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German Pages 302 Year 2014
Nesrin Z. Calagan Türkische Presse in Deutschland
Meinen Söhnen Kaya und Kato
Nesrin Z. Calagan (Dr. phil.) studierte Politikwissenschaften und Islamwissenschaften an den Universitäten Bonn und Istanbul. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Themen Migration, Medien, Medienökonomie und Türkei.
Nesrin Z. Calagan
Türkische Presse in Deutschland Der deutsch-türkische Medienmarkt und seine Produzenten
Die Promotion und die Herausgabe dieser Arbeit wurde durch die Hans-Böckler-Stiftung gefördert
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus Lektorat: Dr. Susan Bittkau-Schmitt, Köln Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1328-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
D ANKSAGUNG Mit diesen Zeilen möchte ich all den Menschen danken, die mich auf dem langen Weg bei der Entstehung dieser Arbeit maßgeblich begleitet und unterstützt haben. Danken möchte ich hier zunächst meinem Doktorvater Prof. Dr. Jörg Becker, für seine außerordentliche fachliche Betreuung. In den regelmäßigen Gesprächen schuf er immer ein persönliches Klima, in dem ich wertvolle Unterstützung, Anleitung und Motivation erlebte. Neben der wissenschaftlichen Betreuung gilt mein Dank der Hans-Böckler-Stiftung, die meine Arbeit durch ein Promotionsstipendium förderte und sich ebenfalls an der Herausgabe des vorliegenden Buches beteiligte. Durch die finanzielle aber auch ideelle Förderung der Stiftung gelang es mir, die vorliegende Arbeit nicht nur zu beginnen, sondern auch zu Ende zu führen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an Werner Fiedler für die Betreuung seitens der HBS. Innerhalb des Stipendiatenkreises fand sich eine Gruppe von Kolleginnen zusammen, die sich zu einer Arbeitsgruppe »qualitative Empirie« zusammenschloss. Diese Arbeitstreffen mit Susan Bittkau-Schmidt, Verena Dreissig und Sabine Reilmann waren für mich persönlich ganz wichtig, weil ich in diesen Menschen ein kompetentes Forum zur Vorstellung meiner Arbeitsschritte und meiner empirischen Ergebnisse fand. In diesem Kreis fand in zahlreichen Diskussionen der alltägliche wissenschaftliche Austausch statt. Ganz besonderen Dank schulde ich auch meinen Interviewpartnern in Deutschland und der Türkei für ihr Vertrauen, ihre Unterstützung und Hilfsbereitschaft. Ohne diese Interviews hätte diese Arbeit so nie realisiert werden können. Aus Gründen der ihnen zugesicherten Anonymität kann ich hier keine Namen nennen, aber ich erinnere mich noch gut an jedes einzelne Gespräch. Mein ganz persönlicher Dank gilt Susan Bittkau-Schmidt, die mich und meine Arbeit in Freundschaft begleitet hat und mich immer wieder motivierte und unterstützte. Meinen Eltern Ursula und Mehmet Calagan, meinem Mann Johannes Kuchta und ganz besonders meinen beiden Söhnen Kaya und Kato möchte ich ebenfalls danken. Sie schufen bzw. ließen mir den persönlichen Freiraum, den man bei der Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit braucht. Nesrin Calagan Köln, im Juli 2010
Inhalt
Einleitung | 11 1. Schilderung der Thematik | 11 2. Ziel der Untersuchung und zentrale Fragestellungen | 15 3. Zum Forschungsstand | 16 4. Kurzbeschreibung der einzelnen Kapitel | 17
T EIL I: T HEORETISCHE G RUNDL AGEN UND B EGRIFFSDEFINITIONEN I.1 I.2
Der Printmedienproduzent — eine medienökonomische Perspektive | 21 Zur Theorie ethnischer Medien | 28 I.2.1 Robert Ezra Park (1922) | 28 I.2.2 Joshua Fishman (1959) | 32 I.2.3 Zusammenfassung | 35
I.3 I.4
Zum Begriff »ethnische Medien« | 36 Konkretisierungen und Begriffsbestimmungen | 40
T EIL II: H ISTORISCHER K ONTEXT TÜRKISCHER UND DEUTSCH - TÜRKISCHER P RINTMEDIEN II.1 Entwicklung des Printmediensektors in der Türkei | 43 II.1.1 Die türkischen Printmedien während der frühen TanzimatPeriode (1838-1876) | 43 II.1.2 Die türkischen Printmedien während der ersten konstitutionellen Periode bzw. der Herrschaft Abdülhamid II. (1876-1908) | 49 II.1.3 Die türkischen Printmedien während der zweiten konstitutionellen Periode bzw. der Herrschaft der Jungtürken (1908-1918) | 51 II.1.4 Die türkischen Printmedien vom Befreiungskrieg bis zum Tod Mustafa Kemal Atatürks (1918-1938) | 52
II.1.5 Die türkischen Printmedien während der Ära Ismet Inönüs und des Übergangs zum Mehrparteiensystem (1938-1950) | 56 II.1.6 Die türkischen Printmedien in der Frühphase der Demokratisierung (1950-1960) | 58 II.1.7 Die türkischen Printmedien während der Phase der politischen Polarisierung zwischen 1960 und 1980 | 60 II.1.8 Die türkischen Printmedien nach 1980 | 63 II.1.9 Zusammenfassende Anmerkungen zur Entwicklung des türkischen Printmediensektors | 66 II.2 Merkmale der türkischen Tageszeitungen der Gegenwart | 68
II.3 Strukturmerkmale der türkischen Printmedienindustrie in der Gegenwart | 71 II.4 Strukturmerkmale der deutschen Printmedienindustrie in der Gegenwart | 75 II.5 Entwicklung des deutsch-türkischen Medienmarktes in Deutschland — ein Überblick | 79
T EIL III: M ETHODISCHE V ORGEHENSWEISE DER D ATENERHEBUNG UND D ATENAUSWERTUNG III.1 Datenerhebung | 93 III.1.1 Interviewmethode | 96 III.1.2 Beschreibung der Interviewsituation und der Interviews | 98 III.2 Schritte der Datenauswertung | 100 III.2.1 Datenauswertung nach Glaser und Strauss | 101 III.2.2 Datenauswertung nach Meuser und Nagel | 104 III.2.3 Beispielhafte Dokumentation der Datenauswertung mit Hilfe von ATLAS.ti | 107
T EIL IV: E MPIRISCHE A USWERTUNG IV.1 Exemplarische Fallbeschreibungen | 115 IV.1.2 Hürriyet | 116 IV.1.2 Cumhuriyet | 124 IV.1.3 Dünya Deutschland | 128 IV.1.4 Fazit | 137
IV.2 Die Schlüsselkategorien in ihren unterschiedlichen Dimensionalisierungen | 139 IV.2.1 Die Schlüsselkategorie 1: Arbeitsprofessionalität | 141
IV.2.2 Die Schlüsselkategorie 2: Originäres Interesse auf Medienmarkt II | 159 IV.2.3 Die Schlüsselkategorie 3: Unternehmensstrategie | 175 IV.2.4 Die Schlüsselkategorie 4: Zielgruppenwahrnehmung | 192 IV.3 Konstruktion einer Typologie | 224 IV.3.1 Gruppierung der Fälle und Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge | 225 IV.3.2 Der konstruierte Idealtyp | 237
T EIL V: E MPIRISCHE E RGEBNISSE UND THEORETISCHE V ERKNÜPFUNG V.1 Vorstellung der gebildeten Typen durch einen Prototypen | 239 V.1.1 V.1.2 V.1.3 V.1.4
Typ 1: Der phlegmatische Ideologe | 239 Typ 2: Der flexible Pragmatiker | 242 Typ 3: Der innovative Amateur | 246 Empirische Ergebnisse | 249
V.2 Empirie und Theorie — eine Verknüpfung | 251 V.2.1 Medienökonomische Einordnung | 252 V.2.2 Park (1922) und Fishman (1959) – eine Einordnung | 254 V.3 Ausblick | 263 Anhang | 267 A B C D E F G
Fragebogen (deutsch) | 267 Fragebogen (türkisch) | 268 Interviewleitfaden (deutsch) | 269 Interviewleitfaden (türkisch) | 270 Liste der Interviews | 272 Zur Anonymisierung der Interviews | 273 Zur Repräsentanz der Interviews | 273 Interviewsituationen | 274 Liste der Unternehmen, die zur Doğan Medien Gruppe gehören | 281
Abbildungsverzeichnis | 283 Tabellenverzeichnis | 285 Abkürzungsverzeichnis | 287 Bibliographie | 289
Einleitung 1. S CHILDERUNG DER THEMATIK Das Abkommen über die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei vom 30. Oktober 1961 ist Grundlage der heute 49jährigen deutsch-türkischen Migrationsgeschichte. Rund 2,4 Millionen Menschen türkischer Herkunft haben gegenwärtig ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland gefunden und leben hier dauerhaft in dritter Generation. Ab Mitte der 1970er Jahre begann mit dem Verkauf der ersten türkischen Printmedien aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland eine Entwicklung, die zur Etablierung eines deutsch-türkischen Medienmarktes geführt hat, der bis heute unabhängig vom deutschen Printmedienmarkt agiert und einem eigenen Regelsystem zu unterliegen scheint. Die vorliegende Dissertation1 befasst sich mit den strukturellen Veränderungen auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland. Am Beispiel ausgewählter türkischer und deutsch-türkischer Printmedienproduzenten wird untersucht, welche Art von Unternehmen Printmedienprodukte produzieren. Eine Einsichtnahme in das Spektrum der unterschiedlichen Medienproduzenten ermöglicht es in einem zweiten Arbeitsschritt, den Blick auf endogene und exogene Faktoren zu lenken, die für das jeweilige Unternehmensmanagement hinsichtlich deren Präsenz auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt Relevanz besitzen. Anhand betriebsinterner Informationen werden Unternehmensskizzen erstellt, in denen Unternehmensstruktur, -ziele und -produkt vorgestellt werden. Zur Differenzierung der Medienprotagonisten werden vorab die Vertreter der Medienproduzenten aus der Türkei selbst als Pressesystem I und die sich in Deutschland neu formierenden deutsch-türkischen Medienproduzenten als Pressesystem II bezeichnet. Der Medienmarkt in der Türkei wird als Medienmarkt I, der deutsch-türkische Medienmarkt in Deutschland als Medienmarkt II angeführt. 1 | Nachfolgend wird für die vorliegende Dissertation das maskuline Femininum verwendet.
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Abbildung 1: Darstellung des deutsch-türkischen Medienmarktes in Deutschland
Abbildung 1 zeigt eine schematische Darstellung des deutschen Medienmarktes in Deutschland und des türkischen Medienmarktes in der Türkei (M I). Innerhalb des deutschen Medienmarktes hat sich ein deutsch-türkischer Medienmarkt (M II) etabliert, der unabhängig vom deutschen Medienmarkt agiert. Sowohl Medienmarkt I als auch Medienmarkt II werden von Pressesystem I (P I) bedient, Medienmarkt II wird zusätzlich durch Medienprodukte von Pressesystem II (P II) bedient. Pressesystem I ist von der Anzahl seiner Medienprodukte aber auch durch finanzielle Ressourcen eindeutig in der dominanteren Position. Die Vertreter der beiden Pressesysteme stehen in keiner direkten Verbindung zueinander, indirekt wird deren Marktverhalten jedoch durch die Präsenz des jeweils Anderen tangiert. Das gleiche gilt für die Printmedienprodukte von Medienmarkt I und Medienmarkt II.2
2 | Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die Abkürzungen P I, P II, M I und M II verwendet. Siehe dazu auch im Abkürzungsverzeichnis.
E INLEITUNG
Der Begriff P I umfasst im vorliegenden Forschungskontext eine Gruppe von Medienunternehmen/-produzenten, die ihren Firmenhauptsitz im Herkunftsland Türkei haben und deren Medienprodukte primär für ein türkeitürkisches Publikum publiziert bzw. produziert werden. Innerhalb ihres Segments Printmedien werden Tageszeitungen3 vertrieben, deren Titel die Immigranten der ersten Generation schon als Informationsmedium aus der Türkei kannten und in Deutschland übernahmen.4 Bisher wurden nur wenige Tageszeitungen jüngeren Entstehungsdatums5 auf M II eingeführt. Ausnahmen bilden hierbei die Zeitungen Akit6 (seit 2001 ersetzt durch die Zeitung Vakit), Star und Zaman. Bei den Printmedien von P I handelt es sich um überregionale Massenblätter mit politisch-populistischem Charakter. Diese Mischform von Qualitätszeitung und Boulevardzeitung ist der gängigste Zeitungstyp innerhalb der türkischen Presse. Sonderfälle stellen hier die seriöser erscheinenden Wochenzeitungen Cumhuriyet und die im September 2000 in Deutschland kurzzeitig erschienene Wochenzeitung Dünya, eine Wirtschaftszeitung mit auch politischer Berichterstattung, dar. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung (2003-2005) waren auf M II neun türkischsprachige Tageszeitungen7 erhältlich. Sieben davon wurden von P I erstellt und in den Redaktionsräumen rund um Frankfurt a.M. um deutschland- und europabezogene Seiten ergänzt, gedruckt und vertrieben. Durch die Aufhebung des staatlichen Fernseh- und Rundfunkmonopols in der Türkei 19938 wurden private Fernsehsender legalisiert. Dies führte zur Gründung einer Vielzahl privater Fernsehsender, die durch die Nutzung des terrestrischen Satellitensystems europaweit empfangen werden können. Seit3 | Mit Ausnahme der Cumhuriyet und Dünya (in Deutschland als Wochenzeitung) erscheinen alle türkischen Zeitungen von P I auf M II so, wie sie in der Türkei als Tageszeitungen herausgegeben werden.
4 | Hürriyet (Gründungsjahr 1948), Milliyet (Gründungsjahr 1949), Sabah (Gründungsjahr 1985), Türkiye (Gründungsjahr 1970), Zaman (Gründungsjahr 1962). Siehe hierzu: Ispirli, Muhammer (2000), S. 23f.
5 | Ebd. Akit (Gründungsjahr 1993), Posta (Gründungsjahr 1995). 6 | Im Folgenden sind alle Eigennamen von Printemedien kursiv gesetzt. 7 | Diese waren: Hürriyet, Milliyet, Türkiye, Star, Zaman, Milli Gazete, Vakit, Özgür Politika, Evrensel. Hinzu kamen die beiden Wochenzeitungen Cumhuriyet und Dünya (wurde 2002 eingestellt) und diverse Sportzeitungen, Illustrierte und Satiremagazine. Die Tageszeitungen Özgür Politika und Evrensel besitzen einen anderen Produktionshintergrund. Sie etablierten sich in Deutschland, weil sie in der Türkei zunächst verboten waren. Im März 2008 sind sieben Tages- und eine Wochenzeitung auf M II erhältlich. Diese werden ausschliesslich von Printmedienproduzenten I hergestellt.
8 | Durch die Änderung von Artikel 133 der türkischen Verfassung vom 08.07.1993 wurde die Gründung privater Fernseh- und Radiosender erlaubt. Siehe dazu: Medien in der Türkei (2002), S. 9.
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dem hat sich die Angebotsstruktur von P I in Deutschland erweitert. Zeitgleich verschob sich die Mediennutzungsdominanz vom Bereich Printmedien in den Bereich der audiovisuellen Medien. Das Mediennutzungsverhalten türkeistämmiger Rezipienten in Deutschland folgt hier einem Trend, der auch auf nationaler und internationaler Ebene zu beobachten ist. Das türkische Fernsehen besitzt somit heute eindeutig eine dominantere Nutzungsposition als türkische Printmedien. Mit dieser Entwicklung geht auch ein Wechsel der Funktion von Medien einher. Empirische Studien9 belegen, dass auch die türkeistämmige Bevölkerung in Deutschland in verstärktem Maße audiovisuelle Medien konsumiert und innerhalb dessen die Unterhaltungssparte vorzieht. Aus Gründen, die im Folgenden noch erläutert werden, konzentriert sich diese Untersuchung dennoch auf den Bereich der deutsch-türkischen Printmedien. Ab dem Jahr 2000 zeichnet sich durch die Herausgabe neuer Printmedien eine Entwicklung ab,10 welche die deutsch-türkische Medienlandschaft nachhaltig zu verändern scheint. Auf M II erschienen erstmals Printmedienprodukte für die gleiche Zielgruppe, jedoch mit sich wandelndem Format und Inhalt sowie veränderter Sprachnutzung. Erstmalig in der Geschichte der türkischen Printmedien in Deutschland kam es zumindest kurzzeitig zu einer veränderten Angebotsstruktur, für die ein neuer Pool von Medienproduzenten verantwortlich war. Auffällig ist in diesem Kontext, der soziokulturelle Hintergrund dieser »neuen« Medienproduzenten, die zunächst ausnahmslos der deutschtürkischen Community entstammten. Unter dem Begriff P II werden im Folgenden alle Medienproduzenten subsumiert, deren Entscheidungsträger selbst einen persönlichen Immigrationshintergrund besitzen und die in Deutschland Printmedien für die türkeistämmige Bevölkerung erstellen. Zu nennen sind hier die drei Lifestyle-Magazine Türkiz, Hayat und Etap, die teilweise zweisprachig konzipiert wurden und sich an die junge türkeistämmige Bevölkerung in Deutschland wandten, Perşembe, eine deutsch-türkische Zeitung, die einmal wöchentlich als Beilage der TAZ erschien, die zweisprachige Wochenzeitung Dünya sowie das deutschsprachige Monatsmagazin Detay11 . Sie alle standen für diese neue Dynamik. Ihnen war gemeinsam, dass ihre Produktion nach kurzer Zeit aus den unterschiedlichsten Gründen wieder eingestellt wurde. Die Printmedienpalette von P II zeichnete sich durch ein uneinheitliches, ja geradezu unstrukturiertes Bild aus: von einer wöchentlichen deutschsprachigen Beilage in einer deutschen Tageszeitung über eine deutschsprachige Beilage in einer türkischen Wochenzeitung hin zu deutsch-türkischsprachigen und deutschsprachigen Monatsmagazinen. Dieses sehr junge und wirtschaftlich noch nicht 9 | Vgl. Becker, Jörg/Calagan, Nesrin (2001), S. 227. 10 | Vgl. Becker, Jörg (2000), S. 109. 11 | Das Detay Magazin wurde kostenfrei an Multiplikatoren in NRW verteilt und unter Zahlung der Versandkosten kostenfrei an Rezipienten in ganz Deutschland versandt.
E INLEITUNG
etablierte P II ist Vorläufer einer Entwicklung, die begleitendes Merkmal eines jeden Einwanderungsprozesses ist, der sich jedoch in Deutschland unter anderem durch das zuvor etablierte P I temporär verzögert ausbildete. Eine solche Entwicklung ist als ein Indiz dafür zu werten, dass in Bezug auf die Printmedien das althergebrachte Medienkonzept den Erwartungen der Leserschaft der zweiten und dritten Immigrantengeneration entwächst. Neue Leseinteressen, neue Mediennutzungsformen sowie eine veränderte Sprachkompetenz erfordern ein Umdenken hinsichtlich der inhaltlichen Konzeption. Von welchen Faktoren dieses Wechselverhältnis zwischen Empfänger (türkeistämmige Rezipienten), Kommunikatoren (Redakteure und Journalisten) und Botschaft (Printmedieninhalt) auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt mitbestimmt wird, veranschaulicht eine Analyse der gegenwärtigen Struktur dieses eigenständigen Nischenmarktes inmitten des deutschen Medienmarktes.
2. Z IEL DER U NTERSUCHUNG UND ZENTR ALE F R AGESTELLUNGEN Die vorliegende empirische Untersuchung befasst sich mit der Gruppe von Akteuren, die Printmedien für türkeistämmige Rezipienten auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland herstellen. Das Feld der Medienproduzenten wird anhand von ausgewählten Beispielen in seiner Bandbreite analysiert. Die dafür vorab angenommene Unterscheidung in P I und P II dient dabei einer Vorstrukturierung. Neben einer Darstellung des zu untersuchenden Feldes geht es in der weiteren Analyse darum zu hinterfragen, welche Motivation P I und P II hinsichtlich ihrer Präsenz auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland haben, welche Strategien sie verfolgen, um ihre Unternehmensziele zu erreichen und auf welche Art und Weise sie auf Veränderungen seitens der Rezipienten auf M II reagieren. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist einerseits die Tatsache, dass die angesprochenen Unternehmen ausschließlich privatwirtschaftlich ausgerichtet sind und sich somit an einem Absatzmarkt zu orientieren haben, andererseits jedoch auch durch den Transport von »Botschaften« gesellschaftspolitisch Einfluss nehmen möchten. Die Konzentration auf den Bereich der Printmedien erklärt sich aus folgenden Beweggründen: Die türkischen Tageszeitungen von P I, als das älteste Medienprodukt, welches auf M II erhältlich ist, erfuhren in den 1990er Jahren ihre auflagenstärkste Phase und sind gegenwärtig trotz sinkender Auflagenzahlen immer noch das auch für die deutsche Mehrheitsgesellschaft sichtbarste Produkt des deutsch-türkischen Medienmarktes12 . Der Printmedienbereich 12 | Die Vielfalt der Fernsehsender aus der Türkei wird von deutschen Fernsehkonsumenten schwächer wahrgenommen, da ihre Satelliteneinrichtung eine andere Ausrichtung benötigt.
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ist das Segment, welches am schnellsten von einem veränderten Rezipientenverhalten tangiert wird, andererseits aber auch die Möglichkeit hat, sich durch umgestaltete Printmedienformate und -inhalte einer sich im Wandel befindenden Leserschaft flexibel anzugleichen. Das Printmediensegment bot sich für P II als Einstiegsplattform in M II gerade deshalb an, weil es durch kostengünstigere Produktionsformate wie Wochenzeitungen bzw. Beilagen oder Monatsmagazine geringere Produktionskosten erforderte. Im Falle von P I lassen sich die Forschungsergebnisse zudem eng mit dem Segment der audiovisuelle Medien verknüpfen, da heute alle großen türkischen Tageszeitung auch ein Pendant im Bereich der privaten Fernsehsender besitzen. Aussagen über die Medienproduzenten von Printmedien ergeben damit auch die Möglichkeit, Hintergründe über die Produzenten der privaten TV-Sender von P I zu konstruieren. Daraus ergeben sich folgende Forschungsfragen: •
• • • • •
Wie unterscheiden sich P I und P II strukturell voneinander, welche Gemeinsamkeiten haben sie (Eigentumsverhältnisse, Arbeitsprozesse und Kommunikationsprozesse im Unternehmen, wer sind die Entscheidungsträger in den Redaktionen)? Welchen ökonomischen Stellenwert hat M II für P I und P II? In welcher Form kooperieren P I und P II miteinander (Kapital, Personen, Programmgestaltung)? Welches Bild entwerfen P I und P II von ihren Rezipienten? In welcher Form reagiert P I auf eine neue Marktdynamik, um seine Marktposition auf M II zu erhalten? Welche Entwicklungsperspektiven resultieren daraus für die Strukturentwicklungen des deutsch-türkischen Printmedienmarktes und welche Implikationen bringt das für die Rezipienten mit sich?
3. Z UM F ORSCHUNGSSTAND Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung zum Thema deutsch-türkische Medien erfolgte bisher im Rahmen politikwissenschaftlicher und kommunikationswissenschaftlicher Perspektiven. Die ersten Arbeiten der Autoren Aktan (1979) und Sevilgen (1979) befassten sich Ende der 1970er Jahre aus politikwissenschaftlicher Perspektive, knapp acht Jahre nach Erscheinen der ersten türkischen Tageszeitungen auf dem deutschen Medienmarkt, mit der Struktur des ganz frühen Medienangebots für ausländische Arbeitnehmer (Aktan 1979) und der Entwicklungsgeschichte und Organisation des türkischen Fernsehens in der Türkei (Sevilgen 1979). Erst 15 Jahre später setzte eine zweite Phase der
E INLEITUNG
Forschungstätigkeit ein. Die Arbeiten von Alkan (1994), Gür (1997) und Güvenç-Meçilioğlu (1997) bilden einen Kanon, in deren Mittelpunkt des methodischen Vorgehens ein inhaltsanalytischer Ansatz steht.13 Ziel war es, durch Nutzung qualitativer und quantitativer Inhaltsanalysen sowohl in der deutschen als auch in der türkischen Tagespresse die Perzeption des jeweils »Anderen« zu analysieren. Die Arbeit von Çebi (1994) widmet sich der Struktur und Organisation der Massenmedien und des Pressesystems in der Türkei und ist damit dem Forschungsbereich Medienstrukturanalyse zuzuordnen. In den Jahren 2004 und 2005 erschienen drei Arbeiten im Bereich der Mediennutzungsforschung türkischer Rezipienten in Deutschland. Dazu zählen die Arbeiten von Germeli (2004), Ottenschläger (2004) und Uçar-Ilbuğa (2005). Manfred Horn erstellte im Jahr 2005 im Forschungsbereich Medienstrukturanalyse eine Arbeit über bilinguale Print- und Hörfunkmedien in Deutschland. Durch die Konzentration auf die Strukturentwicklung des deutsch-türkischen Medienmarktes soll mit der vorliegenden Arbeit eine Forschungslücke geschlossen werden. Es wird eine strukturelle Analyse der Printmedienproduzenten auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland durchgeführt. Auf der Basis dieser Grundlagenerörterung – wer produziert eigentlich diese Medien? – können sich Untersuchungen zur Mediennutzungs- und Medienwirkungsforschung anschließen.
4. K URZBESCHREIBUNG DER EINZELNEN K APITEL Die Arbeit gliedert sich in fünf Hauptteile: einem ersten einleitenden Teil, in dem die theoretischen Grundlagen erläutert werden, einem zweiten Teil, der den historischen Kontext türkischer Printmedien in der Türkei und die Entwicklung des deutsch-türkischen Medienmarktes in Deutschland behandelt. Im dritten Teil wird die methodische Vorgehensweise der Datenerhebung und Datenauswertung behandelt. Der vierte Teil erläutert und reflektiert den Prozess der empirischen Datenauswertung und rekonstruiert die empirischen Ergebnisse. Im fünften und letzten Kapitel erfolgt eine Verknüpfung der empirischen Ergebnisse mit den theoretischen Vorannahmen. Meine Vorgehensweise basiert im ersten Teil auf zwei verschiedenen theoretischen Herangehensweisen: Erstens einer allgemeinen medienökonomischen Betrachtungsweise privatwirtschaftlich organisierter Printmedienproduzenten in Deutschland und zweitens einer Darstellung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema »ethnische Medien im angloamerikanischen Sprachraum«. In diesem Kontext werden die Arbeiten von Robert Ezra Park (1922) und Joshua Fishman (1959) vorgestellt. Diese bei13 | Vgl. hierzu: Becker, Jörg 1996, 1997, 1998, 2000, 2000/1, Ateş, Şeref 2000, 2001.
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den Studien dienen auch heute noch als Forschungseckpunkte in Bezug zur Forschungsthematik, zum einen weil sie sehr ausführlich erstellt wurden und zum anderen, weil das Forschungsfeld durch keine weiteren grundlegenden systematisierten Arbeitsergebnisse erweitert wurde. Im Anschluss daran wird eine Festlegung der Begrifflichkeiten für den vorliegenden Forschungskontext vorgenommen. Im zweiten Teil werden die Entwicklung des Printmediensektors in der Türkei von der frühen Tanzimat Periode bis in die Gegenwart nachgezeichnet. Eine Rekonstruktion der Geschichte des türkischen Printmedienwesens ist für das Verständnis gegenwärtiger türkischer Pressestrukturen vor allem deshalb von Bedeutung, weil sie die kausalen Beziehungen zwischen häufig autoritativen politischen Strukturen und der Entwicklung der türkischen Medienstruktur reflektiert und somit zum Verständnis des gegenwärtigen Status quo der türkeitürkischen Printmedien beiträgt. Im Anschluss daran werden die Strukturmerkmale der Printmedienindustrie in der Türkei und in Deutschland erläutert, die Merkmale der türkischen Tageszeitungen der Gegenwart analysiert und die Entwicklung des deutsch-türkischen Medienmarktes in Deutschland vorgestellt, wobei der Schwerpunkt auf dem Printmedienmarkt liegt. Der dritte Teil widmet sich der empirischen Datenerhebung und der Datenauswertung. Die Datenerhebung erfolgte durch eine Adaption des Theoretischen Sample von Glaser und Strauss an die qualitativen Stichprobenpläne von Kelle und Kluge (1999). Als zentrales Erhebungsmittel dienen offene leitfadenorientierte Experteninterviews, die mit der Forschungsstrategie von Meuser und Nagel (2002) erhoben wurden. Als methodisches Instrument zur Interpretation dieser Interviews wird ein Methodenmix genutzt, der auf der Grounded Theory von Glaser und Strauss (1998) und dem Datenauswertungsverfahren von Meuser und Nagel basiert. Über eine minimale und maximale Kontrastierung zusammengelegter fallimmanenter Vergleichsdimensionen werden Schlüsselkategorien entwickelt, um davon ausgehend eine Typologie zu erstellen. Im vierten Teil, der empirischen Auswertung, werden einleitend drei Fallbeschreibungen erarbeitet. Dabei handelt es sich um die deskriptiven Darstellungen ausgewählter deutsch-türkischer Printmedienproduzenten, die im Rahmen des Forschungsvorhabens die Samplingstruktur mitkonstituieren. Ziel ist es, anhand der drei Beispiele das Untersuchungsfeld plastischer darzustellen und als Einleitung in den empirischen Hauptteil drei Printmedienproduzenten mit ihrem Printmedienprodukt vor dem Hintergrund unterschiedlicher ökonomischer Ausgangsbedingungen zu porträtieren. Nach dem Kodierprozess des gesamten Datenmaterials (offenes, axiales und selektiven Kodieren) erfolgt eine Rekonstruktion der vorgefundenen Schlüsselkategorien in ihren unterschiedlichen Dimensionierungen. Auf dieser empirischen Basis wird eine Typologie der Akteure des deutsch-türkischen Printmedienmarktes erstellt.
E INLEITUNG
Im fünften Teil werden die empirischen Ergebnisse der Arbeit mit den bereits erörterten theoretisch relevanten Vorüberlegungen verknüpft, um auf dieser Basis zu einer Einschätzung hinsichtlich einer möglichen zukünftigen Entwicklung des deutsch-türkischen Printmedienmarktes zu gelangen und um auf die Besonderheit des deutsch-türkischen Medienmarktes in Deutschland zurück zu kommen.
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Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsdefinitionen
Im Folgenden wird zunächst ganz allgemein die Funktionsweise eines privatwirtschaftlich orientierten Printmedienunternehmens skizziert. Im Mittelpunkt dieser medienökonomischen Betrachtung stehen die klassische Unternehmensstruktur und Funktionsweise eines Printmedienunternehmens, eine Aufschlüsselung der Kosten und Umsatzstruktur von Zeitungen sowie der Bereich Marktstruktur und die damit verbundenen Marktzutrittsbedingungen für den deutschen Medienmarkt. Auf der Basis dieser Grunddaten lassen sich im weiteren Verlauf der Arbeit mögliche Sonderrollen von Produzenten türkischsprachiger bzw. ethnischer Printmedien auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland ableiten. Daran anschließend erfolgt eine Darstellung von theoretischen Reflexionen zum Thema ethnische Medien im sozialwissenschaftlichen Forschungskontext des angloamerikanischen Sprachraums des 20. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang werden die Forschungsarbeiten der Soziologen bzw. Linguisten Robert Ezra Park und Joshua Fishman zu den Themen fremdsprachige Medien, Immigrantenpresse und ethnische Medien vorgestellt. Daran anknüpfend werden deren Argumentationsschwerpunkte miteinander verglichen, um dann in Teil V deren Bedeutung für die gegenwärtige Konstellation auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt zu reflektieren.
I.1 D ER P RINTMEDIENPRODUZENT – EINE MEDIENÖKONOMISCHE P ERSPEK TIVE Bis auf wenige Ausnahmen »sind alle Medien traditionell private Wirtschaftsunternehmen, das heißt, Medienprodukte werden auf Märkten nach Wettbewerbsprinzipien bereitgestellt, um damit einen Gewinn zu erwirtschaften.«1 Damit stehen Medien prinzipiell in dem Dilemma, eine Balance zwischen pu1 | Kiefer, Marie Luise (2005), S. 18.
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blizistischer Wertevermittlung und ökonomischem Einzelinteresse zu wahren. Weichenberg spricht in diesem Zusammenhang von der »eingebauten Schizophrenie« der Medien, die aus seiner Sicht notwendigerweise einen »Doppelcharakter« besitzen. Dies sei keine neue Entwicklung, sondern: »Merkmal moderner Mediensysteme nach westlich-marktwirtschaftlichem Muster: einerseits sind die Medien darin soziale Institutionen, sollen also der Allgemeinheit dienen; andererseits sind sie eine Industrie und dienen somit (wirtschaftlichem) Einzelinteresse.« 2
Medien tragen somit die beiden Wesensmerkmale von Publizistik und Ökonomie in sich, wobei innerhalb der Kommunikationswissenschaften immer stärker von einer Ökonomisierung der Medien gesprochen wird.3 Nach Kiefer lässt sich Ökonomisierung: »als ein Prozess zunehmender Überlagerung des publizistischen Regimes durch die Systemrationalität des ökonomischen [beschreiben], was vor allem Verschiebung der Leitwerte bedeutet: die publizistischen treten zurück ins zweite Glied, die ökonomischen werden dominant.« 4
Der Wandel des Mediensystems wird heute vor allem unter Einbezug der Stichworte Deregulierung, Privatisierung, Kommerzialisierung und Internationalisierung bzw. Globalisierung geführt. All diese Begriffe entstammen der Ökonomie und lassen die Publizistik außen vor.5 Nach Kiefer sind am »gesellschaftlichen Bereitstellungsprozess von Medien«6 unterschiedliche Akteure beteiligt. Die Hauptakteure stellen der Produzent bzw. Unternehmer und der Rezipient dar, hinzu treten die Werbewirtschaft und der Staat. Da im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung der Unternehmer als Produzent des Printmediums steht, wird im Folgenden die spezifische Struktur und Funktionsweise eines Printmedienunternehmens kurz erörtert. Ein Printmedienunternehmen besteht aus unterschiedlichen Funktionsbereichen, die arbeitsteilig, d.h. im Verbund, miteinander agieren. Dazu gehören die Bereiche Informationsproduktion, Aufbereitung von Information, Marketing, Vertrieb, Organisation und Verwaltung sowie Produktionstechnik.7 Hauptcharakteristikum einer Zeitung, die sowohl auf Rezipienten- als auch auf Wer2 | Weichenberg, Siegfried (1990), S. 34. 3 | Vgl. Bohrmann, Hans (2003); Jarren, Otfried/Meier Werner A. (2001); Heinrich, Jürgen (2001/2).
4 | Kiefer, Marie-Luise (2005), S. 22. 5 | Vgl. ebd. S. 38f. 6 | Ebd. S. 197. 7 | Vgl. Heinrich, Jürgen (2001/1), S. 160.
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befinanzierung ausgerichtet ist, ist die Erwirtschaftung einer Rendite über den Vertrieb an eben diese beiden Märkte, den Rezipientenmarkt und den Werbemarkt. Daraus ergeben sich wiederum Verbundvorteile für das Unternehmen, die sich »quantitativ in der Verbundproduktion« und »wertmäßig in der Umsatzstruktur«8 niederschlagen. Der quantitative Output der Verbundproduktion einer Zeitung führt bei deutschen Zeitungen gegenwärtig zu einem Zeitungsumfang von rund einem Drittel für den Bereich Anzeigen und zwei Drittel für den redaktionellen Bereich.9 Aussagekräftiger ist in diesem Zusammenhang jedoch ein Blick auf die Kosten- und Umsatzstruktur von Zeitungen, wie nachfolgend in Tabelle 1 für Abonnentenzeitungen in Westdeutschland beispielhaft zu sehen ist. Diese Werte demonstrieren die Besonderheiten und Eigenarten der Printmedienproduktion und dienen als allgemeine Orientierungsleitlinie für die Produktion aller Tageszeitungenformate. Die Produktion von ethnischen Printmedien unterscheidet sich von der Produktion nationaler Printmedien dahingehend, dass sowohl der Rezipientenmarkt als auch der Anzeigenmarkt einen Nischen- bzw. Zusatzmarkt konstituiert, der unabhängig vom jeweiligen nationalen Markt agiert. Die Zielmärkte der Produzenten fremdsprachlicher Medien bzw. ethnischer Medien sind demnach bedeutend kleiner als die, der für den nationalen Markt produzierenden Unternehmen. Dieser Umstand hat in Anbetracht konstanter Basiskosten für die Erstellung der Urkopie, sinkender Zeitungsauflagen sowohl nationaler als auch ethnischer Printmedien und einer zeitgleich einhergehenden Rezipientenverlagerung von den Printmedien hin zu den audiovisuellen Medien die Folge, dass ein verstärktes ökonomisches Produktionsrisiko im Segment der fremdsprachlichen und ethnischen Printmedien entsteht. Tabelle 1 zeigt die Entwicklung der Kosten- und Umsatzstruktur von Abonnentenzeitungen in Westdeutschland von 1997 bis 2004; es handelt sich dabei um Durchschnittswerte in Prozent. Abonnentenzeitungen nehmen gegenwärtig in Deutschland den weitaus größten Anteil innerhalb der Tageszeitungen ein. Die Kostenstruktur wird hier in die Funktionsbereiche Herstellung, Redaktion, Vertrieb, Anzeigen und Verwaltung untergliedert. Im Zeitverlauf von 1997 bis 2004 sanken die Herstellungskosten von 37,4 % auf 28,2 %. Die Kosten für den Redaktionsraum stiegen im gleichen Zeitraum um 3,5 % an, d.h. die Kosten zur Herstellung des redaktionellen Teils nahmen zu.
8 | Ebd. S. 236. 9 | Vgl. Heinrich, Jürgen (2001/1), S. 237.
23
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Tabelle 1: Kosten- und Umsatzstruktur von Abonnentenzeitungen in Westdeutschland (Durchschnittswerte in Prozent) 2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
Kosten Herstellung
28,2
28,7
29,6
32,8
36,6
36,8
36,6
37,4
Redaktion
25,1
25,1
24,4
23,5
21,6
21,7
21,7
21,6
Vertrieb
22,9
22,2
22,0
20,5
20,6
19,8
19,8
19,4
Anzeigen
15,7
15,8
15,7
15,1
14,0
13,4
13,4
13,4
8,1
8,2
8,3
8,1
7,3
8,3
8,6
8,3
Umsatz Anzeigen
45,8
46,3
48,3
52,4
54,3
52,9
51,9
50,9
Vertrieb
44,6
44,1
42,6
38,4
35,5
36,2
37,1
37,6
Fremdbeilagen
9,6
9,7
9,2
9,2
10,2
10,9
11,0
11,5
Verwaltung
Quelle: BDZV
10
Heinrich erklärt diese Entwicklung durch die zunehmende Bedeutung der Lokalberichterstattung und eine damit verbundene Zunahme der beschäftigten Redakteure.11 Der Kostenanteil für den Vertrieb weist ebenfalls eine kleine aber konstant wachsende Kostenzunahme von 3,5 % auf 22,9 % auf. Der Kostenanteil für den Bereich Anzeigen stieg leicht an und nimmt einen Anteil von rund 15 % am Gesamtkostenanteil ein. Interne Verwaltungskosten stagnieren bei rund 8 %. Insgesamt fällt für den Vergleichszeitraum auf, dass die Kosten in den Bereichen Redaktion, Vertrieb und Anzeigen langsam aber konstant ansteigen. Typisch für die Produktion von Druckerzeugnissen ist zudem, dass rund 50 % der Gesamtproduktionskosten an den Bereich Herstellung (dazu gehören auch die Papierkosten) und Vertrieb fallen. Die Umsatzstruktur für den beschriebenen Zeitraum wird anhand von drei Bereichen dokumentiert (Anzeigen, Vertrieb und Fremdbeilagen). Im Vergleichszeitraum nahm der Anzeigenbereich durchschnittliche Umsatzeinbußen von 5,1 % hin, stellt aber mit 45,8 % die größte Umsatzsäule eines westdeutschen Printmedienunternehmens dar. Der Umsatzanteil im Bereich Vertrieb stieg hingegen von 37,6 % auf 44,6 %, der Umsatzanteil durch Fremdbeilagen sank leicht (-1,9 %) auf 9,6 %. Daraus ergibt sich grob zusammengefasst, dass gegenwärtig ca. 15 % der Kosten für den Bereich Anzeigen und Werbung einen überproportional hohen 10 | www.bdzv/schaubilder.html (aktualisiert am 30.06.2007). 11 | Vgl. Heinrich, Jürgen (2001/1), S. 242f.
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Gewinn von 45,8 % erzielen. Der Gewinnanteil für den Bereich Vertrieb nähert sich heute diesem Wert an (44,6 %), noch im Jahr 1997 nahm er einen deutlich geringeren Anteil ein (37,6 %). Es kam somit während der vergangenen sieben Jahre zu einer leichten Veränderung der Gewinnstruktur von Printmedienproduzenten. Das häufig formelhaft verwendete Schema, die Gewinnstruktur von Zeitungen setzte sich zu zwei Drittel aus Werbeeinnahmen und einem Drittel aus Vertriebserlösen zusammen,12 scheint sich seit dem Jahr 2002 zugunsten der Vertriebseinnahmen verschoben zu haben. Diese Entwicklung lässt sich letztlich durch struktur- und rezessionsbedingt sinkende Werbeeinnahmen von Tageszeitungen ab dem Jahr 2000 erklären.13 Zur Differenzierung der unterschiedlichen Zeitungstypen werden in Deutschland unterschiedliche Kriterien herangezogen. Eine Einteilung nach Vertrieb unterscheidet zwischen Kauf- und Abo-Zeitungen, je nachdem welcher Vertriebsweg stärker im Vordergrund steht. Des Weiteren werden Zeitungen nach ihrem Verbreitungsgebiet differenziert. Hier stehen auf der einen Seite Lokalzeitungen, die typischerweise über das Abonnentensystem vertrieben werden, eine enge Bindung zu ihren Stammlesern aufweisen, eine relativ stabile Auflage besitzen und häufig eine Monopolstellung inne haben. Überregionale Zeitungen sind sowohl Kauf- als auch Abo-Zeitungen und stehen mit den übrigen überregionalen Zeitungen in einem direkten Konkurrenzverhältnis. Über das Kriterium des Preises besteht eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit. Hier liegt in Deutschland eindeutig der Schwerpunkt auf der zum Kauf angebotenen Zeitung. Daneben gibt es Gratiszeitungen, die sich nur über den Werbemarkt finanzieren, sich aber bisher auf dem deutschen Medienmarkt nicht etablieren konnten sowie Anzeigenblätter, die indessen einen anderen publizistischen Anspruch haben und nicht als Alternative zur klassischen kostenpflichtigen Tageszeitung zu betrachten sind.14 Medienmärkte können unterschiedlich strukturiert sein. Dies bezieht sich primär auf die Aufstellung der Akteure der Medienproduktion. In diesem Zusammenhang wird von einem Monopol, in dem es nur einen Anbieter gibt, von einem Oligopol, auf dem einige wenige Anbieter sind und von einem Polypol, das über eine Vielzahl von Anbietern verfügt, gesprochen. Eine vierte, neben dem Oligopol häufig anzutreffende Marktform, ist die monopolistische Konkurrenz. Dabei handelt es sich um ein Zusammentreffen der monopolistischen mit der polypolen Marktform. Verschiedene Produzenten bieten formal ähnliche Produkte an, die sie jedoch durch ihre Produkteigenschaften soweit individuali12 | Vgl. Beyer, Andrea/Carl, Petra (2004), S. 65. 13 | Siehe dazu: www.bdvz.de/schaubilder+M5f4e4b0567b.html (Schaubild: Werbeaufwendungen in der Bundesrepublik Deutschland 1994-2004, Marktanteil der Medien in Mrd. Euro).
14 | Vgl. Beyer, Andrea/Carl, Petra (2004), S. 63f.
25
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siert15 haben, als das jedes Produkt durch seine spezifischen Charakteristika den jeweiligen Produzenten zu einem »kleinen Monopolisten« werden lässt.16 Jede Marktform weist besondere Wettbewerbs- und Marktzutrittsbedingungen auf. So herrscht auf einem monopolistischen Markt kein Wettbewerb und der Marktzutritt für neue Produzenten ist durch die Allmacht des Monopolisten immens schwierig. Auch auf einem oligopolen Markt sind die Marktzutrittsbedingungen erschwert. Die wenigen Oligopolisten stehen prinzipiell miteinander im Wettbewerb. In der Praxis kommt es aber häufig zu koordinierten Absprachen zwischen den Konkurrenten, um das Marktgeschehen effektiver steuern zu können. Eine polypole Marktsituation stellt die Situation der »vollkommenen Konkurrenz«17 auf einem »vollkommenen Markt«18 dar und ist gegenwärtig im Medienbereich am seltensten vertreten. Dieses Konstrukt des vollkommenen Marktes bietet den Produzenten eine Partizipation am Markt ohne Zugangsbeschränkungen, so dass die einzelnen Anbieter über ähnlich große Macht am Markt verfügen. Durch die oben dargelegten Ausführungen wurde deutlich, dass die beiden Parameter Wettbewerb und Marktkonzentration eng miteinander verknüpft sind und in einem Wechselverhältnis zueinander stehen. Eine Zunahme der Marktkonzentration führt zu einer Verringerung des ökonomischen und publizistischen Wettbewerbs, der grundsätzlich einen Garant für einen vielseitigen Publizismus darstellt sowie im Idealfall am gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess orientiert ist. Grundsätzlich ist eine Gewährleistung des freien Marktzutritts eine Grundvoraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs.19 Im Zeitungsbereich bestehen keine technischen oder formalen Marktregulierungsmechanismen wie beispielsweise im Bereich von Rundfunk und TV, d.h. es bestehen prinzipiell keine Marktzugangsbeschränkungen. Dennoch führen einige Eigenheiten der Printmedienproduktion dazu, dass meist der ökonomische Habitus eines Produzenten den Markzutritt ermöglicht oder eben nicht ermöglicht.
15 | Kiefer spricht in diesem Kontext von der Heterogenisierung der Ware, Kiefer, Marie Luise (2005), S. 92.
16 | Ebd. S. 91f. 17 | Vgl. ebd. S. 92. 18 | Vgl. ebd. 19 | Heinrich, Jürgen (2001/1), S. 59.
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Innerhalb der Zeitungsproduktion wird zwischen Fixkosten20 und variablen Kosten21 unterschieden. Aufgrund eines relativ hohen Fixkostenblockes (rund 50 % des Gesamtkostenanteils) für die Erstellung der Urkopie einer Zeitung handelt es sich somit eher um ökonomische Marktzugangsbeschränkungen, die auch in Deutschland gegenwärtig zu einer relativ konzentrierten Marktstruktur geführt haben.22 Die Ursachen einer solchen Marktkonzentration liegen in: • der Fixkostendegression der Printmedienproduktion, • dem Verbund von Rezipienten und Werbemarkt, • den Verbundvorteilen einer multimedialen Produktion im Multimediakonzern (Economy of Scope), • den hohen Vertriebskosten durch ein aufwendiges Vertriebssystem. Der ökonomische Wettbewerb steht jedoch trotz aller Besonderheiten auch weiterhin in einem engen Wechselverhältnis zum publizistischen Wettbewerb: »Voraussetzung für eine dauerhafte publizistische Konkurrenz ist die Sicherung des Unternehmens und damit der wirtschaftlichen Rentabilität. Diese wiederum wird von der Nachfrage nach dem Produkt bestimmt, die wiederum von der Akzeptanz und dem Nutzen der publizistischen Leistung abhängt. Der publizistische Erfolg entscheidet letztlich über den wirtschaftlichen Erfolg.« 23
Beyer und Carl verweisen in diesem Zitat auf die Bedeutung der publizistischen Qualität eines Printmedienproduktes. Neben dem publizistischen Wettbewerb besteht jedoch auch ein ökonomischer Wettbewerb, der von den Marketing- und Managementabteilungen eines jeden wettbewerbsfähigen Printmedienproduzenten gestaltet und geführt wird. Dabei geht es um den Erhalt bzw. Ausbau der Marktanteile. Wettbewerbsstrategien eines Unternehmens bestehen demnach aus einem Bündel von ökonomischen und publizistischen Wettbewerbsstrategien.
20 | Dazu gehören: Personalkosten, Pressedienste, Post- und Fernmeldegebühren, Lizenzgebühren, Miete, Pacht, Steuer, Abschreibungen, Zinsen und Werbung. In: Heinrich, Jürgen (2001/1), S. 243.
21 | Dazu gehören: Materialkosten, Zustellungskosten, technische Produktionskosten, Energiekosten, Reparaturen. In: Heinrich, Jürgen (2001/1), S. 243.
22 | Beyer, Andrea/Carl, Petra (2004), S. 67 und Heinrich, Jürgen (2001/1), S. 158. 23 | Beyer/Carl (2004), S. 87, zitiert nach Bender, Gunnar (1999), S. 79.
27
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I.2 Z UR THEORIE E THNISCHER M EDIEN I.2.1 Robert Ezra Park (1922) Robert Ezra Park (1864-1944), ein amerikanischer Soziologe, der zur Etablierung der Chicagoer Schule wesentliche Beiträge leistete,24 erstellte 1922 erstmalig eine Studie, die sich mit der Rolle der Immigrantenpresse im Kontext der US-amerikanischen Immigration beschäftigte. Diese war Bestandteil einer groß angelegten Urbanisierungsstudie, die in elf Bereiche25 untergliedert war und im Auftrag der Carnegie Corporation durchgeführt wurde. Parks Arbeit über die Immigrantenpresse entstand im Rahmen dieses Großprojektes, in dem es primär darum ging, das Phänomen der Immigrantenpresse im Hinblick auf den Amerikanisierungsprozess ihrer Rezipienten zu untersuchen. Er arbeitet dabei mit den beiden Begrifflichkeiten »Immigranten Presse« und »fremdsprachliche Presse«, welche er synonym füreinander verwendet. Park führt in seinem Werk »The Immigrant Press and Its Control« einführend Überlegungen zur Verknüpfung von (Mutter-)Sprache und Sozialisation an und hebt dabei die besondere Bedeutung der Sprache und der Traditionen hervor, die er als primäre Identitätsindikatoren für Gruppenzugehörigkeit betrachtet: »Our great cities […] are mosaics of little language colonies, cultural enclaves, each maintaining its separate communal existence within the wider circle of the city’s cosmopolitan life […] Each of these little communities is certain to have some sort of co-operative or mutual aid society, very likely a church, a school, possibly a theatre, but almost invariably a press.«26 Der Immigrantenpresse weist er hier die Rolle einer Institution zu, die, neben anderen »Community« Institutionen wie Schule oder Kirche, den Organisationsgrad der Immigranten sowie deren Lebensformen und Bedürfnisse widerspiegeln. Nachrichten in der Muttersprache kommen dabei unterschiedliche Funktionen zu: Erstens dienen sie dem Erhalt der Muttersprache und bieten den Trägern einer Sprachgruppe eine gemeinsame sprachliche Orientierungsplattform. Diese würde ansonsten, durch die Neigung der Immigranten eine 24 | Detaillierte Ausführungen zu Leben, Werk und Wirkung von R. E. Park sind bei Christmann, Gabriela (2007) nachzulesen.
25 | Diese sind: Schooling of the Immigrant, the Press, Adjustment of Homes and Family Life, Legal Protection and Correction, Health Standards and Care, Naturalization and Political Life, Industrial and Economic Amalgamation, Treatment of Immigrant Heritages, Neighborhood Agencies and Organization, Rural Developments, Summary, siehe dazu: Park, Robert E. (1922), S. XXI.
26 | Park, Robert E. (1922): S. 6f.
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Community mit Menschen ihres regionalen Herkunftsgebietes zu bilden, in unterschiedliche Dialektgruppen zerfallen.27 Zweitens erleichtern sie im Anfangsstadium der Immigration das Verständnis im Hinblick auf die Funktionsweise der Einwanderungsgesellschaft, vereinfachen somit die Anpassung an die neue Umwelt.28 Das Medium Sprache bietet durch die Institution der Immigrantenpresse Immigranten die notwendige Orientierung innerhalb der eigenen Community und dient darüber hinaus dazu, sich der amerikanischen Kultur anzunähern. Des Weiteren kam in der Immigrantenpresse, insbesondere in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, auch der Wunsch zur Wahrung der nationalen Identität zum Ausdruck.29 Diese kurzzeitige Phase, die geprägt war von nationalistischen Motiven der Herausgeber, bewertet Park allgemein als kontraproduktiv in Bezug auf eine Assimilation in die US-amerikanische Einwanderungsgesellschaft. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, im Zuge der Entstehung unabhängiger Nationalstaaten in Europa, traten nationale Motive in der Immigrantenpresse jedoch wieder in den Hintergrund.30 Die Entwicklung der Immigrantenpresse (nachfolgend mit IP abgekürzt) in den USA weist einige wesentliche Merkemale auf. Eine formale Veränderung bestand in dem Umstand, dass die Herausgeber schnell dazu übergingen, sich sprachlich an das Gros ihrer Rezipienten anzupassen, so dass sich die jeweilig fremdsprachliche Schriftsprache dem Niveau der jeweilig gesprochenen Alltagssprache annäherte. Man orientierte sich damit nicht an der kleinen Gruppe der Leser mit bürgerlicher Bildung, sondern machte Zugeständnisse zugunsten der Rezeptionsfähigkeit der breiten Masse der bildungsfernen Landbevölkerung.31 Die linguistische Adaption an die gesprochene Sprache der Rezipienten führte in der Folgezeit auch zu einer Amerikanisierung der Sprache. So wurden entweder englische Worte oder auch ganze Phrasen in den jeweilig fremdsprachlichen Text integriert. Neben vielen anderen Beispielen zitiert Park dazu den deutschsprachige Morgenstern: »Ich habe geketscht einen Kold (I have caught [catched] a cold)« oder »wir sind determt Bissness zu tun (we are determined to do business). Kommt wir wollen einen Bargen machen (Come, we will make a bargain)«.32 Hinzu trat der Umstand, dass die Verleger selbst schon sehr früh die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Werbewirtschaft erkannten und aus diesem Grund verstärkt auf Leserwünsche eingingen. In diesem Kontext verweist Park darauf, dass das Mediennutzungsverhalten sich häufig erst in der Immigration 27 | Ebd. S. 55. 28 | Ebd. S. 9f. 29 | Ebd. S. 55. 30 | Ebd. S. 59. 31 | Ebd. S. 67ff. 32 | Vgl. ebd. S. 80.
29
30
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entwickelte. Die Zeitungen zogen sich ihre Leser sozusagen selbst heran. Immigranten der ersten Generation, die in ihrer Heimat zu bildungsfernen Schichten gehörten, wandten sich diesem Kommunikationsmedium erstmalig zu. In diesem Zuge ermöglichte die IP ihren Lesern auch einen verstärkten Zugang zu Bildung.33 Park differenziert die IP in den USA historisch in zwei Einheiten. Die frühe IP bis 1870 war geprägt von den Bedürfnissen und Idealen der damaligen Immigranten. Es ging den vorwiegend in ländlichen Gebieten niedergelassenen Immigranten primär um die Auslebung ihrer religiösen Freiheiten. »For a long time these early religious communities held aloof from political activities, desiring only to be allowed to conduct their own community affairs in accordance with their religious ideals.«34 Die IP des frühen 19. Jahrhunderts suchte hingegen verstärkt politische statt religiöse Freiheit und entstand im Zeitalter der industriellen Revolution schwerpunktmäßig im urbanen Bereich. Park kartierte die Regionen der Zeitungsherausgabe und konstatiert, dass sowohl Format als auch Inhalt der Zeitungen Anhaltspunkte für die charakteristischen Interessen und Ziele und die soziale Haltung der Menschen reflektieren, die diese Zeitung rezipieren. Auf diese Weise sei es möglich, die unterschiedlichen Immigrantengruppen durch ihr Kommunikationsmedium IP in ihrer jeweiligen Komplexität zu analysieren.35 Park verweist im Verlauf seiner Untersuchung auch auf das enge Wechselverhältnis von spezifischem Migrationsverlauf und Existenzdauer der IP. Zunächst einmal bestätigt er der IP eine hohe Fluktuation, dass heißt, die fremdsprachige Presse ist von einer hohen Instabilität geprägt und die Herausgeber sind typischerweise nur für kurze Zeiträume in der Lage, ihr Produkt auf dem Markt zu halten.36 Dies sei dadurch zu erklären, dass die IP in erster Linie »Neuimmigranten« bediene. Ein steter Immigrationsfluss biete unternehmerisch die stabilste Voraussetzung für die Herausgabe der Presse. Mit dem Erlernen der Landessprache werde die Existenzgrundlage der IP geschwächt.37 Ein weiterer Faktor, der eine hohe Instabilität erkläre, sei die vergleichsweise schlechte Führung der IP. Ob sich dieser schlechte Führungsstil auf die verlegerischen oder redaktionellen Kompetenzen bezieht, bleibt hier allerdings unbeantwortet.38 »The quality and characteristics of each group, as well as the numbers of immigrants, will undoubtedly affect its press. Whether they become urban or rural dwellers, whether they enter stationary or transient occupations, whether they are accustomed 33 | Ebd. S. 108. 34 | Vgl. ebd. S. 254. 35 | Ebd. S. 287. 36 | Ebd. S. 309f. 37 | Ebd. S. 326. 38 | Ebd. S. 309.
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to read or not, all will influence their reliance upon and support of their own press. The outstanding fact is, there must be a non-English-speaking nucleus or the foreignlanguage press is without a constituency.« 39 Letztlich weist Park der kommerziellen Immigrantenpresse die größten Überlebenschancen zu.40 Charakteristika der kommerziellen IP sind nach Ansicht des Autors, dass:41 • es sich um ein Unternehmen handelt, • der Verkauf der Werbeeinheiten im Vordergrund steht, sich mit der Höhe der Auflage auch der Wert des Werberaums erhöht, • der redaktionelle Teil keine radikalen Meinungen enthält sondern notwendige Grundlagen zur Interpretation der Nachrichten bietet, • sie sich in einer Alltagssprache an den Durchschnitt der Leserschaft wendet. Wie der Titel der Untersuchung »The Immigrant Press and Its Control« nahe legt, bot die Immigrantenpresse jedoch auch die Möglichkeit, die Haltung der Immigranten in Bezug auf ihr ehemaliges Emigrationsland und/oder das Immigrationsland nachhaltig positiv oder negativ zu beeinflussen.42 »According to its content, the press can hasten or retard their assimilation.«43 Ausgehend von der Dominanz der kommerziellen IP, stellt Park in diesem Kontext die besondere Verwundbarkeit der Verleger durch die Vergabe von Werbeanzeigen durch Werbeagenturen fest. Am Beispiel der übermäßig an Einfluss gewinnenden Hammerling-Werbeagentur verweist er auf die potentiellen Gefahren, der insbesondere kleine finanzschwache Verlage unterliegen können. Während des Ersten Weltkrieges fungierte die von Hammerling gegründete »American Association of Foreign Language Newspapers« durch die gebündelte Vergabe von nationalen Werbeaufträgen als politische Propagandainstanz für die deutsche und österreichische Regierung. Die IP, eigentlich ein Instrument der Assimilierung, wurde somit propagandistisch missbraucht.44 Die Amerikanische Regierung reagierte darauf mit der Strategie »Control through Alliance« mit der Gründung eines »Committee on Public Information«, dessen Aufgabe darin bestand, fortan die IP stärker zu kontrollieren und diese verstärkt wieder in den Dienst der Amerikanisierung zu stellen.45 39 | Ebd. S. 327. 40 | Ebd. S. 337. 41 | Ebd. S. 354ff. 42 | Ebd. S. 359. 43 | Ebd. S. 359. 44 | Ebd. S. 377ff. 45 | Ebd. S. 448f.
31
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Park weist in seiner Untersuchung auf die potentiellen Möglichkeiten der Immigrantenpresse in Bezug auf Wahrung der kulturellen Identität der Immigrantengruppen hin und verdeutlicht deren funktionale Bedeutung in Bezug auf ihre Eingliederung in die US-amerikanische Einwanderungsgesellschaft. In Zeiten politischer Spannungen könne die IP sehr wohl auch als politische Propagandainstanz antiamerikanischer Interessen fungieren. Dieses Wissen nutzte die US-amerikanischen Regierung nach der ›Hammerling-Affäre‹, um durch die Etablierung einer staatlichen Instanz mittels einer engeren Kooperation mit der IP verstärkt Kontrollmomente zu etablieren. Ziel war es, die ethnischen Institutionen wie die Presse als »Agency of Americanization« zu nutzen.46
I.2.2 Joshua Fishman (1959) Der amerikanische Soziologe und Linguist Joshua Fishman nahm den Begriff der fremdsprachlichen Presse Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, wieder auf, indem er eine contentistisch angelegte Studie durchführte, die sich mit der Rolle von fremdsprachigen Medien im Assimilationsprozess von Immigranten beschäftigte. In seiner Studie, dessen Ergebnisse er und Gele Schweid Fishman 1959 unter dem Titel »Separatism and Integrationism: A Sociological Analysis of Editorial Content of three American Minority Groups«47 veröffentlichten, standen fünf fremdsprachige Zeitungen im Fokus, die im Großraum New York City von drei Minderheitengruppen herausgegeben wurden. Fishman untersuchte in diesem Kontext den Anteil der editorischen Bewertung hinsichtlich der eigenen ethnischen Gruppe (»own ethnic group editorials«) und hinterfragte in einem zweiten Arbeitsschritt, inwieweit es sich bei den Inhalten der untersuchten Zeitungen um »unterstützende« oder »separatistisch-retentionistische« Orientierungen handelte. In seiner Studie analysierte er Printmedien von drei Minderheitengruppen. Die Gruppe der Deutsch-Amerikaner (»new immigrant group«) wurde ausgewählt, weil sie eine schon lange etablierte Gruppe repräsentierte, die bereits über ein umfangreiches Netzwerk kultureller Institutionen verfügte sowie eine große Zahl von täglichen und periodischen Publikationen herausgab. Die zweite Minderheiten/bzw. Immigrantengruppe, welche in die Untersuchung einbezogen wurde, waren die jiddisch sprechenden osteuropäischen Juden (»intermediate immigrant group«), die Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts eine der größten Immigrantengruppen in den USA konstituierte und ebenfalls schon eine Vielzahl von kulturell und religiös ausgerichteten Organisationen und Institutionen etabliert hatte. Die Printmedienprodukte der hispanischen Immigranten (›new immigrant group‹) schließen den Untersuchungskanon ab. Im Großraum New York City nahmen die 46 | Ebd. S. 449. 47 | Fishman, Joshua/Schweid Fishmann, Gele (1959), S. 223-259.
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Einwanderer aus Puerto Rico dabei den Hauptfokus ein. Sie waren, verglichen mit den deutschstämmigen Immigranten und den jüdischen Osteuropäern, die Immigrantengruppe, die zeitlich als letzte immigrierte Minderheit dabei war, sich zu vernetzen und eigene Institutionen aufzubauen. Gleichzeitig war sie die Immigrantengruppe, die durch Armut und einen Mangel an Bildung besonders stark von Anpassungsproblemen betroffen war.48 Die Zeitungsinhalte analysierten Fishman und Fishman somit stets vor dem Hintergrund der Immigrationsprozesse der jeweiligen Minderheitengruppen, welche die Rezipienten dieser fremdsprachigen Presse konstituieren.49 Innerhalb ihrer Studie benutzten sie stets den Begriff der fremdsprachlichen Presse (»foreign language press«) für die untersuchten Printmedienobjekte. Diese untergliederten sie im Forschungskontext in deutsche Presse, jiddische Presse und spanische Presse. Bei den Zeitungen handelt es sich um Medienprodukte, die von den Immigranten selbst im Immigrationsland etabliert wurden. Der Besitzer der Zeitung ist dabei auch häufig deckungsgleich mit dem »Schreiber« der Beiträge. Die Ergebnisse der Studie bestätigten seine vier Hypothesen, die im Folgenden näher ausgeführt werden: 1. Artikel, die sich auf »own ethnic group« Themen beziehen, sind in den Printmedien der neu eingewanderten Immigranten-Communities (spanische Presse) und bei alteingesessenen Immigrantengruppen (deutsche Presse) häufiger vertreten.50 Fishman und Fishman betrachten dieses Phänomen als Ausdruck zweier unterschiedlicher Funktionen51 von fremdsprachlicher Presse. Die erste Funktion liegt darin begründet, dass die Generation der Neueinwanderer (1. Generation) noch enge Bindungen zum Herkunftsland besitzt. Damit einher geht ein höheres Informationsbedürfnis: »The home country and the social structures and institutions that existed there are still the source of goals and values, of role and status definitions, of self views and of feelings toward others.«52 Handlungsorientierungen und -strategien sind noch an den erlernten Strukturen im Herkunftsland ausgerichtet, politische, soziale oder familiäre Entwicklungen stehen in direkter Verbindung zur neuen Existenz im Immigrationsland. Eine eskapistische Funktion besitzen nach Fishman und Fishman »own ethnic group editorials« in Hinsicht auf einige Segmente, die auf bereits länger immigrierte Personenkreise gerichtet sind. Dazu gehören: »[…] hard-core, unassimiable, elderly individuals who had ar-
48 | Ebd. S. 226. 49 | Ebd. S. 225. 50 | Ebd. S. 227. 51 | Ebd. S. 241ff. 52 | Ebd. S. 241.
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rived as immigrants ›long ago […]‹«53 . Die »own ethnic group editorials« erwiesen sich in beiden Funktionen tendenziell als integrationshemmend. 2. Beiträge (»own ethnic group editorials«), die sich primär an Gruppen wenden, die schon länger im Einwanderungsland ansässig sind, weisen tendenziell häufiger separatistische Tendenzen auf.54 Fishman und Fishman gehen davon aus, dass Immigranten, welche schon länger im Immigrationsland ansässig sind (»old and intermediate immigrant status«), die größten Anpassungshürden schon bewältigt haben. »If the press is further to espouce ›adjustment-integration‹ to it, as the foreign language press does in the period of ›new status‹, it will merely serve to alienate and to prepare more readers for the inevitable switch to the English press.« 55 Nach Ansicht der Autoren gebietet der Wunsch nach Selbsterhaltung den Verlagen, die Zielgruppe der »intermediate« und »old status« Immigranten mit tendenziell separatistisch-retentionistischen Beiträgen zu versorgen. Auf diese Weise halten sie einen Teil der Rezipienten, die sonst an die amerikanischen Mainstreammedien übergegangen wären, im eigenen ethnischen Medienpool und sichern damit ihre Marktpräsenz. 3. Fremdsprachige Medien, die sich primär an neu eingewanderte Zielgruppen richten, weisen in ihren Beiträgen mit »own ethnic group editorials« eine ausgewogene Verteilung von integrativen und seperationistischen Tendenzen auf.56 Sie erfüllen primär die Aufgabe, über die Strukturen und Lebensformen sowie Kultur und Politik des Einwanderungslandes zu informieren. Dies geschieht auf eine Art und Weise, die eher eine integrationsfördernde Haltung der Verlage veranschaulicht. Hypothese drei ist somit komplementär zu Hypothese zwei zu verstehen. 4. Grundsätzlich treten in Beiträgen von fremdsprachigen Medien häufig Themen mit separatistisch-retentionistischem Hintergrund in Zusammenhang mit »own ethnic group editorials« auf.57 Diese Hypothese differenziert nicht zwischen den Immigrantengruppen auf der Skala einer bestimmten Zeitachse. Die Autoren gehen in diesem Kontext davon aus, dass »all immigrant status groups, and their dailies, would tend to see seperetism-retentionism only in connection with own ethnic group topics.«58
53 | Ebd. S. 241. 54 | Ebd. S. 251. 55 | Ebd. S. 252. 56 | Ebd. S. 252. 57 | Ebd. S. 254. 58 | Ebd. S. 245.
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Nach den Ergebnissen der Fishman und Fishman-Studie aus dem Jahre 1959 kommen ethnischen Medien in unterschiedlichen Phasen der Integration unterschiedliche Funktionen zu. Entsprechend der Bedürfnisse ihrer Rezipienten im Integrationsprozess wandeln sich sowohl Funktion als auch Inhalt. Die Forscher gehen in ihrer Studie im Regelfall von einem eindimensionalen Integrationsprozess aus, welcher aus drei Phasen besteht: • der Einwanderungsphase, • der Periode ethnischer Diversifizierung, • der Phase der Auflösung ethnischer Strukturen.59 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass sich die Funktion von fremdsprachlichen Medien ein bis zwei Generationen nach Abschluss des aktiven Immigrationsprozesses verändert. Anders wäre es, wenn regelmäßig Immigranten aus der gleichen Herkunftsregion in das Einwanderungsland emigrieren würden.
I.2.3 Zusammenfassung Park erstellte 1922 erstmalig eine groß angelegte Studie zur Rolle der Immigrantenpresse im US-amerikanischen Immigrationsprozess. Das Projekt umfasst eine immense Vielfalt von Untersuchungsobjekten60, die er nicht alle gleich systematisch anspricht jedoch eine Vielzahl von Medienobjekten ungeheuer detailliert untersucht. Die Herausgeber dieser von ihm untersuchten Printmedien waren Immigranten der ersten Generation sowie deren Nachfahren. Park verdeutlicht, dass die Existenz der IP von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst ist. Von Bedeutung ist der spezifische Immigrationshintergrund (Gründe der Immigration) sowie die Frage, ob es sich um eine dauerhafte Immigration, eine periodisch begrenzte Migration oder einen generationenumfassenden Immigrationsprozess handelt. Die IP diene sowohl der Anpassung an die Modalitäten der Einwanderungsgesellschaft als auch dem Erhalt der sprachlichen und kulturellen Identität der Neueinwanderer, könne jedoch auch als Plattform gegen die Interessen der Einwanderungsgesellschaft verwendet werden. Letztere Aussage steht nicht im Fokus seiner Untersuchung, doch spricht er diese desintegrative Funktion beispielhaft an und lehnt auch den Titel der Untersuchung61 eng daran an. Die IP bewertet er grundsätzlich als einen Spiegel der Lebensumstände, der Bedürfnisse und Ideale seiner Rezipienten. Als Merkmale der IP in den USA im damaligen Zeitkontext umreißt er auch die Verlage und deren Existenzhin59 | Vgl. ebd. S. 19, siehe Fishman/Schweid Fishman (1959), S. 223. 60 | Z.B. German Press, Scandinavian Press, Spanish Press, Italien Press, Polish Press, Bohemian Press, French Press Yiddish Press, Japanese Press.
61 | »The Immigrant Press and Its Control«
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tergründe. Er stellt fest, dass sich die Verlage stilistisch, formal und inhaltlich an die besonderen Bedürfnisse ihrer Leserschaft adaptierten. Auf linguistischer Ebene setzte ein Wechsel in einen einfacheren Sprachmodus ein, langfristig kam es zur Aufnahme von Anglizismen in die jeweilige Fremdsprache. Durch diese Strategie gelang es den Verlegern, sich völlig neue Rezipientenkreise zu eröffnen und diesen »Neulesern« durch das Medium Zeitung verstärkt einen Bildungszugang zu eröffnen. Bei den Verlagen mit längerer Marktpräsenz handelte es sich immer um kommerziell ausgerichtete Unternehmen, die von der Werbewirtschaft lebten. Rezipientennahe Presse und Volumen der Werbeaufträge standen in einem engen Wechselverhältnis und verstärkten sich gegenseitig. Ein weiteres enges Wechselverhältnis sah Park jedoch auch im spezifischen Migrationsverlauf einer jeden Immigrantengruppe und der Existenzdauer der jeweiligen Immigrantenzeitungen. Genau an diesem Punkt setzt die Studie von Fishman und Fishman an, die genau 37 Jahre später entstand. Es handelt sich hier um eine systematisch angelegte contentistische Studie, die sich mit der Bedeutung der fremdsprachlichen Presse im Assimilationsprozess US-amerikanischer Immigranten beschäftigt. Auch in dieser Studie werden die untersuchten Printmedien von Immigranten selbst produziert. Fishman und Fishman untersuchen hier vor dem Hintergrund von Immigrationsdauer/Immigrationsherkunft und Immigrationsstatus durch Inhaltsanalysen die Funktion der Immigrantenpresse. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Funktion der IP im Laufe des Immigrationsprozesses einem Wandel unterliegt, der letztlich von den Herausgebern aus existenziellem Eigeninteresse forciert wird. So finden sie heraus, dass Verlage, die sich verstärkt an Immigranten mit mittlerer und längerer Aufenthaltsdauer im Immigrationsland wenden, ihre Leser eher mit Beiträgen mit separationistischen Tendenzen versorgen, um deren Übergang auf amerikanische Mainstreammedien zu verhindern und damit ihre eigene Existenz zu sichern. Damit sprechen Fishman und Fishman erstmalig auch die Motive der Produzenten von IP an und eröffnen Einblick in einen Aspekt möglicher Steuerungsmechanismen von Printmedien im Allgemeinen und von IP im Besonderen.
I.3 Z UM B EGRIFF » E THNISCHE M EDIEN « In der US-amerikanischen Forschungsliteratur der 20er und 60er Jahre62 werden zwei Begriffe für Publikationen verwendet, in denen sich Einwanderer in ihrer Muttersprache an die eigene Minderheitengruppe wenden. Zunächst wird von Immigrantenpresse und fremdsprachiger Presse gesprochen. In der heutigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen von Mi62 | Vgl. Park, Robert Ezra (1922); Fishman, Joshua/Schweid Fishman, Gele (1959).
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grationsprozessen werden eine Reihe von anderen Begriffen für die von Park und Fishman beschriebene Immigrantenpresse bzw. fremdsprachliche Presse gebraucht. Ihre Untersuchungen lassen sich jedoch auch weiterhin als Grundlage für alle weiter erfolgten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu dieser Thematik betrachten. Barbara Held (1996) verwendet in ihrer Untersuchung der hispanischen Presse in Kalifornien, »Die Hispanische Presse in Kalifornien 1955-1985. Ethnische Medien als Spiegel und Motor im Assimilationsprozess US amerikanischer Minderheiten«, den Begriff »ethnische Medien«. Dieser Terminuswechsel basiert nicht auf einem grundsätzlich anderen Verständnis des Untersuchungskontextes, sondern auf einer Forschungsperspektive aus einem anderen Zeitfenster. Sie differenziert in ihrer Untersuchung zwischen einer Immigrantenpresse, die von Einwanderern der ersten Generation und einer ethnischer Presse, die von den darauf folgenden Einwanderergenerationen betrieben wird. In ihrer Untersuchung handelt es sich danach weitestgehend um ethnische Printmedienerzeugnisse, die von in Kalifornien lebenden Einwanderergenerationen selbst produziert werden. Einschränkend weist sie darauf hin, dass diese Begrifflichkeiten in der Praxis häufig nur beschränkte Relevanz besitzen. Denn auch die Herausgeber von ethnischer Presse sind bei der redaktionellen Bearbeitung auf die sprachliche Kompetenz von Muttersprachlern angewiesen, die meist das Bildungssystem im Herkunftsland durchlaufen haben. Auf diese Weise haben Herausgeber und Journalisten häufig nicht die gleiche Migrationserfahrung durchlebt. In die Kategorie fremdsprachige Medien fallen in den Ausführungen von Held Medienprodukte, die inhaltlich und sprachlich für einen nationalen Markt konzipiert wurden und anschließend als Exportartikel einen zusätzlichen Absatzmarkt im Migrationsland fanden.63 Der Gebrauch dieser Begriffe beschreibt die Funktion dieser Medienprodukte meist nur über einen temporär begrenzten Raum. Aus einer Art Pragmatismus heraus kommt die Autorin deshalb zu folgender Definition, die sie anschließend aber auch durch ihre prädestinierte Definition von Ethnizität untermauert. Im Rahmen ihrer Arbeit spricht sie von einem funktionalen Verständnis von Ethnizität, das sie an das Ethnizitätsmodell von Abramson (1980) anlehnt. Abramson definiert sechs Merkmale von Ethnizität64 , die gesellschaftlichen Veränderungen unterliegen. »Mit zunehmender Anpassung und Integration vermindert sich das Gewicht, das den ethnischen Merkmalen beigemessen wird, bzw. sie werden durch die 63 | Vgl. Held, Barbara (1996), S. 46ff. 64 | Vgl. Abramson, Harold J. (1980), S. 151: »a common historical origin, some conception of cultural and social distinctiveness, a role as a unit in a larger and diverse system of social relations, a manifest or latent network of associations beyond kinship and locality, some acknowledgment of its own diversity in different settings and for different individuals, some attachment to a set of historically derived group symbols«.
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Merkmale einer anderen Gruppe neu inhaltlich gefüllt.«65 Aus diesem Verständnis heraus besitzt der Begriff Ethnizität einen prozesshaften Charakter, der sich im Laufe der Zeit, den spezifischen Eigenarten der jeweiligen Gruppe entsprechend, immer wieder umdefiniert: »›Ethnische Presse‹ definiert als Gesamtheit aller Publikationen, die ihre Zielgruppe über die Ethnizität ihrer Leserschaft bestimmen, scheint damit die zutreffendste Bezeichnung. ›Fremdsprachig‹, ›zweisprachig‹ oder ›englischsprachig‹ sind in diesem Sinne Unterkategorien. Im Zeitalter der elektronischen Medien präsentiert sich die ethnische Presse als Teil eines größeren Ganzen […] Spanischsprachiges Fernsehen und Radio ziehen für sich genommen jeweils ein größeres Publikum an, als die gesamte hispanische Presse.« 66 Held differenziert hier deutlich zwischen den in Kalifornien von Hispanos erstellten Medien und dem breiten Medienangebot insbesondere aus dem Bereich der audiovisuellen Medien aus dem südamerikanischen Raum. Charles Husband (1994) spricht nicht von ethnischen Medien, sondern von Medien für ethnische Minderheiten (»Ethnic Minority Media«), d.h. er spricht von Medien für eine ethnische Minderheit, jedoch nicht von Medien, die durch das Adjektiv ethnisch umschrieben werden. Seinem Verständnis nach lässt sich das Mediennutzungsverhalten eines Mitgliedes einer ethnischen Minderheit nicht nur durch seine Ethnizität erklären, da Individuen nicht nur ethnisch sind und ihre Ethnizität kein dauerhafter Bestandteil ihrer Identität ist. Konsequenterweise werden Medien auch nicht nur durch den »Filter« der Ethnizität rezipiert, sondern durch ein Bündel von selektiven Filtern (z.B. Religion, Geschlecht, Alter, Klasse).67 Husband plädiert für die Notwendigkeit unabhängiger ethnischer Minderheitenmedien als zentralem Bestandteil ethnischer Minderheitenrechte: »Consequently ethnic minority media structures ideally require both open internal management structures and highly developed avenues for routine access to the diversity of experience represented within their communities […] we need autonomous ethnic minority media which can speak for, and to, their own community; ethnic minority media which can generate a dialogue between ethnic minority communities; and between these and dominant ethnic community audiences.« 68
65 | Held, Barbara (1996), S. 37. 66 | Ebd. S. 47. 67 | Husband, Charles (Hg.) (1994), S. 10. 68 | Ebd. S. 15.
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Die Hauptfunktion ethnischer Minderheitenmedien liegt seiner Ansicht nach darin, die jeweils einzigartige historische Erfahrung einer ethnischen Minderheitengruppe auszudrücken und diese in Relation mit den gelebten Erfahrungen in die Gegenwart zu setzen.69 Ngui (1994), der sich mit der Situation der Presse für Einwanderer auf dem australischen Medienmarkt beschäftigt, verwendet die Begriffe »Medien für ethnische Minderheiten/Minderheitenmedien« und »ethnische Medien« synonym. Ethnische Medien definiert er dabei in Anlehnung an Geiselhart (1989) wie folgt: »The Ethnic Media is a mediator in a prolonged and varied encounter between languages, cultures, expectations and fears. At the same time it is a link to the institutions of the ethnic community itself, its clubs, societies and co-operatives; the things which maintain cohension.«70 Im Rahmen der Cultural Studies sprechen Robins und Aksu (2001) am Beispiel des türkischen Satellitenfernsehens von transnationalem türkischem Fernsehen ohne den besonderen Charakter des Transnationalen genauer zu erläutern.71 Marie Gillespie (2000) und Annabelle Srebeny (2000) verwenden den Terminus der diasporischen Medien (»diasporic media«) im Grunde für den gleichen Sachverhalt wie der zuvor zitierte Robert Park, der die Immigrantenpresse als eine Community Institution der Immigranten betrachtet, die etwas über deren Organisationsgrad und Lebensformen ausdrückt.72 Auch Srebeny betont im gleichen Kontext die enge Verbindung von Diasporamedien mit anderen diasporischen Community Organisationen.73 Darieva (2004) verwendet in ihrer Untersuchung zur russischen Presse in Berlin und London den Begriff »Migrantenmedien«: »Das zentrale Merkmal der Migrantenmedien besteht in ihrer Funktion, eine oder mehrere Migrantengruppen mit Informationen und kulturellen Angeboten zu bedienen, die die Aufnahmegesellschaft nicht bieten kann.«74 Das Phänomen der Exilpresse betrachtet Darieva als einer Umkehrung zur Migrantenpresse. Exilpresse biete intellektuellen Emigranten eine Plattform, um ihre politisch gebündelten Aktivitäten außerhalb ihrer Heimatländer zu organisieren. Anders als die Migrantenpresse richte sich die Exilpresse aus der Emi69 | Ebd. S. 143. 70 | Ngui, Matt (1994) zitiert nach Geiselhart, K. (1989-1990), S. 23f. 71 | Vgl. hierzu auch Aksoy, Asu (2000). 72 | Park, Robert (1922), S. 6f. 73 | Vgl. Sreberny, Annabelle (2000), S. 189. 74 | Darieva, Tsypylma (2004), S. 31.
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gration in erster Linie an das nationale Herkunftsland.75 Letztlich verwenden Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen für ein und dasselbe Untersuchungsobjekt unterschiedliche Begriffe, ihre Verwendung wird jedoch häufig in den jeweiligen Beiträgen wenig präzisiert.
I.4 K ONKRE TISIERUNGEN UND B EGRIFFSBESTIMMUNGEN Im spezifischen hier untersuchten Fall des deutsch-türkischen Medienmarktes (Medienmarkt II) lassen sich die Printmedienerzeugnisse im Vorfeld meiner empirischen Untersuchung in zwei unterschiedliche Kategorien differenzieren. Das Gros der Printmedienprodukte wird zum einen seit Beginn der 1970er Jahre von Printmedienproduzenten aus der Türkei herausgegeben und über deutsche Vertriebssysteme verkauft. Es handelt sich dabei um Herausgeber aus der Türkei, die in Deutschland Tochtergesellschaften gegründet haben und ihre türkischsprachigen Printmedienerzeugnisse für den Rezipienten auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt inhaltlich teilweise neu konzipieren.76 Anders als in den Untersuchungen von Park, Fishman und Held handelt es sich nicht um die klassische Immigrantenpresse, sondern um fremdsprachige/türkischsprachige Printmedienerzeugnisse, die für einen erweiterten Rezipientenkreis außerhalb der nationalen Leserschaft partiell neu redaktioniert werden. In diesem Kontext verwende ich deshalb den Begriff »adaptierte türkische Printmedien«. Eine Etablierung der Deutschland- bzw. Europaseiten ist notwendigerweise auch mit einer verstärkten Mitarbeiterrekrutierung aus den Reihen der türkischstämmigen Immigranten verbunden, dennoch handelt es sich aufgrund der Eigentumsverhältnisse der Unternehmen, Managementstrukturen und Redaktionsstrukturen strukturell um türkische Printmedienprodukte. Zum anderen gehören zu den produzierenden Gruppen auf dem deutschtürkischen Medienmarkt deutsch-türkische Printmedien, welche die vorliegenden Forschungskontext als Produzenten von »ethnischen Medien« bezeichnet werden. Es handelt sich bei diesen Printmedienproduzenten um Mitglieder der ersten und zweiten Generation von Immigranten aus der Türkei. Der hier verwendete Begriff von Ethnizität lehnt sich an den von Charles Husband an, der ähnlich wie Abramson dessen prozesshaften Charakter in den Vordergrund stellt, diesen jedoch erweitert: »Ethnicity is both a property of self-identification, a route to self-affirmation, and a collective phenomenon grounded in the inter75 | Ebd. S. 35. 76 | Welchen Anteil die Deutschland- bzw. Europaseiten der türkischen Tageszeitungen in Deutschland tatsächlich einnehmen, wird beispielhaft anhand der exemplarischen Fallbeispiele der Hürriyet, Cumhuriyet und Dünya Deutschland in Kapitel IV.1.1, IV.1.2 und IV.1.3 dargestellt.
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action and political mobilization of the group: the ethnic group.«77 Husband lehnt sich dabei an Eriksen (1995) und Barth (1996) an und versteht Ethnizität in diesem Sinne als einen fortlaufenden Prozess von Identitätskonstruktionen, in dem Individuen kollektiv eine sie ummantelnde Gruppenidentität definieren. Dieser Prozess der ethnischen Gruppenformation stellt eine Art »aktives Verhandeln« von Mitgliedern einer ethnischen Gruppe (in-group) und Mitgliedern einer anderen ethnischen Gruppe (out-group) dar. Erst in der Interaktion und Kommunikation mit Mitgliedern einer anderen Gruppe manifestiert sich das Bewusstsein der eigenen Ethnizität. Zugehörigkeit zu einer Gruppe basiert nur auf einigen wichtigen Schlüsselvariablen, wie beispielsweise Sprache, Religion, Kleidung, Herkunft etc. Diese Eigenschaften markieren die Grenzen zwischen der eigenen in-group und der out-group. Das Ethnizitätsmodell von Husband basiert damit im Vergleich zum Modell von Abramson auf der Prämisse, dass eine Minderheitengruppe die Bereitschaft aufbringt, aktiv außerhalb ihrer eigenen Community zu agieren, d.h. mit dem jeweils Anderen zu interagieren und zu kommunizieren. Bei Abramson reicht der Einfluss der Mehrheitsgesellschaft auf die Minderheitengesellschaft schon aus, um deren a priori bestehendes Ethnizitätskonstrukt zu dynamisieren. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass sich beide hier vorgestellten Kategorien von Printmedien (adaptierte türkische Printmedien und ethnische Printmedien) primär am strukturellen Status der Printmedienproduzenten orientieren, d.h. im Mittelpunkt steht das Verhältnis von »Printmedienproduzent und Rezipient« und nicht das von »Printmedienprodukt und Rezipient«. In Bezug auf die türkischen Medien in Deutschland lässt sich folgende These formulieren: Fordert der Integrationsprozess in eine Einwanderungsgesellschaft die Etablierung der fremdsprachlichen Presse im Sinne von Fishman und Fishman, so wird das ökonomische Eigeninteresse von Pressesystem 1 (adaptierte türkische Medien) einen solchen Wandel nicht uneingeschränkt fördern. Einerseits würde die eigene finanzielle Grundlage gefährdet und andererseits seine emotionale und politische Einflusssphäre auf die türkischen Immigranten geschwächt werden. Es stellt sich die Frage, in welcher Weise sich Pressesystem 1 zukünftig an diese neue Situation anpassen wird. Ob das Modell von Fishman und Fishman, dessen Forschungsergebnisse sich nur auf Printmedien stützen und dies zu einer Zeit, als der Einfluss von elektronischen und digitalen Medien minimal bzw. nicht existent war, heute noch Gültigkeit besitzt, ist fraglich. Ebenso sollte hinterfragt werden, welchen Einfluss die politischen Rahmenbedingungen klassischer Einwanderungsländer wie den USA, Kanada oder Australien auf diesen Funktionswandel besitzen bzw. wie sich das Fehlen solcher politischer Rahmenbedingungen auf den von Fishman und Fishman klassifizierten Funktionswandel von ethnischen Medien auswirken. 77 | Downing, John/Husband, Charles (2005), S. 14.
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Teil II: Historischer Kontext türkischer und deutsch-türkischer Printmedien
II.1 E NT WICKLUNG DES P RINTMEDIENSEK TORS IN DER T ÜRKEI Die Entwicklung der Pressestrukturen und damit des Printmediensektors in der Türkei beginnt nicht mit Gründung der Republik im Jahre 1923, sondern reicht in die spätosmanische Phase Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Eine Einbettung in den jüngeren historischen Kontext des Osmanischen Reiches ist für das Verständnis gegenwärtiger türkischer Pressestrukturen vor allem deshalb von Bedeutung, weil sie die kausalen Beziehungen zwischen häufig autoritativen politischen Strukturen und Entwicklungen der türkischen Medienstruktur offenbaren bzw. reflektieren und damit zum Verständnis des gegenwärtigen Status quo der türkeitürkischen Printmedien beitragen.
II.1.1 Die türkischen Printmedien während der frühen Tanzimat-Periode (1838-1876) Die Geschichte der türkischen Printmedien der Republik Türkei hat ihre Wurzeln in der spätosmanischen Phase. Es waren zunächst Angehörige der jüdischen1 , dann auch der armenischen und griechischen Minderheiten sowie Vertreter der ausländischen Botschaften, die zwischen 1493 und 1729 innerhalb der Grenzen des Osmanischen Reiches für die Gründung von 37 Buchdruckereien verantwortlich waren. Erst im Jahre 1727 wurde die erste osmanisch-türkische Buchdruckerei in Istanbul gegründet,2 die im Januar 1729 mit dem ersten Buch1 | Im Jahr 1492 flohen rund 150.000 sephardische Juden vor den Edikten des spanischen Königspaares Isabella und Ferdinand ins Osmanische Reich (OR). Die Eingliederung der neuen Bürger in das OR erfolgte mit materieller und ideeller Unterstützung der Hohen Pforte. Einige der jüdischen Neueinwanderer begannen 1493 in Istanbul mit dem Buchdruck. Siehe dazu: www.mersina.com/lib/turkish_jews/anatolia/ und Taubert, Sigfred (Hg.) (1972), S. 460.
2 | Vgl. Inuğur, Nuri (1982), S. 153f.
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druck begann. Ab 1795 entwickelten sich französischsprachige Zeitungen in Izmir und später in Istanbul, somit in den Ballungsgebieten, in denen urbane einheimische Minderheitengruppen3 lebten, sich Ausländer niedergelassen hatten oder ausländische Vertretungen ansässig waren. Abadan-Unat (1985) erklärt in diesem Kontext, dass Mitglieder der nichtmuslimischen Glaubensgemeinschaften und Ausländer zuerst im Bereich des Buchdruck- und Zeitungswesens tätig waren, weil ihnen weniger schwere Auflagen oblagen. Dieser These widerspricht Girgin (1997)4 , der verstärkte außenpolitische Beziehungen mit den europäischen Staaten, vor allem aber Migration und Emigration ins Osmanische Reich, als richtungsweisend für diese Entwicklung konstatiert. Die Frage, warum 134 Jahre nach dem ersten Buckdruck in Istanbul durch die jüdische Minderheit erstmals eine türkisch-osmanische Buchdruckerei ihre Arbeit aufnahm, ist damit noch nicht hinreichend erklärt. Zwei innenpolitische Faktoren wirkten zudem auf den späten Beginn des osmanischen Buchdrucks ein. Die damals herrschende muslimische Geistlichkeit war anti-westlich eingestellt und sah im Buchdruck eine Gefahr für die Gemeinschaft aller Gläubigen (umma) und darüber hinaus fürchtete die damals starke Zunft der Textschreiber um ihren ökonomischen Status Quo. Die ab 1857 tatsächlich einsetzenden restriktiven Presseregelungen, der zu jener Phase autokratisch ausgelegten osmanischen Regierung, galten für Mitglieder aller millets5 und trotz der rechtlichen Zugeständnisse durch die Kapitulationen auch für fremdsprachige Druckerzeugnisse, es sei denn, sie wurden von offiziellen Vertretern oder Beamten ausländischer Regierungen erstellt. Erst 36 Jahre später kam es zum Druck der ersten osmanisch-türkischen Zeitung. Von diesem Zeitpunkt an wurden von vielen ethnischen und religiösen Gruppen im Reich Zeitungen in eigener Sprache erstellt. So standen nach Angaben von Girgin6 im Jahre 1850 zwei osmanisch-türkischen Zeitungen im Raum Istanbul und Izmir, 16 Minderheitenzeitungen bzw. fremdsprachigen Zeitungen (französisch, griechisch, armenisch, ladino, italienisch und bulgarisch) gegenüber.
3 | Sephardische Juden, Armenier und Griechen. Die gleiche These vertritt Mahçupyan. Siehe dazu: Mahçupyan, Eyten (1999), S. 31.
4 | Vgl. Girgin, Atilla (1997), S. 11. Zum Einfluss der armenischen Gemeinschaft auf die Entwicklung der türkischen Medienlandschaft siehe: Buchner, Rosi (1999), S. 64.
5 | »Die grundlegende vertikale Strukturierung der Untertanen (im Osmanischen Reich) wurde von der Religionszugehörigkeit bestimmt. Jede religiöse Gruppe durfte sich als weitgehend selbstbezogene und autonome Gemeinschaft, genannt millet, mit ihren eigenen Gesetzen und mit einer eigenen Verwaltungsstruktur unter ihrem jeweiligen religiösen Oberhaupt organisieren.« Zitiert nach: von Grunebaum, G. E. (Hg.) (1988), S. 90f.
6 | Vgl. Girgin, Atilla (1997), S. 5.
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Innerhalb der türkischen Pressegeschichte gilt die Zeitung Takvim-i Vakiye7 (1831) als erstes Printmedium, welches in osmanisch-türkischer Sprache während der Herrschaft von Sultan Mahmut II (1784-1839) erstellt wurde. Es handelte sich dabei um ein staatliches Blatt, das bei der Umsetzung von neuen Reformen und Verordnungen im Reich mitwirken sollte. Gedruckt wurde es in einer Druckerei in Beyazit/Istanbul auf einem Gelände zwischen der Süleymaniye Moschee und der heutigen Istanbuler Universität. Die erste Ausgabe wurde in einer Auflage von 5.000 Exemplaren an Personen in staatstragenden Funktionen, an die höhere Beamtenschaft, an die Träger der ulema8 und an Vertreter der ausländischen Botschaften im Reich zu einem jährlichen Abonnentenpreis von 120 Kuruş verteilt. Die erste Ausgabe bestand aus zehn Seiten; zwei Seiten fielen dabei auf das Vorwort und die restlichen acht Seiten beinhalteten Artikel zu den Themen Innen- und Außenpolitik, Militärangelegenheiten, Wissenschaft, Religion sowie Handel und Preise. Die geplante wöchentliche Herausgabe wurde nie eingehalten. In unregelmäßigen Abständen wurden pro Jahr 15 bis 31 Ausgaben erstellt. Die Journalisten dieses Amtsblattes waren Beamten des Osmanischen Reiches, eine freie und kritische Berichterstattung war damit nicht gegeben. Nach kurzer Zeit wurde die Takvim-i Vakiye auch ins Arabische, Farsi, Griechische, Armenische, Bulgarische und Französische übersetzt und gedruckt. Nach Girgin entwickelte sich die Zeitung Takvim-i Vakiye ab 1860 jedoch zu einem reinen Amtsblatt, welches dem klassischen Bild einer Zeitung nicht mehr gerecht wurde. Ab 1879 wurde die Zeitung erstmalig für 12 Jahre, 1891 wurde sie nach einjähriger Herausgabe bis zur Meşrutiyet9 1908 für insgesamt 16 Jahre nicht mehr herausgegeben. Die von der großen Türkischen Nationalversammlung am 7. Oktober 1920 gegründete Staatszeitung Ceride Resmiye ist eine Neuveröffentlichung der Takvim-i Vakiye und wurde am 2. November 1922 in Resmi Ceride und im Januar 1928 in Resmi Gazete umbenannt. Unter diesem Namen fungiert sie auch heute noch als offizielles Amtblatt der Regierung in Ankara. 1840 wurde in Istanbul von dem Engländer William Churchill die Ceride-i Havadis10 gegründet. Es handelte sich dabei um eine halbstaatliche Zeitung in osmanisch-türkischer Sprache, die vom osmanischen Staat durch finanzielle monatliche Zuwendungen von 2.500 Kuruş mitfinanziert wurde. Die Ceride-i Havadis besaß ein ähnliches Format wie die Takvim-i Vakayi. Sie war in einen innen- und außenpolitischen Bereich geteilt, wurde später noch um einen Handelsteil erweitert und führte einen Anzeigenteil ein. 1864 ging die Führung 7 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 18ff. und Girgin, Atilla (1997), S. 5f. 8 | Ulema sind Islamische Gelehrte, religiöse Würdenträger der islamischen Orthodoxie. 9 | Wiederherstellung der verfassungsrechtlichen Ordnung des ersten osmanischen Parlaments von 1877.
