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German Pages 178 [189] Year 2014
Margreth Lünenborg, Katharina Pritsche, Annika Bach Migrantinnen in den Medien
Critical Media Studies Band7
Editorial Die Reihe Critical Media Studies versammelt Arbeiten, die sich mit der Funktion und Bedeutung von Medien, Kommunikation und Öffentlichkeit in ihrer Relevanz für gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse, deren Produktion, Reproduktion und Veränderung beschäftigen. Dies kann sowohl aus sozial- wie kulturwissenschaftlicher Perspektive erfolgen, wobei sich deren Verbindung als besonders inspirierend erweist. Das Spektrum der Reihe umfasst aktuelle wie historische Perspektiven, die theoretisch angelegt oder durch eine empirische Herangehensweise fundiert sind. Die Herausgeberinnen orientieren sich dabei an einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die danach fragt, in welcher Weise symbolische und materielle Ressourcen zur Verfügung gestellt bzw. vorenthalten werden und wie soziale und kulturelle Einschluss- und Ausschlussprozesse gestaltet sind. So verstandene kritische Kommunikations- und Medienwissenschaft schließt die Analyse der sozialen Praktiken der Menschen, ihrer Kommunikations- und Alltagskulturen ein und fragt danach, wie gesellschaftliche Dominanzverhältnisse reproduziert, aber auch verschoben und unterlaufen werden können. Als relevante Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheit und sozialer Positionierung werden insbesondere Geschlecht, Ethnie, soziale und kulturelle Differenz sowie deren Intersektionalität in den Blick genommen. Die Reihe wird herausgegeben von Elisabeth Klaus, Margreth Lünenborg, Jutta Röser und Ulla Wischermann.
Margreth Lünenborg (Univ-Prof. Dr. phil.) ist Professorin für Journalistik an der Freien Universität Berlin. Ihre Schwerpunkte liegen in der Journalismusforschung, der kommunikationswissenschaftliehen Geschlechterforschung sowie der kulturorientierten Medienanalyse. Katharina Pritsche (M.A.) forscht am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin zur medialen Repräsentation von Migrantinnen und untersucht Konstrulction und Hegemonie der gesellschaftlichen Strukturkategorien Geschlecht und Ethnizität. Annika Bach (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin. Neben ihrer Forschung zum Verhältnis von Ethnizität und Medienrezeption arbeitet sie an einem Projelct zur Rolle von Medien in asymmetrischen Kriegen.
MARGRETH LÜNENBORG, KATHARINA FRITSCHE, ÄNNIKA BACH
Migrantinnen in den Medien. Darstellungen in der Presse und ihre Rezeption
[ transcript]
Die Erstellung der Studie sowie die Drucklegung dieses Bandes wurden durch das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) des Landes Nordrhein-Westfalen finanziell unterstützt_
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© 2011 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar_ Das gilt auch für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen_ Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Katharina Pritsche, Material aus BILD (9.2.2oos: 3, 8j.200T 4' 1j.20o8: 19), FAZ (24.2.200T 56, 1!.2.2008: 2, 8j.20o8: 71), taz (23.2.2005: 25), WAZ (5·3.2008: RDWP1) Lektorat: Annika Bach, Katharina Pritsche, Saskia Sell Satz: Katharina Pritsche, Fabio Correa, Philipp Haaser, Stefan >Sinni< Flecke Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1730-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet:
http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter:
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Inhalt 1
Migration in der globalisierten Mediengesellschaft ................. l l 1.1 1.2
1.3
1.4 2
Doing gender- doing ethnicity: Geschlecht un d Ethnizität im Mediendiskurs .................... 13 Migration und Medien: Ein wachsendes Forschungsfeld .......................................... 19 1.2.1 Mediale Repräsentation von Migranten ................... 22 1.2.2 Medienrezeption von Migranten ............................... 25 1.2.3 Migranten in der Medienproduktion ........................ 27 Migrantinnen in den Medien ................................................ 28 1.3.1 Das Problern der Nicht-Wahrnehrnung ..................... 31 1.3.2 Das ,Wie?' der Darstellung .......................................... 32 1.3.3 Der Diskurs um die rnuslirnische Frau ..................... 35 1.3.4 Fazit und Desiderata .................................................... 40 Aufbau der empirischen Studie ............................................ 41
Migrantinnen in Tageszeitungen: lnhaltsanalyse...................... 43 2.1 2.2
2.3
Forschungsdesign ................................................................... 43 Formale Dimensionen der Darstellung .............................. .48 2.2.1 Vergleich der Analysezeiträume ................................ 49 2.2.2 Genre und Umfang der Artikel .................................. 50 2.2.3 Ressorts .................. ........................................................ 52 2.2.4 Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund ............................................... 54 Inhaltliche Dimen sionen der Darstellung ........................... 56 2.3.1 Intensität ........................................................................ 56 2.3.2 Identifikation ................................................................. 59 2.3.3 Relevanz ......................................................................... 60 2.3.4 Handlungsniveau ......................................................... 61 2.3.5 Visuelle Darstellung ..................................................... 62 2.3.6 Herkunftsländer ... ........................................................ 66 2.3.7 Themenfelder ....... ........................................................ 68
2.4
2.5 2.6 3
Zur Bedeutung der Medienbilder: Rezeptionsanalyse ........... 107 3.1 3.2 3.3
3.4
3.5 3.6 3.7 4
Typologie der medialen Darstellung .................................... 81 2.4.1 Das Opfer ....................................................................... 87 2.4.2 Die Prominente ............................................................. 91 2.4.3 Die Nachbarin ............................................................... 95 2.4.4 Die Integrationsbedürftige .......................................... 96 2.4.5 Die Erfolgreiche ........................................................... 98 2.4.6 Die Unerwünschte ...................................................... 100 Mediale Konstruktion von Geschlecht und Ethnizität .... 101 Zw ischenfazit Stereotype und Varianz ............................. 104
Forschungsdesign ................................................................. 107 Zusammensetzung der Fokusgruppen.............................. 110 Identität als Migrantin? ........................................................ 111 3.3.1 Selbstbezeichnungen: N icht ganz deutsch, nicht ganz türkisch, so was Gemischtes ................................ 115 3.3.2 Zugehörigkeit: Wo gehöre ich eigentlich richtighin? ................................................................... 117 3.3.3 Fremdheit: Du bist ja doch irgendwie Ausländer ...... 121 Medienbilder: Irgendwelche Olgas, denen der Ausweis abgenommen wurde ................................................................ 125 3.4.1 Kritik: Dann hat jeder sof ort ein Feindbild ................. 129 3.4.2 Mediengenres: Nachrichten und so ein Scheiß .......... 134 Anforderungen an d ie Berichterstattung: Zeigen, dass es auch miteinander geht ........................................................ 136 Relevanz der Medienbilder ................................................. 137 Zwischenfazit Kritische Distanz und Sprachlosigkeit.... 140
Fazit und gesellschaftspolitische Konsequenzen .................... 143
Literaturverzeichnis .................................................................................. 151 Quellenverzeichnis ................................................................................... 161 Anhang ........................................................................................................ 167 I.
II. 111. IV.
Thesaurus ............................................................................... 167 Kodierbuch............................................................................. 168 Leitfaden für die Gruppendiskussionen ........................... 173 Fragebogen zur Mediennutzung ............... ......................... 175
Tabellenverzeichnis Tabelle 1:
Formen medialer Integration ................................................ 21
Tabelle 2:
Studien zur Darstellung von Migrantinnen in Printmedien ......................................................................... 30
Tabelle 3:
Studien zur Darstellung von Migrantinnen in elektronischen Medien ....................................................... 30
Tabelle 4:
Anzahl der Artikel in den An alysezeiträumen nach Zeitungen ........................................................................ 49
Tabelle 5:
Genres der Berichterstattung ................................................. 51
Tabelle 6:
Umfang der Berichterstattung ............................................... 52
Tabelle 7:
Ressorts der Berichterstattung .............................................. 53
Tabelle 8:
Journalisten und Journalistinnen mit und ohne Migrationshintergrund ................................................. 55
Tabelle 9:
Inten sität der Darstellung in den Zeitungen ....................... 58
Tabelle 10: Nennung der N amen von Migrantinnen ............................ 58 Tabelle 11: Intensität der Darstellung nach Relevanz der Migrantinnen ................................................................... 61 Tabelle 12: Intensität der Darstellung nach Illustration der Artikel.... 63 Tabelle 13: Art der Illustration ................................................................. 63 Tabelle 14: Die Typologie in den Zeitungen ........................................... 84 Tabelle 15: Die Typologie in den Analysezeiträumen ........................... 85 Tabelle 16: Die Typologie in den Ressorts Politik und Lokales .......... 86 Tabelle 17: Herkunftsregionen nach Typologie ...................................... 87 Tabelle 18: Zeitpunkt, Ort und form ale Zusammen setztmg der Fokusgruppen ................................................................. 109 Tabelle 19: Biografische Zusammensetzung der Fokusgruppen ....... llO
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Identifikation der Migrantinnen in den Zeitungen ... 60
Abbildung 2:
Visuelle Darstellung von Migrantinnen ...................... 64
Abbildung 3:
Art der Illustration in den Zeitungen .......................... 65
Abbildung 4:
Nennung der Herkunftsregionen ................................ 68
Abbildung 5:
Themenfelder der Berichterstattung ............................ 69
Abbildung 6:
Bereiche der Berichterstattung im Themenfeld ,Politik' .................................................. 70
Abbildung 7:
Die Typologie der Medienimages ................................ 83
Abbildung 8:
Visuelle Darstellung der Migrantin als ÜPFER ........... 88
Abbildung 9:
Visuelle Darstellung der Migrantin als Opfer von ,Ehrenmorden' ......................................................... 90
Abbildung 10:
Die Migrantin als PRoMINENTE .................................... 92
Abbildung 11:
Visuelle Darstellung der Migrantin als PROMINENTE................................................................ 94
Abbildung 12:
Visuelle Darstellung der Migrantin als NAcHBARIN ................................................................. 95
Abbildung 13:
Visuelle Darstellung der Migrantin als INTEGRATIONSBEDÜRFTIGE .......................................... 97
Abbildung 14:
Visuelle Darstellung der Migrantin als ERFOLGREICHE ............................................................. 99
Abbildung 15:
Visuelle Darstellung der Migrantin als UNERWÜNSCHTE ........................................................ 100
Abbildung 16:
Visuelle Konstruktion von Geschlecht und Ethnizität. ............................................................... 103
Migration in der globalisierten Mediengesellschaft
1
13
und mit Bezug auf bisherige Wissensbestände vorgestellt. Im dritten Kapitel rückt die Rezeption der Medienangebote ins Zentrum der Analyse. Wir fragen nach der individuellen und kollektiven Relevanz, die Medienbilder von Migrantinnen für das Publikum entwickeln. Den Abschluss dieser Studie bilden eine Zusammenfassung der Ergebnisse und deren Reflexion im Forschungskontext Migration und Medien sowie die Formulierung gesellschaftspolitischer Handlungsempfehlungen. Der vorliegende Band ist das Ergebnis eines Forschungsprojektes, das vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen1 in den Jahren 2008 und 2009 gefördert wurde. Unter Leitung von Margreth Lünenborg hat Annika Bach den Forschungsstand zu ,Migrantinnen in den Medien' 2 erarbeitet und Katharina Pritsche hat anschließend die empirischen Teile der Studie durchgeführt. 3
1.1
Doing gender- doing ethnicity: Geschlecht und Ethnizität im Mediendiskurs
In der Geschlechterforschung besteht Konsens darüber, dass die Zuordnung von Menschen zu einem Geschlecht nach bestimmten (vor allem körperlichen) Merkmalen ein zentraler Mechanismus sozialer Platzierung innerhalb der Gesellschaft ist (vgl. Knapp/Wetterer 2001; Becker/ Schmidt 1987; vgl. auch Knapp 2001: 18). Weniger das biologische Geschlecht als vielmehr die sozial-kulturellen Geschlechterverhältnisse prägen und strukturieren unser Zusammenleben. Sie dienen dazu, Unterschiede festzuschreiben und Hierarchien aufzubauen. Geschlecht ist damit kein essentielles Merkmal eines Mannes oder einer Frau, sondern eine gesellschaftliche Zuweisung, die im täglichen Handeln hergestellt und bestätigt werden muss. Diese Geschlechterrolle wird sowohl von außen zugeschrieben als auch subjektiv gelebt und kann folglich als ein komplexes Konstrukt gelten, welches sich aus sozialen Praktiken, kulturellen Zuschreibungen und subjektivem Handeln konstituiert (vgl. Dorer/Geiger 2002: 49). Dorer und Geiger formulieren, dass" wir Geschlecht 1 Jetzt Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen. 2 Diese Studie wurde um einen internationalen Ausblick erweitert unter dem Titel "Migrantinnen in den Medien - Eine systematische Literaturanalyse" vom MGFFI herausgegeben und ist als .pdf abrufbar unter http://www.polsoz.fu-berlin.de/ kommwiss/institut/joumalistik/forschung/migrantinnen.html#teill; 28.11.2010. 3 Besonderer Dank gilt Tobias Rauscher, dem studentischen Mitarbeiter des Projekts. Außerdem haben Lisa Konrad, Anna Weinreich, Saskia Seil, Stefan ,Sinni' Flecke, Philipp Haaser und Fabio Correa den Forschungsprozess sowie die Fertigstellung dieses Bandes tatkräftig unterstützt.
14 I Migrantinnen in den Medien
vor allem tun und ausüben" (ebd., Herv. i. 0.). Damit wählen die Autorinnen eine Beschreibung, die in der englischsprachigen Literatur mit doing gender ausgedrückt wird. Dies wird von Klaus präzisiert: ,,In all unseren Lebensäußerungen greifen wir auf die Genderkategorie zurück, produzieren und reproduzieren sie, genau wie auch gesellschaftliche Institutionen auf dieser als natürlich und selbstverständlich angenommenen Grundlage funktionieren." (2002: 22) Hagemann-White betont mit doing gender besonders die Eingebundenheit des Geschlechts in das soziale Umfeld, wenn sie schreibt: Geschlechtsgebundenheit ist "ein interaktiver Vorgang, worin wir ganz unabdingbar auf die Mitwirkung unserer Gegenüber und so auf die mit ihnen geteilte unbewusste Alltagstheorie des Geschlechts in unserer Kultur angewiesen sind" (1993: 70). Die Praxis des doing gender ermöglicht im historischen und gesellschaftlichen Wandel, dass die Möglichkeiten und Grenzen, als Mann und als Frau zu leben, stets neu ausgehandelt werden. Legitime Entwürfe von Männlichkeit und Weiblichkeit werden nach Kultur, sozialem Milieu oder gesellschaftlichen Anforderungen immer wieder neu definiert und- maßgeblich durch Mediendiskurse- öffentlich verhandelt. Das Konzept der Ethnizität (ethnicity), welches in US-amerikanischen Auseinandersetzungen zum Verstehen und Erklären gesellschaftlicher Unterschiede und Hierarchien qua ethnischer Herkunft entwickelt worden ist, wird ebenso konstruktivistisch gedacht (vgl. Knapp 2008: 144). Im Vergleich zur ,Rasse', die -besonders im deutschen Sprachraum - als essentialistische Kategorie verstanden wird, fasst Ethnizität Dimensionen der Identitätskonstruktion (vgl. Knapp 2009: 225). Ähnlich wie beim Geschlecht wird auch hier vom doing ethnicity (vgl. Krüger-Potratz 2007: 452; Lutz 2008) gesprochen, womit sichtbar wird, dass auch ethnische Zugehörigkeit keine essenzielle Differenz markiert, sondern dass die historisch-politischen und kulturellen Lebensumstände eines Menschen seine ethnische Identität prägen. Ethnizität ist nicht naturgegeben und unveränderlich, vielmehr wird sie als "ein immer wieder neu verhandelbares (Zwischen)-Ergebnis von Prozessen der Fremd- und Selbstzuschreibung" (Krüger-Potratz 2007: 452) gesehen. Der Begriff Ethnizität macht folglich die Situiertheil des Subjekts in einem politischen und kulturellen Rahmen stark, ohne sich an explizit nationalstaatliche Grenzen zu halten und betont (wie der Begriff Gender) die identitätsprägenden Komponenten. Lutz beschreibt die Kategorie außerdem als ein potentielles System der Rangordnung: "Doing Ethnicity ist als relationale Kategorie ebenfalls hierarchisch strukturiert und habitualisiert." (2008: 40, Herv. i. 0 .) In dieser Theoretisierung werden die Kategorien Gender und Ethnizität in ihrer identitätsstiftenden Konstruktion miteinander vergleichbar: Gender bezieht sich auf die soziokulturellen Deutungen von Geschlecht, Ethnizität bezeichnet Sinngebungen, die aus einem kulturellen, sprachlichen und historischen
Migration in der globalisierten Mediengesellschaft
1
15
Rahmen erwachsen können. Beide sind subjektabhängige Wirklichkeitskonstruktionen, die sich in einem spezifischen Kontext entfalten und wirksam werden. Da es sich um fluide Kategorien handelt, bietet ihre Interpretation immer auch Anlass für Konflikt (vgl. ebd.). Siebeschreiben Dimensionen des individuellen w ie kollektiven Handelns, mit denen Zugehörigkeit und/oder Ausgeschlossensein einhergehen. Ethnizität dient damit ebenso wie Geschlecht in der deutschen Gesellschaft als sozialer Platzanweiser, mit dem hierarchischer Status und symbolische wie materielle Ressourcen verbunden sind. Wir gehen in der Analyse der medialen Repräsentation von Migrantinnen deshalb davon aus, dass die Konstruktion von Geschlecht und Ethnizität gleichermaßen kulturell basiert ist. Geschlecht und Ethnizität prägen unser Tun aktiv und passiv, indem Abgrenzung oder Einschluss entlang dieser Kategorien vorgenommen werden. Migrantinnen und Migranten werden oft aufgrundihres Namens, ihres Aussehens, ihrer Religion, ihrer Kultur oder ihrer Sprache als anders gekennzeichnet, was nicht an den Besitz einer bestimmten Staatsbürgerschaft gebunden ist. Dies geschieht aus einer weißen Position der Norm heraus. Bezeichnet wird das Fremde, Andere in Abgrenzung zum Eigenen der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Lorey 2006: 62f.). Geschlecht wie Ethnizität sind Dimensionen gesellschaftlicher Zuordnung, mit denen stets hierarchische Strukturierung und damit auch Formen von Unterdrückung verbunden sind. Beide haben eine zentrale Bedeutung im Rahmen individueller wie kollektiver Identitätsbildung. Menschen werden als weiße Frau, als orientalischer Mann, als türkisches Mädchen oder als afrikanischer Junge gesehen. Auf diese Beschreibungen und deren implizite Wertungen und Positionierungen wird immer wieder zurückgegriffen -sie werden bestätigt, zurückgewiesen oder neu interpretiert. Die weiße und männliche Norm bleibt dabei jedoch oft unmarkiert und ungenannt, das Andere wird hervorgehoben und zur Beschreibung von Personen oder Gruppen verwendet. Bei der Analyse von Geschlecht geht es um die Einschreibungen von Weiblichkeit und Männlichkeit in Mediendarstellungen. Die Analyse von Ethnizität umfasst die Auseinandersetzung mit dem Eigenen ebenso wie mit dem Fremden. Nur in der Analyse der eingeschriebenen Formen von Normalität lassen sich Markierungen des Anderen erkennen. Die hier vorliegende Analyse der medialen Repräsentation von Migrantinnen identifiziert Formen der Besonderung - als Frau und als Fremde. Diese Markierungen lassen zugleich Bilder des ,Normalen', Unmarkierten entstehen. Medien entwerfen damit Bilder des Deutschseins durch die Repräsentation des Fremden. Für die empirische Analyse greifen wir auf den Begriff Migrationshintergrund zurück, der sich an die Definition des Statistischen Bundesamtes anlehnt. Im Jahr 2009 verzeichnet das Bundesamt 15,7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in der BRD, was einem Anteil
16 I Migrantinnen in den Medien
von 19,2% an der Gesamtbevölkerung entspricht. 4 Davon sind etwas weniger als die Hälfte - gut 7,8 Millionen- Frauen mit Migrationshintergrund (vgl. Statistisches Bundesamt 2010: 36). Diese Zuweisung ist nicht unmittelbar an einen Passbesitz gebunden und bezeichnet mehr als nationalstaatliche Zugehörigkeit oder Ausgeschlossenheit Zu den Menschen mit Migrationshintergrund zählen "alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil" (ebd.: 6). Es wird folglich davon ausgegangen, es entstehe durch eine solche Migration ein zusätzlicher Erfahrungshorizont, der auch an spätere Generationen weitergegeben würde. Wir benutzen damit einen Begriff, der sich inzwischen auch in die öffentlichen Diskussionen eingeschrieben hat. An den zuvor benutzten Bezeichnungen Gastarbeiter, Ausländerin oder Migrant kann ein sprachlicher Wandel nachvollzogen werden, zu Grunde liegende Stereotype sind damit jedoch keineswegs aus der Welt geschafft. Im medialen wie alltagssprachlichen Diskurs werden die amerikanische Professorin, die dänische Künstlerin und die polnische Spitzensportlerin kaum als Migrantinnen bezeichnet. Die türkische Mutter dagegen gilt im öffentlichen Diskurs als ihr Prototyp. Die Markierung als Migrantin verweist somit auf mehr als ethnische Differenz. Sie macht sichtbar, dass hier Geschlecht, Ethnizität und Klasse bzw. soziale Schicht sowie die Religionszugehörigkeit miteinander verwoben werden. Migration als gesellschaftliches Problemfeld wird dadurch auf ein spezifisches soziales Milieu reduziert. Der Begriff der Intersektionalität hat in der Soziologie - hier insbesondere vertreten durch Klinger und Knapp (2005) - an Relevanz und Popularität gewonnen. Ursprünglich in der US-amerikanischen Debatte geprägt, bezeichnet Intersektionalität die Verwobenheit und das Zusammenwirken verschiedener Differenzkategorien sowie unterschiedlicher Dimensionen sozialer Ungleichheit und Herrschaft (vgl. Winker/ Degele 2009). Es geht also um eine Analyse der Regeln, nach denen Hierarchie hergestellt wird. Wie wirken Geschlecht, Ethnizität und die dritte in diesem Feld relevante Kategorie ,Klasse' bzw. soziale Herkunft als "Achsen der Differenz" (vgl. Klinger/Knapp 2005) zusammen und legitimieren damit in der Gesellschaft ,oben und unten' bzw. ,drinnen und draußen'? Das Konzept der Intersektionalität ist das "umfassende Programm einer integralen Analyse von Achsen strukturierter Ungleichheit und kultureller Differenz" (Knapp 2008: 146).
4 Diese Zahl wurde mit den Angaben zum "Migrationshintergrund im engeren Sinne" (Statistisches Bundesamt 2010: 377f. ) errechnet. Die Gesamtbevölkerung wird für das Jahr 2009 mit 81,9 Mio. angegeben (vgl. ebd.: 32).
Migration in der globalisierten Mediengesellschaft
1
17
Eine Übertragung dieses soziologischen Konzepts auf das Feld der Kommunikationswissenschaft erscheint ertragreich und erforderlich, um das Fortbestehen sozialer und kultureller Segregation zu verstehen. Ethnizität und Geschlecht als soziale und kulturelle Konstruktionen werden maßgeblich durch Mediendiskurse geschaffen, verhandelt und fortgeschrieben. Durch diese öffentlichen Zuschreibungen wird sozialer Status hergestellt, werden Zugehörigkeit und Ausgeschlossensein bestimmt. Klinger und Knapp (2005) fragen in der Diskussion zur Intersektionalität nach den Regeln, mit denen Hierarchie sowie soziale Inklusion oder Exklusion hergestellt werden. Daraus entstehen auch für die Kommunikationswissenschaft relevante Fragen: Welche Rolle spielen Migrantinnen in den Medieninhalten? Wie wird die Gruppe der in Deutschland lebenden Frauen mit Migrationshintergrund in ihrer Unterschiedlichkeit medial repräsentiert? Welche dominanten Bilder werden von dieser Gruppe medial konstruiert? Die gesellschaftliche Bedeutung der medialen Repräsentation von Migrantinnen lässt sich mit dem von Klaus und Lünenborg (2004a) entwickelten Konzept von cultural citizenship beschreiben. Cultural citizenship benennt eine wesentliche Dimension von Staatsbürgerschaft in der Mediengesellschaft und verweist auf Medien als kulturelle Ressource, an der alle Gesellschaftsmitglieder teilhaben sollten. Medien werden als Motor und Akteur der Herstellung von Identität begriffen. Dabei umfasst eine solche Identitätsbildung sowohl individuelle, wie gruppenbezogene und gesellschaftliche Dimensionen. Mit und durch Medien werden somit maßgeblich Teilhabe an und Zugehörigkeit zur Gesellschaft hergestellt und verhandelt. In diesem Prozess spielt der Journalismus eine besonders wichtige Rolle, denn er liefert "in seiner Gesamtheit der zur Verfügung gestellten Interpretationsangebote [... ]die zentrale Deutungsinstanz der modernen Gesellschaft" (Lünenborg 2005a: 68). Pointiert formuliert: "Journalismus ist die populäre Instanz zur Beschreibung und Erklärung der Welt" (ebd., Herv. i. 0 .). Journalistische Beiträge liefern spezifische Konstruktionen sozialer Wirklichkeit. Durch ihre Auswahl-, Repräsentations- und Darstellungsmuster erschaffen Nachrichten, Berichte, Kommentare oder Interviews spezifische Ausschnitte und Interpretationen gesellschaftlicher Wirklichkeit. Mit Blick auf die Berichterstattung über Migrantinnen heißt das, Journalismus produziert spezifische Images und Bilder von Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland - und lässt andere unberücksichtigt. Diese Bilder, Texte und Töne stellen das Ausgangsmaterial für spezifische Deutungen und Interpretationen dar, die vom Publikum vorgenommen werden. Selbstund Fremdbilder, die Menschen von sich und voneinander entwerfen, werden auch medial hergestellt. Folglich ist die Art und Weise, in der Migrantinnen zum Gegenstand von Medienberichterstattung werden oder aber unsichtbar bleiben, ein wesentlicher Baustein des Bildes, das
18 I Migrantinnen in den Medien
Migrantinnen von sich selbst entwerfen und das die Mehrheitsgesellschaft von ihnen entwirft (vgl. Klaus/Lünenborg 2004a, 2004b, 2005). Auch Wischermann und Thomas (2008: 10) verweisen auf die Bedeutung von Massenmedien bei der Herstellung von gesellschaftlicher Exklusion und Inklusion und fragen besonders nach dem ,Wie?' der Gestaltung von Ungleichheit. Die Autorinnen fordern eine Diskussion über die Verzerrungen, Unterschlagungen und die Widersprüche in der medialen Herstellung gesellschaftlicher Diversität, um daraus Konsequenzen für medienpolitisches Handeln abzuleiten. Die Frage nach dem Verhältnis von Diversität in der Gesellschaft und in der medialen Darstellung rücken Wischermann und Thomas in das Zentrum des Interesses. Damit kann zunächst die angemessene Sichtbarkeit von Migrantinnen in deutschen Medien als ein Qualitätskriterium herausgearbeitet werden. Ähnlich argumentiert Morley (2001: 29): "Wenn nationale Medien jene Öffentlichkeit sind, die in der Vermittlung des Nationalstaates für ein allgemeines Publikum am zentralsten ist, so ist alles, was von diesen Medien ausgeschlossen ist, auch von der symbolischen Kultur der Nation ausgeschlossen. Wenn die Kultur in diesem öffentlichen Raum (also auch in der Nation) durch eine (weitgehend nicht markierte und deklarierte) Form von Ethnizität ,rassenspezifisch' geprägt ist, dann kann sich hier nur ein Teil der Bürger der Nation willkommen und heimisch fühlen." Auch hier wird an die Forderung angeknüpft, dass das durch die Medien verfügbar gemachte symbolische Kapital allen Teilgruppen der Gesellschaft und damit auch Migrantinnen und Migranten zur Verfügung stehen muss (vgl. auch Hipfl2004: 23f.). In diesem Sinne haben Medientexte und-diskursedie Aufgabe, die gesellschaftspolitischen Veränderungen einer globalisierten Welt in ihren Blick zu nehmen und sowohl die Wanderungsbewegungen über Staatengrenzen hinweg zu verdeutlichen als auch kulturelle Wandlungsprozesseinnerhalb nationalstaatlicher Grenzen. Die Dimensionen des Wandels von Gesellschaft durch Migration muss auch der Mehrheitsgesellschafteines Nationalstaates medial vermittelt werden. Die Diskussion um die mediale Sichtbarkeit von vielfältigen sozialen Gruppen dreht sich jedoch nicht ausschließlich um die proportionale Verteilung von Sendezeit, Zeilen oder Abbildungen, woraus dann unmittelbar eine machtvollere Rolle jener Gruppe in der Gesellschaft abgeleitet werden könnte. Mediale Repräsentation liefert kein Abbild gesellschaftlicher Realität. Es geht vielmehr um die "Bedingungen und Modi der Sichtbarkeit" (Schaffer 2008a: 233). Die Konditionen der ästhetischen, formalen und inhaltlichen Darstellung müssen hier expliziter Bestandteil der Argumentation sein. Schaffer formuliert die Notwendigkeit, besonders die Ästhetik der Darstellung von Migrantinnen zu berücksichtigen, wenn von ihrer Sichtbarkeit in den Medien als politischer
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Dimension die Rede ist und sowohl bild- als auch textanalytische Instrumente in die Analyse mit einzubeziehen (vgl. Schaffer 2008a, 2008b). Mit und durch Medien werden Teilhabe an und Zugehörigkeit zur Gesellschaft hergestellt- als Frau, als Kreuzbergerin oder Köln-Ostheimerin, als Deutsch-Türkin. Die zentrale Frage dieser Studie lautet, ob und wie die Gruppe der in Deutschland lebenden Frauen mit Migrationshintergrund in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit medial repräsentiert wird. Diese Form der medialen Repräsentation hat Folgen für ihre Positionierung innerhalb (oder am Rande) der Gesellschaft- symbolisch, aber darauf aufbauend stets mit realen Konsequenzen.
