Nachgelassene Manuskripte und Texte / Goethe Vorlesungen (1940-1941): Herausgeber: Krois, John M 3787312579, 9783787312573

Ernst Cassirer publizierte zahlreiche Aufsätze und andere Texte zu verschiedenen Aspekten von Goethes Werk. Die hier vor

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German Pages 492 [494] Year 2003

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Nachgelassene Manuskripte und Texte / Goethe Vorlesungen (1940-1941): Herausgeber: Krois, John M
 3787312579, 9783787312573

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Ernst Cassirer Nachgelassene Manuskripte und Texte Band 11

Meiner

Goethe Vorlesungen (1940 – 1941)

ERNST CASSIRER GOETHE-VORLESUNGEN (1940–1941)

E R N ST CA S S I R E R NACH GELASSENE MAN USKRIPTE UND TEXTE Herausgegeben von Klaus Christian Khnke John Michael Krois und Oswald Schwemmer Band 11

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

E R N ST CA S S I R E R GOETHE-VORLESUNGEN D E R J U NGE G O E T H E – G T E B O RG 1940–1941 GOETHES GEISTIGE LEISTUNG – LUND 1941 M I T B E I L AG E N : DER JUNGE GOETHE, GOETHE UND DIE DEUTSCHE SPRACHE, NOTIZEN BER GOETHE UND DIE DEUTSCHE SPRACHE, GOETHE UND DIE BIBEL, BRAHM: DAS DEUTSCHE RITTERDRAMA DES 18.TEN JAHRHUNDERTS, BER GELLERTS LUSTSPIELTECHNIK

Herausgegeben von John Michael Krois

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet ber abrufbar ISBN 3-7873-1257-9

Zitiervorschlag: ECN 11

Gedruckt mit Untersttzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.  Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2003. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der bersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfltigung und bertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und bertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bnder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrcklich gestatten. – Satz: H & G GmbH, Hamburg. Druck: Strauss Offsetdruck, Mrlenbach. Einband: Lderitz & Bauer, Berlin. Einbandgestaltung: Jens Peter Mardersteig. Werkdruckpapier: alterungsbestndig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. www.meiner.de

G EL EI T WO RT »Ernst Cassirer · Nachgelassene Manuskripte und Texte«

Die nachgelassenen Aufzeichnungen und Papiere Ernst Cassirers sind seit Anfang der sechziger Jahre im Besitz der Beinecke Rare Book and Manuscript Library an der Yale University, und sie sind vollstndig erhalten. Der umfangreiche, fr diese Ausgabe erstmals systematisch gesichtete und durchgngig erschlossene Nachlaß umfaßt neben Reinschriften der von Cassirer selbst zur Verffentlichung gebrachten Werke und Schriften eine große Anzahl unverffentlichter Manuskripte aus allen Bereichen seines wissenschaftlichen und philosophischen Lebenswerks. Neben den Forschungs- und Vorlesungsmanuskripten, die nicht unmittelbar zum Zweck der Publikation ausgearbeitet wurden, aber gleichwohl zum materialen Grundbestand seines Werkes gehren, sind es vor allem die seit der 1933 erzwungenen Emigration Cassirers unter erschwerten Bedingungen in England, Schweden und den USA entstandenen unverffentlichten Aufzeichnungen, Vortrge und Schriften, die fr die Beurteilung der systematischen Konzeption und Fortentwicklung der Philosophie Ernst Cassirers von unschtzbarer Bedeutung sind. Die Ausgabe Ernst Cassirer · Nachgelassene Manuskripte und Texte wird auf Grundlage der in der Beinecke Rare Book and Manuscript Library und in weiteren Bibliotheken sowie in Privatbesitz befindlicher Manuskripte eine umfassende, nach thematischen Gesichtspunkten in 20 Bnde gegliederte kritische Edition aller wissenschaftlich relevanten Texte aus dem Nachlaß Ernst Cassirers vorlegen. Sie macht neue und bislang unzugngliche Texte Cassirers zur theoretischen Begrndung und Ausarbeitung der Philosophie der symbolischen Formen (Abt. I), zur Geistesgeschichte (Abt. II) und zur Geschichte der Philosophie (Abt. III) erstmals zugnglich. Hervorzuheben sind hier die bislang unbekannt gebliebenen Texte zu seiner Lehre ber Basisphnomene, die als die wohl wichtigsten theoretischen Untersuchungen Cassirers zur Begrndung der Philosophie der symbolischen Formen gelten knnen (siehe die Bnde 1, 2, 3 und 5), aber auch seine weiterfhrenden Untersuchungen zu anderen Themenkreisen (z. B. zur Geschichtstheorie und Rechtsphilosophie). Ergnzt wird die Ausgabe durch die Edition des Briefwechsels Ernst Cassirers (Abt. IV). Klaus Christian Khnke · John Michael Krois · Oswald Schwemmer

I N H A LT

Geleitwort »Ernst Cassirer · Nachgelassene Manuskripte und Texte« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI GOETHE-VORLESUNGEN 1940–1941 DER JUNGE GOETHE I. [Erste Vorlesung: Einleitung – Goethe als “Befreier” 2. X. 40] . . . . . . .

5

Zweite Vorlesung: [Goethe und die deutsche Geistesgeschichte 9. X. 40] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

[Dritte Vorlesung: Der knstlerische und der gedankliche Gehalt von “Dichtung und Wahrheit” 16. X. 40] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

[Vierte Vorlesung: Elternhaus und Kindheit 23. X. 40] . . . . . . . . . . . . . . .

48

[Fnfte Vorlesung: Goethe und Leipzig – Das Leipziger Liederbuch 30. X. 40] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

[Sechste Vorlesung: Die Mitschuldigen 13. XI. 40] . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

[Siebente Vorlesung: Rckkehr nach Frankfurt – Pietistische und okkultische Lektre 27. XI. 40] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 [Achte Vorlesung: Die geistigen Wurzeln der Sturm- und Drangbewegung – Rousseau und Herder 4. XII. 40] . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

DER JUNGE GOETHE II. [Erste Vorlesung: Strassburg und Sesenheim. – Die Lyrik des jungen Goethe 29. I. 41] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Zweite Vorlesung: Gtz von Berlichingen [5. II. 41] . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 [zustzliche Vorlesung:] Viertes Kapitel: Gtz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Dritte Vorlesung: Die Leiden des jungen Werthers [12. II. 41] . . . . . . . 138 [zustzliche Vorlesung: Die Leiden des jungen Werthers] . . . . . . . . . . . 149

VIII

Inhalt

[ohne Zhlung:] Der »Urfaust« [19. II. 41] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 [zustzliche Vorlesung: Der Urfaust] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Vierte Vorlesung. Lilly Schnemann [26. II. 41] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 [zustzliche Vorlesung: Lilly Schnemann] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Fnfte Vorlesung. [Die Religion des jungen Goethe. 5. III. 41] . . . . . . 188 Sechste Vorlesung[:] Rckblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Letzte Vorlesung (12. III. 41) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 GOETHES GEISTIGE LEISTUNG Goethe Vorlesungen, Lund, Mrz 1941 Erste Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Zweite Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 BEILAGEN Der junge Goethe. [Vorlesung an Gteborgs Hgskola. Erste Fassung] . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 [Entwrfe zu den Goethe-Vorlesungen] [Goethe und die deutsche Sprache] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 [Notizen ber Goethe und die deutsche Sprache] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Goethe und die Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 [Studentische Referate] Brahm: Das deutsche Ritterdrama des 18.ten Jahrhunderts [1893]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 ber Gellerts Lustspieltechnik (1893). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 ANHANG Zur Textgestaltung 1. Zeichen, Siglen, Abkrzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 2. Regeln der Textgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Editorische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Ziel und Gestalt der Ausgabe »Ernst Cassirer · Nachgelassene Manuskripte und Texte« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

Inhalt

2. Zur berlieferungsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fr die Bearbeitung dieses Bandes herangezogene Mss. . . . . . . . 4. Zu Cassirers Goethe-Vorlesungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Entstehung der Goethe-Vorlesungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Entstehung der Gteborger Vorlesungen »Der junge Goethe« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zur Entstehung der Lunder Vorlesungen »Goethes geistige Leistung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zur Entstehung der Entwrfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zur Entstehung der studentischen Referate . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zu den Textzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Goethe-Vorlesungen im Zusammenhang mit anderen Nachlaßtexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zur Anordnung der Texte im vorliegenden Band . . . . . . . . . . . . . . .

IX

375 377 383 383 384 388 389 389 392 395 397

Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

VORWORT DES HERAUSGEBERS

Ernst Cassirers hier erstmalig erscheinenden Goethe-Vorlesungen, die er in Gteborg und Lund in den Jahren 1940 und 1941 hielt, sind die letzten grßeren wissenschaftlichen Arbeiten, die er in deutscher Sprache verfasste. In diesen Vorlesungen erinnerte er sich an seine allerersten wissenschaftlichen Arbeiten, die er als Student der Germanistik im Jahr 1893 schrieb. Diese Arbeiten erscheinen im Anhang zu diesem Band, der somit den Anfang und das Ende von Cassirers Schaffen in seiner Muttersprache umfaßt. Insbesonders ist es Frau Anne Appelbaum, Ernst Cassirers Tochter, zu verdanken, daß diese – zumeist in ihrem Besitz aufgefundenen – Vorlesungen hier publiziert werden knnen. Sie stellte es dem Herausgeber frei, diese im Jahr 1991 entdeckten Texte fr diese Ausgabe zu bentzen und hat ihm auf vielfacher Weise mit dem Projekt dieser Ausgabe geholfen. Heute befinden sich die Manuskripte, wie der Rest des Cassirer-Nachlasses, in der Yale Beinecke Rare Book and Manuscript Library. Frau Appelbaum verstarb im Jahr 1998. Der Herausgeber widmet diese Ausgabe ihrem Gedenken. Fr Hinweise und Hilfen dankt der Herausgeber: Esbjrn Belfrage (Lund); Nicholas Boyle (Cambridge); Peter Cassirer (Gteborg); ke Elmquist (Gteborg); Jrg Fingerhut (Berlin); Gideon Freudenthal (Tel Aviv); Erik Frykman (Gteborg); Vincent Giroud (New Haven); Cyrus Hamlin (New Haven); Jonas Hansson (Lund); Bernd Henningsen (Berlin); Jill Hughes (Oxford); Sabine Jordan (Boulder); Gretchen Lagana (Chicago); Sigrid Mayer (Laramie); Paul Neurath (Wien); Svante Nordin (Lund); Katinka Pantz (Berlin); Hans Rbesame (Archiv des Deutschen Theaters, Berlin); Lars Santesson (Berlin); Torgny Segerstedt (Uppsala); Christa Sammons (New Haven); Jan Stampehl (Berlin). Die Gewhrung einer Hermann Broch Fellowship durch die Yale University Beinecke Rare Book and Manuscript Library ermglichte es dem Herausgeber im Sommer 1998, ntige Archivarbeit fr diesen Band durchzufhren. Fr institutionelle und finanzielle Untersttzung dieser Ausgabe dankt er der Humboldt-Universitt zu Berlin. Der Druck wurde mit einer Publikationsbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft untersttzt. John Michael Krois

G O E T H E VO R L E S U NG E N 1940–1941

D E R J U NGE GO E T H E I . [Vorlesung gehalten Wintersemester (Hstterminen) 1940 an Gteborgs Hgskola]

[Konvolut 204 und MSS 355, Box 1]

D E R J U NG E G O ETH E A

[Erste Vorlesung: Einleitung – Goethe als “Befreier”. 2. X.40] 1 Ich mchte diese Vorlesungen mit einem Worte des Dankes beginnen, des Dankes an Sie, Herr R[ektor], 2 und an den Lrarerd der G[teborger] Hgsk[ola], die den Wunsch ausgesprochen haben, daß ich jetzt, nachdem meine eigentliche Lehrttigkeit an G[teborgs] H[gskolan] ihr Ende erreicht hat, noch einmal das Katheder besteige, um vor einem grsseren Hrerkreis ein Thema der deutschen Geistesgeschichte zu behandeln. Ich habe dieser Anregung sofort dankbar und freudig zugestimmt: denn sie bot mir die Gelegenheit zur Erfllung eines eigenen lngst gehegten Wunsches. Einmal einen Zyklus von Goethe-Vortrgen halten zu drfen – das gehrte immer zu meinen akademischen Lieblingsplnen. Aber dieser Plan kam nie zur Ausfhrung. Seit fast 50 Jahren habe ich nun wieder und wieder B Goethe gelesen; ich habe vieles  b e r ihn gelesen; ich habe Manches ber ihn geschrieben und verffentlicht; bei verschiedenen Gelegenheiten, u. a. auch hier in G[teborg] Goethe-Vortrge gehalten 3 – aber ein eigentliches Goethe-Kolleg habe ich nie gehalten. Dem standen feste akademische Gebruche entgegen, die ich nicht durchbrechen wollte – ich war an mein Fachgebiet, an die Philosophie gebunden und durfte mich nicht in ein fremdes Gebiet begeben. Jetzt erst, nachdem meine akademische Ttigkeit zum Abschluss gelangt ist, darf ich einen solchen bergriff wagen, ohne daß man ihn als einen Verstoß gegen akademische Sitte empfinden wird. C Aber damit, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], befinde ich mich nun Ihnen gegenber in einer eigentmlichen Lage. Ich muss fast wie ein junger Privatdozent vor Sie hintreten, der eine fr ihn ganz neue Vorlesung hlt; ich muss mir langsam, vorsichtig, tastend den Weg zu bahnen suchen, den ich Sie fhren will. Ehe wir in die sachliche Behandlung unseres Themas eintreten, mssen Sie mir daher einige persnliche Bemerkungen gestatten: denn es liegt mir daran, Ihnen

Der junge Goethe] im Ms. hervorgehoben; danach: (Gteborg, 2. Oktober 1940) wieder und wieder] statt gestrichen: unablssig und fast tglich i m C wird.] wird; danach gestrichen: ich darf hinzufgen, daß dies nicht nur mit der ausdrcklichen Zustimmung des Kollegen Lindqvist 4 geschieht, sondern daß dieser auch in der freundlichsten Weise dazu ermuntert hat, wofr ich ihm ebenfalls hier meinen Dank aussprechen mchte. A B

6

Der junge Goethe I.

sogleich zu sagen, was Sie von diesen Vorlesungen erwarten drfen und nicht erwarten drfen. Es wre durchaus natrlich, wenn Sie von mir erwarteten, daß ich eine p h i l o s o p h i s c h e Vorlesung ber G[oethe] halten sollte. G[oethe]’s Philosophie, G[oethe]’s Weltanschauung: das ist in der Tat ein grosses, ein schnes, ein unerschpfliches Thema – und ein Thema, in das auch ich mich immer wieder zu vertiefen gesucht habe[.] A Aber es ist kein Thema, das sich im Rahmen einer ffentlichen Vorlesung behandeln lsst. Denn, ganz abgesehen von seiner inhaltlichen Schwierigkeit, msste man hierbei die Kenntnis des gesamten G o e t h e s c h e n We r k e s voraussetzen – die Kenntnis nicht nur seiner dichterischen Werke, Briefe, Tagebcher[,] sondern seiner Schriften zur Litteratur, zur bildenden Kunst, den grossen Kreis der Goethischen “Sprche in Prosa”[,] vor allem aber die volle und eindringende Kenntnis seiner naturwissenschaftlichen Schriften: der Schriften zur Farbenlehre, zur vergleichenden Anatomie, zur Osteologie, zur Morphologie, zur B Geologie. C Diesen gewaltigen Stoff knnen wir hier nicht zu bewltigen versuchen – und ohne ihn lsst sich ein wirkliches Verstndnis dessen, was man die »Philosophie« Goethes nennen kann, nicht gewinnen. Es scheint somit nur brig zu bleiben, daß wir uns als Philologen mit Goethe beschftigen – daß wir G o e t h e - P h i l o l o g i e treiben. Aber auch dies kann und will ich hier nicht versuchen. Die Wissenschaft, die sich G o e t h e - P h i l o l o g i e nennt – der Name ist, wenn ich nicht irre, zuerst durch Wilhelm S c h e re r eingefhrt worden 5 – habe ich in meiner eigenen Studienzeit noch grndlich kennen gelernt. 6 Denn zu dieser Zeit beherrschte sie noch die gesamte Litterarhistorische Forschung und den gesamten Unterricht der Litteraturgesch[ichte] D an den deutschen Universitten. Es galt fast als ein Dogma, daß Keiner berufen sei, wissenschaftlich ber Goethe zu sprechen, der sich nicht alle Ergebnisse der Goethe-Philologie vollstndig angeeignet htte und der nicht ber alle ihre Methoden verfgte. Seither ist dies grndlich anders geworden: die Goethe[-]Philologie hat ihren alten Glanz und Ruhm verloren; ja es war eine Zeit lang blich, ber sie zu spotten und auf all das, was sie erarbeitet hatte, mit Geringschtzung herabzusehen. Wenn ich mir in dieser Frage ein Urteil erlauben darf, so scheint mir, daß weder zu der frheren kritiklosen Bewunderung der Goethe[-]Philologie, noch zu dieser Geringschtzung ein Grund besteht. Goethe’s Philosophie, ... gesucht habe.] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: Sicherlich lsst sich auch vom philosophischen Standpunkt aus sehr Vieles und sehr Wichtiges ber G[oethe] sagen – und gerade ich habe mich immer wieder in die Probleme der Goethischen We l t a n s c h a u u n g vertieft. B Morphologie, zur] danach gestrichen: Minerologie, C Geologie.] Geologie, danach gestrichen: Meteorologie. D der Litteraturgeschichte] in Bleistift ber der Zeile A

[Erste Vorlesung: Einleitung – Goethe als “Befreier”]

7

Gewiss hat die Goethe-Philologie durch den bereifer, mit dem sie sich in jedes noch so belanglose Detail von Goethes Leben vertiefte und durch die Art, wie sie jedes Motiv seiner Dichtung auf eine fremde Quelle zurckzufhren suchte, oft zum Spott herausgefordert. Aber sie hat auch eine grosse wissenschaftliche Leistung vollbracht, die man ihr nicht vergessen darf. Sie allein war im Stande, den Schatz zu heben, der ber 50 Jahre nach Goethes Tode noch im Goethehaus in Weimar verschlossen ruhte. Der gesamte Nachlass Goethes war bis zum Jahre 1885 vllig unzugnglich. Er wurde von den Enkeln Goethes, Wolfgang und Walther von Goethe, eiferschtig gehtet – und Niemandem wurde der Einblick in ihn gestattet. Das wurde erst anders[,] als Walther v[on] Goethe am 18[.] April 1885 starb. In seinem Testament hatte er die Grossherzogin Sophie von Sachsen-Weimar zur Erbin des Nachlasses eingesetzt. Und nun endlich konnte man an die grosse k r i t i s c h e G e s a m t a u s g a b e vo n G o e t h e s We r k e n 7 h e r a n g e h e n . A Ihre Vollendung hat viele Jahrzehnte beansprucht – und eine ganze Generation von Forschern hat an ihr mitgearbeitet. So wie sie jetzt dasteht, ist und bleibt sie ein grossartiges und einzigartiges Dokument. Sie umfasst in 143 Bnden (55 Bnde Werke, 13 B[nde] Naturwissensch[aftliche] Schriften, 15 Bnde Tagebcher, 50 Bnde Briefe) alles[,] was wir von Goethe besitzen – und sie gibt es in authentischer, kritisch-gereinigter Form. Schon um dieser einen Leistung willen, ist und bleibt fr uns die Goethe[-]Philologie unentbehrlich und unersetzlich. Auch ich werde in allem, was ich hier sagen will, immer wieder auf diese Ausgabe zurckgreifen mssen. Ich werde mich bemhen, so viel als nur irgend mglich, Goethe s e l b s t sprechen zu lassen – und ich hoffe und wnsche nichts ber ihn zu sagen, was nicht in seinen Dichtungen, seinen naturwissenschaftlichen Schriften, seinen biographischen Schriften, seinen Briefen und Tagebchern eine unmittelbare Sttze findet. Aber so dankbar ich hierbei jedes gesicherte Ergebnis der GoethePhilologie b e n u t z e n will – so soll sie als Ganzes doch ausserhalb unserer Betrachtung bleiben – nur bisweilen werden wir Gelegenheit haben, uns auf sie zu berufen. B vo n G o e t h e s We r k e n h e r a n g e h e n .] darber geschrieben ohne Zuweisung zum Text: die sogen[annte] Weimarer Sophien-Ausgabe. B Walter von Goethe ... zu berufen.] eine gestrichene Fassung dieses Textes findet sich spter im Ms. (S. 3a; Bl. 9r): grosse Ausgabe von G o e t h e s We r k e n , die sie uns beschert hat. [undeutliches Zeichen] 18. April 1885 – Walther von Goethes Tod – sein Nachlass, bisher verschlossen u[nd] sorgsam behtet an die Grossherzogin S o p h i e vo n S a c h s e n – Die grosse Weimarer Sophien-Ausgabe – 143 Bnde: 55 Bnde Werke, 13 Bnde Naturwiss[enschaftliche] Schriften, 15 Bnde Tagebcher, 50 Bnde Briefe! – Ich selbst habe das Erscheinen dieser Ausgabe, die sich ber Jahrzehnte erstreckte, noch erlebt – und ich habe sie A

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Der junge Goethe I.

Aber wenn ich weder als Philosoph, noch als Goethe-Philologe hier zu Ihnen sprechen will – was bleibt brig? Nun es bleibt, wie mir scheint, noch etwas sehr Wichtiges und Wesentliches. Ich muss mich entschliessen, rein als G o e t h e - L i e b h a b e r vor Sie hinzutreten und als solcher zu Ihnen zu sprechen. A Ich B schme mich dieser Liebhaberei nicht – und ich Band fr Band erhalten – es gehrte ein unermdlicher Fleiss, eine mhselige Detailarbeit, eine ausserordentliche philologische Sorgfalt und Genauigkeit dazu, um diesen Schatz zu heben – E i n e g a n z e G e n e r a t i o n vo n Fo r s c h e r n h a t a n d i e s e r Au f g a b e gearbeitet – Man soll die Arbeit dieser Mnner nicht gering achten oder belcheln, sie war unentbehrlich und notwendig – Manches, das wir vermissen knnten – a b e r j e d e r e i n z e l n e B a n d e n t h  l t K o s t b a re s , U n e n t b e h r l i c h e s ! Trotzdem soll h i e r so wenig Goethe- P h i l o l o g i e wie Goethe- P h i l o s o p h i e geboten werden – Der Goethe-Philol[ogie] fhlen wir uns i n s o f e r n verpflichtet und an ihre Resultate und ihre methodischen Forderungen fhlen wir uns insofern gebunden, als wir auf ihrem Werk aufbauen: n i c h t s d a r f h i e r s e i n e S t e l l e f i n d e n , wa s s i c h n i c h t a u s d e r g ro s s e n Au s g a b e , aus den Werken, den Naturwiss[enschaftlichen] Schr[iften], den Briefen, den Tagebchern belegen lsst – keine Vermutungen, keine Hypothesen wollen wir uns erlauben – nur quellenmßig-Belegtes darf zur Sprache kommen – kein Satz soll, nach Mglichkeit, gewagt werden, der mit irgend einem gesicherten Ergebnis der Goethe-Philologie im W i d e r s p r u c h steht – und doch wollen wir ebensowenig Goethe-Philologie wie Goethe-Philosophie treiben. [am Rand: 3b)] Was also bleibt uns brig –?

Nichts anderes, als daß wir als G o e t h e - L i e b h a b e r von Goethes Werk sprechen – Goethe selbst hat sich auf dem Gebiet der Naturforschung, auf dem Gebiet der Philosophie, ja auch auf seinem eigentlichen Gebiet, auf dem Gebiet der K u n s t , immer als L i e b h a b e r gefhlt – “Was willst Du daß von Deiner Gesinnung Man dir nach in’s Ewige sende? Er gehrte zu keiner Innung Blieb Liebhaber bis ans Ende”[.] Goethe rechnete sich zu keiner »Schule« und er wollte keine Schule grnden – auch als Knstler, als Dichter verlangt er, daß jeder von innen heraus wirke, daß er seinen eigenen Weg suchen und finden msse – In dieser Befreiung von den Fesseln der Schule und der Tradition sah er seine e i g e n t  m l i c h e L e i s t u n g . Ihnen zu sprechen.] danach gestrichen: Ich schme mich Ich] davor Anfang der S. gestrichen: Als Goethe- L i e b h a b e r, der ich Zeit meines Lebens gewesen bin und der ich es immer strker geworden bin, mchte ich zu Ihnen sprechen. A B

[Erste Vorlesung: Einleitung – Goethe als “Befreier”]

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glaube nicht, daß sie mit strenger W i s s e n s c h a f t unvereinbar ist. A G[oethe] selbst hat sich gern einen “Liebhaber” genannt, und er wollte es in der Dichtung, in der Philosophie, in der Naturwissenschaft bleiben: [»“]Was willst Du, daß von Deiner Gesinnung [Man dir nach in’s Ewige sende?” Er gehrte zu keiner Innung, Blieb Liebhaber bis an’s Ende]«[.] B8 G[oethe] wollte sich nicht zu einer bestimmten “Innung”, zu einer Zunft oder zu einer bestimmten Schule bekennen – er strebte, in der Wissenschaft, in der Kunst, im Leben nach eigener, freier, selbstndiger Auffassung. Diese Freiheit mssen wir uns auch gegenber seinem eigenen Lebenswerk bewahren. Gewiss – dieses Lebenswerk ist so weit und reich, daß es einer Flle des Wi s s e n s bedarf, um in dasselbe einzudringen – und wir drfen kein Wissen verschmhen, das uns von irgend einer Seite her C dargeboten wird – denn es kann immer wichtig und wertvoll sein und unser Verstndnis frdern. Aber das Letzte und Beste kann doch niemals das Wissen allein bieten – sondern den wirklichen Abschluss, die echte Synthese kann uns nur die Liebe zu Goethes Werk geben. Goethe selbst hat, gegenber allen grossen Erscheinungen der Geistesgeschichte, so gedacht und so empfunden. Er hat diese Empfindung einmal schn ausgesprochen in einem kleinen Vierzeiler, den Sie unter der Rubrik “ Z a h m e X e n i e n ” in seinen Werken finden: “Was auch als Wahrheit oder Fabel In tausend Bchern Dir erscheint, Das alles ist ein Turm zu Babel, Wenn es die Liebe nicht vereint”[.] 9 M[eine] D[amen] u[nd] H[erren] – wer die Tausenden von Bchern zu berblicken sucht, die ber Goethe geschrieben worden sind, der hat wirklich bisweilen das Gefhl, daß dies “ein Turm zu Babel” ist! Wie viel Gutes und Grndliches, aber auch wie viel Seltsames, Abstruses, Unverstndiges und Unverstndliches ist allein ber den Goetheschen Faust gesagt worden! Es gibt heute nicht nur philologische, litteraturhistorische, philosophische Kommentare zu Goethes Faust – es gibt auch unvereinbar ist.] danach gestrichen: Ich wnsche und hoffe, daß alles, was ich hier sagen werde, vor dem Urteil der strengen Wissenschaft bestehen kann. Aber ich will Ihnen, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], kein Wissen ber Goethe vermitteln, ich mchte Sie vielmehr anregen, sich mehr und mehr in ihn selbst, in die Lektre seiner Schriften zu versenken. Alles Wissen von Goethe soll nur dazu dienen, ihn und sein Werk immer tiefer zu verstehen und immer tiefer zu lieben. B »“Was willst ... an’s Ende«.] die ergnzte Stelle ersetzt eine Ellipse im Ms.; danach gestrichen: Er rechnete sich zu keiner Schule – und er wollte nicht als M e i s t e r auftreten. Unser Meister bricht ab C Seite her] danach gestrichen: , aus einem Brief, aus einer Tagebuchnotiz, aus einem Gesprch A

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Kommentare, die sich “kabbalistische” Auslegungen des Faust nennen. Einen solchen Kommentar hat z. B. L o u v i e r in 2 Schriften: »Sphinx locuta est« und »Goethe als Kabbalist in der Faust-Tragdie« gegeben. Er versichert uns, daß der Faust in einer Art von Chiffre-Schrift geschrieben ist; daß jedes Wort und jede Szene einen geheimen Nebensinn in sich birgt, und daß das Werk ein Buch mit sieben Siegeln bleibt, wenn wir nicht den Schlssel zu dieser Chiffre-Schrift besitzen. Ich greife aus Louviers Deutungen nur ein einzelnes, besonders krasses Beispiel heraus. Sie erinnern sich der Worte, die der sterbende Valentin an Gretchen, seine Schwester, richtet: “Du fngst mit Einem heimlich an, Bald kommen ihrer mehre dran, Und wenn Dich erst ein Dutzend hat, So hat Dich auch die ganze Stadt”.10 Diese Worte scheinen uns deutlich genug – und wir alle glaubten[,] sie zu verstehen. Aber von Louvier wurden wir darber belehrt, daß wir sie nicht verstanden haben. Ich selbst hatte ihren geheimen Sinn, bevor ich Louvier las, nicht erfasst – obwohl es gerade mir nahe genug htte liegen mssen, die wahre Lsung zu finden. Denn es handelt sich hier, wie Louvier uns versichert, nur scheinbar um Gretchen. Es handelt sich in Wahrheit um die K a t e g o r i e n l e h re Kants. Kants Kategorientafel fngt mit Einem an – an ihrer Spitze steht in der Tat der Begriff der E i n h e i t – bald kommen ihrer mehre dran, und dies hrt nicht auf, ehe nicht das D u t z e n d erreicht und die volle Zwlfzahl der Kategorien erschpft ist.11 Nun, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], wir lachen ber derlei Auslegungen – und wir lachen mit vollem Recht. Aber wir drfen uns nicht verhehlen, daß sie doch auch eine sehr ernste und gefhrliche Seite haben. Denn wir werden durch sie dem Werk Goethes entfremdet: und der Faust als K u n s t we r k wird uns durch sie verleidet! Gegenber all diesem Scharfsinn und Tiefsinn der Auslegungen, der bisweilen zu vlligem Unsinn wird, bleibt uns nichts anderes brig, als uns rein an das Werk selbst zu halten und es nach seinem unvergleichlichen, ur-dichterischen Gehalt auf uns Wirken zu lassen. A Der junge Goethe hat einmal ein Gedicht geschrieben, dem er den Titel: » D e r K e n n e r « gegeben hat – in den Werken steht es unter dem Titel:

zu lassen.] danach Anfang eines neuen Absatzes gestrichen: Aber so sehr die D i c h t u n g Goethes fr uns das Wesentliche ist [mit Wellenlinie getilgt: und bleiben muss] – und so sehr der a e s t h e t i s c h e Maßstab fr uns immer der wichtigste und entscheidende bleiben muss – so ist er doch nicht der e i n z i g e . Denn Goethes Werk ist nicht n u r als Dichtkunst, sondern auch in einem anderen Sinne fr uns bedeutsam bricht ab A

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» K e n n e r u n d E n t h u s i a s t «. Hier werden in sehr derbem Ton diejenigen verspottet, die da glauben, daß die besten Kunstkenner die sind, die sich von keinerlei Enthusiasmus fortreissen lassen, die dem Kunstwerk gegenber khl, nchtern, kritisch bleiben. Ein solches Kennertum wollen wir hier nicht anstreben. “Das Beste[,] was wir von der Geschichte haben,1 ist der Enthusiasmus, den sie erregt[”].12 Auch dies ist ein Wort Goethes – und es gilt in ganz besonders hohem Maße, wenn wir es mit Litteraturgeschichte und mit Kunstgeschichte zu tun haben. Aber so sehr die D i c h t u n g Goethes fr uns das Wesentliche ist und so sehr der a e s t h e t i s c h e Maßstab der oberste und hchste fr uns sein und bleiben muss, so ist er doch nicht der e i n z i g e , den wir an Goethes Werk anlegen knnen. – Goethe hat sich einmal im Alter die Frage vorgelegt, was sein Werk, als Ganzes gesehen, fr die junge Generation, und insbesondere fr2 die jungen deutschen Dichter bedeute. Und er hat hierauf die Antwort in einem merkwrdigen kleinen Aufsatz zu geben versucht, den er »Ein Wort fr junge Dichter« berschrieben hat. Er erklrt auch hier, daß er als Dichter keine S c h u l e machen wollte, und daß er im eigentlichen Sinne, Niemandes M e i s t e r gewesen sei. A “Ein Wort an junge Dichter” Geschichte haben,] am Rand: (Max[ime] 495)[.] insbesondere fr] am Rand: W.A.[, Bd.] 42, [S.] 106 (der Titel rhrt von E c k e r m a n n her)[.] 1 2

Es gibt heute ... M e i s t e r gewesen sei.] auf eingeschobenem Bl. (3a) mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen, statt z. T. mehrfach gestrichen: Wenn wir uns von alledem befreien, wenn wir den Faust wirklich verstehen oder ihn als Kunstwerk geniessen wollen – dann bleibt wieder nichts brig, als daß wir uns unbefangen der Liebe zu dem Wunderwerk hingeben – daß wir ihn, unbekmmert um alle gelehrte Auslegung, als K u n s t we r k auf uns wirken lassen. Es gibt ein Jugendgedicht von Goethe, das er “Der Kenner” berschrieben hat. (Morris[, Bd.] IV, [S.] 162) [am Rand: in den Werken unter » K e n n e r u [ n d ] E n t h u s i a s t «] Hier werden, in einer sehr derben Weise, diejenigen verspottet, die glauben, um so bessere Kenner zu sein, je khler und nchterner sie bleiben, und je weniger sie sich von irgend einer Art des Enthusiasmus fortreissen lassen. Ein solches Kennertum wollen wir hier nicht anstreben. “Das Beste, was wir von der Geschichte haben[,] ist der Enthusiasmus, den sie erregt”. Auch dies ist ein Wort Goethes – und es gilt in ganz besonders hohem Maße von der Geschichte der Dichtung u[nd] von aller G e i s t e s g e s c h i c h t e . Goethe hat einmal im Alter einen kleinen merkwrdigen Aufsatz geschrieben, in dem er sich an die j u n g e D i c h t e r g e n e r a t i o n wendete und sich die Frage stellt, was er fr diese junge Generation geleistet habe. Er erklrte auch hier, daß er als Dichter keine S c h u l e machen wollte – und daß er im eigentlichen Sinne Niemandes M e i s t e r gewesen sei. [danach verbunden durch Pfeil, am unteren Rand: Forts. s. S. 3b] A

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“Unser Meister ist derjenige, unter dessen Anleitung wir uns in einer Kunst fortwhrend ben, und welcher uns, wie wir nach und nach zur Fertigkeit gelangen, stufenweise die Grundstze mitteilt, nach welchen handelnd wir das ersehnte Ziel am sichersten erreichen. In solchem Sinn war ich M e i s t e r von niemand. Wenn ich aber aussprechen will, was ich den Deutschen berhaupt, besonders den jungen Dichtern geworden bin, so darf ich mich wohl ihren B e f re i e r nennen; denn sie sind an mir gewahr geworden, daß, wie der Mensch von innen heraus leben, der Knstler von innen heraus wirken msse, indem er, gebrde er sich wie er will, immer nur sein Individuum zutage frdern wird”[.] (W.A.[, Bd.] 422, [S.] 106) A A

(W.A., Bd. 422, S. 106)] am Rand, durch Pfeil verbunden: Forts. s.S. 3c!; danach

z. T. mehrfach gestrichen: Von innen her, nicht nach fremdem Vorbild oder fremdem Gebot, sondern nach eigenem inneren Gesetz muß alle Kunst und alles Geistige entstehen – Das unendlich- B e g l  c k e n d e in Goethes Werk liegt in dieser inneren Befreiung – wer sie einmal erlebt hat, kann sie nie wieder vergessen. – u n d s i e i s t u n s h e u t e w i c h t i g e r u n d n o t we n d i g e r a l s j e z u vo r. Goethe selbst hat sich hierber immer wieder, sehr bestimmt[,] sehr energisch und sehr selbstbewusst ausgesprochen: “ We r m e i n e S c h r i f t e n u n d m e i n We s e n  b e r h a u p t ve r s t e hen gelernt, wird doch bekennen mssen, daß er eine g e w i s s e i n n e re F re i h e i t g e wo n n e n ” (Zu Kanzler v[on] Mller, 5[.] Jan[uar] 1831). [am Rand und hier angeschlossen: Man kann dieses Wort auch u m k e h re n : wer diese innere Befreiung n i c h t erfahren hat, der hat G[oethe]’s Werk nicht wahrhaft verstanden! hierin liegt das eigentlich B e g l  c k e n d e [in Bleistift zwischen den Zeilen: (Tragdie [undeutlich: Gt] Aesth[etik])] Man hat gegen G[oethe] oft den Vorwurf erhoben, daß er an dem Kampf fr die Befreiung Deutschlands keinen inneren Anteil genommen habe. Er pflegte darauf zu erwidern, daß Jeder an s e i n e r Stelle und gemss s e i n e r Anlage wirken msse. S e i n e Mission sei nicht der Kampf fr die politische Befreiung, sondern fr die geistige Befreiung gewesen – und hierfr habe er den Dank der Nation verdient, wie nur irgend einer der Freiheitskmpfer des Jahres 1813.] Geschichte der Gewinnung dieser i n n e re n Freiheit nicht geringer als die der usseren, politischen ... Als der Plan auftaucht, ihm schon bei Lebzeiten ein Denkmal zu setzen bricht ab “Ihr knnt mir immer ungescheut Wie Blcher, Denkmal setzen – Von Franzen hat e r euch befreit, I c h von Philister-Netzen.” ([WA, Bd.] 5I, [S.] 103, Z[ahme] X[enien]) [am Rand ohne Zuweisung zum Text: Von Philister-Netzen, von geistiger Enge, Befangenheit u[nd] Vorurteil wollte Goethe [mit Bleistift gestrichen:

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Immer A wieder hat G[oethe] dies als den eigentlichen Sinn und Ertrag seines Lebens und seiner Kunst angesehen –L “Wer meine Schriften und mein Wesen berhaupt verstehen gelernt” – so hat er ein Jahr vor seinem Tode in einem Gesprch mit dem Kanzler von Mller gesagt – “der wird doch bekennen mssen, daß er eine gewisse innere Freiheit gewonnen”[.]131 Dieses Wort ist so wahr, daß man es auch umkehren kann – wer am Werk Goethes diese innere Befreiung n i c h t erlebt hat, der kann auch nicht sagen, daß er Goethe wirklich verstanden hat – Hierin liegt das B Geistig- B e g l  c k e n d e , was von G[oethe]’s Schriften ausstrmt und das ber ihre rein knstlerische Wirkung noch hinausgeht – Als Knstler ist Goethe sicherlich berall gross – aber hier steht er nicht allein – 1

Freiheit gewonnen”.] darunter, zwischen den Zeilen: (5[.] Jan[uar] 1831)[.]

die Deutschen u[nd] die Welt] befreien – und das sah er als den Sinn seines Lebenswerks an.] Diesen inneren Prozess der S e l b s t b i l d u n g mchte ich am Leben und am Werk des jungen Goethe aufzuweisen suchen – wir bedrfen dazu die Versenkung in das D e t a i l , und die “ A n d a c h t z u m K l e i n e n ”14 drfen wir uns hier nicht scheuen – Aber zuletzt mssen wir uns auf die Z u s a m m e n s c h a u , auf die Synthesis und Synopsis verlassen[,] die nur aus der L i e b e entstehen kann – “Was auch als Wahrheit oder Fabel In tausend Bchern dir erscheint, Das alles ist ein Thurm zu Babel Wenn es die Liebe nicht vereint” – (Z[ahme] X[enien, WA, Bd.] 3, [S.] 279) Die unermessliche Goethe-Litteratur – man denke nur an die tausend und abertausend Bcher, die allein ber den Fa u s t geschrieben worden sind, – stand in der Tat mehr und mehr in Gefahr, ein Turm zu Babel zu werden u[nd] aus der S p r a c h ve r wo r re n h e i t zu Grunde zu gehen – [am Rand und hier angeschlossen: wie viel Merkwrdiges und Tiefsinniges, aber auch wie viel Widerspruchsvolles, Unverstndliches, Abstruses hat man allein ber den “Faust” gesagt.] Wie weit diese Sprachverwirrung in die Fa u s t - L i t t e r a t u r ging[,] hat besonders Fr[iedrich] Theod[or] V i s c h e r in seinem Angriff gegen diese Literatur 15 scharf und ergtzlich gezeigt – aber ve r s t e h e n kann man den Faust doch nur aus dem Mitgefhl, aus der Sympathie, aus der Liebe fr dieses einzigartige Werk[.] [W]ir mssen immer wieder von der Goethe- P h i l o s o p h i e u[nd] von der Goethe- P h i l o l o g i e zu Goethe s e l b s t zurck – und wir mssen versuchen, sein Werk mit der Kraft der L i e b e , mit dem echten E ro s zu vereinen. A Immer] am Rand: 3 c B Hierin liegt das] danach gestrichen: Seelisch- und

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er ist nicht der Einzige und er ist vielleicht nicht der Grsste – Sein Knstlertum unterliegt bei aller Grsse bestimmten Schranken – Er ist unvergleichlich als Ly r i k e r – aber als Dramatiker hat er sicher Shakespeare oder die grossen griechischen Tragiker nicht erreicht – Aber von keinem anderen Dichter der Weltlitteratur geht nach meinem Gefhl eine solche g e i s t i g e Befreiung aus als von ihm – Gewiss auch einen Geist wie L e s s i n g empfinden wir, wenn wir uns nur im Kreis der deutschen Litteratur halten wollen[,] als b e f re i e n d – aber L e s s i n g ist ein Befreier nur in bestimmten Gebieten – er befreit von theologischer Dogmatik und Enge oder von den Regeln eines festen konventionellen Geschmacks – Goethe aber wirkt als Ganzes, als G e s a m t e r s c h e i n u n g in seiner Dichtung, in seinem Denken, in seiner A Forschung B befreiend – und wer diese Wirkung einmal von ihm erfahren hat – der kann sie nie wieder vergessen. Man hat gegen Goethe den Vorwurf erhoben, daß er an der deutschen Freiheitsbewegung des Jahres 1813 nicht gengend Anteil genommen habe – C Er D pflegte auf solche Vorwrfe zu erwidern, daß Jeder an seiner Stelle wirken msse – und daß s e i n e Mission nicht der Kampf fr die politische Befreiung, sondern fr die geistige Befreiung der Deutschen gewesen sei. Hierfr aber habe er sich den Dank der Nation verdient – so gut wie irgend ein Freiheitskmpfer des Jahres 1813. “Ihr knnt mir immer ungescheut – Wie Blcher’n Denkmal setzen Vom Franzen hat er euch befreit – Ich von Philisternetzen”[.] 16 Von Philisternetzen, von geistigem Druck, geistiger Enge und Befangenheit, von Beschrnktheit und Vorurteil wollte G[oethe] befreien – und das sah er als den Sinn seines Lebenswerkes an. E

Methode F der Betrachtung: Synthese der » b i o g r a p h i s c h e n « und der » g e i s t e s g e s c h i c h t l i c h e n « Betrachtung –

seiner] danach gestrichen: Naturanschauung; danach ist auf neuer Zeile und stehengeblieben B Forschung] Naturforschung wurde zu Forschung gendert C habe –] am Rand: unten! (schwer lesbar) D Er] am Rand: 3d E Sinn seines Lebenswerkes an.] verbunden durch vertikalen Pfeil: Forts. S. 4 (verso) F M e t h o d e ] am Rand: 4 A

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Die b i o g r a p h i s c h e Betrachtung muss fr jede Auffassung und Darstellung den Ausgangspunkt bilden: denn Goethes We r k ist unlslich mit seinem Leben verbunden. Er selbst hat sein gesamtes Werk nur als B r u c h s t  ck e e i n e r g ro s s e n K o n f e s s i o n 17 bezeichnet. A Ohne diesen L e b e n s b e z u g kann nach ihm kein echtes Kunstwerk entstehen. G[oethe] hat es immer unwillig abgelehnt, wenn man ihm zumutete, gewisse Dinge zu “dichten”, die nicht aus dem eigenen Leben hervorquollen. “ Po e t i s c h e r G e h a l t i s t G e h a l t d e s e i g e n e n L e b e n s ”[.] 18 Zu E c k e r m a n n , 14. 3. 1830 – “Kriegslieder schreiben und im Zimmer sitzen – das wre meine Art gewesen. Aus dem Biwak heraus, wo man nachts die Pferde der feindlichen Vorposten wiehern hrt; da htte ich es mir gefallen lassen ... Aber das war nicht m e i n Leben und nicht m e i n e Sache ... Bei mir, der ich keine kriegerische Natur bin und keinen kriegerischen Sinn habe, wrden Kriegslieder eine Maske gewesen sein, die mir sehr schlecht zu Gesicht gestanden htte. Ich habe in meiner Poesie nie affektiert. – Was ich nicht lebte und was mir nicht auf die Ngel brannte und zu schaffen machte, habe ich auch nicht gedichtet und ausgesprochen. Liebesgedichte habe ich nur gemacht, wenn ich liebte. Wie htte ich nun Lieder des Hasses schreiben knnen ohne Haß. Und, unter uns, ich hasste die Franzosen nicht, wiewohl ich Gott dankte, als wir sie los waren. Wie htte auch ich, dem nur Kultur und Barbarei Dinge von Bedeutung sind, eine Nation hassen knnen, die zu den kultiviertesten der Erde gehrt und der ich einen so grossen Teil meiner eigenen Bildung verdankte!” 19 Aber wenn alle Dichtung Goethes aus dem eigenen L e b e n Goethes quillt, so ve r b l e i b t sie doch nicht im Kreis dieses Lebens. Hier die merkwrdigste We c h s e l b e z i e h u n g zwischen Goethes Geistesgeschichte und der d e u t s c h e n B i l d u n g s - u n d I d e e n g e s c h i c h t e [.] Wir erlutern diesen merkwrdigen Zusammenhang an zwei grossen B e i s p i e l e n , die verschiedenen Lebens- und Bildungsepochen Goethes angehren. B I) Die Zeit der Jugend – Straßburg – Das neue Natur- und Landschaftsgefhl – die Liebe zu F r i e d e r i k e –

bezeichnet.] danach gestrichen: Daß der Knstler “von innen heraus wirken mssen [sic]” – das bedeutete ihm, daß die Aufgaben, die er sich stellt, nicht von a u s s e n gestellt werden knnten, sondern daß das Leben s e l b s t , daß die eigene innere E n t w i c k l u n g sie ihm darbringen msse; B angehren.] am Rand in Bleistift: Klopst[ock], Less[ing], / ev[entuell] Herder / Uhr? A

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Jetzt wird Goethe eine neue S p r a c h e und ein neuer lyrischer S t i l zu Teil – Er sucht nicht, er tastet nicht: das alles ist mit e i n e m Schlage da – A das alles ist durchaus Schpfung des Au g e n b l i c k s – und es scheint an diesen e i n e n Augenblick: an diesen einmaligen glcklichen Lebensmoment g e b u n d e n – Es ist wie ein erstes Au f j a u c h z e n Goethes, der nun erst sich selbst, der die Natur, der die Liebe g e f u n d e n hat. Nehmen Sie nur e i n e s [:] B [“]Wie herrlich leuchtet mir die Natur! Wie glnzt die Sonne, wie lacht die Flur! Es dringen Blten aus jedem Zweig Und tausend Stimmen Aus dem Gestruch. Und Freud und Wonne aus jeder Brust. O Erd, o Sonne, o Glck, o Lust! O Mdchen, Mdchen, wie lieb ich Dich! Wie glnzt Dein Auge, wie liebst Du mich!

So liebt die Lerche Gesang und Luft, Und Morgenblumen den Himmels Duft, Wie ich D i c h liebe mit warmem Blut, Die Du mir Jugend und Freud und Mut Zu neuen Liedern und Tnzen gibst. – Sei ewig glcklich, wie Du mich liebst.” 20 C M[eine] D[amen] u[nd] H[erren] – Wenn Sie diese Verse hren – dann haben Sie vielleicht die Empfindung – das ist schn, das ist echt, das ist tiefes und wahres Gefhl: a b e r wa s i s t d a r a n n e u ? Hat nicht die Liebe zu a l l e n Zeiten so gesprochen – und hat nicht Jeder von uns einmal die Jugend und den Frhling in dieser Weise erlebt? Das ist ohne Zweifel wahr – und doch waren in der deutschen Lyrik noch niemals solche Tne gehrt worden, wie wir sie in den ersten Sesenheimer Liedern hren. Denn eine solche freie, schlichte und unbefangene Aussprache des Gefhls htte man nicht fr K u n s t gehalten. »Kunst« sollte etwas Anderes und etwas Knstlicheres sein. Sie durfte sich nicht so einfach, so schlicht, so naiv geben; in ihr sollte der verfeinerte Ausdruck, der gebildete Geschmack sprechen. Auch hier ist Goethe zum B e f re i e r Schlage da –] danach gestrichen: Ein Strom gedrngter Lieder gebiert sich ununterbrochen von neuem – 21 / ein Ton, wir er nie zuvor in der deutschen Lyrik oder berhaupt in der deutschen S p r a c h e gehrt worden war – B Nehmen Sie nur e i n e s :] am Rand in Bleistift und hier angeschlossen C Meine] am Rand: 5 a A

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geworden – an ihm hat die deutsche Kunst gelernt, daß der Knstler nicht nach festen Normen des Geschmacks schaffen, sondern daß er von innen heraus wirken msse – “indem er, gebrde er sich wie er will, immer nur sein Individuum zutage frdern wird.” 22 Man muss in der Geschichte der Lyrik und in der Geschichte der Weltlitteratur sehr weit, um viele Jahrhunderte, zurckgehen, um Gedichte zu finden, die eine gleich starke und gleich tiefe Wirkung auf das gesamte Geistesleben einer Nation gehabt haben, wie diese Goetheschen Gedichte an Friederike Brion. Nur D a n t e s » V i t a n u o va « – ein Werk, das fast 500 Jahre vor Goethes Straßburger Aufenthalt, gegen Ende des 13ten Jahrhunderts entstanden ist – lsst sich, wie mir scheint, in dieser Hinsicht mit Goethe vergleichen. In diesem Werk bringt Dante den neuen Stil der italienischen Lyrik, den »dolce stil nuovo«, 23 zu seiner Vollendung. Und diese Vollendung bedeutet zugleich eine vllige Umschaffung, eine Neugeburt der italienischen Sprache. Jetzt erst wird die italienische Sprache zu ihrer wahren geistigen Hhe emporgehoben; jetzt erst wird sie reif zum Ausdruck jenes gewaltigen Gedankengehaltes, den Dantes Div[ina] C[omedia] in sich schliesst. Ohne die l y r i s c h e Sprache der »Vita nuova« htte Dante sein großes Weltgedicht, (die »Divina Comedia«) nicht dichten knnen. Und ebenso wenig wre der Faust denkbar – ohne jene neue Sprache, die Goethe zuerst in den schlichten und einfachen Sesenheimer Liedern gefunden hat. Aber n a c h d e m diese Sprache einmal gefunden war, konnte sie auch nie wieder aus der deutschen Lyrik verschwinden. Jeder große deutsche Lyriker hat seinen e i g e n e n Ton, der nur ihm allein gehrt; aber doch wirkt in jedem zugleich d e r Ton fort, den Goethe damals gefunden hat. Wir finden ihn von jetzt ab in irgend einem Anklang oder Nachklang bei allen großen Lyrikern und in allen Epochen – bei Eichendorff, bei Heine, bei Moericke, bei Storm, bei Rilke, bei Hofmannsthal. Goethe wollte nur s i c h aussprechen; er dachte an keinerlei Wirkung nach aussen; aber er schuf damit ein neues Organ, eine bildende Kraft fr alle kommende Poesie. A Meine Damen und Herren ... kommende Poesie.] auf eingeschobenem Bl. 5a mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen. Das Ende des Einschubs ist durch einen vertikalen Pfeil mit dem Hinweis verbunden: Forts. s. S. 5 (verso) : D i e z we i t e g ro s s e We n d u n g e t c .; danach das untere Drittel der S. leer. Der Einschub ersetzt z. T. mehrfach gestrichen: Das ist ganz nun der einzige, selige, berwltigende Augenblick – aber es ist zugleich der A n b r u c h e i n e r n e u e n Z e i t – es ist die Morgenrte der deutschen Lyrik – k e i n Lyriker, der nach Goethe gekommen ist konnte diesen Ton wieder vergessen oder verlernen – jeder singt nach e i g e n e r Weise – aber fr sie alle ist der junge Goethe, der Goethe der Sesenheimer Lieder, der eigentliche B e f re i e r geworden –

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II) D i e z we i t e g ro s s e We n d u n g i n G o e t h e s L e b e n : d e r We g n a c h I t a l i e n – Das Unbefriedigende der Weimarer Verhltnisse – das Ersticken in der Amtsttigkeit – das Versiegen der dichterischen Ttigkeit – dann der pltzliche Entschluß; die »Hegire« nach Italien, das Sich-Losreissen von allem, was ihn beengt u[nd] bedrckt hat. Heimlich verlsst er Weimar; nur der Herzog weiss von seinem Schritt; selbst der nchsten Freundin, selbst Frau von Stein bleibt es ein Geheimnis – am 3[.] September 1786 tritt er seine italienische Reise an. Man hat diesen Schritt oft schwer getadelt A – und es gibt Literarhistoriker, die gesagt haben, es wre besser gewesen, wenn Goethe in Deutschland geblieben und deutsche Stoffe behandelt htte, statt nach Italien zu flchten[.] B Aber dies ist tricht und kurzsichtig geurteilt – denn abgesehen davon, daß wir dann eine Reihe der schnsten Dichtungen, wie die Iphigenie[,] zur Schferpoesie, zum Rokoko, zur Anakreontik gab es jetzt keinen Weg mehr zurck – Goethe wird in Deutschland zum Schpfer dessen, was, 500 Jahre frher, Dante fr die i t a l i e n i s c h e Ly r i k geworden war – mit ihm beginnt der »dolce stil nuovo« der deutschen Lyrik – [zwischen den gestrichenen Zeilen: Man muss in der Geschichte der Lyrik und in der Geschichte der Weltlitteratur um Jahrhunderte zurckgehen, um Gedichte zu finden, die in das allgemeine Geistesleben so tief eingreifen, wie diese ersten Sesenheimer Lieder des jungen Goethe.] Dante mit seiner vita nuova [unter der Zeile: 1292] dolce stil nuovo und i t a l . S p r a c h e [.] Wir hren ihn fortan bei a l l e n großen Lyrikern und in allen E p o c h e n : bei Eichendorff, bei Heine, bei Moericke, bei Storm, bei Gottfried Keller, bei Rilke, bei Hofmannsthal – [daneben am Rand und durchgestrichen: Wenn Sie diese Verse hren, dann haben Sie vielleicht die Empfindung: das ist schn, das ist echt, das ist herrlich – aber was ist daran n e u ? Hat nicht die Liebe zu allen Zeiten so gesprochen – hat nicht Jeder von uns einmal Jugend[,] Liebe, Frhling in dieser Weise erlebt? Das ist sicher wahr – und doch hatte die deutsche Lyrik, noch nie zuvor solche Tne gehrt, wie sie hier angeschlagen werden. Denn eine solche einfache, freie, naive Aussprache des Gefhls htte man nicht fr K u n s t gehalten. Kunst musste etwas anderes, etwas »Knstlicheres« sein; in ihr sollte nicht die einfache Empfindung, in ihr sollte der verfeinerte gebildete Geschmack sprechen. Man htte sich geschmt, etwas so Einfaches zu sagen wie G[oethe] es hier gesagt hat. Aber n a c h Goethe konnte die deutsche Lyrik niemals wieder diesen Ton verlieren. Jeder der grossen deutschen Lyriker hat seinen e i g e n e n Ton; aber der Sesenheimer Ton[,] der Ton der ersten Friederike Lieder klingt in ihnen a l l e n nach. A oft schwer getadelt] ber gestrichen: verschieden beurteilt B gesagt haben, ... Italien zu flchten.] am Rand und hier angeschlossen; ersetzt gestrichen: ihn b e d a u e r t haben[,] die in ihm ein A b we i c h e n vo n G o t t e s re c h t e m L e b e n s we g im Urfaust fr ihn selbst und fr die deutsche Kunst gesehen haben –

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den Tasso [und] Pandora A nicht htten, so B waltete hier nicht Reflexion, langsame berlegung – ein inneres M u ß war hier am Werke – es wirkte C das, was Goethe seinen » D  m o n « nannte – ^In Goethes Leben kommt eine solche Flucht, ein Zerreissen von Bindungen, die ihm unertrglich wurden[,] immer wieder vor – es ist geradezu ein typischer Zug. D »Ich ... lasse meinen Vater jetzt ganz gewhren, der mich tglich mehr in Stadt- und Civilverhltnisse einzuspinnen sucht, und ich lass es geschehen. Solange meine Kraft noch in mir ist: ein Riss! und alle die siebenfachen Bastseile sind entzwei«[.] 24 So wares auch diesmal – er fhlte sich wie Simson, derseine Bande zerreisst. 25 Und nun kommt fr ihn die neue grosse Wiederauferstehung; die i t a l i e n i s c h e »Renaissance«: » D i e E n t d e c k u n g d e r A n t i k e «[.] Er findet sich w i e d e r. “Ich habe mich in dieser 1 jhr[igen] Einsamkeit selbst wieder gefunden – aber als was? Als Knstler![”] 26 – So sehr war ihm dieses sein Zentrum entglitten, daß er fast verwundert war, sich als Knstler wiederzufinden! E Als ein anderer, fast als ein Fremder kehrt er zurck – tief vereinsamt und unglcklich – noch im hohen Alter hat er einmal gesagt, seit er Ro m verlassen, habe er eigentlich keine glckliche Stunde mehr erlebt – W.A[.], Naturw[issenschaftliche] Schr[iften], [Bd.] 6, [S.] 131 (Gesch[ichte] meines botan[ischen] Studiums) “Aus Italien dem formreichen war ich in das gestaltlose Deutschland zurckgewiesen, heiteren Himmel mit einem dsteren zu vertauschen; die Freunde, statt mich zu trsten und wieder an sich zu ziehen, brachten mich zur Verzweiflung. Mein Entzcken ber entfernte, kaum bekannte Gegenstnde, mein Leiden, meine Klagen ber das Verlorene schien sie zu beleidigen; ich vermisste jede Teilnahme, niemand verstand meine Sprache”. 27 Pandora] ber der Zeile in Bleistift denn abgesehen ... htten, so] am Rand geschrieben und hier angeschlossen; danach: waltete hier] hier waltete Wortreihenfolge bei Einfgung nicht gendert C wirkte] schwer lesbar D In Goethes Leben ... typischer Zug.] zwischen den Zeilen und am Rand; ersetzt gestrichen: Ihm hatte er auch frher schon vertraut [unleserliche Worte], der ihn 10 Jahre zuvor nach We i m a r gefhrt hatte. Das letzte Wort ist nach der Streichung stehengeblieben. E Er findet sich ... wiederzufinden!] zwischen den Zeilen und am Rand und hier angeschlossen A B

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Nun aber begegnet Goethe das grosse Wunder – er findet doch, wo er es nicht geahnt, den neuen Freund, der seine Sprache zu verstehen anfngt – der mit ihm gemeinsam sich die neue Welt der Antike, der »klassischen« Dichtung aufbaut – Dies geschah im geistigen Verkehr mit S c h i l l e r – Aber Schiller s e l b s t musste hierbei ein a n d e re r werden[.] Merkwrdig zu denken: htte Goethe nicht den Mut zur Reise nach Italien gefunden, htte er die Fesseln, die ihn in Weimar hielten[,] nicht durchbrochen – so wre A nicht nur s e i n Geschick, sondern auch das Geschick Schillers und das G e s c h i ck d e r g e s a m t e n d e u t s c h e n G e i s t e s g e s c h i c h t e wre ein anderes geworden – Schiller htte o h n e Goethe nicht den Schritt von den Rubern und dem Carlos zum Wa l l e n s t e i n und zu den Briefen ber die aesthetische Erziehung vollziehen knnen – er verdankt hier G o e t h e ebenso viel als er Kant verdankt –L was ein ganz i n d i v i d u e l l e r Moment in Goethes Lebensweg schien, wird ein schlechthin e n t s c h e i d e n d e r Moment fr die a l l g e m e i n e Entwicklung des deutschen Geistes – Der deutsche Geist und Goethe erscheinen in dieser Weise d u rc h e i n g e m e i n s a m e s S c h i ck s a l m i t e i n a n d e r ve r b u n d e n u n d ve r f l o c h t e n – sie sind gewissermassen s o l i d a r i s c h . In d i e s e r Weise hat Goethe auf die deutsche Bildung gewirkt – es ist ein Verhltnis ganz a n d e re r und viel m e r k w  r d i g e re r Art als bei den anderen grossen Geistern der klassischen Litteraturepoche – Die meisten derselben, Klopstock, Lessing, Herder gehen p l a n m  s s i g vor; sie stellen bestimmte Forderungen; sie suchen diese Forderungen zu erfllen und anderen dadurch den Weg zu weisen – So geht K l o p s t o ck vor[.] “Das grsste litterarische Ereignis von der Mitte des Jahrhunderts” – so sagt W[ilhelm] D i l t h e y in seinem schnen Aufsatz ber L e s s i n g – B [“]die Messiade, charakterisiert am besten die klgliche Unreife des deutschen Denkens und Empfindens: ein Gymnasiast fasste einen Plan und begann ein Gedicht, in welchem tchtige und ernsthafte Mnner den Ausdruck ihrer Welt- und Menschenbetrachtung fanden.”1 C 1

[Dilthey:] Das Erlebnis und die Dichtung, 2. Aufl. 1907, S. 7[.]

wre] htte ber L e s s i n g –] am Rand: 7a der Buchstabe a ist mit Bleistift geschrieben C 1] eine Anm. -Ziffer findet sich im Text, die Anm. steht am Rand A B

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Klopstock hat in der Tat, schon als Schler, auf dem Gymnasium in Schulpforta den Plan zum »Messias« gefasst und dann die einzelnen Teile des Gedichts langsam, gemss diesem Plan, ausgefhrt – ebenso geht L e s s i n g vor: in den »Literaturbriefen« unterwirft er das Bestehende einer scharfen Kritik; er stellt neue Regeln des litterarischen Geschmacks auf – in der Dramaturgie sucht er, in Anschluß an Aristoteles, das Wesen des Dramas zu bestimmen – um auf diese Weise ein d e u t s c h e s N a t i o n a l t h e a t e r aufzubauen A und dann geht er selbst daran, in Emilia Galotti, nach diesem Vorbild eine Tragdie aufzubauen – Ganz anders als Lessing geht H e r d e r vor – bei ihm scheint alles, was er schreibt, ganz der Eingebung des Augenblicks entsprungen und pltzlich, strmisch hervorzubrechen. Und doch herrscht auch hier i m G a n z e n ein strenger Plan. B Nichts dergleichen findet sich bei Goethe – Auch er ist, je lter er wird, um so mehr an p  d a g o g i s c h e n F r a g e n interessiert; in seine Altersdichtungen lsst er pdagog[ische] Reflex[ionen] einziehen – man denke nur an die ‘pdagogische Provinz’ in den Wanderjahren – auch er will der E r z i e h e r s e i n e s Vo l k e s sein – aber als D i c h t e r kann er nicht Erzieher werden – er kann nur aus der e i g e n e n Norm heraus gestalten: er will nicht ‘Meister’, er will nur Befreier sein – Denn sein Schaffen vollzieht sich unbewusst – D u W : er msste diese Gabe g a n z a l s N a t u r b e t r a c h t e n – sie trat unwillkrlich, ja w i d e r Wi l l e n hervor[.] C Diese D schnsten lyrischen Gedichte der Jugendzeit, den »Werther«, das alles hat er, wie er sagt, “gleich einem Nachtwandler” gestaltet. –1 gestaltet. –] am Rand in Bleistift: (D u W. XIII[. Buch], Loeper[, Bd.] 22, [S.] 132)[.] 1

um auf diese Weise ... aufzubauen] am Rand und hier angeschlossen strenger Plan.] am Rand und zwischen den Zeilen ohne Zuweisung zum Text: R e i s e t a g e b u c h – 25 Jahre – Kopenh[agen], Helsingr Frankreich: 28 auf dieser Reise stiegen a l l e Gedanken in ihm auf, die wir in seinen spteren Werken finden[.] C D u W . . . w i d e r W i l l e n hervor.] am Rand und mit Zeichen und Linien dieser Stelle zugewiesen D Diese] diese A B

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ohne ein Schema des Ganzen oder irgend eine vorher[ige] Ausarbeitung. A Oft B fand er die Gedichte morgens auf seinem Tisch. In diesem Sinne hat G[oethe] einmal gesagt, daß nicht e r seine Gedichte mache – sondern daß seine Gedichte i h n machen (D[er] j[unge] G[oethe], [Bd.] I, S. LVII)[.] 29C Und doch hat keine Schpfung Klopstocks oder Lessings auch nur entfernt so tief in die Gestalt des deutschen Geisteslebens eingegriffen, wie der Werther, der Goetz oder spter Iphigenie, Tasso, Faust[.] Hier D herrscht nicht ein direktes bewusstes Eingreifen und Wirken, das die Form des deutschen Geisteslebens umgestaltet, sondern ein viel merkwrdigeres und schwierigeres Verhltnis –L es ist eine Art von »praestabilierter Harmonie«[.] 30 In Goethes eigenem Leben werden unbewusst die tiefsten Krfte und Tendenzen des allgemeinen europischen Geisteslebens und des nationalen geistigen Lebens wirksam – e r hebt sie fr das allgemeine Bewusstsein zuerst ans Licht; gibt ihnen ihre bestimmte Form und ihre allseitige Wirkung. – Wir betrachten indess hier dieses Verhltnis nur, so weit es sich in G o e t h e s J u g e n d e n t w i ck l u n g darstellt – Daran knpft sich die Frage: haben wir ein R e c h t zu dieser Isolierung – E Wir mssen F Goethes Leben, Dichten, Wirken als ein G a n z e s sehen, um es wirklich zu verstehen – Drfen G wir irgend eine bestimmte, wenn auch noch so wichtige E p o ohne ein Schema ... Ausarbeitung.] zwischen den Zeilen eingefgt Oft] oft C In diesem Sinne ... S. LVII).] am Rand und hier angeschlossen D Hier] am Rand: 7o undeutlich; ursprnglich vielleicht: 7i in Bleistift und mit weichem Bleistift berschrieben E – so sagt W. D i l t h e y ... zu dieser Isolierung –] im Ms. durchgestrichen, in der Vorlesung aber sicher vorgetragen; vgl. den Verweis in Vorlesung 2 auf die Bemerkung: es ist eine Art von »praestabilierter Harmonie« sowie den ersten Entwurf zu Vorlesung 2 im vorl. Bd., S. 29 und S. 30. F Wir mssen] ursprnglich: mssen wir; mit Zeichen umgestellt, danach gestrichen: nicht G Drfen] drfen ab hier am Rand entlang geschrieben und z. T. mehrfach durchgestrichen: S o p h o k l e s – Oedip[us] auf Kolonus, das letzte große Werk des S[ophokles] – S[ophokles] hinterliess ihn, als er mit 89 Jahren starb – ebenso hat E u r i p i d e s die Bacchen, die Iphigenie in Aulis mit ber 70 Jahren gedichtet – u[nd] sie gehren zum Grssten, was er geschaffen – A B

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c h e aus ihm herausgreifen? Und wenn wir sie herausgreifen – warum sehen wir nicht »Goethe in der Epoche seiner Vo l l e n d u n g « (Otto Harnack)? A Aber die Jugend ist die Epoche der Ve r h e i s s u n g und die Verheissung ist m e h r a l s d i e Vo l l e n d u n g [.] B Darauf lsst sich zweierlei erwidern: 1) Goethe selbst hat die Epoche seiner Jugend als »symbolisch«[,] als repraesentativ fr sein g a n z e s Leben angesehen – C Die D Epoche von 1770–75 fhlte er selbst als die des geistigen und poetischen Durchbruchs – sie gab seinem Leben und Dichten die entscheidende Form – E Was ist in diesem Zeitraum von 17 7 0 – 17 7 5 alles entstanden – die erste Blte der Goetheschen Ly r i k – die Lieder an Friederike, die Gedichte an Lilly – Von Dramen der G  t z – spter C l a v i g o und S t e l l a , die Anfnge des E g m o n t [,] eine Reihe der herrlichsten dramatischen Entwrfe[,] C a e s a r, M a h o m e t , S o k r a t e s , P ro m e t h e u s [,] 31 S a t i re n u n d Fa s t n a c h t s s p i e l e : Satyros, Pater Brey, Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilen[.] Und schliesslich: der We r t h e r und der U r f a u s t 1 ( G r  s s e re s hat Goethe als D i c h t e r nicht wieder vollbracht – sein Denken, sein Forschen, seine Lebenserfahrung, seine praktische U r f a u s t ] am Rand: (die ersten Szenen des Urfaust stammen aus dem Jahr 1772/3 / vgl. M o r r i s , Goethe-Studien, [Bd.] I, [S.] 33 ff.) 1

Auch in der bild[enden] Kunst fehlt es nicht an Beispielen, daß große Knstler im hohen Alter eine wirkl[iche] Wiedergeburt erleben – man braucht nur an T i z i a n zu denken. Auch G[oethe] hat als Ly r i k e r diese Wiedergeburt immer wieder erlebt; D i va n , 65 od[er] 66 Jahre; u[nd] eines der herrlichsten u[nd] leidenschaftlichsten Liebesged[ichte] Marienb[ader] Elegie 1823 / Goethe 74

Jahre alt / Ankunft in Weimar / 7 November 1775 / 2 April 1770 – Straßburg (Otto Harnack)?] (Otto Harnack) Und wenn wir ... ist m e h r a l s d i e Vo l l e n d u n g .] am Rand und hier angeschlossen C angesehen –] danach gestrichen: Als er spter in “Dichtung und Wahrheit” daran ging, sein Leben knstlerisch zu gestalten, da schloß er die Darstellung mit seinem Eintritt nach Weimar – D Die] die E entscheidende Form –] danach gestrichen: Es ist die Epoche, in der er sich seiner p ro d u k t i ve n K r a f t zuerst vllig bewusst wird – A B

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Wirksamkeit – das alles hat sich stndig erweitert und stndig vertieft – A Als B D i c h t e r konnte Goethe ber den Werther und Faust nicht hinauswachsen – die Schlussszene des ‘Urfaust’, die Kerkerszene in Prosa, ist das Gewaltigste, Tiefste, Erschtterndste, was wir von G[oethe] besitzen –) G[oethe] selbst empfand so, wenn er auf diese Jahre zurckblickte “Als Besttigung innerer Selbstndigkeit fand ich mein produktives Talent – es verliess mich seit einigen Jahren keinen Augenblick; in jeder Zeit konnte man von mir fordern, was man wollte; ich war stets bereit und fertig.”32C [2)] Und was G[oethe]’s Jugend kennzeichnet[,] ist nicht nur die I n t e n s i t  t u n d T i e f e des dichterischen Gefhls, sondern schon die erstaunliche We i t e seines Weltblicks[.] “Breite Welt und reiches Leben” 33 – das alles findet sich schon hier – in einem Maße, das fr einen 20-25-Jhrigen erstaunlich ist – Goethe selbst hat sich spter hierber verwundert – und er hat es damit erklrt, daß den wirklich produktiven Naturen die Welt gewissermaßen “ d u rc h A n t i z i p a t i o n ” 34 gegeben sei[.] “Ich schrieb meinen Goetz von Berlichingen” – so sagte er zu Eckermann – [“]als junger Mensch von 22 und erstaunte zehn Jahre spter ber die Wahrheit meiner Darstellung. Erlebt und gesehen hatte ich ... dergleichen nicht, und ich musste also die Kenntnis mannigfaltiger menschlicher Zustnde durch Antizipation besitzen”[.] 35

Dramen ... stndig vertieft –] im Ms. gestrichen Als] ursprnglich: Aber als; Aber gestrichen und das kleine a in als in A gendert C bereit und fertig.”] danach z. T. mehrfach gestrichen: Diese unmittelbare G e g e n wa r t und B e re i t s c h a f t des produktiven [am Rand in Bleistift: z u v i e l – Herr schaffe mir Raum] dichterischen Talents spren wir ganz nur in der Jugend – Es ist niemals erloschen – und wir brauchen es nur in ein Gedicht wie die M a r i e n b a d e r E l e g i e zu denken, die Goethe mit 74 Jahren geschrieben hat, um zu fhlen, daß er sich bis ins hohe Alter nicht abgeschwcht hat – aber die ganz freie ungehemmte E n t f a l t u n g war ihm nur in der Jugend beschieden – spter musste es immer von neuem e ro b e r t werden. Goethe hat von seiner E x i s t e n z gesagt, daß er sie im Lauf seines Lebens immer wieder aus ethischem Schutt und Trmmern wieder herstellen musste – (1817: cf. Richard M. Meyer S. 3) 36 das gilt auch von seinem poetischen Talent – es gab immer wieder Epochen der Hemmung, des scheinbaren Versiegens – aus denen G[oethe] sich dann freilich immer wieder um so krftiger und siegreicher befreite. – A Von B

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In d i e s e m Sinne lsst sich sagen, daß der j u n g e G o e t h e trotz allem in gewissem Sinne der g a n z e G o e t h e ist: alles was in Goethes Leben spter zur Entfaltung gekommen ist[,] liegt hier schon im Keime vor – Der Bau dieses Lebens steigt freilich immer weiter und hher in die Lfte und gewhrt einen immer weiteren  b e r b l i c k – aber das Fundament, die Basis, ist in der J u g e n d gelegt – Goethe selbst hat hierfr ein schnes Bild geprgt: er spricht einmal von der “Pyramide seines Daseins”[.] 37 Dieses Bild braucht er in einem Brief an Lav[ater] aus dem Jahre 1780. A “Diese Begierde, die Pyramide meines Daseins[”] – so schreibt G[oethe] im Jahre 1780 in einem Brief an L a va t e r – “so hoch als mglich in die Luft zu spitzen berwiegt alles andere und lsst kaum augenblickliches Vergessen zu. Ich darf mich nicht sumen, ich bin schon weit in Jahren vor – (als Goethe dies schreibt, ist er 31 Jahre alt –), und vielleicht bricht mich das Schicksal in der Mitte, und der Babylonische Turm bleibt stumpf, unvollendet. Wenigstens soll man sagen: es war khn entworfen und wenn ich lebe, sollen wills Gott die Krfte bis hinauf reichen”[.] 38 – Diese B a s i s der Pyramide wollen wir hier betrachten.

A

Dieses Bild braucht ... aus dem Jahre 1780.] zwischen den Zeilen in Bleistift

Zweite Vorlesung A [:] [Goethe und die deutsche Geistesgeschichte. 9.X.40] Wir haben in unseren einleitenden Betrachtungen versucht, B kurz auszusprechen, worin die grosse und entscheidende Wirkung bestand, die Goethes Dichtung und Goethes geistiges Lebenswerk auf die deutsche Bildung ausgebt hat. Wir sahen, worin G[oethe] selbst den Kern seiner Leistung sah. In einem Aufsatz: »Ein Wort an junge deutsche Dichter«, den er im Alter verfasst hat, erklrt G[oethe], er fhlte sich nicht als Meister der deutschen Dichtung – und jeder Gedanke, eine dichterische Schule zu begrnden, habe ihm immer fern gelegen. Dagegen drfte er wohl von sich sagen, daß er zum Befreier der Deutschen, insbesondere der deutschen Dichter geworden sei: denn an seinem Beispiel sei die deutsche Dichtung gewahr geworden, daß es nicht notwendig und daß es im Grunde vergeblich sei, sich nach usseren Normen und Vorbildern auszubilden, sondern daß jeder wahre Knstler das Recht auf die Ausbildung und Entwicklung der eigenen Individualitt habe. «Der Mensch muss von innen heraus leben und der Knstler muß von innen heraus schaffen – indem Jeder, wie er sich auch immer bemhen mag, doch schliesslich nichts anderes als das Ganze s e i n e r Persnlichkeit, die Eigentmlichkeit s e i n e r Individualitt zum Ausdruck bringen knne». 39 Ich habe Ihnen weiterhin, an zwei grossen Beispielen aus Goethes Leben zu zeigen gesucht, in welcher Weise Goethes eigene Bildungsgeschichte immer wieder bestimmend wurde fr die allgemeine Richtung. C Diese D Wirkung war nicht b e a b s i c h t i g t – sie vollzog sich, ohne daß er selbst sie geplant hat – oder auch nur htte planen knnen. In der Jugend findet er in einer Zeit der berstrmenden Flle und des ersten Liebesglckes E eine neue Sprache und einen neuen lyrischen Ton. Er s u c h t nicht nach einem neuen Stil; sondern die unmittelbare Empfindung eines glcklichen Augenblicks bricht aus ihm hervor. Aber indem dieser Augenblick sich, in den ersten Sesenheimer Liedern, dichterisch gestaltet, hat er damit eine Art von E w i g k e i t gewonnen: alle große deutsche Lyrik wird knftig in irgend einer Weise so sprechen, wie G[oethe] hier gesprochen hat. Das zweite Beispiel, das wir betrachtet haben, war G[oethe]’s italienische Reise. Auch hier handelt G[oethe] lediglich unter einem inneren Zweite Vorlesung] im Ms. hervorgehoben versucht,] am Rand: a C Richtung.] Richtung, danach gestrichen: die die deutsche Geistes- u[nd] Litteraturgesch[ichte] im 18. J[a]h[rundert] nahm. D Diese] am Rand: b E Liebesglckes] Liebesglckes, danach gestrichen: in den ersten Sesenheimer Liedern A B

Zweite Vorlesung: [Goethe und die deutsche Geistesgeschichte]

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bermchtigen Impuls. Er sieht sich in dem ersten Jahrzehnt seines Weimarer Aufenthalts mehr und mehr in Verhltnisse eingesponnen, die ihm unertrglich werden und die seine dichterische Schaffenskraft zu hemmen, ja zu vernichten drohen. Er sieht keine Rettung fr sich, als Menschen und als Dichter, als daß er mit einem pltzlichen Entschluss alle Bande zerreisst. Und nun erlebt er in Italien die große Wiederauferstehung seiner Poesie. Als ein Anderer, Neugeschaffener kehrt er heim. Aber indem er selbst sich in dieser Weise gewandelt hat, hat nun auch die deutsche Dichtung als G a n z e s eine neue Gestalt angenommen. Der rein innere Entwicklungsprozess G[oethe]’s bedeutet zugleich fr diese Dichtung einen S t i l wa n d e l vo n f u n d a m e n t a l e r B e d e u t u n g : aus der Epoche des “Sturm und Drang” ist sie in die Epoche des klassischen Stils der deutschen Litteratur A eingetreten. Jetzt muss auch S c h i l l e r ein anderer werden: der Schiller der Ruber, der Schiller von Kabale und Liebe, des Don Carlos, wird zum Schiller des Wallenstein und der Briefe ber die aesthetische Erziehung des Menschen. Was anfangs lediglich als ein Moment in Goethes eigener, individueller Entwicklung erschien – das gewinnt pltzlich u n i ve r s e l l e Bedeutung: es fhrt zu einem Wendepunkte der deutschen, ja der europischen Geistesgeschichte. Dieses Ineinandergreifen ist umso merkwrdiger und um so bedeutsamer, als es von Goethes Seite keineswegs g e wo l l t war. Er selbst konnte die ausserordentliche Wirkung, die dieser Lebensmoment fr das Ganze der geist[igen] Entw[icklung] B in sich barg, nicht voraussehen und nicht berechnen. Die sehr eigentmliche und verwickelte Beziehung, die hier vorliegt, kann man sich am besten verdeutlichen, wenn man Goethe hier mit den anderen fhrenden Geistern der klassischen deutschen Litteraturepoche vergleicht. Sie Alle – Klopstock, Lessing, Herder, in gewissem Sinne sogar C Wieland, – gehen auf bestimmte Ziele aus. Sie wollen etwas Neues hervorbringen – und sie wollen durch dieses Neue die deutsche Litteratur in andere Bahnen lenken. Klopstock begeistert sich fr Miltons »Verlorenes Paradies« – und in ihm entsteht der Plan[,] ein deutscher Milton, der Schpfer des grossen deutschen religisen Epos zu werden. Schon als Schler hat er diesen Plan gefasst. Als er D das Gymnasium zu Schulpforta verlsst, da hlt er eine Abschiedsrede, 40 die ber Litteratur] Litteratur ist; ist ber der Zeile in Bleistift und dieser Stelle zugewiesen B fr das Ganze der geistigen Entwicklung] in Bleistift ber der Zeile und dieser Stelle zugewiesen C in gewissem Sinne sogar] in Bleistift ber der Zeile; ersetzt gestrichen: selbst D Als er] Als er, danach gestrichen: im Jahr 1745, A

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das Wesen und den Beruf des epischen Dichters handelt, und die schon deutlich auf den »Messias« vorausweist. Und dann arbeitet Klopstock durch Jahrzehnte hindurch an der Ausfhrung dieses Planes; im Jahre 1748 sind die drei ersten Gesnge des Messias, im Jahre 1773 ist der letzte erschienen. Auch sonst will Klopstock das Ganze der deutschen Litteratur planvoll umgestalten; er will sie innerlich und usserlich neu organisieren. Er schreibt, im Jahre 1774, seine »Gelehrtenrepublik«, in der er diese Organisation, wie sie ihm vorschwebt, nher entwickelt. Hier wird geradezu an eine Art von Administration, von einer festen Verwaltung der deutschen Litteratur gedacht: Klopstock selbst soll an der Spitze stehen und seine Schler und Bewunderer sollen als Sendboten und Statthalter von ihm in den verschiedenen deutsche[n] Lnder[n] wirken. Wenn wir heute K[lopstock]’s G[elehrtenrepublik] lesen, so fllt es uns schwer, an den Ernst dieses Planes zu glauben; er war A eine seltsame Utopie, die von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Ein ganz anderer Geist als Klopstock ist L e s s i n g . Er glaubte nicht an die Macht von I n s t i t u t i o n e n fr die Erweckung und Frderung des geistigen Lebens; er wirkt als Einzelner, als großes Individuum. Aber auch er geht durchaus methodisch vor. In den Litteraturbriefen stellt er bestimmte Maßstbe auf, denen jede gesunde Kritik folgen msse. In der »Hamburgischen Dramaturgie« untersucht er, unter stndigem Hinblick auf Aristoteles, als philosophischer Denker das Wesen der Tragdie – und erst nach dem er dieses Wesen erkannt zu haben glaubt, geht er an die Schpfung seiner letzten grossen tragischen Dichtung, der Emilia Galotti: Aber G o e t h e konnte nicht in dieser Weise schaffen – und er konnte nicht auf diese Art bewusst in den Gang der deutschen Litteratur eingreifen. Nur e i n m a l in seinem Leben hat G[oethe] etwas derartiges versucht, als er mit Schiller zusammen B die »Xenien« dichtete – jene scharfen und witzigen Epigramme, die die Schden der damaligen deutschen Litteratur geisseln und sich gegen ihre unbedeutenden, mittelmßigen, seichten Produkte richten. Hier in diesem Xenienkampf war Schiller, der Herausgeber des Musenalmanachs vom Jahre 1796, 41 in dem die »Xenien« erschienen, die eigentlich-treibende Kraft, und Goethe liess sich von ihm und seinem polemischen Temperament mitreissen und fortreissen. Ihm selbst lag dergleichen nicht. Goethe wollte auf v i e l e n Gebieten der Erzieher seines Volkes sein – und im Alter dringen pdagogische Ideen C auch mehr und mehr in seine D i c h t u n g ein. In Wilhelm Meisters Wanderjahren hat er ein Kapitel wir heute ... glauben; er war] am Rand in Bleistift und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen; Anfang des nchten Satzes (Das war) stehengeblieben B zusammen] danach gestrichen: im Jahre 1796 C Ideen] in Bleistift; ersetzt gestrichen: Probleme A Wenn

Zweite Vorlesung: [Goethe und die deutsche Geistesgeschichte]

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eingefgt, dem er den Namen der »pdagogischen Provinz« gegeben hat. Aber als D i c h t e r konnte G[oethe] nicht unmittelbar erziehen, konnte er kein P ro g r a m m entwerfen – denn hier ging er A nicht nach einem festen Plan oder nach aesthetischen Grundstzen, sondern durchaus unbewusst vor. Vom Werther hat er erzhlt, daß er ihn in wenigen Wochen, ohne vorher irgend einen Plan oder ein Schema zu dem Werk entworfen zu haben, “wie ein Nachtwandler” 42 geschrieben habe. Und was seine lyrischen Dichtungen betrifft, so berichtet er, daß sie oft pltzlich, ihm selbst vllig unvermutet aus ihm herausgebrochen seien: bisweilen fuhr er in der Nacht aus dem Schlafe auf, warf sie schnell auf das Papier, um sie dann am Morgen beim Erwachen zu seinem Erstaunen neben sich liegend zu finden. Ein Dichter von dieser Art konnte nicht planvoll, methodisch, mit bewusster Absicht in die Entwicklung der deutschen Litteratur eingreifen. Goethe wirkte nicht durch Lehre, sondern durch Beispiel; er wirkte weniger durch das[,] was er geleistet hat, obwohl natrl[ich] auch seine Leistung dauernde Spuren hinterliess B [,] als durch das[,] was er wa r. In seinem einfachen Dasein, in der Art seines Genies und seiner Pe r s  n l i c h k e i t C lag das Befreiende und das Bildende. Das Vorbild, das er in seinem eigenen Leben und Schaffen aufstellte, war das eigentlich-Entscheidende, weil das deutsche geistige Leben als Ganzes sich dem Vorbild nicht entziehen konnte und an ihm neue Normen und Maßstbe kennen lernte. D Ich habe das letzte Mal von einer “praestabilierten Harmonie” E gesprochen, die zwischen Goethes F eigener Entwicklung und der Entwicklung der deutschen Litteratur und Geistesgeschichte bestand. Aber ich htte diesen Ausdruck besser vermeiden sollen – G da er leicht zu einem M i s s -

konnte er kein ... hier ging er] ber der Zeile in Bleistift und hier eingefgt; die davor stehengebliebene Konditionalwendung (weil er als solcher) wurde nicht getilgt B obwohl natrlich ... Spuren hinterliess] ber der Zeile in Bleistift C in der Art seines Genies und seiner Pe r s  n l i c h k e i t ] ber der Zeile in Bleistift (seiner Pe r s  n l i c h k e i t in Tinte) und hier eingefgt D Das Vorbild ... kennen lernte.] am Rand; ersetzt gestrichen: Und deshalb wurde jede neue Phase seiner eigenen S e l b s t b e f re i u n g mittelbar auch immer wieder ein neuer Schritt in dem grossen Prozess der Selbstbefreiung des deutschen und des allgemeinen Geisteslebens. E “praestabilierten Harmonie”] Im Ms. wurde “praestabilierten mit Bleistift gestrichen und ein neues Anfhrungszeichen in Bleistift vor Harmonie gesetzt; zu dieser spteren berarbeitung vgl. im vorl. Bd., S. 22, 242 und 245. F Goethes] am oberen linken Rand: f G vermeiden sollen –] danach gestrichen: denn es handelt sich hier um einen [ber der Zeile in Bleistift und hier eingefgt: metaphys.] Begriff der Leibnizschen Philosophie, der ohne nhere Erklrung, die ich hier nicht geben kann, kaum verstndlich ist, und A

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ve r s t  n d n i s Anlass geben knnte. Die Harmonie, von der ich sprechen wollte, sollte lediglich dies besagen, daß G[oethe], indem er dem Gang seiner eigenen dichterischen Entwicklung u[nd] seiner eigenen Geistestendenz folgt, damit auch mittelbar die tiefsten Tendenzen verwirklicht, die im deutschen Geistesleben des 18ten Jahrhunderts lagen, und daß er sie gewissermassen erst aus ihrem Schlummer erweckt und sie zu vollem Bewusstsein erhebt. Aber d i e s e Art der praestabilierten, der vorbestimmten Harmonie A besagt durchaus nicht, daß zwischen Goethe und seiner Umgebung, zwischen Goethe und den verschiedenen geistigen Strmungen, die damals in der deutschen Litteratur herrschten, stets auch eine p e r s  n l i c h e Harmonie, ein Einverstndnis, eine echte und wahre S y m p a t h i e bestanden habe. Das war keineswegs der Fall. Hier hat es vielmehr, besonders in zunehmendem Alter, starke Gegenstze – hier hat es innere Spannungen gegeben, die bisweilen einen fast tragischen Charakter anzunehmen drohten[.] B Freilich in der ersten Zeit, in C der glcklichen Zeit der ersten Jugend da brauchte G[oethe] nur zu sprechen, um sofort gehrt zu werden. Und man hrte ihn nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa, ja ber Europa hinaus. Welche starke Wirkung Goethes Werther auch auf die f r a n z  s i s c h e Litteratur gebt hat, hat Georg Brandes im ersten Bande seines bekannten Werkes: »Die Hauptstrmungen der Litteratur des 19ten Jahrhunderts« eingehend geschildert. D Napoleon hat erzhlt, daß er ihn sieben Mal sollte lediglich ... vorbestimmten Harmonie] am Rand; ersetzt gestrichen: und ein rein i d e e l l e r Zusammenhang und eine i d e e l l e bereinstimmung v[on] bestimmten geistigen Grundtendenzen. Aber dies B Hier hat es ... drohten.] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: Im Gegenteil: je lter G[oethe] wurde, um so deutlicher wurde es ihm, daß er auf diese allgemeine Sympathie nicht rechnen konnte. »Ich mochte mich stellen, wie ich auch wollte« – so hat er einmal gesagt – »ich war immer allein«. 43 C Freilich in der ersten Zeit, in] ber der Zeile und hier eingefgt; ersetzt gestrichen: Nur in; in bei Streichung stehengeblieben D Wir haben ... geschildert.] (= Seiten a-f) ersetzen z. T. mehrfach gestrichen (= Seite 7a und das obere Drittel deren verso Seite): ( Z we i t e Vo r l e s u n g ) 9 . X . 4 0 [am Rand: 7a] Wir haben zuletzt versucht, uns klar zu machen, welche innere Beziehung zwischen Goethes eigener geistigen und dichterischen Entwicklung und der a l l g e m e i n e n E n t w i c k l u n g des deutschen Geistes besteht. Ich habe diese Beziehung dadurch auszudrcken gesucht, daß ich den Leibnizischen Ausdruck der praestabilierten H[armonie] auf sie anwandte. Eine praestabilierte – eine vo r h e r b e s t i m m t e Harmonie scheint Goethe und die deutsche Geistesbildung mit einander zu verknpfen. Beide sind, auch dort[,] wo sie sich nicht unmittelbar beeinflussen, durch ein gemeinsames Schicksal mit einander verbunden und verflochten – sie sind gewissermassen s o l i d a r i s c h . [am Rand in Bleistift: ungek. Verdienste der idealist[ischen] Phil[osophie] – ] Ich habe Ihnen diese Art der Verbindung durch zwei große Beispiele zu verdeutlichen gesucht. A

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gelesen hat – er hatte ihn noch auf seinem aegyptischen Feldzug mit und las ihn im Schatten der Pyramiden. 44 Und ein kleines Epigramm Goethes, das Sie in seinen Gedichten unter den » Ve n e t i a n i s c h e n E p i g r a m m e n « finden, zeigt uns, daß die Wirkung des Werther selbst bis China drang – Ich habe zu zeigen gesucht, wie Goethe, indem es ihm in den Sesenheimer Liedern gelingt, zuerst sich selbst auszusprechen, damit auch die deutsche Lyrik von Grund aus verndert – er haucht ihr ein neues Gefhl ein und er gibt ihr einen neuen Ton, den sie nie wieder ganz verlieren konnte. Das zweite Beispiel war Goethes Reise nach Italien: durch sie tritt nicht nur er selbst in eine neue Lebensepoche und in eine neue geistige Epoche ein: sondern jetzt vollzieht sich auch, durch seine Vermittlung, in der deutschen Litteratur des 18. Jahrhunderts die grosse Wendung: der bergang vom »Sturm und Drang« zu dem klassischen Stil der grossen deutschen Litteratur. [zwischen den Zeilen und am Rand und hier angeschlossen: Ich habe, um diesen Zusammenhang zu kennzeichen, von einer praestabilierten H[armonie] gesprochen, die zwischen G[oethe]’s eigenem Leben und dem deutschen Geistesleben im 18. Jahrh[undert] bestand. Ich wollte damit sagen, daß nicht nur eine ussere Verbindung, sondern eine innere ideelle Gemeinschaft – eine »influxus idealis« 45 wie Leibniz sagt, zwischen G[oethe] u[nd] dem deutschen Geistesleben besteht. Indem G[oethe] nur seinen e i g e n e n Weg geht, bestimmt er dadurch, mittelbar oder unmittelbar, auch den Weg der deutschen Geistesgesch[ichte]. Das gilt auch fr die P h i l o s o p h i e . Auch auf Schelling u[nd] Hegel hat er aufs strkste gewirkt. Schelling ist vielleicht der Erste, der nach dem Erscheinen des Faust-Fragments im J[ahre] 1790 sofort den Plan u[nd] Sinn der Faustdichtung erfasst hat. [am Rand in Tinte mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: in seinen Vorl[esungen] aus den Jahren 1802–05 sagt er, daß wenn irgend ein Poem p h i l o s o p h i s c h heissen knne, dies Prdikat Goethes Faust allein zugelegt werden muss ( Schell[ing, Smmtliche Werke,

Bd.] V, [S.] 731 ff.) [darunter in Bleistift:] Vorles[ungen] ber die Philosophie der Kunst – (1802) Winter J e n a ([Smmtliche] W[erke Bd.] V, [S.] 730 ff.); in Bleistift zwischen den Zeilen und durch einen Pfeil dieser Stelle zugewiesen: Philosophie, Vo r l [  n d e r ] , Kant – Schiller – Goethe, L[ei]pz[ig] 1907. Aber es f e h l t auch ein Buch – Jena – Naturphilos[ophie] – Phaen[omenologie] des Geistes.] Aber ich htte vielleicht den Ausdruck der »praestabilierten Harmonie« hier nicht brauchen sollen. – denn es ist ein Ausdruck der Metaphysik, der ohne weitere Erklrung nicht verstanden werden kann. In jedem Fall muss ich das, was ich sagen wollte, hier noch etwas nher erlutern, um ein Missverstndnis zu verhten, das leicht entstehen knnte. Zwischen Goethe und seinem Publikum, zwischen Goethe und der deutschen Litteratur- und Geistesgeschichte hat keineswegs immer eine volle s e e l i s c h e Harmonie [darber in Bleistift: eine volle S y m p a t h i e ] bestanden: beide haben sich durchaus nicht immer sofort verstanden und sofort gefunden. Das einzige Mal, daß Goethe u n m i t t e l b a r mit seiner Dichtung auf das g a n z e geistige Leben, auf das Leben Deutschlands und auf das Europas gewirkt hat, ist die erste glckliche Zeit seiner Jugend gewesen. [danach in Bleistift eingefgt und gestrichen: 7a] Hier brauchte er nur s i c h auszusprechen, um sofort ganz Deutschland, ja ganz Europa mit sich fortzureissen.

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“was frdert es mich, daß auch sogar der Chinese Malet[,] mit ngstlicher Hand[,] Werthern und Lotten auf Glas?” 46 G[oethe] erhielt in der Tat eines Tages von einem seiner Korrespondenten die Nachricht, daß er in einer Hafenstadt ein eben eingetroffenes chinesisches Schiff besucht und in der Kajte des Kapitns zu seinem Erstaunen chinesische Malerei gefunden habe, die Szenen aus dem Werther darstellen (Hempel[’s Klassiker Ausgaben, Bd.] 2, [S.] 144)[.] A Aber einen hnlichen Erfolg, wie den des Werther oder des »Gtz von Berlichingen« hat Goethe nie wieder erlebt. Spter wurde es anders, und grndlich anders. Jedes seiner grossen Werke musste sich langsam und mhsam durchsetzen. Als der Tasso und die Iphigenie erschienen, fand man diese Werke »marmorglatt und marmorkalt«. 47 – Man vermisste den Stil des »Sturm und Drang«, B man sprte nicht das gewaltige innere Leben, von dem auch diese Dichtungen durchflutet sind. Wilhelm Meisters Lehrjahre erregten wieder die hchste C Bewunderung – aber sie bleibt diesmal auf einen kleinen Kreis der litterarisch-Gebildeten und der litterarisch-Fhrenden beschrnkt. Die Ro m a n t i k begrsst das Werk mit Begeisterung – Novalis, einer der tiefsten Geister der Romantik, D nennt damals Goethe den “wahren Statthalter des poetischen E Geistes auf Erden”. F48 Aber dann kommt der jhe Rckschlag. Die spteren Bcher des »Wilhelm Meister« erscheinen, und die Romantik muss einsehen, daß sie sich im Plan des Gesamtwerks getuscht habe. Wilhelm Meisters Bildungsgeschichte ist etwas ganz anderes als das[,] was sie nach dem Anfang des Romans erwartet hatte. Wilhelm soll nicht zum romantischen Trumer; er soll fr das praktische Leben; er soll zum ttigen und wirkenden Mann erzogen werden. Und so gross zuvor die Begeisterung fr ihn war, so groß ist jetzt Der We r t h e r hat diese Wirkung gebt. Die Begeisterung fr ihn griff weit ber Deutschland hinaus. [ber hinaus findet sich in Bleistift ein großes X und danach die Zahl 7a und ein Einfgungszeichen, das am Rand wiederholt wird, gefolgt von dem Hinweis: Einfluss auf die franzs[ische] / L i t t e r a t u r : Georg B r a n d e s / 1[.] Bd. der Hauptstrm[ungen] der / Litt[eratur] des 19. Jahr[hunder]t[s.] Goethe scheint ... (Hempel’s Klassiker Ausgaben, Bd. 2, S. 144).] am Rand; ersetzt gestrichen: Es scheint in der Tat solche chinesische Porzellanmalereien gegeben zu haben, die [ber der Zeile in Bleistift: Szenen aus G’s] Werther und Lotte darstellen. B Man vermisste ... »Sturm und Drang«,] ber der Zeile und hier eingefgt C die hchste] in Bleistift ber der Zeile D Romantik,] danach gestrichen: der Dichter des Heinrich von Ofterdingen, Novalis, den man den P ro p h e t e n d e r Ro m a n t i k genannt hat E poetischen] am oberen rechten Rand: 7b F “wahren Statthalter ... auf Erden”.] danach gestrichen: und er sieht in Wilhelm Meister den Hhepunkt von Goethes Dichtung. A

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die Enttuschung. Goethe – so erklrt Novalis jetzt – habe sein eigenes Werk verraten – A Novalis sieht jetzt also in Goethes Roman nicht mehr eine Verherrlichung der Poesie, sondern einen Angriff auf die Poesie. B Der Wilhelm Meister – so schreibt er – C ist ein durch und durch unpoetisches Buch: “es ist eine poetisierte brgerliche und husliche Geschichte; das Wunderbare darin wird ausdrcklich als Poesie und Schwrmerei behandelt”. 49 rger konnte der geistige Sinn und Wert des Wilhelm Meister kaum verkannt werden, als es hier geschieht: und das von Nov[alis,] D einem Manne, der einer der echtesten und edelsten Knstler der Rom[antik] war. E Auch sonst ist das Verhltnis Goethes zur deutschen Geistesund Bildungsgeschichte an inneren Konflikten reich. F verraten –] danach gestrichen: der “Wilhelm Meister” in seiner jetzigen Gestalt sei nichts anderes als “ein Candide gegen die Poesie”. Ein Candide mit Rcksicht auf Voltaires satirischen Roman »Candide, ou de l’optimisme«[,] der gegen Leibniz’ Optimismus gerichtet war. B Poesie.] Poesie; danach gestrichen: die sie dem Spott preisgibt. C – so schreibt er –] ber der Zeile und hier eingefgt D Novalis,] ber der Zeile in Bleistift E geschieht: ... Romantik war.] zwischen den Zeilen und am Rand und hier angeschlossen; danach ist die Fortsetzung des Satzes in Bleistift und gestrichen: und dessen Hauptwerk, der Roman: Hein[rich] v[on] Ofterdingen, eine wahre Perle der Rom[antik,] bildet wohl das grsste poetische Werk ist [sic], das die R[omantik] hervorgebracht hat[.] F reich.] darunter, am unteren Rand, verbunden durch eine Linie in Bleistift: 7c; danach ist der letzte Satz und die verso Seite dieses Blattes (7b) z. T. mehrfach gestrichen: Diese Konflikte steigern sich bisweilen zu tragischen Spannungen, unter denen Goethe tief gelitten hat. Und doch ging er ruhig seinen Weg weiter, – in dem sicheren Vorgefhl, daß der deutsche Geist ihm nie ganz entfremdet werden knne – daß er nur seine eigene Mission zu vollenden brauchte, um damit auch den deutschen Geist zu seiner wahren Hhe und zu seiner wahren Bestimmung zu erheben. »Denn ein Gott hat Jedem seine Bahn vorgezeichnet« so heisst es in Goethes Gedicht: Harzreise im Winter. Er sollte und konnte keinen anderen Weg gehen, als den, den er gegangen ist: er fhlte sich seine Bahn von Gott vorgezeichnet, und er folgte ihr, auch wenn die frheren Freunde von ihm abfielen und wenn es sehr einsam um ihn wurde. Er hatte das Gefhl, Deutschland und der Welt um so besser zu dienen, je getreuer er, ohne nach usserer Anerkennung zu fragen, allein dem Ruf seines Genies folgte. A

Jugendentwicklung cf. S. 7 verso Goethe war im Alter oft tief vereinsamt; aber er war niemals verbittert oder mutlos. [am linken und unteren Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: Er fuhr fort zu wirken und zu schaffen, auch nachdem eine neue Generation gekommen war, die ihn nicht mehr verstand, und er liess sich auch dann nicht beirren, als Wolfgang M e n z e l in seinem Werk ber die deutsche Litteratur nicht nur an all seinen Werken, vom christlichen und nationalen Standpunkt aus, die schrfste Kritik bte, sondern als er ihn auch persnlich aufs gehssigste

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Als auf die Romantik abermals eine andere Generation folgte – A als sie durch das “Junge Deutschland” abgelst wurde, da vermehrten und verschrften sich die Konflikte. Das junge Deutschland stand der allgemeinen Weltanschauung Goethes noch ferner, als die Ro m a n t i k . Es trat fr neue liberale, fortschrittliche Ideen [ein], B und es sah in Goethe seinen Gegner; es bekmpfte ihn als politischen R e a k t i o n  r. Aber zu offener Feindschaft gegen ihn ist es hier doch C nur selten gekommen. Denn die besten Geister des Jungen Deutschland fuhren fort, Goethe als Dichter zu ehren und zu verehren. Karl Gutzkow, einer der litterarischen Fhrer des “Jungen Deutschland”[,] liess im Jahre 1836 eine interess[ante] D Schrift erscheinen, die den Titel “ber Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte” fhrt. In dieser Schrift nimmt er Goethe gegen die Vorwrfe in Schutz, die G e r v i n i u s E wider ihn gerichtet hatte. 50 Er kommt zu dem Schluss, Goethe sei ein Name, auf den man zu allen Zeiten zurckkommen knne; Goethes Dichtungen seien ein Regulativ fr jede zuknftige Schpfung.1 51 Ganz anders aber hatte die Litteraturgeschichte Wo l f g a n g M e n z e l s gesprochen, die im Jahr 1827 erschien. Hier bricht der Hass gegen Goethe offen aus. Wer ist denn dieser Goethe – so fragt Menzel – den man so sehr bewundert, und worin besteht seine Zauberkunst? Man nennt ihn ein poetisches G e n i e – aber in Wahrheit besitzt er nichts anderes als ein gewisses Ta l e n t , und dies ussert sich in der Geschicklichkeit, mit der er sich der usseren dichterischen Formen beSchpfung.] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: cf. H. M a y n c [:] Gesch[ichte] der deutschen Goethe-Biographie, S. 24[.] 1

angriff[,] als er ihm Sittlichkeit, Vaterlandsliebe u[nd] religisen Sinn absprach und ihn des Egoismus, der weibischen Erschlaffung beschuldigte. Menzel ging damals, im Jahre 1827, so weit er [sic], daß er verlangte, man solle eine “deutsche Litteraturgeschichte ohne Goethe” schreiben.1) [zugehrige Anmerkungen am Ende der Seite: 1) Vgl. Karl G u t z k o w, ber Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte, S. 172 darunter: (cf. Hehn[, S.] 156)] Das alles lenkte Goethe nicht von seinem Weg ab;] Er war in jedem Augenblick seiner geistigen Mission sicher; und er glaubte, Deutschland und der Welt um so besser zu dienen, je getreuer er allein dem Ruf seines Genius folgte. Jugendentwicklung cf. S. 7 danach weist ein Pfeil nach rechts folgte –] am oberen rechten Rand: 7c Ideen ein,] Ideen, danach gestrichen: fr Ideen des politischen Fortschritts ein; das Wort ein irrtmlich getilgt, Komma nach Ideen nach Streichung stehengeblieben C doch] ber der Zeile in Bleistift D interessante] ber der Zeile in Bleistift E G e r v i n i u s ] danach gestrichen: in seiner “Geschichte der deutschen Dichtung” A B

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mchtigt und sie gewandt behandelt. Noch rger fllt das Urteil ber Goethes Persnlichkeit und seinen Charakter aus. Er hat keine Religion, keine Sittlichkeit, keine Vaterlandsliebe; er ist ein Genussmensch, ein kalter Egoist. 52 Menzel ging damals so weit, daß er verlangte, man solle eine deutsche Litteraturgeschichte A ohne Goethe 53 schreiben.1 B So weit war es also, noch zu Goethes Lebzeiten, gekommen! – Und h i e r i n sahen viele die Forderung des Tages. 54 Denn Menzel stand damals keineswegs allein. Er fhlte sich als Wortfhrer einer grossen Bewegung; er vertrat die Ideale der deutschen Burschenschaft, zu deren Begrndern er gehrte, und im Namen dieser Ideale suchte er den Namen Goethe aus der deutschen Geistes- und Bildungsgeschichte auszumerzen. Goethe selbst blieb von alledem unberhrt. Er htte vielleicht von dem Angriff Menzels nicht einmal erfahren, wenn nicht Zelter ihn darauf aufmerksam gemacht htte 55 – es handelt sich um den Berliner Musiker und Komponisten Z e l t e r, der der nchste Freund war, den G[oethe] im Alter besessen hat: der Briefwechsel zwischen G[oethe] und Zelter gehrt zu den schnsten Dokumenten des Goetheschen Alters[.] C Als G[oethe] auf diesem Wege D von Menzels Angriffen Kenntnis erhielt, hat er einige sehr deutliche und krftige Verse 56 gegen sie gerichtet, durch die er seinem Zorn Luft machte. Aber sie blieben unverffentlicht – sie sind uns erst dadurch bekannt geworden, daß die grosse Weimarer Goethe-Ausgabe sie aus dem Nachlass publiziert hat. “Von allem, was gegen mich geschieht, nicht die geringste Notiz zu nehmen” – so schrieb Goethe damals an Zelter, – [“]wird mir im Alter wie in der Jugend erlaubt sein. Ich habe Breite genug, mich in der Welt zu bewegen, und es darf mich nicht kmmern, ob sich irgend einer da und dort in den Weg stellt, den ich einmal gegangen bin”.257 Er fhlte sich, besonders in hherem Alter, oft tief vereinsamt, aber er wurde durch diese Einsamkeit nicht entmutigt und nicht verbittert. So schwieg er auch hier, wo seine Ehre empfindlich ohne Goethe schreiben.] am Rand: cf. G u t z k o w, ber G[oethe] im Wendepunkt zweier Jahrhunderte, (1836 [Angabe berichtigt, im Ms.: 1936] S. 172) / M a y n c , Gesch[ichte] der deutschen Goethe-Biographie, L[ei]pz[ig] 1914, S. 1 ff[.], H e h n [,] Gedanken ber Goethe, S. 157[.] 2 gegangen bin”.] am Rand: Briefe[, Bd.] 44, [S.] 289 f. 1

Litteraturgeschichte] am Rand: 7d ohne Goethe schreiben.] danach gestrichen: Eine deutsche Litteraturgeschichte ohne Goethe! C es handelt sich ... des Goetheschen Alters.] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: wenigstens deutet eine Stelle im Goethe-Zelterischen Briefwechsel darauf hin, daß er auf diesem Wege Kenntnis D Als Goethe auf diesem Wege] ber der Zeile und hier eingefgt A B

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beleidigt war. “Die Ehre des deutschen Namens” – so hat Lessing einmal gesagt, A – [“]beruht am meisten auf der Ehre des deutschen Geistes”[.] B So empfand und dachte auch Goethe – und schon aus diesem Grunde konnten ihn die Schmhungen Menzels nicht gleichgltig lassen. Aber er wollte nicht durch Worte, sondern durch die Tat erwidern; er setzte ruhig und unbeirrt seinen Weg fort und er war berzeugt[,] C damit auch Deutschland und der Welt am besten zu dienen. “Denn ein Gott hat Jedem seine Bahn vorgezeichnet” – 58 so heisst es in G[oethe]’s Gedicht “Harzreise im Winter”. Diese Bahn wollte er zu Ende gehen, ohne nach rechts oder links zu blicken – und nur damit glaubte er, dem Ruf seines Genius und seinem eigenen »Dmon« zu folgen. Und damit, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], knnen wir nun erst besser und tiefer verstehen, in welchem Sinne sich G[oethe] den “ B e f re i e r d e r D e u t s c h e n ” nennen durfte. D Das blosse Wort: »Freiheit« kann uns hierber nicht belehren: denn es ist ein sehr vieldeutiges Wort. E N i e t z s c h e hat gesagt, daß es eine doppelte Freiheit gbe: eine positive und eine negative; eine Freiheit wo vo n und eine Freiheit wo z u . 59 Die negative Freiheit, die Freiheit wo vo n will nur bestimmte Bindungen abstreifen; die positive, die Freiheit wo z u , weist neue Ziele und stellt neue Aufgaben. F Goethe gehrt vllig dem letzten Typus an – denn er war gesagt,] am oberen linken Rand: 7e gesagt, – “beruht am meisten auf der Ehre des deutschen Geistes”.] irrtmlich mitgetilgt bei der Streichung des Satzendes: – ein schnes Wort, das aber wenig bekannt ist, da es an recht versteckter Stelle steht: – es findet sich in einer Rezension der Haller-Biographie von Zimmermann, die Lessing im Jahre 1755 in der Berliner Vossischen Zeitung erscheinen liess (Lachmann-Mnchen[, Bd.] VII, [S.] 30)[.] C So schwieg er ... er war berzeugt,] am Rand; ersetzt gestrichen: Er blieb berzeugt, daß er nur seinen eigenen Weg fortzusetzen und zu vollenden brauche, um D nennen durfte.] in Bleistift; ersetzt gestrichen: genannt hat und was er unter seinem geistigen Befreiungswerk verstand E vieldeutiges Wort.] danach gestrichen: “Freiheit ruft die Vernunft, Freiheit die wilde Begierde” – so heisst es in Schillers Gedicht “Der Spaziergang”. Und F Litteraturgeschichte ohne Goethe schreiben. ... Aufgaben.] ersetzt z. T. mehrfach gestrichen: [am Rand: 7d] Litteraturgeschichte ohne Goethe schreiben. [am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: cf. H e h n , Ged[anken] ber Goethe[,] S. 157, M a y n c , a. a. O., S. 1 f.] So weit also war es damals gekommen. G[oethe] konnte von all dem nicht unberhrt bleiben. [zwischen den Zeilen in Bleistift: wenngleich er sich ffent[lich] nicht dazu geus[sert] hat.] Man begreift, welchen Eindruck das auf G[oethe] machen musste. Jetzt musste er oft das Gefhl haben, daß er der Welt, in der er stand, nichts mehr zu sagen habe, – daß sie seine Sprache nicht mehr verstand. [danach Einfgungszeichen; der Text dazu mit Linie dieser Stelle zugewiesen: Denn bedenken wir: W[olfgang] Menzel stand mit seinem Urteil keineswegs a l l e i n . Er gehrte einer bestimmten Gruppe an, als deren Wortfhrer er sich fhlte. Er vertrat bestimmte p o l i t i s c h e Ideale: die A B

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eine durchaus positive und produktive Natur, der alle blosse Verneinung fern blieb. Dieser Zug ist es, der ihn auch von den Genossen seiner Jugend, von den Mnnern der »Genieperiode« und des »Sturm und Drang« scheidet. Der “Sturm und Drang” ist eine revolutionre Bewegung; er will den Umsturz der geltenden Werte im Gebiet der gesellschaftlichen Ordnung, in der Welt der Politik und in der Welt der Litteratur. In der Politik erklrt er, wie in Schillers Don Carlos[,] dem Absolutismus und Despotismus den Krieg; in sozialer Hinsicht kmpft er, wie in Schillers Kabale und Liebe[,] wider das Standesvorurteil; in der Litteratur will er von allem Regelzwang befreien. A Die Sturm- und Drangperiode hat ihren Namen von K l i n g e r s Drama “Sturm und Drang” erhalten – und Klinger ist in der Tat der typische Vertreter der Stimmung dieser Zeit. “Ich mchte jeden Augenblick das Menschengeschlecht und alles, was wimmelt und lebt, dem Chaos zu fressen geben und mich nachstrzen” 60 – so lautet eine usIdeale der deutschen Burschenschaft, zu deren Begrndern er gehrte und im Namen dieser Ideale brach er den Stab ber Goethe. [durchgestrichen:] Aber Goethe [undeutlich: berichtete] dies nicht. Dieser aber bricht ab / s[iehe] ob[en]!] Er ging ruhig seinen Weg weiter, ohne nach rechts oder links zu blicken. [danach Einfgungszeichen; der Text dazu am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: ffentlich nahm er von dem Angriff, den M[enzel] wider ihn gerichtet hatte, nicht die geringste Notiz. “Von allem was gegen mich geschieht nicht die geringste Notiz zu nehmen[”] – so schrieb er damals an Zelter – [“]wird mir im Alter wie in der Jugend erlaubt sein. Ich habe Breite genug, mich in der Welt zu bewegen und es darf mich nicht kmmern, ob sich irgend einer da und dort in den Weg stellt, den ich einmal gegangen bin”. [Nachweis am Rand ber dem Einschub: (Briefe[, Bd.] 44, [S.] 289 f.)] Dieses ruhige und sichere Selbstgefhl schtzt G[oethe] vor jeder Verbitterung, wenngleich er im Alter die Vereinsamung um ihn herum immer strker empfand. Er war und] blieb berzeugt, daß er nur seine eigene Mission zu vollenden brauche, um damit auch den deutschen Geist zu einer neuen Hhe zu erheben. “Denn ein Gott hat Jedem seine Bahn vorgezeichnet” – so heisst es in Goethes Gedicht: Harzreise in Winter. Diese Bahn wollte er durchmessen – und er glaubte Deutschland und der Welt am besten zu dienen, je getreuer er allein dem Ruf seines Genius, dem Ruf seines »Dmon« – wie er es nannte – folgte. Und damit m[eine] D[amen] u[nd] H[erren] knnen wir nun erst besser und tiefer verstehen, in welchem Sinne G[oethe] sich einen “Befreier der Deutschen” genannt hat und was er als den eigentmlichen Plan dieses Befreiungsprozesses ansah. Das blosse Wo r t »Freiheit« kann uns hierbei nicht belehren – denn es ist ein schwieriges und vieldeutiges Wort. “Freiheit ruft die Vernunft, Freiheit die wilde Begierde” – so heisst es in Schillers Gedicht “Der Spaziergang”. N i e t z s c h e unterscheidet einen doppelten Sinn der Freiheit: den einen nennt er die “Freiheit wovon”, den anderen die “Freiheit wozu”. Die “Freiheit wovon” will nur die Fesseln zerbrechen; die andere, die Freiheit wo z u stellt positive Ziele auf und will den Weg zu ihnen weisen. A befreien.] danach gestrichen: Das G e s e t z wird verworfen und ihm wird der Kampf angekndigt: denn es gilt als der eigentliche Gegner der Freiheit.

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serung Klingers. So hat Goethe, auch der j u n g e Goethe, niemals gedacht und niemals empfunden. Auch in dem Goethe des Sturm und Drang lebt der unbedingte Wille zum Kosmos; – nicht der Wille zum Chaos. Das ist es[,] was auch den Freiheitsdrang des jungen Goethe von dem des jungen Schiller unterscheidet. “Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnrbrust und meinen Willen schnren in Gesetze” 61 – so ruft Karl Moor in Schillers Rubern aus. A Das ber-Menschliche, das ber alles Maß hinausgeht und jeder Grenze spottet: das war es, was der »Sturm und Drang« wollte. Aber Goethe hat dies, auch im strksten inneren Sturm der Jugend und der Leidenschaft, nie gewollt. Man hat sich bisweilen darber verwundert und man hat es beklagt, daß Goethe den Idealen seiner Jugend so vllig untreu werden konnte – daß er, der Genosse eines Lenz und Klinger, sich in das Griechentum flchten und sich zu dem Winckelmannschen Ideal der “edlen Einfalt und stillen Grsse” 62 bekennen konnte. Aber diese Verwunderung und dieser Tadel ist [sic!] unberechtigt. Denn man bersieht hierbei, daß es von Anfang an in Goethes Wesen etwas gab, was ihn zum Griechentum hinzog. Dieses Etwas war der “ Wi l l e z u r Fo r m ”, der stets und immer in Goethes Entwicklung den W i l l e n z u r F re i h e i t bndigte und ihm bestimmte Grenzen vorschrieb. Es ist ein Irrtum zu meinen, daß die Welt der Form sich fr Goethe erst in Italien, beim Anblick der antiken Kunstwerke, erschlossen habe. Er htte diese Welt, – htte die Antike niemals in der Weise, wie er sie erlebt hat, erleben k n n e n – wenn nicht etwas in ihm von frh an nach ihr gesucht und nach ihr verlangt htte. In einem Brief an Herder vom Juli 1772 B berichtete Goethe, daß jetzt die Griechen “sein einziges Studium” 63 seien. C Und schon damals hat er nicht nur die griechische Dichtung – Homer, Pindar, Anakreon, Theokrit – sondern auch die griechische P h i l o s o p h i e studiert. Er versenkt sich in die Lektre der Platonischen Dialoge – und er plant ein Drama « S o k r a t e s ». Man kann den jungen Goethe nur dann ganz verstehen, wenn man b e i d e Tendenzen stndig im Auge behlt. Neben der Gestalt des Goetz, des Rubern aus.] danach gestrichen: “Das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug geworden wre. Das Gesetz hat noch keinen grossen Mann gebildet, aber die Freiheit brtet Kolosse und Extremitten aus” – Kolosse und Extremitten – B 1772] 1772 – Gedankenstrich nach Streichung stehengeblieben, danach gestrichen: also mitten in der Periode des »Sturm und Drang« – C seien.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen und gestrichen: Das schreibt der Verfasser des G  t z , der damals die Welt Shakespeares entdeckt hat, und der mit Berufung auf Shakespeare dem Drama der Franzosen u[nd] dem antiken regelmssigen Drama, mit der Einheit des Ortes und der Zeit, den Krieg erklrt A

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Caesar, A des Prometheus steht in dieser Zeit pltzlich die Gestalt des S o k r a t e s 64 vor Goethes geistigem Auge – und verlangt dichterische Formung. Prometheus ist der Titan, der bermensch, der den Gttern den Kampf ankndigt. Aber neben dieser Verherrlichung des bermenschentums, des ungebundenen Selbstgefhls steht schon damals Sokrates, – neben dem Titanen steht der Weise – der Meister der Selbsterkenntnis und der Selbstbeherrschung, des Maßes und der sittlichen Vernunft. Freiheit und Form – das waren die beiden Krfte, die von frh an in Goethes dichterischer und in seiner geistigen Entwicklung bestimmend waren – und die einander das Gleichgewicht hielten. Aber ich will mich in dieses Thema – in das Thema von Freiheit und Form – hier nicht vertiefen – denn gemss dem Plan dieser Vorlesungen muss ich jeder Versuchung widerstehen, mich in p h i l o s o p h i s c h e Betrachtungen zu verlieren. Hierfr darf ich vielleicht mit einem Wort auf mein Buch F re i h e i t u n d Fo r m verweisen, B das in einem eigenen Kapitel auch Goethe eingehend behandelt. Hier aber muss ich versuchen[,] Ihnen das Problem, um das es sich handelt, dadurch nher zu bringen, daß C ich Goethe selbst zu Ihnen sprechen lasse. Die schnste d i c h t e r i s c h e Darstellung des Problems hat Goethe in einer Reihe von Strophen gegeben, die Sie unter seinen Gedichten in der Abteilung: G o t t u n d We l t finden, und denen er die berschrift: »Urworte, Orphisch« gegeben hat. Urw[orte], Orphisch: der Titel bezieht sich auf die Gedichte der griechischen Orphiker – theologische Dichtungen, die von der Erlsung der Seele aus den Banden des Krpers D handeln. Auch G o e t h e s Strophen stellen eine bestimmte Erlsungslehre auf: aber hier soll die Erlsung nicht von aussen, durch Riten, Gebruche, religise Zeremonien, sondern von innen her, durch die Kraft des Menschen selbst E erfolgen. Goethe knpft hier poetisch an uralte a s t ro l o g i s c h e Vorstellungen an. Der Mensch kann sein eigenes Sein nicht whlen – dieses Sein steht vielmehr in den Sternen geschrieben. Er hat bei seiner Geburt F bestimmte geistige Gaben und Anlagen mitbekommen: die »Konstellation« in seiner Geburtsstunde, d. h. der Stand der Sterne und der Caesar,] Caesar, des danach gestrichen: Mahomet, verweisen,] danach gestrichen: das zuerst [ber der Zeile in Bleistift: Berl[in]] 1916 [Angabe berichtigt, im Ms.: 1915], in dritter Auflage 1918 erschienen ist, und C daß] danach gestrichen: nicht i c h ber dasselbe spreche, sondern daß; daß nach Streichung stehengeblieben D Krpers] Krpers, danach gestrichen: aus dem Gefngnis des Leibes E selbst] selbst, danach gestrichen: durch die Kraft des eigenen » D  m o n s « F Geburt] danach gestrichen: eine bestimmte Persnlichkeit, einen be-; danach ist die Fortsetzung am Anfang der nchsten Zeile (stimmten Charakter,) nicht gestrichen, aber das folgende Wort (und) A B

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Planeten, hat ihm dies alles verliehen; die Gestirne, nicht er selbst, sind Herr darber. Aber von ihm, dem Menschen, hngt es ab, was er aus diesen Anlagen macht. Er muss sich in seiner ursprnglichen Anlage gegen alle zuflligen Hemmungen und gegen allen usseren Druck und Zwang behaupten. Er darf die Form, die er in sich trgt und die ihm von Anfang an aufgeprgt ist, nicht verkmmern und nicht zerbrechen lassen; er muss sie in sich ausbilden und zu voller Reife gelangen lassen. Dann erst gehorcht er dem Ruf seines D  m o n s : A Ich muss Ihnen hier die Verse Goethes selbst zitieren: denn keine blosse Beschreibung kann Ihnen eine Vorstellung von dem geistigen Gehalt dieser Verse vermitteln. Ich begnge mich damit, die e r s t e Strophe zu zitieren B. Ich hoffe, Sie werden dann nicht nur den Sinn der Strophe erfassen, sondern auch ihre eigentmliche S c h  n h e i t nachfhlen knnen – denn fr mein Gefhl gehren diese orphischen Urworte zu dem Schnsten u[nd] Tiefsten, was G[oethe] geschrieben hat: “Wie an dem Tag C[, der dich der Welt verliehen, Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, Bist alsobald und fort und fort gediehen, Nach dem Gesetz wonach du angetreten. So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, So sagten schon Sibyllen, so Propheten; Und keine Zeit und keine Macht zerstckelt Geprgte Form die lebend sich entwickelt.”] 65

D  m o n s :] am Rand, gestrichen: denn ˜Æø ist die erste Strophe dieses Gedichts berschrieben, Ich muss Ihnen bricht ab B zitieren] danach gestrichen: – und ich will versuchen, sie mglichst langsam zu sprechen C “Wie an dem Tag] “Wie an dem Tag ...” am unteren rechten Rand in Bleistift, weist ein Pfeil nach unten auf: 7i A

[Dritte Vorlesung: Der knstlerische und der gedankliche Gehalt von “Dichtung und Wahrheit”. 16. X.40] D i c h t u n g u n d Wa h r h e i t A – schnste Darst[ellung] von Goethes Jugend, auf die wir immer wieder werden Bezug nehmen mssen – Doppelter Charakter des Werkes: biographisch B Goethes L e b e n u[nd] Gesch[ichte] seiner g e i s t i g e n B i l d u n g – Das Letztere kann ich Ihnen hier vermitteln – ich kann Ihnen zeigen, welche geist[igen] Wirkungen Goethe e m p f a n g e n hat und welche von ihm ausgegangen sind – ich kann Ihnen zeigen, wie er zu H e r d e r, zu Ro u s s e a u , zu S h a k e s p e a re , zu S p i n o z a , zu S h a f t e s b u r y gestanden hat – und ich kann Ihnen das alles an der Hand der We r k e Herders, Rousseaus, Spinozas oder Shaftesburys e r l  u t e r n – Aber was ich nicht kann[,] ist die M e n s c h e n , die rein persnlich in Goethes Leben eingegriffen haben – besonders die F r a u e n , die er geliebt hat und die sein Schicksal bestimmt haben, so zu schildern, daß sie hier wirklich lebendig vor Sie hintreten knnten – M[eine] D[amen] u[nd] H[erren] hier liegt eine der grssten und fast u n  b e r w i n d l i c h e n Schwierigkeiten jeder G o e t h e - B i o g r a phie – Es gibt viele, und es gibt gute, es gibt ausgezeichnete Goethe-Biograph[ien] C – unter den lteren Herm[ann] G r i m m s Goethe-Vorles[ungen,] unter den neueren G u n d o l f [,] das schnste knstlerische Bild von G[oethe]’s Leben[.] D ^ Der Litterarhist[oriker] H a r r y M a y n c hat einmal eine Schrift geschrieben, die er » G e s c h i c h t e d e r d e u t s c h e n G o e t h e - B i o g r a p h i e « genannt hat. Sie verzeichnete alle Goethe-Biographien, die bis zum Jahr 1914 erschienen sind und gibt einen guten k r i t i s c h e n  b e r b l i c k a u f s i e : die Schrift ist interessant, weil man sich in ihr ber den Wa n d e l d e s G o e t h e - B i l d e s in den letzten 100 Jahren D i c h t u n g u n d Wa h r h e i t ] davor gestrichen: Vo r b e m e r k u n g e n : / Bitte um p e r s  n l i c h e M i t a r b e i t – nicht mit umfangreichen und mhseligen Vo r b e re i t u n g e n belasten – aber in e i n e r Hinsicht knnten Sie mir die Aufgabe sehr erleichtern – B biographisch] danach gestrichen: u[nd] geistesgeschichtlich – / Gesch[ichte] von C Goethe-Biographien –] darber ein Pfeil weist auf den Text am Rand D unter den lteren ... Bild von Goethe’s Leben.] am Rand, in Bleistift und hier angeschlossen, danach folgt im Ms. nach einem Semikolon: viele gelesen, aber fast jede ... s. unt[en] (Anschluß an den Text nach den eingeklammerten Stzen) A

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ein Urteil bilden kann. Ich habe viele der von Maync angefhrten Goethe-Biographien nicht ohne Gewinn gelesen.1 Aber ich habe fast jede enttuscht aus der Hand gelegt, wenn ich zu den Abschnitten A kam, die sich auf Goethes Frauengestalten: auf Friederike, Lotte, Lilly beziehen. Denn hier versagt jede mittelbare Darstellungskunst. Diese Frauen muss man m i t G o e t h e s e i g e n e n Au g e n s e h e n – oder man sieht sie berhaupt nicht. Wenn man die Schilderungen liest, die die G[oethe]-Biographien, auch die besten G[oethe]-Biogr[aphien] von Fr[iederike], von L[otte] oder Lilly entwerfen und wenn man daneben die e i g e n e Darstellung Goethes in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] legt, so wirken sie stets eigentmlich matt. Sie sind keineswegs f a l s c h ; aber sie wirken schematisch und leblos: der eigentmliche Zauber, der fr uns diese Gestalten umgibt, ist verschwunden[.] B Friederike Brion ersche[int] als ein einfaches, schlichtes, unschuldiges C Mdchen vom Lande – Lilly Schoenemann erscheint als ein entzckendes Mdchen von 16 Jahren D[.] Aber all dies gibt uns nicht G o e t h e s Friederike und Goethes Lilly – denn solcher frischen, anmutigen liebreizenden jungen Mdchen und solcher gefhrlichen kleinen Blondinen gibt es v i e l e – aber bei Goethes Schilderung von Friederike oder Lotte oder E Lilly haben wir, mit Recht oder Unrecht, den Eindruck des E i n m a l i g e n und E i n z i g e n . Dieses Einzigartige kann keine sekundre Darstellung erfassen – man muss sich zu Goethes Dichtungen, zu Goethes Briefen, zu Goethes Schilderung in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] wenden, um es Gewinn gelesen.] am Rand: Unter ihnen gute u[nd] ausgez[eichnete]: ich empfehle / Ihnen die Goethe-Vorles[ungen] / von Hermann G r i m m / zuerst 1874, dann in versch[iedenen] Auflagen[;] / Richard M. M e y e r (zuerst Berlin 1896)[;] / B i e l s c h o ws k y, (Mnchen / 1895)[;] Gundolf / 1916 Berlin[.] 1

Abschnitten] darunter, am unteren Seitenrand und gestrichen: 1916 [Angabe berichtigt, im Ms.: 1915] Freih[eit] u[nd] Form B Wenn man die ... ist verschwunden.] am Rand; ersetzt z. T. mehrfach gestrichen: Immer wenn ich in den besten Goethe-Darstellungen, z. B. in der Darstellung von Herm[ann] Grimm oder F r i e d r i c h G u n d o l f , etwas ber Fried[erike], Lotte, Lilly las, hatte ich das Gefhl, daß das alles nur ein blosser Wiederschein ist, verblasst, so blass, daß der ganze Farbenreichtum des Bildes verschwindet, den Goethe in seinen Dichtungen und in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] gegeben hat, verschwunden und der eigentliche Zauber, der dieses Bild umgibt, zerstrt ist. In den Darstellungen der meisten Goethe Biographien erscheint C unschuldiges] unschuldiges, danach gestrichen: naives D 16 Jahren] danach gestrichen: – (eine “gefhrliche kleine Blondine”, wie Her66 mann G r i m m sagt) – bezaubernd in ihrer Anmut, aber auch etwas kaprizis und etwas kokett. E oder Lotte oder] in Bleistift ber der Zeile; ersetzt gestrichen: und A

[Dritte Vorlesung: “Dichtung und Wahrheit”]

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wirklich zu fhlen. A Hier versagt meinem Gefhl nach berhaupt jede Darstellung mit rein wissenschaftlichen Mitteln. Gewiss – auch die Wissenschaft, insbesondere die Geschichte, die Litteraturgeschichte, die Kunstgeschichte kann sich nicht damit begngen, blossen S t o f f zusammenzutragen. Auch sie kann und s o l l gestalten: und Gestaltung muss das hchste Ziel sein, das sie sich setzt. Aber ihre Gestaltungsgabe gelangt an eine G re n z e , – wenn es sich darum handelt, das letzte, intimste, p e r s  n l i c h s t e Leben zu geben. B H i e r m u s s d i e W i s s e n s c h a f t ve r z i c h t e n u n d ve r s t u m m e n – u n d d e r K u n s t d a s Wo r t l a s s e n . Das wollen wir auch hier tun. Ich muss Sie bitten, wenn ich zur Darstellung des Idylls in Sesenheim, zur Darstellung von Lotte Buff, oder Lilly Schoenemann komme, sich in jedem einzelnen kleinsten Zuge d a s Bild zu vergegenwrtigen, das Goethe von ihnen entworfen hat – und das kann nur an der Hand der Lektre von Dichtung und Wahrh[eit] geschehen.1 Da wir also dieses Werk voraussetzen und bestndig auf dasselbe zurckgreifen mssen, gestatten Sie mir noch einige Worte darber, wie es meiner Ansicht nach gelesen werden muss. Hier sind zwei Fragen zu unterscheiden – die Frage nach seinem knstlerischen Wert und nach seinem Wert als historisches und biographisches Dokument. Der k  n s t l e r i s c h e Wert ist unbestritten – und ihm kann sich Niemand verschliessen. Auch Goethes P ro s a steht hier auf ihrer Hhe. Die Prosa des 60[-]jhrigen Goethe ist nicht mehr die des 25-jhrigen, der den Werther geschrieben hat. Sie ist nicht mehr so quellend, so unmittelbar ergreifend, so leidenschaftlich-bewegt; aber sie besitzt noch immer die grßte plastische Kraft und eine herrliche Ruhe und Klarheit. Der sptere Goethe, der Goethe von »Wilhelm Meisters Wanderjahren«, besitzt d i e s e Prosa nicht mehr – hier wirkt Manches allzu feierlich und gemessen, allzu formelhaft. Aber in »Dichtung und Wahrheit« sprt man noch nichts von dieser Erstarrung. Ein anderes Problem ist, wie gesagt, die dokumentarische Tre u e der Darstellung. Hierber gehen die Urteile auseinander. Man hat den T i t e l : geschehen.] danach zwischen den Zeilen und am Rand: schwedische Ausgabe von Anders sterling: Ur min levnad Dikt och sanning / 4 Teile, Stockholm 1923-25 / deutsch: Helios-Bcher des Reklam Verlags – / (u. Hempels Klassiker / G. von Loeper, Bd. 20-23.)[.] 1

fhlen.] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet und gestrichen: Goethe und Lavater: (1780) / “Habe ich Dir das Wort / I n d i v i d u u m e s t i n e f f a b l e / woraus ich eine Welt / ableite, schon geschrieben?” 67 B geben.] ber der Zeile und gestrichen: Wenn es sich um die Darstellung des Liebeslebens eines der grossen Dichter u[nd] eines so grossen Liebenden, wie G[oethe] handelt, da bricht ab A

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D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] nicht selten so gedeutet, daß es G[oethe] in der Darstellung seiner Jugendgeschichte auf geschichtliche Treue nicht ankam. Man nahm an, daß er Erlebtes u n d Erdichtetes geben und daß er Beides irgendwie mit einander ve r m i s c h e n wollte. A Aber eine s o l c h e Auffassung verkennt, wie mir scheint, den Charakter des Werkes. Goethe wollte nicht Dichtung u n d Wahrheit als ein blosses Aggregat, als eine Art von Gemisch geben. Ihm kam es vielmehr darauf an, daß beides sich vllig mit einander d u rc h d r i n g e n sollte. Jede Zeile in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] soll g a n z Wa h r h e i t – und eben deswegen zugleich g a n z D i c h t u n g sein. Wie dies mglich ist – und wie dies im Sinne von Goethe zu verstehen ist – das ersehen wir am besten, wenn wir G[oethe]’s Gedicht » Z u e i g n u n g « lesen – jenes Gedicht, das G[oethe] im Jahre 1787 der Sammlung seiner Schriften B vorangestellt hat. Sie erinnern sich der allegorischen Einkleidung dieses Gedichts. Eine Gestalt erscheint Goethe, und aus ihren Hnden empfngt er ein Geschenk. Es ist die Gttin der Wahrheit, die ihm den Schleier der Poesie reicht: ^Ich kenne Dich[, ich kenne deine Schwchen, Ich weiß was Gutes in dir lebt und glimmt! – So sagte sie, ich hr’ sie ewig sprechen, – Empfange hier] was ich Dir lang’ bestimmt [.] & 68C Es gibt kaum eine schnere Charakteristik von Goethes Dichtung – und sie trifft in besonderem Maße auch auf D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] zu[.] D “ Au s M o r g e n d u f t g e we b t u n d S o n n e n k l a r h e i t ” 69 so steht in der Tat dieses Werk vor uns. Alles an ihm ist h e l l , k l a r, p l a s t i s c h , ein Bild von dem grssten Farbenreichtum und von der hchsten L e u c h t k r a f t E – aber alles ist zugleich von einem eigentmlichen D u f t umwoben: vo m H a u c h d e r J u g e n d u n d vo m D u f t d e r E r i n n e r u n g . So soll man das Werk lesen – und so muss man es auf sich wirken lassen – F ve r m i s c h e n wollte.] ber der Zeile in Bleistift: b e i S . C r a t ! [ Lesung unsicher], danach mit Einfgungszeichen: – Vischer – 70 B Sammlung seiner Schriften] danach gestrichen: , die bei Goeschen herauskam, C ^Ich kenne Dich ... was ich Dir lang’ bestimmt.&] im Ms. unterstrichen D Es gibt kaum ... zu.] zwischen den Zeilen E ein Bild von ... L e u c h t k r a f t ] zwischen den Zeilen F wirken lassen –] danach gestrichen: Man soll sich diese Wirkung nicht dadurch zerstren, daß man die Einzelheiten allzu sorgsam a n a l y s i e r t – / denn G[oethe] wollte hier nicht Analyse, sondern Synthese geben – / und er wollte keine blosse C h ro n i k seiner Jugend schreiben, sondern / sich und anderen den S i n n dieser Jugend vergegenwrtigen / Wa s i c h s a g ’ i s t B e k e n n t n i s – Z u m e i n e m u n d E u re m Ve r s t  n d n i s danach in Bleistift: / Z[ahme] X[enien] so auch hier bricht ab A

[Dritte Vorlesung: “Dichtung und Wahrheit”]

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Die S e l b s t b i o g r a p h i e gehrt zu den ltesten litterarischen Gattungen. Als Goethe im Jahre 1809 daran geht,1 die Geschichte seines Lebens zu erzhlen – da kann diese Gattung schon auf eine Entwicklung zurcksehen, die ber zwei Jahrtausende umfasst. Aber auch hier bringt Goethe eine neue Wendung; er schafft nicht nur eine neue Fo r m der Selbstbiographie, sondern er gibt ihr einen neuen S i n n , eine andere Bestimmung. Der Drang des Menschen, sich ber sich selbst auszusprechen, sich ber sein eigenes Wesen klar zu werden und vom eigenen Tun und Leiden zu berichten, ist unerschpflich – so lange es Menschen gegeben hat, ist immer wieder dieser Drang hervorgetreten. In all diesen usserungen lsst sich eine vierfache Richtung unterscheiden, aus der vier verschiedene Ty p e n d e r S e l b s t b i o g r a p h i e entspringen, die wir in der Weltlitteratur deutlich vertreten finden. Ich will sie die philosophische, die historische, die religise und die psychologische Richtung nennen – und ich mchte Ihnen jede von ihnen durch ein klassisches Beispiel verdeutlichen. Die philosophische Selbstbiographie steht unter der Devise, die die Aufschrift am delphischen Tempel bildete: ˆŁØ Æı  – erkenne Dich selbst! – lautet ihr Wahlspruch. Der Mensch versenkt sich in sein Inneres – aber er will nicht nur seine individuelle Natur erkennen, sondern er strebt nach etwas anderem, Hheren und Allgemeinen. Er will das Wesen des Menschen und seine Stellung im Kosmos erfassen, um hierdurch seine Pflichten gegen sich selbst und seine Mitmenschen, gegenber dem Universum und Gott zu erfassen. Eines der schnsten Beispiele einer solchen p h i l o s o p h i s c h e n S e l b s t b i o g r a p h i e sind die Denkwrdigkeiten des rmischen Kaisers M a rc Au re l – des “Philosophen auf dem Kaiserthron” 71 und eines der edelsten Geister aller Zeiten. Jeder kann sie noch heute mit hohem Genuss lesen – und ich rate Jedem von Ihnen, sie einmal zur Hand zu nehmen A [.] Von der historischen Selbstbiographie erinnere ich nur an die grssten antiken Beispiele: an Caesars Bericht ber seine gallischen Feldzge und den Brgerkrieg – an Xenophons A n a b a s i s , den berhmten Feldzug der Zehntausend: – diese Bcher gehren fr viele von uns zu unseren Jugenderinnerungen und zu den freilich nicht immer angenehmen Erinnerungen aus unserer Schulzeit. Das grsste Beispiel einer religisen Selbstbiographie sind die Bekenntnisse Augustins, des grossen Kirchenlehrers und des ersten grossen Repraesentanten der christlich-mittelalterlichen Lebensanschauung. Dieses geht,] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: erster Teil / erschienen 1811 [.] 1

nehmen] danach gestrichen: (in deutscher bersetzung sind sie z. B. in der Universalbibliothek von Philipp Reclam erschienen.) A

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Der junge Goethe I.

Werk ist im 4. Jahrhundert nach Chr[isti] verfasst – aber wir lesen es noch heute und es hat fr uns nichts von seiner Kraft verloren. Augustin legt vor Gott sein Sndenbekenntnis ab; er erzhlt die Geschichte seiner Verfehlungen, seiner Irrtmer, seiner Leidenschaften, die ihn immer wieder von dem wahren Weg abgelenkt haben – und er dankt Gott dafr, daß er ihn trotz alledem nicht in den Abgrund der Snde versinken liess. A Das bedeutendste Beispiel einer rein p s y c h o l o g i s c h e n Selbstbiographie gehrt erst dem 18ten Jahrhundert an – und es stand, als Goethe schrieb, noch fr alle in frischer Erinnerung. Es sind die »Confessions« von J e a n J a c q u e s Ro u s s e a u . Hier begegnen wir zum ersten Mal dem voll ausgebildeten m o d e r n e n Typus der Selbstbiographie. Was Rousseau geben will ist eine scharfe und schonungslose Selbst-Analyse. Er fhlt sich als ein Wesen eigener Art – als eine Individualitt, wie sie niemals B wiederkehren wird. “Ich bin nicht gemacht” – so sagte er – “wie irgend einer von denen, die ich bisher sah, und ich wage zu glauben, daß ich auch nicht gemacht bin, wie irgend einer von allen, die leben. Wenn ich nicht besser bin, so bin ich doch wenigstens anders. Ob die Natur gut oder bel getan hat, die Form zu zerbrechen, in der sie mich gestaltete, das wird man nur beurteilen knnen, nachdem man mich gelesen hat.” 72 Aus allen diesen Formen der Selbstbiographie fllt Goethes »Dichtung und Wahrheit« heraus – und keiner lsst sie sich ohne Einschrnkung einordnen. Goethe will kein blosses Memoirenwerk geben; er will keine Chronik seines Lebens schreiben. Aber ebensowenig handelt es sich fr ihn um eine religise Beichte oder um eine psychologische Selbstzergliederung. Gegen eine solche Selbstanalyse, gegen eine zergliedernde Betrachtung des eigenen Ich hat er sich immer auf das bestimmteste erklrt; er besass eine ausgesprochene Abneigung dagegen und wurde nicht mde, vor diesem Abweg der Selbsterkennntnis zu warnen. Die moderne Kunst der »Heautognosie« und »Heautontimorumenen«, der Selbstbespiegelung, die zum eitlen Genuss, aber auch zur psychologischen Qulerei wird, war ihm verhasst.1 “Wie kann man sich selbst kennen lernen” – so fragt er – [“]Durch Betrachten niemals, wohl aber durch Handeln. Versuche Deine Pflicht zu thun, und du weisst gleich, was an dir ist”. 73 (Max[imen] 442) 1

ihm verhasst.] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: Max[ime] 657[.] 74

liess.] liess, danach mit Bleistift gestrichen: sondern ihn, [mit Tinte gestrichen: durch seine unbeg bricht ab] dank der unbegreiflichen und unerschpflichen Gttlichen Gnade gerichtet hat. B wie sie niemals] danach gestrichen: war und; danach Wiederholung von niemals bei Streichung stehengeblieben A

[Dritte Vorlesung: “Dichtung und Wahrheit”]

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Auch Goethes [“]Dichtung und Wahrheit[”] will ein Selbstbekenntnis, sie will Konfession sein. Aber sie ist weder religises oder moralisches Schuldbekenntnis, noch ist sie psychologische Analyse. Sie ist, wenn ich es in einem kurzen Ausdruck zusamenfassen darf, eine s y m b o l i s c h e D a r s t e l l u n g s e i n e s L e b e n s : symbolisch, weil sie nicht lediglich vom I n h a l t des Lebens erzhlen, sondern den S i n n dieses Lebens sichtbar machen will. Was b e d e u t e t diese Jugendgeschichte als Ganzes – und wie verbinden sich ihre einzelnen Momente im Ganzen zu einem in sich einheitlichen und in sich sinnvollen Ganzen? Das ist die Frage, die Goethe in Dichtung und Wahrheit stellt – und die er fr sich und fr andere beantworten will. “Was ich sag, ist Bekenntnis[,] Zu meinem und Eurem Verstndnis”[.] 75 Aus den B e g e b e n h e i t e n seines Lebens will Goethe den Sinn erkennen, der ihnen zu Grunde liegt – durch das Medium der Dichtung will er uns die innerste Wahrheit seines Wesens, seiner Persnlichkeit und seines Lebens sichtbar werden lassen. Auch hier ist G[oethe] bahnbrechend und wegweisend geblieben. Alle k  n s t l e r i s c h e n Selbstbiographien werden knftig d i e s e Prgung zeigen: in der d[eu]tsch[en] Litt[eratur] brauche ich nur an Kellers [“]Gr[nen] H[einrich”] oder an die [“]Buddenbrooks[”] von Thomas Mann zu erinnern. A

Auch hier ist ... zu erinnern.] zwischen den Zeilen, danach Rest der S. gestrichen: (Verhltnis zur) G o e t h e - P h i l o l o g i e – / ausgezeichnet L o e p e r – der das Buch mit einem stndigen Kommentar begleitet – / er kommt zu dem Resultat, daß es berall bewundernswert treu, wenn auch nicht in Einzelheiten d o k u m e n t a r i s c h g e n a u ist – / [zwischen den Zeilen in Bleistift: Kritik – die verschiedenartigste, taktvollste, zurckhaltende K r i t i k ] / Der f a l s c h e Typus bei Dntzer – der oft ins Komische / fllt (das Lilly Beispiel!) / von hier an Z[e]tt[el]: / Ausgaben: D e r j u n g e G o e t h e etc.

A

[Vierte Vorlesung: Elternhaus und Kindheit. 23. X.40] Frankfurt:1 K i n d h e i t u n d J u g e n d (1749–1765) Es ist reizvoll, G[oethes] Werden von seinen ersten Anfngen an zu verfolgen: H e b b e l : [“]Goethes Leben[”] »Anfangs ist es ein Punkt, der leise zum Kreise sich ffnet, Aber, wachsend, umfasst dieser am Ende die Welt«[.] 76 1) Die U m g e b u n g – die alte R e i c h s s t a d t – ihre Bedeutung und ihr Verfall – ohne wirkliche politische Ttigkeit und ohne politischen Einfluss – ohne Eingreifen in das Leben der Nation. Aber der alte Prunk hat sich noch erhalten – Wenn der Kaiser erscheint, wird er feierlich empfangen[.] Goethe erzhlt im ersten Buch von D[ichtung] u[nd] W[ahrheit], welchen Eindruck auf seine Phantasie insbesondere die Erzhlungen von der K a i s e r k r  n u n g auf ihn gemacht hatten – K a r l d e r S i e b e n t e , F r a n z d e r E r s t e waren in Frankfurt gekrnt worden als rmisch-deutsche Kaiser – die Krnung J o s e f s I I [.] 77 hat G[oethe] als Kind miterlebt u[nd] sehr eingehend in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] beschrieben! A Frankfurt:] darber am oberen Rand: L i t t e ra t u ra n g a b e n danach ein langer Pfeil / B i t t e u m M i t a r b e i t , A r t der Mitarbeit etc[.]!! / [ber und zwischen den Zeilen:] in Geistesgesch[ichte] kann ich helfen – aber n i c h t / das Bild von F[riederike], Lotte, Lilly erleben / lassen – das gibt »joviale Poesie« / V i c a r o f Wa k e f i e l d = / H e l i o s - B  c h e r / des Reklam-Verlages / Au s g a b e n / Dicht[ung] u[nd] Wahrheit, [ein Pfeil weist hier nach oben auf: des Reklam-Verlages] / H e m p e l s c h e Goethe Ausgabe, / (Loeper)[, Bde.] 20-23++ [am rechten Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet:] ++ C h a r a k t e r von D u W – Synthese / durch die Phantasie – daher »Umbildung« – aber nicht “Irrtmer” (Goethe Philol[ogie] / Dntzer!) 78 / Der junge Goethe von / Salomon H i r z e l , mit Einleit[ung] / von Michael B e r n a y s / 3 Bnde, L[ei]pz[ig] 1887 / D[er] j[unge] G[oethe] Neue Ausgabe von / Max M o r r i s , 6 Bnde / L[ei]pz[ig]; Insel Verlag 1909–12. / G o e t h e Au s g a b e n / Hempelsche Klassiker / Ausg. / Berl[in] bei Ferd[inand] D  m m l e r / 3 6 B  n d e n 1868–79 / ( L o e p e r, K a l i s c h e r / fr die nat[ur]wiss[enschaftlichen] / Werke) / L o e p e r : Faust, D[.] u. W. / C o t t i s c h e Jubilums / Ausg[abe] Hg[.]: Ed. v[on] / den Hellen, / 40 Bnde, 1902–1907 / B i b l i o g r a p h i s c h e s / I n s t i t u t / Meyers Klassiker-Ausgaben / hg. von H e i n e m a n n / 30 Bnde / Vo l k s a u s g a b e von / Erich Schmidt, 6 Bnde, / 1909 / sehr gut! / Die gesamte Goethe-Litteratur / in Goedekes Grundriss / zur Gesch[ichte] der deutschen / Dichtung, Bd 4; Abt. 2-4. / in der 3[.] Aufl. 1911 von K i p k e bearbeitet. 1

die Krnung J o s e f s I I . ... beschrieben!] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen A

[Vierte Vorlesung: Elternhaus und Kindheit]

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Eine ganze Reihe a n d e re r solcher prunkvollen Feierlichk[eiten] hat Goethe selbst erlebt[.] “Wir A Kinder[”] – so berichtet er [in] D[ichtung] u[nd] W[ahrheit, Buch] I, [S.] 21 – [“]waren bei diesem Feste[”] (das Fest des sogenannten »Pfeifengerichts«) – “besonders interessirt, weil es uns nicht wenig schmeichelte, unsern Grossvater an einer so ehrenvollen Stelle zu sehen”[.] B79 Der C Vater[,] J o h a n n C a s p a r G o e t h e [,] geboren 1710 in Frankfurt (gest[orben] 1782) aus brgerlichem Geschlecht – sein Grossvater war noch Hufschmied, sein Vater Schneider, dann Wirt – dann aber rascher Aufstieg. Goethes Vater ist kaiserlicher Rat – er ist musikalisch gebildet, spielt die Laute und die Flte[,] hatte eine humanist[ische] Erziehung am Gymnasium in Koburg erhalten, in Leipzig Jura studiert. Das große Ereignis seines Lebens war eine i t a l i e n i s c h e R e i s e , aus der er viele Erinnerungen mitgebracht. – D 2) E D e r E r z i e h u n g s p l a n d e s Va t e r s . A l l g e m e i n e s : F Goethes Erziehung fllt in die Jahre 1756–65 – als Goethe die Univ[ersitt] L e i p z i g bezieht, war nur wenige Jahre zuvor (1762) ein Buch erschienen, 80 das die gesamten Ideen ber Erziehung re vo l u t i o n i e r t – Man muss unwillkrl[ich] an dieses Buch denken, wenn man sieht, wie G[oethe] erzogen wird – Mit Rousseau beginnt das “Jahrhundert des Kindes” 81 – das Kind soll nicht fr ussere Zwecke, sondern fr sich selbst erzogen werden – und es soll in jeder Epoche nur d a s lernen, was dieser Epoche g e m  s s ist – wofr es von sich selbst Interesse hegen kann – Von all dem ist hier nicht die Rede – vielmehr das genaue Gegenteil – Wir1 haben noch die ersten Schlerarbeiten G[oethe]’s[.] 1

Wir] am Rand: »Labores juveniles« / cf. Morris[, Bd.] I, S. 3 ff.

“Wir] “wir Stelle zu sehen”.] danach gestrichen: Der G ro s s va t e r ist der Grossvater mtterlicher Seite[,] der S t a d t s c h u l t h e i s s Te x t o r – die Textors [waren] eine alte Frankfurter Pa t r i z i e r f a m i l i e / Ratsherrn u[nd] Schiffer[.] C Der] der D mitgebracht. –] danach gestrichen: kleine Marmor- und Naturaliensammlung zeigte er den Kindern (D u W. I[. Buch], [Bd. 20, S.] 11 (Loeper)[)] E 2)] II) einheitliche Zhlung F A l l g e m e i n e s :] darber in Bleistift: leidenschaftl[icher] Pdagoge A B

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Als noch nicht 9[-]jhriger Knabe leistet er alle Arbeiten, die die Primaner im Frankf[urter] Gymnasium zu bewltigen hatten[.] A Er B behandelt die verschiedensten Themata in gelufigem Latein – und er schreibt G r i e c h i s c h – wenn auch mit vielen Fehlern – Das F r a n z  s i s c h e C hat er durch die franzs[ische] Truppe gelernt, die whrend des 7[-]jhr[igen] Krieges in Frankfurt lag[.] D1 Das I t a l i e n i s c h e (D. u. W. I[. Buch], [Loeper, Bd. 20, S.] 28) E Erstaunlich, daß dieser Unterrichtsplan, dieses Vollpfropfen mit den verschiedenartigsten Kenntnissen in frhester Knabenzeit G[oethe] so wenig a n z u h a b e n vermochte – Wir haben hierfr eigentlich nur eine e i n z i g e A n a l o g i e : die Art wie John Stuart Mill von seinem Vater James M i l l erzogen worden ist – Aber bei J[ohn] St[uart] Mill fhrte diese Erziehung zu einem frhen Zusammenbruch – er hat dies in seiner S e l b s t b i o g r a p h i e eingehend geschildert – mit 3 Jahren las er griechisch; mit 13 Jahren hatte er einen Kursus der N a t i o n a l  k o n o m i e beendet – dann folgte die nervse Krise auf Grund der berbrdung eine seelische Depression schwerster Art – Von all dem findet sich bei G[oethe] nichts – er berwindet alles, was man ihm zumutet, spielend – Und fr die Ausbildung seines C h a r a k t e r s scheint dieser Eigensinn, diese Strenge und Beharrlichkeit des Vaters auch wohlttige Folgen gehabt [zu haben] – Hier hat er zuerst “des Lebens strenges Fhren” 82 gelernt – F 1

hat er durch ... in Frankfurt lag.] am Rand in Bleistift: Loeper[, Bd.] 20, [S.]

84 ff. / Racine[.] zu bewltigen hatten.] danach zwischen den Zeilen: (Morris[, Bd.] VI, [S.] 2 ff.) Er] er C Das F r a n z  s i s c h e ] daneben am Rand ohne Zuweisung zum Text: bald sprach er nicht nur gelufig, sondern er las Moli re, Racine, Corneille! D hat er durch ... in Frankfurt lag.] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: hat er schon hier [darunter in Bleistift: 10 J.] erlernt – E (D. u. W. ... 28)] danach auf neuer Zeile gestrichen: “Mein Vater lehrte die Schwester in demselben Zimmer [Italienisch], wo ich den Cellarius auswendig zu lernen hatte.[”] / C e l l a r i u s Latinitatis liber memorialis – eine lateinische Grammatik. / [“]Indem ich nun mit meinem Pensum bald fertig war u[nd] doch still sitzen sollte, horchte ich ber das Buch weg und fasste[,] das Italienische das mir als eine lustige Abweichung des Lateinischen auffiel, sehr behende”[.] F gelernt –] danach gestrichen: Loeper[, Bd.] 20, [S.] 135: Was das Vollbringen betrifft, darin hatte mein Vater eine besondere Hartnckigkeit – im Stande war.; am Rand mit Pfeil auf diese Stelle weisend: D. u. W. (Loeper)[, Bd.] 20 / m i t A B

nehmen

[Vierte Vorlesung: Elternhaus und Kindheit]

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Z

Vielleicht verdanken wir diesem in Goethe frhzeitig eingepflanzten Charakterzug – die Vo l l e n d u n g d e s Fa u s t – Auch e r liebte es nicht, ein einmal Vollbrachtes u[nd] bis zu einem bestimmten Punkt Vollendetes liegen zu lassen – Daneben die M u t t e r –1 21 Jahre jnger als der Vater A; geb. 1731, nur 18 Jahre lter als der Sohn! die “Lust zu fabulieren”, 83 die Erschliessung der P h a n t a s i e we l t Ganz T  t i g k e i t , ganz H e i t e r k e i t , ganz unbefangene L e b e n s f re u d e – B ihr Wesen so leicht, wie das des Vaters schwer ist – so frhlich, wie der Vater grmlich ist[.] C “Ich habe die Gnade von Gott” – so hat sie von sich selbst gesagt –2 “daß noch keine Menschenseele missvergngt von mir weggegangen ist, wes Standes, Alters und Geschlechts sie auch gewesen ist. Ich habe die Menschen sehr lieb, und das fhlt Alt und Jung, gehe ohne Prtension durch die Welt, und das behagt allen Erdenshnen und -tchtern – bemoralisiere Niemanden, suche immer die guten Seiten auszusphen, berlasse die schlimmen Dem, der die Menschen schuf, und der es am besten versteht, die Ecken abzuschleifen, und bei dieser Methode befinde ich mich wohl, glcklich und vergngt.” 84 (Er[ich] S c h m i d t , S. 250) Wenn man diese Worte liest, mchte man glauben, daß G[oethe] in einem bekannten Gedicht D an seine Mutter gedacht habe: »Lebensregel« [“]Willst Du Dir ein gut Leben zimmern, Musst ums Vergangene Dich nicht bekmmern, Und wre Dir auch was verloren, Erweise Dich wie neu geboren. Daneben die M u t t e r –] danach zwischen den Zeilen: ihre B r i e f e , 2 Bde, hg. von Albert K s t e r, 2[.] Bd, L[ei]pz[ig] 1904 – Erich S c h m i d t , / Charakteristiken I, [S.] 239 ff[.] 2 sich selbst gesagt] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: cf. [gestrichen: Richard M. Meyer, S. 7] Erich S c h m i d t , Frau Rath Goethe (Charakteristiken I, 2te Aufl[.], Berl[in] 1902, S. 239 ff[.] 1

21 Jahre jnger als der Vater] in Bleistift L e b e n s f re u d e –] am Rand: tchtig u[nd] energisch, / dabei verstndnisvoll / und grundgtig – Elisabeth in Gtz C Vater grmlich ist.] danach zwischen den Zeilen ohne Zuweisung zum Text: “Frau Aja” nach der Mutter der 4 Haymonskinder 85 D Gedicht] Gedicht, danach gestrichen: das in seinen “Zahmen Xenien” steht, am Rand: (W.A[.], [Bd.] 3, [S.] 357[)] A B

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Der junge Goethe I.

Was jeder Tag will? sollst Du fragen, Was jeder Tag will, wird er sagen. Mußt Dich an eignem Tun ergtzen, Was andere tun, das wirst Du schtzen; Besonders keinen Menschen hassen, Und das brige Gott berlassen.” 86A Durch die M u t t e r erschliesst sich bei G[oethe] vor allem die Mrchen – und Fabelwelt –1L die hbsche Schilderung von B e t t i n a – er s e l b s t dichtete an den Mrchen mit, die die Mutter ihm erzhlt: “Da saß ich – und da verschlang er mich bald mit seinen grossen schwarzen Augen, und wenn das Schicksal irgend eines Lieblings nicht recht nach seinem Sinn ging, da sah ich[,] wie die Zornader schwoll[,] und wie er die Trnen verbiss. Manchmal griff er ein und sagte, noch eh ich meine Wendung genommen hatte: [‘]nicht wahr Mutter, die Prinzessin heiratet nicht den verdammten Schneider, wenn er auch den Riesen totschlgt[’]; wenn ich nun Halt machte und die Katastrophe auf den nchsten Abend verschob, so konnte ich sicher sein, daß er bis dahin alles zurecht gerckt hatte, und so wurde mir meine Einbildungskraft hufig durch die seine ersetzt”. 87 Erste Jugendeindrcke und Bildungsmchte a) die d e u t s c h e M  rc h e n - u n d S a g e n we l t – er liest vor allem die Volksbcher aus dem ausgehenden Mittelalter – “die 4 Haymonskinder,2 die schne Melusine, der Eulenspiegel, der KaiFabelwelt – ] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: sie besass keine allzu / grosse Bildung – und hat / nicht allzuviel gelesen / – aber was sie sich aneignete, / ergriff sie mit großer / Lebhaftigkeit, – und sie / muss ein angeborenes knstlerisches / Gefhl gehabt haben: / von Dichtern liebt sie / S h a k e s p e a re [,] von Musikern M o z a r t / (ihr Verhalten in H a m l e t – Er[ich] Schm[idt, Frau Rath Goethe, S.] 256)[.] 88 / “Frau Aja” war der S t o l l b e r g s getauft danach weist ein Pfeil auf: Er[ich] Schm[idt, S.] 2 5 3 / (1775) / Ve r s e [:] / “Im Versemachen habe nicht / viel getan / Das sieht man diesen / wirklich an / Doch hab’ ich geboren ein / Knblein schn / Das thut das alles gar / trefflich verstehn” / – das ist die Hans-Sachsische / Ader, die G[oethe] von ihr geerbt hat (Er[ich] Schm[idt, S.] 257)[.] 2 “die 4 Haymonskinder,] am Rand: D[.] u[.] W. Loeper[, Bd.] 20, [S.] 30 ff[.] 1

berlassen.”] danach zwischen den Zeilen: bei allen die grsste Beliebtheit – Wieland nannte sie die “Knigin aller Weiber” – Er[ich] Schm[idt, Frau Rath Goethe, S.] 258[.] / Verhltn[is] zu C h r i s t i a n e , Unbefangenh[eit] in ihren Briefen, “liebe Tochter” ibid. 253[.] 89 A

[Vierte Vorlesung: Elternhaus und Kindheit]

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ser Oktavian, die schne Magelone, Fortunatus mit der ganzen Sippschaft bis auf den ewigen Juden, alles stand uns zu Diensten, sobald uns gelstete, nach diesen Werken anstatt nach irgend einer Nscherei zu greifen”[.] 90 G[oethe] berichtet, daß sich damals in Frankfurt ein neuer Verlag aufgetan hatte, der diese Volksschriften verffentlichte und der sie wegen des grossen Absatzes “auf das abscheulichste Lschpapier fast unleserlich druckte” (Loeper[, Bd.] 20, [S.] 30)[.] Auf diese Weise hat er vielleicht das Volksbuch vom D o k t o r Fa u s t zuerst kennen gelernt – [b)] Daneben steht andere M  rc h e n l e k t  re u n d R e i s e b e s c h re i b u n g e n a l l e r A r t : in erster Linie natrlich der Ro b i n s o n C r u s o e und die I n s e l Fe l s e n b u r g der “deutsche Robinson” – wunderliche Fahrt einiger Seefahrer Nordhausen 1731 erschienen, spter von T i e c k neu herausgegeben[.] A91 [c)] Die k l a s s i s c h e n S c h r i f t s t e l l e r stehen noch fern: nur die Ovidischen »Metamorphosen« hat er fleissig studiert (Loeper[, Bd.] 20, [S.] 30)[.] H o m e r, P i n d a r haben sich ihm erst spter in St r a ß b u r g erschlossen – und in einem Brief aus Straßburg berichtete er, daß jetzt die Griechen sein einziges Studium seien – 92 [d)] Besonders wichtig aber ist hier der Eindruck, den die B i b e l auf G[oethe] machte – er ist unauslschlich geblieben – Ohne die frhe Bibellektre htte G[oethe] sich niemals in die Patriarchenzeit so einleben knnen, wie es seine ganze J u g e n d d i c h t u n g , insbesondere der Werther bezeugt – und ohne sie htte er nicht das Leben des O r i e n t s so schildern knnen – wie es im West-stl[ichen] Divan geschah[.] B An der Bibel Luthers entfaltet sich auch seine deutsche Sprache: die sptere Dichtung ist ausserordentlich reich an biblischen Wendungen – C Das Merkwrdige ist, daß G[oethe], neben Herder, der Erste ist, der die Bibel ganz u n d o g m a t i s c h liest – als Darstellung der U r z e i t d e r M e n s c h h e i t – herausgegeben.] danach auf neuer Zeile gestrichen: A n s o n s R e i s e u m d i e We l t 93 B Ohne die frhe ... Divan geschah.] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen C Wendungen –] danach gestrichen: Als junger Mensch konnte G[oethe] sogar in t h e o l o g i s c h e F r a g e n eingreifen. / “Prolog zu den neusten Offenbarungen Gottes” / ‘Zwei bisher unerrterte biblische Fragen’ (Gestalt des M o s e s – wie auch in der A b h [ a n d l u n g ] z u m D i va n : Alttestamentarisches, / Noten u[nd] Abh[andlungen,] ‘Israel in der Wste’ A

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der Patriarchenzeit – er entdeckt, noch vor Herder, den “Geist der hebrischen Poesie”[.] 94 Vgl. Divan[:] “Dort im Reinen und im Rechten – Will ich menschlichen Geschlechten In des Ursprungs Tiefe dringen – Wo sie noch von Gott empfingen – Himmelslehr’ in Erdensprachen[,] Und sich nicht den Kopf zerbrachen”[.] 95 Auch als Knabe beginnt er schon biblische und religise Stoffe dichterisch zu bearbeiten: Das  l t e s t e Goethesche Gedicht – 1762 entworfen, 1765 fr den Druck berarbeitet –, also mit 13 Jahren entstanden enthlt: p o e t i s c h e G e d a n k e n  b e r d i e H  l l e n f a h r t C h r i s t i [,] 96 freilich noch konventionell in hergebrachtem Stil. Daneben eine J o s e f - D i c h t u n g , die aber verloren ist – man hat geglaubt, sie in einem M[anu]s[kript], das in Altona gefunden worden ist, wieder zu entdecken – das hat sich aber nicht besttigt!L Selbst A durch h e b r  i s c h e S p r a c h s t u d i e n hat sich G[oethe] schon als Kind das Alte Testament nahe zu bringen gesucht – B Der Josef sollte ein grosses biblisch-prosaisch-episches Gedicht werden (D. u. W. [4. Buch, Loeper, Bd.] xx, [S.] 132) – und es wurde wirklich vollendet – “Nun suchte ich die Charaktere zu sondern und auszumalen und durch Einschaltung von Inzidenzen und Episoden ... die alte ... einfache Geschichte zu einem neuen selbstndigen Werk zu machen. Ich bedachte nicht, was freilich die Jugend nicht bedenken kann, daß hierzu ein Gehalt ntig sei und daß dieser uns nur durch das Gewahrwerden der Erfahrung selbst entspringen knne. Genug, ich vergegenwrtigte mir alle Begebenheiten bis ins kleinste Detail und erzhlte sie mir der Reihe nach auf das Genaueste” 97 – Auf d i e s e m Wege ist dem Knaben Goethe erst einer der grssten modernen Erzhler, erst T h o m a s M a n n in seiner Josef-Dichtung, 98 wieder gefolgt.

