Musik - Kolonialismus - Identität: José Figueroa Sanabia und die puerto-ricanische Gesellschaft 1925-1952 [1. Aufl.] 9783839429006

On the significance of violinist José Figueroa Sanabia for Puerto Rican identity from 1925 to 1952.

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German Pages 336 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Danksagung
1. Einleitung
1.1 Stand der Forschung
1.2 Gliederung der Arbeit
1.3 Anmerkung zu den Quellen
1.4 Theoretische Grundlage
1.4.1 Kollektive Identität: Generelle Eigenschaften
1.4.2 Staranalysetheorien: Was ist ein (Musik-)Star?
Biografie José Figueroa Sanabias
1. Kindheit
1.1 Unterricht bei Henri Ern
1.2 Auftritte auf Puerto Rico: 1915-1920
1.3 Konzertreise durch Kuba und Mexiko: 1920-1922
2. Studium in Madrid: 1923-1926
2.1 Gewinn des Sarasate-Preises und Konzerttournee
2.2 Rückkehr nach Puerto Rico und Konzerttournee durch die Insel
3. Studium und Musikkarriere in Paris: 1927-1930
4. Tod von Henri Ern und Aufenthalt in New York: 1930-1932
4.1 Letzte Konzerte in New York und Reise nach Puerto Rico
4.2 Rückkehr nach New York
4.3 Zweiter Aufenthalt auf Puerto Rico
5. Musikkarriere in Paris: 1932-1939
5. Musikkarriere in Paris: 1932-1939
5.1 Henryk-Wieniawski-Violinwettbewerb
5.2 Wieder in Paris
5.2.1 Tod von Marcel Chailley und Lehrstuhl an der École Normale de Musique
5.3 Letztes Jahr in Europa und Heimkehr
6. Auswanderung nach New York: 1940-1952
6.1 Konzerte in Mexiko
6.2 Rückkehr in die USA
6.3 Schenkung der Stradivari und Musikkarriere: 1946-1952
6.4 José Figueroa Sanabias endgültige Rückkehr nach Puerto Rico
Analyse des Images José Figueroa Sanabias
1. José Figueroa Sanabia als Identifikationsfigur
1.1 Die drei Zugehörigkeit erzeugenden Mittel
1.1.1 Der Possessivartikel der 1. Person Plural
1.1.2 Das Substantiv „Landsmann“
1.1.3 Die Einwohnerbezeichnung
2. Idealisierungsverfahren José Figueroa Sanabias
2.1 Tropen der Repräsentation
2.2 Das Substantiv „Triumph“
2.3 Übertreibungen
2.3.1 José Figueroa Sanabias Leistungen im Henryk-Wieniawski-Violinenwettbewerb
2.4 Anekdoten
2.4.1 Konzert im Wagner-Saal
2.4.2 Auftritt mit Antonio Fernández Bordas und Carlos Sedano
2.4.3 Abschlussfeier in der École Normale de Musique
2.4.4 Erstes Treffen mit Henri Ern
2.4.5 Die Stradivari von Pablo Sarasate
2.4.6 Herr Perkins und die Kritik der New York Herald Tribune
2.5 Musikkritiken: Eine vergleichende Analyse
2.5.1 Puerto-ricanische Musikkritiken
2.5.2 Ausländische Musikkritiken
2.5.3 Nachgedruckte Musikkritiken
2.5.4 Ausländische Musikkritiken verfasst für die puerto-ricanische Presse
2.5.5 Ausländische und puerto-ricanische Musikkritiken zu denselben Konzerten
3. Rezeption der Medienrepräsentationen José Figueroa Sanabias
3.1 Rezeption der Mediendarstellungen: Eine sozialpsychologische Erklärung
3.1.1 Korrelation zwischen den Medienrepräsentationen und der Handlungsweise der Puerto Ricaner gegenüber José Figueroa Sanabia
4. Die abgeleiteten Konnotationen vom Image José Figueroa Sanabias
4.1 José Figueroa Sanabia: Repräsentant der Puerto Ricaner im Ausland
4.1.1 Die Idealisierung des Stars und das self-enhancement-motive
4.2 Der koloniale Kontext: Das US-amerikanische Kolonialregime
4.2.1 Die Assimilationspolitik
4.2.2 Der koloniale Diskurs
4.2.3 Die identitäts- und selbstwertbedrohende Wirkung des US-amerikanischen Kolonialregimes
4.2.4 National-Kulturelle Identitätsvergewisserung: Ihre Bedeutung innerhab eines Kolonialkontexts
4.3 José Figueroa Sanabia und die gebildete Schicht Puerto Ricos
4.3.1 Die Projizierung der Puerto Ricaner als zivilisiertes und kultiviertes Volk
4.3.2 Unsere kleine Insel: Die Projektion von Bedeutungslosigkeitsgefühlen auf die Größe Puerto Ricos
4.3.3 Unsere unzivilisierte Insel: Das Unbehagen mit der Heimat und das westliche Zivilisationsideal
Fazit
Anhang
José Figueroa Sanabia: Bilder und Konzertprogramme
Quellenverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
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Musik - Kolonialismus - Identität: José Figueroa Sanabia und die puerto-ricanische Gesellschaft 1925-1952 [1. Aufl.]
 9783839429006

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Omar Ruiz Vega Musik – Kolonialismus – Identität

Musik und Klangkultur

2015-01-05 16-51-56 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0312386878357862|(S.

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4) TIT2900.p 386878357870

Quiero dedicar este trabajo a mis padres José y Margarita. Nunca encontraré las palabras adecuadas para expresarles mi agradecimiento por todo lo que han hecho por mí. Los quiero mucho. También a la memoria de mi gran fratello, Matteo (1979-2014). Te voy a extrañar mucho mi hermanito.

Dr. Omar Ruiz Vega arbeitet für »Expertours Puerto Rico«.

2015-01-05 16-51-57 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0312386878357862|(S.

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4) TIT2900.p 386878357870

Omar Ruiz Vega

Musik – Kolonialismus – Identität José Figueroa Sanabia und die puerto-ricanische Gesellschaft 1925-1952

2015-01-05 16-51-57 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0312386878357862|(S.

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4) TIT2900.p 386878357870

Beim vorliegenden Buch handelt es sich um eine von dem Musikwissenschaftlichen Institut der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommene Dissertation. Doktorvater war Prof. Dr. Frank Hentschel.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Eduard Schulte-Herbrüggen Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2900-2 PDF-ISBN 978-3-8394-2900-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2015-01-05 16-51-57 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0312386878357862|(S.

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4) TIT2900.p 386878357870

Inhalt

Danksagung | 11 1.

Einleitung | 13

1.1 1.2 1.3 1.4

Stand der Forschung | 13 Gliederung der Arbeit | 16 Anmerkung zu den Quellen | 17 Theoretische Grundlage | 18 1.4.1 Kollektive Identität: Generelle Eigenschaften | 19 1.4.2 Staranalysetheorien: Was ist ein (Musik-)Star? | 35

BIOGRAFIE J OSÉ FIGUEROA S ANABIAS 1.

Kindheit | 45

1.1 1.2 1.3

Unterricht bei Henri Ern | 47 Auftritte auf Puerto Rico: 1915-1920 | 51 Konzertreise durch Kuba und Mexiko: 1920-1922 | 54

2.

Studium in M DGULG : 1923-1926 | 69

2.1 2.2

Gewinn des Sarasate-Preises und Konzerttournee | 72 Rückkehr nach Puerto Rico und Konzerttournee durch die Insel | 80

3.

Studium und Musikkarriere in Paris: 1927-1930 | 87

4.

Tod von Henri Ern und Aufenthalt in New York: 1930-1932 | 97

4.1 4.2 4.3

Letzte Konzerte in New York und Reise nach Puerto Rico | 100 Rückkehr nach New York | 102 Zweiter Aufenthalt auf Puerto Rico | 105

5. Musikkarriere in Paris: 1932-1939 | 107 5.1 Henryk-Wieniawski-Violinwettbewerb | 114 5.2 Wieder in Paris | 117 5.2.1 Tod von Marcel Chailley und Lehrstuhl an der École Normale de Musique | 118 5.3 Letztes Jahr in Europa und Heimkehr | 129 6.

Auswanderung nach New York: 1940-1952 | 133

6.1 Konzerte in Mexiko | 139 6.2 Rückkehr in die USA | 141 6.3 Schenkung der Stradivari und Musikkarriere: 1946-1952 | 145 6.4 José Figueroa Sanabias endgültige Rückkehr nach Puerto Rico | 156

ANALYSE DES IMAGES J OSÉ FIGUEROA S ANABIAS 1.

José Figueroa Sanabia als Identifikationsfigur | 161

1.1

Die drei Zugehörigkeit erzeugenden Mittel | 162 1.1.1 Der Possessivartikel der 1. Person Plural | 162 1.1.2 Das Substantiv „Landsmann“ | 164 1.1.3 Die Einwohnerbezeichnung | 166

Idealisierungsverfahren José Figueroa Sanabias | 169 2.1 Tropen der Repräsentation | 169 2.2 Das Substantiv „Triumph“ | 172 2.3 Übertreibungen | 173 2.3.1 José Figueroa Sanabias Leistungen im HenrykWieniawski-Violinenwettbewerb | 176 2.4 Anekdoten | 177 2.4.1 Konzert im Wagner-Saal | 177 2.4.2 Auftritt mit Antonio Fernández Bordas und Carlos Sedano | 179 2.4.3 Abschlussfeier in der École Normale de Musique | 180 2.4.4 Erstes Treffen mit Henri Ern | 182 2.4.5 Die Stradivari von Pablo Sarasate | 18 2.

2.4.6

Herr Perkins und die Kritik der New York Herald Tribune | 184 2.5 Musikkritiken: Eine vergleichende Analyse | 185 2.5.1 Puerto-ricanische Musikkritiken | 186 2.5.2 Ausländische Musikkritiken | 196 2.5.3 Nachgedruckte Musikkritiken | 201 2.5.4 Ausländische Musikkritiken verfasst für die puerto-ricanische Presse | 206 2.5.5 Ausländische und puerto-ricanische Musikkritiken zu denselben Konzerten | 210 3.

Rezeption der Medienrepräsentationen José Figueroa Sanabias | 215

3.1

Rezeption der Mediendarstellungen: Eine sozialpsychologische Erklärung | 216 3.1.1 Korrelation zwischen den Medienrepräsentationen und der Handlungsweise der Puerto Ricaner gegenüber José Figueroa Sanabia | 219

4.

Die abgeleiteten Konnotationen vom Image José Figueroa Sanabias | 225

4.1

José Figueroa Sanabia: Repräsentant der Puerto Ricaner im Ausland | 226 4.1.1 Die Idealisierung des Stars und das self-enhancement-motive | 229 Der koloniale Kontext: Das US-amerikanische Kolonialregime | 230 4.2.1 Die Assimilationspolitik | 233 4.2.2 Der koloniale Diskurs | 242 4.2.3 Die identitäts- und selbstwertbedrohende Wirkung des US-amerikanischen Kolonialregimes | 245 4.2.4 National-Kulturelle Identitätsvergewisserung: Ihre Bedeutung innerhab eines Kolonialkontexts | 253

4.2

4.3 José Figueroa Sanabia und die gebildete Schicht Puerto Ricos | 256 4.3.1 Die Projizierung der Puerto Ricaner als zivilisiertes und kultiviertes Volk | 257 4.3.2 Unsere kleine Insel: Die Projektion von Bedeutungslosigkeitsgefühlen auf die Größe Puerto Ricos | 268 4.3.3 Unsere unzivilisierte Insel: Das Unbehagen mit der Heimat und das westliche Zivilisationsideal | 272 Fazit | 281

ANHANG José Figueroa Sanabia: Bilder und Konzertprogramme | 291 Quellenverzeichnis | 303

Primärliteratur | 299 Sekundärliteratur | 328

J’ai entrepris cet inventaire de la condition du colonisé d’abord pour me comprendre moi-même et identifier ma place au milieu des autres hommes. Ce que j’avais décrit était le lot d’une multitude d’hommes à travers le monde. Je découvrais du même coup, en somme, que tous les colonisés se ressemblaient; je devais constater par la suite que tous les opprimés se ressemblaient en quelque mesure. ALBERT MEMMI

Danksagung

Quisiera agradecer primeramente al Prof. Dr. Frank Hentschel por sus valiosos consejos en este y en otros proyectos que realicé durante estos años. También le agradezco a mi familia, especialmente a mis padres José y Margarita, a mis hermanos Maribelís (Mary), José (Che), su esposa Zoé, y Carlos, y a mis tíos José e Idalí todo su apoyo. (Che gracias también por ayudarme con las fotos y otros detalles de este y otros trabajos.) Los quiero mucho a todos. Quisiera agradecer a mi profesor y gran amigo Dr. Víctor Castro por haberme preparado tan extraordinariamente para que pudiese realizar mis estudios graduados en Alemania y por todos sus sabios y muy apreciados consejos a través de los años. A la Dra. Ivonne Figueroa le agradezco mucho su ayuda en esta investigación y haberme permitido tener acceso al Archivo de la Familia Figueroa, en donde pude encontrar gran parte de las fuentes primarias para este trabajo. También quiero agradecer a mi amigo Carlos y a todos los que trabajan con él en la Biblioteca Lázaro de la Universidad de Puerto Rico por su ayuda mientras investigaba en la Colección Puertorriqueña. A mi amigo Rafael y a su novia Felicia les agradezco haberme permitido quedarme en su apartamento en París mientras investigaba en la Biblioteca Nacional en el 2012. Por último quiero darle las gracias a mi corrector Eduard (Eduardo) SchulteHerbrüggen por su magnífico trabajo y por su ayuda con las traducciones.

1. Einleitung

Im Mai 1945 geschah etwas Einzigartiges in der Kunstmusikgeschichte des 20. Jahrhunderts: Die gesamte Bevölkerung einer kleinen Insel in der Karibik wurde mobilisiert, um einem einheimischen Violinisten das Geschenk einer aufwendigen Stradivari-Violine zu ermöglichen. Die erforderliche Geldsumme wurde durch eine Kollekte zusammengebracht, die von einer einheimischen Zeitung initiiert wurde. Wer war dieser Geiger? Weshalb entschieden sich seine Landsleute, ihm diese wertvolle Violine zu schenken? Waren sie alle große Kunstmusik-Liebhaber und wollten sie daher diesen talentierten Geiger unterstützen, damit er seine außerordentliche Begabung auf die bestmögliche Weise zur Entfaltung bringen konnte? Oder verbargen sich hinter dieser Schenkung andere komplexere Motive? Wenn letzteres der Fall wäre, wie sähen diese aus? Auf diese und andere Fragen werde ich in dieser Forschungsarbeit eingehen. Ich werde zeigen, welche Bedeutung der Violinist José Figueroa Sanabia für die puerto-ricanische Bevölkerung zwischen 1925 und 1952 besaß, sowie darstellen, welche Funktion er innerhalb der puerto-ricanischen (Kolonial-)Gesellschaft damals ausübte. Die Hauptthese lautet, dass José Figueroa Sanabia zum Symbol für die national-kulturelle Identität der Puerto Ricaner wurde.

1.1 S TAND

DER

F ORSCHUNG

Derzeit ist die Information über den Violinisten aus Puerto Rico äußerst dürftig. Die bislang ausführlichste und zuverlässigste Arbeit zu diesem

14 |

M USIK – K OLONIALISMUS – I DENTITÄT

Thema ist die Dissertation von Ivonne Figueroa, einer Nichte des Geigers.1 Man muss aber bedenken, dass diese Dissertation sich mit verschiedenen Generationen der Familie Figueroa beschäftigt und daher die Auskunft José Figueroa Sanabia betreffend, wenngleich relativ breit recherchiert, sehr allgemein bleibt. Nach dieser Doktorarbeit ist wahrscheinlich die Information in La Gran Enciclopedia de Puerto Rico die nächstausführlichste Auskunft über den puerto-ricanischen Geiger.2 Neben diesen zwei Beiträgen gibt es nur einige Artikel, Zeitungsreportagen und Buchabschnitte, in denen man noch weitere (ganz generelle) Auskünfte über sein Leben – und jenes seiner Familie – finden kann.3 Alle diese Quellen beinhalten dennoch mehrere (biografische) Ungenauigkeiten, die ich hier zu korrigieren beabsichtige. Nicht nur ist die Information über José Figueroa Sanabia mangelhaft. Musikwissenschaftliche Untersuchungen über Musikstars stellen zudem einen ziemlich neuen Trend innerhalb der musikologischen Forschung dar. Derartige Arbeiten sind bisher jedoch vor allem in Bezug auf die sogenannte Populäre Musik zu finden. Derzeit gibt es wenige Untersuchungen im Bereich der Kunstmusik, die auf die Figur des Virtuosen als Star eingehen, wie es hier unternommen werden soll. Eine der wenigen Forschungsarbeiten zu diesem Thema ist die der Musikwissenschaftlerin Silke Borgstedt. In ihrem Buch, mit dem Titel Der Musik-Star, analysiert sie u.a. die Medienrepräsentationen des renommierten österreichischen Pianisten Alfred Bren-

1

Vgl. Ivonne Figueroa, „A Narrative Chronology of the Musical Life and Contributions of the Figueroa-Sanabia Family“, Diss., New York City University, New York 1991.

2

Vgl. Héctor Campos Parsi, „La música en Puerto Rico“, in: Vicente Báez (Hg.), La Gran Enciclopedia de Puerto Rico, 3. Aufl., Bd. 7, San Sebastián (Spanien) 1981 (1976), S. 236-245.

3

Vgl. z.B. José Ferrer Canales, „La familia Figueroa: Un acorde familiar“, El Nuevo Día. Revista de Domingo, 24. Januar 1993, S. 5-8; Mario Alegre Barrios, „Pródigo legado al pentagrama histórico“, El Nuevo Día, 16. Juni 1991, S. 7072; María Luisa Muñoz, La música en Puerto Rico: Panorama históricocultural, Connecticut 1966, S. 157-159; Clara Cueva, „Cinco hermanos y una meta: la música“, El Mundo, 29. Oktober 1972, S. 2-3; Ivonne Figueroa, „Figueroa Sanabia. Familia de músicos de Puerto Rico“, Resonancias. La Revista Puertorriqueña de Música, 4/7, Mai 2004, S. 61-63.

E INLEITUNG

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del.4 2011 wurde darüber hinaus eine Aufsatzsammlung von Rebecca Grotjahn, Claudia Blank und Dörte Schmidt herausgegeben, die sich auf das Diva-Phänomen in der Kunstmusikgeschichte konzentriert.5 Aber, wie schon erwähnt, beschränkt sich die überwältigende Mehrheit der Staranalysearbeiten auf den Bereich der Populären Musik. Eine Analyse der Medienrepräsentationen von Musikern und Musikerinnen6 – sowohl aus der Kunstmusik als auch aus der Populären Musik – ist von großer Bedeutung, da sie uns zeigen kann, welche Rolle solche Persönlichkeiten in unserer äußerst mediatisierten Welt spielen. Dass die Funktion des Stars weit über seine eigentliche Berufstätigkeit – sei es als Sportler, Schauspieler, Musiker usw. – hinausgeht, hat die Staranalyseforschung längst nachgewiesen. Gewiss kann man sogar behaupten, dass berühmte Persönlichkeiten des Öfteren nicht in erster Linie aufgrund ihrer beruflichen Leistungen von Bedeutung für die Gesellschaft sind, sondern vielmehr wegen der identitätsstiftenden Funktion, die sie innerhalb dieser erfüllen. Dieser Aspekt stellt einen meiner Hauptforschungsgegenstände in dieser Arbeit dar. Wie bereits erläutert, werde ich aufzeigen, dass José Figueroa Sanabia zu jener Zeit zu einem nationalen Symbol für die Puerto Ricaner wurde, welches ihre national-kulturelle Identität stärkte. Diese identitätsstiftende Funktion des Violi-

4

Vgl. Silke Borgstedt, Der Musik-Star. Vergleichende Imageanalysen von Alfred

5

Vgl. Rebecca Grotjahn et. al (Hg.), Diva – die Inszenierung der über-

Brendel, Stefanie Hertel und Robbie Williams, Bielefeld 2008. menschlichen Frau. Interdisziplinäre Untersuchungen zu einem kulturellen Phänomen des 19. und 20. Jahrhunderts, Schliengen 2011. Beachtenswert ist des Weiteren, dass Staranalysetheorien in letzter Zeit nicht nur in Bezug auf die Kunstmusik, sondern darüber hinaus auch in anderen Fächern, wie der Literaturwissenschaft, Anwendung gefunden haben. Burghard Damerau hat z.B. die Faszination um die Figur Johann Wolfgang von Goethes mithilfe Staranalysetheorien analysiert und hat damit ganz neue und interessante Perspektiven zur Goethe-Forschung eröffnet (vgl. Burghard Damerau, „Klassischer Starkult vor Ort: Goethe for everybody in Weimar“, in: Wolfgang Ullrich und Sabine Shirdewahn [Hg.], Stars. Annäherung an ein Phänomen, Frankfurt a.M. 2002, S. 266-295). 6

Alle nachfolgenden Nennungen der männlichen Funktionsbezeichnung in diesem Buch beziehen, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mit ein.

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nisten werde ich dann mit der damaligen Kolonialsituation Puerto Ricos in Verbindung bringen, um zu untersuchen, welche mögliche Korrelation zwischen dem damaligen sozialgeschichtlichen Kontext und der nationalen Bedeutung, die dem Violinisten zuteilwurde, festzustellen ist. Dementsprechend werde ich in dieser Arbeit auf ein anderes Thema eingehen, das in der musikwissenschaftlichen Forschung kaum behandelt worden ist, nämlich auf den Zusammenhang zwischen Kunstmusik- und Kolonialgeschichte.

1.2 G LIEDERUNG DER ARBEIT Da zurzeit keine umfassende Untersuchung über das Leben José Figueroa Sanabias vorliegt, beginne ich diese Arbeit mit einer ausführlichen und weit recherchierten Biografie des Geigers. Diese biografische Information soll dem Leser vor allem einen Überblick über die Musikkarriere des Violinisten verschaffen, damit er mit dessen musikalischer Laufbahn besser vertraut ist. Aufgrund dessen wird man am ehesten José Figueroa Sanabia innerhalb der damaligen (1925-1952) internationalen Kunstmusikwelt einzuordnen vermögen. Oder anders formuliert: Auf diese Weise wird der Rang des puerto-ricanischen Geigers im Vergleich mit anderen renommierten Geigern jener Epoche am besten dargestellt werden können. Diesen Tatbestand zu klären, ist für den Zweck dieser Arbeit wesentlich, da nur so festgestellt werden kann, inwieweit er von seinen Landsleuten idealisiert wurde, was das Thema ist, mit dem ich mich dann im zweiten Teil (Analyse des Images José Figueroa Sanabias) eingehend auseinandersetzen werde. Zusätzlich zu einem Überblick über die wichtigsten musikalischen Leistungen José Figueroa Sanabias werde ich in der Biografie verschiedene Momente im Leben des Violinisten hervorheben, die das besondere Verhältnis zwischen ihm und der puerto-ricanischen Bevölkerung aufzeigen. Diese Ereignisse werden bei der Analyse der nationalen Bedeutung des Violinisten im zweiten Teil sehr hilfreich sein, denn sie veranschaulichen sehr eindrücklich den großen emotionalen Aufwand, den die Puerto Ricaner hinsichtlich seiner Person betrieben haben. Letzlich soll die Biografie auch dabei helfen, die Informationslücke bezüglich des Lebens José Figueroa Sanabias (zumindest teilweise) auszufüllen, damit sie als Ausgangpunkt für weitere musikwissenschaftliche Untersuchungen über seine Karriere (und

E INLEITUNG

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die seiner Geschwister) dienen kann. Aus diesem Grund habe ich mir größte Mühe gegeben, die biografischen Ungenauigkeiten zu korrigieren, die die vorhandene Literatur beinhaltet. Da die Werke von Ivonne Figueroa und Héctor Campos Parsi – wie bereits angeführt – die wichtigsten Referenzen zum Thema darstellen, weise ich ausdrücklich auf deren biografische Inkorrektheiten hin. Das soll keinesfalls als Kritik an diesen zwei wegweisenden Forschungen – ohne die meine Untersuchung nicht möglich gewesen wäre – interpretiert werden. Damit möchte ich lediglich dazu beitragen, dass dieselben biografischen Fehler in weiteren Arbeiten vermieden werden. Denn das könnte sich gewiss als ein großes Hindernis bei der Recherche nach weiteren Quellen erweisen.

1.3 ANMERKUNG

ZU DEN

Q UELLEN

Die Tatsache, dass bisher keine einzige musikwissenschaftliche Forschung vorliegt, die sich ausschließlich und gründlich mit dem Leben José Figueroa Sanabias beschäftigt, erforderte eine lange Phase der Quellensuche in verschiedenen Archiven und Bibliotheken auf Puerto Rico und in Europa.7 Auf Puerto Rico hatte ich glücklicherweise Zugang zum Archiv der Familie Figueroa, wo ich einen beträchtlichen Teil der hier benutzten Quellen fand. Diese Dokumente sind jedoch keineswegs kategorisiert, sondern liegen einfach in verschiedenen Kästen im Archiv. Mehrere von ihnen sind darüber hinaus unvollständig und/oder ohne die gesamte bibliografische Information. Anhand einer sorgfältigen Quellenanalyse konnte ich jedoch entweder das genaue oder zumindest ungefähre Datum der meisten feststellen. Weil dennoch die vollständigen bibliografischen Angaben des Öfteren fehlten, musste ich mir eine angemessene Methode überlegen, damit man in weiteren Forschungen ohne Schwierigkeiten auf die Quellen zurückgreifen kann. Mit dem Einverständnis von Ivonne Figueroa durfte ich alle diese Dokumente fotografieren. Die Fotos habe ich dann auf meinem Computer in verschiedenen Ordnern, basierend auf den konkreten Forschungszielen, ge-

7

Ich habe vornehmlich in der Biblioteca Lázaro von der Universidad de Puerto Rico, Río-Piedras-Campus, im Archiv der Familie Figueroa, in der Bibliothèque National de Paris, in der Staatsbibliothek zu Berlin und im Iberoamerikanischen Institut in Berlin recherchiert.

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speichert. Diese (provisorische) Kategorisierung der Quellen ist im Moment die einzige, die vorliegt. Deshalb habe ich mich entschieden, sie in den bibliografischen Angaben in der Arbeit mit anzugeben. Deswegen wird man in den Fußnoten und im Quellenverzeichnis, gleich neben der Abkürzung AFF (d.i. Archiv Familie Figueroa), in Klammerzeichen das Wort „Foto“ und eine Nummerierung finden, z.B. AFF (Foto QAFF 036). Diese Nummerierung entspricht dem(n) Foto(s), in dem (denen) man das Dokument in meinen Ordnern finden kann. Mit ihr kann man auf alle diese Dokumente ohne Probleme zugreifen und sich somit die mühsame Arbeit ersparen, jedes einzelne in den Kästen im Archiv (wieder) heraussuchen zu müssen.

1.4 T HEORETISCHE G RUNDLAGE Die vorliegende Forschung verlangt eine fachübergreifende Herangehensweise. Vor allem sind hiermit theoretische Ansätze der Staranalyse-, Identitäts- und Nationalismusforschung von großer Bedeutung. Daher werden sie in den kommenden Abschnitten umfassend ausgeführt. Neben ihnen finden zudem verschiedene Ansätze u.a. aus den Postkolonialen-Studien, Semiotik, Sprachwissenschaft und Diskursanalyse Anwendung. Diese werde ich unmittelbar innerhalb der Analyse erläutern. In Bezug auf die identitätstheoretischen Ansätze ist es wichtig anzuführen, dass ich sie mit verschiedenen identitätsrelevanten sozialpsychologischen Theorien in Verbindung bringe, welche sich als behilflich erwiesen, um andere wertvolle Aspekte der identitätsstiftenden Funktion José Figueroa Sanabias zu verdeutlichen. Aus einer theoretischen Perspektive her betrachtet, ist das Ziel dieser Verbindung, außerdem aufzuzeigen, inwieweit sozialpsychologische Ansätze – und deren Terminologie – für die kulturwissenschaftliche Identitätsforschung nutzbar sein können. Erstaunlicherweise haben beide Forschungsbereiche bis heute ganz wenige Berührungspunkte, selbst wenn sie grundsätzlich dasselbe Phänomen untersuchen, wenn auch unter verschiedenen Gesichtspunkten und mit anderer Terminologie, sodass sie zu unterschiedlichen Nuancierungen des Phänomens gelangen. In dieser Arbeit kombiniere ich Begriffe aus der kulturwissenschaftlichen und der sozialpsychologischen Identitätsforschung, um so die Bedeutung José Figueroa

E INLEITUNG

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Sanabias für die damalige puerto-ricanische Gesellschaft am besten beleuchten zu können. 1.4.1 Kollektive Identität: Generelle Eigenschaften Weil ich mich in dieser Arbeit hauptsächlich mit der identitätsstiftenden Funktion des puerto-ricanischen Violinisten José Figueroa Sanabia befasse, ist es zunächst erforderlich klarzustellen, was hier unter dem Begriff „kollektive Identität“ verstanden wird: „Unter einer kollektiven oder Wir-Identität [Herv. i.O.] verstehen wir das Bild, das eine Gruppe von sich aufbaut und mit dem sich deren Mitglieder identifizieren. Kollektive Identität ist eine Frage der Identifikation [Herv. i.O.] seitens der beteiligten Individuen. Es gibt sie nicht ‚an sich‘, sondern immer nur in dem Maße, wie sich bestimmte Individuen zu ihr bekennen. Sie ist so stark oder so schwach, wie sie im Denken und Handeln der Gruppenmitglieder lebendig ist und deren Denken und Handeln zu motivieren vermag.“8

Aus dieser Definition kollektiver Identität lassen sich wichtige Aspekte entnehmen. Von großer Bedeutung ist zuallererst, dass es kollektive Identitäten nicht ‚an sich‘ gibt, sondern sich daraus ergeben, wie stark bzw. schwach die Identifikation mit der Gruppe seitens ihrer Mitglieder ausgeprägt ist. Identifikation ist also der Kernpunkt aller kollektiven Identitäten. Ohne sie kann es keine Identität geben. Wichtig ist außerdem, dass kollektive Identitäten nicht von außen der Gruppe – also von Nichtangehörigen des Kollektivs – zugeschrieben werden, sondern sie immer Repräsentationsformen sind, die von Gruppenmitgliedern selbst hervorgebracht werden. Das eigene Kollektiv erarbeitet – beeinflusst durch gesellschaftliche Bedingungen9 – ein gefälliges10 Bild von sich selbst, mittels dessen die spe-

8

Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1997, S. 132. Sowohl deutsche als auch spanische Zitate wurden in die neue/moderne Rechtschreibung übertragen.

9

Die gesellschaftlichen Bedingungen konditionieren immer die möglichen Identitätsentwürfe (vgl. ebd., S. 132). Deswegen muss man das Zustandekommen aller kollektiven Identitäten als eine wechselseitige Beziehung zwischen dem sozialgeschichtlichen Kontext und den Interessen, Werten und Sorgen des Kollek-

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zifischen Eigenschaften der Gruppe, d.h. jene, die sie (angeblich) vor allem kennzeichnen bzw. durch die sie sich von anderen Gruppen differenzieren lässt, festgelegt werden. Dieses Bild hilft dann Gruppenmitgliedern bei der Entwicklung ihres Selbstkonzepts. In diesem Sinn spielen kollektive Identitäten eine fundamentale Rolle bei der Entwicklung der personalen Identität11 und somit auch bei der Regulation des Selbstwertniveaus.12 Zuletzt ist

tivs ansehen. Die angenommene Identität kann sonach niemals fixiert werden, sondern wird immer wieder nachgedacht und überarbeitet, je nach den aktuellen Bedürfnissen des Kollektivs und der gesellschaftlichen Bedingungen. Das heißt aber keinesfalls, dass kollektive Identitäten bloße Illusionen seien. Denn wenngleich Identitäten „immer teilweise in der Fantasie konstruiert oder letztlich innerhalb eines phantasmatischen Feldes“ sind, „[unterminiert] die notwendige fiktionale Natur dieses Prozesses in keiner Weise ihre diskursive, materiale und politische Effektivität“ (Stuart Hall, „Wer braucht ‚Identität‘?“, in: Juha Koivisto und Andreas Merkens [Hg.], Ausgewählte Schriften, Bd. 4 ‚Ideologie, Identität, Repräsentation‘, 3. Aufl., Hamburg 2010 [2004], S. 171). 10 Das erarbeitete Bild des Kollektivs muss notwendigerweise eine positive Darstellung der Gruppenmitglieder ergeben, da sie sich ansonsten nicht mit ihm würden identifizieren wollen. 11 Über das Verhältnis zwischen personaler und sozialer (sprich kollektiver) Identität schreibt Ulrich Schmidt-Denter: „Personale und soziale Identität ergänzen sich und bilden eine Einheit. Eine gelungene Synthese führt sowohl zu individuellem Glück als auch zu einer funktionierenden Gemeinschaft. Das ‚befriedigende Gefühl der Zugehörigkeit‘ steht in Zusammenhang mit einer gesunden Ich-Identität“ (Die Deutschen und ihre Migranten. Ergebnisse der europäischen Identitätsstudie, Weinheim u.a. 2011, S. 23). 12 Kollektive Identitäten beeinflussen das Selbstwertgefühl, da sie eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Selbstkonzepts spielen. Selbstkonzept konstituiert die deskriptive und das Selbstwertgefühl die evaluative Komponente des Selbsts: „Das Selbstkonzept kann als subjektives Bild der eigenen Person bzw. subjektive Theorie über die eigene Person oder Summe selbstbezogener Einschätzungen bezeichnet werden. Die ebenfalls subjektive Bewertung dieses Bildes konstituiert das Selbstwertgefühl […] Hohe und niedrige Selbstwertschätzung wird dann meist als positives und negatives Selbstkonzept umschrieben“ (Astrid Schütz, Psychologie des Selbstwertgefühls. Von Selbstakzeptanz bis Arroganz, Stuttgart u.a. 2000, S. 4).

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für unseren Zweck wichtig zu beachten, dass kollektive Identitäten – worauf Assmann hinweist – als bedeutsame Orientierungssysteme fungieren, mit dessen Hilfe Gruppenmitglieder ihr „Denken, Fühlen, Wollen und Handeln [...] gleichsinnig strukturier[en] und leite[n]“.13 Deshalb darf man kollektive Identitäten als ein Phänomen beschreiben, über das „wir nicht nachdenken, sondern mit denen, in denen wir denken“.14 Wenn eine Gruppe eine kollektive Identität für sich beansprucht, werden zugleich symbolische Grenzen zwischen Gruppenmitgliedern (‚Wir‘) und Nichtangehörigen (‚die Anderen‘) aufgebaut. Diese Grenzen kann man als ein Korollarium aller kollektiven Identitäten betrachten, denn sie ergeben sich zwangsläufig jedes Mal, wenn ein Kollektiv sich selbst definiert, d.h. sobald eine kollektive Identität behauptet wird.15 Denn, wenn ein Kollektiv sich selbst auf eine spezifische Weise charakterisiert, bedeutet das nicht nur, dass dies die kennzeichnenden Eigenschaften ihrer Gruppenmitglieder sind, sondern auch dass alle Menschen, die diese Eigenschaften nicht aufweisen, keine Angehörige des Kollektivs sind bzw. sein dürfen. Die geteilten Eigenschaften des Kollektivs sind demnach die Grundlage, auf der eine kollektive Identität basiert sowie das Mittel, wodurch die symbolischen Grenzen zwischen ‚Wir‘ und ‚den Anderen‘ konstruiert werden. Sie bewahren folglich die vorausgesetzte Einheit und Homogenität zwischen den Gruppenmitgliedern und schließen alle anderen aus, die nicht integriert werden können. Diese Einheit und Homogenität sind von großer Bedeutung, weil erst durch sie Loyalitäts- und Solidaritätsgefühle innerhalb des Kollektivs entwickelt werden können, die man sich eventuell für bestimmte Zwecke (Mobilisierungen) zunutze machen kann.

13 Jürgen Straub, „Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs“, in: Aleida Assmann und Heidrun Friese (Hg.), Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1998, S. 103. 14 Wolfgang Kaschuba und Peter Niedermüller, „Geschichtspolitik und Identitätspolitik. Nationale und ethnische Diskurse im Vergleich“, in: Beate Binder et al. (Hg.), Inszenierung des Nationalen. Geschichte, Kultur und die Politik der Identitäten am Ende des 20. Jahrhunderts, Köln u.a. 2001, S. 31. 15 Vgl. Peter Wagner, „Fest-Stellungen. Beobachtungen zur sozialwissenschaftlichen Diskussion über Identität“, in: Aleida Assmann und Heidrun Friese (Hg.), Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1998, S. 45.

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Aus den oben genannten Erläuterungen lässt sich herleiten, dass Gruppenidentitäten ideologische Konstrukte sind.16 Sie existieren daher nicht in der materiellen Welt. Damit ihre Existenz vor allem außerhalb der Gruppenmitglieder wahrgenommen werden kann – eine Voraussetzung aller kollektiven Identitäten17 –, müssen sie irgendwie in der materiellen Welt in Erscheinung treten. Das heißt, mit anderen Worten, dass kollektive Identitäten artikuliert bzw. objektiviert werden müssen. Ein wesentliches Element dieses Artikulations- bzw. Objektivierungsverfahrens ist die Entwicklung verschiedener Diskurspraktiken, durch die (u.a.) spezifische Objekte und Verhaltensweisen als idiosynkratisch für das Kollektiv erklärt werden. Diese Objekte und Verhaltensweisen sollen auf unterschiedliche Weisen die Eigenschaften und Werte des Kollektivs und daher die angenommene kollektive Identität per se widerspiegeln. An sich – und das ist von großer Bedeutung – konstituieren sie aber keine eigenartige Manifestation jeglicher kollektiven Identität. Sie können lediglich – durch das Objektivierungsverfahren – diese Funktion annehmen. Man muss bedenken, dass „alles, was wir beobachten können, zahllose konkrete und individuelle Handlungen und deren Produkte [sind], die als solche weder ‚sozial‘ noch ‚kulturell‘ [noch kennzeichnend für eine Gruppenidentität, O.R.V.] sind. Erst indem wir die Erscheinun-

16 „Unter Ideologie verstehe ich die mentalen Rahmen – die Sprachen, Konzepte, Kategorien, Denkbilder und Vorstellungssysteme –, die verschiedene Klassen und soziale Gruppen entwickeln, um der Funktionsweise der Gesellschaft einen Sinn zu geben, sie zu definieren, auszugestalten, verständlich zu machen“ (Stuart Hall, „Ideologie und Ökonomie. Marxismus ohne Gewähr“, in: Juha Koivisto und Andreas Merkens [Hg.], Ausgewählte Schriften, Bd. 4 ‚Ideologie, Identität, Repräsentation‘, 3. Aufl., Hamburg 2010 [2004], S. 10). 17 Bernhard Giesen schreibt diesbezüglich: „Identität entsteht als Selbstbehauptung und Selbstbestimmung von handelnden Subjekten, aber diese Selbstbestimmung gelingt nur dann, wenn sie von Anderen anerkannt wird. Kollektive Identität verdoppelt die Kontingenzen dieser Anerkennung noch: die Außenstehenden müssen nicht nur die Identitätsbehauptung eines einzelnen Subjektes anerkennen, sondern auch die Gleichheit der Gemeinschaftsangehörigen im Hinblick auf die behauptete Identität“ („Identität und Versachlichung: Unterschiedliche Theorieperspektiven auf kollektive Identität“, in: Herbert Willens und Alois Hahn [Hg.], Identität und Moderne, Frankfurt a.M. 1999, S. 399).

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gen [mittels des Artikulationsverfahrens, O.R.V.] unter gewissen Gesichtspunkten auswählen und ordnen, bilden wir uns […] Begriffe, die keine erfahrbaren Gegenstände benennen, sondern vermutete Zusammenhänge konstruieren. So die logische Bildung, anders der faktische Gebrauch der Begriffe. Sind sie erst im Umlauf, steuern sie alsdann unsere Wahrnehmung der Erscheinungen.“18

Innerhalb des Artikulations- bzw. Objektivierungsverfahrens ergeben sich somit Diskurspraktiken, die einzelne Objekte – oder auch Personen – in Symbole und einzelne Handlungsweisen, in Gewohnheiten bzw. Traditionen umdeuten, die als repräsentativ für das Kollektiv projiziert werden. Diese Symbole und Gewohnheiten/Traditionen machen dann in der materiellen Welt die angenommene Identität sowohl für Gruppenmitglieder als auch für Außenstehende sichtbar. Solange sie wiederholt als Symbole und typische Gewohnheiten/Traditionen des Kollektivs in den Diskursen wirkungsvoll dargestellt werden, besitzen sie die notwendige symbolische Kraft dafür, die Identität zu stärken. Das heißt, anders formuliert: Desto mehr ein Objekt oder eine Verhaltensweise innerhalb der Diskurspraktiken gegenwärtig ist und als repräsentativ für die Gruppe betrachtet wird, umso stärker ist seine/ihre symbolische Kraft für die Identitätsbehauptung. Wenn das Objekt oder die Verhaltensweise dagegen nach und nach weniger Erwähnung in den Diskursen findet, verliert es/sie seine/ihre Relevanz – d.h. seine/ihre symbolische Kraft – für die Gruppenmitglieder. 1.4.1.1 National-Kulturelle Identität In dieser Studie beschäftige ich mich konkret mit einer national-kulturellen Identität. Darunter soll eine Art kollektiver Identität zu verstehen sein, die eine bestimmte Gruppe, nämlich das Volk, als Mitglieder einer bestimmten Gemeinschaft namens Nation19, erklärt.20 Mit dem Begriff „Nation“ beziehe

18 Friedrich H. Tenbruck, „Repräsentative Kultur“, in: Hans Haferkamp (Hg.), Sozialstruktur und Kultur, Frankfurt a.M. 1990, S. 26. 19 Die durch die Identität beförderten Loyalitäts- und Solidaritätsgefühle werden dementsprechend auf die Mitglieder des Volks gerichtet, also auf jene, die die Nation ausmachen. 20 Auf diese Weise definiert grundsätzlich Liah Greenfeld den Begriff. Sie schreibt: „National identity in its distinctive modern sense is […] an identity which derives from membership in a ‚people‘, the fundamental characteristic of

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ich mich hier nicht auf ein bestimmtes Territorium, d.i. den Nationalstaat. Diesbezüglich schließe ich mich der Meinung Walker Connors an, der monierte, dass Wissenschaftler allzu oft dazu tendieren, „to employ the term nation as a substitute for that territorial juridical unit, the state“.21 Das heißt, dass man des Öfteren den Begriff Nation mit dem Begriff Nationalstaat gleichsetzt, als ob sie ein und dasselbe wären.22 Für unseren Zweck ist es äußerst wichtig, zwischen beiden Begriffen zu differenzieren. Man muss bedenken, dass die Puerto Ricaner – und zwar bis zum heutigen Tag – niemals einen Nationalstaat gegründet haben. Sie waren zunächst eine Kolonie Spaniens und anschließend, seit 1898, eine Kolonie bzw. (um eine politisch

which is that it is defined as a ‚nation‘“ (Nationalism. Five Roads to Modernity, 7. Aufl., Cambridge Massachusetts u.a. 2003 [1992], S. 7). Aus einer sozialpsychologischen Perspektiv stellt Schmidt-Denter fest: „Die nationale Identität einer Person kann als Teil der sozialen Identität aufgefasst werden, die aus der Zugehörigkeit zu einer speziellen Gruppe, der Nation resultiert. Sie ist derjenige Teil der allgemeinen sozialen Identität, der über nationbezogene Identifikationen zustande kommt. Nach einer Definition von Bornewasser verbirgt sich hinter der nationalen Identität einer Person ‚die Menge der wertenden Stellungnahmen, der Anerkennungen und Ablehnungen, von sozialen Vorstellungen, von Ordnungsstrukturen, von politischen Zielen, von ethischen Grundsätzen, von religiösen Praktiken und rechtlichen Prinzipien etc., die innerhalb der Nation gelten, die Ansprüche und Verpflichtungen regulieren, die alltägliche Interaktionen leiten und welche die Zahl der Konflikte innerhalb des nationalen Systems reduzieren‘“ (S. 224). 21 Walker Connor, „A Nation is a Nation, is a State, is an Ethnic Group, is a…“, in: John Hutchinson und Anthony D. Smith (Hg.), Nationalism, Oxford 1994, S. 38. Stefan Brauer verknüpft zwar den Begriff Nation mit einem Territorium, aber er nimmt eine wichtige Differenzierung vor, die in etwa der Auffassung von Connor nahekommt. Für ihn „[sind] Nationen […] vorpolitische Größen [Herv. von mir, O.R.V.], die aber ihren optimalen Ausdruck erst erreichen, wenn sie sich politisch-staatlich organisieren“ (Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien, Deutschland im Vergleich, Darmstadt 2005, S. 20). 22 Walker Connor definiert den Nationalstaat als „a territorial-political unit (a state) whose border coincided or nearly coincided with the territorial distribution of a national group. More concisely, it described a situation in which a nation had its own state“ (S. 39).

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korrektere Terminologie zu benutzen) ein Territorium oder Besitztum der USA.23 Nichtsdestotrotz stellten sie, obwohl sie niemals einen eigenen Nationalstaat besaßen, schon längst eine Nation dar, wenn man den Begriff versteht als einen ideologisch konstruierten „psychological bond that joins a people and differentiates it, in the subconsicious conviction of its members, from all other people in a most vital way“.24 Eine Nation ist, unserem Zweck entsprechend, eine imagined community25, die anschließend an ihre idiosynkratischen Merkmale, aus denen die national-kulturelle Identität entsteht (d.i. vornehmlich die gemeinsame Nationalkultur, Heimatland und Geschichte26), entwickelt wird. Ihre Existenzgrundlage liegt in der national-kulturellen Identität. Das heißt, dass das Dasein der Idee der Nation gänzlich von der Stabilität der national-kulturellen Identität abhängt, denn letztere ist für das Vorhandensein eines Nationalbewusstseins verantwortlich. Ein Volk muss folglich seine national-kulturelle Identität wirkungsvoll und ständig pflegen, um die Auffassung aufrechtzuerhalten, dass es eine Nation bildet. Auf dieser Grundlage beschreibt Ernest Renan die Nation als „an everyday plebiscite […] it is like the very existence of the individual, a perpetual affirmation of life.“27  Da national-kulturelle Identitäten eine Art kollektiver Identität sind, weisen sie dieselben generellen Merkmale auf, die bereits diskutiert wurden. Beispielsweise teilen alle Nationsangehörigen (d.i. das Volk) bestimmte Merkmale miteinander. Die wichtigsten in diesem Fall sind sicherlich, wie ich bereits erwähnte, eine gemeinsame Nationalkultur, Geschichte und ein Territorium, d.i. das Heimatland. Die Nationalkultur umfasst die Ge-

23 Eine sehr gute Zusammenfassung der Kolonialstatus-Geschichte Puerto Ricos seit der US-amerikanischen Invasion 1898 findet man im Artikel von Emilio Pantojas García, „El status de Puerto Rico: Una perspectiva histórica“, 80 Grados, 19. Juli 2013, Online: http://www.80grados.net/el-status-de-puerto-ricouna-perspectiva-historica/ (29. Juli 2013). 24 Connor, S. 36. 25 Der Begriff stammt von Benedict Andersons einflussreichem Buch Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, überarb. Aufl., London u.a. 2006 (1983). 26 Vgl. Anthony D. Smith, National Identity, Reno u.a. 1991, S. 14. 27 Ernest Renan, „Qu'est-ce qu'une nation?“, in: John Hutchinson und Anthony D. Smith (Hg.), Nationalism, Oxford 1994, S. 17.

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samtheit aller charakteristischen Eigenschaften, Verhaltensweisen, die kreativen sowie intellektuellen Schöpfungen, Weltanschauung(en), Sitten, Symbole, Traditionen, und Sprache(n), die eine Bevölkerung teilt und die deswegen ein Zusammengehörigkeitsgefühl28 in ihr erzeugen, woraus erst ein Bewusstsein dafür entsteht, ein einziges Volk – und daher eine einzige Nation – zu bilden. Man kann sie somit – ohne dass man die Bedeutung des gemeinsamen Territoriums und der Geschichte unterschätzt – als das Band ansehen, das ein verhaltensmäßig großes Kollektiv, nämlich das Volk, trotz aller feststellbaren klassenbezogenen, Gender-, Altersdifferenzen usw. zusammenhält. Die wichtigsten Eigenschaften, die die Nationalkultur ausmachen, sollen daher grundsätzlich von allen Nationsangehörigen als solche verstanden werden. Man muss aber beachten, gemäß Peter Niedermüllers Hinweis, dass, obwohl es „in jeder Gesellschaft kulturelle Phänomene, Objekte, und Symbole gibt, die allgemein bekannt sind und vom größten Teil der Gesellschaft als Bestandteil einer gemeinsamen Nationalkultur wahrgenommen werden, wodurch ein Kernbereich der Nationalkultur entsteht […] alle Bestandteile, Symbole und Interpretationen dieses Kernbereichs, die das hegemoniale Konzept der Nation repräsentieren, von verschiedenen sozialen Gruppen, die dieses herrschende Konzept ablehnen, in Frage gestellt werden können.“29

28 Zusammengehörigkeitsgefühle machen – zusammen mit u.a. Nationalstolzgefühlen – einen wichtigen Bestandteil der nationalen Gefühle aus: „Nationale Gefühle sind starke Emotionen, die mit dem Land oder dem Volk verbunden sind und die die Bereitschaft zum Handeln fördern. Diese Gefühle werden schon früh im Leben gelernt und bilden die Basis für alle weiteren Stufen. Von daher kommt ihnen eine große Bedeutung zu. Spätere Informationen werden durch diese Gefühle gefiltert und beeinflusst. Für den Erwerb solcher Gefühle sind emotionsträchtige Ereignisse, wie z.B. nationale Rituale, besonders wichtig. Die positiven nationalen Gefühle werden dann auch auf andere nationale Objekte übertragen. Emotionen sind deswegen besonders wichtig, weil sie langfristig wirksam und resistent gegen Veränderung sind“ (Schmidt-Denter, S. 237). 29 Peter Niedermüller, „Diskurs, Kultur, Politik: Zur Herausbildung der Nationalkultur in Ungarn“, in: Beate Binder et al. (Hg.), Inszenierung des Nationalen.

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Die Elemente, die die Nationalkultur konstituieren, können demnach von verschiedenen Gruppen innerhalb der Nation bestritten werden. Das, was die Nationalkultur ausmacht, lässt sich somit niemals genau fixieren bzw. definieren.30 Immer werden einige Aspekte von bestimmten Gruppen als Teil der Nationalkultur betrachtet, die von Anderen abgelehnt werden. Nichtsdestotrotz kann man stets einige Elemente der Nationalkultur ausfindig machen, etwa bestimmte Symbole, die geradezu von der gesamten Bevölkerung als Teil der Nationalkultur akzeptiert werden. Das bedeutet aber nicht, dass diese Symbole genau dieselbe Bedeutung für alle Nationsangehörigen besitzen (müssen). Ich werde beispielweise darlegen, wie José Figueroa Sanabia als nationales Symbol für alle Puerto Ricaner fungierte, aber auch, wie die gebildete Klasse Puerto Ricos spezifische Konnotationen aus seinem Image ableitete, die ihre besonderen klassenbezogenen Wünsche und Interessen widerspiegelten. Wie alle kollektiven Identitäten dient die national-kulturelle Identität als wichtiges Orientierungssystem, insbesonders auf einer Makroebene. Anthony D. Smith schreibt diesbezüglich: „[A] sense of national identity provides a powerful means of defining and locating individual selves in the world, through the prism of the collective personality and its distinctive culture. It is through a shared, unique culture that we are enabled to know ‚who we are‘ in the contemporary world.“31

Durch die national-kulturelle Identität positionieren sich also die Menschen in der Welt, indem sie ihre unersetzliche Stellung als ein einzigartiges Volk mit einer einzigartigen Kultur innerhalb dieser erkennen.32 Die Erkenntnis

Geschichte, Kultur und die Politik der Identitäten am Ende des 20. Jahrhunderts, Köln u.a. 2001, S. 171-172. 30 Vgl. ebd., S. 171. 31 Smith, S. 17. 32 Max Weber schreibt diesbezüglich: „The significance of the ‚nation‘ is usually anchored in the superiority, or at least the irreplaceability, of the culture values that are to be preserved and developed only through the cultivation of the peculiarity of the group“ („The Nation“, in: John Hutchinson und Anthony D. Smith [Hg.], Nationalism, Oxford 1994, S. 25). Siehe auch: Nancy Morris, Puerto Rico. Culture, Politics, and Identity, Westport Connecticut u.a. 1995, S. 96-101.

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dieser Unersetzlichkeit ist äußerst wichtig, denn sie dient als wichtige Selbstwertquelle. Das bedeutet, dass diese Erkenntnis Nationsangehörigen ermöglicht, sich als besonders und daher wertvoll in der Welt – sprich gegenüber anderen Völkern – zu fühlen, und zwar selbst dann, wenn ein Volk sich in einer untergeordneten Position befindet, z.B. im Fall einer Kolonialherrschaft. Unter dieser Voraussetzung ist die Behauptung der national-kulturellen Identität – wie ich zeigen werde – noch wesentlicher, denn damit erhebt das kolonisierte Volk seinen Anspruch auf eine Daseinsberechtigung als unabhängige Nation gegenüber den Kolonialherren, die dazu tendieren, deren Kultur und Lebensweise gering zu schätzen. Das hier oben Erläuterte weist auf die selbstwertstärkende Funktion der national-kulturellen Identität hin. Diese Funktion erfüllt sie grundsätzlich jedes Mal, wenn Nationalstolzgefühle von Nationsangehörigen empfunden werden. Mit Nationalstolz soll hier jenes Gefühl verstanden werden, das die Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation bzw. zu einem bestimmten Volk wahrnehmen. Es handelt sich um eine ideologisch konstruierte Freude über die Tatsache, dass man aus einem spezifischen Ort stammt und eine bestimmte Geschichte und Nationalkultur mit anderen Menschen – also mit den anderen Nationsangehörigen – teilt. Der Nationalstolz sorgt im Volk somit für die notwendige Zufriedenheit und Freude über die Art und Weise, wie man ist, denkt, spricht und sich verhält. Er bildet bei den Nationsangehörigen den Antrieb dafür, ihre Kultur weiter zu pflegen und zu bewahren sowie sich als Mitglied der Nation zu bekennen bzw. bei ihr zu verbleiben. In diesem Sinn sind Nationalstolzgefühle ein grundlegendes Element jeglicher national-kulturellen Identität, denn neben ihrer selbstwertstärkenden Funktion ermöglichen sie es, auch den notwendigen Identifikationsgrad zu sichern, damit die national-kulturelle Identität – und damit die Auffassung, dass eine Gruppe von Menschen (d.i. ein Volk) eine gemeinsame Nation konstituiert – fortbestehen kann. Wenngleich Nationalstolzgefühle nationalistische Dimensionen annehmen können, darf man sie keinesfalls ausschließlich mit einer Nationalismusideologie in Verbindung bringen. Man muss beachten, dass „seit dem 17. Jahrhundert sich überall in Europa allmählich eine sozialphilosophische Theorie der Nation herausgebildet [und nachher weltweit verbreitet, O.R.V.] [hat], die dann zum Grundprinzip der europäischen Moderne [und u.a. des lateinamerikanischen Modernisierungsprozesses, O.R.V.] geworden ist. Sie versuchte eine

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Nation durch den Kollektivbesitz eines gemeinsamen kulturellen Feldes, durch gemeinsame kulturelle Traditionen und ein gemeinsames kulturelles Vermögen zu fassen. Diese Konzeption gründete sich auf die These, nach der die Nation ein alle gesellschaftlichen Klassen und sozialen Zugehörigkeiten beinhaltendes Gebilde sei, dessen Charakter, der den gesamten sozialen Raum umfasst, in einem gemeinsamen, historisch gewachsenen und dementsprechend natürlichen kulturellen Erbe verankert sei. Es wurde davon ausgegangen, dass die gemeinsame Kultur, kulturelle Traditionen, Normen und Werte den integrativen Bereich sozialer Interaktionen erzeugen, wobei die kulturellen (und in diesem Sinn symbolischen) Strukturen die kategorialen Voraussetzungen für die sozialen Strukturen und für das soziale, ja sogar das politische Handeln seien.“33

Laut dieser sozialphilosophischen Theorie der Nation, dergemäß seit spätestens dem 19. Jahrhundert die politische Strukturierung der Welt allmählich rekonfiguriert worden ist, wird jedes Individuum als Angehöriger einer bestimmten Nation betrachtet bzw. ihr zugeordnet. Mit dieser Weltanschauung werden die Menschen zudem erzogen bzw. sozialisiert. Weil die Welt auf diese Weise konzipiert wird, erweist sich die national-kulturelle Identität als eine wesentliche, ja sogar unentbehrliche Art kollektiver Identität, welche tief in unserer Weltwahrnehmung und im gesellschaftlichen Organisationssystem verwurzelt ist. Daraus folgt, dass der national-kulturellen Identität (aufgrund ihrer Bedeutung in unserer Gesellschaft und in der Weltwahrnehmung der Individuen) eine prägende Rolle bei der Entwicklung des Selbstkonzepts (d.i. der personalen Identität) und daher bei der Regulation des Selbstwertniveaus zukommt. Das Empfinden eines gewissen Grades an Nationalstolz macht folglich einen integralen Part der Beibehaltung eines adäquaten Selbstwerts aus, denn nur durch das Verspüren von Nationalstolzgefühlen, oder – wie Ulrich Schmidt-Denter es formulierte – eines „‘gesunde[n] Narzissmus‘, der sich aus dem Gefühl speist, mit Heimat und Volk verwurzelt zu sein“34, kann die national-kulturelle Identität ihre selbstwerterhöhende bzw. -schützende Aufgabe erfüllen. Das Fehlen eines angemessenen Grades an Nationalstolz kann umgekehrt eine ne-

33 Niedermüller, S. 170. 34 Schmidt-Denter, S. 25.

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gative national-kulturelle Identität35 hervorbringen, d.i. eine Art gestörter Identität, die von negativen Gefühlen gegenüber der Nation und letztendlich gegenüber sich selbst gekennzeichnet ist. Wenn das geschieht, können schädliche Folgen für die Selbsteinschätzung und Selbstakzeptanz der (betroffenen) Nationsangehörigen eintreten.36 In seiner vergleichenden Identitätsstudie des europäischen Raums beweist Schmidt-Denter z.B., dass u.a. als Resultat der Art und Weise, wie in deutschen Schulen über den Holocaust üblicherweise unterrichtet wird, die Deutschen einen vergleichsweise deutlich niedrigeren Grad an Nationalstolz aufweisen als andere Völker (etwa Frankreich oder Großbritannien) und infolgedessen bei ihnen ernst zu nehmende selbstwertbelastende Identitätsprobleme festzustellen sind: „Die negative Bewertung nationaler Identität ist einerseits ständig bewusst und führt zu einer allgegenwärtigen Befangenheit im Umgang mit dem Thema, andererseits wird ein intensiver Wunsch nach Normalität im Sinn einer Versöhnung von individueller und kollektiver Identität erlebt. Diese psychische Belastung äußert sich so stark, dass aus salotugenetischer Sicht in beunruhigendem Maße eine Flucht in fremde Identitäten als Ausweg gesucht wird. Diese ‚Identitätsflucht‘ kann sich in einer Abwertung der Eigengruppe und der Aufwertung von Fremdgruppen äußern

35 Erik H. Erikson schreibt über negative Identität: „Identity formation normatively has its dark and negative side, which throughout life can remain an unruly part of the total identity. Every person and every group harbors a negative identity [Herv. i.O.] as the sum of all those identifications and identity fragments which the individual had to submerge in himself as undesirable or irreconcilable or which his group has taught him to perceive as the mark of fatal ‚difference‘ in sex role or race, in class or religion. In the event of aggravated crises, an individual (or, indeed, a group) may despair of the ability to contain these negative elements in a positive identity“ (Life History and the Historical Moment, New York 1975, S. 20). 36 Schmidt-Denter stellt diesbezüglich fest: „Wenn es keine positiven nationalen Gefühle gibt, stellen sich negative Einstellungen ein. Diese können wie folgt kategorisiert werden: a) nationale Entfremdung (national alienation). Dies bedeutet, dass man sich unter den eigenen Landsleuten nicht wohlfühlt und sich im eigenen Land nicht heimisch fühlt. b) nationale Scham (national shame), c) nationaler Ekel (national disgust) und d) nationaler Hass (national hate). Das Ergebnis kann ein negatives Selbstbild sein“ (S. 236).

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(Xenophilie) sowie in dem Wunsch, auszuwandern oder mit einer anderen Nationalität wiedergeboren zu werden.“37

Diese, aber auch mehrere andere Untersuchungen38, beweisen, dass eine gesunde (d.i. positive) national-kulturelle Identität, d.h. eine Identität, die geprägt ist von einem ausgewogenen Anteil an Nationalstolzgefühlen, für das menschliche psychologische Wohlbefinden von großer Wichtigkeit ist. In dieser Studie werde ich veranschaulichen, welche Bedeutung dem Verspüren von Nationalstolzgefühlen (vermittels der Identitätsvergewisserung) innerhalb des identitäts- und selbstwertbedrohenden puerto-ricanischen kolonialen Kontexts zukam. Bereits habe ich gezeigt, dass das Empfinden von Nationalstolzgefühlen nicht zwangsläufig mit Nationalismus in Verbindung gebracht werden muss, denn derartige Gefühle spielen tatsächlich eine fundamentale Rolle bei der Beibehaltung einer gesunden Selbsteinschätzung in unserer national konfigurierten Gesellschaft. Man muss dennoch die Frage aufwerfen: Ist bei unserer konkreten Identitätsstudie eine nationalistische Dimension festzustellen? Die negative oder bejahende Beantwortung auf diese Frage hängt

37 Ebd., S. 337. Weiterhin behauptet er ferner: „Zu den Erkenntnissen aus unserer Studie gehört auch, dass die deutsche Negatividentität weniger als Resultat kognitiver Prozesse im Sinn kritischer Reflexion verstanden werden kann, sondern vielmehr als affektiver Prozess, der für die Identitätsbildung besonders wichtig ist. Das Ansprechen der Gefühle [beim Holocaust-Geschichtsunterricht, O.R.V.], die Forderung nach Opfer-Identifikation und das Nacherleben der Leiden setzt die ‚Logik der Affekte‘ im Sinn von Ciompi in Gang. Emotionen sind im Gegensatz zu Kognitionen nicht analysierend und differenzierend sondern ganzheitlich und polarisierend. Sie stellen starke Energiequellen dar, die die Psyche unter Spannung setzen und schwer bewältigt werden können. Die Unmöglichkeit der rationalen Bewältigung der Affektstürme kann zur Flucht aus der belasteten Identität führen. Dies kann aber auch eine Basis für Aggressionen und Vorurteile sein, die sich generalisierend auf die Eigengruppe beziehen und im Kontrast dazu Fremdgruppen als positiver erscheinen lassen. Diese Polarisierung entspricht einer Umkehr des von Tajfel beschriebenen Musters der Eigengruppenfavorisierung und der Fremdgruppenabwertung“ (S. 351). 38 Vgl. ebd., S. 239-243.

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davon ab, wie man den Begriff „Nationalismus“ definiert. Wenn man darunter eine Ideologie versteht, die „divides humanity into separate and distinct nations, claims that such nations must constitute sovereign states, and asserts that the members of a nation reach freedom and fulfillment by cultivating the peculiar identity of their own nation and by sinking their own persons in the greater whole of the nation“39

wäre es dann problematisch hier über Nationalismus zu reden, denn eine wesentliche Bedingung würde nicht erfüllt werden, nämlich das Streben nach einem Nationalstaat. Es gilt zu bedenken, dass eine beachtliche Zahl von Puerto Ricanern damals – und noch mehr heute – die politische Unabhängigkeit von den USA nicht anstrebte, sondern sie hatten vielmehr den Wunsch, die Beziehungen mit ihnen so weit wie möglich zu ihren Gunsten zu verändern bzw. zu verbessern.40 Auf Puerto Rico existierten natürlich schon immer verschiedene nationalistische Bewegungen, deren extremste Fraktion(en) systematisch von der US-Regierung (gegebenenfalls mit Ge-

39 Elie Kedourie, „Nationalism and Self-Determination“, in: John Hutchinson und Anthony D. Smith (Hg.), Nationalism, Oxford 1994, S. 49. 40 Das ist ein Aspekt der Kolonialgeschichte Puerto Ricos, der viele Verwirrungen und unangemessene Interpretationen verursacht hat. Ramón Grosfoguel et al. schreiben diesbezüglich: „In general, most intellectuals frame Puerto Rican struggle within a nineteenth-century model of colonialism in which the colonized lived in daily confrontation with the invader on their own soil and thus are unable to properly contextualize Puerto Rican cultural practices. It is often the case that these intellectuals suspect that Puerto Ricans are not independent – assuming independence to be a sign of national maturity and real territorial power, a condition to claim nationhood – because they have been brainwashed by American colonialism to desire ‚dependency‘. This position fails to understand our specificity as a colonial experience different from that of Latin America and some parts of the Caribbean, producing a narrative that constitutes our experience as aberrant and our hybrid culture as corrupt“ („Beyond Nationalist and Colonialist Discourses: The Jaiba Politics of the Puerto Rican Ethno-Nation“, in: Frances Negrón-Muntaner und Ramón Grosfoguel [Hg.], Puerto Rican Jam, Minneapolis u.a. 1997, S. 10-11).

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walt) zurückgedrängt wurden.41 Diese Unabhängigkeitsbewegungen haben allerdings historisch niemals genug Puerto Ricaner an sich gezogen, um genug Kraft innerhalb der puerto-ricanischen Gesellschaft und des politischen (Kolonial-)Systems zu entwickeln, um so die US-amerikanische Kolonialherrschaft systematisch und wirkungsvoll zu bekämpfen. Ähnlich wie bei anderen Karibik-Inseln wie Curaçao und Martinique entschied sich eine Mehrheit der Puerto Ricaner, anstatt eine nationalistische Politik voranzutreiben mit dem Ziel – notfalls durch bewaffneten Kampf – der Gründung eines Nationalstaats, eher für eine Politik, die nach ökonomischen, politischen und sozialen Reformen innerhalb des US-amerikanischen Kolonialregimes zielte.42 Im Fall Puerto Ricos muss man also eine deutliche Trennungslinie ziehen zwischen einer nationalistischen Unabhängigkeitsbewegung, welcher sich nur ein Teil der Puerto Ricaner anschloss, und dem von allen Puerto Ricanern geteilten Wunsch, ihre eigene national-kulturelle Identität zu bewahren. Denn, unabhängig von den unterschiedlichen politischen Orientierungen, wollten alle Puerto Ricaner ihre eigene, gemeinsame Kultur und Identität gegenüber der US-amerikanischen beibehalten. Das Streben der Puerto Ricaner, sich ihre national-kulturelle Identität zu bewahren, kann jedoch als eine Art nationalistischer Politik – im weitesten Sinn des Wortes – angesehen werden, wenn man sich den theoretischen Ansätzen von Partha Chatterjee, herausgearbeitet in seinem einflussreichen Buch The Nation and its Fragment, anschließt. In diesem Buch setzt Chatterjee sich mit dem Nationalismusphänomen innerhalb einer Kolonialgesellschaft auseinander, wie jener, mit der ich mich hier beschäftigen werde. Um den Besonderheiten dieses antikolonialen Nationalismus gerecht zu werden, unternimmt er eine einfühlsame Unterscheidung zwischen dem spiritual und dem material domain des Nationalismus:

41 Vgl. Marisa Rosado, El Nacionalismo y la violencia en la década de 1930, San Juan 2007; José F. Paralitici, La represión contra el independentismo puertorriqueño: 1960-2010, Río Piedras (San Juan) 2011. 42 Vgl. Ramón Grosfoguel, „The Divorce of Nationalist Discourses from the Puerto Rican People: A Sociohistorical Perpective“, in: Frances Negrón-Muntaner und Ramón Grosfoguel (Hg.), Puerto Rican Jam, Minneapolis u.a. 1997, S. 5776.

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„[A]nticolonial nationalism creates its own domain of sovereignty within colonial society well before it begins its political battle with the imperial power. It does this by dividing the world of social institutions and practices into two domains – the material and the spiritual. The material is the domain of the ‚outside‘, of the economy and of statecraft, of science and technology, a domain where the West had proved its superiority and the East had succumbed. In this domain, then, Western superiority had to be acknowledged and its accomplishments carefully studied and replicated. The spiritual, on the other hand, is an ‚inner‘ domain bearing the ‚essential‘ marks of cultural identity. The greater one's success in imitating Western skills in the material domain, therefore, the greater the need to preserve the distinctness of one's spiritual culture […] There are several implications. First, nationalism declares the domain of the spiritual its sovereign territory and refuses to allow the colonial power to intervene in that domain […] The colonial state, in other words, is kept out of the ‚inner‘ domain of national culture; but it is not as though this so-called spiritual domain is left unchanged. In fact, here nationalism launches its most powerful, creative, and historically significant project: to fashion a ‚modern‘ national culture that is nevertheless not Western. If the nation is an imagined community, then this is where it is brought into being. In this, its true and essential domain, the nation is already sovereign, even when the state is in the hands of the colonial power.“43

Durch die Akzentuierung des geistigen Bereiches (spiritual domain) eines antikolonialen Nationalismus bringt Chatterjee das Phänomen mit einer Art von Resistenzpolitik in Verbindung, die eher auf dem Gebiet der Nationalkultur und daher der national-kulturellen Identität stattfindet. Hauptziel dieser Politik ist nicht (in erster Linie zumindest), die Kolonialherrschaft zu beenden und einen unabhängigen Nationalstaat zu begründen. Das gehört eher dem materiellen Bereich an. Vielmehr strebt sie danach, die national-kulturelle Identität der Kolonisierten vor einer unangemessen hohen Einflussnahme seitens der Kultur der Kolonialherren zu schützen. So betrachtet, darf man behaupten, dass die national-kulturelle Identitätsvergewisserung, hier untersucht, eine antikolonial-nationalistische politische Dimension aufweist, denn sie wurde – wie ich zeigen werde – instrumentalisiert, um bestimmte Ziele der Kolonialpolitik zu behindern, die gegen die Idiosynkrasien der puerto-ricanischen Identität verstießen.

43 Partha Chatterjee, The Nation and its Fragment. Colonial and Postcolonial Histories, New Jersey 1993, S. 6.

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1.4.2 Staranalysetheorien: Was ist ein (Musik-)Star? Neben den bereits ausgeführten theoretischen Ansätzen sind die Staranalysetheorien von großer Wichtigkeit für diese Forschungsarbeit, denn ich werde die Person José Figueroa Sanabia grundsätzlich wie einen Musikstar analysieren. Musikstars kann man „als individualisierte bzw. idealisierte soziale Typen, die durch musikbezogene Repräsentationssysteme intertextuell erzeugt und in Form medialer Images distribuiert und rezipiert werden“44, definieren. Von großer Bedeutung ist das Adjektiv „idealisiert“: Musikstars werden prinzipiell als Ideal betrachtet, d.h. als Personen, die mittels ihrer außergewöhnlichen Begabung etwas Besonderes sind und die sich dadurch von der durchschnittlichen Bevölkerung unterscheiden. Sie sollten somit das aufweisen, was man als Charisma bezeichnet. Max Weber definiert Charisma als „a certain quality of an individual personality by virtue of which he is set apart from ordinary men and treated as endowed with supernatural, or at least specifically exceptional powers or qualities. These are such as are not accessible to ordinary person, but are regarded as of divine origin or as exemplary, and on the basis of them the individual concerned is treated as leader.“45

Charisma ist demzufolge eine vermeintliche Eigenschaft einer Person, die ihr von anderen Personen zugeschrieben wird. Es stattet die Person mit einer (übermenschlichen) Aura aus, die ihre Rolle als Anführer bzw. Vorbild des Kollektivs rechtfertigen soll. Wichtig ist dabei zu bedenken, dass das ihr zugeschriebene Charisma nur aufgrund des eingehaltenen Abstands zwischen dem Star und seinem Publikum möglich gemacht wird. Jessica Evans schreibt diesbezüglich: „[C]elebrities depend for their status and popularity on a larger group of people who observe them and their image from a distance. It therefore follows that any charisma that celebrities possess must be a consequence of the distance from their audience –

44 Borgstedt, S. 63. 45 Max Weber, „The Sociology of Charismatic Authority. The Nature of Charismatic Authority and its Routinization“, in: David P. Marshall (Hg.), The Celebrity Culture Reader, New York u.a. 2006, S. 61.

