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German Pages 192 [193] Year 2015
Gerhard Schweppenhäuser »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt
CULTURAL STUDIES • HERAUSGEGEBEN VON RAINER WINTER • BAND 10
2004-12-10 09-09-26 --- Projekt: T250.cult.schweppenhäuser.naddel / Dokument: FAX ID 01c470685387402|(S.
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) T00_01 schmutztitel.p 70685387530
Gerhard Schweppenhäuser, geb. 1960 in Frankfurt am Main, ist Professor für Ästhetik an der Freien Universität Bozen (Italien). Neuere Buchveröffentlichungen: Die Fluchtbahn des Subjekts. Beiträge zu Ästhetik und Kulturphilosophie (2001); Adorno zur Einführung (3. Aufl. 2003); Grundbegriffe der Ethik (2003). Mitherausgeber der »Zeitschrift für kritische Theorie«.
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Gerhard Schweppenhäuser
»Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt. Ästhetik und Kommunikation in der Massenkultur
CULTURAL STUDIES
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) T00_03 titel.p 70685387626
Gedruckt mit Unterstützung der Freien Universität Bozen (http://www.unibz.it), Fakultät für Design und Künste
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2004 transcript Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: digitron GmbH, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-250-3
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Inhalt Vorwort | 7 Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 11 Reklame als Zwang und l’art pour l’art | 12 Kulturindustrie: Die »Matrix« der Waren-Welt | 15 »Naddel«, die moderne Najade | 18 Der Mythos des Multikulturalismus | 21 You can’t always get what you want – but if you try some times, you might find: you get what you need | 28 Massenmedien als System: ein geschlossener Verwertungs- und Kommunikationskreislauf | 33 Exkurs 1: Nothing is real | 38 Exkurs 2: Network | 43 Things we said today | 46 Just like a woman | 48
Dies Bildnis ist bezaubernd schön, wie noch kein Auge je gesehn. Schönheit in der Massenkultur: Unstillbares Begehren und populistische Inszenierung | 51 Selig scheint es in ihm selbst | 52 I saw her standing there | 54 Brown eyed handsome man | 59
All I want to do is have a little fun before I die. Vorgeschichte, Begriffe und Kategorien einer Ästhetik der Massenkultur | 65 Fröhliche Puritaner? | 66 Menschen, Tiere, Sensationen | 72 Das Jahrhundert der Arbeit | 74 Die Masse als Subjekt | 80 Schönheit im Elend | 86
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I can’t control myself. Ambivalente Modernisierung | 93 Let’s drink to the hard working people | 96 Oh Lord, would you buy me a Mercedes Benz? | 115 You gotta move | 117 An empire of their own | 124
Sakralisierung des Immanenten. Populärkulturelle Antworten auf die Globalisierung | 129 All together now | 133 Alegria Geral | 135 Sonntags im Park | 136 Die Rationalen | 141
Are you experienced? Ästhetische Erfahrung als Ent-Automatisierung der Wahrnehmung | 149 Picture yourself in a boat on a river | 152 For the first time in my life my eyes are wide open | 154 Strange days have tracked us down | 157
Glück und Zwang der Wiederholung. Massenkultur und die ewige Wiederkehr des Gleichen | 167 Literatur | 177 Abbildungsnachweise | 185
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Vorwort | 7
Vorwort
Was »erzählen« die Bild-Text-Kombinationen, mit denen in der Werbung und in anderen Sektoren der Massenkultur gearbeitet wird? Wie funktionieren sie? Was sehen wir, auch wenn es gar nicht abgebildet ist? Bilden die Massenmedien Realität – getreu oder verzerrt – ab? Oder konstruieren sie ihre eigene Realität? Wie kann man sich im Kontakt mit Werbung der Manipulation entziehen und eigensinnig umkodieren, was einem vorgesetzt wird? Um Erkenntnisse über diese und ähnliche Fragen zu gewinnen, habe ich mich in diesem Buch hauptsächlich auf visuelle Kommunikationsprozesse in der Massenkultur konzentriert und sie anhand von zeitgenössischen Beispielen analysiert. In einigen Ausflügen habe ich mich außerdem mit kulturtheoretischen und ästhetischen Überlegungen beschäftigt, die Wirkungsweisen und Funktionen der Massenkultur beschreiben und kritisch analysieren. Das erste Kapitel untersucht die Bier-Plakatkampagne einer Frankfurter Brauerei, mit deren Hilfe um die Jahrhundertwende ein neuer Medienstar aufgebaut worden ist. Diese Arbeiten sind in ihren gestalterischen Mitteln – gelinde gesagt – schlicht; sie wirken auf den ersten Blick einfach nur »tacky«. Aber sie haben mehrere Kodierungsebenen und stehen in einem komplexen intertextuellen Kommunikationszusammenhang. Sie sind immer vieldeutig, manchmal offen für eigensinnige Rezeptionen und bisweilen formal intelligent differenziert – obwohl sie gleichzeitig inhaltlich regressiv sind und mit wohlfeiler Ironie Klischees zum Geschlechterverhältnis und zum Mythos der multikulturellen Gesellschaft transportieren. Eine auf den ersten Blick ausgesprochen triviale Bild-Text-Reklame erweist sich auf den zweiten und dritten Blick als hochkomplexes, polysemantisches Gebilde, an dem man ein ganzes Spektrum der theoretischen Beschreibung, Analyse und Kritik der Massenkultur erproben kann. Das ist möglich, weil dort verschiedene Inhalte, Botschaften, Ideologien und Anknüpfungspunkte für eigensinnige Lesarten übereinander geschrieben worden sind. Ich habe versucht, die Kampagne exemplarisch aus der Sicht jeweils einer Deutungs-
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methode zu interpretieren. Die politische Ikonologie war Grundlage der historischen Deutung. Kritische Theorie, Gender Studies und Cultural Studies halfen bei der Entschlüsselung ideologischer Konstruktionen und ihrer Veränderung. Die Semiotik gab der Bildanalyse methodisches Werkzeug an die Hand und ermöglichte eine kultursemiotische Kritik des Mythos »Multikulturalismus«. Aus der Perspektive der Systemtheorie ließ sich schließlich verdeutlichen, warum (und wie) hier immer wieder von einem Medium ins andere hinüber gesprungen und ständig zwischen Boulevardpresse, Reklame und Boulevard-TV hin- und herkopiert wird. Mit dem Instrumentarium dieser Kulturtheorien im Gepäck habe ich dann weiter ausgeholt und Themen diskutiert, die in den weiteren Kontext des Phänomenkomplexes »Massenkultur« gehören. Im zweiten Kapitel werden an weiteren Bild-Text-Beispielen aus neueren Reklamekampagnen die antagonistischen, aber mitunter auch komplementären Strategien des Populismus und des Populären interpretiert. Ich habe zu zeigen versucht, wie so etwas mit der visuellen Inszenierung menschlicher Schönheit gemacht wird. Dabei habe ich auch hier verschiedene Analysemethoden verbunden, um deutlich zu machen, wie die Linien zwischen populistischer Inszenierung des visuell Attraktiven und populären Aneignungsstrategien verlaufen können. Das dritte Kapitel gibt einen Überblick über einige mentalitäts-, sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte sowie einige Kategorien einer Ästhetik der Massenkultur, die ich für grundlegend halte. Die betrachteten Themen entstammen hier vor allem der erzählenden Literatur. Im vierten Kapitel wird dann das theoretische Kernstück der Überlegungen dieses Buches diskutiert, nämlich die Ambivalenz kultureller Modernisierung. In diesem Zusammenhang habe ich auch einen Blick auf frühe Filmtheorien und die universalistische Kultur-Utopie Hollywoods geworfen. Das fünfte Kapitel fragt nach den Möglichkeiten für eigensinnige Strategien des Populären in der globalisierten Vergnügungs- und Kulturindustrie der Gegenwart. Hier geht es um zwei Fallbeispiele aus der Populärkultur Brasiliens: die Tropicália-Bewegung der 1960er Jahre und die Hip-Hop-Jugendkultur von heute. In diesem Kapitel habe ich mich mit US-amerikanischen Kritikern der kulturellen Globalisierung auseinandergesetzt, die kulturelle Überfremdung beklagen. Sie plädieren für nationale und lokale Kulturschutzparks. Diese kulturökologische Position ist ernst zu nehmen und gleichzeitig naiv. Im Gegensatz zu den Globalisierungskritikern argumentiere ich für die These, dass sich lokale populäre Kulturströmungen nur dann etwas von ihrer Eigenart erhalten können, wenn sie – auf ihre je spezifische Weise – an universalen populärkulturellen Phänomenen teilhaben. Das sechste Kapitel stellt ein Konzept ästhetischer Erfahrung in Kunst und Massenkultur vor. Mit diesem Konzept lässt sich – ganz im Sinne der
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Vorwort | 9 klassischen Moderne – die Wahrnehmung von Stereotypen befreien. Andererseits würdigt das Konzept aber auch die Funktionen der spezifischen ästhetischen Erfahrungsweisen, die in der Massenkultur, und nur in ihr, ermöglicht werden. Die Arbeiten, die ich dort analysiert habe, stammen nicht aus der Reklame, sondern aus dem Grenzbereich zwischen visueller Kommunikation, freier Kunst und Produktdesign. Im siebten Kapitel geht es schließlich um das massenkultur-typische Phänomen der Wiederholung, die das Glück des »noch einmal« bewirken, aber auch den quasi-mythischen Zwangscharakter der »ewigen Wiederkehr des Gleichen« annehmen kann. Das erste Kapitel dieses Buches ist aus der Weiterarbeit an einem Aufsatz hervorgegangen, der 2001 in Visuelle Sprache. Jahrbuch der Fakultät Gestaltung, Heft 1, im Verlag der Bauhaus-Universität Weimar veröffentlicht worden ist. Thesen des zweiten Kapitels habe ich im Mai 2003 auf dem Humboldt-Colloquium »Das Schöne« an der Universität Ulm vorgetragen. Die Überlegungen des fünften Kapitels wurden zuerst in Vorträgen formuliert, die ich im Frühjahr und Sommer des Jahres 2003 auf den folgenden Tagungen gehalten habe: »Ausdruck – Austrahlung – Aura. Synästhesien der Beseelung im Medienzeitalter« im Hamburger Warburg-Haus, »bildklangwort« (Erstes internationales Symposion für Kommunikation und Design Mannheim des Instituts für Designwissenschaft am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Mannheim) und »Friedrich Nietzsche und die Semiotik der (Massen-)Kultur« (Tagung an der Bauhaus-Universität Weimar in Zusammenarbeit mit dem Kolleg Friedrich Nietzsche der Stiftung Weimarer Klassik). Eine frühere Fassung des sechsten Kapitels wurde veröffentlicht in Aktualisierungen. Jahrbuch der Fakultät Gestaltung, Heft 2, Verlag der Bauhaus-Universität Weimar, 2003. Eine Vorstufe des siebten Kapitels erschien 2003 in Heft 10 des würzburger. Magazin für Kommunikation und Gestaltung am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Zwischen 1999 und 2001 habe ich von der Mitarbeit im brasilianisch-deutschen Forschungsprojekt »Gestaltwandel ästhetischer Autonomie. Populärkultur, Massenkultur und Kunst im interkulturellen Vergleich« profitiert, das von der Universität des Bundesstaates Minas Gerais in Belo Horizonte, der Bauhaus-Universität in Weimar und der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig durchgeführt wurde. Die Einladung zu einer Gastprofessur an der Duke University in Durham, North Carolina, gab mir in der zweiten Hälfte des Jahres 2001 Zeit für konzeptionelle Überlegungen zur Ästhetik der Massenkultur und Gelegenheit zu inspirierenden Gesprächen mit Fredric Jameson. Für Fragen, Kommentare, Kritik und Anregungen danke ich den Studierenden in meinen Lehrveranstaltungen an der Fakultät für
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Design und Künste der Freien Universität Bozen und am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Würzburg, mit denen ich viele Bestandteile dieses Buchs diskutierte. Die Bücher von Kaspar Maase, Dieter Prokop, Heinz Steinert und Umberto Eco gaben mir entscheidende Impulse. Katrin Greiser und Florian Hammerich (Fachhochschule Würzburg) sowie Katrin Androschin und Nina Müller Ramírez (Freie Universität Bozen) halfen bei Beschaffung und Reproduktion der Abbildungen. Die Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen ermöglichte mit einem Druckkostenzuschuss die Publikation dieses Buches. Danken möchte ich schließlich auch Rodrigo Duarte und Sven Kramer sowie meinen Weimarer und Würzburger Kollegen Roger Behrens, Wolfgang Bock, Ulrich Braun, Thomas Friedrich, Jörg H. Gleiter, Erich Schöls und, ganz besonders, Olaf Weber. Ohne ihre Unterstützung und Kritik in vielen Gesprächen wäre das Buch nicht entstanden; ich hoffe, sie werden dies nach der Lektüre nicht bereuen. Bozen, Juli 2004
Gerhard Schweppenhäuser
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals
Im Sommer 1999 wurden Hessen und Thüringen von einer Werbekampagne der Frankfurter Henninger-Brauerei heimgesucht. Bushaltestellen in Kassel, Weimar und anderen Städten waren mit Abbildungen einer jungen, dunkelhäutigen Frau verziert, die in verschiedenen Stellungen ein landestypisches Getränk präsentierte. Die Schöne posiert jeweils im Dreiviertelporträt. Sie hält Blickkontakt mit den Betrachtern und ist unalltäglich gekleidet. Die Farben der Stoffe ihrer Kleider stehen in reizvollem Wechselspiel mit der Farbe ihrer Haut. Auf einer Abbildung trägt sie silbrig-weiße Engelsflügel. Sie hält Biergläser in der Hand und trägt einmal sogar eine Bierkiste auf der Schulter. Im oberen Teil der Plakate sind jeweils humorige Sentenzen zu lesen, die als Zitate der Autorin »Naddel« gekennzeichnet werden. Der wiederkehrende claim im unteren Teil lautet: »Henninger – das Pils, bei dem man bleibt«. So weit das Auge sieht, scheint es sich hier um eine triviale, abgeschmackte und sexistische Instrumentalisierung weiblicher Anmut zu handeln, die mit flapsigen Sprüchen aus der Welt der Spaß-Kultur garniert worden ist. Auf den ersten Blick kommt diese Kampagne für eine seriöse Kritik der Warenästhetik allenfalls als Sparringspartner in Frage. Als kulturhermeneutische Auslege-Ware wirkt sie viel zu dünn und fadenscheinig. Und wer über die Wiederkehr des Schönen in der Alltagsästhetik von heute sprechen will, findet leicht andere, elaboriertere und besser gestaltete Beispiele. Aber »Naddel« hat mich trotzdem nicht mehr losgelassen, denn sie ist ein vorzügliches Beispiel für die Ikonologie der intertextuellen und selbstreferenziellen Massenkultur von heute. Zwischen der Trivialität an der Oberfläche und der Komplexität der konnotierten Bezüge erschließt sich ein symbolischer Raum voller Verweisungszusammenhänge. Um das zu zeigen, werde ich im Folgenden eine Reihe verschiedener theoretischer »Lektürehilfen« heranziehen.
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Abb. 1: »Naddel über Liebe, Leben, Leidenschaft«
Abb. 2: »Naddel über das Mehrweg-Prinzip«
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Reklame als Zwang und l’art pour l’art
Abb. 3: »Naddel über Männer und ihre Schwächen«
Abb. 4: »Naddel’s eiserne Weihnachtsregel«
Der Rahmen, in dem »Naddels« Bier-Aphorismen in der Öffentlichkeit präsentiert wurden, ist die Reklame, und die ist gut dazu geeignet, sich zu vergegenwärtigen, wie Kommunikation in der Massenkultur heute funktioniert. Reklame (im Sinne von Produktwerbung) ist ökonomische Propaganda, aber auch ein Bestandteil des modernen Systems der Massenmedien, also eines von mehreren Medien der Massenkommunikation. Als solches ist sie ein Element der Alltagskultur. Und sie arbeitet in hohem Maße mit ästhetischen Mitteln. Daher stehen am Anfang dieser Betrachtungen einige Bemerkungen über Reklame und Kunst. Je mehr sich der Komplex »Reklame« von der ökonomischen Logik abkoppelt, in die er doch immer eingebunden bleibt, desto stärker tritt seine ästhetische Komponente ins Rampenlicht. Kluge Werbeleute von heute sollten besser nicht mehr bestreiten, dass die Kausalitätssuggestion, die der Werbesektor verbreitet, fiktiv ist. Nehmen wir die AIDA-Formel. Ihr zufolge haben wir es auf dem Gebiet der Reklame mit klaren Kausalketten zu tun: Über »attention« werde beim Kunden »interest« geweckt und »desire« produziert, das schließlich zu einer »action« führe, nämlich zum Kauf des Produkts. Die AIDA-Formel stammt nicht etwa aus unserer reklamefreudigen Zeit, sondern vom Ende des 19. Jahrhunderts (Riedl 1992). Ihr Erfinder Lewis war vom damaligen Stand der US-amerikanischen Psychologie und der pragmatistischen Philosophie von Wiliam James geprägt. Lewis wollte die Stufenfolge von Wirkungsweisen der Reklame wissenschaftlich überprüfbar rekonstruieren. Wie bringt man Menschen dazu, zu tun, was man von ihnen will? Man muss die, ihnen selbst meist verborgenen, Wirkmechanismen ihrer Psyche kennen und diese beeinflussen. Ohne Einfühlung in den Kunden und Gespür für positive oder negative Ausstrahlung der eigenen Rhetorik kann ein Verkäufer nichts verkaufen. Lewis versuchte als Erster klar zu machen, dass Kreative in der Reklamebranche wie ein guter Redner die Komponenten der Kommunikation – Sender, Adressat und Gegenstand – genau bestimmen und kennen müssen. Er hat die Aufgaben des Werbers als strukturierten Prozess beschrieben, an dessen Ende im Idealfall die gewünschte Handlung des Kunden steht. Dass es genau so funktioniert, behaupten Werbeagenturen zwar immer noch, und die Auftraggeber spielen das Spiel mit. Der zuständige Mitarbeiter der Firma Henninger hat mir seinerzeit bei meinen Recherchen von den Pilsener-Verkaufszahlen vorgeschwärmt, die seit seiner Naddel-Kampagne geradezu märchenhaft gestiegen wären. Aber hinter den Kulissen weiß jeder: Mit einer gewissen Sicherheit kann man hinterher, wenn überhaupt, immer nur eines feststellen – nämlich die Tatsache, ob Menschen »Kontakt« zur Wer-
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 13 bekampagne gehabt haben oder nicht. Das heißt, schlicht ausgedrückt: Man kann ermitteln, ob sie die Kampagne einmal irgendwo gesehen oder von ihr gehört haben und sich später noch daran erinnern können. Das ist ja auch immerhin etwas. Aber warum die Befragten irgendwann das eine Produkt gekauft haben oder das andere, weiß kein Mensch. Glücklicherweise hat die menschliche Psyche in dieser Hinsicht wenigstens noch einen kleinen Rest von Ähnlichkeit mit einer »black box«. Verlässliche Korrelationen können auch die gewieftesten Soziologen nicht sicherstellen, wie der Medienwissenschaftler Dieter Prokop feststellt (Prokop 2000: 240 ff.). Auf diesem Gebiet gibt es nur mehr oder weniger mystifizierende Intuitionen. Das lässt die ganze Angelegenheit immerhin spannend bleiben und setzt eine Menge Menschen in Lohn und Brot, die Konsumenten beeinflussen oder deren rätselhafte Kaufentscheidungen ergründen sollen. Und dafür wird bekanntlich eine Menge Geld ausgegeben. Ich nenne eine Zahl aus der Zeit dieser Werbekampagne: 1998 sind in Deutschland rund 1,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Reklame ausgegeben worden; das waren rund 60 Milliarden DM (Prokop 2000: 137). Der Soziologe Niklas Luhmann, der sich Mitte der 1990er Jahre mit dem Funktionszusammenhang der Massenmedien beschäftigt hat, wies damals darauf hin, dass in der deutschen Automobilindustrie seinerzeit über 2 Milliarden DM im Jahr für Reklame ausgegeben worden sind. Auf jeden verkauften Wagen entfielen durchschnittlich über 500 DM Werbekosten (Luhmann 1996: 93). Die klassische ökonomische Kalkulation von Aufwand und Ertrag ist hier nicht mehr zuständig. Es geht vielmehr um den »Zwang […], sichtbar zu bleiben«, wie Luhmann es treffend formuliert hat (ebd.). Weil Reklame das Verhalten der Menschen im Einzelnen nicht genau determinieren kann, weil sie keine sichere Kontrolle über ihre Gefühle und ihr Verlangen ausüben kann, ist der Werbeetat immer eine riskante Sache. Es verhält sich dabei ähnlich wie mit dem Posten für wissenschaftliche Grundlagenforschung in Ministerien oder Forschungsgesellschaften: Der zieht bei Effizienzdenkern im Wettstreit mit der Unterstützung für Auftragsforschung oft den Kürzeren, weil im Grunde doch jeder weiß, dass die Hälfte des Geldes für Grundlagenforschung immer zum Fenster hinaus geworfen ist. Das Problem ist nur, dass man vorher nie wissen kann, welche Hälfte! Reklame ist Grundlagensicherung der Marktgesellschaft. Das Unternehmen Medien Agenturen hat also ganz recht mit der Aussage in seiner Werbeanzeige, dass Millionen Menschen ihren Job behalten, weil es Werbung gibt. Nicht zuletzt die, die in der Werbebranche arbeiten, und das werden ja immer mehr. Die Geschäftsgrundlage der Marktgesellschaft ist der Warentausch. Unter den Bedingungen verschärfter Konkurrenz, permanenter Überproduktion und stagnierender Kaufkraft ist es zunächst die Hauptaufgabe der Warenprodu-
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Abb. 5: »Durch Werbung behalten Millionen Menschen ihren Job.«
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zenten, dafür zu sorgen, dass sie auf dem Forum wahrgenommen werden. Auffallen ist alles, durch Sex, Witz, Schocks oder was auch immer – denn was nicht wahrgenommen wird, existiert nicht (Türcke 1995). Wahrnehmen und Wahrnehmbarwerden sind Formen ästhetischer Arbeit. Insofern ist Reklame ästhetisch relevant – oder, andersherum, insofern ist Ästhetik für die Reklame relevant. Reklame arbeitet mit Zeichen und Bildern. Sie produziert den schönen Schein einer wohlgeordneten und doch freien Lebenswelt in der Alltagskultur (Luhmann 1996: 91 ff.). Die Dinge haben eine Ordnung und wir haben die Freiheit der Wahl. Reklame konstruiert eine Realität eigener Art. Das heißt aber auch, dass sie mit den gleichen Parametern arbeitet wie das System »Kunst«. Das System »Kunst« erzeugt eine Differenz zwischen dem Kunstsystem und allem Übrigen, und zwar mit ästhetischen Mitteln. Es erzeugt eine fiktionale Realität, die von der realen Realität abgespalten wird. Die Kunst baut im Imaginären eine Welt auf. Damit stellt sie eine Position bereit, die es ermöglicht, von hier aus etwas anderes als Realität zu kennzeichnen, nämlich das, was »außerhalb« dieses imaginären Welt-Raums ist. Wenn es derartige Differenz-Setzung nicht gäbe, wäre die bestehende, nichtimaginäre Welt schlicht so, wie sie ist. Die Welt ist aber sozusagen auch anders und mehr, als sie ist, denn sie kann eine immanenente Differenz zu sich selbst setzen – oder besser gesagt, wir als Teil der Welt können das (Gerhards 1997; Luhmann 1995: 215 ff.). Auch Reklame konstruiert eine eigene Realität. Aber, und das ist ein wichtiger Unterschied: Indem die Realität der Reklame eine Differenz erzeugt, verdoppelt sie die Welt. Denn Reklame erzeugt die »Illusion«, dass »Dasselbe gar nicht dasselbe« ist, sondern immer wieder etwas Neues (Luhmann 1996: 94). Für die Reklame gilt das Gleiche, was nach Walter Benjamin für die Mode gilt: Sie repräsentiert die ewige Wiederkehr des Neuen. Es gibt also nicht nur die Autonomie des Kunstsystems, sondern auch die Autonomie des Systems Reklame. Und beide sind natürlich relative Autonomien, wie uns die Kunst- und Mediensoziologie zeigen. Insbesondere Die Reklame entfaltet ihre Eigengesetzlichkeit ja unter Zwang: unter dem Zwang, sichtbar zu bleiben. Reklame könnte also ironisch als l’ art pour l’art betrachtet werden. Das haben die Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno schon in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts getan. Sie beobachteten die Funktion von Reklame in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften, in denen es so aussah, als würde die liberale Marktlogik von monopolistischen und autoritären Strukturen verdrängt. Horkheimer und Adorno stellten damals bereits fest, dass die Funktion von Reklame jenseits der klassischen ökonomischen Rationalität liegt. Wenn die freie Konkurrenz der Warenanbieter eigentlich keine Rolle mehr spiele, weil die global players den
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 15 Markt unter sich aufgeteilt haben, müsse der Kunde nicht mehr umworben werden. Reklame sei eine ständig sichtbare Drohung, ein symbolischer Imperativ dafür, dass die bestehende Eigentumsordnung und ihre Sozialstruktur bleiben müsse, wie sie ist. Reklame, meinten die Frankfurter, werde »zur Kunst schlechthin«; »Reklame für sich selber, reine Darstellung der gesellschaftlichen Macht« (Horkheimer/Adorno 1947: 191). Zwar trifft die Lesart der ökonomischen Gesamtendenz nicht zu, die Horkheimer und Adorno damals favorisierten, denn eine tatsächliche Suspendierung der Marktlogik und ihre Ersetzung durch monopolistische Staats- oder Kartellwirtschaft hat es in kapitalistischen Gesellschaften nie gegeben. Es war vielmehr so, dass die faschistischen Staaten bestimmte Unternehmen und Branchen systematisch förderten und andere behinderten, während die demokratischen Staaten die Tendenz zur Monopolbildung stets irgendwann in Schach hielten. Aber dennoch haben die kritischen Theoretiker präzise beschrieben, dass die Selbstbezüglichkeit und die Repräsentation gesellschaftlicher Machtverhältnisse wesentliche Funktionen von Reklame in fortgeschrittenen Industrienationen sind. Ihre Untersuchung stammt aus der Anfangszeit des Übergangs von schlichter Produktwerbung zu dem umfassenderen Ansatz von Werbung, in dem nicht nur für einzelne Produkte geworben, sondern versucht wird, Lebensgefühle und Lebenseinstellungen an Marken und Logos zu binden. In dieser Phase haben Horkheimer und Adorno bereits die kulturprägende Macht von Reklame und Werbung im weiten Sinn analysiert. Auf dieser Folie ließe sich also auch die Bilderwelt von Naddels Bier-Auftritt deuten. Dann wäre Werbung ein Teil des systemischen Ganzen jenes globalen Unterhaltungssektors, zu dem Film, Radio, Fernsehen, Printmedien und Unterhaltungsmusik gehören. Dessen Produkte formen die Wahrnehmungsweise aller Menschen. Damit greifen sie in die Art und Weise ein, in der Menschen die »Welt« produzieren, in der sie leben.
Kulturindustrie: Die »Matrix« der Waren-Welt Diesen Produktionsvorgang hat Immanuel Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft beschrieben: Die Verknüpfung mannigfaltiger Sinnesdaten zu klaren Vorstellungen in unseren Köpfen erfolgt nach vorgegebenen »Schematismen«. Als »Schematismen« bezeichnete Kant mentale Vermittlungsinstanzen, die zwischen Anschauung und Begriffen regelhafte und verlässliche Verbindungen herstellen, mit denen wir gleichsam aus unserer sensuell eingescannten Umwelt eine Welt errechnen, in der wir uns virtuell und real bewegen. Solche »Schematismen« übersetzen unanschauliche Verstandesbegriffe in
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die Sphäre sinnlicher Wahrnehmung und konkretisieren sie. Kant hat den »Schematismus des Verstandes« als die »verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele« bezeichnet (Kant 1787: 180). Diese »verborgene Kunst« ermöglicht uns überhaupt erst, Wahrnehmungen zu machen und sie zu verknüpfen. Wenn wir nun alles, was wir über die Welt wissen, aus den Massenmedien wissen, wie Luhmann lakonisch festgestellt hat (Luhmann 1996), dann bedeutet das in diesem Falle auch, dass auch unreglementierte Wahrnehmungen aus dem Bereich des Unverfügbaren herausgenommen werden und in die abstrakte, instrumentelle Rationalität der branchenüblichen Verfahren und deren Kategorien hineingezwungen werden. Aus der »verborgenen Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele«, die uns, Kant zufolge, die kohärente Verknüpfung unserer Welt-Wahrnehmungen ermöglicht, ist die kaum noch verborgene Kunst geworden, Wahrnehmungen in gewünschte Bahnen zu lenken und sie dort zu kontrollieren. Massenmedien steuern die Einbildungskraft und pressen »das Ganze aller möglichen Erfahrung« (Kant 1787: 185) in den Rahmen der Merkwelt und der Wunschwelt warenförmiger Gesellschaften. Aus der Perspektive der Kritischen Theorie, die diese kantische Denkfigur auf die mediale Konstitution von Wahrnehmung und Bewusstsein im 20. Jahrhundert appliziert hat, verdoppelt Massenkultur die Welt, indem sie mimetisch-realistische oder traumartigutopische Bilder und Narrationen produziert. Massenkultur funktioniert demnach wie ein sozialer Kitt. Die Segmentierung und Stereotypisierung des industriellen Arbeitsprozesses im Monopolkapitalismus wird in der »Kulturindustrie« zur universalen Form jeglicher kultureller Praxis. Den Ausdruck »Massenkultur« haben Horkheimer und Adorno nicht verwendet, weil er ihnen die Unterstellung zu transportieren schien, die Produkte und Formen des modernen massenmedialen Unterhaltungs- und Informationssystems würden von den Massen selbst spontan hervorgebracht. »Kulturindustrie« ist der globale Unterhaltunssektor: Film, Radio, Fernsehen, illustrierte Presse, Unterhaltungsmusik und Werbung. Deren Produktionen, sagte Adorno, seien nicht mehr lediglich »auch« Waren, wie die Kunstwerke der bürgerlichen Gesellschaft, sondern »durch und durch« Waren. Die manipulativ geplante, »synthetische, dirigierte Herstellungsweise« der Produkte der Kulturindustrie forme die sinnliche und geistige Wahrnehmungsweise der Menschen. Als industrieller, medial vermittelter Amüsierbetrieb sei Kulturindustrie zur Verlängerung der Arbeit in die Freizeit geworden. Sie verdoppelte die bestehende Welt. Hinter dem Starkult der Kulturindustrie z.B. würde sich der Verlust autonomer Individualität verbergen, und hinter dem verordneten Spaß verberge sich kalkulierte psychische Regression, Einübung in Ich-Schwäche. Am Beispiel »Naddel« hieße das: Es wird suggeriert, dass jeder
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 17 nach oben kommen kann, egal, ob er etwas kann oder nicht. Der Starkult kompensiert einen Schwund individueller Selbstbestimmung. Die Identifikationsangebote funktionieren reziprok: Wir Kunden erkennen uns in den Stars wieder, vernehmen aber auch als Subtext das Gebot, dass wir ihnen ähnlich sein sollten, wenn wir im sozialen Konkurrenzkampf fit bleiben wollen. Nach Adorno lautet der heimliche »kategorische Imperativ der Kulturindustrie«: »du sollst dich fügen, ohne Angabe worein; fügen in das, was ohnehin ist, und in das, was, als Reflex auf dessen Macht und Allgegenwart, alle ohnehin denken«. Kulturindustrie sei »Massenbetrug, […] Mittel der Fesselung des Bewusstseins«, weil sie nur »Ersatzbefriedigung« liefert (Adorno 1963: 345). Heute haben sich freilich nicht nur die Produktionsbedingungen des massenkulturellen Sektors verändert, sondern vor allem auch die Rezeptionsbedingungen. Das Publikum ist im Umgang mit der Kulturindustrie souverän geworden: Wir haben gelernt, ihre Angebote für unsere eigenen Bedürfnisse zu nutzen und auszuwählen (Steinert 1998; Steinert 1999). Insofern ist die Rede von der Ersatzbefriedigung zu relativieren, denn wenn Benutzer wissen, was sie in der Welt der »Kulturindustrie« erwartet und was sie dort nicht finden können, dann sind sie imstande, aus diesen Angeboten auszuwählen und sie auch selbstständig umzufunktionieren. Das ist ein Gedanke, den die angelsächsische Cultural-Studies-Schule ausgehend von vielen empirischen Rezeptionsforschungen im Bereich der Arbeiter-, Massen- und Subkulturen seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt hat; davon wird noch ausführlich die Rede sein. Und Ideologieproduktion funktioniert heute nicht mehr darüber, dass wir Inhalte und Werte im angebotenen Sortiment der Kulturwaren mit der Wirklichkeit verwechseln. Wir lassen uns durch die Stimulanzien der Massenkultur in Zustände versetzen: Zustände der Entspannung, Erregung, Belebung usf. Wer z.B. morgens Blutdruck und Adrenalinspiegel mit dem Rolling-Stones-Klassiker »Under My Thumb« stimuliert, hat nicht notwendigerweise das Macho-Frauenbild verinnerlicht, das der Text und die ebenso coole wie dynamisch-treibende Musik transportieren. Heinz Steinert hat das den »Geisterbahn-Effekt« der Massenkultur genannt (Steinert 1999). Für die Untersuchung der »Naddel«-Bilderwelt müssen also weitere theoretische Instrumentarien herangezogen werden. Mit der Kritischen Theorie und der Systemtheorie, auf die ich mich bisher bezogen habe, kann man vieles, aber nicht alles erklären. Nun legt es in diesem Fall nicht nur der Bildgegenstand, sondern auch die Bildform der »Naddel«-Kampagne nahe, Ikonologie, feministische Forschung und Gender-Studies heranzuziehen.
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18 | »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt
»Naddel«, die moderne Najade Zunächst also zur Bildform. »Naddel« steht in einer alten ikonographischen Tradition. Sie ist eine Najade, also eine Wassernymphe; innerhalb dieser Gattung gehört sie zur Spezies der Quellnymphen, die einen Krug als Attribut haben, wenn sie als Brunnenfiguren auftreten.
Abb. 7: Lukas Cranach d. Ä., Quellnymphe (nach 1537)
Abb. 6: Jean Goujon, Quellnymphe (um 1550)
Najaden sind Gottheiten des Wassers: Naturgottheiten, die »die Fruchtbarkeit, den sinnlichen Reiz und die Lebensgeister der Natur« verkörpern (Aghion/Barbillon/Lissarague 2000: 217). Najaden standen für lebensfördernde Qualitäten und waren entsprechend verlockend. Man sagte ihnen starke erotische Aktivität nach; wenn nötig, entführten sie die Männer, die sie begehrten. Aber sie galten auch als kompliziert und schwierig, »sie waren empfindlich und konnten sich als furchtbare Dämonen erweisen« (ebd.). Noch Richard Wagners Rheintöchter sind Abkömmlinge der Najadenfamilie. Bei Wagner haben sie freilich ihre selbstbestimmte sexuelle Aktivität verloren und sind zu züchtigen Wächterinnen des Goldschatzes im Fluss geworden. Sich selbst können sie vor Alberichs Gier schützen, nicht aber das Gold. Auch die hier abgebildeten weiblichen Wesen aus dem 16. und 18. Jahrhundert sind bereits relativ späte Exemplare der Gattung; antike Darstellungen von Quellnymphen gibt es bereits im zweiten Jahrhundert v.u.Z. Und heute also »Naddel«. Das bildliche Nachleben der Antike in der Neuzeit war, wie wir von Aby Warburg, dem Begründer der Ikonologie, wissen, die Basis für immer neu variierende künstlerische Produktivität – ein unerschöpfliches Erinnerungsreservoir (Gombrich 1992: 384; 399 f.). Andererseits ist dieses Nachleben in
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 19 der Moderne aber auch Zeichen der Unerlöstheit, des Wiederholungszwangs. Es bedarf keiner raffinierten Deutungskünste, um festzustellen, dass in unserem Beispiel zwanghaft die Unterwerfung der Frau durch den Mann wiederholt wird.
Abb. 8: François Boucher: Drei Quellnymphen (1749)
Der männliche Blick auf die Frau, schrieb Karin Schrader-Klebert in einem klassischen Kursbuch-Aufsatz zur feministischen Kunstgeschichtsbetrachtung, hat »etwas Mythisches« (Schrader-Klebert 1969: 7). Die sozialen Wirkungen des Männerblicks entsubjektivieren die Frau. »Trotz aller Veränderungen, die die fortgeschrittene Industriegesellschaft gebracht hat, bleibt das Leben der Frau ein Kult, dessen Subjekt der Mann ist.« (Schrader-Klebert 1969: 29) Und dieser Kult ist ambivalent: Dazu gehören »Verehrung und Anbetung«, aber auch »Grausamkeit und Verachtung.« (Schrader-Klebert 1969: 12) In der Welt dieser Bilder ist die Frau stets Objekt; ihr Körper wird zur »Leerform für den männlichen Gestaltungswillen«. »Die Frau muss in Kunst und Leben […] verkörpern, was der Mann in ihr sieht.« (Rentmeister 1977: 293) So steht es in einem Aufsatz aus Ästhetik und Kommunikation, den Cilli Rentmeister, eine andere »Klassikerin« der feministischen Kunstgeschichtsbetrachtung in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts geschrieben hat. »Der weibliche Körper«, hat Aleia Assmann dann rund zwanzig Jahre später bemerkt, ist in der überlieferten Kunst des Abendlandes »zum Zeichenträger« gemacht worden, weil man ihm die Qualität zuschrieb, ein »unbeschriebenes Blatt« zu sein. »Die Reinheit und Virginität des weiblichen Körpers wären die Bedingungen sekundärer Einschreibung.
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20 | »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt
Kulturen, die der Frau keine signifikanten Handlungsräume oder Dimensionen öffentlich relevanter Selbstbestimmung zuweisen, können Weiblichkeit als unmarkierte Form des Menschseins auffassen.« (Assmann 1994)
Abb. 9: »Die Form. Die Sinne. Das Peugeot 406 Coupé«
Heute verstehen sich Frauen nicht mehr als entsubjektiviert, auch wenn es wahrlich immer noch mehr als genug entsprechende Reklame gibt. In den neueren Diskursen der Frauenforschung wird zwischen sex, dem natürlichen Geschlecht, und gender, dem sozialen Geschlecht unterschieden. Die Zuschreibung des sozialen Geschlechts wird nun sozialkonstruktivistisch erklärt. Den Grundgedanken dieses Ansatzes hat Gudrun-Axeli Knapp referiert: »Menschen ›haben‹ kein Geschlecht und ›sind‹ nicht Frauen und Männer, sondern sie ›geben‹ und ›sehen‹ sich als solche. Gefragt wird: wie kommt es zu der binären und wechselseitig exklusiven Klassifikation von zwei Geschlechtern und wie funktioniert die praktische Aufrechterhaltung dieser Exklusivität«? (Knapp 1998: 170; vgl. Knapp 1999). Anhand von »Naddel«, der modernen Najade, ließe sich untersuchen, wie sich solche sexuellen Rollenzuschreibungen wandeln. Mal präsentiert sie die Bierkiste wie die Quellnymphe ihren Krug, mal bietet sie das verlockende Bierglas dar. Dient sie dem durstigen Manne, dessen Stammgetränk sie verwahrt? Oder wird sie das Bier selbst genießen, das sie scheinbar mühelos herbeiträgt? Und gibt sie mit ihren Aphorismen nicht zu erkennen, dass sie im Geschlechterkampf Herrin der Lage ist? Das würde dem Bedürfnis nach einem gewandelten Frauenbild entsprechen. Die zeitgemäße Instrumentalisierung der Frau im Bild muss sich auf das Wissen von der sozialen
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 21 Konstruktion des sozialen Geschlechts einlassen, um den alten mythischen Rahmen zu stabilisieren. Es ist übrigens unerheblich, ob die Gestalter der Kampagne die Absicht hatten, dergleichen zu als Botschaft zu transportieren; wichtiger als bewusste Absichten ist das, was sich konnotativ mitteilt.
Der Mythos des Multikulturalismus Damit sind noch längst nicht alle theoretischen Quellen erschlossen, die wir bei der Lektüre von »Naddels« Bierauftritt heranziehen können. Betrachtet man die Sache nämlich im Lichte der politischen Ikonographie, die die Alltags-Bildwelten der Gegenwart untersucht, dann lassen sich Kodierungen entziffern, die politische und mythologische Implikationen des Alltagslebens enthalten. Nach einem Wort des Hamburger Kunsthistorikers Martin Warnke ist das Feld der Ikonographie heute nicht mehr die Kunst, sondern die Massenkultur. Die Bildersprache der Werbung z.B. wird in dieser Art der Ikonographie aus der Hamburger Warburg-Schule als Teil der Alltags-Bildwelten unserer Gegenwart aufgefasst; sie wird auf Bildzeichen hin untersucht, die aus unserem kulturellen Gedächtnis stammen, aber nicht mehr bewusst präsent sind. Werbung präsentiert Bilder, die in unseren Köpfen vorgeprägt sind, in neuen Fassungen. »Die Wandtafeln der Werbung« haben sich heute »den bildenden Künsten längst hinzugesellt«, meint der Kunsthistoriker Michael Diers, der sie als gehaltvolle, aussagefähige Zeitdokumente und »Werke der Bildkunst« untersucht. (Diers 1997: 175) Auf diesem Feld ist, neben Anderem, die Tradition des Exotismus interessant. Sie entstand als barocke Mode, wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert von der Werbung aufgegriffen und hat die Aspekte Kolonialismus, Rassismus und Sexismus. Hier als Beispiel ein Reklamebild aus Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, das ich Michael Diers‘ Aufsatz über die »politische Farbenlehre der Werbung« entnommen habe (Diers 1997). Reklame von heute knüpft noch immer an das schwarz/weißOppositions-Schema aus der Kolonialzeit an. Das wird am H&M-Plakat von 1992 (ebenfalls nach Diers), an der Naomi-Campbell-Anzeige von 2003 und an der Gucci-Werbeanzeige aus dem Jahre 2000 deutlich. Diers hat diesen Stil als »Ethno-Exhibitionismus« mit »voyeuristischen Elementen« bezeichnet, »der ›farbige Weiblichkeit‹, ›Rasse‹ und Geschlecht (›Rasseweib‹) inszeniert«. »Massenhaft kann sich die auf die Exotismus-Tradition abgestellte Bildwelt öffentlich entfalten […]. Man setzt auf Verfremdung, auf den Farb-, sprich Hautkontrast, den man als Blickfang inszeniert. Mit der vorrangig kennzeichnenden Funktion (Herkunft des Produkts) hat dieses ›exotische‹ Bild
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Abb. 10: »Kaffe-Importhaus H.G. Engelmann«
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nichts mehr zu tun, man spekuliert mit der Kuriosität, Originalität, Attraktivität und Symbolkraft exotischer Zeichen und Farben.« (Diers 1997: 164) So lässt sich in das Gucci-Motiv eine besitzergreifende Geste des gefürchteten, starken schwarzen Mannes hineinphantasieren, mit dem weiße Männer nicht konkurrieren können. Aber ebenso kann auch ein schwarz-weißes Vereinigungsphantasma assoziiert werden, in dem die Mode wieder verbindet, was die Herrschaft »frech geteilt« hatte (frei nach Schiller). Schlau inszenierte Reklame von heute unterläuft das exotistische schwarz/weiß-Schema und versucht, es aufzuheben, wie Diers an einem Beispiel aus dem Jahre 1991 gezeigt hat (Abb. 14). Abb. 11: Naomi Campbell für Hennes&Mauritz
Abb. 12: Naomi Campbell Perfumes
Abb. 14: »United Colors of Benetton«
Abb. 13: Gucci-Werbeanzeige
Diese Aufhebung, das muss allerdings deutlich dazu gesagt werden, ist eine Aufhebung im Hegelschen Sinn, wenn auch in weniger geistvoller Form: Was überwunden werden soll (das Schema »schwarz/weiß« bzw. »gut/böse«) bleibt präsent, es scheint hindurch. Schaut her, wie vorurteilsfrei wir sind, sagt die Benetton-Werbung; wir sind Antirassisten und treten für die Völkerverständigung ein, wo wir können. Black and white, unite, unite – das soll die allgemein-menschliche und zeitlos gültige Botschaft sein. Die allegorische Opposition »Engelchen/Teufelchen« wird hierzu eingesetzt; sie wird kritisch ironisiert, aber damit wird sie zugleich auch tradiert. Diers: »Der Umstand, daß die Kinder unbekleidet sind, erzählt auch von den Mythen Natur und Ursprung, vom Zustand der Vor-Zivilisation und des Paradieses. Die Aufmachung verweist der Intention nach auf die wohl spielerisch-ironisch gedachte Übernahme des Klischees vom weißen Engel und schwarzen Teufel, eine Vorstellung, die zur populären Hautfarbensemantik und -symbolik der europäi-
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 23 schen Kultur gehört. In dieser Tendenz und Referenz liegt bereits die Diskriminierung: Es ist die Sicht der Weißen (wozu ja auch die augenzwinkernd-ironische Distanz gehört), die hier Farbbild geworden ist, auch über die prominente Links-im-Bild-Plazierung des weißen Mädchens, dem nach geläufigem Wahrnehmungsschema zuvörderst die Blicke des Betrachters gelten.« (Diers 1997: 167 f.) Die Reklame mit »Naddel« thematisiert das schwarz/weiß-Problem nicht, sondern setzt es stillschweigend voraus. Nadja ab del Faragh, aufgewachsen in wohlhabendem norddeutschem Milieu, gehört in die Reihe der Ikonenproduktion eines neuen Mythos der Multikulturalität. Im Begriff der multikulturellen Gesellschaft, den wohlmeinende Kulturtheoretiker wie Claus Leggewie propagieren, changieren ›Romantik und soziologische Aufklärung‹. (Söllner 1994: 302). Die westlichen Industriegesellschaften sind heute Sammelbecken für Arbeitsmigranten und politische Flüchtlinge. Von einer freien, selbstbestimmten Vielfalt, von einem gewaltlosen Miteinander verschiedener Kulturen in einer gemeinsamen Kultur, die die Differenzen achtet, sind wir weit entfernt. Die Bilderwelt der Reklame zeigt uns eine neue multikulturelle Weiblichkeit. Eine farbige Frau posiert für deutsches Bier. Eine junge emanzipierte Türkin, die als Boxprofi ihr Geld verdient, ist neben einer türkischen Frau im Gewand ihrer Kultur zu sehen, wie auf dem Zeitungsfoto aus dem Jahr 2000. Es hat zwei Bildebenen: Das Werbeplakat suggeriert die Multi-Optionalität junger türkischer Frauen, ihre Lebensform selbst zu wählen, während die Passantin ein konventionsgebundenes, traditionelles Frauenbild repräsentiert. Die Fotografie kann als Beleg für ein schiedlich-friedliches, multikurelles Neben- und Miteinander gelesen werden (in Deutschland kann jede Frau nach ihrer Fasson friedlich und unbehelligt leben) oder als Dokument eines schmerzhaften, identitätsbedrohenden Transformationsprozess, als Dokument eines Traditionsbruchs, auf den viele mit Erleichterung, andere vielleicht mit Gewalt und Terror reagieren. Die Rede vom »Multikulturalismus« zeigt ein Doppelgesicht. Das Wort oszilliert zwischen Beschreibung und Bewertung (vgl. Schweppenhäuser 2000 und 2001 b). Das Schwanken stammt allerdings nicht nur aus ungenauer Redeweise, sondern hat auch einen Grund in der Sache. Seit Jahrzehnten werden auf der ganzen Welt tradierte Lebensformen, Sitten und Bräuche aufgeweicht. Grenzen fallen, und der Weltmarkt wird etabliert; das verursacht Elend und erzwingt Migrationen. Angesichts dessen spielt es keine Rolle, ob eine »multikulturelle Gesellschaft« gewünscht oder abgelehnt wird, denn sie ist bereits Wirklichkeit. Aber was ist diese Wirklichkeit? Die Vielfalt von Kulturen im Rahmen einer neuen »Weltgesellschaft«? Oder die Auslöschung aller Differenzen? Im letzteren Fall wäre Multikulturalismus ein Deckname für die globale Einheitskultur, die niemand wünscht und vor der sich alle fürchten. Oder ist Multikulturalismus
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Abb. 15: Zwei türkische Frauen in Deutschland
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die Vielfalt der Erscheinungsformen einer Kultur der Menschheit? Führt das Votum für Multikulturalismus zu einem relativistischen Standpunkt? Oder lässt sich auch eine Position formulieren, die den Begriff der menschheitlichen Kultur, den die europäische Aufklärung formuliert hat, in kritischer Absicht aufbewahrt – als normative Zielvorstellung, als regulative Idee? Das Konzept des Multikulturalismus ist ambivalent. Man kann diese Zweideutigkeit mit einem Begriffspaar erläutern, das von dem Soziologen Karl Mannheim stammt. Mannheim unterschied zwischen Ideologien und Utopien (Mannheim 1928). Beide sind Formen des Bewusstseins, die nicht deckungsgleich mit dem gesellschaftlichen Sein sind; beide überschreiten die bestehende Ordnung und geben unserem Handeln Orientierungspunkte. Der Unterschied besteht darin, dass Ideologien die Tendenz haben, das Bestehende zu stabilisieren, während Utopien es auflösen. Ideologien verdecken die brüchig gewordenen Wirklichkeit und verhindern, dass sie verändert wird; Utopien wollen sie aufsprengen und den Grund für das Neue und Andere legen. Ideologien sind eigentlich nie zu verwirklichen, wie z.B. die christliche Nächstenliebe; Utopien dagegen transformieren die bestehende Ordnung, und zwar symbolisch und real, so wie etwa der Freiheitsgedanke des revolutionären Bürgertums es tat. Multikulturalität ist nun zunächst bloß das Ergebnis der gesellschaftlichen Gesamttendenz. Sie könnte aber auch Ergebnis einer Besinnung sein: auf das, was in der Menschheit angelegt ist und realisiert werden könnte, wenn wir selbstreflektiert und selbstbestimmt handeln würden. Im diffusen Begriff des Multikulturalismus steckt mithin zweierlei: die ideologische Werbung für einen Trend, der sich ohnehin durchsetzt, aber im Resultat eben ganz anders, als es proklamiert wird; und der utopische Verweis auf etwas, das zum Potenzial der Humanität gehört und sich bloßen Trends sperrt. Wo sich heute multikulturelle Gesellschaften zu etablieren beginnen, wird aber zugleich verneint, was in der utopischen Vorstellung einer multikulturellen Gesellschaft steckt. Aus der Perspektive der Kritischen Theorie sieht es so aus, als hätte sich die Kulturindustrie weltweit als hegemoniale Kultur etabliert. Die Einheitskultur der warenproduzierenden Welt-Gesellschaft ist eine Kultur warenästhetischer Beliebigkeit, in der alles erlaubt ist, sofern es ein zahlungskräftiges Bedürfnis dafür gibt. Diesen Befund haben vor zwanzig Jahren auch postmoderne Kulturphilosophen formuliert: Die kontrafaktische Vorstellung von wirklichen Pluralismus aus eigen-sinnigen und selbstbestimmten kulturellen Lebensformen geht unter in der Unverbindlichkeit des konsumistischen Alltags. »Man hört Reggae, schaut Western an, ißt mittags bei McDonalds und kostet zu Abend die heimische Küche, trägt französisches Parfum in Tokio, kleidet sich nostalgisch in Hongkong, und als Erkenntnis tritt auf, wonach das Fersehquiz fragt.« (Lyotard 1987: 40).
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 25 Multikulturalität wird beschworen, seitdem »das Vertrauen der westlichen Kultur in sich selbst« (Jürgen Habermas) in die Krise geraten ist. Was Kant noch als Substanz von Kultur begriff, gerät dabei aus dem Blick: die Selbst-Kultivierung und Moralisierung der Menschheit, die vernünftige Zielbestimmung gesellschaftlichen Handelns autonomer Subjekte. Kultur als regulative Idee scheint heute diskreditiert, denn sie lebt vom Unterscheiden und Bewerten. Das verträgt sich nicht mit kulturrelativistischer Beliebigkeit. Wenn man sich mit der kontingenten, bestehenden Form multikultureller Gesellschaften und ihrer Ideologie begnügt, verkennt man, dass beides etwas Fremdbestimmtes ist. Davon wäre das Konzept multikultureller Gesellschaften als Utopie abzugrenzen. Diese Utopie bezieht ihre Kraft auch aus Kants aufklärerischer Idee der Weltgesellschaft. Die bürgerliche Gesellschaft westlicher Prägung, die Republik, schreibt individuelle Menschenrechte fest. Ihre Basis ist der Nationalstaat. Insofern ist sie ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Weltbürger-Gesellschaft – aber eben auch nur ein Schritt. Sie ist nicht schon der vernünftig begründbare, wünschbare Zustand menschlicher Zivilisiertheit und Kultur, sondern eine Etappe. Das wäre eine normative Basis, die wir brauchen, wenn wir reaktionäre, prämoderne Angriffe auf die westliche Liberalität kritisieren wollen, die in den mehr oder weniger »multikulturellen« Gesellschaften herrscht. Das Plädoyer für »mehr Buntheit« (Odo Marquard) genügt da nicht. Eine Toleranz, die alles gelten lässt und der Illusion Vorschub leistet, die verschiedenen Lebensstile würden friedlich miteinander auskommen, ist der Herausforderung durch fundamentalistische, gewalttätige Auffassungen von Religion, Staat und Recht nicht gewachsen. Diese kämpfen für traditionalistische Weltbilder; sie pflegen Sitten und Gebräuche, die aus aufklärerischer Sicht inhuman sind, und wollen sie überall durchsetzen. Selbstbestimmte, kritische Praxis braucht die Zielvorstellung einer solidarischen Gesellschaft, in der kulturelle Differenz und Anerkennung des Anderen die Standards sind. Wenn man darauf verzichtet, Kulturen kritisch zu prüfen und zu bewerten, gerät man rasch in die Falle des Kulturrelativismus. Als normativer Maßstab für kulturelle Unterscheidungen, die ein philosophischer Beobachter treffen könnte, würde sich das Maß an Humanität anbieten, das Individuen in Kulturen und durch sie verwirklichen können. Der medial inszenierte Multikulti-Kult ist in den allermeisten Fällen keine Utopie, sondern Ideologie: die euphemistische Begleitmusik eines globalisierten Kapitalismus. Die Vorstellung eines wirklichen Pluralismus eigensinniger und selbstbestimmter kultureller Formen des Zusammenlebens wird durch die Beschwörung von Multikulturalität nicht unbedingt gestärkt. Utopie und Ideologie der Multikulturalität sind ineinander verfilzt. Der Mythos des Multikulturalismus ist also eine nicht unbedeu-
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tende semantische Schicht der »Naddel«-zentrierten Reklame-Bildsprache. Wie das visuell funktioniert, kann man aber nur mit semiotischer Methodik schlüssig entziffern. Roland Barthes’ Kultursemiotik hat schon vor gut vierzig Jahren gezeigt, dass es kaum noch bedeutungsfreie Räume gibt, weil Massenmedien und Reklame keine Möglichkeit mehr ungenutzt lassen, Dinge und Räume als Bedeutungsträger zu nutzen (Barthes 1964: 90). Von Barthes haben wir gelernt, dass jedes kulturelle Phänomen gleichsam wie ein Text organisiert ist. Kulturelle Phänomene sind Zeichenzusammenhänge, und Zeichen haben denotative und konnotative Bedeutungsaspekte. »Denotation« nennt man bekanntlich die Grundbedeutung, die einem Zeichen in einem bestimmten, konventionell geltenden soziokulturellen Zeichensystem zukommt, und »Konnotationen« werden die Bedeutungen dieses Zeichens auf einer weiteren Ebene genannt. Diese sekundäre Bedeutungskomponente überlagert die Grundbedeutung. Sie ist auch in ihrem kulturellen Kontext lesbar und beschreibbar. Die sekundäre Bedeutungskomponente der Konnotationen überlagert die denotative Grundbedeutung. Nach Roland Barthes sind Mythologien sekundäre Zeichensysteme, in denen sich die Ideologien des Alltagslebens ausdrücken. In Mythen, meinte Claude Lévi-Strauss, werden »gesellschaftliche Widersprüche und Ungerechtigkeiten, die in der Lebenspraxis nicht aufgelöst werden können, auf symbolische Art und Weise gelöst«. (Hess 1999: 32) Geschichtliches wird im Mythos wie ein Naturverhältnis dargestellt. Mythologien sind sekundäre semiotische Systeme, die zumeist mit binären Oppositionen arbeiten. Das sind Gegensatzpaare von zwei Zeichen, die einander ausschließen, aber zusammen auftreten wie zwei Seiten einer Medaille. Mythologische Felder werden durch mehrere Gegensatzpaare gebildet. Roland Barthes’ berühmtes Beispiel aus den 1960er Jahren ist das Titelblatt einer Pariser Illustrierten, auf dem ein Farbiger in französischer Uniform die Trikolore grüßt. Barthes benutzte hier noch die Begriffe Sinn und Bedeutung, um die beiden Ebenen voneinander zu unterscheiden. »Ich sitze beim Friseur, und man reicht mir eine Nummer von Paris-Match. Auf dem Titelbild erweist ein junger Neger in französischer Uniform den militärischen Gruß, den Blick erhoben und auf eine Falte der Trikolore gerichtet. Das ist der Sinn des Bildes.« (Barthes 1964: 95) In der Terminologie, die ich hier verwende, heißt das: Der Fahnengruß des farbigen französischen Soldaten ist die erste Bedeutung des Bildes, die visuelle Denotation: das, was man sieht. Daneben gibt es noch eine sekundäre Bedeutung – also das, was man nicht sieht, was aber als Bedeutetes durch das Bedeutende hindurchscheint. »Aber ob naiv oder nicht, ich erkenne sehr wohl, was es mir bedeuten soll«, fährt Barthes fort: »daß Frankreich ein großes Imperium ist, daß alle seine Söhne, ohne Unterschied der Hautfarbe, treu unter seiner Fahne dienen und daß es
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 27 kein besseres Argument gegen die Widersacher dieses angeblichen Kolonialismus gibt als den Eifer dieses jungen Negers, seinen angeblichen Unterdrückern zu dienen.« (Ebd.) Durch die primäre Bedeutung hindurch wird also eine sekundäre Bedeutung präsent. Es ist in diesem Fall die universalistische Botschaft, dass Frankreich kein Kolonialimperium ist, das seine Untertanen brutal unterwirft. Frankreichs Söhne dienen ihm mit Stolz, alle, ungeachtet ihrer Herkunft. Es gibt keine rassistische Unterdrückung und keine Legitimation für den antikolonialistischen Kampf algerischer Terroristen. Wie aktuell diese Form kultureller Selbstinszenierung auch lange nach dem Ende des Kolonialismus immer noch ist, wissen wir seit der FußballWeltmeisterschaft 1998, als Frankreich sich als Weltmeister der sportlichen Multikulturalität feierte. Die sekundäre Bedeutungsebene auf den Bildern der erquickenden Najade Naddel transportiert also eine Mythologie des heutigen deutschen Alltags, den Mythos der multikulturellen Gesellschaft. Das mythologische Feld ist aus drei binären Oppositionen aufgebaut: 1. dunkel/hell (braune Haut, gelbes Bier oder: braune Haut, weißes Kleid), 2. fein/grob (zarte Frau in festlichem Gewand trägt plebejisches Männergetränk), 3. Mann/Frau (der Mann ist metonymisch durch sein Attribut, das Getränk, vertreten). Durch die denotative Ebene hindurch, die das Modell mit dem Produkt zeigt, erscheinen gegensätzliche Konnotationsfelder. Da ist einmal die schöne dunkle Frau als domestiziertes Exoten-Engelchen (im weißen Gewand mit Flügeln) oder als Luder mit sexuellen Appetit (mit phallischem Bierglas); da ist zum andern die selbstbewusste farbige Frau als Synthese von Kultiviertheit und natürlicher Üppigkeit (im geschmackvollen Abendkleid) oder als zupackende, selbständige Persönlichkeit (mit der schweren Bierkiste, die ihr auf die Schulter montiert wurde). Kurz: Noch (oder gerade) am trivialsten Gegenstand zeigt sich die Polysemie kultureller Texte, von der Roland Barthes spricht; sie wird Metaphern, mit semantischen und ikonischen Klischees, aber auch mit Witz und Ironie erzeugt.