10 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 21ff.
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der Zeitung an Churchills Sohn Alfred über, der den Namen der Zeitung in Ruzname-i Ceride-i Havadis änderte und aus der unregelmäßig erscheinenden Wochenzeitung eine regelmäßig erscheinende Tageszeitung machte. Mit einer wachsenden Konkurrenz auf dem Zeitungsmarkt wurde die Publikation der regierungsnahen Ruzname-i Ceride-i Havadis nach rund 25 jähriger Tätigkeit eingestellt. Fast dreizig Jahre nach Gründung der ersten staatlichen osmanisch-türkischen Zeitung erschien von 1860 bis 1867 mit der Tercüman-i Ahval11 (Dolmetscher der Ereignisse) die erste regierungsunabhängige, privatwirtschaftliche osmanisch-türkische Tageszeitung. Herausgeber, Besitzer und Chefredakteur der Zeitung war Çapanzade Agah Efendi, ein vorübergehend aus dem Beamtendienst ausgeschiedener Intellektueller, der später auch eine Führungsrolle innerhalb der politischen Vereinigung der Jungtürken12 einnahm. Die Tercüman-i Ahval erschien zunächst als Wochenzeitung, wurde später jedoch an fünf Tagen in der Woche herausgegeben. Neben den klassischen Ressorts, wie Innen- und Außenpolitik, gab es Themenbereiche mit staatlich/öffentlichen Nachrichten, Markt- und Börsennachrichten, Industrie- und Bankenwesen, Kommunikation, aktuellen Preislisten und einen Teil, der sich vor allem an das Volk richtete. Darin wurden erstmals politische Entwicklungen offen diskutiert und kritisiert. Diese neue Art der Kritik war sicherlich auch ein Grund, weshalb die Zeitung erstmalig in der osmanisch-türkischen Pressegeschichte im Mai 1861 seitens der Hohen Pforte13 vorübergehend geschlossen wurde. Zudem wurden erstmals in der Geschichte der türkisch-osmanischen Printmedien Artikel von Journalisten namentlich gezeichnet. Neu war auch das Ressort Literatur, das vor allem der spätere Herausgeber der Zeitung Tasvir-i Efkar, Ibrahim Şenasi, prägte. Die Gründung der Zeitung Tasvir-i Efkar14 (1862-1867) durch Ibrahim Şenasi stand ganz in der Tradition der Tercüman-i Ahval. Neben unabhängiger Berichterstattung besaß die Zeitung einen erzieherischen Auftrag, der auch zur Meinungsbildung des Volkes beitragen wollte. Zu diesem Zwecke wurde die Sprache der Zeitung der Sprache des Volkes angepasst. Bisher war das Bildungsbürgertum, welches sich aus der Beamtenschaft der osmanischen Regierung konstituierte, die Zielgruppe der Zeitungen. Das Volk, welches damals keinerlei Bildung genoss und somit vom politischen Meinungsbildungsprozess ausgegrenzt war, wurde durch die Tasvir-i Efkar erstmalig angesprochen.
11 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 29ff. 12 | Der Kreis der Jungtürken, oder auch der Jeunes Turcs, etablierte sich aus mehreren politisch oppositionellen Gruppierungen, die sich aus unterschiedlichen Gründen gegen Sultan Abdülhamit’s II. autokratischen Regierungsstil wandten.
13 | Osmanische Herrscher-Dynastie. 14 | Ebd. 36ff. und Abadan-Unat, Nermin (1985), S. 567f.
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Die Zeitung Muhbir15 (1866) war eine unabhängige Oppositionszeitung, welche die osmanische Regierung erstmals hart kritisierte und politische Forderungen formulierte. Ali Suavi, der verantwortliche Chefredakteur, nutzte die Zeitung auch als Mittel seiner politischen Ambitionen, die er später in der oppositionellen politischen Gruppierung der Jungtürken zu verwirklichen suchte. Die Muhbir erschien fünf Mal in der Woche und musste ihr Erscheinen im Mai 1867 nach nur 55 Ausgaben einstellen, nachdem ihr Druck zwischenzeitlich mehrere Male von der Regierung unterbunden wurde und Suavi nach Kastamonu ins Exil gehen musste. Die Zeitung Basiret16 wurde 1869 von Basiretci Ali Bey gegründet. Schon zwei Jahre zuvor hatte er bei der Hohen Pforte eine Druckerlaubnis für die Zeitung beantragt, welche zunächst abgelehnt wurde. Unter dem Journalistenstab der Basiret befand sich auch Ali Suavi. Die Zeitung erschien fünf Mal pro Woche und widmete sich in erster Linie außenpolitischen Themen. Zwei Jahre nach ihrer Gründung erreichte sie schon eine Auflage von 10.000 Stück und wurde zur auflagenstärksten Tageszeitung ihrer Zeit. Weil die Zeitung während des deutsch-französischen Krieges 1870 die deutsche Politik unterstützte, wurde Ali Bey nach dem Ende des Krieges von Bismarck nach Berlin eingeladen und erhielt von ihm zum Dank für seine Dienste Geldgeschenke und eine Druckmaschine.17 Während der Herrschaft von Abdülaziz (1861-1876) wurde Basiretci Ali Efendi aufgrund seiner kritischen Berichterstattung zwei Mal für einige Monate inhaftiert und schließlich 1870 nach Jerusalem verbannt. Damit wurde auch die Herausgabe der Zeitung Basiret eingestellt. Die Zeitung Ibret18 (1870) wurde gleich zu Beginn ihrer Herausgabe durch die Regierung für einen Monat geschlossen. Der Besitzer und Herausgeber der Zeitung, Aleksan Sarafyan Efendi, beschloss deshalb, den Namen der Zeitung in Ibret-name-i Alem zu ändern und diese als Wochenzeitung herauszugeben. Die Zeitung blieb zwei Jahre erfolglos, bis im Juli 1872 Namik Kemal Chefredakteur wurde, die Zeitung wieder fünf Mal pro Woche erschien und einerseits durch ihre harte Kritik an der osmanischen Staatsführung großes Interesse seitens der Leserschaft gewann, andererseits stets von Restriktionen und Bestrafungen seitens der Regierung verfolgt wurde. Nach nur 132 Ausgaben wurde die Zeitung 1873 eingestellt und alle Mitarbeiter der Zeitung exiliert. Die Ibret war eine politische Zeitung, der es gelang, durch provozierende Überschriften sowie kritische und ausführliche Artikel den Nerv der Zeit zu treffen. Für Namik
15 | Ebd.43ff. und Girgin, Atilla (1997), S. 8. 16 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 47f. 17 | Eine detaillierte Beschreibung des Deutschlandbesuchs Ali Efendis findet sich in: Böer, Ingeborg/Harkötter, Ruth/Kappert, Petra (Hg.) (2002), S. 23-27.
18 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 48ff.
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Kemal war das Medium Zeitung ein Mittel, um notwendige gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Die angeführten Zeitungsbeispiele stehen für eine Entwicklung während der ersten vierzig Jahre des türkisch-osmanischen Zeitungswesens in der Endphase des Osmanischen Reiches. Im Zeitraum von 1831-1873, der stark geprägt war von institutionellen und politischen Reformen der Osmanischen Herrschaft selbst,19 entstand ein Zeitungstyp, der heute in der Türkei mit dem Begriff »Fikir Gazetesi« [Meinungs(bildende) Zeitung] umschrieben wird und in deren Tradition sich bis zu Beginn der 80er Jahre die Mehrheit der türkischen Printmedien sahen. Die Zeitung Muhbir, die politisch oppositionellen Charakter besaß, bildete 1866 das Gegenstück zum staatlichen Blatt Takvim-i Vakiye, welches später ein amtliches Informationsblatt wurde. Der Tradition der Muhbir folgten dann die Basiret und die Ibret. Die Entwicklung verlief demnach von der staatlichen zur halb-staatlichen hin zur privatwirtschaftlich organisierten Zeitung, die erstmals zu einem kritischen Diskurs aufforderte und damit auch den Unmut der osmanischen Regierung erregte. Parallel zu dieser Erweiterung des Zeitungsmarktes setzte der Regierungsapparat immer restriktivere Maßnahmen ein, welche der verlegerischen und journalistischen Unabhängigkeit kontraproduktiv entgegenstanden.20 Viele der jungen Zeitungsverleger und Journalisten, die exiliert worden waren, flohen in europäische Großstädte und gaben dort Exilzeitungen heraus. Die Mehrheit unter ihnen gehörte der politischen »Vereinigung für Einheit und Fortschritt« (Ittihat ve Terakki Cemiyeti) an, die in Europa unter dem Namen Jungtürken bekannt war und ihre politischen Ziele auf diese Weise auch aus dem Ausland zu realisieren versuchte. Neben den genannten Zeitungen gab es während dieser Zeit noch ein Reihe von kleineren Printmedien21 und amtliche, zumeist zweisprachige Zeitungen22 (z.B. türkisch/arabisch, türkisch/serbisch), die regional, in den unterschiedlichen vilayets23 des Osmanischen Reiches, neue Verwaltungsreformen, Gesetzesänderungen sowie alle regionalen, sozialen und infrastrukturellen Veränderungen aus dem fernen Istanbul dokumentierten.
19 | Siehe dazu: Shaw, Stanford (1977). 20 | Ebd. S. 56ff. 21 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 51. 22 | Vgl. Girgin, Atilla (1997), S. 17. 23 | Verwaltungseinheiten des osmanischen Hoheitsgebietes.
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II.1.2 Die türkischen Printmedien während der ersten konstitutionellen Periode bzw. der Herrschaft Abdülhamid II. (1876-1908) Die zweite Reformphase der Tanzimat Periode wurde durch die Regierungszeit von Sultan Abdülhamid II. (1876-1908) geprägt. Kurz nach seiner Inthronisierung proklamierte er zwar die erste osmanische Verfassung mit einem Zweikammersystem, Senat und Abgeordnetenhaus, doch bei Ausbruch des Krieges gegen Russland 1877 entließ der Sultan das Parlament wieder und setzte es für drei Jahrzehnte, nicht de jure jedoch de facto, außer Kraft. Seine nahezu 30jährige Herrschaftsphase bezeichnet Buhbe (1996)24 als »Restauration der Palastherrschaft über Regierung und Verwaltung«. Während dieser Zeit gelang es Abdülhamid II., seinen autokratischen Regierungsstil durch Modernisierungserfolge nach westlichem Vorbild im Bereich von Militär, Bildung und Verwaltung vermeintlich zu rechtfertigen. Die Verknüpfung der Herrschaftselemente von Autokratie und Modernisierung führten jedoch für den Machthaber selbst zu kontraproduktiven Entwicklungen, da durch einen erhöhten Bildungsgrad auch die Meinungsvielfalt und ein gesellschaftspolitischer Diskurs zunahmen. In diesem politischen Klima begann sich eine bürgerliche Presse zu etablieren, die während der Herrschaft Abdülhamids II. einer höchst restriktiven Zensur unterlag. Von türkischen Pressehistorikern25 wird diese 30jährige Herrschaftsphase auch als Gewaltherrschaft (istibdat dönemi) umschrieben. In Bezug auf die Printmedien bedeutete dies härteste Pressezensur, ein funktionierendes staatliches Überwachungssystem und Verfolgung bzw. Exilierung von politisch anders denkenden Journalisten. Die quantitative Herausgabe von Printmedien wurde dadurch zunächst nicht tangiert. In der Zeit von 1879 bis 1887 kamen in Istanbul pro Jahr 9-10 neue Printmedien auf den Markt. Darunter allerdings weit mehr Zeitschriften als Zeitungen. Die Herausgabe von Karikaturen war ohne Ausnahme verboten. Zwischen 1887 bis 1908 wurde durchschnittlich nur noch eine neue Zeitung/Zeitschrift pro Jahr herausgegeben. Aus einem Dokument26 aus dem Jahre 1891 aus dem Yıldız Palast geht hervor, dass täglich von den 154 erschienen Zeitungen und Zeitschriften die wichtigsten Artikel und Nachrichten zusammengefasst dem Sultan vorgetragen wurden. Eine der auflagenstärksten Tageszeitungen jener Zeit war die Tercüman-i Hakikat27 (1878). Sie wurde von Ahmet Midhat Efendi28 , einem populären Jour24 | Buhbe, Matthes (1996), S. 13. 25 | Vgl. u.a. Topuz, Hıfzı (1996), S. 34 und Özgen, Murat (2000), S. 9. 26 | Vgl. Inuğur, Nuri (1982), S. 273. 27 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 74. 28 | Ahmet Mithat Paşa war ein enger Vertrauter von Mithat Paşa, dem späteren Großwesiren von Sultan Abdülhamid II, siehe dazu: Topuz, Hıfzı (1996), S. 44ff.
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nalisten und Autoren jener Zeit, gegründet und geleitet und etablierte sich ferner durch die ideelle und finanzielle Hilfe von Sultan Abdülhamid II. Ahmet Mithat Efendi wurde seitens der Jungtürken als »Schreiber des Sultans«29 betitelt. Es gelang ihm jedoch, durch seine Vielzahl von Artikeln und Romanen in einfach gehaltener Sprache eine breite Leserschaft anzusprechen. Die Zeitung Sabah30 wurde 1875 von dem Griechen Papadopulos gegründet. Direktor der zunächst kleinen Zeitung war Mihran Efendi, Chefredakteur war Şemsettin Sami Bey. Sieben Jahre später (1882) kaufte Mihran Efendi die Zeitung und damit begann für die Sabah eine neue Publikationsphase, in der sie sich zu einer einflussreichen Zeitung entwickelte. Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wollte Mihran Efendi seiner Zeitung eine neue politische Richtung geben. Die Zeitung wurde umbenannt in Peyami Sabah (Morgennachrichten) und Chefredakteur wurde Ali Kemal, der als ausgemachter Gegner des Komitees für Einheit und Fortschritt (Ittihat ve Terakki Cemiyeti) galt und die Zeitung auch für politische Kampagnen gegen diese Bewegung nutzte. Der Nationale Befreiungskrieg war sowohl für Ali Kemal als auch für die Zeitung Peyami Sabah folgenschwer. Kurz darauf distanzierte sich die Zeitung öffentlich von Kemal, der Zeitungsbeiname Peyami wurde wieder abgelegt, doch der Druck auf die Zeitung und alle damit verbundenen Personen war so groß, dass Mihran Efendi die Sabah schloss und ins Ausland floh. Auf diese Weise wurde die Publikation der Zeitung Sabah nach 37 Jahren eingestellt. Die Zeitung Ikdam31 (1896-1926) war die dritte Zeitung, welcher innerhalb der Regierungszeit Abdülhamid II. eine prägende Funktion für die Entwicklung des späteren türkischen Pressewesens zugeschrieben wird. Sie avancierte zu einem wichtigen Presseorgan der Zweiten Osmanischen Nationalversammlung und durchlebte den Übergang vom Osmanischen Reich in die Republik. Die Ikdam wurde von dem Politologen und Juristen Ahmet Cevdet 1896 herausgegeben. Auch er stand dem Sultan nahe und erbat für die Zeitung finanzielle Unterstützung. Ihr baldiger Erfolg wurde von einem Mitarbeiter damit erklärt, dass es durch den Ausbau eines lokalen und regionalen Korrespondentensystems gelungen war, eine aktuelle Berichterstattung zu gewährleisten. Das Blatt wurde schließlich 1926 eingestellt. Die Sabah und die Ikdam waren Konkurrenzblätter, wobei die Besitzer der Zeitungen ihre Feindschaft auch öffentlich zur Schau stellten. Als es im Jahre 1901 zum ersten Journalistenstreik32 in der osmanisch-türkischen Pressegeschichte kam, bei dem es darum ging, dass die Journalisten an den gestiegenen Zeitungseinkünften beteiligt werden wollten,
29 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 74. 30 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 48ff. 31 | Ebd. S. 47f. und Inuğur, Nuri (1992), S. 36ff. 32 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 50.
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kamen die bis dato verfeindeten Zeitungsbesitzer zu einer Übereinkunft und gingen damit als Sieger aus dem Streik hervor. Die Tageszeitungen dieser Periode besaßen eine durchschnittliche Auflage von 12000-15000 Exemplaren und erreichten bei besonderen Ereignissen Auflagenzahlen bis 30000 Stück. Während dieses Zeitraumes konnte sich keinerlei kritische Presse entwickeln. Die 30jährige Herrschaftsphase von Sultan Abdülhamid II ermöglichte dennoch die Manifestierung einer Zeitungskultur für das städtische Kleinbürgertum. Da es nicht möglich war, politische Ereignisse angemessen zu kommentieren, gewannen in diesem Rahmen literarische Werke an Bedeutung.
II.1.3 Die türkischen Printmedien während der zweiten konstitutionellen Periode bzw. der Herrschaft der Jungtürken (1908-1918) Mit Beginn der zweiten konstitutionellen Periode am 24. Juli 1908 und den damit verbundenen Parlamentsneuwahlen begann erstmals in der osmanischen Pressegeschichte eine Phase ohne Einschränkung der Pressefreiheit. Die Parlamentswahlen wurden von den Repräsentanten des Komitees für Einheit und Fortschritt (Ittihat ve Terakki Cemiyeti: ITC)33 , und einem Koalitionspartner gewonnen, deren erstes Ziel der Sturz des bestehenden Regimes war. Die ITC trat nicht als politische Partei an, doch sie unterstützte bei den Parlamentswahlen diejenigen Abgeordneten, die ihre Politik vertraten und hielten sich zunächst im politischen Hintergrund. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich auf dem Istanbuler Zeitungsmarkt vier Tageszeitungen (Ikdam, Sabah, Tercüman, Saadet). Das Pressewesen befand sich insgesamt in einer Art »Freudentaumel« und innerhalb der darauf folgenden zwei Monate wurden mehr als 200 neue Zeitungslizenzen beim Staat beantragt. Innerhalb kürzester Zeit wurden Zeitungen und Zeitschriften jeder politischen Richtung gedruckt, Auflagenzahlen stiegen an. Die meisten dieser Zeitungen hatten jedoch nur eine kurze Lebensdauer.34 In der zehnjährigen Phase, von Beginn der zweiten konstitutionellen Periode bis 1918, wurden nach Angaben von Topuz (1996) 918 neue Zeitungen und Zeitschriften auf den Markt gebracht. Das politische Spektrum der Zeitun33 | In dem Komitee für Einheit und Fortschritt (Ittihat ve Terakki Cemiyeti: ITC) fanden sich alle oppositionellen politischen Gruppierungen zusammen, die eine Ablösung der Diktatur unter Sultan Abdülhamid II. sowie eine Wiederherstellung der Verfassung von 1876 als auch die Wiedereröffnung des Parlaments postulierten. Die ideologische Orientierung der konstituierenden Mitglieder des Komitees war jedoch sehr differenziert. Die Anhänger des ITC wurden in Europa auch Jungtürken genannt, siehe dazu: Shaw, Stanford J. (1985), S. 28.
34 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 59.
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gen wurde dabei größer, so dass sich neben staatstragenden auch oppositionelle Zeitungen sowie religiöse und literarische Zeitungen etablierten. Nach den Ereignissen vom 31. März 190935 begann eine neue politische Periode, die auch das Pressewesen tangierte. Im Parlament wurde am 28. April 1909 der Entwurf für ein neues Pressegesetz eingebracht, das unter den Abgeordneten zu kontroversen Diskussionen führte, letztlich jedoch am 18. Juli 1909 verabschiedet wurde. Nach nur acht Monaten Pressefreiheit wurde die Presse erneut einem Regelwerk unterworfen. Das in Anlehnung an das damalige französische Pressegesetz erstellte, zunächst recht liberale Pressegesetz, wurde im Laufe seines 22jährigen Bestehens immer restriktiver reguliert und den politischen Verhältnissen angepasst.36
II.1.4 Die türkischen Printmedien vom Befreiungskrieg bis zum Tod Mustafa Kemal Atatürks (1918-1938) Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches als eine Konsequenz aus dem verlorenen Ersten Weltkrieg an der Seite des Deutschen Reiches und des durch die alliierten Mächte ausgehandelten Waffenstillstands von Mudros (1918) kam einer vollständigen Kapitulation gleich. Während die alliierten Mächte über die Aufteilung der ehemals osmanischen Gebietsbestände verhandelten, motivierte die türkische Nationalbewegung unter Führung von Mustafa Kemal Paşa politische Kräfte zur Formierung einer nationalen Widerstandsarmee, die aus Anatolien heraus agieren sollte. Unterdessen wurde der einflusslose Sultan in Istanbul zur Unterzeichnung des Vertrages von Sèvres37 (1920) genötigt. Den türkisch-nationalen Kräften gelang es 1921-1922, die griechisch alliierten Trup-
35 | Am 31. März 1909 kam es zu einer Konterrevolution gegen die neuen säkularen Kräfte. Es war der Ulema und den Derwisch-Bruderschaften gelungen, Teile der Armee für ihre Interessen zu gewinnen. Die daraufhin erfolgten Ausschreitungen wurden bald durch die Hareket Ordusu aus Thessaloniki unter Führung von Mahmut Şevket Paşa niedergeschlagen, der Ausnahmezustand wurde ausgerufen und das Komitee für Einheit und Fortschritt kam wieder an die Macht. Abdülhamid II. wurde exiliert und sein Bruder Sultan Mehmet V. wurde als entmachteter Sultan und Kalif eingesetzt. Siehe dazu: Grunebaum, G.E. von (Hg.) (1988), S. 142.
36 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 61. 37 | Nach dem Friedensvertrag von Sèvres sollte nur Istanbul mit einem kleinen anatolischen Kernland den Türken gehören. Dieses sollte zudem politisch und wirtschaftlich von den Alliierten kontrolliert werden, d.h. deren alten Rechte in Form der Kapitulationen wieder Gültigkeit erlangen. Die anderen Gebiete sollten unter den alliierten Mächten Großbritannien, Frankreich, Italien und Griechenland aufgeteilt werden, siehe dazu: Grunebaum, G.E. von (Hg.) (1988), S. 144ff.
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pen zu besiegen und auf der Basis des Friedensvertrags von Lausanne38 am 29. Oktober 1923 die Gründung der Türkischen Republik zu proklamieren. Mustafa Kemal Paşa39 etablierte eine nationale und säkulare Republik, schaffte Sultanat und Kalifat ab und setzte rigoros westlich orientierte gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Reformen durch. Die bis dato osmanisch-türkischen Printmedien wurden von einem auf den anderen Tag zu türkischen Druckerzeugnissen. Schon während des Etablierungsprozesses der Einparteienherrschaft entwickelte die Führungselite des Staates eine ganz besondere Beziehung zur Presse. Die Funktion der Medien lag darin, Regierungspolitik mitzutragen und zur Implementierung der kemalistischen Staatsprinzipien beizutragen. In diesem Sinne bewertet Abadan-Unat die neue Rolle der türkischen Medien: »Nach der Konsolidierung der Republik Türkei wurde versucht, die Presse aus der Rolle der Kritikerin zu verdrängen und ihr die Rolle der Erzieherin des Volkes zu übertragen.« 40
Ganz gezielt sprach Mustafa Kemal Paşa schon während des Befreiungskrieges Persönlichkeiten der Istanbuler Pressevereinigung an und warb für seine Politik. Er baute ein Pressewesen in Anatolien auf und stellte der lokalen Presse zu diesem Zweck Druckereien zur Verfügung. Auf diese Weise erhielt der Staat eine Möglichkeit der Einflussnahme. Die engen Beziehungen zwischen Staatsführung und Medien wurden durch den Umstand, dass zwischen 1920 und 1938 eine Vielzahl von Zeitungsbesitzern oder prominenten Journalisten als Abgeordnete der Republikanischen Volkspartei (CHP) in der Großen Türkischen Nationalversammlung saßen, verstärkt.41 Der neue, zentralistisch und autoritär ausgerichtete Staat, liess während seiner Konsolidierungsphase für eine kurze Zeit begrenzte Pressefreiheit zu, wechselte aber 1925 zu einer rigiden Pressepolitik. Çebi42 spricht von einer »pragmatisch-reformerischen« staatlichen Pressepolitik, die sich zu einer »konservativ-autoritären Linie« wandelte. Dieser Paradigmenwechsel wurde am 4. März 1925 durch die Verabschiedung des »Gesetzes zur Sicherstellung der öffentlichen Ruhe«43 (Takrir- i Sükun Kanunu) im Parlament eingeleitet. Dieses 38 | Februar 1923. 39 | Den Beinamen Atatürk (Vater der Türken) verlieh ihm die Große Türkische Nationalversammlung 1934 in Zusammenhang mit der gesetzlichen Einführung von Familiennamen.
40 | Abadan-Unat, Nermin (1985), S. 568. 41 | Vgl. Çebi, Murat Sadullah (1994), S. 79. 42 | Ebd. S. 72. 43 | Das »Gesetz zur Sicherstellung der öffentlichen Ruhe« wurde anlässlich eines bewaffneten Umsturzversuches von Kurden unter Führung von Scheich Said im Südosten Anatoliens verabschiedet. Die Mitglieder der TBMM (Türkiye Büyük Millet Meclisi/Große
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stattete die Regierung mit außerordentlichen Befugnissen aus, auch in Bezug auf Restriktionen im Pressewesen. Im Verlauf der folgenden Monate wurden eine Reihe von Zeitungen geschlossen, darunter auch die Tanın und die Vatan aus Istanbul. Viele der von der Schließung betroffenen Zeitungen entstammten einem religiösen, traditionalistisch-konservativen oder linken Spektrum. Das Pressegesetz vom 25. Juli 193144 bedeutete weitere Einschränkungen für das Pressewesen und beinhaltete unter anderem eine Genehmigungspflicht für Zeitungsneugründungen, Kriterien für ein Publikationsverbot, Berufsvorschriften für Besitzer und Mitarbeiter von Printmedien und Vorschriften für die Organisation des Druckereisegmentes. Des weiteren wurde die staatliche Pressepolitik ab dem 22. Mai 1933 durch die Institution der »Generaldirektion für Presse« (Matbuat Umum Müdürlüğü) gelenkt, die direkt dem Innenministerium unterstellt war.45 Topuz (1996) resümiert einleitend zur türkischen Pressegeschichte der 20er Jahre, dass der Nationale Befreiungskampf auch die Geburtsstunde der Presse der nationalen Befreiung gewesen ist. So wurde die Zeitung Irade-i Milliye46 (Nationaler Wille) schon 1919 während des Sıvas-Kongresses auf Wunsch von Mustafa Kemal Paşa gegründet und von Selahattin Ulusaerk herausgegeben. Bestreben der Zeitung war es, zur Verbreitung der nationalen Befreiungsidee beizutragen. Zu diesem Zweck wurden Mitteilungen von Mustafa Kemal Paşa sowie seine Reden in der Irade-i Milliye publiziert. Diese erschien zunächst zweimal pro Woche, später täglich, und wurde Ende des Jahres 1922 eingestellt. Eine seiner ersten Amtshandlungen nach dem gewonnen Befreiungskrieg bestand in der Gründung einer weiteren Zeitung. Mustafa Kemal war sich der Bedeutung der Medien wohl bewusst, ließ aus Konya eine Druckmaschine nach Ankara bringen und im Garten des Parlaments eine Druckerei errichten, in der ab 1920 die Zeitung Hakimiyet-i Milliye47 (Nationale Herrschaft) gedruckt wurde. Der Name der Zeitung wurde ausdrücklich von Mustafa Kemal Paşa gewählt, er bezeichnete sie auch als seine Zeitung. Auf der ersten Seite der ersten Ausgabe war ein Artikel unter der Überschrift »Nationale Herrschaft« gedruckt, der dem Leser den politischen Weg der Zeitung veranschaulichte. Die Zeitung wurde bis 1934 herausgegeben und ab dieser Zeit unter dem Namen Ulus (Nation) publiziert. Sie galt bis in die Mitte der 50er Jahre als die Stimme der Republikanischen Volkspartei.
Türkische Nationalversammlung) beschuldigten die Istanbuler Presse, diesen Umsturz mitgetragen zu haben. Sie dazu: Özgen, Murat (2000), S. 19f.
44 | Vgl. Çebi, Murat Sadullah (1994),S. 76. 45 | Vgl. Girgin, Atilla (1997), S. 30ff und Topuz, Hıfzı (1996), S. 81f und S. 88ff. 46 | Vgl. Inuğur Nuri (1992), S. 23f. 47 | Ebd. S. 25f.
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Im September 1921 brachte Yunus Nadi zunächst in Istanbul, dann in Ankara, die Zeitung Yeni Gün48 (Neuer Tag) heraus, die als ein mediales Organ der nationalen Befreiungsbewegung fungierte. Nach der Gründung der Türkischen Republik brachte er am 7. Mai 1924 in Istanbul in den ehemaligen Räumlichkeiten der Yeni Gün die Zeitung Cumhuriyet (Republik) heraus, welche bis dato fest mit den Prinzipien des Kemalismus49 verwurzelt ist. Daneben gab es noch eine Reihe von anatolischen Zeitungen50 wie die Zeitungen Izmir’e Doğru, Doğru Söz, Yeni Adana, Açiksöz, Babalık und Küçük Mecmua, die die Unabhängigkeitsbewegung unterstützten. Tanin, Peyam-i Sabah, Tevhid-i Efkar, Son Telegraf, Istiklal, Sebilürreşat, Aydınlık, Orak Çekiç, Sadayı Hak, Istikbal und Vatan galten als Zeitungen des oppositionellen politischen Lagers51 und wurden auf der Basis restriktiver Pressegesetze geschlossen. In dieser Phase der türkischen Pressegeschichte war es Zeitungen, die den reformistischen Weg der jungen Republik Türkei kritisierten oder nicht mit trugen, schwer möglich, eigene politische Leitlinien zu vertreten. Die am 6. April 1920 gegründete staatliche Anadolu Ajansi52 (im Folgenden: AA, Anatolien-Nachrichtenagentur), war bis in die 40er Jahre hinein Hauptnachrichtenquelle für anatolische und Istanbuler Printmedien. In den regelmäßig erscheinenden Publikationen der AA wurde in Ankara auch das Bulletin Amtliches Communiques53 herausgegeben, in dem Zusammenfassungen der Parlamentssitzungen und Frontnachrichten gedruckt wurden. Die Buchstabenreform vom 9. August 192854 stellte die Printmedien noch einmal vor ganz andere Herausforderungen. Die Regierung gewährte eine sechsmonatige Übergangsphase, in der eine vollständige Umstellung vom arabischen ins lateinische Alphabet vollzogen werden musste. Trotz dreijähriger finanzieller staatlicher Unterstützung hatten insbesondere ältere Zeitungen Probleme mit dieser Neuerung. Feierte die Zeitung Ikdam bei Ausruf der Republik noch ihr 30jähriges Bestehen, so musste Ahmet Cevdet seine Publikation 1928 kurz nach der Einführung der Buchstabenreform aufgrund von Leserschwund einstellen. Die Verwendung des lateinischen Alphabets und die dadurch ein-
48 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 76 und Ispirli, Muhammer (2000), S. 23. 49 | Ziel des Kemalismus war die Begründung einer demokratischen Ordnung in Form einer parlamentarischen Demokratie. Zur Umsetzung dieser politischen Ziele nutzte die republikanische Führung diktatorische Herrschaftsformen. Şahinler betrachtet die republikanische Staatsführung »als eine grundsätzlich auf Demokratie abzielende ›republikanische Dikatur‹«. Şahinler, Menter (1997), S. 93f.
50 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 77ff. 51 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 120. 52 | Vgl. Girgin, Atilla (1997), S. 25f. und Ispirli, Muhammer (2000), S. 161ff. 53 | Tr.: resmi tebliği. 54 | Girgin, Atilla (2001), S. 147f.
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geleitete Sprachreform stellten sowohl an Medienproduzenten als auch an Rezipienten höchste Anforderungen.
II.1.5 Die türkischen Printmedien während der Ära Ismet Inönüs und des Übergangs zum Mehrparteiensystem (1938-1950) Mit dem Tod Mustafa Kemal Atatürks am 10. Dezember 1938 wurde Ismet Inönü ins Amt des neuen Staatspräsidenten des Einparteienstaates gewählt. Mit seiner Amtsführung setzte ein Zeitabschnitt ein, in der Überwachung und Leitung der türkischen Medien verstärkt legislativ und institutionell manifestiert wurden. In der Zeit von 1938 bis 1940 wurde das Pressegesetz55 zweimal erweitert, um für die politische Führung die Regulierung der Presse zu optimieren. Die »Generaldirektion für Presse«56 war in praxi eine Institution zur Verwirklichung staatlicher Medienpolitik. Eine weitere Institution wurde im Juni 1938 durch die Gründung der »Pressevereinigung«57 geschaffen. Diese war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges tätig und es oblag ihr, alle Journalisten unter einem Dach zu versammeln, um sie bei Verstößen gegen staatliche Interessen zu sanktionieren. Özgen beurteilt die Gründung der »Pressevereinigung« als primär notwendig und sinnvoll, macht aber darauf aufmerksam, dass es sich hier nicht um eine Institution mit demokratischen Strukturen handelte, in der das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit gewahrt wurde. Das Führungsgremium der »Pressevereinigung« konstituierte sich bis auf wenige Ausnahmen aus CHP-Parteifunktionären und Journalisten, die gleichzeitig als CHP-Parlamentarier Mitglied der Großen Türkischen Nationalversammlung waren. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges markiert für das türkische Pressewesen eine weitere Zäsur, da ab November 1940 in vielen Provinzen, so auch in Istanbul, bis heute wichtigster Medienstandort der Türkei, der Ausnahmezustand58 verhängt wurde. Dies zunächst für eine kurze Periode, welche sich dann aber immer wieder verlängerte, so dass der Ausnahmezustand erst 1947 endete. Während dieser Zeit war es neben der Regierung auch den Militärkommandanten der jeweiligen Provinz erlaubt, Verlage, Zeitungen und Druckereien zu schließen. Die wichtigsten Zeitungen59 dieser Zeit waren die Cumhuriyet, Akşam, Tan, Vatan, Yeni Sabah, Tanin und Tavsir-i Ekar. Zusammenfassend lässt sich für die erste Hälfte der Amtsperiode von Ismet Inönus (1938-1945) konstatieren, dass sich der Um55 | Erweiterung des Pressegesetzes vom 27. Juni 1938 und vom 24. April 1940, siehe dazu: Girgin, Atilla (1997), S. 34f.
56 | Am 22. Mai 1940 wurde die Generaldirektion für Medien wieder dem Ministerpräsidenten unterstellt, siehe dazu: Girgin, Atilla (2001), S. 127.
57 | Vgl. Özgen, Murat (2000), S. 23ff. 58 | Vgl. Çebi, Murat Sadullah (1994), S. 80f. und Girgin, Atilla (2001), S. 126. 59 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 97.
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fang der vom Staat gelenkten Printmedien erweiterte, diese indes ökonomisch und politisch an die politische Administration gebunden waren. Hinzu trat der geringe Bildungsgrad der türkischen Bevölkerung, eine rudimentär ausgebaute Binnenverkehrsstruktur, das schwach entwickelte Werbesegment innerhalb der Verlagshäuser und staatliche Papierrationierungen.60 Der Übergangsprozess vom Einparteiensystem zum Mehrparteiensystem von 1946 bis 1950 wurde zunächst durch außenpolitische Ereignisse und Konstellationen forciert. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fand ein autoritäres Regime, dass eine Orientierung an das westliche Bündnis suchte, keine Legitimierung mehr. Ismet Inönü leitete deshalb 1946, auch auf Grund wachsenden innenpolitischen Druckes, den Weg zur Gründung neuer Parteien ein. Aus einer Abspaltung der CHP konstituierte sich 1946 die DP (Demokrat Partisi/dt. Demokratische Partei). In den vorgezogenen Parlamentswahlen vom Juli 1946 konnte die CHP noch einen Sieg erringen, war seitdem aber in der Großen Türkischen Nationalversammlung mit einer Oppositionspartei konfrontiert. Wachsende oppositionelle Kräfte zwangen die CHP zu innenpolitischen Liberalisierungen, zur Reformierung der eigenen Partei61 und zur Revidierung ihrer bisherigen Pressepolitik. Anstehende Parlamentswahlen erforderten nunmehr einen liberaleren Umgang mit der Presse, insbesondere da das Gros der Printmedien die Politik der DP unterstützte. Am 1. Juni 194662 kam es zu einer liberalen Modifizierung des Artikels 50 des Pressegesetzes von 1931. Damit war das größte Druckmittel der Regierung gegenüber den Medien eliminiert. Dieses Gesetz hatte in den 1940er Jahren dazu geführt, dass die Regierung Artikel verbieten, Zeitungen und Verlagshäuser schließen, Besitzer von Medienunternehmen und deren Mitarbeiter bestrafen und inhaftieren konnte. Die einsetzende Liberalisierung staatlicher Pressepolitik führte in der Folgezeit zu einer Vielzahl von Zeitungsneugründungen, wobei sich das politische Spektrum der Printmedien erweiterte.63 In diesen Zeitraum fiel auch die Gründung der Hürriyet und der Milliyet, die schon während ihrer Gründungsphase als Massenblätter konzipiert wurden und gegenwärtig als auflagestärkste Tageszeitungen das Medienmonopol des Doğan-Medien-Konzerns untermauern. Die großen Zeitungen der Übergangsperiode, dazu gehörten die Cumhuriyet, Vatan, Tasvir und
60 | Vgl. Çebi, Murat Sadullah (1994), S. 83. 61 | Vgl. Buhbe, Matthes (1996), S. 62. 62 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 128; Topuz, Hıfzı (1996), S. 100f. und Inuğur Nuri (1992), S. 218f.
63 | Zeitungsneu- und Widergründungen: Son Saat (1946), Markopaşa (1946), Akşam Gazetesi (1947), Hergün Gazetesi (1947), Tan (1948), Hürriyet Gazetesi (1948), Zafer Gazetesi (1949), Siyasi Iktisadi Yeni Istanbul Gazetesi (1949), Yeni Konya Gazetesi (1949), Milliyet (1950). Siehe dazu: Inuğur Nuri (1992), S. 123ff.
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Milliyet, standen größtenteils der DP nahe. Mit dem Machtwechsel im Jahre 195064 ist der Übergang zum Mehrparteiensystem abgeschlossen.
II.1.6 Die türkischen Printmedien in der Frühphase der Demokratisierung (1950-1960) Mit dem Wahlsieg der DP am 14. Mai 1950 begann für die türkische Presse eine zehnjährige Phase, welche durch ein wechselhaftes Beziehungsgefüge zwischen Staat und Presse geprägt war. Zunächst kam die neue Regierung unter Staatspräsident Celal Bayar und Ministerpräsident Adnan Menderes den Hoffnungen der türkischen Printmedien nach einer Liberalisierung des Pressesystems nach. Am 15. Juli 1950 verabschiedete die Große Türkische Nationalversammlung das Pressegesetz 568065, welches eine Woche später in Kraft trat. Durch das neue Pressegesetz wurden die Befugnisse des Staates erheblich reduziert. Die tragenden Elemente der neu erlangten Pressefreiheit waren:66 • Für die Herausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift bedurfte es keiner staatlichen Genehmigung mehr, eine einfache Mitteilung reichte aus. • Personen ohne ordentliches Führungszeugnis wurden von der verlegerischen und journalistischen Tätigkeit nicht mehr ausgeschlossen. • Die Gründung von Sondergerichten für Verfahren gegen Pressedelikte. Auf diese Weise blieben Journalisten von jahrelang andauernden Prozessen und von langen Dienstwegen der Bürokratie verschont. • Zeitungsbesitzern drohte bei Verstößen gegen das Pressegesetz als Verantwortliche keine Gefängnisstrafe mehr, die Verantwortung und damit die strafrechtliche Verfolgung oblagen dem Verfasser bzw. dem verantwortlichen Redakteur der Zeitung. Die ersten vier Jahre der Regierungszeit waren vor dem Hintergrund politischer und ökonomischer Erfolge der Menderes Regierung von einem intensiven Dialog zwischen Presse und Regierung geprägt. In regelmäßigen Abständen fanden zwischen Regierung und Führungspersönlichkeiten der Presselandschaft Treffen statt, um das Zusammenspiel zwischen Politik und Medien zu optimieren.67 Am 13. Juni 1952 wurde das Gesetz 5953 »zur Regelung der Beziehung zwischen Arbeitsgebern und Arbeitnehmern im Pressewesen«68 verabschiedet. Damit war 64 | Am 14. Mai 1950 fanden allgemeine Parlamentswahlen statt, bei der die DP als klarer Wahlsieger hervorging. Siehe dazu: Buhbe, Matthes (1996), S. 63.
65 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 129. 66 | Vgl. Inuğur Nuri (1992), S. 267 und Çebi, Murat Sadullah (1994), S. 192 67 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 106. 68 | Girgin, Atilla (2001), S. 130.
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erstmals ein wesentlicher Schritt zur sozialen Absicherung von Angestellten des Pressewesens sowie deren Recht auf gewerkschaftliches Engagement gesetzlich fixiert. Waren wirtschaftliche und außenpolitische Erfolge der ersten Jahre der Regierung Menderes die Basis für ein vertrautes Verhältnis zwischen Regierung und Presse, so erließ die Regierung mit Beginn wirtschaftlicher Misserfolge, einsetzender Inflation, innerparteilicher Krisen und Korruptionsvorwürfen restriktive Maßnahmen, um einsetzender Pressekritik Einhalt zu gebieten. Die DP entwickelte zunehmend autoritative Züge und begann neben staatlichen Institutionen auch die Medien zu kontrollieren. Innerhalb weniger Monate schuf die Regierung, die sich 1950 noch zum Hoffnungsträger der Presse stilisiert hatte, Instrumentarien zur staatlichen Presselenkung. Kurz vor den Parlamentswahlen 1954 verabschiedete die DP mit der noch vorhandenen Mehrheit im Parlament am 9. März 195469 das Gesetz 6334, welchen bei Gesetzesübertretungen von Publikationen und Radiosendungen zuständig war. Damit gelang es der Regierung, jegliche Kritik am Staat zu unterbinden. Hıfzı Topuz beschreibt das Gesetz sinnbildlich als Damoklesschwert über den Köpfen der Journalisten, die Maßnahme stellte erneut einen rigorosen Einschnitt in die Pressefreiheit dar. Neben strafrechtlicher Verfolgung mit hohen Haft- und Geldstrafen, wurde der Staat ab 20. November 1957 Monopolist für den Import für Papier. Ab 1. Januar 1958 wurden staatliche Anzeigen und Werbeaufträge an die Medien ebenfalls durch eine staatliche Institution vergeben. Darüber hinaus wurden ab dem 3. September 1958 öffentliche und private Anzeigentarife neu festgelegt und der Vertrieb von Zeitungen staatlich monopolisiert.70 Zum Zwecke der Anzeigenverteilung teilte die Regierung die Printmedien in drei Kategorien ein: 1. Kategorie: Zeitungen, die offizielles Presseorgan der DP waren, 2. Kategorie: Zeitungen, die die DP unterstützten, 3. Kategorie: Zeitungen, die der DP neutral gegenüberstanden. Nach diesem Kategorienschema wurden unabhängig von der jeweiligen Auflagenzahl einer Zeitung die Anzeigenkontingente des Staates verteilt. Eine an dieser Stelle nicht weiter benannte hypothetische Kategorie vier, zu denen alle staatskritischen Medienorgane zählten, erhielt keine staatlichen Werbeaufträge. Nach einem ähnlichen Schema verhielt sich die Verteilung von Papier. Die Arbeitsbedingungen für staatskritische Verlagshäuser und Journalisten wurden immer schwieriger. In der Zeit von März 1954 bis Mai 1958 wurden 1.161 Gerichtsverfahren gegen Journalisten eingeleitet, von denen letztlich 238 Fälle zur Verurtei-
69 | Gesetz 6334 »Neşir Yoluyla veya Radyoyla Işlenecek Cürümler Hakkında«, siehe dazu Topuz, Hıfzı (1996), S. 108f.
70 | Vgl. ebd. S. 113ff und Girgin, Atilla (1997), S. 37.
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lung kamen.71 Im letzten Jahr der DP-Herrschaft befand sich die politisch bereits schwer angeschlagene Regierung Menderes unter immer stärker anwachsendem politischem Druck. Jegliche Form von Opposition wurde im Keim erstickt. Zu diesem Zweck wurde am 18. April 196072 ein mit legislativen, exekutiven und judikativen Kompetenzen ausgestatteter Sonderausschuss der Großen Türkischen Nationalversammlung eingerichtet, welcher Oppositionsaktivitäten von Politik und Medien zu untersuchen und abzuurteilen hatte. Während dieser Zeit wurde der Presse ein absolutes Berichtsverbot über Parlamentssitzungen auferlegt. Der Sonderausschuss war berechtigt, bei Zweifel an der politischen Integrität Druck und Vertrieb der Zeitung einzustellen oder die Herausgabe gänzlich zu unterbinden. In diesem politischen Klima kam es am 21. Mai 1960 zum Sturz der DP durch das Militär. Die allgemeinen Strukturmerkmale der Printmedien von 1950 bis 1960 weisen trotz der restriktiven und autoritären Medienpolitik der Regierung Menderes in der zweiten Hälfte der DP-Regierungszeit insgesamt eine große Zahl von Zeitungsneugründungen auf. Als Gründe dafür führt Çebi (1994) gesellschaftspolitische Prozesse wie Industrialisierung, Urbanisierung und einen erhöhten Bildungsgrad an. Hinzu kommen die enge außenpolitische Anlehnung und damit auch eine Öffnung an das westliche Bündnis und dem dazugehörigen Werteverständnis von Pressefreiheit.73
II.1.7 Die türkischen Printmedien während der Phase der politischen Polarisierung zwischen 1960 und 1980 Nach der Machtübernahme durch das Militär vom 27. Mai 1960 beauftragte das Komitee für Nationale Einheit74 (Milli Birlik Komitesi, MBK) eine Gruppe von Juristen mit der Erstellung einer neuen Verfassung. Die für die Presse verbindlichen Gesetzesänderungen lassen sich in drei Kernbereiche einteilen: Zunächst hob das MBK das Pressegesetz 633475 von 1954 auf. Pressehistori76 ker bewerteten diesen Schritt einheitlich als »Entfernung antidemokratischer Bestimmungen« aus dem türkischen Pressegesetz. Die neue Verfassung von 1961 brachte eine Liberalisierung der Pressefreiheit, beinhaltete ein Verbot der 71 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 116. 72 | Vgl. ebd. S. 118f. und Özgen, Murat (2000), S. 37ff. 73 | Siehe hierzu auch einen Kommentar einer internationalen Presseinstitution über die Situation der Medien in der Türkei, Topuz, Hıfzı (1996), S. 114.
74 | Das MBK bestand aus einer Gruppe von Offizieren. 75 | Siehe dazu: Kapitel II.1.6 76 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 131; Çebi, Murat Sadullah (1994), S. 103 und Inuğur Nuri (1992), S. 368. Nähere Erläuterungen zur Änderung des Pressegesetzes siehe Topuz, Hıfzı (1996), S. 125ff.
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Pressezensur und schützte die Printmedienunternehmen vor Schließung, Beschlagnahmung und sonstigen Einschränkungen durch staatliche Gewalt. Auch das Recht auf Berichtigung und Entgegnung der Beweislage77 wurde der Presse wieder verfassungsrechtlich garantiert. Die Gründung des »Instituts für Presseanzeigen« (Basın İlan Kurumu) bildete eine weitere Säule in Richtung staatliche Unabhängigkeit der Presse. Neben vielen anderen Funktionen war diese autonome Institution für die geregelte Verteilung von staatlichen Anzeige- und Reklamevergaben zuständig. Dadurch konnte eine Selektion von staatlichen Presseaufträgen, wie sie insbesondere unter der DP-Herrschaft erfolgt war, unterbunden werden. Mit dem Pressegesetz 212, welches als »Gesetz für Gedankenarbeiter«78 (Fikir İşciler Kanunu) bezeichnet wird, kam es zu einer deutlichen Verbesserung der sozialen Gefüge für Angestellte des Printmediensektors. Auch die Beziehung zwischen Verleger und Angestellten gewann damit einen gesetzlichen Rahmen. Die Besitzer der neun größten türkischen Tageszeitungen79 vereinbarten daraufhin, für drei Tage als Protest einen Herausgabestopp ihrer Zeitungen. In einer Gegenaktion kam es zu Demonstrationen der Angestellten des Pressewesens und zu deren gemeinschaftlicher Herausgabe einer Ersatzzeitung, die an drei Tagen unter dem Namen Presse Zeitung erschien und den Lesern die Möglichkeit gab, die Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern um eine Verbesserung sozialer Rechte zu verfolgen. Innenpolitisch waren die 1960er Jahre geprägt von wechselnden Regierungskoalitionen, die jeweils unter der Führung der Gerechtigkeitspartei (Adalet Partisi, AP) oder der Republikanischen Volkspartei (Cumhuriyet Halk Partisi, CHP) standen. Nach Einschätzung von Çebi (1994) führten eben diese instabilen Regierungskonstellationen zu einem geringen Maß an staatlichen Pressebeschränkungen, ein autoritärer Führungsstil war in Zeiten wechselnder und schwacher politischer Bündnisse nicht realisierbar. Eine Wirtschaftskrise mit anschließender Währungskrise und eine damit einhergehende Zuspitzung der innenpolitischen Situation veranlasste Teile des türkischen Militärs am 12. März 1972 zur Erstellung eines Memorandums, in dem erneut eine Machtübernahme des Militärs angedeutet wurde. Daraufhin trat Süleyman Demirel zurück. 1971 übernahmen Vertreter des Militärs indirekt die Regierungsgewalt, indem sie ein zweijähriges »Zwischenregime« unter Korutürk, Melen und Talu installierten. Nach einer Phase der Presseliberalisierung von 1960 bis 1970 kam es während der Übergangsregierung unter anderem zur Ausrufung des Ausnahmezustandes in elf Provinzen der Türkei. Erneute Verfassungsänderungen führten 1972 zu erheblichen Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit. Während 77 | Vgl. Girgin, Atilla (2001), S. 132. 78 | Özgen, Murat (2000), S. 40. 79 | Dazu gehörten: Akşam, Cumhuriyet, Dünya, Milliyet, Tercüman, Vatan, Yeni Sabah, Hürriyet, Yeni Istanbul, vgl. dazu: Topuz, Hıfzı (1996), S. 124.
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dieser Übergangsphase kam es zu zahlreichen Verurteilungen von Journalisten, wobei verstärkt linke politische Kräfte verfolgt wurden.80 Nach der Rückkehr zu einer zivilen, frei gewählten Regierung ab Oktober 1973 begann erneut eine Koalitionsphase von Minderheitenregierungen, denen es nicht gelang, die politischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes anzugehen. Am 12. Mai 1980 trat erneut das Militär in Form des Nationalen Sicherheitsrates an, um die Regierungsgewalt zu übernehmen. Die in den frühen 1950er Jahren schrittweise einsetzende und in den 1960er Jahren weiter zunehmende Industrialisierung, der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, veränderte Produktionsverhältnisse im agrarischen Sektor, die Verarmung der Landbevölkerung, die damit einsetzende Binnenmigration81 in die westlichen Metropolen des Landes sowie ein starkes Bevölkerungswachstum in den städtischen Ballungsgebieten führten zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel im Land. Die damit einhergehenden Veränderungen der Pressestruktur führten zwischen 1960 und 1970, auch vor dem Hintergrund der Liberalisierung der Pressegesetze, zu einer ersten Konzentration auf dem türkischen Printmedienmarkt. In diese Phase fiel eine Vielzahl von Zeitungsneugründungen.82 Das politische Spektrum der Zeitungen erweiterte sich kongruent zu geistigen und politischen Strömungen der türkischen Gesellschaft. Tabelle 2: Auflagenzahlen der größten türkischen Tageszeitungen in der Periode von 1960-197083 Zeitung
Auflage
Hürriyet
600.000
Günaydın
350.000
Tercüman
300.000
Milliyet
200.000
Akşam
150.000
80 | Vgl. Özgen, Murat (2000), S. 48. 81 | Parallel zur Binnenmigration setzte die Arbeitsmigration ins europäische Ausland ein, welche zum einen den türkischen Arbeitsmarkt entlastete, zum anderen durch jahrzehntelange Devisenrücküberweisungen zur sozioökonomischen Entwicklung der Türkei maßgeblich beitrug. Siehe dazu: Köker, Ahmet Fahri (1980), S. 76 und Zentrum für Türkeistudien (1994), S. 23f.
82 | Siehe dazu: Inuğur Nuri (1992), S. 422ff. 83 | Entnommen aus: Inuğur Nuri (1992), S. 409f. und Topuz, Hıfzı (1996), S. 130. Bei beiden Autoren fehlt die Quelle und das Jahr. Sie sprechen von der Periode zwischen 1960 bis 1970. Da mir keine sonstigen Statistiken bekannt sind, dienen die Zahlen als Anhaltspunkte.
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Çebi (1994) spricht hier von einer »Renaissance der Boulevardpresse«84 , wobei auch erstmalig der Begriff der Boulevardpresse verwendet wird. Mit der Etablierung von Milliyet und Hürriyet, die bei ihrer Gründung konzeptionell als Massenblatt gestaltet wurden, hatte sich ein Zeitungstyp auf dem türkischen Medienmarkt etabliert, der auch den gegenwärtigen Zeitungstyp charakterisiert. Parallel dazu ermöglichte der technologische Fortschritt die Produktion größerer Stückzahlen bei steigender Druckqualität.85 Der Übergang von der linotypen Setz- und Zeilengießmaschine und der rotativen Druckmaschine zum modernen Offset-Druckverfahren wurde 1968 von der Zeitung Günaydın eingeleitet.86 Innerhalb weniger Jahre wurde der Druck der meisten überregionalen Tageszeitungen im Offset-Verfahren hergestellt.87 Damit war der Übergang zur Produktion von Massenmedien eingeleitet, die auch von einer Veränderung der Besitzstrukturen der Medienproduzenten begleitet wurde. Während der Phase der Militärherrschaft von 1971 bis 1973 kam es zu einem Rückgang der Zeitungskonzentration, viele Zeitungen, darunter auch die Vatan und die Akşam, mussten ihre Herausgabe einstellen. Rückblickend lassen sich für diese politisch wechselvolle Phase zwischen 1960 und 1980 pressehistorisch folgende Entwicklungsleitlinien aufzeigen: • Die Printmedien wurden zu einem Kommunikationsmedium für die Massen. • Es entfaltete sich ein differenziertes und größeres Spektrum des Zeitungsangebotes. • Die Arbeitsbedingen für die Angestellten des Pressewesens und die Qualität der Ausbildung für Journalisten verbesserten sich.
II.1.8 Die türkischen Printmedien nach 1980 Am 12. September 1980 übernahm zum dritten Mal das Militär die Regierungsmacht. Ein neu konstruierter Rat, der Nationale Sicherheitsrat (Millî Güvenlik Konseyi, MGK), bestehend aus fünf Generälen, bildete das neue politische Machtzentrum des Landes. Die Verfassung von 1961 wurde außer Kraft gesetzt und der Ausnahmezustand verhängt. Ziel der Militärs war es, eine Wiedereinrichtung des türkischen Einheitsstaates nach den klassischen Prinzipien des Kemalismus vorzunehmen. Zu diesem Zweck lösten sie des Weiteren das Parlament auf, sprachen ein Verbot aller bestehenden politischen Parteien sowie weitere politische Tätigkeiten ihrer Repräsentanten aus und regierten das Land 84 | Çebi, Murat Sadullah (1994), S. 115. 85 | Der Schwarz/Weiß-Druck wurde um Buntbilder erweitert. 86 | Vgl. Ispirli, Muhammet (2000), S. 25. 87 | Girgin, Atilla (2001), S. 151.
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bis zu den ersten Parlamentswahlen 1983 mit autoritären Handlungsweisen. Indessen gestalteten sie die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft durch die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, erstellten ein neues Parteiengesetz und manifestierten nach Ansicht von Matthes Buhbe »ausreichend Gewähr für einen kontrollierten Start in die neue Demokratie«88. Die Militärdiktatur und die Verhängung des Ausnahmezustandes in den großen Städten des Westens und in den südöstlichen Provinzen des Landes führten auch zu veränderten Ausgangsbedingungen für die Printmedien. Erneut waren es inhaltliche Vorgaben und rechtliche Rahmenbedingungen89, die eine staatliche Kontrollvorrichtung ermöglichten, in der der Pressefreiheit kein Raum zukam. Verhaftungen von Journalisten, Geldbußen, Zensur und Schließungen ganzer Zeitungen waren an der Tagesordnung.90 In der darauf folgenden Ära der Mutterlandspartei (Anavatan Partisi, AnaP) unter Ministerpräsident Turgut Özal (1983 bis 1991) vollzog sich eine wirtschaftliche Neuausrichtung hin zu einer Integration der türkischen Wirtschaft in den Weltmarkt und einem einsetzenden Privatisierungsprozess bei gleichzeitiger enger außenpolitischer Anlehnung an den Westen. Innenpolitisch stärkte Özal die politischen Lager, die an das Modell der Türkisch-Islamischen These (Türk İslam Sentezi, TIS)91 Anlehnung suchten. Ende 1989 ließ Turgut Özal sich nach hohen Verlusten der AnaP bei den Kommunalwahlen vom März 1989 von der TBMM in das Amt des türkischen Staatspräsidenten wählen.92 Die politische Kultur der 1990er Jahre war indessen geprägt von einer »Zersplitterung des kemalistischen Lagers und einer Bündelung pro-islamischer Kräfte«93 . Der strukturelle Wandel in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft leitete zeitgleich strukturelle Veränderungen des Pressewesens ein. Trotz einer Rückkehr zu demokratischen Strukturen und vor allem auch gesamtwirtschaftlichen Erfolgen in den 90er Jahren blieb das Verhältnis der neuen Regierungspartei zur Presse ambivalent. Einerseits förderte die Regierung den journalistischen Nachwuchs großzügig mit attraktiven Stipendien, andererseits nutzte sie die schon installierten pressepolitischen Instrumentarien der vorangegangenen Militärregierung. Çebi (1994) betont an dieser Stelle die erfolgreichen Bemühungen der Re88 | Buhbe, Matthes (1996), S. 116. 89 | Zu rechtlichen Veränderungen, die Presse betreffend, siehe: Topuz, Hıfzı (1996), S. 141f.
90 | Siehe dazu: Topuz, Hıfzı (1996), S. 140ff. und Girgin, Atilla (2001), S. 136. 91 | »Die türkisch-islamische Synthese ist keine feste Doktrin, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene Ideen, denen gemein ist, Islam und türkischen Nationalismus miteinander zu verbinden. Die TIS kann als ein Diskurs begriffen werden, der sich aus einem nationalen und einem religiösen Diskursstrang zusammensetzt.« Agai, Bekim (2004), S. 90.
92 | Vgl. Buhbe, Mathes (1996), S. 122. 93 | Buhbe, Matthes (1996), S. 126.
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gierung, auf gesetzgeberischer Ebene sogar eine Verschärfung der Gesetzeslage zu erreichen. Hıfzı Topuz begründet diese Ambivalenz der zivilen Regierung in Bezug auf die Pressepolitik mit der immer noch vorhandenen hohen politischen Machtbefugnis, die sich das Militär im Rahmen des MGK zugewiesen hatte: »es war, als sei eine doppelköpfiges Regime«94 installiert worden. Turgut Özal pflegte sowohl während seiner Zeit als Ministerpräsident als auch später als Staatspräsident regen Austausch mit der Presse. Dies galt zumindest für die Teile der Printmedien, die zum »Establishment« zählten. Dazu gehörten prominente Journalisten, die nicht mit staatlichen Interessen und Gesetzen in Konflikt gerieten. Die Ära Özal galt jedoch aus pressehistorischer Perspektive als beispiellos hinsichtlich staatlicher Verfolgung bzw. staatlich geduldeter Verfolgung gegenüber Mitgliedern des Pressewesens. Dazu gehören finanzielle Schadensersatzforderungen und Strafverfahren gegenüber Zeitungen, Haftstrafen für Journalisten und Verleger, die Schließung von Printmedien bis zu bis heute unaufgeklärten Morden an Journalisten.95 Parallel dazu setzte ab 1979 schrittweise ein Konzentrationsprozess innerhalb der türkischen Printmedien ein, der eine Verdrängung alteingesessener Zeitungsfamilien vom türkischen Zeitungsmarkt zur Folge hatte.96 An ihre Stelle traten Industrielle, die sich in den Pressesektor einkauften und sich nicht primär als Zeitungsproduzenten definierten. Die Gründe für diesen Konzentrationsprozess sind vielfältig.97 Mit der Implementierung einer neuen Wirtschaftspolitik ab 1983 wurden auch die bis dato geleisteten staatlichen Subventionen von Zeitungspapier aufgehoben.98 Damit war das Überleben einer Zeitung mehr denn je von der Wirtschaftlichkeit als Unternehmen abhängig. Hinzu trat die Notwendigkeit, höhere Kapitalvolumina für Investitionen im Bereich Technologie bereitzustellen sowie ein wachsender Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Tageszeitungen, in dem sehr aggressive und kostenaufwendige Werbemaßnahmen angewendet wurden und immer noch werden, um steigende Auflagenzahlen zu gewinnen. Unterstellt wird den Zeitungsunternehmern in
94 | Topuz, Hıfzı (1996), S. 145 (Anmerkung: eigene Übersetzung der Autorin). 95 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 145ff. 96 | 1979 kaufte der Industrielle Aydın Doğan die Milliyet, 1982 folgte der Kauf der Güneş durch die Industriellen Ömer Savuşoğlu und Ahmet Kozanoğlu, 1988 erfolgte der spektakuläre Kauf der Tan und der Günaydın und später der Güneş durch den zyprischen Großindustriellen Asil Nadir. Siehe dazu: Sağnak, Mehmet (1996), S. 56 und Topuz, Hıfzı (1996), S. 164.
97 | Kapitel II.3 beleuchtet die Gründe des Konzentrationssprozesses. 98 | Nach Angaben von Duran belief sich 1978 die Summe der staatlichen Papiersubventionen für die Zeitungen Günaydın, Hürriyet, Milliyet, Tercüman, Yeni Asya und Dünya insgesamt auf 20 Mio. Dollar. Vgl. Duran, Ali (1999), S. 26.
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diesem Zusammenhang, primär am Ausbau ihrer Zeitung als »Machtzentrale« interessiert gewesen zu sein. In den 1990er Jahren wurde es Usus im Rahmen staatlicher Entwicklungspläne Unternehmen in den unterschiedlichsten Bereichen der Industrie durch attraktive Staatskredite, Steuervergünstigungen oder zollfreie Importe zu begünstigen. Im Bereich der Printmedien profitierten davon in erster Linie die Zeitungen, die Bestandteil großer Unternehmensgruppen waren.99 Mit der Einführung privater TV-Sender 1990 und der Aufhebung des staatlich-türkischen Rundfunkmonopols 1993 kam es zur Gründung einer Vielzahl privater TV-Sender.100 Das Fernsehen avancierte zum wichtigsten Medium für Information und Unterhaltung.
II.1.9 Zusammenfassende Anmerkungen zur Entwicklung des türkischen Printmediensektors Die vorangegangene Darstellung der Genese der türkischen Pressegeschichte belegt anschaulich das ursächliche Wechselspiel zwischen staatlicher Machtpolitik, gesellschaftlicher Entwicklung und Status quo des Zeitungswesens. Zunächst waren es Zeitungen von Angehörigen der nicht-muslimischen millets und von Ausländern, die ab 1795 erstmals die Produktion von Zeitungen aufnahmen. Die erste türkisch-osmanischsprachige Zeitung, die Takvim-i Vakiye wurde erst 1831 während der Herrschaft von Sultan Mahmut II herausgegeben. Es handelte sich dabei um ein staatliches Blatt, das bei der Umsetzung von neuen Reformen und Verordnungen im Reich mitwirken sollte. In den darauf folgenden Jahrzehnten kam es zu einer Vielzahl von Zeitungsneugründungen, welche die Entwicklung von der staatlichen zur halb-staatlichen hin zur privatwirtschaftlich organisierten Zeitung dokumentiert. Parallel zu dieser Erweiterung des Zeitungsmarktes verfügte der Regierungsapparat über immer restriktivere Maßnahmen, welche der verlegerischen und journalistischen Unabhängigkeit kontraproduktiv entgegenstanden. Während dieses Zeitraumes konnte sich keinerlei kritische Presse entwickeln. Die 30jährige Herrschaftsphase von Sultan Abdülhamid II ermöglichte dennoch die Manifestierung einer Zeitungskultur für das städtische Kleinbürgertum, zudem entfaltete sich das Produkt Zeitung als Kommunikationsmittel zwischen Staat und Gesellschaft bzw. zwischen Staat und Medienproduzenten. Während der Einparteienherrschaft in den 1920er und 1930er Jahren entwickelte die Führungselite des zentralistisch und autoritär ausgerichteten Staates eine ganz besondere Beziehung zur Presse. Für sie lag die Funktion der Medien darin, Regierungspolitik mitzutragen und an der Implementierung der kema99 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996),S. 194. 100 | Vgl. Ural, Oya Cedidi (1999), S. 60f.
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listischen Staatsprinzipien mitzuwirken. Ab 1925 verfolgte die Regierung eine konservativ-autoritäre Pressepolitik, die sie durch entsprechende juristische Maßnahmen untermauerte. Mit dem Übergang vom Einparteiensystem zum Mehrparteiensystem setzte ein Zeitabschnitt ein, in dem Überwachung und Führung der türkischen Medien verstärkt legislativ und institutionell manifestiert wurden. Eine innenpolitische Schwächung der Regierung führte ab 1946 zu einer einsetzenden Liberalisierung staatlicher Pressepolitik, woraufhin es zu einer Vielzahl von Zeitungsneugründungen kam, die das politische Spektrum der Printmedien erweiterten. In diesen Zeitraum fiel auch die Gründung der Hürriyet und der Milliyet, die schon während ihrer Gründungsphase als Massenblätter konzipiert wurden. Von 1950 bis 1960 wurde trotz der restriktiven und autoritären Medienpolitik der Regierung Menderes in der zweiten Hälfte der DP-Regierungszeit ebenfalls eine große Zahl von Zeitungen neu gegründet. Ursachen dafür liegen in gesellschaftspolitischen Prozessen wie Industrialisierung, Urbanisierung und einer Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus. Hinzu tritt eine enge außenpolitische Anlehnung und damit auch Öffnung an das westliche Bündnis und dem dazugehörigen Werteverständnis von Pressefreiheit. In der innenpolitisch sehr wechselvollen Phase zwischen 1960 und 1980 entfaltete sich ein differenziertes und größeres Spektrum des Zeitungsangebotes. Die Printmedien entwickelten sich zu einem Medium für die Massen und es kam zu einer deutlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Angestellten des Pressewesens sowie zu einer Qualitätsverbesserung hinsichtlich der journalistischen Ausbildung. Ab den 80er Jahren setzte im türkischen Mediensektor ein Konzentrationsprozess ein, der eine Verdrängung alteingesessener Zeitungsfamilien vom türkischen Zeitungsmarkt nach sich zog. Es entstanden großen Medienkonzerne, die wiederum Korpus großer Mischkonzerne sind. Die Folge war eine völlige Neustrukturierung ihrer Unternehmenspolitik und damit auch ihrer Beziehung zum Staat. Mahçupyan reflektiert das Beziehungsgefüge zwischen Staat und Medien und kommt zu folgender Bewertung: »In diesem neuen Verhältnis ist nicht mehr […] die wirtschaftliche Favorisierung von Presseorganen aufgrund ihrer Nähe zu Regierungskreisen entscheidend und die Zeitungen hatten nicht mehr eine eher passive Rolle inne. Als Großunternehmen können sie jetzt – über ihre redaktionelle Linie – eher aktiv in die Politik eingreifen und diese Macht zur Sicherung ihrer ökonomischen Interessen ihres Konzerns nutzen, was ihre politische Ausrichtung zur abhängigen Variablen degradiert.«101
Weiter kommt Mahcupyan (1999) zu dem Schluss, dass der Türkische Staat den Medien gegenüber zeitlebens ambivalent gegenüberstand. Die Medien wur101 | Mahçupyan, Eyten (1999), S. 25.
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den zu politischen Zwecken instrumentalisiert und gleichzeitig, wegen ihres potentiellen gesellschaftspolitischen Einflusses, kritisch beobachtet. Staatliche Medienpolitik bestand in der Regel aus restriktiven Regulierungsmechanismen und einer Annährung an mögliche Verbündete sowie deren Protegierung.
II.2 M ERKMALE DER TÜRKISCHEN T AGESZEITUNGEN DER G EGENWART Heute gibt es in der Türkei eine Vielzahl von Tageszeitungen, die in Istanbul erstellt und überregional verkauft werden. Bei der Mehrheit der Zeitungen handelt es sich um Kaufzeitungen. Lediglich die Tageszeitungen Zaman und Türkiye werden auch als Abonnentenzeitungen vertrieben. Die Tageszeitungen sind inhaltlich nach den gängigen Ressorts in nationale und internationale Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Sport strukturiert. In Anlehnung an die Typisierung der türkischen Tages- und Wochenzeitungen nach den Kriterien von Aufmachung und Inhalt von Çebi (1994) und Ispirli (2000), die beide fünf Typen differenzieren102 , kommt die Autorin ebenfalls zu einer Fünfteilung, nimmt gleichwohl eine Modifizierung der Definition vor. Neben der Qualitätszeitung und der Boulevardzeitung hat sich auf dem türkischen Printmedienmarkt ein Zeitungstypus etabliert und durchgesetzt, der als Mischform zwischen diesen beiden auftritt. Unter den Typus »Mischform Boulevard- und Qualitätszeitung« (MBQ) fallen hier Zeitungen, die Charakteristiken beider Zeitungstypen vereinen. Das optische Erscheinungsbild im Außenmantel und auf den ersten Seiten ähnelt mehr einer Boulevardzeitung. Plakative und prägnante Überschriften, eine bunte und bilderreiche Seitengestaltung sowie kurze, einfach formulierte, Nachrichtenspalten sollen zum Kauf der Zeitung animieren. Das Innere der Zeitungen informiert nach dem Vorbild der Qualitätszeitung, untergliedert in die klassischen Ressorts: Tabelle 3: Kategorienschema türkischer Tageszeitungen Qualitätszeitung MBQ, (Mischform Boulevard- und Qualitätszeitung) Boulevardzeitung (Kaufzeitung) Wirtschaftszeitung Sportzeitung
102 | Çebi (1994): Qualitätszeitung, Boulevard- und Sensationszeitung, Wirtschaftszeitung, Sportzeitung, Wochenzeitung; Ispirli (2000): Meinungsbildende Zeitung, Boulevardzeitungen, Magazin Zeitung, Wirtschaftszeitung, Sportzeitung.
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Seit dem Beginn der 80er Jahre hat der Anteil der Tageszeitungen, die immer mehr Elemente der Boulevardpresse adaptiert haben, stark zugenommen. Die Qualitätszeitung, die seit der Etablierung türkischer Zeitungskultur dem journalistischen Ideal entsprach, verliert gegenwärtig immer mehr an Bedeutung. Es besteht im Gegensatz zu der Entwicklung auf dem deutschen Zeitungsmarkt ein Trend hin zu mehr unterhaltender Sensationspresse. Der Verleger und Journalist Nezih Demirkent (2000) führt diese Entwicklung auf die neuen Besitzstrukturen im Printmediensektor zurück, in der das Produkt Zeitung immer stärker industriellen Charakter erhält und die Auflagenhöhe zum primären Unternehmensziel avanciert. Auflagenstarke Zeitungen verheißen demnach mehr gesellschaftlichen und damit auch politischen Einfluss. Zu diesem Zweck greifen die Verlage neben harten Preiswettkämpfen mit der Konkurrenz und kostenaufwendigen Abonnenten- und Werbegeschenken immer häufiger auf Formate der Boulevardpresse zurück. Eine seriöse Presse, wie sie noch in den 70er Jahren bestand, sei deshalb kaum noch existent. Ganz nebenbei führe eine solche Unternehmenspolitik jedoch nicht zu steigenden Auflagenzahlen, sondern hinterlasse einen unzufriedenen Leser. In der Tat konnten kostspielige Werbekampagnen der vergangenen Jahre den sinkenden Auflagen türkischer Tageszeitung nicht wirklich zu neuen Rezipienten verhelfen. Nach einer Studie103 aus dem Jahre 1998 konnten zwar eine Reihe von Zeitungen ihre Auflagen erhöhen, doch ließen sich diese nur auf die Wettbewerbsstrategien der Verlage zurückführen, die auch nur von kapitalkräftigen Zeitungsunternehmen durchgeführt werden konnten.
Tabelle 4: Türkische Tageszeitungen in der Türkei 2007 im Überblick104 Zeitung
Auflage
Besitzer
Posta (Post)
624.659
Doğan Gazetecilik A.Ş
Zaman (Zeit)
618.002
Feza Gazetecilik A.Ş.
Hürriyet (Freiheit)
573.691
Doğan Gazetecilik A.Ş
Sabah (Morgen)
488.640
Merkez Gazete Dergi Basım Yayıncılık San. ve Tic. A.Ş, Ciner Konzern
Takvim (Anordnung, Kalender)
275.255
Merkez Gazete Dergi Basım Yayıncılık San. ve Tic. A.Ş
103 | Vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung und MDB Media Information Unit (1998). 104 | Auflagen entnommen: http://byegm.gov.tr/REFERENCES/TURKISHPRESS2007.htm, 22.03.07 (Average Daily Sales in January 2007).
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Milliyet (Nationalität)
230.034
Doğan Gazetecilik
Vatan (Heimat)
214.267
Bağımsız Gazeteciler Yayıncılık
Türkiye (Türkei)
207.800
Ihlas Gazetecilik
Akşam (Abend)
198.856
Aslı Gazetecilik ve Matbaacılık A.Ş
Bügun (Heute)
143.239
Koza Ipek Gazetecilik ve Yayıncılık A.Ş
Güneş (Sonne)
139.200
T Medya Yatırım San. ve Tic. A.Ş
Yeni Şafak (Neuer Morgen)
120.668
Diyalog Gazetecilik San. ve Tic. LTD. ŞTI.
Star (Star)
84.609
Star Medya Yayıncılık A.Ş
Cumhuriyet (Republik)
60.084
Cumhuriyet Stiftung
Milli Gazete
51.546
Yeni Neşriyat A.Ş
Radikal (Radikal)
39.269
Doğan Gazetecilik A.Ş
Tercüman (H. ve O.)
36.631
T Medya Yatırım San. ve Tic. A.Ş
Dünya (Welt)
26.596
Dünya Sup Veb Ofset A.Ş
10.531
Ileri Gazetecilik A.Ş
Ortadoğu (Mittlerer Osten)
Neben den überregionalen Tageszeitungen gibt es auch eine Vielzahl von Provinzzeitungen. So existierten im Jahr 1991 insgesamt 672 Lokalzeitungen, von denen 316 als Tageszeitung erschienen.105 Ihnen wird an dieser Stelle jedoch keine Bedeutung beigemessen, da sie zum einen nur regional erscheinen und zum anderen eine geringe Auflagenhöhe aufweisen. Regionale Zeitungen in der Türkei verfügen in der Regel über eine minderwertigere technologische Ausstattung, geringere Finanzmittel und arbeiten mit einem weniger qualifizierten Personalstab. Häufig sind es staatliche Werbeaufträge, die zum wirtschaftlichen Überleben dieser Zeitungen maßgeblich beitragen.106 Der Kommentar als journalistische Ausdrucksform einer Zeitung nimmt in türkischen Tageszeitungen einen außerordentlichen Stellenwert ein. Nach Erich Straßner soll der Kommentar: »[…] Interpretationshilfe erhalten, Unterstützung, bestimmte Sachverhalte zu begreifen, sie einzuordnen in die Geschehenswelt wie in ihr Weltbild. Ein Urteil des Lesers kann vorbereitet, sein Weltbild unterstützt werden […] Durch den moralischen Rang des
105 | Vgl. Çebi, Murat Sadullah (1994), S. 187f. 106 | Vgl. Güvenç-Meçilioğlu, Tülin (1997), S. 44.
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Kommentierenden kann der Leitartikel zum publizistischen Kampfmittel, zur politischen Tat werden.«107
Jede türkische Tageszeitung besitzt eine Reihe von Stammkolumnisten108 (köşe yazarı), die regelmäßig auf bestimmten Seiten der Zeitung zu Schwerpunktthemen ihre ganz persönlichen Kommentare zu gesellschaftlichen und politischen Ereignissen abgeben. Es handelt sich dabei um prominente Journalisten, die innerhalb der Zeitungen eine große redaktionelle Freiheit genießen und im Vergleich zu »normalen Journalisten« außergewöhnlich hoch entlohnt werden. Der besondere Status der köşe yazarı resultiert aus der Tatsache, dass die Leserbindung an diese Journalistenpersönlichkeiten sehr hoch ist und die Attraktivität einer Zeitung und damit auch ihre Auflage davon merklich beeinflusst ist.109 Erzeren nimmt eine Typologisierung der Kolumnisten vor110 und kommt zu dem Schluss, dass der Typ des »entideologisierten Politikers« am häufigsten anzutreffen ist. Charakteristikum dieses Kolumnistentyps ist es, ganz beiläufig seine sehr persönliche Beziehung zu ranghohen Politikern und Wirtschaftsmagnaten zu erwähnen, um damit seine internen Kenntnisse über die Schaltzellen der Macht zu dokumentieren. Er gibt zu verstehen, dass er Teil der wirtschaftlichen und politischen Führungselite des Landes ist, tritt jedoch im Kommentar stilistisch als Stimme aus dem Volke auf, um über Vorgänge im Land aufzuklären. Erzeren (1999) gesteht den Chefkolumnisten sogar die Macht zu, den Prozess der politischen Willensbildung der Gesellschaft soweit zu beeinflussen, dass deren Kommentare seitens der Leser als eigene Meinung definiert und als schicksalshaft adaptiert werden.
II.3 S TRUK TURMERKMALE DER TÜRKISCHEN P RINTMEDIENINDUSTRIE IN DER G EGENWART Der Übergang zur freien Marktwirtschaft führte in der Türkei in den 1980er Jahren zu strukturellen Veränderungen im Mediensektor. Bis dahin waren die Printmedien traditionellerweise in Besitz von Familien, die das Verlags- und Zeitungsweisen selbst erlernt hatten und die Unternehmen führten. Die Familien Nadi (Cumhuriyet), Karacan (Milliyet), Ilıcak (Tercüman) und Simavi (Hürriyet) gelten heute noch als die Prototypen der Zeitungsbesitzer,111 die in erster Linie an der Qualität ihres Produktes interessiert waren und sich als Zeitungs107 | Straßner, Erich (1999), S. 17. 108 | Vgl. Erzeren, Ömer (1999), S. 19ff. 109 | Vgl. Abadan-Unat, Nermin (1985), S. 578. 110 | Typ 1. der Ideologe, Typ 2 der Haudegen, Typ 3 der entideologisierte Politiker, vgl. Erzeren, Ömer (1999), S. 20.
111 | Vgl. Doğan, Ahmet Atilla (2000/2), S. 8.
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produzenten verstanden. Der Staat besaß das Monopol für Papier, kaufte es zu einem Preis von 30-55 Lira ein und gab es für neun Lira pro Kilo verbilligt an die Verlage weiter. Die Subventionierung war einerseits eine Regulierungsoption für den Staat, andererseits ermöglichte sie auch kleinen und mittelständischen Verlagen Marktpräsenz. Ab Beginn der 1980er Jahre zog sich der Staat aus allgemeinen wirtschaftpolitischen Überlegungen von dieser Subventionspolitik zurück. Gleichzeitig entwickelte sich die Printmedienproduktion zu einem immer teureren Produktionssektor. Neben wachsenden Kosten im Bereich Produktwettbewerb kamen hohe Investitionsvolumina im Technologiebereich hinzu. Nur finanzstarke Medienunternehmen mit funktionierenden Werbe- und Anzeigenabteilungen konnten die finanziellen Einbußen verkraften. Kleine und mittelständische Verlage verließen den Markt und es kam schrittweise zu einer grundlegenden Veränderung der Besitzstrukturen im Mediensektor.112 Unternehmer aus dem Industrie-, Bau- Versicherungs- und Finanzsektor begannen, ihr Kapital gezielt in den Mediensektor zu investieren. Asil Nadir war der erste Großindustrielle, der mit dem Kauf der Tageszeitung Günaydin im Jahr 1988 und der Tageszeitung Güneş 1989 erste Konzentrationsprozesse im Printmediensektor einleitete. Es folgte der Großindustrielle Aydın Doğan, der neben der im Jahr 1980 erstandenen Tageszeitung Milliyet 1994 die Tageszeitung Hürriyet erwarb, die heute Bestandteil der DMG113 ist, die wiederum zur Doğan Holding gehört. Im Printmediensektor hat sich ab 1997 eine oligopole114 Medienstruktur entwickelt, in der die Doğan- und die Sabah-Mediengruppe miteinander konkurrieren, jedoch auch durch Absprachen in Form von Kartellen ihre Marktposition sichern. Im Jahr 1995 besaßen die beiden Mediengruppen einen Anteil von 70 % des Printmedienmarktes,115 im Jahre 1998 waren es 75 %116. Söylemez (1998) geht davon aus, dass der Marktanteil in Zukunft weiter ansteigt. Beide Mediengruppen verfügten über eigene Vertriebssysteme,117 die im Mai 1996 zu einem gemeinsamen Vertrieb, BIR-YAY, fusionierten und auf diese Weise das nationale Vertriebsmonopol erlangten. Damit wurde die Möglichkeit für Konkurrenzunternehmen, neue Printmedienprodukte auf dem Markt 112 | Vgl. Söylemez, Alev (1998), S. 96f. 113 | Doğan Media Grubu 114 | Def.: »[…] Marktstruktur, die dadurch gekennzeichnet ist, dass nur wenige Unternehmen den Industriezweig konstituieren, so dass jede einen beträchtlichen Marktanteil stellt.« Varian, Hal R. (1990), S. 103.
115 | Vgl. Söylemez, Alev (1998), S. 95. 116 | Vgl. Duran, Ali (1999), S. 26. 117 | Sabah Gruppe – Birleşik Basın Dağıtım, Doğan Holding – YAY-SAT. Detailliertere Informationen zur Entwicklung des Vertriebssystemes in der Türkei siehe: Dursun, Çiler (1999), S. 209-218.
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zu platzieren, stark erschwert. Der gesamte nationale Printmedienmarkt wurde von der Unternehmenspolitik der BIR-YAY abhängig. Zudem gründeten beide Mediengruppen die gemeinsame Firma Bimaş, mit der sie den Werbemarkt im Bereich der audiovisuellen Medien kontrollieren.118 Daneben nehmen die Ihlas-Holding, die Erol Aksoy-Gruppe und die Zaman Gruppe innerhalb des Printmediensektors weitere einflussreiche Positionen ein. Hinzu kommen mittelständische Unternehmen, welche unter anderem die Tageszeitungen Dünya und Akşam verlegen. Mit der Einführung privater TV-Sender119 1990 und der Aufhebung des staatlich-türkischen Rundfunkmonopols 1993 kam es zur Gründung einer Vielzahl privater TV-Sender. 1997 waren neben acht staatlichen TV-Sendern 23 private TV-Sender120 auf dem Markt. Die größten Fernsehsender sind dabei in Besitz der Holdings, die auch die auflagenstärksten Tageszeitungen vertreiben. Zur Sabah-Gruppe gehört der Sender ATV, zur Doğan-Gruppe gehört der Sender Kanal D, zur Ihlas-Gruppe gehört der Sender TGRT und zur Feza Gazetecilik A.Ş121 gehört der Sender Samanyolu TV. Der Konzentrationsprozess im TV-Bereich ist dabei im Vergleich zum Printmediensektor weniger stark ausgeprägt, d.h., die bestehenden privaten TV-Sender sind in Besitz einer größeren Zahl von Medienunternehmern. Die Privatisierung des türkischen Fernsehens zu Beginn der 90er Jahre beeinflusste zwar die Einschaltquoten der staatlichen TV-Sender und damit deren Werbeeinnahmen negativ, führte aber innerhalb des Printmediensektors nicht zu einem grundlegend veränderten Rezeptionsverhalten. Die Printmediennutzung in der Türkei war und ist insgesamt schwach ausgeprägt, 1995 lasen 74 von 1000 Personen täglich eine Zeitung,122 dagegen weist das Rezeptionsverhalten im TV-Bereich, verglichen mit dem westeuropäischer Länder, eine überdurchschnittlich hohe TV-Nutzung auf.123 Trotz dieser Tatsache erwirtschaften die Werbeabteilungen im Printmedienbereich ein größeres Volumen als die TVBranche. Alemdar und Dursun (1999) belegen anhand von Datenmaterial der jährlichen Tätigkeitsberichte des Instituts für Presseanzeigen (Basın İlan Kurumu) eben diesen Umstand und verdeutlichen, dass es öffentliche Werbe- und 118 | Vgl. Tılıç, L. Doğan (2003), S. 245. 119 | Siehe dazu: Yengin, Hülya (1994). 120 | Siehe dazu: Söylemez, Alev (1998), S. 98: ATV, Kanal D, Interstar, Show TV, TGRT, HBB, Kanal 6, Flash TV, Mesaj TV, Kanal 7, Cine5, Samanyolu TV, Kral TV, NTV, Number One, CTV, Kent TV, Kanal E, BTV, E TV, Olay TV, ACT, Genç TV.
121 | Tageszeitung Zaman. 122 | In Deutschland lasen 1995 317 von 1.000 Personen Zeitung. Siehe: Söylemez, Alev (1998), S. 86.
123 | Die durchschnittliche TV-Rezeptionszeit beträgt 3,8 h in der Türkei und 2,7 h in Europa. Siehe ebd. S. 89.
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Reklamevergaben sind, welche den Printmedien eine sichere Einkommensquelle bieten und dass seit 1990 immer stärker die überregionalen Medien, d.h. die Istanbuler Medien, von staatlichen Werbeaufträgen profitieren.124 Dabei erhielten Zeitungen, die im Besitz großer Unternehmensgruppen sind, überdurchschnittlich hohe Auftragsvolumina. Auch bei der Vergabe von Werbeaufträgen durch staatliche Banken wird ein ähnliches Verteilungsmuster deutlich. In einem Zeitraum von sieben Monaten (1.6.1995-31.12.1995) gaben drei staatliche Banken125 Werbeaufträge mit einem Gesamtvolumen von 263.189.706.905 Milliarden TL an die private TV-Branche. Im gleichen Zeitraum erhielten überregionale und lokale Tageszeitungen von denselben Banken Werbeaufträge von 359.724.913.550 Milliarden TL. Die Hürriyet erhielt dabei ein Auftragsvolumen von 53.387.948.257 Milliarden TL, die Cumhuriyet ein Auftragsvolumen von 8.504.529.750 Millionen TL. Ob die unterschiedlichen Auftragsvolumen allein durch die in der Tat bestehenden Auflagenhöhen zu erklären sind, bleibt hier offen. Gerade Zahlen über staatliche Werbeaufträge oder vergünstigte staatliche Kredite lassen auch in der Türkei den öffentlichen Diskurs über die Beziehungen zwischen Staat und Medien nicht abbrechen.126 Der türkische Medienmarkt wird heute insgesamt von vier großen Kapitalgesellschaften127 geführt, die neben ihrem Marktengagement im Mediensektor in den Wirtschaftssegmenten Industrie, Handel, Banken, Versicherungen, Tourismus, Energiewirtschaft, Bauwesen und Werbung aktiv sind. Die beiden größten Kapitalgesellschaften, die Doğan und die Sabah Holding, schaffen durch ihren hohen Gesamtanteil am Markt eine oligopole Marktstruktur, an der sich die anderen Kapitalgesellschaften orientieren. Daneben platzieren sich einige wenige Verlagsgruppen mit mittelständischen- und kleinen Unternehmensformen. Die gegenwärtigen Besitzstrukturen auf dem türkischen Medienmarkt ermöglichen den Marktführern eine Unternehmenspolitik, die sich nicht mehr nur an realen Marktbedingungen orientierten muss, da mögliche Verlustgeschäfte durch andere Kapitalguthaben gegenfinanziert werden können oder direkt zu einer Kapitalakkumulation in einem anderen Unternehmensbereich führen. Neben einer wirtschaftlichen Gewinnoptimierung besteht in der Medienbranche immer auch die Möglichkeit der publizistischen Einfluss124 | Vgl. hierzu auch Ekzen, Nazif (1999), Görgülü, Güventürk (1991). 125 | Emlak Bankası, Ziraat Bankası und Halk Bankası. 126 | Siehe dazu: Sağnak, Mehmet (1996); Tılıç, L. Doğan (2003) und Turam, Emir (1994). 127 | Doğan-Gruppe, Sabah Gruppe, Ihlas Holding, Erol Aksoy-Gruppe, siehe: Söylemez, Alev (1998), S. 99ff. Die 1998 noch bestehende Uzan-Gruppe bildete die fünfte Unternehmensgruppe. Die Familie Uzan tauchte jedoch Mitte des Jahres 2003 unter, nachdem bekannt wurde, dass sie die Einlage ihrer eigenen Bank (Imar Bankasi) in Höhe von fünf Mrd. Euro veruntreut haben soll. Das Medienunternehmen der Uzan ging damit an den Staat über.
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nahme auf den gesamtgesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess. Durch die Kombination von Drucken und Senden aus einer Mediengruppe kann auf das gesamtgesellschaftliche Informationsklima noch nachhaltiger Einfluss genommen werden. Obwohl innerhalb einer Mediengruppe Printmedien der unterschiedlichsten politischen Richtungen publiziert werden,128 ist davon auszugehen, dass die redaktionelle Linie der einzelnen Zeitungen letztlich immer auch kompatibel mit den politischen und wirtschaftlichen Interessen eines Unternehmens zu sein hat. Personalentscheidungen in den entscheidenden Spitzenpositionen im Management und auf der Ebene der Chefredakteure helfen, eine homogene Unternehmenspolitik zu sichern. Zudem greifen alle Printmedien einer Mediengruppe auf den gleichen Pool an Informationen zurück, der durch hauseigene Nachrichtenagenturen, Bildagenturen und Korrespondentennetze gespeist wird. Eine oligopole Unternehmensstruktur in dem türkischen Medienbereich steht nicht im Widerspruch mit der quantitativen Vielfalt der Produkte, wirkt sich jedoch diametral auf die Entwicklung der qualitativen Vielfalt der Medienlandschaft aus.
II.4 S TRUK TURMERKMALE DER DEUTSCHEN P RINTMEDIENINDUSTRIE IN DER G EGENWART Die schwache wirtschaftliche Konjunktur in der Bundesrepublik Deutschland führte ab dem Jahr 2000 in der deutschen Zeitungsbranche zu so hohen Umsatzrückgängen, wie es sie seit der Neuetablierung des deutschen Zeitungsmarktes nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht gegeben hatte. Die Zahl der verkauften Zeitungsauflagen129 schlüsselte sich 2003 in 22 Mio. Tageszeitungen, 4,16 Mio. Sonntagszeitungen und 1,9 Mio. Wochenzeitungen auf. Bei der Zeitungsgattung Tageszeitungen (22 Mio.) handelte es sich bei 15,4 Mio. um Abonnentenzeitungen im Lokal- und Regionalbereich, bei 5 Mio. um Kaufzeitungen und bei 1,6 Mio. um überregionale Zeitungen. Der Gesamtumsatz der Zeitungen ging allein im Jahr 2003 von 9,42 Mrd. Euro auf 8,90 Mrd. Euro (-5,4 %) zurück. Tageszeitungen erwirtschafteten bei einem Minus von 4,84 %. einen Anteil von 8,40 Mrd. Euro. Die Ursachen für den wirtschaftlichen Einbruch in der Zeitungsbranche werden bei einem Blick auf die Erlösstruktur einer Tageszeitung deutlich. Diese setzt sich aus den drei Kernbereichen Anzeigen/Werbung, Vertrieb und Fremdbeilage zusammen. Traditionellerweise nimmt der Anzeigen- und Werbebereich die stärkste Gewinnsäule ein, gilt aber gleichzeitig auch als Indikator für den wirtschaftlichen Status Quo und reagiert sensibel auf eine schwache Marktkonjunktur. 128 | Vgl. Güzeldere, Ekrem Eddy (1999), S. 40. 129 | Vgl. BDZV (2004), S. 7.
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Der Anzeigen- und Werbebereich nahm im Umsatzjahr 2000 noch zwei Drittel der Gesamtumsätze ein, verlor bis 2003 jedoch 10,08 %.130 Dieses Minus konnte durch leichte Gewinne im Vertrieb nicht ausgeglichen werden. Bei einem Blick auf die Werbeaufwendungen nahmen die Tageszeitungen innerhalb des gesamten Mediensegments im Jahr 2003 einen Marktanteil von 23,1 % (4,45 Mrd. Euro) ein. Hinzu kam ein Marktanteil von 1,2 % (0,23 Mrd. Euro) der Wochen- und Sonntagszeitungen. Der TV-Bereich erreichte im gleichen Zeitraum einen Anteil von 19,8 % (3,81 Mrd. Euro) an den gesamten Werbeaufwendungen. Die Zahlen verdeutlichen, dass die Tageszeitungen innerhalb des deutschen Mediensektors als Werbeträger trotz langsamer aber stetiger Auflagenverluste und wirtschaftlicher Einbußen im Anzeigensegment gegenwärtig noch immer die Position des wichtigsten Werbeträgers einnehmen. Besonders stark betroffen von Verlusten im Anzeigenbereich sind Zeitungen mit über 200.000 Exemplaren pro Auflage. Je geringer die Auflagenklasse war, desto geringer waren im Jahr 2003 die finanziellen Ausfälle durch schwindende Anzeigenausfälle.131 Diese Zahlen verdeutlichen die gegenwärtige Krise der Zeitungsindustrie in Deutschland. Immer mehr Verlage versuchen deshalb durch Zusatzgeschäfte,132 wie dem Verkauf von Büchern, CDs und DVDs, ihre Umsatzeinbußen zu kompensieren. Gleichzeitig gilt es, die Reichweiten der Tageszeitungen gerade für die jüngeren Altersgruppen zu erhöhen bzw. wieder auf ein konstantes Maß zu bringen. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre (1994-2004)133 sank die Reichweite der Tageszeitungen in den Altersgruppen der 14-19, 20-29 und 30-39jährigen um rund 10 %. Immer mehr Verlage versuchen deshalb, die Kunden der Zukunft mit besonderen Angeboten wie Supplements, Veranstaltungskalendern oder anderen zielgruppenspezifischen Themenaufarbeitungen zu erreichen und langfristig an sich zu binden. Die jüngsten Versuche der Verlage, Zeitungen für die jungen Leser attraktiver zu machen, bestehen in der Erprobung eines neuen Tabloid-Formats auf dem deutschen Zeitungsmarkt. So lancierte 2004 die Verlagsgruppe Handelsblatt die neue Wirtschaftszeitung news, der Axel Springer Verlag testete die Welt kompakt und der DuMont Verlag in Köln startete den Kölner Stadtanzeiger direkt. Das Tabloid-Format vereint das Wesen des Magazinjournalismus mit dem der Tageszeitungen. Die Zeitungen sind nach klassischen Ressorts aufgeteilt, die Artikel sind kurz und knapp formuliert und die besondere Affinität der jugendlichen Leser zum Internet wird durch Onlineangebote verknüpft. Dabei geht es nicht darum, die traditionellen Tageszeitungen zu ersetzen, sondern die jungen Nicht-Leser durch ein neues 130 | Vgl. ebd. S. 6. 131 | Vgl. ZMG (2004), S. 8. 132 | Vgl. Handelsblatt (2004), S. 19. 133 | Vgl. BDZV (2004), S. 30.