Selbst] selbst am Rand: auch sie wichtig – fr die sptere Aneignung des A r a b i s c h e n ; danach gestrichen: (Divan!) B gesucht –] danach auf neuer Zeile gestrichen: D u W,] IV[. Teil], L[oeper,] XX[. Buch], [S.] 119[.] A

[Fnfte Vorlesung: Goethe und Leipzig – Das Leipziger Liederbuch. 30. X.40] Im Okt[ober] 1765 trifft G[oethe] in Leipzig ein – am 19[.] Oktober 1765 ist er in die dortige Matrikel als Studierender der Rechte eingetragen worden – Und jetzt sieht er sich mit einem Male in eine neue Welt versetzt. Zwar der 16[-]jhrige Goethe ist kein Kind mehr. Er hat nicht nur viel gelernt und viel gelesen, sondern auch schon viel erfahren und viel gelitten A . Sein erstes leidenschaftliches Liebeserlebnis – die Liebe zu Gretchen, einem Frankfurter Brgermdchen[,] hat G[oethe] im 5[.] Buch von D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] eingehend erzhlt. Diese Liebe schloß mit einer bitteren Enttuschung und mit einer schweren inneren Krise. Aber in e i n e r Beziehung tritt G[oethe] in das Leipziger Leben als vlliger Neuling ein. Sein Dasein hat sich bisher in den vier Wnden des elterlichen Hauses abgespielt; das gesellschaftliche Leben ist ihm so gut wie unbekannt geblieben. Fr die Meisten von uns bildet die Schule hier den natrlichen bergang. Sie ist die erste Form des Gemeinschaftslebens, die das Kind kennen lernt – in der Schulgemeinschaft wird es fr die knftige soziale Gemeinschaft vorbereitet. Aber bei G[oethe] fehlt diese Vermittlung. Er hat nur wenige Wochen – whrend des Umbaus des vterl[ichen] Hauses am Hirschgraben – eine ffentliche Schule besucht, und er ist in ihr nie heimisch geworden. Um so grsser sind die Ansprche, die jetzt beim bergang vom Elternhaus zur Universitt an ihn gestellt werden. Und Leipzig ist ein glatter und schwieriger Boden. Es gilt als der Sitz des feinen Geschmacks[,] und es rhmt sich, vor allen anderen deutschen Stdten, seiner gesellschaftlichen Kultur. Auch das studentische Leben kann sich dieser Tendenz nicht entziehen. Whrend die studentischen Sitten an andern deutschen Universitten – in Halle oder Jena – noch recht roh und wild sind, befleissigt man sich in Leipzig eines gesitteten Tones. [“]M[ein] L[eipzig] lob ich mir ... [Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute.”] 99 G a r d e ro b e – feine gesellsch[aftliche] S i t t e n – die Professorinnen – G[oethe] als gelehriger Schler – B gelitten] ber gestrichen: erlebt Schler –] danach zwischen den Zeilen ohne Zuweisung zum Text: ohne diese Spiele galt man im damal[igen] L[ei]pz[ig] als ebenso unntzes Mitglied der Gesellsch[aft], wie man heute vielf[ach] in der Ges[ellschaft] u[nd] f  r die Ges[ellschaft] verloren ist, wenn man kein Bridge spielt! A B

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nicht ohne Wi d e r s t a n d – M o r r i s [ , B d . ] I , [ S . ] 10 3 [:] [“Ich mache hier grosse Figur! – Aber] noch bin ich kein Stutzer![”] 100L Aber doch Wandlung, die seine Freunde bedenklich macht[:]1A [“Von unserem Goethe zu reden! – Das ist immer noch der stolze Phantast, der er war, als ich herkam. Wenn Du ihn nur shst, Du wrdest entweder vor Zorn rasend werden, oder vor Lachen bersten mssen. Ich kann gar nicht einsehen, wie sich ein Mensch so schnell verndern kann ... Er ist bei seinem Stolze auch ein Stutzer ... Sein ganzes Dichten und Trachten ist nur seiner gndigen Frulein und sich selbst zu gefallen”.101 ] Daß die Wandlung, die sich hier vollzieht, nichts bloss- usserliches bleibt – daß sie auch in der D i c h t u n g ihren Ausdruck finden und daß sie dieser ein bestimmtes Geprge geben wird, lsst sich bei einem Dichter von G[oethe]’s Eigenart voraussehen. In der Tat trgt auch die Dichtung der Leiziger Zeit einen durchaus gesellschaftlichen Charakter. Sie bewegt sich nicht nur in festen konventionellen Fo r m e n [,] sondern sie lsst auch ihrem I n h a l t nach ein ganz bestimmtes geistig-gesellschaftliches Milieu und seinen Einfluss erkennen. Die Leipziger Lyrik G[oethe]’s kennt nur ein einziges Thema: die Liebe. Aber die Liebe ist hier nicht, wie kurz darauf in den Sesenheimer Liedern, der unmittelbare starke und freie Ausdruck des Gefhls. Sie ist nicht Leidenschaft, sondern sie ist Spiel; sie ist nicht Ernst, sondern Tndelei und Scherz. Leipzig pflegte sich damals nicht nur ein Klein-Paris zu nennen, sondern es bezeichnete sich auch mit Vorliebe als das galante Leipzig. So muss auch die Liebe hier zur Galanterie, zu einer Art gesellschaftlicher Unterhaltung werden. Aber bevor wir diesen Wandel an Goethes D i c h t u n g , an seinen Leipziger Liedern aufweisen, mssen wir noch eine andere wichtige Wandlung ins Auge fassen, die sich beim bergang von Frankfurt nach Leipzig in Goethe vollzieht. Er hat uns in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit], i m 6 s t e n B u c h , ausfhrlich darber berichtet – u[nd] ich lasse zunchst ihn selbst sprechen[:]2B macht:] danach, zentriert auf neuer Zeile: H o r n , danach weist ein Pfeil auf: M o r r i s [ , B d . ] I , [ S . ] 2 8 6 [.] 2 selbst sprechen:] danach durch Pfeil verbunden: D[.] u[.] W.[, Loeper, Bd.] 21, [S.] 35 f[.] 1

M o r r i s , B d . I , S . 2 8 6 .] danach auf neuer Zeile gestrichen: 2) Die Sprache G o e t h e s – 102 / er soll beim Eintritt in L[ei]pz[ig] eine neue Sprache erlernen [daneben in Bleistift:] G e s e l l s c h [aftlicher] Charakter von G[oethe]’s Kunst: / Effekt / Zuschauer! B D. u. W., Loeper, Bd. 21, S. 35 f.] danach zwei Drittel der S. leer; die nchste S. (218r) beginnt mit einer Wiederholung des Hinweises: D [ . ] u . W. 21, [ S . ] 3 5 f [.] A

[Fnfte Vorlesung: Goethe in Leipzig – Das Leipziger Liederbuch]

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[“Nach dieser berstandenen Prfung sollte abermals eine neue eintreten, welche mir weit unangenehmer auffiel, weil sie eine Sache betraf, die man nicht so leicht ablegt und umtauscht. Ich war nmlich in dem oberdeutschen Dialekt geboren und erzogen, und obgleich mein Vatersich stets einer gewissen Reinheit der Sprache befliß und uns Kinder auf das, was man wirklich Mngel jenes Idioms nennen kann, von Jugend an aufmerksam gemacht und zu einem besseren Sprechen vorbereitet hatte, so blieben mir doch gar manche tiefer liegende Eigenheiten, die ich, weil sie mir ihrer Naivitt wegen gefielen, mit Behagen hervorhob und mir dadurch von meinen neuen Mitbrgern jedesmal einen strengen Verweis zuzog. Der Oberdeutsche nmlich, und vielleicht vorzglich derjenige, welcher dem Rhein und Main anwohnt (denn große Flsse haben wie das Meeresufer immer etwas Belebendes), drckt sich viel in Gleichnissen und Anspielungen aus, und ... bedient er sich sprichwrtlicher Redensarten. In beiden Fllen ist er fters derb, doch, wenn man auf den Zweck des Ausdrucks sieht, immer gehrig, nur mag freilich manchmal etwas mit unterlaufen, was gegen ein zarteres Ohr sich anstßig erweist. Jede Provinz liebt ihren Dialekt; denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Athem schpft. Mit welchem Eigensinn die meißnische Mundart die brigen zu beherrschen, ja eine Zeit lang auszuschließen gewußt hat, ist jedermann bekannt. ... Was ein junger lebhafter Mensch unter diesem bestndigen Hofmeistern ausgestanden habe, wird Derjenige leicht ermessen, der bedenkt, daß nun mit der Aussprache, in deren Vernderung man sich endlich wol ergbe, zugleich Denkweise, Einbildungskraft, Gefhl, vaterlndischer Charakter sollten aufgeopfert werden. Und diese unertrgliche Forderung wurde von gebildeten Mnnern und Frauen gemacht, deren Ueberzeugung ich mir nicht zueignen konnte, deren Unrecht ich zu empfinden glaubte, ohne mir es deutlich machen zu knnen.” 103 ] Hier stehen wir vor einem viel t i e f e re n P ro b l e m – und vor einer viel s c h w i e r i g e re n Fo r d e r u n g , die G[oethe] beim Eintritt in das Leipz[iger] gesellsch[aftliche] Leben zu erfllen hatte[.] – Denn die S p r a c h e eines Menschen ist ja nichts bloss usserliches und Zuflliges sie ist nicht etwas, was der Mensch verndern oder ablegen kann, wie er seine Tracht verndert[.] In der Art zu s p re c h e n drckt sich die ganze geistige Wesensart eines Menschen aus – die Sprache ist der Spiegel seiner Art zu denken, seiner Anschauungsweise, seiner Phantasie, seiner Empfindungs- und Gefhlsweise – Und in ganz besonderem Maße gilt das, wenn es sich um die Sprache eines D i c h t e r s handelt –

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denn ein Dichter ist ja eben der, in dem jedes Erlebnis sofort eine bestimmte s p r a c h l i c h e Gestalt annimmt – und bei den g ro ß e n Dichtern ist diese Sprachform etwas durchaus Persnliches, ganz Individuelles[.] Wenn G[oethe] also jetzt auf seine individuelle Sprache verzichten soll, so heisst das fast, daß er s e i n e g e i s t i g e u n d k  n s t l e r i s c h e Pe r s  n l i c h k e i t opfern soll. Wa r u m w i r d e i n s o l c h e s O p f e r vo n i h m ve r l a n g t ? Warum A soll er nicht nur seine heimatliche Mundart aufgeben – sondern auch seine ganze Art, sich auszudrcken in Bildern, in Gleichnissen[,] in sprichwrtl[ichen] Wendungen, in bibl[ischen] Reminiszenzen zu sprechen? Wir verstehen es, wenn er sich dagegen we h r t und wenn er erklrt, daß S c h re i b e n u n d S p re c h e n n i c h t d a s s e l b e s i n d – Das knnen wir ihm durchaus nachfhlen – und vor allem wird es ihm jeder B S c h we d e nachfhlen knnen – Denn noch heute spricht ja kein gebildeter Schwede so[,] wie er schreibt – er wrde dies fr geziert und unnatrlich halten. Aber in Deutschland und insbes[ondere] im Deutschl[and] des 18ten Jahrhunderts lagen die Dinge anders –L sie waren viel komplizierter und schwieriger[.] Wir stehen hier vor einem Problem, das nicht nur sehr tief in G[oethe]’s eigene Entwicklung, sondern auch sehr tief in die Entwicklung d e r a l l g e m e i n e n G e i s t e s - u n d B i l d u n g s g e s c h i c h t e e i n g re i f t – Um uns dieses Problem deutlich zu machen, mssen wir freilich we i t zurckgehen – Ich will versuchen, Ihnen die Frage zu verdeutlichen – aber ich muss Sie hierbei einen langen und beschwerlichen Weg fhren – Ich erbitte daher fr das Folgende Ihre freundliche Geduld – ich werde mich bemhen, diese Geduld nicht auf eine allzu harte Probe zu stellen, u[nd] das, was in diesem Z[u]s[ammen]h[ang] gesagt werden muss, so knapp und so klar als mglich zu sagen. Es scheint, daß wir uns im Folgenden ziemlich weit von unserem Thema e n t f e r n e n werden – aber wir entfernen uns nur, um uns ihm d e s t o m e h r z u n  h e r n ! C

A Warum]

warum jeder] danach gestrichen: g e b i l d e t e C Es scheint, ... n  h e r n !] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen B

[Fnfte Vorlesung: Goethe in Leipzig – Das Leipziger Liederbuch]

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Im 17 t e n J a h r h u n d e r t erfhrt die gesamte geistige Entwicklung in Deutschland einen jhen Rckschlag –L Whrend F r a n k re i c h u n d E n g l a n d auf der Hhe ihrer Kultur stehen, droht die deutsche Kultur fast zu erliegen – sie scheidet aus dem e u ro p  i s c h e n G e i s t e s l e b e n eine Zeit lang fast vllig aus – Der 30[-]jhrige Krieg strzt D[eutschland] nicht nur politisch in die usserste Verwirrung – sondern er droht auch das geistige Leben lahm zu legen – die Sprache droht zu verkommen und zu verwildern – Es fehlt nicht an Mnnern, die die Gefahr erkennen und die sich ihr widersetzen –L Und die D i c h t u n g , G r a m m a t i k , u n d A P h i l o s o p h i e arbeiten gemeinsam an diesem Ziele. –L In der Dichtung ist hier vor allem M a r t i n O p i t z zu nennen, der noch zu Beginn des Krieges, im Jahre 1624, sein “ B u c h vo n d e r Te u t s c h e n Po e t e re y ” erscheinen lsst – Opitz ist keine eigentlich dichterische Natur; es fehlt ihm an Schwung und Phantasie; aber er ist ein feiner Geist, ein Humanist und ein Gelehrter – mit einem entschiedenen Sinn fr die Fo r m der Sprache und fr die Form der Dichtung – In dieser Hinsicht bedeutet sein Buch einen entscheidenden Fortschritt–L er hat insbesondere die d e u t s c h e M e t r i k auf eine sichere Grundlage gestellt. – Dem B Buch von der Teutschen Poeterey (1624) folgte S c h o t t e l s Teutsche Sprachkunst (1641)[.]1 Die R e f o r m b e s t re b u n g e n vo n O p i t z u[nd] Schottelius C werden aufgenommen von dem grßten Denker, den Deutschl[and] im 17ten Jahrh[undert] besitzt – von L e i b n i z , der ja berhaupt zu den tiefsten und universalsten Geistern aller Zeiten gehrt – an Universalitt des Wissens u[nd] an Tiefe des Denkens ist er nur mit A r i s t o t e l e s zu vergleichen[.]L (1641).] danach in Bleistift: 1663 [Schottelius:] Ausfhrl[iche] Arbeit von der deutschen Hauptsprache[.] 1

G r a m m a t i k , u n d ] ber gestrichen: u n d d i e Dem] dem C und Schottelius] ber der Zeile und hier eingefgt A B

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Der junge Goethe I.

Leibniz also nimmt das sprachliche Reformwerk, das Opitz, Caspar A Schottel 104 u[nd] and[ere] begonnen hatten, auf – er schreibt seine U n vo r g re i f l [ i c h e ] G e d [ a n k e n ] z u r Au s  b u n g u n d Ve r b e s s e r u n g d e r t e u t s c h e n S p r a c h e (1697) B (Fr meine student[ischen] Hrer: [im] 2ten Band meiner deutschen Leibniz-Ausgabe!) Aber er selbst schreibt n i c h t deutsch – er kann es nicht, wenn er gelesen und verstanden werden will.L Erst Christian Wo l f f – kein tiefer und originaler Denker wie Leibniz – aber ein klarer, scharfsinniger, grndlicher Kopf – Kant, der sein System bekmpft, hat ihn den “ U r h e b e r des n o c h nicht erloschenen Geistes der Grndlichkeit in D[ eutschl a n d ”] 105 genannt. Um seine Lehre und die Lehre von Leibniz allgemein zugnglich zu machen, beginnt Wolff wieder deutsch zu schreiben – ein Schritt von e n t s c h e i d e n d e r Wi c h t i g k e i t fr die geistige Fortbildung und Durchbildung der deutschen Sprache[.]L Denn jetzt gewinnt die Philosophie auch wieder einen Einfluss auf das gesamte Geistesleben und auf die d e u t s c h e L i t t e r a t u r [.] Es ist allgemein bekannt, wie tief und innig die Verbindung zwischen Philos[ophie] und Dichtung in der deutschen klassischen Litteratur ist – wie stark insbesondere die K a n t i s c h e P h i l o s o p h i e hier gewirkt hat – Sie ist eine der strksten geistigen Mchte dieser Zeit –L Aber was in der deutschen Litteraturgeschichte bisher nur ungengend beachtet worden ist, ist die Tatsache, daß die Einwirkung der deutschen Philosophie schon v i e l f r  h e r einsetzt! C In z we i Richtungen, Alexander B a u m g a r t e n Aesthetica 1750 – (Wort u[nd] S a c h e sind neu![)] Baumgartens Einfluss auf die deutsche Litteratur: S c h i l l e r s “Knstler” G o t t s c h e d – Damit [sind wir] bei unserm Thema wieder angelangt –L Denn als G[oethe] in Leipzig eintrifft, lebt Gottsch[ed] nochL Caspar] ber der Zeile und mit Zeichen eingefgt (1697)] in Bleistift C Es ist allgemein bekannt, ... einsetzt!] am unteren Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen A B

[Fnfte Vorlesung: Goethe in Leipzig – Das Leipziger Liederbuch]

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– und er hat noch immer einen bedeutenden Einfluss, wenngleich seine eigentliche Glanzzeit vorber ist[.] Wir hatten gesehen, daß G[oethe], indem er Frankfurt mit Leipzig, A indem er das vterliche Haus mit der Universitt vertauscht, dabei eine wichtige Wandlung erfhrt. Diese Wandlung erstreckt sich nicht nur auf das usserliche; auf seine Haltung, sein Benehmen, B seine Kleidung. Sie geht auch das Innere an: sie fhrt zu einem Wendepunkt in seiner persnlichen, in seiner dichterischen und in seiner sprachlichen Entwicklung. Wir hatten zunchst den letzteren Punkt ins Auge gefasst; denn es zeigte sich, daß dies Moment nicht nur fr G[oethe] selbst, sondern auch fr die gesamte deutsche Bildungsgeschichte von besonderer, tief-eingreifender Bedeutung war. G[oethe] muss beim bergang von Frankfurt nach L[ei]pz[ig] gewissermassen eine neue Sprache erlernen. Er muss nicht nur auf viele mundartliche, sondern auch auf viele und wichtige persnliche Eigenheiten seiner Sprache verzichten. Denn all dies wird jetzt von seiten seiner neuen Umgebung einer strengen Kritik unterzogen. Er selbst hat uns in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] berichtet, wie sehr er unter diesem stndigen Hofmeistern gelitten hat: »ich fhlte mich in meinem Innersten paralysiert und wusste kaum mehr, wie ich mich ber die gemeinsten Dinge zu ussern hatte«.106 Aber der Zwang erweist sich, wie immer in G[oethes]’ Leben, so auch hier als heilsam. Die Disziplin, der er sich zu unterwerfen hat, wird fr ihn der Weg, der ihn zur inneren Freiheit fhrt. Denn jetzt erst beginnt das, was bisher unbewusst in ihm geschlummert hatte, ihm in vollem Umfang b e w u s s t zu werden: er lernt die Kraft und die Eigenart seiner Sprache erst ganz k e n n e n , indem er sie gegen bestimmte Forderungen von aussen verteidigen C muss. In diesem Wettstreit ist G[oethe] zuletzt Sieger geblieben; seine Eigentmlichkeit liess sich nicht unterdrcken, sondern sie hat sich durchgesetzt. Aber erst der sptere, der S t r a ß b u r g e r Goethe hat, unter dem Einfluss Herders und mit seiner Mithilfe diesen Sieg errungen. In Leipzig beugt er sich noch der Konvention. Er besucht das Praktikum Gellerts ber deutsche Sprache und Stil – und lsst sich von ihm seine schriftlichen Ausarbeitungen, seine Briefe und selbst seine Dichtungen korrigieren[.] Wie ernst er damals diese Dinge nahm, zeigt der Umstand, daß er das, was er bei Gellert gelernt hat, sofort weitergiebt; er treibt die Pedanterie so weit, daß er im Briefwechsel mit seiner Schwester, die Schwester auf alle Leipzig,] ab hier werden vier Bltter (recto und verso) in fremder Hand mit Bleistift 1-8 paginiert B sein Benehmen,] danach gestrichen: seine Sitten, C verteidigen] in Bleistift ber gestrichen: b e h a u p t e n A

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Stellen in ihren Briefen aufmerksam macht, die dem Stil u[nd] A Geschmack[,] den er bei G[ellert] gelernt[,] B nicht entsprechen. – Wie C aber schliesslich [der] Durchbruch1 zu stande gekommen und wie D er allmhlich zur unbedingten Herrschaft gekommen war, hatten wir im einzelnen zu verfolgen gesucht. Wir sahen, wie schon im 17ten Jahrhundert Bestrebungen einsetzten, die Sprache aus der Verrohung und Verwilderung zu erlsen, der sie im 30[-]jhr[igen] Kriege mehr und mehr verfallen war. Die Grammatik, die Dichtung und die Philosophie sind an diesen Bestrebungen beteiligt. In der Dichtung wirkt Martin Opitz, in der Grammatik und Sprachwissenschaft wirkt Schottelius, in der Philosophie wirkt Leibniz an dieser Aufgabe. Dann gelingt es G o t t s c h e d im 18ten Jahrhundert[,] alle diese Bestrebungen zusammenzufassen. Er schafft eine e i n h e i t l i c h e d e u t s c h e S c h r i f t s p r a c h e , die sich allmhlich durchzusetzen beginnt. Ohne Kampf ist es hierbei freilich nicht abgegangen – und das Problem hat die Gemter sehr ernstlich bewegt. Denn Gottsched sttzte sich in seinem Reformversuch auf die Oberschsische (– nher gesagt auf die Meissnersche) Mundart – und erklrte diese fr die allgemein-verbindliche, fr die eigentlich-kanonische. Der deutsche S  d e n protestierte. Im Jahre 1755 erscheint in Augsburg ein Buch des P[aters] D o r n b l  t h , das sich gegen Gottsched wandte und den Titel fhrte Critik ber Herrn Gottscheds sogen[ annte ] Redekunst a u s p a t r i o t i s c h e m E i f e r [.] 107 Die Sprachreform wurde nicht nur zu einer patriotischen, sondern fast zu einer religisen, oder doch zu einer k o n f e s s i o n e l l e n Angelegenheit: denn der katholische Sden wollte sich die Bevormundung des Nordens in dieser Frage nicht gefallen lassen – Aber der Sieg fiel Gottsched zu – Das war in erster Linie seiner umfassenden organisatorischen Wirksamkeit und seinem organisatorischen Talent zu danken – er wirkte nicht nur als Professor und als gefeierter akademischer Lehrer, sondern auch als Journalist, als Kritiker[,] als Redaktr unzhliger Zeitschriften – 1

der Durchbruch] danach zwischen den Zeilen, verbunden mit einem Pfeil:

Morris[, Bd.] I, [S.] 159.; ber dem Pfeil in Bleistift: Mai 1767 1 1/2 J[ahre.] 108 Stil und] in Bleistift; ersetzt gestrichen: gebildeten Leipziger den er bei Gellert gelernt,] zwischen den Zeilen in Bleistift und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen C Wie] danach gestrichen: dieser Geschmack selbst D wie] darber und zwischen den Zeilen ohne genauere Zuweisung zum Text: Sprache u[nd] der g[ute] Geschmack, den G[oethe] in L[ei]pz[ig] vorfand A B

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Aber noch mehr trug zu diesem Sieg der Umstand bei, daß G[ottsched] die umfassendste K e n n t n i s der lteren deutschen Litteratur besass – er hatte sich mit dem mittelalt[erlichen] Epos, mit Heinrich von Veldecke, mit dem deutschen Minnesang, mit Walther von der Vogelweide, mit der Geschichte des deutschen Theaters beschftigt[.] W[ilhelm] Scherer sagt in seiner Geschichte der deutschen Litteratur[,] daß bis auf Jac[ob] Grimm und seine Genossen Niemand eine so weitreichende Kenntnis der lteren deutschen Litt[eratur] besaß als Gottsched. 109 – Durch Gottsched und seine Reformbestrebungen war die deutsche Sprache gereinigt – sie hatte eine bestimmte Fo r m erlangt – aber noch fehlte es ihr an Gehalt – Gottsch[ed] selbst konnte ihr diesen Gehalt nicht geben – denn er war weder ein origineller Denker, noch war er ein Dichter – Lessing konnte ihm mit Recht vorwerfen, daß er niemals ein Dichter gewesen, sondern immer nur ein R e i m e r, ein Versifikator geblieben sei – (»Weil ein Vers Dir gelingt« 110 – man hatte sprechen u[nd] schreiben gelernt – man glaubte d i c h t e n zu knnen) So wirkte alles[,] was aus seiner Schule stammte, zwar sauber und korrekt, aber matt, drftig und unerhrt wssrig – ber diese Ve r w  s s e r u n g d e r d e u t s c h e n S p r a c h e d u rc h G [ o t t s c h e d ] hat Goethe in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] ausdrcklich geklagt[,] [Loeper, Bd.] 21, [S.] 39: “Das Gottschedische Gewsser hatte die deutsche Welt mit einer wahren Sndflut berschwemmt ... Bis sich eine solche Flut wieder verluft, bis der Schlamm austrocknet, dazu gehrt viel Zeit, und da es der nachffenden Poeten in jeder Epoche eine Unzahl gibt, so brachte die Nachahmung des Seichten, Wsserigen einen solchen Wust hervor, von dem gegenwrtig kaum ein Begriff mehr geblieben ist.” 111 Weil ein Vers ... A112 Die E r n e u e r u n g stammte aus drei verschiedenen Quellen : das Gefhl, der Gedanke, die Phantasie haben an ihr gearbeitetL – das Gefhl: Klopstock: eine neue Welle des re l i g i  s e n Gefhls –1 Welle des re l i g i  s e n Gefhls –] danach zwischen den Zeilen in Bleistift: erste Ges[chichte] des Messias: 174 8 / P i e t i s m u s – M[artin] L a m m 1

A Weil

ein Vers ...] in Bleistift

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die Gottschedische Schule setzte sich sogleich zur Wehr[,] und sie bekmpfte vor allem die khnen s p r a c h l i c h e n Neuerungen Klopstocks – S c h o e n a i c h : Die ganze Aesthetik in einer Nuss oder Neologisches Wrterbuch (1754)[.] 113 Dann L e s s i n g : Kampf gegen die Flachheit, A Breite, die Verwsserung – Kampf in den Litteraturbriefen B sein Stil wird scharf[,] und er wird unerhrt knapp, przis, praegnant, schlagend, treffsicher – G[oethe] hat von Klopstock und von Lessing gelernt – jenem verdankt er eine ausserordentliche gefhlsmssige Belebung – diesem gedankliche Klrung und Erhebung – [Loeper, Bd.] 21, [S.] 95[:] “Man muss Jngling sein, um sich zu vergegenwrtigen, welche Wirkung Lessings Laokoon auf uns ausbte[,] indem er uns 114 in die freien Gefilde des Gedankens hinriss.” Und dann tritt bei Goethe zu der neuen Gefhlskraft Klopstocks, zu der gedanklichen Kraft Lessings, die unerhrte Kraft der dichterischen Phantasie hinzu –L und aus diesen drei Grundkrften baut er eine neue Dichtung und eine neue Sprache auf[.] CC Auf die Bedeutung der “Einbildungskraft”, der Phantasie fr die Dichtung hatten schon die Schweizer Kritiker, B o d m e r u n d B re i t i n g e r verwiesen 115 –L und sie waren damit in einen langwierigen K a m p f g e g e n G o t t s c h e d verwickelt worden –L Aber sie knpften an M i l t o n an und sie wurden spter zu K l o p s t o c k s begeisterten Verehrern – Sie kannten die Einbildungskraft im Grunde nur als re l i g i  s e Einbildungskraft[,]L der Reichtum und die Tiefe der d i c h t e r i s c h e n Einb[ildungskraft] blieb auch ihnen verschlossen – Thorild 1801!! 116

Flachheit,] in Bleistift ber der Zeile und hier eingefgt Kampf in den L i t t e r a t u r b r i e f e n ] ber der Zeile C ] danach neue Zeile gestrichen: Aber wir wenden uns nach Leipzig zurck / O e s e r A B

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Diese u n i ve r s e l l e Bedeutung der dicht[erischen] Phantasie kommt erst mit Goethe zum Durchbruch – A u[nd] damit gewinnt auch das G e f  h l erst seine a l l s e i t i g e Bedeutung[.] Die “Polyphonie des Gefhls” 117 hat erst G[oethe] entdeckt – K[lopstock] kennt nur einen Ton des Feierlichen, Erhabenen, Religisen – G[oethe] entdeckt die Totalitt u[nd] Universalitt der Gefhlswelt. B F r i e d r i c h O e s e r –C der Direktor der Maler- u[nd] Zeichenakademie in L[ei]pz[ig,] er wandte sich gegen die Rokoko-Ideale der Zeit; er bekmpfte das Zierliche und Gefllige, das Verschnrkelte in der bildenden Kunst – er wies auf die Antike zurck – und er sah die Antike mit den Augen, wie Winckelmann sie gesehen und wie er sie in seiner » G e s c h i c h t e d e r K u n s t d e s A l t e r t u m s « gedeutet hat – O[eser] hat auf Winckelm[anns] geistige Entwicklung und auf seine Anschauung von der bildenden Kunst einen entscheidenden Einfluss gebt – er war, whrend der Dresdner Jahre W[inckelmann]’s[,] sein Lehrer im Zeichnen gewesen[,] und er blieb sein Leben lang sein warmer Freund und Bewunderer[.] [“]Herr Oeser[”] – so schreibt W[inckelmann] in einem Brief vom 29. Dez[ember] 1754 aus Dresden – [“]ist hier mein einziger Freund und wird es bleiben[”] 118 – Auch Goethe hat sich unter der Leitung O[eser]’s vor allem zum Zeichnen auszubilden gesucht – Die Liebe zum Zeichnen, und zur bildenden Kunst berhaupt, bildet von frh an eine der grossen Leidenschaften in G[oethe]’s Leben[,] und sie hat ihn bis zum sptesten Alter begleitet – er hat sich nicht nur im Zeichnen, sondern auch im Kupferstechen und im Malen versucht – und sein Drang zur bildenden Kunst war so stark, daß er lange Zeit zweifelte, ob nicht hier sein eigentlicher Beruf lge – ob er nicht z u m M a l e r g e b o re n s e i –

Durchbruch –] danach zwischen den Zeilen in Bleistift: Kl[opstock]s Leier nur e i n Ton B Gefhlswelt.] danach am unteren rechten Rand weist ein Pfeil auf: Oeser C F r i e d r i c h O e s e r –] darber, am oberen Rand: Von Leipziger L e h re r n : G e l l e r t – E r n e s t i 119 A

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Diese Hoffnung musste er dann – nicht ohne Bedauern – aufgeben – Aber seine stndige bung im Zeichnen und seine leidenschaftliche Hingabe blieb fr ihn nicht unfruchtbar – Denn sie entwickelte in ihm jene ungewhnliche Schrfe der optischen Auffassung der Dinge, die ihm eigen war – G[oethe] war ein g e b o re n e r Au g e n m e n s c h ; er hat von sich selbst gesagt, daß das Auge das Organ war, durch das er die Welt besaß 120 –L Fr ihn gelten die Worte, die eine seiner dichterischen Gestalten, der Trmer Lynceus im Faust II von sich sagt: er war “ z u m S e h e n g e b o re n , z u m S c h a u e n b e s t e l l t ”[.] 121 Diese ungewhnliche Gabe, sich die anschauliche Gestalt, die sichtbaren Umrisse der Dinge in hchster Schrfe zu vergegenwrtigen – wurde von hchster Bedeutung nicht nur fr die Entwicklung des D i c h t e r s Goethe, sondern auch fr die Entwicklung des grossen Naturforschers – fr seine vergleichende Anatomie, seine Morphologie, seine Farbenlehre – Nicht minder wichtig wurde der Verkehr mit Oeser fr die Ausbildung von Goethes t h e o re t i s c h e n A n s c h a u u n g e n ber die bildende Kunst – O[eser] erfllte ihn mit dem E n t h u s i a s m u s f  r Wi n c k e l m a n n , der ihn sein ganzes Leben lang begleitet hat – G[oethe] hat spter, im Jahre 1805, einen Teil des W[inckelmann]’schen Briefwechsels herausgegeben[,] und an die Spitze dieser Ausgabe hat er einen herrl[ichen] Aufsatz gestellt, den er W[ inckelmann ] und sein Jahrhundert genannt hat. A Dieser Aufsatz gehrt zu dem Schnsten und Tiefsten, was berhaupt ber W[inckelmann] gesagt worden ist –L Er hat eigentlich erst das g e i s t i g e G e s a m t b i l d W [ i n c k e l m a n n ] ’s , so wie wir es heute sehen, festgestellt –L Auch eine der B besten neueren Arbeiten C ber W[inckelmann], die ausgezeichnete dreibndige W[inckelmann]-Biographie C a r l J u s t i s [,] ruht ganz auf der Anschauung, die G[oethe] in diesem Werk geschaffen hat[.]

genannt hat.] hier (nach Bl. 224v) schließt sich folgendes loses Blatt (Bl. 35rv) inhaltlich und ußerlich (Papiersorte, Tintenfarbe) an B eine der] ber gestrichen: die C besten neueren Arbeiten] beste neuere Arbeit bei Korrektur unverndert A

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Z

Will man die Mnner nennen, die am strksten auf die geistige Bildung G[oethe]’s gewirkt haben, so msste man m. E. die drei Namen: S h a k e s p e a re – S p i n o z a – W i n c k e l m a n n nennen – Shakesp[eare] fr die Dichtung – Sp[inoza] fr die Philos[ophie] – W [ i n ck e l m a n n ] f  r d i e b i l d e n d e Ku n s t u [ n d ] d i e Ae s t h e t i k [.]L G o e t h e s D a n k a n O e s e r [:]1L [“Den Geschmack den ich am Schnen habe, meine Kenntnisse, meine Einsichten, habe ich die nicht alle durch Sie? Wie gewiss, wie leuchtend wahr ist mir der seltsame, fast unbegreifliche Satz geworden, dass die Werkstatt des grossen Knstlers mehr den keimenden Philosophen, den keimenden Dichter entwickelt, a l s d e r H  r s a a l d e s We l t we i s e n u n d d e s K r i t i k e r s ”.] 122 G[oethe] hat von Oeser gelernt, daß nicht der Hrsaal[,] sondern die Werkstatt den grossen Knstler bildet –L daß nicht Theorie und Kritik, sondern der stete U m g a n g mit den Werken der Kunst und die Anschauung dieser Werke das eigentlich Bildende ist –L DieserSatzstehtihmjetztfest–ernenntihneinen“leuchtendwahrenSatz”[,] abernochbezeichneterihnalseinen“seltsamen,fastunbegreiflichenSatz”.123 Denn noch steht er unter dem Einfluss und Eindruck der t h e o re t i s c h e n I d e a l e d e r Au f k l  r u n g s z e i t [,]L nach der die »Regel« es sein soll, die den Geschmack des Knstlers bilden und ihm den Weg zum Wahren und Schnen weisen soll – Dieser Brief an Oeser ist von November 1769 – Ein A Jahr spter wird B G[oethe] in Straßburg die Bekanntsch[aft] mit H e r d e r machen[,] C und hier beginnt der Durchbruch – was ihm im Briefe an Oeser noch als ein seltsamer, fast unbegreifl[icher] Satz erschienen war, das wird ihm jetzt zum unbezweifelbaren F u n d a m e n t seiner knstl[erischen] Anschauung G o e t h e s D a n k a n O e s e r :] danach verbunden mit einem Pfeil: Morris[, Bd.] I, [S.] 310[.] 1

Ein] danach gestrichen: halbes spter wird] spter, wird, Kommata nach Streichung stehengeblieben; wird in Bleistift, ersetzt gestrichen: im April 1770, trifft C die Bekanntschaft mit H e r d e r machen,] in Bleistift hier angeschlossen statt Satzende: ein – A B

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(– denn jetzt lernt A er H e r d e r kennen B ) – und dieser hat das Band zerschnitten, das ihn noch an die Ae s t h e t i k d e r Au f k l  r u n g s zeit fesselte – L e i p z i g – Po e s i s a ) Ly r i k A n a k re o n t i k – Uz, Gleim, Hagedorn – C G e s e l l s c h [ a f t l i c h e ] Ly r i k – nicht Erlebniskunst – Rcksicht auf den Zuschauer, »Publikum« – unterhalten, gefallen – sogar belehren – aber nur in der e i n e n grossen Wissensch[aft]: der a r s a m a n d i 124 – C h a r a k t e r d e r A [ n a k re o n t i k ]: Gegens[atz] gegen D die ErlebnisD[ichtung] E125 Antike Mythologie + moderne Galanterie Wein, Liebe, Frhling, Rose[,] Nachtigall Da sind sie nun – I, 362 126 Die N a c h t – I , 351127 F Gellert – Als Goethe nach Leipzig kommt[,] sind seine d i c h t e r i s c h e n Ideale noch im wesentlichen die Ideale G e l l e r t s [.] G jetzt lernt] in Bleistift; ersetzt gestrichen: inzwischen hat kennen] kennen gelernt; gelernt bei Streichung stehengeblieben C Hagedorn –] danach ber der Zeile in Bleistift: Manier, der Lyrik nur nicht der Lyrik heute D Gegensatz gegen] Lesung unsicher E Erlebnis-Dichtung] danach durch Pfeil verbunden: Morris[, Bd.] I, [S.] 160[.] mit Bleistift unterstrichen und darunter in Bleistift: ls. »vraiment«[.] 128 F L e i p z i g – Po e s i s ... Die N a c h t – I ,351] auf dem unteren Drittel der Seite in dunklerer Tinte als der vorherige Text G die Ideale G e l l e r t s .] danach gestrichen: er hat sich an den gleichzeitigen deutschen Schriftstellern, deren Werke er in der vterl[ichen] Bibliothek vorfand, gebildet – [Loeper, Bd.] 20, [S.] 73 2tes Buch[:] “Canitz, Hagedorn, Drollinger, Gellert, Creuz[,] Haller standen in schnen Franzbnden in einer Reihe”[.] Diese Namen sind uns fast unbekannt geworden – nur der Litteraturforscher kennt sie noch. A l b re c h t vo n H a l l e r – ein großer Name, aber heute mehr als Naturforscher, als großer Physiologie und Biologe, kaum als Dichter bekannt –L Von den andern kennt einer oder der andere wohl nur H a g e d o r n und G e l l e r t [,] weil einzelne hbsche Erzhlungen oder Fabeln von ihnen noch fortleben – in D e u t s c h l a n d zum mindesten findet sich die eine oder andere von ihnen noch in den meisten L e s e b  c h e r n [.] A B

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Hher geht damals das Streben Goethes nicht[.] A Aber er schtzte Gellert auch in anderer Richtung – als m o r a l i s c h e n L e h re r [.] Seine B moral[ischen] Vorlesungen, die er regelmßig fr Studenten aller Fakult[ten] hielt, waren damals i n D e u t s c h l a n d b e r  h m t – seine Schriften bildeten, wie G[oethe] im 7[.] Buch von D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] sagt[,] das F u n d a m e n t d e r d e u t s c h e n s i t t l [ i c h e n ] K u l t u r ([Loeper, C Bd.] 21, [S.] 76)[.] 129 (Gellerts Praktikum – B r i e f s t i l – C o r n e l i a L Gellerts Briefe wollten “junge Leute und namentlich das Frauenzimmer zu einer natrlichen Schreibart zu ermuntern und anderen, wenn es mglich wre, das Vorurteil zu benehmen, als ob unsere Sprache zu den Gedanken der Hflichkeit, des Scherzes und anderer zarter Empfindungen nicht biegsam und geschmeidig genug sei”.130 In der Tat hat G[oethe] den Briefstil einfacher und natrlicher gestaltet – und ihn von falschem Schwulst befreit – aber der Ausdruck wirkt doch recht matt und kraftlos und fr unseren Geschmack noch in vieler Hinsicht affektiert – ) D G e l l e r t u n d S c h we d e n in Gteb[orger] Stadtsbibl[iothek] 131 bersetzungen seiner Briefe, E seines Romans Leben der schwed[ischen] Grfin, seiner Briefe. (das Merkwrdigste, daß noch gegen Ende des Jahrh[underts], im Jahre 1792 ein d e u t s c h e r Nachdruck seiner Briefe in Uppsala herausgekommen ist) [Die] “Schwed[ische] G[rfin]” hat im 18ten J[a]h[rhundert] auch in S c h we d e n Nachahmer gefunden: cf. Bk, Romanens och Prosaberthlesens Historia i Sverige 132

Hher geht damals das Streben Goethes nicht.] danach zentriert zwischen den Zeilen: s. D [ . ] u . W. [, Loeper, Bd.] 21, [S.] 26[.] 133 B Seine] seine C (Loeper, Bd. 21, S. 76).] im Ms. eingerckt auf neuer Zeile D affektiert – )] danach zwischen den Zeilen in Bleistift: Name G[ellert] – ob er noch bestimmte Vorstell[ungen] erweckt E bersetzungen seiner Briefe,] darber ohne Zuweisung zum Text: fast aller seiner Hauptwerke A

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aber nach S c h  c k u n d Wa r b u r g hat er keinen Einfluss auf die Bildung des litterar[ischen] Geschmackes gebt – 134 D i c h t u n g e n S c h we d [ i s c h e ] G r  f i n – Bezieh[ung] auf Schweden sehr usserlich – Abenteuerroman mit vielfarbigem Lokal-Colorit, Anfang spielt in S c h we d e n – aber auch Holland, Russland, Sibirien Geistl[ iche ] Lieder – schn und von echter u[nd] schlicht[er] Frmmigkeit –L B e e t h o ve n –L Fa b e l n [.]

[Sechste Vorlesung: Die Mitschuldigen. 13. XI.40] Wir haben A – u[nd] es bleibt uns brig [–] noch einen Blick auf das kleine Drama D[ie] M[itschuldigen] zu werfen. An sich brauchte freilich dieses kleine Stck unsere Aufmerks[amkeit] kaum zu fesseln. Denn (einen besond[eren] k  n s t l e r i s c h e n Wert wird man ihm kaum zuschreiben – und) im Ganzen von G[oethes] dichterischem Schaffen bedeutet es sehr wenig. Ja es steht sogar in einem sehr merkwrdigen K o n t r a s t zu allem, was wir sonst von G[oethe] besitzen – und wssten wir nicht, daß er der Verf[asser] ist, so wrden wir es schwerlich erraten. Aber eben um dieses K o n t r a s t s willen mssen wir uns hier etwas nher mit dem Stck beschftigen. Denn es wird uns zu einem allgemeineren Problem hinfhren – zu einem Problem, das nicht auf eine einzelne E p o c h e in G[oethe]’s Leben beschrnkt ist – sondern das sich in gewissem Sinne durch sein ganzes Leben hindurchzieht – und das fr den Weg, den er als Dichter genommen, nicht ohne Bedeutung ist[.] B “Die C Mitschuldigen” – Inhalt des Werkes – Fr die Goethe-Litteratur u[nd] Goethe-Interpretation haben “Die M[itschuldigen]” stets ein s c h w i e r i g e s P ro b l e m gebildet – Schon an der S t o f f wa h l hat man oft Anstoss genommen. Wie konnte G[oethe] – so hat man mit einem gewissen Recht gefragt –

haben] Lesung unsicher Bedeutung ist.] danach verso gestrichen: D i e M i t s c h u l d i g e n Noch einige Wort[e] – Das kleine Stck als solches brauchte freilich unsere Aufmerksamkeit kaum zu fesseln – und wir knnten uns mit der blossen Erwhnung des Titels begngen; denn in Goethes dichterischem Gesamtwerk nimmt es nur eine sehr bescheid[ene] u[nd] untergeordnete Stelle ein; es steht sogar in einem ausgespr[ochenen] Gegensatz zu all dem, was wir sonst von G[oethe] besitzen. Aber gerade wegen dieses K o n t r a s t e s mssen wir es hier kurz betrachten: denn diese Betracht[ung] wird uns Gelegenheit geben, ein allgem[eines] Problem zu berhren, das in G[oethe]’s Leben und in der Entwicklung seines dichterischen Schaffens zu wiederholten Malen wiederkehrt und hier eine nicht unwichtige Rolle gespielt hat etc. – auf neuer Zeile, zentriert: I n h a l t . danach untere Hlfte der S. leer C “Die] darber, Abschnittsberschrift: L e i p z i g A B

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einen s o l c h e n Stoff behandeln, der doch etwas Abstossendes, ja Widerwrtiges hat? Und wie konnte er eine so leichtfertige Philosophie vertreten, wie er sie hier zu vertreten scheint? Wie A konnte er dazu mahnen, es mit den menschlichen Schwchen, ja auch mit den menschlichen Lastern nicht allzu schwer zu nehmen, da eben keiner von uns von solchen Schwchen und Lastern frei ist und wir daher a l l e in irgend einem Sinne »Mitschuldige« sind? Fr einen 19 - j  h r i g e n B scheint das eine traurige und blasierte Weisheit zu sein! Um G[oethe] vor diesem Vorwurf zu rechtfertigen, hat man bisweilen versucht, eine tiefere Tendenz in dem Stck zu suchen – Man glaubte in ihm s o z i a l e S a t i re u n d s o z i a l e K r i t i k zu sehen – und man wollte in dieser Hinsicht in dem jungen Goethe sogar einen Vo r l  u f e r d e r I b s e n s c h e n D r a m e n sehen – Richard M. Meyer vergleicht das Stck mit der mod[ernen] “Anklagelitteratur” u[nd] will es C an die Seite von I b s e n s “Sttzen der Ges[ellschaft]” stellen (S. 32)[.]135 Aber welch eine Kluft besteht zwischen dem strengen und schweren Ernst Ibsens – und der Leichtigkeit, ja der Frivolitt, mit der sich G[oethe] in den Mitsch[uldigen] ber alle Schwchen der menschl[ichen] Natur und der menschl[ichen] Gesellschaft hinwegsetzt! So scheint nur ein anderer Ausweg zu bleiben. Warum sollen wir denn – so kann man sagen – an dieses Jugendwerk einen hohen aesthetischen oder moralischen Maßstab anlegen? Nehmen wir es doch, wie es ist – und sehen wir in ihm einfach eine Jugendsnde Goethes – eine Snde, wie sie auch dem grssten dichterischen Genie begegnen kann, und von der man nicht allzu viel Aufhebens zu machen braucht – Aber hier erhebt sich eine andere Schwierigkeit – Denn G[oethe] selbst hat das Stck offenbar n i c h t so angesehen – Er hat es wiederholt berarbeitet – und er hat es in dieser berarbeitung in seine Werke – auch noch in die endgltige Ausgabe, in die sogen[annte] Ausg[abe] letzter Hand aufgenommen – Auch in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] spricht er von dem Stck mit auffallender Vorliebe – 136 Hierber hat man sich oft verwundert[.] “Rhrte das Stck” – so sagt Herm[ann] G r i m m in seinen GoetheVorlesungen – “fr welches G[oethe] seltsamer Weise eine gewisse ZrtA Wie] B C

wie 19 - j  h r i g e n ] 19 ber gestrichen: S i e b z e h n Richard M. Meyer ... (S. 32).] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen

[Sechste Vorlesung: Die Mitschuldigen]

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lichkeit behalten hat, und das er gern vorlas, nicht von ihm her, so wrde heutzutage schwerlich Jemand dazu vermocht werden, es durchzulesen”. (S. 34) 137 Das Rtsel, das hier vorzuliegen scheint, lste sich mir, als ich zum ersten Mal G[oethe]’s [“]Mitschuldigen[”] a u f d e r B  h n e s a h – es war noch in meiner Studentenzeit[,] und es war vielleicht d i e e r s t e Au f f  h r u n g , d i e das Stck berhaupt erlebt hatte. Das D e u t s c h e T h e a t e r i n B e r l i n , das damals unter der Leitung O t t o B r a h m s 138 stand, besaß um diese Zeit ein a u s g e z e i c h n e t e s Ensemble – Man stellte sich freilich im allgemeinen ganz andere Aufgaben als das klassische Drama – man pflegte das moderne A Drama; man spielte Ibsen, man spielte die S t r i n d b e r g - D r a m e n aus der Zeit vor St[rindberg]’s naturalistischer Epoche u[nd] man spielte vor allem den jungen G e r h a r t H a u p t m a n n [:] das Friedensfest, die Einsamen Menschen, der College Crampton.139 – Aber Otto Brahm war selbst Litteraturhistoriker aus der Schule Erich Schmidt 140 – und bisweilen reizte es ihn, auch litterarhistorische Versuche auf der Bhne vorzunehmen – Und so kam er auf den Gedanken[,] die “Mitschuldigen” aufzufhren – Und so ergab sich das Sonderbare, daß dieses scheinbar so veraltete und verstaubte Stck, bei einer ausgezeichneten Auffhrung, einen d u rc h schlagenden Erfolg errang – Ich habe selbst der Erstauffhrung 141 beigewohnt – das Stck wirkt wie eine Novitt – das Publikum amsierte sich von Anfang bis zu Ende u[nd] begleitete die Vorgnge auf der Bhne mit herzlichem und anhaltendem Lachen – e i n g e w i s s u n g e w  h n l i c h e r Vo r g a n g b e i e i n e r G o e t h e Au f f  h r u n g ! Und hierin liegt[,] wie mir scheint[,] auch der wa h re G r u n d , warum G[oethe], auch in spterer Zeit, eine gewisse Vorliebe fr das Stck behalten hat, dessen Mngel und Schwchen er sich ja nicht verbergen konnte – Wir berhren hier ein in Goethes Leben sehr wichtiges und eigentmlichschwieriges Problem: s e i n Ve r h  l t n i s z u m T h e a t e r. moderne] moderne, Komma nach Streichung stehengeblieben, danach gestrichen: naturalistische A

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Z

Hier lag in Goethes ursprnglicher Anlage ein e i g e n t  m l i c h e r Z w i e s p a l t , den er nie ganz berwunden hat – G[oethe] war schon von frher Jugend an von einer leidenschaftlichen L i e b e z u m T h e a t e r erfllt – Schon das Puppentheater, das er als Knabe geschenkt bekam, machte den strksten Eindruck auf ihn – wie gross, wie unauslschlich dieser Eindruck war, das wissen wir, da eines der Hauptwerke G[oethe]’s, Wi l h [ e l m ] M e i s t e r s L e h r j a h re [,] ihn festgehalten und in unvergleichlicher Weise geschildert hat – Aber auch spter ist die Liebe zum Theater in G[oethe] nie erloschen – Unter all den vielfltigen Beschftigungen, die ihm in seiner Weimarer Zeit als Minister und Verwaltungsbeamten oblagen, hat er sich immer mit besonderem Eifer der L e i t u n g d e s We i m a r i s c h e n T h e a t e r s gewidmet[.] Als er spter diese Leitung – infolge eines Konflikts mit dem Herzog A niederlegen musste, war das fr ihn ein schwerer Schlag und eine bittere Enttuschung – Aber dieser starken N e i g u n g z u m T h e a t e r, die G[oethe] von frh an fhlte, entsprach Nichts i n s e i n e r e i g e n t l i c h e n u n d t i e f e re n dichterischen Anlage – wo diese Anlage sich ganz frei, ganz stark und ganz unbewusst entfaltete: da schuf sie wohl Dramen, a b e r s i e s c h u f k e i n e T h e a t e r s t  k ke – Der G e n i u s in G[oethe] verweigerte gewissermassen dem M e n s c h e n G[oethe] und dem Theaterliebhaber, B was dieser so heiss ersehnte – e r l i e s s i h n z wa r d i c h t e r i s c h e , a b e r k e i n e t h e a t r a l i s c h e n L o r b e e re n p f l  c k e n – Wir brauchen hier G[oethe] nur mit S h a k e s p e a re zu vergleichen, um sofort den ganzen Unterschied zu spren – Wenn ich nach einem persnlichen Eindruck urteilen darf[,] so muss ich sagen, daß ich nach jeder neuen C Lektre eines der grossen Shakespeare’schen Werke immer wieder das Verlangen und die Sehnsucht verspre, es d a r g e s t e l l t zu sehen – und daß ich umgekehrt, nach jeder noch so vollkommenen Darstellung

Konflikts mit dem Herzog] nach Konflikts mit gestrichen: mit einer Schauspielerin, die; nach Herzog gestrichen: begnstigte – ; Gedankenstrich nach Streichung stehengeblieben B und dem Theaterliebhaber,] ber der Zeile und hier eingefgt C neuen] ber der Zeile und hier eingefgt A

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des Faust, des Tasso, der Iphigenie [–] u[nd] ich habe die grssten und genialsten Schausp[ieler] wie Jos[ef] K a i n z 142 i[n] solchen Darst[ellungen] gesehen – A immer wieder den Wunsch verspre, mich in die L e k t  re des Werkes zu versenken – da nur diese, nur das stille Lesen, den ganzen Zauber und die ganze Tiefe dieser Werke fr uns erschliessen kann – Auch G[oethe] w u s s t e dies – aber er wo l l t e bisweilen, daß es anders sein sollte – Dieser K o n f l i k t zwischen dem, was seine eigene Dichtung, was sein Genius ihm gewhren konnte, und dem, was das Theater verlangt – hat er uns ja in hchst anschaulicher und eindringlicher Art im Vorspiel zum Faust – in dem großen Gesprch zwischen dem D i c h t e r u n d d e m T h e a t e r d i re k t o r geschildert – Denn nicht nur im Dichter des “Vorspiels auf dem Theater”, sondern auch im Direktor spricht hier unverkennbar G [ o e t h e ] s e l b s t – “Gebt Ihr Euch einmal fr Poeten – So kommandiert die Poesie” 143 – so scheint G[oethe] hier sich selbst zuzurufen –L schafft mit Bewusstsein ein gutes, ein wirksames Theaterstck! Aber leider liess B sich die eigentliche, die wahre, die Goethische Poesie n i c h t i n d i e s e r We i s e k o m m a n d i e re n – sie blieb, was sie war – sie entsprang aus dem unmittelbaren Erleben und der unmittelbaren Eingebung – aus Krften, ber die G[oethe] selbst keine bewusste Herrschaft hatte – er selbst hat in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] gesagt, daß er sich daran gewhnen musste, seine Dichtung “ganz als Naturgabe anzusehen” 144 –L und diese N a t u r g a b e fhrte ihn nicht zum Theater hin, sondern e n t f e r n t e i h n vo n i h m –L Aber von Zeit zu Zeit regt sich immer wieder in ihm der Trieb, gewissermassen g e g e n seine Natur zum B  h n e n d i c h t e r zu werden –L Das bekannteste Beispiel ist die Art, in der G[oethe] eines seiner Jugenddramen[,] den C l a v i g o [,] verfasst hat –1 1

verfasst hat –] danach: D[.] u. W. 15[.] Buch, [Loeper, Bd.] 22, [S.] 202[.]

und ich habe ... Darstellungen gesehen –] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: ich B liess] in Bleistift ber der Zeile und hier eingefgt A

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In einer Gesellschaft kommt man auf die eben erschienenen Memoiren B e a u m a rc h a i s , des Dichters der »Mariage de Figaro« zu sprechen – eine der Damen der Gesellsch[aft] fordert G[oethe] auf, den Stoff in ein Schauspiel zu verwandeln – er begibt sich sofort ans Werk[,] und in krzester Zeit ist das Stck vollendet – es gefllt allgemein – nur E i n e r lehnt es scharf ab ... es ist der strengste Kritiker G[oethe]’s in seiner Jugend – zugleich der, der das strkste B e w u s s t s e i n von dem besitzt, was G[oethe] eigentlich ist und wozu er b e r u f e n i s t – sein Freund M e rc k – ein beraus scharfer, klarer und A witziger Kopf, in dem, nach G[oethe]’[s] eigenem Zeugnis, all die Seiten lagen, die er im M e p h i s t o p h e l e s verkrpert hat – “Mephistopheles Merck” – so berichtet G[oethe] in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] – [“]aber tat mir zum ersten Mal hier einen grossen Schaden. Denn als ich ihm das Stck mitteilte, erwiderte er: “Solch einen Quark musst Du mir knftig nicht machen; das knnen die Anderen auch”. Und doch hatt’ er hierin Unrecht. Muß ja doch nicht Alles ber alle Begriffe hinausgehen, die man nun einmal gefasst hat; es ist auch gut, wenn Manches sich an den gewhnlichen Sinn anschließt. Htte ich damals ein Dutzend Stcke der Art geschrieben, welches mir bei einiger Aufmunterung ein Leichtes gewesen wre, so htten sich vielleicht drei oder vier davon auf dem Theater erhalten. Jede Direktion, die ihr Repertorium zu schtzen weiss, kann sagen, was das fr ein Vortheil wre.” 145 Wir geben heute unbedingt Merck Recht – und Goethe Unrecht – wir bedauern es nicht, daß G[oethe] nicht ein Dutzend Stcke B wie den Clavigo geschrieben hat – wir wissen, daß er als Dichter zu etwas anderem berufen war – Aber wir knnen uns an der Naivitt freuen, mit der G[oethe] hier, gegenber dem Dichter, auch den Theaterdirektor zu Wort kommen lsst und seine Partei ergreift – Und der Theaterdirektor behlt auch Zeit seines Lebens eine gewisse Schwche fr die “Mitschuldigen” – und das mit Recht: denn es ist ein sehr brauchbares Bhnenstck, das, bei einer wirklich guten Auffhrung, seiner Wirkung auch heute noch sicher ist – A B

und] danach gestrichen: zugleich Stcke] Stcke,

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Um Ihnen wenigstens eine Vorstellung von dieser Wirkung zu geben, begnge ich mich mit der Andeutung e i n e r Szene – Wirt – die eigentlich komische Gestalt des Dramas – die anderen: Alceste, Sophie, Sller blosse Theaterfiguren – aber er ist eine wirkliche Charakterfigur[:]1 [“Die Zeitung heutzutag ist unertrglich kalt, Das Neuste was man hrt, ist immer Monats alt. Der Zeitungsschreiber selbst ist wrcklich zu beklagen, Gar ffters weis er nichts und offt d a r f er nichts sagen. Wr ich nur gndiger Herr ich msst Minister seyn, Und ieglicher Courier ging bey mir aus und ein”. 146 ]

1

Charakterfigur:] danach in Bleistift: Morris[, Bd.] I, [S.] 385[.]

[Siebente Vorlesung: Rckkehr nach Frankfurt – Pietistische und okkultische Lektre. 27. XI.40] bergang – Krperl[icher] Zusammenbruch u[nd] seelische Krise – Rckkehr nach Frankfurt – Pietismus (Sus[anna] v[on] Klettenberg) Alchymie G[oethe] nennt in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] eine grosse Zahl magischer, kabbalistischer, alchymistischer Werke, in deren Studium er sich damals versenkt hat – Wir greifen aus dem Kreis der Schriftsteller, die er damals gelesen, nur z we i heraus, die fr uns besonders wichtig sind – T h e o p r a s t u s Pa r a c e l s u s (1493-1541) A u n d Ag r i p p a vo n B N e t tesheim Theoprastus Bombastus von Hohenheim Paracelsus ist eine der merkwrdigsten Erscheinungen in der Geschichte der Naturwissenschaft –L ein bedeutender Arzt, der es wagt, die antike C Arzneikunde anzugreifen, der aufs heftigste gegen Aristoteles und Galen polemisiert und der die Medizin auf eine neue wissenschaftliche Grundlage zu stellen sucht[,]L ein Glubiger und Mystiker – der sich aber ganz dem Studium der sichtbaren Natur zuwendet und der lehrt, daß aus ihr allein die wahre Gotteserkenntnis geschpft werden kann[,]L in seiner ganzen Lebensfhrung noch halb herumziehender Wunderdoktor, Magier, ZaubererL und halb an der Schwelle einer neuen Naturerkenntnis, insbesondere einer neuen C h e m i e [.] A g r i p p a vo n N e t t e s h e i m (1486-1535) lehrt in seinem Werk »De occulta philosophia« eine kabbalisch-mystische Philosophie, die dem Menschen die Herrschaft ber die Natur geben soll – das Werk ist ganz durchdrungen von einem neuen heissen Erkenntnisdrang – A B C

(1493-1541)] ber Pa r a c e l s u s geschrieben vo n ] darber ffnende Klammer fr die Lebensdaten Agrippas antike] danach gestrichen: in vieler Hinsicht ein Vorlufer der s bricht ab

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er will erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhlt[,] 147 und dazu muss er der Wortwissenschaft, der Scholastik entsagen – und sich der M a g i e zuwenden, die uns die tiefsten Krfte der Natur zu eigen gibt – Dann folgt der jhe Rckschlag – in einem z we i t e n Werk »De incertitudine et vanitate scientiarum« lehrt Agrippa die Eitelkeit, die Nichtigkeit alles menschlichen Wissens –L es ist dem Menschen nicht gegeben, die Natur zu erkennen – all sein Wissen ist Trug; es bleibt nur der Zweifel und die Verzweiflung, aus der nur der Glaube uns retten kann –L Schon aus dieser kurzen Skizze werden Sie ersehen, daß G[oethe] sich, bei seinen Studien der Schriften von Paracelsus und Agrippa in jener At m o s p h a e re bewegt, in die uns spter die Fa u s t - D i c h t u n g hineinversetzen wird –L die Glaubenswelt, die Gefhlswelt, die Phantasiewelt des 16ten Jahrhunderts hat sich ihm hier zuerst erschlossenL – und nur dadurch, daß er sich einmal in sie so tief versenkt und so vllig eingelebt hat, konnte er spter zum S c h  p f e r d e s Fa u s t werden – Aber es sind nicht nur ltere mystische Werke, in die sich G[oethe] damals versenkt hat –L es ist auch ein zeitgenssisches Werk, ein Werk des 18ten Jahrhunderts, das um diese Zeit einen starken A Eindruck auf ihn gemacht hat[.]L Er selbst hat dieses Werk in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] nicht genannt – aber wieder ist es die Faust-Dichtung, die seinen Einfluss unverkennbar bezeugt – erster Monolog des Faust –L er sehnt sich[,] allen Ballast des Wissens von sich zu werfen – er will dem Kerker der Gelehrtenstube entfliehen – es drngt ihn, sich an die Brust der Natur zu werfen, mit der Natur selbst Zwiesprache zu halten –L Er will alle Bcher hinter sich lassen –L Nur e i n Buch nimmt er aus – das soll ihn begleiten und sein Fhrer sein. [“]Flieh! auf hinaus – Wie spricht ein Geist zum andern Geist[”] 148 N o s t r a d a m u s erscheint hier als der Verfasser des Buches[,] 149 das Faust geleiten soll –L denn in der D i c h t u n g musste es natrlich in frhere Jahrhunderte zurckverlegt werden – A

starken] danach gestrichen: und unauslschlichen

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Aber man hat zeigen knnen, daß G[oethe] hier ein anderes Bild als das des Nostradamus vorschwebt[.] Nun erst erkenn ich, wa s d e r We i s e s p r i c h t 150 –L Der Weise[,] der so sprach, war nicht Nostradamus, sondern Swedenborg – u[nd] das Werk, an das Goethe denkt, sind seine A rc a n a c o e l e s t i a [;] cf. Max M o r r i s , Swedenborg in Faust, Goethe-Studien, Berlin 1902[.] Rezension von Lavaters [“]Auss[ichten] in die Ewigkeit[”] (Morris, [Bd.] 3, [S.] 97)[,] hier wnscht G[oethe] Lavater am Schluss “die innige Gemeinschaft mit dem gewrdigten Seher unserer Zeiten, rings um den die Freude des Himmels war, zu dem Geister durch alle Sinne u[nd] Glieder sprachen, in dessen Busen die Engel wohnten – A dessen Herrlichkeit umleucht’ ihn, wenns mglich ist, durchglh’ ihn, daß er einmal Seligkeit fhle, und ahnde, was sei das Lallen der Propheten B[, wenn Æææ Æ æ ÆÆ den Geist fllen!”] 151 [“]Jetzt erst erkenn’ ich, was der Weise spricht: C Die Geisterwelt ist nicht verschlossen, Dein Sinn ist zu, Dein Herz ist tot! Auf bade, Schler, unverdrossen, Die ird’sche Brust im Morgenrot![”] 152 K a n t u[nd] G o e t h e in ihrem Verh[ltnis] zu Swedenborg! D

Vo r b o t e n vo n S t r a ß b u r g ... a) Ro u s s e a u – der grosse Gegenstoß gegen die Aufklrung ... – alle Ideale der Aufklr[ung] fallen von ihm ab – bis dahin hatte man geglaubt, den Gipfel des Wissens, des guten Geschmacks, der sittlichen Bildung erreicht zu haben – die Engel wohnten – ] die Engel wohnten – ” danach zentriert auf neuer Zeile: S we d e n b o r g – K a n t – Goethe; danach beginnt die neue Seite mit einer Wiederholung (Geister durch alle Sinne und Glieder sprachen in dessen Busen die Engel wohnten); danach auf neuer Zeile weist ein Pfeil nach unten auf die Fortsetzung des Zitats (dessen Herrlichkeit ...); daneben der Verweis: ( W. A . [ B d . ] 3 7, [ S . ] 2 61 ), danach in Bleistift: = Morris[, Bd.] 3 , [ S . ] 9 7 [.] B der Propheten] danach folgt ein langer Pfeil, um die Fortsetzung des Zitats anzuzeigen C Jetzt erst erkenn’ ich, was der Weise spricht:] in Bleistift D K a n t und G o e t h e ... Swedenborg!] in Bleistift A

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Man sonnte sich in dem Gefhl, wie herrlich weit man es gebracht habe –L man fhlte sich als den G i p f e l d e r Z e i t u n d d e n G i p f e l d e r Menschheit – All das droht jetzt unter der Kritik R[ousseau]’s zusammenzubrechen – die Gesellschaft ist der Fluch, unter dem die Menschheit leidet – sie hat den Menschen nicht glcklicher, nicht besser gemacht – Scheidung des » h o m m e a r t i f i c i e l « vom » h o m m e n a t u re l – « 153 »L’ h o m m e q u i m d i t e e s t u n a n i m a l d e p r a v !« 154 Auch R[ousseau] wollte den Menschen nicht einfach i n d i e W  l d e r z u r  c k f  h re n – obwohl er oft so verstanden worden ist[.]L (Voltaires Spott ...) 155L In Frankreich [ist] R[ousseau]’s Einfluss wesentlich politisch – in Deutschland geistig – Die A Wirkung, die R[ousseaus]’ Schriften auf D e u t s c h l a n d gebt haben[,] ist so stark, so mannigfaltig und vielseitig gewesen, daß wir nicht daran denken knnen, sie hier in ihrem ganzen Umfang zu betrachten – ich begnge mich damit[,] sie a n z we i B e i s p i e l e n sichtbar zu machen – Als Rousseaus Hauptschriften herauskamen, lebte im hchsten Norden Deutschlands B ein Denker, der damals noch keinen allgemein bekannten Namen besaß und dessen Wirkung sich auf einen kleinen Kreis einschrnkte – Aber diejenigen, die seine Schriften gelesen und durchdrungen hatten, konnten schon damals in ihm das Heraufkommen einer neuen Kraft spren – Er war in seiner Jugend ausgegangen von n a t u r w i s s e n schaftlichen Studien – und er gehrte zu den grssten und leidenschaftlichsten Bewunderern N e w t o n s – Aber er wollte die Newtonsche Physik noch ber den Kreis erweitern, den N[ewton] selbst ihr zuwies – er grndete auf sie eine a l l g e m e i n e K o s m o l o g i e – er wollte zeigen, wie man sich eine sichere Vorstellung von der We l t b i l d u n g , von der Entstehung und Ordnung des physischen Universums bilden knne – ohne etwas anderes zu Grunde zu legen C als das Dasein des Stoffes und der a l l g e m e i n e n B e we g u n g s g e s e t z e , in der Form, die Newton ihnen gegeben hatte –

Die] davor oben links: aufflliges Einfgungszeichen Deutschlands] Deutschlands, C legen] legen, A B

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Aber nicht minder als an dem Problem der Naturforschung, der Physik und Kosmologie, war dieser Denker an den Grundfragen der Logik, der Erkenntnislehre, der Ethik interessiert – und auch auf all diesen Gebieten hatte er bereits sehr eigentmliche Ansichten in sich ausgebildet – Ich brauche Ihnen den Namen dieses Denkers kaum zu nennen[.] Die Meisten werden ihn in meiner Schilderung bereits wiedererkannt haben – es ist der M a g i s t e r K a n t i n K n i g s b e r g – Er A wird e i n e r d e r e r s t e n u n d g r  ß t e n B e w u n d e re r Ro u s s e aus in Deutschland – (Rousseau Bildnis – Anekdote) 156 R[ousseau] ist der » N e w t o n d e r s i t t l i c h e n We l t « 157 [–]L entscheidende Umwendung in Kants gesamter Entwickl[ung –]L “Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher. Ich fhle den ganzen Durst nach Erkenntnis und die begierige Unruhe, darin weiter zu kommen, oder auch die Zufriedenheit bei jedem Fortschritte. Es war eine Zeit, da ich glaubte, dieses alles knnte die Ehre der Menschheit machen, und ich verachtete den Pbel, der von nichts weiss. Ro u s s e a u h a t m i c h z u re c h t g e b r a c h t . Dieser verblendete Vorzug verschwindet; ich lerne die Menschen ehren, und wrde mich viel unntzer finden, als die gemeinen Arbeiter, wenn ich nicht glaubte, daß diese Betrachtung allen brigen einen Wert geben knnte, die Rechte der Menschheit herzustellen”.158 D i e Re c h t e d e r M e n s c h h e i t h e r z u s t e l l e n – das ist die eigentliche Aufgabe der Philosophie – Aber der Verstand a l l e i n kann hierbei nicht die Fhrung haben – Die Fhrung muss eine a n d e re K r a f t bernehmen – Was K[ant] Rousseau verdankt, ist das Prinzip des P r i m a t s d e r p r a k t i s c h e n Ve r n u n f t – 159 die E t h i k , nicht die Logik a l l e i n , muß die Grundlage der Philosophie werden – Als sich in Kant diese Entwicklung vollzog, hatte er einen noch sehr jungen Hrer und Schler –L es war kein anderer als H e r d e r [,] etc.L Und durch K a n t s Vermittlung ist vielleicht auch in Herder der erste Enthusiasmus fr R[ousseau] erweckt worden[.]L A

Er] er

[Siebente Vorlesung: Rckkehr nach Frankfurt]

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Aber n e u e R i c h t u n g : nicht Politik, nicht Ethik, sondern Poesie[.] We l c h e F r  c h t e h a t d e r Fo r t s c h r i t t d e r i n t e l l e k t u e l l e n K u l t u r u n d d i e Ve r f e i n e r u n g d e r s o z i a l e n K u l t u r, d i e Ve r f e i n e r u n g d e r S i t t e n – d e r K u n s t u n d i n s b e s o n d e re d e r Po e s i e , g e b r a c h t ? Und die e r s t e Antwort, die H[erder] hierauf gibt, lautet geradezu vernichtend[:] all dieser Fortschritt hat die Dichtung, die Kunst nicht nur u n b e r  h r t gelassen – sondern er ist fr sie geradezu ve r h  n g i s vo l l geworden – er hat sie von ihrem wahren Urquell mehr und mehr abgezogen – er hat alle Kraft, alles Leben der Kunst erstickt A und an ihre Stelle nichts als eine tote K o n ve n t i o n gesetzt – “Zurck zur Natur”! – also auch hier – und das bedeutet fr Herder zunchst Z u r  ck z u d e n G r i e c h e n ! zurck zu – H o m e r [.] Zunchst in den F r a g m e n t e n – Von den Lebensaltern einer Sprache [–] 160 “Homer trifft eben auf den Punkt, der schmal wie ein Haar B und scharf wie die Schrfe C des Schwertes ist, wo Natur und Kunst sich in der Poesie vereinigten” (Haym[, Bd.] I, [S.] 185)[.] D161L Er besaß eine wahrhaft junge und jugendkrftige S e e l e [,] und er besaß jene Sicherheit und Festigkeit des Au s d r u c k s , die nur in einer solchen Seele anzutreffen ist[.]L – Kein Spterer hat dies wieder in gleichem Maße vereint – denn d i e K u n s t k a m u n d l  s c h t e d i e N a t u r a u s [.] 162L Nun ward alles Falschheit, Schwche, Knstelei[.] 163

erstickt] erstickt, Haar] am Rand in Bleistift in deutlicher Schrift wiederholt C Schrfe] davor gestrichen: Spitze D (Haym, Bd. I, S. 185).] im Ms. eingerckt auf neuer Zeile A B

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“Die Dichtkunst, die die strmendste, sicherste Tochter der menschlichen Seele sein sollte, ward die ungewisseste, lahmste, wankendste; die Gedichte sein oft korrigierte Knaben- und Schulexerzitien”[.]1164 Dies [ist] der neue Sinn der Vo l k s d i c h t u n g – in ihr a l l e i n hat sich alle Natur noch rein erhalten! A “Die Dichtkunst, ... Schulexerzitien”.] danach eingerckt auf neuer Zeile: Herder im O s s i a n a u f s a t z – Von deutscher Art und Kunst / cf. Haym[, Bd.] I, [S.] 445[.] 1

Die Wirkung, die Rousseaus’... erhalten!] (= Bl. 186-187v) mit aufflligen Einfgungszeichen dieser Stelle (Mitte Bl. 233v) zugewiesen. Mit Bl. 188 beginnt eine neue Vorlesung (von Cassirer im Tagebuch betitelt: Die geistigen Wurzeln der Sturm- und Drangbewegung – Rousseau und Herder). Die hier wiedergegebene Fortsetzung des Textes nach diesem Einschub (untere Hlfte von Bl. 233v bis 234v) ist nicht gestrichen, wird aber in der nchsten Vorlesung wiederholt: Strkste Einwirkung auf Kant – Anekdote; entscheidende Wendung in K[ants] Philosophie[,] hiervon H e r d e r berhrt, der damals der Schler Kants war. A

Gewissensfrage der Kultur – was ist an ihr echt, groß, ursprnglich – ? was ist f a l s c h u n d k o n ve n t i o n e l l , blosses Futter – Verweisung auf die “Anfnge” der Poesie, der Sprache [–] Die Poesie ist ihrem Wesen nach auf Empfindung, Gefhl, Leidenschaft begrndet – dem Verstand a l l e i n ist sie niemals fassbar – deshalb muss jede r a t i o n a l i s t i s c h e Poetik von Anfang an scheitern[.] Echte Poesie lsst sich nicht auf abstrakte Regeln zurckfhren – sie entspringt immer aus einem einmaligen nicht-wiederholbaren leidenschaftlichen M o m e n t [.]L Nicht in Gedanken, Begriffen, Vorstellungen, sondern nur in Gefhlen und Bildern offenbart sich der wahre Dichter und alle Poesie wurzelt in diesen e l e m e n t a re n Seelenkrften[.]L Die rationale Psychologie des 18ten Jahrhunderts pflegte die Sinne und die Einbildungskraft als » n i e d e re « Seelenkrfte zu bezeichnen –L denen der Verstand, die Vernunft, die Urteilskraft als hhere Seelenkrfte gegenberstehen – Herder kehrt diese Rangordnung um:L alles Hohe, Grosse, Edle, Starke der Poesie entstammt diesen angeblich “niederen” Krften[,] sie sind die belebenden Wu r z e l n des Baumes der Kultur, aus denen sein Saft steigen muss[.] “Poesie ist die Muttersprache des menschl[ichen] Geschlechts”[.] 165 (Hamann)

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Begriff des Vo l k s l i e d e s “Stimmen der Vlker in Liedern” – Aber der Titel, der von seiner Frau gewhlt worden ist, ist falsch 166– Es handelt sich nicht um blosse Vo l k s dichtung, der die Kunstdichtung gegenbergestellt werden sollte – In die Sammlung seiner Volkslieder hat ja Herder echte Kunstdichtung – z. B. Stcke aus S h a k e s p e a re aufgenommen[.] »Volksdichtung« hieß fr Herder »Menschheitsdichtung«, in welchen Formen sie sich auch ussern mag ... Suph[an, Bd.] 25, [S.] X: er gab seine Sammlung “als eine lebendige Stimme der Vlker, ja der Menschheit selbst, wie sie in allerlei Zustnden sich mild und grausam, frhlich und traurig, scherzhaft und ernst, hier und da sich hren lsst, allenthalben fr uns belehrend” 167 D i e s alles wird jetzt fr G[oethe] lebendig: er sieht den Sinn der Poesie in einem neuen Licht – Bis dahin hatte ihm die Poesie als eine g e s e l l s c h a f t l i c h e Funktion gegolten – sie gehrte in den Kreis der “Bildung”, der feinen Kultur – Sie sollte unterhalten und belehren, und sie sollte bessern – In Leipzig ist G[oethe] noch ein S c h  l e r G e l l e r t s , von dem er sich seine Dichtungen korrigieren lsst – Gellerts Ideal[:] die moralische Dichtung Richardsons [–]L Unsterblich ist Homer ... 168 [“] Po e t i s c h e r G e h a l t i s t G e h a l t d e s e i g e n e n L e b e n s [”] 169 Die echte Dichtung ist Erlebnisdichtung[,] und sie ist charakteristische Dichtung – Au s d r u c k s d i c h t u n g [.]

[Achte Vorlesung: Die geistigen Wurzeln der Sturm- und Drangbewegung – Rousseau und Herder. 4. XII.40] Wir stehen jetzt im gewissen Sinne an dem schwierigsten Punkt unserer Betrachtung. Denn es gilt nunmehr, die grosse g e i s t i g e Wa n d l u n g in Goethes Leben zu verstehen – die Wandlung, die ihn erst zu dem gemacht hat, was er als Mensch, als Persnlichkeit, als Knstler ist. Sie vollzieht sich in seiner Straßburger Zeit, und in seiner Begegnung mit Herder. Alles andere, was wir bisher gemeinsam betrachtet haben, kann nur als Einleitung und als Vorspiel gelten. Ein Vorspiel, das reich an interessanten Einzelheiten ist – und das manche vielversprechende und verheissungsvolle Keime in sich enthlt. Aber niemand hatte nach d i e s e n Anfngen den knftigen, den eigentlichen Goethe ahnen knnen. Er steht mit einem Schlage unvermittelt vor uns – sein Erscheinen wirkt auf uns fast wie eine pltzliche Offenbarung. Wie kam es zu diesem Durchbruch von Goethes Genie – und welche a l l g e m e i n e n geistesgeschichtlichen Bedingungen waren es, die ihn ermglicht haben? D i e s e Frage war es, die wir uns am Schluss der letzten Stunde gestellt haben. Und im Verfolg derselben wurden wir zunchst auf J[ean-]J[acques] R[ousseau] A gefhrt[.] B Jean-Jacques Rousseau] unter der Zeile: R[ousseau]’s Schrift Wir stehen jetzt ... gefhrt.] eingelegtes, unpaginiertes Bl. (188). Der Text gibt in hnlicher Form den Inhalt des gestrichenen Blattes wieder (185v): Wir haben zuletzt von der entscheidenden Wendung gesprochen, die in Goethes Leben in dem Augenblick eintritt, in dem er den Boden von Straßburg betritt. In ihm und um ihn scheint sich jetzt mit einem Schlage alles zu verwandeln; als Mensch und als Dichter steht er als ein Neuer, als ein vllig Anderer vor uns. Welches sind die tieferen Grnde dieser Umwandlung? Wir knnen sie nicht verstehen, wenn wir hier lediglich bei der Betrachtung des I n d i v i d u u m s G[oethe] stehen bleiben. Wir mssen den Kreis weiter spannen, denn was G[oethe] hier erfhrt, das ist nur der Ausdruck einer inneren Erschtterung, die nicht lediglich ihn selbst, sondern die das gesamte Geistesleben des achtzehnten Jahrhunderts erfhrt. Wir wollten versuchen, uns diesen Prozess deutlich zu machen, und ihn in seinen einzelnen Phasen zu verfolgen. In erster Linie mussten wir hier den Namen J[ean-]J[acques] R[ousseau] nennen. Die Schriften R[ousseau]’s bricht ab. Dieser Text ist auf einem losen Blatt (Bl. 185r, pagininiert am oberen rechten Rand: 3 8 a ) geschrieben, das in der Lnge beschriftet ist und eine andere Bestimmung zu haben scheint: [Einfgungszeichen] Ehe wir diese Frage in ihrer vollen Allgemeinheit stellen und ehe wir sie fr das Ganze der “Geisteswissenschaften” zu beantworten suchen, wollen wir sie zuerst an eine andere Instanz richten. Wir bleiben zunchst im Umkreis der Naturwissenschaft stehen und fragen, ob wir nicht schon hier einen Ansatzpunkt und eine bestimmte Direktive fr unser Problem ergibt. [sic!] In der Tat zeigt sich uns eine derartige Richtlinie, wenn wir die Entwicklung der m o d e r n e n B i o l o g i e ins Auge fassen. Die Biologie der zweiten Hlfte des danach, durch Pfeil verbunden: Fo r t s [ e t z u n g ] s [ i e h e ] S . 4 3 / (39-42 fllt weg!). A B

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Wir wollen uns A die innere Wandlung verstndlich machen, die sich in Goethes Leben und Dichtung whrend der Straßburger Zeit, bei der Begegnung mit Herder vollzieht. Hier lsst uns die biographische Methode im Stich. Denn nichts in Goethes frherem Leben kann uns diese Wandlung vllig begreiflich machen. Sie vollzieht sich mit einem Schlage – und sie wirkt auf den ersten Blick wie eine vllige berraschung, wie eine pltzliche Offenbarung, ja fast wie ein Wunder. Aber Goethe steht hier nicht allein: die innere Krise, die er jetzt durchlebt und die dem Genius in ihm erst zum Durchbruch verhilft, ist zugleich eine Krise seiner Zeit, ja eine Krise der gesamten europischen Bildung. Wir hatten ihren Beginn zunchst bei Rousseau verfolgt.1 R[ousseau] ist derjenige Denker, der an die Kultur seiner Zeit die eigentliche G e w i s s e n s f r a g e stellt. Was hat diese so hoch gerhmte Kultur geleistet? Hat sie den Menschen seiner wahren Bestimmung nher gefhrt – hat sie ihn besser, hat sie ihn glcklicher, hat sie ihn sittlich-vollkommener gemacht? Nichts dergleichen – sie hat vielmehr das Beste in ihm verstmmelt. Der Mensch, als Einzelmensch, lebte im Genuss seiner natrlichen Unabhngigkeit: seiner »ind pendance naturelle«. 170 Aber mit dieser Unabhngigkeit war es ein fr alle Mal dahin, sobald er in die Gesellschaft eintrat. Denn alle bisherige Gesellschaft ist auf Zwang aufgebaut. In der bisherigen Gesellschaft und im bisherigen Staatsleben gibt es nur Herrscher und Beherrschte, Unterdrcker und Unterdrckte. Und diese Form menschlichen Zusammenlebens muss alles Gute und Edle im Menschen ertten. Die schlimmsten Instinkte im Menschen werden jetzt wachgerufen und stndig genhrt. In einer Gesellschaft, wo es nur Herren und Sklaven gibt, entarten beide Teile. Sie ist fr die Machthaber ebenso gefhrlich und verderblich wie sie fr die Opfer der Gewalt gefhrlich und verderblich ist. Hier also mssen wir den Hebel ansetzen. » L’ h o m m e e s t n l i b re e t p a r t o u t i l e s t d a n s l e s f e r s « 171 – so lauten die ersten Stze von R[ousseau]’s »Contrat social«. Zerbrechen wir also vor allem diese Fesseln – stellen wir eine neue, wirkliche, menschliche Gemeinschaft her – eine Gemeinschaft, die nicht auf Zwang, sondern auf Freiheit beruht. Dann werden alle Wunden, die die Gesellschaft den Menschen geschlagen hat, geheilt werden: d e r F l u c h d e r G e s e l l s c h a f t verfolgt.] zwischen den Zeilen und mit Linie dieser Stelle zugeordnet: Rousseau Aufs[atz,] S. 185[.] 172 1

wollen uns] davor Anfang der Seite gestrichen: (Wir stehen in unserer Betrachtung an einem wichtigen und schwierigen Punkt.) darber, am oberen Rand eingefgt und gestrichen: Wir stehen heute vor einer wichtigen Aufgabe – und vor einer der schwierigsten Fragen, die G[oethe]’s Lebens- und Bildungsgesch[ichte] uns stellt[.]

A Wir

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w i r d s i c h i n S e g e n ve r wa n d e l n . A Man hat R[ousseau] oft als extremen Individualisten, ja als Anarchisten hingestellt. Aber das ist ein vlliger Irrtum. Wenige Denker haben so emphatisch und so energisch wie er die Hoheit des G e s e t z e s verkndet. “Das Gesetz allein ist es, dem der Mensch die Gerechtigkeit und die Freiheit verdankt; dieses Organ des wollen uns ... i n S e g e n ve r wa n d e l n .] eine frhere Ausarbeitung dieses Gedankengangs findet sich in hnlicher Form auf dem unpaginierten Bl. 184rv wieder: Wir haben bereits [ber gestrichen: zuletzt] von der entscheidenden Wirkung gesprochen, die die Schriften Rousseaus bei ihrem ersten Erscheinen auf die gesamte Ideenwelt des 18ten Jahrhunderts gebt haben. Sie schienen einen vlligen Umsturz aller Werte zu enthalten, die bisher gegolten hatten. Man kann von R[ousseau] sagen, daß er als Erster, mit voller Energie und voller Leidenschaft, die eigentliche G e w i s s e n s f r a g e an die Kultur seiner Zeit gestellt hat. Was ist denn jene Bildung, deren sich das 18te Jahrhundert rhmt? Was bedeutet sie nicht fr die Beherrschung der usseren materiellen Natur, sondern was bedeutet sie f  r d e n M e n s c h e n s e l b s t ? Hat sie den Menschen vollkommener und glcklicher gemacht – hat sie ihn seiner wahren Bestimmung nher gefhrt? Diese Frage wird von Rousseau radikal verneint. Die wahre Bestimmung des Menschen, so erklrt er, ist seine F re i h e i t – nur wenn man ihm die F re i h e i t gibt, kann er wahrhaft Mensch sein. [im Ms.: sein, danach gestrichen: kann er alle seine Anlagen verwirklichen.] Aber alles was sich bisher Staat und Gesellschaft nannte, hat genau den entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Alle b i s h e r i g e Gesellschaft war nicht der Weg zur Freiheit, sondern vielmehr der Weg zur Unterdrckung. Die Gesellschaft ist zum schlimmsten Feind des Menschen geworden, weil sie ihm seinen besten und schnsten Besitz, den Besitz der I n d i v i d u a l i t  t [,] genommen hat. Unter ihrem furchtbaren Druck und Zwang musste diese Individualitt, musste das eigentliche »Selbst« des Menschen verkmmern. [danach gestrichen: (Ehe wir einen Schritt weiter gehen knnen, mssen wir wieder jenen Zust[and] herstellen, den R[ousseau] den Zust[and] der » i n d e p n d a n c e n a t u re l l e « nennt)] L’ h o m m e e s t n l i b re e t p a r t o u t i l e s t d a n s l e s f e r s [.]L Mit diesen Worten beginnt R[ousseau] seinen »Contrat social«[.]L Zerbrechen wir also zunchst diese Fesseln – [danach, zwischen den Zeilen:] stellen wir den Menschen in seiner ursprnglichen Wahrheit, in seiner natrl[ichen] Umwelt wieder her! [danach gestrichen: damit wir den Menschen selbst w i e d e r f i n d e n ; damit wir ihn in seinem wahren Wesen erkennen und ihn seiner wahren Bestimmung zufhren knnen –L ] Das war der K a m p f r u f , den R[ousseau] gegen die Gesellschaft seiner Zeit erhob und das war der Sinn seines Losungswortes: Zurck zur Natur! [danach auf neuer Zeile gestrichen: Zurck zur Natur – / das bedeutet in erster Linie: / fort von dem lastenden Zwang der K o n ve n t i o n / und fort von all dem unnatrlichen D r u c k , unter dem der Mensch bisher, unter der Herrschaft seines verderbten sozialen und politischen Systems gelebt hat[.]] A Wir

Danach ist Bl. 185 gestrichen (s. editorische Anm. B auf S. 86); die weitere Fortsetzung des Textes (Bl. 186-187) hat Cassirer als Abschluß der siebten Vorlesung verwendet (s. S. 81-84: Die Wirkung, die Rousseaus’ ... erhalten!).

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Willens a l l e r ist es, das die natrliche Gleichheit unter den Menschen in der Ordnung des Rechts wiederherstellt; diese gttliche Stimme stellt fr jeden Brger die Normen der allgemeinen Vernunft fest”.173 Aber damit das Gesetz in dieser Weise wirken kann, muss es nicht, wie bisher, nur ein Mittel, ein Instrument in der Hand Einzelner oder Weniger sein; sondern es muss sich zum Organ des Willens a l l e r gestalten; es muss der Ausdruck der vo l o n t g n r a l e 174 sein. Wo E i n e r herrscht, da gibt es nichts als D e s p o t i s m u s ; wo einzelne Gruppen oder Klassen herrschen, da gibt es nichts als politische und soziale Ty r a n n e i . Die Freiheit besteht erst dort, wo jeder Brger sich dem Gesetz unterordnet; wo aber auch jeder Brger gleichmssig an der Gesetzgebung mitwirkt. Irgend einem Brger diese Mitwirkung entziehen – ihn ausserhalb des Gesetzes oder unter irgend ein Ausnahmegesetz stellen: das ist, in Rousseaus Augen, die eigentliche politische Todsnde: es ist die Verletzung dessen, was er die u r s p r  n g l i c h e n , u n ve r  u s s e r l i c h e n R e c h t e d e r M e n s c h h e i t n e n n t [.] 175 R[ousseau]’s Ideen haben nach a l l e n Seiten gewirkt – aber ihre Wirkung in Deutschland verluft im allgemeinen in a n d e re n Bahnen[,] als es in Frankreich der Fall ist. In Frankreich sind es vor allem die politischen Folgerungen und Forderungen, die den strksten Eindruck machen und die unmittelbar zndend gewirkt haben – in Deutschland waren es mehr die gedanklichen, die rein i d e e l l e n Momente, durch die man sich ergriffen fhlte – Das bedeutet freilich nicht, daß R[ousseau]’s politische Ideen in Deutschland nicht gehrt oder nicht verstanden wurden – Im Gegenteil: auch im Gebiet der deutschen Philosophie und der deutschen Litteratur hren wir berall ihren Nachhall und ihren Widerhall – Am strksten ist dieser Widerhall i m D r a m a d e s j u n g e n S c h i l l e r – Schiller ist einer der enthusiastischsten Verknder der neuen Rousseauschen Ideen – und sie sind es, die die Dichtung Sch[iller]’s von Anfang bis zu Ende durchdringen. Ich begnge mich, als Beweis hierfr, eine einzelne Stelle anzufhren – die Worte aus der grossen Rede Stauffachers in der Rtli-Szene des Wilh[elm] Tell. N e i n ! e i n e G re n z e h a t Ty r a n n e n m a c h t Wenn der Gedrckte nirgends Recht kann finden, Wenn unertrglich wird A die Last – greift er, B Hinauf getrosten Mutes in den Himmel[,] etc.176 A

wird] wird,

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Z

Das ist der Glaube an die unverusserlichen Menschenrechte – das ist das Schillersche Freiheitspathos[,] und das ist echt Rousseau’sches Pathos – Aber in einer anderen und noch merkwrdigeren Weise haben R[ousseau]’s Schriften a u f K a n t g e w i r k t –L Als diese Schriften zuerst erschienen – da war der Name Kant in Deutschland nur Wenigen bekannt – Kant war bereits ein angesehener philosophischer Schriftsteller – aber noch konnte Niemand seine knftige Bedeutung ahnen – Seine bisherige Forschung hatte sich vor allem n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n Problemen zugewandt – und was er erhoffte und verlangte, war eine Reform der Philosophie im Geist der modernen Naturwissenschaft, im Geist N e w t o n s – Daneben hatte Kant bereits sehr eigentmliche und selbstndige Ansichten im Kreis der Logik, der Metaphysik, der Erkenntnislehre ausgebildet – die ihn weit ber die herrschende Wolffische Schulphilosophie hinausfhrten – Aber e i n e s besitzt Kant in dieser Epoche noch nicht. In den e t h i s c h e n G r u n d f r a g e n hat er noch keine sichere Orientierung gewonnen – und s i e spielen in seinem Denken noch keine entscheidende Rolle – An diesem Punkte greift die Wirkung R[ousseaus]’ ein: Kant, der bisher wesentlich Logiker und Physiker gewesen war, wird unter dem Einfluss R[ousseau]’s zum E t h i k e r – Seine gesamte Philosophie schlgt jetzt eine neue R i c h t u n g ein – Aus dem Kritiker der theoretischen Vernunft wird er zum Kritiker der p r a k t i s c h e n Ve r n u n f t – Die “praktische Vernunft” – so wird er knftig erklren – ist der theoretischen nicht nur g l e i c h b e re c h t i g t – sondern in ihr A mssen wir den eigentlichen K e r n p u n k t und B re n n p u n k t erkennen – Es gilt jenes Prinzip, das Kant spter als das Prinzip des P r i m a t s d e r p r a k t i s c h e n Ve r n u n f t formuliert hat – 177 Daß all dies unter dem entscheidenden Eindruck der Lektre von R[ousseau]’s Schriften geschah – dafr besitzen wir unzweideutige Zeugnisse[:] a) A n e k d o t e [.] 178 b) Die Wahrheit dieser kleinen Erzhlung lasse ich hier dahingestellt. Es kann sich in ihr auch um legendarische Ausschmckung handeln. Aber A

in ihr] in Bleistift ber gestrichen: sie

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der Legende liegt sicher ein echter Kern zu Grunde: denn alle Biographen Kants haben uns in der Tat die Tatsache berliefert, daß K[ant] eine Zeitlang seine tglichen Spaziergnge einstellte, um in seiner R[ousseau]-Lektre nicht unterbrochen zu werden – Im brigen haben wir fr den Eindruck, den diese Lektre auf ihn machte, viel sicherere und ganz authentische Zeugnisse in e i g e n e n u s s e rungen Kants – Ich begnge mich hier damit, nur e i n e dieser usse[rungen] anzufhren:L “Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher. Ich fhle den ganzen Durst nach Erkenntnis und die begierige Unruhe, darin weiter zu kommen. Es war eine Zeit, da ich glaubte, dieses alles knnte die Ehre der Menschheit machen, und ich verachtete den Pbel, der von nichts weiss. R [ o u s s e a u ] h a t m i c h z u re c h t g e b r a c h t . Dieser verblendete Vorzug verschwindet; ich lerne die Menschen ehren, und wrde mich viel unntzer finden als die gemeinen Arbeiter, wenn ich nicht glaubte, daß diese Betrachtung allen brigen einen Wert geben knnte, die Rechte der Menschheit herzustellen.” 179 Das ist die neue Auffassung: die Auffassung des E t h i k e r s Kant – Die Philosophie besitzt ihren Wert und ihre hohe Wrde – aber sie empfngt diese Wrde nicht durch ihre rein theoretische und ihre intellektuelle Leistung – Es gibt noch Etwas Anderes und etwas Hheres – Sie soll dem Menschen seine m o r a l i s c h e B e s t i m m u n g kennen lehren – und ihm zeigen, wie er sie zu erfllen vermag –

Wi e h a t d i e s e  b e r z e u g u n g i m K re i s e d e r d e u t s c h e n G e i s t e s g e s c h i c h t e we i t e r g e w i r k t – und auf welchem We g e hat sie sich fortgepflanzt? Wir sind in der glcklichen Lage[,] diese Frage genau und sozusagen d o k u m e n t a r i s c h beantworten zu knnen – Denn wir besitzen darber das Zeugnis eines Mannes, der damals zu K a n t s e n g s t e m S c h  l e r k re i s g e h  r t e – Es war ein junger Student, der als Achtzehnjhriger nach K[nigsberg] gekommen war, und der sich dort zunchst A als Hrer in der theologistehen jetzt ... sich dort zunchst] Dieser Text (Bl. 188-192) ersetzt den teilweise gestrichenen, ursprnglichen Anfang dieser Vorlesung (Bl. 204-207). Der Text bricht Mitte der Seite (Bl. 192v) ab; die Fortsetzung (Bl. 193r: als Hrer) beginnt

A Wir

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schen Fakultt einschreiben liess. Aber das Studium der Theologie befriedigte ihn nicht – und bald waren es andere Interessen, die sein ganzes Denken in Anspruch nahmen. Er begann p h i l o s o p h i s c h e Vorlesungen zu hren – und nichts fesselte ihn mehr, als die Vorlesungen des Magister Kant – Wie diese Vorlesungen beschaffen waren: davon hat uns der junge Student in spterer Zeit ein sehr lebendiges und fesselndes Bild entworfen.– Es ist kein anderer als H e r d e r, der hier zu uns spricht und dem wir dieses Zeugnis ber Kants damalige Lehrttigkeit verdanken – ich will es im Wortlaut anfhren[.] ^ Herder ist in spteren Jahren einer der erbittertsten Gegner Kants geworden – und er hat diesem die scharfe Kritik, die er an seinen “Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit” gebt hat, nie verziehen – Aber an der Stelle, die ich Ihnen hier vorlegen will, und die aus seinen “Briefen zur Befrderung der Humanitt” stammt, spricht noch immer, obwohl auch sie einer viel spteren Epoche angehrt, die Erinnerung an die erste Jugendzeit – und hier bricht die Bewunderung und Verehrung fr den alten Lehrer noch einmal in voller Strke durch[.] & Dies Zeugn[is ist] um so bedeuts[amer,] als wir hier einmal K[ant] nicht nur als grossen Denker, sondern auch als g ro s s e n L e h re r kennen lernen und uns von der Wirkung ein Bild machen knnen, die sein a k a d e m i s c h e r Vo r t r a g a u f d e m K a t h e d e r bte – wenn er die rechten Zuhrer fand. “Ich habe das Glck genossen einen Philosophen kennen zu lernen, der mein Lehrer war[.] ^ ^(Er in seinen blhenden Jahren hatte die frhliche Munterkeit eines Jnglings, die, wie ich glaube, ihn auch in sein greisestes Alter begleitet.) Seine zum Denken gebauete Stirn war ein Sitz unzerstrbarer Heiterkeit und Freude.)& & Der gedankenreichste Redefluss von seinen Lippen, Scherz und Witz und Laune standen ihm zu Gebot, und sein lehrender Vortrag war der unterhaltendste Umgang. Mit eben dem Geiste, mit dem er Leibniz, Wolff, Baumgarten[,] Hume prfte und die Naturgesetze Keplers, Newtons, der Physiker verfolgte, nahm er auch die damals erscheinenden Schriften Rousseaus, seinen E[mile] u[nd] seine N[ouvelle] H[ lo se] auf, wrdigte sie und kam immer zurck auf unbefangene Kenntnis der Natur und auf moralischen Wert des Menschen ... oben links. Der Text der ausrangierten Bltter (Bl. 204-207) wiederholt den gleichen Gedankengang wie Bl. 188-192 und endet mit dem gleichen Wortlaut (sich dort zunchst, Bl. 207v, unten rechts).

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Er munterte auf und zwang angenehm zum Selbstdenken, Despotismus war seinem Gemt fremd. Dieser Mann, den ich mit grssester Dankbarkeit und Hochachtung nenne, ist I[mmanuel] K[ant]: sein Bild steht angenehm vor mir.” 180 Wir wissen von Herder selbst, daß Kant es war, der ihn zuerst in die Schriften Humes u[nd] in die Schriften Rousseaus eingeweiht hat – und die letzteren machen auch auf i h n sofort den strksten Eindruck – Aber er sieht sie in einem neuen Licht – denn er tritt mit derjenigen F r a g e an ihn heran, die von frh an im Mittelpunkt seines Denkens stand – Das Problem der S p r a c h e u[nd] das der Po e s i e sind die beiden Grundfragen, um die Herders Denken von Jugend an kreist – In seiner Knigsberger Studienzeit waren ihm beide Probleme durch seinen zweiten Lehrer Joh[ann] Georg H a m a n n nahe gebracht worden – dessen Einfluss auf H[erder] damals fast noch den Kants bertraf und der fr seine ganze geistige Entwicklung von entscheidender Bedeutung gewesen ist – Aber es muss genug sein, hier den N a m e n Hamanns zu nennen: in seine Lehre knnen wir uns nicht vertiefen – A (einer der dunkelsten Schriftsteller, sibyllinische B Bltter, der “Magus im Norden” 181 ) Wa s f o l g t a u s Ro u s s e a u s T h e s e f  r d i e E n t w i c k l u n g d e r S p r a c h e u n d d e r Po e s i e ? Welche Frucht hat der Fortgang der intell[ektuellen] Kultur u[nd] die Verfeinerung der Sitten fr die S p r a c h e und die Po e s i e gebracht? C » Vo n d e n L e b e n s a l t e r n e i n e r S p r a c h e « D Aber – k a n n man eine s o l c h e Frage berh[aupt] a u f we r f e n ? E vertiefen –] danach zwischen den Zeilen: H[amann]’s Schriften vielleicht das Dunkelste u[nd] Schwierigste, was ... B sibyllinische] verbunden durch vertikalen Pfeil mit dem Verweis zwischen den Zeilen in Bleistift: Hamann / Bl. A / s. S[.] 184 C Welche Frucht ... gebracht?] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: Lsst sich diese These auch auf sie anwenden[?] Die Sprache des R[ousseau]’s[chen] Wilden, der allein in seinen Wldern lebt, kann ber den unartikulierten tierischen Laut nicht hinausgehen – / Fragmente? D » Vo n d e n L e b e n s a l t e r n e i n e r S p r a c h e «] am Rand: 1,151ff[.] 182 E a u f we r f e n ?] danach unleserliches Zeichen, dann gestrichen: seine Dichtung, wenn er etwas derartiges hat, knnte nicht ber die roheste Stufe des wilden Gesanges hinausgehen – Soll d i e s das Musterbild – A

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Mit dem naiven Fo r t s c h r i t t s g l a u b e n der Aufklrung mssen wir u n b e d i n g t b re c h e n !L Es ist nicht so, daß Sprache u[nd] Poesie um so gehaltvoller, tiefer, reicher werden je mehr sie sich verfeinern – je “gebildeter” sie werden. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall – es gibt einen Punkt, ber den die Sprache und die Poesie nicht hinausschreiten darf, wenn sie nicht alle Kraft, alle Energie, alle Ursprnglichkeit verlieren – und statt dessen in drren und toten Formeln erstarren soll! (Und in u n s e re r Zeit, bei allen modernen Nationen ist dieser Punkt lngst berschritten!L Bei A uns ist sowohl die Sprache wie die Poesie von der Hhe, die sie dereinst besessen hat, herabgesunken – und sie sinkt von Generation zu Generation weiter!L Seit der Zeit der G r i e c h e n haben sich Sprache u[nd] Poesie stndig r  c k l  u f i g bewegt!) B In ihrer J u g e n d – so erklrt H[erder] in den Fragmenten ber die d[eu]tsch[e] Litt[eratur] – da war die Sprache noch frisch, sinnlich, anschaulich, bilderreich, lebendig[.]L Spter e r s t a r r t sie mehr und mehr – sie wird begrifflich k l a r, d e u t l i c h – aber sie hrt auf[,] Sprache der E m p f i n d u n g , des G e f  h l s , der Phantasie und also der Sprache der D i c h t u n g zu sein[.]L Sie C wird drr, trocken, abstrakt, formelhaft[.] 183L Die Jugend der Sprache u[nd] die Jugend der Kunst – das hat es nur e i n m a l bei den Griechen und insbesondere bei H o m e r gegeben.

sollen wir die gebildete Sprache u[nd] die gebildete Poesie wegwerfen – und wieder zu den ersten Stufen zurckkehren – sollen wir d i e s e Anfnge als die wahre Sprache u[nd] die wahre Poesie des Menschengeschlechts ansehen?L Es ist klar, daß Herder eine solche Folgerung n i c h t z i e h e n k a n n u n d z i e hen will[ . ]L A b e r i n e i n e r Hinsicht nimmt er R[ousseau]’s These an[.] A Bei] bei B bewegt!)] danach zwischen den Zeilen: “ Vo n d e n L e b e n s a l t e r n e i n e r Sprache” C Sie] sie

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Haym[, Bd.] I, [S.] 185 (Fragmente)[:] “Homer trifft eben auf den Punkt, der schmal wie ein Haar und scharf wie die Spitze des Schwertes ist, wo Natur und Kunst sich in der Poesie vereinigten”[.] 184 Aber sollte [sich] diese Vereinigung wirklich nur e i n m a l in der Geschichte der Menschheit ereignet haben? Ist es wirklich so, daß seit den Tagen der Griechen keine ganz lebendige u[nd] lebenskrftige Sprache und keine A große Kunst mehr erschienen ist? daß a l l e s Folgende nur Falschheit, Schwche, Knstelei war – B So k a n n Herder nicht urteilen – und so hat er nicht C geurteilt – denn er war von frh an ein begeisterter Verehrer und Bewunderer von S h a k e s p e a re s K u n s t . Sie D erschien ihm als das Hchste, Grsste, Gewaltigste[,] was der menschl[iche] Geist im Gebiet der Dichtung hervorgebracht hat – Herder ist – neben Lessing, aber noch in viel strkerem Maße als Lessing – der grosse Vo r k  m p f e r fr Shakespeares Kunst – Die Menschen Shakespeares – das sind keine ausgeklgelten, von einem Poeten e r d a c h t e n Gestalten –L mit Hamlet, mit Lear, E mit Othello, mit Desdemona, oder Ophelia –L mit ihnen allen l e b e n wir – als wenn sie mitten unter uns stnden – F ganz lebendige ... und keine] ber der Zeile und dieser Stelle zugewiesen Knstelei war –] danach z. T. mehrfach gestrichen: ^ Oft [ber der Zeile; ersetzt gestrichen: In den F r a g m e n t e n ] scheint Herder dies noch anzunehmen[:] “Die Dichtkunst[”], – so sagt er in dem Aufsatz “ber Ossian und die Lieder alter Vlker” – [“]die die strmendste sicherste Tochter der menschlichen Seele sein sollte, ward die ungewisseste, lahmste, wankendste – die Gedichte sein oft korrigierte Knaben- und Schulexerzitien” (Haym[, Bd.] I, [S.] 445)[.]L Aber haben wirklich a l l e Dichter nach den Griechen, haben alle Modernen nur »Knaben[-] und Schulexerzitien« zu stande gebracht? & C nicht] ersetzt gestrichen: zu keiner Epoche seines Lebens D Sie] davor gestrichen (quer im durchgestrichenen Text: ein dreifach unterstrichenes A ) : Auch jede andere Kunst, auch Plastik und Architektur muss AusdrucksKunst sein / Das geht G[oethe] in Straßburg beim Anblick des Straßburger Mnster auf – / Sinn der Gothik / D i e s e c h a r a k t e r i s t [ i s c h e ] K u n s t i s t n u n d i e e i n z i g wa h re / Aber G o e t h e leistet, was Herder gefordert hatte. / D[.] u[.] W. X, L o e p e r [ , B d . ] 21, [ S . ] 17 9 . E Lear,] danach gestrichen: mit Richard II, F stnden –] danach gestrichen: Und das G e s c h e h e n , das Shakespeares Drama uns vor Augen stellt – / das erfassen wir nicht als ein Vergangenes, Gewesenes in der Form des blossen Berichts – / wir erleben es gleich dem Schicksal selbst A B

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das ist kein blosses S p i e l auf dem Theater – es ist das Leben, das Schicksal, die Natur s e l b s t ! “ M i r i s t , we n n i c h i h n l e s e , T h e a t e r, A k t e u r, K u l i s s e ve r s c h w u n d e n . L a u t e r e i n z e l n e i m S t u r m e d e r Z e i t e n we h e n d e B l  t t e r a u s d e m B u c h e d e r B e g e b e n h e i t e n , d e r Vo r s e h u n g , d e r We l t ”! 185L (Also auch Shakespeare ist »Natur« – wie die Griechen Natur sind[.])L “Wer bei einem Stcke wie Hamlet Brettergerst fhlt und eine Reihe gebundener artiger Gesprche – fr den hat Shakespeare und Sophokles, kein wahrer Dichter der Welt gedichtet!” 186 Und nun das Dritte: zu den Griechen, zu Shakespeare tritt das Vo l k s l i e d – denn auch dies ist reine N a t u r dichtung!L Sie sehen, welch merkwrdige und vielfltige Wandlung Rousseaus N a t u r b e g r i f f bei Herder erfahren hat – A Fr R[ousseau] bedeutet “Natur” das, was am A n f a n g der Zeiten und am A n f a n g der menschlichen Entwicklung steht – In s e i n e Ausmalung des Naturzustandes mischen sich unverkennbar u r a l t e m y t h i s c h e u n d re l i g i  s e Motive – Die alten Erzhlungen von einem verschwundenen g o l d e n e n Z e i t a l t e r d e r M e n s c h h e i t haben hier eingewirkt – Aber wir spren auch den E i n f l u s s d e r B i b e l – Die “Natur”, zu der uns R[ousseau] zurckfhren will, das ist d a s ve r l o re n e Pa r a d i e s d e r M e n s c h h e i t – jenes Paradies, das fr immer dahin war, seit der Mensch einmal die F r u c h t vo m B a u m e d e r E r k e n n t n i s gegessen – Auch auf Herder haben alle diese Motive unverkennbar gewirkt – Aber er vollzieht nun hier eine neue, grosse Wendung – Die “Natur” ist nicht schlechthin ve r g a n g e n u n d ve r s u n k e n – Sie ist kein verlorenes Paradies, dem wir nachtrauern, nach dem wir uns zurcksehnen knnen – ohne es jemals wieder erreichen zu knnen – Dieses Paradies kann i n j e d e m Au g e n b l i c k u n d mitten unter uns neu erstehen – erfahren hat –] danach gestrichen: Die »Natur«, die er meint, ist nicht die des Rousseauschen Wilden, der einsam in seinen Wldern umherstreift – Natur d i c h t u n g – das heisst griechische Dichtung, Shakespeares Dichtung, Volksdichtung[.] Aber gibt es hier noch irgend ein ve re i n i g e n d e s Moment?

A

[Achte Vorlesung: Sturm- und Drangbewegung – Rousseau und Herder] 97

es kann in jedem Zeitalter der Menschheit w i e d e r z u m L e b e n e r we c k t we r d e n – aber damit es in dieser Weise erweckt wird – damit die Menschheit sich von den Fesseln der K o n ve n t i o n lst und wieder den Weg zur Wa h r h e i t [,] zur U r s p r  n g l i c h k e i t , zur Natur zurckfindet[,] dazu bedarf es einer neuen K r a f t , die immer wieder diese Fesseln zerbricht –L Diese Kraft ist die Kraft des G e n i e s –L Die Natur ist uns nicht ve r l o re n , nicht ve r s u n k e n –L Wo ein wirklich grosses G e n i e auftritt – da stehen wir wieder m i t t e n i n d e r N a t u r A “Mit dem Genius steht die Natur im ewigen Bunde” 187 – “dem Dichter schlgt keine Uhr auf Turm u[nd] Tempel![”] 188 So denkt auch H e r d e r [.] B Jetzt sehen wir auch, was in Herders Geist das G r i e c h e n t u m , S h a k e s p e a re , das Vo l k s l i e d miteinander vereint – An sich scheinen dies alles ja hchst h e t e ro g e n e Dinge zu sein – Was hat Homer, Pindar, Aeschylus, Shakespeare – so knnte man fragen – mit einem kleinen littauischen oder Eislndischen Volkslied zu tun?L Und doch s c h e i d e t H[erder] beides nirgends – Wenn wir seine Sammlung der Volkslieder aufschlagen oder wenn wir seine Schrift “ber Ossian und die Lieder alter Vlker” lesen, so sind wir immer wieder erstaunt, b e i d e s S e i t e a n S e i t e z u f i n d e n . Ein ganzes Buch der H[erder]’schen Sammlung enthlt a u s s c h l i e s s l i c h L i e d e r, d i e a u s d e n We r k e n S h a k e s p e a re [ s ] z u s a m m e n g e s t e l l t s i n d [,] ja selbst in solche[n] Dichter[n] wie Sappho oder Anakreon, wie Katull oder Lukrez will H[erder] noch echte Spuren dessen finden, was er mit dem Namen “ Vo l k s d i c h t u n g ” bezeichnet – Man sieht daraus, daß dieser Name fr ihn nicht d a s s e l b e besagt, was er f  r u n s besagt –L denn fr uns pflegt ja schon der Umstand, daß wir den Ve r f a s s e r eines Liedes kennen, zu gengen, um es zur K u n s t d i c h t u n g , nicht zur Vo l k s d i c h t u n g zu stimmen.

N a t u r ] danach zwischen den Zeilen und gestrichen: bei Shakespeare spren wir nicht die Bhne, das Brettergerst, / wir fragen nicht nach der Einh[eit] v[on] Raum u[nd] Zeit – jeder echte D i c h t e r schafft seinen / e i g e n e n Raum, seine eigene Zeit. B So denkt auch H e r d e r.] danach auf neuer Zeile gestrichen: Denn was bedeutet “Genie” anderes – A

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Der junge Goethe I.

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Bei H[erder] ist das keineswegs der Fall – und er zieht daher den Titel “ M e n s c h h e i t s l i e d e r ” bisweilen dem Titel » Vo l k s l i e d e r « vor. Er A wollte seine Sammlung geben – “als eine lebendige Stimme aller Vlker, ja der Menschheit selbst, wie sie in allerlei Zustnden sich mild und grausam, frhlich und traurig, scherzhaft und ernst, hier und da sich hren lsst, allenthalben fr uns belehrend”1 Solche M e n s c h h e i t s s t i m m e n hren wir berall – sie knnen in den einfachsten Liedern eines ungebildeten Volkes erklingen[,] aber sie werden auch in jedem Augenblick wieder lebendig – wo eine wirkliche, echte, große dichterische N a t u r u[nd] das heisst wo[,] ein großes dichterisches G e n i e zu uns spricht B [.] Und C nun d i e Wi r k u n g vo n a l l e d e m a u f G o e t h e ! 1

uns belehrend”] danach rechtsbndig auf neuer Zeile: Suph[an, Bd.] XXV, S. X[.]

Er] er zu uns spricht] zwischen den Zeilen und z. T. mehrfach gestrichen: (wo Homer, Aeschylos, Pindar, Shakespeare zu uns sprechen –) wo wir S c h  p f u n g , nicht N a c h a h m u n g vor uns sehen – wo ein ganz e c h t e r, u r s p r  n g l i c h e r, i n d i v i d u e l l e r Ton erklingt – (wo nicht Ve r s t e l l u n g , G e z i e r t h e i t , K o n ve n t i o n herrscht)[,] sondern ein reines und starkes Gefhl sich frei und unverstellt g i b t a l s d a s , wa s e s i s t [,] und wo wir auf jede ussere W i r k u n g verzichten – wo der Knstler u[nd] der Mensch nicht [durchgestrichen: w i r k e n wollen – sondern einfach sein und sich als das, was sie sind] bloss s c h e i n e n – und ebensowenig bloss nach aussen w i r k e n wollen, sondern sich lediglich in ihrem reinsten und tiefsten Sinn a u s s p re c h e n wollen[.] Kunst ist nicht absichtliche W i r k u n g auf andere – dies fhrt immer nur zur “Knstelei” – sie ist unbefangene Aussprache, natrlicher Ausdruck dessen, was den Menschen im Innersten bewegt – Und auf d i e s e Weise erleben wir alle wa h r h a f t e Kunst: alle Kunst des G e n i e s – Genie kann im Kleinsten u[nd] Grssten, im einfachsten Volkslied wie bei Shakespeare oder Pindar sein, sofern in ihm »Natur« d. h. UrsprnglichA B

keit ist[.] Und] davor gestrichen: schlagen, so finden wir zu unserem Erstaunen, daß sie eine grosse Zahl von Liedern enthlt, die Herder aus den Dramen Shakespeares gesammelt hat – Daher sprach er statt von “Volksliedern” auch oft einfach von » M e n s c h h e i t s liedern«

C

[Achte Vorlesung: Sturm- und Drangbewegung – Rousseau und Herder] 99

Welchen Begriff von Poesie hatte G[oethe] bis dahin gehabt? [“]Ich ward mit der Poesie A [von einer ganz andern Seite, in einem andern Sinne bekannt als bisher, und zwar in einem solchen, der mir sehr zusagte. Die hebrische Dichtkunst, welche er nach seinem Vorgnger Lowth geistreich behandelte, die Volkspoesie, deren Ueberlieferungen im Elsaß aufzusuchen er uns antrieb, die ltesten Urkunden als Poesie, gaben das Zeugniß, daß die Dichtkunst berhaupt eine Welt- und Vlkergabe sei, nicht ein Privaterbtheil einiger feinen, gebildeten Mnner. Ich verschlang das Alles, und je heftiger ich im Empfangen, desto freigebiger war er im Geben, und wir brachten die interessantesten Stunden zusammen zu. ... Was die Flle dieser wenigen Wochen betrifft, welche wir zusammen lebten, kann ich wol sagen, daß Alles, was Herder nachher allmhlich ausgefhrt hat, im Keim angedeutet ward, und daß ich dadurch in die glckliche Lage gerieth, Alles, was ich bisher gedacht, gelernt, mir zugeeignet hatte, zu kompletiren, an ein Hheres anzuknpfen, zu erweitern”.] 189 In Leipzig war er noch der Schler G e l l e r t s , von dem er sich seine Dichtungen korrigieren liess – Wer war Gellert? Und wie dachte G[oethe] ber die Aufgabe der Dichtung? das Charakterist[ische] seine Fa b e l [,] etc. BL dem der nicht viel Verstand besitzt! 190 – Richardson  b e r Homer! C191 Moral[ische] Dichtung – und gesellsch[aftliche] Dichtung Goethe: Dichtung – et prodesse volunt et delectare poetae – 192 Nun der U m s c h w u n g : “Poetischer Gehalt ist Gehalt des eigenen Lebens”.193 Nur was aus dem eigenen Leben quillt, kann Naturwahrheit, kann dichterische Wahrheit, – und kann somit “Schnheit” haben –L

“er wollte eine Sammlung geben “als eine lebendige Stimme der Vlker, ja der Menschheit selbst, wie sie in allerlei Zustnden sich mild und grausam, frhlich und traurig, scherzhaft und ernst, hier und da sich hren lsst, allenthalben fr uns belehrend” (Suphan[, Bd.] XXV, S. X)[.] Unter d i e s e Stimmen konnte er nicht nur S h a k e s p e a re , sondern auch Aeschylus, Sophokles, P i n d a r, ja selbst K a t u l l und Lukrez reihen[.] danach am Rand mit Linie verbunden: [Suphan, Bd.] X X V, [ S . ] 313 f f . A Ich ward mit der Poesie] mit langer Linie verbunden mit: S. 20 verso! Das hier

begonnene Zitat findet sich auf S. 20 verso im Manuskript des ersten Entwurfs zu Der junge Goethe (Box 41, folder 806). Die dortige Auslassung im Zitat ist auch in Cassirers Handexemplar der Loeper Ausgabe eingeklammert. das Charakteristische seine Fa b e l , etc.] ber gestrichen: Moralische Dichtung Richardson  b e r Homer!] ber der Zeile und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen

B

C

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Der junge Goethe I.

In seiner Straßburger Zeit fasst Goethe dies alles[,] in bereinst[immung] mit Herder, in dem Ausdruck der “charakteristischen Kunst”194 zusammen!L Nicht nur die Dichtung, sondern auch jede andere Kunst, auch die bildende Kunst, die Plastik, ja die Architektur muss Au s d r u c k s - Ku n s t – charakteristische Kunst sein[.] Das geht Goethe in Straßburg beim Anblick des Straßburger Mnsters auf – wo sich ihm zuerst der S i n n d e r G o t i k als Ausdrucks-Kunst erschliesst.1 “Sie wollen euch glauben machen, die schnen Knste seien entstanden aus dem Hange, den wir haben sollen, die Dinge rings um uns zu verschnern. Das ist nicht wahr! ... In dem Menschen ist eine bildende Natur, die gleich sich ttig beweist, wenn seine Existenz gesichert ist. Sobald er nichts zu sorgen und zu frchten hat, greift der Halbgott (der Mensch) wirksam in seiner Ruhe, umher nach Stoff, i h m s e i n e n G e i s t e i n z u h a u c h e n ... Lasst diese Bildnerei aus den willkrlichsten Formen bestehen; sie wird ohne Gestaltsverhltnis zusammenstimmen, denn E i n e Empfindung schuf sie zum charakteristischen Ganzen. D i e s e c h a r a k t e r i s t i s c h e K u n s t i s t n u n d i e e i n z i g wa h re . Wenn sie aus inniger, einiger, eigner selbststndiger Empfindung um sich wirkt, unbekmmert, ja unwissend alles Fremden, da mag sie aus rauher Wildheit oder aus gebildeter Empfindsamkeit geboren werden – sie ist ganz und lebendig” – 195 Es ist in der Tat die Q u i n t e s s e n z vo n H e r d e r s Po e t i k , die G[oethe] hier mit wenigen Strichen gegeben hat – in unvergleichlicher Klarheit und in strkster Konzentration und Intensivierung des Gedankens – Und s o sieht G[oethe] fortan vor allem die Dichtung –2 Das neue N a t u r g e f  h l – das Gefhl fr die L a n d s c h a f t [–] es bricht aus lebendiger A n s c h a u u n g hervor – es ist nicht erst durch H e r d e r in ihm geweckt – er lebt nicht mehr, wie in Frankfurt oder Leipzig, in einer Grossstadt – sondern in der freien Natur und wird mit ihr in einem ganz anderen Sinne ve r t r a u t – er fhlt ihre Nhe und wird aufmerksam auf die feinsten Nuancen – erschliesst.] danach zwischen den Zeilen: [WA, Bd.] 37, [S.] 148 f. Dichtung –] danach auf neuer Zeile: cf. D[.] u[.] W. X[. Buch], L o e p e r [ , B d . ] 21, [ S . ] 17 9 ! cit 196 1 2

[Achte Vorlesung: Sturm- und Drangbewegung – Rousseau und Herder] 101

auf jeden Wechsel der At m o s p h a e re – auf all das vielfltige L e b e n um ihn herum[.] Das ist die grosse Gabe des Dichters Goethe u[nd] des Naturforschers Goethe –L und d i e s e Art des Sehens und des Fhlens hat er zuerst in Straßburg, in dem steten Umgang mit der elsss[ischen] Landschaft in sich ausgebildet[.]1

1

5 [.]

ausgebildet.] danach zentriert auf neuer Zeile: s . M o r r i s [ , B d . ] I I , [ S . ]

D E R J U NG E G O E T H E I I . [Vorlesung gehalten Sommersemester (Vrterminen) 1941 an Gteborgs Hgskola]

[MSS 355, Box 1]

[Erste Vorlesung: Strassburg und Sesenheim. – Die Lyrik des jungen Goethe. 29. I.41] 197 Drittes Kapitel: Straßburg und Sesenheim A Am 2[.] April 1770 trifft Goethe in Straßburg ein[.] Und hier in dieser neuen Umgebung erwacht er zu einer Art von neuem Leben. Kurz zuvor ist er ein schwer Kranker gewesen. Ein Blutsturz, der ihn in Leipzig befiel, hat ihn fast an den Rand des Grabes gebracht. Dann ist er im elterlichen Hause in Frankfurt unter der sorgsamen Pflege der Mutter und der rzte langsam genesen. Aber Wochen und Monate lang blieb er an sein Krankenzimmer gefesselt. Um sich zu zerstreuen und abzulenken[,] hat er Mancherlei versucht. Er hat sich grblerisch in die Geheimnisse der Natur versenkt; er hat mystische, magische, alchymistische Bcher studiert. Aber jetzt fllt dies alles pltzlich von ihm ab. Er fhlt sich dem Leben zurckgegeben, und er sieht das Leben in einem neuen Licht. Er empfindet wie Faust – in jener ersten grossen Szene, in der er den Erdgeist beschwrt: “Umsonst, daß trocknes Sinnen hier – Die heil’gen Zeichen Dir erklrt[.] Ihr schwebt[,] ihr Geister, neben mir – Antwortet mir, wenn Ihr mich hrt”[.] 198 Und die Geister hren ihn. Mit tausend Stimmen, die er nie zuvor vernommen, spricht jetzt die Natur zu ihm. Alles belebt sich um ihn her; und alles ist Licht und Glanz, Farbe und Duft[:] Wie herrlich leuchtet Mir die Natur! Wie glnzt die Sonne, wie lacht die Flur! Es dringen Blten aus jedem Zweig, Und tausend Stimmen Aus dem Gestruch, Und Freud und Wonne aus jeder Brust. O Erd, o Sonne o Glck o Lust.199 Es ist ein neues L e b e n s g e f  h l , das hier mit elementarer Gewalt zum Durchbruch kommt – und dieses mchtige und berstrmende Gefhl drckt G[oethe]’s gesamter Jugenddichtung seinen Stempel auf. B »Ich saug an meiner Nabelschnur – Nun Nahrung aus der Welt. Drittes Kapitel: ... Sesenheim] im Ms. hervorgehoben; am rechten Rand: G o e t h e - Vo r l e s u n g e n / G  t e b o r g 19 4 0 / 41 / darunter mit Bleistift: I B Es ist ... Stempel auf.] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: Das ist die Stimmung der Straßburger Zeit – und in dieser Stimmung wird Goethe zum grossen Liebenden und zum großen Dichter. A

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Der junge Goethe II.

Und herrlich rings ist die Natur[,] Die mich am Busen hlt«[.] 200 So lautet der Anfang eines Gedichts, das Goethe spter, bei einer Fahrt ber den Zricher See gedichtet hat. So empfindet er auch hier. Er fhlt sich geborgen; er fhlt sich eins mit der Natur; er ruht an ihrem Busen, wie ein Kind am Busen der Mutter. Der deutlichste und unmittelbarste Ausdruck dieses neuen Lebensgefhls ist die S p r a c h e , die der junge Goethe von jetzt ab sprechen wird. Es ist nicht mehr dieselbe, die Goethe in Leipzig gesprochen hat. In Leipzig war Goethes Sprache noch gebunden und eingeengt durch bestimmte konventionelle Rcksichten – durch das, was man damals in Deutschland A den guten litterarischen “Geschmack” nannte. Jetzt ist sie ganz frei geworden; sie hat sich von allen Fesseln gelst. Wie ein Sturzbach, der alle Dmme durchbrochen hat, strmt sie dahin. Wir hren diese neue Sprache nicht nur in G[oethe]’s Dichtung; sondern auch in seinen einfachsten usserungen; – vor allem in seinen B r i e f e n . Was sie auszeichnet, ist eine seltene Verbindung: die Verbindung von hchster B e s e e l t h e i t und hchster B e s t i m m t h e i t . Sie ist Ruhe und Bewegung i n e i n e m ; sie zeigt die strkste D y n a m i k und sie zeigt eine großartige P l a s t i k . Sie ist vom leidenschaftlichsten G e f  h l erfllt und sie ist ganz von A n s c h a u u n g gesttigt. Goethes Sprache besitzt jetzt die Gabe, die feinsten seelischen Regungen und die zartesten Stimmungen zum Ausdruck zu bringen – und sie gibt uns zugleich den klarsten Umriss der Dinge. Sie gibt die feste Fo r m der Gegenstnde wieder; aber sie gibt zugleich ihren Schimmer, ihren Duft, die eigentmliche Atmosphaere, die um sie liegt. All dies lsst sich kaum beschreiben – aber ich will versuchen, es Ihnen wenigstens durch ein Beispiel nher zu bringen. Ich gebe Ihnen eine Stelle aus einem Brief Goethes, der kurz nach dem Eintreffen G[oethe]’s in Straßburg geschrieben ist; er ist vom 2 7 [ . ] J u n i 17 7 0 datiert. Goethe beschreibt hier eine kleine Reise, die ihn ins Lothringische Gebirge gefhrt hat – ich hoffe, Sie werden, wenn ich die Stelle lese, den eigentmlichen Zauber von G[oethe]’s Sprache, ihre Melodie und ihren Rhythmus B spren – Morris[, Bd.] II, [S.] 5: C [“]Gestern [waren wir den ganzen Tag geritten, die Nacht kam herbey und wir kamen eben aufs Lothringische Gebrg, da die Saar im lieblichen Thale unten vorbey fliesst. Wie ich so rechter Hand ber die grne Tiefe hinaussah und der Fluss in der Dmmerung so graulich und still floss, und linker Hand die schweere Finsterniss des man damals in Deutschland] ber gestrichen: Gottsched oder Gellert Rhythmus] danach gestrichen: – ihre Kraft und ihre Flle; Gedankenstrich bei Tilgung stehengeblieben C Morris, Bd. II, S. 5:] vom linken Rand her weist ein lngerer Pfeil auf diese Stelle A B

[Erste Vorlesung: Straßburg und Sesenheim]

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Buchenwaldes vom Berg ber mich herabhing, wie um die dunklen Felsen durchs Gebsch die leuchtenden Vgelgen still und geheimnissvoll zogen; da wurds in meinem Herzen so still wie in der Gegend und die ganze Beschweerlichkeit des Tags war vergessen] wie ein Traum[”.] A201 Und nun kommt, kurz darauf, das grosse Erlebnis, das Goethe erst ganz z u m D i c h t e r m a c h t . Ich will auch dieses Erlebnis, ich will die Liebe zu Friederike Brion hier nicht im einzelnen zu schildern versuchen. B Das Bild, das G[oethe] von ihm in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] entworfen, hat sich Jedem von uns, der diese Darstellung gelesen, unauslschlich eingeprgt. Auch hier darf ich also fr jedes Detail auf G[oethe] selbst verweisen. Ich wende mich sofort der Dichtung Goethes, den S e s e n h e i m e r Liedern, zu. ^ Kleine Blumen, kleine Bltter1 (bergang vom »Rokoko« zur neuen dichterischen Form)& Es schlug mein Herz – Die Geschichte dieses Liedes hat uns G[oethe] in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] erzhlt. Es ist im Mrz 1771; das Frhjahrssemester hat geschlossen. G[oethe] hat an einem medizinischen Klinikum teilgenommen – der Professor hat am Schluss seine Hrer ermahnt, nicht zu fleissig zu sein, sondern sich Bewegung in freier Luft zu machen C[.] K l e i n e B l u m e n , k l e i n e B l  t t e r ] danach verbunden mit einem Pfeil: Morris[, Bd.] II, [S.] 58[.] 1

Der deutlichste ... wie ein Traum”.] danach untere Hlfte der S. (Bl. 131rv) leer; ersetzt gestrichen am Ende von Bl. 130v: Dieses Gefhl lsst sich nicht beschreiben – und ich kann es Ihnen nicht nher bringen. Sie mssen es selbst in sich herstellen, indem Sie sich in die Goethischen Lieder dieser Zeit versenken. Nur an einem einzelnen Beispiel will ich Ihnen zu zeigen versuchen, wie unter dem Einfluss dieses neuen L e b e n s g e f  h l s auch der S t i l Goethes eine innere Wandlung erfhrt. In den Briefen, die er damals geschrieben, hren wir mit einem Male eine neue S p r a c h e , die er in Frankfurt oder Leipzig noch nicht gesprochen hat. Alles Zierliche, Prezise, Gesuchte ist pltzlich verschwunden; es herrscht ein neuer, ganz schlichter Ton; aber zugleich hat Goethes Sprache jetzt die Fhigkeit gewonnen, die zartesten Umrisse der Dinge festzuhalten; die feinsten Nuancen der Landschaft wiederzugeben, den Wechsel und Wandel der Atmosphaere sprbar zu machen – “Gestern waren wir den ganzen Tag geritten” – so schreibt Goethe in einem Brief vom 27[.] Juni 1770 ... / – wie ein Traum danach weist ein Pfeil auf: M o r r i s [ , Bd.] II, [S.] 5 B versuchen.] danach gestrichen: Es stand noch fr den 63 jhrigen Goethe [ber gestrichen: Dichter], als er in »Dichtung und Wahrheit« die Sesenheimer Zeit darstellte, in voller Frische vor Augen; und; danach: das gendert in: Das C machen] danach gestrichen: und zu Fuss und zu Pferde das schne Land, das Elsaß zu durchwandern A

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Der junge Goethe II.

[“]Meine1 Herren A[! Wir sehen einige Ferien vor uns. Benutzen Sie dieselben, sich aufzumuntern; die Studien wollen nicht allein ernst und fleißig, sie wollen auch heiter und mit Geistesfreiheit behandelt werden. Geben Sie Ihrem Krper Bewegung, durchwandern Sie zu Fuß und zu Pferde das schne Land; der Einheimische wird sich an dem Gewohnten erfreuen, und dem Fremden wird es neue Eindrcke geben und eine angenehme Erinnerung zurcklassen. Es waren unser eigentlich nur Zwei, an welche diese Ermahnung gerichtet sein konnte; mge dem Andern dieses Rezept ebenso eingeleuchtet haben als mir! Ich glaubte eine Stimme vom Himmel zu hren und eilte, was ich konnte, ein Pferd zu bestellen und mich sauber herauszuputzen. Ich schickte nach Weyland, er war nicht zu finden. Dies hielt meinen Entschluß nicht auf; aber leider verzogen sich die Anstalten, und ich kam nicht so frh weg, als ich gehofft hatte. So stark ich auch ritt, berfiel mich doch die Nacht. Der Weg war nicht zu verfehlen, und der Mond beleuchtete mein leidenschaftliches Unternehmen. Die Nacht war windig und schauerlich; ich sprengte zu, um nicht bis morgen frh auf ihren Anblick] B warten zu mssen[”.]202 Und nun hren Sie das Gedicht – um zu empfinden, wie es ganz dieser einmaligen, augenblicklichen, individuellen Lage entsprungen ist – und wie es diesen Lebensaugenblick auf der andern Seite in hchster Bestimmtheit festzuhalten weiss – wie es ihm die hchste plastische Darstellung gibt und ihn dadurch knstlerisch objektiviert M o r r i s [ , B d . ] I I , [ S . ] 5 9 2 (Nb. e r s t e Fassung!)[:] 203 [Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde, Und fort! wild wie ein Held zur Schlacht. Der Abend wiegte schon die Erde Und an den Bergen hieng die Nacht. Schon stund im Nebelkleid die Eiche Wie ein gethrmter Riese da, Wo Finsterniss aus dem Gestruche Mit hundert schwarzen Augen sah. 1

Meine] davor, am Rand: D u W. X I [ . B u c h ] , L o e p e r [ , B d . ] 2 2 , [ S . ]

8 [.] 2

M o r r i s , B d . I I , S . 5 9 ] am Rand: Morris[, Bd.] II, [S.] 59[.]

Meine Herren] Meine Herren ... ber gestrichen: “Ich glaubte eine Stimme; danach verbunden durch ein Pfeil: warten zu mssen B mssen”.] mssen”.) keine ffnende Klammer A

[Erste Vorlesung: Straßburg und Sesenheim]

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Der Mond von einem Wolkenhgel, Sah schlfrig aus dem Dunst hervor; Die Winde schwangen leise Flgel, Umsausten schauerlich mein Ohr; Die Nacht schuf tausend Ungeheuer – Doch tausendfacher war mein Muth; In meinen Adern welches Feuer! In meinem Herzen welche Gluth! Dich sah ich, und die milde Freude Floß von dem sßen Blick auf mich. Ganz war mein Herz an deiner Seite, Und ieder Atemzug fr dich. Ein rosenfarbes Frhlings Wetter Umgab das liebliche Gesicht, Und Zrtlichkeit fr mich – Ihr Gtter! Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht! Doch ach! schon mit der Morgensonne Verengt der Abschied mir das Herz: In deinen Kssen welche Wonne! In deinem Auge welcher Schmerz! Ich gieng, du standst und sahst zur Erden, Und sahst mir nach mit nassem Blick; Und doch, welch Glck! geliebt zu werden, Und lieben, Gtter, welch ein Glck!] Die Trennung von Friederike bildet eines der schwierigsten und dunkelsten Probleme in Goethes Lebensgeschichte. Warum hat er dieses Mdchen, das er so leidenschaftlich und hingebend geliebt hat, pltzlich verlassen? Die Goethe-Forschung hat immer wieder versucht, diese Frage zu beantworten. Es gibt eine ganze Litteratur ber diese Frage – aber sie ist in vieler Hinsicht recht unerfreulich. A Es ist freilich das Recht und die Pflicht der Forschung, sich in alles zu versenken, was uns das Leben Goethes nher bringen und was zum Verstndnis seiner Dichtung beitragen kann. Aber es gibt auch eine Grenze, die wir nicht berschreiten sollten. Die Wissbegierde darf niemals zur gewhnl[ichen] Neugierde werden – und dies ist leider bei der Behandlung dieses Themas oft geschehen. Goethe selbst hat in Dichtung u[nd] Wahrheit verschiedene Grnde fr seine Trennung von Fr[iederike] angefhrt. Er erwhnt unerfreulich.] unerfreulich; danach gestrichen: sie ist nicht selten ins Trichte und Abgeschmackte verfallen.

A

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Der junge Goethe II.

u[nter] and[erem], daß Fr[iederike] anders auf ihn wirkte, als er sie, die er bisher nur in ihrer lndlichen Umgebung, im Pfarrhaus zu Sesenheim gesehen, zum ersten Mal bei einem Besuch in der Stadt u[nd] m[it] stdt[ischer] Kleidung A sah. Aber in alledem sprt man deutlich, daß er uns nicht das Wesentliche, das eigentlich-Entscheidende sagt. Die letzten Tiefen will er uns hier nicht sehen [lassen] – er bedeckt sie mit einem Schleier. Knnen und drfen wir diesen Schleier heben? Die GoetheP h i l o l o g i e hat es bisher nicht vermocht – und von ihr allein werden wir eine Entscheidung der Frage nicht erwarten drfen. Denn B es ist und bleibt misslich, wenn die Wissenschaft es wagt, an diese zartesten menschlichen Geheimnisse zu rhren. Zu dem Tiefsten und Innerlichsten des seelischen Daseins hat die Wissenschaft keinen Zugang. Hier kann nur die Kunst unser Fhrer und Wegweiser sein. Und in der Tat bewhrt sich auch an diesem Punkt Goethes D i c h t u n g als der lauterste und untrglichste Spiegel seines Lebens und seines innersten Wesens. Sie allein kann uns das rechte Verstndnis erschliessen. Und es gilt vor allem zu ve r s t e h e n , ehe wir u r t e i l e n knnen. Man hat oft den Standpunkt vertreten, daß ein U r t e i l hier berhaupt nicht mglich und nicht zulssig sei. Denn das Leben des Genies stehe ausserhalb der Grenzen des Sittlichen. Es liege “jenseits von Gut und Bse” und sei keinem sittlichen Maßstab unterworfen. Und dies gelte insbesondere fr den grossen Knstler; er drfe sich ber alle Schranken und Rcksichten hinwegsetzen; er habe einen Freibrief auf alles und jedes. ber das Recht dieser Auffassung will ich hier nicht streiten – aber sicher ist, daß dies nicht die Auffassung Goethes war. Goethe war freilich berzeugt, daß der grosse Mensch das Recht habe, sich in den wichtigsten Entscheidungen seines Lebens ber alles hinwegzusetzen, was lediglich dem Herkommen entspringt, was auf blossem Vorurteil oder sozialer Konvention beruht. Aber im rein Menschlichen – in der Weite des menschlichen Verstndnisses und in der Strke des menschlichen Mitgefhls – da forderte G[oethe] vom G e n i e nicht

und mit stdtischer Kleidung] in Bleistift ber: Stadt sah. Denn] Seite beginnt mit z. T. mehrfach gestrichenen: Die Goethe- P h i l o l o g i e hat es bisher nicht vermocht; und von ihr a l l e i n werden wir die Antwort kaum erwarten drfen. Auch ist und bleibt es immer ein misslicher und fragwrdiger Versuch, wenn man es unternimmt, mit wissenschaftlichen Mitteln an solche zartesten menschlichen Geheimnisse zu rhren und in die intimsten Beziehungen, in die Beziehungen zwischen Mann und Frau eindringen zu wollen. Wenn es hier fr uns einen Fhrer und Wegweiser geben soll, so kann nur Goethes D i c h t u n g dieser Wegweiser sein: denn sie ist der lauterste Spiegel und die getreueste Offenbarung seines innersten Daseins. Sie allein weist uns auch den rechten S t a n d o r t des Urteils an. Wir wollen nicht loben oder tadeln; wir wollen in erster Linie ve r s t e h e n . A B

[Erste Vorlesung: Straßburg und Sesenheim]

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Weniger, sondern Mehr. Denn die Universalitt, die Kraft und Tiefe dieses Mitgefhls – das war fr ihn eben derjenige Zug, der fr ihn das Genie, und der insbesondere den grossen D i c h t e r kennzeichnet. Gerade G[oethe] gegenber knnen wir also den Maßstab nicht hoch und nicht streng genug whlen. Er selbst hat, berall wo er auf A den Bruch mit Fr[iederike] zu sprechen kommt, diesen Maßstab angelegt. Er hat sein Leben lang in dem Abschied von Fr[iederike] eine tragische Schuld gesehen – eine Schuld, in die er sich absichtslos, ohne seinen Willen verstrickt sah – aber die nichtsdestoweniger schwer auf ihm lastete. Im Widerschein von G[oethe]’s Dichtung begegnen wir immer wieder diesem Gefhl. Der Schatten Fr[iederiken]’s tritt uns in der Maria des Gtz, in der Marie Beaumarchais des Clavigo entgegen. Wir wssten dies – auch wenn es uns G[oethe] selbst nicht gesagt htte. “Zu der Zeit als der Schmerz ber Fr[iederikens] Lage mich bengstigte[”] – so sagt er in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit]1 – [“]suchte ich nach meiner alten Art abermals Hilfe bei der Dichtkunst. Ich setzte die hergebrachte poetische Beichte wieder fort, um durch diese selbstqulerische Bssung einer inneren Absolution wrdig zu werden. Die beiden Marien in Gtz v[on] Berl[ichingen] u[nd] Clavigo und die beiden schlechten Figuren, die ihre Liebhaber spielen, mchten wohl Resultate solcher reuigen Betrachtungen gewesen sein.” Aber wa s hat G[oethe] gegenber Fr[iederike] zu bereuen – und was war es, was ihn nicht losliess, wenn er an sie zurckdachte? Sie waren nicht im Unfrieden von einander geschieden – und sie warfen einander nichts vor. Noch nach Jahren konnte sich G[oethe] hiervon berzeugen. Er B hat Fr[iederike] spter noch einmal wiedergesehen – und in einem Briefe an Frau von Stein vom 25[.] September 1779 hat er ber dieses Wiedersehen berichtet. Er erzhlt, wie freundlich er bei einem Besuch in Sesenheim nicht nur von ihr selbst, sondern auch von ihren Eltern und dem ganzen Hause empfangen wurde – wie sorgsam und feinfhlig alles vermieden wurde, was wie ein Vorwurf oder auch nur wie eine Erinnerung an die alten Zeiten htte wirken knnen. ^ “Sie betrug sich allerliebst[”] – so sagt G[oethe] von Fried[erike] selbst – [“]mit soviel herzlicher Freundschaft vom ersten Augenblick da ich ihr unerwartet auf der Schwelle ins Gesicht trat ... Nachsagen muss ich ihr, daß sie auch nicht durch die leiseste Berhrung irgend ein altes Gefhl in meiner Seele zu wecken unternahm. Dichtung und Wahrheit] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: 12tes Buch, L [ o e p e r, B d . ] 2 2 , [ S . ] 7 3 . 204 1

A B

auf] auf er Wiederholung des letzten Wortes der vorherigen S. Er] ber der Zeile; ersetzt gestrichen: Fast 10 Jahre spter

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Sie fhrte mich in jede Laube, und da musste ich sitzen und so wars gut. ... A Die Alten waren treuherzig; man fand, ich sei jnger geworden[”]. & “Ich blieb die Nacht und schied den andern Morgen bei Sonnenaufgang, von freundlichen Gesichtern verabschiedet, daß ich nun auch wieder mit Zufriedenheit an das Eckchen der Welt hindenken, und in Friede mit den Geistern dieser Ausgeshnten in mir leben kann” ([WA,] Briefe[, Bd.] 4, [S.] 66 f.)[.] 205 Und doch ist es zur wirklichen, vlligen i n n e re n Ausshnung in G[oethe] niemals gekommen. Das spren wir in dem B Werke, in dem seine Liebe zu F[riederike] den tiefsten C d i c h t e r i s c h e n Ausdruck gefunden hat. Und dieses Werk ist es auch, das uns allein die Antwort auf unsere Frage geben kann. Wie Goethe gegenber Fr[iederike] empfand – das verrt uns weder der Gtz noch der Clavigo. Clavigo erscheint in G[oethes] Schilderung als ein Ehrgeiziger und Streber, der ein Mdchen verlsst[,] weil es seinen ehrgeizigen Plnen im Weg steht. Weislingen ist eine liebenswrdige, aber schwache Natur, die jeder Verfhrung unterliegt. Von all dem findet sich nichts bei Goethe selbst. S e i n e eigentliche D knstlerische E Beichte hren wir nicht hier – wir hren sie in der G re t c h e n - Tr a g  d i e im ersten Teil des Faust. Um sie zu verstehen, drfen wir freilich nicht allzu usserlich vorgehen. Es gibt kein Gedicht, kein Drama, keinen Roman Goethes, in dem er ein wirkliches Ereignis oder Erlebnis einfach a b g e s c h r i e b e n htte. Er hat es gestaltet – und in dieser Gestaltung innerlich gewandelt und umgebildet; er wollte keine C o p i e , sondern einen s y m b o l i s c h e n Au s d r u c k des Erlebten geben. So ist es auch hier. Friederike ist nicht Gretchen. Sie ist es schon nach ihrem usseren Schicksal nicht. Denn sie ist keine Verfhrte, und keine Verfehmte und Ausgestoßene. Sie lebt in ihrem einfachen Kreise, in ihren alten Gewohnheiten, in der Liebe zu den Ihrigen und von ihnen behtet, weiter. Aber sie ist freilich innerlich gebrochen. Das Bild Goethes hat sich ihr so unauslschlich eingeprgt, daß sie es nie wieder vergessen kann und vergessen wird. Wir haben hiervon eine ergreifende Schilderung: denn der Dichter Jac[ob] Michael L e n z , der Jugendfreund Goethes, hat Fr[iederike] spter einmal

gut. ...] gut. nicht kenntlich gemachte Auslassung dem] ersetzt gestrichen: jeder Zeile desjenigen C tiefsten] danach gestrichen: und den erschtterndsten D Clavigo erscheint ... eigentliche] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen; ersetzt gestrichen: Denn G[oethe] war kein Clavigo – noch war er einfach ein Weislingen, – ein unbestndiger, treuloser, flatterhafter Liebhaber[.] Goethes E knstlerische] eigentliche knstlerische Wiederholung von eigentliche, um die Stelle des Einschubs anzuzeigen A B

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besucht[,] und er hat sie uns in einem merkwrdigen A Gedicht gezeichnet: B “Denn immer, immer, immer doch Schwebt ihr das Bild an Wnden noch Von einem Menschen, welcher kam Und ihr als Kind das Herze nahm. Fast ausgelscht ist sein Gesicht, Doch seiner Worte Kraft noch nicht. Und jener Stunden Seligkeit, Ach jener Trume Wirklichkeit Die, angeboren jedermann, Kein Mensch sich wirklich machen kann.” 206 Friederikes Tragik ist von anderer Art als diejenige Gretchens – und doch hat sie in irgend einem Sinne dasselbe wie Gretchen erfahren. Und Goethe konnte und durfte sie als Gretchen gestalten, – weil er selbst sich als Faust sah und empfand. Faust hat Gretchen leidenschaftlich an sich gezogen und sie in sein Leben hineingerissen – und doch weiss er schon in dem Augenblick, da dies geschieht, daß er sie nicht werde halten knnen. Er wird sich dereinst von ihr losreissen mssen; denn dieses Losreissen ist seine innerste Natur und sein Schicksal. »Werd’ ich zum Augenblicke sagen – Verweile doch, Du bist so schn – Dann magst Du mich in Fesseln schlagen, Dann will ich gern zu Grunde gehen«[.] 207 Auch in der C beseligendsten, erflltesten Gegenwart kann Faust nicht beharren – eben weil sie G e g e n wa r t ist[,] und weil es ihn von jeder noch so schnen Gegenwart weg immer wieder fortreisst – zu einer unbekannten Zukunft hin. Das war auch Goethes Lebensgefhl in seiner Straßburger Zeit – das war das eherne M u ß , unter dem er stand. D »Mein nisus vorwrts« – so hat er um diese Zeit einmal in einem Brief an seinen Freund Salzmann geschrieben – [»]ist so stark, daß ich selten mich zwingen kann, Atem zu holen und rckwrts zu sehen.« 208

merkwrdigen] ber durchgestrichenem: schnen gezeichnet:] danach gestrichen: Er schildert, wie sie das Bild G[oethe]’s nie mehr recht auslschen kann C der] dem danach gestrichen: schnsten, D stand.] stand; danach gestrichen: das war das, was er als sein Schicksal empfand, das er nicht zu verndern und nicht aufzuheben vermochte – A B

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Hier sehen wir, was G[oethe] auch von Friederike wegtrieb – A er musste vorwrts – fr ihn gab es kein Ausruhen in irgend einer Gegenwart – er stand unter dem gebieterischen Befehl einer Z u k u n f t , von der er selbst noch nicht wusste und ahnte, wohin sie ihn fhren wrde – Er fhlte, daß er Fr[iederike] – dieses einfache schlichte Geschpf, dieses halbe Kind, das ganz in seinem ruhigen Dasein versunken und an dasselbe gebunden war, auf diesem seinem eigenen strmischen Lebenswege nicht mitnehmen knne und drfe. Aber er fhlte zugleich die tiefe Tr a g i k , die dieses Scheiden fr sie selbst und fr ihn in sich barg. Am erschtterndsten hat er dieser Tragik in jenen Worten Fa u s t s zu Mephisto Ausdruck gegeben, die schon dem ersten Entwurf des Werks – die schon dem Urfaust angehren: “Bin ich der Flchtling nicht? der Unbehauste? 209 Der Unmensch ohne Zweck und Ruh, Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen brauste Begierig wtend nach dem Abgrund zu? Und seitwrts sie – mit kindlich dumpfen Sinnen Im Httchen auf dem kleinen Alpenfeld Und all ihr husliches Beginnen Umfangen in der kleinen Welt. Und ich der Gott Verhasste Hatte nicht genug, Daß ich die Felsen fasste Und sie zu Trmmern schlug! Sie! ihren Frieden musst’ ich untergraben, Du, Hlle, wolltest dieses Opfer haben! Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkrzen, Mags schnell geschehen, was muss geschehen! Mag ihr Geschick auf mich zusammenstrzen Und sie mit mir zu Grunde gehn”. 210 – Unter den Gedichten Henrik I b s e n s findet sich ein kleiner Vierzeiler, der in wenigen markanten Worten das We s e n d e r D i c h t k u n s t auszusprechen sucht (At leru er – krig med trolde i tyjentets och tyernens huaelv) Alt digth, det er at holde dommedag over sig selre[.] wegtrieb –] danach (auf neuer Zeile) gestrichen: auch in dem Augenblick, da er sich noch von leidenschaftlicher Liebe zu ihr erfllt fhlte – A

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Leben: A dunkler Gewalten Spuk bekmpfen in sich. Dichten: Gerichtstag halten ber sein eigenes Ich – so lauten die Verse in der deutschen bersetzung von C h r i s t i a n M o r g e n s t e r n . 211 In den Versen des Faust, die ich hier angefhrt habe, hat G[oethe], wie mir scheint, Gericht ber seine Liebe zu Fried[erike] Brion gehalten. Es ist ein poetisches, kein moralisches Urteil, das er fllt[.] B Er spricht nicht als Verteidiger oder Anklger; er will nicht rechtfertigen oder verdammen. Aber er spricht als echter Dichter, als Offenbarer und Deuter menschlichen Schicksals. Denn der wahre Dichter ist stets ein “Kenner der Hhen und Tiefen” 212 – wie es in G[oethe]’s Gedicht “Der Gott u[nd] die Bajadere« heisst. G[oethe] weiss, daß er im Innersten Fried[erike] niemals untreu geworden ist. Seine Liebe zu ihr ist nie erkaltet: noch in der Schilderung, die der 63[-]jhrige von ihr gegeben, sprt man in jeder Zeile die Echtheit und Innigkeit seines Gefhls fr Fried[erike]. Aber diese Liebe war nicht dazu bestimmt, das Mdchen, dem sie galt zu beglcken. Wie eine bermchtige Naturgewalt, wie ein Wassersturz, der von Fels zu Felsen braust, hat sie in ihr Leben eingegriffen und dieses so stille und friedliche Dasein aus seiner Bahn geworfen.

A B

Leben:] danach gestrichen: ein Kampf mit Es ist ... das er fllt.] am Rand und dieser Stelle angeschlossen

Zweite Vorlesung: Gtz von Berlichingen A [5. II.41] Am 6. August 1771 hat G[oethe] Straßburg verlassen, nachdem er kurz zuvor an der Universitt zum Lizentiaten der Rechtswissenschaft promoviert worden war. Der Vater hatte immer wieder auf den Abschluss des juristischen Studiums gedrngt, und G[oethe], der sich schon in seiner Knabenzeit eine gewisse Kenntnis des juristischen Stoffes erworben hatte und der das »Corpus juris« fliessend zu lesen verstand, hat mit Hlfe eines Repetitoren das Verlangte rasch geleistet. B Nach Frankfurt kehrt er als junger Rechtsanwalt zurck, und er hat dort in der Tat eine Zeit lang die juristische Praxis ausgebt. Innerlich nahe standen ihm diese Dinge niemals; dennoch scheint er sich anfangs mit einem gewissen leidenschaftlichen Anteil auch in diese, ihm so fremde Aufgabe geworfen zu haben. Wir besitzen noch die Eingaben, die er in verschiedenen Prozessen, die er zu fhren hatte, damals bei Gericht gemacht hat – und fr einen Juristen ist ihr Studium vielleicht nicht ganz ohne Interesse. Sie mussten sich natrlich an die vorgeschriebene Form halten; aber bisweilen regt sich das persnliche Temperament des Verf[assers] und durchbricht ungeduldig diese Form. Auch G[oethes] persnliches Auftreten vor Gericht scheint von dieser Art gewesen zu sein. Es ist ihm offenbar nicht leicht geworden, sich an den gewhnlichen Geschftsgang zu halten und seine Sache ganz khl und leidenschaftslos zu fhren. Schon beim ersten Prozess hat er den Vertreter der Gegenpartei dadurch fast aus dem Konzept gebracht. Es kam zu einem heftigen Auftritt – und der Vorsitzende musste eingreifen. Der gegnerische Anwalt erklrte, er habe sich zu einer Heftigkeit hinreissen lassen, die ihm sonst ganz fremd sei: aber er sei durch Goethes Auftreten aufs schwerste gereizt worden. Dies allein verdient hier nur deshalb Erwhnung, weil es auch auf die Stimmung des Werkes, dem wir uns jetzt zuwenden wollen, wenn auch

Zweite Vorlesung: / Gtz von Berlichingen] im Ms. hervorgehoben geleistet.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: G[oethe] u[nd] das j u r i s t [ i s c h e ] S t u d i u m 1) nicht aus e i g e n e r Wahl – / klass[ische] Philol[oge]-Heyne – / Noch in Leipz[ig]: Hofr[at] B  h m e , / strenge Verwarn[ung]. 2) auch als S t u d e n t nicht / mssig – / aber litterar[ische], p h i l o l o g [ i s c h e ] / selbst m e d i z i n [ i s c h e ] Vorles[ungen] / (Straßburg) eifriger besucht 3) der S t o f f – / das Corpus juris – / etc. ... “Du hast von Kindes Beinen / Der Dichtkunst nachgestrebt, / Nun zeig’ uns, daß dich diese / Mehr als das Jus belebt!” / (Horn) W. S c h e re r, G[oethe] als / Rechtsanwalt, / Aufstze ber G[oethe], / Berl[in] 1886 A B

Zweite Vorlesung: Gtz von Berlichingen

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nur von fern her und mittelbar, eingewirkt hat. Es ist G[oethe]’s G  t z vo n B e r l i c h i n g e n , der um diese Zeit, kurz nach der Rckkehr von Straßburg, geschrieben wurde. A Schon in Straßburg hatte G[oethe] die Darstellung B kennen gelernt, die Gottfried von Berlichingen von seinem eigenen Leben gegeben hat – und sie hat ihn sofort bei der Lektre ergriffen und begeistert. Aber es scheint, daß sie sich erst spter dichterisch in ihm zu gestalten beginnt. Der Plan des Gtz entsteht, und er trgt ihn zunchst seiner Schwester C o r n e l i a vor, die damals seine eigentliche Vertraute ist. Cornelia ist sofort lebhaft ergriffen, und sie dringt in den Bruder[,] das Ganze niederzuschreiben. Er beginnt damit und liest Cornelia die einzelnen Szenen vor. In sechs Wochen ist die Arbeit vollendet. Der e r s t e G  t z ist nicht das Werk, das wir jetzt in G[oethe]’s Werken lesen und das wir von der Bhne her kennen. Er fhrt den Titel: G e s c h i c h t e G o t t f r i e d s vo n B e r l i c h i n g e n d r a m a t i s i e r t – und weicht in vielen nicht unwesentlichen Punkten von der spteren Fassung ab. Sie mssen den “J[ungen] G[oethe]” – in der Hirzelschen oder Morrisschen Ausgabe – zur Hand nehmen, um dieses Werk, den »Urgtz«[,] kennen zu lernen – der Vergleich zwischen der lteren und der spteren Fassung ist nicht nur in litterarhistorischer Hinsicht, sondern auch vom aesthetischen und knstlerischen Standpunkt aus lohnend.– In den Gedichten von F r i e d r [ i c h ] H e b b e l findet sich ein Ged[icht], das berschrieben ist: Auf G  t z v [ o n ] B e r l i c h i n g e n [.] Es lautet: (Ged[ichte] I, C [S.] 412) “Du hast im Leben jede Zier, Die Helden ehrt, errungen, Doch ist der Taten hchste Dir Im Tode erst gelungen. Du hast den grßten Dichtergeist Des Deutschen Volks entzndet, Und wo man Goethes Namen preist, Wird Deiner auch verkndet”[.] 213 So ist es in der Tat: die Gestalt Gottfrieds von Berlichingen ist fr uns erst durch Goethe zum Leben erweckt worden – wenn wir ihn als ganz lebendig und wenn wir ihm uns unmittelbar nahe fhlen, so ist es im Grunde lediglich die N  h e G o e t h e s , die wir spren –

wurde.] danach gestrichen: Die erste Konzeption geht schon auf die Straßburger Zeit [nach Streichung stehengeblieben:] zurck. B Darstellung] ber durchgestrichenem: Lebensbeschreibung C (Gedichte I,] danach gestrichen: 241 A

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es ist nicht sein eigenes Leben und Schicksal, es ist nicht der h i s t o r i s c h e G  t z , dem unsere Teilnahme gilt – Auch dieser historische Gtz hat sein Interesse – aber es ist ein ganz anderes als dasjenige, das wir empfinden, wenn wir uns in G[oethe]’s Dichtung versenken – Dieser historische Gtz ist ganz ein Kind seiner Zeit – eine krftige Gestalt, sein Leben lang in tausend Fehden und in Hndel aller Art verwickelt, die er wacker und tchtig besteht – dabei einfach, ehrlich, gradherzig, von sich und seinem Recht berzeugt. Ein einfaches, schlichtes Krieger- und Ritterleben. Er schliesst sich verschiedenen Frsten an, macht viele Feldzge mit. Bei den Unruhen, die die Bauern erregen, lsst er sich bereit finden, ihr Fhrer zu werden; wird als solcher gefangen, aber nicht verurteilt, weil er beweist, daß er den Befehl ber die Bauern nur bernommen habe, um sie von den rgsten Greueln abzuhalten und schlimmerem Unheil zu steuern. Als Busse wird ihm auferlegt, daß er sich still auf seinem Schlosse halten soll – und hier, in dieser unfreiwilligen Muße, beginnt er die Geschichte seines Lebens niederzuschreiben, die G[oethe] gelesen hat – sie ist erst im Jahre 1731 in Nrnberg im Druck erschienen. Dann hat er noch einmal unter Karl V[.] Kriegsdienste genommen – und ist im Jahre 1542 gegen die Trken, im Jahre 1544 gegen Frankreich zu Felde gezogen. Nach Friedensschluss kehrt er auf sein Schloss zurck, wo er in hohem Alter, mit 82 Jahren, gestorben ist. Was konnte G[oethe] an diesem Stoffe reizen – und welches d r a m a t i s c h e I n t e re s s e liegt in ihm? Wenn Sie sich den Inhalt des Gtz vergegenwrtigen, so sehen Sie sofort, daß G[oethe], um ein solches dramat[isches] Interesse zu erwecken, den Stoff in einem wesentlichen Punkt verndern musste. Er fhrt uns nur die e i n e Epoche seines Lebens vor – er fhrt ihn nur bis zu seiner Gefangenschaft in Heilbronn – und lsst ihn dort im Gefngnis sterben – verlassen und enttuscht; tief unglcklich. A Wir spren sofort, daß die Gestalt des wirklichen Gottfried von Berlichingen B in Goethes Phantasie eine vllige i n n e re Wa n d l u n g erfahren hat. Was G[oethe] fesselt, sind nicht in erster Linie die Ta t e n , die Goetz begeht; es ist vielmehr der Mensch, der Charakter und die Persnlichkeit, die hinter diesen Taten steht. Und auch Goetz Schicksal berhrt uns als ein s e e l i s c h e s Schicksal, nicht als ein usseres Schicksal. Er stirbt, weil er in einer Welt nicht weiter leben kann, die alles vernichtet hat, woran er geglaubt hat – in einer Welt, wo Freundschaft[,] Treue, Ehre nichts mehr gelten – wo der nchste Freund ihn verlassen und verraten und man ihm A B

unglcklich.] danach gestrichen: aber immer nicht gebrochen. Berlichingen] Berlichingen,

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das Ehrenwort, das man ihm gegeben, gebrochen hat. Nur durch diese Art der Ve r i n n e r l i c h u n g konnte der Goetz zum t r a g i s c h e n We r k werden – aber diese Verinnerlichung ist rein und ausschließlich G o e t h e s We r k . So gehrt auch die Gestalt des Gtz und das, was uns an ihr ergreift, im Grunde i h m a l l e i n z u . Was hier das knstlerisch-Bedeutsame in G[oethe]’s Dichtung ist – das fhlen wir am besten, wenn wir sie mit den Schpfungen anderer grosser Dramatiker vergleichen. Denken wir an Aeschylos, an Shakespeare, an Schiller, wenn sie einen historischen Stoff gestalten. Sie greifen nach dem Grssten und Hchsten; ihre dichterische Phantasie entzndet sich am Weltgeschehen und dieses empfngt, in ihrer Gestaltung, fr uns einen neuen Sinn und einen neuen Gehalt. Aber hierfr bedrfen sie großer Charaktere und grosser Begebenheiten. Dies alles knnen sie nicht erfinden, – sie mssen es der Geschichte entnehmen. So hat uns Aeschylos in den »Persern« die Perserkriege – so hat uns Shakespeare die Kmpfe der roten und weissen Rose – so hat uns Schiller Wallenstein oder Maria Stuart A geschildert – sicherlich nicht mit historischer Treue im Einzelnen, wohl aber im Ganzen. Alle diese Ereignisse und alle diese Gestalten hatten ein h i s t o r i s c h e s E i g e n l e b e n , bevor sie ihr Leben durch die Hand des Dichters erhielten. In Goethes Gtz aber ist dies anders. G[oethe] hat den Gtz gewissermaßen wie aus dem Nichts geschaffen. Wir knnen ihn nicht mit dem historischen Gtz vergleichen – und wir empfinden keinen Wunsch und kein Bedrfnis, ihn mit diesem zu vergleichen. Denn wir wssten von diesem Gtz nichts – wenn nicht Goethes Dichtung unseren Blick auf ihn gelenkt htte – und wir knnen ihn kaum anders als im Spiegel dieser Dichtung sehen. Nur e i n m a l hat G[oethe] noch nach einem im eigentlichen Sinne historischen Stoff gegriffen und eine grosse geschichtliche Gestalt dramatisch zu verkrpern [ge]sucht. Aber diese Verkrperung ist ihm nicht vllig gelungen. Der E g m o n t Goethes ist eine tiefe und echte knstlerische Schpfung – aber er ist kein eigentliches h i s t o r i s c h e s D r a m a . In seinen schnsten und ergreifendsten Szenen gleicht er weit mehr einem Idyll B als einem historischen Drama. Das Weltgeschehen versinkt gleichsam – wir spren nichts mehr vom Sturm der Zeit, von der Not der Niederlande und ihrem Druck unter dem harten spanischen Joch; wir sehen nur noch das Schicksal der beiden Liebenden. C Und Maria Stuart] Maria Stuart, Komma nach Streichung stehengeblieben, danach gestrichen: die Jungfrau von Orleans B Idyll] Idyll, C beiden Liebenden.] darber in Bleistift: wir sehen nur E[gmont] u[nd] Clrch[en] A

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Egmont selbst erscheint in diesen Szenen nicht als der grosse Feldherr oder Staatsmann – sondern ganz einfach als der Liebende, der sich ganz seinem Gefhl, der sich dem Glck oder Schmerz des Augenblicks hingiebt. Das liegt daran, daß Goethe immer und notwendig der grosse Ly r i k e r bleibt – auch dort wo er als Dramatiker gestaltet. Er kann keinen anderen Helden gestalten als einen solchen, in dem A er seine ganze Seele, seine eigene Weise des Empfindens und Fhlens hineinlegen kann. Hierin liegt seine Grenze – aber hierin liegt zugleich seine Kraft, seine Wahrheit und seine Tiefe. Auch in Gtz war es nicht in e r s t e r Linie B das historische Interesse, das G[oethe] zu dem Stoff hinzog. Sicherlich reizte es G[oethe,] dem klassischen Theater der Franzosen, das seine Stoffe der Antike entnahm oder das gelegentlich einmal orientalische Stoffe behandelte, ein Drama entgegenzustellen, dessen Stoff aus der deutschen Vergangenheit geschpft war[.] Und es ist ihm wirklich gelungen, diese Vergangenheit wieder heraufzubeschwren: sie steht so deutlich und so plastisch vor uns, daß sie wie echte, unmittelbare Gegenwart wirkt. Gtz ist mitten hineingestellt in unsere Zeit[.] C Die einzelnen Stnde: die Frsten, die geistlichen Wrdentrger, die Kaufleute und Stdter, die Bauern – dies alles ist nicht nur beschrieben, sondern es ist in wenigen Strichen klar und sicher gestaltet. Die Art, wie man historischen Stoff neu b e l e b e n kann, stand damals Goethe an einem grossen Beispiel, am Beispiel H e r d e r s , klar vor Augen. Herder hatte ihn eine neue Weise gelehrt, Geschichte zu sehen und Geschichte zu lieben. “Deine Art, ... D den Kehricht zur lebenden Pflanze umzupalingenesiren” – so hat er spter1 einmal an Herder geschrieben – [“]legt mich immer auf die Knie meines Herzens”. 214 Eine solche Palingenese, eine Wiedergeburt der Geschichte aus dem Geiste des Knstlers, tritt uns auch im Gtz entgegen. Es war noch ein anderes, was G[oethe] diese Leistung ermglichte. Das 16 t e J a h r h u n d e r t war den Menschen der Goethischen Epoche noch nicht so weit in die Ferne gerckt, wie es bei uns heute der Fall ist. Es war ja das große Jahrhundert 1

hat er spter] am Rand: Mai 1775 / [WA, Abt. 4,] Briefe[, Bd.] 2, [S.] 262[.]

dem] denen in e r s t e r Linie] ber der Zeile und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen C Sicherlich reizte ... Zeit.] am Rand; ersetzt gestrichen: Aber damit soll durchaus nicht geleugnet werden, daß es ihm hier nicht wirklich gelungen ist, ein echt historisches Thema dramatisch zu gestalten. Er hat den Helden mitten hineingestellt in seine Zeit – und er hat uns diese Zeit unmittelbar nahe gerckt. Der geschichtliche Hintergrund der Ereignisse, die das Drama schildert, steht deutlich und plastisch vor uns. D Deine Art, ...] Deine Art, ungekennzeichnete Auslassung A B

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der Reformation – und die Reformation wurde damals noch als eine große, unmittelbar gegenwrtige Macht empfunden, die dem Leben eine ganz andere Gestalt gegeben hatte und die man noch in tausend Wirkungen versprte. Fr G[oethe] war auch die g e i s t i g e At m o s p h a e re dieses Jahrhunderts wohlvertraut. Er kannte die Volksbcher dieser Zeit; er kannte Hans Sachs’ Dichtung, die er in einem herrlichen Gedicht: »Hans Sachsens poetische Sendung« in einem ganz neuen Sinne gedeutet und dichterisch verklrt hat. So, wie er in diesem Gedicht geschildert wird, war Hans Sachs nie zuvor gesehen worden. Erst seit Goethe wissen wir, daß Hans Sachs ein Dichter, nicht nur ein poetischer Schuster war. Auch in die eigentmliche G e d a n k e n we l t des 16ten Jahrhunderts und in seine N a t u r p h i l o s o p h i e hatte G[oethe] sich versenkt – Sie erinnern sich aus unserer frheren Darstellung, daß er, in der Zeit zwischen Leipzig und Straßburg, sich in die Lektre der Schriften eines Paracelsus, eines Agrippa von Nettesheim vertieft hatte. All dies trug dazu bei, daß wir im »Gtz«, wie in wenigen anderen Werken Goethes, nicht nur die Kraft der Menschenschilderung, sondern auch die der Zeitschilderung spren. Aber das eigentliche dichterische Interesse haftet freilich auch hier am Persnlichen, nicht am bloss-Historischen; am Seelischen, nicht am Zustndlichen. In erstaunlicher Flle und Mannigfaltigkeit tritt persnliches Leben vor uns hin. Denn neben dem Helden stehen andere Gestalten, die keineswegs blosse Episoden sind, sondern die alle von starkem eigenen inneren Leben erfllt sind: Weislingen, Elisabeth, Georg. Vor allem aber ist es die Gestalt der Ad e l h e i d [,] die sich uns allen unauslschlich eingeprgt hat. Einer Frau von solch berckendem Zauber, von solcher elementaren Leidenschaft, von solcher bezwingenden sinnlichen Gewalt begegnen wir in keiner spteren Dichtung Goethes. Sie ist ganz sein eigenes Geschpf – eine freie Gestalt der dichterischen Phantasie. Aber G[oethe] selbst hat uns in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] gesagt, wie diese Phantasiegestalt allmhlich die Herrschaft ber ihn gewann und wie er, bei der ersten Niederschrift des Dramas ber ihr mehr und mehr alles andere vergass. “Ich hatte mich” – so sagt er1 – [“]indem ich Adelheid liebenswrdig zu schildern trachtete, selbst in sie verliebt, unwillkrlich war meine Feder nur ihr gewidmet, das Interesse an ihrem Schicksal nahm berhand.” Das sprt man besonders, wenn man die erste Fassung des Gtz liest. Hier kann sich Goethe kaum genug tun, den verfhrerischen Reiz dieser Frau zu schildern. Vieles von dem, was er hier noch in die Darstellung verflochten, musste er spter aufgeben, da er es selbst als allzu krass und allzu ppig wuchernd empfand, – so hat er die letzte grosse Szene gestrichen, in der Adelheid selbst den Abgesandten der so sagt er] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: D[ichtung] u[nd] Wahrh[eit,] XIII[. Buch,] / Loeper[, Bd.] 22, [S.] 117[.] 1

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Vehme, der gekommen ist, um das Todesurteil an ihr zu vollstrecken, bestrickt. Sehen wir indess von allem Beiwerk ab und betrachten wir lediglich das Drama als Ganzes, so stellt sich uns der »Gtz« als Tr a g  d i e d e s R e c h t s e m p f i n d e n s dar. Das Gerechtigkeitsgefhl ist die treibende Kraft im Gtz; den Unterdrckten, den Betrogenen will er ihr Recht verschaffen. In D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] hat G[oethe] gesagt, daß er im Gtz einen “Selbsthelfer in wilder anarchischer Zeit” 215 darstellen wollte: A “ich schilderte, wie in wsten Zeiten der wohldenkende brave Mann allenfalls an die Stelle des Gesetzes und der ausbenden Gewalt zu treten sich entschliesst, aber in Verzweiflung ist, wenn er dem anerkannten verehrten Oberhaupt zweideutig, ja abtrnnig erscheint.”1 Goetz will das Recht herstellen – aber er kann es nicht, ohne damit selbst dem Unrecht zu verfallen: denn die Gewalt als solche kann nur immer wieder fortwirkend neues Unrecht erzeugen, wenn der Einzelne sich diese Gewalt anmaßt. Als G[oethe] den Gtz schrieb, da empfand er an der eigenen Ttigkeit, die er vor Gericht auszuben hatte, wie oft das, was geltendes Recht ist, dem natrlichen Rechtsempfinden widerspricht. Hier liegt eine Schranke, die sich niemals ganz berwinden lsst. Es ist das alte Thema, das schon das antike Drama behandelt hatte, das Sophokles in der Antigone darstellt: der Widerstreit zwischen dem geschriebenen und ungeschriebenen Recht – derselbe Widerstreit, den G[oethe] spter im Faust in der Schlerszene ausspricht: Es erben sich Gesetz und Rechte – Wie eine ew’ge Krankheit fort Sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte – und rcken sacht von Ort zu Ort – etc. 216 Gtz will das Recht, das mit uns geboren ist, wiederherstellen; aber er muss erfahren, daß er damit nur die Unordnung, die Anarchie vermehrt – Darin liegt das Tr a g i s c h e des Werkes, von der in der Quelle selbst, in der Lebensbeschreibung Gottfrieds von Berlichingen, die G[oethe] als Ausgangspunkt und Vorbild diente, nicht das Mindeste zu verspren ist – D i e s e Problematik ist nicht historisch gesehen, sondern sie ist ganz m o d e r n empfunden – es ist das ganz neue Pathos des 18ten Jahrhunderts, das Pathos Ro u s s e a u s , das G[oethe] hier in sein Werk gelegt hat – Damit ist auch das eigentliche dramatische Interesse g a n z i n d a s I n n e re d e s H e l d e n ve r l e g t – erscheint.”] am Rand geschrieben und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: D. u[.] W. XII[. Buch], / Loeper[, Bd.] 22, [S.] 85[.] 1

A

wollte:] wollte;:

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Die usseren Geschehnisse: die Belagerung von Gtz’ Burg Jaxthausen, – seine Erwhlung zum Fhrer der aufstndischen Bauern – sein Bruch mit den Bauern, seine Gefangenschaft in Heilbronn – dies alles bildet nur den Rahmen des Werkes, nicht seinen Kern – Das tragische Problem – das fhlen wir – liegt an einer ganz anderen Stelle. Es liegt darin, daß dieser grosse khne und freie Mensch schliesslich, durch die feindlichen Mchte um ihn herum, gebunden und sich selbst mehr und mehr entfremdet wird. Er wird seinem C h a r a k t e r nicht untreu – aber sein Temperament und seine Stimmung beginnen sich zu wandeln. Er – dessen ganzes Wesen Offenheit und Vertrauensseligkeit war, der sich ohne jeden Arg und Vorbehalt ganz hingeben konnte – fhlt sich, nach AWeislingens Verrat, befangen und scheu. Er kann nicht mehr an die Menschen und er kann nicht mehr an das, was bisher sein hchstes Gebot war, an die ritterliche Ehre glauben, nachdem seine Gegner ihn so schmhlich getuscht und das ihm gegebene Wort gebrochen haben. So befllt ihn, den Heiteren und Lebensfrohen, zuletzt eine tiefe Schwermut. Er nimmt vom Leben Abschied, da dies Leben ihm nichts mehr zu geben hat. [“]Nein, Nein, Nein[”] 217 – so ruft Gtz, als er von Weislingens Verrat hrt – [“]Es ist genug! Der wre nun auch verloren! Treu und Glaube, du hast mich wieder betrogen![”] 218 »Ich war schon mehr im Unglck, schon einmal gefangen, und so wie mir’s jetzt ist, war mir’s niemals« 219 – so sagt er im Gefngnis in Heilbronn. Er versinkt, auch den nchsten Menschen gegenber, in ein dsteres Schweigen, das sich erst zuletzt, im Augenblick vor dem Tode, in dem Ruf »Freiheit, Freiheit« 220 lst. Das ist die eigentliche tragische Peripetie des Gtz. Sie stammt ganz aus Goethes Empfinden – sie hat in der Quelle nichts ihres gleichen und konnte hier nicht ihres gleichen B haben. Deshalb musste G[oethe] hier auch usserlich eine vllige Wandlung des Stoffes vornehmen – denn dieser Gtz musste sterben, whrend der historische Gottfried von Berlichingen bis ins 82. Jahr gelebt hat. – Und hierin liegt auch der Zug, der G[oethe]’s Gtz v[on] B[erlichingen] mit den a n d e re n D i c h t u n g e n s e i n e r J u g e n d z e i t verbindet. Wenn wir an den jungen Goethe denken, so denken wir dabei an den Schpfer des Gtz und des Werther. Diese beiden Gestalten sind uns die bekanntesten und vertrautesten C. Aber wir empfinden dabei nur seltsam, wie merkwrdig und erstaunlich es doch im Grunde ist, daß sie beide aus der Hand d e s s e l b e n Dichters hervorgegangen sind – und daß er sie in e i n u n d d e r s e l b e n L e b e n s e p o c h e formen und bilden konnte. nach] schwer lesbar gleichen] Gleichen C vertrautesten] vertrautetsten A B

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Welche Verbindung kann es zwischen Gtz und Werther geben? Objektiv gesehen scheinen sie gewissermassen verschiedenen Welten anzugehren. Der eine ganz auf das Tun gerichtet, der andere ganz in seinem Leid versunken – der eine stets in großen Entwrfen und in grossen Handlungen lebend, ganz auf das Wirken gestellt – der andere der Welt des Wirkens entfremdet, A nur seinem eigenen Herzen gehorchend, in sich selbst versunken und nur in diesem seinem Selbst selig und unselig. Und doch fhlen wir zwischen beiden noch eine geheime Verwandtschaft – so seltsam und paradox eine solche Verwandtschaft zwischen dem Raubritter des 16ten Jahrhunderts und We r t h e r, dem Sprssling des 18ten Jahrhunderts, des Jahrhunderts der “Empfindsamkeit” auch sein mag. Hier tut sich uns erst die ganze Weite der Gefhlswelt des jungen Goethe auf: denn zwischen diesen beiden Gegenpolen schwingt sein Gefhl gewissermassen hin und her, und b e i d e weiss er mit dem Leben zu erfllen, das in ihm selbst wirksam ist. Gewiss – in Gtz spren wir an keiner Stelle den geringsten “empfindsamen” Zug – schon das knstlerische Stilgefhl htte es Goethe verboten, hier solche Zge einzumischen. Und doch liegt ber der zweiten Hlfte des Werkes eine andere Stimmung als ber der ersten. Sie ist nicht reich an grossen dramatischen Erschtterungen – die H a n d l u n g scheint stille zu stehen und langsam zu versiegen und zu verebben. Wir leben hier nur noch mit dem Helden selbst – und dieser Held ist von anderer Art, als wir ihn sonst von der großen Tragdie her gewohnt sind. B Alles konventionelle Heldentum ist von ihm abgefallen; alles ussere Pathos ist ihm fremd. Das Pathos, das Leiden ist von einer anderen, ganz innerlichen Art. Auch alles R h e t o r i s c h e , wie es insbesondere der grossen franzsischen Tragdie und dem Drama Schillers eigentmlich ist. Der Gtz, den wir in der Gefangenschaft in Heilbronn sehen, spricht nicht, sondern er schweigt. “Ich bitte Dich, lieber Mann[”], so sagt Elisabeth zu ihm – [“]rede mit mir. Dein Stillschweigen ngstet mich. Du verglhst in Dir selbst.” 221 Und doch ist dieses Schweigen und dieses langsame Verglhen einer grossen Seele in sich selbst erschtternder als jene pathetischen Ausbrche, die wir aus der großen Tragdie kennen. Das historische Milieu beginnen wir hier freilich allmhlich zu vergessen – und zum Schluss ist es fr uns so gut wie versunken. Aber der Seele G o e t h e s , jener Seele, die nicht nur den Gtz, sondern auch den Werther zu gestalten vermochte und die auch im Heroentum das reine M e n s c h e n t u m sichtbar zu machen weiss – ihr fhlen wir uns hier nher als zu Beginn des Dramas. Dieser Zug ist fr uns heute der eigentliche und der einzig-Bedeutsame. Wir lesen und A B

entfremdet,] danach gestrichen: nur sich selbst kennend, sind.] ist.