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You can’t always get what you want – but if you try some times, you might find: you get what you need Die Vieldeutigkeit massenkultureller Produkte ist auch in den Forschungen der Cultural Studies immer wieder hervorgehoben worden. Die Cultural-Studies-Forscher sind eine lockere Gruppe von Kulturwissenschaftlern aus England und den USA, die seit den 1960er Jahren Subkulturen von Jugendlichen, sozialen Randgruppen und Migranten untersuchen (Bromley, Göttlich, Winter 1999; Hepp/Winter 2003). Sie sind die Wegbereiter der Post-Colonial Studies. Unter »Kultur« verstehen sie – ähnlich wie der deutsche Kulturphilosoph Ernst Cassirer dies tat – ganz allgemein jede Form von symbolisch vermittelter gesellschaftliche Praxis. Gesellschaftliches Handeln findet unter konfliktreichen Bedingungen statt; ein wichtiger Bestandteil davon ist die Produktion, Rezeption und Aneignung kultureller Güter. Von Roland Barthes haben die Theoretiker der Cultural Studies die Annahme übernommen, dass Kulturprodukte wie Texte organisiert sind, dass sie in einen Code und von den Benutzern entziffert, gedeutet, gelesen werden. Aus der marxistischen Überlieferung stammt der Befund, dass sich in den modernen Industriegesellschaften der »power bloc« und »the people« als Widersacher gegenüberstehen; gerade auch dann, wenn es um die Produktion und Rezeption kultureller »Texte« geht (Hess 1999). Im Gegensatz zu klassischen Manipulationstheorien gehen die Cultural Studies jedoch nicht davon aus, dass ein passives Publikum sich der warenästhetischen Kultur unterwirft und ihre Angebote verinnerlicht, indem sie sich mit ihnen identifiziert. Kultur ist kollektive, doch antagonistisch organisierte Praxis: sowohl die Gesamtheit einer Lebensweise als auch ein Bedeutungssystem. Sie ist durch Vielschichtigkeit gekennzeichnet, hat andererseits aber auch hegemoniale Tendenzen. »Hegemonie« bedeutet Vorherrschaft, und die Cultural Studies verstehen darunter das Ringen gesellschaftlicher Schichten um die kulturelle Dominanz. Hegemonie ist nicht Alleinherrschaft, »Gleichschaltung« oder Manipulation von oben nach unten, sondern eine komplexe Mischung aus Zwang und Zustimmung, die von einer sozialen Gruppe durchgesetzt wird. Dieser Begriff der Hegemonie stammt aus der Kulturtheorie des italienischen Philosophen Antonio Gramsci. Raymond Williams, einer der führenden Cultural-Studies-Forscher, hat kulturelle Hegemonie als das »Ensemble von Praxen und Erwartungen« definiert, »das die Gesamtheit unserer Lebensformen umfaßt: unsere Sinnes- und Arbeitsenergien, die Art und Weise, wie wir uns selbst und unsere Welt wahrnehmen. Sie ist ein gelebtes System von Bedeutungen und Werten […], die in dem Maße, in dem sie als Praxen erfahren werden, sich wechselseitig zu bestätigen scheinen. Derge-
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 29 stalt vermittelt sie für die meisten Menschen in der Gesellschaft ein Gefühl der Realität, über die hinauszugehen den meisten Menschen, in den meisten Lebensbereichen, sehr schwer fällt« (Williams 1977: 110) Quer zu kulturellen Hegemoniebestrebungen verlaufen eigensinnige Aneignungsstrategien, mit denen Menschen unterhalb der hegemonialen Ebene für sich gleichwohl freie Bedeutungs- und Spielräume für ihre kulturelle und ästhetische Phantasie zu verteidigen versuchen. Die Cultural Studies fragen, welche Strategien solcher Art ausgebildet werden und wie sie funktionieren. Sie fragen z.B. nach den Möglichkeiten des symbolischen »Widerstands, des Umformulierens, der Aneignung des kommerziellen Textes durch Gruppen, für die er in der Form gar nicht gedacht war« (Jameson 1991: 179), also danach, wie wir versuchen, uns die Spurenelemente der utopischen Verheißungen anzueignen, die die moderne Alltagsund Konsumkultur enthält. Die Rezeptionsforschung der Massenmedien geht aus dieser Perspektive davon aus, dass Massenkommunikation ein Produktionsverhältnis (im Sinne von Karl Marx) ist, in dem Rohmaterialien, nämlich Inhalte, vermittels Kodierung in einen warenförmigen Verwertungskreislauf eingespeist werden. Der ästhetische Gebrauchswert, der sich in der Massenkommunikation realisieren lässt, unterliegt freilich komplexen subjektiven Wertungen, die nicht nur auf ihren ideologisch-manipulativen Gehalt reduziert werden können. Kulturelle Texte können ganz anders dekodiert werden, als sie enkodiert worden sind, meint Stuart Hall (Hall 1990). Auf diesem Terrain sind Verselbständigungen möglich, weil es verschiedene Bedeutungsschichten gibt, die verschiedene Benutzer jeweils verschieden für sich aktivieren. Es gibt die Möglichkeit, dass kommerzielle Produkte, die aus Stereotypien und Klischees zusammengesetzt sind, kontraintentional und individuierend rezipiert werden können. Es muss durchaus nicht immer der Fall sein, dass die Rezeption frei und selbstbestimmt ist. Aber, und nur darauf kommt es hier an: Die Vieldeutigkeit der Massenkultur lässt dies zu. Und das zeigt im Rückschluss, dass es verschiedene Bedeutungsschichten gibt, die verschiedene Benutzer jeweils verschieden für sich aktivieren. Ein paradoxes Beispiel aus der Pop-Kultur wäre der psychopathische Killer Charles Manson, der Ende der 1960er Jahre ›Botschaften‹ aus harmlosen Songs vom Weißen Album der Beatles heraushören wollte, die für Sharon Tate und andere tödliche oder traumatische Folgen hatten. Sicherlich wäre Stuart Hall nicht damit einverstanden, wenn ich so tue, als ließe sich seine These ausgerechnet damit belegen. Und das zu Recht, denn in den Cultural Studies geht es nicht um individuelle Pathologien, sondern um Verhaltensmuster, über die sich verallgemeinerungsfähige Aussagen zur ergebnisoffenen oder tendenziell selbstbestimmten Rezeption kommerzieller Produk-
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Abb. 16: Eva Pflug und Dietmar Schönherr als Leutnant Tamara Jagellovsk und Commander Cliff Allister McLane
te der Massenkultur gewinnen lassen. Also ein anderes Beispiel aus der Welt der Unterhaltungsmusik: Die Marianne-Rosenberg-Rezeption in der deutschen Schwulenszene der Achtziger und Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bescherte der Schlagersängerin ein Comeback, über das sie sich nicht so recht freuen konnte, weil sie fortan mit einer Klientel assoziiert wurde, die nach den spießbürgerlichen Maßstäben der Schlagerbranche als zwielichtig galt. Ein Beispiel aus dem Bereich der visuellen Unterhaltungskultur ist die Raumpatrouille Orion. Diese bundesdeutsche Fernsehserie aus dem Jahr 1966 ist ein Paradebeispiel für eine »Kultserie«. Sie folgte dem Schema der Kriegsfilme der 1950er Jahre und der heute noch beliebten Landser-Romanhefte. Das wird meistens übersehen. »Allein der Entwurf der Hauptfigur war ein Coup für sich«, schwärmt Harald Keller in seinem oberflächlich und lieblos zusammengeschriebenen Buch Kultserien und ihre Stars. »Commander McLane bewegt sich innerhalb einer strikten militärischen Hierarchie gleichsam als Fremdkörper. Um der Effizienz willen verstößt er mutwillig gegen Dienstverordnungen und wird von der ersten Folge an eingeführt als unbeugsamer Abenteurer, der vom bedingungslosen Gehorsam wenig hält und seiner wiederholten Insubordination willen einer disziplinarischen Maßnahme unterworfen wird«. (Keller 1996). Raumpatrouille Orion als anti-militaristische Fernseh-Aufklärung? Das Gegenteil war der Fall. Bei Kellers Inhaltsangaben beliebter, mehr oder weniger schräger Fernsehserien von den 50ern bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts wird man oft den Eindruck nicht los, dass der Autor nie selbst eine Folge gesehen und auf vorfabrizierte Inhaltsangaben zurückgegriffen hat, zusammen mit einschlägigen Fotos aus den PR-Abteilungen der Sender. Georg Seeßlen hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Subtext der Fernsehserie Raumpatrouille Orion eine typische Variante der Nachkriegsideologie transportiert: die Welt der tapferen Kämpfer für eine gute Weltordnung, die von ›denen da oben‹ schikaniert, auf Himmelfahrtskommandos geschickt oder aufs Abstellgleis abgeschoben werden. Commander McLane war ein Update des guten deutschen Wehrmachtsoffiziers, der aber, im Gegensatz zu den armen Schweinen im Zweiten Weltkrieg, mit Courage und klugem Eigensinn am Ende immer Erfolg hat. Die gänzlich ironiefreie Produktion legte Balsam auf deutsche Wunden – und nahm zugleich die Führungsposition in der SienceFiction-Filmproduktion ein, in der sie, durch technischen Ideenreichtum bei geringem Aufwand, Maßstäbe setzte. Fast 25 Jahre später eroberte die Serie dann die Programm-Kinos bundesdeutscher Universitätsstädte. Durch die ironischen Lesarten des akademischen Publikums wurde die Produktion aufgewertet. Die Rezeption verselbständigte sich gegen die Intentionen der Produzenten. Die Zuschauer hatten ihr bissiges Vergnügen an den anachronistischen Fortschritts-Botschaften einer hypertechnoiden Weltall-Zivili-
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 31 sation, an unfreiwillig komischen Verhaltens- und Kommunikationsmustern, an skurrilen Dramaturgien, aber auch an gelungenen Lösungen im Bereich der technisch-visuellen Inszenierung, wie z.B. den berühmten Bügeleisen als Armaturen der Weltraumkanonen. Natürlich muss eine Hermeneutik des Kults immer im Blick haben, dass die verselbständigende Rezeption, die eine Fernsehserie aus dem frühen Mittelalter des Mediums zur Kultserie macht, die eine Saison lang wieder up to date ist, kein Indiz für die Autonomie und Freiheit der Rezeption kommerzieller Produkte sein muss. Aber es gibt die Möglichkeit zu solcher Rezeption; die strukturelle Vieldeutigkeit der Massenkultur lässt sie zu. Polysemie erkennen und dekodieren können – das ist eine ästhetische Kompetenz, die in der Massenkultur immer wichtiger wird. Stereotype Produkte können neu, kontraintentional und individuierend rezipiert werden. Wer Vergnügen sucht, erlebt diese Strategie häufig als die vielversprechendste. Das haben die Kreativen auf diesem Gebiet natürlich längst erkannt. Deshalb gibt es heute leider kaum noch in dieser Hinsicht naive Produktionen à la Raumpatrouille Orion, die in späteren Rezeptionswellen die ungeahnte Süße ihrer unfreiwilligen Komik entfalten könnten. (Oder vielleicht gibt es diese Qualität nach wie vor, aber sie verbirgt sich den Zeitgenossen vorläufig noch. Vielleicht werden spätere Rezipienten ja gerade über die angestrengte Mehrfachkodierung und Ironisierung schmunzeln.) Die »Naddel«-Plakatserie scheint jedenfalls so angelegt zu sein, dass zwar auch ohne polysemantische Dekodierungskunst die Primärbotschaft erkennbar ist, aber eine weitere Bedeutungsschicht existiert, die solche Fähigkeiten erheischt. Vieldeutigkeit entsteht nicht mehr gleichsam naturwüchsig, sie wird einkalkuliert. Das flüchtige Zusammenspiel der manifesten, dominanten Aussagen und der beiherspielenden latenten, eigen- und gegensinnigen Bedeutungen wird geplant. Auch wer Bild-Zeitung und Kommerz-TV vermeidet, erkennt also ohne Weiteres: Hier soll mit Hilfe des Bildes einer attraktiven Frau Interesse für Henninger-Bier erzeugt werden. Dem Kundigen erschließt sich darüber hinaus noch eine Geschichte, die mit den Mitteln indirekter Narration angedeutet wird: Die Person auf dem Plakat ist ein Medienstar, der aus dem Geist des Skandals geboren wurde. Frau Faragh war die ewige Freundin des (wenn man ihn denn so bezeichnen will) Musikers Dieter Bohlen. Sie betrat die Szene, nachdem Bohlens Kurz-Ehe mit der Moderatorin Verona Feldbusch gescheitert war. »Naddel« (so hatte »Dieter« sie einst in den glücklichen Tagen der Jugend genannt) hatte ihre Rivalin besiegt. Und zwar, so die Mär, nicht nur im Liebesleben, weil »Dieter« zu ihr zurückgekehrt war, sondern auch in der Fernsehkarriere, denn jetzt wurde sie Moderatorin der Talkshow »Peep«, der zuvor Frau Feldbusch präsidiert hatte.
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Abb. 17: Dieter Bohlen: »talentfrei«
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Diese wiederum vertrat nun – bevor sie begann, in Damenunterwäsche zu machen und als Hochschullehrerin zu arbeiten – in der Reklamebranche ein Spinatprodukt. (Daran kann man übrigens sehen, dass die Doktrin längst nicht mehr unumstritten ist, bei Testimony-Werbung mit Prominenten müsse das Image des prominenten Bekenners mit dem des Produkts irgendwie stimmig harmonieren, z.B.: eine gesunde gesamtdeutsche Sportlerin und gesunde Nahrung aus deutschen Landen).
Abb. 19: »Katarina Witt: Ich will immer besonderen Genuss«
Abb. 18: Verona Feldbusch als Fachhochschul-Dozentin
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Massenmedien als System: ein geschlossener Verwertungsund Kommunikationskreislauf Inzwischen ist nicht nur »Naddels« Talkshow aus dem Programm genommen worden, sondern auch die Beziehung zwischen »Naddel« und »Dieter«; »Verona« hat in der Harald-Schmidt-Show parodistisch erzählt, wie »Naddel« sich beim Auszug mit »Dieter« um die gemeinsamen Möbel gestritten hat. In der Bierkampagne ist das freilich nicht noch einmal aufgegriffen worden. Für Henniger-Bier warb bald darauf ein Schauspieler-Duo aus dem Fernseh-Rollenfach ›sympathische Machos‹. Und die Bühne der Bild-Zeitung wurde von neuen hell-dunklen Paar-Konstellationen beherrscht. Die Lebensdauer der Storys aus dieser Sphäre war natürlich kurz; einen Exkurs über Barbara, Boris und Sabrina kann ich uns deshalb ersparen.
Abb. 20: »Naddel droht Bohlen mit Rache«
Und doch: Populistisch funktionalisiertes Vergnügen hat eine Nebenbedeutung, die alles andere als unwichtig ist. Es sichert nämlich das massenmediale Kurzzeitgedächtnis unserer Alltagskultur. Auch für »Naddel« gilt das alte Prinzip des Unterhaltungsromans aus der Tageszeitung: Fortsetzung folgt. Nach der Bierwerbung fand in der Bild-Zeitung eine neue »Naddel«-Inszenierung im Anschluss an das Buch statt, mit dem ihr ehemaliger Lebensgefährte dem krisengeschüttelten deutschen Buchhandel wieder Hoffnung auf kräftigen Umsatz und solide Erlöse gab. Mehr oder weniger (meist Letzteres) appetitliche Details aus dem Leben des Paares wurden vor dem Publikum ausgebreitet. Die Co-Autorin, die das Elaborat mit und für Bohlen angefertigt hatte, steht in redaktionellen Diensten des Boulevardblattes und ist nebenbei noch die Ehefrau von dessen Chefredakteur. Zwischen wertkonservativer Kulturkritik und opportunistischen Apologien des Kultur-Kommerz besteht ohne Frage eine polare
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Spannung, vielleicht sogar eine Hassliebe. Meistens stehen sich diese Positionen abstrakt-antithetisch gegenüber. Aus einer bestimmten Perspektive, von der ich von vornherein zugebe, dass sie leicht ironisierend ist, lässt sich die unproduktive Komplementarität der Positionen vielleicht überwinden.
Abb. 21: »Dieter Bohlens Gärtner gibt alles zu«
Nach dem Populismus kommt jetzt also der Elitismus, frohlockte der Medienprofessor Norbert Bolz im Januar 2004, als die Führungsriege der regierenden Sozialdemokraten eine Debatte über Elite-Universitäten in Deutschland lanciert hatte. Es schien aber auch höchste Zeit für die Wende zu sein! Anlässlich der Frankfurter Buchmesse im Herbst 2003 hatte der öffentlich-rechtliche Nachrichten-Moralist Ulrich Wickert ein Interview mit Frank Schirrmacher geführt, der für eines der letzten auf high culture setzenden Zeitungsfeuilletons verwantwortlich ist. Mit sorgenzerfurchter Miene äußerte Wickert seine Befürchtung, dass sich im Verkaufserfolg von Dieter Bohlens Memoiren der Anfang vom Untergang des Abendlandes ankündige. Damit gab er Frank Schirrmacher von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Gelegenheit, sich im Fernsehinterview populistisch als toleranter Freund der low culture in Szene zu setzen. Literatur, führte Schirrmacher aus, habe doch schon immer mit Skandalen zu tun gehabt; man solle nur einmal an die Turbulenzen denken, die Goethes Leiden des jungen Werthers nach sich gezogen hätten.
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Abb. 22: »Sechs Wochen mähte Bohlens Gärtner Waldemar nicht nur den Rasen«
Damals hat also der Weimarer Skandale ausgelöst, heute tut das der Mann aus Tötensen. So ist das nun einmal. Tatsächlich? Schirrmacher hatte anscheinend vergessen, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob der Skandal ein Buch akzidentell begleitet (also als Kollateral-Schaden oder -Nutzen), oder ob er seine Substanz ausmacht (besser gesagt: an die Stelle der nicht vorhandenen literarischen Substanz eines Buches tritt). Dass bei literarischen Werken in erster Linie ihre Form von Belang ist, in zweiter ihre Story und erst in dritter die Rezeption, muss aber heute keinen Feuilletonchef mehr interessieren. Denn die kulturelle Funktion des Systems der Massenmedien besteht darin, durch unendlichen Selbstrückbezug ein kommunikatives Hintergrund-Kontinuum zu produzieren, auf das wir uns in den Kommunikationen unseres Alltags beziehen können – sei es kritisch wie Wickert, affirmativ wie Schirrmacher oder metakritisch wie der Autor dieser Zeilen. Man tut gut daran, sich der Entscheidung zwischen konservativer Kritik und abgebrühter Apologie der Massenkultur zu verweigern, weil sie sich als unproduktive Alternative erwiesen hat. Denn nicht nur Individuen, sondern auch Kulturen brauchen zum Überleben ein Kurzzeitgedächtnis. Wenn die alte Rede von einem »kollektiven Gedächtnis« überhaupt einen Sinn hat, dann nur, wenn damit ein mediales Gedächtnis gemeint ist, zu dem alle Zugang haben, d.h. ein symbolisch vermittelter und (re-)produzierter Kommunikationszusammenhang.
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Abb. 23: »Mein Sex-Unfall mit Bohlen«
Debatten darüber, was als sozial und kulturell erlaubt gilt, werden heute im Feuilleton geführt. Skandale im Sinne von Normverstößen sind wichtige Selektoren, mit denen »Ereignisse« produziert werden, die in den Massenmedien zu Informationen gemacht und kommuniziert werden; im Feuilleton findet das dann z.B. in Gestalt von Reflexionsdiskursen statt, deren Thema die Erhaltung, Reproduktion oder Veränderung geltender Moralvorstellungen sind.
Abb. 24: »Dieter holte zum Endstoß aus«
»Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien«, lautet Luhmanns Axiom der systemtheoretischen Medienwissenschaft (Luhmann
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 37 1996). In den Massenmedien erfolgt die Kodierung über das Unterscheidungskriterium Information/Nichtinformation. Dabei werden Selektoren angewandt: Neuigkeit, Konflikt, Quantität, lokaler Bezug, Normenverstöße (Außergewöhnliches, Skandale), Moral, Personen und Handelnde, Aktualität, Meinung. Das System der Massenmedien ist intern ausdifferenziert in die Programmbereiche Nachrichten und Berichte, Unterhaltung und Werbung. Werbung ist eine Gestalt zeichenförmiger Massenkommunikation. Sie ist »eine Realitätskonstruktion, die ihre eigene, für sie primäre Realität fortsetzt«. Leitidee in diesem Programmsegment der Massenmedien ist, wie gesagt, nicht mehr der exakt kalkulierbare ökonomische Ertrag, sondern »der Zwang, sichtbar zu bleiben«, und der Schein einer idealen Alltagskultur, in der Redundanz und Varietät herrschen: »so viel Ordnung wie nötig und soviel Freiheit wie möglich«. Und nun zurück zum eigentlichen Thema, der Bier-Ikonographie. Naddel tritt dort als Frau auf, die sich durchsetzt. Sie gibt die Männer zurück wie leere Bierkästen, sie kann sich beliebig oft neu verlieben, und nach der Krise entscheidet dann doch der gute Geschmack, der den fehlgeleiteten Freund aus den Armen der unkultivierten Rivalin zurückfinden lässt. Das einzige Plakatmotiv, das nicht richtig in diesen Informationskreislauf passt, ist das Weihnachtsengelchen, und das wirkt auch deutlich schwächer. Die Henninger-Kampagne bestand nicht nur aus Plakaten, sondern auch aus flankierenden Auftritten der Protagonistin auf Fachmessen und in Fernsehsendungen. Es war erfolgreich einkalkuliert worden, dass in Privat-TV-Sendern und in den fast ebenso boulevaridisierten öffentlich-rechtlichen Vorabendprogrammen des deutschen Fernsehens ausgiebig über das »Medienereignis« berichtet würde (weiblicher Skandal-Star wirbt für Männergetränk). Die Rechnung ging auf; alle einschlägigen Sendeplätze hallten von busenfixierten, gequält ironischen Berichten wider. So stellen sich Redakteure der Bild-Zeitung vermutlich die Stimmung vor, die unter Fernfahrern bei der Pausenlektüre aufkommen soll. Tatsache ist, dass ein ein rekursiver Kommuikationszusammenhang entstand. Die Reklame griff Hintergrundinformationen aus anderen Medien auf, die wieder in den geschlossenen Verwertungskreislauf des Medienverbunds eingespeist wurden, als Boulevardzeitungen und Kommerzfernsehmagazine über »Naddels« Werbekarriere als ein Kapitel ihrer Erfolgsgeschichte berichteten. Das ist ein beliebtes Verfahren. Als das deutsche Fußball-Nationalteam 2003 in einem wichtigen Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft gegen Island mit knapper Not gerade noch ein allgemein belächeltes Unentschieden geschafft hatte, geschah etwas, das Hanauer Schulkameraden des »Teamchefs« Rudi Völler schon lange befürchtet (oder erwartet) hatten. Der Mann, der aus einfachen Verhältnissen stammt, schon früh die Schule für eine Laufbahn als Pro-
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Abb. 25: »Prost, Rudi!«
fifußballer verlassen hatte und von dem Bundesliga-Club, in dem ihm der Durchbruch zum Stürmer-Star gelang, einen Rhetorik-Trainer verpasst bekam, damit er auf Pressekonferenzen »überhaupt ‘mal einen geraden Satz auf Deutsch zustande bringt« (so eine mündliche Überlieferung aus Hanau) und inzwischen (beneidenswerterweise) fließend Italienisch spricht – dieser Mann rastete vor laufender Kamera aus. In Rage geraten, verbat er sich jede Kritik am Spiel »seiner Jungens«, warf mit Fäkalvokabular nur so um sich und beleidigte den ratlosen Fernsehinterviewer. Experten wie »der Günther« oder »der Franz« hätten zu ihrer aktiven Zeit doch sowieso nur »Standfußball« gespielt; der allgemein beliebte (von Satirikern gern als »Duzmaschine« bezeichnete) Waldemar »Waldi« Hartmann, behauptete Völler wutschnaubend, habe sich beim Zuschauen genüsslich mit Weizenbier vollgepumpt, während »die Jungens da unten« geackert und gerackert hätten. In der Folge kam es, wie es beim deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen und seinem Umfeld kommen musste. Völler entschuldigte sich bei Hartmann und dem Publikum, das Publikum liebte ihn (nicht wegen der Entschuldigung), die Bild-Zeitung feierte ihn als Mann des deutlichen Wortes und die Werbeindustrie machte eine Geschichte daraus. Als Beleg dafür mag die Autogrammkarte genügen, die ich einige Monate später von Waldemar Hartmann nach einem freundlichen Gespräch in der Eisenbahn erhielt.
Exkurs 1: Nothing is real Man kann auch das durchaus als Beleg für die These interpretieren, dass die Massenmedien nicht Realitäten getreu oder verzerrt abbilden, sondern eigene Realitäten konstruieren, d.h. ihre eigenen Wirklichkeitssegmente schaffen. Das hat Günther Anders schon in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts an der Phantom-Wirklichkeit der Fernsehbilder aufgezeigt. Anders untersuchte, wie wir Phänomene wahrnehmen und mit unserem intellektuellen Apparat im Kopf verarbeiten. Dabei lenkte er den Blick darauf, dass die medialen Angebote bereits bearbeitet, gewissermaßen vor-verarbeit sind, wodurch dann in der Folge unsere Bearbeitung schon nicht mehr uns selbst gehört. Was ist Wirklichkeit, was Reproduktion, wenn zum Faktum geworden ist, dass unsere Wirklichkeit eine ist, die in Bildern wahrgenommen wird? Wir machen uns Bilder von der Wirklichkeit, meinte Anders, die dann unsere Wirklichkeit sind – aber nicht, weil wir Schein und Sein verwechseln würden, sondern weil wir nur noch als existierend anerkennen, was wir selbst produziert haben. Dieses erst sei unser Besitz. Das gelte fürs selbstfabrizierte Urlaubsfoto wie dann im großen Stil fürs nach Hause gelieferte Fernsehbild.
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 39 Aufgrund des Waren- und Artefakt-Charakters, den Fotos wie TV-Bilder haben, böten sie sich als Hilfsmittel an, um jene »prometheische Scham« zu verdrängen, unter der die Menschen der technischen Zivilisation leiden würden. Anders meinte damit die unerträgliche Erkenntnis, dass wir mehr herstellen können, als wir uns vorzustellen vermögen, und weiterhin: dass wir uns unseren eigenen technischen Geräten unterlegen fühlen, weil wir lediglich Naturwesen sind. Wir empfinden es als Makel, dass wir nicht industriell produziert, sondern organisch gewachsen sind (»geworden, nicht gemacht«; Anders 1987: 24) Wir sind auch keine seriellen Produkte; daher würden wir unter unserer individuellen Einzigartigkeit leiden. Wir wollen sie zwar nicht aufgeben und in der Masse untergehen, aber versuchen doch, die Scham vor der Perfektion unserer Geräte zu kompensieren, indem wir unsere eigenen Abbilder (und die, die wir von anderem machen) serialisieren. Diese Krankengeschichte klingt nicht unbedingt plausibel oder so, als würde sie unseren heutigen Erfahrungen noch entsprechen. Wie dem auch sei: Frank Hartmann hat darauf hingewiesen, dass Anders – lange bevor diese Sichtweise durch die Postmoderne in Mode kam – eine Theorie von der »Erzeugung einer medialen Hyperrealität« formuliert hat. In dieser Hyperrealität wird »durch Iteration, also wiederholte Eingabe der Vorgabe, das Wirkliche zum Abbild seiner Bilder« (Hartmann 2000: 219). Wir sind in Paris und sehen dort nicht den Eiffelturm, sondern bereits seine virtuelle Abbildung auf dem Foto oder in Film und Fernsehen. Zuhause sind unsere Fotografie oder das Urlaubsvideo dann nicht Gedächtnisstützen für die erinnerte Wahrnehmung des Eiffelturms, sondern dessen eigentliche Wirklichkeit. »Die Realität wird in Entsprechung des Verhältnisses von Modell und reproduzierter Ware nach den medialen Bildern geformt, die man sich von ihnen gemacht hat.« (Hartmann 2000: 219) Die Realität, heißt das zunächst schlicht, wird in unseren Köpfen so geformt. Aber erstens gilt das schon für ihre virtuelle (im philosophischen Sinn) ontologisch-reale Veränderung; denn was wir technisch herstellen können, so Anders, das meinen wir auch herstellen zu müssen. Und zweitens ist die Formung der Realität in unseren Köpfen immer schon deren Veränderung, sofern wir sie wahrnehmen und uns auf sie beziehen. Mit den Worten von Hartmann: »Dies hat ein eigentümliches Verhältnis zum Realen zur Folge. Im Zuge der technischen Reproduzierbarkeit ergibt sich eine ökonomisch bedingte Verschiebung dessen, was real ist – als massenhaft reproduzierte Ware ist die Reproduktion ›wirklicher‹ als das ihr zugrundeliegende Modell.« (Hartmann 2000: 219) Das Fernsehen synchronisiert Bild und Abgebildetes. Im Fernsehen sind die Welt und die Bilder der Welt für uns gleichzeitig vorhanden. Fernsehen liefert nicht Abbilder von der Wirklicheit in
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die Häuser der Betrachter. Vielmehr ist für die Betrachter das Bild, das im Fernsehen erscheint, die Wirklichkeit. Es werden nicht Ereignisse abgebildet, sondern es ereignet sich, dass Bilder da sind. Insofern wir Betrachter sind, finden für uns Bilder statt. »Im TV sind Bilder und Abgebildetes synchron. Ein Fernsehbild ist ein übertragenes Bild von etwas an einem Ort, an dem ich nicht bin, und ich kann es aus der Ferne dennoch sehen. Daß die Television uns doch unzweifelhaft Bilder liefere, gerade das sei aber die Täuschung, entgegnet Anders einem fiktiven Zwischenrufer seiner Überlegungen. Bei der Synchronizität und Simultaneität der Fernsehübertragung geraten die philosophischen Kategorien durcheinander; statt Bild und Gegenstand, statt dem Gegenstand und dessen Zeichen gibt es eine leere Form, die Anders Phantom nennt.« (Hartmann 2000: 222) Phantome sind Trugbilder. Sie unterscheiden sich von Phantasmata; so heißen in der philosophischen Tradition der Antike seit Aristoteles innere Vorstellungsbilder der sinnlichen Wahrnehmung. Phantome dagegen sind äußere Bilder, die da sind und doch nicht im vollen Sinne da sind. In der medialen Wirklichkeit sind mediale Ereignisse weder bloßer Schein (wie man mit einem Begriff der traditionellen Ästhetik sagen würde), noch sind sie bloße Repräsentationen von Realem – denn sie sind ja selbst real, nämlich als reale mediale Ereignisse. In der medial durchwirkten Welt der Gegenwart ergibt sich eine »ontologische Zweideutigkeit […], die es weder gestattet, Bild gegen Abgebildetes, noch Schein gegen Sein auszuspielen. Anders nennt diesen Pseudo-Realismus der medienproduzierten Wirklichkeit ihre Phantomhaftigkeit – sie ist offenbar wirklich und scheinbar zugleich.« (Hartmann 2000: 223) Und diese Zweideutigkeit betrifft auch und besonders den Sektor der Massenmedien (bei Anders geht es um Rundfunk und Fernsehen), den wir in der vorwissenschaftlichen Einstellung zur Welt gerade als denjenigen bezeichnen würden, der am Ehesten die Aufgabe hat, »die Welt draußen« zu repräsentieren: die Nachrichten. Jedes Fernsehbild, sagt Anders, ist mehr als ein Bild: Es ist ein Urteil. Damit meint er, dass es eine logische Struktur in sich birgt. Es ist die Struktur einer Aussage, die einem Subjekt ein Prädikat zuordnet. Anders wollte mit dieser Überlegung zeigen, dass die technischen Medien die Differenz einziehen, die für uns zunächst intuitiv zwischen dem Geschehenen und dessen Über- bzw. Vermittlung besteht. Phantome sind weder die Ereignisse selbst »noch […] bloße Bilder der Ereignisse« (Anders 1987: 154); ebenso sind Tatsachensätze weder die Gegenstände selbst, von denen sie etwas aussagen, noch Bilder von ihnen. Anders’ Beispiel: die »Nachricht«, dass der Kohlenkeller leer ist. Diese Aussage teilt dem Benachrichtigten weder den Kohlenkeller selbst mit noch ein Bild des leeren Kohlenkellers. Sie teilt ihm vielmehr ein Drittes mit, nämlich die Tatsache, »daß der Kohlenkasten leer ist« (ebd.). Auf das »dass« kommt es an. Die Nachricht
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 41 im alten Sinne bringt nicht die Sache selbst ins Haus, sondern das Wissen darüber, dass die Sache existiert bzw. dass etwas mit ihr geschehen ist. Sie gibt Kunde von Abwesendem, ermöglicht es dem Benachrichtigten, ohne eigene Erfahrung und Wahrnehmung vom berichteten Ereignis zu wissen. Nicht der Gegenstand selbst, sondern etwas von ihm und über ihn wird anwesend gemacht. Auf diese Weise wird ein neuer Gegenstand gemacht. Die Nachricht ist daher im Wortsinne ein Faktum. Sie ermöglicht dem Empfänger, sich so zu verhalten, »als wäre der Gegenstand anwesend« (Anders 1987: 156). Anders wollte auf diese Weise zeigen, dass nur im Rahmen einer Handlungs- und Urteilstheorie erklärt werden kann, was das Eigentümliche einer Nachricht ist. Fakten sind mobil. Und berichtete Fakten sind stets Urteile, die die Funktion erfüllen können, zum Handeln zu bewegen. Das nächste Beispiel bei Anders ist die Unglücksmeldung. »Während der Bote das brennende Haus nicht transportieren kann, kann er die Tatsache, daß es brennt, zum Adressaten spedieren und ihm übergeben.« Das gilt für die Nachricht vor dem Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit in den Massenmedien. Rundfunk- oder Fernsehsendungen hingegen »löschen den Unterschied zwischen Sache und Nachricht aus«. Denn in den Sendungen werden scheinbar »die Gegenstände selbst«, in Gestalt ihrer »Phantome«, spediert und übergeben: »was mich erreicht, ist ja die Symphonie, nicht die Tatsache, daß man sie spielt; der Redner, nicht das Faktum, daß er redet.« (Anders 1987: 159) Diese phantomhafte Anwesenheit der Sachen selbst scheint jenseits allen Urteilens zu liegen. Aber in Wahrheit, so Anders, ist sie nichts als ein verkapptes Urteil. Und es hat ihm zufolge die ganz besondere Wirkung, dass wir unsere Urteilskraft verlieren. Der Politiker, der im Fernsehen auftritt, zeigt nicht einfach, dass er sympathische Eigenschaften hat. Sein Auftritt hat vielmehr die Form: Kandidat Müller hat die Eigenschaft, ehrlich zu sein – oder, wie die Formel aus dem philosophischen Kolleg lautet: S ist p. Kurz: Kandidat Müller ist ehrlich. Jede massemediale Nachricht, meinte Anders nun, hat diese Form eines Urteils, aber ohne dass diese Form offen einbekannt würde. Sie verschwindet im Bilde. In der Rezeptionssituation der Massenmedien, in der uns warenförmig aufbereitete Nachrichten angedient werden, ist das »ins Bild verwandelte Urteil« (Anders 1987: 161) aber immer schon ein Vorurteil. Es wird dem Rezipienten vorgesetzt. »Was wir, vor dem Radio oder dem Bildschirm sitzend, konsumieren, ist statt der Szene deren Präparierung, statt der angeblichen Sache S deren Prädikat p, kurz: ein in Bildform auftretendes Vorurteil, das, wie jedes Vorurteil, seinen Urteilscharakter versteckt« (denn es tritt ja als Faktum auf), »aber, da es heimlicherweise eben doch eines ist, den Konsumenten davon abhält, seinerseits noch einmal die Mühe des Urteilens auf sich zu nehmen.« Das teilt die Medienware mit allen anderen Fertigwaren; so, wie wir einen ferti-
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gen Schokoladenpudding im Plastikbecher nicht nochmals kochen, sondern sogleich verzehren. »Des eigenen Urteils sind wir enthoben; und um so gründlicher, als wir uns nicht dagegen wehren können, das gelieferte Urteil als die Wirklichkeit selbst entgegenzunehmen.« (Anders 1987: 163) Dieser stark dramatisierende Medienpessimismus läuft auf die These hinaus, dass alle Menschen vom Fernsehen passiv gemacht und dazu erzogen würden, »Sein und Schein« zu verwechseln. Das Bildmedium Fernsehen bilde nicht mehr die Wirklichkeit ab; die Wirklichkeit werde vielmehr zum Abbild der Fernsehbilder, weil sich die geschichtlichen Ereignisse immer schon in hohem Grade danach richten würden, was für das Medium Fernsehen erforderlich ist. Die Welt werde also zu einem Abbild der medialen Bilder, der Mensch zu einem Lebewesen, das die Welt frei Haus geliefert bekommt. Das führe zu tief greifenden anthropologischen Veränderungen, und das Dasein des Menschen werde vollkommen unfrei. Diese Thesen, die aus Analysen aus den 1950er Jahren hervorgegangen sind, hat Anders 1979, im Vorwort zur aktuellen Ausgabe seiner Antiquiertheit des Menschen, freilich selbst modifiziert. Dort kehrte er zur Abbildtheorie der Medien zurück, denn er meinte festgestellt zu haben, dass Fernsehen eben doch Wirklichkeit abbilden kann. Die erschütternde und aufrüttelnde Wirkung der Fernsehbilder von der US-amerikanischen Intervention in Vietnam hätten uns mit einem Stück wirklicher Wirklichkeit konfrontiert, dessen wir ohne TV nicht teilhaftig geworden wären; sie hätten uns zu widerständiger Praxis motiviert, zu einem weltweiten Protest, der mit dafür ausschlaggebend war, dass der Völkermord abgebrochen worden ist. »Wahrgenommene Bilder sind zwar schlechter als wahrgenommene Realität, aber sie sind doch besser als nichts.« (Anders 1987: VIII) Dass wahrgenommene Bilder selbstverständlich immer auch wahrgenommene Realität sind, da ja die Bilder ein Stück der Realität sind bzw. ihre eigene Realität haben, hat Anders an dieser Stelle allerdings nicht interessiert. So oder so: Derartige Annahmen über die Wirkung und die Wirklichkeitshaltigkeit von Massenmedien sind schwer zu überprüfen. Wer sich am Abend vor der »buddhistischen Maschine« TV (Enzensberger) in reflexionslose Trance versetzen lässt, muss nicht notwendigerweise die Ebenen verwechseln und die Abbilder im Kasten für die Urbilder draußen halten. Er muss nicht notwendigerweise die Welt-Bilder verinnerlichen, als deren Botschafter Sabine Christiansen, Sandra Maischberger, Ulrich Wickert oder Jörg Wontorra auftreten. Hans Magnus Enzensberger hat das Medium Fernsehen treffend als ein »Nullmedium« bezeichnet, das alle kulturkritischen »Klagen« »gegenstandslos« macht. Diese, meint Enzensberger, beziehen sich in der Regel auf die Inhalte, aber wir nutzen dieses Medium ja gar nicht um der Informationen willen, die es enkodiert, sondern um seiner reinen Form willen, und das heißt in diesem
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 43 Falle: wegen seiner reinen Präsenz, die pure Anwesenheit in Echtzeit vermittelt (Enzensberger 1988).
Exkurs 2: Network Den Unterschied zwischen dem handlungstheoretischen und dem systemtheoretischen Paradigma in der Mediensoziologie kann man sich anhand des dramatischen Wendepunkt in Sidney Lumets Kinofilm Network aus dem Jahre 1974 klar machen. Der Frontmann einer Nachrichtensendung – ein Fernsehjournalist der ersten Stunde, so ungefähr vom Kaliber eines Walter Cronkite – erfährt von seinem Freund, dem Chef der Nachrichtenabteilung des Senders, dass er demnächst gefeuert werden wird, weil seine Sendung nicht mehr genügend Zuschauer anzieht. Er verfällt in eine Depression und kündigt vor laufenden Kameras an, er werde sich während der Ausstrahlung seiner letzen Sendung, 14 Tage später, erschießen. Durch den darauf folgenden Medienskandal wird die Nachrichtensendung über Nacht zur Zuschauerattraktion. Um die Gunst der Stunde zu nutzen, wird der resignierte Sprecher flugs als »zorniger Fernseh-Prophet« aufgebaut. Nun begeistert er allabendlich die Zuschauer, indem er »ungeschminkte Wahrheiten« darüber verkündet, wie unerträglich es doch für die Menschen sei, tagaus, tagein von Massenmedien und Politkern verschaukelt und für dumm verkauft zu werden. Wenig später ist er schon gar nicht mehr resigniert, sondern hat sich in einen quasireligiösen Erweckungs-Wahn hineingesteigert, der subjektiv ganz ernst gemeint ist. Er hat nächtliche Visionen und predigt, in erregtem Eifer wie ein Televangelist, symbolischen Widerstand: Widerstand gegen eine »Guckguck-Welt« (Neil Postman), in die gedankenleeres Entertainment und zynische Profit-Mentalität die moderne Gesellschaft der USA verwandelt hätten. Wir amüsieren uns zu Tode, lautet seine Botschaft; höchste Zeit zur Umkehr und zur Wahrheitssuche: dort, wo Wahrheit zu finden sei, also in der Kirche, beim Guru oder tief drinnen in uns selbst. Und die Menschen lassen sich mobilisieren – ganz so, wie wir das hierzulande heute von Christoph Schlingensief kennen. Unter der Anleitung des »zornigen Fernsehpropheten« finden symbolische Protestaktionen im massenhaften Maßstab statt: Zuschauer öffnen auf Kommando die Fenster und schreien im Chor heraus, sie würden sich nicht länger zum Narren halten lassen. Schließlich erzählt der »zornige Fernseh-Prophet« live auf Sendung, dass ominöse saudiarabische Geldmagnaten die Mehrheit an dem vormals US-amerikanischen Konzern halten, dem der Fernsehsender gehört. Damit löst er einen Massenaufstand gegen die Überfremdung der einheimischen Wirtschaft aus. Tausende Zuschauer schicken Protesttelegramme ins Weiße Haus. Jetzt wird es den Verantwortlichen zuviel.
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Der Konzernchef zitiert den Propheten zu sich und offenbart nun seinerseits seine eigene Vision. Es ist die Vision einer Welt, in der nicht mehr individuelles Handeln zählt, in der die Wünsche, Ziele oder Ängste von einzelnen Menschen und Gruppen nur Schein sind, in der es keine Nationen und auch keine Politik mehr gibt. Hier gibt es nur die evolutionären Naturgesetze einer Marktgesellschaft, deren »Subjekte« eben keine mehr sind, sondern multinationale Konzerne. Die globale Wirtschaft, deren Bild der Konzernchef eloquent vor dem zutiefst beeindruckten »zornigen Fernseh-Propheten« entwirft, folgt keinen anderen Gesetzen als denen ihrer eigenen Systemlogik. Diese ist eine der Selbsterschaffung und Selbsterhaltung. Im ersten Teil seiner Rede entfaltet der Konzernchef das Tableau einer präzisen, wenn auch stark vereinfachten Beschreibung der kapitalistischen Wirtschaftsweise als Subsystem. Aus den nationalen Konkurrenzkämpfen treibt sie Konzentrationsprozesse hervor, welche zu multinationalen Konkurrenzkämpfen und Konzentrationsprozessen führen, die sich auf globalem Niveau zu einer prekären Stabilität zusammenschließen: zum in sich antagonistischen Gefüge eines permanenten Wettbewerbs, der den Anschein naturgesetzlicher Unausweichlichkeit gewinnt. Genau wie klassisch-liberale und neoliberale Wirtschaftsdoktrinen schlägt die Beschreibung an diesem Punkt freilich in eine Heilsvision um: Aus der ewigen Selbsterhaltung der Konzerne (durch immer neue erfolgreiche Unterscheidung von ihrer Umwelt) folge nämlich die ewige Kommunikation der Menschen untereinander und damit ewiger Friede und allgemeines Glück. Die Selbsterhaltungslogik der warenproduzierenden MarktWeltgesellschaft wird als Heilszustand, als Ende der Geschichte und Himmel auf Erden stilisiert. Dort regeln Massenmedien (wie das Fernsehen) und symbolische Steuerungsmedien (wie das Geld) die Tauschbeziehungen und haben dabei nur ihren eigenen Gesetzen zu folgen. Die Menschen sind in diesem Szenario glückliche Anhängsel in Funktion ihrer Steuerungs- und Kommunikationsmedien. Sie kämpfen nicht mehr und verfolgen keine kontroversen oder solidarischen Ziele. Denn hier sind sie immer schon am Ziel, in einer prästabilierten Harmonie der multinationalen Märkte. Die systemtheoretische Beschreibung der globalisierten Warentausch-Gesellschaft besitzt einen hohen Grad von Authentizität der Beobachtung. Aber in dieser Gestalt wird sie unversehens zur wahnhaften Ideologie. Gerade deshalb überzeugt sie mit unwiderstehlicher Kraft den »zornigen Fernseh-Propheten«, der zuvor noch die Sache der Individuen verfocht, die zwar auf verlorenem Posten sind, dies aber kritisch artikulieren könnten – und die vor allem die Glotze einfach abstellen könnten, wenn sie wollen. Von nun an predigt er etwas anderes: Es sei zwar nicht verkehrt gewesen, sich der medialen Verdummungsmaschine und den Machenschaften der Herrschenden durch symbolischen Widerstand entgegen zu stemmen, aber es
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Die Geburt des Stars aus dem Geist des Skandals | 45 sei hoffnungslos obsolet. Denn das letzte Stündchen der Individuen habe geschichtlich längst geschlagen. Ihr müsst sehen und wissen, dass wir alle von der Evolution überholt sind wie einst die Dinosaurier, predigt er nun. Die multinationalen Konzerne, wird verkündet, beherrschen die Welt, und keiner kann sie aufhalten. Solche düsteren Untergangsvisionen vertreiben alsbald die Zuschauer, die sich vor dem Fernsehgerät offenbar lieber als potenzielle Medienverweigerer und Widerständler umschmeicheln ließen. Die Karriere des »Fernsehpropheten« knickt wieder abrupt ab. Lumets Film hat es offen gelassen: Soll dieser Weggang der Zuschauer als Ausdruck einer narzisstischen Kränkung von Menschen verstanden werden, die sich lieber vor dem Fernsehgerät sitzend paradox wie profunde Fernsehkritiker fühlen möchten, als der deprimierenden Wahrheit ins Auge zu sehen? Oder soll die Reaktion der Zuschauer als Ausdruck einer kritischen Ablehnung jener in sich widersprüchlichen und handlungslähmenden message verstanden werden, die der nun nicht mehr zornige, sondern schaurig-begeisterte »Fernsehprophet« auf einmal verkündet? Wie wir diese Wendung verstehen, ist indessen nur von sekundärer Bedeutung. Ebenso der weitere Verlauf des Films, in dessen satirischem Finale der Chef des Fernsehsenders in eine Sackgasse gerät. Er möchte den »Fernsehpropheten« wegen Zuschauerschwund unbedingt loswerden, kann ihn aber nicht entlassen, da der Konzernchef ihn protegiert, dem es schmeichelt, seine systemtheoretische Globalisierungs-Ersatzreligion allabendlich verkündet zu sehen. Daher beschließt er, dass der »Fernsehprophet« zu Beginn seiner Sendung erschossen wird. Das Spektakel findet statt, der Senderchef ist sein Problem los, hat das gewünschte Spektakel, und Lumets Film endet auf einem Spannungshöhepunkt moralisch motivierter Mediensatire. Doch wie gesagt, wie diese Wendung zu verstehen ist, bleibt sekundär. Wichtiger ist, dass Lumet im Jahre 1974 höchst plastisch zwei medientheoretische Modelle gestaltet hat, die die heutige Landschaft der Medien und der Diskurse über sie beherrschen. Hier stehen sich nämlich zwei Modelle gegenüber, die einerseits gehaltvolle Beschreibungen sind und andererseits zugleich Wahn. Das eine Modell ist das medienkritische, das paradox seine Stellung innerhalb des Massenmediums TV behauptet und folgendermaßen argumentiert: Die Individuen, und zwar alle Individuen, sind dem Massenmedium TV und dem System, dessen Teil es ist, komplett ausgeliefert. Was das Massenmedium TV als Wahrheit ausgibt, ist Schein. Diese These wird nicht (wie bei Anders) über die Form des Mediums TV begründet, sondern über den Verweis auf die Trivialität, Banalität und Beliebigkeit seiner Inhalte und die zynische Gesinnung der Macher. Bei diesem Modell handelt es sich also um eine nicht allzu tiefschürfend begründetes Manipulationsmodell, in dem die TV-Macher aus niedriger Profitgier ein Unterhaltungs-Gehirnwä-
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sche auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Inhalte und Bildformen produzieren und die Zuschauermassen vorsätzlich und wider besseres Wissen der allmählichen Verblödung aussetzen. Diese Beschreibung stößt überall dort an ihre Grenzen, wo sich zeigen lässt, dass Menschen als Mediennutzer keineswegs willenlos vorverdaute Inhalte schlucken und die schematisierenden Formen verinnerlichen, die sie zu Marionetten der mächtigen Drahtzieher machen. Hall und andere Rezeptionsforscher aus dem Umkreis der Cultural Studies haben gezeigt, dass die Art und Weise, wie wir die medial übermittelten Waren enkodieren, nie vollständig determiniert ist durch die Art und Weise, in der sie enkodiert worden sind. Das andere Modell hat das handelnde Subjekt als Kategorie aus seinem deskriptiven Instrumentarium verabschiedet. Diese Optik der Systemtheorie lässt selbstregulierende soziale und ökonomische Abläufe klarer erkennen als heroische oder tragische Theorien sozialen Handelns in einem »Verblendungszusammenhang« (Adorno), den die Massenmedien stiften. Aber die Hermetik dieses Modells ist falsch, den sie blendet auf der einen Seite aus, dass es immer noch Akteure gibt, die die autopoietischen Abläufe anschieben und mitbestimmen. Und auf der anderen Seite kann sie Differenzbestimmungen nur noch als rein immanente erfassen. Das ist jedoch real und Schein zugleich. Das Subsystem Wirtschaft wird hier analog zu biologischen Systemen konstruiert. Gibt es vielleicht noch ein drittes Modell, das die Verlegenheiten umgeht, in die wir geraten, wenn wir uns eines der beiden diskutierten Modelle voll zu eigen machen? Ich denke schon. Subjektivität, die gesellschaftlich autonom werden kann, ist vorerst verschwunden, und stattdessen dominiert die tauschwertförmige Vergesellschaftung der Individuen als sozialer Gesamt-Akteur. Diese Beschreibung trifft die Grauzone besser, in der Akteure die immanente Selbsterhaltungslogik der Subsysteme Wirtschaft und Massenmedien vollstrecken, obwohl es nicht undenkbar wäre, dass sie etwas anderes tun.
Things we said today Unschlagbar scheint die Systemtheorie freilich, wenn es um den internen Zusammenhang von Massenmedien und sozialer Kommunikation geht. Weit entfernt von hypothetischen inhaltlichen Annahmen über Wirkung und Wirklichkeitshaltigkeit von Massenmedien sagt sie ganz schlicht: Die Massenmedien stellen die Wirklichkeit nicht dar, sondern konstruieren eine eigene Wirklichkeit; auf diese selbst konstruierte Wirklichkeit beziehen sie sich fortlaufend. Dabei organisieren sie Kommunikationen und beziehen sich auf diese Kommunikationen zurück; so erschaffen, oder besser: erhalten sie sich selbst als System mit eigenen Gesetzen.
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Abb. 26: »Die Medienwelt wird zum Universum«
Nicht überall geht man in der Reklame (und in den Massenmedien allgemein) so weit, die Medienwirklichkeit zum eigentlichen Universum zu erklären. Oft wird noch (ganz traditionell) zwischen medialer und wirklicher Wirklichkeit unterschieden. Das ist auch sinnvoll, wenn man mit ›Wirklichkeit‹ die Gesamtheit alles dessen meint, was als Gegebenes überhaupt wahrnehmbar und erfahrbar ist oder Gegenstand der Reflexion werden kann. Die ›Realität‹ von etwas dagegen ist sein Dasein, seine reale Seinsweise. Aber man kann auch sinnvoll von ›Wirklichkeiten‹ oder ›Realitäten‹ im Plural sprechen, wenn nicht von der Gesamtheit der Gegenstände von Erfahrung die Rede ist, sondern von einzelnen, gegebenen Entitäten, die zum Objekt von Wahrnehmung, Erfahrung und Reflexion werden. Auf solche selbst konstruierten Wirklichkeiten oder Wirklichkeitsbereiche beziehen sich die Massenmedien: Sie organisieren Kommunikationen und beziehen sich auf diese zurück. Noch einmal mit der Systemtheorie: Die Massenmedien sind die Folie für Kommunikationen im Alltag. Sie stellen Kommunikationen bereit, an die sich Alltagskommunikationen anschließen. Diese werden wieder in Kommunikationen eingespeist. So entsteht ein rekursiver Kommunikationszusammenhang. »Weil die Massenmedien eine Hintergrundrealität erzeugt haben, von der man ausgehen kann, kann man davon abheben und sich mit persönlichen Meinungen, Zukunftseinschätzungen, Vorlieben usw. profilieren.« (Luhmann 1996: 120 f.) So hat Luhmann beschrieben, wie Kommunikation sich auf Massenmedien bezieht. Die gesellschaftliche Funktion der Massenmedien besteht mit anderen Worten darin, ein gemeinsames Gedächtnis zu erzeugen.
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Abb. 27: »Nur die Wirklichkeit wirkt wirklicher«
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Man kann »bei jeder Kommunikation bestimmte Realitätsannahmen als bekannt voraussetzen […], ohne sie eigens in die Kommunikation einführen und begründen zu müssen.« (Ebd.) Wenn Massenmedien eine als gemeinsam unterstellte Realität schaffen, die Alltagskommunikation und gemeinsames Gedächtnis ermöglicht, schaffen sie kulturelle Kontinuität. Diese ganz formale Bestimmung gilt für die Massenmedien insgesamt. Massenkulturelle Erinnerungsproduktion, die über den Apparat der neuen Bild- und Tonmedien verfügt, ist viel effektiver als Erinnerungspolitik, zum Beispiel als die Debatten- und Entwurfskultur im Kontext des Berliner Holocaust-Mahnmals (Schweppenhäuser 2001 a). Erinnerungspolitik ist doppelt gehandicapt: Sie arbeitet noch mit traditionellen ästhetischen Mitteln und muss sich in mühevollen Prozeduren um demokratische Legitimation bemühen, wenn sie Kunst-Zeichen im öffentlichen Raum setzen will. »Naddel« ist als Mediengestalt nur auf ökonomische Legitimation aus. Sie gehorcht dem »Zwang, sichtbar zu bleiben«; dass sie schneller vergessen sein wird, steht auf einem anderen Blatt. Meine Anmerkungen zur »Naddel«-Kampagne sind Stichprobenanalysen möglicher Wege, wie in Massenmedien eine eigene Welt konstruiert werden kann. Die Plakate haben mehrere Kodierungsebenen; sie stehen in einem komplexen intertextuellen Kommunikationszusammenhang, sind vieldeutig, offen für eigensinnige Rezeptionen und formal intelligent differenziert. Ihr Inhalt lädt gleichwohl zur Regression ein. Ihre Ironie ist plump und durchzogen von Klischees über das Geschlechterverhältnis und über den Mythos der multikulturellen Gesellschaft. Bei aller Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit sind sie durch ihre Primärfunktion bestimmt, und die Gestaltung ist alles andere als subtil. Aber in diesen Reklametafeln steckt mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.
Just like a woman Die Inszenierung der – stets eindrucksvollen – Erscheinung von Nadja Ab del Faragh kann natürlich auch ganz anders ins Werk gesetzt werden. Ein Foto in der Zeit aus dem Jahre 2003 macht uns zu Beobachtern, die »Naddel« nun als geheimnisvolle passante im Sinne von Charles Baudelaire ansehen können. »Betäubend heulte die Straße rings um mich. Hochgewachsen, schlank, in tiefer Trauer, hoheitsvoller Schmerz, ging eine Frau vorüber«, heißt es bei Baudelaire. »Leicht und edel setzte sie wie eine Statue das Bein. Ich aber trank, im Krampf wie ein Verzückter, aus ihrem Auge, einem fahlen, unwetterschwangeren Himmel, die Süße, die betört, die Lust, die tötet. Ein Blitz... und dann die Nacht! – Flüchtige Schönheit, von deren Blick ich plötzlich neu geboren war, soll ich dich in der Ewig-
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Abb. 28: »Die wahre Nadja«
Das Foto weist eine Reihe formaler Merkmale auf, die mit Understatement die Differenz zu den herkömmlichen Formensprachen des Glamour oder des Pin-Up markieren, mit denen das Motiv sonst ins Bild gesetzt wird: Bildanschnitt, betont beiläufiger Ausschnitt, Unschärfe und die Sichtbarkeit filmtechnischer Details aus dem Labor. Die unzweideutig männliche Perspektive auf das Objekt ist hier aufgegeben zugunsten einer offenen Perspektive irgendwo zwischen Mode- und Reportagefotografie. Auf den Betrachter kommt es hier anscheinend nicht an. Die »flüchtige Schönheit« schickt keinen Blitzstrahl in sein Auge, an dem sich, wie bei Baudelaire, moribunde Lust entzünden könnte. Die Frau auf dem Bild ist zugleich auf die äußere Gegenwart konzentriert und in sich gekehrt. Diese urbane Nadja ist zweifach zu sehen. In der
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Spiegelung wird die Schönheit der Erscheinung verdoppelt, aber auch gebrochen. Die Spiegelung kommentiert stillschweigend, dass die Schönheit ephemeren Charakter hat, und betont, dass sie als Objekt des Begehrens nie ganz erreichbar ist. Wer zweimal zur gleichen Zeit da ist, hat nicht mehr Sein, sondern weniger, denn er ist nicht mit sich identisch. Seit der Romantik ist der Doppelgänger ein Topos des erlebten Identitätsverlusts, des Sich-Entziehens durch Aufspaltung. Nach Otto Rank und Sigmund Freud ist die Selbstverdoppelung im seelischen Frühstadium des primären Narzissmus eine symbolische Versicherung gegen die Todesangst und die Angst vor dem Ich-Verlust. Wenn wir dieses Stadium überwunden haben, kann der Doppelgänger mit umgekehrten Vorzeichen wiederkehren; er wird dann zum »unheimlichen Vorboten des Todes« (Freud 1919). Unheimlich ist das Doppelgängermotiv, weil es uns auf unangenehme Art an die angenehme Funktion gemahnt, die es früher einmal in unserer seelischen Stabilitätsökonomie gehabt hat. Barthes hat bemerkt, dass die Rede vom Doppelgänger nach der Erfindung der Fotografie seltener geworden ist. Das kam ihm seltsam vor, weil doch gerade das neue Medium dieses alte Motiv beinahe ins Unendliche vervielfältigt hatte; Barthes vermutete, das neue Medium habe sein wahnhaftes, mythisches Erbe verdrängt. (Barthes 1980) Das Foto der gespiegelten Schönen Nadja kann als Allegorie jener narzistisch-unheimlichen Fixierung gelesen werden. Diese Allegorie wäre dann zweierlei zugleich: Apologie des Genusses der Schönheit und Ausdruck der obsessiven Angst vor ihrem Verlust. Diese Lesart ist so paradox, wie es sich angesichts einer Allegorie gehört, und so ambivalent, wie das Medium Foto in dieser Hinsicht seit seinen Anfängen betrachtet wurde: als symbolische Versicherung gegen Tod und Vergänglichkeit, die erbarmungslos eben das belegt und dokumentiert, was gebannt werden soll. Im Medium Foto wird so, mit sehr dezenten Mitteln, der mediale Charakter des schönen Menschen sichtbar, der als Star zugleich ein Nichts ist. Ebenso wird die massenmediale Selbstreferenzialität sichtbar. Mit Jaques Lacan: Ihre unersättliche Immanenz, die nie zur Erfüllung kommt, hat den Blick, der sich nach dem verlorenen Objekt verzehrt, auf Dauer gestellt. Die symbolische Ordnung verhindert den »unmöglichen Genuss«, dessen Surrogat die phantasierte Verschmelzung bleibt. Die vermeintliche Identität mit dem selbstähnlichen Anderen aus dem psychischen »Spiegelstadium« (Lacan 1949) ist die Signatur der Gespaltenheit des Subjekts. Bildhafte »Technologien der Einbildungskraft« (Busch 1997: 271) beziehen daraus ihre Präsenz, die nie zur Ruhe kommen kann. Naddel ist hier eine moderne, kultivierte schöne Frau. Ihre Schönheit ist freilich »Mittel zum Zweck«, keinesfalls »sinnlose Schönheit« – jedenfalls nicht im Sinne der Verwertungsgesetze der Massenkultur.
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Dies Bildnis ist bezaubernd schön, wie noch kein Auge je gesehn. Schönheit in der Massenkultur: Unstillbares Begehren und populistische Inszenierung
Kann Schönheit »sinnlos« sein? Gibt es nicht vielmehr wenig, was (uns) soviel bedeuten würde wie Schönheit? Wenn man so redet, hängt offenbar alles davon ab, was man unter »Sinnhaftigkeit« versteht. Ein kontroverser Gedanke der modernen Avantgardeästhetik lautete: Schönheit kann als eine Qualität der Gegenstände ästhetischer Erfahrung beschrieben werden, die eng mit der Funktionslosigkeit der Gegenstände ästhetischer Erfahrung zusammenhängt. Ästhetische Erfahrung ist demzufolge nichts anderes als die Erfahrung der Funktionslosigkeit – und unter Umständen selbst funktionslos. Dieser Gedanke stammt allerdings bereits aus der Vorgeschichte der europäischen Avantgarde. Der Ästhetizismus des 19. Jahrhunderts wollte menschliche Schönheit von den naturhaften Bedingungen der Gattungsreproduktion loslösen, auf die sie bislang stets reduziert worden sei. Schönheit, lautete die Devise, ist Anderes und mehr als ein Anreiz zur Vermehrung. In seiner Erzählung Sinnlose Schönheit reservierte Guy de Maupassant Schönheit exklusiv für den Bereich der Kultur. Unter Kultur verstand Maupassant Naturbeherrschung (Maupassant 1983). Lebewesen sind naturverfallen. Als Naturwesen können sie sich dem unendlichen Kreislauf des Zeugens und Sterbens nicht entringen. Das schafft allein der Intellekt, indem er Kultur produziert und damit erst das »Große, Schöne, Erhabene, Ideale« in die Welt bringt, wie es bei Maupassant heißt. Die Schönheit moderner kultivierter Frauen sei eine Schönheit, die ihrem ursprünglichen Zweck entfremdet ist.
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Es sei gleichgültig, ob man diesen Zweck als naturhaften oder göttlichen Zweck bezeichnen würde. Die schöne Heldin aus Maupassants Erzählung ist die Gräfin Mascaret. Sie entzieht sich ihrem Gatten, der ständig reproduktionslüstern ist, durch eine Lüge, damit sie nicht fortwährend ein Kind nach dem anderen austragen muss. Ihre Schönheit ist daher im Sinne der göttlichen Schöpfung nutzlos. Sie ist »sinnlose Schönheit« – und doch ist sie erst dadurch ganz bei sich selbst angekommen. Denn sie ist zu einem ästhetischen Phänomen geworden, zur Quelle raffinierten Genusses, für die Schöne selbst ebenso wie für ihre Betrachter und Anbeter.