1.2
Migration und Medien: Ein wachsendes Forschungsfeld
Der Themenkomplex Migration und Medien hat in der deutschen Medien- und Kommunikationswissenschaft seit den 1990er Jahren Konjunktur. Bereits ein Blick auf die von dem Forschungsprojekt "Mediale Integration von ethnischen Minderheiten" (Müller 2005d)5 erstellte umfassende Bibliografie der deutschen Forschungsliteratur (mit Ausblicken auf die nordamerikanische Forschung) zeigt ein in den letzten Jahren gestiegenes Interesse. Hier finden sich 1966 erste Untersuchungen zum damals noch ,Gastarbeiter und Medien' genannten Themenkomplex. Dann bleibt das Thema jedoch in den folgenden 30 Jahre wenig beachtet von der deutschen Wissenschaft und erfährt erst im Jahr 1993 wieder Berücksichtigung, wie am sprunghaften Anstieg der Publikationen in diesem Jahr sichtbar wird. Die Forschungsaktivitäten verstärken sich ab der Mitte der 1990er Jahre bei durchschnittlich 50 Veröffentlichungen pro Jahr. Im Jahr 2002listet die Bibliografie sogar 105 wissenschaftliche Arbeiten im Themenfeld Migration und Medien auf. 6 Entsprechend des inhaltlichen und sprachlichen Vorgehens in den zitierten Studien verwenden wir in diesem Kapitel vor allem die männliche Form. Die Strukturkategorie Gender ist hier nicht Teil des Forschungsinteresses. 7
5 Das Forschungsprojekt wurde von Rainer Geißler (Siegen) und Horst Pöttker (Dortmund) geleitet und war Teil des Sonderforschungsbereichs "Medienumbrüche" der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG an der Universität Siegen. 6 Die Bibliografie ist auch online verfügbar unter http://www.integration-undmedien.de/bibliographien/deutschland.php; 28.11.2010. 7 Eine geschlechterbewusste Sprache, das heißt Formulierungen wie " AusländerInnen" oder "Kurd(inn)en", steht nicht automatisch für eine geschlechterbewusste Forschung. Oft handelt es sich dabei lediglich um die Formulierung einer Überschrift, die sich jedoch nicht in der konsequenten Berücksichtigung der Kategorien Gender und Ethnizität niederschlägt (so geschehen z.B. bei Weimer/Galliker 2004; Butterwegge/Hentges 2004; auch bei Bobber et al. 1996).
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Dimension die Rede ist und sowohl bild- als auch textanalytische Instrumente in die Analyse mit einzubeziehen (vgl. Schaffer 2008a, 2008b). Mit und durch Medien werden Teilhabe an und Zugehörigkeit zur Gesellschaft hergestellt- als Frau, als Kreuzbergerin oder Köln-Ostheimerin, als Deutsch-Türkin. Die zentrale Frage dieser Studie lautet, ob und wie die Gruppe der in Deutschland lebenden Frauen mit Migrationshintergrund in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit medial repräsentiert wird. Diese Form der medialen Repräsentation hat Folgen für ihre Positionierung innerhalb (oder am Rande) der Gesellschaft- symbolisch, aber darauf aufbauend stets mit realen Konsequenzen.
1.2
Migration und Medien: Ein wachsendes Forschungsfeld
Der Themenkomplex Migration und Medien hat in der deutschen Medien- und Kommunikationswissenschaft seit den 1990er Jahren Konjunktur. Bereits ein Blick auf die von dem Forschungsprojekt "Mediale Integration von ethnischen Minderheiten" (Müller 2005d)5 erstellte umfassende Bibliografie der deutschen Forschungsliteratur (mit Ausblicken auf die nordamerikanische Forschung) zeigt ein in den letzten Jahren gestiegenes Interesse. Hier finden sich 1966 erste Untersuchungen zum damals noch ,Gastarbeiter und Medien' genannten Themenkomplex. Dann bleibt das Thema jedoch in den folgenden 30 Jahre wenig beachtet von der deutschen Wissenschaft und erfährt erst im Jahr 1993 wieder Berücksichtigung, wie am sprunghaften Anstieg der Publikationen in diesem Jahr sichtbar wird. Die Forschungsaktivitäten verstärken sich ab der Mitte der 1990er Jahre bei durchschnittlich 50 Veröffentlichungen pro Jahr. Im Jahr 2002listet die Bibliografie sogar 105 wissenschaftliche Arbeiten im Themenfeld Migration und Medien auf. 6 Entsprechend des inhaltlichen und sprachlichen Vorgehens in den zitierten Studien verwenden wir in diesem Kapitel vor allem die männliche Form. Die Strukturkategorie Gender ist hier nicht Teil des Forschungsinteresses. 7
5 Das Forschungsprojekt wurde von Rainer Geißler (Siegen) und Horst Pöttker (Dortmund) geleitet und war Teil des Sonderforschungsbereichs "Medienumbrüche" der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG an der Universität Siegen. 6 Die Bibliografie ist auch online verfügbar unter http://www.integration-undmedien.de/bibliographien/deutschland.php; 28.11.2010. 7 Eine geschlechterbewusste Sprache, das heißt Formulierungen wie " AusländerInnen" oder "Kurd(inn)en", steht nicht automatisch für eine geschlechterbewusste Forschung. Oft handelt es sich dabei lediglich um die Formulierung einer Überschrift, die sich jedoch nicht in der konsequenten Berücksichtigung der Kategorien Gender und Ethnizität niederschlägt (so geschehen z.B. bei Weimer/Galliker 2004; Butterwegge/Hentges 2004; auch bei Bobber et al. 1996).
20 I Migrantinnen in den Medien
Wie Geißler und Pöttker außerdem zu Recht zu bedenken geben, gibt es große Qualitätsunterschiede innerhalb der Menge der Publikationen. Neben stark impressionistischen Arbeiten mit wenig Systematik ist vor allem die Singularität vieler Studien zu bemängeln. Sie nehmen wenig Bezug aufeinander und geben nur selten Überblicksdarstellungen (vgl. Geißler/Pöttker 2005: 391). Geißler und Pöttker haben mit ihrer Arbeit zu der Systematisierung des wachsenden Forschungsfeldes beigetragen. Sie bearbeiten das Forschungsfeld vor allem aus soziologischer Perspektive und gehen dem Zusammenspiel von Massenmedien und Integration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft nach, wobei der Begriff der "medialen Integration" (Geißler/Pöttker 2006: 21) eine zentrale Rolle spielt. Dieser beschreibt die "Integration der ethnischen Minderheiten in die medial hergestellte Öffentlichkeit und in das Mediensystem" (ebd.) und umfasst eine Spannbreite von Assimilation bis Segregation. Die Formen der medialen Integration beziehen prinzipiell sowohl die Seite der Medienproduktion als auch die der Medieninhalte und die der Medienrezeption ein. Das Modell von Geißler und Pöttker bietet eine überzeugende Strukturierung möglicher Positionen im Forschungsfeld (vgl. Tabelle 1). Die Autoren treten besonders für die interkulturelle mediale Integration ein, den "humanen Mittelweg zwischen Assimilation und Segregation", wie es Geißler (2005b: 45) bezeichnet. Damit wird erkenntlich, dass es sich hier nicht um ein primär w issenschaftlichanalytisches Konzept handelt, sondern dass das Modell auf impliziten politischen N ormen basiert. Ziel ist eine Form der interkulturellen Integration unter Mithilfe des deutschen Mediensystems, bei der "die Vielfältigkeit in der Einheit" (Geißler/Pöttker 2006: 19) möglich wird.8 Bei genauerer Betrachtung werden weitere Probleme bzw. Leerstellen dieses Modells deutlich. Zunächst legen Geißler und Pöttker ihrem Forschungsansatz das in der Kommunikationswissenschaft als klassisch zu bezeichnende Kommunikationsmodell von Lasswell (1948) zugrunde. Lasswells Formel besticht zwar durch seine Einfachheit, indem sie den Kommunikationsweg folgendermaßen definiert: "Who says what in which channel to whom with what effect?", legt aber eine direkte Wirkung der medialen Botschaft des Senders bei einem Empfänger zu Grunde. Diese vereinfachende Annahme vernachlässigt die eigenständige Medienaneignung der Rezipierenden und geht von einer einseitig gerichteten Wirkung des Medienkonsums aus. Basierend auf der Lasswell'schen Vorgabe des channels - also des Mediums, durch das kommuniziert wird - betrachten Geißler und
8 Die Autoren berufen sich dabei auf das kanadische Konzept d es Multikulturalismus, welches auf die Formel "unity-within-diversity/diversity-w ithin-unity" zu bringen ist (ebd.: 19).
Migration in der globalisierten Mediengesellschaft
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Pöttker neben den deutschsprachigen Medien auch die "Ethnomedien" (Geißler/Pöttker 2006: 17). Dieser Begriff meint alle heimatsprachlichen Medien, die von einer ethnischen Gruppe in Deutschland genutzt werden. Im Lichte der Globalisierung und ihrer neuen, von Nationalstaaten und Sprachräumen losgelösten Kommunikationsmöglichkeiten und -formen muss eine solche Kennzeichnung jedoch als veraltet bzw. als verengt gedacht bezeichnet werden. Hier wäre es sinnvoll, diese heimatsprachlichen Medieninhalte als einen integrierten Teil des medialen Kommunikationsprozesses zu sehen. Denn mit den technologischen Möglichkeiten von Satellitenübertragung und Internet, die deutschsprachige und anderssprachige Medienangebote auf einem Gerät vereinen und eine übergangslose Nutzung in vielen Sprachen möglich machen, wäre es artifiziell, von einem getrennten Nutzungsbereich in Form von "Ethnomedien" zu sprechen. Auch ist der Begriff nicht wertfrei und scheint eher Medien aus dem nicht-westlichen Kulturraum zu fassen. Kaum jemand käme auf die Idee, das Programm von CNN oder BBC als "Ethnomedium" zu bezeichnen.
Medienproduktion
Medieninhalte
Mediennutzung
Tabelle 1:
Assimilative mediale Integration
Interkulturelle mediale Integration
Mediale Segregation
Ethnische Minderheilen sind nicht mehr als solche erkennbar und in die Medieninstitutionen integriert.
Ethnische Minderheilen machen in ihrer Spezifik einen proportionalen Anteil der Medienproduktion aus.
In der Produktion des deutschen Mediensystems sind keine ethnischen Minderheiten präsent.
Medieninhalte benötigen keine ethnospezifischen Bezüge mehr, da ethnische Minderheilen kognitiv, sozial und identifikatorisch in die deutsche Mehrheitskultur aufgegangen sind.
Medieninhalte berücksichtigen die Notwendigkeit der Einwanderung und bereiten integratives Wissen sowohl für die ethnischen Minderheilen als auch für die deutsche Mehrheitsgesellschaft auf.
Die ethnischen Minderheilen sind in den deutschen Inhalten nicht präsent oder tauchen verzerrt und als "Problemgruppe" auf.
Keine ethnischen Teilöffentlichkeiten; die ethnischen Minderheilen nutzen Medien wie die deutsche Mehrheit.
Die ethnischen Minderheilen nutzen die deutschen Medien, um das nötige Wissen für ihre sozialstrukturelle Integration zu erlangen; sie nutzen auch das heimatsprachliche Angebot ("Ethnomedien").
Es existieren Teilöffentlichkeiten; die ethnischen Minderheilen nutzen ausschließlich die "Ethnomedien" ihres Herkunftslandes.
Formen medialer Integration (in der Systematik und Begrifflichkeil nach Geißler 2005a sowie Geißler/ Pöttker 2006; eigene Darstellung)
22 I Migrantinnen in den Medien
Darüber hinaus ist, wie schon weiter oben mit dem Konzept von cultural citizenship dargelegt wurde, die Bedeutungsgenerierung zwischen Medienproduktion, Medieninhalt und Rezeption als ein komplexes Geflecht von Wechselwirkungen zu sehen, in der es auch Rückkopplungen vom Rezipierenden zum Medieninhalt und zur Medienproduktion gibt. Diese Bewegungen sind keineswegs beliebig, sondern funktionieren innerhalb eines kulturellen Kontextes, den die Lasswell'sche Formel vernachlässigt, da sie der Frage nach dem "Wie?" der Kommunikation nicht nachgeht. Zwar sehen auch Geißler und Pöttker die Wichtigkeit einer kulturellen Prägung, integrieren dies aber nicht in ihr Modell. Sie sprechen lediglich von zusätzlichen " Kultureinflüssen auf den Kommunikationsprozess" (Geißler/Pöttker 2006: 36). Damit ignorieren sie auch die Strukturkategorie Geschlecht, denn so wie kulturell gebundene Deutungs- und Handlungsweisen im Kommunikationsprozess mitgedacht werden müssen, muss auch Gender integraler Bestandteil jeder Untersuchung sein. Hier wird eine systematische Leerstelle der Forschung ersichtlich, die für den Großteil des inzwischen intensiverbeforschten Themenkomplexes Migration und Medien kennzeichnend ist: die Kategorie Geschlecht findet in ihrer Verknüpfung mit der Kategorie Ethnizität in der deutschen Kommunikationsforschung kaum Berücksichtigung. 1.2.1 Mediale Repräsentation von Migranten
Zahlreiche Inhaltsanalysen der Presse und in geringerem Ausmaß auch des Fernsehens liefern Wissen über die Darstellung von Migranten. Mit der 1972 erschienen Dissertation von Delgado wurde das Forschungsfeld erstmalig systematisch untersucht. Anhand eines großen Sampies von 3.069 Artikeln, das in 40 Monaten aus Tageszeitungen N ordrheinWestfalens erhoben wurde, zeigt Delgado, wie eng die Berichterstattung über Einwanderer vor allem mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Region und mit Kriminalität verknüpft ist. Delgado (1972) zufolge sind es einerseits die Arbeitskraft der Migranten und andererseits die ihnen zugeschriebenen Straftaten, die in den Zeitungen thematisiert werden. Auch andere quantitative Arbeiten zur Darstellung von Migranten in deutschen Zeitungen haben immer wieder gezeigt, wie problematisch die Nennung des Differenzmerkmales Ethnizität vor allem in der Kriminalitätsberichterstattung ist. So kann gesagt werden, dass über "Ausländer", "Migranten" und "Personen mit Migrationshintergrund" tendenziell negativer berichtet wird als über Deutsche (vgl. den umfassenden Überblick von Müller 2005a; ebenso Geißler/Pöttker 2005; sowie die Arbeiten von Ruhrmann et al., vgl. exemplarisch Ruhrmann et al. 2006). Durch die qualitative Methode der Diskursanalyse hat insbesondere der Forschungsverbund am Duisburger Institut für Sprach- und
Migration in der globalisierten Mediengesellschaft
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Sozialforschung sichtbar gemacht, in welchem Maße der Zusammenhang von "Kriminalität und Ausländern" durch die deutsche Presse diskursiv hergestellt wird (Jäger et al. 1998; Jäger 2000). Müller benennt in seiner Zusammenstellung der quantitativen Inhaltsanalysen die h äufigsten Kritikpunkte an der deutschen Berichterstattung. Er sieht Migranten als zu einseitig negativ dargestellt und insgesamt unterrepräsentiert im Vergleich zu den auftretenden deutschen Akteuren. Die Migranten erscheinen neben dem bereits erwähnten Zusammenhang mit Straftaten auch verstärkt als finanzielle Belastung für den deutschen Staat, der an ihrer großen Zahl zusätzlich zu "überfremden" drohe (Müller 2005a: 100). Außerdem zeigen die Inhaltsanalysen eine Differenzierung der deutschen Presse innerhalb der Gruppe der Migranten. Sie werden stark nach ihrem sozialen Status unterschieden und somit werden Asylbewerber negativer dargestellt als Arbeitnehmer oder gar Spitzensportler. Ebenso findet eine hierarchische Unterscheidung der Herkunftsländer von Migranten statt, wobei die Menschen aus der außereuropäischen "Dritten Welt" (ebd.: 101), der Türkei und den Balkanstaaten weniger positiv bewertet werden als Migranten aus den anderen ,Jrüheren Anwerbeländern Südeuropas" (ebd.). Eine Arbeit von Fick (2009) hat sich mit der bislang kaum untersuchten Darstellung von Migranten in Lokalmedien beschäftigt. In einem Zeitvergleich der Jahre 1996 und 2006 untersucht er jeweils sechs Wochen der Berichterstattung über Migranten in Siegener Lokalzeitungen und zeigt, dass gerade der Lokalteil Potential bietet, ethnische Minderheiten positiv darzustellen. Der große Anteil an Agenturmeldungen im Politikteil der Zeitungen führt zu einer vermehrten Nennung von Migranten in negativen Handlungsrollen (Fick 2009: 256). Ertragreich kann hier auch ein international vergleichender Blick sein. In einer Studie von 2010 betrachtet Weibert die Berichterstattung über Hispanics in zwei Lokalzeitungen der US-amerikanischen Stadt Denver und vergleicht diese mit der Berichterstattung über türkische Einwanderer in zwei Tageszeitungen aus Dortmund.9 Die Ergebnisse zeigen, dass die Hispanics in der lokalen Berichterstattung der amerikanischen Zeitungen deutlich als solche identifizierbar sind, ihnen dabei aber viele unterschiedliche Handlungsrollen zugewiesen werden. Sie treten selbst als Handelnde (80,7% der Artikel) und individuell erkennbare Personen (80,1 %) auf und werden seltener als eine Gruppe bezeichnet (" die Hispanics" in 19,9 %). Dagegen sind die türkischen Einwanderer in den deutschen Zeitungen "eher Objekt des journalistischen Schreibens" (in 61,2 % der Fälle). Ein deutlich höherer Anteil als in den amerikanischen Zeitungen, nämlich 40,5 %, berichtet in den deutschen Zeitungen von "den
9 Der Untersuchungszeitraum wurde zufällig gewählt und erstreckt sich vom 14. Juni bis zum 12. Juli 2004. In den amerikanischen Zeitungen wurden 187 Artikel erhoben, in den deutschen Zeitungen waren es 61 Artikel.
24 I Migrantinnen in den Medien
Türken", die zudem im Vergleich auch weniger als individuell erkennbare Personen auftreten (59,5 %, Weibert 2010: 226.) Die amerikanischen Zeitungen machen die hispanischen Einwanderer und Einwanderinnen folglich deutlich als solche erkennbar und gestehen ihnen einen weiten Aktionsraum in Sphären der gesamten amerikanischen Gesellschaft zu. Dass es im Vergleich zu den Printmedien deutlich weniger Inhaltsanalysen der Fernsehberichterstattung gibt, begründet sich zweifellos in dem erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand, der für diese Untersuchungen erforderlich ist. Soweit Studien vorliegen, bestätigen sich im Fernsehen gewisse Aspekte aus der Presseberichterstattung. Die Negativität und Einseitigkeit setzt sich auch hier fort (Müller 2005a: 110). Müller gibt zu bedenken, dass sich die bisherigen Studien ausschließlich auf die journalistischen Formate des Rundfunks beziehen und damit die Repräsentation von Migranten in fiktionalen Genres auslassen (Müller 2005a: 111). Für künftige Fernsehanalysen wäre es wünschenswert, einschlägige Unterhaltungsangebote mit einzubeziehen. Im Bereich der Fernsehforschung ist die repräsentative Studie von Hafez und Richter (2007) interessant. Diese untersuchte auf der Grundlage von 37 informationsorientierten Magazinen der ARD und des ZDF in einem Zeitraum von 18 Monaten von Juli 2005 bis Dezember 2006 die Thematisierungsanlässe des Islam. Die Autoren kommen dabei zu dem Ergebnis, dass die Islamberichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen dominant problemorientiert verläuft, indem sich über die Hälfte der Themen mit Terrorismus und Extremismus, internationalen Konflikten und Integrationsproblemen in Deutschland beschäftigt (vgl. Hafez/Richter 2007: 3). Krüger und Sirnon (2005) machen mit ihrer Programmanalyse des WDR-Fernsehens10 zum Bild der Migranten die Bedeutung von tagesaktueller regionaler Berichterstattung erkennbar. So präsentiert die tägliche "Lokalzeit" im WDR im Untersuchungszeitraum von vier Wochen die meisten Beiträge mit Migranten- und Migrationsbezug. Dieses regionale Nachrichtenmagazin macht damit die Lebensumstände von Einwanderern in Deutschland für ein größeres Publikum zugänglich. Thematisiert werden die Migranten vor allem im Zusammenhang von Politik, Wirtschaft und Zeitgeschehen (vgl. ebd.: 109). Erstmals in der Analyse von Medienangeboten konstatieren die Autoren die Darstellung der präsentierten Migranten als "Durchschnittsbürger" (ebd.: llO) und bemerken: "Akteure der Kategorie Normabweichler, die früher in der Ausländerthematik eine herausragende Rolle spielten, haben hier nur eine geringe Präsenz" (ebd.: llO).n 10 Untersucht wurden alle Sendungen und Beiträge der Sparten Information, nonfiktionale Unterhaltung und Sport des WDR-Fensehprogramms, die sich mit den Themen Migration befassten und/oder Akteure mit ausländischer Herkunft präsentierten. Die Basis dafür war eine Stichprobe von insgesamt vier Wochen (":gl. ebd .: 106). 11 Auch Zambonini/Simon (2008) präsentieren einen aktuellen Uberblick zur Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für eine kulturelle Vielfalt in Deutschland.
Migration in der globalisierten Mediengesellschaft
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1.2.2 Medienrezeption von Migranten
Was lesen, hören und sehen Migranten und Migrantinnen? 2007 erschien eine repräsentative ARD/ZDF-Studie, die erstmals zum Mediennutzungsverhalten von in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund umfassend Auskunft gibt. Sie schränkt das oft bemühte Vorurteil der Parallelgesellschaft zwischen Minderheiten und der deutschen Mehrheitsgesellschaft ein. Auf der Basis von 3010 geführten Telefoninterviews wurde gezeigt, dass die meisten der Menschen mit Migrationshintergrund deutsche Medien regelmäßig nutzen. Heimatsprachliche Medienangebote dienen als zusätzliche Informationsquellen, die jedoch für die positive Identitätsbildung der Befragten und die Rückbindung an ihr Heimatland selbstverständlich sind (vgl. Sirnon 2007: 434). Die Migranten in Deutschland werden am besten über das deutschsprachige Fernsehen erreicht: 86 % von ihnen nutzen an mindestens vier Tagen der Woche das deutsche Fernsehangebot Ein Viertel der Migranten in Deutschland folgt daneben auch heimatsprachlichen Fernsehsendungen. Im Vergleich dazu wird das deutsche Radioprogramm seltener beachtet: 48 % der Migranten sind regelmäßige Nutzer deutschsprachiger Radioprogramme, drei Prozent hören einen Radiomix aus deutsch- und heimatsprachlichen Programmen und vier Prozent hören ausschließlich heimatsprachliche Radiosendungen. Sowohl deutschsprachige Tageszeitungen als auch deutschsprachige Internetseiten werden von den Migranten häufiger genutzt als das jeweilige heimatsprachliche Presse- und Onlineangebot (vgl. ebd.: 432). In der Kommunikationswissenschaft ist das Mediennutzungsverhalten vor allem von türkischen Migranten in Deutschland oft unter dem normativen Ideal der Integration bearbeitet worden. Weiß und Trebbe haben 2001 dazu eine repräsentative Befragung vorgelegt, die den Medienkonsum von in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Migrationshintergrund sowie die Reichweite deutscher und türkischer Medien innerhalb dieser Gruppe erforscht. Die Studie verknüpft dabei das Maß an deutschsprachigem Medienkonsum mit dem "Integrationsstatus" (ebd.: 5) der türkischen Einwanderer. Erfolgreiche Integration, so die zentrale These, drückt sich auch im Konsum deutscher Medien aus. Umgekehrt ergibt sich damit: Intensive Nutzung heimatsprachlicher Medien ist ein Hinweis auf mangelnde Integration. Dass d er Erkenntnisgewinn dieser quantitativen Studie durch die determinierte Perspektive eingeschränkt ist, kritisiert die 2002 erschienene qualitative Arbeit von Hafez, die sich direkt auf Weiß und Trebbe bezieht. Dabei relativiert Hafez vor allem die kausale Verbindung von Integrationsgrad und Medienkonsum, indem er der von Weiß und Trebbe aufgestellten Typologie mit ausführlichen Leitfadengesprächen nachgeht (Hafez 2002: 8). Die 2007 erschienene Folgestudie von Trebbe und Weiß
26 I Migrantinnen in den Medien
formuliert die Frage nach dem Zusammenhang von Integration und dem Medienkonsum von türkischen Einwanderern dann auch vorsichtiger und entwirft ein weniger mechanistisches Gefüge. Eine weitere Untersuchung von Paasch-Colberg und Trebbe kann 2010 nachweisen, dass die Mediennutzung und der Integrationsgrad nicht unmittelbar zusammenhängen. Anhand einer telefonischen Befragung 500 junger türkischstämmiger Erwachsener liefert die Studie das Ergebnis, dass vor allem die soziale Situation der Befragten ausschlaggebend für ihre Mediennutzung ist. Die Autorin und der Autor betonen die Rolle des Bildungsgrades bei der Mediennutzung der türkischstämmigen Befragten. Zu einem ähnlichen Schluss kommt die Arbeit von Heft, Maurer und Weiß (2010), die im Vergleich des Medienumgangs - insbesondere mit digitalen Medien - eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen deutschen und russischstämmigen Jugendlichen feststellt. Das Forschungsteam bemerkt darüber hinaus, dass die Lebensphase, die Schulbildung und das Geschlecht wichtige "migrationsunabhängige Einflussfaktoren" (2010: 363) auf die Mediennutzung darstellen. Zahlreiche weitere rezeptionsanalytische Arbeiten untersuchen den Medienkonsum von Migranten verstärkt im Rahmen vielschichtiger Faktoren wie der Sprach- und Technikkompetenz, dem Medienangebot oder der kulturellen Identität (vgl. u.a. die qualitative Studie von Hammeran et al. 2007, für eine Übersicht vgl. Müller 2005b). Hepp, Bozdag und Suna (2010) machen mit Netzwerkanalysen sichtbar, w ie in komplexen Medienarrangements die transkulturellen Kommunikationsprozesse zwischen Herkunftskultur und Migrationsland hergestellt werden. Von "transnationalen Medienpraktiken" (Gouma 2010: 133) geht Gouma in ihrer Studie mit griechischen Migrantinnen und Migranten in Österreich aus. Die Autorin untersucht die Rolle der Medien bei der gesellschaftlichen Selbstpositionierung im Einwanderungsland mit 18 qualitativen Interviews. Sie identifiziert dabei ein Machtgefälle von den Österreichischen Medien zu den Rezipierenden. Erstere könnten über ihre Themensetzung und ihre hegemonialen Deutungen den Mediendiskurs im Einwanderungsland bestimmen, was die migrantische Bevölkerung zu einer transnationalen Mediennutzung veranlasse. Die Entwicklung des Forschungsfeldes zeigt, dass monokausale Zusammenhänge zwischen der Art der Mediennutzung und dem Grad der Integration nicht mehr angenommen werden. Vielmehr ist von einer komplexen und transkulturellen Mediennutzung auszugehen, bei der individuelle Medienmenüs zusammengestellt werden.
