung widmet sich die Lehre der Legal Transplants: Sie untersucht Rahmenbedingungen, Voraussetzungen und Konsequenzen der Verwendung ausländischer Rechtsgebilde.311 Legal Transplants sind nicht auf Gesetzesnor­ men beschränkt, sie können ebenso in der Rechtsprechung als Rechtsfortbil­ dung oder in der Rechtswissenschaft auftreten.312 Bei der Datumtheorie handelt es sich um einen Legal Transplant. Folge des Legal Transplant könnte vorliegend die Einführung der Berück­ sichtigung statutsfremden Rechts als Tatsache sein. Die – im deutschen Recht bis zum Import der Datumtheorie möglicherweise unbekannte – Berücksichti­ gung statutsfremden Rechts als Tatsache über die Datumtheorie könnte sich deshalb durch ihre Herkunft aus dem Common Law erklären lassen. a) Die US-amerikanische Datumtheorie als Rechtsrealismus Im Folgenden wird ausgeführt, dass Ehrenzweig mit der Entwicklung seiner Anknüpfungsleiter, die regelmäßig zur lex fori führte, und der Möglichkeit der punktuellen Berücksichtigung ausländischer Normen als datum in Tradition der American Realists zuallererst Methodik und Realität zusammenführen wollte.313 Das IPR-Verständnis Ehrenzweigs wurzelte im Misstrauen gegenüber der rechtstatsächlichen Bereitschaft der Gerichte, ausländisches Recht anzuwen­ den.314 Bei der Analyse amerikanischer Rechtsprechung beobachtete EhrenVgl. z. B. für das Gesellschaftsrecht Fleischer, NZG 2004, 1129, 1130. Kischel, Rechtsvergleichung (2015), §  2 Rn.  34 ff. Die Lehre von den Legal Transplants geht zurück auf Alan Watson, vgl. auch Watson, Legal Transplants, 2d. ed. (1993) S.  21 ff. 312  Kischel, Rechtsvergleichung (2015), §  2 Rn.  39 f. 313  „So will ich hier denn wieder zu zeigen versuchen, daß mein nun einmal allgemein sogenannter ‚lex fori approach‘ nichts anderes will, als das Kollisionsrecht zu jener Erden­ wirklichkeit zurückzuführen, die, dem Himmel überrechtlicher Begriffe ebenso fern wie der Hölle eigenrechtlicher Begriffslosigkeit, wir alle zu teilen verurteilt sind“, Ehrenzweig, Wirklichkeiten einer „lex-fori Theorie“, in: FS Wengler (1973), S.  251, 253; ders., 58 Mich.L. Rev., 637 (1960); vgl. dazu Reimann, Albert A. Ehrenzweig and the American Conflict of Laws, in: Der Einfluß deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland (1993), S.  397, 399; zum rechtsrealistischen Ansatz Ehrenzweigs vgl. auch Currie, 18 Okla.L.Rev., 243, 272 (1965); Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand in­ ländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37; von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  2 Rn.  43; Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm, in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht (2003), S.  155, 156. 314  Ehrenzweig, Wirklichkeiten einer „lex-fori Theorie“, in: FS Wengler (1973), S.  251, 310  311 

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zweig, der selbst als Richter tätig war, dass die Gerichte regelmäßig zur Anwen­ dung der lex fori gelangten.315 Den Grund hierfür sah er unter anderem darin, dass ausländisches Recht vor amerikanischen Gerichten regelmäßig von den Parteien vorgetragen und bewiesen werden musste.316 Selbst wenn die Gerichte (z. B. aufgrund eines entsprechenen Parteivortrags) davon ausgingen, dass für den Sachverhalt fremdes Recht relevant sein könnte, wendeten sie, sofern den Parteien der Nachweis des Inhalts des ausländischen Rechts nicht gelang, wie­ derum inländisches Recht an (da die Gerichte in solchen Fällen von der Über­ einstimmung von ausländischem und inländischem Recht ausgingen).317 Als Ergebnis seiner rechtstatsächlichen Forschungen entwickelte Ehrenzweig seine Anknüpfungsleiter, die in ihrer Tendenz, die lex fori zur Anwendung zu brin­ gen, vornehmlich die Usancen der Rechtsprechung beschrieb.318 Eine weitere Beobachtung Ehrenzweigs war, dass Gerichte bestimmte Wer­ tungen häufig unabhängig von dem anwendbaren ausländischen Recht zur Gel­ tung brächten.319 In Anlehnung an die von Currie gewählte Formulierung hin­ sichtlich der Berücksichtigung ausländischer Verkehrsregelungen benannte er jene unabhängig vom anwendbaren Recht zur Geltung gebrachten Wertungen mit dem Begriff des datum. Ehrenzweig ging es bei seinen datum-Überlegungen vor allem darum abzu­ bilden, dass Recht einen Sachverhalt ungeachtet der Verweisungsentscheidung punktuell prägen könne.320 Bei diesen Vorschriften stelle sich von vornherein kein kollisionsrechtliches Problem.321 Für die Frage der Berücksichtigung von data komme es deshalb nicht auf die üblichen choice of law-rules an322 und die Gerichte seien deshalb nicht, wie sonst üblich bei ausländischem Recht,323 auf den Parteivortrag angewiesen, sondern könnten das jeweils prägende Recht ex officio beachten.324 Insofern stellte Ehrenzweig den rules of decision die fixed 253; ders., 58 Mich.L.Rev., 637, 643 ff. (1960); vgl. dazu auch von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  2 Rn.  44. 315  Ehrenzweig, 59 Colum.L.Rev., 1171, 1172 (1959); ders., 58 Mich.L.Rev., 637, 643 ff. (1960); ders., 32 Rocky Mntn.L.Rev., 13, 14 (1959); ders., Wirklichkeiten einer „lex-fori Theo­r ie“, in: FS Wengler (1973), S.  251, 260 f. 316  Ehrenzweig, 41 Minn.L.Rev., 717, 723 f. (1957). 317  Ehrenzweig, 58 Mich.L.Rev., 637, 678 (1960). 318  Ehrenzweig, Wirklichkeiten einer „lex-fori Theorie“, in: FS Wengler (1973), S.  251, 260 f. 319  Vgl. z. B. Ehrenzweig, Conflicts in A Nutshell (1974), S.  99. 320  Vgl. dazu z. B. Ehrenzweig/Westen, 66 Mich.L.Rev., 1679, 1687 (1979). 321  Ehrenzweig, 49 Cal.L.Rev., 240 (1961). 322 Ebd. 323  Ehrenzweig, Conflicts in A Nutshell (1974), S.  326; vgl. dazu auch Siehr, IPR, 2001, §  44 I 5. 324  Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev., 55 (1966).

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data gegenüber.325 Ehrenzweig ging es insofern nicht darum, eine dogmatische Erklärung für die bloße (qualitativ nicht zu einer Normanwendung führende) „Berücksichtigung“ von Recht zu finden; vielmehr schreibt er sogar: „A foreign rule may be applicable as a ‚local datum‘“.326 Mit der feinsinnigen dogmati­ schen Frage nach der qualitativen Art der Heranziehung des ausländischen Rechts (als Recht oder als Tatsache) musste sich Ehrenzweig schon deshalb nicht beschäftigen, weil es in seinem IPR-System, anders als im deutschen IPR, an einer verweisungsrechtlichen Gesetzgebungsentscheidung fehlte, die durch die punktuelle Berücksichtigung statutsfremder Normen zu umgangen zu wer­ den drohte.327 Ehrenzweig schien sein IPR-Konzept zwar häufig auch wertungsmäßig für den richtigen Ansatz zur Lösung grenzüberschreitender Fälle zu halten.328 Er sprach zudem mitunter selbst von einer data theory.329 Dennoch konzipierte Ehrenzweig seine Datumtheorie im Ausgangspunkt gerade nicht als „Theo­ rie“,330 sondern als Beschreibung der Prägung des Sachverhaltes durch nicht anwendbares Recht.331 Es ging ihm darum, die faktisch stattfindende richterli­ che Tätigkeit besser nachzuvollziehen.332 Auch daraus folgt, dass Ehrenzweig mit ihr keine bestimmte Art der Heranziehung von Recht (als Tatsache) kreieren wollte. 325  Ebd., S.  57: „applying rules as a matter of course, as data without recourse to choice of law rules“; Ehrenzweig/Westen, 66 Mich.L.Rev., 1679, 1687 (1979); ähnlich bereits Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (1963), S.  69 Fn.  164. 326  Ehrenzweig, Conflicts in A Nutshell (1974), S.  326; vgl. auch Dannemann, Die unge­ wollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  84: „Allerdings spricht Ehrenzweig in diesem Zusammenhang auch davon, dass derartige Fragen ‚can or must be subjected to foreign rules‘ – der Fall wird also diesen als Datum anwendbaren Rechtsregeln unterworfen! Die Datum-Rechtsregeln sind also, folgt man Ehrenzweig, durch­ aus auf den Fall anwendbar.“ 327  Dasselbe Ergebnis ergäbe sich im deutschen Recht, erachtete man die Datumtheorie als etablierte Methode des IPR über Art.  3 EGBGB als vom Gesetzgeber legitimiert. 328  Vgl. ähnlich z. B. Leflar, 18 Okla.L.Rev., 366, 367 (1965). 329  Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev., 55, 56 (1966). 330  Vgl. dazu auch Reimann, Albert A. Ehrenzweig and the American Conflict of Laws, in: Der Einfluß deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutsch­ land (1993), S.  397, 414 f.; Schmiegel, Diskussionsbericht. Methoden des Internationalen Pri­ vatrechts und Schutz der Person, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  85 ff.: „Für die Frage nach der Rechtfertigung der Datumtheorie schlägt Schulze vor, bei den Überlegungen von Albert Ehrenzweig anzuknüpfen. Dieser habe betont, dass die Da­ tumtheorie keine eigentliche Theorie sei. Vielmehr handele es sich um die bloße Feststellung einer bestimmten Gerichtspraxis.“ 331 Vgl. Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  92: „I do not be­ lieve that my own approach, which I should prefer not to call a theory […]“. 332  Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev., 55, 60 (1966).

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Die Wurzel Ehrenzweigs IPR-Konzepts im Rechtsrealismus könnte für ihn zudem die Notwendigkeit verringert haben, seine datum-Beobachtung zu ei­ nem generalisierungsfähigen dogmatischen Konzept auszubauen. Ehrenzweig selbst beschrieb seinen datum-Ansatz als von der jeweiligen anwendbaren Vor­ schrift abhängig;333 ein Bedürfnis nach einer genauen Definition der Behand­ lung und Ermittlung von data ergab sich für ihn deshalb nicht. Dass Ehrenzweig diesen datum-Ansatz nicht weiter systematisierte, wird ihm bis heute vorgewor­ fen: Seine datum-Fälle blieben heterogen.334 Dasselbe gilt für das datum bei Currie: Currie beschrieb solche Normen als datum, die ungeachtet einer Verweisungsentscheidung für die Falllösung rele­ vant waren, und bezog sich damit hauptsächlich auf Sicherheits- und Verhal­ tensregelungen.335 Mit der Frage, wie diese Berücksichtigung dogmatisch genau einzuordnen sein könnte und ob sie die Behandlung ausländischer Normen als Tatsachen zur Folge hatte, beschäftigte er sich nicht.336 Eine solche besondere Art der Heranziehung könnte sich für die Datumtheorie aber aus dem US-ame­ rikanischen Common Law als solchem ergeben. b) Keine qualitativ andere Art der Heranziehung von Recht im US-amerikanischen Common Law Im US-amerikanischen IPR wird ausländisches (wie auch inländisches) Recht im prozessrechtlichen Sinne zwar – aus Perspektive des deutschen Rechts – ähnlich einer Tatsache behandelt, mit der Folge, dass die Parteien – je nach Bundesstaat in unterschiedlicher Rigidität –337 den Inhalt des ausländischen Rechts darlegen und ggf. beweisen müssen.338 Unabhängig davon aber, dass ausländisches Recht auch im amerikanischen Prozessrecht keine „Tatsache“ ist, lässt die prozessuale Behandlung einer Norm keine Rückschlüsse darauf zu, ob Ehrenzweig, 124 Recueil des Cours (1968), 179, 201: „To be sure, the datum concept is a relative one. Whether or not a foreign rule is a datum or a rule of decision, depends on the interpretation of the substantive rule of the forum.“ 334  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  6 Rn.  90. 335  Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.1.b). 336  Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.1.b). 337  Schnyder, Die Anwendung des zuständigen fremden Sachrechts im Internationalen Privatrecht (1981), S.  45 ff. 338  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  184; ders., Conflicts in A Nutshell (1974), S.  326. Zur prozessualen Behandlung ausländischen Rechts im US-Ame­ rikanischen Common Law vgl. auch Jayme, Albert A. Ehrenzweig. Leben und Werk – Zum Unterschied zwischen internationalem und interlokalem Privatrecht, in: Internationales Pri­ vatrecht, Ideengeschichte von Mancini und Ehrenzweig zum Europäischen Kollisionsrecht (2009), S.  205, 212 f.; Siehr, RabelsZ 34 (1970), 585, 594. 333 

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sie – aus international-privatrechtlicher Perspektive – als Norm oder als Tatsa­ che herangezogen wird.339 Hierfür kommt es vielmehr auf die international-privatrechtlich dogmatische Konstruktion des Verweisungsrechts an: Wird auf ausländisches Recht als Recht oder als etwas anderes verwiesen? Die Antwort hierauf unterscheidet sich im US-amerikanischen Recht aber nicht vom deutschen IPR. Anders als noch während der von der vested rights-Doktrin geprägten Zeit ist es zu Zeiten Ehren­z weigs allgemeine Ansicht, dass ausländisches Recht nicht lediglich – aufgrund von Souveränitätserwägungen –340 als Tatsache anerkannt341 oder als gewöhnliches Sachverhaltselement in die Subsumtion aufgenommen,342 son­ dern als im Inland anwendbare ausländische Rechtsnorm herangezogen wird.343 Weder in prozessualer Hinsicht noch in der generellen dogmatischen Kon­ zeption des US-amerikanischen IPR kann eine spezifisch US-amerikanische Begründung für die Datumtheorie als Berücksichtigung von Recht als Tatsache gefunden werden. Vielmehr ist ihre Entstehung in den USA zufällig, wie im Folgenden ausgeführt wird. c) Das Zufallsmoment bei der Entstehung der Datumtheorie Der Gedanke, dass ausländisches Recht den Sachverhalt punktuell derart prä­ gen kann, dass seine Berücksichtigung sich aufdrängt und das Recht gleich ei­ ner Tatsache bei der Subsumtion beachtet werden muss, ist kein an das deutsche, das US-amerikanische Rechtssystem oder an die US-amerikanische Herkunft der Datumtheorie gekoppeltes Phänomen. Vielmehr ist die Berücksichtigung nicht anwendbarer Vorschriften ungeachtet der kollisionsrechtlichen Entschei­ dung auch in anderen Rechtsordnungen bekannt. So wird beispielsweise in einem englischen Kommentar zu Art.  17 Rom IIVO ausgeführt, die hierunter fallenden Verkehrsregeln seien bislang als matter of fact anstatt als rechtliche Regelungen zu berücksichtigen gewesen.344 In 339  Vgl. dazu auch Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  82 f. 340  Vgl. dazu Story, Commentaries on the Conflict of Laws, S.  8 f.; von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  3 Rn.  16. 341 Vgl. dazu Beale, Conflict of Laws, Vol I, 1935, S.  53; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  3 XI 1b. 342  Vgl. dazu von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  6 Rn.  83. 343  Ehrenzweig, Psychoanalytische Rechtswissenschaft (1973), S.  166. 344  Rogerson, Conflict of Laws, 4th ed. 2013, S.  355: „An English court would probably consider those examples as matters of fact rather than of law, so they would be determined as part of the context in which liability is to be established by Utopian law.“ Zur Berücksichti­ gung nicht anwendbaren Rechts in einer englischen Entscheidung vgl. Jayme, StAZ 1971, 65, 72 und ders., Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS

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Frankreich ist das Phänomen des „prise en considération des normes étrangère“ ebenfalls bekannt.345 Auch wurde die Funktion der Ehrenzweig’schen Datumtheorie, nämlich die Auflockerung der starren Anwendung einer Rechtsordnung auf einen multinati­ onalen Sachverhalt, bereits zuvor im deutschen IPR diskutiert, ohne dass dieses Phänomen seinerzeit als „Datumtheorie“ bezeichnet wurde. Gängige Stichwor­ te waren damals die Berücksichtigung des „Auslandssachverhalts“,346 die „ma­ teriell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen“,347 die „Tat­ bestandswirkung ausländischen Rechts“,348 die „Substitution“, die „Anpassung“ oder die „Transposition“349. Bereits Wengler wies auf die Notwendigkeit hin, nationalisierende Verweisungsnormen durch „eine Rechtsfürsorge unter bloßer Berücksichtigung ausländischen Rechts“ zu ergänzen.350 Ehrenzweig war sich bewusst, dass sein Konzept der Datumtheorie kein Uni­ kum des US-amerikanischen Common Law darstellte: Er wies auf europäische Autoren hin, die von abseits des Verweisungsmechanismus stehenden „‚condi­ tions‘ for the application of a domestic rule or with those appearing as facts“ bzw. von einer „Tatbestandswirkung“351 schrieben oder conflict rules den primary rules of construction gegenüberstellten,352 wobei letztere sich erst in An­ wendung des zuvor kollisionsrechtlich bestimmten Rechts stellen würden.353 Dass Gerichte trotz Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung be­ stimmte weitere ausländische Faktoren als Gegebenheiten hinnehmen und bei der Falllösung berücksichtigen, ist hiernach keine Folge der Datumtheorie, son­ Ehrenzweig (1976), S.  37, 40 Fn.  16 jeweils mit Hinweis auf Re B (S.) (An Infant) [1967] 3 W.L.R. 1438, 1445. 345  Vgl. z. B. Kinsch, Le fait du prince étranger (1994); Fohrer-Dedeurwaerder, La prise en considération des normes étrangères (2008). 346  Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  164; vgl. dazu Dritter Teil A.III.3. 347  Vgl. dazu Erster Teil B.I. 348  Stoll, Deliktsstatut und Tatbestandswirkung ausländischen Rechts, in: FS Lipstein (1980), S.  259 ff.; ders., Die Behandlung von Verhaltensnormen und Sicherheitsvorschriften, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse (1983), S.  160 ff. Vgl. dazu Dritter Teil A.III.4. 349  Lewald, 69 Recueil des Cours (1939-III), 1, 127 ff.; vgl. dazu Dritter Teil A.III.1. 350  Wengler, AcP 158 (1959/1960), 543, 545. 351  Ehrenzweig/Jayme, Private International Law, Special Part Volume II (1973), S.  6 4. 352  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  84 mit Hinweis auf Mann, 79 L.Q.Rev., 525 (1963): „Where the primary question of construction arises, the choice of law is completed. English law (and, in certain cases, foreign law) is known to be applicable. Nor does the problem under discussion fall under the heading of what, in the con­ flict of laws, is known as the incidental (or preliminary) question.“ 353  Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev., 55, 58 (1966).

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dern wird durch sie wie durch viele andere Begriffe und Konzeptionen auf den ersten Blick 354 lediglich beschrieben. d) Zwischenergebnis Eine Erklärung für die Berücksichtigung von Recht als Tatsache durch die Da­ tumtheorie kann deshalb weder aus der Ehrenzweig’schen Konzeption noch aus ihrem US-amerikanischen Common Law-Hintergrund gewonnen werden. 2. Berücksichtigung ausländischer Rechtssätze als Tatsachen? Die Datumtheorie wurde nicht zur Berücksichtigung von Recht als Tatsache konzipiert. Zu überlegen ist deshalb, ob ihr im deutschen Recht diese Bedeutung zugeschrieben werden kann. Aus dem materiellen Sachrecht (a)) sowie aus dem Prozessrecht (b)) können für diese Frage keine Rückschlüsse gezogen werden. Möglich wäre es aber, dass es im deutschen IPR begründbar ist, eine Rechts­ norm als Tatsache am Subsumtionsvorgang teilhaben zu lassen, mit der Folge, dass Sach- und Verweisungsrecht durch die Berücksichtigung nicht hybridisiert und die vorherige Verweisungsentscheidung nicht umgangen werden (c)). a) Materielles Sachrecht: Irrelevanz der allgemeinen Sein-Sollen-Dichotomie Die im deutschen materiellen Recht getroffene Unterscheidung zwischen Rechtsnorm und Tatsache führt für die Frage, ob die Datumtheorie Rechtsnor­ men als Tatsachen qualifiziert, nicht weiter. Im materiellen Sachrecht ist „Recht“ die Summe aller geltenden Rechts­ normen.355 Sie sind „Sollens-Sätze“, die nicht lediglich die Wirklichkeit be­ schreiben, sondern vorgeben, was geschehen soll.356 Rechtsnormen sind solche Normen, die von der Gesetzgebung erlassen und von den Gerichten angewandt werden.357 Tatsachen werden als konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergan­ genheit oder der Gegenwart definiert, die sinnlich wahrnehmbar und dem Be­ weis zugänglich sind.358 354  Zur Funktion der Datumtheorie als Vehikel zur Offenlegung und Konkretisierung der Berücksichtigung im IPR vgl. Dritter Teil. 355  Schnapp, Logik für Juristen, 7.  Aufl. 2016, S.  86: „Rechtsnormen sind die Bausteine oder [...] die Elementarteilchen des Rechts und der Rechtsordnung [...].“ 356  Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft (2011), §  5 Rn.  1; Wienbracke, Juristi­ sche Methodenlehre (2013), S.  2; Vgl. zur Trennung von Sein und Sollen z. B. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3.  Aufl. 2008, §  15. 357  Wienbracke, Juristische Methodenlehre (2013), S.  2 f. 358  BVerfG, Beschl. v. 25.10.2012, 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217, 218; Bamberger, in: BeckOK BGB 48. Edition (2018), §  12 BGB Rn.  273.

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Für die Frage, ob die Datumtheorie verhindert, dass die Verweisungsent­ scheidung durch die Berücksichtigung umgangen wird, kommt es aber nicht auf diese Art der materiellen Unterscheidung von Recht und Tatsache im Sachrecht an. Ausländisches Recht ist allein deshalb für die Falllösung relevant, weil es mit einem inländischen Anwendungsbefehl versehen ist.359 Die Datumtheorie soll nun nach häufig vertretener Ansicht360 begründen, dass ein solcher Anwen­ dungsbefehl ausnahmsweise nicht nötig ist, weil durch sie ausländisches Recht als Tatsache berücksichtigt wird. Unter die soeben gegebene Definition einer Tatsache ließe sich zwar auch das Bestehen eines ausländischen Verbotsgeset­ zes fassen. Nicht erklärt ist damit aber, weshalb es für die Integration der aus­ ländischen Norm einmal eines verweisungsrechtlichen Anwendungsbefehls bedarf und einmal nicht. Die Frage, ob dies möglich ist, muss aus Sicht des IPR beantwortet werden und kann nicht aus der allgemeinen Sein-Sollen-Dichoto­ mie, wie sie im materiellen deutschen Sachrecht bekannt ist, abgeleitet werden. b) Prozessrecht: Irrelevanz der beweisfähigen Auslandsnorm Ebenso wenig weiterführend ist die prozessual mögliche Unterscheidung zwi­ schen Tatsache und Rechtsnorm. In prozessualer Hinsicht werden Tatsachen als konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt und des menschlichen Seelenlebens bezeichnet.361 Rechtsnormen sind in Abgrenzung dazu die vom Staat oder kraft Gewohnheitsrechts vorgegebenen Regeln, aus denen sich die Rechte und Pflichten der Parteien ergeben.362 Selbst wenn die Datumtheorie dazu führen würde, dass anders als üblich die Parteien das ausländische Recht zu beweisen hätten und auch im sonstigen Sinne die prozessualen Grundsätze zur Behandlung ausländischen Rechts als Tatsache gälten, änderte dies nichts daran, dass aus verweisungsrechtlicher Perspektive Rechtsnormen zur Anwen­ dung gebracht würden, die aufgrund der Eviktionswirkung des Verweisungs­ mechanismus für die Falllösung eigentlich verdrängt wären.363 Zudem gibt es bislang keinen Grund, der Datumtheorie den prozessualen Effekt zuzuschrei­ ben, ausländisches Recht als Tatsache zu behandeln.364 Vielmehr ging es Currie, Ehrenzweig und Jayme um die Beachtlichkeit bestimmter Normen, die den Sachverhalt gleich einer Tatsache prägen und deshalb ungeachtet der vorherigen 359 

Vgl. dazu Zweiter Teil A.I. Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.2.b)aa)(1). 361  BGH, Urt. v. 25.11.1997, VI ZR 306/96, NJW 1998, 1223, 1224. 362  Bacher, in: BeckOK ZPO 31. Edition (2018), §  284 ZPO Rn.  3. 363  Zur Eviktionswirkung der Verweisungsentscheidung vgl. Einleitung, Erster Teil A. und Zweiter Teil A.I. 364  Vgl. dazu auch Dritter Teil D. 360 

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

Verweisungsentscheidung Beachtung finden müssen. Prozessuale Folgerungen zogen sie nicht. Ganz deutlich wird dies daran, dass Ehrenzweig sogar davon ausging, die data müssten, anders als sonstige Rechtsnormen, ex officio Beach­ tung finden.365 c) Kollisionsrecht: Irrelevanz der Unterscheidung zwischen Anwendung und Berücksichtigung Im Folgenden soll untersucht werden, ob es aus Perspektive des deutschen Kol­ lisionsrechts begründbar ist, dass eine Norm nicht als Norm angewandt, son­ dern als Tatsache berücksichtigt wird. Dass über die Datumtheorie Rechtsnor­ men als Tatsachen herangezogen werden, könnte mit der besonderen Stellung der zu berücksichtigenden Norm im rechtswissenschaftlichen Syllogismus zu­ sammenhängen (aa)). Die angebliche Wirkweise der Datumtheorie könnte zu­ dem damit begründet werden, dass nicht die Norm selbst, sondern bloß ihre Auswirkungen in Bezug genommen würden (bb)). aa) Stellung der zu berücksichtigenden Norm im rechtswissenschaftlichen Syllogismus Die Berücksichtigung einer Norm nicht als Norm, sondern als Tatsache könnte sich daraus ergeben, dass die Norm nicht mit ihrem Tatbestand und ihrer Rechts­ folge Anwendung findet, sondern im Wege der Berücksichtigung lediglich den Tatbestand der Ausgangsnorm konkretisiert. Als „Ausgangsnorm“ soll hierbei diejenige Norm bezeichnet werden, die nach der kollisionsrechtlichen Verwei­ sungsentscheidung dazu berufen ist, den streitigen Sachverhalt zu regeln und zu entscheiden. Ob eine Sachnorm angewandt werden soll, ist im Kollisionsrecht im her­ kömmlichen Sinne Resultat der Verweisungsentscheidung.366 Wird eine Sach­ norm angewandt, entscheidet sie unmittelbar über einen Lebenssachverhalt.367 Als Beurteilungsmaßstab für den Lebenssachverhalt befindet sich die Sachnorm sodann regelmäßig im Obersatz einer Entscheidung, nicht im Untersatz.368 Im 365  Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev., 55 (1966): „The court thus ignores [...] a presumably ap­ plicable foreign rule as not relied on by either party. Can it properly do so with regard to all unpleaded foreign rules? The answer is clearly in the negative since there are such rules that must be applied ex officio.“ 366  Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  52 schreibt von einer „Anwendung im engeren Sinne“; vgl. dazu bereits Zweiter Teil A.I. 367  Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  52. 368  Dazu in anderem Zusammenhang R. Hübner, Ausländisches Recht vor deutschen Ge­ richten (2014), S.  36.

C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen Form und Funktion

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Vergleich zu einer solchen Rechtsanwendung werden Sachnormen nur berücksichtigt, wenn sie nicht im Obersatz stehen, sondern bei der Subsumtion unter die verweisungsrechtlich anwendbare Norm in diese „eingebaut“ werden.369 Unterschieden würde also zwischen der „Heranziehung einer Norm als Rechts­ satz“ und ihrer „mittelbare[n]“370, „indirekten“371 oder „inzidenten“372 Anwen­ dung als Berücksichtigung zur Konkretisierung einer Ausgangsnorm (Tatbe­ standswirkung).373 Die Unterscheidung zwischen Anwendung und Berücksichtigung als Tatbe­ standswirkung zeigt sich z. B., wenn auf der 11. Haager Konferenz (1968) da­ nach differenziert wird, ob örtliche Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften als „donnés de fait“ oder als Rechtssatz berücksichtigt werden.374 Ein weiteres Bei­ spiel ist die Kommissionsbegründung zu Art.  17 Rom II-VO, wonach das Ge­ richt im Ausgangspunkt das verweisungsrechtlich bestimmte Recht anwendet und nur im Ausnahmefall sonstige statutsfremde Normen in Einklang mit Art.  17 Rom II-VO wie ein Sachverhaltselement zu berücksichtigen hat.375 Eine derartige Unterscheidung zwischen Anwendung und Berücksichtigung („Einbau“ einer Rechtsnorm in den Tatbestand einer Ausgangsnorm) ist zwar möglich und hat terminologischen Mehrwert, weil sie deutlich macht, dass die Norm in letzterem Falle eine andere konkretisierungsfähige Norm voraussetzt. Unterschieden wird deshalb auch zwischen Anwendung im engeren und im wei­

dazu Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen internationalen Vertragsrecht (2008), S.  50 f.; A. Stoll, Eingriffsnormen im Inter­ nationalen Privatrecht (2002), S.  227. 370  Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen internationalen Vertragsrecht (2008), S.  50 f. unterscheidet zwischen „Heranziehung einer Norm als Rechtssatz“ als Anwendung und „mittelbarer Anwendung“ als Berücksichtigung/ Beachtung. 371  Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325, 340. 372  Kratz, Ausländische Eingriffsnorm und inländischer Privatrechtsvertrag (1986), S.  111. 373  Vgl. dazu z. B. Mülbert, IPRax 1986, 140, 141; Stoll, Die Behandlung von Verhaltens­ normen und Sicherheitsvorschriften, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deut­ schen internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse (1983), S.  160, 167 f. 374  Stoll, Die Behandlung von Verhaltensnormen und Sicherheitsvorschriften, in: Vor­ schläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Privatrechts der außerver­ traglichen Schuldverhältnisse (1983), S.  160, 167 f. 375  Kommissionsvorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Ra­ tes über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), S.  28; vgl. dazu bereits Erster Teil B.II.1 und Zweiter Teil C.II.3. 369  Vgl.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

teren Sinne,376 oder die Berücksichtigung wird als „Minus“ zur Anwendung bezeichnet.377 Fraglich ist aber, ob die Berücksichtigung einer statutsfremden Norm auf Grundlage einer verweisungsrechtlich anwendbaren Norm durch den Einbau ersterer in den Tatbestand letzterer tatsächlich keine Umgehung der Verwei­ sungsentscheidung darstellt, weil die berücksichtigte Norm nicht als Norm her­ angezogen wird. Mit anderen Worten: Macht die Stellung der Norm im Unter­ satz den verweisungsrechtlichen Anwendungsbefehl entbehrlich? (1) Die Berücksichtigung im inländischen Sachverhalt Am deutlichsten wird die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Anwen­ dung einer Rechtsnorm als Rechtsnorm und Berücksichtigung einer Rechts­ norm als Tatsache aufgrund ihrer Stellung im Obersatz oder Untersatz, wenn man einen potentiellen Berücksichtigungsfall im Inland spielen lässt. Verur­ sacht ein deutscher Fahrer innerhalb Deutschlands einen Unfall und verklagt der ebenfalls deutsche Beifahrer ihn auf Schmerzensgeld, muss zur Beurteilung des Verschuldens die StVO herangezogen werden. Diese inzidente Normheran­ ziehung besteht unstrittig in einer Anwendung und nicht in einer rechtstechnisch davon zu unterscheidenden Berücksichtigung der Norm als Tatsache.378 Auch wenn auf eine Norm lediglich innerhalb des Tatbestands einer anderen Norm in Bezug genommen wird, findet sie im Inlandsfall unstrittig als Norm Anwen­ dung. (2) Existenz unselbständiger Normen Darüber hinaus existieren viele unselbständige Normen, die regelmäßig in den Tatbestand einer weiteren Norm eingebaut werden, ohne dass sie hierdurch zu Tatsachen werden.379 Gerade Hilfsnormen wie z. B. Definitionsnormen i. S. d. §  90 BGB, gesetzliche Verweisungen, Fiktionen oder Vermutungen ergänzen regelmäßig nur den Tatbestand anderer Rechtsnormen.380 Auch bei diesen Nor­ men würde niemand bestreiten, dass sie im Falle ihrer Berücksichtigung als Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S.  53 f. von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  129: „Die Berücksichtigung auslän­ dischen Rechts muss ein Minus bleiben gegenüber seiner Anwendung“; vgl. dazu Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Klaus Schurig (2012), S.  229, 235. 378  Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwen­ dung (2004), S.  86. 379 Zur Unterscheidung zwischen vollständigen und unvollständigen Rechtssätzen im deutschen Recht vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, §  4 Rn.  120 ff. 380  Ebd., Rn.  131 ff. 376 

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C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen Form und Funktion

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Rechtsnormen Anwendung finden, auch wenn sie regelmäßig im Untersatz eines Subsumtionsvorgangs stehen.381 Die Schwierigkeit der Unterscheidung nach der Stellung einer Norm im Ober- und Untersatz für ihre verweisungs- oder sach­ rechtliche Zuordnung zeigt sich aber nicht nur im Vergleich zu inländischen Sachverhalten, sondern auch im Kollisionsrecht. (3) Vergleich mit der verweisungsrechtlichen Vorfragenanknüpfung An dem Institut der Vorfrage lässt sich die soeben entwickelte Kritik für grenz­ über­schreitende Sachverhalte exemplifizieren: Das auf eine Vorfrage unstrittig verweisungsrechtlich anzuwendende Recht führt nämlich ebenfalls nicht zwangsläufig zur Heranziehung von Normen mit Tatbestand und Rechtsfolge, also dazu, dass sie im Obersatz stehen.382 Vielmehr werden auch sie regelmäßig in den Tatbestand einer Ausgangsnorm eingebaut. Ist beispielsweise für die Fra­ ge eines Erbrechts das Bestehen einer Ehe relevant, werden innerhalb dieser Frage punktuell die relevanten statutsfremden Vorschriften zur Eheschließung herangezogen.383 Welche Rechtsfolge das relevante statutsfremde Recht an die Eheschließung knüpft, ist indes irrelevant. (4) Zwischenergebnis Die Differenzierung nach der Stellung einer Norm im rechtswissenschaftlichen Syllogismus ist keine Erklärung dafür, wieso das eine Mal ein verweisungs­ rechtlicher Anwendungsbefehl notwendig ist und das andere Mal nicht. Dem­ entsprechend lässt sich allein mit dieser Differenzierung auch nicht behaupten, dass die Berücksichtigung des statutsfremden Rechts keine kollisionsrechtli­ chen Elemente aufweise. Für die Berücksichtigung statutsfremder Sicherheitsund Verhaltensregeln zur Konkretisierung der Rechtswidrigkeit oder des Ver­ schuldens als Tatbestandsmerkmal einer deliktischen Ausgangsnorm ist so auch weitgehend anerkannt, dass ihre Berücksichtigung nicht zum Verlust ihrer Qua­ lität als Rechtsnormen führt.384 Im Ergebnis zeigt dies auch nicht zuletzt die Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwen­ dung (2004), S.  86. 382  Ebd., S.  86 f. 383  Ebd., S.  87. 384  Dornis, SZIER 2015, 183, 196: „Die […] Umschreibung des Vorgangs von Auslegung und Subsumtion als «Berücksichtigung» kann darum kaum darüber hinwegtäuschen, dass fremde Sicherheits- und Verhaltensvorschriften ihre Qualität als Rechtsnorm behalten“; ähn­ lich Dörner, Alte und neue Probleme des Internationalen Deliktsrechts, in: FS Stoll (2001), S.  492, 498; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2b, §  2 IV 2. Vgl. dazu auch Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld von Kollisionsnormen, Hoheitsinteressen und wohlerwor­ benen Rechten (2017), S.  120 f., der andenkt, die Datumtheorie bereits bei Ehrenzweig als 381 

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

EuGH-Entscheidung „Nikiforidis“, wonach Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO jegliche Anwendung, und zwar sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Anwen­ dung ausländischer Eingriffsnormen, sperre.385 bb) Berücksichtigung der tatsächlichen Auswirkungen einer Norm Eine verbreitete Begründung für die Möglichkeit ausländisches Recht als Tatsa­ che zu berücksichtigen ist, dass letztlich nicht auf die Norm selbst, sondern nur auf ihre tatsächlichen Auswirkungen abgestellt werde: Werde eine Norm mit ihrem normativen Gehalt herangezogen, handele es sich um ihre Anwendung als Rechtssatz; würden lediglich ihre tatsächlichen Auswirkungen beachtet, gehe es um ihre Berücksichtigung als Tatsache.386 Ob tatsächliche Auswirkungen ungeachtet der Verweisungsentscheidung Be­ rücksichtigung finden können, hängt davon ab, ob sie im Einzelfall wirklich einer Tatsache gleichzusetzen sind. Dass dies selten der Fall ist, wurde bereits im vorherigen Abschnitt gezeigt.387 Im Hinblick auf die Datumtheorie ist den obigen Ausführungen Folgendes hinzuzufügen: In den Fällen, in denen durch die Befolgung einer statutsfrem­ den Norm bereits eine Faktenlage geschaffen wurde, ist gerade keine interna­tio­ nal-privatrechtliche Erklärung mehr vonnöten, die die Berücksichtigung dieser Faktenlage legitimiert, denn dann handelt es sich um den üblichen teleologi­ schen sachrechtlichen Auslegungsvorgang.388 Würde die Datumtheorie diese stillschweigende kollisionsrechtliche Anknüpfung zu begreifen. Vgl. im Zusammenhang mit der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 240 ff. 385  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  50 (Nikiforidis); vgl. dazu Erster Teil B.I.3.c) und Zweiter Teil C.II.4. 386  Vgl. dazu Baum, RabelsZ 53 (1989), 152, 157 ff.; Dörner, JR 1994, 6, 9; Kuckein, Die ‚Berücksichtigung‘ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen internationalen Ver­ tragsrecht (2008), S.  75; Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Klaus Schurig (2012), S.  229, 231: „Einmal müssen die tatsächlichen Auswirkun­ gen des Geltungswillens fremder Rechtsnormen berücksichtigt werden. Zum anderen geht es um die Berücksichtigung von Rechtsnormen, bei denen bereits das darin liegende Verhal­ tensgebot selbst (und nicht erst die tatsächlichen Folgen seiner Anwendung) gleich einer Tat­ sache berücksichtigt werden“; Remien, RabelsZ 54 (1990), 431, 470 ff.; Schacherreiter, ZEuP 2015, 497, 500 f.; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 242; A. Stoll, Eingriffsnormen im Interna­ tionalen Privatrecht (2002), S.  285; Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnor­ men im Internationalen Wirtschaftsrecht (2001), S.  53; D. Zimmer, IPRax 1993, 65, 67: „Un­ terscheidung zwischen einer normativen Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen und einer bloßen Beachtung ihrer tatsächlichen Folgen“; vgl. dazu bereits Zweiter Teil B.IV.3.c). 387  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2.c). 388  A. Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht (2002), S.  287: „Bei [...] der Berücksichtigung der faktischen Auswirkungen über die Unmöglichkeitsvorschriften des deutschen Schuldvertragsrechts, liegt dagegen ein Vorgang auf rein materiellrechtlicher Ebe­

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Fälle erfassen, wäre die Kritik an ihr berechtigt, sie sei ein „altbekanntes Thema des Sachrechts“ (Sonnenberger).389 Sollen hingegen die künftigen Auswirkun­ gen der Norm, die sich gerade aus der Befolgung der Norm ergeben, berücksich­ tigt werden, versagt nach dem bisher Beschriebenen auch die Datumtheorie als Theorie der faktischen Berücksichtigung. d) Zwischenergebnis Die Frage, weshalb und wie eine Norm ungeachtet der Verweisungsentschei­ dung berücksichtigt werden darf, muss aus Perspektive des Kollisionsrechts be­ antwortet werden. Die aus dieser Perspektive erfolgte Betrachtung hat ergeben, dass weder erklärbar ist, was es bedeutet eine Norm als Tatsache zu berücksich­ tigen, noch die Berücksichtigung einer Norm als Tatsache etwas daran ändert, dass der Verweisungsmechanismus punktuell korrigiert würde (also ein kollisi­ onsrechtlich relevanter Vorgang vorläge). 3. Keine Kodfikation der Behandlung von Recht als Tatsache durch Art.  17 Rom II-VO Zu untersuchen ist schließlich, ob aus Art.  17 Rom II-VO folgt, dass verwei­ sungsrechtlich nicht anwendbare Normen als Tatsachen berücksichtigt werden können. Nach dem Wortlaut des Art.  17 Rom II-VO sind die Sicherheits- und Verhaltensregeln am Ort des haftungsbegründenden Ereignisses nämlich „fak­ tisch und soweit angemessen“ zu berücksichtigen.390 Auch die Kommissionsbe­ gründung dazu unterscheidet zwischen der Anwendung von Sicherheits- und Verhaltensvorschriften infolge der Verweisungsentscheidung und ihrer Berück­ sichtigung als Sachverhaltselement aufgrund Art.  17 Rom II-VO.391 Beides ist aber nicht so zu deuten, dass mit Art.  17 Rom II-VO der Gedanke der Berücksichtigung statutsfremden Rechts als Tatsache kodifiziert werden sollte. Vielmehr sind der Wortlaut des Art.  17 Rom II-VO und die Kommissions­ begründung dahingehend zu interpretieren, dass die Berücksichtigung von Si­ cherheits- und Verhaltensregeln im Anwendungsbereich der Rom II-VO nicht die grundlegende Frage des an sich anwendbaren Statuts berührt, d. h. keine ne vor [...]. Auch hier wäre es zumindest ungenau, von einer Berücksichtigung ‚der Norm‘ als Datum oder Tatsache zu sprechen.“ 389  Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.3. Zu den im Rahmen der Datumtheorie berücksichtigungs­ fähigen Objekten vgl. Dritter Teil B.II. 390  Vgl. dazu bereits Erster Teil B.II.1. 391  Kommissionsvorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Ra­ tes über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), S.  28; vgl. dazu bereits Erster Teil B.II.1.

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Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

erneute gesonderte Anknüpfung der Sicherheits- und Verhaltensvorschriften erforderlich macht. Mit der Formulierung „Berücksichtigung als Sachver­ haltselement“ soll deutlich werden, dass Art.  17 Rom II-VO nicht zu einer zwin­ genden Zweiteilung des anwendbaren Rechts in Fragen der Verhaltenssteuerung und der Schadensverteilung führt.392 Art.  17 Rom II-VO führt vielmehr, wie auch die übrigen Berücksichtigungs­ anordnungen, zu einer flexiblen Einbeziehung des statutsfremden Rechts, so­ fern eine solche Berücksichtigung im Einzelfall aus Sicht des entscheidenden Gerichts notwendig erscheint.393 Der Begriff der Berücksichtigung im Gegen­ satz zur Anwendung macht also deutlich, dass der Vorgang ein flexibler ist. Berücksichtigen bedeutet, eine Norm nicht zwingend anzuwenden, sondern bei der Entscheidung über diese Anwendung einen gewissen Spielraum394 zu ha­ ben. Insoweit von einer faktischen Berücksichtigung oder Berücksichtigung des Rechts als Sachverhaltselement zu schreiben, mag missverständlich sein, ändert aber nichts am vorliegenden Ergebnis, dass aus Sicht des IPR nicht begründbar ist, warum ausländisches Recht als Tatsache berücksichtigt werden kann. Das zeigt auch ein Vergleich mit den übrigen Berücksichtigungsanordnungen wie z. B. Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO, in denen von vornherein nicht von einer fak­ tischen Berücksichtigung die Rede ist. Auch bei Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO be­ deutet der Terminus der Berücksichtigung, dass das Gericht bei der Anwendung statutsfremden Rechts einen gewissen Spielraum hat. Hierfür spricht im Rah­ men von Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO der Giuliano/Lagarde-Bericht zur Vorgän­ gernorm von Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO, Art.  10 Abs.  2 EVÜ, wonach das Gericht aufgrund des Terminus der „Berücksichtigung“ prüfen darf, ob das ausländi­ sche Recht überhaupt maßgeblich wird und teilweise oder ganz anzuwenden ist.395 Auf welche rechtstechnische Art und Weise die Integration der Vorschrif­ Vgl. dazu von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  271. Junker, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom II-VO Rn.  2, 22 ff.; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2018), Art.  17 Rom II-VO Rn.  1; insoweit zu Art.  10 Abs.  2 EVÜ vgl. Giuliano/Lagarde, Bericht über das Übereinkommen über das auf vertrag­ liche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, in: BT-Amtsblatt der Europäischen Gemein­ schaften Nr. C 282/1, S.  67: „Nach Art.  10 Absatz 2 ist das Recht des Staates, in dem die Er­ füllung erfolgt, zu berücksichtigen. Das bedeutet, daß das Gericht prüfen kann, ob dieses Recht für die Art und Weise der Vertragserfüllung maßgeblich ist, und daß es dieses Recht ganz oder teilweise bei der Rechtsprechung anwenden kann“; vgl. zu Berücksichtigungsan­ ordnungen auch Dritter Teil F.III. 394  Vgl. dazu auch Dritter Teil C. 395  Giuliano/Lagarde, Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, in: BT-Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaf­ ten Nr. C 282/1, S.  67: „Nach Art.  10 Absatz 2 ist das Recht des Staates, in dem die Erfüllung erfolgt, zu berücksichtigen. Das bedeutet, daß das Gericht prüfen kann, ob dieses Recht für 392  393 

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ten erfolgt, lässt der Terminus des Berücksichtigens in dieser Vorschrift nicht schließen.396 Auch aus Art.  17 Rom II-VO lässt sich deshalb nicht ableiten, weshalb Recht (über die Datumtheorie) ausnahmsweise als Tatsache herangezogen werden könnte. 4. Keine Anerkennung der Berücksichtigung von Recht als Tatsache durch den EuGH (Nikiforidis) Die Datumtheorie als Möglichkeit, Gesetze als tatsächliche Umstände zu be­ rücksichtigen, wird auch nicht durch die EuGH-Entscheidung „Nikiforidis“ an­ erkannt, die zur BAG-Vorlagefrage397 nach der Sperrwirkung von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO erging.398 Zwar stellt der EuGH es den Mitgliedstaaten anheim, ausländische Eingriffs­ normen „als tatsächliche Umstände zu berücksichtigen, soweit eine materielle Vorschrift des nach den Bestimmungen dieser Verordnung auf den Vertrag an­ wendbaren Rechts dies vorsieht“.399 Damit erkennt der EuGH jedoch lediglich an, dass Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO (aus kompetenzrechtlichen Gründen)400 die Berücksichtigung von Tatsachen nicht sperren kann. Dazu, wann eine solche Berücksichtigung von Gesetzen als Tatsache möglich ist und wie sie sich von der mittelbaren Anwendung der Gesetze abgrenzen lässt, verhält sich der EuGH nicht. die Art und Weise der Vertragserfüllung maßgeblich ist, und daß es dieses Recht ganz oder teilweise bei der Rechtsprechung anwenden kann.“ 396  Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwen­ dung (2004), S.  143 ff. Vgl. dazu z. B. die verschiedenen zu Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO vertre­ tenen Ansichten: Brödermann/Wegen, in: PWW, BGB Kommentar, 13.  Aufl. 2018, Art.  12 Rom I-VO Rn.  29: „Das Gesetz spricht von ‚berücksichtigen‘, was in der Praxis meist einer Sonderanknüpfung der genannten Detailregelung gleichkommt (str [...])“; Geiben, in: ju­ risPK-BGB, 7.  Aufl. 2015, Art.  12 Rom I-VO Rn.  25: „Das Vertragsstatut ist somit auf sach­ rechtlicher Ebene zu ergänzen bzw. zu modifizieren“ und a. a. O. Fn.  92: „Dogmatische Grundlage hierfür ist die von Ehrenzweig begründete und von Jayme weiterentwickelte Da­ tumtheorie [...]“; Mansel, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 17.  Aufl. 2018, Vor Art.  1 Rom I-VO Rn.  40 „Um beide Rechtsfolgen (materiellrechtliche Berücksichtigung und kolli­ sions­rechtlichen Verweisungsbefehl) zu erfassen, spricht Art.  12 II von ,berücksichtigen‘“. 397  BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75; vgl. dazu Erster Teil B.I.3.a). 398  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis); vgl. dazu oben Erster Teil B.I.3.c). 399  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  51 (Nikiforidis). 400  Zur unionsrechtsautonom auszulegenden Kompetenz i. S. d. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV vgl. bereits oben Erster Teil C.II.3.