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a distance achieved through the fact that they only appear as representations in mediated texts, however familiar to their audience they seem to be. As a general category, then, celebrity and its charismatic effect are dependent on the lack of a face-to-face relationship.“46

Dieser vorhandene Abstand zwischen Star und Publikum ist somit das, was zunächst seine Idealisierung und die Entstehung seiner charismatischen Persönlichkeit ermöglicht. Denn dank dieses Abstands wird der notwendige Raum offen gelassen, damit die Fans – basierend auf den Medienrepräsentationen – sich die ‚Persönlichkeit‘ des Stars vorstellen. Im Mittelpunkt dieser Persönlichkeitskonstruktion steht das Starimage47, welches als eine symbolische Brücke zwischen der wirklichen Person (Musiker) und den Fans betrachtet werden kann. Man kann den Begriff „Image“ als die Persönlichkeitskonstruktion einer bestimmten Person durch alle seine in den Massenmedien dargestellten Repräsentationen – in Zeitschriften, Zeitungen, Fernsehen usw. – definieren. Für die Imagekonstruktion spielt nicht nur die Information über das berufliche Leben des Musikstars, sondern auch die über sein privates Leben eine Rolle. Denn alle diese Medienrepräsentationen „unterstützen sich gegenseitig, um eine relativ einheitliche Wirkung zu erzeugen und ein geschlossenes, um einige zentrale Eigenschaften und Charakterzüge organisiertes Bild von dem Star als Person zu bilden.“48

Es gilt zu beachten, dass die Fans eigentlich diejenigen sind, die am Ende das Starimage erschaffen. Die Medienrepräsentationen dienen ihnen lediglich als Ausgangmaterial für die Imagekonstruktion, denn alle diese Infor-

46 Jessica Evans, „Celebrity, Media and History“, in: Jessica Evans und David Hesmondhalgh (Hg.), Understanding Media: Inside Celebrity, Berkshire 2005, S. 19. 47 Der Begriff wurde von Richard Dyer geprägt (vgl. „Stars as Images“, in: David P. Marshall [Hg.], The Celebrity Culture Reader, New York u.a. 2006, S. 153176). 48 Stephen Lowry und Helmut Korte, Der Filmstar: Brigitte Bardot, James Dean, Götz George, Heinz Rühmann, Romy Schneider, Hanna Schygulla und neuere Stars, Stuttgart u.a. 2000, S. 13.

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mationen über den Star müssen von den Fans zunächst verarbeitet werden, bevor ein kohärentes Bild des Stars entstehen kann. David P. Marshall nennt diesen Verarbeitungsprozess conventionalization.49 Durch conventionalization werden die Medienrepräsentationen des Stars vom Publikum rezipiert und eingeordnet, um eine bestimmte Vorstellung von seiner vermeintlichen Persönlichkeit zu konstruieren. Bei diesem Verfahren kommt den Werten und Interessen der Fans eine bedeutsame Rolle zu sowie dem sozialgeschichtlichen Kontext.50 Von wenig Belang ist demgegenüber – so paradox es scheinen mag – die tatsächliche Person hinter dem Star, d.h. der tatsächliche Musiker: „Like the sign, the celebrity represents something other than itself. The material reality of the celebrity sign – that is, the actual person who is at the core of the representation – disappear into a cultural formation of meaning.“51

Man kann zwei eng verknüpfte Hauptfunktionen eines Stars feststellen. Die erste ist seine Funktion als Identifikationsfigur für ein bestimmtes Kollektiv, d.h. für deren Fans bzw. (in unserem Fall) für das puerto-ricanische Volk. Silke Borgstedt schreibt diesbezüglich:

49 Vgl. David P. Marshall, Celebrity and Power: Fame in Contemporary Culture, Minnesota 1997, S. 58. 50 Lowry und Korte stellen in dieser Hinsicht fest: „Erst in der Rezeption entsteht die Vorstellung eines Stars, sein spezifisches Image. In diesem Prozess spielen Faktoren eine Rolle, die nicht direkt im Image als Medienprodukt oder Zeichen enthalten sind. Auf der einen Seite sind es subjektive Faktoren [Herv. i.O.] der Rezeption – von den individuellen Situationen und psychischen Verfassungen der Rezipienten bis hin zu sozialpsychologischen Tendenzen oder grundlegenden psychischen Mechanismen wie Identifikation, Projektion oder kognitive Fähigkeiten. Auf der anderen Seite ist die Rezeption immer durch den kulturellen Kontext [Herv. i.O.] geprägt, da die in der Gesellschaft, der speziellen Subkultur oder Fangemeinschaft vorhandenen Werte, Ideologien, Diskurse und kulturellen Codes den Horizont des Verstehens und der emotionalen Beteiligung am Starimage bilden“ (S. 16). 51 Marshall, S. 57.

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„[Stars] agieren [...] als konkrete Identifikationsfiguren [Herv. i.O.], die abstrakte Werte und Ideen in verdichteter Form verkörpern [Herv. i.O.] und durch Vermittlung erfahrbar machen. Für eine bestimmte soziale Gruppe spiegelt diese Figur die gerade relevanten oder angestrebten Gruppennormen auf diversen Ebenen perfekt wider und fungiert somit als Prototyp. In diesem Prototyp können sich die Mitglieder einer Gruppe nicht nur wiedererkennen, sondern sich auch ausschließlich über das Idol konstituieren, wie dies beim Startum der Fall ist, da der Prototyp – also der Star – hier nicht ausgetauscht werden kann, sondern Grundlage der Vereinigung […] ist.“52

Aus der Identifikation mit einem Musikstar entsteht dann eine kollektive Identität, die den Star in den Mittelpunkt stellt. Er fungiert für das Kollektiv somit als ein Symbol, das die Merkmale der angenommenen Identität idealtypisch verkörpern sollte und, aufgrund seiner Berühmtheit, in der Gesellschaft wirkungsvoll befördern kann. Dieser letzte Punkt ist sehr wichtig, denn, wie bereits erwähnt, muss eine kollektive Identität von Außenstehenden anerkannt werden, damit sie wirklich effektiv wird. Die Tatsache, dass der Musikstar in seiner Funktion als Identifikationsfigur einen idealtypischen Prototyp für die Fans ausmacht, schafft einen deutlichen Zwiespalt in seinem Image. Denn infolgedessen muss er, „wenn er fürs Publikum interessant und wirksam sein soll, gleichzeitig ‚menschlich‘ und ‚göttlich‘, normal und außergewöhnlich, typisch und einzigartig sein. Der Star muss nahe genug am Publikum sein, um seine Gefühle und Befindlichkeiten zu verkörpern, diese jedoch auch in einer besonders exponierten, konzentrierten und exaltierten Form präsentieren. Das Publikum will sich selbst im Star wiedererkennen, zum Star aber zugleich als Ideal, Vorbild oder Idol aufsehen können.“53

Der Star oszilliert mithin zwischen zwei Extrempolen. Auf der einen Seite muss er als ein normaler Mensch wahrnehmbar sein, damit die Fans sich mit ihm zu identifizieren vermögen. Auf der anderen Seite muss er aber auch geradezu übermenschlich sein, d.h., er muss unbedingt eine charismatische Persönlichkeit besitzen. Nur auf diese Weise gelingt es ihm, einerseits als Identifikationsfigur für die anderen ‚normalen‘ Personen des

52 Borgstedt, S. 67. 53 Lowry und Korte, S. 14.

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Kollektivs zu dienen und gleichzeitig als dessen Vorbild und Anführer zu agieren. Nicht nur dienen Stars als Identifikations- sondern auch als Projektionsfiguren. Sie fungieren demnach als Mittel, durch die die Fans ihre eigenen Interessen, Wünsche und Sorgen ausdrücken. Philip Auslander schreibt diesbezüglich: „This investment [in a star, O.R.V.] is not purely economic; it is also cultural, emotional, ritual, sometimes political or even spiritual. Audiences try to make performers into who they need them to be, to fulfill a social function.“54

Vermittels der Projektion reichen die Fans dem Starimage mit mehreren konnotativen Bedeutungen an, durch die sie ihre eigene Interessen, Wünschen und Sorgen zum Ausdruck bringen.55 Die Fans bauen also, an die Medienrepräsentationen anknüpfend, ein Starimage auf, welches, wenngleich nicht willkürlich geschaffen, dennoch viel mehr über sie selbst aussagt als über die tatsächliche Persönlichkeit des Stars, die es angeblich repräsentieren soll: „The question thus becomes not so much what celebrities do to us, but what we do with celebrities.“56 Eine Untersuchung des Starimages kann aufzeigen, welche Bedeutung eine bestimmte Persönlichkeit für eine spezifische Gruppe innerhalb eines konkreten sozialgeschichtlichen Kontexts erlangt hat. Für unseren Zweck ist es äußerst wichtig zu berücksichtigen, dass „[t]he star persona is specially likely to attract the energies of those in sub-

54 Philip Auslander, „Musical Personae“, The Drama Review, 50/1, Frühjahr 2006, S. 115; siehe auch: Stuart Ewen, All Consuming Images. The Politics of Style in Contemporary Culture, New York 1988, S. 96. 55 Rosemary Coombe behauptet in dieser Hinsicht: „Celebrity names and images […] are not simply marks of identity or simple commodities; they are also cultural texts – floating signifiers that are continually invested with libidinal energies, social longings, and I will argue, political aspirations“ („Author(iz)ing the Celebrity: Engendering Alternative Identities“, in: David P. Marshall [Hg.], The Celebrity Culture Reader, New York u.a. 2006, S. 772). 56 Nick Stevenson, „Audiences and Celebrity“, in: Jessica Evans und David Hesmondhalgh (Hg.), Understanding Media: Inside Celebrity, Berkshire 2005, S. 142.

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ordinate or marginal groups for whom social recognition and a positively evaluated identity are pressing concerns.“57 Solche Gruppen, die einen niedrigen Rang innerhalb der Gesellschaft einnehmen und zusätzlich üblicherweise ein schlechtes Ansehen genießen, nutzen Stars als Mittel, durch das sie eine bessere Selbstdarstellung (d.h. Identität) erlangen können, um so ihre Position innerhalb der Gesellschaft zu revidieren. Der Star dient ihnen somit als Medium, vermöge dessen sie ein besseres Image ihrer selbst entwickeln können. So gelingt es ihnen, den vorherrschenden pejorativen Schilderungen, mit denen sie in der Regel konfrontiert werden, entgegenzuwirken. In diesem Prozess verstärken Gruppenmitglieder zudem ihr Selbstwertgefühl58, welches aufgrund der selbstwertbelastenden Konditionen in ihrer Gesellschaft dauerhaft gefährdet ist. Da die Puerto Ricaner ein kolonisiertes und daher gegenüber den Kolonialherren untergeordnetes (und unterdrücktes) Volk waren, mussten sie – wie ich veranschaulichen werde – einer vorwiegend abwertenden und daher selbstwertgefährdenden Repräsentation ihrer selbst systematisch entgegentreten. Eines meiner Hauptziele in dieser Arbeit besteht darin zu zeigen, welche Bedeutung José Figueroa Sanabia in diesem Prozess der selbstwerterhöhenden Identitätsvergewisserung zukam. 1.4.2.1 Theoretische Ergänzungen Wie man sehen konnte, beziehen sich Staranalysetheorien auf die Gruppe, die sich dem Star als deren Fans anschließt: „Being a fan means that we follow the careers of particular celebrities with an intensity that is less evident in other cultural arenas.“59 In meiner Forschungsarbeit geht es aber weniger um eine Fangemeinde, als vielmehr um ein ganzes Volk, nämlich die Puerto Ricaner, und dessen Verhältnis zum Violinisten José Figueroa Sanabia. Deshalb müssen einige Modifizierungen zu diesen theoretischen Ansätzen vorgenommen werden. Man muss bedenken, dass die enge Verbindung – sprich Identifikation – zwischen den Fans und dem Musikstar in der Regel zunächst aufgrund seiner musikalischen Darbietungen entsteht. Diese Per-

57 Rosemary, S. 735. 58 Indirekt verweist Stuart Ewen darauf, wenn er behauptet: „Celebrity forms a symbolic pathway, connecting each aspiring individual to a universal image of fulfillment: to be someone, when ‚being no one‘ is the norm“ (S. 95-96). 59 Stevenson, S. 151.

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formance ist also primär das, weshalb sich die Fans zu ihm hingezogen fühlen und bildet somit die Grundlage für den großen Aufwand an Emotionen, die dem Star entgegengebracht werden. Im Fall José Figueroa Sanabias (sowie aller Stars, denen eine nationale Bedeutung zukommt) stellen jedoch nicht nur seine musikalischen Leistungen, sondern auch (oder sogar noch mehr60) die Tatsache, dass er mit den Puerto Ricanern dieselbe Herkunft teilte, ein wesentliches Element beim Identifikationsprozess dar. Der Grund dafür ist, dass José Figueroa Sanabia von seinen Landsleuten weniger als Star denn als nationales Symbol betrachtet wurde. Deswegen erfüllte er – wie ich zeigen werde – eine Funktion, die sich von jener eines ‚normalen‘ Musikstars in bestimmten Aspekten unterschied. Selbstverständlich stellten die musikalischen Leistungen José Figueroa Sanabias ein unentbehrliches Element des Identifikationsverfahrens dar. Jedoch – und das ist gerade mein Punkt – hätten sie für sich allein nicht die notwendige Anziehungskraft erzeugt, um die ganze puerto-ricanische Bevölkerung für den Geiger in dem Maße einzunehmen, wie es tatsächlich der Fall war. Eigentlich war es für seine Landsleute vor allem wichtig, dass José Figueroa Sanabia ein berühmter Puerto Ricaner war. In welchem Bereich er sich ausgezeichnet hatte, war letztendlich zweitrangig. Wichtiger war vielmehr, dass er ein renommierter Landsmann war, der die Puerto Ricaner auf eine positive Weise repräsentieren konnte. Diese Unterscheidung zwischen einem ‚normalen‘ Musikstar und einem Star, dem eine nationale Bedeutung zuteilwird, ist nicht unwichtig, denn nur so kann man verstehen, warum so viele Puerto Ricaner aus ganz unterschiedlichen Epochen und sozialen Schichten sich mit José Figueroa Sanabia identifizierten, auch wenn er eine Art von Musik spielte, die eigentlich nur sehr wenige Puerto Ricaner regelmäßig hörten. Was den Imageaufbau des Musikstars betrifft, ist eine weitere wichtige Ergänzung vonnöten. Ich habe bereits erwähnt, dass das Starimage aus der Verarbeitung aller zirkulierenden Informationen über den Star seitens der Fans entsteht. Das heißt, dass erst bei der Rezeption der vorliegenden Infor-

60 Wenn man annehmen würde, dass sich die Puerto Ricaner, genauso wie ‚normale‘ Fans, in erster Linie wegen der Musikinterpretationen mit José Figueroa Sanabia identifizierten, würde man zum falschen Schluss kommen, dass seine mächtige Anziehungskraft sich daraus ergab, dass die Puerto Ricaner große Liebhaber klassischer Musik waren und in ihm als Geiger einen äußerst talentierten Musiker erkannten.

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mationen (conventionalization) das idealisierte Starimage zustande kommt. Die Mehrheit der Medienrepräsentationen eines ‚normalen‘ Stars stammen aber in der Regel von Personen, die keine so starke emotionale Bindung zu ihm besitzen wie seine Fans. Im Fall José Figueroa Sanabias ist das jedoch anders, denn so gut wie alle Journalisten und Musikkritiker, die über ihn in der puerto-ricanischen Presse schrieben, waren auch Puerto Ricaner. Diese Tatsache muss nicht selbstverständlich und zwangsläufig zu einer (positiven) Voreingenommenheit führen. In diesem Fall ist jedoch genau dies eingetreten: Man wird sehen, dass die einheimischen Medienrepräsentationen José Figueroa Sanabias von Individuen stammten, bei denen eine eindeutig starke emotionale Hinwendung zu ihm angelegt war und die ihn daher verstärkt zu verherrlichen neigten. Das hatte zum Ergebnis, dass das Idealisierungsverfahren José Figueroa Sanabias nicht, wie es gewöhnlicherweise geschieht, bei der Verarbeitung seiner Medienrepräsentationen – d.i. beim Conventionalization-Prozess – begonnen hat, sondern schon zuvor, als einheimische Journalisten und Musikkritiker von ihm berichteten. Das heißt, anders formuliert, dass bereits die Medienrepräsentationen eine äußerst idealisierte Schilderung des Violinisten enthielten, welche nachher lediglich von der breiteren Bevölkerung übernommen wurde. Das käme der Situation gleich – um diese Besonderheit besser zu veranschaulichen –, als wenn die vorhandenen Informationen über einen Star nur diejenigen wären, die von seinen eigenen Fans – z.B. auf Internet-Fan-Seiten usw. – verfasst wurden, also von Personen, die ein besonderes Interesse hätten, ihn auf eine möglichst positive Weise darzustellen. Diese Besonderheit wird die ganze Arbeit durchweg, vor allem aber im zweiten Buchteil (Kapitel zwei), sichtbar werden.

Biografie José Figueroa Sanabias

1. Kindheit

José Carmelo Figueroa Sanabia – „Pepito“ genannt – wurde am 25. März 1905 in San Sebastián, Puerto Rico, geboren. Er war das zweite von 11 Kindern, von denen drei während der ersten Jahre gestorben sind.1 Sowohl sein Vater, Jesús Figueroa Iriarte, als auch seine Mutter, Carmen Sanabia Ellinger, stammten aus Musiker-Familien. Sie beide waren selbst begabte Musiker.2 Der Vater war Klarinettist in verschiedenen Gruppen, darunter in der berühmten Kapelle der Policía Insular. Darüber hinaus war er 1910 Dirigent der Banda Municipal von Río Piedras. Derartige Ensembles spielten damals eine wichtige Rolle im Musikleben Puerto Ricos, denn sie waren einige der wenigen etablierten Gruppen3 auf der Insel, die regelmäßige

1

Seine Geschwister waren: Carmen M. (1904-1909), Narciso (1906-2004), Leonor (1908-1945), Jaime (1910-2003), Carmen E. (1911-1994), Ángel G. (19121912), Ángeles (1914-1993), Ángel E. (1916-1917), Guillermo (1916-2001) und Rafael (1917-2011).

2

Erwähnenswert ist ein Stipendium, das Dr. Celso Barbosa Carmen Sanabia Ellinger anbot, um in Paris Klavier zu studieren. Der puerto-ricanische Arzt und Politiker hatte Carmen in einem Konzert gehört und war beeindruckt von ihrem Talent. Laut Ivonne Figueroa kam das benötigte Geld durch eine Kollekte zusammen (vgl. Ivonne Figueroa, „Figueroa Sanabia. Familia de músicos de Puerto Rico“, Resonancias. La Revista Puertorriqueña de Música, 4/7, Mai 2004, S. 61). Carmen konnte jedoch wegen des plötzlichen Todes ihres Vaters das Stipendium nicht antreten, da sie ihrer Mutter bei der Betreuung ihrer Geschwister helfen musste.

3

Diese Bands waren aber keine professionellen Gruppen. Hauptsächlich wurden sie von Schülern begründet. Ihr Repertoire war sehr unterschiedlich: „Typical

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Konzerte gaben.4 Auf der anderen Seite war Figueroa Sanabias Mutter als Pianistin in einem Stummfilmkino in der Hauptstadt, San Juan, tätig. Außerdem begleitete sie manchmal andere Musiker in Solokonzerten und gab Klavierunterricht in ihrem Haus. Die ersten Musikstunden bekam José Figueroa Sanabia von seinem Vater, als er 6 Jahre alt war (1911). Von Anfang an zeigte er großes Talent beim Geigespielen. Nachdem er nur ein Jahr Unterricht erhalten hatte, trat er bereits (zum ersten Mal) in einer Privatfeier von Frau Josefina V. Vila zusammen mit seinen Eltern und seinem Onkel Augusto Sanabia auf.5 Sein erster öffentlicher Auftritt scheint jedoch ein Jahr später, und zwar am 18. August 1913, im Theater von Hato Rey stattgefunden zu haben. Der junge Figueroa Sanabia spielte hier u.a. das berühmte Menuett von Luigi Boccherini. Das Konzert wurde anlässlich der Abreise Augusto Sanabias (Figueroa Sanabias Onkel) nach Madrid organisiert, wo er Violine im Real Conservatorio de Música y Declamación María Cristina studieren sollte. 10 Jahre später wird José Figueroa Sanabia seinem Onkel nachfolgen und sich in derselben Musikhochschule einschreiben. Derartige Bildungsreisen waren damals von großer Bedeutung für die Entwicklung einer (Kunst-)Musikkultur auf Puerto Rico. Denn zu jener Zeit gab es auf der Insel weder staatlich unterstützte Musikschulen noch ein

band programs for 1898 through 1910 included selections from zarzuelas and operas, danzas by Morel Campos, Tavárez, and other popular musicians of their day, and by the band directors themselves, and music by European composers. In the early part of the century, American patriotic songs were included in the programs“ (Catherine Dower, Puerto Rican Music Following the Spanish American War. 1898: The Aftermath of the Spanish American War and its Influence on the Musical Culture of Puerto Rico, Lanham 1983, S. 87). 4

Davor spielten die Kirchenorchester eine führende Rolle im puerto-ricanischen Musikleben. Seit dem Regierungswechsel verlor jedoch die katholische Kirche ihre staatliche finanzielle Unterstützung, mit deren Hilfe derartige Gruppen aufrechterhalten wurden (vgl. ebd., S. 16).

5

Vgl. Ivonne Figueroa, „A Narrative Chronology of the Musical Life and Contributions of the Figueroa Sanabia Family“, ‚Appendix A: A Selection from the 1904-1935 Notebook of Jesús Figueroa‘, Diss., New York University, New York 1991, S. 149.

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Konservatorium.6 Die einzige Möglichkeit, eine Musikausbildung zu erhalten, war in privaten Musikakademien wie derjenigen, die Elisa Tavárez, Julio Arteaga oder Alicia Sicardó gegründet hatten.7 In der Regel wurden derartige Akademien von Musikern gegründet, die eine Musikausbildung im Ausland – vornehmlich in Spanien oder Frankreich – abgeschlossen hatten und sich danach auf Puerto Rico wieder niederließen. In den 1930er Jahren gründete die Familie Figueroa selbst ihre eigene Akademie (Escuela de Música Figueroa), nachdem die Geschwister ihre Studien in Paris absolviert hatten. José Figueroa Sanabia arbeitete für eine kurze Zeit in der Akademie, aber ihre eigentlichen Lehrerinnen waren seine Schwerstern Leonor, Ángeles (Angelina) und Carmen (Carmelina) sowie seine Mutter Carmen Sanabia.

1.1 U NTERRICHT

BEI

H ENRI E RN

Angesichts der beschränkten Möglichkeiten, eine Musikausbildung auf Puerto Rico zu bekommen, waren die Chancen José Figueroa Sanabias äußerst begrenzt, sich als Musiker zu entwickeln. Eine unerwartete Gelegenheit eröffnete sich ihm jedoch 1914, als der deutsche Geiger Henri Ern nach Puerto Rico kam. Henri Ern stammte aus Dresden, wo er am 20. Januar 1863 geboren wurde.8 Sein Vater war Adolf Reichel9 (1816-1896), ein er-

6

Musikschulen (Escuelas Libres de Música) wurden laut Gesetz’ Nr. 35 erst 1946 errichtet (vgl. Héctor Campos Parsi, „La música en Puerto Rico“, in: Vicente Báez [Hg.], La Gran Enciclopedia de Puerto Rico, 3. Aufl., Bd. 7, San Sebastián [Spanien] 1981 [1976], S. 238). Später, im Jahr 1960, wurde auch eine Musikhochschule (Conservatorio de Música de Puerto Rico) gegründet (vgl. ebd., S. 242). Viele Mitglieder der Familie Figueroa – auch von späteren Generationen – waren in beiden Institutionen tätig.

7

Vgl. María Luisa Muñoz, La música en Puerto Rico. Panorama histórico-

8

Vgl. Albert Bachmann, „Ern, Henri“, in: An Encyclopedia of the Violin, New

9

Sein Nachlass befindet sich im Internationaal Instituut vor Sociale Geschiedenis

cultural, Connecticut 1966, S. 139. York 1966, S. 354. Amsterdam (vgl. Internationaal Instituut vor Sociale Geschiedenis Amsterdam,

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folgreicher Geiger (und Komponist), der zudem als Direktor der Hochschule für Musik von Dresden – der jetzigen Hochschule für Musik Carl Maria von Weber – und später des Konservatoriums von Bern tätig war.10 Aus bisher unbekannten Gründen nahm Henri den Nachnamen seiner Mutter an, der Pianistin Marie von Ern, anstelle desjenigen seines Vaters. Laut José Figueroa Sanabia sind Ern und seine Eltern in die Schweiz ausgewandert, weil sie mit dem zu jener Zeit – nämlich der Zeit Otto von Bismarcks – wachsenden Militarismus in Deutschland nicht einverstanden waren. In der Schweiz ließen sie sich darüber hinaus einbürgern. Das erklärt, weshalb in den Quellen Ern des Öfteren entweder als schweizerisch-deutscher oder einfach als schweizerischer Geiger bezeichnet wird. Die Niederlassung der Familie Ern in der Schweiz scheint indes relativ spät erfolgt zu sein (wahrscheinlich in den 1880er Jahren), denn Henri Ern absolvierte praktisch seine gesamte musikalische Ausbildung in Deutschland. Über seine Musikstudien wird in einem Artikel berichtet: „In his earliest youth Henri received a thorough musical education, and when only six years of age was given a violin and left therewith to his own devices with such effect that at the age of nine he won the free scholarship at the Dresden Conservatory, where he studied first with Leopold Brassin, then with Carl Jahn. He was later placed in the hands of Rappoldi, Concert-Master of the Royal Opera and Symphony Orchestra of Dresden, and Professor of violin at the Royal Conservatory. After three years with Rappoldi, he entered Joachim's class in the Königliche Hochschule für Musik in Berlin, making wonderful progress. While studying with Joachim he met Eugène Ysaÿe, then at the zenith of his career as a virtuoso; so impressed was Ysaÿe with Ern's genius that he induced the young artist to come to Paris and finish his studies with him.“11

Nach dem Abschluss seiner Studien hatte Ern eine erfolgreiche Karriere als Konzertgeiger in Europa. Unter anderem gab er Konzerte in Deutschland,

„Adolf Reichel Papers“, Online: http://www.iisg.nl/archives/nl/files/r/ARCH 01173full.php#N100B9 [8. Juni 2013]). 10 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), S. 47; Anon., Biografischer Aufsatz über Henri Ern, [o.T., n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3647). 11 Biografischer Aufsatz über Henri Ern, AFF (Foto IMG 3647).

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Frankreich, England und in der Schweiz. Über einen Auftritt in Berlin behauptete ein Musikkritiker: „Very rarely has a soloist achieved such triumphs in Berlin as has Henri Ern, who, before and after each performance, was greeted with sincere expressions of sympathy and approval; the artist moved our public admiration with his highly developed playing. His noble tone and his interpretation of the Bruch G minor Concerto revealed a healthy individuality and a deep insight into musical matter. We also became acquainted with Mr. Ern as a composer through the medium of a beautiful polyphone worked-out ballad with orchestral accompaniment.“12

Ende des 19. Jahrhunderts ließ sich Ern in London nieder, wo er für sechs Jahre als Musiklehrer tätig war.13 Schließlich emigrierte er anfangs des 20. Jahrhunderts in die USA und setzte seine pädagogischen Tätigkeiten als „[h]ead violinist and head of the orchestral department of the University of Michigan School of Music at Ann Arbor […], [as, O.R.V.] head of [the, O.R.V.] Violin department [in the, O.R.V.] College of Music at Cincinnati from 1907 to 1911 and of departments of the Ohio Conservatory of Music“14 fort. In Cincinnati gründete er außerdem eine private Musikakademie namens Henri Ern Violin School.15 1914 kam der deutsche Geiger zu einer Urlaubsreise nach Puerto Rico. Die Anwesenheit einer solchen Musiker-Persönlichkeit wurde in der Musikszene auf der Insel stark diskutiert. Carmen Sanabia, überzeugt von der außerordentlichen musikalischen Begabung ihres Sohnes, wollte die Gegenwart eines solchen prominenten Violinisten auf der Insel nutzen, um ihm einen professionellen Geigenlehrer zu besorgen. Mithilfe von Enrique Díaz, einem puerto-ricanischen Kaufmann und Geiger, und dem USamerikanischen Arzt Bailey K. Ashford16, konnte Carmen mit Ern einen

12 Zitiert (übers.) nach dem Tageblatt in: Biografischer Aufsatz über Henri Ern, AFF (Foto IMG 3659). 13 Vgl. José Figueroa Sanabia, „Notizbuch von José Figueroa Sanabia, 19231930“, AFF (Foto AFF 166). 14 Ebd. (Foto AFF 167) 15 Vgl. ebd. (Foto AFF 167); Campos Parsi, S. 229. 16 Diese beiden Personen treten nur in der Erzählung dieses Ereignisses im biografischen Roman (memorias noveladas) von Mayra Montero über das Leben

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Termin vereinbaren. Obwohl Ern kein weiteres ‚Wunderkind‘ mehr hören wollte, da ihm schon sehr viele vorgestellt worden waren, ließ er schließlich den jungen Figueroa Sanabia vorspielen. Obwohl ihn seine Begabung beeindruckte, bot er ihm keine umfassende Ausbildung an, da er bald nach Cincinnati zurückkehren wollte. Diese Absicht änderte sich jedoch mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs. Die US-amerikanische Regierung wollte während des militärischen Konflikts alle Deutschen innerhalb ihrer Territorien17 unter Aufsicht behalten.18 Deshalb verbot sie ihnen, ihren Aufenthaltsort zu wechseln. Folglich war Ern gezwungen, seinen Aufenthalt auf Puerto Rico bis 1919 zu verlängern. José Figueroa Sanabia profitierte davon, denn er konnte nun mit Unterstützung des professionellen Geigers seine musikalische Ausbildung erweitern. Von 1914 bis 1919 unterrichtete Ern José Figueroa Sanabia.19 Die Gelegenheit, Henri Ern als Lehrer zu haben, stellte ein wesentliches Moment im Leben des puerto-ricanischen Geigers dar. Carmen Sanabia äußerte 1930 in einem Interview diesbezüglich:

Narciso Figueroas auf (vgl. Mayra Montero, Vana Ilusión. Las memorias noveladas de Narciso Figueroa, San Juan 2003, S. 23). Andere Quellen stellen nur dar, dass Carmen sich um einen Termin bei ihm bemühte, ohne weitere Details anzugeben. 17 Seit 1898, als Folge des spanisch-amerikanischen Kriegs zwischen den USA und Spanien, ist Puerto Rico ein Territorium – aber kein Bundesstaat – der USA. 18 Vgl. Mitchel Yockelson, „The War Department: Keeper of Our Nation's Enemy Aliens during World War I“, Vortr. in: Society for Military History Annual Meeting,

April

1998,

Online:

http://net.lib.byu.edu/estu/wwi/comment/

yockel.htm (31. Mai 2013); Ivonne Figueroa (1991), S. 48. 19 Nennenswert ist auch die große Wirkung, die Henri Ern im musikalischen Umfeld auf Puerto Rico hatte. Er unterrichtete nicht nur José und andere Mitglieder der Familie Figueroa Sanabia, sondern auch mehrere andere puerto-ricanische Musiker, darunter die Komponistin Monsita Ferrer (vgl. Campos Parsi, S. 229). Darüber hinaus organisierte bzw. dirigierte er mehrere Ensembles und Orchester, z.B. das Ern-Streichquartett und das Orchester des Club Armónico, die viel zur Förderung der Kunstmusik auf der Insel beitrugen (vgl. ebd., S. 224 und 229).

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„Pepito tuvo en el gran maestro Henry [sic] Ern una dirección que nunca podremos apreciar bastante. Como usted sabe, él fue nuestro maestro, el de todos, pero de Pepito fue, además, el mejor de los amigos. Más aun, fue como otro padre para él. No sólo le daba clases de violín y música, sino que también le enseñaba francés y alemán.“20

Dank der besonderen Fürsorge des deutschen Violinisten erhielt Figueroa Sanabia eine exzellente Musikausbildung, die er wegen der damaligen Situation auf Puerto Rico sonst nie bekommen hätte. Dabei konnte er sich eine außerordentliche Violintechnik aneignen, die seine Geigenlehrer in Europa später zusehends beeindrucken sollte.

1.2 AUFTRITTE

AUF

P UERTO R ICO : 1915-1920

Während José Figueroa Sanabia bei Ern Musikunterricht erhielt, war er gleichzeitig aktiv am Musikleben auf Puerto Rico beteiligt. Beispielsweise spielte er im Orchester des Club Armónico, eines Musikvereins, den Luis R. Miranda, Jesús Figueroa Iriarte, Jesús Montesinos und Luis Vizcarrondo gegründet hatten, um u.a. symphonische Musik auf der Insel aufzuführen.21 1915, als José Figueroa Sanabia nur 10 Jahre alt war, trat er als Solist mit dem Orchester im Auditorium der Schule Baldorioty de Castro in San Juan

20 „Pepito hatte dank des großen Meisters Henri Ern eine Führung, die wir nie genug werden schätzen können. Wie Sie wissen, war er unser Lehrer, der von allen, aber für Pepito war er außerdem der beste Freund. In der Tat war er wie ein weiterer Vater für ihn. Er gab ihm nicht nur Geige- und Musikunterricht, sondern brachte ihm auch Französisch und Deutsch bei“ (meine Übers., O.R.V.). Ángela Negrón Muñoz, „Hablando con Carmen Sanabia de Figueroa“, El Mundo, 2. November 1930, S. 1. 21 Über das Orchester schreibt Campos Parsi: „La Orquesta del Club Armónico contó con eminentes músicos puertorriqueños y extranjeros entre los que se encontraban muchos alemanes que fueron internados en San Juan por la Primera Guerra Mundial […] tuvo un tiempo de vida limitado, como es común entre grupos de esta clase, pero sirvió de punto de partida a otras iniciativas profesionales y creó un público inteligente y deseoso de arte superior“ (Campos Parsi, S. 224; siehe auch: Ivonne Figueroa [1991], S. 48).

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auf. Dort führte er das Violinkonzert Nr. 23 in G-Dur von Giovanni Battista Viotti auf. In einem anderen Konzert in demselben Auditorium spielte er außerdem die Sonate D-Dur für Geige und Klavier von Georg Friedrich Händel.22 Der Club Armónico veranstaltete auch einige Kammermusikkonzerte in der Universität von Puerto Rico, in denen José Figueroa Sanabia zusammen mit seiner Mutter Carmen Sanabia, seinem Onkel Augusto Sanabia und Henri Ern auftrat.23 1920 wurde er darüber hinaus 2. Geiger des Ern-Streichquartetts24, nachdem Justo Pastor Torres das Ensemble verlassen hatte.25 Andere Mitglieder waren der belgische Cellist Franz Rooms und der Geiger/Bratschist (?) José Manuel de los Ríos. Das Ern-Streichquartett nahm eine führende Rolle bei der Förderung der Kammermusik auf der Insel ein, welche damals noch eine Neuigkeit in der Musikszene in San Juan darstellte.26 Außer in diesem Ensemble spielte der junge Violinist im Mai 1919 auch in der Aufführung der Oper La Bohème von Giacomo Puccini.27 Im nächsten Jahr, am 19. April 1920, führte er ferner das Violinkonzert fis-Moll von Henri Vieuxtemps sowie verschiedene Kammermusikkompositionen – zusammen mit dem Ern-Streichquartett – in einem Konzert auf, das Henri Ern gewidmet wurde. Dieses Konzert fand im Teatro Municipal von San Juan (dem heutigen Teatro Tapia) statt. Die ersten (zumindest vorliegenden) Musikkritiken über José Figueroa Sanabia beziehen sich auf dieses Konzert. In einer von ihnen wird geäußert:

22 Vgl. Konzertprogramm, Teatro Municipal, San Juan, 26. August 1934, AFF (Foto QAFF 102); Anon., „Pepito Figueroa, domador del triunfo“, El Mundo, 5. Juli 1925, S. 1. 23 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), S. 49. 24 Das erste Konzert des Quartetts fand am 15. Dezember 1919 im Ateneo Puertorriqueño statt (vgl. Campos Parsi, S. 224; Florestan, „En el Ateneo Puertorriqueño. Celebración de un gran concierto con la cooperación del notable ‚Cuarteto Ern‘ y de la eximia pianista Elisa Tavárez de Storer“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF [Foto IMG 3639–3641]). 25 Tatsächlich hat José Figueroa Sanabia Justo Pastor Torres ersetzt, der die Bratsche spielte. Ein Foto des Quartetts aber zeigt ihn mit einer Geige auf den Händen (vgl. Anhang, Abb.1). Es scheint, dass José Manuel de los Ríos von 2. Geiger zu Bratsche wechselte, nachdem Pastor Torres ausgetreten war. 26 Vgl. Campos Parsi, S. 224. 27 Vgl. 26. August 1934, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 102).

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„El triunfo que alcanzó este joven ‚virtuoso‘ fue completo, y debido únicamente a su temperamento artístico y a su técnica impecable. Ejecuta a doble cuerda con correcta afinación; arranca al instrumento un sonido de pastoso color y, sobre todo, conoce el mágico secreto del arco que, flexible bajo su diestra, hace cantar al violín maravillosamente. Cuando José Figueroa tenga más relación con el mundo, cuando conozca un poco más la vida, y las emociones más conmovedoras hayan vivido en su alma, entonces poseerá un nuevo encanto para su arte: sabrá expresar, sentir más cuanto ejecuta. Ahora, interpreta las obras como están escritas; luego las interpretará como él las sienta, y entonces su arte será superior, al poseer ese sentimentalismo de que carece porque tiene que ser así: él es aún muy joven, sólo cuenta diez y seis años28, y todavía no ha padecido los martirios del dolor ni ha encendido en su corazón de artista la llama viva de una gran pasión…“29

Im folgenden Monat, am 12. Mai 1920, gab José Figueroa Sanabia ein Konzert im Ateneo Puertorriqueño, einer der wichtigsten kulturellen Insti-

28 Tatsächlich war er damals 15 Jahre alt. 29 „Der Triumph, den dieser junge ‚Virtuose‘ erreichte, war vollkommen und allein geschuldet seinem künstlerischen Temperament und seiner makellosen Technik. Er spielt Doppelsaite mit richtigem Stimmen; er bringt aus dem Instrument ein Klang pastöser Farbe heraus und vor allem kennt er das magische Geheimnis des Bogens, welches flexibel unter seiner rechten Hand die Geige wunderschön singen lässt. Wenn José Figueroa mehr Erfahrung hat, wenn er mehr vom Leben kennt und die herzergreifendsten Emotionen sich in seiner Seele ansiedeln, dann wird er einen neuen Reiz für seine Kunst besitzen: Dann wird er sich besser ausdrücken und mehr Gefühle in seinen Interpretationen zeigen. Gerade führt er die Werke auf, wie sie geschrieben wurden; später wird er sie spielen, wie er sie empfindet und dann wird seine Kunst überlegen sein, wenn er jene Sentimentalität erlangt, die ihm gerade verständlicherweise fehlt: Er ist noch sehr jung, er ist nur 16 Jahre alt und hat deswegen weder die Qualen der Schmerzen erlitten noch in seinem künstlerischen Herzen die lebendige Flamme einer großen Leidenschaft entfacht...“ (meine Übers., O.R.V.). José A. Balseiro, „Apuntes del momento. El concierto del lunes“, El Mundo, 21. April 1920, S. 3; für einen anderen Konzertbericht siehe: Diletante, „El concierto de anoche en el Teatro Municipal“, El Imparcial [?], 20. April 1920, [o.S.], AFF (Foto IMG 3643-3645).

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tutionen Puerto Ricos zu jener Zeit. Es war Teil der Konzertreihe „Lunes Musicales“ des Ateneo. Man kann diesen Auftritt als die definitive Konsolidierung José Figueroa Sanabias als wichtige Persönlichkeit im puertoricanischen Kunstmusikleben ansehen. Zwei Tage später veröffentlicht die puerto-ricanische Zeitung El Mundo einen Artikel über ihn unter dem Titel „Pepito Figueroa: futura gloria del arte portorriqueño“.30 Das ist der erste Artikel – der zumindest verfügbar ist –, in dem José Figueroa Sanabia als ein Star/Wunderkind betrachtet wird. Mit ihm begann ein jahrzehntelanger Idealisierungsprozess des puerto-ricanischen Geigers, aus dem ein Image entstand, das große Bedeutung im kollektiven Bewusstsein der Puerto Ricaner erlangen sollte.

1.3 K ONZERTREISE 1920-1922

DURCH

K UBA UND M EXIKO :

In mindestens noch zwei weiteren Konzerten spielte der Junge Figueroa Sanabia im Jahr 1920, und zwar im Konzert „Recuerdos del ‚Cuarteto Ern‘“ am 8. Juni 192031 in der Hauptstadt und in einem Benefizkonzert, veranstaltet in der Escuela Baldorioty de Castro am 22. Oktober 1920.32 Ziel des letzten war es, Geld für die kommende Konzerttournee durch Kuba und Mexiko zu sammeln, die Henri Ern und José Figueroa Sanabia unternehmen wollten.33 Mit der Konzerttournee beabsichtigten sie wiederum,

30 Vgl. Augusto Pietrl, „Pepito Figueroa: futura gloria del arte portorriqueño“, El Mundo, 14. Mai 1920, S. 1-3. 31 Vgl. Konzertprogramm, [o.O.], San Juan, 8. Juni 1920, [unvollst.], AFF (Foto IMG 3721). 32 Vgl. Konzertprogramm, Salón de Actos de la Escuela Baldorioty de Castro, San Juan, 22. Oktober 1920, AFF (Foto AFF 392). 33 Laut einem Zeitungsartikel gab José Figueroa Sanabia eigentlich mehrere Konzerte auf der Insel, um Geld für die kommende Tournee zu sammeln: „El noble profesor prepara a Pepito para que dé una serie de conciertos por la isla y a pesar de su corta edad, sale con el niño en gira por distintas ciudades […] en esta gira se reúne lo suficiente para salir de Puerto Rico“ (Coloma Pardo de Casablanca, „Páginas de información literaria para estudiantes de escuela

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genug Geld zusammen zu bekommen, damit Figueroa Sanabia ein formelles Musikstudium in Europa beginnen könnte. Ursprünglich wollte Ern die Tournee in Europa machen. Der berühmte kubanische Pianist Ernesto Lecuona, der während eines Aufenthalts auf Puerto Rico die Familie Figueroa und Ern kennengelernt hatte, überredete ihn jedoch, die Konzerttour stattdessen auf Kuba zu machen, „because, as a result of the World War, there were many business and lots of money there“.34 Nicht nur war Kuba damals eine relativ wohlhabende Insel, sie war zudem ein wichtiges Musikzentrum Lateinamerikas. Vor allem Havanna zeichnete sich durch verschiedene Musikvereine, darunter die Sociedad de Cuartetos de La Habana (1910), die Sociedad Pro Arte Musical (1918) und die Sociedad de Música de Cámara (1921), sowie später ein Sinfonie(1922) und ein Philharmonieorchester (1924) aus.35 Darüber hinaus „[l]a Ciudad de La Habana formó parte del circuito de giras artísticas de solistas de primer rango como Menuhin, Heifetz, Rubinstein o Casals, y de grupos de cámara y

superior. Un gran artista puertorriqueño: José Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado, 30. Juni 1945, S. 24). 34 Ivonne Figueroa (1991), S. 50-51. Das wirtschaftliche Wachstum auf Kuba während des 1. Weltkriegs, auf das Lecuona sich bezieht, erfolgte vornehmlich wegen der Preiserhöhung des Zuckerrohrs – Kubas wichtigster Exportware – zu jener Zeit: „El inicio de la Primera Guerra Mundial en 1914 había provocado graves trastornos en el comercio europeo. Muchos abastecedores se vieron imposibilitados de concurrir a esos mercados, las rutas de trasporte marítimo se dislocaron, las producciones se vieron afectadas, en fin, la economía mundial sufrió un profundo impacto. En esas condiciones el precio de algunos productos se elevó por su escasez en los mercados. Ese fue el caso del azúcar cuya demanda subió significativamente. Esta circunstacia estimuló la producción y las inversiones en la industria del dulce en Cuba“ (Francisca López Civeira, Cuba entre 1899 y 1959. Seis décadas de historia, Havanna 2007, S. 47). 35 Vgl. Victoria Eli Rodríguez, „La Habana“, in: Emilio Casare Rodicio (Hg.), Diccionario de la Música Española e Hispanoamericana, Bd. 6, Madrid 2000, S. 684.

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orquestas sinfónicas como el Quinteto Hispania y la Filarmónica de Nueva York. Además, en la ciudad tuvieron lugar resonantes temporadas de ópera y ballet.“36

All diese Aspekte, aber auch die geringeren Kosten für eine Reise nach Kuba anstelle Europas, überzeugten Ern und Figueroa Sanabia, die Tournee in Lateinamerika zu machen. Am 7. November 1920 reisten Ern und sein Protegé nach Havanna, wo sie sich mit Ernesto Lecuona für die Organisierung eines Konzerts treffen sollten.37 Das Schiff musste aber vorher im Hafen von Santiago de Cuba anlegen. Dort erlebte der junge Violinist eine große Überraschung: Sein Onkel José Sanabia Cordovés, ein Halbbruder Carmen Sanabias, von dem niemand in der Familie seit mehreren Jahren etwas wusste, war Zollbeamter in diesem Hafen: „Mr. Sanabia told José that he had abandoned his studies in New York City to go as a volunteer, together with other Cuban students, to fight in the Cuban war for independence. At the end of the war, he was given the rank of captain and was named director of customs at Santiago de Cuba.“38

36 „Havanna war Bestandteil der Konzertreisen von Solisten ersten Ranges wie Menuhin, Heifetz, Rubinstein und Casals und von Kammermusikensembles und Orchestern wie dem Hispania-Quintett und dem New York Philharmonic. Darüber hinaus fanden in der Stadt bedeutende Oper- und Ballett-Saisons statt“ (meine Übers., O.R.V.). Ebd., S. 684; für ausführende Information über Musikgeschichte und -leben in Kuba während des 20. Jahrhunderts siehe: Elena Pérez Sanjurjo, Historia de la música cubana, Kap. VI „Siglo XX“, Miami 1986, S. 235-263. 37 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), ‚Appendix A‘, S. 151. In der Dissertation von Ivonne Figueroa (S. 51) sowie in der Enciclopedia de Puerto Rico (Campos Parsi, S. 229) wird behauptet, dass die Konzertreise 1919 stattgefunden hat. Das ist aber ein Irrtum. Wie ich oben erwähnt habe, gab Figueroa Sanabia 1920 noch einige Konzerte auf Puerto Rico, etwa im Ateneo Puertorriqueño. 38 Ivonne Figueroa (1991), S. 51; siehe auch: Gustavo Batista, „Entrevista al señor José Carmelo Figueroa Sanabia“, Interview am 12. Februar 1985, S. 6, Online: http://www.gustavobatista.com/entrevistas/jose_carmelo_figueroa_sanabria.pdf (15. April 2013).

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Diese zufällige Begegnung zwischen José Figueroa Sanabia und seinem Onkel erwies sich als äußerst bedeutsam. Denn dank Sanabia Cordovés konnte der junge Violinist von Anfang an mit Journalisten verschiedener kubanischer Zeitungen, wie z.B. La Independencia, Cubano Libre und Diario de Cuba, in Verbindung treten und damit optimal für die Tournee durch die Insel werben.39 Außerdem wurden mithilfe seines Onkels sowie des Violinlehrers Ramón Figueroa mehrere Konzerte in privaten Haushalten und Kulturvereinen wie La Luz de Oriente und Grop Catalunya in Santiago de Cuba veranstaltet.40 Das geschah jedoch später, nachdem Figueroa Sanabia in Havanna aufgetreten war. Nach diesem kurzen Aufenthalt in Santiago de Cuba fuhren Ern und José Figueroa Sanabia weiter nach Havanna. Mit Ernesto Lecuonas Unterstützung gaben sie dort ein Konzert im Januar 1921 im Teatro Trianón.41 Hier spielte der puerto-ricanische Geiger u.a. das Violinkonzert e-Moll von Felix Mendelssohn zusammen mit einem Orchester sowie das Moto Perpetuo von Ries.42 Der puerto-ricanische Musiker Rafael Hernández befand sich in diesem Konzert und schickte den Eltern Figueroa Sanabias einen Brief, in dem er den Erfolg des Konzertes mitteilte. Obzwar der Brief verloren gegangen ist, wird ein Abschnitt davon dennoch in der Dissertation von Ivonne Figueroa zitiert: „Al saber que José iba a dar el concierto, invité a muchos amigos músicos y muy especialmente a los violinistas que se asombraron al ver el programa para un chico de 14 años de edad. Desde que comenzó el programa todos se miraban y hacían gestos de aprobación y de asombro, pero en la segunda parte, al comenzar la última obra que era el Moto Perpetuo de Ries, todos se maravillaron pues es una obra de virtuosidad extraordinaria que requiere una resistencia y vigor a prueba. El violinista lo inició a una velocidad fantástica y todos los violinistas se miraban dudando que pudiera terminarlo felizmente, pero su asombro creció cuando iba terminando la

39 Vgl. Anon., „Un violinista puertorriqueño“, Cubano Libre, [n.d., o.S.] AFF (Foto IMG 3821); Anon., [o.T.], Diario de Cuba, [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3821); Anon., „Notable Violinista en Miniatura“, La Independencia, [n.d., o.S.] AFF (Foto AFF 018). 40 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), ‚Appendix A‘, S. 153. 41 Vgl. ebd., S. 151; Batista, S. 17-18. 42 Vgl. El Mundo (1925, Juli 5.), S. 1.

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obra, José aumentaba la velocidad, y el entusiasmo del público, al terminar la obra, desbordó en gritos y aplausos estruendosos.“43

Obwohl das Konzert im Teatro Trianón musikalisch gesehen ein großer Erfolg war, war es finanziell betrachtet ein Misserfolg. Figueroa Sanabia äußerste diesbezüglich: „[T]uvieron que posponer el concierto una o dos semanas, mientras tanto estábamos nosotros [er und Ern, O.R.V.] en el hotel pagando caro porque eran carísimos los hoteles; y los chavitos se iban agotando. Bueno, y entonces por fin se dio el concierto y había muchísima gente […] Pues todas esas cosas [d.i. die Organisierung des Konzerts, O.R.V.] costaban carísimo, había que pagar la orquesta, los anuncios cuanta cosa, y a pesar de que se llenaron los conciertos [eins von Lecuona, ein anderes von José Figueroa Sanabia, O.R.V.] pues un sobrino o un primo de Lecuona que sirvió como manager dice ‚hay un déficit de $500.00…‘“44 43 „Als ich erfahren habe, dass José ein Konzert geben würde, lud ich mehrere befreundete Musiker ein, vor allem Geiger, die überrascht waren, als sie das Konzertprogramm eines Jungen von 14 Jahren lasen. Zu Beginn des Konzerts schauten sie einander mit Gesten der Zustimmung und des Erstaunens an, aber im zweiten Teil, als das letzte Stück, nämlich das Moto Perpetuo von Ries, begann, zeigten sie sich alle erstaunt, weil es eine sehr schwierige Komposition ist, die große Beständigkeit und Strenge erfordert. Der Violinist begann es mit einer fantastischen Geschwindigkeit und alle Geiger schauten einander an bezweifelnd, dass er das Stück ohne Probleme beenden könne, aber ihr Erstaunen nahm am Ende des Stückes noch zu. José steigerte die Geschwindigkeit und die Begeisterung des Publikums mündete am Ende in heftigen Schreien und Applaus“ (meine Übers., O.R.V.). Rafael Hernández, zitiert nach Ivonne Figueroa (1991), S. 208. In einem Konzertprogramm vom 26. August 1934 ist eine Biografie José Figueroa Sanabias – verfasst von seinem Vater – zu finden, die eine andere, wenngleich ähnliche, Version dieses Zitats beinhaltet (vgl. 26. August 1934, Konzertprogramm, AFF [Foto QAFF 103-104]). Der Verfasser des Briefs wird jedoch nicht identifiziert. José Figueroa Sanabia bestätigt allerdings in einem Interview 1985, dass Rafael Hernández dessen Autor war (vgl. Batista, S. 13). 44 „Das Konzert musste um ein oder zwei Wochen verschoben werden, währenddessen wir beide [er und Ern, O.R.V.] viel Geld für die Unterkunft im Hotel ausgeben mussten, da damals die Hotels sehr teuer waren; und langsam ging uns das Geld aus. Schließlich fand das Konzert dann statt und eine Menge Leute war

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Weil die Dinge in Havanna nicht wie geplant verliefen, schrieb José Figueroa Sanabia ein Telegram an seinen Onkel, der ihm bereits angeboten hatte, ihn zu kontaktieren, falls es irgendein Problem gäbe. Sanabia Cordovés empfahl ihnen, nach Santiago de Cuba zurückzukehren, wo er bei der Organisation neuer Konzerte helfen könnte. Deshalb reisten Figueroa Sanabia und Ern wieder kurz nach diesem Konzert in Havanna nach Santiago zurück. Das erste öffentliche Konzert in Santiago de Cuba – zumindest von dem man Information hat – fand am 19. Januar 1921 im Auditorium der Grop Catalunya statt.45 In diesem Konzert spielte José Figueroa Sanabia u.a. die Ballade et Polonaise op. 38 von Vieuxtemps, Malagueña und Zapateado von Pablo Sarasate, das Moto Perpetuo von Franz Ries sowie das Violinkonzert d-Moll von Henryk Wieniawski.46 Zusammen mit seinem Geigenlehrer führte er des Weiteren das Doppelkonzert für zwei Violinen von Giuseppe Torelli auf. Das Konzert bekam sehr gute Rezensionen in der kubanischen Presse. Der Musikkritiker Ducazal schrieb beispielsweise: „Todo el programa que anoche nos ofreció este precoz virtuoso del violín, programa compuesto de obras de fuerza y de gracia, fue una sucesión de triunfos para él […] Si a los quince años de edad, recién salido de su nativa tierra, sin haber pasado aún por ningún conservatorio, y provisto de un violín humilde, sin la perfección

dort [...] Aber alle diese Dinge [d.i. die Organisierung des Konzerts, O.R.V.] waren sehr teuer, man musste das Orchester, die Anzeigen usw. bezahlen und obwohl die Konzerte [eins von Lecuona, ein anderes von José Figueroa Sanabia, O.R.V.] voll waren, sagte uns ein Neffe oder Cousin von Lecuona, der als unser Manager fungierte: ‚Es gibt ein Defizit von $500,00...‘“ (meine Übers., O.R.V.). Batista, S. 18. 45 Vgl. Casas, „El maestro Ern y su discípulo Figueroa“, Cubano Libre, 12. Januar 1921, [o.S.], AFF (Foto AFF 019). 46 Im Konzertprogramm steht lediglich, dass er ein Violinkonzert von Wieniawski vortrug, ohne genaue Angaben darüber zu machen, welches von den drei Wieniawski-Konzerten es war. Da aber Figueroa Sanabia in einem anderen Konzert während dieser Tournee das Violinkonzert d-Moll spielte, kann man rückschließen, dass er hier dasselbe aufführte (vgl. Konzertprogramm, Salón del Grop Nacionalista Radical Catalunya, Santiago de Cuba, 19. Januar 1921, AFF [Foto New Image 1]).

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acendrada de un Stradivarius o de un Amatti, ya posee y revela un arte tan poderoso y sugestivo José Figueroa Sanabria [sic], es de augurarle un porvenir de gloria mundial e imperecedera después que haya perfeccionado sus geniales aptitudes y quintaesenciado ese gusto y ese poder emotivo que, como un raudal melódico y cristalino, brota de su espíritu apolíneo.“47

Vor diesem Konzert hatte der puerto-ricanische Geiger bereits ein Privatkonzert im Haus des kubanischen Musiklehrers Ramón Figueroa Morales gegeben. Das Konzert, dem „competentes maestros y amateurs de la música“48 beiwohnten, wurde auch in der Presse kommentiert. Das zweite öffentliche Konzert in Santiago de Cuba fand am 25. Januar 1921 im Teatro Martí statt.49 Neben einigen der bereits erwähnten Kompositionen führte Figueroa Sanabia auch Sierra Morena von Jesús de Monasterio auf. Es scheint zudem während dieser Zeit ein Konzert im Teatro

47 „Das ganze Programm, das dieser junge Geigenvirtuose uns gestern Abend bot, ein Programm, das aus Werken voller Kraft und Anmut bestand, war eine Aufeinanderfolge von Triumphen für ihn [...] Wenn erst 15-jährig, gerade aus seiner Heimat weg, noch ohne in einer Musikhochschule studiert zu haben und über eine bescheidene Violine verfügend, ohne die Qualität einer Stradivari oder einer Amatti, José Figueroa Sanabria [sic] schon jetzt eine kraftvolle und suggestive Kunst besitzt und offenbart, ist ihm eine Zukunft von weltweitem und unvergänglichem Ruhm vorherzusagen, sobald er seine genialen Fähigkeiten und jenen Geschmack und emotionale Kraft verfeinert haben wird, die, wie eine melodische und kristalline Flut, aus seinem apollinischen Geist strömen“ (meine Übers., O.R.V.). Ducazal, „José Figueroa Sanabria [sic] en el ‚Grop Catalunya‘“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3559). 48 „Kompetente Musiklehrer und Musikliebhaber“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Un futuro Kubelick: José Figueroa Sanabria [sic]“, Cubano Libre, 11. Januar 1921, [o.S.], [unvollst.], AFF (Foto IMG 3820). 49 Es kann sein, dass er davor, am Sonntag, den 23. Januar 1921, ein Konzert im Club Aponte gab. Dieses Konzert hätte aber auch am 23. Oktober stattfinden können (vgl. Werbung, „Figueroa Sanabria [sic] en el ‚Club Aponte‘“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF [Foto IMG 3812]).

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Aguilera gegeben zu haben.50 Sein genaues Datum lässt sich aber nicht ermitteln. Eine kurze Rezension ist jedoch vorhanden, in der festgehalten wird: „En las diversas obras de Sarasate, Vieuxtemps, Monasterio, Ern, Paganini, y Saint Saɺns, que interpretó, logró el precoz virtuoso, como siempre, realizar una labor asombrosa de inspiración y de técnica, y mereció, por ella clamorosas manifestaciones de admiración y simpatía.“51

Anfang Februar 1921 spielte Figueroa Sanabia in der Stadt San Luis. Laut einer Zeitungsreportage sollte er noch ein weiteres Konzert am 28. Februar dort zur Aufführung bringen, es ist aber noch nicht ganz klar, ob es tatsächlich stattfand.52 Man weiß allerdings, dass am 12. und am 13. Februar der puerto-ricanische Geiger jeweils zwei Konzerte im Club San Carlos und im Verein Luz de Oriente gab.53 Ein paar Wochen nach dem letzten Konzert, nämlich am 27. Februar 1921, verlieh der Verein Luz de Oriente Figueroa Sanabia eine Goldmedaille in Anerkennung seiner musikalischen Leistungen.54 Für den nächsten Monat sind bisher keine Konzerte nachweisbar. 50 Vgl. Werbung, „Un concierto en Aguilera“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3810); Werbung, [o.T.] [„Konzert in Aguilera“], [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 018). 51 „In den verschiedenen Werken von Sarasate, Vieuxtemps, Monasterio, Ern, Paganini, Saint-Saɺns, die er interpretierte, gelang dem jungen Virtuosen, wie immer, eine erstaunliche musikalische Leistung voller Inspiration und Technik und er bekam dafür verdientermaßen vom Publikum warmherzige Bekundungen der Bewunderung und Sympathie“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Figueroa Sanabria [sic] en ‚Aguilera‘“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S], AFF (Foto IMG 3798). 52 Vgl. Anon., „Notas de San Luis“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 018). 53 Vgl. Anon., „El violinista Figueroa Sanabria [sic]“, Santiago de Cuba, [n.d., o.S], AFF (Foto AFF 436). 54 Vgl. Marcel Levargie, „[S]ociedad ‚Luz de Oriente‘. [Pri]mera conferencia del año 1921. Homena[je] [al] joven José Figueroa Sanabria [sic]“, [unbek. Zeitung], 7. März 1921, [o.S.], AFF (Foto IMG 3815); Anon, „Conferencias en ‚Luz de Oriente‘“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3811); Konferenzprogramm, „Konferenz von Sociedad Luz de Oriente“, 27. Februar 1921, AFF (Foto IMG 3723); Ivonne Figueroa (1991), S. 53.

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Erst am 2. April scheint der puerto-ricanische Violinist in den Salones de la Colonia Española wieder aufgetreten zu sein.55 Es ist nicht sicher, ob dieses Konzert in der Stadt Santiago de Cuba stattfand. Ende April befanden sich Ern und Figueroa Sanabia jedenfalls in Niquero, einer Stadt in der heutigen Provinz Granma. Dort gaben sie ein Konzert am 29. im Teatro Morín. Zu diesem Anlass spielte der puerto-ricanische Geiger u.a. die Introduction et Rondo Capriccioso op. 28 von Camille Saint-Saɺns, die Ungarische Rhapsodie von Miska Hauser, die Sonata a Preghiera sulla quarta corda, sul tema ‚Dal tuo stellato soglio‘ dal ‚Mosè in Egitto‘ di Rossini von Paganini sowie Berceuse, ein Werk, das Henri Ern komponiert hatte.56 Für Mai bis Ende August liegen derzeit keine Auskünfte bezüglich öffentlicher bzw. privater Konzerte Figueroa Sanabias in Kuba vor. Eine Äußerung von ihm in einem Interview von 1985 liefert jedoch einen Anhaltspunkt darüber, was gewesen sein könnte. Figueroa Sanabia sagte: „[N]os cogió una huelga de trenes que paralizó todo, y no se podía ir a ningún lado porque entonces no había muchas carreteras y se viajaba más por tren, sabe. Y entonces tocamos en toda la Provincia de Oriente […] y tocamos en todas las ciudades y pueblos, y durante esa huelga de trenes alguien dio una idea, ‚¿por qué no van a tocar a las centrales azucareras?‘ […] Entonces tocamos […] había una central que llaman Niquero […] otra Central Francisco y otras no me acuerdo […] Y así pues sacamos unos poquitos de chavos mientras tanto.“57

55 Vgl. Konzertkarte, „Konzert José Figueroa Sanabias in den Salones de la Colonia Española“, 21. April 1921, AFF (Foto IMG 3797). 56 Vgl. Konzertprogramm, Teatro Morín, Niquero, 29. April 1921, AFF (Foto AFF 453). 57 „Es gab einen Zug-Streik, der alles paralysierte und man konnte nirgendwo hingehen, denn damals gab es nicht so viele Straßen und man musste deswegen viel mehr mit dem Zug fahren, wissen Sie. Und dann spielten wir in der gesamten Provincia de Oriente [...] und wir spielten in allen Städten und Dörfern und während des Zug-Streiks schlug jemand vor, ‚warum spielen Sie nicht in den Zuckerfabriken?‘ [...] Dann spielten wir dort [... ] eine hieß Niquero [...] eine andere Francisco, an die Namen der anderen erinnere ich mich nicht [...] Und auf diese Weise konnten wir inzwischen ein bisschen Geld verdienen“ (meine Übers., O.R.V.). Batista, S. 19-20.

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Bringt man diese Aussage mit den vorhandenen Quellen in Verbindung, kann man rückschließen, dass er hier auf die Zeitspanne zwischen Ende April (da er Niquero erwähnt) und August 1921 verweist. Wenn das stimmt, könnte man erklären, weshalb keine Quellen aus dieser Zeit zu finden sind, weil er nämlich überwiegend Privatkonzerte in ZuckerrohrPlantagen gegeben hat. Ende August befand sich José Figueroa Sanabia wieder in Havanna, wo er am 31. in der Sala Espadero im Conservatorio Nacional auftrat.58 Als er und Ern auf dem Weg nach Havanna waren, scheinen die Konzerte in den Provinzen Camagüey und Santo Spiritus stattgefunden zu haben, auf die Ivonne Figueroa in ihrer Dissertation verweist.59 In der Sala Espadero wurde der puerto-ricanische Geiger vom Pianisten Vicente Lanz begleitet. Zu diesem Anlass spielte er u.a. das Violinkonzert d-Moll von Wieniawski, Hejre Kati von Jenö Hubay sowie Moment Musical, eine weitere Komposition von Henri Ern. Zu jener Zeit gab er außerdem ein Konzert im Conservatorio Sicardó. Wann genau dies stattfand, lässt sich aber aus den vorhandenen Quellen nicht ermitteln. Sicher ist nur, dass es nach dem Auftritt in der Sala Espadero war.60 In diesem Konzert führte Figueroa Sanabia zusammen mit Henri Ern wieder das Doppelkonzert für zwei Violinen von Torelli sowie einige puerto-ricanische Danzas unter der Klavierbegleitung der Musikerinnen Sicardó und Tavares auf.61

58 Obwohl das Konzert für den 25. August vorgesehen war – wie eine Kopie des Konzertprogramms in der Enciclopedia de Puerto Rico zeigt (vgl. Campos Parsi, S. 237) – fand es tatsächlich am 31. August statt (vgl. Konzertprogramm, Sala Espadero del Conservatorio Nacional, Havanna, 31. August 1921, AFF [Foto IMG 3799]; Werbung, „José Figueroa Sanabia“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3813). 59 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), S. 53. In der Tat könnten diese Auftritte auch Anfang Januar 1921 gewesen sein, als Figueroa Sanabia und Ern von Havanna nach Santiago de Cuba zurückreisten. Diese Zeit erscheint mir jedoch plausibler, da sie zwischen dem Konzert im Teatro Trianon in Havanna (Anfang Januar 1921) und dem ersten Konzert in Santiago de Cuba (19. Januar 1921) nicht so viel Zeit hatten, um weitere Konzerte zu organisieren. 60 Vgl. ebd., ‚Appendix A‘, S. 151. 61 Vgl. Anon., „Arte musical“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], [unvollst.], AFF (IMG 3627).

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José Figueroa Sanabia und Henri Ern kehrten nicht in erster Linie nach Havanna zurück, um dort mehr Konzerte zu geben. Sie wollten tatsächlich von dort nach Mexiko – einem weiteren wichtigen Kunstmusikzentrum Lateinamerikas62 – reisen. Ihr Onkel hatte es ihnen vorgeschlagen. Von ihrem Aufenthalt in Mexiko liegen derzeit sehr wenige Quellen vor. Man weiß, dass sie sich Anfang November 1921 in der Stadt Veracruz befanden, denn am 11. November traten sie im Salón de Actos de la Escuela Normal Veracruzana auf.63 In diesem Konzert spielte der puerto-ricanische Violinist u.a. eine Romanze von Wieniawski, Introduction et Rondo Capriccioso von Saint-Säens sowie Berceuse von Henri Ern. Nach Veracruz ist der puerto-ricanische Violinist in Puebla, Guadalajara und Xalapa aufgetreten, bevor er in die mexikanische Hauptstadt gelangte.64 Ein kleiner mexikanischer Zeitungsartikel verortet den puertoricanischen Geiger und seinen Lehrer kurz vor dem 29. Januar 1922 nach Mexiko-Stadt.65 Das erste Konzert in der Hauptstadt (von welchem zumindest eine Information vorliegt) fand allerdings einige Monate später, am 3. April 1922, in der Sala Wagner statt.66 Zusammen mit dem jungen Figueroa Sanabia traten die Sängerin María Luisa Espinosa de Nafarrate, die Harfenspielerin Guillermina Lonzano Furlong und die Pianistin Josefina Blazquez auf. Unter anderem trug der puerto-ricanische Geiger das Violinkonzert

62 Vgl. Jorge Velazco, „México“, Untertitel III ‚La música desde el siglo XIX hasta la primera mitad del siglo XX‘, in: Emilio Casares Rodicio (Hg.), Diccionario de la Música Española e Hispanoamericana, Bd. 7, Madrid 2000, S. 506-514. 63 Vgl. Werbung, „Gran concierto Salón de Actos de la Escuela Normal Veracruzana“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3792). 64 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), S. 53; El Mundo (1925, Juli 5.), S. 12. 65 Vgl. Anon., „Información“, Revista de Revistas, 29. Januar 1922, [o.S.], AFF (AFF 249). 66 Laut Konzertprogramm hätte das Konzert am 1. April sein sollen (vgl. Konzertprogramm, Sala Wagner, Mexiko-Stadt, 1. April 1922, AFF [Foto QAFF 080-085), aber andere Quellen deuten darauf hin, dass es tatsächlich zwei Tage später stattfand. Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass der puerto-ricanische Geiger tatsächlich zwei Konzerte in diesem Saal gab, aber den vorliegenden Quellen entsprechend sieht es vielmehr so aus, dass das Konzert, aus welchen Gründen auch immer, verschoben werden musste.

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d-Moll von Wieniawski, Zapateado von Sarasate und Moment Musical von Ern vor. Die Medien berichten von einem großen Erfolg des Konzerts. In der Zeitung Excelsior wird z.B. geschrieben: „Ante una numerosa concurrencia formada en su mayor parte por conocidos profesores, artistas y ‚dilettanti‘, el precoz violinista Pepito Figueroa […] que acaba de llegar de la Habana, donde conquistó brillantes triunfos, dio […] un concierto que fue un nuevo triunfo para el extraordinario violinista […] El precoz violinista fue estrepitosamente aplaudido por la concurrencia que llenaba la sala, así como las otras personas que tomaron parte en el desarrollo del programa.“67

Am 10. Juni 1922 spielte der puerto-ricanische Geiger wieder in der mexikanischen Hauptstadt, diesmal im Salón de Actos del Museo Nacional de Historia.68 In diesem Konzert trat er zusammen mit Luz María Segura Millán auf, einer Pianistin, die er in den 1930er Jahren an der École Normale de Musique in Paris wiedertreffen sollte. In einem Interview erwähnt Figueroa Sanabia u.a., dass er im Teatro Olimpia mehrmals aufgetreten sei.69 Bisher ist aber nicht klar, wann genau diese Konzerte stattfanden. Auch ist

67 „Vor einer großen Menschenmenge gebildet vor allem von namhaften Professoren, Künstlern und ‚Dilettanten‘, gab der junge Geiger Pepito Figueroa [...], der gerade von Havanna gekommen ist, wo er große Triumphe gefeiert hat [...] ein Konzert, welches ein neuer Triumph für den außergewöhnlichen Geiger war [...] Der junge Geiger erhielt tosenden Beifall vom Publikum sowie von den anderen Leuten, die am Konzert beteiligt waren“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., [o.T.], Excelsior, 4. April 1922, [o.S.], [unvollst.], AFF (Foto IMG 3809); für einen anderen Konzertbericht siehe: Anon., „La vida y la sociedad“, El Universal Gráfico, 4. April 1922, [o.S.], AFF (Foto IMG 3805-3804). 68 In den Werbungen liest man, es sei das 2. Konzert (vgl. Werbungen, [„Konzert José Figueroa Sanabias im Salón de Actos del Museo Nacional de Historia“], Mexiko-Stadt, 10. Juni 1922, AFF [Foto IMG 3818-3819; img 065]). Es ist aber nicht eindeutig, ob José Figueroa Sanabia zwei Konzerte hier gab oder ob mit dem ersten Konzert jenes in der Sala Wagner gemeint ist. 69 Figueroa Sanabia stellt fest: „[E]n México había un teatro muy grande, Olimpia, creo que se llamaba […] y tenía una orquesta muy buena y ahí toqué yo con la orquesta acompañado de la orquesta y tocó mi profesor […] era un contrato de dos o tres semanas todos los días“ (Batista, S. 20-21).