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empfinden heute den Gtz und den Werther anders, als die Zeit Goethes beide beim ersten Erscheinen empfunden hat. Was diese Zeit fesselte, war vor allem das stoffliche Interesse. Als der Gtz erschien, schloss sich ihm eine wahre Flut von d e u t s c h e n R i t t e r d r a m e n 222 an – und auf den Werther folgten unzhlige A Geschichten einer unglcklichen Liebe. Manche dieser Erzhlungen wie der Roman »Siegwart[,] eine Klostergeschichte« 223 bleiben an usserem Erfolg nur wenig hinter dem Werther zurck. Fr uns aber ist diese ganze Litteratur versunken und vergessen – wenn wir sie heute, als Litterarhistoriker, einmal zur Hand nehmen, so verstehen wir nicht, was das damalige Publikum zu ihr hingezogen hat und was dasselbe an ihr solches Gefallen finden liess. Das liegt daran, daß jedes rein stoffliche Interesse sich nach kurzer Zeit erschpfen muss. In der Dichtung, in der wirklich echten und grossen Dichtung, zhlt nicht der Stoff, sondern die Form – hier fesselt uns nicht das Thema, sondern nur die Seele des Knstlers, die dieses Thema ergreift und an ihm sich selbst ausdrckt. Das spren wir heute, am Gtz und am Werther, vielleicht strker, als es die eigenen Zeitgenossen spren konnten – und darum sind uns beide Werke nicht ferner, sondern nher gerckt. Der Gtz blieb zunchst unverffentlicht. Nur dem nchsten Freundeskreis war er bekannt. Die Schwester, Cornelia, hatte das Werk schon whrend seiner Entstehung von Szene zu Szene verfolgt. Dann lernte es M e rc k kennen, von dem Goethe einmal gesagt hat, er sei [“]der Einzige, der ganz erkenne[,] was er tue”. 224 Er scheint auch1 diesmal den Wert des Werkes sofort erkannt zu haben – und er war es, der spter darauf drang, daß es verffentlicht werde; er selbst hat den ersten Druck des Gtz besorgt, in seiner Druckerei ist das Werk zuerst gedruckt worden. Anders aber war das Urteil desjenigen Mannes, den Goethe damals, was Kritik und Dichtkunst betraf, am hchsten stellte. Es verstand sich fr G[oethe] von selbst, daß er sein Drama unmittelbar nach der Beendigung an H e r d e r sandte. Aber dieser schwieg – und als er das Stck schließlich zurcksendet, findert er fast nur Worte des Tadels. Wir wissen darum aus G o e t h e s A n t wo r t s b r i e f , der vom Juli 1772 datiert ist. Es gibt vielleicht kein schneres und kein mehr charakteristisches Zeugnis fr das Verhltnis zwischen G[oethe] und Herder B als diesen Antwortsbrief. Herder besass sicherlich das feinste und tiefste knstlerische Verstndnis. Er konnte Goethe nie ganz missverstehen, und er konnte seinen Genius 1

A B

Er scheint auch] am Rand: cf. Herm[ann] Grimm, [Goethe,] S. 82[.]

unzhlige] danach gestrichen: empfindsame Herder] Herder,

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nicht verkennen. Aber er war rein menschlich in vieler Hinsicht eingeengt: er liebte es[,] seine berlegenheit zu bewahren; er gab sich niemals dem unbefangenen Enthusiasmus hin. So war er nicht nur ein strenger, sondern oft auch ein harter und bitterer Kritiker. Und am Gtz liess er zunchst nur diese seine bittere Laune aus. Er sah, deutlicher als andere, die Schwchen des ersten Entwurfs – aber er hob, einseitig und ungerecht, nur diese Schwchen hervor. Mglich, daß er dies auch pdagogisch fr das richtige Verfahren hielt: es gibt in der Tat Pdagogen, die nur den Tadel, nicht das Lob fr erzieherisch wirksam halten. A “Von Herdern” – so sagt G[oethe]1 in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] – [“]konnte man niemals eine Billigung erlangen, man mochte sich anstellen, wie man mochte. Indem nun also auf der einen Seite meine grosse Neigung und Verehrung fr ihn und auf der andern das Missbehagen, das er in mir erweckte[,] bestndig mit einander im Streit lagen, so entstand ein Zwiespalt in mir, der erste in seiner Art, den ich in meinem Leben empfunden hatte.” 225 Diese Worte beziehen sich noch auf den ersten Verkehr zwischen Herder und Goethe in der Straßburger Zeit. Aber doppelt bitter B musste G[oethe] diesen Zwiespalt jetzt empfinden, da er gespannt auf H[erder]’s Urteil ber sein erstes grosses Dichtwerk wartete. Aber bald hatte er ihn – auf eine ^ wahrhaft grossartige und edle Art – in sich berwunden. & Dem Antwortsschreiben an Herder merken wir wohl die Enttuschung an – aber es findet sich in ihm keine Spur von Empfindlichkeit oder verletzter Eitelkeit. Goethe denkt nicht an sich; er denkt nur an das Werk. Und dieses Werk – das fhlt er – ist noch nicht das, was es werden sollte. Es muss ausreifen – aber es wird dereinst in anderer, vollkommenerer Gestalt dastehen. Man weiss kaum, was man in diesem Jngling von 23 Jahren mehr bewundern soll: sein dichterisches Genie oder die kritische Einsicht und Selbstdisziplin, mit der er sich jetzt dem fertigen Werk gegenberstellt. ^ Er nimmt C Herders Urteil nicht nur gelassen und ruhig auf – sondern er verschrft es noch; – er verschrft es so sehr, daß wir heute, wenn wir den Urgtz lesen, das Gefhl haben, daß G[oethe] gegen sein Werk ungerecht geworden ist &. “Von Berlichingen ein Wort” – so2 schreibt er an Herder – [“]Euer Brief war Trostschreiben; ich setzte ihn weiter schon herunter als ihr. Die Definitiv: daß Euch Shakespeare so sagt Goethe] am Rand: [Loeper, Bd.] 21, [S.] 176[.] “Von Berlichingen ein Wort” – so] am Rand: Morris[, Bd.] II, [S.] 295 / aus Wetzlar, Juli / 1772[.] 1 2

es gibt ... halten.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen bitter] bitter, C Er nimmt] vielleicht gestrichen A B

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ganz verdorben hat erkannt ich gleich in ihrer ganzen Strke, genug es muß eingeschmolzen, von Schlacken gereinigt, mit neuem edlerem Stoff versetzt und umgegossen werden. Dann solls wieder vor Euch erscheinen.” 226 In der Fassung, in der der Gtz spter erschien und in der wir ihn heute lesen, ist er in der Tat ganz umgegossen. Goethe ist hierbei mit usserster Strenge gegen sich selbst verfahren: er hat viele Szenen gestrichen, die zu den bhnenwirksamsten Szenen des Dramas gehren – so z. B. die Szene der Ermordung Adelheids. Auch hat er aus dem Stil alles ausgemerzt, was noch pathetisch-bertreibend oder schwlstig erscheinen konnte. A Durch diesen Akt der Selbstdisziplin ist es G[oethe] schliesslich auch gelungen, Herder zu berwinden. “Herder,1 Herder[”] – so hatte er an ihn frher einmal im Oktober 1771 geschrieben – [“]Bleiben Sie mir was Sie sind. Bin ich bestimmt Ihr Planet zu sein, so will ichs sein, es gern, es treu sein ... Adieu lieber Mann. ... B Ich lasse Sie nicht! Jakob rang mit dem Engel des Herrn. Und sollt ich lahm drber werden”! 227 In der Geschichte der Weltlitteratur gibt es kaum ein schneres und edleres Verhltnis. Goethe war von frhester Jugend an von einem großartigen Selbstgefhl erfllt – das sich oft in recht schroffer Form usserte. Aber wo er wirkliche Grsse sprte, da ordnete er sich gern und willig unter. C Das D unterscheidet G[oethe] von den meisten seiner Jugendgenossen, von den Mnnern der “Geniezeit”. Eine Selbstvergtterung seines Genies, wie sie uns im Sturm und Drang so oft begegnet, hat er nie gekannt. Wir haben eben das Urteil gehrt, das er, unmittelbar nach Vollendung des »Goetz« ber diesen gefllt hat. Stellen wir diesem Urteil etwa das Urteil B  r g e r s ber sein Gedicht E »Leonore« gegenber, das im selben Jahre wie 1

“Herder,] am Rand: Morris[, Bd.] II, [S.] 117[.]

konnte.] danach gestrichen: (Der Tadel Herders, daß “Shakespeare ihn ganz verdorben habe”, bezog sich vor allem darauf, daß G[oethe] im ersten GtzEntwurf alle Forderungen der modernen Bhne vllig ausser Acht gelassen hatte. Die einzelnen Szenen sind lose aneinandergereiht – es findet ein stndiger Szenenwechsel statt, wie er auf der Shakespeare-Bhne, aber nicht auf der spteren Bhne mglich war. Auch hier hat die Bearbeitung scharf eingesetzt: alles ist knapper, konziser geworden.) B Mann. ...] Mann. ungekennzeichnete Auslassung C unter.] danach Einfgungszeichen (wiederholt am Rand mit dem Verweis: Blatt A D Das] am Rand: B l a t t A E Gedicht] Gedicht; A

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der Gtz erschienen ist A und das gleichfalls sofort einen strmischen Erfolg errang. Brger fhlt sich von seinem eigenen Werk wie berauscht. “Gottlob[”] – so schreibt er – [“]nun bin ich mit meiner unsterblichen Lenora fertig ... Ist’s mglich, daß Menschensinne so was Kstliches erdenken knnen? Ich staune mich selber an und glaube kaum, daß ich’s gemacht habe. Ich zwicke mich in die Waden, um mich zu berzeugen, daß ich nicht trume”.1 Eine solche Stimmung hat G[oethe], weder jetzt noch spter, jemals gegenber einem seiner Werke empfunden – und was bedeutet Brgers Leonore gegenber diesen Werken! H e r d e r gegenber will sich der 22[-]jhrige Goethe damit begngen, wenn er ihn auch nur als sein Planet begleiten drfe. Er ist entschlossen[,] mit ihm zu ringen, bis er ihm seinen Segen gewhrt[.] B In der Tat ist Goethe in diesem Kampf zuletzt der Sieger geblieben. Gerade vom Gtz, den er anfangs so schroff abgelehnt, hat Herder spter nicht nur mit Bewunderung, sondern mit einer bei ihm ganz ungewhnlichen Wrme gesprochen. Ich zitiere den Brief, obwohl er aus einer viel spteren Zeit stammt. Im Juli 1786 sandte Goethe Herder den Gtz zu; er wnschte, daß er ihn fr die Gschensche Ausgabe der Werke, 228 die G[oethe] damals plante, einer Durchsicht unterzge. »Hier hast Du Deinen Gtz« – so antwortet Herder jetzt, als er das Exemplar zurcksendet – [“]Deinen ersten einigen ewigen Gtz mit innig bewegter Seele. Gott segne Dich, daß Du den Gtz gemacht hast, tausendfltig”. 229 Das sind Worte, wie wir sie von Herder selten hren – und sie bezeugen, was der Gtz zuletzt auch fr ihn gewesen ist. C

[Goethe und Shakespeare] Vom D »Gtz von Berlichingen« knnen wir nicht Abschied nehmen, ohne einen Blick auf G o e t h e s Ve r h  l t n i s z u S h a k e s p e a re zu werfen. Denn nirgends tritt es so deutlich wie hier hervor, was G[oethe] Shakenicht trume”.] am Rand: B  r g e r, D[eu]tsch[e] Nat[ional-] / Litt[eratur] / Ausg[abe] von Aug[ust] S a u e r / S . LV I I [.] 1

ist] ist, Das unterscheidet Goethe ... Segen gewhrt.] ersetzt gestrichen: Der zweiundzwanzigjhrige Goethe begngt sich damit, wenn er auch nur der Planet Herders heissen drfe. Und er ringt mit ihm, bis [Fortsetzung auf neuer Zeile nach Streichung stehengeblieben:] er ihm seinen Segen gewhrt. C gewesen ist.] am Rand, mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: B l a t t A / G[oethe] und Shakespeare D Vom] am rechten Rand: B l a t t A / (G[oethe] und Shakespeare) A B

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speare verdankt. Herder hatte in seiner bitteren und galligen Laune, als er die erste Fassung des Gtz las, nur die negative Seite hervorgehoben: “der Shakespeare” – so schrieb er – “hat Euch ganz verdorben”. 230 Er meinte damit wohl, daß G[oethe] sich durch Shakespeares Beispiel habe verfhren lassen, der geschlossenen dramatischen Form ganz zu entsagen – statt ein Drama zu schaffen, habe er nur eine lockere Folge einzelner Szenen gegeben. Gegenber der ersten Fassung des Gtz war dieser Vorwurf in der Tat nicht unbegrndet; aber an dem tieferen knstlerischen Gehalt des Werkes sah er freilich vorbei. Denn es ist nicht die blosse Nachahmung der usseren Form, der dramatischen Te c h n i k Shakespeares, die fr den »Gtz« charakteristisch ist. Das Wesentliche liegt an einer andern Stelle. In Shakespeare war G[oethe] der erste grosse M e n s c h e n d a r s t e l l e r begegnet – und hierin lag fr ihn das eigentlich-Entscheidende. Es war ein berwltigender Eindruck – ein Eindruck, der ber das ganze Leben Goethes und ber seine Dichtung entschied. Er selbst hat uns diesen Eindruck in einer herrlichen Rede geschildert, die er am 14[.] Oktober 1771 unmittelbar nach der Rckkehr aus A Straßburg zu Shakespeares Geburtstag gehalten hat. “Wir ehren heute das Andenken des grssten Wandrers und tun uns dadurch selbst eine Ehre an. Von Verdiensten[,] die wir zu schtzen wissen, haben wir den Keim in uns”. 231 Einen grsseren Ehrgeiz als diesen kannte der 22-jhrige G[oethe] noch nicht. Er denkt nicht daran, mit ihm wetteifern zu wollen – aber er fhlt sich ihm nahe; er will sich ganz in die Welt Shakespeares versenken und versuchen, sie in ihrer ganzen Tiefe zu verstehen. Das alles ist freilich noch ganz Gefhl und Ahnung – nicht bewusste Reflexion. “Noch zur Zeit” sagt G[oethe] [“]habe ich wenig ber Sh[akespeare] g e d a c h t – geahndet, empfunden wenns hoch kam, ist das Hchste, wohin ich’s habe bringen knnen. Die erste Seite, die ich in ihm las, machte mich aufs Zeitlebens ihm eigen, und wie ich mit dem ersten Stcke fertig war, stund ich wie ein Blindgeborener, dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblicke schenkt. Ich erkannte, ich fhlte aufs lebhafteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert, alles war mir neu, unbekannt und das ungewohnte Licht machte mir Augenschmerzen. Nach und nach lernt’ ich sehen, und dank sei meinem erkenntlichen Genius, ich fhle noch immer lebhaft was ich gewonnen habe.” 232 Das war eine neue Form der Shakespeare-Renaissance in Deutschland. Als K  n s t l e r brauchte Shakespeare zu der Zeit, da G[oethe] diese Rede hielt, nicht mehr entdeckt zu werden – hier waren Lessing und Herder vorausgegangen, auf deren Urteil G[oethe] aufbaut. Aber der junge G[oethe] sucht Shakespeare nicht allein mit den Augen des Knstlers. Er ist ihm nicht bloss eine grosse und unvergleichliche l i t A

am 14. ... Rckkehr aus] ber der Zeile; ersetzt gestrichen: noch in

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t e r a r i s c h e Erscheinung; sondern er fhlt durch ihn seine ganze E x i s t e n z um eine Unendlichkeit erweitert; er fhlt sich durch ihn menschlich erschttert und menschlich verwandelt. Nun erst rckt fr ihn das Ve r h  l t n i s vo n K u n s t u n d L e b e n in ein ganz neues Licht. Alles was in der Kunst blosse “Knstlichkeit” – bloss konventionelle Regel ist, wird jetzt verworfen. Shakespeare ist das grosse Vorbild – denn aus ihm spricht die Natur selbst. »Und ich rufe Natur! Natur! nichts so Natur als Shakespeares Menschen! Er wetteiferte mit dem Prometheus, bildete ihm Zug vor Zug seine Menschen nach, nur in k o l o s s a l i s c h e r G r  s s e ; darin liegts, daß wir unsere Brder verkennen, und dann belebte er sie alle mit dem Hauch s e i n e s Geistes; er redet aus allen, und man erkennt ihre Verwandtschaft.« 233 Durch diesen Zug ins Kolossale, ins bermenschlichGrosse wird Sh[akespeare] fr Goethe der eigentliche Befreier – der Befreier von aller Geziertheit und Knstlichkeit – vom “Rokoko”. “Was will sich unser Jahrhundert unterstehen von Natur zu urteilen. Wo sollten wir sie her kennen, da wir von Jugend auf alles geschnrt und geziert an uns fhlen, und an anderen sehen. Ich schme mich oft vor Shakespeare, denn es kommt manchmal vor, daß ich beim ersten Blick denke, das htt’ ich anders gemacht! Hinten drein erkenn ich, daß ich ein armer Snder bin, daß aus Shakespeare die Natur weissagt, und daß1 meine Menschen Seifenblasen sind von Romanengrillen aufgetrieben”. 234 Mit solcher Begeisterung, mit solcher tiefen und unbedingten Hingebung hatten selbst Lessing und Herder nicht von Shakespeare gesprochen. Was uns an G[oethes]’ Urteil ber Sh[akespeare] so stark ergreift, das ist die tiefe und die ganz echte und aufrichtige B e s c h e i d e n h e i t , die aus ihm spricht. Auch spter, auf der Hhe seines Werkes und auf der Hhe seines dichterischen Ruhmes, hat G[oethe] diese Bescheidenheit nie verleugnet. Sh[akespeare] blieb ihm immer das unerreichbare Vorbild – der “Stern der hchsten Hhe”. A In dieser Gesinnung ist in G[oethe] kein Wandel eingetreten. Er hat sie, noch nach Jahrzehnten, in einem Gedicht ausgesprochen, in dem er sein Gefhl fr Shakespeare mit dem Gefhl vergleicht, das er fr die Geliebte, fr Frau von Stein empfindet[:] »Einer Einz’gen angehren Einen Einzigen verehren, Wie vereint es Herz und Sinn! Lida! Glck der nchsten Nhe, 1

und daß] am Rand: Morris[, Bd.] II, [S.] 137 ff.

Hhe”.] danach gestrichen: Lida, Glck der nchsten Nhe / William, – Stern der hchsten Hhe / Euch bricht ab A

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William! – Stern der hchsten Hhe Euch verdank ich, was ich bin. Tag und Jahre sind verschwunden, Und doch ruht auf jenen Stunden Meines Wortes Vollgewinn.« 235 Wenn G[oethe] aussprechen kann, daß auf seiner Verehrung fr Shakespeare “seines Wortes Vollgewinn” beruhe – so ist das wahrlich die tiefste, die reinste und schnste Huldigung, die einem dichterischen Genius von einem anderen dargebracht werden kann[.]

[zustzliche Vorlesung:] Viertes Kapitel: Gtz A236 Wir hatten uns zuletzt der Betrachtung von G[oethe]’s G  t z vo n B e r l i c h i n g e n zugewandt – und wir wollten zunchst die erste unverffentlichte B Fassung des Werkes ins Auge fassen, die den Titel trgt: G e s c h i c h t e G o t t f r i e d e n s vo n B e r l i c h i n g e n – d r a m a t i s i e r t . Wir sahen[,] daß G[oethe] den Stoff zu diesem Werk aus der Lebensbeschreibung Gottfr[ied] v[on] Berlichingens geschpft hat, die im Jahre 1731 in Nrnberg im Druck erschienen war und die G[oethe] schon in Straßburg gelesen hat. Schlgt man den »Urgtz« auf, so kann es auf den ersten Blick scheinen, als ob G[oethe] hier in der Tat nichts anderes gegeben hat und nichts anderes geben wollte, als eine getreue Wiedergabe seiner Vorlage – als habe er nur einige besonders bedeutsame und merkwrdige Szenen aus Gtz’ Leben herausgegriffen und sie in dramatische Form umgesetzt. Aber wenn dies der Fall gewesen, so wre aus dem Gtz nicht das grosse Dichtwerk geworden, C das wir jetzt in ihm besitzen. Denn der grosse Knstler steht zu seinem Stoff in einer ganz anderen Beziehung. Er braucht diesen Stoff nicht zu erfinden – er kann ihn entweder dem Leben oder der Geschichte entnehmen. Aber auch in diesem Falle besteht das Wesentliche nicht darin, wa s der Dichter darstellt – sondern in der inneren Wandlung, in der M e t a m o r p h o s e , die der Stoff in seinem Geist annimmt. Und hier allein liegt das entscheidende Moment. Wir stehen hier an einem Problem, das zu einer allgemeinen Betrachtung auffordert – das nicht nur fr den Gtz charakteristisch ist, sondern das D sich bei allen spteren Werken Goethes: beim Werther, beim Tasso, bei den Wahlverwandtschaften, beim West-stlichen Divan wiederholen wird. Die Goethe-Forschung hat es eine Zeit lang als ihre hchste, ja fast als ihre einzige Aufgabe angesehen, alle diese Werke derart zu interpretieren, daß sie nach den stofflichen, den Wirklichkeits-Momenten fragten, die in diese Werke eingegangen sind. E Man ruhte nicht, bevor man nicht auch fr diejenigen Goethischen Gestalten, die auf den ersten Blick als reine Phantasieschpfungen erscheinen und die auf den unbefangenen Leser als solche wirken mssen, ein Vorbild, ein “Modell” gefunden hatte. Diese Modelljgerei und Kapitel: Gtz] im Ms. hervorgehoben; darunter: (Zur Vorles[ung] vom 5/ II 1941) B unverffentlichte] unverffentliche C geworden,] geworden. darber geschrieben mit Einfgungszeichen: das wir jetzt in ihm besitzen D das] daß E nach dem ... sind.] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: als eine unmittelbare Reproduktion der Wirklichkeit erschienen. A Viertes

[zustzliche Vorlesung:] Viertes Kapitel: Gtz

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Motivjgerei A hat oft sehr seltsame und wunderliche Blten getrieben. Man war nicht zufrieden, ehe man nicht fr jede Goethische Gestalt und fr jedes Goethische Motiv ein konkretes, einzelnes, wirkliches Vo r b i l d nachgewiesen hatte, dem sie nachgebildet sein sollten. Und oft geriet man hierbei auf sehr khne Hypothesen und auf recht merkwrdige B und abenteuerliche Vermutungen. Erlauben Sie mir, Ihnen dies nur an einem einzelnen Beispiel zu verdeutlichen. Es gibt eine kleine Dichtung des jungen Goethe, die den Titel fhrt: »Satyrus oder der vergtterte Waldteufel«. Im Ganzen handelt es sich hier um eine jener derben Satiren und Burlesken, die G[oethe] in seiner Jugend zu schreiben liebte – und die sich stets gegen bestimmte litterarische Erscheinungen oder allgemeine geistige Zeiterscheinungen wenden. Die Form zu diesen Satiren hat G[oethe] dem Hans Sachsschen Fastnachtsspiel entnommen, denen sie auch usserlich in metrischer Hinsicht gleichen C : sie sind D in sogen[annten] »Knittelversen« verfasst. Wenn wir den »Satyros« unbefangen lesen, so sehen wir sofort, wogegen sich hier der Spott und die Satire richtet. Satyrus wird als der Waldmensch, der Wilde geschildert, der lange allein in seinen Wldern gelebt hat – der aber nun heraustritt, um die armen Sterblichen zu befreien und sie aus den knstlichen Ketten, die sie sich selbst geschmiedet haben, zu erlsen. Er verkndet ihnen E ein neues Evangelium: das Evangelium der Natur. Sie sollen allen falschen Zwang F von sich werfen, sie sollen wieder nackt gehen, sich von Wurzeln und rohen Frchten nhren, sich all ihren Trieben schrankenlos berlassen – dann erst wrden sie frei und glcklich werden. Wirklich gelingt es Satyros[,] eine Gemeinde um sich zu versammeln, die ihn verehrt und anbetet. Er wird von ihr zum Gotte erhoben. Aber die Glubigen erfahren eine schwere Enttuschung. Denn in diesem Gott regt sich alsbald das Tier; er macht einen wilden Angriff auf die Frau des Priesters der kleinen Gemeinde – wird dabei berrascht und schließlich mit Schimpf und Schande davongejagt. Was dieses kleine Drama bedeutet – danach brauchen wir nicht lange zu suchen. Es ist ersichtlich, daß der junge G[oethe] hier gewisse Auswchse der neuen Rousseau-Bewegung, die sich Motivjgerei] danach gestrichen: hat vor langer Zeit das eigentliche Charakteristikum der Wissenschaft, die sich Goethe-Philologie nannte – und sie B merkwrdige] merk ber gestrichen frag C – und die ... Hinsicht gleichen] am Rand und hier angeschlossen; ersetzt gestrichen: um eines jener Puppen- oder Fastnachtsspiele, wie wir sie aus Hans Sachs kennen. Auch die Fo r m zu diesen Spielen hat G[oethe] aus Hans Sachs entnommen D sie sind] danach gestrichen: fast alle E ihnen] ihn F Zwang] Zwang, Komma nach Streichung stehengeblieben, danach gestrichen: allen Zwang der Kultur A

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damals mehr und mehr ausbreitete und die gewaltig anschwoll, geisseln will: Sein Spott gilt der Verzerrung des Rousseauschen Natur-Evangeliums bei manchen Nachfolgern und Adepten Rousseaus. Selbst wenn wir dies nicht unmittelbar der Dichtung entnehmen knnten, wre ein Zweifel daran kaum mglich: denn G[oethe] selbst hat in »Dichtung und Wahrheit« den Satyros und andere ihm verwandte Entwrfe in dieser1 Weise interpretiert. A Was B er in ihm und in einem anderen verwandten Spiel[,] dem “Pater Brey”[,] geisseln wollte – das war, wie er uns hier gesagt hat, eine merkwrdige, aber im damaligen Deutschland weit verbreitete Zeiterscheinung. Es war das Auftreten seltsamer Abenteurer und Wanderapostel, die von Stadt zu Stadt zogen, um irgend einen neuen Glauben, eine neue Lehre, eine neue Weltanschauung zu verknden – die aber, unter dem Deckmantel dieser Lehre, oft sehr materielle und grob-egoistische Ziele verfolgten. Sie pflegten sich in die Familien einzuschleichen, und dort allerei Unruhen und Zwistigkeiten zu erregen. Es waren Leute, die, wie G[oethe] sagt, “auf ihre eigene Hand hin und wieder zogen, sich in jeder Stadt vor Anker legten und wenigstens in einigen Familien Einfluss zu gewinnen suchten[”]. “Einen zarten und weichen dieser Zunftgenossen” – so sagt G[oethe] – [“]habe ich in “Pater Brey”, einen anderen tchtigeren und derben in einem Fastnachtsspiele[,] das den Titel fhrt: »Satyros oder der vergtterte Waldteufel«, wo nicht mit Billigkeit, doch wenigstens mit gutem Humor dargestellt”[.] Aber die Goethe-Philologie wollte sich, gemss ihren methodischen Grundstzen, mit dieser a l l g e m e i n e n Beziehung nicht begngen. Sie suchte auch hier nach einem i n d i v i d u e l l e n Vorbild fr Goethes Satyros. Und Wilhelm S c h e re r glaubte, die Lsung des Rtsels gefunden zu haben – er erklrte, daß G[oethe]’s Satyros kein anderer als H e r d e r sei. 237 Auf seine Autoritt gesttzt ist dann diese Hypothese fast in alle Goethe-Darstellungen bergegangen. Aber ich muss gestehen, daß ich sie nicht nur fr unbewiesen und unbeweisbar, sondern auch fr hchst zweifelhaft und fragwrdig halte. G[oethe] besaß das tiefste Verstndnis und die strkste Verehrung fr Herder. Niemand hat damals in Deutschland die Grsse Herders und seine Mission so deutlich begriffen wie er. Freilich konnte er auch fr die menschlichen Grenzen und die menschlichen Schwchen Herders nicht blind sein – denn er gehrte zu denen, die diese Schwchen oft genug und schmerzlich genug zu spren bekommen hatten. Hiergegen also mochte er sich bisweilen mit einiger Bitterkeit auflehnen. 1

in dieser] am Rand: D u W. XIII[. Buch], / Loep[er, Bd.] 22, [S.] 109.

interpretiert.] danach Einfgungszeichen (wiederholt am Rand, mit dem Verweis: B l a t t B ) B Was] am oberen rechten Rand: B l a t t B A Weise

[zustzliche Vorlesung:] Viertes Kapitel: Gtz

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Aber niemals konnte er Herder so weit verkennen, daß er ihn als einen lsternen Faun schilderte oder daß er ihn zum Zunftgenossen jener Abenteurer machte, die sich, unter dem Vorwand[,] einen neuen Glauben zu verknden, in die Familien einschlichen, um dort sehr eigenntzige Zwekke zu verfolgen. Auch auf die Autoritt Scherers hin kann ich mich zu einer solchen Annahme nicht entschliessen, die meines Erachtens alle psychologische Wahrscheinlichkeit gegen A sich hat, die B allem widerstreitet, was wir sonst C, insbesondere aus Goethes herzlichen Briefen an Herder, ber sein Verhltnis zu Herder wissen D. Hier hat vielmehr, wie mir scheint, eine falsche Fragestellung zu einer falschen Antwort gefhrt. Man forderte von G[oethes] Dichtung nicht nur eine unmittelbare Nhe zur Wirklichkeit, sondern auch eine sozusagen photographische Treue. Nichts in ihr, oder so wenig als mglich, sollte Produktion, E alles sollte Reproduktion sein. Aber selbst wenn diese methodische Maxime sich in der Weise durchfhren liesse, wie es die ltere Goethe-Philologie und ihre geistigen Fhrer versucht haben – Vieles von den Entdeckungen, die damals gemacht wurden und die eine Zeit lang als “der Weisheit letzter Schluss” erschienen, ist heute vergessen – – auch in d i e s e m Falle wre fr das tiefere Verstndnis von G[oethe]’s D i c h t u n g nur wenig gewonnen. – F Denn das blosse »Was«, der gegen] ber gestrichen: wider die] danach gestrichen: uns zwingen mssen, das menschliche Verhltnis zwischen dem jungen Goethe und Herder in einen ganz falschen C sonst] danach gestrichen: aus allen Quellen D wissen] ber gestrichen: erschliessen knnen E Produktion,] Produktion; F Was er in ihm ... gewonnen. – ] (= Blatt B) ersetzt gestrichen: Aber man wollte sich mit solchen a l l g e m e i n e n Beziehungen nicht begngen; man suchte auch fr den Satyros nach einem individuellen persnlichen Vorbild – und man glaubte es zuletzt in H e r d e r gefunden zu haben. Wilhelm S c h e re r hat in einem Aufsatz nachzuweisen gesucht, daß der »Satyros« eine Darstellung Herders sein solle, und in fast jedem Einzelzug auf d i e s e n gemnzt sei. Auf die Autoritt eines so ausgezeichneten Kenners, wie Scherer es war, ist dann diese Hypothese fast in alle Goethe-Darstellungen bergegangen. Aber ich muß gestehen, daß ich sie nicht nur fr unbewiesen und unbeweisbar, sondern auch fr gnzlich verfehlt halte. Denn niemals konnte G[oethe] Herder, dessen Wesen er vielleicht eher als jeder andere erfasst hatte und dem er eine so unbedingte Verehrung zollte, in der Weise sehen und [in bei Streichung stehengeblieben] darstellen, wie es hier geschieht. G[oethe] kannte freilich die menschlichen Grenzen und die menschlichen Schwchen Herders – denn er gehrte zu denen, die diese Schwchen oft genug und schmerzlich zu fhlen bekommen hatten. Aber das hat ihn – wie wir noch im einzelnen sehen werden – in seinem Urteil ber Herders geistige und menschliche Grsse niemals wankend gemacht. Niemals konnte er Herder als einer S a t y r schildern, der seine tierisch-faunische Natur nur mhsam verstecken kann. Hier hat also, wie mir scheint, eine falsche F r a g e s t e l A B

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Der junge Goethe II.

I n h a l t des Erlebnisses als solcher, macht nie seinen poetischen Gehalt aus. Diesen Gehalt, seinen knstlerischen Wert erhlt dies alles erst durch die Umbildung, durch die Form, die es in der dichterischen Phantasie gewinnt. Es ist daher mssig zu fragen, ob Herder fr den Satyros oder fr den Faust Modell gestanden hat, ob Kestner der Albert im »Werther« oder ob Minna Herzlieb die Ottilie in den Wahlverwandtschaften » i s t «. Eine solche I d e n t i t  t wrde, auch wenn sie beweisbar wre – was ja niemals im strengen Sinne der Fall ist – die Idealitt des Kunstwerks aufheben und vernichten. Aber gerade bei Goethe ist diese Idealitt unverkennbar: So wenig er etwas gestalten will oder kann, was nicht in irgend einer Beziehung zu ihm, zu seiner Persnlichkeit und seinem inneren Leben stand – so wenig hat er jemals einfach sein Leben usserlich a b g e s c h r i e b e n –A »Das Wa s des Kunstwerks« – so sagt Goethe in einem seiner Sprche –1 »interessiert die Menschen mehr als das W i e ; jenes knnen sie einzeln erfassen; dieses im Ganzen nicht fassen ... Die Frage: “Woher hats der seiner Sprche –] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: Max[ime] 109[.] 1

l u n g zu einer falschen Antwort gefhrt. Denn es war eine solche falsche Fragestellung, wenn die Goethe-Philologie und ihre geistigen Fhrer so lange geglaubt haben, daß es keinen anderen und keinen sichereren Weg zum Verstndnis von G[oethe]’s Dichtung geben knne, als wenn man jeden Einzelzug dieser Dichtung aus G[oethes]’ eigenem Leben und aus anderen Elementen der Wirklichkeit, aus seiner Umgebung, aus dem[,] was er an anderen und mit anderen erfahren hatte, belegen konnte. Selbst wenn die Aufgabe, die man sich hier stellte, streng wissenschaftlich l  s b a r wre – viele Lsungen, die man eine Zeitlang hchlich bewundert hat, sind heute aufgegeben und als unzulnglich erkannt – selbst dann knnte sie uns den tieferen Einblick in die Welt von Goethes D i c h t u n g nicht gewhren. A a b g e s c h r i e b e n –] danach gestrichen: und aus einer solchen A b s c h r i f t htte sich ihm nie ein Kunstwerk gestalten knnen. Aber wir wollen dieser Frage hier im allgemeinen nicht weiter nachgehen – wir wollen sie nur auf unseren b e s o n d e re n Fall, auf den »Gtz von Berlichingen« anwenden. An ihm kann man sich besonders deutlich machen, was der Stoff fr den Dichter bedeutet – und was er n i c h t bedeutet. Wir sahen bereits: der Goethische Gtz ist nicht der historische Gtz. Er ist es schon den usseren Umstnden nach nicht – denn der letztere, der historische Gtz, ist nach einem bunten Krieger-[,] Ritter[-] und Abenteurerleben, im hohen Alter, mit 82 Jahren, friedlich auf seiner Burg gestorben – whrend G[oethe] Gtz mitten in seiner Manneskraft sterben lsst. Aber viel wichtiger als diese Vernderung, ist die i n n e re Wandlung, die der Charakter des Gtz bei G[oethe] erfhrt. Wir spren sofort, daß die Gestalt des wirklichen Gtz in Goethes Phantasie eine solche entscheidende Wandlung durchgemacht hat. Was G[oethe] fesselt, sind nicht in erster Linie danach mit Linie verbunden auf dem Rand: etc.

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Dichter”? geht auch nur aufs Wa s ; vom W i e erfhrt dabei niemand etwas.« 238 Hier ist der Unterschied, auf den es ankommt, deutlich bezeichnet. Die litterarhistorische Motiv-Forschung hat sich, meiner Meinung nach, oft viel zu sehr um das »Was« des einzelnen Kunstwerks, um den Stoff und die Herkunft des Stoffes, bemht – und dabei das Wie, seine innere Fo r m , auf der doch allein die aesthetische, die knstlerische Wirkung beruht, bisweilen fast ganz aus dem Auge verloren[.] Aber wir wollen diesen allgemeinen Betrachtungen hier nicht weiter nachgehen – sondern sie sofort auf unseren b e s o n d e re n Fall anwenden. Am Gtz v[on] B[erlichingen] kann man sich deutlich machen, was der Stoff fr den Dichter bedeutet – und was er n i c h t bedeutet. Wir sahen bereits[:] der Goethische Gtz ist nicht der historische Gtz. Schon usserlich sind beide verschieden. G[oethe] lsst seinen Gtz im besten Mannesalter im Gefngnis zu Heilbronn sterben – der wirkliche Gtz ist als Greis von 82 Jahren friedlich auf seinem Schloß verschieden[.] Aber das ist nicht alles. Viel wichtiger ist die i n n e re Wandlung, die die Gestalten des Gtz, wenn man sie mit dem Helden der Selbstbiographie vergleicht, in G[oethe]’s Geist erfahren haben. Das ist noch immer der Held – der ranke und tchtige Krieger, der Ritter ohne Furcht und Tadel; aber er ist nicht dies a l l e i n . Eine ganz andere S t i m m u n g umfngt uns, wenn wir von der Selbstbiographie zu G[oethe]’s Werk hinberblicken[.]

Dritte Vorlesung[:] Die Leiden des jungen Werthers A [12.II.41] Von »Werthers Leiden« soll in dieser Stunde die Rede sein. Aber weder von dem Inhalt des Werkes noch von seiner Entstehungsgeschichte will ich hier ausfhrlich sprechen. Der Inhalt ist uns allen vertraut; das Bild von Werther und Lotte gehrt zu denen, die sich uns von frher Jugend an unauslschlich eingeprgt haben und die mit den Jahren nichts von dem eigentmlichen Glanz verlieren, der sie umgibt. Es ist das Grosse und Merkwrdige an Werther, daß der Eindruck von ihm nie veraltet. Man liest ihn als Sechzigjhriger mit anderen Empfindungen[,] als man ihn als Zwanzigjhriger gelesen hat – aber mit kaum geringerer Ergriffenheit. B Es gibt wenige Gestalten der Weltlitteratur, die so sehr in ewiger Jugend erstrahlen als Werther und Lotte. Die Entstehungsgeschichte des Werkes hat G[oethe] in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] eingehend erzhlt – und die Momente, die hier etwa fehlen, sind in jeder Goethe-Biographie sorgsam und eingehend behandelt. Ich begnge mich hier damit, Ihnen C das Wichtigste kurz ins Gedchtnis zurckzurufen. G[oethe] kommt im Frhjahr 1772 nach Wetzlar, um dort am Reichskammergericht zu arbeiten. Bei einem lndlichen Ball macht er die Bekanntschaft mit einem jungen Mdchen D : Lotte Buff, der ltesten Tochter des Amtmanns Buff. 239 Lotte ist damals ein Mdchen von 19 Jahren; ihre Mutter ist frh gestorben; sie fhrt den Haushalt des Vaters und hat fr diesen und fr zehn jngere Geschwister zu sorgen. Wie sie diese Pflichten erfllt, wie sie in diesem huslichen Kreise lebt, was sie den Ihren ist, welche Heiterkeit und Gte, welcher jugendliche Zauber und Liebreiz sie umgibt: das alles hat G[oethe] im Werther unvergleichlich geschildert. Bald fhlt er sich leidenschaftlich zu ihr hingezogen – und Lotte selbst kommt ihm mit inniger Neigung, mit dem herzlichsten und offensten Vertrauen entgegen. Aber sie hlt ihn zugleich von sich entfernt – denn ein Versprechen bindet sie an einen Andern, an K e s t n e r, der damals noch nicht vor der Welt ihr Brutigam ist, dem sie aber schon mit 15 Jahren ihr Wort gegeben hat. Kestner selbst, der bei Goethes erster Bekanntschaft mit Lotte E noch in Hannover war, erscheint in Wetzlar. Er ist acht Jahre lter als G[oethe]; G[oethe] erkennt in ihm nicht nur einen ruhigen, tchtigen, pflichteif-

Dritte Vorlesung: / Die Leiden des jungen Werthers] im Ms. hervorgehoben mit kaum geringerer Ergriffenheit.] ersetzt gestrichen: kaum mit weniger starken Empfindungen C Ihnen] danach gestrichen: nur D Mdchen] danach gestrichen: von 19 Jahren E Lotte] Lotte, A B

Dritte Vorlesung: Die Leiden des jungen Werthers

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rigen, intelligenten Mann, sondern er fhlt sich auch persnlich zu ihm hingezogen. Bald verbindet auch die beiden Mnner eine herzliche Freundschaft. Kestner ist von jeder eiferschtigen Regung frei, A er ist des Gefhls, das Lotte fr ihn hegt, sicher. So begegnet er G[oethe] von Anfang an mit Wrme und mit herzlichem Vertrauen. Wie das Verhltnis der beiden Mnner sich damals gestaltete: dafr haben wir ein schnes Zeugnis in einer Schilderung von Goethes Persnlichkeit, die Kestner damals in einem Brief gegeben[.] B “Er hat sehr viele Talente” – so1 schreibt Kestner – “ist ein wahres Genie, und ein Mensch von Charakter, besitzt eine ausserordentlich lebhafte Einbildungskraft, daher er sich meistens in Bildern und Gleichnissen ausdrckt ... Er ist in allen seinen Affekten heftig, hat jedoch oft viel Gewalt ber sich. Seine Denkungsart ist edel, von Vorurteilen ... frei handelt er, wie es ihm einfllt, ohne sich darum zu bekmmern, ob es Andern gefllt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhaßt ^ ... Er geht nicht in die Kirche, auch nicht zum Abendmahl, betet auch selten. Denn, sagt er, ich bin dazu nicht genug Lgner ... Vor der christlichen Religion hat er Hochachtung, nicht aber in der Gestalt, wie sie unsere Theologen vorstellen. Er g l a u b t ein knftiges Leben, einen besseren Zustand. & Er strebt nach Wahrheit, hlt jedoch mehr vom Gefhl derselben, als von ihrer Demonstration ...” “Ich wollte ihn schildern” – so beschließt Kestner diese Darstellung, von der ich hier nur einige besonders charakteristische Stze herausgehoben habe – “aber es wrde zu weitluftig werden, denn es lsst sich gar viel von ihm sagen. E r i s t m i t e i n e m Wo r t e e i n s e h r m e r k w  r d i g e r M e n s c h ” [.] Als Kestner diese Worte schrieb – da war G[oethe] noch nicht der berhmte Dichter; er war noch ein unbekannter junger Mann von 23 Jahren. Wer ihn damals s o zu sehen vermochte – der war sicher selbst kein gewhnlicher Mensch; kein Durchschnittsmensch oder Philister. Und ungewhnlich ist auch das Verhltnis, das sich zwischen diesen drei Menschen, zwischen G[oethe], Kestner und Lotte ergibt. Ihr persnliches Zusammensein hat nur kurz gedauert – nur etwa ein Vierteljahr von Juni bis September 1772 sind sie in Wetzlar zusammen. Dann reißt C sich 1

– so] am Rand: Morris[, Bd.] II, [S.] 315[.]

frei,] Semikolon zu Komma gendert, danach gestrichen: er fhlt ganz, was Goethe ist, und er sieht nicht nur das Strmische und Leidenschaftliche, sondern auch das Grosse und Edle in seinem Wesen. So begegnet er G[oethe]. Zudem ist B in einem Brief gegeben] ber der Zeile; ersetzt gestrichen: niedergeschrieben hat. Sie zeigt ein echtes und feines Verstndnis[,] und sie gehrt zu dem Schnsten, was von Zeitgenossen ber den jungen Goethe gesagt worden ist. C reißt] reist A

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Der junge Goethe II.

Goethe eines Tages pltzlich los – er fhlt, daß seine Leidenschaft zu Lotte bermchtig wird und ihn zu bezwingen droht. Mit einem schnellen Entschluß verlsst er Wetzlar – und erst nachher gesteht er Lotte und Kestner in einem Brief, was ihn fortgetrieben hat. Aber er bleibt mit ihnen in herzlichstem Einvernehmen. Aus den Briefen, die er an sie und die er an die jngeren Geschwister Lottes richtet, sehen wir, wie sehr er sich ihnen, wie er sich dem ganzen Hause verbunden fhlt, wie er an allen Einzelheiten ihres Lebens teil nimmt. Lottes Schattenriss hngt ber seinem Bett. Nach ihrer Verheiratung mit Kestner, am 14[.] April 1773, hat er einen Augenblick den Gedanken[,] die Silhouette herunterzunehmen – aber er kann sich dazu nicht entschliessen. Sie bleibt hngen – und soll denn auch hngen bleiben, bis ich “sterbe” – so schreibt er an Kestner. 240 Und die Briefe aus dieser Zeit zeigen uns, daß er noch immer mit allen Fasern seines Wesens an Lotte hngt. “Von der Lotte wegzugehen. Ich begreifs noch nicht wies mglich war” 241 – so schreibt1 er in einem Brief vom 10[.] April 1773 an Kestner. Vom We r t h e r ist bei alledem noch nicht die Rede – noch ist G[oethe] nicht der Gedanke gekommen, sein Erlebnis dichterisch zu gestalten. Da trifft pltzlich aus Wetzlar die Nachricht ein, daß dort der junge Jerusalem, 242 der Sohn des bekannten Theologen Jerusalem, der wie Goethe am Reichskammergericht gearbeitet hatte, sich erschossen habe. Kestner meldet es Goethe: er selbst hat Jerusalem die Pistolen geliehen, die dieser fr eine Reise verlangte. Und nun2 pltzlich gestaltet sich in G[oethe] der Roman. In vier Wochen ist er vollendet. G[oethe] sagt in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit,] er habe den Werther ziemlich unbewusst, einem Nachtwandler hnlich, geschrieben. 243 Im Winter 1774 bekommt dann sein Freund Merck als Erster das Manuskript des Werther zu lesen. Dies die  u s s e re n Umstnde, die aber nur den Rahmen des Bildes geben. Wir mussten sie erwhnen – denn e i n Zug ist an ihnen wichtig. Schon dem Wenigen, das hier gesagt wurde, knnen Sie entnehmen, daß Goethe nicht Werther i s t . Er hat sein ganzes Gefhl fr Lotte in das Werk gelegt – aber sein eigenes Verhltnis zu Lotte und vor allem sein Verhltnis zu Kestner war im Leben ein anderes, als es im Roman erscheint. Auch hier wollte G[oethe] niemals in der Dichtung das Leben “abschreiben”[,] und wer den Werther als »Schlsselroman« liest, der hat ihn nicht verstanden. A Auch der Werther ist ganz ein Gebilde der dichtenden P h a n t a s i e , die G[oethe] hier, wie berall, in voller Frei1 2

A

so schreibt] am Rand: (Morris[, Bd.] 3, [S.] 37)[.] Und nun] am Rand: D u W. XIII[. Buch], Loeper[,] / [Bd.] 22, [S.] 132[.]

und wer ... verstanden.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen

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heit walten liess. ber diese Gestalten seiner Phantasie hatte er keine Macht. “Ihr drngt Euch zu – Nun gut, so mgt Ihr walten, wie Ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt” 244 – so ruft Goethe in der Z u e i g n u n g z u m Fa u s t den Gestalten seiner Phantasie zu. So war es auch hier. Die Erscheinung Werthers stand pltzlich vor ihm – und sie forderte von ihm gewaltsam, unwiderstehlich ihre dichterische Verkrperung. Hier gab es fr G[oethe] keine Wahl – und hier konnte ihn keine ussere Rcksicht hemmen, das auszusprechen und zu gestalten, was in ihm lebte. G[oethe] hat einmal gesagt, nicht e r habe seine Gedichte gemacht – sondern seine Gedichte htten i h n gemacht. 245 Er fhlte sich gerade in dem Besten und Tiefsten, was er geben konnte, oft nicht als der Schpfer, sondern als der re i n - E m p f a n g e n d e . Und er konnte hier nicht modeln, nicht willkrlich ndern. Er sah, er empfand den Werther a l s G a n z e s – und dieses Ganze hatte in sich selbst sein eigenes Gesetz, seine organische Struktur, in die er von aussen nicht eingreifen konnte. “Es sind nicht Bilder, die der Wahn erzeugte, Ich weiss es, sie sind ewig – denn sie sind”[,] 246 so sagt Ta s s o in der Goethischen Dichtung von seinen dichterischen Gestalten – So empfand G[oethe] auch den Werther. Als der Roman bei seinem ersten Erscheinen das grßte Aufsehen erregte – Als Lotte und Kestner unter diesem Aufsehen litten und sich bei G[oethe] bitter darber beklagten, daß er ihre intimsten Lebensverhltnisse der ffentlichkeit und einem neugierigen und zudringlichen Publikum preisgegeben habe – da antwortet ihnen G[oethe] in einem herzlichen Brief, der ausdrckt, wie es sich im Schaffen des Dichters, – des echten und großen Dichter[s] – nicht um ein blosses Wollen oder Knnen, sondern um ein inneres M u ß handelt – “Bruder,1 lieber Kestner” – so schreibt G[oethe] – [“]Wollt Ihr warten, so wird Euch geholfen ... Ich wollt um meines eigenen Lebens Gefahr willen Werthern nicht zurckrufen, und glaube mir, glaub an mich, deine Besorgnisse ... schwinden wie Gespenster der Nacht, wo Du Geduld hast ... Werther m u s s , – m u s s sein! Ihr fhlt i h n nicht, ihr fhlt nur m i c h und e u c h – und was ihr angeklebt heisst und trutz Euch – und andern e i n g e wo b e n ist«[.] Ein wundervolles Bild fr alles knstlerische Gestalten! Kestner und Lotte hatten darber geklagt, daß G[oethe] die Ereignisse nicht so geschildert habe, wie sie sich wirklich zugetragen – 1

“Bruder,] am Rand: Morris[, Bd.] 4, [S.] 147[.]

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daß er manche Zge willkrlich h i n z u e r f u n d e n habe, e i n g e k l e b t habe – Aber G[oethe] war sich bewusst, daß er nicht geklebt, sondern g e s t a l t e t habe – daß er nicht bloss komponiert, das heisst E i n z e l n e s zusammengetragen – sondern eine Gestalt aus einem Guss gegeben habe – eine Gestalt, in der “alles sich zum Ganzen webt” 247 – Und in d i e s e r Art sollten wir heute den Werther lesen – A Keine Dichtung G[oethe]’s kam so sehr der Stimmung seiner eigenen Zeit entgegen wie der Werther – und keine hat einen so unmittelbaren und allgemeinen Erfolg gehabt. Ich habe bereits bei einer frheren Gelegenheit erwhnt, daß der Ruf des Werther selbst ber Europa hinausdrang – daß es selbst chinesische Malereien gab, die Szenen aus dem Roman darstellten. Die junge Generation war hingerissen; jeder Einzelne fhlte oder glaubte zu fhlen, daß hier das Geheimnis seines eigenen innersten Seins ausgesprochen war. Wenn wir das Werk heute lesen, so fllt es uns nicht leicht, uns d i e s e Seite seiner Wirkung verstndlich zu machen. Denn alles[,] was am Werther zeitbedingt ist, ist fr uns weit in die Ferne gerckt. In die Gefhlswelt der Epoche der “Empfindsamkeit” knnen wir uns nur schwer zurckversetzen – und Viele, wenn nicht die Meisten von uns, pflegen ber sie zu lcheln. B Worauf C beruht es, daß nichtsdestoweniger der »Werther« uns noch unmittelbar nahe ist – daß er nichts von seiner knstlerischen Kraft und Wirkung verloren hat? Die Antwort auf diese Frage finden wir am besten, wenn wir den Werther mit einem anderen großen Zeitroman, mit Rousseaus » N o u ve l l e H l o s e « vergleichen[.] Auch Rousseaus Werk hatte einen gewaltigen und strmischen Erfolg, den R[ousseau] in seinen »Confessions« anschaulich geschildert hat. 248 Aber heute gehrt dieses Werk der Vergangenheit an – nur der Litterarhistoriker und der Philosophiehistoriker liest es noch. Daß g e s c h i c h t l i c h ein naher Zusammenhang zwischen Goethes und Rousseaus Werk besteht, daran besteht kein Zweifel. Erich Schmidt hat in seinem bekannten Buche R i c h a r d s o n , Ro u s s e a u u n d G o e t h e (1875) diesen Zusammenhang im einzelnen lesen –] danach gestrichen: Es ist unendlich viel ber Goethe, Lotte Buff, Kestner geschrieben worden – / und die Goethe-Philologie hat uns mit keinem einzigen Detail verschont – / Aber all dies drfen und s o l l e n wir vergessen, wenn wir das Werk wahrhaft knstlerisch empfinden und geniessen sollen – / Es fllt von uns ab – wir fhlen nicht mehr Kestner oder Lotte. B lcheln.] danach: Einfgungszeichen, das am Rand wiederholt wird mit dem Verweis: B l a t t a C Worauf] darber am oberen Rand: ( We r t h e r ) .; am rechten Rand: B l a t t a A

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aufgewiesen. Die Gefhlswelt der »Neuen H lo se« ist es, die der des Werther den Boden bereitet hat – und auch in der litterarischen Form hat Rousseaus Werk tief auf den Werther eingewirkt. Aber in e i n e r Hinsicht besteht zwischen beiden ein fundamentaler Unterschied. Die Gestalten des Rousseauschen Romans – sein St-Preux, seine Julie – sie sind nicht nur Phantasiegestalten – sondern sie sind phantastische Gestalten[,] sie sind e r f u n d e n e Gestalten. Rousseau selbst hat uns gesagt, wie sie zu Stande gekommen sind. In seinen Bekenntnissen hat er uns die Entstehung des Romans erzhlt. A249 R[ousseau] ist dem Leben in Paris beruht es, ... Romans erzhlt.] (= Werther Blatt a) ersetzt gestrichen: In der zweiten Ausgabe des »Werther« schrieb Goethe auf das Titelblatt ein kleines Gedicht, das mit den Worten beginnt: »Jeder Jngling sehnt sich so zu lieben[,] Jedes Mdchen so geliebt zu sein«[.] Unsere Generation ist von einem anderen Schlag. Ich weiss nicht, ob es heute unter uns noch viele junge Menschen gibt, deren Ideal und deren Sehnsucht darin besteht, in Werthers Art zu lieben. Und doch hat uns dies dem Werk nicht entfremdet – und was es k  n s t l e r i s c h bedeutet, das fhlt noch Jeder, der berhaupt starker knstlerischer Eindrcke fhig ist. Warum empfinden wir diesem Roman gegenber anders, als wir gegenber anderen berhmten Romanen der gleichen Epoche empfinden? So gewaltig der Erfolg des Werther gewesen ist, so stand er doch mit diesem Erfolg nicht allein. Auch Richardsons Romane, auch Rousseaus Nouvelle H lo se hatte kurz zuvor die ganze europische Leserwelt begeistert. Als Richardsons Roman: » G r a n d i s o n « erschien, [gestrichen: dessen Held das Idealbild eines edlen jungen Mannes ist,] – da entstand unter der jungen Generation ein Grandison-Fieber, wie spter ein Werther-Fieber entstand. Und hnliches hat uns Rousseau in den »Confessions« ber den Erfolg der »Nouvelle H lo se« erzhlt. Aber der »Grandison« und die »Nouvelle H lo se« gehren fr uns der Vergangenheit an – wir nehmen an ihnen kein anderes Interesse mehr als ein litterarhistorisches Interesse. Woran liegt dies – und was unterscheidet Goethes Werk von beiden? Was Rousseaus Werk betrifft, so besteht kein Zweifel, daß ein naher Zusammenhang zwischen ihm und dem Werther besteht. Die Gefhlswelt der Nouv[elle] Hel[o se] ist es, die der des Werther den Boden bereitet hat – und auch die litterarische Form der N[ouvelle] H l[o se] hat tief auf die des Werther eingewirkt. Die litterarischen Zusammenhnge, die hier bestehen, hat E r i c h S c h m i d t in einem eigenen Buch: R i c h a r d s o n , Ro u s s s e a u u n d G [ o e t h e ] eingehend behandelt (1875, neuer Abdr[uck] Jena 1924)[.] Ich leugne diese Zusammenhnge keineswegs – und doch mssen wir uns hten, den Werther allzu nahe an Richardson oder Rousseau heranrcken zu wollen. Denn wir wrden damit in Gefahr geraten, gerade das Wichtigste und Eigentmlichste an ihm zu verkennen. Richardsons »Grandison« ist von moralischen Absichten beseelt; in der Gestalt des Helden wird ein Jngling gezeichnet, der alle nur erdenkliche Vollkommenheit in sich vereint, der zum Muster und Vorbild der Lebensfhrung dienen soll. Rousseau[s] St-Preux ist von anderer Art; hier spren wir auf jeder Seite, daß diese Gestalt empfunden, nicht bloss gedacht und daß sie der Ausdruck von Rousseaus eigener Gemtsstimmung ist. Und doch bewegt sich auch die Nouv[elle] Hel[o se] in einer

A Worauf

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entflohen; er lebt als Einsiedler in einem kleinen Landhaus La Chevrette, das ihm von einer vornehmen Gnnerin, der Mme[.] d’Epinay zur Verfgung gestellt worden ist. Und nun beginnt sich die Welt um ihn her mit phantastischen Gestalten zu erfllen: er trumt von einem Liebesglck, das er nie gekannt, das das Leben ihm stndig versagt hat. »Ich erfllte die Welt« – so sagt er in den »Confessions« – [“]mit Wesen nach meinem Herzen; ich schuf mir ein goldenes Zeitalter nach meinem Geschmack, indem ich mir die Erlebnisse frherer Tage, an welche sich ssse Erinnerungen anknpften, ins Gedchtnis1 rief und mit lebendigen Farben die Bilder des Glckes ausmalte, nach welchen ich mich nur noch sehnen konnte”[.] Das ist eigentliche “Empfindsamkeit” – denn das Glck und das Leid, das R[ousseau] hier empfindet, besteht nur in der Vorstellung. Spter ist Rousseau einer Frau begegnet, in der er nun die Erfllung aller von ihm ertrumten Vollkommenheiten zu sehen glaubte: der Mme[.] d’Houdetot, der Schwgerin der Mme[.] d’Epinay – Dennoch A knnen wir bei der Schilderung der Julie in der Nouv[elle] H l[oise] keinen Augenblick zweifeln, daß es sich hier B um ein Traumbild handelt, das der Moralist Rousseau entworfen hat – und dem der Mensch Jean Jacques seine Seele und seine glhende Leidenschaft eingehaucht hat. Von all dem spren wir bei Goethe nichts. C Goethe selbst hat einmal gesagt, s e i n e Phantasie sei die “Phantasie fr die Wahrheit des Realen”. 250 Er gebraucht die Phantasie nicht, um der Wirklichkeit zu entfliehen, sondern um tiefer und tiefer in sie einzudringen – um ein immer bestimmteres, immer plastischeres Bild von ihr zu gewinnen. Sehr charakteristisch und prgnant ist diese Richtung in Goethe einmal von seinem Freund M e rc k ausgesprochen worden. “Dein Bestreben, Deine unablenkbare2 Richtung” – so hat Merck Gedchtnis] am Rand: Rouss[eau,] Conf[essions] / L[ivre] XI (S. 723 der / d[eu]tsch[en] Ausg[abe])[.] 251 2 unablenkbare] am Rand: D u W. XVIII[. Buch,] / Loep[er, Bd.] 23, [S.] 56[.] 1

ertrumten Welt. Wir wrden dies bei der Lektre des Werkes empfinden, – auch wenn es uns Rousseau selbst nicht ausdrcklich gesagt htte. In seinen Bekenntnissen hat er uns die Entstehung des Romans geschildert. A Dennoch] Lesung unsicher, vielleicht: dennoch B hier] danach gestrichen: um eine Phantasiegestalt, C nichts.] danach gestrichen: Auch Goethe ist nicht das, was man heute in der Litteratur unter einem »Realisten« zu verstehen pflegt – und Werthers Leiden sind etwas vllig anderes als ein naturalistischer Roman. Sie sind ein freies Geschpf der knstlerischen Phantasie. Aber Goethes Phantasie schweift nicht ber die Wirklichkeit hinaus – sondern sie will sich in dieser selbst heimisch machen. [daneben am Rand: Nb[.]: vgl. / Ms[.] ders[.]: 2te Vorles[ung] / (Lund); ev[entuell] hier] 252

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einmal zu G[oethe] gesagt – [“]ist, dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben; die andern suchen das sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen, und das gibt nichts wie dummes Zeug.” 253 Nirgends fhlt man diese “unablenkbare Richtung” G[oethe]’s so deutlich wie im Werther[,] und sie ist es, die uns das Werk noch heute so frisch, so gegenwrtig erscheinen lsst wie nur je – obwohl die Zeit, deres angehrt und deren Stimmung es auszudrcken bestimmt war, fr uns vergangen und versunken ist. – Man pflegt den Werther die Dichtung des We l t s c h m e r z e s zu nennen und in ihm den Anfang jener grossen Reihe von Dichtungen zu sehen, die spter, in der Litteratur des 19ten Jahrhunderts, den Weltschmerz verkndet haben. Aber dieser Ausdruck ist gefhrlich und irrefhrend. Er A wird weder dem poetischen Gehalt des Werks noch seinem eigentmlichen Stimmungsgehalt gerecht. ber dem Werther liegt eine dstere und tragische Stimmung – aber es ist nicht jene Stimmung, die wir bei den eigentlichen Poeten des Weltschmerzes finden. In der Tat – denken wir an B y ro n in der englischen Litteratur – an B a u d e l a i re in der franzsischen Litteratur, an L e o p a r d i in der italienischen Litteratur! Wir fhlen dann sofort die tiefe Kluft, die i h re Welt von der Welt des »Werther« trennt. Bei Byron finden wir den ro m a n t i s c h e n We l t s c h m e r z . Er ist gemischt aus romantischer Ironie, aus tiefer persnlicher Verbitterung und Enttuschung und aus jener Selbstvergtterung des genialen Individuums, durch welche es sich von der Welt abrckt und mehr und mehr in einen feindlichen Gegensatz zu ihr gert. In B a u d e l a i re s »Fleurs du Mal« herrscht der Lebensberdruss, der Ekel vor diesem gewhnlichen und inhaltsleeren Dasein, das sich Tag fr Tag in derselben Weise erneuert, der Abscheu vor der Eintnigkeit und Gleichfrmigkeit unserer Existenz. In einem seiner schnsten und merkwrdigsten Gedichte ruft Baudelaire den Tod um Hilfe an und bittet ihn, ihn endlich aus diesem ewigen Einerlei zu erlsen. Der Tod, der alte Kapitn, soll endlich den Anker lichten und ihn zu neuen und fernen Ksten tragen. Er will den Sprung in den Abgrund wagen – gleichviel was dieser Abgrund enthlt. Himmel oder Hlle gilt ihm gleich viel – wenn es ihm nur Neues, Anderes, Unbekanntes bringt. B [»]Verse-nous ton poison pour qu’il nous r conforte Nous voulons, tant ce feu nous brle le cerveau, Plonger au fond du gouffre, Enfer ou Ciel, qu’importe? Au fond de l’Inconnu pour trouver du n o u ve a u !« 254 irrefhrend. Er] irrefhrend; Er Semikolon bei der nderung von er zu Er stehengeblieben B bringt.] danach gestrichen: Besser das Schlimmste erdulden, als der Langeweile des Lebens erliegen A

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Das ist der echte und eigentliche Weltschmerz, das »taedium vitae«, 255 der berdruss und Ekel am Leben A [.] Auch bei L e o p a r d i bricht immer wieder dieses Grauen vor dem Leben und diese tiefe Verachtung all dessen, was es enthlt, durch. Das Ganze des Daseins – er selbst und das Universum, verfllt dieser Verachtung. In einem Gedicht: A se stesso (an sich selbst) redet er sein eigenes Herz an: »Ruhe fr immer. Du hast genug geschlagen. Deine Regungen bedeuten nichts, und die Erde ist keines Seufzers wert ... Verzweifle zum letzten Mal ... Von nun an verachte Dich selbst, verachte die Natur und die dunkle Gewalt, die unbekannt und verborgen, zum allgemeinen Schaden und Unglck herrscht und die unendliche Eitelkeit des Ganzen« – e l’infinita vanita del tutto. 256 Solche Tne, wie sie hier von Byron, von Baudelaire, von Leopardi angeschlagen werden, hren wir in Goethes Werther nirgends. Denn Werther leidet nicht am Lebens-  b e r d r u s s – er leidet vielmehr an der F  l l e des Lebens, deren er nicht Herr zu werden vermag, und die ihn zu zersprengen droht. Was auf ihm lastet, ist nicht das Leben als solches, das ruhige Gleichmaß der Tage. Er sucht nicht das Neue und Ungewhnliche um jeden Preis. Im Gegenteil – er fhlt sich niemals glcklicher und heiterer, als wenn er sich den einfachsten Daseinsformen ganz hingeben kann. Die schnsten Szenen des Werther sind diejenigen, in denen solche Daseinsformen beschrieben werden: – ein Gesprch am Brunnen, das er mit einer Magd fhrt, die dorthin kommt, um Wasser zu schpfen – ein Spiel von Kindern, die er auf einem Bauernhofe trifft – eine Unterhaltung mit schlichten einfachen Leuten aus dem Volk! Dieses enge, gebundene, beschrnkte Dasein schreckt Werther nicht, sondern es zieht ihn unwiderstehlich an – er sehnt sich nach diesen engen Daseinsformen zurck, und er fhlt, daß er nur in ihnen Trost und Ruhe finden knnte. Das ist nicht Weltschmerz im Sinne der Spteren – der Romantiker, der Pessimisten und Lebensverchter. Solchen Weltschmerz kennt Goethe in der Jugend so wenig[,] wie er ihn im Alter kennt. Eines seiner schnsten und merkwrdigsten Altersgedichte hat er mit den Worten geschlossen: »Wie es auch sei, das Leben es ist gut.« 257 Das Leben ist fr Goethe gut – weil es g  t t l i c h ist: gttlich auch noch in der Flle und dem bermaß des Leidens. Das Leid kann den Menschen zerbrechen – aber es zerstrt fr Goethe den eigentlichen und tiefsten S i n n des Lebens nicht. Auch aus dem tiefsten Leid erwchst bei ihm niemals ein Hass des Lebens. “Whntest Du etwa, ich sollte das Leben hassen – In Wsten fliehn – Weil nicht alle Bltentrume reiften?” 258 – so ruft, in der Ode »Prometheus«, die der Zeit des Werther angehrt, Prometheus dem Zeus zu. Von dem[,] was man A

Das ist der echte ... Ekel am Leben] zwischen den Zeilen

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gemeinhin »Optimismus« A nennt, ist freilich diese Prometheische Stimmung des jungen Goethe weit entfernt. Denn was hier verherrlicht wird, ist nicht die Lebensfreude im gewhnlichen Sinne – die Freude am blossen G e n u s s des Lebens, sondern die S c h a f f e n s f re u d e . Nur der Schaffende lebt das Leben wahrhaft – und er fhlt sich ihm gleich sehr verbunden, in Glck und Qual, in Lust und Schmerz. Denn beides ist im Schaffen unlslich verbunden. Der Knstler insbesondere lebt im hchsten Glck des Schaffens, aber er kennt auch das tiefe Leid des Schaffens. Er geht ganz in seinen Entwrfen auf – aber er fhlt immer wieder, und bis zur tiefsten Verzweiflung, daß nichts, was er hervorzubringen vermag, das ganz zu erreichen vermag, was als inneres Vorbild vor ihm steht. Diese Seligkeit des Knstlers und dieses sein inneres Ungengen hat G[oethe] vielleicht nirgends so tief und so ergreifend wie im Werther ausgesprochen. Das Leiden Werthers besteht nicht allein in seiner unglcklichen Liebe – es besteht in dieser innerlich-zwiespltigen Haltung zur Kunst. Denn Werther ist nicht Goethe. Er ist von der leidenschaftlichsten Liebe zur Kunst erfllt – aber er besitzt nicht die wahrhaft grosse Gestaltungsgabe. An diesem Widerspruch leidet er – und an ihm geht er zuletzt zu Grunde. Fr Goethe bedeutete die Kunst immer wieder die einzige Rettung – fr Werther wird auch sie zu einer zerstrenden Kraft. Denn auch hier muss er sich in einer unglcklichen Liebe verzehren. Er umfaßt die Kunst mit hchster Sehnsucht – aber diese Sehnsucht bleibt unbefriedigt. “Ich knnte jetzt nicht zeichnen”1 – so schreibt Werther schon in einem seiner ersten Briefe und wir fhlen und ahnen hier bereits die knftige Tragik – [“]nicht einen Strich, und bin niemalen ein grsserer Maler gewesen, als in diesen Augenblicken. Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberflche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum stehlen, und ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und nher an der Erde tausend mannigfaltige Grschen mir merkwrdig werden – wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt . . . nher an meinem Herzen fhle, und fhle die Gegenwart des Allmchtigen, der uns all nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Allliebenden, der uns in ewiger B Wonne schwebend trgt und erhlt.[”] 259 1

nicht zeichnen”] am Rand: Morris[, Bd.] IV, [S.] 222[.]

»Optimismus«] danach gestrichen: – im gewhnlichen und trivialen Sinne des Wortes – B erhlt.”] danach gestrichen: Mein Freund – wenn’s denn um meine Augen dmmert, und die Welt um mich her und Himmel ganz in meiner Seele ruht, wie die Gestalt einer Geliebten; dann sehn ich mich oft und denke: ach knntest du das A

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Das ist die eigentliche und tiefste Stimmung des Werther. Werther geht zu Grunde – nicht, weil er der Welt entfremdet ist oder weil er sie hasst – sondern weil er sie leidenschaftlich und ungestm l i e b t – und weil er trotz dieser Liebe keine Kraft in sich fhlt, sie zu gewinnen u[nd] an sich zu ziehen[.] Wie Lotte ihm entgleitet, so entgleitet ihm die Natur, die Wirklichkeit. A Die Geliebte, die Natur, das Leben selbst verschwinden ihm wie ein Traumbild. Der tiefste Grund dieser Tragik liegt darin, daß Goethe im Werther den fhlenden Menschen dargestellt hat, dem, bei aller Kraft und Intensitt des Gefhls, doch das Glck des S c h a f f e n s versagt ist. Deshalb muss sein Gefhl, bei all seinem inneren Reichtum, doch stets in sich verschlossen bleiben. Und Werther erliegt zuletzt unter dieser Einsamkeit, zu der er verurteilt ist. Auch Goethe wre ihr erlegen, wenn er nicht immer wieder die Macht besessen htte, sich im Schaffen zu befreien. So konnte er an dem genesen, woran Werther in der Dichtung zu Grunde geht. “Und wenn der Mensch [in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide.]” 260 – sagt G[oethe]’s Tasso. B G[oethe] selbst hat in »Dichtung und Wahrheit« diesen inneren Genesungsprozess beschrieben, den er bei der Arbeit am Werther erlebt hat. C “Ich hatte mich[”] – so sagt er – [“]durch diese Komposition mehr als durch jede andere aus einem strmischen Elemente gerettet, auf dem ich durch eigene und fremde Schuld, durch zufllige und gewhlte Lebensweise, durch Vorsatz und bereilung, durch Hartnckigkeit und Nachgeben auf die gewaltsamste Art hin und wieder getrieben worden. Ich fhlte mich wie nach einer Generalbeichte wieder froh und frei und zu einem neuen Leben berechtigt.” 261 Das ist die grosse Selbstbefreiung durch die Kunst, die Werther versagt blieb – und von der G[oethe] immer wieder das Gefhl hat, daß sie allein es war, die ihm das Leben re t t e n und die sein Leben gestalten konnte.

wieder ausdrcken, knntest Du dem Papier das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es wrde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes. Mein Freund – Aber ich gehe darber zu Grunde – ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen”. A Wirklichkeit.] Wirklichkeit; danach gestrichen: des Lebens selbst. Er gibt sich ihnen leidenschaftlich hin, aber er besitzt nicht die Macht[,] sie festzuhalten. B “Und wenn der Mensch” – sagt G[oethe]’s Tasso.] am Rand und dieser Stelle zugewiesen, daneben: Morr[is] C erlebt hat.] danach z. T. mehrfach gestrichen: “Ich fhlte mich” – so sagt er – “wie nach einer Generalbeichte wieder froh und frei und zu einem neuen Leben berechtigt. am Rand: D u W. XIII[. Buch], Loeper[,] / [Bd.] 22, [S.] 132

[zustzliche Vorlesung: Die Leiden des jungen Werthers] 262 Wir hatten zuletzt von G[oethe]’s We r t h e r gesprochen – und ich hatte mich gegen eine weit verbreitete Auffassung gewandt, die im Werther vor allem eine D i c h t u n g d e s We l t s c h m e r z e s sieht, und die mit ihm die grosse Reihe der Dichtungen beginnen lsst, die spter, im 19ten und 20ten Jahrhundert, den Weltschmerz verkndet haben. Um diese Auffassung, die in der Litteraturgeschichte sehr oft vertreten worden ist, zu entkrften, bat ich Sie, einen Blick auf die eigentlichen typischen Repraesentanten der Poesie des Weltschmerzes zu werfen. Ich sprach von B y ro n , bei dem wir den ro m a n t i s c h e n We l t s c h m e r z in seiner reinsten Ausprgung finden. Er ist gemischt aus romantischer Ironie, aus A tiefer persnlicher Verbitterung und Enttuschung, und aus jener Selbstvergtterung des genialen Individuums, die es immer wieder in einen feindlichen Gegensatz zur Welt und zur Menschheit B bringt. Ich sprach von B a u d e l a i re’s »Fleurs du Mal«. Hier herrscht der Lebensberdruß, das Grauen vor dem ewigen Einerlei des Daseins, vor dem den Gleichmaß der Tage. Nur N e u e s um jeden Preis – nur dieser Leere und Gleichfrmigkeit des Daseins entfliehen! Lieber alle Qualen der Hlle erdulden, als diese Last der Alltglichkeit noch weiter ertragen: »Plonger au fond du gouffre. Enfer au Ciel, qu’importe – Au fond de l’inconnu pour trouver d u n o u ve a u [«.] 263 Ich sprach zuletzt von L e o p a r d i – und ich will versuchen[,] Ihnen hier eines der schnsten Gedichte Leopardis zu bersetzen, das fr die Stimmung, die ber seinem ganzen Werk liegt, charakteristisch ist. (Es ist das Gedicht: » A s e s t e s s o « (An sich selbst)). Ich muss hierbei freilich bemerken, daß bei einer solchen bersetzung der knstl[erische] Wert C des Gedichts notwendig verliert –, seine eigentmliche Schnheit kann man nur dann ganz empfinden, wenn man es im italienischen Original liest. Aber von seinem Stimmungsgehalt wird auch meine bersetzung Ihnen eine Vorstellung vermitteln: Das Gedicht ist in reimlosen Versen und in freien Rhythmen geschrieben – es ist betitelt: A se stesso[:] D

aus] auf Menschheit] ber gestrichen Gesellschaft C der knstlerischen Wert] in Bleistift ber bersetzung D Das Gedicht ist ... A se stesso:] in Bleistift zwischen den Zeilen; danach gestrichen: Nun sollst Du ruhn fr immer, / Du mdes Herz. Vorbei der letzte Trug, / Der nie zu enden schien. [ber gestrichen: Den ewig ich geglaubt] Vorbei! [danach gestrichen: Ich fhlte]: Nicht nur die Hoffnung – [danach gestrichen: nein] auch der Wunsch A B

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[“]Nun wirst Du ruhn fr immer Du mdes Herz. – Der letzte Wahn, Der nie zu enden schien, er starb dahin. Er starb – Ich fhl’s: nicht nur die Hoffnung Nein, auch der Wunsch nach schnem Trug Erlosch in mir. Ruh’ aus fr immer, Herz, Du schlugst genug Nichts lebt, das wert ist, daß Du dafr schlgst Die Erde – ist keines Seufzers wert Leere und Bitterkeit ist unser Leben Sonst nichts – Kot ist die Welt Beruh’ge Dich – Verzweifle zum letzten Mal Uns Menschen gab das Schicksal Nichts als den Tod – Verachte Dich, die Natur und jene dunkle Macht Die unbekannt zum Unheil aller waltet Verachte Die grenzenlose Nichtigkeit des Ganzen.” 264 Sie sehen: das ist echter, tiefer, unheilbarer Weltschmerz – aber das ist nicht die Stimmung von Goethes Werther. Nirgends in Goethes Werk, – weder in der Jugend noch im Alter – hren wir solche Tne, wie hier bei Leopardi. Das Wort: »Disprezzo la natura«, Verachte die Natur[,] konnte G[oethe] nicht sprechen; es wre ihm als Blasphemie A erschienen. Bei G[oethe] herrscht stets, auch noch im tiefsten und schwersten Leid, das Gefhl der Weltbejahung und der Lebensbejahung. » Wi e e s a u c h s e i d a s L e b e n [ , ] e s i s t g u t « – so schließt eines der merkwrdigsten Altersgedichte G[oethe]’s (“Der Brutigam”[, WA, Bd.] IV, [S.] 107)[.] Das Leben ist fr G[oethe] gut, weil es gttlich ist – gttlich auch im bermaß des Leidens. Auch Werther fhlt nicht anders. Er wird auch im hchsten Schmerz nicht zum Naturverchter – er ist und bleibt ein glhender Ve re h re r der Natur. Aber freilich: die Natur selbst ist nicht einfach – und sie trgt, vom Menschen aus gesehen, ein Janusgesicht. Von uns, von unserem inneren Zustand und unserer Stimmung hngt es ab, welches der beiden Gesichter – das freundliche oder das grausige – wir erblicken. Die Natur ist das ewige, schpferische Prinzip – und alles Schaffen ist groß, heilig, gttlich. Aber es gibt kein Schaffen, das nicht zugleich ein Zerstren wre. B Leben und Tod, Entstehen und Vergehen sind e i n s . A B

Blasphemie] darber in Bleistift: eine Art von Sakrileg wre.] danach gestrichen: Geburt und Grab,

[zustzliche Vorlesung: Die Leiden des jungen Werthers]

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[“]In Lebensfluten, im Tatensturm[”] – so sagt der Erdgeist im Faust – [“]Wall ich auf und ab, Webe hin und her. Geburt und Grab, Ein ewiges Meer, Ein wechselnd Weben, ein glhend Leben, So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit, Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid!” 265 Werthers Verhngnis besteht darin, daß er in diesem Schauspiel des ewigen unendlichen Lebens zuletzt nur den Gegenpol: den Pol der Vernichtung und des Todes sieht. “Es hat sich vor meiner Seele wie ein Vorhang weggezogen” – so schreibt er in einem seiner Briefe – [“]und der Schauplatz – ewig wiederkuendes Ungeheuer” (Morris, [Bd.] IV, [S.] 266)[.] 266 Wer einmal, wie Werther, wirklich in das Antlitz des Todes geblickt hat[,] – der sieht mit Grauen mitten im hchsten Leben den Tod, – der sieht im Schaffen das Vernichten. Er kann und wird keine Ruhe mehr finden. Auch hierin ist Werther ein Bruder des Faust. Aber wenn Faust sich mitten in den Lebensstrom strzt, um ihm stand zu halten und sich in ihm zu behaupten, so fehlt es Werther an Kraft hierzu. Er sehnt sich zurck in die Ruhe – er sehnt sich nach den einfachsten, schlichtesten, primitivsten Daseinsformen. Seine grssten und reinsten Freuden, – zuletzt seine einzigen Freuden – bestehen in einem Spiel mit Kindern, in einem Gesprch mit einer Magd am Brunnen, in einer Unterhaltung mit einfachen Leuten aus dem Volke. Denn er fhlt: knnte er wieder in diese einfachen Lebensformen eingehen und in sie A untertauchen, dann wre er gerettet – dann eingehen und in sie] Ende von Bl. 177; der Text wird auf 177v fortgesetzt. Bl. 178 scheint auch hier anzuschließen (beide S. enden mit dem gleichen Satz); es wurde berarbeitet und dann einmal quer durchgestrichen: Leben, es zerrttet ein Fusstritt die mhseligen Gebude der Ameisen und stampft eine kleine Welt in ein schmhliches Grab ... Mir untergrbt das Herz die verzehrende Kraft, die im All der Natur verborgen liegt, die nichts gebildet hat, das nicht seinen Nachbar, nicht sich selbst zerstrte. Und so taumele ich bengstet! Himmel und Erde und all die webenden Krfte um mich her! Ich sehe nichts als ein ewig verschlingendes, ewig wiederkuendes Ungeheuer.” 267 Das ist Werthers Lebensgefhl – und das ist der Quell, aus dem sein tiefstes Leid fliesst. Er leidet nicht nur an seiner unglcklichen Liebe – und wir fhlen, daß noch das hchste Liebesglck d i e s e n Schmerz nicht heilen, d i e s e s Verlangen nicht befriedigen knnte. Lottes Besitz – das fhlen wir – knnte die Sehnsucht, die in Werther lebendig ist, so wenig stillen wie Faust in Gretchens Armen ausruhen kann[.] Denn beide knnen sich dem Augenblick nicht hingeben und in ihm nicht verharren; sie werden weiter getrieben von einem unbezwinglichen Verlangen [ersetzt gestriA

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wre die verzehrende Sehnsucht in ihm beschwichtigt A [.] Aber er weiss zugleich, daß d i e s e r Weg ihm verschlossen ist. Wer einmal Natur und Leben in ihrer inneren Zwiespltigkeit, wer sie als Geburt und Grab, als Leben und Tod, als Entstehen und Vergehen gesehen hat – fr ihn gibt es kein zurck, B fr ihn gibt es kein einfaches, schlichtes, fragloses Glck mehr. Gerade die F  l l e des Daseins droht ihn C zu zersprengen; gerade an ihr muss er untergehen. Das ist Werthers Lebensgefhl – und das ist der Quell, aus dem sein tiefstes Leid fliesst. Wir fhlen, daß auch das hchste Liebesglck d i e s e n Schmerz nicht heilen knnte. Lottes Besitz – das fhlen wir – knnte den brennenden Durst seines Busens nicht khlen – so wenig Faust in Gretchens Armen ausruhen kann. Beide, Werther und Faust, knnen im Au g e n b l i c k , selbst im erflltesten und seligsten Augenblick, nicht verharren. “Ihn treibt die Grung in die Ferne” – so sagt Mephisto im »Prolog im Himmel« von Faust – [“]Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst; Vom Himmel fordert er die schnsten Sterne, Und von der Erde jede hchste Lust, Und alle Nh’ und alle Ferne Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.” 268 Das ist das Schicksal Fausts – und das ist das Schicksal Werthers. D Auch Faust sieht, zu Beginn des Gedichts, aus diesem E Taumel des Lebens keinen anderen Ausweg als den Selbstmord. Er setzt den Becher an die Lippen[,] um das Gift zu trinken. Aber er reisst sich los – und geht einen andern Weg. Er whlt das L e b e n , ohne das G l  c k zu whlen – er glaubt nicht an ein Ziel, das er erreichen und das ihn je ganz erfllen kann, – aber er glaubt an den Kampf selbst, und sieht in ihm den hchsten, den eigentlichen Inhalt des Menschenlebens. “Strzen wir uns in das Rauschen der Zeit” – so ruft Faust – [“]Ins Rollen der Begebenheit! Da mag denn Schmerz und Genuss, Gelingen und Verdruss chen: Sehnsucht], das im Glck dasselbe ist wie im Unglck. – “Ihn treibt die Grung in die Ferne” – so sagt Mephisto im “Prolog im Himmel” von Faust – [“]Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst; A beschwichtigt] danach gestrichen: und der brennende Durst in ihm gekhlt B zurck,] Zurck, C ihn] in D Werthers.] danach gestrichen: Fr beide gibt es kein Ausruhen im Augenblick – im glcklichen so wenig wie im unglcklichen. E diesem] danach gestrichen: stndigen

[zustzliche Vorlesung: Die Leiden des jungen Werthers]

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Mit einander wechseln, wie es kann; Nur rastlos bettigt sich der Mann![”] A 269 Werther ist dieser Ausweg versagt – denn er ist eine passive, keine aktive Natur. Sein erster Versuch[,] in das ttige Leben zu fliehen und an ihm einen Halt zu gewinnen[,] schlgt fehl – und dieser Fehlschlag besiegelt seinen Entschluß. Und noch ein anderer B Weg, der fr ihn zur Rettung htte werden knnen, erweist sich fr ihn als verschlossen. Er ist ein glhender Kunstenthusiast; er hngt an der Dichtung, an der Malerei mit allen Fasern seines Wesens. Aber auch diese gesteigerte Empfindung wird fr ihn nur zur Quelle neuen Elends. Denn das Hchste bleibt ihm auch hier versagt. Auch in der Kunst vermag er nur zu empfinden, nicht zu gestalten. Er vermag die C Gestalten, die er in seinem Innern fhlt, nicht festzuhalten. Auch hier ist nicht die Leere des Daseins sein Fluch – sondern die eigene innere Flle D wird ihm zur Gefahr, weil er in sich kein Mittel findet, diese Flle auszudrcken. E Die Art,1 in der G[oethe] dieses Grundmotiv schon zu Beginn des W[erther] anklingen lsst, gehrt fr mein Gefhl zu den tiefsten und knstlerisch-grssten Zgen des Werkes. Im Anfang des Werther scheint nicht nur eine freie, sondern eine berstrmend glckliche Stimmung zu herrschen. Werther ist glcklich; er fhlt sich eins mit der Natur, er geht in ihr inneres Leben ein, er empfindet dies unendliche Leben auch noch in seinen kleinsten und unbedeutendsten Erscheinungen. Aber auf dieses lichte Bild fllt schon hier ein dunkler Schatten. Mitten in dieser Seligkeit ahnen wir die knftige Tragik. F “Ich bin so glcklich” – so schreibt Werther in einem seiner ersten Briefe – [“]so 1

Die Art,] am Rand: Morris[, Bd.] IV, [S.] 222[.]

“Strzen ... Mann!”] am unteren Rand der nchten Seite geschrieben und mit Zeichen dieser Seite zugewiesen B ein anderer] eine andere; danach: Weg ber gestrichen: Rettung, die mglich schiene, erweist sich als fr ihn zuletzt als ungangbar. C vermag die] danach gestrichen: Flle der D innere Flle] danach gestrichen: wird ihm zum Verhngnis [darber geschrieben und gestrichen: zersprengt ihn]. Der Roman spricht dies deutlich aus. “Ich konnte jetzt nicht zeichnen” E auszudrcken.] danach gestrichen: Die ersten Briefe Werthers, die noch vor der Bekanntschaft mit Lotte geschrieben sind, scheinen noch ganz erfllt von einem grossen Naturgefhl, dem er sich ganz hingibt und in dem er sich selig fhlt. Aber schon mitten in dieser Seligkeit ahnen wir die knftige Tragik – und der tragische Knoten beginnt sich schon hier zu schrzen. “Eine wunderbare Heiterkeit” – [“]Herrlichkeit dieser Erscheinungen” – F Tragik.] danach gestrichen: Was ihm die hchste Seligkeit gewhrt – das ist zugleich der Quell tiefen Leides. A

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ganz in dem Gefhl A [von ruhigem Daseyn versunken, daß meine Kunst darunter leidet. Ich knnte jetzt nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin niemalen ein grsserer Mahlen gewesen als in diesen Augenblicken. Wenn das liebe Thal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberflche der undurchdringlichen Finsternis meines Waldes ruht, und nur Strahlen sich in das innere Heiligthum stehlen, und ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und nher an der Erde tausend mannigfaltige Grsgen mir merkwrdig werden. Wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzhligen, unergrndlichen Gestalten, all der Wrmgen, der Mckgen, nher an meinem Herzen fhle, und fhle die Gegenwart des Allmchtigen, der uns in ewiger Wonne schwebend trgt und erhlt. Mein Freund, wenn’s denn um meine Augen dmmert, und die Welt um mich her und Himmel ganz in meiner Seele ruht, wie die Gestalt einer Geliebten; dann sehn ich mich oft und denke: ach knntest du das wieder ausdrcken, knntest du dem Papier das einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es wrde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes. Mein Freund – Aber ich gehe darber zu Grunde – ich erliege unter der Gewalt der] Herrlichkeit dieser Erscheinungen[”.] 270

so ganz in dem Gefhl] danach verbunden durch Linie: Morris[, Bd.] IV, [S.] 222, danach auf neuer Zeile nach einem Gedankenstrich: Herrlichkeit dieser Erscheinungen A

[ohne Zhlung] Der »Urfaust« A [19.II.41] B ^ Der »Faust« ist dasjenige Werk Goethes, das der getreueste Spiegel und der vollkommenste symbolische Ausdruck von G[oethe]’s Wesen, als Mensch und als Dichter, ist. Die Arbeit am Faust hat G[oethe] sein ganzes Leben begleitet. Eine Zeitlang trat das Werk in den Hintergrund – und bisweilen schien es, als sei es ganz vergessen. Aber immer von neuem drngte es sich vor – bis schliesslich, nach fast 60 Jahren, G[oethe] die letzten Szenen, die er am zweiten Teil des Faust gedichtet hatte, in die Hnde Eckermanns legen konnte. Er empfand dies selbst als den Abschluss und die Krnung seines Lebenswerkes. “Mein ferneres Leben” – so sagte er zu Eck[ermann] – [“]kann ich nunmehr als ein reines Geschenk ansehen, und es ist jetzt im Grunde ganz einerlei, ob und was ich noch tue”. 271 Und ein Brief, den G[oethe], wenige Tage vor seinem Tode, am 17 Mrz 1832 an Wilh[elm] v[on] Humboldt geschrieben hat, berichtet von der Entstehungsgeschichte des Faust. »Es sind ber 60 Jahre« – so schreibt G[oethe] – [“]daß die Konzeption des Faust bei mir jugendlich von vornherein klar, die ganze Reihenfolge der Szenen hingegen weniger ausfhrlich vorlag. Nun hab’ ich die Absicht immer sachte neben mir hergehn lassen und nur die mir gerade interessantesten Stellen durchgearbeitet ... Hier trat nun freilich die grosse Schwierigkeit ein, dasjenige durch Vorsatz und Charakter zu erreichen, was eigentlich der freiwilligen ttigen Natur allein zukommen sollte.” 272 Diese Schwierigkeit war es in der Tat, die sich der Ausarbeitung und der Vollendung des Faust-Dramas immer wieder entgegenstellte. Denn hier musste G[oethe] etwas von sich fordern, was dem Wesen und der Eigenart seines dichterischen Schaffens wenig gemss war, ja was ihnen zu widersprechen schien. Er musste mit bewusster Reflexion in den knstlerischen Gestaltungsprozess eingreifen; er konnte nicht die Phantasie allein walten lassen, sondern er musste, mit hchstem Kunstverstand, das Ganze aufzubauen und zusammenzuhalten versuchen. Mit “Vorsatz und Charakter” hatte er hier zu leisten, was ihm in seinen anderen Werken, insbesondere in den Werken seiner Jugend, als Geschenk in den Schoß gefallen war. Vom »Werther« hat G[oethe] gesagt, er habe ihn in wenigen Wochen halb unbewusst, gleich einem Nachtwandler, geschrieben. 273 Dem »Faust« gegenber aber wurde Der »Urfaust«] im Ms. hervorgehoben Der »Urfaust« 19.2.41] Cassirers eigenhndige Bezeichnung dieser Vorlesung im universitren Diarium zu Der junge Goethe lautet: Das Prometheus Fragment und der Urfaust. Diese Vorlesung wird dort als vierte aufgefhrt – nach Werthers Leiden und vor Lilly Schoenemann. A B

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er aus diesem nachtwandlerischen Zustand, aus dem Zustand der reinen poetischen Imagination und Vision, immer wieder aufgerttelt. Hier galt es, durch Jahre und Jahrzehnte, einen bestimmten Plan festzuhalten – und ihn andererseits stndig zu erneuern, da jeder neue Schritt der Ausarbeitung zugleich neue dichterische Forderungen an das Ganze stellte. G[oethe] erklrt in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit], daß er sein »produktives Talent«, so wie er es in seiner Jugend zuerst entdeckt hatte, “ganz als Natur” betrachten 274 musste. “Diese Naturgabe gehrte ganz mir eigen, und ich mochte darauf gern in Gedanken mein ganzes Dasein grnden”. 275 Nirgends vielleicht hat sich diese Naturgabe herrlicher bewhrt, als in der Konzeption und in der Ausarbeitung des Faust. Aber sie konnte hier nicht a l l e i n walten. Ein Plan, der sich durch 60 Jahre hindurchzog, verlangte einen stndigen wachen berblick; eine nicht nur dichterische, sondern auch gedankliche Beherrschung. Auch in dieser Hinsicht stand G[oethe] in der Ausarbeitung des Faust vor einer der schwierigsten Aufgaben seines Lebens. Die dichterische Phantasie musste sich den Forderungen des Verstandes fgen – und dieser musste andererseits so zart und so schonend vorgehen, daß er den unbewussten Schaffensprozess zwar stndig regelte, ihm aber andererseits volle Freiheit liess. & Wir haben es hier nicht mit dem »Faust« als G a n z e m , sondern nur mit der ersten und ursprnglichen Form, mit dem sogenannten »Urfaust«, zu tun. Die Konzeption zu diesem Werk reicht bis in die Straßburger Zeit zurck. In den Jahren 1773-75 entstehen dann, in rascher Folge, einige der schnsten und wichtigsten Szenen der Faust-Dichtung. G[oethe] liebt es in dieser Zeit, solche Szenen im engen Freundeskreise vorzulesen – und er erregt dadurch die Erwartung, daß das Werk in kurzem vollendet sein werde. AWir knnen dies einer kleinen poetischen Epistel entnehmen, die sein Freund G o t t e r, den er in Wetzlar kennen gelernt hatte, an ihn richtete. Die Epistel ist in Knittelversen u[nd] im derbsten und unverflschtesten Stil der jungen Genies verfasst. Sie kndigt G[oethe] eine Dichtung Gotters an, die demnchst in Wielands »Teutschem Merkur« 276 erscheinen werde – und fordert als Gegengabe den Faust: “Du nchstens im Mercurius Wirst finden was von meiner Mus’ Und freut es mich aus Herzensgrund Wenn Dir der Dreck gefallen kunnt – Schick mir dafr den Doktor Faust, Sobald Dein Kopf ihn ausgebraust”[.] 277

werde.] danach gestrichen: Vielleicht rechnete er damals selbst noch mit einer solchen raschen Vollendung. A

[ohne Zhlung:] Der »Urfaust«

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Z

So schnell, wie Gotter hier annimmt, war freilich der Faust nicht “ausgebraust”; es dauerte fast 60 Jahre, ehe das Werk vollendet war. Aber als G[oethe], im September 1775, in Weimar eintrifft – da trug er bereits ein erstes umfangreiches Manuskript des Faust bei sich. »Der Faust« – so hat er in einem Gesprch mit Eckermann gesagt – »entstand mit meinem Werther; ich brachte ihn im Jahre 1775 mit nach Weimar. Ich hatte ihn auf Postpapier geschrieben und nichts daran gestrichen; denn ich htete mich, eine Zeile niederzuschreiben, die nicht gut war und die nicht bestehen konnte.« 278 In der Tat trgt schon dieser erste Faust den Stempel der Vollendung. Besssen wir von G[oethe] nichts anderes, als diese ersten Faust-Szenen, so wre er noch immer unvergleichlich – noch immer einer der grßten Dichter aller Zeiten. Die Gretchen-Tragdie steht hier schon in ihrer ganzen Gewalt, in ihrer erschtternden tragischen Wucht vor uns – diese Szenen, vor allem die Kerkerszene, die hier noch in Prosa geschrieben ist, konnten durch Nichts bertroffen werden, was G[oethe] spter gedichtet hat. Das S c h i c k s a l d i e s e s e rs t e n Fa u s t - M a n u s k r i p t s war hchst merkwrdig – und es muss hier wenigstens in Krze berhrt werden. In der ersten Weimarer Zeit fand G[oethe], mitten neben den disparatesten Beschftigungen, nicht die innere Muße, zum Faust zurckzukehren. Eine Zeit lang scheint ihm das Gedicht ganz entschwunden und in die Ferne gerckt zu sein. Erst zwlf Jahre spter, als er nach Italien geht, wagt er es wieder hervorzuholen. Das Faust-Manuskript begleitet ihn nach Italien, wie ihn der Entwurf der Iphigenie und des Tasso dorthin begleitet. Aus einem Brief an Herder vom 1[.] Mrz 1788, den Sie in G[oethe]’s »Italienischer Reise« finden, 279 wissen wir, daß G[oethe] die alte[,] nun schon vergriffene und vergilbte Faust-Handschrift mit sich fhrt, daß er einige neue Szenen – die Szene in der Hexenkche und den Monolog in Wald und Hhle – hinzufgt – ja daß er eine Zeitlang die Hoffnung hegt, das Ganze vollenden zu knnen. Aber von da ab verstummen alle Nachrichten. Alle Hoffnungen der GoetheForschung[,] dieses erste Faust-Manuskript wieder auffinden zu knnen schlugen fehl. Sie wurden einen Augenblick von neuem erweckt, als A endlich, fnfzig Jahre nach Goethes Tode, sein Nachlass der allgemeinen Benutzung zugnglich wurde. Aber auch in diesem Nachlass, den der Enkel G[oethe]’s, Walther von Goethe, der Grossherzogin Sophie von SachsenWeimar vererbte, und der im Jahre 1885 der Forschung erschlossen wurde, fand sich Nichts. Das erste Faust-Manuskript schien daher unwiderbringlich verloren. Da kam ein eigenartiger Zufall der Forschung zu Hlfe. Am als] davor gestrichen: Das erste Faust-Manuskript, der “alte Codex”[,] von dem G[oethe] hier spricht, galt lange Zeit fr verloren. Wirklich scheint G[oethe] diese Handschrift vernichtet zu haben. Man hatte sich noch der Hoffnung hingegeben, die Handschrift vielleicht wieder auffinden zu knnen,

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Hof in Sachsen-Weimar hatte lange Zeit ein Fr[u]l[ein] L u i s e vo n G o e c h h a u s e n als Hoffrulein gelebt. Fr[u]l[ein] v[on] Gchhausen war lebhaft interessiert fr alle litterarischen Erscheinungen; und sie pflegte sich nicht nur umfangreiche Auszge aus ihnen anzufertigen, sondern sie liebte es auch, Vieles, was ihr Interesse erregte, wrtlich abzuschreiben. So hatte sich in dem Nachlass, der auf ihre Erben berging, eine Flle von Manuskripten angesammelt. Einer dieser Erben, der Oberstleutnant v[on] Gchhausen, schlug nun der Grossherzogin Sophie vor, diese Manuskripte durch einen Fachmann prfen zu lassen – vielleicht finde sich darin manches Interessante und Wertvolle ... Der Auftrag fiel E r i c h S c h m i d t zu – dem bekannten Literarhistoriker, der damals Direktor des Goethearchivs in Weimar war. Und nun will ich Erich Schmidt selbst das Wort geben, der uns seine Entdeckungsfahrt sehr lebendig und anschaulich beschrieben hat. “Wir erwarteten” – so schreibt er – “vornehmlich eine willkommene Ausbeute an Briefen, aber es ging mir wie Saul, dem Sohne Kis’, der auszog, seines Vaters Eselinnen zu suchen, und ein Knigreich fand. Schon wollt’ ich ohne sonderliches Jagdglck ... umkehren, als ein dickleibiger Quartant “Auszge, Abschriften und dergleichen. Aus dem Nachlaß des Frulein Luise von Gchhausen” noch zu nherer Musterung aufforderte. Er umfasste Copien und einzelne Originale seit 1766 bis ins 19te Jahrhundert hinein. Ungeduldig bltterte ich ... bis ich pltzlich auf Mephistos Rede vom Collegium logicum stieß. Auch das stimmte zu dem Gelufigen; ich glaubte das Fragment von 1790 in einer Copie der sehr schreiblustigen und schreibgewandten Hofdame vor mir zu haben. Aber der nchste Blick zeigte unbekanntes Land. Ich ging zum Anfang zurck und sah gleich das erste Reimpaar abweichend gestaltet, ich eilte zum Schluß und erblickte mit einer Erregung, die Viele nachempfinden werden, die Kerkerszene in Prosa. Kein Zweifel: hier war dank der unermdlichen Teilnahme des Fr[u]l[ein] v[on] Gchhausen der U r f a u s t in einer sauberen Abschrift erhalten. So lange ganz verborgen in diesem unbeachteten Sammelband, aber so piettvollen Hnden anvertraut; so zur rechten Zeit fr die Weimarische Goetheausgabe seinem Versteck entlockt.” 280 Erich Schmidt hat dann von der Gchhausenschen Abschrift eine besondere Ausgabe unter dem Titel: »Goethes Faust in ursprnglicher Gestalt« veranstaltet. Jetzt ist der Urfaust in der Morris’schen Ausg[abe] des »Jungen Goethe« bequem zugnglich. A Sie finden ihn auch in einer Publikation des Insel-Verlags, die alle Stadien der Faust Dichtung[,] den Urfaust, das Fragment von 1790, und den 1[.] u[nd] 2. B Teil des Faust vollstndig enthlt. zugnglich.] zugnglich; danach ber der Zeile: Sie finden ihn auch und den 1. und 2.] ber der Zeile; ersetzt gestrichen: den Faust in der Gestalt des Jahres 1808 und schliesslich des

A B

[ohne Zhlung:] Der »Urfaust«

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Nach diesen Bemerkungen zur E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e des Werkes wenden wir uns nun zu seinem Inhalt. Auf den Ursprung der Fa u s t - S a g e und auf die ltere Fa u s t - D i c h t u n g kann ich hier im einzelnen nicht eingehen. Ich muss hierfr auf die ausserordentlich-reichhaltige Litteratur verweisen[,] in erster Linie kann ich A [die] Schrift von K u n o F i s c h e r 281 empfehlen, die unter dem Titel: »Goethes Faust« in 2 Bnden erschienen ist; die dritte Auflage dieser Schrift ist in Stuttgart i. J. 1893 erschienen. Hier finden Sie alles, was die Vorgeschichte des Stoffes angeht, in sehr klarer und bersichtlicher Art zusammengefasst. Fr uns ist auch hier wieder nicht der Stoff a l s s o l c h e r das Bedeutsame und Wichtige. Wir fragen vielmehr hier, ebenso wie beim Gtz oder Werther, welche innere Wandlung, welche geistige M e t a m o r p h o s e der Faust der Sage bei G[oethe] erfahren hat. Und hier drngt sich uns sofort ein wesentlicher und entscheidender Unterschied auf. Der Faust des alten Volksbuches, insbesondere des ltesten Volksbuches, das in Frankfurt a. M. im Jahre 1587 von dem Buchdrucker Johann S p i e s herausgegeben wurde, ist nichts anderes als ein Magier, ein Zauberer. “Historia von D. Johann Fausten, dem weit beschreiten Zauberer und Schwarzknstler” – so lautet der genaue Titel – “wie er sich gegen den Teufel auf eine benannte Zeit verschrieben, was er hierzwischen fr seltsame Abenteuer gesehen, selbst angerichtet und getrieben, bis er endlich seinen wohlverdienten Lohn empfangen. Mehrenteils aus seinen eigenen hinterlassenen Schriften, allen hochtragenden, frwitzigen und gottlosen Menschen zum schrecklichen Beispiel, abscheulicher Exempel und treuherziger Warnung zusammengezogen und in den Druck verfertigt.”1 Faust ist also ein abschreckendes Beispiel – und er ist es nicht nur dadurch, daß er auf verbotenen Wegen, durch die Krfte der Magie, die Herrschaft ber die Naturkrfte zu gewinnen sucht – sondern dadurch, daß er sich seinem W i s s e n s t r i e b ohne Bedenken und schrankenlos berlsst. Das ist menschliche Hybris – Auflehnung und Emprung gegen Gott; berschreitung der Grenzen[,] die den Menschen durch Gott und die Natur gesetzt sind. “Er liebte” – so heisst es im Volksbuch von 1587 – “was nicht zu lieben war, und trachtete danach Tag und Nacht. Er nahm Adlerflgel an sich und wollte alle Grnde im Himmel und auf Erden erforschen.” 282 Auch wo sich das D r a m a zuerst des Faust-Stoffes bemchtigt, wird das nicht wesentlich anders. Der Stoff wird nach wie vor von aussen, verfertigt.”] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: K[uno] F[ischer], / a. a. O., [Bd.] I, [S.] 103 f. 1

Ich muss ... kann ich] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: Wer sich von Ihnen fr diese Probleme interessiert, dem rate ich zu der A

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nicht vo n i n n e n gesehen. Was an Faust interessiert, ist nicht seine Gestalt, sein Charakter, seine Persnlichkeit – sondern sein Schicksal. Die erste grosse dramatische Gestaltung der Sage besitzen wir in Christoph M a r l o we s Fausttragdie. Marlowe ist der Zeitgenosse Shakespeares – und sein Werk zeigt alle Zge des Elisabethanischen Dramas. Er ist ein echter Dramatiker – und in seinem Pathos sowie in der leidenschaftlichen Bewegtheit des Geschehens, das er uns vor Augen stellt, kann er uns A, in seinen hchsten Schpfungen, an Shakespeare erinnern. B Aber er ist nicht, wie dieser, ein grosser Menschendarsteller[,] sein dramatisches Pathos bleibt im usserlichen stecken. Das zeigt sich auch hier. »Tragical history of life and death of Doctor Faustus« – so lautet der Titel seines Dramas, das zuerst 1595 aufgefhrt und zehn Jahre spter gedruckt worden ist.1 Die erste Szene bei Marlowe erinnert unmittelbar an Goethe. Wir finden Faust in seiner Studierstube – unruhig und innerlich unbefriedigt. Sein Wissensdurst ist ungelscht, obwohl er nach allem gegriffen hat. Er hat die Aristotelische Philosophie, die Logik und Rhetorik des Aristoteles studiert; er hat sich in die Medizin, die Jurisprudenz, die Theologie vertieft. Alles Wissen vom Menschen und von Gott hat er in sich zu vereinen gesucht. Nun aber erkennt er, daß alles, was ihn die Bcher lehren konnten, nichtig und eitel war. Er greift zur M a g i e – dem einzigen Weg, der ihm noch brig bleibt. Sie soll ihm die Herrschaft ber Erde und Himmel erwerben. Mephistopheles wird von ihm beschworen; Faust geht den Pakt mit ihm ein, auf Grund dessen Mephistopheles sich verpflichtet, ihm 24 Jahre zu dienen und alle seine Wnsche zu erfllen, whrend er selbst ihm seine Seele verpfndet. Die Aussicht auf die Hlle schreckt ihn nicht – hofft er doch darauf, dort die Philosophen des Altertums zu finden. Marlowe fhrt uns den Kampf des guten und bsen Engels unmittelbar dramatisch vor. Der letztere verspricht Faust alles Wissen, alle Schtze der Natur, die Herrschaft ber die Elemente. Der gute warnt: er soll zur Bibel statt zu magischen Bchern greifen[:] »Read[,] read the scriptures – that is blasphemy[.] Sweet Faustus, think of Heaven and heavenly things«[.] 283 Aber Faust folgt dem Ruf des bsen Dmons. C Dann kommt, was kommen muss – nach einem wilden und abenteuerlichen Leben schlgt fr Faust die letzte Stunde, die ihn der Macht worden ist.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: vgl. K[uno] F[ischer, Goethes Faust, Bd.] I, [S.] 163 ff. 1

kann er uns] ber der Zeile; ersetzt gestrichen: knnen wir ihn erinnern.] ersetzt gestrichen: fast an die Seite stellen. C Marlowe fhrt ... bsen Dmons.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen A B

[ohne Zhlung:] Der »Urfaust«

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des Teufels bergibt – es gibt keine Rettung fr ihn, er fhrt zur Hlle. – Man erkennt sofort, worin die entscheidende Wandlung bei Goethe gegenber dem Volksbuch und gegenber Marlowe besteht. Sie liegt vor allem darin, daß hier das  u s s e re Geschehen ganz zurcktritt. Das gesamte Drama ist rein und ausschließlich in das I n n e re von Faust verlegt. In dieser Ve r i n n e r l i c h u n g des Themas hat G[oethe] nur e i n e n Vorgnger. Es ist L e s s i n g – denn auch dieser hat schon frh den Plan zu einem Faust-Drama gefasst, das, wenn es zur Ausfhrung gekommen wre, sicherlich einem ganz neuen Typus angehrt htte und sich von der traditionellen Behandlung des Stoffes weit unterschieden htte. Aber wir besitzen nur wenige Szenen aus Lessings Faust – jene knappen Proben, die Lessing im Jahre 1759 in den »Litteraturbriefen« gegeben hat. Sie gehren zu dem Merkwrdigsten, Tiefsten, auch knstlerisch-Reifsten, was Lessing geschrieben hat. Eine grssere Dichtung scheint verloren gegangen zu sein. So knnen wir zwischen Goethe und Lessing keine unmittelbaren Vergleiche ziehen. Nur e i n Motiv, das beiden gemeinsam und das von entscheidender Bedeutung ist, knnen wir deutlich erkennen. Lessings wie Goethes Drama sollte nicht von Fausts Ve r d a m m n i s , sondern von seiner Re t t u n g handeln. Auch bei Lessing ertnt am Schluss die Stimme des Engels, der den bsen Geistern, die sich der Seele von Faust bemchtigen1 wollen, zuruft: “Ihr sollt nicht siegen!” 284 Dies Zusammentreffen ist natrlich kein Zufall: es ist innerlich und tief begrndet. A Es zeigt, daß die große geistige Wandlung, die das achtzehnte Jahrhundert von allen frheren Epochen trennt, sich inzwischen vollzogen hatte. Das 18te Jahrhundert ist das Jahrhundert der Aufklrung. K a n t hat in seinem kleinen Aufsatz das Wort S a p e re a u d e ! »Wage es, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen« als den Wahlspruch der Aufklrung bezeichnet. »Aufklrung« – so sagt er – [“]ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmndigkeit. Unmndigkeit ist das Unvermgen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. S e l b s t ve r s c h u l d e t ist die Unmndigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschliessung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Habe Mut, dich deines e i g e n e n Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklrung.” 285 Aus dieser neuen G e s i n n u n g heraus, die das 18te Jahrhundert als Ganzes kennzeichnet, muss Faust bemchtigen] am Rand: cf. K[uno] F[ischer, Goethes Faust, Bd. I,] 217 ff. 1

A

begrndet.] Gedankenstrich in Punkt gendert, danach neuer Satz

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sich sofort eine vllig andere Stellung zum Faust-Problem und zur FaustGestalt ergeben. Faust ist freilich kein Werk der Aufklrung; er steht vielmehr an der Grenze der Aufklrung und bezeichnet in gewissem Sinne ihre innere Selbstberwindung. Aber ohne die Gefhls- und Ideenwelt der Aufklrung wre das Faust-Drama nicht entstanden. Man kann den Faust als eine Frucht der R e n a i s s a n c e u[nd] als eine dichterische Verherrlichung i h re r Ideale bezeichnen. Aber die Renaissance hat nur den R a h m e n des Bildes und seinen histor[ischen] Hintergrund geliefert; das Bild selbst stammt aus a n d e r n Quellen: aus der Seele Goethes und s e i n e r Epoche[.] Undenkbar, daß selbst der grsste Ren[aissance]Knstler – daß selbst ein Shakespeare den Faust geschaffen htte[.] A Schon im alten Faustbuch ist Faust die Verkrperung des unbedingten und ungestmen Wi s s e n s d r a n g e s des Menschen[.] “Er nahm Adlerflgel an sich” – so sagt das Volksbuch von 1587 – [“]und wollte alle Grnde im Himmel und auf Erden erforschen.” 286 Aber fr das Volksbuch ist dies vermessener Stolz; es ist eine Verlockung und Einflsterung des Teufels. Diese Auffassung und diese Wertschtzung ist jetzt nicht mehr mglich. Der Wissensdrang im Menschen kann nichts Verderbtes, Bses, Teuflisches sein – er ist vielmehr das Hchste, das Erhabenste, das wahrhaft Grosse im Menschen. In Goethes Faust-Dichtung wird dies nicht nur von G o t t , im »Prolog im Himmel«, ausgesprochen – selbst Mephisto, selbst der Teufel urteilt nicht anders. “Verachte nur Vernunft und Wissenschaft” – so sagt er – [“]Des Menschen allerhchste Kraft[,] Lass nur in Blend- und Zauberwerken Dich von dem Lgengeist bestrken, So hab’ ich dich schon unbedingt”[.] 287 Selbst Mephisto also sieht in der Vernunft, im Erkenntnistrieb des Menschen nicht mehr eine Ve r f  h r u n g , die ihn von Gott wegfhrt, sondern die hchste Kraft des Menschen – die einzige, die ihn zu Gott h i n f  h re n kann. Ohne Gefahren, ohne Verstrickung und Verschuldung, kann freilich der Mensch diesen Weg nicht gehen – denn: »es irrt der Mensch, so lang er strebt.« 288 Aber der Irrtum, in den der Mensch gert, w i d e r l e g t sein Streben nicht. Er gehrt zur Wahrheit, wie der Schatten zum Licht gehrt. Denn was den Menschen als Menschen kennzeichnet – das ist nicht der Besitz einer unbedingten, absoluten, an sich bestehenden »transzendenten« Wahrheit. Es ist vielmehr das stndige S u c h e n nach Wahrheit – das nie zu einer Grenze gelangt, das ber jedes erreichte Ziel immer wieder hinausgetrieben wird. Niemals kann dieses Faust ist freilich ... geschaffen htte.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen

A

[ohne Zhlung:] Der »Urfaust«

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Suchen endgltig befriedigt werden; niemals kann es an sein Z i e l gelangen. Aber diese Ziellosigkeit, dieses Fortschreiten ber alle Grenzen gilt jetzt nicht mehr als Fluch oder Makel des menschlichen Wissens – sondern es gilt als ein Segen. In ihm bekundet sich nicht die menschliche Schwche, sondern die menschliche K r a f t – eine Kraft, die bei keinem erreichten Ziel stehen bleiben kann und will, sondern die in jedem Moment bereit ist, von neuem einzusetzen. Dieser stndig erneute E i n s a t z aller menschlichen Krfte ist es, was jetzt den hchsten, ja einzigen Wert des Menschen begrndet. In dem ersten Manuskript des Faust, im sogen[annten] »Urfaust«, ist all dies noch nicht deutlich erkennbar; und manche Interpreten haben daraus den Schluss gezogen, daß dieser Zug erst der spteren Dichtung angehrt. Aber ich sehe zu dieser Annahme keinen Grund. Die knftige R e t t u n g Fausts stand sicherlich fr G[oethe] von Anfang an fest. Er selbst hat es uns in einem Briefe an Wilh[elm] v[on] Humboldt gesagt, der am 17. Mrz 1832, also wenige Tage vor G[oethe]’s Tod, geschrieben ist. »Es sind ber 60 Jahre« – so schreibt er hier – [“]daß die Konzeption des Faust bei mir jugendlich von vornherein klar, die ganze Reihenfolge der Szenen hingegen weniger ausfhrlich vorlag”. 289 Die E i n h e i t des Gedichts kann in der Tat nicht bestritten werden; es ist ganz allmhlich gereift; aber es ist im Grunde nur das g e wo r d e n , was es schon im ersten Entwurf gewesen ist. Wir haben von der inneren Verwandtschaft gesprochen, die zwischen der Gestalt des Faust und der des Werther besteht. Beide Gestalten erlutern und erleuchten sich wechselseitig. Aber es gibt im Schaffen des jungen Goethe noch eine a n d e re Gestalt, die in diesem Zusammenhang genannt werden muss. Zur gleichen Zeit wie am Werther und am Faust A arbeitet G[oethe] am P ro m e t h e u s – und damals plante er noch ein grosses Prometheus-Drama, von dem uns nur einige Bruchstcke aufbehalten sind. We r t h e r, P ro m e t h e u s , Fa u s t – gehren in Goethes Geist zusammen: sie sind Variationen e i n e s grossen durchgehenden Themas[.]

A

Faust] Faust,

[Zustzliche Vorlesung: der Urfaust] A 290 Wir haben zuletzt davon gesprochen, daß es in der dichterischen Welt des jungen Goethe d re i Gestalten giebt, die eine nahe innere Verwandtschaft mit einander besitzen – und die sich, auf Grund dieser Verwandtschaft, wechselseitig erlutern und erhellen. We r t h e r, Fa u s t , P ro m e t h e u s – so behaupteten wir – sind drei grosse Variationen ein und desselben grossen geistigen und poetischen Themas. Wir wissen, daß alle drei gleichzeitig vor G[oethe]’s Geist standen. Die Konzeption des Werther, des Faust, des Prometheus: dies alles drngt sich in denselben kurzen Zeitraum, in die Jahre 1773-75, zusammen. Aber ist es nicht seltsam, wenn wir aus dieser zeitlichen Nhe auf eine i n n e re Nhe schliessen? Fr Werther und Faust war freilich diese Nhe leicht zu erweisen. Was sie vereint, ist dies, daß sie die ewig- S u c h e n d e n sind, die ber jedes Ziel hinausgetrieben werden. Kein Au g e n b l i c k , auch der erfllteste und seligste, vermag sie festzuhalten: sie haben den Trug des Augenblicks durchschaut. Was die Menschen »Glck« zu nennen pflegen – das vermag sie nicht mehr zu befriedigen. Sie knnen nicht beharren und ausruhen; eine grenzenlose, nicht zu stillende Sehnsucht treibt sie ber jedes Ziel hinaus. “Kannst du mich schmeichelnd je belgen Daß ich mir selbst gefallen mag, Kannst Du mich mit Genuss betrgen; Das sei fr mich der letzte Tag![”] 291 – so sagt Faust zu Mephisto. Auch fr Werther ist diese Welt des Genusses, die unbefangene Hingabe an den Augenblick und an das nchste Lebensglck fr immer versunken. Aber in welchem Sinne – so knnten Sie mir mit Recht einwenden – lsst sich von einer inneren Verwandtschaft zwischen Werther u[nd] Prometheus sprechen? Beide haben, auf den ersten Blick, keinerlei Berhrungspunkte mit einander. Sie scheinen B, innerlich und usserlich, absolute Gegenpole, – schlechthin unvereinbare Gegenstze zu sein. Prometheus: der Titan und der Halbgott – Werther nur der duldende und leidende Mensch C [,] Werther – ganz in sein Gefhl versunken und ihm vllig hingegeben – Prometheus, der Mann der Tat, Urfaust] am oberen Rand rechts: (Goethe-Vorles[ung], / Urfaust) / 18a Sie scheinen] ersetzt gestrichen: Sie gehren nicht nur verschiedenen Daseinsund Lebenssphren an; sondern sie bilden C Prometheus: ... Mensch] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen A B

[zustzliche Vorlesung: Der Urfaust]

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der nur im Tun und im Schaffen das Heil des Menschen sieht. A Welche

hnlichkeit und welche Vermittlung knnte zwischen diesen beiden Gestalten bestehen, die gewissermassen durch eine Welt von einander getrennt sind? Aber daß trotzdem eine solche Vermittlung besteht – das zeigt uns eben die Gestalt des Faust. Faust ist die u n i ve r s e l l s t e Gestalt, die Goethe geschaffen hat. Er vereinigt in sich alle Gegenstze, die das Menschenleben kennt. Im Anfang des Gedichts erscheint Faust weder wie Werther, als der Mensch, der im reinen Gefhl lebt, noch erscheint er, wie Prometheus, als Mann der Tat. Sein Leben ist aufs W i s s e n gestellt: der E r k e n n t n i s t r i e b ist es, der ihn beherrscht und der sein ganzes Dasein durchdringt und bestimmt. Aber auch diese Grenze muss er, wie alle anderen Grenzen, berschreiten und berwinden. Von der Welt des blossen Erkennens strebt er zur Totalitt, zur Flle und Ganzheit des Lebens. “Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist, Soll keinen Schmerzen knftig sich verschliessen, Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, Will ich in meinem inneren Selbst geniessen”[.] 292 In Fausts Welt muss daher Raum fr Prometheus wie fr Werther sein – und er schlgt gewissermassen eine Brcke zwischen beiden. Was Werther, Faust, Prometheus mit einander verbindet, ist dies, daß Jeder von ihnen ganz und ausschliesslich auf sich selbst gestellt ist. Auf den Gedanken B einer Vorsehung, die die menschlichen Geschicke lenkt, haben sie Verzicht geleistet. Alle drei sind keineswegs Gottesleugner – und im Werther vor allem spren wir nicht nur eine enthusiast[ische] Naturverehrung, sondern auch ein echtes u[nd] tiefes religises Gefhl. Aber das ruhige Vertrauen auf die gttl[iche] Leitung der Dinge C ist auch in ihm schwer erschttert. D Der Mensch steht allein in Glck und Leid, in dem, was er vollbringt und tut, und in dem, was er duldet. Sein Schicksal quillt aus ihm selbst und aus seinem eigenen Herzen. In diesem Gefhl lehnt sich Prometheus gegen Zeus auf[.] E Aber F hier sieht.] danach gestrichen: Werther – der Ausdruck des Duldens und Leidens – Prometheus: die hchste und intensivste Kraftanspannung, die Energie und Tatkraft, die nach den hchsten Zielen greift. B Gedanken] danach gestrichen: einer g  t t l i c h e n Leitung, C Dinge] Dinge, D Alle drei ... erschttert.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen E gegen Zeus auf.] danach mit langem Pfeil verbunden auf dem Rand: 19; brige Hlfte der S. (18d) leer F Aber] Davor erste Hlfte der S. (19) gestrichen: verrt uns hier eine andere Dichtung Goethes. Die Konzeption der Faust-Tragdie fllt in dieselbe Zeit wie die A

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handelt es sich nicht um einen usseren, sondern um einen inneren Kampf. Was Prometheus dem Zeus entgegenstellen kann, A das sind nicht ussere, physische Machtmittel. Er fhlte sich seines Sieges und seines schliesslichen Triumphs sicher auf Grund einer n e u e n I d e e vo m M e n s c h e n , die er in sich trgt. Unter der Herrschaft des Zeus und der alten Gtter galt der Mensch als ein schwaches, hilfloses, unmndiges Geschpf. Alles, was ihm an Glck oder an Strke zuteil werden konnte, verdankte er der Gunst der Gtter – und diese Gunst war unsicher und wankelmtig. Was die Gtter dem Menschen gegeben, konnten sie ihm ohne Grund wieder entziehen. Ein Tag konnte den Menschen von der Hhe des Glcks in den Abgrund des Verderbens hinabstrzen. Das soll anders werden. Der Mensch soll nicht mehr ein Spielball in der Hand fremder Mchte sein, die nach Laune und Willkr sein Geschick bestimmen. Er soll sein Leben selbst in die Hand nehmen und er soll sein Schicksal gestalten. Das ist der neue M a n n e s g l a u b e , den Prometheus dem bisherigen K i n d e r g l a u b e n der Menschheit entgegenhlt und den er an seine Stelle setzen will. Er selbst hat diesen Kinderglauben geteilt; aber nun ist er zum Manne gereift – nun ist er hellsichtig geworden fr die Grsse des Menschen und fr die Schwche und Ohnmacht der alten Gtter. Da ich ein Kind war, Nicht wusste wo aus noch ein, Kehrt’ ich mein verirrtes Auge Zur Sonne, als wenn drber wr’ Ein Ohr zu hren meine Klage, Ein Herz, wie mein’s, Sich des Bedrngten zu erbarmen. Wer half mir Wider der Titanen bermuth? Wer rettete vom Tode mich, Von Sklaverei? Hast du nicht alles selbst vollendet, der P ro m e t h e u s - Tr a g  d i e . Es scheint fast, als ob beide Stoffe Goethe in einem bestimmten Zeitpunkt gleich nahe gewesen seien und als ob sie in seinem Geist mit einander um die Herrschaft gerungen htten. Der Faust hat hierbei den Sieg errungen – aber auch der Stoff des Prometheus hat Goethe sein Leben lang begleitet. Noch nach Jahrzehnten hat er ihn in dem Drama » Pa n d o r a « – einem der tiefsten und merkwrdigsten Werke Goethes – wieder aufgenommen. Prometheus ist der Titan, der sich gegen die Herrschaft des Zeus auflehnt. A kann,] ersetzt gestrichen: und womit er ihn besiegen will,

[zustzliche Vorlesung: Der Urfaust]

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Z

Heilig glhend Herz? Und glhtest jung und gut, Betrogen, Rettungs dank Dem Schlafenden da droben? Ich dich ehren? Wofr? Hast du die Schmerzen gelindert Je des Beladenen? Hast du die Thrnen gestillet Je des Gengsteten? Hat nicht mich zum Manne geschmiedet Die allmchtige Zeit Und das ewige Schicksal, Meine Herrn und deine? ... Hier sitz’ ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht, das mir gleich sei, Zu leiden, zu weinen, Zu geniessen und zu freuen sich, Und dein nicht zu achten, Wie ich! 293 Das ist die Kampfansage des Prometheus und die Kampfansage des neuen, mndig gewordenen Menschen gegen die bisherige festgefgte Ordnung der Dinge – eine Ordnung, die man als heilig verehren mchte, die aber den Menschen mit ihrer bermacht zu erdrcken und ihn zu ewiger Ohnmacht zu verurteilen drohte. Besser sich allen Gefahren und Ungewissheiten, allen Drohungen des Lebens auszusetzen, als in dieser Ohnmacht zu verharren. A Auch Faust reisst sich los von allem, was die Menschheit bisher gebunden hat. B Er fhlt: er muß a l l e i n den Kampf aufnehmen – und in ihm siegen oder untergehen. C Er empfngt das Leben nicht mehr als ein Geschenk fremder Mchte; er baut es von innen her auf. Aber es ist nicht, wie im Prometheus, die Kraft des W i l l e n s , sondern die Kraft des W i s s e n s , die jetzt den Kampf aufnimmt und

verharren.] danach gestrichen: Das ist das grosse Thema des Faust, wie es das Thema des Prometheus ist. B hat.] danach gestrichen: Stnd’ ich, Natur, vor Dir, ein Mann allein, / Dann wrs der Mhe wert ein Mensch zu sein, 294 / – so heißt es im zweiten Teil des Faust. C untergehen.] danach gestrichen: Damit gewinnt er eine großartige Erweiterung und eine großartige Vertiefung seines Menschengefhls und seines Selbstgefhls. A

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der die Fhrung zufllt. A Nur der wissende, der erkennende Mensch vermag sein Leben zu gestalten. Aber nun kommt der grosse tragische Rckschlag. Denn zugleich mit der Macht des Wissens erfhrt Faust die Schranke des Wissens. Diese Schranke ist unaufheblich und unbesieglich. Die Aufgabe des Wissens ist unendlich – aber alles, was es erreicht, bleibt an die menschliche Natur, an die Endlichkeit des menschlichen Daseins, gebunden. Aus diesem Zwiespalt gibt es fr den Menschen keine Erlsung. Der Anfang der Faust-Dichtung zeigt uns, wie Faust unter ihm zusammenzubrechen droht. Er, der tiefer als jeder andere die Kraft des Wissens erfahren und seine Seligkeit genossen hat, sieht nun in bitterer Enttuschung die Ohnmacht des Wissens vor sich. B Die Verzweiflung am Wissen ist es, die Faust in die Magie hineintreibt. Von ihr erhofft er endlich die ersehnte Offenbarung: Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiss Rede von dem was ich nicht weiss, Daß ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhlt, Schau alle Wirkungskraft und Samen Und thu nicht mehr in Worten kramen. 295 Damit ist, schon in den Eingangsworten des ersten Faust-Monologs, der tragische Knoten der Dichtung geschrzt. Denn die Magie kann die ersehnte Hlfe nicht bringen. Sie m u s s sich als Aberweg und Irrweg erweisen. Sie kann keine Heilung und keine Rettung bringen – denn sie ist ein Ve r r a t an dem, was Faust im Innersten erstrebt und gewollt hat. Wenn sich der Mensch von dem Glauben an G o t t dem Glauben an die M a g i e zuwendet – so hat er damit fr sich selbst nichts gewonnen. Denn wieder vertraut er damit nicht sich selbst – sondern er ruft die Macht und den Schutz  b e r n a t  r l i c h e r Krfte an: er gibt sich dem Teufel, wie er sich Aber ... zufllt.] am Rand; ersetzt gestrichen: Und die Kraft des Erkennens, des Wissens ist es, der hier die Fhrung zufllt. B vor sich.] danach gestrichen: Diese Stimmung durchdringt schon die erste Szene des Urfaust – und in der spteren Gestaltung des Werkes wird sie immer mchtiger anschwellen ... Und seh, daß wir nichts w i s s e n knnen, Das will mir schier das Herz verbrennen[.] Zwar bin ich gescheuter als alle die Laffen, Doktors, Professors, Schreiber und Pfaffen, Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel[,] Frcht’ mich weder vor Hll noch Teufel[.] Dafr ist mir auch alle Freud’ entrissen, Bild’ mir nicht ein was recht zu wissen, Bild’ mir nicht ein, ich knnt was lehren Die Menschen zu bessern und zu bekehren. 296 A

[zustzliche Vorlesung: Der Urfaust]

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zuvor Gott gegeben hat. A Aber auf diese Weise kann ihm keine Erlsung zu Teil werden. Die echte Erlsung kann nur aus ihm selbst und dem Mittelpunkt seines eigenen Wesens hervorgehen. Faust, der, wie Prometheus, dem Kinderglauben entsagt hat, muss lernen, auch der Macht der Magie zu entsagen. Er muss sich nicht nur gegenber allen gttlichen, sondern auch gegenber allen dmonischen Mchten behaupten. “Knnt’ ich Magie von meinem Pfad entfernen, Die Zaubersprche ganz und gar verlernen; Stnd ich, Natur! vor dir ein Mann allein, Da wrs der Mhe wert, ein Mensch zu sein” 297 – so sagt der Faust, kurz vor seinem Tode, im zweiten Teil der Dichtung. Nicht die Einzelheiten dieses Kampfes standen Goethe vor Augen, als die Gestalt des Faust, in Straßburg und in Wetzlar, zum ersten Mal vor ihm aufstieg. Aber das grosse und durchgehende T h e m a der Dichtung war ihm schon damals, wie er in dem Briefe an Humboldt kurz vor seinem B Tode geschrieben hat, “jugendlich von vornherein klar”.298 Das Streben des Menschen kann niemals zu einem letzten Ziel gelangen, in dem es erlischt und in dem es sich endgltig befriedigt. So lange der Mensch nach solchen Zielen greift und von i h re m Besitz die Erfllung seines Wesens erhofft, wird ihm immer wieder die schmerzlichste Enttuschung zu Teil. Ein Ziel nach dem anderen entgleitet ihm und versinkt ihm. Aber das Ende dieses Kampfes ist nicht, wie es am Anfang schien, der zerstrende Zweifel am Wissen und die Verzweiflung am Leben. Denn das Wissen und das Leben werden in einem neuen Sinne gesehen und in einem tieferen Sinn verstanden. Ihr Wert besteht nicht in dem, was sie e r re i c h e n , sondern was sie selbst, ihrem Wesen und ihrer Grundrichtung nach, s i n d . C Der geistigsittliche P ro z e s s der Menschwerdung ist das Hchste, was den Menschen beschieden ist – und vor diesem nie abbrechenden, in jedem Moment erneuten Prozess verschwindet der Wert jedes blossen Produkts. Der sterbende Faust sieht zuletzt dieses Bild des stndigen K a m p f e s der Menschheit vor sich aufsteigen – D des Kampfes um die menschliche er gibt ... gegeben hat.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen klar”.] danach gestrichen: ^ Manche Interpreten des Faust haben diese Angabe Goethes bezweifelt und gemeint, daß er hierbei einer Selbsttuschung unterlegen sei. Aber ich sehe keinen Grund zu diesem Zweifel. Denn schon der »Urfaust« gibt uns nicht nur die Gretchen-Tragdie in ihrer ganzen erschtternden Gewalt – sondern er enthlt bereits deutlich die Keime des knftigen großen Gedankendramas. & C s i n d .] danach gestrichen: Die wahre Erfllung, so fern den Menschen eine solche vergnnt ist, liegt i n ihnen, nicht a u s s e r ihnen. D aufsteigen –] danach z. T. mehrfach gestrichen: aber er wnscht keine andere Ruhe und keinen anderen [gestrichen: Frieden, darunter und nach Streichung der Passage stehengeblieben: Befriedigung] mehr, als die, die im Anblick dieses KampA B

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Freiheit, die nicht anders als durch S e l b s t b e f re i u n g gewonnen werden kann. Und in dieser großen Aussicht auf die Selbstbefreiung der Menschheit durch e i g e n e Kraft kann er zuletzt den Frieden finden, den sein Leben A ihm versagt hat, weil es ein blosses Einzelleben war. B [“]Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben, Das ist der Weisheit letzter Schluss, Nur der verdient sich Freiheit, wie das Leben, Der tglich sie erobern muss. Und so verbringt, umrungen von Gefahr, Hier Kindheit, Mann und Greis ein tchtig Jahr Solch ein Gewimmel mcht’ ich sehn, Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn. Zum Augenblicke drft’ ich sagen: Verweile doch, du bist so schn, Es kann die Spur von meinen Erdetagen Nicht in Aeonen untergehn” – 299 Aber wir drfen uns hier, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], in die Probleme der Faust-Dichtung nicht weiter vertiefen. Niemand kann dies mehr bedauern, als ich – aber unser Thema treibt uns vorwrts. C Ich wollte diese Probleme hier nur in so weit andeuten, als die Keime zu ihnen schon im ersten Entwurf, schon im Urfaust, deutlich erkennbar sind. Jetzt aber wenden wir uns von diesem Vorblick auf das knftige Werk wieder ganz der Welt des j u n g e n G o e t h e zu – und wollen zunchst das letzte große Erlebnis von Goethes Frankfurter Zeit – seine Liebe zu L i l l y S c h  n e m a n n betrachten[.]

fes liegt [am Rand, gestrichen: sieht in diesem Kampf zugleich das Bild der F re i h e i t der Menschheit vor sich aufsteigen] A Leben] Leben, Komma nach Streichung stehengeblieben, danach gestrichen: als individuelles Leben B des Kampfes ... Einzelleben war.] zwischen den Zeilen und am Rand C Niemand ... vorwrts.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen

Vierte Vorlesung. Lilly Schnemann. A [26. II.41] Die Geschichte seiner Liebe zu Lilly Sch[nemann], seiner Verlobung mit ihr und seines Abschieds von ihr, hat G[oethe] im letzten Buch von D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] erzhlt. Als er dieses Buch schrieb, stand er schon im hohen Alter; es ist ein fast 80[-]jhriger, der hier zu uns spricht. Aber in der Darstellung G[oethe]’s sprt man nichts davon. Die Teile von D[ichtung] u[nd] W[ahrheit], in denen Lillys Gestalt gezeichnet wird, wirken heute auf uns als die schnsten und jugendfrischsten des Werkes[.] G[oethe] selbst fhlte sich von dieser Schilderung seiner Jugend innerlich bewegt[:] B “Ich sehe die reizende Lilli wieder in voller Lebendigkeit vor mir[”] – so sagte er zu Eckermann1 [– “]und es ist mir als fhlte ich wieder den Hauch ihrer beglckenden Nhe”[.] C 300 Aber in dem gleichen Gesprch mit Eckermann, D findet sich noch ein anderes merkwrdiges Wort. E G[oethe] spricht hier davon, daß jeder echten Leidenschaft etwas » D  m o n i s c h e s « innewohne, und daß dieses Dmonische in seinem Verhltnis zu Lilly besonders wirksam gewesen sei. 301 “Es gab meinem ganzen Leben eine andre Richtung” – so erklrt er – [“]und ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß meine Herkunft nach Weimar und mein jetziges Hiersein davon eine unmittelbare Folge war.” 302 Was war dieses »Dmonische«, das in G[oethe]’s Verhltnis zu Lilly waltete? F D i e s e Frage ist von der Goethe-Forschung nicht nur noch nicht vollstndig b e a n t wo r t e t – sondern sie ist meines Erachtens sagte er zu Eckermann] am Rand: 5.3.1830 / (Eck[ermann, Bd.] II, [S.] 436 f.)[.] 1

Vorlesung. / Lilly Schnemann.] im Ms. hervorgehoben Goethe selbst ... bewegt] zwischen den Zeilen und dieser Stelle zugewiesen C beglckenden Nhe”] danach gestrichen: Keine Erinnerung an die Zeit der ersten Jugend scheint Goethe so tief und so dauernd bewegt zu haben wie die Erinnerung an Lilly. Wenn er spter an sie zurckdachte, so erschien ihm Lilly stets als die eigentliche Verkrperung seiner Jugend – in all ihrem Glck und in all ihrem Leid. D Eckermann,] danach gestrichen: das G[oethe] unmittelbar nach dem Abschluss seiner Lilly-Darstellung hatte, E Wort.] Wort, Komma nach Streichung stehengeblieben; danach gestrichen: das bisher kaum beachtet oder noch nicht in seiner eigentlichen Bedeutung gewrdigt worden ist. F waltete?] danach gestrichen: und worin bestand der entscheidende Einfluss, den die Liebe zu diesem Mdchen auf G[oethe]’s Lebensgang nicht nur, sondern auch auf seine geistige Entwicklung, auf seinen gesamten inneren B i l d u n g s g a n g genommen hat? A Vierte B

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noch nicht einmal richtig g e s t e l l t , sie ist noch nicht in ihrer vollen Bedeutung gesehen worden. Jede Goethe-Biographie hat uns freilich das Liebesdrama mit Lilly eingehend erzhlt und es bis in die letzten Einzelheiten geschildert. Aber damit allein ist es nicht getan. Denn wenn wir tiefer eindringen – so entdecken wir zu unserem Erstaunen, daß das Liebesdrama als solches uns nur die Au s s e n s e i t e des Geschehens gibt. Hinter dieser Aussenseite verbirgt sich noch etwas Anderes – was freilich schwer fassbar ist, weil es sich in einer Tiefe abspielt, zu der unser Blick nur schwer durchdringt. Wir knnen es nicht durch irgend ein usserliches Ereignis bezeichnen – A es spielt sich ganz im Innern von G[oethe]’s Seele ab. Dennoch ist es nicht etwa etwas bloss Erdichtetes oder Erschlossenes. Haben wir einmal den Blick dafr gewonnen, so sehen wir es vollkommen plastisch, vollkommen deutlich, vollkommen lebendig vor uns. Es sind in Wahrheit zwei verschiedene Dramen, die hier nebeneinander hergehen und die stndig ineinandergreifen. Das eine ist ein Drama der L e i d e n s c h a f t – das andere gehrt einer ganz anderen Sphaere an: es ist eine seelisch-geistige Krise, die G[oethe] erlebt und die ihn in seinem tiefsten Wesen erschttert und umgestaltet. B e i d e Momente mssen wir im Auge behalten – und beide will ich Ihnen, in ihren Grund- und Hauptzgen, zu B schildern suchen. C An den usseren Verlauf des Geschehens braucht hierbei nur kurz erinnert zu werden. Als G[oethe] Lilly Schnemann kennen lernt, ist sie ein junges Mdchen von 16 Jahren. Sie stammt aus einem reichen und angesehenen Frankfurter Kaufmannshaus und hat die beste Erziehung genossen. Sie ist bezaubernd in ihrer jugendlichen Anmut; aber sie verfgt zugleich ber alle gesellschaftlichen Gaben. Sie ist gebildet; sie hat entschiedene knstlerische Anlagen und Interessen; sie besitzt vor allem ein nicht gewhnliches m u s i k a l i s c h e s Talent. G[oethe] hat sie zuerst bei einem kleinen Hauskonzert im Haus ihrer Eltern kennen gelernt. D Spter kommt es zwischen beiden zu einer immer innigeren Annherung.

bezeichnen –] danach gestrichen: denn in die Gestaltung des usseren Dramas greift es kaum ein; B zu] zu zu C B e i d e Momente ... schildern suchen.] am Rand; ersetzt gestrichen: Ich muss in meiner Darstellung auf dieses letzte Moment besonderes Gewicht legen, weil ich mich hier, wie gesagt, in einem Gegensatz fast zur gesamten Goethe-Forschung befinde. Diese hat, wie mir scheint, bisher allzu einseitig das ussere Geschehen in den Vordergrund gestellt – und sie ist damit dem Drama, das sich in der Tiefe abspielt, nicht gerecht geworden. Dieses Drama will ich Ihnen jetzt in seiner Entstehung und in seinen großen Wendepunkten zu schildern versuchen. D gelernt.] gelernt, Komma nach Streichung stehengeblieben; danach gestrichen: und die Art, wie sie frei spielte und sang, hat ihn entzckt. A

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“Wir blickten einander an[”] – so sagt G[oethe] – [“]und ich will nicht leugnen, daß ich eine Anziehungskraft von der sanftesten Art zu empfinden glaubte.” Aber nicht lange bleibt es bei dieser sanften Anziehung, die Lillys Wesen auf Goethe ausbt. Bald entwickelt sich daraus ein anderes strmischeres Gefhl. Er fhlt, daß er sie nicht mehr missen kann. A Im April 1775 wird die Verlobung zwischen beiden ausgesprochen. Aber nun beginnt erst der eigentliche Kampf. Wieder und wieder sucht sich G[oethe] von Lilly loszureissen. B Es folgt eine Zeit der qualvollsten Unruhe. G[oethe] fhlt, daß er nie den Mut finden wird, sich von Lilly zu lsen, so lange er ihr nahe und tglich von neuem dem beglckenden Zauber ihrer Gegenwart unterliegt. Er beschliesst zu fliehen – er macht gemeinsam mit zwei Jugendfreunden, den beiden Grafen zu Stolberg, eine Reise in die Schweiz. Und die Trennung scheint ihm anfangs die innere Ruhe wiederzugeben. In der Anschauung der ganzen Natur, die ihn umgibt, scheint er Genesung zu finden C. Eine der herrlichsten lyrischen Naturschilderungen, die wir von G[oethe] besitzen, das Gedicht: »Auf dem See« ist auf dieser Reise entstanden. Aber dieses Gedicht zeigt uns zugleich, wie G[oethe] hier vergebens Rettung sucht. Lillys Bild hat schon zu stark von ihm Besitz genommen und sich zu tief in sein innerstes Wesen verwoben. Er kann sich auch in die Grsse und Herrlichkeit der Natur nicht mehr versenken, ohne daß ihn diese gesteigerte Empfindung wieder zu ihr, zu der Geliebten, zurckfhrt. D Von den Bergen fllt sein Blick ins kann.] kann – danach gestrichen: und mit einem leidenschaftlichen Entschluss sucht er sie ganz an sich zu ziehen. B loszureissen.] loszureissen, Komma nach Streichung stehengeblieben, danach gestrichen: die er eben noch mit den strksten Banden an sich zu fesseln versucht hat. C scheint ... zu finden] am Rand und hier angeschlossen; ersetzt gestrichen: fhlt er sich selbst wieder, als Dichter und als Menschen, genesen D Er kann sich ... zurckfhrt.] zwischen den Zeilen und am Rand; ersetzt gestrichen: Was er von nun ab sieht, das erstrahlt nicht nur in seinem eigenen Lichte, sondern in i h re m Licht – und wie durch einen Schleier hindurch, erblickt er in allem, was er sieht, immer wieder i h re Gestalt. Diese Doppelempfindung bringt das Gedicht “Auf dem See” zu herrlichem Ausdruck. Und frische Nahrung, neues Blut Saug’ ich aus freier Welt Wie ist Natur so hold und gut – Die mich am Busen hlt! Die Welle wieget unsern Kahn – Im Rudertakt hinauf, Und Berge, wolkig, himmelan – Begegnen unserm Lauf[.] A

Aug’ mein Aug’, was sinkst Du nieder? Goldne Trume, kommt Ihr wieder? Weg Du Traum, so gold du bist! Hier auch Lieb und Leben ist – 303

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Tal: er sieht die Straße vor sich, die nach Italien hinabfhrt. Die Sehnsucht nach Italien, die er von frhester Jugend an in sich versprt A, erwacht aufs neue in ihm. Wie glcklich wre er, wenn er ihr nachgeben knnte! Aber kann es fr ihn noch ein Glck fern von Lilly geben? Das ist die Frage, die er sich in einem kleinen Gedicht stellt: Wenn ich, liebe Lili, Dich nicht liebte, Welche Wonne gb’ mir dieser Blick – Und doch, wenn ich[,] Lili[,] Dich nicht liebte[,] Wr’, was wr mein Glck? 304 Von seiner Schweizer Reise kehrt G[oethe] zurck – in dem Gefhl, daß sie ihren Zweck verfehlt,– daß sie ihm die gesuchte Befreiung nicht gebracht hat. Sie hat ihm nur strker und tiefer als zuvor gezeigt, daß er Lilly nicht missen kann. Aber auch das Widersehen mit ihr bringt ihm keine Ruhe. Abermals folgen qualvolle Wochen der inneren Unsicherheit[.] Beide, G[oethe] wie Lilly, fhlen die wachsende innere Entfremdung und leiden unter ihr. Aber keiner findet den Mut[,] das entscheidende Wort zu sprechen. Ein Zufall, eine vorbergehende Verstimmung, scheint schliesslich den Ausschlag gegeben zu haben. Es kommt zu einer Lsung des Verlbnisses. Die Einladung nach Weimar ist inzwischen an Goethe ergangen – und er hat sich nach langem Zgern entschlossen[,] sie anzunehmen. Bevor er von Frankfurt scheidet, fhrt ihn noch einmal ein nchtlicher Spaziergang durch die Straßen der Stadt – und auch vor Lillys Haus. “In einen grossen Mantel gehllt” – so erzhlt er in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] – [“]schlich ich1 in der Stadt umher, an den Husern meiner Freunde und Bekannten vorbei und versumte nicht, auch an Lilis Fenster zu treten. Sie wohnte im Erdgeschoss eines Eckhauses, die grnen Rouleaux waren niedergelassen; ich konnte aber recht gut bemerken, daß 1

“schlich ich] am Rand: XX[. Buch], Loep[er, Bd.] 23, [S.] 107[.]

Noch einmal sucht G[oethe] den Liebestraum, der ihn bedrngt zu verscheuchen, indem er alles persnliche Glck und Leid von sich zu werfen und sich ganz in den Anblick der Natur zu versenken sucht[.] Der Schluß des Gedichts bildet eine Natur- und Landschaftsschilderung von selten anschaulicher Kraft: Auf der Welle blinken – Tausend schwebende Sterne Weiche Nebel trinken – Rings die trmende Ferne Morgenwind umflgelt – Die beschattete Bucht Und im See bespiegelt – Sich die reifende Frucht. 305 Den Ausdruck des gleichen D o p p e l g e f  h l s finden wir in allen Liedern, die G[oethe] auf dieser Schweizer Reise gedichtet hatte. A versprt] danach gestrichen: und die durch die Erzhlungen des Vaters stndig von neuem in ihm angefacht worden war

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die Lichter am gewhnlichen Platz standen. Bald hrte ich sie zum Klavier singen; es war das Lied: ‘Warum ziehst Du mich unwiderstehlich’, 306 das nicht ganz vor einem Jahre von mir gedichtet ward. Nachdem sie es zu Ende gesungen, sah ich an dem Schatten, der auf die Rouleaux fiel, daß sie aufgestanden war; sie ging hin und wieder, aber vergebens suchte ich die Umrisse ihres lieblichen Wesens durch das dichte Gewebe zu erhaschen. Nur der feste Vorsatz, mich wegzubegeben, ihr nicht durch meine Gegenwart beschwerlich zu sein, ihr wirklich zu entsagen, konnte mich entscheiden, die so liebe Nhe zu verlassen.” 307 Das ist, in großen Zgen, der ussere Verlauf des Liebesdramas des Jahres 1775. Aber wir haben behauptet, daß hinter diesem Liebesdrama A ein a n d e re s seelisches Drama steht – und daß erst dieses andere Drama uns die Geschichte von Goethes Liebe zu Lilly ganz verstndlich machen kann. Worauf grndet sich diese Behauptung – und welche Mittel besitzen wir, B um sie zu beweisen? Z we i Wege bieten sich hier fr uns dar. Auf der e i n e n Seite muss – hier, wie berall – die D i c h t u n g Goethes unser Fhrer sein. Die Lieder, die G[oethe] an Lilly gedichtet hat, gehren zu den herrlichsten Schpfungen der G[oethe]’schen Lyrik[.] Sie sind, auch diesmal wieder, der unmittelbarste und deutlichste Ausdruck fr all das, was ihn in dieser Zeit bewegt hat. C Aber dazu kommt ein anderes Dokument, das diesmal die Dichtung fast noch bertrifft. Es ist eine Reihe von Briefen, die Goethe, in der Zeit der schwersten inneren Krise, an die Grfin Auguste zu Stolberg gerichtet hat. Im Goetheschen Briefwechsel nehmen diese Briefe eine ganz besondere, ja einzigartige Stelle ein. Nirgends sonst hat sich G[oethe] so frei, so ungehemmt, mit solcher DeutLiebesdrama] Liebesdrama, Komma nach Streichung stehengeblieben; danach gestrichen: das wir alle kennen und das so oft und so eingehend beschrieben worden ist, B wir,] wir sie, C Z we i Wege ... bewegt hat.] am Rand und hier angeschlossen statt z. T. mehrfach gestrichen: Denn ohne wirklich feste und berzeugende Beweise drfen wir natrlich keinen so gewagten Satz aufstellen, wie der unsere es ist – wir drfen nicht annehmen, daß hier etwas machtvoll und bestimmend in Goethes Leben eingegriffen hat, von dem kaum eine Goethe-Biographie auch nur das Geringste zu melden weiss. Aber hier[,] wo die Erforschung des usseren Lebens Goethes und alle wissenschaftlichen Mittel[,] die die Goethe-Philologie fr sie ausgebildet hat, uns im Stich lsst – hier treten fr uns zwei andere unvergleichliche Mittel ein. Das eine ist, wie immer, die Goethesche D i c h t u n g – die hier wie berall, der getreueste Spiegel seiner inneren Zustnde ist. Die L i e d e r, die G[oethe] an Lilly gedichtet hat, [eingeschoben und dann gestrichen: gehren zu den herrlichsten Schpfungen der G[oethe]’schen Lyrik] sind der unmittelbarste und deutlichste Ausdruck fr das, was ihn zu dieser Zeit bewegt hat. [danach auf neuer Zeile mit Wellenlinie gestrichen: – und sie leiten uns auch zu jener tieferen Problematik seines gesamten inneren Wesens, die damals in ihm ausbricht.] A

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lichkeit und mit solcher Offenheit ber sein Erleben und seine inneren Zustnde ausgesprochen, wie es hier geschieht. A Diese unbedingte Treuheit und Echtheit muss auf uns auf den ersten Blick um so erstaunlicher wirken, als G[oethe] das Mdchen, an das er diese Briefe gerichtet hat, nie gesehen hat. Die Grfin Auguste zu Stolberg war die Schwester der beiden jungen Reichsgrafen zu Stolberg, mit denen Goethe seine Schweizer Reise unternahm. Durch die Brder war er mit ihr in Verbindung getreten – aber zu einer persnlichen Bekanntschaft ist es zwischen ihnen niemals gekommen. Wie konnte G[oethe] unter diesen Umstnden Auguste zu Stolberg derart leidenschaftliche Bekenntnisse machen? Das erklrt sich nur, wenn man sich die besondere Geistesart des 18ten Jahrhunderts vergegenwrtigt. Das achtzehnte Jahrhundert ist erfllt von einem B r i e f k u l t u s und von einem F re u n d s c h a f t s k u l t u s , den wir heute nicht mehr kennen. Mnner und Frauen schwelgen in den hchsten Bekundungen der Freundschaft – und sie finden keinen hheren und besseren Ausdruck fr sie B als den Brief, in dem sich all dieser Gefhls-berschwang entldt. C G[oethe] schreibt an Auguste zu Stolberg um so freier, als es ihm vor allem um eine ganz rckhaltlose Selbstbeichte zu tun ist – und er whlt sie, weil es sich leichter beichtet, wenn man den, dem man die Beichte ablegt, n i c h t kennt, als wenn man ihn kennt. Aber vertiefen wir uns nun in dieses Dokument – und hren wir, was es ber den inneren Prozess, den wir hier aufzudecken suchen, verrt. Wir beginnen mit einem Brief, der das Datum des 13. Februar 1775 trgt. “Wenn Sie sich, meine Liebe,1 einen Goethe vorstellen knnen, der im galonierten Rock, sonst von Kopf zu Fuss auch in leidlich konsistenter Galanterie, umleuchtet vom unbedeutenden Prachtglanze der Wandleuchter und Kronenleuchter, mitten unter allerlei Leuten, von einem paar schner Augen am Spieltische gehalten wird, der in abwechselnder Zerstreuung aus der Gesellschaft, ins Konzert, und von da auf den Ball getrieben wird und mit allem Interesse des Leichtsinns, einer niedlichen Blondine den Hof macht; so haben Sie den gegenwrtigen FasstnachtsGoethe ... Aber nun gibts noch einen, der im grauen Biber-Frack mit dem 1

meine Liebe,] am Rand: M o r r i s [ , B d . ] V, [ S . ] 9 f .

hier geschieht.] danach gestrichen: Sie begleiten das tgliche Geschehen, wie ein Tagebuch – und sie versuchen keinerlei ussere, stilistische Formung desselben – sie brechen unmittelbar aus G[oethe] heraus – und zeigen ihn uns, ganz erschttert und berwltigt von dem, was er erfhrt. B sie] sie, C entldt.] danach gestrichen: Er schlgt die Brcke – auch zwischen denen, die fr immer von einander getrennt sind oder die einander nie begegnet sind. So ist es auch hier. A

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braunseidenen Halstuch und Stiefeln, der in der streichenden Februarluft schon den Frhling ahndet, dem nun bald seine liebe weite Welt wieder geffnet wird, der immer in sich lebend, strebend und arbeitend, bald die unschuldigen Gefhle der Jugend in kleinen Gedichten, das krftige Gewrz des Lebens in mancherlei Dramas die Gestalten seiner Freunde und seiner Gegenden und des geliebten Hausrats mit Kreide auf grauem Papier, nach seinem Maße auszudrcken sucht – weder rechts noch links fragt: was von dem gehalten werde was er machte? weil er arbeitend immer gleich eine Stufe hher steigt, weil er nach keinem Ideale springen, sondern seine Gefhle sich zu Fhigkeiten, kmpfend und spielend, entwickeln lassen will” 308 ... Diese Briefstelle gehrt zu den schnsten, merkwrdigsten und kostbarsten S e l b s t z e u g n i s s e n , die wir von G[oethe] aus der Zeit seiner Jugend besitzen. Was an ihr zunchst in die Augen springt, ist die grossartige O b j e k t i v i t  t , mit der G[oethe] sich selbst sieht und schildert. Er spricht hier ja fast von sich, wie man von einem Dritten, einem Fremden spricht. Und bei dieser Betrachtungsweise sieht er sich nicht einfach, sondern doppelt. Diese Doppelheit geht bis in die letzten Einzelheiten; – sie stellt sich uns usserlich in allen besonderen Zgen, im Benehmen, im ganzen Habitus, ja in der Kleidung dar. Der e i n e Goethe: das ist der junge Frankfurter Patrizier, der, leidenschaftlich verliebt in ein schnes Mdchen, keinen anderen und hheren Wunsch kennt, als ganz in der Welt dieses Mdchens aufzugehen. Er kleidet sich nach ihrem Geschmack und nach der neuesten Mode; er folgt jedem ihrer Winke und er strzt sich, ihr zu Gefallen, in eine Flle geselliger Zerstreuungen. Aber hinter diesem Fastnachts-Goethe, dessen Leben zu einer einzigen Folge gleichgltiger Vergngungen, zu einer Art von ewiger Redoute, geworden ist, steht nun ein anderer, der diesem Treiben ruhig zusieht. Es ist der D i c h t e r G o e t h e . Auch von ihm spricht G[oethe] hier merkwrdig unpersnlich. Er beschreibt ihn seinem usseren und seinem Inneren nach – wie er sich trgt, wie er sich hlt und kleidet und nach all dem, was noch helle unbewusst in ihm lebt. Dieser Dichter ist voll von Plnen, von knftigen Schpfungen, von noch ungeborenen Gestalten. Er ahnt sie mehr, als daß er sie schon in klaren Umrissen vor sich sieht. Aber er weiss und fhlt: dies alles wird einmal aus ihm herausbrechen und volle Sichtbarkeit gewinnen. Nur kann er diesen Prozess A nicht beschleunigen. Er muss ruhig zusehen; er muß die Zeit still walten lassen. Goethe fhlt seine Dichtung wie einen organischen Prozess, ber den er keine Gewalt hat. Er kann nichts erzwingen – und er kann nicht, gleich anderen, “nach einem diesen Prozess] am Rand und hier angeschlossen; danach Fortsetzung des Satzes (dies alles) nach Korrektur stehengeblieben A

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Ideale springen”. 309 Dies ist ein hchst charakteristischer Ausdruck, dessen Bedeutung vor allem ins Auge fllt, wenn wir G[oethe]’s dichterische Entwicklung mit derjenigen S c h i l l e r s vergleichen. Schillers Entwicklung vollzieht sich in der Tat derart, daß er sich bestimmte Aufgaben stellt, die er erreichen will, daß er ein Ideal, ein knstlerisches S o l l e n , sich vor Augen hlt und gemss diesen Idealen schafft. Er ist immer auf der Suche nach etwas Neuem, Besserem, Vollkommenerem; er will immer ber sich selbst hinaus, er s p r i n g t nach einem bestimmten Ideal. Das aber ist G[oethe] verwehrt. Er musste sich, wie er in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] sagt, von frh an gewhnen, sein dichterisches Talent “ganz als Naturgabe zu betrachten”. 310 Dieser Naturgabe kann er nicht befehlen – sie bricht pltzlich hervor, nicht wie er will, sondern wie sie will. Aber eben daraus entspringt fr G[oethe] auch ein Gefhl der tiefen inneren Sicherheit, des unerschtterlichen Vertrauens, das einen fast religisen Charakter besitzt. Um den Dichter in sich macht er sich keine Sorge. Er wird, ohne nach rechts oder links zu fragen, den Weg, den sein Schicksal und sein Genius ihm weist[,] fortsetzen; er wird, in sich lebend, strebend und arbeitend, eine Stufe nach der andern ersteigen. A Aber freilich ist auch diese innere Welt des Dichters G[oethe] stndigen Strungen und Erschtterungen ausgesetzt, gegen die sie verteidigt werden muss. Und im Jahre 1775, im Jahre des Verlbnisses mit Lilly, wachsen diese Strungen zu einer solchen Strke an, daß sie fast bermchtig zu werden drohen. Jetzt beginnt ein gewaltiges inneres Ringen – ein Konflikt, der sich mehr und mehr steigert. In den Briefen an Auguste zu Stolberg spren wir alle Einzelphasen dieses Konflikts. Bisweilen befllt Goethe eine jhe Angst. Wird er der fremden Gewalten, die ihn hier bedrohen, Herr werden – w i r d e r s i c h a l s M e n s c h u n d D i c h t e r re t t e n k n n e n ? Oder wird er in dem Strudel, der ihn ergriffen hat, versinken? Es ist tief erschtternd, diese sich immer steigernden Ausbrche der Angst in G[oethe]’s Briefen zu verfolgen. Wir kennen keine andere Epoche seines Lebens, in der er so sehr unter der Qual der Unsicherheit gelitten, in der er so stark gefhlt hat, daß seine ganze Zukunft in diesem Augenblick auf dem Spiele stand. Und jetzt erst verstehen wir erst ganz, warum G[oethe], als er spter als Achtzigjhriger von seiner Liebe zu Lilly sprach, diese Liebe als eine “dmonische” bezeichnet hat. Denn hier fhlte er sich wirklich wie von einer fremden Macht ergriffen und vorwrts getrieben – und er wusste nicht, bis wohin sie ihn fhren wrde. Er sieht ersteigen.] danach gestrichen: Der Knstler in Goethe – er kann durch seinen usseren Lebensgang nicht wesentlich gefrdert, aber er kann durch ihn auch nicht wesentlich abgelenkt werden – er hat seine eigene innere Welt, die fest in sich selbst ruht.

A

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noch keinen sicheren Ausweg – aber er hrt nicht auf, zu vertrauen und zu hoffen. “O dass1 ich Alles sagen knnte” – so schreibt G[oethe] am 3[.] August 1775 aus Offenbach, wo er L[illy] besucht hat. [“]Hier in dem Zimmer des Mdchens, das mich unglcklich macht, ohne ihre Schuld mit der Seele eines Engels, dessen heitre Tage ich trbe, ich![”] 311 “Heute2 Nacht” – so schreibt er ein anderes Mal – “necksten mich halb fatale Trume. Heut frh beim Erwachen klangen sie nach. Doch wie ich die Sonne sah, sprang ich mit beiden Fssen aus dem Bette, lief in der Stube auf und ab, bat mein Herz so freundlich, freundlich, und mir wards leicht, und eine Zusicherung ward mir, daß ich gerettet werden, daß noch was aus mir werden sollte: Gutes muths denn, Gustgen”. 312 Das ist kaum mehr die Sprache eines Liebenden – das ist die Sprache eines religisen Menschen, fr den es um Seligkeit oder Verdammnis geht. Und bedenken wir, was in diesen Worten alles liegt. Als Goethe diesen Brief schreibt[,] ist er der Dichter des Gtz und des Werther, der soeben durch diese Schpfungen einen Ruhm ohne Gleichen erlangt hat. Er scheint auf der Hhe seines Lebens zu stehen – und er ist voll der grssten und herrlichsten dichterischen Entwrfe: der Plan zur Faust-Dichtung steht damals in großen Zgen vor ihm, und einige der schnsten Szenen des Faust sind niedergeschrieben. Und d i e s e r Goethe fragt sich, ob nicht alles verloren sei und er trstet sich zuletzt in dem Vertrauen, daß doch “ n o c h e t wa s a u s i h m we r d e n ” wrde. Erst ganz allmhlich steigt dann in G[oethe] die Gewissheit auf, daß auch dieser ganze Wirrwarr, in dem er lebt, dazu bestimmt sei, sein Leben zu einer neuen Gestalt hinaufzufhren – daß auch dieses innere Chaos sich lutern und klren wird. “Ich bin ein Armer, Verirrter, Verlorener[”] – so schreibt er einmal – [“]Nachts acht, aus der3 Comdie und nun die Toilette zum Ball! ... Welch ein Leben! ... Und doch Liebste, wenn ich wieder so fhle, daß mitten in all dem Nichts sich doch wieder so viel Hute von meinem Herzen lsen, so die konvulsieven Spannungen meiner kleinen, nrrischen Komposition nachlassen, mein Blick heitrer ber die Welt, mein Umgang mit Menschen sichrer, fester, weiter wird, und doch mein Innerstes immer ewig allein der heiligen Liebe gewidmet bleibt, die nach A und nach das Fremde durch den Geist der Reinheit, der sie selbst ist, ausstßt und so endlich lauter werden wird, wie gesponnen Gold”. 313 Auch dies wieder ein herrliches und tiefcharakteristisches Wort – und der letzte und schnste Ausdruck fr das, 1 2 3

A

“O dass] am Rand: Morris[, Bd.] V, [S.] 289[.] “Heute] am Rand: [Morris, Bd.] V, [S.] 301[.] “Nachts acht, aus der] am Rand: Morr[is, Bd.] V, [S.] 303[.]

nach] nach nach

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was der eigentliche Sinn dieses innneren Kampfes ist. Mit der Liebe zu Lilly ringen in Goethe andere Krfte – ihr stellt sich das entgegen, was er eine “heilige Liebe” 314 nennt: die Liebe zu dem, was er als seine hchste Lebensaufgabe und als seinen dichterischen Beruf empfindet. Beides bekmpft sich in ihm. Der Mensch, der Jngling Goethe hat nicht gezgert. Er hat die ihm eigentmliche und die ihm gemße Lebensform der Geliebten vllig zum Opfer gebracht. Er wollte i h r Leben leben, nicht s e i n Leben; auch wenn das letztere ihn in einen Strudel von Zerstreuungen strzte. Aber der Dichter, der Genius in Goethe weiss, daß all dies nicht sein tiefster Ernst sein konnte. Es war eine Ro l l e , in die er eingegangen war und die er eine Zeit lang, seinem Mdchen zu Liebe, virtuos gespielt hat. Aber dereinst – das wusste und fhlte er von Anfang an – wird er aus diesem ihm fremden Element wieder auftauchen und sich in seiner unverlierbaren Eigenart wiederherstellen mssen.