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Konzept zum Lesen zu animieren.134 Eine weitere Strategie, um den sinkenden Leserzahlen entgegenzuwirken, besteht im Aufbau einer möglichst engen Kundenbindung. Neben informativen Beilagen versucht man, diese durch eine Fokussierung auf die eigentliche Zielgruppe in der Region und durch eine Aufwertung lokaler und regionaler Information zu erreichen.135 Nach Ansicht des Holzbrinck-Managers Michael Grabner136 ist dies eine Strategie, um die bestehenden Lücken im Zeitungsmarkt zu nutzen. Er nennt es ganz konkret »Restmarktausschöpfung«. Die Zeitungen seien dazu aufgefordert, dem Profil der jungen Leser entsprechend, neue Zeitungskonzepte zu erstellen. Des Weiteren rät er den Verlegern, sich mehr an einem marketingperspektivischen Denken zu orientieren. Auch in anderen Branchen lasse sich der »Lebenszyklus einer Marke nur durch die Einführung passender Produkte«137 verlängern. In der Tat gab es auf dem deutschen Medienmarkt in der Nachkriegszeit nur zwei Neuetablierungen von überregionalen Zeitungen.138 Die schwache allgemeinwirtschaftliche Konjunktur trifft den deutschen Zeitungsmarkt darüber hinaus in einer Phase tief greifender struktureller Veränderungen. Dazu gehört ein steigender Wettbewerb um Werbeaufträge zwischen Printmedien, Hörfunk und Fernsehen und die expandierenden Medienangebote im Internet, die vor allem unter den jungen und mittleren Altersgruppen eine wachsende Akzeptanz finden. Damit verbunden sind auch Veränderungen im Mediennutzungsverhalten. Nach Schulze erfordern die unternehmerischen Herausforderungen angesichts dieses komplexen Bündels von Veränderungen »Risikobereitschaft und eine weitsichtige Unternehmensplanung«.139 In dieser Situation werden in Deutschland auch die Forderungen nach einer Liberalisierung des Pressekartellrechts lauter. Kleinen und mittelständischen Verlagsunternehmen mit einem Nettojahresumsatz bis 25 Mio. Euro können nach der bestehenden Gesetzeslage kontrollfrei fusionieren, in der neuen Diskussion geht es um die Anhebung des Umsatzes auf 50 Mio. Euro. Von solch einer Anhebung könnten 50 von 350 Zeitungsverlagen profitieren.140 Der publizistische Diskurs über diese, für die zukünftige Strukturentwicklung des deutschen Medienmarktes bestimmende Gesetzesänderung, verläuft in zwei Strängen. Gemeinsam ist ihnen ihr Bestreben, die Qualität der deutschen Printmedien und den Fortbestand der publizistischen Vielfalt in Deutschland zu gewährleisten. Die Befürworter plädieren aus wirtschaftlichen Überlegungen 134 | Absatzwirtschaft, Zeitschrift für Marketing, Print Zeitungen (2004), S. 97. 135 | Vgl. Hoffmann, Thomas (2004), S. 86. 136 | Vgl. Simon, Ulrike (2004), S. 31. 137 | Simon, Ulrike (2004), S. 31. 138 | Vgl. TAZ und Financial Times Deutschland. 139 | Schulze, Volker (2004), S. 10. 140 | Vgl. Ott, Klaus (2004), S. 35.
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für eine Veränderung des Pressefusionsgesetzes.141 Angesichts der schlechten Gesamtsituation auf dem deutschen Zeitungsmarkt könne eine langfristige Sicherung des Qualitätsjournalismus nur über Kostendisziplin und Kooperation zwischen den Verlagen realisiert werden. Auch eine Fusionierung mit dem Resultat der Marktbeherrschung sei denkbar, »wenn bei der aufgekauften Zeitung die Selbständigkeit der Zeitungen einigermaßen gewahrt«142 bliebe. Aus der Perspektive der großen Verlage bzw. Mediengruppen wäre eine Änderung des Pressefusionsgesetzes besonders nachhaltig zu unterstützen, denn Marktzuwachs auf dem deutschen Medienmarkt ist eher durch Fusionierungen bzw. Übernahmen als durch eine Produktneuetablierung zu realisieren. Böge, der Leiter des Bundeskartellamts, wertet die allgemeine Umschreibung »Kooperation mit Verlagen im Anzeigenbereich« als gleichbedeutend mit »Preiskartell im Anzeigenmarkt«.143 Die Folge wäre eine Abkehr von dem bisher verfolgten politischen Ansatz »publizistische Vielfalt durch unternehmerische Vielfalt« und hätte eine Konzentration der Besitzstrukturen auf dem deutschen Medienmarkt zur Folge.144 Bei der Diskussion um die Veränderung des Pressefusionsgesetzes ist immer auch die Perspektive der Diskutanten zu beachten. Kleine und mittelständische Verlage kämpfen um ihren Verbleib auf dem Markt und benötigen andere Liberalisierungsmechanismen als die großen Verlage, denen es primär um eine Erweiterung ihres Marktanteils geht. Eine der führenden Mediengruppen in Deutschland, deren Hauptgeschäftskern die Printmedien sind, erwirtschaftet gegenwärtig schon 40 % ihres Jahresumsatzes durch Beteiligungen und Unternehmensübernahmen im osteuropäischen Ausland. Ihrer Unternehmenspolitik »Wachstum durch Zukauf« entsprechend, übernahmen sie in Deutschland kleine und mittelständische Verlagshäuser aus dem Marktsegment der YellowPress, denn Neugründungen sind auf dem deutschen Medienmarkt äußerst schwer umzusetzen. Mit einem Investitionsvolumen von 250 Mio. Euro werden bis zum Jahr 2006 im Rahmen einer »Produktoffensive« Technik, Layout und Produktservice der vorhandenen Printmedien modernisiert, um so für den Markt der Zukunft optimale Ausgangspositionen zu schaffen.145
141 | Vgl. Glotz, Peter (2004), S. 8 und Karle, Roland (2004), S. 29. 142 | Ebd. S. 8. 143 | Vgl. Ott, Klaus (2004), S. 35. 144 | Vgl. Süddeutsche Zeitung (2004), S. 21. 145 | Vgl. Karle, Robert/Schütz, Volker (2004), S. 76.
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Tabelle 5: Auflagenanteile der jeweils zehn auflagenstärksten Verlagsgruppen (VG) in Deutschland von 1995 bis 2000 (bezogen auf Tageszeitungen)146 Verlagsgruppe
1995
1997
2000
Axel Springer Verlag AG
23,3
23,7
23,6
VG WAZ Essen
5,5
5,9
6,0
VG Stuttgart Ztg./Rheinpf/Südwest Pr.
5,0
5,0
5,0
VG DuMont Schauberg, Köln
4,4
4,0
4,4
VG Gruner+Jahr, Hamburg
3,6
3,4
2,8
VG Süddt. Zeitung/Friedmann Erben
3,2
3,2
3,3
VG F.A.Z., Frankfurt
2,9
3,0
3,0
VG Ippen, München
2,7
2,7
2,9
VG Holtzbrinck, Stuttgart
2,5
2,5
2,5
VG Madsack/Gerstenberg Hannov.
2,5
2,3
2,4
Gemeinsamer Marktanteil
55,7
55,7
55,9
II.5 E NT WICKLUNG DES DEUTSCH - TÜRKISCHEN M EDIENMARK TES IN D EUTSCHL AND – EIN Ü BERBLICK Der deutsch-türkische Medienmarkt in Deutschland entwickelte sich innerhalb der vergangenen vierzig Jahre fast unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit zu einem bis heute vom deutschen Printmedienmarkt abgekoppelten Mediensegment, das einem eigenen Regelsystem zu unterliegen scheint.147 Als Teilsegment des deutschen Medienmarktes zeichnet er sich dadurch aus, dass Medienproduzenten, Medienprodukte und Medienrezipienten keine Kongruenz zu denen des deutschen Medienmarktes aufweisen. Deutsch-türkische Medienbeziehungen, die immer auch dem politischen Interesse des jeweiligen Heimatlandes unterlagen, bildeten sich jedoch nicht erst mit Beginn der türkischen Arbeitsmigration Anfang der 1960er Jahre. Sie waren immer auch Begleitmerkmal deutsch-türkischer politischer und wirtschaftlicher Beziehungen und Wanderungsbewegungen in Form von Emigration, Exilmigration und Kulturmigration. So wurden schon ab dem 19. Jahrhundert während der Spätphase der Osmanischen Herrschaft, der nationalsozialistischen Ära und in der
146 | Vgl. Heinrich, Jürgen (2001/1), S. 274. 147 | Vgl. hierzu u.a. Hafez, Kai (2000/1), Hafez, Kai (2000/2).
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Nachkriegsperiode für die deutschsprachige Community148 in der Türkei bzw. im Osmanischen Reich deutschsprachige Tageszeitungen und Zeitschriften ebenso selbstverständlich produziert wie in der Gegenwart. Die deutschsprachigen Tageszeitungen149 Osmanische Post (1890-1895), Konstantinopler Handelsblatt (1896), der Osmanische Llyod (1908-1918) und die Türkische Post (1926-1939) sind die Vorläufer der seit 1995 in Istanbul verlegten Türkischen Allgemeinen. Die in Berlin herausgegebene Zeitschrift Neue Türkei (1917) bildet eines der wenigen Gegenbeispiele für ein bilinguales Printmedium osmanischer Herkunft (deutsch/osmanisch), dass sich laut Editorial explizit um Themen wie »Verbrüderung beider Völker«, Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, die »Gesetze und Gebräuche des Islams […] dem Verständnis der modernen Welt näher führen«150 bemühte. Dass auch die preußische Regierung ihre medienpolitischen Interessen, beispielsweise durch die Schenkung einer Druckmaschine, an die der preußischen Politik nahe stehenden türkischen Tageszeitung Basiret wahrnahm, wurde bereits in Kapitel II.1.1 aufgeführt. Als ein Teil einer eigenethnischen Infrastruktur entwickelte sich eine sehr vielfältige türkische Medienlandschaft in Deutschland. Dazu zählen die Printmedien, in geringerem Umfang der Rundfunk, das Video- und DVD-Segment, seit zehn Jahren auch türkische Fernsehsender und schließlich das Internet. Die Entwicklung des deutsch-türkischen Medienmarktes ab Beginn der 1960er Jahre lässt sich in ihrem Verlauf in unterschiedliche zeitliche Phasen untergliedern.151 Diese überlappen sich teilweise zeitlich, stehen jedoch in einem kausalen Zusammenhang zwischen der Dialektik von Angebot und Nachfrage auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland:
148 | Dietrich, Anne (1998), S. 65f. 149 | Becker, Jörg (2002), S. 51. 150 | Vgl. ebd., S. 50. 151 | In Anlehnung an das Phasen-Modell der deutsch-türkischen Medienbeziehungen von Jörg Becker. Vgl. Becker, Jörg (2000), S. 108. Becker differenziert in seinem Modell die Phasen der deutsch-türkischen Medienbeziehungen. Das Phasenmodell des deutschtürkischen Medienmarktes ist hier als eine komplentäre Ergänzung zu verstehen.
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Tabelle 6: Phasenmodell des deutsch-türkischen Medienmarktes (M II) Phase 1: Marktentstehung und Ausbalancierung, unterschiedliche Medienproduzenten bieten unterschiedliche Medienprodukte an (1970er bis 1980er Jahre). Phase 2: Erweiterung des Produktangebotes auf Medienmarkt II durch türkische Videokassetten (1980er Jahre). Phase 3: Ausdifferenzierung des deutsch-türkischen Medienmarktes durch schrittweise Teiladaption der Printmedienprodukte an die spezifischen Bedürfnisse deutsch-türkischer Rezipienten und Markterweiterung um audiovisuelle Medienprodukte türkischer Herkunft; Medienprodukte deutscher Medienproduzenten verlieren an Marktrelevanz und verlassen sukzessive den Markt (1980-1990er Jahre). Phase 4: Medienproduzenten aus der Türkei dominieren den deutsch-türkischen Medienmarkt; eine ansatzweise Erweiterung des Medienangebotes durch neue Medienformate, Rezipienten werden erstmalig zu Medienproduzenten (ab 2000).
Zu Phase 1: Marktentstehung und Ausbalancierung, unterschiedliche Medienproduzenten bieten unterschiedliche Medienprodukte an (1970er bis 1980er Jahre). Diese Phase, welche zeitlich mit Beginn der türkischen Arbeitsmigration nach Deutschland einsetzt und Ende der 1980er Jahre endet, markiert einen Zeitraum, in dem es ganz konkret darum geht, auf das Bedürfnis der Immigranten nach Informationen zeitnah und bedürfnissorientiert zu reagieren. Sehnlich erwartete Nachrichten aus der Heimat oder Information über den neuen Lebens- und Arbeitsalltag in Deutschland konnten nur auf Türkisch rezipiert werden. Bis Anfang der 1970er Jahre wurden türkische Tageszeitungen privat per Post oder aus der Türkei per Flugzeug importiert. Schnell wurde deutlich, dass der Markt für türkische Tageszeitungen in Deutschland analog zu wachsenden Migrationszahlen größer wurde. Die türkischen Medienunternehmen begegneten diesem wachsenden Markt mit der Etablierung von Zweigstellen der türkischen Mutterhäuser in der Nähe von Frankfurt a.M. und eigenen Druckereizusammenschlüssen.152 Im Oktober 1971 begann man mit dem Druck der Tercüman in Deutschland, kurz darauf folgte die Hürriyet, ab 1972 wurde die Milliyet und ab 1975 die Günaydın in Deutschland gedruckt und vertrieben. Neben diesen vier Tageszeitungen erschienen noch die Dünya und die Cumhuriyet, diese mussten ihre Präsenz auf dem deutsch-türkischen Zeitungsmarkt jedoch nach kurzer Zeit aus finanziellen und personellen Problemen wieder aufgeben. 152 | Vgl. Doğan, Ahmet Atilla (2000/1).
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Der Versuch einiger türkischer Zeitungsverleger, auch türkische Wochenzeitungen und Magazine zu vermarkten, wurde aufgrund mangelnder Akzeptanz nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Parallel dazu entwickelten Vertreter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und später auch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Formate für die Zielgruppe »Arbeitsmigranten« aus Südeuropa. Erst drei Jahre nach Inkrafttreten des Anwerbeabkommens mit der Türkei im Jahr 1961 begann der Westdeutsche Rundfunk das bereits ab 1961 bestehende Radioformat »Sendung für ausländische Arbeitnehmer in Deutschland« um einen türkischsprachigen Informationsteil zu erweitern. Dabei handelte es sich um ein von den Landesrundfunkanstalten gesendetes Gemeinschaftsprogramm, welches am frühen Abend in dreißigminütigen Programmblöcken (19.30 Uhr) in fünf verschiedenen Sprachen gesendet wurde. Der türkischsprachige Sendeteil war unter dem Namen »Köln Radyosu« (Radio Köln) bekannt. »Köln Radyosu« besaß lange Zeit eine hohe Akzeptanz innerhalb der türkischen Immigranten. Neue Untersuchungsergebnisse gehen aber davon aus, dass das Programm heute von der Mehrheit der potentiellen Hörer nicht einmal mehr gekannt wird. Gründe dafür liegen zum einen in den neuen Angebotsstrukturen im Bereich der audiovisuellen Medien und zum anderen im veränderten Mediennutzungsverhalten der Rezipienten.153 Jörg Becker macht in diesem Kontext darauf aufmerksam, dass die Gastarbeiterprogramme der Öffentlich-rechtlichen nicht »freiwillig und aktiv« als Antwort auf soziale Prozesse konzipiert wurden, sondern »unfreiwillig und re-aktiv« erfolgten.154 Unter dem Einfluss des Kalten Krieges versuchten osteuropäische Radiosender wie »Radio Prag« und »Radio Budapest« durch muttersprachliche Formate politischen Einfluss zu gewinnen. Das ZDF strahlte seit 1964 unter dem Titel »Nachbarn in Europa«, samstags von 12.30 Uhr bis 14.00 Uhr, Beiträge mit Berichten und Musik aus der Heimat der »Gastarbeiter« aus. Die Sendezeit wurde unter den Beiträgen der verschiedenen Nationen aufgeteilt. Der türkischsprachige Beitrag, teilweise mit deutschen Untertiteln, wurde unter dem Titel »Türkiye Mektubu« (Türkei-Brief) alle zwei Wochen gesendet. Zu Phase 2: Erweiterung des Produktangebotes auf Medienmarkt II durch türkische Videokassetten (1980er Jahre). Zu Beginn der 1980er Jahre entstand in Deutschland ein bemerkenswerter türkischer Videomarkt, der die türkischen Immigranten mit türkischen Videoproduktionen versorgte.155 Die damals noch nicht vorhandene Versorgung mit audiovisuellen Medien war der Hauptgrund für den hohen Konsum von tür153 | Vgl. Goldberg, Andreas (1997), S. 134. 154 | Vgl. Becker, Jörg (2002), S. 53. 155 | Vgl. Goldberg, Andreas (1997), S. 134.
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kischen Videofilmen. Während dieser Phase waren die türkischen Haushalte in Deutschland deutlich über dem Bundesdurchschnitt mit Videogeräten ausgestattet. Mit Beginn der 1990er Jahre wurde der Videokonsum durch den Konsum von türkischem Fernsehen ersetzt. Zu Phase 3: Ausdifferenzierung des deutsch-türkischen Medienmarktes durch schrittweise Teiladaption der Printmedienprodukte an die spezifischen Bedürfnisse deutsch-türkischer Rezipienten und Markterweiterung um audiovisuelle Medienprodukte türkischer Herkunft; Medienprodukte deutscher Medienproduzenten verlieren an Marktrelevanz und verlassen sukzessive den Markt (1980-1990er Jahre). Das Printmediensegment des deutsch-türkischen Medienmarktes veränderte sich in dieser Phase dahingehend, als dass die Quantität türkischer Tageszeitungen zunahm. Parallel zu der sozialen und politischen Ausdifferenzierung der türkischen Immigranten in Deutschland wuchs auch das politische Spektrum der Tageszeitungen. Ein begrenzter Anteil der Europaausgaben der türkischen Tageszeitungen wurde von in Frankfurt ansässigen Redaktionen aus erstellt. Insgesamt wuchs der redaktionelle Anteil der Frankfurter Redaktionen langsam an, die Europa- bzw. Deutschlandseiten erhielten innerhalb der Zeitungen den Charakter eines Ressorts. Die Endredaktion der Zeitungen findet auch gegenwärtig noch in Istanbul statt. Seit 1992 wurde das Programm der öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehsender zeitlich verkürzt und auf die Sendezeit samstags von 8.00 Uhr bis 9.00 Uhr verschoben. Die landesspezifischen Beiträge waren damit nur noch zwanzig Minuten lang. Im September 1995 wurde das Programm wegen des mangelnden deutschen Zuschauerinteresses eingestellt. Alternativ wurde seit Oktober 1995 die Sendung »Nachbarn« in deutscher Sprache produziert, die sich inhaltlich mit dem Zusammenleben von Deutschen und Ausländern auseinandersetzt. (Samstags von 12.30 Uhr bis 13.00 Uhr) Der Westdeutsche Rundfunk bot unter dem Titel »Ihre Heimat unsere Heimat« ein ähnlich konzipiertes Programm an, welches landesweit empfangen werden konnte und unter dem Titel »Babylon« jeden Sonntag zwischen 11.00 und 12.00 Uhr gesendet wurde. Da die Sendung nicht als Minderheitenprogramm konzipiert war und sich somit auch an deutsche Zuschauer wandte, wurde auch auf Deutsch produziert. Rezipienten, deren Fernsehgeräte über einen Zwei-Kanalton verfügten, konnten dabei die gewünschte Landessprache wählen. Die Sendung »Babylon« wurde ab dem Jahr 2003 durch »Cosmo TV« ersetzt. Die eher geringer werdenden Angebotsstrukturen für türkischstämmige Rezipienten im deutschen Fernsehen werden heute durch den Besitz einer Satellitenanlage oder einer Anbindung ans Kabelnetz relativiert. Seit 1990 erstellt TRT eine internationale Version des nationalen staatlichen Fernsehens, TRT-INT(national), welches seit April 1991 ins deutsche Kabelnetz eingespeist wird. Nach
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einem Abkommen zwischen Deutschland und der Türkei müssen 30 % des Programms in Deutschland produziert werden. Alle in Deutschland produzierten Programme werden in die Türkei geschickt und dort redigiert, um dann per Satellit ins deutsche Kabelnetz eingespeist zu werden. Eine gegründete Kommission, die »TRT-INT-Koordinations-Kommission«, ist dafür verantwortlich, dass Programminhalte gemäß der Richtlinien des Senders eingehalten werden.156 Das Projekt TRT-INT verlief zunächst erfolgreich und erfuhr als erster türkischer Sender mit Vollprogramm eine hohe Akzeptanz unter den türkischen Rezipienten in Deutschland. Schon im Oktober 1990 war jedoch in Deutschland der erste türkische Privatsender zu empfangen. Die TV-Gesellschaft Magic-Box, eine Gründung der Rumeli-Holding, die ihren Sitz in Ludwigshafen hatte, begann mit der Ausstrahlung ihres Programms. Der Sender Star 1 richtete sich in erster Linie an die rund vier Millionen Türken, die damals in der Türkei über eine Satellitenanlage verfügten. Zeitgleich mit der Aufhebung des staatlichen Fernsehmonopols und der Verbreitung des privaten Fernsehens in der Türkei verlief auch die Erweiterung des türkischen Fernsehmarktes in Deutschland. Seither werden über Satelliten in Deutschland die Programme der privaten türkischen Fernsehsender empfangen. Hierzu zählen heute rund 15 Programme. Da fast alle Programme, außer TRT-INT, über Satellit empfangen werden, konsumieren europäische Türken die Programme zeitgleich mit türkischen Rezipienten in der Türkei. Diese enge Publikumsbindung entstand erst Anfang der neunziger Jahre durch die Privatisierung der türkischen Medienlandschaft und ist auf nicht vorhandene Angebotsstrukturen auf dem deutschen Medienmarkt zurückzuführen. Die Präsenz von türkischsprachigen Informationssendungen im öffentlich-rechtlichen deutschen Radio und Fernsehen, die sich mit der realen Alltagswelt der Immigranten auseinandersetzen und gezielt informieren, ist gesellschaftspolitisch bedeutungsvoll, weil sie: • • • • •
die Präsenz der multikulturellen Gesellschaft in Deutschland dokumentieren, das Recht auf eine eigenständige kulturelle Identität vermitteln, bei der Darstellung von Nicht-Deutschen nicht auf Stereotype zurückgreifen, die deutsche Öffentlichkeit sensibilisieren, den Immigranten die Möglichkeit bieten, sich auch mit deutschen Programmen zu identifizieren.
Zu Phase 4: Medienproduzenten aus der Türkei dominieren den deutsch-türkischen Medienmarkt; ansatzweise Erweiterung des Medienangebots durch neue Medienformate, Rezipienten werden ab 2000 erstmalig zu Medienproduzenten.
156 | Vgl. Sevim, Ercan (1998). Siehe zu türkischen Medien in Deutschland auch: Duyar, Akın/Çalağan, Nesrin (2000), Çağlar, Ayşe (2001), Çalağan, Nesrin (2002).
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Zur Differenzierung der unterschiedlichen Medienprotagonisten, von denen hier die Rede ist, bezeichne ich, wie in der Einleitung angekündigt, die Vertreter der Medienproduzenten aus der Türkei als Pressesystem I und die Vertreter der sich in Deutschland neu formierenden deutsch-türkischen Medienproduzenten als Pressesystem II. Der Medienmarkt in der Türkei wird als Medienmarkt I, der in Deutschland als Medienmarkt II angeführt. Heute befinden wir uns in einer Phase der deutsch-türkischen Medienbeziehungen, in der sich die bisherige Rolle von Pressesystem I verändert. Einer gesellschaftlichen/ethnischen Eigendynamik folgend, entwickelte sich auf Medienmarkt II (in Deutschland) in jüngster Zeit ein zweites Forum von Medienproduzenten mit persönlichem deutsch-türkischen Migrationshintergrund, das sich auf allen Ebenen157 teilweise noch zaghaft – oft nicht mit der notwendigen ökonomischen Basis ausgestattet – aber dennoch unübersehbar zu etablieren versucht. Durch die Präsenz von Pressesystem II wirbt seit kurzer Zeit auf Medienmarkt II eine zweite Gruppe von Medienproduzenten um die gleiche Konsumenten- bzw. Zielgruppe. Medienmarkt II, der bis in die 90 Jahre ein Spiegelbild von Medienmarkt I war, beginnt sich zu emanzipieren und entsprechend der sich in Veränderung befindlichen kulturellen Identität ihrer Rezipienten Veränderungen auch von Medienproduzenten einzufordern. Die Globalisierung der Medien schafft zwar faktisch ein differenziertes Medienangebot, Studien zum Verhältnis von »Minderheiten und Medien« machen jedoch deutlich, das es nicht die multinationalen, sondern die nationalen Sender sind, die im Kontext von (Im)migration genutzt werden. Nationale Türkische Medien, und hier stehen an erster Stelle die audiovisuellen Medien, verfügen heute, rund vierzig Jahre nach Beginn der türkischen Arbeitsmigration nach Europa, über feste Bindungen zum türkischstämmigen Publikum in Deutschland. Das klassische, weil in Deutschland älteste Objekt der türkischsprachigen Mediennutzung sind die türkischen Tageszeitungen. Kurz nach Beginn der türkischen Migration nach Deutschland (1961) begannen Zeitungsunternehmen aus der Türkei mit dem Versand von türkischen Tageszeitungen per Flugzeug. Diese Zeitungen stellten damals die einzige Informationsquelle und Brücke zum Herkunftsland Türkei dar. Für Konsumenten war der Kauf der Zeitungen schwierig, denn es bestand kein organisierter Vertrieb. Flughäfen und Bahnhöfe waren die gängigen Verkaufsorte. Für Medienproduzenten war der Verkauf auf diese Weise nicht rentabel. Offensichtlich war allerdings, dass ein wachsender Medienmarkt für türkischsprachige Produkte im Begriff war zu entstehen. Seit dem Beginn der 70er Jahre etablierten dann einige große Zeitungsunternehmen in Flughafennähe von Frankfurt a.M. eigene Europa-Redaktionen. Der Druck der Zeitungen wurde in Deutschland entweder in hauseigenen Druckereien durchgeführt oder aber bei anderen türkischen Druckereien in Auftrag 157 | Vgl. Becker, Jörg (2000), S. 109.
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gegeben. Mit dem Vertrieb wurden deutsche Großunternehmen beauftragt. Zunächst erhielten die türkischen Leser die Zeitungen des Vortages, seit 1993 wird die Vorabdrucklage der Zeitungen via Satellit in die Frankfurter Dependenzen geleitet, dort gedruckt und dann vertrieben. Seitdem ist es möglich, die Zeitungen ohne zeitliche Verzögerung an die Konsumenten zu liefern. 1996 verließen täglich rund 360.000 (359.652)158 Exemplare türkischer Tageszeitungen die Druckereien in Frankfurt a.M. und wurden europaweit vertrieben. Deutschland nimmt innerhalb des Printmedienmarktes Westeuropa den stärksten Absatzmarkt ein. Gegenwärtig erscheinen acht türkische Tageszeitungen. Hinzu kommen zwei Sportzeitungen und einige Boulevardzeitungen. Daneben erscheint die in der Türkei täglich erscheinende Cumhuriyet als Wochenzeitung. Bei den meisten Printmedien handelt es sich um Produkte, die Migranten der ersten Generation »namentlich« schon als Informationsmedium aus der Türkei kannten und in Deutschland annahmen.159 Bisher wurden nur wenige türkische Tageszeitungen jüngeren Erscheinungsdatums160 auf dem deutschen Medienmarkt eingeführt. Ausnahmen bilden die Zeitungen Türkiye und Akit und die beiden Tageszeitungen Emek/Evrensel und Özgür Politika/Günlük Özgür Politika, die beide in der Türkei nicht erscheinen dürfen. Ihre Auflagen sind im Vergleich zu den traditionellen Tageszeitungen eher gering, sie tragen aber insgesamt zur Erweiterung des politischen Spektrums bei. Dieses Spektrum reicht von der extrem Linken (Evrensel) über die pro-kurdische Günlük Özgür Politika, die großen konservativ-liberalen Zeitungen wie Hürriyet und Milliyet, die islamisch nationalistischen Türkiye bis zu liberal-religiösen/konservativ-religiösen Zeitungen wie Zaman, Akit und Milli Gazete. Trotz der Deutschland- bzw. Europaseiten in den türkischen Zeitungen liegt der Schwerpunkt der Berichterstattung bisher auf dem politischen Tagesgeschehen in der Türkei. Daneben wird überwiegend von türkischen Korrespondenten in Deutschland über politische, gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse innerhalb der türkischen Community, über rechtsextreme Straftaten 158 | Auf der Pressetagung der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 23.04.1996 wurden die Zahlen der Tagesauflagen vom 15.04.1996 wie folgt angegeben: Europaauflagen türkischer Printmedien: Hürriyet 157.295, Milliyet 25.000, Türkiye 64.487, Milli Gazete 50.000, Zaman 12.800, Yeni Politika 30.000, Evrensel 20.000 Stück. Man schätzt die Deutschlandausgabe der Hürriyet auf rund 110.000 Exemplare. Die anderen Tageszeitungen liegen zwischen 12.000 bis 64.000 Stück.
159 | Hürriyet (Gründungsjahr 1948), Milliyet (Gründungsjahr 1949), Sabah (Gründungsjahr 1985), Türkiye (Gründungsjahr 1970), Zaman (Gründungsjahr 1962), vgl. Ispirli, Muhammer (2000), S. 23f.
160 | Akit (Gründungsjahr 1993), Akşam, Yeni Yüzyıl jetzt Yeni Binyıl (Gründungsjahr 1994), Posta (Gründungsjahr 1995), vgl. ebd.
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und ausländerpolitische Entwicklungen in Deutschland bzw. Europa sowie über Entwicklungen der deutsch-türkischen Beziehungen und der Türkei-EU-Beziehungen berichtet. Eine Berichterstattung über deutsche Innen- und Außenpolitik, die nicht in direktem Zusammenhang mit der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland bzw. der Türkei steht, findet selten statt. Die Endredaktion der in Deutschland erstellten Artikel findet in den Redaktionen der Istanbuler Mutterhäuser statt. Güvenç-Meçilioğlu (1997) weist in ihrer empirischen Studie über die Berichterstattung der türkischen Tagespresse im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung darauf hin, dass alle untersuchten Zeitungen während des Untersuchungszeitraumes für die Berichterstattung zum deutschen Einigungsprozess zu 30 % auf eigene Korrespondentenbeiträge aus Deutschland zurückgriffen. 70 % der Berichte bzw. Bewertungen der »Deutschen Frage« stammten von bekannten türkischen Kolumnisten und Redakteuren in der Türkei selbst oder aus Drittquellen. Angesichts der Bedeutung der Deutschlandberichterstattung für das Verständnis der deutschen Gesellschaft und angesichts der großen Zahl von türkischen Korrespondenten, man spricht von 190 in Deutschland,161 erscheint dieses Verhältnis eher niedrig. Alle türkischen Tageszeitungen haben ihren Sitz im Großraum Frankfurt a.M., verfügen aber über Vertretungen in unterschiedlichen Großstädten der Bundesrepublik und in den großen europäischen Metropolen. Innerhalb Deutschlands hat sich jede Zeitung ein Netz von Korrespondenten aufgebaut. Journalisten, die oft nebenberuflich für die Zeitungen tätig sind, berichten über lokale und regionale Ereignisse, die Bezug zur türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland (TBiD) haben. Die Auflagenzahlen der türkischen Tageszeitungen in Deutschland sind noch immer schwer einsichtlich. Lediglich die Hürriyet (seit 1980) und die Zaman (seit 2004) lassen sich durch die IVW162 prüfen und ermöglichen somit eine Rekonstruktion ihrer Auflagenentwicklung. Es handelt sich bei der IVW-Angabe der Verlage um eine freiwillige Selbstkontrolle der Verlagshäuser, um der Werbewirtschaft verlässliche Daten zu präsentieren.
161 | Vgl. Güntürk, Reyhan (2000), S. 274. 162 | Die IVW-Prüfung ist eine freiwillige Selbstkontrolle der Verlagshäuser. Der Zeitungsverlag stellt einen Aufnahmeantrag bei der IVW und liefert für jedes vergangene Quartal die durchschnittlichen Auflagenzahlen, diese prüft angegebene Daten zwei Mal pro Jahr und schreibt im Zweifel einen Verweis. Siehe auch www.ivw.de.
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Tabelle 7: IVW-Daten zur Hürriyet Gesamt Europa 2003-2006 (Mo-So)163 4/2006
1/2006
1/2005
1/2004
1/2003
Verbreitung
53.876
59.405
67.009
68.944
74.386
Verkauf
53.653
59.188
66.756
68.719
74.152
766
921
967
978
912
Remittenden
53.480
50.600
53.316
47.763
51.843
Druckauflage
107.497
110.141
119.468
116.807
126.555
Abonnent
Tabelle 8: IVW-Daten zur Hürriyet Gesamt Europa 1998-2002 (Mo-So)165 1/2002
1/2001
1/2000
1/1999
1/1998
Verbreitung
70.785
79.423
80.414
82.846
83.925
Verkauf
70.582
79.254
80.338
82.203
83.491
Abonnent
1.030
1.149
1.666
1.431
2.128
Remittenden
55.530
57.240
51.889
54.378
57.021
Druckauflage
126.557
137.075
132.398
137.650
141.476
Aus den Tabellen 7 und 8 wird ersichtlich, dass die verkaufte Auflage der Hürriyet Gesamt Europa (Mo-So) in den Jahren 1998 bis 2006 um die Stückzahl von rund 30.000 Zeitungsexemplaren stetig gesunken ist. Die Gründe dafür werden in Teil IV.1 und IV.2.4 der vorliegenden Dissertation erörtert. Auffallend ist die durchgängig überproportional hohe Zahl an Remittenden. Rund 40 % der gedruckten Auflage wurden dem Verlagshaus regelmäßig als Remittenden zurückberechnet. Über die Gründe kann an dieser Stelle nur gemutmaßt werden. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um eine Marketingstrategie des Verlagshauses, um sich im Verkauf durch ein überdurchschnittlich dichtes Verkaufsnetz zu positionieren. Hinzu kommt, dass die Hürriyet durch die verlagseigene Druckerei sicherlich kostengünstiger druckt. Im Vergleich mit der Remittendenzahl größerer überregionaler deutscher Zeitungen wie der FAZ oder der SZ ist die durchschnittliche Remittendenzahl der Hürriyet deutlich höher.166 Rein
163 | Entnommen 21.03.07: http://daten.ivw.eu/index Hürriyet Gesamt Europa (Mo-So), DMG Doğan Media International GmbH (Mörfelden/Walldorf), Titel-Nr.: 1344, IVW-Nr.: 1212200000, ZIS-Schlüssel: 102357, Tageszeitung
164 | Bei Remittenden handelt es sich um Zeitungsexemplare, die nicht verkauft wurden und den Verlagen durch den Vertrieb zurückberechnet werden.
165 | Siehe ebd. 166 | Siehe dazu: http://www.ivw.de.
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spekulativ ließe sich daraus der Schluss ziehen, dass für den Verlag die Wirtschaftlichkeit der Zeitung nicht primär im Vordergrund steht. Tabelle 9: IVW-Daten zur Zaman Deutschland 2004-2006 (Mo-Sa)167 4/2006
1/2006
1/2005
1/2004
Verbreitung
26.609
22.255
23.187
19.700
Verkauf
26.586
22.230
23.167
19.700
Abonnent
26.293
21.773
22.016
16.947
Remittenden
844
1.463
443
1.356
Druckauflage
27.553
23.818
24.180
21.344
Die verkaufte Auflage der Zaman lässt sich durch die IVW erst seit 2004 zurückverfolgen. Die Zaman erscheint erst seit dem Jahr 2000 auf dem deutschtürkischen Medienmarkt und lässt sich seit 2004 bei der IVW registrieren. Von Januar 2004 bis April 2006 erhöhte sich die verkaufte Auflage der Zaman konstant um insgesamt 6.886 Exemplare, wobei die Druckauflage der Zeitung unwesentlich über der verkauften Auflage liegt. Dies ist sicherlich einerseits primär durch ihre Vertriebsform als Abonnentenzeitung zu erklären, andererseits ist diese Vertriebsform mit einer engen Käufer-Produkt-Bindung auch als bewusst eingesetztes Marketinginstrument zu verstehen. Die Auflagenangaben der übrigen Zeitungen beruhen auf Eigenangaben der Verlage selbst, wobei die Auskünfte nur sehr widerwillig oder gar nicht gegeben wurden. Über die Zuverlässigkeit der angegeben Auflagenzahlen bestehen Zweifel, weil das Datenmaterial nicht deckungsgleich mit den Ergebnissen der empirischen Untersuchungen zum Mediennutzungsverhalten der TBiD sind.168 Im Verlauf der vergangenen sieben Jahre ist ein Prozess zu beobachten, der darauf hinweist, dass das alt bewährte Zeitungskonzept den Anforderungen der Leserschaft der zweiten und dritten Migrantengeneration entwächst. Neue Leseinteressen, neue Mediennutzungsformen sowie veränderte Sprachkompetenz erfordern ein Umdenken hinsichtlich der inhaltlichen Konzeption der Printmedien. Daraus ergibt sich, dass die Europa-Ausgaben der türkischen Tageszeitungen, wollen sie auf dem deutschen Markt zukünftig erfolgreich weiter bestehen, keine »Nebenbeiprodukte« der türkischen »Mutterzeitung« mehr sein dürfen.
167 | Siehe ebd. 168 | Siehe dazu: Ottenschläger, Madlen (2004), Uçar-Ilbuğa, Emine (2005), Becker, Jörg/ Çalağan Nesrin (2001), Schulte, Joachim (2001).
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Tabelle 10: Basisdaten (deutsch)-türkischer Printmedien in Deutschland in 2007169
Zeitung
Erschei- Verkaufte nungsjahr in D. Auflage
Druck
Vertrieb
Sprache
Typ
Hürriyet
1971
53.876
Eigendruck
ASV
Tr.170
Kaufzeitung
Zaman
1991
26.609
Eigendruck
Versand
Tr.
Abozeitung
Cumhuriyet
1990
2.000171
Fremddruck
ASV
Tr.
Kaufzeitung
Milliyet
1972
12.000
Eigendruck
ASV
Tr.
Kaufzeitung
Yeni Özgür Politika172
1995
7.500173
Fremddruck
ASV
Tr./ Kurd.
Kaufzeitung/ Abozeitung
Milli Gazete
1986
8.000
Fremddruck
ASV
Tr.
Kaufzeitung
Günlük Evrensel
1995
5.000174
Fremddruck
Saarbach
Tr./ Dt.175
Kaufzeitung
Türkiye
1987
12.000
Eigendruck
ASV
Tr.
Kaufzeitung
Post
2002
500.000
Eigendruck Postversand
Tr.
Anzeigenzeitung
Dünya Deutschland
2001176
10.000
Eigendruck177
Perşembe178
2000179
60.000
Fremddruck
Etap
1999180
14.600181
Eigendruck182
40.000184 Fremddruck
Detay
2003
ASV
Dt./Tr. Kaufzeitung/ Abozeitung Dt.
Kaufzeitung/ Abozeitung
ASV/Abo183
Dt.
Kaufmagazin/ Abomagazin
Eigenvertrieb
Dt.
Anzeigenzeitung
169 | IVW-Statistik, Expertenschätzungen und persönliche Anfragen in den Redaktionen sowie ein bislang unveröffentlichtes Manuskript von Jörg Becker (2004) über die Deutschlandausgaben der zehn wichtigsten türkischen Zeitungen in Deutschland.
T EIL II: H ISTORISCHER K ONTEXT 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184
170 | Die Herausgabe der deutschsprachigen Wochenbeilage der Hürriyet in Deutschland ab 2005.
171 | Verkaufte Auflage zum Zeitpunkt des Herausgabestopps im Januar 2005. Quelle: Telefonat mit dem Chefredakteur der Deutschlandausgabe der Cumhuriyet Hafta am 09.12.05.
172 | Von August 1995 bis September 2005 erschien die Zeitung unter dem Namen Özgür Politika. Nach einem Verbot durch das deutsche Innenministerium erscheint sie ab 16. Januar 2006 unter dem Namen Yeni Özgür Politika.
173 | Angabe nach Auskunft der Redaktion der Yeni Özgür Politika in Frankfurt vom 21.03.07
174 | Die Tageszeitung Evrensel wurde 1995 gegründet. Nach einem Verbot 1996 wurde sie unter dem Namen Emek herausgegeben und erscheint seit 1998 als Günlük Evrensel. Die Angabe zur Auflage erhielt die Autorin in einem Telefongespräch mit einem Mitglied der Kölner Redaktion der Günlük Evrensel.
175 | Jede zweite Woche erscheint seit 2001 in der Wochenendausgabe der Günlük Evrensel eine deutschsprachige Beilage.
176 | Die türkische Wochenausgabe der Dünya war seit 1991 als Abonnentenzeitung in Deutschland erhältlich. Von Oktober 2001 bis Dezember 2002 wurde sie mit der deutschsprachigen Beilage Dünya Deutschland vertrieben. Die Auflagenzahl ist eine eigene Angabe der Redaktion.
177 | Der Druck erfolgte durch das Partnerunternehmen Aachener Zeitung. 178 | Wöchentliche Beilage der TAZ. 179 | Persembe herausgegeben von September 2000 bis Juli 2001. 180 |Etap herausgegeben von November 1999 bis April 2000. Siehe dazu auch Sinan, Ozan (2000).
181 | Vgl. Alin, Füsun (1999), S. 22. Die verkaufte Auflage von 14.600 Stück gilt für den letzten Herausgabemonat Februar 2000. Diese Angabe wird von der Autorin selbst in Frage gestellt. Auf Anfrage der Interviewerin an den ehemaligen Chefredakteur und Verleger des Magazins nannte dieser ohne Erklärung eine Zahl von 230.000. Bei dieser handelt es sich allerdings um den Umfang, der während der ersten drei Monate markteinführend an 230.000 deutsch-türkische Haushalte versandt wurde.
182 | Gedruckt wurde die etap in der hauseigenen Druckerei des Partnerunternehmens Grütter.
183 | Von 11/1999 bis 01/2000 erfolgte der Vertrieb des Magazins ausschließlich über den postalischen Abonnentenversand, ab 02/2000 wurde diese Vertriebsform um den klassischen Kioskvertrieb erweitert. Siehe dazu: Alin, Füsun (1999), S. 20ff.
184 | Eigenangabe des Verlegers während des Interviews.
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Teil III: Methodische Vorgehensweise der Datenerhebung und Datenauswertung
Die Qualitative Empirie ist eine gegenstandsbezogene Forschungsmethode, deren Forschungsdesign dem spezifischen Verständnis des individuellen Untersuchungsgegenstandes zugrunde liegt. Jeder Untersuchungsgegenstand erfordert demnach eine eigene Auswahl von Verfahren in Bezug auf Erhebungs- und Auswertungstechniken. Häufig kommt es dabei in der Forschungspraxis zu einem Methoden-Mix, zu einer Modifizierung der Verfahrenstechniken, um dadurch die Gegenstandsbezogenheit der Forschungsergebnisse zu gewährleisten.1 Vorab gilt es jedoch, die eigentliche Forschungsfrage2 zu formulieren und damit die Basis für das Forschungsdesign zu legen. Durch die Formulierung der Fragestellung setzt die Forscherin den Fokus auf einen Gegenstand innerhalb eines komplexen Forschungsfeldes.3 Bei der Konstituierung der Samplestruktur geht es hier nicht darum, eine statistische Repräsentativität zu erzielen sondern die »im Untersuchungsfeld tatsächlich vorhandene Heterogenität«4 ins Blickfeld zu stellen.
III.1 D ATENERHEBUNG Ein erstes Forschungsdesign sah vor, die Datenerhebung auf der Grundlage des Theoretischen Samples von Glaser und Strauss (1998) zu konzipieren. Bei 1 | Vgl. Mayring, Philipp (1999), S. 48. 2 | Ausgehend vom Status quo der Printmedienproduzenten auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt sollen in einem späteren Arbeitsschritt mögliche Beziehungsgefüge zwischen den Printmedienunternehmen untersucht und Rückschlüsse auf die Reziprozität von Angebot und Nachfrage innerhalb des deutsch-türkischen Printmediensegments gezogen werden. Letztlich geht es darum, die spezifische Rolle von Printmedienproduzenten ethnischer Medien im fallspezifischen deutsch-türkischen Immigrationsprozess zu untersuchen.
3 | Vgl. Flick, Uwe (1999), S. 65f. 4 | Vgl. Kelle, Udo/Kluge, Susann (1999), S. 99.
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dieser Erhebungsstrategie werden Auswahl und Zusammensetzung der Samplestruktur im Prozess der Datenerhebung und -auswertung parallel getroffen. Glaser und Strauss verstehen unter einem Theoretischen Sample: »den auf die Generierung von Theorie zielenden Prozess der Datenerhebung, währenddessen der Forscher seine Daten parallel erhebt, kodiert und analysiert sowie darüber entscheidet, welche Daten als nächstes erhoben werden sollen und wo sie zu finden sind.« 5
Die verschiedenen Untersuchungseinheiten, die miteinander verglichen werden, weisen in ihren relevanten Merkmalen entweder große Unterschiede oder große Gemeinsamkeiten auf. Die Auswahlkriterien orientieren sich dabei an der Methode von Minimierung und Maximierung von bedeutsamen Merkmalen. Durch Minimierung oder Maximierung der Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, »Heterogenität und Varianz im Untersuchungsfeld abzubilden«6. Auf diese Weise wird eine immer größer werdende Anzahl von Untersuchungseinheiten miteinander verglichen. Dieser Prozess des theoretischen Samples findet dann ein Ende, wenn eine theoretische Sättigung7 erreicht wird, d.h., wenn im Datenmaterial keine theoretisch relevanten Unterschiede und Gemeinsamkeiten mehr gefunden werden können. Kelle und Kluge (1999) entwickelten eine Alternative zum Theoretischen Sample von Glaser und Strauss, die sich methodologisch eng an das in der qualitativen Sozialforschung häufig verwandte selektive Sample8 anlehnt. Dabei wird mittels einer kriteriengeleiteten Fallauswahl eine Erhebungsgruppe erstellt. Kelle und Kluge stellen durch eine »a priori Definition« die Auswahlkriterien für die Vergleichsgruppen sicher, um die Träger aller relevanten Vergleichsgruppen im Sample vertreten zu haben. In diesem Fall werden Daten und Interviewpersonen schon vor der Feldphase definitiv festgelegt und nach folgenden Merkmalen erhoben:9 • • •
relevante Merkmale für die Fallauswahl, Merkmalsausprägung, Größe des Qualitativen Sample.
Vorüberlegungen zur eigenen Stichprobenziehung ergaben, dass sich schon im Vorfeld der Datenerhebung ein Katalog von Merkmalen der zu vergleichenden Gruppen herauskristallisiert hatte, welcher auf der Basis schon vorhandenen 5 | Glaser, Barney G./Strauss, Anselm L.(1998), S. 53. 6 | Vgl. Kelle, Udo/Kluge, Susann (1999), S. 45. 7 | Vgl. ebd., S. 46. 8 | Vgl. Schatzman, Leonard/Strauss, Anselm (1973), S. 38ff. 9 | Vgl. Kelle, Udo/Kluge, Susann (1999), S. 47.
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Kontextwissens der Forscherin und erster theoretischer Vorüberlegungen entstanden war. In diesem Sinne orientierte sich das Sample an der Darstellung der Bandbreite der auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt (MII) angebotenen Formate der Printmedienprodukte. Die Diversität der Formate konstituiert sich aus den Faktoren: • • • •
Erscheinungsformat, Verbreitungsgebiet, Vertriebs- und Verkaufsform und Sprachnutzung.
Hinzu trat der Anspruch, in die Analyse Medienprodukte respektive Medienunternehmen beider Pressesysteme10 einzubeziehen. Die erste gezogene Stichprobe aller potentiell zu untersuchenden Medienprodukte wurde somit in einem zweiten Arbeitsschritt durch die Vorgabe, Vertreter von Medienmarkt I und Medienmarkt II gleichermaßen zu erfassen, verdichtet. Die relevanten Untersuchungsmerkmale in Bezug auf die Stichprobenauswahl beziehen sich somit auf die Printmedienprodukte und nicht auf die Printmedienproduzenten, die im eigentlichen Fokus der Untersuchung liegen. Samplekriterien wie Auflagenzahl oder politisch/ religiöse Positionierungen der Zeitungen sind an dieser Stelle keine relevanzbezogenen Kriterien. Die hier verwendetet Technik der Datenerhebung stellt demnach eine Adaption des Theoretischen Sample von Glaser und Strauss an die qualitativen Stichprobenpläne von Kelle und Kluge dar. Beide Verfahren, isoliert voneinander betrachtet, bieten in meinem Forschungskontext keine idealen Ausgangsbedingungen. Die Methode des Theoretischen Sample bietet dem Forscher meines Erachtens die größere Gestaltungsmöglichkeit und ein höheres Maß an Flexibilität und zeitlicher Disposition. Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil sich der Untersuchungsgegenstand in permanenter Entwicklung und Bewegung befindet. Printmedienprodukte erscheinen auf dem Markt und verlassen diesen nach kurzer Erscheinungsphase oftmals wieder. Der Kontakt zu den Interviewpartnern ergab sich zudem nach dem Schneeballsystem11 von Interview zu Interview. Vorkontakte innerhalb des Verlagsmilieus waren von besonderer Bedeutung, da sie als vertrauensbildende Maßnahme zur Interviewbereitschaft beitrugen. Die Feldphase erstreckte sich über einen Zeitraum von rund zwei Jahren, in welcher durch die Dynamik innerhalb des Forschungsfeldes immer wieder neue Stichproben gezogen werden mussten, um dem Anspruch der zuvor gesetzten relevanten Merkmale Rechnung zu tragen. Die Ziehung der Stichprobe über einen relativ langen Zeitraum ging einher mit der 10 | Pressesystem I und Pressesystem II. 11 | Vgl. Köhler, G. (1992), S. 320.
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Transkription und ersten Auswertungsschritten. Das a priori erstellte Relevanzsystem nach Kelle und Kluge wurde im Verlauf des Forschungsprozesses unwesentlich modifiziert und bot damit bei der Auswahl der Stichprobe notwendige Strukturierungseinheiten.
III.1.1 Inter viewmethode Im Hinblick auf meinen Forschungsschwerpunkt, der auf einer Analyse der Unternehmenstypen deutsch-türkischer Printmedienproduzenten auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland basiert, bot sich das Experteninterview nach Meuser und Nagel als zentrales Erhebungsmittel an. Wer dabei als Experte gelten soll, das bestimmt ganz individuell die Forscherin innerhalb ihres Forschungskontextes. Es handelt sich dabei im Grunde um eine Fokussierung auf eine Person in einer bestimmten Funktion und nicht um eine ganzheitliche Erfassung der in einer eigenen Individuierungsgeschichte gewordenen Person. An dieser Funktion hängt ein bestimmtes Wissen, das nicht jedem zugänglich ist, ein Spezialwissen, und darum geht es im Experteninterview. Der Typ des Experten, der in diesem Forschungskontext relevant ist, ist eine Figur, dessen Erfahrungs- und Berufswissen, hier qua Interview analysiert wird. Nach Meuser und Nagel kann als Experte angesprochen werden: • •
»wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung oder wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse verfügt.«12
Es gilt, das Wissen der Experten innerhalb ihrer Handlungsfelder zu analysieren. In einem ersten Schritt differenzieren Meuser und Nagel ein »Erfahrungswissen« der Experten in Abhängigkeit zur Stellung und Funktion innerhalb der Forschungsdesigns als Betriebswissen oder als Kontextwissen.13 Im Rahmen dieser Arbeit wird die Perspektive sowohl auf das Betriebswissen der Interviewpartner als auch auf deren Kontextwissen gelegt. Forschungsgegenstand ist zum einen das Handeln der Experten selbst, zum anderen deren Sonderwissen über soziale Einheiten, auf die ihr Expertenwissen gerichtet ist.14 Die Vergleichbarkeit der Interviewtexte ist letztlich durch zwei Komponenten gewährleistet: durch das Agieren der Experten innerhalb eines gemeinsamen institutionell-organisatorischen Kontextes sowie eine leitfadenorientierte
12 | Meuser, Michael/Nagel, Ulrike (2002/1). S. 73. 13 | Vgl. ebd. S. 75f. 14 | Vgl. Meuser, Michael/Nagel, Ulrike (2002/2), S. 265.
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Interviewführung, welche die Möglichkeit der späteren thematischen Vergleichbarkeit bietet:15 »Ziel ist es […], im Vergleich mit anderen ExpertInnentexten das Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten, Aussagen über Repräsentatives, über gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmustern zu treffen.«16
Durch die Handhabung eines offenen Leitfadens wird einerseits gewährleistet, dass sich das Gespräch nicht im Thema verliert, andererseits gesteht er dem Interviewten seine subjektive Darlegung von Handlungsweisen zu. Im Mittelpunkt meines wissenschaftlichen Interesses steht hier der Experte, der durch seine Zugehörigkeit zu einer Organisation, Institution oder zu einem Unternehmen im Verlauf des Interviews Einblick in sein eigenes Handlungsfeld gewährt. Nicht der Interviewte als Privatperson, sondern sein Betriebswissen innerhalb eines organisatorischen oder institutionellen Rahmens und sein Kontextwissen über soziale Einheiten, auf die sein Handeln gerichtet ist, sind von Interesse. Die Authentizität der Interviews gilt es dabei zunächst nicht zu bezweifeln. Wenn sich der Interviewte nicht ständig widerspricht, dann gilt das Gesagte als gültige Wahrheit. Da, wo die Interviewten mit sich nicht im Klaren sind oder wo es darum geht, unangenehme Teile seines Wissens zu verklären oder nicht anzusprechen, tritt dies im Transkriptionstext und in der anschließenden Analyse zu Tage, ansonsten gilt das Gesagte als authentisch. Eine Annäherung an das zu untersuchende Forschungsfeld erfolgt auf zwei Ebenen: Journalisten/Redakteure und Entscheidungsträger im Medien-Management. Es werden also die Sichtweisen zweier Arbeitsebenen untersucht, die innerhalb einer Produktionsstätte (Medienunternehmen) tätig sind, jedoch auf unterschiedlichen Handlungsebenen agieren. Daraus ergibt sich für die Forschungspraxis, dass der Leitfaden je nach Gesprächspartner (nach Zugehörigkeit zu PI oder PII und nach Funktion innerhalb des Unternehmens) leicht modifiziert wird. Die Vergleichbarkeit des Datenmaterials wird dadurch allerdings nicht beeinträchtigt. In der Auswertungsphase der Experteninterviews wird es letztlich darum gehen: »[…] die entsprechenden Wissens- und Handlungsstrukturen, Einstellungen und Prinzipien theoretisch zu generalisieren, Aussagen über Eigenschaften, Konzepte und Kategorien zu treffen, die den Anspruch auf Geltung auch für homologe Handlungssysteme
15 | Vgl. Meuser, Michael/Nagel, Ulrike (2002/1), S. 81. 16 | Meuser, Michael/Nagel, Ulrike (2002/1), S. 75.
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behaupten können bzw. einen solchen theoretisch behaupteten Anspruch zu bestätigen oder falsifizieren.«17
Die Interviews werden entlang eines offenen Gesprächleitfadens erhoben, um dadurch den Diskursverlauf innerhalb des gesetzten Themenfokus zu halten. Der offene Charakter der Fragen bietet dem Interviewten die Möglichkeit, sein eigenes Relevanzsystem zu entfalten. In diesem Zusammenhang können unter Umständen für das Forschungsvorhaben noch neue Aspekte entdeckt werden. Eine fehlende Interviewerfahrung seitens der Forscherin führte innerhalb der ersten beiden Interviews dazu, dass sich ein Interviewpartner inhaltlich nicht richtig auf das Interview einlassen konnte. Bei der Suche nach der Ursache des Problems stellte ich fest, dass der Leitfaden relativ stark durchformuliert und der Sprachduktus zu stark an die Wissenschaftssprache angelehnt war. Ich hatte somit zunächst eine Sprache gewählt, die der Sprache des Falles nicht entsprach, denn das Interview spielte sich auf einer alltagssprachlichen Ebene ab. Diese Problematik kam im ersten Interview noch nicht so sehr zum Tragen, weil sich der Befragte in diesem Duktus auskannte und diesen in einen alltagssprachlichen Duktus umsetzten konnte. Das zweite Interview verlief letztlich aufgrund dieser Problematik sowohl für die Interviewerin als auch für den Interviewten unbefriedigend. Es gelang der Interviewerin nicht, in der Sprache des Falles zu bleiben, was besonders dann von Bedeutung ist, wenn sich der Interviewte nicht in seiner Muttersprache interviewen lässt. Nach der Erhebung der ersten beiden Interviews modifizierte ich meine Vorgehensweise dahingehend, dass ich die Fragen im Leitfadeninterview für mich nur noch stichwortartig formulierte und mir auch mehr Flexibilität im Ablauf des Interviews erlaubte. Das für »Erhebungsneulinge« typische Klammern am Leitfaden hatte dem Verlauf des Interviews eine Verkrampfung gegeben und wertvolle spontane Aspekte unterbunden. Nach diesen Erfahrungen ging ich offener in die Interviews. Der Leitfaden war auch weiterhin thematisch geordnet, wurde aber nicht vom Zettel abgelesen und war stichwortartig formuliert.
III.1.2 Beschreibung der Inter viewsituation und der Inter views 18 Die Interviews wurden sowohl in Deutschland als auch in der Türkei erhoben. Aus technischen Gründen wurden die meisten Interviews in den Arbeitsräumlichkeiten, also den Büros der Redakteure und Journalisten durchgeführt, so dass das Interview-Setting zwar unterschiedlich war, sich jedoch ähnelte. Die Interviewschritte waren immer homogen. Die Interviewpartner wurden nach einem vorherigen Telefonat, in dem die Forscherin sich dem Interviewpartner 17 | Ebd. S. 77. 18 | Eine gesonderte Kurzbeschreibung der einzelnen Interviews erfolgt im Anhang F: Interviewsituationen.
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vorstellte, eine kurze allgemeine Themenerläuterung19 gab und um einen Interviewtermin bat, in der Regel am Arbeitsort aufgesucht. Das Gespräch fand somit meist in für die Interviewten bekannten Räumlichkeiten statt, die Interviewpartner nahmen dabei die Rolle des Gastgebers ein. Vier Interviewsituationen erfolgten in privaten Räumlichkeiten der Interviewerin bzw. im öffentlichen Raum (ruhiges Cafe), weil keine Büroräume mehr existierten. Es zeigte sich, dass die Interviews, die in privaten Räumlichkeiten geführt wurden, sich meist länger und gesprächsintensiver gestalteten. Interviews, die in Arbeitsräumlichkeiten durchgeführt wurden, wurden zum Beispiel durch die Annahme von Telefonaten kurzzeitig unterbrochen. Der Druck weiterer Arbeitstermine ließ die Interviewpartner nach rund 45 bis 60 Minuten durch einsetzende Unruhe den Wunsch nach Beendigung des Gesprächs signalisieren. Vor Beginn der Interviews legte ich den Interviewten einen zweiseitigen Fragebogen20 vor, in dem ich vorab »feste Daten« über das jeweilige Medienprodukt erfragte und um Auskunft über den jeweiligen beruflichen Werdegang und die persönliche Einschätzung der eigenen Sprachkompetenz bat. Einleitend in das Interviewgespräch legte man sich zunächst auf die gesprochene Sprache fest. Fragebogen und Leitfaden21 waren sowohl auf deutsch als auch auf türkisch konzipiert worden, um dem Interviewpartner die Auswahl der Sprache zu überlassen. Einige Interviewpartner sprachen nur Türkisch, die Mehrheit war zweisprachig, präferierte dabei jedoch die Sprache, in der sie ihre Bildungssozialisation durchlaufen haben und die ihre gegenwärtige Berufs- und Alltagssprache repräsentiert. Trotz einer zuvor favorisierten Sprache kam es im Laufe des Interviews immer wieder zu kurzen Sprachmischungen (code-switching), die auch wortgemäß transkribiert wurden. Vor Beginn des eigentlichen Interviews wies die Interviewerin noch einmal auf die ausschließliche Nutzung der Daten im Rahmen der Dissertation hin und sicherte eine anonyme Verwendung des späteren Interviewmaterials zu. Die Interviewaufzeichnung selbst erfolgte mittels eines Mikrofons und eines Minidisk-Aufnahmegerätes, welches sichtbar 19 | Die Interviewerin stellte sich namentlich vor, erklärte kurz ihren akademischen Hintergrund und bat den jeweiligen Interviewpartner um ein Experteninterview zum Thema »Entwicklung der türkischen Printmedien in Deutschland«. Die Thematik wurde bewusst sehr breit vorformuliert, um nicht schon im Vorfeld Hinweise auf den Fragenkatalog zu geben und damit die Spontanität innerhalb der Interviewsituation zu beeinflussen. Auch bei einem Wunsch der Interviewpartner nach detaillierter Hintergrundinformation bat die Forscherin aus Gründen der späteren wissenschaftlichen Vergleichbarkeit des Datenmaterials um Nachsicht und erklärte sich bereit, im Anschluss an das Interview noch bestehende Frage zu klären.
20 | Siehe im Anhang A: Fragebogen. 21 | Siehe Anhang B: Interviewleitfaden.
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auf dem Tisch platziert wurde. Traten während des Gesprächs Störungen auf, wurde das Gerät für diese Zeit abgestellt. Die Feldphase erstreckte sich über den Zeitraum von September 2003 bis November 2005. Während dieser Zeit wurden insgesamt 18 Interviews22 in deutscher oder türkischer Sprache durchgeführt. Das Untersuchungssample bestand aus folgenden (deutsch)-türkischen Printmedien: Hürriyet (Tageszeitung), Zaman (Tageszeitung), Cumhuriyet (Wochenzeitung), Dünya (Wochenzeitung), Perşembe (wöchentliche Beilage), Post (Monatszeitung), Detay (Monatszeitschrift) und etap (Monatszeitschrift). Von diesen acht Printmedien befinden sich zum Zeitpunkt der Fertigstellung der vorliegenden Forschungsarbeit nur noch vier Printmedien auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt. Die Herausgabe der restlichen vier Zeitungen/Magazine wurde bereits vor Beginn der Feldphase bzw. innerhalb der Feldphase eingestellt. Alle Interviews wurden vollständig transkribiert und mit Unterstützung der Software ATLAS/ti ausgewertet.23 Im Fokus der Analyse stehen demnach acht Printmedienproduzenten, die die hier untersuchten Fälle konstituieren. Jeder Fall wird durch das Datenmaterial von ein bzw. zwei Experteninterviews rekonstruiert. Die Wahl des Printmedienformats24 stellt in diesem Zusammenhang nur eine Interpretationsdimension in Bezug auf eine der fünf Schlüsselkategorien25 dar.
III.2 S CHRIT TE DER D ATENAUSWERTUNG Als methodisches Instrument zur Interpretation des offenen, leitfadenorientierten Experteninterviews lehne ich mich an einen Methodenmix an, der sich aus der Grounded Theory von Glaser und Strauss (1998) und dem Datenauswertungsverfahren von Meuser und Nagel (2002/1) konstituiert, welcher sich wiederum eng an der Methodologie der Grounded Theory orientiert. Im Folgenden werde ich zunächst beide Auswertungsverfahren getrennt voneinander vorstellen, um im Anschluss daran die Hauptunterscheidungsmerkmale aufzuzeigen. Anschließend erfolgen eine Skizzierung des hier vorgenommenen Methodenmixes und eine Erläuterung der vorgenommenen Arbeitsschritte, um den Forschungsprozess transparenter zu gestalten.
22 | Siehe Anhang C: Liste der Interviews. 23 | Näheres zum Auswertungsprozess siehe unter Teil IV. 24 | Die Wahl des Printmedienformats ist abhängig vom Rezipienteninteresse, aber auch von den medienökonomischen Voraussetzungen des Herausgebers.
25 | Zur Rekonstruktion der Schlüsselkategorien siehe Kapitel IV.2.
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III.2.1 Datenauswertung nach Glaser und Strauss Die Methodologie der Grounded Theory26 von Glaser und Strauss27 besteht aus einem vierstufigen Kodierparadigma, welches nach der Konkretisierung der Forschungsfrage herangezogen wird. Dabei gilt zunächst einmal das Prinzip der Offenheit, d.h. die theoretische Strukturierung des Forschungsgegenstandes wird zunächst zurückgestellt. Die Grounded Theory basiert auf einem Konzept-Indikator-Modell28, dem ein zyklisches Denkmodell zugrunde liegt. Der Forscher vergleicht die einzelnen Indikatoren (I) immer wieder miteinander, d.h. er reflektiert die einzelnen Ereignisse in Bezug auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede und bildet den »kleinsten gemeinsamen Nenner«29. Diese werden dann zu einem Kode zusammengefasst. Abbildung 2: Konzept-Indikator-Modell von Glaser und Strauss (1999) KONZEPT
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I
I
I
I
I
I
I
1
2
3
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5
6
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Des Weiteren kommt der Funktion von Memos bei Glaser und Strauss, neben der Verwendung des vier-stufigen-Kodierparadigmas, eine zentrale Stellung zu. Während der Feldarbeit und später im Verlauf der Analyse werden immer wieder Memos erstellt, in denen zum Beispiel Beobachtungen durch schon zugrunde liegendes Kontextwissen erklärt, in denen ein Aspekt um neue Sichtweisen erweitert sowie sonstige Auffälligkeiten vermerkt werden. Letztlich handelt es sich bei den Memos um eine Art Forschungstagebuch, dessen Vermerke 26 | »Der Grundgedanke der Gegenstandsbezogenen Theoriebildung geht davon aus, daß der Forscher während der Datensammlung theoretische Konzepte, Konstrukte, Hypothesen entwickelt, verfeinert und verknüpft, so dass Erhebung und Auswertung sich überschneiden.« Mayring, Philipp (1999), S. 83. Vgl. hierzu auch Mayring, Philipp (1995).
27 | Die Gegenstandsbezogene Theoriebildung (Grounded Theory) wurde Ende der 60er Jahre von den amerikanischen Soziologen der Chicagoer Schule, B.G. Glaser und A. Strauss, entwickelt. In ihrem Verfahren der Gegenstandsbezogenen Theoriebildung werden schon während der Phase der Datenerhebung erste theoretische Bezugsrahmen entwickelt. Siehe dazu: Mayring, Phillip (1999), 82f.
28 | Vgl. Strauss, Anselm L. (1998), S. 54f. 29 | Vgl. ebd. S. 54.
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konkreten Bezug zum erhobenen Datenmaterial besitzen. Ziel der Erstellung von Memos ist es, im Verlauf der Feldforschung gewachsene Interpretationsimpulse festzuhalten und diese bei der Erstellung der Kodes als Hilfestellung einfließen zu lassen.30 Arbeitsschritte der Dateninterpretation nach Glaser und Strauss: 1. 2. 3. 4.
offenes Kodieren axiales Kodieren selektives Kodieren Bildung der Schlüsselkategorien
Das offene Kodieren orientiert sich inhaltlich zunächst einmal an der Forschungsfrage. Diese spiegelt sich in meinem Forschungskontext teilweise auch im offenen Leitfaden wieder. Dieser erste Arbeitsschritt öffnet das Material erstmalig, es geht dabei noch um keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Material, sondern um eine inhaltliche Datenreduktion und Datenstrukturierung.31 In dieser Phase bleibt die Forscherin noch nahe an der Terminologie des Interviewtextes und kodiert inhaltliche Texteinheiten durch Paraphrasierung. Strauss weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein möglichst engmaschiges Kategorisieren notwenig ist, um die Bandbreite der Daten zu erfassen. Innerhalb der Phase des offenen Kodierens setzt zudem ein zweiter Arbeitsprozess ein, das Erstellen von Memos, in denen erste Textauffälligkeiten, erste Arbeitsergebnisse und theoriegenerierende Arbeitshypothesen formuliert werden.32 Das axiale Kodieren ist im Grunde eine Weiterführung und Verfeinerung des offenen Kodierens. Nach Strauss wird in dieser Kodierphase eine Konkretisierung der einzelnen Kodes vorgenommen.33 Zunächst provisorisch verwendete Begrifflichkeiten werden klarer formuliert, ein Beziehungsgefüge zwischen den Kodes erstellt und eine Hierarchisierung vorgenommen. In dieser Phase nähert sich die Forscherin zunehmend einer Schlüsselkategorie und damit dem dritten Kodierparadigma an. Das selektive Kodieren ist eine Vorgehensweise, in der nun »systematisch und konzentriert« nur noch nach Schlüsselkategorien kodiert wird. Im Gegensatz zum offenen Kodieren bedeutet dies, »dass der Forscher den Kodierprozess auf solche Variablen begrenzt, die einen hinreichend signifikanten Bezug zu den Schlüsselkategorien aufweisen«34 . Die Schlüsselkategorien stehen im Fo30 | Vgl. ebd. S. 55. 31 | Vgl. Strauss, Anselm L. (1998), S. 58f. 32 | Vgl. ebd. S. 62. 33 | Vgl. ebd. S. 63. 34 | Vgl. ebd. S. 63.
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kus der Analyse, alle anderen Kategorien werden ihnen untergeordnet. Dieser Prozess der analytischen Fokussierung auf bestimmte Aspekte/Kategorien, die zur Entschlüsselung der Forschungsfrage immer größere Relevanz gewonnen haben, erstreckt sich auch auf die Erstellung der Memos. Die Bildung der Schlüsselkategorien (SK) hat laut Strauss für die Generierung einer Theorie mehrere Funktionen.35 Zum einen erklärt eine Schlüsselkategorie den größten Teil eines Verhaltensmusters, d.h. die unterschiedlichen kontextgebundenen Erscheinungsweisen. Die anderen Kategorien sind ihr subsumptiv untergeordnet und tragen zur Verdichtung und Sättigung der zu generierenden Theorie bei. Eine Schlüsselkategorie ist eine Verdichtung der Hauptthemen, die im Transkriptionstext erscheinen und das Kernanliegen bzw. die Kernproblematik der Interviewpartner im Untersuchungsfeld ausdrücken. Strauss weist darauf hin, dass die Erstdefinitionen der Schlüsselkategorien, auch wenn sie noch provisorisch sind, schnell erfolgen sollten.36 Im weiteren Forschungsverlauf könne es dann zu einer genaueren Formulierung kommen. Je größer der Pool der erhobenen Daten, desto größer die mögliche Sättigung der Schlüsselkategorien. Welche Kategorie nun als Schlüsselkategorie zum Tragen kommen kann, wurde von Strauss durch sechs Kriterien wie folgt spezifiziert:37 • • • • • •
Die SK muss zentral sein, in Bezug zu möglichst vielen anderen Kategorien stehen. Die SK muss häufig im Material repräsentiert sein; durch häufige Erscheinungsweise wird sie zu einem stabilen Muster. Die SK lässt sich mühelos zu anderen Kategorien in Bezug setzen. Die SK besitzt eine klare Implikation im Hinblick auf ihre formale Theorie.38 Nach Analyse der SK kommt es zur Weiterentwicklung der Theorie. Durch die SK kann ein Phänomen in seiner Analyse in seiner maximalen Varianz dargestellt werden.
35 | Strauss, Anselm L. (1998), S. 65f. 36 | Ebd. S. 66. 37 | Ebd. S. 67. 38 | Die formale oder auch allgemeine Theorie steht einer bereichsbezogenen Theorie gegenüber. Beide Theorietypen können durch die komparative Analyse generiert werden. Eine formale Theorie wird für ein formales oder konzeptuelles Forschungsgebiet entwickelt, eine bereichsbezogene Theorie wird für ein materielles oder empirisches Forschungsgebiet entwickelt. Siehe dazu: Strauss, Anselm L. (1998), S. 303f.
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III.2.2 Datenauswertung nach Meuser und Nagel Meuser und Nagel gehen innerhalb der qualitativen Empirie dezidiert auf die Stellung und Bearbeitung des Experteninterviews innerhalb des qualitativen Erhebungsverfahrens ein und entwickelten ein eigenes methodisches Instrument der Datenerhebung, welches zur Grounded Theory grundlegende Parallelen aufweist.39 Experteninterviews nach Meuser und Nagel sind ebenfalls auf eine Theoriegenerierung angelegt. Das Interviewmaterial zielt in diesem Zusammenhang »auf die kommunikative Erschließung und analytische Rekonstruktion der ›subjektiven Dimension‹ des Expertenwissens ab«40. Ausgangspunkt der Theoriegenerierung sind hier subjektive Handlungsausrichtungen und Entscheidungsleitlinien des Experten in seinem fachlichen Kontext. In Anlehnung an Glaser und Strauss stellt das theoriegenerierende Experteninterview, ebenso wie die komparative Materialanalyse der Grounded Theory, einen Prozess der induktiven Theoriebildung dar. Die Konfiguration einer Typologie kann dabei eine Vorstufe der Theoriegerierung darstellen. Arbeitsschritte der Dateninterpretation nach Meuser und Nagel: 1. 2. 3. 4.
Paraphrase, Paraphrase mit (textnahen) Überschriften versehen, Thematischer Vergleich, Empirische Generalisierung (soziologische Konzeptualisierung).
Bei Meuser und Nagel wird zu Beginn des Interpretationsprozesses in einem ersten Arbeitsschritt die Sequenzierung und Paraphrasierung von thematischen Einheiten des Experteninterviews durchgeführt.41 Bei der Paraphrasierung geht es um eine textnahe Wiedergabe der Texteinheiten, die inhaltlich zusammen gehören. Es ist letztlich eine inhaltliche Verständigung über das, was seitens des Interviewten gesagt wurde. Wichtig ist, dass die Forscherin dabei noch in der Sprache des Falles bleibt. Die vorgenommene Verdichtung des Textes kann dabei durch Zitate belegt werden. Es handelt sich bei der Paraphrasierung noch um keine interpretative Arbeitsebene. Nach der Durchführung des ersten Arbeitsschrittes für einige Interviews entsteht langsam ein Katalog von Paraphrasen, die auf alle erhobenen Texteinheiten angewandt werden können.42 Im weiteren Textdiskurs benutzen Meu39 | Diese Unterschiede werden im weiteren Verlauf näher erläutert. 40 | Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2002/2), S. 38. Siehe zum Experteninterview auch Abels, Gabriele/Behrens, Maria (2002), Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2002/1).
41 | Vgl. Meuser, Michael/Nagel, Ulrike (2002/1), S. 81. 42 | Vgl. ebd. S. 84.
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ser und Nagel für den Begriff der Paraphrase deckungsgleich den Begriff der Kategorie. Damit greifen sie deutlich auf die Begrifflichkeiten von Glaser und Strauss zurück.43 Im zweiten Schritt der Auswertung wird das Interview in seiner Sequenzialität nach inhaltlichen Texteinheiten aufgebrochen. Die Paraphrasen werden mit (noch immer) textnahen Überschriften versehen, d.h. die Forscherin bleibt weiterhin in der Sprache des Experten verhaftet. Textpassagen, die inhaltlich miteinander verbunden sind, werden zusammengetragen und mit Hauptüberschriften versehen.44 Im dritten Arbeitsschritt wird schließlich der thematische Vergleich fallimmanenter und fallexmanenter Passagen vollzogen, das heißt, es werden »thematisch vergleichbare Textpassagen« aus relevanten Interviews miteinander verglichen. Die immer noch textnahen Überschriften/Kategorien zeichnen sich erstmalig durch »analytische und metaphorische Qualitäten«45 aus. Im Mittelpunkt des thematischen Vergleichs stehen die Fragen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden innerhalb der Expertenaussagen: Gibt es gemeinsame Positionen? Zu welchem Thema äußern sich alle Experten? Zu welchem Thema äußert sich zum Beispiel nur ein Interviewpartner? Diese und ähnliche Fragen sind bei der Textinterpretation der Vergleichsfälle von Bedeutung. Der vierte Arbeitsschritt beinhaltet eine endgültige Loslösung von der Terminologie der Interviewten. Die in Schritt drei gebildeten Überschriften und Begriffe werden nun in eine soziologische Terminologie übertragen, um eine Anknüpfung an einen allgemeinen Diskurs über bereits bestehende soziologische Theorien zu ermöglichen bzw. neue theoretische Erklärungsansätze zu erstellen.46 Das Analyseverfahren von Meuser und Nagel zielt ebenso wie die Grounded Theory von Glaser und Strauss auf eine Reduktion, Verdichtung, Strukturierung und Interpretation von Interviewtexten ab. Meuser und Nagel grenzen sich auf der definitorischen Ebene ab, indem sie andere Begrifflichkeiten innerhalb ihres Kodierparadigmas verwenden. Hinzu kommt, dass sich das zeitliche ineinander Verzahnen von Datenerhebung und Datenanalyse wie bei dem Theoretical Sampling47 bei ihnen per se nicht gegeben ist. Meuser und Nagel selbst nehmen einen engen Bezug zur Grounded Theory von Glaser und 43 | Da heißt es in diesem Kontext: »Allerdings ist weiterhin an einer textnahen Kategorienbildung festzuhalten, auf eine soziologische Terminologie sollte möglichst verzichtet werden.« Meuser, Michael/Nagel, Ulrike (2002/1), S. 84.
44 | Vgl. ebd. S. 84f. 45 | Ebd. S. 87; übernommen aus Strauss, A.L. (1987), S. 33. 46 | Vgl. Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2002), S. 38f. 47 | »Theoretisches Sampling meint den auf die Generierung von Theorie zielenden Prozess der Datenerhebung, währenddessen der Forscher seine Daten parallel erhebt, kodiert und analysiert, sowie darüber entscheidet, welche Daten als nächstes erhoben
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Strauss vor, grenzen ihre eigen Methodologie jedoch nicht systematisch davon ab. Dieser Aspekt, der durchaus kritisch zu betrachten ist, lässt sich in der Forschungspraxis damit begründen, dass die methodischen Kriterien sich tatsächlich sehr nahe kommen. Allein die zuvor festgelegte Rolle des Experten und das vorkonstruierte Interaktionsmodell zwischen Interviewer und Experte48 weisen eine grundlegende Differenz zur Grounded Theory auf. Weitere Unterscheidungsmerkmale beider Analyseverfahren sind darüberhinaus: •
• •
• •
Der Gesprächsverlauf des Experteninterviews bei Meuser und Nagel basiert auf einem zuvor seitens des Forschers geplanten Interaktionsmusters zwischen Interviewer und Befragtem. Das Experteninterview ist immer an einem offenen Leitfaden orientiert. Meuser und Nagel blenden die biographische Komponente des Experten komplett aus, sie konzentrieren sich auf die beruflichen Elemente und Wissensbestände. Glaser und Strauss benutzen die Memos neben den Kategorien als ein unterstützendes Analyseinstrumentarium. Glaser und Strauss gehen bei der Grounded Theory von dem »Prinzip der Offenheit« aus, d.h. die Forscherin stellt zunächst theoretische Vorstrukturierungen des Forschungsgegenstandes zurück.49
Im vorliegenden Forschungskontext wird das empirische Datenmaterial durch eine Methodenkombination der Grounded Theory mit dem Datenanalyseverfahren von Meuser und Nagel bearbeitet. Das Datenmaterial, welches sich aus 18 offenen, leitfadenunterstützten Experteninterviews konstituiert, wurde dabei in Anlehnung an die Grounded Theory mit der Terminologie von Glaser und Straus bearbeitet. Datenerhebung und Datenauswertung liefen im Rahmen meines Forschungsprozesses parallel, was ein methodologisches Charakteristikum des Theoretischen Sampling sowie der Grounded Theory darstellt. Da meine Forschungsfrage ganz zentral durch die Analyse von Experteninterviews beantwortet werden soll, wird ein Grundsatz der Grounded Theory, nämlich das Prinzip der Offenheit der Forscherin, durch das spezifische Verhältnis zwischen Interviewer und Befragtem modifiziert. Denn zur Ausarbeitung des offenen werden sollen und wo diese zu finden sind.« Siehe Glaser, Barney G./Strauss, Anselm L. (1998), S. 53.
48 | Zur Typisierung des Interviewers siehe ebd. S. 50ff. 49 | Dieses Konzept wurde später bei Glaser und Strauss noch um die Fähigkeit der »Theoretischen Sensibilität« ergänzt. Dabei steht dem Forscher ein schon vorhandenes theoretisches Vorwissen zur Verfügung, aus welchem er sich mit Sensibilität im Analyseprozess ein Instrumentarium von Kategorien und Hypothesen schaff t. Siehe dazu: Glaser, Barney G./Strauss, Anselm L. (1998), S. 54f.
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Leitfadens und zur persönlichen Positionierung des Interviewers in Bezug auf die Divergenz des Feldes und die Tiefe der Thematik galt es schon im Vorfeld der Analyse, dieses durch eine hypothetische Vorstrukturierung zu erfassen.
III.2.3 Beispielhafte Dokumentation der Datenauswertung mit Hilfe von ATL AS.ti ATLAS.ti50 ist ein Computerprogramm in englischer Sprache, welches entsprechend den Interpretationsparadigmen der Grounded Theory entwickelt worden ist. Der transkribierte Text wird dazu im txt-Format mit fortlaufender Zeilennummerierung abgespeichert und in ATLAS.ti geladen. Das Auswertungsprogramm unterstützt in erster Linie bei der Textverwaltung und Textstrukturierung der transkribierten Interviews. Dabei geht es, dem Interpretationsparadigma der Grounded Theory folgend, um eine Reduzierung des Textmaterials. Per Maske/Fenstertechnik werden Kodes erstellt, die wiederum kommentiert werden, dabei ist der gleichzeitige bildliche Zugriff auf unterschiedliche Arbeitsebenen möglich. Auf einer weiteren Funktionsebene können Memos verschriftlicht oder zusammengehörige Kodes bzw. Kategorien geclustert werden. Im Folgenden werde ich anhand des Kategorisierungsschemas nach Glaser und Strauss die Interpretationsschritte meines Datenmaterials mithilfe von ATLAS.ti veranschaulichen. Die für die Interpretation notwendigen Vergleichsdimensionen ergaben sich hier durch den im Experteninterview eingesetzten offenen Leitfaden, der für alle Interviewpartner ähnlich war. Angelehnt an die Forschungsfrage erfolgte als erster analytischer Arbeitsschritt das offene Kodieren des Interviewtranskriptes. In dieser Phase kodierte ich eng am Material und blieb dabei in der Sprache des Falles, um im späteren Verlauf eine Interpretation nahe am Fall gewährleisten zu können. Dabei untergliederte ich das Material in inhaltliche Texteinheiten und fasste diese kurz zusammen. Zeitgleich zum offenen Kodieren entwickelte ich einen Katalog von immer wiederkehrenden Kodes, die ich iterativ, d.h. nach Durchsicht des jeweils folgenden Interviewtextes, überprüfte und gegebenenfalls erweiterte. Auf diese Weise konnte der Kodekatalog auch fallübergreifend Anwendung finden. Die einzelnen Kodes wurden nach thematischen Einheiten einer Nummerierung zugeordnet, um die Bearbeitung zu systematisieren. Der Kodekatalog ist im vorliegenden Forschungsfall inhaltlich eng verknüpft mit zuvor konzipierten Themeneinheiten innerhalb des Leitfadens. Durch den offenen Charakter des Leitfadens entwickelten sich jedoch auch neue Themenaspekte, die durch die individuellen Relevanzsysteme der Interviewpartner zum Tragen kamen.
50 | Einen Überblick über EDV-gestützte Kodierung siehe: Kuckartz, Udo (1999).
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Tabelle 11: Kodekatalog Nummerierung
Kode
1.
Redaktion(-sraum)
1.1
Arbeitsabläufe in Redaktion
1.2
Arbeitsbedingungen in Redaktion
1.3
Entscheidungen in Redaktion
1.4
Technische Bedingungen in Redaktion
2.
Redaktionelle Bearbeitung
3.
Persönlicher Aufgabenbereich
4.
Persönliche Einordnung in Unternehmensstruktur/ Verbundenheit zum Unternehmen
5.
Personal in Redaktionsräumen
5.1
Personalentscheidungen
6.
Unternehmensstruktur
6.1
Unternehmensphilosophie, -politik
7.
Entwicklung der Zeitung
7.1
Konzeptionelle Veränderungen
8.
Druck
9
Vertrieb/Auflage
9.1
Anzeigenmarkt
10.
Bedeutung von M II für Medienproduzent
10.1
Bedeutung von M II für Türkei
11.
Konkurrenz zu türkischen Zeitungen
12.
Zusammenarbeit mit türkischen Zeitungen
13.
Besonderheit der Deutschlandausgabe/ Unterschied zum Mutterblatt
14
Zielgruppe
14.1
Unternehmensstrategie, um Auflage zu halten
15.
Veränderung der Marktstruktur auf M II
16.
Zukunft der türkischen Medien auf M II
16.1
Ökonomische Zukunft der türkischen Medien auf M II
17.
Funktion türkischer Medien für Immigranten
18.
Aydin Doğan – Johannes Rau
19.
Reflektion über deutsche Integrationspolitik
20.
Persönliche Interpretation der türkischen Medien
T EIL III: M ETHODISCHE V ORGEHENSWEISE DER D ATENERHEBUNG UND D ATENAUSWERTUNG
Auf diese Art und Weise wurde schon in der Phase des offenen Kodierens deutlich, welche Themenbereiche in den Experteninterviews expliziert wurden. Zeitgleich begann ich mit der Erstellung von Memos, um erste Textauffälligkeiten, Ideen oder erste theoretische Anknüpfungspunkte festzuhalten. Schon während des Prozesses des offenen Kodierens verwendete ich ATLAS.ti, um die umfangreichen Textmengen der Interviewtranskripte51 leichter inhaltlich zu erschließen und zu strukturieren. Im Folgenden sollen einige Screenshots meine Text-Bearbeitung mit ATLAS.ti veranschaulichen. Abbildung 3: Offenes Kodieren mit ATLAS.ti
Abbildung 3 zeigt einen Screenshot, der den Weg des offenen Kodierens mit ATLAS.ti veranschaulicht. Das breite Fensterhauptfeld zeigt den transkribierten Fließtext, dessen einzelne Textsequenzen markiert sind (blaue Markierung). Dem markierten Textbaustein wird dann ein Kode mit einer Nummerierung zugewiesen. In der rechten Spaltenhälfte wird auf diese Weise ein Kodekatalog entwickelt. Die zweifache Farbgebung (rot und schwarz) innerhalb des Kodekatalogs verweist auf sich überlappende Textsequenzen. Auf der Menüleiste befinden sich Schaltflächen (von links nach rechts), die die unterschiedlichen Fensteroptionen verbergen. Hinter dem ersten Fensterfeld befindet sich der Pri51 | 18 Interviewtranskripte in deutscher oder türkischer Sprache in einem Umfang von 15-40 Seiten.
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märtext (primary document), hinter dem zweiten Dokumentenfenster befindet sich eine Auflistung der Zitate (quotations) mit den dazugehörigen Eingangssequenzen. Hinzu kommt die Angabe der Zeilenlänge für jedes Zitat. Hinter dem dritten Dokumentenfenster befindet sich eine Auflistung der vergebenen Kodes (codes) mit der dazugehörigen Nummerierung (siehe Kodekatalog). Die Kodes lassen sich in einem Unterfenster kommentieren. Hinter dem vierten Dokumentenfenster befinden sich die angelegten Memos (memos), die sich ebenfalls gesondert kommentieren lassen. Abbildung 4 zeigt einen Screenshot, auf dem im Prozess des offenen Kodierens parallel zum markierten Primärtext die Dokumentenfenster Kodes und Memos geöffnet sind. ATLAS.ti bietet somit eine gute Möglichkeit der Textstrukturierung und -verwaltung. Abbildung 4: Offenes Kodieren mit ATLAS.ti mit parallel geöffneten Dokumentenfenstern
Nach der sehr arbeitsintensiven Phase des offenen Kodierens aller Interviews ging ich zum axialen Kodieren über, bei dem es um die Konkretisierung und Hierarchisierung der Kodes geht. Wie bereits zuvor dargestellt, liegt der Fokus in diesem Arbeitsschritt darin, eine Verdichtung der zuvor erhobenen Kodes vorzunehmen. Zu diesem Zweck erstellte ich in ATLAS.ti durch die Funktion Netzwerk (open network) eine erste Metaebene, auf der zusammengehörende Kodes in Clustern gebündelt wurden, um diese in einem weiteren Arbeitsschritt unter einer spezifizierteren Begrifflichkeit zusammenzufassen. Diese neue Be-
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grifflichkeit definiere ich im Folgenden in Anlehnung an Glaser und Strauss nicht als Kode sondern als Kategorie.52 Nach Strauss konzentriert sich die Analyse nun um die »Achse« dieser Kategorien.53 In dieser Vorstufe zum selektiven Kodieren bilden sich Kategorien heraus, die für diesen bestimmten Fall wesentliche Aspekte veranschaulichen. Auf dem nächsten Screenshot wird deutlich, wie ich diesen Arbeitsschritt in der Praxis ausführte. Abbildung 5: Mit ATLAS.ti erstelltes Cluster
Unter dem Fenster network benannte ich ein Netzwerk (Kategorie) und importierte thematisch dazugehörige Kodes aus dem Kodekatalog. Die neuen Kategorien wurden nach aussagekräftigeren, umfassenderen Überschriften benannt, die ein Kategoriencluster inhaltlich umschreiben können. Auf diese Art und Weise entstand ein reduzierter Katalog von Kategorien, die gegenüber den Kodes einen höheren Abstraktionsgrad aufweisen. In einem weiteren Arbeitsschritt wurden dann die Kategorien in einem Netzwerk zusammengefasst, um so ein möglichst spezifisches Bild meiner Experteninterviews bzw. der einzelnen Fälle, somit der Printmedienunternehmen, zu erhalten. Das selektive 52 | Im Prozess des offenen Kodierens verwenden Glaser und Strauss die Begrifflichkeit des Kodes, während des axialen Kodierens erstellen sie Kategorien. Ich übernehme diese Änderung der Begrifflichkeiten, um den Stand meines empirischen Analyseprozesses genauer dokumentieren zu können. Siehe dazu: Strauss, Anselm L. (1998), S. 62f.
53 | Vgl ebd. S. 63.
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Kodieren setzte nahtlos an das axiale Kodieren an. In diesem Kontext kodierte ich zunächst innerhalb der einzelnen Interviews, dann innerhalb der einzelnen Fälle54 nach den Variablen, die auf eine Schlüsselkategorie hinweisen. Alle anderen Kodes wurden diesen signifikanten Kodes untergeordnet und standen in diesem Stadium nicht mehr im Fokus der Exploration, bilden aber dennoch die Basis zur Entwicklung der späteren Schlüsselkategorien. Es wurden somit die zentralen Kodes, die diesem Interview besondere Aussagekraft und Charakteristik verliehen, herausgearbeitet. Die zentralen Kodes, die ein Printmedienunternehmen charakterisieren, wurden erst fallimmanent, dann fallexmanent miteinander verglichen. Den Schlüsselkategorien kommt nach Strauss eine besondere Bedeutung zu; sie spiegeln das Hauptthema, das besondere Anliegen der Interviewten wieder, sie erklären »den größten Teil der Variationen eines Verhaltensmusters«55 eines Falles und sind Anknüpfungspunkte für die spätere Theoriegenerierung. Meine empirische Vorgehensweise bestand darin, dass ich die zwei Interviews, die einen Fall beschreiben, kodierte, kategorisierte, die SK bildete und die Ergebnisse ständig miteinander verglich. Durch eine systematische Fallkontrastierung minimaler und maximaler Art zeigten sich innerhalb der acht Fälle56 sehr bald Unterschiede und Gemeinsamkeiten, welche sukzessive zu folgenden fallübergreifenden Vergleichsdimensionen entwickelt wurden: • • • • •
Arbeitsprofessionalität, Originäres Interesse auf Medienmarkt II, Unternehmensstrategie, Zielgruppenwahrnehmung, Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten.
Kelle und Kluge (1999) verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff Vergleichsdimension, anhand derer, in Anlehnung an Glaser und Strauss, durch eine systematische Fallkontrastierung eine Materialanalyse erfolgt. Glaser und Strauss entwickelten die Vergleichsdimensionen im Theoretical Sampling und nennen diese Schlüsselkategorien. Im Folgenden verwende ich den Begriff der Schlüsselkategorie. Mittels minimaler und maximaler Kontrastierung der Vergleichsfälle werden sowohl relevante Kategorien erstellt als auch im späteren Verlauf eine Explikation ihrer theoretischen Eigenschaften ermöglicht.57 Die Grundlage der Typenbildung nach Kelle und Kluge (1999) bildet der Fallvergleich bzw. die Fallkontrastierung, an die sich in einem weiteren Arbeits54 | In diesem Forschungskontext wird ein Fall durch die Exploration zweier Interviews beschrieben und analysiert.
55 | Vgl. Strauss, Anselm L. (1998), S. 65. 56 | Die acht Fälle sind: Hürriyet, Zaman, Cumhuriyet, Dünya, Perşembe, Post, Detay, etap. 57 | Vgl. Barney G./Strauss, Anselm L.(1998), S. 62f.