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Richtigerweise kann es dem EuGH aber letztlich – schon aufgrund der not­ wendigen Abgrenzung zur seiner Meinung nach gesperrten mittelbaren An­ wendung der ausländischen Eingriffsnormen401 – nur um solche Fälle gehen, in denen Eingriffsnormen tatsächliche Auswirkungen auf einen Sachverhalt ha­ ben.402 Werden aber tatsächliche Auswirkungen einer Norm, d. h. die bereits geschehene Normbefolgung,403 berücksichtigt, wird nicht die Norm selbst zur Falllösung herangezogen.404 Dementsprechend liegt hierin auch nicht die Be­ rücksichtigung einer Norm als Tatsache. Vielmehr handelt es sich um die Be­ rücksichtigung von Tatsachen, die auch aus unionsrechtsautonomer Sicht über den üblichen (sachrechtlichen) teleologischen Auslegungsvorgang erfolgt.405 Das EuGH-Urteil „Nikiforidis“ stellt deshalb ebensowenig wie Art.  17 Rom IIVO eine europäische Anerkennung der Berücksichtigung einer Norm als Tatsa­ che dar. 5. Zwischenergebnis Mit der Datumtheorie kann und soll nicht begründet werden, dass Recht nicht als Recht, sondern als Tatsache berücksichtigt wird. Hierfür spricht vor allem, dass die Datumtheorie bei Ehrenzweig weder als Theorie noch als besondere Art der Heranziehung ausländischen Rechts (als Tatsache) konzipiert war. Auch im IPR kann nicht erklärt werden, inwiefern ausländisches Recht über die Da­ tumtheorie als Tatsache berücksichtigt und nicht als Rechtsnorm angewandt werden könnte. Eine Implementierung des Gedankens der faktischen Berück­ sichtigung von Normen als Tatsachen liegt zudem nicht in Art.  17 Rom II-VO oder der jüngsten EuGH-Entscheidung „Nikiforidis“. 401 

EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  50 f. (Nikiforidis). griechischen Spargesetze hatten in dem Fall vor dem BAG keine tatsächlichen Auswirkungen. Ihre Auswirkungen auf den Sachverhalt hingen vielmehr gerade davon ab, ob das BAG sie berücksichtigen würde. Dies zeigt nicht zuletzt die Entscheidung des BAG, die Revision zurückzuweisen, vgl. BAG, Urt. v. 26.4.2017, 5 AZR 962/13, BAGE 159, 69. Die Berücksichtigung der griechischen Spargesetze wäre deshalb keine Bezugnahme auf eine Tatsache gewesen, sondern hätte die (mittelbare) Anwendung der Gesetze bedeutet. Zur Un­ terscheidung zwischen erfolgter und bevorstehender Normbefolgung zur Einordnung, ob auf tatsächliche Umstände oder die Norm selbst Bezug genommen wird, vgl. Zweiter Teil B. IV.2.c). 403  Zur Unterscheidung zwischen erfolgter und bevorstehender Normbefolgung zur Ein­ ordnung, ob auf tatsächliche Umstände oder die Norm selbst Bezug genommen wird, vgl. Zweiter Teil B.IV.2.c). 404  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2.c). 405  Vgl. zur unionsrechtlichen Perspektive z. B. EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris Rn.  51 (Nikiforidis) sowie die dazu erfolgten Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar, 20. April 2016, Rs. C-135/15 Rn.  97 ff. Zur nationalen Perspektive vgl. Zweiter Teil B.IV.2.c). 402  Die

C. Die Datumtheorie im Spannungsfeld zwischen Form und Funktion

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III. Rechtsrealistische Betrachtungsweise? Die Datumtheorie ist ihrer Entstehungsgeschichte nach eine schlichte Beschrei­ bung der Rechtspraxis.406 Diese Funktion könnte sie auch im IPR einnehmen.407 Ursprünglich verdeutlicht und benennt der Begriff des datum die tatsachenähn­ liche Prägung eines Sachverhaltes durch eine statutsfremde Norm, deren Ver­ bindung zum Sachverhalt derart stark ist, dass dessen sachgerechte Beurteilung ohne eine Berücksichtigung dieser Norm nicht möglich wäre.408 Ehrenzweig wollte mit seinem Hinweis auf local data vor allem darauf aufmerksam machen, dass bestimmte Normen ungeachtet der verweisungsrechtlichen Entscheidung für die Falllösung relevant sind.409 Hieraus folgerte Ehrenzweig, das Gericht habe sie deshalb ex officio anzuwenden, ohne dass es auf einen entsprechenden Parteivortrag ankomme.410 Mit der Frage, wie diese Berücksichtigung dogma­ tisch einzuordnen war, musste sich Ehrenzweig nicht auseinandersetzen.411 Das datum-Konzept als rechtsrealistische Beobachtung liegt heute Normen wie Art.  17 Rom II-VO zugrunde. Aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte liegt es nahe die Datumtheorie auch im IPR als Rechtsrealismus einzuordnen. Dagegen spricht aber, dass es der blo­ ßen rechtsrealistischen Benennung an einem Mehrwert im Hinblick auf die zu lösende Spannungslage zwischen Verweisung und Berücksichtigung fehlt. Die Datumtheorie birgt das Potential den richterlichen Berücksichtigungsvorgang transparent und auf diese Weise rechtssicherer zu machen. Dafür, dass die Da­ tumtheorie einen Rahmen für die richterliche Berücksichtigung bereitstellen kann, sprechen nicht zuletzt die bereits existierenden Vorschläge zu Anwen­ dungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der Berücksichtigung, die in der Lite­ ratur unter dem Stichwort der Datumtheorie entwickelt wurden.412 Im dritten Teil dieser Arbeit soll deshalb konkretisiert werden, dass und in­ wiefern die Datumtheorie als Ausprägung des richterlichen Berücksichtigungs­ vorgangs diesen rechtfertigt und ihm Rahmenbedingungen vorgibt.

406 

Vgl. dazu Zweiter Teil C.II.1.a). Dies vertritt z. B. Götz Schulze, vgl. dazu Zweiter Teil C.I.2.b)aa)(2). 408  Vgl. dazu Zweiter Teil C.II.1. 409  Vgl. dazu Zweiter Teil C.II.1. 410  Vgl. dazu Zweiter Teil C.II.1. 411  Vgl. dazu Zweiter Teil C.II.1. 412  Vgl. z. B. Weller, IPRax 2014, 225 ff.; ders., Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmoderne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Per­ son im Internationalen Privatrecht (2019), S.  53, 73 ff.; vgl. zu dieser Einordnung der Datum­ theorie Zweiter Teil C.I.2.b)aa)(3). 407 

122

Zweiter Teil: Tertium datur. Dogmatische Einordnung der Datumtheorie

D. Ergebnisse für den zweiten Teil 1. Die Berücksichtigung findet abseits einer Berücksichtigungsanordnung wie z. B. Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO oder Art.  17 Rom II-VO in Auslegung der anwend­ baren Sachnorm statt. Bei einer solchen Berücksichtigung auf Sachrechtsebene fehlt es an einer herkömmlichen gesetzgeberischen Verweisungsentscheidung in Gestalt eines verweisungsrechtlichen Anwendungsbefehls. Ob es sich bei der Berücksichtigung funktional um einen verweisungsrechtlichen oder sachrecht­ lichen Vorgang handelt, ist damit allerdings noch nicht entschieden. 2. Ob die Berücksichtigung auf Sachrechtsebene verweisungsrechtliche Ele­ mente aufweist, sollte positiv-rechtlich nach einem funktionalen Unterschei­ dungskriterium bestimmt werden. Nach dem funktionalen Kriterium kommt es darauf an, ob der Berücksichtigungsvorgang im Kompetenzbereich der Verwei­ sungsnormen liegt. Dies richtet sich nach dem jeweiligen Objekt der Berück­ sichtigung, da die Verweisungsnormen de lege lata vor deutschen Gerichten ausschließlich Recht mit staatlichem Anwendungsbefehl zur Anwendung brin­ gen. Das funktionale Zuordnungskriterium, das sich positiv-rechtlich an der jeweiligen Konzeption des Verweisungsrechts orientiert, rechtfertigt sich vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung: Sofern Verweisungsnormen Recht zur Anwendung berufen, führt die Berücksichtigung statutsfremden Rechts, unge­ achtet der Verweisungsentscheidung, zu einer Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidung und damit zu einer Kompetenzverlagerung hin zur Judikative. Dies bedarf der Rechtfertigung und Offenlegung. 3. Bei der Berücksichtigung statutsfremden Rechts handelt es sich nach dem funktionalen Unterscheidungskriterium de lege lata aus nationaler Perspektive um einen kollisionsrechtlichen Vorgang. 4. Verweisungsnormen berufen de lege lata weder normunabhängige Ereig­ nisse (Tatsachen) noch Normen ohne staatlichen Regelungscharakter (soft law). Werden Tatsachen oder Normen ohne staatlichen Regelungscharakter berück­ sichtigt, handelt es sich nach dem positiv-rechtlichen funktionalen Unterschei­ dungskriterium um einen sachrechtlichen Vorgang. 5. In Bezug auf normunabhängige Ereignisse ist allerdings zu differenzieren: Handelt es sich um Ereignisse, die die Befolgung oder Durchsetzung einer Norm antizipieren, liegt eine Berücksichtigung der Rechtsnorm selbst und kei­ ne Berücksichtigung des Ereignisses vor. Hierdurch wird die Berücksichtigung der jeweiligen Norm in Antizipation ihrer Auswirkungen auf den Sachverhalt nicht unzulässig; es ist aber offenzulegen, dass ihr ein verweisungsrechtliches Element anhaftet. Ist ein Ereignis hingegen (lediglich) kausal auf das Bestehen einer Norm zurückzuführen, handelt es sich bei der Berücksichtigung des Er­ eignisses um einen sachrechtlichen Vorgang.

D. Ergebnisse für den zweiten Teil

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6. Die Berücksichtigung von Rechtsprechungsgrundsätzen wie Verschul­ densmaßstäben ist nach dem funktionalen Unterscheidungskriterium ebenfalls ein verweisungsrechtlicher Vorgang. Denn die deutschen Verweisungsnormen legen de lege lata fest, dass das hierdurch bestimmte Recht so angewandt wer­ den soll, wie es die ausländischen Gerichte anwenden und auslegen. Greift das Gericht auf eigene oder dritte Maßstäbe oder ständige Rechtsprechung zurück, weicht es insofern von diesem Grundsatz ab. 7. Verweisung und Berücksichtigung führen beide zur Anwendung einer Norm. Der Unterschied zwischen Anwendung einer Rechtsnorm nach Verwei­ sung und Anwendung einer Rechtsnorm infolge ihrer Berücksichtigung als Er­ gebnis der Auslegung einer anwendbaren Sachnorm liegt darin, dass in letzte­ rem Falle die statutsfremde Norm in die verweisungsrechtlich anwendbare Norm integriert wird und dies – soweit eine geschriebene Berücksichtigungsan­ ordnung fehlt – alleine auf der Grundlage des anwendbaren Sachrechts erfolgt. Bei der Berücksichtigung hat das Gericht einen gewissen Auslegungsspielraum. 8. Die Datumtheorie führt nicht dazu, dass ausländisches Recht als Tatsache berücksichtigt werden kann. 9. Die Datumtheorie wurde von Jayme aus dem US-amerikanischen Recht importiert. Entwickelt von Ehrenzweig, sollte sie dort die Fälle benennen, in welchen ungeachtet der Verweisungsentscheidung auf ausländisches Recht Be­ zug genommen wurde. 10. Der Datumtheorie werden im deutschen IPR unterschiedliche Inhalte zu­ geschrieben. Überwiegend wird sie als Theorie der faktischen Berücksichti­ gung verstanden, die ausländische Normen als Tatsachen berücksichtigt. Da sie weder ihrer Konzeption nach erklären soll, noch aus Perspektive des IPR erklä­ ren kann, weshalb statutsfremdes Recht ausnahmsweise als Tatsache zu qualifi­ zieren ist und deshalb keines Verweisungsbefehls bedarf, ist ein solches Ver­ ständnis der Datumtheorie abzulehnen. 11. Manche verstehen die Datumtheorie wie im US-amerikanischen Recht als die rechtsrealistische Beschreibung der richterlichen Tätigkeit. Damit ist das Spannungsverhältnis zwischen gesetzgeberischer Verweisungsentscheidung und richterlicher Berücksichtigung aber nicht gelöst. Richtigerweise sollte die Datumtheorie deshalb ein Vehikel zur Rechtfertigung, Offenlegung und Kon­ kretisierung des Berücksichtigungsvorgangs abseits einer Berücksichtigungs­ anordnung sein.

Dritter Teil

Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung und Konkretisierung der Berücksichtigung Im ersten Teil dieser Arbeit wurde gezeigt, dass die Berücksichtigung statuts­ fremden Rechts ein häufig auftretendes Phänomen ist, das im Spannungsver­ hältnis zur Verweisungsentscheidung steht. Aus dem zweiten Teil der Arbeit geht hervor: Die Berücksichtigung führt zur Anwendung verweisungsrechtlich nicht anwendbarer Sachnormen. Sofern eine gesetzgeberische Berücksichti­ gungsanordnung wie Art.  17 Rom II-VO existiert, ist dies aus Perspektive der Gewaltenteilung i. S. d. Art 20 Abs.  3 GG unbedenklich. Wird hingegen eine statutsfremde Rechtsnorm berücksichtigt und geschieht dies ohne eine Berücksichtigungsanordnung, korrigiert das Gericht die gesetz­ geberische Verweisungsentscheidung. Hieran ändert auch die Datumtheorie nichts. Denn sie führt nicht dazu, ausländisches Recht als Tatsache zu berück­ sichtigen. Die Kritik an der Datumtheorie, sie würde durch die Berücksichti­ gung statutsfremden Rechts abseits einer gesetzgeberischen Entscheidung Ver­ weisungs- und Sachrechtsebene hybridisieren, trifft deshalb insofern zu, als sie die Hybridisierung jedenfalls nicht zu verhindern vermag. Die Datumtheorie birgt aber das Potential, die richterliche Berücksichtigung als Fortbildung der Verweisungsregeln offenzulegen und zu konturieren und den Vorgang damit rechtssicherer und vorhersehbarer zu machen.1 Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die richterliche Berücksichtigung statutsfremden Rechts als Rechts­ 1  Zur Notwendigkeit der Rechtfertigung des Berücksichtigungsvorgangs abseits einer Be­ rücksichtigungsanordnung vgl. von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  274: „Eine solche Praxis bedarf jedoch einer besonderen Legitimation, weil sie in ein unübersehbares Spannungsverhältnis zum kollisionsrechtlichen Rechtsanwendungsbefehl gerät: Wenn das IPR positiv anordnet, ein bestimmtes Recht anzuwenden (etwa das des ge­ wöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen) liegt darin prima facie zugleich die negative Aus­ sage, ein anderes, verdrängtes Recht (etwa das der Staatsangehörigkeit) umgekehrt gerade nicht anzuwenden“. Zur Notwendigkeit der Offenlegung der richterlichen Entscheidungsfin­ dung im IPR vgl. Bucher, Auslegungsregeln in der neueren Gesetzgebung des schweizeri­ schen internationalen Privatrechts, FS Meier-Hayoz (1982), S.  45, 47; vgl. auch Preusche, Juristische Generalklausel und Argumentationspraxis (1978), S.  108. Vgl. im Ergebnis ähn­ lich für inländische Fälle der richterlichen Korrektur einer gesetzgeberischen Entscheidung, Fischer, ZfA 2002, 215, 223, 230: „Ein Rechtsfindungsmodell sollte so ausgestaltet sein, dass

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

fortbildung2 der Verweisungsregeln rechtfertigen lässt. Eine Rechtsfortbildung ist notwendig, wenn ein Regelungsdefizit sowie ein Regelungsbedürfnis beste­ hen.3 Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, soll im dritten Teil dieser Arbeit gezeigt werden.4 Ziel dieses nachfolgenden dritten und letzten Teils der Arbeit ist es deshalb, die Notwendigkeit der richterlichen Berücksichtigung verweisungsrechtlich nicht anwendbaren Rechts aufzuzeigen (A.). Sodann sollen unter dem Dach der Datumtheorie als Fallgruppe der Berücksichtigung Anwendungsvoraussetzun­ gen (B.) und Rechtsfolgen (C.) nachgezeichnet und Kriterien für die prozessuale Behandlung der richterlichen Berücksichtigung entwickelt werden (D.). Nach zwei Anwendungsbeispielen (E.) wird abschließend ein Ausblick auf mögliche Regelungsalternativen zur Auflockerung des formalen Verweisungsmechanis­ mus de lege ferenda gegeben und dabei insbesondere nach der Zweckmäßigkeit einer Kodifikation der Datumtheorie gefragt (F.).

A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung Die richterliche Berücksichtigung statutsfremden Rechts korrigiert und ergänzt die bestehenden Verweisungsregeln.5 Zu untersuchen ist deshalb, ob das beste­ hende Verweisungsrecht regelungsbedürftige Defizite aufweist, die gerade die Berücksichtigung mittels der Datumtheorie ausgleicht. Zur Untersuchung dieser Frage soll gezeigt werden, dass der strenge Verwei­ sungsmechanismus der Abbildung komplexer internationaler Sachverhalte nicht in jedem Einzelfall gerecht wird (I.) und die Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene die Funktion eines „dogmatischen Ventils“6 hat (II.). Im Anschluss an das aufgezeigte Defizit und die Funktion der Berücksich­ die Ergebnisse überprüfbar, also einer rationalen Kontrolle zugänglich sind. Auf Scheinbe­ gründungen und juristische ‚Zauberbesen‘ (Engisch) sollte verzichtet werden.“ 2  Vgl. zur Rechtsfortbildung im Zusammenhang mit der Datumtheorie auch Thomale, IPRax 2013, 375, 380: „Insofern liefern die Rechtsfortbildungsvoraussetzungen einer inter­ nationalen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage sogar genau die begriff­ liche Verdichtung, die das letztlich apodiktische Datum vermissen lässt. Diese neue Technik der international induzierten nationalen Rechtsfortbildung ist daher weiter zu verfolgen.“ 3  Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft (2011), §  8 Rn.  18. 4  Vgl. dazu Dritter Teil A. 5  Vgl. dazu Zweiter Teil. 6  „Die Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts [fungiert] oft als Ventil für ein rigides die lex fori zur Anwendung bringendes Kollisionsrecht [...]“, Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  101; vgl. auch Dornis, SZIER 2015, 183, 189: „Local data: Dogmatisches ‚Ventil‘ im System?“

A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung

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tigung wird geprüft, ob es möglicherweise deshalb an einem Regelungsbedürf­ nis fehlt, weil es bereits Fallgruppen gibt, die den richterlichen Berücksichti­ gungsvorgang ausreichend konturieren und offenlegen (III.). I. Defizite des formalen Verweisungsmechanismus Der Verweisungsmechanismus weist Defizite auf. Punktuelle Korrekturbedürf­ nisse entstehen im IPR zum einen durch das auf die analytische Methode des IPR rückführbare Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen (1.) und zum anderen durch ihr Nacheinander, wie es beispielsweise durch sog. Statuten­ wechsel (2.) entsteht. Die Defizite auf Verweisungsebene werden durch Span­ nungslagen im unionsrechtlich harmonisierten IPR noch verstärkt (3.). 1. Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen Der neutrale, allseitige, von der Gleichberechtigung der Privatrechtsordnungen ausgehende Verweisungsmechanismus wird der Abbildung komplexer Sachver­ halte häufig nicht gerecht.7 Dies liegt zum einen an der analytischen Methode des IPR (a) und zum anderen an der bereits angesprochenen Eviktionswirkung (b). Nicht zuletzt sind abstrakt-generelle Regelungen gerade im IPR weniger als sonstige Rechtsnormen fähig, Einzelfälle typisiert sachgerecht zu lösen (c). a) Die analytische Methode des IPR (Goldschmidt) Klassischerweise müssen im IPR Spannungslagen ausgeglichen werden, die da­ durch entstehen, dass der Sachverhalt entlang überkommener zivilrechtlicher Kategorien in seine Einzelbestandteile zergliedert und hiernach typisiert ange­ knüpft wird.8 Diese Vorgehensweise wird als analytische Methode des IPR (Goldschmidt) bezeichnet.9 In den Verweisungsnormen werden danach System­ begriffe (Anknüpfungsgegenstände) gebildet und einem bestimmten Recht zu­ 7  Goldschmidt, Die philosophischen Grundlagen des Internationalen Privatrechts, in: FS Wolff (1952), S.  203, 208 ff.; Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 195 ff. 8  Goldschmidt, Die philosophischen Grundlagen des Internationalen Privatrechts, in: FS Wolff (1952), S.  203, 210: „In allen diesen Fällen fließen die Ungerechtigkeiten unmittelbar aus dem analytischen Verfahren, das an die verschiedenen Kategorien die Anwendung ver­ schiedener Rechtsfragmente knüpft, deren Zusammentreffen eine Ungerechtigkeit zur Folge hat, die in gewissem Sinne als Ungereimtheit bezeichnet werden darf.“ Vgl. dazu auch Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  75 ff. 9  Goldschmidt, Die philosophischen Grundlagen des Internationalen Privatrechts, in: FS Wolff (1952), S.  203, 208 ff.; Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

geordnet, das mithilfe von Anknüpfungspunkten, z. B. der Staatsangehörigkeit oder dem gewöhnlichen Aufenthalt, ermittelt wird.10 Für ein einheitliches Le­ bensverhältnis gelten deshalb Normen aus unterschiedlichen Rechtsordnungen. Das Recht, das auf einen Vertrag angewandt wird, kann so beispielsweise im Hinblick auf Geschäftsfähigkeit, Form und Inhalt11 jeweils aus einer anderen Rechtsordnung stammen.12 Hierdurch entstehen zwangsläufig Disharmonien.13 Auf der einen Seite führt diese zu starke Fragmentierung eines Lebenssachver­ haltes zu Kompatibilitäts- und Übertragungsschwierigkeiten (von Hein).14 An­ dersherum ist die Auswahl nur eines auf den jeweiligen Abschnitt des Lebens­ sachverhalts Anwendung findenden Rechts Ursache dafür, dass die Internatio­ nalität des Sachverhaltes nicht sachgerecht abgebildet wird. b) Eviktionswirkung Spannungslagen entstehen auch dadurch, dass das Verweisungsrecht bei der Wahl des jeweils anwendbaren Rechts eine Auswahlentscheidung trifft: Auf einen Sachverhalt(sausschnitt) mit Berührungspunkten zu mehreren Rechtsord­ nungen ist nur ein bestimmtes Recht anwendbar.15 Die anderen mit dem Sach­ verhaltsausschnitt verbundenen Rechtsnormen sind für die Falllösung nicht re­ levant (sog. Eviktionswirkung des IPR).16 Häufig sind die Sachverhaltsausschnitte aber nicht eindeutig mit nur einer Rechtsordnung verbunden. Vielmehr macht das Beispiel der Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregelungen am Ort des Haftungsereignisses i. S. d. Art.  17 Rom II-VO deutlich,17 dass die Zuordnung eines Rechts auf einen Sachverhalt nicht immer zu sachgerechten Ergebnissen im Einzelfall führt. und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 203. 10  Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  13 II; §  14; zur Struktur und Typologie von Verwei­ sungsnormen von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  56 ff.; vgl. dazu bereits oben Erster Teil A. 11  Zu dem Beispiel vgl. Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 204. 12  Zu einem weiteren Beispiel vgl. von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  218. 13  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  215 ff. 14  Ebd., Rn.  215; zur Entstehung von Anpassungslagen durch die analytische Methode des IPR vgl. auch Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  34 I, II. 15  Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 772. 16  Ebd.; ders., Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Post­ moderne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  53 f.; vgl. dazu bereits Einleitung, Erster Teil A. und Zweiter Teil A.I. 17  Vgl. zu Art.  17 Rom II-VO Erster Teil B.II.1.; vgl. dazu auch sogleich Dritter Teil A.II.4.

A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung

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Hinzu kommt, dass bei der Auswahl des anwendbaren Rechts internationale Sachverhalte nationalisiert werden.18 Die nationalen Sachnormen sind aber auf nationale Sachverhalte zugeschnitten, weshalb sie dem Auslandsbezug nicht immer hinreichend Rechnung tragen können.19 Die für Inlandsfälle konzipier­ ten Normen führen deshalb nicht in jedem Fall zu sachgerechten Ergebnissen.20 Das Ideal räumlich gerechter Anknüpfung und der hiermit verbundenen Aus­ wahlentscheidung entspricht gerade vor dem Hintergrund der heutigen dispara­ ten Lebenswirklichkeiten und der Zunahme an Mobilität21 weniger denn je ei­ ner sachgerechten Abbildung eines Falles. Denn diese Faktoren führen dazu, dass ein Sachverhalt immer häufiger den Bezug zu einer einzigen Rechtsord­ nung verliert.22 c) Das Problem abstrakt-genereller Vorhersagen im IPR Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass kein abstrakt-generelles Gesetz jede Einzelfallentscheidung detailliert vorzuspuren vermag.23 Dies gilt gerade im IPR.24 Die Vielgestaltigkeit internationaler Sachverhalte macht es unmöglich, für jede Rechtsfrage eine Verweisungsnorm zu formulieren.25 Die Legislative Jessurun d’Oliveira, ZfRV 1986, 246 f.; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität (1988), S.  49; Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 196. 19  von Bar/Mankowski, IPR, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  17. 20  Ebd.; Siehr, IPR, 2001, §  4 4 I 4; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  18 ff. 21 Vgl. von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  1 mit Hinweis auf empirische Daten aus Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Datenreport 1992 – Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, S.  280, 432; Statistisches Jahrbuch 2006, S.  462; Statistisches Jahrbuch für das Ausland 2006, S.  325; Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“ – Plädoyer für einen willenszentrierten Aufenthaltsbegriff, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  293, 317. 22  Jayme, Zugehörigkeit und kulturelle Identität (2012), S.  31 ff.; Weller, Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmoderne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  53 ff. Vgl. dazu auch Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Pateiautonomie im europäischen Kollisionsrecht (2013), S.  308: „So ist das ‚Ideal räumlich gerechter Anknüpfungen‘ mit der Vielfalt der Lebenswirklichkeit nicht vereinbar.“ 23  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, §  9 Rn.  392: „Weil Gesetze allge­ meine Regeln enthalten, können sie nicht jedem Einzelfall gerecht werden“; Symeonides, Codifying Choice of Law Around the World (2014), S.  173: „The tension between the need for legal certainty and predictability, on the one hand, and the desire for flexible, equitable, and individualized solutions on the other, is as old as law itself.“ 24  Vgl. in dem Zusammenhang Weller, IPRax 2014, 225, 226; ders., RabelsZ 81 (2017), 746, 775 ff. 25  Siehr, IPR, 2001, §  49 IV. 18 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

kann im IPR weniger als im nationalen Recht jeden Anwendungsfall antizipie­ ren und deshalb nicht für alle denkbaren Fallkonstellationen passende Verwei­ sungsnormen schaffen.26 Das Verweisungssystem ist deshalb seiner Natur nach nicht komplett.27 Traditionell dienen im deutschen IPR Verweisungsnormen der Rechtssicher­ heit und nicht der Einzelfallgerechtigkeit.28 Dies macht Korrekturen im Nachhi­ nein notwendig.29 Das IPR lebt deshalb von der Auflockerung starrer Regeln.30 Spannungslagen entstehen aber nicht nur aufgrund des für das IPR charakte­ ristischen Nebeneinanders verschiedener Rechtsordnungen. 2. Nacheinander verschiedener Rechtsordnungen „Kompatibilitätsschwierigkeiten“ mehrerer Rechtsordnungen treten auch typi­ scherweise beim Statutenwechsel auf.31 Unter einem Statutenwechsel versteht man Änderungen der ausschlaggebenden Anknüpfungsmerkmale nach einem Vorgang oder während eines Rechtsverhältnisses.32 Anknüpfungsmerkmale än­ dern sich z. B., wenn eine Person die Staatsangehörigkeit oder ihren gewöhnli­ chen Aufenthalt wechselt, die Parteien eine neue Rechtswahl treffen oder eine Sache in einen anderen Staat verbracht wird.33 Bei einem Statutenwechsel än­ dert sich das anwendbare Recht ex nunc ab dem Zeitpunkt, in dem ein neues Anknüpfungsmoment verwirklicht wird.34 Statutenwechsel sind unproblematisch, wenn es sich um im Zeitpunkt des Statutenwechsels abgeschlossene Tatbestände handelt, auf die das Recht des al­ ten Statuts Anwendung findet.35 Anders ist es dann, wenn es sich um offene Tatbestände handelt, bei denen im Zeitpunkt des Statutenwechsels noch nicht alle Voraussetzungen für die Entstehung eines Rechts oder Rechtsverhältnisses vorliegen; hier entscheidet das neue Statut darüber, ob und inwieweit es die zu­ vor unter dem alten Statut verwirklichten Tatbestandsmerkmale anerkennt.36

Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  172 ff. Ebd., S.  170 ff. 28  Siehr, IPR, 2001, §  47 V. 29  Ebd.: „Wir sind genaue Regeln gewöhnt, gehen von der Gleichwertigkeit nationaler Rechtsordnungen aus, wählen erst und korrigieren unter Umständen später.“ 30  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2b; Siehr, IPR, 2001, §  48 III 1d. 31  Vgl. dazu von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  278. 32  Siehr, IPR, 2001, §  50 II 1a. 33 Ebd. 34  von Hoffmann/Thorn, 9.  Aufl. 2007, IPR, §  5 Rn.  102. 35  Ebd., Rn.  103. 36  von Hoffmann/Thorn, 9.  Aufl. 2007, IPR, §  5 Rn.  104 f. 26  27 

A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung

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Durch die zunehmende Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt37 ist in Zukunft zu erwarten, dass ein solches Nebeneinander verschiedener Rechtsord­ nungen noch befördert wird und entsprechende Korrekturmechanismen wichti­ ger werden.38 3. Spannungslagen im unionsrechtlich harmonisierten IPR Ein weiterer Grund für die zunehmende Notwendigkeit einer punktuellen Auf­ lockerung des Verweisungsmechanismus ist, dass das unionsrechtlich in weiten Teilen harmonisierte deutsche Verweisungsrecht zunehmend Wertungen der lex fori favorisiert.39 Dies liegt vor allem an der vermehrten Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt sowie einer Zunahme von Eingriffsrecht (sog. Unilateralisierungs­ tendenzen).40 Dass die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt häufig zur lex fori führt, wird dadurch verstärkt, dass sich auch die internationale Zustän­ digkeit zunehmend nach dem gewöhnlichen Aufenthalt richtet (sog. Gleichlauf von forum und ius).41 Auch die Häufung von Eingriffsrecht bewirkt, dass sich vermehrt Wertungen einer anderen, regelmäßig der eigenen, Rechtsordnung ge­ genüber dem anwendbaren Recht durchsetzen.42 Teilweise wird eine Verstär­ kung von Wertungen der lex fori auf Verweisungsebene zusätzlich darin gese­ hen, dass unionsrechtliche Verweisungsnormen häufig von sachrechtlichen Wertungen geprägt seien, da sie aus kompetenzrechtlichen Gründen der Bin­ nenmarktförderung dienen müssen.43 Die zunehmende Favorisierung der lex fori widerstrebt dem internationalen Entscheidungseinklang, der mit den Erwä­ gungsgründen 6 der Rom I- und der Rom II-Verordnung auch auf europäischer Gesetzgebungsebene verankert ist,44 und begünstigt zulasten der wirtschaftlich schwächeren Partei einen Wettlauf zu den Gerichten.45 Dass ausländische Wer­ 37  Vgl. dazu z. B. Rentsch, ZEuP 2015, 288 ff.; dies., Der gewöhnliche Aufenthalt im Sys­ tem des Europäischen Kollisionsrechts (2017), S.  93 ff. 38  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 199 ff. 39  Ebd., S.  200 f. 40  Ebd., S.  198 ff. 41  Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privatrecht, in: BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137, 171 f.; vgl. dazu auch Weller, Die lex personalis im 21. Jahrhundert: Para­ digmenwechsel von der lex patriae zur lex fori, in: FS Coester-Waltjen (2015), S.  897, 908 ff. 42  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 200. 43  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 198 f. 44  Vgl. dazu von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  5 f. 45  Vgl. dazu Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisions­

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

tungen auf Verweisungsebene hierdurch weniger häufig durchdringen, macht eine nachgeschaltete Korrekturmöglichkeit im Rahmen der verweisungsrecht­ lich anwendbaren Sachnormen erforderlich.46 Dies macht auch der Vergleich mit der Entstehung der Datumtheorie bei Ehrenzweig und Currie deutlich. Zwar ist ihre Entstehung im US-amerikanischen Recht insofern zufällig, als die punktuelle Korrektur der Entscheidung des auf einen Sachverhalt anwendbaren Rechts auch in anderen Rechtsordnungen üb­ lich und notwendig ist.47 Es ist allerdings zu vermuten, dass die regelmäßige Anwendbarkeit der lex fori gemäß den jeweiligen IPR-Konzepten Ehrenzweigs48 und auch Curries49 es wahrscheinlicher machte, dass den Sachverhalt prägende ausländische Normen im Rahmen der anwendbaren inländischen Sachvor­ schriften Berücksichtigung finden mussten. Bei einer regelmäßigen Anwen­ dung der lex fori stellt die Berücksichtigung des Auslandsbezugs auf Sach­ rechtsebene eine wichtige Möglichkeit dar, dem Auslandsbezug des Sachverhal­ tes gerecht zu werden. 4. Zwischenergebnis Der Verweisungsmechanismus weist Defizite auf, die zum einen durch die An­ wendung verschiedener Rechtsordnungen auf einen einheitlichen Lebenssach­ verhalt und zum anderen durch die ausschließliche Anwendung einer Rechts­ ordnung auf ein bestimmtes Fragment des Lebenssachverhaltes entstehen. Die Defizite auf Verweisungsebene werden durch Unilateralisierungstendenzen im unionsrechtlich harmonisierten IPR noch verstärkt. II. Funktion der richterlichen Berücksichtigung Der herkömmliche Verweisungsmechanismus reicht deshalb nicht in jedem Einzelfall zur sachgerechten Abbildung der Internationalität des Sachverhaltes aus. Zunächst soll untersucht werden, ob die Abbildung der Internationalität eines Sachverhaltes möglicherweise schon zwingend geboten ist (1.). Wie zu sehen sein wird nimmt die Berücksichtigung aber jedenfalls die Funktion eines „dogmatischen Ventils“50 im IPR-System ein (2.). Diese Funktion wird auch nicht durch bereits bestehende – verweisungsrechtliche Auflockerungsmecha­ recht (2013), S.  309. 46  Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 772 ff. 47  Vgl. dazu Zweiter Teil C.II.1.c). 48  Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.1.c). 49  Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.1.b). 50  Vgl. zu diesem Begriff Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der inter­natio­ nalen Rechtsanwendung (2004), S.  101; vgl. auch Dornis, SZIER 2015, 183, 189.

A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung

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nismen auf Sachrechtsebene erfüllt (3.). Nicht zuletzt erkennt jedenfalls die EU-Gesetzgebung mit Normen wie Art.  17 Rom II-VO die Funktion der Be­ rücksichtigung zur Ergänzung des Verweisungsrechts an (4.). 1. Notwendigkeit der angemessenen Abbildung der Internationalität eines Sachverhaltes? Die Feststellung der Defizite des Verweisungsmechanismus zur angemessenen Abbildung des Auslandsbezugs eines Sachverhaltes wirft zunächst die Frage auf, ob der Berücksichtigungsvorgang nicht nur sinnvoll, sondern darüber hin­ aus sogar rechtlich zwingend geboten ist. Im Folgenden soll deshalb der Frage nachgegangen werden, ob die Abbildung der Internationalität des Sachverhaltes durch die Berücksichtigung eine sich aus übergeordnetem Recht ergebende Pflicht ist. Ergeben könnte sich eine solche Abbildungspflicht insbesondere aus dem Völkerrecht, Art.  3 GG oder dem Europäischen Primärrecht. a) Völkerrecht Im IPR des 17. und 18. Jahrhunderts wurde insbesondere von niederländischen Rechtswissenschaftlern wie Paul Voet, Ulrich Huber und Johannes Voet vertre­ ten, Staaten seien nach dem völkerrechtlichen Grundsatz der comitas gentium zur Anerkennung ausländischen Rechts verpflichtet.51 Auch Pasquale Stanislao Mancini ging aufbauend auf der Nationalität von einer völkerrechtlichen Aner­ kennungspflicht aus.52 Nach einem Vorschlag Ernst Zitelmanns war die Perso­ nalhoheit eines Staates über seine Staatsbürger verbürgt und dementsprechend anzuerkennen; Daniel Josephus Jitta schlug sogar vor, internationale Sachver­ halte durch völkerrechtlich allgemein anerkannte Grundsätze des Sachrechts zu lösen.53 Mittlerweile lässt sich aber nach allgemeiner Ansicht keine völkerrechtliche Pflicht zur Errichtung des IPR begründen.54 Vielmehr sei von vornherein für den internationalen Verkehr zwischen Staat und Gesellschaft zu unterscheiden; das IPR habe das Ziel, Privatrechtsinteressen auszugleichen und betreffe des­ halb keine Fragen der Souveränität.55 Selbst wenn das Völkerrecht Mindestan­ forderung an das IPR des Forum stellen würde, wäre dies nur gem. Art.  25 GG

51 

Siehr, IPR, 2001, §  45 I 1.

52 Ebd.

Siehr, IPR, 2001, §  45 I 1. Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1307; von Bar/ Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  3 Rn.  24; Siehr, IPR, 2001, §  44 I 1. 55  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  3 Rn.  6. 53 

54 

134

Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

relevant – also nach den Maßgaben des inländischen Verfassungsrechts.56 Eine entsprechende völkerrechtliche Ausgestaltungsregel sei aber bislang nicht be­ kannt.57 Auch die Berücksichtigung als der Verweisungsentscheidung nachge­ schaltetes Korrektiv ist deshalb aus völkerrechtlicher Perspektive nicht zwin­ gend geboten. b) Grundgesetz Fraglich ist, ob Art.  3 GG im Einzelfall die nachgeschaltete Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts verlangt. Aus Art.  3 GG folgt keine generelle Pflicht zur angemessenen Abbildung in­ ternationaler Sachverhalte.58 Inländisches Recht dürfe aber im Einzelfall, so argumentiert Mansel, aufgrund von Art.  3 Abs.  1 GG nicht auf Auslandssach­ verhalte angewendet werden, soweit aufgrund des Auslandsbezuges ein wesent­ licher Unterschied zu Inlandsfällen besteht.59 Insoweit kann die Auslandsberüh­ rung eines Falles ein innerhalb von Art.  3 GG beachtlicher Faktor sein.60 Verwandt mit dem Gleichheitsargument ist das von Jayme entwickelte droit à la difference.61 Danach habe das IPR auch die Funktion, die kulturelle Identi­ tät des Menschen zu schützen.62 Den Begriff der kulturellen Identität entwickelt Jayme im IPR als Rechtsbegriff und unterscheidet dabei zwischen kultureller Identität von Personen, Sachen und ganzen Rechtssystemen.63 Unter dem topos der kulturellen Identität des Einzelnen beschreibt Jayme die Wechselwirkung zwischen dem auf eine Person anwendbaren Recht und seiner kulturellen Iden­ tität.64 Anstatt die Unterschiede kultureller Identitäten einzuebnen, sieht Jayme 56 

Ebd., Rn.  8.

57 Ebd. 58 

Vgl. dazu z. B. ebd., §  4 Rn.  38: „Wie die Versuche, das IPR völkerrechtlich zu fundie­ ren, sind indes auch die entsprechenden verfassungsrechtlichen Versuche mit Vorsicht zu betrachten.“ 59  Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität (1988), S.  48: „Folge des Gleichheitssatzes ist demnach, daß auf einen Sachverhalt mit Auslandsberührung dann nicht das für Inlandsfälle geltende Recht angewendet werden kann, wenn der Faktor Auslandsbe­ rührung einen wesentlichen Unterschied zu reinen Inlandsfällen bedingt.“ 60  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  38. 61  Jayme, 251 Recueil des Cours (1995), 9, 251 ff.; ders., RabelsZ 67 (2003), 211 ff.; vgl. dazu Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privatrecht, in: BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137, 148 ff.; Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 202. 62  Vgl. dazu von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  50 f. 63  Jayme, Rechtsvergleichung und kulturelle Identität, S.  15. Zum Begriff der kulturellen Identität vgl. auch Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privatrecht, in: ­BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137, 142 ff. 64  Jayme, Rechtsvergleichung und kulturelle Identität, S.  15 ff. Zum „Recht als Kulturpro­

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einen Mehrwert darin, gerade vor der zunehmenden Rechtsvereinheitlichung in Europa den Bestand kultureller Vielfalt zu wahren.65 Der Respekt vor den kul­ turellen Unterschieden kann sowohl bei der Verweisungsnormanwendung als auch bei ihrer Auslegung hergestellt werden.66 Doch selbst wenn Art.  3 GG die Anwendung verweisungsrechtlich nicht an­ wendbaren Rechts im Einzelfall gebieten und das droit à la difference dies na­ helegen sollte, lässt sich aus Art.  3 GG aber jedenfalls nicht ableiten, wie einem Auslandsbezug Rechnung zu tragen ist. Die Berücksichtigung als möglicher Beitrag zur angemessenen Abbildung internationaler Sachverhalte ist dement­ sprechend nicht grundsätzlich aufgrund von Art.  3 GG geboten, auch wenn für die Berücksichtigung im Einzelfall Gleichheitserwägungen nach Art.  3 GG sprechen können und diese – im Einzelfall – sogar als zwingend erscheinen. Dasselbe gilt entsprechend für das droit à la difference. c) Unionsrechtliches Primärrecht Eine Pflicht zur Abbildung komplexer internationaler Sachverhalte kann im Einzelfall aus dem europäischen Anerkennungsprinzip folgen, das als Unions­ recht Anwendungsvorrang genießt.67 Dieser Grundsatz dient dazu, zugunsten der Schaffung eines Binnenmarktes im Anwendungsbereich der Grundfreihei­ ten Handelshemmnisse ohne Rechtsangleichung abzubauen.68 Z. B. soll eine Ware, die in einem Mitgliedstaat in Einklang mit den dortigen Rechtsregeln hergestellt wurde, in den anderen Mitgliedstaaten in den Grenzen zwingender Gründe des Allgemeinwohls frei zirkulieren können.69 Wie diesem Anerken­ nungsgrundsatz Rechnung getragen wird, ist aber nicht vorgeschrieben, insbe­ sondere folgt hieraus kein Gebot, von der Verweisungs- zur Anerkennungsme­ thode zu wechseln.70 Es handelt sich vielmehr um eine Zielvorgabe der Grund­ freiheiten, der je nach Konstellation auf unterschiedliche Weise genügt werden dukt“ vgl. auch Stürner, AcP 214 (2014), 9, 42. 65  Vgl. dazu Weller, IPRax 2014, 225, 227 f. 66  Ebd., S.  228: „Anerkannt ist jedenfalls, dass die kulturelle Identität – ähnlich der Kegel’schen Interessenlehre – von Legislative und Judikative als objektiver Wert und damit als Argumentationstopos bei der Kollisionsnormbildung und -anwendung berücksichtigt wer­ den kann“. Zur kulturellen Identität als Argumentationstopos bei der Kollisionsnormbildung vgl. auch Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1310. 67  Vgl. dazu von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  3 EGBGB Rn.  22, 117 ff. 68  Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 665 ff. 69  EuGH, Urt. v. 11.7.1974, C-8/74, juris (Dassonville); EuGH, Urt. v. 24.11.1993, C-267, juris (Keck); EuGH, Urt. v. 20.2.1979, C-120/78, juris (Cassis-de-Dijon); vgl. dazu Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 665 ff. 70  Lorenz, in: BeckOK 48. Edition (2018), Einl. IPR Rn.  5.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

kann.71 Dort allerdings, wo die europäischen Grundfreiheiten oder das allge­ meine Diskriminierungsverbot es verlangen, müssen entgegenstehende Kolli­ sions­normen punktuell weichen.72 Auch aus dem Unionsrecht folgt aber keine zwingende Notwendigkeit der Implementierung einer Berücksichtigungsme­ thodik wie der Datumtheorie. d) Zwischenergebnis Die Berücksichtigung ist grundsätzlich weder durch ein völker- oder unions­ rechtliches Prinzip noch durch Art.  3 GG geboten. Doch auch wenn die ange­ messene Abbildung komplexer internationaler Sachverhalte nicht zwingend notwendig ist, so ist sie gleichwohl erstrebenswert. 2. „Dogmatisches Ventil“73 Indem die Berücksichtigungsmethodik einzelfallbezogen durch das Gericht er­ folgt, gleicht sie im System des IPR typisierende Anknüpfungen aus (a)). Sie dient dem internationalen Entscheidungseinklang (b)) sowie der Wahrung der kulturellen Identität des Einzelnen (c)). a) Ausgleich typisierender Anknüpfungen Das rechtspolitische Anliegen des Berücksichtigungsvorgangs ist die Anwen­ dung solcher Normen, die den Sachverhalt gleich einer Tatsache prägen und deren Nichtbeachtung zu einer Interessenfehlbewertung führen würde.74 Dies lässt sich anhand der unionsrechtlichen Berücksichtigungsanordnungen zeigen. Art.  17 Rom II-VO z. B. enthält den Gedanken, dass die verletzte Person auf den örtlich geltenden Sicherheitsstandard vertrauen können muss.75 Wie Art.  17 Rom II-VO lockert Erwägungsgrund 33, insoweit es um die Berücksich­ tigung von Rechtsnormen geht, das nach Art.  4 Rom II-VO bestimmte Delikts­ statut auf, das im Grundsatz auch Art und Umfang des geschuldeten Schadens­

Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 678. Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 4.  Aufl. 2010, §  1 Rn.  12. 73  „Die Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts [fungiert] oft als Ventil für ein rigi­ des die lex fori zur Anwendung bringendes Kollisionsrecht [...]“, Dannemann, Die ungewoll­ te Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  101; vgl. auch Dornis, SZIER 2015, 183, 189: „Local data: Dogmatisches ‚Ventil‘ im System?“ 74  Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Klaus Schurig (2012), S.  229, 233 f. 75  G. Wagner, IPRax 2008, 1, 5. 71 

72 

A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung

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ersatzes umfasst.76 Erwägungsgrund 33 soll dabei insbesondere ausgleichen, dass an Haftungsgrund und Haftungsumfang nicht gespalten angeknüpft wird.77 Die Auflockerung des Verweisungsmechanismus durch Berücksichtigungs­ anordnungen gleicht insofern vor allem die Eviktionswirkung des Verweisungs­ mechanismus aus.78 Nachdem der Sachverhalt infolge der Verweisungsentschei­ dung nationalisiert wurde, kann er in Anwendung der anwendbaren Sachnor­ men wiederum punktuell, dort wo es nötig erscheint, internationalisiert werden.79 Durch diese Feinkorrektur lassen sich nicht zuletzt Pflichtenkollisio­ nen vermeiden.80 Je nach Fallkonstellation kann z. B. durch die Berücksichti­ gung einer ausländischen Eingriffsnorm vermieden werden, dass jemand nach dem einen anwendbaren Recht eine Handlung vornehmen muss, die nach einem ebenfalls mit dem Sachverhalt verbundenen weiteren Recht verboten ist.81 Da bestehende Berücksichtigungsanordnungen die Auflockerung nur für bestimm­ te Bereiche (wie z. B. Verhaltens- und Sicherheitsregeln) typisierend festschrei­ ben, ist darüber hinaus eine von dem Bestehen einer Berücksichtigungsnorm unabhängige Auflockerung des Verweisungsmechanismus vonnöten. Dementsprechend ist die Auflockerung der formalen Anknüpfungsgerechtig­ keit durch richterliche Einzelfallentscheidungen in Auslegung der anwendbaren Vorschriften üblich und notwendig.82 Dies wurde bereits durch die Anschau­ ungsbeispiele im ersten Abschnitt deutlich83 und zeigt sich darüber hinaus an den bereits bestehenden Kategorisierungsangeboten zur Berücksichtigung der Internationalität des Sachverhaltes auf Sachrechtsebene.84 Goldschmidt disku­ tiert die Auflockerung des formalen Verweisungsmechanismus durch das Ge­