Migration in der globalisierten Mediengesellschaft
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1.2.3 Migranten in der Medienproduktion
Die Seite der Medienproduktion ist generell wenig erforscht, was vor allem auch in den Schwierigkeiten der methodologischen Umsetzung begründet sein dürfte (Müller 2005c: 230). Die komplexe Kategorie Ethnizität ist in den Redaktionen nicht einfach über die Staatsangehörigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abfragbar (falls diese überhaupt erfasst sein sollte). Einzig zur Tagespresse liefert die Studie von Geißler, Enders und Reuter (2009) repräsentative Zahlen. Die Autoren gingen der Beteiligung migrantischer Mitarbeiter in deutschen Zeitungen mit einer Vollerhebung nach, wozu sie insgesamt 1.229 Chef- und Lokalredaktionen von 600 Zeitungen in einem zweistufigen Verfahren befragten. Zunächst wurden über die Redaktionen die Anzahl der beschäftigten Journalisten mit Migrationshintergrund ermittelt, um mit diesen dann Fragen zu ihrer journalistischen Tätigkeit, zu ihrem beruflichen Werdegang und zu ihrer Zuwanderungsgeschichte zu erörtern. Anhand der erhobenen Daten und der daraus resultierenden Schätzung für die Grundgesamtheit ergab sich, dass nur bei 16 % aller deutschen Zeitungen Menschen mit Migrationshintergrund haupt- oder nebenberuflich beschäftigt sind. Lediglich 200 Personen mit Migrationshintergrund arbeiten hauptberuflich in den Redaktionen deutscher Tageszeitungen, was hochgerechnet auf die Gesamtzahl der Zeitungsjournalisten und -journalistinnen einen Anteil von 1,2% ergibt (ebd.: 92). Auch die übrigen vorliegenden Studien weisen daraufhin, dass "Migrantlnnen im Journalismus im Verhältnis zu ihrem Anteil in d er Wohnbevölkerung unterrepräsentiert sind" (Röben 2008: 142). Als medienpolitisches Anliegen findet die Frage in den letzten Jahren größere Beachtung. Bei der Förderung von Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund betätigen sich aktuell vor allem die (öffentlichrechtlichen) Medienanstalten und einige politische Stiftungen.12 Die zu Grunde liegende Annahme ist, dass sich die Vielfalt der Bevölkerungsgruppen im Einwanderungsland Deutschland auch in den Medien wieder finden sollte. Neben dieser gleichstellungspolitischen Forderung verbindet sich damit ebenfalls die Erwartung, ein größerer Anteil migrantischer Journalistinnen und Journalisten werde auch zu einer differenzierteren Berichterstattung zu Migrationsthemen beitragen. Diese Auseinandersetzung wird bereits seit langem im Bereich der geschlechtergerechten Arbeitsverteilung im Journalismus diskutiert - allerdings
12 Der WDR leistet beispielsweise auf diesem Feld schon seit vielen Jahren w ichtige Arbeit. Die Heinrich-Böli-Stiftung arbeitet u.a. an dem Themenschwerpunkt "Medien & Diversity" und vergibt Stipendien an Studierende mit Migrationshintergrund, die künftig journalistisch tätig sein werden (siehe auch http://www.migration-boell. de/web/diversity/48_1217.asp; 28.11.2010).
28 I Migrantinnen in den Medien
zunehmend vorsichtig mit Blick auf die dadurch zu erwartenden inhaltlichen Veränderungen (vgl. Lünenborg 2001, 2009). Das gewachsene Interesse für Vielfalt in Redaktionen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für Migranten nach wie vor Hürden im Zugang zum journalistischen Beruf gibt: Sprache, kulturelles Kapital und Netzwerke. Denn laut Oulios (2009) hängt es von eben diesen Faktoren ab, ob den Bewerbern Leistungsfähigkeit zugesprochen würde. ,,Journalistinnen und Journalisten sollten den Leistungsmythos kritisch hinterfragen. Wie in jedem Beruf zählt auch im journalistischen Metier selbstverständlich Leistung- es ist deshalb aber keine diskriminierungsfreie Zone" (ebd.: 142). Wie Leistung bewertet und entlohnt wird, untersucht Fritsche (2009) mit ihrer Studie, worin sie neben den erschwerten Zugangsbedingungen besonders die prekäre Arbeitssituation für Menschen mit Migrationshintergrund in der Medienproduktion offenlegt Unter integraler Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht stellt sie in einer empirischen Studie zur Repräsentation migrantischer Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen des Berliner Hörfunks zwar einen vergleichsweise hohen Anteil von 10,1 % fest. Hinsichtlich der beruflichen Sicherheit und der Besetzung von Leitungspositionen ergibt sich jedoch ein deutliches hierarchisches Gefälle nach Ethnizität und Geschlecht. Migrantinnen arbeiten am häufigsten freiberuflich und sind seltener als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen mit Führungsaufgaben betraut. Ähnliches konstatiert auch Röben (2008), die eine explorative Befragung von Printund Rundfunkredaktionen in Frankfurt/Main durchgeführt hat. Nach diesem Blick auf wichtige Befunde aus dem Forschungsfeld Medien und Migration, welche die Kategorie Geschlecht allerdings nur selten systematisch berücksichtigen, rücken nun jene Arbeiten der Kommunikations- und Medienwissenschaft in den Mittelpunkt, die Gen der und Ethnizität in ihrem Zusammenwirken betrachten und in ihrer medialen Repräsentation untersuchen. Was wissen wir bislang über die Darstellung von Migrantinnen in deutschen Medien?
1.3
Migrantinnen in den Medien
Das aktuelle Forschungsfeld zum Thema Medien und Migration wurde knapp skizziert, um die zentralen Erkenntnisse und Zugew inne der letzten Jahre darzustellen. Geschlecht ist selten integraler Bestandteil des Erkenntnisinteresses, obwohl es gerade in der Untersuchung der Rolle von Ethnizität in der medialen Bedeutungsproduktion erforderlich erscheint, dieses als weitere Strukturkategorie mitzudenken. Wird Geschlecht in Studien nicht berücksichtigt, ist die implizit zugrunde gelegte Norm die männliche.
28 I Migrantinnen in den Medien
zunehmend vorsichtig mit Blick auf die dadurch zu erwartenden inhaltlichen Veränderungen (vgl. Lünenborg 2001, 2009). Das gewachsene Interesse für Vielfalt in Redaktionen darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für Migranten nach wie vor Hürden im Zugang zum journalistischen Beruf gibt: Sprache, kulturelles Kapital und Netzwerke. Denn laut Oulios (2009) hängt es von eben diesen Faktoren ab, ob den Bewerbern Leistungsfähigkeit zugesprochen würde. ,,Journalistinnen und Journalisten sollten den Leistungsmythos kritisch hinterfragen. Wie in jedem Beruf zählt auch im journalistischen Metier selbstverständlich Leistung- es ist deshalb aber keine diskriminierungsfreie Zone" (ebd.: 142). Wie Leistung bewertet und entlohnt wird, untersucht Fritsche (2009) mit ihrer Studie, worin sie neben den erschwerten Zugangsbedingungen besonders die prekäre Arbeitssituation für Menschen mit Migrationshintergrund in der Medienproduktion offenlegt Unter integraler Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht stellt sie in einer empirischen Studie zur Repräsentation migrantischer Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen des Berliner Hörfunks zwar einen vergleichsweise hohen Anteil von 10,1 % fest. Hinsichtlich der beruflichen Sicherheit und der Besetzung von Leitungspositionen ergibt sich jedoch ein deutliches hierarchisches Gefälle nach Ethnizität und Geschlecht. Migrantinnen arbeiten am häufigsten freiberuflich und sind seltener als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen mit Führungsaufgaben betraut. Ähnliches konstatiert auch Röben (2008), die eine explorative Befragung von Printund Rundfunkredaktionen in Frankfurt/Main durchgeführt hat. Nach diesem Blick auf wichtige Befunde aus dem Forschungsfeld Medien und Migration, welche die Kategorie Geschlecht allerdings nur selten systematisch berücksichtigen, rücken nun jene Arbeiten der Kommunikations- und Medienwissenschaft in den Mittelpunkt, die Gen der und Ethnizität in ihrem Zusammenwirken betrachten und in ihrer medialen Repräsentation untersuchen. Was wissen wir bislang über die Darstellung von Migrantinnen in deutschen Medien?
1.3
Migrantinnen in den Medien
Das aktuelle Forschungsfeld zum Thema Medien und Migration wurde knapp skizziert, um die zentralen Erkenntnisse und Zugew inne der letzten Jahre darzustellen. Geschlecht ist selten integraler Bestandteil des Erkenntnisinteresses, obwohl es gerade in der Untersuchung der Rolle von Ethnizität in der medialen Bedeutungsproduktion erforderlich erscheint, dieses als weitere Strukturkategorie mitzudenken. Wird Geschlecht in Studien nicht berücksichtigt, ist die implizit zugrunde gelegte Norm die männliche.
Migration in der globalisierten Mediengesellschaft
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Noch im Jahr 2005 bezeichnet Müller (2005a: 106) die wissenschaftliche Analyse der Darstellung von Migrantinnen in den Medien als "kleine[s] Forschungsfeld", und nach wie vor ist Forschungsbedarf anzumelden. Es gibt zwei zentrale Befunde aus der bisherigen Forschung. Erstens: Migrantinnen kommen in den Medien nur am Rande vor. Zweitens: ihre Darstellung ist oft stereotyp. Die meisten der bestehenden Arbeiten untersuchen die Darstellung von Migrantinnen in den Printmedien. Hier ist das wöchentliche Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL das meist beforschte Medium (vgl. Tabelle 2). Zu Fernsehfilmen und TV-Dokumentationen finden sich ebenfalls Inhaltsanalysen, die allerdings auf einer kleinen empirischen Basis fußen und als explorativ zu bezeichnen sind (vgl. Tabelle 3). Der erste Sammelband, der sich mit der Darstellung von Migrantinnen in den deutschen Medien beschäftigt, wurde 1996 von Röben und Wilß herausgegeben und trägt den paradigmatischen Namen "Verwaschen und verschwommen- Fremde Frauenwelten in den Medien". Darin beleuchten die Autorinnen einzelne Phänomene und leisten erste explorative Arbeit im Forschungsfeld. Die Beiträge sind jedoch nicht systematisch an empirischem Material ausgerichtet und können deshalb nur als Einzelfallanalysen gelten. So werden Artikel der Frauenzeitschrift BRIGIITE betrachtet (Amanuel 1996) oder die durch die Medien produzierten, patriarchal strukturierten Fantasien von der "fremden Frau" (Huhnke 1996) analysiert. Daran anschließende Forschung untersucht auf theoretischer Basis die Verbindungen von rassistischer und sexistischer Diskriminierung in den Massenmedien (Röben/Wilß 1997; Röben 1998) und liefert empirische Untersuchungen zur Darstellungsweise von Migrantinnen (Bulut 2000; Hentges 2006; Farrokhzad 2006). Im Forschungsfeld dominieren Untersuchungen, die den medialen Darstellungsweisen von muslimischen Migrantinnen nachgehen. Eine Monografie über die Darstellung muslimischer Frauen in dem NachrichtenmagazinDER SPIEGEL liegt von Röder aus dem Jahr 2007 vor. Diese Arbeit leistet mit ihrem großen empirischen Korpus einen wichtigen Beitrag zum Forschungsfeld und gibt erstmals quantitative Befunde darüber, wie der SPIEGEL über Musliminnen berichtet. Es liegen eine Reihe weiterer Einzelbeiträge vor, die entweder theoretisch angelegt sind, mit Fallbeispielen arbeiten oder die Darstellung von Musliminnen reflektieren (Pinn 1997; ZIF 2002; Neumann 2002; Schiffer 2007; Dietze 2009). Tabelle 2 stellt die wichtigste Forschungsliteratur dar, die Aussagen über die Repräsentation von Migrantinnen in Printmedien trifft. Systematische Analysen der überregionalen Qualitäts- oder Boulevardpresse liegen bislang noch nicht vor. Tabelle 3 fasst die vorliegenden Arbeiten zu Migrantinnen im Fernsehen zusammen und zeigt darüber hinaus die Leerstellen der Kommunikationsforschung zur Darstellung von Migrantinnen im Radio und Internet auf.
30 I Migrantinnen in den Medien
Autorln
Methode
Material
Huhnke (1996)
Diskursanalyse
DER SPIEGEL, nicht systematisch ausgewählte Beispiele von 1980 bis 1992
Amanuel (1996*)
Inhaltliche Betrachtung
BRIGITTE, drei exemplarisch ausgewählte Dossiers
Farrokhzad (2002*; 2006*)
Diskursanalyse
DER SPIEGEL, EMMA, keine systematische Auswahl, zahlreiche Beispiele
Hentges (2006)
Diskursanalyse
DER SPIEGEL, systematische Auswahl für 2001 und I/2002
Röder (2007*)
Quantitative Inhaltsanalyse
DER SPIEGEL, systematische Auswahl, 1975-2005
Weilgraf (2008*)
Inhalts- und Entstehungsanalyse
DER SPIEGEL, eine Titelgeschichte
Tageszeitung überregional
-
-
-
Tageszeitung lokal
Bobber et al. (1996)
Sammlung aller Artikel über AusländerInnen; Klassifizierung nach Inhalt
RUHR-NACHRICHTEN, WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU, WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG, erhoben von 9.1995 bis 2.1996
Tageszeitung Boulevard
-
-
-
Wochenzeitung/ Zeitschrift
Tabelle 2:
Studien zur Darstellung von Migrantinnen in Printmedien Die mit* gekennzeichneten Studien untersuchen vor allem die Darstellung der muslimischen Migrantin.
Autorln
Methode
Toker (1996)
Persönliche Einschätzungen als Rundfunkrätin
Keine systematische Auswahl
Bulut (2000)
Inhaltliche Betrachhmg
21 Kino- und Fernsehfilme aus 30 Jahren, keine systematische Auswahl
Paulus (2007b*; 2008*)
Diskursanalyse
TV-Dokumentation "Fremde Nachbarn"
Paulus (2007a*)
Diskursanalyse
TV-Dokumentationen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, 2000-2006
Radio
-
Internet
-
-
Fernsehen
Tabelle 3:
Material
-
Studien zur Darstellung von Migrantinnen in elektronischen Medien Die mit * gekennzeichneten Studien untersuchen vor allem die Darstellung der muslimischen Migrantin.
Migration in der globalisierten Mediengesellschaft
1
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1.3.1 Das Problem der Nicht-Wahrnehmung
Die repräsentative Fernsehstudie von Krüger und Sirnon (2005, vgl. Kapitel1.2.1) zur Darstellung von Migranten in den Medien gibt unter anderem auch Auskunft zur medialen Präsenz von migrantischen Frauen. Sie konstatieren, dass Frauen mit Migrationshintergrund deutlich seltener als Migranten in den untersuchten Sendungen zu finden sind (vgl. ebd.: 113). Auf quantitativer und qualitativer Basis belegen die Autoren, dass nur in einem Drittel aller migrationspezifischen Beiträge Frauen mit Migrationshintergrund in Erscheinung treten. Obwohl sie den Befund mit der allgemeinen Unterrepräsentation aller Frauen in der Fernsehrealität erklären, sehen wir hier gerade die Kombination einer migrationsspezifischen und genderspezifischen Diskriminierung, die zum geringen Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund im Fernsehen führt. Bobher et al. (1996) haben in ihrer Untersuchung zur Darstellung von Ausländerinnen13 in drei nordrhein-westfälischen Printmedien ein umfangreiches Materialkorpus erhoben. Sie weisen nach, dass ausländische Frauen in den 1550 Beiträgen ihres Samples nur vierzehnmal zum Subjekt der Nachricht werden (vgl. ebd.: 9). Obwohl die Lokalzeitungen im einwanderungsstarken Bundesland Nordrhein-Westfalen erscheinen, ignorieren sie die Frauen mit Migrationshintergrund völlig. Toker (1996) geht in ihrer Analyse eher deskriptiv vor. Auf der Grundlage ihrer Erfahrungen als Rundfunkrätin beschreibt sie die Fragrammentwicklung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und konstatiert eine Leerstelle in der Darstellung von Migrantinnen. Ihre Kritik an "dreißig Jahren deutsche[r] Fernsehwelt Die Migrantinnen sind in den Medien gestern wie heute kaum vertreten" (vgl. ebd.: 31). Ihr Ausgangspunkt ist die weibliche Migration nach Deutschland und deren Darstellungsweise im deutschen Fernsehen. Die ersten Migrantinnen kamen in den 1960er Jahren nach Deutschland, um ihre Familien in der Türkei und in Italien zu finanzieren. Toker resümiert, dass diese wirtschaftlich unabhängigen Frauen in d en deutschen Medien nicht auftauchten. Die zweite Generation von Migrantinnen zog nicht zur Arbeitssuche nach Deutschland, sondern um nach der wirtschaftlichen Krise 1967 bei ihren in Deutschland arbeitenden Männern, Söhnen oder Vätern zu leben. Medial sieht Toker erst diese zweite Generation von Migrantinnen in Bildern realisiert. Sie würden jedoch lediglich als Frauen erscheinen, die ihre Männer wie "Anhängsel" (ebd.: 34) begleiten . Ab d en 1970er Jahren sieht Toker eine zahlenmäßig zunehmende Berichterstattung über die nach wie vor als Gastarbeiter bezeichneten Männerund ihre Frauen in Deutschland. Inhaltlich folgten die Nachrichten
13 "Ausländerinnen" ist der in der Studie verwandte Begriff.
32 I Migrantinnen in den Medien
jedoch einem einfachen Schema und sähen den ausländischen Mann als Unterdrücker seiner Ehefrau. Besonders die zu dieser Zeit entstandenen feministisch und aufklärerisch gemeinten Beiträge im Fernsehen hätten dazu beigetragen, das Bild der unterdrückten und leidenden Migrantin in die deutsche Öffentlichkeit einzuführen. Daneben beobachtet die Autorin einen steigenden Anteil von türkischen und muslimischen Migrantinnen an der Berichterstattung über Migration. Diese würden dominant im Zusammenhang von Unfreiheit und Zwang thematisiert (ebd.: 40). Aufgrund der über einen Zeitraum von 30 Jahren angelegten Betrachtung von Toker wird deutlich, dass die Berichterstattung über Migrantinnen im Fernsehen zeitlich verzögert eingesetzt hat. Anders als in der nachrichtlichen Berichterstattung kann man in fiktionalen Formaten schon relativ früh die Sichtbarkeit von Migrantinnen feststellen. Bulut (2000) legt dar, dass ab 1969 filmische Auseinandersetzungen mit der Arbeitsmigration von Frauen in den Kinos zu sehen waren. In ihrem explorativen Überblick über die deutsche Film- und Fernsehproduktion seit Ende der 1960er Jahre hat sie 21 Kinofilme und Fernsehspiele auf ihre Inszenierung von Frauen nicht-deutseher Herkunft untersucht. Sie sieht darin eine positive Entwicklung der Frauenrollen vom Objekt zum Subjekt (vgl. ebd.: 261). Bulut thematisiert damit einen weiteren zentralen Befund des Forschungsstandes und eröffnet so das Forschungsfeld zur Art der Darstellung von Mi grantinnen in den Medien. 1.3.2 Das ,Wie?' der Darstellung
Huhnkes Beitrag aus dem Jahr 1996 setzt sich detailliert mit den Stereotypen auseinander, die über Migrantinnen in deutschen Medien hergestellt werden. Huhnke macht deutlich, wie zum Teil jahrhundertealte westeuropäische Denk- und Beurteilungstraditionen in Medienbildern von Migrantinnen aktuell zum Tragen kommen. Sie stellt fest, dass insbesondere die Mythen des "Orientalismus" und des "erotischen Exotismus" sowie Mythen aus der US-amerikanischen Sklaverei, die in den Machtstrukturen der Kolonialgeschichte entstanden sind, auch in der aktuellen medialen Berichterstattung mitschwingen (Huhnke 1996: 121). Sie beschreibt den journalistischen Text als für einen männlichen Blick produziert, in dem die ,fremden' Frauen zu Objekten der Begierde gemacht würden. Die Autorin verdeutlicht und belegt ihre Analyse an Beispielen aus dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. Die gewählten Beispiele folgen dabei jedoch keiner systematischen Auswahl, was die Aussagekraft nicht für den Einzelfall schwächt, jedoch keine allgemeingültigen Aussagen über das Nachrichtenmagazin zulässt. Huhnke untersucht mit Hilfe einer Diskursanalyse - die Grundgesamtheit nicht
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weiter erläuternd- im Zeitraum von 1980 bis 1992 die Berichterstattung des SPIEGEL über Migrantinnen in Deutschland. Sie legt dabei die Stereotype offen, mit denen das Nachrichtenmagazin vor allem im Politikteil "die schwarze Frau", "die Türkin" und " die Osteuropäerin" medial konstruiert. Für die aus afrikanischen Ländern stammende Frau findet Huhnke im SPIEGEL nur eine Beschreibung: sie sei eine billige Prostituierte. Und auch die Osteuropäerin erscheine als Frau, die für wenig Geld zum Sex bereit sei. Allein die Türkin träte nicht als offen sexualisiertes Objekt auf, sondern würde durch ihre weite Bekleidung in der Öffentlichkeit verhüllt und gälte somit als nur für ihren Ehemann verfügbar. Nach Huhnke ist der muslimische Frauenkörper aufgrund seiner Unkenntlichmachung durch den Schleier vor offenem Sexismus geschützt und wird medial nicht als verfügbare Ware wie der Körper von Osteuropäerinnen oder afrikanischen Frauen verhandelt. Dennoch wird auch bei türkischen Migrantinnen das Thema Sexualität Teil der Darstellung, wenn die Jungfräulichkeit der Musliminnen zum Thema der Berichterstattung wird (vgl. ebd.: 130). Zentral in der Inszenierung der Migrantin ist gemäß Huhnke die sprachliche Subjektposition, die der SPIEGEL gegenüber den Frauen aufbaut. Das Gebot der journalistischen Neutralität missachtend und stattdessen den schlüpfrigen "Jargon des Freiers" (ebd.: 124) annehmend, beschreibe er die afrikanischen und osteuropäischen Frauen w ie Objekte der Lust. Dieser Jargon werde erzielt, indem Zitate der männlichen Freier unkommentiert als Bildunterschriften oder als in den journalistischen Text eingebundene Beschreibungen benutzt werden. Die fotografischen Abbildungen verstärkten die Objektposition der Migrantinnen zusätzlich. Huhnke beschreibt, wie die Frauen oft nackt und frontal zur Kamera sitzen, die Freier neben ihnen aber angezogen sind und ihre Gesichter mit einem schwarzen Balken unkenntlich gemacht werden. So würden diese vor der Öffentlichkeit geschützt, während die Frauen ihr voyeuristisch ausgeliefert seien. Hentges (2006) hat in ihrer Untersuchung der Migrationsberichterstattung im SPIEGEL auch den Einsatz weiblicher Stereotype herausgearbeitet. Ebenfalls mittels einer Diskursanalyse untersucht Hentges in der Berichterstattung aus dem Jahr 2001 und im ersten Quartal2002 den Diskursstrang Zuwanderung, Einwanderung, Flucht und Asyl. Dazu isoliert sie einzelne Themenfelder aus der deutschen politischen Debatte: Green Card, Zuw anderung, Flucht und Asyl, (Spät-)Aussiedler/innen sowie Integration und Integrationsdefizite. Neben den Texten berücksichtigt sie auch die grafische Gestaltung der Beiträge. Hentges zeigt, in welchem Maße sich die Berichterstattung im SPIEGEL darauf versteht, den sozialen Status der einzelnen Migrationsgruppen zu unterscheiden und als hierarchisches Gefälle darzustellen. "Die Berichterstattung im SPIEGEL differenziert sehr genau zwischen den verschiedenen Formen
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der Zu- bzw. Einwanderung" (ebd.: 108). Es würde nach der Herkunft einzelner Zuwanderungsgruppen, ihrem sozialen Prestige, ihrer Ausbildung und ihrem wirtschaftlichen Gewinn für Deutschland - bzw. ihrem Gefahrenpotential -unterschieden. Tabellarische Darstellungen, Fotos, Diagramme und Infografiken dienten sowohl dazu, ökonomisch wichtige Zuwanderer und Zuwanderinnen positiv zu schildern, als auch - im Kontrast dazu - ein Bild der Bedrohung von wirtschaftlich schwachen Flüchtlingen zu erzeugen (ebd.). Als Beispiele für positive Integration fungierten Migranten und Migrantinnen im SPIEGEL dann, wenn sie sich als beruflich erfolgreich hervorgetan hätten und der Aufnahmegesellschaft somit aktiv Nutzen brächten. Als Negativbeispiel diene dem Nachrichtenmagazin in der Debatte um Integration hingegen stets die muslimische Frau mit dem Kopftuch. Sie würde zur Verkörperung der Idee einer hermetisch abgeschlossenen " Parallelgesellschaft" von in Deutschland lebenden Zuwanderern und Zuwanderinnen stilisiert (ebd.: 106). Hentges macht hier sichtbar, wie die Verzahnung von Ethnizität und Geschlecht in der Medienberichterstattung in besonderer Weise dazu dient, Fremdheit und Differenz als Bedrohung zu inszenieren. Zu ähnlichen Befunden bei der Analyse der SPIEGEL-Berichterstattung kommt Farrokhzad (2002: 81): "Bei näherem Hinsehen lässt sich feststellen, dass einige Berichte, die sich etwa mit Migrantinnen beschäftigen, nicht nur ein relativ kleines Spektrum von Themenfeldern aufweisen, sondern zudem eine nationalspezifische Färbung offenbaren. Türkische Frauen werden zum Beispiel eher im Zusammenhang mit dem Islam oder der ,Integrationsproblematik' thematisiert, während Osteuropäerinnen eher im Zusammenhang mit Prostitution in Erscheinung treten." Die vorliegende, primär explorative Forschung zeigt, dass Frauen mit Migrationshintergrund in deutschen Medien hochgradig stereotyp dargestellt werden. Sowohl geschlechtliche als auch ethnische Zuschreibungen sind zentraler Bestandteil der Darstellung und werden eingesetzt, um die Frauen nach ihrem sozialen und gesellschaftlichen Status zu klassifizieren. Jene Themenkomplexe, in denen Migrantinnen auftreten, werden mit Rhetoriken der Unterdrückung medial inszeniert: Menschenhandel, Prostitution und Islam. Die Medienbilder sind einseitig und sexualisiert, wenn nicht gar explizit sexistisch und evozieren den Eindruck von Passivität und Entmachtung der Subjekte. Diese Stereotype entstehen einerseits in Relation zueinander: Wo die sexuelle Verfügbarkeit zum Fixpunkt der Berichterstattung über die Osteuropäerinnen und Afrikanerinnen wird, ist als Gegenstück die verschleierte Sexualität der muslimischen Migrantin zu sehen. Doch diese Zuschreibungen entstehen andererseits auch in Beziehung zu den männlichen Akteuren der Nachrichten. In den Figuren der Freier, Menschenhändler und der muslimischen Patriarchen wird ein dominantes, männliches Gegenbild zur un-
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terdrückten Migrantin entworfen. Schließlich nimmt auch der in den Medientext eingeschriebene "männliche Leser" durch die sprachliche und visuelle Gestaltung der Artikel eine überlegene Subjektposition gegenüber der Migrantin ein und degradiert die dargestellte Frau zum Objekt. 1.3.3 Der Diskurs um die muslimische Frau Die Mus/imin in den Printmedien
Die mediale Darstellung von Migration greift auf ein enges Repertoire an Rollenzuweisungen zurück: "die Prostituierte", "die Sexsklavin" und "das machtlose Opfer". Die vorliegenden Studien zeigen, dass die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht in einen direkten Zusammenhang zu Sexualität und Begehrtwerden gestellt wird. Neben dieser als natürlich präsentierten heteronormativen Deutung liefert spätestens seit der islamischen Revolution 1978/79 im Iran auch die Weltreligion Islam der westlich-christlichen Position Interpretationsmuster und imaginierte Erklärungen, um besonders die Migrantin aus dem arabischen Raum als muslimische Migrantin darzustellen (vgl. Schiffer 2007). Die geografische Herkunft wird hier durch eine religiöse Zuordnung ersetzt. So richten die deutschen Medien nicht erst seit dem 11. September 2001 einen kritischen Blick auf die muslimische Migrantin. Bereits die Bilder von den Aufständen gegen das Schah-Regime im Iran lieferten der westlichen Öffentlichkeit einen Interpretationsrahmen des Islam und seiner Geschlechterordnung, in dem nachfolgend auch die in Deutschland lebenden Musliminnen gedeutet werden14 (vgl. Pinn 1997: 216; Amanuel1996: 98). Dieses Repertoire an Deutungen hat sich allerdings im Kontext der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen, in dem Judentum und Christentum antagonistisch zum Islam positioniert werden, noch verschärft. Die Muslimin wird zur Verkörperung religiöser und kultureller Fremdheit und Bedrohung (vgl. Schiffer 2007). " Im Diskursstrang ,Islam' verläuft der Hauptteil der Debatte über die Kategorie Geschlecht", schreibt Farrokhzad (2002: 80, Herv. i. 0.). Sie bringt damit ein zentrales Ergebnis der einschlägigen Studien auf eine Formel, denn in den deutschen Medien wird das komplexe und vielfältige Thema Islam vor allem am Körper der Muslimin diskursiv verhandelt. 15
14 Eine Studie von Mikota (1996: 112) hat anhand der Untersuchung von Mitgliederzeitschriften deutscher Gewerkschaften Belege dafür gefunden, dass bereits in den 1960er Jahren in Afrika lebende Frauen als durch den Islam unterdrückt dargestellt wurden. 15 Um die Rolle der Muslimin im Verhältnis von Orient und Okzident zu verstehen, sei auf zwei zentrale kulturwissenschaftliche Arbeiten verwiesen (Pinn/Wehner 1995; von Braun/Mathes 2007).