Selig scheint es in ihm selbst Für den Ästhetizismus war die Rede von »sinnloser«, »zweckloser« oder »unnützer« Schönheit also geradezu pleonastisch. Dieser Gedanke gehört in einen Diskurs, der von Kant über Schopenhauer und die Poetik des l’art pour l’art bis hin zu Herbert Marcuse reicht. Als »schön« beurteilen wir demzufolge nur diejenigen Objekte unserer Erfahrung, die unser Wohlgefallen erwecken, ohne dass dabei auf unserer Seite irgendein Interesse an den Objekten im Spiel wäre. »Schön« nennen wir, was uns zu nichts dient, sondern stimmig ist in sich selbst, was also zweckmäßig organisiert oder gestaltet scheint, ohne doch einem außerhalb seiner selbst liegenden Zweck dienlich zu sein. In der ästhetischen Erfahrung konvergieren Schönheit und Freiheit (verstanden als Freiheit von Zweckdienlichkeit). Die Autonomieästhetik, zuerst von Karl Phillipp Moritz im 18. Jahrhundert formuliert, lehrte, dass das Schöne und das Nützliche Gegensätze seien. Ein Kunstwerk könne das Schöne nur verkörpern, wenn es sich aus allen lebensweltlichen Bezügen löse und zu einer in sich selbst ruhenden, vollendet harmonischen Totalität werde. Denn wenn ein Werk bzw. das, was in dem Werk zur Erscheinung komme, bloß Symbol oder Allegorie für etwas anderes sei, dann komme es auf die ihm eigentümliche Schönheit ja offenbar gar nicht an. Schönheit würde dann nur stellvertretend einen außerhalb des Kunstwerks liegenden Gehalt anzeigen. Ein gelungenes Kunstwerk sei aber nichts anderes als die einzig angemessene Formgestalt eines je bestimmten Gehalts (Bürger 1977: 120 ff.). Den Gedanken der Selbstgenügsamkeit des schönen Kunstwerks und der Autonomie von Schönheit im Allgemeinen wendete Marcuse für das 20. Jahrhundert so, dass er der eskapistischen Autarkie-Behauptung des Ästhetischen, zu der dieser Gedanken ja geradezu herausfordert, präzise entgegensteht. Die Eigengesetzlichkeit der Erfahrung des Schönen wurde bei Marcuse zum Modell einer WeltErfahrung, die der universalen Reduktion auf ein Sein-für-Anderes
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Dies Bildnis ist bezaubernd schön, wie noch kein Auge je gesehn | 53 entronnen wäre, also einer Reduktion auf den Tauschwert, die in einer warenförmigen und marktzentrierten Vergesellschaftungsform nichts als es selbst gelten lässt, sondern stets nur als Verwertbares, d.h. als Sein für Anderes. Die »Autonomie der Kunst« finde in der Moderne ihren adäquaten Ausdruck in der »Verfremdung«, auf Grund derer radikale Kunstwerke »authentische Formen des Widerspruchs gegen die Totalität einer Gesellschaft« würden, »die alles – auch ihre verfremdenden Werke – in ihren Bann zieht.« »Als die ›Wissenschaft vom Schönen‹, vom Glückspotential der Menschen und der Natur, dringt die Wahrheit der Kunst in das radikale Bewußtsein ein.« (Marcuse 1977: 39-41) Auf diese Verfremdungs-Ästhetik werde ich im sechsten Kapitel noch ausführlich eingehen. Konträr zur Autonomie-Ästhetik der Schönheit steht der biologistische Ansatz, der heute auch in der Ästhetik häufig vertreten wird (Etcoff 2001). Die evolutionistische Anthropologie geht davon aus, dass menschliche Lebewesen denjenigen Merkmalen in der Welt der Objekte ihrer möglichen Erfahrung das Prädikat »Schönheit« zusprechen, die ihren Überlebens- und Reproduktionsinteressen zuträglich sind. Einfacher ausgedrückt: Gesunde genetische Ausstattung ist demzufolge ein nützliches Merkmal, das für den Arterhalt notwendig ist. Dieses Merkmal kommt z.B. in der Symmetrie der Gesichtszüge attraktiver männlicher Individuen zum Ausdruck, deren breite Schultern zudem kraftvollen Schutz signalisieren. Die erfolgversprechende Gebärfähigkeit weiblicher Menschen, die unter Gattungsaspekten wesentlich ist, wird in den »harmonischen« bzw. »reizvollen« Proportionen von Hüfte und Becken wohlgeratener weiblicher Individuen sichtbar. All das ist natürlich reine spekulative Konstruktion. Aus dem sexuellen Reproduktionserfolg, den man visuell auffälligeren, geschmückten Exemplaren zuschreibt, wird ex post ein unveränderliches Gesetz der natürlichen Selektion abgeleitet. Gegen solche Spekulationen spricht eine Erkenntnis der Attraktivätsforschung: In der Regel empfinden Menschen diejenigen Gesichter am schönsten, die annähernd vollkommen dem Durchschnitt entsprechen, weil sie am Computer als Schnittmenge aus den Gesichtszügen konstruiert worden sind, die am häufigsten vorkommen. Wenn man »Schönheit« also nicht mit »Durchschnittlichkeit« gleichsetzen will, was ja dem Sinn des Worts in allen Sprachen widersprechen würde, muss man zugeben, dass zur Schönheit offenbar immer auch Normdevianz gehört. Die Abweichung von der Norm führt bei Individuen freilich, wie man aus der Biologie weiß, zwar zur Auffälligkeit, aber eben nicht zur erfolgreichsten Reproduktion (Menninghaus 2003). Nicht die schönsten Exemplare haben die besten Chancen zu überleben und ihre Erbanlagen weiterzugeben, sondern die, die am besten angepasst sind. Und davon abgesehen, ist die Schönheit menschlicher Körper heute ohnehin dem Naturgesetz ästhetischer Selektion
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entzogen, da sie durch und durch das Ergebnis vielfältiger kultureller Semiotisierungspraktiken ist (Böhme 1992).
I saw her standing there
Abb. 29: »Schönheit als Mittel zum Zweck. Anke Engelke spielt mit ihrer erotischen Ausstrahlung«
Gleichgültig, von welchem Versuch, Schönheit zu definieren, man auch ausgeht: In der Massenkultur hat Schönheit jedenfalls keinen autonomen Charakter, sondern einen funktionalen. Ihre Funktionen beruhen auf der Anziehungskraft des Schönen, die primär visuell vermittelt wird. Die funktionalistische Bestimmung der Schönheit ist dennoch keine Erfindung der Massenkultur des 20. Jahrhunderts; sie kann auf ältere Vorbilder zurückblicken. Im 18. Jahrhundert hatte Edmund Burke Schönheit »als die Qualität oder die Qualitäten eines Körpers« bezeichnet, »durch die er Liebe oder eine ähnliche Leidenschaft verursacht«. Burke betonte, dass die schönen Objekte ihre Anziehungskraft »bloß auf Grund ihres Gesehenwerdes ausüben«. Unter »Liebe« verstand er die »Befriedigung, die im Gemüt beim Betrachten irgendeines schönen Dinges aufkommt«, und unterschied das deutlich von »Begierde oder Sinnenlust, […] welche uns zum Besitz gewisser Objekte treibt« (Burke 1757: 181). Die Kontemplationsästhetik konnte das wohlgefällige Betrachten also noch klar vom interessierten Habenwollen trennen – selbst Burke konnte das noch, der ja wie wenige andere auf philosophischem Niveau die Komponente affektiver Attraktion im schönen Objekt betont hat (etwa wenn er bemerkte, dass wir bewundern, was uns überlegen ist und lieben, was sich uns unterwirft). Die Sicherheit, mit der ihm zufolge Betrachtung des Schönen und Begierde differenziert werden konnten, ist längst verloren gegangen. Das »Verlangen nach Schönheit«, sagte Friedrich Nietzsche, erwächst ›aus Mangel, Entbehrung und Schmerz‹ (Nietzsche 1872: 15). Er sagte das über die Griechen, aber er sprach damit einen Befund aus, der solange Geltung beanspruchen kann, wie Mangel, Entbehrung und Schmerz die Selbstreproduktion der Gattung und ihre kulturellen Manifestationen kennzeichnen, also bis heute. Der französische Romancier Stendhal hat das Verlangen nach Befriedigung als Bestandteil der Ästhetik erkannt, das ein legitimer Bestandteil ist, wenn es im Genuss der Schönheit geläutert ist. Schönheit ist Stendhal zufolge bekanntlich ein Glücksversprechen. Nebenbei bemerkt: Diese Bestimmung des Schönen aus Stendhals Betrachtungen Über die Liebe wird oft wie ein Aphorismus zitiert. Doch Stendhal wollte an dieser Stelle hervorheben, dass Schönheit lediglich die Verheißung des Glücks ist und nicht schon das Glück selbst. Der Autor unterschied hier zwischen dem sinnlich-emotionalen Glück, das im Vollzug des Liebens liegt und nicht zwingend
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Dies Bildnis ist bezaubernd schön, wie noch kein Auge je gesehn | 55 davon abhängt, ob das geliebte Objekt schön ist, und dem – unter Umständen ungedeckten – Scheck, den Schönheit auf solches Glück ausstellt, indem sie es dem Betrachter verheißt. »Liebe entthront die Schönheit« – das war der Gedanke, auf den es dem Autor ankam (Stendhal 1822: 82, Fußnote). Attraktion wird in der Massenkultur über die Schaulust inszeniert. Die allgegenwärtige Verknüpfung von Schönheit und sinnlicher Lust ist eine quantitative Ausdehnung einer Empfindung, die, mit den Worten Sigmund Freuds, grundsätzlich »aus dem Gebiet des Sexualempfindens« (Freud 1930: 214) abzuleiten ist. Das Auge wird »durch jene besondere Qualität der Erregung, deren Anlaß wir am Sexualobjekt als Schönheit bezeichnen, gereizt« (Freud 1905: 114), schrieb Freud. Und schon Nietzsche wusste: Wer das »Gefühl des Schönen« »losgelöst von der Lust des Menschen am Menschen denken wollte, verlöre sofort Grund und Boden unter den Füßen« (Nietzsche 1889: 123). Die enttabuisierte Massenkultur von heute steht in dieser Hinsicht auf denkbar festem Grund. Aber in anderer Hinsicht ist sie bodenlos. Denn in der Massenkultur werden Begehrnisse geweckt. Was ist der Unterschied zwischen Begehrnissen und Bedürfnissen? Bedürfnisse können (zumindest stationär) befriedigt werden, Begehrnisse können hingegen grundsätzlich nicht befriedigt werden. Wenn wir versuchen, Begehrnisse zu befriedigen, werden sie nicht gestillt; im Gegenteil, sie wachsen weiter. »Wer Macht hat«, schreibt Gernot Böhme, »will mehr Macht, wer berühmt ist, will noch berühmter werden usw.«Es gibt Begehrnisse, »die direkt ökonomisch ausgebeutet werden können.« Sie richten sich »auf die Inszenierung und damit Steigerung des Lebens […]. Für Ausstattung, Glanz und Sichtbarkeit gibt es keine natürlichen Grenzen. Vielmehr verlangt hier jede Stufe, die man erreicht, nach einer weiteren Steigerung.« (Böhme 2001: 71) Ich folge Böhme darin und füge hinzu: Für das – strikt auf die Schaulust beschränkte – Begehren nach dem Reiz des schönen Objekts gibt es ebenfalls keine natürlichen Grenzen. Wie das funktioniert, wird in der Reklame deutlich, und die ist ja ein nicht unbedeutender Teil der Massenkultur. Auf diesem Terrain gilt es, zwischen dem Populären und dem Populismus zu unterscheiden. Diese Unterscheidung stammt aus dem Kontext der Cultural Studies. Wie gesagt, nehmen die Cultural Studies – anders als Manipualtionstheorien – nicht an, dass wir uns passiv der warenästhetischen Kultur unterwerfen und ihre Angebote identifikatorisch verinnerlichen. Ästhetische Erfahrung hängt mit komplexen subjektiven Bewertungen zusammen, die sich nicht einfach auf ihren ideologischen Gehalt reduzieren lassen. Darauf kommt es mir hier an. Wir haben gesehen, dass sich die Polysemie kultureller »Texte« mit der strukturalen Analyse der Bildrhetorik an trivialen Gegenständen besonders gut entziffern lässt.
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Abb. 30: »Manche mögen’s weich«
Vieldeutigkeit wird heute, auch das wurde schon gesagt, einkalkuliert; das flüchtige Zusammenspiel manifester Aussagen und latenter Bedeutungen wird geplant. Als Nutzer müssen wir daher immer wieder neue Strategien eigensinniger und widerborstiger Aneignung medienpopulistischer Produktangebote erarbeiten, wenn wir Vergnügen haben wollen. Das ist das Spannungsfeld des Populären und des Populismus in der Massenkultur. Unter Medien-Populismus verstehe ich mit John Fiske die Funktionalisierung von Massenmedien und Unterhaltungsindustrie durch den sozialen power bloc, der sterotype und reaktionäre Ergebnisse hervorbringt, mit denen Formen des Populären gezielt inszeniert werden (Fiske (1999 a). Im Folgenden möchte ich an einigen Beispielen zeigen, wie so etwas mit der visuellen Inszenierung menschlicher Schönheit gemacht wird. Unsere Lebenswelt ist mit visuellen Mythologien überfüllt. Barthes hat all diejenigen Zeichensysteme »Mythologien« genannt, die als Subtexte oder Hypertexte an andere Zeichensysteme anschließen. Ein Werbeplakat hat eine manifeste Aussage, zugleich aber immer auch eine latente Aussage, die nicht explizit da ist, sondern sich in meinem Kopf mehr oder weniger bewusst selbst herstellt. Wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, geschieht das aufgrund von präzisen Determinanten. Nach Barthes beruhen moderne Mythologien darauf, dass ›Geschichte in Natur verwandelt‹ wird. Zusammenhänge, die gemacht sind, erscheinen also wie Naturvorgänge, die von selbst da sind; »alles vollzieht sich, als ob das Bild auf natürliche Weise den Begriff hervorriefe, als ob das Bedeutende das Bedeutete stiftete« (Barthes 1957: 113). Die Produktion von Mythologien der Schönheit bedient sich häufig einer gängigen Rhetorik, die ich die Rhetorik der Assoziation nenne. Das Beispiel einer Verknüpfung der Marilyn-Mythologie mit einem Waschmittelprodukt ist dafür repräsentativ, weil hier auf ein kollektives Bildgedächtnis der populären Kultur angespielt wird. Die Rhetorik der Assoziation hat die Funktion, Informationen in einen selbstrekursiven Kommunikationszusammenhang der Massenmedien einzuspeisen. Luhmann hat die Massenmedien daher ja als Medien des kulturellen Gedächtnisses beschrieben. Ihre Intertextualität lässt einen stetig erneuerten Verweisungszusammenhang von Kommunikationen entstehen. Wir können uns affirmativ auf die in den Massenmedien gelieferten Informationen beziehen, aber auch Distinktionsgewinne erzielen, indem wir unsere eigene Position kritisch davon abgrenzen. Durch das wiederholende und variierende Hinüberkopieren formierter Inhalte von einem Medium ins andere entsteht ein selbstrekursiver Kommunikationskreislauf. Reklame ist ein wichtiger Bestandteil dieses kulturellen Kurzzeitgedächtnisses, in
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Dies Bildnis ist bezaubernd schön, wie noch kein Auge je gesehn | 57 das Bilder und Informationen eingespeist und mit Hilfe der Rhetorik der Assoziation mit einander verknüpft werden. Ich möchte nun am Bildbeispiel der blonden Schönheit demonstrieren, wie das funktioniert. Die von Barthes entwickelte und in der Folge von Gui Bonsiepe und Umberto Eco weitergeführte strukturale Analyse, die ich dabei anwende, geht davon aus, dass auch nichtsprachliche Informationen sprach-analoge Strukturen haben. Bilder können Aussagen mit einer eigenen Rhetorik sein, und das gilt in höherem Maße für Bild-Text-Kombinationen. Wenn die quasi-sprachliche Struktur visueller Darstellungen transparent gemacht wird, werden sie als Zeichen-Zusammenhänge lesbar, was den methodischen Gewinn einer erheblichen Reduktion von Komplexität mit sich bringt, der dabei hilft, die suggestive Kraft massenmedialer Bildkonstrukte ganz zu erfassen (Barthes 1978; Bonsiepe 1996; Eco 1972; Ehmer 1980). Bei einer strukturalen Analyse unterscheidet man zwischen der linguistischen Nachricht, der nicht-kodierten ikonischen Nachricht und der kodierten ikonischen Nachricht einer Bild-Text-Einheit. Die linguistische Nachricht ist die sprachlich formulierte Botschaft, die wir dekodieren können, weil wir als Mitglieder einer Sprachgemeinschaft über das dafür erforderliche Wissen verfügen. Sie umfasst denotative und konnotative Elemente. Die Denotationen der linguistischen Nachricht erschließen sich der Lektüre. D.h. in diesem Fall, dass die Weichspüler-Annonce schlicht genau das denotiert, was auf dem Plakat sprachlich kodiert worden ist, also folgende Informationen: »über 500 Drogeriemärkte«, »Kd – Hier bin ich Kaiser!«, »Manche mögen’s weich!«, den Textblock im Pfeil mit Angaben zum Produkt, die Texte auf dem Produkt-Bildchen sowie die Information »Gültig ab […]« bzw. »Solange Vorrat reicht«. Die Konnotationen auf expressiver und stilistischer Ebene sind Verspieltheit, die euphorische For-You-Geste und die Parodie einer Ikone der Populärkultur. Das Laden-Logo mit einer Krone und einer leicht veredelten, aber doch spielerisch wirkenden Groteskschrift mit kleinen Schwüngen an den Linienenden präsentiert ein Wortspiel, das die Bedeutungsschichten des Eigennamen und der allgemeinen lexikalischen Bedeutung durcheinander schüttelt. Die korrekte Sprechhaltung würde den Adressaten anreden: »Wir heißen zwar mit Namen Kaiser, aber hier bei uns sind Sie Kaiser«. Diese For-You-Geste kann jedoch damit rechnen, dass die Umkehrung vom Betrachter automatisch dekodiert wird. Der Kunde selbst scheint zu sprechen; ein Kunde, der sich voll und ganz mit der Firma identifiziert, die hier Reklame macht. So wird die euphorische Botschaft transportiert, dass ich im Mittelpunkt stehe. Über den Dekodierungs-Mechanismus der Identifikation, der unvermeidlichen einsetzt, wenn die erste Person Singular gelesen wird, findet also eine symbolische Enteignung statt.
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Abb. 31: Marilyn Monroe
Der Slogan transportiert eine schlichte Kausalbehauptung, die nirgendwo ausgesprochen wird: »Wenn wir das beworbene Produkt verwenden, dann wird unsere Kleidung luftig leicht und weich«. Dieser Slogan funktioniert hier deshalb, weil er ein Element des kollektiven Kulturgedächtnisses konnotiert. Er zitiert parodistisch einen berühmten Filmtitel: Manche mögen’s heiß (Some Like It Hot) von Billy Wilder aus dem Jahre 1959. Die komischen Effekte einer Parodie beruhen darauf, dass wir wissen, worauf angespielt wird, und daher das Parodierte gleichsam simultan mithören oder mitsehen. So entsteht ein lustvolles Spannungsverhältnis zwischen Anwesendem und Abwesendem. Parodien setzen Bildung bzw. Wissen voraus, in diesem Fall Wissen aus dem Bereich der Massenkultur. Im vorliegenden Beispiel liegt freilich eine Verwechselung vor: Die Pose von Marilyn über dem HeißluftSchacht stammt nicht aus Manche mögen’s heiß, sondern aus The Seven Year Itch von Billy Wilder aus dem Jahre 1955 (Das verflixte siebte Jahr). Doch das spielt weiter keine Rolle, denn das ikonische Zeichen »Marilyn« wird in diesem Beispiel für medialen Populismus als Superzeichen eingesetzt, dem man (zu Recht) ohne weiteres zutraut, dass es die bedingten Reflexe der Betrachter auslösen wird. Wenn man alle kodierten Botschaften des Bildes abzieht, bleiben Informationen übrig, die Roland Barthes als »nicht kodierte ikonische Nachricht« bezeichnet hat, nämlich all die erkennbaren abgebildeten Gegenstände, die wir mit dem Wissen dekodieren, das die visuelle Wahrnehmung uns verleiht. In diesem Fall ist eine Frau im weißen Kleid vor einem roten Hintergrund zu sehen, außerdem noch Flaschen. Diese unmittelbar gegebenen Bildelemente sind das Substrat für die kodierte ikonische Nachricht. Bei dieser spielen nicht die einfachen Bedeutungen der Bildelemente eine Rolle, sondern deren Konnotationen. Eine Analyse der kodierten ikonischen Nachricht unterzieht das Bild also einer semiotischen Lektüre. Zunächst zum Rot-Weiß-Gegensatz: Der samtrote Farbton konnotiert erstens eine edle, vornehme Atmosphäre, die zur grafischen Kaiserkrone passt. Rot ist zweitens in der allgemeinen Farbsymbolik (unter Anderem) die Farbe der Liebe und der Leidenschaft. Im liturgischen Farbenkanon der katholischen Kirche ist Rot drittens (unter Anderem) die Farbe des Pfingstfestes, kann also symbolisch mit der Ausgießung des heiligen Geistes und der Gründung der Kirche verbunden werden. Das weiße Kleid wiederum konnotiert selbstverständlich Sauberkeit, Reinheit und Unschuld. Nun zur Gestalt auf dem Bild: Ein weiblicher Marilyn-Impersonator verweist auf die Mythologie, dass jeder ein Star werden kann. Das Mädchen von nebenan unterscheidet sich nur graduell vom Superstar, denn die junge Frau ist zwar erkennbar nicht Marilyn, könnte es aber ohne weiteres sein. Die Figur wird durch den weißen Rand vom Hintergrund abgehoben. Im einschlägigen Computerprogramm zur
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Dies Bildnis ist bezaubernd schön, wie noch kein Auge je gesehn | 59 Bildbearbeitung nennt man das »Strahlen nach Außen«. Ikonographisch handelt es sich um eine Gloriole, das traditionelle Zeichen für den Ruhmesglanz, oder um einen Nimbus, das Zeichen für die Heiligkeit einer dargestellten Figur. Der Kunde, für den »Marilyn« hier stellvertretend a good time hat, ist also nicht nur Kaiser – er ist auf Erden mit Gottes Gnade ausgestattet, ein heiliges Wesen, das ohne Boden-Kontakt im atmosphärischen Raum schwebt, dabei aber zugleich sicher steht und dezent, doch intensiv ausstrahlt. Das Wunschbild des Kunden ist eine »Erscheinung«: die Epiphanie des Banalen. Das Profane und das Sakrale sind hier innig verschmolzen. Denn der heilige Geist der Marktgesellschaft durchdringt die Welt, wie auch ein anderes Beispiel aus dem Drogerie-Katalog nahelegt, das mit der Rhetorik der Assoziation arbeitet: Transparenz, Freiheit und das Licht der globalisierten und Markt-Gesellschaft herrschen weltweit. Die Kerze des feierlichen Gottesdienstes der Warenästhetik erstrahlt. Auch sie ist dominant in Mittelachse angeordnet; die Flamme leuchtet etwas oberhalb des Zentrums. Sie steht für den Kultus des globalisierten Marktes, der jegliche politische Konnotation, die die Farbe Rot einstmals besaß, aufgesaugt und ausgeschieden hat.
Abb. 32: »Glasnost«
Brown eyed handsome man Im Zusammenhang mit der kodierten ikonischen Bildnachricht der Marilyn-Figur möchte ich nun zu dem Spannungsfeld kommen, das durch Populismus, Massenkunst im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit und dem Populären gebildet wird. Dazu soll ein Bildbeispiel dienen, das mit männlicher Schönheit arbeitet. Der schöne Alltagsmensch aus der Realität wird von der Massenkultur reproduziert. Das geschieht seit der weltweiten Etablierung des Hollywood-Kinos und seiner Formensprache vor allem im Film (Bordwell/Staiger/Thompson 1985). Die Realität kann dann wieder die Reproduktion reproduzieren, z.B. wenn wir meinen, unsere Geliebten würden wie Marylin oder Elvis aussehen – oder wenn wir wünschen, sie sollten so aussehen. Wir wollen selbst »so sein wie« Marylin oder Elvis und wollen »so leben wie in Amerika«. Die Simulation der Realität wird zum unerreichbaren Vorbild der Realität. Sie ist für uns ja in viel höherem Maße wirklich als die außermediale, nicht reproduzierte Realität. Jean Baudrillard nannte diesen Vorgang das »Verschwinden der Wirklichkeit im Hyperrealen« (Baudrillard 1976). Die hyperrealistische Verdoppelung des Realen findet statt, indem von einem Medium ins andere verdoppelt wird – z.B. aus einer Werbung in die andere, oder aus den Hochglanzmagazinen des Alltagslebens in den Seriendruck von Andy Warhols Marylin-Port-
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Abb. 33: »Sie tragen das Original«
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Abb. 34: Andy Warhol, Triple Elvis
Abb. 35: Andy Warhol, Marilyn
räts, die die Schönheit der Popkultur in die Kunstwelt der Museen führen. »Sie tragen das Original«, wird nun den Käufern verheißen, die sich für das Hawaii-Hemd von Elvis entscheiden. Im Inneren des Katalogs erfahren wir freilich, dass hier keineswegs jenes Hemd zum Kauf angeboten wird, das Elvis Presley etwa bei den Dreharbeiten zu Paradise Hawaiian Style aus dem Jahre 1965 getragen hatte. Aber immerhin handelt es sich um eine serienmäßige Replik, die in der Hemdenschneiderei von damals hergestellt wird. Der Gebrauch der Begriffe »Original« und »Reproduktion« erfolgt hier mit einer Großzügigkeit, die nicht nur von der Chuzpe des Händlers zeugt, sondern auch von einer substanziellen kulturellen Tendenz. Es ist obsolet geworden, in der Welt des medientechnisch reproduzierten schönen Scheins nach dem Echten, Einmaligen, nach dem unwiederholbaren Hier-und-Jetzt des ästhetischen Erlebnisses zu fragen. Für die ästhetische Rezeption in der Massenkultur spielt der Unterschied zwischen Original und Reproduktion keine Rolle mehr. Kunstwerke haben ihre Aura verloren (Benjamin 1936). Doch nun werden die Waren mit Bedeutung aufgeladen und erhalten eine Aura; die auratisierte Ware ist ein wichtiger Teil des sozialen, populären Imaginären. Lawrence Grossberg hat in einer Untersuchung über »Globalisierung, Medien und Handeln« gefragt, was es bedeutet, »sich nach dem American Style zu sehnen oder sogar Amerikaner sein zu wollen«. Dies sei ein Grundzug der populären Kultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; es gehe dabei »um die Bilder von spezifischen Waren, gelebten Geographien und Orten und die Arten, auf denen diese Bilder als bereits in spezifischen Kontexten artikulierte Bilder zusammengenommen sichtbar werden. ›Amerikanisch sein‹ wird durch die auratische Macht von Waren konstruiert, in denen Gemeinschaften zu Lebenstilen werden, die Imaginationen von Amerika verkörpern, die als Orte der Medien artikuliert sind […]. Daher dreht es sich weniger um die Frage, welche Waren ausgestellt werden, als darum, daß es immer und nur Waren sind, die ›in der Auslage‹ liegen (denn es ist die Ware, die im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit zu einem Ort der Aura wurde).« (Grossberg 2000: 309) Grossberg ist pessimistisch, wenn es um die Frage geht, ob in den symbolischen Räumen der globalisierten massenmedialen Alltagskultur noch selbstbestimmtes Handeln möglich ist. Gemeinschaften würden sich fast nur noch über ›Bilder von Lebensstilen‹ organisieren, »die Imaginationen des ›Amerikanischwerdens‹ verkörpern, d.h., des Betretens des auratisierten Raumes der Ware, die in bestimmten imaginierten Orten lokalisiert ist« (Grossberg 2000: 310). Aber ich würde sagen, dass auch die Reproduktion produktiv sein kann – wenn sie als ästhetische Tätigkeit erfolgt. Massenmedien schaffen einen gemeinsamen Horizont von
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Dies Bildnis ist bezaubernd schön, wie noch kein Auge je gesehn | 61 Symbolen. Die Systemtheorie hat auf die Funktion dieses Symbolvorrats für das kommunikative Gedächtnis einer Kultur hingewiesen. Die Cultural Studies haben darüber hinaus gezeigt, welche Funktion der Populismus der Medien in diesem Prozess hat. Denn sie fragen sie nach dem gesellschaftlichen Konfliktverlauf zwischen power bloc und people im Prozess kultureller Reproduktion. Populäre Kultur ist ein wichtige Ressource im Alltagsleben, weil sie Bedürfnisse nach Spaß und ungelenkter Betätigung ästhetisch-rezeptiver und expressiver Kompetenzen befriedigen kann. Menschen nutzen Massenmedien, um sich anregen, entspannen, erregen und überhaupt, im allgemeinen Sinne, in Zustände versetzen zu lassen. Der Machtblock nutzt das medial aus, um sie zu beherrschen; dennoch können sich die Leute die Symbole autonom aneignen. Um Elvis Presley, den schönen Mann mit der schönen Stimme, ranken sich seit seinem Tod im Jahre 1977 zahllose Mythen, die teils von medienpopulistischen Instanzen produziert und teils von Mediennutzern selbst erschaffen werden. In der US-amerikanischen Boulevardpresse, den tabloids, sind nicht nur Fotoreportagen über Marsmenschen auf der Rinderweide oder lebende kleine Nixen im Fish-Burger zu bestaunen. Auch Elvis, der nur scheinbar gestorben ist, taucht immer wieder an irgendeinem entlegenen Ort der Welt auf. Das wird natürlich auch stets mit Fotos belegt. Graceland, der Sitz des King, zieht jahraus, jahrein wie ein Magnet Menschen an, die der Sprachregelung »Elvis lebt« folgen. Einige Verwirrte tun das offenbar im Ernst, die meisten tun es jedoch aus Spaß. John Fiske hat im Rahmen empirischer Untersuchungen mit Menschen gesprochen, die Elvis und seinen schönen Körper zur pathologischen oder spielerischen Symbolisierung benutzen (Fiske 1999 b). Es gibt Frauen, die Elvis nach 1977 geheiratet oder (außerehelich) Kinder von ihm geboren haben; es gibt Männer, deren Ehe Elvis nachweislich nach 1977 zerstört hat. Neurotische Identifikationen sind aber nur ein Aspekt. Ein anderer ist die trivial-anarchische Freude, die es bereiten kann, dem offiziellen, wissenschaftlich und kulturell verbürgten Wissen die Gefolgschaft zu verweigern. Viele Menschen erleben es offenbar als Stärkung ihres Ichs, wenn sie mit »Geheimwissen« liebäugeln, und dabei spielt es gar nicht die entscheidende Rolle, ob sie es tatsächlich für bare Münze nehmen, dass Elvis als Priester in Südamerika überlebt hat, oder nicht. Der Kern dieser »Elvis lebt«-Legenden ist hier jeweils die Inszenierung einer symbolischen Verweigerung: Der überlebende Elvis ist die Projektionsfläche für die eigenen Wünsche, der Gängelung durch soziale Machtinstanzen ebenso zu entkommen wie Elvis der Bevormundung durch seinen Manager usw. Überwiegend fand Fiske freilich heraus, dass der »Elvis lebt«Kult ein ästhetisches Spiel ist. Er befragte weibliche Fans, die kaum ein Konzert eines begabten Elvis-Imitators auslassen. Der Höhepunkt
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62 | »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt
Abb. 36: Meister der Heiligen Veronika, Veronika mit dem Schweißtuch Christi (1410)
der Show ist immer der Moment, da »Elvis« sich – wie einst der King persönlich – zu seinen Fans in den vorderen Reihen hinunterbeugt, sich von ihnen Seidenschals borgt, damit seinen Schweiß abtrocknet und die Schals anschließend zurück gibt. Diese Reliquien sind entfernte Nachkommen der vera icon, dem Gesichtsabdruck des Toten Jesus Christus auf dem Schweißtuch. Fiske sprach mit Frauen, die zu Hause viele Schubladen voller Schals hüten, mit denen sich ElvisImitatoren den Schweiß abgetupft haben. Die Fans hüten sie, als seien es authentische Elvis-Schweißtücher, aber sie glauben keineswegs, der jeweilige »Elvis« sei eine leibhaftige Inkarnation des »King« gewesen. Sie beschreiben ihren Spaß daran als Spiel, das ihnen den Genuss des »Als-ob« gibt. An einem bestimmten Ritual der populären Kultur teilzuhaben, auch wenn es eine Ersatzveranstaltung ist, wird ohne jeden Aberglauben bewusst ästhetisch, als beglückendes Spiel, erlebt. Deshalb ist es berechtigt, hier von einer selbstbestimmten Produktion von Vergnügen zu sprechen.
Abb. 37: Cheyenne Autumn
Tony Hillerman berichtet in seinem Kriminalroman Sacred Clowns (1993) von einem amüsanten Fall populärer Umkodierung des Populismus. John Fords Hollywood-Western Cheyenne Autumn aus dem Jahre 1964 handelt von der konfliktreichen Umsiedlung des Stammes der Cheyenne in ein Indianderreservat. Richard Widmark spielt einen US-Colonel, der im Regierungsauftrag mit den Cheyenne verhandelt. In diesem Film, der im Monument Valley und in der Nähe von Gallup, New Mexico gedreht worden ist, wurden seinerzeit die Cheyenne-Rollen mit Navajos besetzt. Wenn heute in New Mexi-
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Dies Bildnis ist bezaubernd schön, wie noch kein Auge je gesehn | 63 co Cheyenne Autumn in den Autokinos gezeigt wird, schreibt Hillerman, dann spielen sich seltsame Dinge ab. Das Publikum besteht zum größten Teil aus Navajos, die die Vorführung mit Hupkonzerten und lauten Rufen bei bestimmten Szenen begleiten. Der Film ist zu einem Kultfilm für Navajo-Zuschauer geworden, und die ungeahnte Popularität hat zwei Gründe. Viele Zuschauer freuen sich darüber, Verwandte zu sehen, die seinerzeit als Kleindarsteller und Statisten mitgewirkt haben. Doch der Hauptanlass für das Vergnügen sind die Verhandlungszenen zwischen den »Cheyenne-Führern« und Richard Widmark. Im Film übersetzt ein indianischer Dolmetscher. Die Weißen formulieren auf Englisch ernste, düstere Sätze, die zu den finsteren Gesichtern der Akteure passen. Ebenso die native americans. Tatsächlich hört man aber nicht Cheyenne, sondern Navajo. In dieser Sprache wird die ganze Zeit fröhlich-anarchischer Unsinn geredet, zum Beispiel unrühmliche Mutmaßungen über die Penislänge dieses weißen Mannes. Die spätere Dekodierung solcher heimlichen Einschreibungen erlaubt es, dass der Film durchaus als ein kleiner symbolischer Sieg der indianischen people über den weißen power bloc gelesen werden kann. Die Kleindarsteller haben Botschaften eingebaut, die die Rezeption in einem bestimmten Kontext verändern, wenn eine Lektüre stattfindet, die eben nicht populistisch, sondern populär ist. Zum »Populären« gehört auch, dass »Kultur« und »Subjekt« in der Postmoderne neu definiert wurden. Die Erfahrung des gegenwärtigen Augenblicks ist zum Ideal geworden, und dabei steht der Körpers (oder der Leib) im Vordergrund. Das vorherrschende ästhetische Phänomen ist das Bild. Über die Dominanz des Gesichtssinns wird das Affektive und vor allem das Begehren aktiviert. Massenkultur ist in dieser Hinsicht auch eine Re-Naturalisierung der Kultur. Die Logik des Begehrens ist vielleicht selten so anrührend artikuliert worden wie in Taminos Zeilen aus der Zauberflöte: Dies Bildnis ist bezaubernd schön Wie noch kein Auge je gesehn Ich fühl es, ich fühl es Wie dies Götterbild mein Herz mit neuer Regung füllt Dies Etwas kann ich zwar nicht nennen Doch fühl ich’s hier wie Feuer brennen Soll die Empfindung Liebe sein? Ja ja, die Liebe ist’s allein Oh wenn ich sie nur finden könnte Oh wenn sie doch schon vor mir stünde Ich würde, würde warm und rein Was würde ich? Ich würde sie voll Entzücken an diesen heißen Busen drücken Und ewig wäre sie dann mein.
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Diese Sätze drücken verschiedene Erfahrungen aus. Es ist zunächst eine emotionale und physiologische Erfahrungs-Wirklichkeit, und es ist weiterhin eine symbolisch vermittelte ästhetische Erfahrung, die wir mit Produkten machen können, die uns ergreifen. Diese Produkte stehen die für etwas anderes, als was sie selbst sind, aber sie werden von uns affektiv besetzt und können die erotische Intensität des Erlebens außerhalb der Imagination bisweilen weit übertreffen.
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All I want to do is have a little fun before I die. Vorgeschichte, Begriffe und Kategorien einer Ästhetik der Massenkultur
»Am frühen Morgen des Tages, da der neue Gouverneur sein Amt aus den Händen des Volkes empfangen sollte, begaben sich Hester Prynne und Pearl auf den Marktplatz. Hier drängten sich schon Handwerker und andere kleine Bürger der Stadt in beträchtlicher Zahl; unter ihnen rauhe Gestalten […], Bewohner der Waldsiedlungen, die rings um die kleine Hauptstadt der Kolonie herum lagen.« So beginnt das 21. Kapitel des Romans Der scharlachrote Buchstabe, den Nathaniel Hawthorne im Jahre 1850 in Nordamerika veröffentlichte. Das Geschehen ist im 17. Jahrhundert angesiedelt. Hawthorne beschreibt in diesem Kapitel den Tag der Amtseinsetzung des neuen Gouverneurs in Boston. Hier lebt die Heldin des Romans, Hester Prynne. Zur Strafe für ein illegales Liebesverhältnis muss sie tagaus, tagein den großen roten Buchstaben »A« als Stigma auf ihrer Kleidung tragen. »A« steht für »Adulteress«, »Ehebrecherin«. Ehebruch – das ist in Gesellschaften, die auf puritanischen Grundfesten ruhen, eine ernste Sache. Das gilt bis heute, wie wir aus der Hysterie um die Eskapaden des Bill Clinton wissen. Dieser populäre Präsident der USA konnte seinen Kopf gerade noch aus der Schlinge ziehen, die ihm seine Gegner schon fest um den Hals gelegt hatten, indem er die erstaunte Weltöffentlichkeit in schönster Advokaten-Rabulistik mit feinen Unterscheidungen vertraut machte: Wenn eine Praktikantin »performs sex on the president«, sei das noch lange keine »sexual affair«. So einfach kam man zur Zeit, die Hawthorne beschreibt, nicht davon. Hester muss ein Zeichen tragen, und durch dieses Zeichen ist sie in der Stadt als Fremde gekennzeichnet, als Aussätzige. Sie ist Gegenstand allgemeiner Beobachtung, nicht Partnerin intersubjektiver Kommunikationen.
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Abb. 38: Hesters Zeichen
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Hester trägt dies mit Würde, nach und nach sogar mit einem gewissen Stolz. Sie wohnt mit ihrer Tochter Pearl am Rande der Stadt in einer ärmlichen Hütte, hat sich innerlich vollständig von den Normen und Werten der selbstgerechten puritanischen Gemeinde entfernt und beschäftigt sich damit, Kranken und sozial deklassierten Menschen zu helfen. Im 21. Kapitel des Romans, überschrieben »Der Festtag NeuEnglands«, steht nun das katastrophische Ende der Geschichte unmittelbar bevor. Arthur Dimmesdale, der junge, charismatische Pfarrer der Stadt, wird sich endlich öffentlich dazu bekennen, dass er Hester liebt und der Vater von Pearl ist, um gleich darauf sein Leben auszuhauchen. Aber die puritanische Zwangsmoral und die neurotische Naturbeherrschung, die das Verdrängte ständig in deformierter Gestalt wiederkehren lässt, nämlich die Triebnatur der Menschen, sind nicht das eigentliche Thema, um das es mir hier geht. Auch nicht die erbarmungslose Zeichenpraxis, die kodierende Deutungshoheit des ausgrenzenden Stigmas, die Hawthorne in seinem Roman auf ergreifende Weise zu beschreiben wusste. Es geht mir vielmehr um den Rahmen der Szene: um den großen öffentlichen Feiertag in einer nordamerikanischen Stadt um 1600. Deren Bewohner, Gründer einer neuen Kolonie, sind treffliche Beispiele für jene Mentalität, die Max Weber in seinen religionssoziologischen Studien als die ›rationale Ethik des asketischen Protestantismus‹ beschrieben hat. Ohne diese Mentalität hätte die moderne, rationale Gestalt des Kapitalismus und die ihr zugehörige Kultur schwerlich entstehen können (vgl. Weber 1989: 250).
Fröhliche Puritaner? Hawthorne beschreibt die harten, ziel- und zweckgerichteten Bürger Bostons als Verkörperungen des modernen okzidentalen Rationalitätstypus. Sie haben ihre strengen Prinzipien, sowohl auf religiösem Gebiet als auch auf wirtschaftlichem. Sie versagen sich Lust und Vergnügen, weil sie auf höhere Ziele aus sind. Für sie ist es das höchste Ziel auf Erden, ein gottgefälliges und erfolgreiches Leben zu leben. Erfolge in der diesseitigen Welt bedeuten ihnen nur deshalb etwas, weil sie als Zeichen gelten dürfen, als Beweise für Gottes Wohlwollen. Harte Arbeit, strenge Unterwerfung der eigenen Bedürfnisse unter die Erfordernisse des geregelten Lebens, sowohl im Arbeitsalltag als auch in der religiösen Gemeinde – eiserne, rationale Selbstbeherrschung ist die alles überstrahlende, überlebensnotwendige Tugend. Sie ist in der Tat notwendig, um in einer Kolonie zu überleben, die sich gegen die äußere Natur und gegen die Ureinwohner des Landes behaupten muss, welche sie als ihre Todfeinde erlebt. Zivili-
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All I want to do is have a little fun before I die | 67 satorischer Fortschritt, der als koloniale Unterwerfung auftritt, kämpft ja immer an zwei Fronten zugleich. Er kämpft erstens gegen jene Zivilisation, der er das Territorium raubt, und die ihm gar nicht wie eine Zivilisation erscheint, sondern wie eine primitive, naturhafte Lebensform. Und er kämpft zweitens gegen die eigene, innere Natur, die immer wieder aufs Neue domestiziert werden muss, um im Überlebenskampf zu bestehen. In Gründungsformationen bürgerlicher Gesellschaften lässt sich das Prinzip der Selbsterhaltung, das die politische Philosophie der Neuzeit seit Thomas Hobbes als das Kernstück der modernen Rationalität gekennzeichnet hat, gut als zweischneidiges Dispositv der Macht studieren. In der Systemtheorie des 20. Jahrhunderts ist das Motiv der Selbsterhaltung noch einmal rationalisiert worden. Es kehrt dort als sogenannte Autopoiesis wieder: die Kraft eines jeden Systems, sich zu erhalten, indem es eine Differenz zwischen sich selbst und seiner Umwelt setzt und aufrecht erhält. Von der Systemtheorie war ja bereits öfter die Rede. Ich möchte nun wieder auf die kultur- und mentalitätsgeschichtliche Betrachtungsweise zurückkommen, die anhand einer Lektüre von Hawthornes Beschreibung eines puritanischen Festtags in der nordamerikanischen Kolonie zum Zuge kommen soll. Hesters Tochter Pearl, das Kind einer sündhaften, ungezügelten Liebe, für die die Liebenden ein Leben lang büßen müssen, ist in Hawthornes Roman die Allegorie einer ebenso freien wie abgründigen Natur. Sie ist nicht zu bändigen, maßlos in ihren emotionalen und triebhaften Zügen. Sie ist aber auch – ganz das Produkt der Imaginationskraft eines Schriftstellers, der zu den intellektuellen Dissidenten seiner Kultur zählte – ein Sinnbild der moralischen Integrität des Natürlichen. Unverdorbenheit, Rätselhaftigkeit und dämonische Dunkelheit der Natur werden als Kontrastfolie der bürgerlich-asketischen »Naturbeherrschung am Menschen« (Rudolf zur Lippe) gegenübergestellt, der sich die Bürger Bostons freiwillig unterwerfen. Die arbeiten und beten und sind ebenso streng wie selbstgerecht. Pearl dagegen folgt ihren vor-rationalen Impulsen. Sie ist ein Bündel von Trieben, Emotionen und Gefühlen, dabei aber ständig von einer quälenden Neugier gebannt. Denn Pearl vermag nicht zu entschlüsseln, was das rote Zeichen auf der Kleidung ihrer Mutter zu bedeuten hat, das sie ambivalent erlebt: als Zeichnung und als Auszeichnung. Pearls eigene Kleidung, von ihrer Mutter selbst entworfen und genäht, ist von phantastischer, für die Augen der Puritaner ungehöriger Pracht, ein wilder bunter Rahmen für das Naturkind. Hawthorne hat diesen Punkt in seinem Roman immer wieder stark betont. Vielleicht kann man sich Pearls Kleidung ungefähr so vorstellen wie Janis Joplins Hippie-Kostüm auf dem Cover ihres letzten Albums, das den Titel Pearl trägt.
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Abb. 39: Janis Joplin, »Pearl«
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»Pearl« war der Spitzname, mit dem Janis Joplin in ihrem letzten Lebensjahr gerufen wurde. Von einem ausdrücklichen Bezug zu Hawthorne bei Joplin ist mir nichts bekannt; aber The Scarlet Letter gehört in den USA natürlich zum literarischen Kanon. Es ist jedenfalls überliefert, dass Janis Joplin mit dem Namen »Pearl« jene Seite ihrer Persönlichkeit zum Ausdruck bringen wollte, die auf Glamour, Attraktivität und erotische Dominanz aus war. Und das wäre immerhin mindestens ein impliziter Bezug zwischen Janis Joplin und Hawthornes Gestalt Pearl. Einmal im Jahr, am öffentlichen Feiertag, gehen nun selbst in Boston, der Puritanergemeinde des 17. Jahrhunderts, die Uhren anders. Der Marktplatz der Stadt, »der sonst eher der breiten, einsamen Grasfläche vor einem Dorfgemeindehaus als dem Mittelpunkt einer geschäftigen Stadt glich«, dieser Marktplatz, schreibt Hawthorne, wird nun von »Lärm und Getöse« belebt. »›Was ist denn hier los, Mutter?‹«, ruft Pearl. »›Warum haben all die Leute ihre Arbeit heut liegengelassen? Ist denn ein Spieltag für die ganze Welt? Sieh mal, da ist der Schmied. Er hat sich sein rußiges Gesicht gewaschen und Sonntagskleider angezogen und sieht aus, als würde er gerne lustig sein, wenn ihm nur jemand zeigen wollte, wie man das macht. […] Aber sieh nur, die vielen fremden Menschen! Und Indianer sind dabei, und Matrosen.‹« (Hawthorne 1961: 257) Pearls Mutter erklärt dem Kind, worin das Besondere dieses Tages für die Menschen besteht: »›[…] schau dich um und sieh, wie vergnügt heut alle Menschen aussehen. Die Kinder haben keine Schule, und die Erwachsenen sind aus den Werkstätten und von den Feldern gekommen, um fröhlich zu sein. Denn heute beginnt ein neuer Mann über sie zu herrschen; und deshalb – das ist schon Brauch bei den Menschen, seit das erste Volk entstanden ist – sind sie lustig und freuen sich, als sei endlich ein gutes, goldenes Jahr für die arme alte Welt angebrochen.« (Hawthorne 1961: 258) Die Menschen feiern also, weil sie sich einem neuen Herrscher zu unterwerfen haben; doch immerhin haben sie ihn selbst bestimmt, was ja schon ein Fortschrift in der Geschichte des Beherrschtseins ist. Sicher kein Zufall, dass Hawthorne seine Romanfigur den kausalen Zusammenhang so formulieren lässt: Selbstbestimmung als verinnerlichter Zwang ist die eiserne Kralle, mit der die Menschen sich selbst im Bann halten, und zugleich die einzig mögliche Legitimation für eine ritualisierte Feier, die kurzzeitig etwas Freude gestattet. Der Erzähler schaltet sich an dieser Stelle ein und übernimmt nun auch ausdrücklich die perspektivische Führung; er kommentiert die Figurenrede und beschreibt Erscheinung und Wesen der Szenerie. »Es war so, wie Hester sagte; eine ungewohnte Fröhlichkeit belebte die Gesichter der Menschen. In diesen einzigen Festtag des Jahres – der noch fast zwei Jahrhunderte alljährlich wiederkehrte – drängten die Puritaner alles zusammen, was sie an Freu-
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All I want to do is have a little fun before I die | 69 den und öffentlichen Vergnügungen der menschlichen Schwachheit zubilligten, und verscheuchten für die Dauer dieses einen Feiertages den gewohnten Schatten wenigstens soweit, daß sie kaum ernster aussahen als andere Menschen zu Zeiten allgemeiner Not.« (Hawthorne 1961: 258 f.) Wenn sie einmal so richtig ausgelassen feiern, wirken die Puritaner also auch nicht viel sorgenvoller als ganz normale Menschen, die in Not sind – das klingt ironisch. Etwas salopper formuliert, könnte so eine Beobachtung in eine Conference von Harald Schmidt passen. Bei allem Respekt und aller Sympathie, die der Autor für seine Ahnen bekundet, ist die leise Satire nicht zu überhören. Aber es ist eine tragisch-ironische Haltung, denn Hawthorne schildert all das ja so, wie er es tut, um das grauenvolle Elend spürbar zu machen, in das seine Protagonistin durch jene mentale Disposition ihrer Kultur gestürzt wird. An dieser Stelle möchte ich noch einmal daran erinnern, dass wir uns im Augenblick mit Hawthorne in den späteren USA befinden – also in dem Land, das der modernen Massenkultur ihre spezifische Form gegeben hat, in der wir sie heute kennen. Die Begriffe, mit denen Hawthorne beschreibt, welche Bedürfnisse die Menschen am einzigen Feiertag des Jahres befriedigen, sind, so könnte man sagen, Zentralkategorien des heutigen Betriebs der Vergnügungsindustrie. »Fröhlichkeit« und »Freuden« zu erfahren, ist die Motivation der Nutzer massenkultureller Unterhaltungsangebote. »All I wanna do is have a little fun before I die«, heißt es in Sheryl Crows skeptisch-ironischer Hymne auf die moderne US-amerikanische Alltagskultur aus dem Jahre 1993.
Abb. 40: Sheryl Crow: »All I wanna do«
Der Song erzählt von einem Mittagsimbiss in einem trostlosen Lokal, wo die Erzählerin mit ihrem Nachbarn ins Gespräch kommt. Billy sieht aus, als habe er in seinem ganzen Leben noch keinen einzigen Tag voll Spaß und Freude erlebt. Die beiden beobachten die Büroangestellten, die ihre Mittagspause dazu nutzen, in der Autowaschanlage gegenüber ihre Mittelklasseautos zu reinigen. Während die
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Abb. 41: Zeitungsseite der »Daily Mail« vom 27. Februar 1967
Angestellten wieder in ihre Telefongesellschaften und Plattenläden fahren, kratzt Billy die Etiketten seiner Bierflasche ab – ein hospitalistisches Freizeitvergnügen. »All I wanna do is have some fun« wird so zur Klage und zur Beschwörung, trotzig und verzweifelt, und das voluntaristische Bekenntnis ist es, das schon etwas von der Kraft des Vergnügens aus sich selbst heraus produziert. So ist der Text von Sheryl Crow eine bissige Alltagssatire auf die zu kurz Gekommenen der öden Markt- und Konkurrenzgesellschaft – und gleichzeitig eine Solidaritätsadresse mit ihnen, wenn nicht gar direkt aus ihrer Perspektive heraus gesungen. Schon 1967 erzählte Paul McCartney in She’s Leaving Home von dem Mädchen aus gut betuchten bürgerlichen Verhältnissen, das von Zuhause wegläuft, um endlich Vergnügen zu erleben, oder, schlichter ausgedrückt: Spaß zu haben. »We gave her most of our lives / Sacrificed most of our lives/We gave her everything money could buy«, klagen die verlassenen Eltern. »We struggled hard all our lives to get by / What did we do that was wrong«? fragen sie. »She is having fun«, antwortet der Erzähler: »Something inside that was always denied / For so many years«. Und dann heißt es, noch ganz im Geist der Sechzigerjahre-Vorstellung von einem freien, selbstbestimmten Leben, das sich der Reduktion auf die Gesetzmäßigkeiten des Warentausches entzieht: »Fun is the one thing that money can’t buy«. Nun, in diesem Punkt sollte der merkantilismuskritische Gestus, den die Beatles wie viele andere an den Tag legten (»Money can’t buy me love«), rasch widerlegt werden. Nicht zuletzt durch den Erfolg ihrer eigenen Arbeit wurde jedem klar: »fun« ist durchaus auch »a thing that money can buy«. Auch wer das bestritt, musste anerkennen, dass Spaßauslöser, Stimulanzien und Kicks eben die (dinglichen der immateriellen) Waren der Massenkultur sind. Es sind die »öffentlichen Vergnügungen« (Hawthorne), die uns in den USA und fast überall sonst auf der Welt demokratisch und marktförmig angeboten werden. Die Angebote der Massenkultur werden in einem Maße genutzt wie wenige andere in der weltweiten Marktgesellschaft von heute. Ich möchte aber Nathaniel Hawthorne noch einen Augenblick bei seiner Betrachtung der frühen nordamerikanischen Festkultur begleiten. Denn er stellt dort einen Vergleich zwischen den Lebensformen der Kolonien und des europäischen Ursprungslandes an, der höchst aufschlussreich ist. Zunächst, wie gesagt, das Bild der feiernden Puritaner, die, wenn sie einmal so richtig ausgelassen sind, eben wie sorgenvolle, niedergedrückte Menschen wirken. »Doch vielleicht übertreiben wir den grauen, düsteren Anstrich«, fährt Hawthorne dann fort, »der zweifellos die Stimmung und die Sitten des Zeitalters kennzeichnete. Die Menschen, die jetzt auf dem Marktplatz von Boston standen, waren nicht in die puritanische Düsterkeit hinein geboren worden. Sie waren gebürtige Engländer, und ihre Väter hat-
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All I want to do is have a little fun before I die | 71 ten die sonnige, glanzvolle Zeit der Elisabeth miterlebt, eine Zeit, da das Leben in England, als Ganzes betrachtet, stolzer, prächtiger und fröhlicher schien, als die Welt es je gesehen hat. Wären die neu-englischen Siedler ihrer angeborenen Neigung gefolgt, so hätten sie alle Ereignisse von öffentlicher Bedeutsamkeit mit Freudenfeuern, Gastmählern, Maskeraden und Festzügen gefeiert. Auch wäre es ihnen vielleicht gelungen, bei solchen feierlichen Gelegenheiten eine belebende Heiterkeit mit dem Ernst zu verbinden und das vornehme Staatsgewand, das ein Volk an solchen Festtagen anlegt, gleichsam mit einer bunt leuchtenden Stickerei zu verzieren.« (Hawthorne 1961: 259) Aber in Neu-England gab es eben »keine derartigen Volksbelustigungen, wie sie zur Zeit Elisabeths oder Jakobs in England verbreitet waren«, schreibt Hawthorne. Und dann zählt er die charakteristischen Attraktionen eines kontinental-englischen Jahrmarkts jener Zeit auf, die in Boston fehlten: Es gab »keine derben Theatervorführungen, keine fahrenden Sänger mit Harfenspiel und alten Balladen, keinen Spaßmacher, der einen Affen nach seiner Musik tanzen ließ, keinen Taschenspieler, der Gauklerkunststücke vorführte, keinen Hanswurst, der die Menge mit vielleicht jahrhundertealten Späßen belustigte, die noch immer wirksam waren, weil sie den ganz primitiven Sinn für das Derbe und Lustige ansprachen.« (Hawthorne 1961: 260) Das sind sie, die Angebote für jene Formen ästhetischer Erfahrung im Reiche der niederen Kultur, die bis weit ins 19. Jahrhundert das Gesicht der beginnenden europäischen Massenkultur prägten. Sie sind charakterisiert durch den dominanten, ja allumfassenden Aspekt der körperlichen Präsenz, in deren Zeichen die Performativität steht. Sie sollten solange nichts von ihrer ungeheuren Attraktivität einbüßen, bis der Aufstieg der technisch-reproduktiven Massenmedien begann, der dann seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Massenkultur des 20. bestimmt hat. Bis dahin beherrschten Straßentheater, musikalische Darbietung, Komik, Tierdressur, Artistik und Klamauk die Szenerie. Sie wurden von Experten dargeboten, die jeweils in einer langen Überlieferung von Ausbildung und Erfahrung standen. »All diese Fachleute auf den verschiedenen Gebieten der Volksbelustigung wären hier unerbittlich ausgewiesen worden«, meint Hawthorne mit Blick auf das puritanische Neu-England, »nicht nur durch die Strenge des Gesetzes, sondern auch durch die öffentliche Meinung, die dem Gesetz erst Lebenskraft gibt.« Aber auch damals gab es einen gewissen Grundbestand an Vergnügungsangeboten, der offenbar einfach unverzichtbar gewesen sein muss. Diese hatten bezeichenderweise überwiegend sportlichen Charakter und ließen sich sozial nutzbar machen. »Es fehlte […] nicht an Wettspielen, die die Siedler vor langer Zeit auf den Jahrmärkten in englischen Dörfern gesehen oder mitgemacht hatten und die man auf dem neuen
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Boden lebendig erhalten wollte, weil es dabei auf Mut und Mannhaftigkeit ankam. Ringkämpfe nach der Art von Cornwall und Devonshire wurden hier und da auf dem Marktplatz ausgetragen; in einer Ecke fand ein harmloses Gefecht mit langen Stäben statt; und – was die stärkste Anziehungskraft ausübte – auf der Plattform des Prangers […] begannen zwei Meister der Fechtkunst eine Vorführung mit Schild und Haudegen. Aber zur großen Enttäuschung der Menge wurde dieses Schauspiel durch das Eingreifen des Stadtbüttels abgebrochen, der auf keinen Fall zulassen wollte, daß die Majestät des Gesetzes durch solchen Mißbrauch einer geweihten Stätte verletzt werde.« (Hawthorne 1961: 260 f.)
Menschen, Tiere, Sensationen
Abb. 42: Hinrichtungsszene aus dem 15. Jahrhundert
Der Pranger, die geweihte Stätte, auf die Hawthorne hier ominös anspielt, ist der Ort, an dem die unglückliche Hester Prynne zu Beginn des Romans der öffentlichen Schande ausgesetzt, stundenlang beschimpft und bespuckt worden war, bevor sie dann – sozusagen in einem Übergang zu einer gesitteten Barbarei des Strafrituals – fortan frei herumlaufen darf, das Zeichen der Schande für immer auf der Brust tragend. Der geweihte Ort der Strafe als Ort spielerischer Massenbelustigung: Das ging wohl im rationalen puritanischen Geiste der Neuzeit nicht mehr, darf man folgern, wenn man Hawthornes Schilderung für authentisch hält, wozu wir allen Grund haben. Mittelalterliche Darstellungen europäischer Städte in der Malerei, meinte Adorno einmal sarkastisch, pflegen so auszusehen, als ob gerade zur Volksbelustigung eine Hinrichtung stattgefunden hätte. Aber auch damals waren Volksbelustigung und Volkserziehung ja sicherlich schon miteinander verbunden. Wir müssen vermuten, dass bluttriefende Opferrituale seit den archaischen Ursprüngen aller Kulturen dazu dienten, den Menschen ›ein Gedächtnis zu machen‹, wie Nietzsche das nannte: Schockierende Erlebnisse aus der Tabuzone des Heiligen dürften die Funktion gehabt haben, den Menschen tiefsitzende Eindrücke von realer und symbolischer Gewalt einzuprägen. Solche Eindrücke kodifizierten soziale und symbolische Ordnungen, installierten kulturelle Überlieferung und schrieben sie in die kollektiven kulturellen Gedächtnissysteme ein. Und das hatte vielleicht immer schon spektakulären Charakter. »Die Götter«, meint Nietzsche, wurden bei den Griechen »als Freunde grausamer Schauspiele gedacht«; Grausamkeiten, Kriege, Katastrophen wurden als »Festspiele für die Götter« inszeniert. Die Vorstellung, es gebe »sinnloses Leiden«, muss frühen Kulturen ganz fremd gewesen sein, übte doch jede Form kreatürlichen Leids eine Faszination des Betrachtens aus und war somit immer auch Träger
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All I want to do is have a little fun before I die | 73 von Bedeutung (Nietzsche 1887: 304). Und selbstverständlich müssen wir annehmen, dass rituelle Grausamkeiten auch einen sozialen Sinn, eine kodifizierte Bedeutung gehabt haben. Nietzsche dürfte Recht damit gehabt haben, dass die Erfindung der Götter, jener Zuschauer grausamer Lustbarkeiten, der Selbsterziehung, mithin der Selbst-Kultivierung der Menschen gedient hat. War das rituelle Menschenopfer zugleich Echo der kaum beherrschbaren Naturgewalten und Ausdruck gesellschaftlicher Herrschaft, so konnte es sich vermutlich gerade deshalb so tief einprägen, weil es für die Betrachter ein sensationeller Anblick war (Türcke 2002). Die »Sensation«: Das war in der philosophischen Terminologie der Neuzeit nichts anderes als der Fachbegriff für »Empfindung«, »Sinneseindruck«. In kultureller Frühzeit dagegen, wie auch dann wieder in der Gegenwart, ist »Sensation« Inbegriff der MassenAttraktion. Seinerzeit stets an körperliche Präsenz des Publikums gebunden, allenfalls noch an mündlich-mythologische Überlieferung, ist die »Sensation« in der Moderne zu dem massenmedialen Phänomen schlechthin geworden. »Das Wort ist in der europäischen Bildung allgemein geworden durch die Erkenntnistheorie. Bei Locke meint es die einfache, unmittelbare Wahrnehmung, den Gegensatz zur Reflexion. Daraus ist später dann das große Unbekannte geworden und endlich das massenhaft Erregende, destruktiv Berauschende, der Schock als Konsumgut.« (Adorno 1980: 267) Marktschreierische Reklame, d.h. mediale Selbstanpreisungen der Superlative wurden im 19. Jahrhundert in dem Maße notwendig, wie sich im Zuge der Industrialisierung ein städtisches Publikum bildete, das zahlungskräftige Bedürfnisse und allmählich auch expertenhafte Ansprüche entwickelte. Dem Publikum standen rasch ideenreiche Investoren auf dem Entertainmentsektor gegenüber, die Spitzenleistungen in den einschlägigen Ressorts anbieten konnten. Und komplementär zur Attraktivität beim Unterschichten-Publikum verstärkte sich das Misstrauen des kulturellen Mittelstandes und der Obrigkeit. »Wenn ein Angebot wirklich breiten Anklang fand, waren fast immer findige Unternehmer im Spiel, und die Autoritäten reagierten darauf beinahe automatisch mit dem Verdacht, daß hier ungezähmter Sensationshunger das individuelle wie das soziale Wohl bedrohe.« (Maase 1997: 52) Man kann sich Ton und Aura der Unterhaltungsreklame ungefähr so vorstellen, wie es auf dem englischen Zirkusplakat von 1843 zu lesen ist, das John Lennon 1967 zu dem Song Being for the Benefit of Mister Kite anregte. »A splendid time is guaranteed for all. […] The Hendersons will dance and sing / As Mister Kite flies through the ring don’t be late / Messrs. K. and H. assure the public / Their production will be second to none / And of course Henry the Horse dances the waltz!« Menschen, Tiere, Sensationen – erst Jahrmarkt, dann Zirkus, bald darauf die Presse, später Rundfunk und Fernsehen
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Abb. 43: Menschenopfer bei den Azteken
Abb. 44: John Lennon mit seinem Flohmarkt-Fund
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als Leitmedien: Das sind die Stationen einer Laufbahn des Sensationellen, verstanden als Synonym für massenhaft absetzbare Unterhaltungs- und Informationsware. Aber bis dahin war es im puritanischen Neu-England noch ein weiter Weg. Zunächst wurde ja wie gesagt versucht, die zwar illegitimen, aber unabweislichen Bedürfnisse hart arbeitender Menschen, die sich selbst auch nur bis zu einem gewissen Grade in Zucht nehmen können, auf pädagogisch sinnhafte Weise immerhin ein Wenig zu befriedigen. Doch dabei, so Hawthorne, »umgab sich« die Gesellschaft der eben etablierten Kolonie »mit dem schwärzesten Schatten des Puritanismus und verfinsterte damit das Gesicht des Volkes so sehr, daß es alle späteren Jahre nicht haben aufhellen können. Selbst wir«, kommentiert der Autor, nun in die Erzählzeit des Jahres 1850 springend, »haben die vergessene Kunst des Fröhlichseins noch nicht wieder erlernt.« (Hawthorne 1961: 261) Doch das sollte sich dann sehr schnell ändern. Mit der industriellen und urbanen Entwicklung, die ohne den asketischen Geist des Puritanismus kaum möglich gewesen wäre, jedenfalls nicht unter den gegebenen historischen Bedingungen, lösten sich die Werthaltungen, die ihn kennzeichneten, allmählich auf. Die Ausdifferenzierung der Arbeitsteilung führte dazu, dass sich die Arbeitsprozesse, in denen die Menschen involviert waren, immer mehr von ihnen ablösten, jedenfalls unter dem Aspekt von Sinn und Bedeutung.