76  Zum Umfang des Deliktsstatuts nach Art.  4 Rom II-VO vgl. G. Wagner, ZEuP 2015, 869, 876 ff. 77  R. Wagner, Das Vermittlungsverfahren zur Rom II-VO, in: FS Kropholler (2008), S.  715, 722. 78  Zur Eviktionswirkung vgl. bereits oben Einleitung, Erster Teil A. und Zweiter Teil A.I., Dritter Teil A.I.1.b). 79  Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität (1988), S.  49 f.: „Nachdem der Sachverhalt einer Rechtsordnung zugeordnet wurde (Nationalisierung) ist diese seinen Besonderheiten anzupassen (Internationalisierung).“ 80  Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  136; Wengler, Internationales Privatrecht, Band I (1981), §  7 e 4 (S.  106). 81  Vgl. dazu Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechts­ anwendung (2004), S.  136. 82  Siehr, IPR, 2001, §  46 IV; Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 207 ff. 83  Vgl. dazu Erster Teil B. 84  Vgl. dazu sogleich Dritter Teil A.III.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

richt unter dem Stichwort der „synthetischen Methode des IPR“.85 Andere Be­ zeichnungen und Kategorisierungen der punktuellen Bezugnahme auf auslän­ disches Recht aus dem anwendbaren Sachrecht heraus86 sind der Kegel’sche „Auslandssachverhalt“,87 die „materiell-rechtliche Berücksichtigung“ ausländi­ scher Eingriffsnormen,88 die „Tatbestandswirkung ausländischen Rechts“,89 oder die „Adaption von Sachrecht an die Internationalität des Sachverhaltes“90. Es existiert zudem ein Vorschlag zur Bildung von „Sachnormen im IPR“.91 Im intertemporalen Recht diskutieren Burkhard Hess und Felix Maultzsch die „un­ echte Vorwirkung“ noch nicht erlassener Normen.92 Weitere Auflockerungsme­ thoden auf Sachrechtsebene sind die Anpassung, Substitution, die Transposition oder das Handeln unter fremdem Recht.93 Die Funktion der Berücksichtigung statutsfremden Rechts als Ausgleich der typisierenden Anknüpfungen auf Sachrechtsebene wird, wie bereits erwähnt,94 vor der zunehmenden lex fori-Anwendung im unionsrechtlichen IPR immer wichtiger.95 Schon Paul Heinrich Neuhaus beschreibt die Berücksichtigung aus­ ländischen Rechts als datum, d. h. auf Ebene des Sachrechts, als Möglichkeit, bei Negierung des IPR durch regelmäßige Anwendung der lex fori, ausländi­ sches Recht dennoch zur Geltung zu bringen.96 Dass ausländische Elemente häufig dann berücksichtigt werden, wenn regelmäßig die lex fori Anwendung findet, beweist nicht zuletzt, wie bereits angedeutet,97 ihre Entstehungsgeschich­ te bei Currie und Ehrenzweig: Beide gelangen im Ergebnis regelmäßig zur An­ wendung der lex fori, was sie dazu führt, punktuell ausländische, örtlich ver­ Goldschmidt, Die philosophischen Grundlagen des Internationalen Privatrechts, in: FS Wolff (1952), S.  203, 211 f. 86  Vgl. dazu sogleich Dritter Teil A.III. 87  Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  164; vgl. dazu Dritter Teil A.III.3. 88  Vgl. dazu Erster Teil B.I. 89  Stoll, Deliktsstatut und Tatbestandswirkung ausländischen Rechts, in: FS Lipstein (1980), S.  259 ff.; ders., Die Behandlung von Verhaltensnormen und Sicherheitsvorschriften, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse (1983), S.  160 ff.; vgl. dazu Dritter Teil A.III.4. 90  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  17 ff.; vgl. dazu Dritter Teil A.III.5. 91  Vgl. dazu Dritter Teil A.III.2. 92  Hess, Intertemporales Privatrecht (1998), insbesondere S.  492 ff.; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322 ff.; vgl. dazu Dritter Teil A.III.6. 93  Vgl. dazu Dritter Teil A.III.1. 94  Vgl. dazu soeben Dritter Teil A.I.3. 95  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 197 ff. 96  Neuhaus, RabelsZ 35 (1971), 401, 410. 97  Vgl. dazu oben Dritter Teil A.I.3. 85 

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wurzelte oder sonst den Sachverhalt prägende Vorschriften bei der Falllösung zu berücksichtigen.98 b) Internationaler Entscheidungseinklang Indem durch die Berücksichtigung statutsfremden Rechts bestimmten Rechts­ erscheinungen unabhängig vom anwendbaren Recht (und damit entsprechend oft unabhängig vom Gerichtsstandort) Geltung verschafft wird, trägt die Be­ rücksichtigung zum internationalen Entscheidungseinklang bei.99 Sie entspricht hierdurch dem Leitbild der gleichwertigen Anwendung in- und ausländischen Rechts.100 Soweit vertreten wird, die Wahrung des internationalen Entschei­ dungseinklangs würde zu einer Transaktionskostenminderung führen,101 könn­ te dieser Gedanke auf die Berücksichtigung übertragen werden. Durch die Be­ rücksichtigung ansonsten nicht beachtlicher Regelungen könnte zudem Proble­ men auf der Vollstreckungsebene vorgebeugt werden.102 In der Vergangenheit betraf dies vorwiegend Regelungen ausländischen öffentlichen Rechts, das nach dem sog. Territorialitätsgrundsatz nicht angewandt werden durfte.103 Denn un­ abhängig von dem auf einen Sachverhalt anzuwendenden Recht ist davon aus­ zugehen, dass der Staat, in dem die jeweilige Entscheidung vollstreckt wird, sein „öffentliches“ Recht im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens durchset­ zen würde.104 98  Kinsch, Le fait du prince étranger (1994), S.  336: „La raison pour laquelle Currie et Ehrenzweig ont formulé leur théorie des data est qu’elle leur apparaissait comme un complé­ ment nécessaire – une atténuation, dans un certain sens – du rôle éminent que ces auteurs attribuaient à la lex fori dans les litiges internationaux: une fréquente référence à des data locaux pour permettre le fonctionnement de la règle de dècision du for.“ Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.1. 99  Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  6 III 2; im Zusammenhang mit der materiell-rechtli­ chen Beachtung ausländischer Eingriffsnormen Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 286, 302. Vgl. zum internationalen Entscheidungseinklang bereits Erster Teil A. 100  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  2 Rn.  55. 101 Zur Transaktionskostenminderung infolge internationalen Entscheidungseinklangs vgl. von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  7 mit Hinweis auf die öko­ nomischen Analyse des IPR: bei Giesela Rühl, Statut und Effizienz (Tübingen 2011); dies., Methods and Approaches in Choice of Law: An Economic Perspective, Berkeley J. Int. L. 24 (2006), 801 ff.; Jürgen Basedow/Toshiyuki Kono (Hrsg.), An Economic Analysis of Private Internation Law (Tübingen 2006); von Hein, Of Older Siblings and Distant Cousins: The Contribution of the Rome II Regulation to the Communitarisation of Private International Law, RabelsZ 73 (2009), 461, 466 ff. 102  Vgl. dazu z. B. Schiffer, IPRax 1991, 84, 87. 103 Ebd. 104  Ebd.: „Unabhängig davon, welches nationale Recht als grundsätzliches Statut auf den betreffenden Sachverhalt anzuwenden ist, wird der Staat, in dem die Schiedsentscheidung

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

c) Kulturelle Vielfalt Die Bedeutung der Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug nimmt zudem stetig zu.105 Dies liegt an der Globalisierung, der europäischen Integration sowie einer daraus resultierenden vermehrten Mobilität.106 Während die Anknüpfung an wandelbare Anknüpfungsmomente wie den gewöhnlichen Aufenthalt dabei in­ tegrationsfördernd wirkt, kann die Berücksichtigung die aus dem häufigen und vereinfachten Wechsel des Personalstatuts resultierenden Spannungslagen auf­ lösen.107 Die Berücksichtigung ausländischen Rechts dient damit zugleich der Beachtung der kulturellen Identität108 einer Person.109 Die kulturelle Identität kann bereits im Rahmen der Bildung abstrakter Kollisionsnormen beachtet wer­ den.110 Idealiter indiziere, so Jayme, die Staatsangehörigkeit eine kulturelle Verbundenheit mit dem Heimatstaat.111 Nach Mansel bildete allerdings häufig weder Staatsangehörigkeits- noch Aufenthaltsrecht die (kulturelle) Nähebezie­ hung einer Person zu einer Rechtsordnung erschöpfend ab.112 Hinzu kommt, vollstreckt werden soll, in jedem Fall sein – im Verhältnis zu dem grundsätzlichen Statut ‚ausländisches‘ – ‚öffentliches‘ Recht regelmäßig im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens durchsetzen. Die öffentliche Ordnung des Vollstreckungsstaates bindet dessen Organe bei der Durchsetzung der vor dem internationalen Handelsschiedsgericht eingeklagten Ansprü­ che. Es ist beispielsweise kaum anzunehmen, ein Staat ließe es zu, daß seine Vollstreckungs­ organe sein Außenwirtschaftsrecht mißachten.“ 105  Mansel/Weller/von Hein, JZ 2016, 855 f.; Lorenz, in: BeckOGK (1.8.2018), Einl. IPR Rn.  5. 106  Ähnlich findet sich diese Aussage bereits bei Juenger, Zum Wandel des Internationa­ len Privatrechts (1974), S.  6; Raape/Sturm, IPR, 6.  Aufl. 1977, §  1 VI: „In der Praxis spielt das IPR eine immer stärkere Rolle. Ursache hierfür sind nicht nur europäische Integration und zunehmende internationale Verflechtung. Ganz entscheidend trägt hierzu bei, daß in den vergangenen Jahren immer mehr Gastarbeiter in die Bundesrepublik einströmten.“ 107  Zu Spannungslagen aufgrund des Wechsels des Personalstatuts vgl. z. B. E. Wagner, Statutenwechsel und dépeçage im internationalen Deliktsrecht (1988), S.  188. 108  Zum Begriff der kulturellen Identität vgl. Mansel, Die kulturelle Identität im Interna­ tionalen Privatrecht, in: BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137, 142 ff. Zum Recht auf Achtung der kulturellen Identität Jayme, 251 Recueil des Cours (1995), 33, 167 ff., 251 ff. Vgl. dazu bereits Dritter Teil A.II.1.b). 109  Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privatrecht, in: BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137, 150 ff. 110  Ebd., 150. Zur kulturellen Identität als Argumentationstopos bei der Kollisionsnorm­ bildung vgl. Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1310; Weller, IPRax 2014, 225, 228. 111  Jayme, RabelsZ 67 (2003), 211, 224: „Ein gewisses Gewicht hat die Staatsangehörig­ keit aber immer noch. Sie indiziert eine kulturelle Verbundenheit mit dem Heimatstaat“; Mansel, RabelsZ 61 (1997), 566, 569: „Die Staatsangehörigkeit ist idealiter Anzeiger der kulturellen Identität einer Person.“ 112  Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privatrecht, in: BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137, 154: „Hier wählt der jeweilige Gesetzgeber [...] Anknüpfungskriterien aus,

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dass die kulturelle Identität einer Person selten von nur einer Rechtsordnung geprägt ist.113 Der kulturellen Identität kann deshalb ergänzend einzelfallbezo­ gen durch eine entsprechende Sachnormauslegung Rechnung getragen werden, wie dies auch bei der Berücksichtigung von Grundrechtswertungen der Fall sein kann.114 Als „dogmatisches Ventil“115 trägt die Berücksichtigung im IPR der Plurali­ sierung der Lebensverhältnisse Rechnung, dient der kulturellen Vielfalt und fördert insofern den „individualistischen Ansatz“ im IPR.116 Hierdurch fügt sie sich in das postmoderne IPR (Jayme)117 ein, in dem das Individuum und die Achtung seiner kulturellen Identität als Argumentationstopos immer wichtiger werden.118 3. Abgrenzung zu bestehenden verweisungsrechtlichen Auflockerungsmethoden Der richterliche Berücksichtigungsvorgang in Auslegung der anwendbaren Sachnormen hat im System des Kollisionsrechts die Funktion eines „dogmati­ schen Ventils“119 und gleicht damit bestehende Defizite des herkömmlichen Verweisungsmechanismus aus. Die Berücksichtigung als Rechtsfortbildung und Hybridform zwischen Sach- und Kollisionsrecht wäre aber nur dann not­ wendig, wenn die Funktion des „dogmatischen Ventils“120 nicht bereits durch klassische verweisungsrechtliche Methoden erfüllt würde. Ein Indiz für letzte­ res ist, dass zumindest einige der Ehrenzweig’schen Datumtheorie-Fälle im kontinentaleuropäischen IPR vorhandenen klassischen IPR-Methoden wie der Vorfrage zuzuordnen sind.121 Insgesamt korrigieren im IPR vielfältige Metho­ den die Verweisungsentscheidung im Einzelfall auf Ebene des Verweisungsrechts. Diese Instrumente könnten zunächst gegenüber der Berücksichtigung die jedes für sich genommen die Realität einer Nähebeziehung der Anknüpfungsperson zu einer Rechtsordnung nur unvollkommen abbilden können.“ 113  Mankowski, IPRax 2004, 282, 284. 114  Vgl. dazu auch Mankowski, IPRax 2004, 282, 288 f. 115  Vgl. zu diesem Begriff Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der interna­ tio­nalen Rechtsanwendung (2004), S.  101; vgl. auch Dornis, SZIER 2015, 183, 189: „Local data: Dogmatisches ‚Ventil‘ im System?“ 116  Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten (2013), S.  50. 117  Jayme, 251 Recueil des Cours (1995), 33, 246 ff. 118  Vgl. dazu Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1310; Weller, IPRax 2014, 225, 228. 119  Vgl. zu diesem Begriff Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der interna­ tio­nalen Rechtsanwendung (2004), S.  101; vgl. auch Dornis, SZIER 2015, 183, 189. 120  Vgl. zu diesem Begriff ebd. 121  Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev. 55, 59 f. (1966).

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und anderen auf Sachrechtsebene operierenden Mechanismen als vorzugswür­ dig erachtet werden, weil sie zu keinem tertium zwischen Verweisungs- und Sachrecht führen. Solange diese Auflockerungsmethoden nicht kodifiziert sind, stellen sie allerdings ebenso wie die richterliche Berücksichtigung gegenüber den Verweisungsnormen eine Rechtsfortbildung dar. Ausweichklauseln, Sonder- sowie Vor- und Teilfragenankünpfungen sind klassische Instrumente zur Auflockerung der Verweisungsentscheidungen, die auf Verweisungsebene operieren und dem Gericht Spielraum gewähren.122 Der Einzelfallkontrolle im IPR dient herkömmlicherweise zudem der ordre public,123 der zwar eine Zwischenstellung zwischen Verweisungs- und Sachrecht einnimmt, aber aufgrund seiner klassischen Zugehörigkeit zum IPR bereits hier von der Berücksichtigung abgegrenzt werden soll.124 Im Folgenden wird geprüft, ob die genannten Instrumente dazu ausreichen, die bestehenden Defizite des Verweisungsmechanismus auszugleichen. a) Ausweichklausel Ausweichklauseln sind Verweisungsnormen, die die Prüfung ermöglichen, ob ausnahmsweise eine engere Verbindung zu einem anderen als dem nach der Regelverweisung anwendbaren Recht besteht.125 Sie können entweder rechtsge­ bietsspezifisch erlassen werden oder als allgemeine Ausweichklausel für jede Verweisungsentscheidung des IPR gelten.126 Dem rechtsfortbildenden richterlichen Berücksichtigungsvorgang und den Ausweichklauseln ist gemeinsam, dass in beiden Fällen im Ergebnis die Ent­ scheidungskompetenz über die Frage des anwendbaren Rechts punktuell von der Gesetzgebung hin zum Gericht verlagert wird.127 Ausweichklauseln tragen wie die rechtsfortbildende Berücksichtigung auf Sachrechtsebene zum Gleich­ gewicht zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit bei.128 122  Vgl. dazu Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unter­ nehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 204. 123  Vgl. dazu von Hoffmann/Thorn, IPR, §  6 Rn.  136 ff. 124  Zur Abgrenzung der Berücksichtigung von den übrigen auf Ebene des Sachrechts an­ gesiedelten Fallgruppen oder Vorschlägen zur Bewältigung des Auslandssachverhaltes vgl. Dritter Teil A.III. 125  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  7 Rn.  93. 126  Für ein Beispiel einer allgemeinen Ausweichklausel, vgl. z. B. Art.  15 des schweizeri­ schen IPRG; für eine rechtsgebietsspezifische Ausweichklausel vgl. Art.  4 Abs.  3 Rom II-VO. 127  Vgl. in diesem Zusammenhang auch Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht (2013), S.  309. 128  Vgl. insoweit zu Ausweichklauseln Mankowski, IPRax 2004, 282, 285; Mansel, Perso­ nalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität (1988), S.  488.

A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung

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Im Falle einer Ausweichklausel ist die punktuelle Kompetenzverlagerung zum Gericht sowie die damit verbundene punktuelle Korrektur der Verwei­ sungsentscheidung allerdings gesetzgeberisch legitimiert.129 Dies spricht dafür, Ausweichklauseln gegenüber der Berücksichtigung als ausreichend und vor­ zugswürdig zu erachten. Gleichwohl ermöglichen Ausweichklauseln de lege lata regelmäßig die An­ wendung des räumlich, nicht des inhaltlich besten Rechts.130 Die Berücksichti­ gung statutsfremden Rechts kann hingegen aus räumlichen und sachlichen Er­ wägungen heraus erfolgen.131 Zudem führt eine Ausweichklausel anders als die Berücksichtigung auf normativer Grundlage des Sachrechts zu einem diskre­ tio­nären Ermessen der Gerichte. Demgegenüber stellt die Feinkorrektur gegen­ über der Verweisungsentscheidung das mildere Mittel dar, weil sie sich an die Auslegungsgrenzen des verweisungsrechtlich anwendbaren Rechts hält.132 Je­ denfalls de lege lata ist die Berücksichtigung neben den vereinzelten Aus­ weichklauseln nicht überflüssig, weil es an einer rechtsgebietsübergreifenden Ausweichklausel fehlt. Nicht zuletzt sind punktuelle Korrekturen durch das Gericht auf Sachrechtsebene nicht zwingend alternativ zur Ausweichklausel, sondern können diese in ihrer Funktion durch eine Feinsteuerung auf Sach­ rechtsebene ergänzen.133 Ausweichklauseln machen den richterlichen Berücksichtigungsvorgang in Auslegung des anwendbaren Sachrechts deshalb nicht überflüssig. 129  Vgl. in diesem Zusammenhang auch Remien, Engste Verbindung und Ausweichklau­ seln, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  223, 230. 130  von Hein, Die Ausweichklausel im europäischen Internationalen Deliktsrecht, in: FS Kropholler (2008), S.  553, 564 f.: „Art.  4 III Rom II-VO steht in der Tradition des ‚klassi­ schen‘ Kollisionsrechts i. S. Savignys insoweit, als die Ausweichklausel nicht auf die Ermitt­ lung des inhaltlich besten, sondern des in räumlich-funktionaler Hinsicht angemessensten Rechts abzielt“; vgl. auch Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität (1988), S.  483: „Eine Ausweichklausel kann einmal dazu benutzt werden, materiellrechtlich als unbefriedigend angesehene Ergebnisse zu korrigieren. Ein solches Vorgehen wird jedoch weitgehend abgelehnt, es sei denn, die Voraussetzungen des ordre public-Verstoßes (Art.  6 EGBGB) sind erfüllt.“ 131  Vgl. dazu Zweiter Teil B.II. 132  Vgl. dazu Dritter Teil C.I. sowie Jayme, Internationales Familienrecht heute, in: FS Müller-Freienfels (1986), S.  346, 370: „Die [zweistufige] Methode ist m. E. einer kollisions­ rechtlichen »Ausweichklausel« vorzuziehen, die neuerdings an Boden gewinnt. Die Ausle­ gung der Sachnorm wird der besonderen Lage des Einzelfalls eher gerecht als die Aufstel­ lung einer neuen Kollisionsnorm für Ausnahmefälle.“ 133  Vgl. diesbezüglich im Hinblick auf Eingriffsnormen Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41, 98: „Generalklauselartige Sonderanknüpfungen ausländischer Eingriffsnormen sind wie die Vorbehaltsklauseln nur grobe Filter und hindern uns nicht, über das anwendbare ausländi­ sche oder inländische Sachrecht das Ergebnis einer feineren Filterung anzuerkennen.“

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

b) Sonderanknüpfung (von Eingriffsnormen) Möglicherweise vermag die gesonderte Anknüpfung von Normen die Berück­ sichtigung zu ersetzen.134 Zwar ist die Sonderanknüpfung funktional ähnlich zur Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene. So wäre es außerhalb des Anwendungsbereichs von Art.  17 Rom II-VO beispielsweise denkbar, Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften dem ausländischen öffentli­ chen Recht zuzuordnen und sodann „als bloßes ‚Datum‘“ oder als Eingriffs­ norm gesondert anzuknüpfen.135 Die Sonderanknüpfung ist aber, wie bereits gezeigt wurde, de lege lata eng zu verstehen und erfasst nicht jede Rechtsnorm, die punktuell enger als das eigent­ lich anwendbare Recht mit dem Sachverhalt verbunden ist.136 Eine Sonderan­ knüpfung ist nur für Eingriffsnormen anerkannt.137 Solange sich dies nicht än­ dert, bleibt die Berücksichtigung trotz der Existenz der Sonderanknüpfungs­ dogmatik eine valide Methode zur Bewältigung des Auslandssachverhaltes.138 Dies umso mehr, als der Berücksichtigungsvorgang gegenüber der Sonderan­ knüpfung das mildere Mittel darstellt, da die Sonderanknüpfung im Regelfall zur Überlagerung des anwendbaren Rechts aufgrund des Geltungswillens aus­ ländischer Normen führt,139 während beim Vorgang der richterlichen Berück­ sichtigung auf Sachrechtsebene statutsfremde Normen in das anwendbare Sach­ recht eingepasst werden.140 Die Sonderanknüpfung deckt deshalb nicht alle Fälle der Berücksichtigung ab. c) Teilfrage, Erstfrage, Vorfrage Weitere verweisungsrechtliche Auflockerungsmechanismen, die die Berück­ sichtigung potentiell überflüssig machen könnten, bilden Erstfragen (Vorfragen im weiteren Sinne), die innerhalb einer Verweisungsnorm auftreten, und sog. Vorfragen (im engeren Sinne), die bei Anwendung der verweisungsrechtlich be­ rufenen Sachnormen relevant werden.141 Davon zu unterscheiden sind zudem Teilfragen.142 134 

Zur Sonderanknüpfung vgl. Erster Teil B.I. und Zweiter Teil A.II.3. Vgl. dazu auch Dörner, JR 1994, 6, 9. 136  Vgl. dazu Zweiter Teil A.II.3. 137  Vgl. dazu Zweiter Teil A.II.3. 138  Vgl. dazu Zweiter Teil A.II.3. 139  Zur Rechtsfolge der Sonderanknüpfung vgl. bereits Zweiter Teil A.II.3. 140  Vgl. dazu sogleich Dritter Teil C.; vgl. dazu auch Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41, 98. 141  Vgl. dazu von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  148 ff. 142 Zur Abgrenzung von Vorfrage und Teilfrage vgl. Serick, RabelsZ 18 (1953), 633, 641 ff. 135 

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aa) Teilfrage Grundsätzlich wird auf Rechtsordnungen insgesamt verwiesen, da Verwei­ sungsgegenstand meist eine umfassende Rechtsfrage wie z. B. ein Vertrag ist.143 Teilfragen sind hierzu die Ausnahme.144 Sie betreffen einen Ausschnitt sach­ rechtlicher Rechtsfragen, die zwar keine eigene Rechtsfolge hervorrufen, aber als Tatbestandsvoraussetzungen einer Hauptfrage erheblich sind, etwa die Ge­ schäftsfähigkeit einer Person oder die Formerfordernisse für einen Vertrag.145 Anders als Erst- und Vorfragen sind sie regelmäßig nicht dazu geeignet, Gegen­ stand einer Hauptfrage zu sein, da sie „kein Rechtsverhältnis vertypen“, son­ dern „unselbständige Glieder eines Tatbestands“ sind.146 Sie werden, sofern sie als Teilfragen vom Hauptstatut abgespalten wurden, wie Erstfragen147 nach dem Kollisionsrecht der lex fori gesondert angeknüpft.148 Dazu wird ein zusammen­ hängender Sachverhalt zergliedert und Normkomplexen unterschiedlicher staatlicher Rechte unterstellt.149 Im deutschen Kollisionsrecht sind anerkannte Teilfragen in gesonderten Ver­ weisungsnormen geregelt, vgl. z. B. für die Geschäftsfähigkeit in Art.  7 Abs.  1 EGBGB.150 Das verweisungsrechtliche Prinzip, eine Rechtsordnung im Ganzen anzuwenden, wird durch eine Teilanknüpfung durchbrochen, weshalb sie nur in diesen normierten Ausnahmefällen zulässig ist.151 Man könnte dementspre­ chend zwar beispielsweise im Deliktsrecht die Rechtswidrigkeit insgesamt ge­ sondert anknüpfen und sodann dem Handlungsortrecht unterstellen; dagegen spricht aber, dass die Aufspaltung der Statute, wie soeben erwähnt, grundsätz­ lich vermieden werden soll.152 Grund hierfür ist letztlich, dass davon ausgegan­ gen wird, die Regelungen eines größeren Rechtskomplexes seien größtenteils 143 

Siehr, IPR, 2001, §  47 IV 1.

144 Ebd.

von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  103. Sturm/Sturm, in: Staudinger, BGB (2012), Einl. zum IPR Rn.  291; zur Abgrenzung von Teil- und Vorfrage vgl. auch von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  160. 147  Vgl. dazu sogleich Dritter Teil A.II.3.c)bb). 148  Vgl. dazu von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  103, 160 ff. 149  Ebd., Rn.  105. 150  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  103. 151  Vgl. in diesem Zusammenhang auch Serick, RabelsZ 18 (1953), 633, 637: „Aus dem Gebot, die nationale Einheit eines Rechtsinstituts so weit wie möglich zu wahren, ist die Folgerung abzuleiten, daß jede Kollisionsnorm, die ihrem Wortlaut nach eine Sonderanknüp­ fung von Teilfragen anordnet oder zuläßt, möglichst eng zu interpretieren ist.“ 152  Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  18 I 1; Stoll, Die Behandlung von Verhaltensnormen und Sicherheitsvorschriften, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen inter­ nationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse (1983), S.  160, 172. 145 

146 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

aufeinander abgestimmt und könnten deshalb nicht voneinander getrennt wer­ den, ohne dass Anpassungslagen entstünden.153 Aus demselben Grund, weshalb eine Sonderanknüpfung nur für Eingriffs­ normen möglich sein soll,154 sind Teilfrageanknüpfungen deshalb grundsätzlich zu vermeiden. De lege lata lässt die Existenz einiger Teilfragen die Notwendig­ keit eines Berücksichtigungsvorgangs auf Sachrechtsebene zur Feinkorrektur nicht entfallen. Ob de lege ferenda eine weitere Ausdifferenzierung der An­ knüpfungsgegenstände sowie eine damit verbundene Ausweitung der Teilfra­ genanknüpfung den Berücksichtigungsvorgang ablösen sollte, wird im letzten Teil dieser Arbeit untersucht.155 bb) Erstfrage und Vorfrage Die Abgrenzung des Berücksichtigungsvorgangs von Vorfragen ist hingegen weniger eindeutig. Vorfragen betreffen Rechtsverhältnisse innerhalb einer an­ wendbaren Sachnorm, bei der sich erneut die kollisionsrechtliche Frage nach dem auf sie anwendbaren Recht stellt.156 Die Vorfrage ist der Berücksichtigung statutsfremden Rechts am ähnlichsten, da beide innerhalb der anwendbaren Sachnorm nach einem punktuell anderen anwendbaren Recht fragen. Davon abzugrenzen sind Erstfragen, bei denen sich keine Überschneidung mit dem Berücksichtigungsvorgang ergibt, da sie sich im Tatbestand einer Ver­ weisungsnorm stellen und nach dem Recht der lex fori gesondert angeknüpft werden.157 Bei der Vorfrage handelt es sich hingegen um die Würdigung eines präjudizi­ ellen Rechtsverhältnisses innerhalb des anwendbaren Sachrechts, das einem eigenständigen Systembegriff unterfällt.158 Funktional ist die Vorfragenfra­ genanknüpfung insofern mit der Berücksichtigung auf Sachrechtsebene ver­ gleichbar, als beide den streng nur auf ein Recht verweisenden Verweisungsme­ chanismus auflockern.159

Neuhaus, Die Grundbegriffe des internationalen Privatrechts, 2.  Aufl. 1976, S.  133. Vgl. dazu Zweiter Teil A.II.3. 155  Vgl. dazu Dritter Teil F.I. 156  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  148 ff. 157  Ebd., Rn.  161. 158  Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  32; Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Kri­ sen-)Staaten (2013), S.  46. 159  Weller, Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmo­ derne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  53, 79. 153 

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Im Unterschied zum Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene sind Vorfragen allerdings unstrittig verweisungsrechtliche Vorgänge.160 Im Falle des Vorliegens einer Vorfrage werden zur Bestimmung des hierauf anwendbaren Rechts bestehende Verweisungsregeln herangezogen.161 Die Berücksichtigung ist deshalb daneben nur dann nötig, wenn es keinen verweisungsrechtlichen Be­ fehl gibt, der zu einer gesonderten Anknüpfung einer bestimmten Rechtsfrage (als Vorfrage) führt. Im Einzelfall ist es schwierig zu bestimmen, wann ein im Wege der Vorfrage gesondert anknüpfungsfähiges Rechtsverhältnis gegeben ist. Hierfür kann im Ausgangspunkt danach gefragt werden, wann ein Rechtsbegriff oder ein Rechtsinstitut derart verselbständigt ist, dass er bzw. es gesondert – nach den Verweisungsnormen der lex fori oder unselbständig nach dem Verweisungs­ recht der lex causae –162 angeknüpft werden kann.163 Dies ist regelmäßig der Fall, wenn sich ein bestimmter Normkomplex einem eigenständigen (zivilrecht­ lichen) Systembegriff zuordnen lässt.164 Meistens entstehen Verweisungsregeln dann, wenn „ein juristischer Begriff im Rechtsempfinden der Allgemeinheit bereits so verselbständigt ist, daß er als eigener Träger rechtlicher Inhalte be­ trachtet wird, auf den dann auch eigene kollisionsrechtliche Interessen bezogen sind“.165 Sofern eine Frage in kein neues Verweisungsnormen-Bündel166 ge­ schnürt werden kann, handelt es sich nicht um einen anknüpfungsfähigen Ge­ genstand. Ein Indiz für die Verselbständigung von Rechtsverhältnissen ist zu­ dem, dass sie nach §  256 ZPO eigens Gegenstand einer Feststellungs- oder Inzi­ Abgrenzung von Datumtheorie und Vorfrage vgl. Funken, Das Anerkennungs­ prinzip im internationalen Privatrecht (2009), S.  256: „Die Vorfragenproblematik betrifft ein Rechtsverhältnis oder Recht, das nach einer bestimmten Rechtsordnung zu beurteilen ist. Sie erfordert also die Einschaltung einer Kollisionsnorm. Die Datumtheorie setzt dagegen vor­ aus, dass das Datumrecht nicht durch einen internationalprivatrechtlichen Anwendungsbe­ fehl berufen ist. Beide Problemkreise sind daher strikt zu trennen“; Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht (1985), S.  165 ff. 161  Umstritten ist, ob die Verweisungsregeln der lex causae oder der lex fori zu entnehmen sind, von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  151. 162  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  151. 163  Vgl. dazu auch Ludwig, in: jurisPK-BGB, 7.  Aufl. 2015, Art.  3, 3a, 4 EGBGB Rn.  340, 360: „Auch unterscheidet sich die Datum-Theorie von der Vorfrage. Bei der Vorfrage setzt seine materielle Norm des ermittelten Hauptstatuts das Bestehen eines anderen Rechtsver­ hältnisses voraus.“ 164  Weller, Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmo­ derne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  53, 79 f. 165  Schurig, Die Struktur des kollisionsrechtlichen Vorfragenproblems, in: FS Kegel (1987), S.  549, 592. 166  Zum Bündelungsmodell Schurigs vgl. bereits Zweiter Teil A.II.3. 160  Zur

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dentfeststellungsklage sein können.167 Solange es nicht um ein präjudizielles Rechtsverhältnis, sondern lediglich um einen allein stehenden Rechtsbegriff geht, fehlt die Möglichkeit einer eigenständigen Anknüpfung. Besteht deshalb keine Möglichkeit der Zuordnung der Frage zu einem eigenständigen Systembe­ griff, ist Raum für die Berücksichtigung.168 Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Berücksichtigung nur dann gegen­ über der Vorfragenanknüpfung zurücktritt, wenn die Möglichkeit der Vorfra­ genanknüpfung auch realisiert wird, d. h. wenn eine entsprechende geschriebe­ ne oder ungeschriebene Verweisungsregel existiert, nach der ein präjudizielles Rechtsverhältnis auch tatsächlich gesondert angeknüpft werden kann. Dies zeigt das Beispiel der Verkehrsregeln. Bislang sind sie lediglich auf Sachrechts­ ebene zu berücksichtigen, obwohl sie ebenso als Vorfrage eigens angeknüpft werden könnten.169 Hier fehlt es – derzeit – an einer anerkannten Verweisungs­ regel. Wann eine – vor allem eine ungeschriebene – Verweisungsregel entsteht, ist im Einzelfall schwer zu beurteilen. Für die Abgrenzung zur Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sach­ rechtsebene ist im Ergebnis festzuhalten: Solange es sich nicht um einen Rechts­ begriff handelt, der gesondert angeknüpft werden kann und gesondert ange­ knüpft wird, ist die Berücksichtigung nicht durch die Vorfrage verdrängt. Im Falle der Sicherheits- und Verhaltensregeln wäre eine gesonderte Anknüpfung zwar möglich, ist derzeit jedoch nicht vorgesehen. Sicherheits- und Verhaltens­ regeln könnten deshalb im Wege der Berücksichtigung für die Falllösung rele­ vant werden. d) Ordre public-Vorbehalt Ein Korrektiv des Verweisungsmechanismus stellt darüber hinaus der ordre public-Vorbehalt dar.170 Im deutschen IPR ist der ordre public-Vorbehalt in Art.  6 EGBGB kodifiziert.171 Danach ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das den wesent­ lichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten, zu­

167  Sturm/Sturm, in: Staudinger, BGB (2012), Einl. zum IPR Rn.  279: „Vorfragen betref­ fen Rechtsverhältnisse. Sie können also jederzeit verselbständigt und Gegenstand einer Fest­ stellungs- oder einer Inzidentfeststellungsklage werden (§  256 ZPO).“ 168  Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten (2013), S.  46 mit dem Bei­ spiel des „Leistungshindernisses“ in §  275 Abs.  3 BGB. 169  Vgl. dazu Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechts­ anwendung (2004), S.  98. 170  von Hoffmann/Thorn, 9.  Aufl. 2007, IPR, §  6 Rn.  136. 171  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  281.

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widerläuft.172 Durch den ordre public erfolgt eine konkrete Ergebniskontrolle der Verweisungsentscheidung im Einzelfall.173 Der ordre public-Vorbehalt ver­ hilft dadurch ausnahmsweise rechtlichen Wertungen zur Durchsetzung, die verweisungsrechtlich verdrängt sind.174 Früher wurde dem ordre public nicht nur diese negative, sondern auch eine positive Funktion zugeschrieben.175 Der positive ordre public setzte bestimmte (inländische) Normen gegen das an sich anwendbare Recht durch, der negative wehrte ein bestimmtes Rechtsanwendungsergebnis ab.176 Zwar handelte es sich letztlich um zwei Seiten derselben Medaille, da bei Abwehr eines Rechtsanwen­ dungsergebnisses naturgemäß die nun entstehende Lücke durch andere, meist inländische Normen gefüllt werden musste.177 Differenzieren ließ sich aber da­ nach, was jeweils im Vordergrund stand: die Negierung einer Rechtsanwendung oder die Durchsetzung eigener Normen. Die in diesem Sinne positive Funktion des ordre public wurde im Laufe der Zeit von ihm entkoppelt und dogmatisch der sog. Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen zugeschrieben, nach denen bestimmte Normen positiv gegenüber dem an sich anwendbaren Recht durchzu­ setzen sind.178 Heutzutage ist der ordre public von der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen zu unterscheiden und wird durch sie ergänzt.179 Im Folgenden soll die Berücksichtigung deshalb vom ordre public-Vorbehalt in seiner negativen Funktion abgegrenzt werden.180 Der ordre public-Vorbehalt in seiner negativen Funktion stellt wie die Berücksichtigung ein Gegengewicht 172  „Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensicht­ lich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist“, Art.  6 EGBGB; vgl. auch die Formel des BGH, nach der der ordre public-Vorbehalt eingreift, wenn „das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und den in ihnen liegenden Gerechtigkeits­ vorstellungen in einem so schwerwiegenden Widerspruch steht, daß seine Anwendung für untragbar angesehen werden muss“, BGH, Beschl. v. 18.6.1970, IV ZB 69/69, BGHZ 54, 123, 130; BGH, Beschl. v. 17.9.1968, IV ZB 501/68, BGHZ 50, 370, 376; vgl. dazu von Hoffmann/ Thorn, 9.  Aufl. 2007, IPR, §  6 Rn.  139. 173  Wurmnest, Ordre public, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  4 45, 465. 174  L. Hübner, Kollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus „nicht-privile­ gierten“ Drittstaaten (2011), S.  169. 175  Ebd., S.  168. 176 Ebd. 177  Siehr, IPR, 2001, §  53 II 2 b. 178  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  286. 179  Wurmnest, Ordre public, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  4 45, 457 ff. 180  Zur Abgrenzung von Sonderanknüpfung und Berücksichtigung, vgl. Dritter Teil A. II.3.b).

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zu den ergebnisblinden Kollisionsnormen dar.181 Bei dem ordre public-Vorbe­ halt greifen wie bei der Berücksichtigung kollisionsrechtliche und sachrechtli­ che Regelungstechnik ineinander.182 Im Unterschied zum ordre public-Vorbehalt führt die Berücksichtigung aller­ dings zur Anwendung statutsfremden Rechts und nicht zur Abwehr desselben. Während der ordre public-Vorbehalt eine Beschränkung der Anwendung aus­ ländischen Rechts im Interesse der Grundwertungen der lex fori darstellt,183 erweitert die Berücksichtigung den Anwendungsbereich statutsfremden Rechts, indem sie dieses auf Tatbestandsebene der Ausgangssachnorm in Einklang mit den Grundwertungen der lex causae zur Geltung bringt.184 Zudem geht es bei der Berücksichtigung nicht wie beim ordre public-Vorbehalt nur um die Erhal­ tung wesentlicher Grundwertungen einer Rechtsordnung, sondern um den ge­ nerellen Ausgleich von Spannungslagen aufgrund des in eine Rechtsordnung führenden Verweisungsmechanismus. Berücksichtigung und ordre public schließen sich zuletzt nicht gegenseitig aus.185 Die Berücksichtigung ist als Feinsteuerung auf Sachrechtsebene präziser als der ordre public-Vorbehalt. Be­ rücksichtigung und ordre public funktionieren insofern nebeneinander, insbe­ sondere vermag letzterer die Berücksichtigung nicht zu ersetzen. e) Zwischenergebnis Die herkömmlichen IPR-Methoden zur Auflockerung der Verweisungsentschei­ dung sind von der richterlichen Berücksichtigung in Auslegung der anwendba­ ren Sachnormen abgrenzbar. Obwohl die jeweiligen Methoden eine ähnliche Funktion wie die richterliche Berücksichtigung haben, ersetzen sie sie nicht als „dogmatisches Ventil“186 zur Feinsteuerung auf Sachrechtsebene. Dies liegt vor allem daran, dass die Berücksichtigung und die damit einhergehende Korrektur des Verweisungsergebnisses auf Sachrechtsebene feinmaschiger ist und keine anknüpfungsfähigen Systembegriffe voraussetzt. Zu diesem Ergebnis passt die Beobachtung, dass klassische IPR-Methoden zur Auflockerung der Verwei­ sungsentscheidung, die auf Verweisungsebene anzusiedeln sind, zwar die Evik­ tionswirkung der Verweisungsentscheidung abmildern können, aber letztlich Vgl. dazu von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  3 Rn.  74. Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Klaus Schurig (2012), S.  229, 235. 183  Wurmnest, Ordre public, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  4 45, 450. 184  Vgl. dazu Dritter Teil B., C. 185 Zum ordre public als Grenze der Berücksichtigung vgl. Dritter Teil B.I.5. 186  Vgl. zu diesem Begriff Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der interna­ tio­nalen Rechtsanwendung (2004), S.  101; vgl. auch Dornis, SZIER 2015, 183, 189. 181 

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nicht der Schwierigkeit begegnen, dass die jeweils verweisungsrechtlich an­ wendbaren Sachnormen lediglich auf inländische und nicht auf internationale Sachverhalte ausgerichtet sind.187 Diesen Schwierigkeiten vermag alleine die Berücksichtigung zu begegnen, indem sie die jeweiligen Sachnormen punktuell durch die Bezugnahme auf statutsfremdes Recht ergänzt. 4. Gesetzgeberische Anerkennung der richterlichen Berücksichtigung Die Notwendigkeit zur Auflockerung der Verweisungsentscheidung durch die richterliche Berücksichtigung erkennt jedenfalls auch die unionsrechtliche Ge­ setzgebung an, wie die partielle Kodifikation der Berücksichtigung in Normen wie Art.  17 Rom II-VO zeigt.188 Berücksichtigungsanordnungen wie Art.  17 Rom II-VO sind Ausdruck des­ sen, dass sachrechtliche Wertungen (noch) nicht in pauschalisierender Weise zu Verweisungsnormen gebündelt werden können.189 Neben Art.  17 Rom II-VO190 finden sich weitere Berücksichtigungsanordnungen, z. B. mit Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO191 und Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO.192 Die genannten Normen sind zudem kein Novum der Rom-Verordnungen. Dies zeigt, dass die Gesetzgebung schon früher die geschriebenen und un­ geschriebenen Verweisungsregeln als nicht immer ausreichend und die Be­ rücksichtigung nicht anwendbaren Rechts deshalb für notwendig erachtet hat. Vorläufer der Berücksichtigung ausländischer Sicherheits- und Verhaltensvor­ schriften sind Art.  7 des Haager Übereinkommens über das auf Straßenver­ kehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4.5.1971193 sowie Art.  9 des Haager Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 775 ff. Zur Zweckmäßigkeit einer allgemeinen Kodifikation des Berücksichtigungsgedan­ kens vgl. Dritter Teil F.III. 189  Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Schu­ rig (2012), S.  229, 235 f. 190  Zu Art.  17 Rom II-VO vgl. z. B. von Hein, Die Behandlung von Sicherheits- und Ver­ haltensregeln nach Art.  17 Rom II-Verordnung, in: FS von Hoffmann (2011), S.  139, 140 ff.; Junker, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom II-VO Rn.  1 ff. und bereits Erster Teil B.II.1. und Zweiter Teil C.II.3. 191  Art.  12 Rom I-VO; dazu Brödermann/Wegen, in: PWW, BGB Kommentar, 13.  Aufl. 2018, Art.  12 Rom I-VO Rn.  29; Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Art.  12 Rom I-VO Rn.  8; Mansel, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 17.  Aufl. 2018, Vor Art.  1 Rom I-VO Rn.  40; Spellenberg, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  12 Rom I-VO Rn.  179; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art 12 Rom I-VO Rn.  17 ff. 192 Vgl. dazu z.  B. Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  112 ff. m. w. N. und bereits Erster Teil B.I. und Zweiter Teil C.II.4. 193  „Unabhängig von dem anzuwendenden Recht sind bei der Bestimmung der Haftung die am Ort und zur Zeit des Unfalls geltenden Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften zu be­ rücksichtigen“ (abgedruckt bei Jayme/Hausmann Nr.  100); vgl. dazu Graziano/Oertel, 187 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Übereinkommens über das auf die Produkthaftung anwendbare Recht vom 2.10.1973.194 Beispiele für eine Kodifikation der Berücksichtigung von Sicher­ heits- und Verhaltensregeln finden sich darüber hinaus in vielen nationalen IPR-Kodifikationen.195 Vorläufer von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO war die Vor­ schrift Art.  7 Abs.  1 S.  2 EVÜ, gegen die Deutschland allerdings einen damals zulässigen Vorbehalt eingelegt hatte.196 Der Gedanke des Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO war auf europäischer Ebene bereits in Art.  10 Abs.  2 EVÜ (Art.  32 Abs.  2 EGBGB) enthalten.197 Ob es daneben zweckmäßig ist, die richterliche Berücksichtigung in allge­ meiner Weise zu kodifizieren, soll im letzten Teil dieser Arbeit untersucht ­werden.198 III. Regelungsbedürfnis der richterlichen Berücksichtigung Für eine Rechtfertigung der Berücksichtigung streitet nicht zuletzt, dass die Vermischung sach- und verweisungsrechtlicher Gerechtigkeitsaspekte kein ­ VglRWiss 107 (2008), 113, 142. In Deutschland wurde das Übereinkommen allerdings nicht Z ratifiziert, von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  11 Rn.  46. 194  „The application of Articles 4, 5 and 6 shall not preclude consideration being given to the rules of conduct and safety prevailing in the State where the product was introduced into the market“ (abgedruckt in: RabelsZ 37 (1973), 594, 599). Das Übereinkommen wurde von Deutschland ebenfalls nicht ratifiziert, vgl. Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  53 V 3. 195  Vgl. dazu den Kommissionsvorschlag für eine Verordnung des europäischen Parla­ ments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), S.  28; Junker, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom II-VO Rn.  2 mit Hinweis auf Art.  142 Abs.  2 des schweizerischen IPRG und Art.  8 des niederländischen Wet conflictenrecht onrechtmatige daad vom 11.4.2001; Symeonides, Tort Conflicts and Rome II: A View fRom Across, FS Jayme I (2004), S.  935, 941 Fn.  24 mit Hinweisen zum portugiesi­ schen, schweizerischen und ungarischen Recht und ders., Codifying Choice of Law Around the World (2014), S.  88 f. mit Hinweisen auf schweizerische, rumänische, tunesische, nieder­ ländische, belgische und bulgarische Vorschriften und von Hein, Die Behandlung von Sicher­ heits- und Verhaltensregeln nach Art.  17 Rom II-Verordnung, in: FS von Hoffmann (2011), S.  139, 142 Fn.  23 mit Verweisen auf niederländisches, belgisches und ungarisches Recht. Vgl. dazu auch Symeonides, Tort law and conflict of laws, in: Comparative Tort Law (2015), S.  39, 58 ff. 196  Vgl. BT-Drucks. 10/503, S.  100: „Die Bestimmung des Artikels 7 Abs.  1 [...] hätte [...] eine nicht vertretbare Rechtsunsicherheit zur Folge, weil die Parteien die von der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe abhängige und im freien Ermessen des Richters stehende An­ wendung von zwingenden Vorschriften eines anderen Staates nicht voraussehen können. Hiergegen könnten auch verfassungsrechtliche Bedenken bestehen“; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  52 X 3a. 197  Vgl. zu Art.  32 EGBGB Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der interna­ tionalen Rechtsanwendung (2004), S.  143 ff. 198  Vgl. dazu Dritter Teil F.III.

A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung

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Proprium des rechtsfortbildenden Berücksichtigungsvorgangs ist. Die formale Trennung von sach- und verweisungsrechtlichen Interessen ist vielmehr ein ­Ideal.199 Die Verknüpfungen von verweisungs- und sachrechtlichen Wertungen sind zahlreich.200 Ein typisches Beispiel für das Ineinandergreifen von sachund kollisionsrechtlicher Regelungstechnik ist der ordre public-Vorbehalt, der im deutschen IPR z. B. in Art.  6 EGBGB kodifiziert ist.201 Unter dem Einfluss des Rechts der Europäischen Union wird die Zunahme sachrechtlicher Interes­ sen auf Verweisungsrechtsebene unter dem Stichwort der Materialisierung des Kollisionsrechts diskutiert.202 Anders herum werden seit jeher Fallgruppen und Methoden entwickelt, die dem Auslandsbezug des Sachverhaltes auf Sachrechtsebene gerecht werden.203 Fraglich ist deshalb, ob für den Ausgleich der Defizite des Verweisungsmecha­ nismus überhaupt ein Regelungsbedürfnis besteht. Der Datumtheorie als Me­ thode der Berücksichtigung wird zumindest häufig vorgeworfen, überflüssig zu sein.204 Im Folgenden wird deshalb untersucht, ob der Berücksichtigungsvor­ gang nicht bereits durch existierende Fallgruppen oder Methoden abgebildet werden kann, die die Relevanz des Auslandsbezugs auf Sachrechtsebene er­ klären.