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schritt die Erstellung einer Typenbildung anschließen kann. Nach Kelle und Kluge werden Typen gebildet, »um komplexe soziale Realitäten und Sinnzusammenhänge zu erfassen«58 . Eine Typenbildung bildet dabei das Bindeglied zwischen Empirie und Theorie und bereitet den Boden für eine empirisch begründbare Theoriebildung. Durch eine Fallkontrastierung werden ähnliche Fälle in einer Gruppe zusammengefasst und von möglichst differenten Fällen separiert. Trotz unterschiedlicher Merkmale können die einzelnen Fallgruppen in Teilelementen Überschneidungen aufweisen. Kelle und Kluge unterteilen den Prozess der Typenbildung in vier Teilschritte:59 1. Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen als Basis zur späteren Typenbildung, 2. Gruppierung der Fälle und Analyse empirischer Regelmäßigkeiten, 3. Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge, 4. Charakterisierung der gebildeten Typen. Die praktische empirische Vorgehensweise meiner Untersuchung orientierte sich an der Grounded Theory und führt über eine minimale und maximale Kontrastierung zusammengelegter fallimmanenter Fälle zur Entwicklung der Schlüsselkategorien/Vergleichsdimensionen, um von dort aus zu einer Typologie zu gelangen, die die Heterogenität des untersuchten Samples reflektiert.
58 | Vgl. Kelle, Udo/Kluge, Susann (1999), S. 75. 59 | Vgl. ebd. S. 81ff.
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Teil IV: Empirische Auswertung IV.1 E XEMPL ARISCHE F ALLBESCHREIBUNGEN Einleitend in den empirischen Teil der Arbeit werden drei Fallbeschreibungen vorgestellt. Ziel ist es, anhand dieser ausgewählten Beispiele das Untersuchungsfeld plastischer darzustellen und einleitend in den empirischen Hauptteil drei Printmedienproduzenten mit ihrem dazugehörigen Printmedienprodukt vor dem Hintergrund unterschiedlicher ökonomischer Ausgangsbedingungen zu porträtieren. Dabei handelt es sich um deskriptive Darstellungen ausgewählter deutsch-türkischer Printmedienproduzenten, die im Rahmen des Forschungsvorhabens die Samplingstruktur mitkonstituieren. Die Fallbeschreibungen sind sowohl durch empirisches Datenmaterial als auch ergänzend durch Sekundärliteratur rekonstruiert worden.1 Das empirische Datenmaterial besteht in diesem Abschnitt größtenteils aus Daten und Faktenwissen über Arbeitsorganisation und Arbeitsprozesse und ist damit Bestandteil internen Betriebswissens, welches im Rahmen der Experteninterviews erhoben wurde. Die Fallbeschreibungen sind an ein bestimmtes inhaltliches Schema angelehnt, um im weiteren Verlauf eine Vergleichbarkeit zwischen den drei dargestellten Medienproduzenten zu ermöglichen. Unter der Überschrift »Geschichte« werden die Entstehungsgeschichte und die Besitzstruktur der Zeitung dargelegt. Es folgen im Kapitel »Erscheinungsform« eine Einordnung des Printmedienproduktes in allgemeingültige Klassifizierungen und eine Kurzbeschreibung der Zeitung. Im Anschluss daran folgt das Kapitel »Produktionsablauf«. Darunter sind redaktionelle Arbeitsprozesse, Entscheidungsabläufe und im Besonderen das Thema »Endredaktion der Texte« subsummiert. Eine Darstellung des Themas »Druck und Vertrieb« schließt die jeweilige Fallbeschreibung ab.
1 | Alle nachfolgenden Zitate aus den türkischen Interviews wurden von der Autorin in die deutsche Sprache übersetzt.
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IV.1.1 Hürriyet IV.1.1.1 Geschichte Die Tageszeitung Hürriyet (Freiheit) wurde am 1. Mai 1948 von Sedat Semavi gegründet.2 Das Blatt wurde als Massenblatt konzipiert und sollte von Beginn an eine entsprechend hohe Auflagenzahl erreichen. Zu diesem Zweck wurde ein für den türkischen Pressemarkt (M I) neuer Zeitungsstil entwickelt: Kurze Artikel und in einfacher Sprache gehaltene Texte wurden durch farbige Fotos optisch untermalt. Politische und gesellschaftliche Themen wurden nicht mehr wie bisher in langen Artikeln auf sprachlich hohem Niveau erstellt, der Sparte des Unterhaltungsjournalismus wurde mehr Raum beigemessen. Auf diese Weise avancierte die Hürriyet innerhalb kürzester Zeit zur auflagenstärksten Zeitung der Türkei. Ein journalistisch kompetenter und erfahrener Redaktionsstab, gepaart mit modernster Drucktechnik, trugen ebenso zum Erfolg der Zeitung bei. In einer Vorbereitungszeit von zwei Jahren hatte Sedat Simavi die Herausgabe der Zeitung geplant. Neben erfahrenen Journalisten und eigenen Korrespondenten gewann die Zeitung durch den Einsatz neuer gestalterischer Elemente wie Farbbildern, verändertem Seitendesign, Karikaturen und Eigenwerbung eine enorme Anziehungskraft auf die Leser. Schon im ersten Jahr erreichte die Zeitung eine Auflage von 30.000 Stück, 1949 betrug die Auflage 56.000, 1950 83.000 Exemplare und 1951 überschritt sie die Auflagenzahl von 100.000.3 Zu Beginn der 50er Jahre gründete die Hürriyet ihren eigenen Zeitungsvertrieb. In den 70er Jahren wandelte die Zeitungsfamilie Simavi die Zeitung Hürriyet mit all ihren Nebenunternehmen in die Hürriyet Holding A.Ş.4 um; 1993 wurden 25 % des Unternehmens erstmals an den Besitzer des Fernsehkanals Show TV, Erol Aksoy, verkauft. Im Juni 1994 wurde die Hürriyet Holding komplett von dem Großindustriellen Aydın Doğan erworben. Die Europaausgabe der Hürriyet in Frankfurt ging allerdings erst 1999 an die Doğan Gruppe5 über. Seither befindet sich eine der auflagenstärksten Zeitungen der Türkei und gleichzeitig die auflagenstärkste türkische Tageszeitung in Deutschland im Besitz der Doğan Media Gruppe (DMG), welche durch die Doğan Media International GmbH in Mörfelden-Walldorf ansässig ist.6 2 | Vgl. İnuğur Nuri (1992), S. 231ff. 3 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 102f. 4 | Tr.: Anonim Şirketi, dt. Aktiengesellschaft. Die Hürriyet Holding A.Ş. war das erste börsenorientierte Aktienunternehmen im Mediensegment in der Türkei.
5 | Die zur Hürriyet gehörende hauseigene Druckerei in Frankfurt a.M. war nicht Bestandteil der Handelvereinbarung. Diese blieb zunächst Eigentum der Simavi Familie und wurde später an die Star Gruppe veräußert. Siehe dazu Interview I, Z. 442-452.
6 | Verlag Doğan Media International GmbH, An der Brücke 20-22, D-64546 MörfeldenWalldorf, Zentrale Türkei, Güneşli, Istanbul, Herausgeber: Aydın Doğan, Chefredakteur: Ertuğrul Özkök, Chefredakteur der Auslandsausgabe: Nejat Seçen, Geschäftsführerin des
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Seit 1969 wird die Hürriyet auch in Deutschland verkauft. Zunächst wurden die Zeitungen, welche in Paketen per Flugzeug geliefert wurden, von einer Vertriebszentrale bei Köln europaweit vertrieben.7 Auf diese Weise erhielten die Rezipienten die Türkeiausgabe der Hürriyet erst einige Tage nach dem Druck. Aufgrund der Nähe zum Frankfurter Flughafen wurde ab 1971 bei Frankfurt eine hauseigene Druckerei gegründet. Die Zeitung wurde als Film per Flugzeug nach Frankfurt geschickt, um einige wenige aktuelle Neuerungen geändert, gedruckt und in Deutschland über eine deutsche Vertriebsfirma im Handel verkauft. Zeitungen für das nichtdeutsche europäische Umland wurden wiederum per Flugzeug weitergeleitet und von dort vertrieben. Zu dieser Zeit besaß die Hürriyet keine Tagesaktualität, war jedoch neben der Briefpost eine der wenigen Informationsquellen für türkische Migranten. Mit der Verlagerung des Druckes nach Frankfurt wuchs über einen Zeitraum von 25 Jahren auch schrittweise der in Deutschland erstellte redaktionelle Anteil.
IV.1.1.2 Erscheinungsform Die Hürriyet ist, angelehnt an ihre Türkeiausgabe, eine überregionale Tageszeitung, wird in Deutschland als Kaufzeitung zum Preis von einem Euro verkauft und erscheint an sieben Tagen in der Woche. Der redaktionelle Anteil der Zeitung beträgt rund 80 %, der Werbeanteil 20 %.8 Die Hürriyet agiert ökonomisch auf zwei verschiedenen Märkten, dem Rezipientenmarkt und dem der werbetreibenden Wirtschaft. Im Mittelteil der Zeitung erscheint täglich der rund vierseitige Teil Hürriyet Europa, in dem, mit dem Schwerpunkt Deutschland, Nachrichten aus Deutschland aber auch aus den übrigen europäischen Ländern, in denen türkischstämmige Rezipienten leben, publiziert werden. Die ausgewählten tagesaktuellen Themen der Deutschland- bzw. Europapolitik stehen meist in einer engen Beziehung zu den Rezipienten oder es werden Nachrichten über die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland (TBiD) publiziert. Hinzu kommen Kolumnen von bekannten Istanbuler Journalisten. Ein erster Ansatz regionaler Berichterstattung besteht durch die 20059 eingeführte wöchentliche Beilage Hürriyet Region »5 Bundesländer Spezial« (Hürriyet Bölge, 5 Eyalete çok özel), durch welche eine engere Kundenbindung erreicht werden soll. Nach Aussage der Geschäftsführerin des Verlags Doğan Media International GmbH handelt es sich bei der Auslandsausgabe10 der Hürriyet in Deutschland Verlags Doğan Media International GmbH: Sevda Boduroğlu. Siehe dazu Anhang G: Liste der Unternehmen, die zur Doğan Medien Gruppe gehören.
7 | Vgl. Printmedium 1, Interview I, Z. 20. 8 | Vgl. Fragebogen von Interviewpartner 2, S. 2. 9 | Nach telefonischer Auskunft der Redaktion der Hürriyet Deutschland in Frankfurt am 13.12.2007.
10 | Eigenbezeichnung der Hürriyet im Impressum der Ausgabe in Deutschland.
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um eine Nachrichtenmarke, die seit fast vierzig Jahren ununterbrochen für die Türken in Deutschland erscheint. Die Zeitung wird in 21 Ländern der Welt verkauft. Seit dem Jahr 2006 wird die Hürriyet auch in den USA gedruckt.11 Die Zeitung besteht aus 32 Seiten:12 Seite 1
Titelseite (Angelehnt an die Titelseite der Türkei-Ausgabe der Hürriyet werden einige Kurzmeldungen aus Deutschland plus Photos hinzumontiert.) Seite 2 Türkisches TV Programm und TV-Magazin-Reportagen Seite 3-11 Rubrik: Aktuelles/Gesellschaft (Güncel/Toplum), Berichte aus der Türkei, acht Kolumnen Seite 12-14 Rubrik: Wirtschaft (Ekonomi), 2 Kolumnen Seite 15-19 Rubrik: Europa (Avrupa), Berichte mit dem Themenschwerpunkt Deutschland, deutsche Innenpolitik und TBiD, zwei Kolumnen (zum Thema: die Nutzen des Studiums von Atatürks Reden und die Krim Türken) Seite 20 Rubrik: Welt (Dünya), eine Kolumne Seite 21 Rubrik: Türkei täglich (Türkiye Günlüğü) Seite 22 Rubrik: Presseauswahl (Basından Seçmeler), kommentierte Auswahl der türkischen Tagespresse, eine Kolumne Seite 23 Rubrik: Leben (Yaşam), eine Kolumne Seite 24-26 Rubrik: Anzeigen (Ilan) Seite 27 Rubrik: Rätsel (Bulmaca) Seite 28-31 Rubrik: Sport (Süperspor), eine Kolumne Seite 32 Rückseite: Boulevardstil Seit dem Frühjahr 2002 liegt der Tageszeitung Hürriyet in Deutschland wöchentlich ein achtseitiges deutschsprachiges Supplement bei. In diesem ist über dem Namenszug Hürriyet Europa eine Flagge montiert, die eine Symbiose zwischen türkischer Nationalflagge und der Flagge der Europäischen Union darstellt. Die Hälfte der acht Seiten besteht aus dem wöchentlichen Fernsehprogramm des deutschen Fernsehens, die restlichen vier Seiten beinhalten quellenlose, bebilderte Kurzberichte bzw. -meldungen über die aktuelle Musik- und Kinoszene sowie die Top 10 des deutschen Musik-Single- und -Alben-Marktes. Ein einziger Artikel bezieht Stellung zum Thema der deutsch-türkischen Doppel-
11 | Vgl. Sevda Boduroğlu (Geschäftsführerin von Hürriyet International GmbH), bisher unveröffentlichte Diskussion auf dem Medienforum nrw am 05.07.2005 in Köln zum Thema »Medien ohne Grenzen — Interkulturelles Medienschaffen und mediale Integration«.
12 | Am Beispiel der Hürriyet Deutschland Ausgabe vom 20.05.2005.
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staatsangehörigkeit. Die anderen Artikel13 haben »yellowpress-Charakter« und könnten Bestandteil jedes deutschen Yellowpress-Magazins sein. Ausgehend von den Überschriften der Hürriyet Europa Ausgabe14 bleibt unklar, an wen sich das Supplement wendet. Der redaktionelle Eigenanteil der Frankfurter Hürriyet-Redaktion beschränkt sich auf Übersetzungsleistungen von Kurznachrichten und deren Wiedergabe. Im Inneren des Supplements liegt ein zweites, diesmal türkischsprachiges, Supplement mit dem Titel »Hürriyet Region, 5 Bundesländer Spezial« (Hürriyet Bölge, 5 Eyalete çok özel) bei. Die Berichte auf diesen vier Seiten sind im MBQ-Stil verfasst und berichten von Aktivitäten der TBiD in fünf Bundesländern. Seite vier widmet sich dem Fußball respektive den Spielergebnissen türkischer Fußballmannschaften in deutschen Regional-, Kreis- und Bezirksligen. Im Sommer 2006 wurde die Herausgabe des deutschsprachigen Supplements eingestellt und im Frühjahr 2007 durch die Einführung einer neu gestalteten Beilage ersetzt.15 Diese ist inhaltlich und sprachlich zweigeteilt. Unter dem Titel »Young Hürriyet« erscheint ein vierseitiger, deutschsprachiger Teil, der primär die Zielgruppe türkischstämmige Jugendliche in Deutschland anspricht und verstärkt Themen wie Weiterbildung und Ausbildung beinhaltet und diese mit seriös bebilderten Dokumentationen von Erfolgsgeschichten türkischstämmiger junger Menschen untermalt. Dieser Teil scheint von jungen weiblichen und männlichen Deutsch-Türken gestaltet zu sein und gibt sich ausgesprochen modern und offen. Der zweite Teil der Beilage besteht aus einem achtseitigen türkischsprachigen Regionalteil,16 in dem gesellschaftliche und sportliche Ereignisse innerhalb der deutsch-türkischen Community der jeweiligen Region vorgestellt werden.
IV.1.1.3 Produktionsablauf Die Hürriyet-Ausgabe in Deutschland entsteht durch eine enge Kooperation des Redaktionsteams der Istanbuler Zentrale, genannt »Deutscher Tisch« (Alman Masası), mit der Redaktion der Zentrale des Verlags der Doğan Media International GmbH in Frankfurt, die rechtlich gesehen als unabhängige und eigenständige Tageszeitung auf dem deutschen Medienmarkt agiert. In der Praxis 13 | Überschriften: Kreatives Schreiben will gelernt sein, Wave-Gothic-Treffen in Leipzig, Kult oder Todsünde? Sarah Connor lässt tief blicken, Patrice wurde von Neonazis gejagt, Aniston: Schlank durch Kampfsport, Premiere von Star Wars III, Doppelpass ist kein Verbrechen, Sport und Kochen als Teil der Bildung, Chemnitzer Studenten beim Shell Eco-Marathon, Brothers keeps gegen rechts, Max Mutzke startet Tournee, Campino hält im Fußball zu England, Kylie Minouge sagt Konzerte ab, Wie stark bist du? (Persönlichkeitstest).
14 | Hürriyet Europa, Freitag, 20. Mai 2005. 15 | Am Beispiel der Ausgabe Nr. 12, 25. Mai 2007. 16 | Erscheint in NRW für die Region Duisburg, Dortmund, Düsseldorf, Bielefeld, Aachen und Neuss.
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handelt es sich um eine türkische Tageszeitung, die in enger Kooperation mit dem Mutterblatt für ihre türkischstämmigen Leser im Ausland Auslandsausgaben produziert. Die Hürriyet-Ausgabe für Deutschland nimmt dabei im Kanon der Hürriyet-Auslandsausgaben insgesamt einen besonderen Stellenwert ein.17 Der »Mantel« der Zeitung inklusive Titelseite wird in der Istanbuler Redaktion erstellt. Zeitgleich arbeitet die Frankfurter Redaktion an der Erstellung der Europa-Seiten (vier Seiten) bzw. der wöchentlichen Sonderbeilage. Die Titelseite der türkischen Hürriyet-Ausgabe wird für die Europaausgabe modifiziert. Dazu werden beispielsweise andere Überschriften gewählt, deutschland- oder europabezogene Berichte und Photos hinzu montiert oder unterschiedlich platziert und optisch hervorgehoben. Das fertiggestellte Redaktionsmaterial aus Frankfurt, welches in Zusammenarbeit mit den fünf Redaktionsbüros und durch freie Mitarbeiter erarbeitet ist, wird nach Istanbul gesendet, dort redigiert, gesetzt und per Computer zum Druck nach Frankfurt zurückgesendet.18 Die Endredaktion des Textmaterials in Deutschland obliegt faktisch dem Chefredakteur der Frankfurter Zentrale. Da die Gesamtzeitung jedoch vom »Deutschen Tisch« in der Istanbuler Zentrale zusammengestellt und montiert wird, liegt die Endredaktion in der Praxis beim Chefredakteur des »Deutschen Tisches«, der wiederum gegenüber dem Chefredakteur der Hürriyet-Türkei verantwortlich ist. Dieser stellt die letzte Entscheidungsinstanz dar.19 Kurz vor dem Druck und im Verlauf des Druckprozesses können dann immer noch aktuelle Ergänzungen vorgenommen werden. Die redaktionellen Inhalte der Hürriyet-Ausgabe in Deutschland erarbeiten demnach parallel drei Redaktionen: 1. die Zentrale Istanbul, 2. die Zentrale Franfurt am Main, 3. die regionalen Redaktionsbüros. Zwischen der Zentrale in Istanbul und der Zentrale des Tochterunternehmens in Frankfurt besteht eine gemeinsame PC-Arbeitsplattform, welche die räumliche Trennung zwischen den beiden Redaktionen de facto aufhebt. Von Frank17 | Dieser besondere Stellenwert ergibt sich durch die Tatsache, dass allein in Deutschland rund 2,4 Mio. türkischstämmige Rezipienten leben, somit die größte türkischstämmige Diaspora außerhalb des türkischen Mutterlandes lebt und diese vierzig Jahre nach Beginn der türkischen Arbeitsmigration nach Deutschland immer noch eine enge kulturelle und emotionale Bindung an das Mutterland persistieren. Siehe auch: Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2005), danach lebten 2003 in Deutschland 1,88 Mio. Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft, hinzukommen rund 549.000 Deutsche türkischer Abstammung nach Einbürgerung (1995-2003).
18 | Vgl. Interview 1, Türkische Tageszeitung, Z. 146-168. 19 | Vgl. Interview 1, Türkische Tageszeitung, Z. 265-282.
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furt aus findet die Kommunikation zu den regionalen Redaktionsbüros und den freien Mitarbeitern statt. In der Frankfurter Zentrale arbeiten rund 50 Personen in den unterschiedlichsten Bereichen.20 Die Redakteure in den regionalen Redaktionsbüros in Deutschland leiten ihre Arbeiten täglich an die Frankfurter Zentrale weiter. Neben der Zentrale in Frankfurt gibt es fünf regionale Redaktionen21, wobei die Redaktion im Hauptstadtbüro Berlin die größte ist. Dort sind drei festangestellte Redakteure und vier freie Mitarbeiter tätig.22 Die morgendlichen Redaktionssitzungen dienen der inhaltlichen Absprache und der Arbeitsaufteilung. Zwei inhaltliche Blöcke stehen im Mittelpunkt der Berliner Redaktionsarbeit: die tagesaktuellen bundespolitischen Ereignisse und die Ereignisse aus der türkischstämmigen Berliner Community. Entscheidungen der Berliner Redaktion werden im Team unter der Leitung des Chefredakteurs besprochen, der im Dialog mit der Frankfurter Redaktion steht.23 In Istanbul sind »10 Personen damit beschäftigt, den Dialog mit der Redaktion in Deutschland zu halten, deren Nachrichten zu verfolgen und die hiesigen Seiten zu erstellen«24. Personalentscheidungen für die Hürriyet Deutschland werden vom Management in Frankfurt getroffen, Empfehlungen für regionale Korrespondenten werden zuvor von den Regionalbüros ausgesprochen.25 Die Redaktionen stehen, im Zusammenhang mit Schlüsselentscheidungen im Bereich Management und Redaktion, in einem horizontalen hierarchischen Verhältnis zueinander. Gleichzeitig bestehen innerhalb der einzelnen Redaktionen in Frankfurt und in den Regionen innerhalb ihrer Funktionsebene eigenständige Entscheidungsfreiräume. Journalisten und Redakteure vor Ort selektieren letztlich aus einem großen Pool an Informationen zielgruppenrelevante Inhalte. Die Selektion der relevanten Medieninhalte ist dabei eng gekoppelt an eine soziale und emotionale Nähe zur Zielgruppe, diese ist letztlich am effektivsten von der Basis zu leisten. Jedes regionale Redaktionsbüro in Deutschland hat einen Chefredakteur, der wiederum gegenüber dem Chefredakteur in Frankfurt verantwortlich ist. Dieser steht dagegen in enger Verbindung mit dem Verantwortlichen des »Deutschen Tisches« in Istanbul.
20 | Redaktion, Druck, Werbung, Graphik, Design und Management; vgl. Interview 1, Türkische Tageszeitung, Z. 371-380.
21 | Berlin, Hamburg, Hannover, Köln, München, siehe Hürriyet vom 20.05.2005, S. 10. 22 | Vgl. Interview 2, Türkische Tageszeitung, Z. 18-20. 23 | Vgl. Interview 2, Türkische Tageszeitung, Z. 129-143. 24 | Interview 1, Türkische Tageszeitung, Z. 362-365. 25 | Vgl. Interview 2, Türkische Tageszeitung, Z. 166-175.
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Daraus ergibt sich folgende interne Kommunikationsstruktur: Abbildung 6: Internes Kommunikationsmodell der Hürriyet Europa
IV.1.1.4 Druck und Vertrieb Von 1969 bis 1971 wurden die gedruckten Türkeiausgaben der Hürriyet per Flugzeug eingeflogen und ab Köln an einen deutschen Vertrieb weitergegeben.26 Der erste Druck der Hürriyet in Deutschland erfolgte ab 1971 in der Ter-Druckerei der Zeitung Tercüman in Frankfurt a.M. Im Jahr 1973 gründete der damalige Zeitungsherausgeber Erol Simavi in Seppenheim bei Frankfurt eine hauseigene Druckerei. Die Zeitung wurde täglich auf einer Matrix und später auf einem Film von Istanbul nach Frankfurt geflogen. In Frankfurt bestand noch die Möglichkeit, aktuelle Veränderungen einzugeben. Die Zeitung erschien dadurch erst einen Tag nach der Türkei-Ausgabe.27 Aufgrund technischer Probleme kam es in dieser Zeit immer wieder zu Zeitverzögerungen im Druck und damit auch im Vertrieb.28 Der Vertrieb erfolgte damals über die Firma Saarbach bei Frankfurt. In der Druckerei in Seppenheim wurden neben der Hürriyet auch andere türkische Zeitungen gedruckt, wodurch sich der Druckbereich ökonomisch rentierte. Mit fortschreitender technologischer Entwicklung, der Einführung der Computertechnik, konnte die Hürriyet-Deutschlandausgabe tagesaktuell erscheinen. Nach der Verkaufsübereinkunft zwischen Erol Simavi und Aydın Doğan über die Zeitung Hürriyet 1995 blieb die Hürriyet Deutschland für weitere fünf Jahre im Besitz von Simavi und ging erst im Jahr 2000 an die Doğan-Gruppe über. Die Zeitung Hürriyet wurde in der Türkei schon seit 1995 in die Struktur der Doğan-Gruppe eingegliedert, die Hürriyet Deutschland folgte erst fünf Jahre später. Über die dazugehörige Druckerei in Seppenheim hatte man sich nicht ver26 | Vgl. Interview 1, Türkische Tageszeitung, Z. 15-25. 27 | Vgl. Interview 1,Türkische Tageszeitung, Z. 34-50. 28 | Flugzeugverspätung, Streik im Luftfahrtwesen, Verspätung im Druck, vgl.: Interview 1, Türkische Tageszeitung, Z. 52-55.
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ständigen können und so blieb diese zunächst im Besitz der Familie Simavi. Ab dem Jahr 2000 wurde die Hürriyet Deutschland noch für einen kurzen Zeitraum in der Simavi-Druckerei hergestellt. Nach deren Verkauf an die Uzan-Gruppe29 wurde der Druck der Hürriyet in der Druckerei in Seppenheim komplett eingestellt. Es folgte eine, was Druck und damit auch Vertrieb der Zeitung betrifft, schwierige Phase von einem Jahr, in der die Hürriyet kurzzeitig wieder in der Ter-Druckerei der Tercüman gedruckt wurde, die parallel dazu aber auch andere überregionale Druckereien nutzte. Während dieser Zeit war das Unternehmen mit überdurchschnittlich hohen Mietkosten und Personalkosten belastet. Hinzu kam der Faktor der redaktionellen Inflexibilität. Aus diesen Gründen entschloss sich der Verlag Doğan Media International GmbH zum Bau einer neuen Druckerei. Trotz bereits im Jahr 2000 sinkender Auflagenzahlen der Hürriyet in Deutschland sprachen vier Gründe für den Bau einer eigenen Druckerei:30 1. 2. 3. 4.
Rentabilität, Flexibilität, Zentralisierung, Gewährung der Qualität der Zeitung.
Dem Faktor Rentabilität, somit der ökonomischen Komponente, kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, weil es sich nicht mehr nur um Druck und Vertrieb einer hauseigenen Zeitung, sondern um den Druck von drei Tageszeitungen und einer Wochenzeitung handelt.31 Neben dem Druck hauseigener Medienprodukte werden auch eine Reihe anderer Fremdprodukte angefertigt.32 Ein zeitlich zuverlässiger Druck ist auch für den zeitgerechten Vertrieb, der gegenwärtig durch den Axel-Springer-Verlag durchgeführt wird und deutschland- und europaweit erfolgt, unabdingbar. Im Juli 2002 erfolgte dann die offizielle Einweihungsfeier der neuen Druckerei33 in Mörfelden-Walldorf, zu
29 | Die Uzan-Gruppe brachte kurzzeitig die Tageszeitung Star heraus. 30 | Vgl. Interview 1, Türkische Tageszeitung, Z. 484-494 und Interview 2, Türkische Tageszeitung, Z. 228-237.
31 | Hürriyet, Milliyet, Fanatik, Hafta Sonu. 32 | Vgl. Interview 2, Türkische Tageszeitung, Z. 234-237. 33 | Nach eigenen Angaben betrug das Investitionsvolumen für die neue Druckerei 25 Mio. Euro. In einer Extrabeilage der Hürriyet anlässlich der Einweihung der Druckerei (vom 05.07.2002) wird das Ereignis unter der Überschrift: Ein historischer Tag folgendermaßen kommentiert: Die Türkei und Deutschland kamen zur Eröffnung der super Druckerei der Doğan Gruppe in Frankfurt zusammen. Während sich die Bundespräsidenten beider Länder mit ihren Erfolgsbotschaften vereinten, wünschten sich unsere deutschen Freunde viele solcher erfolgreichen Investitionen. Siehe Beilage der Hürriyet vom 05.07.2002.
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der hochrangige Prominenz aus Wirtschaft und Politik beider Länder geladen waren und die dem Charakter eines Staatsaktes nahe kam.
IV.1.2 Cumhuriyet IV.1.2.1 Geschichte Nach der Proklamation der Türkischen Republik kam es am 7. März 1924 zur Gründung der Cumhuriyet durch Yunus Nadi,34 einem Weggefährten Mustafa Kemal Atatürks und CHP-Parlamentariers. Nadi hatte zuvor in Istanbul die Zeitung Yeni Gün (1921) herausgegeben, die als Organ der türkischen Unabhängigkeitsbewegung fungierte und zeitweise in Ankara produziert wurde. Anstelle der Yeni Gün gab er ab dem 7. März 1924 die Zeitung Cumhuriyet, eine völlig neu konzipierte Zeitung heraus. Von Beginn an war diese mit dem ideologischen Ideengut des Kemalismus eng verwurzelt, sie bildete sozusagen eine publizistische Plattform für die neue politische Elite und Intelligenzija und stand damit schon immer in einem Spannungsverhältnis zur traditionalistisch-konservativen Elite des Landes. Die Zeitung wird von türkischen Pressehistorikern auch als »Atatürks Zeitung« bezeichnet.35 So war er beispielsweise für die Namensgebung Cumhuriyet (Republik) verantwortlich. Nach einer intensiven Vorbereitungsphase entwickelte Yunus Nadi, der das Blatt politisch bis zu seinem Tod im Jahr 1945 prägte, eine seriöse Qualitätszeitung, die inhaltlich und stilistisch auf einem qualitativ hohen Niveau einen ganz eigenständigen Weg nahm und diesen bis heute verfolgt.36 Nach dem Tod von Yunus Nadi übernahm zunächst sein Sohn Nadir Nadi die Herausgeberrolle seines Vaters und übte diese bis zu seinem Tod im August 1991 aus.37 Der Übergang der türkischen Presse von der Elitenpresse zur Volkspresse veränderte sicherlich auch die Cumhuriyet, führte aber nicht zu einer Orientierung an der Boulevardpresse.
34 | Neben Yunus Nadi gab es anfänglich noch einen zweiten Teilhaber an der Zeitung, Zekeriya Sertel, der seiner Teilhaberschaft aufgrund wachsenden Kapitaleinsatzes nicht mehr nachkommen konnte und sich von seinen Anteilen trennte. Nadi wird deshalb häufig als alleiniger Gründer der Cumhuriyet genannt, siehe dazu: İnuğur, Nuri (1992), S. 69.
35 | Vgl. ebd., S. 64. 36 | Yunus Nadi war der Ansicht, dass die bestehenden Zeitungsformate nicht den Bedürfnissen der Leserschaft gerecht würden. Aus diesem Grunde startete er vor der Herausgabe der Cumhuriyet eine schriftliche Leserumfrage betreffend einer Zeitungsvorstellung in Bezug auf Form und Inhalt. Die Ergebnisse gingen dann in die Konzeption der Cumhuriyet ein. Siehe dazu İnuğur, Nuri (1992), S. 64f.
37 | Vgl. ebd. S. 68.
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Die Redaktion war von Beginn an mit prominenten und kompetenten Journalisten und Intellektuellen38 besetzt, wodurch auch die erfolgreiche Etablierung als meinungs(-bildende) Zeitung (Fikir Gazetesi) zu erklären ist. Nadi sah sich selbst als Vertreter und Hüter der Republik und die Zeitung als Mittel, um die junge Republik zu sichern und zu festigen.39 In den 1960er und 1970er Jahren kam es zu einer zunehmend linken Orientierung innerhalb der Zeitung, die heute noch ein Sammelbecken unterschiedlicher politischer Ausrichtungen innerhalb des linken politischen Spektrums ist.40 Die Zeitung Cumhuriyet ist gegenwärtig die einzige überregionale türkische Tageszeitung, die nicht im Besitz einer Mediengruppe oder eines finanzstarken Mischkonzerns ist. Immer wieder durchlebte die Zeitung existentielle Krisen, die im Oktober 1992 dazu führten, dass die Cumhuriyet Matbaacılık ve Gazetecilik TAŞ Konkurs anmeldete und dieser auch gerichtlich akzeptiert wurde. Daraufhin gründeten ehemalige Mitarbeiter der Cumhuriyet die Yeni Gün Haber Ajansı Basım ve Yayıncılık AŞ, mieteten den Lizenznamen Cumhuriyet und geben seitdem die gleichnamige Zeitung heraus.41 Später wurde die AŞ42 in eine Stiftung umgewandelt, welche den Mitarbeitern gehört. Diese sind, im Gegensatz zu Angestellten der übrigen türkischen Presseproduzenten, gewerkschaftlich organisiert.43
IV.1.2.2 Erscheinungsform Die Cumhuriyet, die in der Türkei als Tageszeitung erscheint, wurde in Deutschland von 1990 bis zum Januar 2005 als Wochenzeitung herausgegeben. Unter dem Namen Cumhuriyet Hafta (Cumhuriyet Woche) erschien die Zeitung donnerstags zum Preis von zwei Euro im Handel oder wurde per Post an ihre Abonnenten versandt. Im Januar 2005 musste die Herausgabe der Cumhuriyet Hafta in Deutschland aufgrund finanzieller Schwierigkeiten eingestellt werden. Diese Entscheidung war jedoch nur von vorübergehender Natur, seit Sommer 2006 wird die Cumhuriyet Hafta in Deutschland wieder herausgegeben.44 Zum Zeitpunkt des Herausgabestopps betrug die verkaufte Auflage der Cumhuriyet Hafta in Deutschland 2.000 Stück (gedruckte Auflage 5.000), rund 250 Exem-
38 | Ziya Gökalp, Aka Gündüz, Yakup Kadri, Selim Sırrı, Nebizade Hamdi, Kemal Salih, siehe ebd. S. 68.
39 | Vgl. ebd. S. 66. 40 | Vgl. dazu Abadan Unat, Nermin (1985), S. 574 und Sağnak, Mehmet (1996), S. 68ff. 41 | Vgl. Sağnak, Mehmet (1996), S. 70. 42 | AŞ (tr.: Anonym Şirketi/dt.: Aktiengesellschaft) 43 | Vgl. Deutsche Botschaft Ankara (Hg.) (2002), S. 51. 44 | Telefonat mit dem Chefredakteur der Deutschlandausgabe der Cumhuriyet Hafta, 09.12.2005.
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plare davon wurden über den Abonnentenverkauf vertrieben.45 In Anlehnung an die Cumhuriyet-Ausgabe in der Türkei handelt es sich bei der Wochenausgabe für den deutsch-türkischen Medienmarkt um eine seriöse Wochenzeitung. Sie ist nicht auf die Wiedergabe der tagesaktuellen Politik ausgerichtet. Ihr journalistischer Schwerpunkt liegt im Bereich der Kommentierung und der rückblickenden Analyse von politischen Ereignissen in der Türkei. Bei der Cumhuriyet Hafta handelt es sich in komprimierter und inhaltlich selektierter Form um eine Zweitausgabe der Tageszeitung Cumhuriyet, die um ein bis zwei Seiten Berichterstattung zum Thema Europa bzw. Türken in Europa ergänzt wird. Das Wochenformat ist in Bezug auf das Erscheinungsbild und den Inhalt eng an das Tagesformat angelehnt und wurde aus Kostengründen als Vertriebsform für den deutsch-türkischen Medienmarkt gewählt.46 Der redaktionelle Anteil der Zeitung zum Zeitpunkt meiner Analyse liegt bei 100 %, außer Eigenwerbung ist keinerlei Werbung vorhanden.47 Die Tageszeitung Cumhuriyet in der Türkei agiert ökonomisch auf zwei verschiedenen Märkten, dem Rezipientenmarkt und dem der werbetreibenden Wirtschaft. Auf dem deutschtürkischen Medienmarkt agierte das Werbesegment immer schon schwach, in den letzten Monaten vor dem Herausgabestopp 2005 gar nicht mehr. Die Wochenzeitung besteht aus zwanzig Seiten48 und ist, mit Ausnahme des äußeren Zeitungsmantels, in schwarz/weiß gedruckt. Das Titelblatt ist im Vierfarb-Druck produziert und hat im Blattzentrum ein 16x16 cm großes Farbphoto, welches durch mehrere Kurzfassungen von Artikeln mit dazugehöriger Seitenzahl umrahmt wird. Der Seitenabschluss des Titelblattes wird durch eine Nebeneinanderreihung der vertretenen Kolumnisten mit dazugehörigem Photo abgerundet. Seite 1 Seite 2 Seite 3-7 Seite 8 Seite 9 Seite 10 Seite 11 Seite 12 Seite 13-15 Seite 16
Titelseite Rubrik: Ereignisse und Ansichten (olaylar ve görüşler) Rubrik: Nachrichten (haberler), Berichte aus der Türkei, acht Kolumnen Rubrik: Wirtschaft (ekonomi) Rubrik: Thema der Woche (haftanın konuğu) Rubrik: Gespräch (söyleşi) Rubrik: Europäische Union (avrupa birliği) Rubrik: Serie (dizi) Rubrik: Kultur (kültür) Rubrik: Bewertung (yorum)
45 | Ebd. 46 | Vgl. Interview 3, Türkische Wochenzeitung, Z. 86-92. 47 | Vgl. Cumhuriyet Hafta, Ausgabe Nr. 45/2004, 05.11.2004. 48 | Am Beispiel der Cumhuriyet Hafta, Ausgabe Nr. 45/2005, 05. 11.2005.
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Seite 17 Seite 18 Seite 19 Seite 20
Rubrik: Sachlage, Kulisse (vaziyet, kulis) Rubrik: Fortsetzung der Nachrichten (haberlerın devamı) Rubrik: Sport (spor) Rückseite
IV.1.2.3 Produktionsablauf Vom Zeitpunkt der Interviews49 bis zum Herausgabestopp im Januar 2005 wurden die Inhalte der Cumhuriyet Hafta nahezu vollständig in Istanbul erstellt.50 Das Frankfurter Redaktionsbüro in Möhrfelden mit seinen zwei Redakteuren partizipierte aus journalistischer Perspektive immer weniger an der Herausgabe der Cumhuriyet Hafta. Die Frankfurter Redaktion war und ist bis heute weiterhin für die Bewertung der Ereignisse der deutschen Politik zuständig, ansonsten wurden aber alle redaktionellen und verlegerischen Funktionen von zwei Mitarbeiter des »Deutschen Tisches« im Cumhuriyet-Mutterhaus in Istanbul Çağaloğlu ausgeübt. Der »Deutsche Tisch« trug dort alle relevanten Artikel für die Wochenausgabe zusammen und erstellte die Graphik und den Satz. Die Chefredakteure in Istanbul nahmen die Endredaktion vor, ihnen oblagen die Platzierung der Artikel und die Auswahl der Überschriften.51 Die Arbeitsteilung innerhalb des Istanbuler Mutterhauses wird durch eine zweite Interviewaussage des Istanbuler Chefredakteurs noch einmal revidiert, so dass davon auszugehen ist, dass es im Grunde im Istanbuler Mutterhaus keine klar definierte Arbeitsteilung gab. »Alle Mitarbeiter in Istanbul arbeiten an der Erstellung der Cumhuriyet Hafta mit. Die Redaktion der Cumhuriyet ist eine große Küche in der alle arbeiten und jeder etwas zum gelingen des Gerichtes beiträgt.« 52
Der Grund für die immer stärkere Reduktion originär journalistischer Tätigkeiten seitens der Frankfurter Redaktion lag in einer immer schwächer werdenden ökonomischen Basis des Verlagshauses. »Vom journalistischen Standpunkt her ist das für uns ein Schritt zurück, ja die meinungsbildende Zeitung bleibt, aber der Journalismus [Anmerkung der Interviewerin: aus Deutschland] ist abhanden gekommen.« 53
49 | Interview 3 und 4 am 04.09.03 und Interview 5 am 20.11.2003. 50 | Die Autorin geht davon aus, dass diese Redaktionspolitik aufgrund der ökonomischen Sachlage seit der Wiederherausgabe ab Sommer 2006 weiter praktiziert wird.
51 | Vgl. Interview 3, türkische Wochenzeitung, Z. 45-54. 52 | Interview 3, türkische Wochenzeitung, Z. 86-92. 53 | Interview 5, türkische Wochenzeitung, Z. 52-54.
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Das Zwei-Personen-Team der Frankfurter Redaktion übernahm jeden Aufgabenbereich, der in einem Redaktionsbüro anfällt. Dazu gehörten Recherche, redaktionelles Arbeiten, Öffentlichkeitsarbeit, Anzeigen und Werbung, Abonnentenbetreuung, Kommunikation mit der Druckerei, alle Büroroutinearbeiten sowie ihre Tätigkeit als Eckkolumnisten.54 Der multiple Charakter ihrer Arbeitsfunktionen ging weit über das routinemäßige Arbeitsfeld eines Redakteurs hinaus und deckte die Bereiche Abonnenten, Anzeigen und Werbung, Druck und Büroorganisation gleichzeitig ab. »So etwas gibt es bei anderen Zeitungen nicht, das ist eine Besonderheit der Cumhuriyet.«55 Zum Zeitpunkt des Interviews wurden die Mitarbeiter der Frankfurter Zweigstelle für ihre Arbeit nicht entlohnt, »ohne Bezahlung arbeitet außer uns keiner, Menschen machen das nicht umsonst, nur ganz bestimmte Personen, die wie wir Idealisten sind, die machen das.«56 Ökonomische Sachzwänge in Bezug auf eine Aufrechterhaltung der Frankfurter Dependenz führten zumindest zeitweise zu einem Gehaltsverzicht der dortigen Mitarbeiter. Ökonomische Sachzwänge waren auch 1990 das ausschlaggebende Moment für den Entschluss, in Deutschland statt einer Tageszeitung eine Wochenzeitung herauszugeben. Im Laufe der Zeit wurde diese Entscheidung durch eine redaktionelle Rezentralisierung von zwei nationalen Standorten auf einen modifiziert. Sachzwänge erforderten herausgeberische Planungsschritte, die eigentlich der intendierten Planung widersprachen. Priorität besaß die Vorgabe, auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt überhaupt präsent zu sein, auch unter der Bedingung, die Rezipientennähe immer stärker zu vernachlässigen.
IV.1.2.4 Druck und Vertrieb Der Vertrieb der Zeitung wird über den direkten Verkauf und über das Abonnement durchgeführt. Aus Kostengründen erfolgt der Verkauf der Zeitung jedoch nur über große Verkaufsknotenpunkte, wie beispielsweise Bahnhofskioske in mittleren und großen Städten. Sie ist damit für Rezipienten außerhalb der städtischen Ballungsgebiete sehr schwer erhältlich.
IV.1.3 Dünya Deutschland 57 IV.1.3.1 Geschichte Die türkische Tageszeitung Dünya (Welt) wurde am 1. März 1952 durch Falih Rıfkı Atay, einem engen Freund Atatürks, und einigen anderen Persönlichkeiten ge-
54 | Vgl. Interview 5, türkische Wochenzeitung, Z. 93-99. 55 | Interview 5, türkische Wochenzeitung, Z. 98-99. 56 | Interview 5, türkische Wochenzeitung, Z. 122-123. 57 | Die Dünya Deutschland war eine regelmäßig erscheinende, eigenständige Beilage der Dünya Hafta (Wochenzeitung Dünya).
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gründet.58 Atay war schon 1918 Mitbegründer der Akşam59 gewesen und ab 1922 als Parlamentsabgeordneter der Provinz Bolu tätig. Die Dünya fand politisch große Anerkennung, doch die engen Beziehungen zwischen Atay und Bedii Faik zu Adnan Menderes missfielen der CHP, die aus der Dünya eine ernsthafte Oppositionszeitung machen wollten. Die anderen Mitbegründer überließen ihre Anteile Falih Rıfkı Atay und Bedii Faik. Nach dem Tod von Atay gingen 1971 alle Anteile an Bedii Faik über, doch die Zeitung hatte nur noch eine geringe Auflage und wurde an den Unternehmer Ihsan Altınel weiterverkauft. Die Dünya wurde somit ein Unternehmen der Altınel Holding. 1979 wurde die Zeitung, die sich in einer wirtschaftlichen Krise befand, gegen ein Grundstück an die Hürriyet überschrieben. Erol Simavi überließ die Leitung der Dünya Nezih Demirkent, dem Generaldirektor der Hürriyet. Kurz darauf überließ er ihm die Zeitung ganz. Dieser wandelte die Dünya in eine Wirtschaftszeitung um und ist heute als der Gründer dieser bekannt.60 Die Tageszeitung Dünya, eine seriöse Wirtschaftszeitung, die Bestandteil der Dünya Süper Veb Ofset A.Ş. ist, wird heute von Nezih Demirkents Tochter Didem Demirkent herausgegeben. Zur Dünya-Gruppe gehören neben der Dünya Süper VEB Ofset A.Ş. (Tageszeitung Dünya), die Dünya Yayıncılık A.Ş. (Dünya Verlag und Druck), die Dünya Aktüel A.Ş. (Buchverlag/Buchhandlungen), die Dünya Süper Dağıtım A.Ş. (Vertrieb) und die EKO Dağıtım A.Ş. (zweites Vertriebssystem für Abonnenten und Fremdprintmedienerzeugnisse).61 Die DünyaGruppe ist ein türkisches Medienunternehmen mit Familientradition, dessen Kernaktivitäten im Printmedienbereich in der Herausgabe von Zeitschriften und Magazinen liegen. Sie agiert auch erfolgreich im Verlagswesen, besitzt eine eigene Druckerei und bedient ein Teilsegment des türkischen Vertriebsmarktes. Von 1991 bis Oktober 2000 wurde die Dünya als reine Abonnentenzeitung wöchentlich an Abonnenten in Deutschland, Belgien und den Niederlanden versandt.62 Dabei handelte es sich um eine Zusammenstellung der Tageszeitung Dünya zu einer Wochenzeitung, die komplett im Verlagssitz der Dünya Süper Dağıtım in Istanbul erstellt wurde. Ab Oktober 2002 wurde die Herausgabe der Dünya (Wochenzeitung) auf M II auf eine komplett neue unternehmerische und arbeitsstrukturelle Basis gestellt. Die Zeitung wurde in Deutschland 58 | Mitbegründer neben Falih Rıfkı Atay waren: Terzi İzzet, Ali Muhittin Hacı Bekir, Ragıp Sarımahmutoğlu, Ali Sohtorik, Mehmet Kazancı, siehe dazu: Topuz, Hıfzı (1996), S. 181.
59 | Akşam, türkische Tageszeitung gegründet 1918, siehe dazu: İnuğur, Nuri (1992), S. 39ff. 60 | Vgl. Topuz, Hıfzı (1996), S. 181f. Die Dünya-Gruppe gibt auf ihrer Homepage den 02.03.1981 als offizielles Gründungsdatum der heutigen Wirtschaftstageszeitung Dünya an und nennt Nezih Demirkent als den Gründer der Zeitung. In der Tat gab er der Zeitung nach seiner Übernahme ein völlig neues Format und etablierte sie zu einer renommierten, seriösen, türkischen Tageszeitung mit den Schwerpunkten Handel und Wirtschaft.
61 | Siehe auch http://www.dunyagazetesi.com.tr. 62 | Siehe Interview 10, Z. 165-169.
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in Kooperation mit zwei anderen Medienakteuren, einem deutsch-türkischen und einem deutschen Unternehmen, verlegt. Von Oktober 2000 bis Dezember 2002 erschien in Deutschland die Dünya (Wochenzeitung) und berichtete in türkischer Sprache auf rund 24 Seiten über Wirtschaft und Politik, schwerpunktmäßig aus der Türkei aber auch aus Europa. Neu war in diesem Kontext die achtseitige deutschsprachige Beilage Dünya Deutschland. Diese steht hier im Fokus der Untersuchung. Die neu aufgelegte Zeitung Dünya war ein JointVenture63 von drei Unternehmen. Dazu gehörte die SMC-Mediengesellschaft mbH aus Köln, die wiederum zur SeS-Mediengruppe64 gehörte,65 das Unternehmen M. Brimberg, Druck und Verlags GmbH aus Aachen, welches die Aachener Zeitung herausgibt und die im Impressum als Herausgeberin erscheinende Didem Demirkent Ersinan von der Dünya Süper Veb A.Ş (Türkei).66 Jeder Partner übte eine andere Funktion aus und brachte unterschiedliches Know-How, Arbeitsleistung und/oder Investitionen in das gemeinsame Projekt mit ein. Die SMC-Mediengesellschaft übte die geschäftsführerischen Funktionen aus und repräsentierte die Zeitung nach außen. Das Unternehmen M. Brimberg, Druck und Verlags GmbH, war für den Druck der Zeitung und den damit verbundenen Aufbau der relevanten Computertechnik in den Redaktionen verantwortlich, die Dünya Süper Veb A.Ş fungierte als Lizengeber der Zeitung und war maßgeblich für die Erstellung des türkischen Hauptteils der Dünya verantwortlich. Die neue Projektkonstellation führte zu einer multiplen Organisationsstruktur, in der unterschiedliche Akteure unterschiedliche Funktionen einnahmen, die aber auch mit unterschiedlichen unternehmerischen Erwartungen verknüpft waren. Die SeS war der eigentliche Ideengeber des Gemeinschaftprojektes und trat gleichzeitig als der Hauptinvestor auf.67 Die Dünya Süper Veb A.Ş partizipierte durch den Namensverkauf der Zeitung (Lizenzpartner) und brachten wie bisher den türkischsprachigen Mantel der Wochenzeitung ein, trugen aber keine finanziellen Risiken mehr. »Man konnte große Erwartungen haben, weil es eigentlich eine logische Entscheidung war, wenn sich jemand hier in Deutschland findet, der das machen will, der sich auch vielversprechend anbietet. Wo man denkt, dass hat Chancen aber wo sich erst später herausstellt, das diese Firma hier dazu nicht geeignet war. Aber das Interesse von Istanbul bestand wahrscheinlich deshalb, weil die Zeitung hier seit zehn Jahren eigentlich
63 | Siehe Interview 9, Z. 731-736. 64 | Die Bedeutung der Namenskürzel SMC und SeS konnte nicht ermittelt werden. 65 | Siehe Interview 9, Z. 731-732. 66 | Siehe Impressum der Dünya Hafta Ausgabe 4.01.2002-10.01.2002, Jahrgang Nr. 2, S. 7. 67 | Siehe Interview 9, Z. 272-278.
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nur ein Prestigeobjekt war und für den guten Ruf dann finanziert wurde, sich aber nie selbst getragen hat.« 68
Im Mai 2002 zog sich dann die M. Brimberg, Druck und Verlags GmbH aus dem »Gemeinschaftsprojekt« zurück.69 Der Druck der Zeitung wurde an die Ihlas Druckerei nach Frankfurt gegeben.70 Im Oktober 2002 erfolgte dann die Kündigung des Lizenzvertrages durch die Dünya Süper Veb A.Ş. Damit verbunden war das endgültige Aus für die Herausgabe der Dünya auf M II.71
IV.1.3.2 Erscheinungsform 72 Die Dünya Deutschland erschien ab Oktober 2000 wöchentlich und war namentlich angelehnt an die türkische Wirtschaftszeitung Dünya, die auf dem türkischen Printmedienmarkt täglich erscheint.73 Sie wurde als Beilage der Wochenzeitung Dünya zum Preis von vier DM über den regulären Kioskverkauf und als Abonnentenzeitung vertrieben. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde die Dünya als wöchentliche Zweitausgabe der Tageszeitung Dünya an Abonnenten ins europäische Ausland versendet.74 Es handelte sich dabei um eine komprimierte und inhaltlich selektierte Form der türkischen (Wirtschafts-)Tageszeitung Dünya in türkischer Sprache. Die Dünya Deutschland in deutscher Sprache war eine Beilagenzeitung, bezeichnete sich in späteren Ausgaben als unabhängige Wochenzeitung und agierte redaktionell abgekoppelt von dem türkischsprachigen Hauptteil der Wochenzeitung Dünya.75 Sie bestand aus acht bis zehn Seiten76 und war mit Ausnahme des äußeren Zeitungsmantels und der innen liegenden 68 | Interview 9, Z. 329-343. 69 | Siehe Interview 9, Z. 740-742. 70 | Siehe Interview 9, Z. 54-56. 71 | Drei Gründe waren für den Rückzug der Dünya Süper Veb A.Ş. ausschlaggebend. Zum einen erreichte auch die Neuauflage der Dünya nicht den erhoff ten Auflagenanstieg, das Konzept der Dünya Deutschland war nie wirklich mit dem der türkischen Wirtschaftszeitung Dünya kompatibel und aufgrund ökonomischer Engpässe seitens eines der Vetragspartner konnten die Lizenzgebühren nicht mehr gezahlt werden. Siehe dazu Interview 9, Z. 316-320 und Z. 755-765.
72 | In Kapitel IV.1.3.2 Erscheinungsform wird lediglich die Dünya Deutschland vorgestellt. Die Beilage war das neue Element bei der Neuauflage der Dünya auf M II. Nach Auskunft der Zeitungsproduzenten verfolgte man mit diesem Format das Ziel, aus der Beilage eine eigenständige Zeitung zu entwickeln. Siehe dazu Interview 9, Z. 609-619.
73 | Beispielhaft orientiert sich die Forscherin an der Ausgabe 12.-18. Oktober 2001, Nr. 42, die innen liegende Beilage Dünya Deutschland 11.-17.10.2001, Nr. 01.
74 | Siehe Interview 10, Z. 165-169. 75 | Siehe Interview 9, Z. 98-116. 76 | Am Beispiel der Dünya Deutschland vom 11.-17.10 2001, Nr. 01.
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großflächigen Werbeanzeigen in schwarz/weiß gedruckt. Die obere Titelleiste der Titelseite trägt neben dem Zeitungsnamen Dünya Deutschland den untergestellten apostrophierten Zusatz »DIE WELT GEHÖRT ALLEN«. Dieses Wortspiel ist an den Titel der Zeitung Dünya angelehnt, der auf Deutsch »die Welt« heißt. Die Titelseite im Vierfarb-Druck zeigt in der oberen Bildhälfte einen fünf Zentimeter breiten Streifen, in dem eine bebilderte und beschriebene Kurzübersicht mit dazugehöriger Seitenangabe zu den Grundsatzartikeln der jeweiligen Ausgabe Übersicht bietet. Dreiviertel der Titelseite besteht aus durchschnittlich ein bis zwei circa 14x14 cm großen Farbphotos mit dazugehörigem Text und weiteren Kurzmeldungen. Von den zehn Zeitungsseiten sind vier Seiten durch Werbeanzeigen belegt. Die Zeitung wendet sich somit an zwei Märkte, den Rezipientenmarkt und den der Werbung betreibenden Wirtschaft. Nach Redaktionsangaben betrug die Wochenauflage der Dünya in Deutschland 10.000 Stück.77 Die Dünya Deutschland wurde von Deutschen und Deutschtürken gemacht und trat nach eigenem Selbstverständnis für Integration »unter gegenseitiger Achtung und Akzeptanz und für gegenseitiges Verständnis und gemeinschaftliches Gedeihen in Frieden ein«78. So wollte die Dünya Deutschland ein Forum für sachliche Information und Dialog bieten. Seite 1 Seite 2 Seite 3 Seite 4 Seite 5 Seite 6 Seite 7 Seite 8 Seite 9 Seite 10
Titelseite Rubrik: Politik Rubrik: Miteinander Rubrik: Wirtschaft Ganzseitige Werbeanzeige Rubrik: Türkei — Journal Rubrik: Kunst, Kultur & Bildung Ganzseitige Werbeanzeige Rubrik: Pressespiegel Rückseite, Rubrik: Sport.
IV.1.3.3 Produktionsablauf Die Wochenzeitung Dünya bestand in der Zeit zwischen Oktober 2000 und Oktober 2002 de facto aus zwei Zeitungen. Diese wurden in zwei unabhängig voneinander agierenden Redaktionen erstellt. Der türkischsprachige Hauptteil der Zeitung wurde zu 80 % in der Redaktionszentrale der Tageszeitung Dünya in Istanbul erstellt.79 Der komplementäre 77 | Angaben über Auflagenzahlen sind außer bei der Hürriyet und der Zaman, die sich IVW prüfen lassen, nur über direkte Anfrage beim Verlag erhältlich. Die Auflagenzahl 10.000 Stück wurde von Interviewpartner 9 und 10 genannt.
78 | Dünya Deutschland 11.10-17.10.2001, Nr. 01, S. 1. 79 | Vgl. Interview 10, Z. 29-32.
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Anteil von 20 % wurde in der türkischen Redaktion in Köln unter Leitung des türkischen Chefredakteurs, eines weiteren Redakteurs, in Zusammenarbeit mit einem Pool von freien Mitarbeitern in Deutschland angefertigt.80 Der türkische Chefredakteur übte fünf grundlegende Funktionen aus. Er war: • • • • •
der direkte Vorgesetzte für die Mitarbeiter der deutschen Redaktion,81 die Schnittstelle zwischen der türkischen und der deutschen Redaktion,82 der direkte Ansprechpartner für die freien Mitarbeiter in Deutschland, der Interessenvertreter der Dünya Süper Veb A.Ş. in Istanbul am Produktionsstandort Deutschland in Bezug auf die Redaktion,83 der Kommunikationspartner für die unterschiedlichen Joint-Venture-Partner am Standort Deutschland.
In der Redaktion der Dünya Deutschland waren drei weitere Redakteure tätig, die innerhalb ihrer Redaktion selbständig agierten. Interviewpartner 9 spricht zunächst davon, dass die Redaktionsarbeit innerhalb der deutschen Redaktion komplett selbst bestimmt wurde, schränkt diese Aussage jedoch im weiteren Verlauf des Interviews dahingehend ein, dass der türkische Chefredakteur beratend tätig war.84 »Es gab einen türkischen Chefredakteur der Gesamt Dünya Ausgabe in Deutschland, der saß bei uns im Nachbarraum und der hat uns sozusagen beraten. Der hat ähm bei (.) hat alles kritisch gelesen, hat bei einigen Themen gesagt, das die türkische Redaktion da nicht ausreichend vertreten war, so dass ähm (.) brenzlige Themen vielleicht etwas entschärft wurden. Es war also eine sehr, was brenzlige politische Themen betraf oder gesellschaftliche oder religiöse Themen, gab’s da (.) ja (.) gewisse Scheren im Kopf, dass er beispielsweise gesagt hat, ja wir haben jetzt nicht den Anspruch gehabt eine äußerst kritische und bissige Zeitung zu sein.« 85
Die Endredaktion wurde demnach durch den türkischen Chefredakteur ausgeführt, der direkter Interessenvertreter der Istanbuler Dünya war.86 Diese Arbeitsstruktur wurde von Interviewpartner 9 dahingehend verdrängt, als das 80 | Vgl. Interview 9, Z. 170-174. 81 | Vgl. Interview 9, Z. 304-306. 82 | Vgl. Interview 9, Z. 98-104. 83 | Vgl. Interview 9, Z. 30-36 und Interview 10, Z. 60-68. 84 | Vgl. Interview 9, Z. 69-79. 85 | Interview 9 Z. 74-84. 86 | Das deutsche Redaktionsteam bestand aus zwei deutschen Redakteuren und einer deutsch-türkischen Redakteurin. Alle waren in Deutschland sozialisiert und studierten an deutschen Hochschulen, siehe dazu Interview 9, Z. 60-62.
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er noch einmal unterstrich, dass »nur eine Verpflichtung gegenüber dem türkischen Chefredakteur bestand, nicht aber gegenüber Istanbul«87, was de facto das Gleiche war. Er arbeitet bei seiner Tätigkeitsbeschreibung des türkischen Chefredakteurs mit einer Metapher »gab’s da (.) ja (.) gewisse Scheren im Kopf« mit der er versucht, die Redaktionshierarchie sich selbst gegenüber, gegenüber dem Chefredakteur und einem Außenstehenden in seiner Wirkung abzufedern somit quasi zu entschuldigen. Die Scheren im Kopf, die gleichzusetzen sind mit inhaltlichen Selektionsmustern, werden als gegeben hingenommen. Er persönlich kann dieser türkeitürkischen Sichtweise bzw. Interpretation gesellschaftspolitischer Ereignisse aber nichts entgegenbringen, weil er ganz einfach diese Entscheidungskompetenz nicht hat. Die Arbeitsprozesse innerhalb der deutschen Redaktion waren zunächst einmal vom einwöchigen Herausgaberhythmus der Zeitung abhängig. Freitags begann die Arbeit für eine Wochenausgabe, Dienstag um 12.00 Uhr war Redaktionsschluss, dann wurde die fertige Gesamtzeitung auf PDF-Dateien zur Druckerei nach Aachen gesandt, mittwochs wurde gedruckt und donnerstags wurde die Zeitung vertrieben.88 Im Kioskverkauf war die Wochenzeitung nur als Gesamtpaket erhältlich, im Abonnentenverkauf konnte die Dünya entweder komplett oder nur die Dünya Deutschland bezogen werden.89 Zur Unterstützung der fünf Redakteure in den beiden Redaktionen stand zusätzlich eine Sekretärin zur Verfügung. Diese Arbeitskraft konnte von den Redaktionen allerdings nur selten abgerufen werden, weil sie von einem der Joint-Venture-Partner für allgemeine Sekretariatsaufgaben herangezogen wurde.90 Kleine Redaktionsteams mit vielfältigen Aufgabenbereichen waren charakteristisch, es wurde »viel Kleinarbeit« von den Redakteuren selbst übernommen und man fand nach Einschätzung von Interviewpartner 9 »nicht genügend Unterstützung«.91 Innerhalb der deutschen Redaktion wurde gleichberechtigt nebeneinander und miteinander gearbeitet, es gab aber eine klare Aufgabenteilung zwischen der Erstellung und der Redigierung von Texten. Einer der Redakteure redigierte und recherchierte und übersetzte schwerpunktmäßig, die anderen beiden erstellten die Artikel. Ihnen allen oblag die Kommunikation mit den freien Mitarbeitern.92 »Also, ich war einer von drei Redakteuren und wir waren alle praktisch gleich berechtigt, haben das unter uns ähm (.) geringfügig aufgeteilt nach verschiedenen Seiten (.) aber ich 87 | Interview 9, Z. 100-102. 88 | Vgl. Interview 10, Z. 43-57. 89 | Vgl. Interview 10, Z. 295-302. 90 | Vgl. Interview 9, Z. 159-164. 91 | Vgl. Interview 9, Z. 46-54. 92 | Vgl. Interview 9, Z. 31-40 und Z. 104-107.
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selbst habe an der gesamten Zeitung eigentlich überwiegend als (.) als Korrektor gearbeitet. Ich hab wenig selbst erstellt, sehr wenig recherchiert, sehr wenig also (.) selbst an Texten geschrieben, sondern war mit der (.) textlichen Verarbeitung beschäftigt. Und wir mussten, also wir alle drei Redakteure wir mussten ähm also (.) von freien Mitarbeitern die Texte sammeln und (.) ähm auch selber recherchieren oder selber schreiben.« 93
Der Bildbedarf wurde über die Bildredaktion der Istanbuler Dünya bedient.94 In der Redaktion wurde mit zwei unterschiedlichen Computersystemen gearbeitet. Im Druck und Graphikbereich wurde standardmäßig mit Macintosh gearbeitet, Textmaterial wurde auf Windows erstellt. Beim Formatieren der Texte von einem zum anderen Format entstanden immer wieder Formatierungsfehler in Bezug auf die Übernahme des türkischen Sonderzeichenfonds. Dies führte im Redaktionsalltag dazu, dass regelmäßig vor der Erstellung der wöchentlichen PDF-Datei alle Texteinheiten hinsichtlich der Sonderzeichen umständlich und zeitaufwendig korrigiert werden mussten.95 Die multiple Struktur der an der Herausgabe der Wochenzeitung Dünya beteiligten Unternehmen setzt sich auf der Organisationsebene fort. Die Verzahnung von Tätigkeiten unterschiedlicher Akteure erfordert jedoch ein mehr an Kommunikation, Zeit und Arbeit. Einer Redaktion, mit einem Minimum an Personal ausgestattet, war es in diesem Kontext nicht möglich, die Zeitung nach einigen Monaten auf zwanzig Seiten zu erweitern und sie zu einem unabhängigen Blatt auszubauen: »man hat sich aber verschätzt mit der Mitarbeiterzahl. Das war von uns gar nicht zu leisten […] es ist immer bei den acht Seiten geblieben und es hat sich nie getragen.«96 Ebenso bewertet Interviewpartner 9 die interne Unternehmenspolitik in Bezug auf die Abonnentenpflege/-verwaltung und Anzeigenakquise. »Man hatte sich auch verschätzt bei der Anzeigenakquisition, also das dafür viel mehr Mitarbeiter nötig gewesen wären, ist irgendwie nicht realisiert worden.« 97 »Also wie gesagt wenn wenn Sie keine Anzeige bekommen (.) dann ist die Sache zu Ende. [I: Mhm] Diese Zeitungen leben nur mit Anzeigen.« 98
In Anbetracht der Tatsache, dass Printmedien mit geringen Auflagen ihre finanzielle Basis aus dem Anzeigenpool emergieren; deutet dieser Umstand auf eine 93 | Interview 9, Z. 31-40. 94 | Vgl. Interview 9, Z. 119-122. 95 | Vgl. Interview 9, Z. 40-46. 96 | Interview 9, Z. 261-267. 97 | Interview 9, Z. 267-269. 98 | Interview 10, Z. 418-420.
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brachenfremde bzw. unprofessionelle Unternehmensführung hin. Der professionelle Anspruch ein Medienprodukt zu machen und die Handlungspraxis des journalistischen Produzierens, weisen eine eklatante Diskrepanz auf. Abbildung 7: Besitzstruktur und Aufgabenverteilung der Dünya Hafta
IV.1.3.4 Druck und Vertrieb Brimberg-Druck aus Aachen war für den Druck und den damit verbundenen Aufbau der relevanten Computertechnik zwischen den Redaktionen und dem Druckstandort verantwortlich. Während der ersten vier Monate nach Beginn der Herausgabe der Dünya-Wochenzeitung fuhr regelmäßig ein Redakteur der Dünya nach Aachen, um kurz vor dem Druck nocheinmal den Sonderzeichenfond zu kontrollieren. Nach der Installation eines Computernetzwerkes zwischen den Kölner Redaktionsbüros und Brimberg-Druck in Aachen entfiel diese zeitaufwendige vor-Ort-Kontrolle.99 Die fertige Gesamtzeitung wurde als PDF-Datei zur Druckerei nach Aachen gesandt, kurz vor dem Druck noch einmal von einem Redaktionsmitglied korrigiert und dann gedruckt. Die türkischsprachige Dünya und die Dünya Deutschland wurden immer in einem Druckvorgang gedruckt.100 Der Axel-Springer-Verlag übernahm dann den deutschlandweiten Vertrieb.101 Ein halbes Jahr nach Druckbeginn kündigte die Aachener Zeitung und stellte den Druck ein. Dieser wurde dann in die frühere Druckerei nach Frankfurt zurückverlegt. Ohne die Kooperation mit der Aachener Zeitung hätte die Dünya Deutschland nach Ansicht von Interviewpartner 9 nicht entstehen können.
99 | Vgl. Interview 9, Z. 206-214. 100 | Vgl. Interview 9, Z. 225-227. 101 | Vgl. Interview 9, Z. 229-269.
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»Vom Layout, vom Druck, vom zeitungstechnischen (.) waren wir drei Redakteure praktisch unerfahren. [I: Mhm] Da hatten wir gar keine Erfahrung und da hat uns gerade auch dieser Tag wo wir nach Aachen gefahren sind, da haben uns die Leute sehr viel gezeigt. Und dieser technische Ablauf, der war von einem großen professionellen Unternehmen, da wurden wir sozusagen unter die Fittische genommen. Also das gilt jetzt nur für die deutsche Beilage. Die haben uns eben auch die technische Seite in Köln installiert, die haben diese Computer gestellt, diese Macintosh-Computer, die in Köln standen und das Netzwerk, das ist alles von Aachen aus eingerichtet worden. Das waren aber auch wirklich dann ähm Profis, die dann dorthin geschickt worden sind, die eben Computerspezialisten oder Layoutspezialisten oder der Chefdrucker und ähm (.) die haben sich da intensiv drum bemüht.« 102
Die Arbeitsbereiche Layout, Computerinstallation und Druck wurden von einem erfahrenen professionellen Unternehmen übernommen. Die Aussage, »das waren aber auch wirklich dann ähm Profis«, drückt aus, dass Interviewpartner 9 die Mitarbeiter der Dünya am Standort Köln nicht unbedingt als Profis betrachtet.
IV.1.4 Fazit In Kapitel IV.1 wurden drei Fallbeschreibungen erarbeitet, um durch eine Art Kurzportrait die Heterogenität sowohl der Printmedienproduzenten als auch der Printmedienprodukte auf M II zu veranschaulichen. Die ausgewählten Unternehmen stehen nicht stellvertretend als Beispiel für andere Medienproduzenten, sie dokumentieren jedoch, welche Bedeutung insbesondere die ökonomischen Ausgangsbedingungen eines Printmedienproduzenten für die Qualität und das Herausgabeformat einer Zeitung hat. Die Hürriyet und die Cumhuriyet werden beide von Unternehmen herausgegeben, welche im Forschungskontext als Printmedienproduzenten I bezeichnet werden, weil sie ihren Unternehmenssitz im Herkunftsland Türkei haben. Das Joint-Venture-Modell der Dünya lässt sich nicht eindeutig der Kategorie Printmedienproduzent I oder Printmedienproduzent II zuweisen. Die Doğan-Media-International GmbH, die Bestandteil der Doğan-Mediengruppe ist, welche wiederum Bestandteil der komplexen Doğan-Unternehmensgruppe103 ist, bietet als Printmedienproduzent auf M II das Printmedienprodukt Hürriyet an. Das Tochterunternehmen in Frankfurt verfügt über alle operationalen Bausteine, die zur Herstellung eines Printmedienproduktes 102 | Interview 9, Z.668-681. 103 | Nach Angaben der Wirtschaftszeitung Dünya war Aydın Doğan, der Besitzer der Doğan-Unternehmensgruppe, im April 2006 der größte Steuerzahler der Türkei. Siehe dazu dünya online, 21.04.2006 (Aydın Doğan 10 milyon 320 bin 542 YTL gelir vergisi ile listenin başında yer alırken…) http://dunyagazetesi.com.tr/news_display.asp?upsale_id=259868.
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notwendig sind.104 Ausgenommen davon ist der Vertrieb, der in Deutschland durch ein deutsches Unternehmen ausgeführt wird. Die auflagenstärkste türkische Tageszeitung in Deutschland bietet täglich auf ca. vier Seiten Berichte über Politik und gesellschaftspolitische Ereignisse aus Deutschland und Europa, die einen besonderen Bezug zur TBiD haben. Ein weiterer Ansatz des Verlags, sich auf die deutsch-türkischen Rezipienten der zweiten und dritten Generation einzustellen, besteht in der Herausgabe einer wöchentlichen deutschsprachigen Beilage im Boulevardstil, der wiederum eine türkischsprachige Beilage mit Berichten über die TBiD aus den verschiedenen Regionen beiliegt. Die Cumhuriyet Hafta ist eine politische Wochenzeitung in türkischer Sprache, die auf sprachlich hohem Niveau gestaltet und für ihre Nähe zum Kemalismus sowie zur Sozialdemokratie bekannt ist.105 Aufgrund dieser Eigenschaften ist der potentielle Rezipientenkreis auf M II noch eingeschränkter, weil sich das Blatt vor allem an Akademiker und Intellektuelle wendet. Die Herausgeberin, die Cumhuriyet-Stiftung in der Türkei, ist heute kein Medienunternehmen im herkömmlichen Sinne mehr, die Herausgabe der Zeitung deckt soeben ihre Unkosten und finanziert davon noch die Herausgabe der Cumhuriyet Hafta auf M II.106 Nach einer einjährigen Einstellungspause aufgrund finanzieller Probleme erscheint die Cumhuriyet Hafta seit Februar 2006 wieder in Deutschland. Aus diesem Grund ist der journalistische Eigenanteil der Frankfurter Redaktion auf ein Minimum beschränkt. Dass, was zwei Redakteure mit multi-tasking-Eigenschaft zu leisten vermögen, wird in Frankfurt erstellt, der Hauptteil wird nach wie vor seitens der Cumhuriyet-Redaktion in Istanbul zusammengestellt.
104 | Business Office, Editorial Department, Production Department, Marketing Department and Advertising Department, siehe dazu: Turow, Joseph (2003), S. 304.
105 | Siehe dazu: Interview 3, Z. 144-148: »Cumhuriyet ne yazdı diye merak ediyorlar, çünkü biz farklı gazeteyiz. Politik bir gazeteyiz. Muhalefet yapan bir gazeteyiz. Şu kadar sol yazarımız var, sosyalist yazarımız var. Sol pencereden bakıyoruz olaylara. O anlamında oradaki Türkler bizi tanısın.« (Deutsche Übersetzung der Autorin: »Sie sind neugierig darauf, was die Cumhuriyet geschrieben hat, weil wir eine andere Zeitung sind. Wir sind eine politische Zeitung,wir sind eine Zeitung die Opposition macht. Wir haben soviele linke Autoren, wir haben soviele sozialistische Autoren. Wir schauen aus dem Fenster der Linken auf die Ereignisse. In diesem Verständnis sollen uns die dortigen Türken kennen lernen.«)
106 | Siehe dazu Interview 3, Z. 243-247: »Biz öyle çok zengin bir gazete değiliz. Sonuçta vakıf gazeteyiz. Patron olmadığımız için de bankamız yok, başka bir sektörde gelirimiz yok, diğer işimiz yok, sadece gazete çıkarıyoruz. Gazete çıkararak yaşamaya çalışıyoruz.« (Deutsche Übersetzung der Autorin: »Wir sind nicht so eine reiche Zeitung. Weil wir keinen Chef haben, haben wir auch keine Bank, wir haben keine Einkünfte aus anderen Bereichen, wir haben auch sonst keine andere Arbeit. Wir geben nur eine Zeitung heraus. Wir versuchen davon zu leben eine Zeitung herauszugeben.«)
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Die Wochenzeitung Dünya, die aus einem türkischsprachigen Hauptteil und einer deutschsprachigen Beilage, Dünya Deutschland, bestand, war in dieser Form genau zwei Jahre auf M II präsent. Charakteristikum der Zeitung war das Joint-Venture-Modell, auf dessen Grundlage die Zeitung herausgegeben wurde. In diesem deutsch-türkischen Kooperationsmodell hatte jeder Partner eine andere Funktion. Auf der realen Organisations- und Arbeitsebene erwies sich dieses Gefüge letztlich als nachteilig, weil ein hoher Grad an interner unternehmerischer Kommunikation und Vernetzung notwendig ist, Kompetenzbereiche häufig nicht klar definiert sind und unternehmerische und politische Interessenkonflikte entstehen. Eine mangelnde Rezipientenakzeptanz, die sich in niedrigen Auflagenzahlen zeigte, ein damit einhergehendes schwaches Anzeigen- und Werbeaufkommen und letztlich die Insolvenz des Hauptinvestors waren für den Herausgabestopp der Zeitung maßgeblich verantwortlich. Eine weitere Auffälligkeit bestand in dem Umstand, dass außer dem deutschen Partner, der selbst Herausgeber einer großen regionalen Tageszeitung war, der Hauptinvestor und die Geschäftsführung der Dünya Hafta branchenfremd waren.
IV.2 D IE S CHLÜSSELK ATEGORIEN IN IHREN UNTERSCHIEDLICHEN D IMENSIONALISIERUNGEN Die in die empirische Untersuchung einbezogenen Printmedienproduzenten weisen individuelle inhaltliche Themenschwerpunkte auf, nichtsdestotrotz treten, auch durch die Nutzung der offenen, leitfadenorientierten Interviewtechnik, fallübergreifende thematische Vergleichsstrukturen hervor. Diese, im Kontext der vorliegenden Arbeit erarbeiteten Themenblöcke, anhand derer sich die Spezifika der Medienunternehmen innerhalb des Samples darstellen lassen, stellen die Schlüsselkategorien dar. Sie treten in allen Fällen in unterschiedlicher Dimensionalisierung hervor. In Kapitel IV.2 rekonstruiere ich, in welchen Dimensionen die Schlüsselkategorien nach dem Kodierprozess des gesamten Datenmaterials (offenes, axiales und selektives Kodieren) in signifikanter Weise vertreten sind. Meine Vorgehensweise lässt sich dabei wie folgt wiedergeben: Zu jeder Schlüsselkategorie gehört eine unterschiedliche Anzahl von Dimensionen, die ich durch eine Auswahl fallimmanenter Rekonstruktionen anreichere bzw. sättige. In der nachfolgenden Tabelle werden diese einführend aufgezeigt:
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Tabelle 12: Darstellung der empirischen Ergebnisse aus Kapitel IV.2 Schlüsselkategorie
Dimensionen
Die Dimension A: »die Professionellen« ArbeitsprofessioDie Dimension B: »die Semi-Professionellen« nalität (SK 1) Die Dimension C: »die Amateure« Originäres Inter- Die Dimension A: »die politisch-kulturell Motivierten« esse auf M II Die Dimension B: »die ökonomisch-integrativ Motivierten« (SK 2) Die Dimension C: »die politisch-integrativ Motivierten« Die Dimension A: »die Strategielosen« UnternehmensDie Dimension B: »die ökonomischen Strategen« strategie (SK 3) Die Dimension C: »die gescheiterten Strategen« ZielgruppenDie Dimension A: »ambivalente Außenansicht« wahrnehmung Die Dimension B: »re-aktive Innenansicht« (SK 4) Die Dimension C: »realistische Innenansicht« Verhältnis zu anderen PrintDie Dimension A: »ambivalentes Konkurrenzverhalten« medienproduDie Dimension B: »offen für Kooperation« zenten(SK 5) Zur Darstellung der Dimensionen werden nur die Fälle herangezogen, die geeignet sind, die Dimension inhaltlich prägnant darzustellen. In einem zweiten Arbeitsschritt, im jeweiligen Fazit, wird zusammenfassend eine fallübergreifende Dimensionalisierung der jeweiligen Schlüsselkategorien erarbeitet. Die Schlüsselkategorien verbinden somit die Fälle miteinander, dienen als Vergleichsdimension und bieten ein Tableau zur differenzierteren Betrachtung. Bei der erstmaligen Nennung des Printmedienproduzenten und der jeweiligen Interviewpartner werden diese kurz vorgestellt. Im weiteren Arbeitsverlauf verzichte ich auf wiederholte Unternehmens- und Expertenzuschreibungen und nenne nur noch deren Pseudonym.107 Im Folgenden veranschaulicht eine schematische Darstellung das Beziehungsgefüge der in diesem Forschungskontext rekonstruierten fünf Schlüsselkategorien. Diese Schlüsselkategorien stehen nicht abgegrenzt nebeneinander sondern sind miteinander verzahnt und bilden in ihrem Zusammenspiel einen Korpus, anhand dessen sich eine Analyse zur Verortung des jeweiligen Medienakteurs auf Medienmarkt II vornehmen lässt: Dazu gehören: Arbeitsprofessionalität, Originäres Interesse auf Medienmarkt II, Unternehmensstrategie, Zielgruppenwahrnehmung und Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten. Die in diesem 107 | Siehe dazu auch im Anhang C: Liste der Interviews und Anhang F: Interviewsituationen.
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Forschungskontext rekonstruierten Schlüsselkategorien stellen damit Relevanzpunkte innerhalb eines Medienproduzenten dar. Es handelt sich um unternehmenspolitische und unternehmensökonomische Faktoren, die maßgeblich die Präsenz von Akteuren auf M II beeinflussen. An dieser schematischen Darstellung orientiert, werden im weiteren Verlauf die unterschiedlichen Dimensionen der fünf Schlüsselkategorien herausgearbeitet, um auf dieser empirischen Basis eine Typologie der Akteure des deutsch-türkischen Printmedienmarktes (M II) zu erstellen. Abbildung 8: Schematische Darstellung der fünf Schlüsselkategorien
IV.2.1 Die Schlüsselkategorie 1: Arbeitsprofessionalität Unter der Schlüsselkategorie Arbeitsprofessionalität (SK 1) erfasse ich Elemente der Handlungspraxis des journalistischen, redaktionellen und organisatorischen Arbeitens in den untersuchten Medienunternehmen, die den Grad des professionellen Handelns im Prozess der Herstellung des Printmediums rekonstruieren. Dazu gehören: die fachliche Kompetenz der Mitarbeiter, effiziente Organisations- und Entscheidungsstrategien sowie die Bereitstellung von technischen und inhaltlichen Ressourcen durch eine hinreichende ökonomische Basis. Eng verknüpft mit dieser Schlüsselkategorie ist letztlich auch die Qualität des Endproduktes Printmedium, seine Marktakzeptanz und die Produktivität des Unternehmens. Aus der Analyse des empirischen Textmaterials ergeben sich drei unterschiedliche Dimensionen von Arbeitsprofessionalität innerhalb der untersuchten Medienunternehmen. Zur Darstellung der Dimensionen werden nur die Fälle herangezogen, die geeignet sind, die Dimension inhaltlich prägnant darzustellen.
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IV.2.1.1 Die Dimension A: »die Professionellen« Zur Rekonstruktion der Dimension »die Professionellen« ziehe ich die Fälle Printmedium 1 (PM 1), PM 3 und PM 4 heran. PM 1 ist ein Medienunternehmen aus der Türkei, welches in unterschiedlichen Sektoren des türkischen Medienmarktes tätig ist und auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt eine Europaausgabe ihrer Tageszeitung verlegt. Für PM 1 führte ich zwei Experteninterviews durch.108 Das Gespräch mit F.L. fand in seinem Büroraum in der Zentrale des türkischen Mutterhauses in der Türkei statt. F.L. arbeitete viele Jahre als Chefredakteur der Deutschlandausgabe von PM 1 und ist gegenwärtig innerhalb des Unternehmens mit einem anderen Aufgabenbereich betraut. Er wuchs in der Türkei auf, besuchte dort das deutsche Gymnasium und beendete ein geisteswissenschaftliches Hochschulstudium in seinem Heimatland. Er ist ein erfahrener Journalist, der lange Zeit als verantwortlicher Chefredakteur gearbeitet hat. Das Gespräch mit B.L., einem Redaktionsleiter einer regionalen Gebietseinheit von PM 1 in Deutschland, fand in seinen Büroräumlichkeiten in einer deutschen Großstadt statt. B.L. absolvierte seine schulische Laufbahn und eine erste Berufsausbildung in der Türkei. Im Anschluss daran ging er zum Studium nach Deutschland, beendete dieses im Bereich der Geisteswissenschaften und arbeitet seitdem für die Europaausgabe von Printmedium 1, gegenwärtig in leitender Position. PM 1 verfügt über die organisatorische Struktur einer klassischen Tageszeitung.109 Hauseigene Nachrichten- und Bildagenturen und ein international agierendes Korrespondententeam stellen einen jederzeitigen Zugriff auf notwendiges Quellenmaterial sicher. Die Nutzung dieser Informationspools ist damit nicht an weitere Produktionskosten gekoppelt. Im Interview erklärt F.L., dass zur Herstellung der Deutschlandausgabe von PM 1 die Redaktion im türkischen Mutterhaus mit der Redaktion der Deutschlandausgabe in Deutschland kooperiert. Zu diesem Zwecke sind diese durch ein Computersystem miteinander verbunden, »damit können auch die Verantwortlichen in Istanbul in jeden Frankfurter Text Einsicht nehmen«110. Der Mantel der Zeitung wird im Mutterhaus in der Türkei hergestellt, die Europaausgabe der Zeitung wird in den Redaktionen der deutschen Repräsentanz angefertigt, im Mutterhaus redigiert und in Deutschland gedruckt und vertrieben. Entscheidungsprozesse im Produktionsprozess 108 | Detaillierte Informationen zu allen durchgeführten Interviews siehe Anhang F: Interviewsituationen, Anhang D: Zur Anonymisierung der Interviews und Anhang E: Zur Repräsentanz der Interviews.
109 | Management, Redaktion, Produktion, Marketing, Werbung, Druck und Vertrieb, siehe dazu: Turow, Joseph (2003), S. 146-168.
110 | F.L. Z. 264f.
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des Printmediums sind nach Hierarchien untergliedert. Nach dem Verständnis des Interviewpartners nimmt der Chefredakteur im redaktionellen Entscheidungsprozess eine Schlüsselposition ein. »Schauen sie mal, in der Türkei gibt es einen Chefredakteur, Herrn XY [Anmerkung der Übers.: für die türkische Ausgabe in der Türkei]. Sein Wort ist überall bindend. Wenn man auf den Status in Frankfurt schaut, war ich dort ganz oben. Deshalb war mein Wort dort bindend«111
F.L. ist sich bewusst, dass diese Aussage in Deutschland besonderer Kritik ausgesetzt war und ist112 und versucht im weiteren Gesprächsverlauf, seine Aussage zu relativieren. »Mein Wort ist ausschlaggebend, dein Wort ist ausschlaggebend, solch eine Halsstarrigkeit gibt es nicht. Da nun einmal unsere Freunde in Frankfurt in Deutschland leben, so sehe ich persönlich das, so kennen sie die dortigen Probleme am besten« 113 »So einen Kompetenzstreit, ich entscheide, du entscheidest, gibt es nicht. Aber letztendlich können sie hier [Anmerkung der Übers.: in der Türkei] auch sagen, bei dieser Nachricht fehlt dieses oder jenes, schauen sie doch mal dorthin, hier kann einer als großer Bruder verantwortlich sein, das ist ganz normal. Im Ausland besteht der Eindruck, als ob die Redaktion von Printmedium 1 in der Türkei nicht möchte, dass sich die Menschen dort anpassen. Solch einen Eindruck vermitteln sie dort…wir haben weder ausgeprägte nationalistische Gefühle…deshalb sage ich ihnen das jetzt, dass ist euer Problem, wir arbeiten in einem Gleichgewicht zwischen Deutschland und der Türkei«114
Auf das Thema der Endredaktion der in Deutschland erstellten Zeitungsseiten reagiert F.L. sehr sensibel. Allein die Frage nach der Endredaktion veranlasst ihn, die Position eines Verteidigers einzunehmen. Er versucht zuvor Gesagtes zu relativieren, indem er Entscheidungsprozesse bis hin zur Endredaktion möglichst oberflächig darlegt und Vergleiche mit anderen nationalen Zeitungen in Europa aufzeigt. B.L. reagiert auf die Frage nach persönlichen Entscheidungsabläufen im Unternehmen ebenfalls sensibel und ist so bemüht, ähnlich wie F.L., seine 111 | F.L. Z. 276ff. 112 | F.L. war Chefredakteur der Europaausgabe von Printmedium 1, führte diese Funktion jedoch größtenteils aus dem Mutterhaus in der Türkei aus. Dieser Umstand wurde innerhalb des »deutsch-türkischen Mediendiskurses« kritisch bewertet. Siehe dazu: Busse, Eva (2002) und Güngör, Dilek (1999).
113 | F.L. Z. 281ff. 114 | F.L. Z. 302ff.
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Entscheidungsfreiheit zu demonstrieren. Auch er fühlt sich durch die Frage zu einer Erklärung bzw. Verteidigung herausgefordert. »wir machen uns hier keine Gedanken darüber, ob dies oder jenes wohl dem Nachrichtenverständnis von [Printmedium 1] entspricht oder nicht. Wir machen hier alles so wie wir es wollen, wir machen hier alles so wie wir es wollen, diese Freiheit haben wir. [Bei Printmedium 1] gibt es eine solche Einschränkung nicht. Macht dies, macht das, wir wollen dies und wollen jenes nicht, solche Vorschriften gibt es hier nicht« 115
Beide Mitarbeiter von PM 1 drücken das Bedürfnis aus, ihre Entscheidungskompetenz innerhalb ihrer Arbeitsfelder als breit gefächert darzustellen und sich in ihrer Arbeit unabhängig von einem hierarchischen System zu verorten. Da beide Gesprächspartner innerhalb ihrer lokalen Einheiten Führungsfunktionen inne hatten bzw. haben, stehen sie auf der unternehmerischen Hierarchieebene weiter oben als die Mehrheit der Mitarbeiter von Printmedienproduzent 1. Aus diesem Grund standen und stehen ihnen auch gewisse Entscheidungskompetenzen zu, sie wiederum sind einer höher gestellten Ebene gegenüber verantwortlich. Einleitend in das Interview demonstriert B.L., in welchem Bezug die Europaausgabe von Printmedium 1 zum türkischen Mutterhaus steht. »Die Europaausgabe von [Printmedium 1] wird generell in Kooperation mit der Türkei erstellt. Ohne die Zusammenarbeit mit der Türkei wäre die Europaausgabe von [Printmedium 1] nicht denkbar. Wir arbeiten hier in enger Verbundenheit zur Mutterzeitung. Das heißt natürlich nicht, dass wir den Europa bezogenen Teil der Zeitung in Zusammenarbeit mit der Türkei erstellen. Nein! Die Türkei erstellt die Europaausgabe von [Printmedium 1] angeführt von Deutschland in den Büros der anderen europäischen Länder durch den Einsatz ihrer dortigen Mitarbeiter« 116
Die Europaausgabe von Printmedium 1 wird deutlich als ein türkisches Printmedium definiert, welches auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt (M II) vertrieben wird. Wenn es darum geht, die Erstellung der Europaausgabe von Printmedium 1 von der Erstellung der Türkeiausgabe von Printmedium 1 zu differenzieren, haben sowohl F.L. als auch B.L. das Bedürfnis, das Bild eines eigenständigen Profils der Deutschlandredaktion, unabhängig von den Entscheidungen im türkischen Mutterhaus, aufzuzeigen. Dies widerspricht jedoch der zuvor gemachten Aussage, die Europaausgabe sei ohne die Zusammenarbeit mit der Türkei nicht denkbar.
115 | B.L. Z. 114ff. 116 | B.L. Z. 11ff.
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Die Arbeiten in der Redaktion werden auf technisch hohem Niveau durchgeführt und die Interviewpartner sind erfahren und gut ausgebildet. Die Interviewpartner von Printmedienproduzent I erfuhren ihre Sozialisation in der Türkei, besitzen die Hochschulreife, sind seit zwei Jahrzehnten als Journalisten bzw. Redakteure tätig, sind zweisprachig und üben/übten zum Zeitpunkt leitende Positionen aus. Beiden Interviewpartnern gemeinsam war ihre enge persönliche Bindung zu Printmedium 1. »Wenn Sie 23 Jahre bei einer Zeitung arbeiten, wenn sie ein Element der Zeitung sind, dann vereinigt sich alles was sie gemacht haben, alles was sie gemacht haben mit der Zeitung«117
In diesem Fall gilt die Identifikation eher Printmedium 1 als Printmedienproduzent 1, der eine Vielzahl von Medienprodukten herausgibt. Die Managementpositionen innerhalb des deutschen Tochterunternehmens von Printmedienproduzent 1 sind primär mit bilingualen Personen mit türkischem Bildungs- und Sozialisationshintergrund besetzt, für die Führungskräfte innerhalb der Redaktionsräume gilt das gleiche. Beide Interviewpartner von Printmedienproduzent 1 weisen im Gespräch darauf hin, dass Mitarbeiter im Redaktionsteam eines Printmediums, das sich an der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland orientiert, über einen überdurchschnittlich breit angelegten Kompetenzrahmen verfügen müssen. Neben der journalistischen Kompetenz gehöre seit Kurzem eine hohe bilinguale Sprachkompetenz zum Einstellungsprofil. Das Unternehmen sei dazu übergegangen, nun auch verstärkt Mitarbeiter aus dem Kreis von Personen mit eigenem deutsch-türkischen Migrationshintergrund zu rekrutieren. In der Praxis gestaltet sich die Suche nach Mitarbeitern mit eben diesem Einstellungsprofil jedoch schwierig, da der potentielle Kreis von türkischstämmigen Journalisten in Deutschland häufig sehr gute Deutschkenntnisse besitze, die Herkunftssprache Türkisch allerdings nur auf einem Alltagsniveau beherrsche. Printmedienproduzent 3 ist ein türkisches Medienunternehmen, welches eine Tageszeitung, politische Magazine, einen Fernsehsender sowie verschiedene Radioprogramme erstellt und über eine eigene Nachrichtenagentur und Druckerei verfügt. Bei Printmedium 3 handelt es sich um eine türkische Tageszeitung, die seit 1991 auf dem deutschen-türkischen Medienmarkt vertrieben wird und zu diesem Zweck eine Vertretung in Deutschland errichtete, die sowohl Printmedien verlegt als auch für den hauseigenen TV-Sender produziert. Zur Verortung von Printmedienproduzent 3 führte ich zwei Experteninterviews durch.
117 | B.L. Z. 109ff.
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Das Interview mit N.D., dem Chefredakteur der Europaausgabe vom PM 3, wurde in den Büroräumlichkeiten der Zentrale in Deutschland geführt. N.D. ist zum Zeitpunkt des Interviews drei Jahre als Chefredakteur der Europaausgabe in Deutschland tätig. Zuvor übte er diese Funktion für die Mutterzeitung in der Türkei aus. N.D. ist studierter Wirtschaftswissenschaftler, ein erfahrener Chefredakteur und spricht neben Türkisch keine weitere Fremdsprache. T.C., der zweite Interviewpartner, emigrierte im frühen Kindesalter mit seiner Familie nach Deutschland und durchlief hier seine schulische und berufliche Laufbahn. Er ist Akademiker, spricht drei Sprachen und arbeitet als Redaktionsleiter einer regionalen Gebietseinheit bei PM 3 in Deutschland. Printmedium 3 wird größtenteils in der Türkei hergestellt. Die Europaausgabe der Zeitung hat ihre Zentrale in einer deutschen Großstadt. Dort sind zwölf Personen nur mit redaktionellen und bürotechnischen Arbeitsvorgängen beschäftigt. Hinzu kommt das Personal für die hauseigene Druckerei und die Abonnentenbetreuung.118 N.D. erklärt, dass in neun europäischen Städten jeweils ein Korrespondent für die Zeitung tätig ist, im Hauptstadtbüro arbeiten drei Redakteure. In den einzelnen Bundesländern, in denen viele Türken leben, seien Mitarbeiter eingesetzt, die direkt mit der Zentralredaktion in Deutschland zusammenarbeiten. Zusätzlich arbeiten eine Reihe von freien Mitarbeitern für die Europaausgabe.119 Er spricht von einer engen Kooperation zwischen der Mutterzeitung in der Türkei und der Europazentrale in Deutschland, die partnerschaftlichen Charakter besitzt, »es ist ein partnerschaftliches Zusammenarbeiten, es gibt keine Anweisungen«120. Ebenso wie bei Printmedium 1, ist die Erstellung von Printmedium 3 nur in enger Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Mutterhaus zu realisieren. Der Hauptgrund dafür liegt in der Tatsache, dass die Tageszeitungen auf M II als Zusatzprodukt erscheinen und der Hauptmantel im türkischen Mutterhaus erstellt wird. Der Produktionsprozess der Europaausgabe von Printmedium 3 lässt sich nach Angaben von N.D. wie folgt umreißen: aus der 28seitigen türkischen Ausgabe wird die Werbung entfernt, je nach Umfang des in Deutschland erstellten Anteils, werden 40-70 % des Textmaterials der türkischen Ausgabe entnommen. Jede Ausgabe enthält vier Seiten Nachrichten aus Europa inklusive einer Seite Sportnachrichten aus Europa.121 Alle Nachrichten, die in Deutschland erstellt werden, werden auch nach Istanbul weitergeleitet und dort über die hauseigene Nachrichtenagentur zum Verkauf angeboten. Ferner erklärt er, dass es zwischen der Türkei und Deutschland eine eindeutige Aufgabenteilung gibt. Bei der Türkeiausgabe und der Europaausgabe von Printmedium 3 handelt es sich um »zwei unterschiedliche Zeitungen unter dem sel118 | Vgl. N.D. Z. 222ff. 119 | Vgl. N.D. Z. 228ff. 120 | N.D. Z. 183. 121 | Vgl. N.D. Z. 120ff.