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nicht klar, ob er tatsächlich nach dem Konzert in der Sala Wagner mit dem Orquesta Sinfónica Nacional zusammen auftrat, wie in einem Zeitungsartikel von 1925 behauptet wird.70 Während ihres Aufenthalts in Mexiko wurde Henri Ern sehr krank. Deshalb mussten sie die Konzerttournee plötzlich abbrechen. Der Gesundheitszustand des deutschen Violinisten verschlechterte sich dermaßen, dass er Figueroa Sanabias Eltern empfahl, ihren Sohn nach Puerto Rico zu holen. Figueroa Sanabia erzählt diesbezüglich: „Bueno, entonces estando en México mi profesor se enfermó, le dio la disentería […] y a él alguien le dijo que… bueno, que él se iba a morir […] y él lo creyó. Entonces en esa época en la familia hubo una reunión y que si ese muchacho no puede seguir así caminando por aquí y por allá, unas veces con suerte y otras veces… y que era tiempo de que yo siguiese mis estudios, sabe, ya yo llegaba a los 16 años.71 Entonces pues mis padres hicieron un esfuerzo extraordinario y una casa que habían construido en Río Piedras pues obtuvieron un préstamo de un banco para mandarme una cantidad para que de ahí nos fuésemos a Europa. Bueno, suficiente dinero para hacer el viaje y cosas […] entonces mi profesor dice ‚pues mira, yo me voy a morir y tú debes volverte a casita‘ […] Pero yo le trataba de convencerlo a él [sic] que esa era una enfermedad que se podía… pero él decía, ‚me voy a morir‘ […] Entonces me vi obligado… yo dije, bueno, yo saqué el dinero suficiente para llegar a Cuba otra vez […] Me fui y le dejé todo el otro dinero a él, y entonces así volví a Puerto Rico… a Cuba y entonces mi tío me dio el dinero para volver a casa.“72

70 Vgl. El Mundo (1925, Juli 5.), S. 12. 71 Tatsächlich war er bereits 17 Jahre alt. 72 „Na dann, als wir in Mexiko waren, wurde mein Lehrer krank, er hatte Dysenterie […] und jemand sagte ihm... na ja, dass er sterben wird [...] und er glaubte es. Zu jener Zeit dann kam meine Familie zusammen und entschied, dass ich nicht mehr hierhin und dorthin reisen sollte, manchmal mit Glück, andere Male... und dass es an der Zeit sei, dass ich mein Studium fortsetze, wissen Sie, ich war damals fast 16 Jahre alt [tatsächlich war er bereits 17 Jahre alt, O.R.V.]. Dann brachten meine Eltern ein großes Opfer und bekamen einen Kredit von einer Bank aufgrund der Sicherungshypothek eines Hauses, das sie in Río Piedras gebaut hatten und schickten mir das Geld, damit wir beide nach Europa reisten. Also genug Geld, um die Reisekosten und ein paar andere Sachen zu finanzieren [...] dann sagte mein Lehrer: ‚schau mal, ich werde sterben, du solltest

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Im Juli 1922 kam José Figueroa Sanabia nach Puerto Rico zurück. Die Tatsache, dass die puerto-ricanische Presse von seiner Rückkehr berichtete, zeigt, dass er bereits zu jener Zeit eine bekannte Persönlichkeit auf der Insel war.73 Sein erstes Konzert nach seiner Rückkehr fand am 26. August im Teatro Rialto in San Juan statt. Kurz danach trat er auch in den Theatern Olimpo, Puerto Rico und Victory Garden mit einem Orchester auf.74 Laut Ivonne Figueroa hat er zu jener Zeit außerdem Konzerte in Ponce, Arecibo, Mayagüez und Aguadilla gegeben.75

heimkehren‘ […] Aber ich versuchte ihn davon zu überzeugen, dass man diese Krankheit behandeln könne... aber er sagte ‚ich werde sterben‘ […] So sah ich mich gezwungen... ich sagte mir selbst, also, ich werde genug Geld nehmen, um wieder nach Kuba zu reisen […] Ich bin weggegangen und habe ihm den Rest des Geldes gelassen und so bin ich nach Puerto Rico zurückgekommen... also erst nach Kuba und da gab mein Onkel mir das Geld, damit ich heimkehren konnte“ (meine Übers., O.R.V.). Batista, S. 21-22. 73 In einer auf Englisch verfassten Zeitung aus der Hauptstadt wird ein Foto von José Figueroa Sanabia veröffentlicht und darunter liest man: „Porto Rico's greatest violinist who is just 18 years old. All San Juan is loud in its praises of this young idol. He has just returned from an extensive tour of Cuba and Mexico under the direction of his teacher Profesor Henri Ern“ (Foto, „Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF [Foto AFF 435]). 74 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), ‚Appendix A‘, S. 155. 75 Vgl. ebd., S. 54.

2. Studium in Madrid: 1923-1926

José Figueroa Sanabia blieb nur für kurze Zeit in seinem Heimatland. Am 8. Juli 1923 reiste er nach Madrid und schrieb sich im Real Conservatorio de Música y Declamación de María Cristina (später in Real Conservatorio Superior de Música de Madrid umbenannt) ein.1 Ursprünglich sollte er allerdings zusammen mit Henri Ern nach Berlin2 gehen, „pero como en México se enfermó el Sr. Ern, tuvo Pepito que regresar a su hogar. Allí se resolvió que fuese a España, por hablarse en el país su mismo idioma. Como su tío Augusto Sanabia había estudiado allí, el país era mejor conocido de la familia.“3

1

Vgl. José Figueroa Sanabia, „Notizbuch von José Figueroa Sanabia, 19231930“, AFF (Foto AFF 112).

2

Laut einigen Quellen wünschte Ern, dass José Figueroa Sanabia an der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin (wo er auch gewesen war) studiert (vgl. Juan Luis Márquez, „Puertorriqueños en Nueva York: José Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado, 17. Januar 1946, S. 12, AFF [Foto IMG3481]; José A. Romeu, „Algunos rasgos sobresalientes de la vida de Pepito Figueroa“, Alma Latina, 15. März 1952, S. 5, AFF [Foto AFF 466]). Andere Quellen geben jedoch an, dass vorgesehen war, dass er nach London – wo Ern unterrichtet hatte – gehen sollte (vgl. Mayra Montero, Vana Ilusión. Las memorias noveladas de Narciso Figueroa, San Juan 2003, S. 31).

3

„Aber weil in Mexiko Ern erkrankte, musste Pepito nach Hause zurückkehren. Dort wurde entschieden, dass er nach Spanien gehen solle, da man dort dieselbe Sprache spräche. Weil sein Onkel Augusto Sanabia zudem dort studiert hatte, war es das von der Familie am besten bekannte Land“ (meine Übers., O.R.V.).

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Im Konservatorium von Madrid4 studierte der puerto-ricanische Violinist bei Antonio Fernández Bordas (1870-1950), einem der berühmtesten spanischen Geiger seiner Zeit.5 In Bezug auf die erste Begegnung zwischen Fernández Bordas und José Figueroa Sanabia gibt es eine interessante kleine Anekdote: Als Fernández Bordas in der Aufnahmeprüfung Figueroa Sanabia zum ersten Mal hörte, sei er so erstaunt von der Begabung des puertoricanischen Violinisten gewesen, dass er geäußert habe: „Joven usted no tiene nada que aprender aquí... pero matricúlese.“6 Vom Wahrheitsgehalt dieser Erzählung einmal abgesehen, veranschaulicht sie eine geschichtliche Tatsache, dass nämlich der spanische Violinist vom Geigenspielen Figueroa Sanabias sehr beeindruckt war. Daher unterstützte Fernández Bordas José Figueroa Sanabia dabei, seine Musikkarriere in Europa in Gang zu setzen. Beispielsweise konnte der puerto-ricanische Geiger Ende April 1924 auf der Einweihungsfeier des Radiosenders EAJ7 – des ersten Radiosenders

Ivonne Figueroa, „A Narrative Chronology of the Musical Life and Contributions of the Figueroa Sanabia Family“, ‚Appendix A: A Selection from the 1904-1935 Notebook of Jesús Figueroa‘, Diss., New York University, New York 1991, S. 156. Ivonne Figueroa schreibt in ihrer Dissertation zudem diesbezüglich: „Mr. Teodoro Aguilar, a friend of the family, convinced Jesús and Carmen that José should go to Madrid because it would be easier for José to study there because the language would be easier for him and he wouldn't be alone because his nephew, Arturo Andreu, was there and José would be able to stay in the same boarding house with him“ (Ivonne Figueroa, „A Narrative Chronology of the Musical Life and Contributions of the Figueroa Sanabia Family“, Diss., New York University, New York 1991, S. 54). 4

Für Information über diese Musikhochschule siehe: Mariano Pérez Gutiérrez, „Conservatorios, I España“, in: Emilio Casares Rodicio (Hg.), Diccionario de la Música Española e Hispanoamericana, Bd. 3, Madrid 1999, S. 884-887.

5

Für biografische Information über Antonio Fernández Bordas siehe: Antonio Iglesias, „Fernández Bordas, Antonio“, in: Emilio Casares Rodicio (Hg.), Diccionario de la Música Española e Hispanoamericana, Bd. 5, Madrid 1999, S. 52-53; Konzertprogramm, Teatro Rosalía Castro, La Coruña, 29. Oktober 1926, AFF (Foto QAFF 90).

6

„Junger Mann, es gibt hier für Sie nichts zu lernen, aber schreiben Sie sich ein“ (meine Übers, O.R.V.). José Ferrer Canales, „¡Gloria a Pepito!“, El Nuevo Día, 18. November 1998, S. 70.

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Spaniens – zusammen mit seinem Bruder Narciso7 auftreten.8 Dieses Konzert hat sich als sehr wichtig für seine Karriere erwiesen, denn „[l]a audiencia de ese concierto fue de tal magnitud que el nombre de los Figueroa comenzó a difundirse rápidamente por todo el país, y surgieron así oportunidades para diversas presentaciones en varias ciudades.“9 Wie ich später zeigen werde, trat Figueroa Sanabia zudem zusammen mit seinem Geigenlehrer in Madrid auf. Außer von diesen Konzerten weiß man ferner, dass José und Narciso Figueroa Sanabia am Tag des Heiligen Isidoro (des Patrons von Madrid), am 15. Mai 1924 und 1925, im „Asilo de las ciegas en el Pacífico“10 aufgetreten sind sowie dass José während seiner Studienzeit im Orquesta de la Capilla Real gespielt hat.11 Mit diesem Orchester trat er sogar für die spanischen Könige Alfonso und Victoria Eugenia auf. Am 2. Juni 1925 bestand Figueroa Sanabia seine letzte Prüfung im Konservatorium von Madrid mit der höchsten Note (sobresaliente). In der Prüfung spielte er die Etüde Nr. 16 von Pierre Gaviniès, die 4. Etüde von Niccolò Paganini und den Moto Perpetuo von Ries.12 Ende dieses Monats nahm er außerdem an zwei Wettbewerben in der Musikhochschule teil und gewann in beiden den ersten Preis. Am 29. Juni 1925 erhielt er den ersten Preis im Kammermusik-Wettbewerb (Concurso de Música de Cámara).

7

Narciso Figueroa Sanabia war kurz vorher, am 19. April 1924, nach Madrid gezogen, um ebenfalls am Konservatorium Klavier zu studieren. Außer ihm studierten in Spanien auch Jaime und Leonor. Narciso und Leonor gewannen dort jeweils den ersten Preis in Klavier und Jaime in Violine. Darüber hinaus gewann Leonor den ersten Preis in Kammermusik sowie den Preis María del Carmen und Jaime den Sarasate-Preis (vgl. Ivonne Figueroa [1991], S. 55).

8

Vgl. Mario Alegre Barrios, „Pródigo legado al pentagrama histórico“, El Nuevo Día, 16. Juni 1991, S. 70.

9

„Das Publikum dieses Konzerts war von solcher Größe, dass der Name der Figueroas sich schnell über das ganze Land zu verbreiten begann, und so ergaben sich Möglichkeiten für mehrere Aufführungen in verschiedenen Städten“ (meine Übers., O.R.V.). Ebd., S. 70.

10 Vgl. Figueroa Sanabia, „Notizbuch“, AFF (Foto AFF 127). 11 Vgl. Víctor Reyes, „El gran violinista portorriqueño, José Figueroa, nos habla de su vida artística“, El Redondel, 7. November 1943, S. 3, AFF (Foto AFF 024); Ivonne Figueroa (1991), S. 55. 12 Vgl. Figueroa Sanabia, „Notizbuch“, AFF (Foto AFF 128).

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Bei diesem Wettbewerb spielte er zusammen mit dem Pianisten Andrés Moro die Sonate für Violine und Klavier A-Dur op. 120 von César Franck und die Violinsonate Nr. 7 in c-Moll op. 30 von Beethoven.13 Wichtiger war jedoch zwei Tage zuvor der Gewinn des angesehenen Sarasate-Preises (Premio Sarasate).

2.1 G EWINN DES S ARASATE -P REISES UND K ONZERTTOURNEE Der Sarasate-Preis wurde damals im Rahmen eines Geigenwettbewerbs verliehen, an dem ausschließlich die Violinstudenten des Konservatoriums von Madrid teilnehmen durften, die nach dem Abschluss ihrer Studien den Premio Extraordinario Fin de Carrera en la Especialidad del Violín erlangt hatten: „[S]e instituyó el año 1908 por disposición testamentaria del famoso violinista que legó al Conservatorio 109.000 pesetas. Dejó a la misma Institución un Stradivarius, cuyo valor se calcula en 150.000 pesetas.“14 Ziel des Preises war es, einen herausragenden Violinstudenten mit Geld zu versorgen, damit er im Ausland seine Musikausbildung fortsetzen könne.15 Für den Wettbewerb spielte Figueroa Sanabia den letzten Satz des Violinkonzerts Nr. 2 in h-Moll op. 7 (als La Campanella bekannt) von Paganini und den ersten Satz des Violinkonzerts D-Dur von Beethoven.16 Dieses Konzert wird er bei seinem ersten Auftritt auf Puerto Rico nach seiner Heimkehr 1926 dort uraufführen. Der Gewinn des Sarasate-Preises brachten Figueroa Sanabia 4.000 pesetas und ein Ehrendiplom ein.17 Darü-

13 Vgl. ebd. (Foto AFF 129) 14 „Basierend auf dem Testament des berühmten Violinisten, der dem Konservatorium 109.000 pesetas hinterließ, wurde er 1908 eingeführt. Auch vererbte er der Institution eine Stradivari, dessen Wert bei 150.000 pesetas geschätzt wird“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „El Premio Sarasate“, El Debate, 29. Juni 1929, [o.S.], AFF (Foto AFF 432-433). 15 Vgl. Anon., „Pepito Figueroa, domador del triunfo“, El Mundo, 5. Juli 1925, S. 12. 16 Vgl. ebd., S. 12; Figuero Sanabia, „Notizbuch“, AFF (Foto AFF 127). 17 In seinem Notizbuch schrieb José Figueroa Sanabia: „El premio [Sarasate, O.R.V.] se repartió entre Ivonne y yo“ (AFF [Foto AFF 128]). Figueroa Sanabia

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ber hinaus durfte er die Stradivari von Pablo Sarasate in einem Konzert in dem Palacio Real spielen.18 Nach dem Gewinn des Sarasate-Preises unternahm José Figueroa Sanabia eine Konzerttournee durch Spanien, Portugal und Marokko.19 Die Tournee wurde von der Konzertagentur Sociedad de Conciertos Daniel – auch als Conciertos Daniel oder Casa Daniel bekannt – und dem spanischen Musikverein Asociación de Cultura Musical – auch als La Cultural bekannt – organisiert.20 Conciertos Daniel veranstaltete die Konzerte außerhalb

bezieht sich hier auf Ivonne Canale, eine Violinistin italienischer Herkunft, mit der er zusammen studiert hatte. Der Preis konnte also in diesem Jahr tatsächlich geteilt werden, eine Möglichkeit, die bereits vorgesehen war (vgl. El Debate, [1929, Juni 29.], AFF [Foto AFF 433]). Zwei andere Quellen weisen auch auf diese Möglichkeit hin. Man darf aus beiden dennoch rückschließen, dass, wenn der Preis tatsächlich geteilt wurde, Figueroa Sanabia trotzdem einen höheren Platz (und sicherlich einen größeren Anteil des Preises) im Wettbewerb erlangt hat. In einem Zeitungsartikel von El Mundo wird beispielsweise festgehalten: „Una de las contrincantes más fuertes de Figueroa fue la joven italiana Ivonne Canale“ (El Mundo [1925, Juli 5.], S. 12). Darüber hinaus wird in El Año Académico y Cultural über Canale gesagt, dass sie einen „premio de nuestro Conservatorio“ erlangt habe (Biblioteca Nacional de España, Hemeroteca Digital, El Año Académico y Cultural: Anuario Informativo Ilustrado de la Vida Artística, Científica y Literaria de España, 1926, Online: http://hemerotecadigital.bne.es/datos1/numeros/internet/Madrid/A%C3%B1o%2 0acad%C3%A9mico%20y%20cultural,%20El/1926/192600/19260000/1926000 0_00000.pdf [12. März 2012]). Hätte sie den ersten Platz im Wettbewerb zusammen mit José Figueroa Sanabia geteilt, wäre es hier sicherlich ausdrücklich erwähnt worden. 18 Vgl. A.M., „Notre portrait: José Figueroa“, Le Monde Musical, 31. März 1939, S. 84. 19 Bevor diese Tournee stattfand, weiß man, dass er ein Konzert am 26. August 1925 in der baskischen Stadt Irún gab (vgl. Figueroa Sanabia, „Notizbuch“, AFF [Foto AFF 130]). 20 Die ACM hatte enge Verbindungen mit Conciertos Daniel (vgl. Ernesto de Quesada Jr., „Ernesto Quesada“, S. 3, Online: http://www.conciertosdaniel. com/Noticias/Ernesto%20De%20Quesada%20Lopez%20Chaves.pdf [6. April 2012]).

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Spaniens, wobei die Konzerte in Spanien an verschiedenen Standorten21 der ACM stattfanden.22 Um den Namen des puerto-ricanischen Violinisten bekannter zu machen, arrangierte Casa Daniel vor der Tournee ein Privatkonzert in den Salones de la Asociación de Cultura Musical in Madrid, zu dem mehrere wichtige spanische Musikkritiker wie Carlos Bosch, Adolfo Salazar und auch der Komponist Joaquín Turina eingeladen wurden. Das Konzert fand am 2. Januar 1926 statt. Zu diesem Anlass spielte der puerto-ricanische Violinist u.a. den ersten Satz des Violinkonzerts von Beethoven, die Chaconne von Bach, Introduction et Rondo Capriccioso von SaintSaëns und Liebesfreud von Fritz Kreisler.23 Sein Auftritt bekam sehr gute Rezensionen. Carlos Bosch schreibt beispielsweise, dass Figueroa Sanabias Spiel einen Klang besaß, „[que era, O.R.V.] pura expresión y siempre proporcionado y justo a lo debido. La fuerza, la ligereza, la intensidad, sostenimiento y todo en el manejo del arco; su mecanismo y su emoción y el sentido absolutamente musical de sus dicciones marcan una personalidad, quizá contenida aún por el mismo talento del artista, no fiado todavía en el libre criterio y siguiendo las magistrales consejos del Sr. Bordas, de quien es legítimo y directo discípulo.“24

In einer anderen Zeitung wird folgendes festgehalten:

21 Die ACM verfügte über mehr als 50 Standorte in Spanien (vgl. ebd., S. 292 [6. April 2012]). 22 Vgl. Anon., [o.T.], El Imparcial, [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3580-3586). 23 Vgl. J.A.B., „Los conciertos. El Violinista José Figueroa Sanabia“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 398). 24 „[Der, O.R.V.] reiner Ausdruck und immer angemessen proportioniert und genau [war, O.R.V.]. Die Stärke, Leichtigkeit, Intensität, Aufrechterhaltung und alles im Umgang mit dem Bogen; seine Technik und Emotion und der vollkommene musikalische Sinn seiner Ausdrucksweise, alles zeigt eine Persönlichkeit, vielleicht etwas zurückgehalten durch das eigene Talent des Künstlers, der seinen eigenen Kriterien noch nicht völlig traut und daher den Ratschlägen des Herrn Bordas folgt, dessen legitimer und unmittelbarer Schüler er ist“ (meine Übers., O.R.V.). Carlos Bosch, „De música. El violinista José Figueroa“, El Imparcial (Spanien), 5. Januar 1926, [o.S.], AFF (Foto AFF 009).

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„Este joven músico […] posee una técnica asombrosa que vence las más arduas dificultades y un gran concepto musical que alcanzó su máximo interpretando La Chacona, de Bach, [y, O.R.V.] el primer movimiento del Concierto de Beethoven. La calidad de tono de Figueroa Sanabia no puede ser más pura, cordial y honda. Su arco es diestrísimo y su afinación impecable. Su versión del Rondo caprichoso, de Saint-Saëns, es una de las más bellas que jamás hemos oído.“25

Bedauerlicherweise ist die vorhandene Information über die Konzerttournee Figueroa Sanabias unvollständig. Sie scheint erst im März 1926 in Portugal begonnen zu haben.26 Von seinen Konzerten in Portugal liegen aber bisher keine genauen Informationen vor. Den einzigen Hinweis darauf findet man im Notizbuch José Figueroa Sanabias, in dem er am 15. März 1926 lediglich schreibt: „Me entregaron en la Casa Daniel 348 escudos y 100 pts [pesetas, O.R.V.] para mi viaje a Lisboa“27 und am 16. März, dass

25 „Dieser junge Musiker [...] besitzt eine erstaunliche Technik, die die schwierigsten Herausforderungen meistert, und eine große musikalische Auffassung, die ihren Höhepunkt bei der Aufführung der Chaconne von Bach [und, O.R.V.] des ersten Satzes von Beethovens Konzert erreichte. Die Tonqualität Figueroa Sanabias könnte nicht reiner, lieblicher und tiefer sein. Sein Bogen ist sehr fingerfertig und sein Stimmen makellos. Seine Version des Rondo Capriccioso von Saint-Saëns ist eine der schönsten, die wir je gehört haben“ (meine Über., O.R.V.). Anon., „El Violinista Figueroa“, La Voz, 8. Januar 1926, [o.S.], [unvollst.], AFF (Foto AFF 246); für andere Konzertberichte siehe: Adome Martínez, „De música. Los hermanos Figueroa“, [unbek. Zeitung], 5. Januar 1926, [o.S.], AFF (Foto AFF 011); El Bachiller Relamido, „Un nuevo virtuoso del violín José Figueroa Sanabria [sic]“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto QAFF 127). 26 Davor trat Figueroa Sanabia am 6. Februar 1926 in einer Veranstaltung im Salón de actos de Acción Católica de la Mujer auf (vgl. Anon., „Fiesta hispanoamericana en la Acción Católica de la Mujer“, [unbek. Zeitung], 7. Februar 1926, [o.S.], AFF [Foto AFF 613]). 27 „Ich habe von Casa Daniel 348 escudos und 100 pts [pesetas, O.R.V.] für meine Reise nach Lissabon bekommen“ (meine Übers., O.R.V.). Figueroa Sanabia, „Notizbuch“, AFF (Foto AFF 139).

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er sich schon in Lissabon befinde.28 Über seine Auftritte in Spanien für die ACM gibt es allerdings mehr Informationen. Das erste Konzert für den Verein fand am 11. Juni 1926 im Teatro de la Comedia in Madrid statt.29 Hier spielte er aber eigentlich nur eine Komposition, nämlich das Violinkonzert für drei Violinen F-Dur von Antonio Vivaldi, zusammen mit Antonio Fernández Bordas und Carlos Sedano. Der Rest des Konzerts wurde von Sedano und Fernández Bordas bestritten. In Bezug auf die Aufführung des Werks von Vivaldi schreibt ein Musikkritiker: „Es imborrable la impresión que produjo la interpretación del ‚Concierto en fa mayor‘ para tres violines, de Antonio Vivaldi, obra a la que el gran maestro del violín e ilustre director del Conservatorio, Sr. Fernández Bordas, supo dar una admirable dirección y una elevación de estilo digna de los elogios más calurosos. Le secundaron con perfecta unidad y dando muestras de claro talento los Sres. Sedano y Figueroa.“30

Unmittelbar zu José Figueroa Sanabias Spiel äußert sich Carlos Bosch folgendermaßen: „José Figueroa es […] un artista notabilísimo, de preciosa dicción y sonido; posee una técnica poderosa y adecuada a su manera; tiene emoción, gusto y musicalidad y gran dominio.“31

28 Vgl. ebd. (Foto AFF 141) Nach diesem Konzert liegt keine weitere Information bis zum Konzert in Madrid am 11. Juni 1926 vor. 29 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), ‚Appendix A‘, S. 157. 30 „Unauslöschlich bleibt der Eindruck, den die Aufführung des Konzerts in F-Dur für drei Violinen von Antonio Vivaldi hinterließ, ein Werk, dem der große Meister der Violine und angesehene Direktor der Musikhochschule, Herr Fernández Bordas, eine wunderbare Leitung und eine Erhabenheit des Stils, würdig des höchsten Lobes, zuteilwerden ließ. Es begleiteten ihn in perfektem Einklang und großes Talent demonstrierend die Herren Sedano und Figueroa“ (meine Übers., O.R.V.). Dolz, „De música. Bordas, Sedano y Figueroa obtienen un resonante éxito en su concierto del Teatro de la Comedia“, [unbek. Zeitung], 12. Juni 1926, [o.S.], AFF (Foto IMG 3551). 31 „José Figueroa ist [...] ein ganz bemerkenswerter Künstler, mit einer schönen Ausdrucksweise und einem schönen Klang; er verfügt über eine kraftvolle und in seinem Stil angemessene Technik; er spielt mit Emotion, besitzt Geschmack, Musikalität und Meisterschaft“ (meine Übers., O.R.V.). Carlos Bosch, „De

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In den nächsten Konzerten der Tournee, ausgenommen jenem in San Sebastián (Spanien), teilte Figueroa Sanabia die Bühne mit Vera Romanova, einer russischen Sängerin, die auch im Konservatorium von Madrid studiert und den ersten Preis im Gesang erhalten hatte.32 Die vorliegenden Quellen weisen darauf hin, dass sie beide – unter der Begleitung von Narciso – zwischen dem 12. und dem 26. Juni 1926 in Ciudad Real, Martos, Baena, Jeréz de la Frontera, Cádiz und Ceuta auftraten. Derzeit fehlen jedoch genauere Informationen über diese Aufführungen. Auf der anderen Seite weiß man, dass am 27. Juni 1926 der puerto-ricanische Violinist für die Mitglieder der ACM im Teatro Real in Gibraltar spielte. Hier führte er im ersten Teil das Violinkonzert Nr. 3 in h-Moll von Saint-Saɺns und im vierten Teil kleinere Werke wie Jota Aragonesa von Sarasate, einen Slawischen Tanz von Antonín DvoĜák u.a. auf.33 Der zweite und dritte Teil wurden – wie wahrscheinlich in allen anderen Konzerten – von Romanova übernommen.34 Einige Tage später, am 1. Juli 1926, trat Figueroa Sanabia im Teatro Cervantes in Almería auf.35 Ein Konzert in Málaga und ein anderes im Coliseo

música. Bordas y sus discípulos en la Sociedad Cultural“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3553-3554); für andere Konzertberichte siehe: Anon., „De música. Fernández Bordas y sus discípulos“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3526); B., „Conciertos. Fernández Bordas, Sedano y Narciso [José wird gemeint, Nariciso war nur Klavierbegleiter im Konzert, O.R.V.] Figueroa en la A. de la C.M.“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3531); Víctor Espinos, „Los Conciertos. Bordas y sus discípulos“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3532-3533); A.M.C., „El último concierto de la Cultural de Música“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 35493550); Joaquín Turina, „Sociedad de Cultura Musical“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3557-3558). 32 Vgl. Konzertprogramm, Asociación de Cultura Música Delegación de Gibraltar, Gibraltar, 27. Juni 1926, AFF (Foto IMG 3779-3781); Anon., [o.T], La Publicidad, [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 439). 33 Vgl. 27. Juni 1926, Konzertprogramm, AFF (Foto IMG 3779-3781). 34 In Granada zumindest wurde das Konzert auf diese Weise unterteilt (vgl. La Publicidad [1926, Juli (?)], AFF [Foto AFF 439]). 35 Für ausführliche Information über die Konzerte der ACM in dieser Stadt siehe: Juan Manuel López Marinas, „La Asociación de Cultura Musical“, S. 291-292, Online: http://www.juntadeandalucia.es/cultura/centrodocumentacionmusical/

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Olympia in Granada fanden zu dieser Zeit ebenfalls statt.36 Eine Rezension vom letzteren liegt vor, in der es heißt: „Los hermanos Figueroa también fueron muy aplaudidos debiendo [ci]tarse entre las distintas composiciones que ejecutaron, como las que más agradaron al auditorio, la ‚Jota Aragonesa‘ de Sarasate, ‚La Campanilla‘ de Paganini, obra de grandes dificultades, y el ‚Concierto en si menor‘ de Saint-Saëns.“37

Nach diesen Konzerten fand mit großer Wahrscheinlichkeit der Auftritt in Valencia statt. Ein weiteres Konzert folgte in Santander – eventuell am 5. Juli38 –, bevor er am 23. und am 25. Juli 1926 im Kursaal in San Sebastián (Spanien) zusammen mit einem Symphonieorchester auftrat.39 Mit diesen zwei Konzerten in San Sebastián beendete Figueroa Sanabia die Konzertreise. Im ersten führte er das Violinkonzert h-Moll von Saint-Saɺns sowie kürzere Kompositionen von Kreisler (Liebesfreud), Sarasate (Jota Aragonesa) u.a. auf.40 Über den Auftritt ist in El Pueblo Vasco zu lesen: „El señor Figueroa, como todo artista sincero y concienzudo, fue ganando la admiración del auditorio a medida que iba avanzando el programa, y los aplausos, que en los primeros momentos fueron tibios, se tornaron ruidosos al final. Lo

export/sites/default/publicaciones/pdfs/asociacion-cultura-musical1.pdf (5.April 2012). 36 Vgl. Anon., „Un debut excepcional. Nuestro gran violinista José Figueroa se presentará al público el día 20 del corriente“, El Imparcial, [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3745-3746). 37 „Die Brüder wurden ebenfalls sehr gelobt; von allen Kompositionen, die sie vortrugen, kann man die ‚Jota Aragonesa‘ de Sarasate, ‚La Campanilla‘ de Paganini, ein sehr schwieriges Werk, und das Konzert h-Moll von Saint-Saëns erwähnen, die beim Publikum den größten Anklang fanden“ (meine Übers., O.R.V.). La Publicidad (1926, Juli [?]), AFF (Foto AFF 439). 38 José Figueroa Sanabia führte in seinem Notizbuch an, dass er seinen Eltern eine Rezension aus der Zeitung Diario Montañez aus Santander vom 6. Juli 1926 geschickt hatte (vgl. Figueroa Sanabia, „Notizbuch“, AFF [Foto AFF 146]). 39 Vgl. ebd. (Foto AFF 142) 40 Vgl. ebd. (Foto AFF 142)

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demuestra el hecho de que, no habiendo sido corto el concierto, el público pidió una prolongación y quedó con ganas de oír más a Figueroa.“41

Das zweite Konzert, am 25. Juli, war genauso erfolgreich wie das erste. In diesem spielte Figueroa Sanabia u.a. das Violinkonzert von Beethoven, Introduction et Rondo Capriccioso von Saint-Saɺns, Malagueña von Sarasate sowie das Moto Perpetuo von Ries. Musikkritiker Álvaro F. de Torija stellte in der Zeitung La Voz de Guipuzcua fest: „El numeroso público q[ue] asist[ió] [al] concierto aplaudió mucho [al] violinista viéndose obligado [a] ejecutar la Jota Aragonesa […] El señor Figueroa es un violin[ista] correcto, que posee una afinación [y] ejecución impecables. Le auguro grandes éxitos y, sin duda, llegará a ser uno de los mejores violinistas contemporáneos.“42

Mindestens einmal noch trat José Figueroa Sanabia nach der Konzerttournee in Spanien auf, nämlich am 29. Oktober 1926 im Teatro Rosalía Castro in La Coruña, bevor er nach Puerto Rico zurückreiste. In diesem Konzert führte er zusammen mit Antonio Fernández Bordas das Konzert für zwei Violinen in d-Moll von J.S. Bach, Lieder von Schubert-Herman

41 „Herr Figueroa, wie jedem aufrichtigen und gewissenhaften Künstler, wurde immer mehr Bewunderung seitens des Publikums zuteil, je weiter das Programm fortschritt und der Beifall, zu Anfang noch etwas verhalten, wurde zum Ende hin immer lauter. Das wird durch die Tatsache belegt, dass, obwohl das Konzert recht lang war, das Publikum nach einer Zugabe verlangte und trotzdem noch mehr von Figueroa hätte hören wollen“ (meine Übers., O.R.V.). T., „El concierto de José Figueroa en el Kursaal“, El Pueblo Vasco, [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 413); diese Rezension wird in El Imparcial nachgedruckt (vgl. Anon., „Lo que dijo la crítica“, El Imparcial, [n.d., o.S.], AFF [Foto IMG 3586]). 42 „Das zahlreich beim Konzert anwesende Publikum, klatschte lange Beifall, sodass sich der Geiger genötigt sah, die Jota Aragonesa zu spielen [...] Herr Figueroa ist ein präziser Geiger, dessen Stimmen und Spiel makellos sind. Ich sage ihm große Erfolge voraus und zweifellos wird er einer der besten zeitgenössischen Geiger werden“ (meine Übers., O.R.V.). Rezension nachgedrückt in: El Imparcial (1926, Juli), AFF (Foto IMG 3582-3583).

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und Navarra von Sarasate auf.43 Andere Werke aus seinem Repertoire, etwa das Moto Perpetuo von Ries, brachte er im letzten Teil des Konzerts zum Vortrag. Der Musikkritiker von El Noroeste meinte über den puerto-ricanische Violinisten: „José Figueroa, el otro violinista, que no en balde es premio Sarasate y discípulo de Bordas, es no ya una esperanza, sino una realidad firme; trátase de un joven que, a no dudarlo, al dejar de ser niño prodigio se convirtió en uno de los mejores violinistas que han desfilado por la Coruña. Posee una ejecución y seguridad pasmosa; gran brillantez e intensidad en el sonido y una gran cultura musical.“44

2.2 R ÜCKKEHR NACH P UERTO R ICO UND K ONZERTTOURNEE DURCH DIE I NSEL Mitte November 1926 kehrte José Figueroa Sanabia nach Puerto Rico heim.45 Die puerto-ricanische Presse hatte bereits ausführlich von seinen Erfolgen in Europa berichtet und so bestand großes Interesse, ihn dort zu hören. Daher wurde eine Konzerttournee durch verschiedene Städte organisiert. Das erste Konzert fand statt am 20. Dezember 1926 im Teatro Municipal in San Juan.46 In diesem Konzert wurde, wie ich bereits ausgeführt habe, zum ersten Mal das Violinkonzert D-Dur von Beethoven auf Puerto Rico aufgeführt. Zu diesem Zweck organisierte – und leitete – Jesús Figueroa Iriarte ein Symphonieorchester. In Zukunft sollte er dasselbe tun, wenn sein Sohn sich wieder auf der Insel zu Besuch befand. Neben dem Violin-

43 Vgl. 29. Oktober 1926, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 086-095). 44 „José Figueroa, der andere Geiger, nicht umsonst Gewinner des Sarasate-Preises und Schüler von Bordas, ist nicht mehr eine Hoffnung, sondern eine feste Realität; es handelt sich um einen Jungen, der, nachdem er aufgehört hat, ein Wunderkind zu sein, zweifellos einer der besten Geiger geworden ist, die in La Coruña aufgetreten sind. Er besitzt einen erstaunlichen Vortrag und Tonsicherheit; große Brillanz und Intensität im Klang und große musikalische Kultur“ (meine Übers., O.R.V.). El Imparcial (1926, Dezember), AFF (Foto IMG 3745-3746). 45 Vgl. Konzertprogramm, Teatro Municipal, San Juan, 26. August 1934, AFF (Foto QAFF 108). 46 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), ‚Appendix A‘, S. 159.

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konzert trug Figueroa Sanabia u.a. auch das Praeludium, Allegro und Tempo di Minuetto im Stile Gaetano Pugnani von Kreisler, den letzten Satz des Violinkonzerts Nr. 2 in h-Moll op. 7 von Paganini und Jota Aragonesa von Sarasate vor. In diesen Werken wurde er von seiner Mutter am Klavier begleitet. Eine Rezension des Konzerts gibt ganz deutlich die Gefühlsregungen des puerto-ricanischen Publikums beim Anhören des talentierten Landsmanns wieder: „Pepito lo toca [das Violinkonzert von Beethoven, O.R.V.] con una asombrosa naturalidad. Cuando se acerca a los pasajes más complicados, no adopta ninguna actitud que demuestre al público la dificultad. Surgen las notas vibrantes de emoción con una claridad, con una sonoridad admirables y las almas vibran también al verlo salir triunfante de su empeño. El público no pudo contener en uno de estos momentos difíciles su anhelo de aplaudir y surgió la ovación que ya no era cariñosa solamente. Ahora tenía la majestad que producen la admiración y el entusiasmo. El artista puertorriqueño triunfaba en el corazón de su país.“47

Drei Tage nach dem Konzert in San Juan trat Figueroa Sanabia in Aguadilla auf.48 Wie in allen anderen Konzerten dieser Tournee begleitete ihn seine Mutter am Klavier. Erstaunlicherweise liest man in einer kleinen Werbung des Konzerts folgendes: „Un servicio especial de guaguas entre los vecinos pueblos de Isabela, Aguada, Moca y San Sebastián existirá esta noche. También el servicio de guaguas con los

47 „Pepito spielt es [das Violinkonzert von Beethoven, O.R.V.] mit einer erstaunlichen Natürlichkeit. Wenn er sich den schwierigeren Passagen nähert, nimmt er keine Haltung ein, die dem Publikum irgendeine Schwierigkeit verraten würde. Die vor Emotion vibrierenden Noten sprudeln mit einer wunderbaren Klarheit und Fülle hervor, und auch die Seelen schwingen mit, wenn sie ihn triumphierend diese Schwierigkeit meistern sehen. Das Publikum konnte in einem dieser schwierigen Momente, seinen Wunsch zu klatschen, nicht zurückhalten und es folgten Ovationen, die nicht mehr bloß herzlich waren. Jetzt besaßen sie die Würde, die von Bewunderung und Begeisterung zeugen. Der puerto-ricanische Künstler triumphierte im Herzen seines Landes“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., Triunfadores, San Juan 1927, S. 218, AFF (Foto IMG 3702). 48 Vgl. Pepe Quintana, „Noche de arte“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 295).

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barrios rurales de Montaña, Ceiba Alta, Arenales, Corrales, Maleza Alta, Maleza Baja, Aguacate y Camaseyes será atendido eficazmente y con guaguas extra, si fuera necesario, para que los agricultores y sus familias puedan concurrir a este acontecimiento artístico.“49

Obwohl nicht bekannt ist, wie viele Personen genau die besonderen Beförderungsmöglichkeiten für das Konzert nutzten, ist schon die Tatsache beachtenswert, dass sie überhaupt zur Verfügung gestellt wurden. Denn das bestätigt zum einen die große Berühmtheit José Figueroa Sanabias bei seinen Landsleuten und zum anderen, dass seine Konzerte als bedeutende (nationale) Events angesehen wurden. Ferner beweist die Tatsache, dass selbst der Bürgermeister von Aguadilla eine Einführungsrede vor dem Auftritt hielt, welch große Bedeutung für die Puerto Ricaner das Konzert und vor allem der Geiger besaßen. Das nächste Konzert der Tournee fand statt in der Geburtsstadt Figueroa Sanabias, San Sebastián. Dort trat der puerto-ricanische Violinist in der Sala del Casino auf. Wann genau das Konzert war, lässt sich anhand der Quellen nicht ermitteln. Sicher ist, dass es irgendwann zwischen dem 10. und 20. Januar war, während die Stadt ihre Fiestas Patronales feierte.50 Als José Figueroa Sanabia in die Stadt kam, wurde er wie ein Nationalheld empfangen: „[C]uando yo volví de Madrid con el Premio Sarasate pues me hicieron unas cuantas cosas. Por ejemplo, los muchachos de la escuela los pusieron en la carretera

49 „Ein besonderer Busdienst zwischen den benachbarten Städten von Isabela, Aguada, Moca und San Sebastián wird bereitgestellt. Auch der Busdienst in den ländlichen Bezirken Montaña, Ceiba Alta, Arenales, Corrales, Maleza Alta, Maleza Baja, Aguacate und Camaseyes wird effektiv und mit zusätzlichen Bussen, falls nötig, versorgt, damit die Landwirte und ihre Familien diesem künstlerischen Ereignis beiwohnen können“ (meine Übers., O.R.V.). La Comisión Especial, „Pepito Figueroa en Aguadilla“, [unbek. Zeitung], 9. Dezember 1926, [o.S.], AFF (Foto AFF 434). 50 Vgl. Regionalista, „San Sebastián“, [unbek. Zeitung], 20. Dezember 1926, [o.S.], AFF (Foto AFF 032). Die Fiestas Patronales sind ein Festival, das in jeder puerto-ricanischen Stadt (bis heute) gefeiert wird, um des Geburtstags des Schutzpatrons zu gedenken.

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esperando, un homenaje grandísimo; y entonces me llevaron a la casa donde yo nací [damals war es ein kleines Hotel, O.R.V.] y ahí pase la noche.“51

In Aguadilla, wo er einen Teil seiner Kindheit verbracht hatte und woher seine Eltern stammten, hatte er einen ähnlich feierlichen Empfang bekommen.52 Man kann an all diesen Ereignissen die große Bedeutung erkennen, die der puerto-ricanische Geiger bei seinen Landsleuten nach seiner Rückkehr von Spanien zu erlangen begann. Am 27. Januar 1927 trat José Figueroa Sanabia im Teatro Oliver in Arecibo auf.53 Hier spielte er u.a. das Violinkonzert Fis-Dur von Vieuxtemps, Jota Aragonesa und Aires Bohemios von Sarasate, den letzten Satz des Violinkonzerts Nr. 2 in h-Moll op. 7 (La Campanella) von Paganini sowie die Serenata Española von Cécile Chaminade. Als Zugabe trug er Fantasía sobre La Borinqueña – Puerto Ricos zukünftige Nationalhymne – vor, ein Werk, das sein Vater komponiert hatte. Diese Fantasie führte er (ebenfalls als Zugabe) mehrmals in anderen Konzerten auf der Insel und in den USA auf. Den Rezensionen zufolge war das Konzert in Arecibo ein absoluter Erfolg. Fidel G. Cadilla beschreibt z.B. – in einer etwas blumigen Sprache typisch für puerto-ricanische Rezensionen54 – die Aufführung der Campanella folgendermaßen:

51 „Als ich aus Madrid mit dem Sarasate-Preis zurückkam, haben sie ein paar Sachen für mich veranstaltet. Zum Beispiel wurden zu meiner Ankunft Schuljungen an der Straße postiert, eine riesige Ehrung, und dann brachten sie mich zu dem Haus, wo ich geboren wurde [damals war es ein kleines Hotel, O.R.V.] und dort habe ich übernachtet“ (meine Übers., O.R.V.). Gustavo Batista, „Entrevista al señor José Carmelo Figueroa Sanabia“, Interview am 12. Februar 1985, S. 2, Online: http://www.gustavobatista.com/entrevistas/jose_carmelo_figueroa_sana bria.pdf (15. April 2013). 52 Vgl. 26. August 1934, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 108); Alma Latina (1952, März 15.), S. 5, AFF (Foto AFF 466). 53 Vgl. Anon., „Pepito Figueroa dará un próximo concierto en Arecibo“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3765); Anon., „Pepito Figueroa dará hoy en Arecibo su anunciado concierto“, [unbek. Zeitung], 27. Januar 1927, [o.S.], AFF (Foto IMG 3763). 54 Siehe S. 188-190.

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„Oímos algo sobrenatural, música celesta en verdad. Se desenvolvía un tema sencillo, frívolo, pero bellísimo en variaciones numerosas. El violín imitó los gorjeos de los ruiseñores, las arpas eolias, el ulular del céfiro en los bosques, los ruidos de la Naturaleza. ¡Qué grandioso y magnífico! Parecía que el espíritu de Paganini, vibraba en las cuerdas del violín maravilloso de Pepito […] Pocas veces se había oído en el Teatro Oliver una ovación como la que se tributó al glorioso José Figueroa Sanabria [sic].“55

Es ist bekannt, dass Figueroa Sanabia außer in diesen Städten auch in Ciales, Mayagüez, Ponce56, Manatí und Yauco57 auftrat. Das Konzert in Manatí fand am 27. März 1927 statt.58 In Mayagüez scheint er zweimal aufgetreten zu sein, jedoch nicht nacheinander.59 Eventuell hat er zudem zweimal an der Universität von Puerto Rico gespielt. Sicher ist jedenfalls, dass er dort am 4. Februar ein Konzert gab, welches von der Fraternidad Aguadillana

55 „Wir hörten etwas Übernatürliches, himmlische Musik in der Tat. Ein einfaches, frivoles, aber auch sehr schönes Thema mit zahlreichen Variationen entwickelte sich. Die Geige imitierte das Trillern der Nachtigallen, die äolischen Harfen, das Heulen des Zephyrs in den Wäldern, die Geräusche der Natur. Wie großartig und herrlich! Es war, als ob der Geist Paganinis in den Saiten der wunderbaren Violine von Pepito mitgeschwungen hätte […] Selten hatte man im Theater Oliver solche Ovationen gehört, wie jene, die dem glorreichen José Figueroa Sanabia zuteilwurden“ (meine Übers., O.R.V.). Fidel G. Cadilla, „Positivamente grandioso fue el concierto de Pepito Figueroa en Arecibo“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3750-3752). 56 Vgl. Anon., „Resonante triunfo del violinista Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 278-279); Luis Antonio Miranda, „Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3689); Anon., „Pepito Figueroa dará concierto en Ponce“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3774). 57 Vgl. Anon., „Pepito Figueroa. El mago del violín“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 541). 58 Vgl. Werbung-Plakat, [„Konzert José Figueroa Sanabias, Teatro Cervantes“], Manatí, 27. März 1927, AFF (Foto AFF 539); für einen Konzertbericht siehe: Anon., „El concierto de Pepito Figueroa en Manatí“, [unbek. Zeitung], 2. April 1927, [o.S.], AFF (Foto IMG 3758). 59 Vgl. Figueroa Sanabia, „Notizbuch“, AFF (Foto AFF 149).

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veranstaltet wurde.60 Zu diesem Anlass trug er Werke von Beethoven, Paganini und Sarasate vor. Das letzte Konzert der Tournee, Figueroa Sanabias Abschiedskonzert, war am 25. April 1927 im Teatro Municipal in San Juan. Sein Vater organisierte zu diesem Anlass wieder ein Symphonieorchester, mit dem der puerto-ricanische Geiger das Violinkonzert h-Moll op. 61 von Saint-Saɺns aufführte. Außerdem spielte er u.a. die Chaconne von Bach, das Moto Perpetuo von Paganini sowie La Ronde des Lutins von Antonio Bazzine.61 Als Zugabe trug er wieder die Fantasía sobre Motivos de la Borinqueña seines Vaters vor. In Bezug auf seine Interpretation der Chaconne schreibt ein Musikkritiker: „La Chacona de Bach, que solamente pueden dominarla las águilas del violín, fue ejecutada dentro del mayor tecnicismo, y una interpretación pasmosa, que le valió a Pepito una ovación sin igual.“62 Einen Tag nach seinem Abschiedskonzert veranstalte Jaime Padró (Junior) ein Privatkonzert in seinem Haus, das José Figueroa Sanabia gewidmet war.63 Die größte (öffentliche) Ehrung zu jener Zeit erhielt er jedoch einige Tage darauf, nämlich am 29. April 1927, als die Regierung von Puerto Rico ihm einen Silberkelch64 als Anerkennung seiner musikalischen Leistungen verlieh.65 Das war die letzte große Ehrung, die José Figueroa

60 Vgl. Anon., „Concierto“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3764); für einen Konzertbericht siehe: Ángel Muñoz, „Noche de arte en la universidad“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3743). 61 Vgl. Konzertprogramm, Teatro Municipal, San Juan, 25. April 1927, AFF (Foto QAFF 201-206). 62 „Die Chaconne von Bach, welche nur die Adler der Geige meistern können, wurde mit größter Technik und erstaunlicher Interpretation aufgeführt, weshalb Pepito unvergleichliche Ovationen erhielt“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „El concierto de antenoche en el municipal“, [unbek. Zeitung], 27. April 1927, S. 1, AFF (Foto IMG 3772). 63 Vgl. Anon., „Festival artístico“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3460). 64 Die Idee für die Ehrung stammte von Senator Santiago Iglesias Patín und wurde von den Senatoren Juan Hernández López, Arsenio Martínez, José Aponte und Antonio Barceló Martínez unterstützt. 65 Vgl. Anon., „Se gestiona que el Senado regale una copa a Pepito Figueroa“, El Mundo, 27. April 1927, S. 6; Anon., „El senado rindió ayer un homenaje a Pepito Figueroa“, El Mundo, 30. April 1927, [o.S.], AFF (Foto IMG 3725-3727

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Sanabia von den Puerto Ricanern bekam, bevor er nach Europa zurückkehrte, um seine musikalische Ausbildung an der École Normale de Musique in Paris fortzusetzen.

und 3775); Foto, [unbek. Zeitschrift, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3736); Anon., „Una resolución del senado para ofrecer una copa de plata al artista portorriqueño José Figueroa Sanabria [sic]“, El Mundo, [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3626).

3. Studium und Musikkarriere in Paris: 1927-1930

Am 3. Mai 1927 reiste José Figueroa Sanabia mit dem Schiff Macoris nach Frankreich.1 Da das Schiff zuerst in New York anlegen musste, nutzte er die Gelegenheit, dort einige Konzerte zu geben.2 Konkrete Informationen über diese Konzerte gibt es derzeit jedoch nicht. Am 16. Mai kam er in Le Havre an und von dort fuhr er weiter nach Paris.3 Figueroa Sanabia ließ sich in Paris nieder, weil er – wie bereits angedeutet – seine Musikausbildung an der École Normale de Musique erweitern wollte. Die École Normale de Musique war eine Musikhochschule, die 1919 vom renommierten französischen Pianisten Alfred Cortot und dem Direktor der Musikzeitschrift Le Monde Musical, Auguste Mangeot, gegründet worden war: „Ils terraient à se définir en ouvrant une structure disposant d'un système d'admission sans limite d'âge, ouverte également et largement aux étudiants étrangers et

1

Ivonne Figueroa behauptet, dass er am 2. Mai losreiste (vgl. „A Narrative Chronology of the Musical Life and Contributions of the Figueroa Sanabia Family“, Diss., New York University, New York 1991, S. 57), aber laut Figueroa Sanabias Notizbuch war es am 3. Mai (vgl. José Figueroa Sanabia, „Notizbuch von José Figueroa Sanabia, 1923-1930“, AFF [Foto AFF 158]).

2

Vgl. Coloma Pardo de Casablanca, „Un gran artista puertorriqueño: José Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado, 30. Juni 1945, S. 24.

3

Vgl. Figueroa Sanabia, „Notizbuch“, AFF (Foto AFF 155).

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formant à la fois des solistes et de pédagogues. Cette triple caractéristique permettait déjà de définir l'École.“4

Eine größere Betonung auf die Entwicklung von Musikpädagogen war es, worin sich vornehmlich die École von traditionellen Musikhochschulen unterschied. Die Ausbildung von Musikern und Komponisten wurde aber keinesfalls vernachlässigt. Die Tatsache, dass angesehene Pianisten wie Dinu Lipatti und Samson François sowie Komponisten wie Joaquín Rodrigo aus der École Normale de Musique hervorgingen, zeigt das hohe Niveau des Musikunterrichts in dieser Institution.5 Unter dem Lehrkörper befanden sich große Persönlichkeiten der damaligen Kunstmusikwelt wie Alfred Cortot, Pablo Casals, Jacques Thibaud, Igor Strawinsky, Nadia Boulanger, George Enesco und Wanda Landowska. Kurz bevor José Figueroa Sanabia an der École zu studieren begann, hatte die Institution ihren ursprünglichen Sitz in der Jouffroy-Straße 64 – wo Mangeot auch die Redaktion seiner Musikzeitschrift hatte – für ein neues größeres Gebäude in der Boulevard Malesherbes getauscht, in dem sie sich bis heute befindet.6 Dieser Ortswechsel ging mit Reformen im Bildungssystem einher. Unter anderem wurde das alte Doctorat durch ein Licence de Concert ersetzt.7 Wenn Héctor Campos Parsi also sagt, dass Figueroa Sanabia „[e]studia con Thibaud y logra su Licencia de Conciertos, la primera que se otorga en la flamante institución, en 1928“8, bezieht er sich wohl darauf, dass José Figueroa Sana-

4

Marie Laure Miranda (Hg.), Musique. École Normale de Musique de Paris Alfred Cortot, Paris 2002, S. 112-113. Weitere Information über die École findet man in: Léonie Rosenstiel, Nadia Boulanger. A Life in Music, New York u.a. 1982, S. 145-147, 226-231, 244-247; Robert Baldock, Pablo Casals, Boston 1992, S. 137-138.

5

Vgl. Miranda, S. 118.

6

Vgl. Jacques Chailley, Un Maître du Violon Francais: Marcel Chailley, vorh. in der Staatsbibliothek zu Berlin, [o.O.] 1973, S. 18. Denselben Aufsatz findet man zudem Online: http://www.musimem.com/chailley_marcel.htm (16. April 2013); siehe auch: Anon., „École Normale de Musique de Paris“, Le Monde Musical, 31. Juli 1928, S. 266.

7

Vgl. Le Monde Musical (1928, Juli 31.), S. 266-267.

8

„Studiert mit Thibaud und erlangt seine Konzert-Lizenz, die erste, die in der ausgezeichneten Institution verliehen wurde“ (meine Übers., O.R.V.). Héctor

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UND

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bia der erste Violinist – zusammen mit Vladimir Voulfmann – war, der dieses neu eingeführte Abschlussdiplom erlangt hat. Wann genau Figueroa Sanabia sein Studium an der École Normale de Musique begann, ist derzeit nicht klar. Man weiß aber, dass es vor dem Begin des Studienjahres 1927-1928 im Oktober war, denn bereits am 1. Juli 1927 nahm er an einem der Cours d'Interprétation von Jacques Thibaud teil.9 Über seinen ersten Eindruck von Jacques Thibaud äußerte sich der puerto-ricanische Geiger 1931 in einem Interview: „Como yo en aquel entonces no poseía el conocimiento del francés que ahora poseo, no pude entender la mayor parte de lo que dijo. Según me expresaron otros tuvo elogios muy cálidos y generosos para mí. Sólo puedo decir que me miró sorprendido y me preguntó: ‚¿De dónde viene usted? ¿Dónde ha adquirido usted esa técnica?‘ Yo le conté entonces que había nacido en Puerto Rico y todos los detalles de mi educación musical adquirida bajo la sabia dirección de mi querido maestro Henri Ern. Desde aquel momento el gran violinista se interesó mucho por mí. Luego se ausentó. Yo estuve, pasado un breve tiempo, a punto de irme otra vez a Madrid, pero me dijeron que Thibaud estaba tan interesado en volverme a escuchar que entonces determiné en quedarme.“10

Campos Parsi, „La música en Puerto Rico“, in: Vicente Báez (Hg.), La Gran Enciclopedia de Puerto Rico, 3. Aufl., Bd. 7, San Sebastián (Spanien) 1981 (1976), S. 240. 9

Vgl. Figueroa Sanabia, „Notizbuch“, AFF (Foto AFF 158).

10 „Da ich zu jener Zeit nicht die Französisch-Kenntnisse besaß wie heute, konnte ich das meiste, was er sagte, nicht verstehen. Wie mir andere erklärten, äußerte er sich in sehr warmherziger und großzügiger Art lobend über mich. Ich kann nur sagen, dass er mich überrascht anschaute und fragte: ‚Woher kommen Sie? Wo haben Sie diese Technik erlernt?‘ Ich erzählte ihm dann, dass ich auf Puerto Rico geboren bin, und alle Details über meine Musikausbildung unter der weisen Führung meines geliebten Lehrers Henri Ern. Von diesem Augenblick an interessierte sich der große Violinist sehr für mich. Später ist er dann weggegangen. Ich wäre nach einer gewissen Zeit fast nach Madrid zurückgefahren, aber man teilte mir mit, das Thibaud sehr interessiert sei, mich wieder zu hören, sodass ich mich entschloss zu bleiben“ (meine Übers., O.R.V.). José A. Romeu, „Pepito Figueroa, nuestro eminente violinista que ha triunfado en Europa y América visto en su intimidad“, Puerto Rico Ilustrado, 9. Mai 1931, S. 56.

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In einem Jahr absolvierte José Figueroa Sanabia sein Studium an der École Normale de Musique. Marcell Chailley – und nicht Jacques Thibaud, wie einige Quellen behaupten11 – war sein (Haupt-)Geigenlehrer. Chailley wurde am 3. Juni 1881 in Asnières, Frankreich, geboren: „À 16 ans, dès sa sortie de la classe préparatoire du Conservatoire, et en même temps qu'il était reçu dans la classe supérieur de Bertelier, il obtenait au concours, fait exceptionnel à son âge, le pupitre de premier violon aux Concerts Colonne. Il devait y rester jusqu'en 1904, après avoir été promu malgré sa jeunesse au poste de second soliste: le premier soliste était Jacques Thibaud.“12

1902 absolvierte Chailley sein Studium im Conservatoire de Paris. Nach einer langen Konzertkarriere, während deren er des Öfteren mit dem von ihm gegründeten Chailley-Streichquartett und mit seiner Frau Céliny Chailley-Richez zusammen auftrat, widmete Chailley sich ganz dem Geigenunterricht, nachdem ihm 1927 ein Lehrstuhl an der École Normale de Musique angeboten worden war. José Figueroa Sanabia war einer seiner ersten Violinstudenten an der École. Genau wie Antonio Fernández Bordas, schätzte Chailley das Geigenspiel José Figueroa Sanabias sehr. Am deutlichsten erkennt man das an der Tatsache, dass Chailley 1936, todkrank im Bett liegend, Cortot darum bat, nach seinem Tod seinen Lehrstuhl an der École José Figueroa Sanabia zu geben. Darauf werde ich später eingehen. Hinsichtlich der Auftritte José Figueroa Sanabias während seiner Studienzeit in Paris weiß man, dass er im Januar 1928 zusammen mit dem Orchester der École Normale de Musique die Sinfonía Española von Édouard Lalo und am 24. März 1928 das Streichquartett F-Dur op. 35 von Maurice Ravel zusammen mit Lachamp, Serulmik und Cocea in einem Empfang der

11 Aufgrund seiner aktiven Solokarriere (vgl. Christian Goubault, Jacques Thibaud. Violoniste francais, Paris 1988) war die Tätigkeit Thibauds an der École in der Tat ziemlich beschränkt: „[C]ontrairement à Cortot qui prenait vigoureusement en mains la direction des études pianistiques, en attendant de diriger plus tard l'ensemble de l'école, Thibaud entendait borner son rôle à une supervision assez lointaine et aux cours publics d'interprétation dont l'école lançait la vogue“ (Chailley, S. 18-19). 12 Chailley, S. 8.

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uruguayischen Botschaft (Legation de l‘ Uruguay) zum Vortrag brachte.13 Während dieser Zeit war der puerto-ricanische Geiger zudem inoffiziell Geigenlehrer an der École.14 Eine offizielle Stelle bekam er ein Jahr später, nachdem er seine Licence de Concert (am 10. Juli 1928) erworben hatte. In seiner Abschlussprüfung an der École trug der puerto-ricanische Geiger anspruchsvolle Kompositionen wie Poème von Ernest Chausson, das Violinkonzert von Beethoven, den ersten Satz des Violinkonzerts von Johannes Brahms und die Violinsonate g-Moll von J.S. Bach vor.15 Die Jury gab seinem Auftritt die beste Note, nämlich très bien. Aufgrund seiner außerordentlichen Leistungen während seines Studiums wurde er zusammen mit drei anderen Absolventen der École Normale de Musique und des Konservatoriums von Paris auserwählt, in einem Konzert mit dem Orchestre Symphonique de Paris als Solist aufzutreten. Dieses Konzert fand am 24. Februar 1929, während der ersten Saison des Orchesters, in der kurz zuvor wieder eröffneten16 Salle Pleyel statt.17 Zusammen mit Warlop, Datte (beide Graduierte des Konservatoriums) und Voulfman (Graduierter der École) führte José Figueroa Sanabia das Concerto grosso Nr. 10 in h-Moll op. 3 RV 580 für 4 Violinen und Orchester von Antonio Vivaldi auf. Tristan Klingsor äußerte in Le Monde Musical über ihren Auftritt: „Tous firent preuve d'une sûreté de jeu et d’une intelligence parfaites. Ne décernons point de récompenses, mais disons que MM. Figueroa et Voulfman montrèrent des qualités de sensibilité particulières.“18 Kurz nach diesem Konzert bot Cortot Figueroa Sanabia eine Stelle als Violinist im Orchestre Sympho-

13 Vgl. Konzertprogramm, Legation de l’Uruguay, Paris, 24. März 1928, AFF (Foto AFF 653). 14 Vgl. Puerto Rico Ilustrado (1931, Mai 9.), S. 57. 15 Vgl. Le Monde Musical (1928, Juli 31.), S. 267. 16 1928 brach ein Brand in der Salle Pleyel aus, weshalb sie saniert werden musste. 17 Vgl. Anon., „Création de l'Orchestre Symphonique de Paris“, Le Monde Musical, 30. September 1928, S. 303; G. D., „L'Orchestre Symphonique de Paris“, Le Courrier Musical, 1. Oktober 1928, S. 559-560; Werbung, „Orchestre Symphonique de Paris“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 15. Februar 1929, S. 733; Werbung, „Orchestre Symphonique de Paris“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 22. Februar 1929, S. 758-759. 18 Tristan Klingsor, „Orchestre Symphonique de Paris“, Le Monde Musical, 31. März 1929, S. 106.

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nique de Paris an. Der puerto-ricanische Geiger lehnte diese allerdings ab, weil vorausgesetzt wurde, dass er die französische Staatsangehörigkeit annahm.19 Als Dozent trat José Figueroa Sanabia regelmäßig in der École Normale de Musique auf. Am 29. Dezember 1928 nahm er z.B. an der „Soirée de Reception en l‘honneur de M. Alexandre Glazounow“ teil. In diesem Konzert spielte er zusammen mit Voulfman, Baharaf und Millet Glazounows Streichquartett Nr. 5, op. 70. Zusammen mit dem Komponisten führte er des Weiteren Meditation op. 32 für Violine und Piano auf.20 Sein erstes Solokonzert im Konzertsaal der École folgte im nächsten Jahr, am 11. Mai 1929.21 Hier trug er u.a. das Violinkonzert C-Dur von Vivaldi, das Konzert D-Dur von Beethoven, Tango von Isaac Albéniz sowie den letzten Satz des Violinkonzerts Nr. 2 in h-Moll op. 7 von Paganini vor. Es ist bekannt, dass er außerhalb der École Normale de Musique am 26. Februar 1929 in einem Konzert der Société Musicale Indépendante in der Salle Chopin gespielt hat. Zu diesem Anlass führte er zusammen mit Tibor Harsanyi und Luis Millet das Trio von H. Neugeboren urauf.22 Zu Beginn des neuen Semesters im Oktober 1929 wurden drei Konzerte in der neu erbauten Salle de Concerts de l'École Normale de Musique23 – heute Salle Cortot genannt – veranstaltet. Über den Auftritt Figueroa Sanabias meinte ein Musikkritiker: „José Figueroa, qui sort à peine des mains de Thibaud et de Chailley, est déjà un bel artiste. Son Concerto en ut majeur de Vivaldi, notamment l'andante, son Tango d'Albéniz et la Sicilienne et Rigaudon de Francoeur, fort bien accompagnés par Mlle

19 Vgl. Marquéz, Puerto Rico Ilustrado, 17. Januar 1948, S. 67, AFF (IMG 3490); José A. Romeu, „Algunos rasgos sobresalientes de la vida de Pepito Figueroa“, Alma Latina, 15. März 1952, S. 5, AFF (Foto AFF 466). 20 Vgl. Konzertprogramm, „Soirée de Reception en l‘honneur de M. Alexandre Glazounow“, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, 29. Dezember 1928, AFF (Foto QAFF 226). 21 Vgl. Werbung, „José Figueroa“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 10. Mai 1929, S. 1131. 22 Vgl. Konzertprogramm, Salle Chopin, Paris, 26. Februar 1929, AFF (Foto QAFF 229). 23 Für Information über den neuen Konzertsaal siehe: A. Mangeot, „La nouvelle Salle de Concerts“, Le Monde Musical, 30. Juni 1929, S. 213.

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Segura, nous causèrent un de ces plaisirs qu'on ne ressent qu'avec les violonistes de grande classe.“24

Erwähnenswert ist, dass die Begleiterin am Klavier, Mll. Segura, die mexikanische Pianistin Luz María Segura Millán war, die Pianistin, mit der José Figueroa Sanabia 1922 im Salón de Actos del Museo Nacional de Historia in Mexiko-Stadt zusammen gespielt hatte. Zu dieser Zeit arbeitete sie auch an der École Normale de Musique. Die Eröffnung 1929 der neuen Salle de Concert de l'Ecole Normale de Musique ging einher mit der Gründung eines Kammerorchesters, welches von Alfred Cortot geleitet wurde.25 Erster Geiger dieses Orchesters war am Anfang der später berühmte französische Violinist Zino Francescatti. Einige Jahre später wurde José Figueroa Sanabia diese Stelle angeboten.26 Zu dieser Zeit initiierte Cortot außerdem die bekannten Concerts Privés. Die Concerts Privés bildeten eine Reihe von acht Konzerten, die für die Mitglieder der Association des Amis de l'École Normale de Musique veranstaltet wurden. Obzwar sie Privatkonzerte waren, wurden sie in der Pariser Presse rezensiert, vor allem in Le Monde Musicale. Ein wichtiges Ziel dieser Konzertreihe war die Aufführung von alten sowie zeitgenössischen Kompositionen, die selten oder sogar zum ersten Mal gespielt wurden.27 Beispielsweise trug Figueroa Sanabia im 2. Concert Privé am 31. Januar 1930 zum ersten Mal in Paris die damals neu entdeckte Sonate G-Dur für Violine und Continuo von J.S. Bach unter der Klavierbegleitung von Alfred

24 A.M., „Salle de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 31. Oktober 1929, S. 338. 25 Vgl. Werbung, „Concerts de l'Association des Amis de l'École Normale de Musique sous la direction artistique de Alfred Cortot“, Le Monde Musical, 30. Juni 1929, S. 224. 26 Vgl. Jeanne Thieffry, „1er Concert Privé de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musicale, 31. Januar 1930, S. 26; Anon., „Cuatro de los hermanos Figueroa ofrecen concierto hoy en universidad“, El Mundo, 27. Juni 1951, S. 22. 27 Anfang der 6. Saison der Concerts Privés hatte es dort bereits gegeben „cent premières auditions, cinquante exécutions de pièces oubliées ou inconnues, au cours de quarante deux concerts“ (Suz. Demarquez, „43e Concert Privé de l'École Normale de Musique“, Le Courrier Musical-Théâtrale-Cinématographique, 15. November 1934, S. 366).

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Cortot vor.28 Im 5. Concert Privé am 17. April 193029 spielte er darüber hinaus bei der Aufführung des Septetts von Arthur Hoérée30 und im 7. Konzert am 12. Juni bei der Aufführung der Introduction et Allegro pour Harpe avec Accompagnement de Quatuor à Cordes, Flûte et Clarinette von Maurice Ravel mit.31 Neben diesen Auftritten an der École spielte der puerto-ricanische Geiger am 5. Februar 1930 im Conservatoire de Musique de Lyon.32 Hier trug er zusammen mit P. Wavelet die Violinsonate G-Dur BWV 1021 von Bach, die Danza Española von Manuel de Falla und Sicilienne et Rigaudon von Kreisler vor. Zusammen mit Wavelet und Antonia Butler führte er des Weiteren das Trio für Klavier, Violine und Cello von Maurice Ravel auf. Am 21. Februar spielte er wieder in einem Konzert – vermutlich auch an der École –, das dem spanischen Dirigenten E.F. Arbos gewidmet war. Hier trug er Deux Esquisses für Violine und Piano von Joaquín Rodrigo zusammen mit dem Komponisten vor.33 Sein wichtigstes (Solo-)Konzert zu jener Zeit fand allerdings am 29. April 1930 im Konzertsaal der École Normale de Musique statt.34 Hier führte er u.a. das Violinkonzert e-Moll von Men-

28 Vgl. Werbung, „Concert Privé“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 24. Januar 1930, S. 672; Werbung, „Concert Privé“, Le Monde Musical, 30. September 1929, S. 280; für einen Konzertbericht siehe: A. Mangeot, „2e Concert Privé de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 28. Februar 1930, S. 69. 29 Vgl. Werbung, Le Monde Musical (1929, September 30.), S. 280. In dieser Werbung werden alle Konzert-Termine der ersten Saison angegeben. 30 Vgl. Jean Gabriel-Marie, „5e Concert Privé de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 31. Mai 1930, S. 199. 31 Vgl. A. Mangeot, „7e Concert Privé de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 31. Juli 1930, S. 272; Konzertprogramm, „7. Concert Privé“, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, 12. Juni 1930, AFF (Foto QAFF 160-161); Werbung, „Concert Privé“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 6. Juni 1930, S. 1378. 32 Vgl. Konzertprogramm, Salle de Concert du Conservatoire de Musique de Lyon, Lyon, 5. Februar 1930, AFF (Foto QAFF 276). 33 Vgl. Konzertprogramm, Salle de Concert de l'École Normale de Musique (?), Paris, 21. Februar 1930, AFF (Foto AFF 452). 34 Erwähnenswert ist, dass José Figueroa Sanabia in der Ausgabe vom 25. April 1930 von La Semaine Musicale et Théâtrale – wo dieses Konzert beworben

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delssohn, Au Jardin de Lindaraja von Joaquín Nin, die Sonate A-Dur von Vivaldi und das Capriccio Nr. 13 von Paganini auf. Am Klavier begleitete ihn Eugène Wagner. Marcel Bernheim schrieb in Le Courrier Musical: „Séance réconfortante ou l'on entendit un artiste des plus intéressants, tout au point de vue technique qu'au point de vue musical. Dans la Sonate en la de Vivaldi, dans celle en sol, pour violon seul, de Bach ou encore dans le Concerto de Mendelssohn, M. José Figueroa s'impose virtuose solide et complet. Guide par le constant souci du détail, il a pour le servir un mécanisme bien assis et ses interprétations dénotent le goût le plus sûr. Le Caprice no. 13 de Paganini fut enlevé avec brio et des pages de Ries et Bazzini mirent en évidence la souplesse et l'aisance de son archet. En résume, M. José Figueroa […] a en main, tous les atouts pour faire une carrière heureuse.“35

Figueroa Sanabias Solokonzert in Paris wurde von der Konzertagentur A. & M. Dandelot & T. Ysaÿe organisiert. Mit großer Wahrscheinlichkeit veranstalteten sie auch die Konzerte in Belgien und der Schweiz, die der puerto-ricanische Violinist während dieses Jahres außerdem gab.36 Derzeit liegen aber keine Quellen mit genaueren Informationen über diese Konzertreise vor.37

wird – auf dem Deckblatt zu sehen ist (vgl. Anhang, Abb. 4). Er wird da ferner in einer kleinen Biografie als „un virtuose de qualité au jeu colore et expressif“ bezeichnet (G.J., „Notre Couverture: José Figueroa“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 25. April 1930, S. 1182 und 1185). 35 Marcel Bernheim, „M. José Figueroa“, Le Courrier Musical et Théâtral, 15. Mai 1930, S. 344; ein anderer nachgedruckter (und auf Spanisch übersetzter) Konzertbericht von R. Alexandresco (Paris-Presse) findet man in: Anon., „[José] Figueroa triunfa defini[tivamente] en su primer concierto de París“, Puerto Rico Ilustrado, [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3576). 36 Vgl. Ángela Negrón Muñoz, „Hablando con Carmen Sanabia de Figueroa“, El Mundo, 2. November 1930, S. 12. 37 In einem Konzertprogramm wird aber eine Rezension vom Journal de Genève über ein Konzert Figueroa Sanabias in Genf zitiert: „The young virtuoso of the violin displayed a masterful technique, artistic interpretation, fine shading and a beautiful singing tone and phrasing“ (Konzertprogramm, Steinway Hall, New York, 23. Februar 1931, AFF [Foto AFF 644-646]).

4. Tod von Henri Ern und Aufenthalt in New York: 1930-1932

Im September 1930 erhielt José Figueroa Sanabia eine traurige und zweifelsohne schockierende Nachricht. Sein ehemaliger deutscher Lehrer und Freund, Henri Ern, hatte sich Ende August das Leben genommen. Zu jener Zeit lebte Ern in El Paso, Texas. Über sein Leben in den Jahren, nachdem er in Mexiko zurückgeblieben war (1922), weiß man derzeit nur wenig. Laut einem Zeitungsartikel soll er bis 1923 in Ciudad Juárez geblieben sein, bis er wieder in die USA einreisen durfte.1 Einmal in den USA ließ er sich in El Paso nieder, wo er seine Musiker- und Lehrtätigkeit fortsetzte. Er soll dort aber ein äußerst niedriges Einkommen gehabt und unter ganz prekären Bedingungen gelebt haben.2 Obwohl José Figueroa Sanabia Ern nach ihrer Tournee durch Kuba und Mexiko nie wiedersah, sind beide brieflich in Kontakt geblieben.3 Sein tragischer Tod war sehr schmerzhaft für Figueroa Sanabia. In einem Interview 1931 äußerte er diesbezüglich:

1

„He was allowed to re-enter the United States in 1923 after having been an exile in Juárez, for two years. He had lived in the United States seven years prior to that time, but had not taken out naturalization papers, and, while on a tour of Mexico, the Swiss quota had been filled“ (Anon., „Henri Ern Ends Own Life Here“, [unbek. Zeitung, n.d.], S. 1, [unvollst.], AFF [Foto AFF 599]).