199  Vgl. dazu von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  6 Rn.  94 ff.; Schurig, Das Fun­ dament trägt noch, in: Internationales Privatrecht im 20. Jahrhundert (2014), S.  5, 19; G. Wagner, IPRax 2006, 372, 374. 200  Vgl. dazu z. B. von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  6 Rn.  94. 201  Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Schu­ rig (2012), S.  229, 235; vgl. dazu bereits Dritter Teil A.II.3.d). 202  Materialisierung bedeutet dabei, materiell-rechtliche Erwägungen auf kollisionsrecht­ licher Ebene zumindest „mitsprechen“ zu lassen, Neuhaus, RabelsZ 35 (1971), 401, 407. Die Wertneutralität von Verweisungsnormen nehme mit ihrer zunehmenden Europäisierung ab, da letztere dem Ziel der Binnenmarktvereinheitlichung verschrieben sei und unionsrechtli­ che Verweisungsnormen deshalb aus Kompetenzgründen sachrechtlichen Interessen dien­ ten, Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 198; ders., IPRax 2011, 429 ff.; vgl. dazu Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht (2018), S.  203 ff.; Weller/Schlürmann, Methodenvielfalt im IPR des 21. Jahrhunderts – Ein Deutsch-Französischer Vergleich, in: Mélanges En l’Honeur du Professeur Claude Witz (2018), S.  893, 898 ff. Zur Integrationsfunktion des IPR im Recht der EU vgl. Kronke, Inter­ nationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1311. Vgl. zur Materialisierung des IPR auch Jayme, Grundgesetz und Neuorientierung des Internationalen Privatrechts, in: Ideen­ge­schichte von Mancini und Ehrenzweig zum Europäischen Kollisionsrecht (2009), S.  305, 315; ders., Narrative Normen im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1989), S.  33 ff. 203  Vgl. dazu im Folgenden Dritter Teil A.III.1.–6. 204  Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.3.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Die rechtstechnischen Möglichkeiten und dogmatischen Angebote zur Erklä­ rung von Auslandsbezügen auf Sachrechtsebene sind vielfältig: Anerkannte Auflockerungsmethoden auf Ebene des Sachrechts (1.), die die Notwendigkeit der Anpassung des Sachrechts an den internationalen Sachverhalt widerspie­ geln, sind die Substitution (a)), die Transposition (b)), das Handeln unter frem­ dem Recht (c)) und die sachrechtliche Anpassung (d)). Auslandsbezüge auf Sachrechtsebene werden auch unter dem Stichwort der sog. Sachnormen im IPR (Steindorff) diskutiert (2.). Die Abgrenzung des richterlichen Berücksichti­ gungsvorgangs auf Sachrechtsebene stellt sich auch gegenüber ähnlichen Kon­ zepten zur Beschreibung der Einwirkung des Auslandsbezugs auf einen Sach­ verhalt wie z. B. gegenüber dem „Auslandssachverhalt“ Kegels (3.) oder gegen­ über der „Tatbestandswirkung ausländischen Rechts“ (Stoll) (4.). Auch von Bar/ Mankowski diskutieren die „Adaption an die Internationalität eines Sachver­ halts“ auf Ebene der anwendbaren Sachnormen (5.). Im intertemporalen Privat­ recht existiert mit der Bezeichnung der „unechten Vorwirkung“ von Rechtsnor­ men ein Erklärungsansatz zur Berücksichtigung (zeitlich) statutsfremden Rechts (6.). 1. Anerkannte Auflockerungsmethoden auf Sachrechtsebene Methoden, mittels derer der Auslandsbezug eines Sachverhaltes berücksichtigt werden kann, sind mit der Substitution, der Transposition, der sachrechtlichen Anpassung sowie dem Handeln unter fremdem Recht auf Sachrechtsebene be­ kannt. Hier ist die Abgrenzung zur Berücksichtigung statutsfremden Rechts besonders unklar. a) Substitution Die Substitution ist ein Vorgang, bei dem ein normatives Tatbestandsmerkmal durch ein funktionsäquivalentes ausländisches Rechtsinstitut ersetzt wird, in­ dem das ausländische Rechtsinstitut unter das normative Tatbestandsmerkmal subsumiert wird.205 Voraussetzung der Substitution ist die Offenheit der Sach­ norm für die Berücksichtigung eines ausländischen Vorgangs sowie die Ver­ gleichbarkeit des inländischen Tatbestandsmerkmals mit dem ausländischen Vorgang (Funktionsäquivalenz des ausländischen Instituts).206 Beispiele sind von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  7 Rn.  240; Jayme, La substitution et le principe d’équivalence en droit international privé, in: Annuaire de l’Institut de droit interna­ tional, Session de Santiago du Chili, Vol.  72 (2007), S.  3 ff.; ders., IPRax 2008, 298; Looschelders, in: Staudinger, BGB Neubearbeitung 2019, Einl zum IPR Rn.  1219 ff.; Schulz, Die Subsumtion ausländischer Rechtstatsachen (1997), S.  37 ff. 206  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2e; vgl. dazu auch Ferid, GRUR Int 1973, 205 

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die Vornahme einer gesellschaftsrechtlichen Beurkundung durch einen auslän­ dischen Notar, der insoweit den inländischen ersetzt,207 die ausländische notari­ elle Beurkundung der Übertragung von GmbH-Anteilen i. S. d. §  15 Abs.  3 Gm­ bHG oder das Mitzählen ausländischer Aufsichtsratsmandate im Rahmen des §  100 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 AktG.208 Umfasst ist auch die Frage danach, inwiefern verfahrensrechtliche Handlungen im Ausland für einen in Deutschland stattfin­ denden Prozess, z. B. für die Bestimmung der Hemmung der Verjährung nach §  204 Abs.  1 BGB gelten.209 Der Übergang von Substitution zur punktuellen Berücksichtigung statuts­ fremden Rechts in Auslegung der anwendbaren Sachnorm ist fließend.210 Bei beidem geht es nicht um die erneute Einschaltung der Verweisungsnormen, son­ dern um die Frage nach der Berücksichtigung statutsfremden Rechts infolge der Auslegung einer anwendbaren Sachnorm.211 Die Substitution wird wie die Be­ rücksichtigung teilweise als sachrechtlicher Vorgang eingeordnet und teilweise als kollisionsrechtliche Figur bezeichnet.212 Obwohl richterliche Berücksichtigung und Substitution Ähnlichkeiten haben, lassen sie sich voneinander unterscheiden. Anders als die punktuelle Berücksich­ tigung statutsfremden Rechts führt die Substitution zu einer vollständigen Er­ setzung der inländischen durch die ausländische Rechtserscheinung.213 Substi­ 472 ff.; Hug, Die Substitution im Internationalen Privatrecht (1983), S.  15 ff.; Siehr, RabelsZ 46 (1982), 357, 373 f. 207  Vgl. dazu z. B. BGH, Beschl. v. 17.12.2013, II ZB 6/2013, BGHZ 199, 270, dazu Weller, ZGR 2014, 865 ff. 208  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  233; vgl. zu §  15 Abs.  3 GmbHG Weller, ZGR 2014, 865 ff. 209  Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  602; Spickhoff, IPRax 2001, 37 ff. 210  Hess, Intertemporales Privatrecht (1998), S.  451. 211  Ebd.; insoweit zur Gemeinsamkeit von Datumtheorie und Substitution bei „fakultati­ vem Substitutionsrecht“ Mansel, Substitution im deutschen Zwangsvollstreckungsrecht, in: FS W. Lorenz (1991), S.  689, 706; zur Substitution: Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2e; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  33 I 2; zur Berücksichtigung im Wege der Datum­ theorie vgl. Dritter Teil B., C. 212  Die Substitution als „kollisionsrechtliche Figur“ bezeichnend Mader, ZGR 2014, 430, 444; dagegen Sonnenberger, in: MünchKommBGB, 5.  Aufl. 2010, Einl. IPR Rn.  602 ff.; vgl. auch Mansel, Substitution im deutschen Zwangsvollstreckungsrecht, in: FS W. Lorenz (1991), S.  689, 691: „[...] die Substitution [betrifft] Auslegungsfragen des materiellen Rechts [...] und [zählt] daher nicht zu dem kollisionsrechtlichen Instrumentarium im engeren Sinne [...].“ 213  Mansel, Substitution im deutschen Zwangsvollstreckungsrecht, in: FS W. Lorenz (1991), S.  689, 707; vgl. auch die Abgrenzung bei Ludwig, in: jurisPK-BGB, 7.  Aufl. 2015, Art.  3, 3a, 4 EGBGB Rn.  359: „Die Datum-Theorie ist vom Auslandssachverhalt (Substitu­ tion) abzugrenzen. Beim Auslandssachverhalt wird der Sachverhalt, der einer inländischen

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

tutionsfragen stellen sich deshalb dort, wo im Tatbestand einer Norm auf ersetz­ bare Institutionen oder Rechtsfiguren abgestellt wird.214 Da es um ihre Ersetzung geht, kommt es anders als bei der punktuellen Berücksichtigung auf die Ver­ gleichbarkeit von ausländischem und lex causae-Rechtsinstitut an.215 Die Be­ rücksichtigung statutsfremden Rechts ist demgegenüber graduell abgeschwächt. Sie kann statutsfremdes Recht neben anderen Wertungen mitberücksichtigen.216 Die Substitution erfasst z. B. nicht die Fälle der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen von Vorschriften wie §  138 Abs.  1 BGB.217 Die Substitution hat dementsprechend Überschneidungsbereiche mit der richterlichen Berücksichtigung statutsfremden Rechts, da sie aus dem anwend­ baren Sachrecht heraus aufgrund eines normativen Tatbestandsmerkmals sta­ tutsfremdes Recht in Bezug nimmt,218 ist aber insofern spezieller, als es bei der Substitution um die Ersetzung eines inländischen Rechtsinstituts oder einer Rechtsfigur geht. Sofern es lediglich um die punktuelle Berücksichtigung einer statutsfremden Rechtsnorm geht, ohne ein inländisches Tatbestandsmerkmal damit zu ersetzen, kann dies die Substitution nicht bewältigen. b) Transposition Unter Transposition versteht man die Übertragung von Rechtsverhältnissen, die unter einer anderen als der anwendbaren Rechtsordnung entstanden sind, in die Denkkategorien der anwendbaren Rechtsordnung.219 Bei einer Transposition werden einer Rechtsordnung unbekannte Institute oder Rechtsverhältnisse in ihnen entsprechende Institute oder Rechtsverhältnisse der lex causae über­ setzt.220 Typischer Schulfall ist die italienische Autohypothek, die im deutschen Norm zugrunde liegt, im Ausland verwirklicht, sei es durch ein Naturereignis, sei es durch Auslandshandlungen von Privaten. Dagegen werden keine ausländischen Rechtsregeln ange­ wandt oder zur Auslegung inländischer Tatbestandsmerkmale berücksichtigt.“ 214  Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwen­ dung (2004), S.  104. 215  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2e. 216  Mansel, Substitution im deutschen Zwangsvollstreckungsrecht, in: FS W. Lorenz (1991), S.  689, 706: „Die Substitution führt zur Ersetzung einer Rechtserscheinung des Aus­ gangsrechts durch eine des Substitutionsrechts. Die Ausgangsnorm selbst wird nicht modifi­ ziert. Die Datumtheorie ordnet hingegen keine Ersetzung an, sondern verlangt eine Mitberücksichtigung des Datum-Rechts, die manchmal zu einer Normanpassung führt“; Weller, ZGR 2014, 865, 875. 217  Vgl. dazu Erster Teil B.I.2.b). 218  Vgl. zu den Anwendungsvoraussetzungen der Datumtheorie Dritter Teil B., C. und D. 219  Raape/Sturm, IPR, 6.  Aufl. 1977, §  14 Fn.  22 (1). 220  Weller, Enzyklopädie Europarecht (2016), Europäisches Privat- und Unternehmens­ recht, §  8 Rn.  88.

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Sachenrecht aufgrund des numerus clausus der Sachenrechte nicht als solche fortbestehen kann und deshalb zu einer Sicherungsübereignung transponiert wird. Das durch die Transposition übergeleitete Rechtsgebilde ist allein vom Recht der lex causae abhängig.221 Ein Bedürfnis nach Transposition besteht ins­ besondere dort, wo Rechtsbereiche verweisungsrechtlich oder sachrechtlich zwingend ausgestaltet sind.222 Fallgruppen der Transposition finden sich des­ halb vor allem im Internationalen Sachenrecht, aber vereinzelt auch im Gesell­ schaftsrecht, im Ehegüterrecht und bei den Ehewirkungen.223 Die Transposition ähnelt der Berücksichtigung insofern, als auch sie statuts­ fremdes Recht berücksichtigt, denn um eine italienische Autohypothek in ein inländisches Rechtsgebilde überleiten zu können, muss ihr Inhalt anhand der statutsfremden Normen zunächst einmal ermittelt werden. Dieses Beispiel zeigt aber bereits einen Unterschied zwischen Transposition und Berücksichtigung. Anders als bei der Berücksichtigung auf Sachrechtsebene wird die Überleitung eines ausländischen Instituts in ein inländisches durch die Transposition nicht im Rahmen der Subsumtion unter ein Tatbestandsmerkmal virulent, sondern ist dem Subsumtionsvorgang vorgeschaltet.224 Letztlich gilt dasselbe wie für die Substitution: Sofern es um die Umwandlung eines ausländischen Rechtsinsti­ tuts in ein inländisches geht, ist die Transposition spezieller. Hinzu kommt, dass Transposition und Berücksichtigung statutsfremde Normen in unterschiedli­ chen Stadien der Fallprüfung berücksichtigen. Sofern es um die vereinzelte Be­ rücksichtigung von statutsfremden Normen im anwendbaren Recht geht, ist die Berücksichtigung etwas anderes als die Transposition. Auch die Transposition deckt insofern nicht alle Fälle ab, die der Berücksichtigungsvorgang auf Sach­ rechtsebene beschreibt. c) Handeln unter fremdem Recht Handeln unter fremdem Recht umfasst das Handeln in kollisionsrechtlichem Irrtum.225 Dabei meint ein Rechtssubjekt, unter einer vermeintlich anwendba­ ren Rechtsordnung zu handeln, die in Wahrheit verweisungsrechtlich nicht an­ wendbar ist.226 Die Figur des „Handelns unter fremdem (oder falschem) Recht“ von Hein, in: MünchKomm BGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  229. Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwen­ dung (2004), S.  99. 223  von Hein, in: MünchKomm BGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  220 ff. 224 Zur Abgrenzung von Transposition und Substitution: von Hein, in: MünchKomm BGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  229. 225  Mörsdorf-Schulte, in: PWW, BGB Kommentar, 13.  Aufl. 2018, Art.  3 EGBGB Rn.  50. 226  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2d. 221 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

soll das von den Parteien Gewollte bestmöglich verwirklichen.227 So ist z. B. eine sog. Indemnity-Klausel nach einer BGH-Entscheidung, auch wenn der Ver­ trag deutschem Recht unterliegt, grundsätzlich nach englischem Recht auszule­ gen, es sei denn, die Parteien sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Klausel aus Perspektive des deutschen Rechts interpretiert wird.228 Um zu ermitteln, was die jeweiligen Parteien wollten, ist es auch beim Han­ deln unter fremdem Recht notwendig, das statutsfremde Recht zu berücksichti­ gen.229 Dem so ermittelten Willen wird dann aber mit Mitteln des deutschen Rechts entsprochen.230 Handeln unter fremdem Recht umfasst deshalb zum einen die inhaltliche Überleitung des tatsächlich Gewollten in die Kategorien des inländischen Rechts.231 Hier weist das Handeln unter fremdem Recht eine Parallele zur Transposition auf.232 Zum anderen fällt darunter aber auch die zu­ vor notwendige Auslegung des wirklich Gewollten unter Berücksichtigung des­ sen, was der jeweils verwendete Begriff in der verweisungsrechtlich nicht an­ wendbaren Rechtsordnung bedeutet.233 Das Ausmaß der Verwirklichung des tatsächlichen Gewollten bestimmt sich wie bei der Berücksichtigung statuts­ fremden Rechts allein aus Perspektive der jeweils anwendbaren Sachnorm.234 Das Handeln unter fremdem Recht und der Berücksichtigungsvorgang weisen also Parallelen auf. Allerdings erfasst das Handeln unter fremdem Recht ähnlich wie die Substi­ tution und Transposition nur einen bestimmten Fall der Berücksichtigung. Wel­ che statutsfremden Rechtsnormen und Rechtswirkungen jeweils in Bezug zu nehmen sind, bestimmt sich nämlich nur nach dem Willen der Partei und nicht wie bei der Berücksichtigung235 statutsfremden Rechts nach der Sachnorm selbst. Das anwendbare Sachrecht muss insofern lediglich „Einfallstore“236 für subjektive Prägungen aufweisen, die Berücksichtigung nach ihrem Normzweck aber nicht selbst verlangen. Das Handeln unter fremdem Recht erfasst insofern nicht die objektive Beeinflussung des Sachverhaltes durch statutsfremde Nor­ Siehr, IPR, 2001, §  52 III 2. BGH, Urt. v. 2.12.1991, II ZR 274/90, NJW-RR 1992, 423. 229  Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2d. 230 Ebd. 231  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  223 ff. 232  Ebd., Rn.  225. 233  Ebd., Rn.  223 ff. 234  Insoweit zum Handeln unter fremdem Recht vgl. von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  7 Rn.  247: „Die eindeutig berufene lex causae muß entscheiden, wie weit sie sich öffnen will und wie weit sie eine Realisierung des eigentlich Gewollten zuläßt.“ 235  Zu den Voraussetzungen der Berücksichtigung, vgl. Dritter Teil B., C. 236  Vgl. zu dieser Terminologie allerdings in anderem Zusammenhang von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  18. 227 

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men, sondern vielmehr den Fall, dass die Parteien glauben, dies sei der Fall.237 Beim Handeln unter fremdem Recht wird statutsfremdes Recht deshalb nur für die Auslegung des Parteiwillens berücksichtigt und nicht etwa zu dem Zweck, eine objektive, tatsächliche Prägung eines Sachverhaltes durch statutsfremde Normen zur Geltung zu bringen. Denn was die Parteien wollen, lässt sich in den Fällen des Handelns unter fremdem Recht erst durch die Berücksichtigung des jeweiligen fremden Rechts verstehen.238 Das Handeln unter fremdem Recht erfasst deshalb z. B. nicht die Fälle der Berücksichtigung von Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften oder der Berück­ sichtigung statutsfremder Eingriffsnormen. Berücksichtigung und Handeln un­ ter fremdem Recht lassen sich insoweit voneinander unterscheiden. d) Sachrechtliche Anpassung Die sachrechtliche Anpassung bewältigt auf Sachrechtsebene Probleme auf­ grund der Zersplitterung des anwendbaren Rechts durch die analytische Metho­ de des IPR.239 Wie bei der Berücksichtigung statutsfremden Rechts müssen bei der sachrechtlichen Anpassung die verschiedenen, mit einem Sachverhalt ver­ bundenen Rechtordnungen miteinander in Einklang gebracht werden.240 Ein typischer (mittlerweile veralteter) Schulfall für die Anpassung ist der einer Wit­ we, die nach dem Tod ihres Ehemannes nach ihrem Erbe bzw. Güterrechtsaus­ gleich verlangte.241 Zum Zeitpunkt des Todes ihres Ehemannes unterlag sie nach Art.  15 und 25 EGBGB a. F. deutschem Güter- und schwedischem Er­ brecht.242 Das deutsche Güterrecht sah damals keinen güterrechtlichen Aus­ gleichsanspruch der überlebenden Ehegattin vor.243 Jene hatte aber nach §  1931 Abs.  1 BGB a. F. einen erbrechtlichen Ausgleichsanspruch.244 Das schwedische Erbrecht hingegen sah kein gesetzliches Erbrecht vor.245 Dafür gewährleistete es 237 

Vgl. in diesem Sinne zur Abgrenzung des Handelns unter fremdem Recht und der sachrechtlichen Anpassung, Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2e. 238  Dannemann, Sachrechtliche Gründe für die Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts, in: FS Stoll (2001), S.  417, 426 ff. 239  Vgl. zur sachrechtlichen Anpassung Looschelders, Die Anpassung im Internationalen Privatrecht (1995), S.  164 ff.; vgl. zur analytischen Methode des IPR Dritter Teil A.I.1.a). 240  Zur Anpassung vgl. von Hoffmann/Thorn, 9.  Aufl. 2007, IPR, §  6 Rn.  34. 241  Looschelders, Die Anpassung im Internationalen Privatrecht (1995), S.  9. 242  Ebd.; vgl. zu einem ähnlichen Fall Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  155. 243  Die Einführung von §  1371 BGB erfolgte erst durch das GleichberG vom 18.6.1957 (BGBl.  I, S.  609); Looschelders, Die Anpassung im Internationalen Privatrecht (1995), S.  9. 244  Looschelders, Die Anpassung im Internationalen Privatrecht (1995), S.  9. 245 Ebd.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

einen güterrechtlichen Ausgleich.246 Sowohl in Schweden als auch in Deutsch­ land war also ein Ausgleich vorgesehen. Aufgrund des Auseinanderfallens von Güter- und Erbrechtsstatut erhielt die Witwe im Endeffekt aber nichts.247 Dieses Problem soll die Anpassung lösen.248 Sie gleicht Fälle des Normenmangels, der Normenwidersprüche oder Normenhäufungen aus, die aufgrund der Anwen­ dung unterschiedlicher Rechtsordnungen auf die einzelnen Rechtsverhältnisse eines Lebenssachverhalts entstehen.249 Zu unterscheiden sind sach- und kolli­ sions­rechtliche Anpassung.250 Auf Verweisungsebene kann im Wege der kolli­ sions­rechtlichen Anpassung zur Lösung von Normwidersprüchen eine neue Kollisionsnorm gebildet oder eine bestehende abgeändert werden.251 Dieser Vorgang ist mit dem Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene von vorn­ herein nicht identisch. Führt die Anwendung zweier Rechtsordnungen auf einen einheitlichen Le­ benssachverhalt zu einem Ergebnis, das so von keiner der beiden Rechtsordnun­ gen gebilligt würde, kann das Ergebnis aber auch auf sachrechtlicher Ebene korrigiert werden.252 Dies geschieht im Wege eigenständiger Rechtsschöpfung mit dem Ziel, dass das Ergebnis demjenigen entspricht, das sich bei Anwendung nur einer der Rechtsordnungen ergeben hätte.253 Hier ergeben sich Überschnei­ dungspunkte mit der punktuellen Berücksichtigung statutsfremden Rechts. In­ dem statutsfremdes Recht innerhalb einer anwendbaren Sachnorm Berücksich­ tigung findet, wird die Sachnorm punktuell verändert, d. h. an den internationa­ len Sachverhalt angepasst. Wie bei der Berücksichtigung statutsfremder Sachnormen handelt es sich um ein Auslegungsproblem, das unter Bezugnahme auf jeweils statutsfremde Vorschriften gelöst wird.254 Die Anpassung wird ge­ genüber dem richterlichen Berücksichtigungsvorgang deshalb bisweilen als

246  Kap.  6 §§  1 und 2 schwedisches Ehegesetz von 1920, abgedruckt bei Hans Heinrich Vogel, Schwedisches Erbrecht – 3 Gutachten, Lund 1979, S.  26; Looschelders, Die Anpas­ sung im Internationalen Privatrecht (1995), S.9. 247  Looschelders, Die Anpassung im Internationalen Privatrecht (1995), S.  9. 248  Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  156 f. 249  Weller, Enzyklopädie Europarecht (2016), Europäisches Privat- und Unternehmens­ recht, §  8 Rn.  86. 250  von Hoffmann/Thorn, 9.  Aufl. 2007, IPR, §  6 Rn.  35 ff; vgl. dazu auch Looschelders, Die Anpassung im Internationalen Privatrecht (1995), S.  164 ff., S.  195 ff.; Gössl, RabelsZ 82 (2018), 618, 634 ff. 251  Zu Beispielen vgl. von Hoffmann/Thorn, 9.  Aufl. 2007, IPR, §  6 Rn.  36. 252  Ebd., Rn.  37. 253  Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  34 IV. 254 Vgl. insoweit zur sachrechtlichen Anpassung Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  156.

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ausreichend angesehen, um die „aus der Aufspaltung der Anknüpfungen im IPR resultierenden etwaigen Normenwidersprüche“ zu bewältigen.255 Die Notwendigkeit zur Anpassung entsteht aber nur dann, wenn auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt Normen unterschiedlicher Rechtsordnungszu­ gehörigkeit angewandt werden.256 Die Berücksichtigung findet hingegen auch dann statt, wenn lediglich ein Sachrecht zur Anwendung auf den Sachverhalt berufen ist.257 Hieraus folgen unterschiedliche Regelungsmechanismen: Die Anpassung geschieht anders als die punktuelle Berücksichtigung statutsfrem­ den Rechts nicht zwingend in den Grenzen einer Ausgangsnorm. Vielmehr wer­ den das in Bezug genommene und das Ausgangsrecht regelmäßig „aus Billig­ keitserwägungen abgewandelt“.258 Die Anpassung ist zudem rechtstechnisch auf sachrechtlicher Rechtsfolgenebene relevant, indem sie versucht, Normwi­ dersprüche zu überbrücken,259 während die Berücksichtigung statutsfremden Rechts sowohl auf Tatbestands- als auch Rechtsfolgenebene erfolgt. Dies bedeu­ tet, dass die punktuelle Berücksichtigung statutsfremden Rechts Anpassungsla­ gen sogar verhindern kann.260 Anpassungsfragen ergeben sich erst dann, wenn ein Normwiderspruch mit den Auslegungsmitteln zur Lückenfüllung (also auch der Berücksichtigung statutsfremden Rechts) nicht verhindert werden kann.261 e) Zwischenergebnis Auch wenn mit der Substitution, Transposition, dem Handeln unter fremdem Recht und der sachrechtlichen Anpassung weitere Methoden existieren, die dem Auslandsbezug eines Sachverhalts auf Sachrechtsebene gerecht werden sollen, von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  277. Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2e. 257  Ähnlich im Hinblick auf den Unterschied zwischen Anpassung und Substitution Krop­ holler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  33 I 1. 258  von Hein, MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  277. 259  Mansel, Substitution im deutschen Zwangsvollstreckungsrecht, in: FS W. Lorenz (1991), S.  689, 702 f.; Schulz, Die Subsumtion ausländischer Rechtstatsachen (1997), S.  39. 260  „[Es] wurde bereits dargelegt, wie die Berücksichtigung kollisionsrechtlich nicht an­ wendbaren Rechts insbesondere über Sachnormen, welche mit Kriterien wie ‚Kindeswohl‘, ‚Zumutbarkeit‘ oder ‚Billigkeit‘ eine Abwägung aller Umstände erfordern, dazu benutzt wer­ den kann, hinkende Rechtsverhältnisse zu vermeiden [...] [Dabei handelt es sich] vorrangig um einen kollisionsrechtlichen Zweck [...] der zugleich schon im Vorfeld Anpassungslagen zu vermeiden sucht“, Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  151; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  34 III 2. 261  Kropholler, Die Anpassung im Kollisionsrecht, in: FS Ferid (1978), S.  279, 281: „So­ lange jedoch aus der Teleologie eines einzelnen Rechtssystems heraus mit Auslegung oder Lückenfüllung geholfen werden kann, besteht für eine Anpassung (als besonderes methodi­ sches Mittel) kein Bedürfnis.“ 255 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

ist der Berücksichtigungsvorgang nicht überflüssig. Vielmehr stellt er in Ab­ grenzung zu den genannten Instrumenten den spezifischen Fall der punktuellen Integration einer bestimmten, den Sachverhalt objektiv prägenden, statutsfrem­ den Sachnorm dar. 2. Sachnormen im IPR Eine Überschneidung zwischen der punktuellen Berücksichtigung statutsfrem­ den Rechts in Auslegung der anwendbaren Sachnormen könnte sich auch mit dem Konzept der „Sachnormen im IPR“ (Steindorff)262 ergeben. Unter den Begriff „Sachnormen im IPR“263 wird der Vorschlag gefasst, Fälle mit Auslandsberührung nicht durch Verweisungsnormen, sondern durch eine Vermischung unterschiedlicher mit dem Sachverhalt verbundener Rechtsord­ nungen auf Sachrechtsebene zu lösen.264 Dies erfolgt durch die Entwicklung modifizierter oder neu geschaffener Sachnormen, die dem Auslandsbezug des Sachverhalts dadurch gerecht werden, dass bei ihrer Bildung alle beteiligten Rechtsordnungen beachtet werden.265 Sachnormen im IPR sind also Rechts­ sätze, die entwickelt werden, um unüberbrückbare Normwidersprüche zu be­ heben.266 Sie sind Synthesen der unterschiedlichen mit dem Sachverhalt Berüh­ rungspunkte aufweisenden Rechtsnormen, die den Fall als eigenständige sach­ rechtliche Normen unmittelbar inhaltlich lösen sollen, ohne zuvor eine räumliche, Rechtsanwendungsentscheidung zu treffen.267 Die „Sachnormen im IPR“ sind zumindest in ihrer herkömmlichen Fassung bei Steindorff nicht als Alternative zum herkömmlichen Verweisungssystem zu verstehen, sondern sol­ len nur in Ausnahmefällen gebildet werden.268 Der Ansatz ist mit demjenigen der Berücksichtigung verwandt. Wie bei der Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene geht es um die Auflösung international-privatrechtlicher Spannungslagen durch richterliche Einzelfallentscheidung. Dabei gleicht der Ansatz wie die Berücksichtigung die Nationalisierung des Sachverhaltes infolge der Verweisungsentscheidung durch

Steindorff, Sachnormen im IPR (1958). Ebd.; vgl. dazu Bucher, Grundfragen der Anknüpfungsgerechtigkeit im internationa­ len Privatrecht (1975), S.  57 ff.; von Mehren, 88 Harv.L.Rev., 347 ff. (1974); Schurig, Kolli­ sions­norm und Sachrecht (1981), S.  42 ff.; 331 ff. 264  Vgl. dazu von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  102; Sturm/ Sturm, in: Staudinger, BGB (2012), Einl. zum IPR Rn.  97 ff. 265  Vgl. dazu von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  102. 266  Raape/Sturm, IPR, 6.  Aufl. 1977, §  14 Fn.  4 4. 267  Raape/Sturm, IPR, 6.  Aufl. 1977, §  14 Fn.  4 4. 268  Vgl. dazu Kegel, 112 Recueil des Cours (1964-II), 91, 239. 262 

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A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung

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eine nachträgliche Internationalisierung der anwendbaren Sachnormen wieder aus. Allerdings soll durch den Ansatz der „Sachnorm im IPR“ punktuelles Son­ derrecht für internationale Sachverhalte entstehen.269 Anders als die Berück­ sichtigung statutsfremden Rechts findet die Schaffung „neuer“ Sachnormen nämlich nicht zwingend in den Grenzen der jeweiligen Ausgangssachnorm statt.270 Die Berücksichtigung dürfte dem Ansatz der „Sachnormen im IPR“ gegenüber deshalb häufig das mildere Mittel darstellen: Die Verweisungsent­ scheidung wird nur insofern korrigiert, als die nach der Verweisungsentschei­ dung anwendbaren Sachnormen es zulassen. Die Berücksichtigung ist deshalb von den Sachnormen im IPR zu unterscheiden. 3. Auslandssachverhalt (Kegel) Einige der im ersten Teil dieser Arbeit beschriebenen Rechtsprechungsfälle werden statt der richterlichen Berücksichtigung dem sog. „Auslandssachver­ halt“271 (Kegel) zugeordnet. Häufig wird gegen den Begriff der Datumtheorie geltend gemacht, er sei vor dem Hintergrund der Existenz des „Auslandssach­ verhaltes“ überflüssig.272 Zu prüfen ist folglich, ob die Fälle der Berücksichti­ gung deshalb keiner Konturierung in Form der Datumtheorie bedürfen, weil sie dem „Auslandssachverhalt“ Kegels zugeordnet werden können und insofern bereits ausreichend konturiert sind. Unter dem Stichwort des Auslandssachverhaltes fasst Kegel die verschiede­ nen Einflüsse statutsfremden Rechts auf einen grenzüberschreitenden Sachver­ halt zusammen.273 Dem Auslandssachverhalt werden alle Sachverhaltskonstel­ lationen zugeordnet, in denen es um die Berücksichtigung der Internationalität des Sachverhaltes abseits der herkömmlichen Verweisungsentscheidung geht.274 Hierunter fällt, dass „ein Beteiligter Ausländer ist [...] oder der Sachverhalt Lüderitz, RabelsZ 46 (1982), 475, 484: „Hier entwarf zuerst Steindorff, gestützt auf heimische wie ausländische Quellen, eine neue Perspektive: statt Sachverhalte zu nationali­ sieren, solle man sie als international erkennen und nach einem Sonderrecht behandeln“; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  334. 270  Zu den Grenzen der Berücksichtigung durch die anwendbare Sachnorm unten Dritter Teil B.I.1.b), 5.a), C. 271  Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  164 Fn.  1; Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, VIII §  1 VIII 2a; zu Kegels „Auslandssachverhalt“ vgl. z. B. Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwen­ dung (2004), S.  111 ff. 272  Vgl. z. B. Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 241 Fn.  121: „Der eingebürgerte Begriff »Auslandssachverhalt« oder ähnliches scheint mir immer noch ausreichend zu sein.“ 273  Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  164. 274 Ebd. 269 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

sonst das Ausland berührt“.275 Betroffen sind deshalb auch solche Sachverhalts­ konstellationen, die von vornherein nicht der Verweisungsentscheidung unter­ liegen, wie z. B. rechtlich nicht vorgeprägte „Auslandstatsachen“ wie Naturer­ eignisse, Handlungen und Zustände. Der Begriff des Auslandssachverhalts um­ fasst deshalb mehr als die punktuelle Berücksichtigung statutsfremden Rechts durch das Gericht. Der Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene, der zur punktuellen Integration einer bestimmten statutsfremden Sachnorm führt, ist insofern nicht identisch mit dem „Auslandssachverhalt“ Kegels. Die Berück­ sichtigung ist vielmehr eine seiner vielen, teilweise untereinander sehr unter­ schiedlichen Unterfälle, da es bei dem „Auslandssachverhalt“ um sämtliche sachrechtliche wie kollisionsrechtliche, Vorgänge geht. Die Existenz der Kate­ gorie des „Auslandssachverhaltes“ macht die Berücksichtigung in Form der Da­ tumtheorie deshalb nicht überflüssig. 4. Tatbestandswirkung ausländischen Rechts (Stoll) Dasselbe wie für den Auslandssachverhalt gilt für die „Tatbestandswirkung aus­ ländischen Rechts“, wie Stoll276 sie beschreibt. Unter diesem Terminus setzte sich Stoll mit der Berücksichtigung von Verhaltens- und Sicherheitsregeln durch den Einbau in den Tatbestand der jeweiligen anwendbaren Norm auseinander.277 Auf dieser Grundlage lassen sich aber keine generellen Kriterien für die Be­ rücksichtigung auf Sachrechtsebene entwickeln. Denn zum einen ging es Stoll hauptsächlich um die Einbeziehung von Verhaltens- und Sicherheitsregeln im Deliktsrecht, während die Berücksichtigung rechtsgebietsübergreifend gelten soll, zum anderen scheint er die Tatbestandswirkung als sachrechtlichen Vor­ gang zu beschreiben,278 was die Berücksichtigung ausländischen Rechts aber gerade nicht ist. 275  Ebd.: „Beim Auslandssachverhalt ist nur ein Recht anwendbar, aber bei seiner Anwen­ dung zu berücksichtigen, daß ein Beteiligter Ausländer ist (von den Fällen des Ausländer­ rechts abgesehen) oder der Sachverhalt sonst das Ausland berührt.“ 276  Stoll, Deliktsstatut und Tatbestandswirkung ausländischen Rechts, in: FS Lipstein (1980), S.  259 ff.; ders., Die Behandlung von Verhaltensnormen und Sicherheitsvorschriften, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse (1983), S.  160 ff. Vgl. dazu Dannemann, Die unge­ wollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  85 ff. 277  Stoll, Deliktsstatut und Tatbestandswirkung ausländischen Rechts, in: FS Lipstein (1980), S.  259, 260: „In der neueren Lehre vom internationalen Privatrecht ist grundsätzlich anerkannt, daß ausländischem Recht im Rahmen der kollisionsrechtlich berufenen Rechts­ ordnung möglicherweise nur eine solche Tatbestandswirkung zukommt, wobei freilich die nähere Bestimmung und Abgrenzung der in Betracht kommenden Fälle ein noch weithin offenes Problem ist.“ 278  Stoll, Deliktsstatut und Tatbestandswirkung ausländischen Rechts, in: FS Lipstein

A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung

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5. Adaption an die Internationalität des Sachverhaltes (von Bar/Mankowski) Ein vergleichbarer Vorschlag wie der der Tatbestandswirkung ausländischen Rechts existiert mit dem durch von Bar/Mankowski geprägten Begriff der „Ad­ aption von Sachrecht an die Internationalität eines Sachverhalts“.279 Unter die­ sen Begriff fassen von Bar/Mankowski zum einen die sog. „rechtsvergleichende Auslegung“,280 zum anderen die „international brauchbare[...] Auslegung“.281 Wie sich diese beiden Auslegungsmethoden im Einzelnen voneinander abgren­ zen lassen, bleibt offen. Von Bar/Mankowski beschreiben lediglich, wie bei bei­ den Auslegungsvarianten die anwendbare Sachnorm solange entkleidet würde, bis sie für die Berücksichtigung der Internationalität des Sachverhaltes im Ein­ zelfall offen wäre.282 Gerade unbestimmte Rechtsbegriffe seien „natürliche Ein­ fallstore“ ausländischer Bezüge auf Sachrechtsebene.283 Berücksichtigungsfä­ hig seien neben dem Recht des ausländischen Staates die Folgen der ausländi­ schen Staatsangehörigkeit einer Person sowie tatsächliches ausländisches Geschehen.284 Anders als die Berücksichtigung statutsfremden Rechts beschreiben von Bar/ Mankowski mit ihren Auslegungsmethoden die generelle Berücksichtigung jeg­ lichen Auslandsbezugs eines Sachverhaltes, gleich ob es sich um einen funktio­ nal verweisungsrechtlichen oder funktional sachrechtlichen Vorgang handelt. Die „rechtsvergleichende und die international brauchbare Auslegung“ sind deshalb mit dem Berücksichtigungsvorgang partiell identisch, aber letztlich – wie der „Auslandssachverhalt“ Kegels – 285 weiter und machen deshalb eine Weiterentwicklung der Anwendungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen des Be­ rücksichtigungsvorgangs in Gestalt der Datumtheorie nicht obsolet. Als dritte Möglichkeit zur Adaption von Sachrecht an die Internationalität eines Sachverhaltes bezeichnen von Bar/Mankowski die „sachrechtliche Be­ rücksichtigung tatsächlicher Auswirkungen ausländischer Rechtslagen“.286 Es (1980), S.  259, 264: „[...] in dieser Hinsicht geht es schlicht um zweckgerechte Auslegung der Haftungsnormen des Deliktsstatuts. Die ausländischen Verhaltensnormen sind nicht ‚anzu­ wenden‘, sondern im Rahmen der Haftungsnormen zu berücksichtigen“; vgl. auch ders., Die Behandlung von Verhaltensnormen und Sicherheitsvorschriften, in: Vorschläge und Gutach­ ten zur Reform des deutschen internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldver­ hältnisse (1983), S.  160, 177; ders., IPRax 1989, 89. 279  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  17 ff. 280  Ebd., Rn.  17. 281 Ebd. 282 Ebd. 283  Ebd., Rn.  18. 284  Ebd., Rn.  18. 285  Vgl. dazu Dritter Teil A.III.3. 286  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  20. Inwiefern sich die „Methode der

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

handele sich um die „Auslegung der Sachnorm nach ihren eigenen Normzwe­ cken“.287 Zwar dürfe hierbei das Verweisungsergebnis nicht nachträglich verän­ dert werden.288 Dies geschehe aber deshalb nicht, weil das jeweilige ausländi­ sche Recht nicht angewandt, sondern die ausländische Rechtslage lediglich auf der Basis des anwendbaren Rechts berücksichtigt werde.289 Wie bei der häufig anzutreffenden Interpretation der Datumtheorie als Berücksichtigung ausländi­ schen Rechts als Tatsache bleibt bei dem Vorschlag von von Bar/Mankowski offen, was dies genau bedeutet. Jedenfalls lässt sich auch dieser Vorschlag von der (kollisionsrechtlichen) Berücksichtigung statutsfremden Rechts (als Recht) abgrenzen und macht eine genauere Konturierung des Vorgangs der Berück­ sichtigung nicht hinfällig. 6. Unechte Vorwirkung von Rechtsnormen Nachdem dargestellt wurde, dass ein Bedürfnis nach Weiterentwicklung der Berücksichtigung statutsfremden Rechts in Gestalt der Datumtheorie nicht des­ halb fehlt, weil sie etwas beschreibt, was bereits von Fallgruppen oder Katego­ risierungen abgedeckt wird, soll zuletzt untersucht werden, ob für den Berück­ sichtigungsvorgang bereits im intertemporalen Recht Grundsätze entwickelt wurden, die auf die Berücksichtigung im IPR übertragen werden könnten. Dann würde sich die Notwendigkeit der Konturierung des Berücksichtigungsvor­ gangs darin erschöpfen, ihn aus dem Intertemporalen Privatrecht zu übertragen. Das intertemporale Recht regelt zeitliche Normkollisionen, also den Über­ gang von einer alten zu einer neuen Vorschrift.290 Intertemporales Recht und IPR weisen ähnliche Problemlagen auf, weil es bei beidem im Rahmen der Be­ stimmung des auf einen Sachverhalt anwendbaren Rechts um den Ausgleich kollidierender Rechtsordnungen in einmal zeitlicher und einmal räumlicher Hinsicht geht. Die Ähnlichkeit zwischen intertemporalem und internationalem Recht ist bereits bei Savigny angesprochen.291 So treten im intertemporalen Recht häufig Fragen auf, die sich ebenfalls bei Statutenwechsel im IPR stellen, bei dem auf einen Sachverhalt erst das eine und dann das andere Recht Anwen­

sachrechtlichen Berücksichtigung ausländischen Rechts“ von der „international brauchbaren Auslegung“ im Einzelnen unterscheidet, wird nicht beschrieben. 287  von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  21. 288 Ebd. 289 Ebd. 290  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  1 Rn.  93. 291  Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII (1849), S.  3 ff.; vgl. dazu Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 205.

A. Rechtfertigung der Datumtheorie als Rechtsfortbildung

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dung findet.292 Im intertemporalen Recht können Spannungslagen daraus resul­ tieren, dass ein Recht von einem anderen in zeitlicher Hinsicht abgelöst wird; diese Spannungslagen werden im intertemporalen Privatrecht typischerweise innerhalb des nunmehr (zeitlich) anwendbaren Sachrechts durch Methoden wie der Transposition, der Substitution oder der schlichten Auslegung gelöst.293 Unter dem Stichwort der unechten Vorwirkung von Rechtsnormen wird, vor allem von Hess und Maultzsch, diskutiert, ob noch nicht in Kraft getretene Nor­ men bereits im derzeit anwendbaren Recht Berücksichtigung finden können.294 Wie im Falle der Berücksichtigung im IPR geht es bei der unechten Vorwirkung weniger um eine isolierte Anwendung der zeitlich noch nicht anwendbaren Norm mit ihrem Tatbestand und ihrer Rechtsfolge („echte Vorwirkung“/„antizi­ pierte Anwendung“).295 Vielmehr sollen bei der unechten Vorwirkung noch nicht erlassene Normen innerhalb geltender Sachnormen im Wege der Ausle­ gung als Argument für eine bestimmte Auslegungsentscheidung beachtet wer­ den („unechte Vorwirkung“/„antizipierte Berücksichtigung“).296 Dabei sind die Grenzen der Auslegung und die der Rechtsfortbildung einzuhalten.297 Die un­ echte Vorwirkung kann deshalb auch dazu führen, dass noch nicht anwendbare Normen innerhalb der anwendbaren Normen Berücksichtigung finden, und sie ist deshalb mit der Berücksichtigung im IPR, wie sie hier weiterentwickelt wer­ den soll, vergleichbar. Eine genaue Entwicklung von Anwendungsvoraussetzungen und Rechtsfol­ gen ist für die unechte Vorwirkung jedoch noch nicht erfolgt. Hess lehnt die Kategorisierung dieses Auslegungsvorgangs unter Berücksichtigung noch nicht anwendbarer Normen im intertemporalen Recht bislang sogar dezidiert ab, weil die Berücksichtigungsvorgänge hierfür zu disparat und deshalb rechtlich nur schwer fassbar seien.298 Dementsprechend fehlt es bislang an allgemeingültigen 292  Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII (1849), S.  3 ff.; vgl. dazu Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  27 II 3 a. 293  Vgl. dazu Hess, Intertemporales Privatrecht (1998), S.  27: „Anders als im IPR, das auf die einheitliche Anknüpfung der Rechtsfrage an ein Sachrecht abzielt, kommt es im ITR ty­ pischerweise zur Anwendung mehrerer Rechte. Wandelbarkeit als Regelanknüpfung führt zum Statutenwechsel [...]. Die sukzessive Anwendung inhaltlich nicht aufeinander abge­ stimmter Gesetze bewirkt eine Spannungslage, die vor allem materiellrechtlich aufzufangen ist“; sowie a. a. O. Fn.  197: „‚Intertemporale Spannungslagen‘ sind mit den überkommenen Mechanismen der Auslegung, Substitution und Anpassung auszugleichen“. 294  Hess, Intertemporales Privatrecht (1998), insbes S.  492 ff.; Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322 ff. 295  Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 324 f. 296  Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 326; Hess, Intertemporales Privatrecht (1998), S.  497 ff. 297  Maultzsch, RabelsZ 79 (2015), 322, 327. 298  Hess, Intertemporales Privatrecht (1998), S.  513.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Voraussetzungen und Rechtsfolgen der unechten Vorwirkungen von Rechtsnor­ men, die auf den Berücksichtigungsvorgang in Gestalt der Datumtheorie über­ tragen werden könnten. IV. Zwischenergebnis 1. Der formale Verweisungsmechanismus weist Defizite bei der Abbildung komplexer internationaler Sachverhalte auf, die zwar außerhalb unionsrechtli­ cher Vorgaben nicht zwingend ausgeglichen werden müssen, deren Beseitigung aber vor dem Hintergrund des internationalen Entscheidungseinklanges, des Ausgleiches typisierter Anknüpfungen sowie der Wahrung kultureller Identität anzustreben ist. 2. Die Berücksichtigungsmethodik nimmt im System des IPR die Funktion eines „dogmatischen Ventils“299 ein. Als solches lässt sie sich von verweisungs­ rechtlichen Auflockerungsmethoden abgrenzen, die deshalb den Berücksichti­ gungsvorgang nicht überflüssig machen. 3. Der Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene hat Schnittmengen mit IPR-Fallgruppen, die ebenfalls erst in Auslegung des anwendbaren Sach­ rechts (auf Sachrechtsebene) angewandt werden, namentlich der Substitution, Transposition, sachrechtlichen Anpassung und dem Handeln unter fremdem Recht. Alle diese Fallgruppen sind jedoch nicht identisch mit der punktuellen Berücksichtigung statutsfremden Rechts. 4. Die Berücksichtigung auf Sachrechtsebene ist nicht mit dem Vorschlag der „Sachnormen im IPR“ identisch. Hierbei geht es nicht um die kollisionsrechtli­ che Berücksichtigung statutsfremden Rechts infolge einer entsprechenden Aus­ legung der anwendbaren Sachnorm, sondern um die punktuelle Neubildung von besonderen Sachnormen für den internationalen Sachverhalt. 5. Eine mögliche Oberkategorie der Berücksichtigung könnte zwar der Kegel’sche „Auslandssachverhalt“ sein; der „Auslandssachverhalt“ ist aber jeden­ falls weiter als die punktuelle richterliche Berücksichtigung statutsfremder Rechtsnormen. Er umfasst jede potentielle Besonderheit, die der grenzüber­ schreitende Sachverhalt mit sich bringt. Aus diesem Grunde macht die Existenz des „Auslandssachverhaltes“ die Weiterentwicklung des Berücksichtigungsvor­ gangs auf Sachrechtsebene nicht überflüssig. 6. Mit der Beschreibung der „Tatbestandswirkung ausländischen Rechts“ (Stoll) sowie der „Adaption des Sachrechts an die Internationalität des Sachver­ haltes“ (von Bar/Mankowski) sind zwar ähnliche Phänomene wie das der Be­ rücksichtigung gemeint. Keine der Beschreibungen enthält aber genaue Anwen­ 299  Vgl. zu diesem Begriff Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der interna­ tio­nalen Rechtsanwendung (2004), S.  101; vgl. auch Dornis, SZIER 2015, 183, 189.

B. Anwendungsvoraussetzungen

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dungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen. Ihnen lässt sich deshalb nicht entneh­ men, ob es sich hierbei um Rechtsfortbildung im Sinne der Berücksichtigung handelt oder vielmehr die vorliegend abgelehnte Berücksichtigung ausländi­ schen Rechts als Tatsache gemeint ist. Die Existenz dieser Beschreibungen macht eine weitere Konturierung des Berücksichtigungsvorgangs deshalb nicht entbehrlich. 7. Die unechte Vorwirkung von Rechtsnormen beschreibt im Kontext des in­ tertemporalen Privatrechts einen mit der punktuellen Berücksichtigung statuts­ fremden Rechts vergleichbaren Vorgang, allerdings ohne genaue Anwendungs­ voraussetzungen und Rechtsfolgen zu entwickeln, die sich auf die Berücksichti­ gung im IPR übertragen ließen. 8. Der Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene ist nicht durch beste­ hende Systematisierungsleistungen abgedeckt. Eine Benennung und Konkreti­ sierung seiner Anwendungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen verspricht des­ halb einen Zuwachs an Rechtssicherheit.

B. Anwendungsvoraussetzungen Im Folgenden werden die Voraussetzungen des richterlichen Berücksichti­ gungsvorgangs auf Sachrechtsebene untersucht. Zunächst wird dargestellt, wel­ che der anwendbaren Sachnormen Grundlage für eine Berücksichtigung sta­ tutsfremden Rechts sein können (I.). Sodann soll der Kreis berücksichtigungs­ fähiger Sachnormen untersucht werden (II.). I. Importoffene Sachnorm Grundlage der Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene ist ein normativer Begriff einer insofern importoffenen Sachnorm (1.), gleich ob es sich um eine in- oder ausländische handelt (2.). Zudem bedarf es eines Defizits der Verweisungsentscheidung im Einzelfall (3.) und die zu berücksichtigenden Normen müssen eng mit dem Sachverhalt verbunden sein (Erfordernis eines doppelten Rechtsordnungsbezuges) (4.). Grenzen der Berücksichtigung ergeben sich aus der Sachnorm selbst und den Grundsätzen des IPR; die Berücksichti­ gung statutsfremden Rechts ist dabei gegenüber dem Verweisungsmechanismus subsidiär (5.).