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ben Logo und unter dem selben journalistischen Selbstverständnis«122. Das türkische Team entscheidet, welche Berichte und Kommentare aus der Mutterzeitung für die Europaausgabe relevant sind und wählt diese aus.123 Die Endredaktion für die Europaausgabe werde in Deutschland vorgenommen, die beiden Redaktionen arbeiten gleichberechtigt miteinander und nebeneinander. »Wir benutzen die gleichen Nachrichten, aber wir redaktionieren sie unterschiedlich, sie stimmen es auf die Türkei ab, wir stimmen es auf Europa ab.« 124
Der Chefredakteur betont hier die Unabhängigkeit der Europaredaktion von der türkischen Redaktion: »wenn ich das möchte, fälle ich hier jede Art von Entscheidung, an diesem Punkt gibt es kein Hindernis. Welche Entscheidungen treffen wir? Was wir als Überschrift haben wollen, das machen wir zur Überschrift, wir entscheiden über Inhalt und Gestalt der Titelseite«125
Ähnlich wie die Mitarbeiter von PM 1 neigen die Mitarbeiter von PM 3 dazu, die Frage der Endredaktion ambivalent darzustellen. Zunächst erklärt T.C., dass es sich bei der Türkeiausgabe und der Europaausgabe von PM 3 um zwei unterschiedliche Zeitungen handelt, die unter dem gleichen Logo und dem gleichen journalistischen Verständnis erstellt werden. In der Praxis handelt es sich aber nicht um zwei inhaltlich eigenständige Tageszeitungen, sondern um zwei voneinander divergierende Zeitungen, bei denen 40-70 % des Hauptmantels identisch sind. Anders als bei PM 1 scheint es bei PM 3 jedoch in Bezug auf den in Europa erstellten Teil keine redaktionelle Weisungsbefugnis aus dem Mutterhaus in der Türkei zu geben. Zudem scheint der Chefredakteur insgesamt eine größere redaktionelle Unabhängigkeit als bei PM 1 zu genießen, was letztlich auch ein flexibles und reaktives Redaktionieren ermöglicht. Auch die Interviewpartner von PM 3 thematisieren ungefragt ihre Personalpolitik in Bezug auf die Mitarbeiter der Europaausgabe. N.D. berichtet in diesem Kontext, dass das Redaktionsteam in Deutschland seit drei Jahren konsequent um bilinguale qualifizierte Mitarbeiter mit Hochschulabschluss erweitert wird. Gegenwärtig sind bereits 90 % der Redaktionen in Europa auf journalistischem Niveau bilingual.126 Er ist der Ansicht, mit der Qualität des Personals
122 | T.C. Z. 38f. 123 | T.C. Z. 50f. 124 | N.D. Z. 180f. 125 | N.D. Z. 190ff. 126 | Vgl. N.D. Z. 246ff.
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steige auch die Qualität der Zeitung und damit auch die Auflage der Zeitung.127 PM 3 wird in der hauseigenen Druckerei des deutschen Unternehmenssitzes gedruckt und gelangt über den Postweg als Abonnentenzeitung (90 %) sowie über den Kioskverkauf (10 %) an die Rezipienten.128 Durch diesen dualen Vertriebsweg ergeben sich für das Unternehmen zwei Vorteile: zum einen sei es wirtschaftlicher, ohne hohen Rücklauf zu drucken, zum anderen könne eine enge Produzenten-Rezipienten-Bindung Synergieeffekte im Marketing auch für andere Teilbereiche des Unternehmens wie TV-Commerce etc. erzeugen. Bei Printmedienproduzent 4 (PM 4) handelt es sich um ein türkisches Medienunternehmen, welches auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt (M II) zwei Printmedienprodukte herausgibt und einen eigenen Fernsehkanal produziert. Bestandteil der vorliegenden Untersuchung ist nicht die Tageszeitung von PM 4, sondern die türkischsprachige Monatszeitung, die über regionale Ereignisse mit Schwerpunkt auf der TBiD berichtet und sich über Anzeigen finanziert. Da dieses Format komplett in Deutschland konzipiert und produziert wird, konnte dazu in der Türkei kein relevanter Interviewpartner für PM 4 ermittelt werden.129 Interviewpartner für PM 4 ist der Geschäftsführer des Unternehmens in Deutschland, der für die Neukonzeption der Monatszeitung maßgeblich verantwortlich ist. L.L. wurde in der Türkei geboren und emigrierte mit seiner Familie im Kindesalter nach Deutschland. Er schloss dort ein Hochschulstudium ab und spricht sowohl deutsch als auch türkisch. Bevor er die Position des Geschäftsführers übernahm, sammelte er innerhalb des gleichen Unternehmens langjährige Berufserfahrung im Bereich der Printmedienherausgabe. Einleitend in das Gespräch schildert L.L. den operationalen Aufbau der Redaktionsstruktur für PM 4. Neben der Unternehmenszentrale in Deutschland bestehen sieben weitere Regionalbüros auf M II mit jeweils ein bis zwei Redakteuren in anderen deutschen Großstädten, sowie drei weiteren Büros in Europa. Jedes Regionalbüro sei wiederum mit einer Reihe von freien Mitarbeitern vernetzt. Aufgabe der Regionalbüros sei die regionale Berichterstattung und Anzeigenakquise. Das textliche Rohmaterial aus den Regionalbüros werde per Internet an die deutsche Zentrale gesendet und dort redaktionell verarbeitet. Ein eigens an diese unternehmensinternen Kommunikationsbedürfnisse angepasstes Computerprogramm ermögliche eine reibungslose und schnelle Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Büroeinheiten.130 »Wir sind, wir benutzen eigentlich das Internet und die heutige Technik sehr sehr gut. Da wir heute gut verknüpft sind (.) das heißt wir haben Einsicht in unser System, ich 127 | Vgl. N.D. Z. 402ff. 128 | Vgl. T.C. Z. 107ff. 129 | Für Printmedienproduzent 4 wurde ein Interview geführt. 130 | Vgl. L.L. Z. 28ff.
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kann jetzt da einfach mal in unser System reingehen und schauen, welche Nachrichten schon da sind. Wer was schon geschickt hat, von welchem freiberuflichen oder festen Mitarbeiter, ob das schon überarbeitet ist, ob die Zentrale das schon übernommen hat, die Hauptredaktion, also dieses System haben wir…das [Anmerkung: das Computerprogramm] haben wir selbst mal schreiben lassen, weil wir auch zeitlich nah dran sein wollten und weil wir auch die Kontrolle haben möchten« 131
Pro Monat werden neun verschiedene Ausgaben der Zeitung erstellt, d.h. alle dreieinhalb Tage erscheint ein neues Produkt, das dann an die Abonnenten in der jeweiligen Region geschickt wird.132 Er beschreibt die Hauptredaktion als ein gut eingespieltes Team. »wenn ich mal Zeit habe, schaue ich gerne mal rein und schnuppere mal was ist und äh bringe auch mal von mir etwas und diskutiere mit den Kollegen, aber sonst (.) läuft diese Maschinerie von selbst«133
L.L. benutzt in diesem Zusammenhang die Metapher »läuft diese Maschinerie von selbst« und demonstriert damit, dass es sich um ein erfahrenes, gut eingespieltes und aufeinander abgestimmtes Redaktionsteam handelt. Er erklärt weiter, dass diese Hauptredaktion die verschiedenen regionalen Ausgaben, basierend auf der Vorarbeit der Regionalbüros, erstellt. Die Zeitungen werden per Post kostenlos an 400.000 deutsch-türkische Haushalte in Deutschland versendet. Anschließend thematisiert L.L. das neue Format der Zeitung, bei der es sich um eine Mischung zwischen Anzeigenzeitung und Gratiszeitung handelt. »Eine internationale Werbeagentur sagte mal zu mir, Herr L.L., das ist kein Anzeigenblatt, das ist nur ein äh, wie nennt man das, ein Monatsmagazin oder Heft, eine Illustrierte, welche eigentlich nur auf Zeitungspapier gedruckt ist«134
Die Thematik des Personalmanagements wird auch von L.L. ungefragt angesprochen. Der Geschäftsführer erklärt, dass er die Zahl von deutschen Mitarbeitern in den Redaktionen zukünftig erhöhen will. Sein Ansatz in diesem Kontext ist noch einmal ein anderer als bei PM 1 und PM 3. Er geht noch einen Schritt weiter und möchte neben Mitarbeitern mit deutsch-türkischem Migrationshintergrund auch deutsche Mitarbeiter einstellen und dies, obwohl es sich bei PM 4 um ein türkischsprachiges Medium handelt. Seiner Ansicht nach sollen damit
131 | L.L. Z. 44ff. 132 | Vgl. L.L. Z. 65ff. 133 | L.L. Z. 74ff. 134 | L.L. Z. 502ff.
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die verschiedenen Sichtweisen auf einen Gegenstand deutlich und ein Diskurs innerhalb der Redaktion angeregt werden. »Die deutschen und die türkischen Mitarbeiter, ja wie betrachte ich diese Perspektive, ja Mensch (.) so können wir doch nicht berichten oder so soll es nicht sein oder so ist es missverstanden…also es wird diskutiert, es wird über Themen diskutiert, in welcher Weise wir da berichten sollen«135
L.L. ist im Interview sehr darum bemüht, PM 4 aus dem klassischen Kanon der türkischen Tageszeitungen in Deutschland zu entkoppeln, durch das Printmedium eine bestimmte Botschaft zu erstellen, um der Zielgruppe zu vermitteln, »wir schreiben nur für euch, wir kennen eure Lebenssituation und helfen bei euren Alltagsproblemen in Deutschland«. »Die Zeitung soll kein, kein türkisches Blatt sein, es ist ein deutsches Blatt aber in türkischer Sprache…denn sie finden hier keinen Beitrag aus Istanbul, sie kriegen keinen Beitrag aus Alanya oder Antalya«136
Die Zeitung ist insofern tatsächlich ein deutsches Blatt, als dass es vollständig in Deutschland/Europa erstellt und die Endredaktion in Deutschland vorgenommen wird. PM 4 hat sich als Medienträger für die Zielgruppe TBiD am meisten vom redaktionellen Einfluss seines Mutterhauses in der Türkei emanzipiert. Dabei handelt es sich wahrscheinlich weniger um einen real angestrebten Emanzipationsprozess als um die praktische Einsicht, dass nur durch die Entwicklung neuer, marktorientierter Konzepte der Bezug zur Zielgruppe langfristig aufrechterhalten werden kann.
IV.2.1.2 Die Dimension B: »die Semi-Professionellen« Die Dimension »die Semi-Professionellen« wird im Folgenden durch ein Sample rekonstruiert. Printmedium 2 ist eine türkische Zeitung, die in Deutschland wöchentlich und in der Türkei täglich erscheint. Es handelt sich bei Printmedienproduzent 2 nicht um ein Medienunternehmen im herkömmlichen Sinne, denn es besitzt seit einigen Jahren den rechtlichen Status einer Stiftung; diese gibt ausschließlich Printmedium 2 heraus. Zur Rekonstruktion dieses Falles wurden drei Interviews durchgeführt. Die Interviews mit J.Z. und I.D. wurden in den Räumlichkeiten des türkischen Mutterhauses geführt. Die beiden Gesprächspartner, zwei der fünf Chefredakteure der Zeitung, sind innerhalb der Stiftung verantwortlich für die Herausgabe der Wochenzeitung auf M II. Beide sind Akademiker, erfahrene 135 | L.L. Z. 120ff. 136 | L.L. Z. 519ff.
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Journalisten und sprechen Türkisch und Englisch. I.D ist auch als Buchautor tätig. Das dritte Interview mit P.D., dem Chefredakteur der Deutschlandausgabe von PM 2, wurde in einer deutschen Großstadt geführt. P.D. kam zum Studium nach Deutschland, lebt und arbeitet seither dort. Einführend in das Interview betont J.Z. die enge Zusammenarbeit zwischen der türkischen und deutschen Redaktion, wobei die deutsche Redaktion mehr den Charakter eines Korrespondentenbüros denn einer Auslandsvertretung der türkischen Mutterzeitung besitzt. Zum Zeitpunkt der Interviewerhebung ist die einköpfige Redaktion in Deutschland, aus einer journalistischen Perspektive betrachtet, lediglich für die Bewertung der gesellschaftspolitischen Ereignisse in Deutschland zuständig. Daneben übernimmt der Redakteur alle weiteren Arbeiten, die in einem Redaktionsbüro anfallen. Dazu zählen u.a.: die Öffentlichkeitsarbeit, täglich anfallende Büroarbeiten, die Abonnentenverwaltung und -pflege und die Zusammenarbeit mit der Druckerei.137 Gedruckt wird die Zeitung in einer Fremddruckerei. P.D. ist somit für alle Arbeitsvorgänge in der Redaktion verantwortlich, so etwas wie »ein Mädchen für alles«, sein Zuständigkeitsbereich erscheint vielfältig und von einer Person schwer zu bewältigen. Angesichts der Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Interviews die komplette redaktionelle Arbeit, das Layout und der Satz der Zeitung vollständig im türkischen Mutterhaus erstellt werden, kann das zu leistende Arbeitsspektrum des Redakteurs von PM 2 in Deutschland in der Praxis reduziert betrachtet werden. Der auf ein Minimum reduzierte journalistische Einsatz direkt von M II beruht dabei eher auf einem schwierigen ökonomischen Status Quo des türkischen Mutterhauses als auf einer redaktionell hierarchischen Vorgehensweise des Verlags. »[Printmedium 2] hat im vergangenen Jahr immense Probleme, Probleme finanzieller Art durchlaufen….deshalb können wir keinen guten Journalismus machen…vom journalistischen Standpunkt aus ist das für uns ein Schritt zurück, ja die meinungsbildende Zeitung bleibt, aber der Journalismus [Anmerkung der Übersetzerin: aus Deutschland] ist abhanden gekommen«138
Mit vereinten Kräften wird versucht, die Wochenausgabe auf M II aufrechtzuerhalten. »Sie arbeiten jetzt in einer Küche, alle Journalisten der Zeitung — eine große Gruppe — arbeiten an der Deutschland Woche [Anmerkung der Übersetzerin: Wochenausgabe in Deutschland]«139 J.Z. spricht in diesem Kontext metaphorisch von einer Küche, in der alle Journalisten der Zeitung arbeiten. Gemeinsam bemühen sich alle Köche um die Fertigstellung des Menüs. Für M II lässt sich 137 | Vgl. P.D. Z. 93ff. 138 | P.D. Z. 40ff. 139 | J.Z. Z. 88f.
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aus den bereits genannten Gründen kein eigenes Menü mehr erstellen, aber das Kochteam kämpft zumindest durch das Angebot des türkischen Menüs um ihren Status Quo auf M II. Drei Sachverhalte werden deutlich: • • • •
Es handelt sich um eine Deutschlandausgabe der Mutterzeitung in der Türkei. Ein selbständiges und professionelles Arbeiten im deutschen Büro ist aufgrund einer fehlenden ökonomischen Basis nur sehr eingeschränkt möglich. Die Redaktionsmitglieder sind erfahrene und gut ausgebildete Journalisten. P.D. präsentiert sich im Interview als sehr engagierter Gesprächspartner, der primär durch persönliche und politische Überzeugungen motiviert zu sein scheint. Zum Zeitpunkt des Interviews arbeitet er sogar ohne Lohn. »Menschen machen das nicht, nur ganz bestimmte Personen, die wie wir Idealisten sind, machen das«140 Trotzdem ist seine Arbeitsmotivation hoch, denn er arbeitet für ideelle und politische Ziele und weist eine enge Identifikation mit der Zeitung auf.
»Ich bin ein Teil von [Printmedium 2], ich bin Teil dieser Geisteshaltung, ich bin ein Mensch der sich selber als Sozialist betrachtet…aber [Printmedium 2] ist keine sozialistische Zeitung, aber bei [Printmedium 2] gibt es Sozialisten, auch Sozialisten wie mich. Wir können schreiben was wir wünschen, da gibt es keine Hemmnisse. Bei unserer Zeitung sind Kemalisten, Sozialdemokraten, Kemalisten, Linke, gemäßigte Linke und Menschen, die wie ich sozialistisch denken, bei uns gibt es einen breiten linken Fächer« 141
Er präsentiert sich als ein in politischen Kategorien denkender Mensch und hat in der Zeitung eine politische Heimat gefunden.
IV.2.1.3 Die Dimension C: »die Amateure« Die Dimension »die Amateure« wird im Folgenden durch Printmedium 5, Printmedium 6 und Printmedium 7 rekonstruiert. Die Herausgabe von Printmedium 5, einem auf M II neu gegründeten deutsch-türkischen Unternehmen, wurde nach 24 Monaten wieder eingestellt. H.E., ein deutscher Akademiker mit sehr guten türkischen Sprachkenntnissen, war Mitarbeiter der deutschen Redaktion von PM 5. Er reflektiert das Arbeitsprofil im Verlag wie folgt: »Ich weiß nicht, ob eine Investition die Situation verbessert hätte. Es hätte eigentlich strategisch von den Mitarbeitern, von der Beschäftigung, von der Qualifizierung der Leute und, ja, wie man so ein Projekt aufbaut. Da sind also sehr viele Fehler gemacht worden. Also es war letztlich kein Geschäftsführer, kein Entscheider dort, der genau 140 | P.D. Z. 121f. 141 | P.D. Z. 104ff.
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wusste, was gemacht werden sollte…Und der, der eigentlich entscheiden konnte und sollte war nicht vom Fach. Der Geschäftsführer von [Printmedium 5] hatte mit Journalistik wenig zu tun«142
Seiner Ansicht nach waren Personen in unternehmerischen Schlüsselfunktionen branchenfremd eingesetzt, das Redaktionsteam schwach besetzt und es wurde viel Kleinarbeit von den Redakteuren selbst geleistet.143 Weiterhin erzählt er, dass für die Abonnentenverwaltung und Anzeigenbetreuung Auszubildende und Praktikanten zur Arbeit herangezogen wurden, die eigentliche Redaktionssekretärin wurde für andere Arbeiten abgezogen.144 Für die Anzeigenakquise standen seiner Einschätzung nach viel zu wenig Mitarbeiter bereit.145 Seiner Meinung nach wirkten sich ein inkompetentes Personalmanagement und eine fehlende medienökonomische Ausrichtung des Unternehmens negativ auf ein strukturiertes Arbeiten im Produktionsprozess der Zeitung aus. Diese Aussage untermauert er in dem er resümiert: »Ganz klar, ohne die XX Zeitung 146, hätte die Zeitung überhaupt nicht entstehen können. Vom Layout, vom Druck, vom Zeitungstechnischem waren wir drei Redakteure praktisch unerfahren«147
Ohne eine erforderliche Erfahrung und Kompetenz im Bereich der Medienproduktion war das neu gegründete Printmedium 5 seiner Ansicht nach gar nicht überlebensfähig. Erst vier Monate nach Beginn der Herausgabe der Zeitung wurde die relevante Computertechnik in der deutschen Redaktion von PM 5 installiert, die eine Netzwerk-Kommunikation zwischen der Redaktion und der Druckerei, die sich in einer anderen deutschen Stadt befand, ermöglichte. Zuvor fuhr einer der Redakteure wöchentlich zur Druckerei, gab die Dateien ab und redigierte sie noch einmal mühevoll vor Ort.148 Bei Printmedium 6 handelt es sich um eine wöchentliche deutschsprachige Beilage in einer überregionalen deutschen Tageszeitung. Zur Rekonstruktion von Printmedium 6 wurden zwei Experteninterviews geführt. B.P., der als Geschäftsführer und Verleger fungierte, ist in der Türkei geboren und sozialisiert, legte dort einen Hochschulabschluss ab und kam zu weiteren beruflichen Ausbildungszwecken nach Deutschland. Er lebt seit mehr als zwei Jahrzehnten 142 | H.E. Z. 288ff. 143 | Vgl. H.E. Z. 46f. 144 | Vgl. H.E. Z. 159ff. 145 | Vgl. H.E. Z. 267f. 146 | Synonym für das deutsche Medienunternehmen, das Teil des Unternehmens war. 147 | H.E. Z. 667f. 148 | Vgl. H.E. Z. 208ff.
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in Deutschland und ist gegenwärtig als selbständiger Unternehmer tätig. Das zweite Experteninterview im Kontext von PM 6, wurde mit T.L., einer türkischkurdischstämmigen Akademikerin und Journalistin, die seit ihrer Kindheit in Deutschland lebt, geführt. Sie war als freie Redakteurin für PM 6, welches für eine Dauer von elf Monaten auf M II herausgegeben wurde, tätig. B.P. bezeichnet die Mitglieder seiner Redaktion als einen »zusammengewürfelten Haufen«149, seinen Ausführungen nach wurde das Redaktionsteam nicht nach wirklich objektiven Kriterien, wie journalistischer Kompetenz und Branchenerfahrung ausgewählt. Zwei Mitarbeiter wurden vom deutschen Kooperationspartner ausgesucht, ein Mitarbeiter war ein Bekannter des Verlegers, der in Deutschland wieder beruflich Anschluss finden wollte etc. Innerhalb der Redaktion bestanden zudem keine fest definierten Arbeitsstrukturen: »so können sie nicht sagen, dass die Strukturen irgendwie fest waren oder gut durchdacht waren, sondern es war vielmehr chaotisch«150. B.P. legt dar, dass es kein ausgearbeitetes Zeitungskonzept gab, die Themen von Ausgabe zu Ausgabe ausgewählt wurden und jedes Redaktionsmitglied die ihm persönlich nahe stehenden Themen einbringen wollte. Zudem war er für eine Vielzahl von Aufgaben zuständig: »ich war Verleger, Geldbeschaffer, Problemlöser und Herausgeber«151. Hinzu kam, dass er teilweise auch inhaltlich arbeitete und Übersetzungen anfertigte. B.P. war von der Vielzahl der Aufgaben überfordert und besaß zudem keinerlei verlegerische und journalistische Erfahrung. »Also woher soll ich auch wissen, ich hatte keine Ahnung, was eine verlegerische Tätigkeit betrifft. Ich habe was gemacht, wovon ich keine Ahnung habe. Da passiert einem natürlich (.) erst hinterher habe ich bemerkt, dass Anzeigen Akquise ein Beruf ist« 152
Als Geschäftsführer war er auch für den Bereich Personalmanagement verantwortlich. Personalführung und -entscheidungen überforderten ihn, »ja ich musste das [Anmerkung: Personalentscheidungen] tragen, hab’s aber nicht geschafft«153. Auch der Arbeitsplatz von T.L. besaß Multitaskingfunktion, weil in der Redaktion insgesamt zuwenig Personal vorhanden war. Sie schrieb, redigierte, übernahm die Anzeigenbetreuung und Werbung.154 Die Redakteurin übte auch teilweise geschäftsführerische Funktionen aus. Unter den Redaktionsmitgliedern kam es zudem zu Unstimmigkeiten über die inhaltliche Arbeit des Verlegers. »Die Journalisten haben sich teilweise indirekt wie auch immer mit Händen 149 | B.P. Z. 133. 150 | B.P. Z. 141ff. 151 | B.P. Z. 34f. 152 | B.P. Z. 220 ff. 153 | B.P. Z. 203. 154 | Vgl. T.L. Z. 177ff.
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und Füßen gewehrt, dass ich schreibe«155 Hier wird, wie zuvor beschrieben, ein chaotisches Bild vom Redaktionsteam dargelegt, indem die Autorität des Verlegers bzw. Chefredakteurs seitens der Mitarbeiter nicht anerkannt wird, keine stringente Organisation herrscht und jeder an Projekten arbeiten möchte, die ihn persönlich interessieren. Schon zwei Monate nach Aufnahme der Herausgabe brach das fünfköpfige Redaktionsteam auseinander. »Äh (.) ja also die fünfköpfige Redaktionsgeschichte endete ganz schnell…Da hat es Geschrei und Krach gegeben und beinahe hätten die Leute sich gegenseitig geschlagen und der Laden war leer«156
Ein weiteres Spannungsfeld innerhalb der Redaktion ergab sich zwischen Vertretern der ersten, zweiten und dritten Generation: »das die erste Generation einfach immer das Sagen hat, sich der zweiten bedient, sie als Übersetzer einsetzt und äh sie aber eigentlich gar nicht unterstützt, das sie auch weiter kommen [I: Mhm] weil sie halt mit dem Deutschen, das Deutsche besser umsetzten können. So diese Diskrepanzen gab es natürlich auch« 157
Es wird deutlich, dass innerhalb der Redaktion Kompetenzkonflikte zusätzlich durch Generationenkonflikte überlagert wurden. T.L. bewertet die Basisfinanzierung der Zeitung von Anfang an als zu kurzfristig orientiert, die Gehälter sind nur für die ersten sechs Monate gesichert gewesen.158 Auch sie bemängelt das Fehlen von Personal, um ein professionelles Auftreten der Zeitung zu gewährleisten.159 Da der Verlag seine Mitarbeiter schon nach kurzer Anlaufphase nicht regelmäßig oder vollständig bezahlen konnte, kam es zu einer hohen Mitarbeiterfluktuation. »Es gab junge Leute, die sich Journalisten nannten, die verschwanden 15 Tage als sie merkten, dass der Verlag kein Geld hatte…und dann erschienen sie irgendwann einmal, weil sie gehört hatten, dass ich wieder Geld gefunden hätte (.) oder was weiß ich solch hässliches Zeug« 160
B.P. bezog selbst kein Gehalt, im Gegenteil, er investierte aus seinem Privatvermögen in die Zeitung. Dieser Umstand verursachte bei B.P. ein zusätzliches 155 | B.P. Z. 69f. 156 | B.P. Z. 149ff. 157 | T.L. Z. 110ff. 158 | Vgl. T.L. Z. 22ff. 159 | Vgl. T.L. Z. 138ff. 160 | B.P. Z. 64ff.
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Autoritätsproblem. Er fühlte sich als der »Idiot«161. Er selbst investierte sein Geld, bezog kein eigenes Gehalt und sollte sich, seiner Wahrnehmung nach, von bezahlten Kräften auch noch rumkommandieren lassen. Während des Interviews zeigte sich der ehemalige Verleger enttäuscht darüber, dass nicht jeder Mitarbeiter nur aus Idealismus an dem Projekt mitarbeitete. PM 6 scheint in seiner Konzeption als Printmedium nicht vollständig durchdacht gewesen zu sein. So wurden beispielsweise vor der Herausgabe der Zeitung keine Marketing- und Zielgruppenanalyse durchgeführt und auch kein Rentabilitätsplan erstellt.162 Weitere bedeutende Säulen zur ökonomischen Absicherung von PM 6, die Anzeigen- und Abonnentenbetreuung, wurden völlig ausgeblendet.163 Die Zeitung war für den Herausgeber die »Verwirklichung einer Idee«, die er als Kapitalgeber in Bezug auf die Rentabilität grob durchgerechnet hatte.164 Der Herausgeber von Printmedium 7, C.D., ist ein junger Akademiker türkischer Herkunft, der auf M II schon bei verschiedenen deutsch-türkischen Medienprojekten mitgewirkt und Erfahrungen gesammelt hatte. Es handelt sich bei der Herstellung von PM 7, einem deutschsprachigen Monatsmagazin, praktisch zunächst um ein Ein-Personenunternehmen, das im Verlauf mit Hilfe freier Mitarbeiter arbeitete. Vor der Gründung des Unternehmens erstellte C.D. einen Business- und Liquiditätsplan, der auch ein Zielgruppenkonzept beinhaltete.165 »Das war mein Problem…ich musste mich um alles kümmern und ähm (.) das geht nicht und deshalb habe ich jetzt Leute mit ins Boot geholt, zum Beispiel eine Studentin«166 Die Redewendung »Leute mit ins Boot zu nehmen«, die er im Verlaufe des Interviews mehrmals benutzt, steht sinnbildlich für seinen persönlichen Arbeitseinsatz.167 Er als Kapitän eines Bootes allein auf hoher See, der ohne die Unterstützung von Matrosen das Boot nicht seefähig machen kann. Die freien Mitarbeiter waren Studenten, die erste journalistische Erfahrungen sammelten und für eine Mitarbeit an einem Projekt aus ideellen Gründen motiviert waren.168
161 | B.P. Z. 190. 162 | Vgl. T.L. Z. 223ff. 163 | Vgl. B.P. Z. 333ff. 164 | Vgl. B.P. Z. 268ff. 165 | Vgl. C.D. Z. 477ff. 166 | C.D. Z. 43ff. 167 | Vgl. C.D. Z. 45f., Z. 77f. und Z. 208f. 168 | Meist türkischstämmige Studenten, vgl. C.D. Z. 182ff.
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»Das was ich von denen immer höre, ist das Format gefällt den Leuten ähm und das es auf deutsch ist und sie möchten halt bei einem so coolen Projekt mitwirken. Das ist so das erste Hauptanliegen von denen, so richtig Geld verdienen wollen die nicht« 169
C.D., der Investor und Herausgeber war, fungierte gleichzeitig als Chefredakteur. Er war verantwortlich für die Betreuung des Werbe- und Abonnentenmarktes und für den Druck, Vertrieb und Personalfragen.170 »Obwohl ich aus dieser Sparte komme, aus der journalistischen Ecke, bin ich verlegerisch noch nicht sehr versiert, ich bin noch neu, seit einem halben Jahr bin ich erst dabei und dann (.) ich meine im Moment wächst mir schon alles über den Kopf« 171
Das, vielfältige Kompetenzen erfordernde, Aufgabenspektrum, welches der Herausgeber leistet, überfordert ihn. Er hat das Gefühl, die Arbeit wachse ihm über den Kopf, d.h. es seien zu viele Dinge gleichzeitig zu erledigen, er fühlt sich an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Hinzu kommt, dass er sich die verlegerischen Fähigkeiten »learning by doing« erarbeiten muss. Er gründete das Magazin und gestaltete es konzeptionell. »Ich habe die ganze Geschichte alleine gestartet und so die ersten zwei, drei Ausgaben, das waren alles wirklich meine Texte und meine Gedanken, was ich da rein gebracht habe und irgendwann ging das nicht mehr«172 »Also ich habe versucht, so viel wie möglich bei diesem ganzen Projekt selber zu machen. Alles was ich machen konnte, habe ich versucht selber zu machen« 173
Dazu gehört auch der Vertrieb: Das Magazin wurde einmal im Monat innerhalb einer Woche an Fixpunkten, die Kommunikationsstätten der relevanten Zielgruppe sind, per Hand kostenlos ausgeteilt.174 C.D berichtet, der Grund für diesen überaus aktiven persönlichen Einsatz in allen Bereichen des Verlags sei das Ziel, die Betriebskosten so niedrig wie möglich zu halten mit dem Ziel, eine lange Marktpräsenz zu erreichen.175
169 | C.D. Z. 164ff. 170 | Vgl. C.D. Z. 9ff. 171 | C.D. Z. 810ff. 172 | C.D. Z. 25ff. 173 | C.D. Z. 214ff. 174 | Vgl. C.D. Z. 216ff. 175 | Vgl. C.D. Z. 306ff.
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IV.2.1.4 Fazit zur Schlüsselkategorie 1: Arbeitsprofessionalität Aus der Analyse des empirischen Materials ergeben sich drei Dimensionen der Schlüsselkategorie Arbeitsprofessionalität (SK 1). Diese umfassen die Dimensionen »die Professionellen«, »die Semi-Professionellen« und »die Amateure«. Unter der Dimension »die Professionellen« sind drei Printmedienproduzenten (PM 1, PM 3 und PM 4) verortet, die alle primär auf Medienmarkt I (türkischer Medienmarkt) verankert sind176 und Medienmarkt II (deutsch-türkischer Medienmarkt) als Nischen- bzw. Zusatzmarkt betrachten. Folgende Merkmale sind allen drei Printmedienproduzenten gemeinsam: Innerhalb der Redaktionen ist die Aufgabenverteilung und die Kompetenzverteilung eng definiert. Die Interviewpartner weisen eine enge Verbundenheit zum Printmedium auf, es steht eine hinreichende Bereitstellung ökonomischer Produktionsmittel zu Verfügung und alle hier verorteten Printmedienproduzenten sind neben der Printmedienproduktion noch in weiteren Sektoren der Medienproduktion tätig. Das bedeutet, sie sind in der Medienbranche durch die Produktion unterschiedlicher Medienträger breit aufgestellt und zudem teilweise Bestandteil von Mischkonzernen. Ihre Arbeitsweise, ihre technischen und personellen Unternehmensstrukturen gewährleisten die notwendigen Voraussetzungen für ein, am Markt orientiertes, Produzieren und ermöglichen somit prinzipiell eine ökonomisch orientierte journalistische Produktion. »die Professionellen« verfügen über eine klar definierte Aufgaben- und Kompetenzverteilung innerhalb ihrer Redaktionen und gewährleisten zudem durch ein hinreichendes ökonomisches Potential eine technisch und personell effiziente Ausstattung ihrer Produktionsstätten. In der Dimension »die Semi-Professionellen« lässt sich Printmedienproduzent 2 verorten. Die Herausgabe von Printmedium 2 im Mutterhaus in der Türkei ließe sich theoretisch nach den vorangestellten Kriterien für ein professionell funktionierendes Printmedienunternehmen unter der Dimension »die Professionellen« einordnen, denn die Tageszeitung ist ein seriöses, alteingesessenes Printmedium, welches allerdings auch auf dem türkischen Medienmarkt aus medienökonomischer Perspektive eine Sonderrolle einnimmt. Für die Herausgabe von PM 2 auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt kommt jedoch im vorliegenden Forschungskontext die Dimension »die Semi-Professionellen« zum Tragen. Aufgrund einer schwachen betriebswirtschaftlichen Basis des Unternehmens können für Medienmarkt II nicht die notwendigen ökonomischen Betriebsmittel bereitgestellt werden. Dies hat zum einen den Verlust des professionellen Arbeitsumfeldes der Redaktion auf M II als auch eine Reduktion des journalistischen Arbeitsvolumens in der Redaktion auf M II zur Folge. Gut ausgebildete, erfahrene und motivierte Journalisten in den 176 | Die unter der Dimension »die Professionellen« zusammengefassten Printmedienproduzenten gehören alle Pressesystem I an.
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Redaktionen können ohne die adäquaten technischen und personellen Voraussetzungen keinen qualitativ guten, in diesem Fall auch zielgruppenorientierten Journalismus, erstellen. Auffallend ist zudem die große ideelle Verbundenheit, welche die Interviewpartner PM 2 entgegen bringen. Die dritte Dimension der Schlüsselkategorie Arbeitsprofessionalität wird hier als »die Amateure« definiert. Die Dimension »die Amateure« umfasst drei Printmedienproduzenten, PMP 5, PMP 6 und PMP 7. Alle drei Printmedienunternehmen gehören der Gruppe von Pressesystem II an, ihre Herausgeber besitzen somit einen eigenen deutsch-türkischen Migrationshintergrund. Folgende Charakteristika fallen bei der Analyse der Dimension »die Amateure« auf. Zunächst einmal weisen alle Printmedien nur eine sehr kurze Marktpräsenz auf M II auf. Des weiteren wurden sie auf einer unzureichenden ökonomischen Basis herausgegeben. Das bedeutet, dass das Investitionsvolumen zur Produktetablierung zu gering und/oder die unternehmerische Kalkulation fehlerhaft war. Bei der Produktion von PM 5 und PM 6 fallen eine konzeptlose Personalplanung, nicht definierte Arbeitsstrukturen und daraus resultierende Kompetenzkonflikte zwischen den Mitarbeitern auf. Der Herausgeber von PM 7 weist letztere Probleme zwar nicht vor, doch auch er wurde in diesem Kontext in der Dimension »die Amateure« klassifiziert. Er besitzt zwar das theoretische Wissen zur Unternehmensgründung und Konzeptevaluation einer Zeitung, kann dies aber nicht allein bzw. nur mit der Unterstützung einiger Studenten langfristig umsetzen. Die von ihm, aufgrund ökonomischer Sachzwänge, gewählte Unternehmensform einer »Ich-AG« lässt zwar auf ein hohes persönliches Engagement schließen, im Interview verdeutlicht er jedoch, dass er sich persönlich von der Vielfalt der Aufgabenbereiche innerhalb eines Verlages überfordert fühlt und diese aus personellen Gründen auch nicht entsprechend bewältigen kann. »die Amateure« weisen eine kurzlebige Marktpräsenz auf M II vor. Dies steht auch in Bezug zu strukturellen Problemen innerhalb der Redaktion. Dazu gehören ein fehlendes Personalmanagement, fehlende Arbeitsstrukturen, Kompetenzkonflikte und mangelnde medienökonomische Sachkenntnisse. Hinzu kommen unzureichende ökonomische Kapazitäten für die Phase der Marktetablierung.
IV.2.2 Die Schlüsselkategorie 2: Originäres Interesse auf Medienmarkt II Die Schlüsselkategorie Originäres Interesse auf Medienmarkt II beinhaltet, aus welchen Gründen die untersuchten Printmedienproduzenten auf dem deutschtürkischen Medienmarkt in Deutschland Printmedien produzieren. Hinterfragt wird in diesem Kontext, durch welche Interessen ihre Präsenz auf dem deutschtürkischen Medienmarkt motiviert ist, welche Funktion sie ihrem Printmedium
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zuweisen und welche Ziele sie auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt verfolgen.
IV.2.2.1 Die Dimension A: »die politisch-kulturell Motivierten« In diesem Abschnitt wird die Dimension »die poltisch-kulturell Motivierten« der Schlüsselkategorie (SK 2) Originäres Interesse auf Medienmarkt II rekonstruiert. Zur Veranschaulichung lassen sich Interviewsequenzen von Printmedienproduzent 1 und Printmedienproduzent 2 heranziehen.177 Einführend verdeutlichen die Aussagen der beiden Experten F.L. und B.L. stellvertretend für Printmedienproduzent 1, wie sich die Dimension »die politisch-kulturell Motivierten« inhaltlich füllt. F.L., der ehemalige Chefredakteur der Deutschland- bzw. Europaausgabe von PM 1 berichtet einführend in diesen Kontext: »Seit wir nach Deutschland gekommen sind und dort produzieren, seit dem bitteren Anfang bis jetzt, war Gewinn nicht unser Hauptmotiv. Im Ausland eine Firma zu haben, das ist für ein Unternehmen wichtig, eine Vertretung zu haben, dort Fahne zu zeigen. Das ist etwas, was die Größe der Einrichtung, des Unternehmens verdeutlicht, was seine Globalität verdeutlicht. Wenn sie heute nach New York gehen, finden sie dort [Printmedium 1], wenn sie nach Kanada gehen, finden sie sie dort; das ist so ein Gefühl. Es gibt sie [Anmerkung der Übersetzerin: Printmedium 1] an vielen solchen Orten. Es ist nicht ökonomisch, sie dort hinzubringen, aber dies können sie vom Allgemeingewinn absorbieren, das können sie wettmachen«178
Von Beginn ihrer Präsenz auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt ging es Printmedienproduzent 1 demnach mehr um Unternehmenspräsenz und Prestige denn um ökonomischen Gewinn. Dies war nach Aussage von F.L. in Deutschland nie primäres Unternehmensziel. Er erzählt, dass ein großer Teil des Gewinns in die Kostendeckung von Vertrieb, Gehältern und sonstiger Betriebskosten abgeführt wird.179 »Natürlich bemüht sich jedes Unternehmen um Wirtschaftlichkeit, wer möchte schon ein unwirtschaftliches Unternehmen? Es wird Blut verlieren, ab soll ich ihnen was sagen, der Besitzer von [Printmedium 1] hat in der Zeit, als die Zeitung in fünf verschiedenen Druckereien gedruckt wurde, Verlustgeschäfte gemacht. Er hat Verlust gemacht, 177 | Um Wiederholungen zu vermeiden, werden die Interviewpartner in diesem Kapitel nur noch dann näher eingeführt, wenn sie zuvor in Kapitel IV.2.1 in der Schlüsselkategorie
Arbeitsprofessionalität noch nicht genannt worden sind. Weitere Information über die Interviews siehe Anhang F: Interviewsituationen.
178 | F.L. Z. 636ff. 179 | Vgl. F.L. Z. 623ff.
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überhaupt keinen Gewinn. Aber das Wehen der Fahne von [Printmedium 1], dort präsent zu sein, dort auf die Bedürfnisse der türkischen Gesellschaft eine Antwort zu geben, dafür nehmen einige Unternehmen Verluste hin…Jetzt ist es ein gut laufendes Unternehmen, ein Musterunternehmen«180
Hier thematisiert F.L. das prinzipielle Interesse eines jeden Medienunternehmens an einer Gewinnoptimierung, dieses Prinzip gelte aber nicht für ihre Präsenz auf Medienmarkt II. Dort ist der Verkaufsgewinn nur minimal größer als die Betriebskosten.181 Das bedeutet seiner Aussage nach können die Betriebskosten durch den Gewinn gerade so gedeckt werden. Diese Ausführung ist angesichts der Tatsache, dass es sich bei Printmedium 1 um die bisher auflagenstärkste türkische Tageszeitung auf M II handelt, bemerkenswert. Auf die Frage, mit welchen Motiven das Unternehmen auf M II agiert, reagiert F.L. etwas gereizt. »Ich sage ihnen da, ich habe es auch in der Presse gesagt. Einige Teile [Anmerkung der Übersetzerin: der dt. Gesellschaft] schauen, weil sie es nicht kennen und wissen, mit Vorurteilen behaftet. Einige schauen als ob — ich sage es ihnen noch offener, noch deutlicher — wir die dortige türkische Gesellschaft mit einem bestimmten Ziel politisieren wollten. Als ob [Printmedium 1] solch ein Ziel hat…so etwas gibt es nicht« 182
Printmedium 1 folge den Verlagsprinzipien, dazu gehören ihre Verbundenheit zur Demokratie, zum universellen Arbeitsethos des Journalismus, den Menschenrechten und ihr Streben nach Wahrheitsfindung. Sie verfolgen ihren Beruf und halten sich an die politischen Ziele des Verlags. Dies gelte auch für das Ausland.183 Nach der Aussage von F.L., der Verlag verfolgt keine politischen Ziele, gibt er ein Beispiel, indem er enthusiastisch beschreibt, was er als Aufgabe der Zeitung betrachtet. »Die Mehrheit der Leser von [Printmedium 1] sind Menschen, die sozialdemokratische Eigenschaften mit sich tragen. Wie es denn auch bei Kohls Wahl zum Bundeskanzler — ich selbst hatte dies durchgeführt — vor vielen Jahren gewesen war. Damals hatten wir gesagt, die Türken in Deutschland sollen das Wahlrecht haben. Dies müsste noch immer so sein, nicht wahr? Die Menschen sollen in dem Land in dem sie leben Herr über ihr Schicksal sein. Wenn sie es nur könnten! Ich glaube, dass die Gesellschaft dazu mehr beitragen soll, dies verteidige ich. Wir haben gesagt, wenn ihr in Deutschland durch eine Wahl eure Stimme nicht äußern könnt, dann geben wir euch als [Printmedium 1] 180 | F.L. Z. 624ff. 181 | Vgl. F.L. Z. 620f. 182 | F.L. Z. 674ff. 183 | Vgl. F.L. Z. 537f.
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das Recht dazu. Bitte schön, nutzt euer Stimmrecht. Hinterher veröffentlichen wir das Ergebnis der türkischen Stimmen…es war eine rege Teilnahme. Diese Zeitungen liegen noch immer in unserem Archiv. Wir haben das Ergebnis dort veröffentlicht. In der Wahl der Deutschen hat Kohl gewonnen aber in unserer Wahl waren mit großer Mehrheit die Sozialdemokraten führend«184
F.L. schildert in dieser Interviewsequenz beispielhaft, in welcher Weise Printmedium 1 seine Rezipienten zur Darlegung ihrer politischen Orientierung auffordert, um diesem Ergebnis durch Printmedium 1 eine Öffentlichkeit zu schaffen und einen politischen Diskurs zu ermöglichen. Durch diese Aktion signalisiert er den deutsch-türkischen Rezipienten: • • • •
Ihr seid noch immer kein gleichgestellter Teil der bundesdeutschen Gesellschaft. Wir unterstützen euch bei der Erlangung eurer Rechte und dienen als euer Sprachrohr. Wir sind eure Fürsprecher und Interessenvertreter. Das dichotome Bild »der Türken« und »der Deutschen« wird gefestigt.
Den Entscheidungsträgern der deutschen Politik wird signalisiert: • •
•
Deutsch-türkische Rezipienten besitzen noch immer eine enge Bindung an die Heimat und deren muttersprachliche Medien. Deutsch-türkische Rezipienten besitzen eine politische Orientierung, die im Falle der Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft allgemeingesellschaftliche politische Relevanz erlangen wird. Die deutsch-türkischen Medien bedienen sich ebenso wie alle Medienträger auch ihrer gesellschaftspolitischen Steuerungsmechanismen.
Ohne die Aktion, die F.L. initiiert hatte, inhaltlich zu bewerten, widerspricht sie doch klar der zuvor erhobenen Aussage‹ Printmedium 1 verfolge kein politisches Ziel. Daneben sieht F.L. eine Funktion von Printmedium 1 darin, die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland (TBiD) bei der Wahrung ihrer Sprache zu unterstützen und damit das Recht der Menschen auf Kommunikation in ihrer eigenen Sprache zu fördern: »das ist ein universelles Recht, dagegen darf meiner Ansicht nach niemand etwas einwenden, weil dieses Recht für alle Länder Allgemeingültigkeit besitzt«185. Printmedium 1 rufe zudem, ebenso wie die türkische
184 | F.L. Z. 546ff. 185 | F.L. Z. 121f.
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Regierung gegenwärtig unter Tayyip Erdoğan, die Türken in Deutschland zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft auf. »Auch die Türkei ist dafür, alle Regierungen waren dafür, es war bisher die Regierungspolitik, die türkischen Menschen im Ausland mit Eintracht zu versehen und sie beim Erwerb der jeweiligen Staatsangehörigkeit zu unterstützen. Dies ist auch die Politik von [Printmedium 1]«186
F.L. formuliert hier dezidiert politische Ziele der Zeitung, die in diesem Fall mit der offiziellen türkischen Regierungspolitik deckungsgleich sind. Er scheint durch eine Bezugnahme auf die nationale Regierungspolitik die Position der eigenen Zeitung untermauern zu wollen. »Wenn sie [Anmerkung der Übersetzerin: Printmedium 1] im Namen ihrer Leser ein Unrecht entdeckt, sagt sie: dies ist falsch. Dieses Recht möchte sich eine Zeitung immer, in der Türkei oder sonst wo auf der Welt, bewahren. Auch ich bin so, als Journalist verteidige ich meine Meinungsfreiheit. Wer auch immer es ist, ob Ministerpräsident dies oder das, dies verändert meine politischen Werte nicht. Vielleicht gehe ich hin und wähle diese Partei. Aber letztendlich möchte ich sagen, ist das was dieser Mensch in jenem Augenblick gesagt hat, meiner Ansicht nach, nach Ansicht meiner Gesellschaft, meiner Menschen falsch. Also, sie ist etwas, nicht etwas, sie ist solch eine Zeitung. Eine unabhängige Charakterzeitung«187
Anhand dieser Interviewausschnitte wird deutlich, dass F.L. seine persönliche politische Ansicht kongruent zu der der deutsch-türkischen Rezipienten sieht. Sein Blickwinkel, seine politische Bewertung, scheint für ihn mit der der Leser deckungsgleich zu sein. Dieser Umstand rechtfertigt wiederum die Einnahme der Rolle eines Fürsprechers und eines Sprachrohrs für eben diese »seine Gesellschaft« und »seine Menschen«. Der zweite Interviewpartner (B.L.) von Printmedienproduzent 1 nennt ein weiteres Argument für ein Engagement auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt. »Natürlich haben wir hier eine Aufgabe. Was ist unsere Aufgabe? Wir wollen die Menschen hier sowohl informieren als auch ähm einerseits wollen wir die Nachrichten die Türkei betreffend überbringen und gleichzeitig natürlich die bestehende Verbundenheit erhalten…Ohne Zweifel haben wir solch eine Aufgabe, die türkische Sprache, das heißt Türkisch und dann das Weiterleiten der türkischen Sprache und der türkischen Kultur, ich sage nicht das Bewahren«188 186 | F.L. Z. 127ff. 187 | F.L. Z. 684ff. 188 | B.L. Z. 521ff.
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Seiner Auffassung entsprechend konstituiert Printmedium 1 eine Mittler-Funktion zwischen türkischer Herkunftsgesellschaft und, mittlerweile in dritter Generation, in Deutschland lebenden türkischstämmigen Menschen. Es sei Aufgabe von Printmedium 1, Nachrichten aus dem Herkunftsland zu selektieren, zu übermitteln und kulturelle sowie sprachliche Gemeinsamkeiten zu überbringen. In welcher Weise diese dann rezipiert werden, liege in der Verantwortung eines jeden Lesers. Auch er bewertet die Präsenz von Printmedium 1 in Deutschland/Europa als internationale Imageaufwertung für das Produkt und die Türkei. »Gleichzeitig ist es auch ein gutes Signal dafür, dass die Türkei nicht innerhalb ihrer Grenzen geschlossen ist, dass sie nicht ein Standort ist, der dem Ausland abgewandt ist…Die Türkei ist keine geschlossene Gesellschaft, die Türkei ist eine weltoffene Gesellschaft und dies zeigt sie sogar mit ihren Medien« 189
Die Aussagen der Experteninterviews, die mit Mitarbeitern von Printmedium 2 geführt wurden, weisen ähnliche Argumentationsmuster auf. Die Präsenz der türkischen Medien auf M II sei bedeutungsvoll, weil die Rezipienten eine türkische Sicht und Bewertung der Dinge erhielten, es würden die türkeitürkischen Bewertungen der Angelegenheiten überbracht. Auch bei Printmedium 2 stehen keine ökonomischen Absichten sondern politische Beweggründe im Vordergrund. »Wir haben keine ökonomischen Ziele, das sagte ich schon zu Beginn. Wir verdienen dort kein Geld. Unser Ziel ist es, das sich die Zeitung dort selber trägt, dass sie uns finanziell nicht allzu sehr belastet. Wir schauen politisch dorthin [Anmerkung der Übersetzerin: nach Deutschland]. Für die Türken dort ist es wichtig, dass die Zeitung in Deutschland, in Europa verlegt wird. Auf diese Weise bewerten sie die Entwicklungen in der Türkei und in der Welt durch das Profil von [Printmedium 2]; sie schauen durch das Fenster von [Printmedium 2]. …Ansonsten würden unsere Mitbürger dort nur der Hürriyet oder der Milliyet oder deutschen Zeitungen verbunden sein«190
J.Z. verdeutlich hier das Interesse seiner Zeitung, ihren Lesern zu ermöglichen, durch ihr »Fenster« auf die politischen Ereignisse zu blicken. Er ist sich bewusst, dass PM 2 aus einer eigenen politischen Perspektive bewertet wird, möchte dies aber sozusagen als Gegenstück zu den perspektivischen Fenstern der anderen türkischen Printmedien verstanden wissen, um die Vielfalt der Perspektiven auf M II zu gewährleisten bzw. auch um die eigene politische Position zu transportieren. 189 | B.L. Z. 584ff. 190 | J.Z. Z. 135ff.
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»Wir sind eine politische Zeitung, die Oppositionsarbeit betreibt. Wir haben linke und sozialistische Journalisten, wir schauen durch das Fenster der Linken auf die Ereignisse. Die Türken dort sollen uns kennen lernen, beobachten und zuhören, wie wir uns den Ereignissen annähern«191
J.Z. wiederholt in diesem Zusammenhang noch einmal, »wir wollen kein Geld verdienen, wir sehen die Herausgabe als Dienst an den Türken dort«192. Die Frage ist hier, wodurch dieser Dienst an den Türken in Deutschland motiviert ist. Handelt es sich um eine Bürgerpflicht, um ein schlechtes Gewissen oder um politischen Lobbyismus? Printmedium 2 besitzt in diesem Kontext keine expliziten integrationspolitischen Ansprüche. Eine nicht vorhandene Integrationspolitik ersetzt J.Z. durch einen universalistischen Ansatz. Dieser ist bei ihm stark auf die Inhalte der politischen Linken reduziert. »Wenn man sich die Ereignisse anschaut, stellt man fest, dass die Welt eins geworden ist und wir alle letztlich aufgrund der Globalisierung die gleichen Probleme haben. Ich meine die Probleme der Arbeiter in Deutschland sind die gleichen wie die der Arbeiter in der Türkei«193
Wie ein roter Faden taucht die Aussage über eine nicht existente ökonomische Relevanz von M II immer wieder auf. J.Z. stellt dabei fest, dass Printmedium 2 keinerlei Gewinn sondern Verlust macht, somit das Mutterhaus zuzahlt.194 »Wir haben ein anderes Ziel, wir schauen nicht aus wirtschaftlicher Perspektive. Mit der Zeitung, die wir dort herausbringen, lässt sich sowie kein Geld verdienen. Wir leisten einen Dienst, einen Dienst an den Türken dort«195
Auch P.D. formuliert die Bedeutungslosigkeit ökonomischer Aspekte für PMP 2 auf M II und geht dabei in seinen Erklärungen noch einen Schritt weiter. »Wir subventionieren das [Anmerkung der Übersetzerin: die Wochenausgabe von Printmedium 2 in Deutschland] aber wir können damit auch die Menschen der Welt, die Republikanhänger erreichen. Wir müssen dies den modernen Verfechtern der Türkischen Republik, für das Image einer demokratischen Türkei, den Kreisen die auf der Welt tür-
191 | J.Z. Z. 145ff. 192 | J.Z. Z. 37ff. 193 | J.Z. Z. 326ff. 194 | Vgl. J.Z. Z. 161f. 195 | J.Z. Z. 37ff.
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kisch studieren, die türkisch sprechen, den Intellektuellen darbieten. Eine Art ›Selbstaufgabe‹196 im doppelten Sinne« 197
Es sind politische, ideelle und erzieherische Ziele, für die er arbeitet. Dieses Arbeiten erfordert persönliche Selbstaufopferung aber auch eine Opferbereitschaft seitens des Unternehmens. »In den vergangenen 12 Jahren hat [Printmedium 2] kein Geld verdient, im Gegenteil, die Deutschlandausgabe wurde subventioniert. Das Ziel war, den Verlust gering zu halten«198
In diesem Zusammenhang geht er von den institutionellen Interessen von Printmedienproduzent 2 auf die nationalen Interessen des Türkischen Staates über. »Durch die türkischen Medien — und dazu gehören die Printmedien und das Fernsehen — gewinnt die Türkei, die Politiker im Zentrum in Ankara eine ernstzunehmende Basis in Deutschland«199
Er ist der Ansicht, die türkische Politik nutzt die türkischstämmige Gesellschaft in Deutschland als Schlüssel für eigene politische Interessen. Am Beispiel der türkischen Kurdenpolitik zeichnet P.D. dieses Muster nach: Über viele Jahre hinweg war es eine offizielle türkische Staatspolitik, die auch von den türkischen Medien mitgetragen wurde, die Existenz der Kurden zu negieren. Aus verschiedenen Gründen musste man diese offizielle türkische Kurdenpolitik ändern und die Rezipienten hatten diesen Politikwechsel mit zu tragen.200 »Wir denken so mein Bruder«201 Mit diesen Schlagworten werden in der türkischen Presse politische Positionen transportiert, die der Türke, der nicht aus seinem sozialen Netz ausgeschlossen sein will, dann zu tragen hat. Ansonsten laufe er Gefahr, als Außenseiter oder gar als Terrorist diffamiert zu werden. Nach Ansicht von P.D. besitzt M II für den Türkischen Staat eine große politische Relevanz. Printmedium 2 als Plattform für Oppositionsarbeit:
196 | Im türkischsprachigen Interview benutzt Interviewpartner 5 das Wort »Selbstaufgabe« in deutscher Sprache.
197 | P.D. Z. 185ff. 198 | P.D. Z. 257ff. 199 | P.D. Z. 624ff. 200 | Vgl. P.D. Z. 648ff. 201 | Vgl. tr.: »biz böyle düşünüyoruz, kardeşim«, (P.D. Z. 647).
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»ist als ein Projekt zu sehen, dass die Werte der europäischen Aufklärung von neuem in Anatolien produziert. Das ist im Grunde ihre Besonderheit. Damit lässt sich kein Geld verdienen. Dies können sie nur als Idee, als intellektuelle Aufgabe nehmen, dies ist eine Mission, eine missionarische Tätigkeit« 202.
P.D. spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer missionarischen Tätigkeit. Wortwörtlich erzählt er somit von einem inneren Auftrag, den er in der Verbreitung seiner politischen Idee sieht.
IV.2.2.2 Die Dimension B:»die ökonomisch-integrativ Motivierten« Zur Rekonstruktion der Dimension »die ökonomisch-integrativ Motivierten« werden die Interviews von Printmedienproduzent 3 und 4 herangezogen. Ziel von Printmedienproduzent 3 ist es, die Europaausgabe der Zeitung langfristig komplett in Deutschland zu erstellen. Diese Trendwende in der Management- und Redaktionspolitik von Printmedienproduzent 3 wurde im Jahr 2000 eingeführt und basiert auf dem Entschluss, ihre Marktpräsenz in Deutschland ökonomisch zu optimieren. N.D. thematisiert in diesem Zusammenhang zwei Motive für diese unternehmerische Neuorientierung. »Für [Printmedium 3] besitzt die Präsenz auf dem deutschen Medienmarkt eine sehr große ökonomische Dimension, weil die Zahl der werbetreibenden Unternehmen in der Türkei begrenzt ist« 203
In der Zukunft plant das Unternehmen, auch den regionalen europäischen Werbemarkt zu erreichen. Insbesondere in die Öffnung dieses Werbemarktes wird seit zwei Jahren intensiv personell und finanziell investiert.204 »Zehn Prozent des Weges haben wir dabei schon beschritten.«205 Der Anzeigen- und Werbesektor erscheint somit der dominante Bereich in der Umsatzstrategie von PM 3 zu sein. Auch T.C. weist darauf hin, dass der Anzeigenmarkt auf M II noch ein großes Potential berge und in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen werde.206 Die Werbekunden kommen nicht nur aus Deutschland sondern seit kurzem auch aus der Türkei. »Es sind viele Firmen aus der Türkei, die auf dem europäischen Werbemarkt werben wollen…die ähm (.) in den verdienenden Gurbetcis in Deutschland eine Zielgruppe sehen.«207 Für diese Art der Werbekunden ist Printmedium 3 ein interessantes Werbemedium. In der Türkei wurde zu diesem Zweck ein 202 | P.D. Z. 513ff. 203 | N.D. Z. 300ff. 204 | Vgl. N.D. Z. 308ff. 205 | N.D. Z. 320f. 206 | Vgl. T.C. Z. 161ff. 207 | T.C. Z. 164ff.
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für die Europaausgabe arbeitendes Anzeigenteam zusammengestellt. N.D erläutert, dass die Unkosten zur Herausgabe der Zeitung gegenwärtig durch den Gewinn im Verkauf und in der Werbung gedeckt werden.208 Damit verbunden steht das Ziel, in naher Zukunft auf M II Gewinn orientiert agieren zu können. Da Printmedium 3 Bestandteil einer Mediengruppe ist, die auf M II eine Tageszeitung und seit kurzem ein Magazin herausgibt und in Deutschland für einen eigenen Fernsehsender produziert, ergeben sich zusätzlich neue Marketinginstrumente, wie beispielsweise durch den hauseigenen S-Shop. Einen zweiten Grund für das gewachsene Engagement von PM 3 auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt erklärt N.D. mit dem Wunsch des Unternehmens, intensiver als bisher auf den gelebten Alltag der Zielgruppe einzugehen und sich deren Lesebedürfnissen anzunähern. Seitdem wird die Redaktion schrittweise ausgebaut.209 Es ist ihr Ziel, »die Türken hier [Anmerkung der Übersetzerin: in Deutschland] durch die Hauptprobleme in Europa zu begleiten«210. »Wir wollen hier nicht wie die Bild Zeitung oder die Hürriyet sein, wir wollen hier einen noch intellektuelleren Journalismus erstellen, ein Journalismus, der den Schwerpunkt auf die Meinung legt. Die Routinenachrichten können die Menschen auch den Nachrichten oder den deutschen Zeitungen entnehmen; es wird wohl etwas zeitintensiver sein aber wir möchten noch stärker die hiesigen Probleme, sowohl die Ansichten der Türken als auch der Deutschen widerspiegeln und als Lösungswege aufzeigen« 211
In diesem Sinn sollen die Rezipienten zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation und zur Verbesserung ihrer Bildungsbestrebungen aufgefordert werden.212 N.D. erzählt ferner, dass die Zeitung kein implizit politisches Ziel hat. »Wir möchten, dass sich die Türken hier gesellschaftlich einbringen, dass sie sprechen und sich erklären…und wir unterstützen als Zeitung den muslimisch-christlichen Dialog.«213 Der zweite zentrale Ansatz der Zeitung, neben der Optimierung ihrer ökonomischen Basis, ist nach T.C. die Frage, wie man heute in einer pluralistischen Gesellschaft die eigene Identität aufrechterhalten und zugleich weltoffen sein kann. Hinzu tritt der interkulturelle und interreligiöse Dialog und die Vermittlung sozialer und moralischer Werte.214 L.L., Geschäftsführer von Printmedium 4, definiert seine Zeitung primär als Produkt, welches auf einem Markt Absatz finden muss: »es ist ja auch ein 208 | Vgl. N.D. Z. 377f. 209 | Vgl. N.D. Z. 129ff. 210 | N.D. Z. 215ff. 211 | N.D. Z. 273.ff 212 | Vgl. N.D. Z. 215ff. 213 | N.D. Z. 344ff. 214 | Vgl. T.C. Z. 213ff.
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wirtschaftlicher Faktor (deutsche und türkische Mitarbeiter in den Redaktionsräumen zu haben) aber diese Pionierarbeit tun wir gerne«215. In einer anderen Interviewsequenz formuliert er: »wir möchten in Europa und bzw. jetzt in Deutschland wo fast 3 Mio. türkischstämmige Menschen leben, für diese Menschen möchten wir ein Produkt herausbringen«216 und »natürlich aber ich bin ein Unternehmen und ich muss mich finanziell tragen«217. L.L. bewertet die Herausgabe von Printmedium 4 aus der Perspektive des Unternehmers. Ganz lässt er sich auf diese ökonomische Perspektive jedoch nicht reduzieren, denn so zufrieden er über den unternehmerischen Erfolg der vergangenen drei Jahre ist, so wenig zufrieden zeigt er sich über die genutzten Möglichkeiten seines Printmediums als Instrument zur Integration. »Die wirtschaftliche Zufriedenheit ist da, aber aber sozial hätten wir und könnten wir sehr sehr viel noch tun.«218 Seiner Ansicht nach hat die Zeitung zwei Funktionen, zum einen als Produkt auf M II vertrieben zu werden und zum anderen den Rezipienten das Leben in Deutschland und die Strukturen der deutschen Gesellschaft näher zubringen. »Und wir sagen, Deutschland ist jetzt eine neue Heimat für uns. Wir müssen, wir müssen uns anpassen in der Weise, in der Weise das wir es verstehen. Wir müssen es verstehen… und [Printmedium 4] soll dazu dienen, deshalb sind wir keine Türkiye, deswegen sind wir keine Hürriyet, deswegen sind wir keine Zaman oder wie sie alle heißen, nein« 219
Vehement grenzt L.L. Printmedium 4 aus dem Kanon der anderen türkischen Tageszeitungen ab, und skizziert im Folgenden seine Motivation. »Wir möchten einen anderen Weg gehen, um diese Probleme (Anmerkung: die Probleme der TBiD) zu lösen…wir möchten Aufklärung haben. Aufklärung in der Weise, positive und negative genau zu betrachten und nicht einfach den Kopf in den Sand hinein stecken« 220
An dieser Stelle benutzt er die Metapher »nicht einfach den Kopf in den Sand hinein stecken«. Dadurch stilisiert er ein Bild von Akteuren innerhalb seiner Branche, die seiner Ansicht nach aufgegeben haben, die TBiD zu verstehen und zu unterstützen, dies vielleicht auch noch nie wirklich uneigennützig getan haben. Den Kopf in den Sand zu stecken bedeutet zudem, nicht mehr kommunikationsfähig zu sein. Sehen, Hören, Riechen und Sprechen wird dabei bewusst ausgeschaltet, 215 | L.L. Z. 128. 216 | L.L. Z. 357ff. 217 | L.L. Z. 376f. 218 | L.L. Z. 455f. 219 | L.L. Z. 567ff. 220 | L.L. Z. 740ff.
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denn den Kopf steckt man selber in den Sand. In diesem Zusammenhang ist auch seine Verwendung des Begriffes »Pionier« zu verstehen, »diese Pionierarbeit tun wir gerne« und »es ist eine Pionier-Arbeit, die wir hier durchführen«221. Er betrachtet sich somit als jemand, der in seinem Bereich ganz eigene und neue Wege geht, der experimentierfreudig ist und zudem auch Risikobereitschaft trägt, um seine potentiellen Leser zu fördern und um die Zeitung zu vermarkten.
IV.2.2.3 Die Dimension C: »die politisch-integrativ Motivierten« Im folgenden Abschnitt ziehe ich zur Darstellung der Dimension »die politischintegrativ Motivierten« in der Rekonstruktion der Schlüsselkategorie Originäres Interesse auf Medienmarkt II die Kernaussagen der Experteninterviews der Printmedienproduzenten 6 und 7 heran. Beide Unternehmen gehören Pressesystem II an, d.h. sie wurden auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt von Personen mit Migrationshintergrund gegründet. Bei PM 6 handelt es sich um eine deutschsprachige wöchentliche Beilage in einer deutschen überregionalen Zeitung, bei PM 7 handelt es sich um ein deutschsprachiges Monatsmagazin, welches sich über Anzeigen finanziert und regional ausgelegt wurde. B.P., der Herausgeber von PM 6, nahm in diesem Kontext dezidiert Stellung in Bezug auf seine Motivation zur Herausgabe der Zeitung: »Zu keinem Zeitpunkt habe ich daran gedacht, dass man damit Geld verdient. Das war auch überhaupt nicht das Ziel. Das Ziel war Politik machen«222. Journalistisches Arbeiten bot ihm die Möglichkeit der persönlichen Meinungsäußerung im öffentlichen Raum: »deshalb habe ich diese Zeitung auch gegründet, ich wollte meine Meinung auch mal geäußert haben«223 . Er definiert sein persönliches Ziel der Gründung von PM 6 mit der Möglichkeit, politisch agieren zu können. PM 6 gab ihm die Möglichkeit der Agitation im öffentlichen Raum und besaß gleichzeitig eine Sprachrohrfunktion von der Minderheiten- zur Mehrheitsgesellschaft. »Was hilft es denn, wenn Hürriyet seitenlang Scheiße dies, ist Scheiße das …Kritik ja und wer hört es? Ja wer hört das denn? Man hört die Migranten nur dann wenn man an die Mehrheitsgesellschaft herangeht. In deren Sprache sie anspricht und dazu hatten wir gute Möglichkeiten. Wir haben es nur nicht gut benutzt ja« 224
Selbstkritisch reflektiert B.P. rückblickend nicht genutzte Möglichkeiten und Chancen der Zeitungsmacher mit ihrem Printmedium. Dieses bot nicht nur ihm eine Artikulationsplattform sondern auch dem politisch aktiven Teil der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland (TBiD). Die Herausgabe 221 | L.L. Z. 128 und Z. 275f. 222 | B.P. Z. 254ff. 223 | B.P. Z. 129f. 224 | B.P. Z. 716ff.
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der Zeitung verfolgte somit primär ein ideelles und politisches Anliegen. Die Zeitung sollte zudem eine Alternative zu den Europaausgaben der türkischen Tageszeitungen schaffen. »Mich hatte sehr gestört, der Nationalismus der in den Europa Ausgaben der türkischen Zeitungen. Nationalismus ist in den Händen von benachteiligten Einwanderern gar für die Looser ist ein fürchterlich (.) ein Dynamit. Das darf man nicht machen ähm (.) also das darf man nicht machen« 225
B.P. argumentiert hier auf der Ebene der Medienwirkungsforschung. Seiner Ansicht nach besteht insbesondere für die so genannten bildungsfernen Kreise der TBiD, deren Leben gerade in ökonomisch schwierigen Zeiten von Arbeitslosigkeit, sozialer Armut und allgemeiner Perspektivlosigkeit geprägt ist, eine stärkere Affinität zu angebotenen Orientierungsparadigmen. Eine politische Instrumentalisierung solcher Personenkreise könne letztlich große gesellschaftspolitische Sprengkraft entwickeln. Printmedium 6 böte in diesem Zusammenhang zumindest eine alternative Medienorientierung. Die Redakteurin T.L. (PM 6) spricht im gleichen Kontext von der Notwendigkeit der Schaffung eines etablierten medialen Raumes in Deutschland für Migranten/Türken aber auch von der Förderung von Journalisten mit Migrationshintergrund. »Noch ist es so, dass man über sie schreibt anstatt das man sich derer bedient, die das gut einschätzen können. Es gibt noch viel zu wenig Journalisten mit Migrationshintergrund in der deutschen Medienlandschaft« 226
Sie eröffnet hier eine völlig neue Argumentationslinie. Die Etablierung von PM 6 ermöglichte eine stärkere Partizipation von Journalisten mit Migrationshintergrund. Bisher habe weder die deutsche noch die türkische Medienlandschaft adäquat auf diese besonderen publizistischen Kompetenzen von Journalisten mit Migrationshintergrund zurückgegriffenen. »Also es werden die Migranten die hier leben, nicht als Experten reingeholt und als Bereicherung gesehen sondern sie haben dann wieder selbst über den blöden Ausländer oder den defizitären oder so geschrieben. Und das war mit [Printmedium 6] sehr gut, weil einfach auch eine Kompetenz gezeigt werden konnte. Kritisch ein Dialog angestrebt werden konnte, umgesetzt. Es hat uns viele böse Briefe eingebracht, aber es war notwendig, wir
225 | B.P. Z. 527ff. 226 | T.L. Z. 506ff.
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haben viel gelacht, viel geärgert aber es war gut. Es war gut weil die Community ja (.) wie auch immer (.) einfach gezwungen war, durch uns ein bisschen nachzudenken« 227
T.L. geht in dieser Sequenz ferner auf das Motiv der Zeitung ein, die Fähigkeit auch einen kritischen Dialog mit der eigenen Community zu entwickeln. Die Reaktionen der Community auf dieses für sie neue, offene Umgehen mit eigenen Defiziten bzw. Problemen führte auch zu einer partiellen Ablehnung seitens der Rezipienten in Form von »bösen Leserbriefen«. Ungefragt thematisiert T.L. in diesem Kontext das Interesse der Medienproduzenten aus der Türkei, auch zukünftig ihre Bindung mit der TBiD aufrechtzuerhalten, um dadurch für die Interessen der türkischen Politik in Deutschland eine Basis zu rekrutieren. Den Einfluss, den türkischen Zeitungen hier haben, könnten sie auch anders nutzen, beispielweise durch die Wertevermittlung in Bezug auf Erziehung und Bildung. Daraus würde allerdings auch eine eigenständige, von der Türkei unabhängige, Gruppe entwachsen.228 »Ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass ähm Deutschland eine Migrantenzeitung oder Zeitschrift braucht, die aber für alle geöffnet ist. Man kann einen Schwerpunkt nehmen, ja Türken ja(.) aber auch die anderen. Weil sonst haben wir nämlich wieder genau das, das sich die Türken dann wieder auf sich konzentrieren« 229
Zum Zeitpunkt des Interviews mit C.D.230, circa ein halbes Jahr nach Beginn der Herausgabe von PM 7, trägt sich das Magazin nach seiner Aussage selbst, erwirtschaftet jedoch keinen Gewinn.231 Ziel ist es, flächendeckend in einem Bundesland XY vertreten zu sein und es vielleicht später auf andere Ballungsgebiete auszudehnen. »Auf jeden Fall steckt da ein sehr großes (Anmerkung: ökonomisches) Potential hinter ähm weil wir hier gerade eine Zielgruppe ansprechen die die (.) die anders nicht so leicht angesprochen wird« 232
227 | T.L. Z. 271ff. 228 | T.L. Z. 689ff. 229 | T.L. Z. 602ff. 230 | C.D. ist ein junger Akademiker türkischer Herkunft, der in Deutschland aufgewachsen ist und sein Hochschulstudium dort absolvierte. Er gründete ein deutschsprachiges deutsch-türkisches Monatsmagazin (PM 7) und fungierte als Herausgeber und Chefredakteur.
231 | Vgl. C.D. Z. 354ff. 232 | C.D. Z. 398ff.
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»Mir kommt es nicht nicht darauf an, damit viel Kohle zu verdienen, klar will ich auch Geld verdienen aber es ist nicht so, booh ich mache das alleine und ich möchte jetzt reich werden und so. Mir kommt es einfach darauf an, dass die Zeitung jetzt auf dem Markt bleibt. Weil die Leser sind enttäuscht« 233 »Ich möchte, dass die Leute daran glauben, dass das auch klappt. Das ein deutschtürkisches Magazin eigenständig leben kann« 234
Ein solches Magazin, welches auf die Bedürfnisse der Lesegruppe zugeschnitten ist, fördert langfristig auch die Lesegewohnheiten dieser Menschen.235 »Ich bin mir sicher, dass die Zeitung eine sehr starke integrative Funktion hat«236, 20 % der Abonnenten sind deutsche Privatpersonen und Unternehmer, »ich finde das wird auch dazu beitragen wenn die Deutschen sehen aha türkische Jugendliche beschäftigen sich auch mit anderen Sachen als irgendwie draußen Leute zu verkloppen und irgendwie kriminellen Aktivitäten nachzugehen« 237
Die Inhalte des Magazins tragen zwei erzieherische Funktionen. Zum einen: »wir zeigen den Türken he, ihr könnt etwas besseres aus eurem Leben hier in Deutschland machen, der hat es gemacht«238, die vorgestellten Personen erhalten somit eine Vorbildfunktion. Zum anderen bemerken die deutschen Rezipienten, »die Türken hier machen nicht nur Mist, es gibt auch kluge und vernünftige Türken«239. In diesem Kontext widerlegen Medieninhalte bestehende Vorurteile über die TBiD und helfen, ein neues vielschichtigeres Bild zu erstellen.
IV.2.2.4 Fazit zur Schlüsselkategorie 2: Originäres Interesse auf Medienmarkt II Aus den Fallanalysen ergeben sich drei Dimensionen der Schlüsselkategorie Originäres Interesse auf Medienmarkt II. Unter der Dimension »die politisch-kulturell Motivierten« sind drei Printmedienproduzenten verortet. Printmedienproduzent 1 und 2 gehören zur Gruppe von Pressesystem I. Printmedienproduzent 5 gehört sowohl zu Pressesystem I als auch zu Pressesystem II. Alle Samples definieren ihre Motivation hinsichtlich ihrer Präsenz auf M II durch einen politisch-kulturellen Ansatz, die Intensität ihrer herangezogenen Erklä233 | C.D. Z. 604ff. 234 | C.D. Z. 613f. 235 | C.D. Z. 635f. 236 | C.D. Z. 1110f. 237 | C.D. Z. 1152ff. 238 | C.D. Z. 1164ff. 239 | C.D. Z. 1167f.
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rungsmuster nimmt dabei in der textlichen Darstellung graduell zu. Sie werden primär durch politisch-kulturelle Motive aber auch durch allgemeine globaleinternationale Marketinginteressen geleitet. Aus einer Art »Bürgerpflicht« heraus sehen sie sich als Vermittler kultureller Werte und sprachlicher Kompetenzen. Dies führt bei Printmedienproduzent 1 sogar dazu, als Sprachrohr und Fürsprecher der TBiD zu agieren. Sie betrachten sich als Fürsprecher für ihre Zielgruppe und fungieren als deren mediales Sprachrohr in Deutschland. Der Dienst am Bürger festigt die kulturelle und sprachliche Kompetenz der Zielgruppe und ermöglicht ihnen eine »türkische Sicht der Dinge«. Die politischkulturelle Komponente beinhaltet zudem den Wunsch, durch die Präsenz auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt im internationalen Kontext eine Imageverbesserung von Produkt und Nation zu erzielen. Die ökonomischen Interessen auf M II werden gegenwärtig als sekundär bis irrelevant bezeichnet. Dieser Umstand weist auf die Besonderheit des deutsch-türkischen Medienmarktes für Printmedienproduzenten hin. Die zweite Dimension der Schlüsselkategorie Originäres Interesse auf Medienmarkt II wird hier als »die ökonomisch-integrativ Motivierten« präsentiert. Ihre Präsenz auf M II wird vordergründig durch ökonomische Motive geleitet. Als zweite tragende Motivationskomponente tritt der integrationspolitische Aspekt in den Vordergrund. Es finden sich darunter zwei Printmedienproduzenten von Pressesystem I wieder, die trotz allgemein sinkender Auflagenzahlen auf M II ein dezidiertes ökonomisches Interesse für diesen Medienmarkt formulieren. Einerseits haben es die Unternehmen verstanden, dass M II ökonomisches Potential besitzt, andererseits haben sie erkannt, dass sie ihre Zielgruppe langfristig nur an ihr Produkt binden, wenn sie auf ihre realen Alltagsbedürfnisse eingehen. Damit verbunden ist der bis dato neue Versuch, den Perspektivwechsel der Zielgruppe inhaltlich und personell in die Redaktionen mit hineinzutragen und sich inhaltlich auf deren Lesebedürfnisse einzustellen. Sie sehen sich als Mediatoren zwischen den Kulturen und fungieren gleichzeitig als Sprachrohr der Interessen der Zielgruppe. Die Printmedienvertreter, die sich im Kontext der Schlüsselkategorie Originäres Interesse auf Medienmarkt II unter der Dimension »die politisch-integrativ Motivierten« verorten lassen, gehören Pressesystem II an. Sowohl die Vertreter von PM 6 als auch von PM 7 sprechen primär von politischen und integrativen Motiven bei der Etablierung ihrer Zeitung. Diese innerhalb der vergangenen sieben Jahre etablierten Printmedien besitzen für die Printmedienproduzenten unterschiedliche Funktionen. Zum einen bieten sie den Produzenten, die selbst Teil der Zielgruppe sind, die Möglichkeit der Agitation im öffentlichen Raum, zum anderen betrachten sie ihre Printmedienprodukte als Sprachrohr von einer Minderheits- zu einer Mehrheitsgesellschaft. Dadurch bringen sie auch das grundsätzliche Fehlen einer Kommunikationsplattform zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen per se zum Ausdruck. Die neu etablierten Print-
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medienprodukte bieten darüber hinaus eine publizistische Alternative zu den Printmedienprodukten von Pressesystem I und ermöglichen Journalisten mit Migrationshintergrund eine stärkere Partizipation. Die transportierten Medieninhalte sollen der Zielgruppe als Wertevermittlungsinstanz dienen, Relevanzbezüge zum Leben in der deutschen Gesellschaft besitzen und somit auch eine erzieherische Funktion innehaben. Ökonomische Interessen sind sekundär bis irrelevant, allerdings zur Herausgabe des Medienträgers notwendig.
IV.2.3 Die Schlüsselkategorie 3: Unternehmensstrategie Unter der Schlüsselkategorie Unternehmensstrategie (SK 3) wird im untersuchten Kontext erfasst, welche Strategien die untersuchten Printmedienunternehmen verfolgen, um ihre Präsenz auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt (M II) zu sichern und wie sie ihre ökonomische Zukunft auf M II beurteilen.
IV.2.3.1 Die Dimension A: »die Strategielosen« Die Dimension »die Strategielosen« veranschaulicht die Kernaussagen der Interviewpartner von Printmedium 1 (F.L., B.L.) und Printmedium 2 (J.Z., I.D., P.D.) auf die Frage, welche Strategie das Unternehmen verfolgt, um langfristig seinen Status quo auf M II zu sichern und wie die Interviewpartner die ökonomische Zukunft der deutsch-türkischen Printmedien in Deutschland einschätzen. In diesem Kontext äußert sich F.L. problemorientiert, doch verharrt er dabei in der distanzierten Position des Abwartenden. »Indem wir uns ihrer Welt annähern, indem wir uns Themen zuwenden, die sie interessieren und wie ich schon gesagt habe, indem wir sogar deutschsprachige Veröffentlichungen machen, indem wir Experten über Themen berichten lassen, die sie interessieren. Indem wir zu ihnen hingehen und uns mit ihnen unterhalten …so macht man das im Allgemeinen. So macht eine Zeitung das, indem sie sich den Interessen ihrer Zielgruppe stärker annähert. Dieser Gruppe gewährt sie dann einen breiteren Raum« 240
F.L. benutzt hier passive Sprachkonstruktionen »so macht man das im Allgemeinen«, »so macht eine Zeitung das«. Er erfasst die Kernproblematik. Zu diesem Zweck zählt er das klassische Handwerkszeug eines Zeitungsproduzenten zur Annäherung an seine Zielgruppe auf, scheut sich aber davor, diese mit Inhalten zu füllen. Theoretisch weiß er was zu tun wäre, praktisch ist dieser Schritt der formalen und inhaltlichen Neuorientierung von PM 1 jedoch auf unternehmerischer Ebene noch nicht vollzogen. Bislang bestand die Möglichkeit des inhaltlichen und politischen Dialogs bzw. der Steuerung einer altbekannten Leserschaft. Der Aufbau einer Kommunikationsplattform mit einer Zielgruppe, 240 | F.L. Z. 955ff
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zunächst um des Dialoges Willen, ist für PM 1 mühsam und befremdlich. »Ob sich diese Kinder tatsächlich alle von der Türkei trennen werden, dass ist so eine Frage, eine Frage ohne Antwort«241 . Die Zukunft sei noch offen, die Unsicherheit, wie sich die Lesergruppe entwickeln werde, groß, deshalb seien auch keine konkreten Maßnahmen eingeleitet worden. Sein Kollege B.L. äußert sich zu gleicher Thematik dezidierter: »es gibt kein Konzept, aber das ist nicht nur für [Printmedium 1], sondern für alle türkischen Zeitungen gültig. Wir leben von einem Tag auf den anderen. …Soweit ich das beurteilen kann, gibt es keine Strategie, die eine bessere Zeitung in 10 oder 20 Jahre beabsichtigt oder welche die gegenwärtigen Auflagen halten will…meiner Meinung nach müsste man zuerst herausfinden, was die dritte und vierte Generation überhaupt will… Was erwartet die junge türkische Generation in Europa von uns? Das müssen wir zuerst raus finden, da liegt das Defizit« 242
Seiner Auffassung nach wird in einigen Jahrzehnten die Auflagenzahl der türkischen Zeitungen in Deutschland stark gesunken sein. Nur die auflagenstarken Zeitungen werden sich dann am Markt halten können, die anderen werden verschwinden, für sie wird M II ökonomisch nicht mehr vertretbar sein. Einige wenige werden es schaffen, Printmedium 1 steht dabei an der Spitze.243 Nach Ansicht von B.L. zeigen Beispiele anderer Integrationsprozesse, dass mit der Zeit automatisch Veränderungen eintreten. »In einigen Generationen wird es diesen lebendigen türkischen Zeitungsmarkt in Deutschland nicht mehr geben.«244 Hier wird eine ehrliche und realistische Einschätzung gegeben, die unternehmensbezogene, defizitäre Handlungselemente, wie zum Beispiel das Fehlen einer fundierten Studie über das Mediennutzungsverhalten der türkischstämmigen Jugendlichen in Deutschland, benennt. Seiner Einschätzung nach ist es notwendig, das Mediennutzungsverhalten der dritten und vierten Generation der TBiD durch empirische Studien zu sichern, um auf dieser Basis die Zeitungen konzeptionell zu verändern. Er betont in diesem Zusammenhang, dass dies seine persönliche Meinung ist. Er ging jedoch davon aus, dass die Unternehmensführung von PM 1 diese publizistische Herausforderung anders beurteilt.245 Offensichtlich ist hier, dass beide Interviewpartner von PM 1 (F.L. und B.L.) aus ihrer journalistischen Praxis heraus für sich erkannt haben, dass eine publizistische Neufokussierung auf die jungen Rezipienten auf M II gegenwärtig
241 | F.L. Z. 981ff. 242 | B.L. Z. 472ff. 243 | Vgl. B.L. Z. 453ff. 244 | B.L. Z. 467ff. 245 | Vgl. B.L. Z. 483ff.
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notwendig ist, sie sich jedoch als loyale Mitarbeiter von Printmedienproduzent 1 an deren unternehmerischen Strategien zu orientieren haben. Auch die Interviewpartner von Printmedium 2 (J.Z. und P.D.) sprechen davon, dass PM 2 keine Strategie für den deutsch-türkischen Medienmarkt hat. »Im Augenblick haben wir dort keine ernstzunehmende Strategie.«246 Die Zeitungsproduzenten scheinen in eine Art Resignation oder Agonie verfallen zu sein und trösten sich gegenwärtig noch mit den verbliebenen Stammlesern. Natürlich wolle man mehr Zeitungen verkaufen, der Weg dahin erscheint ihnen allerdings als unüberwindbar. »In der Türkei geben wir zusätzliche Beilagen hinzu, verschenken Bücher, Lexika, Poster etc. Das wäre in Deutschland sehr schwierig und kostspielig. Viel verkaufen wir auch nicht« 247
Der deutsch-türkische Medienmarkt funktioniert nach anderen Mustern als der türkische Medienmarkt. Erfolgreiche Marketingaktionen aus der Türkei sind auf M II nicht übertragbar.248 Letztlich sind auch die nicht vorhandenen wirtschaftlichen Möglichkeiten der Zeitung für die Inflexibilität des Verlages in Bezug auf Werbe- und Marketingstrategien auf M II verantwortlich. »Das hängt alles vom Geld ab. Wir sind keine reiche Zeitung [Anmerkung der Übersetzerin: wie die anderen türkischen Zeitungen], wir sind nur eine Zeitung, die von einer Stiftung geführt wird und wir haben auch keinen Chef. Und weil wir keinen Chef haben, gibt es auch keine Bank, die hinter uns steht. Wir haben auch kein Einkommen aus anderen Sektoren, wir machen keine sonstigen Arbeiten, wir geben nur die Zeitung heraus und wir versuchen zu überleben, indem wir die Zeitung herausgeben« 249
Die Zeitung besitzt keine hinreichenden finanziellen Mittel und hat deshalb auch nicht die personelle Kapazität, um über eine Absatzverbesserung auf dem deutschen Medienmarkt nachzudenken. Man ist froh, den Status Quo erhalten zu können. Ob die fehlende Bereitschaft, sich stärker an den Bedürfnissen der TBiD zu orientieren, nur durch ökonomische Gegebenheiten zu erklären ist, kann angezweifelt werden. Das Verständnis und die Kenntnis der Türkeitürken in Bezug auf die reale Alltagswelt der TBiD scheinen allgemein schwächer zu werden. Zudem bezieht J.Z. ungefragt Position zu Schwächen der türkischen Zeitungen in Deutschland und äußert dazu, dass Printmedium 2 vor 246 | J.Z. Z. 232. 247 | J.Z. Z. 236ff. 248 | Dies bestätigt auch P.T., ein ehemaliger Chefredakteur eines deutsch-türkischen Monatsmagazins.
249 | J.Z. Z. 242ff.
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allem deshalb auf M II präsent ist, weil man die Zeitungskultur der türkischen Printmedien in Deutschland erweitern will.250 Das heißt, es geht ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt primär um den Erhalt des Status Quo auf M II und weniger um eine Kommunikation mit den Rezipienten. Sein Kollege P.D. beurteilt die Zukunft des deutsch-türkischen Medienmarktes (M II) wie folgt: Die türkischen Medien haben seiner Auffassung nach die Funktion, eine Bewegung des fortschrittsfeindlichen Verhaltens unter den TBiD zu festigen. Er betrachtet die türkischen Medien, dazu zählt er die Zaman, die Türkiye, die Tercüman, die Vakit, die Hürriyet und die Milliyet, als einen Teil dieser reaktionären Wertevermittlungsinstanzen.251 P.D. hält weiter fest, dass die türkische Bevölkerung in Deutschland bzw. in Europa von einem Medienmarkt bedient wird, auf dem konservative Kräfte dominieren.252 Auch P.D. sieht PM 2 hier vordergründig als publizistisches Gegenstück zu den anderen türkischen Printmedien. Um diese Funktion erfüllen zu können, bedarf es allerdings der Rezipienten. Auch er bemerkt, dass der Verlag hier keine spezifischen Strategien vorweisen kann. Die selbst gestellte Aufgabe der Wertevermittlung reicht ihm als Strategie aus.253 In den Interviewsequenzen der Vertreter von PM 2 wird deutlich, dass es im Unternehmen keine Strategie gibt, um die Zielgruppe zukünftig anzusprechen. Dies steht in einem klaren Widerspruch zu seiner zuvor geäußerten Meinung, als P.D. davon sprach, es muss sich ein Medium für die Zielgruppe etablieren. Vermutlich fehlen einfach die wirtschaftlichen und damit auch personellen Kapazitäten, um Innovativität in das eigene Printmedium zu bringen. »Die türkischen Medien können den Ansprüchen der sich stark in Veränderung befindlichen türkischstämmigen Gesellschaft nicht adäquat nachkommen. Es hat sich in Europa eine neue Gesellschaftsform entwickelt und die kann den intellektuellen Bedürfnissen dieser Menschen nicht mehr nachkommen. Ich bin ganz ehrlich, [PM 2] kann nur einen ganz kleinen Anteil der Aufgabe leisten. Es ist wichtig, dass sich hier ein neues Medium entwickelt. Im Augenblick werden die türkischen Medien in Deutschland sehr stark von rechten, nationalliberalen und konservativen politischen Kräften dominiert. [PM 2] ist dabei eine Ausnahme, aber ihr Einfluss ist sehr gering« 254
P.D. vertritt die Ansicht, die türkischen Zeitungen auf M II werden auch weiter an Auflage verlieren, aber sie bleiben auf dem Markt, denn auch weiterhin werde nach türkischen Nachrichten verlangt. Dies ermöglicht eine zweite Perspek-
250 | Vgl. J.Z. Z. 259 ff. 251 | Vgl. P.D. Z. 661ff. 252 | Vgl. P.D. Z. 384ff. 253 | Vgl. P.D. Z. 539ff. 254 | P.D. Z. 367ff.
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tive auf die Sache.255 Nichtsdestotrotz ist er der Auffassung, dass die türkischen Medien nicht in der Lage sind, ihren potentiellen Rezipientenmarkt in Deutschland adäquat mit Medienprodukten zu bedienen.
IV.2.3.2 Die Dimension B: »die ökonomischen Strategen« Unter der Dimension »die ökonomischen Strategen« lassen sich Printmedium 3 (N.D. und T.C.) und Printmedium 4 (L.L.) verorten. Ihr Hauptcharakteristikum innerhalb der Schlüsselkategorie Unternehmensstrategie zeichnet sich durch ihr unternehmenorientiertes Strategiemanagement aus, welches sich konsequenterweise auch an den Bedürfnissen der Rezipienten orientiert. Die Vertreter beider Unternehmen bewerten die ökonomische Zukunft deutsch-türkischer Printmedienproduzenten auf M II als durchaus schwierig, sehen aber auch unternehmerische Chancen, die sie u.a. durch Synergieeffekte mit anderen unternehmenseigenen Medienbereichen zu nutzen gedenken. N.D., der Chefredakteur der Deutschlandausgabe von PM 3, schildert im Folgenden sein Strategiekonzept, welches auf drei Säulen fußt. Zu diesem Konzept gehört eine intensive Marketingaktivität im Bereich der Werbewirtschaft türkischer klein- und mittelständischer Unternehmer, eine Investitionsbereitschaft in das Unternehmen, um sich den Bedürfnissen des Marktes anpassen zu können, und die Bereitschaft, zukünftig zielgruppenorientierter vorzugehen und neue Formate zu entwickeln. »Unser Hauptziel in Europa ist es, ich sage nicht in Deutschland, sondern in Europa, die lokalen Unternehmen zu erreichen…darauf liegt unser Schwerpunkt. Dass sind türkische Unternehmen vornehmlich, aus dem Bereich der Nahrungsmittelindustrie, die Werbung vergeben, teilweise auch aus dem Sektor der Textilindustrie und der Küchenindustrie. Aber dies sind keine großen Unternehmen…in Deutschland wollen wir schwerpunktmäßig den Firmenmarkt öffnen.« 256
Seit zwei Jahren liegt der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit deshalb auf dem Ausbau des Werbekundensektors, 10 % der Wegstrecke hat man dabei schon hinter sich gelassen. Da die Auflage der türkischen Zeitungen in Deutschland sehr niedrig ist (unter 30.000 Stück), ist es schwierig, deutsche Werbekunden zu finden.257 In Bezug auf die technologieorientierte Investitionsbereitschaft von PM 3 erzählt N.B: »momentan wäre es vom technischen Aspekt sinnvoll, eine bessere Druckerei zu kaufen. Solch einen Plan haben wir. Aber unser Hauptsziel ist es, die Redaktion zu ver255 | P.D. Z. 690ff. 256 | N.D. Z. 308ff. 257 | Vgl. N.D. Z. 319ff.
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stärken. Sie wissen, dass dies eine sehr teure Angelegenheit ist. Dies birgt zwei Dimensionen: es ist kostspielig und wir haben nicht die finanziellen Mittel dafür, uns ein redaktionelles Team nach unseren Vorstellungen aufzubauen. Hoffentlich erhöht sich die Auflage der Zeitung. Wenn die Einnahmen im Werbesegment steigen, werden wir uns darauf konzentrieren« 258
Schritt eins der Strategie sieht vor, durch höhere Einnahmen im Werbesegment Kapital zu erwirtschaften, um es dann in den Ausbau einer kostenintensiveren größeren bilingualen Redaktion zu investieren, um damit eine größere Rezipientennähe zu ermöglichen und langfristig die Auflagen zu wahren bzw. zu steigern. Langfristig möchte PM 3 eine deutschsprachige Zeitung herausbringen, »Diese Zeitung soll nicht [PM 3] werden, es soll keine islamische Zeitung werde. Es soll den Menschen darin nicht vom Islam berichtet werden, sondern im Mittelpunkt wird der Sport stehen, wird die Wirtschaft stehen, wird die Arbeitslosigkeit stehen, werden Familienprobleme stehen; es werden diese Art von Problemen behandelt werden, die Probleme, die die Menschen hier erleben« 259
Der Verwirklichung einer deutschsprachigen Tageszeitung beginnt gegenwärtig mit seinen Bemühungen um mehr bilinguale Kompetenz in der Redaktion. Zunächst gedenke man eine deutschsprachige Wochenzeitung herauszugeben. Dabei werde man sich nicht an der wöchentlichen, deutschsprachigen Beilage einer anderen Zeitung orientieren. »Bei der deutschen Beilage der Hürriyet handelt es sich meiner Ansicht nach nur darum, eine Zeitung herauszubringen. Wenn wir sie herausbringen, dann haben wir auch etwas zu sagen, eine Nachricht mitzuteilen. Ich denke, es ist eine schwerwiegende Fehlentscheidung nur so zum Geschwätz eine deutschsprachige Zeitung herauszubringen« 260
Sehr realistisch fasst N.D. abschließend das unternehmerische Interesse von PM 3 zusammen. »Im Augenblick sind wir türkischen Zeitungen in Europa dabei, unseren kleinen Anteil des kleinen ökonomischen Kuchens zu wahren und wir beten dafür, dass die [Anmerkung der Übersetzerin: wirtschaftliche] Krise in Deutschland bald beendet ist und Deutschland wieder zu seiner alten Kraft zurück findet« 261 258 | N.D. Z. 382ff. 259 | N.D. Z. 62 1ff . 260 | N.D. Z. 638ff. 261 | N.D. Z. 711ff.