Das Jahrhundert der Arbeit Ein Blick nach Europa: Mitte des 19. Jahrhunderts war dort der Pro-
Abb. 45: Mittelalterliche Bauern bei der Arbeit
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All I want to do is have a little fun before I die | 75 zess in vollem Gange, der die Einheit von Leben und Arbeiten gänzlich auflöste, die für die Menschen der Vor-Moderne eine naturgegebene Selbstverständlichkeit gewesen sein dürfte. Vor der Industrialisierung arbeitete man viele Stunden täglich, aber man hatte auch zahlreiche Feiertage im Jahr, die den Reproduktionsalltag mit Sinn und Bedeutung überwölbten und zugleich Gelegenheit zu physischer Erholung und entspannender psychischer Regression boten. Seit dem Mittelalter war in Europa von morgens bis abends gearbeitet worden, indoor und outdoor im Wechsel der Jahreszeiten. Für Handwerker, Bauern und Tagelöhner war die Arbeit ins Leben integriert, das insofern einen Sinn-Zusammenhang bildete, als es Beherrschung der Natur und Herstellung sowie Meisterung menschlicher Lebensbedingungen bedeutete. In vorindustriellen Lebensverhältnissen war »Arbeit selbstverständlicher Teil des Daseins«, schreibt Kaspar Maase, der Historiker der Massenkultur.
Abb. 46: Mittelalterliche Handwerker bei der Arbeit
Abb. 47: Fabrikhalle
Glaube und Tradition, Sitten und Bräuche ordneten die Welt. Viehfütterung, Ernte, »Schmieden des Metalls zum Werkzeug«, »Dienst als Lastenträger oder bei Hofe« – all das waren Arbeiten, die offenkundig notwendig und sinnvoll, naturnotwendig und naturhaft erschienen. Arbeit war selbstverständlich; sie war ein Teil des Daseins »wie religiöses Ritual und rauschhaftes Feiern« (Maase 1997: 41). In der bürgerlich-kapitalistischen Industriegesellschaft wurde das vollkommen anders. »Verkauf und Pflege des individuellen Arbeitsvermögens« wurden »zur Grundlage der Existenz«. Der Arbeit-»geber« entschied, ob man arbeiten konnte oder nicht. Alle Individuen wurden zu Konkurrenten – selbst innerhalb der Familie. Arbeit war nicht mehr durch »Sinn und praktischen Nutzen« bestimmt; sie wurde
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zum ›abstrakten Mittel zum Leben, zum Gelderwerb‹. (Maase 1997: 42) Die moderne industrielle Fabrikarbeit etablierte einen normierten Rhythmus der Anwesenheit und hoch konzentrierten Arbeit an Maschinen, die den Arbeitstakt vorgaben. Arbeitsdiziplin wurde zu einem entscheidenden (individuellen und gesellschaftlichen) Faktor, und die Disziplinierung musste erst einmal durchgesetzt werden. »Ohne Rücksicht auf äußere und innere Natur, auf Wetter, Zustand der Wege, körperliches Wohlbefinden oder seelische Belastungen, gleich, wie ekelhaft oder hart die Arbeit und ihre Bedingungen erscheinen – es galt anzutreten, wenn die Uhr es befahl. Das sonstige Leben schrumpfte zur Restzeit, dem beruflichen Rhythmus absolut untergeordnet; darüber stand der Druck, am nächsten Tag wieder leistungsfähig am Arbeitsplatz zu erscheinen. Wer diese Einstellung nicht erwarb, ging zugrunde.« (ebd.)
Abb. 48: Kinderarbeit
In der neu geregelten Freizeit waren nun nicht nur neue Erholungsqualitäten gefragt, sondern sie wurde auch nach und nach mit SinnVerlangen aufgeladen. Die abstumpfende Arbeit an den Maschinen tötete jede Möglichkeit ab, sich mit den Arbeitsvorgängen und deren Produkten zu identifizieren. »Arbeit und Freizeit traten« im 19. Jahrhundert »auseinander bis zum Gegensatz« (Maase 1997: 38). »Die Industrie trennte Arbeit räumlich und zeitlich vom Rest des Lebens, von Wohnung und Familie, von Nachbarschaft und Gemeinde. Die Fabrikordnungen des 19. Jahrhunderts widerspiegeln das Bemühen der Unternehmer, den Beschäftigten die Disziplin von Uhrzeit und Maschine, die Nüchternheit konzentrierter Aufgabener-
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All I want to do is have a little fun before I die | 77 füllung einzubleuen. Es brauchte Jahrzehnte der Drohungen und Strafen, um regelmäßiges und pünktliches Erscheinen durchzusetzen. Gewohnheitsrechte wie der blaue Montag der Handwerker oder der Besuch von Kirmes und Jahrmarkt über den Sonntag hinaus, allgemeiner der Anspruch, nach ausgelassenem Feiern dem Betrieb fernzubleiben, wurden bis ins 20. Jahrhundert hinein wahrgenommen.« (Maase 1997: 45) In einer Passage aus dem letzten Band seines Hauptwerks, der Kritik der politischen Ökonomie, die Karl Marx in den Sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts schrieb, wird die Verbindung von philosophischen Reflexionen über die gesellschaftliche Organisation der Arbeit mit ganz konkreten Inhalten der politischen Tageskämpfe seiner Zeit deutlich. Es geht dort um den Dualismus von Arbeit, die zur Reproduktion notwendig ist, und Freiheit, die gleichsam höheren Zwecken dient. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, wie Arbeit in ihrer neuen Qualität als abstraktes Mittel zum Gelderwerb sich in jener Zeit quantitativ in zuvor unbekanntem Maße ausbreitete. »Das 19. Jahrhundert«, berichtet Maase, sah »eine historisch beispiellose Ausdehnung der Arbeit. Ernsthafterer Widerstand und Schutzmaßnahmen setzten in England im zweiten, in anderen Ländern im letzten Drittel des Jahrhunderts ein. Zuvor fanden sich in Fabriken wie in der Heimindustrie regelmäßige Wochenarbeitszeiten zwischen 70 und 100 Stunden; in der Textil- und Mühlenbranche gingen sie noch darüber hinaus, bis zu 120 Stunden. Vergleichbare tägliche Arbeitsdauer läßt sich in vielen Gewerben seit dem hohen Mittelalter nachweisen. Aber damals entfiel ein Drittel des Jahres oder mehr auf Sonn- und Feiertage. Die Pariser Drahtzieher des 13. Jahrhunderts beispielsweise arbeiteten 16 Stunden im Sommer und 8 Winter – an 194 Tagen. Von 1850 bis zum Beginn von Urlaubsregelungen können wir rund 300 Werktage pro Jahr ansetzen.« (Masse 1997: 44) Im 19. Jahrhundert, dem »Jahrhundert der Arbeit« wurde Arbeit geadelt und heilig gesprochen (Thomas Carlyle); es wurde für das »Recht auf Arbeit« gekämpft oder Utopien der »attraktiven Arbeit« (Charles Fourier) ersonnen. Marx ging es um die »Befreiung der Arbeit«. Er wollte zeigen, dass der Kampf um mehr freie Zeit, d.h. um kürzere Tagesarbeitszeiten, die Basis für menschliche Freiheit in einem kulturellen Sinne ist. Er hatte sich von dem idealistisch beeinflussten Arbeitsbegriff verabschiedet, den er in seinen frühen Schriften anwandte, in denen er noch annahm, Arbeit sei der Modus der Selbstverwirklichung des Menschen überhaupt, der erst durch die Betätigung seiner Gattungskräfte in der Arbeit zu sich selbst käme. Inzwischen sah Marx die Sache deutlicher: Industrielle Arbeit sei lebensnotwendig und unvermeidlich, aber nicht selbst der Zweck der menschlichen Existenz, sondern die Grundlage für die eigentlichen menschlichen Tätigkeiten. Um das klar zu machen, benutzte Marx das philosophische Bild vom Reich der Notwendigkeit, dem das
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Reich der Freiheit gegenübersteht. Diese Metaphorik wendete er so, dass es eine Welt der Arbeit und jenseits von ihr eine Welt freier Tätigkeit gebe, die selbstbestimmt sei – ganz gleich, worum es sich dabei handelt: spielerische, kreative, entspannende, konzentrierte Tätigkeiten. Nur wenn es gelingt, die Tagesarbeitszeit für die arbeitenden Menschen signifikant zu verkürzen, könnte der Raum für solches Tun erweitert werden. »Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse [sich erweitern]; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung.« (Marx 1894: 828; Hervorhebungen: G.S.) Wohlgemerkt: Marx spricht von Freizeit als Raum der Freiheit. Heute gibt es eine Freizeit-Industrie mit dazugehörigen Forschungszweigen. Ihr Ziel ist es, die Konsumgewohnheiten und -möglichkeiten der Menschen in diesem Bereich auszuforschen und effizient als Konsumgüter- und Dienstleistungsmarkt zu nutzen. Das bedeutet, dass die Freiheit, die wir in der Freizeit genießen, ausgehöhlt wird, weil in dieser Sphäre ja dann die gleiche Logik herrschen soll wie in der entgegengesetzten Sphäre, der Erwerbs- und Reproduktionsarbeit. Demgegenüber wäre Freiheit etwas ganz anderes als solche Freizeit. Freiheit ist aber Konsum – nicht ein idealer, transzendenter Sonderbereich, sie kann nur eine Qualität von freier Tätigkeit sein, – d.h. einer, die nicht den Gesetzen der Erwerbs- und Reproduktionsarbeit unterworfen ist. Und das heißt: Ohne freie Zeit gibt es keine Freiheit des Tuns. Gegenwärtig erleben wir ja in ganz Europa, wie der für unsere Wirtschaftsform charakteristische Kampf um die Ausweitung bzw. Verkürzung der fremdbestimmten Arbeitszeit nach einem jahrzehntelangen sozial gepolsterten Zwischenspiel wieder in
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All I want to do is have a little fun before I die | 79 ein Stadium eintritt, in dem sich die Stärkeren unverhohlen ihr Recht verschaffen wollen. Die Frage ist: Galt in der modernen Massenkultur von Anfang an das gleiche Gesetz, von dessen Folgen die arbeitenden Menschen sich doch erholen wollten? Also die Logik von »enteigneter Lebenszeit« (Oskar Negt), von Konkurrenz und Warenlogik, der sie doch auf diesem Terrain zu entfliehen trachteten? Wird die Massenkultur durch und durch vom Gesetz der maximalen Verwertung des Werts beherrscht? Ist die moderne Massenkultur bloß eine Spielart jenes Überlebenskampfes, in dem nur der ökonomisch am besten Angepasste überlebt? Unterlief also das Angebot der Massenkultur von Anfang an die Dualität, die Marx beschrieb – hier Reproduktionsarbeit unter dem heteronomen Gesetz der (natürlichen) Bedürfnisse, dort autonome, freie, kulturelle Tätigkeit in der freien Zeit? Oder trat dieses (in Bezug auf die kulturellen Zwecke heteronome) Gesetz erst im Laufe jener Entwicklung seinen endgültigen Siegeszug in der Massenkultur an, die den körperlich-performativen Echtzeitaspekt immer mehr zurücktreten ließ und den technisch-reproduktiven, also den audiovisuell-medialen Aspekt dominieren ließ? In den Formationen der Mädchentanzgruppen der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, die in den Revuen der Metropolen Triumphe feierten und in Busby-Berkely-Musicals der 1930er und 1940er Jahre ihre unsterbliche Hollywood-Gestalt fanden, gehen lebendige Performance und standardisiertes Produkt ineinander über. Den Tänzerinnen wird die Unkörperlichkeit der technischen Reproduzierbarkeit fast unmittelbar eingeschrieben. Effizienz und Kalkulierbarkeit massenkultureller Produkte haben viel mit dem Gesetz der seriellen Produktion zu tun, das Siegfried Kracauer das »Ornament der Masse« genannt hat. Es ist Ausdrucksform und Ideologie des modernen Kapitalismus in einem, Zierde und Wesensmerkmal der segmentierten industriellen Massenproduktion. »Der Regelmäßigkeit ihrer Muster jubelt die durch die Tribünen gegliederte Menge zu«, schrieb Kracauer über die ent-erotisierte »Körperkultur«, die seit den »Tillergirls« aus den USA weltweit um sich griff (Kracauer 1927: 50-51). Die Unterhaltungsindustrie forme aus den nahezu ent-individuierten Einzelmenschen geometrische Muster. Diese dienen laut Kracauer nicht mehr zur symbolischen Darstellung des erotischen Lebens oder des Kultus der Natur, sondern sie dienen eigentlich zu gar nichts mehr – außer zur Darstellung ihrer selbst. Sie sind also »Selbstzweck« (Kracauer 1927: 52). Und genau darum sind sie die adäquate ästhetische Formgestalt, die der moderne Industriekapitalismus hervorbringt. »Die Struktur des Massenornaments spiegelt die der gegenwärtigen Gesamtsituation wider. Da das Prinzip des kapitalistischen Produktionsprozesses nicht rein der Natur entstammt, muß es die natürlichen Organismen sprengen, die ihm Mittel oder Widerstände
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sind. Volksgemeinschaft und Persönlichkeit vergehen, wenn Kalkulabilität gefordert ist; der Mensch als Massenteilchen allein kann reibungslos an Tabellen emporklettern und Maschinen bedienen. […] Der kapitalistische Produktionsprozeß ist sich Selbstzweck wie das Massenornament. Die Waren, die er aus sich entläßt, sind nicht eigentlich darum produziert, daß sie besessen werden, sondern des Profits wegen, der sich grenzenlos will. Sein Wachstum ist an den Betrieb gebunden. […] Das Massenornament ist der ästhetische Reflex der von dem herrschenden Wirtschaftssystem erstrebten Rationalität.« (Kracauer 1927: 53 f.) Daher, meinte Kracauer, ist das ästhetische Wohlgefallen, das Menschen in der modernen Massenkultur am Massenornament finden, auch vollkommen legitim. Die dem Ornament der Masse angemessene Rezeptionshaltung sei die Unterhaltung. Das Massenornament sei eine angemessene, wiewohl nicht selbstreflektierte »ästhetische Darstellung«. Es habe die »Sichtbarkeit unserer Welt« zum Gegenstand, deren strukturelle Wirklichkeit sich eben der Sichtbarkeit entzieht. Das Massenornament war für Kracauer also so etwas wie die ästhetische Wahrheit in falscher Gestalt.
Die Masse als Subjekt Vieles spricht für die Ansicht, dass die europäische Massenkultur im 20. Jahrhundert entstanden ist, genauer gesagt in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Aber ihre Elemente waren zu diesem Zeitpunkt alle schon vorhanden. Sie wurden im 19. Jahrhundert entwickelt und dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit explosiver Wirkung zusammengeführt. Bis ins 19. Jahrhundert erfreuten sich die Menschen an den Darbietungen von Gauklern, Akrobaten, Sängern, fliegenden Händlern, Theatertruppen und Tanzbären; sie verschlangen Blätter mit Katastrophenbeschreibungen und moralisierenden Texten und bestaunten Erscheinungen wie Magnetismus und Elektrizität oder die Laterna Magica, eine erste Vorstufe des Kinos. Im 19. Jahrhundert waren die Orte der Massenkultur dann vor allem der Zirkus, die Revuetheater mit ihrer Artistik, die Rummelplätze und Jahrmärkte, Kirchweihfeste, auf dem Bänkelgesang, Moritatensänger, Tierkämpfe und Sport-Wettbewerbe dargeboten wurden – und natürlich immer die Gasthäuser. Die entstehenden Arbeiterwohnquartiere in den Städten waren Orte, an denen Menschenmassen anonym nebeneinander lebten, die aus den überlieferten sozialen und kulturellen Bindungen ihrer früheren Gemeinschaften herausgerissen waren. Gleichzeitig verfügten diese Menschen über eine neue Selbstsicherheit: Sie waren freie Arbeiter. Zwar hieß das, dass sie in gewisser Hinsicht vogelfrei waren, denn sie waren frei von allen Subsistenzmitteln und gezwungen, ihre Arbeitskraft als Ware auf dem städtischen Markt anzubie-
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All I want to do is have a little fun before I die | 81 ten, wenn sie und die Ihren überleben wollten. Aber sie waren auch mehr oder weniger frei von kultureller Bevormundung und religiöser Gängelung. Sie hatten ein Recht auf Erholung und Vergnügen in der überaus knappen Zeit, die ihnen für die Befriedigung eigener Bedürfnisse zur Verfügung stand. Sie wollten wenigstens ihr Vergnügen haben, wollten aufregend neue und beliebte vertraute ästhetische Reize erleben; kurzum, sie wollten Unalltägliches kennen lernen, unterhalten und verlockt werden. Komplementär zur Ausbeutung der Arbeitskraft unzähliger Menschen entwickelte sich in den Städten ein Markt mit Unterhaltungsangeboten, die in Europa und in den USA die Menschen in der Kunst schulten, fröhlich zu sein. Dafür waren hohe Preise zu zahlen, in jeder Hinsicht, im wörtlichen wie im metaphorischen Sinne. Mit dem Fortschreiten der Industrialisierung und der Verstädterung waren im Europa des 19. Jahrhunderts die Gasthäuser immer attraktiver geworden. Hier trafen sich arbeitende Männer und männliche Jugendliche. Hauptattraktionen der Gasthäuser waren, genau wie heute, Alkohol und Unterhaltung, sei es im Gespräch oder beim Karten-, Würfel- und Billardspiel.
Abb. 49: Das Hofbräuhaus, 19. Jahrhundert
Als es noch keine Musikboxen und Fernsehgeräte gab, waren fahrende Musikanten und Sänger beliebt, die in Gasthäusern auftraten. Solche Auftritte und die nicht minder beliebten Tanzveranstaltungen waren die Vorstufen der Music Halls, die seit der zweiten Jahrhunderthälfte in England erfolgreich waren: große Häuser, die mitunter ein- bis dreitausend Menschen fassten. Hier wurde Eintritt erhoben,
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es gab nicht nur Biertische, sondern auch eine Bühne. Künstlerinnen und Künstler waren dort erfolgreich, wenn es ihnen gelang, die Aufmerksamkeit des zerstreuten und oft wilden Publikums zu fesseln (Prokop 2001: 227 ff.). Neben vielem anderen lernten Menschen mit geringer Bildung und wenig Gelegenheit zu ästhetischer Erfahrung, ästhetischen Darbietungen halbwegs konzentriert zu folgen. Unterhaltung und Disziplinierung gingen Hand in Hand. Wenn die Obrigkeit nicht ständig die Straßenauftritte von Musikanten, Akrobaten und Gauklern eingeschränkt und verboten hätte (Maase 1997: 47 ff.), wäre den Music Halls in den Industriestädten des späten 19. Jahrhunderts wohl kaum Erfolg beschieden gewesen. Die moderne Unterhaltungsindustrie erblühte, nachdem ein doppelter Domestizierungsprozess in Gang gebracht worden war: Das Publikum wurde domestiziert und ebenso die Künstler, die aus fahrendem Volk zu Angestellten wurden.
Abb. 50: Kellerlokal
Die Domestizierung der Gaukler und die Disziplinierung der Wirtshausgäste können als Ausdruck bürgerlicher Ängste vor der Masse interpretiert werden, die sich zusammenrottet. Jene Angst war in Europa seit der Französischen Revolution ein fester Bestandteil des bürgerlichen Erbes. Der »Eintritt der Massen in die Geschichte« gehört zu »Signaturen unseres Zeitalters«, bemerkt Peter Sloterdijk in einem Essay über die moderne Massengesellschaft. Er meint, das Projekt der Moderne habe zum Inhalt gehabt, »die Masse als Subjekt zu entfalten«. (Sloterdijk 2000: 9) Sloterdijk leitet das mit einem etwas dubiosen Wortspiel her, das sich auf Hegels Phänomenologie des Geistes bezieht. Dort hatte Hegel es als neuzeitliches Paradigma der Philosophie bezeich-
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All I want to do is have a little fun before I die | 83 net, dass die »Substanz« zum »Subjekt« werde. Philosophie, so Hegel, denkt in der beginnenden Moderne die Substanz – also das Wesen der Dinge – nicht mehr, wie bis in die frühe Neuzeit, als etwas Unveränderliches, Statisches, nicht mehr als etwas, das es in seinem unveränderlichen Sosein zu erkennen gelte. Stattdessen begreife die moderne Metaphysik das Wesen der Dinge selbst dynamisch, geschichtlichen Wandlungen unterworfen, veränderlich – kurz, als tätiges Subjekt. Hegel hatte damit das, was so gut wie alle Philosophen vor ihm als statisch und zeitlos gedacht hatten, dynamisiert und verzeitlicht. Sloterdijk schließt nun die Begriffe »Substanz« und »Masse« kurz. Das war freilich nicht Hegels Intention. Dennoch, soviel ist an Sloterdijks freiem Assoziieren ausnahmsweise einmal richtig: Es ist ein wesentliches Merkmal der Kultur der Moderne, dass erstmals »die Masse als Subjekt« begriffen wird. Denn wenn man Geschichte und gesellschaftliches Geschehen in Subjekt-Objekt-Kategorien beschreibt, macht es einen entscheidenden Unterschied, ob die große Zahl der Menschen als Gegenstand (»Objekt«) eines göttlich-herrscherlichen Plans oder als aktive, zur Selbstbestimmung fähige Kollektiv-Person (»Subjekt«) gedacht werden. Das, meint Sloterdijk in kühner Pauschalisierung, sei die leitende Idee sowohl des ›nationalistischen Zeitalters‹ der Vergangenheit als auch der ›sozialdemokratischen Ära‹ der Gegenwart. Beide politischen Programme hätten ein gemeinsames Motiv, nämlich »dafür zu sorgen, daß alle Macht und alle gültigen Ausdrucksformen von den vielen ausgehen«. Die epochale Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts habe darin bestanden, dass »die Masse Subjekt wird und einen Willen und eine Geschichte bekommt«, dass »die Masse einer eigenen Subjektivität oder Souveränität für fähig gehalten wird«. (Ebd.) Aber diese kulturelle Dynamik sei zutiefst ambivalent. Beobachter wie Akteure schwankten zwischen Vergötterung und Verachtung der Masse. Das, sagt Sloterdijk mit Recht, zeige bereits der Begriff selbst und seine Konnotationen, die aus der idealistischen Philosophie stammen: »Masse« bedeutet zunächst amorpher (Natur-)Stoff, der seine Form erst in der Bearbeitung durch einen formendes, schaffendes Subjekt bekommt. Das ambivalente Verhältnis zur sozialen Masse zeige sich daran, »daß die moderne, aktivierte und subjektivierte Menge weiterhin hartnäckig Masse genannt wird, von ihren Fürsprechern wie von ihren Verächtern« (Sloterdijk 2000: 10). Der Topos Masse steht für die Angstlust der Bürger vor den Arbeitssklaven der Moderne, die zum einen unentbehrlich waren und zugleich ein Gegenstand permanenter Furcht vor gewalttätigen Auseinandersetzungen, vor Arbeitskämpfen und Hungeraufständen. In der Masse, so schien es, verloren die Individuen, die in ihr aufgingen, ihre je besondere Identität. Der konservative französische Psychologe Gustave Le Bon schrieb im Jahre 1895: »An einer psychologischen Masse ist das Son-
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Abb. 51: »Volksmasse« auf der Straße
derbarste dies: welcher Art auch die sie zusammensetzenden Individuen sein mögen, wie ähnlich oder unähnlich ihre Lebensweise, Beschäftigung, ihr Charakter oder ihre Intelligenz ist, durch die Masse besitzen sie eine Kollektivseele, vermöge deren sie in ganz anderer Weise fühlen, denken und handeln, als jedes von ihnen für sich fühlen, denken und handeln würde. Es gibt Ideen und Gefühle, die nur bei den zu Massen verbundenen Individuen auftreten oder sich in Handlungen umsetzen.« Le Bon meinte, die Masse würde ganz unterschiedliche Individuen für einen Augenblick zu einem homogenen Kollektiv-Wesen umformen, das eine Art Durchschnitts-Charakter der individuellen Einzel-Charaktere sei. Dieser DurchschnittsCharakter zeichne sich vor allem durch Enthemmung und moralische Regression aus, weil »das Individuum in der Masse schon durch die Tatsache der Menge ein Gefühl unüberwindlicher Macht erlangt, welches im gestattet, Trieben zu frönen, die es allein notwendig gezügelt hätte. Es wird dies nun um so weniger Anlaß haben, als bei der Anonymität und demnach auch Unverantwortlichkeit der Masse das Verantwortlichkeitsgefühl, welches die Individuen stets zurückhält, völlig schwindet.« (Le Bon 1895) Die Masse ist hier zugleich gestaltlos und eine bedrohliche Riesen-Gestalt. Sie ist das Objekt, das beherrscht und reglementiert werden muss. Dies ist der Kerngehalt von Le Bons Massen-Phantasien, die jeder wissenschaftlichen Haltbarkeit entbehren. »Die Masse« war ein potenzielles neues Subjekt des gesellschaftlichen Geschehens, das an die Kette zu legen war, oder, im Sinne des Kanons bürgerlicher Bildungs-Werte, behutsam erhoben, d.h. an die Bildungsgüter der hohen Kultur herangeführt werden sollte. Der Popkultur-Forscher Roger Behrens hat die Bildungs-Intention der bürgerlichen Kultur so resümiert: »In diesem Sinne ist Kultur mit Bildung und Individualität identifiziert worden, Massenkultur hingegen als Kultur des Nichtindividuellen und der Dummheit. So schrieb bereits Johann Heinrich Pestalozzi 1823: ›Es ist unwidersprechlich: es mangeln der Massakultur unsers Geschlechts und der einzig möglichen Massabehandlung derselben wesentliche Fundamente, deren festes, gesichertes Dasein die Individualkultur desselben wesentlich anspricht und ansprechen muss. – Mehr noch: Sie, die Massakultur unsers Geschlechts, ruht als solche wesentlich auf Fundamenten, die den Ansprüchen unserer Individualkultur unwidersprechlich entgegenstehen. Die Massakultur und mit ihr die wesentlichen Formen und Gestaltungen des gesellschaftlichen Zustands gehen unwidersprüchlich überwiegend von den Ansprüchen unsers Fleisch und Blutes aus. Die Individualkultur und die wesentlichen Bedürfnisse unserer sittlichen und geistigen Veredlung sowie unseres häuslichen Lebens und Wohlstands gehen überwiegend von den Ansprüchen unsers innern, höhern und göttlichen Wesens aus.‹« (Behrens 2003: 121)
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All I want to do is have a little fun before I die | 85 Faktisch handelte es sich bei »der Masse« um vereinzelte, aus ihren alltags-kulturellen Lebenstraditionen herausgesprengte Menschen, die um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien kämpften und in der winzig bemessenen freien Zeit, die die Arbeitsprozesse ihnen übrig ließ, nach einigermaßen menschenwürdigen Lebensformen suchten. Vielleicht suchten sie auch nach Glück, sicher aber nach Sinn, denn die Veränderung des Lebens durch die ständige Revolutionierung der Produktionsweise im 19. Jahrhundert erzeugte auch ein Vakuum, das an die Stelle jenes Rhythmus des Lebens und Arbeitens in vor-industriellen Zeiten trat, das ständisch geordnet und religiös überwölbt gewesen war. Das Leben war jetzt nicht mehr an jahreszeitlich bedingten und zünftig regulierten Arbeitsprozessen orientiert, die langen Phasen intensiven Arbeitens in Landwirtschaft oder Handwerk waren nicht mehr durch eine Vielzahl von Feiertagen und Festen gegliedert. Stattdessen herrschten nun die unerbittlichen Maschinen, deren Laufzeiten so lange wie möglich andauern mussten. Durch die gewaltsame Trennung der Arbeitenden von ihren Produktionsmitteln war ein gewaltiger Strom von Arbeitsuchenden entstanden, die es vom Land und aus kleinen Ortschaften in immer größer werdende Städte zog. Dort hatten sich die großen Industrien angesiedelt, die gewaltige Kapitalkonzentrationen verkörperten. Das Industrieproletariat wurde von den Fabriken aufgesogen und periodisch immer wieder ausgespien. Die Begeisterung für und die Angst vor der Masse auf den Straßen ist in der Tat typisch für die maßgeblichen Gesellschaftstheorien des 19. und 20. Jahrhunderts. Wie hätte es auch anders sein können? Regionale Gemeinschaften waren durch die Industrialisierung geschwächt; sie führte die Landflucht herbei, den Zustrom in die Städte, in denen sich Ballungsviertel des Industrieproletariats bildeten. In den neuen Arbeitervierteln gab es wenig Selbstorganisation, keine traditionellen Feste und Bräuche mehr. Gruppenzusammengehörigkeit war in ländlichen Gemeinschaften im Zusammenhang des agrarischen Zyklus des Arbeitens gestiftet worden und über die Religion, die die großen Lebensereignisse wie Heirat, Kindstaufe und Begräbnis mit symbolischer Bedeutung auflud. Die Freiheit der Freizeitgestaltung wurde von städtischen Regulierungen eingeschränkt. Tanzveranstaltungen und Volksfeste wurden verboten, Gaststättenbetriebe und Ausschankgenehmigungen konzessioniert: Das öffentliche Vergnügen der Unterschicht unterlag strenger bürgerlicher Kontrolle. Keine Frage, derlei Reglementierungen dienten dem Zweck, Herrschaft zu sichern. Das wurde aber so meist nicht formuliert, statt dessen war davon die Rede, dass all dem die Absicht zugrunde lag, die rohen Menschen, die rohe Vergnügungen suchten, zu veredeln. Unter dem programmatischen Namen »vernünftige Erholung« wurde Volksbildung initiiert (Maase 1997: 49). Die Proletarier sollten
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heraus aus Gaststätten und Music Halls und hinein in die Kirchen und Bibliotheken. Statt Suff und leicht bekleideter Tänzerinnen also religiöse Erbauung – so die Kirchenvertreter. Statt Verblödung und Geldverschwendung: Bildung und Aufklärung – so die Arbeitervereine. Es gab ein gemeinsames Disziplinierungsinteresse auf Seiten der Fabrikanten und auf Seiten der Arbeitervereine – aus durchaus gegensätzlichen Motiven. Aber es waren ja nicht nur die Kneipen und Vergnügungslokale, die Menschen in den Städten magnetisch anzogen, sondern auch das Andere der urbanen Zivilisation. Ein wichtiger Bestandteil der modernen Massenkultur ist, dass schwer arbeitende Menschen nach Möglichkeiten suchen, ihre Natur als Menschen immerhin annähernd zu erfahren, und das tun sie immer auch, indem sie einen mehr oder weniger kultivierten Austausch mit der äußeren Natur suchen.
Schönheit im Elend
Abb. 52: Armenquartier
Wie haben wir uns das vorzustellen? Kehren wir noch einmal ins Europa des 19. Jahrhunderts zurück und werfen einen Blick in die nördlichen Regionen. Martin Andersen Nexö hat in seinem Roman Pelle der Eroberer aus dem Jahre 1906 beschrieben, wie in Kopenhagen gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Ärmsten der Proletarier lebten. Sie hausten zusammengepfercht in einem elenden Massenquartier am Rande der Stadt, das sie selbst »die Arche« nannten. In einem vielstöckigen Komplex aus engen Behausungen, die durch Freigänge und Balkone verbunden sind, lebten ungezählte Menschen, die sich mühsam mit Fabrikarbeit, Tagelöhnerei oder Heimarbeit durchbringen oder aber krank und alt vor sich hin vegetieren mussten. Andersen Nexö beschreibt, wie sich die Kinder hier notdürftig einrichteten. »Unten auf dem feuchten Boden des Schachtes wimmelte es von spielenden Kindern. Sie hingen am untersten Holzwerk, gingen trällernd auf den Balken ringsherum, ein Schmalzbrot in der Hand, oder setzten sich platt nieder und scheuerten sich auf dem klebrigen Steinpflaster vorwärts. Die Luft hing rauh und naßkalt herein wie in einen alten Brunnen und hatte früh Rost über die kleinen Stimmen gelegt und die Gesichter mit Drüsenwunden bedeckt; aber aus dem Tonnengang, der nach der Gasse herausführte, kam hin und wieder ein warmer Hauch von Duft und blühenden Bäumen – ganz hinten vom Wall her.« (Andersen Nexö 1949: 7) Viel ist im 19. Jahrhundert über die Wohnungsfrage berichtet und nachgedacht worden. Sie wurde vor allen in jenen städtischen Ballungsgebieten zum quälenden Problem, die nicht sowieso als Industriezentren geplant worden waren. Die »akute Wohnungsnot« war ein »Symptom der […] industriellen Revolution« (Engels 1872: 600) in Europa. Friedrich Engels hat Ursachen und Wirkung so
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All I want to do is have a little fun before I die | 87 beschrieben: »Einerseits werden Massen ländlicher Arbeiter plötzlich in die Städte gezogen, die sich zu industriellen Mittelpunkten entwickeln; andererseits entspricht die Bauanlage dieser älteren Städte nicht mehr den Bedingungen der neuen Großindustrie und des ihr entsprechenden Verkehrs; Straßen werden erweitert und neu durchgebrochen, Eisenbahnen mitten durchgeführt. In demselben Augenblick, wo Arbeiter haufenweis zuströmen, werden die Arbeiterwohnungen massenweis eingerissen. Daher die plötzliche Wohnungsnot der Arbeiter und des auf Arbeiterkundschaft angewiesenen Kleinhandels und Kleingewerbs. In Städten, die von vornherein als Industriezentren entstanden, ist diese Wohnungsnot so gut wie unbekannt. So in Manchester, Leeds, Bradford, Barmen-Elberfeld. Dagegen in London, Paris, Berlin, Wien hat sie ihrerzeit akute Formen angenommen und besteht meist chronisch fort.« (Engels 1872: 599 f.)
Abb. 53: Jakob A. Riis: »Five Cents a Spot« (New York, Ende des 19. Jahrhunderts)
Wenig später hatte sich die Wohnungsnot auch in New York breit gemacht. Wir kennen sie aus den Fotografien, die der dänische Einwanderer Jakob A. Riis 1890 in seinem Buch How the Other Half Lives publiziert hat. Heute findet man solche Wohnformen vorwiegend auf der südlichen Erdhalbkugel. Andersen Nexö gibt also sozusagen ein Bild von den Favelas des 19. Jahrhunderts, und die lagen in den europäischen Hauptstädten – auch im beschaulichen Kopenhagen. »Über dem ganzen engen Hof hingen Vorbaue vornübergebeugt und morsch und ließen gerade noch eine schmale Öffnung, in der die Trockenleinen mit Kinderwä-
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sche und Scheuerlappen hin und her glitten. Die mürben, hölzernen Treppen liefen im Zickzack draußen an den Mauern entlang, tauchten in die Vorbaue hinein und kamen wieder heraus, bis ganz oben zur Mansarde hinauf. Von den Vorbauen führten Türen in die Wohnungen oder zu langen Gängen, die das Innere der Hausmasse miteinander verbanden. […] Von Vorbau zu Vorbau tropfte die säuerliche Lauge der Kinderwäsche, bis ganz hinab auf den Grund, wo die Kinder in dem trägen Bach spielten, der aus den Abflußrinnen floß. Das Holzwerk knarrte fortwährend wie alte Zweige, die sich gegeneinander reiben, naßkalter Geruch […] legte sich sättigend auf den Atem, und alles, was man anrührte, hatte eine Schicht Schleim« (Andersen Nexö 1949: 8 f.). Diese Lebenswelt ist in erster Linie eine harte, ungesunde und freudlose Über-Lebenswelt, eine prekäre und unwirtliche Nische im Kampf ums Dasein. Aber auch hier regen sich vitale Bedürfnisse nach Lust, Spiel und Schönheit und unbändiges Glücksverlangen. Die Imaginationskraft der Kinder erlaubt ihnen noch dort, wo zunächst einmal nur Mangel, Schmutz und Not zu erkennen sind, ästhetische Erfahrungen. Andersen Nexö zeigt das, indem er die Phantasiespiele der Kinder beschreibt, die mit wenig Material auskommen müssen. Zum Beispiel mit der reaktiven Eigenfarbproduktion des geblendeten Auges: Sie muss hier leisten, was das Kaleidoskop in der Hand der Bürgerkinder vollbringt, die das Zusammenspiel von Sinneswahrnehmung und Technik in behüteter Umgebung erlernen können. »Es gab noch wunderbarere Dinge, wie zum Beispiel, wenn man sich auf das schlüpfrige Pflaster niederlegte und Hannes Spiel ›Schönheit‹ spielte. Richtete man den Blick aufwärts zum Himmel empor, der lichtglitzernd vorüberflog, und senkte ihn dann plötzlich wieder, so war es hier ganz einfach stockdunkel. Und in der Dunkelheit flogen gelbe und blaue Farbenringe, wo sonst die Kehrichtkasten und die Aborte lagen. Die verschwenderische Flut der Farben vor dem Auge, das war die Reise weit hinaus in das Land des Glücks, nach all dem, was sich nicht sagen ließ.« (Andersen Nexö 1949: 8) Von solchen Glanzlichtern der Phantasie abgesehen, geht es im Alltag der Bewohner trist zu. Um so bedeutsamer werden die wenigen Gelegenheiten, sich in menschenwürdiger Umgebung auf menschenwürdige Weise zu geben, sich selbst jenseits der Tretmühle von Arbeit und Regenerierung zu erfahren, mit der Natur zu kommunizieren und die Errungenschaften städtischer Kultur zu nutzen. Alltag und Sonntag stehen in verzweifeltem Kontrast, aber selbst das auch nur für jene, die über ausreichend Kraft, Zeit und Geld verfügen, um überhaupt einmal herauszukommen. »Der Blick«, so beschreibt Andersen Nexö die klaustrophobische, unhygienische und trostlose Szenerie, »konnte nicht zwei Schritt wandern, ehe er vom Mauerwerk gehemmt wurde, aber dahinter
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All I want to do is have a little fun before I die | 89 ahnte man Welten. Wenn die Türen zu den langen Gängen sich auftaten und schlossen, brachen sich Laute von den unzähligen Wesen in der Tiefe der Arche Bahn: das Weinen kleiner Kinder, das eigentümliche Pusseln von Sonderlingen und Verhuddelten, ganze Lebensschicksale spielten sich da drinnen ungestört ab, ohne sich jemals ans Licht des Tages zu wagen. – Auf Pichelmeiers Seite ragten die Abflußröhren gerade aus der Mauer heraus und glichen Waldteufeln, die aus dem Dickicht herausgreinten mit offenem Munde und langem, grauen Bart, der rosenrote Regenwürmer erzeugte und zuweilen mit einem schweren Klatschen in den Hof hinabfiel. Aus den Mauerlöchern heraus wuchsen grüne, hängende Büsche. Das Abwasser sickerte durch sie hindurch […]. Über den Boden des Hofes ging ein endloses Gerenne von Wesen, von lichtscheuen Geschöpfen, die aus dem reichhaltigen Bauch der Arche auftauchten oder darin verschwanden. Die meisten waren Frauen, wunderlich gekleidet, krankhaft bleich, mit jenem Zusatz von Schwarz, als sei die Finsternis in die Haut hineingedrungen, mit erschlafften Zügen, aber mit fanatisch schimmernden Augen.« (Andersen Nexö 1949, 9 f.) Die Impression vom Alltag der proletarischen Unterschicht wird vom Autor mit den Stilmitteln des Naturalismus wiedergegeben, die bei ihm einen ganz besonderen, nämlich volkstümlichen, Zug bekommen. Die allegorisierende Darstellung des Wohnkomplexes schreibt den Gebäuden naturhafte Züge ein. Das elende Wohnquartier wird zum Wald mit märchenhaften Gestalten, die Fäkalien der Bewohner zu Regenwürmern. Nicht unähnlich den Milieustudien Emile Zolas, der ja, z.B. in seinem großen Bergarbeiterroman Germinal, auch mit Naturmetaphern arbeitete, wird die sozial generierte Verelendung der Lebensverhältnisse bei Andersen Nexö wie eine zweite, unerlöste Natur beschrieben. Diese Lebensbedingungen sind Menschenwerk, Erscheinungsformen gesellschaftlicher Beziehungen der Menschen, aber da sie von ihnen nicht frei und bewusst gestaltet werden, bekommen sie den Anschein eines unabänderlichen, naturgesetzlichen Schicksals. Und nicht nur den Anschein; solange die Menschen, die in ihnen leben, sie hinnehmen, sind sie es auch. Das Besondere von Andersen Nexös Sprache, von seinem Blick auf diese Welt, ist freilich seine warme Anteilnahme. Der Autor sympathisiert mit seinen Protagonisten. Die Volkstümlichkeit seines Schreibens besteht nicht nur im humorvollen Ton, sondern auch im humanen Engagement. Und doch hat er keine Tendenzliteratur produziert; wir können seinen Schilderungen getrost vertrauen und sie als Anschauungsmaterial für die Alltagskultur der Unterschichten in der entfalteten großstädtischen Industriegesellschaft des späten 19. Jahrhunderts benutzen. Denn Andersen Nexö idyllisiert nicht, wie etwa Charles Dickens, den das Mitleid immer wieder zu einem Pathos hingerissen hat, das sie in dokumentarischer Hinsicht weniger zuverlässig macht.
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Schauen wir uns die Schilderung eines Kopenhagener Sonntags der armen Leute an. Pelle, der bettelarme Junge von der agrarischen Insel Bornholm, der gerade in der Hauptstadt angekommen ist und in der Arche eine Bleibe gefunden hat, macht sich mit Freunden zum Ausflug auf. »Beim Triangel kamen sie an einen Omnibus und rollten den Strandweg entlang. Der Wagen war voll von fröhlichen Menschen; sie saßen da und lachten über ein paar gemütliche Bürger, die schwitzten und einander dumme Witze zuwarfen. Hinter ihnen rollte sich der Staub drohend auf, blieb aber wie eine träge Wolke um die großen schwarzen Wassertonnen hängen, die gespreizt auf ihren hohen Gerüstbeinen am Wegesrande standen. Draußen auf dem Sund lagen die Boote mit ihren Segeln und kamen nicht von der Stelle. Alles feierte Sonntag.« (Andersen Nexö 1949: 28) Es ist überhaupt schon ein großer Luxus, das öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, und drüber hinaus führt es die Armen mit Menschen aus anderen, privilegierten Schichten zusammen. Das schafft Gelegenheit zur Beobachtung und friedfertiger Abgrenzung. Die Natur wird als urban domestizierte Natur wahrgenommen, die gezeichnet ist durch die Markierungen städtischer Technik. Hierin liegt für den Bornholmer Jungen geradezu ein Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung. Im Lichte des arbeitsfreien Tages werden die Fischerboote zu Phantasmagorien eines versöhnten Naturverhältnisses; sie werden zu Objekten ästhetischer Betrachtung und somit zum Vorschein befriedeter gesellschaftlicher Verhältnisse. Damals hätte man noch nicht wie heute gereimt: »Hier bin ich Mensch, hier kauf’ ich ein«. Die Möglichkeit des Menschseins erschien eher an die raren Situationen gebunden, die von Produktion und warenförmiger Konsumtion noch freigestellt waren. Man suchte das Andere der Zivilisation und wollte doch in ihrem Schutz verweilen. Wie in Goethes »Osterspaziergang« strömen die Städter in die Natur, aber nun nicht mehr schlicht und einfach auf die Wiesen vor die Stadt, sondern in die umhegte Natur inmitten der Stadt. »Drinnen im Tiergarten war es kühl und frisch. Das Buchenlaub hatte noch seinen jungen Glanz und nahm sich wunderbar festlich aus zu den mächtigen hundertjährigen Stämmen. ›Ei, wie schön der Wald ist!‹ rief Pelle. […] Er war noch nie in einem richtigen Buchenwald gewesen. Man wanderte hier ja wie in einer Kirche. Unmengen von Menschen waren hier auch. Ganz Kopenhagen war auf den Beinen bei dem guten Wetter. Die Leute waren wie berauscht von dem Sonnenschein, ganz ausgelassen, und der Schall ihrer Stimmen hängte sich an den Baumkronen fest und forderte nur auf, sich Luft zu machen.« (Andersen Nexö 1949: 28 f.) Das Park-Erlebnis gehört zu den Schlüsselszenerien des modernen Großstädters. Hier wurde Vieles und qualitativ ganz Verschiedenes erlebt, geahnt und gespürt. Zunächst natürlich die Befreiung von der ungesunden, hässlichen Enge der städtischen Quartiere. Der
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Abb. 54: Bürger im Park
Mensch als Leibwesen konnte sich hier anders spüren als in seinem sozialen Alltagsbiotop. Dann wurde zumindest eine Ahnung davon erfahrbar, worin ja immerhin das Projekt neuzeitlicher Zivilisation bestand: eine Ahnung des versöhnten Umgangs mit Natur, die dem Städter nicht mehr als Objekt der Unterwerfung und Ausbeutung erscheinen musste, oder bestenfalls als Gegenüber in der gleichberechtigten Zweckgemeinschaft im Daseinskampf, wie das für den Menschen des agrarischen Lebensraums galt. Die äußere Natur als Garten und die Natur, die wir selbst sind, in ihr zu erfahren – das erschien allmählich nicht mehr nur den höfisch oder kirchlich Privilegierten zugänglich. Und mitten darin, sicher den größten Teil der Attraktivität ausmachend, lockten Vergnügungszonen. »Drinnen zwischen den Baumstämmen«, so fährt Andersen Nexö an der Stelle fort, an der wir ihn soeben verlassen haben, »gingen Menschen umher und amüsierten sich auf eigene Faust, schlugen mit großen Zweigen um sich und schrien rücksichtslos auf, nur um ihre eigenen lauten Stimmen zu hören. Einige Männer standen da drüben am Waldessaum und sangen im Chor; sie hatten weiße Mützen auf, und über die Grasebenen spazierten fröhliche Gruppen dahin, spielten Haschen oder rollten sich wie junge Kätzchen im Grünen.« (Andersen Nexö 1949: 29) Freiraum für unreglementierte Körpererfahrung, für Intimität und zurückhaltendes erotisches Spiel; Kindheitsreminiszenzen der Jungen und Glückserinnerungen der Alten aus Jugendtagen, alles nur unterbrochen von bescheidener Rast – das ist das Sonntagsvergnügen der Armen, das selten genug erschwinglich ist, längst nicht wöchentliche Routine, eher Feier- als Sonntag. »Die Alte wandte sich um und sah sie mit strahlenden Augen an. ›So herrlich hat der Wald seit vielen Jahren nicht geschim-
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mert‹, sagte sie. ›Nicht, seit ich ein junges Mädchen war.‹ Sie kamen oben bei der Eremitage an und gingen von dort aus über die Ebene wieder in den Wald hinein, bis sie an ein kleines Waldwärterhäuschen kamen, wo sie Kaffee tranken und von den mitgebrachten Butterbroten aßen. Dann trabten sie weiter. Madam Johnsen kam nur dies eine Mal in den Wald und wollte darum alles sehen; die Jungen erhoben Einspruch, aber sie war gar nicht totzukriegen. Ihre Mädchenzeit hatte Erinnerungen hier draußen, und nach denen sah sie sich um […]. ›Hier ist doch noch Waldeinsamkeit, ganz wie in meiner Jugend!‹ sagte die Alte. ›Und schön ist es hier. So wie sich das Laub schließt, so recht ein Ort für Liebespaare.‹ […] Pelle und die Alte hatten Blumen und Buchenzweige gepflückt, jetzt nahmen sie die und ordneten sie. Hanne lag auf dem Rücken und blinzelte zum Himmel empor. ›Laß doch das alte Gegucke nach‹, sagte die Mutter, ›das ist dir gar nicht gut!‹ ›Ich spiele bloß ›Schönheit‹; es ist schon lange her‹, sagte Hanne. ›Aber zu Hause in der Arche sieht man doch mehr. Hier ist es zu hell.‹ ›Ja, weiß Gott, da sieht man mehr – eine Kloake und drei Aborte. Ein Glück, daß es da so dunkel ist. Nein, man sollte so viel haben, daß man jeden Sonntag im Sommer in den Wald gehen könnte. Wenn man in der freien Luft aufgewachsen ist, dann ist es hart, sein ganzes Leben lang zwischen schmutzigen Mauern eingesperrt zu sein.‹« (Andersen Nexö 1949: 30)
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I can’t control myself. Ambivalente Modernisierung
Maase hat den raschen, unaufhaltsamen Prozess der »Modernisierung von Unterhaltung« (Maase 1997: 53) beschrieben. In den Anfängen der modernen Massenkultur waren Ausflugsorte im Freien populär, wie sie Andersen Nexö geschildert hat. Botanische und Zoologische Gärten, mitunter selbst Volksparks wurden von Arbeitern jedoch eher selten frequentiert, da sie zu »bürgerlich« anmuteten. Freibäder waren ein damals verbreiteter Versuch, die Badelust zu organisieren, indem die Menschen aus »wilden« Badeseen und Flußufern in übersichtliche Areale geführt wurden. Die Gemeinden richteten Plätze für Turnübungen, Sport und Spiel ein und entsprechend auch Kleingärten (Maase 1997: 52). Aber am beliebtesten blieben immer noch die Gartenlokale und Ausflugswirtschaften in den großen Städten, die vielfältige Attraktionen zu bieten hatten: zum Beispiel 1891 in Berlin, beschrieben von Hans Ostwald in seinem Buch Die Berlinerin. Kultur- und Sittengeschichte Berlins, das in den 1920er Jahren erschienen ist. »Im Hintergrund steht ein kleines Theater, auf welchem, unter freiem Himmel, abwechselnd sentimentale Sängerinnen und Tanzkünstler sich produzieren […] Gleichzeitig ist vorn in einem Saal am Eingang ›Ball‹, wird geschossen, gewürfelt, ›gewogen‹, die ›Kraftprobe‹ gemacht und Billard gespielt; werden an einem Tisch ›belegte Stullen‹ und Würste verkauft, an zwei Büffets Bier […] geschenkt […] Es kommt noch der Luftballon, eine ›Zaubersoiree‹, die Illumination und das Feuerwerk, verbunden mit einem Militärkonzert« (zit. bei Maase 1997: 54). Auf dem Lande stellten Kirchweihfeste und Jahrmärkte kommerzielle Vergnügungsangebote in bescheidenerem Umfang als in der Stadt bereit. Schausteller präsentierten Rätselhaftes, Atemberaubendes, technisch Aufwändiges, erotisch Lockendes und ästhetisch Verzauberndes: »Preisringen«, »Panorama«, »Völkerschau, Abnormitätenkabinett«, »Schleiertanz« und, sogar schon vor Ende des 19. Jahrhundert, »Wanderkino« (Maase 1997: 54).
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Vom Kalb mit zwei Köpfen und dem pseudoanthroplogischen Ethno- und Behindertenspektakel der Völkerschauen und Damen ohne Unterleib führt eine gerade Linie ins Kino des 20. Jahrhunderts, wie man z.B. an Todd Brownings Film Freaks von aus den 1930er Jahren studieren kann.
Abb. 55: Todd Browning und seine Darsteller
Abb. 56: Tingel-Tangel
Im frühen 20. Jahrhundert waren die Attraktionen dann der Rummelplatz, das Tingeltangel oder Varieté, das Boulevardtheater, das Kino und die Sportarena. Im öffentlichen Raum wurde Kunstmusik mehr und mehr durch Tanzmusik verdrängt, die mit Hilfe von Rundfunk und Schallplatte privat und individuell rezipierbar wurde. Das Terrain der Modernisierung der Unterhaltung war die Freizeit der arbeitenden Bevölkerung in den Städten; eine Bevölkerung, die ihrerseits eine Folge der Modernisierung der Arbeit gewesen war. Noch einmal: Der wichtigste Faktor bei der Herausbildung der modernen Massenkultur in Europa war sicherlich die Trennung von Arbeit und Freizeit in zwei separate Bereiche. Auch hier fand so etwas wie eine Ausdifferenzierung von Subsystemen mit relativ eigenen Logiken statt, wie Weber das als allgemeines Gesetz der Moderne formuliert hat. Arbeitsdisziplin wurde zu einem ihrer entscheidenden Dispositive. »So elementar der Drang zum Sichausleben im Vergnügen war, an einer Erkenntnis kam niemand vorbei: Auch selbstbestimmte Freizeit hatte ihre Grenzen. Sie durfte die Wiederherstellung der körperlichen und nervlichen Leistungsfähigkeit, den Verkauf der eigenen ›Ware Arbeitskraft‹ nicht gefährden. Man mußte mit seinen Kräften haushalten und den Zwängen gehorchen, die der Beruf und sonstige Aufgaben setzten.« (Maase 1997: 45) Ein Moment dieses Disziplinierungsprozesses weist inhaltlich freilich auch in eine andere Richtung. Die Soziologie spricht hier vom Prozess der »Normalisierung«. Damit ist die Tendenz gemeint, dass sich Individuen in der Moderne in zunehmendem Maß als produktive, selbstbestimmte Subjekte begreifen lernen. Das autonome Selbst als Person, die ihre eigene Lebensgeschichte schreibt, kristallisierte sich als normatives Leitbild des neuzeitlichen Men-
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I can’t control myself | 95 schen heraus. In der Aufklärung war das Ideal der allseitigen Entfaltung des humanen Potenzials formuliert worden, in der Romantik wurde die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit individueller Entfaltung beklagt, und in der industriell-metropolitanen Kultur des 19. Jahrhunderts wurde die unterworfene, ihrer selbst entfremdete äußere Natur als Spiegelbild der selbstentfremdeten inneren Natur der Menschen entdeckt (Taylor 1996: 373 ff.). Gesellschaftsgeschichtlich konnte die Wende zur anspruchsvollen, emanzipatorischen Entdeckung, dass alle Individuen die innere Fähigkeit zur Autonomie besitzen, offenbar nur im Zuge einer repressiven Verinnerlichung sozialer Herrschaft stattfinden. Daher rekonstruiert man diesen Prozess in der systemtheoretischen Soziologie als funktionale Verkoppelung der zwei gegenläufigen Tendenzen »repressive Sozialisation« und »produktivistische Subjektivierung«. Aus dieser Sicht verliert die »disziplinäre Vergesellschaftung« allmählich »den Charakter eines Herrschaftsinstruments und wird zu einer funktionellen Struktur sozialer Modernität, in deren Zentrum die durchgreifende rationale Organisierung und Entfaltung der individuellen und kollektiven Kräfte steht« (Makropoulos 2004: 73).
Abb. 57: Deutscher Biergarten im 19. Jahrhundert
Die nüchterne Sprache der Systemtheorie ist recht gut geeignet, um zu beschreiben, dass dies nicht zu der von Kulturkritikern lang herbeigesehnten Neugeburt des unverschandelten »ganzen Menschen« führt. Vielmehr erscheint die soziale und kulturelle Disposition der Menschen, die seit der klassischen Moderne in den entwickelten Industrienationen leben, als eine, die zur Teilhabe an den technischen, ökonomischen, kommunikativen und ästhetischen Errungenschaften der Moderne befähigt, indem sie den Individuen grundsätz-
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lich erlaubt, ihre Interessen, Chancen und normativen Leitvorstellungen selbst zu definieren. »Normalisierung wird damit zur politisch-sozialen Realisierung einer prinzipiell offenen Disposition der individuellen und kollektiven Optimierung in einem nach Kriterien der Effizienz strukturierten Feld von Wert und Nutzen.« (Makropoulos 2004: 76) Das Zeitalter der Massenkultur ist aus dieser Perspektive das Zeitalter, das im Zuge der Ausbreitung des Herrschaftsbereichs systemisch-herrschaftlicher Imperative wie Macht und Geld zugleich lebensweltliche Kompetenzen und Kräfte wie Kommunikation und Selbstbestimmung in tendenziell universalem Umfang gestärkt hat.