[zustzliche Vorlesung: Lilly Schnemann] Wir haben in unserer vorigen A Vorlesungsstunde von dem letzten Jahr gesprochen[,] das G[oethe], vor seinem Eintritt in Weimar, in seiner Vaterstadt Frankfurt zugebracht hat. Dieses Jahr war erfllt von einer grossen Leidenschaft – von der Liebe zu Lilly Schnemann. Wir suchten uns klar zu machen, was diese Liebe in G[oethe]’s Leben bedeutet. Und wir fanden, daß die Geschichte der Liebe zu Lilly Sch[nemann] mehr als jenes einfache Liebesdrama ist, als das sie in fast allen Goethe-Biographien erzhlt und beschrieben wird. Hinter dem Liebesdrama liegt, wie wir zu zeigen suchten, ein anderes Drama: ein tiefer seelisch-geistiger Konflikt, in den sich der junge G[oethe] verstrickt sieht. Es sind zwei L e b e n s f o r m e n , die sich in G[oethe] bekmpfen und zwischen denen er zu whlen hat. Auf der einen Seite steht der Jngling Goethe, der sich durch die Liebe zu Lilly B pltzlich in einen ganz neuen C Kreis des Daseins versetzt sieht. Aus seiner Mansardenstube im vterlichen Hause[,] die die Sttte seiner tglichen Arbeit war, in der er den Werther, den Gtz, die ersten Szenen des Faust geschrieben hat – aus diesem einsamen Zimmer sieht er sich mit einem Schlage in eine neue Welt versetzt[.] Er sucht und findet eine Flut gesellschaftlicher Vergngungen und Zerstreuungen. Er taucht in sie unter – denn nur auf diese Weise kann er dem geliebten Mdchen tglich nahe sein. Aber er hat damit auf das verzichtet, was bisher fr ihn das hchste Glck u[nd] der hchste Inhalt des Lebens war. Jene innere Ruhe, jene tiefe geistige Sammlung, kraft deren allein die Flle der dichterischen Gestalten aus ihm hervorbrechen konnte, ist nun dahin. Wir sahen, wie G[oethe] unter diesem Zwiespalt litt, – bis er sich schließlich durch einen raschen Entschluß befreit. D Es war nicht ein Erlschen der Leidenschaft, was G[oethe] von Lilly wegtrieb[.] Noch nach der Trennung von ihr, noch in den ersten Weimarer Jahren hat er einige Lieder an L[illy] gedichtet[,] die zu seinen schnsten lyrischen Schpfungen gehren. Sie zeigen uns, wie tief Lillys Bild in ihm noch immer wurzelte – wie er sich ihr mit allen Fasern seines

vorigen] in Bleistift ber gestrichen: letzten Lilly] Lilly, C einen ganz neuen] eine ganz neue danach gestrichen: Lebensform versetzt sieht. D befreit.] danach z. T. mehrfach gestrichen: Es bedarf fr diese Befreiung einer gewaltsamen Kraftanstrengung – denn er fhlt sich mit allen Fasern seines Wesens mit Lilly verbunden. Noch spter – noch in den ersten Weimarer Jahren hat er einige Gedichte an sie gerichtet, die zu den Schnsten und Tiefsten [Tiefsten unter gestrichen: Herrlichsten] in G[oethe]’s Lyrik gehren. A B

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Wesens verbunden fhlte. Aber er hatte zugleich A das Gefhl, B daß er dieser Leidenschaft Herr werden musste, wenn er sich selbst behaupten, wenn er dem Gebot seines Genius, seines Dmons folgen wollte. Aus eben diesem Grunde hat G[oethe], wie wir glauben, noch als 80-jhriger, als er mit Eckermann ber seine Liebe zu Lilly sprach, diese Liebe als eine d  m o n i s c h e bezeichnet. “Wenn Sie knftig den 4. Band von D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] lesen –” so hat er gesagt – [“]so werden Sie finden, daß jene Liebe etwas ganz anderes ist als eine Liebe in Romanen”. 315 Gewiss: dieses stndige Suchen u[nd] Fliehen, dieser Wechsel von A n z i e h [ u n g ] u [ n d ] A b s t o ß [ u n g ] – Aber es ist nicht dies allein[.] C Sie ist keine Liebe [wie] in R[omanen], D weil hinter ihr noch etwas Anderes stand, weil G[oethe] hier um eine grosse geistige Entscheidung rang, die sein ganzes knftiges Leben bestimmt hat. Wir mssen hier noch kurz verfolgen, wie dieser Konflikt sich in den L i e d e r n widerspiegelt, die G[oethe] an Lilly gedichtet hat. Lassen wir diese Lieder E im Geist an uns vorbergehen, – vernehmen wir in ihnen einen ganz eigenen Klang, den G[oethe] in d i e s e r Art nur einmal im Leben angeschlagen hat. Fr den Lyriker Goethe ist es charakteristisch, daß er, wie kaum ein anderer Dichter, die eigentmliche Po l a r i t  t des Noch nach ... zugleich] am unteren Rand der folgenden Seite geschrieben und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen B das Gefhl,] davor gestrichen: – es war vielmehr C Gewiss: ... allein.] am unteren Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen D keine Liebe wie in Romanen,] ersetzt gestrichen: bloss romantische; in R. in Bleistift ber: Liebe E Lieder] danach trennt eine horizontale Linie den Text von zwei Einschben am unteren Rand; die verso Seite (62v) ist leer; ein Anschlußzeichen in Bleistift auf der nchten Seite zeigt die Fortsetzung des Textes an. Davor ist manches von dem ausgesparten Text nicht gestrichen: Das ist freilich etwas Anderes, und etwas Mehr als eine einfache romantische Liebesgeschichte. G[oethe] selbst hat auf dieses Andere bestimmt hingewiesen. “Wenn Sie knftig den 4. Band von D[ichtung] u[nd] Wahr[heit] lesen[”] – so hat er zu Eckermann gesagt, [“]so werden Sie finden, daß jene Liebe etwas ganz anderes ist als eine Liebe in Romanen.[”][danach gestrichen: Verfolgen wir lediglich den usseren Ablauf der Ereignisse, so finden wir freilich diese Bemerkung kaum besttigt. Denn jenes Auf und Ab des Gefhls, jener stete Wechsel von Anziehung und Abstssung, den Goethe erfhrt, ist ein Zug, wie er immer wieder, in den Liebesromanen aller Zeiten, geschildert worden ist. Aber; danach das zu Das gendert; Ende der Streichung] Das Andere und Eigentmliche liegt in dem rein inneren menschlich-seelischen Geschehen, das hinter all dem steht und das der Liebe zu Lilly erst ihre eigentmliche Prgung giebt. Sie nimmt auch in Goethes Leben eine merkwrdige Ausnahmestellung ein. Schon ein Blick auf die Ly r i k dieser Zeit lsst uns dies erkennen. Goethe hat an Lilly eine Reihe der herrlichsten Liebeslieder gerichtet, die zu seinen schnsten und tiefsten lyrischen Schpfungen gehren. Aber [danach Anschlußzeichen und gestrichen: lassen] wir diese Lieder A

[zustzliche Vorlesung: Lilly Schnemann]

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Liebesgefhls festzuhalten und sichtbar zu machen weiss. Er malt niemals allein den Sturm der Leidenschaft; er gibt uns zugleich das Gefhl der Stille, der Beseligung, der inneren vollkommenen Erflltheit, mit der die echte und tiefe Liebe den Liebenden beschenkt. Einige der schnsten Liebesgedichte, die G[oethe] gedichtet hat, insbesondere seine Gedichte an Frau von Stein, ergreifen uns durch diese tiefe Ruhe, die ber ihnen liegt. In dem letzten großen Liebesgedicht, das Goethe als 74-Jhriger gedichtet hat, in der Marienbader Elegie[,] A wird diese Ruhe geradezu als das eigentliche Wesen der Liebe erklrt[:] “Dem Frieden Gottes, welcher uns hienieden Mehr als Vernunft beseliget, wir lesen’s, Verglich ich wohl der Liebe stillen Frieden In Gegenwart des allgeliebten Wesens. Da ruht das Herz – und nichts vermag zu stren Den tiefsten Sinn; den Sinn ihr zu gehren.” 316 Nur in den Lilly-Liedern ist dieser Zug wie ausgelscht. Auch wo sie das hchste Glck der Liebe schildern, ist dieses Glck noch immer mit einer qualvollen Unruhe und Unrast verbunden: Selbst das Tempo und der Rhythmus der Lieder an Lilly ist anders, ist bewegter und strmischer als in andern Goethischen Liebesgedichten. B G[oethe] fhlt sich aus seiner Bahn geworfen und einem unbekannten Schicksal entgegengetrieben. In seinem Fhlen und Denken, in seinem Tun und Treiben erkennt er sich selbst nicht mehr wieder; es ist, als ob ein anderes fremdes Ich von ihm Besitz ergriffen htte. Bin i c h s noch – so ruft er aus – »Bin i c h ’s noch, den Du mit tausend Lichtern an dem Spieltisch hltst? Oft so unertrglichen Gesichtern gegenber stellst?« 317 G[oethe] fhlt sein ganzes Leben verwandelt und einer fremden Macht ausgeliefert – und er fhlt in sich keine Kraft, diesen magischen Bann zu lsen:1 Und an diesem Zauberfdchen, Das sich nicht zerreissen lsst, Bann zu lsen:] am Rand, mit Verbindungslinie dieser Stelle zugewiesen: Herz mein Herz / Morris[, Bd.] 5, [S.] 33[.] 1

in der Marienbader Elegie,] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen Selbst das Tempo ... Liebesgedichten.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen

A B

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Hlt das liebe lose Mdchen Mich so wider Willen fest.L Muss in ihrem Zauberkreise Leben nun auf ihre Weise. Die Verndrung ach wie groß! Liebe, Liebe lass mich los! A 318 ^ Erst allmhlich ebbt diese qualvolle Unruhe ab. G[oethe] fhlt wie, mitten in der heftigsten Leidenschaft, sein Selbst sich wiederherzustellen beginnt. Insbesondere nach der Trennung von Lilly wird dies Gefhl wieder bermchtig in ihm. Das Bild Lillys freilich bleibt in ihm, auch nach der Trennung, lebendig – und vergeblich versucht er, es aus seinem Herzen und aus seiner Erinnerung zu bannen. Es umschwebt ihn immer wieder, und es erfllt ihn mit tiefer Sehnsucht. Einige der schnsten Gedichte an Lilly hat G[oethe] noch nach dem Abschied von ihr, in der ersten Weimarer Zeit, gedichtet. Ich nenne hier nur jenes schne Lied, das Sie unter dem Titel »Jaegers Abendlied« in G[oethe]’s Gedichten finden: “Du wandelst jetzt wohl still und mild Durch Feld und liebes Tal, Und ach mein schnell verrauschend Bild, Stellt sich dir’s nicht einmal? Des Menschen, der die Welt durchstreift Voll Unmut und Verdruss, Nach Osten und nach Westen schweift, Weil er dich lassen muss. Mir ist es, denk’ ich nur an dich, Als in den Mond zu sehen; Ein stiller Friede kommt auf mich, Weiss nicht, wie mir geschehn.” 319 Das Gefhl klingt hier noch voll und stark; aber die innere Unrast ist beschwichtigt[,] die Dissonanzen haben sich gelst; wir spren, daß G[oethe] sich selbst wiedergefunden hat. & Dieser seelische Prozess der Selbstentfremdung und des Wiederfindens seiner selbst ist der tiefste und bedeutsamste Ertrag dieses Jahres. G[oethe] hat, so lange er noch mitten in diesem Prozess stand, ber dieses Jahr oft lass mich los!] am Rand in Bleistift, mit Verbindungslinie dieser Stelle zugewiesen: Werke, Leben / [gestrichen: Weltanschauung] / Religion – Verliebte / Nicht das erste / Mal: / Faust, Prometheus – / jetzt vertiefen! A

[zustzliche Vorlesung: Lilly Schnemann]

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sehr hart und sehr unwillig geurteilt. Er grollte ihm wegen seiner inneren Zerrissenheit und wegen der Flut von Zerstreuungen, in die es ihn verwikkelt hatte. In einem Brief an B  r g e r vom 18[.] Oktober 1775 sagt er, daß er jetzt die zerstreutesten, verworrensten, ganzesten, vollsten, leersten[,] krftigsten und lppischsten drei Vierteljahre hinter sich habe, die es je in seinem Leben gegeben habe. 320 W i r mssen, wenn wir diese drei Vierteljahre betrachten, den Nachdruck mehr auf die F  l l e , als auf die Leere, mehr auf die Sammlung als auf die Zerstreuung legen. Denn in diesen inneren Kmpfen ist G[oethe] erst wahrhaft zum Manne herangereift. Solche Augenblicke der gnzlichen Verlorenheit, der tdlichen Unrast, der verzweifelten Angst, wie sie die Briefe an die Grfin Auguste zu Stolberg so ergreifend schildern, wird er knftig nicht mehr erleben. Denn nun hat er sich nicht nur als Dichter, sondern auch als M e n s c h erst wahrhaft gefunden; er kennt seinen Weg und er weiss, daß er die innere Kraft besitzt, sich nicht aus seiner Bahn werfen zu lassen. Seines inneren Berufs, seines Berufs als K  n s t l e r war G[oethe] seit Straßburg gewiss. Aber noch hatte er sich fr keine bestimmte Lebensform entschieden. Er fhlte mehr und mehr, daß die Frankfurter Verhltnisse ihm zu eng wurden – aber was vermochte er an ihre Stelle zu setzen? Da erreicht ihn die Einladung des Herzogs Carl August nach Weimar – und nun weiß er seinen Weg. Er allein muss den Entschluß fassen – Der Vater warnt ihn, die Einladung anzunehmen – A Die Freunde sahen ihn nur ungern und mit Da erreicht ... anzunehmen –] am Rand und hier angeschlossen; ersetzt gestrichen (mit Bleistift eingeklammert): ^So liess er sich scheinbar mehr und mehr in diese Verhltnisse einspinnen. “Ich, lieber Mann,” so schreibt G[oethe] in einem Brief an Kestner vom 15. September 1773 – “lasse meinen Vater jetzt ganz gewhren, der mich tglich mehr in Stadt Civil Verhltnisse einzuspinnen sucht, und ich lass es geschehen. Solang meine Kraft noch [am Rand: Morris[, Bd.] 3, [S.] 54] in mir ist! Ein Riss! und all die siebenfachen Bastseile sind entzwei”. Aber nun trat an G[oethe] eine Versuchung ganz anderer und viel strkerer Art heran. Die “siebenfachen Bastseile”, mit denen ihn der Vater an Frankfurt, an ein Amt und Beruf in seiner Vaterstadt, zu fesseln suchte, lassen sich leicht zerreissen. Aber gefhrlicher war jenes “Zauberfdchen”, an dem Lilly ihn fest hielt. Hier bedurfte es einer gewaltsamen Anspannung seines ganzen Wesens, um den Bann zu durchbrechen. Die Ehe mit Lilly – das wusste Goethe – musste auch ber sein ganzes knftiges Leben entscheiden. Durch sie htte er sich [nicht] nur fr immer an Frankfurt, sondern an die Lebensformen eines bestimmten Frankfurter Kreises gebunden. Er musste irgendwie in die Frankfurter Soziett eingehen und eine Rolle in ihr zu spielen suchen; denn Lilly war nun einmal in dieser Soziett aufgewachsen, sie war fr sie erzogen und durch die verschiedenartigsten, geselligen und verwandtschaftlichen Bnder mit ihr verknpft. Hier konnte nur ein rascher Entschluss helfen. Erleichtert wurde G[oethe] dieser Entschluß dadurch, daß er mitten in der entscheidenden Krise die Einladung nach Weimar erhielt. Nun sah er pltzlich einen Weg ins Freie – und es ist kein Zweifel, daß dieser A

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Sorgen ziehen. Von allen Seiten tauchen Bedenken auf. Ist es recht, daß G[oethe], der als freier Mann leben kann, sich zum Frstendiener machte, daß er sich einem fremden Hofe verschreibt? Aber G[oethe] selbst war, nachdem er einmal seinen Entschluss gefasst, seines Weges sicher. Die Unruhe, die ihn bisher hin- und her getrieben, fllt jetzt pltzlich von ihm ab. A Deutlich stellt sich uns diese Vernderung, die G[oethes]’ gesamte Lebenshaltung und Lebensstimmung B erfahren hat, in einem schnen Gedicht dar, das am 11. September 1776 gedichtet ist – das also nur durch ein Jahr von jenen leidenschaftlichen verzweifelten Ausbrchen in den Briefen an die Grfin Auguste zu Stolberg getrennt ist. Hier tritt uns pltzlich ein anderer, vllig neuer Ton entgegen[.] Das Gedicht trgt den Titel »Seefahrt« – und es beschreibt symbolisch, im Bilde einer Seereise, G[oethe]’s Trennung von seiner Vaterstadt und von seinen Freunden. Die Freunde haben die Reise widerraten, und nun, da finstere Wolken sich am Horizont auftrmen, C da ein Sturm aufzieht und ein gefhrliches Unwetter droht, stehen sie klagend am Ufer. [“]Ach warum ist er nicht hier geblieben! Ach der Sturm! Verschlagen weg vom Glcke! Soll der Gute so zu Grunde gehen? Ach er sollte, ach er knnte! Gtter! Umstand viel dazu beigetragen hat, daß er die Einladung des Herzogs annahm. Der Vater hatte ihn davor gewarnt – und auch danach: Fortsetzung des Satzes (die Freunde) wird zu Großschreibung korrigiert A von ihm ab.] danach mit Bleistift gestrichen: ^ Noch kurz zuvor hatte er in einem Briefe an die Grfin Auguste zu Stolberg, [am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: Morris[, Bd.] V, [S.] 303] bitter darber geklagt, daß ihm nun einmal bestimmt sei[,] “immer wieder auf den Wegen der Einbildungskraft und berspannter Sinnlichkeit, Himmel auf und Hllen ab getrieben” zu werden. Aber nun ist er auch der Einbildungskraft und der berspannten Sinnlichkeit Herr geworden. Der Phantasie freilich hat er nicht entsagt – sie ist noch immer die grosse Macht in seinem Leben, und sie wird es immer bleiben. [“]Welcher Unsterblichen – Soll der hchste Preis sein?[”] – so fragt G[oethe] in einer herrlichen Ode – [“]Mit niemand streit’ ich – Aber ich geb’ ihn Der ewig beweglichen, immer neuen Seltsamen Tochter Jovis, Seinem Schoßkinde, der Phantasie.” 321 Der Knstler Goethe kann und wird niemals aufhren, die Phantasie als sein Schoßkind zu hegen und zu pflegen. Aber die Leitung des L e b e n s wird er ihr knftig nicht mehr allein berlassen, sondern hierfr wird er andere rein sittliche Krfte aufrufen. & B Lebensstimmung] Lebensstimmung, Komma nach Streichung stehengeblieben; danach gestrichen: durch die innere Krise des Jahres 1775, des Jahres der Liebe zu Lilly, C auftrmen,] trmen ber teilweise gestrichen aufbumen

[zustzliche Vorlesung: Lilly Schnemann]

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Z

Doch er steht mnnlich an dem Steuer; Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen; Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen: Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe; Und vertrauet, scheiternd oder landend, Seinen Gttern”. 322 Das ist der letzte poetische Ausklang, den der Abschied von Frankfurt und der Abschied von Lilly bei Goethe gefunden hat. Er hat Lillys Verlust nicht verschmerzt; aber er wird ihn zu tragen wissen[,] denn er selbst ist als ein Anderer, Innerlich-Gefestigter aus der schweren geistigen und seelischen Krise des letzten Jahres hervorgegangen. Noch liegt die Zukunft dunkel vor ihm; er weiss nicht, was die Weimarer Jahre ihm bringen werden. Aber der Jngling, der ein Spiel von jedem Hauch der Luft zu sein schien, ist in wenigen Monaten zum Manne gereift. Noch kurz zuvor hatte er in einem Briefe an die Grfin Aug[uste] zu Stolberg bitter darber geklagt, daß er immer nur auf den Wogen des Gefhls u[nd] der Einbildungskraft Himmel auf und Hllen [ab] getrieben wurde. Das ist jetzt anders geworden[.] A Er steht selbst am Steuer und bestimmt die Fahrt. Und damit ist der Zweifel und die innere Ruhelosigkeit B besiegt; er kann wieder, scheiternd oder landend, C seinen Gttern, er kann dem Genius in der eigenen Brust vertrauen[.]

Noch kurz ... geworden.] zwischen den Zeilen und am Rand; ersetzt gestrichen: Er wird nicht mehr auf den Wogen des Gefhls oder der berspannten Einbildungskraft hin und her getrieben; danach: er steht zu Er steht gendert B Ruhelosigkeit] Ruhelosigkeit, C landend,] am Rand in Bleistift: 27 S: Cap. IV. 323 A

Fnfte Vorlesung. A [Die Religion des jungen Goethe. 5.III.41] Unsere bisherigen Betrachtungen galten der Entwicklung von G[oethe]’s Persnlichkeit und seiner Entwicklung als Dichter. Wir haben uns in seine Erlebniswelt zu versenken gesucht und wir haben zu verfolgen gesucht, wie diese Erlebniswelt in der Dichtung ihren Ausdruck gefunden hat – wie all die grossen dichterischen Gestalten, die G[oethe] geschaffen hat, aus ihr hervorgewachsen sind. Jetzt wenden wir uns einem anderen Problem: der G e d a n k e n we l t d e s j u n g e n G o e t h e zu. Hierbei mssen wir uns freilich Beschrnkungen auferlegen, die Niemand schmerzlicher empfinden kann als ich selbst. Denn nach dem Plan dieser Vorlesungen, den ich Ihnen zu Beginn derselben entwickelt habe, muss hier alles eigentlich-Philosophische fernbleiben. ^ Ich war von jeher berzeugt – und ich habe diese berzeugung auch litterarisch zu verfechten und sie wissenschaftlich im einzelnen zu begrnden gesucht – daß G[oethe] nicht nur in der allgemeinen Geistes- und Bildungsgeschichte, sondern auch in der P h i l o s o p h i e g e s c h i c h t e des 18ten Jahrhunderts ein hervorragender Platz gebhrt. Ich empfand es stets als eine Lcke in unserer traditionellen Darstellung der Geschichte der neueren Philosophie, daß sie an G[oethe] vorberzugehen oder ihn nur kurz zu erwhnen pflegt. Meiner Ansicht nach gehrt in jede Darstellung des Entwicklungsgangs der Philosophie des 18ten Jahrh[underts] nicht nur ein Kant-Capitel und ein Hegel-Capitel, sondern auch ein eigenes Goethe-Kapitel. Dies gilt schon deshalb, weil ohne den tief eingreifenden Einfluss Goethes die Entwicklung des Denkens von Kant zu Hegel nicht vollstndig verstndlich zu machen ist. Aber auf alle diese Probleme, die uns sehr tief in systematische Untersuchungen und in philosophiegeschichtliche Betrachtungen hineinfhren wrden, mssen wir hier verzichten. Vielleicht darf ich dies alles einmal in einer spteren Vorlesungsreihe nachholen, die fr einen engeren Kreis bestimmt sein soll. 324 Hier mchte ich nur das geben, was, wie ich hoffe, Ihnen allen zugnglich und auch ohne besondere philosophische Vorkenntnisse verstndlich ist. & Wir wenden uns zunchst der R e l i g i o n d e s j u n g e n G o e t h e zu. & Aber hier empfngt uns sofort ein schwieriges Problem – und wir sehen uns alsbald in einen Kampf widerstreitender Meinungen verstrickt. H a t t e G [ o e t h e ]  b e r h a u p t e i n e R e l i g i o n ? Schon diese Frage ist aufgeworfen worden – und von vielen Seiten ist sie aufs bestimmteste verneint worden. (Ich habe in meinen einleitenden Vorlesungen erwhnt, daß der Streit hierber schon zu G[oethe]’s Lebzeiten eingesetzt hat.) An A

Fnfte Vorlesung.] im Ms. hervorgehoben

Fnfte Vorlesung. [Die Religion des jungen Goethe]

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dogmatischen Gegnern hat es G[oethe] nie gefehlt. Und sie haben nie verfehlt, das grbsten Geschtze gegen ihn zu richten und zu den bedenklichsten Waffen gegen ihn zu greifen. Als Beispiel solcher Angriffe habe ich Ihnen frher die Deutsche Litteraturgeschichte Wolfg[ang] Menzels genannt, die im Jahre 1827 erschienen ist. Aber auch spter sind diese Kmpfe nie abgebrochen. Eines der bedenklichsten Produkte in dieser Hinsicht ist das dreibndige Werk des Jesuitenpaters A l e x a n d e r B a u m g a r t n e r “Goethe und seine Werke”. Hier wird G[oethe] u[nter] anderm vorgeworfen, daß er in seinem West-stlichen Diwan das Kreuz in den Kot getreten und an seiner Stelle den mohammedanischen Halbmond wieder aufgepflanzt habe. 325 Es muss hervorgehoben werden, daß eine solche Auffassung von G[oethe]’s Religion keineswegs als typisch gelten A kann. Es hat, in allen Kreisen und in allen Lagern, Mnner gegeben, die ihr widersprochen haben – und es fehlt nicht an hervorragenden B Theologen, die G[oethes]’ religise Grundanschauungen, ohne ihnen zustimmen zu knnen, vorurteilslos gesehen und objektiv gewrdigt haben. G[oethe] pflegt auf relig[isem] Gebiet allen Streitigkeiten aus dem Wege zu gehen[.] C Wenn man ihn nicht nur zu einem Ketzer machen, sondern ihn auch zu einem Unglubigen stempeln wollte – so konnte dies nur ein Lcheln bei ihm hervorrufen. Denn er D selbst rechnete sich zu einem der strksten G l  u b i g e n aller Zeiten – und er war sich seiner reinen und tiefen F r  m m i g k e i t bewusst. Das Wo r t »Frmmigkeit« verstand er hierbei freilich in jener eigenen Weise, in der er es einmal in einem seiner schnsten Altersgedichte, in der Marienbader Elegie umschrieben hat: »In unsers Busens Reine wogt ein Streben Sich einem Hhern, Reinern, Unbekannten Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben, Entrtselnd sich den ewig Ungenannten – Wir heissens: fromm sein«[.] 326 G[oethe] war berzeugt, daß ohne diese Hingabe, ohne diese tief innere Frmmigkeit nicht nur keine Religion, sondern auch keine Philosophie, keine Kunst, keine Wissenschaft und Forschung mglich sei. Der Philosoph, der Forscher, der Knstler muss, wenn er ganz von seinem Gegenstand durchdrungen und ihm wahrhaft hingegeben ist, jene eigentmliche typisch gelten] typisch-gelten hervorragenden] danach gestrichen: protestant[ischen] u[nd] kathol[ischen] C Es muss ... gehen.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen; ersetzt gestrichen: G[oethe] pflegte zu derartigen Vorwrfen still zu schweigen. Denn in der Tat: der Doppelpunkt ist stehengeblieben aber danach ist wenn zur Großschreibung gendert D Denn er] Denn ber Er mit Einfgungszeichen A B

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Frmmigkeit besitzen, die eben dieser Gegenstand in ihm entzndet. In diesem Sinne zgert G[oethe] nicht, die gesamte Geschichte des Geistes als eine “Geschichte des Konflikts zwischen Glauben und Unglauben” 327 zu bezeichnen – und fr ihn war es keinen Augenblick zweifelhaft, auf welcher Seite er selbst in diesem Konflikt stand. Jeder produktive Mensch muss nach G[oethe] ein glubiger Mensch sein – denn ohne Glauben giebt es keine wahrhafte und tiefe Produktivitt. »Alle Epochen, in welchen der Glauben herrscht,[«] – so sagt G[oethe] in seinen Noten zum West-stlichen Divan, – [»]unter welcher Gestalt er auch wolle, sind glnzend, herzerhebend und fruchtbar fr Mit- und Nachwelt. Alle Epochen dagegen, in welchen der Unglaube in welcher Form es sei, einen kmmerlichen Sieg behauptet, und wenn sie auch einen Augenblick mit einem Scheinglanze prahlen sollten, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich Niemand gern mit Erkenntnis des Unfruchtbaren abqulen mag«. 328 In diesem Sinne blieb G[oethe] glubig und blieb er fromm, – denn er hatte Frmmigkeit als Dankbarkeit erklrt, und er fhlte sich von strkster Dankbarkeit fr das Leben und somit fr Gott erfllt. Denn Gott und Leben waren ihm nur zwei Ausdrcke fr ein und dasselbe. »Das Wahre, mit dem Gttlichen identisch« – so sagt G[oethe] in einer seiner naturwissenschaftlichen Schriften, dem »Versuch einer Witterungslehre« vom Jahre 1825 – [»]lsst sich niemals direkt von uns erkennen, – wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als unbegreifliches Leben und knnen dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen.« 329 Diese eigentmliche Art des s y m b o l i s c h e n B e g re i f e n s setzt G[oethe] ebensowohl der dogmatischen Theologie entgegen, wie er sie der dogmatischen Metaphysik entgegensetzte. Er glaubte nicht[,] das Gttliche in seinem “absoluten” Sein, in seinem reinen An-Sich erfassen zu knnen – es war ihm genug, wenn er es in seiner Offenbarung in Natur und Geschichte, in all seinen grossen Einzelerscheinungen empfand. ^ Vom Absoluten. “Vom Absoluten im theoretischen Sinne” – so hat er es einmal gegenber Hegel und den Hegelianern bemerkt – [“]wag’ ich nicht zu reden; behaupten darf ich aber, daß wer es in der Erscheinung anerkannt und immer im Auge behalten hat, sehr grossen Gewinn davon erfahren wird.” 330 & Damit ist auch fr unsere Betrachtung eine ganz bestimmte R i c h t s c h n u r gegeben. Immer wieder haben Philosophen und Theologen, Fromme und Unfromme, Glubige und Unglubige an G[oethe] jene Frage gerichtet, die Gretchen an Faust richtete: die Frage: [»]Nun sag, wie hlst Du’s mit der Religion«? 331 Aber G[oethe] kann auf diese Frage so wenig eine einfache, runde, unzweideutige Antwort geben, wie Faust sie, in dem Religionsgesprch mit Gretchen, zu geben vermag. Denn eben dies

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ist fr s e i n e Art, Religion zu empfinden, bezeichnend, daß sie sich nicht auf bestimmte Worte verpflichtet und daß sie sich nicht auf feste Formeln festlegen lsst. A Er gibt seinem Gefhl fr das Gttliche, fr die Natur, fr das Leben keinen Namen, weil jeder Name dies Gefhl beengen und zerstren wrde. Aber auf der andern Seite s t r  u b t er sich gegen keinen Namen – er lsst sich j e d e n Namen gefallen, wenn hinter ihm nur ein starkes und echtes Gefhl steht. Diese Anschauung hat schon der j u n g e Goethe allen denen entgegen[ge]halten, die ihn zu ihrem Glauben “bekehren”, die ihn zum Bekenntnis eines bestimmten Dogmas zwingen wollten – und an solchen Bekehrungsversuchen hat es in G[oethe]’s Leben nie gefehlt. Alle theologischen und religisen Richtungen der Zeit haben um G[oethe]’s Seele gerungen. Den P i e t i s m u s hat er schon frh durch den Einfluss von Susanne v[on] K l e t t e n b e r g [,] einer Verwandten seiner Mutter, kennen gelernt – und eine Zeit lang hat er sich eifrig in die Lektre pietistischer Schriften versenkt. Spter verband ihn eine enge Freundschaft mit dem grossen Bekehrer des 18ten Jahrhunderts, mit dem neuen Apostel des Christentums, mit Lavater. All diesen religisen Einflssen hat G[oethe] keinen B Widerstand entgegengesetzt – er schien sich ihnen willig hinzugeben. Aber im letzten entscheidenden Augenblick versagte er – zur Verzweiflung derer, die seiner schon ganz sicher zu sein glaubten. Keiner der vielen Sekten und Glaubensmeinungen, deren es im 18ten Jahrhundert so viele gab, ist es gelungen, ihn zu sich herberzuziehen. Und den eigentlichen und tieferen Grund dafr hat er uns selbst, in einer hchst bezeichnenden Stelle von Dichtung und1 Wahrheit, verraten. Beim G l a u b e n – so hielt er all denen entgegen, die ihn zu bekehren versuchten – komme Alles darauf an, d a ß man glaube – wa s man glaube, sei dagegen gleichgltig. Der Glaube sei ein grosses Gefhl von Sicherheit fr die Gegenwart und die Zukunft – und diese Sicherheit entspringe aus der Zuversicht auf ein bergrosses, bermchtiges und unerforschliches Wesen[.] “Auf die Unerschtterlichkeit dieses Zutrauens komme alles an; – w i e wir uns aber dieses Wesen denken, das hnge von unseren brigen Fhigkeiten, ja von den Umstnden ab, und sei ganz gleichgltig. Der Glaube sei ein heiliges Gefss, in welches Jeder sein Gefhl, seinen Verstand, seine Einbildungskraft, so gut als er es vermge, zu opfern bereit stehe.” 332 Der Philosoph wird in dieses Gefss etwas 1

Dichtung und] am Rand: D u W[, Buch] XIV, L[oeper, Bd.] 22, [S.] 157[.]

lsst.] danach gestrichen: »Ich habe keinen Namen dafr. Gefhl ist alles – Name Schall und Rauch[,] Umnebelnd Himmels Glut«. Das ist der Grundcharakter von G[oethe]’s Religion. B keinen] danach gestrichen: bewussten A

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Anderes hineinlegen, als der schlichte Glubige – der Mensch einer hoch entwickelten Kultur etwas anderes, als der primitive Mensch. Denn der echte Glaube ist nicht etwas, was als ein usseres dem Menschen gegenbersteht – sondern er quillt aus dem Leben des Menschen selbst, – aus seinem geistigen Leben ebensowohl wie aus seinem Gefhlsleben und seinem sittlichen Leben. Aus dieser Gesinnung entspringt in dem jungen G[oethe] eine großartige Duldung fr die verschiedenartigsten religisen Lehrmeinungen – eine Duldung, die etwas vllig anderes ist, als religise I n d i f f e re n z , sondern die vielmehr durch die Strke, die Intensitt und die Universalitt seines religisen Interesses stammt. Am schnsten, am krftigsten und am merkwrdigsten hat G[oethe] sie einmal in einem Brief ausgesprochen, den er an Lavater und dessen Freund Pfenninger gerichtet hat, als beide nicht abliessen, ihn mit ihren Bekehrungsversuchen zu bestrmen. »Lieber«1 [–] so erwidert G[oethe] – [»]Du redest mit mir als einem Unglubigen, der begreifen will, der bewiesen haben will, der nicht erfahren hat. Und von all dem ist gerade das Gegenteil in meinem Herzen ... Und daß Du mich immer mit Zeugnissen packen willst! Wozu das? Brauch’ ich Zeugnis, daß ich bin? Zeugnis, daß ich fhle? Nur so schtz, lieb, bet’ ich die Zeugnisse an, die mir darlegen, wie tausende oder einer vor mir A eben das gefhlt haben, das mich krftiget und strket. Und so ist das Wort der Menschen mir Wort Gottes – es mgen Pfaffen oder Huren gesammelt und zum Canon gerollt oder als Fragmente hingestreut haben. Und mit inniger Seele fall ich dem Bruder um den Hals. Moses! Prophet! Evangelist! Apostel, Spinoza oder Machiavell. Darf aber auch zu Jedem sagen, lieber Freund geht dirs doch wie mir. Im einzelnen sentirst du krftig und herrlich – das Ganze ging in euern Kopf so wenig als in meinen.« 333 Diese Worte hat Goethe, im April 1774, also als Vierundzwanzigjhriger geschrieben – aber die Gesinnung, die aus ihnen spricht, hat ihn sein ganzes Leben hindurch begleitet. Wir finden sie unverndert in einem Brief an Sulpiz Boisser e, der das Datum des 22. Mrz 1831 trgt, also genau ein Jahr vor Goethes Tode geschrieben ist. G[oethe] sagt hier, daß kein Mensch sich des religisen Gefhls werde erwehren knnen – daß er fr seine Person aber von Erschaffung der Welt an[,] keine Confession gefunden habe, zu der er sich vllig htte bekennen mgen. “Nun erfahr ich aber in meinen alten Tagen von einer Sekte der H y p s i s t a r i e r welche, zwischen Heiden, Juden und Christen geklemmt, sich erklrten, 1

»Lieber«] am Rand: Morris[, Bd.] IV, [S.] 15 f.

einer vor mir] einer ist gestrichen und alle drei Worte sind unter der Zeile in deutlicherer Schrift wiederholt

A

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das Beste, Vollkommenste, was zu ihrer Kenntnis kme, zu schtzen, zu bewundern, zu verehren, und insofern es also mit der Gottheit im nahen Verhltnis stehen msse, anzubeten.” Die Sekte der Hypsistarier, von der G[oethe] hier spricht[,] gehrt dem 3[.] u[nd] 4[.] Jahrh[under]t an – ihren N a m e n hat sie von dem griech[ischen] Wort VłØ , der Hchste, sie bekannte sich zur Verehr[ung] des hchsten Gottes[.] A [“]Da ward mir auf einmal aus einem dunklen Zeitalter her ein frohes Licht, denn ich fhlte, daß ich Zeitlebens getrachtet hatte, mich zum Hypsistarier zu qualifizieren. Das ist aber keine kleine Bemhung: denn wie kommt man in der Beschrnkung seiner Individualitt wohl dahin, das Vortrefflichste gewahr zu werden.” ([WA,] Briefe[, Bd.] 48, [S.] 155 f.) 334 In dieser Auffassung der Religion unterscheidet sich G[oethe] auch von der Gedankenwelt der Au f k l  r u n g . B Die Aufklrung wollte eine »Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft«[.] Das ist ein Titel, den K a n t seiner religionsphilosophischen Hauptschrift gegeben hat. Die Gegenstze der religisen Lehrmeinungen sollten berwunden und ausgetilgt werden, dadurch daß alle sich zu einem bestimmten Kern von Lehrstzen, zu einer reinen »Vernunftreligion« bekannten, die Jeder annehmen konnte. Aber das ist nicht die Art, in der G[oethe] hier empfindet. Er will keine abstrakte Einheit und Gleichfrmigkeit des religisen Lehrgehalts – er will ebensowenig eine rein »rationale«, wie eine dogmatische Religion. Was er in der Religion sucht, ist fast das Gegenteil hiervon. Es ist die Vielfalt, die Flle, ja der Widerstreit – wenn dieser Widerstreit nur m e n s c h l i c h ist, und wenn Jeder in seinem Glauben nur wahrhaft sich selbst C und sein eigentmliches M e n s c h e n t u m ausspricht. Der geringste Mensch hat die Fhigkeit und den Anspruch hierauf: das Wort Gottes – so lautet G[oethe]’s Ausdruck – bleibt, was es ist, es mgen nun Pfaffen oder Huren gesammelt haben. Man fhlt, daß er hier absichtlich zu den strksten, zu den bedenklichsten und gewagtesten Ausdrcken greift, um die Empfindung darzustellen, die in ihm lebt. Man darf daran Die Sekte ... Gottes.] am oberen Rand in Bleistift geschrieben und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen B Diese Worte ... Au f k l  r u n g .] auf eingeschobenem Bl. (S. 9a) mit Zeichen dieser Stelle (S. 9) zugewiesen; am oberen Rand: 9a / (Goethe: 5[.] Vorles[ung]: / Religion); ersetzt den in eckige Klammer gesetzten Text auf S. 9: In diesem Punkt unterscheidet sich G[oethe] auch [statt gestrichen: Das ist weit] von der Gedankenwelt der Au f k l  r u n g ^entfernt – und das ist eine ganz andere Art der Toleranz, als die Aufklrung sie verstanden hatte. Es mag an Lessings N a t h a n erinnern, der damals, als dieser Brief geschrieben wurde, noch nicht erschienen war; der Brief stammt aus dem Jahre 1774, der Nathan ist erst 1779 geschrieben. Aber zwischen Goethe und Lessing besteht, bei aller Nhe der religisen Grundgesinnung, ein deutlicher und fhlbarer Unterschied.& C selbst] selbst, A

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keinen Anstoß nehmen – denn nur auf diese Weise konnte Mnnern, wie Lavater gegenber, die Eigenart dieser Empfindung sich Ausdruck A und Geltung verschaffen. G[oethes] Religion ist im wesentlichen N a t u r re l i g i o n , whrend die von H e r d e r oder L e s s i n g G e s c h i c h t s religion ist[.] L[essing] u[nd] H[erder] fassen den Gedanken einer gttl[ichen] E r z i e h u n g des Menschengeschlechts, die die Menschheit allmhl[ich] auf eine immer hhere sittl[ich]-religise Stufe heraufholen wird. Einer solchen Anschauung steht G[oethe] skeptisch gegenber. Einen gttlichen Heilsplan in der Geschichte zu finden fllt ihm schwer[.] B Der Grundgedanke der Hegelschen Geschichtsmetaphysik, daß “Alles in der Geschichte vernnftig zugehe” 335 – daß alles Wirkliche vernnftig und alles Vernnftige wirklich C sei, D 336 hat er nicht geteilt[, er] Ausdruck] am Rand: L[essing] + Her[der] Goethes Religion ... schwer.] am Rand; ersetzt gestrichen: ^ Goethe ist kein Rationalist wie Kant oder Lessing – aber ebensowenig ist er ein Irrationalist wie Lavater. Auch Rationalismus und Irrationalismus sind ihm bloße Namen. Er will nicht, gleich dem Rationalismus, fr seinen Glauben Beweise aus reiner Vernunft geben – er sucht keine Demonstration und er braucht keine Demonstration. Aber ebensowenig beruft er sich auf die Irrationalitt eines einmaligen, einzelnen, irrationalen Erlebnisses, das ihm zu Teil geworden – auf irgend eine rein individuelle Erfahrung, die ihm allein gehrt. Er glaubt, daß Tausende und Abertausende von Individuen verschiedene religise Erfahrungen haben knnen – und daß nur die Gesamtheit dieser Erfahrungen die wahre Religion, die Religion der Menschheit, darstellt. G[oethe]’s Religion unterscheidet sich von der der Aufklrung darin, daß sie nicht mehr bloss rationale Religion sein will – aber Menschheitsreligion, Religion der »Humanitt« ist sie geblieben. Aber das ist nur die e i n e Seite von G[oethe]’s Religion – und es ist nicht die wichtigste. G[oethes] Blick ruht, wie derjenige Lessings oder Herders, auf der religisen Entwicklung der Menschheit. Er glaubt in ihr eine bestimmte Ordnung wahrzunehmen, die man mit Lessing als eine gttliche »Erziehung des Menschengeschlechts« bezeichnen knnte. Oft liebt er es, diese Ordnung auch als “moralische Weltordnung” zu bezeichnen. Insbesondere in seinem e i g e n e n Leben findet er, wenn er sich in dasselbe versenkt, eine Manifestation dieser Ordnung, die er, wie er einmal in einem Brief an Sulpiz Boisser e [am Rand: An B[oisser e], 20[.] Mrz 1831] gesagt hat, der im Jahr vor seinem Tode geschrieben ist – nicht genug verehren kann. Aber wenn G[oethe] nun auf das G a n z e , auf die Geschichte der Menschheit, hinblickt – so ist er weit entfernt davon, in ihr unmittelbar einen gttlichen Plan zu erkennen. Auch hierin zeigt sich sein Gegensatz zur Aufklrung. Diese glaubt an nichts fester, als daß in der Geschichte der Menschheit ein stetiger Fortschritt herrsche und herrschen msse – und ihre Philosophen, wie z. B. C o n d o rc e t , suchten diesen Fortschritt im einzelnen aufzuweisen. Auch die moderne Philosophie, die G[oethe] um sich herum werden sah, hielt an dieser Grundanschauung fest. C Vernnftige wirklich] Wirkliche vernnftig D sei,] Punkt zu einem Komma gendert, danach gestrichen: Goethe; die Fortsetzung (hat er nicht geteilt) ist am Rand geschrieben und hier angeschlossen A B

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fand diese Ansicht nirgends bewiesen – und er stand ihr mit starkem Skeptizismus gegenber. Je lter er wurde, um so mehr regten sich seine Zweifel an der sogenannten Vernunft der Weltgeschichte – und oft hat er demselben einen sehr starken und bitteren Ausdruck gegeben. A Aber alle diese Zweifel fielen von G[oethe] ab, sobald er sich der N a t u r zuwandte. Hier fhlte er sich erst auf seinem eigentmlichen Boden – und hier glaubte er das Gttliche unmittelbar anschauen zu knnen. B In der Menschenwelt, insbesondere in der politischen Welt sah er nicht nur Ordnung, sondern auch Verworrenheit, Torheit, Verbrechen vor sich. Die Konsequenz der Natur aber – so hat G[oethe] einmal in einem Brief geschrieben –1 trstet schn ber die Inkonsequenz der Menschen. In der Geschichte sehen wir im besten Falle Vernunft und Unvernunft in bunter Mischung – die Natur allein ist es, die uns immer nur Vernunft, niemals Unvernunft sehen lsst. Daher ist und bleibt sie fr G[oethe] die eigentliche und hchste Manifestation des Gttlichen. G[oethe]’s Religion ist daher wesentlich ^ N a t u r re l i g i o n , nicht Geschichtsreligion: sie ist & Verehrung Gottes in der Natur. Man pflegt diese Anschauung gewhnlich mit dem Ausdruck des » Pa n t h e i s m u s « zu bezeichnen – und es ist allgemein Sitte geworden, diesen Ausdruck auf G[oethe] anzuwenden. Aber auch hierin sollte man vorsichtig sein. Denn auch »Pantheismus« in einem Brief geschrieben –] am Rand: An Knebel, 2.4.1785 / [WA,] Br[iefe, Bd.] VII, [S.] 36[.] 1

gegeben.] danach z. T. mehrfach gestrichen: Er meinte, daß, wenn man nur auf die Menschenwelt hinblicke, man sehr wohl zu der Ansicht kommen knne, die Mephisto mit den Worten ausdrckt: “Der kleine Gott der Welt ist stets von gleichem Schlag Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag”[.] G[oethe] misstraute allen Geschichtskonstruktionen – der philosophischen sowohl wie der politischen. Der politischen Geschichte warf er vor, daß auch sie, wenngleich sie rein empirisch zu verfahren glaube, sich von solchen Konstruktionen keineswegs frei halte – Sie werde hierzu namentlich durch die nationalen Vorurteile verfhrt: denn der Patriotismus – so hat G[oethe] einmal scharf gesagt –, [am Rand: Zu Riemer (1817) / Gespr[che, Bd.] 2, [S.] 396.] verdirbt die Geschichte. Durch ihn lasse sich der Historiker immer wieder zu falscher Schnfrberei verleiten [am Rand: Gespr[che, Bd.] 4, [S.] 131.] Die ganze geschriebene Geschichte sei daher im Grunde nichts anderes als ein grosser Euphemismus. B knnen.] danach gestrichen: Je lter er wurde, um so fester glaubte G[oethe] mit der Natur zu verwachsen – whrend ihm die Menschenwelt zwar nicht ferner rckte, aber doch immer problematischer wurde. Denn in ihr – in der individuellen Welt sowohl, wie [daneben am Rand und durchgestrichen: Im Dasein des Einzelnen / u[nd] im Dasein der Vlker / glaubte er freilich das / wahrzunehmen, was er / mit dem Begriff der / “moral[ischen] Weltordnung” bezeichnete. / (cf. Sulp[iz] B[oisser e] vorige S[eite]!)] A

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ist nur ein Name. A Es gibt in der Geschichte der Philosophie viele Denker, die man als Pantheisten zu bezeichnen pflegt – und mit denen G[oethe] doch wenig gemein hat. G[oethe] selbst ^ hat es entschieden abgelehnt, wenn man seine religise Anschauung mit dem Namen einer bestimmten philosophischen Schule bezeichnen wollte. Er & fhlte B sich in seiner Naturanschauung als Pantheist; aber er konnte sich bisweilen auch einen Theisten, ja einen Polytheisten nennen. “Ich fr mich” – so schreibt er einmal an Fr[iedrich] Heinr[ich] Jacobi1 – “kann bei den mannigfaltigen Richtungen meines Wesens nicht an einer Denkrichtung genug haben: als Dichter und Knstler bin ich Polytheist, Pantheist hingegen als Naturforscher, und eines so entschieden als das andere. Bedarf ich eines Gottes fr meine Persnlichkeit als sittlicher Mensch, so ist dafr auch schon gesorgt.” 337 Vom Standpunkt eines philosophischen S y s t e m s aus gesehen, lautet das hchst anstßig. Denn wie kann ein und derselbe Denker es zufrieden sein, wenn man ihn als Polytheisten, Pantheisten, oder Theisten bezeichnet? Werden wir hier nicht deutlich an Fausts Antwort an Gretchen gemahnt[:] “Mein Liebchen, wer darf sagen, Ich glaub an Gott! Magst Priester oder Weise fragen[,] Und ihre Antwort scheint nur Spott ber den Frager zu sein”. 338 Dennoch liegt in dieser Antwort G[oethe]’s kein blosses Ausweichen vor dem Problem – und keineswegs liegt in ihr so etwas wie Spott. Denn er ist eben davon durchdrungen, daß in allen menschlichen Ttigkeiten und in allen geistig-sittlichen Bestrebungen des Menschen ein Element des Gttlichen waltet. Wie wir dies Gttliche sehen – und wie wir es benennen wollen, das hngt von der Art und Richtung dieser Ttigkeit ab. Der Knstler sucht Gott mit den Augen seiner knstlerischen Phantasie. Ihm ist er der ewig Bildende, der unendlich Gestaltenreiche – und daher kann er ihn in den mannigfachsten Gestalten verehren. Er kann zum Polytheisten werden. Der Naturforscher hingegen sieht hinter der Mannigfaltigkeit der Naturerscheinungen vor allem das e i n e große Gesetz, das in ihnen allen waltet. Er erkennt im Einzelnen, Besonderen, scheinbarZuflligen immer wieder das große Ganze wieder. Dieses Ganze ist sein Ein und Alles, sein ^¯ ŒÆM —@ 339 – er ist Pantheist. Im Sittlichen dagegen Jacobi] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: [An Jacobi,] 6[.] Jan[uar] 1813[.] 1

A B

Name.] Name – danach gestrichen: und als solcher »Schall und Rauch«. Er& fhlte] am Rand, in Bleistift: Nb[.] / » S p i n o z a «

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wollen wir uns vor allem zu Charakteren, zu freien und selbstndigen Persnlichkeiten bilden A – und wenn wir Gott als sittliches Wesen denken, so mssen wir ihm daher vor allem dieses Prdikat zuschreiben. Der Theismus, der dieses Prdikat in den Mittelpunkt rckt, ist daher hier die angemessene Ansicht. Fr jede Philosophie des »Absoluten« wre dies freilich ein Widerspruch – aber er ist es nicht fr Goethe. Denn seine Grundansicht besteht eben darin, daß wir Gott nicht in seiner absoluten Wesenheit, sondern nur in seinen Erscheinungsformen betrachten und verehren knnen – und deren gibt es nicht nur viele, sondern unendliche. Aber ich breche an diesem Punkte ab – denn die letzten Betrachtungen haben uns vielleicht schon zu weit gefhrt und uns in schwierige philosophische Probleme verwickelt. Ich begnge mich damit, Ihnen G[oethe]’s Religion noch einmal dadurch nahe zu bringen, daß ich sie mit seinen eigenen unvergleichlichen und unvergesslichen Worten erklre. Diese Worte stehen im ersten Entwurf des Faust, den G[oethe] etwa im Jahre 1774 begonnen und den er nach Weimar mitgebracht hat. Sie sind also ein vollgltiges Zeugnis fr die Religion des j u n g e n Goethe; sie drcken die Art aus, wie er Gott und die Natur, und wie er das eine im andern empfand: Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub’ ihn? Wer empfinden Und sich unterwinden Zu sagen: ich glaub ihn nicht! Der Allumfasser, Der Allerhalter Fasst und erhlt er nicht Dich, mich, sich selbst! Wlbt sich der Himmel nicht dadroben? Liegt die Erde nicht hierunten fest? Und steigen freundlich blickend Ewige Sterne nicht herauf! Schau ich nicht Aug in Auge dir! Und drngt nicht alles Nach Haupt und Herzen dir, Und webt in ewigem Geheimnis Unsichtbar sichtbar neben dir. Erfll davon dein Herz so groß es ist, Und wenn Du ganz in dem Gefhle selig bist, A

bilden] bildet

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Nenn das dann wie Du willst, Nenns Glck! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen Dafr! Gefhl ist alles; Name ist Schall und Rauch, Umnebelnd Himmelsglut. 340

Wir knnen von der Religion des jungen Goethe nicht sprechen, ohne den Namen des Mannes zu nennen, der auf ihre Entwicklung und Ausbildung den strksten, in gewisser Hinsicht entscheidenden Einfluss gebt hat. Aber wenn wir am Schluss dieser Betrachtungen von G o e t h e s Ve r h  l t n i s z u S p i n o z a reden wollen, so kann auch dies nur mit einem gewissen Vorbehalt geschehen. Die Frage: wa r G o e t h e S p i n o z i s t u n d i n we l c h e m S i n n e wa r e r e s ? – diese Frage, die in der GoetheLitteratur so eifrig errtert worden ist – wollen wir hier nicht aufwerfen. Wir sehen von ihr ab: denn um sie genau und grndlich zu beantworten, mssten wir zunchst eine genaue Analyse von Spinozas Lehre geben. Und eine solche Analyse ist keineswegs eine leichte Sache. Wir mssten dabei eine scharfe Definition dessen zu geben suchen, was Spinoza unter “Gott” und “Natur”, unter “Freiheit” und “Notwendigkeit”[,] unter Substanz, Attribut, Modus versteht – und dies & wrde uns weit ber die Grenzen unseres jetzigen Themas hinauslocken. Hier will ich nicht untersuchen, was Spinozas System wa r – sondern nur wie Goethe es s a h und was es ihm, als Denker und als Dichter, zu bieten vermochte. ^ Verfolgen wir zunchst den We g , auf dem G[oethe] zur Kenntnis von Spinozas Lehre gelangt ist. Er wird hier in eine grosse Bewegung hineingezogen, die fr die allgemeine Geistesgeschichte des 18ten Jahrhunderts von grsster Bedeutung geworden ist. Bis gegen die Mitte dieses Jahrhunderts galt der Spinozismus allgemein als widerlegt und abgetan. Einer der schrfsten Kritiker und einer der vielseitigsten Geister des 18ten Jahrhunderts, Pierre B a y l e , hatte in seiner riesigen »Dictionnaire historique et critique« einen Artikel ber Spinoza aufgenommen, in dem er zu zeigen suchte, daß das System sich auf unhaltbaren Voraussetzungen und falschen Schlußfolgerungen aufbaue. Der Spinozismus erschien in dieser Darstellung Bayles als ein Nest von Widersprchen und Absurditten. Ruhiger und sachlicher hatte der fhrende deutsche Philosoph des 18ten Jahrhunderts, C h r i s t i a n Wo l f f , geurteilt. 341 Aber auch er und seine Schler waren berzeugt, daß durch sie die Lehre Spinozas ein fr alle Mal widerlegt sei. Auch an den rgsten persnlichen Verunglimpfungen hatte es nicht gefehlt – wenngleich Mnner vom Range Wolffs an derartigen Angriffen nicht Teil nahmen. Im Jahre 1780 fand ein merkwrdiges Ge-

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sprch zwischen L e s s i n g und Fr[iedrich] Heinr[ich] J a c o b i ber Probleme des Spinozismus statt. In diesem Gesprch musste Jacobi, der zu Lessing gekommen war, um sich von diesem in seiner Abneigung gegen den Spinozismus bestrken und mit neuen Waffen wider ihn ausrsten zu lassen, zu seinem grßten Erstaunen feststellen, daß gerade das Gegenteil geschah. Er fand Lessing – seiner Auffassung nach – als berzeugten Spinozisten: [“]wenn ich mich nach Jemandem nennen sollte[”] – so sagt Lessing zu ihm – [“]so wsste ich keinen andern[”]. 342 In der deutschen Litteraturgeschichte und Philosophiegeschichte des 18ten Jahrhunderts ist dieses Gesprch sehr berhmt geworden – es machte ein ungeheures Aufsehen, als Jacobi es spter in seiner Schrift: »  b e r d i e L e h re des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn« (1785) verffentlichte. Auch G[oethe] hat in »Dichtung und Wahrheit« dieses Gesprchs gedacht: er hat von ihm gesagt, daß es “zum Zndkraut einer Explosion” in der deutschen Bildungsgeschichte geworden sei (Loeper[, Bd.] 22, [S.] 182)[.] Im Verlauf dieser Unterhaltung nahm Lessing auch den persnlichen Charakter Spinozas energisch in Schutz – und er wandte sich mit Unwillen gegen die, die von Spinoza “wie von einem toten Hunde” 343 reden. Aber all dies gehrt erst einer spteren Epoche an. Hier mssen wir noch einige Jahre zurckgehen – bis zu der Epoche, in der G o e t h e Friedr[ich] Heinr[ich] Jacobi kennen gelernt hat und in der [er] durch ihn zum Studium Spinozas angeregt wurde. Die Bekanntschaft zwischen Goethe und Fritz Jacobi stammt aus dem Jahre 1774. Goethe hat ihn damals auf seinem Landsitz Pempelfort, in der Nhe von Dsseldorf, besucht. Jacobi war damals 31 Jahre alt; – also 6 Jahre lter als G[oethe], der 25 Jahre zhlte. Aber im Gegensatz zu Herder dachte er nicht einen Augenblick daran, diese Superioritt des Alters gegen ihn hervorzukehren. Er kam ihm mit der hchsten Bewunderung und mit einer berschwenglichen Freundschaft entgegen. Die ersten Briefe, die zwischen beiden gewechselt wurden, sind ganz im Stil jenes enthusiastischen Freundschafts-Kults geschrieben, der fr die junge Generation im 18ten Jahrhundert charakteristisch ist. In einem Brief Jacobis an W i e l a n d , der von dem ersten Eindruck berichtet, den G[oethe] auf ihn gemacht hat, findet sich eine Schilderung des jungen G[oethe], die zu den schnsten Zeugnissen gehrt, die wir ber ihn besitzen. “Je mehr ich’s berdenke” – so schreibt er – “je lebhafter empfinde ich die Unmglichkeit dem, der G[oethe] nicht gesehen und gehrt hat, etwas Begreifliches ber dieses ausserordentliche Geschpf Gottes zu schreiben. Goethe ist ... Genie vom Scheitel bis zur Sohle, ein B e s e s s e n e r, dem fast in keinem Falle gestattet ist, willkrlich zu handeln. Man braucht nur eine Stunde mit ihm zusammen zu sein, um es im hchsten Grade lcherlich zu finden, von ihm zu begehren, daß er anders denken und handeln soll, als er wirklich

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denkt und handelt. Hiermit will ich nicht andeuten, daß keine Vernderung zum Schneren und Besseren in ihm mglich sei; aber nicht anders ist sie in ihm mglich, als so wie die Blume sich entfaltet, wie die Saat reift, wie der Baum in die Hhe wchst1 und sich krnt”. 344 Das zeugt in der Tat von einem schnen und tiefen Verstndnis G[oethe]’s – und wir wundern uns nicht, daß in den Unterhaltungen zwischen Jacobi u[nd] G[oethe] das beste Einvernehmen herrschte. Mit welcher Intensitt diese Unterhaltungen, die sich vor allem um Spinoza bewegten, damals gefhrt worden sind – das zeigt eine Szene, die G[oethe] spter in Dichtung und Wahrheit festgehalten hat. Jacobi hat G[oethe] auf der Rckreise von Dsseldorf bis Kln begleitet. ber die Gesprche, A die sie gefhrt, ist die Nacht herbeigekommen – und sie trennen sich, um sich zur Ruhe zu begeben. Aber G[oethe] vermag keinen Schlaf zu finden – die Anregung des Gesprchs mit Jacobi und die Aufregung, in die es ihn versetzt hat, wirkt nach. Er beschliesst[,] den Freund noch einmal in seinem Zimmer aufzusuchen. “Der Mondschein” – so erzhlt G[oethe] – [“]zitterte ber dem breiten Rheine, und wir am Fenster stehend, schwelgten in der Flle des Hin- und Wiedergebens das in jener herrlichen Zeit der Entfaltung so reichlich aufquillt” (D u W, Loep[er, Bd.] 22, [S.] 168)[.] Es war in der Tat eine herrliche Zeit der Entfaltung. Was G[oethe] damals von Jacobi empfing, war freilich nur eine grndlichere und vertiefte K e n n t n i s der Spinozistischen Ideen. Das U r t e i l ber diese Ideen hatte er sich vllig selbst zu bilden: und dieses Urteil fiel vllig anders aus, als dasjenige Jacobis. Denn Jacobi war keinesweges ein A p o s t e l des Spinozismus – er gehrte vielmehr zu seinen schrfsten und hartnkkigsten G e g n e r n . Er hat sich auch spter sein ganzes Leben lang mit dem Spinozismus herumgeschlagen und seine Unhaltbarkeit nachzuweisen gesucht. Er hielt freilich Spinoza nicht nur fr einen tiefen und konsequenten Denker – sondern er hielt ihn fr den e i n z i g e n ganz folgerechten Denker, der in der Geschichte der Philosophie hervorgetreten ist. Alle anderen Denker – so erklrt Jacobi – hatten immer wieder einen K o m p ro m i s s zwischen Glauben und Wissen, zwischen Religion und Philosophie gesucht. Spinoza war der Einzige, der dies verschmht hat, – der in der logischen Entwicklung seiner Grundgedanken unerschrocken bis zu Ende geht. Das ist sein Ruhm – aber es ist auch seine Schwche. Denn die Vernunft, die philosophische Vernunft, vermag das Gttliche nie zu erkennen. Wir mssen ihr entsagen, wir mssen uns bedingungslos dem Glauben in die Arme werfen, wenn wir das Wesen 1

A

Hhe wchst] am Rand: Morris[, Bd.] IV, [S.] 118[.]

Gesprche,] Gesprche;

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Gottes erfassen wollen. Nur die Offenbarung vermag uns hierber zu belehren – die Philosophie bleibt hierzu ewig unvermgend. Spinozas Verdienst besteht nach Jacobi darin, daß er das schrfer als jeder andere gesehen hat. Aber statt damit die M a c h t der Philosophie zu erweisen, hat er nur ihre O h n m a c h t erwiesen – hat er nur gezeigt, daß wir dem blossen Denken entsagen und uns in das Gefhl, in den Glauben retten mssen. D e r a r t i g e Folgerungen hat G[oethe] nie gezogen – und er hat sie Jacobi schwer verdacht. Spter haben sich die beiden Jugendfreunde einander mehr und mehr entfremdet – und an dieser Entfremdung war hauptschlich G[oethe]’s scharfes Urteil ber Jacobis systematisches Hauptwerk: » Vo n d e n g  t t l i c h e n D i n g e n u n d i h re r O f f e n b a r u n g « schuld. G[oethe] hat gegen dieses Buch ein schnes Gedicht gerichtet, das Sie in seinen Werken unter dem Titel: »Gross ist die Diane der Epheser« 345 finden. A Dieses Gedicht ist ein echtes Zeugnis s e i n e s »Spinozismus« – der Art wie er Spinoza las und empfand. & Ich begnge mich damit, hier die Hauptmomente anzufhren. ^ Das eine ist theoretischer, das andere praktischer Art – das eine zeigt die Einwirkung von Spinozas N a t u r p h i l o s o p h i e , das andere die Einwirkung seiner Ethik. & In der Naturlehre folgt G[oethe] vor allem darin, daß er den Begriff des “berweltlichen”, des trans-mundanen oder »transzendenten« Gottes leugnet. Dieser Begriff hat eine jahrhundertelange metaphysische und theologische Vorgeschichte. In die M e t a p h y s i k war er durch Aristoteles eingefhrt worden. Fr Aristoteles ist Gott der “erste Beweger” 346 des Alls; alle Bewegung, die wir in der Natur finden, geht letzten Endes auf ihn zurck. Gott wirkt unmittelbar auf den Sternenhimmel, den er in Umschwung versetzt – und dieser erste Impuls pflanzt sich dann weiter, von der Gestirnwelt zur Erde, von oben nach unten fort. Aber wenn Gott in dieser Weise auf das All wirkt, so empfngt er von diesem keine Rckwirkung. Denn es gibt nichts, was auf Gott wirken knnte. Jede Wirkung, die auf ihn ausgebt wrde, knnte sich ja nicht anders als in einer Ve r  n d e r u n g ussern. Aber es ist unmglich, in Gott eine Vernderung anzunehmen – denn er ist ja eben das von Ewigkeit her Bestehende und in Ewigkeit sich Gleichbleibende. Gott ist der e r s t e Beweger, aber er ist der u n b e we g t e Beweger – das

æ  ŒØ fl und das ŒØ   ŒØ fl. 347 Diesen Artistotelische Gottesbegriff konnte das Christentum sich zu eigen machen – und in den großen Systemen der Hochscholastik, insbesondere bei Thomas von Aquino, ist die Verschmelzung zwischen beiden erfolgt. Aber gegen diesen Gottesbegriff lehnen sich Spinoza und Goethe auf. Gott ist nach beiden keine usserlich-bewegende “Ursache” der Bewegung, die durch A

finden.] findet.

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blossen Anstoß wirkt. Er ist das P r i n z i p der Bewegung selbst; er ist nicht “ausser” oder “ber” der Welt, sondern er ist die innerliche Kraft, die das Weltgesch[eh]en zusammenhlt – er ist das L e b e n , das das All durchstrmt. Am prgnantesten und schnsten hat G[oethe] dies in einigen Versen ausgesprochen, die Sie in seinen Gedichten, unter dem Abschnitt: G o t t , G e m  t u n d We l t finden. “Was1 wr’ ein Gott, der nur von aussen stiesse, Im Kreis das All am Finger laufen liesse! Ihm ziemts, die Welt im Innern zu bewegen, Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen, So daß was in Ihm lebt und webt und ist, Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermisst.” 348

^ Von der t h e o re t i s c h e n Einwirkung Spinozas wenden wir uns der e t h i s c h e n Einwirkung zu. Sie ist noch strker als jene – denn G[oethe] fhlte eine noch tiefere Verehrung und Bewunderung fr Spinoza als Menschen, als sittliche Persnlichkeit, als fr ihn als Denker. Wenn er in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] von ihm spricht, kommt er immer wieder auf diesen Punkt zurck; er betont, daß es weniger das System Spinozas war, was ihn anzog, als die sittliche und religise G e s i n n u n g , die er in ihm zu verspren glaubte. Erinnern wir uns, wie viele K r i s e n d e s G e f  h l s u n d d e r L e i d e n s c h a f t der junge Goethe erlebt hat. Die Trennung von Friederike in Sesenheim, von Lotte in Wetzlar – der innere Kampf, in den ihn seine Liebe zu Lilly strzte, dies alles ist ja ein Ausdruck solcher innerer Krisen. Er fhlte sich – in seinem Schaffen und in seinem Leben, als Dichter wie als Mensch – leidenschaftlich bewegt – und er frchtete immer wieder, von dieser Bewegung fortgerissen zu werden und in ihr versinken zu mssen. Bei Spinoza trat ihm zuerst die Klarheit, die Ruhe, die Erhabenheit des philosophischen Gedankens gegenber. Alles[,] was an Spinozas Lehre Scholastik ist, – die gesamte Te r m i n o l o g i e seines Systems, der mathematische Beweisgang, der die einzelnen Propositionen mit einander verknpft, hatte fr G[oethe] wenig Bedeutung. Er sah nur auf das G a n z e – und er fhlte sich von der S t i m m u n g , die ihm hier entgegen kam, aufs innerste berhrt. “Nachdem ich mich” – so berichtet G[oethe] in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit]2 – [“]in aller Welt um ein Bildungsmittel meines wunderlichen Wesens umgesehen hatte, geriet ich endlich an die Ethik Spinozas. Was ich mir aus dem “Was] am Rand: [WA,] Ged[ichte, Bd.] 2, [S.] 215[.] Dichtung und Wahrheit] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: XIV[. Buch], Loeper[, Bd.] / 22, [S.] 168[.] 1 2

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Werk mag herausgelesen, was ich in dasselbe mag hineingelesen haben, davon wsste ich keine Rechenschaft zu geben: genug, ich fand hier eine Beruhigung meiner Leidenschaften, es schien sich mir eine grosse und freie Aussicht ber die sinnliche und sittliche Welt aufzutun ... Die Alles ausgleichende Ruhe Spinozas kontrastierte mit meinem Alles aufregenden Streben ... Geist und Herz, Verstand und Sinn suchten sich mit notwendiger Wahlverwandtschaft und durch diese kam die Vereinigung der verschiedensten Wesen zu Stande.” G[oethe] hat in diesem Zusammenhang ein Wort Spinozas erwhnt, das den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht habe. Es gehrt in der Tat zu den tiefsten und merkwrdigsten Stzen, die wir bei Spinoza finden – und es ist auch fr uns nicht ganz leicht, sich seinen Sinn vllig zu entrtseln. “Wer Gott recht liebt[,] muss nicht verlangen, daß Gott ihn wieder liebt”[.] »Qui Deum amat, conari non potest, ut Deus ipsum contre amet« 349 – so lesen wir im fnften Buche von Spinozas Ethik A . Was bedeutet dieses Wort? Wer Gott recht liebt, der liebt und verehrt ihn nicht in irgend einem Abbild, das er sich von ihm macht – sondern er liebt ihn seinem Wesen nach. Und dieses Wesen ist nichts anderes, als das des Alls – als das Wesen des Ganzen. Die wahre Gottesliebe, B wie Sp[inoza] sie nennt, besteht also nicht darin, daß wir ihm mit unseren subjektiven W  n s c h e n nahen und die Erfllung dieser Wnsche von ihm erhoffen und erbitten. Sie besteht vielmehr in jenem Aufschwung des Denkens, in jenem »amor Dei i n t e l l e c t u a l i s «, 350 der uns all diese Wnsche vergessen lsst. Wir versenken uns in das Universum und begreifen die ewige und notwendige Ordnung desselben; wir wnschen und verlangen nichts mehr fr uns, als beschrnkte einzelne Individuen – wir sind selig in der Anschauung des Ganzen. Das ist es[,] was Spinoza die “intuitive Erkenntnis” Gottes 351 genannt hatte und was er immer wieder als hchstes Ziel der Philosophie aufgestellt hatte. Und hierin fhlte sich G[oethe] ihm nahe – das war die “Wahlverwandtschaft”, die er zwischen sich und ihm zu spren glaubte. Der Mensch kann sich nur dann Gott nhern, wenn es ihm gelingt, allen Eigennutz, alle C Selbstsucht und allen “Selbstsinn” in sich zu berwinden. Nur wer des Selbstsinns ledig wird – kann Gott erblicken. “Uneigenntzig zu sein in Allem, am uneigenntzigsten in Liebe und Freundschaft” – so sagt G[oethe] an derselben Stelle, – “war meine hchste Lust, meine Maxime, meine Ausbung, so daß jenes freche sptere Wort ‘Wenn ich Dich liebe, was geht’s Dich an?’ 352 mir recht aus dem Herzen gesprochen Ethik] danach gestrichen: an der Stelle, wo er seine Theorie der Gottesliebe, der »amor Dei intellectualis« entwickelt B Gottesliebe,] danach gestrichen: die i n t e l l e k t u e l l e Liebe zu Gott, C alle] allen A

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ist”. Dieses Wort steht in “Wilhelm Meisters Lehrjahren” und wird dort von P h i l i n e gesprochen. Es scheint freilich auf eine ganz andere Art von Liebe hinzuzielen, als diejenige, die Spinoza im 5. Buch seiner Ethik beschrieben hat – aber G[oethe] kann diese so divergierenden Elemente mit einander verknpfen, weil er sich menschlich zu beiden hingezogen fhlt. Spinozas System gehrt keineswegs zu denen[,] die den ethischen »Altruismus« fordern und verknden. Im Gegenteil: Spinoza lehrt, daß es das Recht jedes Einzelwesens ist[,] sich in seinem individuellen Dasein zu behaupten. Jeder Mensch und jedes Naturwesen strebt danach, sein Dasein und seine Besonderheit zu bewahren – [»]suum esse conservare«. 353 Aber der Mensch ist Ve r n u n f t we s e n – und der Grundtrieb der Vernunft besteht darin, sich selbst im Ganzen zu sehen und sich dem Gesetz des Ganzen unterzuordnen. In dieser Unterordnung besteht die wahre Freiheit des Menschen – nach einem anderen suchen oder verlangen, ist eine blosse Illusion, ein leerer Traum. Eine solche Anschauung konnte G[oethe] nicht als »atheistisch« – als unglubig oder unfromm empfinden. Denn sie entsprach eben dem, was er als das eigentliche und tiefste Wesen der Frmmigkeit bezeichnet hat. A Sie erinnern sich der Verse aus der »Marienbader Elegie«, die ich Ihnen zitiert habe. »Fromm sein« heisst[,] sich einem Grossen, Reinen, Unbekannten aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben 354 – sich selbst vergessen, um im Ganzen, in Gott zu leben. Diese Lehre hatte G[oethe] in Spinoza gefunden – und deshalb konnte er sie, auch wenn er ihm im einzelnen nicht zu folgen mochte, immer wieder als eines der grossen und unersetzlichen Bildungsmittel seines Wesens ansehen und sich sein Leben lang dankbar zu ihm bekennen. &

A

hat.] danach gestrichen: »Fromm sein«

Sechste Vorlesung[:] Rckblick und Ausblick. A355 In der Einleitung zu diesen Vorlesungen habe ich ein Wort G[oethe]’s zitiert, in dem er erklrt, daß er nicht als M e i s t e r habe auftreten wollen. Wohl aber drfe er ein anderes Verdienst fr sich in Anspruch nehmen: – er knne von sich sagen, daß er der Befreier der Deutschen, und insbesondere der Befreier der deutschen Dichtung geworden sei. B Wie sollen wir dieses Wort verstehen – in welchem Sinne durfte G[oethe] von sich sagen, C daß er die Dichtung befreit habe? B e d u r f t e die Dichtung berhaupt einer solchen Befreiung – ist nicht alle grosse Kunst D immer freie Kunst gewesen? (Was E konnte G[oethe], der selbst ein so unbedingter Bewunderer und ein so tiefer Verehrer der klassischen Kunst war, der im Gebiet der Dichtung keineswegs als Neuerer oder Revolutionr auftrat, hier noch fordern und hier noch leisten?) Die Antwort hierauf lsst sich in einem einzigen praegnanten und charakteristischen Satz G[oethe]’s geben. “Poetischer Gehalt” – so sagt er [–] “ist Gehalt des eigenen Lebens”. 356 Das eigene Leben wird zum Maßstab der knstlerischen Wahrheit erklrt. Was persnliche Wahrheit hat, das hat auch knstlerische Wahrheit – was dieser individuellen persnlichen Wahrheit e r m a n g e l t , was aus fremden Quellen geschpft ist, was ussere Vorbilder nachahmt, das kann viele Vorzge vortuschen und durch manche scheinbare Schnheit blenden – aber es bleibt von der eigentlichen Sechste Vorlesung ... Ausblick.] im Ms. hervorgehoben; danach Anfang des Textes gestrichen: Am Schluss unserer Betrachtungen versuchen wir noch einmal, uns das G e s a m t b i l d G o e t h e s zu vergegenwrtigen, das uns in ihnen entgegengetreten ist. B sei.] sei: C Wie sollen ... sagen,] am Rand und dieser Stelle zugewiesen; ersetzt gestrichen: ^ Jetzt, nachdem wir uns in die Welt des jungen Goethe versenkt haben, knnen wir versuchen, die Frage, worin das Wesen dieser Befreiung fand [sic], genauer zu beantworten. Eines springt hierbei sofort in die Augen: G[oethe] denkt hierbei nicht an die politische, die ussere Freiheit, sondern an die rein innere Freiheit. “Wer meine Schriften und mein Wesen berhaupt verstehen gelernt hat,[”] – so hat er einmal zu Kanzler v[on] Mller gesagt – [“]der wird doch bekennen mssen, daß er eine gewisse innere Freiheit gewonnen” (5[.] Jan. 1831)[.] Dieses Wort wollen wir, auch diesmal wieder, zum Leitspruch unserer Interpretation machen. Wir stellen die Frage an die Spitze – worin besteht die Art jener inneren Freiheit, die Jeder von uns aus der Kenntnis G[oethe]’s und aus der Vertiefung in sein Werk gewinnen kann? Beginnen wir hier, wie es sich gebhrt, mit dem Gebiet der D i c h t u n g . In welchem Sinne kann man von G[oethe] sagen, D Kunst] Kunst, danach gestrichen: seit den Tagen der Griechen, E (Was] am Rand ohne Zuweisung zum Text: Worin liegt also das / Neue, das G[oethe] hier / bringen konnte? A

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Vollkommenheit ausgeschlossen. Damit A ist zunchst eine Befreiung von allen rein s t o f f l i c h e n Maßstben gewonnen. B Immer wieder war die Poetik und die Kunsttheorie von der Vorstellung beherrscht worden, dass die Grsse und die Wrde der Kunst auf der Grsse und Wrde ihrer G e g e n s t  n d e beruhe. Ein bestimmter ausgezeichneter S t o f f k re i s war es, dem die grosse Kunst sich zuwenden und von dem sie ihren inneren Adel empfangen sollte. Das Epos und die Heldensagen wandten sich den großen Begebnissen der nationalen Vergangenheit [zu]; das Drama behandelte mythische, religise, heroische Stoffe; es stellte Gtter und Helden vor uns hin. Spter wagte dann der Roman auch das brgerliche Leben in seinen Kreis zu ziehen – und im 18ten Jahrhundert wurden die ersten Versuche gemacht, ihm auch auf der Bhne seinen Platz zu erkmpfen: neben die große heroische Tragdie trat das brgerliche Schauspiel, was man die »com die larmoyante«, das Rhrstck nannte. Goethes Kunst aber entwickelt sich ganz ausserhalb des Kreises dieser Probleme, die in der zeitgenssischen Aesthetik noch so eifrig errtert wurden. Denn C fr sie kommt es lediglich auf die Tiefe, die Intensitt, die Echtheit des Gefhls an, – nicht auf das, wa s gefhlt oder ausgesprochen wird. Greifen wir ein beliebiges Beispiel heraus, D dem sich hundert gleichartige an die Seite stellen liessen. Wir alle E kennen die schnen Goetheschen Verse Damit] davor: gestrichene eckige, ffnende Klammer gewonnen.] danach ausradierte ffnende Klammer C Denn] danach ausradierte, schließende Klammer D heraus,] heraus; E Wir alle] danach folgt ein sechseitiger, unpaginierter Einschub (Bl. 94-96v), der ebenfalls mit den Worten Wir alle endet, aber nicht an den vorhergehenden Text anschließt: Wir sind von Goethes F re i h e i t s i d e e ausgegangen – und wir haben uns klar zu machen gesucht, wie diese Idee, in der besonderen Gestaltung, die G[oethe] ihr gibt, das geistige Zentrum seines Lebens und seines Wirkens bildet. Freiheit – so fanden wir – bedeutet fr G[oethe] nicht etwas Negatives, sondern etwas im hchsten Sinne Positives. Es bedeutet nicht das Abwerfen von Bindungen und die Emprung gegen alle Bindung; es bedeutet vielmehr eine treue, strengere, festere Bindung, die der Mensch sich selbst auferlegt. Deshalb durchdringt sich bei G[oethe] der Wille zur Freiheit mit dem Willen zur Form: die echte, die wahre Freiheit besteht darin, daß wir unser Leben zur Form, zum Kosmos gestalten [danach gestrichen: Das ist nach G. die hchste Aufgabe, die dem Menschen gestellt ist.] Jeder Mensch, jedes Individuum ist eine Welt im Kleinen, – ein Mikrokosmos. Aber was diese Welt im Kleinen von der grossen Welt, was den Mikrokosmos vom Makrokosmos unterscheidet, ist dies, daß die Gesetze des Makrokosmos uns als grosse, ewige, unvernderliche Realitten gegeben sind. Wir finden sie vor – wir erblicken sie in der Welt, die uns umgibt, in der Einen Ordnung, die alles Geschehen beherrscht und durchdringt. Dieser physisch-astronomischen Ordnung stellt G[oethe] die sittliche Ordnung gegenber. Die letztere ist nur dadurch, daß wir sie vollziehen, daß wir sie in uns selbst h e r s t e l l e n . [“]Das ganze Weltwesen[”] – so sagt Wilhelm Meister – [“]liegt vor uns wie ein grosser Steinbruch[”]; 357 es scheint A B

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“ber allen Gipfeln / ist Ruh, In allen Wipfeln / sprest Du Kaum einen Hauch; Die Vgelein schweigen im Walde. Warte nur, balde / Ruhest Du auch”. 358 zunchst nichts anderes zu sein, als eine heterogene Masse [danach gestrichen: des Einzelnen, des Verschiedenen]. Aber an uns ist es, diese ungefge Masse, diese rudis indigestagese moles zu gestalten. »Alles ausser uns« – so sagt G[oethe] – [“]ist nur Element, ja auch alles an uns: aber tief in uns liegt die schpferische Kraft, die das zu erschaffen vermag, was sein soll und die uns nicht ruhen und rasten lsst, bis wir es, ausser uns oder an uns, auf die eine oder die andere Weise dargestellt haben”. 359 Den schnsten dichterischen Ausdruck hat G[oethe] fr diesen Gedanken in einem Gedicht gefunden, dem er den Titel » d a s G  t t l i c h e « gegeben hat: Edel sei der Mensch, Hlfreich und gut, Denn das allein Unterscheidet ihn Von allen Wesen, die wir kennen. ... Denn unfhlend ist die Natur: Es leuchtet die Sonne ber Bs’ und Gute, Und dem Verbrecher / Glnzen, wie dem Besten, Der Mond und die Sterne. Nach ewigen, ehrnen, grossen Gesetzen Mssen wir alle Unseres Daseins Kreise vollenden. Nur allein der Mensch vermag das Unmgliche, Er unterscheidet whlet und richtet; Er kann dem Augenblick Dauer verleihen. 360 Dem Augenblick Dauer zu verleihen – das ist das Hchste, was vom Menschen gefordert und was von ihm geleistet werden kann. Diese Aufgabe ist es[,] die dem Knstler, dem Denker und Forscher, dem sittlichen Menschen gemeinsam ist. Und das bezeichnet nach G[oethe] den geistigen Menschen: die »ideelle Denkweise« – so sagt er – [“]ist diejenige, die das Ewige im Vorbergehenden sehen lsst[”]. 361 [danach in Bleistift am unteren Rand ohne Zuweisung zum Text: Die Naturwesen dem Zeitstrom / verhaftet – etc. – der Mensch / ber dem Zeitstrom, weil er seinem Leben eine feste Fo r m / zu geben vermag[.] / darunter: Nichts von Vergngl[ichkeit.] Unsere heutige Aufgabe soll es sein, uns klar zu machen, wie G[oethe] diese ideelle Denkweise in a l l e n Gebieten, die er berhrt hat, zur Geltung gebracht hat. Beginnen wir hier, wie es sich gebhrt, [Lesung unsicher, vielleicht: gebietet,] mit dem Gebiet der Dichtung. Wir erinnern uns, daß G[oethe] sich nicht als M e i s t e r der Dichtung bezeichnet, [im Ms.: bezeichnen,] sondern daß er sich den B e f re i e r der Dichtung genannt hat. Aber es ist nicht ganz leicht, dieses Wort zu interpretieren. Denn – so wird man vielleicht fragen, wie kann G[oethe] das Leben und Wirken von innen heraus als denjenigen Zug bezeichnen, der ihm eigentmlich

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Z

Was ist das? Ist es berhaupt ein G e d i c h t – und lsst es sich mit irgend einem uns bekannten Gedicht der Weltlitteratur vor G[oethe] A vergleichen? Wir wissen, wo und wann G[oethe] diese Verse geschrieben. Es war am 7[.] September 1783 – beim Aufstieg auf den Gickelhahn, einen Berg in der Nhe von Ilmenau. Nirgends finden wir hier auch nur das Geringste, was nach dichterischer Behandlung oder nach dichterischem Schmuck aussieht. Es sind die schlichtesten einfachsten Worte, wie sie aus dem Munde eines mden Wanderers pltzlich hervorbrechen. G[oethe] hat diese Worte beim Aufstieg leise vor sich hingesagt – und, oben angelangt, hat er sie in dem Zimmer des kleinen Jagdhauses, in dem er bernachtete, an die Wand geschrieben. 362 Das alles erscheint uns so alltglich, daß wir glauben knnen, Jeder von uns habe dergleichen schon erlebt und jeder htte diese Verse schreiben knnen. Und doch tragen sie den unvergleichlichen und unauslschlichen Charakter von Goethes Kunst. Denn die Eigenart dieser Kunst besteht eben darin, daß sie keines besonderen G e g e n s t a n d s bedarf. Sie kann das Unscheinist und der ihn von anderen Knstlern unterscheidet. Haben nicht a l l e großen Knstler in dieser Weise gewirkt? Brauchte es hier einen besonderen Befreiungsprozess – ist die Kunst, die wahrhaft grosse Kunst nicht immer freie Kunst gewesen? [Ms.: gewesen.] Die Antwort hierauf lsst sich in einem einzigen praegnanten Wort G[oethe]’s geben, das ich ebenfalls bereits angefhrt habe. Poetischer Gehalt – so sagt er – ist Gehalt des eigenen Lebens. 363 Was persnliche Wahrheit hat, das hat auch knstlerische Wahrheit – was dieser individuellen persnlichen Wahrheit ermangelt, das kann[,] auch wenn es nach den hchsten Zielen greift und das objektiv-Grsste gestaltet, nicht zu eigentlicher knstlerischer Vollkommenheit gelangen. Denn nicht durch die Art des Gegenstands – durch den S t o f f , der behandelt wird, wird diese Vollkommenheit bestimmt. Von allen stofflichen Maßstben hat sich G[oethe]’s Kunst freigemacht. Die Aesthetik des 17ten und 18ten Jahrhunderts, insbesondere die klassische franzsische Aesthetik, lehrte, daß es bestimmte Gegenstandskreise und bestimmte Stoffkreise gebe, die an sich, durch ihre Natur, der knstlerischen Behandlung wrdig seien – whrend andere davon ausgeschlossen seien. Nur das Edle, Erhabene, Heroische darf die grosse Kunst berhren und gestalten – und nur das Allgemeine soll sie aussprechen. Das Gewhnliche und Alltgliche, das Besondere und Individuelle muss ihr fern bleiben – es ist unter der Wrde der grossen Kunst. Diese Art von Idealitt und Idealisierung, von “Verschnerung” des Lebens durch die Kunst kennt G[oethe] nicht mehr. Fr ihn steht fest, daß die wahre Idealitt der Kunst, aus dem Subjekt, nicht aus dem Objekt herstammt. Fr G[oethe]’s Kunst kommt es lediglich auf die Tiefe, die Intensitt, die Echtheit der Gefhle an – nicht auf das, wa s gefhlt oder ausgesprochen wird. Der Wert des »Was« tritt ganz zurck – nur das Wi e entscheidet. Die Art der knstlerischen Gestaltung, nicht das, wa s gestaltet wird, entscheidet. Machen wir uns das an einem ganz einfachen Beispiel klar, dem sich hundert gleichartige aus G[oethe]’s Dichtung an die Seite stellen lassen. Wir alle bricht ab, danach halbe S. leer A vor Goethe] ber der Zeile in Bleistift geschrieben und an dieser Stelle eingefgt

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barste, Geringste, Flchtigste ergreifen, um es durch den Zauberstab der Poesie mit einem Schlage vllig zu verwandeln. Was eine A schwebende, kaum fassbare Stimmung, eine ganz zarte vorbergehende Regung der Seele war: das steht pltzlich vor uns in einer Deutlichkeit und in einer Plastik, daß wir es nie wieder vergessen knnen. Es gibt grosse Dichter – Aeschylos, Dante, Shakespeare – die uns tiefer ergreifen und leidenschaftlicher erschttern, als G[oethe] es vermag. Aber ich kenne keinen zweiten Dichter, der so wie er die Gabe besitzt, auch dem Vergnglichsten, Wandelbarsten, rasch-Vorbergehenden den Stempel des Ewigen aufzuprgen. Er B macht im einzelnen individuellen Lebensmoment stets die ganze Tiefe der Individualitt sichtbar, die dieser Moment in sich erfhrt. S o l c h e Kunst ist niemals etwas bloss G e m a c h t e s , nach Willkr Erdichtetes oder nach bestimmten objektiven Regeln, die als Maßstbe der knstlerischen Vollkommenheit gelten, Hervorgebrachtes. G[oethe] hat einmal gesagt, im Grunde habe nicht e r seine Gedichte gemacht – sondern seine Gedichte htten ihn gemacht. 364 Er empfand seine Dichtung nicht als etwas, ‘das’ neben dem Leben einherging. C Sie war ihm die gestaltende Kraft seines Daseins; sie sprach aus und sie machte ihm verstndlich und sichtbar, was er im tiefsten Innern war. D Dichtung ist S e l b s t g e s t a l t u n g – und in dem Prozess der Selbstgestaltung liegt fr den Knstler selbst und fr den, der ihn zu verstehen, der diesen Prozess mit ihm erleben kann, eine große innere S e l b s t b e f re i u n g eingeschlossen. Die Welt stellt den S t o f f dar, an dem diese Selbstbefreiung erlebt wird; – aber die Kraft zu ihr muß aus dem eigenen Innern, aus dem Kern der Persnlichkeit quellen. In dieser Weise greifen in der Entstehung des Kunstwerks Subjekt und Objekt in einander ein. »Die Welt ist so gross und so reich« – so hat G[oethe] einmal zu Eckermann gesagt – [»]und das Leben so mannigfaltig, daß es an Anlssen zu Gedichten nie fehlen wird. Aber es mssen alles Gelegenheitsgedichte sein, das heisst[,] die Wirklichkeit muss die Veranlassung und den Stoff dazu hergeben. Alle meine Gedichte sind Gelegenheitsgedichte, sie sind durch die Wirklichkeit aneine] danach gestrichen: flchtige, Er] davor beginnt die Seite mit einem gestrichenen Satz: Denn alles, was er in seiner Dichtung festhlt, – selbst die flchtigste Stimmung wurzelt stets im G a n z e n seiner Persnlichkeit. C einherging.] einherging; danach gestrichen: oder als einen usseren Schmuck oder Zierde. D war.] danach gestrichen: In diesem Sinne konnte Goethe seine Dichtung als ein fortlaufendes Selbstbekenntnis, konnte er alle seine Werke als » B r u c h s t  c k e e i n e r g ro ß e n K o n f e s s i o n « bezeichnen. »Was ich sag ist Bekenntnis, Zu meinem und Eurem Verstndnis«[.] A B

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geregt und haben darin Grund und Boden. Von Gedichten aus der Luft gegriffen halte ich nichts.« A365 Aber wenden wir uns nun einem ganz anderen Gebiet, dem Gebiet von G [ o e t h e ] ’s N a t u r f o r s c h u n g zu. Vom I n h a l t dieser Forschung kann und will ich hier zu Ihnen nicht sprechen. Denn er ist fast unerschpflich, und ich msste, um Ihnen von ihm einen Begriff zu geben, eine Flle von Einzelproblem[en] – von Problemen der Optik, der Pflanzenlehre, der Anatomie, der Geologie, – berhren. All das darf uns hier nicht beschftigen. Wir fragen nicht nach dem E r g e b n i s von G[oethe]’s Naturforschung – aber wir versuchen[,] uns in seine Fo r s c h u n g s we i s e zu versenken und sie in ihrer Eigenart zu verstehen. Was das Ergebnis von G[oethe]’s Forschung betrifft, so steht das Urteil hierber heute einigermaßen fest. Wir wissen, daß er, insbesondere im Gebiet der Morphologie, in der vergleichenden Anatomie und in seiner Lehre von der Pflanzenmeta[mor]phose zu grossen und bleibenden Resultaten gekommen ist. Um die Anerkennung dieser Resultate hatte er lange zu ringen – aber heute wird ihr Wert und ihre in vielen Hinsichten grundlegende Bedeutung von keiner Seite mehr angezweifelt. Anders steht es mit derjenigen Lehre, die G[oethe] vor allem am Herzen lag und der er eine unermdliche Arbeit gewidmet hat: mit der Fa r b e n l e h re . Vieles von dem, was Goethe hier gelehrt hat, ist heute berwunden; es gilt als Irrtum oder Mißverstndnis. Wir wollen diese Irrtmer nicht leugnen – und wir wollen sie nicht, weil es sich um G o e t h i s c h e Irrtmer handelt, verkleinern oder beschnigen. Goethe hat Zeit seines Lebens einen heftigen Kampf gegen Newtons Optik gefhrt. Die moderne physikalische Optik hat indess auf Newton, nicht auf Goethe aufgebaut. Aber hier begegnet uns nun, wenn wir uns tiefer in Goethes Farbenlehre versenken, etwas hchst Merkwrdiges. G[oethe] hat keineswegs Newton widerlegt; aber er hat, indem er beharrlich und gewissermaßen eigensinnig, auf seiner eigenen Vorstellungsweise beharrte, ganz neue Phaenomene gesehen und ganz neue Probleme entdeckt. Es ging ihm wie Kolumbus, der auszog, um einen neuen Seeweg nach Ostindien zu finden – und der auf seinem Wege einen neuen unbekannten Erdteil fand. Denn erst Goethes Farbenlehre hat uns jenes gewaltige Gebiet erschlossen, das wir heute, im Unterschied von der physikalischen Optik, als »Physiologische Optik« bezeichnen. Von dem Umfang dieses Gebiets knnen Sie B sich eine Vorstellung machen, wenn Sie einmal eines der modernen Grundwerke C dieser Disziplin zur Hand nehmen. H e l m h o l t z ’ »Handbuch der phynichts.«] am unteren Rand in Bleistift: Hier – Naturforschung! Sie] sie C Grundwerke] Grundwerke, A B

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siologischen Optik« umfasst in seiner 2ten Auflage fast 1000 Seiten – und das Litteraturverzeichnis, das Helmholtz seinem Werk hinzugefgt hat, zhlt etwa 8 0 0 0 N u m m e r n . Und in dem halben Jahrhundert, das seit dem Erscheinen dieser 2[.] Auflage erschienen ist, ist dieses ganze Gebiet noch erheblich erweitert und ausgebaut worden. Aber alle seine wissenschaftlichen Begrnder – Purkinje, Johannes Mller, Helmholtz – haben einmtig und dankbar bekannt, daß sie auf Goethes Schultern stehen – und daß er hier als eigentlicher Bahnbrecher zu gelten habe. G[oethe] hat das Wort geprgt: »Was fruchtbar ist, allein ist wahr«. A366 Legen wir dieses Kriterium zu Grunde – so werden wir auch der Goethischen Farbenlehre eine gewisse innere Wahrheit nicht abstreiten knnen: denn sie hat sich als ausserordentlich fruchtbar erwiesen. Aber wie war das mglich – wie konnte Goethe auch dort, wo er irrte, noch p ro d u k t i v wirken? Den Schlssel hierzu liefert, meines Erachtens, ein anderes Goethisches Wort. “Das Erste und Letzte, was vom Genie gefordert wird” – so hat er einmal gesagt –1 [“]ist Wahrheitsliebe”[.] 367 Diese Wahrheitsliebe drckt auch G[oethe]’s Farbenlehre ihren Stempel auf. Denn er hat auch hier nichts beschrieben, was er nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Seine B e g r i f f e mgen bisweilen unzureichend, seine T h e o r i e n zweifelhaft sein: aber seine Betrachtungen und Experimente sind stets von hchster Genauigkeit und halten jeder Prfung stand. Bedeutende Naturforscher haben es sich nicht verdriessen lassen, alle G[oethe]’schen Experimente zu wiederholen B – und sie haben sie durchweg besttigt. Wo Goethe sich lediglich dem A n s c h a u e n der Phaenomene berliess, da hat er nicht geirrt – er hat vielmehr schrfer gesehen, als andere vor ihm gesehen hatten. G[oethe] hat immer wieder die Maxime aufgestellt, daß man die Erscheinungen zuerst vollstndig k e n n e n l e r n e n m  s s e , ehe man daran gehe[,] eine Theorie ber sie aufzustellen und sie aus dieser Theorie heraus abzuleiten und zu erklren. Und hierin hat er wahrhaft Grosses geleistet. Seine Beobachtungen sind berall von wunderbarer Treue. Und so ist denn selbst sein Kampf gegen Newton nicht lediglich ein Irrweg gewesen. Newton galt im 18. Jahrhundert nicht nur als ein großer und genialer Physiker, sondern in ihm sah man geradezu die 1

einmal gesagt –] am Rand: Max[ime] 382[.]

wahr«.] danach gestrichen: Dieses Wort steht in einem Gedicht, dem G[oethe] die berschrift: » Ve r m  c h t n i s « gegeben hat – wir werden ihm also einen besonderen Wert beilegen drfen. B Goethe’schen Experimente zu wiederholen] ber der Zeile; ersetzt gestrichen: diese Beobachtungen nachzuprfen A

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Verkrperung des Geistes der Physik selbst. A ^»Nature and Nature’s lawes lay hid in night, God said: Let Newton be – and all was light«[,] 368 so lautet ein bekannter Vers Popes.& Seine Autoritt war fast unbeschrnkt[,] und Niemand wagte sie anzuzweifeln: war es ihm doch als Erstem gelungen, ein großes allumfassendes Naturgesetz, das Gesetz der Gravitation aufzustellen, das schlechthin a l l e Erscheinungen der Natur zu umfassen und zu erklren schien[.] B Physik selbst.] am Rand in Bleistift und mit Zeichen dieser Stelle im Text zugeordnet: Pope; danach folgt eine Linie und die Zahl 11. Die folgenden Seiten (7-10a) sind bis auf die letzten Zeilen auf 10a gestrichen, die das Zitat von Pope (in eckigen Bleistift-Klammern) wiedergeben, an das angeschlossen wird. Der Text wird auf Seite 11 (Bl. 105r) fortgesetzt. B Es macht im einzelnen ... erklren schien] eingelegte Bltter (Bl. 99r-102v) ersetzen die gestrichenen Seiten 6-10a (Bl. 98rv, 103r-104v): ^ »Nur allein der Mensch – Vermag das Unmgliche[«] – so sagt G[oethe] in der Ode “das Gttliche” – [“]Er unterscheidet, – whlet und richtet Er kann dem Augenblick Dauer verleihen”[.] 369 Von allen Dichtern besitzt G[oethe] im hchsten Maße die Fhigkeit, nicht nur ein grosses bedeutendes Geschehen festzuhalten und darzustellen, sondern dem Augenblick Dauer zu verleihen – und viele seiner schnsten und tiefsten Dichtungen sind nichts als solche festgehaltenen und seelisch vllig durchdrungenen Augenblicke. & Oder wenden wir uns einem anderen Gebiet – dem Gebiet der G o e t h e s c h e n N a t u r f o rs c h u n g zu. Hier stehen wir freilich vor einem sehr schwierigen und fast unerschpflichen Thema – vor einem Thema, das auch von der eigentlichen Goethe-Forschung noch keineswegs vollstndig bewltigt ist. Auf den I n h a l t von G[oethe]’s naturwissenschaftlichem Werk – auf den Inhalt seiner anatomischen, botanischen, optischen, geologischen, mineralogischen, meteorologischen Studien – knnen wir daher hier in keiner Weise eingehen – wohl aber knnen wir uns die Fo r m von G[oethe]’s Naturbetrachtung wenigstens in allgemeinen Umrissen zu vergegenwrtigen suchen. “Das Erste und Letzte, was vom Genie gefordert wird[”] – so sagt G[oethe] einmal – [am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: Max[ime] 382] [“]ist Wahrheitsliebe”[.] 370 Dieses schlichte Wort bezeichnet genau das Moment, das G[oethe]’s Dichtung und seine Naturforschung mit einander verbindet. G[oethe] wollte auch als Dichter nicht das sogenannte “Imaginative”, ber die Wahrheit und das Leben Hinausgehende. “Deine unablenkbare Richtung” – so hatte in seiner Jugend sein Freund Merck zu ihm gesagt – (und diese Worte sind vielleicht die beste Charakteristik, die man von G[oethe]’s Poesie geben kann –) [“]ist, dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben, die Andern suchen das sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen, und das gibt nichts wie dummes Zeug”. 371 Auch die Dichtung glaubte G[oethe] aus der Hand der Gtter der Wa h r h e i t empfangen zu haben – wie er es in dem Gedicht »Zueignung« geschildert – und das war es, was sie ihm so unendlich wert machte. Denn hieraus schpfte er auch die berzeugung, daß Dichtung und Naturforschung nicht schlechthin verschiedene oder gar einander e n t g e g e n g e s e t z t e Wege bedeuten. Sie bewegen sich beide im Kreis der Wirklichkeit, im Kreis der A

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Es gehrte nicht geringer Mut dazu, sich einer solchen Autoritt entgegenzustellen und sich auch ihr gegenber das Recht der freien Untersuchung zu wahren. Aber G[oethe] besass diesen Mut. “Das schdlichste

Natur und erhalten von ihr ihr hchstes Gesetz. Worin aber besteht nun die Wahrheitsliebe des grossen Naturforschers? Sie besteht darin, daß er nicht mit irgendwelchen vorgefassten Meinungen an die Natur herantritt, sondern daß er lediglich sie s e l b s t sprechen lsst. Statt mit einem knstlichen Netz abstrakter Begriffe an die Natur heranzugehen und alle ihre Erscheinungen in dieses Begriffsnetz zu pressen, soll er sich lediglich dem unbefangenen A n s c h a u e n der Erscheinungen berlassen. Er soll die Naturphaenomene in ihrer unendlichen Flle und Mannigfaltigkeit auf sich wirken lassen; und er soll nicht voreilig versuchen, diese Flle zu ertten, indem er sie auf wenige allgemeine Begriffe oder Theorien reduziert. Es gilt vor allem[,] die Erscheinungen vollstndig zu  b e rs c h a u e n ; ehe man daran geht, sie erklren, sie aus ihren Grnden ableiten zu wollen. Das ist die methodische Regel, der G[oethe] in seiner Naturforschung folgt. Und daß er durch sie Grosses und Unvergngliches geleistet hat [danach gestrichen: – daß er kraft derselben auch in der Naturforschung in vieler Hinsicht als “ B e f re i e r ” gewirkt hat] – das wird heute von keiner Seite mehr bestritten. Man hat ber den objektiven Wert von Goethes Naturwissenschaft oft sehr verschieden geurteilt. Was G[oethe]’s biologische und morphologische Arbeiten betrifft, so lautet das Urteil heute einhellig: man erkennt an, daß er auf diesem Gebiete Grosses, Eigentmliches und Unverlierbares geleistet hat. Anders steht es mit der »Farbenlehre« – sie sieht man im allgemeinen als ein verfehltes Unternehmen an. Aber auch hier pflegt man jetzt einen bestimmten Unterschied zu machen, der frher nicht gengend beachtet wurde. Viele und hervorragende Forscher haben sich die Mhe nicht verdriessen lassen, alle Experimente, die G[oethe] in der Farbenlehre angestellt und die er eingehend beschrieben hat, sorgfltig zu wiederholen. Und hierbei ergab sich etwas hchst berraschendes. Denn auch diejenigen Forscher, die G[oethe]’s T h e o r i e n auf diesem Gebiet aufs schrfste bestritten haben, fanden, daß seine B e o b a c h t u n g e n von ausserordentlicher Genauigkeit und von wunderbarer Treue waren. Wo G[oethe] versichert, ein bestimmtes Phaenomen gesehen zu haben – da fand man zumeist, daß an dieser Feststellung nicht zu rtteln war – selten oder [nie] ist es gelungen, ihn auf einer falschen Beobachtung zu ertappen. Heute wissen wir auch lngst, worin der Mangel und der Vorzug der G[oethe]’schen Farbenlehre bestand. Ihr Mangel bestand darin, daß G[oethe] die Newtonischen Theorie, die er heftig bekmpft, in ihrem Sinn und Wesen nicht zu verstehen vermochte: denn Newtons Theorie ist eine mathematische Theorie, und die Mathematik ist fr G[oethe] immer ein unzugngliches Gebiet geblieben. “Zhlen und Trennen” – so hat er einmal gesagt – “lag nicht in meiner Natur”. 372 Aber so wenig G[oethe] hier, so wenig er im Gebiet der mathematisch-physikalischen Optik Newton gerecht geworden ist, so hat er doch dadurch, daß er entschlossen seinen eigenen Weg verfolgte, eine andere grosse Leistung vollbracht. Er hat der Forschung jenes neue grosse Gebiet erschlossen, das wir heute mit dem Namen der » P h y s i o l o g i s c h e n O p t i k « bezeichnen [Ms.: bezeichnet]. Die physiologische Optik stand im 18ten Jahrh[undert] noch in ihren ersten Anfngen – und man ahnte kaum den Umfang ihrer Probleme. Heute hat [sie] sich zu einem vllig selbstndigen Forschungszweig entwickelt, der ber eine eigene Fragestellung

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Vorurteil” – so hat er einmal gesagt –1 [“]ist, daß irgend eine Naturuntersuchung mit dem Bann belegt werden knne.” 373 Er wollte nicht auf die Worte des Meisters schwren; sondern er verfolgte seinen ganz individuellen, seinen oft recht eigentmlichen und, wenn man will, eigenwilligen Weg bis zu Ende. Und der Erfolg hat ihm Recht gegeben – denn es zeigte sich, daß er hierbei zu bestimmten entscheidenden Resultaten gelangte, die auf keinem andern Wege zu gewinnen gewesen wren. Diese Forderung der “Autopsie”, des selbstndigen Sehens und des selbstndigen Urteils, wollte G[oethe] auf a l l e n G e b i e t e n zur Geltung bringen. Sie ist es, die auch die Verbindung herstellt zwischen seiner Naturund Kunstbetrachtung auf der einen Seite – und seiner Betrachtung der e t h i s c h e n Probleme. Denn auch in der Ethik ist ihm die Selbstndigkeit des Urteils die oberste Maxime – und in dieser Forderung erschpft sich nach G[oethe] gewissermassen der gesamte Gehalt der Ethik. Der Mensch handelt sittlich, wenn er sich nicht irgend welchen zuflligen Antrieben berlsst, A sondern wenn er in allem seinen Tun einen durchgehenden Charakter beweist, wenn er einer unverbrchlichen inneren Regel folgt. Jeder findet eine solche Regel in seinem eigenen Inneren, – sie braucht ihm nicht von aussen dargeboten zu werden. Die Frage nach dem U r s p r u n g dieser Regel hat sich G[oethe] kaum gestellt – wenigstens war sie 1

einmal gesagt –] am Rand: Max[ime] 700[.]

und eigene Methoden verfgt. Von ihrer modernen Bedeutung knnen Sie sich eine Vorstellung verschaffen, wenn Sie einmal einen Blick auf eines ihrer klassischen Grundwerke, auf das “Handbuch der Physiol[ogischen] Optik” von Hermann H e l m h o l t z werfen wollen. Und alle die Begrnder der Physiolog[ischen] Optik im 19ten Jahrhundert – Mnner wie Purkinje, Johannes von Mller, Helmholtz – haben dankbar bekannt, daß Goethe ihnen den Weg gewiesen habe und daß sie auf seinen Schultern standen. So blieb der Widerspruch gegen Newton, in so merkwrdiger Form er sich auch oft bei G[oethe] geussert hat, auf die Dauer dennoch nicht unfruchtbar. Er konnte Newtons mathematische Theorie nicht erschttern – aber er brachte statt dessen eine ganz neue Disziplin in den Blickpunkt; er fhrte auf neue Fragen, die man bisher nicht gesehen hatte. In diesem Sinne kann man sagen, daß G[oethe] auch in der Naturforschung als B e f re i e r gewirkt hat. Es war jedenfalls ein Grosses, daß er es fast als Einziger gewagt hat, sich der bermchtigen Autoritt Newtons entgegenzustellen. Newton galt im 18ten Jahrhundert nicht nur als ein großer und genialer Physiker – sondern in ihm verkrperte sich sozusagen der Geist der Physik selbst. Er erschien [ber gestrichen: war] [als] der Erste und Einzige, dem die Natur endlich ihr Geheimnis erschlossen hatte [danach gestrichen: – dem es gelungen war, das universelle Weltgesetz zu entdecken, das alles Geschehen beherrscht]. A berlsst,] danach gestrichen: wenn er sich nicht von der jeweiligen flchtigen Laune oder von einer augenblicklichen Neigung bestimmen lsst,

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fr ihn nicht von entscheidender Bedeutung. A Fr G[oethe] war das Gewissen das, was er ein »Urphaenomen« zu nennen B pflegte. Solche Urphaenomene mssen wir anerkennen – als ein Bestehendes, als ein einfach-Gegebenes. Es gengt ihr »Daß« festzustellen – auch wenn wir die Frage nach ihrem » W a r u m « nicht beantworten knnen. C In seinen »Sprchen« hat G[oethe] eine Flle ethischer Lebensweisheit vor uns ausgebreitet – und es gibt vielleicht kein schneres, rein weltliches “Handbuch der Moral” als diese Sprche es sind. Sie geben auf viele hchst konkrete, einzelne D Lebensfragen eine bestimmte E und immer tiefe und klare F Antwort. Aber G[oethe] bleibt hier immer beim K o n k re t e n stehen – und er fhlt keine Neigung zu abstrakten Spekulationen ber die Natur des Ethischen. »Der Wille« – so sagt er1 in einem dieser Sprche – [“]muss, um vollkommen zu werden, sich im sittlichen dem Gewissen, das nicht irrt, fgen. Das Gewissen bedarf keines Ahnherrn; mit ihm ist alles gegeben; es hat nur mit der inneren eigenen Welt zu tun.” G374 1

so sagt er] am Rand: Sprche 779 / (Harn[ack, S.] 54)[.]

Bedeutung.] danach gestrichen: Bekanntlich ist diese Frage unendlich verschiedenartig beantwortet worden – die Religion, die Metaphysik, die [gestrichen: empirische] Psychologie, die Soziologie haben die mannigfachsten Theorien ber den “Ursprung des Gewissens” aufgestellt. Aber in all diese Streitigkeiten hat sich G[oethe] nie gemischt. Er sah hier kein eigentliches Problem: denn fr ihn gengte die Ta t s a c h e des Gewissens, die uns gewiss und sicher bleibt und die fr unser Handeln gengt – gleichwohl ob wir uns ihre G r  n d e entrtseln knnen oder nicht. B nennen] danach gestrichen: liebte C knnen.] danach gestrichen: In diesem Sinne suchte G[oethe] weder nach einem religisen, noch nach einem metaphysischen Grunde des Gewissens. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied seiner Welt- und Lebensanschauung von derjenigen S c h i l l e rs . Schiller konnte auch als Knstler keinen sicheren Grund finden, ehe er nicht zu einer festen philosophischen Ethik durchgedrungen war. Erst als er in Kants »Kritik der praktischen Vernunft« eine bestimmte ethische Theorie vorfand, die er sich ganz zu eigen zu machen vermochte, hatte er einen sicheren Standort, den Standort seines dichterischen und seines philosophischen Idealismus gefunden. Auch G[oethe] hat Kants ethische Theorie ausserordentlich hoch gestellt. Auf die Frage Eckermanns, welchen der neueren Philosophen er fr den vorzglichsten halte, antwortet er: “Kant ist der vorzglichste – ohne [am Rand: 11[.] Apr. 1827] allen Zweifel. Er ist auch derjenige, dessen Lehre sich fortwirkend erwiesen hat, und die in unsere deutsche Kultur am tiefsten eingedrungen ist.” 375 Aber G[oethe] hat, weit weniger als Schiller oder Kant, ber die Natur des Ethischen reflektiert. D konkrete, einzelne] konkreter, einzelner E bestimmte] bestimmte, F klare] ber gestrichen: wahre G zu tun.”] danach gestrichen: (Die krzeste d i c h t e r i s c h e Zusammenfassung dieser seiner Grundanschauung hat G[oethe] in dem Gedicht “Vermchtnis” gegeben, aus dem ich hier nur eine Strophe zitieren will: A

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“Sofort nun wende Dich nach innen, Das Zentrum findest Du dadrinnen, Woran kein Edler zweifeln mag; Wirst keine Regel da vermissen, Denn das selbstndige Gewissen A Ist Sonne Deinem Sittentag.”376 Die Forderung der sittlichen S e l b s t  n d i g k e i t : das also ist auch hier fr G[oethe] der “Weisheit letzter Schluß”. 377 Aber je lter er wurde, um so mehr glaubte er zu bemerken, daß die neue Zeit und die neue Generation, die jetzt aufwuchs, den Wert dieser Selbstndigkeit immer weniger zu schtzen wusste. Hier fhlte G[oethe] eine ernste Gefahr, vor der er immer wieder und mit steigendem Nachdruck gewarnt hat. Er fhlte das Heraufkommen eines neuen k o l l e k t i ve n Geistes, der zu grossen Leistungen fhig war – der aber den individuellen Geist, den Geist der selbstndigen persnlichen Entscheidung und der persnlichen Verantwortung zu ersticken drohte. B C G[oethe] war keineswegs einseitiger InSittentag.”] Sittentag.”) schließende Klammer nach Streichung (s. Anm. D) stehengeblieben B drohte.] am Rand dieser und der folgenden Seite geschrieben und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen, mit Bleistift durchgestrichen: G[oethe] war keineswegs einseitiger Individualist. Er war nicht blind gegen die Probleme der s o z i a l e n E t h i k . Diese Probleme haben ihn vielmehr um so strker und intensiver beschftigt, je lter er wurde. Es gengt[,] einen Blick auf G[oethe]’s A l t e r s d i c h t u n g , vor allem auf W[ilhelm] M[eisters] Wand[erjahre], zu werfen, um sich hiervon zu berzeugen. Aber auch in dieser letzten Phase baute er die Gemeinsch[afts]-Ethik auf der Pers[nlichkeits-]Ethik auf. Er war und blieb berzeugt, daß der Mensch nur dann in der rechten Weise fr das G a n z e wirken knne, wenn er zuvor s i c h s e l b s t [danach gestrichen: gefunden – wenn er seine eigene »innere Form«] gefunden habe. Im litterarischen Leben wie im politischen Leben vertrat er immer wieder diese Forderung. In beiden Gebieten sah er das Schulwesen und das Parteiwesen mehr und mehr erstarren. Im Gebiet der Litt[eratur] wuchs neben ihr bricht ab C drohte.] danach Fortsetzung des Textes gestrichen: G[oethe] glaubt diese Bewegung zunchst auf dem Gebiet der L i t t e r a t u r feststellen zu knnen. Neben ihm wuchs eine neue Generation, die Generation der Romantik empor. Ihre Fhrer waren hochbegabte und originelle Kpfe von einer seltenen universellen geistigen Bildung. Aber ihr Bestreben ging vor allem darauf, eine neue litterarische S c h u l e zu grnden und dieser Schule zur Alleinherrschaft zu verhelfen. Die Romantik, die so verheissungsvoll begonnen hatte, erstarrt mehr und mehr zum Dogma: sie verlangt das Bekenntnis zu bestimmten dichterischen und religisen Glaubensstzen. Und hier ist es, wo G[oethe] sich von ihr abwendet, so sehr er ihre Talente zu schtzen wusste. G[oethe] erkannte in der “romantischen Schule” von frh an alle Gefahren einer litterarischen Clique – und einer solchen wollte er sich auch dann nicht verschreiben, wenn sie ihn selbst, wie es in den A

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dividualist. Er verschloss sich durchaus nicht den drngenden sozialen Problemen der Zeit – und er strebte nach einer sozialen Ethik. All dies hat ihn um so strker und um so intensiver beschftigt, je lter er wurde. Es gengt[,] einen Blick auf Goethes Altersdichtung, insbesondere auf »W[ilhelm] M[eisters] Wanderjahre« zu werfen[,] um sich hiervon zu berzeugen. Aber auch als sozialer Ethiker gab G[oethe] seine Ideale der Persnlichkeits-Ethik und der freien Ausbildung der Einzelpersnlichkeit nicht auf. Er blieb berzeugt, daß der Einzelne nur dann in der rechten Weise fr das Ganze eintreten und im Ganzen wirken knne, wenn er zuvor sich selbst gefunden habe. Diese Forderung der Selbstbildung und Selbstverantwortung bildet das A und O von G[oethe]’s Ethik. “Es begegnet mir A von Zeit zu Zeit ein Jngling” – so sagt G[oethe] – [“]an dem ich1 nichts verndert oder gebessert wnschte; nur macht mir bange, daß ich manchen vollkommen geeignet sehe, im Zeitstrom mit fortzuschwimmen, und hier ists, wo ich immerfort aufmerksam machen mchte: daß dem Menschen in seinem zerbrechlichen Kahn eben deshalb das Ruder in die Hand gegeben ist, damit er nicht der Willkr der Wellen, sondern dem Willen seiner Einsicht Folge leiste.” 378 G[oethe] sann B den Grnden dieser Erscheinung nach: er fragte nach der Ursache, die es bewirkte, daß der Mensch, bei fortschreitendem Wachstum der  u s s e re n Kultur, in seiner inneren selbstndigen Ausbildung so selten gefrdert, so oft gehemmt wurde. Und einen der wesentlichen Grnde hierfr sah er in der immer fortschreitenden Technisierung und Mechanisierung der menschlichen Arbeit. Das muss uns auf den ersten Blick hchst seltsam erscheinen – denn was konnte G[oethe] von dieser Mechanisierung wissen? Lebte er nicht noch in einer Zeit, die von unseren heutigen Problemen weit entfernt war, und die von ihnen nicht das Geringste ahnen konnte? Und doch 1

“an dem ich] am Rand: Max[ime] / 477[.]

Anfngen der Romantik geschah, als ihren Fhrer und Oberherrn erklrte. Aber noch deutlicher als im litterarischen Leben glaubte G[oethe] die Gefahren, mit denen der kollektive Geist die Selbstndigkeit des Individuums bedroht, im politischen und im sozialen Leben vor sich zu sehen. Auch hier traf er immer wieder auf Parteien, wo er persnliches Urteil forderte – und auch hier sah er mit Besorgnis, daß die einzelnen sich mehr und mehr von allgemeinen Schlagworten beherrschen liessen. Die Jugend schien diesen Schlagworten gegenber nicht mehr die rechte Widerstandskraft zu bekunden; sie liess sich im Strom der allgemeinen Meinung dahintreiben. Auch die Besseren machten hier keine Ausnahme. A Goethe war keineswegs ... “Es begegnet mir] eingeschobenes Bl. (14a; 107r); die letzten drei Worte geben den Anschluß an die nchste S. an; danach briges Drittel der S. leer B sann] danach gestrichen: unablssig

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war G[oethe] klarblickend A genug, um hier schon aus den ersten Anzeichen die knftige Entwicklung, mit all ihren Gefahren und all ihren Sturmzeichen, vorauszusehen. Die Erfindung der Dampfmaschine hat G[oethe] ja noch erlebt – und er fhlte, daß hier eine neue Welt begann. B Er sah sofort, daß es vergeblich wre, sich der Entwicklung[,] die hier einsetzte, entgegenstemmen zu wollen: die D[ampfmaschine] – so erklrte er – ist nicht zu dmpfen[.] Aber zugleich war ihm klar, daß hier unsere ganze geistige und kulturelle Entwicklung auf eine schwere Probe gestellt wurde[.] C “So wenig nun die Dampfmaschinen zu dmpfen sind, so wenig ist dies auch im Sittlichen mglich: die Lebhaftigkeit des Handels, das Durchrauschen des Papiergelds, das Anschwellen der Schulden, um Schulden zu bezahlen: D das alles sind die ungeheuren Elemente, auf die gegenwrtig ein junger Mann gesetzt ist. Wohl ihm, wenn er von der Natur mit mssigem ruhigem Sinne begabt ist, um weder unverhltnismssige Forderungen an die Welt zu machen, noch auch von ihr sich bestimmen zu lassen. Aber in einem jeden Kreise bedroht ihn der Tagesgeist, und nichts ist ntiger, als frh genug ihm die Richtung bemerklich zu machen, worin sein Wille zu streuen hat.” 379 Diese Worte G[oethe]’s stehen1 in Wilh[elm] Meisters Wanderjahren und stammen aus dem Jahre 1829 – aber wie gegenwrtig, wie ganz modern muten sie uns an, wenn wir sie heute nach ber einem Jahrhundert lesen! E 1

Goethe’s stehen] am Rand: Max[imen] 480/81[.]

klarblickend] ber gestrichen: scharfsinnig und weitsichtig begann.] Semikolon in Punkt gendert; Fortsetzung des Satzes gestrichen: die sich ganz auswirken msse, und der sich der Einzelne nicht widersetzen knne. Er sagte diese Wirkungen nicht nur in der Gestaltung der materiellen, sondern auch in der sittlichen Kultur voraus. C Aber zugleich ... wurde.] am oberen und Seitenrand geschrieben und hier angeschlossen D bezahlen:] bezahlen,: E lesen!] danach aufflliges Einfgungszeichen in Bleistift, dann neuer Absatz gestrichen: ^ Und nun zuletzt noch eine a n d e re Frage, der wir hier nicht ausweichen knnen und der wir nicht aus dem Wege gehen wollen: der Frage nach G o e t h e s Pa t r i o t i s m u s . Wir haben hierber schon in unseren einleitenden Betrachtungen gesprochen. Ich habe damals die Litteraturgeschichte von Wolfgang M e n z e l erwhnt, die im Jahre 1827 erschien, und die, im Namen der neuen politischen Ideale, die Ideale der deutschen Burschenschaft, ber G[oethe] den Stab brach. G[oethe] – so erklrte Menzel – besitzt weder Religion, noch Sittlichkeit, noch Vaterlandsliebe – sein Name muss aus der Geschichte des deutschen Geistes gestrichen werden. G[oethe] hat sich nie dazu herabgelassen, auf derartige Angriffe zu antworten – und auch wir brauchen es nicht zu tun. Der Vorwurf, daß es G[oethe] an Patriotismus gefehlt habe, ist einfach albern: wenn man die Reihe der grossen deutschen Patrioten berblickt, so ist kein Zweifel, A B

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Den Kampf A gegen den “Tagesgeist” hatte G[oethe] nicht nur im ffentlichen, sondern auch im litterarischen Leben zu fhren. In beiden Fllen glaubte er die gleiche Gefahr: das immer strkere Vordringen des kollektiven Geistes vor sich zu sehen. In der Litteratur war neben ihm eine neue Generation, die Generation der Romantik aufgewachsen. Ihre Fhrer waren hochbegabte und originelle Kpfe – von einer ausserordentlichen Regsamkeit und von einer universellen geistigen Bildung. Fast jeder von ihnen stellte eine besondere, scharf ausgeprgte Individualitt dar. Aber ihr Bestreben ging doch mehr und mehr darauf, eine litterarische S c h u l e zu grnden und ihr zur Alleinherrschaft im Reich der Poesie und der Aesthetik zu verhelfen[.] Die Romantik erstarrt mehr und mehr zu D o g m a , so verheissungsvoll sie begonnen hatte. Sie verlangte von ihren Anhngern das Bekenntnis zu bestimmten dichterischen und religisen Glaubensstzen. Und hier wandte sich G[oethe] von ihr ab – auch wo er ihre einzelnen Talente zu schtzen wusste. Er erkannte in der Romantik schon sehr frh die schweren Schden eines litterarischen Schul- und Cliquenwesen[s]. Ihm konnte und mochte er sich nicht verschreiben; er mochte es auch dann nicht, wenn man ihn selbst, wie es in den Anfngen der Romantik B der Fall war, als den Fhrer und das geistige Oberhaupt der Bewegung erklrte. Noch strker musste sich in G[oethe] der Widerstand gegen bestimmte Zeiterscheinungen des ffentlichen Lebens regen. C G[oethe] stand, insbesonders im Alter, zu Deutschland und zur Welt in einem hnlichen Verhltnis, wie Platon zu Athen und zu Griechenland stand. Er wollte nicht mssig zuschauen – er fhlte sich zum Erzieher seines Volkes berufen. Aber er konnte freilich dieses Erziehungswerk nur in s e i n e r Weise und auf seinem eigenen Wege leisten. Er konnte nicht direkt in die Kmpfe des Tages eingreifen, daß ihm in dieser Reihe eine der ersten Stellen gebhrt. Aber G[oethe] stritt auch hier, wie berall, gegen die Herrschaft der Schlagworte – und er liess sich nicht irre machen an seiner Grundberzeugung, daß das Erste und Letzte, was vom Genie gefordert wird, die Wahrheitsliebe sei (Max[ime] 382). Einen Patriotismus auf Kosten der Wahrheitsliebe lehnte er ab, weil er ihn als seiner und als des deutschen Volkes unwrdig ansah. Und leider glaubte er immer wieder diesen »Patriotismus« um sich herum zu sehen, der es mit der Forderung der Wahrheit nicht genau nimmt. Wenn er um sich blickte und wenn er sich in die politische Geschichte vertiefte, so glaubte er in ihr immer nur Eigenliebe und Machtliebe, nicht Wahrheitsliebe bricht ab Ende der S. (109v: 17v); eine Fortsetzung des Textes war bisher nicht nachzuweisen A Den Kampf] davor: aufflliges Einfgungszeichen B Romantik] am Rand, quer zum Text geschrieben und durchgestrichen: das Citat T i b e r i u s findet sich auch in der Unterhaltung mit B u r m a n / cf. AT. [Bd.] V, [S.] 178-179. – 380 C regen.] danach gestrichen: Aber hier blieb er freilich, nach aussen hin, sehr zurckhaltend.

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sondern nur als Vorbild und Beispiel wirken. Er konnte mahnen und warnen; aber er glaubte nicht daran, daß es ihm gelingen knnte, das Rad des Geschehens anzuhalten oder es in eine andere Richtung zu zwingen. Die Alterswerke G[oethe]’s, seine Briefe, seine Gesprche – sie alle sind erfllt von solchen Mahnungen und Warnungen. Ich knnte Ihnen hierfr eine Reihe der schnsten und bedeutsamsten Zeugnisse vorlegen. Aber unsere Zeit drngt, – und ich muss mich auf einen kurzen berblick beschrnken. G[oethe] fhlte sich nicht dazu berufen und nicht dafr ausgerstet, selbst in die Arena des Tageskampfes hinabzusteigen. Er sprte hier eine Grenze seines Wesens, die er nicht berwinden konnte. Es ging ihm hnlich, wie es ihm in dem politischen Freiheitskampf des Jahres 1813 ergangen war. Wenn man ihm damals vorwarf, daß er keine Kriegslieder gedichtet habe, so antwortete er darauf, er habe in seiner Dichtung niemals a f f e k t i e r t [.] “Bei mir, der ich keine kriegerische Natur bin und keinen kriegerischen Sinn habe” – so hat er spter zu Eckermann gesagt – [“]wrden Kriegslieder eine Maske gewesen sein, die mir sehr schlecht zu Gesicht gestanden htte”. 381 Auch im Geistigen und Sittlichen war G[oethe] keine eigentlich kriegerische Natur. Aber als K  m p f e r hat er sich auf diesen Gebieten freilich Zeit seines Lebens gefhlt. »Denn ich bin ein Mensch gewesen und das heißt ein Kmpfer sein« 382 – so sagt er von sich in einem schnen Gedicht des »West-stlichen Divan«. Aber auch hier verstand er den Kampf in seiner Weise. In den Streit des Tages greift er nicht unmittelbar ein. Das mag man beklagen – aber man soll G[oethe] darum nicht schelten. Denn es hngt mit dem Besten und Grssten in seinem Wesen eng zusammen. Es lag zum grssten Teil daran, daß G[oethe] sich im hheren Alter mehr und mehr entwhnte, berhaupt noch im Augenblick zu leben. Er wurde hellsichtig fr alle Schden der Zeit; aber er wurde auch mehr und mehr weitsichtig – er sah sie nur noch wie aus weiter Ferne. Er rechnete nicht mehr mit Jahren oder Jahrzehnten, sondern mit Jahrhunderten, ja mit Jahrtausenden. “Wer nicht von 3000 Jahren, Sich weiß Rechenschaft zu geben, Bleib[’] im Dunkel unerfahren, Mag von Tag zu Tage leben[” –] 383 so schließt ein Gedicht des West-stl[ichen] Divan. Wer so dachte und empfand, – der konnte nicht mehr direkt auf den Tag einwirken. G[oethe] wusste dies – und er leistete hier bewusst Verzicht. Er wollte weltgeschichtlich sehen und urteilen – und er erwartete sein Urteil allein von der Weltgeschichte. »Wer1 in der Weltgeschichte lebt – Dem Augenblick sollt er sich richten? Wer in die Zeiten schaut und strebt – Nur der ist wert zu sprechen und zu dichten«[.] A384 1

A

»Wer] am Rand: [WA, Bd.] 3, [S.] 230[.]

dichten«.] danach zwei vertikale Schlußstriche und Pfeil nach unten weisend

Letzte Vorlesung A (12. III.41) Die Bezeichnung: “ d e r j u n g e G o e t h e ” dient jetzt ganz allgemein als Ausdruck fr jenen ersten Lebensabschnitt, der mit G[oethe]’s Ankunft in Weimar schliesst. Auch ich habe, im Titel dieser Vorlesungsreihe, diese Bezeichnung gewhlt: denn es wre zwecklos gewesen, einen Sprachgebrauch zu ndern, der sich nun einmal fest eingebrgert hat. Aber an und fr sich erscheint mir dieser Sprachgebrauch keineswegs unbedenklich. Als G[oethe], im September 1775, in Weimar eintrifft, ist er 26 Jahre alt. Drfen wir wirklich die Jugend eines Menschen – und eines so unerschpflich-reichen und produktiven Menschen, wie G[oethe] es ist – in diesem Zeitpunkt enden lassen? Fehlt allem, was G[oethe] spter geschaffen hat, die Kraft und der Zauber der Jugend? Es hat wirklich Litteraturhistoriker gegeben, die so geurteilt haben. “Diesseits von Weimar” – so lautet der Titel eines Buches, das Carl Weitbrecht im Jahre 1895 verffentlicht hat. »Diesseits von Weimar«, nicht jenseits – das ist die These des Buches – mssen wir den eigentlichen, den wahren Goethe suchen. Alles was spter gekommen ist, hat die ersten jugendlichen Schpfungen G[oethe]’s nicht wieder erreicht. Wre es nicht besser gewesen – so fragt Weitbrecht – wenn G[oethe] bei diesen verheissungsvollen Anfngen stehen geblieben wre – wenn er weiter Werke gleich dem Gtz oder Werther geschaffen htte? Aber wer so denkt, der urteilt meines Erachtens sehr kurzsichtig. Er bersieht etwas, was fr G[oethe]’[s] geistiges Wesen und fr seine Dichtung wesentlich ist. Alle großen Dichtungen G[oethe]’s sind Offenbarungen seines Lebens – und sie sind gewissermassen Geschenke, die das Leben ihm darbrachte. Zu erwarten oder zu wnschen, daß Goethes Dichtung in einer bestimmten, noch so vollkommenen Phase stehen geblieben wre, heißt daher fordern, daß in seinem L e b e n ein solcher Stillstand eingetreten wre. Eine solche Forderung ist offenbar widersinnig. Eine Natur wie diejenige G[oethe]’s wiederholt sich nicht und sie erschpft sich nicht. Sie wchst und reift allmhlich – und sie ist neu in jedem Augenblick. Der Werther konnte nur e i n m a l sein – ebenso wie die »Rmischen Elegien«, die Wahlverwandtschaften, der West-stliche Divan nur einmal sein konnten. Die Grsse von Goethes dichterischem Genie besteht eben darin, daß es sich in a l l e n Lebensphasen bekundet und daß es fr jede von ihnen die ihr gemße poetische Form schafft. Goethes Jugend ist nur e i n Ton B in der großen Harmonie seines Daseins. C Wir wollen daher nicht in jenen Fehler verfallen, den Letzte Vorlesung] im Ms. hervorgehoben Ton] danach gestrichen: – wenn auch vielleicht der schnste Ton – C Daseins.] ber gestrichen: Lebens A B

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G[oethe] selbst so kstlich parodiert hat, als er die Baccalaureus-Szene im 2ten Teil des Faust schuf[:] »Gewiss! das Alter ist ein kaltes Fieber« – so ruft hier der Baccalaureus aus – [»]Im Frost von grillenhafter Not. Hat einer dreissig Jahr vorber, So ist er schon so gut wie tot. Am Besten wrs Euch zeitig tot zu schlagen!« 385 G[oethe] ist der lebendige Gegenbeweis gegen diese Auffassung von Jugend und Alter. Sein Alter erstrahlt in einem andern Licht, als seine Jugend – aber das Licht in ihm ist nicht erloschen[.] A nicht erloschen.] danach unter Hlfte der Seite und verso Seite: leer; es folgen dann auf drei Blttern (38-40) einleitende Bemerkungen, die den gleichen Gedankengang, z. T. textidentisch darlegen wie der Anfang der oben wiedergegebenen Sechsten Vorlesung – Rckblick und Ausblick (s. im vorl. Bd., S. 205-206). Der Text der hier eingelegten Bltter endet mit den Worten Wir alle und schließt somit auch an den Text der sechsten Vorlesung an (S. 220 im vorl. Bd.). Danach ist die untere Hlfte der Seite (Bl. 40), sowie auch die verso Seite, leer. Ich will mich daher in den heutigen, abschliessenden Betrachtungen nicht auf unser eigentliches Thema, auf die Welt des j u n g e n G o e t h e beschrnken. Ich will vielmehr versuchen, noch einmal das auszusprechen, was ich persnlich als das Wesentliche und als das eigentlich-Charakteristische von Goethes G e s a m t l e i s t u n g empfinde. Zu Beginn dieser Vorlesungen habe ich ein Wort zitiert, das G[oethe] einmal gegen Ende seines Lebens am 5. Jan[uar] 1831 zu dem Kanzler von Mller gesprochen hat. »Wer meine Schriften und mein Wesen berhaupt verstehen gelernt hat« – so hat er gesagt – [»]der wird doch bekennen mssen, daß er eine gewisse innere Freiheit gewonnen«. 386 Worin besteht diese innere Freiheit – und in welcher Weise bewhrt und beweist sie sich in all den so mannigfaltigen und verschiedenartigen geistigen Gebieten, die G[oethe] im Lauf seines Lebens berhrt hat? Beginnen wir hier, wie es sich gebhrt, mit dem Gebiet der Dichtung. Auch hier hat G[oethe], wie Sie sich erinnern, ausdrcklich erklrt, daß er niemals als M e i s t e r habe auftreten wollen: wohl aber drfe er sich den B e f re i e r d e r D e u t s c h e n , insbesondere der jungen deutschen Dichter nennen: denn an seinem Beispiel seien sie gewahr geworden, daß, wie der Mensch von innen heraus leben, der Knstler von innen heraus wirken msse, indem er, gebrde er sich, wie er will, immer nur sein Individuum zutage frdern wird. Aber es ist nicht ganz leicht, dieses Wort zu interpretieren. Denn – so wird man vielleicht fragen – wie kann G[oethe] dieses Leben von innen heraus und dieses Wirken von innen heraus als denjenigen Zug bezeichnen, der ihm eigentmlich ist und der ihn von andern Knstlern unterscheidet? Haben nicht a l l e großen Knstler in dieser Weise gewirkt und geschaffen? Braucht er hier einen besonderen Befreiungsprozess – ist die Kunst, die wahrhaft große Kunst, nicht immer f re i e K u n s t gewesen? Worin liegt also das Neue, das G[oethe] hier gebracht hat? Die Antwort hierauf lsst sich in einem einzigen praegnanten und charakteristischen Wort Goethes geben. »Poetischer Gehalt« – so sagt er – »ist Gehalt des Lebens.[«] 387 Das eigene Leben wird als Maßstab der knstlerischen Wahrheit A

Letzte Vorlesung

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Und nun: A – neben der Dichtung, der Naturforschung, der Ethik: das letzte große Gebiet – das Gebiet der Religion. Von ihm haben wir in der letzten B Stunde ausfhrlich gesprochen – und auf die Probleme, die hier erklrt. Was persnliche Wahrheit hat, das hat auch knstlerische Wahrheit – was dieser individuellen persnlichen Wahrheit ermangelt, das kann – [zweiter Gedankenstrich nach Streichung stehengeblieben] auch wenn es nach den hchsten Zielen greift und das objektiv-Grsste gestaltet – niemals zur eigentlichen knstlerischen Vollkommenheit gelangen. Denn nicht durch die Art des G e g e n s t a n d s , durch den S t o f f , der behandelt wird[,] wird diese Vollkommenheit bestimmt. Von allen stofflichen Maßstben hat sich Goethes Kunst frei gemacht. Die Aesthetik des 17ten und 18ten Jahrhunderts, insbesondere die klassische franzsische Aesthetik, lehrte, daß es bestimmte Gegenstandskreise und bestimmte Stoffkreise gebe, die an sich, durch ihre Natur, der knstlerischen Behandlung wrdig seien, whrend andere davon ausgeschlosssen seien. Nur das Edle, Erhabene, Heroische darf die große Kunst berhren und gestalten – und nur das Allgemeine soll sie aussprechen. Das Gewhnliche und Alltgliche, das Besondere und Individuelle muß ihr fremd bleiben – es ist unter der Wrde der großen Kunst. D i e s e Art von Idealitt und Idealisierung, von “Verschnerung” des Lebens durch die Kunst, kennt Goethe nicht mehr. Fr ihn steht fest, daß die wahre Idealitt der Kunst aus dem Subjekt, nicht aus dem Objekt[,] aus der Persnlichkeit des Knstlers, nicht aus dem Gegenstand[,] den er ergreift[,] herstammt [aus dem Subjekt ... herstammt] ersetzt gestrichen: von innen nicht von aussen stammen kann]. Fr Goethes Kunst kommt es lediglich auf die Tiefe, die Intensitt, die Echtheit des Gefhls an – nicht auf das, wa s gefhlt oder ausgesprochen wird. Der Wert des »Was« tritt ganz zurck – nur das W i e entscheidet: die [Lesung unsicher, vielleicht: Die] Art der dichterischen G e s t a l t u n g , nicht das, was gestaltet wird, hat knstlerische Bedeutung. Machen wir uns dies an einem ganz einfachen Beispiel klar, dem sich hundert gleichartige aus G[oethe]’s Dichtung an die Seite stellen lassen. Wir alle bricht ab; die untere Hlfte der Seite und verso (40v) sind leer. Hiernach folgt ein loses Blatt (41rv), das mit Bl. 46v-47r (im vorl. Bd., S. 226-227) weitgehend textidentisch ist: Auch hier sollte es sich um die Begrndung [ber gestrichen: Verkndung] einer reinen M e n s c h h e i t s re l i g i o n handeln; ihr Prophet und Verknder trgt den Namen H u m a n u s . 388 Aber das Ideal, das Humanus in diesem Gedicht verkndet, ist von anderer Art als das, was wir in der Ode Prometheus hren. Es verlangt von den Menschen gleichfalls die innere Selbstbefreiung – aber diese kann, wie jetzt ausgesprochen wird, nicht durch den titanischen Trotz erreicht werden, der alle Schranken durchbricht und jede Hlfe verschmht. Nur die Kraft, die sich selbst eine Grenze zu setzen weiss, nur die Fhigkeit der Selbstbestimmung, die immer zugleich Selbstbeschrnkung ist, kann die wahre Freiheit hervorbringen. Das unterscheidet, wie Humanus lehrt, die Kraft im Menschen von der [Ms.: denen] der Natur. Jede Naturkraft wirkt, wie es ihrer Grsse und Richtung entspricht. Sie kann durch andere Krfte gehemmt oder vernichtet werden; sie kann auf Widerstnde stoßen, an denen sie scheitert; aber sie kann sich selber keine Grenze setzen. Nur der Mensch ist hierzu fhig – und er ist hierzu berufen. Der Mensch befreit sich, indem er sich selbst b i n d e t – und indem er sich, kraft dieser Bindung, berwindet: [A B vgl. S. 224]

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errtert wurden, wollen wir hier nicht zurckkommen. Wir fragen nur das Eine: – hat auch hier Goethe als B e f re i e r wirken knnen? Hier stoßen wir freilich auf eine der schwierigsten Fragen, (die wir hier nicht mehr in Angriff nehmen knnen). Das Problem von F re i h e i t u n d N o t we n d i g k e i t gehrt zu den tiefsten Problemen der Philosophie und zu den eigentlichen M y s t e r i e n der Religion. Jahrhundertlange, nie abbrechende Kmpfe sind um dieses Problem gefhrt worden. Im Gebiet der Religion und in dem der theologischen Dogmatik gibt es zwei Antworten auf diese Grundfrage, die sich diametral entgegenstehen. Die eine besagt, daß der Mensch durch den Sndenfall fr immer die Freiheit seines Willens verloren habe. Er ist der Verderbnis, der Snde anheimgefallen – und er kann sich aus eigener Kraft nicht erlsen. Die Erlsung muss aus einer anderen Quelle kommen – sie kann nur durch die gttliche Gnade gewhrt werden. Und diese Gnade ist ein freies Geschenk der gttlichen Allmacht. Sie wird dem einen gegeben, dem andern verweigert – und die Grnde, aus denen dies geschieht, sind fr den Menschen unerforschlich. Es ist schon Frevel, nach diesen Grnden zu fragen: denn der Wille Gottes ist unumschrnkt, absolut – er ist nicht an das gebunden, was wir Menschen »Grnde« nennen. Der Mensch kann die gttliche Gnade nicht durch sein Tun, durch seine Werke ve r d i e n e n – und ebensowenig empfngt er sie auf Grund einer bestimmten Qualitt seines Willens. Denn a l l e r Wille des Menschen ist verderbt – ist radikal bse. 389 Das ist die Lehre von der gttlichen Gnade und von der Unfreiheit des menschlichen Willens, wie sie zu Beginn des Mittelalters durch Au g u s t i n aufgestellt worden ist – und wie sie seither durch die Jahrhunderte und Jahrtausende weiter gewirkt hat. In der neueren Zeit ist sie durch Luther, durch Calvin, durch Jansenius erneuert worden, und sie hat [“]Denn alle Kraft dringt vorwrts in die Weite, Zu leben und zu wirken hier und dort; Dagegen engt und hemmt von jeder Seite Der Strom der Welt und reisst uns mit sich fort: In diesem innern Sturm und ussern Streite Vernimmt der Geist ein schwer verstanden Wort: Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, Befreit d e r Mensch sich, der sich berwindet.” 390 Es gibt nach G[oethe] keine wahrhafte Selbst b e f re i u n g des Menschen, die nicht eine große Selbst  b e r w i n d u n g in sich schliesst: “wer sich nicht selbst befiehlt”[,] bleibt stets ein Knecht[.] 391 [Fortsetzung v. S. 223] Und nun:] darber in Bleistift: Zeit? B letzten] am Rand in Bleistift: (Religion G[oethes]?) A

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in dieser Erneuerung den Lauf der religisen Entwicklung und der theologischen Dogmatik bestimmt. An Gegnern hat es ihr freilich nie gefehlt: das beweisen die Kmpfe, die Augustin gegen Pe l a g i u s , 392 die Luther gegen E r a s m u s 393 gefhrt hat. Fassen wir hier G[oethe] ins Auge – so ergibt sich zunchst das Eine, daß er in diesem großen Kampfe nicht auf der Seite von Augustin oder Luther, sondern auf der Gegenseite steht. Er streitet fr das Urrecht der menschlichen Freiheit, und er glaubt nicht, daß sie den Menschen durch irgend einen Sndenfall genommen werden kann. Die Lehre vom »radikalen Bsen« 394 hat G[oethe] stets mit Entschiedenheit abgelehnt – als Kant sie in seiner Religionsschrift, in einem freilich vernderten und modifizierten Sinne, zu erneuern schien, wandte er sich auch von Kant, fr den er eine hohe Bewunderung und Verehrung fhlte, A unwillig ab. 395 (Wir haben an der Analyse der Faust-Dichtung und an der des »Prometheus« gesehen, was G[oethe] dieser Lehre entgegenstellte.) Keine fremde Macht kann den Menschen erlsen, wenn er sich nicht selbst erlst. Der Befreiungskampf der Menschheit muss von ihr selbst gefhrt und durchgefhrt werden. “Nur der verdient die Freiheit sich und Leben, der tglich sie erobern muss.” 396 Die “Liebe von oben”, 397 die gttliche Gnade nimmt an diesem Kampfe Teil und sie kann dem Menschen Hilfe gewhren – aber sie kann dem Menschen den Kampf nicht ersparen und abnehmen. Nur das eigene Streben und der eigene Wille kann ihn zum Ziele fhren. Das ist es, was der Chor der Geister am Schluß des zweiten Teiles des Faust ausspricht: “Gerettet ist das edle Glied Der Geisterwelt vom Bsen: ‘Wer immer strebend sich bemht, Den knnen wir erlsen.’ Und hat an ihm die Liebe gar Von oben Theil genommen, Begegnet ihm die selige Schar – Mit herzlichem Willkommen”[.] 398 ^Aber B hier tritt nun ein a n d e re s Moment hinzu, das fr G[oethe]’s Auffassung des Verhltnisses von F re i h e i t u n d N o t we n d i g k e i t von entscheidender Bedeutung ist. Der A n f a n g der Befreiung besteht nach G[oethe] darin, daß der Mensch sich entschlossen auf sich selbst stellt; daß er nicht die Hlfe berirdischer Mchte erwartet, sondern daß er dem eigenen Willen und der eigenen Kraft vertraut. Als Symbol fr diesen Prozess der M  n d i g we r d u n g d e s M e n s c h e n hat G[oefr den ... Verehrung fhlte,] am Rand und dieser Stelle angeschlossen ^Aber] eckige Klammer mit Tinte geschrieben; keine schließende Klammer; daneben am Rand in Tinte geschrieben und mit Bleistift zweimal durchgestrichen: ^ & Nb[.]: das Folgende / nur fr L u n d ! 399

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the]’s Dichtung die Gestalt des Prometheus geschaffen. Prometheus lehnt sich gegen die Herrschaft des Zeus und der olympischen Gtter auf. Sein Leben soll seine e i g e n e Schpfung sein – und alles, was es ihm gewhren kann, will er sich selbst verdanken. Nur die Zeit und das Schicksal – keine fremde gttliche Macht will er als Herr ber sich anerkennen: A Wer half mir wid[er] der Tit[anen] bermuth – Wer rettete – [vom Tode mich, Von Sklaverei?] Hast Du nicht alles selbst vollendet, Heilig glhend Herz? B400 so ruft er dem Zeus zu. Das ist das Aufbumen der wilden t i t a n i s c h e n K r a f t , die kein Gebot ber sich anerkennt. Aber dieser T i t a n i s m u s ist niemals die eigentliche und einzige Religion G[oethe]’s gewesen. Er bedeutet nur den Anfang, nicht das Ende. Schon in der Jugend Goethes hren wir bei ihm andere Motive und andere Tne. Denn schon hier hat Goethe ein großes religises Gedicht geplant, dem er den Titel: »Die Geheimnisse« gegeben hat. Dieses Gedicht ist leider Fragment geblieben, aber seinen Plan knnen wir deutlich erkennen. C Auch hier sollte es sich um die Begrndung einer reinen M e n s c h h e i t s re l i g i o n handeln. Ihr Prophet und Verknder trgt in dem Gedicht den Namen: H u m a n u s . 401 Aber Humanus verkndet nicht nur eine Religion anerkennen:] danach gestrichen: »Ich Dich ehren wofr?« 402 Wer half mir ... Herz?] am Rand C erkennen.] danach gestrichen: Und nun das l e t z t e der großen geistigen Gebiete, die G[oethe] berhrt hat: neben der D i c h t u n g , der N a t u r forschung, der Ethik: die R e l i g i o n . Von ihr haben wir in der letzten Vorlesungsstunde eingehend gesprochen, – und ich will auf das dort Gesagte nicht wieder zurckkommen. Nur die e i n e Frage sei noch gestellt: hat auch hier G[oethe] als B e f re i e r bewirkt – und was ist der Sinn dieser Befreiung? G[oethe]’s Religion erscheint auf den ersten Blick – insbesondere wenn wir seine Jugendwerke betrachten und befragen – als Religion des bermenschentums, des T i t a n i s m u s . Dem Menschen – so lehrt sie – kann die Befreiung und Erlsung nicht von aussen, durch irgend eine bernatrliche Hlfe, zu Teil werden: er muss vielmehr diese Erlsung s e l b s t vollbringen. Sein Schicksal ruht in seiner Hand; sein Leben soll seine eigene Schpfung sein. Als poetischen Ausdruck fr diese Gesinnung hat G[oethe] den Faust und den Prometheus geschaffen. »Wer half mir wider der Titanen bermut« – so ruft P[rometheus] dem Zeus zu – wer rettete vom Tode mich, von Sklaverei? – Hast Du nicht alles selbst vollendet – Heilig glhend Herz?« 403 [Fragezeichen in Bleistift hinzugefgt] Aber dieses trotzige Freiheitsgefhl des Menschen, dies Aufbumen der titanischen Kraft, die kein Hheres ber sich anerkennt, ist nur die e i n e Seite von G[oethe]’s Religion. Es bedeutet nur den Anfang, nicht das Ende. Nicht erst im zweiten Teil des Faust, sondern schon in der Jugend G[oethe]’s hren wir bei ihm andere Motive und andere Tne. Denn schon hier hat G[oethe] ein großes religises Gedicht geplant, dem er den Titel: » D i e G e h e i m n i s s e « gegeben hat. Es ist leider Fragment geblieben – aber seinen Plan knnen wir deutlich erkennen. A B

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der Selbstbefreiung, sondern auch der Selbstbezwingung. Beides ist nach ihm ein[s]: nur aus der inneren B i n d u n g kann die wahrhafte Freiheit erwachsen. Das unterscheidet, wie Humanus lehrt, die Kraft im Menschen von den Krften der Natur. Jede Naturkraft wirkt, wie es ihrer Grsse und Richtung entspricht. Sie kann sich selbst keine Grenze setzen; sie kann nur von aussen bezwungen und berwunden werden. Der Mensch aber ist dazu berufen, dieses Werk der Selbstbezwingung zu vollziehen. Denn alle Kraft dringt vorwrts in die Weite, Zu leben und zu wirken hier und dort; Dagegen engt und hemmt von jeder Seite Der Strom der Welt und reisst uns mit sich fort: In diesem innern Sturm und ussern Streite Vernimmt der Geist ein schwer verstanden Wort: Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, Befreit der Mensch sich, der sich berwindet[.] 404 Halten wir uns dies alles gegenwrtig, so sehen wir, wie G[oethe]’s Denken, Schaffen und Wirken bei all seiner unbersehbaren Mannigfaltigkeit, eine großartige Einheit und Geschlossenheit besitzt. Ob wir ein kleines lyrisches Gedicht von Goethe lesen, oder ob wir uns in eine Komposition wie den Faust oder den Wilhelm Meister versenken, ob wir ihm als Naturforscher auf seinen Wegen folgen oder ob [wir] uns in seine Altersweisheit vertiefen, die [sich] an die letzten Geheimnisse des Menschenlebens richtet – berall begegnen wir d e m s e l b e n Goethe und berall haben wir im Grunde A den g a n z e n Goethe vor uns. Wir empfinden dies alles als symbolisch: als Gleichnis und Ausdruck fr G[oethe]’s Persnlichkeit. Nichts davon mchten wir missen – aber wir fhlen zugleich, daß all dies nur besondere Manifestationen, Offenbarungen eines AllUmfassenden ist, das wir mehr ahnen, als daß wir es bestimmt bezeichnen knnten. Wollen wir es zu bezeichnen versuchen, so mssen wir auch hier nach einem Symbol greifen. Als G[oethe] sich, in der Zeit des West-stlichen Divan, den Studien der orientalischen Religionen zuwandte – da hat er sich insbesondere von der lteren persischen Religion lebhaft angezogen gefhlt. Es ist jene Religion, wie sie in den heiligen Schriften des Awesta und in der Verkndung durch B Zarathustra vorliegt. 405 Eines der schnsten Divan-Gedichte, das “Vermchtnis des alten Parsen” gibt eine Darstellung dieses altpersischen Glaubens – und auch in den Noten und Abhandlungen zum Divan hat G[oethe] eine knappe Schilderung von ihr im Grunde] mit Bleistift hinzugefgt durch] danach gestrichen: Z o ro a s t e r (oder; schließende runde Klammer nach Zarathustra stehengeblieben

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entworfen. 406 Vertiefen wir uns in die Quellen dieser Religion, so begegnen wir hier einer merkwrdigen Vorstellung. Die Welt und der Mensch sind hervorgegangen aus den Hnden eines allgtigen Wesens – aus den Hnden des Ahura Masda – des weisen Herren. Aber Ahura Masda ist nicht allmchtig – wie es Gott in den Religionen des Monotheismus, im Judentum und Christentum ist. Ihm steht ein feindliches Prinzip entgegen, das mit ihm um die Herrschaft ringt. A h r i m a n , der Dmon der Finsternis, bricht pltzlich in die Schpfung Ahura Masdas ein, um sie zu vernichten. Und nun entbrennt zwischen beiden ein furchtbarer Kampf, der erst am Ende der Tage enden wird. – Erst nach Tausenden und Abertausenden von Jahren wird der Sieg entschieden, wird das Reich des Lichtes gesichert sein: Gegenwrtig aber steht die Menschheit noch mitten in der Kampfzeit – in dem Streit zwischen Gut und Bse, zwischen Licht und Finsternis. 407 Und nicht Gott A allein ist B es, der diesen Kampf fhrt C. Der Gott des Guten D knnte den Sieg nicht gewinnen, wenn ihm nicht die Hlfe und Mitwirkung der Menschen zu Teil wrde. Vor allem ist es eine auserlesene Schar: die Mnner des Asha, die Glubigen und Rechtdenkenden, die zu dieser Mitwirkung berufen ist. Sie wird endlich das grosse Werk vollenden – sie wird den Sieg des Lichtes ber die Finsternis sichern. Versetzen wir uns in diese schne religise Vorstellungsweise, so mssen wir sagen, daß G[oethe] E einer der Grssten aus dieser erlesenen Schar, aus der Schar der Streiter fr das Licht ist[.] Von ihm geht eine L e u c h t k r a f t aus, wie sie nur wenigen Gestalten der Weltgeschichte eigen ist. Er selbst hat sein Wesen immer in dieser Weise als licht- und sonnenverwandt empfunden. “Fragt man mich[”] – so hat er einmal zu Eckermann gesagt –1 [“]ob es in meiner Natur sei, der Sonne anbetende Verehrung zu erweisen, so sage ich: durchaus! Denn sie ist eine Offenbarung des Hchsten, und zwar die mchtigste, die uns Menschenkindern wahrzunehmen vergnnt ist. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch wir allein leben, weben und sind.” 408 Der Kult der Sonne und die Verehrung des Lichts F ist ja berhaupt eine 1

zu Eckermann gesagt –] am Rand: 11[.] Mrz 1832[.]

Gott] ber gestrichen: die Gtter ist] ber gestrichen: sind C fhrt] danach gestrichen: und die ihn entscheiden knnen D Guten] Guten, danach gestrichen: Ahura Mazda, E daß Goethe] danach gestrichen: eine der strksten Krfte in diesem ewigen Widerstreit zwischen Licht und Dunkel F Kult der Sonne ... Lichts] ersetzt gestrichen: Kampf zwischen Licht und Dunkelheit, der in der Altpersischen Religion einen so typischen und klassischen Ausdruck gefunden hat, A B

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ganz universelle und uralte religise Vorstellung: er gehrt zu jenen Urmotiven religisen Glaubens, den wir ber die ganze Erde verbreitet finden. A Auch das Christentum hat dieses uralte heidnische Motiv nicht zu verdrngen vermocht. Als die christliche Religion im rmischen Weltreich zur Herrschaft gelangte – da fand sie hier das Fest eines alten Lichtgottes, das B Fest des » S o l i n v i c t u s « vor. Dieses Fest C der unbesiegten und unbesiegbaren Sonne wurde alljhrlich am Wintersonnwendtag, am 25[.] Dezember gefeiert. Es war so stark im Volksglauben verwurzelt, daß die Kirche es nicht anzutasten und nicht abzuschaffen wagte. Aber sie griff zu einem andern Mittel, um ihm seine Gefahren zu nehmen. Sie liess es bestehen, griff aber zu einer Umdeutung, die seinem alten mythisch-heidnischen Sinn einen neuen religis-christlichen Sinn unterlegte. In der alten morgenlndischen Kirche war der Geburtstag Christi am Epiphaniastage, am 4. Januar, gefeiert worden. Jetzt wurde dies gendert: man legte diesen Geburtstag auf den 25[.] Dezember, – auf den Tag des »Sol invictus«[.] Die Feier der Wiedergeburt der Sonne wurde auf Christus bezogen und auf ihn bertragen: – denn Chr[istus] – so erklrte man – ist die wahre g e i s t i g e Sonne der

finden.] findet.; danach z. T. mehrfach gestrichen: Wie stark noch heute in uns dieser Glaube ist [ist ber gestrichen: verwurzelt] und wie tief wir ihn nachzufhlen vermgen: [in Bleistift zwischen den Zeilen: ist mir erst ganz zum Bew[ußtsein] gekommen, als ich vor vielen J[ahren], an den ersten Luciafeiern in Schw[eden] teilnehmen durfte] das knnen wir uns noch alljhrlich bei jedem schwedischen Luciafest, das wir feiern, zu Bewusstsein bringen. B Lichtgottes, das] danach Pfeil verweisend auf die Fortsetzung auf der nchsten Seite; der Rest der Seite wird ausgespart, bzw. ist z. T. mehrfach gestrichen: Fest des &Sol invictus^, der unbesiegbaren Sonne vor, das alljhrlich, wie einem Luciafest, in der zweiten Hlfte des Dezember gefeiert wurde. Das Christentum hat auch dieses Fest, wie so viele andere heidnische Feste, bernommen, indem es ihm nur eine andere Deutung gab: es verlegte es auf den 24. Dezember, den Geburtstag Christi, der das eigentliche Heil und die Gnadensonne der Welt sei: Heute, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], ist uns dies alles vielleicht nher gerckt und leichter zugnglich als je zuvor. Denn niemals zuvor haben wir so deutlich gefhlt, daß wir mitten in einer furchtbaren Kampfzeit stehen. Und das Dunkel um uns wird so undurchdringlich und lastet so schwer auf uns, daß wir oft am Sieg des Lichts verzweifeln mchten. Aber fr mich gengt immer wieder die Versenkung in das Lebenswerk Goethes, um solche Zweifel zu zerstreuen. Goethe hat uns in der “Zueignung”, die er an die Spitze seiner Werke gestellt hat, gesagt, wie wir seine Dichtung lesen sollen. Er spricht hier von dem Schleier der Dichtung, den er aus der Hand der Wahrheit empfangen hat; bricht ab C Dieses Fest] davor: Wiederholung des Textes (Fest des » S o l i n v i c t u s ), um den Anschluß anzuzeigen A

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Welt A [,] “Sonne der Gerechtigkeit”, sol justitur. B Auf diese Weise ist unser heutiges Weihnachtsfest entstanden. Seine Entstehung ist im einzelnen erzhlt worden in einem schnen Aufsatz des Philologen und Religionshistorikers Hermann U s e n e r [,] der den Titel »Sol invictus« fhrt. C Heute, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], ist uns das große Drama, das sich stndig zwischen Licht und Finsternis abspielt, nher gerckt als je zuvor. Niemals haben wir so deutlich gefhlt, daß unsere gesamte Kultur noch mitten in jener Zeit steht, die der alte persische Glaube die “Kampfzeit” 409 nannte. Und das Dunkel um uns wird bisweilen so undurchdringlich und lastet so schwer auf uns, daß wir oft am Sieg des Lichts verzweifeln mchten. Aber fr mich gengt immer wieder die Erinnerung an das Lebenswerk G[oethe]’s und die Versenkung in dieses Werk, um solche Zweifel zu zerstreuen. Goethe selbst hat uns in dem herrlichen Gedicht, das er an die Spitze seiner Werke gestellt hat: in dem Gedicht »Zueignung« gesagt, wie er selbst seine Dichtung empfand[.] Die Gttin der Wahrheit ist es, die ihm den Schleier der Dichtung darreicht, und sie lehrt ihn zugleich den Gebrauch, den er von ihm machen soll: Und wenn es Dir und Deinen Freunden schwle Am Mittag wird, so wirf ihn in die Luft! Sogleich umsuselt Abendwindeskhle, Umhaucht euch Blumen-Wrzgeruch und Duft. Es schweigt das Wehen banger Erdgefhle, Zum Wolkenbette wandelt sich die Gruft – Besnftiget wird jede Lebenswelle, Der Tag wird lieblich und die Nacht wird helle! 410 M[eine] D[amen] u[nd] H[erren]. Diese Verse Goethes enthalten fr mein Gefhl die schnste und vollstndigste Charakteristik, die er von seiner Dichtung gibt. So oft wir zur Kunst Goethes zurckkehren – immer entlsst sie uns mit der gleichen Empfindung, die sich aus drei verschiedenen Momenten aufbaut. Sie gibt uns eine tiefe innere Ruhe und Sicherheit, eine seelische Beglckung und eine geistige Befreiung. Der Aufruhr

Christus – so erklrte ... Welt] am Rand und hier angeschlossen; ersetzt gestrichen: ist nicht Christus die B sol justitur.] sol justitur? Die Worte sol justitur ersetzen gestrichen: und die Gnadensonne der Welt; das Fragezeichen ist nach der berarbeitung des Satzes stehengeblieben. C »Sol invictus« fhrt.] danach gestrichen: und der jetzt seinem Buche »Das Weihnachtsfest« eingereiht ist. [danach am unteren rechten Rand, gestrichen: Er ist zuerst in einer Fachzeitschrift verffentlicht worden u[nd] spter in Useners Buch “D[as] Weihnachtsfest” bergegangen[.]] A

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der Sinne legt sich[,] A der Sturm der Leidenschaft wird beschwichtigt. B Der Last und dem dumpfen Druck des Daseins fhlen wir uns wie entrckt; das Dunkel in uns und um uns lichtet sich. Wer diese Wirkung von Goethes Dichtung und Goethes geistigem Lebenswerk einmal an sich erfahren hat, der kann sie nie wieder vergessen. Und er wird aus ihr auch immer aufs neue die Zuversicht schpfen, daß das, was Goethe uns gegeben hat, nicht verloren sein kann. C Das Licht, das von ihm ausstrahlt, kann und wird nicht verlschen: – S o l i n v i c t u s !