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Er verdeutlicht hier noch einmal die langfristigen ökonomischen Interessen von PM 3 und ist sich darüber im Klaren, dass diese nur durch eine stärkere Fokussierung und Sensibilisierung auf den Rezipientenmarkt möglich ist. Die Türken in Europa bräuchten ein Printmedium, dass sich auf M II konsolidiert habe, nicht zu stark von ökonomischen Gesichtspunkten geprägt sei und richtigen Journalismus erstelle. »Und ich glaube auch noch dass solch eine Zeitung von den Deutschen noch eher gebraucht wird als von den Türken. Weil die Deutschen diese Masse in ihren Händen [Anmerkung der Übersetzerin: TBiD] nicht kennen. In Bezug auf das Kennen seien sie wirklich sehr erfolglos« 262
Sein Kollege T.C. (PM 3) ergänzt in seiner Analyse der Situation deutsch-türkischer Printmedien auf M II, dass die anderen türkischen Zeitungen seit den 70er Jahren auf M II vertreten sind und in den 80er und 90er Jahren ihre wirtschaftliche Erfolgsphase hatten. Nun befänden sie sich in einer Krise, weil sich ihr Angebot noch an den Bedürfnissen der ersten Generation orientiere. PM 3 ist erst seit Beginn der 90er Jahre auf dem Markt und hat sich direkt auf die zweite und dritte Generation als Zielgruppe konzentriert und damit jetzt erste Erfolge erzielt.263 Die recht späte Marktetablierung von PM 3 auf M II führt seiner Einschätzung nach zu dem Vorteil, dass das Unternehmen gefordert war, sich mit dem Generationenwechsel innerhalb ihrer Leserschaft zeitnah auseinanderzusetzen. »Die erste Generation brauchte das nicht, sie wollten irgendwann zurück. Aber die zweite und dritte Generation sagt, wie kann ich in dieser Gesellschaft mich entfalten und meine Identität aufbauen? Und wir sagen auf einer auf einer muslimischen Position, sagen wir, dass ist möglich machbar sogar wünschenswert. Das kommt an glaube ich« 264
PM 3 bemüht sich um Antworten auf gesellschaftspolitische Prozesse im Alltag der TBiD und gibt ihnen aus ihrem Blickwinkel heraus, aus einer muslimischen Position, Identitätshilfen. Insgesamt äußert sich T.C. trotz allgemein schwieriger werdenden Marktbedingungen betont optimistisch über die Entwicklung von PM 3 auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt. »Ähm es wird schwierig sein, in Zukunft ernsthafte Medienprojekte umzusetzen. Es braucht Kapital, es braucht ähm Infrastruktur aber ich glaube [PM 3] hat seine Position
262 | N.D. Z. 730ff. 263 | Vgl. T.C. Z. 305ff. 264 | T.C. Z. 326ff.
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auf dem Markt sich erarbeitet und ich glaube das [PM 3] in den nächsten Jahren seine Leserschaft steigern und erhöhen wird, als das es ähm zurück gehen wird« 265
Der Geschäftsführer von PM 4, L.L., erklärt zu seiner Strategie: man muss den Menschen die Information geben, die sie benötigen. Informationen aus der Türkei bekomme man heutzutage über Satellit von über 35 oder 40 Fernsehkanälen, aber aus ihrem eigenen Lebensumfeld bekomme die TBiD zu wenig, dies sei die Grundidee zur Konzeption von PM 4 gewesen. Grundvoraussetzung für die Etablierung des neuen Zeitungsformats von PM 4 sei allerdings die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit. Zu diesem Zweck muss man eine bestimmte Anzahl von Rezipienten erreichen und das hätte man niemals mit einer klassischen (türkischen) Tageszeitung erreichen können.266 Das neue Zeitungskonzept von PM 4267 macht es möglich, je nach Werbeeinnahmen die Seitenzahl zu reduzieren. »Damit haben wir ja auch automatisch ein Regulierungssystem und das ist unser Ziel gewesen und wir sind eigentlich — es ist gelungen — und wir denken sogar in manchen Regionen an ein Pilot, das wir auch es auch vielleicht auch verkaufen möchten, auch Gebühren dafür einnehmen. Aber das ist eine (.) vielleicht im nächsten Jahr, dieses Jahr noch nicht. Denn [PM 4] hat sich etabliert, sie ist drei Jahre auf dem Markt.« 268
Die Herausgabe von PM 4 hat sich nach Einschätzung des Geschäftsführers gut entwickelt. Man habe für PM 4 eine Marktnische gesucht, die bisher von den überregionalen türkischen Tageszeitungen vernachlässigt wurde, den lokalen und regionalen Werbemarkt. »Der türkischsprachige oder die türkischsprachigen Kunden erreichen wir zu 90 %, das heißt ein Lebensmittelgeschäft kann ja in München sehr sehr stark sein, sehr gut sein (.) aber wen interessiert das in Nürnberg oder in Frankfurt. Also wären alle Tageszeitungen nicht rentabel dafür und deshalb ist [PM 4] für solche Anzeigen, die regional erscheinen und regional eine Wirkung haben, das ist die Nummer eins und eine Nummer zwei gibt es nicht.« 269
265 | T.C. Z. 361ff. 266 | Vgl. L.L. Z. 221ff. 267 | PM 4 ist eine Monatszeitung, die sich durch Anzeigen finanziert, deutschlandweit und im deutschsprachigen Ausland kostenlos per Post an Haushalte mit Menschen türkischer Herkunft versand wird und sich beide Kundenkreise (Werbe- und Rezipientenmarkt) über die lokale Ebene erschließt.
268 | L.L. Z. 245ff. 269 | L.L. Z. 253ff.
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Das gleiche Konzept gelte auch für den Rezipientenmarkt auf M II, sie bekämen verstärkt Information aus der Region, in der sie leben. »Wir müssen auf die Wünsche der Menschen eingehen und es kann nicht sein, dass man einfach eine Redaktion in der Türkei hat und dann aus der Türkei berichtet. Man wird überleben, man wird eine gewisse Auflage haben damit man ein gewisses Maß hat, wenn man international ist, aber das ist ja nicht unser Zweck. Wir möchten in Europa und bzw. jetzt in Deutschland wo fast 3 Mio. türkischstämmige Menschen leben, für diese Menschen möchten wir ein Produkt herausbringen und das ist für mich [PM 4].« 270
Teil der Strategie ist dabei auch, dass sich PM 4 verstärkt um die nachwachsende Generation der TBiD bemühen wird und eine Kinderseite einzurichten gedenkt, die bilingual gestaltet ist und sich auch inhaltlich mit Textmaterial aus beiden Kulturen beschäftiget.271 Das klassische Tageszeitungenformat wird sich nach Ansicht von L.L. zukünftig nicht rentieren, weil der finanzielle Einsatz viel zu hoch ist. Aus diesem Grund wurde das neue Format von PM 4 konstruiert.272 »Das ist unmöglich, man kann — Tageszeitungen werden immer schwerer; das wird vielleicht sogar so sein, das es wieder rückläufig wird. Das man hier ein paar Redaktionsmitarbeiter hat, aber die Hauptredaktion ist dann in der Türkei und man lässt sie einfach hier nur drucken und macht den Vertrieb aber alles andere läuft doch über die Türkei. Das kann sein, das kann sein. Es ist jedenfalls schwierig, für die Tageszeitungen sieht es schwierig aus. Und deshalb haben wir ja auch eine Mischung haben wollen, wir haben eine Tageszeitung, wir haben ein Monatsblatt und wir haben Fernsehen« 273
Die Vernetzung unterschiedlicher Synergien im Unternehmen macht somit das Printmedienprodukt erst tragfähig.
IV.2.3.3 Die Dimension C: »die gescheiterten Strategen« Unter der Dimension »die gescheiterten Strategen« sammeln sich ausnahmslos Printmedienvertreter, welche Pressesystem II angehören. Dazu gehören im vorliegenden Forschungskontext Printmedium 5 (H.E., N.B. und T.P.), Printmedium 6 (B.P. und T.L.), Printmedium 7 (C.D.) und Printmedium 8 (P.T.). Ihre Medienprodukte wurden alle während der vergangenen sieben Jahre auf M II neu konzipiert und herausgegeben und sind inzwischen aus unterschiedlichen Gründen wieder eingestellt worden. Ihre Unternehmensstrategie war sozusagen die Etablierung eines neuen Printmedienproduktes. Zum Zeitpunkt 270 | L.L. Z. 352ff. 271 | Vgl. L.L. Z. 369ff. 272 | Vgl. L.L. Z. 596ff. 273 | L.L. Z. 607ff.
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der Interviews erschien lediglich noch PM 7 noch. Gegenwärtig ist keines der genannten Printmedien mehr auf M II erhältlich. Allen hier genannten Printmedienproduzenten gemeinsam ist, dass sie sich mit einem neuen Profil, welches sich primär durch Medieninhalte und Sprachnutzung zeigte, von den Printmedienprodukten von Pressesystem I absetzen wollten. Sie berichten somit aus der Position des gescheiterten Printmedienproduzenten. Die Thematik der Unternehmensstrategie wird in den Interviewtextstellen der hier verorteten Printmedienproduzenten jedoch nur sekundär angesprochen. Im Folgenden wird deutlich, dass es keinem der Interviewpartner gelingt, sein Medienprodukt losgelöst von Kontext Pressesystem I, zu reflektieren. Die Printmedienprodukte von Pressesystem I werden im Interviewverlauf immer wieder als negativer Bezugsrahmen herangezogen. Der Redakteur der deutschen Redaktion von Printmedium 5 (H.E.) erklärt, eine unternehmerische Zukunft von Presssystem II auf M II ist noch nicht sichtbar, weil es keine wirkliche unternehmerische Struktur und keine tragende professionelle Basis gibt.274 Es scheiterten so viele Unternehmen von Pressesystem II nicht, weil ihre Konzepte in Bezug auf die Medieninhalte unstimmig waren, sondern weil das unternehmerische Konzept versagte bzw. erst gar nicht vorhanden war.275 H.E. fasst an dieser Stelle die Gründe des Scheiterns der Printmedienprodukte von Pressesystem II zusammen. Sein Kollege N.B. bezeichnet kurz und knapp die deutsche Beilage von PM 5 als die Strategie des Unternehmens.276 Es handelte sich dabei um die erste deutschsprachige Beilage einer türkischen Zeitung, die auf M II erschien. Dann geht er übergangslos auf die ökonomische Zukunft türkischer Printmedien auf M II ein, welche er allgemein als schlecht bewertet, die türkische Unternehmensgruppe, für die er zum Zeitpunkt des Interviews tätig war, wollte nicht weiter in Deutschland investieren.277 Beide Redakteure entwerfen ein desillusioniertes Bild von publizistischen Möglichkeiten auf M II. Ihr Kollege T.P.278 ergänzt hier: »Ich glaube nicht, dass sich dort [Anmerkung der Übersetzerin: auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt, M II] eine andere Zeitung außer der Hürriyet halten kann«279. Auch die Zukunft der anderen türkischen Tageszeitungen auf M II stellt er in Frage, bei den niedrigen Auflagenzahlen kann man langfristig nicht überleben. H.E. führt seine Erklärungen zu Strategie von Pressesystem I in Deutschland detaillierter aus. 274 | Vgl. H.E. Z. 838ff. 275 | Vgl. H.E. Z. 885ff. 276 | Vgl. N.B. Z. 481ff. 277 | Vgl. N.B. Z. 598ff. 278 | T.P. ist verantwortlicher Redakteur des türkischen Lizenzgebers von PM 5 aus der Türkei.
279 | T.P. Z. 710f.
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»Das Problem dieser ganzen, der überregionalen Tageszeitungen ist es, man kann es ganz leicht an den Werbeaufkommen sehen, die werden garantiert, also sicher von Istanbul aus finanziert, die tragen sich hier also nicht selber. Das sind sozusagen Prestigeobjekte, wo man hofft, über bestimmte Klientelgruppen hier vielleicht mal die Zeitung weiter nach vorne zu bringen, aber eigentlich können die sich nicht tragen« 280
Der Herausgeber und Geschäftsführer von PM 6 zeigt sich im Interviewverlauf ebenso frustriert und desillusioniert. »Eigenständige Zeitschriften oder Zeitungen, die in Europa entstanden sind, die haben bis jetzt keine Durchbruch geschafft. Also nach wie vor ist der Zeitungsmarkt dominiert von den Europa-Ausgaben der türkischen Zeitungen [I.: Mhm]. Das hat sich nicht geändert« 281
T.L., die Redakteurin von PM 6, erklärt die Gründe, die ihrer Ansicht nach für den Herausgabestopp von PM 6 verantwortlich waren. Zum einen ist das Projekt nicht auf einer ausreichenden finanziellen Basis etabliert worden, es habe kein definiertes Konzept in Bezug auf Medieninhalte und Zielgruppe gegeben, die Kompetenzverteilung innerhalb der Redaktion ist nicht hinreichend definiert gewesen und das deutsche Trägermedium habe das Projekt nicht wirklich mitgetragen.282 Sowohl B.P. als auch T.L. gehen davon aus, dass sich der deutsch-türkische Medienmarkt (M II) gegenwärtig in einer Übergangsphase befindet. »Heute versuchen die türkischen Medien auch ein bisschen, sich mehr an den Realitäten der hier lebenden Türken zu orientieren« 283 »sie haben erkannt, dass sie nicht mehr den Einfluss politisch auf die hier lebenden Türken haben, den sie mal vor 30, 40 Jahren hatten (.) und das ihre Politik, nämlich dieses komplett Türkei orientierte, folkloristische Geschwafel, darüber hinaus nur Diffamieren, wenn es einem nicht passt, nicht mehr greift. Für mich persönlich ist das eine schöne Entwicklung, weil sie dann gezwungen sind, umzudenken« 284
T.L. betrachtet die kurzzeitige Herausgabe der Printmedienprodukte von Pressesystem II nicht nur als isolierte unternehmerische Einzelfälle, sondern sieht diese als Bestandteil eines Entwicklungsprozesses, der auch Pressesystem I zu 280 | H.E. Z. 471ff. 281 | B.P. Z. 474ff. 282 | Vgl. T.L. Z. 373ff. 283 | T.L. Z. 650f. 284 | T.L. Z. 658ff.
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Veränderungen und Neuorientierungen zwingt und damit letztlich die Medienstruktur auf M II nachhaltig beeinflusst. Informationen werden dort gekauft, wo sie angeboten werden. So enthalten türkische Medien Informationen, die deutsche Medien nicht enthalten. Ergebnisse über türkische Sportereignisse sind nur über türkische Zeitungen einsehbar.285 T.L. plädiert langfristig für ein Zeitungsformat, das offen für alle Migranten ist und möchte einen solchen Appell auch an die deutsche Medienpolitik richten. »Ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass ähm Deutschland eine Migrantenzeitung oder Zeitschrift braucht, die aber für alle geöffnet ist. Man kann einen Schwerpunkt nehmen, ja Türken ja(.) aber auch die anderen. Weil sonst haben wir nämlich wieder genau das, das sich die Türken dann wieder auf sich konzentrieren, weil sie es einfach nicht gelernt haben, die anderen mit einzubeziehen« 286
Sie hält es für bedenklich, wenn die türkischen Zeitungen größtenteils in der Türkei erstellt werden. »Dass die Hürriyet komplett in der Türkei erstellt wird, von Menschen, die keinen Bezug zu Deutschland haben. Das ganze dann wieder hier ausgeliefert wird, dann finde ich das auch bedenklich. Ich kann nicht permanent eine Politik wiedergeben in einem Land wo ich nicht lebe und dessen Gesetze und Realitäten ich nicht kenne. So, aber sie mussten sich umändern, umorientieren auch in der ganzen Krise« 287
PM 7 ist das Einzige der untersuchten Printmedienprodukte, welches zum Zeitpunkt des Interviews noch herausgegeben wurde. C.D. spricht deshalb aus der Perspektive des noch aktiven Unternehmers und umreißt seine Unternehmensstrategie wie folgt: »deswegen also ähm mein Ziel ist es, das Magazin für die deutschen Unternehmer attraktiv zu machen. Ja gerade für die ist es auch interessant, die türkische Zielgruppe zu erreichen« 288
PM 7 fokussiert in Hinblick auf seine Finanzierung auf die deutschen Werbetreibenden, welche die Konsumenten türkischer Herkunft ansprechen möchten. Dass dazu notwendige Interesse der Zielgruppe versucht er durch eine, auf diese abgestimmte, redaktionelle Aufbereitung der Themen zu erfassen, er möchte die Leser dort erreichen, wo sie auch stehen. 285 | Vgl. T.L. Z. 565ff. 286 | T.L. Z. 603ff. 287 | T.L. Z. 665ff. 288 | C.D. Z. 68ff.
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»Genau, das haben wir auch bewusst so gemacht. Die Lesegewohnheit (.) die nicht da ist, die Leute lesen halt nicht so gerne, deswegen haben wir gesagt, toll, wenn wir drei oder vier Seiten schreiben (.) die message kommt nicht rüber weil die das nicht zu Ende lesen werden und ähm dann lass uns lieber kurz und knapp, weil wir wollen ja Information wiedergeben und die Leute sollen irgendwie diese Informationen mitbekommen« 289
Darunter versteht C.D., sich sowohl auf der Ebene von Sprache als auch von Inhalt auf die junge Zielgruppe einzulassen. »Deutsche Produkte sind wahrscheinlich uninteressant weil da kein Bezug zu der Kultur ist. Türkische Produkte sind uninteressant weil das einfach schwierig ist eine ganze Seite türkischen Text zu lesen und gleichzeitig sofort zu verstehen und zu verarbeiten. Das ist sehr schwierig und ich glaube, wir haben hier eine gesunde Mischung. Wir haben halt die Sprache, die Sprache ist auch nicht sehr hoch gegriffen, sehr hochgestochen (.) man kann das sehr leicht verstehen und ähm thematisch interessiert es halt die Leute« 290
Er selbst kennt die Zielgruppe, ist sozusagen Bestandteil derer und bekommt dies auch in Form von Leserreaktionen verdeutlicht. »Das ist einer von uns, genau. Ne und deswegen bei der Leserschaft kommt das Magazin sehr sehr gut an.«291 Glaubwürdig kann man seiner Ansicht nach die Realität der Zielgruppe nur dann wiedergeben, wenn die Mitglieder der Redaktion ein Spiegelbild der Zielgruppe ist. »Eigentlich ist es ja mein Ziel, eine richtig bunte Truppe hier zu haben. Wir sagen ja wir sind eine türkische interkulturelle Szene aber diese interkulturelle Szene können wir erst dann den Leuten wiedergeben, wenn wir auch ein interkulturelles Team haben. Ich kann nicht zum Beispiel über die griechische Community, über die griechische Szene schreiben weil ich das nicht kenne. Das heißt ich brauche dann einen Journalisten der oder die dann aus diesem Bereich kommt« 292
Der inhaltliche Schwerpunkt liegt im Bereich der deutsch-türkischen Community, doch will er, dass seine Leser »auch über andere Kulturen und Gruppierungen in Deutschland gewisse Sachen mitnehmen«293. Die ökonomische Zukunft des deutsch-türkischen Medienmarktes bewertet er als ambivalent. Die Neuetablierung einer Tageszeitung hält er gegenwärtig für nicht umsetzbar.
289 | C.D. Z. 763ff. 290 | C.D. Z. 448ff. 291 | C.D. Z. 463f. 292 | C.D. Z. 187ff. 293 | C.D. Z. 200.
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»weil einfach der Kostenfaktor Kostenfaktor macht da nicht mit. Ähm (.) es soll verkauft werden, dass ist schon mal ein Problem. Diese ganze Betriebsstruktur, dass muss dann vernünftig aufgebaut werden, es muss dann wirklich jeden Tag blablabla muss es um die Uhrzeit an den Kiosken sein. Wenn das einmal nicht der Fall wäre, würden sie die Zeitung auch nicht mehr kaufen. Also ich finde das überhaupt nicht umsetzbar (.) da muss man echt schon (.) einen super super großen Verlag hinter sich haben, die auch bereit sind, da Mio. zu investieren, dann klappt das« 294
Ingesamt sieht er aber schon ökonomisches Potential für deutsch-türkische Medienprojekte auf M II, »ja unternehmerische Zukunft also wie gesagt, Potential ist darin, wenn man das vernünftig angeht äh dann (.) haben wir wirklich Zukunft weil wie gesagt, die Zielgruppe die wir erreichen wollen, die anderen Magazine und ich auch, das ist eine Zielgruppe, die möchten die Agenturen und die Anzeigenfirmen erreichen« 295
Ökonomische Möglichkeit sieht er damit aber nur auf der Seite des Werbemarktes und nicht bei den Rezipienten. PM 8 ist ein deutsch-türkisches Monatsmagazin und P.T. agierte als Chefredakteur. Er erklärt zur Unternehmensstrategie von PM 8: »Wir haben halt einfach das was sie kennen, das was alle kennen in dieser Konsumgesellschaft haben wir umgesetzt und versucht in der gleichen handwerklichen Qualität und mit einer eben nicht äh reinen deutschen Farbe sondern eben mit unserer Farbe, die wir halt mitbringen und die ist halt in sehr vielen Dingen Deutsch und in anderen Dingen halt Türkisch oder nicht Deutsch. Heute würden wir das erweitern dieses Thema und nicht mehr ans Türkische festbinden sondern allgemein an Menschen, die in Deutschland mittlerweile zu Deutschen zählen aber aus anderen Kulturen oder einen anderen kulturellen Background noch besitzen und äh (.) ich glaube, wenn man es heute richtig machen würde, man könnte mit Sicherheit ein ein (.) Magazin entwickeln, was politisch selbst so eine Relevanz spielen kann« 296
Auch P.T. reflektiert die Herstellung von PM 8 retrospektiv. Er zeichnet dabei ein Bild von einem Printmedium nach, dessen besonderes Charakteristikum er an der Perspektive der Zeitungsmacher festmacht. Sie gaben dem Magazin »die Farbe, die wir halt mitbringen«. Diese Perspektiven waren geprägt durch unterschiedliche Schattierungen und damit auch Ausdruck ihrer kulturellen Vielfalt.
294 | C.D. Z. 792ff. 295 | C.D. Z. 1007ff. 296 | P.T. Z. 218ff.
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Eng verknüpft mit der eigenen publizistischen Erfahrung ist auch für P.T. die Präsenz von Pressesystem I in Deutschland. »Sie haben aber auch nicht (.) [Anmerkung: Pressesystem I] jetzt sag ich mal (.) die entsprechenden personelle Kapazität, weder in der Türkei um fit genug zu sein für deutsche Mediengeschäft noch in Deutschland, also das muss man ganz einfach so sehen. Also die türkische Medienwelt funktioniert dann schon noch nach anderen Gesetzmäßigkeiten als die deutsche und äh (.) das sind die großen Probleme und solange es nicht eine in Deutschland gewachsene Organisation gibt, die dieses eigene Feld besitzt äh besetzt sozusagen, meinetwegen in Joint Ventures, wobei ich nicht denke, dass man wesentlich abhängig ist von türkischen Medien um in Europa an türkische Zielgruppen zu verkaufen. Im Gegenteil, man muss einen großen deutschen Verlag haben, der einem die technischen ähm (.) kommunikativen wie auch immer gearteten Ressourcen und Kanäle zur Verfügung stellt einfach um gute Redaktion zu betreiben und ähm (.) dann werden sie sehr schnell all diese Schäfchen wieder reinholen können. Das sind (.) die schwirren heute sozusagen in dem großen Raum der deutschen Medienwelt und werden nicht bedient durch entsprechende Verlage. Das ist nach wie vor der Fall« 297
In dieser Interviewsequenz entwickelt P.T. seine Sichtweise der diffizilen Konvergenzmöglichkeiten zwischen deutschem und türkischem Medienmarkt und spricht sich dafür aus, dass eine auf M II gewachsene Medienorganisation, wünschenswerter Weise in Form eines kompetenten Medienjointventures, entsteht. Um an die TBiD als Zielgruppe heranzutreten, muss man seiner Meinung nach nicht notwendigerweise mit Pressesystem I kooperieren. Noch einmal kommt P.T. detailliert auf Pressesystem I und dessen Beziehung zum türkischen Rezipientenmarkt zu sprechen. »Es gibt da etwas andere Gesetzmäßigkeiten und ähm (.) sie finanzieren sich ja auch nicht aus der Zeitung selbst. Also wenn man Aktivitäten, man muss sich ja immer die Mediengruppen anschauen. Diese Mediengruppen sind ja sehr heterogene äh äh (.) Strukturen, die sehr viel (.) miteinander refinanzieren und querverrechnen. Und wenn man sich wahrscheinlich das Verlagsgeschäft selbst mal anschauen würde, sowohl in der Türkei als auch in Deutschland erst recht, dann müsste man wahrscheinlich sagen, sofort cutten und einstellen weil wir verbrennen hier tagtäglich Geld aber dadurch das es so große Konzerne sind ähm (.)und sie nun an anderer Stelle unverschämt viel Geld verdienen (.) ähm (.) können sie sich halt so was erlauben. Das ist dann ganz einfach die Situation mit TRT International oder mit den türkischen Staatsmedien, die ja nun auch nicht wirklich versiert sind (.) in einer (.) Fragestellung was die die Zielgruppen oder die
297 | P.T. Z. 109ff.
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Menschen außerhalb der Türkei angeht, türkischer Herkunft. Aber (.) gut, dass ist noch mal eine ganz andere Diskussion« 298
P.T. kritisiert in dieser Interviewsequenz dezidiert Pressesystem I, deren Angehörige ihre Präsenz auf M II durch Kapital aus anderen Geschäftsbereichen »erkaufen« würden. Dies führt dazu, dass auf M II Printmedienproduzenten agieren, die ihre Zielgruppe, die TBiD, nicht adäquat wahrnehmen und damit die Kommunikation zwischen Produzent und Konsument gestört ist.
IV.2.3.4 Fazit zur Schlüsselkategorie 3: Unternehmensstrategie Die Schlüsselkategorie Unternehmensstrategie lässt sich im vorliegenden Forschungskontext in drei Dimensionen untergliedern: »die Strategielosen«, »die ökonomischen Strategen« und »die gescheiterten Strategen«. Die Dimension »die Strategielosen« basiert auf Interviewaussagen von Vertretern von PM 1 und PM 2. Die Aussage, »wir leben von einem Tag auf den anderen«, demonstriert dabei das Wesen der Dimension. »die Strategielosen« verfügen im Wesentlichen über die Fähigkeit, ihre Beziehung zur potentiellen Rezipientengruppe auf M II kritisch zu reflektieren, verharren jedoch in diesem Stadium und warten ab. Die Tätigkeit des Abwartens ist dabei nicht als Strategie des Abwartens zu bezeichnen, es handelt sich eher um einen Akt der Hilflosigkeit (PM 2) bzw. der Unentschlossenheit (PM 1). Die Interviewpartner von PM 1 und PM 2 sprechen offen aus, dass keine adäquate Unternehmensstrategie besteht, um sich den zukünftigen Herausforderungen auf M II erfolgreich zu stellen. Die Gründe für das Fehlen einer entsprechenden unternehmerischen Strategie fußen dabei auf unterschiedlichen Argumenten. Die Interviewpartner von PM 1 wissen theoretisch was zu tun wäre, um sich der Neufokussierung auf die Zielgruppe zu stellen. Der Aufbau einer Kommunikationsplattform mit einer Zielgruppe, zunächst um des Dialoges Willen, ist für PM 1 jedoch mühsam und befremdlich. Die Zukunft ist für sie noch offen, die Unsicherheit, wie sich die Lesergruppe entwickeln wird, groß. Deshalb werden auch keine konkreten Maßnahmen eingeleitet. In der Praxis wurde dieser Schritt der formalen und inhaltlichen Neuorientierung auf unternehmerischer Ebene nicht vollzogen. PM 1 ist gegenwärtig noch die auflagenstärkste türkische Tageszeitung auf M II und auf unternehmerische Erfolge auf M II nicht angewiesen. PM 1 kann es sich sozusagen auf der Basis ökonomischer Gegebenheiten leisten, in aller Ruhe abzuwarten und verlangsamt auf die Bedürfnisse des Marktes zu reagieren. Zwischen Unternehmensmanagement und redaktionellen Führungskräften besteht jedoch offensichtlich eine Diskrepanz in Bezug auf die Bewertung der Unternehmensstrategie. Letztere tendieren zu einer zeitnäheren Zielgruppenneufokussierung von PM 1. Printmedium 2 verfügt über keine adäquate Unternehmensstrategie, 298 | P.T. Z. 238ff.
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weil ihnen schlicht und einfach die ökonomischen Mittel zu deren Realisierung fehlen. Die Dimension »die ökonomischen Strategen« baut auf Interviewsequenzen der Gesprächspartner von Printmedium 3 und Printmedium 4 auf. Beide Printmedien gehören zu Pressesystem 1, das heißt, sie sind originär auf dem Medienmarkt in der Türkei ansässig. Sie haben aus unterschiedlichen Perspektiven erkannt, dass der Printmedienmarkt auf M II für die Unternehmen grundsätzlich ökonomische Perspektiven bietet, diese aber durch neue Strategien erarbeitet werden müssen. Im Zusammenspiel mit anderen unternehmensinternen Medienprodukten wie Fernsehen, Magazin und Radio ergeben sich auf diese Weise im Sinne von Verbundvorteilen (Economies of Scope)299 im Bereich von Promotion und Journalismus Synergieeffekte. Ihr Hauptcharakteristikum innerhalb der Schlüsselkategorie Unternehmensstrategie zeichnet sich durch ihr unternehmensorientiertes Strategiemanagement aus, welches sich konsequenterweise auch an den Bedürfnissen der Rezipienten orientiert. Ihre Präsenz auf M II ist gekoppelt, mit dem Ziel, sich auch die Produktionskosten auf M II zu erarbeiten bzw. Gewinne zu erzielen. In diesem Sinn entwickeln sie unterschiedliche Strategien, um die Produktion ihrer Medienprodukte zu sichern. Das Konzept von PM 3 konzentriert sich auf ein intensives Marketing im Bereich der Werbewirtschaft türkischer klein- und mittelständischer Unternehmer, verbunden mit einer Investitionsbereitschaft in das Unternehmen, um sich den Bedürfnissen des Marktes anpassen zu können und der Bereitschaft, zukünftig zielgruppenorientierter vorzugehen und neue Formate zu entwickeln. PM 4 ist das Ergebnis eines völlig neuen türkischen Printmedienformates auf M II, mit der Strategie, die Zeitungsproduktion zunächst nur über den Werbemarkt zu finanzieren, um in einer zweiten Etablierungsphase eventuell auch durch den Rezipientenmarkt zu verdienen. Dabei fokussiert das Unternehmen auf eine Marktnische, die bisher von den überregionalen türkischen Tageszeitungen vernachlässigt wurde, den lokalen und regionalen Werbemarkt. Parallel dazu soll der Rezipientenmarkt durch ein Informationsangebot aus den Regionen an Attraktivität gewinnen. Unter der Dimension »die gescheiterten Strategen« sammeln sich ausnahmslos Printmedienvertreter, die Pressesystem II angehören. Dazu gehören im vorliegenden Forschungskontext Printmedium 5, Printmedium 6, Printmedium 7 und Printmedium 8. Ihre Medienprodukte wurden alle während der 299 | »Verbundvorteile (Economies of Scope) begründen eine Integration von Unternehmen in technisch oder absatzmäßig benachbarte Sektoren. Verbundvorteile liegen dann vor, wenn die Herstellung mehrerer Produkte durch das gleiche Unternehmen zu niedrigeren Gesamtkosten führt, als wenn die einzelnen Produkte von jeweils unterschiedlichen Unternehmen produziert werden.« Vgl.: Heinrich, Jürgen (2001/1), S. 167; Kiefer, Marie Luise (2005), S. 157ff. und Beyer, Andrea/Carl, Petra (2004), S. 95 und S. 166.
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vergangenen sieben Jahre auf M II neu konzipiert und herausgegeben und sind inzwischen aus unterschiedlichen Gründen wieder eingestellt worden. Die Etablierung und Konzeptionierung ihres Printmedienproduktes war somit Kernstück ihrer Unternehmensstrategie. Zum Zeitpunkt der Interviews wurde lediglich PM 7 herausgegeben. Allen hier genannten Printmedienproduzenten gemeinsam ist, dass sie sich mit einem neuen Profil, welches sich primär durch Medieninhalte und Sprachnutzung auszeichnete, von den Printmedienprodukten von Pressesystem I absetzen wollten. Sie berichten hier aus der Position des »gescheiterten Printmedienproduzenten«. PM 5 und PM 6 zeigen in Bezug auf ihre Strategie indifferente Strukturen auf und weisen kein in sich geschlossenes unternehmerisches Konzept vor. Die Vertreter von PM 7 und PM 8 sehen ihren Marketingschwerpunkt auf dem deutschen Werbemarkt. Die Thematik der Unternehmensstrategie wird in den Interviewtextstellen der hier verorteten Printmedienproduzenten jedoch nur sekundär angesprochen. Im Vordergrund steht die Auseinandersetzung mit ihrer Situation als »gescheiterte Strategen«, in der ein desillusionierter und frustrierter Unterton mitschwingt. Desweiteren gelingt es keinem der Interviewpartner, sein Medienprodukt losgelöst vom Kontext des Pressesystem I zu reflektieren. Die Printmedienprodukte von Pressesystem I werden im Interviewverlauf immer wieder als negativer Bezugsrahmen herangezogen. Die Experten differenzieren durchgängig zwischen der eigenen Perspektive (Pressesystem II) und der der Anderen (Pressesystem I). Was die allgemeine ökonomische Perspektive der »gescheiterten Strategen« angeht, ergeben sich drei Ausgangspunkte. PM 5 sieht gegenwärtig auf M II keine unternehmerische Perspektive für Vertreter von Pressesystem II. PM 6 sieht den deutsch-türkischen Medienmarkt gegenwärtig in einer Übergangsphase, durch die auch Pressesystem I zu einer Neuorientierung aufgefordert wird. PM 7 und PM 8 sehen trotz ihres unternehmerischen Scheiterns im Bereich des deutschen Werbemarktes potentielle Kunden in der Zielgruppe der TBiD und bewerten eine Etablierung eines entsprechenden Printmediums grundsätzlich als ökonomisch durchsetzbar. Ein solches Printmedienprodukt sollte für alle Migranten geöffnet sein und neben versierten Medienpartner aus der deutsch-türkischen Medienlandschaft auch deutsche Medienunternehmen involvieren.
IV.2.4 Die Schlüsselkategorie 4: Zielgruppenwahrnehmung Die Schlüsselkategorie Zielgruppenwahrnehmung (SK 4) geht der Frage nach, wie die Vertreter der untersuchten deutsch-türkischen Printmedienproduzenten ihre Zielgruppe beschreiben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den verwandten Erklärungs- und Identifikationsmustern, die im Kontext der Zielgruppenreflexion verwandt werden. Hinzu tritt eine Betrachtung der verbalen Zuschreibungen, die im Interviewkontext vertreten sind. Darüber hinaus soll untersucht
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werden, in welcher Weise die unterschiedlichen Perspektiven auf die Zielgruppe auch deren Wahrnehmung modifizieren.
IV.2.4.1 Die Dimension A: »die ambivalente Außenansicht« Die Dimension »ambivalente Außenansicht« wird durch Printmedium 1 und Printmedium 2 dargestellt. Die Interviewpartner von PM 1, der ehemalige Chefredakteur der Deutschlandausgabe (F.L.) und ein Chefredakteur einer regionalen Gebietseinheit in Deutschland (B.L.), schildern ihre Auffassung hinsichtlich der Zielgruppe auf dem deutsch-türkischen Rezipientenmarkt und kommen dabei ebenso wie die drei Vertreter von PM 2 (J.Z., I.D. und P.D.) zu einer ambivalenten Sichtweise, die auch in ihrer unternehmerischen Handlungsstrategie Ausdruck findet. Sowohl PM 1 als auch PM 2 gehören Pressesystem 1 an, sie gehören damit zu den Printmedienunternehmen, die im Untersuchungskontext in Bezug auf die Redaktion und das Unternehmensmanagement schwerpunktmäßig aus den türkischen Mutterhäusern agieren. Einleitend in die Gesprächsthematik »Beschreibung der eigenen Zielgruppe« schildert F.L. zunächst die besondere Problematik, die sich aus seiner Sicht ergibt. »Ob man will oder nicht, die türkische Gesellschaft in Deutschland ist dabei zu veraltern« 300 »unsere Zielgruppe veraltert, stirbt, dies ist ein natürlicher Prozess. Der Leser der Zukunft ist die zweite und dritte Generation« 301
Im Vordergrund steht hier die Auseinandersetzung mit der Überalterung der Rezipienten der ersten Generation, den Lesern, für die die türkischen Medienproduzenten ursprünglich auf M II ansässig wurden. Die Thematik Zielgruppe ist für ihn mit der mühseligen Notwendigkeit einer Umorientierung auf eine anders strukturierte Zielgruppe, die der ersten und zweiten Generation folgt, besetzt. »Die zweite und dritte Generation kommt und es gilt eine Verbindung mit ihnen aufzubauen« 302 »die junge Generation ist natürlich eine Generation, die stärker von den dortigen Einflüssen berührt wird, als die erste Generation. Ich spreche von der Generation, die dort geboren, aufgewachsen und ganz mit der dortigen Sprache dort aufgewachsen ist. Na300 | F.L. Z. 831f. 301 | F.L. Z. 855ff. 302 | F.L. Z. 843f.
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türlich ist es nicht so leicht mit ihnen eine Verbindung aufzunehmen, wie mit der ersten Generation. Die Aufmerksamkeit der ersten Generation war viel stärker auf die Türkei gerichtet; sie wurden von den Ereignissen in der Türkei beeinflusst, sie verfolgten die Politik der Türkei« 303
Im weiteren Verlauf spricht F.L. von »unserer dortigen Gesellschaft [Anmerkung der Übersetzerin: in Deutschland]«304 . Ähnliche Zuschreibungen, wie »die türkischen Menschen dort«305, »die türkischen Menschen im Ausland«306, »die dortige türkische Gesellschaft«307, folgen diesem Kanon. Er betrachtet die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland (TBiD) in diesen Textstellen als Teil der türkischen Gesellschaft und gesteht ihnen in diesem Sinn noch keine eigenständige Identität zu. Zu einer endgültigen Abkopplung vom Türkischen Staat ist es für ihn scheinbar noch nicht gekommen. Im Gegensatz dazu steht folgende Textstelle: »Jemand aus der Türkei kann sie nicht verstehen, kann ihre Welt nicht verstehen, kann ihre Gefühlswelt nicht kennen. Das gilt für viele Dinge«308. Er erkennt hier ganz deutlich die Problematik. Kommunikation kann nur erfolgen, wenn man die Gesellschaft für die und über die man schreibt, von »innen« heraus kennt. Er differenziert in diesen Interviewsequenzen zwischen den Türken in der Türkei und der TBiD. Zu diesem Zweck benutzt er bei ihrer Nennung die distanzierende »sie«-Form. Zuvor spricht er von »unserer türkischen Gesellschaft«. »Ich kann nicht die Person sein, die der Generation die dort heranwächst Antwort gibt, die beste Antwort gibt«309. Seine Erklärung klingt etwas resigniert, aber er hat für sich erkannt, dass der Generationenwechsel der Rezipienten auch ein kultureller Wechsel ist, auf den auch ein Perspektivenwechsel seitens der Medienproduzenten erfolgen sollte. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen steht die Kernproblematik, der sich angesichts sinkender Auflagenzahlen alle türkischen Printmedien in Deutschland stellen müssen: Wie erstelle ich ein Printmedium, welches sich an den soziokulturellen Transformationsprozess der immer differenter werdenden Rezipientengruppe anpassen kann? Voraussetzung dafür ist eine bestehende Kommunikationsform zwischen Rezipienten und Produzenten. Die Tatsache, dass F.L. bei der Bitte nach einer Beschreibung der Zielgruppe diese nur grob nach Generationen differenziert und im weiteren Verlauf nur die damit verbundene rückläufige Sprachkompetenz erläutert, weist auf eine empathische Kluft zwischen F.L. und den Rezipienten hin. F.L. benutzt im Ver303 | F.L. Z. 860ff. 304 | F.L. Z. 100f. 305 | F.L. Z. 115. 306 | F.L. Z. 129. 307 | F.L. Z. 680. 308 | F.L. Z. 912ff. 309 | F.L. Z. 891ff.
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lauf des Interviews unterschiedliche, auch widersprüchliche Redewendungen, welche seine ambivalente Sichtweise der Rezipienten auf M II dokumentieren. B.L. äußert sich in gleicher Weise wie F.L., spricht jedoch etwas offener an, dass es offensichtlich eine Diskrepanz zur Bewertung dieser Problematik zwischen seiner Person und dem Management von PM 1 gibt. Er kleidet seine Ansicht in eine stark verallgemeinernde Form, es wird jedoch deutlich, dass seine persönliche Positionierung nicht deckungsgleich mit der seines Arbeitsgebers ist. »Es ist sehr schwer diese Zielgruppe zu erreichen, sehr schwer insbesondere wenn man bedenkt dass die dritte und vierte Generation viel besser Deutsch als Türkisch spricht. Einen Teil zu erreichen, der besser Deutsch als Türkisch spricht, ist nicht leicht. Hinzu kommt, dass die Interessen der ersten und zweiten Generation anders sind. Die erste und zweite Generation sind in der Türkei aufgewachsen, geboren; sie waren Türken die nach Deutschland kamen. Ihre Bindungen zur Türkei waren viel enger. Die Generation jetzt, die junge Generation hat schon nicht mehr so eine enge Bindungen zur Türkei. Deshalb kann man auch nicht erwarten, dass sie ein gleiches Interesse an der Zeitung haben wie die erste Generation, wie kann man das machen? Was weiß ich, wie man eine Zeitung machen kann, die ihnen nahe kommt, die sich ihrer Erwartungen annimmt. Ich denke da gibt es momentan ein Defizit. Ich denke die Bedürfnisse der jungen Generation, ihre Erwartungen werden von den Zeitungen nicht hinreichend reflektiert. Andere können darüber anders denken. Man muss der jungen Generation einfach mehr Beachtung schenken. Ich denke, wenn das nicht gemacht wird, dann werden die kleinen Zeitungen, abgesehen von [PM 1] eines Tages vom Markt verschwunden sein« 310
Handlungsbedarf hinsichtlich der Zielgruppenproblematik sieht auch B.L., das Unternehmen sieht jedoch noch keine wirkliche Notwendigkeit, darauf zu reagieren. B.L. ist sich bewusst, dass, falls die Zeitungen in der nahen Zukunft nicht adäquat auf die sich in Veränderung befindliche Rezipientenstruktur reagieren, sich in der Zukunft nur die ökonomisch starken Unternehmen auf dem Markt halten können. Dazu gehört dann PM 1.311 Mit anderen Worten: solange es anderen deutsch-türkischen Printmedien nicht überzeugend gelingt, Inhalt und Profil an die Lesebedürfnisse der dritten und vierten Generation der TBiD anzupassen, besteht für PM 1 keine absolute Notwendigkeit, inhaltlich konzeptionelle Veränderungen vorzunehmen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass beide Interviewpartner von PM 1 nicht versucht haben, das Bild ihrer Zielgruppe in ihren verschiedenen Facetten nachzuzeichnen und sie sich auch nicht mit der Zielgruppe identifizieren. Im Mittelpunkt steht die ihrer Ansicht nach wachsende Kluft zwischen der jungen Generation der TBiD und ihnen, 310 | B.L. Z. 359ff. 311 | Vgl. B.L. Z. 383ff.
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den Vertretern der türkischen Printmedien in Deutschland. Die wachsende Endfremdung zwischen Printmedienproduzenten und Printmedienrezipienten als solche wird somit wahrgenommen. Die dichotome Sichtweise auf die Zielgruppe verdeutlicht jedoch auch, dass man sich auf der Ebene der unternehmerischen Entscheidungsprozesse noch in dem Stadium der »abwartenden Passivität« befindet. Relevante konzeptionelle Veränderungen werden von Printmedienproduzent 1 noch nicht grundlegend eingeleitet. Die Interviewsequenzen der drei Experteninterviews mit Vertretern von PM 2 weisen deutliche Parallelen zu den oben ausgeführten Kernaussagen auf. J.Z., einer der verantwortlichen Chefredakteure von PM 2 aus der Türkei, spricht ebenfalls eine wachsende Entfremdung zwischen der gegenwärtigen bzw. zukünftigen Zielgruppe auf M II und ihnen als Printmedienproduzenten von M I an. Dabei fokussiert er zunächst auf Aspekte der Sprachnutzung. »Mit der Zeit hat sich die Zielgruppe verändert, es gibt kein Interesse mehr an der türkischen Sprache, jeder hat Deutsch gelernt. Die jetzt heranwachsende dritte Generation, dass weist du noch besser, lernt Deutsch und Englisch. Es besteht keine enge Bindung mehr zur türkischen Sprache« 312
Er ist sich dessen bewusst, dass die türkische Sprachkompetenz der TBiD immer schwächer ausgeprägt sein wird. »sie können immer weniger Türkisch«313 Nichtsdestotrotz sagt F.L. dezidiert, dass PM 2 derzeit nicht bereit ist, auf die besonderen sprachlichen Lesebedürfnisse der Zielgruppe einzugehen. »Wir wollen keine deutschsprachige Zeitung herausbringen, unser Ziel ist es, [PM 2] türkischsprachig herauszubringen«314 Dieses Insistieren auf ein Fortbestehen der türkischen Sprachnutzung lässt sich dadurch erklären, dass eine Besonderheit von PM 2 in der Nutzung eines anspruchsvollen Hochtürkischs liegt, welches primär von bildungsnahen Schichten rezipiert wird. »Die Zielgruppe muss Hochtürkisch können, wir haben ein hohes sprachliches Niveau«315 In einem weiteren Schritt gibt er ein sehr genaues Bild von seinen Vorstellungen in Bezug auf die Zielgruppe. »Unsere Zielgruppe ist natürlich der gut verdienende, gebildete Teil, wir denken, uns lesen die Studenten, die Akademiker oder die gebildeten Kreise der Unternehmerwelt. Es wäre vermessen zu glauben, dass [Printmedium 2] von Menschen am unteren Ende gelesen wird, zum einen ist die Zeitung verglichen mit deutschen Zeitungen teuer, zum
312 | J.Z. Z. 22ff. 313 | J.Z. Z. 220. 314 | J.Z. Z. 223f. 315 | J.Z. Z. 215ff.
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anderen kann man nicht erwarten, dass Menschen, die an die klassische Boulevardzeitung gewöhnt sind, [Printmedium 2] lesen« 316
J.Z. umreißt hier eine Zielgruppe, die er auf dem türkischen Printmedienmarkt (M I) ebenso definieren würde. In Bezug auf den deutsch-türkischen Medienmarkt heißt dies definitiv, dass sich sein Printmedium auch zukünftig nur an einer Randgruppe ihrer potentiellen Zielgruppe orientieren möchte. Im weiteren Interviewverlauf trifft er distanzierte Aussagen über die TBiD, »die Türken dort«317, und lässt sich während des Interviews nicht weiter auf die besonderen Bedürfnisse der TBiD ein. Er spricht sie als Gruppe nicht gerne an, als sei deren Besonderheit nicht existent. Sie behagen ihm nicht, sie sind ihm fremd. Die Distanz zwischen Rezipienten und Produzenten scheint ihm immer größer zu werden. Er beobachtet diese Entwicklung tatenlos, als warte er auf rettende Hilfe von Außen. Zweisprachigkeit oder Deutschsprachigkeit wäre seiner Ansicht nach höchstens dann diskutabel, wenn ein sehr gutes Angebot seitens einer deutschen Zeitung kommt.318 Sein Kollege I.D. spricht die Sprachlosigkeit und die Entfremdung zwischen ihnen und der dritten Einwanderergeneration in Deutschland deutlicher an. »Die dritte Generation ist in Deutschland geboren. Soweit ich weiß, ist deren Muttersprache Deutsch, sie sprechen Deutsch, sie haben sich in die deutsche Gesellschaft integriert. Vielleicht denkt ein Teil wie ein Türke aber lebt wie ein Deutscher, ein großer Teil leben wie Deutsche und denken wie Türken. Ein solcher Widerspruch ist möglich« 319
Er beobachtet von außen den langwierigen und diffizilen Identitätsprozess und zeigt ein distanziertes Verständnis für deren Identitätssuche, der er als Außenstehender nicht zu folgen vermag. »Diese Generation sitzt zwischen zwei Stühlen…sie wissen nicht wie sie sich verhalten sollen. Unseren Medien geht es ebenso. Unseren Medien, die in Deutschland drucken, geht es ebenso, auch sie sind in einer Lage in der sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen« 320
Er vergleicht die Identitätssuche der dritten Generation der TBiD mit der Identitätssuche der türkischen Zeitungen in Deutschland. »Auch sie sind in einer Lage, 316 | J.Z. Z. 204ff. 317 | J.Z. Z. 23. 318 | Vgl. J.Z. Z. 228ff. 319 | I.D. Z. 15ff. 320 | I.D. Z. 42ff.
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in der sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen« Deutlicher lässt sich die Unsicherheit in Bezug auf die zukünftige Entwicklung türkischer Printmedien in Deutschland nicht formulieren. I.D. berichtet weiter, dass das Wissen der dritten Generation in Deutschland über die Geschichte, Politik, Gesellschaft und Kultur in der Türkei sehr gering ist. Ihr Türkeibild werde von türkischer Popkultur, aus Fernsehserien und ähnlichem konstruiert. »Aber das ist nicht die Türkei«321 Aus diesem Grund könnten die türkischen Medien ihnen auch nichts geben.322 Beide Chefredakteure von PM 2 vermitteln in diesem Kontext ein hohes Maß an Resignation. Sie bewerten die TBiD aus der Distanz, scheinen den einsetzenden Abkopplungsprozess zwischen der türkischen Gesellschaft und der TBiD schon als gegeben hinzunehmen. Sie beabsichtigen, PM 2 auch weiterhin auf M II zu verlegen, aber weniger für die Rezipienten (»aus diesem Grunde können die türkischen Medien ihnen nichts geben«) sondern, um im Wettstreit mit den anderen ansässigen türkischen Printmedien Präsens und Stärke zu zeigen. P.D., der Chefredakteur der Deutschlandausgabe von PM 2, bringt in diesem Kontext eine ernsthafte Anschuldigung gegenüber den Vertretern von Pressesystem I auf M II hervor. »Diese türkischen Medien hier machen die türkischen Menschen hier verrückt. Man hat einen persönlichkeitsarmen, armseligen, Integrationsverängstigten Typen erschaffen«323 Aus diesem Verständnis heraus kann die Herausgabe von PM 2 auf M II als Antipode zu türkischen Printmedien im Boulevardstil verstanden werden.
IV.2.4.2 Die Dimension B: »die re-aktive Innenansicht« Die Dimension »die re-aktive Innenansicht« wird durch die Interviewsequenzen von Printmedium 3 und Printmedium 4 gespeist. Zentrale Elemente der Dimension »die re-aktive Innenansicht« basieren dabei auf der Einsicht, dass ein Produkt einen Markt braucht, der möglichst umfangreich abgeschöpft werden soll. Diese Vorgehensweise wird durch eine möglichst breit angelegte Definition der Zielgruppe realisiert, die religiöse, ethnische und nationale Berührungspunkte in den Hintergrund stellt und ganz auf die Gemeinsamkeit der türkischen Sprache und des gemeinsam erlebten Alltags in Deutschland fokussiert. N.D., der Chefredakteur der Deutschlandausgabe von PM 3, erklärt zur gegenwärtigen Zielgruppenausrichtung: »Zu unserer Zielgruppe gehört im Augenblick in Deutschland jeder, der Türkisch liest. Eine andere Zielgruppe haben wir nicht. Es gibt unter den Türken Aleviten, Kurden, Tür-
321 | I.D. Z. 76f. 322 | Vgl. I.D. Z. 77f. und Z. 83. 323 | P.D. Z. 652ff.
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ken, Atheisten, ich finde es logisch diese nicht zu unterscheiden, die Türken hier sind alle mit den gleichen Problemen konfrontiert« 324
Er konstruiert hier ganz pragmatisch eine Zielgruppe, die in der Vergangenheit nicht notwendigerweise die anvisierte Zielgruppe war. Bemerkenswert scheint diese neue Zielgruppenausrichtung vor allem auch deshalb, weil PM 3 im Herkunftsland Türkei traditionell eher auf das muslimisch-konservative Milieu ausgerichtet ist. Die Aussage: »Zu unserer Zielgruppe gehört im Augenblick in Deutschland jeder« impliziert zum einen, dass ihre Zielgruppe in Deutschland zuvor eine andere war und zum anderen, dass sich die Zielgruppe von PM 3 auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt von der des Herkunftsmarktes in der Türkei differenziert. N.D. argumentiert weiter, dass die erste Generation eine Zielgruppe ist, die in einigen Jahren nicht mehr als Zielgruppe existent sein wird.325 Bei der alten Zielgruppe geht und setzt eine Neuorientierung ein, bei der jeder, der Türkisch lesen kann, als Zielgruppe angesprochen wird. »Im Augenblick sind die türkischen Studenten unsere Zielgruppe. Aus diesem Grund geben wir ihnen Bücher, damit sie ihr Lesen des Türkischen verbessern«326 Dem Kreis der bildungsnahen Rezipienten bieten sie zur Verbesserung ihrer Türkischkenntnisse Buchgeschenke an. Um welche Buchinhalte es sich dabei handelt, wurde im Forschungskontext nicht weiter erläutert.327 Eine Strategie des Verlags ist es dabei, aktiv die türkische Sprachkompetenz zu fördern, solange noch genügend Leser auf Türkisch rezipieren können. In einer zweiten Phase plant man eine deutschsprachige Zeitung. »Aber unsere eigentliche Zielgruppe, wenn wir die finanzielle Dimension lösen können, denken wir daran eine deutschsprachige Zeitung herauszubringen…dies ist unser langfristiges Ziel« 328
In etwa fünf Jahren plant man nach Aussage von N.D., dieses Zeitungskonzept anzugehen.329 Er ist der Ansicht, dass gegenwärtig ca. 70 % der TBiD die türkische Sprache nicht lesen können, abgesehen davon kann ein Teil überhaupt nicht lesen. Auch T.C., der Chefredakteur einer regionalen Gebietseinheit von PM 3 in Deutschland, begründet die Zielgruppenausrichtung nicht in politischen und religiösen Kategorien. Er engt den Kreis der Rezipienten auf M II 324 | N.D. Z. 513ff. 325 | Vgl. N.D. Z. 540f. 326 | N.D. Z. 553ff. 327 | Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um Bücher handelt, die im hauseigenen Verlag verlegt werden.
328 | N.D. Z. 575ff. 329 | Vgl. N.D. Z. 582ff.
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jedoch zunächst stärker ein als sein Vorgesetzter N.D. In Deutschland ist seiner Ansicht nach eine türkischstämmige Mittelschicht entstanden, eine Bildungsmittelschicht, von türkischstämmigen Deutschen, die als Unternehmer tätig sind oder sich in leitenden Positionen befinden.330 Im Interview präsentiert er konkrete Ergebnisse einer unternehmensinternen Studie, die PM 3 zum eigenen Leserprofil erstellen ließ. Nach deren Ergebnissen hat die Zeitung die zweite und dritte Generation bereits erreicht (fast 85 % der Leser sind unter 50 Jahren). 56 % der Leser besitzen die mittlere Reife, 22 % das Abitur und 21 % einen Universitätsabschluss. Zielgruppe sei demnach die in den 90er Jahren entstandene Bildungsmittelschicht. Bei dieser Zielgruppe sind seiner Ansicht nach drei Faktoren von Bedeutung: »Wir kommen aus der Türkei oder äh die türkische Sprache und die türkische Kultur, der Islam als Religion spielt in der Identitätsentstehung eine Rolle«331, auf der anderen Seite möchte man »mit der Mehrheitsgesellschaft, mit der deutschen Gesellschaft mit dem deutschen Staat in eine normale bürgerliche Beziehung eintreten«332. Auch T.C. reduziert hier die Gemeinsamkeiten der potentiellen Zielgruppe auf M II auf eine minimalistische Basis, wobei er diese noch um eine religiöse Identitätskomponente erweitert. »Wir sind ja nicht auf dem Markt für die erste Generation hier.«333 Diese Aussage spiegelt noch einmal eindeutig die Zielgruppenausrichtung von PM 3 auf M II wider. Printmedienproduzent 3 reagiert aktiv auf die neuen Anforderungen des Marktes und weist dabei eine zeitnahe Fokussierung auf die neue Generation der Rezipienten auf. Sie haben zu diesem Zweck eine neue Zielgruppe definiert, um eine maximale Leserschaft ansprechen zu können. Beide Interviewpartner argumentieren reflektiert über ihre Zielgruppe auf M II. Die Tatsache, dass sich das Unternehmen eine empirische Studie zum Leserprofil erstellen ließ, weist ebenfalls daraufhin, dass innerhalb des Unternehmens eine aktive Auseinandersetzung über die Veränderung des Zielgruppenprofils stattfindet. Diese Auseinandersetzung mit der Thematik wird durch die heterogene verbale Zuschreibung der Zielgruppe jedoch nur teilweise untergelegt. Die Rede ist im vorliegenden Kontext von: »eine Bildungsmittelschicht von türkischstämmigen Unternehmern«334, »türkischsprachigen Migranten«335, »hier lebende türkische Staatsbürger«336 sowie »türkische Migranten in Deutschland«337. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine Auseinandersetzung,
330 | Vgl. T.C. Z. 141ff. 331 | T.C. Z. 290ff. 332 | T.C. Z. 295ff. 333 | T.C. Z. 304f. 334 | T.C. Z. 142f. 335 | T.C. Z. 471. 336 | T.C. Z. 472. 337 | T.C. Z. 450.
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die von Vertretern von PM 3 direkt auf M II vorgenommen wird. An diesem Diskurs partizipieren auch Vertreter der Zielgruppe. Der Geschäftsführer von PM 4 äußert sich im gleichen Kontext ähnlich wie zuvor der Chefredakteur von PM 3. Seiner Auffassung nach gehören zur Zielgruppe: »alle türkischsprachigen Menschen …egal welche politische Ausrichtung sie haben. Welche religiöse Ausrichtung, welche gesellschaftliche, das ist uns egal. Wissen sie, die Problematiken dieser Menschen sind gleich, die Sorgen sind gleich« 338
Ziel ist es, eine möglichst breite Leserschaft zu erreichen, aus diesem Grund ist das politische Profil der Zeitung neutral. »Die türkische Sprache wird nie verloren gehen…dafür sind hier zu viele. Dafür ist die Nähe zur Türkei sehr groß.«339 Auch er erweitert die gemeinsamen Identitätsreferenzen um die Komponente »Türkisch als gemeinsame Sprache« und verändert gleichzeitig das politische Profil von PM 4 hin zu einem politikneutralen Medium. L.L. betrachtet die Zielgruppe ebenfalls unter dem Aspekt des Kunden. Zielgruppe sind die türkischstämmigen Leser und die Werbetreibenden, türkische Unternehmer in Deutschland aber auch zunehmend deutsche Unternehmer. Die Werbung kann regional und überregional geschaltet werden.340 Zur Zielgruppe gehören demnach der Rezipienten- und der Werbemarkt. Das zukünftige Überleben der Zeitungen sei schwer, wenn man sich nicht auf die Wünsche dieser Menschen einließe. »Es sind Kunden genauso wie überall auf der Welt und die Kundenwünsche sind wichtig. Das ist ein Faktor.«341 Der Geschäftsführer identifiziert sich mit der TBiD, er ist Teil von ihr, lebt selbst seit 39 Jahren in Deutschland und kann somit die Lebensumstände der TBiD von innen heraus beurteilen. »Wenn ich jetzt irgendein Wahlplakat sehe: Türken raus oder Europa: die Türkei wollen wir nicht haben, ja dann äh das nehme ich mit, das nehme ich mit und die Kinder die hier aufwachsen, die trotzdem die Schule hier, die Sprache kennen und den deutschen Pass haben und und und trotzdem sind sie Ausländer. Trotzdem bist du noch der Türke und in der Türkei bist du der aus Deutschland kommende Almanci« 342
338 | L.L. Z. 416ff. 339 | L.L. Z. 548ff. 340 | Vgl. L.L. Z. 279ff. 341 | L.L. Z. 592f. 342 | L.L. Z. 731ff.
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IV.2.4.3 Die Dimension C: »die realistische Innenansicht« Die Dimension »realistische Innenansicht« wird durch die Interviewsequenzen von Printmedium 5, PM 6, PM 7 und PM 8 getragen. Zentrale Inhalte dieser Dimension basieren dabei auf der Erkenntnis, dass es sich bei der TBiD nicht um eine homogene Zielgruppe handelt und deshalb mit einem Printmedium auch nur Teilsegmente dieser angesprochen werden können. Dieser Erkenntnis ging ein Reflektions- und Analyseprozess voraus, der größtenteils aus der Innenansicht erfolgte. Die drei Interviewpartner von PM 5, einer deutsch-türkischen Wochenzeitung, sprechen sich für zwei Teilsegmente der Gesamtzielgruppe TBiD aus. Vorausgegangen ist dieser Überlegung eine Reflektion des gegenwärtigen Status Quo der Zielgruppe. H.E., ein junger deutscher Redakteur der deutschsprachigen Beilage von PM 5, äußert sich differenziert in Bezug auf die Zielgruppe und bietet, in Verbindung mit der Rezipientenbeschreibung, auch eigene Erklärungsansätze für eine Profilverschiebung der Zielgruppe an. A priori geht er davon aus, dass es sich bei dem deutsch-türkischen Medienmarkt um einen abgeschlossenen Medienmarkt handelt, der nach eigenen Regeln funktioniert. »also es gibt immer mehr und immer besser ausgebildete junge Türken, die verstärkt auf Deutsch lesen. Also die eher Deutsch lesen als Türkisch, die in der Hürriyet vielleicht nur noch den Fußball lesen und die politischen Artikel zum Teil eigentlich gar nicht mehr verstehen (.) und man hat gesagt, und das finde ich auch sehr logisch, dass sich das auf lange Sicht eher noch verstärken wird, dass immer weniger Leute eine anspruchsvolle gute türkische Zeitung überhaupt lesen können. Und die andere Gruppe, die auch ganz klar ins Auge gefasst worden ist, ist die ganz stark zunehmende Gruppe von Deutschen, die die ähm (.) immer stärkere Bezüge zur Türkei entwickelt hat (.) gerade durch den Tourismus. Also da gibt es Millionen von Deutschen — ich habe mal gehört mittlerweile war jeder 4. Deutsche schon in der Türkei, und (.) äh die dann auch ein immer größeres Interesse haben und auch über die ähm Popmusik kam einiges (.) das sich das zunehmend vergrößern würde, so dass es eine gewisse türkisch (.) äh deutsche Leserschaft von dieser Wochenzeitung hätte geben können« 343
H.E. definiert hier eindeutig die besser ausgebildeten jungen Türken, die auf deutsch lesen, und Deutsche mit Türkeiinteresse als favorisierte Zielgruppe. Nach seiner Einschätzung findet gegenwärtig eine Abkopplung zwischen der türkischen Presse in Deutschland und der TBiD statt, für die er folgende Erklärung präsentiert: Die deutsche Wiedervereinigung und die gewaltsamen Anschläge auf Menschen nichtdeutscher Herkunft in Mölln, Solingen und Rostock stellen für ihn 343 | H.E. Z. 577ff.
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Schlüsselmomente im Identitätsprozess der TBiD dar. In dieser Phase entwickelte sich eine Verunsicherung der TBiD. Es sei ein Gefühl des Bedrängtseins in der Einwanderungsgesellschaft entstanden, welches auch durch die türkische Presse verstärkt worden ist. Eine Abwendung von der Einwanderungsgesellschaft wäre allerdings ein dramatischer Verlauf eines Integrationsprozesses und deshalb für die TBiD nicht lebbar. Die Alternative ist eine Abkopplung von der türkischen Presse und genau dies setzt auch im Zuge des Generationenwechsels ein. Nach Auffassung seines Kollegen N.B.344 hat sich der Abkopplungsprozess zwischen der TBiD und den türkischen Medien sogar schon vollzogen. »Die verstehen nicht. Die können kein Türkisch. Und die haben auch kein Interesse äh ähm an Türkei (.) die machen nur einmal im Jahr Urlaub in der Türkei und jetzt die haben das ähm (.) die machen kein ähm (.) nicht nur in der Türkei Urlaub. Die fliegen nach Spanien oder Kanarische Inseln. Die Urlaubs äh ähm (.) wie sagt man das? Äh Äh Urlaubsziele haben sich auch geändert bei der zweite und dritte Generation. Die fliegen nicht jedes Jahr in die Türkei« 345
In dieser Interviewsequenz kommentiert er die Distanz, die seiner Ansicht nach zwischen den Türken in der Türkei und der TBiD besteht. »Also wenn Sie meine persönliche Meinung hören wollen. Die türkischen Medien haben keine Bedeutung mehr in Deutschland. Deswegen haben wir eine deutsche Zeitung gemacht mit äh Zielgruppe Türkei interessierte Deutschen[I: Mhm] das heißt also die türkischen Migranten für mich ist (.) also (.) keine Bedeutung. [I: Mhm] Die haben für Zeitung keine Bedeutung und dann ist für türkische Migranten die Zeitung auch keine Bedeutung« 346
Mit seinen Aussagen, die »können kein Türkisch« und »die haben auch kein Interesse an der Türkei«, entfällt für ihn die Funktion der klassischen türkischsprachigen Medien in Deutschland. Gleichzeitig signalisiert er aber, wie weit er sich von der klassischen Zielgruppe distanziert hat. Für ihn haben die türkischen Migranten keine Bedeutung mehr. Damit spricht er resigniert und desillusioniert seine Enttäuschung über sein Verhältnis zur TBiD aus. Er, als Vertreter der türkischen Medien aus der Türkei, hat den Zugang und das Verständnis für
344 | N.B. ist ein erfahrener türkischer Journalist aus der Türkei, der zweisprachig ist, viele Jahre auf M II tätig war und für den türkischen Lizenzgeber von PM 5 die türkische Redaktion in Deutschland leitete.
345 | N.B. Z. 513ff. 346 | N.B. Z. 521ff.
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die dritte Generation verloren und blendet diese konsequenterweise aus seiner Sicht der Zielgruppe aus. »Die lesen überhaupt nicht mehr.(.)… die wollen einfach nicht lesen. (.)Wahrscheinlich weil ihr Lebensmittelpunkt so stark in Deutschland ist, das dass alles schon zu weit weg ist. Ja (.) und türkisch können die sowieso nicht lesen. Ja (.) die können lesen aber die können nicht verstehen« 347
N.B. zeigt sich sichtlich frustriert und distanziert sich von der Zielgruppe der TBiD. Im Gegensatz zu seinen Kollegen möchte er diese Zielgruppe völlig außen vor lassen. Im Interviewverlauf widerspricht er sich auch in Bezug auf die Zielgruppendefinierung. Zuerst spricht er von an der Türkei interessierten Deutschen als der Kernzielgruppe, an anderer Stelle spricht er von türkischen Unternehmern in Deutschland als Zielgruppe. Der verantwortliche Redakteur des türkischen Lizenzgebers aus der Türkei (T.P.) spricht von der gleichen Zielgruppe wie sein Kollege H.E. Printmedium 5 richtete sich an türkische Unternehmer in Deutschland und an akademische Kreise, junge deutsch-türkische Akademiker.348 Doch auch er spricht die wachsende Veränderung zwischen der ersten und dritten Generation der TBiD an und argumentiert für eine notwendige Auseinandersetzung und damit auch verbundene Umorientierung innerhalb der türkischen Printmedien aus der Türkei. »Die Zeit hat sich verändert und es ist dort eine neue Generation ist dort [Anmerkung der Übersetzerin: in Deutschland] herangewachsen. Wir müssen etwas machen, um diese neue Generation anzusprechen. Ich glaube nicht, dass darüber schon diskutiert wird, es muss aber darüber diskutiert werden…wir müssen auch die dritte Generation ansprechen, arbeiten aber immer noch für die erste Generation« 349
Er thematisiert dabei die fehlende Entwicklungsdynamik innerhalb der türkischen Printmedien in Bezug auf das sich verändernde Zielgruppenprofil und spricht sich für einen notwendigen innertürkischen Diskurs aus. PM 7 richtete sich an zwei verschiedene Zielgruppen, die eigentlichen Rezipienten des Magazins und den Werbe- und Anzeigenmarkt, der die Herausgabe finanzierte. C.D., der Herausgeber und Chefredakteur von PM 7, betrachtet sich selbst als Teil der zuerst genannten Zielgruppe. So benutzt er bei seiner Reflektion über die Zielgruppe häufig die erste Person Plural. »Also wir haben
347 | N.B. Z. 380ff. 348 | Vgl. T.P. Z. 369f. 349 | T.P. Z. 454ff.
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kaum die Möglichkeit gehabt, türkische Texte zu lesen.«350 Das Magazin schreibt für die »deutsch-türkische Generation der Jugendlichen, Altersangabe zwischen 1449, vielleicht sogar noch höher, allein wegen dem Aspekt der Mehrfachnutzung«351. Auch Printmedium 7 fokussierte auf einen Teil der Gesamtzielgruppe, auf junge türkischstämmige Deutsche, die besser deutsch als türkisch lesen. Durch den Aspekt der Mehrfachnutzung in einem Haushalt gewinne man nebenbei auch noch ältere Rezipienten hinzu. Er ist nicht nur Teil der Zielgruppe, C.D. hat diese, in seiner Rolle als Herausgeber, auch analysiert.352 »Heute sieht das anders aus, diese Jugendlichen die wollen Party machen, die konsumieren deutsche Produkte, die wollen ihre Gelder hier in Deutschland lassen ja und ähm (.) das ist das, was die deutsche Industrie auch so langsam mitbekommt« 353
Die Lesegewohnheiten dieser Zielgruppe ist insgesamt sehr schwach ausgeprägt; dies erklärt er wie folgt: »deutsche Produkte sind wahrscheinlich uninteressant weil da kein Bezug zu der Kultur ist. Türkische Produkte sind uninteressant weil das ist einfach schwierig ist, eine ganze Seite türkischen Text zu lesen und gleichzeitig sofort zu verstehen und zu verarbeiten. Das ist sehr schwierig und ich glaube, wir haben hier eine gesunde Mischung. Wir haben halt die Sprache, die Sprache ist auch nicht sehr hoch gegriffen, sehr hochgestochen (.) man kann das sehr leicht verstehen und ähm thematisch interessiert es halt die Leute« 354
Die Printmedienprodukte von Pressesystem I bezeichnet er als Medium für die erste Generation. »Ja gut, also die erste zweite Generation, die sind ja mit der Hürriyet hier groß geworden in Anführungsstrichen (.) ähm und die Kinder haben das teilweise von zu Hause mitbekommen. Der Vatter ist mit der Hürriyet gekommen, also Hürriyet ist was für den Vatter. Das ist, das ist was für ältere Leute, damit habe ich nichts zu tun. Ich bin jung und ich brauche mein eigenes Medium und ähm das ist wahrscheinlich der Grund, warum man diese Tradition des Vatters oder der Eltern nicht übernommen hat, weil es halt was für den Vater ist, was für ältere Leute ja (.) und ähm wenn die Hürriyet von der jüngeren Ge350 | C.D. Z. 408f. 351 | C.D. Z. 672ff. 352 | C.D. gründete PM 7 auf M II mit Fördergeldern für Unternehmensgründungen und erstellte im Vorfeld der Unternehmensgründung einen detaillierten Unternehmerplan inklusive Zielgruppenanalyse.
353 | C.D. Z. 417ff. 354 | C.D. Z. 448ff.
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neration in Anspruch genommen wird, dann nur so, das es von hinten angefangen wird ja. Nur eine paar Seiten Sport« 355
P.T., der Chefredakteur von PM 8, definiert als die Kernleserschaft seines Magazins zunächst einmal die erwachsenen bi-kulturellen türkischstämmigen Menschen in Deutschland.356 Hinzu kommt noch, eigentlich ungeplant, die Zielgruppe der türkeiinteressierten Deutschen. »Na ja, in engeren Kreis 18-35 und (.) dann 14 bis 49 und alle, die die Lesen können. Ähm, Menschen, die in Deutschland ihre Sozialisation erfahren haben aber halt (.) türkischer Herkunft sind. Das war eigentlich so im Schwerpunkt so die Zielgruppe. [I.: Mhm] Das heißt also ganz klar so die Menschen die so ab 68, 67, 65 geboren wurden (.) 60 aber es gab jetzt nicht so ganz klare Grenzen« 357
P.T. definiert hier sehr detailliert, für welche Zielgruppe PM 8 konzipiert wurde. In sein Zielgruppenschema fällt der Personenkreis, der türkischstämmig und in Deutschland sozialisiert ist sowie bestimmten Geburtenjahrgängen angehört. »Dass man zwischen 100.000 und 200.000 ähm (.) erwachsene, bi-kulturelle Menschen erreichen kann, aus der Zahl von vielleicht 600, 700.00 in dem türkischen Kontext in Deutschland und dann natürlich aber auch noch mal die deutschen Bevölkerungsgruppen, die ja zumindest ein Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft ja schon noch eine starke Auseinandersetzung mit Nicht-Deutschen hat und da auch ähm (.) einen Zugang hat. Und wir haben so viele Abonnenten Deutsche gehabt, also bei uns bei den Abonnenten da hatten wir, obwohl wir bei den Deutschen überhaupt nicht geworben haben (.) hatten wir glaube ich 35 % deutsche Abonnenten« 358
Ebenso wie zuvor C.D. von PM 7 differenziert er zwischen Vertretern von Pressesystem I und Pressesystem II. »Die jungen Türken lesen keine Hürriyet, weil in der Hürriyet für junge Türken nichts Interessantes drinsteht, die in Deutschland leben. Ganz einfach.«359 Heute würde er die Zielgruppe erweitern und ganz klar vorab auch deutsche Leser als Zielgruppe definieren.360 Abschließend äußert P.T., dass er es als schwierig empfindet, diesen Markt zu bedienen, weil sich die Zielgruppe in einen Wandlungsprozess befindet.
355 | C.D. Z. 650ff. 356 | Vgl. P.T. Z. 66. 357 | P.T. Z. 527ff. 358 | P.T. Z. 201ff. 359 | P.T. Z. 259ff. 360 | Vgl. P.T. Z. 567f.
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Auch die Vertreter von Printmedium 6 betrachten nicht die Gesamtheit der TBiD als die Hauptzielgruppe ihrer Zeitung. Im Verlauf der beiden Interviews mit Vertretern von PM 6 kristallisiert sich heraus, dass, im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Zielgruppendefinitionen (PM 5, PM 7 und PM 8), bei PM 6 unternehmensintern keine einheitliche Zielgruppendefinition realisiert wurde. PM 6 verfügte über kein in sich geschlossenes Zielgruppenkonzept, dennoch lassen sich die Aussagen von B.P. und T.L. unter der Dimension »realistische Innenansicht« verorten. Die beiden Interviewpartner betrachten sich zum einen als einen Teil der Zielgruppe und tendieren zum anderen zur Segmentierung der Zielgruppe, kommen allerdings nicht zu deckungsgleichen Aussagen. Einleitend in die Thematik stellt B.P., der Herausgeber und Chefredakteur von PM 6, fest, dass erstens die deutsch-türkische Mittelschicht oder »Migrantenelite« keine türkischen Medien mehr benötigt und zweitens die TBiD eine heterogene Gruppe ist somit es für ein Printmedium deshalb nicht möglich ist, ihre Gesamtheit anzusprechen.361 Er vermittelt im weiteren Verlauf des Interviews ein sehr diffuses Bild von seiner Vorstellung der Zielgruppe. »Es gibt erfolgreiche, strebende Menschen, die es möglichst unauffällig nach oben schaffen wollen. Es gibt einen Haufen Looser-Typen, die ihren seelischen Ausgleich bei Nationalismus suchen müssen oder nationale Identitäten. Wen wollen sie ansprechen« 362
Es fällt B.P. sichtlich schwer, sich auf die Frage nach der Zielgruppe einzulassen. Ihm geht es vielmehr darum, den politisch Aktiven unter ihnen eine Stimme zu verleihen. »[Printmedium 6] war keine Überlegung dafür dass wir tausende oder zehntausende Türken ansprechen wollen oder eine Türkenzeitung machen wollten. Das war es ja nicht. Wir wollten einfach unsere Existenz in dieser Einwanderungsgesellschaft im Medienbereich mit politischen Kommentaren einfach da sein, dabei sein, deshalb diese ganze Geschichte von der Zielgruppe, dass interessierte mich auch immer wenig. Wenn Zielgruppe ja (.) äh gesellschaftlich, politisch interessierte Menschen ein Forum geben« 363
Da das Trägermedium schon eine Auflage von 60.000 Exemplaren hatte, sah er keine Notwendigkeit, sich über die Zielgruppe Gedanken zu machen.364 Eine für einen Verleger sehr kurzsichtige Einstellung, welche sich weder ziel- noch erfolgsorientiert darstellt. Dieses Verhalten führt zu dem Schluss, dass die Zielgruppe für dieses Zeitungsprojekt nie klar definiert wurde. Jeder Mitarbeiter der 361 | Vgl. B.P. Z. 561ff. 362 | B.P. Z. 484ff. 363 | B.P. Z. 492ff. 364 | Vgl. B.P. Z. 580ff.
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Zeitung arbeitete für eine andere fiktive Zielgruppe. Junge Leute, die integriert sind, brauchen keine türkischen Zeitungen mehr. Im Grunde sei die Zielgruppe die deutsche Mehrheitsgesellschaft bzw. die Leser von Printmedium 6.365 366 T.L., die Redakteurin von PM 6, moniert, dass die TBiD kein großes Interesse an der Wochenbeilage gezeigt hat. »Worüber wir uns gewundert haben war, das die hier lebenden Türken sich ein, ich würde es mal formulieren (.) einen Dreck darum gekümmert haben ob es [Printmedium 6] gibt oder nicht und das war sehr irritierend weil (.) sie haben ja die ganze Zeit so danach geschrieen, wir wollen ein eigenes Medium« 367
Es gab vielmehr deutsche als türkische Abonnenten.368 Ihrer Einschätzung nach werden in Zukunft immer geringere Teile der TBiD das Printmedium nutzen, sie wenden sich stärker dem Medium Fernsehen zu.369 Der akademische Teil der TBiD weist das gleiche Rezeptionsverhalten wie deutsche Akademiker auf, sie lesen die überregionalen Tageszeitungen. Ihrer Ansicht nach ist innerhalb des Zeitungskonzeptes überhaupt keine Zielgruppe definiert worden, dass ist der entscheidender Fehler gewesen.370 Es gibt auch nicht die türkische Community, es besteht keine Einheit. »Es gibt keine türkische Community so wie wir das sagen können, das ist eine jüdische Gemeinde oder Community gibt. Weil das Türkische ist nicht die die Einheit. Wen meinen wir den, wen wollen wir denn? Die Intellektuellen, die Linken, die Kommunisten, die Idealisten, die Rock Pop Kultur mäßig, die Nationalisten? Also es ist nicht die Community. Darum ist das so schwierig, darum war es auch mit [PM 6] so schwierig. Was wir alle unterschätzt haben. Wir dachten, die Community wäre viel größer in Einem, ist sie aber nicht. Das ganze ist so ein Flickenteppich, da muss man wissen, ja für wen« 371
T.L. entwirft insgesamt ein reflektiertes Bild über die TBiD und verbindet dieses mit deren Mediennutzungsverhalten auf M II, dennoch bleibt auch sie auf der Ebene der persönlichen Beurteilung und kann diese aus eben dargelegtem Grund nicht auf die Zielgruppenrelevanz von PM 6 übertragen.
365 | Überregionale deutsche Tageszeitung, die als Trägermedium der wöchentlichen Beilage (PM 6) fungierte.
366 | B.P. Z. 578. 367 | T.L. Z.328ff. 368 | Vgl. T.L. Z. 325f. 369 | Vgl. T.L. Z. 643ff. 370 | Vgl. T.L. Z. 49f. 371 | T.L. Z. 592ff.
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IV.2.4.4 Fazit zur Schlüsselkategorie 4: Zielgruppenwahrnehmung Die Schlüsselkategorie Zielgruppenwahrnehmung wird von drei Dimensionen gerahmt, die zum einen auf die Erklärungs- und Identifikationsmuster in Bezug auf die Wahrnehmung der Zielgruppe verweisen, zum anderen aufzeigen, in welcher Weise die unterschiedlichen Perspektiven auf die Zielgruppen auch für deren Wahrnehmung verantwortlich sind. Die Dimension »die ambivalente Außenansicht« wurde durch Interviewsequenzen von PM 1 und PM 2 rekonstruiert. Die ambivalente Sichtweise auf die Zielgruppe liegt darin begründet, dass noch keine Konvergenz zwischen der wahrgenommenen wachsenden Entfremdung zwischen türkischen Printmedienproduzenten und der Zielgruppe (TBiD) und der daraus zu ziehenden unternehmerischen Handlungsstrategie erfolgt ist. Bei einem Interviewpartner von PM 1 (F.L.) ist diese Ambivalenz zudem unterfüttert durch eine dichotome Sichtweise auf die Zielgruppe. Sein Wechsel der Perspektiven zwischen »unserer dortigen Gesellschaft« und »jemand aus der Türkei kann sie nicht verstehen« verdeutlicht, das F.L. die Abkopplung der TBiD von der Türkei zwar wahrnimmt, sie aber noch nicht internalisiert hat. Zusammenfassend wird deutlich, dass eine wachsende Entfremdung zwischen Produzenten und Rezipienten aus einer Außenperspektive wahrgenommen und diesem Abkopplungsprozess mit Resignation begegnet wird. PM 1 und PM 2 befinden sich in einer Phase der abwartenden Handlungsstarre. Obwohl in beiden Printmedien auch Vertreter interviewt wurden, die in Deutschland leben und arbeiten, zeigte sich in der Analyse, dass sie die realen Lebensumstände der TBiD besser als ihre Kollegen aus der Türkei einschätzen konnten, ihre persönlichen Ansichten aus Gründen der Loyalität zum Arbeitgeber jedoch in den Hindergrund stellten. Die Dimension »re-aktive Innenansicht« wird durch die Interviewsequenzen von Printmedium 3 und Printmedium 4 gespeist. Das zentrale Element dieser Dimension basiert auf der Einsicht, dass ein Produkt einen Markt braucht, der möglichst umfangreich abgeschöpft werden soll. Sowohl PM 3 als auch PM 4 haben ihre Zielgruppendefinition dahingehend umrissen, als dass sie einen möglichst großen gemeinsamen Nenner festlegen, der der potentiellen Zielgruppe gemein ist. Sie betrachten dies als Voraussetzung für eine maximal zu erreichende Auflagenzahl. Dabei fokussieren die Printmedienunternehmen auf die gemeinsam genutzte türkische Sprache und die gemeinsam erlebten Alltagserfahrungen. Mögliche Differenzierungen religiöser, ethnischer und nationaler Art lassen sie dabei bewusst außen vor. In diesem Zusammenhang verändern sie auch ihr traditionelles Rezipientenprofil und konzipieren ein neues Zeitungskonzept, um auch für die zweite und dritte Generation der TBiD attraktiv zu bleiben.372 Sie reagieren damit auf einen Prozess, eine Entwick372 | Dieses neue Zeitungskonzept sieht eine politisch neutrale Berichterstattung vor, wobei im thematischen Mittelpunkt die Lebenswelt der TBiD steht. Ein weiterer Aspekt
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lung. Ihre Strategie im Umgang mit der sich verändernden Zielgruppe basiert gegenwärtig darauf, das Minimum an vermuteten Gemeinsamkeiten zu einem breiten Fundament zu stilisieren. Dass diese Strategie schon jetzt problematisch ist, kennzeichnet die Bemühungen von PM 3, durch Buchgeschenke die Türkischkenntnisse ihrer bildungsnahen Leserschaft zu verbessern und damit die Sprachkompetenz ihrer Leserschaft zu fördern. Zusammenfassend geht es darum, die gemeinsame Identität der ersten, zweiten und dritten Generation bewusst zu stärken und Unterschiede auszublenden, um auf diese Weise eine hohe Auflage zu erzielen. PM 3 und PM 4 haben unternehmensintern einen Diskurs über die sich im Wandel befindliche Zielgruppe geführt und verfügen teilweise auch über die notwendige Innenansicht. Beide Unternehmen haben jedoch für sich beschlossen, gegenwärtig nicht auf eine Segmentierung der Zielgruppe einzugehen, sondern die Gemeinsamkeiten stärker zu betonen, um den Markt aus unternehmerischer Sicht profitabel bedienen zu können. Die Dimension »realistische Innenansicht« wird durch die Interviewsequenzen von Printmedium 5, PM 6, PM 7 und PM 8 getragen. Zentrale Inhalte dieser Dimension basieren dabei auf der Erkenntnis, dass es sich bei der TBiD nicht um eine homogene Zielgruppe handelt und deshalb auch nur Teilsegmente dieser angesprochen werden können. Dieser Erkenntnis ging ein Reflektions- und Analyseprozess voraus, der größtenteils aus der Innenansicht erfolgte. Die Fokussierung auf ein Teilsegment der Zielgruppe resultiert aus einem engen Definieren des Personenkreises und einer Beschreibung der Alltagswelt der anvisierten Zielgruppe. Im Mittelpunkt stehen dabei die Angehörigen der dritten Generation der TBiD, in Deutschland sozialisierte türkischstämmige Menschen, die vorzugsweise auf Deutsch rezipieren und wenn möglich der bildungsnahen Schicht angehören. Hinzu tritt das Zielgruppensegment der türkischen Unternehmer in Deutschland und die unerwartet große Gruppe der türkeiinteressierten deutschen Leser. Der Segmentierung der Zielgruppe vorausgegangen ist ein eingeleiteter Abkopplungsprozess zwischen der TBiD und der Türkei bzw. der türkischen Printmedien aus der Türkei. Dem wiederum ist eine Veränderung im Identitätsprozess der TBiD vorausgegangen, den die türkischen Printmedien aus unterschiedlichen Gründen nicht mitgetragen haben. Dies stellt die Funktion von Pressesystem I auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt heute grundsätzlich in Frage.
des neuen Zeitungskonzeptes liegt im systematischen Ausbau einer stärker regional und lokal fokussierten redaktionellen Arbeit.
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IV.2.5 Die Schlüsselkategorie 5: Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten Im Rahmen von Schlüsselkategorie 5 wird hinterfragt, in welcher Beziehung die befragten Printmedienproduzenten zu Vertretern anderer deutsch/türkischer Printmedienerzeugnisse stehen. Wie bewerten sie dieses Verhältnis und bestehen möglicherweise Kooperationen auf der Ebene von Kapital-, Personen-, und/oder Wissenstransfer?
IV.2.5.1 Die Dimension A: »ambivalentes Konkurrenzverhalten« Die Dimension »ambivalentes Konkurrenzverhalten« wurde auf der Grundlage der Interviewsequenzen von PM 1, PM 2 und PM 3 rekonstruiert. Inhaltlich deckungsgleich ist in diesem Kontext, dass sich alle drei Printmedienproduzenten eine selbst zugewiesene Sonderrolle konstruieren, um darauf basierend bestehende Konkurrenzverhältnisse als für die eigene Arbeit irrelevant darzustellen. Diese Haltung wird von den Interviewpartnern im Interviewverlauf jedoch nicht konsequent eingehalten. Entweder argumentieren die Interviewpartner innerhalb des eigenen Interviews ambivalent zu diesem Thema oder aber, die zwei zu einem Printmedium gehörenden Interviewpartner geben widersprüchliche Aussagen von sich. PM 3 nimmt dabei ansatzweise eine Sonderstellung ein, da einer der beiden Interviewpartner (N.D.) das Konkurrenzverhältnis erstmals offen und sachlich anspricht. Diese Linie wird jedoch von T.C. nicht eingehalten. Er konstruiert, wie seine Kollegen von PM 1 und PM 2, eine Sonderrolle seines Printmediums, um einen direkten Vergleich mit den Konkurrenzprodukten umgehen zu können. Die Ambivalenz des Verhältnisses von Printmedienproduzent 1 zu anderen deutsch-türkischen Printmedienproduzenten in Deutschland kommt durch die widersprüchlichen Aussagen der beiden Interviewpartner von PM 1 zum Ausdruck. B.L., der Chefredakteur einer regionalen Gebietseinheit in Deutschland, beschreibt PM 1 als die auflagenstärkste türkische Tageszeitung auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt, die durch den Verkauf von drei weiteren unternehmenseigenen Zeitungen eine herausragende Position auf M II einnimmt.373 Diese Marktpositionierung verleiht der Zeitung zunächst einmal eine Art Sonderstatus. Er sieht Printmedium 1 in Deutschland in keinerlei Konkurrenz zu den anderen türkischen Zeitungen stehend. »[Printmedium 1] steht nur mit sich selbst in Konkurrenz, sie konkurriert nur mit sich selbst. Kurz gesagt, wie kann ich eine noch bessere Tageszeitung herstellen…was die
373 | Vgl. B.L. Z. 240ff.
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Auflage angeht, so ist sie in Deutschland ohne Konkurrenz…aus diesem Grund sehe ich in Deutschland für [Printmedium 1] keine Konkurrenz« 374
Diese Aussage steht einer zuvor geäußerten Einschätzung innerhalb eines anderen Themenkontextes diametral gegenüber. »Besonders [Printmedium 1] liegt kurz gesagt in einem Wettstreit mit den anderen Zeitungen. Die anderen Zeitungen möchten [Printmedium 1] natürlich auch in Bedrängnis bringen, sie möchten das, wer möchte das nicht? Jeder möchte seinen Marktanteil vergrößern, das ist wirklich ein ernster Medienwettstreit. Aber dieser Wettstreit wird meiner Meinung nach sehr ehrlich geführt, innerhalb der türkischen Presse in Europa. Jeder geht seinen eigenen Weg, möchte seine Leser, seine eigene Zielgruppe hervorbringen. Ich bin für einen solchen Wettstreit, ich bin für einen ehrlichen Wettstreit… die anderen Zeitungen halten sich auch an dieses Prinzip, anstatt sich gegenseitig mit Schmutz zu bewerfen, geht jeder seiner eigenen Arbeit nach. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung« 375
Dieser Interviewausschnitt verdeutlicht, dass sich Printmedium 1 trotz seiner besonderen Marktposition deutlich als Konkurrenzprodukt zu den übrigen Printmedienprodukten abgrenzt. Jedes Unternehmen kämpft um größere Marktanteile, man befindet sich in einem »ernsthaften Medienwettstreit«, der aber »sehr ehrlich« geführt wird. Dass dieser Wettkampf vielleicht in der Vergangenheit nicht immer ehrlich verlaufen ist, lässt seine abschließende Bemerkung »das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung« nur vermuten. F.L., der ehemalige Chefredakteur der Europaausgabe von PM 1 in Deutschland, betrachtet die übrigen deutsch-türkischen Printmedienprodukte auf M II ebenso wie B.L. nicht als Konkurrenten zu PM 1. Die Tageszeitungen, die sich zu einem Konkurrenten hätten entwickeln können, haben seiner Ansicht nach M II schon wieder verlassen.376 Die übrigen vorhandenen Tageszeitungen seien irrelevant, man könne sie nicht mit Printmedium 1 vergleichen, sie zielten auf ein anderes Zielgruppensegment ab. Zeitungen, die zur eigenen Verlagsgruppe gehören, stellen auch keine Konkurrenz dar. Verlagsintern bestehe natürlich ein Austausch zwischen den unterschiedlichen Zeitungen, die zur eigenen Unterehmensgruppe gehören; es werde der gleiche Nachrichtendienst und die gleichen Bildquellen genutzt. Als wichtig bewertet er in diesem Kontext, dass es sich trotzdem um eigenständige, voneinander unabhängige Redaktionen handelt, die zwar in Deutschland in einem Gebäude ansässig sind, inhaltlich aber
374 | B.L. Z. 275ff. 375 | B.L. Z. 246ff. 376 | Vgl. F.L. Z. 764f.
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getrennt voneinander arbeiten.377 Aus den Aussagen von F.L. und B.L. ergibt sich hier ein heterogenes Bild. Beide Interviewpartner betonen, Printmedium 1 ist konkurrenzlos und konkurriert nur gegen sich selbst. Diese, fast wortgleichen Aussagen, ein Interview wurde in der Türkei und eins in Deutschland geführt, erinnern eher an einen unternehmensinternen Werbeslogan, um die Mitarbeiter zur Arbeit und die Kunden zum Kauf der Zeitung zu motivieren. Die Tatsache, dass die Zeitung seit einigen Jahren stetige Auflagenverluste hinzunehmen hat und andere Printmedienproduzenten durchaus als Konkurrenz wahrgenommen werden, wird hier ausgeblendet. B.L. revidiert seine Aussage auch an anderer Stelle und spricht von einem ernsten Medienwettstreit auf M II. Nach offizieller Unternehmenspolitik ist Printmedium 1 jedoch konkurrenzlos auf M II. Kooperation auf der Basis von Wissenstransfer und Personen finden nur mit unternehmenseigenen Zeitungen statt. Eine Ausnahme bilden dabei Dienstleistungen, welche die hauseigene Großdruckerei auch auswärtigen Auftraggebern anbietet. Auffallend häufig wurde im Verlauf der beiden Interviews ein außerhalb des untersuchten Printmedienkreises stehendes Medium genannt. Immer wieder taucht der Vergleich mit der deutschen Bild-Zeitung auf, die in der Tat im Bereich der Printmediennutzung deutscher Printmedien der TBiD an erster Stelle steht. Bei seinen Vergleichen mit der deutschen Presse zieht F.L. sehr häufig einen direkten Vergleich zur Bild-Zeitung. Die Frage ist, warum er diese Nähe immer wieder betont. »Wir wissen natürlich, dass eine wichtige Mehrheit neben [Printmedium 1] noch eine deutsche Zeitung liest, schwerpunktmäßig die Bild Zeitung. Vielleicht weil die Themen und die Sprache einfacher sind« 378
Die Bild-Zeitung wird seitens des Printmedienproduzenten 1 eher als Konkurrent wahrgenommen als die anderen türkischen Tageszeitungen. Seit dem Jahr 2003 besteht zwischen den beiden Mediengiganten eine Zusammenarbeit, aus der beide Unternehmen profitieren und lernen sollen. Desweiteren fiel im Verlauf des Interviews mit F.L auf, dass er bei vielen Themen, die angesprochen wurden, seine eigenen Aussagen zu untermauern versuchte, indem er auf die deutsche Presse und die übrige europäische Presse verwies und Parallelen entwarf. Die Verallgemeinerungen dienen dem Zweck, seine Aussagen breiter abzusichern, verweisen jedoch auch auf eine Unsicherheit, auf ein mangelndes Selbstbewusstsein als Vertreter einer türkischen Zeitung in Deutschland. Auch die Interviewpartner von PM 2 konstruieren für sich bei der Frage nach dem Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten auf M II eine Son-
377 | Vgl. F.L. Z. 800ff. 378 | F.L. Z. 847ff.