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

1. „Normativer“ Begriff Voraussetzung der Berücksichtigung ist, dass eine jeweils anwendbare Sach­ norm für die Heranziehung einer bestimmten statutsfremden Rechtsnorm grundsätzlich „importoffen“ ist.300 Eine anwendbare Norm ist gegenüber der Berücksichtigung statutsfremden Rechts regelmäßig dann importoffen, wenn sie einen normativen, d. h. nicht de­ skriptiven, Begriff enthält.301 a) Abgrenzung zu deskriptiven Begriffen „Normative“ Tatbestandsmerkmale lassen sich nicht ohne weiteres verallgemei­ nernd von deskriptiven unterscheiden.302 Für die Frage, ob ein Begriff normativ oder deskriptiv ist, kommt es vielmehr auf den Sachzusammenhang an.303 Der Unterschied zwischen normativen und deskriptiven Begriffen ist zudem gradu­ ell.304 Röhl/Röhl schlagen vor, „zweifelhafte“ Begriffe, deren Verständnis sich nicht ohne weiteres erschließe, als „normativ“ zu bezeichnen.305 Engisch zufol­ ge sind normative Begriffe häufig besonders unbestimmt und führen deshalb zu einer „relativen Ungebundenheit der Gesetzesanwendung“.306 Wie normative und deskriptive Begriffe sich voneinander abgrenzen würden, sei zwar nicht eindeutig.307 Es könne jedoch auf zwei unterschiedliche Weisen differenziert werden: Zum einen zielten normative Begriffe auf Gegebenheiten ab, die nicht einfach wahrnehmbar seien, sondern nur im Zusammenhang mit der Umwelt und Normen verständlich würden.308 Zum anderen könne die Bedeutung des 300  Weller, Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmo­ derne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  53, 75 f.; ähnlich für die Substitution Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2e; Spickhoff, IPRax 2001, 37, 38. 301  Zur Abgrenzung von normativem und deskriptivem Begriff vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10.  Aufl. 2005, S.  142 ff. und sogleich unter a). 302  Hug, Die Substitution im Internationalen Privatrecht (1983), S.  11 ff.; Röhl/Röhl, All­ gemeine Rechtslehre, 3.  Aufl. 2008, §  6 V. 303  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3.  Aufl. 2008, §  6 V: „Ein Begriff ist nicht aus sich heraus normativ oder deskriptiv, sondern er erhält seinen jeweiligen Charakter erst aus dem Satzzusammenhang.“ 304  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3.  Aufl. 2008, §  6 V: „Dennoch bleibt es sinnvoll, auch in Normsätzen zwischen deskriptiven und normativen Begriffen zu unterscheiden, ob­ wohl die Unterscheidung letztlich nur graduell sein kann.“ 305  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3.  Aufl. 2008, §  6 V: „Innerhalb eines Normsatzes ist jeder auslegungsbedürftige Begriff normativ.“ 306  Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10.  Aufl. 2005, S.  142. 307  Ebd., S.  142 ff. 308  Ebd., S.  143.

B. Anwendungsvoraussetzungen

171

Normativen darin gesehen werden, dass es einer Wertung bedürfe, um einen normativen Begriff anzuwenden.309 Ein für die Anwendung der Datumtheorie notwendiger normativer Begriff liegt jedenfalls dann vor, wenn er auslegungsbedürftig ist. Importoffen sind deshalb Generalklauseln oder Normen mit unbestimmten Rechtsbegriffen.310 In der Praxis werden ausländische Vorschriften seit jeher typischerweise im Rah­ men von Normen wie §§  138, 242, 313 oder 826 BGB berücksichtigt.311 Diese Normen weisen Schnittmengen mit denen auf, über die Grundrechte mittelbar auf Privatrechtsverhältnisse wirken;312 gerade §§  138 und 242 BGB sind typi­ sche Anwendungsfälle für die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten.313 Wie verfassungsrechtliche Wertungen wirken auch kollisionsrechtliche Interes­ sen und Interessen ausländischer Normen ins Sachrecht hinein.314 Anders als im Falle des Verfassungsrechts ergibt sich die Einwirkung statutsfremder Vor­ schriften aber nicht aus einer Normenhierarchie, sondern sie ist deshalb not­ wendig, weil das Verweisungsrecht im Einzelfall nicht zu einer sachgerechten Lösung gelangt und dies im Wege der Rechtsfortbildung ausgeglichen werden muss.315 b) Einzelfallbedingte Auslegungsabhängigkeit Für die Importoffenheit ist überdies notwendig, dass die Auslegung der Norm ergibt, dass sie gegenüber der Berücksichtigung eines bestimmten statutsfrem­ den Rechts offen ist.316 Dies zeigt das Beispiel des §  134 BGB, wonach ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig ist. 309 

Ebd., S.  144. Ludwig, in: jurisPK-BGB, 7.  Aufl. 2015, Art.  3, 3a, 4 EGBGB Rn.  359; Weller, IPRax 2014, 225, 230. 311  Vgl. dazu z. B. RG, Urt. v. 30.9.1919, III 106/19, RGZ 96, 282, 283; BGH, Urt. v. 17.11.1994, III ZR 70/93, BGHZ 128, 41, 53; OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 9.5.2011, 23 U 30/10, BeckRS 2011, 16032; Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  47 ff. Bei Verträgen werden ausländische Rechtserscheinungen typischerweise über die ergänzende Vertragsauslegung (§  242 BGB) relevant, vgl. dazu Weller, IPRax 2014, 225, 231. 312  Vgl. zu dieser Parallele Dannemann, Sachrechtliche Gründe für die Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts, in: FS Stoll (2001), S.  417, 436. 313  Zur mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten im Zusammenhang mit diesen Nor­ men vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993, 1 BvR 567, 1044/89, BVerfGE 89, 214, 229 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 240 ff. 314  Dannemann, Sachrechtliche Gründe für die Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts, in: FS Stoll (2001), S.  417, 436. 315  Vgl. dazu Dritter Teil A. 316  Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht (1985), S.  169: „Ausländisches Recht, das bei der kollisionsrechtlichen Interessenwertung verdrängt 310 

172

Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Bei §  134 BGB ist anerkannt, dass ein Verbotsgesetz im Sinne des Tatbestan­ des keine statutsfremde Sachnorm sein kann.317 Als Grund wird angeführt, dass die Gesetze im Inland keine unmittelbare Verbindlichkeit hätten.318 Mit diesen Argumenten wäre aber auch eine Bezugnahme auf die Vorschrift innerhalb von §  138 Abs.  1 BGB unzulässig. Es scheint vielmehr unstimmig, bei Anwendbar­ keit deutschen Rechts Verstöße gegen ausländische Normen (nur) unter §  138 Abs.  1 BGB zu fassen, Verstöße gegen inländische hingegen (auch) unter §  134 BGB.319 In beiden Fällen wird auf die ausländische Norm Bezug genommen.320 Ebenso wie §  134 BGB nur inländische Gesetze erfasst, bezieht sich §  138 Abs.  1 BGB im Ausgang auf den Inlandssachverhalt.321 Dass die Gesetzgebung bei Erlass des §  134 BGB nicht an ausländische Verbotsgesetze gedacht hat,322 kann deshalb keinen Unterschied zu dem unstreitig grundsätzlich importoffe­ nen §  138 Abs.  1 BGB begründen. wurde, kann im inländischen Rechtssatz als datum wirken, wenn der inländische Rechtssatz sich für die Berücksichtigung öffnet.“ 317  RG, Urt. v. 2.5.1923, III 323/22, RGZ 107, 173, 174; RG, Urt. v. 3.10.1923, V 886/22, RGZ 108, 241, 243; RG, Urt. v. 17.6.1939, II 19/39, RGZ 161, 296, 299; BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“); BGH, Urt. v. 29.9.1977, III ZR 164/75, BGHZ 69, 295, 296; BGH, Urt. v. 17.11.1994, III ZR 70/93, BGHZ 128, 41, 53; LG Hamburg, Urt. v. 3.12.2014, 401 HKO 7/14, juris Rz. 24; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  52 X 2; vgl. dazu auch G. Fischer, IPRax 1996, 332, 334; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edi­ tion (2017), Art.  9 Rom I-VO Rn.  32; a. A. Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 240 Fn.  113: „Un­ richtig Fikentscher/Waibl [...], die meinen §  134 BGB bezöge sich a priori nur auf deutsche Gesetze. Für diese Annahme gibt es keinen Grund“; Junker, JZ 1991, 699, 701; A. Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht (2002), S.  305 Fn.  1375. 318  LG Hamburg, Urt. v. 3.12.2014, 401 HKO 7/14, juris Rz. 24; vgl. auch Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41, 78. 319  Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen im Internationalen Wirt­ schaftsrecht (2001), S.  60. 320  A. Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht (2002), S.  305 Fn.  1375: „Hier zeigt sich auch, daß die Ansicht der Rechtsprechung, ausländische Eingriffsnormen könnten nur über §  138 BGB – nicht aber über §  134 BGB – berücksichtigt werden [...] wenig über­ zeugt. Eine Beachtung des normativen Gehalts der fremden Norm erfolgt in beiden F ­ ällen.“ 321  Junker, JZ 1991, 699, 701; „Auch im Rahmen des §  138 Abs.  1 BGB ist jedoch ohne kollisionsrechtliche Erwägungen nicht auszukommen. Ebenso wie §  134 BGB ohne weiteres nur inländische Gesetze meint, bezieht sich §  138 Abs.  1 BGB a priori nur auf den Inlands­ sachverhalt [...]. In den genannten Urteilen wird die kollisionsrechtliche Wertung im Grunde nur ‚hinter einer sachrechtlichen Nebelwand verborgen‘“. 322  „Selbstverständlich hat der Gesetzgeber bei der Regelung des §  134 BGB an Fälle die­ ser Art nicht gedacht. Nur Verbote, die von einer deutschen gesetzgebenden Gewalt, von deutschen Behörden erlassen worden sind, die hervorgegangen sind aus deutschem sittlichem Empfinden und deutschem Rechtsbewusstsein und die den deutschen wirtschaftlichen – all­ gemeinen oder örtlichen – Bedürfnissen Rechnung tragen, konnte er im Auge haben“, RG, Urt. v. 2.5.1923, III 323/22, RGZ 107, 173, 174.

B. Anwendungsvoraussetzungen

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Für eine Zulässigkeit der Bezugnahme auf ausländische Verbotsvorschriften im Rahmen von §  134 BGB spricht auch seine rechtstechnische Ähnlichkeit zu §  823 Abs.  2 BGB, wonach Schadensersatz zu leisten ist, soweit schuldhaft und rechtswidrig gegen ein den Schutz eines anderen bezweckenden Gesetzes ver­ stoßen wird. Beide Normen verweisen auf außerhalb der Norm liegende Geset­ ze, einmal Verbotsgesetze, einmal sog. Schutzgesetze. Im Rahmen von §  823 Abs.  2 BGB soll im Wege der Auslegung auch auf ausländische Schutzgesetze Bezug genommen werden dürfen.323 Dafür spreche die einheitliche Beurteilung von öffentlich-rechtlicher und deliktsrechtlicher Verantwortung.324 Gegen die Importoffenheit von §  134 BGB wird aber mit seinem Normzweck argumentiert, der eine Bezugnahme auf statutsfremde Vorschriften nicht erlau­ be.325 §  134 BGB solle nämlich zum Gleichlauf des rechtsgeschäftlich Verein­ barten und des gesetzlich Geltenden führen.326 Die Anwendung von §  134 BGB setze deshalb, anders als Generalklauseln und Normen mit unbestimmten Rechtsbegriffen, die Geltung der Verbotsnorm voraus.327 Eine ausländische Norm gelte jedoch nur dann, wenn ihre Anwendung kollisionsrechtlich ange­ ordnet sei.328 Dahinter steht die Befürchtung, aufgrund der Vollstreckungsähn­ lichkeit des §  134 würden statutsfremde Verbotsgesetze automatisch zur Nich­ tigkeit nach inländischem Recht gültiger Rechtsgeschäfte führen, ohne dass dem Gericht hierbei ein nennenswerter Auslegungsspielraum verbleibe: Die Entscheidung über die Relevanz statutsfremder Verbotsgesetze läge letztlich bei der statutsfremden Rechtsordnung, nicht bei der lex causae.329 Offen bleibt hier­ bei, weshalb diese Argumentation nicht auch für die Berücksichtigung von Schutzgesetzen über §  823 Abs.  2 BGB gilt. Ungeachtet dessen belegt dieses Beispiel, dass für die Importoffenheit einer Norm letztlich mit ihrem Norm­ zweck argumentiert werden muss. Auch wenn sich die Importoffenheit einer Norm grundsätzlich nach ihrer Auslegungsoffenheit bestimmt, ist es denkbar, dass sich hier bestimmte Leitli­ nien herausbilden. Man könnte so z. B. mit Weller erwägen und dementspre­ chend rechtsgebietsspezifisch untersuchen, ob die Offenheit einer Norm zur Lehmann, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Internationales Finanzmarktprivat­ recht Rn.  548; Siems, RIW 2004, 662, 665; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art.  17 Rom II-VO Rn.  6. 324  Vgl. dazu Siems, RIW 2004, 662, 665. 325  Benzenberg, Die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen im Internationalen Pri­ vatrecht (2008), S.  162 f. 326  Ebd., S.  162. 327 Ebd. 328  Ebd., S.  162 f. 329  Vgl. zu dieser Argumentation z. B. A. Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Pri­ vatrecht (2002), S.  259. 323 

174

Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Einbeziehung statutsfremder Rechtserscheinungen davon abhängig ist, ob sie überwiegend Individual- oder Verkehrsinteressen schützt.330 Der Grundsatz, dass die Berücksichtigungsfähigkeit statutsfremder Normen von der Auslegung der Sachnorm abhängt, hilft zudem über vermeintliche Kol­ lisionsprobleme zwischen zu berücksichtigender Norm und der Sachnorm selbst oder zweier potentiell berücksichtigungsfähiger statutsfremder Normen hin­ weg. Kollidieren Ausgangsnorm und zu berücksichtigende Norm, ist die Be­ rücksichtigung statutsfremder Normen nicht vom Sinn und Zweck der Aus­ gangsnorm umfasst.331 Ebenso wenig ist es denkbar, dass der Zweck der Aus­ gangsnorm die Berücksichtigung zweier gegenläufiger Rechtserscheinungen verlangt.332 2. Bilateralisierung Als importoffene Normen kommen zudem in- und ausländische Normen in Be­ tracht. Wie das Verweisungsrecht ist die Berücksichtigung deshalb bilateral. a) Unilateraler Ursprung der Datumtheorie Ursprünglich geht es bei der Datumtheorie, wie sie Ehrenzweig entwickelt hat um die Berücksichtigung ausländischen Rechts im Rahmen der lex fori.333 Dies ist weniger eine beabsichtigte Besonderheit als vielmehr Resultat der IPR-Kon­ zeption Ehrenzweigs, die nach dem Ergebnis seiner rechtstatsächlichen Beob­ achtungen oft zur Anwendung der lex fori führt.334 Die Berücksichtigung der Internationalität des Sachverhalts auf Sachrechtsebene ist aber im Ausgangs­ punkt in allen Rechtsordnungen möglich. Für die Frage, ob nach der Verwei­ sungsentscheidung weitere nicht anwendbare Normen Berücksichtigung finden Weller, IPRax 2014, 225, 230. Bei einer Kollision von lokalen Vorschriften mit der Ausgangsnorm erwägt Jayme al­ ternativ hierzu eine Reservezuständigkeit der lex fori, Jayme, RabelsZ 67 (2003), 212, 225: „Sind diese Regeln mit den lokalen Vorschriften nicht kompatibel, so ergibt sich schließlich die Notwendigkeit einer prozessualen Heimatzuständigkeit. Insofern läßt sich die Zwei­stu­ fen­theorie auf ein dreistufiges Modell erweitern.“ 332  Eine Kollision wird schon aufgrund der geforderten engen Verbindung mit dem Sach­ verhalt selten vorkommen, vgl. insoweit im Zusammenhang mit der Berücksichtigung aus­ ländischer Eingriffsnormen A. Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht (2002), S.  356. Vgl. aber auch Benzenberg, die für den Fall kollidierender Eingriffsnormen vor­ schlägt, sie in ein Stufenverhältnis zu bringen, das ihre Nähe zum Sachverhalt sowie die Wichtigkeit ihrer öffentlich-rechtlichen Anliegen repräsentiert, Benzenberg, Die Behand­ lung ausländischer Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht (2008), S.  129. 333  Jayme, Internationales Familienrecht heute, in: FS Müller-Freienfels (1986), S.  341, 367. 334  Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.1. und Zweiter Teil C.II.1. 330  331 

B. Anwendungsvoraussetzungen

175

können, ist es irrelevant, ob lex causae und lex fori identisch sind oder nicht.335 Auch der Verweisungsmechanismus bestimmt nicht lediglich den Anwendungs­ bereich der eigenen Sachnormen, sondern führt zur gleichwertigen Berufung in- und ausländischen Rechts. Dasselbe gilt entsprechend für die Berücksichti­ gung. In einem allseitigen Kollisionsrechtssystem lässt sich der Gedanke der Berücksichtigung statutsfremden Rechts bilateralisieren.336 b) Vermeintliche Hürden der Bilateralisierung Die Bilateralisierung bringt zwar die prozessuale Schwierigkeit mit sich, dass das Gericht potentiell ihm unbekannte Normen auf ihre Importoffenheit bezüg­ lich ihm unbekannter ausländischer (dritter) Rechtserscheinungen untersuchen muss.337 Solche zu berücksichtigenden Rechtserscheinungen muss das Gericht aber auch im Rahmen von z. B. Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO und Art.  17 Rom II-VO ermitteln.338 Hinzu kommt die Notwendigkeit, die Importoffenheit der verwei­ sungsrechtlich anwendbaren Norm an sich zu beurteilen. Diese begegnet aber letztlich nur den regelmäßigen Schwierigkeiten, die jede Auslegung einer (für das inländische Gericht fremden) lex causae-Norm mit sich bringt, die ohnehin dahingehend interpretiert werden muss, welche tatsächlichen und rechtlichen Vorgänge dem Sinn und Zweck der Norm nach erfasst werden sollen.339 Im Zusammenhang mit ausländischen Eingriffsnormen wird zusätzlich kriti­ siert, ihre Beachtung dürfe der Forumstaat nicht dem anwendbaren Recht über­ lassen.340 Solange die lex fori aber keine Regelung wie Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO 335  Weller Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmo­ derne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Internationalen Privatrecht (2019), S.  53, 73; anders Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen im In­ ternationalen Wirtschaftsrecht (2001), S.  53 Fn.  182. 336  Kinsch, Le fait du prince étranger (1994), S.  336: „la théorie des data est parfaitement détachable d’un quelconque ‚lex-forisme‘“; Weller, Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmoderne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Per­ son im Internationalen Privatrecht (2019), S.  53, 73; vgl. insoweit ähnlich zu Kegels „Aus­ landssachverhalt“ Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  112. 337  Dazu vgl. A. Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht (2002), S.  301: „Ist ein ausländisches Recht Vertragsstatut, wird die Berücksichtigung eher schwieriger sein, da nicht nur die relevanten Eingriffsnormen ermittelt werden müssen, sondern auch das Sach­ recht des Vertragsstatuts, in das ein ‚Einbau‘ erfolgt.“ 338  Zu diesen Vorschriften vgl. auch Erster Teil B. 339  „[...] inländische Gerichte haben ausländisches Recht so anzuwenden, wie es der Rich­ ter des betreffenden Landes auslegt und anwendet“, BGH, Beschl. v. 4.7.2013, V ZB 197/12, NJW 2013, 3656, 3658. 340  Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S.  86.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

kennt, nimmt die Gesetzgebung dies gerade in Kauf. Zudem verbleibt dem Fo­ rumstaat die Ergebniskontrolle über den ordre public-Vorbehalt.341 c) Auswirkungen der Bilateralisierung Aus der Bilateralisierung der Berücksichtigung folgt: Sofern mittels einer Sach­ normverweisung auf die Vorschriften der deutschen lex causae verwiesen wird, müsste das ausländische Gericht die Methode der Berücksichtigung statuts­ fremden Rechts – als Methode des IPR – nicht zwingend anwenden. Umgekehrt müsste die Berücksichtigung statutsfremden Rechts aus einem Drittstaat vor einem deutschen Gericht aber auch bei einer Sachnormverweisung in ein (grundsätzlich anwendbares) ausländisches Recht erwogen werden. 3. Einzelfallbedingtes Defizit der Verweisungsentscheidung Neben einer in- oder ausländischen importoffenen Norm ist Voraussetzung der Berücksichtigung ein Defizit der Verweisungsentscheidung im Einzelfall. Die­ ses Erfordernis ergibt sich daraus, dass es sich bei der Berücksichtigung letzt­ lich um eine Rechtsfortbildung der Verweisungsregeln handelt.342 Es wurde bereits gezeigt, dass das Verweisungssystem grundsätzlich Defizite aufweist, die im Einzelfall für eine sachgerechte Lösung des Ausgleichs bedürfen.343 Dies legitimiert die Berücksichtigung als rechtsfortbildende Methode aber nur im Ausgangspunkt. Ob im Einzelfall die Verweisungsentscheidung korrekturbedürftig ist, muss grundsätzlich durch Auslegung der jeweils anwendbaren Sachnorm entschieden werden.344 Die richterliche Berücksichtigung muss mit anderen Worten im je­ weiligen Einzelfall im Sinne des Kollisionsrechts „geboten“ sein.345 Wann dies 341 

Vgl. dazu Dritter Teil B.I.5.b). Vgl. dazu Erster Teil C.II.1., Zweiter Teil A., B. und C. 343  Vgl. dazu Dritter Teil A.I., II. 344  Vgl. zur Ermittlung von entscheidungserheblichen Regelungslücken Muthorst, Grund­ lagen der Rechtswissenschaft (2011), §  8 Rn.  10: „Ob ein Gesetz eine entscheidungserhebli­ che Regelungslücke enthält oder ob umgekehrt die Rechtsfrage gesetzlich geregelt ist, muss durch Auslegung geklärt werden.“ 345  Ähnlich von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  280, der die Berücksichtigung allerdings anders als hier nicht kollisionsrechtlich einordnet, sondern der sachrechtlichen teleologischen Auslegung zuordnet: „Letztlich handelt es sich bei der Be­ rücksichtigung ausländischen Rechts im Rahmen inländischer Generalklauseln daher, wie schon Sonnenberger betont hat, um eine ‚ganz normale Auslegung und Konkretisierung deutschen Sachrechts‘, genauer: um einen Fall der teleologischen Auslegung des Sachrechts. Ansatzpunkt einer Einbeziehung ausländischer Wertungen müssen – ähnlich wie bei der Substitution – stets Sinn und Zweck der jeweils anwendbaren inländischen Sachnorm sein. Erstens muss die Norm des deutschen Sachrechts prinzipiell offen auch für die Berücksichti­ 342 

B. Anwendungsvoraussetzungen

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der Fall ist, lässt sich ex ante nicht für jede Sachverhaltskonstellation voraussa­ gen. Möglich ist es zwar, dass sich „an Hand typischer Einzelfälle“ „brauchbare Maßstäbe“ entwickeln lassen.346 Nicht möglich ist hingegen eine abschließende Nennung legitimer Gründe zur Berücksichtigung statutsfremden Rechts, weil potentiell jede Sachnorm einen Grund zur Berücksichtigung statutsfremden Rechts liefert.347 Starre Richtlinien entsprächen nicht dem Konzept richterlicher Einzelfallentscheidung.348 Ob eine Norm Berücksichtigung finden sollte, lässt sich demnach nicht abstrakt, sondern immer nur auf Grundlage der jeweiligen anwendbaren Norm entscheiden.349 Die Berücksichtigung der statutsfremden Norm muss sich also erstens aus dem jeweiligen Normzweck (der Importoffenheit der Norm) ergeben und zwei­ tens aufgrund der im Lichte einer sachgerechten Falllösung sonst entstehenden Unstimmigkeit, die sich am Maßstab der anwendbaren Norm beurteilt, zur ein­ zelfallgerechten Falllösung notwendig sein.350 Dass das Korrekturbedürfnis der Verweisungsentscheidung letztlich von der einzelnen anwendbaren Sachnorm beeinflusst wird, zeigt das Beispiel der Be­ rücksichtigung von Eingriffsnormen. In der Vergangenheit wurden insbesonde­ re solche Eingriffsnormen berücksichtigt, die dem Schutz allgemein anerkann­ ter Rechtsgüter dienten, denen inländische Wertungen entsprachen oder deren Berücksichtigung die gute Beziehung zu dem jeweiligen Verbotserlassstaat ge­ bot.351 Eingriffsnormen, die deutschen Interessen zuwiderliefen, wurden über §  138 Abs.  1 BGB nicht berücksichtigt.352 Insoweit schien das Verweisungsrecht gung ausländischer Wertungen sein; dies wird man – ebenso wie bei der Substitution – im Zweifel zu bejahen haben. Zweitens muss aber hinzukommen, dass die Berücksichtigung ausländischer Rechtsvorstellungen im gegebenen Fall tatsächlich geboten ist, um dem vom deutschen Gesetzgeber festgelegten Normenprogramm zur Durchsetzung zu verhelfen.“ 346  Vgl. dazu im Zusammenhang mit der Berücksichtigung eines Auslandsbezuges im Rahmen von §  1 UWG aF Hefermehl, GRUR 1958, 197, 200. 347  Dannemann, Sachrechtliche Gründe für die Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts, in: FS Stoll (2001), S.  417, 419: „Eine Aufstellung von Sachrechtsnormen, welche die Berücksichtigung eines nicht anwendbaren Rechts erfordern können, muß unvollständig bleiben. Denn jede sachrechtliche Vorschrift kann potentiell einen solchen Grund in sich tragen.“ 348  Hefermehl, GRUR 1958, 197, 200. 349  Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht (1985), S.  169 ff.; Jayme, IPRax 1986, 46, 48, Fn.  26. 350  Vgl. dazu auch Grundmann, NJW 1987, 2129, 2130. 351  Vgl. dazu BGH, Urt. v. 21.12.1960, VIII ZR 1/60, BGHZ 34, 169, 177 („Borax“); BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82, 85 („Nigerianische Masken“); BGH, Urt. v. 29.9.1977, III ZR 164/75, BGHZ 69, 295, 298; vgl. dazu Großfeld/Junker, Das CoCom im Internationalen Wirtschaftsrecht (1991), S.  102. 352  Großfeld/Junker, Das CoCom im Internationalen Wirtschaftsrecht (1991), S.  102.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

nicht korrekturbedürftig. Stattdessen wurden sie aber über die Anerkennung ihrer potentiellen Auswirkungen zur Begründung der Unmöglichkeit i. S. d. heutigen §  275 BGB (ggf. analog) herangezogen.353 Aus Sicht des Leistungsstörungsrechts waren die Verweisungsnormen ergänzungsbedürftig. Ob das Verweisungsergebnis korrekturbedürftig ist, bestimmt sich für die Datumtheorie regelmäßig aus Perspektive der jeweils anwendbaren Sachnorm. 4. Doppelter Rechtsordnungsbezug Welche Normen zur Korrektur oder zur Ergänzung des Verweisungsergebnis­ ses zu berücksichtigen sind, lässt sich zwar nicht abschließend bestimmen. Die Anwendungsbeispiele354 zeigen aber, dass statutsfremde Normen, die durch die Rechtsprechung Berücksichtigung finden, regelmäßig solche sind, die punktuell eine enge, tatsachengleiche Verbindung mit dem Sachverhalt aufweisen (a)). Da die Einbeziehungsentscheidung, wie oben dargelegt wurde,355 letztlich bei der anwendbaren Sachnorm liegt, soll zunächst die normative Relevanz dieses Merkmals dargestellt werden (b)), bevor das Erfordernis der engen Verbindung näher beschrieben wird (cc)). a) Erfordernis einer engen Verbindung zum Sachverhalt Berücksichtigen Gerichte statutsfremde Sachnormen, geht es oft um Normen, die derart eng mit dem Sachverhalt verknüpft sind, dass „der Richter im Forum um ihre Beachtung gleichsam nicht herumkommt.“356 Dementsprechend wird häufig argumentiert, die entsprechende Berücksichtigung folge „aus der Natur der Sache“.357 Nach Dannemann ergibt sich die Notwendigkeit der Berücksich­ tigung statutsfremder Rechtserscheinungen regelmäßig daraus, dass eine ver­ weisungsrechtlich nicht anwendbare Rechtserscheinung „für sich in Anspruch nimmt, den Fall zu beherrschen“.358 Wird eine Norm berücksichtigt, liegt das 353  Vgl. z. B. RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 ff. („Trading with the enemy“). 354  Vgl. dazu Erster Teil B. 355  Vgl. dazu Zweiter Teil A.II.5., Dritter Teil B.I.1. 356  Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm, in: Kulturelle Identität und Internationa­ les Privatrecht (2003), S.  155, 157. Vgl. dazu auch Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Amicorum Schurig (2012), S.  229, 230 ff. Schon Ehrenzweig sah in einer „starke[n] Verbindung des Falls zu dem entsprechenden Ortsrecht“ eine Voraussetzung für die Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts als „local data“, vgl. dazu Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  84. 357  Vgl. dazu Erster Teil C.I., Zweiter Teil A.II.2. 358  Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwen­ dung (2004), S.  132.

B. Anwendungsvoraussetzungen

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deshalb in der Regel daran, dass sie wie eine Tatsache auf den Sachverhalt ein­ wirkt.359 Anders als bei der Verweisung geht es nicht um eine typisierte ex ante-­ Bestimmung des objektiv-rechtlichen Sitzes des gesamten Sachverhalts, son­ dern vielmehr um die tatsächlichen Rechtswirkungen, denen der Sachverhalt im Einzelnen unterworfen ist.360 Diese Prägung kann als „doppelter Rechtsordnungsbezug“ des Sachverhalts bezeichnet werden. Der Sachverhalt hat nämlich zunächst eine enge Verbindung zu einer Rechtsordnung A, weshalb diese verweisungsrechtlich anwendbar ist. Darüber hinaus ist er aber punktuell enger mit der Rechtsordnung B verbunden, sodass der Sachverhalt nur hauptsächlich und nicht ausschließlich mit der Aus­ gangsrechtsordnung A verbunden ist.361 Das Erfordernis der engen Verbindung zwischen berücksichtigter Norm und Sachverhalt findet sich auch im Rahmen von Berücksichtigungsanordnungen, wonach das den Sachverhalt prägende Umweltrecht unabhängig von der jewei­ ligen lex causae Berücksichtigung finden soll.362 Grund für Art.  17 Rom II-VO ist z. B., dass ortsgebundene Verhaltensregeln aufgrund ihrer „Tatbestandswir­ kung“ stets dem Tatortrecht unterliegen sollen.363 Ähnlich dazu sehen Aus­ weichklauseln die Möglichkeit vor, eine andere Rechtsordnung als die verwei­ sungsrechtlich berufene anzuwenden, sofern diese Rechtsordnung ausnahms­ weise eine engere Verbundenheit mit dem Sachverhalt aufweist als die eigentlich anwendbare.364 Und schon Wengler argumentiert bei der Bezugnahme auf fak­ 359  Vgl. dazu Pfeiffer, Datumtheorie und „local data“ in der Rom II-VO, in: Liber Ami­ corum Schurig (2012), S.  229: „Es geht um das Verhältnis zwischen der kollisionsrechtlichen Anwendung der lex causae und der an verschiedenen Stellen der Verordnung berücksichtig­ ten tatsachengleichen oder -ähnlichen Funktion rechtlicher Regelungen“; a. a. O. S.  230: für die herkömmliche Datumtheorie sind „bestimmte an einem bestimmten Ort geltende Regeln ungeachtet kollisionsrechtlicher Anknüpfungen stets beachtlich […], weil sie für den Fall gleich einer Tatsache relevant sind“ (Hervorhebung durch die Verf.). 360  Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm, in: Kulturelle Identität und Internationa­ les Privatrecht (2003), S.  155, 162 ff., 164: „Die Datum-Lehre blickt auf solche Fälle, in denen die faktische und die rechtliche Geltung der betreffenden Normen räumlich auseinanderfal­ len.“ 361  Vgl. dazu Baudenbacher, GRUR Int 1988, 310, 316. 362  Jakob/Picht, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, 4.  Aufl. 2016, Art.  17 Rom II-VO Rn.  1: Die Vorschrift sei „Ausdruck des Gedankens, dass die Beurteilung eines haftungsrelevanten Verhaltens auch dann nicht ohne Ansehen seines Umweltrechts möglich ist, wenn dieses Umweltrecht nicht die lex causae bildet.“ 363  Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Art.  17 Rom II-VO Rn.  1. 364  Vgl. z. B. Art.  4 Abs.  3 S.  1 Rom II-VO: „Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden“; dazu Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017,

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

tisch geltendes Recht: Das faktisch geltende Recht sei nur relevant, sofern es eine enge Verbindung zum Sachverhalt aufweise.365 Dasselbe gilt für die mate­ riell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, bei der bis­ lang immer eine entsprechend enge Verbindung zwischen statutsfremder Norm und Sachverhalt verlangt wurde.366 b) Normative Relevanz Der doppelte Rechtsordnungsbezug hat zunächst nur Indizwirkung bezüglich der Frage, welche statutsfremden Rechtsnormen berücksichtigt werden sollten. Denn die Entscheidung darüber, ob Normen Berücksichtigung finden sollen, obliegt der anwendbaren und auszulegenden Sachnorm.367 Ob die zu berück­ sichtigende Norm selbst Anwendungswillen hat, ist irrelevant.368 Demnach dürfte es im Ausgangspunkt auch nicht auf die territoriale oder personale Ver­ bindung der Norm zum Sachverhalt ankommen. Normativ spielt dieses Kriterium aber insofern eine Rolle, als es den Ausle­ gungsspielraum beeinflussen kann, der dem Gericht bei der Auslegung der Sachnorm im Hinblick auf ihren Willen, eine statutsfremde Norm einzubezie­ hen, zukommt.369 Je enger die berücksichtigungsfähige Norm mit dem Sachver­ halt verbunden ist, umso mehr ist ihre Berücksichtigung geboten. Eine solche Beeinflussung des Auslegungsspielraums durch das Erfordernis des doppelten Rechtsordnungsbezuges ist deshalb gerechtfertigt, weil die Abweichung von der verweisungsrechtlichen Entscheidung nur dann legitimiert ist, wenn diese räumliche Entscheidung punktuell fehl geht (und insofern ein Defizit auf­ weist).370 Die Beeinflussung des Auslegungsspielraums durch das Erfordernis des doppelten Rechtsordnungsbezugs hat zugleich prozessuale Konsequenzen: Bietet sich die Berücksichtigung einer Norm aufgrund ihrer engen Verbunden­ heit mit dem Sachverhalt an, ist revisibel, ob das Gericht die Berücksichtigung zumindest in Erwägung gezogen hat.371

Art.  4 Rom II-VO Rn.  16. Zur Abgrenzung von Ausweichklausel und Berücksichtigungsvor­ gang vgl. Dritter Teil A.II.3.a). 365  Wengler, Fragen der Faktizität und Legitimität bei der Anwendung fremden Rechts, in: FS Lewald (1953), S.  615, 629 f. 366  Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  45. 367  Vgl. dazu Zweiter Teil A. und Dritter Teil B.I.1. 368  Vgl. dazu Zweiter Teil A. und Dritter Teil B.I.1. 369  Zum Auslegungsspielraum vgl. Dritter Teil C. 370  Vgl. zum Erfordernis eines Regelungsdefizits der Verweisungsnormen auch Dritter Teil B.I.3. 371  Vgl. zu prozessualen Fragen Dritter Teil D.

B. Anwendungsvoraussetzungen

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Nicht zuletzt wäre eine solche enge Verbindung zu verlangen, falls der Vor­ gang der Berücksichtigung als Regel auf Kollisionsrechtsebene normiert und dem Gericht ein eigenes, diskretionäres – d. h. über den Auslegungsspielraum der anwendbaren Sachnorm hinausgehendes – Ermessen eingeräumt würde.372 Dann könnte die Prägung des Sachverhalts eine Rechtfertigung für die Durch­ brechung der Trennung zwischen Sach- und Verweisungsrecht sein und sicher­ stellen, dass die Berücksichtigung eine Ausnahme bleibt, indem sie nur in Fäl­ len des doppelten Rechtsordnungsbezuges erfolgt.373 c) Ausgestaltung im Einzelnen Eng mit dem Sachverhalt verbunden sind z. B. die örtlich prägenden Verhaltensund Sicherheitsvorschriften am Ort des Geschehens.374 Die Prägung des Sach­ verhalts durch zu berücksichtigende Vorschriften muss allerdings nicht zwin­ gend territorialer Natur sein. Auch Art.  17 Rom II-VO soll zwar insbesondere örtlich fest verbundene Re­ gelungen erfassen.375 Art.  17 Rom II-VO hat dabei allerdings lediglich den Fall im Blick, in dem aufgrund Art.  4 Abs.  2 oder 3 Rom II-VO das Tatortrecht keine Anwendung findet und deshalb bestimmte örtlich eng mit dem Tatort verbunde­ ne Verhaltensregeln Berücksichtigung finden müssen. Die umgekehrte Konstel­ lation, dass das Tatortrecht Anwendung findet und die Parteien durch bestimm­ te örtlich flexible, aber personal eng mit ihnen als Personen verknüpfte Regelun­ gen geprägt sind, die deshalb Berücksichtigung finden müssten, erfasst Art.  17 Rom II-VO seinem Sinn und Zweck nach deshalb nicht. Diese Konstellation kann sich für die Berücksichtigung auf Sachrechtsebene aber durchaus ergeben. Häufig ist es zudem auch im Rahmen von Art.  17 Rom II-VO schwierig, zwi­ schen örtlich fest verbundenen und flexiblen Regelungen zu unterscheiden. Des­ halb wird sogar für Art.  17 Rom II-VO vorgeschlagen, den Unterschied erst im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zur Geltung zu bringen und sodann nur die Berücksichtigung örtlich fest verbundener Regeln als selbstverständlich an­ gemessen zu bewerten, wohingegen die Berücksichtigung örtlich nicht fest ver­ bundener Regelungen einer besonderen Begründung bedürfe.376 372 

Zur Möglichkeit der Kodifikation der Datumtheorie vgl. Dritter Teil F.III. Zum Grundsatz der Berücksichtigung nicht anwendbaren Rechts als ultima ratio vgl. Dritter Teil B.I.5.c). 374  Vgl. insoweit zu Art.  17 Rom II-VO Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Art.  17 Rom II-VO Rn.  3. 375  Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Art.  17 Rom II-VO Rn.  3. 376  Junker, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom II-VO Rn.  13. Vgl. dazu auch Dornis, SZIER 2015, 183, 193. 373 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Dass es bei der Berücksichtigung nicht nur auf eine örtliche Prägung des Sachverhaltes ankommen kann, zeigen auch Beispiele aus der Rechtsprechung: Es stellt eine Anwendung der Berücksichtigungsmethodik dar, wenn in dem Beispiel des Verkehrsunfalls in Südafrika angenommen wird, die Parteien mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland würden ihre Rechtsbeziehungen aus dem Heimatland mit nach Südafrika nehmen, weshalb sich zwar das Linksfahr­ gebot, nicht aber das Maß der gebotenen Sorgfalt aus den südafrikanischen Tat­ ortregeln ergeben musste.377 Ebenso ist es im Falle der Berücksichtigung der Anschnallpflicht nach §  21a StVO: Sind zwei Parteien mit gewöhnlichem Auf­ enthalt in Deutschland mit ihr vertraut, handelt die fahrende Person fahrlässig, wenn sie die beifahrende Person vor dem Losfahren nach einer Pause nicht auf­ weckt, damit diese Gelegenheit zum Anschnallen bekommt, und die beifahren­ de Person sich infolge dieses Unterlassens bei einem Unfall verletzt.378 Hier werden die personal eng mit dem Sachverhalt verbundenen Regelungen berück­ sichtigt. Das Erfordernis des doppelten Rechtsordnungsbezuges muss deshalb nicht zwingend räumlicher, sondern kann auch anderer, z. B. personaler Natur sein.379 Das Erfordernis des doppelten Rechtsordnungsbezuges ist deshalb im Sa­ vigny’schen Sinne zu verstehen: nicht als Ausdruck staatlicher Souveränität, sondern vielmehr als Indiz für die engste Sachverhaltsverbindung.380 Wann eine enge Sachverhaltsbeziehung vorliegt, muss letztlich im jeweiligen Einzelfall begründet werden. Bei einer Entscheidung darüber, ob und in wel­ chem Ausmaß statutsfremdes Recht berücksichtigt wird, kann wie beim ordre public-Vorbehalt auf die Enge der Verbindung zwischen anwendbarem Recht und Sachverhalt Bezug genommen werden: Je enger der Sachverhalt mit der lex causae verbunden ist, desto begrenzter ist der Auslegungsspielraum für den Berücksichtigungsvorgang.381 Ob in Zukunft Leitlinien hinsichtlich der Ausge­ staltung dieser engen Verbindung entwickelt werden können, bedürfte einer

377  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485; vgl. dazu auch Erster Teil B.II.2. und Dritter Teil E.II. 378  OLG Karlsruhe, Urt. v. 3.10.1984, 1 U 292/83, VersR 1985, 788 ff. 379  Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht (1985), S.  172: „die direkte Verknüpfung der ausländischen Regel mit dem Sachverhalt, d. h. ihre Orts- oder Personenbezogenheit, rechtfertigt ihr Einwirken ohne Anwendungsbefehl als da­ tum“; Piehl, RIW 1988, 841, 843. 380  Vgl. insoweit zum IPR Savignys Michaels, Die europäische IPR-Revolution. Regulie­ rung, Europäisierung, Mediatisierung, in: FS Kropholler (2008), S.  151, 155: „Territorialität war nicht mehr ein Ausdruck staatlicher Souveränität, sondern ein Mittel zur Bestimmung der engsten Verbindung, des ‚Sitzes‘.“ 381  Vgl. dazu Piehl, RIW 1988, 841, 843.

B. Anwendungsvoraussetzungen

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umfassenden, rechtsgebietsübergreifenden Analyse der Rechtsprechung.382 Al­ lerdings steht zu vermuten, dass es aufgrund der Vielzahl an möglichen Kon­ stellationen bei einer Abwägung im Einzelfall verbleiben wird, ob und in wel­ chem Maße eine enge Verbundenheit zwischen Sachverhalt und berücksichti­ gungsfähiger Norm besteht. d) Zwischenergebnis Regelmäßig werden solche statutsfremden Rechtserscheinungen relevant, die punktuell enger mit dem Sachverhalt verbunden sind als die Ausgangsrechts­ ordnung. Dieses Merkmal lässt sich als das „Erfordernis des doppelten Rechts­ ordnungsbezuges“ benennen. Wann eine ausreichend enge Sachverhaltsbezie­ hung zu der nach dem Verweisungsbefehl nicht anwendbaren Rechtsordnung vorliegt, muss einzelfallabhängig entschieden werden. Die Entscheidung, wel­ che Norm letztlich berücksichtigt wird, liegt de lege lata, d. h. außerhalb einer Kodifikation der Berücksichtigungsmethode,383 bei der anwendbaren Sach­ norm. Das Erfordernis des doppelten Rechtsordnungsbezuges beeinflusst aber den im Rahmen der anwendbaren Sachnorm bestehenden Auslegungsspielraum des Gerichts bei der Frage danach, ob eine bestimmte statutsfremde Rechts­ norm Berücksichtigung finden soll. 5. Grenzen Grenzen der Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene er­ geben sich aus der Sachnorm (a)) sowie aus international-privatrechtlichen Grundsätzen (b)). Die Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechts­ ebene ist gegenüber der Anwendung des Rechts nach einer verweisungsrechtli­ chen Entscheidung subsidiär (c)).

382  Es wird z. B. vorgeschlagen, auf Kriterien zur Bestimmung der Inlandsnähe beim ordre public zurückzugreifen, Weller, Das Individuum und die Datumtheorie – Die „personne plurielle“ der Postmoderne als Herausforderung des binären IPR, in: Die Person im Interna­ tionalen Privatrecht (2019), S.  53, 75 ff. oder sie an den Kriterien zur Bestimmung der effek­ tiven Staatsangehörigkeit auszurichten, ders., IPRax 2014, 225, 230. Es wird zudem ange­ dacht, von den Beteiligten ausgehend danach zu fragen, ob sie auf die Geltung einer be­ stimmten Norm bzw. ihrer Rechtswirkung vertraut haben und vertrauen durften, Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm, in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht (2003), S.  155, 164 f. 383  Zur Zweckmäßigkeit einer Kodifikation vgl. Dritter Teil F.III.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

a) Aus der Sachnorm Grenzen der Berücksichtigung statutsfremden Rechts ergeben sich aus der an­ wendbaren Sachnorm.384 Grundsätzlich ist Grenze der Auslegung einer Norm zwar ihr Wortlaut.385 In der Praxis geschieht die Berücksichtigung statutsfremden Rechts allerdings häufig in Modifikation der Ausgangsnorm. Beispielsweise haben die Gerichte in der Vergangenheit Fälle der Unzumutbarkeit unter die objektive Unmöglich­ keitsvorschrift des §  275 Abs.  1 BGB subsumiert.386 Zulässig ist eine Weiterent­ wicklung der Sachnorm in diesem Sinne dann, wenn sie „aufgrund der auch sonst für sinnvolle Rechtsanwendung vorgegebenen Denkmuster“ geschieht.387 Eine Norm sollte mit anderen Worten infolge der Berücksichtigung einer sta­ tutsfremden Norm nur dann über ihren Wortlaut hinaus ausgelegt werden, so­ fern dies in Einklang mit den jeweiligen Auslegungs- und Rechtsfortbildungs­ methoden der Rechtsordnung, der die Norm angehört, zu bringen ist.388 Der Berücksichtigungsvorgang füllt hierdurch die Auslegungsspielräume der an­ wendbaren Sachnorm aus.389 Äußerste Grenze der Berücksichtigung auf Sachrechtsebene ist also die durch den nationalen, ggf. unionsrechtlich geprägten, Methodenkanon bestimmte Auslegung der jeweiligen Sachnorm.390 Eine Modifikation der Ausgangsnorm ungeachtet der juristischen Methoden­ lehre des anwendbaren Rechts wäre nur dann zulässig, wenn die Legislative eine Berücksichtigungsanordnung erlässt, wie dies bereits für einige Rechtsbe­ reiche z. B. auf unionsrechtlicher Ebene mit Art.  17 Rom II-VO und Art.  9 Abs.  3 384  Vgl. dazu auch Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familien­ recht (1985), S.  169 ff.; Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  6 III 2. 385  Fischer, ZfA 2002, 215, 229. 386  Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht (1989), S.  182 ff.; vgl. dazu auch Erster Teil B.I.2.a) und Zweiter Teil B.IV.2.c). 387  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  334. 388  Vgl. dazu Benzenberg, Die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen im Internatio­ nalen Privatrecht (2008), S.  156; vgl. zur Frage, ob Richter ausländisches Recht fortbilden dürfen, Thole, ZHR 2012, 15, 34. Dieses Problem stellte sich bei den hier betrachteten Be­ rücksichtigungsfällen deshalb nicht, weil es bei ihnen um die Berücksichtigung ausländi­ schen Rechts auf Grundlage der inländischen Sachnormen ging, vgl. Erster Teil B. 389  Vgl. insoweit im Zusammenhang mit Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO Mansel, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 17.  Aufl. 2018, Vor Art.  1 Rom I-VO Rn.  40: „Dies [die Berücksich­ tigung des Rechts des Staates, in welchem der Erfüllungserfolg zu bewirken ist] kann [...] auf der materiellrechtlichen Ebene des anzuwendenden Vertragsrechts erfolgen mit den Mitteln der sogenannten Datumtheorie [...]. Hier werden Auslegungsspielräume des Vertragsstatuts mit Blick auf die Regelungen des Erfüllungsrechts ausgefüllt.“ 390  Insoweit zur Substitution Hess, Intertemporales Privatrecht (1998), S.  451; zur Frage, ob Richter das ausländische Recht ‚fortbilden‘ dürfen, vgl. Thole, ZHR 2012, 15, 34.