2 3

Vgl. ebd. (Foto AFF 599) Vgl. Henri Ern, „Persönlicher Brief an José Figueroa Sanabia“, 5. März 1925, AFF (Foto AFF 622-630); Henri Ern, „Persönlicher Brief an José Figueroa Sanabia“, 21. Januar 1927, AFF (Foto AFF 565); Anon., „Murió el famoso […]“, El Mundo, [n.d., unvollst.], S. 3, AFF (Foto AFF 498).

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„[Y]o profesaba un gran afecto y una gran admiración [hacia Ern, O.R.V.]. La carta donde se me manifestaba la noticia de su muerte llegó a mí un poco tarde debido a que me encontraba en Madrid. Llegó primero la carta a París y de allí me fue enviada a donde me hallaba yo entonces. Me produjo una dolorosa sorpresa. Lo más pronto que me fue posible me puse en camino hacia Tejas […] mi maestro, al morir, me legó el violín ‚stradivarius‘ que lo había acompañado y toda su biblioteca musical. Esto para mí tiene un valor inapreciable, no sólo material sino por lo que significa para quien le profesó siempre hondo cariño. Siempre tendré para mi maestro un recuerdo inmarcesible que se halla ligado íntimamente a los años de mi infancia y el cual perdurará durante todos los días de mi existencia.“4

Diese Aussage bringt ganz deutlich die besonders freundschaftliche Beziehung zum Ausdruck, die sich zwischen Ern und Figueroa Sanabia entwickelt hatte. Anfang Oktober kam José Figueroa Sanabia in El Paso an. Zum Gedenken an Henri Ern gab er am 12. Oktober 1930 ein Konzert in der Liberty Hall. Nachdem er sein Erbe angetreten hatte, reiste er nach New York, wo er sich mit seinen Brüdern Narciso und Jaime – die von Puerto Rico dorthin gefahren waren – treffen sollte, um dann zusammen nach Paris weiter reisen zu können.5 Da sie aber einige Konzertangebote erhielten, entschieden sie sich, ihren Aufenthalt in New York zu verlängern. Das erste Konzert Jo-

4

„Ich empfand eine große Zuneigung und Bewunderung [für Ern, O.R.V.]. Der Brief, in dem ich über seinen Tod informiert wurde, erreichte mich etwas spät, da ich mich in Madrid befand. Der Brief ging erst nach Paris und wurde mir zu meinem Aufenthaltsort weitergesandt. Ich erlebte eine schmerzhafte Überraschung. So bald wie möglich machte ich mich auf den Weg nach Texas [...] mein Lehrer vermachte mir seine Stradivari, die ihn begleitet hatte, und seine ganze Musikbibliothek. Dies hat für mich einen unschätzbaren Wert, nicht nur in materieller Hinsicht, sondern wegen der großen Zuneigung, die ich für ihn empfand. Ich werde immer eine unauslöschliche Erinnerung an meinen Lehrer haben, die eng mit den Jahren meiner Kindheit verknüpft ist, und die für mein ganzes Leben fortbestehen wird“ (meine Übers., O.R.V.). José A. Romeu, „Pepito Figueroa, nuestro eminente violinista que ha triunfado en Europa y América visto en su intimidad“, Puerto Rico Ilustrado, 9. Mai 1931, S. 57.

5

Vgl. Anon., „Gran triunfo de Pepito Figueroa en Nueva York“, El Mundo, [n.d.], S. 1 und 4, AFF (Foto AFF 373).

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sé Figueroa Sanabias in New York (über das man zumindest über Information verfügt) fand statt am 29. Dezember 1930 in der Music Hall des Roerich Museum.6 Hier spielte er u.a. die Sonate g-Moll BWV 1001 für Violine von Bach, das Violinkonzert von Mendelssohn, Danza Española von De Falla, die Sonate A-Dur von Vivaldi und Berceuse von Henri Ern.7 Musikkritiker F.D.P. von der New York Herald Tribune schrieb über seinen Auftritt: „His playing of the Bach work marked him as a violinist well worth consideration, giving an impression of thorough technical competence and a tone of the unusual volume and substantiality needed to meet the taxing demands [of] such music.“8

Beachtenswert an diesem Konzert ist, dass es überwiegend von Puerto Ricanern besucht wurde.9 Das beweist, welch großen Ruhm – und welche Bedeutung – José Figueroa Sanabia bereits damals innerhalb der puertoricanischen Gemeinde in New York besaß. Das zweite Konzert des puerto-ricanischen Geigers kam am 23. Februar 1931 in der Steinway Hall zur Aufführung. Narciso – genauso wie im vorherigen Konzert – begleitete ihn am Klavier. Neben dem Violinkonzert von Mendelssohn spielte Figueroa Sanabia u.a. auch das Violinkonzert C-Dur von Vivaldi, das Praeludium, Allegro und Tempo di Minuetto im Stile Gaetano Pugnani von Kreisler, die Chaconne von Bach und Sumare von Darius Milhaud. Der Musikkritiker der New Yorker Staats-Zeitung urteilte über das Konzert:

6

Vgl. Werbung, „José Figueroa in Recital“, The New York Times, 29. Dezember

7

Vgl. Anon., „El violinista puertorriqueño José Figueroa dará un concierto el

8

F.D.P., „Porto Rican Violinist Heard“, New York Herald Tribune, 30. Dezember

1930, S. 16. lunes por la noche“, La Prensa (?), [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 370-371). 1930, [o.S.], AFF (Foto AFF 441); für andere Konzertberichte siehe: Anon., „José Figueroa“, Musical Courier, 31. Januar 1931, S. 31; Anon., [o.T.], Musical Advance, [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 442); Anon., „José Figueroa in Recital“, The New York Times, 30. Dezember 1930, S. 15. 9

Das Konzert am 23. Februar 1931 in Steinway Hall war auch vornehmlich von Puerto Ricanern besucht (vgl. W.B.C., „José Figueroa, Violinist, Plays“, The New York Times, 24. Februar 1931, S. 28).

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„Der Geiger zieht einen bemerkenswert schönen und großen Ton, dem man nur, speziell in der Kantilene, mehr Wärme und Leuchtkraft wünschen möchte. Die Technik steht auf einer hoch entwickelten Stufe der Virtuosität, gibt sich natürlich ohne Mätzchen und wird durch ein lockeres Handgelenk, elegante schwungvolle Bogenführung und behende Fingerfertigkeit gestützt. Mit gelegentlichen Ausnahmen von raschen Passagen in den hohen Lagen, kommen Läufe, Kadenzen und auch die Doppelgriffe recht sauber und klar heraus und lassen auf Treffsicherheit und gute Intonation schließen […] Besonders abgerundete Leistungen waren der letzte Satz des Mendelssohn-Konzertes, und die letzte Gruppe der Vortragsfolge, die sich aus wirksam und bravourös gespielten romanischen Effektetüden zusammensetzte.“10

4.1 L ETZTE K ONZERTE IN N EW Y ORK UND R EISE NACH P UERTO R ICO Das nächste Konzert der Brüder Figueroa Sanabia fand am 4. März im Auditorium John Wanamaker statt.11 Es war Teil der Konzertreihe „Afternoons Musicales with Bechstein Pianoforte“, die in diesem Saal organisiert wurden. Neben einigen der bereits angeführten Kompositionen wie das Praeludium, Allegro und Tempo di Minuetto im Stile Gaetano Pugnani von Kreisler und Introduction et Rondo Capriccioso von Saint-Saɺns spielte der puerto-ricanische Geiger zu diesem Anlass u.a. die Sicilienne et Rigaudon

10 B., „José Figueroa“, New Yorker Staats-Zeitung, 24. Februar 1931, [o.S.], AFF (Foto IMG 3545-3546); für andere Konzertberichte siehe: The New York Times (1931, Februar 24.), S. 28; F.D.P., „José Figueroa Gives Recital“, New York Herald Tribune, 24. Februar 1931, [o.S.], AFF (Foto AFF 245); für nachgedruckte Konzertberichte siehe: Anon., „El Herald Tribune elogia a Pepito Figueroa“, El Mundo, [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 456-457); Anon., „Pepito Figueroa, el gran violinista virtuoso puertorriqueño, en el Steinway Hall de Nueva York“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3782). 11 Vgl. Werbung, „The Sixth Afternoon Musicale“, The World, [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 442); Werbung, „Los hermanos [Figueroa] esta[rán] esta tarde [en el] Wanamaker […]“, La Prensa, 4. März 1931, [o.S.], AFF (AFF 442); für einen Konzertbericht siehe: Clotilde Betances de Jaeger, „Dos genios borinqueños: Pepito y Narciso Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 242).

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von Kreisler. Ein weiteres Konzert in New York gab er am 5. April 1931.12 Bislang ist indes nicht geklärt, wo genau es stattfand. Kurz danach reisten die Brüder nach Puerto Rico. Bezüglich seiner zukünftigen Pläne teilte Narciso Figueroa Sanabia in einem Interview mit: „Marcharemos a Puerto Rico de paso para Centro América para hacer una ‚tournée‘ de conciertos […] Tendremos que regresar a Nueva York en octubre para celebrar un recital en el ‚Carnegie Hall‘. Esta vez iré con Pepito, pues Kachiro tiene que quedarse para su examen de oposición para el premio de Nambourgh Foundation que no sabemos exactamente cuándo será.“13

Obwohl Narciso hier berichtet, dass sein Bruder Jaime (Kachiro) in New York bleiben würde, reiste dieser jedoch später ebenfalls nach Puerto Rico, wo er zusammen mit ihm und José mehrere Konzerte geben sollte. Am 14. Mai 1931 traten aber nur José und Narciso im Teatro Municipal von San Juan auf. Hier spielte Figueroa Sanabia u.a. das Violinkonzert von Mendelssohn, die Sonate g-Moll für Violine von Bach und Berceuse von Ern. Narciso führte auch einige Werke als Solist auf, z.B. die Toccata und Fuge von Bach-Tausig, eine Etüde von Paganini-Liszt sowie El Puerto von Albéniz. Alle diese Klavierwerke sowie die Violinsonate von Bach wurden in diesem Konzert zum ersten Mal auf Puerto Rico aufgeführt.14 Irgendwann zwischen Juni und Juli kam Jaime heim. Sein erstes Konzert mit seinen Brüdern fand am 4. August 1931 in dem Salón de Actos de la Escuela Superior Central in Santurce statt.15 In diesem Konzert traten die drei Brü-

12 Vgl. Anon., „Pepito y [Narciso] Figueroa vendrán a Puerto Rico“, El Mundo (?), [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 247-248). 13 „Wir werden nach Puerto Rico reisen und von da nach Zentralamerika, um eine Konzerttournee dort zu machen […] Im Oktober müssen wir zurück in New York sein, um ein Konzert in der Carnegie Hall zu geben. Diesmal fahre ich nur mit Pepito, denn Kachiro muss hier bleiben wegen der Prüfung für den Preis der Nambourgh-Stiftung, von der wir nicht wissen, wann sie genau sein wird“ (meine Übers., O.R.V.). Ebd. (Foto AFF 247-248) 14 Vgl. Konzertprogramm, Teatro Municipal, San Juan, 14. Mai 1931, AFF (Foto QAFF 049-053). 15 Vgl. Konzertprogramm, Salón de Actos de la Escuela Superior Central, Santurce (San Juan), 4. August 1931, AFF (Foto IMG 3596).

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der eher als Solisten und nicht wirklich als Ensemble auf, wie sie es 1932 tun werden. Nur das Konzert für 3 Violinen F-Dur von Vivaldi, also jenes, das José Figueroa Sanabia in Madrid zusammen mit Fernández Bordas und Sedano aufgeführt hatte, haben die drei Brüder zusammen gespielt, mit der zusätzlichen Unterstützung ihres jüngeren Bruders Guillermo, der den dritten Violin-Part übernahm.

4.2 R ÜCKKEHR

NACH

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Im oben zitierten Interview berichtet Narciso, dass eine Konzerttournee durch Lateinamerika vorgesehen war. Diese scheint sich aber nicht konkretisiert zu haben, genausowenig wie das Konzert in der Carnegie Hall. Es sieht so aus, dass sie nur ein Konzert in Caracas, Venezuela, am 26. August 193116 gaben, bevor sie nach New York zurückkehrten.17 In New York führten José und Jaime dann am 3. Januar 1932 im Konzertsaal des Hotels Waldorf Astoria das Doppelkonzert für zwei Violinen von Bach zusammen mit dem von Henry Hadley geleiteten Manhattan Symphony Orchestra auf.18 In der New York Evening Post wird über die Aufführung gesagt, dass „José and Jaime Figueroa […] played very successfully together the difficult Double Concerto for Two Violins, by Bach […] [and, O.R.V.] were

16 Obwohl das Konzertprogram nur darauf hinweist, dass das Konzert an einem Mittwoch dem 26. stattfand (vgl. Konzertprogramm, Teatro Municipal, Caracas [Venezuela], 26. August 1931, AFF [Foto AFF 526]), kann man rückschliessen, dass es im August war, weil nur in diesem Monat des Jahres 1931 der 26. ein Mittwoch war (vgl. Anon., Calendar 1931, Online: http://www.hf.rim.or.jp/~kaji/cal/cal.cgi?1931 [13. April 2012]). Vor August konnte es nicht stattfinden, denn die Figueroas befanden sich zu jener Zeit noch auf Puerto Rico. Das angegebene Datum für das Konzert im Artikel Anon., „Los notables músicos“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 602) ist falsch. 17 Vgl. R. Vázquez Cabañas, „Una familia de grandes artistas. Por qué no hacemos un homenaje?“, Puerto Rico Ilustrado, 11. Juni 1932, S. 64. 18 Vgl. Werbung (und Foto), „José and Jaime Figueroa, Violin Soloists at the Manhattan Symphony Concert at Waldorf Astoria Tonight“, The New York Times, 3. Januar 1932, [o.S.], AFF (Foto AFF 319); Werbung, [o.T.], The New York Sun, 2. Januar 1932, [o.S.], AFF (Foto IMG 3711).

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much applauded“.19 H.T. von The New York Times meinte indes, dass „there were pages when more coherence between soloists and between orchestra and soloists was required“.20 Mit Ausnahme dieses Konzerts spielten die Brüder Figueroa in New York zu jener Zeit vornehmlich als Trio zusammen, wenngleich sie auch einige Werke in ihren Konzerten als Solisten vortrugen. Sie haben sich das Royal Spanish Ensemble genannt. Dieses Ensemble kann man als direkten Vorläufer des späteren Figueroa Quartetts, und nachher Quintetts, ansehen. Ihr erster Auftritt – zumindest soweit Informationen vorhanden sind – ereignete sich im März in der Memorial M.E. Church.21 In einer New Yorker Zeitung wird über ihren Auftritt geäußert: „In speaking of Joe [sic] and Kachiro Figueroa, violinists, and their brother, Narciso, pianist, nothing but praise can be given for their share of the program, from the Coreilli [sic] Concerto in G Major to the final encore following Navarra, by Sarasate, played by the ensemble. Their work as a trio, the piano solos by Narciso and the violin duet by José and Kachiro were so much appreciated that after each performance a responsive tribute of applause was given. Encores were equally interesting.“22

19 A.C.B., „The Manhattan Symphony“, New York Evening Post, 4. Januar 1932, [o.S.], AFF (Foto IMG 3708). 20 H.T., „Hadley Leads the Manhattan“, The New York Times, 4. Januar 1932, S. 27; für andere Konzertberichte siehe: Anon., „Hadley Directs Waldorf Concert“, New York Evening Journal, 4. Januar 1932, [o.S.], AFF (Foto AFF 425); Anon., „New York Concerts“, Musical Courier, [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 424); M., „Hadley Gives Old-Time Music“, Musical America, 10. Januar 1932, [o.S.], AFF (Foto AFF 423). 21 Das genaue Datum ist bisher nicht bekannt, aber es war ein Freitag, also entweder am 4., 11., 18., oder 25. März 1932. 22 Anon., „Record Crowd Attends Third Concert Here“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 414-420). Die Rezension weist darauf hin, dass „[m]any foreign born citizens [d.i. Puerto Ricaner, O.R.V.] were present, due to the participation of the Royal Spanish Ensemble of New York City in the program“ sowie dass in diesem Konzert sich „the largest audience of the present series [of concerts, O.R.V.]“ (ebd. [Foto AFF 420]) befand.

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Nachdem José und Jaime am 9. April 1932 die Dessoff Choirs bei der Aufführung von vier Madrigalen von Monteverdi in einem Konzert in der Town Hall begleitet hatten23, spielte der puerto-ricanische Violinist wieder im Wanamaker-Auditorium am 27. April 1932.24 Das Konzert war der spanischen Musik gewidmet. Figueroa Sanabia führte hier die Symphonie Espagnole von Lalo, Tango von Albéniz, Danza Española von de Falla und Zapateado von Sarasate auf. Die Pianistin Mercedes Ramírez und die Tänzerin Sophia Delza traten auch in diesem Konzert auf. Narciso begleitete José am Klavier. Einen Tag später gaben die drei Brüder gemeinsam ein Konzert in der Roerich Hall. In der Zeitung La Prensa wird darüber berichtet: „El público dio repetidas muestras durante el concierto del profundo agrado que experimentaba al ser ejecutados los números del programa, por José y Kachiro, violinistas, y Narciso pianista. Tanto en el primer número de Vivaldi en el cual demostraron gran maestría, como en ‚Ruralia Hungárica‘ ejecutada por Kachiro obtuvieron repetidos aplausos […] el momento culminante del concierto fue la ‚Sinfonía Española‘ de Lalo, tocada por Pepito. A medida que avanzaban los minutos en la media hora que lleva su ejecución este virtuoso del violín multiplicaba sus dotes artísticas, que le valieron una prolongada ovación.“25

23 Vgl. F.D.P., „Dessof Choirs Give Concert“, New York Herald Tribune, 10. April 1932, [o.S.], AFF (Foto AFF 334). 24 Vgl. Konzertprogramm, John-Wanamaker-Auditorium, New York, 27. April 1932, AFF (Foto AFF 651). 25 „Das Publikum gab während des Konzerts wiederholt Proben seines Wohlgefallens, als die Nummern des Programms von José und Kachiro, den Violinisten, und Narciso, dem Pianisten, gespielt wurden. Sowohl für die erste Komposition von Vivaldi, in der sie große Meisterschaft bewiesen, als auch für ‚Ruralia Hungárica‘, dargebracht von Kachiro, bekamen sie wiederholt Beifall […] der Höhepunkt des Konzerts war die ‚Symphonie Espagnole‘ von Lalo, gespielt von Pepito. Je weiter die Minuten in der halben Stunden fortschritten, die dieses Werk dauert, umso mehr vervielfachte dieser Violinvirtuose seine künstlerischen Fähigkeiten, welche ihm lang andauernde Ovationen bescherten“ (meine Übers.,

O.R.V.).

Nachgedruckte

Rezension

in:

Anon.,

„Los

artistas

puertorriqueños hermanos Figueroa“, La Democracia, 7. Mai 1932, S. 1; für

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4.3 Z WEITER AUFENTHALT

AUF

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P UERTO R ICO

Irgendwann zwischen Mitte Mai und Anfang Juni reisten José, Narciso und Jaime nach Puerto Rico zurück. Wie in vergangenen Jahren organisierte ihr Vater ein Symphonieorchester für ihr erstes Konzert, welches am 10. Juni 1932 im Teatro Municipal in San Juan stattfand. Unter anderem führte José Figueroa Sanabia das Konzert für zwei Violinen a-Moll von Vivaldi zusammen mit Jaime sowie – zum ersten Mal auf der Insel – die Symphonie Espagnole von Lalo auf.26 Erwähnenswert ist, dass dieser Aufenthalt der Brüder Figueroa Sanabia auf Puerto Rico zeitlich mit der Gründung von Pro Arte Musical de Puerto Rico, dem wichtigsten Musikverein auf der Insel seinerzeit, zusammenfiel. Pro Arte spielte eine führende Rolle bei der Förderung klassischer Musik. Über seinen Beitrag zum puerto-ricanischen Kunstmusikleben behauptet Héctor Campos Parsi: „Afectó notablemente a la música local, no sólo porque expuso al público a un arte profesional de talla internacional, sino que por medio de becas y donaciones promovió los estudios de artistas y compositores que más tarde serían glorias del país, y mantuvo una serie digna de conciertos regulares en donde podían figurar los mejores artistas locales.“27

einen anderen Konzertbericht siehe: W.B.C., „Spanish Trio Appears“, The New York Times, 29. April 1932, S. 12. 26 Vgl. Konzertprogramm, Teatro Municipal, San Juan, 10. Juni 1932, AFF (Foto img 066-067). In der Tat waren die meisten Werke, die in diesem Konzert zum Vortrag kamen – darunter das Konzert von Vivaldi, aber auch La Folia von Corelli, Vocalise von Ravel, Cortege von Lili Boulanger, Fantasie über polnische Volskweisen (Fantasía polonesa) von Chopin, das Bolero von Ravel u.a. – zum ersten Mal auf der Insel aufgeführt worden. Das ist ein klares Indiz dafür, welch große Bedeutung der Familie Figueroa Sanabia im Musikleben Puerto Ricos während dieser Zeit zukommt. Eine Rezension des Konzerts findet man in: Anon., „El triunfo de los hermanos Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado (?), [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3739). 27 „Er übte eine beträchtliche Wirkung auf die lokale Musik aus, nicht nur weil er das Publikum einer professionellen Kunst von internationalem Format aussetzte, sondern auch weil er mittels Stipendien und Spenden das Studium von Musikern und Komponisten förderte, die später der Stolz des Landes sein würden und

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Für das erste Konzert von Pro Arte, welches am 16. Juli 1932 im Salón de Actos de la Escuela Superior in Santurce stattfand, wurden José, Narciso und Jaime verpflichtet.28 Die Tatsache, dass die drei Brüder in der ersten Veranstaltung des Musikvereins spielten, veranschaulicht die Bedeutung der Familie Figueroa für das damalige puerto-ricanische Kunstmusikleben. Es folgte ein Konzert am 25. August im Teatro Bernardini in Guayama.29 Es wies dieselbe Gliederung auf wie jenes vom 10. Juni – und wahrscheinlich wie jenes vom 16. Juli für Pro Arte. Im ersten Teil wurde ein Konzert für zwei Violinen aufgeführt, diesmal das Doppelkonzert für zwei Violinen in d-Moll von Bach; der zweite und dritte Teil wurden jeweils von Jaime und Narciso bestritten und der letzte von José. Narciso begleitete seine Brüder am Klavier. José spielte hier wieder die Symphonie Espagnole von Lalo als auch die Fantasía sobre la Borinqueña seines Vaters.

unterhielt eine beachtliche Konzertreihe, in der die besten einheimischen Künstler auftreten konnten“ (meine Übers., O.R.V.). Héctor Campos Parsi, „La música en Puerto Rico“, in: Vicente Báez (Hg.), La Gran Enciclopedia de Puerto Rico, 3. Aufl., Bd. 7, San Sebastián (Spanien) 1981 (1976), S. 220. 28 Vgl. Werbung, „Pro Arte Musical de Puerto Rico“, La Democracia, 14. Juli 1932, S. 1; Campos Parsi, S. 219. Drei Tage vor dem Konzert wurde José Figueroa Sanabia zum Ehrenmitglied des Vereins ernannt (vgl. Urkunde, „Pro Arte Musical de Puerto Rico, José Figueroa, socio de honor“, 13. Juli 1932, AFF [Foto AFF 487]). 29 Vgl. Konzertprogramm, Teatro Bernardini, Guayama, 25. August 1932, AFF (Foto AFF 543-545).

5. Musikkarriere in Paris: 1932-1939

Nach zwei Jahren zwischen New York und Puerto Rico hin und her pendelnd entschied sich José Figueroa Sanabia – zusammen mit seinen Brüdern Narciso und Jaime – nach Paris zurückzukehren. Figueroa Sanabia äußert in einem Interview von 1985, dass ihn ein Treffen in New York mit Alfred Cortot1 motivierte, sich wieder nach Europa zu begeben. Aus finanziellen Gründen wollte er zunächst eigentlich in New York bleiben. Er teilt – mit einigen Ungenauigkeiten – das folgende mit: „[E]n la ocasión de que cuando [sic] murió mi profesor [d.i. Henri Ern, O.R.V.] pues estuve en Estados Unidos y vine para recoger el violín y ahí toqué y me quedé casi un año2, en Estados Unidos. Y toqué muchísimo y así podía mandar dinero a los muchachos en París, sabe, para que siguieran3 […] Cuando yo vine a Estados Unidos yo pensaba quedarme, sabe, porque había más dinero y más oportunidades pero entonces vino Corteau [sic] y dio un concierto y yo lo fui a ver, sabe, a oír, y me dice […] que mi casa [gemeint ist die École Normale de Musique, O.R.V.] siempre estaba allí para mí cuando yo volviese […] Y yo, sabe, eso me causó una…

1

Cortot hat zu jener Zeit ein Konzert in New York gegeben.

2

Tatsächlich hat er sich länger als ein Jahr dort aufgehalten.

3

Eigentlich waren keine Geschwister von José in Paris zu jener Zeit. Leonor war allerdings noch in Madrid und bald werden andere Geschwister von ihm, die sich noch auf Puerto Rico befinden, nämlich Guillermo, Rafael, Carmen (Carmelina) und Ángeles (Angelina) nach Paris ziehen (vgl. Ivonne Figueroa, „A Narrative Chronology of the Musical Life and Contributions of the FigueroaSanabia Family“, Diss., New York City University, New York 1991, S. 58). Leonor traf sich mit ihm bereits 1932 in Paris.

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mire, que esta gente se ocupan de mí, y yo les dije a papá y a mamá, ‚yo me vuelvo para París porque yo no puedo perder esta oportunidad.‘ Y fui… me volví y seguí mi carrera formidable…“4

Zu diesem Zeitpunkt war es José Figueroa Sanabia äußerst wichtig, so viel Geld wie möglich zu verdienen, nicht nur seinetwegen, sondern auch weil seine Schwester Leonor noch im Konservatorium von Madrid studierte. Obendrein befanden sich auf Puerto Rico noch vier Geschwister, nämlich Guillermo, Ángeles, Carmen und Rafael, die bald ihre formelle Musikausbildung in Europa anfangen sollten. Als Ältester und Erfolgreichster übernahm er die Verantwortung, seinen Eltern bei der Finanzierung der Studien all seiner Geschwister in Europa zu helfen5, was freilich während der großen Depression keine leichte Aufgabe war.

4

„Als mein Professor [d.i. Henri Ern, O.R.V.] gestorben ist, war ich in den USA und ich kam, um seine Violine zu holen und ich spielte dort und blieb fast ein Jahr in den USA. Und ich habe sehr viel gespielt und auf diese Weise konnte ich Geld an meine Geschwister in Paris schicken, wissen Sie, damit sie ihre Studien fortsetzen konnten […] Als ich in die USA kam, hatte ich vor, dort zu bleiben, da es mehr Geld und Arbeitsmöglichkeiten gab, aber dann kam Cortot, um ein Konzert zu geben und ich ging dorthin, wissen Sie, um ihn zu hören, und er sagte mir […] dass mein Haus [gemeint ist die École Normale de Musique, O.R.V.] immer für mich da sei, wenn ich zurückkommen sollte […] Und ich, wissen Sie, das hat mich so... also, dass diese Leute sich um mich kümmern und ich sagte Mama und Papa, ‚ich kehre nach Paris zurück, weil ich diese Chance nicht verpassen darf‘. Und ich ging... ich kehrte zurück und setzte meine großartige Karriere fort...“ (meine Übers., O.R.V.). Gustavo Batista, „Entrevista al señor José Carmelo Figueroa Sanabia“, Interview am 12. Februar 1985, S. 27-28, Online: http://www.gustavobatista.com/entrevistas/jose_carmelo_figueroa_ sanabria.pdf (15. April 2013).

5

In einem Interview 1934 äußert Figueroa Sanabia diesbezüglich: „Yo soy el mayor y sobre mí pesaba la responsabilidad más grande. Con la rebaja este año en la beca que disfrutó Kachiro por dos años, tuve que redoblar mis esfuerzos para que pudiera terminar. Si no hubiera sido así no termina“ (Ángela Negrón Muñoz, „Hablando con José y Kachiro Figueroa“, El Mundo, 22. Juli 1934, S. 1).

M USIKKARRIERE IN P ARIS: 1932-1939

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Vor der Reise nach Paris gaben die drei Brüder ein Abschiedskonzert am 14. September 1932 im Teatro Municipal in der Hauptstadt.6 Jesús Figueroa Iriarte organisierte wieder ein Orchester, mit dem zusammen die drei ein Konzert zur Aufführung brachten: Jaime spielte das Violinkonzert Nr. 5 in a-Moll op. 37 von Vieuxtemps, Narciso das Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur von Beethoven und José das Violinkonzert Nr. 4 in D-Dur von Mozart. Anfang Oktober sind sie dann in Paris angekommen. Da trafen sie sich mit ihrer Schwester Leonor, die – genauso wie Narciso und Jaime – ihre Musikausbildung in der École Normale de Musique fortsetzen sollte, nachdem sie ihr Studium im Konservatorium von Madrid abgeschlossen hatte. José nahm derweil seine Stelle als Geigenlehrer an der École wieder ein. Anfang des Semesters, am 8. Oktober 1932, gab er sein erstes Konzert im Konzertsaal der École.7 In diesem Konzert ist er de facto für Arthur Leblanc in dessen Concert des Licenciés eingesprungen, da Leblanc aus unbekannten Gründen nicht in der Lage war zu spielen. Am 4. Dezember 1932 spielte José zusammen mit Narciso und Jaime außerdem für die Fondation des États-Unis in Paris.8 Da führten sie u.a. das Doppelkonzert für zwei Violinen d-Moll von Bach sowie Morgengruß und Wohin von Franz Schubert auf. Außerdem trug Figueroa Sanabia Malagueña von Albéniz und Berceuse von Gabriel Fauré vor. Seine Mitwirkung in den Concerts Privés von Alfred Cortot hat er spätestens am 21. Dezember wieder aufgenommen.9 An jenem Tag war er erster Geiger bei der Aufführung des 1.

6

Vgl. Konzertprogramm, Teatro Municipal, San Juan, 14. September 1932, AFF (Foto AFF 632); Anon., „La despedida de los hermanos Figueroa“, El País, 14. September 1932, [o.S.], AFF (Foto AFF 633-635).

7

Vgl. Konzertprogramm, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, 8. Oktober 1932, AFF (Foto QAFF 253); Werbung, „Concerts du mois d'octobre“, Le Monde Musical, 30. September 1932, S. [291]; für Konzertberichte siehe: A.M., „1er concert des licenciés de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 31. Oktober 1932, S. 320; Anon., „À l'École Normale de Musique“, Le Courrier Musical et Théâtrale, 1. November 1932, S. 423.

8

Vgl. Konzertprogramm, Fondation des États-Unis, Paris, 4. Dezember 1932,

9

Vgl. Konzertprogramm, „Concerts Privés“, Salle de Concert de l'École Normale

AFF (Foto QAFF 122). de Musique, Paris, 21. Dezember 1932, AFF (Foto QAFF 065-070); für einen

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Brandenburgischen Konzerts von Bach. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat Figueroa Sanabia allerdings schon seit Oktober als Mitglied des Kammermusikorchesters von Cortot in den Concerts Privés mitgespielt. Hinsichtlich des Brandenburgischen Konzerts sollte man darüber hinaus erwähnen, dass Cortot ihn 1933 darum gebeten hat, als Konzertmeister in einer Aufnahme dieses Werks zu fungieren.10 Bisher ist aber nicht klar, ob diese Aufnahme tatsächlich verwirklicht wurde. Im nächsten Concert Privé am 16. Januar 1933 wirkte der puerto-ricanische Geiger bei der Aufführung des selten gespielten Oktetts für Streicher von Mendelssohn mit.11 Der Auftritt wird in Le Monde Musical als „une exécution magistrale“12 beschrieben. In diesem Jahr begann Figueroa Sanabia zudem als 2. Violinist beim Pierre-Reitlinger-Streichquartett mitzuspielen.13 Am 14. und am 28. März 1933 trat er mit diesem Ensemble in der Salle Majestic auf.14 Dany Brunschwig schrieb über dessen Auftritt am 14. März: „Exécutions soignées, musicales, d'une mise au point parfaite. Ce nouveau quatuor nous donnera encore de belles soirées.“15 Zwei Monate danach, am 29. Mai 1933, gab Figueroa Sanabia sein erstes Solo-

Konzertbericht siehe: Fr. Goldbeck, „Concerts Privés de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 31. Dezember 1932, S. 389. 10 Vgl. Anon., „Los triunfos de los hermanos Figueroa en París“, El Mundo, 25. Juli 1933, S. 5. 11 Vgl. Konzertprogramm, „Concerts Privés“, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, 16. Januar 1933, [unvollst.], AFF (Foto AFF 522). 12 A.M., „Concerts Privés de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 31. Januar 1933, S. 18. 13 Eventuell hat er bereits seit 1932 in diesem Ensemble mitgewirkt, vorausgesetzt, dass er seit dessen Gründung dort aktiv war. In einer Werbung heißt es: „Depuis 1932, le Quatuor Reitlinger s'est fait entendre dans tous les grands postes de T.S.F.“ (Werbung-Plakat [?], „Le Quatuor Pierre Reitlinger“, AFF [Foto QAFF 255-256]). 14 Vgl. Werbung, „ Quatuor Pierre Reitlinger“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 3. März 1933, S. 419; Werbung, „Quatuor Pierre Reitlinger“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 10. März 1933, S. 451; Werbung, „Quatuor Pierre Reitlinger“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 24. März 1933, S. 503. 15 Dany Brunschwig, „Le Quatuor Pierre Reitlinger“, Le Monde Musical, 31. März 1933, S. 92.

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konzert in Paris, seitdem er aus New York zurückgekehrt war.16 Es wurde von der Konzertagentur A. et M. Dandelot im Konzertsaal der École Normale de Musique veranstaltet. Zusammen mit der Pianistin Céliny ChailleyRichez – der Frau von Marcel Chailley – spielte er die Sonate d-Moll op. 108 für Klavier und Violine von Johannes Brahms. Unter der Begleitung von Narciso führte er u.a. das Violinkonzert a-Moll von Bach, die Symphonie Espagnole von Lalo und Cinq Pièces von Alexandre Tansman auf. A.D. von Le Monde Musical meint in Bezug auf seinen Auftritt: „Figueroa s'est affirmé, en son récent concert de l'École Normale de Musique, comme un des violonistes les plus complets du moment. Ayant acquis cette assurance que donne le contact fréquent avec le public, cet artiste sut mettre en pleine valeur ses qualités sonores, sa musicalité, son mécanisme parfait, dans le Concerto en la mineur de Bach, la Sonate en ré mineur de Brahms, la Symphonie espagnole de Lalo.“17

Nächsten Monat, am 23. Juni 1933, spielte der puerto-ricanische Geiger wieder mit dem Reitlinger-Streichquartett in der Funkstelle P.T.T.18 Einen Tag zuvor hatte er an einem Konzert mit rumänischer Musik mitgewirkt, das in der École Normale de Musique mit Unterstützung des Kaisers von Rumänien veranstaltet wurde.19 Unter anderen spielten auch Georges Enesco und Jacques Thibaud in diesem Konzert. Als Mitglied (und Leiter) des

16 Vgl. Werbung-Plakat, „Konzert José Figueroa Sanabias, Konzertsaal der École Normale de Musique“, 29. Mai 1933, AFF (Foto QAFF 119-121); Werbung, „José Figueroa“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 26. Mai 1933, S. 669. 17 A.D., „José Figueroa“, Le Monde Musical, 30. Juni 1933, S. 189; für einen anderen Konzertbericht siehe: Georges Mussy, „Concerts et Recitals“, Figaro, 6. Juni 1933, S. 4. 18 Vgl. Anon., „Paris P.T.T.“, [unbek. Zeitung], 13. Juni 1933, [o.S.], AFF (Foto AFF 410); laut einer anderen Quelle spielten sie dort auch am 18. Juni 1933 (vgl. Werbung, „Le Quatuor Reitlinger“, Radio Magazine, 18. Juni 1933, [o.S], AFF [Foto AFF 360]). 19 Vgl. Werbung, „Festival de Musique Roumaine“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 16. Juni 1933, S. 719; Werbung, „Concerts du Mois de Juin. Concert de Musique Roumaine“, Le Monde Musical, 31. Mai 1933, S. 174. Das Konzert war das 34. Concert Privé.

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Streichquartetts der École Normale de Musique (Figueroa, Spiller, Blanpain und Delfau) führte er das Streichquartett von Michel Jora urauf, dessen Aufführung als „impecable et détaillée“20 im Le Monde Musical bezeichnet wurde. Erwähnenswert ist zudem sein Mitwirken – als Mitglied des Orchesters – an einem der berühmten Privatkonzerte der Prinzessin von Polignac21 am 30. Juni 1930.22 Mit dem neuen Studienjahr an der École Normale de Musique im Oktober begann auch die neue Saison der Concerts Privés. Das erste war am 16. Oktober 1933.23 Hier spielte Figueroa Sanabia zusammen mit seinem Bruder Jaime – der seine Licence de Concert kurz zuvor erworben hatte – sowie Arthur Leblanc und Gold das Konzert für vier Violinen von Vivaldi, d.i. dasselbe Konzert, das er 1929 mit dem Orchestre Symphonique de Paris zum Vortrag gebracht hatte. Mit dem Reitlinger-Streichquartett trat er im nächsten Monat, nämlich am 14. November 1933, im Palais Mazarin auf. Dort führten sie das 7. Streichquartett von Alexandre Glazounow

20 Georges Dandelot, „Concert de Musique Roumaine“, Le Monde Musical, 30. Juni 1933, S. 200; für einen anderen Konzertbericht siehe: Ph.L., „La Musique de Chambre. Les Récitals et Concerts divers“, Le Courrier Musical, Théâtral, Cinématographique, 1. Juli 1933, S. 336. 21 Für Informationen über diese Privatkonzerte, die eine wichtige Rolle im damaligen Pariser Kunstmusikleben spielten, siehe: Jeanice Brooks, „Nadia Boulanger and the Salon of the Princesse of Polignac“, Journal of the American Musicological Society, 46/3, 1993, S. 415-468. 22 Vgl. Konzertprogramm, Chez la Princesse de Polignac, Paris, 30. Juni 1933, vorh. in der Bibliothèque Nationale de Paris, Mikrofilm RBS. VM. DOS. 195. Laut einem Artikel ist er auch am 17. Juni 1933 in diesem Salon aufgetreten (vgl., Anon., „Los triunfos de los hermanos Figueroa“, El Mundo, 25. Juli 1933, S. 5). 23 Vgl. Werbung, „Concert Privé École Normale“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 13. Oktober 1933, S. 46; Konzertprogramm, „Concert Privé“, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, 16. Oktober 1933, AFF (Foto AFF 260); für Konzertberichte siehe: A. Mangeot, „Concert Privé de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 31. Oktober 1933, S. 297; Maurice Imbert, „Concerts Privés de l'École Normale de Musique“, Le Courrier Musical, Théâtral, Cinématographique, 1. November 1933, S. 434-435.

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urauf.24 Am 9. Dezember spielte das Ensemble wieder dieses Werk in der Salle des Conservatoire de Paris.25 In den Konzerten von Eugène Dubruille (Concerts Dubruille), die im Konzertsaal der École Normale de Musique stattfanden, trat Figueroa Sanabia während dieser Zeit außerdem zweimal als Solist auf: Am 17. Dezember 193326 trug er das Prélude du Déluge von Saint-Saɺns und am 4. Februar 193427 das Violinkonzert D-Dur von Mozart sowie Improvisation von R. Ottanski vor. Letztere war eine Uraufführung. Zwei weitere Konzerte gab der puerto-ricanische Geiger – und zwar am 2. und am 16. März 1934 – mit dem Streichquartett in der Salle Chopin, bevor er im Sommer zu Besuch nach Puerto Rico reiste.28 Im ersten Konzert spielten sie zusammen mit Céliny Chailley-Richez das Quintett von César Franck, welche Dany Brunschwig als „le plus beau moment de la soirée“29 bezeichnete. Im zweiten Konzert trugen sie zusammen mit Marcelle Herrenschmidt das Quintett von Jean Huré vor. Irgendwann zwischen Ende Juni und Anfang Juli 1934 reiste José Figueroa Sanabia zusammen mit seinem Bruder Jaime nach Puerto Rico. Dort

24 Vgl. Konzertprogramm, Palais Mazarin, Paris, 14. November 1933, AFF (Foto QAFF 327); für einen Konzertbericht siehe: Anon., „A. Glazounow a l’Institut“, [unbek. Zeitschrift, n.d., o.S], AFF (Foto AFF 353). 25 Vgl. Werbung-Plakat [?], „Le Quatuor Pierre Reitlinger“, AFF (Foto QAFF 255-256). 26 Vgl. Werbung, „Concerts Dubruille“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 15. Dezember 1933, S. 291. 27 Vgl. Werbung, „Concert Dubruille“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 26. Januar 1934, S. 443; Konzertprogramm, „Concert Dubruille“, Salle de Concert de l·École Normale de Musique, Paris, 4. Februar 1934, AFF (Foto QAFF 257259). Es ist nicht klar, ob er oder sein Bruder Jaime im Konzert am 9. Februar 1934 an der École Normale de Musique – welches der Musik Manuel Ponces gewidmet war – gespielt hat. Die Quellen berichten nur, dass J. Figueroa dort spielen sollte (vgl. Werbung, „Oeuvres de Manuel Ponce“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 2. Februar 1934, S. 472). 28 Vgl. Werbung, „Quatuor Pierre Reitlinger“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 23. Februar 1934, S. 556; Werbung, „Quatuor Pierre Reitlinger“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 9. März 1934, S. 604. 29 Dany Brunschwig, „Quatuor Reitlinger et Mme Chilley-Richez“, Le Monde Musical, 30. April 1934, S. 124.

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hatte er schon ein Konzert an der Universität von Puerto Rico für Juli geplant.30 Neben dem Konzert an der UPR trat er nur noch einmal auf, und zwar am 26. August im Teatro Municipal in der Hauptstadt.31 Seine Schwester Carmen (Carmelina) begleitete ihn am Klavier. In diesem Konzert trug er die Sonate A-Dur von Antonio Vivaldi, die Partita d-Moll von Bach, das Violinkonzert D-Dur von W.A. Mozart32 sowie andere kleinere Kompositionen von Paganini, Saint-Saɺns u.a vor. Ende September reiste er nach Europa zurück, da er schon vor dem 1. Oktober in Paris sein wollte, um seine Studenten für das kommende Semester an der École auszuwählen. Laut einem Zeitungsartikel waren davor einige Konzerte in New York – wo das Schiff Halt machen musste – vorgesehen.33 Bisher aber fehlen die Quellen, die bestätigen könnten, ob und wann sie genau stattfanden.

5.1 H ENRYK -W IENIAWSKI -V IOLINWETTBEWERB 1935 war ein sehr wichtiges Jahr in der Musikkarriere José Figueroa Sanabias, denn in diesem Jahr nahmen er und sein Bruder Jaime – unter der Klavierbegleitung von Narciso – am berühmten Henryk-WieniawskiViolinwettbewerb teil. Der Wieniawski-Wettbewerb fand vom 3. bis zum 16. März 1935 in Warschau statt und wurde von der Warschauer Musikgesellschaft und der Hochschule für Musik Fr. Chopin zum 100. Geburtstag Henryk Wieniawskis veranstaltet.34 Unter den 160 Violinisten, die sich für den Wettbewerb bewarben, wurden am Ende 55 Geiger aus 16 verschiedenen Ländern ausgewählt.35 Darunter befanden sich José Figueroa Sanabia

30 Vgl. El Mundo (1934, Juli 22.), S. 5. 31 Vgl. Anon., „Pepito Figueroa ofrece el día 26 un recital de violín“, El Imparcial, 22. August 1934, [o.S.], AFF (Foto IMG 3664); 26. August 1934, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 097). 32 Welches der beiden Violinkozerten in D-Dur (nämlich Nr. 2 KV 211 oder Nr. 4 KV 218) zum Vortrag kam, wird im Konzertprogramm nicht spezifiziert. 33 Vgl. El Mundo (1934, Juli 22.), S. 11. 34 Vgl. Norbert Karaskiewicz, Les Concours Internationaux Henryk Wieniawski: 1935, 1952, 1957, 1962, Poznan 1962, S. 16. 35 Die Literatur über diesen Geigenwettbewerb liefert keine eindeutige Information darüber, nach welchen Kriterien die Auswahl der 55 Violinisten erfolgte. Nor-

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und sein Bruder Jaime.36 Sie beide waren die einzigen Teilnehmer aus der sogenannten Neuen Welt.37 Der Wieniawski-Geigenwettbewerb war zweifellos einer der bedeutendsten des 20. Jahrhunderts für dieses Instrument, da eine große Zahl berühmter Geiger aus ihm hervorgegangen sind. Erwähnt seien nur die bekannte, früh verschiedene, Ginette Neveu, der weltberühmte Virtuose David Oistrach oder das ebenfalls jung verstorbene Wunderkind Josef Hassid, um einen Eindruck von der Qualität der dort wetteifernden Violinisten zu bekommen. Die beiden erstgenannten gewannen jeweils den ersten und zweiten Preis. Ginette Neveu war damals erst 15 Jahre alt. Insgesamt wurden neun mit Geld dotierte Preise verliehen. Außerdem gab es 15 Ehrendiplome. Alle Preise und Ehrendiplome wurden entsprechend der Summe der Punkte verliehen, die jeder Violinist im Wettbewerb erreicht hatte.38 José Figueroa Sanabia erhielt das vierte und sein

bert Karaskiewicz schrieb diesbezüglich nur: „Parmi les 160 demandes d’inscription, provenant de 23 pays, le président du jury et la Commission exécutive du Comité d’organisation ont qualifié, sur la base des documents présentés, 90 concurrents de 19 pays. Finalement 55 concurrents de 16 pays prirent part aux compétitions du concours“ (S. 16). 36 Eine fehlerhafte Schreibung des Namens Jaime Figueroa Sanabias findet sich sowohl im Programm sowie in der Literatur über diesen Geigenwettbewerb. Er erscheint dort unter dem Namen Jaime Kachiro anstelle von Jaime Figueroa Sanabia (vgl. Wettbewerbsprogramm, „Concours International Henri Wieniawski“, École Supérieure de Musique Fr. Chopin, Warschau, 3.-16. März 1935, AFF [Foto QAFF 304]; Karaskiewicz, S. 118; Tadeusz Switala, Miedzynarodowe Konkursy im Henryka Wieniawskiego: 1935-1966, Pozna 1967, S. 38). 37 Aufgrund der Kolonialsituation wurden sie aber nicht als Puerto Ricaner sondern als US-Amerikaner bezeichnet, denn sie waren offiziell US-Amerikanische Staatsbürger – wie alle anderen Puerto Ricaner auch. 38 Der Wettbewerb wurde in zwei Runden ausgetragen. Die erste dauerte bis zum 13. März. José Figueroa Sanabia spielte am 11. März in der Runde am Nachmittag (14:30) vor. In derselben Runde spielten auch Alessandro Bottero aus Italien, Ruta Krongold und Ida Haendel, beide aus Polen. Für die zweite Runde wurden die 18 besten Violinisten ausgewählt. Sie fand am 15. und 16. März statt. José Figueroa Sanabia hat am 16. – am selben Tag wie Ginette Neveu und Boris Goldstein – gespielt (vgl. Switala, S. 28-29).

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Bruder das siebte Ehrendiplom.39 Genauso wie in Frankreich der Sieg Ginette Neveus bejubelt wurde40, feierte man auf Puerto Rico den Erfolg José und Jaime Figueroa Sanabias in diesem Wettbewerb.41 Im Zusammenhang mit dem Henryk-Wieniawski-Violinwettbewerb gibt es eine bemerkenswerte Anekdote zu erzählen42: 1935 informierte Jacques Thibaud José und Jaime über den Wettbewerb und motivierte sie, daran teilzunehmen. Die Brüder verfügten jedoch nicht über genügend Geldmittel, um die Kosten der Reise und des Aufenthalts in Polen zu tragen. Ein Freund von José, der polnische Violinist Samuel Gold, mit dem er im Kammerorchester von Cortot zusammenspielte, bot ihm an, ihm die erforderliche Geldsumme zu leihen.43 Damit hätte aber nur José reisen können, Jaime und Narciso jedoch nicht. In der Zwischenzeit hatte Narciso einen Brief an José A. Balseiro – einem zu damaliger Zeit berühmten und einflussreichen puerto-ricanischen Schriftsteller und Bewunderer der Brüder Figueroas – geschrieben und ihm über ihr Problem berichtet. Balseiro machte, mithilfe von Senator Teodoro Aguilar und anderen einflussreichen Puerto Ricanern, den Senat und den damaligen Gouverneur von Puerto Ri-

39 Vgl. Karaskiewicz, S. 118. 40 Vgl. Anon., „Le concours Henri Wieniawski“, Le Monde Musical, 31. März 1935, S. 87; Anon., „Au concours de Violon de Varsovie Ginette Neveu élève de Jules Boucherit remporte le prix“, Le Courrier Musical, Théâtral, Cinématographique, 1.-15. April 1935, S. 130; Gabriel Bouillon, „Pologne. Joute violonistique“, La Revue Musicale, 16/155, April 1935, S. 312-313. 41 Vgl. Anon., „Homenaje de Brújula a José y Jaime Figueroa con motivo de su triunfo en el Concurso Internacional de Violinistas celebrado en Varsovia“, Brújula, 1/3 und 4, August 1935, S. 93-95. 42 Folgende Quellen wurden benutzt, um dieses Ereignis zu rekonstruieren: Ángela Negrón Muñoz, „Kachiro Figueroa revela interesantísimos detalles del Certamen de Polonia“, El Mundo, 21. Juli 1935, S. 6-7; Coloma Pardo de Casablanca, „Un gran artista puertorriqueño: José Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado, 30. Juni 1945, S. 25; Eliseo Combas Guerra, „En torno a la Fortaleza“, El Mundo, 6. September 1958, S. 6; Mayra Montero, Vana Ilusión. Las memorias noveladas de Narciso Figueroa, San Juan 2003, S. 109-111. 43 Dieses Detail findet man nur im Roman von Mayra Montero. Da aber Jaime im Interview 1935 berichtet, dass José vor ihm und Narciso bereits in Polen war, scheint mir sein Wahrheitsgehalt gegeben (vgl. El Mundo [1935, Juli 21.], S. 6).

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co, den berühmt-berüchtigten General Blanton Winship, auf die Situation aufmerksam. Weil die Regierung wollte, dass die Brüder Figueroa Puerto Rico im Wettbewerb vertreten, genehmigte das Parlament ein Projekt, aufgrund dessen die Brüder Figueroa $2.000 für die Finanzierung der Reise nach Warschau erhielten. Dieses Ereignis veranschaulicht sehr gut, welch großes nationales Ansehen José und seine Geschwister bei ihren Landsleuten besaßen. Das war nicht das letzte Mal, dass die Puerto Ricaner José und seine Geschwister unterstützten. 10 Jahre später wurde sogar die gesamte puerto-ricanische Gesellschaft mobilisiert, um José Figueroa Sanabia eine Stradivari-Violine zum Geschenk zu machen. Darauf werde ich später noch eingehen.

5.2 WIEDER IN P ARIS Nach dem Violinwettbewerb kehrte José Figueroa Sanabia nach Paris zurück44, wo er am 6. Mai 1935 in einem der Concerts Privés als Solist im Concerto Grosso a-Moll von Händel agierte.45 Außerdem wirkte er in demselben Konzert bei der Aufführung der Bonne Chanson46 von Gabriel Fauré mit. Am 28. Mai gab er ein weiteres Solokonzert im Konzertsaal der École Normale de Musique.47 Während der Semesterferien reiste der puertoricanische Geiger in seine Heimat. Dort trat er am 12. September 1935 vor

44 Davor besuchten er, Jaime und Narciso Frankfurt, Leipzig und Berlin. Sie scheinen aber kein Konzert in Deutschland gegeben zu haben (vgl. Puerto Rico Ilustrado [1945, Juni 30.], S. 26). 45 Andere Solisten waren Rosenblitt und Janigro. Für Konzertberichte siehe: Anon., [o.T.], Le Courrier Musical, Théâtrale, Cinématographique, 1.-15. Juni 1935, S. 181; F.G., „Concert Privé d'Alfred Cortot“, La Revue Musicale, 16/158-159, Juni-August 1935, S. 128-130; Fred Goldbeck, „Concerts Privés de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 31. Mai 1935, S. 196. 46 Laut La Semaine Musicale sollte dieses Werk am 18. Januar aufgeführt werden (vgl. Werbung, „Concert Privé Cortot“, La Semaine Musicale et Théâtrale, 11. Januar 1935, S. 304), aber anderen Quellen zufolge wurde dieses Konzert storniert. 47 Vgl. Werbung, „Concerts du mois de Mai“, Le Monde Musical, 30. April 1935, 146.

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den Mitgliedern von Pro Arte Musical auf.48 Als nächstes erfährt man, dass Figueroa Sanabia am 18. Dezember 1935 wieder mit dem Reitlinger-Streichquartett in der Salle Chopin spielte. In Bezug auf diesen Auftritt äußert G.D. folgendes: „Les sonorités, les nuances, sont parfaitement dosées et étudiées, l'interprétation d'une musicalité parfaite. Peut-être, dans l'ensemble, voudrait-on un peu plus de chaleur, surtout dans les basses. Mais, par contre, tout ce qui est finesse, délicatesse réussit à merveille.“49

5.2.1 Tod von Marcel Chailley und Lehrstuhl an der École Normale de Musique Das Jahr 1936 war äußerst bedeutsam im Leben José Figueroa Sanabias. Wie ich bereits erläutert habe, erhielt der puerto-ricanische Violinist in diesem Jahr den Lehrstuhl seines früheren Geigenlehrers Marcel Chailley an der École Normale de Musique. Chailley litt sein Leben lang an chronischem Asthma, das während der letzten Jahre seines Lebens zusehends schlimmer wurde.50 Etliche Male, nämlich in den Jahren 1929, 1933 und zuletzt 1936, musste Figueroa Sanabia Chailleys Studenten51 für eine Weile übernehmen, bis der sich wieder erholt hatte. Das letzte Mal (1936) trat keine Besserung mehr ein und er starb am 10. Juni 1936.52 Kurz vor seinem Tod äußerte Chailley gegenüber Cortot einen letzten Wunsch, dass nämlich nach seinem Tod José Figueroa Sanabia seinen Lehrstuhl erhalten solle. Cortot war einverstanden und so hatte Figueroa Sanabia ab Oktober 1936 –

48 Vgl. Rafael Montañez, „El concierto de Pepito Figueroa en ‚Pro Arte‘“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3676-3677). 49 G.D., „Quatuor Pierre Reitlinger“, Le Monde Musical, 31. Dezember 1935, S. 383. 50 Vgl. Jacques Chailley, Un Maître du Violon Francais: Marcel Chailley, vorh. in der Staatsbibliothek zu Berlin, [o.O.] 1973, S. 24. 51 Erwähnenswert ist, dass sich unter Chailleys Studenten Figueroa Sanabias Bruder Guillermo befand. José hat ihn auf seine letzten Prüfungen zur Erlangung der Licence de Concert vorbereitet. 52 Vgl. Anon., „Nécrologie. Marcel Chailley“, Le Monde Musical, 30. Juni 1936, S. 197.

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also mit Beginn des neuen Semesters – einen der wichtigsten Posten im Bereich Violine an der École Normale de Musique inne. Die neue Nachricht wurde von den puerto-ricanischen Medien mit Freude berichtet.53 Was seine Karriere als Konzertgeiger betrifft, war Figueroa Sanabia auch in diesem Jahr äußerst aktiv. Im Februar trat er dreimal an der École Normale de Musique auf. Das erste Mal spielte er mit dem von ihm geleiteten Streichquartett der École Normale de Musique (Figueroa, Blanpain, Levkovitz, Landshoff) im „Festival Roussel“. F.G. schreibt in La Revue Musicale über deren Aufführung des Streichquartetts von Roussel, dass sie es „jouent dans un style excellent et avec une jeune rudesse que ne messied point“.54 Das zweite Konzert, welches ausschließlich der deutschen Kammermusik gewidmet war, fand statt am 26. Februar 1936.55 Hier spielte der Geiger aus Puerto Rico zusammen mit dem Pianisten I. Kahn und dem Violoncellisten W. Landshoff. Über ihren Auftritt schrieb A.M. in Le Monde Musicale: „Beau programme de musique allemande romantique […] Interprétation, bien mise, au point et très vivantes par le très excellent pianiste I. Kahn, le violoniste toujours sur la brèche et au poste de combat, José Figueroa, et le violoncelliste W. Landshoff, toujours fort épris de musique et pour qui le nombre de répétitions ne compte pas.“56

Im dritten Konzert am 28. Februar trat Figueroa Sanabia zusammen mit seinem Bruder Narciso auf.57 Zu diesem Anlass spielten die Brüder sowohl als Solisten als auch als Duett. Zusammen spielten sie die Kreutzersonate von Beethoven und die Sonatine vom jungen französischen Komponisten Jean Francaix. Letztere war eine Uraufführung. José Figueroa Sanabia trug zudem als Solist die Sonate g-Moll von Bach sowie die Introduction et

53 Vgl. Rafael Montañez, „Pepito Figueroa asumirá una cátedra en Escuela Normal de Música de París“, Puerto Rico Ilustrado, 3. Oktober 1936, S. 6-7, 74-75 und 79. 54 F.G., „Festival Roussel“, La Revue Musicale, 17/163, Februar 1936, S. 131-132. 55 Vgl. Werbung, „Concerts du mois de Février“, Le Monde Musical, 31. Januar 1936, S. 30. 56 A.M., „Concerts de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 31. März 1936, S. 86. 57 Vgl. Werbung, Le Monde Musical, 31. Januar 1936, S. 30.

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Rondo Capriccioso von Camille Saint-Saɺns vor. Narciso seinerseits spielte u.a. Evocación von Albéniz und Danza Ritual del Fuego von Manuel de Falla. Stephane Berr de Turique urteilte über das Konzert: „Le concert que les frères Figueroa, violoniste et pianiste, donnèrent, se distinguait d’abord par le choix du programme […] le programme des Figueroa comportait un dosage éclectique de genre classique, moderne, pittoresque et aimable qui ne cessait jamais d’être de la musique. La Sonate à Kreutzer fut brillante, plus que profonde, mais témoigna de cet ensemble uni qui ne s’obtient que par une étroite collaboration. Nous avons goûté la sobriété de style de M. José Figueroa dans la Partita de Bach, et le beau tempérament musical de son frère Narciso dans les pièces pour piano d’Albéniz et de Falla […] Les frères Figueroa sont des artistes en pleine possession de leurs moyens et leur sincérité musicale provoque à coup sur la sympathie du public.“58

Einige Tage darauf, nämlich am 4. März 1936, fand ein weiteres „Festival de Musique Roumaine“ an der École Normale de Musique statt. Diesmal war es der Musik Georges Enescos und Dinu Lipattis gewidmet. Beide Komponisten nahmen am Konzert – in dem mehrere ihrer Werke uraufgeführt wurden – teil. Figueroa Sanabia spielte mit dem Streichquartett der École Normale de Musique59 ein Streichquartett von Ionel Perléa, deren Aufführung als „très vivante et très sensible“60 bezeichnet wurde. Ein ande-

58 Stéphane Berr de Turique, „Concert des frères Figueroa“, Le Monde Musical, 31. März 1936, S. 88. 59 Derzeit liegen nicht so viele Informationen über die Auftritte dieses Ensembles vor. In einem Interview von 1936 machte José Figueroa Sanabia nur eine kleine Anmerkung diesbezüglich: „Haré mención especial del placer que tuve de interpretar con el cuarteto que dirijo (Cuarteto de L’École Normale) las obras de Roussel, Roger Ducassa (sucesor de Paul Dukas en su cátedra del Conservatorio), Perlea (en un festival de música rumana en que tomó parte además, Enesco), Milhaud, y otros compositores contemporáneos a los cuales se les hizo honor en los conciertos que dirige Cortot. Naturalemente que no sólo interpretamos obras modernas, sino que las obras clásicas ocupan siempre lugar preferente en los programas (Puerto Rico Ilustrado [1936, Oktober 3.], S. 75). 60 A. Mangeot, „Festival de Musique Roumaine“, Le Monde Musical, 30. April 1936, S. 115.

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res Konzert mit Narciso gab er ein paar Monate später, am 2. Mai 1936, in der Fondation des États-Unis der Universität von Paris. Zusammen mit seinem Bruder Guillermo sowie mit Blanpain, Gold und Landshoff trat er außerdem am 29. Mai an der École auf.61 Über diesen Auftritt wird geäußert: „José Figueroa avait prouvé au début de la soirée quel beau chef de quatuor il est dans l’interprétation de celui [Quintette, O.R.V.] de Roger Ducasse, œuvre riche de musique, mais très vétilleuse et que exige des virtuoses doubles de fins musiciens.“62

Im Sommer 1936 reiste José Figueroa Sanabia wieder nach Puerto Rico. Mindestens drei Konzerte – unter der Begleitung Leonors und Ángeles’ – gab er während dieses Aufenthalts auf der Insel, zwei für Pro Arte Musical und eines in der Universität von Puerto Rico. Das erste Konzert für Pro Arte fand am 11. September 1936 in der Blanche Kellog Institute in Santurce statt.63 Dort spielte der puerto-ricanische Geiger u.a. die Partita E-Dur von Bach, die Sonate A-Dur für Violine und Klavier von Fauré sowie die kurz zuvor erst von ihm in Paris uraufgeführte Sonatine von Jean Francaix. Das zweite Konzert für Pro Arte erfolgte am 21. September, auch im Kellog Institute. Einen Tag später war schließlich das Konzert in der Universität von Puerto Rico.64 Neben der Sonatine von Jean Francaix trug er in diesem Konzert die Kreutzersonate vor. Ángeles führte ihrerseits das Konzert g-Moll von Max Bruch und Leonor kleinere Kompositionen wie die Hymne an die Sonne von Nicolai Rimsky-Korsakow auf. Ende September reiste der puerto-ricanische Geiger im Schiff Normandie – wo er an einem Bene-

61 Vgl. Werbung, „Concerts du mois de Mai“, Le Monde Musical, 30. April 1936, S. 134. 62 A.M., „Concert de l'École Normale de Musique“, Le Monde Musical, 30. Juni 1936, S. 181. 63 Vgl. Werbung, „Pepito Figueroa en Pro Arte“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3628); Anon, „Concierto de Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung], 11. September 1936, [o.S.], AFF (Foto IMG 3633-3634). 64 Vgl. Konzertprogramm, Salón de actos de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), 22. September 1936, AFF (Foto QAFF 235-238).

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fizkonzert am 3. Oktober 1936 teilnahm65 – nach Paris zurück66, um seine neue Stelle anzutreten. Im folgenden Jahr trat der puerto-ricanische Geiger am 21. April zusammen mit der Pianistin Huguette Goullon an der École Normale de Musique auf.67 Einen Monat später, am 12. Mai 1937, spielte er auch in einem Kammermusikorchester unter der Leitung von Georges Enesco in der Salle du Péreire Palace.68 Von größerer Bedeutung war aber sein Auftritt am 31. Mai 1937 an der École Normale de Musique mit dem kurz zuvor gebildeten Figueroa-Quartett.69 Dies könnte eventuell der erste Auftritt des Quartetts gewesen sein. Dieses Ensemble, welches ab 1939 mit der Aufnahme von Narciso seine endgültige Form als das Figueroa-Quintett erhielt, war sehr wichtig für die Musikkarriere José Figueroa Sanabias sowie die seiner Brüder. Es hatte eine lange und erfolgreiche Geschichte, währenddessen sie mehrere Konzertreisen durch Lateinamerika und die USA unternahmen. 1968 erklärte die puerto-ricanische Regierung das Figueroa-Quintett zum offiziellen Ensemble Puerto Ricos und begann es finanziell zu unterstützen, damit sie Konzerte auf der Insel sowie im Ausland veranstalten konnten.

65 Vgl. Konzertprogramm, Theater des Schiffs Normandie, 3. Oktober 1936, AFF (Foto AFF 256-259). 66 An der École Normale de Musique spielten José, Guillermo, Emile Blanpain (Bratsche), Jean Reculard und Noordhof (jeweils 1. und 2. Violoncello) zu jener Zeit, nämlich am 7. Dezember 1936, ein Streichquintett von Franz Schubert sowie ein Sextett von Johannes Brahms. Für eine Rezension des Konzerts siehe: Bernard Schulé, „Association de l'École Normale“, Le Monde Musical, 31. Dezember 1936, S. 334. 67 Vgl. Werbung, „Concerts du mois d'avril“, Le Monde Musical, 31. März 1937, S. 92; für einen Konzertbericht siehe: Stéphane Berr de Turique, „Huguette Goullon et Figueroa“, Le Monde Musical, 30. April 1937, S. 106. Das Konzert wurde tatsächlich von der Pianistin bestritten, aber Figueroa Sanabia spielte einige Werke gemeinsam mit ihr. 68 Vgl. Konzertprogramm, Salle du Péreire Palace, Paris, 12. Mai 1937, AFF (Foto AFF 655). 69 Vgl. Werbung, „Concerts du mois de Mai“, Le Monde Musical, 30. April 1937, S. 120. In Le Monde Musical wird tatsächlich ein Konzert des QuatuorSigueroas angekündigt. Das scheint aber, andere Quellen zugrunde legend, ein Schreibfehler zu sein, selbst wenn Sigueroa tatsächlich auch ein Nachname ist.

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Bisher liegt keine musikwissenschaftliche Forschung über dieses Ensemble vor. Außerdem enthalten die vorhandenen Informationen mehrere Ungenauigkeiten, zunächst hinsichtlich seines Entstehungsjahrs. Während beispielsweise Ivonne Figueroa das Jahr 1935 angibt70, berichtet Héctor Campos Parsi, dass das Ensemble erst 1942 entstanden sei.71 Beide beziehen sich dabei auf das Figueroa-Quintett, als ob das schon die ursprüngliche Formation des Ensembles gewesen wäre. In einem Interview der Zeitschrift Puerto Rico Ilustrado von Oktober 1936 heißt es aber: „Actual[mente] [se] especializa [Guillermo, O.R.V.] para ser el violis[ta] del Cuarteto Figueroa, institución que sueña crear el hermano mayor“.72 Daraus folgt, dass Ende 1936 das Figueroa-Quartett, welches José Figueroa Sanabia ursprünglich Cuarteto Figueroa de Puerto Rico nennen wollte73, noch nicht bestand. Zwar erst 1937, aber lange vor 1942, scheint das Quartett zum ersten Mal aufgetreten zu sein. Am 3. Juni 1937 trat José Figueroa Sanabia wieder an der École Normale de Musique auf.74 Dieses Konzert war dem armenischen Cellisten und Lehrer der École Diran Alexanian gewidmet, der bald in die USA emigrieren sollte. Zusammen mit Palenicek, Blanpain und Noordhof spielte der puerto-ricanische Geiger das Streichquartett g-Moll für Klavier, Violine, Bratsche und Cello von Gabriel Fauré. Des Weiteren trug er zusammen mit seinem Bruder Jaime, Blanpain und Jean Reculard das Streichquartett a-Moll von Robert Schumann und mit seinem Bruder Guillermo sowie Blanpain, Reculard und Noordhof das Quintett für Violine, Bratsche und Cello von Franz Schubert vor. Das war sein letztes Konzert in Europa, bevor er sich für den Sommer nach Puerto Rico begab.

70 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), S. 58. 71 Vgl. Héctor Campos Parsi, „La música en Puerto Rico“, in: Vicente Báez (Hg.), La Gran Enciclopedia de Puerto Rico, 3. Aufl., Bd. 7, San Sebastián (Spanien) 1981 (1976), S. 232. 72 „Zurzeit bereitet er [Guillermo, O.R.V.] sich vor, um der Bratschist des Figueroa-Quartetts zu werden, eines Ensembles, das der älteste Bruder gründen will“ (meine Übers., O.R.V.). Puerto Rico Ilustrado (1936, Oktober 3.), S. 74. 73 Vgl. ebd., S. 75. 74 Vgl. Konzertprogramm, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, 3. Juni 1937, AFF (Foto QAFF 008).

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Es ist nicht ganz klar, weshalb José Figueroa Sanabia in diesem (und im kommenden) Jahr viel länger als sonst auf Puerto Rico blieb. Wahrscheinlich hatte dies mit der Konzertreise durch Lateinamerika und den USA zu tun, die er für die Zeit zwischen Ende September und Oktober geplant hatte.75 Jedenfalls weiß man, dass er neben diesen Konzerten im Ausland mehrmals auf der Insel auftrat. Sein erstes Konzert auf Puerto Rico kam am 13. September 1937 zustande.76 Es wurde für die Mitglieder von Pro Arte Musical gegeben und fand im Salón de Actos de la Escuela Superior Central in Santurce statt. Seine Schwester Leonor begleitete ihn am Klavier. Neben anderen Stücken spielte der puerto-ricanische Violinist die Sonate Nr. 32 in B-Dur KV 454 für Violine und Klavier von Mozart, die Chaconne von Bach und die Habanera von Saint-Saɺns. Ein weiteres Konzert, gefördert von der Alliance Française und der französischen Musik gewidmet, folgte in derselben Schule am 22. September 1937.77 Zu diesem Anlass wurde er von Ángeles und Leonor begleitet. In San Germán trat er nach seiner Rückkehr von der Konzertreise am 20. Oktober im Patio Hotel Oasis78 und an der Universität von Puerto Rico am 9. November auf.79 Im

75 Vgl. Foto, „Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitschrift, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 603). Das Foto ist neben einem Artikel von 1937, deswegen gehe ich davon aus, dass es auch aus demselben Jahr stammt. Hier bezieht man sich auf die Konzertreise. Andere Quellen mit genaueren Informationen sind derzeit nicht vorhanden. 76 Vgl. Anon., „Pepito Figueroa en Pro Arte Musical“, El País, 11. September 1937, [o.S.], AFF (Foto AFF 605); Anon., „Concierto en Pro Arte“, El Mundo, 11. September 1937, S. 6; J.A.R., „Esta noche Pepito Figueroa en la Escuela Superior Central“, El Mundo, 13. September 1937, S. 7; Konzertprogramm, Salón de Actos de la Escuela Superior Central, Santurce (San Juan), 13. September 1937, AFF (Foto AFF 610). Ursprünglich war das Konzert für den 14. September 1937 vorgesehen (vgl. Persönliche Einladung, „Konzert José Figueroa Sanabias“, Pro Arte Musical de Puerto Rico, 14. September 1937, AFF [Foto AFF 609]). 77 Für einen Konzertbericht über diese zwei Konzerte siehe: J.M. Rodríguez Arresón, „El arte de Pepito Figueroa“, El Mundo, 26. Oktober 1937, S. 7. 78 Vgl. Konzertprogramm, Patio Hotel Oasis, San Germán, 20. Oktober 1937, AFF (Foto QAFF 135).

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letztgenannten Auftritt trug Figueroa Sanabia das Violinkonzert D-Dur von Peter Tschaikowski vor. Seltsamerweise hat er den vorliegenden Quellen zufolge diese hervorragende Komposition in keinem weiteren Konzert (zumindest bis 1952) wieder aufgeführt. In seinem letzten Konzert auf der Insel am 19. November 1937 in der Escuela Superior Central in Santurce spielte er hingegen das Violinkonzert von Mendelssohn, ein Werk, das er regelmäßig während seiner gesamten Laufbahn zur Aufführung brachte. Eine Woche später reiste er nach Paris zurück, um seine Lehrtätigkeit dort wieder aufzunehmen. Nachdem José Figueroa Sanabia am 20. März 1938 ein Konzert zusammen mit dem US-amerikanischen Pianisten Allan Willman für die „Students Atelier Reunions“ in Paris gegeben hatte, fand ein weiteres Solokonzert im Konzertsaal der École Normale de Musique am 26. April 1938 statt.80 Heinz Jolles begleitete ihm am Klavier. Unter anderem spielte der puerto-ricanische Violinist die Chaconne von Bach, die Sonate B-Dur für Klavier und Violine von Mozart und das Violinkonzert von Felix Mendelssohn. Das Konzert bekam sehr gute Rezensionen. Stephane Beer de Turique drückte es beispielsweise so aus: „Public nombreux et empressé pour fêter le violoniste au talent probe, correct et brillant qu’est José Figueroa. Dans son programme nourri et musical, nous avons particulièrement remarqué l’exécution de la Chacone [Herv. i.O.] de Bach, où la maîtrise était parfait, et où le style quoique réservé, ne cessait d’être musical […] et après le Concerto de Mendelssohn au final, lui aussi, particulièrement brillant, on entendit une série de morceaux dont l’adorable Sicilienne [Herv. i.O.] de G. Fauré, la Ronde des Lutins [Herv. i.O.] de Bazinni. Dans cette dernière, comme dans le final de Mendelssohn, M. Figueroa put faire applaudir son magnifique sautillé d’archet et le public qui n’avait cessé de marquer au jeune violoniste sa sympathie et son admiration lui réclama plusieurs bis, dont le Tango [Herv. i.O.] d’Albéniz.“81

79 Vgl. Konzertprogramm, Salón de Actos de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), 9. November 1937, AFF (Foto QAFF 110-111). 80 Vgl. Konzertprogramm, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, 26. April 1938, AFF (Foto img 069, IMG 3511). 81 Stéphane Berr de Turique, „José Figueroa“, Le Monde Musical, 30. April 1938, S. 101; für einen anderen Konzertbericht siehe: Pierre Leroi, „Musique“, Figaro (?), [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 387-388).