36 I Migrantinnen in den Medien
Röder (2007) hat die Darstellung der muslimischen Frau in der SPIEGEL-Berichterstattung untersucht und liefert mit ihrer Arbeit repräsentative Daten. 91 Artikel - die gesamte Berichterstattung im SPIEGEL über die Musliminzwischen 1975 und 2005- werden in einer quantitativen Inhaltsanalyse untersucht, die nach den zugewiesenen Handlungsrollen der muslimischen Frauen fragt. Röder geht in ihrer Analyse sowohl inhaltlichen als auch semantischen Fragen nach und untersucht, ob und wie stereotype Darstellungen über muslimische Frauen in der Berichterstattung des SPIEGELS hergestellt und stabilisiert werden. In dem Material w urde dafür nicht nur die textliche, sondern auch die visuelle Repräsentation der Beiträge kodiert. Die Studie legt ihren Fokus allgemein auf die muslimische Frau und bezieht somit sow ohl Frauen in die Analyse mit ein, die als muslimische Migrantinnen in Deutschland leben, als auch Frauen muslimischen Glaubens in allen anderen Ländern. Ein gutes Drittel (35 %) der gesamten Berichterstattung behandelt Musliminnen in Deutschland. Diese werden vor allem in rechtlichen Themengebieten zur Sprache gebracht, besonders wenn es um "Integrationsprobleme", den " Islam allgemein" oder um "Politik" geht (ebd.: 82). Muslimische Frauen werden in der Berichterstattung des Nachrichtenmagazins zu über einem Viertel in Opferrollen präsentiert, danach folgen Repräsentationen, die sie in einer politischen Funktion und als moderne Frau (beides 19 %) oder in einer familiären Rolle (13 %) zeigen (vgl. ebd.: 84). Die Rolle der Exotin, mit der Frauen aus muslimischen Ländern noch bei Huhnke (1996) beschrieben wurden, verliert in dem Material von Röder an Bedeutung. Lediglich acht Prozent der Berichterstattung gehören in diese Kategorie (vgl. ebd.). Auch die Rolle der " Extremistin" findet sich bei Röder nur selten (vgl. ebd.: 87). Die Ergebnisse einer kritischen Diskursanalyse, die Farrokhzad (2002, 2006) anhand von ausgewählten Artikeln des SPIEGEL und der EMMA durchgeführt hat, zeigen, dass das erotisch konnotierte Bild der Orientalin im deutschen Mediendiskurs verschwindet und durch Attribute wie Rückständigkeit und Unzivilisiertheit ersetzt w ird. Die Kopfbedeckung fungiert zwar immer noch als wichtiger Bestandteil der Inszenierung, doch wird sie nicht mehr zum sinnlichen Schleier erklärt, sondern das Kopftuch gilt nunmehr als Zeichen der Bäuerlichkeit und unaufgeklärten Gottesfurcht (vgl. 2002: 86). Daneben erfüllt die Figur der modernen Muslimin eine interessante Funktion. Farrokhzad zeigt an diesem Typus, wie das Nicht-Tragen des Schleiers in der deutschen Berichterstattung als Zeichen der Modernität und Aufgeklärtheit gesehen wird (ebd.: 87). Hier entstehen die "anderen Anderen" (ebd.). Denn aus der Gruppe der Frauen mit muslimischer Religionszugehörigkeit kristallisieren sich in der medialen Darstellung die gebildeten und säkularisierten Frauen heraus und setzen sich gegen die verschleierten,
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gläubigen Musliminnen ab (vgl. hierzu auch WeHgraf 2008). Die Zuschreibungen sind damit eindeutig: Auf der einen Seite steht die der deutschen Frau ähnliche, emanzipierte Muslimin und auf der anderen Seite die rückständige, unterdrückte Kopftuchträgerin. Diese verengte Konzentration der Medienberichterstattung auf den Schleier als Symbol der Unterdrückung zeigt sich auch an Formulierungen wie "die gemäßigte Muslima" (Schiffer 2007: o. S.). Schiffer verdeutlicht beispielsweise anhand der medialen Berichterstattung über eine muslimische Religionslehrerin, die ohne Kopftuch an einer deutschen Schule unterrichtet, wie diese als Sonderfall und Ausnahme dargestellt wird. Jede Muslimin mit Kopftuch muss im Vergleich dazu automatisch als fanatisch religiös gelten. Eine weitere Strategie der deutschen Berichterstattung bezeichnet Schiffer (2007) als " Kronzeugenregelung". Kronzeuginnen seien jene Frauen aus der muslimischen Community, die in den Medien auftreten und durch ihre Emanzipation von der Gruppe Urteilskompetenz zugesprochen bekommen. Die Soziologin Nec,:la Kelek, die Politikerin Ayaan Hirsi Ali oder die Rechtsanwältin Seyran Ate~?, die sich gesellschaftspolitisch für die Stärkung der Rechte muslimischer Migrantinnen in Deutschland und Europa einsetzen, sind bekannte Beispiele von als Kronzeuginnen inszenierten Expertinnen, die aus dem Inneren der vermeintlich hermetisch abgeschirmten Parallelgesellschaft berichteten. Schiffer kritisiert, wie diese Frauen als gebildete und darüber hinaus vor allem medienaffine Aktivistinnen ihre Islamkritik mit großer Autorität medial äußern könnten. Der journalistischen Sorgfalt würde jedoch nicht genüge getan, auch ebenso kompetente Gegenstimmen in die Diskussion um den Islam miteinzubeziehen. Als drei Kronzeuginnen, die durch eine eigene Geschichte, ihre Ausbildung und Arbeit die Unterdrückung von Frauen durch den Islam dokumentieren könnten, träten diese Frauen immer wieder in den Medien auf und spielten so der gegen den Islam voreingenommenen, deutschen Mehrheitsgesellschaft Argumente zu (vgl. ebd.). Anhand von zahlreichen Beispielen aus der deutschen Printberichterstattung über muslimische Migrantinnen weist Schiffer außerdem darauf hin, dass die verschleierte Muslimin meist auf Bildern erscheint und zu "Illustrationszwecken" dient (Schiffer 2007: o. S. ). Ihr Konterfei wird dabei auch für journalistisch aufbereitete Themen herangezogen, die sich nicht primär um ihre Person drehen. Ob bei der Debatte um die Einwanderung nach Deutschland, um die Integrationskurse oder die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die Kopfbedeckung dient in der visuellen Aufbereitung der Texte dazu, Kennzeichen der Fremdheit einzusetzen. Die verschleierte oder Kopftuch tragende Frau wird so zum Schlüsselbild für die mediale Repräsentation kultureller Fremdheit und Rückständigkeit.
38 I Migrantinnen in den Medien
Klaus und Drüeke (2010) sowie Drüeke, Kirchhoffund Klaus (2010) untersuchen ebenfalls die symbolischen Implikationen des Schleiers im transnationalen Europa. Sie verfolgen dabei einen Ansatz, der Medien und ihre gesamte Bedeutungsproduktion als geopolitische Räume konstruiert, weshalb sie nicht einzelnen Medien oder Mediengattungen nachgehen. Medieninhalte sehen sie als semiotische Räume, welche mit Bedeutungen gefüllt werden können oder sich vor Interpretationszuweisungen verschließen. Die Autorinnen zeigen, wie sich die öffentliche Debatte um den Schleier als etwas offenbart, das vor allem dazu dient, geopolitische Grenzziehungen zwischen dem Inneren und dem Äußeren von Europa zu verdeutlichen. Die Autorinnen sehen jedoch, dass mit diesen abgeriegelten Medienräumen durchaus widerständig umgegangen werden kann, was sie mit Beispielen aus der Kunst belegen. In der Ablehnung der hegemonialen Vorstellung des Schleiers als Zeichen der Marginalisierung entstünden mit der Medienaneignung neue "Zwischen-Räume" (Klaus/Drüeke 2010: 116). Die verschiedenen Inhaltsanalysen der deutschsprachigen Berichterstattung über Musliminnen zeigen, dass in den medialen Konstruktionen der muslimischen Frauen in Deutschland und Europa ein westliches Wertesystem kolportiert wird, in dem die Muslimin als Gegenentwurf zur westlichen Frau dient. Die westliche Welt wird dabei zum erfolgreichen Repräsentanten der Geschlechtergleichstellung. Die Kulturwissenschaftlerin Dietze (2009: 184) schreibt hierzu: "Sexismus wird damit weg von den weiterhin unbefriedigenden abendländischen Geschlechterverhältnissen auf die ethnisch ,Anderen' verschoben. Interessanterweise entsteht in diesem Screen das Bild von der emanzipierten okzidentalen Frau wie von selbst." Indem die moderne, atheistische Frau mit Migrationshintergrund gegen die gläubige, verschleierte Muslimin ausgespielt wird, zeigt sich, dass die okzidentalen Werte der Disziplinierung dienen. Wer nach einer westlichen Vorstellung lebt und den dazugehörigen Wertekanon vertritt, wird als Mitglied im Einwanderungsland Deutschland akzeptiert. Die Mus/imin in der aktuellen Fernsehberichterstattung
Die Analysen von Printmedien zeigen, dass die Muslimin in einem tendenziell problembehafteten Kontext dargestellt wird. Dabei ist die durch sie repräsentierte Geschlechterordnung immer ein zentrales Narrativ. Dieses Resultat deckt sich mit der Fernsehanalyse von Hafez und Richter (2007, vgl. Kapitel 1.2.1), die ebenfalls darlegt, dass Berichte über Frauen im Islam stets in einem gesellschaftspolitischen, kritischen Kontext aufbereitet sind. Nur in vier Prozent der Beiträge über den Islam tauchen Frauen als handlungsrelevante Akteurinnen auf. Die
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Handlungsrollen der muslimischen Frauen sind dabei extrem eingeschränkt, denn diese Beiträge erzählen entweder von der Emanzipation der Frauen vom Islam oder sie machen die Unterdrückung der Frau durch den Islam zu ihrem Gegenstand (vgl. ebd.: 3). Was Hafez und Richter auf einer repräsentativen Ebene zeigen, m acht Paulus (2007a) mit Hilfe einer Diskursanalyse am Beispiel von öffentlich-rechtlichen Fernsehdokumentationenüber Muslime von 2000 bis 200616 noch deutlicher. Sie weist zunächst daraufhin, dass in der aktuellen Fernsehberichterstattung über Musliminnen und Muslime in Deutschland eine Pluralisierung der Rollen muslimischer Frauen stattgefunden habe, die nun auch als Schülerinnen, Ärztinnen, Moderatorinnen, Hausfrauen und Mütter, Büroangestellte, gläubige und säkulare Musliminnen zu sehen seien. Doch diese vielfältigen Darstellungsweisen kommen dennoch nicht ohne den impliziten Bezugspunkt zur verschleierten Frau aus. Für Paulus (2007a: o. S.) gilt: ,,In diesem Motiv [der kopftuchtragenden Muslimin, Anm. d. A.] verdichtet sich die Gegenüberstellung von Moderne und Traditionalismus, die als ein alles durchdringender Gegensatz die medialen Darstellungen von Muslimen insgesamt prägt." Da die vervielfältigten Rollen weiterhin als Abweichungen inszeniert und vom Publikum erkannt würden, sieht Paulus hier kein Ausbrechen aus den Stereotypen, sondern sie bewertet dies als Bestärkung und Rückversicherung einer "modernen, emanzipierten, fortschrittlichen und überlegenen deutschen Gesellschaft" (ebd.). In Paulus' Materialkorpus sind keine Bilder von Musliminnen auszumachen, die ohne Referenz auf Themen w ie Unterdrückung und patriarchale Gewalt auskommen. Sie schlussfolgert: "Aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft ist eine Muslima außerhalb des thematischen Bezugs [von Gewalt und Unterdrückung, Anm. d. A.] weder denk- noch sichtbar." (ebd.) In der Detailanalyse der TV-Dokumentation "Fremde Nachbarn. Muslime zwischen Integration und Isolation" untersucht Paulus (2007b; 2008) die ästhetischen Inszenierungsstrategien, mit denen die zwei muslimischen Akteurinnen und der muslimische Akteur in Szene gesetzt werden. Sie kritisiert, wie das Genre Dokumentarfilm mit seinem Anspruch auf Authentizität filmische Mittel benutzt, um eine spezifische Deutung muslimischer Lebensw eisen zu konstruieren. Gewalt und Unterdrückung von Frauen, so suggeriere der Medientext, seien selbstverständlicher Bestandteil des Alltags von Migrantinnen.
16 Nähere Angaben zu Auswahl und Materialkorp us m acht die Autorin nicht.
40 I Migrantinnen in den Medien
1.3.4 Fazit und Desiderata
Die Darstellung von Migrantinnen in deutschen Medien wurde bislang nur punktuell beforscht. Das wöchentliche Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL war dabei der häufigste Untersuchungsgegenstand. Dabei überwiegen jedoch qualitative Fallstudien, nur Röders Arbeit legt systematisch gewonnenes Material zu Grunde. Allerdings kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine valide Aussage darüber getroffen werden, ob der SPIEGEL in den kritisierten rassistischen und sexistischen Tendenzen einen Extremfall in der deutschen Berichterstattung darstellt. Auf dem Gebiet d er Printmedien fehlen nach wie vor systematische Studien, die auch die tagesaktuelle Presse miteinbeziehen. Empirische Arbeiten über die Repräsentation von Ethnizität und Geschlecht in den überregionalen Qualitätszeitungen, den regionalen und lokalen Zeitungen oder den Boulevard-Printmedien sind bislang ausgeblieben. Auch Frauenzeitschriften oder andere Publikumszeitschriften sind bis zum heutigen Zeitpunkt weitestgehend unerforscht mit Blick auf die Thematisierung der Lebenswelten von Migrantinnen. Des Weiteren mangelt es an systematischer Materialsichtung und es fehlt an repräsentativen Untersuchungen. Nur wenige Studien zeichnen sich durch eine konsequente Betrachtung des Gesamtmaterials aus, auf dessen Grundlage sie eine systematische Auswahl der Analyseeinheiten treffen. Dies zeigt sich auch darin, dass das analysierte Medienmaterial unzureichend charakterisiert wird. Damit lassen sich die Ergebnisse nur begrenzt generalisieren und einige Studien kommen aufgrund ihrer eklektisch gesammelten Medienbeispiele über einen Singularitätsanspruch nicht hinaus. Da die Einzelfallanalysen jedoch Strukturen und Tendenzen sichtbar machen, die für das Forschungsfeld wichtig sind, wäre hier eine größere Systematik wünschenswert. Positiv anzumerken ist dagegen die hohe theoretische Reflexion zahlreicher Arbeiten. Mit diskursanalytischen Ansätzen gelingt es, die Verschränkungen von Sexismus und Rassismus in der medialen Verhandlung des Einwanderungsdiskurses sichtbar zu machen. Auch dem Zusammenspiel von visueller und sprachlicher Darstellung in der journalistischen Berichterstattung kann mit diesen Forschungsmethoden Rechnung getragen werden. Wünschenswert wäre es folglich, diese theoretisch reflektierten, qualitativen Analysen um standardisierte Arbeiten auf breiterer empirischer Materialbasis zu ergänzen. Inhaltlich wird das Forschungsfeld von Untersuchungen zu d en spezifischen Darstellungsweisen muslimischer Migrantinnen in den Medien dominiert. Dabei zeigen diese Studien eindrucksvoll, in welcher Weise durch die Verknüpfung von Ethnizität und Geschlecht in der Medienberichterstattung die kulturelle Konfrontation von Okzident und Orient als Gegensatz von Moderne und Traditionalismus hergestellt
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wird. Durch diese Analysen, die ausschließlich den clash of civilisations in der medialen Darstellung von migrantischen Lebensentwürfen in den Ländern des globalen Westens sehen, wird jedoch auch eine interpretatorische Engführung der Medien ersichtlich. Die dominante Inszenierung der Muslimin als besondere Andere erschwert die Sichtbarkeit von weiteren migrantischen Lebensentwürfen in den Medien. Es bedarf deshalb weiterer Studien, die das gesamte Spektrum von in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund und deren Repräsentationen in den Medien untersuchen. Im Zusammenspiel von Medienbild und dessen Rezeption wird gesellschaftliche Zugehörigkeit durch das Medienpublikum verhandelt. Die Nutzung deutscher oder heimatsprachlicher Medienangebote ist dabei immer auch als Reaktion auf die in diesen Medien entworfenen Images und deren Identifikationspotenzial zu sehen. Hier wird die Bedeutung eines differenzierten und vielfältigen Darstellungsangebots in den Medien sichtbar. Diversität als Vielfältigkeit ethnischer und geschlechtsgebundener Lebensentwürfe wird so zu einem Qualitätskriterium demokratischer Medienöffentlichkeit Nur so kann die Partizipation aller in Deutschland lebenden Bevölkerungsgruppen an gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen möglich werden. Sowohl ökonomische Globalisierungsprozesse wie sich verstärkende wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Nord und Süd und kriegerische Auseinandersetzungen werden auch in Zukunft weltweit Migrationsströme verursachen. Medien übernehmen eine wesentliche Funktion, diese gesellschaftlichen Wandlungsprozesse sichtbar zu machen. Damit werden sie zum gelebten Alltag und ermöglichen allen Bewohnerinnen und Bewohnern eines Landes an der öffentlichen Auseinandersetzung um die gemeinsame gesellschaftliche Identität, die einem fortlaufenden Wandel unterzogen ist, teilzuhaben.
1.4
Aufbau der empirischen Studie
Anknüpfend an eine erste systematische Aufarbeitung des deutschsprachigen Forschungsstandes zu Migration und Medien wird sichtbar, dass eine geschlechtsspezifische Betrachtung der Medienberichterstattung über bzw. die Mediennutzung von Migrantinnen bislang allenfalls in Form von Fallstudien stattgefunden hat. Das empirische Wissen über die mediale Darstellung speziell von Migrantinnen ist damit im deutschsprachigen Raum recht dünn. Daher werden hier im Rahmen einer Inhaltsanalyse empirische Aussagen über das medial konstruierte Bild der Migrantin erhoben und interpretiert. In einem weiteren Schritt wird die Rezeption und Aneignung dieser Medienbilder
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wird. Durch diese Analysen, die ausschließlich den clash of civilisations in der medialen Darstellung von migrantischen Lebensentwürfen in den Ländern des globalen Westens sehen, wird jedoch auch eine interpretatorische Engführung der Medien ersichtlich. Die dominante Inszenierung der Muslimin als besondere Andere erschwert die Sichtbarkeit von weiteren migrantischen Lebensentwürfen in den Medien. Es bedarf deshalb weiterer Studien, die das gesamte Spektrum von in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund und deren Repräsentationen in den Medien untersuchen. Im Zusammenspiel von Medienbild und dessen Rezeption wird gesellschaftliche Zugehörigkeit durch das Medienpublikum verhandelt. Die Nutzung deutscher oder heimatsprachlicher Medienangebote ist dabei immer auch als Reaktion auf die in diesen Medien entworfenen Images und deren Identifikationspotenzial zu sehen. Hier wird die Bedeutung eines differenzierten und vielfältigen Darstellungsangebots in den Medien sichtbar. Diversität als Vielfältigkeit ethnischer und geschlechtsgebundener Lebensentwürfe wird so zu einem Qualitätskriterium demokratischer Medienöffentlichkeit Nur so kann die Partizipation aller in Deutschland lebenden Bevölkerungsgruppen an gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen möglich werden. Sowohl ökonomische Globalisierungsprozesse wie sich verstärkende wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Nord und Süd und kriegerische Auseinandersetzungen werden auch in Zukunft weltweit Migrationsströme verursachen. Medien übernehmen eine wesentliche Funktion, diese gesellschaftlichen Wandlungsprozesse sichtbar zu machen. Damit werden sie zum gelebten Alltag und ermöglichen allen Bewohnerinnen und Bewohnern eines Landes an der öffentlichen Auseinandersetzung um die gemeinsame gesellschaftliche Identität, die einem fortlaufenden Wandel unterzogen ist, teilzuhaben.
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Aufbau der empirischen Studie
Anknüpfend an eine erste systematische Aufarbeitung des deutschsprachigen Forschungsstandes zu Migration und Medien wird sichtbar, dass eine geschlechtsspezifische Betrachtung der Medienberichterstattung über bzw. die Mediennutzung von Migrantinnen bislang allenfalls in Form von Fallstudien stattgefunden hat. Das empirische Wissen über die mediale Darstellung speziell von Migrantinnen ist damit im deutschsprachigen Raum recht dünn. Daher werden hier im Rahmen einer Inhaltsanalyse empirische Aussagen über das medial konstruierte Bild der Migrantin erhoben und interpretiert. In einem weiteren Schritt wird die Rezeption und Aneignung dieser Medienbilder
42 I Migrantinnen in den Medien
von Migrantinnen und Nicht-Migrantinnen mittels Fokusgruppengesprächen analytisch betrachtet. In diesen Gesprächsrunden w ird zuvor gewonnenes Medienmaterial als Impuls eingesetzt, um zu rekonstruieren, in welcher Weise die angebotenen Medienbilder zum Ausgangspunkt eigener Deutungs- und Aushandlungsprozesse werden. Dazu werden Gruppendiskussionen geführt, in deren Mittelpunkt die Fragen stehen: Was bedeutet der Begriff der Migrantin für die Befragten? Wie nehmen die Befragten Medienbilder von Migrantinnen wahr? In welcher Weise rezipieren Migrantinnen und Nicht-Migrantinnen die angebotenen Medienbilder? Welche Kritik und Erwartungen formulieren sie an die Medienberichterstattung? Wie prägen Medienbilder das Selbst- und Fremdbild von Migrantinnen? Die Verknüpfung der Inhaltsanalyse mit der Rezeptionsstudie erlaubt Rückschlüsse darauf, in welcher Weise Bilder von Migrantinnen Bedeutung für die Selbst- und Fremdwahrnehmung entwickeln. Um Aussagen über das Selbst- und Fremdbild der Migrantinnen treffen zu können, reicht eine Analyse der Medientexte nicht aus. Medienbilder liefern Deutungsentwürfe, die nicht eindimensional in der Wahrnehmung des Publikums reproduziert werden. Vielmehr finden aktive Auseinandersetzungen mit dem angebotenen Medienmaterial statt, die bei Migrantinnen und Nicht-Migrantinnen auf vielfältiges Vorwissen und lebensweltliche Erfahrungen treffen. Die vorliegende Studie bietet profundes Material, welches die medialen Erscheinungskontexte von Migrantinnen zunächst analysiert, um im zweiten Schritt Aussagen zu ermöglichen, wie Frauen mit und ohne Migrationshintergrund die medialen Repräsentationen von Migrantinnen deuten, bewerten und mit ihrer eigenen Lebenswelt in Verbindung setzen.
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Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
Um das Spektrum medialer Repräsentationen von Migrantinnen differenziert nachzeichnen zu können, wird im ersten Teil der empirischen Studie die Berichterstattung von fünf Tageszeitungen in jeweils einem Monat der Jahre 2005 bis 2008 untersucht. Neben überregionalen Qualitäts- und Boulevardzeitungen sind dabei auch zwei regionale Tageszeitungen Gegenstand der Analyse. Uns interessiert, in welchem Umfang, in welchen Ressorts, mit welchen Akteurinnen, in welchen Rollen und mit welchen Zuschreibungen Migrantinnen medial thematisiert werden. Besondere Aufmerksamkeit kommt den Themenfeldern zu, in denen sie präsentiert werden. Die Analyse macht sechs Typen von Migrantinnen sichtbar, die aus der Zusammenschau sowohl textueHer als auch visueller Darstellungen entwickelt werden.