B. Anwendungsvoraussetzungen

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Rom I-VO geschehen ist. Sofern eine solche Berücksichtigungsanordnung vor­ handen ist, stellt sie die Legitimationsgrundlage des Berücksichtigungsvor­ gangs dar, weshalb die Berücksichtigung der statutsfremden Rechtsvorschriften von vornherein – jedenfalls sofern die Berücksichtigungsanordnung dies nicht vorschreibt – nicht von einer dafür importoffenen Sachnorm und dem ihr zuge­ hörigen Auslegungskanon abhängt. b) Verweisungsrechtliche Grenzen Die Grenzen der Berücksichtigung statutsfremden Rechts liegen im Übrigen parallel zu denen der verweisungsrechtlichen Anwendung. Dies liegt daran, dass es sich bei der Berücksichtigung funktional um Kollisionsrecht handelt.391 Zudem wird so gewährleistet, dass die richterliche Übernahme der eigentlich den Verweisungsnormen vorbehaltenen Funktion im Einzelfall möglichst scho­ nend, unter Beibehaltung der für das Verweisungsrecht entwickelten Grundsät­ ze und in Einklang mit den kollisionsrechtlichen Wertungen erfolgt. Relevant ist deshalb z. B. der ordre public-Vorbehalt der lex fori.392 Neben Grundrech­ ten393 sind bei der Berücksichtigung statutsfremden Rechts deshalb auch sach­ rechtliche Wertungen von Verweisungsnormen, wie z. B. Art.  10 Rom III-VO, zu beachten.394 Art.  10 Rom III-VO verhindert dementsprechend nicht nur die Anwendung, sondern auch die Berücksichtigung geschlechtsdiskriminierender Normen.395 Nach diesen Grenzen der Berücksichtigung würde der Reichsgerichtsfall „Trading with the enemy“ vom 28.6.1918,396 in dem das englische Feindhandels­ gesetz als ordre public-widrig nicht angewandt und sodann im Rahmen des Unmöglichkeitsrechts (aber trotzdem) berücksichtigt wurde, anders gelöst. Es müsste zumindest begründet werden, weshalb der ordre public-Vorbehalt im Falle der Berücksichtigung der englischen Verbotsnorm auf Sachrechtsebene nicht gilt. Denn sofern das jeweilige Verbotsgesetz noch nicht ausgeführt wur­ 391 

Vgl. dazu Zweiter Teil B., C. Weller, IPRax 2014, 225, 232; a. A. Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Ein­ griffsnormen im Internationalen Wirtschaftsrecht (2001), S.  65, dem zufolge der ordre public-Vorbehalt nur bei einer verweisungsrechtlichen Anwendung von ausländischen Normen greife. 393  Vgl. insoweit zu Grenzen der Einbeziehung ausländischer Eingriffsnormen über §  138 BGB Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41, 79: „Der Verstoß gegen eine ausländische Eingriffsnorm ist jedoch nicht sittwendrig, wenn die Berücksichtigung dieser Norm inländische Verfas­ sungsgrundsätze verletzt.“ 394  Weller, IPRax 2014, 225, 232. 395  Vgl. zu Art.  10 Rom III-VO Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 ff. 396  RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182 („Trading with the enemy“); vgl. dazu Erster Teil B.I.2.a) und Zweiter Teil B.IV.2.c)aa)(2). 392 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

de, liegt in seiner Berücksichtigung eine Anwendung; diese lehnte das Reichs­ gericht jedoch – übrigens in Abkehr von der Entscheidung der Vorinstanz – ab.397 Durch die Berücksichtigung des englischen Feindhandelsgesetzes auf Ebene des Sachrechts umging das Reichsgericht die von ihm zuvor aufgestellten Maßstäbe des ordre public-Vorbehaltes, ohne dies offenzulegen oder zu be­ gründen. c) Grundsatz der engen Auslegung Der klassische Verweisungsbefehl soll durch die Berücksichtigung statutsfrem­ den Rechts nur soweit wie nötig durchbrochen werden (Grundsatz des geringst­ möglichen Eingriffs).398 Wie auch der ordre public-Vorbehalt, die Sonderan­ knüpfung von Eingriffsnormen, die sachrechtliche Anpassung oder die Aus­ weichklausel restriktive Ausnahmen vom regelmäßigen kollisionsrechtlichen Verweisungsmechanismus darstellen,399 muss die ausnahmsweise Berücksich­ tigung statutsfremder Normen eng ausgelegt werden. Der Grundsatz der engen Auslegung ergänzt insofern das Erfordernis des Defizites der Verweisungsent­ scheidung im Einzelfall (i. S. e. „international-privatrechtlichen Regelungs­ lücke“). 6. Zwischenergebnis Ob eine statutsfremde Norm berücksichtigt werden kann, ergibt sich aus dem anwendbaren Sachrecht. Die jeweils anwendbare Sachnorm muss importoffen sein. Ob es sich bei den importoffenen Normen um inländische oder ausländi­ sche Normen handelt, ist irrelevant; aus Sicht des anwendbaren Sachrechts macht es für das Auslegungsergebnis im Hinblick auf die Berücksichtigungsfä­ higkeit statutsfremder Normen keinen Unterschied, ob es mit der lex fori iden­ tisch ist oder nicht. Der Grundsatz der Bilateralität bewirkt aber, dass das Ge­ richt die Norm auf ihre Auslegungsoffenheit gegenüber statutsfremdem Recht prüfen muss.

397 

RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182, 183 f. („Trading with the enemy“). Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325, 342. 399  Vgl. insoweit im Zusammenhang mit dem ordre public Wurmnest, Ordre public, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  445, 475; zur Sonderanknüpfung Weller/ Harms/Rentsch/Thomale, ZGR 2015, 361, 380; zur Anpassung vgl. z. B. Ludwig, in: jurisPK-­ BGB, 7.  Aufl. 2015, Art.  3, 3a, 4 EGBGB Rn.  367: „Zu beachten ist, dass nach h. M. grund­ sätzlich der kollisionsrechtlichen Lösung der Vorzug zu geben ist und die Angleichung auf der Ebene des materiellen Rechts nur als ultima ratio in Betracht kommt“; zur Ausweichklau­ sel Art.  4 Abs.  3 Rom II-VO Lehmann/Duczek, JuS 2012, 681, 685. 398 

B. Anwendungsvoraussetzungen

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Eine Norm ist importoffen, wenn sie in Auslegung eines normativen Tatbe­ standsmerkmals verlangt, eine statutsfremde Norm zu berücksichtigen, und im Rahmen des verweisungsrechtlichen Kollisionsrechtssystems ein Defizit be­ steht, das – wie z. B. im Falle der Anwendung des deutschen Rechtsfahrgebots bei Beurteilung des Verschuldens für einen Unfall in Südafrika, wo das Links­ fahrgebot gilt – innerhalb von §  823 BGB Ursache von Wertungswidersprüchen ist und die Berücksichtigung der jeweils statutsfremden Norm deshalb geboten erscheint. Grenzen der Berücksichtigung ergeben sich aus der Sachnorm und dem ihr zugehörigen Methodenkanon. Zudem sind die üblichen international-privat­ rechtlichen Grenzen wie z. B. der ordre public-Vorbehalt auf die Berücksichti­ gungsentscheidung anzuwenden. Der Vorgang der Berücksichtigung erfolgt nur in Ausnahmefällen. II. Berücksichtigungsfähige Bezugsobjekte Im Folgenden wird untersucht, was Gegenstand der richterlichen Berücksichti­ gung auf Ebene des Sachrechts sein kann. Im zweiten Teil dieser Arbeit wurde dargestellt, dass eine funktional kollisionsrechtliche Zuordnung der Berück­ sichtigung nur dann erfolgt, wenn es um die Berücksichtigung von Rechtsnor­ men sowie der dazu gehörigen Rechtsprechungsgrundsätze wie z. B. Verschul­ densmaßstäbe geht.400 Entsprechend muss die Datumtheorie auch nur für solche Fälle konzipiert werden.401 Insbesondere erfasst sie keine Normen ohne staatli­ chen Regelungscharakter (soft law) (1.). Gesondert wird der Umgang mit Rechts­ lagen (2.) und dem im Rahmen der ursprünglichen Datumtheorie als moral data benannten Phänomen (3.) dargestellt. 1. Normen ohne staatlichen Regelungscharakter (soft law)? Bei der Ausfüllung inländischer Generalklauseln werden regelmäßig nicht nur statutsfremde Gesetze, sondern auch Vorschriften ohne staatlichen Regelungs­ charakter (soft law) wie z. B. gesellschaftlich konsentierte Maßstäbe sozialen 400 

Vgl. Zweiter Teil B.IV. Vgl. zu einem davon abweichenden Verständnis der Datumtheorie Kuckein, Die ‚Be­ rücksichtigung‘ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen internationalen Vertrags­ recht (2008), S.  117: „Auch insofern muss jedoch gelten, dass im Rahmen einer ‚echten‘ sach­ rechtlichen Lösung als ‚Faktum‘ oder ‚Datum‘ nur tatsächliche Umstände berücksichtigt werden können – und nicht etwa die normative Wirkung ausländischen Rechts, denn dieser Gesichtspunkt bleibt dem Kollisionsrecht vorbehalten. Insbesondere können als ‚Datum‘ auf sachrechtlicher Ebene nicht ausländische Eingriffsnormen als solche berücksichtigt werden, sondern allenfalls z. B. von ihnen ausgehende faktische Wirkungen.“ 401 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Verhaltens herangezogen.402 Gerade Normen ohne staatlichen Regelungscha­ rakter haben die Funktion, das bisweilen durch die formale Anknüpfungsent­ scheidung entstehende „normative Vakuum“ in internationalen Fällen zu füllen, indem sie im Rahmen der Anwendung von Generalklauseln herangezogen wer­ den, um z. B. die Sittenwidrigkeit zu konkretisieren.403 Der Datumtheorie wur­ de dementsprechend häufig zugeschrieben, auch Normen ohne staatlichen Rechtsanwendungsbefehl in Bezug zu nehmen, und hierin ihr Vorzug gegen­ über der streng formalen Verweisung gesehen.404 Wie der zweite Teil dieser Arbeit gezeigt hat, liegt in der Berücksichtigung von Regelungen ohne staatlichen Regelungscharakter kein verweisungsrechtli­ ches Element.405 Es handelt sich um den üblichen teleologischen Auslegungs­ vorgang, für den sich die Fragen nach Gewaltenteilung, Erlasskompetenz, pro­ zessualer Behandlung und Übertragungsfähigkeit international-privatrechtli­ cher Grundsätze nicht stellen.406 Der Vorgang bedarf deshalb, anders als die Berücksichtigung statutsfremden Rechts, keiner besonderen Rechtfertigung und Offenlegung in Gestalt der Datumtheorie. Die Datumtheorie erfasst des­ halb – jedenfalls de lege lata – nur Rechtsnormen mit staatlichem Regelungs­ charakter und nicht soft law.

402  Für den nationalen Kontext vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, §  9 Rn.  392: „Die sog. Generalklauseln erlauben es dem Richter, die Besonderheiten des Ein­ zelfalls in seiner Entscheidung zu berücksichtigen und zu bewerten. Zu deren Konkretisie­ rung können die Grundrechte, die Wertentscheidungen anderer gesetzlicher Vorschriften, aber auch die in der Gesellschaft akzeptierten Maßstäbe korrekten sozialen Verhaltens her­ angezogen werden“. Für das IPR vgl. Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privatrecht, in: BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137, 205; ders., IPRax 2003, 182, 183. Vgl. zu Fällen der Bezugnahme auf z. B. religiöse Vorschriften Kegel, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 12.  Aufl. 1996, Vor Art.  3 EGBGB Rn.  164, Fn.  1. Zur Definition von Regelungen ohne staatlichen Regelungscharakter vgl. auch Zweiter Teil B.IV.2.a). 403  Basedow, NJW 1989, 627, 636. 404  Jayme, BB Beilagen 1993, Beilage 10, 50, 52: „Es handelt sich zum großen Teil noch um sogenanntes ‚soft law‘, unverbindliche Leitlinien [...]. Für das internationale Privatrecht können sie als data – wie sonstige Sicherheitsstandards – im Rahmen der anwendbaren Sach­ normen herangezogen werden“; Mansel, Die kulturelle Identität im Internationalen Privat­ recht, in: BerDGesVR, Band 43 (2008), S.  137 ff., 204 ff.: „Die Datumtheorie ist als Methode nicht etwa auf die Berücksichtigung staatlichen Rechts in grenzüberschreitenden Sachver­ halten begrenzt; sie kann vielmehr auch verwendet werden, um nichtstaatliche Ordnungsvor­ stellungen, etwa eines ‚verdrängten‘ religiösen Rechts, in das anwendbare Recht zu integrie­ ren [...]“. Vgl. dazu bereits Zweiter Teil C.I.2.b)bb). 405  Vgl. dazu Zweiter Teil A., B. 406  Zu diesen Fragen vgl. Erster Teil C.II.

B. Anwendungsvoraussetzungen

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2. Rechtslagen? Zu untersuchen ist, ob der Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene auch die Berücksichtigung sog. Rechtslagen umfasst. Rechtslagen sind Resultate pri­ vater oder behördlicher Akte, wie z. B. eine errichtete Gesellschaft, ein Name einer Person, der in ein Personenstandsregister eingetragen wurde, oder auch eine Genehmigung.407 Zuletzt wurde die Einbeziehung von Rechtslagen häufig im Zusammenhang mit der Methode der Anerkennung von Rechtslagen disku­ tiert. Zunächst soll deshalb dargestellt werden, was die Methode der Anerken­ nung von Rechtslagen ist (a)). Sodann wird die Frage diskutiert, ob diese Fälle (auch) durch die Berücksichtigung gelöst werden können (b)). a) Die Anerkennung von Rechtslagen Die Anerkennung von Rechtslagen bedeutet, eine im Ausland durch einen pri­ vaten oder behördlichen Akt geschaffene Rechtslage unabhängig von der An­ wendung der eigenen Kollisionsnormen zu akzeptieren.408 aa) Abgrenzung zum Anerkennungsprinzip Die Methode der Anerkennung von Rechtslagen entspringt zwar den Grund­ freiheiten und der EU-Freizügigkeit,409 ist aber nicht mit dem unionsrechtlichen Anerkennungsprinzip zu verwechseln, das allein ein bestimmtes sachrechtli­ ches Ergebnis vorgibt.410 Verlangen die unionsrechtlichen Grundfreiheiten, dass die Ergebnisse bestimmter rechtlicher Vorgänge eines Mitgliedstaates von ei­ nem anderen Mitgliedstaat anerkannt werden (unionsrechtliches Anerken­ nungsprinzip), bedeutet dies nicht, dass dieses Ergebnis zwangsläufig über die Methode der Anerkennung erzielt werden muss.411 Vielmehr genügt zur Erfül­ lung dieser unionsrechtlichen Vorgabe – jedenfalls nach derzeitiger Anschau­ ung – dass eine Verweisungsnorm das Recht des jeweiligen Mitgliedstaates, in dessen Herrschaftsbereich der Vorgang stattfand, für maßgeblich erklärt.412 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 664. Coester-Waltjen, Das Anerkennungsprinzip im Dornröschenschlaf?, in: FS Jayme I (2004), S.  121, 122: „Akzeptanz einer im Ausland durch privaten oder behördlichen Akt ge­ schaffenen Rechtslage unabhängig von der Anwendung der eigenen Kollisionsnormen“. 409  Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 655 ff.; Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Eu­ ropäischen Kollisionsrecht (2018), S.  15; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 774; vgl. dazu auch Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501 ff. 410  Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 677. 411  Vgl. in diesem Zusammenhang auch Grünberger, Alles obsolet? – Anerkennungsprin­ zip vs. Klassisches IPR, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  81, 108 ff. 412  Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 681. 407 

408 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Dass Rechtslagen anerkennungsfähig sind, bedeutet also nicht, dass sie zwin­ gend über diese Methode in die Falllösung integriert werden müssen; vielmehr lässt sich das Ergebnis der Anerkennung der jeweiligen Rechtslage auch anders, z. B. über eine Verweisung oder, wie im Folgenden gezeigt wird,413 über die richterliche Berücksichtigung auf Sachrechtsebene erreichen. Über das klassische Verweisungsrecht lässt sich die Umsetzung der Anerken­ nung von Rechtslagen so erreichen, dass die Rechtslagen nicht als solche, d. h. als Resultat der Anwendung bestimmter Rechtsnormen, die z. B. die Errichtung einer Gesellschaft vorschreiben, anerkannt werden. Vielmehr ist nach der Ver­ weisungsmethode zu entscheiden, welches Recht anwendbar ist, und sodann zu prüfen, ob das jeweilige Rechtsgebilde unter diesem Recht zulässigerweise ent­ standen ist. Bei der Methode der Anerkennung von Rechtslagen, wie im Folgen­ den ausgeführt wird,414 geht es hingegen um die Eingliederung des im Ausland begründeten Status ohne die vorherige Anwendung verweisungsrechtlicher Kollisionsnormen der lex fori.415 bb) Die Anerkennungsmethode Die Anerkennung von Rechtslagen umfasst potentiell z. B. die Anerkennung von Dokumenten, personenstandsrechtlichen sowie familienrechtlichen Statu­ sakten und die Anerkennung des Status selbst.416 Die Methode der Anerkennung von Rechtslagen ist von der verfahrensrecht­ lichen Methode der Anerkennung zu unterscheiden.417 Anders als die verfah­ rensrechtliche Anerkennungsmethodik ist die Anerkennung von Rechtslagen bislang nicht auf Gesetzgebungsebene verankert, sondern wird nur als Möglich­ keit diskutiert. Die verfahrensrechtliche Anerkennung ist hingegen in §  328 ZPO sowie §§  108, 109 FamFG geregelt und betrifft die Anerkennung ausländi­ scher Urteile.418 Resultat dieser Anerkennung ist die Erstreckung der Wirkung des Urteils, die es in seinem Erlassstaat hat, auf das Inland.419 Eine kollisions­ rechtliche Kontrolle des ausländischen Urteils findet nicht statt.420 Ob nach diesem Vorbild auch ausländische Rechtslagen, wie Gesellschaften oder in ein Register eingetragene Namen, als Alternative zum Verweisungsme­ 413 

Vgl. dazu Dritter Teil B.II.2.b). Vgl. dazu Dritter Teil B.II.2.a)bb). 415  Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 774 f. 416  Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 664. 417  Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392. 418 Vgl. zur Anerkennung ausländischer Entscheidungen von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  3 Rn.  154 f. 419  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  3 Rn.  154 f. 420  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  3 EGBGB Rn.  88. 414 

B. Anwendungsvoraussetzungen

191

chanismus über die Anerkennungsmethode Beachtung finden sollten, wird ins­ besondere auf dem Gebiet des Gesellschafts- und Namensrechts nach in diese Richtung weisenden Entscheidungen des EuGH diskutiert.421 Die Anerkennungsmethode hätte zur Folge, dass die Rechtslage, also das Er­ gebnis der Rechtsanwendung im entsprechenden Mitgliedstaat, unabhängig von einer Verweisungsnorm übernommen würde.422 Methodisch könnte dies ähn­ lich wie im Falle der normierten verfahrensrechtlichen Anerkennung von Urtei­ len über eine Wirkungserstreckung des anzuerkennenden Rechtsaktes auf das Recht des Anerkennungsstaates erfolgen.423 Möglich wäre auch die „Transfor­ mation“ des Aktes in einen inländischen, ohne dass das Ergebnis kollisions­ rechtlich überprüft werden müsste.424 Im Ergebnis würden die Rechtslagen hier­ durch ohne Rücksicht auf das in der Sache verweisungsrechtlich anwendbare Recht „anerkannt“.425 b) Berücksichtigung von Rechtslagen Statt die Rechtslage als Ergebnis ausländischer Rechtsanwendung über die An­ erkennungsmethode zu akzeptieren oder entsprechende Verweisungsnormen zu schaffen, könnte überlegt werden, ob Rechtslagen als datum im Rahmen der Auslegung der anwendbaren Sachrechtsvorschriften berücksichtigt werden können.426 Für die Möglichkeit der Berücksichtigung von Rechtslagen aus dem anwendbaren Sachrecht heraus spricht, dass auch im Rahmen von Art.  17 Rom II-VO angenommen wird, dieser könne zur Berücksichtigung ausländi­ 421 Ebd.

422  Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392; vgl. dazu auch von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  4 Rn.  71. 423  Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 675. 424  Vgl. zu den unterschiedlichen Möglichkeiten der Anerkennung Weller, Zukunftspers­ pektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 205 ff. 425  Zu dieser Formulierung vgl. von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  3 EGBGB Rn.  22. 426  Vgl. dazu z. B. Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392, 399: „Vergleichen könnte man den Vorgang der Anerkennung methodisch eher mit Ehrenzweigs ‚local data‘-Theorie. Diese Theorie [...], die häufig im Zusammenhang mit der Berücksichtigung ausländischer Ein­ griffsnormen erörtert wird, betrachtet die im Ausland geschaffene Rechtslage als ein datum, welches in die eigene Rechtsanwendung integriert wird.“ Zur Nähe von Anerkennungsprin­ zip und Datumtheorie vgl. auch Gärtner, Die Privatscheidung im deutschen und gemein­ schaftsrechtlichen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht (2008), S.  420 f.; vgl. zur Be­ rücksichtigung einer Genehmigung über die herkömmliche Datumtheorie auch Rüppell, Die Berücksichtigungsfähigkeit ausländischer Anlagegenehmigungen (2012), S.  146 ff. Vgl. zur Berücksichtigung von Genehmigungen im Umwelthaftungsrecht, Hager, RabelsZ 53 (1989), 293 ff.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

scher Rechtslagen wie z. B. behördlicher Genehmigungen führen.427 Dies könn­ te nicht zuletzt daran liegen, dass es sich bei Genehmigungen oft um einzelfall­ bezogene Konkretisierungen der üblicherweise berücksichtigungsfähigen Ver­ haltens- und Sicherheitsvorschriften handelt.428 Anerkennung und Berücksichtigung statutsfremder Rechtslagen weisen Par­ allelen auf.429 Die tatbestandliche Berücksichtigung einer Genehmigung ist im Ausgangspunkt austauschbar mit ihrer Anerkennung als Ergebnis einer Rechts­ anwendung.430 Siehr nennt deshalb die Subsumtion der ausländischen öffent­ lich-rechtlichen Entscheidungen unter Tatbestandsmerkmale von Generalklau­ seln der lex causae auch „indirekte Anerkennung“.431 Die Gemeinsamkeit wird auch daran deutlich, dass bei beidem häufig davon geschrieben wird, Rechtsla­ gen würden durch eine Berücksichtigung oder Anerkennung als Tatsache ak­ zeptiert und würden dementsprechend nicht zu einer Rechtsanwendung füh­ ren.432 Dass diese Formulierung missverständlich ist, wurde für die Berücksich­ tigung bereits gezeigt.433 Trotz dieser Gemeinsamkeit sind Anerkennung von Rechtslagen und ihre Be­ rücksichtigung unterscheidbar.434 Ein rechtstechnischer Unterschied besteht da­ rin, dass bei dem Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene eine Rechts­ lage in den Tatbestand der eigentlich anzuwendenden Norm integriert wird; Rechtsfolge der Anerkennung ist hingegen die Eingliederung eines im Ausland begründeten Status, entweder im Wege der Wirkungserstreckung oder durch Transformation des ausländischen in einen inländischen Akt.435 Während also die letztverbindliche Entscheidung über die Beachtung sachrechtlich zu berück­ sichtigender Rechtslagen von den Sachnormen der lex causae abhängt, be­ Maultzsch, in: BeckOGK (1.12.2018), Art.  17 Rom II-VO Rn.  22 ff. Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 725. 429  Vgl. dazu Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392, 399; Arnold/Seibl, FamRZ 2006, 1344, 1345; Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwen­ dung (2004), S.  90. 430  Vgl. in diesem Zusammenhang von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  3 EGBGB Rn.  132: „Insoweit wird das Anerkennungsprinzip auch als Spielart der sog. „Da­ tum“-Theorie gerechtfertigt.“ 431  Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41, 84. 432  Zur Rechtsanwendung im Rahmen der Anerkennung von Rechtslagen, Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internationalen Rechtsanwendung (2004), S.  78, 90. 433  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV., C.II. 434  Vgl. zur Abgrenzung von Datumtheorie und der Anerkennung von Rechtslagen Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392, 399 f.; Funken, Das Anerkennungsprinzip im internationalen Privatrecht (2009), S.  257 f.; vgl. dazu auch Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisions­ rechtssystem des internationalen Privatrechts (2010), S.  161. 435  Vgl. dazu Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unter­ nehmensrecht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 205 ff. 427 

428 

B. Anwendungsvoraussetzungen

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stimmt im Rahmen der Anerkennung das (statutsfremde) Recht desjenigen Staates, in dessen Territorium die anzuerkennende Handlung vorgenommen wurde, über die Relevanz der jeweiligen statutsfremden Rechtslage. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der Berücksichtigungsvorgang auf Sachrechtsebene theoretisch jedenfalls auch die Berücksichtigung von Rechts­ lagen erfasst. Die Berücksichtigung von Rechtslagen wäre aber dann nicht mehr möglich, wenn sich die Legislative dazu entschließt, Rechtslagen nunmehr aus­ schließlich über die Methode der Anerkennung in die Falllösung zu integrieren. Methodisch ist es deshalb im Ergebnis zwar möglich, Rechtslagen wie Urteile dem Anerkennungsmechanismus zu unterstellen.436 Bislang aber werden Rechtslagen nicht ungeachtet des anwendbaren Rechts über die Methode der Anerkennung akzeptiert, sondern nur dann als wirksam erachtet, wenn das Kol­ lisionsrecht auf die Rechtsordnung verweist, unter der sie entstanden sind.437 Solange dies so bleibt, ist Raum für die Berücksichtigung von Rechtslagen durch ihre Integration in die anwendbaren Sachnormen. c) Zwischenergebnis Solange sich die Legislative nicht für die Methode der Anerkennung von Rechts­ lagen entscheidet, ist es möglich, Rechtslagen innerhalb des anwendbaren Rechts zu berücksichtigen, sofern sich ihre Relevanz nicht bereits aus der Ver­ weisungsentscheidung selbst ergibt. 3. Moral data? Im Folgenden soll dargestellt werden, wie im Rahmen der Berücksichtigung mit der auf Ehrenzweig zurückführbaren Unterscheidung zwischen local und moral data umgegangen werden kann.438 Zum einen steckt hinter den moral data, wie schon Jayme analysierte,439 ein hermeneutisch-psychologisches Problem, nämlich die Frage, ob und inwiefern das inländische Gericht sich von seinem durch inländisches Recht geprägten Wertungshorizont bei der Lösung grenzüberschreitender Sachverhalte befreien kann.440 Dass ausländische Normen, obwohl sie im Geiste der ausländischen Rechtsordnung und unter Zugrundelegung der ausländischen Rechtswirklich­ 436 

von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  3 EGBGB Rn.  89.

437 Ebd. 438 

Vgl. dazu Zweiter Teil C.I.1.c)bb). Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 45 ff. 440  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  81 f.; vgl. dazu auch W. Lorenz, IPRax 1989, 22, 25; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  313. 439 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

keit ausgelegt werden müssten,441 durch die Gerichte „mit der lex fori-Brille“ gelesen werden, lässt sich anhand von Rechtsprechung exemplifizieren.442 Kon­ kretisiert ein Gericht eine ausländische Generalklausel stets nach seinen eige­ nen, inländisch geprägten Maßstäben, weicht es von dem Grundsatz ab, auslän­ disches Recht wie ein ausländisches Gericht anzuwenden.443 Wie die local data entziehen sich die moral data deshalb dem verweisungsrechtlichen Mechanis­ mus.444 Trotzdem handelt es sich um nicht vergleichbare Probleme.445 Soweit es um das rechtstheoretische Problem des Wertungshorizontes eines Gerichts geht, betrifft dies nicht die Berücksichtigung statutsfremder Vorschriften auf Sach­ rechtsebene, wie sie vorliegend dargestellt und weiterentwickelt werden soll.446 Bei local data ist es keine Frage der Psychologie, ob sich ein Gericht von ihnen leiten lässt oder nicht, sondern vielmehr eine Frage deutscher IPR Dogmatik, ob und inwiefern es sie trotz anderweitiger verweisungsrechtlicher Entscheidung berücksichtigen darf. Soweit es um diese Frage der Entscheidungspsychologie des Gerichts geht, wurde der Aspekt der moral data in dieser Arbeit ausgeklam­ mert. Die Berücksichtigungsmethodik in Gestalt der Datumtheorie kann mit anderen Worten nicht die Frage beantworten, wie mit diesem psychologischen Problem umgegangen wird. Zum anderen geht es Ehrenzweig aber auch um die Berücksichtigung be­ stimmter von Wertungen geprägter Normen, die regelmäßig der lex fori ent­ nommen werden sollen.447 Soweit moral data aber in Form von Normen verge­ 441  Prütting, in: MünchKommZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 ZPO Rn.  58: „Sowohl die Ausle­ gung wie die Fortbildung des fremden Rechts setzen ein Vorgehen im Geiste der ausländi­ schen Rechtsordnung voraus. Es ist nicht zulässig, dass der Richter im Mantel der Rechtsfort­ bildung deutsche Rechtsvorstellungen in das ausländische Recht transformiert.“ 442  Geimer, IPRax 1991, 31, 35. Vgl. z. B. das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 6.5.1981, 1 UF 186/79, juris, das die inhaltliche Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes nach der „deutschen Rechtskultur“ vornimmt. Dem Gericht geht es jedoch weniger um ein etwai­ ges Unvermögen, sich in den Geist eines ausländischen Rechts einzudenken, sondern viel­ mehr um die Wahrung des deutschen ordre public und des „harten Kerns“ der eigenen Rechtsordnung, der es in dem vorliegenden Fall erforderte, bei der Auslegung des ausländi­ schen Rechts das Gleichbehandlungsgebot zu beachten. 443  Vgl. dazu Mansel, VersR 1984, 745, 748, wonach ein Richter die Konkretisierung aus­ ländischer Generalklauseln durch ausländische Gerichte zu beachten hat. Nur wenn präzise Konkretisierungen fehlten, dürfte der Richter die Generalklausel nach eigenen Maßstäben ausfüllen. 444  Evrigenis, Regards sur la doctrine contemporaine de droit international privé, in: FS Wengler (1973), S.  269, 281. 445  Vgl. dazu Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981), S.  312: „die ‚local‘ und die ‚moral‘ data [haben] außer dem Namen nicht viel gemein“. 446  Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 39. 447  Jayme, IPRax 1984, 303; Will, RabelsZ 42 (1978), 211, 225; Schulze, Datum-Theorie

B. Anwendungsvoraussetzungen

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genständlicht sind, sind sie – quasi zu local data erstarrt – wie die sonstigen Rechtserscheinungen im Rahmen der Auslegung der Sachnorm zu berücksich­ tigen.448 Dabei ist es irrelevant, ob sie aus der lex fori oder der lex causae stam­ men. Denn auch wenn es sich insoweit um zu Normen erstarrte inländische Wertungen handelt, kann das Gericht im Rahmen des Auslegungsspielraums der anwendbaren Sachnorm problemlos darüber entscheiden, ob sie von einer importoffenen Norm als ausnahmsweise enger mit dem Sachverhalt verbunden berücksichtigt werden sollen oder nicht.449 Sobald solche verrechtlichte wer­ tungsgeprägte Standards vorhanden sind, verlässt die Prägung durch die jewei­ lige Norm das Unterbewusstsein des Gerichts und es lässt sich konkret entlang objektiver, nachprüfbarer Maßstäbe entscheiden, ob auf die jeweilige wertege­ prägte Norm punktuell Bezug genommen wird oder nicht.450 Dementsprechend wird auch im Rahmen von Art.  17 Rom II-VO festgestellt, die Differenzierung zwischen local und moral data sei hierauf nicht übertragbar, insofern feststell­ bare wertungsbezogene Verkehrsregelungen existierten.451 Letztlich geht auch Ehrenzweig selbst davon aus, dass konkretisierte Maßstäbe auch aus einer frem­ den Rechtsordnung entnommen werden könnten (z. B. wenn sich die inländi­ schen Wertmaßstäbe gerade ändern würden), dies aber eben regelmäßig nicht geschehe.452 und narrative Norm, in: Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht (2003), S.  155, 158. 448  Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht (1985), S.  161: „An ihre Grenzen stößt die Lehre Ehrenzweigs von den data moralia, wo ausländische Wertvorstellungen die Form von Rechtssätzen annehmen. Das psychologische Faktum ent­ fällt, sobald der Richter nicht auf Wertvorstellungen zurückgreifen muß, die er nur vor sei­ nem geistigen Hintergrund bilden kann, sondern als gleichsam kristallisierten ausländischen Maßstab den ausländischen Rechtssatz in Händen hat. Der Rückgriff auf die lex fori wäre hier [...] ein Verstoß gegen die international-privatrechtliche Gerechtigkeit.“ 449  Ähnlich Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  1 VIII 2a; vgl. dazu auch Jayme, Auslän­ dische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, in: GS Ehrenzweig (1976), S.  37, 39. 450  Hessler, Datum-Theorie und Zweistufigkeit des internationalen Privatrechts, Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht (1986), S.  137, 140; ders., IPRax 1986, 146, 148; ders., Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht (1985), S.  161 ff.; E. Wagner, Statutenwechsel und dépeçage im internationalen Deliktsrecht (1988), S.  177; Siehr, RabelsZ 34 (1970), 585, 605. 451  Maultzsch, in: BeckOGK (1.12.2018), Art.  17 Rom II-VO Rn.  62.2. 452  Ehrenzweig, Private International Law, General Part (1967), S.  82: „Conceivably, a conflicts rule could refer to such foreign standards – but no such reference has been found“; Ehrenzweig/Jayme, Private International Law, Special Part Volume III (1977), S.  11: „On the other hand, foreign moral data may be taken into account, when the forum standards are un­ dergoing a change.“

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

4. Zwischenergebnis Berücksichtigungsfähig sind Rechtsnormen mit staatlichem Anwendungsbe­ fehl, denn nur in diesem Falle ist eine IPR-Methode notwendig, die die Korrek­ tur des Verweisungsmechanismus rechtfertigt und signalisiert. Hierzu gehören im Ausgangspunkt auch Rechtslagen, sofern ihnen nicht in Zukunft über die Methode der Anerkennung Wirkung verliehen werden soll. In Bezug auf moral data muss differenziert werden: Unter die Datumtheorie, wie sie hier verstan­ den wird, fallen auch wertungsbezogene moral data soweit sie sich zu einer Rechtsnorm verdichtet haben. Bei ihnen handelt es sich dann, genau ge­nommen, nicht mehr um moral, sondern um local data. In keinem Zusammenhang dazu steht die psychologische Frage, ob oder inwiefern Gerichte bei der Anwendung ausländischen Rechts von Wertungen des eigenen, inländischen Rechts geprägt sind. Die Berücksichtigung von Regelungen ohne staatlichen Anwendungsbe­ fehl (soft law) sowie von normunabhängigen Ereignissen (Tatsachen) ist ein sachrechtlicher Vorgang und deshalb nicht der Datumtheorie zuzuordnen.

C. Rechtsfolge Die Rechtsfolge der Berücksichtigung ergibt sich – abseits einer Berücksichti­ gungsanordnung – aus der verweisungsrechtlich anwendbaren Norm. Diese Be­ rücksichtigung statutsfremden Rechts führt dabei, wie im Folgenden ausgeführt wird, nicht zur Einräumung eines richterlichen Ermessens, das über den Ausle­ gungsspielraum der anwendbaren Norm hinausgeht. I. Auslegungsspielraum des Gerichts Bei der Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen hat das Gericht einen gewissen Spielraum, der ihm die Berücksichtigung der Inter­ nationalität des Sachverhalts ermöglicht.453 Teilweise wird zwar ebenso wie im Falle von ausdrücklichen Berücksichtigungsanordnungen oder Ausweichklau­ seln davon geschrieben, dass bestimmte Sachnormen dem Gericht „Ermessen einräumen“ könnten.454 Anders als im Rahmen einer Ausweichklausel oder ei­ ner Berücksichtigungsanordnung muss sich jedoch die richterliche Berücksich­ dazu z. B. H. Stoll, Rechtliche Inhaltskontrolle bei internationalen Handelsge­ schäften, in: FS Kegel (1987), S.  623, 648 f. 454  Rauscher, IPR, 5.  Aufl. 2017, §  1 Rn.  63: „Selten erlaubt auch das nach deutschem IPR anwendbare materielle Recht, eine nach einem fremden IPR anwendbare materielle Rechts­ ordnung zu berücksichtigen. Dies setzt voraus, dass die anwendbare Norm Ermessen ein­ räumt, insbesondere die Beachtung von Interessen (häufig das Kindesinteresse im Familien­ 453 Vgl.

C. Rechtsfolge

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tigung im Auslegungs- und Rechtsfortbildungsrahmen der Ausgangssachnorm bewegen, da es sonst schon an einer Gebotenheit der Berücksichtigung statuts­ fremden Rechts fehlen würde. 1. Abgrenzung zu diskretionären Berücksichtigungsanordnungen Im Vergleich zu Ausweichklauseln oder gesetzgeberischen Berücksichtigungs­ anordnungen wie Art.  17 Rom II-VO oder Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO, die das Ge­ richt zu einer eigenständigen, möglicherweise – je nach Anordnung – von der Sachnorm losgelösten Entscheidung über die Einbeziehung statutsfremden Rechts ermächtigen, ist die Bewertung der Importoffenheit der Sachnorm etwas anderes. Ein dem Gericht durch eine Norm eingeräumtes Ermessen oder ein ihm eingeräumter Beurteilungsspielraum hat mit der Auslegung von normati­ ven Begriffen zwar gemeinsam, dass es in allen Fällen um Wertungen geht. Ist dem Gericht aber Ermessen eingeräumt, hat es einen subjektiv-persönlichen Wertungsfreiraum.455 Im Falle der Auslegung einer Norm ist das Gericht hinge­ gen an den durch diese Norm eröffneten Auslegungsspielraum gebunden. Wird im Zusammenhang mit der Berücksichtigung in Auslegung einer Sachnorm dennoch von tatbestandlichem sowie rechtsfolgenseitigem „Ermessen“ gespro­ chen,456 wird damit vor allem zum Ausdruck gebracht, dass die statutsfremde Norm – anders als bei dem verweisungsrechtlichen Instrument der Sonderan­ knüpfung – regelmäßig nicht mit ihrem Tatbestand und ihrer Rechtsfolge An­ wendung findet und insoweit das anwendbare Recht überspielt; vielmehr kommt es bei der Einbeziehung einer Norm zu einer Abwägungsentscheidung. Bei dieser Abwägungsentscheidung können je nach Art und Zweck der Aus­ gangsnorm unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen: Maßgeblich können z. B. die Wahrung von Rechtssicherheit und Parteiinteressen457 wie die gerechte Verteilung von Risiken, die Vorhersehbarkeit und Vermeidung von Pflichten­ kollisionen, berechtigte Parteierwartungen, eine effiziente Streitbeilegung oder der Schutz der schwächeren Partei sein. Relevant werden können aber auch kol­ lisionsrechtliche Erwägungen wie die Herstellung internationalen Entschei­ dungseinklangs.

recht) erlaubt, der Auslegung zugänglich ist oder ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe (gute Sitten, grobe Unbilligkeit) enthält.“ 455  Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10.  Aufl. 2005, S.  152 f. 456  Vgl. OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 9.5.2011, 23 U 30/10, BeckRS 2011, 16032. 457  Vgl. dazu Dornis, Local Data, in: Encyclopedia of Private International Law (2017), S.  1166, 1170 ff.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

2. Beispiele Ein Beispiel für den Auslegungsspielraum des Gerichts bei der Entscheidung über die Berücksichtigung statutsfremden Rechts ist ein Urteil des BGH, in dem es um die Frage nach der Anpassung einer Morgengabe an die Inflationsent­ wicklung innerhalb des deutschen Rechts nach §  313 BGB ging.458 In dem Fall versprach der Ehemann seiner Ehefrau bei ihrer Hochzeit die Leistung einer Brautgabe nach iranischem Recht.459 Ein Teil der Brautgabe wurde bis zur Auf­ lösung der Ehe gestundet.460 Nachdem das Paar nach Deutschland gezogen war und die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hatte, kam es zur Schei­ dung.461 Die Ehefrau verlangte nun den restlichen Teil der Brautgabe und zwar entsprechend den iranischen Vorschriften angepasst an die Inflationsentwick­ lung.462 Der BGH qualifizierte die Brautgabe als Ehewirkung und gelangte gem. Art.  14 EGBGB zur Anwendbarkeit des Rechts der Staatsangehörigkeit.463 Der noch ausstehende Brautgabeanspruch richtete sich aufgrund des Personalstatut­ wechsels der Ehegatten vom iranischen zum deutschen Recht nach den deut­ schen Rechtsvorschriften.464 In der iranischen Brautgabe erkannte der BGH aus Perspektive des deutschen Rechts eine ehevertragliche Zusage des Ehemannes, die keinen Inflationsausgleich vorsehe.465 Der BGH erwog die nunmehr statutsfremde (iranische) Indexierungsregel über §  313 BGB zu berücksichtigen, entschied sich jedoch im Ergebnis mit der Begründung dagegen, die Tatbestandsvoraussetzungen lägen nicht vor.466 Der Wechsel des Ehewirkungsstatuts führe für die Klägerin zwar zu dem Nachteil, auf diese Weise die Morgengabe nicht mehr wie unter iranischem Recht üblich an die iranische Indexierungsregel anpassen zu können; dieser Nachteil würde allerdings durch ebenso auf den Statutenwechsel rückführbare Vorteile ausge­ glichen, da das deutsche Scheidungsfolgenrecht die Klägerin gegenüber dem iranischen Recht besser stellen würde.467

BGH, Urt. v. 9.12.2009, XII ZR 107/08, BGHZ 183, 287; vgl. dazu von Hein, in: Mün­ chKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  280; Weller, IPRax 2014, 225. 459  Weller, IPRax 2014, 225. 460 Ebd. 461 Ebd. 462 Ebd. 463 Ebd. 464 Ebd. 465 Ebd. 466  BGH, Urt. v. 9.12.2009, XII ZR 107/08, BGHZ 183, 287, Rz. 25 f. 467  BGH, Urt. v. 9.12.2009, XII ZR 107/08, BGHZ 183, 287, Rz. 25 f. 458 

C. Rechtsfolge

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Von Hein stimmt der Entscheidung zu; hierdurch sei die Anknüpfungsent­ scheidung aufrechterhalten worden, nach der die Ehefrau bereits besser als nach iranischem Recht stünde; eine zusätzliche Besserstellung aufgrund der Berück­ sichtigung der iranischen Indexierungsregel hätte deshalb zu Wertungswider­ sprüchen geführt und wäre unter Gerechtigkeitsaspekten nicht geboten gewe­ sen.468 In Auslegung von §  313 BGB unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Frage nach einem Defizit der Verweisungsent­ scheidung, kommt von Hein also zu dem Ergebnis, die iranische Indexierungs­ regel nicht zu berücksichtigen. Weller hingegen plädiert dafür, die iranische Indexierungsregel zu berücksichtigen, da sie den Parteien persönlich anhafte.469 Auch er gelangt zu diesem Ergebnis in Auslegung von §  313 BGB. Sowohl der BGH und von Hein als auch Weller legen für die Frage der Berücksichtigung der iranischen Indexierungsregel §  313 BGB aus. Dabei gelangen sie aber zu unter­ schiedlichen Ergebnissen. Dies zeigt, dass die Berücksichtigung letztlich eine Frage der Auslegung im Einzelfall sein und dass das Gericht trotz des fehlenden „Ermessens“ je nach Begründung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Umso wichtiger ist es, dass es seine Entscheidungsfindung offenlegt. II. Zwischenergebnis Aus dem Vorangegangenen ergibt sich, dass sich die Rechtsfolge der Berück­ sichtigung aus der verweisungsrechtlich anwendbaren Norm ergibt.470 Denn die statutsfremde Regelung wird immer nur innerhalb des Auslegungsspielraumes der Ausgangsnorm relevant.471 Anders als bei der Sonderanknüpfung überlagert die zu berücksichtigende Rechtsnorm das anwendbare Recht also nicht.472 Zu­ dem steht die Rechtsfolge, anders als im Fall von Berücksichtigungsanordnun­ gen wie z. B. Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO, nicht im Ermessen des Richters. Es ist dementsprechend auch nicht möglich, dass die Rechtsfolge der Ausgangsnorm durch die Rechtsfolge der zu berücksichtigenden Rechtserscheinung begrenzt 468  „Wenn an die Morgengabe nicht zuletzt deshalb als eine Ehewirkung und nicht als eine Frage des Güterrechts qualifiziert, um eine integrationsfördernde Wandelbarkeit ihres Sta­ tuts zu ermöglichen, wäre es wenig konsequent, im Rahmen des gewandelten Statuts wiede­ rum auf Wertvorstellungen zu rekurrieren, die allein in derjenigen Heimatrechtsordnung verwurzelt sind, von der sich die Beteiligten infolge des Wechsels ihrer Staatsangehörigkeit gerade gelöst haben“, von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  280. 469  Weller, IPRax 2014, 225, 231. 470  Vgl. dazu auch Lorenz, Rechtsfolgen ausländischer „Eingriffsnormen“, in: FS Jayme I (2004), S.  549, 554; Jayme, Deutsch-englische Adoptionen, in: FS Lipstein (1980), S.  65, 71; Weller, ZGR 2016, 384, 408; ders., IPRax 2014, 225, 230. 471  Vgl. dazu Dritter Teil B.I.5.a) und C.I. 472  Zur Sonderanknüpfung vgl. Zweiter Teil A.II.3. und Dritter Teil A.II.3.b).

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

wird, auch wenn dies teilweise im Fall der Berücksichtigung statutsfremden Eingriffsrechts erwogen wurde.473

D. Prozessuale Behandlung Aus prozessualer Sicht ist die Berücksichtigung statutsfremden Rechts im Hin­ blick auf seine Ermittlung und Revisibilität interessant. Im Folgenden soll die prozessuale Behandlung der auf Sachrechtsebene herangezogenen statutsfrem­ den Rechtserscheinungen untersucht werden. Hierfür wird zunächst die prozes­ suale Behandlung ausländischen Rechts im deutschen Recht in seinen Grund­ zügen dargestellt (I.). Demgegenüber ergeben sich bei der Heranziehung sta­ tutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene potentiell Besonderheiten, weshalb als erstes untersucht werden soll, wie zu berücksichtigende Sicherheits- und Ver­ haltensregeln im Rahmen des Art.  17 Rom II-VO prozessual behandelt werden (II.). Es ist sodann zu betrachten, inwiefern die hierzu entwickelten prozes­ sualen Grundsätze auf die Berücksichtigungsmethodik übertragen werden kön­ nen (III.). I. Ausländisches Recht Das Verweisungsrecht gehört zum inländischen Recht, das das Gericht kennen und von Amts wegen anwenden muss.474 Das Gericht ist dementsprechend auch zur Anwendung des Rechts verpflichtet, auf das mittels der Verweisungsnor­ men verwiesen wurde.475 Ist für das Vorhandensein ausländischen Rechts kei­ nerlei Anhaltspunkt ersichtlich, trifft das Gericht aber keine Nachforschungs­ pflicht.476 473  Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S.  87 kriti­ siert beispielsweise an der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen über §  138 BGB, dass hierdurch Konstellationen entstünden, in denen ein Vertragsverhältnis aufgrund der be­ rücksichtigten Eingriffsnorm als nichtig gälte, obwohl selbige Norm diese Nichtigkeitsfolge gar nicht vorsähe. 474  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  3 Rn.  131; Kieninger, Ermittlung und An­ wendung ausländischen Rechts, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  479, 484: „In Deutschland ist es ständige Rechtsprechung [...], dass das Gericht die IPR-Regeln von Amts wegen anzuwenden hat [...]“; vgl. hingegen für den Vorschlag eines fakultativen Kollisionsrechts Flessner, RabelsZ 34 (1970), 547 ff.; vgl. dazu auch G. Wagner, ZEuP 1999, 6 ff. 475  Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Einl. vor Art.  3 EGBGB Rn.  59; vgl. dazu auch Kronke, IPRax 1996, 204. 476 Etwas anderes ergibt sich nur, wenn der Untersuchungsgrundsatz gilt, vgl. dazu Schack, IZVR, 7.  Aufl. 2017, §  14 Rn.  701.