Der Aufruhr der Sinne legt sich,] ersetzt gestrichen: »Es schweigt das Wehen – die Nacht wird helle« B beschwichtigt.] beschwichtigt; Semikolon nach nderung stehengeblieben, danach: der Last gendert in: Der Last C kann.] danach gestrichen: Der Sieg des Lichtes wird kommen und muss kommen A

G O E TH E S G E ISTI G E L EI ST U NG [Vorlesungen gehalten im Mrz 1941 vor der Vetenskaps-Societeten i Lund]

[GEN MSS 355, Box 1]

GOETHE-VORLESUNGEN, LUND, M RZ 1941

Erste Vorlesung: A Von Goethe soll ich in diesen Vorlesungen zu Ihnen sprechen – und die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, besteht nicht darin, e i n z e l n e Probleme aus seiner Lebensgeschichte oder aus seiner Entwicklung als Dichter und als Denker herauszugreifen, sondern das G a n z e seiner geistigen Leistung zu beleuchten. Daß dies nicht nur eine schwierige, sondern eine im Grunde unlsbare Aufgabe ist, fhle ich – und Sie, m[eine] D[amen] & H[erren], fhlen es mit mir. Es liegt mir daher daran, sogleich von Anfang an das Thema zu begrenzen. Ich muss Ihnen deutlich und bestimmt zu sagen versuchen, was Sie von diesen Vorlesungen erwarten drfen und was Sie n i c h t erwarten drfen. Es wre durchaus natrlich, wenn Sie von mir erwarteten u[nd] verlangten, daß ich eine p h i l o s o p h i s c h e Vorlesung ber G[oethe] halten sollte. G[oethe]’s Philosophie, G[oethe]’s Weltanschauung: das ist in der Tat ein grosses und schnes Thema – und ein Thema, in das auch ich mich immer wieder zu vertiefen gesucht habe. Aber hier muss ich von der Behandlung dieses Themas absehen. Denn um es in fruchtbarer und grndlicher Weise zu behandeln, msste ich berall vom konkreten Material ausgehen – und dieses Material ist von einer schlechthin unerschpflichen Flle. ^ Wir mssten uns hierfr nicht nur in Goethes D i c h t u n g vertiefen; wir mssten auch seine gesamte theoretische Arbeit: seine Schriften zur Litteratur, zur bildenden Kunst und vor allem seine gesamte n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e Arbeit heranziehen. Ein wirkliches Verstndnis dessen, was man »die Philosophie« G[oethe]’s nennen kann, lsst sich nicht gewinnen, ohne daß man sich stndig das Ganze dieser Arbeit vor Augen hlt, – ohne daß man weiss, was der Fo rs c h e r G[oethe] im Gebiet der Farbenlehre, der vergleichenden Anatomie, der Morphologie, der Geologie B geleistet hat. & Diesen gewaltigen Stoff knnen wir hier nicht anzugreifen wagen – und so muss ich denn, obwohl ungern, auf eine eigentliche und strenge p h i l o s o p h i s c h e Betrachtung von G[oethe]’s Werk verzichten. Es scheint somit nur brig zu bleiben, daß wir uns als Philologen oder Litteraturhistoriker mit G[oethe] beschftigen – daß wir G o e t h e P h i l o l o g i e treiben. Aber auch dies kann und will ich hier nicht versuchen. M[eine] D[amen] u[nd] H[erren]: es sind nun fast fnfzig Jahre her, daß ich A B

Goethe-Vorlesungen ... Erste Vorlesung:] im Ms. hervorgehoben, linksbndig Geologie] danach gestrichen: und Mineralogie

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[Goethes geistige Leistung]

mich, als junger Student der Litteraturgeschichte, mit Goethe-Problemen zu beschftigen begann. 411 In dieser meiner ersten Studienzeit hatte die Wissenschaft der G[oethe]-Philologie ihren Hhepunkt erreicht. Es galt damals A als ein feststehendes Dogma, daß Keiner dazu berechtigt und berufen sei, ber G[oethe] zu sprechen, der sich nicht mit allen Resultaten und allen Methoden der G[oethe]-Philologie vertraut gemacht htte und sie vollstndig beherrschte. Ausserhalb dieser Methoden schien es kein Heil fr die wissenschaftliche Forschung zu geben. Heute ist dies grndlich anders geworden. Die G[oethe]-Philologie hat nicht nur ihren alten Glanz und Ruhm verloren, sondern man hat sich auch vielfach daran gewhnt, auf alles, was sie erstrebt und was sie geleistet hat, mit einer gewissen Geringschtzung herabzusehen. Mir erscheint, wenn ich in dieser Hinsicht eine Meinung ussern darf, weder das eine noch das andere Urteil berechtigt. Die G[oethe]-Philologie hat oft zum Spotte herausgefordert, weil sie die “Andacht zum Kleinen” 412 nicht selten bis zum ussersten trieb. Sie erstickte bisweilen in der Flle des Stoffes und sie verschonte uns mit keinem noch so belanglosen Detail. B Aber sie hat eine grosse wissenschaftliche Leistung vollbracht, die man ihr nicht vergessen darf. Sie allein war im stande, den Schatz zu heben, der, noch ber 50 Jahre nach G[oethe]’s Tode, im Goethehaus in Weimar verschlossen ruhte. Der gesamte Nachlass G[oethe]’s war bis zum Jahre 1885 vllig unzugnglich. Er wurde von den Enkeln Goethes, Wolfgang u[nd] Walther v[on] G[oethe], eiferschtig gehtet – und Niemandem war der Einblick in ihn gestattet. Das wurde erst anders, als Walther v[on] G[oethe] am 18[.] April 1885 starb. In seinem Testament hatte er die Grossherzogin Sophie von Sachsen-Weimar zur Erbin des gesamten G[oethe]’schen Nachlasses eingesetzt, die sofort beschloss, auf Grund des nun erschlossenen Materials, die e r s t e g ro s s e k r i t i s c h e G e s a m t a u s g a b e vo n G [ o e t h e ] ’ [ s ] We r k e n ins Leben zu rufen. C Wer wie ich, noch miterlebt hat, wie diese Aufgabe, im Lauf von Jahrzehnten, bewltigt worden ist – der kann der Wissenschaft, die sie allein zu erfllen vermochte, der kann der Goethe-Philologie seine Achtung und Bewunderung nicht versagen. Jetzt liegt die grosse Weimarer Sophien-Ausgabe in etwa 150 Bnden D abgeschlossen vor uns und sie bildet eines der schnsten und gewaltigsten damals] danach gestrichen: fast Detail.] am Rand ohne Zuweisung zum Text: ^ Aber auf ihre Mithilfe kann Niemand verzichten, der wissenschaftlich in das Werk G[oethe]’s eindringen will. Aber u n s e r Bestreben in diesen Vorles[ungen] soll es sein, nicht die Forschung  b e r Goethe, sondern G[oethe] selbst zum Wort kommen zu lassen[.] Ich wnsche nichts ber ihn zu sagen bricht ab & C rufen.] danach gestrichen: Die Wissenschaft war damit vor eine neue, fast einzigartige Aufgabe gestellt. D in etwa 150 Bnden] zwischen den Zeilen in Bleistift und dieser Stelle zugewiesen A B

Erste Vorlesung

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Monumente der Weltlitteratur A. (Sie umfasst nicht weniger als 153 Bnde: 55 B[nde] Werke, 13 B[nde] Naturw[issenschaftliche] Schriften, 15 B[nde] Tagebcher und 50 Bnde Briefe.) Diese Ausgabe bildet auch fr uns die Grundlage, auf der wir aufbauen mssen; sie ist fr jeden, der sich wissenschaftlich mit G[oethe] beschftigt, unentbehrlich und unersetzlich. Ich werde in diesen Vorlesungen immer wieder auf sie zurckgreifen mssen. Denn ich werde mich bemhen, G[oethe] so viel als mglich s e l b s t sprechen zu lassen. Ich wnsche nichts ber ihn zu sagen, was sich nicht unmittelbar aus seinem Werk belegen lsst. Was die G[oethe]Ph[ilologie] betrifft, so soll und darf hier freilich Nichts B gesagt werden, was zu einem ihr gesicherten Ergebnis C in Widerspruch steht. Aber als Ganzes soll sie doch ausserhalb unserer Betrachtung bleiben – unser Weg muss ein anderer sein als derjenige, den sie D eingeschlagen hat. Aber wenn ich nun weder als Philosoph, noch als G[oethe]-Philologe hier zu Ihnen sprechen will: – was bleibt brig? Nun es bleibt, wie mir scheint, noch etwas sehr Wichtiges und Wesentliches. Ich muss mich entschliessen, rein als G o e t h e - L i e b h a b e r vor Sie hinzutreten und rein als solcher zu Ihnen zu reden. Ich schme mich dieser Liebhaberei nicht – und ich glaube nicht, daß sie mit den Forderungen strenger Wissenschaft unvereinbar ist. G[oethe] selbst hat sich gern einen “Liebhaber” genannt. ^ Auch als D i c h t e r wollte G[oethe] nicht das sein, was man einen “Berufsdichter” – einen Schriftsteller oder Litteraten nennt. Er war es zufrieden, ein “Gelegenheitsdichter” zu heissen[.] “Die Welt ist so gross und so reich” – so hat er einmal zu Eckermann gesagt – “und das Leben1 so mannigfaltig, daß es an Anlssen zu Gedichten nie fehlen wird. Aber es mssen alles Gelegenheitsgedichte sein, das heisst die Wirklichkeit muss die Veranlassung und den Stoff dazu hergeben ... Alle meine Gedichte sind Gelegenheitsgedichte, sie sind durch die Wirklichkeit angeregtund haben darin Grund und Boden. Von Gedichten aus der Luft gegriffen halte ich nichts.” 413 Und ebenso wie als Dichter, so liebte es G[oethe] auch als Denker und als Forscher, seine eigenen Wege zu gehen. Er liess sich von seiner individuellen Weise des Sehens und des Urteilens nicht abdrngen. Er verpflichtete sich keinem Dogma und er wollte auf die Worte keines Meisters schwren.& »Was willst Du, daß zu Deiner Gesinnung 1

das Leben] am Rand: 15[.] Sept[ember] [18]23 – / Gespr[che, Bd.] 3, [S.] 6[.]

und sie bildet ... Weltlitteratur] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen B Was die ... Nichts] in Bleistift ber gestrichen: Und ebensowenig darf hier irgendetwas C Ergebnis] danach gestrichen: der G[oethe]-Philologie D sie] in Bleistift; ersetzt gestrichen: die G[oethe]-Philologie A

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[Goethes geistige Leistung]

Man Dir nach ins Ewige sende?« Er gehrte zu keiner Innung, Blieb Liebhaber bis ans Ende 414 – so lautet ein kleiner Vierzeiler G[oethe]’s. A G[oethe] wollte zu keiner “Innung” – zu keiner bestimmten Zunft oder Schule gehren. Er trat nicht mit einem best[immten] Programm auf und er schwor nicht auf die Worte eines Meisters B[.] Er strebte in der Wissenschaft, in der Kunst, im Leben nach eigener, freier selbstndiger Auffassung. Diese Freiheit mssen auch w i r uns gegenber seinem Lebenswerk bewahren. Gewiss: – dieses Lebenswerk ist so weit und reich, daß es einer Flle des W i s s e n s bedarf, um in dasselbe einzudringen. Wir drfen kein Wissen verschmhen, das uns von irgend einer Seite dargeboten wird – wir wollen aufmerksam sein auf jede usserung G[oethe]’s, die sich in einem Brief, in einer Tagebuchnotiz, in einem Gesprch bietet. All dies kann wichtig und wertvoll sein und unser Verstndnis frdern. Aber all unser Wissen von Goethe bleibt doch immer Stckwerk. Das Letzte und Beste, die eigentliche Synthese kann es uns nicht geben. C Gibt es berhaupt eine solche Synthese, so kann sie nicht aus dem Wissen allein – sie muss aus einer andern Quelle stammen. Der Kraft der Liebe, der D Kraft des Eros allein kann es gelingen, die verstreuten Einzelheiten zur Einheit zusammenzuschauen. G[oethe] selbst hat so gedacht und so empfunden. Wenn es sich fr ihn darum handelte, eine der großen Gestalten der Litteraturgeschichte und der Geistesgeschichte zu begreifen, so berliess er sich dieser Grundkraft. »Was auch als Wahrheit oder Fabel In tausend Bchern Dir erscheint, Das alles ist ein Turm zu Babel, Wenn es die Liebe nicht vereint« so heisst es in G[oethe]’s »Zahmen Xenien«[.] 415 Auch alles, was ich hier sagen will, bitte ich E in d i e s e m Sinne aufzunehmen und es lediglich als Goethe’s.] Goethe’s, danach gestrichen: den Sie in seinen Gedichten – in dem Abschnitt “Zahme Xenien” finden. B Er trat ... eines Meisters] am Rand in Bleistift und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen C nicht geben.] danach gestrichen: Was G[oethe] war, was er gewollt und was er geleistet hat, das erschliesst sich zuletzt doch nur der L i e b e zu seinem Werk. In diesem Sinne soll ich hier also von G[oethe] zu sprechen versuchen. D der] die E Gibt es berhaupt ... bitte ich] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen; das Gedicht (»Was auch ... vereint«) war im Fließtext und wird mit Zeichen dem Text am Rand zugewiesen; der letzte Satz am Rand (Auch alles, ... bitte ich) ersetzt den folgenden gestrichenen Fließtext: Wenn man erwgt, daß tausend und abertausend Bcher ber G[oethe] geschrieben worden sind, wenn man bedenkt, wieviel Seltsames, Abstruses, Unverstndliches ber den Fa u s t gesagt worden A

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Ausdruck einer großen Liebe zu verstehen, die mich fast mein Leben lang begleitet hat. Nicht als Goethe- K e n n e r will ich hier zu Ihnen sprechen, ich spreche nur als Goethe-Enthusiast. Es gibt ein Jugendgedicht G[oethe]’s, das Sie in seinen Werken unter dem Titel »Kenner und Enthusiast« finden. Hier werden, in sehr deutlicher und derber Weise, diejenigen verspottet, die glauben, sich als um so bessere Kenner zu beweisen, je khler und nchterner sie bleiben A . Ein solches Kennertum wollen wir hier nicht anstreben. “Das Beste[,] was wir von der Geschichte haben, ist der Enthusiasmus, den sie erregt.” 416 Auch das ist ein Wort Goethes – und es gilt in ganz besonders hohem Maße, wo es sich um Geschichte der Kunst und um Geistesgeschichte handelt. G[oethe] hat einmal im Alter einen kleinen Aufsatz geschrieben, in dem er sich die Frage stellt, in welchem Verhltnis er eigentlich zu Deutschland B stehe, und was er insbesondere fr die j u n g e G e n e r a t i o n in Deutschland C geleistet habe. “Ein Wort an junge Dichter” – so lautet der Titel dieses Aufsatzes. G[oethe] lehnt hier den Namen eines Meisters der deutschen Dichtung ab. “Unser Meister” – so sagt er – “ist derjenige, unter dessen Anleitung wir uns in einer Kunst fortwhrend ben, und welcher uns, wie wir nach und nach zur Fertigkeit gelangen, stufenweise die Grundstze mitteilt, nach welchen handelnd wir das ersehnte Ziel am sichersten erreichen. In solchem Sinne war ich M e i s t e r von niemand. Wenn ich aber aussprechen will, was ich den Deutschen berhaupt, besonders den jungen Dichtern geworden bin, so darf ich mich wohl ihren B e f re i e r nennen; denn sie sind an mir gewahr geworden, daß, wie der Mensch von innen heraus leben, der Knstler von innen heraus wirken msse, in dem er, gebrde er sich wie er will, immer 1 nur sein Individuum zutage frdern wird.”417 M[eine] D[amen] u[nd] H[erren] – diese wenigen Stze, die in G[oethe]’s Werken an recht versteckter Stelle stehen, gehren fr mein Gefhl zu dem Merkwrdigsten, zu dem Bedeutsamsten und Aufschlussreichsten, was G[oethe] ber sich selbst und ber seine Stellung in der deutschen Geistesgeschichte gesagt hat. G[oethe] hatte das Gefhl, daß er nicht, gleich anderen, durch unmittelbare L e h re gewirkt habe. Er 1

“Unser Meister ... frdern wird.”] am Rand: WA. [Bd.] 422, [S.] 106.

ist, – so hat man wirklich bisweilen das Gefhl, daß die Goethe-Litteratur einem Turm zu Babel gleicht. Hier bleibt nichts brig, als sich wieder in die Liebe zu Goethe zu retten – und ich bitte Sie, alles was ich hier sagen werde A sie bleiben] danach gestrichen: – je weniger sie sich von Gefhl und Begeisterung fortreissen lassen B Deutschland] ersetzt gestrichen: deutscher Dichtung C in Deutschland] eingefgt

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konnte nur als Vorbild, er konnte nur als individuelles B e i s p i e l wirken. G[oethe]’s Erscheinung bedeutet einen grossen Wendepunkt – nicht nur in der Geschichte der Poesie, sondern auch in der Geschichte der geistigen Entwicklung berhaupt. Er stellt neue, bisher unbekannte Normen auf – und alle Maßstbe, die frher gegolten, werden durch ihn in irgend einer Weise verndert und umgestaltet. Aber diese Wandlung vollzieht sich nicht in der Art, daß G[oethe] das grosse Neue, was in ihm wirkt und lebendig ist, als eine bestimmte D o k t r i n aufstellt, – daß er als M e i s t e r auftritt und als solcher allgemeine Regeln und Grundstze statuiert. Was an seinem Werk bedeutsam ist, das lsst sich von seiner Pe r s  n l i c h k e i t nicht ablsen[.] S e i n e Art zu dichten, s e i n e Art zu forschen, s e i n e Art zu leben: dies A wirkt zugleich als ein B Mustergltiges, das zwar keine Nachahmung zulsst, das aber irgend eine Art der NachFo l g e verlangt. ^ Jeder soll und muss diese Folge in s e i n e r Art leisten: denn Goethe verlangt von Niemand die Unterdrckung seiner Eigenart, sondern er will vielmehr den Weg zur E n t f a l t u n g dieser Eigenart weisen. In diesem Sinne bezeichnet er sich als den B e f re i e r der Deutschen. An ihm sollen wir gewahr werden, daß der Mensch sein Leben nicht nach einem usseren Gebot, nicht unter fremdem Druck und Zwang fhren, sondern daß er “von innen heraus” 418 leben msse, wie auch der Knstler “von innen heraus” wirken msse. Dieses schlichte Wort umfasst und besagt fr G[oethe] sehr viel. Es steht nicht allein – er ist vielmehr immer wieder darauf zurckgekommen. & “Wer meine Schriften und mein Wesen berhaupt verstehen gelernt” – so hat er einmal in einem Gesprch mit dem Kanzler von Mller gesagt – “der wird doch bekennen mssen1[,] daß er eine gewisse innere Freiheit gewonnen.” 419 Dieses Wort ist so charakteristisch und so wahr, daß es meines Erachtens auch in seiner Umkehrung gilt. Man kann getrost behaupten, wer im Werk G[oethe]’s diese innere Befreiung n i c h t erlebt hat – der hat dieses Werk nicht verstanden. Er mag sehr viel vo n G[oethe] und  b e r G[oethe] wissen – aber das Beste an ihm hat er nicht erfasst. Das geistig-Beglckende, das von G[oethe]’s Schriften ausstrmt und das selbst ber ihre rein aesthetische, ber ihre knstlerische Wirkung hinausgeht, liegt eben in diesem Zug. Als Knstler ist G[oethe] sicherlich berall gross – aber hier steht er nicht allein. Ich wrde mit Niemand[en] streiten, der erklrt, daß er Aischylos, Dante, Shakespeare noch strkere und tiefere dichterische Eindrcke als G[oethe] verdankt. ^ Aber selbst wenn wir an diese Grossen 1

A B

bekennen mssen] danach am Rand: (5.I.1831)[.]

dies] danach gestrichen: allein als ein] irrtmlich mitgetilgt bei Streichung: als ein Vorbildliches und

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und Grssten denken – so bedeutet, ihnen gegenber, G[oethe]’s Werk, als G a n z e s betrachtet, noch immer etwas Eigentmliches und Unvergleichliches. Von keinem andern Dichter der Weltlitteratur geht eine so universelle geistige Befreiung aus wie von ihm. G[oethe] htte diese grosse Leistung freilich nicht vollbringen knnen, wenn nicht andere ihm den Weg gebahnt htten. Im Kreise der d e u t s c h e n Litteratur hat L e s s i n g als der eigentliche Bahnbrecher gewirkt. Aber Lessing wirkt als Befreier in bestimmten Einzelgebieten. A Er befreit von theologischer Enge und Dogmatik, und er befreit vom falschen Regelzwang eines konventionellen Geschmacks. G[oethe] aber wirkt als Ganzes, als Gesamterscheinung – in seiner Dichtung, in seinem Denken, in seiner Naturforschung, und nicht zuletzt in seiner Lebensfhrung, in der Gestaltung seines persnlichen Daseins – befreiend. B Hier gilt es freilich sogleich zu Beginn einen bestimmten Unterschied zu machen. C In der grossen politischen und nationalen Freiheitsbewegung des Jahres 1813 hat man gegen G[oethe] oft den Vorwurf erhoben, daß er an dieser Bewegung nicht gengend Anteil genommen habe. Er pflegte auf solche Vorwrfe zu erwidern, daß Jeder an seiner Stelle wirken msse. Und s e i n e Mission sah er nicht in der politischen, sondern in der geistigen Befreiung. Hier aber – so erklrte er – brauche er keinen Vergleich zu scheuen. Er habe sich durch das, was er getan und geleistet, so gut den Dank der Nation verdient, wie nur irgend einer der Freiheitskmpfer des Jahres 1813: “Ihr knnt mir immer ungescheut Wie Blchern Denkmal setzen. Von Franzen hat er Euch befreit, Ich von Philisternetzen”[.] 420 Von »Philisternetzen«, von geistigem Druck, geistiger Enge, von Befangenheit, Beschrnktheit und Vorurteil wollte G[oethe] erlsen – und das sah er als den Sinn seines Lebenswerkes an. D bestimmten Einzelgebieten.] bestimmten-Einzelgebieten. befreiend.] danach gestrichen: Wer diese Wirkung einmal von ihm erfahren hat – der kann sie nie wieder vergessen. C Hier gilt ... zu machen.] am Rand; ersetzt gestrichen: Aber nun stehen wir vor der Aufgabe, uns den Sinn dieses Prozesses nher zu vergegenwrtigen. »Freiheit« ist ein sehr vieldeutiges Wort. Es drckt ein hohes und hchstes Ideal aus – aber wir alle wissen, welchem Mißbrauch und welcher Wirkung dieses Ideal in der Geschichte der Menschheit ausgesetzt war. Wie verstand G[oethe] selbst dieses Wort – und wie verstand er den Kampf, den er zu fhren hatte? D an.] danach z. T. mehrfach gestrichen (eckige Klammern sind in Bleistift): ^Er musste auch hier von innen wirken – er konnte nichts leisten, was nicht aus dem Mittelpunkt des eigenen Lebens hervorquoll. ^Dieses Gebot seiner Natur konnte und mochte er nicht verletzen – Alles, was ihm nicht entsprach, wies er als A B

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Von hier aus lsst sich erst ganz die hchst eigentmliche B e z i e h u n g verstehen, die zwischen G[oethes] eigenem Bildungsgang und der Geschichte des deutschen Geistes im allgemeinen besteht. Zwischen beiden besteht ein hchst merkwrdiges Verhltnis – das sich vielleicht am besten mit dem Leibnizischen Ausdruck der p r a e s t a b i l i e r t e n H a r m o n i e 421 bezeichnen lsst. Leibniz macht, wie bekannt, einen scharfen und prinzipiellen Unterschied zwischen dem Verhltnis, das er mit diesem Namen bezeichnet, und dem Verhltnis der unmittelbaren Einwirkung, des »influxus physicus«. 422 Zwischen Leib und Seele ist nach ihm keine unmittelbare Einwirkung, kein physischer Einfluss mglich. Beide gehen ihre eigenen Wege und folgen verschiedenen Gesetzen: der Krper den Gesetzen des mechanischen Geschehens, den Gesetzen von Druck und Stoß – die Seele anderen rein geistigen Gesetzen, den Gesetzen der »Zweckursachen«. Aber trotzdem besteht zwischen seelischem und krperlichem Geschehen die genauste bereinstimmung: sie treffen in ihren Ergebnissen zusammen, ohne daß dieses Zusammentreffen auf direkter kausaler Einwirkung beruht. Wollen wir dieses Bild der »praestabilierten Harmonie« auf Goethes Verhltnis zur deutschen Geistesgeschichte anwenden, so kann dies natrlich nur c u m g r a n o s a l i s geschehen. Zweifellos hat G[oethe] auf den Gang der deutschen Geistesgeschichte starke unmittelbare Wirkungen gebt – und ebenso hat er auch umgekehrt von dieser starke Einwirkungen empfangen. Aber neben diesen Wirkungen, die sich gewissermaßen an der Oberflche abspielen, gibt es hier noch Zusammenhnge von anderer Art, die einer tieferen Schicht angehren. Hier handelt es sich um bereinstimmungen, die aus anderen, tief verborgenen ideellen Motiven stammen. G[oethe] scheint rein seinen eigenen Weg zu gehen und seinem eigenen inneren Gesetz zu gehorchen. Aber eben hierdurch wird er zu bestimmten Zielen hingefhrt, die nicht »falsche Tendenz« von sich ab. »Kriegslieder schreiben und im Zimmer sitzen« – so hat er [am Rand: 14.3.1830] spter einmal zu Eckermann gesagt – “das wre meine Art gewesen. Aus dem Biwak heraus, wo man nachts die Pferde der feindlichen Vorposten wiehern hrt – da htte ich es mir gefallen lassen. Aber das war nicht m e i n Leben und nicht m e i n e Sache ... Bei mir, der ich keine kriegerische Natur bin und keinen kriegerischen Sinn habe, wrden Kriegslieder eine Maske gewesen sein, die mir sehr schlecht zu Gesicht gestanden htte. Ich habe in meiner Poesie nie affektiert. Was ich nicht lebte und was mir nicht auf die Ngel brannte und zu schaffen machte, habe ich auch nicht gedichtet und ausgesprochen. Liebesgedichte habe ich nur gemacht, wenn ich liebte. Wie htte ich nun Lieder des Hasses schreiben knnen ohne Haß? Und, unter uns, ich hasste die Franzosen nicht, wiewohl ich Gott dankte, als wir sie los waren. Wie htte auch ich, dem nur Kultur und Barbarei Dinge von Bedeutung sind, eine Nation hassen knnen, die zu den kultiviertesten der Erde gehrt und der ich einen so grossen Teil meiner eigenen Bildung verdankte”. 423 &

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nur fr ihn selbst bedeutsam und entscheidend sind – sondern an denen sich einst der Gang der deutschen Geistesgeschichte und ihre ganze zuknftige Richtung entscheidet. Dieses In-Einander-Greifen ist um so merkwrdiger als es, von G[oethe]’s Seite her, keineswegs geplant, keineswegs gewollt oder beabsichtigt ist. G[oethe] konnte, gemß seiner geistigen und knstlerischen Eigenart, schon derartiges nicht planen: denn er konnte in seiner Produktion nicht bewusst auf allgemeine Zwecke ausgehen. G[oethe] hat in “Dichtung und Wahrheit” gesagt, daß er das ihm innewohnende dichterische Talent “ganz als Natur”424 betrachten musste. Er liess in seine hchsten Schpfungen diese Naturgabe frei ausstrmen – er konnte nicht willkrlich in sie A eingreifen und ihr bestimmte Ziele vorschreiben. G[oethe]’s Schaffen wurzelte in anderen, unbewussten Schichten. Vom Werther hat er gesagt, daß er ihn “ziemlich unbewusst, einem Nachtwandler hnlich”425 geschrieben habe. Und einige seiner schnsten Jugendgedichte sind so entstanden, daß er in der Nacht pltzlich aus dem Schlaf auffuhr, sie rasch aufs Papier warf, und sie dann am Morgen beim Erwachen zu seinem Erstaunen vorfand. Ein Dichter von dieser Art konnte nicht absichtlich in den Gang der deutschen Litteraturgeschichte und der deutschen Geistesgeschichte eingreifen und sie in eine bestimmte Richtung drngen. Hier liegt vielmehr ein anderes und viel verwickelteres Verhltnis vor. Man kann sich dieses Verhltnis am besten verdeutlichen, wenn man G[oethe] in dieser Hinsicht mit den anderen fhrenden Geistern der deutschen klassischen Litteraturepoche vergleicht. Sie alle setzen sich von frh an bestimmte Ziele, die sie zu verwirklichen suchen. Dies gilt fr Klopstock und Lessing – und es gilt, wenngleich nicht in ganz demselben Sinne, auch fr Wieland und Herder. Sie alle wollen bewusst die deutsche Litteratur in neue Bahnen lenken. Klopstock begeistert sich fr Miltons »Verlorenes Paradies«, und er beschliesst[,] Milton nachzueifern. Er will ein deutscher Milton, er will der Schpfer des grossen deutschen religisen Epos werden. Schon als Schler hat er diesen Plan gefasst. Als er das Gymnasium zu Schulpforta verlsst, hlt er eine Abschiedsrede 426 ber das Wesen und den Beruf des epischen Dichters, die schon deutlich auf den »Messias« vorausweist. Und dann arbeitet er Jahrzehnte hindurch an der Ausfhrung dieses Planes: im Jahre 1748 sind die drei ersten Gesnge des Messias, im Jahr 1779 ist der letzte erschienen. Auch sonst will Klopstock das Ganze der deutschen Litteratur planvoll umgestalten; er will sie innerlich und usserlich neu organisieren. Er schreibt im Jahre 1774 seine »Gelehrtenrepublik«, in der er diese Organisation, wie sie ihm vorschwebt, nher entwickelt. ^ Wenn wir heute dieses Werk lesen, so fllt A

sie] sie ihr

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es uns schwer, ihm gegenber ein Lcheln zu unterdrcken A . Denn die Litteratur und das geistige Leben werden hier fast wie ein grosser Verwaltungsapparat behandelt, der nach bestimmten Regeln und Grundstzen aufgebaut werden soll. An der Spitze soll natrlich Klopstock selbst B stehen – und seine Schler, seine Anhnger und Bewunderer sollen als seine Statthalter und Landboten in den verschiedenen deutschen Lndern wirken. Das war eine seltsame Utopie, die von vornherein zum Scheitern verurteilt [war]. & Ein ganz anderer Geist als Klopstock ist Lessing. Er glaubt nicht an die Macht von I n s t i t u t i o n e n fr die Erweckung und Frderung des geistigen Lebens. Er wirkt als Einzelner, als großes Individuum. Aber auch er geht durchaus methodisch vor. In den »Litteraturbriefen« stellt er neue bestimmte Maßstbe auf, auf die sich jede Kritik am Werke des Geistes und der Kunst sttzen msse. In der »Hamburgischen Dramaturgie« untersucht er, unter stndigem Hinblick auf Aristoteles, als philosophischer Denker das Wesen der Tragdie – und erst nachdem er dieses Wesen erkannt zu haben glaubt, geht er an die Schpfung seiner letzten grossen tragischen Dichtung: der Emilia Galotti. Wieder ein ganz anderes Bild als bei Lessing begegnet uns bei Herder. Er ist kein streng methodischer Geist, wie dieser – er ist der Mann der genialen Intuition und Improvisation. Aber selbst ihm steht sein Lebenswerk von Anfang an in grossen Zgen fest. Wenn wir das Reisetagebuch aufschlagen, das Herder, als 25-jhriger, C auf seiner Seereise von Riga nach Frankreich gefhrt hat, so finden wir hier schon alle großen Ideen ausgestreut, die Herder spter in seinen Hauptschriften vertreten hat. Goethe jedoch konnte nicht in dieser Weise schaffen – und er konnte nicht auf diese Art bewusst in die Entwicklung der deutschen Litteratur eingreifen. ^ Nur einmal in seinem Leben hat G[oethe] etwas derartiges versucht. Es war damals, als er mit Schiller zusammen die »Xenien« dichtete – jene scharfen und beissenden Epigramme, die die Schden der damaligen deutschen Litteratur geisseln und alles Seichte, Unbedeutende, Mittelmßige in ihr an den Pranger stellen sollten. Aber in diesem Xenienkampf war Schiller, der Herausgeber des Musenalmanachs von 1796, 427 in dem die »Xenien« erschienen, die eigentlich treibende Kraft – und G[oethe] liess sich nur von ihm mitreissen und von seinem polemischen Temperament fortreissen[.] Er selbst hat weder frher noch spter etwas hnliches versucht. & Zwar wollte G[oethe] auf vielen Gebieten der Erzieher seines Volkes sein – und im Alter spricht er seine erzieherischen Ideale immer bestimmter und ein Lcheln zu unterdrcken] ersetzt gestrichen: den Ernst zu bewahren oder zu glauben, daß es jemals Ernst gemeint war B selbst] danach gestrichen: als Fhrer C 25-jhriger,] 25 Jhriger, A

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krftiger aus. Aber als D i c h t e r konnte G[oethe] nicht unmittelbar erziehen, und hier konnte er nicht mit einem bestimmten Programm auftreten. Denn er selbst besaß kein solches Programm; er empfand seine Dichtung als “Naturgabe” und liess sie als solche walten. Und dennoch begibt sich das Merkwrdige, daß G[oethe], ohne irgendwie absichtlich und vorstzlich auf bestimmte Ziele auszugehen, bestimmte Ziele e r re i c h t , die kein anderer als er hatte verwirklichen knnen. “Natur und Kunst sind zu groß, um auf Zwecke auszugehen” – so hat G[oethe] einmal gesagt, und in diesem Satz glaubt er den philosophischen Gehalt von Kants »Kritik der Urteilskraft« zusammenfassen zu knnen. 428 Das gilt auch fr sein gesamtes Wirken. Er empfand dieses Wirken als ein ruhiges und freies Wachstum von innen. Aber immer wenn er in dieser Weise nur sich selbst gehorchte und seinem eigenen Wege folgte, ergab sich, daß er damit ein neues, tiefes, allgemeines Problem ans Licht hob – daß er eine grosse universelle Tendenz der deutschen Geistes- und Bildungsgeschichte, die bisher verborgen gewesen war, zum Leben erweckte. Aber wir wollen uns hier mit der bloss- a b s t r a k t e n Aussprache dieses Verhltnisses nicht begngen, sondern wir wollen es uns konkret vor Augen stellen. Wir greifen aus G[oethe]’[s] Lebensgeschichte und Bildungsgeschichte zwei große entscheidende Phasen heraus, an denen wir uns die “praestabilierte Harmonie”, von der wir hier gesprochen haben, unmittelbar verdeutlichen knnen. Die erste Phase wird durch Goethes S t r a ß b u r g e r Z e i t bezeichnet. Hier vollzieht sich der große Umschwung, der ihn erst wahrhaft zum Dichter macht. Was hier geschieht[,] trgt auf den ersten Blick durchaus das Geprge eines rein individuellen Schicksals und einer individuellen Entwicklung; es scheint sich ausschliesslich in G[oethe] s e l b s t abzuspielen. A Aber auch hier ist das Individuelle die Darstellung und der symbolische Ausdruck fr ein umfassenderes universelles geistiges Geschehen. Am 2[.] April 1771 trifft G[oethe] in Straßburg ein. Noch B kurz zuvor ist er ein schwer Kranker gewesen. Ein Blutsturz, der ihn in Leipzig befiel, hat ihn fast an den Rand des Grabes gebracht. Dann ist er im elterlichen Hause in Frankfurt, unter der sorgsamen Pflege der Mutter und der rzte, langsam genesen. Aber Wochen und Monate lang blieb er an sein Krankenzimmer gefesselt. Um sich zu zerstreuen und abzulenken, hat er Mancherlei versucht. Er hat sich grblerisch in die Geheimnisse der Natur versenkt; er hat mystische, magische, alchymistische Bcher studiert. Aber nun fllt dies alles pltzabzuspielen.] danach gestrichen: Aber dringt man tiefer ein, so erkennt man auch in diesem Individuellen ein Allgemeines, das sich in ihm symbolisch darstellte B Noch] am Rand: Nb! d o p p e l t /revid! A

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lich von ihm ab. Er fhlt sich dem Leben zurckgegeben – und er sieht das Leben in einem neuen Licht. Es ist wie in jener ersten grossen Szene des Faust, in der Faust den Erdgeist beschwrt: “Umsonst, daß trocknes Sinnen hier Die heil’gen Zeichen Dir erklrt. Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir; Antwortet mir, wenn Ihr mich hrt”[.] 429 Und die Geister hren ihn. Mit tausend Stimmen, die er nie zuvor vernommen, spricht jetzt die Natur zu ihm. Alles belebt sich um ihn her – und alles ist Licht und Glanz, Farbe und Duft. Hren wir eines der schnsten Lieder dieser Zeit – das »Mailied«, das G[oethe] in der Zeit seiner ersten grossen leidenschaftlichen Liebe, der Liebe A zu Friederike Brion in Sesenheim, gedichtet hat[:] “Wie herrlich leuchtet mir die Natur! Wie glnzt die Sonne, wie lacht die Flur. Es dringen Blten aus jedem Zweig Und tausend Stimmen aus dem Gestruch. Und Freud und Wonne aus jeder Brust. O Erd, o Sonne, o Glck, o Lust. ^O Mdchen, Mdchen, wie lieb’ ich Dich, Wie glnzt Dein Auge, wie liebst Du mich! So liebt die Lerche Gesang und Luft, Und Morgenblumen den Himmels Duft Wie ich Dich liebe mit warmem Blut, Die Du mir Jugend und Freud und Mut Zu neuen Liedern und Tnzen gibst, – Sei ewig glcklich, wie Du mich liebst”[!] 430 & Wenn wir dieses Gedicht lesen – so fhlen wir sofort: das ist der Ausdruck eines einmaligen, einzigartigen, nie wiederkehrenden Lebensmoments. So konnte nur Goethe sprechen – und so hat G[oethe] nur einmal gesprochen. Aber indem er so spricht, hat G[oethe] eine neue dichterische Sprache geschaffen und eine neue lyrische Form entdeckt. B Und nachdem beides einmal entdeckt war, konnte es nicht wieder verschwinden. Nach Goethe konnte die Lyrik den Ton, der hier zum ersten Mal erklungen war,

ersten grossen ... der Liebe] ber der Zeile und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen B Aber ... entdeckt.] ersetzt mehrfach korrigiert und gestrichen: Aber dadurch, daß er so spricht, werden damit ganz neue Krfte wach, die er erst wahrhaft endeckt hat. G[oethe] entdeckte in den Sesenheimer Liedern eine neue dichterische Sprache und er entdeckte eine neue lyrische Form. A

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nie wieder ganz verlernen. Jeder der grossen Lyriker hat freilich seinen e i g e n e n Ton; aber der Sesenheimer Ton, der Ton der ersten FriederikeLieder klingt in ihnen allen nach. Wir hren ihn fortan bei allen großen Lyrikern in und ausserhalb Deutschlands. Bei Eichendorff, bei Heine, bei Moericke, bei Storm, aber auch bei Byron oder Shelley wird er uns fortan begegnen. Indem Goethe nur sich selbst aussprach, hat er damit einer neuen Kraft zum Durchbruch verholfen, die ohne ihn vielleicht noch lange im Dunkeln geruht htte. A G[oethe] dachte, als diese Verse aus ihm herausbrachen, an keinerlei Wirkung nach aussen. Und doch schuf er mit ihnen nicht nur ein einzelnes herrliches Gedicht – er schuf zugleich ein neues Organon, eine bildende Kraft fr alle knftige Poesie. Man muss in der Geschichte der Lyrik und in der Geschichte der Weltlitteratur sehr weit zurckgehen, um Gedichte zu finden, die eine gleich starke und tiefe Wirkung auf das gesamte Geistesleben gebt haben. Nur D a n t e s » V i t a n u o va « – ein Werk des 13ten Jahrhunderts, das also fast 500 Jahre von G[oethe] getrennt ist – lsst sich, wie mir scheint, in dieser Hinsicht mit G[oethe] vergleichen. In diesem Werk hebt Dante den neuen Stil der italienischen Lyrik, den » d o l c e s t i l n u o vo «[,] 431 zu einer neuen Hhe. Und diese Umbildung und Vollendung bedeutet zugleich eine Umschaffung, eine Neugeburt der italienischen Sprache. Jetzt erst wird die italienische Sprache reif zum Ausdruck jenes gewaltigen Gedankengehalts, den Dantes »Divina Commedia« in sich schließt. Ohne die l y r i s c h e Sprache der »Vita nuova« htte Dante sein großes Weltgedicht nicht dichten knnen – und ebensowenig wre der Faust denkbar ohne die neue Sprache, die G[oethe] zuerst in den so schlichten und einfachen Sesenheimer Liedern gefunden hat. Oder wenden wir uns zu einem zweiten grossen Beispiel aus G[oethe]’s Leben. G[oethe] ist nach Weimar gegangen – und er hat sich mit allem Ernst und aller Energie in die neue Ttigkeit vertieft, die ihn dort erwartete. Aber ohne schwere Opfer ist dies nicht mglich gewesen. Die Last der Geschfte wird immer drckender fr ihn – und sie droht zuletzt den K  n s t l e r Goethe ganz zu ersticken. Die produktive dichterische Gabe scheint zuletzt ganz zu versiegen. Da reisst sich G[oethe] mit einem pltzlichen Entschluss los. Er entschliesst sich zur Flucht[,] er geht nach Italien. Selbst den nchsten Freunden und selbst der Geliebten, selbst Herder und Frau von Stein bleibt die italienische Reise ein Geheimnis – nur der Herzog, nur Carl August weiss von ihr. Und jetzt erlebt G[oethe] in Rom abermals eine Art von Wiedergeburt – wie er sie zuvor in geruht htte] danach gestrichen: Oder wenden wir uns zu einem zweiten typischen Beispiel. G[oethe] ist nach Weimar gegangen, und er hat sich ganz der neuen Ttigkeit, die ihn dort erwartete, hingegeben.

A

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Straßburg erlebt hatte. Als er, nach zweijhrigem Aufenthalt in Italien, wieder nach Deutschland zurckkehrt, fhlt er sich innerlich verwandelt. Aber er fhlt sich zugleich in Weimar wie entwurzelt und tief vereinsamt. Den klarsten Einblick in seine damalige Stimmung gewhrt uns eine Selbstschilderung G[oethe]’s, die in einem Aufsatz enthalten ist, der in seinen Werken an einer etwas versteckten Stelle steht. Dieser Aufsatz berichtet von der Entwicklung von Goethes botanischen Studien – und steht demgemß in den Schriften zur Morphologie – in der grossen Weimarer Ausgabe finden Sie ihn im 6. Band der »Naturwissenschaftlichen Schriften«. “Aus Italien, dem formreichen« – so sagt G[oethe] – »war ich in das gestaltlose Deutschland zurckgewiesen, heiteren Himmel mit einem dsteren zu vertauschen; die Freunde, statt mich zu trsten und wieder an sich zu ziehen, brachten mich zur Verzweiflung. Mein Entzkken ber entfernte, kaum bekannte Gegenstnde, mein Leiden, meine Klagen ber das Verlorene schien sie zu beleidigen; ich vermisste jede Teilnahme, niemand verstand meine Sprache”. 432 Wie die Weimarer Freunde G[oethe]’s – so haben auch manche L i t t e r a t u r h i s t o r i k e r ber G[oethe]’s italienische Reise geurteilt. Man bedauerte sie, ja man verurteilte sie nicht selten – man meinte, es wre besser gewesen, wenn G[oethe] zuhaus geblieben wre und deutsche Stoffe behandelt htte, statt sich nach Italien und in die Welt des klassischen Altertums zu flchten. Aber dies heisst sehr tricht und sehr kurzsichtig urteilen. Denn G[oethe] handelte hier nicht aus Reflexion, sondern ihn trieb ein inneres Muß vorwrts. Er folgte dem, was er den Ruf seines Dmons nannte. In Goethes Leben begegnen wir immer von neuem diesem eigentmlichen Prozess: mit einem pltzlichen Entschluß zerreisst er Bindungen, die ihm unertrglich geworden sind und baut sich eine neue Welt auf. Spter, als er in der Welt des Orient[s] heimisch wurde[,] nannte er dies, in Erinnerung an die Flucht Mohammeds, seine »Hegire«[.] Aber jetzt, da er wieder ganz auf sich selbst zurckgeworfen ist, begibt sich nun das große Wunder. Er findet dort, wo er es nicht geahnt, den neuen Freund, der ihn tiefer als andere – tiefer selbst als Herder oder Frau von Stein – in den Bestrebungen und Idealen, die ihn jetzt erfllen, versteht. S c h i l l e r tritt an seine Seite – und er sucht, aesthetisch und philosophisch, zu begrnden, was G[oethe] in Italien in der Anschauung der antiken Kunstwerke erlebt hatte. Aber um diese Leistung [zu] vollbringen, um der Freund und Mitstreiter G[oethe]’s werden zu knnen, musste Schiller selbst zuvor ein anderer werden. Es mag seltsam klingen – aber man kann es getrost behaupten: htte G[oethe] nicht im entscheidenden Augenblick den Mut zur Reise nach Italien gefunden – so wre auch Schillers Geschick, und das Geschick der gesamten deutschen Geistesgeschichte, ein anderes geworden. Schiller htte ohne Goethe nicht den Schritt von den Rubern

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und dem Don Carlos zum Wallenstein und zu den Briefen ber die “aesthetische Erziehung” tun knnen. Auch hier sehen wir wieder, wie das, was ein ganz individueller Moment in G[oethe]’s Leben zu sein schien, zugleich zum schlechthin entscheidenden Moment fr die Gesamtentwicklung des deutschen Geistes wird. Beide erscheinen wie durch ein geheimes Band mit einander verknpft und gewissermassen solidarisch. Indem G[oethe] in Rom die Antike findet, ist damit fr die deutsche Geistesbildung die Epoche des »Sturm und Drang« berwunden – und eine neue Welt, die Welt der klassischen Dichtung steigt empor. Wenn ich dies alles mit dem Ausdruck A der »praestabilierten Harmonie« zu bezeichnen suchte – so darf dieser Ausdruck freilich nicht missverstanden werden. Er soll durchaus nicht besagen, daß zwischen G[oethe] und seiner Umgebung, zwischen G[oethe] und den verschiedenen geistigen und litterarischen Strmungen, die damals in Deutschland herrschten, stets eine s e e l i s c h e Harmonie bestanden habe. Der Zusammenhang, auf den ich hinweisen wollte, ist ganz anderer Art. Er grndet sich nicht auf eine p e r s  n l i c h e Gemeinschaft des Denkens und Fhlens, sondern stellt nur ein »ideales« Band dar – einen »nexus idealis«, B433 wenn ich abermals hierfr einen Leibnizischen Ausdruck gebrauchen darf. Was die Sympathie fr Goethe und die allgemeine Teilnahme an seinem Werk betrifft, so hat G[oethe] sie in vielen Epochen seines Lebens schmerzlich vermisst. Gewiss: der N a m e Goethe gehrte immer zu den grossen und grssten Namen – aber dieser konventionelle Ruhm ist weit entfernt von einem wirklichen Verstndnis und einer tieferen Erkenntnis seines Werkes. Nur in der ersten glcklichen Zeit seiner Jugend schien das anders zu sein. Hier braucht er nur zu sprechen, um sofort ganz Deutschland, ja die Welt mit sich fortzureissen. Der Werther hat diese Wirkung gebt. Welchen tiefen Einfluss er auch auf die franzsische Litteratur gebt hat, hat Georg B r a n d e s im ersten Bande seiner »Hauptstrmungen der Litteratur des 19ten Jahrh[underts]« gezeigt. Napoleon hat erzhlt, daß er ihn sieben Mal gelesen hat – er hatte ihn noch auf seinem aegyptischen Feldzug mit und las ihn im Schatten der Pyramiden. 434 Und ein Distichon, das in G[oethe]’s »Venetianischen Epigrammen« steht, zeigt uns, daß der Ruhm des Werther selbst bis China gedrungen war[.] [“]Was frdert es mich[”] – so fragt G[oethe] hier –L [“]daß auch sogar der Chinese Malet mit ngstlicher Hand Werther und Lotten auf Glas?[”] C435

mit dem Ausdruck] am Rand in Bleistift: (60) »nexus idealis«] danach gestrichen: wie Leibniz es zu nennen pflegte. C Glas?”] am Rand in Bleistift mit Linie verbunden: wa h re s Erlebn[is]. A B

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[Goethes geistige Leistung]

Aber der Ruhm des Gtz oder Werther hat sich in G[oethe]’s Leben nicht wiederholt. Spter wurde es anders und grndlich anders. Alle seine spteren Werke hatten langsam und mhsam um ihre Anerkennung zu ringen. Als der Tasso und die Iphigenie erschienen, fand man diese Werke “marmorglatt und marmorkalt”[.] 436 Man vermisste an ihnen den Stil von Goethes Jugend – den Stil des “Sturm und Drang” – man sprte nicht das gewaltige innere Leben, von dem auch diese Dichtungen erfllt und durchflutet sind. Wilhelm Meisters Lehrjahre erregt wieder die hchste Bewunderung – aber sie bleibt diesmal auf einen kleinen Kreis, auf die litterarische Elite beschrnkt. Die Romantik begrsst das Werk mit hchstem Enthusiasmus. Novalis, einer der tiefsten Geister der Romantik, nennt damals G[oethe] den »wahren Statthalter des poetischen Geistes auf Erden«. 437 Aber dann kommt der jhe Rckschlag. Die spteren Bcher des »Wilhelm Meister« erscheinen – und die Romantik muss einsehen, daß sie sich im Plan des Gesamtwerkes getuscht hat. Wilhelm Meisters Bildungsgeschichte ist etwas ganz anderes, als sie nach dem Anfang des Romans erwartet [hat]. Wilhelm soll nicht zum Knstler oder zum romantischen Trumer; er soll fr das praktische Leben, er soll zum ttigen und wirkenden Mann erzogen werden. Und so gross zuvor die Begeisterung war – so groß ist jetzt die Enttuschung. Goethe – so erklrt Novalis jetzt – hat sein eigenes Werk verstmmelt und verraten. Der Wilh[elm] Meister in seiner jetzigen Gestalt sei nichts als Spott und Hohn wider die poetischromantische Lebensanschauung – er ist, wie N[ovalis] sagt, ein “Candide gegen die Poesie”. 438 Der W[ilhelm] M[eister] – so erklrt Novalis jetzt [–] ist im tiefsten Grunde unpoetisch: “es ist eine poetisierte brgerliche und husliche Geschichte: das Wunderbare darin wird ausdrcklich als Poesie und Schwrmerei behandelt”. A439 rger konnte der Sinn und Wert des Wilh[elm] Meister kaum verkannt werden[,] als es hier geschieht – und zwar von einem Manne, der einer der echtesten und edelsten Knstler der Romantik war, und dessen Hauptwerk: der Roman Heinrich von Ofterdingen wohl das grsste poetische Werk ist, das die Romantik hervorgebracht [hat]. Auch sonst ist das Verhltnis G[oethes] zur deutschen Geistes- und Bildungsgeschichte, wenn man es rein nach der persnlichen Seite hin betrachtet, an inneren Konflikten reich[.] Als auf die Romantik abermals eine andere Generation folgte, die sich das “Junge Deutschland” nannte – da vermehrten und verschrften sich diese Konflikte. Diese Generation stand der Welt G[oethe]’s in vieler Hinsicht noch ferner als die Romantik. Sie trat fr neue politische Ideale, fr die Ideale des Liberalismus und fr die Ideen der franzsiDer Wilhelm Meister ... behandelt”.] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen A

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schen Juli-Revolution ein und sie sah hier in G[oethe] ihren Gegner; sie bekmpfte ihn als politischen Reaktionr. Aber zur offenen Feindschaft gegen ihn ist es hier nur selten gekommen. Denn die litterarischen Wortfhrer des Jungen Deutschland fuhren fort[,] G[oethe] als Dichter zu ehren und zu verehren. Karl Gutzkow liess im Jahre 1836 eine interessante Schrift erscheinen, die den Titel: »ber G[oethe] im Wendepunkt zweier Jahrhunderte« fhrt. Hier wird G[oethe] gegen die Vorwrfe, die G e r v i n u s in seiner “Geschichte der deutschen Dichtung” wider ihn gerichtet hatte, in Schutz genommen. Gutzkow kommt zu dem Schluss, G[oethe] sei ein Name, auf den man zu allen Zeiten zurckkommen knne, – seine Dichtungen seien ein »kritisches Regulativ fr jede zuknftige Schpfung«. 440 Ganz anders aber hatte die Litteraturgeschichte Wolfg[ang] M e n z e l s gesprochen, die im Jahre 1827 erschien. Hier bricht der Hass gegen G[oethe] offen aus. Wer ist denn dieser G[oethe] – so fragt Menzel – und was bedeutet sein Werk. Man nennt ihn ein poetisches G e n i e – aber in Wahrheit besitzt er nur ein gewisses Talent – und dieses besteht in nichts anderm, als in der Geschicklichkeit, mit der er sich der verschiedensten dichterischen Formen bemchtigt, um sie rein usserlich zu gebrauchen. Noch rger fllt das Urteil ber G[oethe]’s Persnlichkeit und Charakter aus. Er hat keine Religion, keine Sittlichkeit, keine Vaterlandsliebe – er ist ein Genussmensch, ein kalter Egoist. 441 Menzel ging damals so weit, daß er verlangte, man solle eine deutsche Literaturgeschichte ohne G[oethe] schreiben. “Eine deutsche Literaturgeschichte ohne G[oethe]” 442 – so weit also war es damals, noch zu G[oethe]’s Lebezeiten, gekommen. Viele sahen hierin die Forderung des Tages. 443 Denn vergessen wir nicht: Menzel stand damals keineswegs allein. Er fhlte sich als Wortfhrer einer grossen Bewegung[,] er vertrat die Ideale der deutschen Burschenschaft, zu deren Begrndern er gehrte. Im Namen dieser Ideale forderte er die Ausschaltung G[oethe]’s aus der deutschen Geistes[-] u[nd] Bildungsgeschichte. G[oethe] selbst blieb von alledem vllig unberhrt. Er hat gegen Menzel einige sehr deutliche und krftige Verse 444 gerichtet, in denen A er seinem Zorn Luft machte. Aber sie blieben unverffentlicht – erst die grosse Weimarer Ausgabe hat sie aus dem Nachlass publiziert[.] “Von allem, was gegen mich geschieht, nicht die geringste Notiz nehmen” – so schrieb G[oethe] damals an Zelter – [“]wird mir im Alter wie in der Jugend erlaubt sein. Ich habe Breite genug mich in der Welt zu bewegen, und es darf mich nicht kmmern, ob sich irgend einer

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denen] den

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1 da und dort in den Weg stellt, den ich einmal gegangen bin”[.] A445 Er setzte, unbekmmert um alle Angriffe, alle Schmhungen und Verkennungen seinen Weg fort. “Denn ein Gott hat Jedem seine Bahn vorgezeichnet” 446 – so heisst es in G[oethe]’s Gedicht: »Harzreise im Winter«. Er folgte dieser Bahn, er folgte dem Ruf seines Dmon; und er wusste, daß er damit Deutschland und der Welt am besten diente. Schon aus diesem kurzen berblick werden Sie, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], ersehen, daß die Geschichte von G[oethe]’s Ruhm und die Geschichte seiner geistigen Wirkung keineswegs so einfach ist, wie man es sich oft vorzustellen pflegt. Sein Ruhm war niemals unbestritten – und seine Wirkung hatte sich immer wieder, gegen starke Reibungen und Gegenkrfte, durchzusetzen. Und auch an persnlichen Schmhungen gegen ihn hat es, wie wir gesehen haben, nicht gefehlt. Dieser Kampf um Goethe hat nie aufgehrt und wird nie aufhren. B Das braucht uns nicht zu verwundern, noch brauchen wir es zu beklagen. G[oethe] selbst hat hierber nicht geklagt. Er fhlte sich, besonders im hheren Alter, oft tief vereinsamt; aber er liess sich durch dieses Gefhl weder beirren noch verbittern. C Er sah in den Widerstnden, denen er begegnete, nicht etwas Zuflliges, sondern etwas Notwendiges. Er glaubte zu verstehen, daß und warum es so sein musste. “Was2 klagst Du ber Feinde?” so lautet ein Spruch aus G[oethes] West-stl[ichem] Divan [“]Sollten solche je werden Freunde, Denen das Wesen wie Du bist Im Stillen ein ewiger Vorwurf ist.” D

“Von allem, ... gegangen bin”.] am Rand: [WA, Abt. 4,] Briefe[, Bd.] 44, [S.] 289[.] 2 “Was] am Rand: [WA, Bd.] 6, [S.] 122[.] 1

gegangen bin”.] danach gestrichen: G[oethe] fhlte sich besonders im hheren Alter, oft tief vereinsamt – aber er liess sich durch dieses Gefhl nicht entmutigen und nicht verbittern. B Dieser Kampf ... nie aufhren.] am Rand statt z. T. mehrfach gestrichen: Dieser Kampf um Goethe ist auch lange nicht abgeschlossen – ja wir haben heute oft das Gefhl, daß er jetzt, daß jetzt, daß er hundert Jahre nach G[oethe]’s Tod, erst eigentlich begonnen hat und in sein entscheidendes Stadium getreten ist. C verbittern.] danach gestrichen: “Erst war ich den Menschen unbequem durch meinen Irrtum” – so hat G[oethe] einmal in einem biographischen Rckblick gesagt – [“]dann durch meinen Ernst. Ich mochte mich stellen wie ich wollte, so war ich allein.” 447 D Vorwurf ist.”] danach z. T. mehrfach gestrichen: Es hat immer Individuen und es hat immer grosse und mchtige Gruppen gegeben, denen das Wesen G[oethe]’s “im Stillen ein ewiger Vorwurf” sein musste. Sie konnten jene innere Freiheit, die A

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In diesen latenten und offenen Gegenstzen sehen wir nun den Beweis dafr, daß G[oethe] fr uns nicht »historisch« geworden ist. Wir wollen G[oethe] nicht auf ein hohes Piedestal stellen und ihn dort als einen Olympier, fern ab von allem[,] was uns bewegt oder bedrckt, verehren. Er ist fr uns keine zeitlose »klassische« Grsse, die ber allen Widerspruch erhaben ist. A Er steht mitten unter uns, als lebendig bewegende Macht – wir mssen den Kampf mit ihm oder wider ihn fhren. Und wir wissen zugleich, daß es sich in diesem Kampfe nicht um ihn allein handelt. Kraft jenes »idealen Bandes«[,] jenes »inflexus idealis«, von dem wir gesprochen haben, sind wir berzeugt, daß es noch etwas Anderes und etwas Grsseres gibt – daß hier unsere gesamte geistige und unsere sittlich-menschliche Kultur auf dem Spiele steht.

von [doppelt gestrichen: seinem Werke ausstr bricht ab] er als eine der Hauptwirkungen seines Lebens und Schaffens erklrt hat, entweder nicht verstehen – oder sie konnten sie nicht ertragen, – sie war ihnen ein Dorn im Auge. Das wird auch in Zukunft nicht anders werden. A Wir wollen ... erhaben ist.] auf dem unteren Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen

Zweite Vorlesung. A Wir mssen nun unser Thema schrfer begrenzen. Wir haben zuletzt von dem Verhltnis gesprochen, daß zwischen Goethes eigenem Bildungsgang, seiner Entwicklung als Dichter und als Denker, und der allgemeinen Entwicklung der deutschen Litteratur- und Geistesgeschichte besteht. Wir fanden, daß sich hier keineswegs eine durchgehende bereinstimmung zeigt. Das Verhltnis Goethes zu seiner unmittelbaren Umgebung ist nicht einfach – und zwischen ihm und anderen Tendenzen, die tief auf die Entwicklung des allgemeinen geistigen Lebens eingewirkt haben, ist es oft zu harten Kmpfen gekommen. In Goethes Alter haben sich diese Konflikte oft so gesteigert und verschrft, daß wir ihn zuletzt in einer fast tragischen Einsamkeit erblicken. Eine u n m i t t e l b a re Einwirkung auf den Gang der deutschen Geistesgeschichte hat also G[oethe] kaum ausgebt: in d i e s e r Beziehung haben andere, hat insbesondere S c h i l l e r viel strker gewirkt als er. In der e r s t e n Zeit, in der Zeit der glcklichen Jugend war es freilich anders. Hier brauchte G[oethe] nur zu sprechen, um sofort ganz Deutschland, ja die Welt mit sich fortzureissen. Der We r t h e r insbesondere hat diese Wirkung gebt. Welchen tiefen Einfluss er auch auf die franzsische Litteratur ausgebt hat – das hat Georg B r a n d e s im ersten Band der »Hauptstrmungen der Litteratur des 19ten Jahrhunderts« eingehend dargelegt. Napoleon hat erzhlt, daß er den Werther sieben Mal gelesen hat – er hatte ihn auf seinem aegyptischen Feldzug mit und las ihn im Schatten der Pyramiden. 448 Und ein Distichon, das in G[oethe]’s »Venetianischen Epigrammen« steht[,] zeigt uns, daß der Ruhm des Werther selbst ber Europa hinausdrang[:] [“]Was frdert es mich[,”] – so fragt G[oethe] hier – [“]Daß auch sogar der Chinese Malet, mit ngstlicher Hand, Werthern und Lotten auf Glas?[”] 449 Diese Verse spielen auf eine wirkliche Begebenheit an, von der Goethe durch einen Brief eines seiner Korrespondenten Kunde erhalten hatte. Eines Tages war in einem deutschen Hafen ein chinesisches Kauffahrtenschiff gelandet – und als man an Bord des Schiffes ging, fand man zu seinem Erstaunen in der Kajte des Kapitns chinesische Glasmalerei, die Szenen aus G[oethe]’s Werther darstellten. Aber diese sofortige und unmittelbare Wirkung hat sich bei keinem spteren Werk G[oethe]’s wiederholt. Dennoch besteht ein idealer Zusammenhang, ein nexus idealis zwischen seinem Entwicklungsgang und seinem Schaffen – und dem allgemeinen Bildungsgang des 18t[en] Jahrhunderts[.] Gerade dort, wo Zweite Vorlesung.] im Ms. hervorgehoben, linksbndig; paginiert in Cassirers Hand, S. 1-16

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G[oethe] nur sich s e l b s t auszusprechen scheint, wo er nur seinem eigenen i n d i v i d u e l l e n Gesetz 450 folgt, spricht er damit etwas Allgemeines und Allgemeingltiges aus – er verwirklicht eine tief verborgene geistige Tendenz, die sich erst durch ihn ans Licht ringt, die gewissermassen durch ihn aus A der Tiefe, in der sie ruhte, herausgehoben und sichtbar gemacht wird. Wir haben gesehen, daß G[oethe] selbst dieses Verhltnis so ausgedrckt hat, daß er sich nicht den M e i s t e r der deutschen Dichtung nannte – aber er erklrte, daß er sich wohl ihren B e f re i e r nennen drfe. Das ist ein merkwrdiges Wort, das wir jetzt etwas nher betrachten und interpretieren mssen. Es bedarf der Interpre[ta]tion – denn »Freiheit« ist ein gefhrlicher und vieldeutiger Ausdruck. Es besagt das Edelste und Hchste – aber es ist auch oft genug missbraucht B und zum blossen Schlagwort erniedrigt worden – [»]Freiheit ruft die Vernunft C – Freiheit die wilde Begierde« 451 – so heisst es in Schillers Gedicht: »Der Spaziergang«. Und Nietzsche hat gesagt, daß es eine doppelte Freiheit gebe: eine negative und eine positive, eine Freiheit wo vo n und eine Freiheit wo z u . 452 Die Freiheit wo vo n will nur bestimmte Bindungen abstreifen; die Freiheit wo z u weist neue Ziele und stellt neue Aufgaben. Goethes Freiheitsbegriff gehrt durchaus dem letzteren Typus an – denn G[oethe] war eine im hchsten Grade positive Natur, weil er im hchsten Grade produktiv war. Alle blosse Verneinung blieb ihm fremd. Das ist es, was ihn auch von den Genossen seiner Jugend, von den Mnnern des “Sturm und Drang” unterscheidet. Der Freiheitsdrang der »Strmer und Drnger« blieb im Negativen stecken: er konnte nur zerstren, aber nicht aufbauen. Alle Bestrebungen des »Sturm und Drang« behielten etwas Grendes, Chaotisches. “Ich mchte jeden Augenblick das Menschengeschlecht und alles[,] was wimmelt und lebt[,] dem Chaos zu fressen geben und mich nachstrzen” 453 – so lautet eine hchst charakteristische usserung K l i n g e r s , dessen Drama »Sturm und Drang« der ganzen Bewegung den Namen

aus] auf missbraucht] gemissbraucht C Wir haben zuletzt ... Freiheit ruft die Vernunft] Dieser Einschub auf zwei unpaginierten Bl. bricht hier ab, der Rest der S. ist leer. Er ersetzt den nur teilweise gestrichenen Anfang der Vorlesung: Wir haben G[oethe]’s Wort im Gesprch mit dem Kanzler v[on] Mller zitiert: »Wer meine Schriften und mein Wesen berhaupt verstehen gelernt, der wird doch bekennen mssen, [am Rand in Bleistift: G[oethe] als Befreier] daß er eine gewisse innere Freiheit gewonnen«[.] Aber damit a l l e i n ist noch wenig gesagt. Denn »Freiheit« ist ein gefhrliches und vieldeutiges Wort, das oft genug missbraucht worden ist, und in das man einen sehr verschiedenen Sinn hineinlegen kann. Freiheit kann ein hohes und hchstes Ideal – und sie kann auch ein blosses Schlagwort sein. »Freiheit ruft die Vernunft A B

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[Goethes geistige Leistung]

gegeben hat. So konnte G[oethe] – auch der junge Goethe – niemals denken und empfinden. Auch in dem Goethe des Sturm und Drang lebt niemals der Wille zum Chaos, sondern der Wille zum Kosmos. Und G[oethe]’s ganze geistige Entwicklung geht dahin, daß dieser Wille zum Kosmos immer mehr erstarkt und immer weitere Gebiete ergreift. So hat er selbst seinen Lebensweg und seinen Bildungsweg spter beschrieben: »Mich nach1 und umzubilden, misszubilden« so heisst es in G[oethe]’s West-stlichem Divan[,] [“]Versuchten sie seit vollen fnfzig Jahren; Ich dchte doch, da konntest Du erfahren Was an dir sei in Vaterlands-Gefilden. Du hast getollt zu Deiner Zeit mit wilden Dmonisch genialen jungen Scharen, Dann sachte schlossest du von Jahr zu Jahren Dich nher an die Weisen, Gttlich-Milden”[.] 454 In Goethes Leben konnte sich der Freiheitstrieb nie vom Formtrieb sondern; beide standen von Anfang an nicht im Gegensatz zu einander, sondern sie suchten und forderten einander. Und das gibt dem G[oethe]schen Freiheitsbegriff seine spezifische Tnung. In seiner Jugend hat G[oethe] vor allem die großen titanischen Naturen: den Faust, den Prometheus gestaltet A. Aber nicht erst in Italien, sondern schon weit frher hatte G[oethe] seinen Weg zu den Griechen gefunden. In einem Brief an Herder vom Juli 1772 schreibt der 23[-]jhrige Goethe, daß jetzt die Griechen “sein einziges Studium” 455 seien. Und schon damals hat er nicht nur die griechische Dichtung – Homer, Pindar, Theokrit, Anakreon – sondern auch die griechische Philosophie entdeckt. Er versenkt sich in die Lektre der Platonischen Dialoge und er plant ein Drama » So k r a t e s «. 456 Sokrates n e b e n Faust und Prometheus: das bezeichnet die ganze gewaltige Spannweite der inneren Welt des jungen Goethe. Neben dem bermenschen und dem Titanen steht der Weise, der grosse Lehrer des Maßes und der sittlichen Vernunft – der Vertreter der æ  Ø und der øæ  . Wie G[oethe] die Freiheit des K  n s t l e r s verstand – das hat er uns selbst in jenem kleinen Aufsatz, den ich bereits zitiert habe, in dem Aufsatz “ E i n Wo r t a n j u n g e D i c h t e r ” in den einfachsten und schlichtesten Worten gesagt. An seinem Beispiel – so erklrte er, solle man gewahr werden, [“]daß, wie der Mensch von innen heraus leben[,] der 1

»Mich nach] am Rand: [WA, Bd.] 6, [S.] 283[.]

gestaltet] danach gestrichen: – und hier hat er ein Drama Caesar und ein Drama Mahomet geplant

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Knstler von innen heraus wirken msse, indem er, gebrde er sich wie er will, immer nur sein Individuum zutage frdern wird.” 457 Nicht der G e g e n s t a n d , den er behandelt, macht nach G[oethe] den großen Knstler aus – und nicht bestimmten, objektiv-gltigen Normen und Regeln ist er in seinem Schaffen unterworfen. Der kleinste Gegenstand, die flchtigste Stimmung kann knstlerisch behandelt und geformt werden – sofern es nur gelingt, nicht nur sie selbst auszusprechen, sondern an ihr und durch sie das Ganze der Persnlichkeit, die Tiefe der Individualitt sichtbar zu machen. Nur was in dieser Weise aus dem inneren Leben des Knstlers quillt, hat Wahrheit – und hat damit echte Schnheit. A Mit dieser Grundanschauung wird die Kunst von aller “Knstlichkeit” befreit. Sie ist nichts bewusst- G e m a c h t e s , ein blosser Artefakt; sondern sie muss stets ein Gelebtes sein. Eine andere »Idealitt« der Kunst als diese, kennt G[oethe] nicht: der Geist des Wirklichen – so hat er einmal gesagt – ist das wahre Ideelle. B458 ^ G[oethe] hat einmal gesagt, im Grunde habe nicht e r seine Gedichte gemacht – sondern seine Gedichte hatten i h n gemacht. 459 Er empfand seine Dichtungen nicht als Zufallsprodukte, noch empfand er sie als blosse »Erdichtungen«; er sah in ihnen die gestaltenden Krfte seiner Persnlichkeit und seines Lebens. & In sehr C merkwrdigen und unbertrefflich praegnanten Worten hat G[oethe]’s Freund M e rc k diese Grundrichtung der G[oethe]’schen Dichtung ausgesprochen. G[oethe] hat uns diese Worte in “Dichtung und Wahrheit” aufbehalten. »Dein Bestreben, Deine unablenkbare Richtung« – so hat Merck zu dem jungen Goethe gesagt – [“]ist[,] dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben; die andern suchen das sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirkechte Schnheit.] danach gestrichen: ^ »Poetischer Gehalt ist Gehalt des eigenen Lebens« 460 – in diesen knappen Worten hat G[oethe] einmal seine Grundanschauung vom Wesen der Poesie zusammengedrngt. Die Kunst darf niemals ein blosser Schmuck und Zierrat sein, der dem Leben von aussen her hinzugefgt wird, um es zu verschnern oder, wie der fragwrdige und zweideutige Ausdruck lautet, zu »idealisieren«. Solche Art der Idealisierung hat G[oethe] immer aufs bestimmteste abgelehnt. »Der Geist des W i r k l i c h e n «, so hat er einmal gesagt[,] »ist das wahre Ideelle«[.] Was nicht unmittelbar aus dem Leben hervorquillt und was nicht fest mit ihm verwoben ist – das hat nach G[oethe] keine knstlerische Tiefe. In diesem Sinne konnte er alle seine Dichtungen – die kleinsten wie die grssten – als ein fortlaufendes Selbstbekenntnis, als “Bruchstcke einer großen Konfession” bezeichnen. In dieser grossen poetischen Beichte sah er das Beste, was er fr sich selbst gewinnen – und das Beste, was er andere, was er die Welt lehren konnte. »Was ich sag’, ist Bekenntnis / Zu meinem und Eurem Verstndnis” / – so heisst es in G[oethe]’s Zahmen Xenien[.] & [am Rand: Z[ahme] X[enien] II, / Hempel[, Bd.] 2, [S.] 351] B Eine andere »Idealitt« ... wahre Ideelle.] am Rand und dieser Stelle zugewiesen C In sehr] davor: eckige ffnende Klammer in Tinte, mit Bleistift gestrichen; daneben am Rand: ^ & ev[entuell] streichen, / spter: Werther Cit[at] (Cit undeutlich) A

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[Goethes geistige Leistung]

lichen, und das gibt nichts wie dummes Zeug.” 461 Goethes Phantasie ist die große gestaltende Kraft seines Daseins – wir spren sie nicht nur in allem, was der Knstler, sondern auch in allem[,] was der Naturforscher G[oethe] geleistet hat. Aber diese Phantasie war, wie G[oethe] gesagt hat, die “Phantasie fr die Wahrheit des Realen” – sie ist von allem bloss-Imaginativen, von allem »Phantastischen« streng geschieden. Eine Kunst, die in d i e s e r Weise dem Leben verbunden und ein Spiegel des Lebens selbst ist, plegte Goethe, in Anschluß an Herder, mit dem Namen der »charakteristischen Kunst« 462 zu bezeichnen. Und schon in seinem Jugendaufsatz ber das Straßburger Mnster hat er sich zu ihr bekannt. “In dem Menschen”1 – so heisst es hier – “ist eine bildende Natur, die gleich sich ttig beweist, wenn seine Existenz gesichert ist. Sobald er nichts zu sorgen und zu frchten hat, greift der Halbgott, wirksam in seiner Ruhe, umher nach Stoff, ihm seinen Geist einzuhauchen ... Lasst diese Bildnerei aus den willkrlichsten Formen bestehen; sie wird ohne Gestaltsverhltnis zusammenstimmen, denn Eine Empfindung schuf sie zum charakteristischen Ganzen. Diese charakteristische Kunst ist nun die einzig wahre. Wenn sie aus inniger, einiger, eigner selbststndiger Empfindung um sich wirkt, unbekmmert, ja unwissend alles Fremden, da mag sie aus rauher Wildheit oder aus gebildeter Empfindsamkeit geboren werden – sie ist ganz und lebendig.” 463 Aber damit stehen wir noch nicht am Ende, sondern erst am Anfang unseres Problems. Wre G[oethe] hierbei stehen A geblieben – so wre er damit ein großer Knstler gewesen, aber er htte nicht jenes universelle Ideal der »Humanitt«, der menschlichen Bildung verwirklicht, fr das er einer der grssten Zeugen ist. Denn menschliche Bildung fllt mit knstlerischer Bildung nicht zusammen. Sollte die innere Freiheit, die G[oethe] lehren will, nur den knstlerischen Naturen vorbehalten sein? Das war nicht G[oethe]’s Meinung. Er sah die Kunst stets als M o m e n t im Ganzen des menschlichen Lebens. Ihre Loslsung von diesem Ganzen, ihre Isolierung hat er nie gutgeheissen – das Ideal »l’art pour l’art« 464 ist G[oethe] ganz fremd. Das Leben, das wahre Leben, ist nach G[oethe] immer schpferisch – innerhalb der Kunst und außerhalb der Kunst. Und in menschlich-sittlicher Hinsicht kommt es auf diese schpferische F u n k t i o n , nicht auf ihr Resultat, auf ihren objektiven Ertrag an. Dieses Resultat mag noch so geringfgig und noch so alltglich sein – so behlt doch die reine T  t i g k e i t , die sich in ihm ausdrckt, immer ihren spezifischen Wert. Denn nicht das We r k als solches, sondern die reine 1

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“In dem Menschen”] am Rand: Morris[, Bd.] 3, [S.] 107[.]

stehen] gestehen

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Energie des W i r k e n s ist das, worauf der Wert eines menschlichen Erzeugnisses beruht. Demgemß kann auch der geringste Handwerker in seinem Kreise vollkommen sein, und er kann die gleiche innere Befreiung wie der Knstler erfahren – sofern er sich nur ganz seinem Werk hingibt, in ihm aufgeht und lebt. Den schnsten dichterischen Ausdruck fr diesen Gedanken hat G[oethe] in einigen Versen gegeben, die in einem Vorspiel enthalten sind, das er zur Wiedererffnung des Weimarer Theaters im Jahre 1807 gedichtet hat. “Der Du an dem Weberstuhle sitzest, Unterrichtet, mit behenden Gliedern Fden durch die Fden schlingend, alle Durch den Taktschlag aneinander drngest, Du bist Schpfer, daß die Gottheit lcheln Deiner Arbeit muß und Deinem Fleiße. .. So im Kleinen ewig wie im Großen Wirkt Natur, nicht Menschengeist, und beide Sind ein Abglanz jenes Urlichts droben, Das unsichtbar alle Welt erleuchtet.” A465 Jedes beschrnkte, einzelne, endliche Wirken ist ein Abglanz des unendlichen Wirkens der Natur und des Menschengeistes – und an diesem farbigen Abglanz, und an ihm allein, “haben wir das Leben”. 466 Aber hierin reiht sich nun G[oethe] erst der letzte und grsste Schritt. Denn der Mensch ist nach G[oethe] nicht allein zur Werkbildung, sondern er ist zur S e l b s t b i l d u n g bestimmt. Und hier liegt seine eigentliche und hchste Aufgabe. So kann G[oethe] unmittelbar von der Sphaere des t e c h n i s c h e n Wirkens zum e t h i s c h e n Wirken die Brcke schlagen. G[oethe]’s Ethik baut sich auf der Idee der Persnlichkeit auf: sie ist in ihrem Sinn und Kern Persnlichkeits-Ethik. “Volk und Knecht und berwinder – Sie gestehen, zu jeder Zeit: Hchstes Glck der Erdenkinder Sei nur die Persnlichkeit”[.] 467 Aber in der Persnlichkeit liegt, recht verstanden, nicht nur das hchste Glck, sondern auch der hchste Wert. ^ G[oethe] war keineswegs blind gegen die Probleme der sozialen Ethik – und je lter er wurde, um so strker und intensiver beschftigten sie ihn. Es gengt, einen Blick auf G[oethe]’s Alters d i c h t u n g [,] vor allem auf Wilh[elm] Meisters Wanderjahre zu werfen, um sich hiervon zu berzeugen. Aber auch in dieser Sind ein Abglanz ... erleuchtet.”] Fortsetzung auf einer neuen Lage von Papier, am Rand oben rechts: (Goethe-Vorles[ungen], / Lund, 2te Vorles[ung]) A

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[Goethes geistige Leistung]

letzten Phase ordnete er die G e m e i n s c h a f t s -Ethik der Persnlichkeits-Ethik unter. Er war berzeugt, daß der Mensch fr andere nur dann in der rechten Weise wirken knne, wenn er zuvor sich selbst gefunden – wenn er seine eigene »innere Form« 468 gefunden habe. Denn& auch A G[oethe]’s Ethik ist auf diesen Begriff der inneren Form gegrndet. Was man »Pflicht«, was man »Gewissen« nennt, das ist ihm nur ein anderer Ausdruck fr diese innere Regel: »Sofort1 nun wende Dich nach innen, Das Centrum findest Du dadrinnen Woran kein Edler zweifeln mag[.] Wirst keine Regel da vermissen: Denn das selbstndige Gewissen Ist Sonne Deinem Sittentag« 469 – so heißt es in G[oethe]’s Gedicht »Vermchtnis«[.] Das Gewissen ist fr G[oethe] nichts anderes als die universelle Idee der Weltordnung in ihrer Anwendung auf das Subjekt. Wer im o b j e k t i ve n Sinn sich mit den Gedanken des Kosmos durchdrungen hat, wer die Welt als eine durchgngige gesetzliche Einheit denkt – der kann nicht anders, als diesen Gedanken gegen sein eigenes Ich zurckzuwenden. Aber das Subjekt, die freie Persnlichkeit b e s i t z t nicht nur eine solche Einheit, sondern es s c h a f f t sie: und diese Schpfung ist das Letzte und Hchste, was der Formtrieb des Menschen erreichen kann. Dieser Parallelismus zwischen dem Makrokosmos der Natur und dem Mikrokosmos der menschlichen Persnlichkeit und der menschlichen Kultur hat seinen schnsten Ausdruck B in Wilh[elm] Meisters Wanderjahren gefunden. Das ist das erste Gefhl, von dem Wilhelm ergriffen wird, als er einen Astronomen besucht und durch das Fernrohr einen Blick auf den Sternenhimmel wirft. “Wie kann sich der Mensch gegen das Unendliche stellen[”] – so sagt er zu sich selbst – “als wenn er alle geistigen Krfte, die nach vielen Seiten hingezogen werden, in seinem Innersten, Tiefsten versammelt, wenn er sich fragt: Darfst Du dich in der Mitte dieser ewig-lebendigen Ordnung auch nur denken, sobald sich nicht gleichfalls in Dir ein beharrlich Bewegtes, um einen reinen Mittelpunkt kreisend, hervortut.[”] 470 In dieser Grundanschauung2 fhlte sich G[oethe] von allen philosophischen Denkern L e i b n i z am meisten verwandt – und um sie auszusprechen[,] griff er gern zum Leibnizischen Begriff der M o n a d e »Sofort] am Rand: W.A.[, Bd.] 3, [S.] 82[.] In dieser Grundanschauung] am Rand: Wanderj[ahre]: / [WA, Bd.] 24, [S.] 81[.] 1 2

A B

auch] mit Bleistift zu Auch gendert Ausdruck] danach gestrichen: ebenfalls

Zweite Vorlesung

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oder dem Aristotelisch-Leibnizischen Begriff der E n t e l e c h i e . Das Ich, die Persnlichkeit definierte er geradezu als »entelechische Monade«. 471 Hier sah er ein Urphaenomen –, ein Letztes und Hchstes, das sich auf nichts anderes mehr zurckfhren lsst. “Das Hchste, was wir von Gott und der Natur erhalten haben” – so schreibt er1 in den »Heften zur Morphologie« – [“]ist das Leben, die rotierende Bewegung der Monas um sich selbst, welche weder Rast noch Ruhe kennt; der Trieb[,] das Leben zu hegen und zu pflegen, ist einem jeden unverwstlich eingeboren, die Eigentmlichkeit desselben jedoch bleibt uns und andern ein Geheimnis”. 472 Aber im Menschen wohnt nicht nur, wie in jedem Naturwesen, der Trieb zur Lebens e r h a l t u n g , sondern der Trieb zur Lebens- g e st a l t u n g . Und alle Gestaltung bedeutet Erhhung und Steigerung. Fr diesen Drang der Selbst- und Lebensgestaltung wird die Natur um uns zum Stoff, an dem er sich immer wieder bettigen und erproben muss. »Das ganze Weltwesen liegt vor uns, wie ein grosser Steinbruch vor den Baumeistern«2 – so heisst es in W[ilhelm] M[eisters] Lehrjahren – [“]der nur dann den Namen verdient, wenn er aus diesen zuflligen Naturmassen ein in seinem Geist entsprungenes Urbild mit der grssten konomie, Zweckmssigkeit und Festigkeit zusammenstellt. Alles ausser uns ist nur Element, ja ... auch alles an uns; aber tief in uns liegt diese schpferische Kraft, die das zu erschaffen vermag, was sein soll, und uns nicht ruhen und rasten lsst, bis wir es ausser uns oder an uns auf die eine oder die andere Weise dargestellt haben.” 473 Hier stehen wir freilich an einer Grenze unserer Betrachtung, die wir nicht berschreiten knnen. Denn hier drngt sich eines der tiefsten und schwierigsten Probleme nicht nur der Goethischen Welt- und Lebensanschauung, sondern der Philosophie berhaupt auf. Wie verhalten sich diese beiden Ordnungen zu einander – in welchem Verhltnis steht die Ordnung des S e i n s zu der des S o l l e n s ? Wie lassen sich N a t u r und F re i h e i t mit einander vereinen und vershnen? Ich darf hier dieses Problem nicht in Angriff nehmen – denn, nach dem Plan dieser Vorlesungen, muss ich mir hier alle streng- p h i l o s o p h i s c h e n Betrachtungen untersagen[.] Aber ich will Ihnen wenigstens zu zeigen versuchen, wie G[oethe], nicht als Metaphysiker, sondern als D i c h t e r diese Fragen beantwortet hat. Als Dichter gab es fr ihn nur eine s y m b o l i s c h e Antwort auf das Problem von Freiheit und Notwendigkeit. Und hier greift er auf eine Symbolsprache zurck, die die Menschheit sich im Laufe vieler Jahrhunderte erschaffen hatte. Er knpft an A urtmlichen Glauben 1 2

A

so schreibt er] am Rand: Max[ime] 391[.] Baumeistern«] am Rand: 6[.] Buch, W.A.[, Bd.] 22, / [S.] 332 f.

knpft an] ersetzt gestrichen: greift auf

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[Goethes geistige Leistung]

an – an den Glauben an die Einwirkung der Gestirne auf das irdischmenschliche Dasein. A Was der Mensch ist – das steht in den Sternen geschrieben[.] Er gibt sich sein Dasein nicht selbst, sondern er empfngt es in seiner Geburtsstunde. Der Stand der Gestirne, die Konjunktion der Planeten im Augenblick der Geburt: dies bestimmt sein Schicksal. Aus diesem eisernen Ring der Notwendigkeit gibt es fr ihn kein Entrinnen. Aber so wenig der Mensch sein Wesen, seine Individualitt, sein tiefstes Sein ablegen oder willkrlich verndern kann – so wenig ist dasselbe ein blosses Faktum, dem gegenber sein Wille resignieren muss. Die Aufgabe des Willens besteht vielmehr darin, i n n e r h a l b dieser gegebenen Grenze zu wirken und zu schaffen. Die Krfte, die Gott und die Natur in ihn gelegt haben, die ursprngliche Anlage, die er von den Sternen zu Lehen trgt, muss sich entfalten und entwickeln. Der Mensch muss we r d e n , was er i s t . Und das kann er nur durch eigene Tat. Die Mglichkeiten, die die Natur ihm verliehen, sollen durch ihn selbst zur Wirklichkeit werden. Hier darf er sich nicht durch ussere zufllige Einflsse ablenken und aus seiner Bahn werfen lassen. Er muss seinem tiefsten Wesen getreu bleiben; er muss sich selbst immer klarer als das[,] was er ist[,] erkennen, und er muss sich, kraft dieser Erkenntnis, erst zum geschlossenen Ganzen, zur Persnlichkeit gestalten. Aber das hat G[oethe] ausgesprochen in einer Reihe von Versen, die zu dem Tiefsten und Schnsten gehren, was er gedichtet hat. Sie tragen die Aufschrift: » U r wo r t e . O r p h i s c h . « – als Erinnerung an die B griechische orphisch-theologische Dichtung, die immer wieder an die letzten metaphysisch-religisen Probleme – an die Erlsung der Seele aus den Banden des Krpers, aus dem Gefngnis des Leibes rhrte. Auch Goethes Strophen stellen eine bestimmte Erlsungslehre auf. Aber sie soll nicht, wie bei den Orphikern, von aussen, sondern von innen kommen. Nicht Riten, Kulthandlungen, mythischreligise Zeremonien knnen den Menschen reinigen und erlsen; in ihm selbst liegt die Kraft zur Erlsung. Ich muss auch hier Goethe selbst sprechen lassen – denn keine blosse Beschreibung kann Ihnen eine Vorstellung von der Schnheit und von dem geistigen Gehalt dieser Strophen vermitteln. Aber ich begnge mich damit, Ihnen die e r s t e Strophe vorzulegen, der Goethe den Titel ˜Æø[,] Dmon gegeben hat. Wie an dem Tag, der Dich der Welt verliehen[,] [Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, Bist alsobald und fort und fort gediehen, Nach dem Gesetz wonach du angetreten. So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, A B

Dasein.] Dasein zurck. zurck nach Streichung stehengeblieben die] die die Wiederholung auf der neuen Seite

Zweite Vorlesung

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So sagten schon Sibyllen, so Propheten; Und keine Zeit und keine Macht zerstckelt Geprgte Form die lebend sich entwickelt.] 474

Mit diesen Versen aus den Orphischen »Urworten« haben wir ein neues Gebiet erreicht, das ich indess hier nur zgernd betrete. Unser Weg hat uns von Goethes D i c h t u n g zu Goethes Auffassung der sittlichen Welt, zu seiner E t h i k gefhrt. Aber Goethes ethische Grundanschauungen sind unlslich mit seinen re l i g i  s e n Grundanschauungen verknpft. Beide weisen auf einander hin und ergnzen sich wechselseitig. So stehen wir hier vor der Frage, wie sich der grosse B e f re i u n g s p ro z e s s , der sich im Werk Goethes vollzieht, auf diesem Gebiet ausgewirkt hat. G[oethe] war kein religiser Reformator – aber sein gesamtes Denken kreist unaufhrlich um religise Probleme. Auch in seinen Gedichten kommt er wieder und wieder auf sie zurck: und einige der schnsten und großartigsten seiner Gedichte hat er unter dem Titel: G o t t u n d We l t vereint. Auch hier indess mssen wir uns, gemß dem Plan dieser Vorlesungen, eine bestimmte Begrenzung auferlegen. Ich lasse alles bei Seite, was man mit dem Namen einer Goethischen Religions p h i l o s o p h i e bezeichnen knnte. Nicht Goethes G e d a n k e n ber die Religion und ihre verschiedenen historischen Formen, sondern nur seine eigentmliche religise G e f  h l s we i s e will ich Ihnen kurz darzulegen suchen, um Ihnen zu zeigen, inwiefern er auch hier fr sich in Anspruch nehmen darf, A als B e f re i e r gewirkt zu haben. Die Weltanschauung, B die sich in diesen Versen ausspricht, pflegt man gewhnlich mit dem Namen des Pa n t h e i s m u s zu bezeichnen. Ich will gegen diese Bezeichnung nichts einwenden, wenn sie lediglich als ein bequemer Sammelname gemeint ist. Aber fr das tiefere Verstndnis und fr die Charakteristik von G[oethe]’s Naturlehre ist damit wenig gewonnen. Denn das Wort »Pantheismus« umschliesst sehr verschiedene Bedeutungen. In der Geschichte der neueren Philosophe gelten Giordano Bruno, Shaftesbury, Spinoza als die Begrnder und Hauptvertreter des Pantheismus. Aber zwischen allen dreien bestehen sehr wichtige Differenzen. Wenn sie in bestimmten metaphysischen Hauptstzen bereinzukommen scheinen – so sind sie doch in der B e g r  n d u n g dieser Stze weit von einander entfernt. Und fr die Beurteilung eines philosophischen Systems kommt es nicht sowohl auf seinen Inhalt, als auf die A

nehmen darf,] ein Pfeil weist hier nach unten; am Rand in Bleistift: +15 = 31 (ab

der folgenden Seite umfaßt das Ms. der Zweiten Vorlesung 31 S.) B

Die Weltanschauung,] ab hier neue Paginierung in Cassirers Hand, S. 1-5

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[Goethes geistige Leistung]

Form der Begrndung an. Diese ist nichts usserliches oder Nebenschliches – die Begrndung, der Zusammenhang, in dem die einzelnen Stze stehen, macht vielmehr gewissermassen die Seele eines philosophischen Systems aus. Bruno, Spinoza, Shaftesbury sind »Pantheisten« – sie sehen Gott im Ganzen des Alls. Aber sie stimmen weder in ihrem Begriff und in ihrer Intuition des Ganzen berein, noch in ihrer Auffassung der Beziehung des Ganzen zu den Teilen. Giordano Bruno berauscht sich an der unendlichen L e b e n s f  l l e des Alls – das All ist ihm die unerschpfliche Kraft, die alles durchstrmt und die stndig neue Einzelwesen aus sich gebiert. Fr S h a f t e s b u r y ist das All ein Universum von Fo r m e n ; jede in sich geschlossen und in sich vollkommen, und jede, gemss einer grossen einheitlichen hierarchischen Ordnung mit den andern verknpft. Fr Spinoza endlich ist das All weder das Ganze des Lebens, noch ist es eine Stufenfolge von Formen. Bei ihm ist sowohl der Lebensbegriff wie der Formbegriff ersetzt und gleichsam absorbiert und aufgesogen: – durch den Begriff des mathematischen Gesetzes. Die mathematische Ordnung der Natur: das ist das Kennzeichen und das Siegel ihrer Gttlichkeit. Bei Goethe finden wir vielfache Berhrungen mit Bruno, Shaftesbury und Spinoza – und oft hren wir in seinen Schriften deutliche Anklnge an sie. Dennoch trgt auch s e i n »Pantheismus« ein durchaus eigenartiges, spezifisches Geprge. Denn die B e z i e h u n g d e s B e s o n d e re n a u f d a s A l l g e m e i n e , in der wir den eigentlichen Kern des Problems sehen mssen[,] ist bei ihm, wenn wir sie mit den vorangehenden Systemen der Philosophie vergleichen, etwas Anderes und Neues. Wenn G[oethe] diese Beziehung b e z e i c h n e n will, so pflegt er sie eine »symbolische« zu nennen. Das Besondere oder Einzelne ist kein Teil des Alls – und ebensowenig verhlt es sich zu ihm in d e r Weise, wie sich der besondere Fall zu dem allgemeinen Gesetz verhlt, unter das er sich subsumieren lsst. Weder der rein quantitative Begriff des Ganzen und der Teile, noch der logische Begriff der Subsumption und Subordination drckt nach G[oethe] das Verhltnis adquat aus. Das Besondere ist nicht der Teil des Ganzen, sondern es ist die Darstellung, die Repraesentation, der symbolische Ausdruck des Ganzen. »Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeine repraesentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen«.1475 (Dieser Unterschied des G[oethe]’schen Pantheismus von dem seiner philosophischen Vorgnger mag auf den ersten Blick unerheblich scheinen. Zum mindest kann man annehmen, daß es sich in ihm eben um nichts anderes als um einen m e t a p h y s i s c h e n Unterschied handelt. Aber das ist durchaus nicht der Fall:) er ist vielmehr bestimmend 1

Unerforschlichen«.] am Rand: Max[ime] 314[.]

Zweite Vorlesung

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und ausschlaggebend geworden fr den ganzen Aufbau von G[oethe]’s k o n k re t e r N a t u r a n s i c h t . Die pantheistischen Metaphysiker haben selten A das Bedrfnis gefhlt, ihre Grundanschauung auf empirischem Wege, durch die Erforschung der Einzelphaenomene der Natur, zu erweisen. Sie stehen, wie Bruno oder Shaftesbury, auf dem Boden der aesthetischen Intuition, oder, wie Spinoza, auf dem Boden der mathematischen Deduktion. Kein einzelnes konkretes Forschungsergebnis ist daher an den Namen Bruno, Spinoza oder Shaftesbury geknpft. Bei G[oethe] aber ist dies vllig anders. Er ist erfllt von der Anschauung des Ganzen der Natur; aber er will gleichzeitig dieses Ganze in den besonderen Erscheinungen ergreifen und wiedererkennen[.] Das unterscheidet ihn grundstzlich von jeder Metaphysik des »Absoluten«. »Vom Absoluten in theoretischem Sinne«1 – so erklrt er – [»]wag’ ich nicht zu reden; behaupten aber darf ich, daß wer es in der Erscheinung anerkannt und immer im Auge behalten hat, sehr grossen Gewinn davon erfahren wird«. B476 1

theoretischem Sinne«] am Rand: Max[ime] 261[.]

selten] mit Bleistift unter gestrichenem nie erfahren wird«.] danach mit Bleistift durchgestrichen: Damit haben wir abermals ein neues Gebiet betreten. Unser Weg hat uns von G[oethe]’s D i c h t u n g zu seiner Auffassung von der menschlich-sittlichen Welt – von dieser, von der Ethik, zur R e l i g i o n gefhrt. Aber der Kreis schliesst sich erst, wenn wir sehen, wie alle verschiedenen sich in seiner N a t u r a n s i c h t vereinen und durchdringen. Auf d i e s e mssen wir daher noch kurz eingehen, wobei freilich wenige Andeutungen gengen mssen. Goethes N a t u r f o r s c h u n g ist ein Kosmos fr sich – ich kann hier versuchen, die U m r i s s e desselben zu zeichnen, aber ich kann nicht entfernt daran denken[,] in seine eigentliche Tiefe vorzudringen. Denn diese Tiefe erschliesst sich nur dem, der dem Forscher Goethe auf Schritt und Tritt folgt, der sich mit ihm in die Einzelphaenomene der Natur versetzt, – der G[oethe] nicht nur als grossen Dichter oder als grossen Denker sieht, sondern der sich ganz konkret vergegenwrtigen kann, was er als Mineraloge, als Geologe, als Anatom und Osteologe, als Botaniker und Morphologe geleistet hat. Auf diesen reichen und fast unbersehbaren I n h a l t von G[oethe]’s Naturforschung knnen und wollen wir hier nicht eingehen. Wir knnen nur versuchen[,] uns ihre allgemeine Fo r m zu vergegenwrtigen und uns gewissermassen den Geist deutlich zu machen, von dem sie beseelt ist danach durch Pfeil verbunden: (S. 6)[.] Gemeint ist wohl Bl. 98r, das oben links in Tinte mit 5 und darunter in Bleistift mit (6) paginiert ist. Es findet sich in den Mss. keine dritte Lunder Vorlesung. Es folgt hier ein loses Blatt (35) mit Ausfhrungen zu Goethes frhen Leipziger Jahren. Danach folgen die Bltter 36-51 mit der letzten Gteburger Vorlesung. Diese sind von Cassirer eigenhndig datiert und mit einer berschrift versehen: Letzte Vorlesung (12. 3. 41). Die erste Lunder Vorlesung fand am 19. 3. 41 statt. Dieser Text lag wohl auch der letzten Lunder Vorlesung zugrunde. Er wird im vorl. Bd. auf S. 221-231 wiedergegeben.

A B

B E IL AG EN

D E R J U NGE GO E T H E

[Vorlesung an Gteborgs Hgskola. Erste Fassung] A L e i p z i g ( O k t o b e r 176 5 b i s Au g u s t 176 8 ) Als Sechzehnjhriger, im Oktober 1765, trifft Goethe in L e i p z i g ein, um dort, gemss dem Wunsch des Vaters, die R e c h t e zu studieren. Er beginnt auch, juristische Vorlesungen zu hren; aber diese vermgen ihm kein Interesse abzugewinnen. Als Grund hat er dafr angefhrt, daß ihm das rein S t o f f l i c h e schon grsstenteils bekannt war. Er beginnt damit, die Vorlesungen fleissig nachzuschreiben; aber er wird dessen bald mde, da er findet, daß sie ihm nur wenig Neues geben. Das »Corpus juris« hatte G[oethe] schon in Frankfurt in Hnden gehabt, und ebenso einen kleinen “Katechismus” der Institutionen von H o p p e ; 477 im Aufschlagen der Texte des C[orpus] j[uris] war er sehr gebt[,] B spter hat er dann, mit Hlfe eines Repetitoren, seine jurist[ische] Doktorpromotion C in berraschend kurzer Zeit durchgefhrt. – D G[oethe] erklrt in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] (B[uch] 6, Loeper[, Bd.] 21, [S.] 33)[,] es sei ein grosser Schaden, wenn man junge Leute auf Schulen zu weit fhre – das Interesse werde dadurch nicht gestrkt, sondern gemindert[.] E Seinen nheren Freunden und Bekannten aber galt Goethe schon damals nicht als ein Student der Rechte, sondern als D i c h t e r. Sein Freund H o r n macht bei seinem Abschied von Frankfurt ein Gedicht, in dem es heisst (Morris, D[er] j[unge] G[oehte], [Bd.] I, S. VII)[:] “Du hast von Kindes Beinen der Dichtkunst nachgestrebt Drum zeig’ uns, daß Dich diese mehr als das Jus belebt”[.]

Leipzig – Charakter und Milieu – Diejenige Universittsstadt, die sich am meisten auf ihre feine Bildung zu Der junge Goethe ... Erste Fassung] Bl.1r-11v dieser Fassung erscheinen im vorl. Bd., S. 5-54. Die ersten vier Vorlesungen von Der junge Goethe sind nur in dieser Fassung berliefert. B sehr gebt,] danach gestrichen: (D u W. Loep[er, Bd.] XX, [S.] 135 f., [Bd.] XXII, [S.] 28) C Doktorpromotion] Doktorpromotion, D durchgefhrt. –] durchfhren. – E Goethe erklrt ... sondern gemindert.] zwischen den Zeilen eingefgt A

270

Beilagen

Gute tut. Man will nicht nur Wissenschaft treiben; sondern man will die “schnen Knste” pflegen und den G e s c h m a ck verfeinern. Diese Verbesserung des »Geschmacks« stellen A sich auch die Professoren, vor allem G o t t s c h e d und G e l l e r t , zum Ziel. Besonders wird auch die deutsche S p r a c h e sorgsam gepflegt: man legt den Professoren seine Briefe, seine Exerzitien vor, um sie von ihnen korrigieren zu lassen. B Die Leipziger C S t u d e n t e n s i t t e n waren noch roh genug, wie die Szene in Auerbachs Keller zeigt – aber im allg[emeinen] war man stolz darauf, daß es feiner und gesitteter als an anderen Univers[itten] zuging[.] “Mein Leipzig lob ich mir Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute”[.] 478 Gottsched – Er hatte lange Zeit die deutsche Litteratur beherrscht – er war der Diktator des guten Geschmacks, seine “Krit[ische] Dichtkunst” galt als Gesetzbuch – Verdienste um die deutsche Sprache; vortreffl[iche] Kenntnis besonders der  l t e re n deutschen Litteratur, althochd[eutsche] u[nd] mittelhochd[eutsche] Litt[eratur.] D1 Verdienste ... mittelhochdeutsche Litteratur.] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: cf. Scherer[, Geschichte der deutschen Litteratur, 1883, S.] 397[.] 1

stellen] am Rand ohne Zuweisung zum Text und durchgestrichen: ( ++Goethe war es natrlich, / S c h r i f t s p r a c h e u[nd] g e s p ro c h e n e / Sprache zu unterscheiden – wie / das heute noch fr jeden / S c h we d e n natrlich ist – / Hier aber sollte er lernen[,] ein / “gebildetes” Schriftdeutsch zu / schreiben – “da mir Reden u[nd] Schreiben / ein fr alle Mal z we i e r l e i Dinge / erscheinen, von denen jedes wohl seine eigenen Rechte behaupten knne” 479 [am unteren Rand durch Linie dieser Stelle zugewiesen: (D u W.)] / Gottscheds Versuche eine einh[eitliche] Schriftsprache zu schaffen, die auf dem O b e r s  c h i s c h e n / ruht – das war das / ‘gebildete’ Deutsch++[)] B lassen.] danach z. T. mehrfach gestrichen: er musste sich hier den Frankfurter D i a l e k t i k abgewhnen, um das bessere und reinere Leipziger Idiom zu sprechen [danach weist ein Pfeil auf die Randbemerkung: D u W, [Buch] 6, [Loeper, Bd.] 21, [S.] 35 ff.] / Gellerts P r a k t i k u m ; bungen in deutschen und latein[ischen] Ausarbeitungen zur Bildung des Verstandes cf. L o e p e r, D[.] u. W., [Bd.] 21, S. 261[.] C Die Leipziger] am Rand ohne Zuweisung zum Text: Wenn man Gellert und seinen / Stil kennt, hat es etwas / Merkwrdiges fr uns, ihn / als “Korrektor” von Goethes / Stil zu denken! D Verdienste ... mittelhochdeutsche Litteratur.] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen A

Der junge Goethe [Erste Fassung]

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Hier hatte er sich gerhmt, die Regeln festgestellt zu haben, durch deren Anwendung Jeder befhigt wurde, ein gutes Gedicht zu machen – Ein g u t e s Gedicht: d. h. ein “regelrechtes” und regelmßiges Gedicht, das allen Vorschriften der Poetik entsprach – Horaz und Boileau als Gesetzgeber Zu Goethes Zeit war Gottscheds Gestirn im Sinken – A die Kritik L e s s i n g s hatte seine Autoritt erschttert – Lessing hatte erklrt, daß Gottsched kein Dichter B [sei], ja er war so weit gegangen, ihm auch jedes Verdienst C an der Entwicklung der deutschen dramatischen Litteratur abzusprechen[.] D Die j u n g e G e n e r a t i o n hatte Lessings Urteil unbedingt angenommen: G[oethe] E hat in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] geschildert, mit welcher Begeisterung er die kritischen Schriften Lessings, insbesondere den L a o k o o n , studiert habe. G[oethe] hat Lessing in Leipzig leider n i c h t g e t ro f f e n : F [“Lessing traf zu einer Zeit ein, wo wir, ich weiß nicht was, im Kopf hatten; es beliebte uns, ihm nirgends zu Gefallen zu geben, ja die Orte, wo er hinkam, zu vermeiden, wahrscheinlich weil wir uns zu gut dnkten, von ferne zu stehen, und keinen Anspruch machen konnten, in ein nheres Verhltnis mit ihm zu gelangen. Diese augenblickliche Albernheit, die aber bei einer anmaßlichen und grillenhaften Jugend nichts Seltenes ist, bestrafte sich freilich in der Folge, indem ich diesen so vorzglichen und von mir aufs Hchste geschtzten Mann niemals mit Augen gesehen”. 480 ] aber von seinen I d e e n ist er schon aufs strkste berhrt. G

Sinken –] am Rand ohne Zuweisung zum Text: auch die heftige Gegnerschaft / gegen den »Messias« / (ersch[ienen] 1748) kompromittierte / ihn. B Dichter] Dichter, danach gestrichen: sondern ein blosser Versifikator sei – C Verdienst] Verdienst, D abzusprechen.] danach auf neuer Zeile gestrichen: Litteraturbriefe 17: / Niemand – sagen die Verf[asser] der Bibl[iothek] – wird leugnen, daß die deutsche Schaubhne einen grossen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor G[ottsched] zu verdanken habe / “Ich bin dieser Niemand, ich leugne es gerade zu. Es wre zu wnschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt htte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen” (L[achmann]-M[uncker, Bd.] 8, [S.] 41)[.] E angenommen: Goethe] am Rand: “Ganz Leipzig verachtet ihn, / Niemand geht mit ihm um” / (Brief von Goethe) 481 F n i c h t g e t ro f f e n :] danach zwischen den Zeilen: s[iehe] D u W[, Buch] II[,] Loep[er, Bd.] 21, [S.] 106 mit langem Pfeil verbunden auf dem Rand: cit! G berhrt.] danach gestrichen: “Man muss Jngling sein” etc. – Loep[er, Bd.] 21, [S.] 95 danach mit langem Pfeil verbunden auf dem Rand: cit! A

272

Beilagen Z

(Pers[nliche] Erinn[erung] -) 482 Gellert – Von G[ellert] spricht Goethe in Dichtung u[nd] Wahrh[eit] mit grosser Liebe – u[nd] er berichtet, daß die Verehrung und Liebe, die er von allen jungen Leuten genoss, ausserordentlich gewesen sei. (Loep[er, Bd.] 20, [S.] 32) Auch seinen l i t t e r a r i s c h e Idealen muss er damals noch recht nahe gestanden haben. Es verlohnt sich daher, die Ideale etwas nher ins Auge zu fassen – man kann auf diese Weise am besten den gewaltigen Abstand ermessen, der die folgende Epoche, die Epoche des Sturm u[nd] Drangs, von der Leipziger Zeit trennt. Gellert (persnl[iche] Er[innerung]: Gellerts Technik – doppelter Erfolg[,] etc.) 483 G[ellert] hat schne und innige g e i s t l i c h e L i e d e r verfasst – sie wirken noch heute auf uns – wobei wir sie freilich von den B e e t h o ve n s c h e n K o m p o s [ i t i o n e n ] nicht loslsen knnen[,] A und besonders bekannt ist er durch seine Fa b e l n geworden, die noch in meiner Jugendzeit in allen deutschen Lesebchern zu finden waren[.] (Ein Beispiel: Die Fabel vom Hut, die einiges h i s t o r [ i s c h e ] Interesse hat dadurch, daß sie vor Friedrich II. Gnade fand) [“]Und daß ichs kurz zusammenzieh – Es ging dem Hut [fast] wie der Philosophie[”.] 484 Das ist nicht eben tiefsinnig – aber es ist gewandt und witzig – B – “Das ist schn, recht schn[”] – sagte Friedrich II. – “er hat so was Kulantes in seinen Versen[”] – und nachher bei Tisch ussert er, Gellert sei der Vernnftigste unter allen deutschen Gelehrten (Scherer[, S.] 395)[.] C485 Anders die L u s t s p i e l e : sie sind unertrglich schwerfllig, in der Charakterisierung recht kindlich, in der Diktion oft sehr platt. Aber sie wollen uns nicht bloss unterhalten, sondern vor allem b e l e h re n [.] Das moralische Ideal der Dichtung steht bei G[ellert] durchaus im Vordergrund[.] D Dichtung ist E i n k l e i d u n g einer moralischen Wahrheit in ein Bild, damit diese Wahrheit fr Jeden fassbar ist – E

sie wirken noch ... loslsen knnen,] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen witzig –] danach gestrichen: u[nd] so sind auch noch die anderen Fabeln – C “Das ist schn, ... (Scherer, S. 395).] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen D Vordergrund.] danach auf neuer Zeile gestrichen: Das alte »Et prodesse volunt et delectare poetae« 486 E fassbar ist –] danach gestrichen: Gellerts Rechtfertigung der Fabel: »Du siehst daraus, wozu sie ntzt. / Dem, der nicht viel Verstand besitzt / Die Wahrheit durch ein Bild zu sagen.« 487 / Die Po e s i e – fr den, der “nicht viel Verstand A B

Der junge Goethe [Erste Fassung]

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Gellert schtzt von allen zeitgenssischen Dichtern R i c h a r d s o n am meisten[.] ^ (Richardson – ein einfacher Mann – aus rmlichen Verhltnissen – kam als B u c h d r u ck e r nach London u[nd] brachte sein Geschft rasch in die Hhe. Auf den Rat einiger Freunde macht er den Versuch[,] selbst zu schreiben – so entsteht sein erstes Werk »Pamela or virtue rewarded«[,] 2 B[n]de 1740 – das sogleich einen ausserordentlichen Erfolg hatte – In Frankreich gehren D i d e ro t und Ro u s s e a u zu den Bewunderern R[ichardson]’s. In A Deutschland ist die Pamela ausserordentlich viel gelesen worden[.] Das Thema: die belohnte Tugend – ein armes Dienstmdchen trotzt allen Knsten eines adligen Verfhrers – sie wird schliesslich belohnt, indem dieser, da ihm kein anderes Mittel mehr bleibt, sich entschliesst, sie zu heiraten, sodaß das Dienstmdchen zur Gemahlin eines Lord wird. Damit ist die Tugend belohnt[,] und die Moral hat gesiegt. B Fr G e l l e r t ist Richardson schlechthin unbertroffen C[.] G e l l e r t .D Persnl[iche] Erinnerung – Heidelberg 1893 – Gellerts Te c h n i k 488 Ich kann hier also zwar ber G[ellert] aus eigener Anschauung sprechen, aber ich muss mich auf die Treue meines Gedchtnisses verlassen –

besitzt”, der auf anderem Wege nicht zur Anerkennung einer moralischen Wahrheit gebracht werden kann! A In] in B gesiegt.] danach gestrichen: ^ Ein anderer sehr berhmter Roman R[ichardson]’s ist der » G r a n d i s o n «[,] hier wird das Tugendideal des M a n n e s , wie in der Pamela das Tugendideal der Frau gezeichnet / 7 Bnde (1753) – ein “trostlos langweiliges Buch” – so urteilt Erich Schmidt in seinem Buch, »Richardson, Rousseau u[nd] Goethe« / (S. 15) / Trotzdem hatte es den grssten Erfolg – es enstand ein wahrhaftes G r a n d i s o n f i e b e r – / Als Goethe in Leipzig studiert, ist das »Fieber« noch in voller Kraft – / vgl. sein Schreiben an Friedrich Oeser: (Epistel vom Jahr 1768) / Denn will sich Einer nicht bequemen / Des Grandisons ergebener Knecht / Zu sein – und alles blindlings anzunehmen / Was der Dictatur spricht – / Den lacht man aus, den hrt man nicht. & C unbertroffen] danach gestrichen: u[nd] – in ein Sinngedicht ber Richardsons Bildnis: / “Die Werke, die er schuf, wird keine Zeit verwsten, / Sie sind Natur, Geschmack, Religion / Unsterblich ist Homer, unsterblicher bei Christen / Der Britte Richardson”! 489 dann folgen die wohl nachtrglich eingelegten Bltter 13 a und 13 b D G e l l e r t .] am Rand: 13 a

274

Beilagen

denn die Eindrcke, auf die ich mich sttzen muss, liegen[,] wie gesagt, 47 Jahre zurck. Gellerts Produktion bewegt sich auf sehr verschiedenen Gebieten, und hat einen ungleichen Wert – Er hat nicht nur auf Deutschland, sondern auch darber hinaus gewirkt – wohl auch auf S c h we d e n – wenigstens sind schon im 18ten Jahrh[undert] v i e l e s e i n e r S c h r i f t e n i n s S c h we d i s c h e  b e r s e t z t wo r d e n – Ich habe eine bersetzung seines Romans “Leben der schwedischen Grfin G.[”] – aus dem Jahre 1757 gefunden: Den svenska Grevinnan afskildrad av Gellert och nu fversatt av B. gren[,] Stockholm, 1757 ebenso ist im Jahre 1767 eine schwed[ische] bersetzung seiner Fa b e l n u n d E r z  h l u n g e n erschienen[.] A Nach Schck-Warburg[, Bd.] III, [S.] 313 hat er auf den l i t t e r a r [ i s c h e n ] G e s c h m a ck i n S c h we d e n keinen Einfluss gebt! B490 In Deutschland war die Wirkung stark – die Briefe galten als Muster des Stils und des gebildeten Geschmacks. Es ist seltsam zu denken, daß damals auch der junge Goethe, der an einem Praktikum bei Gellert teil nahm, dieses Urteil geteilt hat – Denn es gibt kaum einen strkeren G e g e n s a t z als den zwischen dem Briefstil des s p  t e re n Goethe, des Straßburger Goethe u[nd] den Briefen Gellerts, die uns heute geknstelt und affektiert erscheinen – Sehr unlebendig sind auch die Gellertschen Lustspiele – hchst ungewandt in der Technik, in der psychologischen Charakteristik geradezu kindlich-naiv, in der Diktion oft sehr platt[.] Wenn man hier den ganzen Unterschied fhlen will, so muß man Gellerts Lustspiele neben die des jungen L e s s i n g legen – und diese (Der junge Gelehrte, Die alte Jungfer) sind ja noch sehr unfertig – aber neben den Lustspielen Gellerts wirken sie als kleine dramatische Meisterstcke. Noch ein Wort ber Gellerts Roman: [“]Die schwediche Grfin[”,] der hier wegen seines C I n h a l t s interessieren knnte.

bersetzung seiner Fa b e l n u n d E r z  h l u n g e n erschienen.] danach gestrichen: Fabler och berttelser, fvers. av. F. H. D e n i s s o n / Stockholm 1767 / auch seine Briefe wurden schon im 18. Jahrh[undert] ins Schwed[ische] bersetzt[.] B Nach Schck ... gebt!] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: Ob er auf die schwed[ische] Litt[eratur] eingewirkt hat, entzieht sich meiner Kenntnis – C seines] ihres A

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Hier hatte G[ellert] den Ehrgeiz, einen spannenden Roman zu schaffen – und das ist ihm in gewissem Sinne auch gelungen: das Buch hatte einen großen Erfolg. Aber er hat sich dabei zu den merkwrdigsten Zugestndnissen bereit gefunden – und das Buch wirkt oft geradezu unmoralisch, obwohl es G[ellert] nur auf moralische und religise Belehrung ankam[.] Varnhagen von Ense1 erzhlt, daß sich Jemand in einer Berliner Gesellschaft einmal den Scherz machte, einzelne Szenen aus G[ellert]’[s] Roman, ohne den Verfasser zu nennen, vorzulesen – die Zuhrer hielten das Werk fr eines der unmoralischsten Produkte des jungen Deutschlands – “selbst die junge Romantik hat nicht so mit der Heiligkeit der Ehe gespielt, als es hier Gellert sehr wider seinen Willen tut”[.] A491 Mit S c h we d e n hat das Buch wenig zu tun – die Grfin ist aus L i v l a n d gebrtig – heiratet dann mit 16 Jahren den jungen u[nd] schnen Grafen von G. aus Schweden – das Paar lebt sehr glcklich; nach einigen Jahren besucht es den schwedischen Hof, und hier ist die Grfin den unsittl[ichen] Antrgen des Prinzen von S. ausgesetzt, den sie aber schnde zurckweist – das zieht ihr die Ungnade u[nd] die Verbannung vom Hof zu[,] dann wird ein Krieg zwischen Schweden und Polen geschildert – aus Rache stellt der Prinz von S. den Gemahl der Grfin, der Offizier ist, auf den gefhrlichsten Posten – er wird schwer verwundet und stirbt, nachdem er noch vorher der Grfin zur Flucht geraten hat[.] Die Grfin flieht nach Amsterdam[,] B die weiteren Teile des Romans spielen dann in H o l l a n d , in R u s s l a n d , in Sibirien – sie sind usserst abenteuerlich u[nd] grotesk u n wa h r s c h e i n l i c h ! Wirklich l e b e n d i g sind von G[ellert] nur seine g e i s t l i c h e n L i e d e r (1757)[,] die innig und warm empfunden sind – Varnhagen von Ense] am Rand: E r [ i c h ] S c h m i d t / Richards[on], S. 32 ff[.] 1

tut”] danach auf neuer Zeile: (Er[ich] S c h m i d t [, S.] 32) Die ... nach Amsterdam,] am Rand: 13 b

A Willen B

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Beilagen

ihre Wirkung liegt freilich zum grossen Teil daran, daß kein Geringerer als Beethoven sie komponiert hat[.] A Die B Dichtung der Leipziger Zeit. [ Æ ] Ly r i k – Sie ist Anakreontik und galante Dichtung[.] Die »Anakreontik« in der deutschen Litteratur durch C Gleim, Hagedorn vertreten – ein Beispiel[:] G l e i m s Versuch in “Scherzhafe Lieder” 1744/45 mit dem Motto aus Vo l t a i re : »Ah! que j’aime ces vers badins, ces riens na fs et plein de grace«! D 492 Die E Anakreontiker lieben es zu versichern, daß sie locker und leichtsinnig nur in der Dichtung, im Leben aber gesetzt und ernst sei[en] – Auch F Goethe hat damals sicher noch manches Liebesgedicht im Hrsaal geschrieben[.] G Die Dichtung hat mit dem Leben nichts zu tun – sie ist Laune, Spiel, Tndelei – Wein, Liebe, der Frhling, die Blumen, die Nachtigale wurden besungen – fester mythologischer A p p a r a t , Bacchus, die Grazien, Venus[,] Cythere treten auf[.] H Die galante Dichtung im Stil der Franzosen – sie war insbesondere durch W i e l a n d auf eine hhere Stufe gehoben worden – (Wieland bildet auch fr Goethe das bewunderte Vorbild[.] D u W.[, Bd.] XXI, Loeper[, S.] 51 I komponiert hat.] danach gestrichen: Fa b e l n (Friedrich II) / Der Hut: / runder Hut, Schlapphut – steife Krempe – spitzer Hut – / Der Dreispitz – eingefaßt mit Borte u. s. f. / “Und jedesmal ward die erfundene Tracht / Im ganzen Lande nachgemacht” / M o t t o : “Was mit dem Hut sich ferner zugetragen / Will ich im zweiten Buche sagen, / Der Erbe liess ihm nie die vorige Gestalt / Das Aussenwerk war neu; er selbst, der Hut blieb alt; / Und daß ichs kurz zusammenzieh’ / Es ging dem Hut fast, wie der Philosophie” 493 / »Dem[,] der nicht viel Verstand besitzt« 494 ... / ... cf. R i c h a r d s o n ! B D i e ] davor gestrichen: II) C durch] danach gestrichen: Uz, D Ein Beispiel G l e i m s ... grace«!] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen E Die] die F Auch] (Auch keine schließende Klammer G geschrieben.] geschrieben: danach gestrichen: “Von kalten Weisen rings umgeben / sing ich, was heisse Liebe sei / ich sing vom sssen Saft der Reben / und Wasser trink’ ich oft dabei” – 495 H Wein, Liebe ... Cythere treten auf.] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen I D u W ... S. 51] danach auf neuer Zeile gestrichen: Wieland besaß das schnste Naturell. Musarion wirkte am Meisten auf mich; alles was in Wielands Genie p l a s t i s c h ist, zeigt sich hier aufs vollkommenste – antike Mythologie und A

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^G[oethe] glaubte sogar in Wieland eine Nachwirkung echten a n t i k e n Geistes zu sehen – ([D u W, Loeper, Bd.] XXI, [S.] 54) er[,] der spter in seiner Farce »Gtter Helden und Wieland« so derb ber sein Missverstehen der Antike gespottet hat –)& G r u n d s t i m m u n g – Leben und Liebe sind flchtig – man geniesse[,] so viel man kann – und man beschwere sich nicht mit unntzen Grbeleien[.] Gedicht: U n b e s t  n d i g k e i t 1[.] Schon wahre und echte N a t u re m p f i n d u n g – aber die lyrische Stimmung klingt nicht aus – G[oethe] liebt es[,] sie durch einen Scherz, eine Reflexion, eine epigrammatische Wendung u m z u b i e g e n [.] A Was Goethe anstrebt[,] ist Leichtigkeit, Grazie[,] die fr einen Augenblick erheitert und fesselt, – nicht mehr[.] Zueignung2 An Behrisch B Eine Au s n a h m e s t e l l u n g in G[oethe]’s Leipziger Lyrik nehmen 3 Oden ein, die er an seinen Freund B e h r i s c h gerichtet hat, als dieser Leipzig verlassen musste. Sie fallen schon durch ihre Fo r m heraus, denn G[oethe] benutzt hier nicht den gereimten Vers und gestaltet ihn nicht in der Manier der damaligen Anakreontik – sondern er greift zu der f re i e n Odenform, die damals durch K l o p s t o c k in die deutsche Poesie eingefhrt worden war. Aber auch gefhlsmßig herrscht hier ein anderer Ton. Hier sprt man nichts von Tndelei und Spielerei – sondern das Gefhl gibt sich ganz frei und offen. Goethe war mit Behrisch durch eine echte Freundschaft verbunden – und er hat uns, noch als Sechzigjhriger, in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] ein sehr liebevolles Bild von ihm gezeichnet. Er, der sonst so Selbstbewusste und der in der Leipziger [Zeit] oft so Gedicht: U n b e s t  n d i g k e i t ] mit Pfeil verbunden auf dem Rand: M o r r i s [ , B d . ] I , [ S . ] 2 4 3 f [.] 2 Z u e i g n u n g ] am Rand, verbunden mit einem Pfeil: Morris[, Bd.] I, [S.] 362[.] 1

moderne Gallanterie durchdringen sich – am Rand: u[nd] zuletzt lst sich fast / immer die Stimmung in ein E p i g r a m m – / in eine witzige Po i n t e / auf: / So auch hier[;] vgl[.]: D i e N a c h t [.] A Wendung u m z u b i e g e n .] danach gestrichen: cf. Neue Lieder: D i e N a c h t [mit Pfeil verbunden auf dem Rand: Morris[, Bd.] I, [S.] 3 51 ] / Luna und Zephirs – noch Rokoko, noch Mythologie – / aber wie das Mondlicht die Nacht der Eiche bricht, wie / die Birken sich vor dem Mondlicht neigen – / das ist schon ein Hauch echter Griechischer Poesie / 2te Strophe – der Schluss mit der Antithese – das Epigram / [Morris, Bd.] I, [S.] 352[.] B A n B e h r i s c h ] danach gestrichen: s . S . 14 a , aber die folgende Seite 14a, die auch inhaltlich hier anschließt, ist nicht gestrichen

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Beilagen

Selbstgefllige, legte Behrisch gegenber diese Eigenschaften vllig ab. Er ordnete sich B[ehrisch], der um einige Jahre lter war, vllig unter – wie er sich spter Herder untergeordnet hat – denn Unterordnung war Goethes Wesen keineswegs fremd, sobald er auf eine wirkliche Eigenart, auf eine originelle Persnlichkeit traf. Und Behrisch war eine solche Persnlichkeit – ein wirkliches “Original”. Er hatte sich mhsam durchzukmpfen – denn er war arm; aber er war stets heiter und zu Spssen aufgelegt. Seine grsste Lust – so sagt G[oethe] – war, sich ernsthaft mit possenhaften Dingen zu beschftigen und irgend einen albernen Einfall bis ins Unendliche zu verfolgen. G[oethe] nennt ihn einen der wunderlichsten Kuze, der ihm je begegnet. Als er sich von ihm trennen1 musste, als Behrisch seine Stelle als Hofmusiker verlor und Leipzig verlassen musste, empfand Goethe dies als einen schweren Verlust. In dieser Stimmung hat er die O d e n a n B e h r i s c h gedichtet. A Er will den Freund nicht zurckhalten – er rt ihm selbst, zu gehen, da hier in diesem Leipzig, seines Bleibens nicht sei[.] »Verpflanze den schnen Baum, Grtner,2 er dauert mich. Glcklicheres Erdreich Verdiente der Stamm«[.] 496 Und er rt Behrisch, sich rasch ber seinen Verlust zu trsten – denn Gefhl schafft nur Leiden, und es sei besser, ihm ein fr alle Mal zu entsagen. »Sei gefhllos! Ein leichtbewegtes Herz, Ist ein elend Gut Auf der wankenden Erde. Behrisch, des Frhlings Lcheln Erheitre Deine Stirne nie, Nie trbt sie dann mit Verdruss Des Winters strmischer Ernst«[.] 497 Das ist im Jahre 1767 geschrieben – das ist die Philosophie des achtzehnjhrigen Goethe! Eine mde und resignierte Philosophie fr einen Achtzehnjhrigen! Besser kein Gefhl haben, besser sich abstumpfen gegen das 1 2

Als er sich von ihm trennen] am Rand: D u W. L[oeper, Bd.] 21, [S.] 78[.] Grtner,] am Rand: Morris[, Bd.] I, [S.] 239[.]

gedichtet.] danach gestrichen: Er will sich dem Trennungsschmerz nicht hingeben und rt dem Freund das Gleiche: Doppelpunkt nach Streichung stehengeblieben

A

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Gefhl – als stndig unter ihm leiden. Spter wird Goethe anders denken! Der Dichter des Werther weiss besser als jeder andere, daß ein leichtbewegtes Herz “ein elend Gut auf der wankenden Erde” ist. Und doch will er diesem Herzen nicht entsagen – denn er weiß, daß es der ganze Inhalt des Lebens ist. Das Herz ist die Quelle alles Elends – aber es ist auch die Quelle alles Glcks – und fr die Menschen gehren Glck und Leid untrennbar zusammen. Das ist die Stimmung, aus der heraus Goethe A e i n e a n d e re g ro s s e O d e , die Ode P ro m e t h e u s gedichtet hat, in der er nicht mehr R e s i g n a t i o n , sondern Tro t z verlangt – in der er B das Leben trotz allem[,] was es an Schmerz, an Bitterkeit, an Verlust in sich schliesst, titanisch1 bejaht: [“]Whntest Du etwa[”], so spricht Prometheus zu Zeus – [“Ich sollte das Leben hassen, In Wsten fliehen, Weil nicht alle Blthentrume reiften? Hier sitz’ ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht, das mir gleich sei, Zu leiden, zu weinen, Zu genießen und zu freuen sich, Und dein nicht zu achten,] – wie ich[”.]

ß ) Drama D i e L a u n e d e s Ve r l i e b t e n Verhltnis zu A n n c h e n S c h  n k o p f C – der Tochter des Weinhndlers, bei dem G[oethe] zu essen pflegte. Er D verliebt sich in das Mdchen, das seine Liebe herzlich erwidert – aber er qult sie mit seinen Launen und mit seiner unbegrndeten Eifersucht – 1

titanisch] am Rand: Morris[, Bd.] IV, [S.] 39[.] 498

heraus Goethe] heraus Goethe heraus er] er er C A n n c h e n S c h  n k o p f ] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: S c h i l d e r u n g G [ o e t h e ] ’s : / “Wohlgewachsen, obwohl nicht / sehr gross, ein rundes, / freundliches, obgleich nicht / ausserordentlich schnes / Gesicht, eine offene, sanfte / [gestrichen: einnehmende] Miene, mit / Freimtigkeit ohne Koketterie, / ein sehr artiger Verstand / ohne die grsste Erziehung.” 499 D Er] er A B

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Beilagen

wahre Paroxysmen der Eifersucht in seinen Briefen an seinen Freund B e h r i s c h –A dies dargestellt in dem Stck: 2 Paare Eridon (Goethe) und Amine (Ktchen) ein anderes L a m o n und E g l e [.] Egle bringt es dazu, daß er sie ksst – Amine kommt hinzu u[nd] berrascht ihn – er steht beschmt u[nd] verspricht, fortan nicht mehr eiferschtig zu sein[.] “Ich hoffe, Du wirst nie Aminen wieder plagen Ihr1 Eiferschtigen, die ihr ein Mdchen plagt, Denkt Eurer Streichen nach, dann habt das Herz und klagt”[.] 500 Die Mitschuldigen Skizze des Inhaltes – Sophie, die Tochter des Wirts zum schwarzen Bren – Sie hat frher viele Verehrer um sich gesammelt, die sich aber langsam zerstreut haben – schließlich Sller – ein Nichtstuer[,] faul und liederlich, und Spieler ... (Skizze ...) M o r a l : Ja ja, ich bin wohl schlecht ... 501 Goethe hat fr die »Mitschuldigen« immer eine gewisse Vorliebe gehabt; und er spricht auch spter noch immer mit einem gewissen B e h a g e n von dem Stck. 502 In der Goethe-Litteratur ist oft die Frage aufgeworfen worden, wie das mglich sei – man fand das Stck sehr unbedeutend und seinem Inhalt nach geradezu a b s t o s s e n d . Die Moral, daß Jeder ein Auge zudrcken msse, da er nicht besser sei als ein anderer, fand man hchst bedenklich – besonders im Munde eines Siebzehnjhrigen! Wie konnte – so hat man gefragt – Goethe auch spter noch eine solche unreife Jugendarbeit verteidigen – wie konnte er das Stck berarbeiten und in seine Werke aufnehmen? 503 “Rhrte das Stck” – so sagt Herm[ann] Grimm in seinen GoetheVorlesungen (S. 34) “fr welches Goethe seltsamer Weise sein Lebenlang eine gewisse Zrtlichkeit behalten hat, und das er gern vorlas, nicht von ihm her, so wrde heutzutage schwerlich Jemand dazu vermocht werden, es durchzulesen”. 504 Das Rtsel lste sich mir, als ich die erste Au f f  h r u n g der Mitschuldigen miterlebte. – Es war im Jahre 1894 im Deutschen Theater in Ber1

Ihr] am Rand: M o r r i s [ , B d . ] I , [ S . ] 2 8 5 [.]

wahre Paroxysmen ... Freund B e h r i s c h –] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen A

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lin 505 – Georg E n g e l s , 506 ein ausgezeichneter Komiker, war eben als Charakterspieler entdeckt worden – Als solcher spielte er zuerst den “College Crampton” von Hauptmann 507 – Er gab den Wirt – Unbeschreiblich komisch – wohl nie ist bei einem Goetheschen Stck so viel und so anhaltend g e l a c h t worden, als bei dieser Erstauffhrung der Mitschuldigen – Das Stck ist in der Tat ein ausgezeichnetes T h e a t e r s t  c k – und Goethe hatte sein Lebtag eine Schwche frs Theater; und es betrbte ihn, daß man ihn vom Theater abwendig machen wollte – Als Merck den C l a v i g o tadelte – den er in 8 Tagen hingeworfen. [“]Solchen Quark musst Du nicht wieder machen, das knnen die anderen auch[”]. A D[ichtung] u[nd] W[ahrheit], XV[. Buch], Loeper[, Bd.] 22, [S.] 203. “Und doch hatte er hierin Unrecht. Muß ja doch nicht Alles ber alle Begriffe hinausgehen, die man nun einmal gefasst hat; es ist auch gut, wenn manches sich an den gewhnlichen Sinn anschliesst. Htte ich damals ein Dutzend Stcke der Art geschrieben, welches mir bei einiger Aufmunterung ein Leichtes gewesen wre, so htten sich vielleicht drei oder vier davon auf dem Theater erhalten. Jede Direktion, die ihr Repertorium zu schtzen weiss, kann sagen, was das fr ein Vorteil wre”. 508 So stand Goethe auch zu den “Mitschuldigen[”]: Es ist ein echtes P u b l i k u m s - S t  c k , G[oethe] denkt ans T h e a t e r, an die Au f f  h r u n g und manchmal wenden sich die Personen des Stckes auch unmittelbar an das Pa r t e r re – Und s o ve r s t a n d e n ist es wirksam und gelungen – Die Szene des Wirts mit Alzest – der Wirt nach dem Vorbild des Wirtes in der »Minna« – die Neugier ist seine schwache Seite – Aber er sprt nicht bloss, wie dieser, den Geheimnissen seiner Gste nach – ihn treibt eine h  h e re Neugier: d i e p o l i t i s c h e N e u g i e r [.] Wichtige Dinge gehen in der Welt vor – und wie wenig weiss man von ihnen! Es ist noch nicht die Zeit des Telegraphenverkehrs, des Radios – eine Nachricht braucht oft wo c h e n l a n g , ehe sie einen erreicht. Wer doch stets die e r s t e n Nachrichten htte! “Wr1 ich nur gndiger Herr – ich msst Minister sein[,] Und jeglicher Courier ging bei mir aus und ein”[.] 509 Auf die Z e i t u n g ist kein Verlass – und was fr ein Vergngen ist es denn auch, eine Nachricht zu wissen, die 1

A

“Wr] am Rand: Morr[is, Bd.] I, [S.] 386[.]

“Solchen ... anderen auch”.] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen

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Beilagen

j e d e r a n d e re a u c h we i s s ! Man will sie fr sich selbst haben, um gegen andere mit ihr grosstun zu knnen[.] “Dcht ich nicht aus dem Brief was Wichtiges zu holen, Ich wr gewiss nicht da! Ich glaub, er kam aus Polen. Die1 Zeitung heutzutag ist unertrglich kalt, Das Neuste, was man hrt, ist immer Monats alt. Der Zeitungsschreiber selbst ist wrklich zu beklagen. Gar fters weiss er nichts und oft darf er nichts sagen. Und dann ist das auch schon ein unertrglich Wesen, Wenn jeder spricht: O ja, ich hab’ es auch gelesen”. 510

Zwischen Leipzig und Straßburg – bergang – Die Krankheit – Die mystische Krise Der Leipziger Aufenthalt Goethes endet mit einem krperlichen Zusammenbruch und einer seelischen Krise. Es scheint, daß er sich nach der Trennung von Kthchen Schnkopf, die er selbst herbeigefhrt hatte, die ihm aber nher ging, als er geahnt hatte, in ein wstes und wildes Leben gestrzt hat. Seine Gesundheit hielt nicht stand; – eines Tages wird er von einem Blutsturz befallen und eine schwere und gefhrliche Krankheit folgt. Nur langsam erholt er sich, und seine Eltern wnschen die Rckkehr nach Frankfurt, damit er dort, in der Pflege des vterlichen Hauses, ganz genesen kann. Im Jahre 1768 ist er wieder in Frankfurt – aber noch zu matt und schwach, um sich irgend einer zusammenhngenden Arbeit widmen zu knnen. R e l i g i  s e u n d m y s t i s c h e S c h r i f t e n sind es jetzt, in deren Studium er sich vertieft – der d e u t s c h e P i e t i s m u s ist es, der Macht ber ihn gewinnt. Eine Verwandte seiner Mutter, Susanna von Klettenberg, hatte ihn schon von frh an in die Welt des Pietismus einzufhren gesucht. Ihr hat er Zeit seines Lebens eine dankbare Erinnerung bewahrt – und ihre Selbstbeichte hat er spter unter dem Titel: » B e k e n n t n i s s e e i n e r s c h  n e n S e e l e « 511 in den Wilhelm Meister aufgenommen. Auch in das Studium der A l c h y m i e und in die Naturphilosophie des 16ten Jahrhunderts vertieft er sich jetzt. Er liest Pa r a c e l s u s , – den seltsamen und originellen Arzt und Naturphilosophen der Renaissance A . Aber auch andere magische Bcher fesseln ihn. H i e r geht fr Goethe zum ersten Mal jene Nebel- und Zauber1

Die] am Rand: Morr[is, Bd.] I[, S.] 386 + W.A.[, Bd.] 9, [S.] 64[.]

Renaissance] danach gestrichen: – der unter dem klangvollen Namen, den er sich zu geben liebte, T h e o p h r a s t u s B o m b a s t u s Pa r a c e l s u s vo n H o h e n h e i m bekannt ist A

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we l t d e s 16 t e n J a h r h u n d e r t s a u f – die er spter im Faust in ein knstlerisches Bild zu bannen suchte. Wie Faust hat er sich jetzt der Magie ergeben A . Von all dieser Litteratur der Magie und der Geheimwissenschaften, die er damals in sich aufgenommen, scheint nichts ihn so stark berhrt und nichts seine dichterische Phantasie so nachhaltig befruchtet zu haben, wie die Schilderung, die S ve d e n b o r g in seinem Hauptwerk, der » A rc a n a c o e l e s t i a « von der Geisterwelt gegeben hat. Welch ausserordentlich starken Einfluss Svedenborg auf die s c h we d i s c h e Litteratur gehabt hat, hat M a r t i n L a m m in seinem schnen Buch ber Svedenborg und in »Upplysningstidens Romantik« gezeigt. Aber an Goethes Beispiel kann man sehen, daß dieser Einfluss weit ber Schweden hinaus gewirkt hat. In einer der schnsten Szenen des »Urfaust«, vor allem in der Beschwrung des Erdgeists B im Anfang ist dessen Einfluss unverkennbar. Goethe spricht hier sogar oft die Sprache Svedenborgs und ist mit seiner Bilderwelt vllig vertaut – [“]Nun erst erkenn’ ich, was der Weise spricht[”] – so ruft Faust aus, [“]Die Geisterwelt ist nicht verschlossen, Dein Sinn ist zu, Dein Herz ist tot, Auf, bade, Schler, unverdrossen, Die ird’sche Brust im Morgenrot[”.] 512 Ich will auf die Parallelen, die sich zwischen der Faust-Dichtung und Svedenborgs Werk aufzeigen lassen, hier nicht nher eingehen – aber um der Wichtigkeit willen, die diese Frage fr den Zusammenhang zwischen schwedischer und deutscher Geistesgeschichte besitzt, mchte ich doch auf einen Aufsatz hinweisen, der die beste Betrachtung des Themas darstellt – er heisst “Swedenborg im Faust” und steht in den Goethe-Studien von M a x M o r r i s , die in Berlin im J[ahr] 1902 erschienen sind. Der junge Goethe spricht von Svedenborg immer mit hoher Achtung – In einer Rezension von Lavaters “Aussichten in die Ewigkeit”, die Goethe in die Frankf[urter] Gelehrt[en] Anz[eigen] eingereicht hat, wnscht Goethe Lavater “innige Gemeinschaft mit dem g e w  r d i g t e n S e h e r unserer Zeiten[,] rings um den die Freude des Himmels war, zu dem Geister durch alle Sinne und Glieder sprachen, in dessen Busen die Engel wohnten” (W.A.[, Bd.] 37, [S.] 261)[.] S t r a ß b u r g ( 2 [ . ] A p r i l 17 7 0 b i s 2 8 [ . ] Au g u s t 17 71 ) 6. August: Promotion ergeben] danach gestrichen: – “ob ihm durch Geistes Kraft und Mund nicht manch Geheimnis wrde kund” 513 B des Erdgeists] Ms. beschdigt: Textverlust A

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Beilagen

Z

I) H e r d e r – Wir mssen hier unsere Betrachtung des jungen Goethe eine Zeitlang unterbrechen und uns ganz H e r d e r zuwenden – denn ohne zu wissen, wer H e r d e r war und worin seine geistesgeschichtliche Bedeutung und Leistung bestand, lsst sich die weitere Entwicklung Goethes nicht verstehen – Die Begegnung mit Herder hat uns G[oethe] in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] erzhlt –1 G[oethe] nennt diese Begegnung “das bedeutendste Ereignis, was die 2 wichtigsten Folgen fr ihn haben sollte”[,]514 aber H a y m hat Recht, wenn er sagte, dieses Zusammentreffen bezeichne einen der fruchtbarsten Momente der deutschen Litteratur, – ja die eigentliche Geburtsstunde der neuen, ber Klopstock und Wieland hinausweisenden Poesie[.] 515 H e r d e r – geboren in M o h r u n g e n in Ostpreussen, 1744, 5 Jahre lter als Goethe – Nach einer drckenden Jugend Studium in K o e n i g s b e r g – Hier die erste geistige Entfaltung – unter dem Einfluss von K a n t u[nd] Johann Georg H a m a n n – Herder als Schler Kants: »Ich habe das Glck genossen[, A einen Philosophen zu kennen, der mein Lehrer war. Er in seinen blhendsten Jahren hatte die frhliche Munterkeit eines Jnglings, die, wie ich glaube, ihn auch in sein greisestes Alter begleitet. Seine zum Denken gebauete Stirn war ein Sitz unzerstrbarer Heiterkeit und Freude, die gedankenreichste Rede floß von seinen Lippen, Scherz und Witz und Laune standen ihm zu Gebot, und sein lehrender Vortrag war der unterhaltendste Umgang. Mit eben dem Geist, mit dem er Leibniz, Wolff, Baumgarten, Humen prfte und die Naturgesetze Keplers, Newtons, der Physiker verfolgte, nahm er auch die damals erscheinenden Schriften Rousseaus, seinen “Emil” und seine “H lo se”, sowie jede ihm bekannt gewordene Naturentdeckung auf, wrdigte sie, und kam immer zurck auf unbefangene Kenntnis der Natur und auf moralischen Wert des Menschen. Menschen-Vlker-Naturgeschichte, Naturlehre, Mathematik und Erfahrung waren die Quellen, aus denen er seinen Vortrag und Umgang belebte; nichts Wissenswrdiges war ihm erzhlt –] danach zwischen den Zeilen: – s. D u W[,] X[. Buch], Loeper[, Bd.] XXI, [S.] 173 516 danach langer Pfeil bis zum Rand 2 “das bedeutendste ... haben sollte”,] am Rand: D . u . W. ( L o e p e r ) [.] 1

genossen«,] genossen« danach, verbunden durch eine Linie, am Rand und gestrichen: K a n t s L e b e n u [ n d ] / L e h re , S . 8 7 f ! !

A

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gleichgltig; keine Kabale, keine Sekte, kein Vorteil, kein Namenehrgeiz hatte je fr ihn den mindesten Reiz gegen die Erweiterung und Aufhellung der Wahrheit. Er munterte auf, und zwang angenehm zum Selbstdenken, Despotismus war seinem Gemt fremde. Dieser Mann, den ich mit grßester Dankbarkeit und Hochachtung nenne, ist Immanuel Kant; sein Bild steht angenehm vor mir.«] 517 Kant der 60[er] Jahre – noch nicht der Kritiker der Wi s s e n s c h a f t , der Kritiker der »reinen Vernunft«[,] sondern der Schler Rousseaus, der Kritiker der menschl[ichen] Zivilisation – er will entscheiden, was das »Wesen« des Menschen und was zufllige Zutat, blosse “Tnche” der Kultur ist – Die M e t h o d e der Ethik ist daher hier noch a n t h ro p o l o g i s c h – ;1 ehe wir bestimmte G e b o t e fr die menschl[iche] Natur aufstellen, mssen wir wissen, was der Mensch i s t – die Erkenntnis des S e i n s muss der des Sollens vorausgehen – – Aber was die menschliche Natur »ist«, das knnen wir freilich nach Kant nicht unmittelbar der Geschichte, der Empirie entnehmen – denn die Geschichte des Menschen zeigt ihn uns immer neu verstrickt in s o z i a l e B i n d u n g e n , in Konventionen, Vorurteile, Gebruche, die uns seine wahre Natur verdecken – Die P h i l o s o p h i e , als kritische Philosophie, muss sich daher zuerst einen Begriff von dieser wahren Natur des Menschen zu bilden suchen – um dann zu entscheiden, wie weit sie durch Tradition entstellt ist – und welches der Weg ist, zu ihr zurckzufinden. All das hat tief auf den jungen Herder gewirkt – aber noch strker nimmt ihn eine andere Macht gefangen[.] J o h a n n G e o r g H a m a n n (1730-1788) [–] eine der merkwrdigsten Erscheinungen der deutschen Geistes- und Litteraturgeschichte. Es ist schwer, hier von Hamann zu sprechen – und doch ist es unerlsslich, denn ohne ihn lsst sich die Bewegung des deutschen “Sturm und Drang” nicht verstehen – Diese Bewegung steht ganz im Bann seiner Ideen – die sie freilich nicht direkt von ihm, sondern nur durch die Vermittlung Herders empfangen hat –

a n t h ro p o l o g i s c h – ;] mit Pfeil verbunden auf dem Rand: Kant[, Bd.] II, [S.] 326. 518 / darunter in Bleistift: [Loeper, Bd.] 21, [S.] 179 Poesie als Welt / u[nd] Vlkergab[e.] 1

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Hamann gehrt zu den schwierigsten und dunkelsten Autoren der deutschen Philosophie und Litteratur – mit ihm verglichen liest sich Hegel leicht – Seine Bcher sind wahrhaft s i b y l l i n i s c h e B  c h e r, die noch Niemand vollstndig gedeutet hat – Man pflegt ihn den “Magus im Norden” 519 zu nennen – Ein wirkliches Buch hat er nie verfasst – seine Autorschaft geht in einer Flle kleiner Gelegenheitsschriften, “fliegender Bltter” auf – Meist ist es ein zuflliger Anlass, der ihn zur Herausgabe dieser Bltter treibt; – sie sind voll dunkler Hinweise, Andeutungen, Anspielungen – Hamann selbst hat bekannt, daß er oft eine solche Schrift, wenn er sie spter einmal zur Hand genommen, nicht wieder verstanden hat. – Ich selbst habe mich mehrmals und bei verschiedenen Gelegenheiten bemht, H[amann]’s Schriften durchzustudieren – aber ich kann durchaus nicht behaupten, daß es mir gelungen ist, in alle ihre Geheimnisse einzudringen – Auch die l i t t e r a t u r h i s t o r i s c h e Fo r s c h u n g hat die grsste Mhe gehabt, die Dunkelheiten von H[amann]’s Schriften aufzuhellen – aber jetzt ist in dieser Hinsicht ein wesentlicher Fortschritt erzielt durch das grosse 2 bndige Werk von U n g e r, Hamann und die Aufklrung, Jena 1911 ein Buch von 5 8 3 Seiten, wozu 4 0 0 Seiten Anmerkungen kommen – u[nd] die Anmerkungen sind oft das Wichtigste – Aber trotz dieser intensiven Durcharbeitung des Hamannschen Werkes von Seiten der litteraturhistor[ischen] Forschung bleiben noch immer viele Rtsel zurck, die vielleicht n i e geklrt sein werden – Wir fassen hier nur die a l l g e m e i n e n I d e e n ins Auge, die fr Herder entscheidend wurden – Hamann ist weder ein eigentlicher philosophischer Denker, noch ist er ein Schriftsteller – A Goethe hat sich in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] (Buch XII) eingehend mit Hamann beschftigt – “Das Prinzip, auf welches die smtlichen usserungen H[amann]’s sich zurckfhren lassen” – so sagt er – “ist dieses: Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, es werde nun durch Tat oder Wort1 oder sonst 1

Tat oder Wort] am Rand: Loeper[, Bd.] 22, [S.] 65[.]

Schriftsteller –] danach gestrichen: alles was er geschrieben, hat einen ganz individuellen p e r s  n l i c h e n Bezug – A

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hervorgebracht, muss aus smtlichen vereinigten Krften entspringen; a l l e s Ve re i n z e l t e i s t ve r we r f l i c h ’”[.] 520 Der Mensch ist ein G a n z e s , und er darf nicht knstlich in einzelne Fhigkeiten g e t re n n t werden – Die P s y c h o l o g i e d e s a c h t z e h n t e n J a h r h u n d e r t s beruhte auf solcher Trennung; sie war a n a l y t i s c h , sie schied die Menschen in Sinnlichkeit, Verstand, Vernunft – in Gefhlsvermgen, Denkvermgen, Willensvermgen – Aber all das ist unfruchtbare Abstraktion! Der Mensch ist Eins = er ist Seele und Krper, Leib und Geist, Gefhl und Verstand i n e i n e m ; man darf die einzelnen Vermgen nicht gegen einander a b s o n d e r n [.] So kann auch niemand versuchen, den Au t o r, den Schriftseller vom Menschen a b z u s o n d e r n [.] “Sokratische Denkwrdigkeiten” (1759) “Man kann allerdings ein Mensch sein[,] ohne ein Autor zu werden. Wer aber guten Freunden zumutet, daß sie den Schriftsteller ohne den Menschen denken sollen, ist mehr zu dichterischen als philosophischen Abstraktionen aufgelegt”. 521 Den Autor ohne den Menschen denken ist eine »dichterische Abstraktion«, d. h. ein Trugbild der Phantasie[.] H a m a n n fhlt sich nicht als Philosophen, und ebensowenig fhlt er sich als Schriftsteller oder Litterat – Er fhlt sich ganz und gar als re l i g i  s e r Mensch u[nd] re l i g i  s e r Denker – Seine religise Grundauffassung wurzelt im P i e t i s m u s – Der Pietismus ist die grosse Geistesmacht, die im 18. Jahrhundert der Au f k l  r u n g , dem rationalen Denken gegenbertritt – A Wie stark das auch fr Schweden galt, hat M a r t i n L a m m in seinem schnen Werk: Up p l y s n i n g s t i d e n s Ro m a n t i k gezeigt – Der Pietismus fusst auf dem Protestantismus – aber er lehnt jede usserliche kirchliche Bindung ab – Der Einzelne muss seinen Weg zu Gott selbst finden – er muß durch Versuchung und Snde durchgehen; er muss die innere Verzweiflung und Zerknirschung, den Busskampf erleben – bis er dann schliesslich durch die gttliche Gnade erlst wird – All dies hat auch Hamann erlebt – er ist eine wilde, leidenschaftliche, sinnliche Natur gewesen[,]

gegenbertritt –] danach auf neuer Zeile gestrichen: Das Gegenber und der Kampf zwischen Aufklrung und Pietismus bestimmt die g e i s t i g e S i g n a t u r d e s 18 t e n J a h r h u n d e r t s –

A

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Beilagen

er gert an den Rand des Abgrunds; er erfhrt einen vlligen seelischen Zusammenbruch[,] um dann durch die Versenkung in die Bibel pltzlich gerettet zu werden – Er hat Gott nicht auf dem Wege des Sinnens, des Grbelns gefunden – die Sinnlichkeit, die Leidenschaft hat ihn zu Gott gefhrt. Und nun schliesst er, daß dies der einzige, der wa h re Weg zu Gott ist: Gott kann nicht durch »Philosophie« oder »Theologie« gefunden werden – er muss erlebt werden – und dies Erleben ist nicht bloss geistiges, sondern sinnliches Erleben – Sinne, Leidenschaften A und Phantasie sind nicht “Glieder der Unehre”[,]1 Werkzeuge des Satans – sie sind vielmehr [“]Gnadenmittel Gottes, durch die er die Glubigen zu sich heraufzieht”[.] 522 Das ist nach Hamann das Geheimnis der christlichen Religion – die Religion lehrt, daß der Mensch gerade in seiner N i e d r i g k e i t Gott findet – Der Rationalismus ist geistiger H o c h m u t – die Vernunft und der Verstand knnen Gott nie finden – nur die Leidenschaft, die Sinnlichkeit vermag es[.] Gott wird nicht durch den G e i s t , sondern durch S i n n e , L e i d e n s c h a f t , G e f  h l gefunden – Wir verfolgen hier nur, wie sich diese Grundanschauung in Hamanns Po e t i k ausdrckt – Auch die Poesie ist ihrem Wesen nach auf Empfindung, Gefhl, Leidenschaft begrndet – es gibt daher keine »rationalistische« Aesthetik – keine “Regel” fr das Schaffen des Knstlers – Nur aus dem ganz individuellen, einmaligen, leidenschaftlichen M o m e n t kann wahre Poesie entspringen – nicht in Gedanken, Begriffen, Vorstellungen[,] sondern nur in G e f  h l e n und Bildern offenbart sich der wahre Dichter – Deshalb wurzelt die Poesie in den e l e m e n t a re n Seelenkrften – Die rationale Psychologie des 18ten Jahrhunderts pflegte die Sinne und die Einbildungskraft als n i e d e re Seelenkrfte zu bezeichnen, denen sie Verstand und Vernunft als die h  h e re n Seelenkrfte gegenberstellte – 1

“Glieder der Unehre”,] am Rand: cf. Unger[, Bd.] I, [S.] 124[.]

Leidenschaften] Leidenschaften, danach: und eingefgt, das Komma nach Leidenschaften stehengeblieben A

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Und sie glaubte, daß alle echte g e i s t i g e Vervollkommnung, daß Philosophie, Religion, Poesie auf der Ausbildung dieser “hheren” Seelenkrfte beruhen msse – daß nur der verfeinerte, kultivierte, “gebildete” Mensch wahre Religion, wahre Philosophie, wahre Poesie besitzen knne – Hier erhebt Hamann leidenschaftlichen Protest – die wahre Religion u[nd] die wahre Poesie stammt aus den sogenannten “niederen” Seelenkrften – Alle Poesie, die aus dem Verstand kommt, ist kalt, trocken[,] unfruchtbar – die Poesie als ursprngliche, elementare Poesie stammt aus den Sinnen, der Einbildungskraft, der Leidenschaft – Und diese e l e m e n t a re Poesie ist die frhere, ursprnglichere – sie offenbart sich uns vor allem in der B i b e l , die ganz die Sprache der P h a n t a s i e u[nd] des urtmlichen G e f  h l s spricht – In diesem Sinne ist die Poesie, als religise Poesie, die “Muttersprache des menschlichen Geschlechts”[.] A523 Hier setzt H e r d e r s Leistung ein – Herder knpft an die Gedanken Hamanns an – aber er lst sie von ihrem m y t h i s c h - re l i g i  s e n U r g r u n d und Untergrund los – Hamann sah in der Welt, in der Natur, in der Geschichte eine stndige Offenbarung G o t t e s – Herder sieht in ihr die O f f e n b a r u n g d e s M e n s c h e n – Und es gibt fr ihn zwei Grundoffenbarungen des Menschentums – die menschliche S p r a c h e und die Po e s i e – sie sind die beiden grossen Wunder: erst mit der Sprache und mit der Dichtung w i r d der Mensch zum Menschen, entreisst er sich dem Kreis der Tierheit[.] Diese Offenbarung ist e w i g j u n g u n d e w i g n e u – es gibt nicht eine Zeit der “Barbarei”, aus der sich der Mensch erlst, um allmhlich zur Hhe der “Vernunft” hinaufzusteigen – Geschlechts”.] danach auf neuer Zeile gestrichen: »Aesthetica in nuce«, Eine Rhapsodie in kabbalistischer Prose / “Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts, wie der Gartenbau lter ist als der Acker, Malerei als Schrift, Gesang als Deklamation ... Ein tieferer Schlaf war die Ruhe unserer Urahnen: und ihre Bewegungen ein taumelnder Tanz”[.] 524 / Diese erste Poesie musste ganz sinnlich-bildlich sein: denn “Sinne und Leidenschaften reden und verstehen nichts als Bilder. In Bildern besteht der ganze Schatz menschlicher Erkenntnis und Glckseligkeit”. ^– Denken wir an die G e l l e r t s c h e Definition der Poesie zurck “dem, der nicht viel Verstand besitzt, die Wahrheit durch ein Bild zu sagen” 525 – / und wir spren den ganzen Abstand.& A

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Beilagen

Diese Fortschrittsidee der Aufklrung ist t  r i c h t e r Ve r n u n f t st o l z [.] Jedes Volk, jede Epoche, trgt die ganze Menschheit in sich, ist Repraesentation des Menschentums in einzigartiger, individueller Weise – jede Epoche ist “unmittelbar zu Gott”[.] A526 Der Aegypter ist nicht der Grieche, der Grieche nicht der Roemer, der Rmer nicht der Germane des Mittelalters – Keiner kann mit dem Maße des anderen gemessen werden; jeder hat seinen eigenen Wert und sein eigenes Recht[.] Suphan[, Bd.] 5, [S.] 509: “Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glckseligkeit in sich, wie jede Kugel ihren Schwerpunkt” – jede Natur hat das Recht, sich nach ihrer besonderen Eigenart, i h re n Fhigkeiten, i h re n Bedrfnissen, i h re n Idealen auszubilden[;] in dieser Vielfltigkeit, Vielseitigkeit, Mannigfaltigkeit liegt das wahre Glck und die wahre Kraft und Schnheit des Menschentums – nicht in der Aufzwingung bestimmter g l e i c h f  r m i g e r Forderungen, die alle Individualitt, alle Freiheit und damit alle Schnheit des Menschentums zu Nichte machen. Deshalb soll auch der aufgeklrte, der gebildete Mensch des 18ten Jahrhunderts sich nicht als die E r f  l l u n g d e r Z e i t e n ansehen. So1 schildert Herder patriarchalisches Leben, griechisches Leben, rmisches Leben – um jedem sein Recht zu lassen[.] “Ein Patriarch kann kein rmischer Held, kein griechischer Wettlufer, kein Kaufmann von der Kste sein ... Seis[,] daß er nach spteren Vorbildern d i r furchtsam, todscheu, weichlich, unwissend, unglubig vorkme: er ist[,] wozu ihn Gott, Klima, Zeit und Stufe des Weltalters bilden konnte: Patriarch ...”[.] 527 Seine Vollkommenheiten konnten nicht ohne Mangel sein[.] “Die Vorsehung selbst ... hats nicht gefordert, hat nur in der Ab we c h s l u n g , in dem Weiterleiten durch Weckung neuer Krfte und Ersterbung andrer, ihren Zweck erreichen wollen – Philosoph im nordischen Erdenwinkel, die Kinderwaage deines Jahrhunderts in der Hand[,] weisst Du es besser, als sie”? 528

Alle diese Gedanken sind Goethe durch H e r d e r vermittelt worden – und er war der Erste, der sie mit Leidenschaft ergriff – Durch sie sucht er vor allem die D i c h t u n g in neuem Lichte – 1

A

So] am Rand: [Bd.] 5, [S.] 506 f.

“unmittelbar zu Gott”.] danach gestrichen: (Ranke)

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das »et prodesse volunt et delectare poetae« 529 versucht – A Die Dichtung will nicht b e l e h re n – sie will nicht eine theoretische oder moralische Wahrheit, wie bei Gellert, ins Gewand der Fabel hllen. Aber sie will auch nicht e r g  t z e n o d e r u n t e r h a l t e n – sie will nicht Spiel, Tndelei, Zeitvertreib sein[.] Sie ist der tiefste Ausdruck individuellen Lebens: “poetischer Gehalt ist Gehalt des eigenen Lebens”[.] 530 Nur wo wir eigenes L e b e n spren, spren wir echte D i c h t u n g – Daher ist jede echte Dichtung Au s d r u c k s - D i c h t u n g ; sie ist nicht beschreibend oder belehrend; sie ist nicht objektiv schildernd oder darstellend – sie ist ausdrckend – Auch jede a n d e re Kunst, auch die Plastik oder Architektur, muss Ausdrucks-Kunst sein. Das ist Goethe in Straßburg zuerst am Anblick des S t r a ß b u r g e r M  n s t e r s aufgegangen, der eben darum auf ihn den strksten Eindruck machte: die ganze Ausdruckskraft der G o t h i k erschloss sich ihm hier. In der Schrift “Von deutscher Art und Kunst”, die vom Straßburger Mnster handelt, hat er dies zuerst ausgesprochen[.] “Diese charakteristische Kunst” – so sagt er hier – [ “ ]ist n u n d i e e i n z i g e wa h re ” [.] 531 Alle Kunst ist berechtigt, ist gross, wahr, schn, sofern sie einen eigenen C h a r a k t e r hat – Das hat Goethe jetzt von Herder gelernt – (Man pflegt Herder gewhnlich als Entdecker des Vo l k s l i e d e s anzusehen – Volkslieder 1778/79[.] B Auch Goethe hat von Herder die Liebe zum Volkslied gelernt – und er hat fr ihn im Elsass eine Reihe der schnsten Volkslieder gesammelt, die er, wie er in einem Brief an Herder1 sagt, “aus den Kehlen der ltesten Mtterchens” 532 gehrt hat – Diese Lieder sind in Herders Volkslieder und spter in “des Knaben Wunderhorn” und in Uhlands und Simrocks Sammlungen bergegangen[.] Brief an Herder] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen: Loeper, D. u. W.[, Bd.] 21, [S.] 391[.] 1

versucht –] danach am Rand und zwischen den Zeilen ohne Zuweisung zum Text: Gellert – dem[,] der nicht viel Verstand besitzt bricht ab B Volkslieder 1778/79.] danach zwischen den Zeilen und am Rand und gestrichen: der gezierte Titel: »Stimmen der Vlker in Liedern« rhrt n i c h t / von H[erder], sondern erst von / s p  t e re n Herausgebern / her ( S c h e re r 477) 533 A

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Z

Aber das Volkslied war hier nicht alles – Denn auch Herder war keineswegs bei ihm stehen geblieben – er hatte ebenso das Gefhl fr H o m e r, D a n t e , S h a k e s p e a re , fr S a p p h o oder A n a k re o n [,] fr alle grossen Erscheinungen der Weltlitteratur, neu erweckt und das alles in Goethe eingepflanzt –) Das Grosse bei Goethe aber besteht darin, daß er das alles nicht nur sieht und fhlt, – sondern daß er all das l e i s t e t , was Herder von der echten, eigentmlichen, elementaren Poesie g e f o r d e r t hatte – Er zuerst verwandelte die Herdersche Forderung in die Tat – das wird fr ihn selbst zu dem grossen B e f re i u n g s p ro z e s s . “Ich1 ward mit der Poesie von einer ganz anderen Seite, in einem anderen Sinne bekannt als bisher. Die hebrische Dichtkunst, welche er (Herder) ... geistreich behandelte, die Volkspoesie, deren berlieferungen im Elsass aufzusuchen er uns antrieb, die ltesten Urkunden als Poesie, gaben das Zeugnis, daß die Dichtkunst berhaupt eine Weltund Vlkergabe sei, nicht ein Privaterbteil einiger feinen gebildeten Mnner ... Was die Flle dieser wenigen Wochen betrifft, welche wir zusammen lebten, so kann ich wohl sagen, daß Alles, was Herder nachher allmhlich ausgefhrt hat, im Keim angedeutet ward, und daß ich dadurch in die glckliche Lage geriet, Alles, was ich bisher gedacht, gelernt, mir zugeeignet hatte, zu kompletiren, an ein Hheres anzuknpfen, zu erweitern.” A534 Friederike Brion – Sesenheim Die Geschichte seiner Liebe zu F r i e d e r i k e B r i o n hat Goethe in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] erzhlt – und diese Erzhlung ist jedem unvergesslich, der sie einmal gelesen. Sie gehrt zu dem Schnsten, Anmutigsten und Tiefsten, was Goethe geschrieben. Er schreibt als 60-jhriger – B aber der ganze Glanz der Jugend liegt noch auf dieser Schilderung. Die Goethe-Forschung hat es sich nicht nehmen lassen, sie im einzelnen nachzuprfen; und es ist ihr gelungen, G[oethe] manche kleine Versehen und Irrtmer nachzuweisen. In der Erinnerung des 60[-]jhrigen stellten sich manche kleine Einzelzge anders dar – und die zeitliche Folge der Einzelbegebenheiten mochte sich bisweilen verschieben. Im Ganzen kann jedoch kein Zweifel sein, daß das Bild, das hier von Friederike, von Sesenheim entworfen wird, die tiefste innere Wahrheit hat. All das braucht nicht nacherzhlt werden und es k a n n nicht nacherzhlt wer1

A B

“Ich] am Rand: D u W. X[. Buch], Loeper[, Bd.] 21, [S.] 179[.]

zu erweitern.”] danach untere Hlfte der S. leer 60-jhriger –] 60 Jhriger –

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den – jeder Versuch dazu wrde, gegenber Goethes eigener Darstellung, steif und trocken wirken und den Duft und Zauber, der ber dem Bilde liegt, verwischen. Ich begnge mich, Sie hier fr alle Einzelheiten auf “Dichtung und Wahrheit” hinzuweisen[.] Wir fragen hier nur wie diese Liebe sich in G o e t h e s D i c h t u n g geussert – und wie sie diese umgeformt hat. Z we i Momente sind hier zu erwgen. a) Goethe sieht Friederike mit neuen Au g e n – denn er sieht nicht nur sie a l l e i n . Es ist charakteristisch, mit welcher Liebe, mit welcher Versenkung ins kleinste Detail, er ihre U m g e b u n g , ihre Familie, die Eltern und Geschwister, das ganze Milieu des P f a r r h a u s e s i n S e s e n h e i m schildert. Und er sieht sie zugleich in einer Landschaft, fr die ihm erst jetzt der Blick aufgegangen ist. Alle frheren Liebesgeschichten G[oethe]’s A haben sich in der Stadt abgespielt. B [b)] Auch die Liebe war fr ihn nicht viel mehr als ein gesellschaftliches Spiel gewesen – sie war Galanterie, Konvention. In Leipzig hatte man sich allgemein bemht, seine gesellschaftlichen Sitten zu bessern; ihm den Frankfurter Dialekt abzugewhnen, seine Manieren, seine Kleidung, seine Umgangsformen zu verbessern. Er scheint sich eine Zeitlang dagegen gewehrt zu haben; denn er wollte kein blosser junger Elegant, er wollte kein »Dandy«, oder, wie das deutsche Wort lautete, kein “Stutzer” werden. “Ich mache hier grosse Figur” – so schreibt er kurz nach seiner Ankunft in Leipzig an seinen Freund Riese – (Morris[, Bd.] I, [S.] 103) – [“]Aber noch bin ich kein Stutzer. I c h we r d ’ e s a u c h n i c h t . Ich brauche Kunst, um fleissig zu sein. In Gesellschaft, Concert, Comoedie, bei Gastereien, Abendessen, Spazierfahrten, soweit es in dieser Zeit angeht. Ha, das geht kstlich. Aber auch kstlich, kostspielig. Zum Henker, das fhlt mein Beutel”. 535 Nach kurzer Zeit scheint er ganz in diesem gesellschaftlichen Strudel zu versinken – wenigstens haben viele seiner damaligen Freunde und Bekannten so gedacht – und auch seine Liebesverhltnisse so beurteilt. “Von unserm Goethe zu reden” – so schreibt J. A. H o r n in einem Brief vom 12. August 1766 – [“]Das ist immer noch der stolze Phantast, der er war, als ich herkam. Wenn Du ihn nur shest, Du wrdest entweder vor Zorn rasend werden, oder vor Lachen bersten mssen. Ich kann gar nicht einsehen, wie sich ein Mensch so schnell verndern kann ... Er ist bei seinem Stolze auch ein Stutzer ... Sein ganzes Dichten und Trachten ist nur seiner gndigen Frulein und sich selbst zu gefallen”. 536 G[oethe]’s] danach gestrichen: – das Frankfurter Gretchen, Annette Schnkopf etc. – sie B abgespielt.] danach gestrichen: In Leipzig lebt er in festen g e s e l l s c h a f t l i c h e n Zustnden. A

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All das ist jetzt von Goethe vllig abgefallen. Alles Modische, Galante, Prezise hat er abgestreift – und zwar noch b e vo r er mit Herder in Berhrung gekommen. Er lebt in der freien Natur; er sieht die Landschaft mit ganz neuen Augen. Die Briefe dieser Zeit zeigen schon einige der schnsten Landschaftsschilderungen, die wir von Goethe besitzen[.] S[iehe] den schnen B r i e f vo m 2 7. J u n i 17 7 0 [:]1 [“Gestern waren wir den ganzen Tag geritten, die Nacht kam herbey und wir kamen eben aufs Lothringische Gebrg, da die Saar im lieblichen Thale unten vorbey fliesst. Wie ich so rechter Hand ber die grne Tiefe hinaussah und der Fluss in der Dmmerung so graulich und still floss, und lincker Hand die schweere Finsterniss des Buchenwaldes vom Berg ber mich herabhing, wie um die dunckeln Felsen durchs Gebsch die leuchtenden Vgelgen still und geheimnissvoll zogen; da wurds in meinem Herzen so still wie in der Gegend und die ganze Beschweerlichkeit des Tags war vergessen wie ein Traum, man braucht Anstrengung um ihn im Gedchtnis aufzusuchen”.] 537 Das ist n e u – so konnte Goethe in Leipzig nicht fhlen und nicht schreiben[.] Friederike – D i e F r i e d e r i k e - D i c h t u n g . – Kleine Blumen, kleine Bltter Morris[, Bd.] II, [S.] 582 Noch Rokoko – Tndelei – Der Zephir [–] 538 dann der S t u r m d e r L e i d e n s c h a f t – [“]Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde[”]3 Goethe hat uns die Geschichte dieses Liedes in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] erzhlt[.] Es ist im Mrz 1771 – das Frhjahrssemester hat eben geschlossen – Goethe – der nach Straßburg gegangen war, um dort seine j u r i st i s c h e n Studien fortzusetzen, hat eben an einem m e d i z i n i s c h e n K l i n i k u m teilgenommen – und der Professor hat mit der Mahnung geschlossen, nicht allzu fleissig zu sein, sondern sich Bewegung in freier Luft zu machen und zu Fuss und zu Pferde das schne Land, das Elsass zu durchwandern. A Und nun hren sie das Gedicht – um zu fhlen, wie es ganz dieser augenblicklichen[,] individ[uellen] Lage entsprang – Siehe ... B r i e f vo m 2 7. J u n i 17 7 0 :] davor am linken Rand, weist ein Pfeil auf: Morris[, Bd.] II, [S.] 5[.] 2 Morris, Bd. II, S. 58] am Rand weist ein Pfeil auf: Morris II, 3 zu Pferde”] am Rand: – [Morris, Bd.] II, [S.] 59[.] 1

durchwandern.] auf neuer Zeile gestrichen: “Ich glaubte eine Stimme danach weist ein langer Pfeil auf warten zu mssen” / am Rand gestrichen: D. u. W. XI,

A

Loeper[, Bd.] 22, [S.] 8

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und wie es doch eines der schnsten lyr[ischen] Gedichte in deutscher Sprache geworden und geblieben ist. Es schlug mein Herz1[, geschwind zu Pferde, Und fort! wild wie ein Held zur Schlacht. Der Abend wiegte schon die Erde Und an den Bergen hieng die Nacht. Schon stund im Nebelkleid die Eiche Wie ein gethrmter Riese da, Wo Finsterniss aus dem Gestruche Mit hundert schwarzen Augen sah. Der Mond von einem Wolkenhgel, Sah schlfrig aus dem Duft hervor; Die Winde schwangen leise Flgel, Umsausten schauerlich mein Ohr; Die Nacht schuf tausend Ungeheuer – Doch tausendfacher war mein Muth; In meinen Adern welches Feuer! In meinem Herzen welche Gluth! Dich sah ich, und die milde Freude Floß von dem sßen Blick auf mich. Ganz war mein Herz an deiner Seite, Und ieder Atemzug fr dich. Ein rosenfarbes Frhlings Wetter Umgab das liebliche Gesicht, Und Zrtlichkeit fr mich – Ihr Gtter! Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht! Doch ach! schon mit der Morgensonne Verengt der Abschied mir das Herz: In deinen Kssen welche Wonne! In deinem Auge welcher Schmerz! Ich gieng, du standst und sahst zur Erden, Und sahst mir nach mit nassem Blick; Und doch, welch Glck! geliebt zu werden, Und lieben, Gtter, welch ein Glck!]

Es schlug mein Herz] danach durch langen Pfeil verbunden am Rand: Morris[, Bd.] II, [S.] 59. 1

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Der Abschied von Friederike – wa r u m hat G[oethe] Friederike verlassen. G[oethe] hat auch dies in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] erzhlt – ausdrcklich ohne in diese Erzhlung irgend eine m o r a l i s c h e Reflexion einzumischen. – Er will lediglich berichten, wie es gekommen – er will keine Rechtfertigung, Entschuldigung, Verteidigung seines Schrittes geben – [“]es sei hier nicht[”] – so sagt er – [“]die Rede von Gesinnungen und Handlungen, inwiefern sie lobenswrdig oder tadelswrdig sind, s o n d e r n i n w i e f e r n s i e s i c h e re i g n e n k n n e n ”[.] 539 In wie fern konnte, ja m u s s t e sich diese Trennung ereignen? Goethe fhrt in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] verschiedene Motive an – unter anderen auch, daß er eine gewisse Entfremdung fhlte, als er Friederike zuerst bei einem Besuch in Straßburg in stdtischer Umgebung sah – daß er ein Gefhl gehabt htte, als drfe er sie nicht in dieses ihr fremde Leben verpflanzen – Aber wir fhlen freilich: dies alles ist nicht unaufrichtig[,] aber es ist nur die Au s s e n s e i t e – es berhrt nicht das eigentliche tiefste Motiv der Trennung[.] D i e s e s Motiv kann uns nur die D i c h t u n g aufschliessen – Und sie zeigt uns vor allem eins – Gleichviel wie wir ber Goethes S c h u l d gegen Fr[iederike] denken; e r hat unter der Trennung unendlich g e l i t t e n – Er m u s s t e so handeln – das stand fr ihn fest – fr ihn g a b es keine andere Wahl – und doch konnte er das Schuldgefhl gegen Friederike niemals ganz in sich ersticken – Er hat sie spter noch einmal aufgesucht, um sich innerlich ber ihr Schicksal zu beruhigen – G[oethe] hat Friederike nicht das Schicksal bereitet, das Faust Gretchen bereitete – Sie war keine Ausgestossene; sie blieb in ihrem Kreis, bei ihren Eltern – aber ihre Lebensfreude war freilich vernichtet. Der Dichter L e n z , der sie besucht hat, hat in einem schnen Gedicht geschildert, wie Goethes Bild in ihr unauslschlich war – G o e t h e s 1 B e r i c h t a n F r a u vo n S t e i n [,] 25[.] September 1779[.] Nach alledem h  t t e G[oethe] auch mit dem Erlebnis ausgeshnt sein knnen: 1

G o e t h e s ] am Rand: s. W.A.[, Abt. 4,] Briefe, / [Bd.] IV, S. 66 f[.]

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aber wir wissen: er hat sich mit ihm innerlich niemals ganz ausshnen knnen – In den Gestalten seiner Dichtung steigt Fr[iederike] immer von neuem vor ihm auf – zuerst in der Maria des G  t z , dann in der M a r i e B e a u m a rc h a i s des Clavigo – und zuletzt, am tiefsten und erschtterndsten, im Fa u s t – Und hier, in der Gretchen-Tragdie, erhalten wir auch erst die eigentliche Antwort, warum G[oethe] Friederike verlassen hat. Mitten in der strksten, tiefsten, leidenschaftlichsten Liebe zu Gretchen fhlt Faust das kommende Ende. Dieses Ende wird kommen, – muss kommen – und es wird Gretchen vernichten. »Wie ich beharre, bin ich Knecht« 540 [–] so sagt Faust zu Mephisto – Er k a n n nicht beharren – auch der erfllteste, glcklichste, seligste Augenblick vermag ihn nicht zu halten – eben weil er nur Augenblick ist – weil er weiter strebt und weiter m u s s – S o empfand Goethe in seiner Straßburger Zeit – Alle Vergangenheit und alle Gegenwart musste fr ihn wieder versinken – damit er freie Bahn fr das gewnne, was er als seine Bestimmung, als seine Zukunft empfand – Das Sesenheimer Idyll konnte ihn nicht halten, eben we i l es ein so vollstndiges Idyll, ein Leben im engsten[,] eingeschrnkten Kreise, im Glck der befriedigten gegenseitigen Liebe war[.] A n S a l z m a n n 28[.] Nov[ember] 1771[:] “Mein nisus vorwrts ist so stark, daß ich selten mich zwingen kann[,] Atem zu holen und rckwrts zu sehen”[.] 541 Dieser » N i s u s vo r w  r t s « trieb Goethe weiter – und er fhlte, daß er Friederike auf d i e s e m Wege nicht mitnehmen durfte, nicht mitnehmen konnte. In dieser Zeit pflegte man ihn den » Wa n d e re r « zu nennen1 u[nd] einige seiner schnsten Lieder aus dieser Zeit sind der [“]Wanderer[”], “Wanderers Sturmlied” berschrieben[.]

» Wa n d e re r « zu nennen] am Rand: D u. W, XII[. Buch], Loeper[, Bd.] 22, / [S.] 71[.] 1

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Am A erschtterndsten wird Goethes Empfindung in den Worten des » U r f a u s t « ausgesprochen – die wenige Jahre nach dem Abschied von Fr[iederike] und noch im frischen Gefhl der Trennung, gedichtet sind[:] “Was ist die Himmels Freud in ihren Armen Bin ich der Flchtling nicht, der Unbehauste[”.]1B542 F r a n k f u r t (August 1771 – September 1772[)] Am 6[.] August 1771 wurde G[oethe] in Straßburg zum »Lizentiaten« der Rechtswissenschaft promoviert. Der Vater hatte den Abschluss der juristischen Studien verlangt – und Goethe hat, mit Hlfe eines Repetitors und auf Grund der Kenntnis im Corpus Juris, die er sich schon in seiner Knabenzeit erworben hatte, das Verlangte rasch geleistet. Der Weg zur Ausbung der juristischen Praxis war jetzt frei. Am 28[.] August 1771 machte G[oethe] die Eingabe, die um Zulassung zur Advokatur bat. C Jetzt beginnt die j u r i s t i s c h e P r a x i s , die mit Hlfe des alten Rat Goethe, der dem Sohn bei der Durcharbeitung der Akten half, berraschend gut von Statten ging. Wir haben noch die Akten der Prozesse, die G[oethe] damals gefhrt hat – und in Morris’Ausgabe des jungen Goethe sind sie verffentlicht. Nur das heftige Temperament G[oethe]’s spielte ihm oft einen Streich.2 Schon beim ersten Prozess geriet der Vertreter der “Was ist ... der Unbehauste”.] Pfeil am linken Rand weist auf: Urfaust -& S. 79[.] Streich.] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: die Klage des Gegners nennt / er die “abscheulichste / Missgeburt”, u[nd] vergleicht sie / mit dem Ton eines zankschtigen / We i b e s , das sich in Schimpfworten / erschpft, / statt Grnde vorzubr[ingen]. / – cf. Hermann / G r i m m , S. 74 f[.] 1 2

Am] auf dem oberen Seitenrand und gestrichen: Morris[, Bd.] II, [S.] 58 [“]Jetzt fhlt der Engel, was ich fhle – Ihr Herz gewann ich beim Spiele – Und sie ist nun vom Herzen mein. – Du gabst mir Schicksal diese Freude, N u n l a s s a u c h m o r g e n s e i n w i e h e u t e , Und lehr mich ihrer wrdig sein.[”] Aber fr Goethe, fr Faust ist dieser Wunsch unerfllbar – auch im seligsten Augenblick kann er nicht ve r h a r re n – eben weil es ein Augenblick ist! / danach Fortsetzung des Textes gestrichen: Aber er fhlte, daß er Friederikes Lebensglck vernichtet hatte – / so wie Faust Gretchen vernichtet – / wenn es sich bei Friederike auch um eine viel mildere Tragik, um eine Tragik ganz anderer Art als bei Gretchen handelte – / denn sie selbst hatte keine Schuld auf sich geladen, – sie konnte im Kreis der Eltern weiterleben – wenngleich das Bild Goethes in ihr nie erloschen ist – B der Unbehauste”.] danach untere Hlfte der Seite leer C Advokatur bat.] danach gestrichen: Sie ist fr den Kurialstil der Zeit bezeichnend. / “Wohl- und hochedelgebohrne, Best und hochgelehrte, hoch und wohl frsichtige insonders hochgebietende und hochgeehrteste Herren Gerichtsschultheiss und Schssen[”] – so beginnt sie – [“]Ew. Wohl und Edelgebohrne Gestreng und Herrlichkeit habe die Ehre ...” 543 [am Rand gestrichen: besser: danach weist ein Pfeil auf: Morris[, Bd.] II, [S.] 107] A

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Gegenpartei in solche Aufregung, daß er hchst ausfllig wurde – Goethe replizierte und beide erhielten schliesslich einen Verweis. Der Anwalt der Gegenpartei erklrte, er habe sich zu einer1 Leidenschaftlichkeit hinreissen lassen, die ihm sonst ganz fremd sei; aber Goethes Benehmen htte ihn aufs usserste gereizt. Aber lange konnte die juristische Ttigkeit Goethe nicht halten – seit kurzem ist ein n e u e r P l a n in ihm gereift – seine Schwester C o r n e l i a , der er von diesem Plan erzhlt, ermuntert ihn zur Ausfhrung – u n d i n s e c h s Wo c h e n h a t e r d e n G  t z vo n B e r l i c h i n g e n vollendet. In der e r s t e n Fassung, die aber nicht gedruckt wurde, hiess das Stck: G e s c h i c h t e G o t t f r i e d e n s vo n B e r l i c h i n g e n m i t d e r e i s e r n e n H a n d – dramatisiert. We r wa r G  t z vo n B e r l i c h i n g e n ? Wir wssten wohl nicht mehr sehr viel von ihm, wenn Goethes Drama nicht wre – Wenn man durch das Frankfurter Goethe-Haus geht, dann findet man dort eine H a n d s c h r i f t F r i e d r i c h H e b b e l s , die ein Gedicht auf Gtz enthlt. Das Gedicht lautet: “Du hast im Leben jede Zier” ... [Die Helden ehrt, errungen, Doch ist der Thaten hchste Dir Im Tode erst gelungen. Du hast den grßten Dichtergeist Des Deutschen Volks entzndet, Und wo man Goethes Namen preis’t, Wird Deiner auch verkndet.] 544 Der h i s t o r i s c h e Goetz ist von dem des Dramas in Vielem verschieden – vor allem hat er kein tragisches Ende genommen. Gtz ist Zeit seines Lebens in allerhand Fehden verwickelt; er wird in den Bauernkrieg hereingezogen, als Fhrer der Bauern vor Gericht gestellt, es gelingt ihm[,] sich zu rechtfertigen, indem er beweist, daß er die Fhrung nur bernommen, um das Schlimmste zu verhten – er wird verurteilt, sich dauernd auf seinem Schloss still zu halten –

zu einer] am Rand: ber G[oethe] als Rechtsanwalt: / Wilh[elm] S c h e re r Aufs[tze] ber G[oethe], Berl[in] 1886, S. 39 ff. / der S t i l dieser Eingaben, der so ganz aus dem Handwerkswiss[en] herausfllt, hier schn geschildert! / “Ich glaube nicht, daß jemals ein Dokument bei Gericht eingereicht worden ist, wie jenes erste, worin der Dichter so glnzend durch den Advokaten [hin]durchbricht”. (S. 45) 1

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und hier, in dieser unfreiwilligen Muße, greift er zur Feder und schildert seine Erlebnisse. Noch einmal macht er einen Zug gegen die Trken mit und hinterher gegen Frankreich[.] Am 23. Juli 1562 ist er ruhig, als 82-jhriger, A gestorben – Was ergriff Goethe an diesem Stoff – und was gestaltete ihn fr ihn zum Drama, zur Tr a g  d i e ? Der Gtz ist die Tr a g  d i e d e s R e c h t s e m p f i n d e n s . G[oethe] selbst hat in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] gesagt, was ihn an dem Stoff gereizt hat. Er wollte einen “Selbsthelfer in wilder anarchischer Zeit” 545 schildern[.] »Ich1 schilderte, wie in wsten Zeiten der wohldenkende brave Mann allenfalls an die Stelle des Gesetzes und der ausbenden Gewalt zu treten sich entschliesst, aber in Verzweiflung ist, wenn er dem anerkannten verehrten Oberhaupt zweideutig, ja abtrnnig erscheint«[.] 546 Gtz will nur das Recht – aber er sieht es berall gekrnkt, verkmmert – Das wirkliche Rechts e m p f i n d e n u[nd] das geltende Recht befinden sich zu einander in tiefem Zwiespalt – “Satzung” und “Recht” sind auseinander getreten (Gedanke der “historischen Rechtsschule” (Savigny) 547 antizipiert – dies echte Recht soll vom Volk geschaffen werden, nicht wie das rm[ische] Recht dem Volk von aussen o k t ro y i e r t wurde)[.] Ein Volk kann nur das Recht verstehen, das es selbst geschaffen[.] B Die Rechtsformel erstickt den Geist des Rechts.