2.1
Forschungsdesign
Auswahl der Zeitungen
Untersuchungsgegenstand sind zwei große Regionalzeitungen, zwei überregionale Zeitungen und eine Boulevardzeitung. Die beiden auflagenstärksten regionalen Tageszeitungen aus Nordrhein-Westfalen sind die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG (WAZ) und der KöLNER STADTANZEIGER (KSTA). Sie ermöglichen Einblicke in die mediale Repräsentation von Migrantinnen auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene. Bislang vorliegende Befunde zur Migrationsberichterstattung (vgl. Bobher et al. 1996; Fick 2009) sowie zur Darstellung von Frauen in den Nachrichtenmedien (vgl. Hesse/Röser 2006) verweisen darauf, dass in der lokalen Berichterstattung eine größere Vielfalt und adäquatere Repräsentationen stattfindet als im Nachrichtenteil, der sich vor allem auf die Bundespolitik bezieht. Die Regionalzeitungen leisten mit ihren heimatbezogenen Nachrichten und Personen einen wichtigen Beitrag zur Konstitution von gesellschaftlicher Teilhabe und Identitätsbildung der Leserinnen und Leser in der Region. Da sie ortsbezogen berichten, sollte hier auch von Menschen mit Migrationshintergrund in verschiedenen lokalen Kontexten zu lesen sein (vgl. Bach 2007: 52), denn in den Einzugsgebieten von
44 I Migrantinnen in den Medien
WAZ und KSTA, dem Ruhrgebiet und Köln, leben besonders viele Einwohnerinnen und Einwohner mit Migrationshintergrund (3. Bericht der Landesregierung 2004: 36). Zudem werden Frauen in der Berichterstattung der WAZ häufiger berücksichtigt als in überregionalen Zeitungen (Röser 2006: 29). In der hier konzipierten Studie wird daher geprüft, ob die Regionalzeitungen mit ihrem lokalen Bezug in besonderer Weise zur medialen Repräsentation von ethnischer und sozialer Vielfalt beitragen. Die Boulevardzeitung mit der größten Verbreitung ist die BILD. Welche Bilder von Migrantinnen werden vor allem in den populären Diskursen hergestellt? Hier lassen vorliegende Befunde zur Analyse der Repräsentation von Frauen in Nachrichtenmedien vermuten, dass signifikante Unterschiede gegenüber den so genannten Qualitätsmedien auftreten. Werden solche Differenzen auch im Kontext der Migrationsberichterstattung sichtbar? Wie Röser (ebd.) gezeigt hat, findet sich in der BILD eine stärkere Repräsentation von Frauen als in anderen Tageszeitungen. Jedoch spielen dabei Formen der Sexualisierung und Intimisierung eine herausgehobene Rolle. Die zwei überregionalen Tageszeitungen, die für die vorliegende Studie ausgewählt wurden, sind die linksalternative TAGESZEITUNG (TAZ) und die eher konservative FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ). Ihre unterschiedliche politische Positionierung lässt auch für die Migrationsberichterstattung Unterschiede erwarten. Besonders interessant erscheint hier, in welcher Weise die politische Orientierung der Zeitung das medial hergestellte Bild der Migrantin beeinflusst. Die Zeitungen FAZ und TAZ übernehmen mit ihrer Berichterstattung die Funktion zweier deutschlandweiter Leitmedien und werden besonders von denjenen Leserinnen und Lesern genutzt, deren Deutungsmacht durch Herkunft, Bildung und Status zentral im gesamtgesellschaftlichen Diskurs ist. Diese Auswahl auflagenstarker Printmedien ergibt ein Datenmaterial, das wichtige Elemente des alltäglichen medialen Diskurses umfasst. Auswahl der Analysezeiträume
Der Zeitraum der Inhaltsanalyse beträgt vier Monate in vier Jahren. Die Auswahl des ersten Analysezeitraums wird durch ein Ereignis bestimmt, welches große Medienresonanz erfahren hat. Am 7. Februar 2005 wurde die Deutsch-Kurdin Hatun Sürücü von ihren Brüdern in Berlin ermordet. 1 Diese Tat hat in Deutschland die Diskussion um Frauenunterdrückung, ,Ehrenmord', Islam und Integration nachhaltig
1 Drei Brüder H atun Sürücüs wurden wegen dringenden Tatverdachts festgenommen- verurteilt wurde nur der Jüngste am 13.4.2006, die beiden anderen wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen (Landgericht Berlin 2006).
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
1
45
geprägt. Daher wird die Presseberichterstattung im Monat nach der Tat verfolgt. Dieser Zeitraum, vom 7. Februar 2005 bis zum 8. März 2005, wird in der vorliegenden Untersuchung zunächst als konflikthafter Zeitraum bezeichnet, da sich- so die Vorannahme- die Auseinandersetzungen über die gesellschaftliche Einordnung der Tat auch in der Berichterstattung der Tagespresse niederschlagen dürften. Um verallgemeinerbare Aussagen über das mediale Bild von Migrantinnen zu treffen, die unabhängig von gesellschaftlich bedeutsamen Ereignissen sind, wurden drei weitere Zeiträume in die Untersuchung einbezogen: Dies sind der 7. Februar bis 8. März der Folgejahre 2006, 2007 und 2008. Die Berichterstattung in diesen Monaten wird aufgrund der vermuteten Abwesenheit migrantinnen-spezifischer medialer Debatten zunächst als weniger konflikthaft bzw. als konfliktarm bezeichnet. Materialauswahl
In das Sampie wurden alle Artikel der Tageszeitungen aufgenommen, in denen über Migrantinnen berichtet w urde. Geht man von der Bezeichnung Frauen mit Migrationshintergrund aus, wie sie seit 2005 vom Statistischen Bundesamt verwendet wird (vgl. Statistisches Bundesamt 2010: 5), schließt diese alle weiblichen Personen ein, die selbst oder deren Eltern bzw. Großeltern über nationale Grenzen hinweg migriert sind und heute in Deutschland leben. In der journalistischen Berichterstattung wird jedoch auf eine solche Beschreibung nur in Einzelfällen zurückgegriffen, selten wird eine Person explizit als Migrantin oder Frau mit Migrationshintergrund bezeichnet. Eine Operationalisierung der theoretischen Dimension Ethnizität für den empirischen Forschungsprozess in der Inhaltsanalyse sucht daher nach Deskriptionen im journalistischen Text. Frauen mit Migrationshintergrund werden in den Artikeln des Sampies wie folgt sichtbar: •
Das Herkunftsland der Akteurin wird explizit im Text benannt.
•
Der Migrationsstatus der Akteurin wird explizit thematisiert.
•
Die Biografie oder der Lebensweg der Akteurin, ihre Religion oder ihre Sprache lassen implizit Rückschlüsse auf einen Migrationshintergrund zu .
•
Der N ame der Akteurin oder die Beschreibung ihrer Kleidung deuten implizit auf einen möglichen Migrationshintergrund hin.
Insbesondere im vierten Fall müssen zur Auswahl der Artikel und später auch zur Analyse Zuschreibungen vorgenommen werden, die sich an alltäglichen Interpretationen und Zuweisungen orientieren. Es
46 I Migrantinnen in den Medien
wurde die antizipierte Lesehaltung einer ,typischen Leserin' eingenommen und keine zusätzlichen Informationen zur dargestellten Person recherchiert. Allein aufgrund der im Medientext dargebotenen Informationen (und Auslassungen) wurde entschieden, ob es sich um eine Migrantin handelt und der Artikel ins Sampie aufgenommen wird. Allerdings wurde bei der Berichterstattung über bekannte Persönlichkeiten auf vorhandenes Wissen zurückgegriffen, zum Beispiel dass Verona Pooth einen bolivianischen Migrationshintergrund hat oder Arabella Kiesbauer aus Österreich kommt. Ein doing ethnicity ist somit auch dem Forschungsprozess eingeschrieben. ,Fremd' und ,ethnisch different' erscheinende Frauen werden als Migrantinnen markiert, obschon der Forschungsprozess auf die Dekonstruktion der Markierung abzielt. Dieses Paradox ist aus der Geschlechterforschung bekannt: Geschlechterdifferenz muss zunächst festgestellt und konstatiert werden, um die Konstruktion von Differenz durch die Medien anschließend sichtbar zu machen (vgl. u.a. Hagemann-White 1993). Um nicht die gängigen Stereotype zu reproduzieren und nicht nur Artikel über Frauen mit Kopftuch, über den Islam oder über Zwangsprostitution in die Studie aufzunehmen, wurde daher nach der weitest möglichen migrantischen Vielfalt in der Berichterstattung gesucht. Zu diesem Zweck wurde auf die Gesamtausgaben der Zeitungen zurückgegriffen. Die Ausgaben der BILD (Berlin-Ausgabe) lagen im Original, die der WAZ und des KSTA auf Mikrofilm und die der TAZ (Berlin-Ausgabe) elektronisch als Pdf-Dokumente vor. Somit war es möglich, durch die aufmerksame Lektüre der Zeitungen sowie das Sichten der Überschriften und Bilder alle publizierten Artikel in den Analysezeiträumen daraufhin zu überprüfen, ob sie in irgendeiner Form über Frauen mit Migrationshintergrund berichteten. Durch dieses offene Vorgehen konnte eine Vielzahl von Artikeln in das Sampie aufgenommen werden, die bei einer Stichwortsuche verloren gegangen wären. Zur Auswahl der Artikel der FAZ aus dem Online-Archiv wurde aus der bisherigen Forschungsliteratur und auf der Grundlage der relevanten Artikel aus der WAZ, dem KSTA, der BILD und der TAZ ein Thesaurus erarbeitet, der sich nicht nur an problembehafteten Diskursen über Migrantinnen orientiert und zudem weit über die sprachlichen Markierungen wie "Migrantin", "Türkin", "Ausländerin" hinausgeht (vgl. Anhang I). 2 So konnten auch in dieser Zeitung jene Artikel gefunden werden, die zum einen das Spektrum an nationalen, ethnischen und kulturellen Zuschreibungen erweitern und zum anderen eher in einem alltagsbezogenen Diskurs zu verorten sind.
2 Ein Vergleich mit der Durchsicht ganzer Ausgaben (zwei Wochen im Februar 2005) zeigte schließlich, dass die generierten Stichworte eine adäquate Suche nach den relevanten Artikeln über Migrantinnen ermöglichten.
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
1
47
Eine Herausforderung stellte die häufige Nicht-Sichtbarkeit von Migrantinnen dar. So kann vermutet werden, dass in einer Gruppe von Unternehmerinnen in Dortmund auch Frauen mit Migrationshintergrund beteiligt sind- gibt der Text aber darauf keine Hinweise, wurde der Artikel nicht berücksichtigt. Ebenso verhält es sich mit der Berichterstattung über ,Migranten'. Ein Artikel, der allgemein über die Arbeitslosigkeit von Migranten in Deutschland berichtet, wurde nicht aufgenommen, da sich sprachlich nur die männliche Form darstellt und Frauen nicht sichtbar sind. Beiträge, die ,Migrantlnnen' oder ,Migranten und Migrantinnen' erwähnten, wurden hingegen berücksichtigt. Die TAZ ist die einzige Zeitung im Korpus, die durchweg eine geschlechtergerechte Sprache benutzt. Falls aus dem Kontext der Berichterstattung ersichtlich wurde, dass Migrantinnen beteiligt sein müssen, zum Beispiel als Elternteil, bei Geburten oder bei (Zwangs-)Prostitution, floss der Beitrag in die Analyse ein, auch wenn nur allgemein von ,Migranten' geschrieben wurde. Kodierung der Artikel
In das Sampie wurden alle Artikel aus den untersuchten fünf Tageszeitungen KSTA, WAZ, BILD, TAZ und FAZ aufgenommen, die im Zeitraum 7. Februar bis 8. März in den Jahren 2005 bis 2008 über Migrantinnen in Deutschland berichteten. Alle Artikel wurden zunächst in einem Kodierbogen mit Datum, Seitenzahl3, Ressort und Überschrift erfasst und lagen in gedruckter Form für die Analyse vor. Nach der Sichtung des Materials, dem ersten Versuch einer Systematisierung und durch Zuhilfenahme der Forschungsliteratur wurde sowohl deduktiv als auch induktiv ein umfangreiches Kodierbuch erarbeitet, welches eine strukturiert qualitative Erhebung ermöglichte (vgl. Anhang II). Es stellte keine Liste von Wörtern zur Verfügung, die in den Artikeln gesucht werden sollten, sondern leitete die Kodiererinnen an, die in den Beiträgen präsentierten semantischen Felder zu erkennen, in denen Migrantinnen sichtbar wurden. Die Kodiererinnen mussten folglich eine komplexe Kodierleistung erbringen, deren Qualität durch kontinuierliche Rücksprachen mit den Projektmitarbeiterinnen gesichert w urde. Nach einer Testkodierung der ersten 200 Artikel, der Überprüfung der Interkodiererinnen-Realibiliät sowie der Validität der Variablen wurde das Kodierbuch nochmals verbessert und angepasst. Beispielsweise wurde anfangs versucht, quantitativ zu erfassen, ob eine geschlechtliche oder ethnische Abgrenzung der Migrantinnen im Artikel vorgenommen
3 Für die WAZ war es nicht möglich, die Seitenzahlen präzise und vergleichbar mit den übrigen Titeln zu erfassen, da eine Fülle von Lokalausgaben mit jeweils n euer Nummerierung die Zeitung strukturiert.
48 I Migrantinnen in den Medien
wurde. Diese Variablen wurden nach den ersten Testkodierungen gestrichen, da sich herausstellte, dass die ,Messung' einer solchen hergestellten Abgrenzung zu komplex ist und von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Daher wird in Kapitel 2.5 exemplarisch deutlich gemacht, in welcher Art und Weise solche Abgrenzungen vorgenommen werden. Insgesamt besteht das Kodierbuch aus 17 geschlossenen und drei offenen Variablen. Erfasst wurden zunächst die Angaben zur Identifikation des Artikels, wie sie auch auf den Kodierbögen vermerkt wurden. Weiterhin waren eine Vielzahl formaler, inhaltlicher und visueller Gestaltungsvariablen von Interesse. Dies sind unter anderem das Genre, das Ressort und der Umfang des Artikels, die Art der visuellen Darstellung der Migrantin und ihre Relevanz für den Artikel. Ebenfalls wichtig war, ob sie selbst zu Wort kam oder nur über sie berichtet wurde. Trat die Migrantin als greifbare Person in Erscheinung? Wurde ihr Name genannt? Weiterhin wurde erhoben, ob das Herkunftsland in den Artikeln Erwähnung fand und in welchen Rollen die Migrantin auftauchte. Jeder Artikel wurde nur einmal kodiert. Für den Fall, dass in einem Artikel mehrereMigrantinnen als individuelle Personen in Erscheinung traten, wurde nach einer vorher festgelegten Hierarchie entschieden, für welche Akteurin die personenbezogenen Aussagen getroffen wurden. So spielte die Migrantin entweder a) die größte Rolle unter den Migrantinnen im Artikel, b) die Erzählung über sie nahm den größten Umfang im Artikel ein, c) sie wurde in der Überschrift oder als erste der Migrantinnen im Text genannt oder d) sie war auf einem Foto abgebildet.
2.2
Formale Dimensionen der Darstellung
Das gesamte Analysekorpus umfasst 1265 Artikel. In diesen Beiträgen wird über mindestens eine Frau mit Migrationshintergrund berichtet. Die meisten Artikel des Sampies erschienen in der TAZ. 27,7 % aller Beiträge wurden hier publiziert (n=351). Am wenigsten berichteten die beiden Regionalzeitungen, in der WAZ erschienen 180 Artikel (14,2 %), im KSTA 209 (16,5 %). In der BILD und der FAZ waren etwa gleich viele Artikel zu finden (vgl. Tabelle 4). Dass der Umfang der Berichterstattung in der TAZ am höchsten ist, erklärt sich erstens durch deren hohe Sensibilität für Migrationsthemen. Zweitens gibt es viele Kurzmeldungen und Querverweise innerhalb einer Ausgabe. Drittens wurden durch die traueneinschließende Sprache, die von allen untersuchten Zeitungen nur die TAZ durchgängig praktiziert, hier viele Artikel ins Sampie aufgenommen. Im Hinblick auf die Analysezeiträume ist festzustellen, dass mit Ausnahme des Jahres 2007 die Verteilung der Artikel relativ gleichmäßig erfolgte. So gab es im Analysezeitraum 2005, der in der Studie
48 I Migrantinnen in den Medien
wurde. Diese Variablen wurden nach den ersten Testkodierungen gestrichen, da sich herausstellte, dass die ,Messung' einer solchen hergestellten Abgrenzung zu komplex ist und von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Daher wird in Kapitel 2.5 exemplarisch deutlich gemacht, in welcher Art und Weise solche Abgrenzungen vorgenommen werden. Insgesamt besteht das Kodierbuch aus 17 geschlossenen und drei offenen Variablen. Erfasst wurden zunächst die Angaben zur Identifikation des Artikels, wie sie auch auf den Kodierbögen vermerkt wurden. Weiterhin waren eine Vielzahl formaler, inhaltlicher und visueller Gestaltungsvariablen von Interesse. Dies sind unter anderem das Genre, das Ressort und der Umfang des Artikels, die Art der visuellen Darstellung der Migrantin und ihre Relevanz für den Artikel. Ebenfalls wichtig war, ob sie selbst zu Wort kam oder nur über sie berichtet wurde. Trat die Migrantin als greifbare Person in Erscheinung? Wurde ihr Name genannt? Weiterhin wurde erhoben, ob das Herkunftsland in den Artikeln Erwähnung fand und in welchen Rollen die Migrantin auftauchte. Jeder Artikel wurde nur einmal kodiert. Für den Fall, dass in einem Artikel mehrereMigrantinnen als individuelle Personen in Erscheinung traten, wurde nach einer vorher festgelegten Hierarchie entschieden, für welche Akteurin die personenbezogenen Aussagen getroffen wurden. So spielte die Migrantin entweder a) die größte Rolle unter den Migrantinnen im Artikel, b) die Erzählung über sie nahm den größten Umfang im Artikel ein, c) sie wurde in der Überschrift oder als erste der Migrantinnen im Text genannt oder d) sie war auf einem Foto abgebildet.
2.2
Formale Dimensionen der Darstellung
Das gesamte Analysekorpus umfasst 1265 Artikel. In diesen Beiträgen wird über mindestens eine Frau mit Migrationshintergrund berichtet. Die meisten Artikel des Sampies erschienen in der TAZ. 27,7 % aller Beiträge wurden hier publiziert (n=351). Am wenigsten berichteten die beiden Regionalzeitungen, in der WAZ erschienen 180 Artikel (14,2 %), im KSTA 209 (16,5 %). In der BILD und der FAZ waren etwa gleich viele Artikel zu finden (vgl. Tabelle 4). Dass der Umfang der Berichterstattung in der TAZ am höchsten ist, erklärt sich erstens durch deren hohe Sensibilität für Migrationsthemen. Zweitens gibt es viele Kurzmeldungen und Querverweise innerhalb einer Ausgabe. Drittens wurden durch die traueneinschließende Sprache, die von allen untersuchten Zeitungen nur die TAZ durchgängig praktiziert, hier viele Artikel ins Sampie aufgenommen. Im Hinblick auf die Analysezeiträume ist festzustellen, dass mit Ausnahme des Jahres 2007 die Verteilung der Artikel relativ gleichmäßig erfolgte. So gab es im Analysezeitraum 2005, der in der Studie
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49
zunächst als konflikthaft betrachtet wird, mit 337 Artikeln nicht mehr Berichterstattung über Migrantinnen als beispielsweise im Jahr 2008, in dem zwischen dem 7. Februar und dem 8. März 347 Artikel erschienen, die über Frauen mit Migrationshintergrund berichteten (vgl. ebd.). N=1265
Gesamt
KSTA
WAZ
BILD
TAZ
FAZ
2005
52
30
59
114
82
337
26,6%
2006
63
49
73
86
55
326
25,8 %
2007
39
34
69
69
44
255
20,2%
2008 Gesamt
Tabelle 4:
55
67
68
82
75
347
27,4 %
209
180
269
351
256
1265
100 %
16,5 %
14,2%
21,3 %
27,7%
20,2%
100 %
-
Anzahl der Artikel in den Analysezeiträu men nach Zeitungen
Eine zeitungsspezifische Analyse der Artikelanzahl macht deutlich, dass zusätzlich zu einer diskursiven Relevanz auch eine geografische Dimension eine Rolle spielt: In der TAZ erschienen im Februar und März 2005 deutlich mehr Artikel über Migrantinnen als in den anderen Zeitungen (vgl. Tabelle 4). Im Zusammenhang mit der Ermordung der Berlinerin Sürücü erfolgte die erhöhte Berichterstattung der TAZ nicht nur aufgrund ihrer thematischen Sensibilisierung für Migrantlnnen, sondern auch aufgrund ihrer lokalen Nähe. Im Durchschnitt, quer über alle Jahre und Titel hinweg, gingen pro Ausgabe mehr als zwei Artikel in das Sample ein- exakt sind dies 2,36 Artikel pro Tag, bei 1265 Artikeln an 107 Tagen in fünf Zeitungen, in denen über Migrantinnen in Deutschland berichtet wurde. 2.2.1 Vergleich der Analysezeiträume
Schon bei der Sichtung der Zeitungen war auffällig, dass jeder Monat von unterschiedlichen Ereignissen und gesellschaftlichen Diskursen geprägt war. Dies hat sich bei der Auswertung der Ergebnisse bestätigt. Im Februar und März 2005 dominierten sowohl der Mord an Hatun Sürücü und die daraus resultierende Debatte um unterdrückte Musliminnen sowie im Zusammenhang mit der so genannten ,Visa-Affäre' im gleichen Jahr, in die auch der damalige Außenminister Joschka Fischer verwickelt war, die ,Einschleusung' vor allem ukrainischer Zwangsprostituierter die Presseberichterstattung. Im Analysemonat 2006 waren häufig Artikel zu finden, die sich mit der Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Familien auseinandersetzten. Kurz zuvor w ar der
50 I Migrantinnen in den Medien
UN-Sonderberichterstatter Vemor Mufioz nach Deutschland gereist und hatte dem hiesigen Bildungssystem ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, da es soziale Ungleichheiten verstärke, selektiv wirke und vor allem junge Migrantinnen und Migranten ausgrenze. Der Analysezeitraum 2007 war hingegen nicht so stark wie die anderen Jahre von migrationsspezifischen Ereignissen und Debatten geprägt. Mehrmals berichtet wurde über Morde in einem chinesischen Restaurant in Sittensen, dies hat die Nachrichten jedoch nicht dominiert. Vom 7. Februar bis 8. März 2008 beschäftigten sich zahlreiche Artikel mit einem Hausbrand in Ludwigshafen, durch den vor allem Menschen aus der Türkei zu Tode kamen. Man vermutete zunächst einen rassistischen Hintergrund und Brandstiftung. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan besuchte Deutschland und forderte eine vollständige Aufklärung. Er positionierte sich im Integrationsdiskurs, indem er erklärte, die "Assimilation sei ein ,Verbrechen gegen die Menschlichkeit"' (Z1008). 4 Damit ist ersichtlich, dass sich die ursprüngliche Annahme eines konflikthaften Zeitraums im Jahr 2005 durch den Mord an der DeutschKurdin Hatun Sürücü nicht in der Häufigkeit der entsprechenden Berichterstattung niederschlägt. Es wurden nicht mehr Beiträge über Migrantinnen als in den Folgejahren veröffentlicht. Zumindest 2006 und 2008 waren die Analysezeiträume gleichfalls durch migrationsspezifische Diskurse geprägt, nur im Zeitraum 2007 gab es vergleichsweise weniger Berichterstattung über Frauen mit Migrationshintergrund. Die Häufigkeit der medialen Berichterstattung über Migrantinnen ist also stark diskurs- und ereignisabhängig. 2.2.2 Genre und Umfang der Artikel
Am häufigsten findet die Darstellung von Migrantinnen in Form des Berichts statt, und zwar in mehr als der Hälfte der Artikel (n=703, vgl. Tabelle 5). Auch in vielen Briefen von Leserinnen und Lesern werden Themen angesprochen, die auf die Probleme von Migrantinnen in Deutschland Bezug nehmen. Sie machen mit 74 Artikeln einen beachtlichen Teil des Korpus aus und sind das vierthäufigste Genre im Sampie. Sie finden sich vor allem in der TAZ (n=34) und in der FAZ (n=21). Über zwei Drittel der Artikel über Migrantinnen haben ausschließlich informationsbezogenen Charakter. Damit überwiegt die Informationsleistung der Berichterstattung gegenüber der meinungsbezogenen
4 Die 1265 Artikel des Materials wurden chronologisch sortiert und n ummeriert. Wird aus ihnen zitiert, ist diese Artikelnummer zusammen mit dem Buchstaben Z in Klammem angegeben. Die detaillierten Inform ationen z ur Identifikation nach Zeitung, Datum, Uberschrift und Seite des Artikels sind im Quellenverzeichnis gelistet.
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
1
51
Gestaltung. Doch es wird zugleich deutlich, dass eine Vielzahl von Genres verwendet w ird, um Migrantinnen und ihre Lebenswelten in Tageszeitungen zu präsentieren. Journalistische Mischformen wie Reportagen und Features, Interviews und Portraits, die sowohl informations-als auch meinungsbezogen sind, machen zusammen 16,9 % des Samples aus (n=214). N~1265
Häufigkeit n
Prozent%
Kommunikationsmodus
Bericht
703
55,6%
Informationsbezogen
Kurzmeldung
155
12,3%
Informationsbezogen
Reportage/Feature
104
8,2%
Information s- und meinungsbezogen
Leserinnenbriefe
74
5,8 %
Meinungsbezogen
Interview
72
5,7%
Informa tion s- un d meinungsbezogen
Kommentar
67
5,3%
Meinungsbezogen
Portrait
38
3,0%
Information s- und meinungsbezogen
Rezension, Ankündigung
38
3,0%
Sonstiges
Glosse
5
0,4%
Meinungsbezogen
Sonstiges
9
0,7%
Sonstiges
1265
100%
Gesamt Tabelle 5:
Genres der Berichterstattung
Die Artikel über Migrantinnen sind meist kürzer als 100 Zeilen. In den Zeitungen WAZ, KSTA, TAZ und FAZ machen diese kürzeren Beiträge insgesamt 64,1 % aus (die BILD ist hier nicht einberechnet). Darunter fallen auch zahlreiche Kurzmeldungen und Nachrichten, die genau wie Leser- und Leserinnenbriefe nicht länger als 20 Zeilen sind. Nur die wenigsten Artikel, in denen Migrantinnen vorkommen, sind eine ganze Seite lang oder gar mehrseitig (vgl. Tabelle 6). Vor allem die überregionalen Zeitungen sind mit umfangreicheren Artikeln vertreten. In der FAZ sind 42,6% der Artikel über Migrantinnen länger als 100 Zeilen (n=109). Ähnliches gilt für die TAZ, auch wenn diese mehr als alle anderen Zeitungen durch Kurzmeldungen immer wieder auf migrantinnenspezifische Themen aufmerksam macht (n=144). Durch die hohe
52 I Migrantinnen in den Medien
absolute Anzahl der Artikel in der TAZ geht dies jedoch nicht zu Lasten ausführlicher Darstellungen. 7,4 % der Artikel in der TAZ sind sogar eine ganze Seite lang. Die Regionalzeitungen dagegen setzen eher auf die kürzeren Formen, nur jeweils etwas mehr als ein Viertel der Beiträge sind Artikel mit mehr als 100 Zeilen (KSTA n=54, WAZ n=51). Häufigkeit n
N=996
Prozent %
Unter 100 Zeilen
638
64,1 %
100 bis 300 Zeilen
323
32,4 %
Über 300 Zeilen
35
3,5 %
Gesamt
996
100 %
Tabelle 6:
Umfang der Berichterstattung (ohne BILD)
Der Umfang der Artikel der BILD bestimmt sich weniger durch die Anzahl der Zeilen, sondern vor allem durch großformatige Abbildungen und Fotos, denn die Zeitung zeichnet sich durch einen vergleichsweise geringen Textanteil aus. Daher wird hier unterschieden zwischen Artikeln, die weniger als eine halbe Seite, eine halbe Seite oder eine ganze Seite umfassen. Inklusive Illustration kleiner als eine halbe Seite sind insgesamt 63,6 % der Beiträge in der BILD (n=171). Eine ganze Seite umfassen nur fünf Artikel im Erhebungszeitraum, die über Migrantinnen berichten (1,9 %). Es ist festzustellen, dass es hinsichtlich des Umfangs, den ein Artikel durch Text oder Illustration einnimmt, keine prägnanten Unterschiede der Boulevardzeitung zu den übrigen untersuchten Titeln gibt. 2.2.3 Ressorts
In welchen Ressorts erscheinen die meisten Artikel, in denen über Migrantinnen berichtet wird? Ganz deutlich dominiert hier das Lokale mit fast 40 % (vgl. Tabelle 7). Dies gilt sowohl für die Regional- als auch die überregionalen Zeitungen. Der Anteil der Lokalberichterstattung ist in den Regionalzeitungen am höchsten und liegt bei 49 % (n=189). Die spezifische Leistung der Regionalzeitungen mit ihrer kleinräumigen Berichterstattung, die eine Wahrnehmung der lokalen Ereignisse ermöglicht, findet hier ihren Ausdruck. Aber auch bei den überregionalen Zeitungen- Qualitätspresse ebenso wie Boulevardpresse- spielt die lokale und regionale Berichterstattung über Migrantinnen eine wichtige Rolle (BILD 41,3 %, TAZ 31,1 %, FAZ 36,3 %). Das Politikressort nimmt nach der Lokalberichterstattung den zweiten Platz ein. In allen Zeitungen sind es 303 Artikel, die diesem Ressort
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
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53
zuzurechnen sind, was einen Anteil von 24 % an der Gesamtberichterstattung ausmacht. 208 Artikel erscheinen dabei im Politikteil der Abonnementzeitungen. Im Vergleich der Titel untereinander ist die Häufigkeit komplementär zu der im Lokalen: 24,8 % der Artikel im Politikteil der überregionalen Zeitungen (n=151) stehen 14,6 % im gleichen Ressort der Regionalzeitungen gegenüber (n=57). In der BILD machen die Artikel in den dem Politikressort entsprechenden Teilen ,Bundesausgabe' oder ,Neue Bundesländer' 35,3 % der Berichterstattung über Migrantinnen aus (n=95).5
N~1265
Häufigkeit n
Prozent %
Lokales
502
39,7 %
Politik
303
24,0 %
Meinungsseite
106
8,4 %
Feuilleton, Kultur und Medien
100
7,9 %
Sport
58
4,6 %
Seite 1
56
4,4 %
Schule, Hochschule und Wissenschaft
17
1,3 %
Wirtschaft
10
0,8 %
Vermischtes
113
8,9 %
Gesamt
1265
100 %
Tabelle 7:
Ressorts der Berichterstattung
Auf der Meinungsseite werden vor allem in der TAZ Artikel über Migrantinnen veröffentlicht (n=59), die übrigen Zeitungen berichten dort weniger. Die BILD verzichtet ganz auf spezielle Meinungsseiten. Insgesamt umfasst die Darstellung migrantinnenrelevanter Themen auf Meinungsseiten 8,4 % der Berichterstattung. Dieses Ergebnis ist nicht identisch mit der Angabe der meinungsbezogenen Genres, da einige Briefe von Leserinnen und Lesern sowie Kommentare nicht auf der klassischen Meinungsseite, sondern im Lokalteil abgedruckt sind. In der TAZ finden sich auf den Meinungsseiten auch wiederholt Interviews mit Migrantinnen. Im Ressort Feuilleton, Kultur und Medien erscheinen insgesamt 100 Artikel. Am stärksten vertreten ist hier die FAZ mit 47 Artikeln, in der TAZ sind dagegen lediglich 16 Artikel dort zu finden. Mehr Gewicht haben diese Ressorts bei der Berichterstattung über Migrantinnen dagegen wieder in den beiden Regionalzeitungen (KSTA n=24, WAZ n=13). Die BILD ist nicht vertreten. Sie berichtet dagegen 5 Als einzige Zeitung im Sampie zeichnet sich die BILD durch eine wenig d ifferenzierte Ressorteinteilung (BILD-Berlin, BILD-Bundesausgabe, Sport) au s.