D. Prozessuale Behandlung

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Die Behandlung ausländischen Rechts im Prozess richtet sich nach §  293 ZPO:477 „Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind. Bei Ermittlung dieser Rechts­ normen ist das Gericht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise nicht beschränkt; es ist befugt, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen.“

Hieraus folgt, dass ausländisches Recht aus deutscher Perspektive als Recht und nicht als Tatsache zu behandeln und dementsprechend grundsätzlich von Amts wegen zu ermitteln ist.478 Im Ausgangspunkt bleibt es deshalb bei dem Grund­ satz iura novit curia.479 Diesen Grundsatz wandelt §  293 ZPO allerdings dahin­ gehend ab, dass das Gericht den Inhalt des ausländischen Rechts nicht selbst kennen muss.480 Nichtsdestotrotz muss es sich von Amts wegen über den Inhalt Kenntnis verschaffen.481 §  293 ZPO formuliert insofern im Hinblick auf auslän­ disches Recht dazu eine Ausnahme, dass Rechtsfragen grundsätzlich weder be­ weisfähig noch beweisbedürftig sind.482 Wie sich das Gericht Kenntnis des aus­ ländischen Rechts verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen.483 Es ist damit nicht an das Strengbeweisverfahren gebunden.484 Das Gericht kann anders als bei inländischem Recht z. B. auf Sachverständigengutachten zurück­ greifen, um den Inhalt des ausländischen Rechts zu ermitteln.485 Das Gericht hat das ausländische Recht wie der ausländische Richter anzu­ wenden und muss deshalb auch die dortige Rechtsprechung und das herrschen­ de Schrifttum berücksichtigen.486Als ausländisches Recht i. S. d. §  293 ZPO gelten ausländische Rechtsnormen sowie Gewohnheitsrecht, aber auch von aus­ ländischen Gerichten aufgestellte Regelungen.487 Vgl. dazu Prütting, in: MünchKommZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 ZPO Rn.  1 ff. von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  295; Hausmann, EuLF 2008, 1, 7 ff. 479  Hess/Hübner, NJW 2009, 3132, 3135. 480  L. Hübner, Kollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus „nicht-privile­ gierten“ Drittstaaten (2011), S.  284 f. 481  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  3 Rn.  133. 482  Prütting, in: MünchKommZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 ZPO Rn 1. 483  Schack, IZVR, 7.  Aufl. 2017, §  14 Rn.  706. 484  Ebd., Rn.  707 f. 485  Kieninger, Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  479, 480. 486  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9. Auf. 2007, §  3 Rn.  140. 487  Prütting, in: MünchKommZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 ZPO Rn 17 f. Nicht unter §  293 ZPO fallen Erfahrungssätze, Verkehrssitten und Handelsbräuche, da es sich hierbei nicht um Rechtssätze handele. Da sie sich aber wie Normen häufig im Obersatz eines Syllogismus be­ finden, werden sie prozessual wie Normen des §  293 ZPO behandelt. Sie müssen anders als 477  478 

202

Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Tatsachen hingegen, selbst wenn sie „kollisionsrechtsrelevant“ sind, also durch sie das Gericht den Auslandsbezug erst erkennen kann, fallen unter den Verhandlungsgrundsatz.488 Während Gerichte ausländische Normen von Amts wegen ermitteln müssen, sind Tatsachen deshalb von den Parteien zu bewei­ sen.489 Obwohl ausländisches Recht prozessual als Recht Anwendung findet, ist es nicht revisibel.490 Das ergibt sich aus §  545 Abs.  1 ZPO, wonach ausländisches Recht – anders als die Anwendung der Verweisungsnormen – 491 nicht revisibel ist, weil mit dem danach revisiblen „Recht“ nur inländisches Recht gemeint ist.492 Das deutsche IPR ist jedoch von Amts wegen anzuwenden; die Anwen­ dung ist dementsprechend revisibel.493 Ebenso revisibel ist infolge einer ent­ sprechenden Verfahrensrüge gem. §  551 Abs.  3 S.  1 Nr.  2 b ZPO die Verletzung der Pflicht zur Ermittlung des ausländischen Rechts gemäß §  293 ZPO.494 Über­ prüfbar ist, ob das Gericht den Inhalt nicht, nicht ausreichend oder fehlerhaft ermittelt hat.495 II. Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften im Rahmen des Art.  17 Rom II-VO Nach Art.  17 Rom II-VO sind ausländische Verhaltens- und Sicherheitsvor­ schriften faktisch zu berücksichtigen.496 Diese Formulierung lässt nicht nur irr­ tümlicherweise darauf schließen, die ausländischen Normen würden ausnahms­ weise als Tatsachen angewendet;497 vielmehr könnte sich auch die Frage stellen, ob die berücksichtigten statutsfremden Sicherheits- und Verhaltensregeln pro­ zessual anders als üblich behandelt werden. Zu überlegen könnte sein, ob die zu berücksichtigenden Sicherheits- und Verhaltensregeln prozessual wie Tatsachen

Tatsachen nicht von den Parteien behauptet werden und unterliegen nicht den Regeln der objektiven Beweislast, Prütting, in: MünchKommZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 ZPO Rn.  20, §  284 Rn.  44. 488  Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zi­ vilverfahren (2011), S.  45. 489  Vgl. dazu im Zusammenhang mit Art.  17 Rom II-VO Staudinger, SVR 2005, 441, 444. 490  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  309. 491  Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Einl. vor Art.  3 EGBGB Rn.  67a. 492  Kessal-Wulf, in: BeckOK ZPO, 31. Edition (2018), §  545 Rn.  7. 493  von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  312. 494  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  3 Rn.  147. 495  Sturm/Sturm, in: Staudinger, BGB (2012), Einl. zum IPR Rn.  351. 496  Vgl. zu Art.  17 Rom II-VO bereits Erster Teil B.II.1. und Zweiter Teil C.II.3. 497  Vgl. dazu Zweiter Teil.

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zu behandeln sind oder ob für sie die üblichen Grundsätze der Behandlung aus­ ländischen Rechts gelten.498 Allerdings ist, trotz der missverständlichen Hinweise, Sicherheits- und Ver­ haltensvorschriften als bloße faktische Gegebenheit kollisionsrechtlich nicht anzuwenden,499 in prozessualer Hinsicht weitgehend unstrittig, dass ausländi­ sche Verhaltens- und Sicherheitsregeln prozessual als (oder zumindest wie) aus­ ländisches Recht zu behandeln sind.500 Maultzsch argumentiert hierzu wie folgt: Die Berücksichtigung ausländischer Verhaltens- und Sicherheitsstandards im Rahmen des Subsumtionsvorgangs sei funktional vergleichbar mit einer ver­ weisungsrechtlichen Sonderanknüpfung, da beides im Ergebnis dazu führe, dass ausländisches Recht für die Beurteilung eines Verhaltens relevant werde.501 Demzufolge seien die prozessualen Standards der lex fori für die Anwendung ausländischen Rechts einschlägig.502 Im Rahmen von Art.  17 Rom II-VO sind zu berücksichtigende Rechtsnormen trotz ihrer bloßen Tatbestandswirkung vom Gericht selbständig zu ermitteln und nicht von den Parteien beizubringen oder zu beweisen.503 III. Übertragbarkeit auf die Datumtheorie Zu prüfen ist, ob die Überlegungen zu Art.  17 Rom II-VO auf die Datumtheorie als richterliche Berücksichtigung übertragbar sind. Dass berücksichtigte data prozessual als Tatsache zu behandeln sein könnten, wird vor allem dann erwogen, wenn (nach der hier vertrenen Ansicht fälschli­ Junker, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom II-VO Rn.  32; Maultzsch, in: BeckOGK (1.12.2018), Art.  17 Rom II-VO Rn.  92 ff. 499  Nach der hier vertretenen Ansicht führt Art.  17 Rom II-VO nicht zu einer Berücksich­ tigung ausländischen Rechts als Tatsache, vgl. dazu Zweiter Teil C.II.3. 500  Engel, in: jurisPK-BGB, 7.  Aufl. 2015, Art.  17 Rom II-VO Rn.  12; von Hein, VersR 2007, 440, 446; Junker, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom II-VO Rn.  32; Remien/Schaub, in: PWW, BGB Kommentar, 13.  Aufl. 2018, Art.  17 Rom II-VO Rn.  3; Spickhoff, in: BeckOK BGB 48. Edition (2017), Art.  17 Rom II-VO Rn.  5. 501  Maultzsch, in: BeckOGK (1.12.2018), Art.  17 Rom II-VO Rn.  92: „Obwohl Art.  17 aus dogmatischer Sicht keine kollisionsrechtliche Anwendung der Sicherheits- und Verhaltensre­ geln anordnet, sondern lediglich eine materiell-rechtliche Berücksichtigung auf Tatbestand­ sebene der lex causae [...], sind aufgrund der funktionalen Vergleichbarkeit dieses Regelungs­ mechanismus mit einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung im engeren Sinne [...] rich­ tigerweise die jeweiligen prozessualen Standards der lex fori für die Anwendung ausländischen Rechts einschlägig“; vgl. dazu auch von Hein, Die Behandlung von Sicher­ heits- und Verhaltensregeln nach Art.  17 der Rom II-Verordnung, in: FS von Hoffmann (2011), S.  139, 153. 502  von Hein, Die Behandlung von Sicherheits- und Verhaltensregeln nach Art.  17 der Rom II-Verordnung, in: FS von Hoffmann (2011), S.  139, 153. 503  Lehmann/Duczek, JuS 2012, 681, 685. 498 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

cherweise)504 davon ausgegangen wird, data würden in Einklang mit der Da­ tumtheorie als Tatsachen und nicht als Rechtsnormen in den Tatbestand der Ausgangsnorm integriert.505 Es wurde allerdings bereits gezeigt: Aus kollisi­ onsrechtlicher Perspektive führt die Berücksichtigung statutsfremder Rechts­ normen über die Datumtheorie zu ihrer Heranziehung als Recht.506 Diese Qualifizierung lässt keine unmittelbaren Rückschlüsse auf ihre prozes­ suale Behandlung zu.507 Grundsätzlich spricht aber die (funktional) kollisions­ rechtliche Einordnung des Berücksichtigungsvorgangs508 dafür, wie auch bei Art.  17 Rom II-VO, die berücksichtigten Normen prozessual im Gleichlauf zur Anwendung ausländischen Rechts nach einer Verweisungsentscheidung einzu­ ordnen. Dafür, die zu berücksichtigenden Rechtsnormen prozessual als Tatsachen zu behandeln, könnte zwar Folgendes sprechen: Die Ermittlung ausländischen Rechts von Amts wegen ist kostenintensiv.509 Die Anwendung der lex fori ist geeignet, die Justiz zu entlasten.510 Dies würde durch die Berücksichtigung sta­ tutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene in Verbindung mit einer Ermittlungs­ pflicht und Revisibilität konterkariert.511 Allerdings ist durch die regelmäßig enge Verbindung zwischen der berück­ sichtigungsfähigen Rechtsnorm und dem Sachverhalt der Kreis der relevanten Rechtsnormen überschaubar.512 Die amtswegige Ermittlungspflicht würde des­ 504 

Vgl. dazu Zweiter Teil C. Vgl. in diesem Zusammenhang z. B. Rüppell, Die Berücksichtigungsfähigkeit auslän­ discher Anlagegenehmigungen (2012), S.  179: „Die Betrachtung der Sicherheits- und Verhal­ tensvorschriften als Tatsache (local data) hat auch zur Folge, dass diese nicht von Amts we­ gen vom Gericht ermittelt werden müssen, sondern die volle Darlegungs- und Beweislast in den Händen der Partei liegt, die sich auf die Genehmigung beruft.“ 506  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2. und Zweiter Teil C.II.2. 507  Vgl. insoweit im Zusammenhang mit §  293 ZPO Trautmann, ZEuP 2006, 283, 285: „Die maßgebliche Vorschrift des §  293 ZPO spricht ausdrücklich von in einem anderen Staa­ te geltenden ‚Recht‘ [...]. Dennoch besagt die Qualifikation als Recht noch wenig über die prozessuale Behandlung.“ 508  Vgl. dazu Zweiter Teil. 509  Vgl. z. B. R. Hübner, Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten (2014), S.  30 f. 510  Vgl. in diesem Zusammenhang von Bar/Mankowski, IPR I, 2.  Aufl. 2003, §  7 Rn.  19. 511  Zu dem Argument eine amtswegige Beachtung statutsfremder Rechtsnormen würde zur Überlastung der Gerichte führen, vgl. Benzenberg, Die Behandlung ausländischer Ein­ griffsnormen im Internationalen Privatrecht (2008), S.  102 f. 512  Insoweit zur Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen vgl. A. Stoll, Eingriffs­ normen im Internationalen Privatrecht, S.  298 f.: „Das Argument, Gerichte würden überfor­ dert, müßten sie nicht nur das Vertragsstatut ermitteln, sondern daneben auch noch viele andere Rechtsordnungen nach Eingriffsnormen durchsuchen, beruht auf falschen Vorstellun­ gen. So sind die in Frage kommenden Rechtsordnungen dann äußerst begrenzt, wenn man als Voraussetzung für eine Beachtlichkeit eine ‚enge Beziehung‘ zu dem Erlaßstaat fordert. 505 

D. Prozessuale Behandlung

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halb nicht dazu führen, dass Gerichte potentiell alle Rechtsordnungen nach zu berücksichtigenden Rechtsnormen absuchen müssten.513 Hinzu kommt, dass die Gerichte wie auch im Falle der Anwendung von Verweisungsnormen keine Nachforschungspflicht hinsichtlich des Bestehens der ausnahmsweisen engen Verbindung zwischen berücksichtigungsfähiger Norm und Sachverhalt trifft. Die kollisionsrechtlich relevanten Tatsachen, also solche, die auf eine Auslands­ verbindung bzw. im Fall der Berücksichtigung auf eine ausnahmsweise engere Verbindung des Sachverhalts zu einer verweisungsrechtlich nicht anwendbaren Norm hinweisen, sind – sofern der Verfahrensgrundsatz gilt – ohnehin von den Parteien beizubringen.514 Schwierig könnte zuletzt das Auffinden der importoffenen Sachnorm sein. Dies wäre weniger problematisch, wenn die lex causae und die lex fori überein­ stimmten, weil das Gericht das Recht dann besser kennt. In Fällen der früheren materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen schien dies die Regel zu sein.515 Doch selbst wenn die lex fori und lex causae auseinan­ derfallen, ist das Auffinden einer importoffenen Norm keine genuine Schwie­ rigkeit der Berücksichtigungsmethodik: Das ermittelte Recht ist so zur Anwen­ dung zu bringen, wie es im Ausland angewandt würde.516 Die Auslegung der anwendbaren Normen muss ohnehin erfolgen, die zusätzliche Möglichkeit, auch statutsfremdes Recht in die Berücksichtigung einzubeziehen, ist nichts an­ deres, als die Norm danach zu befragen, welche Tatsachen sie umfasst.517 Gegen das Argument der Überlastung der Gerichte spricht deshalb, dass sich aus dem Zweck der anwendbaren Norm ergibt, welche statutsfremde Vorschrift Berücksichtigung findet, dass die ausländische Norm ohnehin nach ihrem Sinn und Zweck ausgelegt werden muss und dass die zu berücksichtigenden Normen den Sachverhalt regelmäßig stark prägen.518 Auch die in Betracht kommenden Normen werden regelmäßig ohne weiteres zu identifizieren sein: oft werden sie gerade Auslöser des Rechtsstreits sein.“ 513  Vgl. zu diesem Argument im Zusammenhang mit Eingriffsnormen Piehl, RIW 1988, 841, 842: „Es kann nicht richtig sein, daß es die kollisionsrechtliche Pflicht eines jeden Rich­ ters sein könnte, die staatlichen Rechte aller Rechtsordnungen der Welt zu durchsuchen, um ein eventuell Anwendung erheischendes Verbotsgesetz zu finden.“ 514  Kieninger, Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts, in: Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S.  479, 483 f. 515  Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S.  52, Fn.  170. 516  Hohloch, in: Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, 15.  Aufl. 2017, Einl. vor Art.  3 EGBGB Rn.  61. 517  Zur Notwendigkeit der Auslegung und Rechtsfortbildung gemäß den Kriterien der lex causae, vgl. Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  31 I 2. 518  Dazu bereits oben Dritter Teil B.I.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Wie bei Art.  17 Rom II-VO sollte deshalb im Rahmen der Berücksichtigung über die Datumtheorie davon ausgegangen werden, dass die zu berücksichtigen­ den Vorschriften auch prozessual als Rechtsnormen behandelt werden sollten. Als Folge dieser prozessualen Einordnung können die Parteien nicht auf die Berücksichtigung statutsfremder Rechtsnormen verzichten. Die richtige Anwendung statutsfremder Rechtsnormen über die Datumtheo­ rie ist gem. §  545 Abs.  1 ZPO nicht revisibel.519 Für das Revisionsgericht sind nicht nur die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Inhalt der Normen bin­ dend, sondern auch ihre Auslegung und Anwendung.520 Allerdings gilt wie auch im Rahmen des Verweisungsmechanismus, dass das Gericht die IPR-Grundsät­ ze richtig anwenden muss.521 Das Gericht muss deshalb deutlich machen, dass es die Möglichkeit der Berücksichtigung statutsfremder Vorschriften im Wege der Datumtheorie erkannt und die Berücksichtigung zumindest erwogen hat.522 Dies liegt vor allem dann nahe, wenn die statutsfremde Sachnorm den Sachver­ halt im Sinne des doppelten Rechtsordnungsbezuges prägt.523 IV. Zwischenergebnis Die Berücksichtigung statutsfremder Rechtsnormen ist prozessual wie die An­ wendung ausländischen Rechts nach einer Verweisungsentscheidung zu behan­ deln. Sobald es um die Berücksichtigung von Rechtsnormen geht, sind diese in den Grenzen des §  293 ZPO vom Gericht zu ermitteln; ihre Anwendung ist gem. §  545 Abs.  1 ZPO nicht revisibel. Die Erwägung der Berücksichtigung über die Datumtheorie ist hingegen revisibel. Es reicht allerdings aus, dass Ge­ richte deutlich machen, dass sie die Möglichkeit der Berücksichtigung statuts­ fremden Rechts, das eine punktuell engere Verbundenheit zum Sachverhalt auf­ weist, gesehen und entsprechend den Zwecken der anwendbaren Sachnorm er­ wogen haben. Kessal-Wulf, in: BeckOK ZPO, 31. Edition 2018, §  545 Rn.  7. Für „das Revisionsgericht [sind] nicht nur die Feststellungen des Berufungsgerichts zu Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts bindend, sondern auch die Auslegung und Anwendung dieses Rechts durch den Tatrichter“, von Hein, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Einl. IPR Rn.  312. 521  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  3 Rn.  131. 522  Vgl. ähnlich in Bezug auf die Berücksichtigungsanordnung Art.  32 Abs.  2 a. F. A. Stoll, Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht, S.  229: „Mit dem Ausdruck ‚berücksichti­ gen‘ wird keine bestimmte Form der Beachtung – z. B. auf sachrechtlicher Ebene – vorge­ schrieben [...]. Auch eine schlichte Nicht-Anwendung der Bestimmung [...] ist möglich, das Gericht muß dann nur klarstellen, daß es die Möglichkeit nach Art.  32 Abs.  2 EGBGB er­ kannt und das Recht des Erfüllungsortes nicht einfach ignoriert hat.“ 523  Zu dem Erfordernis des doppelten Rechtsordnungsbezuges vgl. Dritter Teil B.I.4. 519 

520 

E. Anwendungsbeispiele

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E. Anwendungsbeispiele Im Folgenden soll exemplarisch dargestellt werden, ob und wie die Sachverhal­ te, die dem BAG-Beschluss zur Sperrwirkung von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO ge­ genüber griechischen Spargesetzen vom 25.2.2015524 (I.) sowie dem Urteil des BGH zu dem Verkehrsunfall in Südafrika vom 10.2.2009525 (II.) zugrunde la­ gen, von den soeben präzisierten Grundsätzen der Datumtheorie in ihrer recht­ lichen Beurteilung beeinflusst werden. I. „Griechische Spargesetze“ In der Vorlagefrage des BAG ging es darum, ob die Berücksichtigung griechi­ scher Spargesetze über das deutsche Vertragsstatut wegen Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO nicht möglich ist. Hierbei ist zu differenzieren: Ordnet man Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO mit der überwiegenden Ansicht dogmatisch der Sonderan­ knüpfung zu526 und nimmt an, die Norm würde sämtliche anderweitigen funk­ tional kollisionsrechtlichen Vorgänge – gleich ob auf Sach- oder auf Verwei­ sungsebene – sperren, wäre eine Berücksichtigung der griechischen Spargeset­ ze in Einklang mit der Datumtheorie nicht (mehr) möglich.527 Dieses Ergebnis wurde durch die Entscheidung des EuGH, Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO sperre so­ wohl die unmittelbare als auch die mittelbare Anwendung ausländischer Ein­ griffsnormen, bestätigt.528 Verneint man eine Sperrwirkung von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO, ist fraglich, ob und wie die griechischen Spargesetze nach den Grundsätzen der Datumtheorie angewandt werden könnten.

524  BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75; vgl. dazu Erster Teil B.I.3. 525  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482; vgl. dazu Erster Teil B.II.2. 526  Für die Einordnung als Sonderanknüpfung spricht der Wortlaut, nach dem solchen Normen Wirkung verliehen wird, die den Vertrag unrechtmäßig werden lassen. Die Ein­ griffsnorm soll also mit Tatbestand und Rechtsfolge auf den Vertrag einwirken. Zudem spricht Art.  9 Abs.  3 S.  2 Rom I-VO von der Anwendung oder Nichtanwendung einer Norm. Rechtssicherheitsaspekte streiten ebenfalls für die dogmatische klare Figur der Sonderan­ knüpfung. Auch die ähnliche Berücksichtigungsanordnung Art.  19 IPRG wird als Sonderan­ knüpfung eingeordnet, vgl. dazu Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, 2.  Aufl. 2000, Kapitel 6 §  5 Rn.  926. Für die Einordnung als Sonderanknüpfung vgl. auch Martiny, in: MünchKommBGB, 7.  Aufl. 2018, Art.  9 Rom I-VO Rn.  44. 527  Zur Sperrwirkung vgl. Erster Teil B.I.3.b). 528  EuGH, Urt. v. 18.10.2016, C-135/15, juris (Nikiforidis); vgl. dazu bereits Erster Teil B.I.3.c), Zweiter Teil C.II.4.

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Anwendungsvoraussetzungen der Datumtheorie sind eine importoffene Sachnorm sowie ein berücksichtigungsfähiges Bezugsobjekt.529 Die Berück­ sichtigung darf nicht ausnahmsweise unzulässig sein.530 Importoffen ist eine Norm, sofern sie einen normativen Begriff enthält, des­ sen Auslegung ergibt, dass eine nicht anwendbare Rechtsnorm Berücksichti­ gung finden soll.531 Die Berücksichtigung der nicht anwendbaren Norm muss zudem im Einzelfall aufgrund eines Regelungsdefizits im Verweisungsrecht geboten sein.532 Als importoffene Norm für die Berücksichtigung der griechi­ schen Spargesetze rekurrierte das BAG vorliegend auf §  241 Abs.  2 BGB,533 weshalb die Norm auch der nachfolgenden Prüfung zugrunde gelegt werden soll. Nach §  241 Abs.  2 BGB kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt je­ den Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Hieraus ergeben sich Leistungstreue- und Rücksichtsnahme­ pflichten, die die leistungsbezogenen Vertragspflichten ergänzen.534 Mit den Begriffen Rechte, Rechtsgüter und Interessen sind normative Begriffe ange­ sprochen, die auslegungsfähig sind und deren Auslegung jedenfalls potentiell ergeben könnte, die griechischen Spargesetze zu berücksichtigen. Ob §  241 Abs.  2 BGB aber auch im konkret vorliegenden Fall die Berücksichtigung der griechischen Spargesetze verlangt, ist zweifelhaft und bedürfte der näheren Be­ gründung durch das zuständige Gericht unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles.535 Dasselbe gilt für die Frage, ob die Berücksichtigung der griechi­ schen Spargesetze aufgrund einer Regelungslücke im Einzelfall geboten ist: Das entscheidende Gericht muss insbesondere prüfen, ob die griechischen Spar­ gesetze derart eng mit dem Sachverhalt verbunden sind, dass sich ihre Berück­ sichtigung auch vor dem Hintergrund des schonenden Eingriffs in die Verwei­ sungsentscheidung, d. h. dem Grundsatz der engen Auslegung der Berücksichti­ gungsmethodik, aufdrängt. Berücksichtigungsfähige Bezugsobjekte sind Rechtsnormen, die Gegenstand einer Verweisungsentscheidung sein könnten. Mit den griechischen Spargeset­ zen als (nicht anwendbaren) Rechtsnormen liegen deshalb berücksichtigungsfä­ 529 

Vgl. Dritter Teil B. Vgl. Dritter Teil B. 531  Vgl. Dritter Teil B.I.1. 532  Vgl. Dritter Teil B.I.3. 533 Zur (fehlenden) Importoffenheit gegenüber der Berücksichtigung der griechischen Spargesetze von §  134 BGB, §  138 Abs.  1 BGB, §  275 BGB, §  313 BGB vgl. die Vorinstanz der BAG-Vorlageentscheidung LAG Nürnberg, Urt. v. 25.9.2013, 2 Sa 253/12, juris Rz. 122 ff. 534  Grüneberg, in: Palandt, 78.  Aufl. 2019, §  241 Rn.  6. 535  Das BAG lehnt die Berücksichtigung der griechischen Spargesetze letztlich damit ab, das deutsche Recht kenne keine Norm, die die Berücksichtigung der griechischen Gesetze verlange, vgl. BAG, Urt. v. 26.4.2017, 5 AZR 962/13, BAGE 159, 69. 530 

E. Anwendungsbeispiele

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hige Bezugsobjekte im Sinne der Datumtheorie vor. Ob sie Eingriffsnormen sind, ist für die Frage ihrer Eigenschaft als berücksichtigungsfähiges Bezugsob­ jekt unbeachtlich. Ihr Eingriffsnormencharakter könnte jedoch bei der vorheri­ gen Frage, ob die Norm §  241 Abs.  2 BGB nach ihrem Normzweck die Berück­ sichtigung der griechischen Gesetze verlangt, berücksichtigt werden. Die Rechtsfolge der Berücksichtigung ergibt sich aus der anwendbaren Sach­ norm. Legt man §  241 Abs.  2 BGB in Verbindung mit dem Vorliegen einer Re­ gelungslücke im Verweisungsrecht so aus, dass §  241 Abs.  2 BGB die Berück­ sichtigung der griechischen Spargesetze verlangt, ergibt sich die Rechtsfolge aus §  241 Abs.  2 BGB selbst. Hier stellt sich deshalb die allein sachrechtliche Frage, ob aus §  241 Abs.  2 BGB tatsächlich eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Akzeptanz einer Änderungskündigung gem. §  2 KSchG oder §  626 BGB folgt. Da es sich um eine sachrechtliche Frage handelt, kann die Datumtheorie sie nicht beantworten. Das BAG verneint diese Frage letztlich.536 Aus prozessualer Sicht wäre das Gericht im Fall der Anwendung der Datum­ theorie zur Ermittlung des Inhalts der ausländischen griechischen Spargesetze verpflichtet. In jedem Fall wäre die Frage revisibel, ob es die Möglichkeit der Berücksichtigung der griechischen Spargesetze wenigstens geprüft hat. Da so­ wohl das BAG als auch die Vorinstanzen die rechtlichen Möglichkeiten zur Be­ rücksichtigung der griechischen Spargesetze auf Sachrechtsebene erwogen ha­ ben,537 handelten sie insofern rechtsfehlerfrei. II. „Verkehrsunfall in Südafrika“ Bei dem Verkehrsunfall zweier Personen in Südafrika stellte sich die Frage, ob sowohl das Verhaltensgebot in Form des südafrikanischen Linksfahrgebots als auch der Sorgfaltsmaßstab dem südafrikanischen Recht entnommen werden konnten.538 Auf den Fall war gem. Art.  40 EGBGB grundsätzlich deutsches Recht anwendbar.539 Mit §  823 Abs.  1 BGB lag eine für die Berücksichtigung von Verhaltens- und Sicherheitsregelungen traditionell importoffene Sachnorm vor.540 Die Gerichte konnten deshalb wie erfolgt bei Auslegung des Begriffs der vorsätzlichen oder fahrlässigen Herbeiführung des Erfolgs auf die statutsfremden (südafrikani­ schen) Verkehrsregeln, d. h. insbesondere das Linksfahrgebot, Bezug nehmen. 536 

BAG, Urt. v. 26.4.2017, 5 AZR 962/13, BAGE 159, 69. BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75; LAG Nürnberg, Urt. v. 25.9.2013, 2 Sa 253/12, juris Rz. 122 ff. 538  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482; vgl. dazu Erster Teil B.II.2. 539  Vgl. dazu Einleitung und Erster Teil B.II.2. 540  Vgl. dazu Erster Teil B.II.2. 537 

210

Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Dies war vom Normzweck des §  823 Abs.  1 BGB, der Wahrung und des Schut­ zes des Integritätsinteresses auch außerhalb von Sonderbeziehungen bei gleich­ zeitigem Ausgleich zwischen Rechtsgüterschutz und Handlungsfreiheit,541 zu­ dem umfasst. Denn dem Schutz der in §  823 Abs.  1 BGB genannten Rechtsgüter wäre nicht gedient gewesen, hätte das Gericht in Auslegung von §  823 Abs.  1 BGB verlangt, dass sich die Beklagte im südafrikanischen Straßenverkehr an deutsche Verkehrsregeln und nicht an das südafrikanische Linksfahrgebot hält. Für eine Berücksichtigung der südafrikanischen Verkehrsregeln sprach bereits die enge territoriale Verbindung des südafrikanischen Linksfahrgebots zum Sachverhalt. Unter Würdigung aller Umstände im Einzelfall erschien die Be­ rücksichtigung der südafrikanischen Linksfahrregel geboten. Das Linksfahrge­ bot war als Rechtsnorm auch ein berücksichtigungsfähiges Bezugsobjekt. In Einklang mit der Datumtheorie hätte sich die Rechtsfolge, wie vorliegend, aus der anwendbaren Sachnorm, nämlich §  823 Abs.  1 BGB ergeben. Prozessual hatte das Gericht, wie erfolgt, den Inhalt des südafrikanischen Verkehrsrechts zu ermitteln. Da sie die Berücksichtigung des Linksfahrgebots (mit positivem Ausgang) erwogen haben, handelte das Gericht der Vorinstanz auch insoweit rechtsfehlerfrei. Im Ergebnis hätte die Datumtheorie bezüglich der Berücksichtigung des süd­ afrikanischen Linksfahrgebots bei Feststellung des Verschuldens, wie sie das Gericht vornahm, also zu keinem anderen Ergebnis geführt. Mehrwert der Sub­ sumtion unter die Anwendungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der Datum­ theorie wäre aber gewesen, dass hierdurch die Vorgehensweise der Berücksich­ tigung des südafrikanischen Linksfahrgebots offengelegt worden wäre und so besser hätte nachvollzogen werden können. Im vorliegenden Fall stellten der BGH sowie die Vorinstanzen nämlich zwar fest, dass die Beklagte aufgrund des Verstoßes gegen das Linksfahrgebot schuldhaft gehandelt habe.542 Eine nähere dogmatische Begründung lieferten sie hierfür aber nicht. Der Mehrwert der Subsumtion unter die Datumtheorie zeigt sich spätestens bei der ebenfalls in dem Fall diskutierten Frage, welcher Rechtsordnung der Verschuldensmaßstab zu entnehmen sei. Auch für diese Frage ist die Datum­ theo­rie heranzuziehen.543 Grundsätzlich verweisen die Verweisungsnormen nämlich auf das Recht, wie es von den jeweiligen Gerichten angewandt und ausgelegt wird.544 Der Verschuldensmaßstab stellt in diesem Sinne eine Kon­ kretisierung der anwendbaren Vorschriften dar. Wird ausnahmsweise von Sprau, in: Palandt, 78.  Aufl. 2019, Einf. v. §  823 Rn.  1. BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482; OLG Stuttgart, Urt. v. 7.1.2008, 5 U 161/2007, juris Rz. 35. 543  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2.b). 544  Vgl. dazu Zweiter Teil B.IV.2.b) und Dritter Teil D.I. 541 

542 

E. Anwendungsbeispiele

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e­ inem zu den anwendbaren Sachnormen gehörenden Verschuldensmaßstab ab­ gewichen, muss dies über die Datumtheorie offengelegt werden. Vorliegend kam es darauf an, ob die Fahrerin durch die Missachtung des südafrikanischen Linksfahrgebots grob fahrlässig gehandelt hatte.545 Im Rah­ men von §  823 Abs.  1 BGB wird das Verschulden, jedenfalls bei einem reinen Inlandsfall, grundsätzlich gem. §  276 BGB definiert.546 Danach liegt grob fahr­ lässiges Handeln vor, wenn das außer Acht gelassen wird, was jedem hätte ein­ leuchten müssen.547 Im Deliktsrecht wird die Anforderung der im Verkehr er­ forderlichen Sorgfalt nach einem objektiven Maßstab des jeweils relevanten Verkehrskreises bestimmt.548 Bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt, bei dem auf eine ausländische Verhaltensvorschrift rekurriert wird, stellt sich die Frage, ob sich der Verschul­ densmaßstab aus der ausländischen Verhaltensvorschrift oder aus der inländi­ schen Haftungsnorm ergibt. Diese Frage kann die Datumtheorie nicht beant­ worten. Sie beantwortet nur die Frage, was geschieht, wenn ausnahmsweise auf einen anderen als den eigentlich anwendbaren Verschuldensmaßstab abgestellt wird: Ergibt sich der Verschuldensmaßstab aus Perspektive des deutschen Delikts­ rechts aus der ausländischen Verhaltensnorm, würde vorliegend die südafrika­ nische Verkehrsnorm über die Datumtheorie zur Feststellung des Verschuldens herangezogen.549 Dann wäre es grob fahrlässig gewesen, rechts statt links zu fahren. Vorliegend wendete das Gericht aber einen deutschen Verschuldens­ maßstab mit der Folge an, das Rechtsfahren als nicht grob fahrlässig zu bewer­ ten.550 Hielte man aufgrund der anwendbaren südafrikanischen Verkehrsregeln grundsätzlich auch den südafrikanischen Verschuldensmaßstab für relevant, läge deshalb in der Anwendung des deutschen Verschuldensmaßstabs eine punktuelle Abweichung von dem Grundsatz, ausländische Normen so anzu­ wenden, wie sie das ausländische Gericht anwenden und auslegen würde, wel­ ches in Auslegung des südafrikanischen Linksfahrgebots das Rechtsfahren als grob fahrlässig eingestuft hätte. Die Datumtheorie würde in dem Südafrikafall bei der vorliegenden Annahme, der Verschuldensmaßstab ergebe sich grund­ 545 

BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485. Vgl. dazu z. B. Mohr, Jura 2013, 567, 573. 547  Grundmann, in: MünchKommBGB, 8.  Aufl. 2019, §  276 BGB Rn.  94 f. 548  Förster, in: BeckOK BGB 48. Edition (2018), §  823 BGB Rn.  38; Lorenz, in: BeckOK BGB 48. Edition (2018), §  276 BGB Rn.  20. 549  Vgl. z. B. LG Mainz, Urt. v. 17.8.1998, 7 O 391/97, NJW-RR 2000, 31: „In England gilt Linksverkehr, sodass der Zeuge mit dem Fahren auf der rechten Fahrbahn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in hohem Maße außer Acht gelassen und das nicht beachtet hat, was in dieser Verkehrssituation jedem Verkehrsteilnehmer einleuchten musste.“ 550  BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482, 1485. 546 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

sätzlich aus der anwendbaren Verkehrsregelung, also doppelt angewandt: zu­ nächst zur Berücksichtigung des Linksfahrgebots und sodann innerhalb des Linksfahrgebots für die Rückausnahme des Verschuldensmaßstabs. Anders wäre es dann, wenn angenommen würde, der Verschuldensmaßstab ergebe sich ohnehin nicht aus der jeweiligen Verhaltens- oder Sicherheitsrege­ lung, sondern aus der anwendbaren Haftungsnorm, vorliegend also aus §  823 BGB. Dann läge in der Anwendung des eigenen Verschuldensmaßstabs die An­ wendung des regulär verweisungsrechtlich anwendbaren Rechts. In Einklang mit der Datumtheorie hätte lediglich verlangt werden müssen, dass die Berück­ sichtigung des insoweit aufgrund des anwendbaren Linksfahrgebots eng mit dem Sachverhalt verbundenen südafrikanischen Verschuldensmaßstabs zumin­ dest in Erwägung gezogen wurde. Dem genügte das Gericht vorliegend aber dadurch, dass es ausführte, weshalb es auf den deutschen und nicht auf den südafrikanischen Verschuldensmaßstab abstellte.

F. Ausblick: Alternative Regulierungsansätze Im Folgenden soll abschließend ein kurzer Ausblick darauf gegeben werden, welche anderen Möglichkeiten es neben der Datumtheorie zur Auflockerung des in eine Rechtsordnung führenden Verweisungsmechanismus und zur Abbil­ dung komplexer internationaler Sachverhalte gibt. Nach Alternativen zur Datumtheorie als Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene soll im Folgenden entlang der Einteilung des IPR in eine Methodentrias551 aus Verweisung (I.), Anerkennung (II.) und Berücksichti­ gung (III.) gesucht werden. I. Ausweitung der Teilfragenanknüpfung Seit jeher gelingt die Auflockerung des Verweisungsmechanismus durch Ver­ feinerung der Systembegriffe im IPR, d. h. das Ansetzen an der analytischen Methodik des IPR.552 Bei der Verweisungsmethode werden die tradierten Kate­

551  Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmens­ recht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 203 ff.; ders., RabelsZ 81 (2017), 747, 775 ff.; Weller/Thomale/Zwirlein, ZEuP 2018, 892, 898 ff. 552  von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.  Aufl. 2007, §  2 Rn.  53: „Die Bestimmung des Sitzes des Rechtsverhältnisses wird zunehmend verfeinert. Während Savigny etwa alle Schuldverhält­ nisse einheitlich dem Recht des Erfüllungsortes unterstellen wollte, wurde bald darauf nach der Art des in Rede stehenden Schuldverhältnisses differenziert.“

F. Ausblick: Alternative Regulierungsansätze

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gorien des Privatrechts auf Verweisungsnormen übertragen.553 Der Sachverhalt wird entsprechend den Zivilrechtsbegriffen zergliedert und jeweils einer Rechtsordnung zugeordnet.554 Je feiner die Anknüpfungsgegenstände, desto präziser deutet die Verweisung auf ein bestimmtes anwendbares Recht. Statt mit Art.  17 Rom II-VO statutsfremde Verhaltensstandards zu berücksichtigen, könnte man diese auch vom anwendbaren Statut abspalten und gesondert an­ knüpfen – im Deliktsrecht gälte dann ein zweispuriger Ansatz wegen einer Auf­ spaltung von Verhaltensregeln und Schadensrecht.555 Gegen eine stetige Verfeinerung von Systembegriffen in Kollisionsnormen spricht, dass ein Sachverhalt einer Rechtsordnung grundsätzlich im Ganzen un­ terworfen werden soll, um hierdurch eine Rechtszersplitterung zu vermeiden.556 Teilfragen sind dementsprechend die Ausnahme und sollen grundsätzlich ver­ mieden werden.557 Die so entstehende Rechtszersplitterung müsste zudem durch Anpassungen auf Sachrechtsebene wieder ausgeglichen werden.558 Kropholler merkt insoweit an: „Je weiter im IPR die ‚Analyse‘ getrieben wird, also die Auflösung des Einzelfalles in verschiedene Rechtsfragen und damit die Zer­ splitterung in der Bereitstellung des Normenmaterials, desto schwieriger ist

553  Goldschmidt, Die philosophischen Grundlagen des Internationalen Privatrechts, FS Wolff (1952), S.  203, 208 ff.; Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 771. 554  Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 771; zur analytischen Methode des IPR vgl. bereits Erster Teil A. und Zweiter Teil A.I. 555  Vgl. in diesem Zusammenhang z. B. Rentsch, GPR 2015, 191, 194: „Anstatt einer ge­ spaltenen oder zweispurigen Anknüpfung von Haftungsgrundlage und Schadensumfang geht es in beiden Fällen darum, die Frage des anwendbaren Rechts in einer zweistufigen Prüfung von der Berücksichtigung haftungskonkretisierender und -erweiternder Vorschrif­ ten am späteren Lebensmittelpunkt der Geschädigten zu trennen.“ In diese Richtung weist z. B. auch der US-amerikanische Fall Babock v. Jackson (Babock v. Jackson Court of Appe­ als of New York, 1963; 12 N.Y.2d 473, 240 N.Y.S.2d 743, 191 N.E.2d 279 (1963)), in dem rules of conduct und rules of loss distribution aufgespalten und jeweils unterschiedlichen Rechts­ ordnungen entnommen wurden, vgl. dazu Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 4th ed. 2004, S.  770 ff., 790 ff. sowie Hay/Weintraub/Borchers, Conflict of Laws, 2013, S.  507 ff. Die funktionale Ähnlichkeit dieser Aufspaltung zum Berücksichtigungsvorgang zeigt sich an den Ausführungen von Ehrenzweig und Currie, die verlangen, diese rules of conduct nicht vom anwendbaren Statut abzuspalten, sondern sie vielmehr als datum inner­ halb der anwendbaren Vorschriften zu berücksichtigen, vgl. insoweit zu Currie Hay/Weintraub/Borchers, Conflict of Laws, 2013, S.  511; Ehrenzweig, 16 Buff.L.Rev., 55, 58 (1966). 556  Schwind, RabelsZ 23 (1958), 449, 456 f.; Siehr, IPR, 2001, §  47 IV 1. 557  Siehr, IPR, 2001, §  47 IV 1; vgl. dazu bereits Dritter Teil A.II.3.c). 558  Benicke, Anpassung im internationalen Privatrecht, in: FS Schapp (2010), S.  60, 63: „die Wahrscheinlichkeit von Anpassungsproblemen [nimmt zu], je ausdifferenzierter ein Kollisionsrecht ist, d. h. je mehr unterschiedliche Kollisionsnormen mit je eigenen Anknüp­ fungsgegenständen es besitzt.“

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

nachher die ‚Synthese‘“.559 Die Verfeinerung der Systembegriffe zur Vermei­ dung des Berücksichtigungsvorgangs auf Sachrechtsebene würde deshalb letzt­ lich zu einer Ausweitung eines anderen ebenfalls auf Sachrechtsebene stattfin­ denden Vorgangs, nämlich dem der sachrechtlichen Anpassung, führen. Anders als die besondere Teilanknüpfung von abgespaltenen Rechtsfragen entfernt sich die Berücksichtigung womöglich sogar weniger vom Ergebnis der Verweisungsentscheidung. Es bleibt bei der Berücksichtigung nämlich beim grundsätzlich anwendbaren Recht, und statutsfremde Vorschriften werden nur insoweit bei der Falllösung beachtet, als die anwendbaren Sachnormen es ver­ langen und hierfür insoweit ein Bedürfnis besteht, als die Verweisungsnormen eine Regelungslücke im Einzelfall aufweisen. Der Mehrwert der sachnormab­ hängigen punktuellen Berücksichtigung statutsfremden Rechts gegenüber einer Verfeinerung der Systembegriffe liegt letztlich aber vor allem in ihrer feinsteu­ ernden Lückenfüllungsfunktion, die in dieser Intensität durch eine Verfeine­ rung der Systembegriffe nicht erreicht werden könnte. Dies zeigt auch folgendes Beispiel: Den Nachteilen einer rein objektiven Anknüpfung kann zwar auch mit einer verweisungsrechtlichen Ausweitung der Parteiautonomie begegnet wer­ den.560 Die Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene als Feinkorrektur kann aber dann wiederum ein Gegengewicht zur zunehmenden Parteiautonomie sein, indem sie dafür sorgt, dass bestimmte örtlich prägende Normen entgegen der jeweiligen Rechtswahl zur Geltung gebracht werden. Die Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene ist deshalb in der Lage, im Falle objektiver Anknüpfungen zur Subjektivierung und im Falle sub­ jektiver Anknüpfungen zur Objektivierung zu führen. Wie bei der Ausweitung der Parteiautonomie würde bei einer Ausdifferenzierung der Systembegriffe eine Feinkorrektur auf Sachrechtsebene im Einzelfall als ultima ratio durch Be­ zugnahme auf statutsfremde Vorschriften notwendig bleiben. Indem die Datumtheorie bei der Anwendung bestimmter Sachnormen dazu führt, weitere statutsfremde Normen zu berücksichtigen, bietet sie deshalb ein den Verweisungsmechanismus beibehaltendes mildes Mittel zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit. II. Ausbau der Anerkennung von Rechtslagen Als weitere Möglichkeit einer in Zukunft passgenaueren Abbildung komplexer internationaler Sachverhalte besteht die Erweiterung der Methode der Anerken­ Kropholler, IPR, 6.  Aufl. 2006, §  34 II 1. Vgl. dazu Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisions­ recht (2013), S.  310. 559 

560 

F. Ausblick: Alternative Regulierungsansätze

215

nung von Rechtslagen, wie sie oben beschrieben wurde.561 Diese Methode der Anerkennung wird weithin neben dem Verweisungsmechanismus als eigene Säule im IPR bezeichnet.562 Auf Gesetzgebungsebene ist die Methode der Aner­ kennung für die Urteilsanerkennung verankert, in der Rechtsprechung wird sie für Namen und Gesellschaften diskutiert;563 es könnte zu überlegen sein, sie auf andere Statusverhältnisse auszudehnen564 anstatt die Berücksichtigungsmetho­ dik auszubauen. Der Ausbau einer Anerkennungsmethodik würde aber das Verweisungssys­ tem, anders als die Datumtheorie, grundlegend verändern, weil es als Frem­ drechtsanwendungsmethode den Verweisungsmechanismus ablösen könnte. Ein breites Angebot an Methoden ist allerdings nicht von vornherein ausschließ­ lich positiv zu bewerten. Dies zeigt ein Vergleich mit den USA. Die Conflicts Revolution in den USA brachte eine Vielzahl an Methoden (approaches)565 her­ vor.566 Der Methodenpluralismus könnte aber einer der Gründe dafür sein, dass man sich in den USA wenig mit IPR beschäftigt.567 561 

Vgl. dazu Dritter Teil B.II.2. Weller, Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung im IPR und Unternehmens­ recht, in: Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung (2016), S.  191, 203 ff., 205 ff.; Wendehorst, Denkschulen im Internationalen Privatrecht, in: BerDGesVR, Band 45 (2012), S.  33 ff. 563  Vgl. z. B. Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 670 ff., 686 ff.; vgl. dazu Dritter Teil B.II.2. 564  Vgl. dazu Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 774 f. 565  Kronke, Internationales Privatrecht, in: FS Kirchhof (2013), S.  1305, 1308. 566  Vgl. z. B. die einzelfallabhängige Interessenabwägung nach den rechtspolitischen In­ teressen des betroffenen Heimatrechts (governmental interest-approach), Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (1963), S.  67 ff.; vgl. dazu Zweiter Teil C.I.1.b); vgl. im De­ liktsrecht die Anknüpfung an das Heimatrecht des Gerichts (lex fori-approach), vgl. dazu Ehrenzweig, Wirklichkeiten einer „lex-fori Theorie“, in: FS Wengler (1973), S.  251 ff. und Zweiter Teil C.I.1.c); vgl. die Abwägung zwischen verschiedenen Anknüpfungserwägungen (choice-influencing consideration). Die choice-influencing consideration wurde v. a. von Leflar vertreten. Die im Ausgangspunkt anwendbaren Kollisionsnormen sollen nach diesem Ansatz anhand von bestimmten choice-influencing considerations auf ihre Angemessenheit im Einzelfall überprüft werden, Peterson, Moderne amerikanische IPR-Theorie, in: Interna­ tionales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht (1985), S.  77, 86 mit Hinweis auf Leflar, American Conflicts Law (1968), S.  233 ff.; ders., 54 Cal.L.Rev., 1584 ff. (1966); vgl. dazu Kay, 34 Mercer L.Rev., 521, 562 ff. (1983); vgl. die funktionale Betrachtung (functional approach), von Mehren/Trautmann, The Law of Multistate Problems (1965), S.  76 ff.; vgl. dazu Juenger, Choice of Law and Multistate Justice (1993), S.  105; Lipert, Historischer Sta­ tutismus und Neostatutismus der USA: Albert A. Ehrenzweig; Brainerd Currie; Robert Le­ flar; von Mehren/Trautmann; David F. Cavers (1979), S.  83 ff.; vgl. zum Methodenpluralis­ mus in den USA auch Siehr, IPR, 2001, §  34 V; vgl. auch die Tabelle zu den methodischen Ansätzen von den US-amerikanischen Gerichten bei Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, 4th ed. 2004, S.  85. 567  Vgl. zur Bedeutung des IPR in den USA Thomale, Transnational Legal Theory (TLT), 562 

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Zurzeit ist die Berücksichtigung statutsfremden Rechts gegenüber dem her­ kömmlichen IPR jedenfalls das mildere und zugleich leichter umsetzbare Mittel zur Auflockerung der starren Verweisungsentscheidung. Im Ausgangspunkt bleibt es beim herkömmlichen Verweisungsmechanismus. Nur dort, wo es nötig ist, weil sich beispielsweise sachrechtliche Wertungen noch nicht in pauschali­ sierender Weise zu Verweisungsnormen bündeln lassen, integriert die Datum­ theorie statutsfremdes Recht in das verweisungsrechtlich anwendbare Sach­ recht. III. Kodifikation der Datumtheorie Zuletzt könnte zu überlegen sein, die Datumtheorie zu kodifizieren. Erfolgte dies durch eine unionsrechtliche Gesetzgebungsentscheidung, ergäben sich hierbei allerdings zunächst Kompetenzfragen (1.). Sodann ist zu untersuchen, ob eine solche Kodifizierung zweckmäßig wäre (2.). 1. Unionsrechtliche Kompetenz gem. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV? Die Kodifizierung der Datumtheorie würde, wie im Folgenden ausgeführt wird, nicht an einer fehlenden unionsrechtlichen Gesetzgebungskompetenz scheitern. Die Union hat gem. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV eine Kompetenz zur Vereinheit­ lichung der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen.568 Es könnte erwogen werden, Berücksichtigungsanordnungen nicht als Kollisi­ onsnormen i. S. d. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV einzuordnen. Teilweise wird über­ legt, ob die unionsrechtliche Legislative eine annexartige Kompetenz zur Har­ monisierung von Sachrecht gem. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV innehaben könn­ te.569 Darauf kommt es im Falle der Kodifikation der Datumtheorie jedoch nicht an. Die Berücksichtigung einer verweisungsrechtlich nicht anwendbaren Norm ist aus nationaler Perspektive funktional kollisionsrechtlicher Natur, weil sie zur Anwendung von Rechtsnormen führt.570 Die gesetzgeberische Kompetenz könnte deshalb nur dann verneint werden, wenn der Begriff des „Kolli­sions­ rechts“ i. S. d. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV insoweit unionsrechtsautonom anders auszulegen wäre als im nationalen Recht. Dann erstaunt aber zumindest, dass die Kompetenz der Union zum Erlass von Normen wie Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO 7:2, 2016, S.  156: „Moreover, the field of private international law seems to have lost impor­ tance, with both judges and scholars content to analyse conflict of laws problems in domestic and public international legal terms only. It is regrettable to see conflict of laws silently leav­ ing the stage […].“ 568  Rossi, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5.  Aufl. 2015, Art.  81 AEUV Rn.  22. 569  Vgl. dazu z. B. Thomale, EuZA 2016, 116, 124, Fn.  30. 570  Vgl. dazu Zweiter Teil B., C.