Let’s drink to the hard working people Massenkultur unterwirft alle Lebensbereiche der Verwertungslogik ihrer industriell produzierten Güter – und etabliert zugleich Erfahrungs- und Teilhabemöglichkeiten an den gesamtgesellschaftlichen Errungenschaften der Modernisierung. Sie erzieht und trainiert alle Menschen, ihre Wahrnehmung zu erweitern. »Der Film«, stellte Benjamin in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts fest, dient dazu, »den Menschen in denjenigen neuen Apperzeptionen und Reaktionen zu üben, die der Umgang mit einer Apparatur bedingt, die in seinem Leben fast täglich zunimmt. Die ungeheure technische Apparatur unserer Zeit zum Gegenstande der menschlichen Innervation zu machen – das ist die geschichtliche Aufgabe, in deren Dienst der Film seinen wahren Sinn hat.« (Benjamin 1936: 444 f.) Die audiovisuellen Medien der Massenkultur haben das Zeug dazu, die Menschen zum Subjekt-Objekt technisch-reproduktiver und medialer Konstruktion künstlicher Wirklichkeiten zu machen, wenn jene von diesen selbstbestimmt angeeignet werden können. »Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch ihre Sinneswahrnehmung. Die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organisiert – das Medium, in dem sie erfolgt – ist nicht nur natürlich sondern auch geschichtlich bedingt.« (Benjamin 1936: 478) Die Frage, von der Benamin zufolge abhängt, ob die neuen audiovisuellen Medien ihre »geschichtliche Aufgabe« auch wirklich erfüllen, ist, ob diese Medien in erster Linie kommunikative und ästhetische Funktionen erfüllen können, oder ob sie ihre kommunikativen Potenziale verfehlen, weil sie für die ökonomischen und strategischen Interessen ihrer kommerziellen Betreiber funktionalisiert werden. Massenkultur ist, mit den Worten von Michael Makropoulos, »kein bloßer Effekt sozialer Modernität, sondern, im Gegenteil, eines ihrer konstitutiven Elemente, wenn nicht sogar ein wesentliches
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I can’t control myself | 97 Moment moderner Vergesellschaftung.« (Makropoulos 2004: 66) Man könnte das auch so formulieren: Massenkultur erzeugt Integration durch Teilhabe. Die systemtheoretische Soziologie fragt nicht mehr, wie Benjamins Medientheorie, nach Ideologie und Wahrheit der Medien im Zeitalter ihrer kapitalistischen Verwertbarkeit, sondern danach, wie Verwertungslogik und Entfaltung der kommunikativen Produktivkräfte miteinander verbunden sind. Für sie ist die mediale Massenkultur des 20. Jahrhunderts sozusagen der kulturelle Schrittmacher der Moderne, der mehr oder weniger allen Individuen die Teilhabe an den und die Integration in die technischen, ökonomischen, ästhetischen und kommunikativen Formen der realen und symbolischen Ordnung ermöglicht, in deren Rahmen die westlichen Industrienationen und ihre Nachahmer leben und sich reproduzieren. Um das Doppelgesicht der Moderne etwas deutlicher beschreiben zu können, möchte ich an dieser Stelle an Webers Beschreibung der ambivalenten Modernisierung erinnern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert wurde. Webers Theorie der modernen Rationalität verknüpft sozial-, wirtschafts- und kulturwissenschaftliche Forschungen zu einer philosophischen Rekonstruktion der Moderne. Sie beschreibt die Ursprünge der Moderne in der europäischen Neuzeit. Als Epoche der Moderne bezeichnen wir gemeinhin jene Phase der europäischen Geschichte seit der Französischen Revolution, in der sich die Idee der Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen und die Idee der Souveränität des Volkes deutlich und kämpferisch artikulierten, in der die Demokratie als einzig legitime politische Herrschaftsform in Verbindung mit der Konzeption des Nationalstaats formuliert wurde; jene Phase, in der sich die neuzeitlichen Naturwissenschaften und Technologien herauskristallisierten, und ebenso die heute als gültig angesehenen universalistischen Vorstellungen von Moral und Recht sowie die Vorstellung, dass es eine autonome Kunst gibt. Weber hat die Struktur dieser Epoche als Entfaltung des jeweiligen Eigen-Sinns jener Phänomene beschrieben, die sich als Anspruch auf politische Freiheit und auf die Autonomie der Wissenschaften, Technologien und Künste artikuliert. In der Moderne ist Vergesellschaftung nicht mehr in erster Linie über Herkommen, Sitten und Bräuche sowie Werte der eng begrenzten Gemeinschaft vermittelt, sondern über Handels- und Tauschprozesse. Die Abstraktion vom Herkommen erscheint gesellschaftlich als Verrechtlichung der Arbeits- und Tauschbeziehungen. Der Arbeitsvertrag ist ein Tauschvertrag zwischen Fremden, zwischen denen sonst keine werthaften Bindungen bestehen. Statt einer Herrschafts-Hierarchie, die wie ein Naturverhältnis vorgestellt wird (als Lehen von Gott und als Resultat der Erbfolge) herrscht nun die Konkurrenz formal gleicher Wirtschaftssubjekte. Das soziale Gefüge ist als Ganzes nicht mehr statisch, denn die Einzelnen bekommen ihren
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Platz in der Gesellschaft nicht mehr durch ein überliefertes Weltbild mit unveränderlicher, wertstiftender Struktur zugewiesen. In der Soziologie bezeichnet man das als den Übergang von »normativer Integration« in »funktionale Differenzierung«. Wissenschaftliche, technische und kulturelle Produktionsmittel und Produktivkräfte waren in den Händen des wohlhabenden und gebildeten Bürgertums. Dessen politische, soziale und kulturelle Vorherrschaft gab die Leitbilder Fleiß, Sparsamkeit und Selbstkontrolle vor. Nicht Unterhaltung und Lust, sondern erhebender, erbaulicher Kunstgenuss war das Ideal ästhetischer Regeneration der persönlichen Arbeits- und Entscheidungsfähigkeit in der freien Zeit. Doch die Herrschaft des Bürgertums erzeugte nicht nur die ideologische Legitimation der eigenen Hegemonie. Sie machte es auch möglich, dass sich die Eigen-Logiken der jeweiligen Sphären entfalten konnten, die eben nicht nur ideologisches Arsenal waren. Die Moderne ist nach Weber das Zeitalter der Entzauberung der Welt. Der okzidentale Rationalisierungsprozess bewirkt die Auflösung der vermeintlichen geschlossenen Einheit der Welt. Die normative Verbindlichkeit einheitlicher Weltdeutungen aus Religion und Metaphysik zerfällt, ihre soziale Integrationskraft schwindet. In der Moderne verliert die Religion ihre kulturelle Dominanz und damit ihren Wahrheits- und Geltungsanspruch. Charles Darwin entzauberte den Mythos von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, indem er die Logik der natürlichen Evolution nachwies. Nietzsche und Fjodor M. Dostojewski konnten den Tod Gottes ausrufen lassen und nach den ebenso befreienden wie verhängnisvollen Folgen fragen, die sich daraus für die moralische Steuerung des gesellschaftlichen Zusammenlebens ergaben. Freud demonstrierte, dass die Ökonomie der libidinösen Besetzungen und Frustrationen unser Handeln bestimmt, die nur zum Teil dem Bewusstsein des Subjekts zugänglich ist. Wir sind in viel höherem Ausmaß durch unser Unbewusstes gesteuert, als uns lieb ist. Die Moderne ist gekennzeichnet durch die Ausdifferenzierung der jeweils teil-autonomen Geltungssphären Wissenschaft, Moral und Kunst. Seitdem das 16. und 17. Jahrhundert in Europa de facto ein mechanistisches Weltbild etabliert hatten, konnten sich Wissenschaft und Technik aus überlieferten Welt-Bildern emanzipieren und dominant werden. Die Rechtssphäre hatte an Bedeutung gewonnen und breitete sich über alle Bereiche aus. Die Künste dienten nicht mehr ausschließlich den Zwecken des religiösen Kults, den Repräsentationsbedürfnissen kirchlicher und weltlicher Herrscher oder deren bürgerlichen Nachfolgern, sondern beanspruchten Autonomie. Die Eigengesetze der Ökonomie, die durch protestantische ArbeitsEthik begünstigt wurden, blühten im Konkurrenzprinzip der liberalen Marktgesellschaft auf. All diese Sphären entwickelten sich zu relativ selbständigen sozialen Sub-Systemen, deren Zusammenspiel
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I can’t control myself | 99 ein soziales System in seiner Totalität ergaben. Die Stabilität des Ganzen und die Balance zwischen den miteinander wetteifernden Sub-Systemem bleibt dabei freilich bis heute prekär. Im Zentrum von Webers Theorie des modernen, westlichen Kapitalismus steht das Konzept der Rationalisierung von Wirtschaft und Recht im Zusammenspiel mit dem modernen Staat. Die agrarische und industrielle Produktion folgte zunehmend den Erfordernissen und Möglichkeiten, die von Wissenschaft und Technik ausgingen. Kennzeichnend für die neue Wirtschaftsweise war, dass Haushalt und Betrieb voneinander getrennt wurden, rationale Buchführung und Kapitalrechnung eingeführt und Investitionsentscheidungen nach der besonderen Marktlogik getroffen wurden. Auf dem Markt konkurrierten die formal freien Arbeiter darum, ihre Arbeitskraft verkaufen zu dürfen. Dabei spielte die neue Rechtsauffassung eine wesentliche Rolle. Normen gelten nach der modernen Sichtweise nicht mehr im Rahmen von überlieferten Weltbildern, sondern sind hypothetisch; d.h., sie können ständig überprüft und verändert werden. Recht ist stets positives Recht, d.h. gesetztes Recht, von Menschen gemacht und in Geltung gebracht. Dazu gehört auch die Überzeugung, dass der Staat kein natürliches oder religiös legitimiertes Gebilde ist. Herrschaft muss seit der Zeit der europäischen Aufklärung tendenziell mit vernünftigen, von jedermann nachvollziehbaren Argumenten gerechtfertigt werden. Rationale Herrschaft heißt, dass es nicht mehr Herrscher und Untertanen gibt, sondern Vorgesetzte und Bürger; Herrschaft wird als Amt auf Zeit verstanden. In seiner religionssoziologischen Studie »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« von 1904/05 hat Weber okzidentale Rationalität im Rahmen einer Handlungstheorie definiert: Rationalität ist das Vermögen, Handlungsziele bzw. Handlungszwecke zu bestimmen und die nötigen Mittel anzuwenden, um die Zwecke zu erreichen. Zweckrationalität ist im Europa der Reformationszeit zuerst klar hervorgetreten, im Calvinismus und Protestantismus, die das göttliche von weltlichen Reich scharf trennten. Die praktische, wirtschaftliche Lebensführung und die Dienstverpflichtung vor Gott liefen von nun an nebeneinander her und kamen sich nicht mehr in die Quere. Das Ideal war die methodisch-planvolle Lebensführung im »Geist des Kapitalismus«. Wer es im Leben zu etwas bringt, wird von Gott belohnt. Kalkulation, Berechnung sowie die Bereitschaft zum Verzicht und zur Aufopferung machten es erforderlich, dass die Befriedigung der Bedürfnisse auf später verlegt wurden – tendenziell ins Jenseits. Das hießt: Nicht mehr Leben im Hier und Jetzt, sondern zukunftsorientiertes Planen. Der Siegeszug des modernen, bürgerlichen Industrie-Kapitalismus begann und wurde aus Europa in die Neue Welt exportiert. Der okzidentale Rationalitätstypus wurde weltumspannend dominant. Die wichtigste Folge des okzidentalen Rationalisierungsprozesses
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war, wie gesagt, die Auflösung einheitlicher Weltbilder in Religion und Metaphysik, deren soziale Integrationskraft schwand. Die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis wurde zur Aufgabe der Wissenschaft. Religion, Ethik, Ästhetik, Ökonomie, Politik, aber auch Erotik wurden zu Wertsphären, die mal mehr, mal weniger eigenständig waren. Soziologisch bezeichnet man sie als Subsysteme mit eigenen Leitideen, Funktionen und Kommunikationsformen, die im ständigen Streit über Fragen der übergeordneten Sinngebung liegen. »Die kulturelle Rationalisierung, aus der die für moderne Gesellschaften typischen Bewußtseinsstrukturen hervorgehen, erstreckt sich […] auf die kognitiven, die ästhetisch-expressiven und die moralisch-evaluativen Bestandteile der religiösen Überlieferung. Mit Wissenschaft und Technik, mit autonomer Kunst und den Werten expressiver Selbstdarstellung, mit universalistischen Rechts- und Moralvorstellungen kommt es zu einer Ausdifferenzierung von drei Wertsphären, die jeweils einer eigenen Logik folgen. Dabei gelangen nicht nur die ›inneren Eigengesetzlichkeiten‹ der kognitiven, expressiven und moralischen Bestandteile der Kultur zu Bewußtsein, sondern mit ihrer Ausdifferenzierung wächst auch die Spannung zwischen diesen Sphären.« (Habermas 1981, 233 f.) Die neue, profane Kultur hat autonome Teilbereiche hervorgebracht: Wissenschaft, Kunst, Moral und Recht. Diese Pluralität der Weltdeutungen lässt sich nicht mehr beilegen oder gar in einem neuen philosophischen Gesamtsystem aufheben. Der moderne Rationalisierungsprozess ist also auch ein Differenzierungsprozess. Soziologisch gesehen entsteht aus ihm der moderne Individualismus. Dieser Zerfall birgt aber auch die Chance zu neuer Sinngebung und Integration auf höherer Wissens- und Freiheitsstufe. Er macht sozusagen die Individuen und ihre Gemeinschaften selbst dafür verantwortlich, ihre Vergesellschaftung vernünftig zu gestalten. Die Chance der modernen Kultur ist die Verpflichtung zur Selbstbestimmung. Leitideen sind nur dann überzeugend, wenn sie der Prüfung durch kritische Rationalität standhalten; d.h., normativ verbindlich kann nur sein, was die rationale Prüfung durch Gegenargumente unbeschadet übersteht (Weiß 1995). Auf der anderen Seite ist die Rationalität des Rationalisierungsprozesses jedoch auch weniger allumfassend und universal gültig, als es den Anschein hat. Denn sie ist nach dem Modell der ökonomischen Rationalität geformt, die sich um die Vorstellungen des Tauschs, der Verwertung und der Konkurrenz herum organisiert hat. Das Zentrum der Gesellschaft ist in der abendländischen Moderne der Markt. Die Regulation gesellschaftlicher Beziehungen über Spielregeln und Bestimmungen des Marktes ist einerseits tatsächlich höchst rational, denn es geht um den gerechten Tausch von Äquivalenten, der unter juristischen Bedingungen stattfindet, die bereits das Potenzial der menschenrechtsförmigen Gleichstellung aller Indivi-
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I can’t control myself | 101 duen in sich verkörpern. Aber zugleich ist der Markt auch irrational. Denn in der marktförmigen Tauschgesellschaft wird das Eigentum an Produktionsmitteln nun zum differenzierenden Kriterium, das darüber entscheidet, ob man Arbeitskräfte kauft und an den eigenen Maschinen mehrwertbildend arbeiten lässt, oder ob man nichts als seine Arbeitskraft zu verkaufen hat und sie zu den eben vorfindlichen Bedingungen veräußern muss. Daher bleibt die materiale Verwirklichung vernunftgemäßer Gleichheit und Freiheit formal und kann immer nur in halbierter Gestalt verwirklicht werden. Mit den Worten von Kracauer: »Die kapitalistische Epoche ist eine Etappe auf dem Weg zur Entzauberung« – sie ist noch nicht die gelungene Entzauberung selbst (Kracauer 1927: 56). ›Beherrschung, Benutzung und Ausbeutung der Natur‹ gelingen immer besser, stellte Kracauer in seiner Analyse des »Massenornaments« fest. Auch und gerade die Beherrschung und Ausbeutung der Natur im Menschen wird immer effizienter; aber das vernünftige Ziel des gesamten Prozesses gerät aus dem Blick. Das Leben der Menschen, dessen Verbesserung die substanzielle Zweckbestimmung des Rationalisierungsprozesses sein müsste, verkümmert, es wird zu einem bloß beiherspielenden Faktor. Daher meinte Kracauer, dass »die Ratio des kapitalistischen Wirtschaftssystems« nicht »die Vernunft selber« sei, »sondern eine getrübte Vernunft«. »Sie begreift den Menschen nicht ein. Weder wird durch die Rücksicht auf ihn der Ablauf des Produktionsprozesses geregelt, noch baut sich die wirtschaftliche und soziale Organisation auf ihn auf, noch ist überhaupt an irgendeiner Stelle der Grund des Menschen der Grund des Systems.« (Kracauer 1927: 57). Daher sei die Rationalität der Neuzeit immer noch nur eine unvollendete Rationalität. Der Kapitalismus »rationalisiert nicht zu viel, sondern zu wenig.« (Ebd.) Geschichtlich kam dies nicht von ungefähr. Die Befreiung der großen Massen armer, arbeitender Menschen ohne höhere Bildung war zutiefst zweideutig. Sie bedeutete einerseits die positive Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes und die Befreiung aus Leibeigenschaft oder Sklaverei. Andererseits bedeutete sie auch die negative Freiheit von den Reproduktionsmitteln für ihr Leben, und das galt für Bauern und Handwerker ebenso wie für Proletarier. Die Rede von der modernen »Massenproduktion« ist insofern doppelsinnig, denn sie hat eine ökonomische und eine soziologische Bedeutung. Sie steht für industrielle Güterfertigung in massenhafter Stückzahl, für standardisierte, schablonisierte Form der Produktion und hochentwickelte Arbeitsteilung; aber auch für die Erzeugung einer neuen sozialen Formation. Die Produktion der Masse als soziale Kategorie beschreibt den Prozess, in dessen Verlauf besitzlose Menschen aus ihren sozialen Verbänden herausgelöst wurden, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken, der durch technische Innovationen und erweiterte Handelsbeziehungen entstand. Diese neuen Massen konnten sich
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nur am Leben erhalten, indem sie den industriellen Produktionsprozess bedienten. Marx hat die Dialektik der Moderne aus ihrem Prinzip heraus hergeleitet, nämlich aus dem revolutionären, irreversiblen Traditionsbruch, der Signatur der modernen Epoche. Bewusstseinsgestalten und Praxisformen der Moderne befreiten sich, so Marx, vom Alpdruck der Tradition und traten an, ihre eigene Geschichte »aus freien Stücken«, unter selbst gewählten Umständen zu machen. Marx hat dies dialektisch rekonstruiert: als Auftakt zur modernen, tauschwertzentrierten Wirtschaftsweise, die in einer furiosen Jagd um den Erdball als Weltmarkt etabliert wird, sich als Verwertung des Werts auf sich selbst zurückwendet und das prekäre, wiederum alpdruckartige Verhältnis von Produktiv- und Destruktivkräften gebiert. Jene »Momente, worin große Menschenmassen plötzlich und gewaltsam von ihren Subsistenzmitteln losgerissen und als vogelfreie Proletarier auf den Arbeitsmarkt geschleudert werden« (Marx 1867: 744), waren die Schlüsselmomente der kapitalistisch organisierten industriellen Massenproduktion. »Die Expropriation des ländlichen Produzenten, des Bauern, von Grund und Boden bildet die Grundlage des ganzen Prozesses.« (Ebd.) Die Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise in Europa begann im 16. Jahrhundert, nachdem im 14. u. 15. Jahrhundert bereits einige Mittelmeerstädte mit dieser Produktionsweise Erfolg gehabt hatten. Die Leibeigenschaft war im 16. Jahrhundert aufgehoben, und die im Mittelalter vorherrschende soziale Organisationsform der Arbeit, das Ständewesen, hatte seine Kraft und Bedeutung verloren. Die sozialen Folgen der Verelendung der Bevölkerungsmassen hat Thomas Morus in seiner Schrift Utopia aus dem Jahre 1516 anhand der verhängnisvollen Umwandlung von Gemeindeland für die Landwirtschaft in Weiden für die Schafzucht beschrieben. Im England des 15. Jahrhundert war die Mehrheit der Bevölkerung ›freie, selbstwirtschaftende Bauern‹. Freie Pächter und Lohnarbeiter in der Landwirtschaft besaßen kleine Stücke Ackerland, die sie, neben ihrem Lohn, knapp aber ausreichend ernährten. Die Allmende, das gemeinsame Weideland für das Vieh, wurde von Bauern und Lohnarbeitern gemeinsam genutzt. Als die Wollmanufakturen in Flandern aufblühten, stiegen die Wollpreise. Nun begannen die großen Feudalherren, die Bauern »von dem Grund und Boden« zu verjagen, auf den doch die Bauern »denselben feudalen Rechtstitel« besaßen wie die Feudalherren, und das Gemeindeland zu usurpieren (Marx 1867: 746). »Das sind eure Schafe«, heißt es bei Thomas Morus, »die so sanft und genügsam zu sein pflegten, jetzt aber, wie man hört, so gefräßig und bösartig sind, daß sie sogar Menschen fressen, Felder, Gehöfte und Dörfer verwüsten und entvölkern. Denn überall, wo in eurem Reiche feinere und daher bessere Wolle erzeugt wird, da sind hohe und niedere Adlige, ja auch heilige Männer, wie einige Äbte,
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I can’t control myself | 103 nicht mehr mit den jährlichen Einkünften und Erträgnissen zufrieden, die ihren Vorgängern aus den Landgütern erwuchsen […] sie lassen kein Stück Land zur Bebauung übrig, sie zäunen alles als Weide ein, reißen die Häuser ab, zerstören die Dörfer und lassen gerade noch die Kirchen als Schafställe stehen […] jene edlen Leute [verwandeln] alle Ansiedlungen und alles, was es noch an bebautem Land gibt, in Wüsten.« (Morus 1516: 26) Der humanistische Denker hat die erbarmungslose Folgerichtigkeit der Verelendung und Kriminalisierung beschrieben, die aus der Trennung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln hervorging: »Damit also ein einziger Prasser […] einige Tausend Morgen zusammenhängenden Ackerlands mit einem einzigen Zaun einfriedigen kann, werden die Pächter vertrieben […], enteignet oder, durch Schikanen zermürbt, zum Verkauf gezwungen. Daher wandern die Unglücklichen in jedem Falle aus: Männer, Frauen, Ehemänner, Ehefrauen, Waisen und Witwen, Eltern mit kleinen Kindern und einer mehr zahlreichen als wohlhabenden Familie […]. Sie wandern aus, sage ich, und finden keinen Platz, wohin sie sich wenden könnten. Ihren ganzen Hausrat, der sowieso nicht für hohen Preis verkäuflich ist […], verschleudern sie, da sie ihn loswerden müssen; ist der Erlös auf der Wanderschaft nach kurzer Zeit verbraucht, was bleibt ihnen schließlich übrig, als zu stehlen und – natürlich nach Recht und Gerechtigkeit – gehenkt zu werden, oder aber umherzustreunen und zu betteln, obgleich sie dann als Landstreicher ins Gefängnis geworfen werden, weil sie sich müßig herumtreiben?« (Morus 1516: 26 f.) Jene englischen Feudalherren waren freilich nicht nur unersättlich gierige Persönlichkeiten, sondern sie mussten sich auch auf einen Kampf gegen das hegemoniale Königtum und gegen das Parlament vorbereiten. Im 16. und 17. Jahrhundert fanden in England tiefe soziale Umbrüche und Neuordnungen statt. Die Gentry zog sich auf ihre Landgüter zurück und sammelte Kräfte im Kampf gegen Königtum und Parlament. Der liberale Adel beteiligte sich an den ökonomischen Aktivitäten des Bürgertums. So wurde »jenes Bündnis zwischen der Monarchie und den Handelsklassen« vorbereitet, das schließlich »in England den Sieg des Kapitalismus und den Bestand des Königtums sicherte« (Hauser 1978: 552). Hier spielte bereits der Aspekt des Weltmarkts eine Rolle, der in Gestalt des Kolonialhandels zunehmend an Bedeutung gewann. Portugal zahlte für englische Wolle anfangs mit Wein, später dann, als sich die Konkurrenz verschärft hatte, mit Gold aus Brasilien. Die grausame Ausbeutung von Sklaven und Land in Brasilien schaffte also Geldmittel für die »sogenannte ursprüngliche Akkumulation« (Marx) des Industriekapitals in Europa. Was sich freilich durch Marx’ ökonomiekritische Betrachtung allein nicht erschließt, ist der kulturelle Krisen- und Innovations-
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aspekt, der für das Verständnis der modernen Massenkultur entscheidend ist. Auf diesem Gebiet ist Webers Analyse unverzichtbar, denn er hat gezeigt, dass die krisenhafte, instabile Struktur der modernen Gesellschaft das Lebenselixier der kulturellen Modernisierung ist. Das Ideal ist eine rationale Lebensführung, die sich um den »Beruf« zentriert, der durchaus als eine innerweltliche »Berufung« verstanden wird. Inhaltlich komplementär dazu, aber der Form nach analog, entstehen Kunstmarkt und Kunstbetrieb. Als Kompensationen der Berufsarbeit und des profanisierten Alltags werden ästhetisch-expressive Lebensstile wie der der Bohème kultiviert.
Abb. 58: Wiener Kaffeehaus im 19. Jahrhundert
Die Dialektik von Ausdifferenzierung und weltumspannender Totalität, die – aus Webers Perspektive, aber nicht allein mit weberschen Kategorien – als Signatur der ambivalenten Moderne bezeichnet werden kann, kehrt in der Massenkultur als Dialektik von besonderen Formensprachen und Bedürfnisartikulationen einerseits und universaler, homogenisierender Warenförmigkeit wieder. Eine Schlüsselerfahrung in der Entstehungszeit der modernen Massenkultur war die Erfahrung der Traditionsbrüche, die ein technisiertes, arbeitsteilig rationalisiertes und ökonomisiertes Großstadtleben generierte. Für die Massen, die spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts aus der agrarischen Produktion in die Industrieproduktion hineingesogen wurden, war Kontigenzerfahrung Verlusterfahrung. Und das galt auch für die kulturellen und ästhetischen Eliten der Zwischenkriegszeit, die den Verlust von familialen und sozialen
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I can’t control myself | 105 Bindungen sowie von Werten und verbindlichen moralischen und ästhetischen Orientierungen fürchteten. Am Horizont schwebte das Gespenst der Anomie, der sozialen Desintegration bis hin zum Zerfall durch Werte- und Normverlust in kollektiven (aber auch individuellen) Krisenzuständen (Durkheim 1897). Die ästhetischen und politischen Avantgarden dagegen feierten die radikale Individualisierung, die Konventions- und Traditionsbrüche und die brutal anmutende Neuorganisierung der Wahrnehmung, die mit dem urbanen Leben in den Metropolen für die neuen Proletarier- und Angestelltenmassen und auch für die sowjetischen Kollektive einherging (Benjamin 1936). Denn diese Erscheinungen ließen sich ja als Zeichen für kulturelle Um- und Aufbrüche, für Fortschritt und Revolution lesen. Teile der ästhetischen und politischen Avantgarde interpretierten diese Phänomene freilich nicht als Beginn ergebnisoffener Kontingenzsteigerung. Sie wollten sie im Gegenteil als Durchgangsstadien bei der Formation einer neuen, affirmativen Totalität deuten, also aus der Perspektive der Kontingenzverweigerung (Enzensberger 1962, Bürger 1974). Die Erfahrung der Urbanität mit ihrer Verknüpfung genuin neuer Prozesse der Ökonomisierung, der Technisierung und der Ästhetisierung wurde als Bedrohung der Individualität erlebt und, aus dieser Sicht, als Bedrohung der Überlieferung und ihrer lebensweltlichen Selbstverständlichkeiten dramatisiert. Dagegen entwickelten die ästhetischen Avantgarde-Bewegungen verschiedene, gegenläufige Strategien. Entweder propagierten sie das Konzept der Kunstautonomie oder sie politisierten die Ästhetik. Die politischen Avantgarde-Bewegungen antworteten ihrerseits mit dem in sich divergenten Konzept der Ästhetisierung der Politik (Benjamin 1936). Im Rückblick lassen sich drei Formen der Ästhetisierung der Politik unterscheiden. (Diese internen Differenzierung müssen berücksichtigt werden, wenn man pauschalisierende Identifikationen des Totalitätsanspruchs der ästhetischen Avantgarden und dem politischen Totalitarismus [Groys 1988] vermeiden will.) Die erste der drei Formen besteht darin, dass ästhetische und politische Avantgarde parallel laufend verkoppelt werden, entweder als staatliches Projekt formiert oder als kritisch-bürgerliche bzw. proletarische Gegenöffentlichkeit. Das geschah in der frühen Sowjetunion und in der Weimarer Republik. Die zweite Form besteht darin, dass eine Vielfalt heterogener ästhetischer Tendenzen bei einer gewissen Offenheit mit dem neuen politischen Projekt verbunden und propagiert werden. Dieses Verfahren kennzeichnete den italienischen Faschismus. Und die dritte Form besteht darin, dass staatlich gelenktes Kunst- und Kulturschaffen mehr oder minder strikt »gleichgeschaltet« und mit der Parteidoktrin zusammengezwungen wird, wie im Nationalsozialismus und in der späteren Sowjetunion. Auf der anderen Seite war die Erfahrung der Verknüpfung von
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Ökonomisierung, Technisierung und Ästhetisierung in der neuen Lebensform der Urbanität immer auch als Befreiung erlebt worden. »Denn Massenkultur […] beförderte das gesellschaftliche Einverständnis mit Urbanität als spezifisch moderner Lebensform – sofern sie es nicht überhaupt erst ermöglichte, indem sie dieser Lebensform einen eigenständigen Realitätscharakter mit einem spezifischen Erfahrungsraum und mit einem ebenso spezifischen, nämlich prinzipiell offenen Erwartungshorizont verlieh.« (Makropoulos 2004, S. 67) Politik und ästhetische Avantgarden suchten im Europa der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts nach Formen einer neuen Totalität, die die auseinandergefallenen Aspekte zusammenführen und zusammenschließen sollten: kulturelle, soziale, politische, ökonomische und vor allem ästhetische Aspekte. Ihr Konzept wurde als Antwort auf die Erfahrung der Kontingenz etabliert. Dabei wurde durchaus zum Teil auch die konstitutive Rolle begriffen, die Kontingenz aus heutiger Sicht für die neuzeitliche Vergesellschaftung spielt, in der Stratifikation durch funktionale Differenzierung ersetzt wird. Kontingenz als unhintergehbares Merkmal der Vergesellschaftung zu begreifen, eröffnet neue Spielräume, denn bestehende und gewünschte gesellschaftliche und individuelle Wirklichkeiten sind dann weder schicksalhaft notwendig noch unmöglich oder utopisch, sondern sie sind real, könnten aber grundsätzlich auch ganz anders beschaffen sein: »Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist […], sein kann, aber auch anders möglich ist« (Luhmann 1984, 152; vgl. Makropoulos 2004, 71). Die Funktion der Massenkultur in der Entwicklung der kulturellen Moderne geht weit über das hinaus, was man in der marxistischen Terminologie unter einem »Überbau« versteht. Etwas Wesentliches gerät aus dem Blick, wenn man Massenkultur nur als einen Teilaspekt der Kultur versteht, der entweder negativ bewertet wird, weil Massenkultur die normativen Anforderungen bürgerlicher (Hoch-)Kultur unterläuft, oder aber positiv bewertet wird, weil Massenkultur vielen Menschen die Teilhabe an kommunikativer kultureller Zeichenpraxis ermöglicht, d.h. Menschen einen egalitär erweiterten symbolischen und ästhetischen Weltzugang erlaubt. Wenn man Massenkultur also nur als kulturellen Teilaspekt versteht, gerät nämlich aus dem Blick, dass Massenkultur mehr ist als das, nämlich ein spezifisch neuer Vergesellschaftungstypus. Mit den Worten des Soziologen Dominik Schrage: Massenkultur ist »die kulturelle Seite der gesellschaftlichen Integrationsprozesse in der Moderne« (Schrage 2004: 66). In der Moderne ist ein individuiertes Publikum entstanden, das – mit Hilfe der Massenmedien Zeitung, Radio, Kino und Fernsehen – Formen der kulturellen Praxis und Teilhabe entwickelt, die nicht mehr klassengebunden, bildungsbürgerlich-wertkonservativ oder avantgardistisch-innovativ sind.
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I can’t control myself | 107 Über den Markt vermittelt, ist Kultur in der Moderne gleichsam universalisiert worden. Die bürgerliche Hochkultur hatte enthusiastisch Schillers egalitäres Motto »Seid umschlungen, Millionen« proklamiert. Aber sie hat es nicht im Sinne einer allgemeinen Teilhabe aller Menschen an ihren Errungenschaften verwirklicht, weil sie Selektions- und Distinktionsmechanismen etablierte, mit denen bürgerliche Herrschaftsstrukturen gesichert werden konnten. Die Teilhabe an Kultur und Bildung war zum Erkennungszeichen dafür geworden, dass der Kultivierte und Gebildete aus »gutem«, d.h. besitzendem, Hause stammt. Besitz- und Bildungsbürgertum lagen nur in den seltensten Fällen dauerhaft miteinander im Streit. Wer geläufig Konversation über Musik- und Konzertbetrieb machen konnte, gab sich als potenzieller Führungsnachwuchs zu erkennen. Wer sich eine gute Erziehung der eigenen Kinder leisten konnte, gab so den eigenen Stallgeruch sublimiert und raffiniert weiter. Kracauer hat in seiner bahnbrechenden kultursoziologischen Studie über Die Angestellten Ende der 1920er Jahre gezeigt, wie die mediale Massenkultur eine »Verallgemeinerung der bürgerlichen Öffentlichkeit unter Abzug ihrer normativen Voraussetzungen« schuf (Schrage 2004: 61; Kracauer 1929). Damit hat er eine entscheidende kulturelle Tendenz der Moderne benannt, die sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts durchgesetzt hat. »Durch die Freisetzung des Kulturellen aus bis dato unverfügbaren Wertsphären – seien es kultische, religiöse oder deren bürgerliche Säkularisate der Kunstautonomie oder der Bildung – und die damit verbundene schichtenübergreifende Verfügbarkeit entsteht eine ›gemeinsame‹, nämlich integrierte Kultur« (Schrage, ebd). Deren Merkmale sind Gewöhnlichkeit, Alltäglichkeit und Profanität (Schrage 2004: 62). Aber nicht nur die Gehalte und Formen bürgerlicher Kultur, die in den Sog der universalistischen Massenkultur hineingeraten sind, wurden einem Gestaltwandel unterzogen, sondern auch die überlieferten Volkskulturen, die ja in den Anfängen der Massenkultur im Mittelpunkt standen. Traditionell wurde »Massenkultur« in den Kulturtheorien des 20. Jahrhunderts durch ihren Gegensatz zur »Kunst« definiert. Massenkultur wurde dabei als eine mehr oder weder illegitime (Un-)Kultur der Massenmedien beschrieben. Kommerzielle Printmedien – also Boulevardzeitungen, illustrierte Zeitschriften und Bestseller –, sowie Kino, Radio, Fernsehen und die unterhaltungsorientierte Schallplattenindustrie wurden den kulturellen Praktiken gegenübergestellt, in denen der repräsentative Wertekanon bürgerlicher Kultur zum adäquaten Ausdruck gebracht werde: gehobene Buchkultur, Kunstmusik-Betrieb, Theater, Kunstausstellung und Museum. Im bildungsbürgerlichen Weltbild stand (genau wie für Marx) auf der einen Seite das Reich der Notwendigkeit, das durch Arbeit und Anstrengung im Dienste der Selbsterhaltung gekennzeichnet ist,
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und auf der anderen Seite das Reich der Freiheit mit seinen geistigen Tätigkeiten und der Konzentration, die für den Umgang mit Kulturprodukten der höheren Sphären erforderlich ist. Hier sah man sich dem Ideal der Kunstautonomie verpflichtet – wenn auch häufig nur im Sinne eines (in Wahrheit banausischen) Lippenbekenntnisses zu einer Sphäre, mit der einen keinerlei substanzielle Erfahrung verband. Quer dazu verlief das Reich der Unterhaltung und der Zerstreuung, in dem niedere, natürliche oder geistig anspruchslose Bedürfnisse zu ihrem Recht kommen. Nach diesem Schema bedient die Massenkultur primitive, aber unvermeidliche Bedürfnisse der arbeitenden Massen, denen der Weg zum Höheren, also zur Bildung, wahren Kultur und Kunst, vorenthalten bleiben muss.
Abb. 59: Schrammel-Kapelle in Wien
Vor- und frühbürgerliche Vergesellschaftungsformen waren dem sozialen Leitbild großer, kultivierter Persönlichkeiten verpflichtet. Ihr normatives Leitbild war das autonome Individuum. In modernen Massengesellschaften meinte man, den Niedergang oder gar die Auflösung des autonomen Individuums bis hin zur seinem Verschwinden zu beobachten. Entsprechend wurde das Verschwinden der Kunstautonomie diagnostiziert. »Kunst sublimiert und erhöht das bürgerliche Leben« – das war der kulturelle Konsens in Europa bis zur Epoche des Ersten Weltkriegs (Lehnert 1996, 473). Die allmählich aufkommende Massenkultur erschien hingegen als Betäubungsmittel für alle, die schwer arbeiten mussten und von bürgerlichen Bildungsinstitutionen ausgeschlossen waren. Massenkultur wurde für Opium oder Stimulanz des Volkes gehalten: entweder bekämpft oder herablassend geduldet.
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I can’t control myself | 109 Wie gesagt: Soziologisch betrachtet gehört die Massenkultur zu den spezifischen Ausdrucksformen der modernen, warenproduzierenden, städtischen Gesellschaft. Arbeitsprozesse wurden industrialisiert, und das heißt, sie wurden zerlegt, standardisiert, uniformiert, inhaltsleer und sinnentleert. Dementsprechend wurde der Bereich der Unterhaltung und des Vergnügens einerseits immer wichtiger: als Erholungsfaktor, der Entspannung und Regenerierung der Arbeitskraft gewährleisten kann – und andererseits wurde der Bereich der Unterhaltung und des Vergnügens dem Arbeitsprozess immer ähnlicher. Die These kulturkritischer Soziologen und Philosophen in der Mitte des 20. Jahrhunderts lautete daher, dass Massenkultur auf das Sinn-Vakuum der modernen Massengesellschaft antwortet – und gleichzeitig ein Teil dieses Sinn-Vakuums ist. Wie ich bereits angedeutet habe, ist daran soviel richtig, dass Massenkultur die »hohe Kunst« immer mehr ersetzt. Statt der anstrengenden Verpflichtung, sich mit autonomer Ästhetik auseinanderzusetzen, liefert sie zerstreuende Unterhaltung. In den Augen konservativer, aber auch links-pessimistischer Kulturkritiker handelt es sich hierbei durchweg um nichts Anderes als um Ersatzbefriedigungen. Karl Kraus, Arnold Hauser ebenso wie Leo Löwenthal, Adorno und Marcuse stellten in ihren kritischen Kulturtheorien unterschiedlicher couleur die »echte Erfahrung«, die wir mit authentischen Kunstwerken machen, in denen wir Läuterung, persönliche Erfüllung und Erkenntniserweiterung erfahren, der »unechten Befriedigung« durch Erzeugnisse gegenüber, die einfach nur wiederholen, was der Fall ist. Während Kunst unsere Einsicht in die Welt vertiefen würde, ihre Medien eigene Ausdrucksmittel und je eigene Formgesetze hätten, würden die Produkte der Massenkultur keine eigenen Form- und Ausdrucksmittel haben; sie erweiterten unsere Erfahrung nicht, sondern seien bestenfalls sinnleerer Zeitvertreib und schlimmstenfalls Manipulation der Massen, die bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse zementieren. Während Kunst ihrer eigenen Logik folge, folge Massenkultur der Logik des Marktes. Außerdem sei Massenkultur auf gesellschaftliche Nützlichkeit verpflichtet – sowohl äußerlich, weil sie Arbeitsplätze schaffe und den Kommerz befördere, als auch inhaltlich, weil sie die Menschen auf stabilisierende Werte und Ideologien einschwöre. Während Kunst Ausdruck einzelner, besonderer Erfahrung sei, sei Massenkultur ein System standardisierter Produkte, die mit wissenschaftlichen Methoden wie Rezeptions- und Marktforschung gezielt eingesetzt würden, um Konformität zu erzeugen. So etwa Löwenthal: »Der Gegenbegriff zur Massenkultur ist Kunst. Heutzutage werden ästhetische Schöpfungen, die das Gepräge der Spontaneität tragen, immer mehr durch manipulative Reproduktionen der bestehenden Wirklichkeit ersetzt. Auf diese Weise bestätigt und verherrlicht die Massenkultur alles, was sie der Wiedergabe
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für wert befindet.« Die unüberbrückbare Differenz zwischen Kunst und Massenkultur bestand für Löwenthal in dem »Unterschied zwischen einer Vertiefung unserer Einsicht mit Hilfe eines Mediums, das seine eigenen Ausdrucksmittel besitzt, und einer bloßen Wiederholung gegebener Tatsachen, die noch dazu mit erborgten Darstellungsmethoden durchgeführt wird.« (Löwenthal 1980: 13 f.) Diese Kategorisierung folgt dem Modell des ›herabgesunkenen Kulturguts‹, das wahre Kultur zur Ideologie degenerieren lasse: Massenkultur hat demnach die Darstellungs- und Ausdruckmittel, die in der Kunst bereits überholt sind, auf ermäßigtem Niveau übernommen und bringt durchweg nichts Anderes hervor als verklärende Abbildungen dessen, was in der Welt ohnehin der Fall ist. Kunst hingegen findet innovative Darstellungs- und Ausdruckmittel, die im Bereich der ästhetischen Transzendenz den radikalen Bruch mit der bestehenden Wirklichkeit einer falsch und ungerecht eingerichteten Gesellschaft symbolisch realisieren können. Die Massenkultur setzte Löwenthal mit der »Vergnügungs- und Propagandaindustrie« (ebd.) gleich. Ihre Produkte würden nicht nach den Maßstäben ästhetischer Eigengesetzlichkeit geschaffen, sondern gleichsam nach den Erfordernissen eines postreligiösen »Opium des Volkes« (Marx). »Ihr einziger Maßstab liegt in ihrer Nützlichkeit, freilich nur im Hinblick auf die Gesamtsituation der Gesellschaft, zumal auf deren Machtverhältnisse.« (Ebd.) Die »Unterscheidung zwischen Massenkultur und Kunst« ist für Löwenthal gleichbedeutend mit der Unterscheidung »zwischen der unechten Befriedigung und der echten Erfahrung, die einen Schritt auf dem Wege zu größerer persönlicher Erfüllung darstellt« (Löwenthal 1980: 16). Für den Literatursoziologen der Kritischen Theorie führte der emanzipatorische Weg über die Erfahrung des subversiven Potenzials ästhetischer Schönheit zum befreienden Handeln, das nach dem Modell der entmythologisierenden Kritik an unveränderbar erscheinenden, quasi naturgesetzlichen Herrschaftsverhältnissen konzipiert ist. Das war so ähnlich argumentiert wie in der Ästhetik von Marcuse. Indem wir die transzendierende Erfahrung der Schönheit machen, lösen wir uns aus verdinglichten, fetischisierten Herrschaftsverhältnissen, die keineswegs naturhaft und ewig sind, sondern geschichtlich-gesellschaftliche Produktions- und Kommunikationsverhältnisse, die wir selbst gemacht haben. »Die Menschen befreien sich wahrhaft von der mythischen Beziehung zu den Dingen, indem sie sozusagen von dem, was sie einst verehrten, zurücktreten und es jetzt als das Schöne erfassen. Schönheit zu erfahren bedeutet, sich von der überwältigenden Herrschaft der Natur über den Menschen zu befreien. Auch in der Massenkultur befreien sich die Menschen von den mythischen Mächten, nur daß sie alles aus der Hand geben, sogar die Ehrfurcht vor dem Schönen. Sie leugnen alles, was die gegebene Wirklichkeit transzendiert. […] Aus dem Reich der Schön-
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I can’t control myself | 111 heit geht der Mensch in den Bereich der Unterhaltung über, der seinerseits mit den Erfordernissen der Gesellschaft in Einklang gebracht ist und das Recht auf persönliche Erfüllung verwehrt.« (Löwenthal 1980: 16 f.) Das dualistische Schema »Kunst versus Massenkultur« erlaubte unterschiedliche Bewertungen. Wer nicht wie Löwenthal und viele andere mit unterschiedlichen politischen Vorzeichen den Verlust ästhetischer Erfahrung in der Massenkultur beklagte, pries diese als Tummelplatz und Brutstätte demokratisierender oder proletarischemanzipativer Subkulturen. So oder so scheint indessen nach wie vor der Befund Umberto Ecos zu gelten: Die modernen Massenmedien bilden ein System der Produktions- und Zirkulationsverhältnisse. Wer darin integriert ist – sei’s als Produzent, sei’s als Konsument, wobei die Produzenten selbstverständlich immer auch Konsumenten sind –, kann den Grad seiner Integration ins System steigern, indem er sich voll mit System und Produkten identifiziert. Ihm stehen die Kulturkritiker gegenüber, denen die industriellen Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen der modernen Kultur nicht anders denn als Kulturverfall erscheinen. Dem genaueren Blick erschließt sich freilich, dass auch diese »Apokalyptiker« wider Willen »Integrierte« sind, denn auch sie haben ja teil am kulturellen System der mediengestützen Kommunikation. Kaum andere Möglichkeiten stehen ihnen zur Verfügung, um ihre Kulturkritik zu artikulieren, als die Kommunikationskanäle der modernen Massenkultur, die sich alle anderen Kulturbereiche mindestens ansatzweise einverleibt (Eco 1964). Übrigens war genau dies der Befund von Adornos Analyse der »Kulturindustrie«, die Eco nicht verstanden hat; Eco hat die kritische Theorie der »Kulturindustrie« ebenso scharf wie unangemessen als elitistische Massenkultur-Schelte attackiert. Gleichviel – richtig ist: »Apokalyptiker« und »Integrierte« sind polar und konfrontativ aufeinander fixiert und können daher beide die vergesellschaftende Funktion der modernen Massenkultur nicht angemessen beschreiben. Aus der Sicht der Kulturkritik muss man sich angesichts des mächtigen Phänomens »Massenkultur« zwischen drei Varianten entscheiden: Untergang der Kultur, Anpassung der Kultur an die Bedürfnisse der Konsumenten oder Verbesserung der Massenkultur. Die letztere Annahme geht also immerhin davon aus, dass Massenkultur verbesserungsfähig ist. Diese Position haben in den 1930er Jahren Bertolt Brecht und Benjamin vertreten; dreißig Jahre später dann Enzensberger und viele Andere. Weg von der Manipulation von Medien und Mediennutzern durch die Besitzenden – hin zur freien, eigenen Aneignung der massenmedialen Produktionsmittel durch die Massen selbst, lautete die Devise (»Alle Macht der Super 8«). Kommunikation, vermittelt durch Massenmedien, sollte endlich so reziprok und multilateral werden, wie es die technischen Produk-
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tivkräfte erlaubten, während es die Produktions- und Besitzverhältnisse gleichzeitig verhinderten. Alle sollten nicht bloß »Empfänger« sein, sondern auch zu »Sendern« werden können, die ihre Erfahrungen und Reflexionen frei austauschen und sich darüber gemeinsam zu emanzipieren lernen. Auch diese Position, die sich als fortschrittlich und offen für die Errungenschaften der Massenkultur verstand, war noch dem dualistischen Schema verpflichtet. Ihre Intention bestand darin, die Massenkultur gleichsam zu raffinieren, und zwar von einer höheren Warte aus, nämlich aus einem vertieften Verständnis der »authentischen kulturellen Gehalte« heraus. Die »authentischen« Elemente der Massenkultur sollten ausgesondert und weiterentwickelt werden. In diesem Geiste versuchte die DDR-Kulturpolitik, eine »fortschrittliche Alltagskultur« durchzusetzen, die avancierte Einsichten und Formsprachen, so weit es eben geht, ins Gemeinverständliche und Unterhaltsame übersetzen sollte, um damit »in den populären Künsten gesellschaftliche Lernprozesse im Sinne Brechts anzustoßen« (Maase 1997: 263). Das scheiterte jedoch rasch; unter anderem an den Ängsten der Parteileitung vor unübersichtlichen, unkontrollierbaren Entwicklungen auf dem Gebiet der Alltagskultur. Die Kulturpolitiker weigerten sich, so Maase, »Eigenrecht und Eigengesetzlichkeit moderner Populärkünste in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft anzuerkennen« (Maase 1997: 265). Die Problematik des dualistischen Schemas ist heute auch schon durch die Entwicklung von »Hochkultur« und »Massenkultur« selbst offenkundig geworden. Massenkultur ist kein Teilaspekt der Kultur in der Moderne, auch kein Teilaspekt, der heute zur Vorherrschaft gekommen ist, sondern ein eigener Typus der Vergesellschaftung (Eco 1964: 22; Schrage 2004: 67). Obwohl der Dualismus von Kunst und Massenkultur, genau besehen, theoretisch nicht mehr überzeugen kann, hält er sich hartnäckig am Leben. Eines von vielen Beispielen ist die Berliner Debatte aus den 1990er Jahren in über das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. Damals wurde unter Anderem darüber gestritten, ob die Gattung des Denk- oder Mahnmals eine angemessene Form der Erinnerung an die Opfer der deutschen Vernichtungswut sei; angemessen nicht nur im Hinblick auf den Gegenstand, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Rezipienten. Wäre es nicht besser, fragte der Kultur-Staatsminister Michael Naumann (SPD), statt eines Denkmals mit enigmatisch-esoterischer Formsprache ein Museum zu bauen, das viele Menschen erreichen und weiterbilden würde? Im Januar 1999 polarisierte die Karlsruher Kunstwissenschaftlerin Barbara Kuon in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau zwischen dem Denkmal und dem Museumsplan: Während ein Denkmal in Berlin in das Reich der erhabenen, hohen Kunst gehören würde, weil es ein autonomes Kunstwerk wäre, das seine symbolische und
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Abb. 60: In Berlin wird Peter Eisenmans Mahnmal für die ermordeten Juden Europas gebaut
rituelle Sprache kultiviert, wäre ein Museum typische sozialdemokratische Massenkultur. Volksaufklärung und Pädagogik seien aber unangemessen, wo nur große Kunst das Wort haben dürfe (Kuon 1999). Entsprechend definiert die Autorin den Begriff »Massenkultur« in einem Lexikon der »Kultur der Gegenwart« als pures Komplementärphänomen zur »Hochkultur«, das durch die Zwänge des Marktes in der Moderne entstanden ist. »Während Hochkultur ihre Legitimation allein im theoretischen Diskurs hat, besteht die Legitimation von Massenkultur allein im kommerziellen Erfolg.« (Kuon 2000: 326) Wenn man die Frage: »Was ist Massenkultur?« auf diese traditionelle Art beantwortet, können zahlreiche Aspekte des Gegenstands nicht beschrieben werden. Dass die herkömmliche Definition durch Abgrenzung zu Kunst und Hochkultur nicht mehr stimmt, kann man auch feststellen, wenn man sich den Kunstbegriff der Gegenwart genau ansieht. Z.B. der »erweiterte Kunstbegriff« von Joseph Beuys: Wenn es denn stimmt, dass jeder Mensch ein Künstler ist, weil Kunst nichts anderes ist als eine soziale Praxis, dann sind auch Produkte der Massenkultur Kunst. Kunst wäre dann per se Massenkunst und als solche Bestandteil der Massenkultur. Es kann paradox anmuten, dass ausgerechnet aus den heiligen Hallen der Kunstrituale ein Kunstbegriff kommt, der den Dualismus von Kunst und Massenkultur unterläuft. Der Versuch, der Kunst durch Integration gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, ist in einer Phase entstanden, in der sie diese Akzeptanz verliert oder zumindest kein breiteres Interesse
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mehr findet. Vielleicht fand sie es auch in früheren Phasen der bürgerlichen Gesellschaft nicht, aber der Legitimationsdruck ist immens gestiegen. Die Concept Art ist ein Beispiel dafür, dass autonome Kunst immer selbstbezüglicher geworden ist. Die Kunstwelt ist ein Revier der Eingeweihten geworden, die die Sprache der Kunstkritik sprechen, die häufig keine kritische Sprache mehr ist, sondern eine legitimatorische (Burger 2001; Demand 2003). Die »feinen Unterschiede« (Pierre Bourdieu) werden nicht nur auf dem Terrain der bildenden Kunst gesetzt, also nicht nur in der Welt der Vernissagen und Events, sondern auch im Theater und in der Oper. Fußball ist dann »das Theater des kleinen Mannes«, wie Otto Rehhagel folgerichtig festgestellt hat. Und entsprechend bemühen sich die subventionierten Theater in der Bundesrepublik darum, im Wetteifer um die Aufmerksamkeit von Konsumenten erfolgreich zu sein, die bereit sind, sich auch anderswo spannend unterhalten zu lassen als im Stadion oder vor dem Fernsehgerät. Wenn man sich dagegen den quasi naturwüchsigen Universalismus der Massenkultur vor Augen hält, wird klar, dass die Massenkultur das Erbe der großen bürgerlichen Kunstwerke des 19. Jahrhunderts angetreten hat. Schon diese wollten alle Menschen erreichen; sie wollten Weltbilder und Wahrnehmungsformen verändern und gerade damit zum menschheitlichen Allgemeingut werden. Sie suchten eine Sprache, die zwar neu, aber zugleich allgemein kommunizierbar ist. Das gelang bekanntlich nicht auf Anhieb. Bis Ludwig van Beethoven, die französischen Impressionisten oder Leo N. Tolstoj zu Eckpfeilern des allgemeinverbindlichen Kanons dessen geworden waren, was wir heute als große Errungenschaften von Kunst und Kultur auf dem Weg in die Moderne bezeichnen, mussten sie gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt werden: Das Konzertpublikum floh entnervt vor schroffen Klängen und ungewohnt scharfen Rhythmen, das Ausstellungspublikum ärgerte sich über Bilder von Frauen, die wie Wasserleichen aussehen, und das Lesepublikum empfand den Ton und die Sprache des Volkes als nicht salonfähig. Nach dieser Logik – erst verändern, dadurch neue Standards setzen und neue Kommunikationsformen etablieren – funktioniert auch die Massenkultur. Sie teilt erst Schocks aus und macht dann allmählich süchtig. Im Zentrum der Massenkultur steht die ästhetische Attraktivität. Die Bedürfnisse vieler, ja am Liebsten aller Menschen sollen artikuliert werden, um sie dadurch anzusprechen (»Seid umschlungen, Millionen«). Das kann nur über Inhalte und Formen funktionieren, die diesen Bedürfnissen auf irgendeine Weise entsprechen. Selbstverständlich funktioniert es auch nur über die Mechanismen des Marktes – aber das unterscheidet die Massenkultur ja nicht grundsätzlich von der Kunst in der Neuzeit. Kunst und »Hochkultur« ziehen auf diesem Gebiet nach.
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Oh Lord, would you buy me a Mercedes Benz? Längst ist die Zeit für eine kurze methodische Zwischenbetrachtung gekommen, mit der ich meine Begriffswahl rechtfertigen möchte. Wer heute weiterhin von »Massenkultur« spricht, wo doch der Begriff »Populärkultur« längst arriviert ist, macht sich natürlich verdächtig. Der Verdacht drängt sich auf, der Begriff würde (nolens volens) die elitistische Ideologie einer Konstruktion der »Masse« legitimieren. Diese Ideologie war eine Ausgeburt der Angstlust, die Bürger angesichts einer neuen, von ihnen mitproduzierten gesellschaftlichen Formationen empfanden. Sie behauptete, dass Individuen automatisch ihre moralische Urteilskraft und ihre Zivilisiertheit ablegen und regredieren, wenn sie sich zum Kollektivsubjekt »Masse« zusammenschließen. »Die Masse«, zumal die plebejische, ist dann eine Konstruktion und Projektion, gegen die das bürgerliche Individuum mit seinen geistigen wie materiellen Besitzständen verteidigt werden sollte. Gegen diesen verfänglichen Unterton der Rede von der »Massenkultur« haben die Cultural-Studies-Forscher in der Tradition der Birminghamer Schule revoltiert, die den Begriff »populäre Kultur« vorziehen. Ein weiterer Verdacht lautet, dass die Rede von der »Massenkultur« die konformistische Ideologie transportiert, Massenkultur sei durchweg das Ergebnis authentischer, spontaner Äußerung »von unten«. Man muss nur gelegentlich einmal in Volksmusik-Sendungen deutschsprachiger Fernsehsender hineingeschaut haben, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie abwegig das ist. »In unseren Entwürfen war von Massenkultur die Rede«, schrieb Adorno, als er im Rückblick die Vorüberlegungen zur kritischen Theorie der »Kulturindustrie« beschrieb, die ihn und Horkheimer berühmt gemacht hat. »Wir ersetzten den Ausdruck durch ›Kulturindustrie‹, um von vornherein die Deutung auszuschalten, die den Anwälten der Sache genehm ist: daß es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst.« (Adorno 1963: 337) Warum ist hier also immer noch von der »Massenkultur« die Rede? Aus verschiedenen Gründen. Erstens: Man kann zwar das Wort »Masse« vermeiden, um keine pejorativen soziologischen Konnotationen auszulösen – aber ist man mit dem Ausdruck des »Populären« davor denn wirklich sicher? Kann es nicht ebenso diskriminierend sein, wenn dem »Volk« seine »populäre« kulturelle Sphäre zugeschrieben wird, während die davon unterschiedene kulturelle Sphäre (das wäre logischerweise die High Culture) offenbar zu einer anderen sozialen Schicht oder Klasse gehört? Im historischen Diskurs über die Massenkultur in Brasilien z.B. ist es sinnvoll, von cultura popular zu sprechen: Das war die Kultur des Volkes im Gegensatz zur Massenkultur, die von der Militärdiktatur autoritär verordnet
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wurde. Aber in den westlichen Demokratien, in denen das Volk (die Bevölkerung) der Souverän sein sollte, scheint es mir problematisch, einen Kultursektor mit diesem Begriff zu definieren. Zweitens: Mir ist vor allem der produktionsästhetische Aspekt wichtig, nicht nur der rezeptionsästhetische. Sicher ist auch die Frage relevant, ob und vor allem wie ästhetische Produkte massenweise rezipiert werden. Aber die Voraussetzung dafür, dass dies geschieht, ist zunächst einmal der Herstellungs- und Distributionsprozess der Produkte. Kulturprodukte der Massenkultur werden trivialerweise massenweise hergestellt. Sie liegen in großen Mengen vor und müssen in großer Zahl verkauft werden. Für die ästhetische Form ist es nicht äußerlich, ob ein Produkt als einzelnes Werk oder als Serienprodukt hergestellt wird. Wir nehmen es nicht nur anders wahr, sondern es ist auch in sich anders organisiert. Massenkultur ist die Gesamtheit der kulturellen Praxisformen im Umgang mit massenhaft hergestellten und vor allem auch auf massenhafte Rezeption hin produzierten ästhetischen Gebilden. Den Zusammenhang von Produktions- und Wahrnehmungsaspekt in der Massen-Kultur hat Benjamin anschaulich beschrieben – und zwar bereits mit der Reflexion auf die Selbstwahrnehmung von Menschen als »Masse«, die im Spiegel eines ostentativen Warenangebots stattfindet. Die große Zahl der arbeitenden, von höherer Bildung ausgeschlossenen Menschen trat, historisch betrachtet, als heterogene Gruppe von Konsumenten auf, die allmählich eigene Kultur-Bedürfnisse artikulierten. So entstanden ganz neue Märkte. »Zum erstenmal in der Geschichte beginnen, mit der Gründung der Warenhäuser, die Konsumenten sich als Masse zu fühlen.« (Benjamin 1982: 93) »Spezifica des Warenhauses: die Kunden fühlen sich als Masse; sie werden mit dem Warenlager konfrontiert; sie übersehen alle Stockwerke mit einem Blick; sie zahlen feste Preise; sie können ›umtauschen‹.« (Benjamin 1982: 108). Wenn die Produkte in seriellen Massen auftreten, entsteht das Bedürfnis nach der Differenz; ohne uniforme Massenartikel keine »Spezialitäten«. »Damit steigert sich das circensische und schaustückhafte Element des Handels ganz außerordentlich. […] Mit der Herstellung von Massenartikeln kommt der Begriff der Spezialität auf.« (Benjamin 1982: 93) – Den Kontrast zum Selbsterlebnis der Warenhauskunden als Masse hat Chaplin in seinem Film Modern Times genutzt, als er Charlie allein im nächtlichen Warenhaus agieren lässt. Das wird zu einer beinahe schockierenden Erfahrung: Ein ganz auf sich gestellter Mensch am Ort der Käufermassen tritt nachts den Warenmassen als souveränes, nämlich spielendes, Subjekt gegenüber, und das kann nicht wirklich gut ausgehen. Drittens habe ich die Absicht, den Begriff der Massenkultur für eine kritische Theorie der Massenkultur zu rehabilitieren. Dazu muss zwischen »Kulturindustrie« und »Massenkultur« unterschieden wer-
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I can’t control myself | 117 den. Es handelt sich nicht um unterschiedliche Begriffe für dieselben Phänomene; die Phänomene selbst sind verschieden. Ich versuche, im Kontext einer kritischen Theorie plausibel zu machen, dass es – innerhalb der Kulturindustrie sowie quer und transversal zu ihr – Massenkulturen gibt, deren Produkte teils anders produziert und anders rezipiert werden als die Produkte der Kulturindustrie, und teils zwar ebenso produziert, aber anders rezipiert werden als diese. In der Massenkultur haben wir es also mit Kulturprodukten zu tun, die in Massen industriell hergestellt werden. Ihre Rezeptionsform ist dadurch weitgehend präformiert, denn erst die Massenkultur erlaubt eine Rezeption, die unabhängig von Ort und Zeit ist. In der Massenkultur kommen Kunstwerke den Rezipienten entgegen, hat Benjamin geschrieben; sie gehen dorthin, wo die Rezipienten sich aufhalten. Benjamin meinte damit zunächst traditionelle Kunstwerke (Gemälde, musikalische Kompositionen), die technisch reproduziert werden können. Das gleiche gilt aber auch für die Kunstwerke der Massenkultur. In der Massenkultur ist es uns daher möglich, ästhetische Erfahrungen zu machen, die wir in keiner anderen Sphäre machen könnten. Die Formsprachen und Inhalte der Massenkultur haben eigene ästhetische Gesetze. Daher ist der Begriff der »populären Kultur« meiner Ansicht nach kein Ersatz für den Begriff der Massenkultur; aber das Populäre ist ein zentraler Aspekt der Massenkultur.
You gotta move Das Beispiel für eine massenkulturelle Kunstgattung war bei Benjamin bekanntlich der Film. Werfen wir noch einen kurzen Blick zurück auf dessen Anfänge. Dass diese neue Kunstgattung von Anfang an, und erst recht in der Ära des Tonfilms, in massenweise reproduzierter und von Massen rezipierter Gestalt auftrat, war ein Umstand, der viele Theoretiker aus der Frühzeit des Films irritiert hat. Aber nicht Erwin Panofsky: Kommerzialität, so die lakonische Auskunft des Kunst- und Bildwissenschaftlers aus der Aby-Warburg-Schule, sei ein wesentliches Merkmal neuzeitlicher Kunst, in der die Künstler darauf angewiesen seien, wenigstens mit einem Teil ihrer Produktion Publikumsbedürfnisse zu befriedigen. Dürers Druckgraphik sei kommerziell gewesen, ebenso Shakespeares Dramatik, im Unterschied zu seiner esoterischen Lyrik. (Neuere Untersuchungen aus der US-amerikanischen Literaturwissenschaft erinnern übrigens daran, dass Shakespeares Dramen noch im Nordamerika des 19. Jahrhunderts von den einen für hohe Kunst, von den anderen für populäres Trivial-Amusement gehalten wurden; Levine 1988.) Sogar die kompromisslose Avantgarde-Ästhetik der Moderne,
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darin würde ich Panofsky zustimmen, setzt die Intention der Kunst des 19. Jahrhunderts auf Mitteilbarkeit voraus, und diese Intention hat ja einen tendenziell universalistischen Zug. Die Grundlage der meisten Kunstwerke des 19. Jahrhunderts war ästhetische Attraktion, und die ist ohne ein gewisses Maß an exoterischer Verständlichkeit nicht zu haben. Davon konnte sich die Kunst der radikalen Moderne dann durch Kommunikationsverweigerung abgrenzen. So hielt sie, wenn man es im Geiste Adornos ausdrücken möchte, negativ der Idee gelingender Kommunikation die Treue, die den Verzerrungen der modernen Lebenswelt durch politische und ökonomische Gewalt zunehmend zum Opfer gefallen ist. Ein weiterer Aspekt der neuzeitlichen Kunst war ihre Tendenz, realistisch zu sein, und das wurde in der Avantgarde-Kunst der klassischen Moderne zum Problem. Panofsky meinte natürlich nicht, dass alle kommerzielle Kunst gute Kunst sei. Aber: »Indem sie mitteilbar sein muß, ist kommerzielle Kunst vitaler als nichtkommerzielle, und deshalb hat sie weit mehr Wirkungsmöglicheiten, im guten wie im schlechten.« (Panofsky 1936: 52) Seine These war: Hollywood begründet die Massenproduktion von schlecht gemachten Filme damit, dass sein Massenpublikum dies genau so wolle und sich bessere Filme gar nicht ansehen würde. Das sei jedoch Unsinn, denn das Publikum würde alles abnehmen, was Hollywood produziert, auch Produktionen auf hohem Niveau. Die Filmgeschichte hat Panofsky hierin bestätigt. Ausgangspunkt von Panofskys Abhandlung über die Kunstgattung Film aus dem Jahre 1936 war die Frage nach dem spezifischen Bildcharakter des Films. Panofsky untersuchte, welche Problemstellungen der Film als Bildmedium löst, auf welche Fragen der Film Antworten gibt. Was leistet der Film im Unterschied zum Tafelbild, zur Plastik und Grafik, was im Unterschied zum Theater, zur Pantomime und zum Ballett? Diese vergleichende Betrachtung erfolgte im ikonologischen Horizont der neuen Formen von Vergesellschaftung und Wahrnehmung, wie sie für das beginnende 20. Jahrhundert charakteristisch waren. Die industrialisierte, technisierte Massengesellschaft mit ihren veränderten Möglichkeiten und Bedürfnissen war der Hintergrund, vor dem Panofsky in die Bilderflut eintauchte. Ikonologie, wie sie von Aby Warburg und Panofsky mit Hilfe von Kategorien aus Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen entwickelt wurde, fragte nach den kulturellen, historischen, sozialen und nationalen »Grundeinstellungen«, die sich in Bild-Formen manifestieren. Sie versuchte, die für eine Epoche kennzeichnenden »symbolischen Werte« zu entdecken und zu interpretieren (Panofsky 1939: 40 f.). Erstmals in der kunsthistorischen Zunft wurde hier das neue Medium Film als Kunst gewürdigt. Filmkunst ist Bildkunst. Der Film ist für Panofsky »legitimer Nachfolger der traditionellen Bildkünste« (Schöttker 1999: 90). Film ist zunächst einmal ganz einfach eine Folge von bewegten Bildern.