54 I Migrantinnen in den Medien
im Sportteil am häufigsten über Migrantinnen (n=33). Sonst ist Sportberichterstattung eher selten, besonders die TAZ PUBLIZIERT HIER WENIG (n=l). Bezüglich der Darstellung von Migrantinnen auf der ersten Seite der Zeitung sind die TAZ und die BILD vergleichbar (TAZ n=l8, BILD n=14). Insgesamt wird über Frauen mit Migrationshintergrund jedoch in den Aufmachern oder Leitartikeln der Zeitungen nur marginal berichtet -4,4% der Artikel sind auf Seite 1 verortet (vgl. ebd.). Im Ressort Schule, Hochschule und Wissenschaft erschienen im KSTA, in der WAZ und der FAZ jeweils drei Artikel, in der TAZ acht. Erwähnenswert ist schließlich noch der Wirtschaftsteil: Nur in zehn Artikeln im gesamten Erhebungszeitraum ist hier über Migrantinnen berichtet worden (0,8 %). Davon befinden sich sechs in der FAZ, drei im KSTA und einer in der TAZ. Die Berichterstattung konzentriert sich hochgradig auf die Lokal- und Politikteile der Zeitungen. Diese nehmen auch, gemessen am gesamten Umfang der Tagespresse, die meisten Seiten pro Ausgabe in Anspruch. In der Kultur-, Wirtschafts-, Wissenschafts-, Bildungs- oder Sportberichterstattung tauchen Migrantinnen dagegen relativ selten auf. Damit bleiben weite Bereiche gesellschaftlicher Wirklichkeit ausgeblendet, in denen Migrantinnen mit ihren spezifischen Leistungen und ihrer eigenen Handlungsmacht sichtbar werden könnten. In welcher Weise die Konzentration im Politikressort jedoch eine problemorientierte Berichterstattung verstärkt, wird in Kapitel2.4 noch detaillierter betrachtet. 2.2.4 Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund
In der öffentlichen Auseinandersetzung um die Bedeutung von Medien in der Einwanderungsgesellschaft spielt die Frage nach dem Anteil migrantischer Journalistinnen und Journalisten eine wichtige Rolle (vgl. Müller 2005c; Röben 2008; Pritsche 2009). Das Bestreben nach einer stärkeren Präsenz von Menschen mit Migrationshintergrund in den Redaktionen verbindet sich neben der Forderung nach Chancengleichheit mit der Annahme, dass dadurch auch migrationsspezifische Themen und Fragestellungen höhere Aufmerksamkeit erfahren würden. Auch wenn ein solcher Kausalzusammenhang fraglich ist und die Beschränkung der Berichterstattungsfelder für migrantische Journalistinnen und Journalisten problematisch wäre, soll im Rahmen dieser Studie dennoch ein Blick auf die Autorinnenschaft geworfen werden. Es wurde untersucht, ob die Verfasserin oder der Verfasser eines Artikels über Migrantinnen in Deutschland selbst einen Migrationshintergrund hat. Diese Annahme konnte nur getroffen werden, wenn der Name der Autorin oder des Autors auf einen Migrationshintergrund hindeutete, da keine biografischen Daten über die Journalistinnen in den Zeitungen selbst publiziert
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wurden. 6 In 550 Artikeln (43,5 %) war eine Zuordnung aufgrund des Namens nicht möglich, da die Meldungen lediglich mit einem Agenturkürzel oder den Initialen der Autorin bzw. des Autors versehen waren. Betrachtet man die 715 Artikel, die namentlich gezeichnet sind, so wurden 14,1 % (n=101) von Menschen mit Migrationshintergrund verfasst, davon sind 63 % weiblich (n=64, vgl. Tabelle 8). Sie sind als Journalistinnen hier sichtbar. Die meisten Autorinnen mit Migrationshintergrund findet man in der TAZ, hier wurden 46 Artikel von Migrantinnen verfasst (19,2 %, davon sind 31 weiblich). Am vergleichsweise schlechtesten schneidet die BILD ab, nur acht Journalistinnen mit Migrationshintergrund wurden genannt (7,8 %, davon sind 7 weiblich). N=715
Häufigkeit n
Prozent %
Journalistirr mit Migrationshintergrund
64
8,9 %
Journalist mit Migrationshintergrund
37
5,2 %
Journalistirr ohne Migrationshintergrund
262
36,7 %
Journalist ohne Migrationshintergrund
352
49,2 %
Gesamt
715
100 %
Tabelle 8:
Journalisten und Journalistinnen mit und ohne Migrationshintergrund
Obschon nach wie vor repräsentative Zahlen für das gesamte Berufsfeld Journalismus fehlen (vgl. Kapitel 1.2.3), verweisen aktuelle Erhebungen auf einen Anteil von 1,2 % hauptberuflicher Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund in deutschen Tageszeitungen (vgl. Geißler et al. 2009: 92). Im Bereich der Berichterstattung über migrationsrelevante Themen, hier in Bezug auf Frauen mit Migrationshintergrund, gibt es also eine deutlich höhere Partizipation von migrantischen Journalistinnen und Journalisten, und vor allem einen weit höheren Frauenanteil als insgesamt (dieser liegt etwa bei 37,5 %, vgl. Weisehenberg et al. 2006: 45). Dieser Befund lässt sich ambivalent interpretieren: Einerseits bestätigt er die Vermutung (vgl. Röben 2008; Ouilios 2009), Journalistinnen mit Migrationshintergrund sorgten für eine verstärkte mediale Wahrnehmung von migrantischen Lebenswelten. Eine Erhöhung des Anteils der Migrantinnen in der journalistischen Profession verbessert also die Chancen, Migrantinnen als Subjekte der Berichterstattung zu finden. Doch gleichzeitig ist der Befund
6 Es ist denkbar, dass dieses Vorgehen nicht alle Artikel von Migrantinnen einschließt und einige Frauen und Männer ohne Migrationshintergrund fälschlicherweise als migrantische Journalistinnen einbezieht. Wie in Kapitel 2.1 beschrieben, wird in dieser Studie eine antizipierte Lesehaltung eingenommen und gesellschaftliche Zuschreibungen aufgrund eines ,nicht-d eutsch' klingenden Namens übernommen.
56 I Migrantinnen in den Medien
besorgniserregend, verweist er doch auf die Nischenberichterstattung ,in eigener Sache', die vielen migrantischen Journalistinnen in besonderer Weise zugewiesen wird. Mit Recht regt sich unter ihnen Widerstand gegen diese eingeschränkte Expertise (vgl. u.a. ebd.).
2.3
Inhaltliche Dimensionen der Darstellung
Nachdem im vorhergehenden Kapitel die formale Strukturierung der Berichterstattung über Migrantinnen sowie die Autorinnenschaft analysiert wurde, werden nun inhaltliche Dimensionen der medialen Repräsentation von Frauen mit Migrationshintergrund aufgezeigt und diskutiert. Folgende Dimensionen werden dabei analytisch erfasst: (1) Intensität: Auf welche Art und Weise wird von Migrantinnen erzählt? (2) Identifikation: Auf welche Art und Weise werden Migrantinnen erkennbar? (3) Relevanz: Welche Relevanz haben die Mi grantinnen für den Artikel? (4) Handlungsniveau: Kommen die Migrantinnen selbst zu Wort oder wird nur über sie gesprochen? Weiterhin sind (5) die visuelle Darstellung, (6) die Herkunftsländer der Frauen mit Migrationshintergrund sowie (7) die Themenfelder, in denen über die Migrantinnen berichtet wird, wichtige Analysekriterien.
2.3.1 Intensität Die Art der Darstellung von Migrantinnen in der Tagespresse kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Es werden bei der Intensität der Darstellung von Frauen mit Migrationshintergrund drei Formen unterschieden: •
Subjektbezogene Berichterstattung
•
Gruppenbezogene Berichterstattung
•
Diskursbezogene Berichterstattung
Ist von einer subjektbezogenen Darstellung die Rede, so meint dies die konkrete Repräsentation einer Frau mit Migrationshintergrund, die in Deutschland lebt. Sie muss nicht die einzige Akteurin des Artikels sein, aber expliziter Bezugspunkt des Beitrags. Eine Nennung ihres Namens ist möglich, aber nicht zwingend. Ebenfalls in diese Kategorie fallen
56 I Migrantinnen in den Medien
besorgniserregend, verweist er doch auf die Nischenberichterstattung ,in eigener Sache', die vielen migrantischen Journalistinnen in besonderer Weise zugewiesen wird. Mit Recht regt sich unter ihnen Widerstand gegen diese eingeschränkte Expertise (vgl. u.a. ebd.).
2.3
Inhaltliche Dimensionen der Darstellung
Nachdem im vorhergehenden Kapitel die formale Strukturierung der Berichterstattung über Migrantinnen sowie die Autorinnenschaft analysiert wurde, werden nun inhaltliche Dimensionen der medialen Repräsentation von Frauen mit Migrationshintergrund aufgezeigt und diskutiert. Folgende Dimensionen werden dabei analytisch erfasst: (1) Intensität: Auf welche Art und Weise wird von Migrantinnen erzählt? (2) Identifikation: Auf welche Art und Weise werden Migrantinnen erkennbar? (3) Relevanz: Welche Relevanz haben die Mi grantinnen für den Artikel? (4) Handlungsniveau: Kommen die Migrantinnen selbst zu Wort oder wird nur über sie gesprochen? Weiterhin sind (5) die visuelle Darstellung, (6) die Herkunftsländer der Frauen mit Migrationshintergrund sowie (7) die Themenfelder, in denen über die Migrantinnen berichtet wird, wichtige Analysekriterien.
2.3.1 Intensität Die Art der Darstellung von Migrantinnen in der Tagespresse kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Es werden bei der Intensität der Darstellung von Frauen mit Migrationshintergrund drei Formen unterschieden: •
Subjektbezogene Berichterstattung
•
Gruppenbezogene Berichterstattung
•
Diskursbezogene Berichterstattung
Ist von einer subjektbezogenen Darstellung die Rede, so meint dies die konkrete Repräsentation einer Frau mit Migrationshintergrund, die in Deutschland lebt. Sie muss nicht die einzige Akteurin des Artikels sein, aber expliziter Bezugspunkt des Beitrags. Eine Nennung ihres Namens ist möglich, aber nicht zwingend. Ebenfalls in diese Kategorie fallen
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
1
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Artikel, die zwar über mehrere Migrantinnen berichten, diese aber jeweils einzeln erwähnen. Wird zum Beispiel im Artikel " Endlich sind sie zu Hause in der Fremde" (Z224) über die zwei Töchter einer Familie aus Kasachstan berichtet und diese einzeln vorgestellt, handelt es sich um eine subjektbezogene Darstellung. Die weiteren personenbezogenen Ausprägungen der Darstellung werden für diejenige Migrantin erhoben, die (wie in Kapitel 2.1 beschrieben) die größte Rolle im Artikel spielt. Eine gruppenbezogene Darstellung verweist auf real existierende Migrantinnen, lässt aber individuelle Personen nicht erkennbar werden, wie im Artikel "Zwölf Lehrerinnen mit Kopftuch" (Z830). Wir erfassen die Berichterstattung über Migrantinnen als diskursbezogen, wenn diese anonym repräsentiert werden und keine konkreten Subjekte oder Gruppen dargestellt sind. Das können sowohl "ukrainische Zwangsprostituierte" (Z14), "Schülerinnen mit Migrationshintergrund" (Zl131) als auch "polnische Pendlerinnen" (Z385) sein. Die Unterscheidung zwischen subjekt-, gruppen- und diskursbezogener Berichterstattung erscheint bedeutsam, da der Grad der Aufmerksamkeit und das damit verbundene Identifikationspotenzial sehr ungleich verteilt sind. Damit bietet sich analytisch die Möglichkeit, das Ausmaß der medial zugeschriebenen Autonomie der Personen bzw. ihre objekthafte Beschreibung als Teil gesellschaftlicher Strukturen zu erfassen. 787 Artikel des Sampies sind subjektbezogen und erwähnen einzelne Frauen, die einen Migrationshintergrund haben (vgl. Tabelle 9), dies macht einen Anteil von 62,2% aus. In 689 Artikeln werden zudem ihre Namen genannt (vgl. Tabelle 10). Das bedeutet, dass in mehr als der Hälfte der Berichterstattung eine oder mehrere konkrete Personen namentlich vorgestellt und als Individuen sichtbar werden. Die Nennung des Namens verweist zudem auf eine journalistische Strategie der Personalisierung in der Berichterstattung. Strukturelle Zusammenhänge oder Probleme werden anhand einzelner Personen erzählt. Die Bewertung dieser Erzählstrategie ist ambivalent: Einerseits ermöglicht sie empathische Teilhabe und damit Identifikation, andererseits birgt sie die Gefahr unangemessener Vereinfachung. Vor allem die BILD ist in dieser Art der Darstellung stark, 94,1 % ihrer Artikel stellen Migrantinnen persönlich vor (n=253, vgl. Tabelle 9), fast ebenso häufig werden ihre Namen genannt (n=240, vgl. Tabelle 10). In den anderen Zeitungen ist die subjektbezogene Darstellung weit weniger häufig. 204 Artikel berichten über Gruppen von Migrantinnen. Diese Art der Darstellung taucht am seltensten im Sampie auf. Häufiger als die anderen Zeitungen nutzt die TAZ die gruppenbezogene Berichterstattung - ein Viertel ihrer Artikel erzählen von Migrantinnen als Teil einer bestimmten Gruppe (n=88, vgl. Tabelle 9). Frauen mit Migrationshintergrund, die im Rahmen allgemeiner Diskurse und nicht als konkrete Personen erwähnt werden, sind in 21,7 % der Artikel repräsentiert.
58 I Migrantinnen in den Medien
N~1265
KSTA
WAZ
BILD
TAZ
FAZ
Gesamt
122
91
253
183
138
787
58,4%
50,6%
94,1 %
52,1%
53,9 %
62,2%
34
22
11
88
49
204
16,3 %
12,2%
4,1 %
25,1 %
19,1 %
16,1%
53
67
5
80
69
274
25,4%
37,2%
1,9 %
22,8%
27,0 %
21,7%
209
180
269
351
256
1265
100%
100 %
100 %
100%
100 %
100%
Subjektbezogen
Gruppenbezogen
Diskursbezogen
Gesamt
Tabelle 9:
Intensität der Darstellung in den Zeitungen
N~1265
Nennungvon Namen Keine Nennung von Namen
KSTA
WAZ
BILD
TAZ
FAZ
Gesamt
114
75
240
157
103
689
54,5%
41,7 %
89,2 %
44,7%
40,2 %
54,5%
95
105
29
194
153
576
45,5%
58,3%
10,8 %
55,3%
59,8%
45,5%
209
180
269
351
256
1265
100%
100 %
100 %
100%
100 %
100%
Gesamt
Tabelle 10: Nennung der Namen von Migrantinnen
Innerhalb der Ressorts unterscheidet sich der Anteil der subjekt-, gruppen und diskursbezogenen Darstellung der Migrantinnen deutlich. 7 Die hohe Dominanz subjektbezogener Berichterstattung ist in allen Teilen der Zeitungen festzustellen. Besonders hoch ist der Anteil jedoch im Sport (n=24, 96 %), im Feuilleton, Kultur- und Medienteil (n=72, 72 %) und im Lokalen (n=230, 58,8 %). Hier werden die Migrantinnen als Personen sichtbar und können als Identifikationsfiguren auftreten. Im Bereich der Inlandspolitik kommen Migrantinnen sowohl als Subjekte als auch innerhalb von Diskursen zu gleichen Teilen vor. Im Wirtschaftsteil werden vor allem Gruppen von Migrantinnen dargestellt. Auf den Titelblättern und den Meinungsseiten werden primär Diskurse angesprochen, die für Migrantinnen relevant sind, hier sind also vor allem pauschalisierende Beschreibungen zu finden.
7 Die BILD wird in der Berechnung nicht berücksichtigt, da sie keine mit den übrigen Zeitungen vergleichbare Ressortstruktur b esitzt.
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
1
59
2.3.2 Identifikation Wie werden die Migrantinnen in den Zeitungen überhaupt als solche kenntlich gemacht? Um vorhandene Stereotype über Frauen mit Migrationshintergrund, oftmals versinnbildlicht durch die Kopftuch tragende Muslimin, nicht mit einem zu engen Fokus zu reproduzieren, werden in der Analyse alle Arten der Darstellung berücksichtigt. Sowohl explizite als auch implizite Deskriptoren werden herausgestellt. Wie bereits in Kapitel 2.1 gezeigt wurde, war es nicht zielführend, nur solche Artikel ins Sampie aufzunehmen, in denen im Text auf das Herkunftsland oder den Status der Akteurin als Migrantin verwiesen wird. Vielmehr wurde hier der Blick geweitet und es wurden auch solche Darstellungen einbezogen, bei denen durch eine biografische Beschreibung oder einen ,nicht-deutsch' klingenden Namen der Eindruck erweckt wird, dass die dargestellte Person wahrscheinlich einen Migrationshintergrund hat. Die Artikel wurden also aufgrund einer antizipierten Lesehaltung ausgewählt, und nicht nur aufgrund bestimmter Schlüsselwörter wie ,Migrantin', ,chinesische Herkunft' oder ,Zwangsheirat'. Eine solche Beschränkung hätte vermutlich eine deutliche Verschiebung in Richtung problembehafteter Berichterstattung ergeben und würde das Spektrum aktueller Medienberichterstattung nicht hinlänglich differenziert darstellen. Wie in Abbildung 1 ersichtlich und weiter oben bereits ausführlich dargestellt ist, kann man die Art der Identifikation der Migrantinnen wie folgt unterscheiden: Entweder wird ihr Herkunftsland oder ihr Migrationsstatus explizit erwähnt oder ihre Biografie, ihre Sprache, ihre Religion oder ihr Name deuten implizit auf einen Migrationshintergrund hin. In der Hälfte der Artikel wird das Herkunftsland der Migrantin direkt genannt (n=633). In weiteren 204 Artikeln verweist der Text explizit auf einen Migrationshintergrund (16,1 %), der Status als Migrantin wird hier also deutlich markiert. Die Artikel, in denen die Migrantin eher implizit durch die Beschreibung ihrer Biografie, Religion oder Sprachkenntnisse sichtbar wird, machen 10 % des Sampies aus (n=127). Über eine Identifikation anhand des Namens oder der Beschreibung der Kleidung gingen weitere 301 Artikel in die Untersuchung ein (23,8 %). Insgesamt weisen ein Drittel der Artikel nicht explizit auf den Migrationsstatus der Akteurin hin, aber durch Beschreibungen oder Nennung ihrer Namen werden sie in der alltäglichen Zeitungsrezeption als Migrantinnen sichtbar gemacht (vgl. ebd). In der BILD erfolgt die Identifikation einer Akteurin als Migrantin vor allem über ihren Namen (n=160, 59,5 %), was erneut auf den hohen Grad an Personalisierung in der Berichterstattung verweist. In den übrigen Zeitungen sind vor allem explizite Beschreibungen des Migrationshintergrundes der Akteurin zu finden (vgl. Abbildung 1).
60 I Migrantinnen in den Medien
exphzit 66,2 %
implizit 33,8 %
exphz1t 63,6 %
implizit 36,4 %
WAZ
exphz1t 81,1 %
mplizit 18,9 %
BILD
explizit 33,1 %
implizit 66,9%
TAZ
expl121t 72,4 %
implizit 27,6 %
FAZ
exphz1t 84,0%
plizit 16,0%
Gesamt
Abbildung 1:
Identifikation der Migrantinnen in den Zeitungen Explizite und implizite Beschreibungen des Migration shintergrunds (N =1265)
2.3.3 Relevanz
Steht die Migrantin im Zentrum des Beitrags, so dass die Berichterstattung ohne sie gar nicht erfolgt wäre? Oder ist sie nur schmückendes Beiwerk und dient zur Illustration komplexer Sachverhalte? Im Artikel wird der Migrantin ein bestimmtes Maß an Relevanz zugewiesen. In der Analyse wird unterschieden, ob sie die Haupthandlungsträgerin des Beitrags ist (hohe Relevanz), eine gleichberechtigte Rolle neben anderen Akteurinnen im Artikel spielt (mittlere Relevanz) oder ob sie nur am Rande der Erzählung auftaucht (geringe Relevanz). In 32,5 % der Artikel des Sampies sind die Migrantinnen die Raupthandlungsträgerinnen-sie haben eine hohe Relevanz (n=411). Sie stehen im Zentrum der Berichterstattung und machen die Nachricht überhaupt erst berichtenswert. In 45,9 % der Artikel tauchen die Frauen mit Migrationshintergrund gleichberechtigt neben anderen Akteurinnen auf - sie haben eine mittlere Relevanz (n=581). In etwas mehr als einem Fünftel der Fälle spielen sie nur eine Nebenrolle - der Artikel wäre ohne sie wahrscheinlich ebenso denkbar. Ihnen kommt nur eine geringe Handlungsrelevanz zu (n=273). In diesem Fall dienen die Migrantinnen vor allem als Beispiele zur Verdeutlichung gesellschaftlicher Zusammenhänge. Im Zeitungsvergleich misst vor allem der KSTA der Migrantin eine tragende Rolle bei: In 41,1 %seiner Berichterstattung über Frauen mit Migrationshintergrund stehen diese im Zentrum (n=86). Auch die BILD weist ihnen in 36,4 % ihrer Artikel eine hohe Relevanz zu (n=98).
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
N=1265 Subjektbezogene Darstellung Gruppenbezogen e Darstellung Diskursbezogene Darstellung
Hohe Relevanz
Mittlere Relevanz
Geringe Relevanz
Gesamt
354
364
69
787
45,0 %
46,3 %
8,8 %
100 %
28
113
63
204
13,7 %
55,4 %
30,9 %
100 %
29
104
141
274
10,6%
38,0 %
51,5%
100 %
411
581
273
1265
32,5%
45,9 %
21,6 %
100 %
1
61
Gesamt
Tabelle 11: Intensität der Darstellung nach Relevanz der Migrantinnen
Der Zusammenhang der Relevanz der Migrantin für den Artikel in Bezug auf die Intensität ihrer Darstellung stellt sich folgendermaßen dar: In der subjektbezogenen Berichterstattung ist sie die Haupthandlungsträgerin der Nachricht (45 %) oder steht gleichberechtigt neben anderen Akteurinnen (46,3 %). Dagegen kommt ihr in Artikeln, die Migrantinnen im Rahmen von Diskursen darstellen in mehr als der Hälfte der Beiträge eine Nebenrolle zu (vgl. Tabelle 11). Wird das Herkunftsland oder der Migrationsstatus der Akteurin in den Beiträgen erwähnt, spielt diese überdurchschnittlich oft eine Nebenrolle (n=208, 76,2 %). Es erfolgt also lediglich ein kurzer Verweis auf die nicht-deutsehe Herkunft der Migrantin, ohne dass diese weiter thematisiert wird. 2.3.4 Handlungsniveau
Zur Bestimmung des Handlungsniveaus der Migrantin ist von Bedeutung, welcher Raum ihr zugestanden wird. Kommt sie selbst zu Wort oder ist sie Objekt der Berichterstattung, über das gesprochen wird? Die meisten Artikel im Untersuchungszeitraum beschränken sich darauf, über die Migrantin zu berichten, ohne sie selbst sprechen zu lassen: 70,8 % der Berichterstattung stellen Frauen mit Migrationshintergrund als Objekte der Berichterstattung dar, die nicht selbst zu Wort kommen (n=896). In den übrigen 369 Artikeln werden sie eher als aktive N achrichtensubjekte präsentiert. So wird eine Migrantin entweder direkt zitiert (n=329) oder ihre Meinung wird indirekt wiedergegeben (n=40). Im Artikel "Frauen unterstützen Frauen" beschreibt Heidi von Leszczynski die Mitglieder im Zonta Frauenclub: "Wir sind kein elitärer Club, sondern ein Zusammenschluss von intelligenten Frauen, die sozial etwas bewegen wollen" (Z36), während in einem Artikel über Zwangsheirat
62 I Migrantinnen in den Medien
die Aussagen einer Migrantin indirekt wiedergegeben werden: "Weinend vertraut ein 17jähriges Mädchen türkischer Herkunft den Lehrern ihrer Schule an: Meine Eltern wollen mich zwangsverheiraten" (Z681). Am häufigsten werden Migrantinnen in Portraits zitiert (n=26, 68,4% ). Auch in Interviews ist ihr Handlungsniveau relativ hoch (n=25, 34,7 %), in mehr als einem Drittel der Interviews werden Migrantinnen befragt. Migrantinnen werden häufiger zitiert, wenn der Artikellänger als 100 Zeilen ist. Insbesondere im Sportteil und im Ressort Schule, Hochschule und Wissenschaft werden Migrantinnen als aktive Personen dargestellt (44,8% und 47,1 %), am seltensten jedoch auf Seite 1 (7,1 %). Im Ressort Politik wird die Migrantin in 23,8 % der Artikel zitiert (n=72). 97,8% der Artikel, in denen die Migrantin selbst spricht, berichten subjektbezogen (n=361), in den übrigen acht Artikeln werden Gruppen dargestellt. Ein weiterer Zusammenhang wird mit der Identifikation sichtbar: Wird im Artikel die Migrantin durch ihren nicht-deutsch klingenden Namen oder die Beschreibung ihrer Kleidung erkennbar, hat sie durchschnittlich ein höheres Handlungsniveau, als wenn ihr Herkunftsland oder ihr Migrationsstatus explizit thematisiert werden. Im ersten Fall ist sie zu 48,5% aktiv (n=146), im zweiten nur zu 25% (n=209). Die im Analysezeitraum vorgefundene Berichterstattung beschränkt sich in der großen Mehrzahl auf ein Schreiben über Migrantinnen und macht nur selten von der Möglichkeit Gebrauch, diese selbst zur Sprache kommen zu lassen. Das Stereotyp der passiven, unterdrückten Migrantin wird so durch die sprachlichen Muster der journalistischen Berichterstattung unterstützt. 2.3.5 Visuelle Darstellung
Die visuelle Darstellung erfüllt in der Berichterstattung zumindest zwei wesentliche Funktionen. Sie stellt zum einen Relevanz her, indem eine nachrichtliche Darstellung durch die Ergänzung mit einem Foto oder einer Grafik mehr Aufmerksamkeit erfährt. Wenn Migrantinnen dabei selbst zum Subjekt der Bildberichterstattung werden, sagt das etwas über ihre Bedeutung innerhalb des Artikels aus. Zum anderen liefert ihre fotografische Darstellung dem Publikum Zusatzinformationen zum Text, die mehrdeutig sind. Die Kodierung der Fotos erfordert deshalb Zuschreibungen, die ungleich schwieriger sind als auf der textlichen Ebene. Die Deutung bildlicher Informationen zur Ethnizität ist unzuverlässiger, als einen Migrationshintergrund der Akteurin im Nachrichtentext zu identifizieren. Daher wurden auf den Fotos nur solche Personen als Migrantinnen bestimmt, die im Text (Fließtext oder Bildunterschrift) als Frauen mit Migrationshintergrund beschrieben wurden. Die visuelle Zuordnung als Migrant oder Migrantin in der Kodierung erfolgt also mittelbar durch
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
1
63
die textliche Zuordnung. Dies wird auf alle abgebildeten Personen angewendet und schließt Einzelfotos ebenso wie Gruppenbilder oder Fotocollagen ein, wie sie in der BILD verwendet werden. Es erfolgt eine standardisierte Analyse der visuellen Darstellung - eine detaillierte qualitative Beschreibung und Interpretation war nicht für die Gesamtzahl der illustrierten Artikel durchführbar, sie erfolgt exemplarisch im Kapitel2.5. 57,9% der Artikel über sind illustriert (vgl. Tabelle 12). Vor allem die subjektbezogene Berichterstattung wird zusätzlich durch den Einsatz visuellen Materials verstärkt, nur 31A % kommen ohne Fotos oder Grafiken aus. Dieser Typus der Berichterstattung, der textlich und visuell aufeinander abgestimmt einzelne Migrantinnen in den Mittelpunkt des Beitrags rückt, bietet das vielfäHigste Repertoire zur Darstellung von und Auseinandersetzung mit den Lebenswirklichkeiten von Migrantinnen. In der Verhandlung migrantinnenrelevanter Themen und Diskurse dagegen beschränken sich zwei von drei Artikeln auf den Text (n=93). Auf fast einem Drittel der Illustrationen sind keine Migrantinnen abgebildet (vgl. Tabelle 13). Auf allen übrigen Bildern (n=503) waren diese sichtbar. N=1265
Illustriert
Nicht illustriert
Gesamt
540
247
787
68,6%
31,4 %
100 %
100
104
204
49,0%
51,0 %
100 %
Subjektbezogen
Gruppenbezogen 93
181
274
33,9%
66,1%
100%
733
532
1265
57,9
42,1 %
100 %
Diskursbezogen
Gesamt
Tabelle 12: Intensität der Darstellung nach Illustration der Artikel
Häufigkeit n
Prozent %
Keine Migrantinnen
230
31,4 %
Migrantinnen ohne weitere Akteure
195
26,6 %
Migrantinnen und Migranten
78
10,6 %
Migrantinnen und Frauen ohne Migrationshintergrund
42
5,7 %
Migrantinnen und Männer ohne Migrationshintergrund
42
5,7%
Menschen mit und ohne Migrationshintergrund
146
19,9 %
Gesamt
733
100 %
N=733
Tabelle 13: Art der Illustration
64 I Migrantinnen in den Medien
Abbildung 2:
Visuelle Darstellung von Migrantinnen Quellen: [A] FAZ vom 8.3.08:71 (Z1263), FAZ vom 24.2.07: 56 (Z798), [B] BILD vom 12.2.08: 17 (Z1026), TAZ vom 22.2.05: 13 (Z164), [C] BILD vom 8.3.08: 5 (Z1256), [D] BILD vom 20.2.06: 14 (Z506), TAZ vom 15.2.05: 26 (Z90), [E] BILD vom 4.3.06: 3 (Z618)
Am häufigsten werden Migrantinnen alleine bzw. in einer Gruppe zusammen mit anderen Migrantinnen dargestellt (vgl. Abbildung 2, A).