F. Ausblick: Alternative Regulierungsansätze

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oder Art.  17 Rom II-VO regelmäßig nicht problematisiert wird. Da die Datum­ theorie zudem alleine zur Berücksichtigung von ausländischen Rechtsnormen (als Recht) führt, ist die gesetzgeberische Regelungskompetenz unproblema­ tisch wie auch im Falle des Erlasses harmonisierender Verweisungsregeln zu bejahen. Berücksichtigungsanordnung und Verweisungsnorm unterscheiden sich letztlich vor allem dadurch, dass im Falle einer Berücksichtigungsanordnung die verweisungsrechtliche Anwendungsentscheidung im Grundsatz aufrechter­ halten und nur punktuell durch die Berücksichtigung korrigiert wird. Zudem steht im Falle der Berücksichtigung, anders als bei einer Verweisungsnorm, die konkrete Rechtsanwendungsentscheidung im – je nach Ausgestaltung der Be­ rücksichtigungsanordnung unbegrenzten oder begrenzten – Ermessen des Rechtsanwenders.571 Dieses Ermessen führt jedoch nicht dazu, dass es sich, an­ ders als bei einer Verweisungsnorm, nicht um eine Kollisionsnorm handelt. Hierzu führt auch nicht die Art und Weise der Anwendung einer Norm. Ob sie im Wege der gesonderten Anknüpfung herangezogen oder, wie im Falle von Art.  17 Rom II-VO möglich, lediglich in den Tatbestand einer verweisungsrecht­ lich anwendbaren Norm eingebaut wird, ist aus kollisionsrechtlicher Perspekti­ ve irrelevant.572 Eine solche Einbau-Konstellation kann sich vielmehr, wie be­ reits im zweiten Teil mit dem Beispiel der Vorfragenanknüpfung gezeigt wurde, auch bei der Verweisung ergeben.573 2. Zweckmäßigkeit der Kodifikation Zu prüfen ist, ob die Kodifizierung einer Berücksichtigungsanordnung darüber hinaus zweckmäßig wäre. Die Kodifikation einer richterrechtlichen Praxis bedeutete im Ausgangspunkt mehr Legitimation, Transparenz und Rechtssicherheit.574 Indem die Legislative die Datumtheorie kodifizierte, würde sie sie anerkennen und legitimieren. Die 571  Vgl. zum jeweils mit Berücksichtigungsanordnungen verbundenen begrenzten oder unbegrenzten richterlichen Ermessen Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1, 20; Freitag, in: Rau­ scher, EuZPR/EuIPR, 4.  Aufl. 2016, Art.  12 Rom I-VO Rn.  12; Jakob/Picht, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, 4.  Aufl. 2016, Art.  17 Rom II-VO Rn.  13, Fn.  35; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 628; Thorn, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, 4.  Aufl. 2016, Art.  9 Rn.  69; Mühl, Zum Problem der kollisionsrechtlichen Beachtung zwingender Vorschriften gem. §  12 AGBG und Art.  7 des europäischen Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwen­ dende Recht, in: FS Mühl (1981), S.  449, 457. 572  Vgl. dazu bereits Zweiter Teil C.II.2.c)aa). 573  Vgl. dazu Zweiter Teil C.II.2.c)aa). 574  Vgl. dazu Fleischer/Wedemann, AcP 209 (2009), 598, 611: „Zu den unbestreitbaren Vorzügen einer Kodifizierung zählt zunächst ein Zugewinn an Legitimation, Transparenz und Rechtssicherheit“; Neuhaus, RabelsZ 37 (1973), 453, 460: „Das stärkste Argument zu­

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

Datumtheorie wäre dann vor allem keine rechtsfortbildende Methode mehr. Die Kodifikation der Datumtheorie wäre sogar mehr als ein bloßes opening statute575, das die Berücksichtigung statutsfremder Vorgaben gesetzgeberisch ex­ plizit legitimierte. Die Anordnung einer Berücksichtigung räumte dem Gericht nämlich nicht nur im Vergleich zu einem verweisungsrechtlichen Anwendungs­ befehl, sondern auch gegenüber der nicht kodifizierten Datumtheorie in Ausle­ gung der anwendbaren Sachnorm mehr Flexibilität ein. Erstens könnte das Er­ messen bei der Berücksichtigung so ausgestaltet werden, dass es sich um eine echte diskretionäre Abwägungsentscheidung des Gerichts handelte (die dann also nicht von der Auslegung der anwendbaren Norm abhinge).576 Zweitens wäre das Ermessen leitfähig, indem die Berücksichtigungsanordnung z. B. be­ stimmte, dieses müsse sich an den Wertungen der lex fori orientieren. Drittens wäre dementsprechend auch die rechtstechnische Art und Weise der Berück­ sichtigung offener. Je nach Ausgestaltung der Norm müsste die statutsfremde Norm nicht in jedem Falle einer Berücksichtigungsanordnung in die anwendba­ re Sachnorm eingebaut werden, vielmehr wäre es auch denkbar, sie isoliert an­ zuwenden (beispielsweise im Wege einer Sonderanknüpfung). Abgesehen von diesen Gestaltungsvorzügen und insbesondere der Möglich­ keit einer Unabhängigkeit von Wertungen der lex causae hätte eine kodifizierte Berücksichtigungsanordnung gegenüber einer bei der Rechtsprechung offenge­ legten Datumtheorie allerdings keinen besonderen Mehrwert. Dies gilt gerade im Hinblick auf die Fragen nach Rechtssicherheit und Gewaltenteilung. Die in diesem Abschnitt aufgezeigten Anwendungsvoraussetzungen der Berücksichti­ gung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene sind, wie auch die Anwen­ dungsbeispiele deutlich gemacht haben,577 notwendigerweise Rahmenbedin­ gungen. Denn andernfalls könnte die Datumtheorie in ihrer Funktion als „dog­ matisches Ventil“578 nicht bestehen.579 Die Entscheidung würde nicht dadurch rechtssicherer, dass diese Rahmenbedingungen gleich einer Ausweichklausel auf Verweisungsebene kodifiziert würden. Auch die Gewaltenteilungsproble­ matik wäre nur äußerlich behoben, da im Grunde die Entscheidungskompetenz

gunsten einer Kodifikation ist das Verlangen nach Rechtssicherheit, d. h. Voraussehbarkeit und Einheitlichkeit der gerichtlichen Entscheidungen.“ 575  Zum Begriff des opening statutes, vgl. Thomale, IPRax 2013, 375, 380. 576 Vgl. zum jeweils mit Berücksichtigungsanordnungen verbundenen diskretionären richterlichen Ermessen Dritter Teil F.III.1. 577  Vgl. dazu Dritter Teil E. 578  Vgl. zu diesem Begriff Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internati­ onalen Rechtsanwendung (2004), S.  101; vgl. auch Dornis, SZIER 2015, 183, 189. 579  Vgl. dazu Dritter Teil A.

F. Ausblick: Alternative Regulierungsansätze

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nach wie vor beim Gericht läge.580 Sofern dem Gericht dabei sogar ein größerer Auslegungsspielraum als der von der anwendbaren Sachnorm begrenzte einge­ räumt würde, d. h. es mit eigenem, diskretionären Ermessen entscheiden könn­ te, vergrößerte sich die Entscheidungsverlagerung hin zum Gericht im Zweifel noch. In der Vergangenheit wurden Berücksichtigungsanordnungen aufgrund ihrer Vagheit zudem eher kritisch bewertet, was sich nicht nur anhand entsprechender Äußerungen der Literatur,581 sondern auch dadurch belegen lässt, dass die deut­ sche Gesetzgebung die Möglichkeit eines einzulegenden Vorbehalts gegen Art.  7 Abs.  1 S.  2 EVÜ, die Vorgängernorm von Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO, nutz­ te.582 Sie begründete den Vorbehalt damit, die Vorschrift führe aufgrund der Unbestimmtheit ihres Tatbestandes sowie der Weite des dem Gericht einge­ räumten Ermessens zu einer nicht vertretbaren Mehrbelastung der Gerichte so­ wie einem zu hohen Maß an Rechtsunsicherheit.583 Die Kodifikation der Datum­ theorie wäre deshalb weder im Hinblick auf Rechtssicherheits- noch aus Ge­ waltenteilungsüberlegungen notwendig. Im Ergebnis ließe sich durch eine Kodifikation der Datumtheorie vor allem das richterliche Ermessen unabhängig von der anwendbaren Sachnorm lenken;

580  Vgl. dazu im Zusammenhang mit unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklau­ seln, Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft (2011), §  8 Rn.  7. 581  Coing, WM 1981, 810, 813; Kegel/Schurig bezeichnen Berücksichtigungsanordnungen als „kläglichste Produkte gesetzgeberischer Tätigkeit“, da sie die Entscheidung auf den Rich­ ter abwälzten, Kegel/Schurig, IPR, 9.  Aufl. 2004, §  6 I 4; Kegel, Zum heutigen Stand des In­ ternationalen Privatrechts: Theorie und Rechtspolitik, in: Internationales Privatrecht, Inter­ nationales Wirtschaftsrecht (1985), S.  1, 10: „der Gesetzgeber stochert im Dunkeln. Er setzt nicht Recht, sondern beschränkt sich auf Rechtsanzeichen. Schweigen wäre besser“; Schurig, Lois d’application immédiate und Sonderanknüpfung zwingenden Rechts, in: Internationales Privatrecht, Internationales Wirtschaftsrecht (1985), S.  55, 75 f.; ähnlich bereits zum Kom­ missionsentwurf zu Art.  17 Rom II-VO, Siems, RIW 2004, 662, 666: „Schließlich drohe durch Art.  13 EAVVO-E eine erhebliche Gefahr für die Rechtssicherheit, weil nicht klar sei, welche rechtlichen Normen letztlich anwendbar seien.“ Vgl. allgemein zum Problem von Rechtsunsicherheit und Willkür verbunden mit Generalklauseln Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln (1933), S.  66 ff. 582  BT-Drucks. 10/503, S.  83. 583  BT-Drucks. 10/503, S.  83: „Die Bestimmung des Artikels 7 Abs.  1 des Übereinkom­ mens hätte, wenn sie in innerstaatliches Recht transformiert werden müßte, eine nicht ver­ tretbare Rechtsunsicherheit zur Folge, weil die Parteien die von der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe abhängige und im freien Ermessen des Richters stehende Anwendung von zwingenden Vorschriften eines anderen Staates nicht voraussehen könnten [..]. Im Übrigen würde die Vorschrift zu einer unzumutbaren Mehrbelastung der Gerichte führen, weil sie jeweils ermitteln müßten, welche Vorschriften einer möglicherweise anzuwendenden Rechtsordnung zwingenden Charakter haben.“

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

darüber hinaus hätte die Kodifikation der Datumtheorie keinen nennenswerten Mehrwert.

G. Ergebnisse für den dritten Teil 1. Die richterliche Berücksichtigung ausländischen Rechts als Fortbildung der Verweisungsregeln lässt sich mit dem Defizit des formalen Verweisungsmecha­ nismus rechtfertigen. Sie hat gegenüber dem formalen, streng in eine Rechtsord­ nung weisenden, Verweisungsmechanismus die Funktion eines „dogmatischen Ventils“584. Methoden, die den Verweisungsmechanismus auf verweisungs­ rechtliche Art und Weise auflockern, lassen Lücken, die die Berücksichtigung schließt. 2. Allerdings bedarf die Berücksichtigung der weiteren Systematisierung und Konturierung. Daran ändert auch nichts, dass bereits Systematisierungsvor­ schläge für Vorgänge der Berücksichtigung statutsfremden Rechts auf Sach­ rechstebene existieren. Diese sind allesamt nicht identisch mit der richterlichen Berücksichtigung auf Sachrechtsebene oder zu wenig konkretisiert, weshalb die Entwicklung von Anwendungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen für die Be­ rücksichtigung trotz der bestehenden Vorschläge, wie dem Auslandsbezug auf Sachrechtsebene gerecht geworden werden kann, in Gestalt der Datumtheorie notwendig ist. 3. Anders als der Verweisungsvorgang ist die Datumtheorie flexibler, ihre Umsetzung erfolgt durch richterliche Einzelfallentscheidung sowie in den Grenzen des Auslegungsspielraums einer hierfür importoffenen in- oder aus­ ländischen Sachnorm. Da es sich aber um einen funktional kollisionsrechtlichen Vorgang handelt, sind Grenzen der Verweisung auch zugleich Grenzen der Be­ rücksichtigung. Die Datumtheorie stellt gegenüber der Anwendung aufgrund einer Verweisungsentscheidung den Ausnahmefall dar und ist dementsprechend restriktiv anzuwenden. 4. Über die Datumtheorie sind ausschließlich Rechtsnormen berücksichti­ gungsfähig, da es sich im Übrigen um den üblichen sachrechtlichen Ausle­ gungsvorgang handelt, für den keine besondere kollisionsrechtliche Rechtferti­ gung vonnöten ist. Rechtslagen sind insoweit berücksichtigungsfähig, als sie nicht über die Methode der Anerkennung von Rechtslagen bei der Falllösung relevant werden sollen.

584  Vgl. zu diesem Begriff Dannemann, Die ungewollte Diskriminierung in der internati­ onalen Rechtsanwendung (2004), S.  101; vgl. auch Dornis, SZIER 2015, 183, 189.

G. Ergebnisse für den dritten Teil

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5. Das Problem der moral data bei Ehrenzweig lässt sich von zwei verschie­ denen Perspektiven aus betrachten. Vorliegend ausgeklammert werden soll das psychologische Problem, ob sich Gerichte von dem eigenen Wertehorizont bei der Lösung grenzüberschreitender Fälle befreien können. Eine andere Frage ist die Berücksichtigung statutsfremder Rechtsnormen, die Sitte, Anstand und Bil­ ligkeit betreffen. Anders als von Ehrenzweig beobachtet können diese in Ein­ klang mit der Datumtheorie als berücksichtigungsfähige statutsfremde Rechts­ normen potentiell herangezogen werden und müssen nicht zwingend der lex fori entnommen werden. 6. Die zu berücksichtigenden Rechtserscheinungen haben regelmäßig einen doppelten Rechtsordnungsbezug, d. h. sie sind punktuell enger mit dem Sach­ verhalt verbunden als die an sich am engsten mit dem Sachverhalt verbundene Rechtsordnung. Das Merkmal des doppelten Rechtsordnungsbezuges kann den Auslegungsspielraum des Gerichts beeinflussen und im Rahmen der Revisibili­ tät relevant werden, da das Gericht insbesondere im Falle des Vorliegens eines doppelten Rechtsordnungsbezuges nachzuweisen hat, dass es die Anwendung der ausländischen Rechtsvorschriften in Einklang mit der Datumtheorie erwo­ gen hat. Darüber hinaus hat das Erfordernis des doppelten Rechtsordnungsbe­ zuges keine normative Relevanz, da es letztlich die anwendbare Sachnorm ist, die über die Berücksichtigung der statutsfremden Norm entscheidet. Bei einer Kodifikation der Datumtheorie könnte es allerdings als ermessensbegrenzendes Tatbestandsmerkmal dienen. 7. Die Rechtsfolge der Berücksichtigung ergibt sich aus der jeweils anwend­ baren Sachnorm. Die richterliche Berücksichtigung muss sich im Auslegungsund Rechtsfortbildungsrahmen der Ausgangssachnorm bewegen; insbesondere kommt dem Gericht kein diskretionäres Ermessen zu. 8. Prozessual sind berücksichtigte ausländische Rechtsnormen im Gleichlauf zu den prozessualen Grundsätzen zur Anwendung ausländischen Rechts zu be­ handeln. Die Anwendung der Grundsätze der Datumtheorie als solche ist revi­ sibel. 9. Die Anwendungsbeispiele zeigen, dass die Datumtheorie offenlegen kann, wann es sich um einen funktional kollisions- und wann um einen sachrechtli­ chen Vorgang handelt. Allerdings wird ebenso deutlich, dass die Anwendungs­ voraussetzungen der Datumtheorie Rahmenbedingungen darstellen, weshalb es auch in Zukunft auf die Argumentation und Auslegungsentscheidung der Gerichte im Einzelfall ankommt. Mithilfe der Datumtheorie werden die einzel­ fallabhängigen Entscheidungen jedoch transparent und nachvoll­ziehbar. 10. Weitere Mittel, die Defizite des formalen Verweisungsmechanismus aus­ zugleichen, sind eine Verfeinerung der Systembegriffe im Verweisungsmecha­

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Dritter Teil: Die Datumtheorie als Vehikel zur methodischen Offenlegung

nismus, der Ausbau der Anerkennungsmethodik sowie die Kodifikation der Datumtheorie. 11. Die Verfeinerung der Systembegriffe würde aufgrund der damit einherge­ henden Zersplitterung des Sachverhaltes, d. h. seiner Unterteilung in einzelne Komplexe, die Normen unterschiedlicher Rechtsordnungen zugeordnet werden könnten, zu einer Mehrung von Anpassungslagen führen, die wiederum in rich­ terlicher Einzelfallkorrektur ausgeglichen werden müssten. Der Mehrwert ge­ genüber der Berücksichtigungsmethodik ist deshalb gering. Zudem würde die Verfeinerung der Systembegriffe zwar möglicherweise einige Fälle der Berück­ sichtigung statutsfremden Rechts auf Sachrechtsebene abdecken, aber diese im Hinblick auf die feinsteuernde Einzelfallkorrektur nicht vollständig überflüssig machen. 12. Die sachnormabhängige Berücksichtigung statutsfremden Rechts im Ein­ zelfall hat gegenüber der Anerkennungslösung den Vorteil, das mildere Mittel zu sein, weil sie den bestehenden Verweisungsmechanismus im Grunde auf­ rechterhält und nur punktuell korrigiert, wenn es aufgrund einer Regelungslü­ cke der Verweisungsnormen geboten erscheint. 13. Geschriebene Berücksichtigungsanordnungen lassen sich zwar von der Datumtheorie unterscheiden. Sie können zum einen zu einem diskretionären richterlichen Ermessen führen und zum anderen das Ermessen von den Wertun­ gen der lex fori anstatt der lex causae abhängig machen. Deshalb führen sie nicht zwingend zum Einbau der zu berücksichtigenden Norm in die anwendbare Norm, sondern können z. B. auch die Heranziehung der Norm im Wege einer Sonderanknüpfung zur Folge haben. Bei der Kodifikation der Datumtheorie hätte die Legislative insofern einen entsprechenden Ausgestaltungsspielraum. Die Datumtheorie wäre dann zudem gesetzgeberisch legitimiert und keine rechtsfortbildende Methode mehr. Allerdings hätte die Kodifikation aufgrund der Offenheit der Rahmenbedingungen der Datumtheorie keinen nennenswer­ ten Mehrwert im Hinblick auf Fragen der Rechtssicherheit und Gewaltentei­ lung. Eine Kodifikation erscheint deshalb nicht geboten.

Zusammenfassung in Thesenform 1. Das Internationale Privatrecht (IPR) dient der Achtung vor dem Fremden. Es verwirklicht Gerechtigkeit durch die räumliche Zuteilung eines Sachverhaltes zu der mit ihm am engsten verbundenen Rechtsordnung. Die Zuteilung ge­ schieht herkömmlich durch Verweisungsrecht. Das Verweisungsrecht umfasst geschriebene sowie ungeschriebene Verweisungsregeln, die einen Sachverhalt mittels eines Anknüpfungsgegenstandes und Anknüpfungspunktes einer Rechtsordnung unterstellen. Die Auswahlentscheidung des Verweisungsrechts hat Eviktionswirkung: Auf einen Sachverhalt ist idealerweise nur die eine ver­ weisungsrechtlich ausgewählte Rechtsordnung anwendbar, die übrigen mit dem Sachverhalt verbundenen Rechtsnormen werden grundsätzlich verdrängt. Die Verweisungsentscheidung ist dem anwendbaren Sachrecht vorgeschaltet. Die Sachentscheidung erfolgt sodann in Anwendung der verweisungsrechtlich be­ rufenen Sachnormen. Neben Verweisungs- und Sachrecht gibt es im IPR klas­ sischer Prägung kein tertium (tertium non datur). 2. Ein Überblick über die Rechtslage in Rechtsprechung und Gesetzgebung zeigt aber, dass der Auslandsbezug eines Sachverhalts bisweilen ungeachtet der zuvor erfolgten verweisungsrechtlichen Entscheidung auf die Beurteilung des Sachverhaltes auch auf andere Weise Einfluss nimmt. Eine derartige Einfluss­ nahme erfolgt zuletzt häufig unter dem Terminus der „Berücksichtigung“. Die „Berücksichtigung“ des Auslandsbezugs eines Sachverhaltes geschieht teilwei­ se infolge von Berücksichtigungsanordnungen wie Art.  17 Rom II-VO, teilweise infolge der bloßen Auslegung der anwendbaren Sachnormen. 3. Die Berücksichtigung steht in einem Spannungsverhältnis zum Verwei­ sungsrecht. Insbesondere wird uneinheitlich beurteilt, ob Berücksichtigungs­ vorgänge kollisionsrechtlicher oder sachrechtlicher Natur sind und welche Fol­ gen sich hieraus ergeben. Fälschlicherweise erfolgt die Zuordnung der Berück­ sichtigung zum Sachrecht dabei bisweilen über die Datumtheorie: Mit ihrer Hilfe würden ausländische Rechtsnormen nicht als Normen angewandt, son­ dern lediglich als Tatsachen berücksichtigt. 4. Eine dogmatische Verortung des Berücksichtigungsvorgangs (in Gestalt der Datumtheorie) erscheint geboten. Unklar ist, ob und in welchen Fällen das entscheidende Gericht verweisungsrechtlich nicht anwendbares Recht berück­

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Zusammenfassung in Thesenform

sichtigen und damit die Verweisungsentscheidung punktuell korrigieren bzw. ergänzen darf (Gewaltenteilung). Da der Berücksichtigungsvorgang bislang einzelfallabhängig erfolgt, führt er zu Rechtsunsicherheit, was zuletzt die BAG-Vorlageentscheidung vom 25.2.2015 (5 AZR 962/13, BAGE 151, 75) an den EuGH deutlich gemacht hat. Wäre die Berücksichtigung rein sachrechtlich zu bewerten, stellte sich zudem die Frage, ob die Legislative überhaupt eine Kompetenz für den Erlass von Berücksichtigungsanordnungen hat. Dies könnte sich in diesem Falle allenfalls aus einer vom nationalen Recht abweichenden unionsrechtsautonomen Unterscheidung von Sach- und Kollisionsrecht i. S. d. Art.  81 Abs.  2 lit.  c AEUV ergeben. Unklar ist zudem, ob auf die Berücksichti­ gung international-privatrechtliche Grundsätze wie z. B. die Bilateralität anzu­ wenden sind und wie die berücksichtigten ausländischen Rechtsnormen prozes­ sual behandelt werden. Zudem hafteten dem Vorgang der Berücksichtigung statutsfremden Rechts alleine infolge der Auslegung einer Norm statutistische Elemente an, die seit Savigny als überwunden gelten. Aus diesen Gründen muss das Spannungsverhältnis zwischen Verweisung und Berücksichtigung geklärt werden. 5. Normative Grundlage der Berücksichtigung ist – sofern keine geschriebe­ ne Berücksichtigungsregel existiert – die jeweils anwendbare Sachnorm. Dies führt jedoch nicht zu einer Zuordnung des Berücksichtigungsvorgangs zum Sachrecht, was sich aus einer funktionalen Betrachtungsweise ergibt. Nach die­ ser kommt es alleine darauf an, welche Vorgänge die Gesetzgebung durch den Erlass entsprechender Verweisungsregeln dem Kollisionsrecht zugeordnet hat. Werden Tatsachen oder nichtstaatliche Rechtsnormen (soft law) berücksichtigt, handelt es sich nach dieser funktional positiv-rechtlichen Betrachtungsweise um sachrechtliche Vorgänge (nämlich um die sachrechtliche Auslegung der ver­ weisungsrechtlich anwendbaren Sachnormen). Werden nicht anwendbare Rechtsnormen berücksichtigt, handelt es sich um Kollisionsrecht. Denn durch die Berücksichtigung werden die herkömmlichen Verweisungsregeln, die die anwendbaren Rechtsnormen bestimmen, ergänzt oder korrigiert. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Datumtheorie. 6. Eine einheitliche Definition der Datumtheorie gibt es nicht. Häufig wird sie als Theorie der faktischen Berücksichtigung verstanden. Damit ist gemeint, dass die ausländischen Normen nicht angewandt, sondern als Tatsachen berück­ sichtigt werden. Nach diesem Verständnis könnte die Berücksichtigung auslän­ dischen Rechts als rein sachrechtlicher Vorgang eingeordnet werden. Damit käme es nicht zu einer Anwendung verweisungsrechtlich verdrängter Rechts­ normen. Es könnte vertreten werden, die ursprüngliche Verweisungsentschei­ dung werde nicht tangiert.

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7. Diesem Verständnis ist zunächst zuzugeben, dass gerade nicht anwendbare Rechtsnormen bisweilen einen derart faktischen Einfluss auf den Sachverhalt haben, dass sie ihn wie eine Tatsache prägen. Ein Beispiel hierfür sind verwei­ sungsrechtlich nicht anwendbare Verkehrsregeln wie Linksfahrgebote oder sanktionierte Aus- und Einfuhrverbote. In solchen Fällen auf die Berücksichti­ gung der prägenden Normen aufgrund der vorherigen Verweisungsentschei­ dung zu verzichten, wäre regelmäßig geradezu absurd. Das zeigt bereits die schwierige Differenzierung zwischen dem Vorliegen einer Tatsache infolge der Befolgung einer Norm und dem Vorliegen einer Norm, weil ihre Befolgung erst noch zu erwarten ist. Im Einzelfall kann die zu erwartende Befolgung derart sicher feststehen, dass sie der erfolgten Befolgung fast gleichsteht. Die Grenz­ ziehung erscheint willkürlich. 8. Gegen eine Auffassung der Datumtheorie als Methode der faktischen Be­ rücksichtigung ausländischen Rechts als Tatsache spricht aber schon ihre Ent­ stehungsgeschichte. Ursprünglich bei Ehrenzweig im Common Law entstanden, sollte die Datumtheorie in Bezug auf die Berücksichtigung sog. local data den Gegensatz zwischen rules of choice und rules of conduct beschreiben. Sie blieb bei Ehrenzweig vornehmlich Ausdruck der Üblichkeit und Notwendigkeit, den Sachverhalt prägende Vorschriften ungeachtet der Rechtsanwendungsentschei­ dung zu berücksichtigen; mit der rechtstechnischen Umsetzung dieses Vor­ gangs beschäftigte sich Ehrenzweig nicht. Auch Jayme, der die Datumtheorie nach mehrmaligen Forschungsaufenthalten in Berkeley nach Deutschland im­ portierte, ging nicht davon aus, dass ausländische Rechtsnormen nicht als Recht, sondern „als Tatsachen“ herangezogen würden. Die rechtstechnische Einord­ nung dieses Vorgangs ließ er vielmehr, wie zuvor schon Ehrenzweig, offen. Da­ rüber hinaus lässt sich auch kollisionsrechts-dogmatisch kein Ansatzpunkt da­ für finden, dass die Berücksichtigung einer Norm zu ihrer Behandlung als Tat­ sache führt und damit die Verweisungsentscheidung unberührt lässt. 9. Andere verstehen die Datumtheorie hingegen wie im US-amerikanischen Recht als die rechtsrealistische Beschreibung der richterlichen Tätigkeit. Die Datumtheorie bietet darüber hinaus allerdings das Potential den Berücksichti­ gungsvorgang offenzulegen und zu konturieren. Bei der Berücksichtigung aus­ ländischen Rechts abseits einer Berücksichtigungsanordnung handelt es sich aus Perspektive der Verweisungsregeln um Rechtsfortbildung: Obwohl eine Norm infolge der Verweisungsentscheidung verdrängt ist, erfordert die sachge­ rechte Abbildung der Internationalität des Sachverhaltes ihre Anwendung. Das insoweit bestehende Regelungsdefizit kann durch den richterlichen Berücksich­ tigungsvorgang im Rahmen des Sachrechts geschlossen werden. Auch das für die Rechtsfortbildung erforderliche Regelungsbedürfnis ist gegeben. Die Kon­ turierung und Offenlegung der Berücksichtigung ist auch in Anbetracht beste­

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Zusammenfassung in Thesenform

hender Angebote zur Geltendmachung der Internationalität eines Sachverhalts auf Ebene des Sachrechts wie z. B. der Substitution oder sachrechtlichen Anpas­ sung notwendig, weil die bestehenden Systematisierungsangebote und Metho­ den den Berücksichtigungsvorgang, wie er von der Datumtheorie beschrieben wird, nicht zu erfassen vermögen. 10. Anwendungsvoraussetzung der Datumtheorie ist die Importoffenheit ei­ ner Sachnorm. Eine Norm ist importoffen, wenn sie einen normativen Begriff enthält, ihr Zweck die Berücksichtigung der statutsfremden Norm verlangt und die anwendbaren Verweisungsnormen deshalb der Internationalität des Sach­ verhaltes im Einzelfall nicht genügen. 11. Berücksichtigungsfähig sind im Rahmen einer kollisionsrechtlichen Da­ tumtheorie grundsätzlich nur Rechtsnormen sowie Rechtsprechungsgrundsät­ ze, z. B. Verschuldensmaßstäbe wie im deutschen Recht die Bestimmung grober Fahrlässigkeit. Das Gericht hat nach den Grundsätzen des IPR ausländisches Recht nämlich so anzuwenden, wie es von den jeweiligen ausländischen Ge­ richten angewandt und ausgelegt wird. Zieht das inländische Gericht deshalb z. B. ausnahmsweise einen anderen Verschuldensmaßstab als in der jeweiligen verweisungsrechtlich anwendbaren Rechtsordnung üblich heran, liegt hierin nach positiv-rechtlicher Betrachtung ein funktional kollisionsrechtliches Ele­ ment. In Wahrheit auf die Rechtsnorm und nicht auf eine Tatsache wird auch dann abgestellt, wenn bei der Berücksichtigung auf die erst noch zu erwarten­ den Auswirkungen einer Norm Bezug genommen wird, wie es häufig im Falle der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen passiert. Berücksichti­ gungsfähig sind auch Rechtslagen, sofern die Kollisionsrechtsgesetzgebung sich nicht dazu entscheidet, die Rechtslagen über die sog. Anerkennungsmetho­ de zu integrieren. 12. Nicht über die kollisionsrechtliche Datumtheorie berücksichtigungsfähig sind nichtstaatliche Normen (soft law) sowie Tatsachen. Denn werden jene be­ rücksichtigt, handelt es sich um Fälle der üblichen sachrechtlichen Auslegung. 13. Auswirkungen hat die Zuteilung des Berücksichtigungsvorgangs nach be­ rücksichtigungsfähigen Objekten einmal zur Datumtheorie und einmal zum Sachrecht auf die Anwendung von IPR-Grundsätzen sowie die prozessuale Be­ handlung der berücksichtigten Phänomene. 14. Grenzen der Berücksichtigung statutsfremden Rechts in Auslegung der Sachnormen sind deshalb neben dem Auslegungs- und Rechtsfortbildungsspiel­ raum der Ausgangssachnorm auch die üblichen verweisungsrechtlichen Vorga­ ben wie z. B. der ordre public-Vorbehalt. Es gilt der Grundsatz der engen Aus­ legung. Die Berücksichtigung ist der Verweisung nachgeschaltet und erfolgt nur im Ausnahmefall.

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15. Die richterliche Berücksichtigung führt zu einem Einbau der zu berück­ sichtigenden Norm in den Tatbestand der Ausgangsnorm, weshalb die Rechts­ folge nach wie vor dem anwendbaren Recht entnommen wird. 16. Das Gericht hat bei der Berücksichtigung einen Auslegungsspielraum. Dieser ist begrenzt durch die Auslegungs- und Rechtsfortbildungsmethoden, die auf die jeweilige Ausgangssachnorm Anwendung finden. Das Gericht hat insofern kein diskretionäres Ermessen. Innerhalb des Auslegungsspielraums können je nach Art und Zweck der Ausgangsnorm unterschiedliche Faktoren wie z. B. Rechtssicherheit oder Parteiinteressen, aber auch kollisionsrechtliche Erwägungen wie die Herstellung internationalen Entscheidungseinklangs aus­ schlaggebend sein. In den Grenzen einer zulässigen Auslegung der Sachnorm sollte zudem der Grad der Verbundenheit der zu berücksichtigenden Norm zum Sachverhalt das auslegungsleitende Merkmal sein (sog. doppelter Rechtsord­ nungsbezug). Je enger der Bezug zwischen Sachverhalt und statutsfremder Rechtsnorm, desto eher muss das Gericht sie im Rahmen seiner Auslegung be­ rücksichtigen. 17. Prozessual werden zu berücksichtigende Rechtsnormen wie ausländisches Recht behandelt. Die zu berücksichtigenden Rechtsnormen sind deshalb in den Grenzen des §  293 ZPO vom Gericht zu ermitteln; ihre Anwendung ist gem. §  545 Abs.  1 ZPO nicht revisibel. Revisibel ist nur die Anwendung der Datum­ theorie als solcher. Die Gerichte müssen darlegen, dass sie die Möglichkeit der Berücksichtigung dieser Rechtsnormen entsprechend den Anwendungsvoraus­ setzungen der Datumtheorie erwogen haben. 18. Da die Datumtheorie durch Fortbildung der Verweisungsregeln kolli­ sions­rechtliche Funktionen wahrnimmt, sind im Regelfall die international-pri­ vatrechtlichen Grundsätze auf sie anwendbar. So bewirkt unter anderem der Grundsatz der Bilateralität, dass Gerichte jede anwendbare Norm, gleich ob inländische oder ausländische, auf ihre Auslegungsoffenheit gegenüber statuts­ fremdem Recht hin überprüfen müssen. Geschieht dies nicht, ist die Entschei­ dung revisibel (siehe dazu bereits These 17). 19. Alternativ zur Datumtheorie könnte die Teilfragenanknüpfung ausgewei­ tet, die Anerkennungsmethodik ausgebaut sowie die Datumtheorie in Form ­einer allgemeinen Berücksichtigungsanordnung kodifiziert werden. Der Aus­ bau der Teilfragenanknüpfung sowie die Anerkennungsmethode können jeweils nicht ausschließen, dass eine Einzelfallkorrektur in Anwendung der relevanten Sachrechtsvorschriften ausnahmsweise doch erfolgen muss. Sie machen die Da­ tumtheorie als Rechtsfortbildung deshalb nicht von vornherein entbehrlich. Zu­ dem stellt die Datumtheorie das jeweils mildere Mittel in Bezug auf den Ver­ weisungsmechanismus de lege lata dar. Eine Kodifikation der Datumtheorie hätte den Vorteil der Transparenz und gesetzgeberischen Legitimation. Zudem

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Zusammenfassung in Thesenform

wäre es möglich, die Voraussetzungen der Ausübung des richterlichen Ermes­ sens auszugestalten. Der Mehrwert einer solchen Berücksichtigungsanordnung, die die Grundsätze der Datumtheorie kodifizierte, sollte in Bezug auf Fragen der Rechtssicherheit sowie die Gewaltenteilung jedoch nicht überschätzt wer­ den. Denn die Grundsätze der Datumtheorie sind vor allem Rahmenbedingun­ gen, die eine einzelfallbasierte Entscheidung des Gerichts konturieren sollen. Die Kodifikation der Datumtheorie wäre insofern mit der Kodifikation einer generellen Ausweichklausel vergleichbar. Allerdings verhält sich die Gesetzge­ bung solchen Ausweichklauseln gegenüber bislang eher skeptisch. Eine Kodifi­ kation der Datumtheorie ist deshalb im Ergebnis weder zu empfehlen noch zu erwarten. 20. Verweisung und Berücksichtigung ausländischen Rechts führen beide zur Anwendung der ausländischen Rechtsnormen und sind beide dem Kollisions­ recht zugehörig. Ihre Unterscheidung liegt darin, dass die Verweisung zur zwingenden Anwendung der jeweiligen Norm, unabhängig vom Vorliegen einer Ausgangssachnorm, führt. Die Berücksichtigung ist demgegenüber flexibel. Im Rahmen der Datumtheorie erfolgt sie in den Grenzen der anwendbaren Sach­ norm, während sie nach geschriebener Berücksichtigungsanordnung dem Er­ messen des Gerichts überantwortet wird. In jedem Falle ist die Berücksichti­ gung der Verweisungsentscheidung als deren Ausnahme nachgeschaltet. 21. Mithilfe der Datumtheorie lassen sich die verfassungsrechtlichen und kol­ lisionsrechtlichen Bedenken gegenüber einer Berücksichtigung ausländischen Rechts auf Sachrechtsebene entkräften. Sie kann deshalb zukünftig Bestandteil der allgemeinen Methodik des IPR sein, um so der steigenden Internationalität der Sachverhalte angemessen Geltung zu verschaffen.

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Bundesverfassungsgericht BVerfG, Urt. v. 1.7.1953, 1 BvL 23/51, BVerfGE 2, 380. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 BVerfG, Beschl. v. 14.2.1973, 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 f. BVerfG, Beschl. v. 11.10.1978, 1 BvR 84/74, BVerfGE 49, 304. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 BVerfG. Beschl. v. 20.1.1981, 2 BvR 632/78, BVerfGE 56, 99. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 BVerfG, Beschl. v. 20.4.1982, 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 BVerfG, Beschl. v. 19.10.1983, 2 BvR 485/80, BVerfGE 65, 182. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, BVerfGE 69, 315 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 BVerfG. Beschl. v. 3.4.1990, 1 BvR 1186/89, BVerfGE 82, 6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993, 1 BvR 567/89, 1044/89, BVerfGE 89, 214. . . . . . . . . . . . . . 171 BVerfG, Beschl. v. 12.11.1997, 1 BvR 479/92, 1 BvR 307/94, BVerfGE 96, 375. . . . . . . . . . 39 BVerfG, Beschl. v. 25.10.2012, 1 BvR 901/11, NJW 2013, 217. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Reichsgericht RG, Urt. v. 28.6.1918, II 69/18, RGZ 93, 182 („Trading with the enemy“). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15, 18 ff., 33, 64, 74, 80, 178, 185 RG, Urt. v. 30.9.1919, III 106/19, RGZ 96, 282 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77, 171, 185 RG, Urt. v. 2.5.1923, III 323/22, RGZ 107, 173. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 f. RG, Urt. v. 3.10.1923, V 886/22, RGZ 108, 241. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 RG, Urt. v. 17.6.1939, II 19/39, RGZ 161, 296 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

Bundesgerichtshof BGH, Urt. v. 24.7.1957, I ZR 21/56, GRUR 1958, 189. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 BGH, Urt. v. 21.12.1960, VIII ZR 1/60, BGHZ 34, 169 („Borax“). . . . . . . . . . . 15, 20, 77, 177 BGH, Urt. v. 24.5.1962, II ZR 199/60, NJW 1962, 1436 („Borsäure“). . . . . . . . . . . . . . . 15, 20 BGH, Beschl. v. 17.9.1968, IV ZB 501/68, BGHZ 50, 370. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 BGH, Beschl. v. 18.6.1970, IV ZB 69/69, BGHZ 54, 123. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

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Entscheidungsverzeichnis

BGH, Urt. v. 23.11.1971, VI ZR 97/70, BGHZ 57, 265. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2, 28, 31, 50 BGH, Urt. v. 22.6.1972, II ZR 113/70, BGHZ 59, 82 („Nigerianische Masken“). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15, 17 ff., 73, 77, 172, 177 BGH, Beschl. v. 12.7.1973, KRB 2/72, NJW 1973, 1609 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 BGH, Urt. v. 16.4.1975, I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 BGH, Urt. v. 29.9.1977, III ZR 164/75, BGHZ 69, 295. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172, 177 BGH, Urt. v. 8.2.1984, VIII ZR 254/82, NJW 1984, 1746 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 BGH, Urt. v. 20.11.1990, VI ZR 6/90, JZ 1991, 719. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 BGH, Urt. v. 2.12.1991, II ZR 274/90, NJW-RR 1992, 423. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 BGH, Urt. v. 17.11.1994, III ZR 70/93, BGHZ 128, 41 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17, 171 f. BGH, Urt. v. 23.1.1996, VI ZR 291/94, NJW-RR 1996, 732. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28, 31 BGH, Urt. v. 25.11.1997, VI ZR 306/96, BGH NJW 1998, 1223. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 BGH, Urt. v. 10.2.2009, VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3, 27, 29, 33, 71, 182, 207, 209 ff. BGH, Urt. v. 9.12.2009, XII ZR 107/08, BGHZ 183, 287. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 BGH, Urt. v. 13.12.2012, I ZR 150/11, GRUR 2013, 294 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 BGH, Beschl. v. 4.7.2013, V ZB 197/12, NJW 2013, 3656 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72, 175 BGH, Beschl. v. 17.12.2013, II ZB 6/2013, BGHZ 199, 270. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 BGH, Urt. v. 24.2.2015, XI ZR 193/14, JZ 2015, 1002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 BGH, Urt. v. 24.2.2015, XI ZR 47/14, juris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Bundesarbeitsgericht BAG, Urt. v. 18.4.2012, 10 AZR 200/11, BAGE 141, 129. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 BAG, Beschl. v. 25.2.2015, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 151, 75. . . 21 ff., 51, 119, 207, 209, 224 BAG, Urt. v. 26.4.2017, 5 AZR 962/13 (A), BAGE 159, 69. . . . . . . . . . . . . 26 f., 51, 120, 208 f.

Oberlandesgerichte OLG Frankfurt am Main, Urt. 6.5.1981, 1 UF 186/79, juris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 OLG München, Urt. v. 10.12.1982, 10 U 3675/82, VersR 1984, 745. . . . . . . . . . . . . . . . 30, 194 KG, Beschl. v. 14.9.1984, 1 W 427/84, NJW 1985, 68. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 OLG Karlsruhe, Urt. v. 3.10.1984, 1 U 292/83, VersR 1985, 788. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 OLG Hamburg, Urt. 6.5.1993, 6 U 3/93, RIW 1994, 686. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.9.2006, 1 U 34/06 BeckRS 2006, 14495 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 OLG Stuttgart, Urt. v. 7.1.2008, 5 U 161/2007, juris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29, 210 OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 9.5.2011, 23 U 30/10, BeckRS 2011, 16032. . . 80 f., 171, 197 OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 25.9.2018, 16 U 209/17, RIW 2019, 231. . . . . . . . . . . . 18, 79

Landgerichte LG Mainz, Urt. v. 17.8.1998, 7 O 391/97, NJW-RR 2000, 31. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 LG Kleve, Urt. v. 17.2.2012, 5 S 128/11, SVR 2013, 99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 LG Stuttgart, Urt. v. 8.4.2013, 27 O 218/09, juris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31, 70 LG Hamburg, Urt. v. 3.12.2014, 401 HKO 7/14, juris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17, 73, 172 LG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.11.2017, 2-24 O 37/17, JZ 2018, 153. . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Entscheidungsverzeichnis

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Landesarbeitsgericht LAG Nürnberg, Urt. v. 25.9.2013, 2 Sa 253/12, juris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22, 208 f.

Amtsgerichte AG Göppingen, Urt. v. 17.7.1984, 1 C 719/83-06, juris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 AG Frankenthal, Urt. v. 15.10.2014, 3a C 158/13, juris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 AG Frankenthal, Urt. v. 30.6.2017, 3a C 278/16, juris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29, 35

Sachverzeichnis American Conflicts Revolution  85 f., 215 analytische Methode des IPR  127 f., 159, 212 f. Anerkennung – verfahrensrechtliche  190 f. – von Rechtslagen  189 ff., 214 ff. Anerkennungsprinzip  135, 189 f. Anpassung  45 f., 72, 109, 138, 154, 159 ff., 167, 186, 213 f. Art.  3 GG  133 ff. Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO  9, 11, 14 ff., 21 ff., 35, 40 f., 49, 116, 119, 151 f., 175, 197, 199, 207, 219 Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO  14, 45, 118 f., 151 f., 184, 216 Art.  17 Rom II-VO  3, 8 f., 11, 27 ff., 49, 69 ff., 88, 97, 103, 113, 117 ff., 125, 128, 133, 136, 144, 151 f., 175, 179, 181, 191 f., 195, 197, 200, 202 ff. Art.  43 EGBGB  45 „Auslandssachverhalt“ (Kegel)  109, 138, 163 ff. Ausweichklausel  142 ff., 180, 186, 196 f., 218 Babcock v. Jackson Court of Appeals of New York  88 Behauptungs- und Beweislast  68, 87, 202, 204 Berücksichtigungsanordnung – geschriebene vgl. unter Art.  17 Rom IIVO, Art.  9 Abs.  3 Rom I-VO, Art.  12 Abs.  2 Rom I-VO – ungeschriebene   54 ff. Bilateralisierung  174 ff. Bündelungsmodell  61 f, 147

choice-influencing consideration  215 comitas gentium  12, 133 Currie, Brainerd  4, 39, 85, 87 ff., 105, 107, 111, 132, 138, 213 droit à la difference  134 f. Ehrenzweig, Albert A.  4, 32, 85 ff., 141, 174, 178, 191, 193 ff., 213, 215 Eingriffsnormen, – drittstaatliche   18 ff., 45 ff., 73 ff., 116, 119 ff., 138, 144, 156, 159, 175 f., 186, 207 ff. – inländische 15 – statutseigene  16 f. Ermessen  143, 152, 181, 196 ff., 217 ff. Erstfrage  146 ff. Erwägungsgrund 33  29 f., 36, 73, 136 f. Eviktionswirkung   11 ff., 47 ff., 128 ff. functional approach  215 Gegenseitigkeitsanordnung 91 Gesetzgebungskompetenz  3 f., 7, 11, 24 f., 36, 41, 46, 65 ff., 84, 119, 142 f., 153, 188, 216 ff. Gewaltenteilung  3 f., 7, 11, 36 ff., 65, 84, 125, 188, 218 f. gewöhnlicher Aufenthalt   1 ff., 11, 29 f., 128, 130 f., 140, 182 Gleichlauf von forum und ius 131 governmental interest analysis  87 ff., 215 Handeln unter fremdem Recht  138, 154, 157 ff. Heimwärtsstreben  12 f., 53

256

Sachverzeichnis

international brauchbare Auslegung  165 f. internationaler Entscheidungsein­ klang  12 f., 16, 63, 131, 136, 139, 197 Interessenlehre  58 ff. intertemporales Recht  138, 154, 166 ff. Iranisches Bierimportverbot  74 ff., 79, 81 Iranische Morgengabe  198 f. issue-by-issue approach  88 kulturelle Identität  54, 134 ff., 140 f. legal transplant  103 ff. lex fori  2, 47 f., 53, 89 ff., 131 ff., 174, 194 f., 203 ff. local data  90 ff., 100 f., 187 ff. Materialisierung des IPR  153 Methodentrias im IPR  46, 212 moral data  92 f., 96 f., 193 ff. Natur der Sache  2 f., 31, 41, 49 ff., 178 Nigerianische Masken  15, 17 ff., 20 ff., 73 ff., 172, 177 Nikiforidis  23 ff., 34 f., 46 f., 51, 103, 116, 119 f., 207 ordre public  19, 64, 74, 142 f., 148 ff., 153, 176, 182 ff., 194 Parteiautonomie 214 Pflichtenkollision  137, 197 primary rules of construction  109 Rechtsfortbildung  6, 8, 37 ff., 46, 51, 54, 58, 104, 126 ff. Rechtslagen  siehe Anerkennung von Rechtslagen Rechtsprechungsgrundsätze  10, 71 f., 187 Rechtsrealismus  4, 9, 84, 97, 99, 101 103 f., 107, 121 Rechtssicherheit  3 f., 7, 11, 13, 37, 42 f., 46, 53, 63, 121, 125, 130, 142, 169, 197, 207, 217 ff. rechtsvergleichende Auslegung  165 ff.

restatements  85 f. Revisibilität  180, 200 ff. Sachnormen im IPR  138, 154, 162 f. Schuldstatutstheorie 16 Schutzgesetz  21, 173 f. Sensor-Entscheidung  73, 76 f., 79 ff. Serbisches Schmerzensgeld  30, 70 soft law  10, 67 ff., 71 f., 100, 187 f., 196 Sonderanknüpfung  16 f., 25, 34, 40, 49, 51 ff., 119, 143 ff., 186, 197, 199, 203, 207, 218 Staatsangehörigkeit  1 f., 11, 13, 92, 125, 128, 130, 140, 165, 183, 198 Statutenlehre  40 Statutenwechsel  127, 130 f., 166 f., 198 Substitution  38, 40, 46, 99, 101, 109, 138, 154 ff., 167, 176 f. synthetische Methode des IPR  46, 138 Tatbestandswirkung ausländischen Rechts  109, 113, 138, 154, 164 f., 179 Teilfrage  3, 32, 52, 142, 144 ff., 212 ff. Territorialitätsgrundsatz 139 Trading with the enemy  15, 18 ff., 32 f., 64, 73 ff., 79 ff., 178, 185 f. Transaktionskosten 139 Transposition  46, 109, 138, 154, 156 ff., 167 Unilateralisierungstendenzen  2, 131 f. unselbständige Normen  114 Verkehrsunfall in Südafrika  3, 5, 28 ff., 71, 182, 207, 209 ff., Verbotsgesetze  17, 21 ff., 74 ff., 171 ff. Verweisungsrecht  11 ff., 47 ff. vested rights  108 Vollstreckung  139 f., 173 Vorfrage  38, 115, 141, 144 ff., 217 Vorwirkung von Rechtsnormen  154, 166 ff. Wählbarkeit nichtstaatlichen Rechts  69 ff. Zweistufentheorie  49, 54 ff., 58, 102, 174