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derrolle. Diese Sonderrolle ergibt sich aus der Art und Weise ihrer politischen Bewertung der Dinge. »Wir sind anders…wir sind auch anders als die übrigen türkischen Zeitungen. Die verlegen für einen anderen Typ Mensch. Es gibt die religiösen Zeitungen wie die Zaman, die schauen anders auf die Ereignisse. In diesem Sinne konkurrieren wir nicht mit ihnen« 379
Zunächst spricht J.Z., ein Chefredakteur von PM 2 im türkischen Mutterhaus, davon, dass die eigene Verlagspolitik im Mittelpunkt steht, nicht die Konkurrenz mit anderen Unternehmen. An anderer Stelle spricht er aber zudem davon, dass die Präsenz der anderen türkischen Zeitungen auf M II eine eigene Präsenz unumgänglich macht, um so eigene politische Bewertungen alternativ zu präsentieren. Auch P.D., der Chefredakteur der Deutschlandausgabe von PM 2, sieht keine Konkurrenz seines Printmediums zu anderen türkischen Zeitungen auf M II. »Es gibt keine andere Zeitung, die einen türkischen Intellektuellen anspricht. Es ist keine Konkurrenz vorhanden, da ihr Stil in der Türkei einzigartig ist. Wir sind eine ›fikir gazetesi‹ die anderen sind das nicht« 380
Er betrachtet die türkischen Medien in Deutschland nicht als eine Einheit und kritisiert auffallend häufig [Anmerk.: ungefragt] die türkischen Medien auf M II. Zunächst kritisiert er die Medien ganz allgemein, um daran anschließend auf den Konservativismus und die politische Unfreiheit in seinem Land zu sprechen zu kommen. »die Medien als Ganzes… produzieren einen Menschentyp, der in dieser Gesellschaftsform lebt und stirbt; dieser ist kein Menschentyp der Aufklärung, er ist nicht neugierig. Er ist ein Knecht, er lebt in dieser Gesellschaft, er macht etwas, er verdient Geld, er gebiert Kinder und stirbt später. Es ist nicht mehr ihr Wunsch die Gesellschaft zu verändern, die Menschheit zu verändern, ein neues Zeitalter zu beginnen… die Medien produzieren diesen Menschentyp, reproduzieren ihn und verdienen noch ihr Geld dabei. Das ist so etwas wie ein Teufelskreis« 381
Printmedium 2 steht in der Türkei außerhalb dieses Projektes. Er persönlich ist der Ansicht, dass nur eine starke sozialistische Herausforderung diesen Teu-
379 | J.Z. Z. 171ff. 380 | P.D. Z. 281ff. 381 | P.D. Z. 424ff.
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felskreis durchbrechen kann. Dies ist die Türkei, die Europa mit dem Vertrag von Sèvres aus ihr gemacht hat. »ein ruheloses Volk ohne Persönlichkeit, abhängig und in Knechtschaft, anderen und dem Westen zu Diensten. Ein Land, das den Reichtum seiner Menschen nicht wahrnimmt und einen solchen Menschentyp wie Tayyip Erdogan und andere hervorbringt, die rechten Kräfte der Türkei, diesen Menschentyp. Printmedium 2 war schon immer der Feind dieses Menschentyps, der nicht frei ist und der Linken gegenüber nicht offen ist, der nicht mit dem eigenen Kopf denkt« 382
Die Zeitung steht außerhalb des Kreises der türkischen Medien, sie ist eine Ausnahme innerhalb der türkischen Medien. »Die Zeitung schafft es so gerade, sich finanziell über Wasser zu halten, sie ist eine Ausnahme«383 Die Interviewsequenzen von Printmedium 3 werden im vorliegenden Forschungskontext ebenfalls unter der Dimension »ambivalentes Konkurrenzverhältnis« eingeordnet. Die Ambivalenz ergibt sich hier primär durch voneinander divergierende Einschätzungen der beiden Interviewpartner von PM 3, denn N.D. und T.C. zeichnen im Interviewverlauf kein homogenes Bild von den Akteuren der deutsch-türkischen Printmedienszene auf M II. »Wir sind hier eigentlich in keinem Wettstreit, ich meine vor uns liegt die Hürriyet, natürlich konkurrieren wir mit ihr, wir versuchen sie zu überholen, aber das heißt nicht, dass wir uns hinsetzen und negative Nachrichten über die Hürriyet schreiben oder diese schlecht machen wollen. Wir kritisieren hier die Dinge, die wir als falsch befinden, auch die Hürriyet. Wir kritisieren auch die deutschen Medien, wenn sie mit Vorurteilen arbeiten….Ich betrachte es als Luxus hier mit den türkischen Zeitungen zu konkurrieren… der Markt ist groß genug, auf diesem Markt hat man die Möglichkeit, sehr bequem zu agieren« 384
N.D., der Chefredakteur der Deutschlandausgabe von PM 3, berichtet hier sachlich und offen über die vorhandene Wettbewerbssituation auf M II, versucht aber die Intensität des Wettbewerbs durch die angebliche »Größe des Marktes« zu mindern bzw. zu verharmlosen. Nach Einschätzung von T.C., dem Chefredakteur einer regionalen Gebietseinheit von PM 3, ist die Hürriyet jedoch kein Konkurrent. Die Verkaufszahlen sind ähnlich, die Printmedien sprechen jedoch eine andere Zielgruppe an und besitzen eine andere journalistische Vorgehensweise.385 Er distanziert sich von den Produkten der Hauptkonkurrenten indem 382 | P.D. Z. 467ff. 383 | P.D. Z. 419ff. 384 | N.D. Z. 424ff. 385 | Vgl. T.C. Z. 233ff.
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er Ziel und Art und Weise des hauseigenen Journalismus erklärt, um somit einen Vergleich zwischen den beiden Printmedien zu umgehen. »Wenn sie sich die anderen [Anmerkung: türkischen Zeitungen auf M II] Zeitungen anschauen, ist der deutsche Staat und der Deutsche sehr oft als ein (.) als der Andere, zum Teil als der Böse und der der einem seine Rechte wegnimmt…in diesem Punkt sind wir sehr sachlich und beschwichtigend…ich glaube in dem Ausmaß des Konfliktpotentials die Migrationsprozesse mit sich bringen, brauchen die Leute diese Sachlichkeit…diese Orientierung« 386
Ebenso wie die Interviewpartner von PM 1 und PM 2 konstruiert er für das Printmedium, für welches er tätig ist, eine Sonderrolle, um damit die Auseinandersetzung mit der Konkurrenz zu umgehen. Auf der Basis von Schlüsselkategorie 5 Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten argumentieren die Vertreter der Dimension »ambivalentes Konkurrenzverhalten« damit, dass ihre Sonderrolle eine Konkurrenz mit anderen Printmedien irrelevant macht. Diese Sonderrolle weisen sie sich dabei selbst zu. Alle drei Printmedienunternehmen (PM 1, PM 2 und PM 3) gehören Pressesystem I an. Eine nicht existente Konkurrenz auf M II wird von PM 1 und PM 2 reflektiert, jedoch mit unterschiedlichen Erklärungsmustern belegt. PM 1 besinnt sich dann auf seine Rolle als (Printmedien-)Unternehmen, bei der es um den Ausbau von Marktanteilen geht. Für die Vertreter von PM 2 stellt die Präsenz der Konkurrenten von M I (Medienmarkt in der Türkei) in Deutschland eine andere Herausforderung dar. Es geht nicht um eine Konkurrenz im unternehmerischen Sinn, dazu ist die Auflage viel zu gering, sondern um die Tatsache »ich bin auch dabei« und ermöglichte somit ansatzweise eine ideologisch-politische Anbindung an deutsch-türkische Rezipienten. Die Führungsspitze von PM 3 spricht den bestehenden Wettstreit zwischen den Printmedienproduzenten auf M II erstmals offen an. Im Falle von PM 1 ist eine unternehmensinterne Kooperation üblich, eine Kooperation mit externen Partnern von Pressesystem I besteht nicht. Bemerkenswert ist allerdings die Kooperation mit einem großen deutschen Medienunternehmen auf der Basis von Informationsaustausch und Unternehmensberatung. PM 2 steht zum Zeitpunkt des Interviews in keinem Kooperationsverhältnis zu einem anderen Printmedienunternehmen. Der Chefredakteur J.Z. berichtet jedoch von dem erfolglosen Kooperationsversuch mit einem deutsch-türkischen Unternehmen in Deutschland, bei dem es PM 2 darum ging, Markt- und Werbeanteile auf M II zu erhöhen und in der Öffentlichkeit eine stärkere Präsenz zu zeigen.387 Auffallend ist, dass sowohl PM 1 als auch PM 2 als ihre eigentlichen Konkurrenten nur Unternehmen von Presse386 | T.C. Z. 333ff. 387 | Vgl. J.Z. Z. 185ff.
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system I wahrnehmen und dass sich in Etablierung befindliche Pressesystem II nicht einmal erwähnen.
IV.2.5.2 Die Dimension B: »offen für Kooperation« Die Dimension »offen für Kooperation« innerhalb der Schlüsselkategorie Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten wird durch Interviewsequenzen von vier Printmedienproduzenten (PM 4, PM 5, PM 6 und PM 7) rekonstruiert. Allen Unternehmen gemein ist in diesem Kontext, dass sie sich eine Kooperation wünschen bzw., wie in den meisten Fällen, ihre unternehmerische Tätigkeit auf einer Kooperation basiert. Unterschiedlich sind dabei ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen mit außen stehenden Printmedienunternehmen. Printmedienproduzent 4 ist eines der wenigen Beispiele, in dem ein Vertreter von Pressesystem I388 ein Printmedium allein für den deutsch-türkischen Medienmarkt konzipiert hat und dessen Erstellung auch direkt am Markt vornimmt. L.L., der Geschäftsführer von PM 4 in Deutschland, berichtet in diesem Zusammenhang: »Ich habe seit etlichen Jahren, seit fünf, sechs Jahren, in vielen Gesprächen auch mit dem Innenministerium und dem deutschen Presseamt immer die Vorschläge gemacht, auch mit dem Verband der Zeitungsverleger in vielen Sitzungen (.) lass uns doch einen Austausch machen, einen Austausch zwischen beiden Redaktionen ob das regionale Redaktion ist oder auch überregional erscheinende Tageszeitungen, einfach mal, lass doch mal einen Redakteur bei uns mal eine Woche reinschauen oder zwei Wochen und unserer geht bei euch rein, einfach mal zum Beschnuppern« 389
Dem Bundespresseamt schlug der Geschäftsführer ein Kooperationsmodell vor. »Wissen sie, das ist mein Teil für die Integration. Möchte man mehr, dann müssen eigentlich die öffentlichen Stellen mir sagen, o.k., jetzt lass uns gemeinsam was machen« 390
Der Geschäftsführer von PM 4 ist dezidiert an einer Kooperation zwischen deutschen Presseträgern und/oder staatlichen deutschen Medieninstitutionen interessiert und schlägt dazu eine Zusammenarbeit auf der Basis von einem Personen- und Wissensverkehr vor. Zum Zeitpunkt der Interviewführung fand dieses Kooperationsinteresse seitens PM 4 allerdings noch keine praktische Realisierung. 388 | Medienproduzent aus der Türkei, der auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt ansässig ist.
389 | L.L. Z. 128ff 390 | L.L. Z. 313ff
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PM 5 ist als ein Beispiel für eine reale Kooperation zwischen einem Vertreter von Pressesystem I, Pressesystem II und einem Vertreter der deutschen Printmedienlandschaft zu betrachten. Dabei kamen drei Unternehmen mit unterschiedlichen Kompetenzen und Interessenlagen zusammen. Der Vertreter von Pressesystem I fungierte als der Lizenzgeber der Zeitung und war für den türkischsprachigen Hauptteil der Zeitung verantwortlich. Der Vertreter von Pressesystem II war der Hauptinvestor und stellte über ein weiteres Unternehmen die Geschäftsführung und die Redaktion der deutschsprachigen Beilage. Der deutsche Printmedienpartner übernahm die Funktion der Technikinstallation und des Druckes. Innerhalb dieser Unternehmenstriade kam es innerhalb kurzer Zeit zu Unstimmigkeiten, sodass die Herausgabe der Zeitung nach zwei Jahren gestoppt wurde. PM 6 stellte eine Symbiose zwischen einem Vertreter von Pressesystem II und einem Vertreter eines deutschen Printmedienproduzenten dar. B.P., der Verleger von PM 6, fokussierte während des Interviews in Bezug auf das Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten ungewöhnlich stark auf Pressesystem I. Der Verleger fühlte sich durch eine Kampagne einer türkischen Tageszeitung angegriffen und bedroht. »Also, [Printmedium 1] hat eine Kampagne gegen meine Person, gegen [Printmedium 6] gemacht und eine national maoistische Gruppe in der Türkei, die aber sehr viel beachtet wird (unverständlich), also [Printmedium 1] hat über einen seiner Leserbriefe geschrieben, dass ich ein Mann des deutschen Staates wäre. Die haben mich mit einem Türken, der im 2. Weltkrieg Nazi Kollaborateur war, verglichen« 391
Seiner Ansicht nach sind die türkischen Tageszeitungen (Pressesystem I) daran interessiert gewesen, dass das Zeitungsprojekt (PM 6) nicht gelingt, deshalb ist er solchen Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Nach seinen Schilderungen ist die Beziehung zu Pressesystem I nicht von Konkurrenz geprägt, sondern von offener Anfeindung, welche dazu geführt hat, dass auch die türkische Community keine Unterstützung zeigt. »Ich hätte mich da umbringen können. Ich hätte Selbstmord machen können weil mir das Geld für einen Prozess fehlte. Ich konnte nur eine einstweilige Verfügung gegen [Printmedium 1] erreichen und danach hätte ich noch einen Prozess eröffnen müssen. Und dafür müsste man an Gericht so ein paar Tausend zahlen und dafür habe ich das Geld nicht gehabt« 392
391 | B.P. Z. 616ff. 392 | B.P. Z. 624ff.
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Weiterhin erzählt B.P., durch welche Beweggründe seiner Ansicht nach diese offene Anfeindung motiviert ist. »die türkischstämmigen Migranten in Deutschland sollte ihre Nabelschnur von Türkei trennen ja (.) darum ging es mit dieser Geschichte (Anmerkung: bei [Printmedium 6]). Deshalb haben wir die Feindschaft bekommen ja. Und die ganze türkische Community, die Migranten hier die werden vom türkischen Staat als ein Lobby Instrument vorgesehen. Also sie sollen weiter national an Türkischen Staat und an türkische Armee verbunden bleiben« 393
Auch T.L., die interviewte Redakteurin von PM 6, zeichnet in ihren Ausführungen parallele Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster von Pressesystem I nach. Nach ihren Aussagen kam es von Teilen von Pressesystem I via Zeitung zu Diffamierungen ihrer eigenen Person (Vertreterin von Pressesystem II). Im Folgenden schildert sie Reaktionen von Pressesystem I auf einen von ihr erstellten Artikel. »Ja bitte, das andere war ein Artikel von mir, da ging es um die erste und die zweite Generation. Da habe ich den Club der Patriarchen mal ein bisschen in Frage gestellt. Mit dem Titel und wo und in welcher Funktion die ganzen alten Herren sitzen und warum sie da die Plätze nicht räumen und immer nur fordern aber da (.) sondern da die jüngere Generation nicht nachziehen lassen, sondern und da als Alibi gebrauchen. Das hatte zur Folge, ich weiß nicht mehr ob das [Printmedium 1] oder welche Zeitung das genau war. Ähm (.) ja die haben versucht mich als ähm (.)unseriöse ja nicht mal Journalistin sondern als unseriöse, unbekannte XY Person die das gar nicht bestimmen kann und aussagen kann, ähm (.) sie fühlten sich einfach auf den Schlips getreten, sehr emotional und (.) ich war letztendlich die Deutsche, die Landesverräterin, die (.) halt so diese typischen Diffamierungen, die man halt kennt wenn man etwas nicht will ja. Ich habe herrlich darüber gelacht. Also (.) puh ich kann das dann nicht mehr ernst nehmen, egal« 394
Nach Ansicht von T.L. schwankten die Reaktionen der türkischen Presse (Pressesystem I) auf ihre »andere Art von Journalismus« zwischen Entrüstung und Bedrohung. »Sie haben uns gedroht. Sie waren so pikiert, so angefressen, so entrüstet. Das wir so tabulos Sachen angesprochen haben, dass ähm (.) Hetzkampagnen gelaufen sind äh (.) der Herausgeber persönlich angegriffen wurde, ne Mitarbeiterin und noch ein anderer Mitarbeiter von [Printmedium 6] (.) wo dann auch fast Klagen gelaufen sind« 395 393 | B.P. Z. 646ff. 394 | T.L. Z. 437ff. 395 | T.L. Z. 416ff.
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Auch aus der deutschen Presse kamen ambivalente Reaktionen. »Es war (.) es war schon sehr diffamierend in dem Sinne, weil das ganze als folkloristische, unseriöse journalistische Schnickschnack Geschichte dargestellt wurde. Das fand ich sehr hart. Das war ein herber Rückschlag und das lief dann irgendwie über ein Sendegebiet von ganz Nordrheinwestfalen und weiter. Ich fand seine Art sehr unseriös, ich war verwundert (.) wie was über welche Klingen man springen musste plötzlich und er war nicht einmal bereit für eine Gegendarstellung und was das eigentlich sollte (.) mit was für einem Recht äh er das so kaputt treten will und macht obwohl er mit niemandem gesprochen hat« 396
Ein wieder anderes deutsches Printmedium ist ganz anders mit der Herausgabe von PM 6 umgegangen. »Der [Anmerkung: Journalist der deutschen Zeitung] hat sich das angeschaut und ähm er hat das Produkt einfach inhaltlich bewertet und geguckt, was sind das für Leute, die dahinter stehen, wie machen die das, wie gehen die miteinander um und wir hatten eine Auseinandersetzung, eine Redaktionsauseinandersetzung gekriegt wo es um ein Thema ging und (.) das war ein ganz toller Bericht. Einfach wo er ohne zu beschönigen einfach das so darstellen konnte« 397
T.L. berichtet auch über eine konstruktive und enge Zusammenarbeit mit einem Printmedienproduzenten aus der Türkei, der nicht auf M II vertreten ist. »Dann haben sich sehr gute Journalisten aus der Türkei gemeldet und uns ihre Mitarbeit angeboten und auch regelmäßig Artikel geschrieben, die haben wir da dann auch vorgestellt. Objektiver (.) einfach wo wir auch mal erklärt haben, warum es ein deutschtürkisches Projekt gibt, [PM 6]. Also da haben die auch erst mal begriffen, was für eine Politik äh die Hürriyet und Milliyet und wie sie alle heißen machen, nämlich dieses sehr ähm (.) turkozentristisch ausgelegte und das es die nicht interessiert, wie es den Migranten hier geht« 398
Printmedium 7 befand sich zum Zeitpunkt des Interviews ebenfalls in einem Kooperationsverhältnis.399 C.D., der Verleger von PM 7, ging diese Zusammenarbeit sechs Monate nach Herausgabe des Monatsmagazins mit einem bis dato ebenfalls monatlich erschienenen regionalen deutsch-türkischen Sportmagazin ein. Seither wurde das Magazin wie zuvor, nur mit erhöhter Seitenzahl, heraus396 | T.L. Z. 476ff. 397 | T.L. Z. 493ff. 398 | T.L. Z. 457ff. 399 | Kooperation zwischen zwei Vertretern von Pressesystem II.
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gegeben. Seinen Aussagen nach handelt es sich bei diesem unternehmerischen Zusammenschluss um ein rein ökonomisches Zweckbündnis, mit dem Ziel, die Betriebskosten so niedrig wie möglich zu halten.400 Der Hauptschwerpunkt des Magazins blieb weiterhin der Lifestyle. Auch C.D. fokussiert im Interviewverlauf in Bezug auf andere Printmedienproduzenten auffallend intensiv und emotional auf Pressesystem I. Nach Darstellung von C.D. bestand die Reaktion von den Vertretern von Pressesystem I in Deutschland auf die Pressemeldungen zur Herausgabe des Magazins aus einem simplen Nicht-Reagieren. Bestürzt stellte er fest, dass diese keinerlei Interesse zeigten, mit ihm, dem Herausgeber, zu kommunizieren oder etwas über das neue deutsch-türkische Printmedium zu berichten. »Also anfangs habe ich gedacht ho klar, die Hürriyet und die Türkiye, die werden mich auf Händen tragen. Ich als Türke mache was für die türkischen Jugendlichen was Neues auf Deutsch (.) aber nicht ein einziges türkisches Medium hat über [Printmedium 7] berichtet. Und die Gründe? Ich weiß es heute selber nicht. Ich kann mir das auch nicht erklären« 401 »Ich meine, wieso berichtet die WAZ darüber und nicht die Hürriyet oder die Türkiye?… ich habe es dann nicht mehr ausgehalten (.) ich hab dann angerufen hab dann gesagt, H. Abi 402, wieso klappt das nicht?…da hat er mir zurück geschrieben… es tut mit leid, ich habe auch einen Chefredakteur, der Chefredakteur möchte das nicht, weil das dann wie eine Anzeige wirkt. Ich war so was von sauer, so sauer ich hätte ich hätte echt beinahe geweint« 403
Offen drückt C.D. seine Enttäuschung aus, dass von ihm als Desinteresse interpretierte Verhalten erscheint ihm völlig unverständlich. »Nie im Leben ist mir das durch den Sinn gegangen weil weil (.) wie kann ich mit einer (.) erstens bin ich ein Monatsmagazin, wie kann ich mit so einem großen Imperium wie der Doğan-Holding konkurrieren? Ich arbeite ja alleine und hie und da kommen dann zwei Leute die mir unter die Arme greifen« 404
400 | Vgl. C.D. Z. 328ff. 401 | C.D. Z. 521ff. 402 | Das Interview wurde auf Deutsch geführt, es kam im Interviewverlauf mit C.D. immer wieder zu kurzen Wechseln vom Deutschen ins Türkische. Abi (türkisch), unformale Anrede für eine ältere männliche Person.
403 | C.D. Z. 539ff. 404 | C.D. Z. 570ff.
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Es gab einen Interessenten (türkisches Unternehmen in Deutschland), der sich in die Zeitung einkaufen wollte. Abgelehnt habe er das Angebot, weil diese nicht nur der Herausgeber sein wollten sondern langfristig auch auf die Medieninhalte Einfluss zu nehmen gedachten und somit das Profil des Magazins und damit auch die Zielgruppe verändert hätten. Auf sein eigenes Engagement hin entstand eine Kooperation zwischen PM 7 und einem türkischen Magazin in der Türkei (nicht auf M II vertreten). »Und die waren super kooperativ, die ähm (.) stellen uns auch direkt Texte zur Verfügung, Interviews mit Prominenten, die übersetzt sind zum Beispiel Abidin. Ja (.) haben wir von denen bekommen, super frisch hatten die das rein bekommen äh und im Gegenzug wollen die von uns Texte haben, aus dem deutsch-türkischen Leben, von deutsch-türkischen Prominenten, ich habe zum Beispiel über Akif Pirinci ein Interview gehabt und das habe ich dann denen geschickt, ob die das veröffentlicht haben, weiß ich eigentlich noch gar nicht. Aber auf jeden Fall ist das so ein Geben und Nehmen« 405
C.D. berichtet in diesen Interviewsequenzen von seinen unterschiedlichen Erfahrungen mit Vertretern der deutsch-türkischen Printmedienproduzenten. Dabei bilden seine Aussagen zwei Parallelen zu den Kernaussagen der Interviewpartner von PM 6. Sie beide berichten von auffälligen Verhaltensweisen von Repräsentanten von Pressesystem I auf die Neuetablierung ihres Printmediums.
IV.2.5.3 Fazit zur Schlüsselkategorie 5: Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten Die Schlüsselkategorie Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten wird von zwei Dimensionen gerahmt, die hinterfragen, in welcher Beziehung die befragten Printmedienproduzenten zu Vertretern anderer deutsch-türkischer Printmedienerzeugnisse stehen, wie sie dieses Verhältnis bewerten und ob Kooperationen mit diesen bestehen. Die Dimension »ambivalentes Konkurrenzverhalten« wurde auf der Grundlage der Interviewsequenzen von PM 1, PM 2 und PM 3 rekonstruiert. Alle drei Printmedienproduzenten gehören Pressesystem I an. Inhaltlich deckungsgleich ist in diesem Kontext, dass sich alle drei Printmedienproduzenten eine selbst zugewiesene Sonderrolle auf M II konstruieren, um darauf basierend bestehende Konkurrenzverhältnisse als für die eigene Arbeit irrelevant darzustellen. Diese Haltung wird von den Interviewpartnern im Interviewverlauf jedoch nicht immer konsequent eingehalten. PM 1 erklärt diese Sonderposition durch seine ökonomische Stärke im Herkunftsland und deren dortige Vormachtstellung auf dem türkischen Medienmarkt. Der zuvor negierten Konkurrenzbeziehung auf M II widerspricht der zweite Vertreter von 405 | C.D. Z. 1039ff.
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PM 1 jedoch in einer anderen Interviewsequenz, indem er von einem Medienwettstreit spricht. Die Vertreter von PM 2 erklären ihre Sonderrolle durch ihre journalistische und politische Außenseiterrolle innerhalb der türkischen Printmedien. Für sie stellt die Präsenz der Konkurrenten von M I (Medienmarkt in der Türkei) in Deutschland eine besondere Herausforderung dar. Es geht nicht um eine Konkurrenz im unternehmerischen Sinn, dazu ist die Auflage viel zu gering, sondern um die Tatsache »ich bin auch dabei« und ermöglichte somit ansatzweise eine ideologisch-politische Anbindung an deutsch-türkische Rezipienten. Ein Interviewpartner von PM 3 spricht den bestehenden Wettstreit zwischen den Printmedienproduzenten auf M II erstmals offen an. Diese Aussage wird jedoch im zweiten Interview durch die erneute Konstruktion einer Sonderrolle von PM 3 auf M II umgangen. Eine Kooperation ist bei PM 1 und PM 3 unternehmensintern üblich, eine Kooperation mit Vertretern von Pressesystem I und Pressesystem II besteht nicht. Bemerkenswert ist allerdings die Kooperation von PM 1 mit einem großen deutschen Medienunternehmen auf der Basis von Informationsaustausch und Unternehmensberatung. PM 2 steht zum Zeitpunkt des Interviews in keinem Kooperationsverhältnis zu einem anderen Printmedienunternehmen. Der Chefredakteur J.Z. berichtete jedoch von dem erfolglosen Kooperationsversuch mit einem deutsch-türkischen Unternehmen in Deutschland, bei dem es PM 2 darum ging, Markt- und Werbeanteile auf M II zu erhöhen und in der Öffentlichkeit eine stärkere Präsenz zu zeigen.406 Auffallend ist des Weiteren, dass sowohl PM 1 als auch PM 2 als ihre eigentlichen Konkurrenten nur Unternehmen von Pressesystem I wahrnehmen und Pressesystem II nicht einmal ansatzweise erwähnen. Die Dimension »offen für Kooperation« innerhalb der Schlüsselkategorie Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten wurde durch Interviewsequenzen von vier Printmedienproduzenten (PM 4, PM 5, PM 6 und PM 7) rekonstruiert. Dabei handelt es sich schwerpunktmäßig um Mitglieder von Pressesystem II. Pressesystem I ist jedoch in Form von PM 4 und auf Kooperationsbasis durch PM 5 vertreten. Es lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass die Produktion aller hier zusammengestellten Printmedienprodukte in Deutschland vorgenommen wird.407 Allen Unternehmen gemeinsam ist in diesem Kontext, dass sie sich eine Kooperation wünschen bzw., wie in den meisten Fällen, ihre unternehmerische Tätigkeit auf einer Kooperation basiert. Unterschiedlich sind dabei ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen mit außen stehenden Printmedienunternehmen. Die Printmedienproduzenten der Dimension »offen für Kooperation« differenzieren nach Pressesystem I und II. Dabei sehen sich die Vertreter von Pres406 | Vgl. J.Z. Z. 185ff. 407 | Eine Ausnahme bildet hier PM 5. Der türkischsprachige Teil der Zeitung wurde vom türkischen Kooperationspartner in der Türkei erstellt.
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sesystem II existentiell von Pressesystem I bedroht. Die einen (PM 6) schildern Bedrohungsszenarien, die sowohl auf die eigene Person als auch auf das Printmedium gerichtet waren. Der Interviewpartner von PM 7 schildert sehr emotional sein Hadern mit der bewussten Ignoranz seitens Pressesystems I.
IV.3 K ONSTRUK TION EINER T YPOLOGIE In Kapitel IV.3 erfolgt nun der dritte Teil der Empirie, in dem es darum geht, die Forschungsergebnisse aus den thematischen Vergleichsanalysen in Kapitel IV.2. auf eine nächst höhere Abstraktionsebene zu übertragen, um daraus eine Typologie zu erstellen. Im Prozess der Erstellung einer empirisch begründeten Typologie führen Fallvergleiche und Fallkontrastierungen dazu, wesentliche Gemeinsamkeiten und Differenzen der Fälle aufzuzeigen, anhand derer sich diese dann zu Typen zusammenfassen lassen.408 »Diese Typen können dann anhand der zuvor erarbeiteten Vergleichsdimensionen charakterisiert werden.«409 Die thematische Vergleichsanalyse stellt somit die grundlegende Basis für die Konstruktion der Typologie dar. Theoretisch wird die Ebene des Typs so konstruiert, dass eine »interne Homogenität« vorherrscht. Auf der Ebene der Typologie unterscheiden sich diese voneinander, man spricht von einer »externen Heterogenität«.410 Die Einteilung in Gruppen soll dabei nicht nur der Beschreibung der Typen dienen sondern im Idealfall heuristisch erklären, über die Deskription hinaus, und damit einen Ansatz zu einer möglichen Hypothesenbildung liefern.411 Der Typ, der sich im Zuge der Fallkontrastierung entwickelt, beschreibt dabei die »übergreifende Struktur«412 eines Typs. Wie schon in Kapitel III.3 beschrieben, stütze ich mich in meiner weiteren Vorgehensweise auf das typenbildende Verfahren von Kelle und Kluge, die ein vierstufiges Modell der empirischen Typenbildung entwickelt haben.413 Der erste Arbeitsschritt sieht die »Erarbeitung relevanter Vergleichsstrukturen« vor. Damit sind die Erstellung der thematischen Vergleichsanalyse und die Ausarbeitung der Dimensionalisierung gemeint, was bereits in Kapitel IV.2 erfolgte. Es folgt Schritt zwei, in dem eine »Gruppierung der Fälle und Analyse empirischer Regelmäßigkeiten« vollzogen wird. In diesem Arbeitsschritt werden die Fälle nach Vergleichsdimensionen gruppiert. Hilfestellung bietet in diesem Stadium die Erstellung einer Mehrfeldtafel, um einen Überblick über die 408 | Vgl. Kelle, Udo/Kluge, Susann (1999), S. 75. 409 | Ebd. S. 77. 410 | Vgl. ebd. S. 78. 411 | Vgl. ebd. S. 80f. 412 | Vgl. ebd. S. 76. 413 | Vgl. ebd., S. 81f.
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»potentiellen Kombinationsmöglichkeiten« zu erhalten. Dies ist auch die Schnittstelle von der Dimensionalisierung zur Typisierung, d.h. es wird hier die Ebene der fallimmanenten Vergleichsdimension aufgebrochen, das Material wird reduziert.414 An diesem Punkt setzt Arbeitsschritt drei an, in dem es übergangslos um die »Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge und die Typenbildung« geht. Dieser Vorgang geht über die reine Deskription der erarbeiteten Typen hinaus in eine Analyse über, in der inhaltliche Sinnzusammenhänge zwischen den Fällen aufgedeckt werden. In diesem Stadium wird ein inhaltlicher Vergleich sowohl innerhalb der einzelnen Gruppen als auch zwischen den Gruppen vorgenommen. »Es wird nach weiteren Unterschieden (zwischen den Gruppen) und Ähnlichkeiten (innerhalb der Gruppen) gesucht.«415 Es folgt abschließend die »Charakterisierung der gebildeten Typen«416. Die Charakterisierung des Typs und auch dessen letztendliche Benennung erfolgt in diesem Forschungskontext durch die Erstellung eines »repräsentativen Prototyps«. Dieser Ansatz bietet sich an, weil die drei hier konstruierten Typen ein relativ homogenes Bild abgeben und sich auch stark untereinander abgrenzen. In diesem Sinn wird innerhalb jeder Gruppe ein realer Fall prototypisch vorgestellt. Dieser Fall soll die Eigenschaften besitzen, die den Typ möglichst genau charakterisieren. Neben der Herausstellung der charakteristischen Merkmale eines Typ werden hier auch auftretende Abweichungen aufgezeigt. Nach von Zerssen handelt es sich dabei um die Veranschaulichung eines Typs »im Sinne eines konkreten Musterstücks«, wobei der Prototyp nicht der Typ ist sondern diesem entspricht.417
IV.3.1 Gruppierung der Fälle und Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge In diesem Kapitel werden die Arbeitsschritte zwei und drei der Konstruktion einer empirisch begründeten Typologie nach Kelle und Kluge zusammengefasst. Auf der Basis der in Kapitel IV.2 erarbeiteten Vergleichsdimensionen lassen sich mit Hilfe einer erstellten Mehrfeldtafel 1 (Tabelle 13) die unterschiedlichen Dimensionen der Schlüsselkategorien fallimmanent in einer Übersicht darstellen. In Mehrfeldtafel 1 werden im Folgenden die empirisch vorgefundenen Kombinationen der Schlüsselkategorien in ihren unterschiedlichen Dimensionen dargestellt. Deutlich wird hier, in welcher Frequenz und in welcher Kombination die Dimensionen vorhanden sind, ob es zu Überschneidungen kommt und welche Kombinationen überhaupt nicht existent sind. 414 | Vgl. ebd. S. 86. 415 | Ebd. S. 93. 416 | Vgl. ebd. S. 94. 417 | Vgl. Zerssen, Detlev von (1973), S. 53 (nicht im Verzeichnis) und S. 131 aus: Kelle/Kluge (1999), S. 94f.
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Tabelle 13: Mehrfeldtafel 1 zur Kombination der Schlüsselkategorien in ihren unterschiedlichen Dimensionen PMP
SK 3 SK 2 SK 1 Arbeitspro- Originäres Unternehfessionalität Interesse mensstrategie auf M II
SK 4 Zielgruppenwahrnehmung
SK 5 Verhältnis zu anderen PMP
PMP 1
A
A
A
A
A
PMP 2
B
A
A
A
A
PMP 3
A
B
B
B
A
PMP 4
A
B
B
B
B
PMP 5
C
B
C
C
B
PMP 6
C
C
C
C
B
PMP 7
C
C
C
C
B
PMP 8
C
B/C
B/C
C
B
In Tabelle 13 wird ersichtlich, in welcher Kombination die Schlüsselkategorien in ihren unterschiedlichen Dimensionen im Forschungskontext vertreten sind. Es ergeben sich relativ deutlich drei Gruppierungen, in denen die Printmedienproduzenten einen hohen Grad an homogenen Merkmalsausprägungen (Dimensionen) aufweisen. Von den acht in die Untersuchung einbezogenen Printmedienproduzenten (PMP) repräsentieren zwei (PMP 1 und PMP 2) die erste Gruppe, zwei Printmedienproduzenten (PMP 3 und PMP 4) die zweite Gruppe und vier Printmedienproduzenten (PMP 5, PMP 6, PMP 7 und PMP 8) die dritte Gruppe. Dieser Verteilungsschlüssel sagt jedoch nichts über die tatsächliche Häufigkeit der auf M II befindlichen Printmedientypen aus. Es geht hier allein um die Frage, welcher Typ von Unternehmen auf M II präsent ist und durch welche wesentlichen Eigenschaften sich diese charakterisieren. Zu diesem Zweck werden die Ergebnisse aus Tabelle 13 noch einmal zusammengefasst und reduziert sowie in Tabelle 14 veranschaulicht. Es ergibt sich eine Übersicht über die Gruppierung der Printmedienproduzenten nach Typ, in Kombination mit den für sie relevanten Dimensionen. Darin lässt sich deutlich ablesen, dass sich die Typen durch die ihnen zugeschriebenen Dimensionen relativ stark voneinander abgrenzen und sie sich zu autonomen Typen mit einigen wenigen Überschneidungen418 konfigurieren.
418 | Die Überschneidungen werden in Kapitel IV.3.1.4 näher beschrieben.
T EIL IV: E MPIRISCHE A USWERTUNG
Tabelle 14: Mehrfeldtafel 2 zur Gruppierung der PMP nach Typen in Kombination mit den für sie relevanten Dimensionen Typ
SK 1
SK 2
SK 3
SK 4
SK 5
Typ 1
A/B
A
A
A
A
Typ 2
A
B
B
B
A/B
Typ 3
C
B/C
B/C
C
B
Im Folgenden werde ich die drei Typen inhaltlich analysieren und dabei nach Gemeinsamkeiten und Differenzen innerhalb eines Typs suchen. Daran anschließend erfolgt ein Vergleich zwischen den Typen, in dem es darum geht, die Unterscheidungsmerkmale der drei Gruppierungen zu erarbeiten und Bezüge zwischen existenten bzw. nicht existenten Beziehungen zwischen den Typen zu erörtern.
IV.3.1.1 Analyse von Typ 1 Tabelle 15: Typ 1 und die ihm zugeordneten Dimensionen Typ 1 »die Professionellen«/»die Semi-Professionellen«
SK 1
»die politisch-kulturell Motivierten«
SK 2
»die Strategielosen«
SK 3
»ambivalente Außenansicht«
SK 4
»ambivalentes Konkurrenzverhalten«
SK 5
Typ 1 repräsentiert zwei Printmedienproduzenten aus dem Sample, deren Dimensionen, außer in Schlüsselkategorie 1, Kongruenz aufzeigen. Typ 1 entspricht einem Printmedienproduzenten, der primär auf Medienmarkt I (türkischer Medienmarkt) verankert ist und Medienmarkt II (deutsch-türkischer Medienmarkt) als Nischen- bzw. Zusatzmarkt betrachtet. Auf der Ebene der Arbeitsprofessionalität ist er ein professionell-semi-professionell agierender Printmedienproduzent. Die Einschränkung der semi-professionellen Arbeitsprofessionalität ergibt sich allein durch den Umstand, dass ein auf M I unter professionellen Bedingungen agierender PMP dies aufgrund fehlender ökonomischer Ressourcen auf M II nicht übertragen kann. »die Professionellen« verfügen über eine klar definierte Aufgaben- und Kompetenzverteilung innerhalb ihrer Redaktionen und gewährleisten zudem durch ein hinreichend ökonomisches Potential ein technisch und personell effizientes Agieren ihrer Produktionsstätten. Ihre Arbeitsweise und ihre technischen und personellen Unternehmensstrukturen
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gewährleisten die notwendigen Voraussetzungen für ein am Markt orientiertes Produzieren und ermöglichen somit prinzipiell eine ökonomisch orientierte journalistische Produktion. Typ 1 ist in der Schlüsselkategorie Originäres Interesse auf Medienmarkt II unter der Dimension »die politisch-kulturell Motivierten« verortet. Typ 1 wird primär durch politisch-kulturelle Motive aber auch durch allgemeine globale und internationale Marketinginteressen geleitet. Aus einer Art »Bürgerpflicht« heraus sehen sie sich als Vermittler kultureller Werte und sprachlicher Kompetenzen. Diese Haltung veranlasst PMP 1 auch dazu, als Sprachrohr und Fürsprecher der Zielgruppe zu agieren. Der Dienst am Bürger festigt die kulturelle und sprachliche Kompetenz der Zielgruppe und ermöglicht ihnen eine »türkische Sicht der Dinge«. Die politisch-kulturelle Komponente beinhaltet zudem den Wunsch, durch die Präsenz auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt im internationalen Kontext eine Imageverbesserung von Produkt und Nation zu erzielen. Die ökonomischen Interessen auf M II werden gegenwärtig als sekundär bis irrelevant bezeichnet. In Bezug auf Schlüsselkategorie 3, der Unternehmensstrategie, steht Typ 1 für die Dimension »die Strategielosen«. In diesem Kontext ist Typ 1 prinzipiell in der Lage, seine Beziehung zur potentiellen Rezipientengruppe auf M II kritisch zu reflektieren, verharrt jedoch abwartend in dieser Position. Dies ist nicht als eigenständige Strategie zu bezeichnen, sondern beschreibt einen Akt der Hilflosigkeit bzw. der Unentschlossenheit. Es besteht im Unternehmen keine adäquate Unternehmensstrategie, um den zukünftigen Herausforderungen auf M II erfolgreich zu begegnen. Die Gründe für das Fehlen einer entsprechenden unternehmerischen Strategie sind different, sie führen jedoch letztendlich zu einer Haltung des »von einen Tag in den anderen zu leben«. Die ambivalente Sichtweise von Typ 1 auf die Zielgruppe liegt darin begründet, dass noch keine Konvergenz zwischen der wahrgenommenen wachsenden Entfremdung zwischen türkischen Printmedienproduzenten und der Zielgruppe (TBiD) und der daraus zu ziehenden unternehmerischen Handlungsstrategie erfolgt ist. Aus einer Außenperspektive wird eine wachsende Entfremdung zwischen Produzenten und Rezipienten festgestellt, diesem Abkopplungsprozess wird jedoch stärker mit Resignation und Handlungsstarre begegnet. Das Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten von Typ 1 auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt zeichnet sich durch ein »ambivalentes Konkurrenzverhalten« aus. Typ 1 geht dabei so vor, dass er sich auf M II eine selbst zugewiesene Sonderrolle konstruiert, um darauf basierend bestehende Konkurrenzverhältnisse als für die eigene Arbeit irrelevant darzustellen. Einerseits möchte sich Typ 1 mit der Konkurrenz auf dem Markt nicht auseinandersetzen, andererseits kann sich dieser Unternehmertyp von den Realitäten auf dem Markt nicht gänzlich distanzieren. Zuvor negierte Konkurrenzbeziehungen werden durch reale Konkurrenzbeschreibungen kontrakariert. Eine unternehmensinterne Kooperation ist üblich, eine Kooperation mit Pressesystem I und Pressesystem II besteht nicht. Auffallend ist, dass Typ 1 nur Pressesystem
T EIL IV: E MPIRISCHE A USWERTUNG
I als eigentlichen Konkurrenten wahrnimmt und Pressesystem II in diesem Kontext komplett ausblendet. Typ 1 entspricht somit einem Printmedienproduzenten, der vom türkischen Printmedienmarkt eine Markterweiterung auf den deutsch-türkischen Printmedienmarkt vornimmt, sein/e Produkt/Produkte durch eine professionelle bis semi-professionellen Arbeitsweise erstellt. Seine Marktpräsenz auf M II ist primär von politischen-kulturellen Motiven geprägt. Typ 1 weist keine Unternehmensstrategie vor, die erkennen lässt, dass er sich auf die spezifischen Bedingungen des Marktes einlassen möchte. Der Blick auf die Zielgruppe erfolgt durch eine ambivalente Außenperspektive, die durch eine ambivalente Auseinandersetzung mit der Konkurrenz vor Ort ergänzt wird.
IV.3.1.2 Analyse von Typ 2 Tabelle 16: Typ 2 und die ihm zugeordneten Dimensionen Typ 2 »die Professionellen«
SK 1
»die ökonomisch-integrativ Motivierten«
SK 2
»die ökonomischen Strategen«
SK 3
»re-aktive Innenansicht«
SK 4
»ambivalentes Konkurrenzverhalten«/ »offen für Kooperation«
SK 5
Typ 2 repräsentiert zwei Printmedienproduzenten aus dem Sample, dessen Dimensionen, mit Ausnahme von Schlüsselkategorie 5, kongruent sind. Typ 2 entspricht ebenfalls einem Printmedienproduzenten, der primär auf Medienmarkt I (türkischer Medienmarkt) verankert ist und Medienmarkt II (deutschtürkischer Medienmarkt) als Nischen- bzw. Zusatzmarkt betrachtet. Auf der Ebene der Arbeitsprofessionalität ist er ein professionell agierender Printmedienproduzent. »die Professionellen« verfügen, wie zuvor aufgeführt, über eine klar definierte Aufgaben- und Kompetenzverteilung innerhalb ihrer Redaktionsräume und gewährleisten zudem durch ein hinreichend ökonomisches Potential ein technisch und personell effizientes Agieren ihrer Produktionsstätten. Ihre Arbeitsweise und ihre technischen und personellen Unternehmensstrukturen gewährleisten die notwendigen Voraussetzungen für ein am Markt orientiertes Produzieren und ermöglichen somit prinzipiell eine ökonomisch orientierte journalistische Produktion. Typ 2 bezieht sein Originäres Interesse auf Medienmarkt II aus einer ökonomisch-integrativ motivierten Haltung. Trotz allgemein sinkender Auflagenzahlen auf M II formuliert Typ 2 ein dezidiertes ökonomisches Interesse. Er hat erkannt, das M II ökonomisches Potential besitzt. Dieses lässt sich aber nur abschöpfen, wenn die Zielgruppe langfristig an ihr Produkt
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T ÜRKISCHE P RESSE IN D EUTSCHL AND
gebunden werden kann. An dieser Stelle tritt die zweite tragende Motivationskomponente bei Typ 2, die Betonung integrationspolitischer Aspekte, hinzu. Damit verbunden ist die Strategie, den Perspektivwechsel der Zielgruppe inhaltlich stärker zu stützen und diesen auch personell mehr in die Redaktionen hineinzutragen, um sich dem Lesebedürfnis der TBiD anzunähern. In Bezug auf Schlüsselkategorie 3, der Unternehmensstrategie, steht Typ 2 für die Dimension »die ökonomischen Strategen«. Er ist der Auffassung, dass M II für ein Unternehmen grundsätzlich ökonomische Perspektiven bietet, sich diese aber nur durch neue Strategien erarbeitet lassen. Im Zusammenspiel mit anderen unternehmensinternen Medienprodukten ergeben sich auf diese Weise durch Verbundvorteile Synergieeffekte. In diesem Sinn entwickelt Typ 2 unterschiedliche Strategien, um seine beiden Zielgruppen, den Werbe- und den Rezipientenmarkt, an sich zu binden. Die Zielgruppenwahrnehmung durch Typ 2 ist als eine »re-aktive Innenansicht« zu bezeichnen. Das zentrale Element dieser Dimension basiert dabei auf der Einsicht, dass ein Produkt einen Markt braucht, der möglichst umfangreich abgeschöpft werden soll. Zu diesem Zweck definiert Typ 2 seine Rezipienten unter einem möglichst großen gemeinsamen Nenner. Dieser besteht dabei aus der gemeinsam genutzten türkischen Sprache und dem gemeinsam erlebten Alltag in Deutschland. Mögliche Differenzierungen religiöser, ethnischer und nationaler Art werden dabei bewusst außen vor gelassen. Sie re-agieren damit auf einen Prozess, eine Entwicklung. Ihre Strategie im Umgang mit der sich verändernden Zielgruppe basiert gegenwärtig darauf, ein Minimum an vermuteten Gemeinsamkeiten zu einem breiten Fundament zu stilisieren. Typ 2 führt, im Gegensatz zu Typ 1, unternehmensintern einen Diskurs über die sich im Wandel befindliche Zielgruppe und verfügt partiell auch über die notwendige Innenansicht. Typ 2 geht gegenwärtig aber nicht auf eine Segmentierung der Zielgruppe ein, sondern betont die Gemeinsamkeiten stärker, um den Markt aus unternehmerischer Sicht profitabel bedienen zu können. Das Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten auf M II von Typ 2 zeichnet sich primär durch ein »ambivalentes Konkurrenzverhalten« aus. Typ 2 geht dabei so vor, dass er sich auf M II, ebenso wie Typ 1, eine selbst zugewiesen Sonderrolle konstruiert, um darauf basierend bestehende Konkurrenzverhältnisse als für die eigene Arbeit irrelevant darzustellen. Einerseits möchte sich Typ 2 mit der Konkurrenz auf dem Markt nicht auseinandersetzen, andererseits verschließt sich dieser Unternehmertyp den Realitäten auf dem Markt nicht. Das ambivalente Konkurrenzverhalten geht bei Typ 2 über zur Haltung »offen für Kooperation«, die zwar noch nicht in der redaktionellen Praxis Einzug gefunden hat, die jedoch als Bereitschaft signalisiert wird. Dieser Typ grenzt sich von der dezidierten Hinwendung zur Dimension »offene Kooperation« dadurch ab, als das der im Folgenden erörterte Typ 3 existenziell auf einer Kooperation basiert und Typ 2 Kooperationsbereitschaft signalisiert.
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Typ 2 entspricht somit einem Printmedienproduzenten, der vom türkischen Printmedienmarkt eine Markterweiterung auf den deutsch-türkischen Printmedienmarkt vornimmt, sein/e Produkt/Produkte durch eine professionelle Arbeitsweise erstellt und dessen Marktpräsenz auf M II primär von ökonomisch-integrativen Motiven geprägt ist. Typ 2 weist eine ökonomisch orientierte Unternehmensstrategie vor, die überdimensional stark auf dem Werbemarkt fokussiert und eine Vereinheitlichung der Rezipientengruppe anstrebt. Seine Wahrnehmung der Zielgruppe erfolgt durch eine re-aktive Innenansicht und ist primär durch eine ambivalente Auseinandersetzung mit der Konkurrenz vor Ort geprägt, die sich in einem Übergangsstadium befindet und Kooperationsbereitschaft signalisiert, diese jedoch noch nicht umsetzt.
IV.3.1.3 Analyse von Typ 3 Tabelle 17: Typ 3 und die ihm zugeordneten Dimensionen Typ 3 »die Amateure«
SK 1
»die politisch-integrativ Motivierten«/ »die ökonomisch-integrativ Motivierten«
SK 2
»die gescheiterten Strategen«
SK 3
»realistische Innenansicht«
SK 4
»offen für Kooperation«
SK 5
Typ 3 wird durch vier Printmedienproduzenten innerhalb des Untersuchungssamples repräsentiert. PMP 6 und 7 weisen in allen Schlüsselkategorien deckungsgleiche Dimensionen auf, PMP 5 weicht in Schlüsselkategorie 2 von PMP 6 und PMP 7 ab. Printmedienproduzent 8 weicht innerhalb von Schlüsselkategorie 2 und Schlüsselkategorie 3 partiell von den Typ 3 entsprechenden Dimensionen ab. Die Abweichungen weisen dabei auf eine mögliche Weiterentwicklung von Typ 3 hin, denn sie basieren auf einer stärker an ökonomischen Dimensionen orientierten Unternehmensführung, die Typ 3 bisher völlig fehlt. Typ 3 gehört Pressesystem II an, sein Herausgeber besitzt somit einen eigenen deutsch-türkischen Migrationshintergrund. Sein Produkt wird nur auf M II veröffentlicht. Er gibt ein Printmedium heraus, welches eine sehr kurzlebige Marktpräsenz auf M II besitzt. Auf der Ebene der Arbeitsprofessionalität entspricht Typ 3 der Dimension »der Amateure«. Geprägt ist diese Dimension von allgemeinen strukturellen Problemen innerhalb der Redaktionen. Dazu gehören ein fehlendes Personalmanagement, fehlende Arbeitsstrukturen, Kompetenzkonflikte und mangelnde medienökonomische Sachkenntnisse. Hinzu treten unzureichende ökonomische Kapazitäten für die Phase der Marktetablierung. Theoretisch ist das Wissen um Effizienz und Kompetenz im Unternehmen teil-
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weise vorhanden, aufgrund ökonomischer Sachzwänge können diese jedoch letztlich nicht adäquat umgesetzt werden. Typ 3 ist in der Schlüsselkategorie Originäres Interesse auf Medienmarkt II sowohl unter der Dimension die »politisch-integrativ Motivierten« als auch die »ökonomisch-integrativ Motivierten« zu fassen. Das Printmedienprodukt von Typ 3 wird jedoch primär aus politischintegrativen Motiven auf M II herausgegeben. Die Herausgeber besitzen persönlich politisch-integrative Beweggründe zur Neuetablierung eines Printmedienproduktes. Dabei dient ihnen das Printmedium als Kommunikationsplattform zwischen der Minderheiten- und der Mehrheitsgesellschaft. Medieninhalte sollen der Zielgruppe als Wertevermittlungsinstanz dienen, bieten damit Relevanzbezüge zum Leben in der deutschen Gesellschaft und besitzen auch pädagogische Funktion. Die ökonomischen Interessen von Typ 3 sind sekundär bis irrelevant, können jedoch auch stärker im Vordergrund stehen. Hier kommt es dann zu einer Triangulation von politisch-ökonomisch-integrativen Momenten. In Bezug auf Schlüsselkategorie 3, der Unternehmensstrategie, die inhaltlich eng verzahnt mit Schlüsselkategorie 2 ist, steht Typ 3 primär für die Dimension »die gescheiterten Strategen«. Die Etablierung und Konzeptionierung des Printmedienproduktes ist das Kernstück seiner Unternehmensstrategie. Er differenziert sich von den Printmedienprodukten von Pressesystem I durch ein Printmedium mit neuem Profil in Bezug auf Medieninhalt und Sprachnutzung. Das strategische Kernstück der Neuetablierung eines Printmedienproduktes kann auch durch ökonomische Marketingstrategien ergänzt sein. Letztlich repräsentiert Typ 3 jedoch einen gescheiterten Medienproduzenten, der zwar innovativ Beiträge in Bezug auf die inhaltliche und konzeptionelle Entwicklung des Printmedienproduktes einbringt, jedoch als Newcomer oder Quereinsteiger innerhalb der Medienbranche herausgeberische Kernkompetenzen übernimmt, denen er nicht adäquat nachkommt. Typ 3 nimmt seine Zielgruppe aus der »realistischen Innenansicht« wahr. Darauf basiert die Erkenntnis, dass es sich bei der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland (TBiD) nicht um eine homogene Zielgruppe handelt und deshalb auch nur Teilsegmente dieser angesprochen werden können. Dieser Erkenntnis ging ein Reflektions- und Analyseprozess voraus, der aus der Innenansicht erfolgt. Im Mittelpunkt ihres herausgeberischen Interesses stehen dabei die Angehörigen der dritten Generation der TBiD, in Deutschland sozialisierte türkischstämmige Menschen, die vorzugsweise auf deutsch rezipieren und der bildungsnahen Schicht angehören. Der Segmentierung der Zielgruppe vorausgegangen ist für Typ 3 ein eingeleiteter Abkopplungsprozess zwischen der TBiD und der Türkei bzw. den türkischen Printmedien aus der Türkei (Pressesystem I). Dem wiederum ist ein veränderter Identitätsprozess der TBiD vorausgegangen, den Pressesystem I aus unterschiedlichen Gründen nicht hinreichend mit trägt. Typ 3 stellt daher die zukünftige Funktion von Pressesystem I auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt grundsätzlich in Frage. Sein Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten auf M II ist durch eine Haltung geprägt,
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die offen für Kooperation ist. Im Gegensatz zu Typ 2 ist dies keine Absichtsbekundung. Allen Unternehmen unter Typ 3 ist in diesem Kontext gemein, dass ihre unternehmerische Tätigkeit auf einer Kooperation basiert. Typ 3 differenziert stark zwischen Pressesystem I und II. Dabei sehen sie sich, als die Vertreter von Pressesystem II, existentiell von Pressesystem I bedroht. Typ 3 entspricht somit einem Printmedienproduzenten, der sein Printmedienprodukt nur auf M II herausgibt. Charakteristisch ist dabei seine kurze Marktpräsenz. Seine Arbeitsprofessionalität wird durch die Charakterisierung »des Amateurs« umschrieben und seine Marktpräsenz auf M II ist primär politisch-integrativ motiviert, wird teilweise aber auch von einer ökonomischen Motivation getragen. Typ 3 ist ein innovativer aber gescheiterter Stratege, der sowohl in seiner Funktion als Unternehmer als auch als Experte im Bereich Medienwirtschaft keine hinreichende Kompetenz aufweist. Produktstrategien können deshalb letztlich durch mangelnde unternehmerische Kompetenzen nicht umgesetzt werden. Typ 3 nimmt seine Zielgruppe aus der »realistischen Innenansicht« wahr, denn seine Akteure sind Bestandteil derer. Er betrachtet die TBiD nicht als homogene Gruppe sondern differenziert nach Generationen und Interessenlagen. Typ 3 ist nicht nur offen für Kooperation, seine unternehmerische Existenz basiert existentiell auf einer Kooperation.
IV.3.1.4 Analyse zwischen den Typen Im Anschluss an die Einzelanalysen der drei Typen erfolgt nun eine Analyse der Unterscheidungsmerkmale zwischen den Typen, in der es darum geht, die Bezüge zwischen den Typen herauszuarbeiten bzw. nicht existente Bezüge zu erörtern. Die drei konstruierten Typen grenzen sich durch eine ihnen charakteristische Kombination von Dimensionen grundlegend voneinander ab. Dennoch kommt es zu Überschneidungen zwischen jeweils zwei Typen. Typ 2 steht sinnbildlich zwischen Typ 1 und Typ 3 und hat gemeinsame Schnittstellen mit diesen. Abbildung 9: Schematische Darstellung der drei Typen auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt
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Die graphische Darstellung in Abbildung 9 veranschaulicht die Schnittmengen, welche die Typen untereinander verbindet. Zwischen Typ 1 und Typ 2 bestehen partielle Überschneidungen innerhalb der Arbeitsprofessionalität (SK 1) und dem Verhältnis zu anderen (SK 5) Printmedienproduzenten. Zwischen Typ 2 und Typ 3 besteht eine partielle Überschneidung bei dem Originären Interesse auf Medienmarkt II (SK 2), der Unternehmensstrategie (SK 3) und dem Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten (SK 5). Zwischen Typ 1 und Typ 3 findet sich jedoch keine direkte Schnittmenge, d.h. diese beiden Typen weisen innerhalb der Schlüsselkategorien keine kongruenten Dimensionen auf und stehen sich in Bezug auf alle relevanten Merkmalsräume die ihre Präsenz auf M II tangieren, diametral gegenüber.419 Im Folgenden werden die Berührungspunkte zwischen Typ 1 und Typ 2, Typ 2 und Typ 3 sowie Typ 1 und Typ 3 expliziert. Tabelle 18: Typ 1 und Typ 2 im Vergleich Typ
SK 1
SK 2
SK 3
SK 4
SK 5
Typ 1
A/B
A
A
A
A
Typ 2
A
B
B
B
A/B
Typ 1 und Typ 2 weisen Schnittstellen im Bereich von Schlüsselkategorie 1 und Schlüsselkategorie 5 vor. Beiden gemeinsam ist, dass sie zu Pressesystem I gehören, damit primär auf dem türkischen Medienmarkt agieren und den deutsch-türkischen Medienmarkt als Nischen- bzw. Zusatzmarkt bearbeiten. Beide Typen produzieren auf M I profilierte überregionale Tageszeitungen unterschiedlicher politischer Ausrichtungen und arbeiten auf M I und größtenteils M II auf einer professionellen Arbeitsebene. Typ 1 weist in Bezug auf Schlüsselkategorie 1 eine Einschränkung auf, da ein Printmedienproduzent (PMP) aufgrund ökonomischer Sachzwänge auf M II nur semi-professionell agieren kann. Die Akteure von Typ 2 waren bis zum Jahr 2000 Bestandteil von Typ 1, veränderten ihr Unternehmensstrategie auf M II aber dahingehend, als das sie ihre Präsenz auf M II stärker durch eine unternehmerische Perspektive betrachten und dadurch gezwungen sind, flexibler auf die Veränderungen des Marktes zu reagieren. Diese Um- bzw. Neuorientierung von Typ 2 wird getragen durch die Schlüsselkategorien 2, 3, 4 und partiell 5. Anders als die Akteure von Typ 1 ist die Präsenz von Typ 2 auf M II primär ökonomisch motiviert. Dabei fokussieren sie auf eine Vergrößerung des Werbemarktes kombiniert mit einer Auflagenerhöhung, die sie durch eine rezipientennähere Berichterstattung erzielen möchten. Eine solche bedingt wiederum eine veränderte Sichtweise der Rezipientengruppe, mit deren Ausdifferenzierungsprozess man sich unternehmensintern auseinandersetzt. Es entsteht ein Printmedienprodukt mit einem 419 | Siehe dazu auch Tabelle 15.
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eigenständigeren Deutschland- bzw. Europaprofil. In Bezug auf Schlüsselkategorie 5 bestehen wieder partielle Überschneidungen zwischen Typ 1 und Typ 2. Ihre Haltung zu anderen Printmedienproduzenten ist geprägt durch ein »ambivalentes Konkurrenzverhalten«, Typ 2 signalisiert aber die Bereitschaft zur Kooperation. Tabelle 19: Typ 2 und Typ 3 im Vergleich Typ
SK 1
SK 2
SK 3
SK 4
SK 5
Typ 2
A
B
B
B
A/B
Typ 3
C
B/C
B/C
C
B
Typ 2 und Typ 3 weisen in SK 2, 3 und 5 partielle Schnittmengen miteinander auf, in Bezug auf SK 1 und SK 4 besitzen sie unterschiedliche Merkmalsausprägungen. Typ 2 gehört Pressesystem I an und Typ 3 konstituiert sich aus Akteuren von Pressesystem II. In der Schlüsselkategorie der Arbeitsprofessionalität (SK 1) stehen sich Typ 2 und Typ 3 diametral gegenüber, die einen agieren unter dem Status der »Professionellen«, die anderen unter dem der »Amateure«. Ein weiteres augenfälliges Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Typen vollzieht sich in der Zielgruppenwahrnehmung (SK 4). Typ 2 nimmt die re-aktive Innenansicht ein, aus pragmatischen Gründen zeigt man sich rezipientenorientiert, geht dabei aber nur soweit, wie unternehmerische Interessen es verlangen. Zu diesem Zweck vereinheitlicht Typ 2 seine Zielgruppe unter einem möglichst großen gemeinsamen Nenner. Die Akteure von Typ 3 hingegen nehmen die realistische Innenansicht auf ihre Zielgruppe ein, gehen von einer bereits erfolgten Segmentierung der Zielgruppe aus und richten sich dementsprechend nur an ein Segment der TBiD. Partielle Schnittmengen zwischen Typ 2 und Typ 3 ergeben sich in Schlüsselkategorie 2 Originäres Interesse auf Medienmarkt II. Typ 2 repräsentiert in dieser die Dimensionen »ökonomischintegrativ Motivierte« und Typ 3 die Dimension »die politisch-integrativ Motivierten«, letztere formuliert aber auch ökonomische Motive. Diese partielle Schnittstelle setzt sich innerhalb von Schlüsselkategorie 3 fort, welche für die Unternehmensstrategie der Printmedienproduzenten steht. Typ 2 repräsentiert hier den »ökonomischen Strategen« und Typ 3 den »gescheiterten Strategen«, doch dieser weist in Ansätzen auch Unternehmensstrategien auf, die bei der Unternehmensgründung erhoben werden, in der Praxis jedoch nicht umgesetzt werden können. Innerhalb von SK 5, Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten, signalisiert Typ 2 die Bereitschaft zur Kooperation mit anderen Printmedienunternehmen, vollzieht diese aber nicht und weist im Kern noch ein ambivalentes Konkurrenzverhältnis auf. Typ 3 hingegen ist nicht nur offen für Kooperation, seine unternehmerische Existenz basiert existentiell auf einer Kooperation.
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Abbildung 10: Zyklusdiagramm der drei Typen
Abbildung 10 zeigt ein Zyklusdiagramm, in welchem das Beziehungsgefüge zwischen Typ 1 und Typ 2 sowie zwischen Typ 2 und Typ 3 dargestellt wird. Auch wenn Typ 3 und Typ 1 in den Schlüsselkategorien keine direkten Schnittstellen aufweisen, tangiert die Existenz des jeweils anderen indirekt auch deren Verlagspolitik. Tabelle 20: Typ 1 und Typ 3 im Vergleich Typ
SK 1
SK 2
SK 3
SK 4
SK 5
Typ 1
A/B
A
A
A
A
Typ 3
C
B/C
B/C
C
B
Zwischen Typ 1 und Typ 3 bestehen in Bezug auf deren Schlüsselkategorien keinerlei Schnittstellen. Ihre Merkmalsausprägungen lehnen sich auch nicht aneinander an, sondern stehen sich diametral gegenüber. Auf einer zeitlichen Achse etablierte sich Typ 1 seit Beginn der türkischen Arbeitsmigration Mitte der 60er Jahre auf M II als ein klassischer Vertreter von Pressesystem I, Typ 3 entwickelte sich in einem zeitlichen Abstand von ca. 35 Jahren dazu. Typ 1 entspricht einem Printmedienproduzenten, der vom türkischen Printmedienmarkt eine Markterweiterung auf den deutsch-türkischen Printmedienmarkt vornimmt sowie sein/e Produkt/Produkte durch eine professionelle bis semi-professionelle Arbeitsweise erstellt. Seine Marktpräsenz auf M II ist primär von politisch-kulturellen Motiven geprägt. Typ 1 weist keine Unterneh-
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mensstrategie vor die erkennen lässt, dass er sich auf die spezifischen Bedingungen des Marktes einlassen möchte. Der Blick auf die Zielgruppe erfolgt durch eine ambivalente Außenperspektive, die durch eine ambivalente Auseinandersetzung mit der Konkurrenz vor Ort ergänzt wird. Typ 3 entspricht einem Printmedienproduzenten, der sein Printmedienprodukt nur auf M II herausgibt; charakteristisch ist dabei seine kurzlebige Marktpräsenz. Seine Arbeitsprofessionalität wird durch die Charakterisierung ›des Amateurs‹ umschrieben und seine Marktpräsenz auf M II ist primär politisch-integrativ motiviert, wird teilweise aber auch von einer ökonomischen Motivation getragen. Typ 3 ist ein innovativer aber gescheiterter Stratege, der sowohl in seiner Funktion als Unternehmer als auch als Experte im Bereich der Medienwirtschaft keine hinreichende Kompetenz aufweist. Produktstrategien können deshalb letztlich durch mangelnde unternehmerische Kompetenzen nicht umgesetzt werden. Typ 3 nimmt seine Zielgruppe aus der »realistischen Innenansicht« wahr, denn seine Akteure sind Bestandteil derer. Er betrachtet die TBiD nicht als homogene Gruppe sondern differenziert nach Generationen und Interessenlagen. Typ 3 ist offen für Kooperation, denn seine unternehmerische Existenz basiert existentiell auf einer Kooperation.
IV.3.2 Der konstruierte Idealtyp Tabelle 21: Der konstruierte Idealtyp Konstruierter Idealtyp »die Professionellen«
SK 1
»die ökonomisch-integrativ Motivierten«
SK 2
»die ökonomischen Strategen«
SK 3
»realistische Innenansicht«
SK 4
»offen für Kooperation«
SK 5
Der im vorliegenden Forschungskontext konstruierte Idealtyp eines Printmedienproduzenten ist gegenwärtig auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt nicht existent. Er umfasst alle idealtypischen Merkmalsausprägungen, die ein Produzent ethnischer Printmedien aufweisen sollte, um auf M II langfristig ein markt- und zielgruppenorientiertes Printmedienprodukt herausgeben zu können. Alle drei zuvor skizzierten Typen weisen in der Praxis Merkmale auf, die ihrer Präsenz auf M II erklären aber gleichzeitig auch destabilisierende Elemente erkennen lassen. Im Fall von Typ 3 sind die destabilisierenden Elemente so dominant, dass keine längere Marktpräsenz entwickelt werden kann. Es wird deutlich, dass jeder Typ für sich Stärken und Schwächen besitzt. In der Konstruktion des Idealtyps verdichten sich die positiven Eigenschaften und Merkmalsausprägungen der hier vorgefundenen Typen. Der Idealtyp steht für ein vir-
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tuelles Printmedienunternehmen, welches als privatwirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen auf die Besonderheiten des deutsch-türkischen Medienmarktes eingehen kann. Das bedeutet, dass es die Eigenheiten des Rezipienten- und des Werbemarktes kennt, flexibel und innovativ genug ist, auf deren Veränderungen zeitnah und professionell zu reagieren, wirtschaftlich unabhängig ist und eine Kooperationsaffinität mit anderen Medienproduzenten aufweist, um einen offenen Informationstransfer im transnationalen wie auch im internationalen Kontext, zwischen Mehr- und Minderheitengesellschaft, zu gewährleisten. In diesem Sinn handelt es sich beim Idealtyp um einen professionell agierenden Printmedienproduzenten, dessen originäres Interesse auf Medienmarkt II ökonomisch-integrativ motiviert ist und dessen Unternehmensstrategien sich grundsätzlich an ökonomischer Produktivität orientieren, um eine langfristige Marktpräsenz zu etablieren. Der Idealtyp richtet seinen Blick aus einer realistischen Innenansicht auf die Zielgruppe, in diesem Sinn konstituieren sich die Printmedienproduzenten größtenteils aus der Gruppe der Rezipienten. Zudem weist er eine hohe Kooperationsbereitschaft auf, im Idealfall würde eine solche Kooperation aus einer Zusammenarbeit von mindestens zwei Produzenteneinheiten bestehen. Das professionelle Know-how und die technischen Voraussetzungen sollten durch einen etablierten türkischen Printmedienproduzenten und/oder deutschen Printmedienproduzenten gewährleistet sein. Auf der Ebene der Redaktionen sollten Vertreter von Pressesystem II, also Journalisten und Redakteure mit bi-kulturellem deutsch-türkischen Hindergrund inhaltliche und konzeptionelle Entwicklungsrichtlinien maßgeblich bestimmen.
Teil V: Empirische Ergebnisse und theoretische Verknüpfung
V.1 V ORSTELLUNG DER GEBILDE TEN T YPEN DURCH EINEN P ROTOT YPEN Im Folgenden erhalten die Unternehmertypen in einem letzten Arbeitsschritt eine begriffliche Zuschreibung. Anhand eines prototypischen Falles, der aus dem Untersuchungssample ausgewählt wird und der dem Typ am meisten entspricht, werden die einzelnen Typen unter Hinzuziehung besonders relevanter fallimmanenter Zitate noch einmal charakterisiert.
V.1.1 Typ 1: Der phlegmatische Ideologe Der phlegmatische Ideologe ist der Typ, der auf M II am häufigsten anzutreffen ist. Er entspricht einem Printmedienproduzenten, der vom türkischen Printmedienmarkt eine Markterweiterung auf den deutsch-türkischen Printmedienmarkt vornimmt und sein/e Produkt/Produkte durch eine professionelle Arbeitsweise erstellt. Das Printmedium des phlegmatischen Ideologen verfügt über die organisatorische Struktur einer klassischen Tageszeitung.1 Hauseigene Nachrichten- und Bildagenturen und ein international agierendes Korrespondententeam stellen einen jederzeitigen Zugriff auf notwendiges Quellenmaterial sicher. Zur Herstellung der Deutschlandausgabe kooperiert die Redaktion im türkischen Mutterhaus mit der Redaktion der Deutschlandausgabe in Deutschland. Zu diesem Zweck sind sie durch ein Computersystem miteinander verbunden, »damit können auch die Verantwortlichen in Istanbul in jeden Frankfurter Text Einsicht nehmen«2. Der Mantel der Zeitung wird im Mutterhaus in der Türkei hergestellt, die Europaausgabe der Zeitung wird in den Redaktionen der deutschen Repräsentanz angefertigt, im Mutterhaus redigiert und in 1 | Management, Redaktion, Produktion, Marketing, Werbung, Druck und Vertrieb. Siehe dazu: Turow, Joseph (2003), S. 146-168.
2 | F.L. Z. 264f.
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Deutschland gedruckt und vertrieben. Seine Marktpräsenz auf M II ist primär von politischen und kulturellen Motiven geprägt. »Seit wir nach Deutschland gekommen sind und dort produzieren, seit dem bitteren Anfang bis jetzt, war Gewinn nicht unser Hauptmotiv. Im Ausland eine Firma zu haben, das ist für ein Unternehmen wichtig, eine Vertretung zu haben, dort Fahne zu zeigen. Das ist etwas, was die Größe der Einrichtung, des Unternehmens verdeutlicht, was seine Globalität verdeutlicht. Wenn sie heute nach New York gehen, finden sie dort [Printmedium 1], wenn sie nach Kanada gehen, finden sie sie dort; das ist so ein Gefühl. Es gibt sie [Anmerkung der Übersetzerin: Printmedium 1] an vielen solchen Orten. Es ist nicht ökonomisch, sie dort hinzubringen, aber dies können sie vom Allgemeingewinn absorbieren, das können sie wettmachen« 3
Die politische Motivation des phlegmatischen Ideologen wird durch den Aufruf des Chefredakteurs zur »Parallelwahl« in einer türkischen Zeitung demonstriert. »Wir haben gesagt, wenn ihr in Deutschland durch eine Wahl eure Stimme nicht äußern könnt, dann geben wir euch als [Printmedium 1] das Recht dazu. Bitte schön, nutzt euer Stimmrecht. Hinterher veröffentlichen wir das Ergebnis der türkischen Stimmen…es war eine rege Teilnahme. Diese Zeitungen liegen noch immer in unserem Archiv. Wir haben das Ergebnis dort veröffentlicht. In der Wahl der Deutschen hat Kohl gewonnen aber in unserer Wahl waren mit großer Mehrheit die Sozialdemokraten führend« 4 »Natürlich haben wir hier eine Aufgabe. Was ist unsere Aufgabe? Wir wollen die Menschen hier sowohl informieren als auch ähm einerseits wollen wir die Nachrichten die Türkei betreffend überbringen und gleichzeitig natürlich die bestehende Verbundenheit erhalten…Ohne Zweifel haben wir solch eine Aufgabe, die türkische Sprache, das heißt Türkisch und dann das Weiterleiten der türkischen Sprache und der türkischen Kultur, ich sage nicht das Bewahren« 5
Der phlegmatische Ideologe weist keine Unternehmensstrategie vor, die erkennen lässt, dass er sich auf die spezifischen Bedingungen des Marktes einlassen möchte. »Ob sich diese Kinder tatsächlich alle von der Türkei trennen werden, dass ist so eine Frage, eine Frage ohne Antwort.«6 Die Zukunft ist noch offen, die Unsicherheit, wie sich die Lesergruppe entwickeln wird, groß. Deshalb werden
3 | F.L. Z.636ff. 4 | F.L. Z. 554ff. 5 | B.L. Z. 521ff. 6 | F.L. Z. 981ff.
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auch keine konkreten Maßnahmen eingeleitet. Sein Kollege B.L. äußert sich zu gleicher Thematik dezidierter: »es gibt kein Konzept, aber das ist nicht nur für [Printmedium 1], sondern für alle türkischen Zeitungen gültig. Wir leben von einem Tag auf den anderen. …Soweit ich das beurteilen kann, gibt es keine Strategie, die eine bessere Zeitung in 10 oder 20 Jahre beabsichtigt oder welche die gegenwärtigen Auflagen halten will…meiner Meinung nach müsste man zuerst herausfinden, was die dritte und vierte Generation überhaupt will… Was erwartet die junge türkische Generation in Europa von uns? Das müssen wir zuerst raus finden, da liegt das Defizit«7
Eigene Defizite werden erkannt, doch es werden keine entsprechenden Handlungskonsequenzen daraus gezogen. Der Blick des phlegmatischen Ideologen auf die Zielgruppe erfolgt durch eine ambivalente Außenperspektive. »Die Zweite und dritte Generation kommt und es gilt eine Verbindung mit ihnen aufzubauen« 8 »die junge Generation ist natürlich eine Generation, die stärker von den dortigen Einflüssen berührt wird, als die erste Generation. Ich spreche von der Generation, die dort geboren, aufgewachsen und ganz mit der dortigen Sprache dort [Anmerkung der Übersetzerin: in Deutschland] aufgewachsen ist. Natürlich ist es nicht so leicht mit ihnen eine Verbindung aufzunehmen, wie mit der ersten Generation. Die Aufmerksamkeit der ersten Generation war viel stärker auf die Türkei gerichtet; sie wurden von den Ereignissen in der Türkei beeinflusst, sie verfolgten die Politik der Türkei« 9
Im Gegensatz dazu steht folgende Textstelle: »Jemand aus der Türkei kann sie nicht verstehen, kann ihre Welt nicht verstehen, kann ihre Gefühlswelt nicht kennen. Das gilt für viele Dinge.«10 Er erkennt hier ganz deutlich die Problematik. Kommunikation kann nur erfolgen, wenn man die Gesellschaft für die und über die man schreibt, von »innen« heraus kennt. Er differenziert in diesen Interviewsequenzen zwischen den Türken in der Türkei und der TBiD. Ergänzt wird diese Haltung durch ein ebenfalls ambivalentes Konkurrenzverhalten gegenüber anderen Printmedienproduzenten auf M II. Der phlegmatische Ideologe konstruiert sich in diesem Kontext eine selbst zugewiesene Sonderrolle, um darauf basierend bestehende Konkurrenzverhältnisse als für die eigene Arbeit irrelevant darzustellen. Diese Haltung wird von den Interviewpartnern im Interviewver7 | B.L. Z. 472ff. 8 | F.L. Z. 843f. 9 | F.L. Z. 860ff. 10 | F.L. Z. 912ff.
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lauf jedoch nicht konsequent eingehalten. Seine Marktpositionierung verleiht der Zeitung eine Art Sonderstatus. Der phlegmatische Ideologe sieht sein Printmedium in Deutschland in keinerlei Konkurrenz zu den anderen türkischen Zeitungen. »[Printmedium 1] steht nur mit sich selbst in Konkurrenz, sie konkurriert nur mit sich selbst. Kurz gesagt, wie kann ich eine noch bessere Tageszeitung herstellen…was die Auflage angeht, so ist sie in Deutschland ohne Konkurrenz…aus diesem Grund sehe ich in Deutschland für [Printmedium 1] keine Konkurrenz« 11
Diese Aussage steht einer zuvor geäußerten Einschätzung innerhalb eines anderen Themenkontextes diametral gegenüber. »Besonders [Printmedium 1] liegt kurz gesagt in einem Wettstreit mit den anderen Zeitungen. Die anderen Zeitungen möchten [Printmedium 1] natürlich auch in Bedrängnis bringen, sie möchten das, wer möchte das nicht? Jeder möchte seinen Marktanteil vergrößern, das ist wirklich ein ernster Medienwettstreit. Aber dieser Wettstreit wird meiner Meinung nach sehr ehrlich geführt, innerhalb der türkischen Presse in Europa. Jeder geht seinen eigenen Weg, möchte seine Leser, seine eigene Zielgruppe hervorbringen. Ich bin für einen solchen Wettstreit, ich bin für einen ehrlichen Wettstreit… die anderen Zeitungen halten sich auch an dieses Prinzip, anstatt sich gegenseitig mit Schmutz zu bewerfen, geht jeder seiner eigenen Arbeit nach. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung«12
Dieser Interviewausschnitt verdeutlicht, dass sich der phlegmatische Ideologe trotz seiner selbst konstruierten Sonderrolle deutlich auch als Konkurrenzprodukt zu den übrigen türkischen Printmedienprodukten abgrenzt.
V.1.2 Typ 2: Der flexible Pragmatiker Der flexible Pragmatiker entspricht ebenfalls einem Printmedienproduzenten, der vom türkischen Printmedienmarkt eine Markterweiterung auf den deutschtürkischen Printmedienmarkt vornimmt. Der flexible Pragmatiker entwickelt sich aus dem phlegmatischen Ideologen. Er sucht nach Möglichkeiten, sein marktfremdes Verhalten zu überwinden, um seine Existenz auf M II auch langfristig zu sichern. Sein/e Produkt/Produkte werden ebenso wie beim phlegmatischen Ideologen durch eine professionelle Arbeitsweise erstellt. Für die Europaausgabe des flexiblen Pragmatikers sind zwölf Personen nur mit redaktionellen und bürotechnischen Dingen beschäftigt. Hinzu kommt das Personal für die haus11 | B.L. Z. 275ff. 12 | B.L. Z. 246ff.
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eigene Druckerei und die Abonnentenbetreuung.13 N.D. erklärt, dass in neun europäischen Städten jeweils ein Korrespondent für die Zeitung tätig ist, im Hauptstadtbüro arbeiten drei Redakteure. In den einzelnen Bundesländern, in denen viele Türken leben, sind Mitarbeiter eingesetzt, die direkt mit der Zentralredaktion in Deutschland zusammenarbeiten. Zusätzlich arbeitet eine Reihe von freien Mitarbeitern für die Europaausgabe.14 Anders als bei dem Typ phlegmatischer Ideologe scheint es beim Typ flexibler Pragmatiker in Bezug auf den in Europa erstellten Teil keine redaktionelle Weisungsbefugnis aus dem Mutterhaus in der Türkei zu geben. Zudem scheint der Chefredakteur insgesamt eine größere redaktionelle Unabhängigkeit als beim Typ phlegmatischer Ideologe zu genießen, was letztlich auch ein flexibles und reaktives Redaktionieren ermöglicht. Wie zuvor erwähnt, ist die Marktpräsenz des flexiblen Pragmatikers auf M II primär von ökonomisch-integrativen Motiven geprägt. N.D. thematisiert in diesem Zusammenhang zwei Motive für diese unternehmerische Neuorientierung. »Für [Printmedium 3] besitzt die Präsenz auf dem deutschen Medienmarkt eine sehr große ökonomische Dimension, weil die Zahl der werbetreibenden Unternehmen in der Türkei begrenzt ist«15
In der Zukunft plant das Unternehmen, auch den regionalen europäischen Werbemarkt zu erreichen. Insbesondere in die Öffnung dieses Werbemarktes wird seit zwei Jahren intensiv personell und finanziell investiert.16 Der Anzeigen- und Werbesektor erscheint somit der dominante Bereich in der Umsatzstrategie von PM 3 zu sein. Auch T.C. weist darauf hin, dass der Anzeigenmarkt auf M II noch ein großes Potential in sich birgt und in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird.17 Die Werbekunden kommen nicht nur aus Deutschland sondern seit kurzem auch aus der Türkei. »Es sind viele Firmen aus der Türkei, die auf dem europäischen Werbemarkt werben wollen…die ähm (.) in den verdienenden Gurbetcis18 in Deutschland eine Zielgruppe sehen.«19 Zudem ist es ihr Ziel, »die Türken hier [Anmerkung der Übersetzerin: in Deutschland] durch die Hauptprobleme in Europa zu begleiten«20.
13 | Vgl. N.D. Z. 222ff. 14 | Vgl. N.D. Z. 228ff. 15 | N.D. Z. 300ff. 16 | Vgl. N.D. Z. 308ff. 17 | Vgl. T.C. Z. 161ff. 18 | Tr. Gurbetci: dt. der in der Fremde Lebende. 19 | T.C. Z. 164ff. 20 | N.D. Z. 215ff.
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»Wir wollen hier nicht wie die Bild Zeitung oder die Hürriyet sein, wir wollen hier einen noch intellektuelleren Journalismus erstellen, ein Journalismus, der den Schwerpunkt auf die Meinung legt. Die Routinenachrichten können die Menschen auch den Nachrichten oder den deutschen Zeitungen entnehmen; es wird wohl etwas zeitintensiver sein aber wir möchten noch stärker die hiesigen Probleme, sowohl die Ansichten der Türken als auch der Deutschen widerspiegeln und als Lösungswege aufzeigen« 21
In diesem Sinn sollen die Rezipienten zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation und zur Verbesserung ihrer Bildungsbestrebungen aufgefordert werden.22 Der flexible Pragmatiker weist eine ökonomisch orientierte Unternehmensstrategie vor, die überdimensional stark auf dem Werbemarkt fokussiert ist. Zu diesem Konzept gehört eine intensive Marketingaktivität im Bereich der Werbewirtschaft türkischer klein- und mittelständischer Unternehmer, eine Investitionsbereitschaft in das Unternehmen, um sich den Bedürfnissen des Marktes anpassen zu können und die Bereitschaft, zukünftig zielgruppenorientierter vorzugehen und neue Formate zu entwickeln. »Unser Hauptziel in Europa ist es, ich sage nicht in Deutschland, sondern in Europa, die lokalen Unternehmen zu erreichen…darauf liegt unser Schwerpunkt. Dass sind türkische Unternehmen vornehmlich, aus dem Bereich der Nahrungsmittelindustrie, die Reklame vergeben, teilweise auch aus dem Sektor der Textilindustrie und der Küchenindustrie. Aber dies sind keine großen Unternehmen…in Deutschland wollen wir schwerpunktmäßig den Firmenmarkt öffnen« 23
Seit zwei Jahren liegt der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit deshalb auf dem Ausbau des Werbekundensektors. Schritt eins der Strategie sieht vor, durch höhere Einnahmen im Werbesegment Kapital zu erwirtschaften, um es dann in den Ausbau einer kostenintensiveren größeren bilingualen Redaktion zu investieren, um damit eine größere Rezipientennähe zu ermöglichen und langfristig die Auflagen zu wahren bzw. zu steigern. »Im Augenblick sind wir türkischen Zeitungen in Europa dabei, unseren kleinen Anteil des kleinen ökonomischen Kuchens zu wahren und wir beten dafür, dass die [Anmerkung der Übersetzerin: wirtschaftliche] Krise in Deutschland bald beendet ist und Deutschland wieder zu seiner alten Kraft zurück findet« 24
21 | N.D. Z. 273ff. 22 | Vgl. N.D. Z. 215ff. 23 | N.D. Z. 308ff. 24 | N.D. Z. 711ff.
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Er verdeutlicht hier noch einmal die langfristigen ökonomischen Interessen von PM 3 und ist sich darüber im Klaren, dass diese nur durch eine stärkere Fokussierung und Sensibilisierung auf den Rezipientenmarkt verwirklicht werden können. In Bezug auf die Zielgruppenwahrnehmung nimmt der flexible Pragmatiker die re-aktive Innenansicht ein. Zentrale Elemente der Dimension »re-aktive Innenansicht« basieren dabei auf der Einsicht, dass ein Produkt einen Markt braucht, der möglichst umfangreich abgeschöpft werden soll. Diese Vorgehensweise wird realisiert durch eine möglichst breit angelegte Definition der Zielgruppe, die religiöse, ethnische und nationale Berührungspunkte in den Hintergrund stellt und ganz auf die Gemeinsamkeit der türkischen Sprache und des gemeinsam erlebten Alltags in Deutschland fokussiert. N.D. erklärt zur gegenwärtigen Zielgruppenausrichtung wie folgt: »Zu unserer Zielgruppe gehört im Augenblick in Deutschland jeder, der türkisch liest. Eine andere Zielgruppe haben wir nicht. Es gibt unter den Türken Aleviten, Kurden, Türken, Atheisten, ich finde es logisch diese nicht zu unterscheiden, die Türken hier sind alle mit den gleichen Problemen konfrontiert« 25
Er konstruiert hier ganz pragmatisch eine Zielgruppe, die in der Vergangenheit nicht notwendigerweise die anvisierte Zielgruppe war. Das Verhältnis des flexiblen Pragmatikers zu anderen Printmedienproduzenten ist primär durch eine ambivalente Auseinandersetzung mit der Konkurrenz vor Ort geprägt, die sich jedoch stärker als der phlegmatische Ideologe mit den realen Wettbewerbsverhältnissen auf M II auseinandersetzt. »Wir sind hier eigentlich in keinem Wettstreit, ich meine vor uns liegt die Hürriyet, natürlich konkurrieren wir mit ihr, wir versuchen sie zu überholen, aber das heißt nicht, dass wir uns hinsetzen und negative Nachrichten über die Hürriyet schreiben oder diese schlecht machen wollen. Wir kritisieren hier die Dinge, die wir als falsch befinden, auch die Hürriyet. Wir kritisieren auch die deutschen Medien, wenn sie mit Vorurteilen arbeiten….Ich betrachte es als Luxus hier mit den türkischen Zeitungen zu konkurrieren… der Markt ist groß genug, auf diesem Markt hat man die Möglichkeit, sehr bequem zu agieren« 26
N.D. berichtet hier sachlich und offen über die vorhandene Wettbewerbssituation auf M II, möchte aber die Intensität des Wettbewerbs durch die angebliche »Größe des Marktes« mindern bzw. verharmlosen. Nach Einschätzung von T.C. ist die Hürriyet jedoch kein Konkurrent. Die Verkaufszahlen sind ähnlich, die Printmedien sprechen jedoch eine andere Zielgruppe an und besäßen eine 25 | N.D. Z. 513ff. 26 | N.D. Z. 424ff.
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andere journalistische Vorgehensweise.27 Er distanziert sich von den Produkten der Hauptkonkurrenten indem er Ziel und Art und Weise des hauseigenen Journalismus erklärt, um somit einen Vergleich zwischen den beiden Printmedien zu umgehen.
V.1.3 Typ 3: Der innovative Amateur Der innovative Amateur entspricht einem Printmedienproduzenten, der sein Printmedienprodukt nur auf M II herausgibt und von Menschen mit bi-kulturellem deutsch-türkischen Hintergrund etabliert wurde. Charakteristisch ist dabei seine kurzlebige Marktpräsenz. Seine Arbeitsprofessionalität wird durch die Dimension »die Amateure« beschrieben. So bestehen innerhalb der Redaktion keine fest definierten Arbeitsstrukturen. »So können sie nicht sagen, dass die Strukturen irgendwie fest waren oder gut durchdacht waren, sondern es war vielmehr chaotisch.«28 B.P. legt dar, dass es kein ausgearbeitetes Zeitungskonzept gab, die Themen von Ausgabe zu Ausgabe ausgewählt wurden und jedes Redaktionsmitglied die ihm nahe stehenden Themen einbringen wollte. Zudem war er für eine Vielzahl von Aufgaben zuständig: »ich war Verleger, Geldbeschaffer, Problemlöser und Herausgeber«29. Hinzu kam, dass er teilweise auch inhaltlich arbeitete und Übersetzungen anfertigte. B.P. war von der Vielzahl der Aufgaben überfordert und besaß zudem keinerlei verlegerische und journalistische Erfahrung. »Also woher soll ich auch wissen, ich hatte keine Ahnung, was eine verlegerische Tätigkeit betrifft. Ich habe was gemacht, wovon ich keine Ahnung habe. Da passiert einem natürlich (.) erst hinterher habe ich bemerkt, dass Anzeigenakquise ein Beruf ist« 30
Als Geschäftsführer war er auch für den Bereich des Personalmanagement verantwortlich. Personalführung und -entscheidung überforderten ihn, »ja ich müsste das [Anmerkung: Personalentscheidungen] tragen, hab’s aber nicht geschafft«31. Die Marktpräsenz des innovativen Amateurs auf M II ist primär politisch-integrativ motiviert, kann aber auch partiell durch eine ökonomische Motivation ergänzt sein. Der innovative Amateur nimmt in diesem Kontext dezidiert Stellung in Bezug auf seine Motivation zur Herausgabe der Zeitung. »Zu keinem Zeitpunkt habe ich daran gedacht, dass man damit Geld verdient. Das war auch
27 | Vgl. T.C. Z. 233ff. 28 | B.P. Z. 141ff. 29 | B.P. Z. 34f. 30 | B.P. Z. 220ff. 31 | B.P. Z. 203.
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überhaupt nicht das Ziel. Das Ziel war Politik machen.«32 Journalistisches Arbeiten bot ihm die Möglichkeit der persönlichen Meinungsäußerung im öffentlichen Raum, »deshalb habe ich diese Zeitung auch gegründet, ich wollte meine Meinung auch mal geäußert haben«33. Er definiert sein individuelles Ziel der Gründung des Printmediums mit der Möglichkeit, politisch agieren zu können. Das Printmedium gab ihm die Chance der Agitation im öffentlichen Raum und besaß gleichzeitig eine Sprachrohrfunktion von der Minderheiten- zur Mehrheitsgesellschaft. »Was hilft es denn, wenn Hürriyet seitenlang Scheiße dies, ist Scheiße das …Kritik ja und wer hört es? Ja wer hört das denn? Man hört die Migranten nur dann wenn man an die Mehrheitsgesellschaft herangeht. In deren Sprache sie anspricht und dazu hatten wir gute Möglichkeiten. Wir haben es nur nicht gut benutzt ja« 34
Der innovative Amateur ist ein innovativer aber gescheiterter Stratege, der sowohl in seiner Funktion als Unternehmer als auch als Experte im Bereich Medienwirtschaft keine hinreichende Kompetenz aufweist. Seine Unternehmensstrategie ist sozusagen die Etablierung eines neuen Printmedienproduktes. Der innovative Amateur möchte sich durch sein Produktformat, primär durch Medieninhalte und Sprachnutzung, von den klassischen Printmedienprodukten von Pressesystem I absetzen. Er berichtet aus der Position des »gescheiterten Printmedienproduzenten«. »Eigenständige Zeitschriften oder Zeitungen die in Europa entstanden sind, die haben bis jetzt keine Durchbruch geschafft. Also nach wie vor ist der Zeitungsmarkt dominiert von den Europa-Ausgaben der türkischen Zeitungen [I.: Mhm]. Das hat sich nicht geändert. (.)« 35
Der innovative Amateur geht retrospektiv davon aus, das sich der deutsch-türkische Medienmarkt (M II) gegenwärtig in einer Übergangsphase befindet. »Heute versuchen die türkischen Medien auch ein bisschen, sich mehr an den Realitäten der hier lebenden Türken zu orientieren« 36 »sie haben erkannt, dass sie nicht mehr den Einfluss politisch auf die hier lebenden Türken haben, den sie mal vor 30, 40 Jahren hatten (.) und das ihre Politik, nämlich dieses 32 | B.P. Z. 254ff. 33 | B.P. Z. 129f. 34 | B.P. Z. 716ff. 35 | B.P. Z. 474ff. 36 | T.L. Z. 650f.
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komplett Türkei orientierte, folkloristische Geschwafel, darüber hinaus nur Diffamieren, wenn es einem nicht passt, nicht mehr greift. Für mich persönlich ist das eine schöne Entwicklung, weil sie dann gezwungen sind, umzudenken« 37
Der innovative Amateur betrachtet die kurzzeitige Herausgabe der Printmedienprodukte von Pressesystem II nicht nur als isolierte unternehmerische Einzelfälle sondern sieht diese als Bestandteil eines Entwicklungsprozesses, der auch Pressesystem I zu Veränderungen und Neuorientierungen zwingt und damit letztlich die Medienstruktur auf M II nachhaltig beeinflusst. Seine Zielgruppe nimmt der innovative Amateur aus der »realistischen Innenansicht« wahr, denn seine Akteure sind Bestandteil der Zielgruppe. So betrachtet er die TBiD nicht als homogene Gruppe, sondern differenziert nach Generationen und Interessenlagen. Es gibt auch nicht die türkische Community, es besteht keine Einheit. »Es gibt keine türkische Community so wie wir das sagen können, das ist eine jüdische Gemeinde oder Community gibt. Weil das Türkische ist nicht die die Einheit. Wen meinen wir den, wen wollen wir denn? Die Intellektuellen, die Linken, die Kommunisten, die Idealisten, die Rock Pop Kultur mäßig, die Nationalisten? Also es ist nicht die Community. Darum ist das so schwierig, darum war es auch mit [Printmedium 6] so schwierig. Was wir alle unterschätzt haben. Wir dachten, die Community wäre viel größer in Einem, ist sie aber nicht. Das ganze ist so ein Flickenteppich, da muss man wissen, ja für wen?« 38
Der innovative Amateur ist nicht nur offen für Kooperation, seine unternehmerische Existenz basiert darauf. Seine Existenz beruht im Fall des hier vorgestellten Prototypen auf einer Kooperation zwischen einem Vertreter von Pressesystem II, Pressesystem I und einem deutschen Medienproduzenten. Der innovative Amateur fokussiert während der Interviews in Bezug auf das Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten ungewöhnlich stark auf Pressesystem I. Der Verleger fühlte sich durch eine Kampagne einer türkischen Tageszeitung (Pressesystem I) angegriffen und bedroht. »Also, [Printmedium 1] hat eine Kampagne gegen meine Person, gegen [Printmedium 6] gemacht und eine national maoistische Gruppe in der Türkei, die aber sehr viel beachtet wird [unverständlich], also [Printmedium 1] hat über einen seiner Leserbriefe geschrieben, dass ich ein Mann des deutschen Staates wäre. Die haben mich mit einem Türken, der im 2. Weltkrieg Nazi Kollaborateur war, verglichen« 39
37 | T.L. Z. 658ff. 38 | T.L. Z. 592ff. 39 | B.P. Z. 616ff.