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
1
65
Ihre Abbildung zusammen mit Migranten überwiegt zudem im Vergleich zur Anzahl der Darstellungen mit Frauen oder mit Männern ohne Migrationshintergrund. Visuell wird hier eine Zuschreibung von Gemeinsamkeit qua Ethnizität hergestellt. ,Fremde' Frauen und Männer konstruieren visuell ein gemeinsames ,Anderes' (vgl. Abbildung 2, B). Demgegenüber gibt es weniger Fotos von Migrantinnen zusammen mit Frauen ohne Migrationshintergrund (vgl. Abbildung 2, C), also wird die Verbundenheit qua Geschlecht seltener illustriert. Abbildungen der Migrantinnen zusammen mit Männern ohne Migrationshintergrund (vgl. Abbildung 2, D) sind ebenfalls eher selten vorhanden, dadurch werden Unterscheidungen hinsichtlich des Geschlechts und der Ethnizität sichtbar. Es erfolgt jedoch sehr häufig auch eine Abbildung von Migrantinnen in einer Gruppe von Menschen unabhängig von der Ethnizität und dem Geschlecht- hier wird wiederum Gemeinsamkeit und gesellschaftliche Integration visualisiert (vgl. Abbildung 2, E). 100
"
90
89
• keine Migran tirmen • Migrantinnen ohne weitere Akteure • Migrantinnen un d Migrantcn
48
50
• Migrantin11en w1d Frauen ohne Mig rationsh.llttergrund • Migrantinnen 1md Männer olu1e Migrationshintergrund
• Menschen mit und ohne Migrationsh.ll1tergrund 10
Abbildung 3:
Art der Illustration in den Zeitungen (N~733)
Ihrer boulevardesken Darstellungsform geschuldet illustriert die BILD die meisten ihrer Artikel über Migrantinnen: 94,4 % waren mit einem oder mehreren Abbildungen versehen (n=254). Nur 28 der Fotos zeigen keine Migrantinnen (11 %). Am häufigsten finden sich Gruppendarstellungen von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund (n=92, 36,2 %). Auch der KSTA setzt in den Artikeln häufig visuelles Material ein, 132 Beiträge aus dieser Zeitung sind illustriert (63,2 %). Der Anteil der Artikel mit Bildmaterial beträgt in der TAZ 54,4 % (n=l91) und in
66 I Migrantinnen in den Medien
der WAZ 42,8 % (n=77). Die FAZ dagegen illustriert nur sehr sporadisch; weniger als ein Drittel der Artikel sind mit Bildmaterial versehen (n=79). Die Hälfte dieser wenigen Abbildungen kommen zudem auch ohne Migrantinnen aus, nur auf 39 Fotos sind Migrantinnen abgebildet - die Zeitung weist den Frauen mit Migrationshintergrund auf der visuellen Ebene damit die geringste Bedeutung zu. Im Unterschied zur BILD sind die Artikel der FAZ komplexer und vielschichtiger- Migrantinnen werden erwähnt, um Zusammenhänge darzustellen und tauchen dabei textuell und visuell nur am Rande auf. Die häufigste Art der Darstellung in allen Zeitungen außer der BILD ist die Einzeldarstellung von Frauen mit Migrationshintergrund ohne weitere Akteure oder Akteurinnen (vgl. Abbildung 3). Die Chance, eine Migrantin als Fotomotiv in einer deutschen Tageszeitung zu finden, ist den Ergebnissen zufolge nicht besonders hoch. Knapp 60 % aller Beiträge über Migrantinnen werden mit einem Foto illustriert. Betrachtet man allein die Abonnementzeitungen, so reduziert sich der Anteil noch einmal deutlich auf 48,1 %. Mehr als 30 % der zu den Artikeln gehörenden Fotos zeigen andere Motive als Frauen mit Migrationshintergrund. Schaut man sich die Personenkonstellationen an, in denen Migrantinnen visuell dargestellt werden, so fällt auf, dass die Herstellung von ethnischer Fremdheit dominiert, indem die Migrantinnen als geschlossene Gruppe mit Migranten abgebildet werden. Eine visuelle ,Normalisierung' findet demgegenüber selten statt. Hier stellt die BILD die Ausnahme dar - sie zeigt die meisten Fotos, auf denen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zusammen abgebildet sind. 2.3.6 Herkunftsländer
Welche Herkunftsländer der Migrantinnen werden in den Beiträgen der Tageszeitungen genannt? In 633 Artikeln, also in der Hälfte aller erhobenen Beiträge, erfahren die Leserinnen und Leser etwas über das Herkunftsland bzw. die Herkunftsregion der Migrantinnen. Dabei nimmt die Türkei in der Nennung einzelner Länder den ersten Platz ein, sie wird 315-mal genannt. Davon ist sie in 276 Artikeln das einzige Land, das Erwähnung findet. In den übrigen 29 Beiträgen werden neben der Türkei noch andere Länder bezeichnet, diese w urden als Mehrfachnennungen kodiert. Das Land mit der zweithäufigsten Nennung ist die Ukraine, sie taucht 47 mal auf, davon in 44 Artikeln als einziges genanntes Land. Diese beiden Herkunftsländer machen prototypisch sichtbar, in welcher Weise Konstruktionen von Medienwirklichkeit erfolgen. Die hohe Präsen z türkischer Migrantinnen in der Medienberichterstattung
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
1
67
entspricht in etwa dem Anteil türkischer Migrantinnen in Deutschland. Fast 1,2 Mio. der insgesamt 7,8 Mio. Migrantinnen kommen aus der Türkei (vgl. Statistisches Bundesamt 2010: 76). Die Ukraine ist demgegenüber deutlich stärker präsent als ihre gesellschaftliche Teilhabe es vermuten ließe. 2009lebten 141.000 Frauen dieser Herkunft in Deutschland (ebd.). Medien bilden keine gesellschaftlichen Verhältnisse ab, sondern konstruieren nach ihren Regeln Bedeutung. Im Jahr 2005 spielte die Berichterstattung über Ukrainerinnen eine wesentliche Rolle im Rahmen der so genannten Visa-Affäre. Die ,Einschleusung' von Zwangsprostituierten wurde öffentlich diskutiert und im untersuchten Material in 38 Artikeln erwähnt. Im Jahr 2006 wurden Ukrainerinnen sechsmal genannt - und lediglich dreimal in 2007. Die Verteilung der expliziten Erwähnung einer türkischen Herkunft der Migrantinnen ist gleichmäßiger (inklusive Mehrfachnennungen): SO Artikel im Jahr 2005, 52 Artikel im Jahr 2006, 47 Artikel im Jahr 2007 und 136 Artikel im Jahr 2008. Der Mord an Hatun Sürücü am 7. Februar 2005 führte nicht zu einem Anstieg der Berichterstattung über türkische (bzw. kurdische) Migrantinnen in Deutschland, jedoch steigerte sich diese nach dem Hausbrand in Ludwigshafen im Februar 2008. Die weiteren Länder, die über den ganzen Erhebungszeitraum mehr als 10 mal erwähnt werden, sind der Iran (n=27), Polen (n=19), China (n=14) und Brasilien (n=10). Alle anderen Länder tauchen seltener auf, die meisten der insgesamt 90 genannten nur ein- oder zweimal. Daran ist zu sehen, dass es einen starken Fokus auf bestimmte Herkunftsländer gibt und die Vielfältigkeit der Einwanderungsgesellschaft nur in einer geringen Anzahl von Beiträgen zumAusdruck kommt. Gelegentlich werden statt Ländernamen auch Bezeichnungen von Regionen für die Beschreibung der Herkunft der Migrantinnen benutzt. Die Verteilung der in den Artikeln genannten Länder, die mit Ausnahme der Türkei zu Regionen zusammengefasst sind, ist in Abbildung 4 dargestellt. Der hohe Anteil türkischer Migrantinnen in der Berichterstattung verweist auf deren Anteil unter den Zugewanderten. Auch die Häufigkeit der Nennung von südeuropäischen Frauen (ehemaliges Jugoslawien, Italien, Griechenland) überrascht nicht. Auffällig ist die häufige Erwähnung von Osteuropäerinnen, was zumindest teilweise auf das Jahr 2005 und die dort thematisierten ukrainischen Zwangsprostituierten zurückzuführen ist. Ebenso fallen hier auch Aussiedlerinnen ins Gewicht sowie Frauen aus Polen und Tschechien, die aufgrund von Arbeitsmigration in Deutschland leben. Die relativ seltene Markierung von Migrantinnen aus westlichen Ländern wie West-Europa oder den USA dürfte mit der , Unauffälligkeit' dieser Migrantinnen in der deutschen Gesellschaft zu tun haben. Ihre Teilhabe an der Gesellschaft w ird nicht explizit als migrationsspezifische Veränderung thematisiert. Der
68 I Migrantinnen in den Medien
vergleichsweise höhere soziale Status dieser Bildungsmigrantinnen lässt sie zumindest im Kontext der Problemberichterstattung um mangelnde Integrationsleistungen und Bildungsdefizite nicht in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit rücken. Ihre , Unauffälligkeit' ist somit nicht nur Bedingung, sondern zugleich auch Folge der medienspezifischen Repräsentation. 43,6 % Türkei (n=276) 16,6% Osteuropa (n=105) I- - - - ' 8,5 % Asien (n=54) 7,1 %Arabische Staaten (n=45) 5,4 % Afrika (n=34) 5,1 % Südeuropa (n=32) 4,7% Westliche Staaten (n=30)
6,2 % Mehrfachnennungen (n=39) Abbildung 4:
Nennung der Herkunftsregionen (N=633)
2.3.7 Themenfelder
In Kapitel 2.2.3 w urde die Verteilung der Artikel nach Ressorts untersucht. Jetzt folgt die inhaltliche Analyse. Worüber wird geschrieben, wenn Migrantinnen in Zeitungsartikeln auftauchen? Die Themen, die in der Berichterstattung über Frauen mit Migrationshintergrund behandelt werden, erscheinen insbesondere mit Blick auf die politischen Diskurse als eine relevante Analysekategorie. Zur thematischen Strukturierung sind zunächst weit angelegte Themenfelder gebildet worden, die teilweise noch weiter ausdifferenziert werden. Diese Themenfelder wurden induktiv aus dem Analysematerial heraus entwickelt und sind im Kodierbuch einzeln dargestellt (Anhang II, Variable 11). Behandelt der Artikel mehrere Themenfelder, so wurde er demjenigen zugeordnet, der den meisten Raum im Beitrag einnahm. War dies nicht möglich, so wurde die Überschrift oder das erstgenannte Themenfeld zur Bestimmung verwendet. Mehrfachkodierungen wurden damit vermieden. Abbildung 5 stellt die Themenfelder der Artikel des Sampies mit ihren absoluten und relativen Häufigkeilen vor. Das häufigste Themenfeld der Berichterstattung über Migrantinnen ist das der Politik. Es dominiert deutlich mit 24,9 % (n=315, vgl. Abbildung 5). Am zweithäufigsten im Sampie vertreten sind Artikel,
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69
die sich mit Themen aus den Medien, der Freizeit oder Kultur beschäftigen (n=255, 20,2 %). Vor allem die beiden überregionalen Zeitungen berichten im Themenfeld ,Politik' (TAZ n=119, FAZ n=105), auch die WAZ setzt hier einen Fokus (n=46). Im KSTA erscheinen die meisten Beiträge im Themenfeld ,Bildung' (n=42), in der BILD zu ,Medien, Freizeit, Kultur' (n=106). Im Hinblick auf die verschiedenen Analysezeiträume gibt es in den Jahren 2005 und 2008 die weitaus häufigste Berichterstattung im Themenfeld ,Politik' (n=125). Der Bereich ,Medien, Freizeit, Kultur' ist dagegen in den Jahren 2006 und 2007 maßgeblich für die Beiträge über Migrantinnen (n=83 und n=72). Im Abgleich mit der Ressortstruktur wird deutlich, dass eine Analyse nach Themenfeldern Verschiebungen mit sich bringt. So w urden beispielsweise nur 1,3 % der Beiträge (n=17) direkt im Ressort Schule, Hochschule und Wissenschaft veröffentlicht, tatsächlich beschäftigen sich aber 151 Artikel vorrangig mit dem Thema Bildung (11,9 %). Da die BILD keine klassische Ressortstruktur besitzt, können ihre zahlreichen Beiträge zu ,Medien, Freizeit, Kultur' nicht einem Ressort wie dem Feuilleton zugeordnet werden. Nichtsdestotrotz ist die Ressortstruktur weiterhin wichtig, Beiträge aus den Lokalteilen der Zeitungen werden hier den Themenfeldern ,Politik', ,Bildung', ,Verbrechen und Gewalt' etc. zugeordnet. Im Folgenden werden die verschiedenen Themenfelder noch einmal detaillierter dargestellt.
I
24,9 % Politik (n=315)
20,2% Medien, Freizeit, Kultur (n=255)
I
16,3% Verbrechen und Gewalt (n=206)
11,9% Bildung (n=151)
-
I
5,9% Familie, Partnerschaft, Geschlechterverhältnisse (n=74)
-
5,4 % Religion (n=69)
-
I
4,8 % Sport (n=61) 4,7% Lokales (n=60)
2,4 % Wirtschaft und Recht (n=30) -
1,4% Ratgeber und Gesundheit (n=l8)
~
2,1 %Sonstiges (n=26)
Abbildung 5:
Themenfelder der Berichterstattung (N=l265)
70 I Migrantinnen in den Medien
Das Themenfeld ,Politik'
Das Themenfeld ,Politik' umfasst nicht nur die Parteipolitik oder tagespolitische Ereignisse, wie zum Beispiel in den Artikeln "FDP will mehr Frauen" (Z367) oder "PDS angeblich nicht links genug" (Z356). Darunter sind auch alle Artikel gefasst, die in erster Linie Fragen der Asylpolitik, der Integration, der Lokalpolitik oder der Interessenvertretungen für Migrantinnen ansprechen. Vorrangig und zu fast 40% geht es in den 315 Artikeln im Themenfeld ,Politik' um Nachrichten und Diskussionen über Abschiebung, die deutsche Einwanderungs- und Asylpolitik, den illegalen Status zahlreicher Migrantinnen, Staatsbürgerinnenschaft, Visa-Erteilung für Ausländerinnen oder auch Fragen des Aufenthaltsrechts, wie sie in einem Bericht über eine geduldete Familie aus Pakistan in der FAZ behandelt werden (vgl. Z737). Ingesamt beschäftigen sich 125 Artikel mit diesen Themen (vgl. Abbildung 6). Die zweithäufigste Berichterstattung (28,9 %) im Themenfeld ,Politik' findet über die Sprachförderung und Integration von Erwachsenen statt, wie im Artikel "Wir sind Deutschland" der WAZ-Redakteurin Rusen Tayfur (Z1090). Ereignisse, die der lokalen Politik oder zivilgesellschaftlichem Engagement wie der Organisation von Demonstrationen zugeordnet werden können, welche öffentlich auf die Belange von Frauen mit Migrationshintergrund aufmerksam machen, sind in 32 Artikeln vertreten. Über eine Interessenvertretung für Migrantinnen bzw. Religionsgruppen w urde in 11 Artikeln berichtet, z.B. in "Deutsche Muslime bald mit einer Stimme" (Z871).
3,5% Interessenvertretung (n=ll) 17,8% Sonstiges (n=56)
Abbildung 6:
Bereiche der Berichterstattung im Themenfeld ,Politik' (N=315)
Die meisten Artikel im Themenfeld ,Politik' sind in den überregionalen Zeitungen erschienen. Die TAZ berichtete in 119 Artikeln über Migrantinnen im Zusammenhang mit explizit politischen Themen (37,8 %), die FAZ in 105 Artikeln (33,3 %). 12 Artikel der BILD können dem Themenfeld ,Politik' zugeordnet werden (3,8 %). Im KSTA und in der WAZ wurde in 33 bzw. 46 Artikeln über Migrantinnen im Zusammenhang
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mit explizit politisch relevanten Ereignissen berichtet (10,5 % bzw. 14,6.). Man kann hier einen markanten Unterschied der überregionalen Zeitungen sowohl zu den Lokalblättern als auch zur BILD feststellen. Im Vergleich von TAZ und FAZ thematisiert erstere weiterhin deutlich mehr die lokalen politischen Themen (n=16), was unter anderem auf ihren Berlin-Teil zurückzuführen ist. Schaut man sich den Fokus der Berichterstattung im zeitlichen Vergleich an, so ist festzustellen, dass am häufigsten im Analysezeitraum 2005 zum Themenfeld ,Politik' berichtet w urde (n=125, 39,7 %) und am seltensten in 2007 (n=37, 11,7 %). Die politische Berichterstattung 2005 beschäftigte sich dabei vor allem mit Asylpolitik Diese umfasste auch Fragen der Visa-Vergabe und war aufgrund der in diesem Zeitraum verhandelten Visa-Affäre bedeutsam (n=73, 58,4 %). 47,3 % der politikrelevanten Artikel im Jahr 2006 verhandeln Themen der Integration und Sprachförderung (n=35). Auch hier sieht man deutlich, wie stark diskursabhängig die thematische Struktur der Nachrichten über Migrantinnen ist. Im Themenfeld ,Politik' fallen zwei journalistische Darstellungsformen auf. Erwartungsgemäß spielen Kommentare in der Politikberichterstattung eine wesentliche Rolle (n=30, 44,8 % aller Kommentare behandeln politische Themen). Bemerkenswert ist, dass sich vor allem die Briefe von Leserinnen und Lesern überdurchschnittlich oft mit politischen Themen befassen (n=33, 44,6 % aller Leserinnenbriefe), w ie beispielsweise "Die Grünen hatten ihre Zeit" (Z1207) in der TAZ, "Türkei - Islamisierung oder Demokratie?" (Z1044) in der FAZ oder "Wie kann Integration gelingen?" (Z473, ebenfalls FAZ). Betrachtet man den öffentlichen Diskurs in Leserinnenbriefen als Ausdruck zivilgesellschaftlicher Verständigung, so findet diese in beachtlichem Maße unter Bezug auf politische Debatten über Migrantinnen statt. Eine personenbezogene Berichterstattung über Frauen mit Migrationshintergrund findet sich mit 41,3 % (n=130) in der politischen Berichterstattung deutlich seltener als im Durchschnitt des gesamten Materials (62,2 %). Die visuelle Darstellung der Migrantinnen spielt in der politischen Berichterstattung ebenfalls nur eine untergeordnete Rolle. Nur 42,5% der Artikel in diesem Bereich sind überhaupt illustriert (n=134) und in 59,7% dieser wenigen Fotos werden zudem keineMigrantinnen abgebildet (n=80). Der abstrakte, strukturorientierte Diskurs des Politischen verzichtet weitgehend auf visuelle Personalisierung von Frauen mit Migrationshintergrund. Da sich die Fotografien meist auf die Darstellung herkunftsdeutscher Politikerinnen und Politiker beschränkt, werden hier Chancen auf eine lebensweltliche Konkretisierung vertan. Sehr häufig wird auf das Herkunftsland oder den Migrationsstatus der Akteurin Bezug genommen, weit öfter als in anderen Themenfeldern (n=261, 82,9 %, im Durchschnitt sind es 66,2 %). Dies liegt offensichtlich
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nahe, wenn es um Asylpolitik, Abschiebung oder auch um Integration geht. Es bedeutet aber auch, dass die Berichterstattung hier scheinbar klare Grenzen zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen antizipiert und reproduziert. Am seltensten wird im Bereich der Lokalpolitik explizit thematisiert, dass ein Migrationshintergrund vorliegt (53,1 %). Welche Relevanz haben die Migrantinnen in den Beiträgen aus dem Themenfeld ,Politik'? Genau wie im Durchschnitt des Sampies tauchen sie am häufigsten gleichberechtigt neben anderen Akteurinnen oder Akteuren auf. Auffällig ist jedoch, dass ihr Handlungsniveau primär passiv ist. Nur in 17,8 % der Artikel kommen Migrantinnen durch direkte oder indirekte Rede selbst zu Wort (n=56). Am seltensten werden dabei ihre Standpunkte zu Themen wie Asylpolitik oder Abschiebung gehört. Das Themenfeld ,Politik' macht den größten Teil der Berichterstattung aus. Dabei ist die Darstellung der Migrantinnen in diesen Beiträgen überdurchschnittlich passiv und wird nicht durch visuelle Darstellungen ergänzt. Migrantinnen kommen nur selten direkt oder indirekt zu Wort. Sie werden damit häufig zum Objekt politischer Diskurse, tauchen jedoch als handelnde Personen oder zumindest als identifizierbare Menschen kaum auf. Am intensivsten zeigen sich diese Strategien der Objektivierung von Migrantinnen in den überregionalen Zeitungen, denen als Qualitätsmedien gerade im politischen Diskurs eine hohe Relevanz und meinungsbildende Kraft zugesprochen wird. Das Themenfeld ,Medien, Freizeit, Kultur'
Die Migrantinnen, die im Themenfeld ,Medien, Freizeit, Kultur' sichtbar werden, sind meist entweder Künstlerinnen, Schauspielerinnen oder Autorinnen. Sie arbeiten in den Medien, im Kulturbetrieb oder Freizeitbereich, oder werden in diesen Zusammenhängen erwähnt. Beispielsweise sind dies Charlotte Roche (vgl. Z405), Vicky Leandros (vgl. Z400, Z480) oder Lindade Mol (vgl. Z476). Jeder fünfte Beitrag (n=255) aus dem Untersuchungskorpus behandelt Themen aus dem Bereich ,Medien, Freizeit, Kultur' . Dieser hohe Anteil ist zum einen auf die starke Präsenz von Migrantinnen in diesen Feldern, insbesondere im Bereich der Populärkultur, zurückzuführen. Zum anderen prägt die BILD mit ihrer umfangreichen Prominentenberichterstattung dieses Feld nachhaltig. Dort wurden 106 Artikel im Untersuchungszeitraum publiziert. Damit übernimmt die Boulevardzeitung 41,5 % der gesamten Artikel in diesem Themenfeld. Die Kunstund Kulturberichterstattung in der BILD macht damit 39,4 % der Beiträge über Migrantinnen in dieser Zeitung aus. Die übrigen Zeitungen
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berichten mit 13,4 % in der TAZ (n=47) bis 17,7% im KSTA (n=37) etwa halb so oft über Mi grantinnen als Künstlerinnen oder Kulturschaffende. Die visuelle Darstellung spielt im Themenfeld ,Medien, Freizeit, Kultur' eine herausragende Rolle. Ob türkische Schauspielerin, japanische Grafikerin oder ghanaische Akrobatin - der Nachrichtenwert wird oftmals erst durch das Bild hergestellt. Entsprechend sind in diesem Bereich besonders viele Abbildungen zu finden (n=201, 78,8 %), auf denen vergleichsweise oft nur Migrantinnen abgebildet sind (n=61, 30,3 %). Doch auch die Darstellung zusammen mit Frauen und Männem mit und ohne Migrationshintergrund übersteigt den Durchschnitt (n=55, 27,4 %). Die Faktoren Prominenz und Exotik, die hier maßgeblich für die Mediendarstellung verantwortlich sind, führen zu einem hohen Anteil subjektbezogener Berichterstattung: 224 Beiträge (87,8 %) stellen eine oder mehrereMigrantinnen persönlich vor, in 213 Artikeln (83,5%) werden Namen von Migrantinnen erwähnt. Ihr Herkunftsland oder der Migrationsstatus wird dabei eher selten genannt (n=120, 47,1 %). Ein aktives Handlungsniveau der Migrantinnen ist im Themenfeld ,Medien, Freizeit, Kultur' mit 38,4 % (n=98) deutlich häufiger als im Durchschnitt, dort beträgt es nur 29,2 %. Die Migrantin im Themenfeld ,Medien, Freizeit und Kultur' tritt in den untersuchten Tageszeitungen als aktive, sprechende, visuell hervorgehobene Figur in Erscheinung. Ihre Migrationsgeschichte tritt gegenüber den Attributen von Erfolg und Prominenz in den Hintergrund. Das Themenfeld, Verbrechen und Gewalt'
Das dritthäufigste Themenfeld ,Verbrechen und Gewalt' umfasst die Berichterstattung über Zwangsprostitution und Menschenhandel, wie im Artikel "Schöne Cousinen von Mädchen-Mafia verschleppt" (Z430) oder im Bericht "Vom Onkel verheiratet, von Fremden missbraucht" (Z1075). Ebenfalls zu diesem Feld gehören Artikel über ,Ehrenmorde' wie das Interview mit der Bundestagsabgeordneten Lale Akgün "Oft erziehen Frauen zum Ehrenmord" (Z214). Dabei ist es zunächst nebensächlich, ob die Migrantin hier als Täterin oder als Opfer beschrieben wird. Das Themenfeld ,Verbrechen und Gewalt' wird in 206 Artikeln (16,3 % der Gesamtberichterstattung) des Sampies angesprochen. Dieser Anteil ist vor allem auf die umfangreiche Berichterstattung in den Jahren 2005 und 2008 zurückzuführen (n=67, 32,5 % und n=70, 34 %). Der Mord an Hatun Sürücü in Berlin sowie die öffentliche Debatte um ukrainische Zwangsprostituierte prägten die Berichterstattung in 2005 deutlich, der Hausbrand in Ludwigshafen mit vielen Opfern dominierte den letzten Analysezeitraum.