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I can’t control myself | 119 Panofsky zufolge ist Film nicht herabgesunkenes Kulturgut; nicht etwas, das von der ›Hochkunst‹ unter fortwährender Entdifferenzierung in die Sphäre des Massenvergnügens durchgereicht worden ist. Im Gegenteil. Film sei zum Einen nicht aus künstlerischem Ausdrucksinteresse überhaupt erst als Kunstform entstanden, sondern im Gefolge einer technischen Erfindung. Zum Anderen sei Film wesentlich durch ein massenkulturspezifisches Bedürfnis motiviert: durch das Vergnügen am Betrachten von Bewegung im Medium des Scheins. Dass er evidenterweise dieses Bedürfnis befriedigt, lässt ihn als Kind der Volkskunst erkennbar werden. »Filme […] sind ursprünglich ein Produkt genuiner Volkskunst«, daran ließ Panofsky keinen Zweifel. »Ganz am Anfang steht die bloße Aufzeichnung von Bewegungen: galoppierende Pferde, Eisenbahnzüge, Feuerspitzen, sportliche Ereignisse, Straßenszenen.« Das zeigte, dass »der Ursprung der Freude am Film« nicht »ein objektives Interesse an bestimmten Inhalten« gewesen ist, und noch »viel weniger ein ästhetisches Interesse an der Form der Darstellung von Inhalten, sondern ganz einfach die Freude an etwas, das sich zu bewegen schien, ganz gleich, was es sein mochte.« (Panofsky 1936: 21) Aus Panofskys Studie lernt man, dass der Film ein genuin massenkulturelles Phänomen ist, das eine genuine ästhetische Erfahrung ermöglicht, die andernorts nicht möglich wäre. Im Film wird der Raum, der im Theater statisch ist, dynamisiert. Der nach wie vor auf seiner Beobachterposition fixierte Zuschauer ist doch ästhetisch immer in Bewegung, wenn er sich mit dem Kameraauge identifiziert. Der Bildraum ist nicht ruhendes Gefäß für in ihm stattfindende Bewegungen. Mittels filmischer Produktionstechniken wie Bewegung und Einstellung der Kamera, Schnitt, Montage sowie der zahlreichen special effects wird der Bildraum selbst bewegt: Er »nähert sich, weicht zurück, dreht sich, zerfließt und nimmt wieder Gestalt an« (Panofsky 1936: 25). Komplementär dazu wird die Zeit verräumlicht. Damit ist gemeint, dass die Zeit als »das Medium des in der Sprache sich mitteilenden Fühlens und Denkens« (ebd.) in sichtbares, räumliches Geschehen übersetzt wird. Was innen ist, also in der Person, die vom Darsteller repräsentiert wird, wird nach außen gebracht: Es wird visualisiert. Das gelte sowohl für psychisches Geschehen, das ins Bild gesetzt wird, als auch für die Gesichter der Agierenden, die bei Monolog- und Dialogszenen in der obligatorischen Großaufnahme gezeigt werden. Hier, beobachtete Panofsky, »verwandelt sich die Physiognomie in einen Schauplatz: schauspielerische Qualität vorausgesetzt, wird die feinste, aus gewöhnlicher Entfernung nicht erkennbare Regung des Gesichts zum ausdrucksstarken Ereignis im sichtbaren Raum und verschmilzt dabei vollkommen mit dem Ausdrucksgehalt der gesprochenen Worte.« (Panofsky 1936: 28) Eine der wichtigsten (und wirkungsvollsten) Thesen von Panofs-
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ky lautete: »Der Stoff des Films ist die äußere Realität als solche.« (Panofsky 1936: 54) Weniger als in jeder anderen Kunstgattung werde im Film das Material, mit dem ästhetisch gearbeitet wird, der Willkür des künstlerischen Subjekts unterworfen. Filme, meinte Panofsky, bringen Objekte und Personen, die in der erscheinenden Wirklichkeit materiell existieren, in einen Sinnzusammenhang, während andere Kunstgattungen imaginierte Entitäten formen würden. Das Verhältnis zum Material hat sich in dieser Kunstgattung grundlegend verändert, lautet die Quintessenz von Panofskys realistischmaterialistischer Ästhetik des Films. Das erläuterte er in einer vergleichenden Betrachtung, die mit den Begriffen Idee und Materie arbeitet und die Unterscheidung von idealistischem und materialistischem Paradigma der Philosophie zu Grund legte. Während die klassischen Bildkünste ihre Idee qua Form in die zuvor amorphe Materie einprägten und sie so erst zur Existenz als daseiende Einzelform brächten, arbeite die moderne Bildkunst Film mit den Objekten selbst. »Die Verfahrensweisen aller früheren bildenden Künste entsprechen, mehr oder weniger, einem idealistischen Weltbild. […] Sie beginnen mit einer Idee, die in die gestaltlose Materie projiziert werden soll, nicht mit den Objekten, aus denen die äußere Welt besteht. Ein Maler beginnt mit der leeren Wand oder Leinwand und gestaltet sie zum Abbild von Dingen und Personen gemäß seiner Idee, wie sehr diese Idee auch von der Realität gespeist sein mag.« (Panofsky 1936: 53) Ähnlich der Produktionsvorgang in Bildhauerei und Schriftstellerei und sogar noch beim Bühnenbild, aber anders der Film. »Der Film und nur der Film wird jenem materialistischen Weltverständnis gerecht, das die gegenwärtige Kultur durchdringt […]. Von der Sonderform des Zeichenfilms abgesehen, gibt der Film materiellen Dingen und Personen, nicht neutralem Stoff, einen Sinnzusammenhang, der seinen Stil […] weniger durch die Vorstellung des Künstlers erhält als durch die Arbeit mit den äußeren Objekten und der Aufnahmeapparatur.« (Panofsky 1936: 53 f.) Filmische Stoffe sind Ausschnitte aus der Wirklichkeit, zum Beispiel historische Orte, sei es im Original oder als »HollywoodFaksimile«. Filmische Stoffe sind Landschaften, Wohnungen und Städte, »die äußere Realität von Maschinen und Tieren, von Edward G. Robinson und Jimmy Cagney«. (Panofsky 1936: 54) Der Film als Kunstgattung belasse es nicht dabei, ihre Abbildungen hintereinander zu schneiden. Sie werden zwar zu einer Ordnung der symbolischen Bedeutungen synthetisiert, aber nicht zum bloßen Substrat der Zeichen degradiert. Die symbolische Ordnung (der »Sinnzusammenhang«) sei nicht die Willkürherrschaft der Filmemacher über die Gegenstände, sondern erweise deren Ordnung die Reverenz (noch dort, wo sie sie verändert, verdreht und verzerrt). Zugleich werde dadurch die Freiheit der künstlerischen Subjekte nicht beschnitten. »Alle diese Objekte und Personen müssen in einem Kunstwerk
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I can’t control myself | 121 zusammengeordnet werden. Sie können in jeder beliebigen Weise angeordnet werden, wobei ›Anordnung‹ natürlich Schminke, Beleuchtung, Kameraarbeit usw. einschließt. Aber aus dem Weg gehen kann man ihnen nicht.« (Ebd.) Kracauer ist Panofsky auf diesem filmtheoretischen Pfad gefolgt. Der Film, hat Kracauer in seiner späten Theorie des Films geschrieben, arbeitet mit »Leben im Rohzustand«. Mit anderen Worten: Er ›spiegelt Realität wider‹ und ›bildet die sichtbare Welt ab‹. (Kracauer 1960: 390) Das tun Filme freilich nicht nur, um einen visuellen Abklatsch der Welt zu geben, an dem das Publikum sich dann ergötzen könne. Filme, die auf der Höhe ihrer spezifischen ästhetischen Möglichkeiten sein, haben, so Kracauer, objektiv die Intention, gleichsam die Erscheinungen der Welt zu retten. Gerettet werden sollen sie, so darf man vermuten, vor dem Desinteresse, vor ihrer funktionalen Reduktion, das heißt vor der Verstümmelung durch den Verschleiß, dem sie die warenproduzierende, industrielle Gesellschaft aussetzt; und weiterhin vor der Bedeutungsminderung, die sie durch die zweckrationale (besser: instrumentell-rationale) Verengung der Wahrnehmung erleiden. Gerettet werden soll die physische, erscheinende Wirklichkeit aber eben auch vor der Degradierung zum amorphen Stoff, die sie durch den Künstler erfährt, der in ihr nur das Material sehen kann, das es durch Formung allererst zu einer sinnhaften und ästhetischen Totalität zu machen gilt. Kracauer stellt den Film als Kunst, die die erscheinende Wirklichkeit nicht dem Gesetz der ästhetischen Form unterwirft, genau wie Panofsky dem autonomen Kunstwerk gegenüber. Das autonome Kunstwerk ist eine sinnerfüllte Totalität, in der die Teile ihre Existenzberechtigung dem stimmigen Zusammenhang verdanken, in den sie das künstlerische Subjekt gebracht hat. Die »Bedeutung eines Kunstwerks« bestimmt die Bedeutung »seiner Elemente«, schrieb Kracauer; »seine Elemente haben Bedeutung insoweit, als sie zur Wahrheit oder Schönheit beitragen, die dem Werk als Ganzem innewohnt.« Kunstwerke unterliegen den Gesetzen ihrer Komposition. »Ihre Funktion ist nicht, die Realität widerzuspiegeln, sondern eine Vision von ihr zu vergegenwärtigen.« (Ebd.) Wo sie gelingen, erbeuten Filme als Rohmaterial Bilder, die »ihre eigene Story erzählen« (Kracauer 1960: 392). Sie zeigen wirklich, »was sie zeigen« (Kracauer 1960: 389). Ihre Schöpfer sind »in den Dschungel der materiellen Phänomene« eingedrungen, »auf die Gefahr hin, sich unrettbar darin zu verlieren«. (Kracauer 1960: 392) Das ist der ontologische Realismus der Kracauerschen Filmtheorie; mit Claude Sautets Worten kann man auch sagen: Der Stoff des Films sind »die Dinge des Lebens«. Und das galt bis zum Siegeszug digitaler Tricktechniken, die es den Betrachtern heute oft schwer machen, noch klar zwischen »filmischen« und »animationsfilmhaften« Elementen ein- und desselben Produkts zu unterscheiden.
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Solche Beobachtungen aus dem ästhetischen Gattungsbereich des Films, aber auch viele andere Beobachtungen, zeigen: Die klassische Kategorie des »Scheins«, der auch die »Erscheinung von Wahrheit« sei, kehrte in den Künsten der Massenkultur zurück, nachdem ihn die Moderne und die Avantgarde virtuell zerstört hatten. Für die Filmästhetik hatte der »Schein« freilich seine vermeintliche Autonomie abgelegt, die er als »schöner Schein« in der Kunst der idealistischen Epoche erkämpft hatte. In der Postmoderne kam noch etwas zurück, das bis dahin außerhalb der Massenkunst als verloren gelten konnte. Die Postmoderne brachte die Rückgewinnung der ästhetischen Attraktivität mit sich. Bildlichkeit und Abbildlichkeit wurden rehabilitiert; ebenso das Interesse am Physischen, das von der neuen Körperlichkeit von Kunst-Aktionen und Performances angesprochen wird. Selbst die seit den Avantgarden und der politischen Kunst des 20. Jahrhunderts lange verschmähte Schönheit ist kein Tabu mehr, wie man an zahlreichen Austellungen zu diesem Thema in den letzten Jahren sehen konnte. Der Museums-Boom, den wir seit gut 20 Jahren beobachten, ist Bestandteil der Popularisierung der Hochkultur. In der Postmoderne verschmelzen Kunst und Massenkultur. Wirtschaft und Gesellschaft haben sich im Zeichen von Globalisierung, Konzentration und Oligopolisierung neu formiert. Das Ende der Ära der Nationalstaaten hat nicht nur politische, sondern auch kulturelle Konsequenzen; Massenkultur wird allmählich zum Universalitätspendant einer Welt, die sich in multikulturelle Gesellschaften zersplittert. Auch das bahnte sich einst über das Medium Film an. Béla Balász hat 1924 in seinem Buch Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films eine weit in die historisch-vergleichende Medienanalyse ausgreifende These formuliert. Sie besagt, dass der Film den Eintritt in eine neue Epoche der Visualität einleitet. Die Schriftkultur der Ära des gedruckten Wortes (die mit Gutenbergs technischer Innovation des Buchdrucks begonnen und im 19. Jahrhundert durch die Mechanisierung von Druckerpresse und Satzgeräten auf ihrem Höhepunkt angekommen war) habe dazu geführt, dass wir die visuelle Sprache der physiognomisch-physiologischen Oberfläche des menschlichen Leibes zu deuten verlernt hätten. Gesichtsausdruck, Gesten, Gebärden, Ausdrucksbewegungen des Körpers würden durch den Film ins Zentrum der Wahrnehmung gebracht. Dadurch würden wir allmählich wieder lernen, den unmittelbaren, begriffslosen seelischen Ausdruck zu erkennen, deren Träger sie sind. Vor der Buchkultur sei der Geist der Menschen unmittelbar optisch, sichtbar gewesen, durch sie sei er zum rational-lesbaren gemacht worden. Die Filmtechnik sei, wie seinerzeit der Buchdruck, eine neue Reproduktions- und Distributionstechnologie, und sie bewirke eine ähnlich fundamentale Umwälzung: Sie mache den Menschen wieder sichtbar. »Die ganze Menschheit ist heute schon dabei, die vielfach erlern-
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I can’t control myself | 123 te Sprache der Mienen und Gebärden wieder zu erlernen«, schrieb Balász. »Nicht den Worteersatz der Taubstummensprache, sondern die visuelle Korrespondenz der unmittelbar verkörperten Seele.« »Der Film ist es, der den unter Begriffen und Worten verschütteten Menschen wieder zu unmittelbarer Sichtbarkeit hervorheben wird.« (Balász 1924: 67, 68) Balász verwies damals auch auf den universalistischen Charakter der visuellen Sprache des Films. Sie erwachse aus ökonomischen Zwängen. Die Konkurrenz zwischen französischer und US-amerikanischer Filmproduktion, die in den 1920er Jahren um die Hegemonie auf dem Filmmarkt kämpften, belegten das. Die Verbreitung des Films bringe kulturelle und soziale Homogenisierungstendenzen mit sich. »Denn das Gesetz des Filmmarktes duldete nur eine allgemeine Gebärdensprache, die von San Francisco bis Smyrna in jeder Nuance gemeinverständlich ist und der jede Prinzessin und jede Grisette gleicherweise folgen kann.« (Balász 1924: 69) Kultur- und klassenübergreifende Zeichen und Bilder sind die unverzichtbaren Ingredienzien erfolgreicher Filmproduktion. Das bewertete Balász durchaus ambivalent. Die Kulturhegemonie der Filmproduktion führe zu ästhetisch unbefriedigender Stereotypisierung. Es habe sich »eine gewisse Normalpsychologie der weißen Rase herausgebildet, die zur Grundlage jeder Filmfabel geworden ist. Das ist die Erklärung für die vorläufige Primitivität und Schablonenhaftigkeit dieser Fabeln.« Die Bedeutung des formalen Universalismus der Filmsprache sah Balász darin, dass sie gleichsam zum Schrittmacher eines menschheitlichen Kulturfortschritts werde. »Der Kinematograph ist eine Maschine, die, auf ihre Art, lebendigen und konkreten Internationalismus schafft: die einzige und gemeinsame Psyche des weißen Menschen.« Der ›weiße Normalmensch‹ bilde sich hier im Keim heraus, »der als Synthese aus den verschiedenen Rassen und Völkern einmal entstehen wird«. Und auch das normierte Schönheitsideal, das sich wie eine Bugwelle im Gefolge der internationalen Filmindustrie etablierte, bewertete Balász positiv. »Indem der Film ein einheitliches Schönheitsideal als allgemeines Ziel der Zuchtwahl suggeriert, wird er einen einheitlichen Typus der weißen Rasse bewirken. Die Verschiedenheit des Gesichtsausdruckes und der Bewegung, die schärfere Grenzen zwischen den Völkern gezogen hat als Zoll und Schlagbaum, wird durch den Film allmählich wegretuschiert werden. Und wenn der Mensch einmal ganz sichtbar wird, dann wird er trotz verschiedener Sprachen immer sich selbst erkennen.« (Balász 1924: 69). Die Wortwahl des Autors, aber auch die Argumentation, die darin ihren Ausdruck findet, erscheint dubios. Wenn man nicht wüsste, dass er Kommunist und Kulturkommissar im sozialistischen Ungarn war, als er dies schrieb, würde man ihn unweigerlich in die entgegengesetzte geistespolitische Ecke stellen – und wenn man es weiß, wird man erst recht melancholisch. Das Menschenbild, das
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sich hier als »Erbe« des bürgerlichen Humanitätsideals artikulieren wollte, wusste anscheinend noch nicht, wie lebenswichtig die Differenz und das Recht des Anderen, anders zu bleiben, sind. Gleichwohl weisen diese frühen Gedanken über den globalen Charakter der modernen Massenkultur in eben jene Richtung, in der heute darüber nachgedacht wird. Lässt man den rassentheoretischen Unsinn weg, der diese Überlegungen als Subtext prägt, dann bringen sie recht genau zum Ausdruck, was viele Menschen begrüßen und ebensoviele befürchten, nämlich die Erfahrung, dass die Massenkultur der Moderne eine globale Kommunikation darüber ins Werk gesetzt hat, wie Menschen sich als Menschen sehen. Dass es mit der visuellen Universalität doch nicht so weit her war, schien das Aufkommen des Tonfilms zu belegen. Aber hier wurde mit den Jahren Ausgleich geschaffen. »Die Abschaffung der potentiell universalen Sprache des Stummfilms, mit all seinen erprobten Codes für die interkulturelle Kommunikation, hat wahrscheinlich viel dazu beigetragen, das gesprochene Englisch international vertraut zu machen, und somit auch geholfen, diese Sprache als die weltweite Lingua franca des späten 20. Jahrhunderts zu etablieren. Denn im goldenen Zeitalter Hollywoods wurden überall fast ausschließlich amerikanische Filme gezeigt – außer in Japan, wo in etwa die gleich Anzahl von Filmen produziert wurde wie in den USA. […] 1937 produzierte Hollywood 567 Filme, also über zehn pro Woche. Der Unterschied zwischen den hegemonialen Kapazitäten des Kapitalismus und den Möglichkeiten des bürokratischen Sozialismus ist der Unterschied zwischen dieser Zahl und den 41 Filmen, von denen die Sowjetunion behauptete, sie im Jahre 1938 produziert zu haben.« (Hobsbawm 1995: 248) Auf die Probleme der englischsprachigen Alltagskultur-Hegemonie werde ich nächsten Kapitel ausführlich eingehen. Doch zuvor noch einige Informationen zum mentalitätsgeschichtlichen Hintergrund des Hollywood-Universalismus.
An empire of their own Es waren vor allem erfindungsreiche und innovative junge Geschäftsleute, die das Filmgeschäft in den USA zur ersten Hochblüte trieben: Emigranten in der ersten und zweiten Generation, denen Karriere und sozialer Aufstieg in vielen Bereichen verwehrt waren, weil sie Juden waren und überwiegend aus Osteuropa kamen. Zu ihrer Enttäuschung mussten sie erfahren, dass religiöse Toleranz und Multikulturalität im Lande der Freien zwar gewissermaßen verbriefte Rechte für alle waren, aber nicht gesellschaftliche Wirklichkeit. Der Medienhistoriker Neal Gabler hat in seinem preisgekrönten Buch An Empire of their Own. How the Jews Invented Hollywood ein-
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I can’t control myself | 125 drucksvoll beschrieben, dass das stark antisemitische Element der US-amerikanischen Zivilreligion eine der Ursachen dafür war, dass jüdische Bürger wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung in kulturellen Nischen wie der Entertainment-Industrie suchten. Ihre sozialen Aufstiegschancen waren gering. Wie in Europa mussten sie sich mit diskriminierenden Bräuchen bei der Verteilung gesellschaftlicher Schlüsselpositionen auseinandersetzen. Viele waren im Handel tätig. Einige hatten ein bescheidenes Auskommen als Betreiber von kleinen Filmvorführstätten. Bald realisierten sie, dass man viel mehr Geld damit verdienen konnte, selbst Filme zu produzieren zu vertreiben. Diese jüdischen Pioniere der Filmbranche an der Ostküste mussten einen Selbstbehauptungskampf gegen das New Yorker Filmkartell führen, das Thomas Alva Edison inzwischen errichtet hatte. Für dieses Kartell drehte D. W. Griffith seine ersten Filme. Sie waren Landmarken des filmtechnischen und -ästhetischen Fortschritts; Griffith etablierte die Groß- und die Nahaufnahme und die eisernen Regeln der Mainstream-Montage, vor allem die parallel geschnittene last minute rescue. Sie propagierten aber auch reaktionäre, rassistische und wirre Ideologien. Auf sein Werk Birth of a Nation, das den Ku-Klux-Klan verherrlichte, ließ Griffith, beleidigt durch Kritikerschelte, einen Langfilm ungewöhnlichen Ausmaßes folgen. Intolerance sollte das Titel-Thema als ewiges Problem, als kulturelle Invariante quer durch die Epochen der Menschheitsgeschichte vorführen, verstrickte sich aber in den Parallelmontagen seiner vier Episoden, die im Finale triumphal enggeführt werden sollten, jedoch bloß und Verwirrung und Langweile erzeugten. Nach einigen Jahren wurde das Edison-Kartell, das die Ostküste und das Landesinnere der USA mit häufig verbrecherischen Methoden beherrschte, zwar durch gerichtliche Intervention zerschlagen; aber da waren die kreativen und ökonomisch kraftvollen Köpfe der Branche, die vom Kartell unten gehalten worden waren, schon an die Westküste übergesiedelt. Hier, frei von unlauteren Wettbewerbsverzerrungen und von kulturellen Vorurteilen des urbanen Establishments, frei von hohen Grundstückspreisen und beleuchtet von der kalifornischen Sonne schuf eine gute Handvoll jüdischer Geschäftsleute, die von der feindseligen Gesellschaft der Mainstream-USA abgelehnt worden waren, den »amerikanischen« Traum: Adolph Zukor, Jesse Lasky, Carl Laemmle, Louis B. Mayer, Jack und Harry Warner und Harry Cohn. Hollywood entwickelte nun die ureigene Ikonographie, Ästhetik und Erzählweise einer massenkulturellen Utopie (Gabler 1988: 187 ff.). Sie wurde vom nicht-jüdischen Amerika begeistert adoptiert und galt im Nu als die narrativ-fiktionale Verkörperung des ur-amerikanischen Lebensstils. Aufstieg, Erfolg, Glück und Sicherheit, starke Familienbande und die Grundwerte Gerechtigkeit, Freiheit und
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Humanität, das Ganze in einer Bildersprache kodiert, die transkulturell kommunizierbar ist – das ist Film als Massenmedium, tendenziell weltumspannend und universal gültig. Die Ironie dieser Geschichte besteht darin, dass es Außenseiter waren, die der Gesellschaft, die sie sozial und kulturell ausgrenzte, ein Bilder- und Zeichensystem zur Verfügung stellten, mit dem diese Gesellschaft sich identifizieren konnte. Mehr noch: Die Außenseiter gaben dieser Gesellschaft die eigenen Ideologien und Utopien zurück, nachdem sie durch den Filter einer eigenwilligen Aneignung hindurchgegangen waren. Kontrastfolie dafür waren Bilder der Verfolgung und der Gewalt, die bedrängte Menschen erleiden müssen. Gabler hat darauf aufmerksam gemacht, dass die immer wiederkehrenden Filmszenen von der Farm, die in Brand gesetzt wird, oder den Familien, die brutal auseinander gerissen werden, als visuelle Echos eigener Verfolgungserfahrungen aus Osteuropa verstanden werden müssen. In den Familien der Hollywood-Mogule, die den Pogromen Europas entronnen waren, war die Atmosphäre der Angst lebendig geblieben. Ohne diesen kulturellen Erfahrungshintergrund, den eine ganze Population aus Europa mitgebracht hatte (und kontinuierlich weiter mitbrachte), hätte es viele unverwüstliche Themen des Massenmediums Film nicht lange gegeben, die Hollywood als ontologische Invarianten der verschiedenen Genres etabliert hat: das sympathische Monster; den Superhelden, der seine wahre Identität im Alltagsleben genauso wenig ausleben kann wie ein assimilierter oder verfolgter Jude; den rebellischen Jugendlichen, der auf eine Wand der Ablehnung durch die Sozietät der Erwachsenen stößt; den Naturmenschen, der aus der Zivilisation verstoßen worden ist und nie wieder in das entfremdete Eigene zurückfindet; den Exzentriker, der die Regeln der guten Gesellschaft nicht beherrscht und sein Anecken grotesk überspielt; den Outlaw, der im Kampf gegen Ungerechtigkeit und Feigheit die Grenzen des Gesetzes überschreitet, das mit dem Besitzenden und den Mächtigen im Bunde steht; den Verlierer, der in Zynismus und Selbstmitleid versunken ist, sich aber im entscheidenden Moment zur entsagungsvollen Tat aufraffen kann; die liebende Frau, der Doppelmoral, Heuchelei und Bigotterie zum tragischen Verhängnis werden; die underdogs, denen nur ihre musikalische Ausdruckskraft bleibt, um Würde zu wahren. Es gab ein Arbeitsbündnis von jüdischen Immigranten und AfroAmerikanern, das von der Filmproduktion in Hollywood ausging und die Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Die massenhafte Verbreitung der Synthesen aus schwarzer Musik, Unterhaltungsmusik des Stetl und europäischer Salonmusik, für die große Namen wie George Gershwin und Irving Berlin stehen, war die Grundlage für den weltweiten Erfolg von Jazz und Popmusik. Arbeitsbündnisse zwischen Formen der Volksmusik und der bürgerlichen Unterhaltungsmusik hat es natürlich auch in der europäi-
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I can’t control myself | 127 schen Massenkultur gegeben, aber die Musikkultur der USA war offenbar ein idealer Boden für jene neue musikalische Universalsprache, die in den Hollywood-Filmen zuerst global reproduziert wurde, mit jüdischen Komponisten und schwarzen Interpreten als Erfolgsträger. Sicher: Viele dieser Archetypen der Massenkultur sind nicht exklusiv in der Erfahrungswelt jüdischer Immigranten geboren worden, die Hollywood in den 30er Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts sein Gesicht und seine Sprache gegeben haben. Aber hier erhielten diese Archetypen ihre neue Form, die für den Massen-Erfolg auf der ganzen Welt entscheidend waren und es bis heute sind. Die »Superman«-Figur wurde von zwei jungen jüdischen Zeichnern entwickelt. Wie ging es weiter mit den Superhelden? »Batman« ist im Privatleben kein Außenseiter, sondern ein Star des Establishment. Aber als Held muss er sich verstecken. »Spiderman« ist die Wunschprojektion eines pubertierenden Jungen, der zwar unscheinbar und linkisch ist, aber sein Köpersekret schier endlos verspritzen kann. Als omnipotentes Insekt rettet er die Welt und seine Angebetete, der er am Ende freilich entsagt – gleichsam ein mobil gewordener, hyperaktiver Gregor Samsa mit Zügen des jungen Werther. Die Massenkultur des 20. Jahrhunderts ist eben im Wesentlichen eine Jugendkultur. »Die Lebensstile ihrer Jugend«, hat der Historiker Eric Hobsbawm über die Massenkultur der USA seit den späten Fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts geschrieben, »breiteten sich direkt oder über die Weitergabe ihrer Signale in einer Art von informeller Osmose über die Zwischenstufe Großbritannien aus. Sie breiteten sich über Schallplatten und später auch Kassetten aus, deren wichtigstes Promotionsmedium, wie schon zuvor und auch heute noch, das altmodische Radio war; über den weltweiten Siegeszug spezifischer Symbole; über die persönlichen Kontakte im internationalen Jugendtourismus, der kleine, aber anschwellende und einflußreiche Ströme von jungen Männern und Frauen in Jeans über den ganzen Globus schickte; über das globale Netzwerk von Universitäten, deren Kapazitäten für schnelle internationale Kommunikation in den sechziger Jahren offenbar wurden; und schließlich über die Macht der Mode, die, gefördert durch den Druck von Trendsettern, schließlich die Massen in den Konsumgesellschaften erreichte.« (Hobsbawm 1995: 411) Und nicht zu vergessen: über Kino und Fernsehen! »Eine globale Jugendkultur war geboren.« (Ebd.)
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Sakralisierung des Immanenten. Populärkulturelle Antworten auf die Globalisierung
Globalisierungskritiker sind nicht zimperlich. Wenn sie protestieren, schonen sie sich und andere nicht, und auch wenn es um den Schutz bedrohter kultureller Arten geht, holen sie kräftig aus, jedenfalls mit Worten. Die große Anklageschrift gegen die Globalisierung von Ökonomie und Kultur erschien 1996 in den USA unter dem Titel The Case Against the Global Economy: and For a Turn Toward the Local. In ihrem Aufsatz »Homogenization of Global Culture« haben Richard Barnet und John Cavanagh dort beschrieben, wie regionale Traditionen von westlichen Konzernen überwältigt werden, die der ganzen Welt die Standards ihrer Unterhaltungsindustrie aufzwingen. Lokale Medien werden durch Fernsehen, Filme, Musik und Mode aus den Produktionsstätten der USA lahmgelegt, und die reiche kulturelle Vielfalt der Gemeinschaften aller Kontinente wird homogenisiert: »In Rio schmücken Kinder ihre Schulhefte mit Bildern von Michael Jackson. In Kashmir summen Teenager Songs von den Beatles. Auf der ganzen Welt hören Menschen Popmusik und sehen Videos, die ihnen Freude vermitteln und das Gefühl, an eine größere Welt angeschlossen zu sein. Die meisten Konsumenten dieser globalen Kulturprodukte sind jung.« (Barnet/Cavanagh 1996: 72) In der Tat: Um jene zwei Fünftel der Weltbevölkerung unter 20 Jahren tobt ein erbitterter Konkurrenzkampf. Dabei spielt Popmusik im Fernsehen eine Vorreiterrolle. Das Kabelfernseh-Netzwerk MTV erreichte bereits Anfang der 1990er Jahre rund 210 Millionen Haushalte in 71 Ländern; heute hat es rund 40 Millionen Zuschauer in Europa und 50 Millionen in den USA. Woher kommt die große Nachfrage? Barnet und Cavanagh meinen, dass sich die Unterhaltungsindustrie die gesellschaftliche und kulturelle Legitimations- und Sinnkrise der Moderne zu Nutze macht. »Als die drastischen sozialen Veränderungen des späten 20. Jahrhunderts Regierungen, Familien und Stammesstrukturen in die Krise gestürzt hatten, sind Popkünstler als globale Autoritätsfiguren
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aufgetaucht.« (Ebd.) Im Gegensatz zu Eltern, Politikern, Mullahs und Häuptlingen verlangten sie von ihren jugendlichen Anhängern nicht viel; sie sollen nur Spaß haben und nicht aufhören, zu konsumieren. Obwohl heute hunderte Millionen Kinder und Teenager auf der ganzen Welt die gleiche Musik hören und die gleichen Filme und Videos sehen, schaffen die weltweit verbreiteten Unterhaltungsprodukte kein positives neues globales Bewusstsein, lautet die These von Barnet und Cavanagh – sie vermehrten lediglich die Leidenschaft für weitere globale Produkte und Ersatzbefriedigungen. Die exotische Bilderwelt der Musikvideos würde ihren Konsumenten die Illusion bieten, an die aktuellen kulturellen Strömungen angeschlossen zu sein, die über den Erdball rauschen. »Doch das«, meinen Barnet und Cavanagh, »ist weit entfernt davon, eine globale Identifikation mit dem Wohle der menschlichen Gattung und dem ganzen Planeten zu erzeugen, wie es die Bewusstseinsphilosophen von Kant bis McLuhan erhofft und vorausgesagt hatten. Bis heute ist das Warenbewusstsein das einzige Bewusstsein, das stimuliert worden ist.« (Barnet/Cavanagh 1996: 73) Lassen wir es ruhig einmal dahin gestellt sein, ob die Rolle des philosophischen Komplementärs zu Kant mit Marshall McLuhan richtig besetzt ist oder Kant zum Medienphilosophen gemacht werden sollte. Hier berühren die Autoren das wahrlich bedeutsame Phänomen, dass heute eine weltweite mediatisierte Öffentlichkeit hergestellt wird, die andere Züge trägt, als es die frühen Publizitätstheorien und die späten Medienapologien vorsahen. Ihre Züge sind von ihrem Warencharakter geprägt. Ich möchte es so formulieren: Öffentlichkeit, das heißt die allgemeine Partizipation an den Kanälen der Kommunikation, wird zu einer bloßen Nebenwirkung der universalen Verwertung kapitalistisch produzierten Werts. Das wird bei Barnet und Cavanagh zwar nicht in den Kategorien der Kritik der bürgerlichen Ökonomie reflektiert, aber sie benennen die Erscheinungsweisen dieses Vorgangs. Es ist bekannt: Gerade dort, wo Armut und Verelendung am größten sind, boomt die Unterhaltungsindustrie. »Das größte Wachstumspotenzial für Popmusik besteht in Lateinamerika und Asien.« (Ebd.) Beispiel Brasilien: Dort hatte die Firma BMG Ariola Discos seinerzeit »einen landesweiten Marktanteil von 55 Prozent. […] Trotz der politischen und ökonomischen Schwierigkeiten Brasiliens steht BMG weiterhin hoch im Kurs.« (Ebd.) Dem ökonomischen Erfolg stehen die kulturellen Bedenken gegenüber, heben die Autoren hervor. »Musiker, Sozialkritiker und Politiker in den armen Ländern Asiens, Afrika und Lateinamerikas fürchten, dass die massive Durchdringung mit transnationalen Klängen nicht nur die Arbeitsmöglichkeiten für Künstler vor Ort zerstört, sondern auch verhängnisvoll für die traditionelle Musik ihrer lokalen Kulturen ist. […] In den nichtindustrialisierten Ländern geht die Angst um, dass die
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Sakralisierung des Immanenten | 131 industriell produzierte Musik Jahrhunderte, ja vielleicht Jahrtausende alte musikalische Traditionen einfach hinwegfegt.« (Ebd.) Die gegenwärtige Krise der Unterhaltungsmusik-Industrie dürfte die antiglobalen Autoren kaum beruhigen, denn diese Krise geht ja darauf zurück, dass viele Jugendliche keine CDs mehr kaufen, sondern sich ihre Musiktitel widerrechtlich aus dem Internet herunterladen. Und das schwächt zwar die Gewinne der Plattenindustrie, stärkt aber keineswegs regionale musikalische Überlieferungen, denn kostenlos herunterladen tut man ja nur genau das, was man vorher für viel Geld im Laden kaufen musste. Was tun? fragen sich Barnet und Cavanagh. Ihr Lösungsansatz ist der kulturelle Umweltschutz. In den 1980er Jahren, sagen sie, hätte die Umweltschutzbewegung damit begonnen, die wichtige Idee zu verbreiten, dass biologische Vielfalt eine wertvolle globale Ressource ist; die Erde würde verarmen und das Überleben der menschlichen Gattung in Gefahr geraten, wenn seltene Schlangen, schöne tropische Vögel und afrikanische Käfer aussterben. Die kulturelle Umweltschutzbewegung habe keine mächtigen Organisationen, die sich für ihre Botschaft einsetzen, aber eine große, unorganisierte Anhängerschaft. »Das Gefühl, die Weltkultur werde erniedrigt, wenn die Vielfalt verloren geht, ist unter Künstlern, Kulturkonservativen und Nationalisten sehr verbreitet. Diese Besorgnis wird jedoch überschwemmt von der schieren Macht der globalen Populärkultur, die lokale kulturelle Traditionen ebenso bedroht wie die traditionellen Gemeinschaften, denen sie entspringen.« (Barnet/Cavanagh 1996: 75) Aus dieser Perspektive, so kann man hinzufügen, wäre die erfolgreiche Vermarktung der sogenannten Weltmusik, die unter kulturell sensiblen Europäern beliebt ist, nicht das Potenzial einer erweiterten kulturellen Erfahrung, sondern, im Gegenteil, der Anfang vom Ende jener letzten authentischen Musiktraditionen, die noch übrig geblieben sind. Was Musikern vor Ort die – von ihnen natürlich geschätzte – Möglichkeit gibt, ihr Publikum zu vergrößern, dient den globalen Musikfirmen dazu, »die Musik der Eingeborenen aus ihrem heimatlichen Boden zu entwurzeln und zur freien Handelsware zu machen« (Barnet/Cavanagh 1996: 76). Um die Frage zu klären, worauf die enorme Attraktivität massenkultureller Produkte bei den Jugendlichen heute beruht, folgen die Autoren dem schon erwähnten »Autoritätsverlust«-Muster. Weitere Faktoren sind ihnen zufolge: der Zusammenbruch der traditionellen Familie, das Verschwinden bürgerlich-städtischer Lebensformen und weltweite Politikverdrossenheit. »Populärkultur saugt wie ein Schwamm die freie Zeit und Kraft auf, die früher für anderes genutzt wurde: für die Erziehung und Bildung der Kinder, für die Teilnahme an politischen, religösen, staatsbürgerlichen oder Gemeinde-Aktivitäten, für handwerkliche Tätigkeit, Lektüre und konti-
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nuierliche Weiterbildung.« (Ebd.) Wenn junge Menschen stattdessen ihre Zeit mit den Produkten der Unterhaltungsindustrie vergeuden, seien die Grundlagen politischer Bildung unterminiert. Denn die »politische Theorie«, meinen Barnet und Cavanagh, »beruht nach wie vor auf der Voraussetzung, dass diese Tätigkeiten zentrale Bedeutung für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft besitzen. Und doch werden öffentliches Leben und Gemeinschaftsaktivitäten immer mehr durch Erfahrung aus zweiter Hand ersetzt, die Filme, Video und Musik anbieten. Für junge Leute in vielen Teilen der Welt wird es schwieriger, befriedigende soziale Rollen für sich aufzubauen, und die Flut der kommerziellen Klänge und Bilder bietet ihnen eine Zuflucht.« (Barnet/Cavanagh 1996: 76 f.) Dieser bildungstheoretische Erklärungsansatz geht mittelbar auf Richard Sennetts Theorie vom Verfall des öffentlichen Lebens aus den 1970er Jahren zurück. Sennett hatte beobachtet, dass das moderne Projekt einer öffentlichen Sphäre selbstbestimmter politischer Handlungs-Subjekte durch die Verwertungs- und Distributionslogik des Spätkapitalismus bedroht sei (Sennett 1990). Hatte Sennett das an den klassischen Orten bürgerlicher Öffentlichkeit untersucht, nämlich den urbanen Zentren der USA und Europas, so lenken die Globalisierungskritiker 20 Jahre später den Blick auf die Peripherie. In Lateinamerika würden US-amerikanische Film- und Fernsehproduktionen z.B. die Unterhaltungsprogramme der Fluglinien beherrschen. Von den 4000 Filmen, die jährlich im brasilianischen Fernsehen gezeigt werden, stammten fast 99 Prozent aus reichen Ländern, die meisten selbstverständlich aus Hollywood. Fernsehen, so heben die Autoren zu Recht hervor, ist heute die mächtigste Bildungsinstanz der Massen in den meisten armen Ländern. Kultur-Nationalisten, schreiben Barnet und Cavanagh, seien erzürnt, dass Hollywood-Filmstudios und global agierende Werbeagenturen die einflussreichsten Lehrer der kommenden Generation sind. Aufdringliche Technologien, Privatisierung, Deregulierung und die Kommerzialisierung der elektronischen Medien breiten sich immer mehr aus, und das mache es immer schwieriger für Familien und Lehrer, im Kampf um die Aufmerksamkeit der nachfolgenden Generation noch gegen die globalen Medien anzukommen (Barnet/Cavanagh 1996: 77). Nun – die Autoren empfehlen nicht direkt die Rückkehr obsolet gewordener Autoritäten. Aber ihr Programm des kulturellen Umweltschutzes, das regionale und nationale Kräfte gegen den Universalismus der Hollywood-Kapitalisten stärken will, steht in einem mindestens gebrochenen Verhältnis zur emanzipatorischen Theorie der Aufklärung, auf die sie sich berufen, wenn sie Urteilskraft und Selbstbestimmung von mündigen Bürgern als demokratisches Ideal gegen die massenkulturelle Berieselung mit schnöder Handelsware ausspielen. Nach einem traditionellen kulturkonservativen Muster
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Sakralisierung des Immanenten | 133 stellen sie die politischen Werte der bürgerlichen Moderne dem Markt gegenüber. Massenkultur auf der einen Seite, Bildung und staatsbürgerliche Erziehung auf der anderen – seit dem 19. Jahrhundert wird dieser Kontrast aufgebaut, um populäre Kultur auf Vermarktung, Vermassung und Volksverdummung zu reduzieren. Nicht, dass dazu kein Anlass bestünde; seit ihren Anfängen saugen die internationalen Kulturindustrien alles in sich auf, was sich populär vermarkten lässt (Horkheimer/Adorno 1947, Duarte/Fahle/ Schweppenhäuser 2003). Aber die kulturkonservative Kritik der Massenkultur, der Barnet und Cavanagh verpflichtet sind, unterstellt, dass authentische ästhetische Erfahrung und Beiträge zur Differenzierung autonomer Urteilskraft überhaupt nur gegen den Markt und gegen die Massenkultur entstehen können. Sie schließen es von vornherein aus, dass gerade in den warenförmigen Produkten der Unterhaltungsindustrie selbst Impulse stecken können, die das stählerne Gehäuse der marktzentrierten Einheitskultur von innen her unterminieren. Die Spannung zwischen dem massenkulturellen Populären und dem Medienpopulismus der Kulturindustrie hat sich im Zeichen der Globalisierung sicherlich verstärkt. Aber wenn Kritik der Globalisierung nur als Verdammung der warenförmigen Unterhaltungsindustrie US-amerikanischer Provenienz vorgetragen wird, geht die berechtigte Sorge um authentische, regionale kulturelle Ausdrucksformen in einen nationalistisch gefärbten Kulturregionalismus über, der nicht mehr im Stande ist, zwischen dem Populismus und dem Populären zu unterscheiden. Ich möchte die Stichhaltigkeit der globalisierungskritischen These von der Homogenisierung der Alltagskultur exemplarisch prüfen, indem ich zwei Erscheinungsformen der Massenkultur Brasiliens aus den 60er und den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts näher betrachte. Material und Leitfragen dieser Untersuchung stammen aus dem Arbeitszusammenhang des interkulturellen Forschungsprojekts zum Verhältnis von Kunst, Massenkultur und populärer Kultur in Brasilien und Deutschland, an dem ich seit 1999 mitgearbeitet habe. Zunächst aber zwei kulturtheoretische Vorbemerkungen.
All together now Ich werde zwei massenkulturelle Phänomene diskutieren, die in erster Linie musikalische Phänomene sind. Immer, wenn es in der Ästhetik der Massenkultur um Musik geht, ist ein Kategorienpaar unverzichtbar, das Nietzsche geprägt hat, als er in seiner Tragödienschrift zwischen dem apollinischen und dem dionysischen Element der Kunst unterschied (Nietzsche 1872). Das apollinische Prinzip steht nach Nietzsche für das Rationale und Bildhafte, für die kon-
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templative Anschauung. Es steht für Proportion, Gleichmaß und stimmige Komposition. Sein imaginärer Ort ist der Traum, seine Medien sind die bildenden Künste. Das dionysische Prinzip steht dagegen für das Irrationale, Tönende und den physischen Mitvollzug. Sein imaginärer Ort ist der Rausch, seine Medien sind Musik und Tanz. Dionysische Kunst verlangt nicht respektvolle, distanzierte Betrachtung. Hier sind wir Teilnehmende. Musik gliedert die Zeit so ähnlich, wie das organische Leben durch Rhythmen gegliedert ist. Sie drückt gegliederte Bewegung aus. Musik verlor ihre expressive, dienende bzw. anwendungsorientierte Funktion erst in der bürgerlichen Musikkultur des 19. Jahrhunderts in Europa. Musik wird hier zur absoluten Musik und verlangt nicht mehr körperlichen Mitvollzug, sondern durchgeistigte Kontemplation. Sie benötigt nicht mehr die Umsetzung in räumliche Wirklichkeit durch die teilnehmenden Rezipienten. Diese Umsetzung blieb der Tanz- und Marschmusik vorbehalten. Damit wurde Musik, in Nietzsches Terminologie, apollinisch: Melos und Rhythmus wurden maßvoll gezähmt, die Dissonanzen gebändigt und der Harmonik unterworfen. In der massenkulturellen Musik des 20. Jahrhunderts, vom Jazz bis zum Rap, gewinnt Musik dionysisches Terrain zurück. Sie verlässt die bürgerlichen Orte ihrer Zelebrierung und findet bei Festen und Tanzritualen, aber auch im Alltag Eingang in die Lebenswelt. Die Paartänze sind das ferne Echo ritualisierter erotischer Annäherungen, die Gruppen- und Solotänze das ferne Echo orgiastischer Massen-Exzesse. In der musikalischen Inszenierungen der modernen Massenkultur wird an diese rest-archaischen Bedürfnisse und Funktionen angeknüpft. In der kritischen Theorie der Kultur des 20. Jahrhunderts war diese Lesart populärer Musik stark umstritten. Adorno schrieb in den 1930er Jahren, es könne nicht davon die Rede sein, dass »das gegenwärtige musikalische Bewusstsein der Massen im Zeichen anarchischer Lust steht« (Adorno 1938: 321). Er war davon überzeugt, dass die durchkalkulierte massenmediale Unterhaltungsmusik ausschließlich pseudo-dionysische Stimulanzien verabreichen würde, die ihre Abnehmer erfolgreich domestizieren. Einzig in reflektierter absoluter Musik könne der verschüttete Wahrheitsgehalt des orgiastischen Moments, das alle Musik habe, versöhnt zu sich selbst kommen. Marcuse würdigte dagegen 30 Jahre später die Authentizität populärer »schwarzer« Musik: Sie sei »entsublimierte Musik, die die Klangbewegung direkt in Körperbewegung überträgt«. Diese Form der Entsublimierung war für Marcuse keineswegs »repressiv«. Er würdigte die populäre »schwarze« Musik, weil sie als »nicht-kontemplative Musik […] die Kluft zwischen Aufführung und Rezeption überbrückt, indem sie den Körper direkt […] in eine spontane Bewegung versetzt, die ›normale‹ Bewegungsmuster durch subversive Klänge und Rhythmen verzerrt und verdreht«. Die Bewegung, meinte Marcuse, »bleibt auf der Stelle, verweigert sich der Fort-Bewegung,
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Sakralisierung des Immanenten | 135 ist freudige Rebellion, Ausgelassenheit ob der abgeschüttelten Hemmungen bei gleichzeitigem Bewußtsein von Unterdrückung und Erniedrigung, unmittelbare Explosion ohne die Zügel traditioneller Formen von Schönheit und Ordnung.« (Marcuse 1968: 93) Kurz: Sie weist entscheidende Merkmale dionysischer Musik auf.
Alegria Geral Für den Kulturphilosophen Vilém Flusser war die Kultur Brasiliens per se eine Misch-Kultur. Flusser hat ihre Fundamente als eine Überlieferungsgeschichte der Verschleppten rekonstruiert. Die Afrikaner, die als Sklaven nach Brasilien entführt wurden, waren von ihrer kulturellen Überlieferung abgeschnitten. Kultur war für sie Sinngebung in einer neuen, fremden Welt, bei der sie ohne überlieferte Modelle auskommen mussten. Nach Flusser gibt es grundsätzlich nur zwei Strukturen von Kultur: die synchrone und die diachrone. Während synchron strukturierte Kulturen auf Handwerk, Gegenständen im Raum, Werkzeug, Schmuck usw. aufbauen, basieren diachrone Kulturen auf Verhaltensprägungen, auf Rhythmen und Gesten. Die Samba ist demzufolge eine gestisch-musikalische Sprache der von ihrer Überlieferung abgeschnittenen Sklaven, die nun einmal keine räumlich-extensiven Dinge mitnehmen konnten. Die Wurzel der brasilianischen Kultur ist die Anstrengung, aufgrund diachroner Modelle Sinn zu produzieren. Flusser beobachtete, wie der Alltag in Brasilien durch eine diachron orientierte Kultur-Atmosphäre geprägt wird. Er nannte das die Sakralisierung des Immanenten, durch die der Körper und die Geste verklärt werden. »Die Kulturphänomene«, schreibt Flusser, »die auf afrikanischen, diachronen Modellen fußen, also auf Geste, Tanz, Ritual usw., lassen sich unter den Sammelnamen ›Rhythmus‹ bringen. Der hochkomplizierte afrikanische Rhythmus mit seiner Synkope und strengen Struktur kommt am besten nicht in sogenannten ›Werken‹, also etwa in musikalischen Kompositionen, Theateraufführungen oder selbst im Carnaval, zum Ausdruck, sondern er verleiht den Gesten des täglichen Lebens jenen ästhetischen, rituellen und sakralen Aspekt, der kaum anderswo vorkommt. Das rhythmische Wiegen der Hüften […], der tänzelnde Schritt […], das weltverschlossene Lächeln, das das rhythmische Klopfen auf Streichholzschachteln und mit Kochlöffeln begleitet, das Schreibmaschineschlagen als wäre sie eine Tam-tamTrommel […], die rituell graziöse Art, mit der die Lausbuben Fußball spielen, […] all dies verleiht dem brasilianischen Alltag jene beinahe gepflegte Kultiviertheit, die so stark vom europäischen Alltag absticht. […] Es ist eine Kultur der Sakralisierung des Immanenten. Sie heiligt die Geste, sie enthüllt in der Geste die Heiligkeit des Köpers. Sie ist radikal unchristlich, denn das Christentum ist immer bereit,
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den Körper als nur den Träger der zu rettenden Seele aufzuopfern. Dieser Kultur hingegen ist der Körper in seiner Sinnlichkeit, seiner Ausdrucksfähigkeit und seiner Schwingung heilig.« (Flusser 1994: 130 ff.) Sicher: Man muss sich vor Stilisierungen der fremden Kultur hüten, der wir als Europäer in Südamerika leicht erliegen. Man muss z.B. bedenken, dass der graziöse Fußball-Stil der Brasilianer auch eine Vorgeschichte besitzt, die nichts mit ritueller Eleganz zu tun hat, dafür aber viel mit dem inoffiziellen brasilianischen Rassismus. Wenn Farbige gegen Weiße Fußball spielten, herrschte ein ungeschriebenes Gesetz, das es den Farbigen streng verbot, die Weißen zu berühren, und das hat die physischen Durchsetzungsstrategien farbiger Spieler nachhaltig geprägt. (Für diesen Hinweis danke ich Roger Behrens.) Aber das ist kein Argument, mit dem Flussers Theorie der diachronen Kultur, die das Immanente sakralisiert, im Ganzen widerlegt wäre. Diese ist ja, wie gesagt, eine heterogene MischKultur, in der die implantierte Kolonialkultur der Opernhäuser und der Barockmalerei mit Volkskulturen wie der Samba, der indigenen Malerei und Skulptur amalgamiert ist. Daraus sind authentische Vermischungen von Volkskulturen und elitärer Hochkultur erwachsen, wie die Bossa-Nova-Musik, die Elemente aus Samba und Jazz verbindet. Es ist aber auch eine in hohem Grade unauthentische Massenkultur entstanden. In den 1960er Jahren wurde nationale Folklore zu politischen Zwecken inszeniert; darauf werde ich gleich näher eingehen. Für heute sind die enorm erfolgreichen Telenovelas zu nennen und die Pagode-Musik, die den Carnaval gemäß kulturindustriellen Standards überformt. Gleichzeitig existiert jedoch eine Cultura Popular, die sich als universalistische Massenkultur seit den 1960er Jahren mehr oder weniger erfolgreich gegen Vereinnahmungen behaupten kann; sie ist nicht Samba-Folklore, nicht Politsong, nicht Pop- und Rock-Imitation oder simpler Hip-Hop-Import, sondern eher eine produktive Synthese aus allem.
Sonntags im Park Meine These lautet, dass der Kampf um kulturelle Hegemonie in der Alltagskultur überall quer zur Unterscheidung zwischen partikularen und universalistischen Sprachen der populären Kultur verläuft. Mein erstes Beispiel für eine populäre Synthese aus transnationalen massenkulturellen Ausdrucksformen und spezifischen ästhetischen Erfahrungen stammt aus den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Rede ist von der sogenannten Tropicália-Bewegung, die Pop- und Avantarde-Musiker, Dichter, Maler, Filmemacher und Theaterleute in Brasilien verband. Bei der skizzenhaften Darstellung und Interpretation der Tropicália folge ich meinem Freund und Kollegen Rodrigo
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Sakralisierung des Immanenten | 137 Duarte von der Universität des Bundesstaates Minas Gerais in Belo Horizonte. Die Tropicália-Bewegung entstand in der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur. Nachdem Brasilien von 1946 bis 1964 demokratisch regiert worden war, brachte der Militärputsch auch eine Wende in der Kulturpolitik. Zwar brachen die Traditionen entwickelten urbanen Lebens aus der Demokratie nicht einfach ab, aber nun unternahmen die Generäle verstärkte Bemühungen, folkloristische Überlieferungen künstlich wiederzubeleben oder zu inszenieren, die nach innen und nach außen das Bild eines tropischen Landes voller Vitalität und Lebenslust suggerieren sollten. Parallel zu einem gesellschaftlichen und sozialen Modernisierungsschub verfolgte die offizielle Kulturpolitik das Ziel, eine allgemeinverständliche Massenkultur zu etablieren, die scheinbar sozial realistisch ist. In den Produkten dieser Massenkultur sollte von den Schicksalen und Erfahrungen der Menschen berichtet werden; in Wahrheit verbog man freilich die Wirklichkeit, denn die gesellschaftlichen Ursachen für die Alltagserfahrungen der Menschen wurden ausgeblendet.
Abb. 61: Uniformierter Wachposten beim Festival der Populären Musik, 1967 (Fotografie eines Fernsehbildes)
Ab Mitte der 1960er Jahre wurden regelmäßig groß angelegte Festivals der populären Musik veranstaltet, die im Centro de Cultura Popular stattfanden und im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Es war die große Zeit der englisch-nordamerikanischen Popmusik, und die Elektrogitarre galt als das Symbol ausländischer Dekadenz in der Musik. Ich zitiere aus einer Notiz der Frankfurter Rundschau anläss-
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lich der Ernennung von Gilberto Gil zum brasilianischen Kultusminister: »Als führender Vertreter der Tropicália-Bewegung verband er ab 1967 einheimische Klänge mit Elementen der Rockmusik. Die Generäle ließen Gil und seinen Mitstreiter Veloso Ende 1968 festnehmen.« (Frankfurter Rundschau, 19. 12. 2002) Was war geschehen? Als Gilberto Gil und Caetano Veloso 1967 auf dem Festival der Populären Musik Brasiliens auftraten, führten sie eine Neuerung ein, die formal an Bob Dylans legendären Auftritt beim Newport Festival der Folkmusik im Jahre 1965 erinnert: In ihren Bands wurden elektrisch verstärkte Gitarren benutzt. Aber während sich über Bob Dylan damals nur eine relativ kleine Schar starrköpfiger Folk-Traditionalisten aufregte, um die sich schon bald keiner mehr kümmerte, hatte die Neuerung in Brasilien dramatische Folgen. Sie führte Gilberto Gil und Caetano Veloso einige Zeit später ins Gefängnis; bald darauf wurden sie zur Emigration nach Europa genötigt. Es ist heute schwer, sich vorzustellen, dass man ins Gefängnis geworfen wird, weil man »einheimische Klänge mit Elementen der Rockmusik« verbunden hat. Aber die Künstler hatten damit eine kulturelle Revolution ausgelöst, vor der die Militärs sich mit Recht fürchteten. Die Tropicália-Musiker hatten eine doppelte Frontstellung eingenommen. Sie richteten sich gegen die traditionelle brasilianische Folklore, die Samba-Fröhlichkeit und tropischen Rausch propagierte (»Alegria, Alegria«) und längst zum massenkulturellen Instrument geworden war, mit dem die Herrschenden die Menschen manipulierten. Das ästhetische Programm der Tropicália richtete sich aber auch gegen die politische Instrumentalisierung der Kunst durch die Linke, die von Künstlern verlangte, mit Politsongs aufzuklären und die Massen zum Widerstand zu mobilisieren. Die schwierige Gratwanderung der Tropicália bestand darin, im Medium der Massenkultur ästhetische Autonomie zu bewähren. Ihr Programm war die Autonomie des Liedes, das sie als Verbindung von Lyrik und Komposition verstanden und zugleich als populäre Kunst inszenierten. Ihre Synthese aus Avantgarde und Popkultur eignete sich die universalistische ästhetische Sprache der Popmusik an, um sich vom Populismus der manipulativen regionalen bzw. nationalen Folklore zu distanzieren. Die Tropicália ermöglichte widerständige Erfahrung, die auf paradoxe Weise vermittelt wurde durch Kunst, die sich als l’art pour l’art verstand und nicht als politische engagierte Aufklärungs- und Mobilisierungskunst. Sie drängte in die populären Medien Schallplatte, Radio und Fernsehen, um über populäre Formen eine eigensinnige Auseinandersetzung mit äußerer und innerer Wirklichkeit zu bewirken. Gleichzeitig beharrte sie darauf, dass nicht der Inhalt eines Songs, sondern seine formale Struktur etwas über die Wirklichkeit Brasiliens zum Ausdruck bringe. Ein häufig eingesetztes formales Mittel war die Allegorie.