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Seiner Ansicht nach sind die türkischen Tageszeitungen daran interessiert gewesen, dass das Zeitungsprojekt (PM 6) nicht gelingt, deshalb ist er solchen Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Nach seinen Schilderungen ist die Beziehung zu Pressesystem I nicht von Konkurrenz geprägt, sondern von offener Anfeindung, welche dazu geführt hat, dass auch die türkische Community keine Unterstützung zeigte.
V.1.4 Empirische Ergebnisse Abbildung 11: Empirische Ergebnisse
Zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung sowie im Rahmen der Stichprobe in der hier vorgestellten Forschungsarbeit, wurde der deutsch-türkische Printmedienmarkt (M II) von drei Unternehmertypen bedient, die sich nicht alle zum gleichen Zeitpunkt etablierten, sondern sich aus der Dynamik ihres spezifischen Marktes entwickelten. Abbildung 11 skizziert das Verhältnis der drei Typen untereinander, sowie die Beziehung zum konstruierten Idealtyp. Alle drei Typen bedienen die gleiche Zielgruppe, agieren jedoch als Produzenten auf unterschiedliche Weise. Typ 1 steht Typ 3 diametral gegenüber; sie besitzen hinsichtlich der Schlüsselkategorien keine Gemeinsamkeiten. Typ 2 steht sinnbildlich zwischen Typ 1 und Typ 3. Der nicht-existente Idealtyp weist Elemente aus allen drei Typen auf. Der phlegmatische Ideologe repräsentiert einen professionell agierenden Medienproduzenten aus der Türkei (Pressesystem I), der den Markt über den längsten Zeitraum bedient und primär türkeiorientierte Printmedienerzeugnisse erstellt. Er besitzt sekundäre bis keine ökonomischen Interessen und zeigt gegenwärtig eine geringe Bereitschaft, sich auf die Erfordernisse des Marktes einzulassen und wartet erst einmal ab. Der flexible Pragmatiker entwickelt sich aus dem Pool der Printmedienproduzenten, die dem Typ des phlegmatischen Ideologen angehören. Auch er gehört
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Pressesystem I an, agiert auf professioneller Basis und verknüpft seine Marktpräsenz auf M II, und das ist eine grundlegende Veränderung in Bezug zum phlegmatischen Ideologen, mit ökonomischen Interessen. Er ist dazu bereit, zielgruppenorientierte Unternehmensstrategien zu entwickeln, richtet seinen Fokus dabei aber auch stark auf die Zielgruppe des Werbemarktes. Der innovative Amateur repräsentiert einen Printmedienproduzenten, der sich seit dem Jahr 2000 auf M II etabliert und lediglich eine kurze Marktpräsenz aufweist. Charakteristisch für ihn ist seine unprofessionelle Arbeitsweise kombiniert mit einer fehlenden ökonomischen Basis. Er ist aber der Printmedienproduzent, der mit seiner Produktetablierung zeitnah auf die Veränderungen des Rezipientenmarktes reagiert, völlig neue Printmedienformate entwickelt und diese praxisnah für alle Akteure auf M II testet. Der innovative Amateur ist somit ein Ideengeber bzw. möglicherweise auch der initiale Grund für die Entstehung des flexiblen Pragmatikers. Über die Kausalität seiner zeitnahen Entstehungsphase lassen die Ergebnisse dieser empirischen Untersuchung nur Vermutungen zu, es ist aber davon auszugehen, dass die kurzzeitige Präsenz des innovativen Amateurs die flexiblen Pragmatiker maßgeblich zu einer Reflektion ihrer klassischen Unternehmenspolitik animierte und Orientierungslinien bot. Seit dem Sommer 2005 ist der letzte Vertreter der innovativen Amateure wieder von M II verschwunden. Seine Marktfunktion als Ideengeber und Dynamo ist damit vorerst erloschen und es zeigen sich erste Merkmale, die die phlegmatischen Ideologen dazu bewägen, kleine halbherzige Ansätze von Zugeständnissen an ein verändertes Mediennutzungsverhalten der Rezipienten zu revidieren.40 Langfristig wird nun nur noch die Etablierung des flexiblen Pragmatikers eine ernsthafte Veränderung des marktdominanten phlegmatischen Ideologen anstoßen können und somit strukturelle Veränderungen auf M II mit sich bringen. Wünschenswert für die Gewährleistung einer Vielfalt von Printmedienprodukten wäre eine stärkere Involvierung der deutschen Printmedienlandschaft in diesen in sich abgeschlossenen deutsch-türkischen Medienmarkt, der zwar Bestandteil des deutschen Printmedienmarktes ist, aber nicht als solcher wahrgenommen wird.
40 | Nach der Sommerpause 2006 entschloss sich die auflagenstärkste türkische Tageszeitung in Deutschland, ihre wöchentliche deutschsprachige Beilage nach vier Jahren Herausgabe wieder einzustellen. Quelle: Telefonische Auskunft für die Forscherin am 19.09.2007 mit einem Mitarbeiter von PM 1 in einem regionalen Redaktionsbüro.
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V.2 E MPIRIE UND THEORIE – EINE V ERKNÜPFUNG Die explizierten Überlegungen im Vorfeld der empirischen Analyse41 basieren auf zwei miteinander verknüpften Elementen, auf deren Grundlage im nun folgenden Kapitel V.2 eine theoretische Auseinandersetzung mit den empirischen Ergebnissen erfolgt. Allen untersuchten Produzenten deutsch-türkischer Printmedien ist gemeinsam, dass sie als privatwirtschaftlich orientierte Medienunternehmen auftreten und sich mit ihrem Produkt an einem Teilsegment des deutschen Rezipientenmarktes, den deutsch-türkischen Medienmarkt, ausrichten. Es stellen sich somit die Fragen, in welcher Weise die untersuchten Unternehmen aus medienökonomischer Sichtweise einzuordnen sind und ob sich daraus eine Sonderrolle für die Produzenten türkischsprachiger bzw. ethnischer Printmedien auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland ableiten lässt. In diesem Kontext zutage tretende Eigenheiten lassen sich anschließend in den theoretischen Gesamtkontext der zuvor erörterten Forschungslage zum Thema Immigrantenpresse und Fremdsprachige Presse von Park und Fishman einbetten. Der in Teil IV.3 erarbeiteten Typologie folgend konnten auf der Basis der für die Untersuchung erhobenen Samplingstruktur42 drei Typen von deutsch-türkischen Printmedienproduzenten auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt rekonstruiert werden, die sich aus jeweils fünf Schlüsselkategorien konstituieren. Dazu gehören: Arbeitsprofessionalität (SK 1), Originäres Interesse auf Medienmarkt II (SK 2), Unternehmensstrategie (SK 3), Zielgruppenwahrnehmung (SK 4) und Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten (SK 5). Die Schlüsselkategorien stellen damit Relevanzpunkte innerhalb der untersuchten Medienunternehmen dar. Es handelt sich um unternehmenspolitische und unternehmensökonomische Faktoren, die maßgeblich die Präsenz von Akteuren auf M II beeinflussen. Die vorgefundenen neuen Typen stehen somit nicht für die Darlegung einer statistischen Wahrscheinlichkeit, sondern verweisen auf die »im Untersuchungsfeld tatsächlich vorhandene Heterogenität«43 und besitzen Gültigkeit in ihrem eigenen migrationsspezifischen Untersuchungsrahmen. Im Folgenden legt Tabelle 22 noch einmal in komprimierter Form die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Forschungsarbeit dar. 41 | Siehe dazu Kaptel I. (I.1 und I.2): Theoretische Grundlagen und Begriff sdefinitionen. 42 | Siehe hierzu auch Teil III.1. In diesem Sinn orientiert sich das Sample an der Darstellung der Bandbreite der auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt (M II) angebotenen Formate der Printmedienprodukte. Die Diversität der Formate konstituiert sich aus den Faktoren: Erscheinungsformat, Verbreitungsgebiet, Vertriebs- und Verkaufsform und Sprachnutzung. Hinzu trat der Anspruch, in die Analyse Medienprodukte respektive Medienunternehmen beider Pressesysteme einzubeziehen.
43 | Kelle, Udo/Kluge, Susann (1999), S. 99.
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Tabelle 22: Die Typen und ihre Schlüsselkategorien Typ 1
Typ 2
Typ 3
der phlegmatische Ideologe
der flexible Pragmatiker
der innovative Amateur
SK 1
»die Professionellen«/»die SemiProfessionellen«
»die Professionellen«
»die Amateure«
SK 2
»die politischkulturell Motivierten«
»die politisch-inte»die ökonomisch-in- grativ Motivierten«/ tegrativ Motivierten« »die ökonomisch-integrativ Motivierten«
SK 3
»die Strategielosen«
»ökonomischen Strategen«
»die gescheiterten Strategen«
SK 4
»ambivalente Außenansicht«
»re-aktive Innenansicht«
»realistische Innenansicht«
SK 5
»ambivalentes Konkurrenzverhalten«
»ambivalentes Konkurrenzverhalten«/»offen für Kooperation«
»offen für Kooperation«
Tabelle 22 spaltet die erarbeiteten Typen, um darauf zurückzukommen, in ihre Schlüsselkategorien auf. Eine medienökonomische Betrachtung der erstellten Typologie deutsch-türkischer Printmedienproduzenten auf M II bietet sich durch eine Fokussierung auf Schlüsselkategorie 1, Schlüsselkategorie 2 und Schlüsselkategorie 3 an.
V.2.1 Medienökonomische Einordnung Der phlegmatische Ideologe steht in diesem Zusammenhang für ein professionell bis semi-professionell agierendes Printmedienunternehmen, dessen Marktpräsenz auf M II politisch-kulturell motiviert ist und das keine besondere strategische Unternehmensausrichtung für den deutsch-türkischen Medienmarkt (M II) erkennen lässt. Es handelt sich beim phlegmatischen Ideologen um ein privatwirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen, welches auf seinem Heimatmarkt (türkischer Medienmarkt) auch als solches agiert. Das bedeutet, sein/e Medienprodukt/e richtet es, mit dem Ziel der Erwirtschaftung einer Rendite, an die beiden charakteristischen Zielmärkte von gedruckten Printmedien, den Rezipienten- und den Werbemarkt, aus. Im Hinblick auf die Struktur und die Funktionsweise des phlegmatischen Ideologen lassen sich im Unternehmen alle relevanten Funktionsweisen, welche die Interaktion im Verbund in einem professionellen Medienunternehmen kennzeichnen, ausmachen. Eine
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Einschränkung ergibt sich hier für einen türkischen Medienproduzenten, der sein professionelles unternehmerisches Wirken auf M I aufgrund fehlender ökonomischer Ressourcen des Mutterunternehmens in der Türkei in Deutschland (M II) nicht umsetzt. Auf M II stehen für den phlegmatischen Ideologen politisch-kulturell motivierte Unternehmensziele eindeutig im Vordergrund. Das Wechselverhältnis zwischen ökonomischem und publizistischem Wettbewerb wird von publizistischen Interessen überlagert. Diese Annahme lässt sich allerdings durch eine ambivalente Außenansicht auf die Zielgruppe nicht hinreichend stützen, denn die wachsende soziokulturelle Kluft zwischen Repräsentanten von Typ I und deutsch-türkischen Rezipienten kann nicht adäquat überbrückt werden. Die Fähigkeit der Produzenten, den langwierigen Adaptionsprozess der Rezipienten in die deutsche Einwanderungsgesellschaft emphatisch und kompetent zu begleiten und zu unterstützen, ist nur eingeschränkt entwickelt bzw. nicht ausdrücklich erwünscht. Aus medienökonomischer Perspektive nimmt der phlegmatische Ideologe durchaus eine Sonderrolle ein, da seine Marktpräsenz auf M II nicht ökonomisch motiviert ist und somit auch keine reale publizistische Annäherung angestrebt werden muss, um die eigene wirtschaftliche Existenz zu sichern. Es geht primär um die Präsenz auf M II, die größtenteils über Finanzressourcen aus dem Heimatmarkt fremdfinanziert wird und als Marketinginstrumentarium im internationalen Kontext Bedeutung besitzt. Der flexible Pragmatiker ist ebenfalls ein professionell agierender Medienakteur, dessen Marktpräsenz auf M II ökonomisch-integrativ motiviert ist und dessen Unternehmensstrategie ökonomisch geleitet ist. Der flexible Pragmatiker ist ein privatwirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen, welches auf seinem Heimatmarkt (türkischer Medienmarkt, M I) ebenso wie auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt (M II) agiert. In Bezug auf den Bereitstellungsprozess eines Printmediums verfügt er über die spezifische Struktur- und Funktionsweise eines klassischen Medienunternehmens. Typ II erscheint erst Ende der 1990er Jahre auf M II bzw. etabliert sich zu Beginn des Jahres 2000 mit einem neuen Format und ist deshalb von Beginn seiner Marktpräsenz in Deutschland an dazu gezwungen, sich aktiv mit der in Veränderung befindlichen Rezipientenstruktur auseinander zu setzen und dabei neue Wege zu beschreiten. In diesem Sinne ist Typ II gezwungen, stärker in den publizistischen Bereich zu investieren.44 Daraus kann geschlussfolgert werden, dass der Fixkostenanteil für die Herausgabe eines Zeitungsexemplars höher ist als der des phlegmatischen
44 | Dies bedeutet: Ausbau eines stärkeren regionalen und lokalen Korrespondentennetzes, um einen rezipientennäheren Journalismus zu ermöglichen. Damit einher geht auch eine stärkere Erschließung des regionalen und lokalen Werbemarktes.
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Ideologen.45 Diese verstärkte Marktannäherung koppelt der flexible Pragmatiker mit klar umrissenen ökonomischen Strategien, die sich vor allem auf die wachsenden Potentiale des Werbemarktes richten. Aus medienökonomischer Perspektive nimmt der flexible Pragmatiker keine Sonderrolle ein. Er agiert nach den Mechanismen des ökonomischen und publizistischen Wettbewerbs, obgleich auch er von seinen finanziellen Ressourcen auf dem Heimatmarkt in der Lage wäre, wie der phlegmatische Ideologe zu agieren. Der innovative Amateur agiert auf der Produktionsebene als Amateur. Er ist primär politisch-integrativ motiviert, partiell werden seine Interessen auf M II durch ökonomische Unternehmensziele ergänzt. Der innovative Amateur ist nur auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland tätig und tritt als wirtschaftlich orientiertes Unternehmen auf. Er scheitert jedoch schon in der Phase der Produktetablierung an der Missachtung der grundlegenden medienökonomischen Leitlinien. Seine Unternehmensstrategie besteht ausschließlich in der Konzeption neuer Zeitungsformate und -inhalte. Dieser Typ leistet somit publizistische Pionierarbeit. Ihm fehlt es jedoch generell an Kompetenz und Erfahrung im Bereich des Medienmanagements und der Medienökonomie. Darüber hinaus verfügt er nicht über jene finanziellen Ressourcen, die zur Marktetablierung eines Printmediums notwendig sind. In dieser Hinsicht bildet der innovative Amateur theoretisch den komplementären Gegenpart zum phlegmatischen Ideologen. Stärken und Schwächen des einen Typs werden jeweils durch die Stärken und Schwächen des Anderen ausgeglichen. In der Praxis kommt es jedoch zu keiner Annäherung zwischen beiden Typen. Der innovative Amateur verlässt M II erfolglos, der phlegmatische Ideologe verharrt weiter auf M II und ist aus ökonomischen Gründen nicht gezwungen, eine Annäherung an die deutsch-türkischen Rezipienten vorzunehmen. In diesem Sinn nimmt der innovative Amateur aus medienökonomischer Perspektive ebenso wie der phlegmatische Ideologe eine Sonderrolle ein. Seine Präsenz auf M II ist vornehmlich inhaltlich-publizistisch orientiert, jedoch unternehmerisch nicht überlebensfähig.
V.2.2 Park (1922) und Fishman (1959) — eine Einordnung Auf der Basis der Untersuchungen von Park (1922) und Fishman (1959) werden hier in komprimierter Form die Wesensmerkmale von Immigranten-, fremdsprachlicher und ethnischer Presse noch einmal kurz herausgestellt.46 Anschließend wird hinterfragt, ob es sich bei den vorgefundenen drei Typen von Printmedienproduzenten auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt um die 45 | Da in der vorliegenden Arbeit keine betriebswirtschaftlichen Daten und Fakten erhoben wurden, diese auch im Falle einer Anfrage seitens der Unternehmen nicht weitergegeben worden wären, handelt es sich hier um eine Annahme.
46 | Eine ausführliche Darstellung ihrer Theorien erfolgte in Kapitel I.2.
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klassischen Vertreter von Immigrantenpresse, fremdsprachlichen Medien oder ethnischen Medien im Sinn von Park und Fishman handelt. Daran anknüpfend wird dargelegt, durch welche Elemente sich die vorgestellten Theorien in der Gegenwart erweitern lassen. Park erstellte 1922 erstmalig eine groß angelegte Studie zur Rolle der Immigrantenpresse im US-amerikanischen Immigrationsprozess. Die Herausgeber der von ihm untersuchten Printmedien waren Immigranten der ersten Generation sowie deren Nachfahren. Park verdeutlicht, dass die Existenz der Immigrantenpresse von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst ist. Von Bedeutung sind der spezifische Immigrationshintergrund sowie die Frage, ob es sich um eine dauerhafte Immigration, eine periodisch begrenzte Migration oder einen Generationen umfassenden Immigrationsprozess handelt. Die Immigrantenpresse dient in diesem Kontext sowohl der Anpassung an die Modalitäten der Einwanderungsgesellschaft als auch dem Erhalt der sprachlichen und kulturellen Identität der Neueinwanderer, kann jedoch auch als Plattform gegen die Interessen der Einwanderungsgesellschaft verwendet werden. Letztere Aussage steht nicht im Fokus seiner Untersuchung, doch er spricht diese desintegrative Funktion beispielhaft an und lehnt den Titel seiner Untersuchung eng daran an. Die Immigrantenpresse bewertet Park grundsätzlich als einen Spiegel der Lebensumstände, der Bedürfnisse und Ideale seiner Rezipienten. Als Merkmale der Immigrantenpresse in den USA zum damaligen Zeitpunkt umreißt er auch die Verlage und deren Existenzhintergründe. Der Autor stellt fest, dass sich die Verlage stilistisch, formal und inhaltlich an die besonderen Bedürfnisse ihrer Leserschaft adaptieren. Auf linguistischer Ebene setzt ein Wechsel in einen einfacheren Sprachmodus ein, langfristig kommt es zur Aufnahme von Anglizismen in die jeweilige Fremdsprache. Durch diese Strategie gelingt es den Verlegern, so Park weiter, sich völlig neue Rezipientenkreise zu erschließen und diesen »Neulesern« durch das Medium Zeitung einen Bildungszugang zu eröffnen. Bei den Verlagen mit längerer Marktpräsenz handelt es sich immer um kommerziell ausgerichtete Unternehmen, die von der Werbewirtschaft leben. Der Autor verweist in diesem Kontext auf eine häufig schlechte Unternehmensführung der Zeitungsverlage und erklärt, dass ein stetiger Immigrationsfluss die stabilste Voraussetzung für den unternehmerischen Erfolg eines Printmedienunternehmens darstellt.47 Ein weiteres enges Wechselverhältnis sieht er im spezifischen Migrationsverlauf einer jeden Immigrantengruppe und der Existenzdauer der jeweiligen Immigrantenzeitung. An diese Forschungsergebnisse von Park knüpft Fishman mit seiner Studie 37 Jahre später an. Er erstellt eine systematisch angelegte contentistische Studie, die sich mit der Bedeutung der fremdsprachlichen Presse im Assimilationsprozess US-amerikanischer Immigranten beschäftigt. Auch in dieser Studie werden die untersuchten Printmedien von Immigranten selbst produ47 | Vgl. Park (1922), S. 327f.
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ziert. Fishman analysiert vor dem Hintergrund von Immigrationsdauer, Immigrationsherkunft und Immigrationsstatus Printmedieninhalte und zieht aus seinen Ergebnissen Rückschlüsse auf die Funktion von Immigrantenpresse. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Funktion der Immigrantenpresse im Laufe des Immigrationsprozesses einem Wandel unterliegt, der letztlich von den Herausgebern aus existenziellem Eigeninteresse forciert wird. Fishman stellt heraus, dass Verlage, die sich verstärkt an Immigranten mit mittlerer und längerer Aufenthaltsdauer im Immigrationsland wenden, ihre Leser verstärkt mit Beiträgen mit separatistischen Tendenzen versorgen, um deren Übergang auf amerikanische Mainstream-Medien zu verhindern und damit ihre eigene Existenz zu sichern. Damit spricht der Autor erstmalig die Motive der Produzenten von Immigrantenpresse an und eröffnet einen Einblick in einen Aspekt möglicher Steuerungsmechanismen von Printmedien im Allgemeinen und von Immigrantenpresse im Besonderen. Bezug nehmend auf die im Forschungskontext vorgefundenen drei Typen von Printmedienproduzenten auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland ergibt sich daraus wie folgt: Der phlegmatische Ideologe (Typ 1) ist im Sinne von Park und Fishman kein Repräsentant des Produzenten von Immigrantenmedien, fremdsprachlichen Medien oder ethnischer Medien.48 Sein/e Herausgeber und Persönlichkeiten, die an den unternehmerischen Entscheidungsprozessen partizipieren, gehören nicht der Klientel der türkischen Einwanderer in Deutschland an; sie sind politisch, ökonomisch, kulturell, sozial, sprachlich und mental mit der Türkei verbunden. Sein Printmedienprodukt wird im vorliegenden Forschungskontext als »adaptiertes türkischsprachiges Printmedium« bezeichnet, das in der Anfangsphase seiner Präsenz auf M II rudimentäre partielle Elemente von Immigrantenpresse aufweist. Dazu gehört primär die Versorgung der türkischen Neu(im)migranten in Deutschland mit Informationen aus der Heimat. Da die deutsch-türkische Arbeitsmigration über Jahrzehnte hinweg als temporär begrenzte Migration dargestellt wurde, ergaben sich weder für die deutsche und für die türkische Regierungspolitik noch für die türkischen Printmedienproduzenten, die ihre Produkte in Deutschland als einen zweiten Absatzmarkt nutzten, zwingende medienpolitische und unternehmenspolitische Handlungskonsequenzen. Deutsche Printmedienproduzenten sehen bis heute keinerlei Notwendigkeit, sich der Zielgruppe der deutsch-türkischen Rezipienten ernsthaft zuzuwenden. Türkische Printmedien werden in leicht adaptierter Form auf M II vertrieben. Der phlegmatische Ideologe verzeichnet bis zu Beginn der 1990er Jahre stabile Auflagenzahlen, ohne sich von seinem Format »adaptiertes türkischsprachi48 | Die drei Begriffe werden hier synonym verwendet. Sie differenzieren sich letztlich durch die Übernahme der Produzentenpositioenn durch die nachfolgenden Immigrantengenerationen. Siehe dazu Teil I.3. Zum Begriff »ethnische Medien«.
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ges Printmedium« weit entfernen zu müssen.49 Erst ein schwächer werdender Migrationfluss aus der Türkei, eine damit einhergehende steigende Zahl von Rezipienten mit längerer Aufenthaltsdauer in Deutschland, deren Struktur sich auch soziokulturell veränderte, führt seit Beginn der 1990er Jahre zu sinkenden Auflagenzahlen der türkischsprachigen Printmedien auf M II. Hinzu tritt ab dem Jahr 1990, durch die technischen Neuerungen der Kabel- und Satellitentechnik, eine Verlagerung von der Printmediennutzung hin zu den türkischsprachigen audiovisuellen Medienträgern. Durch die Etablierung des Produzententyps des flexiblen Pragmatikers Ende der 1990er Jahre trat zudem eine Erweiterung der Printmedienangebote auf M II durch sich diversifizierende Konkurrenzprodukte auf. Die von Park beschriebene stilistische, inhaltliche und formale Adaption der Verlage an die Rezipienten auf M II wird vom phlegmatischen Ideologen gar nicht bzw. nur ansatzweise getragen. Diese ansatzweise Adaption an die Bedürfnisse des Marktes sind kleine Zugeständnisse an die Rezipienten. Diese bestehen aus einer inhaltlichen Adaption von Nachrichten aus Deutschland und Europa.50 Halbherzige Versuche, wie die Erstellung einer wöchentlichen deutschsprachigen Beilage durch Printmedienproduzent 1, wurden ab Sommer 2006 wieder eingestellt.51 Im Mittelpunkt der Unternehmenspolitik von Typ 1 steht nicht die kommerzielle Ausrichtung des Printmedienproduktes. Sein Printmedienprodukt wird größtenteils marktfremd finanziert. Ihm geht es vordergründig um: • • •
die Visualisierung seiner Marktpräsenz, eine Marktpositionierung seines Produktes innerhalb der anderen türkischsprachigen Konkurrenzprodukte auf M II, die Möglichkeit der kulturellen und gesellschaftspolitischen Einflussnahme auf die Rezipienten.
Aus medienökonomischer Perspektive nimmt der phlegmatische Ideologe damit deutlich eine Sonderrolle auf M II ein. Um seine Präsenz auf M II zu sichern ist er nicht gezwungen, eine reale publizistische Annäherung an die Zielgruppe anzustreben. Es ist davon auszugehen, dass seine dominante Präsenz auf M II, die größtenteils über Finanzressourcen aus dem Heimatmarkt fremdfinanziert wird, langfristig durch einen Mangel an Anpassungsfähigkeit und Immobilität geschwächt wird. Der flexible Pragmatiker (Typ 2) kann im Sinne von Park und Fishman eingeschränkt als Produzent von Immigrantenmedien, fremdsprachlichen Medien oder ethnischen Medien betrachtet werden. Ebenso wie der phlegmatische Ideo49 | Siehe dazu: Münz, Rainer/Seifert, Wolfgang/Ulrich, Ralf (1997). 50 | Zwei bis drei Seiten pro Tages-/Wochenausgabe. 51 | Seit dem Frühsommer 2007 gibt Printmedienproduzent 1 wieder eine wöchentliche Beilage heraus, die inhaltlich und sprachlich zweigeteilt ist.
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loge entstammt auch er dem türkischen Medienmarkt (M I). Doch in unternehmensinterne Entscheidungsprozesse, betreffend Inhalt und Format seines Printmedienproduktes, werden ganz bewusst Mitglieder der deutsch-türkischen Einwanderergeneration auf M II eingebunden bzw. erhalten diese auch Positionen in der Unternehmensführung bzw. Redaktionsleitung. Sein Printmedienprodukt weist Elemente der von Park beschriebenen Charakteristika von Immigrantenpresse auf. Der flexible Pragmatiker erstellt ein Printmedium, das sich tendenziell stärker mit den Lebensumständen, den Bedürfnissen und Idealen seiner Rezipienten auseinandersetzt. Anders als der zuvor beschriebene phlegmatische Ideologe geht er aus ökonomisch-pragmatischen und, damit gekoppelt, aus integrativen Gründen stärker auf die Bedürfnisse seiner Rezipienten ein. Seine Vorgehensweise besteht aus einer dualen Unternehmensstrategie. Das bedeutet, durch eine stärkere Fokussierung auf die lokale Berichterstattung gelingt es ihm, gleichzeitig den regionalen und lokalen Werbemarkt zu erreichen und damit das unternehmensinterne Werbesegment zu stärken. Auf linguistischer Ebene findet bisher keine grundlegende Adaption an die Bedürfnisse der Rezipienten statt. Die geschriebene Sprache ist Türkisch und um diese Form so lange wie möglich aufrechterhalten zu können, wird an Leser mit bestehender enger Produktbindung zur Stärkung der türkischen Sprachkompetenz kostenlos türkische Literatur verteilt. Zukünftig benennt der flexible Pragmatiker jedoch auch die Möglichkeit eines Sprachwechsels für sein Printmedienprodukt. Auf inhaltlicher Ebene weist er durch den gezielten Aufbau einer lokalen Berichterstattung ein verstärktes Engagement in Bezug auf eine Annäherung an Rezipientenbedürfnisse auf. Diese inhaltliche Annäherung ist jedoch nicht so grundlegend, als dass von einem Printmedienprodukt nur für die Zielgruppe der deutsch-türkischen Rezipienten gesprochen werden kann. Wie schon der Name von Typ 2 ausdrückt sind es mehr pragmatische Gründe, die zu einer Flexibilität im publizistischen Bereich führen. Obgleich kein kontinuierlicher Migrationfluss von der Türkei nach Deutschland vorhanden ist, ist es ihm gelungen, die junge und mittlere Generation deutsch-türkischer Rezipienten verstärkt anzusprechen. Das sind die Leser, die dem phlegmatischen Ideologen teilweise verloren gehen. Seine ökonomische Marktmotivation aber auch der ansatzweise ökonomische Erfolg des flexiblen Pragmatikers besitzen Parallelen zum Produzenten von Immigrantenpresse, deren Marktpräsenz an eine funktionierende ökonomische Interaktion gekoppelt ist. Aus medienökonomischer Perspektive nimmt der flexible Pragmatiker somit keine Sonderrolle ein. Er agiert nach den Mechanismen des ökonomischen und publizistischen Wettbewerbs, obgleich auch er von seinen finanziellen Ressourcen auf dem Heimatmarkt in der Lage wäre, wie der phlegmatische Ideologe zu agieren. Der innovative Amateur (Typ 3) nähert sich dem Prototypen eines Produzenten von Immigrantenmedien, fremdsprachlichen Medien oder ethnischen Medien im Sinne von Park und Fishman am stärksten an. Sein Printmedium
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wird im Forschungskontext als ethnische Presse definiert. Die Herausgeber sind Bestandteil der deutsch-türkischen Einwanderergesellschaft in Deutschland. Gleichzeitig sind sie sowohl Angehörige der ersten Einwanderergeneration als auch, im verstärkten Maße, Angehörige der zweiten Generation, die in Deutschland geboren und aufgewachsen, sozialisiert sowie hier intellektuell eingebettet sind. Linguistisch sind sie dazu übergegangen, sich durch ihr Printmedium auf Deutsch zu präsentieren. Sie haben somit den sprachlichen Übergang vom Türkischen ins Deutsche bereits vollzogen. Türkisch ist zwar noch Bestandteil ihrer sprachlichen Alltagswelt, wird allerdings als schriftliches Kommunikationsmittel durch die deutsche Sprache ersetzt. Der innovative Amateur macht es sich zum Ziel, die reale Lebenswelt der deutsch-türkischen Community von innen heraus zu spiegeln, aber auch kritisch zu beleuchten. Auf diese Weise ermöglicht er der deutschen Mehrheitsgesellschaft einen Einblick in die deutsch-türkische Einwanderungsgesellschaft. Er etabliert jedoch auch für sich eine gesellschaftliche Artikulationsplattform zur Präsentation seiner Bedürfnisse, Fähigkeiten, politischen Auseinandersetzungen und sowie den Grad seiner Verankerung innerhalb der deutschen Gesellschaft. Typ 3 hat demnach den für Typ 1 und 2 so schwierigen Schritt des publizistischen Adaptionsprozesses an die Bedürfnisse, vor allem der zweiten und dritten Generation, der deutschtürkischen Rezipienten am Weitesten vollzogen. Es ist ihm dennoch nicht gelungen, sein Printmedienprodukt auf M II zu etablieren. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie scheitern: • • •
an fehlenden ökonomischen Ressourcen, einem Mangel an medienökonomischer und journalistischer Kompetenz, an der allgemeinen Problematik, dass sich die deutsch-türkischen Rezipienten in Deutschland gegenwärtig nicht als eine publizistische Einheit ansprechen lassen, weil sie sich durch demographische, soziale, kulturelle, religiöse, politische und intellektuelle Eigenheiten sehr stark voneinander differenzieren.
Es ist festzuhalten, dass der innovative Amateur sich dem Typ des Verlegers von Immigrantenpresse, fremdsprachlicher Presse stark annähert, aber noch keine vollständige Kongruenz aufweist. Seine kurze Verweildauer auf dem Markt wird zwar auch von Park als charakteristisch benannt, doch bisher konnte sich keiner seiner Repräsentanten über einen längeren Zeitraum auf M II halten. Auffallend ist zudem, dass sich der innovative Amateur zeitverschoben, also erst rund 40 Jahre nach Beginn der deutsch-türkischen Migration entwickelte, was zweifellos auf die dominante Marktpräsenz des phlegmatischen Ideologen sowie des sich aus diesem entwickelnden flexiblen Pragmatikers zurückzuführen ist. In diesem Sinn hat der innovative Amateur aus medienökonomischer Perspektive ebenfalls eine Sonderrolle inne. Seine Präsenz auf M II ist vornehmlich
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inhaltlich-publizistisch orientiert, jedoch unternehmerisch nicht überlebensfähig. Da im Rahmen dieser Forschungsarbeit keine Zeitungstexte der Printmedien inhaltsanalytisch untersucht wurden, lässt sich die Theorie von Fishman nicht anhand der Zeitungstexte der drei vorgefundenen Typen empirisch verifizieren. Aus den vorliegenden Forschungsergebnissen lassen sich jedoch theoretische Rückschlüsse ziehen, die folgende These in Bezug auf die Präsenz von Printmedienproduzenten auf M II zulassen: Der gegenwärtige Status quo der Akteure auf M II ist geprägt durch eine schon lange andauernde Präsenz und Dominanz durch den phlegmatischen Ideologen. Aus ihm entwickelt sich der Typ des flexiblen Pragmatikers, der sich zeitversetzt auf M II niederließ und neben politisch-kulturellen Ambitionen erstmals auch dezidiert ökonomische Interessen formuliert sowie zur Umsetzung dieser eine publizistische Annäherung an die Zielgruppe vornimmt. Der innovative Amateur etabliert sich erst sehr spät, aus einer Reflexion unzufriedener Repräsentanten der Zielgruppe selbst, die ihre reale Lebenswelt durch Typ 1 und Typ 2 nicht hinreichend verstanden und vertreten sehen. Seine Marktpräsenz ist jedoch nur von kurzer Dauer. Typ 3 steht in keinerlei direktem Kontakt zu Typ 1 und Typ 2, er leitet jedoch indirekte Impulse an diese weiter. Nach Fishman kommen in unterschiedlichen Phasen der Integration der Immigrantenpresse und Fremdsprachlichen Presse unterschiedliche Funktionen zu. Der Wunsch nach Selbsterhaltung der Verlage führt dazu, so Fishman, dass die Zielgruppen der »intermediate immigrants« und der »old status immigrants« tendenziell eher mit separatistischen Beiträgen versorgt werden. Auf diese Weise verhindern die Verlage zur Sicherung ihrer eigenen Marktpräsenz den Übergang der Rezipienten an die US amerikanischen Mainstream-Medien. Bezogen auf den deutsch-türkischen Medienmarkt erschließt sich aus Schlüsselkategorie 5, dem Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten, dass der innovative Amateur Kooperationen mit anderen Printmedienproduzenten generell offen gegenüber steht, dass er sich aber gleichzeitig von Vertretern von Pressesystem I existentiell bedroht fühlt und diese Einschätzung auch durch erlebte Bedrohungsszenarien, die sich gegen die eigene Person oder aber gegen das Printmedium richten, untermalt. Der phlegmatische Ideologe und der flexible Pragmatiker52 weisen ein ambivalentes Konkurrenzverhalten gegenüber anderen Marktkonkurrenten auf. Sie verharren in ihrer Sonderrolle auf M II und bewerten auf dieser Basis bestehende Konkurrenzverhältnisse als für sie irrelevant. Diese Haltung erweist sich jedoch als nicht durchgängig, da sie Konkurrenten auf M II sehr wohl wahrnehmen, diese offiziell aber nur innerhalb der Vertreter von Pressesystem I sehen, während Vertreter von Pressesystem II im Interviewverlauf gänzlich ignoriert wer52 | Vertreter von P I
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den. Es wird deutlich, dass sowohl der phlegmatische Ideologe als auch der flexible Pragmatiker die Präsenz des innovativen Amateurs sehr wohl beobachten, ihre Marktdominanz sie jedoch zu einer Ignoranzhaltung verleitet, nach dem Motto »worüber ich nicht spreche, dass existiert auch nicht«. Diese Haltung steht zum einen für ihre fehlende Bereitschaft, sich mit der gegenwärtigen strukturellen Entwicklung auf M II auseinanderzusetzen, ist aber auch als Merkmal einer fehlenden eigenständigen marktorientierten Unternehmenspolitik auf M II zu bewerten. Aus der Wahrnehmung von Typ 3 reagieren Typ 1 aber auch Typ 2 auf der Kooperationsebene durch eine gezielte Ignoranzhaltung, versuchen jedoch gleichzeitig deren Präsenz auf M II zu diskreditieren. Unter dem Aspekt der Sicherung der eigenen Marktpräsenz wird im vorliegenden Forschungskontext deutlich, dass die auf M II länger etablierten Typen sich sehr wohl gegen die Etablierung eines weiteren Konkurrenztypen positionieren, denn es gilt, ihre Dominanz auf M II nicht in Frage zu stellen. Fishman belegt diesen Reflex der Verleger von fremdsprachlichen Printmedien zum Erhalt der eigenen Marktpräsenz durch inhaltliche Analysen der Printmedientexte. Auf der Ebene der Akteure des deutsch-türkischen Printmedienmarktes, somit dem der Printmedienproduzenten, zeigt sich eine Polarisierung zwischen Pressesystem I und Pressesystem II, mit dem Ziel, sich Pressesystem II gar nicht erst manifestieren zu lassen. Die von Park und Fishman in den 30er und 60er Jahren erstellten theoretischen Überlegungen zum Thema Immigrantenpresse und fremdsprachlicher Presse entstanden in ihrem eigenen lokalen und temporären Rahmen unter den Bedingungen eines klassischen Einwanderungslandes. In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, welche Relevanz ihre Arbeitsergebnisse im hiesigen Forschungskontext besitzen und um welche Faktoren der Forschungsrahmen für ethnische Medien und für die Produzenten ethnischer Medien gegenwärtig noch erweitert werden muss. Basierend auf einer Tabelle zu »Dimensionen einer Untersuchung des Verhältnisses von Massenmedien und Minderheiten« von Becker et al. (2004)53, werden im Folgenden Überlegungen dazu visualisiert. In Tabelle 23 sind die Faktoren, welche die Präsenz von Immigrantenmedien/fremdsprachlichen Medien/ethnischen Medien beeinflussen, in die vier Teilbereiche: Immigrationsbedingungen, Spezifika des Medienmarktes, Technologie und Staat untergliedert. Diesen wiederum folgt eine Feingliederung in die ihnen zugehörigen relevanten Unterfaktoren. Die drei Spalten verdeutlichen optisch und inhaltlich, welchen Forschungsstand die Arbeiten von Park und Fishman zum Thema Immigrantenpresse und fremdsprachliche Presse abdecken und um welche Untersuchungsfaktoren ihr Forschungsstand mit den vorliegenden Forschungsergebnissen erweitert wird. Die Vielfalt der Unterfaktoren demonstriert zudem die Multikomplexität der Thematik. 53 | Vgl. Becker, Jörg/Flatz, Christian/Pallaver Günther/Rautz, Günther (2004), S. 4f.
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Tabelle 23: Faktoren der Präsenz von Immigrantenmedien/ fremdsprachlichen Medien/ethnischen Medien
Faktoren
Robert Park
Joshua Fishman
Ergänzungen
Immigrationsherkunft
Immigrationsher- Immigrationskunft herkunft
Immigrationsbe- Immigrationsdingungen (hinter)grund
Immigrationsstatus
Immigrationsgrund
Immigrationsdauer
Immigrationsdauer
Immigrationsdauer
Sprachkompetenz Sprachkompetenz Sprachkompetenz Bildungsbereitschaft der Immigranten
Rezipientennähe
Größe/Demographie der Immigranten Bindung an das Herkunftsland Spezifika des Medienmarkts
Marktgröße Funktion der Printmedienproduzenten
Herkunft der Medienproduzenten Unternehmensgröße der Produzenten/Kapital Rezipientennähe der Medien
Technologie
Stand der Informationstechnologie Positionierung innerhalb des globalen Mediensystems
Staat
Immigrationspolitik Immigrantenstatus Medienpolitik/ Subvention
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Aus Tabelle 23 geht hervor, dass sich Park und Fishman in ihren Studien schwerpunktmäßig mit dem Teilbereich »Immigrationsbedingungen der Medienrezipienten« beschäftigt haben. Dazu gehören die Themenkomplexe: • • • •
Immigrationsherkunft/-hintergrund, Immigrationsdauer/-status, Sprachkompetenz Rezipientennähe.
Ihr Forschungsfokus liegt somit auf einem rezipientenorientierten Ansatz. Dem Teilbereich »Spezifika des Medienmarktes« sind die ihm relevanten Unterfaktoren Marktgröße, Herkunft der Medienproduzenten, Unternehmensgröße der Produzenten/Kapital und Rezipientennähe der Medien zugeordnet. Diese weisen Schnittpunkte zu den im vorliegenden Forschungskontext erarbeiteten Schlüsselkategorien (SK 1: Arbeitsprofessionalität, SK 2: Originäres Interesse auf Medienmarkt II, SK 3: Unternehmensstrategie, SK 4: Zielgruppenwahrnehmung, SK 5: Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten) auf und kennzeichnen damit den aktuellen Forschungsfokus. Park und Fishman haben die Marktebene nicht in dieser Differenzialität analysiert, arbeiten jedoch einige Charakteristika von Verlagen von Immigrantenpresse heraus. In diesem Sinn werden hier die Grenzen ihrer Theorie zum Thema Immigrantenmedien, fremdsprachlichen Medien und ethnischen Medien aufgezeigt, welche sich durch die vorliegenden empirischen Ergebnisse erweitern lassen. Der Teilbereich »Staat« wird durch Park ansatzweise, durch eine Implementierung staatlicher Steuerungsmechanismen in Bezug auf Immigrantenpresse, angesprochen, der Teilbereich »Technologie« und seine daraus für ethnische Medien evozierten herausgeberischen Potentiale, bedürfen jedoch gegenwartsbezogenen Untersuchungen, die sich mit den Möglichkeiten der Verbreitung der digitalen Informationstechnologie im Zeitalter wachsender transnationaler und globaler Märkte beschäftigen.
V.3 A USBLICK Im Fokus der vorliegenden Dissertation stehen die strukturellen Veränderungen auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt in Deutschland. Zu diesem Zweck wurden erstmalig Produzenten (deutsch-)türkischer Printmedienprodukte untersucht. Bisher sprach man im Allgemeinen wissenschaftlichen Sprachgebrauch von türkischen Printmedienproduzenten in Deutschland. Vor der Erhebung der empirischen Daten zur Differenzierung der Medienprotagonisten nahm die Autorin eine Zweiteilung der Medienproduzenten auf M II vor. Vertreter der Medienproduzenten aus der Türkei wurden als Pressesystem I und die sich in Deutschland neu formierenden deutsch-türkischen Me-
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dienproduzenten als Pressesystem II bezeichnet. Diese Zweiteilung lässt sich durch die empirischen Ergebnisse untermauern und erweitern. Anhand vorab festgelegter Kriterien wurden ausgewählte türkische und deutsch-türkische Printmedienproduzenten untersucht. Auf der Basis von fünf Schlüsselkategorien54 lassen sich auf M II drei unterschiedliche Typen von deutsch-türkischen Printmedienproduzenten rekonstruieren, der phlegmatische Ideologe, der flexible Pragmatiker und der innovative Amateur. Diese empirisch-rekonstruierten neuen Typen dokumentieren eine vorhandene Heterogenität innerhalb des Untersuchungsfeldes und besitzen innerhalb ihres eigenen migrationsspezifischen Untersuchungsrahmens Gültigkeit. Die drei Typen von Printmedienproduzenten entwickelten sich nicht gleichzeitig, sie stehen jedoch in einem kausalen Zusammenhang zueinander. Der phlegmatische Ideologe ist der Printmedienproduzent der »ersten Stunde«. Er dominiert das deutsch-türkische Printmedienangebot auf M II auch heute noch quantitativ. Aus ihm entwickelt sich Ende der 90er Jahre der Typ des flexiblen Pragmatikers, der sich durch ein eigenständiges Profil vom phlegmatischen Ideologen absetzt und neue medienökonomische und publizistische unternehmerische Handlungsstrategien aufstellt. Anfang des Jahres 2000 bildet sich ein dritter Typ auf M II heraus, der innovative Amateur, dessen Existenz grundsätzlich anders motiviert ist. Seine Marktpräsenz ist bisher nur von kurzer Dauer, er kann sich aus den in Teil V.2 genannten Gründen nur kurzzeitig auf dem Markt halten. Auch wenn diese kurzfristige Dynamik auf M II durch die kurze Präsenz von Typ 3 scheinbar wieder erstarrt ist, so ist sie doch als ein wichtiger Impuls für die notwendige Weiterentwicklung der Printmedienprodukte von Typ 1 und Typ 2 zu bewerten. Wie in Kapitel V.I angesprochen, wird die Marktexistenz ethnischer Medien von einer Vielzahl von Faktoren tangiert. Der Ebene der Medienproduzenten kommt eine dominante Funktion zu, doch auch potentielle Steuerungsmechanismen des Staates, die bisher seitens der deutschen Bundesregierung ignoriert oder als nicht bedeutsam bewertet wurden, können ein wichtigen Beitrag zur weiteren Dynamisierung des deutsch-türkischen Medienmarktes leisten. Erstmals seit Beginn der türkischen Immigration nach Deutschland erfolgt gegenwärtig im Rahmen des Nationalen Integrationsplanes55 eine neue Weichenstellung hin zu aktiver staatlicher Integrationspolitik und dies im Dialog mit ausgewählten Akteuren und Repräsentanten der Migrationsszene in Deutschland. Zum Hintergrund: Am 14. Juli 2006 startete die Bundesregierung einen Integrationsgipfel. Im interkulturellen Dialog werden Ziele, Maßnahmen und Selbstverpflichtungen 54 | Arbeitsprofessionalität, Originäres Interesse auf Medienmarkt II, Unternehmensstrategie, Zielgruppenwahrnehmung und Verhältnis zu anderen Printmedienproduzenten.
55 | Vgl. www.bundesregierung.de/nn_56602/Content/DE/Artikel/2007-03-23-ib-arbeitsgruppe-6-themenfeld-medien. html (13.06.07).
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aller staatlichen Ebenen sowie zivilgesellschaftlicher Gruppierungen erarbeitet, um eine bessere Integration von Zuwanderern zu gewährleisten. Dazu wurden sechs Arbeitsgruppen eingerichtet, welche zu bestimmten Themenfeldern Maßnahmenkataloge erarbeiten, deren Ergebnisse in den Nationalen Integrationsplan münden sollen.56 Unter dem Themenfeld »Medien – Vielfalt nutzen« wurden die Ergebnisse von Arbeitsgruppe 6 wie folgt zusammengefasst: In deutschen Massenmedien wird bisher ein unvollständiges und einseitiges Bild von MigrantenInnen gezeichnet. Das Thema Migration und Integration werde in Zukunft verstärkt als »Querschnittsthema aller Medienangebote aufgegriffen werden«. Ingesamt sind Journalisten mit Migrationshintergrund in deutschen Medienbetrieben unterrepräsentiert und langfristig solle dem durch entsprechende Maßnahmen entgegengesteuert werden. »Bislang ungenutzte Potentiale der Kooperation von deutschen Medien und fremdsprachigen Medien, die in Deutschland erscheinen, sollten durch gemeinsame Projekte und regelmäßigen Erfahrungsaustausch erschlossen werden.« 57
Dieser erarbeitete Maßnahmenkatalog bildet erste Ansatzpunkte staatlicher Interaktion im Bereich Medien und Integration. Neben gezielten Kooperationsprojekten zwischen den unterschiedlichen Typen deutsch-türkischer Medienproduzenten und deutschen Medienproduzenten wäre auch die gezielte Förderung und Weiterbildung von Repräsentanten der deutsch türkischen Community und Repräsentanten des Typs der innovative Amateur als ein sinnvoller Baustein auf dem Weg zu einer weiteren Dynamisierung und Ausbalancierung des deutsch-türkischen Medienmarktes in Deutschland zu erachten. Es ist deutlich geworden, dass gegenwärtig eine Vielzahl von Faktoren auf die Existenz von ethnischen Medien Einfluss nehmen. Erst der Mix der unterschiedlichen Variablen und das harmonische Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen Einflussfaktoren ermöglicht den Produzenten ethnischer Medien eine Chance auf Marktpräsenz. Die Größe der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland und die Variable Informationstechnologie sorgen dafür, dass die türkischen Medien in Deutschland kein vorübergehendes Phänomen sind. Um der notwendigen Präsenz »adaptierter türkischer Printmedienprodukte« in Deutschland einen komplementären Gegenpol zu ermöglichen, bedarf es allerdings gezielter Stimuli seitens staatlicher deutscher Medienpolitik, der deutschen Medien- und Werbewirtschaft. Am Beispiel des deutsch-türkischen Medienmarktes ist zudem deutlich geworden, dass sich Pressemodelle ethnischer Medien oft unabhängig von medienökonomischen Vorgaben und 56 | Vgl. www.bmas.bund.de/BMAS/Navigation/Presse/nachrichten,did=160336.html (23.06.07). 57 | www.bundesregierung.de/nn_56602/Content/DE/Artikel/2007-03-23-ib-arbeitsgruppe6-themenfeld-medien.html (13.06.07).
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Prämissen entwickeln, sie agieren häufig marktfremd. Damit einher entwickeln sich deren Medienprodukte nicht notwendigerweise nach den Marktbedingungen von Angebot und Nachfrage, ihre Entwicklungsdynamik unterliegt ihren eigenen Mechanismen, die aus integrationspolitischen Gründen stets Transparenz aufweisen sollten. Die bisherige Forschungslage zum Thema Türkische Medien in Deutschland wurde von Projekten dominiert, die sich der Analyse von Medieninhalten widmen. Daran schließen sich in jüngster Zeit verstärkt Studien zum Mediennutzungsverhalten deutsch-türkischer Rezipienten an. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit füllen eine Forschungslücke in Bezug auf die Akteure des deutsch-türkischen Medienmarktes und gewähren Einblick in Faktoren, die deren Präsenz auf M II maßgeblich mitbestimmen. Zukünftige Forschungsprojekte könnten an dieser Stelle anknüpfen und ethnische Medien unter dem Aspekt der Rezipientenforschung, staatlicher Medienpolitik, der Medienökonomie58 sowie der Implementierung neuer Technologien erforschen. Wünschenswert wäre daran anschließend ein Vergleich mit Forschungsergebnissen von Kontextstudien im internationalen Bereich. So könnten beispielsweise ethnische Medien für türkischstämmige Einwanderer in Australien, die sich unter den Bedingungen klassischer einwanderungspolitischer Direktiven entfalten, mit den Arbeitsergebnissen aus Deutschland verglichen werden. Ergebnisse solcher internationaler Vergleichsstudien würden auch den Bereich der soziologischen Theoriebildung zum Thema ethnische Medien aktualisieren und systematisieren helfen. Migration ist ein Phänomen, dessen quantitativer Umfang erst am Anfang steht. Wir stehen somit auch am Anfang ethnischer Pressemodelle, die sich in Abhängigkeit von den in Tabelle 23 ersichtlichen Faktoren entwickeln. Jedes ethnische Pressemodell ist vor dem Kontext seines individuellen Immigrationsprozesses zu untersuchen und zu beurteilen, um es anschließend auf der Basis neuer theoretischer Orientierungsleitlinien optimieren zu können.
58 | Das Themenfeld »ethnische Medien und Medienökonomie« wurde in der Wissenschaft noch nicht miteinander verzahnt. Des Weiteren könnte anhand betriebswirtschaftlichen Datenmaterials eine medienökonomische Vertiefung der hier vorgestellten Arbeit vorgenommen werden.
Anhang A F R AGEBOGEN (DEUTSCH) Zeitung: 1. Alter ____________________________________________________________ 2. Geschlecht ______________________________________________________ 3. Geburtsort_______________________________________________________ 4. Muttersprache ___________________________________________________ 5. Nationalität ______________________________________________________ 6. Ort der schulischen und beruflichen Qualifizierung ____________________ __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ 7. in welcher Sprache verlief schulische und berufliche Qualifikation? _______ __________________________________________________________________ 8. sprachliche Selbsteinschätzung auf einer Skala von 1-10 (gering bis hoch) Türkisch:________ Deutsch:________ 9. Bildungsabschluss ________________________________________________ 10. seit wann berufstätig? ____________________________________________ 11. Berufsbezeichnung _______________________________________________ 12. derzeitige Tätigkeit _______________________________________________
Printmedium:______________________________________________________ 13. Printmedium seit wann auf deutschem Medienmarkt erhältlich? __________________________________________________________________ 14. durchschnittlich verkaufte Auflage __________________________________ 15. durchschnittliche Seitenzahl _______________________________________ 16. Sprache ________________________________________________________ 17. Preis der Zeitung_________________________________________________ freier Verkauf ▫ 18. Verkaufsform Abonnement ▫ 19. Anteil des redaktionellen Teils _____________________________________ 20. Anteil des Werbeteils ____________________________________________
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21. Eigentümer der Zeitung __________________________________________ 22. rechtliche Form des Unternehmens ________________________________ 23. Verkaufsgebiet der Zeitung ________________________________________
F R AGEBOGEN (TÜRKISCH) Gazete: ___________________________________________________________ 1. Yaş _____________________________________________________________ 2. Cinsiyet _________________________________________________________ 3. Doğum yeri ______________________________________________________ 4. Ana dili _________________________________________________________ 5. Vatandaşlık ______________________________________________________ 6. Eğitim yeri ______________________________________________________ 7. Mektebi ve mesleki eğitimi hangi dil icinde görünuyordu? __________________________________________________________________ 8. Dilsel şahsi değerlendirme: 1 ila 10 sayılı bir skalada (düşük ila yüksek) Türkçe:_________ Almanca:_______ 9. Tahsil derecesiniz? _______________________________________________ 10. Ne zamandan beri çalışıyorsunuz? __________________________________ 11. Mesleki pozisyonunuz? ____________________________________________ 12. Simdiki mesleki faaliyetiniz? _______________________________________ Gazete: ___________________________________________________________ 13. XY gazetesi ne zamandan beri Alman medya piyasasında satılır? __________________________________________________________________ 14. XY gazetesinin ortalama günlük/haftalık/aylık satılmış baskısı? Türkiye’de: ________________________________________________________ Almanya’da: _______________________________________________________ 15. XY gazetesinin ortlama günlük/haftalık/aylık sayfa sayısı? Türkiye’de: ________________________________________________________ Almanya’da: _______________________________________________________ 16. Dil ____________________________________________________________ 17. Gazetenin fiyat?: Türkiye’de:____________TL Almanya’da:___________EU 18. Almanya’daki satíş sekli abone ▫ serbest satış ▫ 19. Gazetenin redaksionel payı? _______________________________________ 20. Gazetenin reklam payı?
A NHANG
21. Gazetenin sahibi _________________________________________________ 22. Gazetenin hukuki şekli ___________________________________________ 23. Gazetenin satış bölgesi ___________________________________________
B I NTERVIE WLEITFADEN (DEUTSCH) Unternehmensstruktur • Dann würde ich Sie erst einmal bitten, mir zu beschreiben, wie die Erstellung einer Ausgabe der Zeitung XY verläuft? • Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen der Istanbuler und Frankfurter Redaktion ihrer Zeitung aus? • Welchen Aufgabenbereich erfüllen Sie dabei? • Wer trifft die personellen Entscheidungen? • Wie viele Mitarbeiter arbeiten in der Redaktion der Zeitung? • Wo wird die Zeitung gedruckt? Ab wann hauseigene Druckerei und was war davor? • Wie verläuft der Vertrieb der Zeitung? Ökonomische Einordnung • Welches ökonomische Potential sah man bei Etablierung der Zeitung auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt? • Wurden vor Zeitungsgründung Marketing- und Zielgruppenanalysen durchgeführt? • Wer ist der Investor? Verhältnis PI und PII • Wie unterscheidet sich die Zeitung von anderen türkischen Printmedien in Deutschland? (wo gibt es Gemeinsamkeiten?) • Wo liegen die Besonderheiten der Zeitung? • Besteht eine Kooperation mit anderen Medienunternehmen? (wenn ja, wie sieht diese Kooperation aus?) Dynamik • Wie beurteilen Sie die Entwicklungen auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt innerhalb der vergangenen 5 Jahre in Bezug auf die Angebotsstruktur von Printmedien? • Hat sich das Lese- und Mediennutzungsverhalten der türkischstämmigen Leser in den letzten Jahren verändert? • Arbeitet ihre Zeitung mit einem besonderen Europa Konzept? Wohin entwickelt sich dieses Konzept?
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Reaktion auf Dynamik und Strategie • Beschreiben Sie mir doch bitte mal die Zielgruppe der Zeitung, für wen schreiben Sie? • Welches Konzept verfolgt ihre Zeitung, um ihre Zielgruppe auf dem Lesermarkt zu erreichen, wie wird sich das zukünftig entwickeln? • Welches Konzept verfolgt ihre Zeitung, um ihre Zielgruppe auf dem werbetreibenden Markt zu erreichen, wie wird sich dies zukünftig entwickeln? Funktion von Minderheiten Medien • Welche Funktion haben die türkischen Medien heute für türkischstämmige Menschen in Deutschland? Unternehmerische Perspektive, Integration • Welche Bedeutung besitzt die Präsens der türkischen Medien in Deutschland für die Türkei? • Was denken Sie, wie sieht die unternehmerische Zukunft der türkischen Medienunternehmen in Deutschland aus? • Stichwort ›soziale Verantwortung‹ der Medien. Welchen Beitrag will die ihre Zeitung zur Integration von Minderheiten in Deutschland leisten?
I NTERVIE WLEITFADEN (TÜRKISCH) Unternehmensstruktur • XY gazete Avrupa sayısını nasıl üretiliyor? Bir sayısı hangi aşamalardan geçerek piyasaya veriliyor? • Istanbul ve Frankfurt’taki redaksiyonları nasıl bir işbirliği içinde çalışıyor? • Günlük göreviniz nedir, hangi kararları alıyor ve uyguluyorsunuz? • Istanbul’da ve Almanya’ kaç gazeteci XY Avrupa sayısı için çalışıyor? Yani kaç kişi hangi işleri yapıyor? • Frankfurt’ ta insan kaynakları kimin değerlendirme alanına giriyor? • XY gazetenin Avrupa satısı nasil düzenleniyor? • XY gazetenin dağıtımı nasil düzenliyor? Ökonomische Einordnung • Almanya’daki media piyasası XY gazetesi için nasıl bir önem taşıyor? • ekonomik anlamı • siyasi anlamı • XY Avrupa gazetesi’nin ilan pazarı nasil bir gelişme gösteriyor? • Frankfurt redaksiyonunun masraflarını ekonomik açsından XY gazetesinin Avrupa kârindan nasıl karşılıyor?
A NHANG
Verhältnis PI und PIII • XY gazetesi Almanya’da hangi gazeteyle rekabet içinde? • XY gazetesi diğer Türk gazetelerinden ayıran nitelikler nelerdir? • XY Avrupa gazetesinin özellikleri nedir ve Türkiy’de çıkan XY gazetesinin farklı yanları nelerdir? Dynamik • Son 5 yıl içinde Türk-Alman media piyasasındaki ürünlerin yapısı ve bunların sunum biçimlerinde bir değişim oldu mu? Bunlar nelerdir? • Bir değişme görüyorsanız, ne zaman oldu ve sizce bu değişimin kaynağında neler bulunuyor? • XY gazetesi özel bir avrupa konsept ile mi çalışıyor? Bu konsept nasıl bir gelişme gösteriyor? Reaktion auf Dynamik und Strategie • Almanya’daki hedef kitlenizi nasıl karakterize ediyorsunuz? Kimin için yazıyorsunuz? • Hedef kitlenizi elde tutmak için hangi konsept ile çalışıyorsunuz ve bu ilerde nasıl geliştirecek? • Ilan müşterilerinizi elde tutmak veya hedef kitleyi genişletmek için gazete olarak ne gibi stratejiler geliştirdiniz? Funktion von Minderheiten Medien • Almanya’daki Türk medyasının, günümüzde, buradaki Türk göçmen toplumun özellikle de ikinci ve üçüncü kuşak açısından nasıl bir işlevi bulunmaktadır? Unternehmerische Perspektive, Integration • Türk gazetelerinin Alman medya pazarında bulunmasının Türkiye için taşıdığı önem nedir? • Sizce Türk gazeteleri ekonomik açıdan Almanya’da nasıl bir gelişim gösterecektir? • Toplumsal sorumluluk başlığı altında: XY gazetesi Almanya’daki uyum konusuna hangi boyutta katılabilir?
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C L ISTE DER I NTERVIE WS Interview 1 (F.L.), türkische Tageszeitung, ehemaliger Chefredakteur der Deutschlandausgabe, Türkei, 03.09.03, (Interview wurde auf Türkisch geführt). Interview 2 (B.L.), türkische Tageszeitung, Chefredakteur einer regionalen Gebietseinheit, Deutschland, 19.10.03, (Interview wurde auf Türkisch geführt). Interview 3 (J.Z.), türkische Wochenzeitung, Chefredakteur, Türkei, 04.09.03, (Interview wurde auf Türkisch geführt). Interview 4 (I.D.), türkische Wochenzeitung, Chefredakteur, Türkei 04.09.03, (Interview wurde auf Türkisch geführt). Interview 5 (P.D.), türkische Wochenzeitung, Chefredakteur der Deutschlandausgabe, Deutschland, 20.11.03, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 6 (N.D.), türkische Tageszeitung, Chefredakteur der Deutschlandausgabe, Deutschland, 15.08.04, (Interview wurde auf Türkisch geführt). Interview 7 (T.C.), türkische Tageszeitung, Chefredakteur einer regionalen Gebietseinheit, Deutschland, 18.03.05, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 8 (L.L.), türkische Monatszeitung, Geschäftsführer des türkischen Medienunternehmens, Deutschland, 09.09.05, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 9 (H.E.), deutsch-türkische Wochenzeitung, Redakteur, Deutschland, 27.06.03, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 10 (N.B.), deutsch-türkische Wochenzeitung, Chefredakteur in Deutschland, Deutschland, 04.07.03, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 11 (T.P.), deutsch-türkische Wochenzeitung, verantwortlicher Redakteur des türkischen Lizenzgebers, Türkei, 09.09.03, (Interview wurde auf Türkisch geführt). Interview 12 (B.P.), deutsch-türkische wöchentliche Zeitungsbeilage, Herausgeber und Chefredakteur, Deutschland 13.10.03, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 13 (T.L.), deutsch-türkische wöchentliche Zeitungsbeilage, Redakteurin, Deutschland, 19.12.04, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 14 (C.D.), deutsch-türkisches Monatsmagazin, Herausgeber und Chefredakteur, Deutschland, 24.03.04, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 15 (P.T.), deutsch-türkisches Monatsmagazin, Chefredakteur, Deutschland, 18.10.03, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 16 (V.T.), deutsch-türkisches Internetportal, Deutschland, 09.07.03, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 17 (C.G.), Geschäftsführer eines deutsch-türkischen Medienunternehmens, Deutschland, 29.11.05, (Interview wurde auf Deutsch geführt). Interview 18 (G.T.), Geschäftsführer einer Gesellschaft für Kommunikationsforschung, Deutschland, 21.03.05, (Interview wurde auf Deutsch geführt).
A NHANG
D Z UR A NONYMISIERUNG DER I NTERVIE WS Interview 1 Interview 2 Interview 3 Interview 4 Interview 5 Interview 6 Interview 7 Interview 8 Interview 9 Interview 10 Interview 11 Interview 12 Interview 13 Interview 14 Interview 15 Interview 16 Interview 17 Interview 18
F.L. B.L. J.Z. I.D. P.D. N.D. T.C. L.L. H.E. N.B. T.P. B.P. T.L. C.D. P.T. V.T. C.G. G.T.
E Z UR R EPR ÄSENTANZ DER I NTERVIE WS Interview 1 (F.L.) und Interview 2 (B.L.) Interview 3 (J.Z.), Interview 4 (I.D.) und Interview 5 (P.D.) Interview 6 (N.D.) und Interview 7 (T.C.) Interview 8 (L.L.) Interview 9 (H.E.), Interview 10 (N.B.) und Interview 11 (T.P.) Interview 12 (B.P.) und Interview 13 (T.L.) Interview 14 (C.D.) Interview 15 (P.T.) Interview 16 (V.T.)
Printmedienproduzent 1 PMP 1 Printmedium 1 PM 1 Printmedienproduzent 2 PMP 2 Printmedium 2 PM 2 Printmedienproduzent 3 PMP 3 Printmedium 3 PM 3 Printmedienproduzent 4 PMP 4 Printmedienproduzent 5 PMP 5 Printmedium 5 PM 5 Printmedienproduzent 6PMP 6 Printmedium 6 PM 6 Printmedienproduzent 7 PMP 7 Printmedium 7 PM 7 Printmedienproduzent 8 PMP 8 Printmedium 8 PM 8 Medienproduzent 1
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Interview 17 (C.G.) Interview 18 (G.T.)
Medienproduzent 2 Medienwissenschaftler 1
F I NTERVIE WSITUATIONEN Interview 1 (F.L.)1 und Interview 2 (B.L.)2 Im September und Oktober 2003 führte ich die hier relevanten zwei Experteninterviews durch. Interview I wurde am 03.09.03 in der Türkei mit einem Interviewpartner durchgeführt, der für einige Jahre die Funktion des Chefredakteurs für die Deutschlandausgabe der türkischen Tageszeitung von Printmedienproduzent I innehatte und zum Zeitpunkt des Interviews in anderer Funktion im türkischen Mutterhaus tätig war. Der Termin selbst kam durch einen privaten Kontakt eines Bekannten zustande; der Interviewpartner erklärte sich sofort zur Interviewdurchführung bereit, nahm sich 3 Stunden Zeit für mein Anliegen und stellte mich nach dem Interview noch Kollegen innerhalb der Redaktion der Deutschlandausgabe (tr.: alman masası) vor. Die Interviewatmosphäre war betont freundlich nach dem Motto ›wir haben nichts zu verbergen‹ gleichzeitig aber auch konzentriert wachsam, um möglichst keine unkontrollierten Aussagen zu produzieren. Interview 2 wurde am 19.10.03 in Deutschland mit einem Chefredakteur einer regionalen Gebietseinheit für die Deutschlandausgabe der türkischen Tageszeitung von Printmedienproduzent I durchgeführt. Die Kontaktaufnahme zum Interviewpartner basierte auf einem bestehenden beruflichen Vorkontakt der Forscherin. Der Interviewpartner erklärte sich auf telefonische Anfrage zum Interview bereit, ohne zuvor detailliert über den Untersuchungsgegenstand unterrichtet worden zu sein. Das Interview wurde in türkischer Sprache geführt und verlief zügig und konzentriert in den offenen Arbeitsräumlichkeiten der Redaktion; es dauerte 40 Minuten. Bei dem Produkt von Printmedienproduzent 1 handelt es sich um ein türkisches Printmedium, welches 7 Tage die Woche auf dem deutsch-türkischen Printme1 | Interviewpartner 1 ist in der Türkei geboren und sozialisiert, legte dort das deutsche Abitur ab, spricht neben seiner Muttersprache Türkisch auch Deutsch, ist studierter Philologe und ist seit vielen Jahren als Journalist, lange auch in leitender Position, für ein türkisches Medienunternehmen tätig.
2 | Interviewpartner 2 ist in der Türkei geboren und sozialisiert, Grundschullehrer, studierte später in Deutschland im Fachbereich Philologie, spricht neben seiner Muttersprache Türkisch auch Deutsch, lebt und arbeitet seitdem in Deutschland als Journalist und ist für ein türkisches Medienunternehmen tätig.
A NHANG
dienmarkt in türkischer Sprache erscheint und auf der Basis des in der Türkei erstellten Mutterblattes eine Deutschlandausgabe erstellt. Interview 3 (J.Z.)3, Interview 4 (I.D.)4 und Interview 5 (P.D.)5 Interview 3 wurde am 04.09.03 in der Türkei mit einem der vier Chefredakteure einer türkischen Tageszeitung geführt; selbige Zeitung wird in Deutschland als türkische Wochenzeitung vertrieben. Der Interviewtermin kam durch einen persönlichen Kontakt zum Herausgeber der Zeitung zustande, der der Interviewerin die relevanten Interviewpartner vermittelte. Das Interview selbst wurde in den Büroräumlichkeiten des Zeitungsverlages geführt; aufgrund der laufenden Büroroutine kam es zu kleinen Unterbrechungen. Der Interviewpartner war freundlich und aufgeschlossen aber auch sehr Zeit orientiert, was dazu führte, dass er konzentriert aber zügig auf die Fragen einging. Bei Teil 2 des Interviews verwies er mich an seinen Kollegen, ebenfalls Chefredakteur. Auf diese Weise wurde Teil 1 des Interviews mit Interviewpartner 3 und Teil 2 des Interviews mit Interviewpartner 4 durchgeführt. Das Interview wurde in türkischer Sprache geführt und dauerte rund 30 Minuten. Interview 4 wurde ebenfalls am 04.09.03 in der Türkei, in den Büroräumlichkeiten der türkischen Tageszeitung durchgeführt. Interviewpartner 3 hatte die Interviewerin an seinen Kollegen weitergeleitet, weil er an der Herausgabe der Deutschlandausgabe stärker involviert war. Der Interviewpartner zeigte sich interessiert, war aber nicht bereit, in gewünschter Weise auf den Leitfaden einzugehen. Er schweifte inhaltlich von den Fragen ab und begann seine Ansichten über das Beziehungsgefüge zwischen Türkei Türken und TBiD darzulegen, welches ihn zum Zeitpunkt des Interviews emotional und politisch zu beschäftigen schien. In diesem Sinne hielt sich die Interviewerin nicht mehr eng an den Leitfaden, konnte die Thematik jedoch inhaltlich themenrelevant eingrenzen. Das Interview wurde in türkischer Sprache geführt und dauerte rund 20 Minuten. Interview 5 wurde am 20.11.03 in Deutschland mit dem Redaktionsleiter der Deutschlandausgabe einer türkischen Wochenzeitung in Deutschland geführt. Der Interviewtermin kam durch einen persönlichen Kontakt der Interviewerin zustande. Das Interview selbst fand in einem Cafe in einer deutschen Großstadt 3 | Interviewpartner 3 wurde in der Türkei geboren und sozialisiert; er besitzt einen Hochschulabschluss und ist zum Zeitpunkt des Interviews als Chefredakteur tätig.
4 | Interviewpartner 4, Journalist und Schriftsteller (keine näheren Angaben zur Biographie des Interviewpartners vorhanden).
5 | Interviewpartner 5 ist in der Türkei geboren und sozialisiert, studierte an einer deutschen Hochschule, spricht neben seiner Muttersprache deutsch und englisch, lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Deutschland als Journalist.
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statt. Das Interview wurde in einer sehr offenen und vertraulichen Atmosphäre geführt. Die letzten 15 Min des Interviews waren etwas unruhig, weil das Interview durch lautere Hintergrundgeräusche überlagert wurde. Interviewpartner 5 zeigte sich sehr interessiert und ging offen auf den Leitfaden ein. Das Interview wurde in deutscher Sprache geführt und dauerte circa 70 Minuten. Bei dem Produkt von Printmedienproduzent 2 handelt es sich um ein türkisches Printmedium, welches als Wochenzeitung auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt in türkischer Sprache erscheint und auf der Basis des in der Türkei erstellten Mutterblattes eine Deutschlandausgabe heraus gibt. Interview 6 (N.D.)6 und Interview 7 (T.C.)7 Zur Rekonstruktion von Printmedienproduzent 3 wurden zwei Experteninterviews geführt. Interview 6 wurde am 15.07.04 in den Büroräumlichkeiten des Europasitzes einer in Deutschland/Europa täglich erscheinenden türkischen Tageszeitung geführt. Interviewpartner war der Verlagschef der Europaausgabe der türkischen Zeitung; er stand gleichzeitig auch dem hauseigenen TV-Sender vor. Das Gespräch wurde auf türkisch im Beisein zweier anderer türkischer Journalisten geführt. Die Interviewatmosphäre lässt sich als höflich/sehr bemüht und freundlich gleichzeitig aber auch als leicht angespannt beschreiben. Der Interviewerin hatte den Eindruck, das eine Art von konservativ religiöser (männlicher) Befangenheit das Interview auf eine Gesprächsbasis geführt hatte, in der der Interviewpartner eher zu Monologen neigte. Nach dem Interview stellt man der Interviewerin noch die Redaktionsmitglieder der Tageszeitung vor und lud sie zu einem Mittagessen in der hauseigenen Kantine ein. Der Verlagschef selbst sprach nur türkisch, war nach eigener Auskunft darum bemüht, deutsch zu erlernen. Interview 7 wurde am 18.03.05 mit dem Redaktionsleiter des Hauptstadtbüros von Printmedienproduzent 3 in deren Büroräumlichkeiten geführt. Das Interview wurde in deutscher Sprache geführt und der Interviewpartner zeigte sich interessiert und freundlich. Beide Interviews waren durch eine Kontaktvermittlung durch eine außen stehende Person, nach telefonischer Anfrage durch die Interviewerin zustande gekommen.
6 | Interviewpartner 6 wurde in der Türkei sozialisiert, absolvierte in der Türkei seinen Hochschulabschluss (Publizistik) und arbeitete bis zur Übernahme als Verlagschef von Printmedienproduzent 3 in der Türkei.
7 | Interviewpartner 7 wurde in der Türkei geboren, kam während seiner Kindheit nach Deutschland und legte seine Hochschulreife in Deutschland ab; er spricht deutsch, türkisch und englisch.
A NHANG
Bei dem Produkt von Printmedienproduzent 3 handelt es sich um ein türkisches Printmedium, welches 7 Tage die Woche auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt in türkischer Sprache erscheint und auf der Basis des in der Türkei erstellten Mutterblattes eine Deutschlandausgabe erstellt. Die Zeitung wird größtenteils über Abonnements vertrieben. Interview 8 (L.L.)8 Interview 8 wurde am 09.09.05 mit dem Geschäftsführer eines türkischen Medienunternehmens in der Deutschlandvertretung geführt. Die Interviewerin sprach zuvor den Interviewpartner auf einer Konferenz an und bat um einen Interviewtermin, nach telefonischer Absprache kam dieser dann zustande. Das Interview wurde im Büro des Geschäftsführers, in sehr freundlicher und Themen interessierter Atmosphäre auf Deutsch geführt. Gegenstand des Interviews war eine türkische Monatszeitung, die kostenlos an Abonnenten vertrieben wird. Bei dem Produkt von Printmedienproduzent 4 handelt es sich um ein türkisches Printmedium, welches ein Mal pro Monat auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt in türkischer Sprache erscheint und komplett in Deutschland konzipiert und verlegt wird. Die Zeitung wird kostenlos auf Abonnentenbasis vertrieben und über Werbung finanziert. Interview 9 (H.E.)9 , Interview 10 (N.B.)10 und Interview 11 (T.P.)11 Interview 9 wurde am 27.06.03 (erstes Interview der Untersuchungsreihe) mit einem deutschen Mitarbeiter einer deutsch-türkischen Wochenzeitung in den privaten Räumlichkeiten des Interviewpartners geführt. Zum Zeitpunkt des Interviews war die deutsch-türkische Wochenzeitung nicht mehr auf M II prä8 | Interviewpartner 8 wurde in der Türkei geboren, legte seine schulische und universitäre Laufbahn in Deutschland ab und ist als Geschäftsführer der Vertretung eines türkischen Medienunternehmens in Deutschland maßgeblich an der Konzeption eines neuen türkischsprachigen Zeitungsformates in Deutschland verantwortlich.
9 | Interviewpartner 9 war als deutscher Mitarbeiter Bestandteil der Redaktion einer deutsch-türkischen Wochenzeitung auf M II. Er spricht zudem türkisch und ist heute als freier Übersetzer und Journalist tätig.
10 | Interpartner 10 ist ein türkischer Journalist, der in der Türkei geboren und sozialisiert wurde und dort seinen Hochschulabschluss abgelegte. Er spricht deutsch und war für die Dauer der Existenz der deutsch-türkischen Wochenzeitung von seinem Unternehmen nach Deutschland gesandt worden.
11 | Interviewpartner 11 ist in der Türkei sozialisiert und hat dort seine schulische und universitäre Ausbildung abgeschlossen. Er ist verantwortlicher Direktor eines großen türkischen Medienproduzenten, der Lizenzgeber für die deutsch-türkische Wochenzeitung war.
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sent.12 Für die Interviewerin war dies das erste Interview, was zu einer anfänglichen Nervosität führte, diese wurde jedoch mit Interviewbeginn schwächer. Das Interview wurde ohne Zeitdruck geführt und das Gespräch verlief eng entlang des Leitfadens. Der Interviewpartner war der Interviewerin bekannt, so dass das Gespräch sehr offen geführt wurde. Interview 10 wurde der Interviewerin durch Interviewpartner 9 vermittelt. Das Interview fand ebenfalls in den privaten Räumlichkeiten des Journalisten statt. Der Interviewpartner war freundlich aber auch leicht distanziert. Er fühlte sich vermutlich durch die Vermittlung von Interviewpartner 9 dazu veranlasst als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen, hatte jedoch innerlich mit dem ›Zeitungsprojekt‹ bereits abgeschlossen und befand sich kurz vor seiner Rückkehr in die Türkei. Das Interview wurde auf Deutsch geführt. Es stellte sich aber im Nachhinein heraus, dass es sinnvoller gewesen wäre, ihn in seiner Muttersprache auf Türkisch zu interviewen. Es kam immer wieder zu sprachlichen Unverständlichkeiten, was dazu führte, dass er kurz und abgehackt antwortete und kein flüssiger Gesprächsverlauf zustande kam. Die Interviewerin überarbeitete darauf hin ihren Leitfaden, ging bei der Sprachnutzung sensitiver vor und ließ den kommenden Interviewpartnern eine flexiblere Themenführung zuteil werden. Interview 11 wurde am 09.09.03 in der Türkei in den Räumlichkeiten der ›Vereinigung der Türkischen Journalisten‹13 geführt. Der Interviewpartner wurde durch Interviewpartner 10 vermittelt. Das Interview selbst wurde auf Türkisch geführt und verlief in einer sehr angenehmen am Untersuchungsgegenstand interessierten Atmosphäre. Der Interviewpartner war der verantwortliche Redakteur für die deutsch-türkische Wochenzeitung innerhalb des türkischen Medienunternehmens in der Türkei. Bei dem Produkt von Printmedienproduzent 5 handelt es sich um ein deutschtürkisches Printmedium, welches als Wochenzeitung auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt in deutscher und türkischer Sprache erschien. Die deutschsprachige Beilage wurde eigenständig in Deutschland hergestellt.
12 | Dies gilt ebenso für Interview 10 und 11. 13 | »Türkiye Gazeteci Cemaati«.
A NHANG
Interview 12 (B.P.)14 und Interview 13(T.L.)15 Interview 12 wurde am 13.10.2003 in den privaten Räumlichkeiten der Interviewerin in deutscher Sprache durchgeführt. Das Interview kam durch einen bestehenden Vorkontakt der Interviewerin zustande. Das Interview begann morgens früh, der Interviewpartner war zunächst etwas unkonzentriert. Es fiel ihm schwer, sich an die Details des schon beendeten ›Zeitungsprojektes‹ zu erinnern. Nach einer kurzen Phase verlief das 2stündige Interview dann konzentriert und der Interviewer öffnete sich den Fragen sehr stark. Der Interviewpartner war Verleger der Zeitung. Interview 13 wurde am 19.12.04 in den privaten Räumlichkeiten der Journalistin durchgeführt. Das Interview kam durch einen Vorkontakt der Interviewerin zustande und wurde in deutscher Sprache durchgeführt. Das Interview verlief in einer sehr vertrauensvollen Atmosphäre. Bei dem Produkt von Printmedienproduzent 6 handelte es sich um eine deutsch-türkische Beilage, die einmal wöchentlich in einer großen deutschen überregionalen Tageszeitung erschien. Die Beilage wurde bilingual verlegt.
14 | Interviewpartner 12 wurde in der Türkei geboren und sozialisiert, kam zum Hochschulstudium nach Deutschland und lebt und arbeitet seitdem in Deutschland. Er arbeitete branchenfremd im Verlags in und Zeitungswesen.
15 | Bei Interviewpartnerin 13 handelt es sich um die einzige Frau, die in Rahmen der Experteninterviews befragt wurde. Dieser Umstand ist dadurch zu erklären, dass alle relevanten Positionen durch männliche Experten besetzt waren. Interviewpartnerin 13 ist Türkei stämmig, in Deutschland sozialisiert, Hochschulabsolventin und als freie Journalistin tätig.
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Interview 14 (C.D.)16 Interview 14 wurde am 24.03.04 in Deutschland nach telefonischer Anfrage seitens der Interviewerin in den Räumlichkeiten des Monatsmagazins geführt. Das Interview verlief in deutscher Sprache in einer aufgeschlossenen, entspannten Atmosphäre. Interviewpartner 14 war der Herausgeber des Magazins. Bei dem Produkt von Printmedienproduzent 7 handelt es sich um ein deutschtürkisches Printmedium, welches als Monatsmagazin auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt in deutscher Sprache erschien, sich durch Werbung finanzierte und kostenlos ausgelegt wurde. Interview 15 (P.T.)17 Interview 15 wurde am 18.10.03 in Deutschland in den Büroräumen des Interviewpartners in deutscher Sprache geführt. Interviewpartner 15 ist der ehemalige Herausgeber einer deutsch-türkischen Monatszeitschrift, die auf M II verlegt wurde. Der Interviewtermin erfolgte auf Anfrage der Interviewerin per e-mail. Ein erster Interviewtermin musste aus Zeitgründen seitens des Experten verschoben werden, er zeigte sich allerdings sehr bemüht, zeitnah einen weiteren Interviewtermin anzugeben. Vor dem Interview fühlte sich Interviewpartner 15 nicht hinreichend über den Inhalt des Interviews informiert. Es wurde ihm erklärt, dass aus Gründen der Vergleichbarkeit der Experteninterviews, alle Interviewpartner die gleiche allgemeine Themenvorgabe erhalten; nach Beendigung des Interviews stünde noch Raum für weitere Fragen seinerseits zur Verfügung. Bei dem Produkt von Printmedienproduzent 8 handelt es sich um ein deutschtürkisches Printmedium, welches als Monatszeitung auf dem deutsch-türkischen Printmedienmarkt in deutscher und türkischer (10 %) Sprache erschien. Interview 16 (V.T.)18 Interview 16 wurde am 09.07.03 in Deutschland in den Büroräumen eines deutsch-türkischen Internetunternehmens in deutscher Sprache geführt. Der Interviewtermin erfolgte nach telefonischer Anfrage seitens der Interviewerin. Das Interview verlief in einer freundlich-professionellen Atmosphäre.
16 | Interviewpartner 14 ist türkischer Herkunft, wurde in Deutschland geboren und sozialisiert, Hochschulabschluss und Herausgeber eines Monatsmagazins.
17 | Interviewpartner 15 ist türkischer Herkunft, wurde in Deutschland sozialisiert, schulisch und beruflich qualifiziert. Er war als Geschäftsführer eines deutsch-türkischen Monatsmagazins tätig.
18 | Interviewpartner 18 ist ein deutscher Kommunikationsforscher, der im Bereich der türkeistämmigen Rezipientenforschung empirisches Datenmaterial erstellt und an Unternehmen vertreibt.
A NHANG
Medienproduzent 1 ist ein deutsch-türkisches Unternehmen, welches in der Internetbranche tätig ist und ein Portal für die Zielgruppe Deutsche türkischer Herkunft aufgebaut hat. Interview 17 (C.G.)19 Interview 17 wurde am 29.11.05 in einem Restaurant in einer deutschen Großstadt geführt. Der Interviewtermin kam durch eine e-mail Anfrage seitens der Interviewerin zustande. Der Interviewtermin lag allerdings zwischen zwei anderen Terminen des Gesprächspartners, so dass latent ein Zeitdruck zu spüren war. Interview 18 (G.T.)20 Interview 18 wurde am 21.03.05 in einer deutschen Großstadt in den Räumlichkeiten seines Büros in deutscher Sprache geführt. Der Interviewtermin kam durch eine e-mail Anfrage seitens der Interviewerin zustande. Das Experteninterview war nicht an den ausgearbeiteten Leitfaden angelehnt, sondern fokussierte auf dem Mediennutzungsverhalten der Türkei stämmigen Rezipienten. Das Interview war sehr ausführlich und der Gesprächspartner übergab der Interviewerin eigenes empirisches Datenmaterial aus seinem Forschungs- und Arbeitsalltag.
G L ISTE DER U NTERNEHMEN , DIE ZUR D O ĞAN M EDIEN G RUPPE GEHÖREN Tabelle 24: Liste der Unternehmen, die zur Doğan Medien Gruppe gehören21 Hürriyet
Tageszeitung
Milliyet
Tageszeitung
Posta
Tageszeitung
Radikal
Tageszeitung
Fanatik
Sportzeitung
Gözcü
Tageszeitung
Turkish Daily News
Englischsprachige Tageszeitung (täglich)
19 | Interviewpartner 17 ist ein deutscher Manager, der für einen deutschen Medienproduzenten tätig ist, der u.a. einen regionalen türkischen Radiosender besitzt.
20 | Interviewpartner 18 ist ein deutscher Kommunikationsforscher, der im Bereich der türkeistämmigen Rezipientenforschung empirisches Datenmaterial erstellt und an Unternehmen vertreibt.
21 | Entnommen einer Selbstdarstellung der DMG, Istanbul 2002.
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Finansal Forum
Wirtschaftszeitung (täglich)
Kanal D
TV Sender
CNN Turk
TV Sender
Doğan Radyolar
Radio Foreks,22 Radio D
ANS International
Postproduktionsfirma für Video und TV
Doğan Burda Rizzoli23
Publikation und Vertrieb von Zeitschriften
Doğan Kitapçılık
Buchverlag
Doğan Egmont
24
Kinder- und Jugendzeitschriftenverlag
Doğan Online
Onlinedienstleistungen, e-commerce
Hürriyetim
Hürriyet Online Zeitung
Doğan Music Company DMC
Musik Produktion
Doğan Raks
Handel und Vertrieb von Musik, Büchern und Computersoftware
Doğan Printing Centers
Zeitungsdruckerei
Yaysat
Zeitungsvertrieb
Doğan Ofset
Offset
Doğan Haber Ajansı
Nachrichten Agentur
DGM International
Doğan Media Gruppe International
Doğan Factoring
Inkasso Unternehmen?
Dergi Pazarlama Planlama, DPP
Vertriebsplanung
Galaxy Teknik
Technikbereitstellung und -beratung für den TV, Radio und Produktion
Aydın Doğan Vakfı
Aydın Doğan Vakfı Stiftung tätig im Bereich Kultur, Erziehung, Soziales, Wissenschaft und Sport
22 23 24
22 | Seit 2001 Zusammenarbeit mit Deutscher Welle. 23 | Seit 1988 Zusammenarbeit der Hürgüç (Hürriyet Zeitschriften Gruppe) mit der deutschen Burda GmbH und der italienschen Mediengruppe Rizzoli Corriere della Sera. Seit Februar 2000 ist die DMG größter Anteilseigner und es entstand der Doğan Burda Rizzoli Zeitschriftenverlag und Vertrieb.
24 | Der Doğan Egmont Verlag besteht seit 1996 und ist ein Verlag der DMG und der dänischen Egmont Holding.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11:
Darstellung des deutsch-türkischen Medienmarktes in Deutschland | 12 Konzept-Indikator-Modell von Glaser und Strauss (1999) | 101 Offenes Kodieren mit ATLAS.ti | 109 Offenes Kodieren mit ATLAS.ti mit parallel geöffneten Dokumentenfenstern | 110 Mit ATLAS.ti erstelltes Cluster | 111 Internes Kommunikationsmodell der Hürriyet Europa | 122 Besitzstruktur und Aufgabenverteilung der Dünya Hafta | 136 Schematische Darstellung der fünf Schlüsselkategorien | 141 Schematische Darstellung der drei Typen auf dem deutsch-türkischen Medienmarkt | 233 Zyklusdiagramm der drei Typen | 236 Empirische Ergebnisse | 249
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5:
Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20:
Kosten- und Umsatzstruktur von Abonnentenzeitungen in Westdeutschland (Durchschnittswerte in Prozent); Quelle: BDZV | 24 Auflagenzahlen der größten türkischen Tageszeitungen in der Periode von 1960-1970 | 62 Kategorienschema türkischer Tageszeitungen | 68 Türkische Tageszeitungen in der Türkei 2007 im Überblick | 69 Auflagenanteile der jeweils zehn auflagenstärksten Verlagsgruppen (VG) in Deutschland von 1995 bis 2000 (bezogen auf Tageszeitungen) | 79 Phasenmodell des deutsch-türkischen Medienmarktes (M II) | 81 IVW-Daten zur Hürriyet Gesamt Europa 2003-2006 (Mo-So) | 88 IVW-Daten zur Hürriyet Gesamt Europa 1998-2002 (Mo-So) | 88 IVW-Daten zur Zaman Deutschland 2004-2006 (Mo-Sa) | 89 Basisdaten (deutsch)-türkischer Printmedien in Deutschland in 2007 | 90 Kodekatalog | 108 Darstellung der empirischen Ergebnisse aus Kapitel IV.2 | 140 Mehrfeldtafel 1 zur Kombinationen der Schlüsselkategorien in ihren unterschiedlichen Dimensionen | 226 Mehrfeldtafel 2 zur Gruppierung der PMP nach Typen in Kombination mit den für sie relevanten Dimensionen | 227 Typ 1 und die ihm zugeordneten Dimensionen | 227 Typ 2 und die ihm zugeordneten Dimensionen | 229 Typ 3 und die ihm zugeordneten Dimensionen | 231 Typ 1 und Typ 2 im Vergleich | 234 Typ 2 und Typ 3 im Vergleich | 235 Typ 1 und Typ 3 im Vergleich | 236
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Tabelle 21: Der konstruierte Idealtyp | 237 Tabelle 22: Die Typen und ihre Schlüsselkategorien | 252 Tabelle 23: Faktoren der Präsenz von Immigrantenmedien/ fremdsprachlichen Medien/ethnischen Medien | 262 Tabelle 24: Liste der Unternehmen, die zur Doğan Medien Gruppe gehören | 281
Abkürzungsverzeichnis
AA AnaP AP ASV CHP DMG DP dt. FES GT IP IP IVW
Anadolu Ajansı Anavatan Partisi (Mutterlandspartei) Adalet Partisi (Gerechtigkeitspartei) Axel Springer Verlag Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei) Doğan Media Grubu (Doğan Medien Gruppe) Demokrat Partisi (Demokratische Partei) deutsch Friedrich-Ebert-Stiftung Grounded Theory Immigrantenpresse Interviewpartner Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. İTC İttihat ve Terakki Cemiyeti (Komitee für Einheit und Fortschritt) MI Medienmarkt I (tr. Medienmarkt in der Türkei) M II Medienmarkt II (dt./tr. Medienmarkt in Deutschland) MBK Millî Birlik Komitesi (Komitee für Nationale Einheit) MBQ Mischform Boulevard und Qualitätszeitung MGK Millî Güvenlik Konseyi (Nationaler Sicherheitsrat) OR Osmanisches Reich PI Pressesystem I P II Pressesystem II PM Printmedium PMP Printmedienproduzent SK Schlüsselkategorie TBiD Türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland TBMM Türkiye Büyük Millet Meclisi (Große Türkische Nationalversammlung, türkisches Parlament) TİS Türk İslam Sentezi, (Türkisch-Islamische Synthese) tr. türkisch TRT-INT Türk Radio ve Television International
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Lucyna Darowska, Thomas Lüttenberg, Claudia Machold (Hg.) Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität September 2010, ca. 146 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1375-9
Özkan Ezli (Hg.) Kultur als Ereignis Fatih Akins Film »Auf der anderen Seite« als transkulturelle Narration Oktober 2010, ca. 150 Seiten, kart., ca. 22,80 €, ISBN 978-3-8376-1386-5
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Kultur und soziale Praxis Claudia Schirrmeister Bratwurst oder Lachsmousse? Die Symbolik des Essens – Betrachtungen zur Esskultur November 2010, ca. 204 Seiten, kart., ca. 21,80 €, ISBN 978-3-8376-1563-0
Doris Weidemann, Jinfu Tan Fit für Studium und Praktikum in China Ein interkulturelles Trainingsprogramm August 2010, 188 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN 978-3-8376-1465-7
Ayfer Yazgan Morde ohne Ehre Der Ehrenmord in der modernen Türkei. Erklärungsansätze und Gegenstrategien September 2010, ca. 366 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1562-3
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Kultur und soziale Praxis Sylke Bartmann, Oliver Immel (Hg.) Das Vertraute und das Fremde Differenzerfahrung und Fremdverstehen im Interkulturalitätsdiskurs September 2010, ca. 240 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1292-9
Aida Bosch Konsum und Exklusion Eine Kultursoziologie der Dinge Januar 2010, 504 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1326-1
Martina Grimmig Goldene Tropen Zur Koproduktion natürlicher Ressourcen und kultureller Differenz in Guayana November 2010, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-89942-751-6
Politiques, Sociétés, Espaces IPSE – Identités (Hg.) Doing Identity in Luxemburg Subjektive Aneignungen – institutionelle Zuschreibungen – sozio-kulturelle Milieus Juli 2010, 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1448-0
Anne Broden, Paul Mecheril (Hg.) Rassismus bildet Bildungswissenschaftliche Beiträge Anne-Christin Schondelmayer zu Normalisierung und Subjektivierung Interkulturelle Handlungskompetenz in der Migrationsgesellschaft Entwicklungshelfer und Auslandskorrespondenten in Mai 2010, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1456-5 Afrika. Eine narrative Studie Kathrin Düsener Integration durch Engagement? Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach Inklusion Januar 2010, 290 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1188-5
Jörg Gertel Globalisierte Nahrungskrisen Bruchzone Kairo Juli 2010, 470 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1114-4
Jörg Gertel, Ingo Breuer (Hg.) Alltags-Mobilitäten Aufbruch marokkanischer Lebenswelten
August 2010, 382 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1187-8
Tina Spies Migration und Männlichkeit Biographien junger Straffälliger im Diskurs Oktober 2010, ca. 430 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1519-7
Asta Vonderau Leben im »neuen Europa« Konsum, Lebensstile und Körpertechniken im Postsozialismus Juni 2010, 238 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1189-2
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Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de