Vom I n h a l t des Gtz brauche ich hier nichts zu sagen – ich nehme an, daß er Ihnen allen bekannt und vertraut ist. Dagegen mssen wir uns, aus Anlass des »Gtz«, eine a n d e re Frage stellen, die fr Goethes geistiges Gesamtwesen von Bedeutung ist – W i e s t a n d G o e t h e z u r G e s c h i c h t e ? – und auf welchem Wege hat er, als Denker und als Knstler, e i n e n Z u g a n g z u r g e s c h i c h t l i c h e n We l t g e f u n d e n ? Auch wenn wir uns nun in die Lektre des »Gtz« oder des »Egmont« 1

»Ich] am Rand: D u W. XII[. Buch], / Loeper[, Bd.] 22, [S.] 85[.]

82-jhriger,] 82 Jhriger, geschaffen.] danach auf neuer Zeile gestrichen: »Es erben sich Gesetz und Rechte ...[«] 548

A B

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vertiefen – die einzigen beiden historischen Stoffe, die G[oethe] bearbeitet hat – so fllt sofort auf, daß Goethe als Knstler zur Historie in einem andern Verhltnis steht als andere grosse Dichter historischer Dramen – als Shakespeare, Corneille, Schiller. Ihn reizt es nicht, ein Bild des Weltgeschehens, des grossen politischen Geschehens a l s s o l c h e s zu geben – Das politische Geschehen bleibt immer nur der Hintergrund, von dem sich die Gestalten der Einzelnen und die individuellen Menschenschicksale abheben sollen – “Strzen wir uns ins Rauschen der Zeit, ins Rollen der Begebenheit” 549 – so sagt Faust zu Mephisto – Aber dieses “Rollen der Begebenheit” hrt man in Goethes historischen Dichtungen nur von ferne – wie ein unterirdisches Grollen bei einem fernen Erdbeben[.] S e i n Blick ruht auf den Einzelnen – und mit besonderer Liebe auf den grossen genialen Individuen – Sie will er in ihrem Wirken auf die Welt und in ihrem Kampf gegen die Welt darstellen – In der Zeit des »Gtz« hat G[oethe] auch an die Bearbeitung anderer historischer Stoffe gedacht – wir besitzen den Entwurf zu einem Caesar-Drama, zu einem SokratesDrama, zu einem Mahomet-Drama. 550 Goethe selbst hat uns in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] gesagt, was ihn zu diesen Stoffen hinzog – im Mahomet, so sagt er, wollte er zeigen, was das Genie durch Charakter ber die Menschen vermag, und wie es dabei gewinnt und verliert – er wollte darstellen, wie die großen Menschen, um zu wirken, in das Gesamtgeschehen e i n g re i f e n mssen, wie sie aber dabei die Hemmungen und Rckwirkungen dieses Geschehens erfahren – wie sich ihre hchsten, ursprnglichen[,] reinsten Ziele nur unvollkommen verwirklichen lassen und sie am “Widerstand der stumpfen Welt” 551 zuletzt scheitern – Auch im G o e t z war es die Persnlichkeit des H e l d e n , des großen “Selbsthelfers in wilder anarchischer Zeit”, 552 was G[oethe] in erster Linie anzog – A

anzog –] danach auf neuer Zeile gestrichen: “Mein ganzer Genius” – so schreibt G[oethe] am 28[.] November 1771 aus Frankfurt an Salzman [am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: Morr[is, Bd.] II, [S.] 117] – [“]liegt auf einem Unternehmen, worber Homer und Shakespeare und alles vergessen worden. Ich dramatisiere die Geschichte eines der edelsten Deutschen, rette das Andenken eines braven Mannes, und die viele Arbeit, die mich’s kostet, macht mir einen

A

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An der G e s t a l t des Gtz hngt also G[oethes] eigentliches Interesse – und ebenso an den anderen Gestalten des Dramas, an Weislingen und Adelheid – Adelheid ist ganz seine freie Erfindung – eine reine Phantasieschpfung, wie spter «Mignon» A [,] wunderbar gesehen, und so heiss und lebendig, daß G[oethe] in Dichtung und Wahrheit sagt, er habe sich, in dem er sie liebenswrdig zu schildern trachtete, selbst in sie verliebt. (Loeper[, Bd.] 22, [S.] 117) Daneben stehen die schnen Gestalten von Gtz’ Frau Elisabeth, bei der G[oethe] seine eigene Mutter vor Augen stand, die Gestalt von Georg Lerse u. s. f. – Aber obwohl G[oethe] kein eigentlich h i s t o r i s c h e s Drama schaffen wollte – ist doch hier, wie in keinem andern seiner Werke, das G a n z e der Geschichte lebendig geworden. Der geschichtliche Hintergrund der Ereignisse steht vllig deutlich und plastisch vor uns. Die einzelnen Stnde: die Frsten, die geistlichen Wrdentrger, die Klosterleute, die Brger und Bauern – das alles ist nicht nur beschrieben, sondern wirklich gesehen und gestaltet. Daß G[oethe] in d e m Augenblick auch die politische Geschichte so nahe war, wie niemals sonst, hat einen doppelten Grund. Vor allem war ihm durch den nahen Verkehr mit Herder der Blick fr alles Historische geschrft. Er konnte nun in allem Geschichtlichen das rein M e n s c h l i c h e erfassen, das ihn unmittelbar berhrte und an das er als Dichter anknpfen konnte – “So fhlt’ ich auch in all Deinem Wesen” – so hat G[oethe] spter einmal1 an Herder geschrieben – [“]den ewig gleichen B r u d e r, – Mensch, Gott, Wurm und Narren. Deine Art, den Kehricht (des Historischen) zur lebenden Pflanze umzupalingenisieren, legt mich immer auf die Knie meines Herzens” – ein wunderbarer Ausdruck, der sich in einem Brief B e e t h o ve n s an Goethe 553 wiederfindet! Herder hat ihn die “Palingenesie”, die Wiederauferstehung des Vergangenen, Historischen in der Phantasie und in der lebendigen Anschauung gelehrt – Dazu kommt ein Anderes: es ist das 16 . J a h r h u n d e r t , dem Gtz angehrt, – und d i e s Jahrhundert stand Goethe besonders nahe. Man fhlte es damals in Deutsch1

spter einmal] am Rand: Mai 1775, / [WA, Abt. 4,] Briefe[, Bd.] 2, [S.] 262.

wahren Zeitvertreib, den ich hier so ntig habe; denn es ist traurig, an einem Ort zu leben wo unsere ganze Wirksamkeit in sich selbst summen muss”[.] A «Mignon»] Anfhrungszeichen mit Bleistift

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land, noch mehr als heute, noch als lebendige Gegenwart: es war das große Jahrhundert der R e f o r m a t i o n – Goethe ist Zeit seines Lebens ein Verehrer und Bewunderer der Reformation gewesen – Bei der Dreihundertjahrfeier der Reformation hat er ein schnes Gedicht geschrieben – es schliesst mit den Worten – “Auch1 ich soll gottgegebne Kraft Nicht ungentzt verlieren, Und will in Kunst und Wissenschaft Wie immer protestieren”. 554 Die Vo l k s d i c h t u n g des 16. Jahrh[underts] war Goethe vertraut – und Hans Sachs hat er in dem Gedicht “Hans Sachsens poetische Sendung” ein wundervolles Denkmal gesetzt – Auch in der deutschen M a l e re i stand G[oethe] D  re r besonders nahe – – Und schließlich das Fa u s t b u c h , das so ganz aus dem Geist des 16. Jahrhunderts entsprungen ist – All das trug dazu bei, daß in Gtz ein wirklich lebenstreues und farbenreiches historisches G e s a m t b i l d entstand. Der E r f o l g des Gtz war ungeheuer – und er vernderte mit einem Schlage Goethes ganze Lebensstellung – denn nun wurde er mit einem Schlage zu einem gefeierten[,] in ganz Deutschland bekannten Autor.L Er selbst, der spter ber Urteile des Publikums sehr kritisch und sehr skeptisch dachte, hat sich in dieser Jugendzeit an dem frhen Ruhm, der ihm zuteil wurde, noch unbefangen gefreut und ihn mit einem gewissen Behagen genossen – Im November 17732 hat er eine Einsendung an den “Wandsbecker Boten” gemacht, in der sich die Verse finden: “Was wr ich ohne Dich, Freund Publikum! All mein Empfinden Selbstgesprch, all meine Freude stumm!” 555 Merkwrdig dagegen war das Ve r h a l t e n H e r d e r s z u m G  t z – Herder war berhaupt eine schwierige Natur – und das Zusammenleben mit ihm war fr seine Freunde keine leichte Aufgabe – Goethe hat sich ihm, dem 5 Jahre lteren, sofort mit der vollsten Hingabe und mit glhendem Enthusiasmus angeschlossen –

1 2

“Auch] am Rand: [WA,] Ged[ichte,] [Bd.] 3, [S.] 140[.] Im November 1773] am Rand: Morris[, Bd.] I, S. XIX[.]

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aber Herder begegnete dieser Liebe oft kalt und spttisch, und liess ihn immer wieder die berlegenheit fhlen, die ihm das hhere Alter gab – A Vieles an den harten Urteilen mag bewusste Zucht und Pdagogik gewesen sein – und Goethe hat sich gegen diese Zucht niemals gestrubt, sondern sie dankbar anerkannt – Aber es regte sich wohl bisweilen in Herder auch ein anderes Gefhl: er fhlte, daß er hier einer Kraft gegenberstand, die der seinen berlegen war – und die ihm dereinst ber den Kopf wachsen wrde. In dem Entwurf zum Caesar, den G[oethe] damals verfasste, sagt S u l l a 1 zu Caesar[:] “Es ist was Verfluchtes, wenn so ein Junge neben einem aufwchst, von dem man in allen Gliedern sprt, daß er einem bern Kopf wachsen wird”[.] 556 So mochte Herder damals oft empfinden – sonst kann man sich die harten Urteile, die er ber den Gtz fllte, kaum erklren ... Er hatte berhaupt eine merkwrdige Gabe, unwiderstehlich anzuziehen, und, sobald man sich ihm nhern wollte, wieder abzustossen – “Behaglich[”] – so sagt G[oethe] in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit, Bd.] 21, [S.] 176 – [“]war der Zustand nicht – denn von Herdern konnte man niemals eine Billigung erlangen, man mochte sich anstellen, wie man wollte. Indem nun also auf der einen Seite meine grosse Neigung und Verehrung fr ihn und auf der anderen das Mißbehagen, das er in mir erweckte, bestndig mit einander im Streit lagen, so entstand ein Zwiespalt in mir, der erste in seiner Art, den ich in meinem Leben empfunden hatte”[.] 557 Das alles tritt deutlich hervor in dem Briefwechsel zwischen Herder und Goethe, der sich an die Zusendung des Gtz knpfte – Es war noch der e r s t e Gtz[,] Geschichte Gottfriedens von Berl[ichingen] mit der eisernen Hand, dramatisiert[,] 1

S u l l a ] am Rand: Morr[is, Bd.] II, [S.] 50[.]

gab –] auf neuer Zeile gestrichen: Goethe erschien ihm in dieser Zeit noch zu jugendlich und unfertig – zu “spatzenmssig”, wie er zu sagen pflegte – am Rand gestrichen, ohne Zuweisung zum Text: [“]G[oethe] ist wirklich / ein guter Mensch, nur / usserst leicht u[nd] viel zu / spatzenmssig, worber er / meine ewigen Vorwrfe / gehabt hat. Er ist ein guter / edler Junge mit viel / Gefhl und bergefhl” / Morris[, Bd.] 2, [S.] 100 / Herder an Caroline.

A

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nicht der Gtz, den wir heute in Goethes Werken lesen – Aber auch e r enthlt schon alle Schnheiten und Grossartigkeiten des spteren Werkes, wenngleich er noch sehr lose komponiert ist – die einzelnen Szenen sind vielfach ganz locker neben einander gereiht – Diese Art der Komposition oder vielmehr diesen Mangel an straffer dramatischer Zusammenfassung wirft Herder Goethe schroff vor: “der Shakespeare[”] – schreibt er ihm – [“]hat Euch ganz verdorben”. 558 Bei G[oethe] zeigt sich keine Spur von Empfindlichkeit – er geht auf den Vorwurf ein und erkennt ihn an – Von H e r d e r ist ihm jede Art der Kritik willkommen – er gibt sofort zu, daß das Ganze umgeschmolzen werden und in neuer Gestalt erstehen muss – Die kritische Einsicht und Selbstdisziplin, mit der G[oethe] bei dieser Umarbeitung vorging, mssen wir aufs hchste bewundern: sie ist, fr einen Jngling von 23 Jahren, auch eine großartige e t h i s c h e Leistung – er hatte sofort in seinem Antwortschreiben an Herder1 erklrt, das Ganze msse eingeschmolzen, von Schlacken gereinigt, mit neuem edlerem Stoff versetzt werden[.] A559 Unbarmherzig drngt er das Ganze zusammen – und oft hat er Szenen geopfert, die wie die Adelheid-Szenen zu den usserlich spannendsten und wirksamsten gehrten – alles bloss »Effektvolle« B ist unbarmherzig geopfert! Alles Pathetische, bertreibende, Schwlstige ist ausgemerzt – C Goethes C h a r a k t e r, seine Selbstzucht, seine Gabe sich unterzuordnen, wenn er auf wirkliche Grsse traf, die tiefe innere B e s c h e i d e n h e i t , die ihm bei allem strmischen Selbstbewusstsein eignete – das alles hat sich nirgends schner offenbart als in der Art, wie er Herders Kritik aufnahm[.] D “Wenn sich doch mit ihm l e b e n liesse” 560 – so seufzt er manchmal, wenn Herder ihn allzu hart und grausam anfasst – Antwortschreiben an Herder] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: Juli 1772, / Hirzel[, Bd.] I, [S.] 310[.] 1

er hatte sofort ... versetzt werden.] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen wie die Adelheid-Szenen ... bloss »Effektvolle«] ber der Zeile; ersetzt gestrichen: wir nur ungern vermissen – die  l t e re Fassung zu lesen, gewhrt einen ganz besonderen Reiz – C Alles Pathetische, ... ist ausgemerzt –] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen D Kritik aufnahm.] am Rand, gestrichen: Gut gezeigt von W. / S c h e re r, Aus Goethes / Frhzeit, S. 79 ff., der eine schne s t i l i s t i s c h e Vergleichung des ersten “Gtz” mit dem spteren / durchgefhrt hat! A B

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Aber er lsst trotz allem nicht ab – er fhlt sich wie Jacob, der mit dem Engel des Herrn rang. – A “Herder, Herder[”] – so hat G[oethe] frher einmal an H[erder] geschrieben –1 [“]Bleiben Sie mir, was Sie mir sind. Bin ich bestimmt Ihr Planet zu sein, so will ich’s sein, es gern, es treu sein – ein freundlicher Mond der Erde ... Adieu lieber Mann. Ich lasse Sie nicht los. Ich lasse Sie nicht! Jakob rang mit dem Engel des Herrn. Und sollt’ ich lahm drber werden”[.] 561 Und Goethe hat schliesslich den Sieg ber Herder gewonnen – und ihm, der erst den Gtz so hart beurteilte und so sprde ablehnte, auch die Bewunderung d i e s e s Werkes abgezwungen ... 14 Jahre spter, als Herder den Gtz auf Goethes Wunsch fr die neue Ausgabe der Werke, die G[oethe] vorbereitete, kritisch2 durchgesehen hatte, schickte er ihm das Exemplar mit den Worten zurck: “Hier hast Du Deinen Gtz, Deinen ersten einigen ewigen Gtz mit innig bewegter Seele. Gott segne Dich, daß Du den Gtz gemacht hast, tausendfltig” – 562 Das war der echte natrliche Gefhlsausbruch, den auch heute noch Jeder nachfhlen kann: der Gtz hat, insbesondere als d r a m a t i s c h e s Kunstwerk betrachtet, Fehler und Schwchen; aber er ist und bleibt uns doch der “erste, einzige, ewige” Gtz[.] G o e t h e u n d S h a k e s p e a re – »Der Shakespeare hat Euch ganz verdorben« 563 so schrieb Herder an G[oethe]. B Er meinte damit, daß er auf alle Forderungen der B  h n e verzichtet habe, an Herder geschrieben –] am Rand und mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: Oktober 1771 / Morris[, Bd.] II, [S.] 117[.] 2 vorbereitete, kritisch] am Rand: V[iktor] Hehn, Ged[anken] ber Goethe[,] / [S.] 80. 1

rang. –] danach auf neuer Zeile gestrichen: Er vergleicht sich mit Georg, dem Reiterjungen in Gtz, der zu frh mit dem Helden mitreiten wollte “Es vergeht kein Tag, dass ich mich nicht mit Euch [am Rand, gestrichen: Morr[is, Bd.] II, [S.] 295] unterhalte und oft denke: wenn sichs nur mit ihm leben liesse. Es wird, es wird. Der Junge im Kras wollte zu frh mit, und Ihr reitet zu schnell. Genug ich will nicht mssig sein, meinen Weg ziehn und das meinige tun, treffen wir einander wieder, so giebt sichs weitere”. 564 B Goethe.] G., danach gestrichen: als er ihm den Gtz im ersten Entwurf zuschickte – A

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daß Shakespeare seine d r a m a t i s c h e Te c h n i k ungnstig beeinflusst habe. A Sein Verhltnis zu Shakespeare in dieser Zeit erhellt [sich] am besten aus der wundervollen »Rede zu Shakespeare Tag«, die er damals gehalten – Shakespeare war ihm, neben Homer und Pindar, die erste grosse Offenbarung der Dichtkunst berhaupt, der »ewigen Poesie« 565 geworden, die frei von aller Konvention das Innerste dessen aussprach, was Menschen bewegen und erschttern kann. »Erwarten1 Sie nicht[, das ich viel und ordentlich schreibe, Ruhe der Seele ist kein Festtagslied; und noch zur Zeit habe ich wenig ber Schkkespearen gedacht; geahndet, empfunden wenns hoch kam, ist das hchste wohin ich’s habe bringen knnen. Die erste Seite die ich in ihm las, machte mich auf Zeitlebens ihm eigen, und wie ich mit dem ersten Stcke fertig war, stund ich wie ein blindgebohrner, dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblicke schenckt. Ich erkannte, ich fhlte auf’s lebhaffteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert, alles war mir neu, unbekannt, und das ungewohnte Licht machte mir Augenschmerzen. Nach und nach lernt ich sehen, und, danck sey meinem erkenntlichen Genius, ich fhle noch immer lebhafft was ich] – gewonnen habe« – Morr[is, Bd.] II, [S.] 137 f[.] 566 Auch spter hat G[oethe] nie anders empfunden – denken Sie nur[,] wie er in Wilhelm Meister von Shakespeare spricht – 567 In einem Gedicht an Frau von Stein stellt er Shakspeare an die Seite der Geliebten: “Einer2 Einzigen angehren[,] Einen Einzigen verehren Wie vereint es Herz und Sinn! Lida! Glck der nchsten Nhe, William! Stern der hchsten Hhe[,] Euch verdank ich, was ich bin; Tag und Jahre sind verschwunden, Und doch ruht auf jenen Stunden Meines Wertes Vollgewinn”. 568 1 2

»Erwarten] am Rand: Morris[, Bd.] II! “Einer] am Rand in Bleistift: Ged[ichte. In: WA, Bd.] 3, [S.] 45[.]

habe.] danach auf neuer Zeile gestrichen: In der Tat hatte G[oethe] in diesem Werk alle »Regelungen« unwillig von sich abgeworfen – / und er glaubte damit, in den Bahnen Shakespeares weiterzuschreiten – A

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We r t h e r Der »Werther« hat bei seinem ersten Erscheinen einen Sturm der Begeisterung entfacht, wie er vielleicht bei keinem zweiten grossen Werk der Weltlitteratur gefunden werden kann – Daß Werke der Tageslitteratur einen schnellen und ausserordentlichen Erfolg haben, ist hufig – aber er vergeht so schnell wie er gekommen ist – Das Wahrhaft-Grosse pflegt nicht so rasch und so unmittelbar einzugreifen – Und doch war es hier der Fall – In Deutschland entstand ein wahrhaftes Wertherfieber 569 – aber das Buch wirkte weit ber Deutschland hinaus – Fr die Franzosen blieb Goethe lange Zeit »l’auteur des souffrances du jeune Werther«. 570 Napoleon hat das Buch sieben Mal gelesen, sogar in Aegypten A am Fusse der Pyramiden[;] er kannte es B so genau, daß er, bei einer Zusammenkunft mit Goethe in Erfurt diesen in ein langes Gesprch ber den Werther verwickelte und sogar einige kritische Ausstellungen an Einzelheiten gemacht hat – 571 Aber der Ruhm des »Werther« blieb nicht auf Europa beschrnkt – C Wi r lesen den »Werther« heute anders, als ihn seine ersten glhenden Bewunderer gelesen haben – Fr uns ist er nicht nur ein Buch der Leidenschaft, ein Liebesroman – Liebesromane hat es seitdem so viele gegeben, daß wir gegen ihren Reiz einigermassen abgestumpft sind – wenngleich der Zauber, der Lottes Gestalt umgibt, auch heute noch fr Jeden, der sich unbefangen der Lektre des Werkes hingibt, deutlich sprbar ist – Dieser Zauber ist nicht erloschen – aber der Werther bedeutet fr uns keinen einfachen »Roman« mehr. Er bezeichnet uns eine Wendung in Goethes eigener Entwicklungsgeschichte, die gleichzeitig eine g ro s s e Z e i t e n we n d e d e r d e u t s c h e n L i t t e r a t u r u n d d e r We l t l i t t e r a t u r i n s i c h f a s s t D – in ihm ringt sich Goethe zum ersten Mal zu seinem l y r i s c h e n S t i l , zu seiner vollen l y r i s c h e n Au s d r u c k s f  h i g k e i t hindurch – das Buch ... in Aegypten] ber der Zeile und hier eingefgt es] ihn C Europa beschrnkt –] danach gestrichen: Goethe selbst sagt uns in den Venez[ianischen] Epigrammen, daß er bis China drang: / [“]Doch was frdert es mich, daß auch sogar der Chinese / Malet, mit ngstlicher Hand, Werther und Lotte auf Glas”[.] [am Rand: ([WA, Bd.] 1, [S.] 316)] D f a s s t ] darunter wiederholt in deutlicher, fremder Hand A B

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und damit erschliesst sich ein Schatz von unermesslichem Reichtum und unermesslicher Tiefe. Das ist das, was wir an Werther noch heute u n m i t t e l b a r nachfhlen knnen, – whrend vieles andere an ihm, fr das Empfinden der Gegenwart, vielleicht sehr ferne gerckt ist – “Jeder Jngling wnscht sich, so zu lieben[,] Jedes Mdchen so geliebt zu sein” 572 – so schreibt G[oethe] mit Bezug auf den Werther – und er gab damit zweifellos die allgemeine Stimmung der Zeit wieder. – Heute ist das ganz anders – es gibt wohl nur wenige Jnglinge, die so wie Werther lieben – und vielleicht auch nicht viele Mdchen, die auf d i e s e Weise geliebt zu werden wnschen. Was am Werther » E m p f i n d s a m k e i t « ist, ist versunken A – aber er s e l b s t hat dadurch nicht verloren – er ist wie ein Phoenix aus der Asche emporgestiegen ... Es muss zunchst kurz an die E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e d e s We r t h e r erinnert werden – Goethe kommt im F r  h j a h r 17 7 2 nach Wetzlar, um dort am Reichskammergericht zu arbeiten. Er macht die Bekanntschaft des Amtmanns Buff und bei einem lndlichen Ball trifft er Lotte B [,] die lteste Tochter des Amtmanns, – ein Mdchen von 19 Jahren, das die Mutter frh verloren hat und nun dem Vater den Haushalt fhrt und fr ihre zehn jngeren Geschwister zu sorgen hat. G[oethe] hat das Bild des Mdchens im Werther gemalt – und es hat sich jedem, der den Werther einmal gelesen hat, unauslschlich eingeprgt. Wir sehen sie in ihrem ganzen Liebreiz, in ihrer Anmut, ihrem ganzen jugendlichen Zauber, ihrer stets sich gleich bleibenden Heiterkeit, Freundlichkeit, Gte. Aber Lotte Buff ist verlobt – schon mit 15 Jahren hat sie Johann Christian Kestner, einem Manne, der 8 Jahre lter als Goethe ist, ihr Wort gegeben[,] obwohl das Verlbnis zunchst noch nicht ffentlich ausgesprochen ist. Kestner ist ein ruhiger und tchtiger, pflichteifriger und intelligenter Mann – klug, klar, grndlich und mit Verstndnis fr Goethes Wesen. Er hat eine versunken] darber wird versunken mit Bleistift in Toni Cassirers Handschrift wiederholt B bei einem lndlichen Ball trifft er Lotte] zwischen den Zeilen; ersetzt gestrichen: wird bald in seinem Hause, dem “Deutschen Haus” in Wetzlar, ein stndiger Gast. danach Satzbeginn stehengeblieben: Hier trifft er Lotte A

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Schilderung von Goethe aus dieser Zeit entworfen, die zu dem Schnsten gehrt, was wir ber ihn besitzen. Bald verbindet auch die beiden Mnner eine herzliche Freundschaft. Von Kestners Seite herrscht nicht die geringste Eifersucht – er scheint sich sogar eine Zeit lang mit dem Gedanken getragen zu haben, auf Lotte zu verzichten. Lotte selbst hat zwischen beiden niemals geschwankt – sie begegnet G[oethe] mit Wrme, mit der herzlichsten Vertraulichkeit – aber sie ist entschlossen, ihrem Verlobten ihr Wort zu halten. Nur ein Vierteljahr A dauert das Zusammensein – Goethe fhlt, daß seine Leidenschaft bermchtig wird – und eines Tages reisst er sich mit einem schnellen Entschluß los – er verlsst Wetzlar. Aber er bleibt mit Lotte, mit Kestner, mit dem Amtmann Buff und dessen Kindern in herzlichstem Verkehr. Er nimmt an allen Einzelheiten ihres Lebens weiter teil – Lottes Schattenriss hngt ber seinem Bett. Nach der Verheiratung Kestners mit Lotte, am 14[.] April 1773, hat er einen Augenblick den Gedanken, die Silhouette herunterzunehmen – aber er kann sich nicht dazu entschliessen. Sie bleibt hngen und “soll denn auch hngen bleiben, bis ich sterbe” 573 – so schreibt er an Kestner. Auch nach der Verheiratung bleibt er mit beiden – mit Kestner und Lotte, in herzlichstem Einvernehmen – sogar ihren Brautstrauss lsst er sich schikken. Die Briefe an Lotte u[nd] Kestner zeigen, daß er noch immer mit allen Fasern seines Wesens an ihr hngt. »Von der Lotte wegzugehen[«] – so schreibt er am 10[.] April 1773 – [»]ich begreifs noch nicht wies mglich war«[.] 574 Vom We r t h e r ist bei alledem noch nicht die Rede – noch ist Goethe kein Gedanke gekommen, sein Erlebnis dichterisch zu gestalten. Da trifft pltzlich aus Wetzlar die Nachricht ein, daß dort der junge J e r u s a l e m , der Sohn des bekannten Theologen Jerusalem, der wie Goethe am Reichskammergericht gearbeitet hatte, sich erschossen habe. Kestner meldet es Goethe: er selbst hat J[erusalem] die Pistole dazu geliehen. Das Motiv zum Selbstmord scheint ein unglckliches Liebesverhltnis zu einer verheirateten Frau – gekrnkter Ehrgeiz, unverdiente Zurcksetzung, die er in seiner Laufbahn erfahren hatte, trat hinzu. B Und nun pltzlich gestaltet sich in Goethe1 der Roman – er schreibt ihn in 4 C Wochen nieder – mehr im Zustand eines Nachtwandlers, 575 wie er in D[ichtung] u[nd] Wahrh[eit] sagt. Im Winter 1774 bekommt sein Freund M e rc k die Arbeit zu sehen. 1

sich in Goethe] am Rand: D u W[, Loeper, Bd.] 22, [S.] 132[.]

danach gestrichen: vom 9. Juni bis 10. September 1772 trat hinzu.] mit Bleistift gestrichen und darber in fremder Hand: – gewesen zu sein C 4] ber gestrichen: wenig A Vierteljahr] B

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Dies die usseren Umstnde – die aber nur den Rahmen des Bildes geben. Man sieht schon hieraus: Goethe i s t nicht Werther – und s e i n Verhltnis zu Lotte, insbesondere aber sein Verhltnis zu Kestner ist ein ganz anderes gewesen, als es im Roman dargestellt wird – Was echt, was absolut naturgetreu ist – ist nur die Gestalt von Lotte selbst – und seine Liebe zu ihr – alles was “Handlung” im Roman ist, stammt aus anderen Quellen[.] – Aber wir wollen uns nicht in dieses b i o g r a p h i s c h e Detail vertiefen, das in jeder Goethe-Biographie eingehend beschrieben ist[.] Uns interessiert ein anderes Problem: wir wollen wissen, was der Werther in Goethes k  n s t l e r i s c h e r Entwicklung bedeutet und welchen Schritt in dieser Entwicklung er darstellt – Und hier drngt sich uns zunchst eines auf – d e r » We r t h e r « g e h  r t m i t d e m » Fa u s t « z u s a m m e n er ist gewissermassen der jngere Bruder des “Faust”[.] Die Arbeit am Faustfragment, das G[oethe] nach Weimar mitgebracht hat, und die Arbeit am Werther fallen in dieselben Jahre – und inhaltlich, gedanklich, gefhls- und stimmungsmßig, stilistisch ist der » U r f a u s t « der eigentliche, der beste Kommentar zum Werther – Beide sind aus derselben L e b e n s s t i m m u n g herausgewachsen und erlutern sich wechselseitig – Man hat den Werther oft als die Dichtung des “ We l t s c h m e r z e s ” verstanden – aber Nichts ist irriger und verkehrter! Fr das, was man gemeinhin »Weltschmerz« nennt, ist in Goethes Dichtung berhaupt kein Raum – Denn was bedeutet “Weltschmerz”? A Es bedeutet Ekel vor dem Leben, berdruss am Leben, Mdigkeit an allem, Teilnahmlosigkeit – es bedeutet “Blasiertheit”, Ironie, Weltverachtung – Das ist der ro m a n t i s c h e We l t s c h m e r z , von dem sich Zge bei Byron finden – aber ein solches Gefhl gibt es bei Goethe nicht – Er kennt ihn nicht in der J u g e n d – die ganz die Epoche der Flle, der Begeisterung, des ungestmen Lebensdranges ist – er k a n n das Leben nicht hassen, so viele Schmerzen und so viele Enttuschungen es ihm auch bringen mag –

A

“Weltschmerz”?] “Weltschmerz”.

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Beilagen

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“Whntest A Du etwa, ich sollte das Leben hassen,[”] so sagt Goethes Prometheus – B [“]in Wsten fliehen,1 weil nicht alle Knabenmorgen Bltentrume reiften? –[”] C576 “Wie es auch sei das Leben[,] es ist schn” 577 so sagt Goethe noch in einem seiner letzten Gedichte – Also nichts von Weltschmerz oder Weltflucht – auch im Werther nicht – Werther l e i d e t am Leben – aber er leidet nicht an seiner Armut und Leere, sondern an seiner Flle – Diese Flle ist seine stndige Lust – aber auch seine stndige Qual – denn er kann sie nicht umfassen und halten; sie f l i e h t vor ihm im Augenblick, wo er sie umarmen, geniessen mchte ... Daher empfindet Werther der N a t u r gegenber, wie er der Geliebten gegenber empfindet – Sie kann niemals sein werden – sie entzieht sich ihm, im Augenblick, wo er sie am glhendsten liebt und zu geniessen wnscht[.] “Vom Himmel fordert er die schnsten Sterne[,] Und von der Erde jede hchste Lust[,] Und alle Nhe, alle Ferne Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust”. 578 Das ist Faust – aber es ist ebenso We r t h e r [.] Er geniesst die ganze Seligkeit seines M i t l e b e n s m i t d e r N a t u r, seiner universellen »Sympathie«[,] aber eben diese Liebe wird ihm zur Qual – denn er leidet auch mit der Natur – Um den Verlust seines geliebten Nußbaums, der vor dem Pfarrhause stand und in dessen Schatten er so oft gesessen, kann er trauern – wie ein anderer um den Tod eines Freundes oder einer Geliebten trauern wrde – D i e i n n e re F  l l e z e r s p re n g t i h n – 1

Wsten fliehen,] am Rand: Morris[, Bd.] IV, [S.] 40[.]

“Whntest] «Whntest Anfhrungszeichen in Bleistift; einheitliche Markierung des Zitats B Prometheus –] danach gestrichen: weil nicht alle C Bltentrume reiften? –”] auf neuer Zeile gestrichen: Nicht alle Bltentrume reiften – das Leben zerbricht und zerstrt / in jedem Augenblick unsere schnsten Hoffnungen – / Aber als Ganzes bleibt es gross, schn, erhaben ... A

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D a s i s t We r t h e r i s c h u n d Fa u s t i s c h g e f  h l t – der Schmerz des Einzelnen, des Individuums, der sich dem Unendlichen, dem All mit leidenschaftlicher Liebe hingibt[,] der es aber nicht fassen, nicht halten kann – weil alles[,] was er ergreift[,] nur eine einzelne E r s c h e i n u n g dieses1 Alls ist – und weil er deshalb darber hinaus, hinweg muss – weil ihm keine Ferne und keine Nhe die Sehnsucht seiner Brust befriedigen kann. A Werther umfasst nicht nur Lotte – er erfasst das All, die Natur, den Kosmos “ w i e d i e G e s t a l t e i n e r G e l i e b t e n ” 579 – aber er geht an dieser Liebe zu Grunde; sie erdrckt und vernichtet ihn – e r u n t e r l i e g t u n t e r d e r G e wa l t d e r H e r r l i c h k e i t d i e s e r Erscheinungen – Auch Goethe frchtete immer wieder[,] unter dieser Gewalt zu erliegen[.] “Ich mchte beten, wie Mahomet im Koran” – so schreibt er um diese Zeit einmal – “ H e r r, s c h a f f e m i r R a u m i n m e i n e r e n g e n B r u s t ”[.] 580 A b e r B d i e s e s G e b e t w u r d e e r h  r t – eine gestaltende, produktive, knstlerische Kraft schuf ihm diesen Raum – Er unterlag den Erscheinungen nicht, C weil er sie zu p o e t i s c h e n S y m b o l e n u n d B i l d e r n zusammenfassen konnte – Auch der »Werther« war fr ihn ein D solches S y m b o l – und dadurch ein Akt der inneren Selbstbefreiung – E “Ich hatte mich” – so sagt er, Loeper[, Bd.] 22, [S.] 132 – [“]durch diese Komposition mehr als durch jede andere a u s e i n e m s t  r m i s c h e n E l e m e n t g e re t t e t , auf dem ich ... auf die gewaltsamste Art hin und wiedergetrieben wurde. Ich fhlte mich wie nach einer Generalbeichte wieder froh und frei und zu einem neuen Leben berechtigt”[.] 1

E r s c h e i n u n g dieses] am Rand in Bleistift: [D u W, Loeper, Bd.] 22, [S.]

132[.]

kann.] auf neuer Zeile gestrichen: “Ich knnte jetzt nicht zeichnen” – i c h e r l i e g e u n t e r d e r G e wa l t d i e s e r E r s c h e i n u n g e n ” [am Rand mit Pfeil verbunden und gestrichen: Morris[, Bd.] IV, [S.] 222] B A b e r ] mit Bleistift gestrichen C Erscheinungen nicht,] danach gestrichen: weil er sie gestalten, D ein] mit Bleistift gestrichen E Selbstbefreiung –] danach auf neuer Zeile gestrichen: Er selbst hat uns diese Befreiung in D. u. W. geschildert A

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Beilagen

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So empfand G[oethe] seine g e s a m t e K u n s t – sie war ihm immer S e l b s t b e f re i u n g u n d S e l b s t g e s t a l t u n g – Im 7[.] Buch von Dichtung und Wahrheit: (Loep[er, Bd.] 21, [S.] 65) “Und so begann (– schon in Leipzig –) diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben ber nicht abweichen konnte, nmlich dasjenige, was mich erfreute oder qulte, oder sonst beschftigte in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darber mit mir selbst abzuschliessen ... Alles was daher von mir bekannt geworden, sind nur B r u c h s t  c k e e i n e r g ro s s e n K o n f e s s i o n ” ... 581 Aus diesem Grunde konnte Goethe von sich sagen, daß nicht e r seine Gedichte, sondern daß seine Gedichte i h n gemacht htten – A582 »Konfessionen« besitzen wir auch sonst in der Weltlitteratur – die berhmtesten rhren von Au g u s t i n und von Ro u s s e a u her[.] Aber sie sind von ganz anderer Art, als die Goetheschen Konfessionen. B D i e s e r Art der “Beichte”, der Selbstanklage und Selbstverteidigung begegnen wir nirgends bei Goethe – Er klagt sich nicht an und er entschuldigt sich nicht – er stellt sein Leben dar, er gestaltet es – Und in dieser Form des “Bildes”, der knstlerischen Gestalt kann er sein Leben auch ve r s t e h e n – Das Bild wird zum “Sinnbild”: an ihm erfasst er den Sinn des Geschehens und seine i n n e re N o t we n d i g k e i t – htten –] danach auf neuer Zeile gestrichen: nach jeder neuen Dichtung war er ein Anderer, Neuer, Freier ... / Wenn G[oethe] seine Dichtung als K o n f e s s i o n bezeichnet, so muss das in einem andern als dem gewhnlichen Wortsinne verstanden werden – B Konfessionen.] danach auf neuer Zeile gestrichen: Au g u s t i n – die re l i g i  s e Konfession – / Augustin legt vor G o t t , der unmittelbar angeredet wird, das Gestndnis seiner Schuld, seiner schweren Verfehlungen ab – / aber er dankt Gott zugleich, daß er ihn trotz dieser Verfehlungen gerettet, daß er ihn durch seine Gnade aus dem Bann der Snde gelst hat – / seine »Konfessionen« sind der Dank fr seine Erlsung[.] / Anders Ro u s s e a u – / Auch er will eine Generalbeichte ber sein ganzes vergangenes Leben ablegen – / in schonungsloser Aufrichtigkeit will er all seine Schwchen und Fehler bekennen – / er versucht sich leidenschaftlich in der Ausmalung dieser Schwchen und Fehler – / Aber seine Beichte ist nicht, wie bei Augustin, eine religise, sondern eine p s y c h o l o g i s c h e B e i c h t e / eine A n a l y s e s e i n e s I c h – / er will die M o t i ve aufspren, die ihn zu seinen Irrtmern und Fehlern gefhrt haben, und damit diese Irrtmer psychologisch erklren und rechtfertigen – / er klagt sich an; aber er versichert immer wieder, daß nicht seine N a t u r seinen Irrtumer verschuldet hat – denn seine Natur / war von Anfang an gut und blieb gut: / nur usseren verhngnisvollen Umstnden ist die Schuld an seinen schlimmsten Taten beizumessen – / z. B. die Schuld daran, daß er alle seine Kinder nach ihrer Geburt dem Findelhaus zugefhrt hat, statt sie aufzuziehen – A

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So wa r es nicht nur – so m u s s t e es sein[.] Faust musste Gretchen verlassen – nicht aus Vorsatz, nicht aus Wankelmut – sondern weil er Faust war – weil es ihm nicht gegeben war, in irgend einem Augenblick, sei es auch der schnste und seligste, zu verharren – Und s o sieht G[oethe] jetzt seine Liebe zu Friederike – und nur so kann er sich innerlich mit der Trennung von ihr, die er als schwere Schuld empfindet, vershnen – Das ist die Art der Goetheschen Beichte, durch die e r s i c h s e l b s t ve r s t e h t und durch die er a n d e re n das Verstndnis um sich erffnen will: “ Wa s i c h s a g , i s t B e k e n n t n i s Z u m e i n e m u n d E u re m Ve r s t  n d n i s ”. 583

S t i l u n d S p r a c h e d e s We r t h e r (event[uell] wegzulassen!) Noch einige Worte ber Sprache und Stil des Werther – Verschiedene A r t e n die Sprache zu behandeln[:] a) die philologisch-linguistische b) die a e s t h e t i s c h e Die erstere wird immer die G r u n d l a g e bleiben mssen – aber sie ist nicht die e i n z i g e Art der Betrachtung – Selbst fr philologische Zwecke lsst sich die stilistische-aesthetische Behandlung fruchtbar machen – und ein bekannter Romanist, Karl Vo s s l e r, ist so weit gegangen, zu erklren, daß im Grunde alle Sprachforschung, auch alle Sprachgeschichte Ae s t h e t i k ist – 584 Vossler hat in seinem Buch: F r a n k re i c h s K u l t u r i m S p i e g e l s e i n e r S p r a c h e n t w i ck l u n g diese These fr die franzs[ische] Sprache durchzufhren gesucht – er hat eine G e s c h i c h t e d e r f r a n z  s [ i s c h e n ] S c h r i f t s p r a c h e rein vom stilistisch-aesthet[ischen] Standpunkt zu schreiben versucht – 585 Ob dies mglich und berechtigt ist, will ich hier nicht untersuchen – genug, es gibt neben der philologischen Behandlung der Sprache eine stilistische, “geistesgeschichtliche”. – Auch fr G o e t h e ist diese Behandlung schon frh versucht worden – einige sehr schne und tiefe Bemerkungen hierzu finden sich in W[ilhelm] v[on] H u m b o l d t s Aesthetischen Versuchen ber Hermann und Dorothea – in l i n g u i s t i s c h e r Hinsicht verweise ich auf die schne

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Beilagen

Arbeit von K o n r a d B u r d a c h , Die Sprache des j[ungen] G[oethe], jetzt in der Sammlung Vo r s p i e l , A Ges[ammelte] Schriften zur Gesch[ichte] des deutschen Geistes, II, Halle 1926, S. 38 ff. B Hier nur wenige Bemerkungen – Die Sprache des 16ten Jahrhunderts, die neuhochdeutsche Schriftsprache ist durch die R e f o r m a t i o n geformt worden, und in ihr lebt der G e i s t der Reformation – Was Luthers Bibelbersetzung fr die deutsche Sprache bedeutet hat, ist bekannt und oft geschildert – Aber auch sonst lsst sich dieser intime Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Sprache u[nd] der der reformatorischen Ideen immer wieder verfolgen – so vor allem an der litterarischen Entwicklung U l r i c h vo n H u t tens – Hutten tritt an die Seite Luthers – aber er wendet sich zuerst an die Gelehrten und Gebildeten, an den h u m a n i s t i s c h e n Kreis und seine ersten reformatorischen Schriften sind daher l a t e i n i s c h verfasst – Aber dann erkennt er, daß er auf diese Weise das Ziel nicht erreichen kann – er wendet sich nun an das Volk selbst, – e r b e g i n n t d e u t s c h z u s c h re i b e n . Und nun schreibt er ein sehr merkwrdiges, krftiges, krniges Deutsch[:] “Latein ich vor geschrieben hab Das war einem jeden nit bekannt; Jetzt schrei ich an das Vaterland: Teutsch Nation in ihrer Sprach, Zu bringen diese Dinge Rach”[.] 586 Sehr schnes Gedicht: [“]Ich hab’s gewagt mit Sinnen Und trag des noch kein Reu”[.] 587 Verfall der deutschen Sprache im 17ten Jahrhundert – der Zeit des dreissigjhrigen Krieges – Zwar C wurde von Seiten der G e l e h r t e n unablssig an der Reinigung und Besserung der Sprache gearbeitet [–]

Vo r s p i e l ] Vo r b l i c k e Angabe berichtigt in l i n g u i s t i s c h e r Hinsicht ... S. 38 ff.] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen C Zwar] ber der Zeile; ersetzt gestrichen: Seither A B

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mit dem Anfang des 17ten Jahrh[underts] setzen die Versuche der Wi s s e n s c h a f t zur Ausbildung einer allgemeinen deutschen Schriftsprache ein[,] es wird unablss[ig] theoret[isch] u[nd] praktisch an der E i n i g u n g der deutschen Sprache, an der Befestigung einer G e s a m t s p r a c h e ber die Mundarten gearbeitet[,]1 in der Litteraturgeschichte Martin Opitz, Kaspar S c h o t t e l i u s [,] in der P h i l o s o p h i e Leibniz – Unvorgreifliche Gedanken zur Verbesserung der deutschen Sprache – dann T h o m a s i u s , der an der Univ[ersitt] Leipzig die ersten deutschen Vorlesungen hlt – C h r i s t i a n Wo l f f – der »praeceptor Germaniae« – der “Urheber des Geistes der Grndlichkeit” 588 auch hier – er hat die d e u t s c h e p h i l o s o p h i s c h e S p r a c h e , die Sprache Kants geschaffen[.] Aber die wirkliche Regeneration, die eigentliche Wiedergeburt der Sprache konnte nicht in der P h i l o s o p h i e gebracht werden – sie ist erst durch die D i c h t u n g der klassischen deutschen Litteratursprache erreicht worden – es ist merkwrdig, wie hier jedem einzelnen Dichter dieser Epoche eine b e s o n d e re Aufgabe zufllt[.] G o t t s c h e d hat um die S p r a c h re i n i g u n g entschiedene Verdienste – so wenig er ein Dichter war, er ist einer der Ersten, der auch wieder energisch auf das Althochdeutsche u[nd] das Mittelhochdeutsche kommt2 – bei K l o p s t o c k wird die deutsche Sprache feierlich, mchtig, erhaben [–] bei W i e l a n d wird sie leicht, gewandt, flssig [–] bei H e r d e r wird sie charakteristisch, ausdrucksvoll ... aber bei Goethe ve re i n i g t sich dies alles – er beherrscht a l l e Tne und er vereinigt sie in einer ganz neuen Weise, zu einer unerhrten Po l y p h o n i e u n d H a r m o n i e d e r d e u t s c h e n Sprache – Mit dem Anfang ... Mundarten gearbeitet,] am Rand und zwischen den Zeilen und hier eingeschoben; danach: cf. B u r d a c h , Sprache des j[ungen] G[oethe], ‘Vorspiel’[, Bd.] II, [S.] 39[.] 2 Mittelhochdeutsche kommt] danach am Rand und mit Pfeil verbunden: ‘Sprachkunst’ erlebt viele Auflagen! / die Gegner Gottscheds, die S c h we i z e r, haben auf die a e s t h e t i s c h e Befreiung der Sprache gewirkt – / Bodmer und Breitinger kommen zu dem Begriff der n a t  r l i c h e n S p r a c h e – der Sprache des Ausdrucks, der Leidenschaft, die ber den g r a m m a t i s c h e n Regeln stehe (cf. B u r d a c h , Vor[spie]l, [Bd.] II, [S.] 41)[,] die Schweizer verlangen “Machtwrter”, s i n n l i c h e Wrter in der Poesie (ibid.)[.] 1

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Beilagen

Ein schneres, ein krftigeres und zarteres, ein gedrungeneres und reicheres Deutsch als in »Werthers Leiden« ist meinem Gefhl nach niemals geschrieben worden – und wird vielleicht nie wieder geschrieben werden. “Uns heute” – so sagt Hermann Grimm A in seinen Goethe-Vorlesungen –1 [“]hat die Sprache des Werther in Manchem etwas Altmodisches. Wir glauben moderner, lebendiger, besser zu schreiben. Aber es werden Zeiten kommen, deren rckwrtsgewandten Blicke unsere heutigen Tage ebenso fern und so fremd in der Vergangenheit liegen wie die Jugendzeiten Goethes uns. Dann erst, wenn alle Vergleichung aufhrt, wird voll wieder hervortreten ... welch eine jugendlichere Strke das Deutsch durchstrmt, mit dem Goethe, als er jung war, die Welt berraschte ... Es wird heute nichts geschrieben[,] das gegen Goethes Prosa aufkme, der im Werther sich dem deutschen Volke offenbart hat”. B589 Das hat H e r m a n n G r i m m geschrieben – der zu den Mnnern gehrt, die wirklich etwas von deutscher Sprache und deutschem Stil verstanden. Er selbst war ein ausgezeichneter und feiner Stilist – und er war zudem der Sohn W i l h e l m G r i m m s , der Neffe J a c o b G r i m m s , der eigentliche Begrnder der Germanistik, der deutschen Sprachwissenschaft. Grimm hat dieses Urteil ber Goethes Sprache im Jahre 1874, vor fast sechzig Jahren 590 gefllt – aber fr u n s e re Zeit ist es doppelt und dreifach wahr: denn wir s p re c h e n heute nicht nur nicht mehr die Sprache Goethes, sondern wir beginnen sie auch langsam zu verlernen – wir verstehen sie kaum mehr. C G o e t h e u n d Ro u s s e a u – Der Werther und die »Nouvelle H lo se«[.] Daß eine innere Verwandschaft zwischen G[oethe]’s Werther u[nd] der »Nouvelle H lo se« Rousseaus besteht, haben schon die Zeitgenossen empfunden[.]2 G[oethe] hat einmal ein Exemplar seines »Werther« in die Hand bekommen, in dem, von unbekannter Hand geschrieben, die Worte standen[:] Goethe-Vorlesungen –] am Rand mit Zeichen dieser Stelle zugeordnet: [Grimm: Goethe, 1882,] S. 157 f. 2 Zeitgenossen empfunden.] am Rand: cf. Erich S c h m i d t , / Richardson Rousseau / und Goethe, 1875, / Abdruck Jena 1924. 1

Grimm] darber, gestrichen: 1884 offenbart hat”.] danach gestrichen: Das hat Hermann Grimm vo r  b e r s e c h z i g J a h re n gesagt – aber es ist heute d o p p e l t u n d d re i f a c h wa h r. C kaum mehr.] danach untere Hlfte der Seite leer A B

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Ta i s t o i , p a u v re J e a n - J a c q u e s , i l s n e t e c o m p re n d ro n t p a s . 591 Man empfand Werther als einen Blutsverwandten des Helden des R[ousseau]schen Romans: W[erther] u[nd] St. Preux waren Ausdruck einer Gefhlsweise, der zuerst R[ousseau] im 18ten A Jahrh[undert] Bahn gebrochen hatte – In der Tat bestehen hier t i e f e g e i s t e s g e s c h i c h t l i c h e B e z i e hungen – R[ousseau] gehrt zu den merkwrdigsten u[nd] schwierigsten Erscheinungen der Geistesgesch[ichte] des 18ten Jahrh[underts], ja der Geistesgeschichte aller Zeiten – Sich ber ihn, seinen Charakter, seine Lehre, seine Wirkung ein festes Urteil zu bilden ist ausserordentlich schwer – Auch ber den We r t von R[ousseau]s Leistung gehen heute die Urteile noch ausserordentlich weit auseinander – “von der Parteien Hass und Gunst verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte[”] – 592 Man hat ihn enthusiastisch gepriesen – aber es fehlt auch heute nicht an Forschern, die in ihm den Keim alles Bsen sehen u[nd] die ihn fr alle Verirrungen der modernen Kultur verantwortlich machen wollen – B Auch ber den Inhalt und den Wert von R[ousseau]s P h i l o s o p h i e gehen die Urteile weit auseinander – es gibt Forscher, die die Ansicht vertreten, daß er berhaupt kein Denker im eigentlichen Sinne ist und daß von einer einheitlichen p h i l o s o p h i s c h e n Grundanschauung bei ihm keine Rede sein kann[.] Ich teile diese Ansicht nicht C – ich halte R[ousseau] fr einen zwar sehr merkwrdigen und paradoxen, aber auch sehr originalen Denker u[nd] ich glaube, daß er eine einheitliche Weltanschauung in allen seinen Schriften, so widerspruchsvoll sie oft erscheinen mgen, zur Geltung bringt. Aber auf d i e s e Seite des Problems knnen wir hier nicht eingehen. D 18ten] 18.ten machen wollen –] danach gestrichen: diese Auffassung wird z. B. in der franzsischen Rouss[eau] Litteratur durch das Buch von S e i l l i re ber R[ousseau], in der engl[ischen] R[ousseau] Litteratur durch das Buch von B a b b i t t 593 vertreten – C Ansicht nicht] Ansicht ist D nicht eingehen.] nicht eingehen; danach gestrichen: es sei mir erlaubt hierfr auf eine Reihe von Aufstzen zu verweisen, die ich unter dem Titel / D a s P ro b l e m J e a n J a c q u e s Ro u s s e a u / im Jahre 1932 im Archiv fr Gesch[ichte] der Philos[ophie] verffentlicht habe. Hier geht uns nicht der D e n k e r Rousseau und ebensowenig der Po l i t i k e r und S o z i a l k r i t i k e r R[ousseau], sondern nur der K  n s t l e r R[ousseau] an – wir haben es nicht mit dem Autor des Discours sur l’in galit , des »Contract social«, des »Emile«, sondern nur mit dem Autor der N o u v [ e l l e ] H l o s e zu tun[.] A B

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Die N[ouvelle] H[ lo se] ist 1761, 13 Jahre vor dem Werther, erschienen. Sie hatte, gleich dem Werther, einen ungeheuren Erfolg – vor allem in der eleganten Pariser Gesellschaft, der R[ousseau] selbst so feindlich gegenberstand. (– Die Anekdote des B a l l e s – eine Dame der vornehmen Pariser Gesellschaft – etc.)1 594 Auch hier fand man eine neue S p r a c h e des Gefhls – wie sie bisher in der franzs[ischen] Litteratur nicht gehrt worden war – an Stelle der Regel, der Konvention, des gesellsch[aftlichen] Geschmacks einen ganz freien Ausdruck des Gefhls – Es gibt Szenen in der N[ouvelle] H l[o se], die sich in der Tat in der Echtheit und Wahrheit des Gefhls dem Werther an die Seite stellen lassen –A Aber a l s G a n z e s g e s e h e n lsst sich die N[ouvelle] H l[o se] trotzdem dem Werther nicht vergleichen – Was sie von diesem trennt, ist der Umstand, daß die N[ouvelle] H l[o se] noch in viel strkerem Sinne » Ro m a n « ist, als der Werther – B Rousseau selbst hat uns in den »Confessions« eingehend die Geschichte des Romans erzhlt – Um dem Zwang der Pariser Gesellschaft zu entgehen, der ihm von Tag zu Tag unertrglicher und drckender wird, flieht er aus Paris – Gegen den Rat aller seiner Freunde vergrbt er sich in die Einsamkeit – er wohnt auf dem Lande, in der Nhe des Schlosses der Mme[.] d’ Epinay, die ihm ein kleines Haus, La Chevrette, zur Verfgung gestellt hat. Hier geniesst R[ousseau] seine glcklichsten Tage – er sagt, daß er am Tage seines Einzugs in La Chevrette, – es war am 9. April 1756 – erst eigentlich zu leben begonnen habe. 595 Und nun erwacht auch der D i c h t e r in ihm. – etc.)] am Rand weist ein Pfeil auf: Rouss[eau:] / Confessions, L[ivre] XI / ( d [ e u ] t s c h e Au s g [ a b e ] S . 7 2 3 !)[.] 1

stellen lassen –] danach auf neuer Zeile gestrichen: ^ so die Stelle an der St. Preusse, gezwungen, sich von seiner Geliebten zu trennen, sich nach langem Straben endlich zur Abreise entschliesst, aber zusammenbricht unter dem Schmerz dieses Abschieds. Er sinkt auf den Stufen der Treppe nieder; er bedeckt die kalten Steine mit heissen Kssen; er klammert sich an sie, sodaß man ihn kaum losreissen kann; sein ganzer Krper von verzweifeltem Schluchzen geschttelt – Dies alles ist der Ausdruck echter und tiefer Leidenschaft – & B der Werther –] danach Streichung im Ms.; die Ecke vom Bl. ist abgerissen A

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“Ich erfllte die Welt[”] – so erzhlt er [– “]mit Wesen nach meinem Herzen; ich schuf mir ein goldenes Zeitalter nach meinem Geschmack, indem ich mir die Erlebnisse frherer Tage, an welche sich ssse Erinnerungen anknpften, ins Gedchtnis rief und mit lebendigen Farben die Bilder des Glckes ausmalte, nach welchen ich mich noch sehnen konnte”. – 596 Rousseau ist damals kein Jngling mehr, wie Goethe, da er den Werther schrieb – er ist 44 Jahre alt – das Glck, das er sich ausmalt, ist ein Traumglck und ein Glck der Sehnsucht – Dann scheint es freilich einen Augenblick, als knne und solle es Wirklichkeit werden – er begegnet in Mme[.] d’ Houdetot, der Schwgerin der Mme[.] d’Epinay einer Frau, in der er all das erfllt sieht, was er in der Gestalt der »Julie« ertrumt hatte – er wird von einer heissen, verzehrenden Liebe zu ihr ergriffen, – und dies Gefhl strmt nun in den Roman ein, und gibt ihm Leben und Farbe – A R[ousseau]s Nouv[elle] H lo se gehrt, so sehr sie von echtem Naturgefhl und echter Leidenschaft erfllt ist, doch durchaus dem Typus der »sentimentalistischen« Dichtung an – – whrend im Werther die Liebe, von einem reinen Ly r i k e r und einem »naiven« Dichter gesehen und geschildert ist – »Verzehrt von dem Bedrfnis zu lieben« – so sagt R[ousseau] selbst – [»]ohne daß ich es je htte stillen knnen, sah ich mich den Pforten des Greisenalters nahen und sterben, ohne gelebt zu haben.« 597 Das “Bedrfnis zu lieben” hat die Julie der N[ouvelle] H l[o se] geschaffen; aber eine echte, heisse, wirkliche Liebe spricht aus dem Werther. So sehr R[ousseau] zu glhen scheint – er glht im Grunde doch fr eine Gestalt, die er sich selbst geschaffen – und Farbe –] danach gestrichen, die Ecke vom Blatt ist abgerissen: Mit der Lotte in Goethes Werther verglichen wirkt [Ts.: die Julie] der N[ouvelle] H l[o se] durchaus schemen- und schattenhaft[.] Im zweiten Teil des Romans, in dem Julie nicht mehr [als Lieb]haberin, sondern als die Frau eines Anderen, als Mme. [abgerissen] geschildert wird, zeigt [sich] dies noch deutlicher – ihre Briefe werden abstrakt und lehrhaft – der Roman des Gefhls lst sich ganz in einen belehrenden Roman mit bestimmter moralischer Nutzanwendung auf – und die Briefe der Julie werden ausdrcklich als »Lettres morales« bezeichnet – [am Rand: (217) 598 ]– ma charmante prÞcheuse – so wird sie schon im ersten Teil des Romans einmal von St. Preux bezeichnet – Die Julie der N[ouvelle] H l[o se] ist ebenso »sentimentalistisch« A

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Beilagen

Zwischen Goethe und Rousseau bestehen in der Tat tiefe Beziehungen und tiefe geistesgeschichtliche Zusammenhnge, die Erich S c h m i d t in seinem Buch (s. ob.) 599 klar herausgearbeitet hat – Aber doch ist der »Werther« auch der N[ouvelle] H l[o se] gegenber etwas durchaus Neues, Selbstndiges, Unvergleichliches – weil nur in ihm die echte, grosse, knstlerische G e s t a l t u n g s k r a f t herrscht, whrend in Rousseau die Phantasie, die er im hchsten Maße besaß, doch blosse Vo r s t e l l u n g s k r a f t geblieben ist. – Rousseau hat die Natur g e f o r d e r t , – er hat sie als I d e a l aufgestellt – aber Goethe erst hat sie wirklich gesehen; bei ihm ist dieses Idealbild der Natur zur knstlerischen Wirklichkeit geworden[.]

Goethe und Spinoza. Mit der Betrachtung des Verhltnisses von Goethe zu Spinoza nhern wir uns einem der schwierigsten Teile unserer Aufgabe – Wir knnen an dem Problem hier nicht vorbeigehen – denn das Bild von der geistigen Welt des jungen Goethe bliebe unvollstndig und fragmentarisch, wenn wir nicht sein Verhltnis zu Spinoza ins Auge fassten – Auf der andern Seite knnen wir dieses Verhltnis nicht e r s c h  p f e n – denn dazu mssten wir sehr tief in die Darstellung der Philosophie Sp[inoza]’s eingehen, die hier ausserhalb unseres Kreises liegt – Ich will hier nur die H a u p t m o m e n t e herausheben, soweit sie sich ohne allzu abstrakte, philosophisch-systematische Errterungen verstehen lassen. – Zunchst das rein Persnliche: wa n n h a t G o e t h e S p i n o z a k e n n e n gelernt[ , ] und wie hat er auf ihn gewirkt? Hier stehen wir auf sicherem Boden – denn wir knnen im Ganzen durchaus der Darstellung folgen, die er selbst in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] hiervon gegeben hat. Aber bevor wir uns in diese Darstellung vertiefen, mssen wir die b e s o n d e re n g e i s t e s g e s c h i c h t l i c h e n B e d i n g u n g e n betrachten, die in den 70er Jahren des 18ten Jahrhunderts A zu einer R e n a i s s a n c e S p i n o z a s i n D e u t s c h l a n d gefhrt haben – Der Erste, der nicht nur eine genaue K e n n t n i s von Spinozas Schriften besessen hat – eine solche K e n n t n i s gab es schon frher, und die Werke Christian Wo l f f s , des fhrenden Philosophen in Deutschland, gehen oft sehr sachlich und sehr grndlich auf Spinoza ein – A

Jahrhunderts] Jahrhunderts,

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sondern der sie auch weit tiefer als zuvor ve r s t a n d e n und der sich in gewissem Sinne zu Spinozas Weltanschauung b e k a n n t hat[,] ist L e s s i n g gewesen – Er erregte freilich das hchste Erstaunen und es erregte einen Sturm der Entrstung, als diese Tatsache zuerst bekannt wurde – Sie wurde es durch jenes berhmte G e s p r  c h , das Friedr[ich] Heinrich Jacobi, i m J u l i 17 8 0 , in Wolfenbttel mit Lessing gefhrt hat. Jacobi hat ber dieses Gesprch eingehend berichtet in seiner Schrift »  b e r d i e L e h re d e s S p i n o z a i n B r i e f e n a n d e n H e r r n M o s e s M e n d e l s s o h n « (1785)[.] Es knpfte sich an diese Schrift der Streit zwischen Jacobi und Mendelssohn, der fr die deutsche Geistesgeschichte des 18ten Jahrhunderts von grsster Bedeutung geworden ist – auch Goethe hat in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] ausfhrlich diesen Streit behandelt. Goethe selbst war in ihn hineingezogen worden, dadurch, daß Jacobi Lessing bei dieser Gelegenheit eines seiner schnsten Jugendgedichte, das Gedicht P ro m e t h e u s vorlegte und um sein Urteil bat – A Dadurch wurde der Goethesche Prometheus, wie Goethe in Dichtung und Wahrheit sagt, (Loeper[, Bd.] 22, [S.] 182) “zum Zndkraut einer Explosion, welche die geheimsten Verhltnisse wrdiger B Mnner aufdeckte und zur Sprache brachte”. Worin bestanden diese “geheimsten Verhltnisse”[,] und was war das Geheimnis, das durch Jacobis Gesprch mit Lessing zu Tage kam – Spinoza galt dem 17. und 18. Jahrhundert als typischer Vertreter des Atheismus, und damit als gefhrlicher Feind nicht nur des Christentums, sondern der Religion berhaupt. Immer wieder hatte man seine Lehre in diesem Licht gesehn und sie unter diesem Gesichtspunkt zu widerlegen gesucht. Die berhmteste dieser Widerlegungen hatte die grosse philosophische Encyklopdie des 17ten Jahrhunderts, der “Dictionaire historique et critique” von Pierre Bayle zu geben gesucht. Bayle selbst denkt sehr skeptisch in der Frage der offenbarten Religion und er galt als ein gefhrlicher Freigeist. Umso mehr musste es wirken, dass selbst dieser Freigeist sich in solcher Schrfe gegen Spinoza wandte. – Die Lehre Spinozas galt als abgetan, – sie schien nicht nur der Religion, sondern auch der Vernunft und der Moral zu widerstreiten. Urteil bat –] danach fehlt im Ms. ein Blatt (S. 37); ab hier wird dem Ts. (S. 87-89) gefolgt B wrdiger] in fremder Hand mit Bleistift in einer Lcke im Ts; im Durchschlag in fremder Hand: S 37 A

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Beilagen

Friedrich Heinrich Jacobi beurteilt Spinoza bereits viel freier, – er will seinen moralischen Charakter durchaus nicht antasten und er sieht in ihm einen der tiefsten Denker aller Zeiten – ja er sieht in ihm den einzig wirklich-konsequenten philosophischen Denker. Aber er zieht daraus den umgekehrten Schluss, – : wenn konsequentes philosophisches Denken zum Atheismus fhrt und fhren muss – wie Spinozas A Beispiel beweist – dann bleibt nichts brig, als aller Philosophie zu entsagen und sich in den Glauben zu retten. Der Glaube allein, nicht die philosophische Vernunft, kann uns von dem Dasein eines persnlichen Gottes und von dem Walten einer geistigen Vorsehung berzeugen. Diese Stze knnen wir nicht fallen lassen, ohne unser ganzes geistiges Dasein zu zerstren – aber beweisen lassen sie sich nicht. So lange man sich noch auf den Beweis verlsst, so lange die Philosophie “rationalistisch” ist, wird sie, bewusst oder unbewusst, immer wieder in den Spinozismus einmnden: vom Standpunkt der Vernunft und der Philosophie gibt es keine Rettung vor dem Spinozismus. Mit dieser These tritt Jacobi vor Lessing hin – und er hofft seine Zustimmung zu finden. Aber nun ergibt sich das berraschende: Lessing lehnt seine Auffassung nicht nur ab, sondern er behandelt sie mit der schrfsten Kritik, mit jener berlegenen Ironie, wie sie nur ihm zu Gebote stand. Als Jacobi sich darber verwundert, ja entsetzt, antwortet er ihm: “Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr fr mich; ich kann sie nicht geniessen. B [ ^¯ ŒÆØ —Æ!] Ich weiss nichts anderes”. 600 Da wren sie ja mit Spinoza ziemlich einverstanden, – fragt Jacobi. Wenn ich mich nach Jemand nennen soll, so weiss ich keinen anderen[,] 601 erwidert Lessing. Diese Worte waren es, die[,] wie Goethe sagte, “zum Zndkraut einer grossen Explosion” 602 wurden. Moses Mendelssohn hat sich diesen Spinozismus oder Atheismus, der hier seinem Freund Lessing nachgesagt wurde, so zu Herzen genommen, dass die Erregung hierber seine Gesundheit untergraben und seinen Tod beschleunigt hat – er ist am 4. Januar 1786, mitten in der Diskussion mit Jacobi gestorben – “der Riss war so gewaltsam, dass wir C darber ... einen unserer wrdigsten Mnner, Mendelssohn, verloren.” 603

wie Spinozas] am Rand: Jacobi / Glauben geniessen.] danach im Ts. mit Bleistift in Toni Cassirers Handschrift: siehe 37a C dass wir] im Ts. am Rand mit Bleistift in fremder Hand: [Bd.] 22, [S.] 182 A B

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Schon A einige Jahre b e vo r das Gesprch zwischen Jacobi und Lessing stattfand, war dieser G o e t h e begegnet – beide hatten einander nicht nur kennen gelernt, sondern es bestand eine Zeit lang ein inniges freundschaftliches Verhltnis zwischen ihnen – In einzelnen seiner Briefe drckt sich Goethe gegen Jacobi geradezu enthusiastisch aus – Spter ist es dann zu einer Entfremdung zwischen beiden gekommen, die beinahe zu einem Bruch gefhrt htte. An dieser Entfremdung trug gerade das Verhltnis zu Spinoza Schuld. B Whrend G[oethe] sich mehr und mehr in die Schriften Spinozas einlebte, hielt Jacobi hartnckig an der Polemik gegen den Spinozismus fest. Goethe sah in dieser Polemik nur ein kleinliches zelotisches Eifern, das er dem Jugendfreund nicht verzieh. Als Jacobi ihm spter seine Schrift »Von den gttlichen Dingen und ihrer Offenbarung« nach Weimar geschickt hatte, da hat C G[oethe] D ihm sein Missfallen an dem Buch nicht verhehlt – und er hat gegen das Buch ein schnes Gedicht geschrieben, das Sie in Goethes Ged[ichten] unter dem Titel “Gross ist die Diana der Epheser” finden. E Jacobi war nach der ersten persnlichen Begegnung mit Goethe von dessen Wesen und seiner Persnlichkeit hingerissen. Wir F verdanken ihm eine der schnsten Schilderungen, die es von dem jungen Goethe gibt. »Je mehr1 ich’s berdenke[, je lebhafter empfinde ich die Unmglichkeit, dem, der Goethe nicht gesehen noch gehrt hat, etwas Begreifliches ber dieses außerordentliche Geschpf Gottes zu schreiben. Goethe ist, nach Heinse’s Ausdruck, Genie vom Scheitel bis zur Fußsohle; ein B e s e s s e n e r, fge ich hinzu, dem fast in keinem Falle gesattet ist, willkhr1

»Je mehr] am Rand: Morris[, Bd.] IV, [S.] 118[.]

Schon] ab hier wird wieder dem Ms. gefolgt; oben rechts am Rand: 38; davor, Anfang der S. gestrichen: Sie finden, m[eine] D[amen] u[nd] H[erren], all das, was sich auf diesen berhmten Streit [bezieht], zusammengestellt i m s e c h s t e n B a n d d e s N a c h d r u c k s s e l t e n e r p h i l o s o p h i s c h e r We r k e , die von der K a n t - G e s e l l s c h a f t herausgegeben worden sind[:] / “Die Hauptschriften zum Pantheismusstreit zwischen Jacobi und Mendelssohn”, hg. von Heinrich S c h o l z , Berlin 1916[.] / Aber wir mssen uns hier auf G o e t h e beschrnken. B Schuld.] schuld. C hat] ber gestrichen ging D Goethe] Goethe, danach gestrichen: dem das Buch missfiel, in einer Anwandlung bermtiger Laune so weit, E finden.] danach gestrichen: Damals aber war es gerade das gemeinsame Interesse fr die Philosophie Spinozas, das Jacobi und Goethe zusammenfhrte. [am Rand: W.A.[, Bd.] II, [S.] 195] F Wir] wir A

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Beilagen

lich zu handeln. Man braucht nur eine Stunde bei ihm zu seyn, um es im hchsten Grade lcherlich zu finden, von ihm zu begehren, daß er anders denken und handeln soll, als er wirklich denkt und handelt. Hiemit will ich nicht andeuten, daß keine Vernderung zum Schneren und Besseren in ihm mglich sey; aber nicht anders ist sie in ihm mglich, als so wie die Blume sich entfaltet, wie die Saat reift, wie der Baum in die Hhe wchst und]1 sich krnt«[.] 604 Goethe erzhlt in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] (Loeper[, Bd.] 22, [S.] 168) wie sie ihre Gesprche, die immer wieder auf Spinoza zurckkamen oft bis in die Nacht fortgesetzt htten[.] A Wa s a b e r h a t S p i n o z a d a m a l s G o e t h e g e g e b e n ? – G[oethe] selbst hat in der Darstellung in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] darauf hingewiesen, daß es sich ihm nicht darum handelte, die Philosophie Spinozas in ihrem rein s y s t e m a t i s c h e n Gehalt, als ein objektives Ganzes von L e h r s  t z e n und ihrem theoretischen Zusammenhang zu erfassen – In der Form, in der sich Spinozas Lehre darstellte[:] als ein strenges L e h r g e b  u d e , das mathematische Strenge B beanspruchte, war ihm der Spinozismus nicht zugnglich – denn fr die Mathematik als solche hatte G[oethe] kein Organ[.] “Zhlen und Trennen” – so sagt er – “lag nicht in meiner Natur”. 605 Er C erfasste ihn so, wie er a l l e s erfasste, was er sich von Natur, von Kunst, von Wissenschaft aneignen konnte – er suchte in ihm ein “Bildungsmittel” fr seine Natur. Dies betont er in der Darstellung von D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] ausdrcklich: Loeper[, Bd.] 2 2 , [ S . ] 16 8 [: “] D i e s e r G e i s t [, der so entschieden auf mich wirkte und der auf meine ganze Denkweise so großen Einfluß haben sollte, war Spinoza. Nachdem ich mich nmlich in aller Welt um ein 1

, je lebhafter ... Hhe wchst und] –

fortgesetzt htten.] danach gestrichen: »Er, der in philosophischem Denken, selbst in Betrachtung des Spinoza, mir weit vorgeschritten war, suchte mein dunkles Bestreben zu leiten und aufzuklren. Eine solche reine Geistesverwandschaft war mir neu und erregte ein leidenschaftliches Verlangen fernerer Mittheilung. Nachts, als wir uns schon getrennt und in die Schlafzimmer zurckgezogen hatten, suchte ich ihn nochmals auf. Der Mondschein zitterte ber dem breiten Rheine (die Szene spielt bei einem Besuch Goethes in Kln) und wir am Fenster stehend, schwelgten in der Flle des Hin- und Wiedergebens das in jener herrlichen Zeit der Entfaltung so reichlich aufquillt«[.] 606 B Strenge] Strenge, danach gestrichen: deduktiven Zusammenhang C Er] er davor, Anfang der Seite gestrichen: Aber Goethe wollte von Spinoza auch keine feste, systematische P h i l o s o p h i e lernen – / sondern A

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Bildungsmittel meines wunderlichen Wesens vergebens umgesehn hatte, gerieth ich endlich an die “Ethik” dieses Mannes. Was ich mir aus dem Werke mag herausgelesen, was ich in dasselbe mag hineingelesen haben, davon wßte ich keine Rechenschaft zu geben: genug, ich fand hier eine Beruhigung meiner Leidenschaften, es schien sich mir eine große und freie Aussicht ber die sinnliche und sittliche Welt aufzuthun. Was mich aber besonders an ihn fesselte, war die grenzenlose Uneigenntzigkeit, die aus jedem Satze hervorleuchtete. Jenes wunderliche Wort: “Wer Gott recht liebt, muß nicht verlangen, daß Gott ihn wieder liebe”, mit allen den Vorderstzen, worauf es ruht, mit allen den Folgen, die daraus entspringen, erfllte mein ganzes Nachdenken. Uneigenntzig zu sein in Allem, am Uneigenntzigsten in Liebe und Freundschaft, war meine hchste Lust, meine Maxime, meine Ausbung, so daß jenes freche sptere Wort: “Wenn ich Dich liebe, was geht’s Dich an?” mir recht aus dem Herzen gesprochen ist. Uebrigens mge auch hier nicht verkannt werden, daß eigentlich die innigsten Verbindungen nur aus dem Entgegengesetzten folgen. Die Alles ausgleichende Ruhe Spinoza’s kontrastirte mit meinem Alles aufregenden Streben, seine mathematische Methode war das Widerspiel meiner poetischen Sinnes- und Darstellungsweise, und eben jene geregelte Behandlungsart, die man sittlichen Gegenstnden nicht angemessen finden wollte, machte mich zu seinem leidenschaftlichen Schler, zu seinem entschiedensten Verehrer. Geist und Herz, Verstand und Sinn suchten sich mit nothwendiger Wahlverwandtschaft, und durch diese kam die Vereinigung der 1 verschiedensten Wesen] A z u St a n d e [”.]607 Betrachten wir jetzt das Verhltnis nher – in welcher Weise B konnte sich Goethe durch Spinoza g e f  r d e r t und worin konnte er sich durch ihn b e s t  t i g t finden? Wir C greifen nur die Momente heraus, die auf G[oethe] gewirkt haben. a) D i e N a t u r a n s c h a u u n g – Die Aufhebung des “ausserweltlichen”, D Gott und Natur sind nicht getrennt – Die Aristotelische Anschauung des “unbewegten Bewegers” 608 – Gott ber die Natur erhaben w i r k t auf sie; aber er selbst bleibt von ihr unberhrt – 1

z u S t a n d e ”.] am Rand: D[.] u. W. / Loeper[, Bd.] 22,

der so entschieden ... verschiedensten Wesen] – Weise] danach z. T. gestrichen: wodurch; darber, gestrichen: rin C Wir] danach gestrichen: betrachten nicht hier nicht das System a l s G a n z e s , sondern D “ausserweltlichen”,] danach gestrichen: des extramondanen Gottes – A B

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Beilagen

Diese Auffassung war auch in das C h r i s t e n t u m eingedrungen: Aristoteles k o n n t e nur deshalb zum Philosoph[en] der Scholastik werden, weil die Scholastik in ihm diesen transzendenten, ausser- und berweltlichen Gott fand – Aber Goethe setzt sich dem entgegen (die Worte knpfen an Giordano B r u n o an; aber sie beziehen sich ebenso auf Spinoza)[:] (Was wr’ ein Gott, der nur von aussen stiesse ... So daß, was in Ihm lebt und webt und ist[,] Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermisst). 609 In der Natur gibt es kein »Innen und Aussen«[:] »Msset im Naturbetrachten« [Immer eins wie alles achten; Nichts ist drinnen, nichts ist draußen: Denn was innen das ist außen. So ergreifet ohne Sumniß Heilig ffentlich Geheimniß. 610 ] Dieses “heilige Geheimnis” sah Goethe durch Spinoza verkndet. [“] I n s I n n e re d e r N a t u r – 611[” O du Philister! – “ D r i n g t k e i n e r s c h a f f e n e r G e i s t .”] [b)] Das zweite Moment ist das m o r a l i s c h e Moment – die Wirkung der E t h i k S p i n o z a s a u f G o e t h e – Hier mssen wir etwas weiter ausgreifen – denn Goethes eigene Erklrung ist auf den ersten Blick dunkel – und sie ist auch von vielen Interpreten nicht in ihrem rechten Sinne verstanden worden – Welches ist die Art von »Uneigenntzigkeit«, die Goethe von Spinoza gelernt hat? Spinozas ethisches System ist keineswegs ein System des sogenannten »Altruismus« – Spinoza lehrt vielmehr, daß jedes Wesen das Recht hat, sich als das[,] was es ist zu b e h a u p t e n – sein Wesen zu b e wa h re n – »suum esse conservare«[.] 612 Aber beim Menschen als Ve r n u n f t we s e n besteht diese Selbstbehauptung darin, daß er seine Vernunft frei ausbildet und sie unbedingt walten lsst – daß er die Vernunft ber alles andere, ber die Sinne, die Einbildungskraft, die Leidenschaft herrschen lsst. In dieser Herrschaft der Vernunft besteht die wahre F re i h e i t – eine andere “Freiheit des Willens” gibt es nicht –

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Libere agere – ex ductu rationis agere. 613 Die Vernunft aber lebt im G a n z e n , nicht im E i n z e l n e n – A Wer sich zur hchsten philos[ophischen] Anschauung erhebt, fr den verschwindet das Ich im Ganzen – d i e s die intellektuelle Liebe zu Gott – u[nd] wer sie einmal recht verstanden, der kann nicht verlangen, daß Gott ihn wieder liebt – das Au f g e h e n i m A l l ist das wahre Ziel B des Ich, die echte » S e l b s t b e h a u p t u n g «[.] Man gewinnt das »Selbst« im hheren Sinne nur dadurch, daß man auf seine beschrnkte Individualitt ve r z i c h t e t [,] sich an das Ganze hingibt – So sah G[oethe] Spinozas Lehre – und so wurde sie ihm zum “Bildungsmittel” fr seine Natur.

[Religion des jungen Goethe] An die Darstellung des Verhltnisses von Goethe zu Spinoza schliessen wir die allgemeine Frage nach der R e l i g i o n d e s j u n g e n G o e t h e an. C Es gibt Viele, die in Goethe fast einen Heiligen sehen und ihn selig sprechen wollen – und es gibt Andere, die ihn in die tiefste Hlle verdammen, die ihm nicht nur jede Religisitt, sondern auch jede Sittlichkeit absprechen – Eine Flut von Anklagen hat sich von religiser Seite ber Goethe ergossen – das rgste in dieser Hinsicht leistet das 3 bndige Werk des Jesuitenpaters Alexander B a u m g a r t n e r s “Goethe und seine Werke”, der Goethe u[nter] and[erem] vorwirft, daß er in seinem West-stl[ichen] Divan das Kreuz in den Kot getreten und den mohammedanischen Halbmond wieder aufgepflanzt habe. 614 Doch hat es Goethe auch nicht an Bewunderern und Verteidigern unter fromm-Gesinnten, ja auch unter streng kirchlich-Gesinnten gefehlt – Wir knnen und wollen hier auf all diese Streitfragen nicht eingehen –

nicht im E i n z e l n e n –] danach gestrichen: das Einzelne a l s Einzelnes besteht nur fr die sinnliche Auffassung, die »imagination« – B wahre Ziel] im Ts.: darunter in fremder Hand: S. 39 Schluss C d e s j u n g e n G o e t h e an.] danach gestrichen: ber Goethes Religion ist unendlich verschieden geurteilt worden – / und auch heute findet man ber diesen Punkt die widerstreitendsten Ansichten – A

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Beilagen

wir suchen lediglich ein objektives Bild von den religisen Anschauungen des j u n g e n G o e t h e zu gewinnen. Sie lassen sich vielleicht am besten mit einem Distichon A S c h i l l e r s bezeichnen, das er “Mein Glaube” berschrieben hat: “Welche B Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennst! – Und warum keine? – Aus Religion”[.] 615 Das ist auch die Gesinnung des jungen Goethe – er ist keineswegs unglubig – er ist vielmehr lebhaft, ja leidenschaftlich fr alle Fragen des Glaubens interessiert – und das Religise steht ihm, insbesondere in d i e s e r Epoche, viel nher als das Philosophische – Er nimmt an allen Fragen, die damals die Welt bewegen, Teil – und es gibt fast keine Richtung, der er sich nicht einmal genhert hat, und die ihn nicht fr sich in Anspruch genommen htte – In der Zeit des bergangs von seiner Leipziger zu seiner Straßburger Zeit vertieft er sich in religise und mystische Schriften aller Art – Der Pietismus, die Herrenhutische Bewegung war ihm schon frher nahe getreten – und hier hatte insbesondere S u s a n n e vo n K l e t t e n b e r g auf ihn gewirkt (cf[.] D u W[,] VIII[. Buch], Loeper[, Bd.] 21, [S.] 115 ff.) Jetzt liest er auch eifrig A r n o l d s K i rc h e n - u n d K e t z e r g e s c h i c h t e (ibid, S. 126) – wobei ihn die Ansichten der sogen[annten] “Ketzer” besonders interessieren[.] “Der Geist des Widerspruchs und die Lust zum Paradoxen steckt in uns allen” 616 – so sagt er hierber in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] – C Diese F re i h e i t vo n a l l e m D o g m a t i s c h e n ist fr G[oethe]’s Religion charakteristisch – sie beginnt in frhester Jugend und sie hat ihn durch sein ganzes Leben begleitet. – Alles Religise ist ihm nah und sympathisch –

Distichon] danach gestrichen: bezeichnen, das in den Goethe-Schillerschen Xenien steht: B “Welche] am oberen linken Rand in fremder Hand: 40a C Dichtung und Wahrheit –] danach gestrichen: [“]Was mich an Arnolds Werk besonders ergtzte, war, daß ich von manchen Ketzern, die man mir bisher als toll oder gottlos vorgestellt hatte, einen vorteilhafteren Begriff erhielt. Ich studierte fleissig die verschiedenen Meinungen, und da ich oft genug hatte sagen hren, jeder Mensch habe doch am Ende seine eigene Religion, so kam mir nichts natrlicher vor, als daß ich mir auch meine eigene bilden knne, und dieses tat ich mit vieler Behaglichkeit”. ([Loeper, Bd. 21, S.] 126) A

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aber man darf von ihm nicht verlangen, daß er auf irgend ein Dogma schwrt – A Er hat sich fr Lavaters “Aussichten in die Ewigkeit” begeistert u[nd] sie in den Frankf[urter] Gel[ehrten] Anzeigen eingehend besprochen – Aber allen B e k e h r u n g s ve r s u c h e n widersteht er aufs standhafteste – Beim G l a u b e n – so erklrt er all denen, die solche Versuche unternehmen – komme Alles darauf an, d a ß man glaube – wa s man glaube, sei vllig gleichgltig – “Der Glaube sei ein grosses Gefhl von Sicherheit fr die Gegenwart und die Zukunft, und diese Sicherheit entspringe aus dem Zutrauen auf ein bergrosses, bermchtiges, unerforschliches Wesen. Auf die Unerschtterlichkeit dieses Zutrauens komme Alles an; w i e wir uns aber dieses Wesen denken, dies hnge von unseren brigen Fhigkeiten, ja von den Umstnden ab und sei ganz gleichgltig. Der Glaube sei ein heiliges Gefss, in welches ein Jeder sein Gefhl, seinen Verstand, seine Einbildungskraft, so gut als er vermge, zu opfern bereit stehe”. 617 (D u W[,] XIV[. Buch], Loeper[, Bd.] 22, [S.] 157) D i e s bezeichnet die Art der Goetheschen »Toleranz«[.] B Den herrlichsten d i c h t e r i s c h e n Ausdruck hat diese Religion des jungen Goethe im R e l i g i o n s g e s p r  c h i m Fa u s t gefunden – die Worte sind allbekannt, aber ich fhre sie hier an, um sie Ihnen C in der Fassung des » U r f a u s t « zu geben. [“]Mein Kind, wer darf das sagen, D [Ich glaube an Gott! Magst Priester, Weise fragen Und ihre Antwort scheint nur Spott Ueber den Frager zu seyn”.] 618

Dogma schwrt –] danach gestrichen: So hat er es in der Jugend auch mit L a va t e r gehalten – und mit vielen anderen “Propheten”, denen er in seinem Leben begegnete – B »Toleranz«.] danach gestrichen: Am schnsten ausgesprochen in seinem Brief an Pfenninger und Lavater / 26[.] April 1774 / »So ist das Wort des Menschen mir Wort Gottes« mit Pfeil verbunden auf dem Rand: Morris[, Bd.] IV, [S.] 16 / Nb! C Ihnen] danach gestrichen: in ihrer u r s p r  n g l i c h e n Fa s s u n g , D “Mein Kind, wer darf das sagen,] danach mit langem Pfeil verbunden auf dem Rand: Urfaust, S. 65 Nb! Diese Seite (41) endet mit einem Querstich; das Ts. A

endet auch an dieser Stelle (S. 93).

[ E N T W  R F E Z U D E N G O E T H E VOR L E S U NG E N ] [(Ms. 2) GEN MSS 355, Box 1, folders 11 und 16]

[Goethe und die deutsche Sprache] A In B seinem Buch: » Z u r G e s c h i c h t e d e r d e u t s c h e n S p r a c h e « hat Wilh[elm] Scherer 7 verschiedene Epochen der deutschen Sprachgeschichte unterschieden[.] 619 Die l e t z t e dieser Epochen, die neuhochdeutsche Sprachentwicklung, die etwa von der Mitte des 17ten Jahrhunderts bis zum Ende des 18ten reicht, charakterisiert er mit den Worten (2 Aufl. 1878, S. 14 f.)[:] “Grammatiker wie Schottelius und Gottsched errichten und sichern das Gebude unserer Sprache, so daß große Dichter bequem darin wohnen”[.] 620 Nun, die Stelle aus D[ichtung] u[nd] W[ahrheit], von der wir ausgegangen waren[,] 621 zeigt uns, daß G[oethe] in diesem Gebude keineswegs von Anfang an bequem gewohnt hat –L Er musste es vielfach umgestalten; er musste es fr sich erst wohnlich machen[.]L

Goethe und die deutsche Sprache] Bl. 209, 236-38 in Textzeuge E. In] ein loses Blatt mit folgenden Notizen war um Bl. 209-214 gefaltet: 1 ) Sprache. L I t a l i e n i s c h – seit Dante 13tes Jahrh[undert] F r a n z  s i s c h – seit Corneille Academie de Richelieu 17tes Jahrh[undert]L Die Sprache Goethes – Gellert Blatt a A B

D u W.[, Bd.] 21, [S.] 35 f. Loeper W.A.[, Bd.] 27, [S.] 57 ff. KlopstockL 2) H e r d e r u n d Ro u s s e a u –L Ich ward mit der Poesie von einer ganz anderen Seite, in einem anderen Sinne bekannt als bisher D u W. X[. Buch], Loep[er, Bd.] 21, [S.] 179; W.A.[, Bd.] 27, [S.] 313[.] [in Bleistift: d i e s a u c h a u f b e s . B l a t t ] 3) S h a k e s p e a re Zum Shakespeare – Tag! Morris[, Bd.] II, [S.] 137 f. oder [WA, Bd.] 37, [S.] 127-35 Einer Einzigen angehren 622 – s. ZettelL Geniebegriff

[Goethe und die deutsche Sprache]

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Denn es ruhte zwar auf festem und sichrem Grund; die Sprache war gereinigt, geklrt, verstandesmßig durchdrungen[,] aber was die Sprachwissenschaft und was die Logik und die rationalistische Schulphilosophie in mhsamer Arbeit geschaffen hatte – das musste erst mit frischem L e b e n erfllt werden – Und hier setzt G o e t h e s We r k ein – Wieder zeigt sich hier jene merkwrdige Verbindung, in der sein p e r s  n l i c h e s Leben und seine persnl[iche] geistige und dichterische Entwicklung mit dem Ganzen der deutschen Bildungsgeschichte steht – Goethe fand das rechte Instrument vor – er fand eine gebildete und gereinigte Schriftsprache – Aber er haucht dieser Sprache erst das wahre Leben ein – er beseelt sie[.] Bei ihm ist die Sprache nicht nur rein, klar, hell durchsichtig, sondern sie erhebt sich zu einer neuen H  h e und erfllt sich mit neuer Kraft – sie wird edel, khn, frisch, ursprnglich, individuell, originell[.] Und jetzt erhlt sie auch all die Eigentmlichkeiten wieder, auf die G[oethe] in der Leipziger Zeit so schmerzvoll verzichten musste – In Leipzig konnte G[oethe] das Problem noch nicht lsen – hier beugte er sich, obwohl widerstrebend und unwillig, dem konventionellen Zwang – aber bald ... A aber bald darauf w i r d e r e s l  s e n – Die Einzelheiten kann ich hier nicht verfolgen – ich weise auf einen schnen Vortrag von K[onrad] B u r d a c h D[ie] Spr[ache] des j[ungen] G[oethe] hin – Vorspiel, Ges[ammelte] Schr[iften] zur Gesch[ichte] des deutschen Geistes, Halle [19]26, Band II, L[ei]pz[ig] 1885 – B (Er wird eine neue Dichtung und eine neue S p r a c h e schaffen – Diese Sprache ist rein, edel, klar, hell, durchsichtig – aber sie ist zugleich C khn, originell, frisch, ursprnglich –) D

noch nicht lsen – ... aber bald ...] danach unteres Drittel der S. (Bl. 209v): leer; hier schliessen sich Bl. 236-238 inhaltlich und ußerlich (Papiersorte, Tintenfarbe) an B Die Einzelheiten ... Band II, Leipzig1885 –] am oberen und am rechten Rand A

und hier angeschlossen rein, edel, klar, hell, durchsichtig – aber sie ist zugleich] ber der Zeile in Bleistift und hier eingefgt D ursprnglich –)] am Rand gestrichen: B l a t t a / ob[en] C

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Beilagen

Sie ist von Provinzialismen keineswegs frei, sie scheut die Mundart nicht, sondern schpft bes[onders] in der Jugend dauernd aus ihr – aber [es gibt] Frankfurter Provinzial[ismen] noch in Faust II[.] A Sie ist reich an b i b l i s c h e n Kernworten und R e m i n i s z e n z e n – und sie ist vor allem “Sprichwrtlich” eine ganze Rubrick!  b e r re i c h an Gleichnissen – bei Gottsched ve r b o t e n , weil er auch in der Po e s i e nach “Klarheit und Deutlichkeit” strebt – “Gleichnisse drft ihr mir nicht verwehren[,] Ich wsste sonst mich nicht zu erklren”[.] 623 Goethe war und blieb der “ e w i g e G l e i c h n i s m a c h e r ” 624 – er selbst hat sich einmal in einem Brief an Frau v[on] Stein vom 8[.] Mrz 1781 so genannt. “In Gleichnissen lauf ich mit Sanchos Sprichwrtern um die Wette[”] 625 – so schreibt er ein andermal. B Wir C sehen jetzt, in welcher Weise G[oethe] als Sprachbildner in die deutsche Litteratur- und Geistesgeschichte eingegriffen hatte – Es bedurfte der Arbeit eines Jahrhunderts – (der Arbeit der Grammatik, der Dichtung, der Philosophie), um die deutsche Sprache[,] D nach der Verwirrung und Verwilderung des 30[-]jhr[igen] Krieges, wieder zur Klarheit und Reinheit zu erheben – Aber nur ein Genius wie Goethe vermochte ihr die eigentmliche S c h  n h e i t zu geben – Diese konnte ihr n i c h t aus der Arbeit der Sprachwiss[enschaft] oder der Philosophie erwachsen – u[nd] auch die D i c h t u n g des 17ten Jahrh[underts], die Dichtung eines Martin O p i t z war dazu unverm[gend] – denn sie war g e l e h r t e Dichtung! E aber es gibt ... noch in Faust II.] in Bleistift und hier angeschlossen ein andermal.] danach auf neuer Zeile gestrichen: Sie sehen, wie G[oethe] das Problem g e l  s t hat, das ihn bei seinem Eintritt in die gebildete Gesellschaft in Leipzig bedrngte und qulte – Er hat sich weder der gesellschaftlichen noch der sprachlichen Konvention gebeugt – er hat alle seine natrliche Eigenart und seine sprachliche und dichterische Genialitt b e wa h r t [,] aber aus alledem hat er eine neue, hhere, geistigere Form g e p r  g t – “Freiheit und Form”ŒÆØæ  [ ŒÆØæ  in Bleistift] C Wir] am oberen Rand rechts: B l . Æ D Philosophie), um die deutsche Sprache,] Philosophie, um die deutsche Sprache), E Diese konnte ... Dichtung!] zwischen den Zeilen, am Rand und hier angeschlossen A B

[Goethe und die deutsche Sprache]

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Denn S c h  n h e i t ist mehr als formale Reinheit und formale Klarheit –L Schnheit ist nach einer Definition S c h i l l e r s in seinen aesthetischen Briefen l e b e n d i g e G e s t a l t 626 [–]L und in Goethe durchdringen sich diese beiden Momente: bei ihm geht die Form aus dem Leben selbst hervor – und sie bleibt demgemß, auch in ihrer hchsten Vollendung, durchaus lebendig[.] A Nur noch B wenige Worte ber Goethes persnl[iches] Verhltnis zu Gottsched – er hat G[ottsched] in Leipzig besucht – und er hat diesen Besuch in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] sehr ergtzlich geschildert – Aber nher gekommen ist er ihm nicht C – Denn Gottsched galt damals bereits in Leipzig als eine g e f a l l e n e G r  s s e , mit seiner Diktatur des Geschmackes war es dahin – Die junge Generation hielt sich zu L e s s i n g – G[oethe] D erzhlt in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit,] welchen tiefen Eindruck damals Lessing, insbesondere der Laokoon, auf ihn gemacht – EL Aber Lessing: 17ter Litteraturbrief[:] “Niemand, sagt der Verf[asser] der Bibl[iothek,] wird leugnen, daß die deutsche Schaubhne einen grossen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor G[ottsched] verdankt”[.] 627L sehen ... durchaus lebendig.] (= Bl. 237v) ersetzt die gestrichene Seite (237r): [am Rand in Bleistift: B l a t t a ] Wir wollen freilich nicht bertreiben – und wir wollen G[oethes] Leistung nicht berschtzen. Er war nicht der Erste und der Einzige, der der deutschen Litteratur einen neuen G e h a l t gab. Klopstock und Lessing waren hier vorausgegangen – / der erstere hatte in seine Dichtung einen tiefen re l i g i  s e n / Gehalt gelegt – / der letztere hatte der Kritik und der Dichtung einen / unvergleichlichen g e d a n k l i c h e n Gehalt [ge]schenkt. / G[oethe] hat das wohl gewusst – und jederzeit / anerkannt – / Wie hoch er Klopstock verehrte, zeigt eine berhmte Szene aus Werthers Leiden – / und von Lessing spricht er in der Darstellung seiner Leipziger Zeit in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] mit dem grssten Enthusiasmus – / “Man muss Jngling sein, um sich zu vergegenwrtigen, welche Wirkung Lessings Laokoon [am Rand: D u W. 8tes Buch / [Loeper, Bd.] 21, [S.] 95] auf uns ausbte, indem dieses Werk uns / aus der Region eines kmmerlichen Anschauens / in die freien Gefilde des Gedankens hinriss” / Also durch Klopstocks religises Gefhl und durch / die neue Sprache des Messias und der Kl[opstockschen] Oden fhlt sich Goethe von einer neuen Kraft bewegt – / durch Less[ing] fhlt er sich in die freien Gefilde / des Denkens erhoben – / aber er schafft nun die große, u n i ve r s e l l e Synthese[.] B Nur noch] darber Einfgungszeichen: Æ Blatt C ihm nicht] danach mit Bleistift gestrichen: mehr D Goethe] davor: getilgte, eckige ffnende Klammer in Bleistift E gemacht –] danach: getilgte, eckige schließende Klammer in Bleistift A Wir

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Beilagen

“ I c h b i n d i e s e r N i e m a n d , i c h l e u g n e s i e g e r a d e z u ”[.] 628 H i s t o r i s c h g e s e h e n ist dies nicht gerecht: Lessing hat zwar Recht, wenn er sagt, Gottsched sei nie ein Dichter, sondern immer nur ein Versifikator, ein R e i m e r gewesen 629 [–] sein sterbender Cato [ist] kein D r a m a – sondern nur ein kaltes oratorisches A Prunkstck[.] B Aber er hat nicht Recht in Bezug auf sein Verdienst um die deutsche Sprache und Litteratur[,] er hat sehr viel fr die Sprachreinheit, fr die Ausmerzung berflssiger Fremdworte getan und er hatte insbesondere eine gute Kenntnis der  l t e re n d e u t s c h e n L i t t e r a t u r, des Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen[.] Er beschftigte sich mit dem mittelalterl[ichen] Epos, mit C Heinr[ich] von Ve l d e ck e , mit dem deutschen Minnesang, mit Walther von der Vogelweide – und er sammelte M a t e r i a l i e n z u r G e s c h i c h t e d e s d e u t s c h e n Schauspiels[.] W[ilhelm] S c h e re r sagt in s[einer] Gesch[ichte] d[er] d[eu]tsch[en] Litt[eratur] (397), daß bis auf Jac[ob] Grimm und seine Genossen niemand eine so weitreichende Kenntnis der lteren deutschen Litt[eratur] besessen habe[.] D

oratorisches] Lesung unsicher sein sterbender ... Prunkstck.] zwischen den Zeilen C dem mittelalterlichen Epos, mit] ber der Zeile und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen D habe.] danach auf neuer Zeile: Nach Gottsched Oeser und G e l l e r t ; darunter in Bleistift: Oeser s[iehe] [Pfeil weist auf:] a) / umbl! 630 A B

[Notizen ber Goethe und die deutsche Sprache] A a ) Goethe und die Bibel s[iehe] bes[onderes] Blatt 631 Gretchen – 5[.] Buch – Sozialpdagogik – keine ffentl[iche] Schule – B b) L e i p z i g , 19[.] Okt. 1765 in Leipzig als Student der Rechte inskribiert c) Leipzig als “Klein Paris” – das “galante” Leipzig im Gegensatz zu Halle und Jena neues g e s e l l s c h a f t l i c h e s Milieu, 1) Garderobe 2) feine gesellsch[aftliche] Sitten – Damen der Leipziger Gesellsch[aft] – die Professorinnen – L’Hombre und Whist G[oethe] als ihr gelehriger Schler – nicht ohne Widerstand – Morris[, Bd.] I, [S.] 103: Aber noch zur Zeit bin ich kein Stutzer – 632 Ein junger Mann nach der Mode, ein Dandy, ein Stutzer ist G[oethe] auch um diese Zeit nicht geworden – Aber doch vollzieht sich in ihm usserlich eine Wandlung[,] die seine Freunde bedenklich macht[.] 1766, 12[.] August – etwa 1 Jahr spter C Urteil Horns – M o r r i s [ , B d . ] I , [ S . ] 2 8 6 633 aber d i e s e Wandlung, obwohl sie von G[oethe] in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] eingehend geschildert wird, [ist] doch f  r u n s nicht das Wichtigste – relativ  u s s e r l i c h ! 2) D i e S p r a c h e G o e t h e s – hier berhren wir ein viel tieferes und wesentliches Problem – D Wir stehen hier nicht nur fr die individuelle Entwicklung, sondern auch fr die allgemeine geistesgeschichtl[iche] Entwicklung vor einem sehr tiefen und schwierigen Problem E [–] Notizen ber Goethe und die deutsche Sprache] Bl. 210-213 in Textzeuge E Gretchen – ... ffentliche Schule –] zwischen den Zeilen in Bleistift C 1766, 12. August – etwa 1 Jahr spter] zwischen den Zeilen in Bleistift D wesentliches Problem –] danach zwischen den Zeilen: D u W. Buch VI, gegen E n d e / D u W.[, Loeper, Bd.] 21, [S.] 35 f. ich war nmlich in den oberd[eutschen] / D i a l e k t 634 [geboren und erzogen, ...] E schwierigen Problem] danach zwischen den Zeilen in Bleistift: nichts usserl[iches] oder Gleichgltiges – in der Sprache / spiegelt sich Denkweise, Gefhlsweise, Ansch[auung], Phantas[ie] A B

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Beilagen

ein Wendepunkt, ja eine Krise in G[oethes] S p r a c h e n t w i c k l u n g – in der Sprachentwickl[ung] ist ja nichts usserliches, sondern etwas Entscheid[endes] u[nd] Wesentl[iches] in der Entw[icklung] eines D i c h t e r s [.] G o e t h e – das grsste S p r a c h g e n i e , nicht nur das grsste p o e t i s c h e Genie, das Deutschl[and] hervorgebracht hat – Er hat in der Jugend diese in ihm liegende Sprachkraft noch nicht voll entwickelt –L sie bricht erst spter in der Straßburger Zeit durch – aber er spricht “wie ihm der Schnabel gewachsen ist” 635 –L er spricht seine Mundart;L er liebt es[,] biblische Ausdrcke und derbe volkstmliche Ausdrcke zu gebrauchen[.]L – Jetzt soll er sich das alles abgewhnen – er soll reden, wie man s c h re i b t u[nd] schreiben, wie man spricht – Das erscheint ihm mit Recht als unnatrlich – und wir knnen ihm das ganz nachfhlen – vor allem wird es ihm jeder gebildete S c h we d e nachfhlen knnen – Aber das Problem lag fr Deutschland und fr das Deutschland des 18ten Jahrhunderts viel schwieriger als es fr Schweden liegt – Um Ihnen das Problem in seiner ganzen geistesgeschichtl[ichen] Bedeutung zu zeigen, muss ich freilich sehr weit ausholen und manche schwierige Fragen der deutschen Sprachentwicklung A und die deutsche Literaturgeschichte und Philosophiegeschichte berhren – aber nicht im D e t a i l [.] Ich muss Sie daher fr das Folgende um G e d u l d und um Ihre freundl[iche] Nachsicht bitten – ich werde mich bemhen, das, was in diesem Z[u]s[ammen]h[ang] gesagt werden muss, so knapp und so klar als mglich zu sagen – wir werden uns von dem j[ungen] G[oethe] scheinbar sehr weit e n t f e r n e n mssen; aber es geschieht nur, um uns wieder zu ihm z u r  c k z u f i n d e n . B

deutschen Sprachentwicklung] danach und am unteren Rand in Bleistift ohne Zuweisung zum Text: Ich muss einen Augenblick das Gebiet der reinen L[iteratur]gesch[ichte] verlassen – und auf Probleme der Sprachgeschichte, ja auch der Philos[ophie]gesch[ichte] eingehen B wir werden ... zu ihm z u r  c k z u f i n d e n .] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen A

[Notizen ber Goethe und die deutsche Sprache]

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Im 17ten Jahrhundert, im Zeitalter des dreissigjhrigen Krieges, erfhrt die deutsche Sprachentwicklung und die deutsche geistige Entwicklung eine jhe Unterbrechung – u[nd] es scheint eine Zeit lang, als vermchte sie sich nicht wieder aufzuraffen, als solle sie vllig erliegen. In Frankreich und England steht die Kultur auf ihrem Hhepunkt [–] klass[isches] Zeitalter: Corneille, Racine, Moli re, in England: der Anfang noch von S h a k e s p e a re beherrscht, in 2ter Hlfte A dann die Blte der englischen Philosophie[:] H o b b e s [ , ] L o c k e , H u m e .B All dem hat Deutschland z u n  c h s t nichts entgegenzusetzen [–] Grimmelshausen Simpliz[issimus] a l l e i n – alles andere HumanistenLitteratur, G e l e h r t e n p o e s i e . C – In der Dichtung M a r t i n O p i t z – ein feiner Geist, humanistisch gebildet, mit entschiedenem Sinn fr die Fo r m – D aber ohne eigentliche dichterische Phantasie und ohne schpferische Kraft[,] glckl[icher] Zufall! – in der Philosophie ein Geist wie L e i b n i z – der ja nicht D[eutschland], sondern der We l t gehrt E [–] von universeller We i t e u[nd] wahrer philosophischer T i e f e [,] in beidem nur mit Aristoteles zu vergleichen – O p i t z und L e i b n i z bemhen sich fortdauernd um die Ve r b e s s e rung der deutschen Sprache – Opitz schreibt schon zu Anfang des J[a]h[rhunderts] (1617) seine Schrift Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae u[nd] spter sein Buch von der teutschen Poeterey (1624)[,] das besonders auf die Fo r m der deutschen Dichtung gewirkt – das eine feste deutsche M e t r i k geschaffen hat. L e i b n i z knpft an diesen Versuch von Opitz an[:]L “ U n ve r g re i f l i c h e G e d a n k e n b e t re f f e n d d i e Au s  b u n g u n d Ve r b e s s e r u n g d e r d e u t s c h e n S p r a c h e ” (Hauptschriften[, Bd.] II, [S.] 520 ff.)

in 2ter Hlfte] in Bleistift H u m e .] H u m e , danach in Bleistift auf neuer Zeile: Noch vo r dem Ausbruch des 30[-]j[hrigen] Kr[ieges] / Aristor bricht ab C Grimmelshausen ... G e l e h r t e n p o e s i e .] zwischen den Zeilen D Fo r m –] danach in Bleistift: Buch von der Teutsch[en] Poeterey (1624) E der ja nicht Deutschland ... gehrt] in Bleistift und hier angeschlossen A B

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Z

Aber Leibniz selbst schreibt alle seine Hauptwerke Theodic e, Monadologie, Nouveaux Essais franzsisch u[nd] das andere lateinisch – es gibt keine philos[ophische] Schrift von ihm, die deutsch geschrieben ist. A als Philosoph, der frher einmal G e r m a n i s t i k studiert hat – schmerzl[iches] Versum[nis] B D a s 18 t e J a h r h [ u n d e r t ] g e h t we i t e r ; es will der deutschen Sprache wieder d a s B  r g e r re c h t i n d e r P h i l o s o p h i e gewinnen – (In der Gesch[ichte] der deutschen Sprache pflegt die Leistung der Philos[ophie] viel zu sehr unterschtzt zu werden!) [–] sehr s t i e f m  t t e r l i c h b e h a n d e l t !C Christian Wolff steht auch hier an der Spitze – der Schler von Leibniz i[st] der[,] durch den seine Gedanken zuerst bekannt und in streng systematischer Form dargestellt werden. Man hat in Wolff oft nur einen wenig bedeutenden Denker – einen seichten Aufklrer, einen platten R a t i o n a l i s t e n gesehen – aber dies Urteil ist sehr D ungerecht – Kant, der das Wolffische Schulsystem zertrmmert hat, sagt von ihm, daß er der “Urheber des noch nicht erloschenen Geistes der Grndlichkeit in Deutschland” 636 sei E – Er weiss also, was er ihm verdankt. Und er verdankt ihm nicht nur gedanklich, sondern auch s p r a c h l i c h sehr viel – F Denn Wolff hat in seinen deutschen Schriften G erst eine d e u t s c h e p h i l o s o p h i s c h e Te r m i n o l o g i e geschaffen [–] (Vernunft, Verstand, Einbildungskraft, Sinnlichkeit ... Sie wissen alle, was Worte wie diese fr das Studium der Kr[itik] d[er] r[einen] V[ernunft] bedeuten – aber sie sind von Wo l f f und seinen Schlern geprgt)[.]L

geschrieben ist.] danach zwischen den Zeilen in Bleistift: philos[ophischer] Germ[anist] oder germanist[isch] / geschulter Phil[osoph] B als Philosoph, der ... schmerzliches Versumnis] am Rand und zwischen den Zeilen C (In der Geschichte ... b e h a n d e l t !] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen D sehr] eingefgt in Bleistift E Deutschland” sei] Deutschland sei” F sehr viel –] danach in Bleistift: – der E r s t e , der deutsch geschrieben hat G in seinen deutschen Schriften] zwischen den Zeilen in Bleistift und mit Zeichen dieser Stelle zugewiesen A

[Notizen ber Goethe und die deutsche Sprache]

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Der Einfluss der Wolffischen Philosophie in der Litteratur erstreckt sich in 2 Richtung[en:] a) Alexander B a u m g a r t e n – Wolffs grsster Schler und ein wirklicher originaler Denker Ae s t h e t i c a – 1750 nicht nur das Wort, sondern auch die S a c h e [hat er] hier geschaffen – aber diese Linie der Entwicklung knnen wir hier nicht verfolgen! [b)] G o t t s c h e d – ein Schler und Anhnger Wolffs – Damit [sind wir] wieder bei unserm Thema! A E r s t e G r  n d e d e r g e s a m t e n We l t we i s h e i t L[ei]pz[ig] 1734 aber hier nicht originell – seine eigentliche Leistung liegt auf dem Gebiet der S p r a c h e u[nd] der L i t t e r a t u r [.] Wolff: Vernnftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch aller Dinge berhaupt (1719) B [.] G o t t s c h e d : “Vernnftige Gedanken von der deutschen Sprache u[nd] Litteratur”[.] 637 In der deutschen Sprache und Litteratur soll es ve r n  n f t i g zugehen C – und das ist nur mglich, wenn alles auf feste R e g e l n gebracht wird – So schreibt Gottsched seine K r i t i s c h e D i c h t k u n s t , in der er die Regeln lehren will, nach denen ein gutes Gedicht verfasst sein muss – Wer dieses Buch studiert hat, wer diese Regeln beherrscht, der werde ein gutes Gedicht schreiben und somit ein Dichter sein knnen – ein g u t e s Gedicht d. h. nur ein regelrechtes Gedicht – wie derjenige ein gutes Deutsch spricht, der sich keinen Verstoß gegen die deutsche Grammatik zu schulden kommen lsst – Neben der Poetik Gottscheds steht eine G r a m m a t i k und eine R h e t o r i k [,] neben der Critischen Dichtkunst schrieb er eine S p r a c h k u n s t und eine R e d e k u n s t – Und vor allen Dingen suchte er eine e i n h e i t l i c h e d e u t s c h e S c h r i f t s p r a c h e zu schaffen – Auf diesem Gebiet hat er zweifellos g ro s s e u n d d a u e r n d e Verdienste – Damit ... Thema!] zwischen den Zeilen in Bleistift (1719)] (1712) Angabe berichtigt C zugehen] zu gehen A B

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Beilagen

ohne ihn wre es vielleicht zu einer solchen einheitl[ichen] Schriftsprache – u[nd] damit auch zu der neuen Blte der deutschen Litteratur nicht gekommen – Aber er verfuhr auch hier sehr e i n s e i t i g und sehr diktatorisch – das Zentrum der sprachl[ichen] Reformbewegung lag in S c h l e s i e n und Sachsen: Opitz aus Schlesien – aber die f r u c h t b r i n g [ e n d e ] G e s e l l s c h a f t , Pa l m e n o r [ d e n ] 638 hat ihren Sitz – war von s  c h s i s c h e n und a n h a l t [ i s c h e n ] Frsten gestiftet worden – in Leipzig – A Wolff hatte in H a l l e gelehrt – Gottsched lehrte in L e i p z i g – Es stand also fest, daß S a c h s e n das Zentrum der deutschen Bildung und der Sitz des guten Geschmackes sei – Die gebildete Sprache konnte also nur das O b e r s  c h s i s c h e oder, nher bestimmt, die M e i ß n e r i s c h e M u n d a r t sein – ihr musste sich alles unterwerfen – alles andere war geschmacklos, ungebildet – nicht ohne W i d e r s t a n d – besonders von sddeutscher Seite B (Schwaben) [–] aber Sieg G[ottsched]’s[.] 1755 Critik ber Herrn G[ottsched]’s sogenannte Redekunst – a u s p a t r i o t i s c h e m Eifer! Selbst relig[ise] Gegens[tze] spielen hinein: der kathol[ische] S  d e n wollte sich dem protest[antischen] N o r d e n nicht einf[ach] unterwerfen[.] C D a s wa r d i e Fo r d e r u n g , d i e G [ o e t h e ] i n s e i n e r L e i p z i g e r Zeit entgegentrat – wie hat er sich mit ihr auseinandergesetzt?L Hier liegt wieder ein ganz a l l g e m e i n e s Problem der deutschen Litteraturgeschichte u[nd] der deutschen geistigen Bildung vor. Die deutsche Sprache und die deutsche Litteratur hatte durch Gottsch[ed] eine neue Fo r m erhalten – aber es fehlt ihr noch an jeglichem tieferen G e h a l t – das “ G o t t s c h e d i s c h e G e w  s s e r ” s[iehe] D. u. W. [ , L o e p e r, B d . ] 21, [ S . ] 3 9 [.] Wo sollte dieser G e h a l t herkommen? D Die Litteratur war E seicht und wssrig! das Zentrum ... in Leipzig –] zwischen den Zeilen nicht ohne W i d e r s t a n d ... Seite] zwischen den Zeilen in Bleistift C Selbst ... unterwerfen.] zwischen den Zeilen in Bleistift und mit Linien dieser Stelle zugewiesen; Selbst ist im Ms. kleingeschrieben D herkommen?] herkommen. E Die Litteratur war] die Litteratur; im Ms. ist war gestrichen A B

[Notizen ber Goethe und die deutsche Sprache]

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z;“Weil ein Vers Dir gelingt[”] – 639 dies der Zust[and] der deutschen Litt[eratur] – alle Welt kann s p re c h e n u[nd] dann glaubt alle Welt d i c h t e n zu knnen! Man wird nicht zum D i c h t e r, weil man » k o r re k t « spricht und reimt – dazu gehrt etwas A n d e re s ! A Bei B G o e t h e u n i ve r s e l l e r g e i s t i g e r u [ n d ] d i c h t e r i s c h e r C G e h a l t ,D ein Gehalt, der sich eine neue Form s c h a f f e n muss, der die Fesseln der Gottschedischen Poetik, Rhetorik, Grammatik z e r b re c h e n muss – aber nicht um zu zerstren, sondern um sich etwas Anderes, Besseres, Tieferes a u f z u b a u e n – wieder das Problem von F re i h e i t u n d Fo r m [.] In L e i p z i g konnte G[oethe] dies Problem noch nicht lsen –

A n d e re s !] danach in Bleistift zwischen den Zeilen: neuer i d e e l l e r Geh[alt:] relig[is] – K l o p s t [ o c k ,] gedanklich – L e s s i n g [,] poet[isch –] G o e t h e [.] Nach einer Leerzeile folgt gestrichen: ^es kam zunchst aus der re l i g i  s e n B e we g u n g – / Pietismus [ber der Zeile: – eine p h i l o s o p h i s c h e (Kants “Revolution der Denkart”)] / – die d i c h t e r i s c h e ; danach weist ein Pfeil auf: Goethe / das große religise Epos / K l o p s t o c k s M e s s i a s ; danach weist ein Pfeil auf: 1748 [zwischen den Zeilen in Bleistift: Pietismus – / Schweden!] / Gottsch[ed] u[nd] seine Anhnger fr dieses Werk vllig blind – / sie bekmpften seine khnen sprachl[ichen] Neuschpfungen / seine “Neologismen” und suchten sie lcherlich zu / machen – zwischen den Zeilen: S c h o e n a i c h , Aesthetik in einer Nuss oder Neologisches / Wrterbuch 17 5 4 Ausg. von Albert Kster, D[eutsche] Litteratur[denkmale] / Berlin 1900& B Bei] bei C und dichterischer] ber der Zeile und hier eingefgt D G e h a l t ,] G e h a l t . A

GOETHE UND DIE BIBEL A

Goethe und die Bibel B In der so umfangreichen G[oethe]-Litteratur fehlt es, so viel ich sehe[,] an einem Buch: G [ o e t h e ] u [ n d ] d i e B i b e l . Aber dies Buch sollte einmal geschrieben werden – es wre nicht nur fr G[oethe] selbst, sondern auch geistes- und bildungsgeschichtlich von grsstem Interesse – Die Bibel hat von Kindheit an den strksten Eindruck auf G[oethe] gemacht – und aus seiner Entwicklungsgeschichte und Bildungsgeschichte lsst sie sich nicht wegdenken. Goethe hat, um die geistige Atmosphaere seiner Jugend lebendig werden zu lassen, in dem vierten Buch von D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] eine eingehende Erzhlung des Inhalts der ersten Bcher Mosis eingeflochten[.] [“]Vielleicht mchte Jemand fragen1[, warum ich diese allgemein bekannten, so oft wiederholten und ausgelegten Geschichten hier abermals umstndlich vortrage. Diesem drfte zur Antwort dienen, daß ich auf keine andere Weise darzustellen wßte, wie ich bei meinem zerstreuten Leben, bei meinem zerstckelten Lernen dennoch meinen Geist, meine Gefhle auf einen Punkt zu einer stillen Wirkung versammelte; weil ich auf keine andere Weise den Frieden zu schildern vermchte, der mich umgab, wenn es auch draußen noch so wild und wunderlich herging. Wenn eine stets geschftige Einbildungskraft, ... mich bald da, bald dorthin fhrte, wenn das Gemisch von Fabel und Geschichte, Mythologie und Religion mich zu verwirren drohte: so flchtete ich gern nach jenen morgenlndischen Gegenden, ich versenkte mich in die ersten Bcher Mosis und fand mich dort unter den ausgebreiteten Hirtenstmmen zugleich in der grßten Einsamkeit und in der grßten Gesellschaft”.] 640 fragen] danach: – D [ . ] u . W. [ , L o e p e r, B d . ] 2 0 , [ S . ] 13 0 ; darber in Bleistift: 4[.] Buch D u W. 1

GOETHE UND DIE BIBEL] Bl. 243-44 in Textzeuge E G o e t h e u n d d i e B i b e l ] am oberen Rand in Bleistift ohne Zuweisung zum Text: nicht: G o e t h e s R e l i g i o n [.] G[oethe] oft fr einen Heiden erkl[rt] “dezid[ierte] Heide[”,] ein orthodoxer Christ ist er auch nie gewesen – / aber von der Bib[el] sagt er in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit,] etc s. unten! A B

Goethe und die Bibel

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Z

Die Bibel bte nicht nur eine tiefe s i t t l i c h e AWirkung auf ihn; sondern G[oethe] sagt in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] (7[.] Buch, [Loeper, Bd.] 21, [S.] 58) geradezu, daß er “ f a s t i h r a l l e i n s e i n e s i t t l i c h e B i l d u n g s c h u l d i g s e i ”[.] 641L Aber s o hatte die Bibel schon auf Tausende und Abertausende gewirkt – G[oethe] indes sieht sie mit neuen Augen: denn er ist vielleicht der Erste, der sie vllig u n d o g m a t i s c h liest. Im 18ten Jahrh[undert] kann man drei verschiedene Arten, die Bibel zu lesen, unterscheiden[:] a) die streng-dogmatische, theologisch-gebundene[,] der jedes Wo r t der Bibel als unmittelbar gttliche Inspiration gilt – das ist B die altprotestantische Art[,] die Bibel zu lesen – und so las sie der P i e t i s m u s C [–] b) d i e h i s t o r i s c h - k r i t i s c h e [–] sie ist in Deutschland vor allem durch S e m l e r vertreten – In seiner A b h a n d l u n g vo n d e r f re i e n U n t e r s u c h u n g d e s K a n o n s , 1771 ff.[,] legt Semler den Grund zur B i b e l k r i t i k [–] er gibt eine kritische Geschichte der biblischen Bcher – unterscheidet die verschiedenen S c h i c h t e n der berlieferung D und verlangt eine litterarhistorische Untersuchung derselben[.] “Die Bibel enthlt nicht mehr die Wahrheit schlechthin; um diese zu gewinnen, muss man erst das Lokale und Temporelle aus ihr ausscheiden” (Dilthey, Lessing – [S.] 89)[.] 642 c) Vo l t a i re – Polemik gegen die Bibel und Spott gegen sie [–] in seinem Gedicht » L a P u c e l l e « hat er die Schpfungsgeschichte des 1[.] Buch Mose p a ro d i e r t ! All dies liegt G[oethe] vllig fern –L er ist weder orthodox bibelglubig – noch ist er kritisch-historisch an ihr interessiert –

eine tiefe s i t t l i c h e ] im Ms. gestrichen ist] danach gestrichen: ja auch C – und so ... Pietismus] in Bleistift, unter Pietismus in Bleistift: ( Hamann) D berlieferung ber gestrichen: Bibel A B

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Beilagen

und jegliche Po l e m i k wider sie war ihm unsympathisch, wie er berhaupt alle blosse Polemik hasste –L er A sieht in ihr eine G r u n d l a g e a l l e r s i t t l i c h e n B i l d u n g – (D u W. 7[.] B[uch]) B aber er liest sie zugleich in einem andern Sinne – m i t d e n Au g e n d e s D i c h t e r s u n d K  n s t l e r s – Hier hat insbesondere das A l t e Te s t a m e n t auf ihn gewirkt – C Plan der Josef-Dichtung – [Loeper, Bd.] 20, [S.] 131 i m 4 . B u c h vo n D . u . W. Die Poesie der Bibel ergriff ihn so mchtig, daß er als 10[-]jhriger das H e b r  i s c h e erlernen wollte (im 4[.] Buch von D[ichtung und] W[ahrheit] [wird] der hebr[ische] Unterr[icht] bei dem Rektor Albrecht hchst ergtzlich erzhlt!) D Der Zauber der Pa t r i a rc h e n z e i t lsst G[oethe] nicht mehr los – er begleitet ihn durch alle Lebensepochen[.]L Im Werther schildert er begeistert die einfache Zeit der “herrlichen Altvordern”[,] 643 der Urvter des Menschgeschlechts, der Patriarchen.L In den Wirren der n a p o l e o n i s c h e n K r i e g e erwacht wieder die Sehnsucht nach dieser urtmlichen, ungebrochenen, einfachen M e n s c h l i c h k e i t in ihmL – er hofft sie im reinen O s t e n wiederzufinden, wenn Nord und Sd und West zersplittern –L Flchte Du ...L Dort im Reinen und im Rechten E 644 Fr Goethes Poesie und fr G[oethe]’s S p r a c h e [ist] die Bibel eine unerschpfliche Quelle –

er] danach gestrichen: liest in (D u W. 7. Buch)] in Bleistift C gewirkt –] danach gestrichen: Es gab nur E i n e n , der im 18ten Jahrh[undert] das Alte Testament hnlich empfunden u[nd] gelesen hat – / das war H e r d e r – er verlangte, daß man die Bibel / m e n s c h l [ich] lesen sollte[,] u[nd] er empfand / ihren poetischen Gehalt[.] / Aber Herders schne und bahnbrechende Schrift: / » Vo m G e i s t d e r e b r  i s c h e n Po e s i e « / ist erst 1781 erschienen – / und der K n a b e Goethe hat schon 20 Jahre vorher / die Bibel so gelesen, wie aus der Schild[erung] in D[ichtung] u[nd] W[ahrheit] / hervorgeht – D (im 4. Buch ... erzhlt!)] am Rand und hier angeschlossen E Dort im Reinen und im Rechten] am rechten Rand findet sich eine schliessende Klammer A B

Goethe und die Bibel

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D u W.[, Loeper, Bd.] 21, [S.] 36 645 [–] nur sollten die Anspiel[ung] auf biblische Kernstellen untersagt sein! Man hat im einzelnen nachgewiesen, wie die Luther-Bibel seinen poetischen Ausdruck bis zum w  r t l i c h e n A n k l a n g bestimmt hat (Burdach, Divanvortrag, S. 4, Goethe-Jahrb[uch] XVII, 1896)[,] und bibl[ische] B i l d e r durchziehen G[oethe]’s ganze Dichtung[.]

[ ST U D E N T I S CH E R E F E RAT E ] [Konvolut 137 – 1893]

Brahm: Das deutsche Ritterdrama des 18.ten Jahrhunderts. Anhang: Tendenzen der Sturm u[nd] Drangperiode A (Referat) Das Thema des Brahmschen Buches ist das deutsche Ritterdrama des 18ten Jahrhunderts, das – durch unmittelbaren Einfluss von Goethes Gtz entstanden – seine bleibende Gestalt und Tendenz erst durch die Dramen Joseph Augusts von Trring erhielt. Vor Trring hatten sich schon andere im Ritterdrama versucht – z. B. Klinger, J[akob] Maier u[nd] L[udwig] Ph[ilipp] Hahn – doch war es keinem von ihnen gelungen, die Bhne zu erorbern. Erst Trring errang mit seiner “Agnes Bernauer” (1780) einen großen Bhnenerfolg und rief dadurch eine Unzahl von Nachahmungen hervor, erst durch ihn wird das Ritterdrama in die Mode gebracht. Bei ihm muß daher die Betrachtung des Ritterdramas einsetzten. Die erste Hlfte des Brahmschen Buches ist daher ausschließlich Trring gewidmet. – Das ußere Leben Trrings bietet nichts Interessantes. Er stammte aus einem alten bairischen Adelsgeschlecht: das ist das einzig Wissenswerte, – weil es manchen characteristischen Zug seiner Dichtung erklrt. ber das Innenleben des Dichters erhalten wir zwei interessante Aufschlsse durch B einen Brief, den er an Dalberg gerichtet hat. Trring erklrt hier, warum er trotz seiner großen Erfolge das Dichten ganz aufgegeben habe. Es fehle ihm der dichterische “estrio” die Inspiration, alles, was er je geschrieben habe, sei nur durch zuflligen ußeren Anstoß entstanden, kein inneres Bedrfnis habe ihn zum Dichten getrieben. Das Dichten erscheint ihm berhaupt als ziemlich unntz und mßig. C “Die Parterre u[nd] Logen Deutschlands weinen u[nd] schaudern zu machen ist auch kein rechter Zweck” 646 – schrieb er. “Ich empfinde im innersten meines Herzens”, so fhrt er fort, “daß auch eines Shakespeares Glorie einem deutschen Edelmann, einem zum hohen Dienste des Staats gebornen Brger nicht rhmlich sei”. 647 Dieser Satz ist characteristisch fr ihn: Brahm: und Anhang: ... Drangperiode] im Ms. hervorgehoben durch] am Rand: 21[.] Mrz [17]81. 648 C mßig.] Komma zum Punkt gemacht; danach gestrichen: er ist Thatmensch, er will greifbare ußere Wirkungen seines Schaffens sehn, A B

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man sieht[,] er ist Thatmensch, er will greifbare ußere Wirkungen seines Schaffens sehn[,] A er ist Politiker, nicht Knstler. Diese Seite seines Wesens B tritt in seinen Werken C deutlich hervor in dem gewaltigen politischen und patriotischen Pathos, das sie durchweht. Im Gegensatz zu den Strmern und Drngern, die Staat und Gesellschaft negieren und immer von neuem mit gewaltigen Declamationen gegen sie losziehen, verficht Trring mit aller Energie den Staatsgedanken: die Pflicht des Einzelnen, sich der Gesamtheit zu beugen. Deutlich zeigt sich diese Tendenz schon in Trrings erstem Drama “Kaspar der Thorringer”. Als hier der Held erfhrt, seine Burg werde belagert, sein Weib[,] seine Kinder seien in Lebensgefahr, weigert er sich[,] den Kriegszug, auf dem er begriffen ist, zu unterbrechen, um den Seinen zu Hlfe zu eilen: die Sache der Gesamtheit, fr die er ficht, steht ihm hher als sein eigenes Wohl. Noch deutlicher ausgeprgt findet sich diese Tendenz in Trrings zweitem und letzten Drama “Agnes Bernauer”. Der Inhalt desselben ist kurz folgender: Albrecht, der Erbe von Baiern, hat sich mit einem einfachen Brgermdchen, Agnes Bernauer[,] verheiratet. Sein Vater, der Herzog von Baiern, verlangt von ihm Lsung dieser Ehe, die ihn entehre und ihn der Krone Baierns unwrdig mache. Als Albrecht sich weigert[,] Agnes zu verstoßen, greift der Herzog, nachdem alle andern Mittel fruchtlos geblieben, zur Gewalt, er lßt Albrechts Schloß whrend dessen Abwesenheit von Bewaffneten berfallen und Agnes tten. Im ersten tiefen Schmerz um die Ermordete ruft Albrecht nach Rache, nach D blutiger Rache an seinem Vater. E Dieser jedoch stellt ihm vor, Agnes habe sterben mssen. F Das Vaterland habe dies Opfer verlangt. G Albrecht wird durch diese Vorstellungen erschttert[,] und an der Leiche der Ermordeten kommt es zur Vershnung zwischen Vater und Sohn. Man sieht: wiederum der Sieg des Staatsgedankens ber den Individualismus, der Einzelne muß der Gesamtheit sein tiefstes, innigstes Fhlen zum Opfer bringen. So sehr Trring sich auch sonst grade in der “Agnes Bernauer” den Tendenzen der Sturm- und Drangperiode nhert, so sehr er die Allmacht des Herzens, die Nichtigkeit der Standesvorurteile, das Glck des Naturlebens ganz im Sinne der Strmer ausspricht: ein schroffer Gegensatz beman sieht er ist ... Schaffens sehn,] am Rand und dieser Stelle zugewiesen Wesens] Wesen C seinen Werken] danach gestrichen: es sind nur zwei: der “Caspar” und die “Agnes Bernauer” D Im ersten tiefen Schmerz ... nach Rache, nach] ersetzt gestrichen: Als Albrecht von dem Morde hrt, will er zuerst E Vater.] danach gestrichen: nehmen, F Agnes habe sterben mssen.] ersetzt gestrichen: daß Agnes Tod fr G habe dies Opfer verlangt.] ersetzt gestrichen: notwendig gewesen sei; A B

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Beilagen

steht zwischen ihm und den Strmern in der Auffassung des Verhltnisses des Einzelnen zur Gesamtheit. – A Auf die Betrachtung Trrings lßt Brahm die Untersuchung ber das Ritterdrama folgen, das durch Trrings unmittelbaren Einfluß entstand. Brahm bespricht und analysiert ausfhrlich 38 Ritterdramen. Es ist natrlich nicht mglich[,] diese im einzelnen zu betrachten, nur die großen gemeinsamen Zge seien hervorgehoben. B Da zeigt sich zunchst eine große hnlichkeit der Tendenzen des Ritterdramas mit denen der Sturm- und Drangperiode. In der Verherrlichung des frischen, krftigen Handelns, in der Verachtung der Gelehrsamkeit und des geistigen Lebens berhaupt, in dem Streben nach ungebndigter Freiheit und nach Ursprnglichkeit und Natur, schließlich in der Vorliebe fr das Grausige u[nd] Wilde, zeigt sich das Ritterdrama durchaus abhngig von dem Drama der Genieperiode. Bis in einzelne Motive hinein lßt sich diese Abhngigkeit verfolgen: die Kinderscenen z. B., die bei den Strmern u[nd] Drngern so1 beliebt sind, kehren auch in den Ritterdramen immer u[nd] immer wieder. Die Ritterdramen werden ferner characterisiert durch die einseitige Hervorhebung des deutsch-nationalen Elementes: das Thema: “Deutsche Treue und welsche Tcke” 649 wird auf alle mgliche Weise variirt. In einer ganzen Gruppe von Dramen, die sich direct an Trring anlehnt, tritt an Stelle des deutschnationalen Zuges ein specifisch bayerischer Patriotismus, baiersche Tapferkeit, baierischer Edelsinn wird verherrlicht, man schwebt kurzweg zwischen Bayern einerseits u[nd] Barbaren andrerseits. – Eine große hnlichkeit der Ritterdramen unter einander zeigt sich ferner in der Characteristik, immer wieder dieselben Personen treten uns entgegen. C Da steht natrlich im Mittelpunkt des Stckes immer der edle tapfere Rittersmann, das Muster eines Helden, treu und bieder, freiheits- und ehrliebend, der Beschtzer der Unterdrckten, der Feind aller Ungerechten. Ihm gegenber gestellt ist gewhnlich ein Frst, gutherzig, aber schwach2 und lenksam und von seinen schlechten,3 eigenntzigen 1 2 3

so] am Rand: Leid[endes] Weib, Otto, Gtz. schwach] am Rand: 127. 140. 650 schlechten,] am Rand: 116.

Gesamtheit. –] am Rand: J[ohann] V[alentin] T[ei]chm[ann] / B[ra]hm-Einl[eitung]. St.[rmer] / G[e]s[am]t.[heit] Hineinsp. d.[er] bnt. / (Einz[elne] R[itter]d[ra]m[en]) Veracht. Mss. / R[i]tt[er]-Tryt Pff. Einz[elne] R[itter]d[ra]m[en] 651 B hervorgehoben.] danach: markantes Einfgungszeichen (hier folgt ein eingelegtes, loses Blatt) C Da zeigt sich ... treten uns entgegen.] eingelegtes loses Blatt, dieser Stelle zugeordnet A

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Rten mißleitet. Beinah regelmßig kommt dann1 noch hinzu ein Pfaff, schlau[,] verschlagen, eigenntzig, genußschtig und feige. Nimmt man noch hinzu den hinterlistigen, lauernden Intriganten, den braven unerschrocknen2 Reiterburschen und schließlich das edle Ritterfrulein, so hat man die gebruchlichsten Typen des Ritterdramas beisammen. Selbst die Namen der einzelnen Personen bleiben sich gleich: der Ritter heißt gewhnlich Wolf, das Frulein Kunigunde oder Bertha, der treue Knappe Georg oder Karl. A Bestimmte Motive werden einseitig bevorzugt, B besonders C in den spteren Ritterdramen kehrt immer und immer dasselbe3 Thema wieder: Ein Edelfrulein wird gezwungen, whrend ihr Ritter in der Ferne weilt, einem ungeliebten Mann ihre Hand zu reichen, man bringt ihr die Nachricht, ihr Geliebter sei in der Fremde umgekommen, so entschließt sie sich endlich zu dem verhaßten Ehebund. Der Totgesagte kehrt jedoch zurck, erstrmt die Burg des Nebenbuhlers, bestraft ihn und lebt von nun an in glcklicher Vereinigung mit der Geliebten. Dazwischen werden in buntester Weise Geschichten von Belagerun[gen,] Weiberraub, Turnieren, Gottesurteil, Bruderzwist, Vehmgericht u. a. eingeschoben. Brahm zhlt außerdem noch als beliebte Motive auf: 652 Kerker, Schwur, Unwetter, Geistererscheinungen, Entehrung, Erzwungene Ehe, Streit zweier Mnner um eine Frau, unterirdische Gnge, Pilger, Kinder, Khler und Einsiedler. – Auch in der Technik zeigen die Ritterstcke die grsste hnlichkeit, in allen herrscht die Technik des Gtz, besonders ist der hufige Scenenwechsel, die Unbekmmertheit um die Einheiten fr sie characteristisch. Die Sprache ist maßlos bertrieben u[nd] strotzt von Geschmacklosigkeiten u[nd] rohen Kraft-Renomistereien. D Alles in allem erscheint das Ritterdrama nach der Darstellung Brahms als eine Gattung, die in dem weitaus grßten Teil ihrer Erzeugnisse historisch zwar interessant, aesthetisch aber fast vllig wertlos ist. – – In den Beilagen zu seinem Buche fasst Brahm die Tendenzen der Sturm 1 2 3

dann] am Rand: 96. 127. unerschrockenen] am Rand: 89. 97. 140. dasselbe] am Rand: 137. 138. 139. 140.

Selbst die Namen ... oder Karl.] am unteren Rand und hier angeschlossen Bestimmte Motive werden einseitig bevorzugt,] am Rand; ersetzt gestrichen: Aber nicht nur in den Characteren, auch in der Fhrung der Handlung, in der Bevorzugung bestimmter Motive zeigt sich die große bereinstimmung der Ritterdramen unter einander. C besonders] Besonders Großschreibung nach Korrektur stehengeblieben D Die Sprache ist maßlos ... Kraft-Renomistereien.] am Rand und dieser Stelle zugewiesen A B

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Beilagen

und Drangperiode unter bestimmten Gesichtspunkten zusammen. Unter den berschriften: Mensch, Ehre, Herz, Gott, Frst, Gelehrsamkeit u[nd] Greis stellt Brahm ußerungen der Strmer und Drnger ber diese Themata zusammen. bersieht man das gesamte Material, das Brahm bietet, so erkennt man in allen Anschauungen der Strmer, so verschiedene Gegenstnde sie auch betreffen, e i n e gemeinsame Tendenz: es ist der Ruf nach Freiheit und Natur. Freiheit, volle schrankenlose A Freiheit des Individuums ist die erste und die am strmischsten erhobene Forderung der Strmer und Drnger. B “Da verrammeln sie sich die gesunde Natur mit abgeschmackten Conventionen” 653 – ruft Karl Moor aus. “Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnrbrust und meinen Willen schnren in Gesetze. Das Gesetz hat noch keinen großen Mann gebildet, aber die Freiheit brtet Kolosse u[nd] Extremitten aus.[”] 654 Alles, was die Freiheit des Individuums beschrnkt und einengt, wird von den Strmern bekmpft. Daher richtet sich ihr Kampf vor allen Dingen gegen die Gesellschaft mit allen ihren Vorurteilen, gegen die Gesellschaft, die die freie Persnlichkeit des Einzelnen unterdrckt, die von dem Individuum das Aufgeben seiner Eigenart, die Unterordnung unter die Allgemeinheit C fordert. In ihrem Kampf gegen die Gesellschaft wenden sich die Strmer zunchst gegen den Stand und die Standesunterschiede. Sie verlangen freies Menschentum, und dieses kann man sich nur wahren, wenn man außerhalb der Stnde mit ihren Vorurteilen und Einseitigkeiten steht. Der Stand zwngt den Menschen in eine feste Form, drckt ihm einen bestimmten Stempel auf, raubt ihm sein freies natrliches Empfinden. Der Gelehrtenstand, der Juristenstand, D der Predigerstand, der Autorstand, der Poetenstand1 – ruft der Schlosser – berall Stnde u[nd] nirgends Menschen! 655 Die einzelnen Stnde werden verspottet und verchtlich gemacht, besonders der Hofmeisterstand wird arg mitgenommen. Wer Hofmeister wird, wer sich in eine abhngige Stellung bringt, der entsagt 1

Poetenstand] am Rand: Pol[itische] Fragmente

schrankenlose] schranken ber gestrichen: zgel Drnger.] danach gestrichen: Sie nehmen den Kampf auf gegen alles was die individuelle Freiheit hemmt, was den Einzelnen beschrnkt, einengt, fesselt. C Allgemeinheit] ber der Zeile und dieser Stelle zugewiesen, dann gestrichen: die Abschleifung des Eigenen D Daher richtet ... Juristenstand,] auf losem Blatt; ersetzt gestrichen: Sie bekmpften den Stand, denn der Stand verlangt von dem Einzelnen das Aufgeben seiner freien Persnlichkeit, er zwngt den Einzelnen in eine feste Form, drckt ihm einen bestimmten Stempel auf, zwingt ihm seine Vorurteile und Einseitigkeiten auf; danach Wiederholung nach Streichung nicht korrigiert: der Gelehrtenstand der Juristenstand A B

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den Vorrechten eines Menschen, er wird Sklave, ber den die Herrschaft unumschrnkte Gewalt hat. Diese Auffassung findet sich sowohl in Lenz’ Hofmeister, als auch in Klingers1 “leidendem Weib”. 656 Der Adelstand mit seinen Vorurteilen wird bekmpft: von den Hflingen, die ußerer Vorteile wegen ihre Freiheit opfern, wird stets mit grßter Verachtung gesprochen. Von diesem Standpunkt aus erscheint es verstndlich, daß auch der Stand der Frsten als ein Unglck angesehn wird: auch der Frst ist gebunden und unfrei, er kann nicht dem Triebe A seines Herzen[s] folgen. “Geben Sie mir ein Feld fr mein Frstentum und einen rauschenden Bach fr mein jauchzendes Volk” 657 ruft Julius2 von Tarent[,] und auch Lenore im “Fiesco”3 bittet ihren Gatten[,] mit ihr zu fliehen, “von sich zu werfen all dies prahlende Nichts.” 658 Der Kampf gegen den Stand wird erweitert zum Kampf gegen die Gesellschaft berhaupt mit all ihren Beschrnkungen und Fesseln. Die Strmer und Drnger negieren die Pflichten des Einzelnen gegen die Gesellschaft. “Wahrhaftig, ich bin diesen gesellschaftlichen Einrichtungen viel schuldig[”], ruft hhnisch Julius von Tarent[,]4 [“]sie setzen Frsten und Nonnen und zwischen beiden eine B Kluft.[”] 659 [“]Narren knnen nur streiten[,] ob die Gesellschaft die Menschheit vergifte.” 660 Die gesellschaftlichen Vorurteile, besonders das Vorurteil der Ehre werden heftig angegriffen. Als “Grille5 einiger Thoren” 661 wird die Ehre bei Leisewitz bezeichnet, als Hirngespinst, als Romanbegriff bei Grossmann in6 seiner Henriette. 662 Die Ehre anerkennen heißt sich dem Urteil der andern unterwerfen, seine persnliche Freiheit aufgeben. C Die zweite Macht, die die Strmer bekmpfen, und sie gleichfalls von dem Einzelnen das Aufgeben eines Teils seiner persnlichen Freiheit fordert[,] ist der Staat. D Characteristisch hierfr ist wiederum eine Stelle des “Julius von Tarent”, der berhaupt alle Tendenzen des Sturm- u[nd] Drangs deutlich wiederKlingers] am Rand: Lenz[: Der Hofmeister,] II, 1 Klinger[: Das Leidende Weib,] III, 2. 2 Julius] am Rand: [Leisewitz: Julius von Tarent,] II, 5. 3 im “Fiesco”] am Rand: [Schiller: Die Verschwrung des Fiesko zu Genua,] IV, 14. 4 Tarent,] am Rand: [Leisewitz: Julius von Tarent,] II, 5[.] 5 “Grille] am Rand: [Leisewitz: Julius von Tarent,] III, 3[.] 6 Grossmann in] am Rand: B[rahm, S.] 171, H[enriette] I, 4. 1

dem Triebe] ber der Zeile und dieser Stelle zugewiesen beiden eine] beide ein C Die Ehre ... Freiheit aufgeben.] zwischen den Zeilen und hier angeschlossen D Die zweite Macht, ... ist der Staat.] am Rand; ersetzt gestrichen: Nicht nur der Stand und die Gesellschaft, auch die Nation knechtet den Einzelnen, auch gegen ihn wenden sich daher die Strmer. A B

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Beilagen

spiegelt.1 Sie lautet: “Ist denn Tarent der Erdkreis und außer ihm Unding? – Die Welt ist mein Vaterland, und alle Menschen sind ein Volk. – Durch eine allgemeine Sprache vereint! A – Die allgemeine Sprache der Vlker sind Thrnen und Seufzer. – Und mußte denn das ganze menschliche Geschlecht, um glcklich zu sein, durchaus in Staaten eingesperrt werden, wo jeder ein Knecht des andern und keiner frei ist – der Staat ttet die Freiheit. –[”] 663 Wie die Strmer Staat u[nd] Gesellschaft gegenber das Recht des freien Menschentums verfechten, so thun sie es B auch gegenber dem Glauben, der Beschrnkung der Confession[.] C Der Mensch ist ihnen immer das Erste, Ursprngliche, er ist frher als der Glaube. Hufig findet sich die Gegenberstellung von Mensch einerseits D u[nd] Christ u[nd] Jude anderseits am deutlichsten im Nathan: Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch (II, 5) 664 (Moser – Schiller.) 665

B. Rousseau leidet, R[ousseau] fllt durch Christen[,] Rousseau, der aus Christen Menschen wirbt[.] E666 Alles bisher von den Tendenzen der Genieperiode Gesagte lßt sich auf eine einzige Tendenz[,] den ungestmen, allmchtigen Drang nach Freiheit zurckfhren. Ebenso stark wie dieser Freiheitsdurst war aber in den Strmern und Drngern ein zweites Gefhl: F die Sehnsucht nach der Rckkehr zur Natur. Auf diese Tendenz ist es zurckzuleiten, wenn die Strmer die schrankenlose Herrschaft des Gefhls proclamieren; der Mensch soll wieder Triebmensch werden, er soll sich von seinen natrlichen Instincten leiten lassen. Das Herz soll ber den Menschen herrschen, nicht der Verstand. “Der einzigen Stimme meines Herzens horch’ ich[”] – 1

wiederspiegelt.] am Rand: [Leisewitz: Julius von Tarent,] II, 5[.]

vereint!] vereint thun sie es] thun es sie es C Wie die Strmer Staat ... der Confession.] am Rand; ersetzt gestrichen: Ebenso wie gegen Gesellschaft und Staat, kmpfen die Strmer gegen die Religion, oder besser gesagt, gegen die Confession, soweit sie das Allgemein-Menschliche im Menschen unterdrckt. vor dem Punkt: Einfgungszeichen, dazugehriger Text am Rand gestrichen: und einen beschrnkten Glaubensstandpunkt an seine Stelle setzt. D einerseits] ber der Zeile und dieser Stelle zugeweisen E Rousseau ... Menschen wirbt.] am Rand, umrahmt und Teil B. wohl als Motto zugewiesen F ein zweites Gefhl:] ber der Zeile und dieser Stelle zugewiesen A B

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sagt Jacobi im “Allwill”, [“]diese zu vernehmen, zu unterscheiden, zu verstehen heißt mir Weisheit, ihr mutig zu folgen Tugend”. 667 Es wird ein wahrer Cultus des Herzens getrieben, die mannigfachsten Beiwrter fr das Herz werden erfunden, es giebt fhlbare, empfindliche, empfindsame, unternehmende, schne Herzen. Wie sehr die Strmer von der intuitiven Sicherheit des Gefhls berzeugt waren, zeigt ein Beispiel aus Klingers “Sturm und Drang”. Hier fhlt der Kapitn bei der ersten Begegnung A instinctiv einen tiefen Haß gegen Wild, 668 mit dem er vorher nie zusammengetroffen ist, spter stellt sich heraus, daß Wild der Todfeind seines Geschlechtes ist. B Das Herz steht in einem besonders nahen Verhltnis zu Gott, es ist direct von ihm inspiriert, der Ausdruck seines Willens. – Mit der Herrschaft des Herzens, des Gefhls hngt auch die Verachtung zusammen, die die Strmer gegen alles Verstandesmßige kalt Vernnftige hegen. Diese zeigt sich zunchst in ihrer Auffassung des Verhltnisses von Leidenschaft und Reflexion. Die Leidenschaft erscheint bei den Strmern immer als das absolut Herrschende, gegen welches die Vernunft vollkommen machtlos sei. “Gebiete dem Sturm, er soll sich legen,” ruft Guelfo in1 den “Zwillingen”. – “Faß ihn an der Scheitel und ruf: Was soll das, dass Du wider meinen Willen die Elemente erregst und Verderben anricht’st. Der beleidigte Sturm wird fortbrausen”. 669 – Ganz hnliche Stellen kommen im “Julius2 von Tarent” und im “leidenden Weib”3 vor. Die Geringschtzung des Verstandesmßigen zeigt sich ferner in der Stellung der Strmer zur Gelehrsamkeit. Sie ist fr sie unntzer Ballast, trockener und schaler Kram, nur dazu angethan, das naive ursprngliche Fhlen eines Menschen zu verflschen und an Stelle der frischen unmittelbaren Anschauung hohles Spintisieren zu setzen. Interessant ist es, daß sich ein Keim dieser Anschauung bereits bei Lessing findet. (Nathan V[. Aufzug], 6[. Auftritt;] B[rahm, S.] 188). C In der Sc[ene] zw[ischen] S[ittah] u[nd] R[echa] im 5ten Akt. S[ittah]: Was Du nicht alles weißt, nicht alles mußt gelesen haben. R[echa:] Ich gelesen? Ich kann kaum lesen. – Bcher wird mir wahrlich schwer zu lesen. Mein Vater liebt die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich 1 2 3

Guelfo in] am Rand: [Klinger: Die Zwillinge,] III, 1. “Julius] am Rand: I, 1 V, 5 [Leisewitz:] J[ulius] v[on] T[arent]. Weib”] am Rand: III, 2. [Klinger:] L[eidendes] W[eib].

bei der ersten Begegnung] ber der Zeile und dieser Stelle zugewiesen Geschlechtes ist.] danach gestrichen: Mit der Herrschaft des Gefhls hngt auch das innige Verhltnis zusammen, in dem das Herz zu Gott steht. C (Nathan V. Aufzug, 6. Auftritt; Brahm, S. 188).] danach: Einfgungszeichen und Ellipse A B

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Beilagen

mit toten Zeichen ins Gehirn nur drckt zu wenig. – – – Sicher hat auch Sittah wenig oder nichts gelesen. S[ittah:] Wieso? R[echa:] Sie ist so schlecht und recht, so unverknstelt[.] So ganz sich selbst nur hnlich – Das sollten die Bcher uns nur selten lassen – sagt mein Vater. A670 Hier contrastiert also Lessing natrliches, naives Empfinden mit kalter Buchgelehrsamkeit. Bei den Strmern gestaltet sich diese Auffassung weit radicaler. Fr sie ist der Gelehrte ein Nichtsthuer, der trockenen nutzlosen Stubengelehrsamkeit wird das frische krftige Handeln entgegengesetzt. “Denken und Denkeln, was kommt dabei heraus” – ruft Mathilde in der “Genovesa” von Maler Mller – “Dummheit ... der simple einfache Mensch sieht immer B Zehn Auswege, einem Beschwernis zu entkommen, wo ein Denker oft stockt und stottert ... er schaut aufs Wirkliche, Wahre umher, staunt nicht am eigen hingedachten Unwahren bestndig hinauf wie ihr andern .... Leiden und sich berwltigen lassen war nie meine Sache, auf andre wirken nach unserm Willen, die Peitsche hochgeschwungen und tchtig drber hineingehaun, wenn die Schindmhren Convention und Menschenumgang es einem zu warm machen, Projecten auf Projecten hingetrmt, eins bers andre hinauf, Fuß auf Fuß, fest bis es durch ist, was wir wollen. Der Unermdende Unermattende ist mein Idealheld.[”] 671 Der ungestme Thtigkeitsdrang, wie er sich in diesen Worten ausspricht, ist auch die Ursache, daß die Strmer ihre Helden so gern nach Amerika gehn und dort fr die Freiheit streiten lassen, daß sie berhaupt Kriegshelden, Ruber, Ritter verherrlichen, Magister, Schngeister, Belletristen verchtlich machen. – Die Philosophen, die in ihren Stcken auftreten, sind meist wahre Caricaturen, man denke z. B. an Pirzel in Lenz’ “Soldaten”. – In keinem inneren Zusammenhang mit den Haupttendenzen der Genieperiode stehen die Beobachtungen, die Brahm unter der berschrift Greis 672 zusammenfaßt. Brahm weist hier darauf hin, daß in der Sturmu[nd] Drangperiode C der Greis eine besonders beliebte poetische Figur ist. Man braucht nur an Schillers Jugendstcke zu denken, in den Rubern der alte Moor u[nd] Daniel, im Fiesco Andreas Doria u[nd] Verrina, in Kabale u[nd] Liebe der Musicus Miller, im Carlos der Großinquisitor. Das Alter gilt den Strmern als geheiligt. Man erinnert alte Leute fortwhrend daran, daß sie alt sind, Greise berufen sich auf ihr Alter, um etwas In der Scene ... sagt mein Vater.] loses Blatt immer] im- Fortsetzung auf der nchsten Seite unterlassen C Drangperiode] danach gestrichen: eine Vorliebe fr die Darstellung von Gr bricht ab A B

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zu erreichen, Ausdrcke wie ehrwrdiger, heiliger, ehrlicher, treuer, edler Greis sind blich. A Doch ist dieses wie gesagt ein mehr nebenschlicher Punkt, der nur ganz lose verbunden ist mit den Haupt[-]Tendenzen der Strmer u[nd] Drnger. Die Haupt Tendenzen, die sich alles in allem zusammenfassen lassen unter 2 Worten: es sind die leidenschaftliche Sehnsucht nach Freiheit u[nd] nach Natur.

A

blich.] schwer lesbar

ber Gellerts Lustspieltechnik. A [Konvolut 202 – 1893] Die Untersuchung der Technik eines Dichters muß ausgehn von der Untersuchung seines knstlerischen Wesens berhaupt. Erst wenn man erkannt hat, wie der Dichter sieht, kann man untersuchen, wie er das Geseh[e]ne darstellt, erst wenn man ber die Natur des Darstellenden klar ist, kann man ber seine Art der Darstellung urteilen. Ich mchte daher, ehe ich zur speziellen B Betrachtung der Gellertschen Lustspieltechnik bergehe, eine ganz kurze Bemerkung ber das Wesen der Gellertschen Kunst im allgemeinen machen. – Gellerts dichterische Kraft besteht in seiner Fhigkeit, realistisch zu beobachten, was in seiner nchsten Umgebung geschieht. Seine Beobachtung bleibt auf einen ganz engen Kreis, auf den Kreis des schsischen Brgertums beschrnkt, alles was darber hinaus geht, liegt außerhalb seines Gesichtskreises. Aber innerhalb dieses Kreises zeigt er einen richtigen Blick fr einzelne kleine Zge, die Fhigkeit, seine Menschen in ihrem Milieu zu sehen und darzustellen. Daher findet sich in seinen Fabeln manche hbsche Zeichnung der gemeinen Wirklichkeit, manche C gut beobachtete Sonderbarkeit und Schwachheit des Leipziger Brgers zu seiner Zeit. Aber wenn es Gellert auch oft gelingt ein hbsches e p i s c h e s Bildchen zu schaffen, zum D r a m a t i k e r fehlt ihm alles. Es fehlt ihm die Gabe, große Bewegungen zu sehn und ihren Verlauf zu erkennen, es fehlt ihm die Gabe[,] einen Character ganz zu erfassen und allseitig zu beleuchten, es fehlt ihm vor allem die Gabe, Seelisches zu ergrnden. Sein Blick haftet immer an der Oberflche, alles was nicht nach außen drngt, was sich nicht in Auftreten, Gang und Kleidung bemerkbar macht, das zeigt sich ihm nicht. Daß es tiefe innere Regungen, daß es Leidenschaften giebt, daß in der menschlichen Seele alles in fortwhrender Bewegung, Entwicklung, Thtigkeit ist, das bleibt Gellert verschlossen, fr ihn giebt es nur Zustnde, Ruhe, behaglichen Stillstand. Um es in einem Worte zusammenzufassen: Gellert besitzt keinen Funken dramatischer Phantasie: einen dramatisch wirksamen Conflikt D zu erkennen, ihn durch seine Phantasie zu befruchten und ihn in steter Steigerung zur Lsung zu fhren, das vermag er nicht. ber Gellerts Lustspieltechnik.] im Ms. hervorgehoben; daneben am linken Rand: Heidelberg; Sommer 1893. B speziellen] ber gestrichen: eigentlichen C manche] mancher D Conflikt] ber gestrichen: Stoff A

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Daher ist Armut des Stoffes, Drftigkeit der Verwicklung das characteristische Merkmal aller seiner Lustspiele[:] Enge, Plattheit, Alltglichkeit berall. A Ein verlornes Lotterielos, ein neues Kleid, ein verwechseltes Band, ein Kuß: das sind Gellerts Stoffe. Grßeren und ernsteren Verwicklungen geht er absichtlich aus dem Wege, auch wo sie ihm sein Stoff frmlich aufzudrngen scheint. In der ‘Betschwester’ z. B. wird ein Liebhaber geschildert, der in seiner Wahl zwischen zwei Mdchen schwankt. Einen Augenblick scheint es, als sollte sich hieraus ein Conflict ergeben, aber bald lßt Gellert das Thema einfach fallen: durch den Edelmut der beiden Mdchen, von denen eine immer zu Gunsten der andern verzichtet[,] wird jede Schwierigkeit[,] damit aber auch jedes dramatische Interesse beseitigt. – B Gellerts Conflicte, an sich schon uninteressant, werden in ihrer Wirkung noch abgeschwcht durch C die technische Unbeholfenheit, mit der er sie darstellt. In breitem Gesprche wird die Intrigue coram publico eingefdelt und genau durchgenommen, alle Fden werden bloßgelegt, ber den endlichen Ausgang der Intrigue wird dem Zuschauer nicht der geringste Zweifel gelassen. Man weiß von Anfang des Stckes an, daß nichts auf dem Spiele steht, daß da oben auf der Bhne ein bloßer Schattenkampf gekmpft wird. Gellerts Thema ist beispielsweise: Bekehrung einer sprden Schnen. Ein Thema, das gewiß dramatisch wirksam ist; das beweist Moretos 673 Donna Diana. Aber Gellert nimmt ihm jedes Interesse, indem er den Zuschauer gleich am Anfang davon unterrichtet, daß das Mdchen, das bekehrt werden soll, schon bekehrt ist. Bei ihm sehen wir kein stolzes Weib mehr, wie bei Moreto, nur ein verliebtes junges Ding, das sich nur noch sperrt und ziert, seine Liebe einzugestehn. Daher ist bei ihm auch gar kein wirklicher Conflict vorhanden, alles erscheint nur als harmlose und ungefhrliche Spielerei. – Ich habe das gnzliche Fehlen der dramatischen Phantasie bei Gellert deswegen besonders hervorgehoben, weil ich glaube, daß von diesem Grundmangel aus alle technischen Fehler Gellerts im Aufbau, besonders aber die technischen Schwchen in der Entwicklung des dramatischen Themas zu erklren sind. Weil Gellert seine P h a n t a s i e alle Augenblikke versagt, muß er zu ußerlichen und unnatrlichen Mitteln der Weiter-

Enge, Plattheit, Alltglichkeit berall] am Rand und dieser Stelle zugewiesen beseitigt. –] danach gestrichen: Der Sinn fr das dramatisch Wirksame fehlt Gellert ganz. Er begriff nicht, daß derselbe Stoff, der als Fabel behandelt ein hbsches [hbsches ber gestrichen: ganz nettes] lyrisches Gemlde lieferte, dramatisch ganz unbrauchbar sein knnte. C Gellerts Conflicte ... abgeschwcht durch] am Rand und hier angeschlossen; ersetzt gestrichen: Die Wirksamkeit seiner Conflicte schwcht Gellert noch ab durch A B

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Beilagen

fhrung greifen. A Von einer wirklich organischen Entwicklung des Stckes aus dem Conflict heraus in stetiger Steigerung ist also bei ihm keine Rede. Der Conflict setzt ein, aber bald ist der rmliche Stoff erschpft, die Handlung erlahmt. Ein neues kleines Motiv soll sie wieder beleben, auch dieses reicht nicht aus, wieder kommt die Handlung auf einen toten Punkt, und wieder braucht Gellert ein ußerliches Mittel, sie fortzuschieben. So geht es schwerfllig und mhsam auf Krcken und Sttzen vorwrts. Man betrachte beispielsweise die Zrtlichen Schwestern. B Belauschen, Verstecken, Unbemerktes Hineintreten von Personen, Verwechslungen sind hier nur die kleineren Mittelchen. Eine alte Muhme muß sterben und ihr Vermgen hinterlassen, eine falsche Nachricht muß gebracht werden. Als trotzdem die Handlung gnzlich still zu stehen droht, da weiß sich der Dichter nicht anders zu helfen, als daß er ohne jede Motivierung einen Character sich in sein Gegenteil verkehren lßt, aus einem gefhlvollen, gutherzigen jungen Mann einen boshaften Intriganten macht. In der “Betschwester,” im [“]Loos in der Lotterie” wird ebenfalls, um die Handlung vorwrts zu schieben, die psychologische Wahrheit aufgeopfert. Auf Gellerts Mangel an Phantasie sind ferner – zum großen Teil wenigstens – die unertrglichen Wiederholungen und Lngen seiner Lustspiele zurckzufhren. Seine Erfindungsgabe erlahmt: nur durch krampfhaftes Dehnen und Zerren kann er also seine 3 oder 5 Acte herausbekommen. Daher wird C in breiter Rede dem Zuschauer von Dingen erzhlt, die er Ich habe das gnzliche Fehlen ... Weiterfhrung greifen.] am Rand, ersetzt z. T. mehrfach gestrichen: Ich habe diese Schwche Gellerts [diese Schwche Gellerts ersetzt gestrichen: diesen Grundmangel der Gellertschen Lustspiele] – seine Unfhigkeit, [seine Unfhigkeit ersetzt gestrichen: die rmlichkeit] einen dramatisch interessierenden Conflict zu gestalten – deshalb besonders hervorgehoben, weil ich glaube, daß durch diesen Grundmangel erst alle technischen Fehler Gellerts im Aufbau seiner Lustspiele vollstndig zu erklren sind. Der rmliche Stoff, der kaum ausreicht, um einen Akt zu fllen, zwingt Gellert, der daraus 3 oder 5 lange Akte machen will / zu ußerlichen Mitteln der Weiterfhrung. Von einer organischen Entwicklung des Stckes aus dem Conflict heraus in stetiger Steigerung ist bei ihm keine Rede. Er muß die Handlung des Stckes / die jeden Augenblick still zu stehen droht, durch neue Motive, die er ganz ußerlich hinzubringt, gewaltsam vorwrts schieben, danach von in Großschreibung gendert B Der Conflict setzt ein, ... die Zrtlichen Schwestern.] am Rand; ersetzt gestrichen: Auf Krcken und Sttzen bewegt sich die Handlung matt und mhsam vorwrts. Welch gewaltiger Apparat ist beispielsweise in den “zrtlichen Schwestern” ntig, um die Machine, die immer wieder auf tote Punkte kommt, in Bewegung zu erhalten. C Auf Gellerts Mangel ... Daher wird] am Rand; ersetzt gestrichen: Ist nun wie gezeigt die dramatische Herauswicklung des Conflicts bei Gellert nur durch ungeschickte und knstliche Mittel mglich[,] so leidet sie ferner darunter, daß der Fluß der Handlung fortwhrend durch Wiederholungen und Lngen gehemmt wird. A

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schon weiß, die er eben erst auf der Bhne sich abspielen sah. Wird eine Nachricht gebracht, so gengt es nicht, daß der Zuschauer sie einmal erfhrt, A erzhlt sie dem B, B ebenso ausfhrlich dem C, C dem D und so fort: drei oder vier Mal muß man dasselbe mit anhren. Scenen ganz gleicher Tendenz – wie Zankscenen berredungsscenen – folgen unmittelbar auf ein ander, bloße Fllscenen werden breit ausgefhrt. Schlimmer als dies alles aber sind die langen moralischen Reden, die Gellert in seine Stcke einzuschieben liebt. Ganze Scenen sind nur zur Entwicklung eines moralischen Satzes da, die Handlung steht, der Dichter spricht. Da finden sich Aufstze gegen die Freidenkerei, Raisonnements ber die Ehe, ber das Glck[,] ber wahre und falsche Sprdigkeit, Gedanken ber den Wert guter Lectre, ber die Trstungen der Religion[,] etc. Wenn es gilt, eine schne moralische Sentenz anzubringen, dann hrt fr Gellert jede Rcksicht auf: Ob die moralischen Stze, die seine Personen aussprechen[,] auch zu ihrem Character passen, ist ihm ganz gleichgltig: in der “Betschwester” z. B. lßt er die Naive moralisieren. – Unfhigkeit[,] einen interessanten Conflict zu gestalten, Unfhigkeit[,] ihn in natrlicher Weise dramatisch zu entwickeln[,] habe ich bei Gellert nachgewiesen. Es gesellt sich noch hinzu: Unfhigkeit, den Conflict knstlerisch zu lsen. Nur zwei Arten der Lsung kennt Gellert. A Entweder es wird erklrt, der ganze Conflict beruhe auf einem Irrtum, so z. B. im “Band”. 674 Oder – und das ist das weitaus hufigere – die Lsung erfolgt durch Geld. Das Geld ist berhaupt das beliebteste Motiv Gellerts. Es ist gradezu das dramatische Universalmittel, – mag geschehn, was da will, durch Geld wird alles wieder eingerenkt. Ist bei andern Lustspieldichtern die Liebe der Hauptfactor, das Agens, bei Gellert ist es das Geld. Eine Art frommer Verehrung wird ihm gezollt, mit liebevoller Innigkeit wird davon gesprochen. Tugendhafte Seelen vergießen des Geldes wegen Thrnen der Rhrung. Eine Thatsache ist fr Gellerts Verehrung besonders characteristisch. Er rhmt in seiner Abhandlung “pro comoedia commovente” die Lsung seines Lustspiels “Das Loos in der Lotterie”, wie sie die angenehmste Rhrung hervorzurufen besonders geeignet sei. – Die Lsung besteht darin, daß die Heldin 10000 Thaler gewinnt. 675 – Wie kindlich-naiv die Technik Gellerts ist, das zeigt sich noch deutlicher als im Aufbau des Stckes in dem Bau der einzelnen Scenen. Hier zeigt sich am schrfsten, daß Gellert von den Forderungen der Bhne nicht die geringste Ahnung hatte. Schon daß er niemals Scenen baut, in denen mehr als 2 Personen auftreten, beweist seine ganze Unbeholfenheit. Lßt es sich nicht vermeiden, daß auf Nur zwei Arten der Lsung kennt Gellert.] am Rand; ersetzt gestrichen: Die Lsung des Conflicts vollzieht sich bei Gellert auf zweifache Art. A

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Beilagen

einen kurzen Moment drei Personen auf der Bhne sind, – so muß sofort eine von ihnen unter einem ganz ußerlichen Vorwand verschwinden[,] sie sagt dann einfach: ich muß etwas holen, ich muß jemanden rufen, ich will mir etwas Bewegung machen und geht ab. Will jemand einen Monolog halten, so zieht sich der, mit dem er gerade spricht[,] discret zurck, um sofort nach Beendigung des Monologs wieder zu erscheinen[.] A Ab in den Garten, ab in die Kche[,] das sind Stichworte, die sich immer wiederholen, am beliebtesten aber ist es[,] jemanden abgehen zu lassen mit der Begrndung, er sei zu erregt u[nd] wolle sich daher eine Tasse Caffe kochen. Ebenso ußerlich wird das Auftreten begrndet, die Personen treten auf die Bhne, man fragt sich vergeblich, was sie denn eigentlich da zu suchen haben. B Die Personen da oben auf der Bhne fhren kein eignes Leben[,] sie sind Drahtpuppen in der Hand des Dichters, der sie nach Belieben hin und her schiebt. Nur ein Beispiel will ich dafr anfhren: aus der “Betschwester”. C Frau Richardin und Ferdinand sind auf der Bhne, sie sind mit den Reden, die sie halten sollten, fertig, jetzt sollen Lorchen und Christiane ein Gesprch mit einander haben. Zu diesem Zweck kommen beide – ohne Grund – herein und schicken die beiden andern – ohne Grund – heraus, worauf sie dann das Pensum, das ihnen zugeteilt ist[,] hersagen – ohne Rcksicht darauf, daß Zeit und Ort dafr so unschicklich wie mglich sind. Besonders zu betrachten sind die Expositionsscenen. Der gemeinsame Zug ist hier, daß die Exposition sich immer im Gesprch vollzieht. D Niemals setzt das Stck ein mit einem markanten Bild, mit einer dramatisch bewegten Scene – wie z. B. in der vortrefflichen Exposition der Minna von Barnhelm, des Tartff. 2 Personen treten auf. E Der eine erzhlt

jemand einen Monolog ... wieder zu erscheinen.] am Rand und dieser Stelle zugewiesen B Ab in den Garten ... da zu suchen haben.] am Rand; ersetzt gestrichen: Man wird in allen Gellertschen Lustspielen nicht eine einzige Scene finden, in der Auftreten und Abgehen natrlich motiviert wre. C Nur ein Beispiel ... aus der “Betschwester”.] am Rand; ersetzt gestrichen: In demselben Augenblick, wo die eine Person abgeht, muß eine andre auftreten, vergeblich fragt man sich, was sie denn da eigentlich zu suchen hat. Ab in den Garten, ab in die Kche, das sind die gewhnlichen Stichworte, am beliebtesten aber ist es, jemanden abgehen zu lassen mit der Begrndung, er sei zu erregt und wolle sich daher eine Tasse Caffee kochen. Ein Beispiel aus der “Betschwester” ist fr Gellerts Unfhigkeit im Scenenbau besonders characteristisch. D Der gemeinsame Zug ... vollzieht.] am Rand; ersetzt gestrichen: Hier zeigt sich wieder Gellerts gnzlicher Mangel an dramatischem Blick E 2 Personen treten auf.] am Rand; ersetzt gestrichen: Die Exposition vollzieht sich immer im ruhigen Gesprch. A Will

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dem andern, was dem Zuschauer zu wissen ntig ist, er giebt in behaglicher breiter Entwicklung ein Bild der Situation, schildert ausfhrlich seinen Character und den Character der andern, giebt das Thema des Stckes und dessen endliche Lsung an. Sein Zuhrer, dem dies alles brigens schon bekannt ist, lßt ab und zu eine zustimmende Bemerkung hren, sonst verhlt er sich passiv. Also auch hier wieder der characteristische Fehler Gellerts: keine Bewegung, kein dramatisches Leben. Besser als der dramatische Aufbau gelingt Gellert die Characteristik. Hier verrt mancher Einzelzug den guten Beobachter und die koketten Mdchen, die znkischen Frauen, die eigenntzigen Frmmlerinnen, die gutmtigen Pantoffelhelden, die prahlerischen Charlatane sind oft ganz gute Theaterfiguren. Freilich, Menschen sind auch sie nicht, dazu fehlt es ihnen an Ganzheit. Alle zeigen nur einen Zug, sind nur in einer Beleuchtung dargestellt. Daß Gellert den Character seiner Personen nicht mehr im Namen andeutet, ist nur ein ußerlicher Fortschritt. Der Sache nach knnte seine Frau Orgon 676 sehr wohl Znkin, sein Herr Stephan 677 Glaubeleicht heißen – da eben bei beiden die ganze Characteristik auf diesen einen Zug – die Zanksucht resp[ektive] die Leichtglubigkeit hinausluft. – Es handelt sich jedoch hier nicht um die Frage, was fr Charactere Gellert zeichnet, sondern darum, welche Darstellungsmittel er anwendet, um einen Character zu zeichnen. Ich glaube[,] hier wird man ganz allgemein zunchst feststellen knnen, daß Gellert stets durch Reden, niemals durch Handlungen characterisiert. Der schwchliche Gellert, der nie activ hervortrat, der an sein Studierzimmer gefesselt ber die Gesetze des Stils nachdachte und sein Leben lang fr die Correctheit der ußeren Form und die Feile des Ausdrucks besorgt war, mochte sich allerdings gewhnt haben, den Wert der Reden gegenber den Handlungen zu berschtzen. Seine Manier ergiebt sich am besten, wenn man etwa vergleicht, auf welche Weise ein bestimmter Typus bei ihm und auf welche Weise er bei einem andern Dichter dargestellt wird. Man halte z. B. den Deutschfranzosen Gellerts Herrn Simon gegen Holbergs 678 “Jean de France”. Holbergs Bild ganz plastisch: wir sehen Jean de France in fortwhrender lebendiger Bewegung, er verbt tausend Narrenstreiche, er zwingt seine Mutter[,] mit ihm Menuett zu tanzen, er zieht seinen Rock verkehrt an und will seinen Vater zwingen, dasselbe zu thun, er bt sich im Fechten, er tnzelt, er trllert. Nichts von alle dem bei Gellert, sein Herr Simon t h u t genau genommen nichts[,] was nicht jeder gesetzte Brgersmann auch thun knnte, seine Characteristik liegt lediglich in dem[,] was er redet. 679 Ganz dasselbe zeigt sich, wenn man Gellerts Betschwester mit Moli res Tartff, Gellerts Damon 680 mit Moli res Harpagon 681 vergleicht.