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Abb. 62: Gilberto Gil e Mutantes beim Festival der Populären Musik, 1967 (Fotografie eines Fernsehbildes)
In dem Skandal-Stück »Domingo No Parque« (Sonntag im Park) von 1967 ist von Liebe, Sinnlichkeit, Vergnügen und Gewalt die Rede. Gil hatte sich unter Anderem von John Lennons und Paul McCartneys Text von »A Day In The Life« aus dem Sergeant-Pepper-Album aus dem gleichen Jahr anregen lassen. Er mischte Alltags- und Sonntagstrivialitäten mit mehr oder weniger rätselhaften Metaphern. In abgehackter Sprache, die an die schnelle Folge von Sequenzen aus Filmen von Jean Luc Godard erinnert, wird die Geschichte eines Mordes aus Eifersucht erzählt. Durch ein wirbelndes Kaleidoskop aus schwebenden Metaphern (Dorn der Rose, Eis, Riesenrad) und schlichten Motiven (Messer, Blut) sieht man, wie der Marktverkäufer João seinen Freund, den Bauarbeiter José und dessen Freundin Juliana im Park ersticht. Visuelle und haptische Empfindungen (die Farbe der Blume, des Blutes und des Eises sowie dessen Kälte) verbinden sich in einem suggestiven Schwindelgefühl des eifersüchtigen Mörders, das von fern auch an den »Feuerkreis, dreh dich«-Gesang des irren Nathanael aus E.T.A. Hoffmanns Sandmann erinnert: O espinho da rosa feriu Zé Eo sorvete gelou seu coraçao O sorvete e a rosa (ô, José) O rosa e o sorvete (ô, José) Foi coçando no peito (ô, José) Do José brincalhao (ô, José) […]
2004-12-10 09-10-17 --- Projekt: T250.cult.schweppenhäuser.naddel / Dokument: FAX ID 01c470685387402|(S. 129-147) T01_05 kap 5.p 70685387770
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Oi, girando na mente (ô, José) Do José brincalhao (ô, José) Juliana girando (ô, girando) Oi, na roda gigante (ô, girando) Oi, na roda gigante (ô, girando) O amigo Joao (ô, Joao) O sorvete é morango (é vermelho) Oi, girando e a roda (é vermelha) Oi, girando, girando (é vermelha) Oi, girando, girando … Olha a faca! (Olha a faca!) Olha o sangue na mao (ê, José) Juliana no chao (ê, José) Outro corpo caído (ê, José) Seu amigo Joao (ê, José) (Gilberto Gil: »Domingo No Parque«) Die Beschreibung des Liebesdramas, das in einer Bluttat eskaliert, wurde als Allegorie jener alltäglichen und strukturellen Gewalt der Diktatur gelesen, die von der offiziellen populistischen Massenkultur verdrängt werden sollte. Der Name Tropicália ironisierte die obrigkeitliche Inszenierung des vermeintlich naturhaften, pseudo-dionysischen Taumels und bekannte sich zugleich zum dionysischen Impuls, der in die Dynamik der globalen populären Kultur und ihre technischen Innovationen hineingeholt werden sollte (so z.B. auch in das neue brasilianische Kino eines Glauber Rocha, dessen ästhetisch-expressiv stilisierte Bilder der Gewalt eigenwillig an die formalen Errungenschaften des europäischen Avantgarde-Kinos anknüpften). Die Tropicália wollte sich Eingang in die Kulturindustrie verschaffen, ohne von ihr verschluckt zu werden. Gezielt nahm sie brasilianischen Folkore-Kitsch auf, den wir mit Gestalten wie Carmen Miranda verbinden. Deren Selbstinszenierungen wurden freilich auch nicht einfach ins Lächerliche gezogen, sondern in ihrer Ambivalenz transparent gemacht. Durch geschicktes Management mit exzentrischen Fernsehauftritten, die durchaus Happening-Charakter besaßen, hatte die Tropicália-Bewegung ein gutes Jahr lang großen Erfolg in der Öffentlichkeit. Nach dem zweiten Militärputsch 1968 wurde es den Generälen jedoch endgültig zu bunt. Nun sollte die nationale Kultur noch stärker in Regie genommen und überwacht werden. Ohne Gerichtsverfahren steckte man Gil und Veloso monatelang ins Gefängnis und machte ihnen unmissverständlich klar, dass sie das Land verlassen sollten. Nach vier Jahren Exil in London ließ man sie zurückkehren. Die eigenwillige und faszinierende Mischung von populärer und avancierter Kunst gelang der Tropicália, weil sie über den regionalen
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Sakralisierung des Immanenten | 141 Tellerrand hinaus sah und die Errungenschaften der Massenkultur der 1960er Jahre in sich einsaugen, auf sie reagieren konnte. Die Künstler eigneten sich das Fremde mit seiner internationalen, universalistischen Formensprache an, und dadurch wurde es überhaupt erst möglich, dass sie sich im Gegenzug authentische, widerständige Elemente des Eigenen wieder aneigneten, die durch die populistische Medieninszenierung der Herrschenden verstellt und blockiert, aber auch schon per se ritualisiert und ohnmächtig waren. Nun gut, könnte man jetzt vielleicht sagen; das war das goldene Zeitalter der Popmusik, als die Künstler noch Ideale und Formbewusstsein hatten. Aber heute – ist da nicht längst Qualität durch Quantität ersetzt und populäre Kunst durch platten Kommerz? Genau so haben jedoch schon die Kritiker der Popmusik in den 1960er Jahren argumentiert, um darzulegen, dass die populäre Kunst der 1960er im Vergleich mit der aus den 1920er Jahren eben keine Kunst mehr gewesen sei …
Die Rationalen Mein zweites Beispiel stammt ebenfalls aus Brasilien, aber es ist dreißig Jahre jünger. In den Städten Brasiliens hat sich eine HipHop-Jugendkultur entwickelt, die Beachtung verdient; sie ist die wichtigste Erscheinung der Massenkultur in den letzten 10 Jahren. Ich möchte mich bei der Darstellung auf die Peripherie von São Paulo konzentrieren. Zunächst ein paar Zahlen: Ende der 1990er Jahre waren in São Paulo 50 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. In absoluten Zahlen: Es gab ca. 800.000 arbeitslose Jugendliche. In São Paulo und der Peripherie sind ca. 50.000 Jugendliche in der HipHop-Szene engagiert. Viele von ihnen sind Arbeitslose, die hier eine Alternative zu Bandenkriminalität und Gewalt finden. Die Hip-HopSzene hat öffentliche Räume angeeignet und die Straße zur Bühne dieser Subkultur gemacht. Soziologen haben die Hip-Hop-Bewegung ›das erste wirklich globalisierte Kulturphänomen‹ genannt. Hip-Hop entstand in den schwarzen Ghettos US-amerikanischer Großstädte, wo eine Mischung aus afrikanischen und US-amerikanischen musikalischen Elementen entstand. Wenig später wurde Hip-Hop in Europa populär und erreicht mittlerweile türkische und arabische Jugendliche. Diese globale Gegenkultur kann als populärer Versuch bezeichnet werden, auf eine ökonomische Groß-Tendenz zu antworten, nämlich auf die massenhafte Freisetzung von Arbeitskräften in einer immer produktiver werdenden Ökonomie, die Reichtum auf der Basis von Verelendung vermehrt. Die Jugendkultur des Hip-Hop ist zugleich Ausdruck dieser neuen ökonomischen Epoche und symbolisch geformter Widerstand dagegen. Denn hier versuchen ausgegrenzte,
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gleichsam ökonomisch entwertete, Jugendliche weltweit, Solidarität, Kritikfähigkeit und Bildung, Gewaltfreiheit und Selbstorganisation als ihre eigenen Werte zu etablieren. Das tun sie vermittelt über den Konsum von Kulturwaren, aber beim Konsum bleibt es nicht.
Abb. 63: Os Raçionais auf der Bühne (Fotografie eines Fernsehbildes)
»Hip-Hop ist wichtig für mich, weil es nicht nur für mich ist«, sagte ein Jugendlicher in São Paulo in einem Fernseh-Interview (O Grito da Periferia, 1999). Vor dem bedrohlichen Hintergrund extrem gesteigerter ökonomischer Konkurrenzkämpfe, die für Straßenkinder nicht selten tödlich ausgehen, kann eine Gegenerfahrung kulturell definierter Solidarität gemacht werden. Hip-Hop ist selbstorganisierte ästhetische und politische Bildung in einem Land der Analphabeten, eine Schule der Kritikfähigkeit. Dies gilt für die Formen, aber vor allem auch für die kommunizierten Inhalte. Immer wiederkehrende Themen sind Herrschaft- und Religionskritik. Die populärste brasilianische Rapper-Gruppe nennt sich »Os Raçionais«, also »Die Rationalen«. Ihre »rationalistischen« Texte verarbeiten Motive, die wir aus der Philosophie der französischen Aufklärung kennen; die Selbstbestimmung der Einzelnen gegen Bevormundung durch Patriarchat und Kirche sind für brasilianische Heranwachsende, besonders weibliche, hoch brisante Themen. Es geht vorrangig um lebensweltliche Erfahrung und darum, zu lernen, wie man die eigenen Bedürfnisse begreifen und kommunizieren kann. Hip-Hop wird so zu einer Form politischer Kultur, die den eigenen Alltag thematisiert; zum Medium, das die Aneignung der eigenen Lebenswelt ermöglicht.
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Sakralisierung des Immanenten | 143 Diese Lebenswelt ist durch Gewalt gekennzeichnet. Der berühmte Film Central do Brasil hat das vor Augen geführt, und Cidade de Deus aus dem Jahre 2002 schildert den alltäglichen Terror in den Favelas von Rio de Janeiro. Dort bedient sich der Regisseur Fernando Meirelles eines medienästhetischen Spiegels: Der Erzähler im Film ist ein Fotograf, er ist zugleich Beobachter und Teilnehmer. Nur über die ästhetische Form kann man der realen Gewalt entrinnen – aber in der ästhetischen Form bzw. im ästhetischen Gehalt bleibt die Gewalt als Spur eingeschrieben. São Paulo hat die zweitgrößte Gewaltrate der Welt; 70 Prozent der Morde in São Paulo geschehen in der Peripherie. Eines der Hauptfelder der Gewalt ist der Drogenhandel. In der Peripherie von São Paulo versuchen die Rapper, Bandenkriege durch Tanzwettbewerbe zu verdrängen und die Jugendlichen von den Drogen wegzubekommen.
Abb. 64: Mädchen bei selbstorganisierter Bildungsarbeit (Fotografie eines Fernsehbildes)
Bei Diskussionsveranstaltungen in Schulen und auf den Straßen in Armutsvierteln wird über Frauenrechte, Schwangerschaft von Teenagern und ähnliche Probleme informiert. Anschließend wird in Kulturzentren weiterdiskutiert und getanzt. Beim Training lernen Kinder und Jugendliche, ihren Körper als Ausdrucksmittel zu benutzen. Die interne Differenzierung der Gruppen in DJs, Masters of Ceremony, Break-Dancers und Writers hilft bei der Orientierung. Die Writers sind Graffiti-Künstler, die ihre Träume und Utopien, aber auch die schlechte Wirklichkeit zeichenhaft zum Ausdruck bringen. Ihre Kunst will, bei aller Stilisation, die Wirklichkeit treffend darstellen und kritisieren.
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144 | »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt
Um die kulturindustrielle Konzentration ökonomischer Macht zu unterlaufen und Konflikte mit der etablierten Medienmacht für sich zu entscheiden, wird sozusagen versucht, eine alternative Unterhaltungsindustrie aufzubauen. Das musikalische Material, das als Rohstoff eingesetzt wird, sind Platten der Musikstile Bossa Nova, Samba, Soul, Jazz und Rock. Rap-Gruppen versuchen, eigene CDs zu produzieren, weil sie keine Chance haben, ins Programm etablierter Firmen aufgenommen zu werden. Das Verhältnis der Hip-Hop-Kultur zu den offiziellen Medien ist alles andere als harmonisch. Öffentliche Medien und politische Institutionen unterstützen die Hip-Hop-Bewegung in der Regel nicht. Daher werden eigene Kommunikationsnetze entwickelt, nämlich informelle Treffen und Radiosender, die abseits des offiziellen Radiobetriebs arbeiten, die sogenannten Radio Communitaria. Ein Sondergesetz erlaubt ihnen den Sendebetrieb, wenn auch nur im Umkreis von bis zu fünf km. Das Publikum dieser ›kommunitaristischen‹ Radioprogramme sind Stadtteilbewohner, an deren Nachfrage sich die Sendungen orientieren.
Abb. 65: Breakdance (Fotografie eines Fernsehbildes)
Anders als die Hippies der 1960er Jahre versteht sich die Hip-HopKultur nicht als utopische Gesellschafts-Alternative, sondern als Teil der bestehenden Gesellschaft, in der auf den dort gangbaren Wegen etwas verändert werden soll. Dazu gehört auch, dass man sich nicht als Massenbewegung versteht, sondern auf schlichte Modelle gesellschaftlicher Organisation abzielt; kleine Gruppen von jeweils 15-20 Personen operieren dezentral und nicht institutionalisiert.
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Abb. 66: Jugendtreffpunkt in der Peripherie von São Paulo (Fotografie eines Fernsehbildes)
Auch hier wieder ein Fazit: Die auf den ersten Blick homogenisiert wirkende Hip-Hop-Szene, die unterhaltungsindustrielle Standards aus den USA zu kopieren scheint, ist in Wirklichkeit formal recht differenziert. Ihr dominantes Merkmal ist nicht passives Konsumieren normierter Kulturwaren, sondern die Souveränität der Macher und Benutzer im Umgang mit verschiedensten Kultur-Praktiken. Vergnügen wird mit Bildung und Aufklärung verbunden. Kultur ist hier, ganz im Sinne von Ernst Cassirer, die Produktion von Sinn mit Hilfe von Symbolen; in diesem Fall Symbole, die in einem sozialen Chaos humane Werte kodifizieren. Was Flusser in den 1960er Jahren über die Physiognomie der Kultur Brasiliens schrieb, trifft durchaus auch noch auf die Aneignung des Hip-Hop zu: Das Immanente wird aufgewertet. Wichtiger ist aber, dass hier Lebensformen für chancenlose Jugendliche mit Hilfe einer universalen Sprache imaginiert und praktiziert werden. Dies wäre nicht möglich ohne die produktive Teilhabe an globalen Phänomenen der populären Kultur. Dabei darf man natürlich nicht übersehen, dass die populäre Kunst des Hip-Hop in ihrer rituellen Beschränktheit der Formensprache auch Abhängigkeit und Heteromie fortschreibt. Richard Shusterman (1994) hat darauf hingewiesen, dass dies schon in ihrem afrikanischen Ursprung liegt: Das endlose Monologisieren der Rapper entstammt einer patricharchalen Dorfkultur Afrikas, in der wortgewandte Männer herrschen, die ihre Gegenspieler an die Wand reden können. Von speziellen Unterarten wie dem Gangsta-Rap mit gewaltförmigen Inhalten oder dem faschistoiden »DeutschRap« à la Igor K.
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aus München sehe ich hier ganz ab. Nur so viel: Igor K. gibt sein antiamerikanisches Ressentiment als tapferen Kampf aus, den ein Anwalt der nationalen Kultur gegen kulturimperialistische Manipulation führt. Eine Textprobe (in der Originalschreibweise von Igors Internetseite): Schau an, was Amerika mit uns allen tut Ein einzigstes Land macht die ganze Welt kaputt […] Alle Länder dieser Erde, vereinigt Euch Und fickt endlich mal die USA, bevor sie ficken Euch Der Grund, warum die Welt an Amerika verreckt Ist der, dass Amerika den Krieg nie erlebt […] Deutsche, hört endlich auf, den Amis nachzulaufen! […] Deutsche, warum lässt ihr euch das gefallen Dass man Euch eurer uralten Sprache beraubt? Deutsche, warum lässt ihr euch das gefallen Dass man Eure Kultur gegen Amerikanski tauscht? (Igor K 2003) Antiamerikanismus ist die Globalisierungskritik der dummen Kerle! Da gibt einer, der keine Zeile ordentliches Deutsch schreiben und keinen geraden Gedanken denken kann, »den Amis« die Schuld daran, dass die »Deutsche Jugend« (ebd.) seinen Nazi-Dreck rechts liegen lässt und sich lieber mit Produkten der Massenkultur US-amerikanischer Provenienz beschäftigt – also mit Produkten, die technisch und handwerklich gediegen gearbeitet sind und Freiraum für ästhetische Phantasie lassen. Forschungen zur Jugendkultur aus den letzten Jahren berichten auch aus Mittelamerika von einer Gegenkultur, die sich musikalischer Ausdrucksformen bedient, vor allem des Rap, um Erfahrungen des sozialen Zerfalls und des zerstörerischen Kampfs um das Überleben zu artikulieren (Liebel 2000). Diese Gegenkultur ist durchaus politisch motiviert. In Mexiko und Kolumbien orientieren sich Jugendliche keineswegs ausschließlich deshalb an den Produkten der globalen Medienindustrie, weil sie Teilhabe am Lebensstil und Lebensstandard des reichen Nordens phantasieren möchten. Vielmehr finden sie in den Mischformen aus globalen und indigenen Musiksprachen Kommunikationsformen, um sich über ihre Bedürfnisse und ihre prekäre Lebenssituation zu verständigen. Jugendlichen in Mittel- und Südamerika bleibt eine Kindheits- und Jugendphase vorenthalten, wie sie auf der nördlichen Halbkugel selbstverständlich ist. Sie müssen sehr früh selbst für sich und ihre Angehörigen sor-
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Sakralisierung des Immanenten | 147 gen und sind im harten Selbsterhaltungskampf auf sich gestellt. Die Teilhabe an der Hip-Hop-Szene kann beim Überleben und beim Bewusstwerden helfen. Jesús Martin-Barbero schrieb vor einigen Jahren: Musikalische Jugendkulturen sind »Wegbereiter eines starken Bewusstseins der sozialen Auflösung des Landes, der alltäglichen Gegenwart des Todes in den Straßen, der Ausweglosigkeit der Arbeit und Arbeitssuche, der Erbitterung und des Makabren.« In Rock und Rap, meinte Martin-Barbero, mischen sich »die Töne und der Lärm unserer Städte mit den Tönen und Rhythmen der indianischen und schwarzen Musik und die Ästhetiken des Abfalls mit den fragilen Utopien, die aus dem moralischen Verdruss und dem audiovisuellen Rausch hervorgehen.« (Martin-Barbero 1998) Die Symbole einer eigenen Ausdrucksform sind nicht genuin; sie sind Produkte einer Aneignung, die zwar nicht von vornherein autonom ist, aber auf Autonomie zielt. Jugendkulturen bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen einer bloß symbolischen Praxis und der realen Erweiterung von Handlungsspielräumen in einem Alltag, der weitgehend ›autoritär und erwachsenen-dominiert‹ ist (Liebel 2000: 43). Sie bewegen sich zwischen Verweigerung und Affirmation – so, wie jede Form ästhetischer Rezeption, die anderswo nach dem Ausdruck für etwas sucht, was man selbst noch nicht formulieren kann, und die selbst ästhetische Praxis werden will. Es besteht kein Anlass, die Hip-Hop-Jugendkultur zu glorifizieren. Auch in ihr findet ein dauernder Kampf um alltagskulturelle Hegemonie statt. Worauf es mir ankommt, ist nur der Gesichtspunkt, dass die kulturelle, ästhetische und gesellschaftliche Kompetenz, die Beteiligte brauchen, um im Kampf um Hegemonie nicht dem Medienpopulismus der Kulturindustrie zu unterliegen, an globalen Ausdrucksformen der populären Kultur teilhaben müssen. Sie können sich diese nur dann auf eigenständige Weise aneignen, wenn sie nicht von ihr ausgeschlossen bleiben. In sozialen Lebensformen, die zunehmend von einer einzigen Wirtschaftsweise bestimmt werden, nämlich von Warenproduktion und Markt-Konkurrenz, ist es nicht nur aussichtslos, auf regionale und nationale Kulturschutzparks zu setzen, sondern auch empirisch unmöglich. »Die Populärkultur der Welt war amerikanisch, oder sie blieb provinziell.« (Hobsbawm 1995, 251 f.) Eine humane Veränderung der Lebensverhältnisse in der globalen Marktökonomie kann nicht »von außen« ansetzen, weil es kein außen mehr gibt. Wenn die erweiterte Reproduktion sich etabliert hat, nützt es nichts, für die Rückkehr zu einfachen Tauschverhältnissen zu plädieren.
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Are you experienced? Ästhetische Erfahrung als Ent-Automatisierung der Wahrnehmung
Jean-François Lyotard, der berühmteste Vertreter der postmodernen Philosophie, meinte, in der Massenkultur würde der sehnliche Wunsch der Künstler und des Publikums »nach Einheit, Identität, Sicherheit, nach Popularität« scheinbar erfüllt (Lyotard 1987: 36). Jeder Künstler wünscht sich in der Regel ein großes Publikum, und das Publikum wünscht sich im Normalfall eine Mischung aus Vertrautem und anheimelnd Neuen. Nachdem die großen AvantgardeProgramme gescheitert waren, die ja nichts Geringeres wollten, als die Grenzen zwischen Kunst und gesellschaftlicher Wirklichkeit aufzuheben, habe man sich wieder auf die Suche nach Wirklichkeit begeben. Sinn und Transzendenz, subjektive Expressivität und, allem voran, kommunikativer Konsens – das sind nach Lyotard die wesentlichen Faktoren des ästhetischen Spiels der Massenkultur. Mit einem Wort: Lyotard warf ihr einen Rückfall hinter die Errungenschaften der Avantgarde-Kunst vor, der es um produktive Irritation und heilende Desillusionierung zu tun gewesen sei. Das eigentliche Problem sah Lyotard nicht in der subjektiven Schwäche der Künstler oder in der Bequemlichkeit des Publikums, sondern in der unermesslichen Integrationskraft der kapitalistischen Gesellschaft. In Kunst und Literatur, und ebenso im Alltagsleben, würden Abbildungen der Wirklichkeit zu Beschwörungsformeln, die teils sehnsüchtig und ernst gemeint sind, teils spöttisch und sarkastisch. Der Kapitalismus als Vergesellschaftungs- und Sprachform ist Lyotard zufolge sozusagen ein real existierender »Realismus«. Die Wirklichkeit sei destabilisiert – im Gegensatz zu dem Eindruck, den Kapitalismus und Techno-Wissenschaft uns suggerieren. Die Wirklichkeit bietet »keinen Stoff mehr für Erfahrung«, wohl aber für »Erkundung und Experiment«. (Lyotard 1987: 37) Daher müsse authentische Kunst, im Gegensatz zur Massenkultur, vom Nihilismus
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ausgehen. Sie müsse den experimentellen Weg der Avantgarden beschreiten. Das heißt: Sie müsse versuchen, das Nichtdarstellbare darzustellen. Massenkultur hingegen perfektioniere »das Verfahren, Diachronien zu organischen Totalitäten zusammenzuschließen, zu vervollkommnen«; dieses künstlerische Verfahren »sei seit dem 18. Jahrhundert das Ideal der großen Bildungsromane« (ebd.) gewesen. Lyotard hat diesen Gedanken durch einen Vergleich zwischen den künstlerischen Genres Roman und Film erläutert. Während Romane traditionell handwerklich produziert worden sind, könne der mechanisch-industriell hergestellte Film, also das Kino, die alte Aufgabe des traditionellen akademischen Realismus viel besser erfüllen (und noch dazu in massenweiser Verbreitung). Diese Aufgabe hat nach Lyotard in nichts Anderem bestanden als darin, »das Bewußtsein vom Zweifel zu bewahren«. Der Film als Genre ›stabilisiert den Referenten‹; er richtet ihn so zu, »daß er als wiedererkennbarer Sinn erscheint«. Das soll bedeuten, dass Kino einen Sinnzusammenhang etabliert, der in einem universalen Code formuliert ist. Dieser Code, meinte Lyotard, besteht aus den »Strukturen« der »Bilder und Sequenzen«. Er ist jederzeit verfügbar. Über ihn könnten sich die Zuschauenden ihres »Identitätsbewußtseins« und kommunikativer Geborgenheit versichern (Lyotard 1987: 38). Die Produzenten der Massenkultur werden auf diese Weise zu »Anwälten des Bestehenden«, schrieb Lyotard – in Adornoscher Terminologie. Wie Adorno wandte er sich »gegen den Positivismus des Realen« (Welsch 1993: 92), dem die Massenkultur fröne. Künstler, davon war Lyotard überzeugt, dürften nicht den »Konformismus der Massen« bedienen; sie müssten »sich solcher therapeutischen Praxis verweigern« (Lyotard 1987: 38). Das könnten sie nur durch Infragestellung der Tradition, und eben dadurch würden sie das Vertrauen des Publikums verlieren. Kennzeichnend für die Kunstrezeption im Zeitalter der Massenkultur sei das »Verlangen nach Realität, das heißt nach Einheit, nach Einfachem, nach Mitteilbarkeit« (Lyotard 1987: 39). Die »Dialektik der Avantgarden« sei, etwa bei Marcel Duchamp, aus den Herausforderungen entstanden, »die von den industriellen und massenmedialen Realismen auf die Kunst des Malens und Erzählens ausgeht« (Lyotard 1987: 38). Die ästhetische Frage der Moderne laute nicht: » Was ist schön?«, sondern: »Was macht Kunst zur Kunst?« (Lyotard 1987: 39) Darauf könne nur mit künstlerischen Experimenten geantwortet werden. Im Akademismus (und vor allem dann auch im politischen Totalitarismus) sei stattdessen nach allgemeinverbindlichen, universalen Kriterien gesucht worden, um einem Gegenstand per Geschmacksurteil das Prädikat »schön« zu verleihen. In dieser Hinsicht, so könnte man Lyotards Gedanken historisch veranschaulichen, unterschied sich der »heroische Realismus« (Goebbels) nicht wesentlich vom »sozialistischen Realismus« des Ostblocks. Im totalitären Kapitalismus, so
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Are you experienced? | 151 Lyotard weiter, würden entweder antimodernistische Lösungen angeboten, wie in der Kulturindustrie, oder pseudo-postmoderne, eklektizistische Lösungen. Dabei kommt dann, ihm zufolge, der warenästhetische, triviale Eklektizismus der Massenkultur heraus. Ich möchte einen Moment hier verweilen, denn im Kontext meiner Argumentation für die Rehabilitierung einer Ästhetik der Massenkultur kommt es mir auch auf die Rezeption des ästhetischen Realismus an. Universale Mitteilbarkeit war Anspruch und Wirklichkeit des Realismus in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Künstlern, die sich als autonome Subjekte auf dem Markt behaupten wollten, musste daran gelegen sein, dass ihre Arbeiten verstanden oder doch zumindest geliebt – vielleicht besser: begehrt – werden. Aber auch inhaltlich gab es den Anspruch, Erfahrungen auszudrücken und zu vermitteln, die nicht nur elitär kommunizierbar sind, sondern allgemeingültig. Und außerdem war der große Realismus des 19. Jahrhunderts, der seine Ausstrahlung bis ins 20. behielt, legitime Gestalt des mimetischen Grundimpulses aller Kunst. Vielleicht war er die letzte Station, in der mimetisches Bedürfnis und avancierte Kunst noch »auf Augenhöhe« waren. Die klassische Moderne mit ihrem Kanon der Verbote hatte ja nicht nur die Schönheit als Daseinsgrund der Kunst verschmäht. Sie verschmähte es überhaupt, sich der Wirklichkeit anzuschmiegen. Demnach war es keine sinnvolle Aufgabe mehr, der Totalität dessen, was Gegenstand von Wahrnehmung und Denken sein kann, in Ausschnitten anschauliche künstlerische Gestaltungen zu geben. Mimetischer Realismus wurde tabuiert. Nicht Sichtbares abbilden, sondern sichtbar machen, was von sich aus nicht sichtbar ist, lautete fortan die verpflichtende Regel der bildenden Kunst. Mit Recht ist diese Maxime mit ihren Folgen inzwischen als Mimesis zweiten Grades bezeichnet worden (Burger 2001): als Mimetismus der abstrakten Ideen, der aber gar nicht weiß, dass er Mimesis betreibt, weil der Gegenstand der Nachahmung etwas ist, das nicht sinnlich wahrnehmbar erscheint. Doch den Wunsch nach ästhetischer Erfahrung von Wirklichkeit im Medium des Scheins wollten, durften und konnten die Avantgarde-Künste der klassischen Moderne nicht erfüllen. Dies blieb der Massenkultur vorbehalten. Und es begann nicht erst mit der Pop Art, die die (Ab-)Bildlichkeit des Bildes rehabilitierte und die postmoderne Ära der Kunst einleitete. Am Beispiel des Films wurde ja bereits deutlich, wie der Impuls des Realismus in der Massenkunst aufgenommen und eigenständig weiterentwickelt worden ist. Meine These ist, dass der ästhetische Realismus in der Massenkultur nicht nur überwintert, sondern geradezu nach Hause kommt. Beileibe nicht immer und in allen Produkten der Massenkultur – aber wenn Realismus überhaupt gelingt, dann gelingt er dort besonders gut. Lyotards Verdikt gegen den Realismus der Massenkultur, insbesondere den des Kinos, ist daher höchst dubios. Aber zugleich
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hat er auch wiederum sehr legitim daran erinnert, was bildhaft-realistische Massenkunst anscheinend nicht ohne Weiteres leisten kann. Wer die ästhetischen Errungenschaften der Massenkultur angemessen würdigen will, muss immer auch deren Grenzen im Blick behalten. Aber was wäre, wenn sich zeigen lässt, dass Massenkultur keineswegs immer nur auf Abbildhaftigkeit und Bestätigung bekannter Wahrnehmungsmuster vereidigt ist? Darüber kann man in jenen Bereichen viel erfahren, in denen Impulse aus der Massenkultur sich mit visuellen Logiken und Formsprachen aus anderen ästhetischen Bereichen vermischen. In diesem Kapitel werde ich wieder von der Beobachtung ausgehen, dass die Differenz zwischen »Hochkultur« und »Massenkultur« nicht mehr klar ist, aber diesmal werde ich dabei sozusagen von der anderen Seite aus an die Sache herangehen – also nicht mehr von der Massenkultur aus, sondern aus der Perspektive des Modernismus und des avantgardistischen Nachdenkens über das Potenzial der ästhetischen Erfahrung.
Picture yourself in a boat on a river Wie kann man ästhetische Erfahrung beschreiben? Zunächst einmal gilt, dass ästhetische Erfahrung nicht etwas ist, das nur Spezialisten machen. Ästhetische Erfahrung ist heute ein verbreitetes Medium der Selbstverständigung. Orientierungsprozesse und Identitätsbildungen finden über ästhetische Erfahrung statt. Die Selbstdefinition von Personen (als Mensch, als Mann/Frau, als Mitglied einer Gruppe, einer Ethnie, als soziales, politisches Wesen etc.) verläuft immer auch über die Artikulation von Bedürfnissen – und das heißt, über die Herausbildung ästhetischer Kompetenzen, mit deren Hilfe wir Zugang zur eigenen inneren Natur gewinnen können. Die Selbstdefinition kann freilich auch durch die Deprivation von dergleichen Erfahrungen und durch die Verhinderung entsprechender Kompetenzen gekennzeichnet sein. Heute sind Bilder, Symbole, Fiktionen und Narrationen aus der Massenkultur Bedeutungsressourcen für Identitätsfindung und Stilisierung der eigenen Existenz. Populärkulturelle Praxis besteht aus Unterhaltung, Vergnügen, Lust und Erregungs-Erlebnissen beim (dinglichen oder medialen) Konsum von Waren; sie besteht aus Mitmachen bei Musikstilen und Lebensstilen, Moden, Konsumverhalten und Events. All diese Bestandteile sind immer auch Differenzund Ausschlussmarkierungen, die gleichzeitig Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft stiften (was auf den ersten Blick paradox erscheinen kann). Zusammengeballte Medienmacht und Semiokratie (die Herrschaft über Zeichen und Bedeutungen) machen es uns immer schwerer, auf diesem Gebiet autonom zu handeln. Doch wir sind zwar Waren- und Medien-Konsumenten, aber trotzdem nicht
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Are you experienced? | 153 nur willenlose Opfer von Ideologien. Wir handeln Kompromisse zwischen eigenen Interessen und dem Medien- und Güterangebot aus. Und wir suchen Formen der Aneignung, die den Erschwernissen zuwiderlaufen, die von der Kulturindustrie erzeugt werden; wir suchen eigensinnige, selbstbestimmte Dekodierungsformen. Miese Angebote können falsches Bewusstsein, Regression und Konformismus produzieren. Ein Beispiel dafür ist die Selbsterhaltung im »Big-Brother«-Container, eine Variante der modernen »Selbsterhaltung ohne Selbst«, von der Horkheimer und Adorno vor sechzig Jahren sprachen. »Big Brother« ist medienpopulistische Identitätsbildung, die an den wirklichen Interessen der Subjekte vorbeigeht. Dennoch haben wir gesehen, dass sich die Polysemie besonders in der Populärkultur zu Hause fühlt. Sie bewirkt, dass ästhetische Produkte vieldeutig sind und es pluralistische Lesarten, Ironisierungen und Umdeutungen gibt. Im Bereich der Selbstvergewisserung durch ästhetische Erfahrungen haben wir also Freiheitsspielräume. Es gibt mindestens drei verschiedene Auffassungen von ästhetischer Erfahrung. Die philosophische Tradition verweist uns zunächst auf das sinnliche Wohlgefallen. Nicht-kognitivistische Theorien der ästhetischen Erfahrung verstehen diese als Erfahrung von Schönheit. Das lehren beispielsweise Systemtheorie und Konstruktivismus, die Schönheit zu menschlichem Wohlbefinden in Beziehung setzen. Wir verwenden das Wort »schön« demzufolge, um etwas zu kennzeichnen, das uns auf irgendeine Weise gut tut. Menschen genießen Schönheit. »Man bezeichnet etwas als schön, wenn man sich in den Umständen, in denen man sich befindet, wohl fühlt«, sagt Humberto Maturana. »Und umgekehrt signalisiert die Auffassung, etwas sei hässlich und unschön, ein Unbehagen; man stellt eine Differenz zu den eigenen Auffassungen von etwas Ansprechendem und Angenehmen fest. Das Ästhetische umfasst Harmonie und Wohlgefühl, den Genuss des jeweils Vorgefundenen.« Maturana meint, das könne so weit gehen, dass ästhetische Erfahrung zu einer Dynamik der Veränderung wird – zum Beispiel durch die Macht der bildenden Kunst. »Ein erfreulicher Anblick verwandelt einen. Wer ein schönes Bild sieht, der schaut es sich immer wieder an, er genießt das Arrangement der Farben, er fotografiert es vielleicht, möchte es womöglich sogar kaufen. Das Leben dieses Menschen transformiert sich in Relation zu diesem Bild, das für ihn zur Quelle einer ästhetischen Erfahrung geworden ist.« (Maturana/Pörksen 2000) Analoges ließe sich selbstverständlich mit gleichem Recht über die Schönheit der Natur sagen, von Menschen und Lebewesen überhaupt, aber auch von Artefakten. Solch ein Begriff von Ästhetik ist beinahe allumfassend; mit seiner Breite geht freilich ein gewisser Mangel an Differenzierungskraft einher. Wenn Ästhetik als Wissenschaft oder Philosophie der Kunst verstanden wird, ist das nicht der Fall. Prominentester Gegen-
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stand ist dann das Schöne in Kunst und Natur. (Weitere traditionelle Kategorien theoretischer Ästhetik sind das Erhabene, das Tragische, das Komische, das Groteske, das Hässliche, das Neue, der Schock, das Sichtbare etc. Die letzten drei Begriffe machen deutlich, dass hier von der Tradition theoretischer Ästhetik insgesamt die Rede ist; moderner und postmoderner Diskurs sind inbegriffen.) Ästhetik kann aber auch noch etwas anderes sein als Theorie (bzw. Philosophie) des Kunst- und Naturschönen: Ästhetik ist auch die Theorie der sinnlichen Erkenntnis und der ästhetischen Erfahrung, die unabhängig ist von der Einschränkung auf Kunst- und Naturschönes. Wer diesen Begriff von Ästhetik vertritt, wird argumentieren, dass es nicht nur Erkenntnis durch Begriffe (und ihre rationale Verknüpfung) gibt, sondern auch Erkenntnis, die durch Wahrnehmung vermittelt ist. Der Graben zwischen Vernunft und Sinnlichkeit wird hier überbrückt. Genau das war die Intention des Begründers der philosophischen Ästhetik, Alexander Gottlieb Baumgarten. Heinz Paetzold hat bündig formuliert, worin dessen paradigmatische Bedeutung liegt: Baumgarten hat als erster systematisch gezeigt, dass ästhetische Erfahrung den Menschen ermöglicht, »frei über ihre Sinne zu verfügen«, dass sie ihnen »hilft, die Sinne zu schärfen, zu verfeinern, oder – wie Baumgarten sagt – zu vervollkommnen. Das befähigt die Menschen zur Erfahrung der Schönheit. Das Vehikel, das dazu dient, die Brücke zwischen den verwilderten bzw. ungebildeten Sinnen und ihrer vollendeten Gestalt zu schlagen, ist die Kunst.« (Paetzold o.O. u. J.; Paetzold 1983)
For the first time in my life my eyes are wide open Ästhetische Erfahrung kann also als ein kognitiver Prozess eigener Art aufgefasst werden: als eine spezielle Form von Erkenntnis. Damit man beschreiben kann, wie ästhetische Erfahrung funktioniert, ist es wichtig, sie von anderen, ähnlichen und verwandten Vorgängen zu unterscheiden. In der Kommunikation des Alltags erwarten wir von einer Mitteilung, dass die Bezeichnung das Bezeichnete klar erkennbar werden lässt. Solche Erwartungen werden in der Regel nicht enttäuscht, denn in derartigen Kontexten ist Bedeutung konventionell festgelegt. Ein Schild über dem Highway, das die Aufschrift trägt »New York 25«, ist ein Wegweiser mit der Mitteilung, dass es auf dieser Straße noch 25 Meilen bis New York sind. Bei einem ästhetischen Ausdruck hingegen ist die Bedeutung nicht gänzlich festgelegt, der Betrachter muss die Bezeichnung vervollständigen, gewissermaßen vollenden. Häufig haben wir es hier mit metonymischen Strukturen der Darstellung zu tun, etwa nach Art der Zeile »the city that never sleeps.« Ästhetische
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Are you experienced? | 155 Erfahrung ist dann ein Wahrnehmungsvorgang, in dem das Gesehene, Gehörte, Gelesene frei vervollständigt wird. Wir hören die Songzeile »the city that never sleeps«, und in unserem Kopf entsteht z.B. ein Bild von Manhattans Silhouette; sei es mit, sei es ohne die charakteristischen Twin Towers. Nach dem 11. September 2001 kann das Attribut »that never sleeps« durchaus anders gedeutet werden als davor: Emsige Geschäftigkeit als Bedeutungsgehalt dieser Charakteristik weicht dann z.B. der dauernden Furcht. Gegenstände ästhetischer Erfahrung sind also grundsätzlich deutungsoffen. Welche Bilder sich einstellen, ob sie aus eigener, lokaler Anschauung stammen oder medial vermittelt sind oder beides, ist nicht festgelegt. Es können sich auch Klänge einstellen, z.B. die Stimme eines Interpreten des Songs »New York, New York« – je vielfältiger die hergestellten Verbindungen, desto reicher ist der ästhetische Erfahrungsvorgang. Ästhetische Erfahrung ist in diesem Fall also ein Prozess der kreativen Aneignung von Zeichen. Sie unterläuft den Automatismus der Dekodierung einer Mitteilung. Während in der Alltagssprache die Mitteilung funktioniert, wenn wir sie automatisch verstehen, geht es hier um die Ent-Automatisierung der Wahrnehmung. Das Ziel ist nicht Wiedererkennen, sondern Sehen. Ästhetische Erfahrung in diesem Sinne – hier zunächst verstanden als Produktionsverfahren – ist die Erzeugung des stärksten Eindrucks, ein »Verfahren der ›Verfremdung‹ der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form«, wie es der russische Formalist Viktor Sklovskij paradigmatisch für die Ästhetik der Moderne formuliert hat (Sklovskij 1981). Als Rezeptionsvorgang verstanden, ist ästhetische Erfahrung eine Verlängerung der Wahrnehmung. Wer ästhetische Erfahrungen im Rezipienten auslösen will, muss die Dinge so beschreiben, dass die Rezipierenden sie gleichsam zum ersten Mal sehen. Dazu müssen Künstler die Dinge aus ihrem Kontext gelöst betrachten. Sklovskij zeigte das an Tolstoj. (Das mag, von heute aus betrachtet, vielleicht überraschen, wenn man gelernt hat, den Begriff der Verfremdung mit dem epischen Theater Brechts zu verbinden.) Tolstoj ließ die russischen Leser erfahren, wie seltsam die Kommunikation vergesellschafteter Menschen in der Stadt ist, indem er eine Geschichte aus der Ich-Perspektive eines Pferdes erzählte. Ich wähle ein Beispiel aus der populären Kunst. »In Penny Lane there is a barber showing photographs / Of every head he’s had the pleasure to know« – so beschrieb Paul McCartney im Jahre 1967 eine alltägliche Vorstadt-Szenerie: das Geschäft eines Friseurs, der im Schaufenster Fotos von Modellfrisuren ausstellt. McCartney versuchte hier mit Erfolg, ein Straßenbild, das er seit Kindertagen unzählige Male gesehen hatte, gleichsam zum ersten Mal zu sehen, indem er ^
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nach einer Alternative zu der Feststellung suchte, dass in den Schaufenstern von Friseuren nun einmal Fotografien von Modellfrisuren zu sehen sind. Mit der Kategorie der »Souveränität« des Kunstwerks hat man im postmodernen Diskurs der Philosophie darauf hingewiesen, dass der Prozess der Aneignung eines Kunstwerks niemals abgeschlossen ist (Menke 1991). Die Wahrnehmung, heißt das, kann in dieser Hinsicht nie ganz re-automatisiert werden. Immer, wenn ein Dekodierungsvorgang abgeschlossen ist, beginnt ein neuer; Kunstwerke entziehen sich einer ein für allemal geltenden Zuweisung von Zeichen und Bedeutung. Dazu kommt der performative Charakter moderner Kunstwerke. Wenn man, im Geist der Avantgarde, die Beschränkung auf Werke vermeiden will, kann man sagen, dass in ›ästhetischen Produkten‹ Ausdruck und Mitteilung so kodiert sind, dass sie sich als kodierter Ausdruck präsentieren. »Die Kunst ist ein Mittel, das Machen einer Sache zu zeigen« (Sklovskij 1981: 15), schrieb Sklovskij. Das Kunstwerk zeigt etwas als etwas, das etwas zeigt. Und das heißt: Es hat eine metaphorische Struktur (im Sinne von Nelson Goodmann [1998] und Arthur C. Danto [1991]). Das Besondere der metaphorischen Struktur ist in diesem Fall, dass Kunstwerke sich wie performative Sprechhandlungen verhalten können, und zwar genau dann, wenn sie ihren metaphorischen Charakter nicht nur als solchen präsentieren, sondern ihn, sozusagen im gleichen Atemzug, vollziehen. Performative sprachliche Äußerungen beschreiben nicht nur eine außersprachliche Handlung, sondern vollziehen sie zugleich. Wenn ich z.B. sage »Ich gratuliere dir« oder »Das verspreche ich dir«, dann tue ich, was ich sage. Mit der Äußerung wird die »Interaktionsbeziehung zum Kommunikationspartner zugleich her- und dargestellt« (Altwicker). Wenn ich zu meinem Gesprächspartner sage: »Ich wette mit dir um fünf Euro, dass Griechenland FußballWeltmeister wird«, formuliere ich keine Aussage, die mein Wetten beschreibt bzw. feststellt, dass ich eine Wette eingehe; ich gehe vielmehr eine Wette ein, indem ich den Satz ausspreche. In derartigen Fällen, meinte John Langshaw Austin, »wäre es absurd, das Gesagte als Bericht über die zweifellos vollzogene Handlung […] aufzufassen. Man würde vielmehr sagen, daß ich durch das Gesagte tatsächlich die betreffende Handlung vollziehe.« (Austin 1986: 307 f.) Wenn man ästhetische Erfahrung also im Geist des Diskurses von Avantgarde, ästhetischer Moderne, Sprechakttheorie und postmoderner Ästhetik beschreibt, ergibt sich, wie hier kurz angedeutet wurde, dass ästhetische Rezeption ein kognitiver Vorgang ist und ästhetische Erfahrung ästhetische Erkenntnis. ^
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Strange days have tracked us down Ich möchte nun den Aspekt des Performativen an einem neueren Beispiel näher erläutern. Wenn hier vom Performativen die Rede ist, dann geht es nicht um das performative Moment von Kunst im traditionellen oder modernen Sinn, also nicht um die Aufführung oder den Vollzug der künstlerischen Praxis in einer Aktion, sondern, wie gesagt, um Performativität als rhetorisches Merkmal des Kunstwerks, das seinen Ort in der ästhetischen Rezeption hat, die als kognitiver Vorgang aufgefasst wird. Mein Beispiel ist die Diplomarbeit von Dorothea Reinke, die im Jahre 2000 an der Fakultät Gestaltung der Bauhaus-Universität in Weimar von Fritz Rahmann und mir betreut wurde. Das Diplom wurde im Studiengang »Freie Kunst« erworben, aber bei der Arbeit handelt es sich um ein künstlerisches Produkt im Zwischenbereich zwischen freier Kunst, visueller Kommunikation und Produktdesign. Der Titel der Arbeit ist Schmetterlinge im Bauch. Die Realisierung einer Metapher. Dorothea Reinke ging davon aus, dass die Redensart »Schmetterlinge im Bauch haben« gern als Metapher für den Zustand der Verliebtheit verwendet wird. Sie wollte ein »Produkt« entwickeln, das im Kontext einer Produktpräsentation mit entsprechenden kommunizierenden Maßnahmen steht: die Tablette Imago. So entstand ein Arrangement, das scheinbar seriös suggeriert, wir könnten Tabletten in Raupenform einnehmen, die eine imaginäre Metamorphose zum Schmetterling im Körper bewirken – mit den entsprechenden, erwünschten psychischen Folgen.
Abb. 67: Dorothea Reinke, »Imago« (Produktpräsentation)
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Bei ihrer Recherche ermittelte die Künstlerin, was das Bild des Schmetterlings in verschiedenen Kulturen konnotiert. Kulturübergreifend ist das ja zunächst einmal die Naturschönheit. Dazu kommen kulturspezifische Konnotationen: In China kann das Bild des Schmetterlings Symbol für den verliebten Mann sein. Im antiken Griechenland konnte das Bild des Schmetterlings die Seele konnotieren, die sich vom Körper gelöst hat. »Aus der altgriechischen Vasenmalerei sind zahlreiche Abbildungen von Eidola, körperlosen ›Bildseelen‹, bekannt, die als kleine geflügelte Wesen, mit möglichst wenig individuellen Zügen ausgestattet, um den Toten oder das Grabmal flattern. Auch den Schmetterling nannten die Griechen psyche. So wurde die Personifikation der Seele […] in der bildenden Kunst der Griechen als Mädchen mit Vogel- oder Schmetterlingsflügeln dargestellt.« (Hunger 1959: 311; Lexikon der Alten Welt 1990) Psyche war bekanntlich auch eine mythologische Person, nämlich eine schöne Königstochter. Aphrodite beneidete Psyche um ihre Schönheit und beauftragte ihren Sohn Amor damit, Psyche in Liebe zu dem elendesten der Menschen entbrennen zu lassen. Amor erfüllte diesen Auftrag aber nicht, denn er wollte stattdessen selbst eine Liebesnacht mit Psyche verbringen. Damit die Intrige nicht aufflog, verlangte er vorher von Psyche, dass sie im Dunkel zueinander finden und sie ihn nicht nach seinem Aussehen fragt. Doch diese List misslang, weil Psyches Schwestern plötzlich das Licht im Schlafgemach anzündeten. Daraus entspann sich eine Kette von Unheil, die uns hier nicht zu interessieren braucht – bis auf das Faktum, dass Psyche sich natürlich in Amor verliebte, da sie ihn bei Licht sah. Das Christentum verwendete das Bild des Schmetterlings als Auferstehungssymbol; allerdings nicht von Anfang an, und dann zunächst auch nur als Sprach-Bild. »Obwohl die Kirchenväter die Auferstehungssymbolik des Schmetterlings stark betonten, bildete die frühe christliche Kunst ihn nicht ab«, lesen wir im Lexikon christlicher Symbole. »Auf Katakombenfresken und Sarkophagen begegnet dafür die Übernahme des von Apulejus erzählten Mythos von Amor und Psyche im christlichen Gedanken und Bildgut als Symbol der Beziehung zwischen Christus und der Seele.« (Mohr 1984: 259) Beeindruckende Belege für die Verwendung des Schmetterlingsbilds im deutschen Volksglauben als Symbol für »die seele des sterbenden« – und für die Äquivokation von Schmetterling, Seele und Hexe im Slovenischen sowie für die Äquivokation von Schmetterlingen, Geistern, Puppen und Käfern im Deutschen – hat Jakob Grimm gegeben (Grimm 1992). Das Wort »Imago« wird in der Biologie zur Bezeichnung einer bestimmten Entwicklungsstufe des Insekts verwendet – dort ist es der Name für das ausgewachsene Tier nach der Metamorphose. In der Kunstgeschichte konnotiert »Imago« das Bild; in der Psychoanalyse ist »Imago« der terminus technicus für das Wunschbild. Die
2004-12-10 09-10-23 --- Projekt: T250.cult.schweppenhäuser.naddel / Dokument: FAX ID 01c470685387402|(S. 149-165) T01_06 kap 6.p 70685387802
Are you experienced? | 159 offizielle Zeitschrift der Psychoanalytiker trug den Titel Imago; er war in Anlehnung an den gleichnamigen Kurzroman des Schweizer Autors Carl Spitteler aus dem Jahre 1906 gewählt worden. In der Literatur kann »Imago« Utopie konnotieren – wie z.B. in der anarcho-atheistischen Vision Imagine von Lennon. Der hatte zwar nichts mit Schmetterlingen oder Freudscher Seelenzergliederung im Sinn, aber er stand in der englischen Utopisten-Tradition von William Morris (freilich zunächst mit einer melancholischen Wende, die zum Beispiel in seinem Song Nowhere Man anklingt). Dorothea Reinke wollte die »Realisierung der Metapher« in Gestalt eines seriellen Produkts geschehen lassen, das auch tatsächlich vermarktet wird. Zu diesem Finalstadium ist es noch nicht gekommen; das Projekt wurde im Modellstadium, Maßstab 1:1, umgesetzt, inklusive einer Modell-Werbekampagne im Schaufenster einer Weimarer Apotheke.
Abb. 68: Dorothea Reinke, »Imago« (Faltschachtel)
Im Folgenden möchte ich nun auch dieses Modell einer strukturalen Analyse unterziehen, um die visuelle Darstellung auf ihre quasisprachliche Struktur hin transparent und als Zeichen-Zusammenhang lesbar zu machen. Ich werde Barthes’ Lektüremethode auf die Arbeit von Dorothea Reinke übertragen, die aus Bildern, Texten und Dingen komponiert ist. Zu Beginn eine Bestandsaufnahme dessen, was das Produkt »Imago« linguistisch denotiert: Die sachliche Groteskschrift, die durchgehend verwendet worden ist, signalisiert eine nüchterne,
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Abb. 69: Dorothea Reinke, »Imago« (Beipackzettel, Vorderseite)
wissenschaftlich-industrielle Atmosphäre, die »Imago« auf den ersten Blick zu einem pharmazeutischen Produktnamen, einem Medikament, macht. Wir entziffern, dass eine Schachtel 20 Exemplare eines »Metamorphotikums« enthält, die nicht unbegrenzt haltbar sind, und dass die Schachtel Teil einer Charge ist. Das Produkt wird demnach anscheinend im Handel vertrieben. Was ein »Metamorphotikum« ist, bleibt vorerst rätselhaft. Wendet man sich der nicht kodierten ikonischen Botschaft zu, ergibt sich folgende Bestandsaufnahme. Die gezeichnete Raupe könnte als Firmen-Logo gelesen werden; es liegt allerdings näher, Raupe und Tablette zu identifizieren. Die Abbildungen von Schmetterlingen konnotieren die zuvor erwähnten Symbolsphären. Die Schmetterlingsbilder treten schemenhaft aus einem grünem Rasterfeld hervor und verweisen so auf das Reich der Phantasie, des Traums und der Erinnerung. Aber all das geschieht im strengen Rahmen grafisch gegliederter Flächen. Das suggeriert, dass wir es hier nicht mit einem Kunstwerk zu tun haben, sondern mit einem industriellen Serienprodukt aus dem Alltag. Diese Suggestion wird mit Perfektion inszeniert. Auf dem Beipackzettel tritt das Spiel in die nächste Phase ein. Die metaphorische Struktur des Produkts selbst, das ja das Zeichen für eine Metapher ist, wird nun zum Thema gemacht. So entsteht eine performative Struktur: Das Zeichen vollzieht selbst den Akt, dessen Zeichen es ist; das Design-Kunstwerk führt seine reflexive, metaphorische Struktur vor. Am Beipackzettel wird das daran deutlich, dass einige geläufige Gebrauchsweisen dieser Textsorte signalisiert und zugrunde gelegt werden. Dies suggeriert, es handele sich um ein seriöses medizinisches Produkt, mit dem Patienten sachlich über Wirkungsweisen und Nebenwirkungen informiert werden. Nun werden aber Brüche auf mehreren Ebenen eingeführt, denn auf dem Beipackzettel finden sich seltsame Aussagen. Was die Form betrifft, so werden hier zwei Sprachen zugleich gesprochen, nämlich die Sprache der pharmazeutisch-kommerziellen Kommunikation und eine Metasprache des Kunst-Diskurses. Diese Metasprache wird in dem Maße verständlich, wie die Zeichen der Primärsprache ihren Sinn verlieren; sie werden sinnentleert durch die Erkenntnis, dass wir es hier nicht mit einem realen Medikament zu tun haben. Wendet man sich dem Inhalt zu, dann irritiert zunächst der Gattungsbegriff »Raupen«. Er konnotiert Natur, Lebewesen, Insekten, vielleicht auch Ernährungsgewohnheiten anderer Kulturen, die hierzulande vorläufig noch ungewohnt sind. Eine weitere Irritation stellt die Unterscheidung zwischen »arzneilich wirksamen Bestandteilen«, »metaphorisch wirksamen Bestandteilen«, »symbolisch wirksamen Bestandteilen« und »sonstigen Bestandteilen« dar. Arzneiliche Wirkstoffe gibt es nicht, so wird
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Are you experienced? | 161 ausgesagt; das signalisiert, dass das Produkt eben nicht das ist, als was es erscheint. So erfahren wir: Hier gibt es zwei Ebenen. Das Produkt scheint ein Gebrauchsgegenstand aus der Alltagswelt, ein funktionales Serienprodukt zu sein, aber es ist ein Kunstwerk. Seine Elemente sind symbolisch (das Kulturzeichen »Schmetterling«) und metaphorisch (die Redensart »Schmetterlinge im Bauch haben« als sprachlich-bildliches Kennzeichen für Verliebtheit). Und doch hat das Objekt auch eine unmittelbar reale, dingliche Grundlage, denn es besteht ja aus den handelsüblichen biochemischen Trägerstoffen. Nun wird unter der Rubrik »Art des Arzneimittels« ein Neologismus eingeführt, der den mehr oder weniger geläufigen Namen medizinischer Wirkstoffe (Narkotikum, Analgetikum, Therapeutikum usf.) ähnelt: »Metamorphotikum«. Das spielt mit unserem Wissen über Herstellung und Vermarktung pharmazeutischer Produkte. Und das Spiel funktioniert, gleichgültig, ob wir wissen, ob es diese Art des medizinischen Wirkstoffs wirklich gibt oder nicht. Die Rubrik »Anwendungsgebiete« unterteilt die metonymischen Funktionen in Bezeichnendes und Bezeichnetes, also in Signifikanten (»Schmetterlingsmangel«) und Signifikat (»Wunsch nach Veränderung und Erneuerung«). Der Signifikant, der auf das Signifikat verweist, ist der Neologismus, der die künstlerische Originalität signalisiert. Außerdem maskiert er sich sozusagen als ein (gleichsam naturwüchsiges) indexikalisches Zeichen (im Sinne von Charles Sanders Peirce), aber qua Metapher ist er selbstverständlich ein symbolisches Zeichen. Die Rubrik »Wechselwirkungen« macht Aussagen über das Metaphorische, die einen selbstreferenziellen Subtext haben. »Imago beruht auf einem semantischen Wirkkomplex« – das klingt wirklich überzeugend pharmazeutisch, doch es besagt: Es geht hier um das Verhältnis von Bedeutung und Zeichen. Von »Weltanschauungen« der Zeichenverwender hängt es ab, wie dieses Verhältnis beschaffen ist. Es lässt sich nicht in naturwissenschaftliche Kausalzusammenhänge auflösen. Wenn es nämlich heißt, das Medikament »verträgt sich nicht mit übersteigertem physiozentrischen Weltbild«, dann wird, mit einer gehörigen Portion Selbstironie, indirekt gesagt, dass die metaphorische Arznei bei eingefleischten Materialisten wirkungslos bleiben dürfte. Materialisten wären in diesem Fall Menschen, die keine Anhänger der Doktrin von Wilhelm Buschs Rektor Debisch sind, der fest davon überzeugt war: »Nur des Geistes Kraft allein / Schneidet in die Seele ein«. Und das heißt, Materialisten sind Menschen, die körperlich-realerer Anlässe bedürfen, um sich zu verlieben. Die semiotische Elementarthese, dass Zeichen keine absolute Bedeutung haben, sondern semantisch durch den Zusammenhang mit anderen Zeichen definiert werden, wird mit Formulierungen umspielt, die das Geheimnis des Kunst-Medikaments gleichzeitig
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Abb. 70: Dorothea Reinke, »Imago« (Beipackzettel, Rückseite)
ausplaudern und bewahren: »Wie lange sollten Sie Imago-Raupen einnehmen?«, »[…] wenn das Bild verblasst […]«. Dies bereitet den nächsten Schritt vor. Im Abschnitt »Eigenschaften« wird der Rückbezug des Kunstwerks auf sich selbst, also seine Selbstreflexion, durchgeführt. Die symbolischen Bedeutungen der Zeichen »Schmetterling« und »Imago« in verschiedenen Kontexten werden ausführlich beschrieben. Auch die allgemeine kulturelle Symbolik des Schmetterlings, die Funktionen des Zeichens »Imago« in der christlichen Religion und in der Philosophie sowie in der Psychoanalyse spielen hier eine zentrale Rolle. Aber die Selbstreflexion findet in unserem Beispiel nicht auf der Ebene der Primär-Sprache statt, sondern nur auf der Ebene der Metasprache. Denn »Imago« ist gleichzeitig dingliches Produkt (Pappschachtel mit Placebos) und immaterielles Produkt (Kunstwerk). Wenn wir den »semantischen Wirkkomplex« mit unserem kulturellen Wissen dekodieren, benötigen wir das dingliche Substrat nicht, die Placebo-Tablette. Dennoch verweisen beide Ebenen des Produkts (dingliche und materielle) aufeinander, denn ohne die Medizin-Ähnlichkeit des Produkts würde überhaupt nichts funktionieren. Es handelt sich um ein Serienprodukt ohne Serie; um ein Simulakrum oder, mit anderen Worten, um eine Kopie, zu der es kein Original gibt. Die Pointe besteht mithin darin, dass das Zeichen sich selbst bezeichnet und bedeutet. Nun zur ikonischen Botschaft. Auf die detaillierte Beschreibung der Bestandteile, aus denen die nicht kodierte ikonische Botschaft zusammengesetzt ist, kann ich hier verzichten; die grobe Aufzählung der sichtbaren Elemente »Schachtel« »Glas«, »Tabletten«, »Blister«, »Beipackzettel«, »Schaufensteraufsteller« mag genügen. Nach Barthes ist eine Beschreibung der nicht-kodierten bildlichen Nachricht immer die tautologische Beschreibung dessen, was zu sehen ist, mit Worten. Die kodierte ikonische Botschaft hingegen besteht aus Zeichen, die auf Signifikate aus dem kulturellen, geteilten Wissensvorrat verweisen und sich der Lektüre des Bildes (oder des abgebildeten Gegenstandes) erschließen. Diese Nachricht ist die konnotierte Nachricht. In der Arbeit von Dorothea Reinke spielt dabei eine Reihe von formalen Determinanten eine Rolle. Das Bild verwendet eine Darstellungsweise, die derjenigen »echter« Medizin exakt gleicht; das wird durch die Stilmittel der anatomischen Schematisierung, der grafischen Zeichen für bestimmte Vorgänge (hier: der Pfeil) und der Ausschnittvergrößerung erreicht. Einen Bruch zwischen der seriösen Form und dem fragwürdigen Inhalt gibt es nur in der Vergrößerung, die die Metapher »Schmetterlinge im Bauch« gleichsam wörtlich ins Bild setzt. Ich wende mich nun der räumlichen Inszenierung der Arbeit zu, um diese nach ihrer nicht kodierten, konnotierten Nachricht zu fragen, die sie in visueller Sprache transportiert. Die »Realisierungs«-
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Are you experienced? | 163 Arbeit ging ja, wie eingangs gesagt wurde, noch weiter. Einerseits ist der Warencharakter bis zur phänomenalen Perfektion geführt worden, andererseits wurde ein Rekurs auf den Schmetterlings-Diskurs in der Kunstgeschichte unternommen.
Abb. 71: Dorothea Reinke, »Imago« (Installation in Weimar)
Der Reklameaufsteller für ein Weimarer Apothekenschaufenster verwendet als Rahmen eine Reproduktion des Bildes »Jupiter, Merkur und die Tugend« von Dosso Dossi, das um 1530 entstand.
Abb. 72: Dosso Dossi, Jupiter, Merkur und die Tugend (um 1530)
Dieses Bild erzählt eine Geschichte, die sich in Leon Battista Albertis Tischgesprächen findet. Jupiter ist damit beschäftigt, Schmetterlinge
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zu malen, und wird dabei von Hermes beschützt. Jupiter (bei den Griechen unter dem Namen Zeus bekannt) war als Herr des Himmels unter anderem für Kriege und Naturereignisse zuständig, Merkur (Hermes) war der Bote der Götter, Schutzherr der Reisenden und Schlafenden, der die Träume schickte, aber auch Schutzherr der Künste. Aus Merkurs Attribut, dem Stab mit zwei Schlangen, wurde übrigens der Äskulaps-Stab, mit dem später der Heilige Jakob als Schutzpatron der Apotheker und Drogisten dargestellt wurde. Aus der antiken Mythologie wissen wir, dass Jupiter beständig den Frauen nachstellte, wobei er oft Merkurs Hilfe benötigte. Die Dame auf dem Bild ist die Tugend, die sich bei Jupiter, sozusagen aus gegebenem Anlass, über ihre Widersacherin Fortuna beklagen will. Merkur lässt sie jedoch nicht vor, weil das Oberhaupt der Götter Wichtigeres zu tun hat: Er muss sich darum kümmern, dass die Kürbisse zur rechten Zeit blühen und die Schmetterlinge schön bemalte Flügel bekommen. So drückt Dossi ein signifikantes Element des künstlerischen Selbstverständnisses in der Renaissance aus, mit dem ein verändertes Verständnis der Hierarchie von Ethik und Ästhetik markiert wird: Künstlerische Produktion wird als Wert an sich begriffen, und die Kunst ist nicht weniger wert als Moral und Tugend. Die diesem Gedanken zugrunde liegende Vorstellung der Analogie zwischen dem Künstler und dem Schöpfer wird im Bild durch die Schmetterlinge symbolisiert, die hier als Doppelzeichen für Kunstwerke und Schöpfungen fungieren.