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Vor allem die BILD und die TAZ diskutieren das Problem der ,Ehrenmorde' intensiv, insbesondere im Jahr 2005. Für die TAZ hat dieses Thema aber auch in den Folgejahren n och Relevanz. Über Zwangsprostituierte berichten der KSTA und die TAZ am intensivsten, und dies im Jahr 2005 etwas stärker als 2006. In den Jahren 2007 und 2008 beschäftigt sich jedoch kein einziger Artikel mit der Problematik der Zwangsprostitution. Nachhaltige Berichterstattung, die auch unabhängig vom aktuellen Ereignis Weiterentwicklungen, Kontexte und Folgen beleuchtet, findet sich also mit Ausnahme der TAZ zumindest im vorliegenden Sampie nicht. Weitere Aspekte im Themenfeld ,Verbrechen und Gewalt', in denen Migrantinnen sichtbar werden, sind Gewaltverbrechen w ie Mord, Totschlag oder Körperverletzung, über die in 45 Artikeln geschrieben wurde (21,8 %). Über Verbrechen w ie Raub, Erpressung, Zuhälterei oder zum Beispiel vermutete Brandstiftung wird in 78 Artikeln berichtet (37,7 %), vor allem im Analysezeitraum 2008 (n=53). Hier werden beispielsweise die Türkinnen aus Ludwighafen erwähnt, die im Februar 2008 bei einem Hausbrand ums Leben kamen. Insgesamt berichten BILD (n=66, 32,0 %) und TAZ (n=67, 32,5 %) am häufigsten über das Themenfeld ,Verbrechen und Gewalt' . Bemerkenswert sind die unterschiedlichen journalistischen Strategien, ,Ehrenmord' und Zwangsprostitution zu thematisieren. In Beiträgen über ,Ehrenmorde' werden, sofern visuelle Elemente eingesetzt sind, stets hochgradig personalisierte Darstellungen gewählt. Es erscheint keine Fotografie, auf der nicht mindestens eine (tote oder lebendige) Migrantin abgebildet ist. Mittels visueller und sprachlicher Personalisierung wird das gesellschaftspolitisch aufgeladene Thema anschaulich gemacht. Nur in drei der 48 Artikel über ,Ehrenmorde' im Untersuchungszeitraum wird auf die personengebundene Darstellung verzichtet. In 45 Artikeln findet sich eine subjektbezogene Darstellung von Migrantinnen (93,8 %). Namen von Migrantinnen w erden hier h äufig genannt (n=43, 89,6 %). Die individuelle Frau wird hier als schutzbedürftig sichtbar gemacht. Dagegen dominiert beim Thema Zwangsprostitution die auf Gruppen bezogene Darstellung (n=18, 51,4 %) deutlich gegenüber den Hinweisen auf Einzelschicksale. Nur sehr selten (n=4) werden die Migrantinnen namentlich genannt. Das einzelne Subjekt - ob schutzbedürftig oder bedrohlich - verschwindet mit der journalistischen Berichterstattung in einer anonymen Gruppe von ,ukrainischen Zwangsprostituierten'. Damit bleibt die ausgebeutete Sexarbeiterin schematisch, fremd und anonym, w ährend anhand tragischer Schicksale vor allem muslimischer junger Mädchen die Bedrohung westlicher Freiheitsrechte durch patriarchale Unterdrückung und Gewalt intensiv und emphatisch inszeniert wird.
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Das Themenfeld ,Bildung'
Artikel, die über ,Bildung' berichten, sind beispielsweise Nachrichten über Studentinnen oder Schülerinnen, über die Betreuung von jungen Migrantinnen im Kindergarten oder Hort sowie die Aus- und Weiterbildung von Frauen mit Migrationshintergrund. Das Spektrum reicht hier von Artikeln mit der Überschrift "Ausländische Kinder machen selten Abitur" (Z1108) über "Stipendium für Zugewanderte" (Z1265) oder "Eine Überfliegerin aus Litauen" (Z855) bis "Arbeitende Mütter -das muss Normalität werden" (Z864). Ebenso sind hier Themen der Sprachförderung für Kinder relevant, wenn sie konkrete Programme betreffen (z.B. "Deutsch ist die Basis", Z1035). Wenn es dagegen in allgemeinen Debatten über die Notwendigkeit geht, dass Migrantinnen die deutsche Sprache beherrschen oder um die Integration von Erwachsenen, zählen diese Artikel zum Themenfeld ,Politik'. Beispielsweise wurde die Berichterstattung über den Deutschlandbesuch des UN-Sonderbotschafter Mufioz dann im Themenfeld ,Bildung' verortet, wenn es direkt um die benachteiligten Kinder von Migrantinnen geht, wie im Artikel "Deutsche Schulen - ein Fall für die UN" (Z458), und im Themenfeld ,Politik', wenn diese strukturelle Benachteiligung Auswirkungen auf die Integration von Migrantinnen allgemein hat. Die 151 Artikel im Themenfeld ,Bildung' machen 11,9% der gesamten Berichterstattung des Sampies aus. Themen sind zum einen der Unterricht für Migrantinnen an allgemeinbildenden Schulen oder in Sonderschulen sowie die Sprachförderung Heranwachsender (n=71). Zum anderen erzählen die Beiträge von der Betreuung im Kindergarten, der frühkindlichen Erziehung oder der Sprachförderung von Kindern (n=13). Auch von Migrantinnen an Universitäten und Fachhochschulen (n=12) sowie in einer Aus- und Weiterbildung wird berichtet. Um Berufsabschlüsse von Frauen mit Migrationshintergrund geht es in weiteren 9 Artikeln. Allgemein über Bildung berichten 46 Artikel. Am umfangreichsten berichten die TAZ (n=45, 29,8 %) und der KSTA (n=42, 27,8 %), am seltensten die BILD (n=6, 4,0 %). Im Themenfeld ,Bildung' finden sich überdurchschnittlich viele Reportagen (n=20, 19,2 %) und Briefe von Leserinnen und Lesern (n=14, 18,9 %). Letzteres deutet auf eine hohe zivilgesellschaftliche Relevanz des Themenfeldes, ähnlich dem Themenfeld ,Politik' hin. Bilder gibt es wenige, nur bei 43 Artikeln sind Migrantinnen abgebildet (56,6 % der Bilder in diesem Themenfeld). Migrantinnen nehmen überdurchschnittlich häufig eine Nebenrolle in der Berichterstattung ein. Sie werden eher zur Veranschaulichung erwähnt -beispielsweise, um die Ungleichheiten und die Selektivität des deutschen Bildungssystems zu verdeutlichen, unter denen vor allem die Kinder mit Migrationshintergrund zu leiden hätten. Das Handlungsniveau der
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Migrantinnen liegt ebenfalls unter dem Durchschnitt: in 73,5 % der Artikel wird lediglich über sie gesprochen, ihre eigenen Ziele und Ansichten kommen dadurch nur am Rande zur Sprache (n=111 ). Durch diese sprachliche und (fehlende) visuelle Gestaltung wird die Migrantin im Themenfeld ,Bildung' vorrangig passiv konstruiert, sie scheint den Ungerechtigkeiten des deutschen Bildungswesens ausgeliefert. Das Themenfeld ,Familie, Partnerschaft, Geschlechterverhältnisse'
Zum Themenfeld ,Familie, Partnerschaft, Geschlechterverhältnisse' zählen journalistische Texte, wenn sie über das Privatleben von Migrantinnen mit ihren Familien, Freundinnen und Freunden, Ehemännern und Kindern berichten. So beschreibt der Artikel "Nicht nur Opfer" in der WAZ die Lebenswirklichkeit türkischer Frauen (Z762). Doch auch Verhandlungen von Geschlecht, sei es eine lesbische Liebesbeziehung, die Akzeptanz eines westlichen Lebensstils durch die Eltern oder die Unterdrückung von Mädchen und Frauen durch ihre Angehörigen, die durch die Religion gerechtfertigt wird, zählen hierzu. Weiterhin sind Artikel eingeschlossen, in denen von Prostitution (ohne erkennbaren Zwang), wie in dem Artikel "Aus dem Bordell ins Büro" (Z544), über Zwangsheirat, beispielsweise in dem Artikel "Die Macht der Mütter" (Z301) oder über das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander berichtet wird. 74 der Artikel des Sampie stammen aus dem Themenfeld ,Familie, Partnerschaft, Geschlechterverhältnisse', damit machen Beiträge zu diesen Themen 5,8 % der gesamten Berichterstattung aus. Darunter sind 36 Artikel über Familienangelegenheiten, Kinder und Freundschaften, zum Beispiel über "Die Macht der Mütter" (Z301), die "Schamlos-Küsse in der Todes-Villa" (Z2) oder "Die meisten Kinder sind glücklich" (Z1085). 25 Beiträge beschäftigten sich allgemein mit dem Verhältnis der Geschlechter, so "Männer verdienen in dieser Zeit Geld" (Z1248) oder "Sprechen sie mit den Jungs" (Z167). Acht Artikel thematisieren Prostitution, in fünf erfahren Leserinnen und Leser etwas über das Problem der Zwangsverheiratung. Im Zeitungsvergleich veröffentlicht vor allem die TAZ Artikel in diesem Themenfeld (n=26, 35,1 %), die übrigen Zeitungen beschäftigen sich deutlich weniger damit. Vergleichbar mit dem Themenfeld ,Bildung' sind hier ebenfalls viele Reportagen und Leserinnenbriefe zu finden (n=20 und n=14), die meinungsbezogenen journalistischen Formate sind bei diesen Themen stärker vertreten als im Durchschnitt. Die Artikel zu ,Familie, Partnerschaft, Geschlechterverhältnisse' sind eher häufig illustriert (n=46, 62,2 %). Abgebildete Subjekte sind zumeist die Migrantinnen allein (n=19, 41,3 %). Im Unterschied zu den anderen Themenfeldern sind Migrantinnen zudem häufiger mit Frauen oder
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Männern ohne Migrationshintergrund als mit Migranten abgebildet. Dies erscheint ungewöhnlich, da vor allem im Bereich der Familie eine Verbundenheit qua Ethnizität unterstellt werden könnte. Aufgrund der niedrigen Fallzahlen können jedoch hier keine klaren Schlussfolgerungen getroffen werden. Die wenigsten Bilder gibt es zu den fünf Artikeln über das Thema Zwangsheirat (n=2), hier war in beiden Fällen eine Migrantin alleine dargestellt (beide in der BILD). Im Themenfeld ,Familie, Partnerschaft, Geschlechterverhältnisse' werden Migrantinnen überdurchschnittlich oft als Einzelpersonen vorgestellt (n=49, 66,2 %). Ihre Namen werden in 47 Artikeln genannt (63,5 %). Dies deutet darauf hin, dass sie hier vor allem als selbständige Akteurinnen wahrgenommen werden, die ihre Meinung und Sichtweisen auch artikulieren dürfen. Sie treten in 44,6 % als aktive Bürgerinnen auf und werden entweder direkt oder indirekt zitiert (n=33, zum Vergleich: der Durchschnitt liegt bei 29,2 %). Gleichzeitig scheint eine Verortung der Frauen im familiären Bereich eine Bestätigung der Stereotype zu sein. Eine handlungstragende Rolle für den Artikel spielen die Migrantinnen überdurchschnittlich oft. Vergleichsweise selten wird ihr Herkunftsland oder ihr Migrationsstatus genannt (n=41, 55,4 %), in vielen Artikeln deuten lediglich der Name oder die Beschreibung auf einen Migrationsstatus der Frau hin. In Verbindung mit der visuellen Darstellung kann also festgestellt werden, dass die Ethnizität der Migrantinnen keine entscheidende Rolle bei der Darstellung im Themenfeld ,Familie, Partnerschaft, Geschlechterverhältnisse' spielt, sondern eher ihre Zuordnung zum weiblichen Geschlecht. Das Themenfeld , Religion'
Ein Beitrag wird im Themenfeld ,Religion' verortet, wenn es ganz allgemein um Religion geht - darunter fallen der Islam genauso wie das Judentum, das Christentum und andere Religionen -und keine Gewalttaten oder politischen Fragen thematisiert werden. Die Bandbreite der Artikel reicht hier von einer "spirituellen Entdeckungsreise" (Z890) über "Exotinnen mit falschem Glauben" (Z1102) bis zu "Christdemokraten wollen Gottesstaat" (Zl29). Das Themenfeld ,Religion' wird in 69 Artikeln primär thematisiert (5,5 %). Es geht um religiöse Fragen und um das Zusammenleben verschiedener Glaubensgemeinschaften in der deutschen Gesellschaft, zum Beispiel um den Schwimmunterricht für muslimische Mädchen oder die Diskussion um das Kopftuch von Lehrerinnen. Dass religiöse Themen auch in der Gesellschaft eine große Relevanz haben, zeigt hier der hohe Anteil der Leserinnenbriefe (n=9, 12,2 %aller Leserinnenbriefe). Die Berichterstattung findet größtenteils über Diskurse statt, konkrete Migrantinnen tauchen selten auf. Bedingt durch das Thema
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werden die Frauen mit Migrationshintergrund vor allem durch die Diskussion ihrer Religion oder Biografie als nicht herkunftsdeutsch markiert (n=27, 39,1 %). Bildliehe Darstellungen sind nur in 16 Artikeln zu finden. Das Themenfeld ,Sport'
Der Bereich des Sports umfasst jegliche Berichterstattung, in der die Migrantin entweder selbst aktive Sportlerin ist (z.B. "Erste Brasilianerin im deutschen Fußball", Z64) oder als Ehefrau oder Freundin von Sportlern vorgestellt wird, wie in den Artikeln "Kuranyi. Comeback & Hochzeit" (Z675) oder "Marcelinhos Monopoly" (Z27). Er umfasst sowohl den lokalen, als auch den regionalen und bundesweiten Sport. Das Themenfeld ,Sport' spielt in der Migrationsberichterstattung grundsätzlich eine wichtige Rolle. Sport gilt als ein gesellschaftlicher Bereich, der Migrantinnen und Migranten nahezu unbegrenzte Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Prominente Fußballer oder Boxer stehen exemplarisch für die hochgradig erfolgreichen Karrieren zumeist männlicher Sportler. Ihre mediale Repräsentation, die eher als Medienvermarktung zu bezeichnen ist, spielt dabei eine wesentliche Rolle (vgl. Rowe 2003, 2007). Doch bei der Analyse der Berichterstattung über Migrantinnen wird offenkundig, dass diese gesellschaftliche Aufstiegsoption Sportlerinnen nicht in gleichem Maße zur Verfügung steht. Die Medien schenken mit ihrer Berichterstattung jungen Migrantinnen ungleich weniger Aufmerksamkeit. 61 Beiträge aus dem Sport gingen in die Analyse ein, das sind 4,8 % der Berichterstattung über Migrantinnen insgesamt. Besonders die BILD ist in diesem Bereich stark vertreten, 42,6 % aller Artikel im Themenfeld ,Sport' erschienen in dieser Zeitung (n=26). Amseltensten berichtete die TAZ (n=2, 3,3 %). In Bezug auf die journalistische Darstellungsform gibt es fast ausschließlich Kurzmeldungen und Berichte (zusammen n=SO, 82,0%). Sportberichterstattung ist vor allem personenbezogen (n=56, 91,8 %) und Migrantinnen werden hier so häufig wie in keinem anderen Bereich als Personen mit Namen vorgestellt. Das Herkunftsland der Migrantin wird ähnlich wie im Themenfeld ,Medien, Freizeit, Kultur' eher selten genannt. Sportliche Prominenz, die mit einem hohen Bekanntheitsgrad im kulturellen Bereich vergleichbar ist, lässt die ethnische Differenz in den Hintergrund treten. In der Sportberichterstattung wird den Migrantinnen eine hohe Relevanz zugewiesen. In fast der Hälfte der Artikel sind sie die Haupthandlungsträgerinnen (n=29). Ihr Handlungsniveau ist zudem in hohem Maße aktiv (n=30). Visuell dargestellt werden die Migrantinnen im Themenfeld ,Sport' in 42 Artikeln (84,0 %, Fotos insgesamt n=SO), was ebenfalls auf eine hohe Personalisierung der Berichterstattung und auf eine Zuschreibung von Aktivität der Frauen mit Migrationshintergrund schließen lässt.
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Das Themenfeld ,Lokales'
Im Themenfeld ,Lokales' wird die Berichterstattung über die Geschehnisse in den Städten und Gemeinden erfasst, seien es Ladenöffnungszeiten, Veranstaltungsankündigungen, Berichte über den lokalen Wohnungsmarkt ("Das ist auch nur ein Mensch und Mieter", Z712), Impressionen vom Kölner Karneval ("In einem Zug um die ganze Welt", Z18) oder Ereignisse aus einzelnen Bezirken ("Imbiss musste schließen", Z379). Lokale Berichterstattung findet sich in 60 Artikeln des Sampies (4,7 %). Diese kleine Fallzahllässt sich mit der strukturellen Entscheidung erklären, die Beiträge über den lokalen Sport, die lokale Politik oder über Bildungsthemen nicht zu subsumieren, sondern den entsprechenden Themenfeldern ,Sport', ,Politik' und ,Bildung' zuzuordnen. Die Form des Portraits wird im Themenfeld ,Lokales' so oft genutzt wie in keinem anderen Themenfeld (n=6, 15,8 %). Ebenfalls häufiger als in den meisten anderen Bereichen ist die personenbezogene Darstellung der Migrantinnen (n=49, 81,7 %), ihre Namen werden in 44 Artikeln genannt. Ihr Handlungsniveau ist im ,Lokalen' überdurchschnittlich aktiv, kein anderes Themenfeld hat einen höheren Anteil der Berichterstattung, in dem Mi grantinnen direkt oder indirekt zitiert werden (n=30, 50,0 %). Die visuelle Darstellung bestätigt das Bild der aktiv dargestellten Migrantin: 83,3 % der Artikel sind illustriert (n=50) und auf 84 % dieser Fotos sind Migrantinnen abgebildet (n=42). Es findet dabei also eine hohe Personalisierung statt. Die dargestellten Migrantinnen werden in der Lokalberichterstattung als Individuen erkennbar und bieten so Möglichkeiten zur Identifikation. Das Themenfeld, Wirtschaft und Recht'
Im Bereich ,Wirtschaft und Recht' geht es um Wirtschaft allgemein, um den Arbeitsmarkt, um rechtliche Fragen (außer dem Aufenthalts- oder Staatsbürgerschaftsrecht), um Landwirtschaft, den sozialen Status der Migrantinnen oder um ihre berufliche Situation. So gibt es Berichterstattung über "Die neue Armut" (Z75), "Billigarbeiter aus dem Osten erobern die Schlachthäuser" (Z140), "Kopftuchverbot bestätigt" (Z1095) oder "Polen nutzen die Chance der EU" (Z448). Mit Themen aus dem Bereich ,Wirtschaft und Recht' befassen sich 30 Artikel im Untersuchungszeitraum (2,4 %). Die Zeitung mit der meisten Berichterstattung ist die FAZ (n=ll), in der WAZ und der BILD finden sich nur jeweils zwei Artikel. 16 Artikel berichten personengebunden (53,3% ), doch nur in elf werden Namen von Migrantinnen genannt (36,7 %). Auffallend häufig wird das Herkunftsland oder der Migrationsstatus der Akteurin genannt (n=22, 73,3 %). Nur in wenigen Artikeln spielt die Migrantin
80 I Migrantinnen in den Medien
eine handlungstragende Rolle (n=6). Ihr Handlungsniveau ist niedrig, in 66,7 % der Berichterstattung über ,Wirtschaft und Recht' wird lediglich über sie gesprochen (n=20). Visuelle Darstellungen gibt es kaum. Das Themenfeld ,Ratgeber und Gesundheit'
Im Themenfeld ,Ratgeber und Gesundheit' werden Artikel wie "Gesundes Kochen" (Z1052) "Beratung für kranke und behinderte Migranten" (Z1236), "Alte Migranten allein zu Haus" (Zl151) oder "Wenn der Hodscha ins Altenheim kommt" (Z687) erfasst. Hier sind 18 Artikel erschienen (1,4 %), die meisten davon in der WAZ (n=6). Der Anteil der Artikel, in denen im Themenfeld ,Ratgeber und Gesundheit' auf das Herkunftsland oder den Migrationsstatus Bezug genommen wird, ist hoch: 83,3 % der Berichterstattung erwähnen dies (n=15). Migrantinnen treten vor allem als gleichberechtigt neben anderen Akteurinnen auf (n=12). Eine aktive Sprecherinnenrolle haben Frauen mit Migrationshintergrund in 27,8 % der Berichterstattung im Bereich ,Ratgeber und Gesundheit' (n=5), dies entspricht etwa dem Durchschnitt ihres Handlungsniveaus im Sample. Ebenso verhält es sich mit der visuellen Darstellung, Abbildungen gibt es bei 10 Artikeln (55,6 %), auf denen durchgängig Migrantinnen zu sehen sind. Das Themenfeld ,Sonstiges'
Dem Bereich der sonstigen Berichterstattung wurden alle diejenigen Artikel zugeordnet, die entweder über fiktionale Medientexte (Romane, Fernsehfilme) informieren oder die keinem der vorgenannten Themenfelder eindeutig zugeordnet werden konnten. Er umfasst 26 Artikel und damit 2,1 % des Samples. Aufgrund der inhaltlichen Heterogenität der Artikel soll hier nicht näher darauf eingegangen werden. Zusammenfassung
Im Vergleich der Themenfelder unterscheiden sich die Intensität der Darstellung von Migrantinnen, ihre Relevanz für den jeweiligen Artikel und ihr Handlungsniveau stark. Abhängig vom Inhalt der Berichterstattung wird die Migrantin als aktive Person dargestellt, die selbst zu Wort kommt, vielleicht durch ein Foto den Leserinnen und Lesern nahe gebracht wird und eine wichtige Rolle im Artikel spielt statt nur in einem Nebensatz erwähnt zu werden. Dies trifft vor allem auf die Themenfelder ,Medien, Freizeit, Kultur', ,Familie, Partnerschaft,
Migrantinnen in Tageszeitungen: Inhaltsanalyse
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Geschlechterverhältnisse' sowie ,Sport' und ,Lokales' zu. Gleichzeitig wird dort eher selten auf das Herkunftsland oder den Migrationsstatus der Akteurin verwiesen. Eine eher passive und untergeordnete Rolle spielen Migrantinnen dagegen in der Berichterstattung zu ,Politik', ,Verbrechen und Gewalt', ,Bildung' und ,Wirtschaft und Recht'. Die Frau mit Migrationshintergrund als Person w ird hier oft nicht erkennbar und bleibt schemenhaft.
2.4
Typologie der medialen Darstellung
Die bisherigen Ergebnisse und die Themenfelder, in denen über Migrantinnen berichtet wird, ihre Handlungsniveaus, Relevanzsetzungen und Herkunftsländer verweisen auf höchst unterschiedliche Formen der Berichterstattung. Die Art der Darstellung ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig und doch haben sich im Verlauf der Untersuchung Muster in der Repräsentation abgezeichnet, woraus eine Typologie der medialen Darstellung von Migrantinnen erarbeitet werden konnte. In Abgleich mit der Forschungsliteratur wurden sechs Typen induktiv aus dem Medienmaterial entwickelt. Die Typen wurden aufgrund qualitativer Merkmale kodiert, wobei die inhaltlichen Kriterien in die Typenzuordnung eingeflossen sind (vgl. Kodierbuch im Anhang II, V15). Beispielsweise war die Einschätzung, ob eine erfolgreich integrierte Migrantin dargestellt wird, für die Zuordnung zu einem Typ relevant. Weitere wichtige Kategorien waren die Alltagsräume, in denen die Migrantin medial präsentiert wird, ihre berufliche Tätigkeit sowie das Maß an ethnischer oder geschlechtlicher Abgrenzung, das in der Berichterstattung hergestellt wird. Die sechs Typen von Migrantinnen, die in der Berichterstattung der Tageszeitungen identifiziert werden können, sind:
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Die PROMINENTE
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Die ERFOLGREICHE
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Die NAcHBARIN Das ÜPFER Die INTEGRATIONSBEDÜRFTIGE Die UNERWÜNSCHTE
Diese sechs Typen werden zunächst kurz vorgestellt und die w ichtigsten Ergebnisse präsentiert. Im Anschluss werden zu jedem Typ noch einmal detailliertere Darstellungen vorgenommen.
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Geschlechterverhältnisse' sowie ,Sport' und ,Lokales' zu. Gleichzeitig wird dort eher selten auf das Herkunftsland oder den Migrationsstatus der Akteurin verwiesen. Eine eher passive und untergeordnete Rolle spielen Migrantinnen dagegen in der Berichterstattung zu ,Politik', ,Verbrechen und Gewalt', ,Bildung' und ,Wirtschaft und Recht'. Die Frau mit Migrationshintergrund als Person w ird hier oft nicht erkennbar und bleibt schemenhaft.
2.4
Typologie der medialen Darstellung
Die bisherigen Ergebnisse und die Themenfelder, in denen über Migrantinnen berichtet wird, ihre Handlungsniveaus, Relevanzsetzungen und Herkunftsländer verweisen auf höchst unterschiedliche Formen der Berichterstattung. Die Art der Darstellung ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig und doch haben sich im Verlauf der Untersuchung Muster in der Repräsentation abgezeichnet, woraus eine Typologie der medialen Darstellung von Migrantinnen erarbeitet werden konnte. In Abgleich mit der Forschungsliteratur wurden sechs Typen induktiv aus dem Medienmaterial entwickelt. Die Typen wurden aufgrund qualitativer Merkmale kodiert, wobei die inhaltlichen Kriterien in die Typenzuordnung eingeflossen sind (vgl. Kodierbuch im Anhang II, V15). Beispielsweise war die Einschätzung, ob eine erfolgreich integrierte Migrantin dargestellt wird, für die Zuordnung zu einem Typ relevant. Weitere wichtige Kategorien waren die Alltagsräume, in denen die Migrantin medial präsentiert wird, ihre berufliche Tätigkeit sowie das Maß an ethnischer oder geschlechtlicher Abgrenzung, das in der Berichterstattung hergestellt wird. Die sechs Typen von Migrantinnen, die in der Berichterstattung der Tageszeitungen identifiziert werden können, sind:
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Die PROMINENTE
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Die ERFOLGREICHE
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Die NAcHBARIN Das ÜPFER Die INTEGRATIONSBEDÜRFTIGE Die UNERWÜNSCHTE
Diese sechs Typen werden zunächst kurz vorgestellt und die w ichtigsten Ergebnisse präsentiert. Im Anschluss werden zu jedem Typ noch einmal detailliertere Darstellungen vorgenommen.
82 I Migrantinnen in den Medien
Ein Typ der dargestellten Migrantinnen ist die PROMINENTE. Sie ist eine erfolgreiche Frau von öffentlicher Relevanz und tritt in Feldern wie ,Politik, Gesellschaft, Wissenschaft, Recht oder Wirtschaft' auf oder ist aus ,Kunst und Kultur' bekannt. Sie kann auch eine bundesweit bekannte Sportlerin wie die Fußballerio "Cristiane" aus Brasilien (Z26) sein oder eine Frauen- bzw. Migrantinnenrechtlerin wie Seyran Ate~ oder Ne