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An mindestens zwei weiteren Konzerten war der puerto-ricanische Geiger in Paris aktiv beteiligt, nämlich am 5. Mai 1938 in der Salle des Fêtes82, und irgendwann im Juli an der École Normale de Musique, bevor er wieder nach Puerto Rico reiste. Im letzteren spielte er zusammen mit seinen Brüdern Jaime und Guillermo, seinem ehemaligen Studenten Rosenblitt, sowie mit P. De la Motte, Blanpain, Reculard und Noordhof das Oktett von Georges Enesco.83 Dieses Werk wird er 1950 für die New Yorker Plattenfirma New Records aufnehmen.84 Im August 1938 reisten José und alle seine Geschwister – mit Ausnahme Guillermos – nach Puerto Rico.85 Dort trat das Figueroa-Quartett (José, Jaime, Narciso und Rafael) am 16. September 1938 vor den Mitgliedern von Pro Arte Musical in der Escuela Superior Central in Santurce auf.86 Narciso spielte stellvertretend mit, da, wie bereits angeführt, Guillermo in Europa geblieben war. Unter anderem trug das Ensemble das Violinkonzert Nr. 11 in d-Moll op. 3 von Vivaldi, das Streichquartett Es-Dur von Mozart und das Streichquartett c-Moll op. 1 von Felix Mendelssohn vor. In Bezug auf das Konzert von Vivaldi meint María del Pilar Santana Becerra: „La pureza y exactitud con que fue interpretada esta obra por el Cuarteto Figueroa, puso de relieve toda la belleza melódica y la religiosidad de la misma despertando desde el primer momento el interés y entusiasmo de la nutrida concurrencia, y mereciendo una cálida ovación.“87

82 Vgl. Konzertprogramm, „Cercle Symphonique“, Salle des Fêtes, 5. Mai 1938, AFF (Foto QAFF 039). 83 Vgl. André Chemoul-Bruyere, „Concert de l'École Normale. Beethoven, Debussy, Jean Françaix, Enesco“, Le Monde Musical, 49/6 und 7, Juli 1938, S. 166. 84 Siehe S. 154. 85 Vgl. Anon., „Se reúnen en Puerto Rico los hermanos Figueroa“, El Mundo, 2. September 1938, S. 8. 86 Vgl. Anon., „Los hermanos Figueroa en Pro Arte Musical“, El Mundo, 10. September 1938, S. 7, AFF (Foto AFF 232); Anon., „Próximos conciertos de Pro Arte. El primero será de los hermanos Figueroa“, El Mundo, 14. September 1938, S. 7; Anon., „Programa del Cuarteto Figueroa para esta noche“, La Correspondencia, 16. September 1938, S. 4. 87 „Die Reinheit und die Genauigkeit, mit denen dieses Werk von dem Figueroa-Quartett interpretiert wurde, hob deren ganze melodische Schönheit und Re-

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Eine Woche nach diesem Auftritt gaben alle Geschwister ein gemeinsames Konzert im Teatro Tapia (früher Teatro Municipal) in San Juan.88 Zu dieser Zeit hatten bereits alle Geschwister José Figueroa Sanabias ihr Diplom entweder als Konzertmusiker oder als Musikpädagoge von der École Normale de Musique erworben.89 Mit großer Wahrscheinlichkeit war dies der Grund, weshalb mehrere einflussreiche Puerto Ricaner der Hauptstadt die Anregung gaben, die „Campaña Pro Artistas Figueroa“ einzurichten, dessen Ziel es war, Geld über private Spenden zu sammeln, um der gesamten Familie Figueroa Sanabia eine Konzerttournee durch die USA zu ermöglichen.90 (Davor wurde vorgeschlagen, ihr ein neues Haus zu schenken.91) Obwohl sich diese Tournee nicht realisiert zu haben scheint, weist schon der Versuch ganz deutlich darauf hin, wie angesehen José Figueroa Sanabia und seine gesamte Familie bei den Puerto Ricanern damals waren. Nicht nur die Menschen in der Hauptstadt wollten die Familie Figueroa Sanabia ehren. Kurz bevor sie alle am 7. November 193892 in Aguadilla ein

ligiosität hervor, wobei vom ersten Augenblick an das Interesse und die Begeisterung der großen Menschenmenge geweckt wurde, was ihnen einen warmen Applaus bescherte“ (meine Übers., O.R.V.). María del Pilar Santana Becerra, „Comentarios al concierto del Cuarteto Figueroa“, El Mundo, 22. September 1938, S. 7. 88 Vgl. José A. Balseiro, „Los conciertos de la familia Figueroa“, El Mundo, 21. September 1938, S. 10. Einen Monat später, am 21. Oktober 1938, traten die Brüder Figueroa und ihre Schwester Leonor wieder in diesem Theater auf (vgl. Cronista, „Una difícil obra de Paganini“, El Mundo, 18. Oktober 1938, S. 7). 89 Vgl. Ivonne Figueroa (1991), S. 58. 90 Vgl. Agustín Vera Palma, „El reconocimiento de Puerto Rico a la familia Figueroa“, El Mundo, 29. September 1938, S. 8; Anon., „El homenaje a los Figueroa Sanabia“, El Mundo, 8. Oktober 1938, S. 10; R. Piñero Fernández, „El homenaje a los Figueroa Sanabia“, El Mundo, 12. Oktober 1938, S. 8; Jorge del Toro, „Winship presidente honorario del Comité de Campaña Pro Artistas Figueroa“, El Mundo, 20. Oktober 1938, [o.S.], AFF (Foto AFF 044). 91 Vgl. R. Piñero Fernández, „El homenaje del país a los Figueroa Sanabia se encauza hacia la obtención de recursos para presentarlos ante el público americano“, El Mundo, 4. Oktober 1938, S. 8. 92 Am Tag zuvor, also am 6. November 1938, trat das Figueroa-Quartett im Teatro Auditorium in Mayagüez (vgl. Cronista, „El Cuarteto Figueroa en Mayagüez“,

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Konzert gaben, erklärte die städtische Regierung mittels einer Resolution die ganze Familie Figueroa Sanabia zu ihren Ehrengästen.93 Aus Aguadilla stammten, man bedenke, die Eltern von José Figueroa Sanabia und sein Bruder Narciso wurde dort 1906 geboren. Drei Tage nach dem Auftritt in Aguadilla gab Figueroa Sanabia ein Solokonzert für die Mitglieder von Pro Arte Musical in der Escuela Superior Central.94 Seine Schwestern Carmen und Ángeles begleiteten ihn am Klavier. Das war sein letztes Konzert auf der Insel, bevor er am 12. November 1938 nach Paris zurückreiste. Neben anderen Werken trug der puerto-ricanische Violinist hier La Folia von Corelli, das Violinkonzert Nr. 4 in D-Dur KV 218 von Mozart, sowie die Kreutzersonate von Beethoven vor. Kleinere Werke wie die Danza Española von Granados-Kreisler sowie Capricho Vasco von Sarasate machten – wie üblich – den letzten Teil des Konzerts aus.95

El Mundo, 5. November 1938, S. 7) und danach am 8. November im Teatro Broadway in Ponce auf (vgl. Arturo Castro Jr., „Se llevará a cabo en Ponce un concierto de los hermanos Figueroa“, El Mundo, 3. November 1938, S. 6). 93 Vgl. Anon., „Aguadilla declara Huéspedes de Honor a la familia Figueroa Sanabia“, La Correspondencia, 4. November 1938, S. 2. 94 Vgl. Persönliche Einladung, „Konzert José Figueroa Sanabias“, Pro Arte Musical de Puerto Rico, 10. November 1938, AFF (Foto AFF 038); Anon., „Concierto de Pepito Figueroa el miércoles en Pro Arte“, El Mundo, 5. November 1938, [o.S.], AFF (Foto AFF 039); Anon., „Opiniones de la crítica sobre Pepito Figueroa“, La Democracia, 10. November 1938, [o.S.], AFF (Foto AFF 040); Anon., „Pro Arte Musical presenta a Pepito Figueroa“, La Correspondencia, 4. November 1938, [o.S.], AFF (Foto AFF 045); Anon., „Pepito Figueroa en Pro Arte Musical de Puerto Rico“, Puerto Rico Ilustrado, 12. November 1938, [o.S.], AFF (Foto AFF 051); Anon., „El concierto de esta noche“, El Mundo, 10. November 1938, S. 8; Anon., [o.T.], Alma Latina, 19. November 1938, [o.S.], AFF (AFF 054); Anon., „Algunos juicios críticos sobre Pepito Figueroa“, El Mundo, 9. November 1938, S. 8. 95 Vgl. Konzertprogramm, Salón de Actos de la Escuela Superior Central, Santurce (San Juan), 10. November 1938, AFF (Foto QAFF 60-64).

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5.3 Letztes Jahr in Europa und Heimkehr Das Jahr 1939 stellte eine bedeutende Wende im Leben José Figueroa Sanabias sowie all seiner Geschwister dar. Nach fast 12 Jahren in Europa – abgesehen von dem Aufenthalt in New York 1930-1932 – mussten er und seine Geschwister auf einmal den Kontinent verlassen, um dem drohenden Krieg zu entgehen. Ivonne Figueroa schreibt diesbezüglich: „When the Second World War broke out in 1939, the Figueroas were forced by their family to go back to Puerto Rico. Jesús and Carmen had thought the family would be in danger if they remained in France. All of them were to return at the same time96, and they were so many that they decided to put their luggage in a cargo boat instead of taking it with them. The cargo boat was sunk by a German ship97, and the Figueroas lost all their luggage, programs, newspaper articles, awards, and other important documents from their lives in Europe.“98

Bestimmt hätten die Dokumente, die bei diesem Angriff verloren gegangen sind, viele andere wichtige Aspekte des Lebens José Figueroa Sanabias – und seiner Geschwister – beleuchten können, die bisher unbekannt oder unklar sind, wie z.B. seine Auftritte in der Schweiz und Belgien. Bevor Figueroa Sanabia Paris verließ, gestaltete er sein Leben in der französischen Hauptstadt nicht anders als in den Jahren zuvor. Er setzte also seine Lehrtätigkeit an der École Normale de Musique fort und gab parallel dazu mehrere Konzerte. Das wichtigste war zweifelsohne sein Solokonzert am 17. April 1939 in der renommierten Salle Gaveau. Aus Anlass dieses Konzerts veröffentlichte Le Monde Musical in seiner Ausgabe vom 31. März 1939 eine kurze Biografie des puerto-ricanischen Violinisten und ließ

96 In Wirklichkeit scheinen sie in zwei Gruppen nach Puerto Rico gereist zu sein. Zumindest reiste José nur zusammen mit Guillermo, Ángeles und Rafael (vgl. Ángela Negrón Muñoz, „Los ocho hermanos Figueroa Sanabia reunidos hoy en Puerto Rico“, El Mundo, 13. August 1939, S. 7). 97 Für Information über die negativen Wirkungen der deutschen Seeblockade für Puerto Rico zu Beginn des 2. Weltkriegs siehe: María del Pilar Argüelles, Morality and Power: The U.S. Colonial Experience in Puerto Rico from 1898 to 1948, Lanham u.a. 1996, S. 110-111. 98 Ivonne Figueroa (1991), S. 60.

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sein Foto auf dem Cover erscheinen.99 Man kann davon ausgehen, dass sich Figueroa Sanabia als eine bedeutende Persönlichkeit im Pariser Musikleben etabliert hatte, ironischerweise nur einige Monate vor seiner Rückkehr nach Puerto Rico. Erwähnenswert ist diesbezüglich außerdem, dass in der puerto-ricanischen Presse von dieser Ausgabe des Le Monde Musical berichtet wurde, wobei sie (idealisierend) als eine Huldigung des puerto-ricanischen Violinisten dargestellt wurde.100 Im Konzert spielte der puerto-ricanische Geiger u.a. die Sonate Nr. 2 in c-Moll op. 30 von Beethoven, die Symphonie Espagnole von Lalo, Capricho Vasco von Sarasate und Moment Musical von Henri Ern, eine Komposition, die ihm der deutsche Geiger gewidmet hatte.101 Der Pianist Erich-Itor Kahn begleitete ihn am Klavier. Über das Konzert schreibt A.M.: „L’aine et le chef de file de cette famille de sept frères et sœurs, tous musiciens, compte parmi les meilleurs violonistes de la nouvelle génération. Par un travail assidu, il a acquis une maîtrise, qui lui a permis de dominer l’instrumente et de laisser s’épanouir ses dons de musicien, aussi bien dans la Sonate en ut mineur de Beethoven, que dans la Suite en mi majeur de Bach jouée dans un très beau style, avec un Prélude et une Gigue éblouissants de virtuosité. Dans la Symphonie Espagnole de Lalo, nous eussions aime un peu plus de caractère et d’accent rythmique dans le premier mouvement, mais l’andante fut joué à ravir et le final avec infiniment de brio […] Applaudissements enthousiastes, d’autant plus nourris que la plus vive sympathie pour l’homme soutenait l’admiration méritée par l’artiste.“102

Man weiß, dass José Figueroa Sanabia neben diesem Solokonzert mindestens einmal noch, am 22. Juni 1939, an der École Normale de Musique auftrat103, bevor er und seine Geschwister heimkehrten. Ende Juli sind sie wohl

99

Vgl. Anhang, Abb. 7 und Le Monde Musicale (1939, März 31.), S. 84.

100 Vgl. Anon., „Homenaje de ‚Le Monde Musical‘ a José Figueroa“, El Mundo, 1. Mai 1939, S. 5. 101 Vgl . Werbung-Plakat , „Recital José Figueroa in Maison Gaveau“ , 17 . April 1939, AFF (Foto QAFF 006). 102 A.M., „José Figueroa“, Le Monde Musical, 30. April 1939, S. 133. 103 Vgl. Werbung, „Concerts du mois de juin“, Le Monde Musical, 31. Mai 1939, S. 174.

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abgereist. Figueroa Sanabia wird mehr als 20 Jahre lang nicht nach Europa zurückkommen. Kurz vor dem 13. August 1939 ist José Figueroa Sanabia – zusammen mit Guillermo, Ángeles und Rafael – auf Puerto Rico angekommen. Diese Reise in die Heimat war anfangs für ihn kein definitiver Ortswechsel. Zur Frage, ob er bald nach Paris zurückkehren würde, äußerte er in einem Interview: „Sin duda que sí, usted sabe que tengo que regresar a mi cátedra en la Escuela Normal de Música. Pero antes pienso ir a Nueva York y quizás dé un concierto allí.“104 Sicherlich wurde ihm kurz darauf klar, als der Krieg fortschritt und eskalierte, dass er Paris nicht so bald wiedersehen würde. Wie jedes Mal, wenn Figueroa Sanabia sich auf der Insel befand, gab er dort einige Konzerte. Am 22. August 1939 trat er beispielsweise in der Escuela Superior Central auf.105 Zehn Tage später, also am 1. September, spielte er mit seinen Brüdern, als das Figueroa-Quintett, zum ersten Mal auf Puerto Rico im Casino de Puerto Rico.106 Auf der Insel blieb José Figueroa Sanabia dennoch nur einige Monate. Nachdem ihm klar geworden war, dass eine Rückkehr nach Europa zu jener Zeit ausgeschlossen war, entschied er Anfang 1940 – eventuell auch früher –, sich in New York niederzulassen. Damit begann eine neue Etappe im Leben des Violinisten, die erst 1956 mit der endgültigen Rückkehr in seine Heimat ihren Höhepunkt erreichte.

104 „Zweifelsohne, Sie wissen, dass ich zu meinem Lehrstuhl an der École Normale de Musique zurückkehren muss. Aber ich gedenke, vorher nach New York zu reisen und möglicherweise gebe ich dort ein Konzert“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1939, August 13.), S. 7. 105 Vgl. ebd., S. 7. 106 Vgl. Anon., Biografischer Aufsatz über das Figueroa-Quintett, [o.T., n.d., o.S.], vorh. in der Bibliothek Amaury Verays vom Conservatorio de Música de Puerto Rico.

6. Auswanderung nach New York: 1940-1952

Wann genau José Figueroa Sanabia nach New York zog, lässt sich derzeit nicht mit Sicherheit sagen. Man weiß jedoch, dass er bereits am 18. März 1940 in der Town Hall auftrat. Narciso begleitete ihn am Klavier. Im Großen und Ganzen war es ein erfolgreiches Konzert. Einige negative Kritiken bekam er jedoch, vor allem wegen seiner Aufführung der Sonate c-Moll von Beethoven. Seine Sonate von Bach wurde dagegen viel besser beurteilt. In The Times z.B. steht geschrieben: „His tone was too small to deal adequately with the Beethoven sonata, a work asking for far more fire, verve and dynamic contrasts than proved forthcoming. But its softer cantabile passages were performed with considerable lyricism. Better results accrued in the nicely phrased Bach sonata, which was purer and firmer in sound and technically more secure.“1

1

Anon., „José Figueroa Recital“, The Times, 19. März 1940, [o.S.], AFF (Foto AFF 292); für andere Konzertberichte siehe: J.D.B., „José Figueroa Presents Town Hall Recital“, New York Herald Tribune, 19. März 1940, [o.S.], AFF (Foto AFF 291); J.M. Rodríguez, „José y Narciso Figueroa“, El Mundo, 24. März 1940, [o.S.], AFF (Foto AFF 514); Anon., „Pepito Figueroa obtuvo un gran éxito en su recital de violín en Town Hall“, La Prensa, 20. März 1940, [o.S.], AFF (Foto AFF 517); Glen Stadler, „La crítica neoyorquina aclama a José y Narciso Figueroa“, El Mundo, 20. März 1940, [o.S.], AFF (Foto IMG 3669).

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Im Sommer reiste José Figueroa Sanabia wieder nach Puerto Rico, wo er am 30. August mit seinen Brüdern als Figueroa-Quintett im Instituto Blanche Kellog in Santurce auftrat.2 Das Konzert gehörte zu den sogenannten „Conciertos en la Intimidad“, einer Konzertreihe, die die Familie Figueroa mit dem Ziel organisiert hatte, Meisterwerke des Musikrepertoires dem puerto-ricanische Publikum, insbesonders aber Schülern der Escuela de Música Figueroa, bekannt zu machen.3 Das Quintett führte zu diesem Anlass das Streichquartett D-Dur KV 575 von Mozart, die Serenade D-Dur op. 8 von Beethoven und das Quintett f-Moll von César Franck auf. Ende des Jahres, am 3. Dezember 1940, spielte der puerto-ricanische Geiger erneut in der Town Hall.4 Unter anderem trug er die Violinsonate A-Dur von Vivaldi vor sowie die Violinsonate A-Dur von Fauré. Der Radiosender WCBX übertrug das Konzert. Über das Leben José Figueroa Sanabias während des Jahres 1941 liegen derzeit kaum Quellen vor. Wahrscheinlich pendelte er zwischen Puerto Rico und New York hin und her, wie schon im Jahr zuvor. Es sind Quellen dafür vorhanden, dass er 1941 einige Werke, nämlich Capricho Vasco und Jota Aragonesa von Pablo Sarasate, für die renommierte Plattenfirma RCA Victor einspielte.5 Dennoch scheint er mehr Zeit auf Puerto Rico verbracht zu haben, wo er als Geigenlehrer in der Escuela Figueroa tätig war.6 Wahrscheinlich bereitete er sich auf die lange Konzerttournee vor, die das Figueroa-Quintett 1942 unternehmen wollte. Diese Konzertreise wurde erstaunlicherweise größtenteils von der puerto-ricanischen Regierung bzw. kriegsrelevanten Abteilungen der US-amerikanischen Regierung gefördert. Das ers-

2

Vgl. Cronista, „‘Concierto en la Intimidad‘ de los hermanos Figueroa“, El Mundo, 27. August 1940, S. 6.

3

Vgl. Ángela Negrón Muñoz, „Labor de la Escuela de Música Figueroa Sanabia“, El Mundo, 2. Februar 1941, S. 16.

4

Vgl. Anon., „Recital de José Figueroa en el ‚Town Hall‘ de Nueva York“, El Mundo, 3. Dezember 1940, S. 7; für einen Konzertbericht siehe: Anon., [o.T.], New York Journal-American, 4. Dezember 1940, [o.S.], AFF (Foto AFF 520).

5

Vgl. Coloma Pardo de Casablanca, „Un gran artista puertorriqueño: José Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado, 30. Juni 1945, S. 77.

6

Vgl. El Mundo (1941, Februar 2.), S. 16.

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te Konzert fand statt am 30. Januar 1942 in der Town Hall.7 Das war das Debüt des Figueroa-Quintetts in diesem Konzertsaal.8 Hier spielten sie u.a. das Streichquartett Nr. 5 in D-Dur op. 64 von Haydn und das Quintett fMoll op. 34 von Brahms. Laut einer Rezension hatte das Ensemble einige Schwierigkeiten in den ersten beiden Sätzen des Quartetts von Haydn, aber im Allgemeinen war es ein gelungener Auftritt.9 Ein paar Monate später, nämlich am 16. März, traten sie in der New York Public Library auf.10 Das Comité Coordinador de Relaciones Comerciales y Culturales entre las Repúblicas de América, dem Consejo de Defensa Nacional angeschlossen, unterstützte das Konzert. Einer der Ziele dieses Komitees war die Förderung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den amerikanischen Staaten durch das Veranstalten verschiedener kultureller Aktivitäten.11 Das Konzert war der lateinamerikanischen Musik gewidmet. Werke wie das Quintett des brasilianischen Komponisten Enrique Oswald, das Trio sobre Temas brasileños von Lorenzo Fernández und das Quintett des kubanischen Komponisten Joaquín Nin Culmell wurden von den Brüdern Figueroa vorgetragen. Wenngleich er nicht zur Konzerttournee gehörte, ist der Auftritt am 19. März 1942 in der Assembly Hall des Manhattanville College of the Sacred Heart in New York dennoch erwähnenswert, in dem José, Guillermo und Rafael zusammen mit dem renommierten Pianisten Paul Wittgenstein – den

7

Vgl. Walter Winchell, „On Broadway“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 377); Foto, „Los Figueroa tocan esta noche en el ‚Town Hall‘“, El Mundo, 30. Januar 1942, S. 5; Foto, „El Famoso Quinteto Figueroa“, El Imparcial, 24. Januar 1942, S. 11.

8

Vgl. Ivonne Figueroa, „A Narrative Chronology of the Musical Life and Contributions of the Figueroa-Sanabia Family“, Diss., New York City University, New York 1991, S. 61. Die puerto-ricanische Regierung förderte dieses Konzert.

9

Vgl. Anon., „Hermanos Figueroa ovacionados en Nueva York“, El Mundo, 6. Februar 1942, S. 7; siehe auch: S. 176-177.

10 Vgl. Anon., „Obra de Quintón en concierto los Figueroa“, El Mundo, 8. März 1942, S. 20. 11 Vgl. G.H.D., „Hermanos Figueroa en Biblioteca de New York“, El Mundo, 26. März 1942, S. 6.

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sie in Paris kennengelernt hatten – spielten.12 Wittgenstein hatte dem Konzert der Brüder Figueroa im Januar in der Town Hall beigewohnt. Dort lud er sie ein, mit ihm in der Assembly Hall zusammen aufzutreten. Die Brüder führten mit dem österreichischen Pianisten das Trio für 2 Violinen und Klavier von Bach und ein Quintett für Klavier, Klarinette, Violine, Bratsche und Violoncello von Franz Schmidt auf. Eric Simon spielte die Klarinette in dieser letzten Komposition. Das nächste Konzert der Tournee war am 25. März 1942 im Theater Burgundy des Hotels Wardman Park in Washington D.C.13 Es wurde auch von der puerto-ricanischen Regierung gefördert. Über die Aufführung des Amerikanischen Quartetts von DvoĜák und der Jota Navarra von Sarasate stellt der Musikkritiker von El Imparcial fest: „Inmediatamente atacaron los Figueroa el Cuarteto Americano de DvoĜák, interpretándolo de manera tan brillante, que parecía una obra nueva, y el público, conquistado desde el primer momento por la maestría de los jóvenes artistas, rompió la establecida costumbre de no aplaudir entre movimientos, para tributar una ovación al Quinteto Figueroa […] Terminó el programa, es decir, el impreso, con la famosa Jota Navarra de Sarasate, que los hermanos Figueroa tocan como nadie, y esa fue la apoteosis de la noche. La gente parecía querer seguir el ritmo irresistible que le infunden los hermanos artistas a la chispeante danza española, y cuando terminó, el público les ovacionaba delirantemente, sin dar muestras de querer abandonar la sala.“14

12 Vgl. Konzertprogramm, Assembly Hall of the Manhattanville College of the Sacred Heart, New York, 19. März 1942, AFF (Foto IMG 3674); Anon., „Tres Figueroa en otro concierto en Nueva York“, El Mundo, 27. März 1942, S. 6. 13 Vgl. George H. Darlymple, „El Debut del Quinteto Figueroa en Washington“, El Mundo, 16. März 1942, S. 12; ders., „Altos funcionarios escuchan a los Figueroa“, El Mundo, 19. April 1942, S. 1. 14 „Unmittelbar spielten die Figueroas das Amerikanische-Quartett von DvoĜák, sie interpretierten es auf eine so brillante Weise, das es ein neues Stück schien, und das Publikum, vom ersten Moment an erobert von der Meisterschaft der jungen Künstler, brach mit der üblichen Regel, nicht zwischen den Sätzen zu klatschen, um dem Figueroa-Quintett seine Ovationen entgegenbringen zu können […] Das Programm endete, d.h. das gedruckte, mit der berühmten Jota Navarra von Sarasate, welche die Brüder Figueroa wie sonst niemand spielen, das

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Ein zweiter Auftritt des Figueroa-Quintetts in der Town Hall folgte am 6. April 1942.15 Bei dieser Gelegenheit teilten sie die Bühne mit der brasilianischen Pianistin Guiomar Novaes und der Sopranistin Elsie Houston. Das Comité de Ciudadanos para el Ejército y la Marina förderte die Veranstaltung: „Con este concierto benéfico en Nueva York inician los hermanos Figueroa una serie de audiciones que se celebrarán durante el tiempo que aún permanezcan ellos en los Estados Unidos, para recreo del personal de varios campamentos y contribuir al ‚Fondo de Auxilio‘ del Ejército y la Marina. El próximo de estos conciertos tendrá lugar en el ‚Fuerte Belvoir‘ en las cercanías de Washington, seguido por una audición por la radio desde esa misma ciudad, en un programa especialmente dedicado a los campamentos y conocido como ‚Volunteer Camp Shows‘.“16

Am 26. April kehrten José und seine Brüder nach Puerto Rico zurück17, um sich von dem US-amerikanischen Selective Service System klassifizieren zu lassen. Diese Dienststelle sollte sie darüber informieren, welche weiteren

war der Höhepunkt des Abends. Die Leute schienen dem unwiderstehlichen Rhythmus folgen zu wollen, den die Künstler-Brüder dem funkelnden spanischen Tanz einflößen, und als es zum Ende kam, beklatschte das Publikum sie stürmisch, ohne Anstalten zu machen, den Saal verlassen zu wollen“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Los Hermanos Figueroas triunfan en su debut en Washington“, El Imparcial, 4. April 1942, S. 16. 15 Vgl. Anon., „Otro triunfo de los hermanos Figueroa“, El Mundo, 11. April 1942, S. 8. 16 „Mit diesem Benefizkonzert in New York beginnt für die Brüder Figueroa eine Reihe von Auftritten, die während ihres Aufenthalts in den Vereinigten Staaten stattfinden werden und zur Zerstreuung des Personals einiger Lager und zur Unterstützung des Hilfsfonds von Heer und Marine beitragen sollen. Das nächste dieser Konzerte wird im ‚Fort Belvoir‘ stattfinden, in der Nähe von Washington, gefolgt von einem Vortrag im Radio aus derselben Stadt, ein Programm gewidmet insbesondere den Lagern und bekannt als ‚Volunteer Camp Shows‘“ (meine Übers., O.R.V.). G.H.D., „Hermanos Figueroa tocaban anoche en Nueva York“, El Mundo, 7. April 1942, S. 6. 17 Laut Ivonne Figueroa hat das Quintett davor auch in Philadelphia, Cleveland und Rochester gespielt (vgl. [1991], S. 61).

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kriegsrelevanten Aktivitäten sie in näherer Zukunft unternehmen sollten.18 Davor hat das Figueroa-Quintett in den USA mehr als 16 Konzerte gegeben, darunter für die Radiosender WPXR und WBYN.19 Zwei Konzerttourneen, eine durch Kuba und Mexiko und eine weitere durch Südamerika, waren vorgesehen. Sie mussten jedoch abgesagt werden, da sie noch nicht wussten, wie der Befehl des Selective Service System lauten würde.20 Die Dienststelle scheint zum Schluss gekommen zu sein, dass die Brüder Figueroa am besten durch weiteres Musizieren bei den Soldaten ihren Kriegsdienst leisten konnten, denn sie machten eine Konzerttournee, die sie zu allen Militärlagern auf Puerto Rico und den Jungferninseln führte.21 Das erste öffentliche Konzert des Figueroa-Quintetts auf Puerto Rico während dieser Zeit fand erst am 2. August 1942 statt. Es gehörte zu der Reihe von „Conciertos en la Intimidad“. Hier führten sie Werke von Haydn, Beethoven und DvoĜák auf. Ein weiteres öffentliches Konzert folgte am 11. Oktober in der Escuela Superior Central in Santurce.22 Dieses wurde von der Asociación de Mujeres Graduadas de la Universidad de Puerto Rico gefördert. Einen Monat zuvor, genau am 16. September 1942, hatte José Figueroa Sanabia sein einziges Solokonzert – für Pro Arte Musical – in diesem Jahr gegeben. Unter der Begleitung seiner Schwester Leonor führte er u.a. das Violinkonzert D-Dur von Brahms, die Sonate Il Trillo del Diavolo von Giuseppe Tartini sowie einen Slawischen Tanz von DvoĜák auf. Rafael Montañez meint über seine Interpretation des Violinkonzerts von Brahms:

18 Vgl. Anon., „Hermanos Figueroa regresaron antier Isla“, El Mundo, 28. April 1942, S. 6. 19 Vgl. ebd., S. 6; Anon., „Hermanos Figueroa por radio en N.Y.“, El Mundo, 2. April 1942, S. 7. 20 Vgl. El Mundo (1942, April 28.) S. 6. 21 Vgl. Anon., „El concierto de los hermanos Figueroa el domingo“, El Mundo, 1. August 1942, S. 6. Das Konzert am 18. Mai 1942 ist zu dieser Reihe zu zählen (vgl. Anon., „Los Figueroa ofrecerán concierto el lunes“, El Mundo, 16. Mai 1942, S. 4). 22 Vgl. Anon., „Concierto de los hermanos Figueroa en la Escuela Superior“, El Mundo, 10. Oktober 1942, S. 4.

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„Pepito [hizo] una exposición emocionante. La interpretación cálida y vibrante del primer Allegro; la expresión sosegada y plácida del Adagio, y la resolución entusiasmada y luminosa del último Allegro Giocoso, lograron la unidad monumental que concibiera Brahms para su obra consagradora.“23

Anfang nächsten Jahres war der puerto-ricanische Violinist immer noch auf Puerto Rico und trat weiter mit seinen Brüdern auf. Von großer Bedeutung war vor allem die Konzertreihe namens „Festival de Música de Cámara“, die das Figueroa-Quintett im Teatro de la Universidad de Puerto Rico anbot. In diesen Konzerten, die jeweils am 26., 27. April und am 1., 2., 8. und 9. Mai 1943 stattfanden24, spielten die Brüder einige der repräsentativsten Kammermusikkompositionen der Musikgeschichte des 17. bis 20. Jahrhunderts vor den Studenten der Universität. Unter den aufgeführten Werken waren das Concerto Grosso Nr. 8 in g-Moll op. 6 von Arcangelio Corelli, das Streichquartett Nr. 5 in F-Dur op. 3 von Haydn, das Streichquartett Nr. 2 in G-Dur op. 18 von Beethoven, das Klavierquintett Es-Dur op. 44 von Schumann sowie das Klavierquintett g-Moll op. 57. von Dmitri Schostakowitsch.

6.1 K ONZERTE

IN

M EXIKO

Erst im November 1943 verlässt José Figueroa Sanabia seine Heimat in Richtung Mexiko, wo er zwei Konzerte in der Hauptstadt aufführte. Der

23 „Pepito gelang eine bewegende Aufführung. Die warme und lebendige Interpretation des ersten Allegro; der ruhige und bedächtige Ausdruck des Adagio und die belebte und helle Auflösung des letzten Allegro Giocoso erreichten die gewaltige Einheit, die Brahms für sein Meisterwerk ersann“ (meine Übers., O.R.V.). Rafael Montañez, „El reciente concierto de Pepito Figueroa en Pro Arte“, El Mundo, 21. September 1942, S. 4; für einen anderen Konzertbericht siehe: Dwight W. Hiestand, „José Figueroa Concert Thrills Large Audience“, [unbek. Zeitung], 17. September 1942, [o.S.], AFF (Foto AFF 273-274). 24 Vgl. Werbung, „Festival de Música de Cámara“, El Imparcial, 24. April 1943, S. 1; Emilio de Torre, „Hablando con José Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado (?), 1945, S. 14, AFF (Foto IMG 3612). In der Dissertation von Ivonne Figueroa (S. 62) ist ein falsches Jahr (nämlich 1942) für die Konzertreihe angegeben.

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puerto-ricanische Violinist hatte dieses Land seit seiner Konzerttournee 1921-1922 mit Henri Ern nicht wieder besucht. Die Asociación Musical Daniel, also jene Konzertagentur, die die Tournee veranstaltet hatte, nachdem Figueroa Sanabia 1925 den Sarasate-Preis gewonnen hatte, organisierte die Konzerte. Das erste war am 15. November 1943 im Palacio de Bellas Artes.25 Am Klaiver begleitete ihn (in beiden Konzerten) Ángela Tercero de Andrade. Wenngleich das Publikum nicht sehr zahlreich zugegen war, so war der Auftritt musikalisch gesehen dennoch ein kompletter Erfolg. Der Musikkritiker der mexikanischen Zeitung El Universal (Gráfico?) schrieb z.B. folgendes: „[E]mpezando con la Sonata en Sol Menor (El Trino del Diablo), de Tartini, Figueroa fue sacando las excelencias de una escuela muy francesa y conquistando aplausos muy entusiastas, especialmente después del ‚Preludio‘ de la Partita en Mi Mayor de Bach, dicho con una claridad, precisión y delicadeza impecables, donde sólo la costumbre de guardar un silencio obligatorio, contuvo a las mayorías para una mayor interrupción.“26

25 Vgl. Víctor Reyes, „La música en México“, Novedades, 31. Oktober 1943, [o.S.], AFF (Foto AFF 029-030); Anon., „Concierto de famoso violinista en el Bellas Artes“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 264); Anon., „Coming Violin Concert“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 265); Werbung, „José Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 266). 26 „Beginnend mit der Sonate g-Moll (Il Trillo del Diavolo) von Tartini brachte Figueroa die Vorzüglichkeit einer sehr französischen Schule zum Vorschein und erhielt frenetischen Beifall, insbesondere nach dem ‚Präludium‘ der Partita in E-Dur von Bach, welches mit Klarheit, Präzision und tadelloser Finesse vorgetragen wurde und wo nur die Gewohnheit, die obligatorische Ruhe beizubehalten, die meisten von einer größeren Unterbrechung abhielt“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „El concierto de José Figueroa“, El Universal [Gráfico?], 22. November 1943, [o.S.], AFF (Foto AFF 027-028); für andere Konzertberichte siehe: Víctor Reyes, „Concierto de Figueroa“, Hoy, [n.d., o.S.], AFF (AFF Foto 305); G. Barqueiro Fóster, „El violinista portorriqueño José Figueroa“, Mañana, 4. Dezember 1943, S. 71, AFF (Foto AFF 368, 304, 306). Der Erfolg dieses Konzerts in Mexiko wurde spürbar in der puerto-ricanischen Presse kommentiert. In Anon., „Elojio a Pepito Figueroa en la prensa México“, El Mundo, 6. Dezember 1943, S. 8 wird die Rezension von El Universal [Gráfico?]

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Das zweite Konzert fand am 11. Dezember 1943 statt. Dort führte der puerto-ricanische Geiger u.a. die Sonate A-Dur von Vivaldi, die Symphonie Espagnole von Lalo sowie kleinere Werke wie Capricho Vasco von Sarasate auf.27 Zurzeit liegen leider keine Rezensionen über diesen Auftritt vor. Nach den Konzerten in Mexiko reiste Figueroa Sanabia in die USA. Im Juni sollte er in die mexikanische Hauptstadt zurückkommen und als Solist mit dem von Carlos Chávez geleiteten Orquesta Sinfónica Nacional de México auftreten.28 Derzeit ist jedoch nicht klar, ob dieses Konzert tatsächlich stattfand.

6.2 R ÜCKKEHR

IN DIE

USA

In den USA traf sich der puerto-ricanische Geiger mit seinem Bruder Narciso, mit dem er am 14. März 1944 im Congressional Room des Hotels Statler in Washington D.C. auftrat. Manuel de Freyre, der damalige peruanische Botschafter in den USA, förderte die Veranstaltung mit der Unterstützung anderer lateinamerikanischer Botschafter. Das Konzert erhielt sehr gute Kritiken. Elena De Sayn schrieb z.B.: „Admirable team-work was displayed by the two young artists in Vivaldi's ‚Sonata in A Major‘ and in the piece de resistance of the evening, Beethoven's ‚Sonata in A Major op. 47‘, dedicated to Kreutzer. In this a fine and resonant violin tone, an impeccable intonation and fleet technique of fingers and bow were matched by Nar-

wiedergegeben; in Anon., „Crítica elojia al violinista José Figueroa“, El Mundo, 12. Dezember 1943, S. 4 wird die Rezension von G. Barqueiro Fóster (Zeitschrift Mañana) und in Anon., „Triunfo de Pepito Figueroa en México“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 448) wird die Rezension von Víctor Reyes (Zeitschrift Hoy) nachgedruckt; siehe auch: Anon., „Triunfa en México Pepito Figueroa“, El Mundo, 19. November 1943, S. 6. 27 Vgl. Konzertprogramm, Palacio de Bellas Artes, Mexiko-Stadt, 11. Dezember 1943, AFF (Foto AFF 503-511). 28 Vgl. Anon., „Violinista puertorriqueño espera efectuar una gira artística por Sur América“, [unbek. Zeitung], 15. Februar 1944, [o.S.], AFF (Foto AFF 620).

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ciso's flexible wrists which coped admirably with the difficulties of the piano score with the poise of a veteran.“29

Kurz vor diesem Auftritt hatte Figueroa Sanabia eine Stelle als Violinist30 des kurz zuvor gegründeten New York City Symphony Orchestra erhalten. Dieses Orchester wurde vom renommierten englischen Dirigenten Leopold Stokowski – und nachher von Leonard Bernstein – geleitet.31 Es wurde aber wegen unangemessener finanzieller Unterstützung, nach einem Jahr wieder aufgelöst. Vorher hat das Orchester allerdings noch einige Aufnahme für die Plattenfirma RCA gemacht.32 Am 6. August 1944 spielten José und Narciso Figueroa Sanabia erneut in der US-amerikanischen Hauptstadt. Das Konzert fand in der National Gallery statt. Sie führten u.a. die Sonate für Violine und Klavier B-Dur KV 378 von Mozart, die Chaconne von Bach, Chant de Roxane von Karol Szymanowski, Ipanema von Milhaud sowie Sonata Breve von Manuel Ponce auf. In der Rezension von Glenn Dillard Gunn, welche zudem in der puerto-ricanischen Presse in einer Übersetzung veröffentlicht wurde33, wird folgendes zum Ausdruck gebracht: „The opening piano-violin Sonata of Mozart proved them to be masters of the classic style, an impression that was broadened and confirmed when the violinist came forward to present Bach's unaccompanied Chaconne. This formidable assignment is a test of tone, musical understanding and above all, of imagination for expressive variety. José solved its problems with smooth tone of flawless texture. Later the violin-

29 Elena de Sayn, „Brothers Figueroa Make Formal Bow in Statler Recital“, [unbek. Zeitung], 15. März 1944, [o.S.], AFF (Foto AFF 301-302). 30 Konzertmeister von diesem Orchester war der polnische Violinist Roman Totenberg und nicht José Figueroa Sanabia, wie einige Quellen bestimmen (vgl. Herbert Haffner, Genie oder Scharlatan? Das aufregende Leben des Leopold Stokowski, Berlin 2009, S. 210). 31 Vgl. ebd., S. 213; Anon., „José and Narciso Figueroa“, [unbek. Zeitung], [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 299). 32 Vgl. Haffner, S. 213. 33 Vgl. Anon., „La crítica de Washington elojia a los hnos. Figueroa“, El Mundo, 15. August 1944, S. 8.

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ist dealt expertly with Szymanowski's ‚Chant de Roxane‘, Milhaud's ‚Ipanema‘, Valle's ‚Ao pe da Fogueira‘ as set by Heifetz, and Bazzini's ‚La Ronde des Lutins‘.“34

Das Jahr 1945 stellte sich auch als ein überaus bedeutendes im Leben José Figueroa Sanabias heraus. Denn in diesem Jahr geschah es, dass die Puerto Ricaner die große Hochachtung, die sie für ihren beliebtesten und zweifelsohne berühmtesten Violinisten empfanden, am deutlichsten zum Ausdruck brachten. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass der puerto-ricanische Geiger – wie seine gesamte Musikerfamilie – zu verschiedenen Anlässen von seinen Landsleuten geehrt wurde, z.B. durch den feierlichen Empfang 1927 in San Sebastián, die Verleihung des Silberkelchs durch die Regierung im selben Jahr sowie durch die Ernennung seiner Person sowie seiner gesamten Familie zu Ehrengästen der Stadt Aguadilla im Jahr 1938. 1945 war es dennoch das erste Mal, dass die gesamte Bevölkerung Puerto Ricos mobilisiert wurde, dem Geiger zu huldigen, indem sie ihm nämlich eine Stradivari-Violine zum Geschenk machten. Bevor ich auf die Geschichte dieses einzigartigen Ereignisses eingehe, werde ich zunächst seine musikalischen Aktivitäten zu jener Zeit darstellen. Figueroa Sanabia war im Jahr 1945 sehr aktiv. Er war z.B. erster Geiger des American String Quartett. Dieses Ensemble wurde vom Cellisten Russell B. Kingman gegründet. Als Figueroa Sanabia in das Ensemble aufgenommen wurde, war es schon in seiner 5. Saison.35 Neben Figueroa Sanabia und Kingman spielten Julius Hegyi (2. Violine) und Benjamin Levin (Bratsche). Bezüglich Auftritte dieses Quartetts ist die vorliegende Information derzeit nur sehr knapp. Einige Fragmente von Rezensionen sind gleichwohl vorhanden, aus denen man auf die erstklassige Qualität seiner

34 Glenn Dillard Gunn, „Classic Style Mastery Displayed by Figueroa“, Times Herald, 7. August 1944, [o.S.], AFF (Foto AFF 409, 616); für einen anderen Konzertbericht siehe: Alice Eversman, „Figueroa Brothers Hailed in Recital at the Gallery“, The Evening Star, 7. August 1944, S. B-5, AFF (Foto AFF 617618). 35 Er ersetzte Marshall Moss, der seinerseits den ursprünglichen ersten Geiger Harold Kohon ersetzt hatte (vgl. Anon., „Pointed for Perfection“, New Jersey Music, [n.d., o.S.], AFF [Foto IMG 3432-3435]). Das Ensemble scheint entweder 1940 oder 1941 entstanden zu sein.

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Aufführungen schließen kann. In der Zeitung Montclair Times von New Jersey wird z.B. festgestellt: „Impeccable ensemble gleamed with exactitude and precision. Their singing tone was luscious and full of musical inspiration. The Prestissimo fairly shimmered in its speedy lightness of touch, evoking exclamations on the part of a breathless audicence, so great was the delight of the hearers.“36

Darüber hinaus äußert ein Musikkritiker der Musical Courier: „The American String Quartet concluded appearances at five New England points within three days, at the Gardner Museum (Boston), before an overflowing house. The artists showed excellent ensemble and rare imagination in their subtle and distinctive approach to the Beethoven number, and the French compositions comprising the latter half of the program were rendered with transcendent tonal color and lovely nuance.“37

Außer in diesem Ensemble war José Figueroa Sanabia zu jener Zeit auch erster Violinist des vom prominenten ungarischen Dirigenten Ernö Rapée geleiteten Radio City Symphony Orchestra.38 Er wird mehrere Jahre dort mitwirken. Was seine Soloauftritte betrifft, so weiß man nur, dass er und Narciso ein Konzert in der Iglesia Evangélica Española in New York am 7. April 1945 gaben, welches der lateinamerikanischen und spanischen Musik gewidmet war.39

36 Anon., „The American String Quartet“, Broschüre, AFF (Foto QAFF 139-149). 37 Ebd. (Foto QAFF 139-149) 38 Vgl. Benjamín Arnaldo Meyners, „Entregado a José Figueroa un Stradivarius de 230 años“, El Mundo, 11. Juni 1945, S. 2 und 15. Wahrscheinlich begann Figueroa Sanabias Engagement in diesem Orchester, nachdem sich das New York City Symphony Orchestra von Stokowski aufgelöst hatte. 39 Vgl. Werbung, „Los geniales artistas puertorriqueños en un concierto de gala“, Iglesia Evangélica Española, New York, 7. April 1945, AFF (Foto AFF 346).

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6.3 S CHENKUNG DER STRADIVARI UND M USIKKARRIERE: 1946-1952 Wie bereits angedeutet, schenkten die Puerto Ricaner 1945 José Figueroa Sanabia eine Stradivari. Die Geschichte dieses einzigartigen Ereignisses entwickelte sich folgendermaßen: 1945 plante die Columbia Artists Concert Corporation, eine Tournee durch Mittel- und Südamerika mit den herausragendsten Musikern mehrerer Länder zu unternehmen. Jesús María Sanromá, ein damals erfolgreicher Pianist aus Puerto Rico40, wurde gebeten, einen puerto-ricanischen Musiker für die Teilnahme an der Tournee zu empfehlen. Er schlug José Figueroa Sanabia vor. Zur selben Zeit hatte Figueroa Sanabia von Russel B. Kingman – Direktor und Cellist des All American String Quartett – erfahren, dass die Witwe eines Freundes von Kingman, Frau Brant, gemäß dem letzten Willen ihres verstorbenen Mannes dessen Stradivari verkaufen wollte. Die Geige sollte aber nur an einen Musiker gehen, also einen begabten Geiger, der – ihrer würdig – ihren musikalischen Wert schätzen und nutzen konnte.41 Figueroa Sanabia wollte diese Chance nicht verpassen und schrieb einen Brief an Ángel Ramos, der ihm schon vor einigen Jahren angeboten hatte, Geld für den Kauf einer neuen Violine zu leihen. Als Figueroa Sanabia keine Antwort von ihm bekam, ging er davon aus, dass Ramos momentan kein Geld zur Verfügung hatte. Aber gleichzeitig, ohne Figueroa Sanabias Wissen, hatte sein Bruder Narciso seinerseits einen Brief an José A. Balseiro, der zusammen mit Ramos in der Redaktion der puerto-ricanischen Zeitung El Mundo arbeitete, geschickt. In diesem Brief empfahl Narciso eine öffentliche Kollekte, um das Geld für die Geige zusammenzubringen.42 Balseiro und Ramos befürworte-

40 Vgl. Alberto Hernández, Jesús María Sanromá: an American TwentiethCentury Pianist, Lanhan 2008. 41 Ein Zeitungsartikel schildert die Situation wie folgt: „La viuda, consciente de sus deberes y accediendo a la última voluntad expresada por su compañero, – sin consideraciones de interés personal –, sólo estaba dispuesta a desprenderse del Stradivarius cuando el instrumento fuese adquirido por un artista que supiese aquilatar méritos y hacerle justicia a tan preciada joya“ (El Mundo [1945, Juni 11.], S. 15). 42 Obschon keine Quelle eindeutig belegt, von wem die Idee der Kollekte stammt, kann man aus einem 1987 von Narciso Figueroa Sanabia geschriebenen Brief an

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ten den Vorschlag und veröffentlichten einen Leitartikel in der Zeitung. In nur 22 Tagen, vom 7. bis zum 29. Mai 1945, wurde die notwendige Geldsumme von $10.000 für die Geige zusammengebracht. An der Kollekte beteiligten sich Menschen aller Schichten und Altersklassen der puerto-ricanischen Gesellschaft, wie ich später darstellen werde.43 Am 10. Juni 194544 fand die offizielle Übergabe der Violine im New Yorker Sitz der Zeitung El Mundo statt. Die neue Stradivari-Violine benutzte José Figueroa Sanabia zum ersten Mal am 8. Juli 1945 bei einem Auftritt im Studio des Radiosenders WNEL.45 Dieses Konzert wurde zweimal auf Puerto Rico übertragen. Bald konnten aber auch die Puerto Ricaner ihren beliebten Geiger und die neue Violine live erleben. Denn als Dank für das Geschenk gab Figueroa Sanabia während seines nächsten Aufenthalts in seiner Heimat46 mehrere Konzerte, und dies angesichts der Tatsache, dass die Zeit nicht die günstigste für ihn war, da er noch den kürzlichen Tod seiner ältesten Schwester Leonor betrauerte. Auf der Insel trat er z.B. am 21. Oktober für die Mitglieder

die Zeitung El Nuevo Día schließen, dass es seine Idee war: „En cuanto Pepito salió para ir al ensayo de la Orquesta del Radio City [...] me senté a escribir una carta a nuestro gran amigo y patrocinador, don José A. Balseiro […] El ilustre escritor [...] de inmediato fue a ver a don Ángel para comentarle sobre la carta que yo le escribí. Prepararon un editorial muy emocionante y con la aportación de mil dólares encabezaron una subscripción en que todo el país contribuyó“ (Narciso Figueroa Sanabia, „Correspondencia“, El Nuevo Día, 29. November 1987, S. 100). 43 Siehe S. 224-226. 44 Das genaue Datum der Übergabe der Violine wird nirgendwo angegeben. Da aber am 11. Juni 1945 ein Artikel über die Zeremonie verfasst wurde (vgl. El Mundo [1945, Juni 11.], S. 2 und 15), kann davon ausgegangen werden, dass sie am vorherigen Tag – also am 10. Juni 1945 – stattfand. Dies bleibt aber nur eine Vermutung. 45 Vgl. Anon., „José Figueroa dio concierto por honda corta“, El Mundo, 10. Juli 1945, S. 5. 46 José Figueroa Sanabia war erst am 13. Oktober 1945 wieder auf Puerto Rico (vgl. Foto, „Regresó anteayer a Puerto Rico“, El Mundo, 15. Oktober 1945, S. 5).

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von Pro Arte Musical in der Escuela Superior Central47, am 29. Oktober für die Sociedad Mayagüezana Pro Bellas Artes im Teatro Auditorium48 und am 30. Oktober im Teatro de la Universidad de Puerto Rico49 auf. Darüber hinaus gab er mit Unterstützung des US-amerikanischen Roten Kreuzes ein Konzert für die Soldaten im Krankenhaus Rodríguez (Hospital General Rodríguez) im Fort Brooke.50 Seine Schwester Carmen begleitete ihn in diesem Konzert am Klavier. Für das Jahr 1946 gibt es derzeit nur wenige Information. Sicher ist, dass er immer noch in The American String Quartett sowie im Radio Symphony Orchestra mitspielte. Darüber hinaus weiß man, dass er am 1. Dezember ein Konzert zusammen mit der Sopranistin Cynthia Stevens im Newark Museum gab. Rodney Saylor begleitete ihn am Klavier. Über die Aufführung Figueroa Sanabias meinte Alan Branigan: „Figueroa’s portion of the program elicited the most enthusiastic bravos. The diminutive player, who also serves as first violin of the American String Quartet, is a solo

47 Vgl. Rafael Montañez, „Pepito Figueroa mañana en la Sala de Pro Arte“, El Mundo, 20. Oktober 1945, S. 18; Persönliche Einladung, „Konzert José Figueroa Sanabias“, Pro Arte Musical de Puerto Rico, 21. Oktober 1945, AFF (Foto AFF 580); Anon., „Concierto de Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 580); Anon., „Concierto de José Figueroa“, [unbek. Zeitung], 20. Oktober 1945, [o.S.], AFF (Foto AFF 593); Konzertprogramm, Salón de actos de la Escuela Superior Central, Santurce (San Juan), 21. Oktober 1945, AFF (Foto AFF 596-598); für einen Konzertbericht siehe: Dwight W. Hiestand, „Pepito Figueroa con su Stradivarius hace recordar a Fritz Kreisler“, El Mundo, 23. Oktober 1945, S. 15 und 18. 48 Vgl. Konzertprogramm, Teatro Auditorium, Mayagüez, 29. Oktober 1945, AFF (Foto AFF 307-309). 49 Für Konzertberichte siehe: Roger Martínez, „Concierto de Pepito Figueroa en UPR provocó entusiamo de estudiantes“, La Torre, 7. November 1945, S. 3 und 7, AFF (Foto AFF 211-216); Dwight W. Hiestand, „Pepito Figueroa en la universidad acrece su triunfo anterior“, El Mundo, 1. November 1945, S. 17. 50 Vgl. Agustín Collazo Muñoz, „José Figueroa dio concierto para soldados“, El Mundo, 26. Oktober 1945, S. 8 und 14; Anon., „Ciclo de actividades recreativas inaugurado por Cruz Roja para pacientes Hospital Rodríguez“, The Sentry Box, 2. November 1945, S. 8, AFF (Foto AFF 239).

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player of neatness, expressiveness and distinction. Drawing from his Stradivarius a tone that was both weighty and crystal clear, the musician also showed many other admirable facets of the fiddling art – an agile right arm, fingering of uncommon nimbleness and a sense of pitch that stood up well through a arduous program. Most ambitious of the offerings musically was the Brahms Sonata op. 108 for violin and piano, a profound not to say obscure work. It came off admirably for most of its length, the adagio being particularly moving. Some measures in the scherzo lacked precision in teamwork, but beyond that Figueroa and Saylor gave the work plenty of lyrical compulsion.“51

Im nächsten Jahr erlebte der puerto-ricanische Geiger seine Rückkehr in die Town Hall. Zweimal spielte er dort in diesem Jahr: Das erste Mal am 22. Februar 1947 zusammen mit dem Harfenisten Salvatore Mario de Stefano und der Sopranistin Barbara Troxellm in einem der „Debut y Encore“-Konzerte, die dort veranstaltet wurden.52 Das zweite Mal trat er am 28. September 1947 zusammen mit seinem Bruder Narciso auf. Erwähnenswert ist, dass sie zu diesem Anlass die Sonata Española von Joaquín Turina und das Concertino von Darius Milhaud uraufgeführt haben.53 Dieser letzte Auftritt war allerdings den vorliegenden Musikkritiken zufolge nicht so gelungen. Vor allem die Chaconne von Bach, ein Werk, das Figueroa Sanabia davor mehrmals aufgeführt und wofür er sehr gute Rezensionen bekommen hatte, wurde heftig kritisiert. N.S. meinte beispielsweise, dass wegen „his limited volume of tone, lack of color contrasts, and deficiency in vigor, the violinist was beyond his depths in the ‚Chaconne‘ or the ‚Poeme‘ [of Chausson, O.R.V.], in which the towering climaxes awaited could not be achieved, nor a suffi-

51 Alan Branigan, „Museum Music Draws Throng“, Newark Evening News, 2. Dezember 1946, [o.S.], AFF (Foto IMG 3691-3692). 52 Vgl. Anon., „Sanromá y José Figueroa tocan el 22 en N.Y.“, El Mundo, 17. Februar 1947, S. 7. 53 Vgl. Anon., „Pepito y Narciso Figueroa van a dar un concierto en Town Hall“, El Mundo, 21. Juli 1947, S. 5. Das war nicht das erste Mal, das José Figueroa Sanabia Werke von Milhaud uraufgeführt hatte (vgl. ebd., S. 5).

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cient fund of vitality and variety to keep the interpretations from monotony of effect.“54

Auf eine ähnliche Weise äußert sich H.C.S. Er stellt fest: „The lack of warmth in Figueroa's tone, however, and basic lack of strength in his interpretations are not so fit for the bigger items of the repertoire, such as Bach's Chaconne. Although technically well done, Figueroa's performance of that work did not convey its breadth. It was as though the violinist were concerned primarily with the details of the piece, letting its architecture take care of itself – which, of course, it cannot.“55

Das heißt aber keinesfalls, dass das gesamte Konzert ein Misserfolg war. Vor allem die Sonate von Vivaldi hat beiden oben zitierten Musikkritikern sehr gefallen. N.S. schreibt etwa: „Both the violinist and his brother, Narciso, who provided his accompaniments, accomplished their most satisfactory work in the Vivaldi Sonata, at the start of the afternoon. It was cleanly and deftly presented. Truly classic in spirit and set forth with taste, grace and charm.“56

Darüber hinaus stellt H.C.S. fest: „Vivaldi's Sonata in A was played very well, with graceful phrasing, elegance, and facile technic.“57 Für die Zeit danach war eine Konzerttournee durch mehrere Großstädte der USA sowie später (genauer: im Sommer 1948) durch Mexiko vorgesehen.58 Genau Informationen über diese Konzerte sind jedoch nicht vorhanden. Im Februar 1948 reisten José und Narciso nach Puerto Rico, um – zusammen mit der Sopranistin Rina de Toledo – bei der Einweihung des Ra-

54 N.S., „Fugueroa [sic] Heard in Violin Recital“, The New York Times, 29. September 1947, [o.S.], AFF (Foto IMG 3507). 55 H.C.S., „José Figueroa Gives Violin Recital“, [unbek. Zeitung], 29. September 1947, [o.S.], AFF (Foto AFF 421). 56 The New York Times (1947, September 29.), AFF (Foto IMG 3507). 57 [Unbek. Zeitung, USA] (1947, September 29.), AFF (Foto AFF 421). 58 Vgl. Puerto Rico Ilustrado (?) (1945 [?]), S. 15, AFF (Foto IMG 3614).

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diosenders WEMB von El Mundo mitzuspielen.59 Kurz davor gaben sie ein Konzert in New Jersey.60 Ebenfalls im Februar trat der puerto-ricanische Violinist zusammen mit seinen Brüdern als das Figueroa-Quintett in der Escuela Superior Central in Santurce auf.61 Die Comisión de Recreo y Deportes förderte das Konzert, welches vom Radiosender WEMB übertragen wurde. Das Figueroa-Quintett führte u.a. ein Klavierquintett62 von DvoĜák und das Doppelkonzert für zwei Violinen in d-Moll von Bach auf. Nach diesen Auftritten auf der Insel gab Figueroa Sanabia im März ein Solokonzert in Montreal63, bevor das Figueroa-Quintett am 25. April 1948 in der Carnegie Hall debütierte.64 An diesem Tag nahmen sie dort am „Festival de Arte Puertorriqueño“ teil, einem Musikfest, das die puerto-ricanische Zeitung El Mundo organisiert hatte. Unter anderen spielte in dieser Veranstaltung auch Jesús María Sanromá. Während des Sommers65 wollten José und Narciso – wie bereits angedeutet – eine Tournee durch Mexiko unternehmen. Derzeit ist aber nicht klar, ob sie realisiert wurde. Was Figueroa Sanabias Privatleben betrifft, so war das Jahr 1948 deshalb von großer Bedeutung, weil er in diesem Jahr, und zwar am 11. November 1948, in New York die Ballettlehrerin Renee La Croix heiratete, eine US-Amerikanerin französischer Abstammung. Von dem Ereignis wurde in den puerto-ricanischen Medien ausführlich berichtet. Mit La Croix hatte der puerto-ricanische Geiger zwei Kinder, José und Jordan, welche noch heute in den USA leben. In den 60er Jahren hat sich das Paar scheiden lassen.

59 Vgl. Luis Hernández Aquino, „Rina de Toledo y los hermanos Figueroa participarán en la inauguración de la radioemisora de El Mundo“, El Mundo, 3. Februar 1948, S. 1 und 12. 60 Vgl. ebd., S. 12. 61 Vgl. Alfredo Matilla, „Dos conciertos“, El Mundo, 23. Februar 1948, S. 18-19. 62 Die Quellen liefern keinen Beleg dafür, ob es sich hier um das Klavierquintett A-Dur op. 5 oder das Klavierquintett A-Dur op. 81 handelt. 63 Vgl. El Mundo (1948, Februar 3.), S. 12; José A. Cadilla, „Hermanos Figueroa elogian la acústica en estudios de WEMB“, El Mundo, 5. Februar 1948, S. 5. 64 Vgl. Foto, „Participan en Festival Puertorriqueño“, El Mundo, 21. April 1948, S. 7; Anon., „Festival de ‚El Mundo‘ asegura mejor ambiente para boricuas“, El Mundo, 30. April 1948, S. 7 und 20. 65 Vgl. El Mundo (1948, Februar 3.), S. 12. Figueroa Sanabia sagte aber im Interview zuvor, dass die Tournee erst im Frühling sein würde.

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Am 3. April 1949 traten José und Narciso Figueroa Sanabia wieder in der Carnegie Hall auf.66 Diesmal organisierte der Instituto de Puerto Rico de Nueva York die Veranstaltung. Neben ihnen traten auch die puertoricanische Sopranistin und Pianistin Rina de Toledo sowie die Tänzerin Maria Teresa Acuña auf. Einen Monat darauf reiste der puerto-ricanische Geiger zusammen mit seiner Frau nach Puerto Rico.67 Dort gab er zwei Konzerte an der Universität von Puerto Rico anlässlich der Feier der Musikwoche („Semana de la Música“).68 Das erste fand am 4. Mai 1949 statt.69 Hier spielte er u.a. die Sonata Española von Joaquín Turina, Poeme von Chausson und die Sonate G-Dur von Bach. Seine Schwester Carmen begleitete ihn am Klavier. Das zweite Konzert, welches von Pro Arte Musical organisiert wurde, war am 5. Mai.70 Unter anderem spielte er hier das Violinkonzert h-Moll op. 61 von Camille Saint-Saɺns, deren Interpretation des 1. Satzes als „una joya de dicción apasionada“71 bezeichnet wurde. Eines der wenigen Konzerte José Figueroa Sanabias mit dem American String Quartet, über das man genaue Information hat, fand am 26. Januar 1950 statt. An diesem Tag spielte das Ensemble in dem Heywood School Auditorium in New Jersey. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist das Streichquartett davor mehrmals in diesem Bundesstaat aufgetreten, denn Russell Kingmann war eine führende Persönlichkeit im dortigen Musikleben. Beispielsweise war er Gründer und Ehrenpräsident des New Jersey Symphony Orchestra, mit dem das American String Quartett zweimal, in der Orange

66 Vgl. Anon., „Puertorriqueños en el recital de mañana en Carnegie Hall“, El Mundo, 2. April 1949, S. 1, AFF (Foto AFF 231). 67 Vgl. Foto, „Llega con su esposa“, El Mundo, 2. Mai 1949, S. 1, AFF (Foto AFF 088-089). 68 Vgl. Alfredo Matilla, „Recitales de José Figueroa“, El Mundo, 7. Mai 1949, S. 25. 69 Vgl. Konzertprogramm, Teatro de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), 4. Mai 1949, AFF (Foto IMG 3456-3459). 70 Vgl. Konzertprogramm, Teatro de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), 5. Mai 1949, AFF (Foto QAFF 328-333). 71 „Ein Juwel leidenschaftlichen Ausdrucks“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1949, Mai 7.), S. 25.

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High School und in der Mt. Hebron Junior High School in Montclair72, zusammen aufgetreten ist.73 Zwei Monate nach dem Auftritt mit dem American String Quartet, nämlich am 21. März 1950, gab José Figueroa Sanabia auch ein Solokonzert in dem Heywood School Auditorium. Ungefähr zur selben Zeit begann der puerto-ricanische Musiker zudem sein Engagement als erster Geiger im vom US-amerikanischen Dirigenten Karl Krueger neu formierten American Art Orchestra. Hauptziel dieses Orchesters war es – ebenso wie bei den Concerts Privés von Cortot – selten gespielte Werke des Kunstmusikrepertoires wieder aufzuführen.74 Darüber hinaus wollte Krueger diese Kompositionen aufnehmen. Zu diesem Zweck gründete er die Plattenfirma New Records, für die Figueroa Sanabia eine große Zahl von Kompositionen einspielte. Die ersten Platten von New Records wurden im Mai 1950 herausgebracht. Unter den Aufnahmen befanden sich das Oktett C-Dur op. 7 von George Enesco, das Klavierquartett c-Moll op. 13 von Richard Strauss und die 9. Symphonie von Felix Mendelssohn.75 Über die Aufnahmen wird in einer Rezension von The Washington Post geäußert: „It is one of the most distinguished releases, new or old, by a record company in many years. The records are of superb technical quality. The tone of all instruments, piano, strings, organ, and voices, is brilliant and realistic. Repertoire is new to recording. The performers are of the finest quality except in one record, and the musical direction of the entire project, chiefly that of Karl Krueger, is in highest taste.“76

Neben diesen Schallplatten sind außerdem erwähnenswert die Aufnahmen der Sonaten von Joaquín Turina und Gabriel Pierné, die José Figueroa Sa-

72 Das erste Konzert war an einem 3. und das zweite an einem 4. Dezember. Das Jahr ist unbekannt, aber sie fanden nach 1945 statt, da José bereits seine Stradivari besaß. 73 Vgl. New Jersey Music (1946 [?]), AFF (Foto IMG 3432-3435). 74 Vgl. Anon., „Pepito Figueroa reaparecerá el 13“, El Mundo, 7. Dezember 1951, S. 13. 75 Vgl. Werbung-Plakat, „New Records Inc“, New York, 1951, AFF (Foto IMG 3496). 76 Anon., „Enesco Octet with Krueger Rates the Tag ‚Distinguished‘“, The Washington Post, 18. März 1951, S. L-3; auch nachgedruckt in: [unbek. Zeitschrift (?)], AFF (Foto AFF 311-313).

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nabia – unter der Begleitung des kubanischen Pianisten Pablo Miguel – für New Records einspielte77 sowie seine Teilnahme an der Aufnahmereihe Música en América. Letztere stellte einen Überblick der repräsentativsten Kompositionen süd- und nordamerikanischer Komponisten vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart dar.78 Das wichtigste Konzert José Figueroa Sanabias 1951 war zweifelsohne sein Auftritt gemeinsam mit seinem Bruder Narciso am 3. Oktober 1951 in der Carnegie Hall.79 Das war das erste Mal, dass die Brüder ein ganzes Konzert in diesem bedeutenden Konzertsaal bestritten. (Davor hatten sie mit anderen Musikern das Programm geteilt.) Bei dieser Gelegenheit führte Narciso einige Kompositionen als Solist auf. Ursprünglich sollte eigentlich das Figueroa-Quintett auftreten, aber einer der Brüder konnte aus nicht bekannten Gründen nicht mitspielen.80 José Figueroa Sanabia spielte u.a. die Sonate A-Dur von Gabriel Fauré sowie die Sonate g-Moll für Violinsolo von Bach. Narciso spielte seinerseits Werke wie das Präludium, Choral und Fuge von César Franck und Día de Fiesta en Sevilla von Albéniz. Die New Yorker Musikkritiker haben im Allgemeinen Josés Performance positiv beurteilt, obgleich seine Tonqualität und Interpretationen als etwas schwach bezeichnet wurden. Unbarmherziger waren sie jedoch Narciso gegenüber. Die beste Kritik bekamen sie von John Briggs. Er meinte: „I found José Figueroa’s playing most agreeable. His tone, though a trifle thin, is true in intonation and he had his instrument under perfect control. His style is elegant and free of mannerisms. Altogether it was a musicianly performance. One could make long lists of violinists to whom the playing of Mr. Figueroa would be much preferred […] Narciso Figueroa's intentions were clearly of the best, but we all know what famous thoroughfare is paved with good intentions. The last movement of the Cesar Franck Sonata was quite beyond Mr. Figueroa's technical powers. His

77 Vgl. Octavio Rodríguez, „Pepito Figueroa es objeto de nueva distinción“, El Mundo, 21. Januar 1951, S. 20. 78 Vgl. Anon., „Dos puertorriqueños ilustres: José y Narciso Figueroa tocarán un concierto en Carnegie Hall“, Alma Latina, 22. September 1951, S. 4, AFF (Foto AFF 342-345). 79 Vgl. Anon., „Los Hnos. Figueroa irán Carnegie Hall“, El Mundo, 19. September 1951, S. 5. 80 Vgl. Alma Latina (1951, September 22.), S. 4, AFF (Foto AFF 342-345).

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over-lavish use of the pedal obscured but did not entirely conceal his shortcomings of a purely mechanical sort […] One felt that a happier choice of program would have been more rewarding for all concerned, for Mr. Figueroa at his best proved a sensitive, intelligent performer.“81

Ein anderes wichtiges Konzert Figueroa Sanabias zu jener Zeit war am 13. Dezember 1951.82 Da trat der puerto-ricanische Violinist mit dem American Arts Orchestra im Waldorf Astoria auf, also in jenem Konzertsaal, wo er vor fast 20 Jahren das Doppelkonzert für Violine von Bach zusammen mit seinem Bruder Jaime aufgeführt hatte. In diesem Konzert, das von der Haarlem Philarmonic Society organisiert wurde, spielte Figueroa Sanabia als Solist die Romanze für Violine und Orchester von Beethoven sowie Präludium und Allegro für Violine und Orchester von Fritz Kreisler. Letzteres Werk war eine für Orchester bearbeitete Version des Präludium und Allegro für Violine und Klavier von Kreisler, die Figueroa Sanabias Vater arrangiert hatte. Nach fast drei Jahren ohne seine Heimat zu besuchen, reiste José Figueroa Sanabia Ende Februar 1952 zusammen mit seiner Frau und seinem Erstgeborenen José nach Puerto Rico. Bei diesem relativ kurzen Besuch gab er nur ein Konzert auf der Insel am 24. März 1952 in der Escuela Libre de Música in San Juan.83 Unter anderem führte er die Sonate A-Dur von Vivaldi, die Chaconne von Bach sowie das Violinkonzert D-Dur von Beethoven auf. Am Klavier begleitete ihn seine Schwester Carmen (Carmelina). Über seinen Auftritt schreibt Alfredo Matilla:

81 John Briggs, „Figueroa Brothers in Recital“, [unbek. Zeitung], 4. Oktober 1951, [o.S.], AFF (Foto IMG 3522); für andere Konzertberichte siehe: Fred Low, „José und Narciso Figueroa“, New Yorker Staats-Zeitung (?), [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3522); J.H.S., „Brothers in Joint Recital“, [unbek. Zeitung], 4. Oktober 1951, [o.S.], AFF (Foto IMG 3522); R.P., „Figueroa Brothers Have Joint Recital“, The New York Times, 4. Oktober 1951, [o.S.], AFF (Foto IMG 3522); siehe auch: Anon., „Otro triunfo puertorriqueño“, El Mundo, 6. Oktober 1951, S. 6. 82 Vgl. El Mundo (1951, Dezember 7.), S. 13. 83 Vgl. Konzertprogramm, Escuela Libre de Música, San Juan, 24. März 1952, AFF (Foto QAFF 246-252).