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Durch die Bemerkung, Gellert characterisiere durch Reden[,] ist jedoch nur ein A sehr vager[,] unbestimmter Umriß seiner Technik gegeben. Es muß versucht werden[,] innerhalb dieser allgemeinsten Grenze die verschiedenen Methoden der Darstellung, die sich bei Gellert finden, im Einzelnen zu bestimmen und sie gegen einander scharf abzugrenzen. Zwei Arten der Darstellung mchte ich da zunchst von einander abtrennen: eine directe und eine indirecte. Entweder der Character wird dargestellt durch directe Urteile, die ber ihn ausgesprochen werden oder er ergiebt sich indirect aus den Reden einer Person, aus ihrer Art zu Denken und zu sprechen: denn nur um Sprechen handelt es sich ja bei Gellert. Die directe Darstellung kann wiederum in 2 Formen erscheinen, je nachdem das Urteil ber den Character von der Person selbst oder von Dritten ausgeht. Ich will nun die angegebnen Formen der Darstellung im Einzelnen betrachten und ihre Anwendung bei Gellert festzustellen suchen. – Directe Selbstcharacteristik findet sich verhltnismßig oft bei Gellert. Seine Lustspiele haben noch ein gut Stck der alten Manier, wo die Person auftritt und ganz naiv den Zuschauer von ihrem Beruf und Stand, von ihren Lebensschicksalen, von ihrem Character[,] von ihren guten oder bsen Absichten unterrichtet. Auch Gellerts Personen characterisieren sich oft genug als Bsewichter oder Ehrenmnner, als phlegmatisch oder beweglich, als nrrisch oder vernnftig. Diese Art der Darstellung wirkt dann besonders strend, wenn die Thatsache, daß eine Person sich selbst characterisiert[,] dem Characterbild, das sie von sich entwirft[,] widerspricht, wenn also z. B. eine Naive ber ihre Naivitt reflectiert oder ein Sprechfauler ber seine Sprechfaulheit lange Reden hlt. Orgon im ‘Loos von der Lotterie’[,] Christiane in der Betschwester sind Beispiele hierfr. Orgon soll als beraus phlegmatisch geschildert werden[,] zu trge[,] ein Wort zu sprechen, zu schwerfllig[,] einen Gedanken zu fassen. Nun entwickelt er aber all diese Eigenschaften in einer Rede, er stellt sich ber sich, er beobachtet sich, er beurteilt sich, er strebt nach dem rechten Ausdruck, er negiert also durch seine Art der Darstellung seines Characters alles das[,] was er ber seinen Character sagt. – Recht seltsam berhrt diese Methode der Characteristik auch bei den Tugendhaften und Ehrenmnnern, die mit der grßten Unbefangenheit ihre Tugend und Ehrenhaftigkeit bei jeder Gelegenheit anpreisen. – Noch hufiger als die directe Selbstcharacteristik findet sich bei Gellert die Methode, durch Urteile Dritter einen Character zu exponieren. Er liebt es, wie bereits angedeutet, schon in der Anfangsscene Urteile fllen zu lassen ber die Haupt-Personen des Stckes: so wird uns Irmchen, so A

ein] eine

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die Betschwester, so Frau Orgon geschildert. Auch innerhalb des Stckes sind oft ganze Scenen nur dazu da, dieser Art der Characteristik zu dienen. Im ‘Loos in der Lotterie’ wo diese Eigenart vielleicht am strksten ausgeprgt ist, giebt es in der That keine Person, die nicht auf die angegebene Weise characterisiert wrde. Nun ist ja das Mittel der Characteristik durch Dritte ein in der ganzen dramatischen Litteratur hufig angewandtes. Um nur die Grßten zu nennen, so findet es sich bei Shakespeare, bei Lessing und in ganz meisterhafter Anwendung bei Goethe: man braucht nur an die herrliche Schilderung des Tasso durch Leonore Sanvitale 682 zu denken. Wenn aber dieses Mittel in der Anwendung des echten Dramatikers die tiefsten knstlerischen Wirkungen zu erzielen vermag, so bleibt es in Gellerts Hand gnzlich unfruchtbar und wirkt eher strend und die dramatische Bewegung hemmend. Woran liegt das? Ich glaube an zweierlei. Erstlich mischt sich bei Gellert das moralische Element immer ußerst strend hinein – die Urteile, die er ber seine Personen fllen lßt, sind immer moralischer Natur, bewegen sich immer zwischen den beiden Gegenstzen: gut u[nd] bse[.] Wenn Lessing seine Emilia Galotti, wenn Shakespeare seinen Macbeth, wenn Goethe seinen Tasso durch Dritte characterisieren lassen, so erfassen sie das Wesen ihrer Menschen vollkommen in seiner Tiefe u[nd] Ganzheit: ihr Urteil ist menschlich[,] nicht einseitig moralisch. Und noch ein zweites wichtigeres Moment kommt hinzu. Der große Dramatiker stellt das Urteil[,] das er ausspricht, dar, er objectiviert es. Genauer ausgedrckt, er lßt es immer aus dem seelischen Zustand des Urteilenden hervorgehn, der Urteilende ist mit seinem ganzen Wesen beteiligt an dem was er sagt, er spricht s e i n e A Worte, nicht die des Dichters. Wenn Ophelia das Wesen Hamlets schildert, so erlebt sie in diesem Augenblick, was sie sagt, aus tiefster Seele ringt es sich empor, alles in ihr ist in Erregung, in Mitschwingung. Aber bei Gellert! Hier ist der Urteilende nur das Sprachrohr des Dichters, dessen Worte er ohne innere Anteilnahme wiedergiebt. Er spricht kalt und starr, ohne Seele[,] eine knstlerische Wirkung ist daher unmglich. – Weit seltener als die directen Mittel der Characteristik findet sich bei Gellert die indirecte Methode. Sie ist im allgemeinen beschrnkt auf eine ganz bestimmte Klasse von Characteren: auf die geistig oder moralisch Schwachen. Die Edlen und Verstndigen werden immer nur direct characterisiert, indem sie sich selbst loben oder von andern gelobt werden. Gellerts Blick war eben fr die kleinen Schwchen und Narrheiten mehr geschrft und weil er hier besser sah. Deshalb ist hier auch seine Technik etwas weniger unbeholfen. Der Fortschritt liegt darin, dass die Reden das characteristische Moment jetzt nicht mehr direct aussprechen, sondern es A

s e i n e ] Hervorhebung mit Bleistift

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erst erschließen lassen. Aus den Urteilen der Menschen erkennen wir ihren Character. Gellert gebraucht hier die Fiction, daß er seine Personen das[,] was sie innerlich denken und urteilen, auch ußerlich aussprechen lßt. Eine Fiction doppelter Art: denn erstens pflegt sich der gewhnliche Mensch ber seine innersten Gefhle nicht so klar zu sein, zweitens pflegt er sie nicht so unverhohlen zu ußern. So wie Gellerts Damon spricht in Wirklichkeit kein Geiziger und so offenherzig ist kein Mensch[,] daß er wie Gellerts Simon den Grundsatz ausspricht: “Schulen und Universitten sind nicht halb so gut wie die schlechtesten Caffeehuser.” 683 Dieser Fehler gegen die psychologische Wahrscheinlichkeit bewirkt, daß auch die auf die Weise gezeichneten Charactere nicht den Eindruck des Echten, des Wahren machen. Nur einmal, wo Gellert ihn berwindet, gelingt es ihm, mit natrlichen Mitteln einen glaubhaften Character zu zeichnen. Es ist der Character der Betschwester, unzweifelhaft der beste, den Gellert geschaffen. Die Art der Darstellung ist im Wesen dieselbe: das Characteristische ist ihre Art, wie sie die Dinge und Menschen ansieht und beurteilt. Aber das freie Aussprechen dessen[,] was sie denkt, hat bei ihr nichts Unwahrscheinliches, da sie geschickt alles[,] was sie sagt[,] in eine Beleuchtung zu rcken weiß, in der es als vorteilhaft fr ihren Character erscheinen muss. Sie erzhlt, sie habe einem Bettler die Thr gewiesen, natrlich nur[,] um ihn zur Arbeit zu bewegen, sie erklrt[,] ihrer Tochter keine Mitgift geben zu wollen, – um ihren Sinn von irdischem Gut abzulenken, sie verweigert einem Bedienten ein Trinkgeld – weil sie ihm bei seinem Herrn keine Ungelegenheit machen will. Diese Fhigkeit[,] alles zu ihren Gunsten zu drehn, dieser Contrast zwischen ihrem wirklichen Character und ihrer Darstellung desselben[,] ist auch das eigentlich komische Moment der Betschwester, brigens eines der wenigen komischen Momente in den Gellertschen Lustspielen berhaupt. Es A muß auffallen[,] daß in einer Untersuchung ber Lustspieltechnik kein Wort von der Art[,] wie der Dichter komische Wirkungen erzielt[,] gesagt wird. Es liegt dies jedoch daran, daß Gellert nach seinem eigenen Ausspruch mit seinen Lustspielen “eher mitleidige Thrnen als freudiges Gelchter erregen” 684 will, daß also komische Momente bei ihm nur ganz vereinzelt vorkommen. Es fehlt bei ihm der ganze reiche technische Apparat der Italienischen Comdie: all die Verwechslungen, Verkleidungen, Verstecke u. s. f. Was bei ihm von Komischem vorkommt, ist niemals Situationskomik, immer Characterkomik und lßt sich im allgemeinen unter die oben erwhnte Formel fassen: ^^Contrast zwischen obj[ektiven] charact[eristischen] Thatsachen u[nd] ihrer Darst[ellung] seitens der Betr[effenden]&& – – A

Es] in Bleistift ber gestrichen: Daher

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Im engsten Zusammenhang mit der Characteristik steht die Sprache bei Gellert. Die meisten sprachlichen Eigentmlichkeiten sind berhaupt erst aus diesem Zusammenhange heraus vollstndig zu erklren. Wenn ich bei der Characteristik 2 Gruppen von Personen schied und fr beide verschiedene technische Gesetze nachzuweisen suchte, so wird man zu dieser Scheidung noch mehr gedrngt bei Untersuchung der sprachlichen Eigenart Gellerts. Man muß bei Gellert scheiden zwischen einer stilisierten Kanzelsprache: sie spricht besonders die erste Gruppe: die Edlen und Klugen; und einer gewhnlichen Alltagssprache: sie ist weit seltner und wird nur von wenigen Personen der zweiten Gruppe – der Geistig und Moralisch Schwachen – gesprochen. Die Sprache der Ersten entbehrt aller characteristischen Wendungen, sie ist matt, farblos und unpersnlich. Die Gedanken werden mit logischer Correctheit und Starrheit entwickelt wie in einer Abhandlung. Der grammatische Bau zeigt berall Befolgung eines festen[,] der Schriftsprache entnommenen grammatischen Schemas. Der regelrechte Periodenbau wird nie durch die sprachlichen Erscheinungen der lebhaften Rede wie Anakoluth[,] Aposiopese, Asyndeton, Anaphora, Parenthese, Refrain – durchbrochen. Interjectionen fehlen ganz, dafr finden sich Wendungen, die allein der Schrift- oder Vortragssprache angehren[,] in die lebendige Rede eingestreut, Wendungen wie: ich will nicht davon reden, es sei zugegeben[,] daß u. s. f. Von adversativen, concessiven, causativen und consecutivesten Partikeln wimmelt es, berhaupt ist das Princip der Hypostase streng durchgefhrt, jeder Satz hat mehrere Unter- und Nebenstze. Der vollkommenste Gegensatz zu dieser Art zu sprechen[,] ist die Sprache, wie sie die zweite Gruppe von Personen anwendet. Hier finden sich kurze, knappe Stze, so einfach wie mglich gebaut. Der logische Zusammenhang der Stze ist nicht mehr ußerlich durch eine Flle von Partikeln markiert; die Stze folgen fast ohne Verbindung auf einander. War die Sprache der ersten Gruppe doctrinr steif, so ist diese populr, strebte dort alles nach Verallgemeinerungen, so strebt hier alles zur Vereinfachung. Zge der lebendigen Sprache – wie Abspringen vom Gegenstand, Anknpfen an ußerliches, Aufgreifen eines Wortes und Weiterfhrung desselben, Unterbrechungen, pltzliches Abbrechen – fehlen hier nicht ganz. – Der Gegensatz beider Formen zu sprechen tritt natrlich dann besonders markant hervor, wenn Vertreter beider sprachlicher Gruppen ein Gesprch mit einander fhren, wie dies z. B. der Fall ist in den Scenen zwischen der Richardin u[nd] Ferdinand in der “Betschwester”. Die Richardin spricht hier kurz, lebhaft, ohne Verbindung, in Hauptstzen: “Nun hre ichs. Sie glauben nichts. Sie halten alles fr natrlich. Sie statuieren keine Anzeichen, keine Wunder[”]; 685 Ferdinand baut eine lange Periode mit aber, doch, und sondern: “Die Religion ist das Heiligste, unter

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allem, was ein Vernnftiger hochschtzen kann, aber die Meinungen eines belbeschaffnen Verstandes gehren nicht zur Religion, sondern unter die Irrtmer. Doch wir wollen hierber nicht streiten. u. s. w.[”] 686 In beiden Fllen aber ist die Sprache Gellerts unfhig, Affecte darzustellen. Sie ist immer so rationalistisch, so kalt reflexiv, daß sie es von vorn herein als ganz unglaubhaft erscheinen lßt, daß A der Sprechende innerlich erregt sei. Die Sprache stellt sich immer ber den Affect, sie geht nie aus ihm hervor. Ungeduld wird nicht in einem kurzen, heftigen Wort, sondern in einem langen Raisonement ber die Geduld dargestellt. Der Gerhrte hlt eine Rede ber seine Rhrung, der Bestrzte ber seine Bestrzung. Der Ausdruck der Affecte bei Gellert steht im Widerspruch zu ihrem Wesen. Noch ist die dialogische Technik Gellerts zu betrachten. Als Grundfehler zeigt sich hier, daß im Dialog zwischen den Sprechenden sehr oft gar keine Meinungsverschiedenheit, kein Gegensatz besteht. Die eine Person besttigt oft nur das, was die andere sagt, der Dialog bleibt ganz unbelebt. Auch sonst versteht es Gellert nicht, die Personen gegen einander sprechen zu lassen, die Stimmen zu verteilen, jeder spricht nur fr sich und ber sich, ohne auf die Worte des andern einzugehn. Jeder verharrt fest auf dem Punkt[,] wo er steht, keine Gegeneinanderbewegung, keine Ausgleichung findet statt. Am Ende des Gesprchs pflegen die Sprechenden auf dem selben Punkt zu stehn, wie am Anfang. – Ich glaube[,] damit die hauptschlichen technischen Mittel, die Gellert in seinen Lustspielen in Aufbau, Scenenbau, Characteristik und Sprache anwendet[,] bezeichnet zu haben. Viele Punkte, die mit dem Thema in enger Beziehung stehen, sind noch unberhrt. Vor allen Dingen mßte die Gellertsche Lustspieltechnik historisch betrachtet werden; es mßte gezeigt werden, in welchem Grade sie von der Komdientechnik der Zeit abhngig ist, welche Zge sie von ihr entlehnt, welche sie neu hinzugebracht hat. Es mßte untersucht werden, in welchem Verhltnis sie etwa die sptere Komdienentwicklung beeinflußt hat. Aber alle diese Untersuchungen knnen nur dann zu wissenschaftlichen Resultaten fhren, wenn in ihnen das vorhandene Material annhernd vollstndig bercksichtigt ist. Ein kurzer Aufsatz muß sich daher wohl auf eine rein descriptive Darstellung beschrnken.

A

daß] daß das danach gestrichen: Gemt

A N H A NG

ZUR TEXTGESTALTUNG

1. Zeichen, Siglen, Abkrzungen S p e r rd r u ck

Grotesk-Schrift Kursivdruck [] () () ^ & ^& ] / //

Einfache Hervorhebung Cassirers; in Zitaten: Hervorgehobenes Doppelte Hervorhebung Cassirers Im Text: von Cassirer als Kursivsatz Vorgesehenes; sonst: Herausgeberrede Eckige Klammer: Hinzufgungen des Hrsg. Runde Klammer: in Cassirers Manuskript Runde Klammer, fett: in Cassirers Manuskript mit Bleistift Spitzklammer: eckige Klammer in Cassirers Manuskript Spitzklammer, fett: eckige Klammer in Cassirers Manuskript mit Bleistift Schließende eckige Klammer: Abgrenzung des Lemmas Zeilenbruch Zeilenbruch und Einrckung

Abkrzungen und Siglen: AA a. a. O. Abdr. Abt. Anm. Aufl. Ausg. Bd., Bde., Bdn. bearb. bes. Bl. bzw. cf. dass. ders. dgl. d. h. d. i. DuW

Akademie Ausgabe der Schriften Kants am angegebenen Ort Abdruck Abteilung Anmerkung Auflage Ausgabe Band, Bnde, Bnden bearbeitet besonders Blatt, Bltter beziehungsweise confer dasselbe derselbe dergleichen/desgleichen das heißt das ist Goethe: Dichtung und Wahrheit

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ebd. ECN ed. eingel. EP erw. etc. f., ff. FF fol. gen. Ges. Hauptst. Hrsg. hrsg. ibid. Kap. KLL KrV L

Lib. Loeper m. E. Morris Ms., Mss. Nb. Nr. o. g. o. J. o. O. S. s. s. a. s. d. s. o. s. u. u. a. vgl. Ts., Tss. u. bers. u. s. f. u. s. w. v.

Anhang

ebenda Ernst Cassirer: Nachgelassene Manuskripte und Texte edidit eingeleitet Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und der Wissenschaft der neueren Zeit erweitet et cetera folgende, fortfolgende Ernst Cassirer: Freiheit und Form folio genannt Gesammelte Hauptstck Herausgeber herausgegeben ibidem Kapitel Ernst Cassirer: Kants Leben und Lehre Kant: Kritik der reinen Vernunft nachfolgende Leerzeile(n) getilgt Liber Gustav von Loeper Ausgabe von Goethe: Dichtung und Wahrheit meines Erachtens Max Morris: Der junge Goethe Manuskript, Manuskripte Nota bene Nummer oben genannte ohne Jahresangabe ohne Ortsangabe Seite siehe siehe auch siehe dort siehe oben siehe unten unter anderem vergleiche Typoskript, Typoskripte und bersetzt und so fort und so weiter von, vom

Zur Textgestaltung

verb. verm. Vf. vgl. vorl. WA Z. z. B. z. T.

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verbessert vermehrt Verfasser vergleiche vorliegenden Weimarer Ausgabe der Werke Goethes Zeile zum Beispiel zum Teil 2. Regeln der Textgestaltung

Alle Texte sind ohne Auslassungen vollstndig wiedergegeben. In den GoetheVorlesungen spielte die Wiedergabe Goethescher Worte1 eine wichtige Rolle, doch im Ms. sind manchmal vorgesprochene Stellen angekndigt bzw. genauere Angaben ber die vorzusprechende Stelle gemacht worden, ohne daß die Passage ausgeschrieben wird. Solche Passagen, die eindeutig gesprochen wurden, werden hier im Text [in eckigen Klammern] wiedergegeben, weil sie tatschlich zur Vorlesung gehrten, zumal Cassirer im folgenden Text oft explizit auf die vorgesprochene Stelle Bezug nimmt. Den Text begleiten drei Anmerkungsarten: 1) Cassirers eigene Anmerkungen stehen als Fußnoten und sind, wie sonst in Cassirers Werken, auf jeder Seite jeweils neu numeriert – im laufenden Text mit hochgestellten Indexziffern bezeichnet; 2) editorisch-philologische Anmerkungen zum Ms.-Befund stehen mit Lemma-Angabe ebenfalls als Fußnoten im laufenden Text durch hochgestellte lateinische Großbuchstaben markiert – hier werden auch Streichungen mitgeteilt, die inhaltlich von Belang sein knnten; 3) Herausgeber-Anmerkungen sind durchnumeriert – im laufenden Text durch tiefgestellte Indexziffer bezeichnet – und im Anhang zusammengefaßt. Auf Markierung des Seiten- und Zeilenumbruchs des Originalms. ist zugunsten der Lesbarkeit des Textes verzichtet worden. Leerzeilen, die Cassirer offensichtlich als Raum fr sptere Einfgungen von Literaturhinweisen und Anmerkungen ließ, sind zugunsten der Lesbarkeit getilgt, ein hochgestelltes “L” am Ende der letzten Zeile vor Beginn dieser Tilgungen macht diese immer kenntlich. Die Ergnzungen von ausgesparten Wrtern sind – wie Eingriffe des Herausgebers (Einfgungen, nderungen) – durch eckige Klammern [ ] kenntlich gemacht bzw. werden in einer editorischen Anmerkung mitgeteilt. Cassirer zitiert in seinen Mss. mit einfachen und doppelten Anfhrungszeichen (‘’,“”), die manchmal schwer voneinander zu unterscheiden sind, sowie mit guillemets ( &^, hier: »«) und manchmal ^ &, (hier: «»). Weil eine einheitliche Verwendung dabei nicht feststellbar ist, wird diese Zeichensetzung beibehalten. In einigen Fllen handelt es sich bei den in Anfhrungszeichen gesetzten Phrasen um Hervorhebungen Cassirers und nicht um eigentliche Zitate.

1

Siehe hierber Toni Cassirers unten zitierte Beobachtungen, S. 386.

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Uneinheitlichkeiten (z. B.: Litteratur, Literatur) und Eigenarten in Cassirers Orthographie (ss statt ß, ae statt  usw.) und Interpunktion wurden beibehalten, ebenso die Besonderheiten von Schreibweisen (z. B.: anderseits, zu einander, jenseit, giebt). Verschiedene Schreibweisen von Anne Elisabeth Schnemanns Namen (Lili, Lilli, Lilly, Lily) werden aber einheitlich als Lilly (die hufigste Schreibweise) wiedergegeben. Cassirers Schreibweise fr den Namen von Goethes Schwester (Cornelia) wird beibehalten, obwohl die Morris Ausgabe und WA beide Cornelie schreiben. Cassirer lßt Kommata fters weg oder setzt sie, wo sie unblich sind. Texteingriffe wurden nur in Fllen vorgenommen, wo sonst eine Sinnentstellung entstehen knnte. Cassirer verwendet sowohl Wortabkrzungen (mit Punkt), z. B. symbol. F., wie auch Krzel (ohne Punkt) bei Wrtern mit der Endung ung. Abgekrzte Wrter werden in eckigen Klammern ergnzt. Eindeutige Schreibfehler (z. B. gelegentlich vergessene Akzente) und offensichtliche Versehen wurden stillschweigend berichtigt. Unterstrichene Wrter bzw. Wortteile in Cassirers Text sind, wie sonst in seinen Werken, durch Sperrung ausgezeichnet. Zur Kursivierung markierte Wrter erscheinen im Text kursiv. Bei der Zitation aus verschiedenen Druckvorlagen werden unterschiedliche Texthervorhebungen einheitlich als Sperrtext wiedergegeben, Ligaturen dabei aufgelst. In den Goethe-Vorlesungen werden Belegstellen fr Zitate fters am Rand oder zwischen den Zeilen notiert. Diese erscheinen als Fußnoten, mit dem Hinweise auf ihre Platzierung im Ms. Manchmal beginnen diese Notierungen mit einem kurzen verweisenden Pfeil, auch wenn sie am linken Rand vorkommen (z. B.: V Morris II, 58). Da diese Pfeile keine optische Verbindungen herstellen, wird ihr Vorkommen mit dem Vermerk mit verweisenden Pfeil kenntlich gemacht. Cassirers Zitierungen sind anhand der von ihm benutzen Ausgaben berprft worden. Bei Zitaten werden nur semantisch bedeutsame Abweichungen Cassirers mitgeteilt, nicht orthographische Modernisierungen. Da Cassirer bei Goethe-Zitaten verschiedene Ausgaben heranzieht, werden die Fundstellen, wenn mglich, auch immer in der Weimarer Ausgabe (WA) mitgeteilt. Goethes Gesprche werden, auch wenn von Cassirer eine andere Ausgabe zitiert wird, zustzlich in der Biedermann Ausgabe nachgewiesen. Die angefhrten Quellen sind im Literaturverzeichnis vollstndig aufgefhrt. Von dem Herausgeber nachgewiesene Zitate sind Cassirer zugnglichen Quellen entnommen und folgen, nach Mglichkeit, den von ihm (hier oder in anderen Schriften) zitierten Ausgaben. Hierfr wurde eine mehrfach ergnzte Liste der Bcher in Cassirers Privatbibliothek herangezogen.2 Diese Liste enthlt die Verkaufsliste der Bibliothek Ernst Cassirers (Bernard M. Rosenthal, Inc. Rare Books – Manuscripts. 120 East 85th Street New York, NY. 10028. USA; Ts. o. J.), einen Karteikatalog (Department of Philosophy, University of Illinois, Chicago), dessen Erstellung beim Erwerb von Teilen der Bibliothek Cassirers durch die University of Illinois Library (Chicago) veranlaßt wurde, eine Erfassung der Separata und anderer unkatalogisierter Schriften aus Cassirers Bibliothek im Besitz der University of Illinois Library sowie eine Liste von Teilen der Bibliothek aus Familienbesitz. 2

E D I TO R I S CH E H I N W E I S E

1. Ziel und Gestalt der Ausgabe »Ernst Cassirer · Nachgelassene Manuskripte und Texte« Ziel der ECN ist die Prsentation nachgelassener Mss. Cassirers. Dabei werden Cassirers Ms.-Texte annhernd textdiplomatisch wiedergegeben. Editorische Eingriffe (Emendationen und Konjekturen) wurden auf das Notwendigste beschrnkt und sind immer angegeben. 2. Zur berlieferungsgeschichte Die meisten der in diesem Band publizierten Mss. wurden vom Herausgeber am 6. April 1991, whrend eines Besuchs in New York bei Frau Anne Appelbaum, Ernst Cassirers Tochter, gefunden.1 Die Mss. wurden bei der Durchsicht einer Sammlung von Sonderdrucken verschiedener Cassirer-Aufstze entdeckt, die in grßeren Umschlgen (fr 8 x 11 inch Papier) aufgehoben waren. In einem der Umschlge befanden sich keine Sonderdrucke, sondern ein Konvolut mit 250 Blatt in Cassirers Handschrift (unten als Textzeuge “E” bezeichnet). Auf diesem Umschlag stand zentriert in Toni Cassirers Handschrift: Goethevorlesungen 1940/41 / Schweden. Auf der ersten Seite des darin enthaltenen Konvoluts stand die berschrift G o e t h e - Vo r l e s u n g e n , L u n d , M  r z 19 41. Da es in dem berlieferten Cassirer-Nachlaß2 keine Hinweise auf Goethe-Vorlesungen in der Stadt Lund gab, war es klar, daß es sich bei diesem Konvolut um bisher unbekannte Texte Cassirers handelte. Der Herausgeber hat mit Einwilligung von Frau Appelbaum das gesamte Konvolut zugleich mit Bleistift auf der recto Seite unten paginiert, um die Reihenfolge der nur teilweise paginierten Bltter zu sichern. Frau Appelbaum bergab das Konvolut dem Herausgeber zur Erfassung. Forschungen ergaben, daß es dreierlei enthielt: 1) das Ms. einer bis dahin unbekannten Reihe von drei Lunder Vorlesungen, die Cassirer unter dem Titel Goethes geistige Leistung3 vor der Vetenskaps-Societeten i Lund im Mrz 1941 gehalten hat, 2) bisher unbekannte Teile der zweisemestrigen Vorlesung, die er an Gteborgs Zur Beschreibung des Funds, s. u. Textzeuge E: “Fund von 1991”. Eine Geschichte der berlieferung des Cassirer-Nachlasses ist im ersten Band dieser Ausgabe nachzulesen (s. ECN 1, S. 279–284). 3 Siehe VETENSKAPS-SOCIETETEN I LUND. Yearbook of the New Society of Letters at Lund. RSBOK 1941. Lund: C. W. K. Gleerup, unter der berschrift SOCIETETENS VERKSAMHET ARBETSRET 1940 –1941, S. 187: ... professor Ernst Cassirer, Gteborg, en serie frdedrag den 19., 21 och 24 mars ver mnet »Goethes geistige Leistung ... Ebenfalls wurden im 1 2

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Hgskolas von Oktober 1940 bis Mrz 1941 unter dem Titel Der junge Goethe abhielt und 3) Entwrfe und Notizen zu diesen Vorlesungen. Anlßlich dieses Fundes hat Frau Appelbaum freundlicherweise nach weiteren Texten ihres Vaters gesucht. Diese Bemhungen fhrten auch zu Entdeckungen von Materialien, die dem Herausgeber am 26. Juni 1992 bei einem erneuten Besuch ebenfalls bergeben wurden. Es handelte sich dabei um: – ein Ts. berschrieben Der junge Goethe (unten als Textzeuge “C” bezeichnet). Bisher bekannt waren ein Durchschlag dieses Ts. (unten als Textzeuge “D” bezeichnet) sowie die handschriftlichen Vorlagen dazu (unten als Textzeugen “A” und “B” bezeichnet). – Das Ms.4 eines Goethe-Vortrags mit berschrift in Cassirers Hand: Bemerkungen zum Faustfragment und zur Faustdichtung / New Haven, Germanic Club, 14. April 1942. – Ein Ts. desselben Vortrags, mit der berschrift Bemerkungen zum Faustfragment und zur Faustdichtung / (New Haven, Germania Club, 14. 4.1942.) – Briefe an Ernst Cassirer von Hermann Cohen, Albert Einstein, Raymond Klibansky, Thomas Mann, Aby Warburg und anderen Personen. Diese Materialien sowie der Fund von 1991 (Textzeuge “E”) waren vermutlich nicht mit dem brigen Nachlaß zusammen aufgehoben, weshalb sie nach dem Tod von Toni Cassirer im Jahr 1961 nicht mit dem brigen Nachlaß nach Yale kamen.5 Nach der Erfassung hat der Herausgeber alle Materialien Frau Appelbaum zurckgegeben, die sie dann an die Beinecke Bibliothek bergab, wo sie heute mit dem brigen Cassirer-Nachlaß lagern.6

Sknska Dagbladet vom 19. 3.1941 (unter “Akademiskt”: “Ernst Cassirer gstar Lund”) die Vortrge fr den 19., 21., und 24. Mrz angekndigt. 4 Vgl. Toni Cassirers Beschreibung in Mein Leben mit Ernst Cassirer, S. 88: In einem seiner letzten, noch unverffentlichten Vortrge, den er in Yale gehalten hat, beschftigte er sich ausfhrlich mit dem zweiten Teil Faust. Auf dem Heimweg sagte er mir in gelster Stimmung: ‘So, nun habe ich mir eine Meinung ber die Goethsche Altersoptik von der Seele geschrieben, und sie ist auch auf mich und berhaupt auf alle produktiven Menschen anzuwenden. Der scheinbare Wirrwarr des zweiten Teil Faust entsteht dadurch, daß die Vergangenheit im Alter sich nicht mehr wesentlich gliedert und Geschehnisse aus einzelnen Epochen der Geschichte, der Kunst und des eigenen Lebens zusammenfließen und sich zu dem Hintergrund vereinen, aus dem der Gedanke an die Zukunft zu entstehen beginnt.’ Dieser Vortrag wird in ECN 10 (Kleinere Schriften zu Goethe und zur Geistesgeschichte) erscheinen. 5 Siehe die Geschichte der berlieferung des Cassirer-Nachlasses (ECN 1, S. 279 –284). 6 Diese Mss. sowie die anderen Fundstcke bilden eine neue Abteilung: GEN MSS 355; der brige Cassirer-Nachlaß trgt die Signatur GEN MSS 98.

Editorische Hinweise

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3. Fr die Bearbeitung dieses Bandes herangezogene Mss. a) Textzeuge A: Der junge Goethe. Ms. (GEN MSS 98, Series II, Box 41, folder 806) Konvolut 204 1) ußere Beschreibung: Papier: weiß; Format: 22,5 x 28,5 cm Bl. (nicht zu Lagen gefaltet), auf beiden S. beschriftet; Wasserzeichen: keine; Tinte: schwarz. Das Ms. zeigt, daß es durch die Mitte gefaltet wurde, um in einem (in folder 41 auch erhaltenen) braunen Umschlag von 21,5 x 27,5 cm aufbewahrt zu werden. Vorne in der Mitte auf dem Umschlag steht in Toni Cassirers Handschrift in Tinte Der junge Goethe 1940/41; darunter steht in John Bacons Handschrift mit rotem Kugelschreiber umkreist 204. In Toni Cassirers Handschrift steht in der oberen linken Ecke in Bleistift: Reise Amerika. 2) Datierung: Das Ms. ist datiert auf S. 1 nach der berschrift mit: (Gteborg, 2. Oktober 1940). Laut Vorlesungsverzeichnissen wurden die Vorlesungen in einstndigen Vorlesungen ber zwei Semester (WS 1940/41 und SS 1941) gehalten, und zwar Mittwochs von 20 bis 21 Uhr.7 3) Inhalt: 56 Bl. beiderseits beschriftet, mit recto Paginierung in Cassirers Hand. Bl. 1r (S. 1) trgt die berschrift: D er ju n g e Go eth e (Gteborg, 2 Oktober 1940), danach Text; Bl. 2 –3 (S. 2 –3): Text; Bl. 4r (S. 3a): Text; Bl. 4v: Text; Bl. 5r (S. 3a): durchgekreuzter Text; Bl. 5v (3 b ): Text; Bl. 6r (S. 4): durchgestrichener Text; Bl. 6v (S. 4): Text; Bl. 7r (S. 3e): Text; Bl. 7v (3d): Text; Bl. 8r (S. 5): Text; Bl. 8v: Text; Bl. 9r (S. 5a): Text; Bl. 9v: Text; Bl.10r (S. 6): Text; Bl.11r (S. c): Text; Bl. 11v (S. d): Text; Bl. 12r (S. e): Text; Bl. 12v (S. f): Text; Bl. 13r (S. a): trgt die berschrift: Z we i t e Vo r l e s u n g , danach Text; Bl. 13v (S. b): Text; Bl. 14r (S. 7a; 7 in Tinte, a in Bleistift): durchgekreuzter Text; Bl.14v (S. 7o; 7 in Tinte, o in Bleistift ber i in Tinte): z. T. durchgekreuzter Text; Bl. 15r (S. 7a) trgt die berschrift ( Z we i t e Vo r l e s u n g ) 9 . X . 4 0, danach durchgestrichener Text; Bl. 15v: Text; Bl. 16r (S. 7b): Text; Bl. 16v: durchgestrichener Text; Bl. 17r (7d): Text; Bl. 17v (7e): Text; Bl. 18r (7c): Text; Bl. 18v (7d): durchgestrichener Text; Bl. Eintrge in Gteborgs Hgskolas Katalog Hstterminen 1940. (Gteborg: Elanders Boktryckeri Aktiebolag 1940), S. 23: Ernst Cassirer, DPh, LHA, LVVS, f. 74; professor i teorestik filosofi 35; emeritus 40. O f fen t li ga f  rel s n i n g ar : onsd. kl. 8 e. m. (med brjan 2 okt.): Der junge Goethe. Rum 10. und in Frelsningar och vningar vid Gteborgs Hgskola Vrterminen 1941 (Gteborg: Elanders Boktryckeri Aktiebolag 1941), S. 5: Professor Ernst Cassirer. O f fen t li ga f  re ls n in g a r : onsd. kl. 8 e. m. (febr.mars): Der junge Goethe (forts. fr. frg. termin). Rum 10. Bostad Freningsgatan 11, tel. 1. 0. 54. Die Uhrzeit und Tag sind dem versikt ver lsplanen fr vrterminen 1941 entnommen. 7

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19r (S. 7e): Text; Bl. 19v (S. 7 f): Text; Bl. 20r (S. 8): Text; Bl. 20v: Text; Bl. 21r (S. 7g): Text; Bl. 21v (S. 7h): Text; Bl. 22r (S. 8a): Text; Bl. 22v: Text; Bl. 23r (S. 8b): Text; Bl. 23v (S. 8c): Text; Bl. 24r (S. 8d): Text; Bl. 24v: Text; Bl. 25rv: Text; Bl. 26r (S. 9): Text; Bl. 26v: Text; Bl. 27r (S. 10): Text; Bl. 27v: Text; Bl. 28r (S. 11): Text; Bl. 28v: Text; Bl. 29r (S. 12) trgt die berschrift L e i p z i g ( O k t o b e r 176 5 b i s Au g u st 176 8 ), danach Text; Bl. 29v: Text; Bl. 30r (S. 13): Text; Bl. 30v: Text; Bl. 31r (S. 13a in Bleistift): Text; Bl. 31v: Text; Bl. 32r (S. 13b in Bleistift): Text; Bl. 32v: leer; Bl. 33r (S. 14) trgt die berschrift D i e D i c h t u n g d er Le i p z i g e r Z e i t , danach Text; Bl. 33v: Text; Bl. 34r (S. 14a): Text; Bl. 34v (S. 14b): Text; Bl. 35r (S. 15): Text; Bl. 35v: Text; Bl. 36r (S. 15a) trgt die berschrift Zwischen Leipzig und Straßburg – bergang – Die Krankheit – Die mystische Krise, danach Text; Bl. 36v: Text, Mitte auf der Seite Siegelwachsklecks (Der Siegelwachsklecks ist ein Spiegelbild des Siegelwachskleckes in dem Ms. GEN MSS 355, Box 1, folder 13[12], Bl. 34v); Bl. 37r (S. 16) trgt die berschrift St ra ß b u r g ( 2 A p r i l 177 0 b i s 2 8 Au g u st 17 71 ), danach Text, Bl. 37v: Text; Bl. 38r (S. 17); Text; Bl. 38v: Text; Bl. 38r (S. 18): Text; Bl. 38v: Text; Bl. 39r (S. 19): Text; Bl. 39v: Text; Bl. 40r (S. 20): Text; Bl. 40v: Text; Bl. 41r (S. 21) trgt die berschrift Fr i e d e r i ke B r i o n – S e s e n h e i m, danach Text; Bl. 41v: Text; Bl. 42r (S. 22) trgt die berschrift Fr ied er ike – D i e Fr i ed e r i ke - D i c h t u n g , danach Text; Bl. 42v: Text; Bl. 43r (S. 23): Text, Bl. 43v: Text; Bl. 44r (S. 24) trgt die berschrift Fra n k f u r t (August 1771 – September 1772, danach Text, Bl. 44v: Text; Bl. 45r (S. 25): Text, Bl. 45v: Text; Bl. 46r (S. 26): Text, Bl. 46v: Text; Bl. 47r (S. 27): Text, Bl. 47v: Text; Bl. 48r (S. 28): Text, Bl. 48v (S. 28a in Bleistift in Toni Cassirers Handschrift) trgt die berschrift Goethe und Shakespeare, danach Text; Bl. 49r (S. 29) trgt die berschrift We r th e r, danach Text, Bl. 49v: Text; Bl. 50r (S. 30): Text, Bl. 50v: Text; Bl. 51r (S. 31): Text, Bl. 51v (S. 31a in Bleistift in Toni Cassirers Handschrift): Text; Bl. 52r (S. 32): Text, Bl. 52v (S. 32a in Bleistift in Toni Cassirers Handschrift): Text; Bl. 53r (S. 33): Text, Bl. 53v: leer; Bl. 54r (S. 33a) trgt die berschrift St i l u n d S p ra ch e d es We r t h er (event. wegzulassen!), danach Text, Bl. 54v: Text; Bl. 55r (S. 33b): Text, Bl. 55v: Text bis Mitte der Seite, untere Hlfte: leer; Bl. 56r (S. 34) trgt die berschrift G o e t h e u n d Ro u s s e a u, danach Text, Bl. 56v: Text; Bl. 57r (S. 35): Text, Bl. 57v: Text;8 Bl. 58r (auf anderem, kleinerem Papier: 21,5 x 27,5 cm) trgt die berschrift E r n st C a s s i re r : Bi b l i o g ra p hy, gefolgt von einer Liste von Cassirers fnf Publikationen aus dem Jahr 1943;9 Bl. 58v trgt unter links in rotem Kugelschreiber umkreist die Zahl 204. Bltter 56 und 57 sind 1999 im Familienbesitz entdeckt worden und dem Herausgeber bersandt. Er hat sie der Beinecke Bibliothek weitergeleitet, wo sie seit Februar 2000 folder 806 beigegeben sind. 9 Das Blatt, geschrieben in Cassirers Hand, listet folgende, in Amerika geschriebenen Schriften wie folgt auf: E r n st C a s s i re r : B i b l i o g ra p hy 1942 Galileo: a new science and a new spirit. / The American Scholar, Vol. XII, No 1 pp. 5 –19. 1943 8

Editorische Hinweise

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4) Bemerkung: Dieses Ms. enthlt Zeichen von fremden Eingriffen. Neben Cassirers Paginierungen finden sich auf drei verso Seiten Paginierungen in Toni Cassirers Handschrift. Neben einem undeutlichen Wort findet sich eine Wiederholung in ihrer Handschrift (Versunken auf Bl. 49v) und in einem Fall auch eine nderung in ihrer Handschrift (auf Bl. 50v wird trat hinzu in gewesen sein10 gendert). In dieser und den nchsten Zeilen werden auch fehlende i-Punkte und Umlaute in Bleistift hinzugesetzt. Das letzte Blatt (berschrieben B i b l i o g ra p hy ) fhrt nur in Amerika erschienene Cassirer-Publikationen auf und enthlt keine Goethe-Literatur. Dieses Blatt wurde wahrscheinlich als Deckblatt fr das Konvolut verwendet nachdem der Nachlaß von Cassirers Witwe nach Amerika gebracht wurde. Die Numerierung (durch John Bacon) in rotem Kugelschreiber als 204 auf der verso Seite deutet darauf hin, daß es um das ganze Konvolut gefaltet wurde. b) Textzeuge B: [Der junge Goethe (Fortsetzung)]. Ms. (GEN MSS 98, Series II, Box 40, folder 798) Konvolut 213 1) ußere Beschreibung: Papier: leicht vergilbt; Format: 22,5 x 28,5 cm Bl. (nicht zu Lagen gefaltet), auf beiden S. beschriftet; Wasserzeichen: keine; Tinte: schwarz. 2) Datierung: Ms. undatiert. 3) Inhalt: 5 Bl. beidseitig beschriftet, mit recto Paginierung in Cassirers Hand (36, 38 – 41); S. 37 fehlt. Auf 38v, 39v und 40v findet sich in Toni Cassirers Handschrift die Paginierung 38a bzw. 39a und 40a in Bleistift. S. 36 setzt Text ber Goethe und Rousseau fort und hat, nach einem Schlußstrich, die berschrift: G o e t h e u n d S p i n o z a, gefolgt von Text, der auf S. 41r mit einem Schlußstrich endet. Auf 41v findet sich in rotem Kugelschreiber und umkreist die Zahl 213. Diese Kugelschreiberbeschriftung John Bacons zeigt, daß er dieses Ms. getrennt vom Haupttext (Konvolut 203) vorfand.

Some remarks on the question of the originality of the Renaissance. / Journal of the History of Ideas, January 1943, Vol. IV, pp. 49 –56. Hermann Cohen, 1842 –1918. / Social Research, Vol. X, pp. 219 –232. Newton and Leibniz. / The Philosophical Review, Vol. LII, 4. pp. 366 –391. The place of Vesalius in the Culture of the Renaissance. / The Yale Journal of Biology and Medicine Vol. 18, No. 2, December 1943 pp. 109 –119. 10 Der Satz (vgl. im vorl. Bd., S. 310) lautet im Ganzen: Das Motiv zum Selbstmord scheint ein unglckliches Liebesverhltnis zu einer verheirateten Frau – gekrnkter Ehrgeiz, unverdiente Zurcksetzung, die er in seiner Laufbahn erfahren hatte, trat hinzu.

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Anhang

4) Bemerkung: es handelt sich bei Textzeuge B um einen Teil vom obigen Ms. (Textzeuge A), der davon getrennt wurde, bevor der Nachlaß in den Besitz der Yale Bibliothek gelangte. Papier, Format, Tinte, Schriftduktus und Aussehen dieses Ms. sind identisch mit Textzeuge A. Textzeuge B ist textidentisch mit den letzten acht Seiten (S. 86–93) des Ts. von Der junge Goethe (Textzeuge C). c) Textzeuge C: Der junge Goethe. Ts. von Textzeugen “A” und “B” (GEN MSS 355, Box 1, folder 21) 1) ußere Beschreibung: Papier: leicht vergilbt; Format: 22,5 x 28,5 cm Bl., auf einer S. getippt; Wasserzeichen: keine; Tinte: Ts. 2) Datierung: Das Ms. ist datiert auf S. 1 nach der berschrift mit: (Gteborg, 2. Oktober 1940). 3) Inhalt: 93 Bl. auf einer S. getippt, S. 1 trgt die berschrift: Der junge Goethe. Paginierung (1 –93) in Bleistift in Toni Cassirers Handschrift. Smtliche handschriftlichen Verbesserungen und Zustze (z. B. S. 9, 75, 76, 80, 86, 87, 89, 90, 91) sind in Bleistift in Toni Cassirers Handschrift. Diese werden in nur wenigen Fllen in dem Durchschlag (Textzeuge D) wiederholt. Das Ts. lsst die von Cassirer gestrichenen Stellen im Ms. (Textzeuge A) weg, auch den Teil, den Cassirer mit Stil und Sprache des Werther (event. wegzulassen!) berschreibt (= Bl. 33a-33b). Danach gibt das Ts. (S. 83 –85) Text wieder, der nicht mehr im Ms. berliefert ist (Ms. Seiten zwischen 33b und 35). Ab S. 86 folgt das Ts. wieder dem Ms. (Textzeuge B). d) Textzeuge D: Der junge Goethe. Durchschlag des Ts. (Textzeuge C) (GEN MSS 98, Series II, Box 41, folder 807) Konvolut 204 1) ußere Beschreibung: Papier: dnnes weisses Durschlagpapier; Format: 22,5 x 28,5 cm Bl.; Wasserzeichen: keine; Tinte: Durchschlag des Ts. 2) Datierung: Das Ms. ist datiert mitten auf S. 1 nach der berschrift mit: (Gteborg, 2. Oktober 1940). 3) Inhalt: 93 Bl. auf einer S. getippt, S. 1 trgt die berschrift: Der junge Goethe. Paginierung mit Bleistift (1 –93) in Toni Cassirers Handschrift. Handschriftliche Verbesserungen und Zustze (z. B. S. 79, 91) sind mit Bleistift in Toni Cassirers Handschrift gemacht.

Editorische Hinweise

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e) Textzeuge E: “Fund von 1991” Ms. (GEN MSS 355, Box 1, folders 11–16) 1) ußere Beschreibung: Papier: dunkel vergilbtes, wenig vergilbtes, schweres und wenig vergilbtes, leichtes; Format: 24 x 37 cm Bl., gefaltet zu Lagen von 24 x 18,5 cm und auf beiden S. beschriftet in gefalteter Form; Wasserzeichen: keine; Tinte: schwarz. 2) Datierung: Die Mss. enthalten verschiedene Datierungen: Lund, Mrz 1941; 1940/41; 12. 3. 41. 3) Inhalt: 250 Bl., zumeist unpaginiert, aber teilweise mit Paginierungen in Cassirers Handschrift in Tinte und teilweise in Toni Cassirers Handschrift mit Bleistift. Bl. 1r (S. 1) trgt die berschrift: G o e t h e - Vo r l e s u n g e n , L u n d , M  r z 1941, danach Text; Bl. 1v-19r: Text; Bl. 19v-20v: leer; Bl. 21r (S. 1 [mit Tinte in Ernst Cassirers Handschrift paginiert = im Folgenden: EC]) trgt die berschrift: Z we i t e Vo r l e s u n g ., danach Text; Bl. 21v (S. 2): Text; Bl. 22 –23: Text; Bl. 24 (S. 3)-26v (S. 8): Text; Bl. 27r (S. 9) trgt am Rand die Bezeichnung: (Goethe-Vorl., Lund, 2te Vorles.): danach Text; Bl. 27v (S. 10)-30v (S. 16): Text; Bl. 31r (S. 1): Text; Bl. 31v-32v (S. 2 –4): Text; Bl. 33 (S. 5): gestrichener Text; Bl. 33v-34v: leer (auf Bl. 34v: Siegelswachsklecks, dieser ist ein Spiegelbild des Siegelwachskleckes in dem Ms. GEN MSS 98, Box 41, folder 806, S. 15av); Bl. 35: loses Bl. mit Text (anderes Papier, unpaginiert); Bl. 36r (S. 1 [mit Bleistift in Toni Cassirers Handschrift paginiert = im Folgenden: TC]) trgt die berschrift: L e t z t e Vo r l e s u n g (12. 3. 41), danach Text; Bl. 36v-37r: (S. 2 –3 TC): Text; Bl. 37v: leer; Bl. 38r (S. 4 TC): Text; Bl. 38v: leer; Bl. 39r (S. 5 TC): Text; Bl. 39v: Text; Bl. 40r (S. 6 TC): Text; Bl. 40v: leer; Bl. 41r-43v (S. 7 – 12 TC): Text; Bl. 44r-45r (S. 18 –20): Text; Bl. 45v-47r: Text; Bl. 47v: leer; Bl. 48r-49v (S. 21–24 EC): Text; Bl. 50 –51r: Text; Bl. 51v: leer; Bl. 42r (S. 1 TC) trgt die berschrift: V i e r t e Vo r l e s u n g . L i l l y S c h  n e m a n n ; Bl. 52v62r (S. 2 –21 TC): Text; Bl. 62v: leer; Bl. 63r-67v (S. 22 –31 TC); Bl. 69r-76v: durchgestrichener Text; Bl. 77r (S. 25 mit Bleistift in Ernst Cassirers); Bl. 77v (S. 1 EC) trgt die berschrift: F  n f t e Vo r l e s u n g ., danach Text; Bl. 78r-81v (S. 2 –9): Text; Bl. 82r (S. 9a) trgt am Rand die Bezeichnung: (Goethe: 5 Vorles: Religion); Bl. 82v: Text; Bl. 83r (S. 10): Text; Bl. 83v-84r (unpaginiert): Text; Bl. 84v-92r (S. 11 –26 TC): Text; Bl. 92v (S. 27 TC; S. (29) EC; Bl. 93r (S. (1) EC) trgt die berschrift: S e c h st e Vo r l e s u n g / R  ck b l i ck u n d Au s b l i ck, danach Text; Bl. 93v (S. 2 EC; in Bleistift: S. (4) EC): Text; Bl. 94r-96v: Text; Bl. 97r (S. 3 EC; in Bleistift: S. (4a) EC): Text; Bl. 97v (S. 4 EC; in Bleistift: S. (5) EC): Text; Bl. 98r (S. 5 EC; in Bleistift: S. (6) EC): Text; Bl. 98v (S. 6 EC): Text; Bl. 99rv: Text; Bl. 100rv: leer; Bl. 101r-102v (S. 7 –10 in Bleistift EC): Text; Bl. 103r-104r (S. 7 –9 EC): durchgestrichener Text; Bl. 104v (S. 10a, 10 in Tinte; a in Bleistift EC): Text, durchgestrichen bis auf die letzte drei Zeilen; Bl.105r-106v (S. 11 –14 EC): Text; Bl.107r (S. 14a EC); Bl.107v: leer; Bl.108r-109r (S. 15 –17 EC):

382

Anhang

Text; Bl. 109v (S. 18): durchgestrichener Text; Bl. 110rv (S. 25 –26 EC): Text; Bl. 111r (S. 1 EC) trgt die berschrift: D e r & Urfaust^, danach Text; Bl. 111v-113r (S. 2 –5 EC): Text; Bl. 113v (unpaginiert): Text; Bl. 114r-119v (S. 7 –18 EC): Text; Bl. 120r (S. 18a) trgt am Rand die Bezeichnung: (Goethe-Vorl., Urfaust), danach Text; Bl. 120v-121v (S. 18b-18d): Text; Bl. 122r-124v (S. 19 –24 EC): Text; Bl.125r (S. 27): Text; Bl.125v: leer; Bl.126r-129v: eingelegte Notizzettel; Bl. 130r (S. 1 TC) trgt die berschrift: D r i t t e s Ka p i t e l : St ra ß b u r g u n d S e s e n h e i m , und trgt am Rand die Bezeichnung: G o e t h e - Vo r l e s u n g e n / G  t e b o r g 19 4 0 / 41, danach Text; Bl.130v-138r (S. 2 –17 TC): Text; Bl.138v (S. 18 TC; S. (15) EC), danach Text bis Mitte der Seite, gefolgt von der berschrift Z we i t e Vo r l e s u n g : G  t z vo n B e r l i c h i n g e n , danach Text; Bl. 139r-148v (S. 19–38 TC): Text; Bl. 149r (S. 39? TC) trgt am Rand die Bezeichnung: B l a t t A danach Text; Bl. 149v-150rv: leer; Bl. 151r (40 TC) trgt am Rand die Bezeichnung: B lat t A (G. und Shakespeare), danach Text; Bl. 151v153r (S. 41 –44 TC) Text; Bl. 153v-154rv: leer; Bl. 155r trgt die berschrift: V i e r t e s Ka p i t e l : G t z / (Zur Vorles. vom 5/II 1941) danach Text, Bl. 155v156v: Text; Bl. 157r trgt am Rand die Bezeichnung: B l a t t B , danach Text; Bl. 157v-158v: Text; Bl. 159r: durchgestrichener Text; Bl. 159v-160v: Text; Bl. 161r ((21) EC), Text (am Rand: Einfgungszeichen fr B l a t t A und fr B l a t t A / G. und Shakespeare); Bl. 161v (S. 1 TC) trgt die berschrift: D r i t t e Vo r l e s u n g / D i e L ei d e n d e s j u n g e n Wer t h e rs , danach Text; Bl. 162r-165v (S. 2 –9 TC): Text; Bl. 166r (S. 9 TC) trgt die berschrift: ( Wer th e r ) . , trgt am Rand die Bezeichnung: Bl att B , danach Text; Bl.166v: Text und dreiviertel der S.: leer; Bl. 167rv: durchgestrichener Text; Bl. 168r-170r (S. 10–14 TC): Text; Bl. 170v-171r: Text; Bl. 171v-172v (S. 15 –17 TC): Text; Bl. 173r-174r (S. 18 –20 TC): durchgestrichener Text; Bl. 174v (S. 21 TC; (24) EC): durchgestrichener Text, auf der Mitte der S. berschrift: V i e r t e Vo r l e s u n g / L i l l y S c h o e n e m a n n ; Bl. 175r-177v: Text; Bl. 178r: durchgestrichener Text; Bl. 178v-179v: Text; Bl. 180r-183v: durchgestrichener Text; Bl. 184rv: Text; Bl. 185r (S. 38a EC): Text von der S. lngs hinunter geschrieben; Bl. 185v: durchgestrichener Text; Bl. 186r-188r: Text; Bl. 188v: leer (bzw. unterer Teil von 185r); Bl. 189r-200v: Text; Bl. 201r-203v: leer; Bl. 204r-207v: Text; Bl. 208r: leer; Bl. 208v: Notizen lngs der S. geschrieben; Bl. 209rv: Text; Bl. 210r: Notizen; Bl. 210v-213v: Text; Bl. 214r: Notizen lngs der S. geschrieben (untere Hlfte von 208v); Bl. 214r-215v: leer; 216r-220r: Text; Bl. 220v: leer; Bl. 221r-226v: Text; Bl. 227r: trgt die berschrift: L e i p z i g , danach Text bis 234v; Bl. 235r-236v: Notizen; Bl. 237r trgt am Rand die Bezeichnung: Bl att a , danach durchgestrichener Text; Bl. 237v trgt am Rand die Bezeichnung: B l a t t a, danach Text bis Bl. 238r; Bl. 238v: leer; Bl. 239rv: Notizen; Bl. 240r-241r: Text; Bl. 241v: leer; Bl. 242rv: Notizen; Bl. 243r trgt die berschrift: G o e t h e u n d d i e B i b e l , danach Text bis 245v; Bl. 246r-249r: Notizen; Bl. 249v: durchgestrichener Text; Bl. 250rv: leer.

Editorische Hinweise

383

Beilagen: Studentische Referate I. Brahm: Das deutsche Ritterdrama des 18ten Jahrhunderts; Anhang: Tendenzen der Sturm u. Drangperiode (Referat). Ms.(Gen MSS. 98, series IV, Box 56, folder 1106) Konvolut 137. 1) ußere Beschreibung: Papier: weiß; Format: 21 x 33 cm Bl., gefaltet zu einer Lage von 16,5 x 21 cm und auf beiden S. beschriftet; Wasserzeichen: Adler auf Feld; Tinte: schwarz. 2) Datierung: Ms. undatiert [Sommer 1893; s. u. S. 390]. 3) Inhalt: 16 Bl., unpaginiert, beiderseitig beschriftet. Bl. 1r: in roter Tinte umkreist: 137, darunter in Cassirers Handschrift in Tinte: B ra h m: Das deutsche Ritterdrama des 18./ten Jahrhunderts. / A n h an g : Ten d e n z en d er St ur m - u. D ran g p er io d e / (Referat); Bl. 1v: leer; Bl. 2r-9r: Text; Bl. 9v: leer; Bl. 10r: Text; Bl. 10v: leer; Bl. 11r-16v: Text. II. ber Gellerts Lustspieltechnik. Ms. (Gen MSS. 98, series II, Box 51, folder 1035) Konvolut 202. 1) ußere Beschreibung: Papier: weiß; Format: 21 x 33 cm Bl., gefaltet zu einer Lage von 16,5 x 21 cm und auf beiden S. beschriftet; Wasserzeichen: keine; Tinte: schwarz. 2) Datierung: Das Ms. ist auf S. 1 datiert mit: Heidelberg; Sommer 1893. 3) Inhalt: 32 Bl., unpaginiert, beiderseitig beschriftet. Bl.1r: trgt die berschrift: Heidelberg; Sommer 1893.  be r G ell er t s L ust s p i el tec h n ik , danach: Text; Bl. 1v-31v: Text; Bl. 32rv: leer. 4. Zu Cassirers Goethe-Vorlesungen a) Zur Entstehung der Goethe-Vorlesungen Bei den im vorliegenden Band publizierten Gteborger und Lunder GoetheVorlesungen handelt es sich um zwei ffentliche Vorlesungsreihen. Diese Vorlesungen unterscheiden sich inhaltlich von allen anderen Goethe-Texten Cassirers; in diesen Vorlesungen sind nicht nur sachliche Themen (innere Form oder die Idee der Bildung) Gegenstand, sondern auch Goethes Leben und die Bedeutung

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Anhang

dieses Lebens. Sie bilden insofern eine Ausnahme in Cassirers Schaffen, wie auch seine Frau feststellte.11 b) Zur Entstehung der Gteborger Vorlesungen Der junge Goethe Nach Cassirers Emeritierung an Gteborgs Hgskolas am 1. September 1940 hielt er ffentliche Vorlesungen ber Goethe, zu denen, nach Augenzeugenberichten, ein großes Stadtpublikum kam.12 Wie Cassirer selbst am Anfang der Gteborger Vorlesungen erluterte, entschloß er sich, diese Vorlesungsreihe ber Goethe zu halten, zur Erfllung eines eigenen lngst gehegten Wunsches.13

Siehe unten S. 386 f. Paul Neurath (Wien), der Sohn des Philosophen Otto Neurath, lebte zu dieser Zeit in Gteborg bei Malte Jacobsohn. Spter fuhr er mit dem selben Schiff wie Ernst und Toni Cassirer nach Amerika. Neurath hrte einige der Gteborger Goethe-Vorlesungen (Der junge Goethe), wovon er dem Herausgeber am 04.11.1997 mndlich berichtete. Am 9. 3.1997 schrieb ke Elmquist, der an zwei Abenden bei den Gteborger Vorlesungen anwesend war, dem Hrsg. des vorliegenden Bandes, gesttzt auf seinen Tagebuchnotizen, ber seine damaligen Eindrcke. (Ich danke Prof. Dr. Bernd Henningsen vom NordEuropa Institut der Humboldt-Universitt fr die bersetzung aus dem Schwedischen): 1940 war der Publikumszustrom groß; der gerumige Saal 10 war mehr als voll. Die ffentlichen Vorlesungen hatten ihr eigenes, damals recht großes Publikum unter den Kulturinteressierten der Stadt, und noch war Deutsch die erste Fremdsprache in der Mittelstufe der schwedischen Schulen. ... Und eine lebendigere und mitreißendere Art, ber das verlockende Thema zu sprechen, kann ich mir kaum vorstellen. Die unverwstliche Frische der wohlbekannten Jugendgedichte schien aus jeder Zeile, z. B. in Wi llko mm en u n d Ab s ch i ed , zu leuchten. Das war, als wrde er die Entdeckung zum ersten Mal machen und sich beeilen, sein Entzcken darber mitzuteilen. Aber man merkte, wie sich all das in eine vollstndige Synthese der Persnlichkeit in einer Zeit einfgte, deren Vielfltigkeit sehr breit in die deutsche Welt der Philosophen, Forscher und Dichter, grßere und kleinere, des 17. Jahrhunderts fhrte. Zum letzten Mal erschienen Leibniz, Christian Wolff, Alexander Baumgarten mit ihrer sthetik, Gottsched, aber auch Schpflin, die ohne das Buch 11 in D ich t un g un d Wa h r h e i t kaum einen Namen htten. Da war auch die Goethe-Philologie, deren bertreibungen und Grndlichkeit ihn belustigten, in welche er sich aber zum Teil vertieft zu haben schien. Die Entstehung des Sprachinstruments seit dem alten Opitz wurde als “starre Form” beleuchtet. Die ersten Leipziger Gedichte nannte er “akademisch elegante Tndelei”, aber das war eine Seite dieser Zeit. 13 Diese zweisemestrige Vorlesung wurde im Vorlesungsverzeichnis wie folgt angekndigt: hstterminen (WS) 1940/41: Offentliga frelsningar: Der junge Goethe. Rum 10. (med brjan 2. okt.). Die Fortsetzung wurde wie folgt angekndigt: vrterminen (SS) 1941: Offentliga frelsningar: Der junge Goethe. Rum 10. (Forts.) febr.-mars). 11

12

Editorische Hinweise

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Wie damals alle Lehrenden an Gteborgs Hgskola, hat auch Cassirer ein Hochschul-Tagebuch (Diarium)14 fr seine Lehrveranstaltungen gefhrt, das folgende Angaben zu den Goethe-Vorlesungen enthlt: G  T E B O RG S H  G S KO L A D ia r iu m f r n Prof. Cassirer’s frelsningar om: Der junge Goethe Hstterminen 1940 Dato

Dag

Timme

MNE

2 9 16

X X X

8 –9 8 –9 8 –9

23 30

X X

8 –9 8 –9

13 27

XI XI

8 –9 8 –9

4

XII

8 –9

Einleitung – Goethe als “Befreier”. Goethe und die deutsche Geistesgeschichte. Der knstlerische und der gedankliche Gehalt von “Dichtung u. Wahrheit“ Elternhaus und Kindheit. Goethe u. Leipzig – Das Leipziger Liederbuch – Die Mitschuldigen Rckkehr nach Frankfurt – Pietistische und okkultische Lektre Die geistigen Wurzeln der Sturm- und Drangbewegung – / Rousseau und Herder.

D ia r iu m f r n Prof. Cassirer’s frelsningar om: Der junge Goethe Vrterminen 1941 Dato

Dag

Timme

MNE

29/1

Onsd.

8 –9

5/2 12/2 19/2 26/2 5/3 12/3

Onsd. Onsd. Onsd. Onsd. Onsd. Onsd.

8 –9 8 –9 8 –9 8 –9 8 –9 8 –9

Strassburg und Sesenheim. – Die Lyrik des jungen Goethe. Goetz von Berlichingen. Werthers Leiden. Das Prometheus Fragment und der Urfaust. Lilly Schoenemann. Die Religion des jungen Goethe. Rckblick und Ausblick.

Laut Tagebuch hielt Cassirer im ersten Semester acht Sitzungen, im zweiten nur sieben. Doch in einem Zeitungsartikel vom 16. Januar wird berichtet, daß

Diese Diarien hat Dr. Jonas Hansson (Lund) in dem Landsarkivet (Gteborg) entdeckt. 14

386

Anhang

Cassirer im zweiten Semester acht oder neun Vorlesungen abzuhalten beabsichtigte.15 Es geht aus den Mss. nicht eindeutig hervor, wie viele Sitzungen tatschlich abgehalten wurden. Nach Toni Cassirers Beschreibung der Gteborger Vorlesungsreihe zu urteilen, gab es im zweiten Semester weit mehr als nur sieben Sitzungen. Sie schrieb: Noch vor Beendigung der Niederschrift des Erkenntnisproblems wurde er gebeten, die Kurse fr deutsche Literatur an der Hochschule zu unternehmen, da man den deutschen Lektor seiner nationalsozialistischen Tendenzen wegen entlassen hatte. Freudig willigte Ernst ein, und er hat dann bis zu unserer Abreise von Schweden zweimal wchentlich Vorlesungen ber den jungen Goethe gehalten. Diese Vorlesungen waren ungewhnlich gut besucht, zum grßten Teil nicht von Studenten, sondern vom Stadtpublikum. In der ersten Vorlesung, zu der alle Mitglieder des Lehrkrpers, der Landshvding16 mit seiner Familie, Segerstedt17 und die Honoratien der Stadt erschienen waren, berichtete Ernst, wie er es sich sein ganzes Leben gewnscht htte, einmal ber den Menschen und Dichter Goethe sprechen zu drfen. ... Die erste Vorlesung zeigte die ganze Kunst, mit der Ernst sein Thema zu behandeln verstand, und seine souverne Handhabung der deutschen Sprache wurde fhlbar. Die Wiedergabe Goethescher Worte vervollstndigte das Ganze. ... Aber obwohl mir kein Wort dieses wundervollen Vortrages entging, beschftigte mich von der ersten bis zur letzten Minute etwas, was außerhalb des Themas lag, und was mir bis zu einem hohen Grade berraschend kam. Ernst hatte sein inneres Verhltnis zu

Siehe Prof. Ernst Cassirer inbjuden till Amerika / Skall gsta Yale-universitetet i tv r, in: Gteborgs Handels- och Sjfartstidning vom 16. 01.1941: Sina Goethefrelsningar vid Gteborgs hgskola vill han dock dessfrinnan fullflja. De f i stllet starta ngot tidigare: tidpunkten fr den frsta frlsingen har framflyttats frn februari till onsdagen den 29 januari. Sedan hllas de varje onsdag i fortsttningen. Det blir antagligen sammanlagt en 8 –9 frelsningar i Goethe-serien. (Seine Goethe-Vorlesungen an der Hochschule in Gteborg will er aber zuerst abschließen. Diese mssen aber etwas frher beginnen: der Zeitpunkt fr die erste Vorlesung wurde von Februar auf Mittwoch, den 29. Januar vorverlegt. Im Anschluß daran werden die Vorlesungen jeden Mittwoch gehalten werden. Es wird vermutlich insgesamt ca. 8 –9 Vorlesungen in der Goethe-Serie geben.). 16 Landshvding] Gouverneur. Der Landshvding von Gteborg war zu dieser Zeit Malte Jacobsson. – * Kristianstad (Schweden) 03. 04 .1885, † Gteborg 22.12.1966. 1920 –1934 Prof. der Philosophie in Gteborg. Jacobsson war Hrer bei Cassirer in dessen Berliner Jahren und trat fr seine Berufung nach Gteborg ein. 17 Segerstedt, Torgny Karl. Zeitungsverleger. – * 1896, † 1945. Besitzer und Chefredakteur von Gteborgs Handels- och Sjfartstidning. Unter Segerstedt nahm diese Zeitung eindeutig Stellung gegen die Nationalsozialisten in Deutschland. Segerstedt war von 1904 bis 1913 Religionswissenschaftler an der Universitt in Lund. Nicht zu verwechseln mit dessen Sohn, dem Uppsala Professor der praktischen Philosophie (nach 1947 Prof. der Soziologie), Torgny Torgnyson Segerstedt (1908 –1998), der ebenfalls mit Cassirer bekannt war. 15

Editorische Hinweise

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dem behandelten Gegenstand in einer bis dahin ungewohnten Weise deutlich gemacht und damit eine lebenslange Darstellungsart von Grund auf verndert. ... Ich horchte erstaunt auf. Wie oft hatte er mir whrend unseres Lebens von den Dingen erzhlt, die er jetzt ffentlich behandelte, und wie oft hatte er mir die Goetheschen Worte mit derselben inneren Spannung und Anteilnahme vorgelesen wie whrend dieser Goethevorlesung. Seine Bindung an Goethe schuf immer und immer wieder eine sonderbare Atmosphre von liebender Bewunderung und dankbarer Rhrung. Aber wer außer mir hatte Ernst jemals gerhrt gesehen? In seinen Werken und Vorlesungen verschwand der Mensch Cassirer stets hinter den zu behandelnden Problemen, und nur diejenigen Schler, die ihn sehr genau kannten, hrten auch durch seine strenge Sachlichkeit den warmen Pulsschlag seines Wesens. ber Goethe hatte er oft gesprochen – ber Goethe als Philosophen, als Naturforscher, als Erzieher; aber jetzt sprach er zum ersten Male ber Goethe, den Dichter und Menschen. Und nicht was er da sagte, war die Ursache seiner Erregung. Diese war hervorgerufen durch das Leiden, das der Verfall Deutschlands ihm schuf. Das Gefhl, daß das Volk, das dieses einmalige Wunderwerk hervorgebracht hatte, sich seiner so unwrdig zeigte, das war es, was ihn aus der Fassung gebracht hatte. Jedes Zitat von Goethe, das er ganz unabsichtlich gewhlt hatte, schien ihm im Augenblick, in dem er es aussprach, besudelt und in den Staub getreten. Er schmte sich fr das jetzige Deutschland und wollte das wahre Deutschland, dem Goethes Leben und Schaffen gegolten hatte, gleichzeitig vor dem Hrer erstehen lassen. ... Leider sind nur die ersten drei Vortrge des ganzen Kurses im Manuskript vorhanden. Von der vierten Vorlesung an sprach Ernst, wie er immer gewhnt war, wenn er deutsch vortrug, frei und durch ganz wenige Notizen untersttzt. Htte er diese ganze Serie ausgearbeitet, htten wir das Goethebuch, das er sich immer vorgenommen hatte zu schreiben.18 Cassirer hat bis Mrz 1941, dem Ende des Semesters, gelesen. Am 20. Mai fuhren die Cassirers mit dem Schiff nach Amerika. Daher hat Frau Cassirer die Behauptung, ihr Mann habe bis zu unserer Abreise von Schweden gelesen (Mai), nicht wrtlich gemeint. Gemeint war offensichtlich “bis zum Ende des Semesters”. Ihre Behauptung, Cassirer habe zweimal wchentlich Vorlesungen ber den jungen Goethe gehalten ist aber wrtlich zu nehmen, obwohl sie weder mit der Ankndigung im Vorlesungsverzeichnis noch mit dem von Cassirer selbst gefhrten Diarium seiner Lehrveranstaltungen bereinstimmt. Nach diesen hat er einmal wchentlich gelesen. Doch eine nhere Betrachtung der Mss. deutet darauf hin, daß Cassirer, zumindest im zweiten Semester, wohl zustzliche Vorlesungen gehalten haben muß. Die berlieferten Mss. sind fr die angewiesene Zeit (7 Sitzungen von jeweils einer Stunde) viel zu umfangreich und enthalten auch Redewendungen, die auf Fortsetzungen nach Unterbrechungen hinweisen, z. B. mitten in den umfangreichen Vorlesungstexten zu Werther oder zu Gtz.

18

Toni Cassirer: Mein Leben mit Ernst Cassirer, 1981, S. 272 –274.

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Anhang

Der Umfang der berlieferten Mss. ist unvereinbar mit Frau Cassirers Behauptung: Leider sind nur die ersten drei Vortrge des ganzen Kurses im Manuskript vorhanden. Frau Cassirer bezog sich dabei sicherlich nur auf eine der berlieferten Handschriften (Textzeugen A und B). Darin sind die ausgeschriebenen ersten drei Vortrge und, beginnend mit der 4. Vorlesung (Elternhaus und Kindheit), eher skizzenhafte Ausfhrungen fr sptere Vortrge enthalten. Frau Cassirer hat vermutlich nach dem Tode ihres Mannes die Herstellung des Ts. (Textzeuge “C”), das diese Handschrift wiedergibt (s. u. S. 392 f.) in dem Glauben veranlaßt, daß es sich um den einzigen Textzeugen der Gteborger Vorlesungen handele. Der Fund von 1991 (Textzeuge “E”) enthlt viele weitere, in Cassirers Hand eindeutig identifizierte Mss. zu den Gteborger Vorlesungen sowie auch Mss. zu den von Toni Cassirer unerwhnten Lunder Goethe-Vorlesungen. Vermutlich hatte Frau Cassirer dieses weitere Konvolut noch nicht im umfangreichen Nachlaß ihres Mannes gefunden, als sie ihre Erinnerungen (von ihr datiert mit: Mrz 1948-Dezember 1950) aufschrieb. Dafr sprechen viele Indizien, die unten besprochen werden (s. 5. Zu den Textzeugen). c) Zur Entstehung der Lunder Vorlesungen Goethes geistige Leistung Die zweite Vorlesungsreihe, von Cassirer Goethes geistige Leistung betitelt, wurde im Mrz 1941 an der Vetenskaps-Societeten i Lund gehalten, also kurz nach dem Ende der Gteborger Vorlesungen. Cassirer beschrieb in einem Brief (datiert: Gteborg, 7.II.41) an ke Petzll19 wie die Goethe-Vorlesungen in Lund zustande kamen: Lieber Petzll! Ich war gerade im Begriff an Sie zu schreiben, als ein Brief von Dozent K. Hanell20 eintraf, der eine sehr freundliche Einladung nach Lund fr eine Reihe von Goethe-Vortrgen enthielt. Er schrieb auch, daß Ihre Frau und Sie so freundlich waren, mich fr die Dauer eines Aufenthalts in Lund zu sich einzuladen. Wie dankbar ich hierfr bin und wie gern ich diese Einladung annehmen wrde, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. [...] Sollte die amerikanische Reise nicht zu stande kommen – so werde ich Ende Mrz sehr gern nach Lund kommen – zumal ich sehr gern Sie beide einmal wiedersehen und auch den neuen Sprssling der Familie kennen lernen mchte. Petzll, ke. Philosoph. – * Bor s (Schweden) 03. 07. 01, † Lund 23. 08.1957. Dozent in Gteborg 1928 –1939, 1939 –1957 Professor der praktischen Philosophie in Lund. Grnder und Herausgeber der Zeitschrift Theoria 1935 –1957. Verfasser von: Logistischer Positivismus, 1931; Zum Methodenproblem in der Erkenntnisforschung, 1933. Der Brief an Petzll liegt in dem Theoria Archiv in der Univeristtsbibliothek, Lund. 20 Hanell, Krister. Klassischer Philologe. – * Husie (Schweden) 08. 08.1904, † 1970. Prom. 1934 in Lund mit einer Arbeit Megarische Studien; danach lehrte er dort klassische Philologie. 19

Editorische Hinweise

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Vielleicht knnen Sie mir noch etwas Nheres ber die &Vetenskaps societet^ in Lund sagen? Handelt es sich hier um eine gelehrte Gesellschaft – oder wrde ich vor einem grsseren Kreis sprechen? Als S p ra ch e kommt wohl nur Deutsch in Frage? An Prof. Ragner Josephson,21 den Vorsitzenden der Gesellschaft, schreibe ich heute – wenn Sie Gelegenheit haben, ihn zu sehen, fragen Sie ihn doch bitte, ob event. auch ein frherer Termin, als die letzten Mrztage, fr die Vortrge in Betracht kme. In diesem Fall knnte ich vielleicht daran denken, sie noch vor der Amerika-Reise zu halten, da ich diese sicherlich nicht vor Mitte Mrz antreten werde. Da die Cassirers erst am 20. Mai nach New York fuhren, konnten die Lunder Vorlesungen im Mrz stattfinden. d) Zur Entstehung der Entwrfe Die hier als Beilagen wiedergegebenen Entwrfe befanden sich am Schluß von Textzeuge E.22 Ihr Gegenstand ist die frhe Leipziger Zeit Goethes, Goethes Verhltnis zur deutschen Sprache sowie die Geschichte der deutschen Sprache. Vermutlich dienten diese Entwrfe der Ausarbeitung der Vorlesung ber diese Zeit (s. im vorl. Bd., S. 55-70), mit der sie inhaltlich berlappen ohne textidentisch zu sein. Diese Entwrfe enthalten oft detailliertere Ausfhrungen als die Vorlesung, z. B. in bezug auf die Diskussion von Goethes Mitschuldigen. Auch manche Einzelheiten finden sich nur in diesen Entwrfen. Vermutlich bestehen diese Entwrfe z. T. aus nicht benutzten Vorlesungsmanuskripten, die fr die Vorlesung zu detailliert geraten waren.23 Ferner geben diese Entwrfe Aufschluß ber Cassirers eigenes Verhltnis zur Sprache und sind Zeugnisse seines Germanistikstudiums. e) Zur Entstehung der studentischen Referate Cassirer legte sein Abitur Ostern 1892 ab und begann sein Studium im SS 1892 an der juristischen Fakultt der Berliner Universitt. Er wechselte schon im WS 1892/ 93 nach Leipzig, wo er hauptschlich Lehrveranstaltungen in Germanistik beJosephson, Ragner. Kunsthistoriker – * Stockholm 08. 03.1891, † Lund 27. 03.1966. Prof. der Kunstgeschichte und Kunsttheorie von 1929 bis 1957 in Lund, Vorsitzender der Vetenskaps-Societeten i Lund. Cassirers in schwedischer Sprache abgefaßter Brief vom 7. 02.1941 an Josephson sowie ein auf deutsch geschriebener Dankesbrief an ihn vom 27. 3.1941 befinden sich in der Universittsbibliothek in Lund. 22 Bl. 209, 236, 210 –214; 216 –224, 35, 225, 248, 226 –234, 237, 236, 238; 243 –244. 23 Ein Hinweis am Anfang der Ausfhrungen zur Geschichte der deutschen Sprache deutet darauf hin: Ich muss Sie daher fr das Folgende um Ge d ul d und um Ihre freundl[iche] Nachsicht bitten – Siehe im vorl. Bd., S. 338. 21

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suchte.24 Gleich danach, im SS 1893, wechselte er nach Heidelberg, wo er nur noch Lehrveranstaltungen zur deutschen Literatur und Germanistik belegte. Dort entstanden diese beiden Texte, die die frhesten bekannten akademischen Arbeiten Cassirers darstellen. Die Entstehung der beiden Referate erwhnt der damals 19-jhrige Cassirer in einem Brief ber sein Studium an seinen Cousin Bruno25, der mit Heidelberg, 10. Juli 1893 datiert ist. Darin heißt es: Solltest Du vielleicht aus allgemein menschlichen Interesse zu erfahren wnschen, was ich eigentlich hier treibe, so vernimm mit Andacht, daß ich augenblicklich mit einer grßeren Arbeit beschftigt bin ber die Lustspieltechnik Gellerts – das ist der Mann mit: Lebe wie Du wenn Du stirbst26 – , vorher hatte ich die angenehme Aufgabe eine Analyse von 38 deutschen Ritterdramen des 18ten Jahrhunderts durchzulesen und darber zu referieren.27 Diese Arbeiten sind wahrscheinlich fr die in jenem Semester von Prof. Max Freiherr von Waldberg28 am germanisch-romanischen Seminar geleiteten Seminare entstanden, an denen Cassirer teilnahm: Lesung und Erklrung ausgewhlter Schriften aus der Sturm- und Drangperiode und Die deutsche Litteratur im klassischen Zeitalter.29 Cassirers Abgangszeugnis der Universitt Leipzig datiert vom 27. Februar 1893, fhrt folgende Lehrveranstaltungen in Germanistik auf: Geschichte der Litteratur bei Biedermann, Mittelhochdeutsch bei Sievers und Gotische Grammatik bei v. Bahder. Außerdem besuchte Cassirer in drei anderen Fcher jeweils eine Lehrveranstaltung: Pandekten I bei Kuntze, Geschichte der Philosophie bei Seydel und Psychologie bei Wundt. 25 Cassirer, Bruno. Verleger. – * Breslau 12.12.1872, † Oxford 20.10.1941. Bruno Cassirer war Ernst Cassirers Vetter. Er wurde spter u.a. als Kunstbuchverleger bekannt und publizierte die philosophische Werke sowohl Ernst Cassirers als auch Hermann Cohens. 26 Siehe Gellert: Vom Tode, in: Geistliche Lieder und Oden. In: Ders.: Smmtliche Schriften, Bd. 2, S. 140 –42, Beginn der zweiten Strophe, S. 141: Lebe, wie du, wenn du stirbst, / Wnschen wirst, gelebt zu haben. 27 Cassirer an Bruno [Cassirer], Heidelberg, 10. 07.1893. Der Brief befindet sich in der Beinecke Bibliothek. 28 Max Freiherr von Waldberg. Professor der Germanistik in Heidelberg. – * 1858, † 1938. Waldberg wirkte mit bei der WA; s. Die Wahlverwandtschaften. In: Abt. 1, Bd. 20, 1892 erschienen. 29 Cassirers Teilnahme an diesen Lehrveranstaltungen ist belegt durch ein Studien- und Sittenzeugnis fr das Sommer-Halbjahr 1893, ausgestellt von der Grossherzogliche Badisch’e Universitt Heidelberg, das die besuchten Vorlesungen auflistet. Dieses Zeugnis befindet sich im Universittsarchiv der Universitt Heidelberg. Es fhrt folgende von Cassirer besuchten Lehrveranstaltungen auf, die auch in der Anzeige der Vorlesungen, welche im SommerHalbjahr 1893 auf der Grossh. Badischen Ruprecht-Karls-Universitt zu Heidelberg gehalten werden sollen, S. 22 –24 wie folgt angekndigt wurden: Die deutsche Litteratur im klassischen Zeitalter, bei Waldberg; Geschichte des Romans in Deutschland, bei Waldberg; Kritische Vortrge ber Goethe’s Faust, bei [Kuno] Fischer; Deutsche bungen: a.: Anleitung zu litterarhisto24

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Cassirer hat nur ein Semester (SS 1893) in Heidelberg studiert. Danach wechselte er erneut den Studienort, diesmal wieder nach Berlin, wo er fr drei Semester an der philosophischen Fakultt eingeschrieben war. Whrend dieser Zeit besuchte er hauptschlich Lehrveranstaltungen zur Germanistik. Er nahm 1893 –1895 an fnf Lehrveranstaltungen allein bei Erich Schmidt teil.30 Seit 1895 war Cassirer auch Mitglied der Goethe-Gesellschaft.31 Cassirers Interesse an Goethe geht auf seine Schulzeit zurck. Die Tatsache, daß er sich in den hier publizierten Gteborger Vorlesungen in bezug auf das Jahr irrte, in dem er Goethes Die Mitschuldigen im Deutschen Theater in Berlin gesehen hat (er sagt 1894 anstatt 1891), ist nach fnfzig Jahren nicht verwunderlich,32 zeigt aber, wie lange Cassirers Interesse an Goethe bestand. Whrend Cassirers Aufenthalt an der Yale University war er mit Mitgliedern des German Departments in Kontakt.33 Er besuchte Kolloquien des German Departments und sprach dort mindestens zweimal selbst.34 Ein junges Mitglied, Heinz Bluhm,35 publizierte gleich nach Cassirers Tod einen Aufsatz, der wohl auf mndlichen Mitteilungen Cassirers basierte. In seinem Aufsatz referierte Bluhm die Grnde Cassirers fr dessen Wechsel von der Germanistik zur Philosophie: Skeptisch ber Erich Schmidts deutsche Philologie wie Nietzsche einst ber Friedrich Wilhelm Ritschls klassische Philologie wandte sich der junge Cassirer zur Philosophie, ohne doch der Philologie, seiner ersten Liebe, wesentrischen Arbeiten und b.: Lesung und Erklrung ausgewhlter Schriften aus der Sturm- und Drangperiode, bei Waldberg; Gothische Grammatik nach W. Braune’s Gothischer Grammatik, 3. Aufl. Halle 1887, bei Osthoff; Ueber das Nibelungenlied, bei Braune. 30 Laut Cassirers Anmeldebuch der Kniglichen Friedrich-Wilhelms-Universitt zu Berlin (Beinecke, GEN MSS 355, Box 6, folder 154), nahm Cassirer an folgenden testierpflichtigen Lehrveranstaltungen bei Erich Schmidt in Berlin teil: WS 1893/94: Goethe und Schiller und Das deutsche Drama im 19ten Jahrhundert; SS 1894: Deutsche Litteratur im 16ten Jahrhundert und Poetik; WS 1894/95: Deutsche Litteratur von Klopstock bis Schiller. 31 Cassirers Name wird in der Mitgliederliste (unter Berlin) in den Jahresberichten der Goethe-Gesellschaft im Goethe-Jahrbuch ab 1895 (Bd. 16, S. 22) aufgefhrt. 32 Cassirer wuchs in Breslau auf, hatte aber Berliner Verwandtschaft und war dort schon als Junge oft zu Besuch. 33 Es lehrten dort damals u. a. Adolph B. Benson, Leonard Bloomfield, Heinz Bluhm, Carl Schreiber, James F. White und Hermann J. Wiegand. 34 Siehe dazu unten, S. 397. 35 Bluhm, Heinz. Germanist. – * 1907, † 1993. Zur Zeit von Cassirers Aufenthalt an der Yale University assistant professor am dortigen German department. Bluhm sprach die Einladung an Cassirer aus, am 25. 01.1944 vor dem Yale German Club zu sprechen, bei welchem Anlaß er einen Vortrag ber Goethe und Kant hielt. Siehe GEN 98, Box 40, folder 796. Der Text beginnt auf S. 1 wie folgt: Als Herr Bluhm mir vor zwei Wochen die freundliche Einladung Ihres Departments berbrachte vor Ihnen zu sprechen habe ich als Gegenstand dieses Vortrags kurzer Hand das Thema G o et h e un d Kan t genannt.

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lich untreu zu werden. ... Ganz abgesehen davon, daß die fhrenden Germanisten dem Goethezeitalter in seinen zum tieferen Verstndnis unerlßlichen philosophischen Grundlagen ziemlich fremd gegenberstanden, verwandten sie im großen und ganzen ihre Energie zu hufig auf nebenschliche, bestenfalls anzillarische Dinge, die sie zu oft in einer Art behandelten, als ob sie Eigenwert besßen.36 5. Zu den Textzeugen Erstes Ms. zu Der junge Goethe (Textzeugen A und B und Ts. Textzeuge C) In der ersten Inventur des Cassirer-Nachlasses, durch John Bacon im Oktober 1965, wurden zwei Textzeugen mit dem Titel Der junge Goethe verzeichnet: ein Ms. und der Durchschlag eines Ts. Bacons Beschreibung lautete (er bersetzte den Titel ins Englische): YOUNG GOETHE Lecture, Gteborg, 2. Oct. 194 pp. – Ms. 93 pp carbon of typescript. Dieses Konvolut mit beiden Textzeugen erhielt die Nummer 204. Beide Textzeugen befanden sich zusammen in einem Umschlag (fr 8 x 11 inch Papier), auf dem in Toni Cassirers Handschrift zentriert steht: Der junge Goethe 1940/41; darunter schrieb Bacon in rotem Kugelschreiber: (umkreist) 204; in der oberen linken Ecke in Toni Cassirers Handschrift steht: Reise Amerika.37 Das Ts. entstand hchstwahrscheinlich auf Grund einer Initiative von Toni Cassirer nach dem Tod ihres Mannes. Als Cassirer und seine Frau die berfahrt nach Amerika im Jahre 1941 antraten, deponierte er seine in Schweden entstandenen Mss. in Gteborg.38 Dazu gehrten, neben dem Ms. zu EP 4, sicherlich auch die unpublizierten Goethe-Vorlesungen. Frau Cassirer holte den Nachlaß ihres verstorbenen Mannes im Jahre 1946 nach New York. Dort versuchte sie bersichtlichkeit zu schaffen, indem sie die berschriften, die sie auf den Mss. fand, auf die Umschlge kopierte, in denen diese aufbewahrt waren. Frau Cassirer hat in mindestens einem Fall einen Text aus dem Nachlaß ihres Mannes (laut mndlicher Auskunft von Paul Oskar Kristeller, mit dessen Hilfe) fr die Publikation vorbereitet und auch verffentlicht. Dieser Text (ber Pico della Mirandola) erschien i. J. 1959 in einer Publikation namens Agor.39 Frau Vgl. Heinz Bluhm: Ernst Cassirer und die deutsche Philologie, in: Monatshefte fr Deutschen Unterricht. A Journal devoted to the Interests of the Teachers of German in the Schools and Colleges of America 37, Nr. 7 (November, 1945), S. 466 –474. Zitat von S. 468, 472. 37 Seit der Katalogisierung des Cassirer-Nachlasses in den Jahren 1989 –1990 und seiner Aufnahme in die Bestnde der Beinecke Bibliothek, wird das Ms. Der junge Goethe in Box 41, folder 806 und der Durchschlag des Ts. in Box 41, folder 807 aufgehoben. 38 Siehe ECN 1, S. 279 f. 39 Es handelt sich dabei um einen Teil von Cassirers Text Die Philosophie Giovanni Picos della Mirandola und ihre Stellung in der allgemeinen Ideengeschichte (GEN Mss 98, Box 47, folders 930 –37). Er erschien unter dem Titel 36

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Cassirer ließ vermutlich auch das Ms. von dem an der Yale University i. J. 1942 gehaltenen Vortrag Bemerkungen zum Faustfragment und zur Faustdichtung40 abtippen, denn sie schickte den Durchschlag 1960 an die gleiche Zeitschrift. Er wurde aber offenbar nicht verffentlicht. Es gibt einige Indizien dafr, daß Frau Cassirer das Ms. der ersten drei Vortrge von Der junge Goethe in New York ebenfalls abtippen ließ, um auch diese Texte fr eine Publikation vorzubereiten. Es finden sich im Ms. neben Cassirers Paginierung auch Paginierungen mancher Abschnitte in Toni Cassirers Handschrift. Das Ts. und der Durchschlag sind beide mit Bleistift in Toni Cassirers Handschrift paginiert und enthalten Verbesserungen, die eindeutig in ihrer Handschrift (z. B. auf S. 9) gemacht worden sind. Es finden sich aber weder im Ts. noch im Durchschlag Verbesserungen oder andere Hinweise in Ernst Cassirers Handschrift, wie es sonst bei den erhaltenen Tss. seiner Mss. der Fall ist.41 Solche Eingriffe Cassirers wren zu erwarten gewesen, denn das Ts. weicht an diversen Stellen von dem Ms. ab. Die Transkription lßt gelegentlich nicht nur eingeschobene Worte im Ms. aus, sondern es werden manchmal mehrere Worte oder ganze Stze im Ts. nicht erfaßt. Cassirers Ergnzungen am Rand des Ms. werden gelegentlich bersehen oder am falschen Platz eingefgt. An einigen Stellen wurde Platz im Ts. gelassen, damit im Ms. schwer lesbare Worte hier nachgetragen werden knnen, was nicht geschehen ist. Abgekrzte Worte im Ms. wurden im Ts. ohne Nachweis ergnzt, in einigen Fllen wurden Worte bzw. Wortendungen falsch transkribiert oder ganz ausgelassen.42 Abstze sind ge-

“ber die Wrde des Menschen” von Pico della Mirandola, in: Agor. Eine humanistische Schriftenreihe. In Verbindung mit dem Ludwig-Georgs-Gymnasium, Darmstadt, Jg. 5, Nr. 12 (Juni 1959), S. 48 –61. Der vollstndige Text wird in ECN 14 erscheinen. 40 Das Ms. befindet sich heute in GEN Mss 355, Box 1, folder 6. Das Ms. und Ts. dieses Vortrages hat Anne Appelbaum i. J. 1992 gefunden. Auf dem Umschlag des Ts. steht in Toni Cassirers Handschrift: Faustvortrag Yale / Germanic Club 4.14.1942 / Ein Durschlag und erste Manuskript Seite der Agora geschickt / Jan 1960. Vgl. zu diesem Vortrag oben, S. 376, Anm. 4. 41 Cassirer hat sonst die Tss. seiner Mss. selbst korrigiert. Dies gilt auch fr sptere Arbeiten wie Fundamental Types of Philosophical Anthropology (Box 10, folder 182); Kant und Rousseau (Box 32, folder 625); Lectures on Greek Philosophy (Verene) sowie fr die frheren, publizierten Texte. 42 Z. B., der Satz Aus allen diesen Formen der Selbstbiographie fllt Goethes »Dichtung und Wahrheit« heraus – und keiner lsst sie sich ohne Einschrnkung einordnen. (S. 49 im Ms.) wird in dem Ts. (S. 33) wie folgt wiedergegeben: Aus allen diesen Formen der Selbstbiographie fllt Goethe heraus, keiner lsst sie sich ohne Einschrnkung einordnen. Auf S. 13 des Ts. (nach »D ie En tde ckun g der Antike«) werden folgende Stze ausgelassen: Er findet sich wie d er. “Ich habe mich in dieser 1 ˛ jhr[igen] Einsamkeit selbst wieder gefunden – aber als was? Als Knstler![”] – So sehr war ihm dieses sein Zentrum entglitten, daß er fast verwundert war, sich als Knstler wiederzufinden! Diese Stze hatte Cassirer zwischen den Zeilen und am Rand dem Text hinzugefgt.

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macht worden, die im Ms. nicht vorkommen. Das Ts. folgt gelegentlich der Reihenfolge der Bltter anstatt Cassirers eigenhndige Paginierung im Ms. zu beachten.43 Ein Vergleich zwischen dem Ts. (Textzeuge C) und dem Ms. (Textzeuge A) der ersten drei Vortrge zeigt, daß einige Bltter des Ms. nach der Herstellung des Ts. abgetrennt wurden. Diese Bltter (Textzeuge B, S. 36 –41 = Ts. S. 83–93) befanden sich schon im Jahr 1965 bei der ersten Erfassung des Nachlasses nicht mehr mit dem sonstigen Ms. in Umschlag 204, sondern in einem anderen Umschlag (213). Damals beschrieb John Bacon den Inhalt des Umschlags 213 bei seiner Erfassung wie folgt: GOETHE AND SPINOZA a few notes and drafts. In der zweiten Erfassung des Nachlasses in den 1980er Jahren durch Timothy Kircher wurde die Zusammengehrigkeit der in Umschlag 213 befindlichen Seiten mit dem Ms. von Der junge Goethe in Umschlag 204 erkannt. In Kirchers Erfassung steht: E n ve l o p e # 213 : pp. 36 –41 of ms. in # 204, I. Seine Beschreibung von Umschlag 204 sagt: E n vel o p e # 2 04 : I. Full-page German lecture ms., dated Gteborg, 68 pp. with additions; concludes with a one pg. select bibliography of Cassirer’s writings in 1942/43 / II. Typescript based on the above ms., 93 pp., incomplete, varies slightly from the ms. at the end. Das Ms. in Umschlag 213 [folder 798] (paginiert S. 36 –41) setzt das Ms. in Umschlag 204 [folder 806] fort (paginiert S. 1 –35). Das Papier, sein Format, die Tinte, Schriftduktus und Aussehen beider Mss. stimmen berein, die Paginierung in Cassirers Hand ebenfalls durchlaufend (S. 1 –35 und S. 36 –41). Bei der Herstellung des Ts. lagen diese Texte wohl noch alle zusammen. S. 37 fehlt (in Box 40, folder 798), aber das Ts. gibt auch den Text dieser fehlenden Seite wieder (Ts. S. 87 –88). Fund von 1991 Das gefundene Konvolut beginnt mit den Texten fr die von Cassirer zuletzt gehaltenen Lunder Vorlesungen, gefolgt vom Ms. zur letzten Gteborger Vorlesung, berschrieben: Letzte Vorlesung mit dem Datum 12. 3. 41. Eine Woche spter, am 19. 03., hielt er die erste Lunder Vorlesung. Wahrscheinlich hat Cassirer einen Teil der letzten Gteborger Vorlesung auch in seiner letzten Lund Vorlesung verwendet, bzw. die letzte Vorlesung in Gteborg nach einer Textvorlage gehalten, die er bewußt als Schluß fr beide Vorlesungsreihen geschrieben hat. In der Textvorlage fr die letzte Gteborger Vorlesung steht nmlich am Rand (Bl. 45v) in der gleichen Tinte wie der im Ms. benutzten: N.b, das Z. B., S. 14 des Ts. bringt nach S. 6v des Ms., die eingeschobenen Manuskriptseiten c, d, e, f, a, b, obwohl diese eindeutig falsch eingelegt sind und in die Reihenfolge a, b, c, d, e, f gebracht werden sollten. Dieser Fehler fhrt dazu, daß im Ts. der ersten Vorlesung auf S. 17 ein Satz steht, der nach Cassirers eigener Paginierung zur zweiten Vorlesung gehrt und auch in der ersten Vorlesung keinen Sinn macht: Ich habe das letzte Mal von einer Harmonie gesprochen, die zwischen Goethes eigener Entwicklung und der Entwicklung der deutschen Litteratur und Geistesgeschichte bestand. 43

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Folgende nur fr L un d ! Diese Randbemerkung ist mit Bleistift gestrichen. Dies zeigt, daß Cassirer diese letzte Gteborger Vorlesung teilweise mit der Absicht einer doppelten Verwendung schrieb. Das Ende dieser Schlußvorlesung ist sowohl physisch als auch inhaltlich erkenntlich: physisch, weil es sich am Ende einer Lage (Bl. 51r) befindet, inhaltlich wegen des rhetorischen Schlusswortes: S o l i n v i c t u s ! Die danach im Konvolut folgenden Mss. gehren alle zur Gteborger Vorlesung. Sie sind nicht mehr in der Reihenfolge berliefert worden, in der sie gehalten wurden. Der hierbei erste Text (ab Blatt 52r) trgt die berschrift: Vierte Vorlesung. Lilly Schnemann. Da es mehrfach belegt ist, daß Cassirer in Lund nur drei Vorlesungen hielt, handelt es sich nachfolgend um Vorlagen fr die Gteborger Vorlesung.44 Der Gteborger Vorlesungszyklus war chronologisch, orientiert an Goethes Biographie, aufgebaut. Im gefundenen Konvolut finden sich aber ausgeschriebene Texte ber die frhe Leipziger Zeit Goethes erst auf Bl. 216 ff., whrend die Materialien fr die Letzte Vorlesung (datiert mit 12. 3. 41) schon auf Bl. 36 beginnen. Maßgebend fr die Textkonstitution in der vorliegenden Ausgabe ist daher die Reihenfolge der gehaltenen Vorlesungen und nicht die Reihenfolge der Mss. in dem Konvolut. Neben dem Diarium halfen bei der Rekonstruktion der richtigen Reihenfolge auch Cassirers eigenhndige Paginierungen (soweit vorhanden), seine berschriften, Einfgungszeichen, Verweise und Randbemerkungen sowie andere, unten erluterte Dokumente (s. 7. Zur Anordnung der Texte im vorliegenden Band). Cassirers Randmarkierungen in seinen Handexemplaren der Weimarer und Loeper Ausgaben von Goethes Werken, die sich heute im Besitz der Beinecke Rare Book und Manuskript Library45 befinden, zeigten in manchen Fllen, welche Zitate er in den Vorlesungen verwendet hatte. Wegen der Fehlerhaftigkeit des Ts. wird es nur herangezogen, um die Lcke (S. 34 –35) zu schließen, fr die es keine Handschrift gibt. 6. Die Goethe-Vorlesungen im Zusammenhang mit anderen Nachlaßtexten Cassirer hat sich nach seiner Emigration aus Deutschland immer wieder mit Goethe befaßt.46 Bald nach Beginn seiner Ttigkeit in Oxford, wo er ab dem 1. Oktober 1933 als Chichele Lecturer am All Soul’s College wirkte, trug er sich als Leser in der Taylor Institution Bibliothek in Oxford ein.47 An dieser neusprachlichen Forschungssttte standen ihm reichhaltige germanistische Bestnde zur Verfgung. Schon am 5. Februar 1934 hielt er am Taylor Institution einen Dies ist teilweise durch eigenhndige Randbemerkungen Cassirers bezeugt (s. 130r: Goethe-Vorlesungen / Gteborg 1940/41). 45 Die WA trgt die Signatur 1994 890; Loeper trgt die Signatur 1994 891. 46 Alle hier erwhnten unpublizierten Goethe-Vortrge Cassirers erscheinen in ECN 10. 47 Cassirer trug sich am 14. Dezember 1933 in das dortige Register of Readers ein. 44

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Vortrag: Goethes Idee der Bildung und Erziehung.48 Am 12. Februar 1934 begann er, ebenfalls im Taylor Institution, eine Reihe von vier Vortrgen zum Thema Goethes Idee der inneren Form.49 Ein Jahr spter (Januar bis zum 19. Februar 1935), hielt er am Bedford College, London, drei weitere Vorlesungen zum Thema Goethes Idee der inneren Form.50 Cassirer hatte whrend dieser Zeit Kontakte zur English Goethe Society und hielt am 28. Februar 1935 am King’s College, London, einen Vortrag vor dieser Gesellschaft ber Schiller.51 Im Jahr 1935 verlagerte Cassirer seine Wirkungssttte nach Schweden, wo er vom 1. 9.1935 bis zu seiner Emeritierung am 31. 8.1940 Professor der Philosophie in Gteborg war. Auch in Schweden befasste er sich sogleich mit Goethe. Schon bei seinem ersten Besuch in Schweden im September 1934 hielt er einen Vortrag ber Goethe und Plato52 bei den Literaturwissenschaftlern an der Universitt in Stockholm. In Gteborg hielt er, neben seinem regulren Unterricht, gelegentlich ffentliche Vorlesungen (Offentliga frelsningar). Seine erste ffentliche Das Ms. (40,800 [Bacon 164], 12 unpaginierte S.) trgt in Cassirers Handschrift folgende Identifikation: Goethes Idee der Bildung und Erziehung, Oxford, Taylorian Institution, 5.II.34. 49 Das Ms. (40,801–802 [Bacon 164a]) trgt in Cassirers Handschrift folgende Identifikation: Goethes Idee der inneren Form, Vortrge gehalten in O x fo rd , German Seminar, Fe br ua r 19 34 . In der Oxford University Gazette vom 17. 01.1934 steht unter den Notices of Professors, Readers and University Lecturers folgende Information: Dr. ERNST CASSIRER formerly Professor of Philosophy in the University of Hamburg, will lecture (in German) for the Professor on Mondays at 12 noon beginning on Monday, 12 February, in the Taylor Institution. Subject: Goethes Idee der inneren Form. Diese Ankndigung wurde wiederholt in den Ausgaben vom 24. Januar, 31. Januar und vom 7. Februar. Bei der letzten Ankndigung der Vorlesung wurde ein grßerer Sitzungsraum angegeben: Lecture by Dr. E. Cassirer in the Ashmolean Museum. 50 Das Ms. (41,803 –805 [Bacon 164b]) trgt in Cassirers Handschrift folgende Identifikation: (Vorlesung I:) G o e t h e s I d e e d e r i n n e re n Fo r m / Vortrag – Bedford College, London, Januar-Februar 1935.; (Vorlesung II:) Go e th es I d ee d er i n n eren Fo r m / Vorles: Bedford College, London, Januar-Februar 1935.; (Vorlesung III:) G o e t h e s I d e e d e r i n n e re n Fo r m / Bedford-College; London; 19.Februar 1935 (Dritte Vorlesung: Dichtung). 51 Der Vortrag wurde publiziert als: Schiller und Shaftesbury. In: Publications of the English Goethe Society. New Series. Bd. 11. 1935. Papers read before the Society 1935. Edited by L. A. Willoughby. S. 37 –59. 52 In einem Brief Cassirers an Martin Lamm (Oxford, 3. 4.1935), erwhnt er (S. 2) seinen vorjhrigen Vortrag ber Goethe und Plato. (Der Brief befindet sich in der Kungl. Biblioteket Stockholm). Martin Lamm (1880 –1950) war Professor der Literatur in Stockholm. Daß Cassirer im September Schweden besuchte, geht aus seinem Brief an Anders Karitz (Briefkopf: Hotel Excelsor, datiert mit Stockholm, den 6. 9.1934) hervor, in dem er ihm mitteilt, daß ich gestern in Schweden eingetroffen bin. (Der Brief befindet sich in der Uppsala Universitetsbibliotek). Anders Karitz. – * Snnarslv (Schweden) 28. 02.1881, † Uppsala 10. 02.1961. 1934 –46 Professor der Philosophie in Upp48

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Vorlesung galt Goethe. Sie wurde v rterminen (SS) 1936 gehalten und trug, laut Vorlesungsverzeichnis, den Titel: Die Idee der inneren Form in Goethes Dichtung und Naturanschauung.53 Zu dieser Vorlesung wurde bisher kein Ms. gefunden, was wahrscheinlich daran liegt, daß Cassirer auf seine in England fertiggestellten Vorlesungstexte zu dieser Thematik zurckgriff und diese als Grundlage fr die Gteborger Vorlesung verwendete. Cassirer hielt auch nach seiner bersiedlung in die USA zwei weitere GoetheVortrge: Bemerkungen zum Faustfragment und zur Faustdichtung (gehalten beim Germania Club, Yale University, New Haven am 14. 4.1942) und Goethe und Kant (gehalten am 25.1.1944 beim German Department an der Yale University). Diese Vortrge waren Cassirers letzte Arbeiten zu Goethe.54 7. Zur Anordnung der Texte im vorliegenden Band Maßgebend fr die hier erfolgte Anordnung der Vorlesungen ist die Reihenfolge, in der sie gehalten wurden. Neben Cassirers eigenhndigen berschriften, Paginierungen und Randbemerkungen geben vier Dokumente Aufschluß ber den Verlauf der Gteborger Goethe-Vorlesungen: (1) Cassirers eigenhndige Angaben ber den Verlauf von Der junge Goethe im universitren Tagebuch (Diarium), (2) Toni Cassirers Beobachtungen ber diese Vorlesungen in ihrem Buch Mein Leben mit Ernst Cassirer, (3) eine kurze Beschreibung der Vorlesungen von einem studentischen Zuhrer (Gsta Lundstrm) in der studentischen Zeitschrift Gteborgske Spionen55 und (4) ein Brief an den Herausgeber von einem damaligen Hrer (ke Elmquist). Cassirer hat vermutlich zuerst einen Gesamtentwurf von Der junge Goethe geschrieben (Ms. 1 = Textzeugen A und B) und dann, beginnend mit der fnften Vorlesung, das ganze im Detail ausgearbeitet (Ms. 2 = in Textzeuge E). Das ußerliche Erscheinungsbild der beiden Mss. macht ihre Verschiedenheit deutlich: Ms. 1 (Textzeugen A und B) besteht aus ungefalteten Bl. von 22,5 x 28,5 cm, whrend Ms. 2 (in Textzeuge E) aus Bl. von 24 x 37 cm, die zu Lagen von 24 x 18,5 cm gefaltet und auf vier Seiten beschrieben sind, besteht. Im ersten Ms. sind nur die ersten drei Vorlesungen vollstndig ausgeschrieben; diese Vorlesungen fehlen im zweiten Ms. Das erste Ms. enthlt Darstellungen zu Themen aus beiden Semestern, aber es fehlen darin einige der im zweiten Semester ausfhrlich Sie fand (laut Vorlesungsverzeichnis) unter diesem Titel am 3., 6., 10. und 13. Mrz (mars kl. 7 e. m.) in Rum 10 der Hochschule statt. 54 Alle genannten Texte wurden bei der Bearbeitung dieser Vorlesungen herangezogen, um Literaturangaben und anderen Details zu berprfen. Herangezogen wurden außerdem: Konvolute 84c (Kant und Rousseau, Ms., 97 S.), 96c (Goethes Idee der Bildung und Erziehung), 123 (Goethes Idee der Bildung und Erziehung), 162a (Goethe und Kant), 164a-c (Notizen zu Goethe). 55 Gsta Lundstrm: Cassirer och Goethe, in: Gteborgske Spionen. Organ fr Gteborgs Hgskolas Studentkr, N:o 1, rg. 6, Gteborg, Mars 1941, S. 9 –10. 53

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behandelten Themen (z. B. Lilly Schoenemann). Das zweite Ms. beginnt mit Aufzeichnungen zum Thema der fnften Vorlesung des ersten Semesters. Gerade die im zweiten Semester besprochenen Themen sind im zweiten Ms. ausfhrlich dargestellt und oft vollstndig ausformuliert. Die im zweiten Ms. enthaltenen Texte zum zweiten Semester sind von Cassirer manchmal datiert und oft genau identifiziert. Toni Cassirer schreibt in ihrem Bericht ber die Gteborger Goethe-Vorlesungen, daß nur die ersten drei Vortrge des ganzen Kurses im Manuskript vorhanden sind,56 was mit dem berlieferten Ms. 1 insofern bereinstimmt, als darin nur die ersten drei Vorlesungen gut ausgearbeitet und die Ausfhrungen zur 4. Vorlesung (Elternhaus und Kindheit) skizzenhaft sind. Danach gibt es, neben skizzenhaften Ausfhrungen zu weiteren Vorlesungen, auch beinahe fertig ausformulierte Texte zu weiteren Themen der ganzen Vorlesungsreihe, d. h., auch zu Themen, die, laut Tagebuch, erst im zweiten Semester behandelt wurden (etwa Gtz oder Werther). Frau Cassirer hatte vielleicht noch nicht die restlichen Texte zu Ms. 1 gefunden, als sie ihre Erinnerungen schrieb (sie datierte sie mit Mrz 1948-Dezember 1950). Gewiß dagegen ist, daß sie noch nicht das viel umfangreichere zweite Ms. (Fund von 1991) mit den restlichen, gut ausformulierten, Mss. zu Der junge Goethe zu diesem Zeitpunkt gefunden hatte. Der Gegenstand der Gteborger Vorlesung war Cassirer, trotz seiner in der ersten Vorlesung geußerten Zurckhaltung hinsichtlich einer ihm angeblich neuen Thematik,57 aus seiner fnfzig-jhrigen Beschftigung mit Goethe ußerst vertraut. Die Tatsache, daß er diese Vorlesungen berhaupt schriftlich ausarbeitete, steht nicht notwendigerweise im Widerspruch zu Toni Cassirers Bemerkung, daß er die Vorlesungen frei sprach. Denn gerade zu Goethe htte Cassirer eine Vorlesung ohne weiteres frei halten knnen. Die schriftliche Ausarbeitung galt mglicherweise einer spteren Publikation. Cassirers gelegentliche Verwendung der berschrift Kapitel, zustzlich zur berschrift Vorlesung, deutet vielleicht auf eine solche geplante Verwendung hin. Beginnend mit der Thematik der fnften Vorlesung des ersten Semesters (Goethe und Leipzig) gibt es inhaltlich hnliche, aber keineswegs textidentische Darstellungen in beiden Mss. Daher stellt sich die Frage, welche Textvorlage der jeweiligen Vorlesung zugrundegelegt wurde. Die unten erluterten Vergleiche der beiden Mss. lassen die Vermutung zu, daß Cassirer die Texte im zweiten Ms. in der Regel auch im ersten Semester (Vorlesungen 5 –8) als Vorlage fr die Vorlesungen gedient haben. In dieser Ausgabe werden nur die ersten vier Vorlesungen des ersten Semesters nach dem ersten Ms. gebracht; alle andere Vorlesungen folgen dem zweiten Ms. Der Rest des ersten Ms. erscheint im Anhang. Diese Verfahrensweise ist aus einer Reihe von Grnden geboten:

Siehe im vorl. Bd., S. 387. Cassirer schreibt: Ich muss fast wie ein junger Privatdozent vor Sie hintreten, der eine fr ihn ganz neue Vorlesung hlt. 56 57

Editorische Hinweise

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Textzeugen fr die ersten vier Vorlesungen gibt es nur im ersten Ms. (Textzeuge A). Die Textzeugen fr die fnfte Vorlesung (Goethe und Leipzig) sind in beiden Mss. ungefhr gleich gut ausgearbeitet, aber keineswegs textidentisch. Z.B. enthlt der Text im ersten Ms. eine viel eingehendere Darstellung von Gellerts Wirken als der Text im zweiten Ms. (Textzeuge E), whrend der Text im zweiten Ms. eine Darstellung der deutschen Sprachentwicklung beinhaltet, die im ersten Ms. nicht vorkommt. Rein ußerlich gibt es keinen eindeutigen Anhaltspunkt, um einen der beiden Texte als Vorlesungstext zu bezeichnen. ke Elmquist berichtet ber die von ihm gehrten Vorlesungen: darin ... erschienen Leibniz, Christian Wolff, Alexander Baumgarten mit ihrer sthetik, Gottsched, aber auch Schpflin, der ohne das Buch 11 in D i ch t un g u n d Wa h r h e i t kaum einen Namen htte. Da war auch die Goethe-Philologie, deren bertreibungen und Grndlichkeit ihn belustigten, in welche er sich aber zum Teil vertieft zu haben schien. Die Entstehung des Sprachinstruments seit dem alten Opitz wurde als “starre Form” beleuchtet. Die ersten Leipziger Gedichte nannte er “akademisch elegante Tndelei”, aber das war eine Seite dieser Zeit.58 Im ersten Entwurf der Vorlesung werden Opitz und Leibniz nur in einem Satz erwhnt, im zweiten Ms. hingegen werden sie nher behandelt. Alexander Baumgarten dagegen wird im ersten Ms. gar nicht erwhnt, dafr aber im zweiten Ms. Schließlich ist die Entstehung des Sprachinstruments seit dem alten Opitz im zweiten Ms. nher behandelt als im ersten Ms. Cassirer hat sich bei der fnften Vorlesung also eher an dem zweiten Ms. orientiert, auch wenn er, wie Toni Cassirer bemerkte, frei sprach. Es ist sogar anzunehmen, daß Cassirer bei Der junge Goethe hufiger frei sprach, denn der von Elmquist explizit hervorgehobene Name Schpflins59 kommt in keinem der berlieferten Mss. vor. Bei einer frei gehaltenen Rede sind Ergnzungen oder Abschweifungen normal. Die Texte zur sechsten Vorlesung (Die Mitschuldigen) sind im ersten und zweiten Ms. inhaltlich hnlich, aber der Text im ersten Ms. umfaßt nur zwei Seiten, im zweiten Ms. sieben Seiten. Bei den Texten zu der siebten Vorlesung (Rckkehr nach Frankfurt – Pietistische und okkultische Lektre) finden sich wiederum im ersten Ms. nur zwei (allerdings ausgeschriebene) Seiten Text, whrend es im zweiten Ms., nach einem skizzierten bergang, drei Seiten ber okkultische Literatur gibt, in denen Themen nher behandelt werden, die im ersten Ms. nur angeschnitten worden sind (Agrippa, z. B., wird im ersten Ms. nicht einmal erwhnt). Der hierauf folgende Abschnitt im zweiten Ms. (Vorboten von Straßburg) enthlt Hinweise einer berarbeitung, bzw. Umgestaltung Cassirers (Bl. 186 –188 sollten eingeschoben werden, um die Darstellung von Rousseaus Wirkung auf die deutsche Geistesgeschichte zu ergnzen). Bei der achten Vorlesung (Die geistigen Wurzeln der Sturm- und Drangbewegung – / Rousseau und Herder) sind die Darstellungen im ersten Ms. (S. 16 – Siehe in diesem editorischen Bericht Anm. 12 auf S. 384. Siehe zu Joh. Daniel Schpflin, DuW, 3. Teil, 11. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 28 –31 (WA, Bd. 28, S. 45 –50). 58 59

400

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20) weniger umfangreich als die entsprechenden Texte im zweiten Ms. (Bl. 189 – 200), und auch diese letzteren enthalten Markierungen, die auf die berarbeitung fr einen Vortrag hindeuten (in Bleistift vorgenommene Einklammerungen von einsparbaren Stellen in lngeren Zitaten). Aus diesen Grnden werden nur die ersten 4 Vorlesungen des ersten Semesters nach den im ersten Ms. berlieferten Fassungen gebracht (entsprechende Texte zu diesen Vorlesungen sind im zweiten Ms. auch gar nicht vorhanden), whrend alle weiteren Vorlesungen des ersten Semesters und smtliche Vorlesungen des zweiten Semesters nach den Texten im zweiten Ms. wiedergegeben werden. Der Rest des ersten Entwurfs zur Vorlesung erscheint als Beilage.60 Cassirer verwendete wohl den gleichen Schlußtext (Textzeuge E, Bl. 44–51) fr seine große Gteborger und fr die eine Woche spter beginnende dreiteilige Lunder Vorlesung.61 Dies belegt auch die Beschreibung eines Hrers vom Schluß der Gteborger Vorlesung.62 Dieser Schlußtext erscheint nach dem o. g. Prinzip der Rekonstruktion der Vorlesung am Ende der Gteborger Vorlesungen. Hierauf wird am Ende der Lunder Vorlesungen mit einem Querverweis hingewiesen. Als Beilagen erscheinen, neben der ersten Ausarbeitung der Gteborger Vorlesung, die am Ende von Textzeuge E gesammelten Entwrfe. Die ebenfalls in Textzeuge E vorhandenen Notizzettel werden hier nicht publiziert. Schließlich werden Cassirers studentische Germanistikreferate dargeboten, weil er sich auf sie in den Goethe-Vorlesungen bezieht, und auch weil sie einen eigenen Wert besitzen. Hier nicht verffentlichtes Material (aus Textzeuge E): – Notizzettel: Bl. 126r-129v, 235rv, 239r-242v, 245r-249r. Diese Zettel enthalten skizzenhafte Notizen, die z. T. in die fnfte Vorlesung (ber Goethe und Leipzig) eingegangen sind (S. 57–64 = Bl. 12r-14r). – Bl. 185r. Das Bl. mit einem Einschub (3 Stze und einem Satzfragment) gehrt nicht zu den Goethe-Vorlesungen. – Vorarbeiten: Bl. 209 –213; 236 –238. Diese Notizen enthalten Vorarbeiten fr die fnfte Vorlesung (ber Goethe und Leipzig).

Whrend in den meisten Fllen die Darstellungen im zweiten Ms. ausfhrlicher sind als diejenigen im ersten Ms. (bes. zu Die Mitschuldigen), ist dies im Falle der Darstellungen zu Gellert umgekehrt. 61 Die Lunder Vorlesung begannen nur eine Woche nach dem Schluß der Gteborger Vorlesungen (am 19. 3. 41). Die Letzte Vorlesung der Gteborger Vorlesungen datierte Cassirer mit 12. 3. 41. 62 Gsta Lundstrm: Cassirer och Goethe, in: Gteborgske Spionen. Organ fr Gteborgs Hgskolas Studentkr, N:o 1, rg. 6, Gteborg, Mars 1941, S. 10: Cassirer yttrade i sin sista frelsning, att Goethe fr honom framstr som en sol invictus, ingivande styrka och tillfrsikt. (Cassirer ußerte in seiner letzten Vorlesung, daß Goethe fr ihn als eine sol invictus hervorragt, Strke und Zuversicht eingebend.) 60

A N M E R K U NG E N D E S H E RA U S G E B E R S

1

Einleitung – Goethe als “Befreier”. 2.X.40] Cassirers eigenhndige Bezeichnung und Datierung der ersten Vorlesung in seinem universitren Diarium zu Der junge Goethe, Hstterminen (WS) 1940/41. Auch die in eckigen Klammern wiedergegebenen Vorlesungstitel und Datierungen der folgenden Vorlesungen des WS 40/41 sind diesem Diarium entnommen. Zu diesem Dokument s. den editorischen Bericht im vorl. Bd., S. 385. 2 Sie, Herr Rektor,] Rektor der Universitt Gteborg zu dieser Zeit war Curt Weibull – * 19.08.1886, † 1991. Weibull war 1927-1953 Professor der Geschichte in Gteborg und 1936-1946 Rektor der Universitt. Er verfasste u. a. verschiedene Schriften ber Knigin Christina von Schweden. 3 hier in Gteborg Goethe-Vortrge gehalten] Im v rterminen (SS) 1936 hielt Cassirer eine offentliga frelsningar in Gteborg zu dem Thema Die Idee der inneren Form in Goethes Dichtung und Naturanschauung. Siehe dazu im vorl. Bd., S. 397. 4 Kollegen Lindqvist] Axel Martin Lindqvist – * Malm 15.11.1882, † Gteborg 27.09.1959. Professor der Germanistik an Gteborgs Hgskolas seit 1935. 5 G o e t h e - P h i l o l o g i e ... eingefhrt worden] Siehe Wilhelm Scherer: Goethe-Philologie, in: Im neuen Reich, 1877, Bd. 1, S. 161-178, nachgedruckt in: Aufstze ber Goethe, Berlin 1886, S. 1-27. 6 in meiner eigenen Studienzeit ... kennen gelernt.] Cassirer nahm als Student an Lehrveranstaltungen bei Hauptvertretern der Goethe-Philologie teil, u. a. Woldemar Freiherr von Biedermann, Hermann Grimm, Max Freiherr von Waldberg und vor allem bei Erich Schmidt in Berlin, bei dem er fnf Lehrveranstaltungen belegte. Cassirer wurde ab 1895 als Mitglied der Goethe-Gesellschaft gefhrt (s. die Mitgliederliste im Zehnten Jahresbericht der GoetheGesellschaft. In: Goethe-Jahrbuch, Bd. 16 (1895), S. 22). 7 k r i t i s c h e G e s a m t a u s g a b e vo n G o e t h e s We r k e n ] Cassirers Exemplar der WA befindet sich im Besitz der Yale Beinecke Rare Book und Manuscript Library; s. den editorischen Bericht S. 395. 8 »“Was willst ... an’s Ende«.] Siehe Goethe: Zahme Xenien. I. In: WA, Bd. 3, S. 243, Z. 226-229. 9 “Was auch ... vereint”.] Siehe Goethe: Zahme Xenien. III. In: WA, Bd. 3, S. 279, Z. 728-731. 10 “Du fngst ... die ganze Stadt”.] Siehe Goethe: Faust, Z. 3735-39. 11 Aber von Louvier ... erschpft ist.] Diese Auslegung findet sich in Louvier: Sphinx locuta est, Bd. 1, S. 345-47. 12 “Das Beste, ... erregt”.] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 495, S. 107. 13 “Wer meine Schriften ... Freiheit gewonnen”.] Goethe zu Kanzler von Mller am 5. Januar 1831 in: Goethes Gesprche, Nr. 2907, Bd. 4, S. 318.

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“A n d a c h t z u m K l e i n e n ”] Cassirer verwendete diesen Spruch zur Charakterisierung der Methode Aby Warburgs; vgl. Cassirer: Nachruf auf Aby Warburg, S. 51: Gewiß, Wa r b u r g selbst ist es gewesen, der das Wort geprgt hat: “Der liebe Gott steckt im Detail”. Und in der Andacht zum Kleinen, in der Liebe zum scheinbar Geringfgigsten kam ihm keiner gleich. Er schied nicht zwischen klein und groß; er umfaßte mit gleicher Intensitt und mit gleicher Liebe die großen Meisterwerke der Kunst wie die letzten scheinbar unbedeutendsten Auslufer geistigen und bildenden Strebens. 15 V i s c h e r ... gegen diese Literatur] Siehe Vischer: Die Literatur ber Goethes Faust (1839), in: Kritische Gnge, Bd. 2, S. 199-319. 16 “Ihr knnt ... von Philisternetzen”.] Siehe Goethe: Zahme Xenien. VII. In: WA, Bd. 5.1, S. 103, Z. 289-292. 17 B r u c h s t  c k e e i n e r g ro s s e n K o n f e s s i o n ] Siehe DuW, 2. Teil, 7. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 65 (WA, Bd. 27, S. 110). 18 “Po e t i s c h e r G e h a l t i s t G e h a l t d e s e i g e n e n L e b e n s ”.] Siehe Goethe: Ein Wort fr junge Dichter. In: WA, Bd. 42.2, S. 107. 19 “Kriegslieder ... Bildung verdankte!”] Siehe Goethe zu Eckermann am 10.3.1830 in: Goethes Gesprche, Nr. 2797, Bd. 4, S. 236, dort: ohne Haß? statt ohne Haß. 20 “Wie herrlich ... Du mich liebst.”] Siehe Goethe: Mayfest. In: Morris, Bd. 2, S. 60 f.; als Mailied berschrieben in WA, Bd. 1, S. 72 f., Z. 1-12, 21-35. Wo Cassirer glnzt schreibt, steht in Morris: blinkt, im WA: blickt. Die Hervorhebung von D i c h ist Cassirers. 21 Ein Strom gedrngter ... ununterbrochen von neuem –] Siehe Goethe: Faust, Z. 186-187: Da sich ein Quell gedrngter Lieder ununterbrochen neu gebar ... 22 “indem er, ... frdern wird.”] Siehe Goethe: Ein Wort fr junge Dichter. In: WA, Bd. 42.2, S. 106; vgl. oben, S. 12. 23 »dolce stil nuovo«,] “sßer neuer Stil”. Diese Phrase aus Dante: Purgatorio, Canto xxiv, Zeile 57 (In: La Divina Commedia, hrsg. von Scartazzini, S. 589) wird als Bezeichnung fr den Stil einer Gruppe von italienischen Dichtern des 13. und 14. Jahrhunderts verwendet, deren Gedichte die Liebe und Frauen in einer musikalischen Sprache feierten. Hierzu zhlen Dantes Gedichte an Beatrice in der Vita nuova. 24 »Ich ... entzwei«.] Siehe Goethe: An Kestner. 15. September 1773. In: Morris, Bd. 3, S. 54 (WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 104). 25 Simson, der seine Bande zerreisst.] Anspielung auf: Der Richter 16,7-10. 26 “Ich habe ... Als Knstler!”] Siehe Goethe: An Herzog Carl August. 17. und 18. Mrz 1788. In: WA, Abt. 4, Bd. 8, S. 357. 27 “Aus Italien ... meine Sprache”.] Siehe Goethe: Schicksal der Handschrift. In: WA, Abt. 2, Bd. 6, S. 131. 28 R e i s e t a g e b u c h ... Kopenhagen, Helsingr Frankreich:] Anspielung auf Herder: Journal meiner Reise im Jahr 1769. Eintrag vom 4./15. Juli. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 4, S. 433-36. 29 In diesem Sinne ... S. LVII).] Siehe die Einleitung von Bernays zu Hirzels Ausgabe, Der junge Goethe, Theil 1, S. LVII: Durfte er [Goethe]

Anmerkungen des Herausgebers

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doch sagen, daß nicht er seine Gedichte machte, daß seine Gedichte ihn machten. 30 »praestabilierter Harmonie«.] Leibniz’ Theorie ber das Verhltnis zwischen Seele und Krper bzw. Zwecken und wirkenden Ursachen. Zur Illustration dieser Theorie whlte Cassirer fr seine Leibniz Ausgabe einen Text Leibniz’ von 1696 aus (Extrait d’une Lettre de M. D. L. sur son Hypothese de philosophie .... In: Philosophische Schriften, Bd. 4, S. 500-503), den er mit der berschrift Zur prstabilierten Harmonie versah (In: Hauptschriften, Bd. 2, S. 272-75). Darin (S. 273 f.) erklrt Leibniz, dass diese Harmonie darauf hinausluft, daß durch gttliche, vorausschauende Kunst von Anfang der Schpfung an beide Substanzen in so vollkommener und geregelter Weise und mit so großer Genauigkeit gebildet worden sind, daß sie, indem sie nur ihren eignen, in ihrem Wesen liegenden Gesetzen folgen, doch wechselseitig mit einander in Einklang stehen: genau so als ob zwischen ihnen ein gegenseitiger Einfluß bestnde, oder als ob Gott stets noch neben seiner allgemeinen Mitwirkung im Einzelnen Hand anlegte. In den Goethe-Vorlesungen verwendet Cassirer die Bezeichnung praestabilierte Harmonie im Sinne einer “gemeinsamen Aufgabe”. Diese Auffassung entwickelt er in seiner Einleitung zur Monadenlehre in seiner Leibniz Ausgabe. Siehe Cassirer: Einleitung, in: Leibniz: Hauptschriften, Bd. 2, S. 86 f.: Er [der Gedanke der prstabilierten Harmonie] bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als die Fo r d e r u n g , daß es ein allgemeingltiges und bergreifendes G e s e t z gibt, das die Bewußtseinsinhalte der verschiedenen Individuen gleichmßig beherrscht und sie untereinander vergleichbar macht. Die Einheit einer an sich bestehenden We l t krperlicher Objekte ist uns dahingeschwunden; an ihre Stelle tritt eine gemeinsame R e g e l , die fr alle Subjekte gltig ist. 31 C a e s a r, M a h o m e t , S o k r a t e s , P ro m e t h e u s ,] Goethes Entwrfe zu den Dramen Caesar, Mahomet und Prometheus befinden sich unter diesen Titeln in der WA, aber das Sokrates-Drama ist nicht ber die Planungsphase hinausgekommen, die u.a. in den mit Phdon berschriebenen Bemerkungen (WA, Bd. 37, S. 102-106) dokumentiert wird. 32 “Als Besttigung ... fertig.”] Siehe DuW, 3. Teil,15. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 181 (WA, Bd. 28, S. 311): Indem ich mich also nach Besttigung der Selbstndigkeit umsah, fand ich als die sicherste Base derselben mein produktives Talent. Es verließ mich seit einigen Jahren keinen Augenblick; was ich wachend am Tage gewahr wurde, bildete sich sogar fters Nachts in regelmßiger Trume, und wie ich die Augen aufthat, erschien mir entweder ein wunderliches neues Ganze, oder der Theil eines schon Vorhandenen. Gewhnlich schrieb ich Alles zur frhsten Tageslicht; aber auch Abends, ja tief in die Nacht, wenn Wein und Geselligkeit die Lebensgeister erhhten, konnte man von mir fordern, was man wollte; es kam nur auf eine Gelegenheit an, die einigen Charakter hatte, so war ich bereit und fertig. 33 “Breite Welt und reiches Leben”] Siehe Goethe: Gott und Welt. In: WA, Bd. 3, S. 71; die erste Z. lautet: Weite Welt und breites Leben, ... 34 “d u rc h A n t i z i p a t i o n ”] Siehe Goethe zu Eckermann am 26. Februar 1824 in: Goethes Gesprche, Nr. 2230, Bd. 3, S. 80: So hatte Goethe von Lord

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Byron gesagt, daß ihm die Welt durchsichtig sei, und daß ihm ihre Darstellung durch Antizipation mglich. 35 “Ich schrieb ... besitzen”.] Siehe Goethe zu Eckermann am 26. Februar 1824 in: Goethes Gesprche, Nr. 2230, Bd. 3, S. 79. 36 (1817: cf. Richard M. Meyer S. 3)] Siehe das nicht nachgewiesene Zitat in Meyer: Goethe, S. 3: “Ich mußte”, schreibt er 1817, “mehrmals meine Existenz aus ethischem Schutt und Trmmern wiederherstellen; ja tagtglich begegnen uns Umstnde, wo die Bildungskraft unserer Natur zu neuen Restaurations-Reproduktionsgeschften aufgefordert wird.” 37 “Pyramide seines Daseins”.] Siehe Goethe: An Lavater. 20. September 1780. In: WA, Abt. 4, Bd. 4, S. 299, Z. 9-10: Pyramide meines Daseyns, ... 38 “Diese Begierde, ... hinauf reichen”.] Siehe Goethe: An Lavater. 20. September 1780. In: WA, Abt. 4, Bd. 4, S. 299, Z. 9-18. 39 «Der Mensch ... bringen knne».] Siehe Goethe: Ein Wort fr junge Dichter. In: WA, Bd. 42.2, S. 106, Z. 10-14: daß, wie der Mensch von innen heraus leben, der Knstler von innen heraus wirken msse, indem er, gebrde er sich wie er will, immer nur sein Individuum zu Tage frdern wird. 40 Abschiedsrede,] Siehe Klopstocks Abschiedsrede ber die epische Poesie: cultur- und litterargeschichtlich beleuchtet, sowie mit einer Darlegung der Theorie Uhlands ber das Nibelungenlied begleitet, hrsg. von Albert Freybe, 1868. 41 Musenalmanachs vom Jahre 1796,] Schiller war seit 1796 Herausgeber des Musen-Almanachs; die Xenien sind zuerst in dem Musen-Almanach fr das Jahr 1797 erschienen. 42 “wie ein Nachtwandler”] Siehe DuW, 3. Teil, 13. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 132 (WA, Bd. 28, S. 224): Da ich dieses Werklein ziemlich unbewußt, einem Nachtwandler hnlich geschrieben hatte, ... 43 »Ich mochte mich ... ich war immer allein«.] Siehe Goethe: Biographische Einzelheiten. Aus meinem Leben. Fragmentarisches. Sptere Zeit. In: WA, Bd. 36, S. 231, Z. 23-24, dort: so war ich allein statt: ich war immer allein. 44 Napoleon hat erzhlt ... Pyramiden.] Diese Anekdote verbindet die berlieferung aus zwei Gesprchen: Goethe zu F. von Mller am 2.10.1808 in: Goethes Gesprche, Nr. 1098, Bd. 1, S. 537-540 (S. 538: Werthers Leiden versicherte er siebenmal gelesen zu haben ...) und Goethe zu Eckermann am 7. April 1829 in: Goethes Gesprche, Nr. 2676, Bd. 4, S. 92-95, das von Napoleons Feldzug nach gypten berichtet. 45 »influxus idealis«] Leibniz unterscheidet zwischen einer ideelen und einer physikalischen Beeinflussung. Bei einfachen Substanzen (Monaden) ist nach Leibniz nur eine ideele Beeinflussung durch die Vermittlung Gottes, bzw. die prestabilierte Harmonie mglich (vgl. dazu Hrsg.-Anm. 30). Ein wrtlicher Beleg (influxus idealis) konnte nicht gefunden werden. Die hufigste Formulierung ist influence ideale. Siehe z. B. Leibniz: Monadologie, 51. In: Philosophische Schriften, Bd. 6, S. 615 f. (Leibniz: Hauptschriften, Bd. 2, S. 447). 46 “was frdert ... Lotten auf Glas?”] Siehe Goethe: Epigramme. Venedig 1790. In: WA, Bd. 1, S. 316, Z. 183-184. 47 »marmorglatt und marmorkalt«.] Diese Bezeichnung geht auf eine Bespre-

Anmerkungen des Herausgebers

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chung von Goethes Die natrliche Tochter durch Ludwig Ferdinand Huber (1764-1804) zurck. Siehe Huber: Die natrliche Tochter. Trauerspiel von Goethe. In: Ders.: Werke, Bd. 2, S. 240: Wir mgen es nicht bergen: wir empfanden mitunter die Poesie der n a t  r l i c h e n To c h t e r ziemlich so marmorglatt und marmorkalt, wie wir uns die poetischen Sle des poetischen Herzogs oder Knigs in diesem Drama dachten; ... 48 “wahren Statthalter ... auf Erden”.] Siehe Novalis: Fragmente, Fragment 2020. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 4, S. 239: Daher wird Goethe, der jetzt der wahre Statthalter des poetischen Geistes auf Erden ist, so gemein als mglich behandelt und schnde angesehn, wenn er die Erwartungen des gewhnlichen Zeitvertreibs nicht befriedigt, und sie einen Augenblick in Verlegenheit gegen sich selbst setzt. 49 “es ist eine poetisierte ... behandelt.”] Siehe Novalis: Fragmente, Fragment 1961. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 4, S. 222. 50 Karl Gutzkow ... die G e r v i n i u s wider ihn gerichtet hatte.] Siehe Gutzkow: Ueber Gthe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte, S. VII-XII, bes. S. VIII: Herr Gervinus sucht sich aus den verschiedenen von Gthe geschriebenen Briefen ein Urtheil ber die Individualitt des Dichters zu bilden, ber seine Innerlichkeit, seine technischen Grundstze, krz ber einen supplirenden Commentar, der in einer objektiven Literaturgeschichte selbst keinen Platz finden drfte. Gustow bezieht sich auf Gervinus: Ueber den Gthischen Briefwechsel, 1836. 51 Goethe sei ein Name, ... zuknftige Schpfung.] Siehe Gustow: Ueber Gthe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte, S. 252: Gthe aber ist ein Name, auf den man zu allen Zeiten zurckkommen kann. Durch Nichts bestimmt, kann er jedes bestimmen. Seine Dichtungen sind ein kritisches Regulativ fr jede zuknftige Schpfung. 52 Ganz anders ... kalter Egoist.] Cassirer referiert hier die Ausfhrungen in Menzel: Die deutsche Literatur, 2. Theil, 1828, S. 209-217. 53 eine deutsche Litteraturgeschichte ohne Goethe] Dieses Wort geht zurck auf die Kritik Gutzkows an Menzel. Siehe Gutzkow: Ueber Gthe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte, 1836, S. 21 f.: Was mßten England und Frankreich, die recht gut kennen, was uns seit dreisig Jahren Ehre gemacht hat, von unserem Verstande urtheilen, wenn ihnen Jemand verriethe, daß der Fanatismus Menzels so weit ging, eine deutsche Literaturgeschichte o h n e G  t h e schreiben zu wollen! 54 die Forderung des Tages.] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 443, S. 93: Was aber ist deine Pflicht? Die Forderung des Tages. 55 Zelter ihn darauf aufmerksam gemacht htte] Siehe Goethe: An Zelter. 31. Dezember 1829. In: WA, Abt. 4, Bd. 46, S. 198: Du meldetest einmal von einem Menzel, der nicht auf das freundlichste meiner in seiner Schriften gedacht haben solle ... 56 deutliche und krftige Verse] Siehe Goethe: Verwandte sind sie von Natur. Aus dem Nachlaß. Invectiven. In: WA, Bd. 5.1, S. 202: Verwandte sind sie von Natur, / Der Frischling und das Ferkel; / So ist Herr Menzel endlich nur / Ein potenzirter Merkel.

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“Von allem, ... gegangen bin”.] Siehe Goethe: An C. F. Zelter. 26. August 1828. In: WA, Abt. 4, Bd. 44, S. 289 f. Dort: keine Notiz zu nehmen statt nicht die geringste Notiz zu nehmen und da oder dort statt da und dort[.] 58 “Denn ein Gott hat Jedem seine Bahn vorgezeichnet” –] Siehe Goethe: Harzreise im Winter. In: WA, Bd. 2, S. 61, Z. 6-8. 59 N i e t z s c h e hat gesagt, ... Freiheit wo z u .] Vgl. Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Abschnitt: Vom Wege des Schaffenden. In: Ders.: Werke, 1. Abt., Bd. 6, S. 92: Frei wovon? Was schiert das Zarathustra! Hell aber soll mir dein Auge knden: frei wo z u ? 60 “Ich mchte ... mich nachstrzen”] Cassirer bringt dasselbe Zitat in seiner Schrift Thorilds Stellung in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, 1941, S. 123, und weist sie nach in: Strmer und Drnger, Erster Teil: Klinger und Leisewitz, hrsg. von August Sauer, S. V. Dort findet sich das Zitat von Klinger in der Einleitung des Bandherausgebers, ohne Quellenangabe. 61 “Ich soll ... in Gesetze”] Siehe Schiller: Die Ruber, 1. Akt, 2. Szene. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 1, S. 207. 62 “edlen Einfalt und stillen Grsse”] Siehe Winckelmann: Gedanken ber die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst, in: Ders.: Werke, Bd. 1, S. 31: Das allgemeine vorzgliche Kennzeichen der griechischen Meisterstcke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Grße, so wohl in der Stellung als im Ausdrucke. 63 “sein einziges Studium”] Siehe Goethe: An J. G. Herder. Wetzlar, Mitte Juli 1722. In: WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 15: Seit ich nichts von Euch gehrt habe, sind die Griechen mein einzig Studium. 64 des Caesar, des Prometheus ... S o k r a t e s ] Siehe Hrsg.-Anm. 31. 65 “Wie an dem Tag, ... sich entwickelt.”] Siehe Goethe: Urworte. Orphisch. ˜`˝, Dmon. In: WA, Bd. 3, S. 95, Z. 1-8. 66 “gefhrliche kleine Blondine”,] Vgl. Grimm: Goethe, 1882, S. 204: Wir sehen, was das fr eine gefhrliche kleine Blondine war. 67 “Habe ich Dir das Wort ... geschrieben?”] Siehe Goethe: An Lavater. 20. September 1780. In: WA, Abt. 4, Bd. 4, S. 300, Z. 24-26. 68 Ich kenne Dich ... was ich Dir lang’ bestimmt.] Siehe Goethe: Zueignung. In: Goethe’s Schriften, Bd. 1, 1787, S. XXV (WA, Bd. 1, S. 7, Z. 89-92). 69 “Au s M o r g e n d u f t g e we b t u n d S o n n e n k l a r h e i t ”] Siehe Goethe: Zueignung. In: WA, Bd. 1, S. 7, Z. 95. 70 – Vischer –] Die gemeinte Schrift ist bisher nicht nachgewiesen. 71 “Philosophen auf dem Kaiserthron”] traditionelles Epitaph; vgl. Hans Stich: Mark Aurel, der Philosoph auf dem rmischen Kaiserthron, Gtersloh 1904 (= Gymnasial-Bibliothek; 38). 72 “Ich bin ... gelesen hat.”] Siehe Rousseau: Bekenntnisse, 1925, Buch 1, S. 1 (Ders.: Confessions, in: Oeuvres, Bd. 19, S. 3: Je ne suis fait comme aucun de ceux que j’ai vus; j’ose croire n’Þtre fait comme aucun de ceux qui existent. Si je ne vaux pas mieux, au moins je suis autre. Si la nature a bien ou mal fait de briser le moule dans lequel elle m’a jet , c’est ce dont on ne peut juger au’apr s m’avoir lu.).

Anmerkungen des Herausgebers 73

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“Wie kann man ... was an dir ist.”] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 442, S. 93. 74 Maxime 657.] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen,1907, Nr. 657, S. 145. 75 “Was ich sag, ... Eurem Verstndnis”.] Vgl. Goethe: Zahme Xenien II. In: WA, Bd. 3, S. 247, Z. 274-275. 76 »Anfangs ist ... Ende die Welt«.] Siehe Hebbel: Goethes Biographie. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 6, S. 351. 77 die Krnung J o s e f s I I .] Kaiser und Mitregent in den Habsburgischen Erblndern (bis zum Tode Maria Theresias). – * Wien 13.03.1771, † ebenda 20.02.1790. Seine Krnung fand am 3. April 1764 in Frankfurt am Main statt. 78 nicht “Irrtmer” (Goethe Philologie / Dntzer!)] Im Vorwort zu Heinrich Dntzer: Goethes Leben,1883, setzt der Verfasser sich das Ziel, Goethes Lebensdarstellung zu berichtigen: gesttzt auf genaueste Untersuchung der massenhaften Einzelheiten (S. VII). 79 “Wir Kinder ... zu sehen”.] Siehe DuW, 1. Teil, 1. Buch. In: Loeper, Bd. 20, S. 21 (WA, Bd. 26, S. 36). 80 (1762) ein Buch erschienen,] Siehe Rousseau: Emile ou de l’Education. 81 “Jahrhundert des Kindes”] Anspielung auf Ellen Key: Das Jahrhundert des Kindes, 1904. 82 “des Lebens strenges Fhren”] Siehe Goethe: Zahme Xenien. VI. In: WA, Bd. 3, S. 368, Z.1824-1827: Vom Vater hab’ ich die Statur, / Des Lebens ernstes Fhren, / Von Mtterchen die Frohnatur / Und Lust zu fabuliren. 83 “Lust zu fabulieren”,] Siehe Hrsg.-Anm. 82. 84 “Ich habe die Gnade ... vergngt.”] Siehe Erich Schmidt: Frau Rath Goethe, S. 250. 85 “Frau Aja” nach der Mutter der 4 Haymonskinder] Goethe hat diesen Namen seiner Mutter beigelegt, als sie “vier Shne” in ihrem Hause hatte: ihn, die beiden Grafen Stolberg und den Baron Haugwitz. Siehe DuW, 4. Teil, 18. Buch. In: Loeper, Bd. 23, S. 54 (WA, Bd. 29, S. 89, Z. 18-26). 86 »Lebensregel« “Willst Du Dir ... Gott berlassen.”] Das Gedicht Lebensregel wird hier in einer erweiterten Fassung zitiert; vgl. WA, Bd. 2, Lesarten, S. 357. 87 “Da saß ich ... seine ersetzt”.] Siehe Bettina von Arnim: Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, 2. Teil. In: Bettina von Arnims Smtliche Werke, 3. Bd., S. 500 f.; ungekennzeichnete Auslassung nach Zornader: an der Stirn; der Schluss lautet dort: so ward denn meine Einbildungskraft, wo sie nicht mehr zureichte, hufig durch die seine ersetzt. 88 (ihr Verhalten in H a m l e t ... 256).] Siehe Erich Schmidt: Frau Rath Goethe, S. 256, zitiert folgende autobiographische Beobachtung Frau Goethes: Und wenn ich im Sturm und Drang meines Herzens im Hamlet vor innerlichem Gefhl und Gewhl nach Luft und Odem schnappe, so kann eine andere die neben mir sitzt mich angaffen und sagen: ðs ist ja nicht wahr, sie spielen es nur so’. – Nun eben dieses unverflschte und starke Naturgefhl bewahrt meine Seele (Gott sey ewig Dank) vor Pest und Fulniß. 89 “Knigin aller Weiber” ... “liebe Tochter” ibid. 253.] Diese Zitate finden sich bei Schmidt: Frau Rath Goethe an den angegeben Stellen ohne Quellenangaben.

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“die 4 Haymonskinder, ... zu greifen”.] Siehe DuW, 1. Teil, 1. Buch. In: Loeper, Bd. 20, S. 30 (WA, Bd. 26, S. 51). 91 I n s e l Fe l s e n b u r g ... von Tieck neu herausgegeben.] Siehe ber Johann Gottfried Schnabel: Die Insel Felsenberg in DuW, 1. Teil, 1. Buch. In: Loeper, Bd. 20, S. 30 (WA, Bd. 26, S. 50); vgl. Loepers Kommentar, a. a. O., S. 264, Anm. 39h: die I n s e l Fe l s e n b u r g , d. i. “Wunderliche Fata einiger Seefahrer, absonderlich Alberti Julii, eines gebornen Sachsens entworfen von Eberhard Julio, dem Druck bergeben von Gisandern”, Nordhausen 1731 bis 1743, 1828 von Tieck neu herausgegeben. 92 Brief aus Straßburg ... einziges Studium seien –] Siehe Hrsg.-Anm. 63. 93 A n s o n s R e i s e u m d i e We l t ] Siehe DuW, 1. Teil, 1. Buch. In: Loeper, Bd. 20, S. 30 (WA, Bd. 26, S. 50), wo Goethe auch diese Reisebeschreibung des Lord George Anson erwhnt; vgl. die Kommentierung in WA, Bd. 53, S. 419 f. 94 “Geist der hebrischen Poesie”.] Anspielung auf Herder: Vom Geist der Ebrischen Poesie. 95 “Dort im Reinen ... zerbrachen”.] Siehe Goethe: Hegire aus: West-stlicher Divan. In: WA, Bd. 6, S. 5, Z. 7-12. 96 Das  l t e s t e Goethesche Gedicht ... p o e t i s c h e G e d a n k e n  b e r d i e H  l l e n f a h r t C h r i s t i ,] Siehe Poetische Gedanken ber die Hllenfahrt Jesu Christi von 1765. In: WA, Bd. 37, S. 4-9. 97 “Nun suchte ich ... auf das Genaueste”] Siehe DuW, 1. Teil, 4. Buch. In: Loeper, Bd. 20, S. 132 (WA, Bd. 26, S. 223). 98 T h o m a s M a n n in seiner Josef-Dichtung,] Siehe Thomas Mann: Josef und seine Brder, 4 Bde., 1933-1943. 99 “Mein Leipzig ... seine Leute”.] Siehe Goethe: Faust, Z. 2171. 100 “Ich mache hier ... noch bin ich kein Stutzer!] Siehe Goethe: An Riese. 20.21. Oktober 1765. In: Morris, Bd. 1, S. 103 (WA, Abt. 4, Bd. 1, S. 14). Cassirer zitiert die gleiche Stelle im Ms. 1; vgl. im vorl. Bd., S. 56. 101 “Von unserm Goethe ... zu gefallen”.] Siehe J. A. Horn an W. C. Moors. 12. August 1766. In: Morris, Bd. 1, S. 286 f. Cassirer zitiert die gleiche Stelle mit diesen Auslassungen in Ms. 1; vgl. im vorl. Bd., S. 56. 102 2) Die Sprache G o e t h e s –] Diese gestrichene berschrift (unten auf Bl. 216v) bezieht sich wohl auf unpaginierte Entwrfe zu diesem Thema (Textzeuge E, Bl. 209-213), mit der berschrift: 2) D i e S p r a c h e G o e t h e s – (S. 337343 im vorl. Bd.). 103 “Nach dieser ... zu knnen.”] Siehe DuW, 2. Teil, 6. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 35-36 (WA, Bd. 27, S. 57-59). In Cassirers Handexemplar der Loeper Ausgabe sind die hier ausgelassenen Teile der zitierten Passage eingeklammert. 104 Caspar Schottel] Ein Sprachreformer mit diesem Namen war bisher nicht zu identifizieren. Vgl. die Erwhnung von Kaspar Schottelius im vorl. Bd., S. 317. Gemeint in beiden Fllen ist wohl der Sprachforscher Justus Georg Schottel (* Einbeck 1612, † Wolfenbttel 1676), dessen Werke und Name (als Schottel und Schottelius) Cassirer mehrfach erwhnt. 105 “U r h e b e r ... d e r G r  n d l i c h k e i t i n D e u t s c h l a n d ”] Siehe Kant: KrV Vorrede, B XXXVI.

Anmerkungen des Herausgebers 106

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»ich fhlte ... ussern hatte«.] Siehe DuW, 6. Teil, 10. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 36 (WA, Bd. 27, S. 59). 107 C r i t i k  b e r H e r r n G o t t s c h e d s s o g e n a n n t e R e d e k u n s t a u s p a t r i o t i s c h e m E i f e r.] Eine Besprechung dieses Werkes findet sich in einer von Cassirer mehrfach in diesen Vorlesungen herangezogenen Arbeit: Konrad Burdach: Die Sprache des jungen Goethe, in: Vorspiel. Gesammelte Schriften zur Geschichte des deutschen Geistes, Bd. 2, S. 44-45. Burdach beschreibt es dort als die Schrift des Benediktiners Pater Au g u s t i n D o r n b l  t h in Gengenbach: O b s e r va t i o n e s o d e r g r  n d l i c h e A n m e rc k u n g e n  b e r d i e A r t u n d We i s e , e i n e g u t e U e b e r s e t z u n g , b e s o n d e r s in die teutsche Sprach zu machen. Nebst einer Critic ber Herrn Gottschedens sogenannte Red-kunst und teutsche G r a m m a t i c . Au s p a t r i o t i s c h e m E y f e r z u r Ve r h  t u n g f e r n e re r Ve r k e h r u n g u n d S c h  n d u n g d e r a u s l  n d i s c h e n B  c h e re n . Au g s b u r g 17 5 5 . 108 Mai 1767 1 1/2 Jahre.] Vgl. An Cornelie Goethe. 11. May 1767. In: Morris, Bd. 1, S. 159: Vorm Jahre als ich die scharfe Critik von Clodiusen ber mein Hochzeitsgedichte laß, entfiel mir aller Muht, und ich brauchte ein halbes Jahr Zeit bis ich mich wieder erholen und auf Befehl meiner Mdgen, einige Lieder verfertigen konnte. Seit dem Novembr [sic] habe ich hchstens 15 Gedichte gemacht die alle nicht sonderlich groß und wichtig sind, und von denen ich nicht eins, Gellerten zeigen darf, denn ich kenne seine jetzige Sentiments ber die Poesie. Man lasse doch mich gehen, habe ich Genie; so werde ich Poet werden ... (WA, Abt. 4, 1. S. 88 f.). 109 Wilhelm Scherer sagt ... als Gottsched.] Siehe Scherer: Geschichte der Deutschen Litteratur, 1883, S. 397. ... bis in unser Jahrhundert herein, bis auf Jacob Grimm und seine Genossen, hat niemand eine so weitreichende Kenntnis der lteren deutschen Litteratur besessen und kundgegeben wie Gottsched. 110 »Weil ein Vers Dir gelingt«] Siehe Schiller: Dilettant, Votivtafeln, Spruch Nr. 48. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 1, S. 150: Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache, / Die fr dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein? 111 “Das Gottschedische Gewsser ... geblieben ist.”] Siehe DuW, 2. Teil, 6. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 39 (WA, Bd. 27, S. 63 f.). 112 Weil ein Vers ...] Siehe Hrsg.-Anm. 110. 113 S c h o e n a i c h : Die ganze Aesthetik ... Wrterbuch (1754).] Eine Besprechung dieses Werkes findet sich in Konrad Burdach: Die Sprache des jungen Goethe, in: Vorspiel. Gesammelte Schriften zur Geschichte des deutschen Geistes, Bd. 2, S. 42-43. 114 er uns] danach ungekennzeichnete Auslassung: dieses Werk uns aus der Region eines kmmerlichen Anschauens; vgl. DuW, 2. Teil, 8. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 95 (WA, Bd. 27, S. 164). 115 Auf die Bedeutung ... B o d m e r u n d B re i t i n g e r verwiesen] Siehe den Hinweis auf Einbildungen im Register zu Breitinger: Critischen Dichtkunst, 1740, S. 507 auf ebenda S. 323: Die Einbildungen werden zu einem andern Ende von den Rednern, zu einem andern von den Poeten gebraucht. Diese

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brauchen sie, das Gemthe in Bestrzung zu setzen, jene die Sachen deutlich zu schildern: Beyden mssen sie dienen, das Herz zu rhren. 116 Thorild 1801!!] Siehe Thorild: Orpheus, sive Panharmonion, 1801. Eine Kopie dieser Schrift war Cassirer in der Gteborger Bibliothek zugnglich. 117 “Polyphonie des Gefhls”] Quelle bisher nicht nachgewiesen. 118 “Herr Oeser ... wird es bleiben”] Siehe Winkelmanns Brief an Berendis in: Goethe: Winkelmann und sein Jahrhundert, 1805, S. 59. 119 E r n e s t i ] Johann August Ernesti, bei dem Goethe in Leipzig eine Vorlesung ber Ciceros Orator hrte. Siehe DuW, 2. Teil, 6. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 41 (WA, Bd. 27, S. 67). Ernesti wird in den Mss. nicht weiter erwhnt. 120 das Auge ... die Welt besaß] Siehe DuW, 2. Teil, 6. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 11 (WA, Bd. 27, S. 16). 121 “z u m S e h e n g e b o re n , z u m S c h a u e n b e s t e l l t ”.] Siehe Goethe: Faust II, Z. 11288-11289. 122 “Den Geschmack, ... K r i t i k e r s ”.] Siehe Goethe: An Oeser. 9. November 1768. In: Morris, Bd. 1, S. 310 (WA, Abt. 4, Bd. 1, S. 178). Cassirer zitiert die gleiche Stelle mit dieser Hervorhebung in seinen Notizzetteln in Ms. 2. 123 “leuchtend wahren Satz” ... “seltsamen, fast unbegreiflichen Satz”.] Siehe Goethe: An Oeser. 9. November 1768. In: Morris, Bd. 1, S. 310 (WA, Abt. 4, Bd. 1, S. 178). 124 a r s a m a n d i ] Die literarischen Vorbilder der Kunst der Liebe gehen auf die ars amatoria des Ovid zurck. 125 Erlebnis-Dichtung] Siehe im vorl. Bd., S. 85: Die echte Dichtung ist Erlebnisdichtung, und sie ist charakteristische Dichtung – / Au s d r u c k s d i c h t u n g . So kommentiert Cassirer Goethes Spruch: Po e t i s c h e r G e h a l t i s t G e h a l t d e s e i g e n e n L e b e n s . (Goethe: Ein Wort fr junge Dichter. In: WA, Bd. 42.2, S. 107). 126 Da sind sie nun – I, 362] Siehe Goethe: Zueignung. In: Morris, Bd. 1, S. 362. Die erste Strophe lautet: Da sind sie nun! Da habt ihr sie! / Die Lieder, ohne Kunst und Mh / Am Rand des Bachs entsprungen. Verliebt, und jung, und voll Gefhl / Trieb ich der Jugend altes Spiel, / Und hab sie so gesungen. (WA, Bd. 4, S. 87, Z. 1-6). 127 Die N a c h t – I , 351] Siehe Goethe: Die Nacht. In: Morris, Bd. 1, S. 351 f. 128 Morris ... ls. »vraiment«.] Siehe Goethe: An Cornelie Goethe.11. May 1767. In: Morris, Bd. 1, S. 160: Vraiment j’aime les filles touttes ensemble, quoique je puisse souvent chanter: / Von kalten Weisen rings umgeben / Sing ich was heisse Liebe sey; / Ich Sing vom sßen Saft der Reben / Und Wasser trinck ich oft dabey. (WA, Abt. 4, Bd. 1, S. 91). 129 (Loeper, Bd. 21, S. 76).] Siehe DuW, 2. Teil, 7. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 76 (WA, Bd. 27, S. 128): Gellert’s Schriften waren so lange Zeit schon das Fundament der deutschen sittlichen Kultur, ... 130 “junge Leute ... genug sei”.] Vgl. den Anfang der Vorrede zu Gellert: Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen. In: Ders.: Smmtliche Schriften, Bd. 4, S. 7: Wenn auch meine Leser mit diesen Briefen nicht ganz zufrieden seyn sollten: so wird ihnen doch die Absicht nicht mißfallen knnen, die ich dadurch zu erreichen wnsche;

Anmerkungen des Herausgebers

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nmlich junge Leute, und insonderheit das Frauenzimmer, zu einer natrlichen Schreibart zu ermuntern, und Andern, wenn es mglich wre, das Vorurtheil zu benehmen, als ob unsre Sprache zu den Gedanken der Hflichkeit, des Wohlstandes, des Scherzes, und zu andern zarten Empfindungen nicht biegsam und geschmeidig genug sey. 131 Gteborger Stadtsbibliothek] Die Bestnde in Gteborgs Stadsbibliothek, auf die Cassirer sich hier bezieht, befinden sich heute in der Gteborger Universittsbibliothek. 132 cf. Bk, Romanens och Prosaberthlesens Historia i Sverige] Fredrik Bk bespricht Gellerts Leben der schwedischen Grfin in der genannten Schrift, S. 275 f. und S. 331 f. 133 s. D . u . W. , Loeper, Bd. 21, S. 26.] Siehe DuW, 2. Teil, 6. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 26 (WA, Bd. 27, S. 42): Ward mir dieses oder jenes daran getadelt, so blieb es doch im Stillen meine Ueberzeugung, daß es nach und nach immer besser werden mßte und daß ich wol einmal neben Hagedorn, Gellert und anderen solchen Mnnern mit Ehre drfte genannt werden. In Cassirers Handexemplar der Loeper Ausgabe ist diese Stelle am Rand mit Bleistift angestrichen. 134 S c h  c k u n d Wa r b u r g ... gebt –] Siehe Henrik Schck och Karl Warburg: Illustrerad svensk litteraturhistoria, 1927, S. 313: Mest knd var nog Gellert, av vilken tv romaner versattes p 1750-talet, under det nsta rtiondet ngra av hans fabler och 1771 hans Tankar om ynglingars lefnadsart. De flesta versttningarna falla dock inom den gustavianska tiden, men varken d eller under frihetstiden hade han ngon mrkbar inverkan p den vittra smaken. (Am meisten bekannt war wahrscheinlich Gellert, von dem zwei Romane whrend der 1750er Jahre bersetzt worden sind. Whrend des folgenden Jahrzehnts wurden einige von seinen Fabeln und 1771 seine Gedanken ber die Lebensart der Jugend bersetzt. Die meisten bersetzungen wurden aber whrend der gustavianischen Zeit gemacht, aber weder damals noch whrend der Freiheitszeit hatte er einen spurbaren Einfluss auf den gebildeten Geschmack der Zeit.). 135 Richard M. Meyer ... (S. 32).] Siehe Richard M. Meyer: Goethe, 1895, S. 32: Es ist, wie man sieht, vllig dieselbe Stimmung, wie die, der unsere moderne “Anklagedramatik” ihr Dasein verdankt; und interessant genug wre es, die “Mitschuldigen” etwas mit Ibsens “Sttzen der Gesellschaft” eingehend zu vergleichen. 136 Auch in Dichtung und Wahrheit ... Vorliebe –] Siehe DuW, 2. Teil, 7. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 68 (WA, Bd. 27, S. 114: Die Mitschuldigen ... im Ganzen ngstiget, wenn es im Einzelnen ergtzt. Die hart ausgesprochenen widergesetzlichen Handlungen verletzen das sthetische und moralische Gefhl, und deswegen konnte das Stck auf dem deutschen Theater keinen Eingang gewinnen, obgleich die Nachahmungen desselben, welche sich fern von jenen Klippen gehalten, mit Beifall aufgenommen worden.); vgl. DuW, 3. Teil, 13. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 118 (WA, Bd. 28, S. 201): Schon meine Mitschuldigen, auf die ich etwas hielt, htte ich ... gern gedruckt gesehn; allein ich fand keinen geneigten Verleger.

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“Rhrte das Stck ... durchzulesen”. (S. 34)] Siehe Grimm: Goethe, 1882, S. 34, dort: seltsamer Weise sein Lebenlang statt seltesamer Weise und vermocht werden knnen statt vermocht werden. 138 Das D e u t s c h e T h e a t e r i n B e r l i n ... Leitung O t t o B r a h m s ] Brahm (ursprnglich Abrahamsohn), Otto. – * Hamburg 5.02.1856, † Berlin 28.11.1912. Studium bei Wilhelm Scherer (Berlin), Erich Schmidt (Straßburg) und Eduard Sievers (Jena), bei dem er am 13.06.1879 mit einer Dissertation ber Das deutsche Ritterschauspiel im 18. Jahrhundert promovierte. Vf. u.a. von: Heinrich von Kleist, 1884, Schiller, 1888-92; Kainz. Gesehenes und Gelebtes, 2. Aufl., 1910. Theaterkritiker der Vossischen Zeitung in Berlin, Mitbegrnder und Leiter des Theatervereins Freie Bhne (1889-1894) sowie Herausgeber der Zeitschrift Freie Bhne fr modernes Leben (1890-1891); 1894-1903 Direktor des Deutschen Theaters in Berlin, wo er die realistischen Dramen Hauptmanns und Ibsens zur Auffhrung brachte. 139 H a u p t m a n n ... Friedensfest, die Einsamen Menschen, der College Crampton.] Die Urauffhrungen fanden durch Otto Brahms Engagement fr Hauptmann jeweils 1890 und 1891 durch die Freie Bhne im Residenz Theater, Berlin, und 1892 im Deutschen Theater, Berlin, statt. 140 Otto Brahm war ... aus der Schule Erich Schmidt] Siehe Cassirers studentisches Referat zu Brahm: Das deutsche Ritterdrama des 18. Jahrhunderts im vorl. Bd., S. 348-357; zu Erich Schmidt s. im vorl. Bd., S. 158. 141 Erstauffhrung] Die Erstauffhrung von Die Mitschuldigen fand am 11. November 1891 im Deutschen Theater (Berlin) statt. 142 Josef K a i n z ] Schauspieler. – * Wieselburg (Ungarn) 02.01.1858, † Wien 20.09.1910. Er spielte 1892-1899 am Deutschen Theater in Berlin. 143 “Gebt Ihr Euch ... kommandiert die Poesie”] Siehe Goethe: Faust, Z. 220221. 144 “ganz als Naturgabe anzusehen”] Goethe spricht von seinem produktiven Talent als Naturgabe in DuW, 3. Teil, 15. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 181 (WA, Bd. 28, S. 311): Wie ich nun ber diese Naturgabe nachdachte und fand, daß sie mir ganz eigen angehre und durch nichts Fremdes weder begnstigt noch gehindert werden knne, so mochte ich gern hierauf mein ganzes Dasein in Gedanken grnden. Vgl. DuW, 4. Teil, 16. Buch. In: Loeper, Bd. 23, S. 9 (WA, Bd. 29, S. 14): Ich war dazu gelangt, das mir inwohnende dichterische Talent ganz als Natur zu betrachten, um so mehr als ich darauf gewiesen war, die ußere Natur als den Gegenstand desselben anzusehen. 145 “Solch einen Quark ... Vortheil wre.”] Siehe DuW, 3. Teil, 15. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 203 (WA, Bd. 28, S. 348). 146 “Die Zeitung ... aus und ein”.] Siehe Goethe: Die Mitschuldigen. In: Morris, Bd. 1, S. 385. Die Randbemerkung (Morris[, Bd.] I, [S.] 385) zeigt,

daß Cassirer diese Stelle hier mndlich vorgetragen hat; diese Zeilen werden auch in seinen Notizen (Bl. 235rv) notiert. (Vgl. WA, Bd. 9, S. 64 und Lesarten, S. 474). 147 erkennen ... Innersten zusammenhlt,] Siehe Goethe: Faust, Z. 382-383. 148 “Flieh! ... Geist”] Siehe Goethe: Faust, Z. 418, 425. 149 N o s t r a d a m u s ... Verfasser des Buches,] Siehe Goethe: Faust, Z. 419-

Anmerkungen des Herausgebers

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21: Und dieß geheimnisvolle Buch, / Von Nostradamus eigner Hand, / Ist dir es nicht Geleit genug? 150 Nun erst erkenn ich, wa s d e r We i s e s p r i c h t ] Siehe Goethe: Faust, Z. 442: Jetzt erst erkenn’ ich, was der Weise spricht. 151 “die innige ... Geist fllen!”] Vgl. Goethe: [Rezension von Lavater:] Aussichten in die Ewigkeit, in Briefen an Zimmermann. In: Morris, Bd. 3, S. 97 (WA, Bd. 37, S. 261). 152 “Jetzt erst erkenn’ ich ... Morgenrot!”] Siehe Goethe: Faust, Z. 442-446. 153 Scheidung des »h o m m e a r t i f i c i e l « vom »h o m m e n a t u re l – «] Siehe Rousseau: Discours sur l’origine et les fondements de l’in galit pari les hommes, in: Ders.: Oeuvres, Bd. 1, S. 178 f., S. 116 f. 154 »L’h o m m e ... a n i m a l d e p r a v !«] Siehe Rousseau: Discours sur l’origine et les fondements de l’in galit pari les hommes, in: Ders.: Oeuvres, Bd. 1, S. 66: Si elle [la nature] nous a destin s  Þtre sains, j’ose presque assurer que l’ tat de r flexion est un tat contre nature, et que l’homme qui m dite est un animal d prav . (Ders.: Abhandlung ber den Ursprung und ber den Grund der Ungleichheit unter den Menschen, in: Ders.: Werke, Bd. 6, S. 146: Hat sie [die Natur] gewollt, daß wir gesund sein sollen, so mchte ich wohl die Versicherung wagen, daß der Zustand des Nachdenkens gegen die Natur und daß ein Mensch, welcher Betrachtungen anstellt, ein verdorbenes Tier sei.). 155 (Voltaires Spott ...)] Siehe z. B. Voltaires Brief an Rousseau, in dem er seine Reaktion auf dessen Discours sur l’orgine et les fondements de l’inegalit parmi les hommes beschreibt. Voltaire: An Rousseau. 30. August 1755. In: Ders.: Correspondance, Bd. 6, S. 446, 447: J’ai reu, monsieur, votre nouveau livre contre le genre humain; je vous en remercie. ... On n’a jamais employ tant d’esprit  vouloir nous rendre bÞtes; il prend envie de marcher  quatre pattes, quand on lit votre ouvrage. (Mein Herr, ich habe Ihr neues Buch, das Sie gegen das Menschengeschlecht geschrieben haben, gelesen und danke Ihnen dafr. ... Nie hat jemand so viel Geist aufgewendet wie Sie in dem Bestreben, uns wieder zu Bestien zu machen; man bekommt beim Lesen Ihres Buches ordentlich Lust, wieder auf allen Vieren zu gehen.). 156 (Rousseau Bildnis – Anekdote)] Vgl. Karl Vorlnder: Immanuel Kants Leben, 1921, S. 68: Rousseaus Werke kannte er [Kant] smtlich, sein Bild allein – von Freund Ruffmann geschenkt – schmckte die sonst kahlen Wnde seines Studierzimmers, und als der E m i l e 1762 erschien, geschah das Ungewohnte, daß seine Lektre unseren Philosophen mehrere Tage hintereinander von seinem regelmßigen Spaziergang zurckhielt. 157 » N e w t o n d e r s i t t l i c h e n We l t « ] Wohl kein eigentliches Zitat; Cassirer zitiert mehrfach (KLL, S. 93; Das Problem Jean Jacques Rousseau, S. 205) entsprechende ußerungen Kants zu Rousseau, unter Verweis auf die Fragmente aus dem Nachlaß in der Hartensteinschen Ausgabe von Kants Smmtlichen Werken, Bd. 8, S. 630: Newton sah zu allererst Ordnung und Regelmßigkeit mit großer Einfachheit verbunden, wo vor ihm Unordnung und schlimm gepaarte Mannigfaltigkeit anzutreffen waren, und seitdem laufen Kometen in geometrischen Bahnen; Rousseau entdeckte zu allererst unter

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der Mannigfaltigkeit der menschlichen angenommenen Gestalten die tief verborgene Natur des Menschen und das versteckte Gesetz, nach welchem die Vorsehung durch seine Beobachtungen gerechtfertigt wird. 158 “Ich bin ... herzustellen”.] Siehe Kant: Fragmente aus dem Nachlasse. In: Immanuel Kant’s Smmtliche Werke, hrsg. von G. Hartenstein, Bd. 8, S. 624; vgl. KLL, S. 93 f. 159 P r i m a t s d e r p r a k t i s c h e n Ve r n u n f t – ] Siehe Kant: Kritik der praktischen Vernunft, 1. Teil, 2. Buch, 2. Hauptst., III: Vom Primat der praktischen Vernunft. In: Ders.: Werke, Bd. 5, S. 130-32 (AA, Bd. 5, S. 119-121). 160 Z u r  c k z u d e n G r i e c h e n ! ... Lebensaltern einer Sprache –] Siehe Herder: Von den Lebensaltern einer Sprache, in: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 1, S. 151-155. 161 “Homer ... vereinigten” (Haym, Bd. I, S. 185).] Vgl. Haym: Herder nach seinem Leben und seinen Werken dargestellt, Bd. 1, S. 185. 162 Er besaß ... l  s c h t e d i e N a t u r a u s .] Siehe Herder: Auszug aus einem Briefwechsel ber Ossian und die Lieder alter Vlker, in: Von deutscher Art und Kunst. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 5, S. 182: In der alten Zeit aber waren es Dichter, Skalden, Gelehrte, die eben diese Sicherheit und Festigkeit des Ausdrucks am meisten mit Wrde, mit Wohlklang, mit Schnheit zu paaren wußten; ... bis endlich die Kunst kam und die Natur auslschte. 163 Nun ward alles Falschheit, Schwche, Knstelei.] Siehe Herder: Auszug aus einem Briefwechsel ber Ossian und die Lieder alter Vlker, in: Von deutscher Art und Kunst. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 5, S. 182 f.: – und endlich wurde Alles Falschheit, Schwche, und Knstelei. 164 “Die Dichtkunst, ... Schulexerzitien”.] Siehe Herder: Auszug aus einem Briefwechsel ber Ossian und die Lieder alter Vlker, in: Von deutscher Art und Kunst. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 5, S. 183. 165 “Poesie ... Geschlechts”] Siehe Hamann: Aesthetica in nuce, 1821, S. 258. 166 “Stimmen der Vlker in Liedern” ist falsch] Siehe die Einleitung zu den Volksliedern, Erster Theil. In: Herder: Smmtliche Werke, Bd. 25, S. IX, wo die Verleihung dieses Titels durch Karoline Herder beschrieben wird. 167 “als eine ... uns belehrend”] Zitat Herders, in der Einleitung des Herausgebers, unter Angabe von Herders Frau als Quelle; vgl. Einleitung. In: Herder: Smmtliche Werke, Bd. 25, S. X; dort: hren ließ statt: sich hren lsst ... 168 Unsterblich ist Homer ...] Siehe Gellert: Ueber Richardsons Bildnis, in: Ders.: Smmtliche Schriften, 3. Theil, S. 424: Unsterblich ist Homer, unsterblicher bey Christen / Der Britte Richardson. 169 “Po e t i s c h e r G e h a l t i s t G e h a l t d e s e i g e n e n L e b e n s ”] Siehe Hrsg.-Anm. 18. 170 »ind pendance naturelle«.] Ungebundenheit, wie sie im Naturzustand herrscht. Siehe Rousseau: Contract social, Livre II, chap. 4: Des bornes du pouvoir souverain. In: Oeuvres, Bd. 2, S. 54. 171 »L’ h o m m e ... l e s f e r s «] Siehe Rousseau: Contract social, Livre I, chap. 1, in: Oeuvres, Bd. 2, S. 4: L’homme est n libre, et par-tout il est dans les fers. (Ders.: Ueber den Gesellschaftsvertrag, in: Ders.: Werke, Bd. 6, S. 7: Der Mensch wird frei geboren, und berall ist er in Ketten.).