Abb. 73: Dorothea Reinke, »Imago« (Installation in Weimar, Detailansicht)
Dorothea Reinke machte in der Schaufenster-Installation diese Lesart zur Folie ihrer Metaphern-Realisierung. Sie hat ihre Arbeit selbst als »zeitgemäße Form der Schmetterlingsschöpfung« beschrieben. Fol-
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Are you experienced? | 165 gerichtig sind Dossis gemalte Renaissance-Schmetterlinge in der Installation durch Reinkes Produkt »Imago« ersetzt. Der Kontext des Zitats wird durch den Hintergrund visualisiert, der aus einer Reproduktion des vollständigen Bilds besteht. Die zitierten Elemente, die im Vordergrund zu sehen sind, sind hinten entfärbt. Derart leistet ästhetische Arbeit Entmythologisierung auf anschauliche Weise, nämlich im Vollzug des Sichtbaren und des unsichtbar Präsenten, nicht durch Erklärungen und verbalisierte Reflexion. In der Reklame und in der Massenkultur werden häufig zwei Rezeptions-Rahmen heraufbeschworen, auf die scheinbar Verlass ist: »die Faszination einer Natur […] und die Verständlichkeit einer Kultur, die sich in einige diskontinuierliche Symbole zurückgezogen hat« (Barthes 1978:166). Auf diese Weise, meinte Barthes, würden »Mythologien« produziert. Was solche »Mythologien« sind, wurde hier ja bereits im ersten Kapitel betrachtet: der falsche Schein, dass gesellschaftliche Verhältnisse von Natur aus da sind, und die falsche, symbolische Harmonisierung objektiv ungeschlichteter Widersprüche. In kritischer Lektüre können euphorische und ideologische Botschaften dieser Art dekodiert werden. Ästhetische Arbeit kann die ikonische Rhetorik in der Produktion so inszenieren, dass im Mitvollzug des Produkts ästhetische Erfahrung stattfindet. Die »Konnotatoren« (Barthes) der hier interpretierten Arbeit changieren zwischen Kunst und Reklame; sie lassen die Betrachter hin und her wandern zwischen der Produktkultur des Alltags und dem Diskurs der kulturellen Überlieferung. Wie von selbst gewinnt die Rezeption dadurch ebenfalls eine (selbst-)reflexive Ebene.
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) vakat 166.p 70685387810
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Glück und Zwang der Wiederholung. Massenkultur und die ewige Wiederkehr des Gleichen
Verlängerung der Wahrnehmung durch Ent-Automatisierung unseres Blicks, der die Dinge »zum ersten Mal« sieht, ist eines. Ein anderes ist es, wenn man Dinge immerfort wieder erfahren möchte – oder immer wieder erfahren muss. Auf den ersten Blick steht der (schockartigen oder auch einfach nur im positiven Sinne irritierenden) »Innovation« in der Kunst die »Wiederholung« in der Massenkultur gegenüber. Aber diese Dichotomie ist genauso unbefriedigend wie die Gattungs-Dichotomie »Kunst/Massenkultur«. Wenn man sich den Begriff der Kultur und den damit verwandten Begriff des Kults nämlich näher ansieht, wird man feststellen, dass Wiederholung für Kultur überhaupt unverzichtbar ist. Ihre prominente Position in der Massenkultur ist nur die Spitze eines Eisbergs. Dass zwischen Joghurt-Kulturen, dem Kulturbeutel und der klassischen Geisteskultur von Goethe und Schiller Verwandschaften bestehen, ist kein Geheimnis. In unserer »Spaßgesellschaft« erschrickt kaum noch jemand, wenn solche »höheren« und »niederen« Sphären in einem Atemzug genannt werden. Goethe oder Götterspeise, Gottfried Benn oder Benjamin von Stuckrad-Barre – gehört das nicht alles in den Warenkorb des abgeklärten Konsumenten? Die Rationen werden freilich – krisenbedingt – kleiner. Kaum hatte Norbert Bolz sein Konsumistisches Manifest veröffentlicht, wurde er in gewisser Hinsicht schon wieder Lügen gestraft durch die Parole vom neuen, libidinösen Geiz. Oder vielleicht auch nicht: Denn wer behauptet, dass Geiz »geil« ist, will ja niemandem den Spaß am Kaufen verderben, sondern dem Warentausch auf dem Markt einen zusätzlichen Reiz hinzufügen (den wohlhabende Aldi-Kunden angeblich schon lange kennen). Gleichviel: Im Alltagsverständnis ist »Kultur«, was man daraus macht, und »Kult« ist heute ja ohnehin schon fast alles, was irgend-
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jemandem gefällt. In der Reklame wird häufig mit einer Behauptungs-Strategie gearbeitet, die irgendeine beliebige Ware kurzerhand zum »Kultprodukt« erklärt. »Kultbiere« werden schon seit längerer Zeit verkauft; inzwischen gibt es auch »die Kultgurke«. So etwas ist bestenfalls wishful thinking; in den meisten Fällen ist es einfach nur dummdreist. Also kaum Anlass für eine philosophische Nachfrage? Vorsicht, denn dem insistenten Blick erschließt sich die Spannung, die zwischen den Polen »Kultur« und »Kult« immer noch besteht. Das Kultische, einst heimlich-unheimlicher Urgrund der Kultur, ist noch heute ihr dunkler Punkt. Das lateinische Wort cultura kommt von colere, und das bedeutet »bebauen«, »pflegen«. In der stoischen Philosophie der Antike wurde der Begriff cultura animi geprägt; er stand für die »Kultivierung des Geistes oder der Seele«. Dieser Begriff der cultura war eine Analogiebildung zur Kultivierung des Ackers in der Agrikultur. Es gibt Techniken, meinte Cicero, mit denen die Menschen die äußere Natur bearbeiten; und es gibt die höhere Sphäre des Inneren, Geistig-Seelischen. Diese Vorstellung hat unsere kulturelle und gesellschaftliche Tradition bestimmt. Kultur wird als geistige Kultur verstanden und der Sphäre der materiellen Arbeit gegenübergestellt, die niedriger bewertet wird. Zentrum des Geistigen war zunächst, und zwar in allen uns bekannten Kulturen, das Heilige. Es war der Tabubereich, Objekt von Anbetung und Verehrung – und zugleich Auslöser von Furcht. Seit den archaischen Anfängen waren blutige Opferrituale Kern der Kulte. Sie dienten dazu, den Menschen ›ein Gedächtnis zu machen‹, wie Nietzsche das genannt hatte. Nietzsche meinte ja, die Menschen der Antike hätten sich die Götter offenbar als Wesen vorgestellt, die nichts lieber anschauen würden als Grausamkeiten, die an Menschen vollzogen werden. Und wenn es richtig ist, dass Menschen die Götter nach ihrem Ebenbilde schaffen (das ihnen meist nicht in all seinen Zügen ganz bewusst ist), dann liegt die Vermutung nah, dass die Menschen der Antike selbst nichts lieber angeschaut haben als Grausamkeiten, die an Menschen vollzogen werden. In der Neuzeit haben sich in öffentlich vollzogenen Strafritualen Volksbelustigung und Volkserziehung verbunden (davon war ja im dritten Kapitel bereits die Rede). Ein neueres Beispiel dafür war die Debatte über Nutzen und Nachteil einer Live-Videoübertragung der Hinrichtung von Timothy McVeigh, dem Massenmörder von Oklahoma City. Sein rustikaler Terroranschlag hatte die Öffentlichkeit in den USA zutiefst verstört und die Weltöffentlichkeit wieder einmal über Sinn und Unsinn der Todesstrafe nachdenken lassen. An der Frage, ob es ethisch zulässig sei, eine medizinisch einwandfrei ausgeführte Hinrichtung live im Internet zu übertragen, schieden sich nun vollends die Geister. Für viele wäre es ein grausames, archaisches Spektakel gewesen, einer aufgeklärten Menschheit unwürdig. Andere hätten es für eine durch
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Glück und Zwang der Wiederholung | 169 und durch rationale Veranstaltung gehalten. Denn die global-mediale Echtzeitverdoppelung dieses Akts finaler Gerechtigkeit, so argumentierten die Verfechter der Medieninszenierung, würde der größtmöglichen Satisfaktion der trauernden Hinterbliebenen dienen und der Abschreckung zukünftiger Straftäter. Und sie sei dem legitimen Bedürfnis der Bürger angemessen, die schließlich sehen möchten, was mit ihren Steuergeldern gemacht wird. Dass dann doch auf das Internet-Spektakel verzichtet wurde (im Gegensatz zur Sache selbst), ist in diesem Zusammenhang zweitrangig. »Kult« ist heute häufig eine Form der Verehrung, der der Glaube abhanden gekommen ist. Kulte sind Nachfolger, vielleicht auch Stellvertreter der Religion im Alltag. Ungeglaubte Religion hält an vielen Orten noch ihre soziale Stellung. Kulte – sofern sie nicht selbst ausdrücklich ersatzreligiöse Formen annehmen, wie im Satanismus – sind dagegen oft Verehrungsformen, die sich selbst und ihre Objekte nicht so ganz ernst nehmen. Im Unterschied zu Satanskulten und anderen afterreliösen Praktiken bezeichnen ihre Anhänger sich meist nicht selbst als Mitglieder einer Kult-Gemeinschaft. Dieses Attribut wird dann vielmehr von außen zugeschrieben, ohne dass sich immer klar sagen ließe, ob es ironisch oder ernst gemeint ist. Unter dem Titel Werner – Kultfigur ließ der Zeichner Brösel seinen norddeutschen Cartoonhelden in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einmal mit der Sprechblase auftreten: »Leute, inne Zeitung steht, ich bin ’ne Kultfigur.« Im zweiten Bild sagte Werner dann mit spöttisch-entrüstetem Gesichtsausdruck: »So’n Quätsch!« Denn: »Der einzige, der hier ›Kult‹ mächt, is Horst mit sein’ Lanz!«, verkündete er schließlich im dritten Bild. Zu sehen war abschließend Werners Freund, der Bauer Horst auf seinem Traktor, aus dessen Auspuffrohr zwischen den Dampfwölkchen die Geräuschworte aufstiegen: kult, kult, kult … Meist wird überhaupt nicht danach gefragt, was eine »Kultfigur« oder eine »Kultserie« ist und wie sie dazu wird. Die Alltagssprache ist gegen dergleichen resistenter, als es Werbeprofis lieb ist. In der Alltagskommunikation bleibt es meist bei der schlichten Botschaft: Kult ist, was gefällt. Aber warum? Meine These: Der Bodensatz massenkultureller Kultphänomene ist eine Mischung aus Wohlgefallen und Ablehnung, die in die Form eigenwilliger ironischer Umkodierung gegossen wird. Wir pflegen ein Ritual, an das wir selbst zwar nicht glauben, dessen Wirkung und bindende Kraft wir aber spielerisch anerkennen. Das schafft einen doppelten Lustgewinn: Einerseits hat man Spaß an der »Vorlage«, andererseits den Genuss, sich von imaginierten naiven Betrachtern abgrenzen zu können (und vielleicht auch vom Naiven, der man selbst einmal war). Diese doppelte Buchführung verspricht Freude am Trivialen und zugleich eine befriedigende soziale Distinktion – also, wenn man so will, Genuss ohne Reue.
2004-12-10 09-10-28 --- Projekt: T250.cult.schweppenhäuser.naddel / Dokument: FAX ID 01c470685387402|(S. 167-176) T01_07 kap 7.p 70685387866
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Die genussvolle Rezeption serieller Wiederholungen trägt die Züge des Rituellen. Im Alltagsleben orientieren wir uns häufig mit Hilfe von Handlungsmustern, die in der Psychologie als Rituale bezeichnet werden. Sie bieten Sicherheit durch vertraute Handlungsabläufe, die immer wiederkehren. Der Rhythmus morgendlicher Vollzüge vom Aufstehen bis zum Verlassen des Hauses ist ebenso entlastend wie die immer wiederkehrende Weise, in der wir gern Geburtstage oder das Weihnachtsfest zelebrieren. Wir geben ein Stück unserer Handlungsfreiheit ab und müssen uns nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, ob man dies oder jenes nun so oder anders machen muss. Der Zwang, der vom rituellen Vollzug ausgeht, ist also willkommen. Für Rituale gilt, was über den Kult gesagt worden ist: Sie können Verehrungsformen sein, denen der Glaube abhanden gekommen ist. Ebenso wie Kulte sind Rituale insofern Stellvertreter der Religion im Alltag. Das Ritual des Abendmahls, bei dem Christen symbolisch von Jesu Leib essen und sein Blut trinken, war ein genialer Trick, mit dem anthropophagische Vereinigungs-Kulte der Heiden in eine neue, zivilisatorisch fortschrittliche Universalreligion eingebaut werden konnten. Was dabei herauskommt, wenn die bindende Kraft solcher Rituale schwindet, kann man sich heute im Internet auf den Tummelplätzen gewalttätiger Perverser ansehen: Dokumente einer quasi-archaischen Regression auf dem höchsten Stand der Technologie. Aber das Abendmahl-Ritual war nicht nur ein eine historische Zivilisierungsmaßnahme ersten Ranges; es wirkt im Alltag fort. Wie andere Rituale auch gibt es den Gläubigen einen bequemen Halt. Der symbolische Akt erspart die Mühe, über den Gehalt der Symbole nachzudenken. Als wiederkehrendes Verhaltensmuster hilft es den Glaubenden, ihr Leben zu strukturieren, Gemeinschaft zu finden im gemeinsamen Vollzug einer Praxis, deren Sinn dabei gar nicht präsent sein muss. Wichtiger als der Inhalt (die Gegenwart des Erlösers) und die Enttäuschungen, die Glaubende anfechten könnten, ist die Gegenwart des Rituals, das durch ständige Wiederholung unser Leben gliedert – eine soziale Spielregel, im Sinne Ludwig Wittgensteins: eine Regel, die eine Lebensform konstituiert. Nachdem Otto – Der Film im Jahre 1985 die kommerziell erfolgreichste deutsche Filmproduktion war, die es bis dato gegeben hatte, schleppten sich die sequels aus den Jahren 1987, 1989, 1992 und 2000 mit Mühe über die Runden. Man könnte meinen, das ließe sich bei sequels kaum vermeiden – denn sie verkörpern ja geradezu Nietzsches Prinzip der »ewigen Wiederkehr des Gleichen« und müssen Überdruss heraufbeschwören. Aber es gibt auf der Bühne des kulturellen Weltmarkts wenig, das sich solcher Beliebtheit erfreut wie filmische sequels (James Bond ist nur ein Beispiel dafür). Anscheinend rufen sie im Publikum eher jenes Glück der Wiederholung hervor, das wir gerne aus der Kindheit ins Erwachsenenleben retten.
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Glück und Zwang der Wiederholung | 171 Benjamin hat Nietzsches Prinzip der ewigen Wiederkehr des Gleichen in zweifacher Weise auf die Moderne des Kinos bezogen. Einmal sah er darin einen »Versuch, die beiden antinomischen Prinzipien des Glücks mit einander zu verbinden: nämlich das der Ewigkeit und das des: noch einmal.« (Benjamin 1938/39: 682 f.) Und dann sah Benjamin darin zugleich auch einen »Traum von den bevorstehenden ungeheuren Erfindungen auf dem Gebiete der Reproduktionstechnik« (Benjamin 1938/39: 680). Wer ins Kino geht, um sich an jener eigenartigen Mischung aus Neuem und Altbekanntem zu erfreuen, das uns Spielfilme bieten, kennt beide Erfahrungen. Es sind Erfahrungen, für die das Motto »Play it again, Sam« stehen kann: Ewigkeit und Wiederholung als anthropologisches Erleben und als Prinzip der neuen audiovisuellen Medien, die ein Versprechen von Glück sind, oder zumindest von Trost. Vielleicht bestätigt der Erfolg der sequels aber auch Søren Kierkegårds Lehre. Kierkegård sah es als Indikator für eine verantwortliche Lebenshaltung als Erwachsener an, wenn wir die Wiederholung tapfer, aber auch mit Freude, Tag für Tag, als das akzeptieren können, was sie nun einmal ist: das Grundprinzip des Lebens. Und Nietzsche hat sein Theorem von der ewigen Wiederkehr des Gleichen als ethisches Testverfahren konzipiert: Wenn wir bei der Vorstellung nicht vor Entsetzen erstarren, dass genau dieser Moment unseres Lebens sich bis in alle Ewigkeit zyklisch wiederholen würde, dann leben wir unser Leben richtig. Wenn uns diese Vorstellung entsetzt oder verängstigt, ist das ein Hinweis dafür, dass wir falsch leben und ›unser Leben ändern müssen‹, wie Rainer Maria Rilke das später formuliert hat. Im Film-Märchen vom Groundhog Day ist diese Fabel variiert worden: der Alltag als Bannfluch, von dem uns nur die wahre Liebe erlösen kann … In puncto Wiederholung knüpfen Filme natürlich an die erfolgreichen Strategien klassischer Unterhaltungs- und Comic-Strip-Literatur an, deren Publikum nie genug bekommen konnte von Winnetou und Old Shatterhand, Mickey Mouse und Donald Duck oder Superman. Wer sich an Wiederholungen erfreuen kann, macht dabei auch immer die Erfahrung von Veränderung. In der modernen Massenkultur sehen wir uns ja auch deshalb so gern Filme immer wieder einmal an (oder hören bestimmte Musik immer einmal wieder aufs Neue), weil wir jedesmal dabei miterleben, wie wir diesen Film oder diese Musik zum ersten Mal (oder bestimmte Male seither) gesehen oder gehört haben. »Die leidenschaftliche Hingabe«, stellte Frederic Jameson fest, »welche man für diese oder jene Popsingle entwickeln kann, und die für eine solche Hingabe charakteristische starke persönliche Aufladung mit allen möglichen privaten Assoziationen und vielfältiger existenzieller Symbolik sind gleichermaßen das Resultat unserer Vertrautheit wie dasjenige des Werkes selbst: Die Popsingle wird durch die Wiederholung unmerklich zum existenziellen Be-
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Abb. 74: Wolfgang Völz, Dietmar Schönherr, Eva Pflug und Claus Holm als »Orion«-Crew
standteil unseres Lebens, so daß dasjenige, was wir vernehmen, wir selbst, unsere eigenen früheren Akte des Hörens sind.« (Jameson 1999: 119) Dergleichen ist ja auch bei den unter Umständen beliebten Fernsehwiederholungen bekannt, oder wenn Fernsehserien im Kino »wiederholt« werden wie die bereits erwähnte Raumpatrouille: Mit einer Mischung aus Staunen, Freude und leisem Unbehagen kann man eigene frühe Fernseherfahrungen gleichsam spiegeln. Die pure Wiederholung wird dadurch also zugleich zu einer Folie, auf der eine Veränderungswahrnehmung gemacht werden kann; sie ist damit zugleich auch mehr als nur pure Wiederholung. Dieser Effekt verflüchtigt sich allerdings mit der Zeit – und auch mit der Häufigkeit der betrachteten oder gehörten Wiederholungen. Dann kann er sich in der Regel erst wieder nach längeren Pausen einstellen. Die Semi-Wiederholung der sequels, die mit Variationen arbeiten, ist insofern eine Mischform, als wir durch Vergleiche sowohl die Veränderungen im Werk erproben können als auch die in den Betrachtern. Auch dort gilt also: Kunst – und ganz besonders angewandte Kunst und Massen-Kunst – lebt davon, dass das Verhältnis von Wiederholung und Variation stimmt. Das gilt gerade auch für die Alltags- oder Trivialkunst. Hier ist das Element der Wiederholung wichtiger als das der Variation (die zur Folie wird, auf der wir die Wiederholung genießen können). Die Gemeinde, die sich um Kult-Figuren wie die Krimi-Helden des 20. Jahrhunderts (von Sherlock Holmes über Miss Marple bis hin zu den Kommissaren Guido Brunetti oder Kurt Wallander) schart, weiß: Attraktivität und seelische Entlastungswirkung von Kriminalerzählungen beruhen auf der Wiederkehr des Bekannten. Eco hat beschrieben, dass wir hier nicht wie in großer Literatur die Entwicklung einer Geschichte in der Zeit suchen, deren Ausgang offen ist und uns frappiert, wenn es soweit ist. Wir suchen Entspannung und ein »Vergnügen, bei dem die Zerstreuung darin besteht, daß die Entwicklung von Ereignissen verweigert wird, daß die Spannung von Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft von uns genommen wird, damit wir uns auf einen Augenblick zurückziehen können, den wir lieben, weil er regelmäßig wiederkehrt.« (Eco 1964: 210) Im gnadenlosen Fluss der Zeit wird uns die punktuelle Erlösung eines stehenden Jetzt zuteil. Oder, mit den Worten von Eco: Wir können unserer »Neigung zu dem« frönen, »was friedlich, erwartet, vertraut und vorhersehbar ist« (Eco 1964: 211), weil Kriminalerzählungen ein ausreichendes Maß an Redundanz aufweisen. Die süchtig machende Wirkung der Kriminalromane beruht insofern »paradoxerweise« nicht darauf, dass sie unser Bedürfnis nach dem »Unvorhergesehenen und Sensationellen befriedigen« würden; »es geht nicht darum zu entdecken, wer ein Verbrechen begangen hat, sondern darum, gewisse ›topische‹ Gesten von ›topischen‹ Personen zu verfolgen, an denen wir mittlerweile die feststehenden Verhaltensweisen lieben.« (Eco 1964: 211 f.)
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Glück und Zwang der Wiederholung | 173 Doch die begehrte Redundanz hat nicht nur mit Entspannung und Vergnügen zu tun. Lehrer und Schüler wissen: Ohne Wiederholung können sich keine kognitiven Strukturen einprägen. Erkennen heißt zu einem guten Teil auch immer Wiedererkennen. Worauf es ankommt, ist hier freilich das Verhältnis von Identität und Differenz. Denn die Wiederholung beim Lernen dient dazu, dass wir im Neuen einerseits bereits bekannte Strukturen wiedererkennen können (Redundanz), andererseits jedoch die Abweichung des Neuen vom schon Bekannten feststellen, also Differenz(en) wahrnehmen können. Die Dominanz der Wiederholung hat häufig Züge des Autoritären. Beim späten Richard Wagner, meinte Hans Mayer einmal, würde die Wiederholung der Leitmotive zur »Belehrung für Unmündige: bis auch der stumpfe Hörer erfasst hat, was die Leitmotive bedeuten sollen«. Wo das Neue ausbleibt und nur noch Redundanz herrscht, stellt sich Langweile und Überdruss ein, im schlimmsten Fall schicksalsergebene Gewöhnung und Stumpfsinn. Der Zwang der Rituale ist willkommen, wenn er uns seelisch entlastet; er kann sich aber auch gegen uns wenden, wenn er als Wiederkehr des Verdrängten auftritt. Vom Alltagsritual, das wir nicht weiter ernst nehmen, aber auch nicht entbehren mögen, ist es manchmal nur ein kleiner Schritt bis zur Zwangshandlung. Ungelöste seelische Konflikte können als Wiederholungszwang wiederkehren und uns das Leben zur Hölle machen. Der Zwangsneurotiker weiß, dass es »keinen Sinn« hat, dass er seine Krawatte immer wieder aufs Neue binden oder um jeden Preis vermeiden muss, beim Verlassen des Hauses die Schwelle mit dem rechten Fuß zu berühren. Er weiß, dass sein Ritual sinnlos ist, kann aber nicht dagegen an, es streng zu befolgen. Was er oft nicht weiß: Sein Zwangsritual kann sehr sinnvoll sein, weil es ihn nämlich dazu zwingt, in symbolisch verschobener Form eine Handlung zu wiederholen, die in seinem Unbewussten dermaßen lust- oder angstbesetzt ist, dass er unter ihrem Bann steht. Vielleicht ist sie auch ambivalent mit Lust und Angst zugleich besetzt, was zum gleichen Resultat führt. Ein ungelöster Konflikt im Seelenleben setzt sich immer wieder auf die Tagesordnung und verleidet dem Zwangsneurotiker das Leben; er wird arbeits- und genussunfähig, zum Beispiel, weil er eine ambivalente Gefühlshaltung zu einem Elternteil hat, das er zugleich hasst und verehrt. Die Auflehnung gegen Fremdbestimmung und der Wunsch, abhängig zu bleiben, können zu einem seelischen Cocktail werden, an den wir gewohnheitsmäßig gebunden sind, obwohl er uns nicht bekommt. Freud hat demonstriert, dass wir uns von solch einer selbstzerstörerischen Sucht nur durch Bewusstmachung kurieren können, die oft schmerzhaft ist. Die Ähnlichkeit, die das Krankheitsbild einer psychischen Abhängigkeit mit dem Erscheinungsbild unseres Freizeitverhaltens haben kann, ist nicht zufällig. Sie ist keine
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Ähnlichkeit im oberflächlichen Sinn (»Fernsehen macht süchtig«), sondern strukturelle Verwandschaft. Der Erlöser, den das religiöse Ritual verheißt, kommt nicht – und die kultförmige Rezeption in der Massenkultur ist häufig von der Enttäuschung geprägt, dass uns vorenthalten bleibt, wonach wir uns sehnen. Unser Bedürfnis nach der sensationellen neuen Erfahrung, nach dem Kick, wird mit jeder rituellen Wiederholung aufs Neue bestätigt und enttäuscht. Die Objekte unseres Begehrens werden uns präsentiert, wir dürfen sie uns auch aneignen – aber gerade im Vollzug der Aneignung des Neuen/Alten erleben wir, dass die Befriedigung zugleich Frustration ist. So entsteht der Wiederholungszwang bei der Rezeption massenkultureller Produkte. Er ist zugleich die Parodie auf das Glück der Wiederholung (das Kinder so gut kennen) und die permanente Erinnerung daran. Wie in anderen Ritualen verschwimmen das Zeichen und das Bezeichnete. Die entlastende Kraft des Rituals wird auch im alltäglichen Mediengebrauch gesucht; sie stellt sich bisweilen ein, aber oft enthält sie vor, was sie verheißt. Und wie bei der Suchtkrankheit braucht man zwar immer höhere Dosen, aber die euphorisierende Wirkung, die Erfahrung des Neuen, bleibt schon bald aus. Es gilt dann nur noch, die Entzugserscheinungen zu vermeiden. Dann wird der tägliche Gang zum Fernsehgerät zum Ritual der weisen Resignation: Wir fügen uns ins Unvermeidliche – und geben doch die heimliche Hoffnung nicht auf, dass eines Tages das Andere, das Neue den Kreislauf der ewigen Wiederkehr des Gleichen durchbricht. Bis dahin mag es uns als »buddhistische Maschine«, dienen, wie Enzensberger meinte; als »Nullmedium«, das beim Einschlafen hilft. Um so schlimmer, wenn selbst dieser Gebrauchswert zunehmend gefährdet wird – durch die immer rascheren, auf jolts abzielenden Bildwechsel, durch das omnipräsente Dauergerede, das noch den »kultigen« Vorspann-Jazz vom Aktuellen Sportstudio verdirbt, und durch den aufgeregten Ton, in dem noch der spätabendliche Wetterbericht um Aufmerksamkeit wirbt und einen derart mit überflüssigen Informationen »zu-textet« (wie der schöne Ausdruck des Jugendlichen-Jargons lautet), dass man mit Sicherheit Schlafstörungen bekommt. Entlastung durch Teilhabe an Wiederholung ist nicht gering zu schätzen, aber auch beileibe nicht die einzige Dimension ästhetischer Erfahrung in der Massenkultur. Diese ist der Ort der »Massenkunst«, deren Potenzial angemessene Würdigung verdient. Philosophische und soziologische Kulturtheorien sind dazu häufig nicht imstande, weil sie Massenkunst definieren, indem sie zwischen Massenkultur und Hochkultur unterscheiden. Produkte der Hochkultur sind demzufolge ernst, erweitern unseren geistigen Horizont und verlangen konzentrierte, analytische Rezeption, während Produkte der Massenkultur unernst sind, sich im Zustand der Zerstreuung rezipieren lassen und unseren geistigen Horizont nicht erweitern. Produkte der
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Glück und Zwang der Wiederholung | 175 Massenkultur, so wurde gesagt, sind dazu da, die Menschen nach der erschöpfenden Arbeit mit Vergnügen und Kurzweil zu versorgen, während Produkte der Hochkultur nicht Unterhaltung und Kompensation bieten, sondern tiefere ästhetische Erfahrung ermöglichen. Produkte der Massenkultur ermöglichen demnach keine echte ästhetische Erfahrung, sie lenken die Menschen bloß von ihrer täglichen Mühsal ab. Maase hat dagegen empfohlen, die bewertende und hierarchische Unterscheidung zwischen Hoch- und Massenkunst aufzugeben und stattdessen von »unterschiedlichen Praxisformen« zu sprechen, »in denen moderne Menschen ästhetische Erfahrungen machen« (Maase 1997: 31 f.) Er meint, der Gehalt der Massenkultur sei die »Massenkunst« bzw. die »Massenkünste«. Wenn Menschen mit den Massenkünsten zu tun haben, machen sie auch authentische ästhetische Erfahrungen, aber andere als die, die man in der Regel mit den Produkten der hohen Künste macht. Klaus Modick hat in einer Erzählung den Komplex von Erfahrungen beschrieben, den er wie viele andere gemacht hat, als die Beatles mit ihrem White Album den Startschuss für die Postmoderne in der Musik gaben – im imaginären Raum der populären Kunst der Massenkultur. Das war gegen Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. »1967/68 muß das gewesen sein; unruhige Jahre, der Vietnamkrieg tobte, die Studenten revoltierten, die große Koalition leitete in Bonn die sozial-liberale Ära ein; aber für mich waren die historisch bedeutsamsten Ereignisse jener Jahre das Erscheinen von Sergeant Pepper und eben dem Weißen Album. Ich werde nie vergessen, wie ich es zum ersten Mal hörte. Ich lag längst im Bett, es war spät, kurz vor Mitternacht wohl, und morgen früh mußte ich wieder zur Schule. Ich wollte gerade das Radio abstellen, als der BFBS-Sprecher verkündete, morgen werde die neuen Platte der Beatles auf den Markt kommen, weltweit, und man werde in etwa einer halben Stunde das gesamte Album ohne Pause abspielen. Diese halbe Stunde verbrachte ich in so nervöser Erwartung, wahrscheinlich sogar mit leichtem Fieber, wie sonst nur als Kind die letzten, endlosen Stunden am Weihnachtsabend vor der Bescherung. Und endlich kam die Musik, einsetzend mit dem Flugzeuglärm von Back In The USSR, den ich erst für eine Frequenzschwäche des Senders hielt, ein Rauschen aus weiter Ferne, das mich sofort in seinen Sog zog und mitnahm auf eine nächtliche Reise durchs Wunderland der Töne und Klänge, die mir galten, mich betrafen, in denen alles ausgesprochen war, was ich selbst nie hätte formulieren können. Ja, das war meine Musik, ein Teil von mir. Sie gehörte zu meinem Leben wie Essen und Trinken, wie Atmen und Schlaf. Diese Musik war meine erste Liebe.« (Modick 1995: 100 f.) So hört man als junger Mensch die Beatles oder entdeckt Thomas Mann und Hermann Hesse. Die Verbindung von hochgespannter Weihnachtsvorfreude und ästhetischer
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Schlüsselerfahrung verbinde ich persönlich mit dem Sergeant PepperAlbum der Beatles, das 1967 für meine Schwester und mich unter dem Weihnachtsbaum lag. Es versetzte mich nachhaltig in Euphorie und hat an diesem Abend und an vielen darauf folgenden Tagen durch unaufhörliches Abspielen und Betrachten in meinem Gehirn vermutlich für eine audiovisuelle Neuronalvernetzung ganz besonderer Art gesorgt. Verschiedene Rezeptionsweisen sollten nicht als unterschiedlich wertvolle, segensreiche oder schädliche Haltungen angesehen werden, sondern als ein Kontinuum, das die Bandbreite beschreibt, innerhalb derer wir kulturelle Tätigkeiten ausführen: Zerstreuung (Kino, Tanz- und Unterhaltungsmusik, Fotojournale), Konzentration (Theater, Komponistenmusik, Literatur, Ausstellungen), körperliches Engagement (Tanz, Sport, Vergnügungsparks), intellektuelle Reflexion und denkender Mitvollzug (Theater, Komponistenmusik, Literatur, Ausstellungen), einsame, kontemplative Betrachtung und kollektive Rezeption in der Bezugsgruppe oder in einer anonymen Publikums-»Masse«. Mit Maase vermute ich, dass es vielleicht die ganz großen, gelungenen Kunstwerke sind, in denen viele oder gar alle Aspekte gemeinsam zum Tragen kommen (können). Kultur und Kunst sind heute nicht mehr als quasi-heiliger Sonderbereich zu betrachten, wo nichts außer weihevoller Versenkung herrschen darf. Reflekierte, analytische Erfahrung einerseits und Spaß und Vergügen andererseits haben gleichermaßen ihr Recht. Wo Spaß und Vergügen dominieren, muss es nicht automatisch undifferenziert und ästhetisch minderwertig zugehen, wie das traditionelle Deutungen der Massenkultur häufig unterstellen (»Brot und Spiele«). Die Geringschätzung von Spaß und Lust hängt vielleicht auch damit zusammen, dass wir noch keine ausreichend differenzierten Begriffe haben, um zu beschreiben, was in hoher und leichter Kunst eigentlich (mit uns) geschieht.
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Literatur
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Gabler, Neal: An Empire Of Their Own. How The Jews Invented Hollywood. New York 1988. Gerhards, J. (Hg.): Soziologie der Kunst. Produzenten, Vermittler und Rezipienten. Opladen 1997. Gombrich, Ernst H.: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biografie. Hamburg 1992. Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst. Frankfurt am Main 1998. Grossberg, Lawrence: »Globalisierung, Medien und Agency«. In: Ders., What’s going on? Cultural Studies und Popularkultur. Wien 2000, S. 287-315. Grimm, Jakob: Deutsche Mythologie. Wiesbaden 1992. Bd. 2, S. 691 f. u. S. 905 sowie Bd. 3, S. 201. Hall, Stuart: »Kodieren/Dekodieren« [1990]. In: Bromley u.a. 1999, S. 92-110. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Frankfurt am Main 1981. Hauser, Arnold: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur. München 1978. Hartmann, Frank: Medienphilosophie. Wien 2000. Hawthorne, Nathaniel: Der scharlachrote Buchstabe. Leipzig 1961. Hepp, Andreas u. Carsten Winter (Hg.): Die Cultural Studies Kontroverse. Lüneburg 2003. Hess, Andreas: Cultural Studies und Medienanalyse. Opladen/Wiesbaden 1999. Hobsbawm, Eric: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München, Wien 1995. Horkheimer, Max und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1947]. In: Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 5. Frankfurt am Main 1987, S. 11-290. Hunger, Herbert: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Wien 1959. Igor K.: "F–k USA". Quelle: http://www.2.mp3.de/musik/bands/ trackinfo.html?param=49|15|de|143427|103817. Jameson, Fredric: Spätmarxismus. Adorno oder Die Beharrlichkeit der Dialektik. Hamburg 1991. Jameson, Fredric: »Verdinglichung und Utopie in der Massenkultur«. In: L. Nagl (Hg.): Filmästhetik. Berlin, Wien 1999, S. 103139. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. Zweite Auflage [1787]. In: Ders., Werke in sechs Bänden. Hg. v. W. Weischedel. Darmstadt 1983, Bd. 2. Keller, Harald: Kultserien und ihre Stars. Berlin 1996. Knapp, Gudrun-Axeli: »Differenz ohne Differenzierung? Anmerkungen zur Debatte um eine ›weibliche Moral‹«. In: Weibliche Moral
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Literatur | 181 – ein Mythos? Hg. v. D. Horster. Frankfurt am Main 1998, S. 162-188. Knapp, Gudrun-Axeli: »Flaschenpost und Tomate. Anmerkungen zur Frage einer Kritischen Theorie der Gegenwart«. In: Zeitschrift für kritische Theorie 9/1999, S. 103-120. Kracauer, Siegfried: »Das Ornament der Masse« [1927]. In: Ders., Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt am Main 1977, S. 50-63. Kracauer, Siegfried: Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland [1929]. Frankfurt am Main 1974. Kracauer, Siegried: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit [1960]. Frankfurt am Main 1985. Kuon, Barbara: »Im Treibsand der Befindlichkeit. Das Denkmal und die Kultur der Mitte«. In: Frankfurter Rundschau, 28. 1. 1999. Kuon, Barbara: »Massenkultur«. In: Metzler Lexikon Kultur der Gegenwart. Hg. v. R. Schnell. Stuttgart, Weimar 2000, S. 325-326. Lacan, Jaques: »Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint« [1949]. In: A. Lance u. M. Regnaut (Hg.): Französische Essays der Gegenwart. Berlin 1985, S. 317-326. Lash, Scott: »Wenn alles eins wird. Wir leben im Zeitalter der globalen Kulturindustrie. Darin liegen auch Chancen«. In: Die Zeit, 5. März 1998, S. 41-42. Le Bon, Gustave: Psychologie der Massen [1895]. Deutsche Ausgabe 1912. Zitiert nach Sigmund Freud: Massenpsychologie und IchAnalyse. In: Ders., Studienausgabe. Hg. v. A. Mitscherlich, A. Richards u. J. Strachey. Bd. IX. Frankfurt am Main 1978, S. 67 ff. Lehnert, Herbert: Geschichte der deutschen Literatur vom Jugendstil zum Expressionismus. Stuttgart 1996. Levine, Lawrence W.: Highbrow/Lowbrow. The Emergence of Cultural Hierarchy in America. Cambridge, Mass. 1988. Zitiert nach Shusterman 1994. Lexikon der alten Welt. Bd. 3. Artikel »Schmetterling«. Düsseldorf/ Zürich 1990, Sp. 2718. Liebel, Manfred: »›Mit dem Tod vor Augen im Leben auf’s Ganze gehen‹. Jugendkulturen und Jugendforschung in Mexico und Kolumbien«. In: Journal der Jugendkulturen Nr. 3, Oktober 2000, S. 37-45. Löwenthal, Leo: »Standortbestimmung der Massenkultur«. In: Ders., Schriften, hg. v. H. Dubiel. Bd. 1: Literatur und Massenkultur. Frankfurt am Main 1980, S. 9-25. Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. Opladen 1996. Jean-François Lyotard: »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern« [1987]. In: Postmoderne und Dekonstruktion. Hg. v. P. Engelmann, Stuttgart 1990, S. 33-48.
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182 | »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt
Maase, Kaspar: Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970. Frankfurt am Main 1997. Makropoulos, Michael: »Aspekte massenkultureller Vergesellschaftung«. In: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung. 13. Jg., Februar/März 2004, S. 65-87. Mannheim, Karl: Ideologie und Utopie [1928/29]. Frankfurt am Main 1952. Marcuse, Herbert: »Musik von anderen Planeten« [1968]. In: Ders., Nachgelassene Schriften Bd. 2: Kunst und Befreiung. Lüneburg 2000, S. 88-94. Marcuse, Herbert: Die Permanenz der Kunst. Wider eine bestimmte marxistische Ästhetik. München-Wien 1977, Martin-Barbero, Jesús: »Jugendliche: Kulturelle Unordnung und Palimpseste der Identität« [1998]. Zitiert nach: Liebel 2000. Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Bd. 1 [1867]. Frankfurt am Main 1968. Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Bd. 3 [1894]. Frankfurt am Main 1968. Maturana, Humberto u. Bernhard Pörksen: Vom Sein zum Tun. Die Ursprünge der Biologie des Erkennens. Heidelberg 2002. (Zitiert nach dem Vorabdruck in: Frankfurter Rundschau, 5. Oktober 2002, S. 19.) Maupassant, Guy de: »Sinnlose Schönheit«. In: Ders., Die kleine Roque und andere Erzählungen. Zürich 1983, S. 241-266. Menke, Christoph: Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt am Main 1991. Menninghaus, Winfried: Das Versprechen der Schönheit. Frankfurt am Main 2003. Modick, Klaus: »Ein weißes Album«. In: K. Wagenbach u. B. Preisendörfer (Hg.): Kopfnuß. Essays über Kultur und Politik. Bd. 3. Berlin 1995, S. 95-102. Mohr, Gerd Heinz: Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst. Darmstadt 1984. Morus, Thomas: Utopia [1516]. In: Der utopische Staat. Übers. u. hg. v. K. J. Heinisch. Reinbek bei Hamburg 1980, S. 7-110. Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie [1872]. In: Ders., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bd. Hg. v. G. Colli u. M. Montinari. Bd. 1. München 1980, S. 9-156. Nietzsche, Friedrich: Zur Genealogie der Moral [1887]. In: Ders., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Hg. v. G. Colli u. M. Montinari, Bd. 5. München 1980, S. 245-412. Nietzsche, Friedrich: Götzen-Dämmerung. Wie man mit dem Hammer philosophiert [1889]. In: ders., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bd. Hg. v. G. Colli u. M. Montinari, Bd. 6.. München 1980, S. 55-161.
2004-12-10 09-10-29 --- Projekt: T250.cult.schweppenhäuser.naddel / Dokument: FAX ID 01c470685387402|(S. 177-184) T02_01 literatur.p 70685387874
Literatur | 183 »O Grito da Periferia«. TV-Produktion von Núcleo de Dokumentários, Mario Borgneth, 1999. Paetzold, Heinz: »Grundlagen der philosophischen Ästhetik. Eine Problemskizze in programmatischer Absicht«. Manuskript, Hamburg o.O. u. J. Paetzold, Heinz: »Einleitung«. In: Alexander Gottlieb Baumgarten, Philosophische Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichts. Hamburg 1983. Panofsky, Erwin: »Stil und Medium im Film« [1936]. In: Ders., Stil und Medium im Film & Die ideologischen Vorläufer des RollsRoyce-Kühlers. Frankfurt am Main 1999. Panofsky, Erwin: »Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung in die Kunst der Renaissance« [1939]. In: Ders., Sinn und Deutung in der bildenden Kunst. Köln 1996, S. 36-67. Prokop, Dieter: Der Medien-Kapitalismus. Das Lexikon der neuen kritischen Medienforschung. Hamburg 2000. Prokop, Dieter: Der Kampf um die Medien. Das Geschichtsbuch der neuen kritischen Medienforschung. Hamburg 2001. Rentmeister, Cilli: »Berufsverbot für Musen«. In: Ästhetik und Kommunikation, Heft 25 (wieder abgedruckt in: Frauen und Wissenschaft. Berlin 1977). Riedl, Rita: »AIDA-Formel«. In: G. Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 1. Tübingen 1992, Sp. 285-295. Schöttker, Detlev (Hg.): Von der Stimme zum Internet. Texte aus der Geschichte der Medienanalyse. Göttingen 1999. Schrader-Klebert, Karin: »Die kulturelle Revolution der Frau«. In: Kursbuch 17/1969. Schrage, Dominik: »Integration durch Attraktion. Konsumismus als massenkulturelles Weltverständnis«. In: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung. 12. Jg., Dezember/Januar 2003, S. 57-86. Schweppenhäuser, Gerhard: »Multikulturalität«. In: Metzler Lexikon Kultur der Gegenwart. Hg. v. R. Schnell. Stuttgart, Weimar 2000, S. 358-359. Schweppenhäuser, Gerhard: »Das Denkmal-Dilemma. Ein Bericht aus der Berliner Republik«. In: Ders.: Die Fluchtbahn des Subjekts. Beiträge zu Ästhetik und Kulturphilosophie. Münster 2001, S. 11-30; zitiert als 2001a. Schweppenhäuser, Gerhard: »Paradoxien des Multikulturalismus«. In: Ders.: Die Fluchtbahn des Subjekts. Beiträge zu Ästhetik und Kulturphilosophie. Münster 2001, S. 84-102; zitiert als 2001b. Sennett, Richard: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt am Main 1990. Shusterman, Richard: »Die hohe Kunst des Rap«. In: Ders., Kunst leben. Die Ästhetik des Pragmatismus. Frankfurt am Main 1994, S. 157-207.
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184 | »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt
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Sklovskij, Viktor: »Die Kunst als Verfahren«. In: J. Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. München 1981. Sloterdijk, Peter: Die Verachtung der Massen. Versuch über Kulturkämpfe in der modernen Gesellschaft. Frankfurt am Main 2000. Söllner Alfons: »Von der ›multikulturellen Gesellschaft‹ zur ›Republik‹ – und wieder zurück? Eine Diskussion neuerer Literatur«. In: Politikwissenschaft als Kritische Theorie. Festschrift für Kurt Lenk. Hg. v. M. Th. Greven, P. Kühler u. M. Schmitz. Opladen 1994. S. 301-315. Steinert, Heinz: Kulturindustrie. Münster 1998. Steinert, Heinz: »Im Reich der schönen, guten Waren«. In: Die Zeit, 28. Januar 1999. Stendhal: Über die Liebe [1822]. Birsfelden-Basel 1984. Taylor, Charles: Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität. Frankfurt am Main 1996. Türcke, Christoph: »Sensationsgesellschaft. Ästhetisierung des Daseinskampfs«. In: Impuls und Negativität. Ethik und Ästhetik bei Adorno. Hg. v. G. Schweppenhäuser u. M. Wischke. Hamburg 1995, S. 215-226. Türcke, Christoph: Erregte Gesellschaft. Philosophie der Sensation. München 2002. Weber, Max: Rationalisierung und entzauberte Welt. Schriften zu Geschichte und Soziologie, hg. v. F. Hauer u. W. Küttler. Leipzig 1989. Weiß, Johannes: »Max Weber«. In: Metzler Philosophen Lexikon. Stuttgart, Weimar 1995, S. 915 f. Welsch, Wolfgang: »Die Geburt der postmodernen Philosophie aus dem Geist der modernen Kunst«. In: Ders., Ästhetisches Denken. Stuttgart 1993, S. 79-113. Williams, Raymond: Marxism and Literature, Oxford 1977.
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Abbildungsnachweise | 185
Abbildungsnachweise
Die Abbildungen wurden nach den Quellen zitiert, die hier in Klammern angegeben sind. Abb. 1: »Naddel über Liebe, Leben, Leidenschaft: Am Ende entscheidet eben doch der gute Geschmack.« (Plakat der Firma Henninger, 1999). Abb. 2: »Naddel über das Mehrweg-Prinzip: Bierkisten sind wie Männer: Man kann sie zurückgeben!« (Plakat der Firma Henninger, 1999). Abb. 3: »Naddel über Männer und ihre Schwächen: Frisch verlieben kann man sich immer wieder.« (Plakat der Firma Henninger, 1999). Abb. 4: »Naddel’s eiserne Weihnachtsregel: Silber tragen – Gold trinken!« (Plakat der Firma Henninger, 1999). Abb. 5: »Durch Werbung behalten Millionen Menschen ihren Job« (Anzeige der Unternehmen Medien Agenturen, Frankfurter Rundschau, 30. Juni 2000). Abb. 6: Jean Goujon: Quellnymphe an der Fontaine des Innocents, Paris, um 1550 (Irène Aghion, Claire Barbillon und Françoise Lissarague: Reclams Lexikon der antiken Götter und Heroen in der Kunst. Übersetzung u. Bearbeitung v. Klaus Fräßle. Stuttgart: Reclam 2000, S. 217). Abb. 7: Lukas Cranach d. Ä.: Quellnymphe, nach 1537 (Irène Aghion, Claire Barbillon und Françoise Lissarague: Reclams Lexikon der antiken Götter und Heroen in der Kunst. Übersetzung u. Bearbeitung v. Klaus Fräßle. Stuttgart: Reclam 2000, S. 218).
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186 | »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt
Abb. 8: François Boucher: Drei Quellnymphen, 1749 (Irène Aghion, Claire Barbillon und Françoise Lissarague: Reclams Lexikon der antiken Götter und Heroen in der Kunst. Übersetzung u. Bearbeitung v. Klaus Fräßle. Stuttgart: Reclam 2000, S. 218). Abb. 9: »Die Form. Die Sinne. Das Peugeot 406 Coupé« (Anzeige der Firma Peugeot, Der Spiegel 17/2000). Abb. 10: »Kaffe-Importhaus H.G. Engelmann« (Michael Diers: »Schwarz, Weiß, Rot und Gelb. Aus der politischen Farbenlehre der Werbung«. In: Ders.: Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart. Frankfurt am Main 1997 [157-178], S. 163). Abb. 11: Naomi Campbell, Plakat der Firma Hennes & Mauritz (Michael Diers: »Schwarz, Weiß, Rot und Gelb. Aus der politischen Farbenlehre der Werbung«. In: Ders.: Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart. Frankfurt am Main 1997 [157-178], S. 164). Abb. 12: Anzeige: Naomi Campbell Perfumes (Brigitte 24/2003). Abb. 13: Anzeige der Firma Gucci (Der Spiegel, 2000). Abb. 14: Plakat der Firma Benetton (Michael Diers: »Schwarz, Weiß, Rot und Gelb. Aus der politischen Farbenlehre der Werbung«. In: Ders.: Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart. Frankfurt am Main 1997 [157-178], S. 167). Abb. 15: Zwei türkische Frauen in Deutschland (Frankfurter Rundschau, 22. Mai 2000; Foto: Wolfgang Kumm/dpa). Abb. 16: Eva Pflug und Dietmar Schönherr als Tamara Jagellovsk und Cliff Allister McLane (Hipp-Foto, Berlin). Abb. 17: Dieter Bohlen für S.Oliver: »talentfrei« (Otto-Katalog, Herbst 2003, S. 141). Abb. 18: Verona Feldbusch als »Ehrenbetriebswirtin« und Lehrbeauftragte an der Fachhochschule Neu-Ulm (Forschung und Lehre 7/2003, S. 347). Abb. 19: »Katarina Witt: Ich will immer besonderen Genuss« (Anzeige der Firma Wiesenhof, Brigitte 9/2000). Abb. 20: »Naddel droht Bohlen mit Rache« (Bild, 10. Oktober 2002).
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Abbildungsnachweise | 187 Abb. 21: »Dieter Bohlens Gärtner gibt alles zu« (Bild, 9. Oktober 2002). Abb. 22: »Sechs Wochen mähte Bohlens Gärtner Waldemar nicht nur den Rasen« (Bild, 9. Oktober 2002). Abb. 23: »Naddel – Mein Sex-Unfall mit Bohlen« (Bild, 4. September 2003). Abb. 24: »Dieter holte zum Endstoß aus …« (Bild, 4. September 2003). Abb. 25: »Prost, Rudi!« (Autogrammkarte von Waldemar Hartmann, Firma Paulaner). Abb. 26: »Die Medienwelt wird zum Universum« (Anzeige der Firma Loewe, Der Spiegel 17/2000). Abb. 27: »Nur die Wirklichkeit wirkt wirklicher« (Anzeige der Firma Hewlett Packard, in: Computer & Co. Das Multimedia-Magazin der Frankfurter Rundschau, 5/2000). Abb. 28: »Die wahre Nadja – megaschön « (Die Zeit Nr. 43, 17. Oktober 2003; Foto: Sven Jakobsen). Abb. 29: Anke Engelke: »Schönheit als Mittel zum Zweck« (Mobil. Hg. von der Deutschen Bahn AG, 05/2003, S. 6). Abb. 30: »Manche mögen’s weich!« (Katalog der Firma Kaiser Drogeriemarkt, Frühjahr 2001). Abb. 31: Marilyn Monroe in »The Seven Year Itch« (Postkarte; Herkunft nicht ermittelt). Abb. 32: »Glasnost« (Katalog der Firma Kaiser Drogeriemarkt, 2001). Abb. 33: Elvis Presley im Hawaiihemd: »Sie tragen das Original« (Fashion-Classics-Sommerkatalog der Firma Pro Idee, 2001). Abb. 34: Andy Warhol: »Triple Elvis«, 1963 (Dumont’s kleines Lexikon der Pop Art. Köln: Dumont, S. 112). Abb. 35: Andy Warhol: »Marilyn Monroe«, 1962 (Dumont’s kleines Lexikon der Pop Art. Köln: Dumont, S. 97).
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188 | »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt
Abb. 36: Meister der Heiligen Veronika, Veronika mit dem Schweißtuch Christi (1410) (Wolfgang Braunfels: Drei Jahrtausende Weltmalerei. Berlin u.a.: Deutsche Buchgemeinschaft 1959, S. 69). Abb. 37: Cheyenne Autumn, Lobbycard (Hauptseite: www.shop.vend io. com; Bild: http://shop.vendio.com/comicod/page/25/25/?search_ cmd=1&categ=3167). Abb. 38: Hesters Zeichen (Bucheinband der Ausgabe von Nathaniel Hawthorne: Der scharlachrote Buchstabe, Leipzig: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung 1961). Abb. 39: Janis Joplin: Cover der LP »Pearl« (CBS, 1971). Abb. 40: Sheryl Crow: Cover der CD »All I wanna do« (A&M Records, 1994). Abb. 41: Artikel in der Daily-Mail vom 27. Februar 1967 über Melanie Coe (Steve Turner: A Hard Day’s Write. The Stories Behind Every Beatles’ Song. Zürich: Edition Olms 1995, S. 125). Abb. 42: »Der Delinquent wird auf ein Brett mit Pflöcken zur Hinrichtung befestigt. Kupferstich aus dem 15. Jahrhundert vom Meister der Boccaccio-Illustrationen« (John F. Mortimer: Henker. Selbstzeugnisse, Tagebücher, zeitgenössische Berichte, Dokumente. Genf: Ariston Verlag 1976, S. 52). Abb. 43: »Dem aztekischen Feuergott wird ein Gefangener geopfert« (Nigel Davis: Opfertod und Menschenopfer. Glaube, Liebe und Verzweiflung in der Geschichte der Menschheit. Wien: Ullstein 1983, S. 192 f.). Abb. 44: John Lennon mit einem auf dem Flohmarkt gekauften Zirkusplakat (Steve Turner: A Hard Day’s Write. The Stories Behind Every Beatles’ Song. Zürich: Edition Olms 1995, S. 127). Abb. 45: Bauern bei der Arbeit (Otto Borst: Alltagsleben im Mittelalter. Mit zeitgenössischen Abbildungen. Frankfurt am Main: Insel 1983, S. 121). Abb. 46: Handwerker bei der Arbeit (Otto Borst: Alltagsleben im Mittelalter. Mit zeitgenössischen Abbildungen. Frankfurt am Main: Insel 1983, S. 382). Abb. 47: Fabrikhalle (Quelle nicht ermittelt).
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Abbildungsnachweise | 189 Abb. 48: Kinderarbeit (Quelle nicht ermittelt). Abb. 49: Das Hofbräuhaus. Zeichnung von 1859 (Regina und Manfred Hübner: Trink, Brüderlein, trink. Illustrierte Kultur- und Sozialgeschichte der deutschen Trinkgewohnheiten. Leipzig: Edition Leipzig 2004, S. 169). Abb. 50: Abendunterhaltung in einem Kellerlokal (Regina und Manfred Hübner: Trink, Brüderlein, trink. Illustrierte Kultur- und Sozialgeschichte der deutschen Trinkgewohnheiten. Leipzig: Edition Leipzig 2004, S. 206). Abb. 51: Massenszene auf der Straße (Österreichische Wirtschaftsund Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. 175 Jahre Wiener Städtische Versicherung. Hg. v. Peter Eigner u. Andrea Helige. Wien, München: Verlag Christian Brandstetter 1999, S. 134). Abb. 52: Armenquartier (Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. 175 Jahre Wiener Städtische Versicherung. Hg. v. Peter Eigner u. Andrea Helige. Wien, München: Verlag Christian Brandstetter 1999, S. 123). Abb. 53: Jakob A. Riis: »Five Cents a Spot. Unauthorized Lodgings in a Bayard Street Tenement« (Alexander Alland, Sr.: Jakob A. Riis, Photographer & Citizen. With Preface by Ansel Adams. New York: Aperture 1993, S. 81). Abb. 54: Bürger im Park (Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. 175 Jahre Wiener Städtische Versicherung. Hg. v. Peter Eigner u. Andrea Helige. Wien, München: Verlag Christian Brandstetter 1999, S. 46). Abb. 55: Todd Browning und seine Darsteller. Foto während einer Drehpause zum Film Freaks (http://www.geocities.com/stealingorch estra/freaks_3_lg.jpg). Abb. 56: Tingel-Tangel. Zeichnung von Eduard Thöny, 1897 (Regina und Manfred Hübner: Trink, Brüderlein, trink. Illustrierte Kulturund Sozialgeschichte der deutschen Trinkgewohnheiten. Leipzig: Edition Leipzig 2004, S. 237). Abb. 57: Im Biergarten. Gemälde von Johann Michael Kupfer, 1886 (Regina und Manfred Hübner: Trink, Brüderlein, trink. Illustrierte Kultur- und Sozialgeschichte der deutschen Trinkgewohnheiten. Leipzig: Edition Leipzig 2004, S. 241).
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190 | »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt
Abb. 58: Kaffehaus (Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. 175 Jahre Wiener Städtische Versicherung. Hg. v. Peter Eigner u. Andrea Helige. Wien, München: Verlag Christian Brandstetter 1999, S. 47). Abb. 59: Schrammel-Kapelle in Wien (Österreichische Wirtschaftsund Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. 175 Jahre Wiener Städtische Versicherung. Hg. v. Peter Eigner u. Andrea Helige. Wien, München: Verlag Christian Brandstetter 1999, S. 111). Abb. 60: Baustelle des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin (Fotografie: Katrin Androschin, 2004). Abb. 61: Uniformierter Wachposten beim Festival der Populären Musik 1967 (Festivals do Musica Popular Brasileira. Produktion des brasilianischen Fernsehens; Fotografie: Nina Müller). Abb. 62: Gilberto Gil (Festivals do Musica Popular Brasileira. Produktion des brasilianischen Fernsehens; Fotografie: Nina Müller). Abb. 63: Os Raçionais auf der Bühne (O Grito da Periferia. Eine Produktion von Núcleo de Dokumentários, Mario Borgneth, 1999; Fotografie: Nina Müller). Abb. 64: Mädchen bei selbstorganisierter Bildungsarbeit in der Peripherie von São Paulo (O Grito da Periferia. Eine Produktion von Núcleo de Dokumentários, Mario Borgneth, 1999; Fotografie: Nina Müller). Abb. 65: Breakdance in der Peripherie von São Paulo (O Grito da Periferia. Eine Produktion von Núcleo de Dokumentários, Mario Borgneth, 1999; Fotografie: Nina Müller). Abb. 66: Jugendtreffpunkt in der Peripherie von São Paulo (O Grito da Periferia. Eine Produktion von Núcleo de Dokumentários, Mario Borgneth, 1999; Fotografie: Nina Müller). Abb. 67: Dorothea Reinke, Imago: Produktpräsentation (Fotografie: Dorothea Reinke, 2000). Abb. 68: Dorothea Reinke, Imago: Faltschachtel (Fotografie: Dorothea Reinke, 2000). Abb. 69: Dorothea Reinke, Imago: Beipackzettel, Vorderseite (Fotografie: Dorothea Reinke, 2000).
2004-12-10 09-10-30 --- Projekt: T250.cult.schweppenhäuser.naddel / Dokument: FAX ID 01c470685387402|(S. 185-191) T02_02 bildnachweise.p 70685387882
Abbildungsnachweise | 191 Abb. 70: Dorothea Reinke, Imago: (Fotografie: Dorothea Reinke, 2000).
Beipackzettel,
Rückseite
Abb. 71: Dorothea Reinke, Imago: Installation in der Löwenapotheke am Goetheplatz in Weimar (Fotografie: Dorothea Reinke, 2000). Abb. 72: Dosso Dossi: Jupiter, Merkur und die Tugend (um 1530; Kunsthistorisches Museum Wien). Abb. 73: Dorothea Reinke, Imago: Installation in der Löwenapotheke am Goetheplatz in Weimar, Detailansicht (Fotografie: Dorothea Reinke). Abb. 74: Wolfgang Völz als Lt. Mario de Monti, Dietmar Schönherr als Commander Cliff Allister McLane, Eva Pflug als Tamara Jagellovsk und Claus Holm als Lt. Hasso Sigbjörnson (Hipp-Foto, Berlin).
2004-12-10 09-10-30 --- Projekt: T250.cult.schweppenhäuser.naddel / Dokument: FAX ID 01c470685387402|(S. 185-191) T02_02 bildnachweise.p 70685387882
Die Titel dieser Reihe:
Brigitte Hipfl, Elisabeth Klaus, Uta Scheer (Hg.) Identitätsräume Körper und Geschlecht in den Medien. Eine Topografie (Cultural Studies 6, hrsg. von Rainer Winter) November 2004, ca. 280 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 3-89942-194-9
Gerhard Schweppenhäuser »Naddel« gegen ihre Liebhaber verteidigt Ästhetik und Kommunikation in der Massenkultur (Cultural Studies 10, hrsg. von Rainer Winter) Oktober 2004, 192 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 3-89942-250-3
Christoph Jacke Medien(sub)kultur Geschichten – Diskurse – Entwürfe (Cultural Studies 9, hrsg. von Rainer Winter) Oktober 2004, 354 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-275-9
Birgit Richard Sheroes Genderspiele im virtuellen Raum (Cultural Studies 8, hrsg. von Rainer Winter) September 2004, 124 Seiten, kart., 15,00 €, ISBN: 3-89942-231-7
Kerstin Goldbeck Gute Unterhaltung, schlechte Unterhaltung Die Fernsehkritik und das Populäre (Cultural Studies 7, hrsg. von Rainer Winter) Juli 2004, 362 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-233-3
Ruth Mayer, Brigitte Weingart (Hg.) VIRUS! Mutationen einer Metapher (Cultural Studies 5, hrsg. von Rainer Winter) April 2004, 318 Seiten, kart., 26,00 €, ISBN: 3-89942-193-0
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
2004-12-10 09-10-31 --- Projekt: T250.cult.schweppenhäuser.naddel / Dokument: FAX ID 01c470685387402|(S. 192-193) anzeige cult studies ende august.p 70685387890
Die Titel dieser Reihe: Ulrich Beck, Natan Sznaider, Rainer Winter (Hg.) Globales Amerika? Die kulturellen Folgen der Globalisierung (Cultural Studies 4, hrsg. von Rainer Winter) Übersetzt von Henning Thies
Rainer Winter, Lothar Mikos (Hg.) Die Fabrikation des Populären Der John Fiske-Reader (Cultural Studies 1, hrsg. von Rainer Winter) Übersetzt von Thomas Hartl
2003, 344 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-172-8
2001, 374 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-933127-65-3
Jannis Androutsopoulos (Hg.) HipHop Globale Kultur – lokale Praktiken (Cultural Studies 3, hrsg. von Rainer Winter) 2003, 338 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-114-0
Udo Göttlich, Lothar Mikos, Rainer Winter (Hg.) Die Werkzeugkiste der Cultural Studies Perspektiven, Anschlüsse und Interventionen (Cultural Studies 2, hrsg. von Rainer Winter) 2001, 348 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-933127-66-1
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
2004-12-10 09-10-31 --- Projekt: T250.cult.schweppenhäuser.naddel / Dokument: FAX ID 01c470685387402|(S. 192-193) anzeige cult studies ende august.p 70685387890