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„La Chacona de Bach, para violín solo, evidenció la admirable técnica de este violinista y su clara comprensión musical. Pero el centro de la atención del público – y donde realmente Pepito Figueroa alcanzó sus mejores calidades – fue el Concierto en Re de Beethoven […] Pepito lo tocó como pocas veces nos es dado escucharlo. No sabría decir en qué momento de esta obra Figueroa estuvo más afortunado: la fuerza del primer Allegro corrió pareja con la emoción lírica del Larghetto y con la gracia del Rondó final y las cadencias de Kreisler fueron dichas con toda la brillantez que el maestro austriaco ha puesto en ese violín mágico que nadie como él ha dominado.“84

Kurz nach diesem Konzert kehrte der puerto-ricanische Violinist nach New York zurück. Er reiste jedoch in jenem Jahr erneut nach Puerto Rico und gab dort am 18. September ein Konzert für die Mitglieder von Pro Arte Musical in der Universität von Puerto Rico.85 Unter der Begleitung seiner Schwester Ángeles trug er hier u.a. die Sonate von Fauré, die Symphonie Espagnole von Lalo sowie eine Mazurka und ein Scherzo seines verstorbenen Geigenlehrers Henri Ern vor. Vier Tage darauf spielte der puerto-

84 „Die Chaconne für Violinsolo von Bach zeigte die bewundernswerte Technik dieses Geigers und sein klares Musikverständnis. Aber das Zentrum der Aufmerksamkeit des Publikums – und wo Pepito Figueroa tatsächlich seine höchste Begabung demonstrierte – war beim Konzert D-Dur von Beethoven [...] Pepito trug es vor, wie man es selten zu hören bekommt. Ich könnte nicht sagen, welche Stelle des Werks Figueroa am meisten auszeichnete: die Kraft des ersten Allegros war der lyrischen Emotion des Larghettos und der Anmut des finalen Rondos ebenbürtig, und die Kadenzen von Kreisler wurden mit der Bravour aufgeführt, die der österreichische Meister in jene magische Violine legte, die niemand beherrscht hat wie er“ (meine Übers., O.R.V.). Alfredo Matilla, „Un concierto de José Figueroa“, El Mundo, 26. März 1952, S. 24, AFF (Foto AFF 066-069); siehe auch: Anon., [o.T.], Puerto Rico Ilustrado (?), [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 006). 85 Vgl. Konzertprogramm, Teatro de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), 18. September 1952, AFF (Foto QAFF 211-218); für einen Konzertbericht siehe: Alfredo Matilla, „Pepito Figueroa en Pro Arte“, El Mundo, 22. September 1952, S. 12, AFF (Foto AFF 090).

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ricanische Violinist noch einmal an der Universität vor den Studenten.86 Unter anderem führte er das Violinkonzert von Brahms sowie die Sonata Il Trillo del Diablo von Tartini auf. Erwähnenswert ist außerdem, dass er zwei Tage vorher, nämlich am 20. September 1952, dort schon einen Musikvortrag für die Teilnehmer am Seminar „Musikalische Kultur“ (Cultura Musical) gehalten hatte, in dem er über das Repertoire der Violine sowie deren Spieltechnik sprach.

6.4 J OSÉ F IGUEROA S ANABIAS KEHR NACH P UERTO R ICO

ENDGÜLTIGE

R ÜCK-

Nachdem Figueroa Sanabia 16 Jahre lang (1940-1956) in New York gelebt hatte, entschied er sich in seine Heimat zurückzukehren. Möglicherweise haben ihn die neuen Arbeitsmöglichkeiten auf der Insel zu jener Zeit zur Rückkehr nach Puerto Rico bewogen. Man darf nicht außer Acht lassen, dass mit dem damaligen Industrialisierungsprozess Puerto Ricos wichtige Entwicklungen im Musikbereich einhergingen. Bereits 1946 wurde z.B. die erste Escuela Libre de Música gegründet. Des Weiteren rief der renommierte Cellist Pablo Casals – der sich zu jener Zeit auf Puerto Rico niedergelassen hatte – das berühmte Festival Casals ins Leben.87 Im ersten Konzert des Festivals trat José Figueroa Sanabia als Solist auf. Zwei Jahre darauf (1958) entstand das Puerto Rico Symphonieorchester, zu dessen erstem Geiger Figueroa Sanabia wurde. Diese Stelle hatte er bis zu seiner Pensio-

86 Vgl. Konzertprogramm, Teatro de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), 22. September 1952, AFF (Foto QAFF 178-182); für einen Konzertbericht siehe: Alfredo Matilla, „Pepito Figueroa en la Universidad“, El Mundo, 25. September 1952, [o.S.], AFF (Foto AFF 100-102). 87 Das Festival Casals wurde vom spanischen Cellisten Pablo Casals gegründet, kurz bevor er nach Puerto Rico emigrierte. Er war Direktor des Festivals bis zu seinem Tod 1973. Mehrere bedeutende Direktoren bzw. Musiker haben am Festival teilgenommen, darunter Mstislav Rostropovich und Leonard Bernstein (vgl. Festival Casals de Puerto Rico, Online: http://www.festcasalspr.gobierno. pr/historia.html [1. September 2008]). Erwähnenswert sind auch die zwei Konzerte, die die Staatskapelle von Berlin bei diesem Festival im Jahr 2006 gegeben hat.

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nierung 1990 inne. Zuletzt wurde 1960 die Musikhochschule von Puerto Rico (Conservatorio de Música de Puerto Rico) gegründet, an welcher der puerto-ricanische Violinist von Anfang an lehrte. Im Jahr 1974 war er außerdem als Rektor dieser Institution tätig. José Figueroa Sanabia unterrichtete an der Musikhochschule bis zu seinem Tod am 9. November 1998. Zweifellos war er eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte Puerto Ricos.

Analyse des Images José Figueroa Sanabias

1. José Figueroa Sanabia als Identifikationsfigur

In den nächsten zwei Kapiteln werde ich die Art und Weise eingehend analysieren, wie José Figueroa Sanabia in der puerto-ricanischen Presse zwischen 1925 und 1952 repräsentiert wurde. Hauptziel dieser Analyse ist die Antwort auf zwei Fragen: Erstens: Anhand welcher Mechanismen wurde in der puerto-ricanischen Presse die enge Verbindung zwischen José Figueroa Sanabia und den Puerto Ricanern vorangetrieben? Zweitens: Welcher Mittel bediente man sich, um sein Image zu idealisieren? Die Beantwortung dieser Fragen wird uns später dabei behilflich sein, die große Bedeutung, die der Geiger für die Puerto Ricaner zu jener Zeit besaß, zu begreifen, ein Thema, mit dem ich mich dann in Kapiteln drei und vier beschäftigen werde. Einige Quellen, die hier analysiert werden, befassen sich teilweise auch mit den Geschwistern José Figueroa Sanabias. Wie man in der Biografie sehen konnte, trat der puerto-ricanische Geiger oft zusammen mit ihnen auf. Diese Artikel wurden mit aufgenommen, weil sie in keiner Weise die Untersuchung beeinträchtigen. Vielmehr weisen sie darauf hin, dass der gesamten Familie Figueroa Sanabia grundsätzlich dieselbe nationale Bedeutung zukam, die bei José festzustellen ist. Die Analyse unterteilte ich in drei Perioden. Die erste Periode umfasst die Zeitspanne zwischen 1925 und 1934, die zweite die zwischen 1935 und 1944 und die dritte die Jahre 1945 bis 1952. Jeder Beginn einer Periode entspricht einem wichtigen Ereignis im Leben des puerto-ricanischen Geigers.1 Diese Unterteilung verfolgt vor-

1

Wie ich gezeigt habe, hat José Figueroa Sanabia 1925 den Sarasate-Preis gewonnen; 1935 bekam er das 4. Ehrendiplom in dem Henryk-Wieniawsky-

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nehmlich das Ziel herauszufinden, ob und inwieweit sich die Art und Weise, wie José Figueroa Sanabia in der puerto-ricanischen Presse dargestellt wurde, während dieser verschiedenen Zeitabschnitte geändert hat.

1.1 D IE

DREI

Z UGEHÖRIGKEIT

ERZEUGENDEN

M ITTEL

Bei der Darstellung José Figueroa Sanabias in der puerto-ricanischen Presse machten sich Journalisten verschiedene rhetorische Mittel zunutze, die der Herstellung einer engen Verbindung zwischen dem Violinisten und den Puerto Ricanern förderlich waren. Hierbei analysiere ich die (meines Erachtens) drei wichtigsten Mittel, und zwar einerseits die konsequente Anwendung des Possessivartikels der 1. Person Plural, zum anderen die Benutzung des Substantivs „Landsmann“ und des Weiteren die Einwohnerbezeichnung. Obwohl ich sie hier individuell behandle, ist es wichtig zu bedenken, dass diese drei rhetorischen Mittel in der Tat zusammenwirken, um eine enge Beziehung zwischen dem Image José Figueroa Sanabias und dem puerto-ricanischen Volk herzustellen. Sie zusammen bildeten somit die Grundlage, auf der die starke Identifikation der Puerto Ricaner mit ‚ihrem Geiger‘ entstand und weshalb er zu einem nationalen Symbol werden konnte. 1.1.1 Der Possessivartikel der 1. Person Plural Die systematische Anwendung des Possessivartikels der 1. Person Plural war eines der wichtigsten Mittel, mit dessen Hilfe eine enge Verbindung zwischen José Figueroa Sanabia und den Puerto Ricanern aufgebaut werden sollte. Um den Effekt dieses grammatikalischen Instruments erfassen zu können, muss man sich zunächst deren semantische Bedeutung klar machen: „[D]er Ausdruck ‚Possessiv Artikel‘ […] [führt] in die Irre, wenn man ihn wörtlich nimmt. Mit Besitz und Eigentum hat der Possessiv-Artikel nichts zu tun. Nun wenn bestimmte zusätzliche Bedingungen erfüllt sind, nämlich ein Determinationsgefüge

Violinwettbewerb und 1945 erhielt er von der puerto-ricanischen Bevölkerung die Stradivari-Violine.

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Person/Sache und ein Kontext, der eine besitz- oder eigentumsbezogene Auffassung nahelegt, kann mit dem Possessiv-Artikel auch ein Eigentumsverhältnis ausgedrückt werden.“2

Anstelle einer Eigentumsbeziehung deutet der Possessivartikel häufig eher ein Zugehörigkeitsverhältnis an, welches von großer Bedeutung für die Identitätsfindung ist.3 Es gilt zu bedenken, dass, wenn ein Zugehörigkeitsverhältnis konstatiert wird, so eine besondere Beziehung zwischen zwei oder mehr Subjekten bzw. Objekten hergestellt wird. In unserem Fall heißt das konkret, dass jedes Mal, wenn puerto-ricanische Journalisten und Musikkritiker José Figueroa Sanabia als „nuestro Emperador del arco“4, „nuestro insigne violinista“5, „nuestro eminente concertista“6 u.ä. bezei-

2

Harald Weinrich, Textgrammatik der deutschen Sprache, 2. rev. Aufl., Hildes-

3

Vgl. Marcus Müller, „Die Grammatik der Zugehörigkeit. Possessivkonstruk-

heim u.a. 2003, S. 433. tionen und Gruppenidentität im Schreiben über Kunst“, in: Ekkehard Felder (Hg.), Wissen durch Sprache. Theorie, Praxis und Erkenntnisinteresse des Forschungsnetzwerkes ‚Sprache und Wissen‘, Berlin u.a. 2009, S. 376. 4

„Unser Herrscher über den Bogen“ (meine Übers., O.R.V.). La Hija del Caribe, „Oyendo tocar el violín a Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung], 18. Februar 1927, [o.S.], AFF (Foto AFF 402-403); für andere Beispiele aus der ersten Periode (1925-1934) siehe: Anon., „El ‚Herald Tribune‘ elogia a Pepito Figueroa“, El Mundo, [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 456-457); José A. Romeu, „Pepito Figueroa, nuestro eminente violinista que ha triunfado en Europa y América, visto en su intimidad“, Puerto Rico Ilustrado, 9. Mai 1931, S. 31.

5

„Unser berühmter Geiger“ (meine Übers., O.R.V.). J.A.R., „Esta noche Pepito Figueroa en la Escuela Superior Central“, El Mundo, 13. September 1937, S. 7; für andere Beispiele aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: Anon., „Recital de José Figueroa en el ‚Town Hall‘ de Nueva York“, El Mundo, 3. Dezember 1940, [o.S.], AFF (Foto IMG 3600); Anon., „Concierto en Pro Arte“, El Mundo, 11. September 1937, S. 6.

6

„Unser herausragender Konzertspieler“ (meine Übers., O.R.V.). Pedro Manzano Aviñó, „Pepito Figueroa y el Stradivarius“, El Día, 15. Mai 1945, S. 1, AFF (Foto AFF 003); für andere Beispiele aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: El Mundo (1947, Oktober 5.), S. 8; Anon., „Los donantes últimos para el Stradivarius“, El Mundo, 1. Juni 1945, S. 13.

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chneten, sie damit eine besondere Verwandtschaft zwischen ihm und dem puerto-ricanischen Volk implizierten. Diese besondere Verwandtschaft basierte auf der Tatsache, dass sie beide dieselbe Herkunft und daher dieselbe (National-)Kultur und Geschichte teilten, mithin die drei Grundlagen jedweder national-kultureller Identität. Indem sie diese gemeinsame Abstammung mittels des Possessivartikels unterstrichen, zogen sie gleichzeitig eine diskursive Trennungslinie zwischen ‚Wir‘, das sind die Puerto Ricaner, und den ‚Anderen‘, mittels deren das Kollektiv eindeutig identifiziert und abgegrenzt wurde. Dies sind zwei wichtige Voraussetzungen jedwe der Identitätsbehauptung. 1.1.2 Das Substantiv „Landsmann“ Der Possessivartikel der 1. Person Plural arbeitete – wie bereits angeführt – mit anderen rhetorischen Mitteln zusammen, um eine enge Beziehung zwischen José Figueroa Sanabia und der puerto-ricanischen Bevölkerung zu etablieren. Eines davon war das Substantiv „Landsmann“ – auf Spanisch compatriota. Dieses Substantiv taucht sehr oft in den Artikeln auf. Manchmal bezieht es sich auf den puerto-ricanischen Violinisten, bisweilen auf die Puerto Ricaner. In Äußerungen wie „el ilustre compatriota“7 oder „el joven compatriota“8 verweist das Substantiv auf Figueroa Sanabia. Dagegen beziehen sich Äußerungen wie z.B. „Pepito Figueroa […] se presenta una vez más a sus compatriotas“9, oder „El Cuarteto Figueroa […] acaba de ofrecer a sus compatriotas“10 auf die puerto-ricanische Bevölkerung. In

7

„Der berühmte Landsmann“ (meine Übers., O.R.V.). [Unbek. Zeitung] (1927,

8

„Der junge Landsmann“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Pepito Figueroa“,

Februar 18.), AFF (Foto AFF 402-403). [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3527). 9

„Pepito Figueroa […] erscheint noch einmal vor seinen Landsleuten“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Nuestro insigne violinista Pepito Figueroa da un recital“, El Mundo, 22. August 1934, S. 4.

10 „Das Figueroa-Quartett […] hat soeben seinen Landsleuten dargeboten“ (meine Übers., O.R.V.). María del Pilar Santana Becerra, „Comentarios al concierto del Cuarteto Figueroa“, El Mundo, 22. September 1938, S. 7; siehe auch: Anon., „El concierto del joven Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 397).

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beiden Fälle besitzt das Substantiv dennoch dieselbe identitätsstiftende Funktion: Es betont nämlich die Zugehörigkeit José Figueroa Sanabias zum puerto-ricanischen Volk bzw. unterstreicht die gemeinsame Herkunft Figueroa Sanabias und der Puerto Ricaner. Äußerst wichtig zu beachten ist, dass man das Wort „Landsmann“ zumeist zusammen mit dem Possessivartikel der 1. Person Plural antrifft, z.B. in Äußerungen wie „nuestro talentoso compatriota“11, „nuestro distinguido compatriota“12, oder „nuestro muy querido compatriota“.13 Das Zusammenwirken dieser zwei rhetorischen Mittel betont umso stärker die Verbindung, die der Geiger zum puerto-ricanischen Volk besitzt.

11 „Unser begabter Landsmann“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Pepito Figueroa alcanza un triunfo resonante en la Escuela Normal de Música de París“, El Mundo, [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3754); für andere Beispiele aus der ersten Periode (1925-1934) siehe: Anon., „Pro Arte Musical de Puerto Rico“, La Democracia, 14. Juli 1932, S. 1; Anon., „Pepito Figueroa se despide“, El Mundo, 2. Mai 1927, S. 7. 12 „Unser angesehener Landsmann“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Pepito Figueroa en Pro Arte Musical de Puerto Rico“, Puerto Rico Ilustrado, 12. November 1938, [o.S.], AFF (Foto AFF 051); für andere Beispiele aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: El Mundo (1940, Dezember 3.), AFF (Foto IMG 3601); Rafael Montañez, „Pepito Figueroa asumirá una nueva cátedra en la Escuela Normal de Música de París“, Puerto Rico Ilustrado, 3. Oktober 1936, S. 7. 13 „Unser sehr beliebter Landsmann“ (meine Übers., O.R.V.). Roger Martínez, „Concierto de Pepito Figueroa en UPR provocó entusiasmo de estudiantes“, La Torre, 7. November 1945, S. 3; für andere Beispiele aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: Anon., „José Figueroa dará una serie de conciertos“, El Mundo, 29. Februar 1952, S. 7; Anon., „Dos puertorriqueños ilustres: José y Narciso Figueroa darán un concierto en Carnegie Hall“, Alma Latina, 22. September 1951, S. 4, AFF (Foto AFF 342).

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1.1.3 Die Einwohnerbezeichnung Die Einwohnerbezeichnung bzw. Herkunftsangabe (puertorriqueño/borinqueño14) stellte ein weiteres bedeutsames rhetorisches Mittel dar, das enge Band, das zwischen Figueroa Sanabia und dem puerto-ricanischen Volk bestand, zu betonen. Schon durch die oben zitierten Äußerungen wird deutlich, wie häufig sie zur Anwendung kam. Tatsächlich ist sie – genauso wie die zwei anderen analysierten rhetorischen Mittel – in so gut wie allen Quellen zu finden. Man findet sie beispielsweise in Titeln wie „Pepito Figueroa, el gran violinista virtuoso puertorriqueño, en el Steinway Hall de Nueva York“15 oder „Dos genios borinqueños, Pepito y Narciso Figueroa“.16 Innerhalb des Texts begegnet man des Weiteren Äußerungen wie „el glorioso artista puertorriqueño“17, „[el, O.R.V.] famoso violinista portorriqueño“18, „el aplaudido violinista puertorriqueño“19 usw. Durch die

14 Die Einwohnerbezeichnung „borinqueño“ (heutzutage „boricua“) stammt vom Namen, den die Ureinwohner Puerto Ricos (die Taínos) der Insel gegeben hatten, nämlich Borikén. Aus diesem Namen leitet sich zudem das Wort „Borinquen“ ab, mit dem Puerto Rico bis heute (nicht amtlich) auch bezeichnet wird. 15 „Pepito Figueroa, der große puerto-ricanische Geigenvirtuose, in der Steinway Hall in New York“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Pepito Figueroa, el gran violinista virtuoso puertorriqueño, en el Steinway Hall de Nueva York“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3782). 16 „Zwei puerto-ricanische Genies: Pepito und Narciso Figueroa“ (meine Übers., O.R.V.). Clotilde Betances de Jaeger, „Dos genios borinqueños: Pepito y Narciso Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S., unvollst.], AFF (Foto AFF 242243). 17 „Der ruhmreiche puerto-ricanische Künstler“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Festival artístico“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3461-3462); für andere Beispiele aus der ersten Periode (1925-1934) siehe: El Mundo (1934, August 22.), S. 4; Anon., „Un joven y gran artista puertorriqueño triunfa ruidosamente“, El Imparcial, 29. Juni 1925, S. 1. 18 „[Der, O.R.V.] berühmte puerto-ricanische Violinist“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Concierto de Pepito Figueroa en Pro Arte el miércoles“, El Mundo, 5. November 1938, [o.S.], AFF (Foto AFF 039); für andere Beispiele aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: Anon., „Los hermanos Figueroa en Pro Arte

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konsequente Nutzung der Einwohnerbezeichnung (zusammen mit den zwei anderen diskutierten rhetorischen Mitteln) wird in den einheimischen Medienrepräsentationen José Figueroa Sanabias großes Gewicht auf seine Herkunft gelegt. Dabei holt man – wie bereits angeführt – verstärkt die gemeinsame Herkunft Violinisten und Puerto Ricanern hervor, um letzteren eine Identifizierung mit dem Geiger zu ermöglichen. Diese drei rhetorischen Mittel sind infolgedessen hauptsächlich dafür verantwortlich, dass José Figueroa Sanabia als Identifikationsfigur des puerto-ricanischen Volks fungieren konnte.

Musical“, El Mundo, 10. September 1938, S. 7; Anon., „Pepito Figueroa obtiene grandes triunfos en Francia“, El Mundo, 31. Mai 1938, S. 7. 19 „Der gefeierte puerto-ricanische Geiger“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Pepito Figueroa reaparecerá el 13“, El Mundo, 7. Dezember 1951; für andere Beispiele aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: Anon., „Recital Figueroa incluye Beethoven“, El Mundo, 22. März 1952, S. 4, AFF (Foto AFF 070-073); Anon., „Hnos. Figueroa harán tournée por los EE.UU.“, El Mundo, 25. April 1951, S. 3.

2. Idealisierungsverfahren José Figueroa Sanabias

Ich habe bereits dargelegt, welche Mittel in der puerto-ricanischen Presse benutzt wurden, um eine enge Verbindung zwischen José Figueroa Sanabia und der puerto-ricanischen Bevölkerung herzustellen. Alle diese rhetorischen Mittel hoben – wie man sehen konnte – die gemeinsame Herkunft des Violinisten und des puerto-ricanischen Volks hervor. Diese gemeinsame Abstammung erklärt jedoch nicht, weshalb dem Image José Figueroa Sanabias eine so große Bedeutung im Leben der Puerto Ricaner damals zuteilwurde. Dafür muss man zusätzlich noch das Idealisierungsverfahren seines Images erforschen. In der folgenden Analyse untersuche ich verschiedene rhetorische Mittel, die zur Idealisierung des Images des puertoricanischen Violinisten beitrugen. Darunter fällt die systematische Verwendung von äußerst positiven Adjektiven sowie des Substantivs „Triumph“ bei der Beschreibung des Geigers und seiner musikalischen Leistungen. Außerdem analysiere ich verschiedene überspitzte Formulierungen hinsichtlich seiner Bedeutung in der damaligen Kunstmusikwelt sowie einige Anekdoten, die in der puerto-ricanischen Presse veröffentlicht wurden und welche dem Geiger ein geradezu übermenschliches musikalisches Talent zuschrieben.

2.1 TROPEN DER REPRÄSENTATION Eines der rhetorischen Mittel, das eine wichtige Rolle in dem Idealisierungsverfahren José Figueroa Sanabias spielte, war die systematische Nut-

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zung einer Reihe von äußerst positiven Adjektiven, die ständig bei der Charakterisierung des puerto-ricanischen Geigers zur Anwendung kamen. Diese Adjektive fungierten als Tropen der Repräsentation. Sie zeichneten also in konsequenter Weise ein ganz bestimmtes (ausgesprochen positives) Bild des Violinisten aus Puerto Rico. Bereits in den obigen Zitaten konnte man einige solcher Adjektive feststellen, wie z.B. „ilustre“, „eminente“, „talentoso“ und „insigne“. Neben ihnen findet man auch regelmäßig „gran“ („este gran artista puertorriqueño“1), „virtuoso“ („el virtuoso del violín“2), „famoso“ („el famoso virtuoso del violín“3) u.a.4 Die konsequente Anwendung dieser Adjektive soll deutlich machen, dass es sich im Fall Figueroa Sanabias um eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit handelte. Sie projizieren das Bild eines außergewöhnlichen Menschen, um ihn auf diesem Wege vom allgemeinen Durchschnitt abzuheben. Das heißt, anders formuliert, dass durch diese Adjektive José Figueroa Sanabia eine charismatische Persönlichkeit zugeschrieben wird. Nicht selten werden solche Adjektive

1

„Dieser große puerto-ricanische Künstler“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Pepito Figueroa el mago del violín“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 541); für ein Beispiel aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: Anon, „Concierto de Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung], 11. September 1936, [o.S.], AFF (Foto IMG 3633-3634); für ein Beispiel aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: Coloma Pardo de Casablanca, „Un gran artista puertorriqueño: José Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado, 30. Juni 1945, S. 24.

2

„Der Geigenvirtuose“ (meine Übers., O.R.V.). Regionalista, „San Sebastián“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 032); für ein Beispiel aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: El Mundo, (1938, September 10.), S. 7, AFF (Foto AFF 232); für ein Beispiel aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: Anon., „Concierto de Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 580).

3

„Der berühmte Geigenvirtuose“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Conciertos“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3764); für ein Beispiel aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: Anon., „El concierto de esta noche“, El Mundo, 10. November 1938, [o.S.], AFF (Foto AFF 053); für ein Beispiel aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: Anon., „Hnos. Figueroa harán tournée por los EE.UU.“, El Mundo, 25. April 1951 S. 3.

4

Andere Adjektive, denen man ständig begegnet, sind „admirado“, „magnífico“, „prestigioso“ und „genial“.

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mit dem Possessivartikel der 1. Person Plural kombiniert. In den bereits zitierten Äußerungen kann man etwa sehen, dass José Figueroa Sanabia als „nuestro insigne“5 bzw. als „nuestro eminente violinista“6 bezeichnet wird. In anderen Fällen wird er „nuestro gran violinista“7 bzw. „nuestro ilustre virtuoso del violín“8 usw. genannt. Diese Kombinationen sind in diesem Zusammenhang daher besonders beachtlich, weil sie einerseits dem Image Figueroa Sanabias eine charismatische Aura einräumen, während sie gleichzeitig dieses (idealisierte) Bild unmittelbar mit dem puerto-ricanischen Volk in Verbindung bringen.

5

„Unser berühmter“ (meine Übers., O.R.V.). José Arnaldo Meyners, „Dos Elegidos“, Puerto Rico Ilustrado, 7. Juli 1928, S. 1.; für ein Beispiel aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: Anon., „El famoso Quinteto Figueroa“, El Imparcial, 24. Januar 1942, S. 11; für ein Beispiel aus der dritten Periode (19451952) siehe: Anon., [o.T.], Puerto Rico Ilustrado (?), [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 006).

6

„Unser herausragender Violinist“ (meine Übers., O.R.V.). José A. Romeu, „Pepito Figueroa, nuestro eminente violinista que ha triunfado en Europa y América visto en su intimidad“, Puerto Rico Ilustrado, 9. Mai 1931, S. 31; vgl. auch: Anon., „Pepito Figueroa vendrá a Puerto Rico“, El Mundo (?), [n.d., o.S], AFF (Foto AFF 247-248); für Beispiele aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: Pedro Manzano Aviñó, „Pepito Figueroa y el Stradivarius“, El Día, 15. Mai 1945, S. 1, AFF (Foto AFF 003); Anon., „Concierto de José Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 593).

7

„Unser großer Violinist“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Un debut excepcional“, El Imparcial, [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3744); für ein Beispiel aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: Anon., „Pepito Figueroa en Pro Arte Musical“, El País, 9. November 1937, [o.S.], AFF (Foto AFF 603); für ein Beispiel aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: Rafael Montañez, „Pepito Figueroa mañana en la Sala de Pro Arte“, El Mundo, 20. Oktober 1945, S. 18.

8

„Unser berühmter Geigenvirtuose“ (meine Übers., O.R.V.). J. González Maetzu, „El formidable recital de Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 523); für ein Beispiel aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: El Mundo (1938, November 5.), AFF (Foto AFF 039); für ein Beispiel aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: Anon., „Fondos para el Stradivarius es de $8, 011. 75“, El Mundo, 22. Mai 1945, S. 5, AFF (Foto AFF 204-208).

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2.2 D AS S UBSTANTIV „T RIUMPH “ Nicht nur dienten Adjektive dazu, das Image José Figueroa Sanabias zu verherrlichen. Bemerkenswert ist zudem der gezielte Gebrauch des Substantivs „Triumph“ (auf Spanisch triunfo), sowie von dessen Verbform „triumphieren“ (auf Spanisch triunfar). Um die Wichtigkeit dieses Substantivs zu begreifen, muss man zuerst über deren semantische Bedeutung nachdenken. Gemäß Langenscheidt-Wörterbuch ist ein Triumph „ein großer Erfolg oder Sieg“.9 Der Begriff bezeichnet daher ein Ereignis, in dem eine beachtliche Leistung vollbracht wird. In unserem Fall wurde das Substantiv gebraucht, wenn José Figueroa Sanabia einen gelungenen Auftritt in einem für seine Karriere bedeutsamen Konzert hatte. So gut wie immer fanden solche Konzerte im Ausland statt, denn es waren diese, die ihm internationale Anerkennung verschafften.10 Man liest folglich Titel wie beispielsweise „Los artistas puertorriqueños Hermanos Figueroa siguen triunfando en Nueva York“11, oder „Otro triunfo de los Hermanos Figueroa“12 bzw. „Otro triunfo puertorriqueño“13 sowie Äußerungen wie „el gran triunfo obtenido en Madrid por el magnífico artista“14, oder „el

9

Dieter Götz et al. (Hg.), „Triumph“, Langenscheidt: Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache, Neubearb., Berlin u.a. 2003, S. 1036.

10 Manchmal wird aber das Substantiv auch in Bezug auf einheimische Konzerte gebraucht (vgl. z.B. Pepe Quintana, „Noches de Arte“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 295); Anon., „José Figueroa dará un recital en Teatro UPR“, El Mundo, 16. September 1952, S. 26). 11 „Die puerto-ricanischen Künstlerbrüder Figueroa setzen ihren Triumphzug in New York fort“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Los artistas puertorriqueños Hermanos Figueroa siguen triunfando en Nueva York“, La Democracia, 7. Mai 1932, S. 1. 12 „Ein weiterer Triumph der Brüder Figueroa“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Otro triunfo de los hermanos Figueroa“, El Mundo, 11. April 1942, S. 8. 13 „Ein weiterer puerto-ricanischer Triumph“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Otro triunfo puertorriqueño“, El Mundo, 6. Oktober 1951, S. 6, AFF (Foto AFF 229). 14 „Der in Madrid vom großartigen Künstler erlangte große Triumph“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Un joven y gran artista puertorriqueño triunfa ruidosamente“, El Imparcial, 29. Juni 1925, S. 1; für andere Beispiele aus der

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esperado debut de los hermanos Figueroa […] resultó un triunfo inolvidable“15 bzw. „[l]os notables artistas portorriqueños Pepito […] y Narciso Figueroa, quienes volvieron a triunfar plenamente en el Town Hall de Nueva York“.16 Die Verwendung dieses Substantivs bzw. Verbs suggeriert, Figueroa Sanabia habe etwas so Außergewöhnliches geleistet, dass er das internationale Publikum mit seinem Geigenspiel in Erstaunen versetzt hätte. Dabei wird sein Image als Violinvirtuose wie auch seine charismatische Persönlichkeit besonders herausgestellt. Das hat sicherlich eine ganz andere Wirkung erzielt, als wenn man stattdessen z.B. lediglich behauptet hätte, dass es ein gelungener Auftritt war. Auf diese Weise wäre ein Konzert zwar positiv beschrieben worden, man hätte jedoch nicht so sehr seine musikalischen Leistungen und damit seine Virtuosität hervorgehoben.

2.3 Ü BERTREIBUNGEN Wenn man sich allein auf die vorliegenden Informationen über José Figueroa Sanabia in der puerto-ricanischen Presse jener Zeit stützen würde, käme man leicht auf den Gedanken, er wäre in der Tat einer der renommiertesten Geigenspieler seiner Zeit gewesen. Es ist gewiss nicht zu leugnen, dass Figueroa Sanabia tatsächlich in vielen Orten inner- und außerhalb Puerto Ricos aufgetreten ist und sowohl auf Puerto Rico als auch im Ausland gute Musikkritiken bekommen hat. Man darf dennoch seine musikalischen Leis-

ersten Periode (1925-1934) siehe: El Mundo (1928, Juli-August [?]), AFF (Foto IMG 3755-3757); Anon., „Gran triunfo de Pepito Figueroa en Nueva York“, El Mundo, [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 375-376). 15 „Das mit Spannung erwartete Debüt der Brüder Figueroa [...] wurde zu einem unvergesslichen Triumph“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Los hermanos Figueroa triunfan en su debut en Washington“, El Imparcial, 4. April 1942, S. 16; für andere Beispiele aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: Anon., „Hermanos Figueroa ovacionados en Nueva York“, El Mundo, 6. Februar 1942, S. 7; El Mundo (1938, Mai 31.), S. 7. 16 „Die bemerkenswerten puerto-ricanischen Künstler José […] und Narciso Figueroa, die in der Town Hall in New York wieder auf ganzer Linie triumphierten“ (meine Übers., O.R.V.). Benjamín Arnaldo Meyners, „Town Hall se llenó a capacidad para oír a hermanos Figueroa“, El Mundo, 30. September 1947, S. 10.

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tungen nicht überschätzen. Weder zu jener Zeit (1925-1952) noch späterhin hat Figueroa Sanabia den Grad an Aufmerksamkeit in der internationalen Kunstmusikwelt auf sich gezogen, den die Violinisten vom Format etwa eines Fritz Kreisler, Jascha Heifetz oder Efrem Zimbalist erreichten. Das mag heute selbstverständlich erscheinen, war es aber damals, zumindest in den Augen der Puerto Ricaner, nicht. Denn auf der Insel wurde er als einer der bedeutendsten Violinisten seiner Zeit dargestellt. Im Folgenden werde ich einige übertriebene Darstellungen analysieren, wie man sie über den Violinisten in der puerto-ricanischen Presse häufig finden konnte. In mehreren Artikeln in der puerto-ricanischen Presse begegnet man verschiedenen Vergleichen und Meinungen bezüglich José Figueroa Sanabias, die in eindeutiger Weise eine allzu idealisierte Einschätzung seiner Bedeutung in der damaligen Kunstmusikwelt aufweisen. Während der ersten Periode (1925-1934) stellt ihn beispielsweise ein puerto-ricanischer Musikkritiker auf die gleiche Stufe mit einigen der renommiertesten Violinisten seiner Zeit: „La magia de este instrumento en las manos de nuestro compatriota, es la misma magia irresistiblemente sugestiva de los Kreisler y los Heifetz.“17 Andere gehen sogar so weit, den puerto-ricanischen Violinisten als überlegen im Vergleich mit diesen Violinisten zu erklären. J. González Maetzu stellt z.B. fest: „Esta formidable obra para violín [nämlich die Suite E-Dur für Violine Solo von Bach, O.R.V.] […] la he podido oír en varias ocasiones por virtuosos como Fritz Kreisler, Jan Kuhelik, Eifrem Zimbalist y Jascha Heifetz, y pude comparar mentalmente la superioridad de nuestro gran artista antillano sobre la mayoría de esas estrellas de primera magnitud.“18

17 „Die Magie dieses Instruments in den Händen unseres Landsmanns ist die gleiche unwiderstehlich suggestive Magie der Kreislers und Heifetz’“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Festival artístico“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3460-3462). 18 „Dieses großartige Werk für Violine [nämlich die Suite E-Dur für Violine Solo von Bach, O.R.V.] [...] durfte ich zu verschiedenen Gelegenheiten von Virtuosen wie Fritz Kreisler, Jan Kuhelik, Eifrem Zimbalist und Jascha Heifetz hören und im Geiste vergleichend konnte ich die Überlegenheit unseres großen Künstlers von den Antillen [d.i. aus Puerto Rico, O.R.V.] gegenüber den meisten die-

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Auf der gleichen Linie liegt Fidel G. Cadilla: „Luego comenzó Figueroa a ejecutar el grandioso concierto en Fa Sostenido menor, de Vieuxtemps, obra monumental que sólo acometen artistas como Heifetz, Kuberlik, Prihoda o Zimbalist, y en verdad que la brillantez y perfección que desplegó en esa obra maestra, nos convenció de que no la tocaban mejor ninguno de los mencionados violinistas.“19

In den nächsten zwei Perioden (1935-1944 und 1945-1952) sind vergleichsweise weniger solcher Übertreibungen wie diese anzutreffen. Einigen begegnet man jedoch weiterhin. Zwischen 1935 und 1944 kann man Äußerungen finden, wie beispielsweise, dass „su nombre figura en la lista de las más esclarecidas figuras del arte contemporáneo“20 oder dass er „ha alcanzado un puesto destacado entre los primeros de Europa“.21 Analog

ser erstrangigen Musiker feststellen“ (meine Übers., O.R.V.). [Unbek. Zeitung] (1930-1939), AFF (Foto AFF 523). 19 „Figueroa begann dann das grandiose Konzert in fis-Moll von Vieuxtemps vorzutragen, ein monumentales Werk, das nur Künstler wie Heifetz, Kuberlik, Prihoda oder Zimbalist in Angriff nehmen und die Brillanz und Perfektion, die er in diesem Meisterwerk entfaltete, hat uns tatsächlich davon überzeugt, dass keiner der genannten Geiger es besser spielte“ (meine Übers., O.R.V.). Fidel G. Cadilla, „Positivamente grandioso fue el concierto de Pepito Figueroa en Arecibo“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3747-3752); für andere Beispiele aus der ersten Periode (1925-1934) siehe: Luis Antonio Miranda, „Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3689); Jota Sing, „Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3683); Anon., „Pepito Figueroa el mago del violín“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 541). 20 „Sein Name steht auf der Liste der berühmtesten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Kunst“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Homenaje de Brújula a José y Jaime Figueroa con motivo de su triunfo en el Concurso Internacional de Violinistas celebrado en Varsovia“, Brújula, 1/3 und 4, August 1935, S. 94. 21 „Er hat eine führende Position unter den ersten Europas erreicht“ (meine Übers., O.R.V.). Ángela Negrón Muñoz, „Los ocho hermanos Figueroa Sanabia reunidos hoy en Puerto Rico“, El Mundo, 13. August 1939, S. 7; siehe auch:

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dazu ist während der dritten Periode (1945-1952) zu lesen, dass Figueroa Sanabia „uno de los más prestigiosos intérpretes del arte musical de todos los tiempos“22 sei, bzw. dass Musikkritiker ihn als „uno de los [violinistas, O.R.V.] más completos de nuestros tiempos“23 bezeichnet hätten. 2.3.1 José Figueroa Sanabias Leistungen im Henryk-Wieniawski-Violinenwettbewerb In Bezug auf die Teilnahme Figueroa Sanabias am Henryk-WieniawskiViolinenwettbewerb 1935 sind zudem ähnlich übertriebene Einschätzungen über den Geiger zu finden. In mehreren Artikeln der zweiten und dritten Periode liest man z.B., José und Jaime hätten nicht mit 55, sondern mit 20024 oder sogar 40025 anderen Violinisten konkurriert. Darüber hinaus

Anon., „Se reúnen en Puerto Rico los hermanos Figueroa“, El Mundo, 2. September 1938, S. 8. 22 „Einer der renommiertesten Musikinterpreten aller Zeiten“ (meine Übers., O.R.V.). Juan Luis Márquez, „Puertorriqueños en Nueva York: José Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado, 17. Januar 1948, S. 4, AFF (Foto IMG 3470). 23 „Einer der komplettesten [Geiger, O.R.V.] unserer Zeit“ (meine Übers., O.R.V.). José Romeu, „Algunos rasgos sobresalientes de la vida de Pepito Figueroa“, Alma Latina, 15. März 1952, S. 4, AFF (Foto AFF 464). In einem anderen Artikel wird José Figueroa Sanabia auf eine ähnliche Weise charakterisiert, wenn behauptet wird, er gelte als „uno de los violinistas más completos y serios de nuestra época“. Später wird diese übertriebene Einschätzung jedoch unterminiert, wenn gesagt wird, dass „las actividades musicales de Pepito han sido relevantes, aunque no espectaculares“ (Anon., „Dos puertorriqueños ilustres: José y Narciso Figueroa darán un concierto en Carnegie Hall“, Alma Latina, 22. September 1951, S. 4, AFF [Foto AFF 342]). Für andere Beispiele aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: El Día (1945, Mai 15.), S. 1, AFF (Foto AFF 003); Anon., „Un Stradivarius para José Figueroa“, El Mundo, 7. Mai 1945, S. 6. 24 Sogar Jaime behauptet das interessanterweise in einem Interview einige Monate nach dem Wettbewerb (vgl. Ángela Negrón Muñoz, „Kachiro Figueroa revela interesantísimos detalles del Certamen de Polonia“, El Mundo, 21. Juli 1935, S. 6). Siehe auch: J. Bertoli Rangel, „Anecdotario íntimo de los artistas Figueroa“, El Imparcial, 7. November 1945, S. 16.

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wird bisweilen behauptet, sie hätten nicht auf jeden Fall das vierte bzw. siebte Ehrendiplom erhalten, sondern entweder den 3.26 oder 4.27 (im Fall Josés) bzw. entweder den 6.28 oder den 7.29 Preis (im Fall Jaimes) im Geigenwettbewerb gewonnen. Natürlich müssen diese Behauptungen hinsichtlich dieses Wettbewerbs nicht notwendigerweise als bewusst falsche Angaben betrachtet werden. Es könnte sich durchaus um Fehler handeln, die immer wieder von puerto-ricanischen Journalisten übernommen und weiter verbreitet wurden. Aber der entscheidende Punkt ist, dass sie veröffentlicht wurden und somit, genauso wie die zuvor diskutierten Äußerungen, beim Idealisierungsverfahren des puerto-ricanischen Geigers mitwirkten. Denn alle diese Äußerungen statteten den Violinisten mit einer übermenschlichen Aura aus, indem seine musikalische Begabung als geradezu unübertroffen oder (im Fall des Wettbewerbs) zumindest als äußerst außergewöhnlich dargestellt wurde.

2.4 ANEKDOTEN 2.4.1 Konzert im Wagner-Saal In der puerto-ricanischen Presse findet man auch mehrere Anekdoten bezüglich José Figueroa Sanabias, die von großer Bedeutung für die Idealisierung seines Images waren. Sie beziehen sich auf unterschiedliche Momente seines Lebens. Alle erfüllen dennoch dieselbe Funktion, und zwar das musikalische Talent des puerto-ricanischen Violinisten als schlechterdings überirdisch zu präsentieren und auf diesem Wege seine charismatische Per-

25 Vgl. Puerto Rico Ilustrado (1945, Juni 30.), S. 25; J.M. Rodríguez, „Pepito y Narciso Figueroa“, El Mundo, 24. März 1940, [o.S.], AFF (Foto AFF 514). 26 Vgl. El Imparcial (1945, November 7.), S. 16. 27 Vgl. Puerto Rico Ilustrado (1945, Juni 30.), S. 26; El Mundo (1940, März 24.), AFF (Foto AFF 514); Anon., „¿Quién es quién?“, Puerto Rico Ilustrado (?), [n.d.], S. 26, AFF (Foto IMG 3617); Puerto Rico Ilustrado (1948, Januar 17.), S. 67, AFF (Foto IMG 3490). 28 Vgl. Puerto Rico Ilustrado (1945, Juni 30.), S. 26; El Mundo (1940, März 24.), AFF (Foto AFF 514). 29 Vgl. El Imparcial (1945, November 7.), S. 16.

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sönlichkeit herauszustellen. Eine von diesen Anekdoten, veröffentlicht während der ersten Periode (1925-1934), betrifft z.B. das Konzert Figueroa Sanabias in der Sala Wagner 192230, als er zusammen mit Henri Ern die Tournee durch Kuba und Mexiko (1921-1922) unternahm.31 Diese Begebenheit wird folgendermaßen wiedergegeben: „En la capital de la república [d.i. Mexiko-Stadt, O.R.V.] tocó en la selecta Sala Wagner en donde el eminente músico Don Julián Carrillo, director de la Orquesta Sinfónica Nacional le ofreció un puesto en su reputada organización y casi llorando de entusiasmo y alegría lo abrazó repetidas veces diciéndole: ‚La gloria la tiene al alcance de la mano ¡No la deje escapar!‘“32

Offensichtlich beabsichtigt diese Anekdote, Figueroa Sanabia als außergewöhnlich talentierten Violinisten darzustellen. Die Hervorhebung seiner musikalischen Fähigkeiten erfolgt hierbei durch eine musikalische Autorität. Julián Carrillo, einer der bedeutendsten mexikanischen Musiker jener Zeit, fungiert in dieser Begebenheit als der Musikexperte. Selbst wenn man ihn nicht kennen sollte, kann man aus der Bemerkung, dass er Dirigent des Orquesta Sinfónica Nacional von Mexiko ist, seine musikalische Autorität ableiten. Die vermeintlich euphorische Reaktion Carrillos auf die Aufführung Figueroa Sanabias („casi llorando de entusiasmo y alegría lo abrazó repetidas veces“), das Angebot einer Stelle in seinem Orchester sowie seine ermunternden Worte am Ende, mit denen er Figueroa Sanabia eine vielver-

30 Siehe S. 66-67. 31 Obwohl es sich bei dieser Anekdote nicht um eine Begebenheit im Leben Figueroa Sanabias aus der Zeit zwischen 1925 und 1934 handelt, so wurde sie während dieser Zeitspanne (1925) veröffentlicht. Wichtig in diesem Zusammenhang ist das Jahr, in dem sie veröffentlicht wurde und nicht die Zeit, zu der sie sich ereignet hat. 32 „In der Hauptstadt der Republik [d.i. Mexiko-Stadt, O.R.V.] spielte er im renommierten Wagner-Saal, wo der hervorragende Musiker Don Julián Carrillo, Direktor des Nationalen Symphonieorchesters, ihm eine Stelle in seiner namhaften Organisation anbot und fast weinend vor Begeisterung und Freude umarmte er ihn mehrmals und sagte zu ihm: ‚Der Ruhm ist zum Greifen nah. Lassen Sie ihn nicht entkommen!‘“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Pepito Figueroa, domador del triunfo“, El Mundo, 5. Juli 1925, S. 12.

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sprechende Zukunft voraussagt, sind drei Elemente innerhalb dieser kurzen Begebenheit, anhand deren das musikalische Talent des puerto-ricanischen Geigers als außerordentlich dargestellt und somit sein Image als Violinvirtuose bestätigt wird. 2.4.2 Auftritt mit Antonio Fernández Bordas und Carlos Sedano Eine weitere Begebenheit aus der ersten Periode (1925-1934), die sich auf das Konzert am 11. Juni 1926 im Teatro de la Comedia in Madrid bezieht, in dem Figueroa Sanabia gemeinsam mit Carlos Sedano und Antonio Fernández Bordas auftrat33, idealisiert das Image des puerto-ricanischen Violinisten in anderer Form. Diesmal wird seine musikalische Begabung nicht etwa durch lobende Äußerungen seitens dieser zwei Musiker bekräftigt, sondern durch die (vermeintlich) überlegene Darbietung (trotz schlechterer Bedingungen) seitens des puerto-ricanischen Geigers. Die Anekdote, welche als eine Zeugenaussage von Teodoro Aguilar wiedergegeben wird, geht so: „Tocaban tres grandes virtuosos: Sedano, Fernández Bordas y Pepito. Los tres violines habrían de cantar separadamente. Empezó Sedano que es una maravilla, siguióle Fernández Bordas que fue el profesor de nuestro paisano. Cuando empezó a tocar Pepito después de los otros dos sentí el miedo que inspira la desconfianza en el primer momento, pero ¡qué! bastaron las primeras notas arrancadas al violín con suprema maestría para descubrir que nuestro artista estaba a la altura de los otros dos… Los primeros ejecutaban en violines de alto precio, el nuestro en un violín de poco valor y sin embargo el nuestro arrancó, supo arrancar la ovación más delirante…“34

33 Siehe S. 78. 34 „Es spielten drei große Virtuosen: Sedano, Fernández Bordas und Pepito. Die drei Violinen würden separat singen. Es begann Sedano, der großartig ist, gefolgt von Fernández Bordas, der der Professor unseres Landsmanns war. Als Pepito nach den anderen zwei zu spielen begann, empfand ich die Angst, die der Zweifel im ersten Moment einflößt, aber, ach wo!, es genügten die ersten Noten, aus der Violine gezupft mit großer Meisterschaft, um festzustellen, dass unser Künstler auf der Höhe der beiden anderen war... Erstere spielten mit wertvollen

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In dieser Anekdote wird Seldano und Fernández Bordas besonderes Talent in erster Linie dadurch zugestanden, dass Aguilar zugibt, kurz gezweifelt bzw. befürchtet zu haben, Figueroa Sanabia könne mit ihnen nicht mithalten. Dieser Zweifel bildet den Höhepunkt der Schilderung. Er wird sogleich zurückgewiesen, als man den überlegenen Vortrag Figueroa Sanabias im Konzert erlebt. Die Bedeutung des Ausrufs („¡qué!“) in diesem Teil sollte nicht unterschätzt werden. Damit werden jedwede Zweifel hinsichtlich der großartigen musikalischen Fähigkeiten des puerto-ricanischen Violinisten umso energischer ausgeschlossen. Wenn außerdem gesagt wird, Figueroa Sanabia hätte eine noch positivere Reaktion des Publikums erhalten, obwohl er auf einer einfacheren Violine im Vergleich zu jenen von Seldano und Fernández Bordas gespielt habe, zielt man offensichtlich darauf, weitere Details heranzuziehen, um die Überlegenheit Figueroa Sanabias gegenüber Seldano und Fernández Bordas noch deutlicher herausstellen zu können. (Was hätte er mit einer besseren Violine noch leisten können!) So wird sein Image zusehends idealisiert. Bemerkenswert ist außerdem der Gebrauch des Possessivpronomens/Possessivartikels „unser“ („nuestro“) sowie des Substantivs „Landsmann“ („paisano“) in der Schilderung. Wie bereits diskutiert, spielten diese rhetorischen Mittel eine wichtige Rolle bei der Verbindung des (idealisierten) Images José Figueroa Sanabias mit dem puerto-ricanischen Volk. 2.4.3 Abschlussfeier in der École Normale de Musique Auch während der zweiten Periode (1935-1944) finden sich in der puertoricanischen Presse verschiedenste Anekdoten, die das Image José Figueroa Sanabias in beträchtlicher Weise verklären. Eine der interessantesten schildert die Abschlussfeier 1928 in der École Normale de Musique: „Durante la ceremonia, en un discurso breve pero muy significativo, Cortot expresó que uno de los que había obtenido la licencia, tocaría en la próxima temporada con la Orquesta Sinfónica; al decir esto todos los alumnos y profesores se volvieron

Geigen, der unsere mit einer Violine von geringem Wert und dennoch wusste er zu entlocken den stürmischsten Beifall“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., Triunfadores, San Juan 1927, S. 218-219, AFF (Foto IMG 3702-3703).

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hacia Pepito, y le felicitaron y aplaudieron, pues según lo dejó traslucir Cortot en sus palabras, Pepito Figueroa fue el elegido.“35

Die musikalische Begabung des puerto-ricanischen Violinisten findet hier ihre Bestätigung in der Reaktion seiner Kommilitonen und Professoren auf die Ankündigung Cortots. Es wird dabei suggeriert, José Figueroa Sanabia habe während seiner Studienzeit an der École große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Deshalb sei allen in der Abschlussfeier klar gewesen, dass nur er derjenige sein könne, auf den sich Cortot in der Ansprache bezog, selbst wenn Cortot seinen Namen nicht ausdrücklich nannte. Außerdem beachtenswert ist die Feststellung, dass nur einer der Absolventen, nämlich José Figueroa Sanabia, als Solist mit dem Pariser Symphonieorchester auftreten würde. Wie man sehen konnte, stimmt das nicht.36 In Wirklichkeit spielten drei weitere Absolventen, nämlich Warlop, Datte und Voulfman, zusammen mit ihm in diesem Konzert. Offenkundig finden die anderen Solisten keine Erwähnung, um auf diese Weise das Verdienst des puerto-ricanischen Violinisten umso deutlicher hervorheben zu können. Denn indem behauptet wird, allein Figueroa Sanabia würde aufgrund seiner musikalischen Begabung als Solist in einem Konzert des Pariser Symphonieorchesters auftreten, erhält diese Auszeichnung eine viel größere Bedeutung, als wenn gesagt worden wäre, er würde mit drei anderen Violinisten zusammen spielen, wie es in Wirklichkeit war. Das hätte sein Talent indirekt relativiert, denn in diesem Fall wäre er nicht der einzige ungewöhnlich begabte Musiker unter den Absolventen gewesen. Sein Image als außeror-

35 „Während der Zeremonie, in einer kurzen aber sehr bedeutenden Rede sagte Cortot, dass einer von denen, die die Lizenz erworben hatten, in der nächsten Saison mit dem Sinfonieorchester spielen würde; als er dies sagte, wandten sich alle Studenten und Professoren Pepito zu und gratulierten und applaudierten ihm, denn wie Cortot in seinen Worten durchblicken ließ, war Pepito Figueroa der Auserwählte“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1940, März 24.), AFF (Foto AFF 514); dieselbe Anekdote findet man auch in: Puerto Rico Ilustrado (1948, Januar 17.), S. 20, AFF (Foto IMG 3488); Puerto Rico Ilustrado (1945, Juni 30.), S. 24. Eine andere Anekdote (während der zweiten Periode) bezüglich des Debüts des Figueroa-Quintetts in Washington D.C. am 25. März 1942 findet man in: El Imparcial (1942, April 4.), S. 16. 36 Siehe S. 93-94.

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dentlich talentierter Violinist wäre dann nicht so wirkungsvoll in Erscheinung getreten. 2.4.4 Erstes Treffen mit Henri Ern Eine andere merkwürdige Anekdote, veröffentlicht während der dritten Periode (1945-1952), erzählt von der ersten Begegnung José Figueroa Sanabias mit seinem deutschen Lehrer Henri Ern37: „José Figueroa contaba apenas ocho años de edad cuando fue oído por el eminente violinista y pedagogo suizo Henry Ern, quien se encontraba en la isla para ese tiempo. Tan impresionado quedó con la habilidad demostrada por el niño que resolvió quedarse en San Juan por largos años para educarlo musicalmente.“38

Genau wie in der Anekdote zuvor ist es auch hier wichtig darauf hinzuweisen, was unerwähnt bleibt, nämlich die Tatsache, dass sich Ern wegen des Kriegs eigentlich gegen seinen Willen auf der Insel für eine längere Zeit aufhalten musste. Stattdessen wird behauptet, der deutsche Geiger sei deshalb auf Puerto Rico geblieben, weil er vom musikalischen Talent José Figueroa Sanabias derart beeindruckt gewesen sei, dass er sich persönlich um seine Musikausbildung kümmern wollte. Das ist ein weiteres gutes Beispiel dafür, dass die musikalischen Fähigkeiten des jungen José Figueroa Sanabias bisweilen als geradezu überirdisch dargestellt wurden, um sein Image als Violinvirtuose zu idealisieren.

37 Siehe S. 51-52. 38 „José Figueroa war kaum acht Jahre alt, als er vom bedeutenden schweizerischen Geiger und Pädagogen Henri Ern gehört wurde, der sich zu jener Zeit auf der Insel aufhielt. Er war dermaßen von der dargebotenen Kunstfertigkeit des Kindes beeindruckt, dass er beschloss, für viele Jahre in San Juan zu bleiben, um ihn musikalisch zu erziehen“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „José Figueroa en Pro Arte“, El Imparcial, 15. September 1952, [o.S.], AFF (Foto AFF 590); dieselbe Anekdote findet man auch in: Anon., „José Figueroa dará un recital en teatro UPR“, El Mundo, 16. September 1952, S. 26; Puerto Rico Ilustrado (?) (1945 [?]), S. 26, AFF (Foto IMG 3617).

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2.4.5 Die Stradivari von Pablo Sarasate Eine andere interessante Anekdote, Antonio Fernández Bordas und José Figueroa Sanabia betreffend, aus der dritten Periode (1945-1952) lautet folgendermaßen: „El afecto del señor Fernández Bordas hacia Pepito se manifestó en toda su plenitud el día en que, tomando a aquel de la mano le llevó hasta una sala desierta del Conservatorio; abrió una urna fuertemente guarnecida; sacó de ella un violín Stradivarius, y poniéndolo en manos de su discípulo, le dijo: – Este honor no l[e] ha sido dispersado a muchas personas en el mundo; sólo a los elegidos les está concedida esta gracia.“39

Die Anekdote bezieht sie sich auf die Zeit, in der der puerto-ricanische Geiger den Sarasate-Preis gewann.40 Wie ich erwähnt habe, durfte der Gewinner dieses Preises – neben dem Gewinn einer gewissen Geldsumme – die Stradivari von Pablo Sarasate in einem Konzert spielen. Die Anekdote gibt (vermeintlich) den Augenblick wieder, in dem Figueroa Sanabia die Violine übergeben wurde. Dieser Moment erhält in der Erzählung den Charakter eines religiösen Rituals: Fernández Bordas bringt Figueroa Sanabia zu einem Privatzimmer, wo die Stradivari liegt. Dort reicht er ihm die Violine und macht ihn auf die Bedeutung aufmerksam, die dieses Privileg, das ganz wenigen Violinisten in der Welt zuteilwird, darstellt. Anhand dieses ‚Rituals‘ wird José Figueroa Sanabia gewissermaßen in den auserlesenen Kreis außergewöhnlicher Violinisten aufgenommen und damit sein Image als Violinvirtuose weiter gestärkt.

39 „Die Zuneigung von Herrn Fernández Bordas zu Pepito offenbarte sich am deutlichsten an dem Tag, an dem er ihn bei der Hand nahm und zu einem verlassenen Zimmer des Konservatoriums führte; er öffnete eine stark verzierte Vitrine; holte eine Stradivari-Geige heraus und, während er sie in die Hände seines Schülers legte, sagte er zu ihm: – Diese Ehre wurde nicht vielen Menschen in der Welt zuteil, nur den Auserwählten wird dieses Privileg gewährt“ (meine Übers., O.R.V.). El Imparcial (1945, November 7.), S. 16. 40 Siehe S. 74-75.

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2.4.6 Herr Perkins und die Kritik der New York Herald Tribune Eine letzte Anekdote, diesmal das Konzert am 29. Dezember 1930 in der Music Hall des Roerich Museum in New York41 betreffend, möchte ich noch analysieren: „El ‚debut‘ de Pepito en Nueva York tuvo lugar en la Sala Roerich, en Riverside Drive. Uno de los críticos más eminentes de Estados Unidos, el señor Perkins, había sido invitado para el concierto de José Figueroa. Pero este señor tenía otro compromiso para esa misma noche. En Carnegie Hall, otro famoso violinista, Joseph Szygeti, celebraba un gran concierto. La distancia entre las dos salas de conciertos era muy grande de modo que cuando llegó el famoso crítico al concierto de Pepito la primera parte había terminado. Mr. Perkins se pone furioso, está insoportable, y cuando se dispone a marcharse ve que va a dar comienzo la segunda parte. Se acomoda de nuevo en su butaca y ve al artista aparecer en el proscenio. Tiene lugar en seguida la interpretación de un solo de Bach. El hombre se incorpora en su asiento, recobra su buen humor, se interesa, toma notas y terminado el número sale presuroso. Al siguiente día el New York Herald publica una crítica altamente encomiástica, aunque breve, de los dos violinistas.“42

41 Siehe S. 100-101. 42 „Das ‚Debüt‘ von Pepito in New York fand in der Roerich Hall, in Riverside Drive, statt. Einer der prominentesten Kritiker der USA, Mr. Perkins, war zum Konzert José Figueroas eingeladen worden. Aber er hatte eine andere Verabredung für diesen Abend. In der Carnegie Hall gab ein anderer berühmter Geiger, Joseph Szygeti, ein großes Konzert. Die Entfernung zwischen beiden Konzertsälen war sehr groß, sodass der erste Teil bereits beendet war, als der berühmte Kritiker ins Konzert von Pepito kam. Mr. Perkins wird wütend, ist unerträglich, und als er im Begriff ist zu gehen, merkt er, dass der zweite Teil beginnt. Er macht es sich wieder auf seinem Platz bequem und sieht den Künstler auf der Bühne erscheinen. Es erfolgt sofort die Interpretation eines Bach-Solos. Der Mann richtet sich in seinem Sitz auf, findet seine gute Laune wieder, interessiert sich, macht sich Notizen und, sobald das Stück zu Ende ist, eilt er hinaus. Am nächsten Tag veröffentlicht der New York Herald eine, wenngleich kurze, so doch äußerst lobende Rezension von beiden Geigern“ (meine Übers., O.R.V.). Puerto Rico Ilustrado (1945, Juni 30.), S. 77. Diese Rezension wird auf S. 101,

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Das musikalische Talent José Figueroa Sanabias wird in dieser Anekdote vor allem anhand von Perkins’ Reaktion hervorgehoben. Es wird suggeriert, die hervorragende Aufführung der Komposition von Bach43 durch José Figueroa Sanabia habe den Musikkritiker beruhigt und – noch wichtiger – so sehr beeindruckt, dass er den Konzertsaal in großer Eile verließ, um eine sehr wohlwollende Musikkritik darüber zu verfassen. Wichtig ist außerdem, dass der puerto-ricanische Violinist in der Schilderung mit dem renommierten Geiger Joseph Szygeti auf eine Stufe gestellt wird, indem behauptet wird, „ein anderer berühmter Musiker“ sei ebenfalls an jenem Abend anderswo in New York aufgetreten. Diese beide Elemente tragen erheblich zur Idealisierung des Images des puerto-ricanischen Geigers bei.

2.5 M USIKKRITIKEN : E INE

VERGLEICHENDE

ANALYSE

Da José Figueroa Sanabia ein Musiker war, kam logischerweise den Konzertberichten eine wesentliche Rolle bei dem Verfahren seiner Idealisierung zu. Ich habe bereits einige dieser Rezensionen als Beispiele für die obige Diskussion herangezogen. In diesem Teil werde ich diese und alle weiteren verfügbaren Musikkritiken aus der puerto-ricanischen und ausländischen Presse analysieren, um herauszuarbeiten, worin sich die Repräsentationsarten der musikalischen Darbietungen Figueroa Sanabias unterscheiden. Auf diese Weise wird man besser einschätzen können, inwiefern puerto-ricanische Musikkritiker den Geiger idealisierten. Nicht alle Artikel, die sich auf ein Konzert José Figueroa Sanabias beziehen, habe ich in der Analyse mit berücksichtigt, sondern nur diejenigen wurden untersucht, die eine Beurteilung (egal wie allgemein sie sein mag) über eine Aufführung des puerto-ricanischen Geigers oder zumindest über einen Aspekt davon beinhalten. Das heißt, dass Berichte, die lediglich in wenigen Worten auf ein Konzert Figueroa Sanabias hinweisen, ohne etwas Spezifisches über das Konzerterlebnis mitzuteilen, hier nicht aufgenommen wurden. Andere Artikel – überwiegend aus der puerto-ricanischen Presse –, die wegen der bloß

zitiert. Wie man merken kann, werden die musikalischen Leistungen José Figueroa Sanabias nicht so sehr gelobt, wie es hier behauptet wird, wenngleich er tatsächlich eine gute Kritik von Perkins erhielt. 43 In diesem Konzert trug er die Partita in G-moll für Violine vor.

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allgemeinen Anmerkungen über das Konzert eine Bezeichnung als Musikkritik eigentlich nicht verdienen, wurden dennoch mit aufgenommen, da sie letzten Endes auch eine kritische Beurteilung der Aufführungen enthalten. 2.5.1 Puerto-ricanische Musikkritiken Sowohl einheimische als auch ausländische Musikkritiker haben in der Regel die Konzerte José Figueroa Sanabias sehr wohlwollend rezensiert. Dennoch kann man bei puerto-ricanischen Musikkritikern eine Tendenz erkennen, die musikalischen Leistungen des puerto-ricanischen Violinisten zu idealisieren. Diese Idealisierung erfolgte in unterschiedlicher Weise. Beispielsweise neigten mehrere von ihnen dazu, eine ausgesprochen hyperbolische Ausdruckweise bei der Beschreibung des Konzerterlebnisses zu verwenden. Dabei stellten sie die musikalischen Leistungen Figueroa Sanabias in einer derart verklärten Weise dar, dass sie unübertrefflich erscheinen mussten. Diesen Idealisierungsmechanismus trifft man vor allem in der ersten Periode (1925-1934) an, auch in der zweiten sind einige Beispiele zu finden, keine jedoch in der dritten. Ángel Muñoz schreibt beispielsweise Bezug nehmend auf den Auftritt Figueroa Sanabias an der Universität von Puerto Rico am 4. Februar 1927: „La prodigiosa ejecución y la insuperable interpretación del joven músico, arrebataron a los concurrentes en un extático paroxismo de emotividad y de belleza. Al finalizar el acto todos los ánimos se sintieron embargados por una profunda satisfacción y honda complacencia que se manifestaron en ardientes y sinceras felicitaciones, y sabrosos comentarios. Pepito estuvo a la altura de un maestro del violín.“44

44 „Der erstaunliche Vortrag und die unübertroffene Interpretation des jungen Musikers riss die Konzertbesucher in einem ekstatischen Ausbruch von Emotion und Schönheit mit sich. Als die Veranstaltung endete, fühlten sich alle Gemüter von tiefer Zufriedenheit und Wohlgefallen ergriffen, die sich in begeisterten und ehrlichen Glückwünschen sowie exquisiten Kommentaren manifestierten. Pepito war auf der Höhe eines Meisters der Violine“ (meine Übers., O.R.V.). Ángel Muñoz, „Noche de arte en la universidad“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3743).

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Wie man sehen kann, behauptet der Musikkritiker, dass das Geigenspiel José Figueroa Sanabias das Publikum in eine Art ekstatischen Zustands versetzte, der ihm eine außergewöhnliche ästhetische Erfahrung zuteilwerden ließ. Auf eine ganz ähnliche Weise wird sein Auftritt in Manatí am 27. März 1927 geschildert. Hier stellt der Musikkritiker fest: „Desde las primeras notas armoniosas y sublimes que brotaron de su mágico violín, el público que le escuchaba se sintió do[mi]nado por una fuerza extraña que lo transportó a regiones ignotas, al mundo de la idealidad; lo arrobó en un éxtasis deleitoso y ejerció en el auditorio una influencia poderosa.“45

Zu beachten ist in diesem Zitat die Bezeichnung von José Figueroa Sanabias Geigenspiel als magisch46 sowie die Tatsache, dass der von ihm vorgetragenen Musik eine fast unbeschreibliche (sprich sublime) Qualität zugeschrieben wird, die das Publikum – ähnlich wie in der Äußerung zuvor – in eine Art musikalisches Jenseits versetzt. Es ist unschwer zu erkennen, dass solche Beschreibungen gezielt jenen einer religiösen Erfahrung nahekommen sollen, ein Vergleich, der in mehreren anderen Rezensionen ebenfalls zu finden ist.47

45 „Von den ersten harmonischen und erhabenen Tönen an, die seiner magischen Violine entsprangen, fühlte sich das Publikum, das ihm zuhörte, von einer seltsamen Kraft beherrscht, die es zu unbekannten Regionen führte, zur Welt der Idealität; sie versetzte es [d.i. das Publikum, O.R.V.] in Verzückung einer köstlichen Ekstase und übte im Auditorium eine mächtige Wirkung aus“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „El concierto de Pepito Figueroa en Manatí“, [unbek. Zeitung], 2. April 1927, [o.S.], AFF (Foto IMG 3758). 46 Für andere Beispiele, in denen seine Violine als magisch bezeichnet wird, siehe: Anon., [o.T.], [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3631); [unbek. Zeitung] (1927, Januar 28 [?]), AFF (Foto IMG 3750). 47 Vgl. z.B. [unbek. Zeitung] (1930-1939), AFF (Foto AFF 524); [unbek. Zeitung] (1927, Januar 28 [?]), AFF (Foto IMG 3751); Anon., „La despedida de los hermanos Figueroa“, El País, [n.d.], S. 1, AFF (Foto AFF 633). Diese Art und Weise über Musik zu schreiben, ist auf den sogenannten musikalischen Idealismus des 19. Jahrhunderts zurückzuführen (vgl. William Weber, The Great Transformation of Musical Taste: Concert Programming from Haydn to Brahms, Cambridge u.a., S. 96; Mark Evan Bonds, „Idealism and the Aesthetics

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Wie ich schon erwähnt habe, kommen solche hyperbolischen Ausdrucksweisen während der zweiten Periode (1935-1944) nicht so häufig vor. Einige Beispiele gibt es jedoch. In einer Musikkritik betreffs des Konzerts am 12. September 1935 für Pro Arte Musical behauptet etwa Rafael Montañez: „El insigne Pepito Figueroa con un extraordinario programa cuya recordación perdurará porque difícilmente se concibe que la belleza en cualquiera de sus manifestaciones logre contornos más abismadores que un concierto de Pepito Figueroa.“48

Analog zu früheren Formulierungen kann man hier sehen, wie ein Konzert José Figueroa Sanabias als das höchste ästhetische Erlebnis dargestellt wird, das man je erleben könnte. Somit wird in dieser und allen Äußerungen zuvor seinen musikalischen Fähigkeiten (ähnlich wie bei den Anekdoten) eine fast übermenschliche Qualität zugeschrieben, wodurch sein Image erheblich idealisiert wird. Ein etwas subtilerer Idealisierungsmechanismus ist bei der Beurteilung konkreter Aspekte des Geigenspiels José Figueroa Sanabias zu erkennen. Man sieht eine Tendenz bei puerto-ricanischen Musikkritikern, allen Aspekten seiner Darbietungen stets einen äußerst hohen Gefälligkeits- bzw. Zufriedenheitsgrad zuzugestehen. Das erreichte man zuallererst durch den Gebrauch auffallend positiver Adjektive bei der Beschreibung von Figueroa Sanabias Aufführungen. Auf diese Weise erweckte man den Anschein, dass ein besserer Vortrag als jener des Geigers aus Puerto Rico nicht möglich gewesen wäre. Alle von Puerto Ricanern verfassten vorhandenen Rezensionen weisen diesen Idealisierungsmechanismus auf. Während der ersten

of Instrumental Music at the Turn of the Nineteenth Century“, Journal of American Musicological Society, 50/2 und 3, Sommer-Herbst 1997, S. 410-411). 48 „Der berühmte Pepito Figueroa, mit einem außergewöhnlichen Programm, dessen Erinnerung bestehen bleiben wird, denn es ist schwer vorstellbar, dass die Schönheit in irgendeiner ihrer Manifestationen erstaunlichere Konturen erreicht als ein Konzert Pepito Figueroas“ (meine Übers., O.R.V.). Rafael Montañez, „El concierto de Pepito Figueroa en ‚Pro Arte‘“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3676-3677).

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Periode (1925-1934) meint beispielsweise Pepe Quintana bezüglich des Konzerts Figueroa Sanabias in Aguadilla am 23. Dezember 1926: „[E]l eminente violinista ejecutó con una brillante técnica y con una maestría admirable, el preludio y allegro de Pugnanini [sic], considerada por la crítica mundial, como una obra maestra, como un monumento de la música. Las notas de su violín tocaron una a una, todas las fibras de nuestros corazones, y al terminar, una verdadera catarata de aplausos premió la magnífica labor del magnífico violinista.“49

In einer anderen Rezension wird außerdem festgestellt: „La técnica de Pepito es impecable; su afinación perfecta, aun en la difícil prueba de la Suite para violín solo de Juan Sebastián Bach, le colocan entre los más eminentes virtuosos de la época.“50 Auffällig in beiden Feststellungen sind die äußerst positiven Adjektive, die bei der Beschreibung von Figueroa Sanabias Spiel zur Anwendung kommen. In der ersten wird zum Ausdruck gebracht, er habe mit einer „brillante técnica y con una maestría admirable“ gespielt und deshalb eine „magnifica labor“ geleistet, was vom Publikum sehr geschätzt wurde. In der zweiten wird gesagt, er besitze eine „técnica impecable“ und eine „afinación perfecta“. Deswegen solle man ihn als

49 „Der hervorragende Geiger trug mit einer brillanten Technik und einer bewundernswerten Meisterschaft das Präludium und Allegro von Pugnanini [sic] vor, das von der internationalen Kritik als ein Meisterwerk, als ein Denkmal der Musik betrachtet wird. Die Noten seiner Geige berührten eine nach der anderen jede Faser unserer Herzen und am Ende belohnte ein wahrer Wasserfall von Applaus die hervorragende Leistung des ausgezeichneten Geigers“ (meine Übers., O.R.V.). [Unbek. Zeitung] (1926, Dezember), AFF (Foto AFF 295). 50 „Pepitos Spieltechnik ist tadellos; seine perfekte Intonation, selbst in einer so schwierigen Prüfung wie der Suite für Violinsolo von Johann Sebastian Bach, reiht ihn ein bei den prominentesten Virtuosen seiner Zeit“ (meine Übers., O.R.V.). [Unbek. Zeitung] (1930-1939), AFF (Foto AFF 524). Es gilt zu berücksichtigen, dass es nicht zu hundert Prozent sicher ist, dass diese Rezension in der ersten Periode (1925-1934) verfasst wurde. Sie könnte eventuell aus einer späteren Zeit stammen. Jedenfalls wohnte José Figueroa Sanabia immer noch in Europa. Meines Erachtens aber, basierend auf den vorliegenden Quellen, stammt sie aus der ersten Periode, aber das konnte ich nicht (im Unterschied zu den anderen Quellen) mit absoluter Sicherheit bestimmen.