Anmerkungen des Herausgebers 172

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Rousseau Aufs. S. 185.] Vgl. Cassirer: Das Problem Jean-Jacques Rousseau, S. 185. Dort beschreibt er, was er als die eigentliche Geburtsstunde von Rousseaus Grundgedanken bezeichnet: Es handelt sich um jenen Sommertag des Jahres 1749, an dem Rousseau von Paris aufbricht, um seinen Freund Diderot, der auf Grund eines willkrlichen Verhaftbefehls im Turm von Vincenne festgesetzt worden ist, zu besuchen. Er hat eine Nummer des “Mercure de France” bei sich, und whrend er im Gehen liest, fllt sein Blick pltzlich auf eine Preisfrage, die die Akademie von Dijon fr das nchste Jahr gestellt hatte. “Hat der Fortschritt der Wissenschaften und Knste” so lautet die Frage – “zur Veredelung der Sitten beitragen?” 173 “Das Gesetz ... fest”.] Vermutlich Cassirers bersetzung; vgl. Rousseau: Discours sur l’ conomie politique, in: Oeuvres, Bd. 1, S. 278: C’est  la loi seule que les hommes doivent la justice et la libert . C’est cet organe salutaire de la volont de tous, qui r tablit dan le droit l’ galit naturelle entre les hommes. C’est cette voix c leste qui dicte  chaque citoyen les pr ceptes de la raison publiques, et lui apprend  agir selon les maximes de son propre jugement, et  n’Þtre pas en contradiction avec lui-mÞme. 174 vo l o n t g n r a l e ] Allgemeiner Wille; Gegensatz zum Willen aller (volont du tout). Zuerst 1755 in Rousseau: Discours sur l’ conomie politique. Siehe dort, in: Ders.: Oeuvres, Bd. 1, S. 270; ausfhrlich 1762 in Contract social. Siehe dort, Livre II, chap. 4, in: Ders.: Oeuvres, Bd. 2, S. 52: On doit concevoir par-l, que ce qui g n ralise la volont est moins le nombre des voix, que l’int rÞt commun qui les unit; car dans cette institution chacun se soumet n cessairement aux conditions qu’il impose aux autres; ... (Rousseau: Ueber den Gesellschaftsvertrag, in: Ders.: Werke, Bd. 6, S. 33: Man muß nmlich bedenken, daß das, was den Willen zu dem allgemeinen macht, weniger in der Zahl der Stimmen bestehe als in dem gemeinschaftlichen Interesse, welches diese Stimmen vereinigt, weil bei der Errichtung des Staates sich jeder schlechterdings denselben Bedingungen unterwirft, welche er anderen auflegt.). 175 Die Freiheit ... u n ve r  u s s e r l i c h e n R e c h t e d e r M e n s c h h e i t n e n n t .] Rousseau bespricht die unverußerliche Rechte der Menschheit in Contract social, Livre I, chap. 4: De l’Esclavage. In: Oeuvres, Bd. 2, S. 12-20. Dort (S. 14) betrachtet Rousseau den Verlust bzw. Verußerung der Freiheit wie folgt: Renoncer  sa libert c’est renoncer  sa qualit d’homme, aux droits de l’humanit , mÞme  ses devoirs. (Ders.: Ueber den Gesellschaftsvertrag, in: Ders.: Werke, Bd. 6, S. 13: Seiner Freiheit entsagen, heißt seiner Eigenschaft als Mensch entsagen, heißt den Rechten der Menschheit, ja selbst seinen Pflichten entsagen.). 176 N e i n ! ... Himmel, etc.] Siehe Schiller: Wilhelm Tell, 2. Aufzug, 2. Szene. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 7, S. 183: Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht: / Wenn der Gedrckte nirgends Recht kann finden, / Wenn unertrglich wird die Last – greift er / Hinauf getrosten Mutes in den Himmel / Und holt herunter seine ew’gen Rechte, / Die droben hangen unverußerlich / Und unzerbrichlich, wie die Sterne selbst – 177 Die “praktische Vernunft” ... P r i m a t s d e r p r a k t i s c h e n Ve r n u n f t formuliert hat –] Siehe Hrsg.-Anm. 159.

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A n e k d o t e .] Siehe Hrsg.-Anm. 156. “Ich bin ... herzusstellen.”] Siehe Hrsg.-Anm. 158. 180 “Ich habe das Glck genossen, ... vor mir.”] Siehe Herder: Briefe zu Befrderung der Humanitt, Brief 79. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 17, S. 404. 181 sibyllinische Bltter, der “Magus im Norden”] Siehe Hamann: Sibyllische Bltter des Magus im Norden, 1819. 182 1, 151ff.] Seitenangabe von Herders Text Von den Lebensaltern einer Sprache in der Suphan Ausgabe: Herder: Smmtliche Werke, Bd. 1, S. 151-155. 183 In ihrer Jugend ... formelhaft.] Zusammenfassung von Herder: Von den Lebensaltern einer Sprache, in: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 1, S. 151-155. 184 Haym I, 185 (Fragmente) “Homer ... Poesie vereinigten”.] Vgl. Haym: Herder nach seinem Leben und seinen Werken dargestellt, Bd. 1, S. 185; dort: Schrfe des Schwertes statt: Spitze des Schwertes. 185 “M i r i s t , . . . d e r We l t ”!] Siehe Herder: Shakespear, in: Von deutscher Art und Kunst. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 5, S. 219. 186 “Wer bei einem Stcke ... gedichtet!”] Siehe Herder: Shakespear, in: Von deutscher Art und Kunst. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 5, S. 224: ... wer da Einen Augenblick Bretterngerste fhlt und sucht, und Eine Reihe gebundener artiger Gesprche auf ihm sucht, fr den hat S h a k e s p e a r und S o p h o k l e s , kein wahrer Dichter der Welt gedichtet. 187 “Mit dem Genius steht die Natur im ewigen Bunde”] Siehe Schiller: Kolumbus. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 1, S. 149. 188 “dem Dichter schlgt ... Turm und Tempel!”] Siehe Herder: Shakespear, in: Von deutscher Art und Kunst. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 5, S. 227: Dichter! Dramatischer Gott! Als solchem schlgt dir keine Uhr auf Thurm und Tempel, ... 189 “Ich ward ... erweitern”.] Siehe DuW, 2. Teil, 10. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 179 f. (WA, Bd. 27, S. 313). 190 dem der nicht viel Verstand besitzt!] Vgl. Gellert: Die Biene und die Henne, in: Fabeln und Erzhlungen. In: Ders.: Smmtliche Schriften, Bd. 1, S. 95: Du fragst, was ntzt die Poesie? / Sie lehrt und unterrichtet nie. / Allein wie kannst du doch so sagen? / Du siehst an dir, wozu sie ntzt: Dem, der nicht viel Verstand besitzt, / Die Wahrheit durch ein Bild, zu sagen. 191 Richardson  b e r Homer!] Siehe Gellerts Sinngedicht Ueber Richardsons Bildnis; vgl. Hrsg.-Anm. 168. 192 – et prodesse volunt et delectare poetae –] Motto zu Goethe: Neuerffnetes moralisch-politisches Puppenspiel. In: WA, Bd. 16, S. 1. 193 “Poetischer Gehalt ist Gehalt des eigenen Lebens”.] Siehe Hrsg.-Anm. 18. 194 “charakteristischen Kunst”] Siehe Goethe: Von deutscher Baukunst. In: WA, Bd. 37, S. 149. 195 “Sie wollen ... lebendig” –] Siehe Goethe: Von deutscher Baukunst. In: Morris, Bd. 3, S. 107 f. (WA, Bd. 37, S. 148 f.). Die Hervorhebungen sind von Cassirer. 179

Anmerkungen des Herausgebers 196

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cf. D. u. W. X. Buch, L o e p e r, B d . 21, S . 17 9 ! cit] Folgende Stelle wird in Cassirers Handexemplar der Loeper Ausgabe (Bd. 21, S. 179-80) mit Bleistift am Rand entlang angestrichen: Ich ward mit der Poesie von einer ganz andern Seite, in einem andern Sinne bekannt als bisher, und zwar in einem solchen, der mir sehr zusagte. Die hebrische Dichtkunst, welche er nach seinem Vorgnger Lowth geistreich behandelte, die Volkspoesie, deren Ueberlieferungen im Elsaß aufzusuchen er uns antrieb, die ltesten Urkunden als Poesie, gaben das Zeugniß, daß die Dichtkunst berhaupt eine Welt- und Vlkergabe sei, nicht ein Privaterbtheil einiger seinen, gebildeten Mnner. Ich verschlang das Alles, und je heftiger ich im Empfangen, desto freigebiger war er im Geben, und wir brachten die interessantesten Stunden zusammen zu. ... Was die Flle dieser wenigen Wochen betrifft, welche wir zusammen lebten, kann ich wol sagen, daß Alles, was Herder nachher allmhlich ausgefhrt hat, im Keim angedeutet ward, und daß ich dadurch in die glckliche Lage gerieth, Alles, was ich bisher gedacht, gelernt, mir zugeeignet hatte, zu kompletiren, an ein Hheres anzuknpfen, zu erweitern. Die Auslassung ist in Cassirers Handexemplar eingeklammert. 197 Strassburg und Sesenheim. ... 29.1.41] Cassirers eigenhndige Bezeichnung und Datierung der ersten Vorlesung in seinem universitren Diarium zu Der junge Goethe, V rterminen (SS) 1941. Auch die in eckigen Klammern wiedergegebenen Vorlesungstitel und Datierungen der folgenden Vorlesungen des SS 41 sind diesem Diarium entnommen. Zu diesem Dokument s. den editorischen Bericht im vorl. Bd., S. 385. 198 “Umsonst, ... mich hrt”.] Siehe Goethe: Faust, Z. 426-429. 199 Wie herrlich ... o Lust.] Siehe Hrsg.-Anm. 20. 200 »Ich saug ... am Busen hlt«.] Siehe die Lesart zu Goethe: Auf dem See. In: WA, Bd. 1, S. 387. 201 “Gestern ... wie ein Traum”.] Siehe Goethe: An Katharina Fabricius. 27. Juni 1770. In: Morris, Bd. 2, S. 5 (WA, Abt. 4, Bd. 1, S. 235 f.). 202 “Meine Herren ... warten zu mssen”.] Siehe DuW, 3. Teil, 11. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 8 (WA, Bd. 28, S. 9 f.). In Cassirers Handexemplar der Loeper Ausgabe ist diese Passage in eckigen Klammern mit Bleistift markiert. 203 M o r r i s , B d . I I , S . 5 9 (Nb. e r s t e Fassung!):] Siehe Goethe: Es schlug mein Herz. In: Morris, Bd. 2, S. 59 f. Das Gedicht erschien in einer zweiten Fassung unter dem Titel Willkommen und Abschied. In: WA, Bd. 1, S. 68 f. 204 L o e p e r, B d . 2 2 , S . 7 3 . ] das Zitat findet sich auf S. 72. 205 “Sie betrug sich ... leben kann” (WA, Briefe, Bd. 4, S. 66 f.).] Siehe Goethe: An Charlotte von Stein. 24.-28. September 1779. In: WA, Abt. 4, Bd. 4, S. 66-67. 206 “Denn immer, ... machen kann.”] Siehe Lenz: Die Liebe auf dem Lande, letzte Strophe, in: Strmer und Drnger, 2. Teil: Lenz und Wagner, S. 233. 207 »Werd’ ich ... zu Grunde gehen«.] Siehe Goethe: Faust, Z. 1699-1702. 208 »Mein nisus ... zu sehen.«] Siehe Goethe: An Salzmann. 28. November 1771. In: WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 8.

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Bin ich der Flchtling nicht? der Unbehauste?] Diese Z. folgt der berarbeiteten Fassung des Faust, Z. 3348; alle andere dem Urfaust; vgl. dort Z.1414: Ha! bin ich nicht der Flchtling, Unbehauste, ... 210 “Bin ich ... zu Grunde gehn”.] Siehe Goethe: Faust. In ursprnglicher Gestalt. In: WA, Bd. 39, S. 306 f., Z. 1414-1431; vgl. Goethe: Faust, Z. 33483365. 211 Leben: ... C h r i s t i a n M o r g e n s t e r n .] Siehe Ibsen: Ein Vers. In: Gedichte, 1902, S. 162: L e b e n heisst – dunkler Gewalten ... . Eine Erluterung auf S. 172 sagt: ursprnglich in deutscher Sprache gedichtet. 212 “Kenner der Hhen und Tiefen”] Siehe Goethe: Der Gott und die Bajadere. In: WA, Bd. 1, S. 228, Z. 43. 213 “Du hast im Leben jede Zier ... verkndet”.] Vgl. Hebbel: Auf Gtz von Berlichingen. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 6, S. 412. 214 “Deine Art, ... meines Herzens”.] Siehe Goethe: An Herder. Mai 1775. In: WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 262. 215 “Selbsthelfer in wilder anarchischer Zeit”] Siehe DuW,, 2. Teil, 10. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 184 (WA, Bd. 27, S. 321): Die Gestalt eines rohen wohlmeinenden Selbsthelfers in wilder anarchischer Zeit erregte meinen tiefsten Antheil. 216 Es erben sich ... Ort zu Ort – etc.] Siehe Goethe: Faust, Z. 1972-1975. 217 “Nein, Nein, Nein”] Siehe Goethe: Gtz von Berlichingen. In: WA, Bd. 8, S. 70. 218 “Es ist genug! ... betrogen!”] Siehe Goethe: Gtz von Berlichingen. In: WA, Bd. 8, S. 72. 219 »Ich war schon ... niemals«] Siehe Goethe: Gtz von Berlichingen. In: WA, Bd. 13.1, S. 320. 220 »Freiheit, Freiheit«] Siehe Goethe: Gtz von Berlichingen. In: WA, Bd. 8, S. 169. 221 “Ich bitte Dich, ... Dir selbst.”] Siehe Goethe: Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand. In: WA, Bd. 39, S. 165: Ich bitte Dich, rede mit mir, lieber Mann, dein stillschweigen ngstigt mich. Du verglhst in dir selbst. 222 Flut von d e u t s c h e n R i t t e r d r a m e n ] Siehe im Anhang Cassirers Text ber Otto Brahms Das deutsche Ritterdrama des 18ten Jahrhunderts, S. 348 ff. 223 »Siegwart, eine Klostergeschichte«] von Johann Martin Miller (17501814), erschienen 1776; erwhnt in Goethe: Der Triumph der Empfindsamkeit. In: WA, Bd. 17, S. 56, Z. 3-4. 224 “der Einzige, der ganz erkenne, was er tue”.] Siehe Goethe: Tagebucheintrag. Juli 1779. In: WA, Abt. 3, Bd. 1, S. 87. 225 “Von Herdern ... empfunden hatte.”] Siehe DuW, 2. Teil, 10. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 176 (WA, Bd. 27, S. 307); dort: erwarten, man mochte sich anstellen, wie man wollte. statt: erlangen, man mochte sich anstellen, wie man mochte. 226 “Von Berlichingen ... erscheinen.”] Siehe Goethe: An Herder. Juli 1772. In: Morris, Bd. 2, S. 295 (WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 19). 227 “Herder, Herder ... lahm drber werden”!] Vgl. Goethe: An Herder.

Anmerkungen des Herausgebers

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[Oktober 1771]. In: Morris, Bd. 2, S. 117 (WA, Abt. 4, Bd. 1, S. 264); dort: Adieu lieber Mann. Ich lasse Sie nicht los. Ich lasse Sie nicht! 228 Gschensche Ausgabe der Werke,] Siehe Goethe: Schriften, Bd. 2: Gtz. Die Mitschuldigen, 1787. 229 »Hier hast Du ... tausendfltig”.] Siehe Herder: An Goethe, im Jahr 1786. Brief 548. In: Goethes Briefe an Frau von Stein, Bd. 3, S. 189-190. Zitiert werden nur die ersten und letzten Stze des Briefes. 230 “der Shakespeare ... ganz verdorben”.] Siehe Goethe: An Herder. Juli 1772. In: WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 19. 231 “Wir ehren ... Keim in uns”.] Siehe Goethe: Zum Shakespeares Tag. In: WA, Bd. 37, S. 130. 232 “Noch ... habe.”] Siehe Goethe: Zum Shakespeares Tag. In: WA, Bd. 37, S. 130. 233 »Und ich rufe ... ihre Verwandtschaft.«] Siehe Goethe: Zum Schkespears Tag. In: Morris, Bd. 2, S. 140 (WA, Bd. 37, S. 134). Auslassung nach Natur als Shakespeares Menschen!: Da hab ich sie alle berm Hals. / Lasst mir Lufft dass ich reden kann! 234 “Was will sich ... aufgetrieben”.] Siehe Goethe: Zum Schkespears Tag. In: Morris, Bd. 2, S. 140. (WA, Bd. 37, S. 134). 235 »Einer Einz’gen ... Vollgewinn.«] Siehe Goethe: Zwischen beiden Welten. In: WA, Bd. 3, S. 45. 236 Viertes Kapitel: Gtz] Cassirers Diarium zu Der junge Goethe, V rterminen (SS) 1941 erwhnt diese zustzliche Vorlesung zu Gtz nicht. 237 Wilhelm S c h e re r ... H e r d e r sei.] Siehe Wilhelm Scherer: Satyros. In: Ders.: Aus Goethes Frhzeit, S. 43-68. 238 »Das Wa s ... niemand etwas.«] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 505-506, S. 109. 239 Amtmanns Buff.] Heinrich Adam Buff. Amtsmann der Wetzlarer Liegenschaften des Deutschen Ordens. – * 1711, † 1795. 240 Sie bleibt hngen ... an Kestner.] Siehe Goethe: An Kestner. Im April 1773. In: WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 74: soll denn auch hngen biss ich sterbe. 241 “Von der Lotte ... mglich war”] Siehe Goethe: An Kestner.10. April 1773. In: Morris, Bd. 3, S. 37 (WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 76). 242 junge Jerusalem,] Karl Wilhelm Jerusalem, Sohn von Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem. 243 Goethe sagt ... Nachtwandler hnlich, geschrieben.] Siehe Hrsg.-Anm. 42. 244 “Ihr drngt Euch ... mich steigt”] Siehe Goethe: Faust, Z. 5-6. 245 nicht e r habe ... i h n gemacht.] Siehe Hrsg.-Anm. 29. 246 “Es sind nicht ... denn sie sind”,] Siehe Goethe: Torquato Tasso. In: WA, Bd. 10, S. 149, Z.1103-1104: Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte, Ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind. 247 “alles sich zum Ganzen webt”] Siehe Goethe: Faust, Z. 447; vgl. auch: Goethe: Faust. In ursprnglicher Gestalt. In: WA, Bd. 39, S. 222, Z. 94. 248 Auch Rousseaus Werk ... geschildert hat.] Rousseau schildert den Erfolg der Nouvelle H lo se in seinen Bekenntnissen, Buch 11. 249 Die Gestalten ... erzhlt.] Siehe Rousseau: Bekenntnisse, 1925, Buch 9,

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S. 567-569, wo er berichtet, wie er die Hauptfiguren der Nouvelle H lo se erfand. 250 “Phantasie fr die Wahrheit des Realen”.] Goethe zu Eckermann am 25. Dezember 1825 in: Goethes Gesprche, Nr. 2378, Bd. 3, S. 245. 251 Rousseau, Confessions Livre XI (S. 723 der deutschen Ausgabe).] Diese Randbemerkung bezieht sich nicht auf die hier zitierte Stelle, sondern gibt die Seite mit der Anekdote des Opernballes an (vgl. im vorl. Bd., S. 320 mit Hrsg.Anm. 594). Die im Text auf deutsch zitierte Stelle scheint Cassirer in stark abgewandelter Form bersetzt zu haben. Vgl. die von ihm sonst herangezogene Ernst Hardt bersetzung: Rousseau: Bekenntnisse, 1925, Buch 9, S. 564: Die Unmglichkeit, mich an wirkliche Wesen zu wenden, trieb mich in das Land der Trume hinaus, und da ich nichts Seiendes entdeckte, das meiner Trunkenheit wrdig gewesen wre, nhrte ich sie in einer idealen Welt, welche meine schpferische Phantasie gar bald mit Wesen nach meinem Herzen bevlkert hatte. (Ders.: Confessions, Livre IX. In: Oeuvres, Bd. 21, S. 339: L’impossibilit d’atteindre aux Þtres r els me jeta dans le pays des chimeres, et ne voyant rien d’existant qui ft digne de mon d lire, je le nourris dans un monde id al, que mon imagination eut bientt peupl d’Þtres selon mon coeur.). 252 Nb.: vgl. / Ms. ders.: 2te Vorlesung / (Lund); eventuell hier] Der Anfang der zweiten Lunder Vorlesung behandelt Werther; vgl. im vorl. Bd., S. 254. 253 “Dein Bestreben, ... dummes Zeug.”] Siehe DuW, 4. Teil, 18. Buch. In: Loeper, Bd. 23, S. 56 (WA, Bd. 29, S. 93). 254 »Verse-nous ... du n o u ve a u !«] Siehe Baudelaire: Le Voyage, in: Les Fleurs du Mal, S. 313. Das Gedicht ist 1859 entstanden und seit der Ausgabe von 1861 das Schlußgedicht der Fleurs du Mal. (Die Gifte flß uns ein, die wir zur Strkung brauchen! / Wir wollen, so die Flammen unser Hirn entznden, / Ob Himmel oder Hlle, tief in den Abgrund tauchen, / Tief in das Unbekannte, N e u e s dort zu finden!). 255 »taedium vitae«,] Siehe Goethe: An Zelter. 3. Dezember 1812. In: WA, Abt. 4, Bd. 23, S. 185 f.: ber die That oder Unthat selbst weiß ich nichts zu sagen. Wenn das taedium vitae den Menschen ergreift, so ist er nur zu bedauern, nicht zu schelten. Daß alle Symptome dieser wunderlichen, so natrlichen als unnatrlichen Krankheit auch einmal mein Innerstes durchrast haben, daran lßt Werther wohl niemand zweifeln. Ich weiß recht gut, was es mich fr Entschlsse und Anstrengungen kostete, damals den Wellen des Todes zu entkommen, sowie ich mich aus manchem sptern Schiffbruch auch mhsam rettete und mhselig erholte. 256 »Ruhe fr immer ... e l’infinita vanita del tutto.] Cassirer besaß eine bersetzung dieses Gedichts, der er aber hier nicht folgt; vgl. Leopardi: Auf sich selbst, in: Der.: Gedichte,1866, S. 108: Nun wirst du ruhn fr immer, / Du mdes Herz. Hin ist der Wahn, der letzte, / Den ewig ich geglaubt. Er ist zerronnen. / Es schwand fr holden Trug mir / Der Wunsch sogar, nicht bloß die Hoffnung. Ruhe / Nun aus fr immer! Lange / Genug hast du gepocht. Nichts lebt, das wrdig / Wr’ deiner Regungen, und keinen Seufzer / Verdient die Erde. Bittre Langeweile / Ist unser Sein, und Koth die Welt – nichts

Anmerkungen des Herausgebers

421

Andres. / Beruh’ge dich. Laß diese / Verzweifelung sein die letzte. Kein Geschenkt hat / fr uns das Schicksal als den Tod. Verachte / Dich, die Natur, die dunkle / Gewalt, die schnd uns qult, im Dunkel herrschend, / Die grenzenlose Nichtigkeit des Ganzen. (Leopardi, A se stesso, in: I Canti, 1903, S. 285 f.: Or poserai per sempre, / Stanco mio cor. Per l’inganno estremo, / Ch’eterno io mi credei. Per. Ben sento, / In noi di cari inganni, / Non che la speme, il desiderio spento. / Posa per sempre. Assai / Palpitasti. Non val cosaa nessuna / I moti tuoi, n di sospiri degna / La Terra. Amaro e noia / La vita, altro mai nulla; e fango il mondo. / T’acqueta omai. Dispera / L’ultima volta. / Al gener nostro il fato / Non don che il morire. Omai disprezza / Te, la natura, il brutto / Poter che, ascoso, a comun danno impera, / E l’infinita vanit del tutto.). 257 »Wie es auch sei, das Leben es ist gut.«] Siehe Goethe: Der Brutigam. In: WA, Bd. 4, S. 107; dort: »Wie es auch sei das Leben, es ist gut.« 258 “Whntest Du ... reiften?”] Siehe Goethe: Prometheus. In: WA, Bd. 2, S. 77, Z. 46-50. 259 “Ich knnte ... und erhlt.”] Siehe Goethe: Die Leiden des jungen Werther. In: WA, Bd. 19, S. 8. 260 “Und wenn der Mensch ...wie ich leide.”] Siehe Goethe: Torquato Tasso. In: WA, Bd. 10, S. 243. 261 “Ich hatte ... berechtigt.”] Siehe DuW, 3. Teil, 13. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 132 (WA, Bd. 28, S. 225). 262 zustzliche Vorlesung: Die Leiden des jungen Werthers] Cassirers Diarium zu Der junge Goethe, V rterminen (SS) 1941, erwhnt diese zustzliche Vorlesung zu Werther nicht. 263 »Plonger ... trouver d u n o u ve a u «.] Siehe Hrsg.-Anm. 254. 264 “Nun wirst ... Ganzen.”] Siehe Hrsg.-Anm. 256. 265 “In Lebensfluten, ... Kleid!”] Siehe Goethe: Faust, Z. 501-509. 266 (Morris, Bd. IV, S. 266).] Siehe Goethe: Die Leiden des jungen Werther. In: Morris, Bd. 4, S. 266: Es hat sich vor meiner Seele wie ein Vorhang weggezogen, und der Schauplatz des unendlichen Lebens verwandelt sich vor mir in den Abgrund des ewig offnen Grabs. ... Ich seh nichts, als ein ewig wiederkuendes Ungeheuer. (WA, Bd. 19, S. 75, 76). 267 Leben, es zerrttet ... Ungeheuer.”] Siehe Goethe: Die Leiden des jungen Werther. In: WA, Bd. 19, S. 76. 268 “Er ist sich ... tiefbewegte Brust”.] Siehe Goethe: Faust, Z. 303-307. 269 “Strzen wir ... der Mann!”] Siehe Goethe: Faust, Z. 1754-1759. 270 “Ich bin so glcklich ... dieser Erscheinungen”.] Siehe Goethe: Die Leiden des jungen Werthers. In: Morris, Bd. 4, S. 222 (WA, Bd. 19, S. 7 f.). 271 “Mein ferneres ... noch tue”.] Goethe zu Eckermann, August 1831, in: Goethes Gesprche, Nr. 2990, Bd. 4, S. 385. 272 »Es sind ber 60 Jahre ... zukommen sollte.”] Siehe Goethe: An W. von Humboldt. 17. Mrz 1832. In: WA, Abt. 4, Bd. 49, S. 282. 273 Vom »Werther« ... geschrieben.] Siehe Hrsg.-Anm. 42. 274 »produktives Talent« ... “ganz als Natur” betrachten] Siehe Hrsg.-Anm. 144.

422 275

Anhang

“Diese Naturgabe ... grnden”.] Siehe Hrsg.-Anm. 144. G o t t e r, ... »Teutschem Merkur«] Gemeint ist Friedrich Wilhelm Gotter: Epistel ber die Starkgeisteren. In: Der Teutsche Merkur, 1773. Dieses Gedicht kndigte Gotter Goethe in einem Briefgedicht an, das er als Antwort auf ein Briefgedicht Goethes schrieb, das dieser bei der bersendung seines Gtz von Berlichingen an Gotter gerichtet hatte. Beide Gedichte finden sich in der Hempel Ausgabe von Goethe’s Werken. Nach den vorzglichsten Quellen revidirte Ausgabe, Bd. 3, S. 140-142. Vgl. die Anmerkung zu den Gedichten dort, S. 140: F. W. Gotter (1746-1797) war in Wetzlar mit Goethe bekannt geworden und zur Zeit der Abfassung des “Gtz” bei der Geheimen Kanzelei in Gotha angestellt. ... Die Zeitbestimmung ergibt sich daraus, daß Goethe den Gtz im Juni 1773 versandte, und daß Gotter in der Erwiderung auf seine im 3. Bande des Wieland’schen Merkur (Juli bis September 1773) erscheinene Epistel ber die Starkgeisterei, als noch bevorstehend, hinweist. 277 “Du nchstens ... aufgebraust”.] Siehe Gotter an Goethe. In: Goethe’s Werke. Nach den vorzglichsten Quellen revidirte Ausgabe, Dritter Theil, Gedichte, S. 141-42, hier S. 142. 278 »Der Faust« ... bestehen konnte.«] Goethe zu Eckermann am 10. Februar 1829 in: Goethes Gesprche, Nr. 2654, Bd. 4, S. 65. 279 Brief an Herder ... »Italienischer Reise« finden,] Siehe Goethe: Italinische Reise. In: WA, Bd. 32, S. 286-290, zum Faust Manuskript, S. 288. 280 “Wir erwarteten ... Versteck entlockt.”] Siehe Schmidt: Einleitung. In: Goethes Faust in ursprnglicher Gestalt nach der Gchhausenschen Abschrift, 1887, S. VII-VIII. 281 K u n o F i s c h e r ] Cassirer nahm im SS 1893 in Heidelberg an Fischers Lehrveranstaltung Kritische Vortrge ber Goethes Faust teil. 282 “Er liebte ... auf Erden erforschen.”] Siehe Fischer: Goethes Faust, Bd. 1, S. 106. 283 »Read, read ... heavenly things«.] Zwei Anreden des good angel an Faustus. Siehe Marlowe: The Tragicall History of the Life and Death of Doctor Faustus (1604), 1939, S. 154 (Z. 100) und S. 164 (Z. 458). 284 “Ihr sollt nicht siegen!”] Vgl. Lessing: D. Faust. In: Ders.: Smtliche Schriften, Bd. 3, S. 389. 285 S a p e re a u d e ! ... Aufklrung.”] Siehe Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklrung? In: Ders.: Werke, Bd. 4, S. 169. 286 “Er nahm Adlerflgel ... Erden erforschen.”] Siehe im vorl. Bd., S. 159 mit Hrsg.-Anm. 282. 287 “Verachte nur ... schon unbedingt”.] Siehe Goethe: Faust, Z. 1851-1855. 288 »es irrt ... strebt.«] Siehe Goethe: Faust, Z. 317. 289 »Es sind ber 60 Jahre ... vorlag”.] Siehe Hrsg.-Anm. 272. 290 zustzliche Vorlesung: der Urfaust] Cassirers Diarium zu Der junge Goethe, V rterminen (SS) 1941 erwhnt diese zustzliche Vorlesung zum Urfaust nicht. 291 “Kannst du ... letzte Tag!”] Siehe Goethe: Faust, Z. 1694-1697. 292 “Mein Busen, ... geniessen”.] Siehe Goethe: Faust, Z. 1768-1771. 293 Da ich ein Kind ... Wie ich!] Siehe Goethe: Prometheus. In: WA, Bd. 2, 276

Anmerkungen des Herausgebers

423

S. 76-78, so auch in Prometheus. Dramatisches Fragment. In: WA, Bd. 39, S. 213-215. 294 Stnd’ ich ... Mensch zu sein,] Siehe Goethe: Faust II, Z. 11406-07. 295 Daß ich ... in Worten kramen.] Siehe Goethe: Faust. In ursprnglicher Gestalt. In: WA, Bd. 39, Z. 27-32; vgl. Faust, Z. 380-385. 296 Und seh, ... zu bekehren.] Siehe Goethe: Faust. In ursprnglicher Gestalt. In: WA, Bd. 39, Z. 11-20; vgl. Faust, Z. 364-373. 297 “Knnt’ ich ... Mensch zu sein”] Siehe Goethe: Faust II, Z. 11404-11407. 298 “jugendlich von vornherein klar”.] Siehe im vorl. Bd., S. 155, mit Hrsg.Anm. 272. 299 “Ja! ... in Aeonen untergehn” –] Siehe Goethe: Faust II, Z. 11573-11584. 300 “Ich sehe ... beglckenden Nhe”.] Siehe Eckermann: Gesprche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, hrsg. von Bartels, Freitag, den 5. Mrz 1830, Bd. 2, S. 436. Die in der Randbemerkung (5.3.1830 / (Eck[ermann] II, 436 f.)) genannte Quelle stimmt mit der Bartels Ausgabe berein, die Cassirer auch besessen hat. Vgl. Goethe zu Soret am 5.3.1830 in: Goethes Gesprche, Bd. 5, Nr. 2791, S. 222. 301 »D  m o n i s c h e s « ... besonders wirksam gewesen sei.] Siehe Eckermann: Gesprche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, hrsg. von Bartels, Freitag, den 5. Mrz 1830, Bd. 2, S. 436: Und dann was nicht zu vergessen, kommt als ein mchtiges Drittes noch das Dmonische hinzu, das jede Leidenschaft zu begleiten pflegt, und das in der Liebe sein eigentliches Element findet. In meinem Verhltnis zu Lilli war es besonders wirksam; ... (vgl. Goethe zu Soret am 5.3.1830 in: Goethes Gesprche, Bd. 5, Nr. 2792, S. 223). 302 “Es gab ... Folge war.”] Siehe Eckermann: Gesprche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, hrsg. von Bartels, Freitag, den 5. Mrz 1830, Bd. 2, S. 438; vgl. Goethe zu Soret am 5.3.1830 in: Goethes Gesprche, Bd. 5, Nr. 2792, S. 223. 303 Und frische Nahrung ... Leben ist –] Siehe Goethe: Auf dem See. In: WA, Bd. 1, S. 78, Z. 1-12. 304 Wenn ich, ... mein Glck?] Siehe DuW, 4. Teil,18. Buch. In: Loeper, Bd. 23, S. 68 (WA, Bd. 29, S. 112); vgl. auch Goethe: Vom Berge. In: WA, Bd. 1, S. 79, wo die letzte Z. lautet: Fnd’ ich hier und fnd’ ich dort mein Glck? 305 Auf der Welle ... die reifende Frucht.] Siehe Goethe: Auf dem See. In: WA, Bd. 1, S. 78, Z. 13-20. 306 ‘Warum ziehst Du mich unwiderstehlich’,] erste Zeile des Gedichts An Belinden; vgl. WA, Bd. 1, S. 71. 307 “In einen grossen Mantel ... verlassen.”] Siehe DuW, 4. Teil, 20. Buch. In: Loeper, Bd. 23, S. 107 (WA, Bd. 29, S. 184). 308 “Wenn Sie sich, ... will”] Siehe Goethe: An Auguste Grfin zu Stolberg. 13. Februar 1775. In: Morris, Bd. 5, S. 9 f. (WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 233 f.). 309 “nach einem Ideale springen”.] Siehe im vorl. Bd., S. 177 mit Hrsg.-Anm. 308. 310 dichterisches Talent “ganz als Naturgabe zu betrachten”.] Siehe Hrsg.Anm. 144.

424 311

Anhang

“O dass ich ... ich!”] Siehe Goethe. An Auguste Grfin zu Stolberg. 3. August 1775. In: Morris, Bd. 5, S. 289 f. (WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 273). 312 “Heute ... Gustgen”.] Siehe Goethe. An Auguste Grfin zu Stolberg. 14.19. September 1775. In: Morris, Bd. 5, S. 301 (WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 291). 313 “Ich bin ... Gold”.] Siehe Goethe: An Auguste Grfin zu Stolberg. 14.-19. September 1775. In: Morris, Bd. 5, S. 303 f. (WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 294-95). 314 “heilige Liebe”] Siehe Goethe: Die Metamorphose der Pflanzen. In: WA, Bd. 3, S. 87, Z. 77-80: Die heilige Liebe / Strebt zu der hchsten Frucht gleicher Gesinnungen auf, Gleicher Ansicht der Dinge, damit in harmonischem Anschaun / Sich verbinde das Paar, finde die hhere Welt. 315 “Wenn Sie ... in Romanen”.] Siehe Eckermann: Gesprche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, hrsg. von Bartels, Freitag, den 5. Mrz 1830, Bd. 2, S. 437; vgl. Goethe zu Soret am 5.3.1830 in: Goethes Gesprche, Bd. 5, Nr. 1271, S. 235. 316 “Dem Frieden ... zu gehren.”] Siehe Goethe: Elegie. In: WA, Bd. 3, S. 23 f., Z. 73-78, dort, Z. 75: heiteren statt stillen. 317 »Bin i c h ’s ... stellst?«] Siehe Goethe: An Belinden. In: WA, Bd. 1, S. 71, Z. 13-16; dort ist i c h ’ s nicht hervorgehoben. 318 Und an diesem ... los!] Siehe Goethe: Neue Liebe, neues Leben. In: Morris, Bd. 5, S. 33 f. (WA, Bd. 1, S. 70). 319 “Du wandelst ... mir geschehn.”] Siehe Goethe: Jgers Abendlied. In: WA, Bd. 1, S. 99, Z. 5-16. 320 In einem Brief an B  r g e r ... gegeben habe.] Siehe Goethe: An Brger. 18. Oktober 1775. In: WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 302. 321 “Welcher Unsterblichen ... Schoßkinde, der Phantasie.”] Siehe Goethe: Meine Gttin. In: WA, Bd. 2, S. 58, Z. 1-9. 322 “Ach warum ... Seinen Gttern”.] Siehe Goethe: Seefahrt. In: WA, Bd. 2, S. 73, Z. 37-46. 323 27 S: Cap. IV.] eine Zhlung dieser Lage (Vierte Vorlesung. / Lilly Schnemann.), die nach Abzug der Streichungen, 27 S. Text umfaßt. 324 Vielleicht darf ich ... bestimmt sein soll.] Cassirer verließ Schweden am 20. Mai 1941. Er hielt in Gteborg keine weitere Vorlesungsreihe. 325 Hier wird ... aufgepflanzt habe.] Siehe Baumgartner: Gthe. Sein Leben und seine Werke, Bd. 3, S. 174: So wird spielend das Kreuz in den Koth getreten, der mohammedanische Halbmond wieder aufgepflanzt. 326 »In unsers ... fromm sein«.] Siehe Goethe: Elegie. In: WA, Bd. 3, S. 24, Z. 79-83. 327 “Geschichte des Konflikts zwischen Glauben und Unglauben”] Siehe Goethe: Israel in der Wste, in Noten und Abhandlungen zu besserem Verstndniß des West-stlichen Divans. In: WA, Bd. 7, S. 157: Das eigentliche, einzige und tieffste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle brigen untergeordnet sind, bleibt der Conflikt des Unglaubens und Glaubens. 328 »Alle Epochen, ... abqulen mag«.] Siehe Goethe: Noten und Abhandlungen zu besserem Verstndnis des West-stlichen Divans. In: WA, Bd. 7, S. 157.

Anmerkungen des Herausgebers 329

425

»Das Wahre ... begreifen.«] Siehe Goethe: Versuch einer Witterungslehre. In: WA, Abt. 2, Bd. 12, S. 74, Z. 5-10, dort: von uns direkt statt direkt von uns. 330 “Vom Absoluten ... erfahren wird.”] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 261, S. 47. 331 »Nun sag, wie hlst Du’s mit der Religion«?] Siehe Goethe: Faust, Z. 3415, dort: Nun sag’, wie hast du’s. 332 “Auf die ... bereit stehe.”] Siehe DuW, 3. Teil, 14. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 157 (WA, Bd. 28, S. 270). 333 »Lieber ... meinen.«] Siehe Goethe: An Johann Kaspar Lavater und Johann Konrad Pfenninger. 26. April 1774. In: WA, Abt. 4. Bd. 2, S. 155-156, dort S. 156, Z. 1: Wozu die? statt Wozu das? 334 “Da ward ... werden.” (WA, Briefe, Bd. 48, S. 155 f.)] Siehe Goethe: An Sulpiz Boisser e. 22. Mrz 1831. In: WA, Abt. 4. Bd. 48, S. 154-156. 335 “Alles in der Geschichte vernnftig zugehe”] Siehe Hegel: Vorlesungen ber die Philosophie der Geschichte. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 11, S. 34: “Der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist [...] der einfache Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also auch in der Weltgeschichte vernnftig zugegangen sei.” 336 daß alles Wirkliche ... wirklich sei,] Anspielung auf Hegels Spruch: Was vernnftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernnftig. Siehe Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 7, S. 33; vgl. Ders.: System der Philosophie, Erster Teil. Die Logik, 6. In: Smtliche Werke, Bd. 8, S. 48. 337 “Ich fr mich ... gesorgt.”] Siehe Goethe: An Jacobi. 6. Januar 1813. In: WA, Abt. 4, Bd. 23, S. 226 und 484. 338 “Mein Liebchen, ... zu sein”.] Siehe Goethe: Faust, Z. 3426-3430, dort Z. 3427: Gott? statt Gott!. 339 ^¯ ŒÆM —@ ] Der von Jacobi Lessing zugeschriebene Ausruf ^¯ ŒÆM —@! lste die Diskussion um Lessings angeblichen Pantheismus aus; s. Jacobi: Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn. In: Ders.: Werke, Abt. 1, Bd. 4, S. 54. 340 Wer darf ihn ... Himmelsglut.] Siehe Goethe: Faust, Z. 3432-3458, Interpunktion vermengt mit Urfaust, Z. 1124-11250. 341 Ruhiger, ... C h r i s t i a n Wo l f f , geurteilt.] Siehe Cassirer: Thorilds Stellung in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, 1941, Kap. 1: Thorilds Spinozismus, S. 15: In Deutschland hat Christian Wolff seine gewohnte Schrfe und Grndlichkeit auch in der Prfung von Spinozas Lehre walten lassen. Diese Prfung ist in Wolffs »Theologia naturalis« enthalten; sie stellt die Grundbegriffe von Spinozas Metaphysik bestimmt auf, um aus ihnen in strenger systematischer Beweisfhrung die Folgerungen des Atheismus und Fatalismus zu entwickeln. Cassirer gibt in einer Fußnote folgenden erluternden Beleg: Wolff: Theologia naturalis, Frankf. u. Leipz. 1737, 671-716. Einen Auszug aus dieser Spinoza-Kritik hat Heinr. S c h o l z in der Einleitung zu seiner Ausgabe der »Hauptschriften zum Pantheismusstreit«, Berlin 1916, Neudrucke seltener philos. Werke, hg. von der Kant-Gesellschaft, Bd. VI, S. XLIII ff. gegeben.

426 342

Anhang

“wenn ich ... keinen andern”.] Siehe Jacobi: Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn. In: Ders.: Werke, Abt. 1, Bd. 4, S. 54 . 343 “wie von einem toten Hunde”] Siehe Jacobi: Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn. In: Ders.: Werke, Abt. 1, Bd. 4, S. 68. 344 “Je mehr ... sich krnt”.] Siehe Friedrich Jacobi: An Wieland. 27. August 1774. In: Morris, Bd. 4, S. 118. 345 »Gross ist die Diane der Epheser«] Siehe Goethe: Groß ist die Diana der Epheser. In: WA, Bd. 2, S. 195-96. 346 Gott der “erste Beweger”] Siehe Aristoteles: Metaphysik, Buch 12 ( ¸ ), Kap. 6-8 und Physik, 256a-260a. 347 Gott ist ... das æ  ŒØ fl und das ŒØ   ŒØ fl.] Siehe Aristoteles: Metaphysik, Buch 12 ( ¸ ), 1071b3-1073a12. 348 “Was wr’ ... Geist vermisst.”] Siehe Goethe: Gott, Gemth und Welt. In: WA, Bd. 2, S. 215, Z. 15-20. 349 »Qui Deum ... amet«] Siehe Spinoza: Ethica, Pars 5, Prop. 19. In: Opera, Bd. 1, S. 257 (Spinoza: Die Ethik, 1905, S. 258: We r G o t t l i e b t , k a n n n i c h t d a n a c h s t re b e n , d a ß G o t t i h n w i d e r l i e b t .) 350 »amor Dei i n t e l l e c t u a l i s «,] Siehe Hrsg.-Anm. 349. 351 “intuitive Erkenntnis” Gottes] Siehe EP, Bd. 2, S. 77: Fr Descartes sind es die geometrischen und arithmetischen Axiome, die den Inhalt der “Intuition” ausmachen; fr Spinoza besteht ihr Inhalt in dem unendlichen gttlichen Sein, mit dem das Ich sich zu erfllen trachtet. Handelte es sich dort um ein oberstes P r i n z i p der Einsicht, so handelt es sich hier um das Einswerden mit einem ußeren Objekt, um das “Gefhl und den Genuß d e r S a c h e s e l b s t .” Als Beleg fr das Zitat verweist Cassirer auf: Spinoza: Kurzer Tractat von Gott, dem Menschen und dessen Glckseligkeit, bersetzt und herausgegeben von Christoph Sigwart. Tbingen 1870, Teil II, Kap. 2, 2. 352 ‘Wenn ich Dich liebe, was geht’s Dich an?’] Siehe Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre. In: WA, Bd. 22, S. 57. 353 »sumum esse conservare«.] Siehe Spinoza: Ethica, Pars 4, Propositio 20. In: Opera, Bd. 1, S. 197-98: Quo magis unusquisque suum utile quaerere, hoc est suum esse conservare, conatur et potest, eo magis virtute praeditus est; et contra, quatenus unusquisque suum utile, hoc est suum esse, conservare negligit, eatenus est impotens. (Spinoza: Die Ethik,1905, S. 190: Je mehr einer danach strebt und je mehr er dazu imstande ist, seinen Nutzen zu suchen, das heißt sein Sein zu erhalten, desto mehr ist er mit Tugend begabt; und umgekehrt, sofern einer seinen Nutzen, das heißt sein Sein zu erhalten unterlßt, sofern ist er ohnmchtig.). 354 »Fromm sein« ... hinzugeben] Siehe Hrsg.-Anm. 326. 355 Sechste Vorlesung: Rckblick und Ausblick.] Cassirers Diarium zu Der junge Goethe, V rterminen (SS) 1941 datiert diese Sechste Vorlesung mit 12.3.41.; das Ms. selbst ist undatiert. Die berlieferten Manuskripte enthalten eine weitere Vorlesung, der Cassirer die berschrift Letzte Vorlesung (12. 3. 41) gab. 356 “Poetischer Gehalt ... ist Gehalt des eigenen Lebens”.] Siehe Hrsg.-Anm. 18.

Anmerkungen des Herausgebers 357

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“Das ganze ... Steinbruch”;] Siehe Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre. In: WA, Bd. 22, S. 332. 358 “ber allen Gipfeln ... Du auch”.] Siehe Goethe: Ein gleiches. In: WA, Bd. 1, S. 98. 359 »Alles ... haben”.] Siehe Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre. In: WA, Bd. 22, S. 333. 360 Edel sei ... Dauer verleihen.] Siehe Goethe: Das Gttliche. In: WA, Bd. 2, S. 83-84, Z. 1-6, 13-19, 32-42. 361 »ideelle Denkweise« ... sehen lsst”.] Siehe Goethe: Leben und Verdienste des Doctor Joachim Jungius. In: WA, Abt. 2, Bd. 7, S. 120, Z. 13 f. 362 Wir wissen, wo und wann ... geschrieben.] Siehe Goethe zu J. Ch. Mahr am 27. August 1831 in: Goethes Gesprche, Nr. 2994, Bd. 4, S. 389 f., wo das Gedicht mit 1780 statt 1783 datiert wird. 363 Poetischer Gehalt ... ist Gehalt des eigenen Lebens.] Siehe Hrsg.-Anm. 18. 364 Goethe hat ... ihn gemacht.] Siehe Hrsg.-Anm. 29. 365 »Die Welt ... halte ich nichts.« A ] Siehe Goethe zu Eckermann am 17.9.1823 in: Goethes Gesprche, Nr. 2146, Bd. 3, S. 6-7. 366 »Was fruchtbar ist, allein ist wahr«.] Siehe Goethe: Vermchtniß. In: WA, Bd. 3, S. 83, Z. 33. 367 “Das Erste ... ist Wahrheitsliebe”.] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 382, S. 73. 368 »Nature ... and all was light«,] Siehe Pope: Epitaph. Intended for Sir Isaac Newton, in Westminster Abbey. In: Ders.: The Poetical Works of Alexander Pope, Bd. 2, S. 293. 369 “Er unterscheidet ... Dauer verleihen.”] Siehe Hrsg.-Anm. 360. 370 “Das Erste ... ist Wahrheitsliebe.”] Siehe Hrsg.-Anm. 367. 371 “Deine unablenkbare Richtung ... dummes Zeug.”] Siehe Hrsg.-Anm. 253. 372 “Zhlen und Trennen ... in meiner Natur”.] Siehe Goethe: Zur Morphologie. In: WA, Abt. 2, Bd. 6, S. 107, Z. 23-24: Trennen und Zhlen lag nicht in meiner Natur. 373 “Das schdlichste ... werden knne.”] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 700, S. 154. 374 »Der Wille« ... zu tun.”] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 423, S. 86 f.: ... muß, um vollkommen zu werden und zu wirken, sich im Sittlichen dem Gewissen, das nicht irrt, im Kunstreiche aber der Regel fgen, die nirgends ausgesprochen ist. ... 375 “Kant ... eingedrungen ist.”] Siehe Goethe zu Eckermann am 11. April 1827 in: Goethes Gesprche, Nr. 2484, Bd. 4, S. 372. 376 “Sofort ... Sittentag.”] Siehe Goethe: Vermchtniß. In: WA, Bd. 3, S. 82, Z. 13-18. 377 “Weisheit letzter Schluß”.] Siehe Goethe: Faust II, Z. 11575. 378 “Es begegnet ... Folge leiste.”] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 477, S. 101. 379 “So wenig ... zu streuen hat.”] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 480-481, S. 102 f. 380 Citat T i b e r i u s ... AT. Bd. V, S. 178-179. –] Siehe Descartes: Descartes

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et Burman. In: Oeuvres, Bd. 5, S. 389: ... adeo ut, juxta Caesaris Tiberii (puto Catonis) effatum, nemo trigenarius medico opus habere debeat, quia e aetate satis ipsemet per experientiam, quid sibi prosit, quid obstet, scire potest, et ita sibi medicus esse. (Descartes: Gesprch mit Burman, S. 119: So gilt, daß niemand, nach einem Ausspruch des Kaisers Tiberius (eher wohl Catos), der sein 30. Lebensjahr erreicht hat, einen Arzt ntig haben sollte, weil er in diesem Alter genug aus eigener Erfahrung wissen kann, was ihm ntzt und was ihm abtrglich ist, und so sein eigener Arzt sein kann.). 381 “Bei mir, ... gestanden htte”.] Siehe im vorl. Bd., S. 15 mit Hrsg.-Anm. 19. 382 »Denn ich bin ... ein Kmpfer sein«] Siehe Goethe: Einlaß aus: Weststlicher Divan. In: WA, Bd. 6, S. 253, Z. 15-16. 383 “Wer nicht von 3000 Jahren, ... Tag zu Tage leben” –] Siehe Goethe: Wanderers Gemthsruhe aus: West-stlicher Divan. In: WA, Bd. 6, S. 110, Z. 13-16. 384 »Wer ... zu dichten«.] Siehe Goethe: Zahme Xenien I. In: WA, Bd. 3, S. 230, Z. 21-24. 385 »Gewiss! ... schlagen!«] Siehe Goethe: Faust II, Z. 6785-6789. 386 »Wer meine Schriften ... gewonnen«.] Siehe Hrsg.-Anm. 13. 387 »Poetischer Gehalt ... Gehalt des Lebens.«] Siehe Hrsg.-Anm. 18. 388 M e n s c h h e i t s re l i g i o n ... H u m a n u s .] Siehe Goethe: Die Geheimnisse. In: WA, Bd. 16, S. 180: Humanus heißt der Heilige, der Weise, / der beste Mann, den ich mit Augen sah ... . 389 radikal bse.] Siehe Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft,1. Stck. In: Ders.: Werke, Bd. 6, S. 171: Abschnitt III. Der Mensch ist von Natur bse (AA, Bd. 6, S. 32). Dort wird dieses Bse auf einen Hang in der menschlichen Natur zurckgefhrt, die Triebfeder der Selbstliebe und ihre Neigungen zur Bedingung der Befolgung des moralischen Gesetzes zu machen. Vgl. Ders.: Werke, Bd. 6, S. 176: Dieses Bse ist r a d i k a l , weil es den Grund aller Maximen verdirbt; zugleich auch als natrlicher Hang durch menschliche Krfte nicht zu vertilgen, weil dieses nur durch gute Maximen geschehen knnte, welches, wenn der oberste subjektive Grund aller Maximen als verderbt vorausgesetzt wird, nicht stattfinden kann; ... (AA Bd. 6, S. 37). 390 “Denn alle Kraft ... sich berwindet.”] Siehe Goethe: Die Geheimnisse. In: WA, Bd. 16, S. 178, Z. 185-192, die Hervorhebung von d e r ist Cassirers. 391 “wer sich nicht selbst befiehlt”, bleibt stets ein Knecht.] Siehe Goethe: Zahme Xenien. VIII. Axiom. In: WA, Bd. 5.1, S. 106, Z. 329-330, dort: bleibt immer ein Knecht. 392 Augustin gegen Pe l a g i u s ,] Siehe Augustinus: De Natura et Gratia ad Timasium et Jacobum contra Pelagium Liber 1, in: Opera, Bd. 10, Teil 1, S. 247-290. 393 Luther gegen E r a s m u s ] Siehe Luther: De servo arbitrio (1525), in: Ders.: Werke, Bd. 18, S. 551-787. 394 »radikalen Bsen«] Siehe Hrsg.-Anm. 389. 395 Die Lehre vom »radikalen Bsen« ... unwillig ab.] Siehe Goethe: An J. G. und Caroline Herder. 7. Juni 1793. In: WA, Abt. 4, Bd. 10, S. 75: Dagegen hat aber auch Kant seinen philosophischen Mantel, nachdem er ein langes Men-

Anmerkungen des Herausgebers

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schenleben gebraucht hat, ihn von mancherlei sudelhaften Vorurtheilen zu reinigen, freventlich mit dem Schandfleck des radicalen Bsen beschlabbert, damit doch auch Christen herbeigelockt werden, den Saum zu kssen. 396 “Nur ... muss.”] Siehe Goethe: Faust II, Z. 11575-11576. 397 “Liebe von oben”,] Siehe die Widmung zu Goethe: Sonette. In: WA, Bd. 2, S. 1: Liebe will ich liebend loben, Jede Form, sie kommt von oben. 398 “Gerettet ... Willkommen”.] Siehe Goethe: Faust II, Z. 11934-11941. 399 Nb.: das Folgende nur fr L u n d !] diese mit Bleistift gestrichene Randbemerkung deutet darauf hin, daß Cassirer zuncht den folgenden Schlußtext in Gteborg weglassen wollte. Doch ein publizierter Hrerbericht belegt, daß der letzte Teil in Gteborg verwendet wurde. Siehe Gsta Lundstrm: Cassirer och Goethe, in: Gteborgske Spionen. Organ fr Gteborgs Hgskolas Studentkr, N:o 1, rg. 6, Gteborg, Mars 1941, S. 10: Cassirer yttrade i sin sista frelsning, att Goethe fr honom framstr som en sol invictus, ingivande styrka och tillfrsikt. (Cassirer ußerte in seiner letzten Vorlesung, daß Goethe fr ihn als eine sol invictus hervorragt, Strke und Zuversicht eingebend.). 400 Wer half mir ... glhend Herz?] Siehe Goethe: Prometheus. In: WA, Bd. 2, S. 77, Z. 28-33. 401 M e n s c h h e i t s re l i g i o n ... H u m a n u s .] Siehe Hrsg.-Anm. 388. 402 »Ich Dich ehren wofr?«] Siehe Goethe: Prometheus. In: WA, Bd. 2, S. 77, Z. 37. 403 »Wer half mir ... glhend Herz?«] Siehe Hrsg.-Anm. 400. 404 Denn alle Kraft ... sich berwindet.] Siehe Hrsg.-Anm. 390. 405 Als Goethe ... Zarathustra vorliegt.] Cassirer erluterte Goethes Rezeption der Schriften des Awesta in PsF, Bd. 2, S. 153 unter Bezugnahme der Ausgabe in Die zoroastrische Religion, in: Bertholet: Religionsgeschichtliches Lesebuch, 1908. 406 “Vermchtnis des alten Parsen” ... Schilderung von ihr entworfen.] Goethe gibt eine knappe Schilderung der Religion des Zoroasters in ltere Perser, in Noten und Abhandlungen zu besserem Verstndniß des West-stlichen Divans (WA, Bd. 7, S. 19-24). Auf S. 23, Z. 26-27, ist von dem Vermchtnis des alten Parsen die Rede, whrend das Gedicht im West-stlichen Divan (WA, Bd. 6, S. 239) Vermchtnis altpersischen Glaubens berschrieben ist. 407 Vertiefen wir uns ... Finsternis.] Cassirer erlutert diese persische Zeitvorstellung in PsF, Bd. 2, S. 148 wie folgt: Schon das Avesta unterscheidet z we i Grundformen der Zeit: die grenzenlose Zeit oder Ewigkeit und die “herrschende Zeit der langen Periode”, die Ahura Mazda als Zeitabschnitt fr die Geschichte der Welt, als Epoche seines Kampfes gegen den Geist der Finsternis bestimmt hat. Diese Epoche der “langen, eigenem Gesetz unterstehenden Zeit” gliedert sich selbst wieder in vier Hauptabschnitte. Mit der Schpfung beginnt der erste Abschnitt von drei Jahrtausenden – eine “Vorzeit”, in der die Welt zwar lichthaft, aber noch nicht wahrnehmbar, sondern erst geistig existierte; dann folgt eine “Urzeit”, in der die Welt auf Grund ihrer schon vorhandenen Formen in sinnlich wahrnehmbare Gestalt umgeschaffen wird; eine “Kampfzeit”, in der Ahriman und seine Genossen in die reine Schpfung des Ormazd

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einbrechen und in der die Geschichte der Menschheit auf Erden ihren Anfang nimmt – bis schließlich in der “Endzeit” die Macht des bsen Geistes gebrochen wird und damit die “herrschende Zeit der langen Periode” wieder in die unendliche Zeit, die Weltzeit wieder in die Ewigkeit aufgeht. 408 “Fragt man mich ... sind.”] Siehe Goethe zu Eckermann am 11. Mrz 1832 in: Goethes Gesprche, Nr. 3055, Bd. 4, S. 442, dort: ... die Sonne zu verehren, so sage ich abermals: Durchaus! Denn sie ist gleichfalls ... 409 “Kampfzeit”] Siehe Hrsg.-Anm. 407. 410 Und wenn ... helle!] Siehe Goethe: Zueignung. In: WA, Bd. 1, S. 7, Z. 97104; dort kein Ausrufungszeichen am Ende. 411 es sind nun fast fnfzig Jahre her, ... begann.] Schon im Sommersemester 1893 besuchte Cassirer eine Goethe-Lehrveranstaltung von Kuno Fischer in Heidelberg: Kritische Vortrge ber Goethe’s Faust. 412 “Andacht zum Kleinen”] Siehe Hrsg.-Anm. 14. 413 “Die Welt ... halte ich nichts.”] Siehe Hrsg.-Anm. 365. 414 »Was willst Du, ... bis ans Ende] Siehe Hrsg.-Anm. 8. 415 »Was auch ... »Zahmen Xenien«.] Siehe Hrsg.-Anm. 9. 416 “Das Beste ... erregt.”] Siehe Hrsg.-Anm. 12. 417 “Ein Wort an junge Dichter” ... frdern wird.”] Siehe Goethe: Ein Wort fr junge Dichter. In: WA, Bd. 42.2, S. 106, Z. 1-14. Dort ist M e i s t e r nicht hervorgehoben, dort: aussprechen soll statt aussprechen will. 418 “von innen heraus”] Siehe im vorl. Bd., S. 239 mit Hrsg.-Anm. 417. 419 “Wer meine ... gewonnen.”] Siehe Hrsg.-Anm. 13. 420 “Ihr knnt ... Philisternetzen”.] Siehe Hrsg.-Anm. 16. 421 Leibnizischen Ausdruck der p r a e s t a b i l i e r t e n H a r m o n i e ] Siehe Hrsg.-Anm. 30. 422 Leibniz macht, ... »influxus physicus«.] Cassirer bezieht sich hier praktisch auf alle Texte, in denen Leibniz seine prstabilierte Harmonie in dieser Form erlutert. Dies gilt fr das Syst me nouveau bis hin zur Monadologie. Ein wrtlicher Beleg (influxus physicus) konnte nicht gefunden werden. Die hufigste Formulierung ist influence physique. Siehe z. B. Leibniz: Monadologie, 51. In: Philosophische Schriften, Bd. 6, S. 615 f. (Leibniz: Hauptschriften, Bd. 2, S. 447). Vgl. Hrsg.-Anm. 30. 423 »Kriegslieder schreiben ... Bildung verdankten”.] Siehe Hrsg.-Anm. 19. 424 “ganz als Natur”] Siehe Hrsg.-Anm. 144. 425 “ziemlich unbewusst, einem Nachtwandler hnlich”] Siehe Hrsg.-Anm. 42. 426 Klopstock ... Abschiedsrede] Siehe Hrsg.-Anm. 40. 427 Musenalmanachs von 1796,] Siehe Hrsg.-Anm. 41. 428 “Natur und Kunst ... zusammenfassen zu knnen.] Siehe Goethe: An C. F. Zelter. 29. Januar 1830. In: WA, Abt. IV, Bd. 46, S. 223: es ist ein grnzenloses Verdienst unsres alten Kant um die Welt, und ich darf auch sagen um mich, daß er, in seiner Kritik der Urtheilskraft, Kunst und Natur krftig nebeneinander stellt und beiden das Recht zugesteht: aus großen Principien zwecklos zu handeln. So hatte mich Spinoza frher schon in dem Haß gegen die absurden Endursachen geglubiget. Natur und Kunst sind zu groß, um auf

Anmerkungen des Herausgebers

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Zwecke auszugehen, und haben’s auch nicht nthig, denn Bezge gibt es berall und Bezge sind das Leben. 429 “Umsonst, ... mich hrt”.] Siehe Hrsg.-Anm. 198. 430 “Wie herrlich ... Du mich liebst”!] Siehe Hrsg.-Anm. 20. 431 »d o l c e s t i l n u o vo «,] Siehe Hrsg.-Anm. 23. 432 “Aus Italien, ... meine Sprache”.] Siehe Hrsg.-Anm. 27. 433 »nexus idealis«,] Als Zitat bei Leibniz bisher nicht nachgewiesen. 434 Napoleon hat erzhlt ... Pyramiden.] Siehe Hrsg.-Anm. 44. 435 “Was frdert ... Lotten auf Glas?”] Siehe Hrsg.-Anm. 46. 436 “marmorglatt und marmorkalt”.] Siehe Hrsg.-Anm. 47. 437 »wahren Statthalter ... auf Erden«.] Siehe Hrsg.-Anm. 48. 438 “Candide gegen die Poesie”.] Siehe Novalis: Fragmente, Fragment 1962. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 4, S. 223: Wilhelm Meister ist eigentlich ein Candide, gegen die Poesie gerichtet. 439 “es ist eine poetisierte ... behandelt”.] Siehe Hrsg.-Anm. 49. 440 Goethe sei ein Name ... zuknftige Schpfung«.] Siehe Hrsg.-Anm. 51. 441 Ganz anders ... kalter Egoist.] Siehe Hrsg.-Anm. 52. 442 “Eine deutsche Literaturgeschichte ohne Goethe”] Siehe Hrsg.-Anm. 53. 443 die Forderung des Tages.] Siehe Hrsg.-Anm. 54. 444 deutliche und krftige Verse] Siehe Hrsg.-Anm. 56. 445 “Von allem, ... gegangen bin”.] Siehe Goethe: An C. F. Zelter. 26. August 1828. In: WA, Abt. 4, Bd. 44, S. 289 f. Dort: keine Notiz zu nehmen statt nicht die geringste Notiz nehmen und da oder dort statt da und dort[.] 446 “Denn ein Gott hat Jedem seine Bahn vorgezeichnet”] Siehe Hrsg.-Anm. 58. 447 “Erst war ich ... so war ich allein.”] Siehe Goethe: Biographische Einzelheiten. Aus meinem Leben. Fragmentarisches. Sptere Zeit. In: WA, Bd. 36, S. 231, Z. 22-24. 448 Napoleon hat erzhlt ... Pyramiden.] Siehe Hrsg.-Anm. 44. 449 “Was frdert ... Lotten auf Glas?”] Siehe Hrsg.-Anm. 46. 450 i n d i v i d u e l l e n Gesetz] Vgl. Georg Simmel: Das individuelle Gesetz. In: Logos, 1913. 451 »Freiheit ... Begierde«] Siehe Schiller: Der Spaziergang. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 1, S. 138, Z. 141. 452 Nietzsche hat gesagt, ... Freiheit wo z u .] Siehe Hrsg.-Anm. 59. 453 “Ich mchte ... mich nachstrzen”] Siehe Hrsg.-Anm. 60. 454 »Mich ... Gttlich-Milden”.] Siehe Goethe: West-stlicher-Divan. Aus dem Nachlaß. In: WA, Bd. 6, S. 283. 455 “sein einziges Studium”] Siehe Hrsg.-Anm. 63. 456 er plant ein Drama »S o k r a t e s «.] Siehe Hrsg.-Anm. 31. 457 “daß ... frdern wird.”] Siehe Hrsg.-Anm. 417. 458 der Geist des Wirklichen ... ist das wahre Ideelle.] Siehe Goethe zu Riemer, 1827, in: Goethes Gesprche, Nr. 2568, Bd. 3, S. 484: G o e t h e : Der Geist des Wirklichen ist das wahre Ideelle. Vgl. Goethe: An Leopoldine Grustner von Grusdorf. 30. Mrz 1827. In: WA, Abt. 4, Bd. 42, S. 108 f.: so sag ich noch: daß der Geist des Wirklichen eigentlich das wahre Ideele ist.

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im Grunde habe ... i h n gemacht.] Siehe Hrsg.-Anm. 29. »Poetischer Gehalt ist Gehalt eigenen Lebens«] Siehe Hrsg.-Anm. 18. 461 »Dein Bestreben, ... dummes Zeug.”] Siehe Hrsg.-Anm. 253. 462 »charakteristischen Kunst«] Siehe Hrsg.-Anm. 194. 463 “In dem Menschen ... lebendig.”] Siehe Hrsg.-Anm. 195. 464 »l’art pour l’art«] Kunst um der Kunst willen. Siehe Meyers Lexikon, 8. Aufl., Leipzig 1939, Bd. 7, S. 270: Von V. Cousin in seinem Buche »D u v r a i , d u b e a u e t d u b i e n « (1837) geprgter Ausdruck, der bedeutet, daß Kunst nur um ihrer selbst, nicht um außerhalb von ihr liegender Zwecke willen gebt werden soll. 465 “Der Du ... erleuchtet.”] Siehe Goethe: Vorspiel zu Erffnung des Weimarerischen Theaters am 19. September 1807. In: WA, Bd. 13.1, S. 30, Z. 128133, 138-141. 466 “haben wir das Leben”.] Siehe Goethe: Faust II, Z. 4727: Am farbigen Abglanz haben wir das Leben. 467 “Volk ... Persnlichkeit”.] Siehe Goethe: West-stlicher Divan. In: WA, Bd. 6, S. 162, Z. 1-4. 468 »innere Form«] Cassirer hat mehrfach Vortrge zum Thema: Goethes Idee der inneren Form gehalten: 12.2.1934 am Taylor Institution, Oxford, im Januar und Februar 1935 am Bedford College, London, und v rterminen (SS) 1936 in Gteborg. Vgl. Goethe: Aus Goethes Brieftasche (1775). In: WA, Bd. 37, S. 314, Z. 3-4, wo er innere Form als die Form bezeichnet, die alle Formen in sich begreift. 469 »Sofort ... Sittentag«] Siehe Goethe: Vermchtnis. In: WA, Bd. 3, S. 82, Z. 13-18. 470 “Wie kann ... hervortut.”] Siehe Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre. In: WA, Bd. 24, S. 181,9-16. 471 »entelechische Monade«.] Siehe Goethe: An Zelter.19. Mrz 1827. In: WA, Abt. 4, Bd. 42, S. 95, Z. 12. 472 “Das Hchste ... ein Geheimnis”.] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 391, S. 76. Dieser Spruch erscheint dort unter der berschrift: Aus den Heften zur Morphologie. Ersten Bandes viertes Heft. 1822. 473 »Das ganze Weltwesen ... dargestellt haben.”] Siehe Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre. In: WA, Bd. 22, S. 332 f. 474 Wie an dem Tag, ... sich entwickelt.] Siehe Hrsg.-Anm. 65. 475 »Das ist ... Unerforschlichen«.] Siehe Goethe: Maximen und Reflexionen, 1907, Nr. 314, S. 59. 476 »Vom Absoluten ... erfahren wird«.] Siehe Hrsg.-Anm. 330. 477 “Katechismus” der Institutionen von H o p p e ;] Siehe DuW, 1. Teil, 4. Buch. In: Loeper, Bd. 20, S. 135 (WA, Bd. 26, S. 229). 478 “Mein Leipzig ... seine Leute”.] Siehe Hrsg.-Anm. 99. 479 “da mir Reden ... behaupten knne”] Siehe DuW, 2. Teil, 2. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 36 (WA, Bd. 27, S. 59). 480 “Lessing ... Augen gesehen”.] Siehe DuW, 2. Teil, 8. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 106 (WA, Bd. 27, S. 182). In Cassirers Handexemplar der Loeper Ausgabe wird diese Stelle durch Bleistiftstriche am Rand markiert. 460

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“Ganz Leipzig ... mit ihm um” (Brief von Goethe)] Siehe Goethe: An Johann Jacob Riese. 30. Oktober 1765. In: WA, Abt. 4, Bd. 1, S. 18. 482 (Persnliche Erinnerung -)] Vgl. im vorl. Bd. (S. 390) Cassirers Brief vom 10. Juli 1893 aus Heidelberg an seinen Cousin Bruno ber sein Studium der Germanistik dort und seine Arbeit ber Gellert (ber Gellerts Lustspieltechnik). Diese Arbeit erscheint im Anhang des vorl. Bandes, S. 358-368. 483 (persnliche Erinnerung ... Gellerts Technik – doppelter Erfolg, etc.)] Vgl. im vorl. Bd. Cassirers studentische Arbeit ber Gellerts Lustspieltechnik, S. 358-368; vgl. auch Hrsg.-Anm. 482. 484 “Und daß ... wie der Philosophie”.] Siehe Gellert: Die Geschichte von dem Hute, In: Fabeln und Erzhlungen. In: Ders.: Smmtliche Schriften, Bd. 1, S. 43-46; vgl. das gestrichene Zitat aus Gellerts Fabel vom Hut, im vorl. Bd., S. 276. 485 “Das ist schn ... Gelehrten (Scherer, S. 395).] Siehe Scherer: Geschichte der Deutschen Litteratur, 1883, S. 395; dort abweichend: Er hat so was Coulantes in seinem Wesen. 486 »Et prodesse volunt et delectare poetae«] Siehe Hrsg.-Anm. 192. 487 »Du siehst ... Bild zu sagen.«] Siehe Hrsg.-Anm. 190. 488 Persnliche Erinnerung ... Gellerts Te c h n i k ] Cassirers bezieht sich hier auf sein Referat Ueber Gellerts Lustspieltechnik, geschrieben 1893 als Student in Heidelberg; s. im vorl. Bd., S. 358-368. 489 “Die Werke, die er schuf, ... Der Britte Richardson”!] Siehe Gellert: Ueber Richardsons Bildnis, in: Ders.: Smmtliche Schriften, 3. Theil, S. 424. 490 Schck-Warburg, Bd. III, S. 313 ... gebt!] Siehe Hrsg.-Anm. 134. 491 Varnhagen von Ense erzhlt ... Willen tut”.] Diese Anekdote wird hier referiert bzw. zitiert nach der Wiedergabe in Erich Schmidt: Richardson, Rousseau und Goethe, 1924, S. 32. 492 »Ah! que j’aime ... plein de grace«!] Siehe das Titelblatt zu Gleim: Versuch in scherzhaften Liedern, Bd. 2, 1745: Ah! que j’aime ces vers badins, Ces riens na fs & plein de grace. (Ah! Wie liebe ich diese spielerische Verse, diese Kleinigkeiten, einfach & voll von Charme.). 493 (Friedrich II) ... der Philosophie”] Siehe im vorl. Bd., S. 272 mit Hrsg.Anm. 484. 494 »Dem, der nicht viel Verstand besitzt«] Siehe Hrsg.-Anm. 190. 495 “Von kalten Weisen ... oft dabei” –] Siehe Hrsg.-Anm. 128. 496 »Verpflanze ... Verdiente der Stamm«.] Siehe Goethe: Oden an meinen Freund. Erste Ode. In: Morris, Bd. 1, S. 238 (WA, Bd. 4, S. 182, Z. 1-4); in beiden Ausgaben: er jammert mich statt: er dauert mich ... 497 »Sei gefhllos! ... strmischer Ernst«.] Siehe Goethe: Oden an meinen Freund. Dritte Ode. In: Morris, Bd. 1, S. 240 (WA, Bd. 4, S. 185, Z. 65-72). 498 Morris, Bd. IV, S. 39.] Obwohl diese Randbemerkung die Fundstelle des Gedichts in der Morris Ausgabe angibt, folgt der Beginn des Zitatfragments (Whntest Du etwa ... wie ich) dem Text der Weimarer Ausgabe (WA, Bd. 2, S. 77 f., Z. 46-57); vgl. Goethe: Prometheus. In: Morris, Bd. 4, S. 40: Whntest etwa ... wie ich. 499 “Wohlgewachsen, ... die grsste Erziehung.”] Es handelt sich um die

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Schilderung Horns. Siehe J. A. Horn an W. C. Moors. 3. Oktober 1766. In: Morris, Bd. 1, S. 288 f. 500 “Ich hoffe, ... Herz und klagt”.] Zusammenfassung von zwei Stellen; vgl. Goethe: Die Laune des Verliebten. In: Morris, Bd. 1, S. 285 (WA, Bd. 9, S. 37 und 38). 501 Ja ja, ich bin wohl schlecht ...] Sller in Goethe: Die Mitschuldigen. In: WA, Bd. 9, S. 111. 502 spricht auch spter ... von dem Stck.] Siehe Hrsg.-Anm. 136. 503 wie ... in seine Werke aufnehmen?] Goethe hat Die Mitschuldigen in die erste Ausgabe seiner Werke mitaufgenommen. Siehe Goethes Schriften, Bd. 2, 1787. 504 “Rhrte das Stck ... durchzulesen”.] Siehe Hrsg.-Anm. 137. 505 erste Au f f  h r u n g ... 1894 im Deutschen Theater in Berlin] Die Erstauffhrung von Die Mitschuldigen im Deutschen Theater fand am 11. November 1891, nicht 1894, statt. Die Text- und Regiebcher dieser Produktion sind im Archiv des Deutschen Theaters erhalten. Die Produktion folgte dem Text der Ausgabe: Die Mitschuldigen. Ein Lustspiel in Versen und drei Aufzgen von Wolfgang von Goethe. Leipzig: Philipp Reclam jun. o. J. 506 Georg E n g e l s ,] Schauspieler. – * Altona 12.01.1846, † Berlin 31.10.1907. Er spielte 1883-1894 am Deutschen Theater in Berlin. 507 spielte er zuerst den “College Crampton” von Hauptmann] Kollege Krampton wurde am 16.1.1892 am Deutschen Theater in Berlin uraufgefhrt. 508 “Solchen Quark ... Vorteil wre”.] Siehe Hrsg.-Anm. 145. 509 “Wr ich nur ... aus und ein”.] Siehe Goethe: Die Mitschuldigen. In: Morris, Bd. 1, S. 386 (WA, Bd. 9, S. 64). 510 “Dcht ich ... es auch gelesen”.] Die ersten sechs Zeilen folgen den Text von Goethe: Die Mitschuldigen in: Morris, Bd. 1, S. 385 f. Die zwei letzten Zeilen folgen WA, Bd. 9, S. 64, Z. 383-384; vgl. Lesarten. In: WA, Bd. 9, S. 474. 511 »B e k e n n t n i s s e e i n e r s c h  n e n S e e l e «] Siehe Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Sechstes Buch. In: WA, Bd. 22, S. 259-356. 512 “Nun erst erkenn’ ... im Morgenrot”.] Siehe Goethe: Faust, Z. 442-446, dort, Z. 442: Jetzt erst statt Nun erst. 513 “ob ihm ... nicht manch Geheimnis wrde kund”] Siehe Goethe: Faust, Z. 377-379; dort: ob mir .... 514 “das bedeutendste Ereignis, ... haben sollte”,] Siehe DuW, 2. Teil, 10. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 173: Denn das bedeutendste Ereignis, was die wichtigsten Folgen fr mich haben sollte, war die Bekanntschaft und die daran sich knpfende nhere Verbindung mit Herder. (WA, Bd. 27, S. 302). 515 H a y m ... Poesie.] Siehe Haym: Herder nach seinem Leben und seinen Werken dargestellt, Bd. 1, S. 399: Man man sich immerfort streiten, ob dies Verhltnis ehrenvoller fr Goethe oder fr Herder ist; die Entscheidung darber fllt schwer: unzweifelhaft ist, dieses Zusammentreffen der Beiden bezeichnet einen der fruchtbarsten Momente der aufsteigenden Litteratur, ja die eigentliche Geburtsstunde der neuen ber Klopstock und Wieland hinausweisenden deutschen Poesie. 516 D u W, X. Buch, Loeper, Bd. XXI, S. 173] In Cassirers Handexemplar der

Anmerkungen des Herausgebers

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Loeper Ausgabe und der WA (Bd. 27, S. 302) wurden keine zu zitierenden Stellen markiert. 517 »Ich habe das Glck genossen, ... vor mir.«] Gemß der Randbemerkung wird dieses Herder-Zitat ergnzt nach der Wiedergabe der Stelle in KLL, S. 87 f. Vgl. Hrsg.-Anm. 180. 518 Kant, Bd. II, S. 326.] Vgl. Kant: Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen im Winterhalbjahr 1765/66. In: Werke, Bd. 2, S. 326: ... so werde ich die Methode deutlich machen, nach welcher man den M e n s c h e n studieren muß, nicht allein denjenigen, der durch die vernderliche Gestalt, welche ihm sein zuflliger Zustand eindrckt, entstellt und als ein solcher selbst von Philosophen fast jederzeit verkannt worden; sondern die N a t u r des Menschen, die immer bleibt, und deren eigentmliche Stelle in der Schpfung, damit man wisse, welche Vollkommenheit ihm im Stande der ro h e n und welche im Stande der we i s e n Einfalt angemessen sei, ... (AA, Bd. 2, S. 311 f.). 519 s i b y l l i n i s c h e B  c h e r ... “Magus im Norden”] Siehe Hrsg.-Anm. 181. 520 “Das Prinzip ... a l l e s Ve re i n z e l t e i s t ve r we r f l i c h ’”.] Siehe DuW, 3. Teil, 12. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 65 (WA, Bd. 28, S. 108). Die Hervorhebung ist Cassirers. 521 “Man kann allerdings ... Abstraktionen aufgelegt”.] Siehe Hamann: Aesthetica in nuce, in: Ders.: Schriften, Teil 2, S. 267. Ungekennzeichnete Auslassung nach Mensch sein, ohne: daß man ntig hat 522 “Glieder der Unehre ... zu sich hinaufzieht”.] Siehe Unger: Hamann und die Aufklrung, Bd. 1, S. 124: ... eben jene verderblichen Sinne und Leidenschaften und Phantasieexzesse verwandelten sich aus “Gliedern der Unehre” und Werkzeugen des Satans in “Waffen der Mannheit” und Gnadenmittel Gottes, durch die er den Glubigen zu sich heraufzieht. 523 “Muttersprache des menschlichen Geschlechts”.] Siehe Hamann: Aesthetica in nuce, 1821, S. 258. 524 “Poesie ist ... taumelnder Tanz”.] Siehe Hamann: Aesthetica in nuce, 1821, S. 258-259. 525 “dem, der nicht ... Bild zu sagen”] Siehe Hrsg.-Anm. 190. 526 “unmittelbar zu Gott”.] Siehe Leopold von Ranke: Weltgeschichte, neunter Theil, zweite Abtheilung, Vortrag 1, Abschnitt 1: Wie der Begriff “Fortschritt” in der Geschichte aufzufassen sei, S. 5: Ich aber behaupte: jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Werth beruht gar nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in ihrem eigenen Selbst. 527 “Ein Patriarch kann ... Patriarch ...”.] Siehe Herder: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 5, S. 506: Ein Patriarch kann kein Rmischer Held, kein Griechischer We t t l  u f e r, kein K a u f m a n n von der Kste seyn; und eben so wenig, wozu ihn das Ideal deines Katheders, oder deiner Laune hinaufschraubte, um ihn falsch zu l o b e n , oder b i t t e r z u ve r d a m m e n . Seis[,] daß er nach sptern Vorbildern dir f u rc h t s a m , To d s c h e u , we i c h l i c h , u n w i ß e n d , m  ß i g , a b e r g l  u b i g , wenn du Galle im

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Auge hast, a b s c h e u l i c h vorkme: er ist, wozu ihn Gott, Klima, Zeit und Stuffe des Weltalters bilden konnte, Pa t r i a rc h ! 528 “Die Vorsehung ... als sie”?] Siehe Herder: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. In: Ders.: Smmtliche Werke, Bd. 5, S. 507: Die Vo r s e h u n g selbst, siehst du, hats nicht gefordert, hat nur in der A b we c h s l u n g , in dem We i t e r l e i t e n durch We c k u n g n e u e r K r  f t e und E r s t e r b u n g a n d re r, ihren Zweck erreichen wollen – P h i l o s o p h im Nordischen E r d e n t h a l , die K i n d e r wa a g e d e i n e s J a h r h u n d e r t s in der Hand, weißt du es beßer, als sie? 529 »et prodesse volunt et delectare poetae«] Siehe Hrsg.-Anm. 192. 530 “poetischer Gehalt ist Gehalt des eigenen Lebens”.] Siehe Hrsg.-Anm. 18. 531 “ D i e s e c h a r a k t e r i s c h e K u n s t . . . d i e e i n z i g wa h re ” .] Siehe Goethe: Von deutscher Baukunst. In: WA, Bd. 37, S. 149. 532 “aus den Kehlen ... Mtterchens”] Siehe DuW, 2. Teil,10. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 391, Anm. 359. 533 »Stimmen der Vlker in Liedern« ... (S c h e re r 477)] Siehe Scherer: Geschichte der Deutschen Litteratur, 1883, S. 477: Der humane Barbarenfreund und vielseitige Uebersetzer besttigte sich in den ’Volkslieder’ von 1778 und 1779, denen sptere Herausgeber den gezierten Titel ’Stimmen der Vlker in Liedern’ gaben .... 534 “Ich ward ... zu erweitern.”] Siehe Hrsg.-Anm. 189. 535 “Ich mach hier ... mein Beutel”.] Siehe Goethe: An Riese. 20.-21. Oktober 1765. In: Morris, Bd. 1, S. 103 (WA, Abt. 4, Bd. 1, S. 14). 536 “Von unserm Goethe ... zu gefallen”.] Siehe J. A. Horn an W. C. Moors. 12. August 1766. In: Morris, Bd. 1, S. 286 f. 537 “Gestern waren wir ... aufzusuchen”.] Siehe Goethe: An Katharina Fabricius. 27. Juni 1770. In: Morris, Bd. 2, S. 5. (WA, Abt. 4, Bd. 1, S. 235 f.). 538 Noch Rokoko – Tndelei – Der Zephir –] Siehe Goethe: Gedichte. In: Morris, Bd. 2, S. 58: Kleine Blumen, kleine Bltter / Streuen mit leichter Hand / Gute junge Frhlings Gtter / Tndelnd auf ein lustig Band. / Zephir nimms auf deine Flgel, / Schlings um meiner Liebsten Kleid! / Und dann tritt sie fr den Spiegel / Mit zufriedener Munterkeit. ... 539 “es sei hier ... s i c h e re i g n e n k n n e n ”.] Siehe DuW, 2. Teil, 10. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 199 (WA, Bd. 27, S. 348): Da aber hier die Rede nicht ist von Gesinnungen und Handlungen, in wiefern sie lobens- oder tadelnswrdig, sondern wiefern sie sich offenbaren oder ereignen knnen, ... . 540 »Wie ich beharre, bin ich Knecht«] Siehe Goethe: Faust, Z. 1710. 541 “Mein nisus ... zu sehen”.] Siehe Hrsg.-Anm. 208. 542 “Was ist ... der Unbehauste”.] Siehe Goethes Faust in ursprnglicher Gestalt nach der Gchhausenschen Abschrift, 1887, S. 79. (WA I, Bd. 39, S. 306). 543 “Wohl- und ... Ehre ...”] Siehe Goethe: An den Magistrat zu Frankfurt. 28. August 1771. In: Morris, Bd. 2, S. 107. 544 “Du hast im Leben jede Zier” ... verkndet.] Siehe Hrsg.-Anm. 213. 545 “Selbsthelfer in wilder anarchischer Zeit”] Siehe Hrsg.-Anm. 215.

Anmerkungen des Herausgebers 546

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»Ich schilderte ... abtrnnig erscheint«.] Siehe DuW, 3. Teil, 12. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 85 (WA, Bd. 28, S. 142). 547 “historischen Rechtsschule” (Savigny)] Cassirers Notizen (Beinecke-Konvolut 135 [Box 53, folder 1075, Bl. 7v]) zeigen, daß er die Programmschrift der historischen Rechtsschule, Friedrich Carl von Savignys Vom Beruf unserer Zeit fr Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, durchgearbeitet hat. Nach Savigny, a. a. O., S. 13-14, entsteht das Recht erst durch Sitte und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz. 548 »Es erben sich Gesetz und Rechte ...«] Siehe Hrsg.-Anm. 216. 549 “Strzen wir uns ... Rollen der Begebenheit”] Siehe Goethe: Faust, Z. 1754-55. 550 wir besitzen ... Mahomet-Drama.] Siehe Hrsg.-Anm. 31. 551 “Widerstand der stumpfen Welt”] Siehe Goethe: Epilog zu Schillers Glokke. In: WA, Bd. 16, S. 166. 552 “Selbsthelfers in wilder anarchischer Zeit”,] Siehe Hrsg.-Anm. 215. 553 Knie meines Herzens ... Brief B e e t h o ve n s an Goethe] Der Ausdruck Knie meines Herzens war bisher nicht in einem Brief Beethovens an Goethe nachzuweisen, sondern in Kleists Brief an Goethe bei der bersendung von Penthesilea; vgl. Kleist: An Goethe. 24. Januar 1808. In: Heinrich von Kleists Werke, Bd. 5, S. 369: Ew. Exzellenz habe ich die Ehre, in der Anlage gehorsamst das 1. Heft des Phbus zu berschicken. Es ist auf den “Knieen meines Herzens” daß ich damit vor Ihnen erscheine; ... Kleist zitiert nach dem biblischen Gebet Manasse, Z. 11: Darum beuge ich nu die Knie meines Herzens und bitte dich Herr um Gnade. 554 “Auch ich soll ... protestieren”.] Siehe Goethes Gedicht Dem 31. October 1817. In: WA, Bd. 3, S. 140, Z. 9-12. 555 “Was wr ... meine Freude stumm!”] Siehe Vorwort. In: Morris, Bd. 1, S. XVIII-XIX: Was er bei der Aufnahme des “Gtz” in Deutschland empfand, zeigen ein paar Verse mit der berschrift “Der Autor”, die der “Wandsbecker Bothe” im November 1773 in der Nhe anderer, sicher von Goethe stammender Einsendungen bringt, und die ihm gewiß gehren: “Was wr ich ohne dich, Freund Publikum! All mein Empfinden Selbstgesprch, All meine Freude stumm.” 556 “Es ist das ... wachsen wird”.] Siehe Goethe: Ephemerides. In: Morris, Bd. 2, S. 50. 557 “Behaglich ... empfunden hatte”.] Siehe DuW, 2. Teil, 10. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 176 (WA, Bd. 27, S. 307). Loeper und WA: Billigung erwarten statt Billigung erlangen. Ungekennzeichnete Auslassung zwischen: Zustand nicht und Billigung erwarten: denn ltere Personen, mit denen ich bisher umgegangen, hatten mich mit Schonung zu bilden gesucht, vielleicht auch durch Nachgiebigkeit verzogen; danach, ungekennzeichnete Hinzufgung: denn 558 “der Shakespeare ... verdorben”.] Siehe Hrsg.-Anm. 230. 559 Herder erklrt, ... versetzt werden.] Cassirers Nachweis (Juli 1772, Hirzel, Bd. I, S. 310) bezieht sich auf diese Stelle: Von “Behrlichingen” ein Wort. Euer Brief war Trostschreiben; ich setze ihn weiter schon herunter als Ihr. Die Definitiv, “daß Euch Shakespeare ganz verdorben” erkannt’ ich gleich in ihrer

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ganzen Strke; genug, es muß eingeschmolzen, von Schlacken gereinigt, mit neuem edelerem Stoff versetzt und umgegossen werden. Dann soll’s wieder vor Euch erscheinen. Vgl. WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 19. Dort ist der Brief etwa 10. Juli 1772 datiert. Vgl. zu diesem Brief Goethes an Herder im vorl. Bd., S. 126 f. mit Hrsg.-Anm. 226. 560 “Wenn sich doch mit ihm l e b e n liesse”] Siehe Goethe: An Herder. etwa 10. Juli 1722. In: Morris, Bd. 2, S. 294: Es vergeht kein Tag, dass ich mich nicht mit euch unterhalte und offt denke wenn sichs nur mit ihm leben liesse. Es wird, es wird. (WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 15). 561 “Herder, Herder ... drber werden”.] Siehe Goethe: An Herder. Oktober 1771. In: Morris, Bd. 2, S. 117. (WA, Abt. 4, Bd. 1, S. 264). 562 “Hier hast Du ... tausendfltig” –] Siehe Hrsg.-Anm. 229. 563 »Der Shakespeare hat Euch ganz verdorben«] Siehe Hrsg.-Anm. 230. 564 “Es vergeht ... sichs weitere”.] Siehe Goethe: An Herder. etwa 10. Juli 1772. In: Morris, Bd. 2, S. 294. (WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 17). 565 »ewigen Poesie«] Vielleicht eine Anspielung auf den Schlußsatz des 7. Kapitels von Novalis: Heinrich von Ofterdingen, In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 2, S. 333: Liebe und Treue werden euer Leben zur ewigen Poesie machen. 566 Morris, Bd. II, S. 137 f.] Siehe Goethe: Zum Shaekespears Tag. In: Morris, Bd. 2, S. 137 f. (WA, Bd. 37, S. 130). 567 Auch spter ... in Wilhelm Meister von Shakespeare spricht –] Shakespeare wird in Wilhelm Meisters Lehrjahre, beginnend im 8. Kap. des 3. Buches sowie in Buch 4 und 5 (WA, Bde. 21-23) wiederholt im Rahmen der Handlung als Musterbild des dramatischen Dichters besprochen. Vgl. auch die spte Abhandlung Shakespeare und kein Ende! (WA, Bd. 41.1, S. 52-71). 568 “Einer Einzigen ... Vollgewinn.”] Siehe Goethe: Zwischen beiden Welten. In: WA, Bd. 3, S. 45. 569 Wertherfieber] Siehe Schmidt: Richardson, Rousseau und Goethe, 1924, S. 240: Die Wertherstimmung wurde in Spott und Ernst “Wertherfieber” genannt; man fasste sie als Krankheit der Zeit. Zwei Dramen fhren unabhngig den Titel “Das Wertherfieber”. 570 »l’auteur ... Werther«.] Siehe Schmidt: Richardson, Rousseau und Goethe, 1924, S. 2: Denn, wenn die Stael den Werther einen Roman ohne gleichen nennt und selbst Napoleon ihn am Fusse der Pyramiden las, wenn Goethe den Franzosen so lange schlechthin l ’ a u t e u r d e s s o u f f r a n c e s d u j e u n e We r t h e r war ... 571 Napoleon hat ... gemacht hat –] Siehe Hrsg.-Anm. 44. 572 “Jeder ... zu sein”] Siehe Goethe: Zu den Leiden des jungen Werthers. In: WA, Bd. 4, S. 162; dort: sehnt sich statt wnscht sich ... 573 “soll denn auch hngen bleiben, bis ich sterbe”] Siehe Hrsg.-Anm. 240. 574 »Von der Lotte ... mglich war«.] Siehe Hrsg.-Anm. 241. 575 im Zustand eines Nachtwandlers,] Siehe Hrsg.-Anm. 42. 576 “Whntest Du ... Bltentrume reiften ? –”] Siehe Goethe: Prometheus. In: WA, Bd. 2, S. 77, Z. 46-50. 577 “Wie es auch sei das Leben, es ist schn”] Siehe Goethe: Der Brutigam. In: WA, Bd. 4, S. 107, Z. 16.

Anmerkungen des Herausgebers 578

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“Vom Himmel ... tiefbewegte Brust”.] Siehe Goethe: Faust, Z. 304-307. “w i e d i e G e s t a l t e i n e r G e l i e b t e n ”] Siehe Goethe: Die Leiden des jungen Werther. In: WA, Bd. 19, S. 8, Z. 18. 580 “Ich mchte beten ... in meiner engen Brust”.] Siehe Goethe: An Herder. Etwa 10. Juli 1772. In: Morris, Bd. 2, S. 294 (WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 17): Ich mchte beten, wie Moses im Koran: “Herr mache mir Raum in meiner engen Brust!”. Cassirer ndert Moses zu Mahomet. 581 “Und so ... B r u c h s t  c k e e i n e r g ro s s e n K o n f e s s i o n ” ...] Siehe Hrsg.-Anm. 17. 582 Aus diesem Grunde ... gemacht htten –] Siehe Hrsg.-Anm. 29. 583 “Wa s i c h s a g ... E u re m Ve r s t  n d n i s ”.] Siehe Hrsg.-Anm. 75. 584 Vo s s l e r ... alle Sprachgeschichte Ae s t h e t i k ist –] Siehe das Vorwort zu Vossler: Positivismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft, 1904. Vossler widmete diese Schrift Benedetto Croce, dessen Buch Estetica come scienza dell’espressione e linguistica (1902), Vossler den Weg fr seine Arbeit gewiesen hat; s. a. a. O., S. V-VI: Die folgenden Bltter mchten dazu beitragen, das notwendige Band etwas enger zu schnren, indem sie auf die wichtigsten Probleme der Sprachwissenschaft die Grundstze der idealistischen sthetik, wie sie besonders von Croce formuliert wurden, allerseits anwenden. 585 Vossler hat ... zu schreiben versucht –] Vosslers Frankreich Kultur im Spiegel seiner Sprachentwicklung erschien zuerst 1913; die 2., neubearbeitete Aufl. von 1929 wurde Frankreichs Kultur und Sprache. Geschichte der franzsischen Schriftsprache von den Anfngen bis zur Gegenwart betitelt. 586 “Latein ich ... Dinge Rach”.] Siehe Ulrich von Hutten: Auferwecker der teutschen Nation, oder Klag und Vormahnung. In: Opera, Bd. 5, S. 66. 587 “Ich hab’s ... kein Reu”.] Siehe Ulrich von Hutten: Ein neu Lied. In: Opera, Bd. 5, S. 375, erste zwei Zeilen. 588 “Urheber des Geistes der Grndlichkeit”] Anspielung auf KrV Vorrede, B XXXVI. 589 “Uns heute ... offenbart hat”.] Siehe Grimm: Goethe, 1882, S. 157 f., dort: die Prosa Goethe’s statt Goethes Prosa. 590 Grimm hat ... im Jahre 1874, vor fast sechzig Jahren] In dem gestrichenen Satz nach dem Zitat aus Grimm (s. editorische Anmerkung A) wird dieser Zeitabstand als  b e r s e c h z i g J a h r e n angegeben. Cassirer schrieb zunchst das Jahr 1884 ber Grimms Name, hat dieses dann aber durchgestrichen. Cassirer war ber das Entstehungsjahr von Grimms Vorlesungen hier wohl unsicher. Gehalten wurden die Vorlesungen im Jahr 1874 in Berlin; die erste Aufl. erschien 1877. Nach der Paginierung der Zitate aus Grimms Goethe in Cassirers GoetheVorlesungen, hat er die 3. Aufl. von 1882 verwendet. 591 Ta i s t o i , p a u v re J e a n - J a c q u e s , i l s n e t e c o m p re n d ro n t p a s .] Siehe Goethe: An Sophie v. La Roche. 23. December 1774. In: WA, Abt. 4, Bd. 2, S. 218, Z. 7-13: Heut krieg ich ein Exemplar We r t h e r zurck, das ich umgeliehen hatte, das von einem wieder an andre war gegeben worden und siehe, vorne auf das weisse Blatt ist geschrieben: Tais toi Jean-Jacques ils ne te comprendront point! – Das that auf mich die sonderbarste Wrckung weil 579

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diese Stelle im Emil mir immer sehr merkwrdig war. Es handelt sich um eine Anspielung auf eine Stelle in Livre II. Bei einem Essen warnt eine Tischnachbarin Rousseau, daß er nicht verstanden wird. Siehe Rousseau: mile, in: Ders.: Oeuvres, Bd. 7, S. 221: ... tais-toi, Jean-Jacques, ils ne t’entendront pas! Je la regard, je fus frapp , et je me tus. (Ders.: Emil, in: Ders.: Werke, Bd. 4, S. 124: Schweige, Johann Jakob, man versteht dich nicht. Ich sah sie an, ich wurde betroffen und schwieg.). 592 “von der Parteien ... in der Geschichte” –] Siehe Schiller: Wallenstein, Prolog. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 5, S. 8, Z. 102-103: Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt / Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte. 593 S e l l i re ber Rousseau ... Buch von B a b b i t t ] Siehe Selli re: JeanJacques Rousseau, 1921, und Babbitt: Rousseau and Romanticism, 1919. 594 (– Die Anekdote des B a l l e s ... etc.)1 ] Siehe Rousseau: Bekenntnisse, 1925, Buch 11, S. 723: Es [La nouvelle H lo se] erschien zu Anfang des Karnevals. Ein Austrger brachte es zu der Frau Prinzessin von Talmont, und zwar am Tage des Opernballes. Nach dem Abendessen ließ sie sich ankleiden, um hinzufahren, und dann las sie, bis es zum Aufbruche Zeit sein wrde, noch ein wenig in dem neuen Roman. Um Mitternacht befahl sie anzuspannen und las weiter. Man meldete ihr dann, daß der Wagen vorgefahren sei – sie gab keine Antwort. Als ihre Dienerschaft gewahrte, daß sie alles ber dem Buche vergaß, machte man sie darauf aufmerksam, daß es zwei Uhr geworden sei. “Es eilt noch nicht”, erwiderte sie, ohne vom Buch aufzusehen. Einige Zeit darauf klingelte sie, um nach der Stunde zu fragen, denn ihre Uhr war inzwischen stehen geblieben. Man sagte ihr, es sei vier Uhr. “Wenn dem so ist”, sagte sie, “so ist es zu spt geworden, um noch auf den Ball zu fahren, man spanne aus”. Darauf ließ sie sich entkleiden und las die ganze Nacht bis in den Morgen hinein. (Ders.: Confessions, in: Oeuvres, Bd. 22, S. 163: Il parut au commencement du carnaval. Un colporteur le porta  Mde. la princesse de Talmont, un jour de bal de l’op ra. Apr s souper, elle se fit habiller pour y aller, et en attendant l’heure, elle se mit  lire le nouveau roman. A minuit, elle ordonna qu’on mit ses chevaux, et continua de lire. On vint lui dire que ses chevaux e’toient mis; elle ne r pondit rien. Ses gens, voyant qu’elle s’oublioit, vinrent l’avertir qu’il toit deux heures. Rien ne presse encore, dit-elle, en lisant toujours. Quelque temps apr s, sa montre tant arrÞt e, elle sonna pour savoir quelle heure il toit. On lui dit qu’il toit quartre heures. Cela tant, dit elle, il est trop tard pour aller au bal, qu’on te mes chevaux. Elle se fit d habiller, et passa le reste de la nuit  lire.). 595 Hier geniesst ... begonnen habe.] Siehe Rousseau: Bekenntnisse, 1925, Buch 9, S. 530 f.: Am neunten April des Jahres 1756 verließ ich die Stadt, ... “Endlich sind all meine Wnsche erfllt!” (Ders.: Confessions, in: Oeuvres, Bd. 21, S. 284, 286: Ce fut le 9 aot 1756 que je quittai la ville pour n plus habiter; ... , et je m’ criai dans mon transport: enfin tous mes voeux sont accompli!). 596 “Ich erfllte ... sehnen konnte”. –] Siehe im vorl. Bd., S. 144 mit Hrsg.Anm. 251. 597 »Verzehrt ... gelebt zu haben.«] Diesem Zitat aus Rousseaus Bekenntnis-

Anmerkungen des Herausgebers

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sen folgt die Ernst Hardt bersetzung nicht, sondern bernimmt die Formulierung dieser Stelle in Erich Schmidts Schrift: Richardson, Rousseau und Goethe, 1924, S. 87. Vgl. Rousseau: Bekenntnisse, 1925, Buch 9, S. 562: Verzehrt von der niemals gestillten Sehnsucht zu lieben, sah ich mich vor den Toren des Alters stehn und sterben, ohne gelebt zu haben. (Ders.: Confessions, in: Oeuvres, Bd. 21, S. 336: D vor du besoin d’aimer, sans l’avoir jamais pu bien satisfaire, je me voyois atteindre aux portes de la viellesse, et mourir sans avoir v cu.). 598 (217)] Zitatbeleg bisher nicht nachgewiesen. 599 Erich S c h m i d t in seinem Buch (s. ob.)] Siehe Schmidt: Richardson, Rousseau und Goethe, 1875, bzw. Jena 1924; vgl. im vorl. Bd., S. 142-144. 600 “Die orthodoxen ... nichts anderes”.] Siehe Jacobi: Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn. In: Ders.: Werke, Abt. 1, Bd. 4, S. 54. 601 “Die orthodoxen ... keinen anderen,] Zum Zitat und der darauf folgenden Paraphrase, s. Jacobi: Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn. In: Ders.: Werke, Abt. 1, Bd. 4, S. 54. 602 “zum Zndkraut einer grossen Explosion”] Siehe DuW, 3. Teil, 15. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 182 (WA, Bd. 28, S. 313): “zum Zndkraut einer Explosion”. 603 “der Riss ... Mendelssohn, verloren.”] Siehe Hrsg.-Anm. 601. 604 »Je mehr ich’s berdenke ... sich krnt«.] Siehe Friedrich Jacobi an Wieland, 27. August 1774. In: Morris, Bd. 4, S. 118. 605 “Zhlen und Trennen ... in meiner Natur”.] Siehe Hrsg.-Anm. 372. 606 »Er, der in philosophischem Denken, ... aufquillt«.] Siehe DuW, 3. Teil,14. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 169 (WA, Bd. 28, S. 289 f.). 607 “D i e s e r G e i s t , ... z u S t a n d e ”.] Siehe DuW, 3. Teil, 14. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 168 (WA, Bd. 28, S. 288 f.). 608 Aristotelische Anschauung des “unbewegten Bewegers”] Siehe Hrsg.Anm. 346. 609 (Was wr’ ... Geist vermisst).] Siehe Goethe: Gott, Gemth und Welt. In: WA, Bd. 2, S. 215, Z. 15, 19-20. 610 »Msset im Naturbetrachten« ... Heilig ffentlich Geheimniß.] Siehe Goethe: Epirrhema. In: WA, Bd. 3, S. 88, Z. 1-6. 611 I n s I n n e re d e r N a t u r –] Siehe Goethe: A l l e r d i n g s . Dem Physiker. In: WA, Bd. 3, S. 105: “I n’s I n n re d e r N a t u r –” O du Philister! – “D r i n g t k e i n e r s c h a f f e n e r G e i s t .”; vgl. Kant: KrV, B 334: Ins Innere der Natur fhrt Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen. 612 »suum esse conservare«.] Siehe Hrsg.-Anm. 353. 613 Libere agere – ex ductu rationis agere.] Siehe Spinoza: Ethica, Pars 4, Propositio 24. In: Opera, Bd. 1, S. 199: Ex virtute absolute agere nihil aliud in nobis est, quam ex ductu Rationis agere, vivere, suum esse conservare (hoec tria idem significant), ex fundamento proprium utile quoerendi. (Spinoza: Die Ethik, 1905, S. 192 f.: Unbedingt aus der Tugend handeln ist nichts anderes, als nach den Gesetzen der eigenen Natur handeln. Nun handeln wir aber nur insofern, als wir erkennen. Folglich ist aus Tugend handeln nichts

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anderes in uns, als nach der Leitung der Vernunft handeln, leben, sein Sein erhalten, und zwar auf der Grundlage des Suchens nach dem eigenen Nutzen.). 614 das Kreuz ... aufgepflanzt habe.] Siehe Hrsg.-Anm. 325. 615 “Welche Religion ... Aus Religion”.] Siehe Schiller: Mein Glaube. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 1, S. 148. 616 “Der Geist des Widerspruchs ... in uns allen”] Siehe DuW, 2. Teil, 8. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 126 (WA, Bd. 27, S. 217). 617 “Der Glaube sei ... bereit stehe”.] Siehe DuW, 3. Teil, 14. Buch. In: Loeper, Bd. 22, S. 157 (WA, Bd. 28, S. 270). 618 “Mein Kind, wer darf das sagen, ... zu seyn”.] Siehe Goethes Faust in ursprnglicher Gestalt nach der Gchhausenschen Abschrift, 1887, S. 65. (WA I, Bd. 39, S. 291). 619 In seinem Buch ... unterschieden.] Die sieben Epochen werden unterschieden in Scherer: Zur Geschichte der deutschen Sprache, 1878, Erstes Kap.: Epochen der deutschen Sprachgeschichte, bes. S. 11-15. 620 “Grammatiker ... darin wohnen”.] Siehe Scherer: Zur Geschichte der deutschen Sprache, 1878, S. 14. 621 die Stelle ... von der wir ausgegangen waren,] Siehe im vorl. Bd., Vorlesung 5: Goethe und Leipzig, S. 57; vgl. DuW, 2. Teil, 6. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 35-36 (WA, Bd. 27, S. 57-59). 622 Einer Einzigen angehren] Siehe Goethe: Zwischen beiden Welten. In: WA, Bd. 3, S. 45, Z. 1. 623 “Gleichnissen drft ... nicht zu erklren”.] Siehe Goethe: Aus dem Nachlaß. Invectiven. In: WA, Bd. 5.1, S. 186, Z. 9-10. 624 “e w i g e G l e i c h n i s m a c h e r ”] Siehe Goethe: An Frau von Stein. 8. Mrz 1781. In: WA, Abt. 4, Bd. 5, S. 71, Z. 6. 625 “In Gleichnissen ... um die Wette”] Siehe Goethe: An Frau von Stein. 12. September 1780-14. September 1780. In: WA, Abt. 4, Bd. 4, S. 292, Z. 2-3. 626 Schnheit ... l e b e n d i g e G e s t a l t ] Siehe Schiller: ber die sthetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, 15. Brief. In: Smtliche Werke, Bd. 12, S. 55. Der Gegenstand des Spieltriebes, in einem allgemeinen Schema vorgestellt, wird also l e b e n d e G e s t a l t heißen knnen; ein Begriff, der allen sthetischen Beschaffenheiten der Erscheinungen und mit einem Worte dem, was man in weitester Bedeutung S c h  n h e i t nennt, zur Bezeichnung dient. 627 “Niemand, ... verdankt”.] Siehe Lessing: Briefe, die neueste Litteratur betreffend, 17. Brief. In: smtliche Schriften, Bd. 8, S. 41, dort: G o t t s c h e d zu danken habe. 628 “I c h b i n d i e s e r N i e m a n d , . . . s i e g e r a d e z u ”.] Lessing schreibt a. a. O.: ich leugne es ... 629 Lessing hat ... ein Versifikator, ein R e i m e r gewesen] Lessing verwendet diese Ausdrcke in seiner Kritik an Gottsched im Siebten Literaturbrief nicht, aber zur Bezeichung fr Johann Andreas Cramer und andere Dichter in Lessing: Briefe, die neueste Litteratur betreffend, Hundert und dritter Brief. In: Smtliche Schriften, Bd. 8, S. 229-233.

Anmerkungen des Herausgebers 630

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Oeser ... a) / umbl!] Vgl. im vorl. Bd., S. 65-67. siehe besonderes Blatt] Bl. 243-244; vgl. Goethe und die Bibel, im vorl. Bd., S. 344-347. 632 Aber noch zur Zeit bin ich kein Stutzer –] Siehe Hrsg.-Anm. 100. 633 Urteil Horns – M o r r i s , B d . I , S . 2 8 6 ] Siehe im vorl. Bd., S. 56 mit Hrsg.-Anm. 102. 634 in den oberdeutschen D i a l e k t ] Siehe im vorl. Bd., S. 57 mit Hrsg.-Anm. 103. 635 “wie ihm der Schnabel gewachsen ist”] Siehe Goethe: An Schiller. 12.-14. August 1797. In: WA, Abt. 4, Bd. 12, S. 230. 636 “Urheber ... Deutschland”] Siehe. KrV Vorrede, B XXXVI. 637 “Vernnftige Gedanken von der deutschen Sprache und Litteratur”.] Die Anfhrungszeichen dienen zur Hervorhebung einer Parallele zwischen Gottscheds Denkart und Wolffs. Eine Schrift Gottscheds mit diesem Titel findet sich nicht in der Gottsched-Bibliographie (= Johann Christoph Gottsched: Ausgewhlte Werke, hrsg. von P. M. Mitchell, Berlin und New York 1987, Bd. 12). 638 f r u c h t b r i n g e n d e G e s e l l s c h a f t , Pa l m e n o r d e n ] Diese am 28.8.1617 auf Schloß Hornstein bei Weimar gegrndete Gesellschaft widmete sich der Sprachreform; ihr gehrten u. a. Schottel und Opitz an. 639 “Weil ein Vers Dir gelingt” –] Siehe Hrsg.-Anm. 110. 640 “Vielleicht ... Gesellschaft”.] Siehe DuW, 1. Teil, 4. Buch. In: Loeper, Bd. 20, S. 130 f. (WA, Bd. 26, S. 221). In Cassirers Handexemplar der Loeper Ausgabe ist die hier zitierte Passage mit Bleistift markiert, und die hier ausgelassenen Teile der zitierten Passage sind eingeklammert. 641 “f a s t i h r a l l e i n s e i n e s i t t l i c h e B i l d u n g s c h u l d i g s e i ”.] Siehe DuW, 2. Teil, 7. Buch. In: Loeper, Bd. 21, S. 58 (WA, Bd. 27, S. 96): Ich fr meine Person hatte sie lieb und werth; denn fast ihr allein war ich meine sittliche Bildung schuldig, ... 642 “Die Bibel ... ihr ausscheiden”. (Dilthey, Lessing – S. 89).] Siehe Dilthey: Das Erlebnis und die Dichtung, 1907, S. 89. 643 “herrlichen Altvordern”,] Siehe Goethe: Die Leiden des jungen Werther. In: WA, Bd. 19, S. 110: Sieh mein Lieber, so beschrnkt und so glcklich waren die herrlichen Altvter! So kindlich ihr Gefhl, ihre Dichtung! 644 im reinen O s t e n ... im Rechten] Siehe Goethe: Hegire aus: West-stlicher Divan. In: WA, Bd. 6, S. 5, Z. 1-7. 645 D u W., Loeper, Bd. 21, S. 36] Vgl. DuW, 2. Teil, 6. Buch. In: WA, Bd. 27, S. 58. 646 “Die Parterre ... kein rechter Zweck”] Siehe Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 11. 647 “Ich empfinde ... rhmlich sei”.] Siehe Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 10 f. 648 21. Mrz 1781.] Trrings Brief an Dalberg vom 21. Mrz 1781 wird in Brahm: Das deutsche Ritterdrama, 1880, S. 10 f. ausfhrlich zitiert. 649 “Deutsche Treue und welsche Tcke”] Siehe Oskar Hcker: Deutsche Treue, welsche Tcke, 1881. 631

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127. 140.] Seitenangaben in Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880. 651 Johann Valentin Teichmann ... Ritterdramen] Teichmann war Sekretr der Generalintendantur der kniglichen Schauspiele zu Berlin. – * Berlin 20.01.1791, † ebd. 16.07.1860. Otto Brahm erwhnt in seinem Buch ber die Ritterdramen mehrfach Teichmanns Literarischen Nachlaß (hrsg. von Franz Dingelstedt, Stuttgart 1863), in dem die Geschichte der Berliner Bhnen dokumentiert wird. Die stark abgekrzten Notizen in Cassirers Randbemerkung ließen sich nicht mit Sicherheit vollstndig auflsen. 652 Brahm zhlt ... Motive auf:] Siehe Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, Kap. 7: Motive. 653 “Da verrammeln ... Conventionen”] Siehe Schiller: Die Ruber, 1. Akt, 2. Szene. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 3, S. 17. 654 “Ich soll ... Extremitten aus.”] Siehe Schiller: Die Ruber, 1. Akt, 2. Szene. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 3, S. 18. 655 Der Gelehrtenstand, ... nirgends Menschen!] Siehe Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 168 f. Dort zitiert nach Erich Schmidt, Richardson, Rousseau und Goethe. S. 214, der keine Quelle angibt. Diese ist Schlosser: Politische Fragmente. In: Ders.: Kleine Schriften, zweyter Theil, S. 241 f. 656 Wer Hofmeister wird, ... “leidendem Weib”.] Siehe die Rede des Geh. Rats in Lenz: Der Hofmeister, 2. Akt, 1. Scene, in: Strmer und Drnger, 2. Teil: Lenz und Wagner, S. 17: Noch nie hat ein Edelmann einen Hofmeister angenommen, wo er ihm nicht hinter eine Allee von acht neun Sklavenjahren ein schn Gemlde von Befrderung gestellt hat, und wenn Ihr achtJahr gegangen waret, so macht er’s wie Laban, und rckte das Bild um noch einmal so weit vorwrts. ... Vgl. die Rede des Louis an den Hofmeister in: Klinger: Das Leidende Weib, 3. Akt, 2. Scene, Leipzig 1775, S. 75: Es soll mir keiner vor die Augen kommen, der Jahre lang Hofmeister war, oder wohl gar zweymal. Er ist kein Mensch mehr. 657 “Geben Sie ... jauchzendes Volk”] Siehe Leisewitz: Julius von Tarent, 2. Aufzug, 5. Auftritt, in: Strmer und Drnger, 1. Teil: Klinger und Leisewitz, S. 340 f. Die Stelle wird paraphrasiert in Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 181. 658 “von sich ... prahlende Nichts.”] Siehe Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 182. Dort zitiert mit Verweis (IV. 14. 133): Lass uns fliehen, Fiesko – lass in den Staub uns werfen all diese pralende Nichts, [...]. Vgl. auch Schiller: Die Verschwrung des Fiesko zu Genua. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 3, S. 269. 659 “Wahrhaftig, ... Kluft.”] Siehe Leisewitz: Julius von Tarent, 2. Aufzug, 5. Auftritt, in: Strmer und Drnger, 1. Teil: Klinger und Leisewitz, S. 341. 660 “Narren knnen ... vergifte.”] Rede des Julius, vgl. Leisewitz: Julius von Tarent, 2. Aufzug, 5. Auftritt, in: Strmer und Drnger, 1. Teil: Klinger und Leisewitz, S. 341. 661 “Grille einiger Thoren”] Die Randbemerkung (III, 3) gibt die Stelle im Drama an: Leisewitz: Julius von Tarent, 3. Aufzug, 3. Auftritt, in: Strmer und

Anmerkungen des Herausgebers

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Drnger, 1. Teil: Klinger und Leisewitz, S. 352: G u i d o : Das ist die Feder in meiner Maschine – du kannst nichts thun, ohne die Liebe zu fragen, ich nichts ohne die Ehre: – wir knnen also beide fr uns selbst nichts, das, denk’ ich, ist doch wohl ein Fall. J u l i u s : Hat man je etwas so Unbilliges gehrt, die erste Triebfeder der menschlichen Natur mit der Grille einiger Toren zu vergleichen! Vgl. Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 172. 662 als Hirngespinst ... bei Grossmann in seiner Henriette.] Siehe Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 171. Dort wird die Heldin in Grossmans Henriette (I.4.) zitiert: Die Gesetze der Ehre sind Hirngespinste, Romanbegriffe. 663 “Ist denn Tarent ... ttet die Freiheit. –”] Rede des Julius, vgl. Leisewitz: Julius von Tarent, 2. Aufzug, 5. Auftritt, in: Strmer und Drnger, 1. Teil: Klinger und Leisewitz, S. 341; ungekennzeichnete Auslassungen nach Thrnen und Seufzer: – ich verstehe auch den hilflosen Hottentotten und werde mit Gott, wenn ich aus Tarent bin, nicht taub sein! und nach keiner frei ist – : jeder an das andere Ende der Kette angeschmiedet, woran er seine Sklaven hlt? – Narren knnen nur streiten, ob die Gesellschaft die Menschheit vergifte! – Beide Teile geben es zu, 664 Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch (II, 5)] So zitiert in: Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts,1880, S. 169, mit Angabe der Quelle als Lachmann Maltmann 2, 243 (Lessing: Nathan der Weise. In: Ders.: Smmtliche Schriften, hrsg. von Karl Lachmann, Auf’s Neue durchges. und verm. von Wendelin von Maltzahn, Leipzig 1853, Bd. 2, S. 243). Diese Stelle findet sich in der Lachmann und Muncker Ausgabe in Bd. 3, S. 63. 665 (Moser – Schiller.)] Die hier referierte Diskussion in Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 169, enthlt folgenden Hinweis auf Moser: ... und selbst ein so frommer Mann, wie Fr. Carl von Moser hatte ausgesprochen, dass man ‘eher ein Mensch, eher ein Brger, ein Unterthan des Staats’ sei, ‘ehe man ein Christ ist’ (‘moralische und politische Schriften’ II. 403). Im danach folgenden Text zitiert Brahm die von Cassirer hier ebenfalls wiedergegebene Stelle aus Schillers Gedicht Rousseau. 666 Rousseau leidet, ... Menschen wirbt.] Siehe Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts,1880, S. 169. Dort wird diese Stelle zitiert und nachgewiesen in Schillers Gedicht Rousseau. Vgl. Dass. In: Ders.: Smtliche Werke, Bd. 1, S. 246. 667 “Der einzigen Stimme ... folgen Tugend”.] Siehe Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 172, wo diese Stelle zitiert wird; als Nachweis gibt Brahm Jacobi: Allwill, Teutscher Merkur 1776, IV, 238. 668 Kapitn ... Wild,] Schiffcapitain Boyet und Wild sind Figuren in Klinger: Sturm und Drang. 669 “Gebiete dem Sturm ... wird fortbrausen”.] Siehe Klinger: Die Zwillige, 3. Aufzug, 1. Auftritt, in: Strmer und Drnger, 1. Teil: Klinger und Leisewitz, S. 41, Rede des Guelfo: ... gebeute dem Sturm, er soll sich legen. Faß ihn an der Scheitel und ruf: Was soll das, daß du wider meinen Willen die Elemente erregst und Verderben anricht’st. Der beleidigte Sturm wird fortbrausen.

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Sittah: Was Du ... mein Vater.] Dieser Dialog zwischen Sittah und Recha aus Lessing: Nathan der Weise wird zitiert in Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 188 f., mit Angabe der Quelle in der Lachmann und Maltzahn Ausgabe (Nathan der Weise. In: Gotthold Ephraim Lessing’s smmtliche Schriften, hrsg. v. Karl Lachmann, Auf’s Neue durchgesehen und vermehrt von Wendelin von Maltzahn. Leipzig 1853, Bd. 2, S. 181358): (V. 6. 341 f.). Diese Stelle findet sich in der Lachmann und Muncker Ausgabe in Bd. 3, S. 160-162. 671 “Denken und Denkeln, ... mein Idealheld.”] Siehe Mller: Genovesa, III. Aufzug, 1. Scene, in: Strmer und Drnger, 3. Teil: Maler Mller und Schubart, S. 59; vgl. Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 190, wo diese Stelle zum Teil wiedergegeben wird. 672 Brahm ... berschrift Greis] Siehe Brahm: Das deutsche Ritterdrama des achtzehnten Jahrhunderts, 1880, S. 198-203. 673 Moretos] Agust n Moreto y Caba a. Dramatiker. – * Madrid 1618, † Toledo 1669. 674 “Band”.] Siehe Gellert: Das Band. Ein Schferspiel. Aus den Belustigungen des Verstandes und Witzes. 675 “pro comoedia commovente” ... 10000 Thaler gewinnt.] Diese rare Abhandlung Gellerts fand erst durch eine bersetzung Lessings (1754) Verbreitung. Die erwhnte Stelle findet sich in Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung fr das rhrende Lustspiel. In: Lessing: Smtliche Schriften, hrsg. von Lachmann und Muncker, Bd. 2, S. 40. 676 Frau Orgon] Figur in Gellert: Das Loos von der Lotterie. 677 Herr Stephan] Figur in Gellert: Die kranke Frau. 678 Holbergs] Holberg, Baron Ludvig. Schriftsteller und Dramatiker. – * Bergen 3.12.1684, † Kopenhagen 28.1.1754. 679 Herr Simon ... was er redet.] Herr Simon in Gellerts Das Loos von der Lotterie spricht gelegentlich franzsische Phrasen. 680 Gellerts Damon] Figur in Gellert: Das Loos in der Lotterie. 681 Moli res Harpagon] Figur in Moli re: L’Avare. 682 Schilderung des Tasso durch Leonore Sanvitale] Siehe die Unterredung zwischen Leonore Sanvitale und der Prinzessin, Ende des ersten Auftritts im ersten Aufzug von Goethe: Torquato Tasso. In: WA, Bd. 10, S. 111-114, Z. 158234. 683 “Schulen ... Caffeehuser.”] Siehe Gellert: Das Loos von der Lotterie, 4. Aufzug, 2. Auftritt. In: Ders.: Smmtliche Schriften, 3. Theil, S. 267. 684 “eher mitleidige Thrnen als freudiges Gelchter erregen”] Siehe Gellert: Vorrede zu der Ausgabe der Lustspiele von 1747, in: Ders.: Smmtliche Schriften, 3. Theil, S. 10: Sollten einige der B e t s c h we s t e r, dem L o o s e i n d e r L o t t e r i e und den z  r t l i c h e n S c h we s t e r n berhaupt tadeln, daß sie eher mitleidige Thrnen, als freudige Gelchter erregten: so danke ich ihnen im voraus fr einen so schnen Vorwurf. 685 “Nun hre ... keine Wunder”;] Siehe Gellert: Die Betschwester, 1. Aufzug, 6. Auftritt, in: Ders.: Smmtliche Schriften, 3. Theil, S. 152, Frau Richardin zu Ferdinand.

Anmerkungen des Herausgebers 686

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“Die Religion ist ... nicht streiten. u. s. w.”] Siehe Gellert: Die Betschwester, 1. Aufzug, 6. Auftritt, in: Ders.: Smmtliche Schriften, 3. Theil, S. 267: Doch wir wollen einander nicht belehren.

L I T E RATU R V E R Z E ICH N IS

Im Ms. Cassirers nachgewiesene Literaturangaben und Zitate werden in den entsprechenden Ausgaben ermittelt. Auch die vom Herausgeber hinzugefgten Zitat- und Belegstellenangaben folgen nach Mglichkeit den von Cassirer (hier oder in anderen Schriften) zitierten oder in seiner Privatbibliothek befindlichen Ausgaben. Das Zeichen “^” weist auf Werke hin, von denen bekannt ist, daß Cassirer sie besessen hat. bersetzungen originalsprachiger Zitationen und Belegstellen sind anhand verlßlicher zweisprachiger oder deutscher Gesamtausgaben hinzugefgt, respektiv nachgewiesen und zitiert. Auch hier werden nach Mglichkeit Cassirer zugngliche Ausgaben herangezogen. Sie sind im Literaturverzeichnis an dem Vermerk “zitiert nach” zu erkennen. – Die nur vom Herausgeber in Anmerkungen erwhnten Schriften sind nicht verzeichnet. Aeschylos: Persai. In: ^ Aeschyli tragoediae quae supersunt ac deperditarum fragmenta. Recensuit et commentario illustravit Chr. Godofr. Schtz. Editio nova auctior et emendatior. Halae 1811. Bd. 2. S. 1–92. – Deutsch: Ders.: Die Perser. In: ^ Aeschylos. Deutsch in den Versmaßen der Urschrift v. J. J. C. Donner. Erster Band. Stuttgart 1854. S. 126–176. Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius — Opera quaecumque hactenus vel in lucem prodierunt, vel inveniri portuerent omnia, in duos tomos concinne degesta, et diligenti studio recognita: quae pagina post praefationem proxima plinißme enumerantur. 2 Bde. London o. J. (= Opera). — De incertitudine et vanitate scientiarum atque artium declamatio invectiva. In: Opera. Bd. 2. S. 1–318. — De occulta Philosophia Libri Tres. In: Opera. Bd. 1. S. 1–499. Antonius, Marcus Aurelius: Des Kaisers Selbstbetrachtungen. Neue Uebersetzung mit Einl. u. Anm. v. Albert Wittstock. Leipzig 1879. ^ Aristoteles graece ex recensione Immanuelis Bekkeri. Edidit academia regia Borussica. 2 Bde. Berlin 1831. — Metaphysik. In: Bd. 2. S. 980–1093. — Physik. In: Bd. 1. S. 184–267. Arnim, Bettina von: Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Erster u. zweiter Teil: In: Bettina von Arnims Smtliche Werke. Hrsg. mit Benutzung v. ungedruckten Materials v. Waldemar Oehlke. Bd. 3. Berlin: Propylen 1920. Arnim, L. Achim von u. Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. 3 Bde. Bd. 1: Heidelberg u. Frankfurt 1806. Bde. 2–3: Heidelberg 1808.

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450

Anhang

Brandes, Georg: Die Hauptstrmungen der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Vorlesungen, gehalten an der Kopenhagener Universitt von G. Brandes. Uebersetzt u. eingeleitet v. Adolf Strodtmann. 6 Bde. Charlottenburg, H. Barsdorf, 1897–1900. Bd. 1. Breitinger, Johann Jacob: Critische Dichtkunst Worinnen die Poetische Mahlerey in Absicht auf die Erfindung Im Grunde untersuchet und mit Beyspielen aus den berhmtesten Alten und Neuern erlutert wird. Mit einer Vorrede eingefhret von Johann Jacob Bodemer. Zrich, bey Conrad Orell und Comp. und Leipzig bey Joh. Fried. Gleditsch 1740. — Fortsetzung der Critischen Dichtkunst Worinnen die Poetische Mahlerey in Absicht auf dea Ausdruck und die Farben abgehandelt wird, mit einer Vorrede von Johann Jacob Bodemer. Zrich, bey Conrad Orell und Comp. 1740 und Leipzig bey Joh. Fried. Gleditsch. Brger, Gottfried August: Leonore. In: ^ Gedichte. Hrsg. v. A[ugust] Sauer. Berlin u. Stuttgart: W. Spemann 1884 (= Deutsche National-Litteratur 78. Hrsg. v. Joseph Krschner). S. 170–179. Burdach, Konrad: Die Sprache des jungen Goethe. In: Vorspiel. Gesammelte Schriften zur Geschichte des deutschen Geistes. Bd. 2: Goethe und sein Zeitalter. Halle/Saale 1926. S. 38–60 (= Deutsche Vierteljahrsschrift fr Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Buchreihe 3. Bd.). — ^ Goethes West-stlicher Divan. Festvortrag, gehalten in der 11. Generalversammlung der Goethe-Gesellschaft am 30. Juni 1896. In: Goethe-Jahrbuch. Bd. 17. Frankfurt/Main 1896. Im Anhang: S. 1*-41*. Csar, Julius: Der gallische Krieg. Aus dem Lateinischen mit Einteilung und Erluterung v. Max Oberbreyer. Leipzig: Philipp Reclam o. J. [1877]. Cassirer, Ernst: An Bruno [Cassirer]. 10. Juli 1893. Ms. Beinecke Rare Book and Manuscript Library. Gen Mss. 355. Box 3. Folder 79. – Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Bd. 2. 3. Aufl. Berlin 1922. — Das Problem Jean Jacques Rousseau. In: Archiv fr Geschichte der Philosophie 51 (1932). Heft 1/2. S. 177–213. Heft 3. S. 479–513. — Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte. Berlin: Bruno Cassirer 1916. — Goethes Idee der inneren Form. Vortrag, gehalten am 12.2.1934 am Taylor Institution, Oxford. Ms. Beinecke Rare Book and Manuscript Library. Gen Mss. 98. Box 40. Folder 801. — Goethes Idee der inneren Form. Vortrge, gehalten im Januar und Februar 1935 an der Bedford College, London. Ms. Beinecke Rare Book and Manuscript Library. Gen Mss. 98. Box 40. Folders 803–805. — Heinrich von Kleist und die Kantsche Philosophie. In: Ders.: Idee und Gestalt. Goethe. Schiller. Hlderlin. Kleist. Fnf Aufstze. Berlin 1921. S. 153–200. — Kants Leben und Lehre. Berlin 1918 (= Kant: Werke. Ergnzungsband). — [Nachruf auf Aby Warburg.] In: Hamburgische Universitt. Reden gehalten bei der Feier des Rektorwechsels am 7. November 1929. Hamburg 1929. S. 48–56.

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Anhang

— C. F. Gellert’s smmtliche Schriften. Neue rechtmßige Ausgabe. 10 Bde. in 5. Berlin u. Leipzig 1867 (= Smmtliche Schriften). — Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen. In: Smmtliche Schriften. Bd. 4. S. 5–192. — Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem Guten Geschmacke in Briefen. Nach der neuen Leipsiger Ausgabe. Upsala: Gedruckt bey Dir. Joh. Edmans Wittwe 1792. — Bref, semte en Praktik Afhandling om den Goda Smaken i Bref, af samma Frsattare. fwersattaifrn Tyskan. Upsala: Tryckta. p egen bekostnad, af Directeuren, Johan Edman 1781. — Das Band. Ein Schferspiel. Aus den Belustigungen des Verstandes und Witzes. In: Smmtliche Schriften. Bd. 3. S. 379–412. — Das Loos in der Lotterie. Ein Lustspiel in fnf Aufzgen. In: Smmtliche Schriften. Bd. 3. S. 205–304. — Den Swenska Grefwinnan. Afskildrad af Herr Professor Gellert, Och nu I frn Tnskan fwersatt af B. [gren]. Stockholm: Trynckt hos Lor. Lud. Grefing 1757. — Die Betschwester. Ein Lustspiel in drey Aufzgen. In: Lustspiele. In: Smmtliche Schriften. Bd. 3. S. 137–204. — Die Biene und die Henne. In: Fabeln und Erzhlungen. Erstes Buch. In: Smmtliche Schriften. Bd. 1. S. 94–95. — Die Geschichte von dem Hute. In: Fabeln und Erzhlungen. Erstes Buch. In: Smmtliche Schriften. Bd. 1. S. 43–46. — Die kranke Frau. Ein Nachspiel in einem Aufzuge. In: Smmtliche Schriften. Bd. 3. S. 339–378. — Die zrtlichen Schwestern. Ein Lustspiel von drey Aufzgen. In: Smmtliche Schriften. Bd. 3. S. 11–104. — Fabeln und Erzhlungen. In: Smmtliche Schriften. Bd. 1. S. 37–280. — Fabeln und Erzhlungen. 2 Bde. Leipzig 1746–48. — Fabler och Berttelser af C. F. Gellert. Ifrn Tyskan fwersatte af H. F. Denisson. Stockholm: Tryckt hos Lorens Ludvig Greffing 1767. — Fabler. Frsta Delen. [bers. v. C. M. Bellman.] Stockholm: tryckt hos And. Zetterberg 1793. — Gedanken von einem guten deutschen Briefe, an Herrn F. H. von W. In: Smmtliche Schriften. Bd. 5. S. 204–214. — Geistliche Oden und Lieder. Leipzig 1757. — Geistliche Oden und Lieder. In: Smmtliche Schriften. Bd. 2. S. 63–188. — Leben der Schwedischen Grfin von G**. 2 Bde. In: Smmtliche Schriften. Bd. 4. S. 193–348. — Moraliska Frelsningar. Ofwersatte frn Tyskan. Stockholm: Tryckte hos Johan Arv. Carlbohm p Frlggarens bekostnad 1775. — ^ Moralische Vorlesungen. Nach des Verfassers Tode herausgegeben v. Johann Adolf Schlegeln u. Gottlieb Leberecht Heyern. 2 Bde. Berlin 1770. — Pro comoedia commovente commentatio. s. Lessing: Des Hrn. Prof. Gellerts Abhandlung fr das rhrende Lustspiel.

Literaturverzeichnis

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— Ueber Richardsons Bildnis. In: Anhang: Zwey Sinngedichte. In: Smmtliche Schriften. Bd. 3. S. 424. — Vorrede zu der Ausgabe der Lustspiele von 1747. In: Smmtliche Schriften. Bd. 3. S. 5–10. Gervinius, G[eorg] G[ottfried]: ^ Geschichte der deutschen Dichtung. In: Ders.: Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen. 1.-3. Theil. zweite umgearb. Ausg. Leipzig 1840–42 (= Historische Schriften v. G. G. Gervinius Bde. 2.-4). — Ueber den Gthischen Briefwechsel. Leipzig 1836. [Gleim, Johann Wilhelm Ludwig:] Versuch in Scherzhaften Liedern. Erster Theil. Berlin [1744]. Zweeter Theil. Berlin 1745. Goedeke, Karl: Grundrisz zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen. 3. neu bearb. Aufl. Nach dem Tode des Verfassers in Verbindung mit Fachgelehrten fortgefhrt v. Edmund Goetze. Bd. 4. Abt. 2–4. Dresden: L. Ehlermann, 1910, 1912, 1913. [Goethe, Catharina Elisabeth:] Die Briefe der Frau Rath Goethe. Gesammelt u. hrsg. v. Albert Kster. 2 Bde. Leipzig 1904. Goethe, Johann Wolfgang von — Der junge Goethe. Neue Ausgabe in sechs Bnden besorgt v. Max Morris. Leipzig 1909–1912 (= Morris). — Der junge Goethe. Seine Briefe und Dichtungen von 1764–1776. Mit einer Einl. v. Michael Bernays. 3 Theile. Leipzig: S[alomon] Hirzel 1875 (= Hirzel). — Goethes Briefe an Frau von Stein nebst dem Tagebuch aus Italien und Briefen der Frau von Stein. 4 Bde. Mit einer Einl. v. K[arl] Heinemann. Stuttgart u. Berlin: J. G. Cotta o. J. — Goethe’s Smtliche Schriften. Jubilums-Ausgabe in 40 Bnden. In Verbindung mit Konrad Burdach, Wilhelm Creizenach, Alfred Dove, Ludwig Geiger, Max Hermann, Otto Heuer, Albert Kster, Richard M. Meyer, Max Morris, Franz Muncker, Wolfgang von Oettingen, Otto Pniower, August Sauer, Erich Schmidt, Hermann Schreyer u. Oskar Walzel herausgegeben v. Eduard von der Hellen. Stuttgart u. Berlin: J. G. Cotta o. J. [1902– 1912]. — Goethe’s Schriften. 8 Bde. Leipzig 1787–1790 (= Goethe’s Schriften). — ^ Goethes Werke. Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. 133 Bde. in 143 Bdn. in 4 Abt. Weimar 1887–1919 (Weimarer Ausg. [= WA]). — Goethes Werke. Kritisch durchges. u. erluterte Ausgabe. Unter Mitwirkung mehrerer Fachgelehrter hrsg. v. Karl Heinemann. 30 Bde. Leipzig u. Wien 1900–1908 (= Meyers Klassiker-Ausgaben). — ^ Goethe’s Werke. Nach den vorzglichsten Quellen revidirte Ausgabe. Mitarbeiter: W. von Biedermann, H. Dntzer, S. Kalischer, G. von Loeper, Fr. Strehlke, Fr. Frster. 36 Teile in 23 Bnden. Berlin: Ferd. Dmmler (Verlag v. Hempel’s Klassiker Ausgaben) o. J. [1868–1879]. — ^ Goethe’s Werke. Vollstndige Ausgabe letzter Hand. 40 Bde. Stuttgart u. Tbingen: J. G. Cotta 1827–1830.

454

Anhang

— Goethes Werke in sechs Bnden. Im Auftrage der Goethe-Gesellschaft ausgew. u. hrsg. v. Erich Schmidt. Leipzig 1909. — Allerdings. Dem Physiker. In: WA Abt. 1. Bd. 3. S. 105. — An Auguste Grfin zu Stolberg. 13. Februar 1775. In: Morris. Bd. 5. S. 9–11. — An Auguste Grfin zu Stolberg. 3. August 1775. In: Morris. Bd. 5. S. 289– 292. — An Auguste Grfin zu Stolberg. 14.-19. September 1775. In: Morris. Bd. 5. S. 299–304. — An Belinden. In: WA Abt. 1. Bd. 1. S. 71. — An Brger. 18. Oktober 1775. In: WA Abt. 4. Bd. 2. S. 301–302. — An C[arl] F[riedrich] Zelter. 3. Dezember 1812. In: WA Abt. 4. Bd. 23. S. 185–191. — An C[arl] F[riedrich] Zelter. 19. Mrz 1827. In: WA Abt. 4. Bd. 42. S. 94–96. — An C[arl] F[riedrich] Zelter. 26. August 1828. In: WA Abt. 4. Bd. 44. S. 288–292. — An C[arl] F[riedrich] Zelter. 31. Dezember 1829. In: WA Abt. 4. Bd. 46. S. 197–200. — An C[arl] F[riedrich] Zelter. 29. Januar 1830. In: WA Abt. 4. Bd. 46. S. 221– 226. — An Charlotte von Stein. 24.-28. September 1779. In: WA Abt. 4. Bd. 4. S. 62–69. — An Charlotte von Stein. 8. Mrz 1781. In: WA Abt. 4. Bd. 5. S. 69–72. — An Cornelie Goethe. 11.-15. Mai 1767. In: Morris. Bd. 1. S. 155–165. — – Dass. In: WA Abt. 4. Bd. 1. S. 82–96. — An den Magistrat zu Frankfurt. [28. August 1771]. In: Morris. Bd. 2. S. 107– 108. — An F[riedrich] H[einrich] Jacobi. 6. Januar 1813. In: WA Abt. 4. Bd. 23. S. 226–228. — An Gotter. Bei der Uebersendung seines “Gtz von Berlichingen”. Sommer 1773. In: Goethe’s Werke. Nach den vorzglichsten Quellen revidirte Ausgabe. Hrsg. u. mit einer Anm. begleitet v. Fr. Strehske. Dritter Theil. Berlin: Gustav Hempel [1879]. S. 140–141. — An Herder. [Oktober 1771]. In: Morris. Bd. 2. S. 116–117. — – Dass. In: WA Abt. 4. Bd. 1. S. 264. — An Herder. [Anfang Juli 1772]. In: Hirzel. Bd. 1. S. 307–310. — – Dass. [etwa 10. Juli 1772]. In: Morris. Bd. 2. S. 293–296. — – Dass. [etwa 10. Juli 1772]. In: WA Abt. 4. Bd. 2. S. 15–19. — An Herder. [Mai 1775]. In: WA Abt. 4. Bd. 2. S. 261–263. — An Herzog Carl August. 17.-18. Mrz 1788. In: WA Abt. 4. Bd. 8. S. 355– 362. — An J[ohann] C[hristian] Kestner. Im April 1773. In: WA Abt. 4. Bd. 2. S. 74–75. — An J[ohann] C[hristian] Kestner. [10. April 1773]. In: Morris. Bd. 3. S. 36–37. — – Dass. In: WA Abt. 4. Bd. 2. S. 75–77. — An J[ohann] C[hristian] Kestner. 15. September 1773. In: Morris. Bd. 3. S. 53–56.

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Anhang

— Dem 31. October 1817. In: WA Abt. 1. Bd. 3. S. 140. — Der Brutigam. In: WA Abt. 1. Bd. 4. S. 107. — Der Gott und die Bajadere. Indische Legende. In: WA Abt. 1. Bd. 1. S. 227– 230. — Der Kenner. s. Kenner und Enthusiast. — Der Verfasser theilt die Geschichte seiner botanischen Studien mit. Verfolg. Schicksal der Handschrift. In: WA Abt. 2. Bd. 6. S. 131–136. — Der Wandrer. In: WA Abt. 1. Bd. 2. S. 170–177. — Dichtung und Wahrheit. Hrsg. v. J. Baechtold unter Mitwirkung v. G. von Loeper. 4 Teile. In: WA Abt 1. Bde. 26–29. — Dichtung und Wahrheit. In: Smtliche Werke. Neue Ausgabe. 10 Bde. Hrsg. v. Theodor Friedrich. Bde. 8–9. Leipzig: Reclam Verlag [1927] (HeliosKlassiker. Neue Ausg.). — Die Geheimnisse. Ein Fragment. In: WA Abt. 1. Bd. 16. S. 169–183. — Die Laune des Verliebten. In: Morris. Bd. 1. S. 254–285. — Die Leiden des jungen Werther. In: WA Abt. 1. Bd. 19. S. 1–191. — – In: Morris. Bd. 4. S. 220–329. — Die Metamorphose der Pflanzen. In: WA Abt. 1. Bd. 3. S. 85–87. — Die Mitschuldigen. Ein Lustspiel in Versen und drei Acten. In: Morris. Bd. 1. S. 365–434. — – Dass. In: WA Abt. 1. Bd. 9. S. 39–115. — – Dass. In: Goethe’s Schriften. Bd. 2. 1787. S. 241–368. — – Dass. In: Goethes Werke. Vollstndige Ausgabe letzter Hand. Bd. 7. Stuttgart u. Tbingen: J. G. Cotta 1828. S. 37–108. — Die Nacht. In: Morris. Bd. 1. S. 351–352 (= Neue Lieder 3). — Die Wahlverwandtschaften. Ein Roman. In: WA Abt. 1. Bd. 20. — Egmont. Ein Trauerspiel in fnf Aufzgen. In: WA Abt. 1. Bd. 8. S. 171–305. — Ein Fastnachtsspiel, auch wohl zu tragiren nach Ostern, vom Pater Brey, dem falschen Propheten. In: WA Abt. 1. Bd. 16. S. 57–73. — Ein gleiches. In: WA Abt. 1. Bd. 1. S. 98. — Einlaß. In: West-stlicher-Divan. In: WA Abt. 1. Bd. 6. S. 253–254. — [Ein Wort fr junge Dichter]. In: WA Abt. 1. Bd. 42.2. S. 106–108. — Elegie. In: WA Abt. 1. Bd. 3. S. 21–26. (= Marienbader Elegie) — Elegien I. In: WA Abt. 1. Bd. 1. S. 231–262. (= Rmische Elegien) — Ephemerides. In: Morris. Bd. 2. S. 26–50. — Epigramme. Venedig 1790. In: WA Abt. 1. Bd. 1. S. 305–331. (= Venetianischen Epigrammen) — Epilog zu Schillers Glocke. In: WA Abt. 1. Bd. 16. S. 163–68. — Epirrhema. In: WA Abt. 1. Bd. 3. S. 88. — Erklrung eines alten Holzschnittes vorstellend Hans Sachsens poetische Sendung. In: WA Abt. 1. Bd. 16. S. 121–129. — Erwin und Elmire. Ein Schauspiel mit Gesang. In: WA Abt. 1. Bd. 38. S. 69– 106. — “Es schlug mein Herz ...”. In: Morris. Bd. 2. S. 59–60. — Faust. Erster Theil. In: WA Abt. 1. Bd. 14. — Faust. Gesamtausgabe. Enthaltend den Urfaust; Das Fragment (1790); Die

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Anhang

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Anhang

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PERSON ENREGISTER

Das Register bercksichtigt alle ausdrckliche Erwhnungen von Personen durch Cassirer. Formen wie Spinozismus, usw. sind unter den jeweiligen Namen mitvermerkt. Nicht bercksichtigt sind Herausgeber und bersetzer sowie Namen, die nur in den Titeln der zitierten Literatur enthalten sind. Fiktive Personen, Gtter Adelheid von Wallsdorf (Goethe: Gtz von Berlichingen) 121, 127, 302, 305 Agnes Bernauer (Trring: Agnes Bernauer) 349 Ahriman (Altpersischer Gott) 228 Ahura Masda (Altpersischer Gott) 228 Albert (Goethe: Die Leiden des jungen Werther) 136 Albrecht (Trring: Agnes Bernauer) 349 Alceste/Alzest (Goethe: Die Mitschuldigen) 77, 281 Amine (Goethe: Die Laune des Verliebten) 280 Andreas Doria (Schiller: Die Verschwrung des Fiesko zu Genua) 356 Antigone 122 Bacchus 276 Boyet, Schiffcapitain (Klinger: Sturm und Drang) 355 Candide (Voltaire: Candide) 33, 250 Christiane (Gellert: Die Betschwester) 362, 364 Clrchen (Goethe: Egmont) 119 Clavigo (Goethe: Clavigo) 112 Cythere 276 Daniel (Schiller: Die Ruber) 356 Desdemona (Shakespeare: Othello) 95

Donna Diana (Moreto: Donna Diana) 359 Egle (Goethe: Die Laune des Verliebten) 280 Egmont (Goethe: Egmont) 119, 120 Elisabeth (Frau des Gtz, Goethe: Gtz von Berlichingen) 51, 121, 124, 302 Emilia Galotti (Lessing: Emilia Galotti) 365 Eridon (Goethe: Die Laune des Verliebten) 280 Faust (Goethe) 113, 114, 151, 163-165, 167-169, 190, 197, 296, 298, 301, 312, 313, 315 Faust (Volksbuch, Hrsg. v. Spies) 159, 162 Faustus (Marlowe) 160 Ferdinand (Gellert: Die Betschwester) 362, 367 Franz Moor (Schiller: Die Ruber) 356 Frau Orgon (Gellert: Das Loos von der Lotterie) 364, 365 Frau Richardin (Gellert: Die Betschwester) 362, 367 Georg Lerse (Reiterjunge in Goethe: Gtz von Berlichingen) 121, 302 Gtz (Goethe: Gtz von Berlichingen) 38, 118, 119, 122-125 Grandison (Richardson: Grandison) 173, 273

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Anhang

Gretchen (Goethe: Faust) 10, 113, 151, 152, 157, 169, 190, 196, 256, 296298, 315 Großinquisitor (Schiller: Don Carlos) 356 Guelfo (Klinger: Die Zwillinge) 355 Hamlet (Shakespeare: Hamlet) 52, 95, 365 Harpagon (Moli re: L’Avare, dt.: Der Geizige) 363 Herr Damon (Gellert: Das Loos in der Lotterie) 363, 366 Herr Orgon (Gellert: Loos von der Lotterie) 363-365 Herr Simon (Gellert: Das Loos von der Lotterie) 363, 366 Herr Stephan (Gellert: Die kranke Frau) 363 Herzog von Bayern (Trring: Agnes Bernauer) 349 Jean de France (Holberg: Jean de France) 363 Julie (Rousseau: Nouvelle H lo se) 143, 144, 321 Julius von Tarent (Leisewitz: Julius von Tarent) 353 Karl Moor (Schiller: Die Ruber) 38, 352 Kaspar/Caspar (Trring: Kaspar der Thorringer) 349 Lamon (Goethe: Die Laune des Verliebten) 280 Lear (Shakespeare: King Lear) 95 Lenore (Schiller: Die Verschwrung des Fiesko zu Genua) 353 Leonore Sanvitale (Goethe: Torquato Tasso) 365 Lorchen (Gellert: Die Betschwester) 362 Lotte (Goethe: Die Leiden des jungen Werther) 138, 148, 151, 153, 308, 313, 321 Macbeth (Shakespeare: Macbeth) 365 Maria (Goethe: Gtz von Berlichingen) 111, 297

Marie Beaumarchais (Goethe: Clavigo) 111, 297 Mathilde (Maler Mller: Golo und Genovesa) 356 Mephistopheles (Goethe: Faust) 76, 114, 152, 158, 160, 162, 164, 297, 301 Mignon (Goethe: Wilhelm Meister) 302 Minna von Barnhelm (Lessing: Minna von Barnhelm) 362 Musicus Miller (Schiller: Kabale und Liebe) 356 Ophelia (Shakespeare: Hamlet) 95, 365 Othello (Shakespeare: Othello), 95 Ottilie (Goethe: Wahlverwandtschaften) 136 Philine (Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahren) 204 Pirzel (Lenz: Die Soldaten) 356 Prometheus 39, 130, 146, 163-167, 225, 226, 256, 279, 312, 323 Recha (Lessing: Nathan der Weise) 355, 356 Richard II (Shakespeare: Richard II) 95 Sancho Panza (Cervantes: Don Quichotte) 334 Simplicissimus (Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch) 339 Sittah (Lessing: Nathan der Weise) 355, 356 Sller (Goethe: Die Mitschuldigen) 77, 280 Sophie (Goethe: Die Mitschuldigen) 77, 280 Stauffacher (Schiller: Wilhelm Tell) 89 St-Preux (Rousseau: Nouvelle H lo se) 143, 319, 320 Sulla, Lucius Cornelius, rmischer Diktator (Goethe: Caesar Entwurf) 304 Tartff (Moli re: Tartuffe ou lmposteur) 362, 363

Personenregister

Tasso (Goethe: Torquato Tasso) 141, 148, 365 Trmer Lynceus (Goethe: Faust II) 66 Valentin (Goethe: Faust) 10 Venus 276 Verrina (Schiller: Die Verschwrung des Fiesko zu Genua) 356 Weislingen (Goethe: Gtz von Berlichingen) 112, 121, 123, 302 Werther (Goethe: Die Leiden des jungen Werther) 124, 125, 138, 141,

475

146-148, 151, 152, 153, 163, 164, 165, 309-313, 319 Wild (Klinger: Sturm und Drang) 355 Wilhelm Meister (Goethe: Wilhelm Meister Lehrjahre, Wanderjahre) 32, 206, 216, 218 Wilhelm Tell (Schiller: Wilhelm Tell) Wirt (Goethe: Die Mitschuldigen), 281 Zeus 146, 165, 166, 226, 279

Historische und Biblische Personen Aeschylus 97, 98, 99, 119, 209, 240 Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius 78, 79, 121 Aja (Name fr Goethes Mutter) 51, 52 Albrecht, Johann Georg (Rektor Albrecht) 346 Anakreon 38, 97, 256, 276, 292 Antonius, Marcus Aurelius 45 Aristoteles 21, 28, 78, 160, 201, 244, 261, 327, 328, 339 Arnold, Gottfried 330 Augustinus, Aurelius 46, 224, 314 Babbitt, Irving 319 Baudelaire, Charles 145, 146, 149 Baumgarten, Alexander 60, 92, 284, 341 Baumgartner, Alexander 189, 329 Bayle, Pierre 198, 323 Beaumarchais, Pierre-Augustin Caron de 76 Beethoven, Ludwig van 70, 302 Behrisch, Ernst Wolfgang 277, 278 Berlichingen, Gottfried von 117-119, 122, 132, 136, 137, 299 Bernays, Michael 48 Bielschowsky, Albert 42 Blcher, Gerhard Leberecht von 12, 14, 241

Bodmer (auch manchmal: Bodemer), Johann Jacob 64, 317 Bhme, Johann Gottlob (Hofrat Bhme) 116 Bk, Fredrick 69 Boileau-Despr aux, Nicolas 271 Boisser e, Sulpiz 192, 194, 195 Brahm, Otto 73, 348, 350-353, 355, 356 Brandes, Georg 30, 32, 249, 254 Breitinger, Johann Jakob 64, 317 Brentano, Bettina, verh. von Arnim 52 Brion, Friederike (Friederike) 15, 17, 18, 23, 42, 48, 107, 109-115, 202, 246, 247, 292-294, 296-298, 315 Bruno, Giordano 263-265, 328 Brger, Gottfried August 127, 128, 185 Buff, Charlotte (Lotte) 42, 43, 48, 138, 139, 140, 141, 142, 309-311 Buff, Heinrich Adam 138, 310 Burdach, Konrad 316, 317, 333, 347 Burman, Frans 219 Byron, Lord George Gordon 145, 146, 149, 247 Caesar, Julius 39, 45, 301, 304 Calvin, Johannes 224 Canitz, Friedrich Rudolf Ludwig Freiherr von 68

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Anhang

Carl August, Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 18, 74, 185, 247 Cellarius 50 Christus, Jesus 229, 230 Condorcet, Marie-Jean-AntoineNicolas der Caritat, marquis de 194 Cornielle, Pierre 50, 301, 332, 339 Creuz, Friedrich Karl Kasimer Freiherr von 68 Dalberg, Wolfgang Heribert von 348 Dante Alighieri 17, 209, 240, 247, 292, 332 Diderot, Denis 273 Dilthey, Wilhelm 20, 345 Dornblth, Augustin 62 Drollinger, Karl Friedrich 68 Dntzer, Heinrich 47, 48 Drer, Albrecht 303 Eckermann, Johann Peter 11, 15, 24, 155, 157, 171, 182, 209, 215, 220, 228, 237, 242 Eichendorff, Joseph Freiherr von 17, 18, 247 Engels, Georg 281 Erasmus 225 Ernesti, Johann August 65 Euripides 22 Fischer, Kuno 159, 160, 161 Flachsland, Caroline, verh. Herder 85, 304 Franz der Erste 48 Friedrich II. (Knig von Preussen) 272, 276 Galen 78 Gellert, Christian Frchtegott 61, 62, 65, 68, 69, 85, 99, 106, 270, 272275, 289, 291, 332, 336, 358-368 Gervinius, Georg Gottfried 34, 251 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 68, 276 Gchhausen, Luise von 158 Gchhausen, Oberstleutnant von 158

Goedeke, Karl 48 Goethe, Catharina Elisabeth, geb. Textor (Mutter Goethes) 51, 52, 302 Goethe, Cornelia (Schwester Goethes) 69, 117, 125, 299 Goethe, Johann Caspar (Vater Goethes) 49 Goethe, Walther von (Enkel Goethes) 7, 157, 236 Goethe, Wolfgang von (Enkel Goethes) 7, 236 Gotter, Friedrich Wilhelm 156 Gottsched, Johann Christoph 60, 62-64, 106, 269-271, 317, 332, 334336, 341, 342 Gretchen (Frankfurter Brgermdchen) 55, 293 Grimm, Hermann 41, 42, 72, 125, 280, 298, 318 Grimm, Jacob 63, 318, 336 Grimm, Wilhelm 318 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 339 Grossmann, Gustav Friedrich Wilhelm 353 Gundolf, Friedrich 41, 42 Gutzkow, Karl 34, 35, 251 Hagedorn, Friedrich von 68, 276 Hahn, Ludwig Philipp 348 Haller, Albrecht von 68 Hamann, Johann Georg 84, 93, 284289 Harnack, Otto 23, 215 Hauptmann, Gerhart 73, 281 Haym, Rudolf 83, 84, 95, 284 Hebbel, Friedrich 48, 117, 299 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 31, 188, 190, 194 Hehn, Viktor 34, 35, 36, 306 Heine, Heinrich 17, 18, 247 Heinse, Wilhelm 325 Helmholtz, Hermann von 210, 211, 214 Herder, Johann Gottfried 15, 20, 21, 27, 38, 41, 53, 67, 68, 82-87, 92-95,

Personenregister

97, 98, 100, 120, 125-130, 134, 135, 157, 194, 243, 244, 247, 248, 256, 258, 278, 284-286, 289-292, 302305, 317, 332, 346 Herzlieb, Christine Friedrike Wilhelmine (Minna) 136 Heyne, Christian Gottlob 116 Hirzel, Salomon 48, 117 Hobbes, Thomas 339 Hofmannsthal, Hugo von 17, 18 Holberg, Ludvig 363 Homer 38, 53, 83, 85, 94, 95, 97, 98, 99, 256, 273, 292, 301, 307 Hoppe, Joachim 269 Horaz 271 Horn, Johann Adam 56, 116, 269, 293, 337 Humboldt, Wilhelm von 155, 163, 169, 315 Hume, David 92, 93, 284, 339 Hutten, Ulrich von 316 Ibsen, Heinrich 72, 73, 114 Jacobi, Friedrich Heinrich 196, 199, 200, 201, 323, 324, 355 Jakob 127, 306 Jansenius, Cornelius der Jngere 224 Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm 140, 310 Jerusalem, Karl-Wilhelm (dessen Sohn) 140, 310 Josef (Biblische Figur) 54 Josef II. 48 Justi, Carl 66 Kainz, Josef 75 Kalischer, Salomon 48 Kant, Immanuel 10, 20, 31, 60, 80, 82, 84, 90-93, 161, 188, 193, 194, 215, 225, 284, 285, 317, 340 Kanzler von Mller (s. Friedrich von Mller) Karl V. 118 Karl der Siebente 48 Katull 97, 99 Keller, Gottfried 18, 47 Kepler, Johannes 92, 284

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Kestner, Johann Georg Christian 136, 138-142, 185, 309-311 Klettenberg, Susanna Katharina von 78, 191, 282, 330 Klinger, Friedrich Maximillian 37, 38, 255, 348, 353, 355 Klopstock, Friedrich 15, 20-22, 27, 28, 63-65, 243, 244, 277, 284, 317, 335, 343 Knebel, Carl Ludwig von 195 Kolumbus, Christoph 210 Lamm, Martin 63, 283, 287 Lavater, Johann Kaspar 25, 80, 191, 192, 194, 283, 331 Leibniz, Gottfried Wilhelm 29-31, 59, 60, 62, 92, 242, 249, 260, 261, 284, 317, 339, 340 Leisewitz, Johann Anton 353-355 Lenz, Jacob Michael Reinhold 38, 112, 296, 353, 356 Leopardi, Giacomo 145, 146, 149, 150 Lessing, Gotthold Ephraim 14, 15, 20-22, 27, 28, 36, 64, 95, 129, 130, 161, 193,194, 199, 241, 243, 244, 271, 274, 323-325, 335, 343, 345, 355, 365 Lindqvist, Axel Martin 5 Locke, John 339 Loeper, Gustav von 47, 48 Louvier, Ferdinand August 10 Lowth, Robert 99 Lukrez 97, 99 Luther, Martin 53, 224, 316, 347 Machiavelli, Niccol 192 Mahomet (s. auch Mohammed) 301, 313 Maier, Jakob 348 Mann, Thomas 47, 54 Marlowe, Christopher 160, 161 Maync, Harry 34-36, 41, 42 Mendelssohn, Moses 323, 324 Menzel, Wolfgang 33-37, 189, 218, 251 Merck, Johann Heinrich 76, 125, 140, 144, 212, 257, 281, 310

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Anhang

Meyer, Richard Moritz 24, 42, 51, 72 Mill, James 50 Mill, John Stuart 50 Milton, John 27, 64, 243 Mme. d’Epinay 144, 320 Mme. d’Houdetot 144 Mrike, Eduard 17, 18, 247 Mohammed 189, 248, 329 Moli re (Jean Baptiste Pocquelin) 50, 339, 362, 363 Moreto y Cavaa, Agustin 359 Morgenstern, Christian 115 Morris, Max 80, 117, 158, 283, 298 Moser, Friderich Carls von 354 Moses 53, 192, 344, 345 Mozart, Wolfgang Amadeus 52 Mller, Friedrich (gen. Maler Mller) 356 Mller, Friedrich von (gen. Kanzler von Mller) 12, 13, 205, 222, 240, 255 Mller, Johannes von 211, 214 Napoleon 30, 249, 254, 308, 346 Newton, Isaac 81, 82, 90, 92, 210-214, 284 Nietzsche, Friedrich 36, 37, 255 Nostradamus 79, 80 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 32, 33, 250 Oeser, Adam Friedrich 64-67, 273, 336 sterling, Anders 43 Opitz, Martin 59, 60, 62, 317, 334, 339, 342 Ovid 53 Paracelsus (Theoprastus Bombastus von Hohenheim) 78, 79, 121, 282 Pelagius 225 Pfenninger, Johann Konrad 192, 331 Pindar 38, 53, 97-99, 256, 307 Platon 38, 219, 256 Pope, Alexander 212 Purkinje, Johannes Evangelista 211, 214 Racine, Jean 50, 339

Richardson, Samuel 85, 99, 143, 273, 276 Riemer, Friedrich Wilhelm 195 Riese, Johann Jacob 293 Rilke, Rainer Maria 17, 18 Rousseau, Jeans-Jacques 41, 46, 80, 81, 84, 86-94, 96, 122, 133, 134, 142144, 273, 284, 285, 314, 318-322, 332, 354 Sachs, Hans 52, 121, 133, 303 Salzmann, Johann Daniel 113, 297, 301 Sappho 97, 292 Saul 158 Savigny, Friedrich Carl von 300 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 31 Scherer, Wilhelm 6, 63, 116, 134, 135, 291, 299, 305, 332, 336 Schiller, Friedrich 20, 27, 28, 31, 3638, 60, 89, 90, 119, 178, 215, 244, 248, 254, 255, 301, 330, 335, 353, 354, 356 Schlosser, Johann Georg 352 Schmidt, Erich 48, 51, 52, 73, 142, 143, 158, 273, 275, 318, 322 Schnaich, Christoph Otto Freiherr von 64, 343 Schnemann, Anna Elisabeth (Lilly) 23, 42, 43, 47, 48, 170-175, 178-185, 187, 202 Schnkopf, Annette (Annchen, Ktchen) 279, 282, 293 Schottelius, Justus Georg 59, 60, 62, 317, 332 Schck, Henrik 70, 274 Seilli re, Ernest 319 Semler, Johann Salamo 345 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, 3rd Earl of 41, 263-265 Shakespeare, William 14, 38, 41, 67, 74, 85, 95-99, 119, 126-131, 160, 162, 209, 240, 292, 301, 305, 307, 332, 339, 348, 365 Shelley, Percy Bysshe 247 Simrock, Karl Joseph 291

Personenregister

Simson 19 Sokrates 39, 256, 301 Sophie, Großherzogin von SachsenWeimar-Eisenach 7, 157, 158, 236 Sophokles 22, 96, 99, 122 Spies, Johann 159 Spinoza, Baruch 41, 67, 192, 196, 198, 200-204, 263-265, 322-329 Stein, Charlotte von, geb. von Schardt 18, 111, 130, 183, 247, 248, 296, 307, 334 Stolberg, Christian Graf zu 173 Stolberg, Grfin Auguste zu 175, 176, 178, 185-187 Stolberg-Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu 173 Storm, Theodor 17, 18, 247 Strindberg, August 73 Svedenborg, Emanuel 80, 283 Teichmann, Johann Valentin 350 Textor, Johann Wolfgang (Goethes Großvater) 49 Textor, Katharina Elizabeth (Goethes Mutter) Theokrit 38, 256 Theoprastus Bombastus von Hohenheim (s. Paracelsus) Thomas von Aquin 201 Thomasius, Christian 317 Thorild, Thomas 64

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Tiberius 219 Tieck, Ludwig 53 Tizian 23 Trring, Joseph August von 348-350 Uhland, Ludwig 291 Unger, Rudolf 286 Usener, Hermann 230 Uz, Johann Peter 68, 276 Varnhagen von Ense, Karl August 275 Veldecke, Heinrich von 63 Vischer, Friedrich Theodor 13 Voltaire 33, 81, 276, 345 Vossler, Karl 315 Vulpius, Christiane (Goethes Ehefrau) 52 Walther von der Vogelweide 63 Warburg, Karl 70, 274 Weitbrecht, Carl 221 Weyland, Friedrich Leopold 108 Wieland, Christoph Martin 27, 156, 199, 243, 276, 277, 284, 317 Winckelmann, Johann Joachim 38, 65-67 Wolff, Christian 60, 92, 198, 284, 317, 322, 340, 341 Xenophon 45 Zarathustra 227 Zelter, Carl Friedrich 35, 251 Zimmermann, Johann Georg 36

Geographische und Ortsnamen Aegypten 31, 254, 308 Altona 54 Amsterdam 275 Athen 219 Bayern 349 Berlin 73, 275, 280, 283 China 31, 249, 254, 308 Deutschland 12, 18, 19, 30-33, 36, 58, 59, 68, 69, 81, 82, 89, 90, 106, 129, 134, 219, 239, 247-250, 252, 254, 273-275, 302, 303, 308, 338, 339, 345, 348

Dresden 65 Dsseldorf 199, 200 Elsaß 101, 294 England 59, 339 Erfurt 308 Europa 30, 31, 142, 308 Frankfurt (Main) 48-50, 53, 56, 61, 78, 100, 105, 107, 116, 159, 170, 172, 174, 177, 181, 185, 187, 245, 269, 282, 293, 298, 299, 301 Frankreich 21, 59, 89, 118, 244, 300, 339

480

Anhang

Gickelhahn 208 Gteborg 5, 69, 105 Griechenland 219 Halle 55, 337, 342 Hannover 138 Helsingr 21 Heidelberg 273, 358 Heilbronn 118, 123, 124, 137 Hirschgraben (Frankfurt am Main) 55 Holland 70, 275 Ilmenau 208 Italien 18, 19, 31, 49, 157, 174, 247, 248 Jaxthausen 123 Jena 55, 337 Koburg 49 Kln 200, 326 Knigsberg 82, 91, 284 Kopenhagen 21 La Chevrette 144, 320 Leipzig 49, 55-57, 60-62, 64, 68, 71, 85, 99, 100, 106, 107, 121, 245, 269273, 276-278, 282, 293, 294, 314, 317, 330, 333-335, 337, 342, 343, 358 Livland 275 Lothringen 106, 294 Lund 225, 259 Marienbad 23, 24, 183, 204 Mohrungen 284 Niederlande 119 Nordhausen 53 Nrnberg 118

Offenbach 179 Ostindien 210 Ostpreussen 284 Paris 143, 320 Pempelfort 199 Polen 275 Riga 244 Rom 19, 249 Russland 70, 275 Saar 294 Sachsen 342 Schlesien 342 Schulpforta 21, 27, 243 Schweden 69, 70, 270, 274, 275, 283, 287, 338, 343 Schweiz 173, 174, 176 Sesenheim 16, 17, 26, 43, 105, 107, 110, 202, 246, 247, 292, 293, 297 Sibirien 70, 275 Stockholm 274 Straßburg 17, 23, 53, 61, 67, 80, 86, 100, 101, 105, 113, 116, 117, 121, 126, 132, 185, 245, 274, 282, 283, 291, 296-298, 330, 338 Stuttgart 159 Uppsala 69 Weimar 7, 18, 19, 23, 74, 157, 171, 174, 181, 185,197, 221, 236, 247, 248, 251, 311 Wetzlar 138-140, 156, 157, 202, 309, 310 Wolfenbttel 323 Zricher See 106