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einen der größten Violinisten seiner Zeit betrachten. Man sieht somit, dass in beiden Fällen seinen Aufführungen ein äußerst hoher Zufriedenheitsgrad zugestanden wird. Während der zweiten Periode (1935-1944) stellt man bei J.R. Rodríguez Arresón genau denselben hohen Gefälligkeitsgrad fest: „Todos los tonos, matices e inflexiones con que se revisten los pensamientos musicales para traducir las diversas emociones del compositor, hallan en este preclaro virtuoso un realizador exquisito, cuya suprema facultad consiste en disimular de tal modo el esfuerzo que exige la labor rendida que parece como sumergido en una serenidad hierática.“51

Wie man sehen kann, stellt Rodríguez Arresón die Streichtechnik José Figueroa Sanabias als außerordentlich dar und erklärt ihn zu einem idealen Interpreten („realizador exquisito“) von Kunstmusik, da er die Fähigkeit besitze, die Absichten des Komponisten gänzlich nachvollziehen zu können. Ähnlich schreibt G.H.D. in Bezug auf das Konzert in der Bibliothek von New York am 16. März 1942: „En la tercera y última parte del novedoso programa presentaron los hermanos Figueroa un quinteto breve de proporciones pero rebosante de temas chispeantes y ritmos interesantísimos, obra del joven compositor Joaquín Nin Culmell […] Con el compositor al piano, los Figueroa imprimieron a la obra de su compañero tal entusiasmo juvenil y desconcertante brillantez de ejecución, que el público, subyugado, les recompensó con una delirante ovación, haciéndoles salir varias veces a escena.“52

51 „Alle Töne, Nuancen und Modulationen, mit denen die musikalischen Gedanken versehen werden, um die verschiedenen Emotionen des Komponisten zu übersetzen, finden in diesem berühmten Virtuosen einen exquisiten Interpreten, dessen höchste Fähigkeit darin besteht, die Anstrengung, die die geleistete Arbeit erfordert, derart zu verbergen, dass er wie in einer feierlichen Gelassenheit versunken zu sein scheint“ (meine Übers., O.R.V.). José M. Rodríguez Arresón, „El arte de Pepito Figueroa“, El Mundo, 26. Oktober 1937, S. 7. 52 „Im dritten und letzten Teil des originellen Programms präsentierten die Brüder Figueroa ein Quintett, kurz an Proportionen, jedoch übervoll an funkensprühenden Themen und interessantesten Rhythmen, ein Werk des jungen Komponisten Joaquín Nin Culmell […] Mit dem Komponisten am Klavier präg-

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Die Formulierung „desconcertante brillantez de ejecución“, welche – ähnlich wie bei den Äußerungen im vorigen Abschnitt – das Publikum betört habe, schildert die Aufführung José Figueroa Sanabias (und seiner Brüder) als äußerst gelungen. Ein vollkommener Zufriedenheitsgrad ist somit auch in dieser Musikkritik festzustellen. Wie ich später zeigen werde, bekam Figueroa Sanabia zwar auch von ausländischen Musikkritikern positive Rezensionen, jedoch nicht von allen. In den Konzertberichten ausländischer Kritiker werden unterschiedliche Gefälligkeitsgrade deutlich, was einer wirklichkeitsnäheren Darstellung seiner Darbietungen entspricht. Demgegenüber findet man in den puerto-ricanischen Rezensionen prinzipiell einen stets gleich hohen Grad positiver Bewertung, wodurch notwendigerweise eine sehr idealisierte Darstellungsart seiner musikalischen Leistungen erzeugt wurde. Aus der dritten Periode (1945-1952) liegt nur eine einzige Musikkritik vor, die von einem Puerto Ricaner53 verfasst worden ist.54 Sie weist – wie zu erwarten ist – denselben höchsten Gefälligkeitsgrad wie alle anderen auf:

ten die Figueroas dem Werk ihres Kollegen solch einen jugendlichen Enthusiasmus und eine verblüffende Brillanz beim Vortrag ein, dass das Publikum, betört, sie mit einem stürmischen Beifall belohnte, sodass sie mehrmals auf die Bühne zurückkehren mussten“ (meine Übers., O.R.V.). G.H.D., „Hermanos Figueroa en Biblioteca de New York“, El Mundo, 26. März 1942, S. 6. 53 Alle anderen vorliegenden Rezensionen wurden von ausländischen Musikkritikern verfasst (siehe S. 209-212). 54 Wenngleich es durchaus problematisch erscheinen mag, basierend auf dieser einzigen Rezension, den Schluss zu ziehen, alle anderen Musikkritiken aus dieser Periode würden dieselben Eigenschaften wie diese aufweisen, so kann man zumindest davon ausgehen. Denn man muss bedenken, dass alle anderen analysierten Aspekte, die Repräsentationsart José Figueroa Sanabias in der puerto-ricanischen Presse betreffend, durch alle drei Periode hinweg konstant geblieben sind. So darf man davon ausgehen, dass dasselbe für die Musikkritiken gilt. Eigentlich wäre es eine große Anomalie, wenn dies nicht der Fall wäre. In diesem Sinn kann man diese Musikkritik solange als repräsentativ für diejenigen aus der dritten Periode (1945-1952) betrachten, bis das Auffinden neuer Quellen eine endgültige Verifizierung zulässt.

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„La exquisita Sonata para piano y violín de Gabriel Fauré resultó un modelo de refinamiento y de sutileza. Los Figueroa se valieron muy bien de esta estupenda oportunidad de mostrar su fina sensibilidad, su gran sentido poético y su profunda comprensión del gran discípulo de César Franck. Pero a nuestro juicio, la obra cumbre de la noche fue la Chacona para violín de Juan Sebastián Bach. En ella el señor Figueroa se mostró no sólo como un técnico competente sino como un intérprete de enorme madurez y de un profundo sentido de musicalidad. Si es preciso comparar, diremos que no hemos escuchado ninguna interpretación violinística de Bach más auténticamente sentida y más claramente expresada que la del señor Figueroa.“55

Ähnlich wie bei allen anderen puerto-ricanischen Musikkritiken, werden auch hier sehr positive Adjektive bei der Beschreibung von Figueroa Sanabias Geigenspiel gebraucht. Es fällt auf, was die Sonate von Fauré betrifft, wie „su fina sensibilidad, su gran sentido poético y su profunda comprensión“ bezüglich der Absichten des Komponisten gepriesen werden, sowie dass José Figueroa Sanabia, was die Chaconne betrifft, nicht bloß als „técnico competente“, sondern vielmehr als „intérprete de enorme madurez y de un profundo sentido de musicalidad“ charakterisiert wird. Die Tatsache fernerhin, dass seine Interpretation der Chaconne als die beste bezeichnet wird, die der Musikkritiker je gehört habe, betont umso eindeutiger die absolute Zufriedenheit mit seinem Spiel.

55 „Die exquisite Sonate für Klavier und Violine von Gabriel Fauré erwies sich als ein Muster der Raffinesse und Subtilität. Die Figueroas nutzten diese perfekte Gelegenheit aus, um ihre feine Sensibilität, ihren großartigen poetischen Sinn und ihr tiefes Verständnis des großen Schülers von César Franck zu zeigen. Aber unserer Meinung nach war der Höhepunkt des Abends die Chaconne für Violine von Johann Sebastian Bach. In ihr zeigte sich Herr Figueroa nicht nur als ein kompetenter Techniker, sondern auch als ein Interpret von großer Reife und einem tiefen Sinn für Musikalität. Wenn ein Vergleich erforderlich wäre, würden wir sagen, dass wir keine Violine-Interpretation von Bach je gehört haben, die so authentisch empfunden und klar zum Vortrag gebracht wurde, wie jene des Herrn Figueroa“ (meine Übers., O.R.V.). Roger Martínez, „Concierto de Pepito Figueroa en UPR provocó entusiasmo de estudiantes“, La Torre, 7. November 1945, S. 3, AFF (Foto AFF 066).

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Die Tendenz, die positiven Aspekte der Aufführungen José Figueroa Sanabias hervorzuheben und diesen damit einen äußerst hohen Zufriedenheitsgrad einzuräumen, ging einher mit einem festzustellenden Widerstand, auf jeglichen negativen Aspekt seiner Auftritte hinzuweisen. (Diese Abneigung kann man tatsächlich als die Kehrseite der Medaille des zuvor analysierten Idealisierungsmechanismus ansehen.) In den Augen der Puerto Ricaner schien José Figueroa Sanabia ohne Fehler zu sein: Aus den 18 vorliegenden Rezensionen, die von puerto-ricanischen Musikkritikern zwischen 1925 und 1952 verfasst worden sind, beinhalten nur zwei irgendwelche negativen Kommentare bezüglich einer Aufführung des puerto-ricanischen Violinisten.56 In einer von ihnen wird lediglich festgestellt: „En la Sicilienne y Rigaudon de Francoeur-Kreisler, hallamos que el matizado requería un poco más de relieve, pero la ejecución no dejó nada que desear. ¡Fácil dificultad!“57 Hier fällt auf, wie eine subtile Kritik bezüglich der Interpretation zwar vorgebracht, aber unmittelbar darauf wieder heruntergespielt wird, indem die Aufführung allgemein gelobt wird. Das Oxymoron am Ende („¡Facil dificultad!“) drängt umso mehr das Positive des Vortrags in den Vordergrund und bagatellisiert so die vorausgegangene kritische Bewertung. Die zweite negative Anmerkung findet man in einer Rezension über das Konzert des Figueroa-Quintetts in der Town Hall am 30. Januar 1942. Sie bezieht sich aber eher auf seine Brüder: „[P]udo notarse cierta nerviosidad de ejecución ocasionada sin duda por el efecto novedoso que experimentaban Guillermo y Rafael en su primera actuación ante el público. Pero ya al iniciarse el Tercer Movimiento – Menuetto Allegretto [des Streichquartetts Nr. 5 in D-Dur op. 65 von Haydn, O.R.V.] – había logrado el grupo

56 Dazu muss man aber erwähnen, dass einige Rezensionen aus der ersten Periode (1925-1934) unvollständig sind. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sie irgendwelche kritischen Anmerkungen in den fehlenden Seiten enthalten. 57 „In der Sicilienne und Rigaudon von Francoeur-Kreisler, fanden wir, dass die Nuancen der Interpretation hätten stärker betont werden müssen, aber die Aufführung ließ nichts zu wünschen übrig. Einfache Schwierigkeit!“ (meine Übers., O.R.V.). [Unbek. Zeitung] (1931, März), AFF (Foto AFF 242-243).

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recuperar su nivel y el vivance final fue ejecutado con la maestría de que ellos son capaces.“58

Auffällig ist, wie auch diese kritische Äußerung – genauso wie die zuvor – heruntergespielt wird: Die Probleme bei der Aufführung seien lediglich einem anfänglichen Lampenfieber geschuldet, das jedoch bald überstanden war. Nachher habe das Ensemble einen ausgezeichneten Auftritt hingelegt, wie von ihnen zu erwarten war. In beiden Rezensionen werden also die kritischen Anmerkungen unmittelbar relativiert. Diese beschönigende Darstellung negativer Aspekte der Konzerte sowie die Tatsache, dass es so wenige Rezensionen gibt, die irgendeine Beanstandung überhaupt enthalten, deuten darauf hin, dass seitens der puerto-ricanischen Musikkritiker die Bereitschaft sehr schwach ausgeprägt war, etwas an den Konzerten José Figueroa Sanabias – allein oder mit seinen Geschwistern – zu kritisieren. Die große Bedeutung, die José Figueroa Sanabia für das Selbstwertgefühl der Puerto Ricaner besaß59, war das Haupthindernis einer objektiveren Bewertung seiner Konzerte durch seine Landsleute. In diesem Zusammenhang ist die explizite Feststellung eines Musikkritikers, er könne ein Konzert des puerto-ricanischen Violinisten gar nicht objektiv beurteilen, besonders aufschlussreich: „Confieso que oyéndole, no soy yo el que pueda conservar la serenidad fiscalizadora para enjuiciarle. Oyendo a cualquier otro artista gusto de analizar el detalle, de especular sobre el fraseo, el color, el temperamento y la técnica del artista. Pero tratándose de Pepito Figueroa el caso es diferente. A los primeros compases del

58 „Man konnte eine gewisse Nervosität in der Aufführung bemerken, zweifellos hervorgerufen durch die neue Erfahrung, die für Guillermo und Rafael ihr erster Auftritt vor dem Publikum [in New York, O.R.V.] darstellte. Aber schon zu Beginn des dritten Satzes – Menuetto Allegretto [des Streichquartetts Nr. 5 in D-Dur op. 65 von Haydn, O.R.V.] – hatte das Ensemble sein gewöhnliches Niveau wiedererlangt und das Vivace am Ende wurde mit der Meisterschaft vorgetragen, zu der sie in der Lage sind“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1942, Februar 6.), S. 7. 59 Darauf gehe ich im vierten Kapitel (Buchteil Analyse) ein.

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movimiento inicial mi actitud es completamente pasiva, la emoción se hiperestesia y ya no hay crítica.“60

Selbstverständlich kommen derartige Kommentare in den Rezensionen normalerweise nicht vor. Sie sind auch gar nicht erforderlich, um zu erkennen, dass es einem Konzertbericht an der notwendigen bzw. erwünschten Objektivität mangelt. Denn wie kann man eine objektive Beurteilung in einer Musikkritik erwarten, die mit einem Satz wie dem folgenden: „Alabanzas y más alabanzas es todo lo que se puede decir de los hermanos Figueroa-Sanabia como comentario a su más reciente concierto“61 beginnt? Oder wenn man den notwendigen Abstand zum Rezensierten nicht beibehält und sich auf ihn als „nuestro notable compatriota músico“62 bezieht o.ä.? Äußerungen wie diese beleuchten sehr eindringlich die starke emotionale Bindung, die zwischen den puerto-ricanischen Musikkritikern und José Figueroa Sanabia bestand, eine Bindung, die sie von vornherein daran hinderte, eine objektive Kritik über seine Konzerte niederzuschreiben.

60 „Ich gestehe, dass ich, wenn ich ihn höre, nicht derjenige bin, der die kritische Abgeklärtheit bewahren kann, um ihn zu beurteilen. Beim Zuhören jedes anderen Künstlers analysiere ich gerne das Detail, spekuliere ich über die Phrasierung, die Farbe, das Temperament und die Technik des Künstlers. Aber im Fall Pepito Figueroas ist die Situation eine andere. Bei den ersten Takten des anfänglichen Satzes ist meine Haltung völlig passiv, die Emotion wird überempfindlich und schon gibt es keine Kritik mehr“ (meine Übers., O.R.V.). [Unbek. Zeitung] (1935, September), AFF (Foto IMG 3676). 61 „Lob und noch mehr Lob ist alles, was man über die Brüder Figueroa Sanabia als Kommentar zu ihrem jüngsten Konzert äußern kann“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „El triunfo de los hermanos Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado (?), [n.d., o.S.], [unvollst.], AFF (Foto IMG 3739); siehe auch: [Unbek. Zeitung] (1927, Februar), AFF (Foto IMG 3764); [unbek. Zeitung] (1927, Januar 28. [?]), AFF (Foto IMG 3750). 62 „Unser bemerkenswerter Musiker-Landsmann“ (meine Übers., O.R.V.). Rafael Montañez, „El reciente concierto de Pepito Figueroa en Pro Arte“, El Mundo, 21. September 1942, S. 4.

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2.5.2 Ausländische Musikkritiken Nachdem ich gezeigt habe, wie puerto-ricanische Musikkritiker die Konzerte José Figueroa Sanabias beurteilten, werde ich nun darstellen, wie er im Ausland rezensiert wurde. So lässt sich am besten einschätzen, inwiefern die Puerto Ricaner die Fähigkeiten des Geigers idealisierten.63 Wie schon angeführt, bekam Figueroa Sanabia im Allgemeinen gute Rezensionen von ausländischen Musikkritikern. Einige Beanstandungen finden sich jedoch durchaus. In Bezug auf sein Solokonzert am 29. April 1930 in der École Normale de Musique hielt z.B. Georges Mussy ihm „quelque froideur dans le délicieux Concerto en mi meneur de Mendelssohn“64 vor. Über das Konzert am 23. Februar 1931 in der Steinway Hall65 schreibt außerdem F.D.P., dass, obwohl „Mr. Figueroa again exhibited a very competent technical skill and a tone of commendable quality, a hint of a metallic timbre was sometimes noticeable in high notes in display passages.“66 Darüber hi-

63 Es ist nicht auszuschließen, dass einige ausländische Rezensenten – insbesondere der USA (d.i. der Kolonialmacht), aber auch europäischer Nationen – auch Vorbehalte gegenüber José Figueroa Sanabia aufgrund seiner Herkunft und Ethnie besaßen und dass er deswegen kritischer als andere US-amerikanische bzw. europäische Kunstmusik-Musiker betrachtet wurde. In den vorhandenen Quellen habe ich dennoch keine Anmerkung gefunden, die auf eine solche Voreingenommenheit hindeuten würde. 64 Georges Mussy, „Concerts et Recitals“, Figaro, 6. Juni 1933, S. 4. 65 Eine weitere kritische Anmerkung in Bezug auf dieses Konzert ist auf S. 102 zu finden. 66 F.D.P., „José Figueroa Gives Recital“, New York Herald Tribune, 24. Februar 1931, [o.S.], AFF (Foto AFF 245). Es ist interessant zu analysieren, wie dieser Satz in einer übersetzten Version dieser Kritik (nachgedruckt in einer puerto-ricanischen Zeitung) wiedergegeben wird. Hier behauptet man: „El señor Figueroa demostró nuevamente una habilidad técnica muy competente y un tono cuya calidad es digna de elogio, especialmente en las cuerdas bajas, haciéndose notar un timbre puro en las notas altas de los pasajes más brillantes“ (El Mundo [1931, März], AFF [Foto AFF 457]). Obwohl die Übersetzung von „a tone of commendable quality“ mit „un tono cuya calidad es digna de elogio“ schon eine viel positivere Aussage in der spanischen Version als im Original enthält, ist hier vor allem bemerkenswert, wie die negative Anmerkung am Ende des Satzes

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naus bemängelt J.D.B. in Bezug auf das Konzert am 18. März 1940 in der Town Hall: „The Beethoven sonata demands a broader emotional and tonal scope than Mr. Figueroa has at his command, his brother's account of the piano part proved an additional handicap, as it was often too heavyhanded.“67

Als das Figueroa-Quintett zwei Jahre später in demselben Konzertsaal auftrat, befand der Musikkritiker von La Prensa: „El Quinteto [para] Piano y cuerdas de Brahms en Fa menor, op. 34, adoleció quizás de ciertos pasajes aún fallos de ensayo, pero sin disminuir la si[lu]e[t]a general del diseño.“68 Abschließend kann man hinsichtlich der dritten Periode (19451952) die Musikkritik von Fred Low bezüglich des Konzerts am 3. Oktober 1951 in der Carnegie Hall heranziehen: „Die beiden Musiker [d.i. José und Narciso, O.R.V.] verstehen sich recht gut, ihr Zusammenspiel ist ausgeglichen und zeigt ihre Freude am Spiel, aber die technischen Fähigkeiten sind noch begrenzt. Dieser Mangel zeigte sich besonders im Solo[vor]trag des Pianisten in den Werken von Franck und Bartók und au[ch] der Geiger war m[it] den Vortragsstücken mit Klavierbegleitung erfolgreicher als in der Wiedergabe von Bachs Adagio und Fuge (aus der Solosonate in G-Moll).“69

(„a hint of a metallic timbre was sometimes noticeable in high notes in display passages“) in der Übersetzung völlig verschwindet, indem der Übersetzer den Sinn komplett ändert – sprich schönt –, wenn er „metallic timbre“ bewusst falsch mit „un timbre puro“ übersetzt. Das ist eine andere Methode, das Image José Figueroa Sanabias zu idealisieren. 67 J.D.B., „José Figueroa Presents Town Hall Violin Recital“, New York Herald Tribune, 19. März 1940, [o.S.], AFF (Foto AFF 291). 68 „Das Quintett für Klavier und Streicher in f-Moll, op. 34 von Brahms, litt vielleicht in einigen Passagen an mangelnder Einstudierung, ohne jedoch die allgemeine Silhouette des Entwurfs zu schmälern“ (meine Übers., O.R.V.). Nachgedruckt in: El Mundo (1942, Februar 6.), S. 15. 69 Fred Low, „José und Narciso Figueroa“, New Yorker Staats-Zeitung (?), [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3523). Hinsichtlich desselben Konzerts meinte J.S.H., dass, obwohl „José Figueroa has at his service a big tone and considerable technical faculty [t]he tone itself […] was often a bit pinched,[a] bit wirey“ („Broth-

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Alle diese Äußerungen belegen, dass ausländische Musikkritiker keineswegs zögerten, die negativen Aspekte bei Auftritten José Figueroa Sanabias zur Sprache zu bringen. Für sie bestand ja keine Notwendigkeit – im Gegensatz zu den puerto-ricanischen Musikkritikern – diese Vorwürfe in irgendeiner Form herunterzuspielen. Sie formulieren ihre Kritik direkt und ungeschönt und geben im Vergleich zu den einheimischen Musikkritikern damit ein realistischeres Bild davon wieder, was der Violinist aus Puerto Rico zu leisten imstande war. Was die Betonung der positiven Aspekte der Darbietungen José Figueroa Sanabias betrifft, ist ebenfalls ein beachtlicher Unterschied zwischen einheimischen und ausländischen Musikkritikern erkennbar. Während bei puerto-ricanischen Musikkritikern stets eine absolute Zufriedenheit mit dem Geigenspiel des puerto-ricanischen Violinisten festzustellen ist, sind bei ausländischen Kritiken durchaus unterschiedliche Gefälligkeitsgrade erkennbar. Adame Martínez zeigt sich beispielsweise sehr zufrieden mit dem Auftritt José Figueroa Sanabias am 2. Januar 1926 in Madrid: „José Figueroa posee, ante y sobre todo, una exquisita musicalidad que le hace sentir e interpretar las composiciones transmitiendo al auditorio toda la emoción personalísima que experimenta, emoción que no le impide proceder con el más perfecto mecanismo en la ejecución.“70

Die feine Musikalität sowie perfekte Technik, die Figueroa Sanabia hinsichtlich seines Geigenspiels zugestanden wird, geben unmissverständlich Martínez’ vollkommene Zufriedenheit mit dessen Auftritt wieder. Etwas zurückhaltender äußerte sich allerdings Grena Bennett in Bezug auf das Konzert des puerto-ricanischen Geigers in der Steinway Hall am 23. Febru-

ers in Joint Recital“, [unbek. Zeitung], 4. Oktober 1951, [o.S.], AFF [Foto IMG 3522]). 70 „José Figueroa verfügt in erster Linie und vor allem über eine exquisite Musikalität, die es ihm ermöglicht, die Kompositionen auf eine Weise zu empfinden und zu interpretieren, die auf das Publikum seine persönlichste emotionale Erfahrung überträgt, eine Emotion, die ihn nicht davon abhält, mit der vollkommensten Streichtechnik zu spielen“ (meine Übers., O.R.V.). Adome Martínez, „Los hermanos Figueroa“, [unbek. Zeitung], 5. Januar 1926, AFF (Foto AFF 008).

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ar 1931: „[H]e gave an interesting and praiseworthy reading of Vivaldi's C major Concerto, drawing a warm attractive tone and encompassing the string problems capably.“71 Der Gebrauch gemäßigter Adjektive, wie interessant und kompetent („capably“), in der Rezension sowie die Tatsache, dass Bennett über ein „praiseworthy reading“ redet, was Platz lässt für andere (möglicherweise bessere) Interpretationen des Werks, lässt einen moderaten Grad an Zufriedenheit mit der Aufführung erkennen. Sie gesteht dem Violinisten somit zwar Begabung zu, schildert seine Aufführung jedoch nicht als etwas Außergewöhnliches, wie es puerto-ricanische Musikkritiker zu tun pflegten. Eine sehr positive Rezension erhielt Figueroa Sanabia während der zweiten Periode (1935-1944) von Pierre Leroi hinsichtlich seines Konzerts am 26. April 1938 in Paris: „L'un des plus brillant produits de notre École Normale de Musique M. José Figueroa a fait étalage de son brillants qualités; plénitude de la sonorité, ferveur de l'expression, musicalité affinée, tels sont les aspects de son talent, qui provoque la plus entière sympathie.“72

Die positiven Eigenschaften, die seinem Geigenspiel zugeschrieben werden („plénitude de la sonorité, ferveur de l'expression, musicalité affinée“), weisen auf einen ziemlich hohen Gefälligkeitsgrad hin, ähnlich hoch wie bei puerto-ricanischen Musikkritikern. Der Hinweis, der puerto-ricanische Geiger sei einer der begabtesten Violinisten gewesen, die an der École Normale de Musique studiert hätten, untermauert zudem Lerois große Zufriedenheit mit der Aufführung. Diese Behauptung ist um einiges realistischer als diejenigen in der einheimischen Presse, in denen er als einer der wichtigsten Violinisten der Welt dargestellt wird. Eine Einschätzung, deren Gefälligkeitsgrad zwischen jenem von Grena Bennett und diesem von Leroi liegt, liefert auf der anderen Seite der Musikkritiker von New York Journal-America, wenn er betreffs des Konzerts am 3. Dezember 1940 in der Town Hall äußert:

71 Grena Brennett, [o.T.], New York American, 24. Februar 1931, [o.S.], AFF (Foto AFF 325). 72 Pierre Leroi, „Musique“, Figaro [?], [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 388).

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„He drew a luscious tone from the strings, a quality that, at his bidding, assumed an appropriate gamut of tints applied effectivel[y] and with taste. He, moreover, possesses a broad technical equipment and his reading of Vivaldi's delightful A majo[r] sonata had the qualities of musicianship exhibited in a neat, nic[e] manner; attractive modulations [of] tone qualities; good phrasing a[nd] expression.“73

Es wird deutlich, dass der Musikkritiker durchaus zufrieden mit dem Vortrag ist. Er lobt ausdrücklich Figueroa Sanabias Tonqualität, Streichtechnik und Interpretation, viel mehr als dies bei Grena Bennett der Fall ist. Sein Gefälligkeitsgrad ist wiederum nicht so hoch wie jener von Pierre Leroi, und schon gar nicht zu vergleichen mit jenen puerto-ricanischer Musikkritiker. Denn die Anwendung von mittelgradiger Adjektive wie „appropriate“, „effectively“, „with taste“, „neat“ und „nice“, weisen auf eine eher moderate – statt absolute – Zufriedenheit mit dem Auftritt hin. Diese Adjektive sollen also darauf hindeuten, dass die Werke zwar in angemessener, jedoch nicht außergewöhnlicher Weise dargeboten wurden. Die Rede von einem „reading“ der Sonate von Vivaldi stützt diese Sichtweise, denn – wie bereits erläutert – räumt dies die Möglichkeit für andere, eventuell bessere, Interpretationen des Werks. Eine Musikkritik, die einen niedrigeren Gefälligkeitsgrad als jene von Grena Bennett aufweist, findet man hinsichtlich des gemeinsamen Konzerts von José und Narciso Figueroa Sanabia in der Carnegie Hall am 3. Oktober 1951. Über dieses Konzert schreibt R.P. in The New York Times: „Both are men of sensibility, who can play gentle melodies with sweetness of sound and tenderness of feeling. Because of long experience together, too, they achieve good tonal balance. But they lack the intensity and vigor to play inspiringly. Their work accordingly is limited, but the encore pieces of their final group – including Beethoven's F major Romance and Saint-Saɺns' Introduction and Rondo Capriccioso – were deftly and attractively played and in their major effort together, the Franck Sonata, there were moments of considerable charm.“74

73 Anon., [o.T.], New York Journal-America, 4. Dezember 1940, [o.S.], AFF (Foto AFF 520). 74 R.P., „Figueroa Brothers Have Joint Recital“, The New York Times, 4. Oktober 1951, [o.S.], AFF (Foto IMG 3524).

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Hier fällt besonders auf, wie die negativen Aspekte des Konzerts in den Vordergrund gerückt werden. Das wird vor allem dadurch erzielt, dass zunächst etwas Positives Erwähnung findet, um die negativen Aspekte daraufhin umso stärker herauszustellen. So erkennt R.P. zwar bestimmte Qualitäten der Brüder Figueroa an, um sogleich hervorzuheben, dass trotz dieser positiven Aspekte einige wichtige Elemente in der Aufführung fehlen würden, nämlich „intensity and vigor to play inspiringly“, um über eine wirklich hervorragende Aufführung reden zu können. Deshalb bezeichnet er ihre musikalischen Fähigkeiten als limitiert. Auch die abschließende Aussage, bei der Wiedergabe der Sonate von César Franck habe es lediglich einige Momente „of considerable charm“ gegeben, lässt die Schlussfolgerung zu, dass der Kritiker nicht besonders beeindruckt von seinem Vortrag war. Auch die Schilderung der Zugaben als „deftly and attractively played“ stellen eine zwar wohlwollende, jedoch nicht überschwängliche Beurteilung seines Spiels dar. 2.5.3 Nachgedruckte Musikkritiken Im vorigen Abschnitt habe ich veranschaulicht, wie José Figueroa Sanabia außerhalb Puerto Ricos gesehen wurde. Man konnte feststellen, dass im Ausland seine musikalische Begabung durchaus anerkannt wurde, ohne dass sie allerdings idealisiert wurde. Nichtsdestotrotz trugen einige dieser Rezensionen, selbst wenn ausländische Konzertberichte den puertoricanischen Violinisten an und für sich nicht verherrlichten, indirekt zum Idealisierungsverfahren José Figueroa Sanabias bei. Hierbei handelt es sich um (gegebenenfalls übersetzte) ausländische Musikkritiken, die in der puerto-ricanischen Presse – während der ersten zwei Perioden (1925-1944)75 – nachgedruckt wurden. Derartige Artikel trugen Titel wie z.B. „El ‚Herald Tribune‘ elogia a Pepito Figueroa“76 oder „La crítica de Washington elogia

75 Es ist nicht auszuschließen, dass auch während der dritten Periode (1945-1952) ausländische Rezensionen in der puerto-ricanischen Presse nachgedruckt wurden. Anhand der vorhandenen Quellen lässt sich das jedoch nicht belegen. 76 „Die ‚Herald Tribune‘ lobt Pepito Figueroa“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1931, März), AFF (Foto AFF 456-457).

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a los Hnos Figueroa“77 bzw. „Elogio a Pepito Figueroa en la prensa en Méjico“78 usw. Diese Musikkritiken weisen im Allgemeinen sehr positive Beurteilungen der Konzerte José Figueroa Sanabias auf79, aber, wie gesagt, idealisieren sie sie nicht. Damit man einen Eindruck von derartigen Rezensionen bekommen kann, werde ich ein paar Beispiele heranziehen. Aus der ersten Periode (1925-1934) findet man etwa eine nachgedruckte Kritik von R. Alexandresco aus Paris-Presse über das Solokonzert José Figueroa Sanabias in Paris am 29. April 1930: „Un programa exquisito, rico y bien equilibrado, ya de por si raro. Virtuoso completo, José Figueroa es, además, tan músico, que esta cualidad le permitió confeccionar con perfecto gusto su magnífico recital. El concierto comenzó con la Sonata en la mayor de Vivaldi, interpretada por el artista con el más puro estilo y con límpida sonoridad, serena y profundamente expresiva. También ofreció una bellísima interpretación de la Suite en sol menor, de Bach, para violín solo, que por sus mismas dificultades sirvió al joven artista para demostrar su conceptuosidad musical. Fue, no obstante, en el Concierto de Mendelssohn, que reveló sus positivas prendas de concertista, por su fogosidad interpretativa, por la ligereza encantadora de los pasajes de rápida digitación, y por la sensibilidad exquisita en que envolvió el andante de la obra.“80

77 „Die Kritiker in Washington loben die Brüder Figueroa“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „La crítica de Washington elogia a los Hnos. Figueroa“, El Mundo, 15. August 1944, S. 8. 78 „Lob Pepito Figueroas in der mexikanischen Presse“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Elojio a Pepito Figueroa en la prensa Méjico“, El Mundo, 6. Dezember 1942, S. 8. 79 Einige der wiedergegebenen Rezensionen enthalten aber auch Kritik. Beispielsweise ist in einer nachgedruckten Musikkritik von El Pueblo Vasco zu lesen: „No es una dicción brillante la que ayer oímos del Concierto de Saint-Saëns: pero nos agradó que fuera respetuosa, sincera y fina[mente] matizada, como lo fue“ (Anon., „Lo que dijo la crítica“, El Imparcial, [n.d., o.S.], AFF [Foto IMG 3586]). Die Kritik bezieht sich auf das Konzert am 23. Juli 1926 im Kursaal in San Sebastián. 80 „Ein exquisites, abwechslungsreiches und ausgewogenes Programm, etwas an und für sich schon seltenes. José Figueroa ist nicht nur ein vollkommener Virtuose, sondern außerdem derart musikalisch, dass diese Qualität es ihm ermöglich-

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Wie man sehen kann, äußerte sich Alexandresco sehr positiv über den Auftritt José Figueroa Sanabias. Die Beschreibung der Aufführung von Bachs Suite in g-Moll als eine „bellísima interpretación“ sowie die Feststellung, dass das Violinkonzert von Mendelssohn mit einer „fogosidad interpretativa […], ligereza encantadora […] y […] sensibilidad exquisita“ vorgetragen wurde, verweisen auf einen sehr hohen Zufriedenheitsgrad. Etwas zurückhaltender äußerte sich jedoch Pitts Sanborn in seiner Rezension über das Konzert am 18. März 1940 in der Town Hall: „Desde el primer momento […] uno se tropezó con una ejecución vital, esmerada y recomendable en el estilo en el número de Bach. Desde Bach hubo un salto al vastamente diferente Lalo. José mostró un fino sentido de la frase y los pasajes brillantes [fueron, O.R.V.] dados con fluidez. El pianista reveló también un talento admirable. Pero si bien el hermano acompañante estuvo en muchos respectos en espléndida simpatía con el ejecutante, ocasionalmente se excedía en el tono más que lo justificado.“81

te, sein Konzert mit vorzüglichem Geschmack zu gestalten. Das Konzert begann mit der Sonate in A-Dur von Vivaldi, vom Künstler interpretiert in reinstem Stil und klarer Klangfülle, mit heiterem und tiefem Ausdruck. Auch brachte er eine äußerst schöne Interpretation der Suite in g-Moll für Violine Solo von Bach dar, die gerade wegen ihrer Schwierigkeiten dem jungen Künstler dazu diente, seinen musikalischen Esprit zu demonstrieren. Dessen ungeachtet war es im Konzert von Mendelssohn, wo er aufgrund seiner temperamentvollen Interpretation, der bezaubernden Leichtigkeit der Passagen mit schnellem Fingersatz und der feinen Empfindsamkeit, in die er das Andante des Werks einhüllte, seine positiven Eigenschaften als Konzertspieler offenbarte“ (meine Übers., O.R.V.). Nachgedruckt in: Anon., „[Jos]é Figueroa triunfa defini[tivamente] en su primer concierto de París“, Puerto Rico Ilustrado, [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3576). 81 Originalversion: „Next on the list came Bach's E major suite for violin alone. Here one found forthright, vital playing, musicianly, painstaking and commendable in style. From Bach there was a long leap forward in time to the vastly different Lalo and his Symphonie Espagnole. The violinist showed a fine sense of the phrase […] and […] the more sparkling pages were given with fluency and dash […] The pianist also disclosed an admirable talent. But while accompanying his brother in most respects sympathetically, he occasionally indulged in more tone than was warranted“ (Pitts Sanborn, „Figueroa Brothers Give Recital

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In dieser Rezension ist eine ausgesprochen positive Beurteilung von Figueroa Sanabias Geigenspiel festzustellen, wenn sie auch nicht ganz so überschwänglich ausfällt wie die des Konzertberichts zuvor. Die Beschreibung der Bach-Interpretation als „una ejecución vital, esmerada y recomendable en el estilo“ deutet (u.a.) auf einen eher moderaten Gefälligkeitsgrad hin. Das war jedoch – wie ich gezeigt habe – der Normalfall bei ausländischen Musikkritiken. Die nachgedruckten Rezensionen stehen folglich in vollkommenem Einklang mit den ausländischen Musikkritiken, die ich oben analysiert habe. Eine Rezension von G. Barqueiro Fóster über das Konzert im Palacio de Bellas Artes in Mexiko-Stadt am 15. November 1943 ähnelt jedoch interessanterweise in der Beschreibung des Konzerterlebnisses stark den puerto-ricanischen Rezensionen: „Quienes se creyeron que por sus tremendas dificultades la Sonata del ‚Trino de Diablo‘ sólo podía ser oída agradablemente a Heifetz, Milstein, Menuhin, y a dos o tres más de estos célebres concertistas del violín, tal vez se sonría con escepticismo cuando sepan que el músico portorriqueño nada tiene que envidiarles y más aún, que no sólo ha vencido estas dificultades en lo absoluto sino que interpretativamente ha logrado imprimir a la obra un sello personal, lo que ya es bastante decir. También oírle a Figueroa obras como la Partita en Mi Mayor (para violín solo) de Bach y el Concierto de Mendelssohn es cosa de encanto. En suma, toca tan bien estas obras como los más notables violinistas y, sin embargo, es diferente de todos ellos.“82

in Town Hall“, World Telegram, 19. März 1940, [o.S.], AFF [Foto AFF 519]). Nachgedruckt in: Glen Stadler, „La crítica neoyorquina aclama a José y Narciso Figueroa“, El Mundo, 20. März 1940, [o.S.], AFF (Foto IMG 3670). Für andere nachgedruckte Musikkritiken siehe: Anon., „Los triunfos de los hermanos Figueroa en París“, El Mundo, 25. Juli 1933, S. 5; El Imparcial (1926, Dezember), AFF (Foto IMG 3744); [unbek. Zeitung] (1931, März [?]), AFF (Foto IMG 3782). 82 „Diejenigen, die glaubten, dass wegen ihrer enormen Schwierigkeiten die Sonate ‚Il Trillo del Diavolo‘ ausschließlich bei Heifetz, Milstein, Menuhin, und zwei oder drei anderen so berühmten Violinisten in gefälliger Weise gehört werden könnte, würden vielleicht skeptisch lächeln, wenn sie wüssten, dass der puerto-ricanische Musiker sie keineswegs beneiden muss und er außerdem diese Schwierigkeiten nicht nur rundweg gemeistert hat, sondern es ihm, was die Interpretation betrifft, auch gelang, dem Werk seinen persönlichen Stempel auf-

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Genau wie mehrere puerto-ricanische Musikkritiker vergleicht hier Barqueiro Fóster José Figueroa Sanabia mit einigen der weltweit bekanntesten Violinisten der damaligen Zeit. Dabei erhält seine Aufführung einen sehr hohen Zufriedenheitswert, so hoch, wie er sonst nur bei puerto-ricanischen Musikkritikern anzutreffen ist. Wichtig erscheint mir indes seine bei puerto-ricanischen Musikkritikern nicht anzutreffende Bemerkung, ein derartiger Vergleich könnte manchen Leuten etwas übertrieben vorkommen. Diese Rezension stellt dennoch auf jeden Fall eine Ausnahme dar. Alle anderen nachgedruckten ausländischen Musikkritiken unterscheiden sich in keiner Weise von jenen, die im obigen Abschnitt analysiert wurden. Wie konnten sie dann zum Idealisierungsverfahren José Figueroa Sanabias beisteuern? Das erfolgte auf indirektem Wege. Denn obwohl sie die Musikfähigkeiten des puerto-ricanischen Violinisten nicht idealisierten, wiesen die nachgedruckten Konzertberichte im Allgemeinen überwiegend positive Beurteilungen seiner Konzerte auf. Da Figueroa Sanabia in der puerto-ricanischen Presse durchweg als ein international äußerst renommierter Violinist präsentiert wurde, dienten diese nachgedruckten Musikkritiken als nachträgliche Bestätigungen jener übertrieben positiven (sprich idealisierenden) Darstellungen. Denn wenn ein Puerto Ricaner jener Zeit in der einheimischen Presse las, verschiedene ausländische Zeitungen und Zeitschriften wie Le Monde Musical, Paris Presse, El Pueblo Vasco, El Noroeste, The New York Times, New York Herald Tribune oder Musical Courier hätten sich positiv über ihren beliebten Landsmann geäußert, fiel es ihnen umso leichter, daraus den Schluss zu ziehen, José Figueroa Sanabia sei tatsächlich so anerkannt in der internationalen Kunstmusikwelt, wie die einheimischen Artikel und Rezensionen suggerierten. In diesem Sinn unterstützten die nachgedruckten Rezensionen die von der einheimischen Presse geförderte Vorstellung, José Figueroa Sanabia sei einer der berühmtesten Violinisten seiner Zeit gewesen, selbst wenn sie deren überschwängliche Einschätzung nicht teilten. Ihr Beitrag zum Idealisierungsverfahren liegt daher eher in der

zudrücken, was schon beeindruckend genug ist. Auch von Figueroa Werke wie die Partita in E-Dur (für Violine Solo) von Bach und das Konzert von Mendelssohn zu hören, stellt einen großen Genuss dar. Kurzum, er spielt diese Werke so gut wie die vorzüglichsten Violinisten und dennoch unterscheidet er sich von ihnen allen“ (meine Übers., O.R.V.). Nachgedruckt in: Anon., „Crítica elogia al violinista José Figueroa“, El Mundo, 12. Dezember 1943, S. 4.

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Intertextualität aller auf Puerto Rico zirkulierenden Informationen über den Violinisten begründet und weniger in der Art und Weise, wie sie konkret über José Figueroa Sanabia berichteten. Ein Artikel von El Mundo, unter dem Titel „Tres Figueroa en otro concierto en New York. Acompañaron al famoso pianista Wittgenstein“83, spielte eine ähnliche Funktion wie jene der nachgedruckten ausländischen Musikkritiken. Wie man dem Titel entnehmen kann, wird in diesem Zeitungsartikel über den Auftritt José, Guillermo und Rafael Figueroa Sanabias gemeinsam mit dem renommierten österreichischen Pianisten Paul Wittgenstein berichtet, der die Brüder Figueroa dazu eingeladen hatte, in seinem Konzert in New York mitzuwirken. Da Wittgenstein ein äußerst bedeutender Pianist jener Zeit war, dient diese Einladung als Bestätigung des musikalischen Talents und der internationalen Anerkennung José Figueroa Sanabias und seiner Brüder. Der Artikel, genau wie die nachgedruckten Rezensionen, bestätigt also die in der puerto-ricanischen Presse verbreitete Vorstellung, José Figueroa Sanabia gehöre – wie auch seine Geschwister – zu den bedeutendsten Musikern seiner Zeit. 2.5.4 Ausländische Musikkritiken verfasst für die puerto-ricanische Presse Während der dritten Periode (1945-1952) wurden acht der neun vorliegenden Rezensionen aus der puerto-ricanischen Presse von ausländischen Musikkritikern verfasst, und zwar vom US-Amerikaner Dwight W. Hiestand (2) und vom Spanier Alfredo Matilla (6). Im Allgemeinen äußerten sich beide sehr positiv über die Konzerte des puerto-ricanischen Violinisten. So meint beispielsweise Alfredo Matilla betreffs des Konzerts am 4. Mai 1949 in der Universität von Puerto Rico: „Comenzó Figueroa su concierto del miércoles con una ‚Sonata en Sol mayor‘ de Juan Sebastián Bach […] la tocó con toda la seriedad arquitectónica que encierra la obra […] Pero lo mejor – para mi gusto – de su primer recital fue el ‚Concierto en Re Mayor‘ de Mozart, que el artista dijo con toda la elegancia formal y toda la

83 „Drei Figueroas in einem weiteren Konzert in New York. Sie begleiteten den berühmten Pianisten Wittgenstein“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Tres Figueroa en otro concierto en New York“, El Mundo, 27. März 1942, S. 6.

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fuerza íntima que encierra esta composición extraordinaria. Un verdadero modelo de expresión y musicalidad.“84

Ferner schreibt Dwight W. Hiestand über das Konzert am 30. Oktober 1945, ebenfalls in der Universität von Puerto Rico: „La Chacona para solo de violín tomada de la Partita Núm. 2 en Re Menor, de Bach, fue la verdadera prueba de la noche para el violinista. Se enfrentó a ella hábilmente con un despliegue, de calor y sentimiento, excelente dinamismo, y con una adecuada técnica para esta pieza notable a la cual muy pocos violinistas hacen verdadera justicia. Como un oyente autorizado dijera, esto fue un ‚verdadero Bach‘ y no puede haber una alabanza mayor que sea [sic] [que esta, gemeint, O.R.V.].“85

Wie man sehen kann, zeigten sich beide Musikkritiker sehr zufrieden mit dem Geigenspiel José Figueroa Sanabias. Das heißt aber keinesfalls, dass sie die Auftritte des puerto-ricanischen Violinisten idealisierten. In der Tat sind in keiner anderen Periode – das gilt es festzuhalten – so viele (und ungeschönte) negative Kommentare in Konzertberichten aus der puerto-

84 „Figueroa begann sein Konzert am Mittwoch mit einer ‚Sonate in G-Dur‘ von Johann Sebastian Bach [...] er spielte sie mit dem ganzen architektonischen Ernst, den das Werk enthält […] Aber das beste – für meinen Geschmack – seines ersten Auftritts war das ‚Konzert in D-Dur‘ von Mozart, das der Künstler mit der ganzen formalen Eleganz und intimen Kraft aufführte, die diese außergewöhnliche Komposition beinhaltet. Ein wahres Muster von Ausdruck und Musikalität“ (meine Übers., O.R.V.). Alfredo Matilla, „Recitales de José Figueroa“, El Mundo, 7. Mai 1949, S. 25. 85 „Die Chaconne für Violine Solo aus der Partita Nr. 2 in d-Moll von Bach war die wahre Prüfung des Abends für den Violinisten. Er nahm sie geschickt in Angriff mit einer Entfaltung von Wärme und Gefühl, hervorragender Dynamik und einer angemessenen Technik für dieses bemerkenswerte Stück, dem nur sehr wenige Violinisten wirklich gerecht werden. Wie sich ein dazu befugter Zuhörer äußern sollte, war das ein ‚echter Bach‘ und es kann kein größeres Lob als dieses geben“ (meine Übers., O.R.V.). Dwight W. Hiestand, „Pepito Figueroa en la Universidad acrece su triunfo anterior“, El Mundo, 1. November 1945, S. 17.

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ricanischen Presse wie in dieser aufzufinden. Matilla meinte z.B. hinsichtlich des Konzerts am 4. Mai 1949: „José Figueroa ha alcanzado un grado de depuración técnica por encima de cualquier ponderación. No es un violinista de tono fuerte ni de arrebatadora expresión. Es un artista serio y firmemente asentado sobre un oficio bien aprendido.“86

Außerdem äußerte er in Bezug auf das Konzert am 22. September 1952, ebenfalls in der Universität, folgendes: „Personalmente estimo que Pepito lució más en su calidad de gran violinista en el concierto que tocó para la matrícula de Pro Arte. Realmente enfrentarse con el Concierto de Brahms no es ninguna ocasión para estar tranquilo. Esa obra está llena de escollos y ‚nudos‘ de no siempre fácil solución para un artista, por mucho que éste la conozca.“87

In der ersten Äußerung weist Matilla auf die Limitationen der musikalischen Fähigkeiten José Figueroa Sanabias („No es un violinista de tono fuerte ni de arrebatadora expresión“.) hin, ohne das Talent des puerto-ricanischen Geigers zu leugnen. Im zweiten Kommentar bringt er indirekt bestimmte negative Aspekte der Wiedergabe des Violinkonzerts von Brahms zur Sprache. Auch wenn er in dieser letzten Kritik versucht, die Schwierigkeiten etwas herunterzuspielen, so sind die Beanstandungen doch

86 „José Figueroa hat einen Grad technischer Reinheit erreicht, der über jeden Zweifel erhaben ist. Er ist weder ein Violinist mit kräftigem Ton noch begeisterndem Ausdruck. Er ist ein ernsthafter Künstler, fest etabliert in einem gut erlernten Handwerk“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1949, Mai 7.), S. 25. 87 „Ich persönlich glaube, dass Pepito in seiner Eigenschaft als großer Violinist stärker im Konzert für die Mitglieder von Pro Arte glänzte. Sich tatsächlich das Konzert von Brahms vorzunehmen, ist keine Gelegenheit, um ruhig zu sein. Dieses Werk ist voller Klippen und ‚Knoten‘, die für einen Künstler nicht immer leicht zu lösen sind, wie sehr er es auch kennt“ (meine Übers., O.R.V.). Alfredo Matilla, „Pepito Figueroa en la Universidad“, El Mundo, 25. September 1952, [o.S.], AFF (Foto AFF 099).

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deutlich genug bzw. nicht geschönt, sodass man sie durchaus mit denjenigen aus der ausländischen Presse vergleichen kann.88 Die vorliegenden Rezensionen von Dwight W. Hiestand enthalten an sich keine konkreten Einwände gegenüber dem Spiel José Figueroa Sanabias. Er kritisiert hingegen etwas, was zweifelsohne kein puerto-ricanischer Musikkritiker je zu monieren gewagt hätte, nämlich die neue Stradivari, die die puerto-ricanische Bevölkerung Figueroa Sanabia zum Geschenk gemacht hatte. Hiestand behauptet über die Violine: „El recientemente adquirido Stradivarius continuó ofreciendo sus [r]icos, suaves, y dulces tonos. Su volumen, a juzgar por la forma en que se oía desde el balcón, parece adecuado, pero ciertamente no pasa de eso y posiblemente es menos.“89

88 In einer anderen Rezension über das Konzert José Figueroa Sanabias in der Escuela Libre de Música am 24. März 1952 moniert Matilla allerdings interessanterweise einige Aspekte der Klavierbegleitung durch Josés Schwester Carmen (Carmelina) beim Violinkonzert von Beethoven in einer Weise, die sich sehr jener ähnelt, die man eher bei puerto-ricanischen Musikkritikern antrifft. Matilla stellt fest: „Los detalles mínimos de oscuridad en algunos pasajes de Beethoven son hijos de la atroz dificultad de esta obra, pero nada dicen en contra de una labor correctísima en todo momento, porque Carmelina Figueroa es una acompañante espléndida“ (Alfredo Matilla, „Un concierto de José Figueroa“, El Mundo, 26. März 1952, S. 24, AFF [Foto AFF 066]). Man kann hier deutlich sehen, wie Matilla die Kritik an Carmens Klavierbegleitung damit herunterspielt, dass er gewissermaßen die Schuld für ihr fehlerhaftes Spiel auf die inhärenten Schwierigkeiten der Komposition schiebt. Dabei rückt er die Leistung der Begleiterin im Konzert in den Vordergrund. Diese Art von Vorwurf stellt aber eine Ausnahme dar. 89 „Die kürzlich erworbene Stradivari bot weiter ihre reichen, weichen und süßen Töne dar. Ihr Volumen, danach zu urteilen, wie sie vom Balkon zu hören war, scheint angemessen, aber sicherlich nicht mehr als das und möglicherweise ist es weniger [als angemessen, O.R.V.]“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1945, November 1.), S. 17. In einer vorausgegangenen Kritik bemängelt er ebenfalls das Volumen der Violine (vgl. Dwight W. Hiestand, „Pepito Figueroa con su Stradivarius hace recordar a Fritz Kreisler“, El Mundo, 23. Oktober 1945, S. 15).

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Selbst wenn Hiestand seinen Einwand merklich herunterzuspielen versucht, ist die Tatsache, dass er überhaupt etwas Negatives über die Stradivari erwähnt, schon bemerkenswert. Denn eine solche Kritik seitens eines Puerto Ricaners wäre geradezu undenkbar gewesen, da diese Violine den Puerto Ricanern grundsätzlich als ein nationaler Schatz galt, genauso wie José Figueroa Sanabia selbst. Weil Hiestand jedoch ein Außenstehender war – er folglich nicht zum puerto-ricanischen Volk gehörte –, besaß verständlicherweise die Stradivari für ihn nicht dieselbe (nationale) Bedeutung wie für einen Puerto Ricaner. Deshalb war es für ihn kein Problem, neben dem Positiven auch die negativen Aspekte der Violine in der Rezension zur Sprache zu bringen. Analog lässt sich in Bezug auf die ausländischen Rezensionen im Allgemeinen festhalten: Weil ausländische Musikkritiker keine besondere emotionale Bindung zu José Figueroa Sanabia besaßen, war es ihnen möglich, objektivere Rezensionen im Vergleich zu den puerto-ricanischen zu verfassen. Den Puerto Ricanern fiel es hingegen schwer – wie zu sehen war – die Darbietungen ihres Landsmanns objektiv zu beurteilen, und zwar wegen der besonderen nationalen Bedeutung, die ihm zugesprochen wurde. 2.5.5 Ausländische und puerto-ricanische Musikkritiken zu denselben Konzerten Die bereits erfolgte vergleichende Analyse der Musikkritiken wurde anhand verschiedener Konzertberichte durchgeführt, die sich auf jeweils andere Konzerte José Figueroa Sanabias bezogen. Man kann aber in den vorliegenden Quellen zwei Beispiele finden, in denen Rezensionen sowohl aus der ausländischen als auch aus der puerto-ricanischen Presse vorhanden sind. Diese Musikkritiken erweisen sich als besonders aufschlussreich, denn sie zeigen ganz deutlich den Unterschied zwischen den ausländischen und einheimischen Medienrepräsentationen des Violinisten. Das erste Konzert, für das einheimische und ausländische Rezensionen vorliegen, war jenes, das am 28. September 1947 in der Town Hall stattfand. Ich habe bereits einige US-amerikanische Rezensionen über dieses Konzert zitiert, aus denen man ersehen konnte, dass die ausländischen Musikkritiker nicht allzu zufrieden mit dem Vortrag José Figueroa Sanabias waren, vor allem was

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die Aufführung der Chaconne von Bach angeht.90 Beruft man sich jedoch auf eine Rezension der puerto-ricanischen Presse, so gewinnt man den Eindruck, der puerto-ricanische Geiger habe einen außergewöhnlichen Erfolg erzielt. Gleich zu Beginn wird das Konzert zu einem Triumph erklärt: „Ante una concurrencia de mil doscientas personas, llenando a toda capacidad la sala de conciertos de Town Hall, llevóse a cabo la tarde del domingo un recital a cargo de los hermanos José y Narciso Figueroa, quienes obtuvieron otro triunfo muy señalado en su carrera artística.“91

Sogar bezüglich der sonst stark kritisierten Chaconne wird hier jedoch gesagt: „[S]iguiéndole ‚La Chaconne‘, obra para violín solo de Juan Sebastián Bach, en la cual los críticos que llenaban las primeras filas de Town Hall así como el público en general y los antiguos compañeros de estudio de José Figueroa, en París y Madrid; – presentes en el concierto –, pudieron apreciar la sensibilidad extremada y la sorprendente calidad de tono que adquiere el Stradivarius, que le fue regalado por el pueblo de Puerto Rico, en manos del distinguido artista.“92

Es ist nicht zu übersehen, wie der Auftritt des puerto-ricanischen Geigers idealisiert wird. Selbst die Aufführung der Chaconne, welche in den zwei vorliegenden US-amerikanischen Konzertberichten stark kritisiert wurde,

90 Siehe S. 150-151. 91 „Vor einem Publikum von tausendzweihundert Menschen, sodass der Konzertsaal der Town Hall bis zum letzten Platz gefüllt war, fand am Sonntag Nachmittag ein Konzert der Brüder José und Narciso Figueroa statt, welche einen weiteren sehr bedeutsamen Triumph in ihrer künstlicheren Laufbahn errangen“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1947, September 30.), S. 10. 92 „Es folgte ‚die Chaconne‘, ein Werk für Violine Solo von Johann Sebastian Bach, in der die Musikkritiker, die die ersten Reihen der Town Hall belegten, sowie das allgemeine Publikum und ehemalige Studienkameraden von José Figueroa in Paris und Madrid; – im Konzert anwesend –, die extreme Empfindlichkeit und erstaunliche Tonqualität bewundern konnten, die die Stradivari, die ihm vom puerto-ricanischen Volk geschenkt wurde, in den Händen des feinen Künstlers erlangt“ (meine Übers., O.R.V.). Ebd., S. 10.

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wird in der puerto-ricanischen Rezension als eine erstklassige Interpretation – sie wurde ja mit einer „sensibilidad extremada“ vorgetragen – bezeichnet. In einer anderen puerto-ricanischen Rezension über das Konzert am 3. Oktober 1951 in der Carnegie Hall wird dieselbe Idealisierung erkennbar. Ich habe schon an verschiedenen Stellen mehrere US-amerikanische Musikkritiken herangezogen, aus denen ersichtlich wird, dass dieser Auftritt im Allgemeinen als höchstens mäßig gelungen beschrieben wurde.93 In der puerto-ricanischen Schilderung wird das Konzert hingegen als äußerst erfolgreicher Auftritt wiedergegeben: „El concierto de violín y piano que ofrecieron los hermanos José y Narciso Figueroa, en noche reciente, en el Carnegie Hall, de la ciudad de Nueva York, constituyó otro espléndido triunfo de artistas puertorriqueños en esa sala del arte […] Vemos con júbilo que los críticos de arte de los grandes periódicos neoyorquinos tienen sinceras frases de elogio para la ejecución artística de estos dos compatriotas en sus respectivos instrumentos y cuya interpretación musical es, en todo sentido, ‚de primera categoría‘. También causó favorabilísima impresión la forma impecable en que uno y otro artista se complementan, demostrando honda comprensión mutua. José y Narciso no sólo triunfaron ante los críticos que apreciaron su ejecución desde el punto de vista de la técnica y de los conocimientos. Triunfaron plenamente también en lograr el calor del aplauso del público y en arrebatar a su auditorio explosiones de verdadero entusiasmo. No puede pedirse un éxito más cabal.“94

93 Siehe S. 155-156, 199-200 und 203. 94 „Das Konzert für Violine und Klavier, das die Brüder José und Narciso Figueroa unlängst an einem Abend in der Carnegie Hall der Stadt New York gaben, stellte einen weiteren glänzenden Triumph puerto-ricanischer Künstler in diesem Kunstsaal dar […] Wir sehen mit Freude, dass die Musikkritiker der großen New Yorker Zeitungen aufrichtig lobende Worte für die künstlerische Aufführung dieser zwei Landsleute an ihren jeweiligen Instrumenten gefunden haben, deren musikalische Interpretation in jeder Hinsicht ‚erstklassig‘ ist. Darüber hinaus hinterließ einen überaus vorteilhaften Eindruck die makellose Art und Weise, wie sie einander ergänzen, wobei sie ein tiefes gegenseitiges Verständnis demonstrieren. José und Narciso triumphierten nicht nur vor den Kritikern, die ihren Vortrag vom Gesichtspunkt der Technik und des Kunstverstandes her beurteilten. Sie triumphierten auch auf ganzer Linie, indem sie vom Publikum

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Zuallererst fällt die Behauptung auf, die Brüder Figueroa Sanabia hätten ausgesprochen positive Rezensionen von den New Yorker Musikkritikern erhalten, denn sie steht durchaus im Widerspruch zu dem, was die vorhandenen Quellen attestieren. Die Bezeichnung des Konzerts fernerhin als ein Triumph soll zudem – wie im Beispiel zuvor – zu deren Idealisierung beitragen. Wie ich bereits erläutert habe, diente dieses Substantiv bzw. deren Verbform als ein Mittel, um die Konzerte des puerto-ricanischen Geigers im Ausland als große Erfolge darzustellen. Genau das wird hier deutlich. So wird der Anschein erweckt, Josés und Narcisos Auftritt in einem der wichtigsten Konzertsäle der Welt zu damaliger Zeit wäre ein absoluter Erfolg gewesen, und nicht ein bescheidener, wie die vorhandenen Quellen zu verstehen geben. Die musikalischen Leistungen José Figueroa Sanabias wurden von ausländischen und puerto-ricanischen Musikkritikern ganz unterschiedlich bewertet. So sind in ersteren z.B. verschiedene Gefälligkeitsgrade bezüglich seiner Aufführungen festzustellen, wohingegen für letztere feststand, dass ‚ihr Geiger‘ stets die allerbesten Konzerte gab, die man sich vorstellen kann. Darüber hinaus war zu sehen, dass es einheimischen Musikkritikern widerstrebte, irgendeinen kritischen Einwand bezüglich einer Aufführung des puerto-ricanischen Violinisten in den Konzertberichten vorzubringen. Zwei verschiedene Darstellungsarten José Figueroa Sanabias zirkulierten daher in den Medien jener Zeit, zum einen die puerto-ricanischen und zum anderen die ausländischen. Beide zeigten einen äußerst talentierten Musiker mit einer erfolgreichen Karriere. Der Unterschied bestand darin, dass José Figueroa Sanabias Erfolgsgrad – d.h. seine Bedeutung in der internationalen Kunstmusikwelt der damaligen Zeit – von den Puerto Ricanern beträchtlich übertrieben wurde. Warum geschah diese Idealisierung? Was bedeutete konkret José Figueroa Sanabia für die Puerto Ricaner jener Zeit? Diesen Fragen werde ich mich in den folgenden Kapiteln zuwenden.



einen warmherzigen Applaus bekamen und ihrer Zuhörerschaft Explosionen echter Begeisterung entlockten. Man kann keinen vollkommeneren Erfolg verlangen“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1951, Oktober 6.), S. 6, AFF (Foto AFF 229).

3. Rezeption der Medienrepräsentationen José Figueroa Sanabias

In den vorherigen zwei Kapiteln habe ich aufgezeigt, wie José Figueroa Sanabia in der puerto-ricanischen Presse dargestellt wurde. Man konnte einerseits sehen, mithilfe welcher Mechanismen bzw. Mittel eine enge Verbindung zwischen ihm und der puerto-ricanischen Bevölkerung hergestellt wurde als auch, wie das Verfahren seiner Idealisierung zustande kam. Im vierten Kapitel werde ich veranschaulichen, was konkret José Figueroa Sanabia den Puerto Ricanern zu jener Zeit bedeutete, d.h., welche konnotativen Bedeutungen aus seinem Image abgeleitet wurden. Bevor ich aber darauf eingehe, ist es wichtig zu erforschen, wie die Puerto Ricaner die Medienrepräsentationen des Violinisten rezipierten, denn man muss zuallererst herausfinden, inwieweit die Bevölkerung die Darstellungsart des Geigers, wie sie in der einheimischen Presse vorzufinden war, beeinflusst hat. Wie ich bereits erläutert habe, „[besteht] [e]in Starimage eben nicht nur aus den Informationen, Bildern und Texten der Medien, sondern ist vielmehr Produkt der Verarbeitung dieser Zeichen und Aussagen.“1 Weil somit erst in der Rezeption und Verarbeitung der Medienrepräsentationen – sprich im Conventionalization-Prozess – das Image José Figueroa Sanabias und der daraus abgeleiteten konnotativen Bedeutungen entstanden, erweist es sich als erforderlich darzulegen, wie seine Medienrepräsentationen von den Puerto Ricanern wahrgenommen wurden. Zu diesem Zweck ziehe ich Ansätze der Social Identity Theory heran und zeige, dass es sich bei der Rezeption 1

Stephen Lowry und Helmut Korte, Der Filmstar: Brigitte Bardot, James Dean, Götz George, Heinz Rühmann, Romy Schneider, Hanna Schygulla und neuere Stars, Stuttgart u.a. 2000, S. 16.

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der Medienrepräsentationen José Figueroa Sanabias um eine „bevorzugte Lesart“2 handelte, denn nur so konnten seine Landsleute ihr psychologisches Bedürfnis nach self-enhancement durch den Violinisten – oder besser durch sein Image – befriedigen. Anschließend analysiere ich drei Ereignisse im Leben des Geigers, die diese These untermauern sollen. Das Argument hierbei lautet, dass das Verhalten der Puerto Ricaner gegenüber José Figueroa Sanabia in vollkommenem Einklang steht mit der Art, wie er in der puerto-ricanischen Presse dargestellt wurde.

3.1 R EZEPTION DER M EDIENDARSTELLUNGEN : E INE SOZIALPSYCHOLOGISCHE E RKLÄRUNG Ein wichtiger Ansatz der Social Identity Theory besagt, dass „[p]eople derive feelings of worth and who they are both from their personal qualities, as well as from associations with the groups they value and to which they attach emotional significance.“3 Das heißt, dass kollektiven Identitäten eine wichtige Funktion sowohl beim Aufbau des Selbstkonzepts der Menschen (d.i. deren personaler Identität) als auch bei der Beibehaltung eines adäquaten bzw. positiven Selbstwerts zukommt.4 Für unseren Zweck ist das von großer Bedeutung, weil durch die einheimischen Medienrepräsentationen José Figueroa Sanabias die Entstehung einer bestimmten Art der Gruppenidentität vorangetrieben wurde, und zwar eine national-kulturelle Identität. Wie ich aufgezeigt habe, beförderten die Artikel eine derartige Identität, indem zwischen dem Geiger und der puerto-ricanischen Bevölkerung anhand verschiedener rhetorischer Mittel systematisch eine enge Bande geknüpft wurde. Dabei erhöhten sie den Entitativity-Grad des puerto-ricanischen

2

Bevorzugte Lesart bezeichnet die im Text geförderte Lesart, d.h. „[w]enn es gelingt, dass jede Bedeutung, die man kommunizieren will, vom Publikum auch auf genau diese Art und Weise verstanden wird“ (Stuart Hall, „Reflektionen über das Kodieren/Dekodieren-Modell. Ein Interview mit Stuart Hall“, in: Juha Koivisto und Andreas Merkens [Hg.], Ausgewählte Schriften, Bd. 4 ‚Ideologie, Identität, Repräsentation‘, 3. Aufl., Hamburg 2010 [2004], S. 92).

3

Miles Hewstone et al., An Introduction to Social Psychology, 5. Aufl., Chichester 2012, S. 129.

4

Siehe S. 20.

R EZEPTION

DER

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Volks. Bei „entitativity“ soll man „the degree to which a collection of people is perceived as being bonded together in a coherent unit“5 verstehen. Je höher der Entitativity-Grad, umso stärker das Zugehörigkeitsgefühl innerhalb des Kollektivs. Indem die Artikel den Entitativity-Grad des puerto-ricanischen Volks verstärkten, und dabei ihre Selbstdefinition als Puerto Ricaner festigte, erhöhten sie zeitgleich dessen Selbstwertgefühl kraft der Erzeugung dessen, was Sozialpsychologen als „basking in reflected glory“ bezeichnen. Basking in reflected glory ist ein sozialpsychologisches Phänomen, vermöge dessen die Menschen ihr psychologisches Bedürfnis nach self-enhancement befriedigen. „Self-enhancement“ bezeichnet die „motivation to enhance the positivity of our self-conceptions, often over what would be objectively warranted.“6 Es bezieht sich demzufolge auf „our desire to […] protect the self from negative information. The self-enhancement motive is central to classic and contemporary psychological theories that assume that people have a basic need to view themselves positively, or a need for self-esteem.7 According to the self-enhancement view, our need for self-esteem leads us to focus on information that has favourable implications for the self and to avoid information that has unfavourale implications for the self.“8

Basking in reflected glory ist eine der üblichsten Formen, durch die self-enhancement Ausdruck findet.9 Es hat zur Folge, dass man sich den Erfolgen einer Person oder einer Gruppe (z.B. einer Mannschaft) anschließt, um so sein Selbstwertgefühl zu stärken.10 Man teilt also auf eine kollektive

5

Miles Hewstone et al., S. 391.

6

Ebd., S. 141.

7

Das ist als das self-esteem motive bekannt (vgl. Richard B. Felson, „Reflected Appraisal and the Development of Self“, Social Psychology Quarterly, 48/1, März 1985, S. 77).

8

Hewstone et al., S. 145.

9

Andere Strategien sind self-serving-attributions und positive self-presentations (vgl. ebd., S. 141; Astrid Schütz, Psychologie des Selbstwertgefühls. Von Selbstakzeptanz bis Arroganz, Stuttgart u.a. 2000, S. 4-5).

10 Vgl. Cookie White Stephan und Walter G. Stephan, Two Social Psychologies, 2. Aufl., Belmont California 1990 (1985), S. 122-123.

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Weise das Erfolgsgefühl mit der(n) Person(en), die die Leistung vollbracht hat (haben), auch wenn man zum Erreichen dieser Leistung in keiner Weise beigetragen hat. In der puerto-ricanischen Presse wird basking in reflected glory durch Äußerungen befördert wie z.B.: „nuestro país debe sentir el orgullo [an]te el triunfo de nuestro joven compatriota que es, en e[sen]cia, el de nuestra tierra“11; oder „[e]n la noche del 29 de marzo, tuvo lugar en Washington el esperado debut de los hermanos Figueroa, que para la satisfacción de los admirados artistas y orgullo de Puerto Rico, resultó un triunfo inolvidable“12 bzw. „el compatriota, que tanto honor y tanta gloria ha sabido ganar, en unión de sus hermanos, para la tierra que le vio nacer“.13 Denn mittels derartiger Äußerungen wurde der Selbstwert der Puerto Ricaner gestärkt, indem Nationalstolzgefühle aufgrund der musikalischen Erfolge José Figueroa Sanabias, welche als Erfolge aller Puerto Ricaner betrachtet wurden, bei ihnen geweckt wurden. Das geteilte Erfolgsge-

11 „Unser Land soll auf den Triumph unseres jungen Landsmanns stolz sein, welcher im Grunde der Triumph unseres Lands ist“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „José Figueroa triunfa […] en su primer concierto de París“, Puerto Rico Ilustrado, [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3576); für andere Beispiele aus der ersten Periode (1925-1934) siehe: Anon., [o.T.], Alma Popular, [n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3686); Anon., „La despedida de los hermanos Figueroa“, El País, [n.d.], S. 1, AFF (Foto AFF 634-635). 12 „In der Nacht des 29. März fand in Washington das erwartete Debüt der Brüder Figueroa statt, welches zur Genugtuung der bewunderten Künstler und zum Stolz Puerto Ricos ein unvergesslicher Triumph wurde“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Los hermanos Figueroa triunfan en su debut en Washington“, El Imparcial, 4. April 1942, S. 16; für andere Beispiele aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: Anon., „El triunfo de José Figueroa“, El Mundo, 19. März 1940, [o.S.], AFF (Foto IMG 3671); Ángela Negrón Muñoz, „Los ocho hermanos Figueroa Sanabia“, El Mundo, 13. August 1939, S. 7. 13 „Der Landsmann, der so viel Ruhm und Ehre, gemeinsam mit seinen Geschwistern, für das Land seiner Geburt zu erlangen verstand“ (meine Übers., O.R.V.). Pedro Manzano Aviñó, „Pepito Figueroa y el ‚Stradivarius‘“, El Día, 15. Mai 1945, S. 1, AFF (Foto AFF 003); für andere Beispiele aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: María M. Serblá de Caro, „Familia Figueroa“, El Mundo, 3. Februar 1950, S. 10; Benjamín Arnaldo Meyners, „Puerto Rico en Nueva York“, El Mundo, 5. Oktober 1947, S. 8.

R EZEPTION

DER

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fühl war – wie man sehen wird – eine der wichtigsten konnotativen Bedeutungen, die die Puerto Ricaner vom Image José Figueroa Sanabias ableiteten. Da das Empfinden von Nationalstolzgefühlen wiederum eine Art national-kulturelle Identitätsbehauptung ist, trägt der Basking-in-reflectedglory-Effekt zudem zur Festigung des Entitativity-Grads des Kollektivs bei. Diese zwei psychologischen Wirkungen, nämlich die Selbstwerterhöhung und die Festigung der Kohäsion des Kollektivs, konnten nur erreicht werden, wenn die Puerto Ricaner die intendierte Botschaft akzeptierten, die in den Artikeln über den Violinisten übermittelt wurde. Sie mussten also mit deren bevorzugter Lesart einverstanden sein und sich dadurch genau diejenige Repräsentation Figueroa Sanabias aneignen, die die Artikel zu vermitteln beabsichtigten. Nur auf diese Weise konnten sie Nationalstolz durch die Teilhabe an den Erfolgen José Figueroa Sanabias empfinden und ihre puerto-ricanische Identität behaupten. 3.1.1 Korrelation zwischen den Medienrepräsentationen und der Handlungsweise der Puerto Ricaner gegenüber José Figueroa Sanabia 3.1.1.1 Der Empfang in San Sebastián Das Verhältnis der Puerto Ricaner gegenüber José Figueroa Sanabia kann als Evidenz dafür herangezogen werden, dass es sich bei der Rezeption der Artikel in der puerto-ricanischen Presse tatsächlich um eine bevorzugte Lesart handelte. Wie ich bereits dargestellt habe, war in der puertoricanischen Presse eine bestimmte Tendenz bezüglich der Darstellung des puerto-ricanischen Violinisten ersichtlich: Erstens sei José Figueroa Sanabia ‚einer von uns‘, nämlich ein Puerto Ricaner. Dabei beförderte man eine national-kulturelle Identität, die den Geiger als Identifikationsfigur (sprich als nationales Symbol) benutzte. Zweitens sei Figueroa Sanabia einer der renommiertesten Geiger der Welt und drittens seien seine musikalischen Leistungen mit Großtaten des ganzen puerto-ricanischen Volks gleichzusetzen. Wenn die Puerto Ricaner tatsächlich in diese Botschaft eingewilligt hätten, müsste sich das in irgendeiner Form in ihrem Verhältnis zum Geiger widerspiegeln. Anders formuliert: Wenn es also stimmte, dass die Puerto Ricaner die bevorzugte Lesart der Artikel über José Figueroa Sanabia in der puerto-ricanischen Presse guthießen, dann musste diese Lesart in ihrem Verhalten dem Geiger gegenüber irgendwie ihren Ausdruck finden. Man

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sollte also eine Korrelation zwischen der Botschaft der Artikel und der Handlungsweise der Puerto Ricaner dem Violinisten gegenüber feststellen können. In der Biografie habe ich bereits verschiedene Ereignisse im Leben des Violinisten erwähnt, in denen man in der Tat diese Korrelation erkennen kann. Beispielsweise habe ich angeführt, dass er 1926 wie ein Nationalheld in seiner Geburtsstadt, San Sebastián, empfangen wurde, als er sich zu einem Auftritt dorthin begab.14 Man kann diesen Empfang als die Objektivierung der starken emotionalen Bindung betrachten, die die Puerto Ricaner zu José Figueroa Sanabia (oder besser zu seinem Image) aufgebaut hatten, einer Bindung, dessen Entwicklung zunächst von den puertoricanischen Medien vorangetrieben wurde und die hauptsächlich auf der Tatsache beruhte, dass die Puerto Ricaner dank des in den Medien beförderten Basking-in-reflected-glory-Effekts an den musikalischen Erfolgen ihres Landmannes teilhatten. Daher ihre große Freude, ihn in San Sebastián willkommen heißen zu können. 3.1.1.2 Verleihung des Silberkelches Die Verleihung des Silberkelches 192715 ist ein weiteres gutes Beispiel für die Übereinstimmung zwischen der Art, wie José Figueroa Sanabia in der puerto-ricanischen Presse dargestellt wurde, und dem Verhalten der Puerto Ricaner ihm gegenüber. Wie bereits erläutert, erhielt er vom Senat Puerto Ricos, kurz vor seiner Rückreise nach Europa, einen Silberkelch zu Ehren seiner musikalischen Leistungen. Diese Ehrung beweist welch große nationale Bedeutung der Musiker in seiner Heimat erlangt hatte, wobei, diese nationale Wichtigkeit zunächst in den puerto-ricanischen Medien artikuliert worden ist. Im Zusammenhang mit diesem Ereignis ist eine Analyse des Texts der Resolution, die zu diesem Anlass verfasst wurde, äußerst aufschlussreich, denn er spiegelt ganz deutlich die Botschaft wider, die in der puerto-ricanischen Presse über den Geiger systematisch verbreitet wurde. Er wird jeweils als ein äußerst namhafter puerto-ricanischer Violinvirtuose dargestellt, auf den die ganze Nation stolz sein sollte, weil er mit seinen musikalischen Leistungen, die gewissermaßen als Verdienst aller Puerto Ricaner angesehen wurden, der Insel internationale Anerkennung verschafft habe:

14 Siehe S. 84-85. 15 Siehe S. 87-88.

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„Por cuanto: José Figueroa Sanabria [sic] es un puertorriqueño, hijo de modesta familia, escasa de recursos, que desde su más temprana edad, llevado de su vocación artística, consagró, no ya los mejores, sino que todos los días de su laboriosa juventud, al estudio, cultivo y práctica de la música, adquiriendo una alta, extraordinaria destreza y genial habilidad y maestría, en el manejo del violín [Herv. von mir, O.R.V.]; por cuanto: tan noble, meritoria y espiritual labor, ha sido realizada por José Figueroa Sanabria [sic] mediante su solo esfuerzo y sus propios recursos, no obstante ser muy limitados sus medios de fortuna, recorriendo y subiendo, paso a paso el áspero y difícil camino del más completo éxito en su arte excelso, hasta posar su planta triunfadora en las elevadas cumbres de la gloria y de la fama, para su propio honor y el de este país, que es su afortunada cuna [Herv. von mir, O.R.V.]; por cuanto: José Figueroa Sanabria [sic] ha conquistado renombre mundial [Herv. von mir, O.R.V.], obteniendo el laurel de la victoria con el ambicionado premio Sarasate, en el concurso de violín celebrado no ha mucho en Madrid, por el acuerdo y bajo el patrocinio de su Conservatorio de Música, concurso en el que tomaron parte muchos y valiosísimos artistas, de todas las provincias de España y del extranjero.“16

16 „Da: José Figueroa Sanabia ein Puerto Ricaner ist, Sohn aus bescheidener Familie mit geringen Mitteln, der von frühester Kindheit an, getragen von seiner künstlerischen Berufung, nicht nur die besten, sondern alle Tage seiner arbeitsamen Jugend dem Studium, der Kultivierung und Praxis der Musik widmete, wobei er eine große, außerordentliche Fingerfertigkeit und geniale Kunstfertigkeit und Meisterschaft im Geigenspiel erwarb [Herv. von mir, O.R.V.]; da: diese so edle, verdienstvolle und geistige Arbeit von José Figueroa Sanabia allein anhand seiner Anstrengung und eigener Mittel verwirklicht wurde, trotz der Tatsache, dass er über sehr eingeschränkte Geldmittel verfügte, wobei er Schritt für Schritt den rauen und schweren Weg des vollkommensten Erfolgs in seiner erhabenen Kunst durchlief und erklomm, bis er seinen triumphierenden Fuß auf die hohen Gipfel von Herrlichkeit und Ruhm setzte, zu eigener Ehre und der dieses Landes, das seine glückliche Wiege ist [Herv. von mir, O.R.V.]; da: José Figueroa Sanabia Weltruhm erlangt hat [Herv. von mir, O.R.V.], als er den Siegeslorbeer mit dem begehrten Sarasate-Preis erhielt, in dem Violinwettbewerb, der jüngst in Madrid stattfand, nach dem Beschluss und unter der Schirmherrschaft der Hochschule für Musik, ein Wettbewerb, an dem viele und äußerst begabte Künstler aus allen spanischen Provinzen sowie dem Ausland teilnahmen“ (meine Übers., O.R.V.). José Muñoz Rivera, „Resolución del Senado para

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Wie man sehen kann, wird in der Resolution die Herkunft Figueroa Sanabias hervorgehoben („José Figueroa Sanabria [sic] es un puertorriqueño“) und dabei eine Verbindung zum puerto-ricanischen Volk hergestellt. Darüber hinaus preist man seine außerordentlichen musikalischen Fähigkeiten („adquiriendo una alta, extraordinaria destreza y genial habilidad y maestría, en el manejo del violín“) und erklärt ihn zu einem der renommiertesten Geigenspieler der Welt („José Figueroa Sanabria [sic] ha conquistado renombre mundial“). Ferner werden auch in der Resolution seine musikalischen Erfolge dem gesamten puerto-ricanischen Volk zugerechnet („para su propio honor y el de este país, que es su afortunada cuna“). Alle diese Aspekte stellen, wie ich bereits dargelegt habe, auch wichtige Elemente in der Repräsentationsart des Geigers in der puerto-ricanischen Presse dar. So ergibt sich eine eindeutige Korrelation zwischen der Art und Weise, wie José Figueroa Sanabia in den einheimischen Medien präsentiert wurde, und dem Image, das die Puerto Ricaner von ihm schufen. 3.1.1.3 Die Schenkung der Stradivari Zweifellos ist die Schenkung der Stradivari-Violine17 das Ereignis, das man am besten die Übereinstimmung der Botschaft, die in der puertoricanischen Presse über José Figueroa Sanabia transportiert wurde, mit dem Verhältnis der Puerto Ricaner zu ihm verdeutlicht. Wie ich bereits erläutert habe, veröffentlichte am 7. Mai 1945 die Zeitung El Mundo einen Leitartikel, der die puerto-ricanische Gesellschaft mobilisieren sollte, um über Spenden die erforderliche Geldsumme zum Erwerb einer Stradivari für Figueroa Sanabia zusammenzubekommen. An der Kollekte nahmen Puerto Ricaner verschiedenster sozialer Klassen und Altersgruppen teil, wie man den Listen entnehmen kann, die in El Mundo während der 22 Tage, die die

ofrecer, en nombre del Senado, una copa de plata al joven artista puertorriqueño José Figueroa Sanabria [sic]“, 26. April 1927, AFF (Foto AFF 476); die Resolution wurde auch in der puerto-ricanischen Presse veröffentlicht (vgl. Anon., „Una resolución del Senado para ofrecer, en nombre del Senado, una copa de plata al joven artista puertorriqueño José Figueroa Sanabria [sic]“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF [Foto IMG 3626]). 17 Siehe S. 147-149.

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Kollekte dauerte, veröffentlicht wurden.18 Beispielsweise findet man dort Ärzte (Dr. Ricardo V. Fernández, $10.00; Dr. Guillermo Acosta $10.00), Professoren (Prof. Jorge Rubiano $10.00; Prof. José Gueits $5.00), Studenten (Sección 15, Estudios Generales U.P.R., $5.25), Schüler (Alumnos Escuela Intermedia y Superior de San Sebastián, $15.00, und Club de Arte del Sexto Grado, Escuela Emérito Colón, $1.75), Ladenbesitzer (Sport Shop Inc., $25.00), Vereine (Círculo Cultural del Pepino $28.50; Club Nosotros $5.00 ), Musiker (Elisa Tavárez de Storer $25.00; Miguelito Miranda y su Orquesta, $15.00) u.v.a. Diese Mobilisierung der puerto-ricanischen Bevölkerung ist sehr aufschlussreich, denn sie bestätigt, dass die national-kulturelle Identität, die in den puerto-ricanischen Medien um José Figueroa Sanabia herum als Identifikationsfigur konstruiert wurde, tatsächlich von den Puerto Ricanern angenommen wurde. Es gilt zu bedenken, dass eine wichtige Eigenschaft aller kollektiven Identitäten darin besteht, dass sie die Gruppenmitglieder für bestimmte Zwecke zu mobilisieren vermag.19 Genau dies ist hier geschehen. Man sieht, wie sich die puerto-ricanische Bevölkerung für ein gemeinsames Ziel zusammentat, nämlich für den Kauf einer Stradivari für José Figueroa Sanabia. Die Tatsache, dass an der Kollekte verschiedene Sektoren der puerto-ricanischen Gesellschaft teilnahmen, ist sehr wichtig, denn sie veranschaulicht, dass die Person José Figueroa Sanabia nicht nur für eine bestimmte (sprich privilegierte) Schicht der Gesellschaft, sondern für verschiedenste Gruppierungen von großer Wichtigkeit war. Mit anderen Worten: Die Schenkung der Stradivari verdeutlicht, dass sich verschiedene soziale Klassen und Altersgruppen innerhalb der puerto-ricanischen Gesellschaft das Image José Figueroa Sanabias als

18 Vgl. Anon., „Fondo para el Stradivarius es de $4, 916. 67“, El Mundo, 15. Mai 1945, S. 5; Anon., „El fondo para el Stradivarius es de $5, 752. 67“, El Mundo, 18. Mai 1945, S. 5; Anon., „Fondo para el Stradivarius es de $8, 011. 75“, El Mundo, 22. Mai 1945, S. 5 und 18; Anon., „Más donantes al fondo para el Stradivarius“, El Mundo, 30. Mai 1945, S. 5 und 12; Anon., „Los donantes últimos para el Stradivarius“, El Mundo, 1. Juni 1945, S. 13. Erwähnenswert ist, dass verschiedene kleinere Kollekten organisiert wurden, um die benötigte Geldsumme zu erhalten, z.B. „Colecta llevada a cabo en el solar del antiguo Teatro Sol, $18. 50 […] Recolecta llevada a cabo por J. A. Gauthier $42. 37“ (Liste vom 30. Mai 1945). 19 Siehe S. 21-22.

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ein nationales Symbol aneigneten. Da diese nationale Bedeutung des Violinisten erst durch die puerto-ricanische Medienberichterstattung artikuliert wurde, handelt es sich folglich bei der Rezeption der einheimischen Artikel über José Figueroa Sanabia um eine bevorzugte Lesart. Anderenfalls wäre es unmöglich zu erklären, weshalb so viele Landsleute des Geigers aus so unterschiedlichen sozialen Klassen und Altersgruppen an der Kollekte teilnahmen. Denn ohne die Akzeptanz der Botschaft der Artikel hätte die Bevölkerung den Geiger nicht als ein nationales Symbol wahrgenommen und es wäre ihr nicht so wichtig gewesen, ob er diese teure Violine hätte erwerben können oder nicht. Indem die Puerto Ricaner jedoch die Botschaft der einheimischen Artikel begrüßten und ihre national-kulturelle Identität durch den Geiger ausdrückten, waren sie solidarisch mit ihm – eine andere wichtige Eigenschaft aller kollektiven Identitäten20 – und entschieden sich, ihn dabei zu unterstützen.

20 Siehe S. 21-22.

4. Die abgeleiteten Konnotationen vom Image José Figueroa Sanabias

Die Tatsache, dass die Art, wie José Figueroa Sanabia in der puertoricanischen Presse dargestellt wurde, im vollkommenen Einklang stand mit der Vorstellung, die die Puerto Ricaner von ihm entwarfen, führt zu dem Schluss, dass das Image, welches die Bevölkerung vom Violinisten erschuf, eine unmittelbare Widerspiegelung seiner mediatisierten Repräsentation war. Dementsprechend lassen sich mehrere der von ihm abgeleiteten konnotativen Bedeutungen direkt in den Artikeln untersuchen. Diese konnotativen Bedeutungen bilden eine Konnotationskette miteinander sowie mit anderen Konnotationen, die eher bei der Berücksichtigung des sozialgeschichtlichen Kontexts zu begreifen sind. In der folgenden Analyse unterteile ich alle diese konnotativen Bedeutungen in zwei Gruppen, nämlich in diejenigen, welche für die ganze Bevölkerung von Belang waren, sowie jene, die eher für eine wohlhabende gebildete Klasse – deren Werte und Interessen am besten durch das Image José Figueroa Sanabias ihren Ausdruck fanden – galten. Bereits in der obigen Diskussion habe ich einige der wichtigsten konnotativen Bedeutungen (und Funktionen) analysiert, die dem Image Figueroa Sanabias zugeschrieben wurden. Es wurde beispielsweise ersichtlich, dass die Puerto Ricaner das Gefühl des Erfolgs wegen seiner musikalischen Darbietungen mit ihm teilten und wie dies zur Stärkung ihres Selbstwerts und des Entitativity-Grads des puerto-ricanischen Volks beitrug. Der Geiger wurde folglich zum Symbol ihrer Nation. Die Relevanz dieser Bedeutungen und deren enge Relation miteinander sowie mit anderen Konnotationen soll in der kommenden Analyse weiter erhellt werden.

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4.1 J OSÉ F IGUEROA S ANABIA: R EPRÄSENTANT DER P UERTO R ICANER IM AUSLAND Wie José Figueroa Sanabia als Repräsentant des puerto-ricanischen Volks im Ausland gesehen wurde, war eine weitere wichtige konnotative Bedeutung, die alle Puerto Ricaner aus seinem Image ableiteten.1 Diese zugeschriebene Konnotation ist durchgehend in der puerto-ricanischen Presse erkennbar. In einem Artikel von El Mundo (1927) liest man beispielsweise: „porque orgulloso puede sentirse Puerto Rico de tener en Pepito Figueroa tan valiosa representación en los círculos musicales de Madrid y otras capitales de Europa“.2 In einem anderen Beitrag derselben Zeitung (1938) wird in Bezug auf José, Jaime und Narciso Figueroa Sanabia außerdem festgestellt: „los hermanos que tan alto han sabido poner el nombre de nuestra isla en el mundo musical“.3 Zuletzt wird während der dritten Periode (1945-1952) in einem Artikel von Puerto Rico Ilustrado (1945) geschrieben: „Puerto Rico podía estar completamente seguro de que él [d.i. José Figueroa Sanabia, O.R.V.] llevaría la representación de su patria

1

Diese konnotative Bedeutung ist natürlich eng mit dem Erfolgsgefühl verbunden, das die Puerto Ricaner vom Image Figueroa Sanabias ableiteten.

2

„Weil Puerto Rico stolz darauf sein kann, dass es in Pepito Figueroa einen derart wertvollen Repräsentanten in den Musikkreisen Madrids und anderer europäischer Hauptstädte hat“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Pepito Figueroa se despide“, El Mundo, 2. Mai 1927, S. 7; für andere Beispiele aus der ersten Periode (1925-1934) siehe: Anon., „Noche de arte en el Municipal. El concierto de José Figueroa“, El Imparcial, 20. Dezember 1926, [o.S.], AFF (Foto IMG 3636); Anon., „Nuestras entrevistas. Pepito Figueroa“, Poliedro, [n.d., o.S., unvollst.], AFF (Foto IMG 3732).

3

„Die Brüder, die es geschafft haben, den Namen unserer Insel auf einen so hohen Rang in der musikalischen Welt zu erheben“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Se reúnen en Puerto Rico los hermanos Figueroa“, El Mundo, 2. September 1938, S. 8; für andere Beispiele aus der zweiten Periode (1935-1944) siehe: R. Piñero Fernández., „El homenaje del país a los Figueroa Sanabia se encauza hacia la obtención de recursos para presentarlos ante el público americano“, El Mundo, 4. Oktober 1938, S. 8; Anon., „Homenaje a los artistas Figueroa“, La Correspondencia, 17. Oktober 1938, S. 8.

D IE ABGELEITETEN K ONNOTATIONEN

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donde quiera que su arte fuera proclamado.“4 Die Repräsentation José Figueroa Sanabias im Ausland war für die Puerto Ricaner (u.a.) von großer Bedeutung, weil sie durch die musikalischen Erfolge des Musikers, welche sie kraft des Basking-in-reflected-glory-Effekts als ihre eigenen wahrnahmen, auf eine positive Art anderen Völkern begegnen konnten. Das war durchaus von Belang, denn: „People have a need for positive social identity and are thus strongly motivated toward contrasting their ingroups (groups to which they feel they belong) favourably with any outgroups […] this raises an ingroup member's self-esteem and can positively shield one from external discrimination if one is of a low status or otherwise disadvantaged group.“5

Ein günstiger Vergleich des eigenen Kollektivs mit anderen trägt entsprechend zur Selbstwerterhöhung der Ingroup bei. Im Prinzip weist Clifford Geertz genau darauf hin, wenn er feststellt, dass eines der wichtigsten Aspekte jedweder Nationvorstellung „is to be noticed: it is a search for an identity, and a demand that that identity be publicly acknowledged as having import, a social assertion of the self as ‚being somebody in the world‘“.6 Für jedes Volk ist es somit wichtig, im Vergleich mit anderen Völkern positiv dazustehen, denn auf diese Weise kann es seinen eigenen Wert und seine Bedeutung in der Welt behaupten. Dadurch verstärken die Angehörigen einer Nation – in unserem Fall also die Puerto Ricaner – ihr Selbstwertgefühl. Weil José Figueroa Sanabia ein erfolgreicher Musiker war,

4

„Puerto Rico konnte ganz sicher sein, dass er [d.i. José Figueroa Sanabia, O.R.V.] seine Heimat mit repräsentieren würde, wo immer man seine Kunst verkündete“ (meine Übers., O.R.V.). Coloma Pardo de Casablanca, „Un gran artista puertorriqueño: José Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado, 30. Juni 1945, S. 25; für andere Beispiele aus der dritten Periode (1945-1952) siehe: Anon., „Dos puertorriqueños: José y Narciso Figueroa tocarán un concierto en Carnegie Hall“, Alma Latina, 22. September 1951, S. 5; Anon., „El fondo para el Stradivarius es de $5, 752. 67“, El Mundo, 18. Mai 1945, S. 5.

5

Miles Hewstone et al., An Introduction to Social Psychology, 5. Aufl., Chichester 2012, S. 129.

6

Clifford Geertz, „Primordial and Civic Ties“, in: John Hutchinson und Anthony Smith (Hg.), Nationalism, Oxford u.a. 1994, S. 30.

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konnten sich die Puerto Ricaner durch ihn als ihren Repräsentanten in positiver Art mit anderen Völkern vergleichen und folglich ihren Selbstwert erhöhen.7 Je erfolgreicher er war oder eher je erfolgreicher man ihn in den einheimischen Medien darstellte (sprich idealisierte), umso eher konnten die Puerto Ricaner anderen Völkern in für sie günstiger Weise begegnen. Und je besser der Vergleich mit anderen Völkern ausfiel, desto stärker wurde ihr Nationalstolz und demzufolge konnten sie umso mehr ihr Selbstwertgefühl über das Image des Geigers festigen. Das zu bedenken ist äußerst wichtig, denn es stellt einen der fundamentalen Gründe dar, weshalb das Image des puerto-ricanischen Violinisten so sehr idealisiert wurde: José Figueroa Sanabia sollte als einer der besten Violinisten der Welt erscheinen, weil nur ein solches Image die Puerto Ricaner ganz allgemein als ein besonderes Volk in der Welt zu präsentieren vermochte. Wäre er in der einheimischen Presse genauso dargestellt worden wie in der ausländischen, wäre sein Image nicht außerordentlich – d.i. nicht speziell – genug gewesen, um die Puerto Ricaner mit Erfolg als ein besonderes Volk erscheinen zu lassen. Die Puerto Ricaner hätten in diesem Fall ihr Selbstwertgefühl kraft des Images des Geigers nicht stärken können, zumindest nicht in dem Maße, wie es aufgrund der Idealisierung seines Images geschah. Das bedeutet dennoch mitnichten, dass die Idealisierung José Figueroa Sanabias ein bewusster und gezielter Vorgang war. Vielmehr sollte man sie als unbewussten Nebeneffekt der Sehnsucht der Puerto Ricaner nach internationaler Anerkennung betrachten, welche in ihrem Fall zum Teil wegen durchaus auszumachender latenter Gefühle der Bedeutungslosigkeit bzw. Minderwertigkeit noch verstärkt war8, sowie der starken nationalistischen Gefühle, die innerhalb der puerto-ricanischen Bevölkerung zu jener Zeit festzustellen waren und welche auf den Violinisten projiziert wurden. Gewiss waren sich die Puerto Ricaner nicht dessen bewusst, dass das, was sie

7

In einem Zeitungsartikel wird beispielsweise festgestellt: „y por eso también cuando se ha visto los nombres de estas tres cumbres artísticas [d.i. José, Narciso und Jaime, O.R.V.] resplandecer en los grandes rotativos del mundo, en las revistas de más auge y acogida por el elemento musical, el nombre de Puerto Rico ha sonado en una alegre algarabía, en una cascabelera musicalidad, como demostrando cuánto vale [Herv. von mir, O.R.V.]“ (Anon., „La despedida de los hermanos Figueroa“, El País, 14. September 1932, S. 1).

8

Siehe S. 270-279.

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über den Geiger schrieben (im Fall der Journalisten und Musikkritiker) und lasen (was den Rest der Bevölkerung betrifft), eine verklärte – sprich idealisierte – Darstellung José Figueroa Sanabias war. Sie mussten zwangsläufig dem Bild hinter dieser Idealisierung glauben bzw. es als wahr annehmen. Denn wenn sie zu der Überzeugung gelangt wären, eine falsche Vorstellung ihres geliebten Geigers zu haben, dann wäre gleichzeitig aufgrund dieser Erkenntnis die Funktion José Figueroa Sanabias als würdiger Repräsentant Puerto Ricos und nicht zuletzt als Erzeuger von selbstwerterhöhenden Nationalstolzgefühlen wenn nicht vollkommen, so doch zumindest weitgehend verloren gegangen. Denn diese Erkenntnis wäre mit einer anderen einhergegangen, nämlich der, dass die Bedeutung ihres Geigers in der Kunstmusikwelt nicht so außergewöhnlich war, wie sie dachten. Und wenn José Figueroa Sanabia nicht einer der talentiertesten und renommiertesten Geiger der Welt wäre, so wie er in der puerto-ricanischen Presse systematisch dargestellt wurde, hätte das zur Folge, dass sich die Puerto Ricaner nicht mehr durch ihn (oder durch sein Image) in so positiver Weise mit anderen Völkern hätten vergleichen können und sie demzufolge ihren Selbstwert durch ihn nicht wirksam zu stärken vermocht hätten. Die José Figueroa Sanabia zugeordnete übermenschliche Qualität, auf der seine charismatische Persönlichkeit basierte, war mithin eine Voraussetzung für die große Bedeutung, die sein Image bei den Puerto Ricanern besaß. 4.1.1 Die Idealisierung des Stars und das self-enhancement-motive Daraus folgt, dass die Idealisierung eines Stars eng mit dem intrinsischen Bedürfnis der Menschen nach self-enhancement bzw. (was dem gleichkommt) nach einem positiven Selbstwert verknüpft ist. Das ist ein Aspekt, den die Staranalyseforschung noch nicht genau genug untersucht hat. Man muss beachten, dass alle Stars, wie auch im Fall José Figueroa Sanabias, nicht nur als Identifikationsfiguren dienen, durch die bestimmte Gruppen ihre kollektive Identität artikulieren. Sie sind zugleich auch selbstwertstärkende Figuren. Denn, indem eine Gruppe (sprich die Fans oder in unserem Fall das puerto-ricanische Volk) ihre Identität durch den Star artikuliert, erhöht sie auch gleichzeitig durch die Identifikation mit ihm und den damit einhergehenden Basking-in-reflected-glory-Effekt ihr Selbstwertgefühl. Je außerordentlicher die Leistungen eines Stars wahrgenommen

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werden, umso stärker wirkt der Basking-in-reflected-glory-Effekt und umso wirkungsvoller kann somit das Selbstwertgefühl der Fans verstärkt werden. Daher ist es nicht überraschend, dass sie diese Leistungen (sowie das ganze Starimage) zu idealisieren trachten. Auf diese Weise können sie ihr Bedürfnis nach self-enhancement am effektivsten befriedigen. Denn der selbstwerterhöhende Effekt, erzeugt durch basking in reflected glory, steht in unmittelbarer Korrelation mit dem Grad der Besonderheit der Leistungen, die der Star vollbracht hat – oder die ihm zumindest zugeschrieben werden. Es ist demzufolge kein Zufall, dass eines der wenigen identifizierbaren Merkmale, die alle Stars (unabhängig von ihren jeweiligen Tätigkeiten) gemeinsam haben, in ihrer allgemeinen Idealisierung besteht.

4.2 D ER KOLONIALE K ONTEXT : D AS US- AMERIKANISCHE K OLONIALREGIME Ein wichtiger Ansatz der Staranalyseforschung ist, dass die Bedeutung eines Stars zusehends vom sozialgeschichtlichen Kontext bedingt ist.9 Basierend auf diesem Ansatz untersuche ich im folgenden, welche Relation zwischen den konnotativen Bedeutungen, die dem Image José Figueroa Sanabias zugeordnet wurden, und dem damaligen Kolonialkontext auf Puerto Rico festzustellen ist. Ich erforsche konkret einige Aspekte der gesellschaftlichen Kolonialbedingungen, in denen die Puerto Ricaner damals lebten, und zeige, wie diese Bedingungen das Minderwertigkeitsgefühl der Puerto Ricaner, auch in Bezug auf ihre Kultur, auf verschiedene Weise beförderten, sowie die identitätsstiftende und selbstwerterhöhende Rolle, die der Behauptung einer national-kulturellen Identität in einem solchen Kontext zukam. Anders formuliert: Ich werde zeigen, weshalb die damalige politische Situation Puerto Ricos das Bedürfnis nach einer positiven Selbstdefinition, d.h. nach einer national-kulturellen Identitätsbehauptung, in der Bevölkerung erheblich steigerte und welche Funktion das Image José Figueroa Sanabias innerhalb dieses Prozesses der selbstwertstärkenden Identitätsvergewisserung hatte. Der erste Aspekt, den man in Bezug auf die damalige puerto-ricanische Kolonialgesellschaft berücksichtigen muss, ist, dass sie – was genauso für alle anderen Kolonialgesellschaften gilt – auf der Annahme basiert, die US9

Siehe S. 37.

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amerikanischen Kolonialherren seien den Puerto Ricanern (d.h. den Kolonisierten) überlegen. Diese Annahme war allgegenwärtig in den kolonialen Beziehungen und regulierte die daraus resultierende Machtstruktur. Francisco A. Scarano schreibt diesbezüglich: „Pero había, a la vez [en la cosmovisión o Weltanschauung de los estadounidenses a finales del siglo 19, O.R.V.], las nociones de superioridad cultural y racial que circulaban ampliamente en Estados Unidos de la época. Tales prejuicios pintaban de antemano una imagen de ‚inferioridad‘ acerca de los puertorriqueños; sobre la capacidad intelectual de éstos y sus posibilidades de salir de la pobreza, para mantener un orden social estable y, sobre todo, para ‚gobernarse a sí mismos‘. De ahí que la mayoría de los norteamericanos consideraran a Puerto Rico, ante todo, como una ‚frontera de oportunidades‘, un nuevo reto para el ‚genio‘ y la ‚vitalidad‘ de los norteños. No había apenas discusión sobre este punto: Puerto Rico sería un terreno fértil para el capital norteamericano, el cual, gracias a sus ‚superiores fuerzas‘ traería a la isla el ‚progreso‘ deseado.“10

10 „Aber es gab gleichzeitig [in der Weltanschauung der US-Amerikaner am Ende des 19. Jahrhunderts, O.R.V.] die Vorstellung von kultureller und rassischer Überlegenheit, die in den damaligen USA weit verbreitet war. Solche Vorurteile malten von vornherein ein Bild der ‚Minderwertigkeit‘ von den Puerto Ricanern; hinsichtlich ihrer intellektuellen Fähigkeiten und ihrer Möglichkeiten, die Armut zu überwinden, um eine stabile soziale Ordnung aufrechtzuerhalten und, vor allem, ‚sich selbst zu regieren‘. Daher hielten die meisten US-Amerikaner Puerto Rico zuallererst für ein ‚Grenzgebiet der Gelegenheiten‘, für eine neue Herausforderung für das ‚Genie‘ und die ‚Vitalität‘ der Nordländer. Es gab kaum Diskussion zu diesem Punkt: Puerto Rico wäre ein fruchtbarer Boden für US-amerikanisches Kapital, welches dank seiner ‚überlegenen Kräfte‘, der Insel den erwünschten ‚Fortschritt‘ bringen würde“ (meine Übers., O.R.V.). Francisco A. Scarano, Puerto Rico. Cinco siglos de historia, 2. Aufl., México u.a. 2000, S. 651; siehe auch: Pedro A. Cabán, Constructing a Colonial People. Puerto Rico and the United States, 1898-1932, Boulder Colorado 1999, S. 88; Robert W. Anderson, „Politics and Government“, in: Lynn-Darrel Bender (Hg.), The American Presence in Puerto Rico, Hato Rey (San Juan) 1998, S. 34; Lillian Guerra, Popular Expression and National Identity in Puerto Rico. The Struggle for Self, Community, and Nation, Gainesville u.a., S. 50.

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Die Annahme der Überlegenheit der US-Amerikaner fand nicht nur über den damaligen kolonialen Diskurs ihren Ausdruck. Sie manifestierte sich außerdem auf eine diffuse, unpersönliche, nonverbale Weise in allen Aspekten der Kolonialbeziehung, denn das gesamte Kolonialisierungsprojekt, d.i. die Amerikanisierung Puerto Ricos, stützte sich auf diese Prämise: „[A]mericanization defined North American society as the ideal model of modern civilization that at all levels – political, cultural, economic, religious, intellectual, or racial – should and would be considered superior to that of Puerto Rico.“11

Die Amerikanisierung war die US-amerikanische Version der sogenannten ‚zivilisierten Mission‘. Damit artikulierte die US-Regierung ihre kolonialen Absichten auf Puerto Rico. Man sollte sie jedoch nicht für einen in jeder Hinsicht durchdachten Plan halten: Dieser Begriff beinhaltet vielmehr eine Reihe von unterschiedlichen, teilweise sogar widersprüchlichen Strategien, die zwischen 1898 und 1952 von der US-Regierug auf der Insel implementiert wurden, um ihre Kolonialherrschaft durchzusetzen.12 Ihre ideologische Grundlage wird in der folgenden Aussage recht gut deutlich: „The Americans, unhindered by rebellion and overt opposition, set themselves to the task of transforming Puerto Rico. They were persuaded that they had brought with

11 Guerra, S. 22. Aida Negrón de Montilla definiert Amerikanisiserungs als „el proceso por el cual los pueblos de cultura extranjera adquieren los sistemas y costumbres de vida americanos y la lealtad nacional, o la asimilación de la cultura

americana

por

los

pueblos

de

nacimiento

extranjeros“

(La

americanización en Puerto Rico y el sistema de instrucción pública 1900-1930, 2. Aufl., San Juan 1998 [1976], S. 7). 12 Gervasio Luis García schreibt diesbezüglich: „The North Americans were inexperienced in the art of dominating peoples of distinct ethnicities on territories far off from their continental platform. For that reason, they tried out, invented, and improvised systems of government and economic policies while they were affirming and defining their right to command and dispose of foreign lands and populations“ („I Am the Other: Puerto Rico in the Eyes of North Americans, 1898“, The Journal of American History, 87/1, 2000, S. 46; siehe auch: Richard Pattee, „The Puerto Ricans“, Annals of the American Academy of Political and Social Science, Bd. 223 ‚Minority Peoples in a Nation at War‘, September 1942, S. 50; Anderson, S. 39.

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them ‚the advantages and blessings of enlightened civilization‘ and were bound ultimately to give to the Puerto Ricans the American way of life which implied the application of those methods ‚that have resulted in the success of the American nation‘. There is no doubt that in the early nineteen hundreds it was implicitly believed that when the process of reeducation had been accomplished, and under a benevolent American government the Puerto Ricans had acquired new attitudes, they would eventually be ready for the coveted participation in the privileges of American citizenship. Until that time, however, it was expected that they would accept American rule and investments and recognize that they had ‚an excellent opportunity for generous guidance in the better ways and means, in the language of the Declaration of Independence, for the pursuit of happiness‘.“13

In dieser paternalistischen Denkweise kommt deutlich zum Ausdruck, wie die ideologische Grundlage der Amerikanisierung die Inferiorität der Puerto Ricaner voraussetzte. Im Folgenden werde ich einige kulturelle Aspekte der Amerikanisierung analysieren, damit man besser nachvollziehen kann, wie dieser Superioritätsanspruch praktisch umgesetzt wurde. Danach zeige ich, wie dies das Bedürfnis nach einer positiven Selbstdefinition bzw. nach der Behauptung einer puerto-ricanischen Identität verstärkte, sowie die Rolle, die das Image José Figueroa Sanabias bei diesem Vorgang spielte. 4.2.1 Die Assimilationspolitik Die kulturelle Überlegenheit der US-Amerikaner äußerte sich vornehmlich in der Assimilationspolitik, die die US-Regierung auf Puerto Rico einführte. Ein direkter und gezielter Assimilationsversuch ist vor allem im neu gegründeten Schulsystem festzustellen. Eines seiner Hauptziele war, dass sich die zukünftigen Generationen von Puerto Ricanern die Gewohnheiten, Werte und Sitten der US-amerikanischen Kultur aneigneten.14 Identitäts-

13 Guy S. Métraux, „American Civilization Abroad: Fifty Years in Puerto Rico“, The Americas, 8/1, Juli 1951, S. 62. 14 Vgl. Cabán, S. 125 und 130; auch das Buch von Negrón de Montilla; Métraux, S. 74-76. Man kann einschätzen, inwiefern dieser Aspekt der Amerikanisierungspolitik für die US-Regierung von Belang war, wenn man beachtet, dass bis 1952 der Comisionado de Educación (Bildungsminister) von Puerto Rico direkt vom US-amerikanischen Präsident ernannt wurde.

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theoretisch gesehen heißt das, dass die US-amerikanische Kolonialregierung über das Bildungssystem die US-amerikanische national-kulturelle Identität auf die puerto-ricanische Bevölkerung (so weit wie möglich) übertragen bzw. in ihr etablieren wollte, damit diese dieselben nationalen Zugehörigkeits-, Solidaritäts- und Loyalitätsgefühle gegenüber den USA empfanden wie die meisten anderen US-Amerikaner auch. Dieser Assimilationsversuch umfasste verschiedene Elemente. Das wichtigste und zweifellos umstrittenste war die Anstrengung, die englische Sprache als Hauptunterrichtsprache in den Schulen einzuführen. Einige Comisionados de Educación (Bildungsminister) wollten, dass alle Klassen, d.h. von der Grundschule bis zur Sekundarschule, auf Englisch unterrichtet wurden. Das war die Politik etwa von Victor S. Clark (1898-1900), Ronald Falkner (1904-1907), Edwin G. Dexter (1907-1912), Edward M. Bainter (19121916) und José M. Gallardo (1937-1946). Wegen der Schwierigkeiten, diese Politik durchzusetzen, sowie der Reihe von Protesten, die sie auslöste, haben andere Bildungsminister Spanisch als Unterrichtsprache in der Grundschule erlaubt. Von 1916 bis 1934 wurde etwa die Politik von Paul Miller verfolgt, welche Spanisch während der ersten vier Schulklassen als Hauptsprache zuließ, in der fünften Klasse dann Spanisch und Englisch und von der sechsten bis zur zwölften Klasse ausschließlich Englisch. Erst 1946 etablierte Mariano Villaronga die Sprachpolitik, die bis heute im puertoricanischen Schulsystem gilt, nämlich „Spanish as the language of instruction in all grades [and, O.R.V.] English as a required subject in all grades“.15 Alle diese Veränderungen in der Sprachpolitik erfolgten zum Teil daher, weil – wie schon angeführt – verschiedene Sektoren der puerto-ricanischen Bevölkerung (darunter Politiker, der Lehrerverein sowie viele Eltern und Schüler) zu verschiedenen Gelegenheiten gegen das Aufzwingen des Englischen protestierten. Sie sahen diese wenig feinfühlige Politik als ein Hindernis bei der Erziehung der Schüler sowie als einen demütigenden Versuch, die puerto-ricanische Identität zu unterdrücken. Es ist kein Wunder, dass die Proteste gegen die Verwendung des Englischen als

15 Melvin C. Resnick, „ESL and Language Planning in Puerto Rican Education“, TESOL Quarterly, 27/2, Sommer 1993, S. 274-275. Bis heute sind Englisch und Spanisch die offiziellen Sprachen auf Puerto Rico.

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Unterrichtssprache des Öfteren mit nationalistischen Demonstrationen gegen die Kolonialherrschaft verbunden waren.16 Ein anderes wichtiges Element der Assimilationspolitik im Schulsystem war das Bestreben der Kolonialregierung, bei den puerto-ricanischen Schülern patriotische Gefühle gegenüber den USA zu erzeugen. Zu diesem Zweck wurden alle Nationalfeiertage der USA zelebriert. In Bezug auf die Feierlichkeiten zu Ehren des Geburtstags Theodore Roosevelts und des Flag Day während der Amtszeit von Juan B. Huyke (1917-1930) schreibt Aida Negrón de Montilla: „Como en los años anteriores, durante la incumbencia de Huyke, las celebraciones de fechas solemnes se utilizaban para fomentar el buen americanismo. El Día de Theodore Roosevelt fue una de las ocasiones en que el Departamento de Instrucción recomendó que se dedicase una semana entera a la celebración. La Carta Circular núm. 75, del 20 de enero de 1922 sugería un programa para el descubrimiento de la fotografía del Presidente Roosevelt en varias escuelas […] Al acercarse el mes de octubre siempre se daban instrucciones para la celebración del aniversario de Theodore Roosevelt […] También el Día de la Bandera se usó para ‚estimular en los niños escolares el aprecio y el amor hacia la bandera nacional‘ [d.i. die USamerikanische Fahne, O.R.V.].“17

Erwähnenswert ist die Rolle, die Musik bei diesen Feierlichkeiten spielte, ein Thema, das noch nicht ausführlich untersucht worden ist. In solchen Tagen mussten die Schüler patriotische US-amerikanische Lieder wie Hail

16 Vgl. Negrón de Montilla, S. 152. 17 „Wie in den Jahren zuvor wurde während der Amtszeit von Huyke die Begehung von Feiertagen dazu benutzt, einen gesunden Amerikanismus zu fördern. Der Tag von Theodore Roosevelt war eine dieser Gelegenheiten, zu der das Ministerium für Bildung vorschlug, eine ganze Woche der Feier zu widmen. Das Rundschreiben Nr. 75 vom 20. Januar 1922 schlug ein Programm zur Enthüllung der Fotografie von Präsident Roosevelt in mehreren Schulen vor […] Sobald sich der Monat Oktober näherte, gab man Anweisungen für die Feier des Geburtstags Theodore Roosevelts […] Auch wurde der Flag Day dazu benutzt‚ ,bei den Schulkindern ein Gefühl der Wertschätzung und Liebe für die Nationalflagge zu erzeugen‘ [d.i. die US-amerikanische Fahne, O.R.V.]“ (meine Übers., O.R.V.). Ebd., 230; siehe auch: Cabán, S. 133; Métraux, S. 72.

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Columbia und Star Spangled Banner singen und, im Fall der Schulbands, diese spielen.18 Sowohl José Figueroa Sanabia als auch seine Geschwister waren als Kinder in solchen Gruppen aktiv. Die Berücksichtigung dieser Assimilationsversuche sind für unseren Forschungszweck von großer Wichtigkeit, denn diesen lag die Annahme zugrunde, dass etwas in der Kultur der (kolonisierten) Schüler fehlte bzw. unzureichend war und sie sich deshalb die überlegene Kultur der Kolonialherren aneignen sollten. Die Assimilationspolitik im Schulsystem war somit ein gutes Beispiel dafür, wie die Prämisse der Superiorität der US-Amerikaner alle Aspekte der Kolonialbeziehung prägte. Auf der anderen Seite ist es ebenso wichtig, die Widerstände deutlich zu machen, die diese Versuche (vor allem der Durchsetzung des Englischen als Unterrichtssprache) bei der puerto-ricanischen Bevölkerung auslösten. Denn diese Auflehnung stellte eine von mehreren unterschiedlichen Strategien dar, anhand deren die Puerto Ricaner ihre national-kulturelle Identität zu bewahren trachteten und womit sie den Amerikanisierungsversuchen entgegentraten. Es handelte sich also um eine Form antikolonial-nationalistischen Widerstands, der den geistigen Bereich (spiritual domain) der puerto-ricanischen Nation gegen die Einflussnahme der USamerikanische Kultur zu schützen versuchte, um sich so die Idiosynkrasien des puerto-ricanischen Volks zu bewahren. Später werde ich aufzeigen, welche Funktion dem Image José Figueroa Sanabias bei diesem Bestreben der Identitätswahrung zukam.

18 Vgl. Catherine Dowe, Puerto Rican Music Following the Spanish American War. 1898: The Aftermath of the Spanish American War and its Influence on the Musical Culture of Puerto Rico, Lanham 1983, S. 61-77; Ruth Glasser, My Music Is My Flag. Puerto Ricans Musicians and Their New York Communities, 1917-1940, Berkeley u.a. 1995, S. 37; Negrón de Montilla, S. 63-64.

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Abb. 1: Kindergarten, Escuela Modelo, San Juan 1900.

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Abb. 2: Puerto-ricanische Schüler beim Schwören auf die USamerikanische Fahne vor Beginn des Schultages, 1909.



Alle Fotos von S. 239, 242 und 243 findet man in: Osvaldo García, Fotografías para la historia de Puerto Rico 1844-1952, 2. Aufl., Río Piedras (San Juan) 1993 (1989).

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Außerhalb des Schulsystems verfolgte die US-Regierung eigentlich keine direkte und gezielte kulturelle Assimilationspolitik. Man kann aber von einer mehr indirekten Amerikanisierungsstrategie sprechen, und zwar aufgrund der großen Einflussnahme der US-amerikanischen Kultur und Lebensweise, z.B. durch die große Menge von auf Englisch verfasster Werbung und von US-amerikanischen Produkten, die ab 1900 auf der Insel zu finden waren19 sowie durch das Feiern (auch außerhalb der Schulen) von US-amerikanischen Nationalfeiertagen.20 Ebenfalls wichtig in diesem Zusammenhang war die Einführung einer Reihe von Gesetzen, die bestimmte Gewohnheiten der Puerto Ricaner auszumerzen beabsichtigten:

19 Wie man erwarten konnte, kontrollierten US-amerikanische Unternehmen den Import von Lebensmitteln sowie anderen Produkten auf der Insel: „En 1901 casi $8 de cada $10 de mercancías importadas vendidas en Puerto Rico eran estadounidenses, mientras que en 1914, $9 de cada $10 en mercancías importadas tenían ese mismo origen“ (Scarano, S. 684). Man muss aber klarstellen, dass bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als Puerto Rico noch eine spanische Kolonie war, der Import von US-amerikanischen Produkten ziemlich hoch war. 20 Das Feiern von US-amerikanischen Nationalfeiertagen geschah somit nicht nur in der Schule. Es wurde erwartet, dass alle Puerto-Ricaner mitmachten. Gleichzeitig vernachlässigte die Kolonialregierung das Feiern von traditionellen puerto-ricanischen Feiertagen oder versuchte, sie zu amerikanisieren. Catherine Dower schreibt diesbezüglich: „By 1906, some Puerto Ricans felt that their traditional feasts were suffering in the light of the celebrations of American holidays. They insisted that the feast of their Island Patron Saint should remain a local celebration and not be linked to any United States holiday such as the Fourth of July. The editor of The San Juan News expressed his enthusiasm for this old celebration. In analyzing its significance, he stated that: ‚The people of Puerto Rico recognize it fully. It is not a religious occasion, not a church festival; it is a Puerto Rican tradition, one that symbolizes the personality of this people; it is a patriotic and time honored observance which ought to be celebrated by all those who lost their country; for it represents and constitutes something that is the soul and personality of a people‘“ (S. 84). Diese Vernachlässigung bzw. dieser Versuch der Amerikanisierung der puerto-ricanischen Feiertage ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die vermeintliche Überlegenheit der US-amerikanischen Kultur in der puerto-ricanischen Kolonialgesellschaft ihren Ausdruck fand.

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„Bearing directly on the mores of the people […] there was a rather interesting series of General Orders issued by the Commanding General [d.i. während der militärischen Regierung 1898-1900, O.R.V.] for the purposes of introducing American attitudes in the population. Thus, in an order incorporating the Association for the Prevention of Cruelty to Animals, cockfighting was forbidden together with the use of goads on draft animals. Bullfighting and even boxing exhibitions became outright public offenses. Gambling houses, lotteries and other games involving betting were strictly forbidden. Even serenading was object to punishment. These customs were so integrally part of the Puerto Rican culture, however, that their prohibition had finally to be removed from the statute books in the late thirties.“21

Die Tatsache, dass alle diese Gesetze am Ende wieder abgeschafft wurden, veranschaulicht – genauso wie die Kontroverse um die Unterrichtssprache – welche Anstrengungen die Puerto Ricaner unternahmen, sich ihre kulturellen Eigenheiten (darunter auch etliche Untugenden) zu erhalten. Dies zeigt, wie ihre Reaktion auf eine Kolonialpolitik aussah, die ihre Minderwertigkeit als gegeben annahm und die, basierend auf dieser Prämisse, sie davon zu überzeugen versuchte, die vermeintlich höherwertige Kultur der US-amerikanischen Kolonialherren anzunehmen bzw. ihr nachzueifern: „Theoretically Puerto Ricans had to comply with the logic and surrender to the task of imitating North Americans traditions, customs and values in order to become (ironically) better, or in terms of the times, ‚improved‘ expressions of themselves.“22

Homi Bahbha bezeichnet derartige Kolonialpolitiken als mimicry.23

21 Métraux, S. 71-72. 22 Guerra, S. 51. 23 Vgl. Homi K. Bhabha, The Location of Culture, Kap. 4: „Of Mimicry and Man: The Ambivalence of Colonial Discourse“, London u.a. 2010, S. 121-131; siehe auch: Albert Memmi, Portrait du colonisé. Portrait du colonisateur, Paris 2010 (1957), S. 138-142.

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Abb. 3: La Fortaleza, Wohnhaus des Gouverneurs Puerto Ricos, 4. Juli 1899.

Abb. 4: Omnibus, San Juan 1931.

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Abb. 5: Omnibus, Río Piedras (San Juan), 1924.

Abb. 6: US-amerikanische Produktwerbungen an einem Obst-Kiosk auf der San-Sebastián-Straße, San Juan (n.d.).

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4.2.2 Der koloniale Diskurs Ich habe bereits einige Aspekte der damaligen Amerikanisierungspolitik dargestellt, in denen die Verachtung und zum Teil auch Unterdrückung der puerto-ricanischen Kultur deutlich wird. Diese Aspekte sind Beispiele dafür, wie die Minderwertigkeit der Puerto Ricaner auf eine implizite nonverbale Weise innerhalb der damaligen Kolonialgesellschaft ihren Ausdruck fand. Nun werde ich die Aufmerksamkeit auf die verbale Form richten, in der diese vermeintliche Minderwertigkeit durch den kolonialen Diskurs artikuliert wurde. Der koloniale Diskurs war natürlich kein einheitlicher Diskurs. Er umfasste unterschiedliche Aspekte der Kolonialbeziehung und war daher vielfältig und zum Teil auch widersprüchlich. Deswegen lässt er sich nicht einfach ohne spezifische Abgrenzungen analysieren.24 Hierbei werde ich mich ausschließlich auf die Art und Weise konzentrieren, wie die Puerto Ricaner in der US-amerikanischen Presse präsentiert wurden. Damit verfolge ich das Ziel, zu veranschaulichen, wie die Einwohner Puerto Ricos im kolonialen Diskurs zu minderwertigen kolonisierten Subjekten degradiert wurden. US-amerikanische Journalisten tendierten dazu, die Puerto Ricaner auf eine pejorative Weise darzustellen.25 Unter anderem schilderten sie sie als ein primitives/unzivilisiertes und unmodernes/rückständiges Volk. Diese negative Betrachtungsweise war vorhersehbar, denn tatsächlich sind negative, stereotype Darstellungen der kolonisierten Individuen ein wesentliches Merkmal aller kolonialen Diskurse. Darauf weist Homi Bhabha hin, wenn er feststellt:

24 Einige Aspekte des kolonialen Diskurses analysiert Kelvin A. Santiago Valles in seinem Buch Subject People and Colonial Discourses. Economic Transformation and Social Disorder in Puerto Rico, 1898-1947, New York, 1994. 25 Für konkrete Beispiele der Medienrepräsentationen der Puerto Ricaner in der US-amerikanischen Presse zu jener Zeit siehe: Bonnie Urciuoli, Exposing Prejudice. Puerto Rican Experiences of Language, Race and Class, Colorado u.a. 1996, S. 54.

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„The stereotype can also be seen as that particular ‚fixated‘ form of the colonial subject which facilitates colonial relations and set up a discursive form of racial and cultural opposition in terms of which colonial power is exercised.“26

Damit meint Bhabha, dass durch die pejorative Darstellung der Kolonisierten die Kolonisatoren am besten ihre ‚zivilisatorische Mission‘ (in unserem Fall die Amerikanisierung) in der Kolonie begründen und somit die Kolonialherrschaft rechtfertigen können. In diesem Sinn ist eine abwertende Darstellung der Kolonisierten eine Voraussetzung aller Kolonialherrschaften. Denn wenn die Kolonialherren die Lebensbedingungen in der Kolonie ‚verbessern‘ und die Kolonisierten ‚reformieren‘ wollen, muss zunächst die Meinung vorherrschen, dass etwas bei den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen der Kolonie und bei den Kolonisierten selbst (und deren Kultur) mangelhaft sei. Dementsprechend gibt es eine enge (spiegelbildliche) Korrelation zwischen den Stereotypen, die den Kolonisierten zugeschrieben werden, und den verkündeten Zielen des Kolonialprojekts. Das, was an den Kolonisierten bemängelt wird, ist folglich das, was das Kolonialprojekt zu ‚verbessern‘ bzw. zu ‚reformieren‘ beabsichtigt. Da die US-Amerikaner auf Puerto Rico die Insel im Großen und Ganzen modernisieren und ihre Einwohner zivilisieren wollten, wurden diese im kolonialen Diskurs – wie schon erwähnt – systematisch als primitiv, unzivilisiert, unmodern, rückständig, unterentwickelt o.ä. charakterisiert. In den Quellen über José Figueroa Sanabia finden sich einige Beispiele für diese abwertenden Darstellungen, auf die von puerto-ricanischen Journalisten kritisch hingewiesen wird. José Arnaldo Meyners beklagt 1932 z.B. „esas absurdas versiones sobre Puerto Rico que circulan aún en el extranjero y que nos representan a veces como una isla paradisiaca y primitiva, llena aún de sentido virgiliano y de indios a medio vestir, y otras como una comunidad sólo preocupada por el precio del café y la cuantía de la cosecha de caña.“27

26 Bhabha, S. 112; siehe auch: Ania Loomba, Colonialism/Postcolonialism, 2. Aufl., London u.a. 2008 (1998), S. 55; Memmi, S. 99-103. 27 „Jene absurden Versionen über Puerto Rico, die immer noch im Ausland im Umlauf sind und uns manchmal als eine paradiesische und primitive Insel darstellen, noch voller Vergil-Gefühl und halbbekleideter Ureinwohner, und andere als eine Gesellschaft, die sich nur für den Preis des Kaffees und die Menge der

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In der Rezension von El Mundo über das Konzert José Figueroa Sanabias am 28. September 1947 in der Town Hall wird zudem auf diese pejorative Darstellung der Puerto Ricaner hingewiesen, wenn auch eher auf eine indirekte Weise: „Muchos portorriqueños de Nueva York consideran que este concierto de los hermanos Figueroa ha resultado muy oportuno, en estos momentos, para refutar de un modo definitivo algunas de las imputaciones vejaminosas que se han formulado, recientemente, en la prensa norteamericana, contra la colonia boricua [d.i. puerto-ricanisches Community, O.R.V.] de Nueva York y aparentemente encaminada a detener la corriente de trabajadores portorriqueños, de nuestra isla hacia la metrópoli.“28

Obwohl nicht ersichtlich wird, worin genau diese negative Darstellung bestand, lässt sich aus der Rezension herauslesen, dass die Puerto Ricaner in der New Yorker Presse jener Zeit – genauso wie im vorherigen Zitat – u.a. als unzivilisiert bzw. primitiv beschrieben wurden. Deshalb versucht Benjamín Arnaldo Meyners in dieser Rezension jene negative Darstellung zu entkräften, indem er das puerto-ricanische Publikum im Konzert als äußerst zivilisiert und kultiviert schildert: „El público que asistió a este concierto, era en sus tres cuartas partes portorriqueño y el Town Hall, de acuerdo con la opinión de su administradora, la señorita Gloria Harris, pocas veces ha tenido un auditorio tan selecto, elegante y apreciativo […] El golpe de vista que presentaba el salón de actos era insuperable, estando los palcos ocupados por prestigiosas familias portorriqueñas radicadas aquí; la luneta por un

Zuckerrohrernte interessiert“ (meine Übers., O.R.V.). José Arnaldo Meyners, „El homenaje a los Figueroa“, Puerto Rico Ilustrado, 18. Juni 1932, S. 1 und 10. 28 „Viele Puerto Ricaner in New York meinen, dass dieses Konzert der FigueroaBrüder zu diesem Zeitpunkt sehr gelegen kam, um endgültig einige der demütigenden Vorurteile zu widerlegen, die jüngst in der US-amerikanischen Presse gegen die puerto-ricanische Kolonie [d.i. Community, O.R.V.] in New York verbreitet worden sind, mit dem Ziel, den Zustrom puerto-ricanischer Arbeiter von der Insel in die Metropole zu stoppen“ (meine Übers., O.R.V.). Benjamín Arnaldo Meyners, „Town Hall se llenó a capacidad para oír a los hermanos Figueroa“, El Mundo, 30. September 1947, S. 10.

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auditorio selecto y bien ataviado; y las galerías por grupos muy compactos, en los cuales estaba representada gran parte de nuestra comunidad laboriosa, siempre atenta a los progresos de nuestra cultura.“29

Anhand dieser Anmerkung wird offensichtlich versucht, der negativen und stereotypen Darstellung der Puerto Ricaner im kolonialen Diskurs entgegenzuwirken. Dies war eine Strategie, kraft deren eine besseres, positiveres (Selbst-)Bild der Puerto Ricaner entstehen sollte. Später wird man sehen, wie durch das Image José Figueroa Sanabias genau dasselbe beabsichtigt wurde. 4.2.3 Die identitäts- und selbstwertbedrohende Wirkung des US-amerikanischen Kolonialregimes Die Analyse der pejorativen Darstellung des puerto-ricanischen Volks im kolonialen Diskurs sowie der darauf gründenden Amerikanisierungspolitik ist für unseren Zweck von großer Bedeutung, denn gemäß der Reflected Appraisal Theory gilt: „People do not form their self-concepts in complete isolation, but allow them to be shaped in part by the actual and reflected appraisals of others.“30 Das bedeutet, dass die Art und Weise, wie andere einen sehen oder sogar wie man denkt, dass man von anderen Personen ge-

29 „Das Publikum bei diesem Konzert bestand zu drei Vierteln aus Puerto Ricanern und die Town Hall hatte, nach Meinung ihrer Managerin, Fräulein Gloria Harris, selten eine so erlesene, elegante und wertschätzende Zuhörerschaft […] Der Anblick, den der Saal bot, war unübertrefflich, die Logen waren von angesehenen puerto-ricanischen Familien belegt, die sich hier niedergelassen hatten; das Parkett von einer erlesenen und fein zurechtgemachten Zuhörerschaft; und die Galerien von dichtgedrängten Gruppen, in denen unsere Arbeiterklasse, immer bedacht auf die Fortschritte unserer Kultur, vertreten war“ (meine Übers., O.R.V.). Ebd., S. 10. 30 Nikki Khanna, „The Role of Reflected Appraisals in Racial Identity: The Case of Multiracial Asians“, Social Psychology Quarterly, 67/2, Juni 2004, S. 117; siehe auch: Cookie White Stephan und Walter G. Stephan, Two Social Psychologies, 2. Aufl., Belmont California 1990 (1985), S. 111; Astrid Schütz, Psychologie des Selbstwertgefühls. Von Selbstakzeptanz bis Arroganz, Stuttgart u.a. 2000, S. 8.

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sehen wird, eine beachtliche Rolle beim Aufbau des Selbstkonzepts und deren Einschätzung (d.i. beim Aufbau des Selbstwertgefühls) spielt. Vor allem üben diejenigen Personen eine große Wirkung aus, die ein Individuum als significant other (relevanter anderer) betrachtet. Ein „significant other“ ist „[a] person with a profound influence on your emotional wellbeing and security“.31 Unter anderem können Eltern oder Lehrer als significant other fungieren. Abstrakte (Autoritäts-)Figuren wie die Medien32 oder die Regierung können außerdem bedeutende significant others sein. Das heißt also, dass das politische Organisationssystem und die daraus resultierende Gesellschaftsstruktur eine Wirkung auf das Selbstkonzept der Personen ausüben kann. Innerhalb eines Kolonialregimes ist dieser Effekt noch prägender, und zwar wegen der paternalistischen/degradierenden Art und Weise, in der die Kolonialregierung (und die Kolonialpolitik) gestaltet wird.33 Dar-

31 Psychology Dictionary, „significant other“, Online: http://psychologydictionary. org/significant-other/#ixzz2ZzNCPX00 (13. August 2013); siehe auch: Stephan und Stephan, S. 113-114. 32 Vgl. Ulrich Schmidt-Denter, Die Deutschen und ihre Migranten. Ergebnisse der europäischen Identitätsstudie, Weinheim u.a. 2011, S. 237. 33 Im Hinblick auf die negative Wirkung eines Kolonialregimes (und -gesellschaft) auf das Selbstkonzept der Kolonisierten schreibt Albert Memmi: „Confronté en constance avec cette [négative, O.R.V.] image de lui-même, proposée, imposée dans les institutions comme dans tout contact humain, comment n’y réagirait-il pas? Elle ne peut lui demeurer indifférente et plaquée sur lui de l’extérieur, comme un insulte qui vole avec le vent. Il finit par la reconnaître, tel un sobriquet détesté mais devenu un signal familier. L’accusation le trouble, l’inquiète d’autant plus qu’il admire et craint son puissant accusateur. N’a-t-il pas un peu de raison? murmure-t-il. Ne sommes-nous pas tout de même un peu coupables? Paresseux, puisque nous avons tant d’oisifs? Timorés, puisque nous nous laissons opprimer? Souhaité, répandu par le colonisateur, ce portrait mythique et dégradant finit, dans une certaine mesure, par être accepté et vécu par le colonisé. Il gagne ainsi une certaine réalité et contribue au portrait réel du colonisé [Herv. i.O.]“ (S. 106-107). Dieses Phänomen ist, was Sozialpsychologen als „sich-selbst-erfüllende-Prophezeiung“ (self fulfilling prophecy) bezeichnen (vgl. Psychology48.com. Das Psychologie-Lexikon, „sich-selbst-erfüllende-Prophezeiung“, Online: http://www.psychology48.com/deu/d/sich-selbst-erfuellendeprophezeiung/sich-selbst-erfuellende-prophezeiung.htm [17. August 2013]).

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auf basierend darf man behaupten, dass das US-amerikanische Kolonialregime bzw. die koloniale Gesellschaftsstruktur im Allgemeinen eine selbstwertbelastende Einflussnahme auf die kolonisierte puerto-ricanische Bevölkerung hatte, welche teilweise für die latenten Minderwertigkeitsgefühle mitverantwortlich war, die laut den vorliegenden Quellen in der puertoricanischen Bevölkerung festzustellen sind. Das ist in der Tat nicht schwer nachzuvollziehen, wenn man die gesellschaftlichen Bedingungen berücksichtigt, mit denen die Puerto Ricaner zu jener Zeit umgehen mussten: Wie ich aufgezeigt habe, waren sie einer Kolonialpolitik ausgesetzt, die auf alle Facetten ihres Lebens einwirkte und die in allen ihren verschiedenen Verästelungen die Superiorität der US-amerikanischen Kolonialherren und damit die Minderwertigkeit der Puerto Ricaner axiomatisch voraussetzte. Daran geknüpft war eine überwiegend pejorative und somit selbstwertbedrohende Präsentation der Puerto Ricaner und ihrer Kultur im kolonialen Diskurs. Ein derart starker und konstanter gesellschaftlicher Zwang musste jedenfalls in irgendeiner Weise die Subjektivität der puerto-ricanischen Bevölkerung (je nach Individuum in unterschiedlichem Ausmaß natürlich) beeinträchtigen. Die Tatsache, dass der Überlegenheitsanspruch der US-Amerikaner sich nicht immer direkt äußerte, sondern zum Teil auch auf eine diffuse, unpersönliche, nonverbale Art seinen Ausdruck fand, machte seine unterdrückende Wirkung keineswegs weniger wirksam. Man muss bedenken – um eine parallele Situation als Vergleich heranzuziehen –, dass durch die herrschende Rassentrennung in US-amerikanischen Schulen die Minderwertigkeit der Afroamerikaner eher indirekt geäußert bzw. objektiviert wurde.34 Dass diese Art von Abwertung eine Wirkung auf die afroamerikanische Jugend ausübte, bestätigte der Sozialpsychologe Kenneth Clark 1954 in seinen Aussagen im berühmten Fall Brown v. Board of Education vor dem US-amerikanischen Obersten Gerichtshof, der zur Abschaffung der Segregation im US-amerikanischen Schulsystem führte. Hier stellte Clark u.a. fest:

34 Kenneth Clark äußerte diesbezüglich: „Prejudice is something inside people. Segregation is the objective expression of what these people have inside“ (zitiert nach Stephan und Stephan, S. 440).

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„I have reached the conclusion from the examination of the entire field that discrimination, prejudice, and segregation have definitely detrimental effects on the personality development of the Negro child. The essence of this detrimental effect is a confusion in the child's concept of his own self-esteem – basic feelings of inferiority, conflict, confusion in his self-image, resentment, hostility toward himself, and hostility toward whites.“35

Ich will mit diesem Vergleich natürlich nicht die Kolonialsituation Puerto Ricos mit der Situation der Afroamerikaner zu jener Zeit gleichsetzen. Was ich damit eher zum Ausdruck bringen will, ist, dass, genauso wie die Institutionen innerhalb einer Gesellschaft, die von institutionalisiertem Rassismus36 geprägt ist, einen negativen Effekt auf die Selbsteinschätzung der unterdrückten Gruppen ausüben, auch die Bedingungen innerhalb einer Kolonialgesellschaft das Selbstwertgefühl der kolonisierten Bevölkerung zwangsläufig auf irgendeine Weise negativ beeinflussen müssen. Denn in diesem Fall, genauso wie in ersterem, basierte die Organisationsstruktur der gesamten Gesellschaft auf der Prämisse, dass eine (rassische) Gruppe der anderen überlegen sei. Alle politischen, ökonomischen, kulturellen (usw.) Manifestationen innerhalb einer derartigen Gesellschaft objektivieren mithin in irgendeiner Form genau diesen Superioritätsanspruch. Die psychologisch-philosophischen theoretischen Ansätze, die Frantz Fanon in seinem einflussreichen Buch Black Skin, White Masks herausarbeitet, können einige interessante Aspekte davon beleuchten, wie der Superioritätsanspruch der US-amerikanischen Kolonialherren das Selbstwertgefühl des puerto-ricanischen Volks belastete. An die Ideen bei Hegels Phänomenologie des Geistes anschließend behauptet Fanon: „Man is human only to the extent to which he tries to impose himself on another man in order to be recognized by him. As long as he has not been effectively recognized by the other, it is this other who remains the focus of his actions. His human worth and reality [Herv von mir, O.R.V.] depend on this other and on his recognition by the other. It is in this other that the meaning of his life is condensed.“37

35 Zitiert nach ebd., S. 440. 36 Für Information über institutionalisierten Rassismus siehe: ebd., S. 426-429. 37 Frantz Fanon, Black Skin, White Masks, New York 2008 (1952), S. 191.

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Damit meint Fanon, dass erst in der beiderseitigen Anerkennung der Gleichberechtigung zweier Individuen (oder Völker) die Personen ihr vollkommenes Menschsein erlangen. Wird diese gegenseitige Anerkennung aber von einer der beiden Seiten abgelehnt, wird die andere damit ihres vollkommenen Menschseins beraubt: „If I shut off the circuit, if I make the two-way movement unachievable, I keep the other within himself. In an extreme degree, I deprive him even of this being-for-self. The only way to break this vicious circle that refers me back to myself is to restore to the other his human reality [Herv. von mir, O.R.V.], different from his natural reality, by way of mediation and recognition. The other, however, must perform a similar operation. ‚Action from one side only would be useless, because what is to happen can only be brought about by means of both… They recognized themselves as mutually recognizing each other‘ [Herv. i.O.] […] Encountering opposition from the other, self-consciousness experiences desire [Herv. i.O.].“38

Das Fehlen von Anerkennung auf einer Seite stellt den gleichen Wert (human worth) des anderen und sein Dasein als vollkommenen Menschen (human reality) in Frage. Das gefährdet das Selbstwertgefühl des abgewerteten Menschen oder Volks und infolgedessen entsteht in ihm ein starkes Verlangen (desire) nach Anerkennung, denn ohne die Bestätigung des anderen kann sein Anspruch auf ein vollkommenes gleichberechtigtes Menschsein nicht wirkungsvoll erhoben werden. Beide Seiten müssen sich – wie Fanon feststellt – einander als gleichberechtigt akzeptieren. Die Aberkennung der Gleichwertigkeit durch eine Seite kommt einer Bestätigung der Minderwertigkeit und des unvollkommenen Menschseins der anderen gleich. Wie ich gezeigt habe, wurde innerhalb der Kolonialbeziehung zwischen den USA und Puerto Rico diese beiderseitige Anerkennung auf verschiedene Weise verweigert. Denn die gesamte koloniale Gesellschaftsstruktur basierte ja auf der Prämisse, die US-Amerikaner seien den Puerto Ricanern in jedweder Hinsicht überlegen. Deswegen wurden z.B. die US-amerikanische Kultur und Lebensart als Vorbild präsentiert, die alle Puerto Ricaner übernehmen sollten, um ‚verbesserte‘ Versionen von sich selbst zu werden. Unter solchen Umständen war die korrelative Anerkennung der Gleichbe-

38 Ebd., S. 192.

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rechtigung zwischen US-Amerikanern (Kolonialherren) und Puerto Ricanern (Kolonisierten) offenkundig ausgeschlossen. Das stellte aber nur eine von mehreren Formen dar, durch die diese Gleichberechtigung verhindert wurde. Im folgenden werde ich eine weitere Form der (politischrechtlichen) Abwertung darstellen, die für den Zweck dieser Argumentation von Bedeutung ist. 4.2.3.1 Die rechtliche Abwertung der puerto-ricanischen Nation: Die Verleihung der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft 1917 gab die US-Regierung, als Teil der politischen Reformen, die mit dem Jones-Akt (Ley Jones) auf Puerto Rico durchgeführt wurden39, allen Puerto Ricanern (ohne Rücksicht auf deren Meinung diesbezüglich) die USamerikanische Staatsangehörigkeit.40 Obwohl dieser neue Status zweifelsohne mehrere praktische Vorteile für die Puerto Ricaner mit sich brachte41,

39 Siehe Scarano, S. 739-743. 40 Historiker haben verschiedene eng zusammenhängende Gründe dafür erwähnt, weshalb der US-Kongress den Puerto Ricanern die US-amerikanische Staatsangehörigkeit verlieh: Laut César J. Ayala und Rafael Bernabé verfolgte der Kongress damit das Ziel, sämtliche Unabhängigkeitsbestrebungen seitens der Puerto Ricaner zu blockieren und den Kolonialstatus der Insel zu festigen (vgl. Puerto Rico in the American Century: a History since 1898, Chapel Hill, NC 2007, S. 57-58). Andere Historiker weisen zudem auf die strategisch-militärische Bedeutung hin, die die Insel wegen des 1. Weltkriegs erhielt (vgl. Scarano, S. 740741) sowie auf das Bedürfnis der US-Army nach Soldaten für den Krieg (vgl. Linda Colón Reyes, Pobreza en Puerto Rico. Radiografía del proyecto americano, San Juan 2005, S. 171). Zudem argumentieren andere, dass der US-amerikanische Kongress damals glaubte, dass durch die Verleihung der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft die Proteste auf Puerto Rico gegen das Kolonialsystem aufhören könnten (vgl. Scarano, S. 740; Negrón de Montilla, S. 184). 41 Man muss z.B. bedenken, dass davor, als nämlich 1900 der Foraker-Akt (Ley Foraker) in Kraft trat, mit dem die ursprüngliche militärische Regierung (18981900) zu ihrem Ende kam, die Puerto Ricaner lediglich eine ‚puerto-ricanische Staatsangehörigkeit‘ besaßen. Welche Rechte die Puerto Ricaner unter dieser

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hatte er jedoch auch (u.a.) eine negative psychologische Wirkung, denn sie ordnete die puerto-ricanische Nation der US-amerikanischen unter. Die Auffassung also, dass Puerto Rico eine eigene Nation, unabhängig von den USA, darstellte, wurde dadurch auf rechtlichem Wege zum Schweigen gebracht.42 Offiziell existierte die puerto-ricanische Nation als eine von den USA zu differenzierende Entität in der Welt nicht. Alle Puerto Ricaner wären lediglich, rechtlich gesehen, zweitrangige US-Amerikaner (zweitrangig, weil sie ja ein kolonisiertes Volk waren und daher vergleichsweise beschränktere Rechte als US-Amerikaner besaßen). Dieses rechtliche Leugnen der Existenz einer puerto-ricanischen Nation übte bei den Puerto Ricanern einen identitäts- und selbstwertbedrohenden Effekt aus, welcher sich in einem Streben (desire) nach internationaler Anerkennung, d.h. nach Anerkennung durch andere Nationen, widerspiegelte. Das kann man z.B. ganz deutlich einer Äußerung von Jaime Figueroa Sanabia entnehmen. In einem Interview für die puerto-ricanische Zeitung El Mundo teilt er mit, er und José hätten während ihres Aufenthalts in Polen 1935 – als sie damals am Henryk-Wieniasky-Geigenwettbewerb teilnahmen – allen Personen ausdrücklich versichert, was sie für gewöhnlich getan hätten, wenn sie im Aus-

‚Staatsbürgerschaft‘ hatten, wurde niemals eindeutig geklärt (vgl. Scarano, S. 654). 42 Dessen war sich der damalige Comisionado Residente Luis Muñoz Rivera vollkommen bewusst. Deshalb versuchte er (allerdings umsonst) den US-Kongress davon abzubringen, den Puerto Ricanern die US-Staatsbürgerschaft zu geben. In einem Memorandum, adressiert an den US-Kongress, äußert er: „Sinceramente os decimos que reverenciamos vuestra noble ciudadanía, que encierra el divino atributo o grandeza de ser la primera patria fundadora de la libertad en América; pero os decimos, con igual sinceridad, que estamos contentos con nuestra bien amada ciudadanía puertorriqueña y orgullosos de haber nacido y ser hermanos en nuestra bendita tierra. Y es tanto el amor que sentimos por nuestra ciudadanía y nuestra patria, que concluimos haciendo uso de un hipérbole para expresar ardientemente nuestro sentimiento. Somos, como todos los puertorriqueños, creyentes en la existencia de Dios y de una vida eterna, pero si existiera una ciudadanía del cielo que nos garantizara la eterna aventuranza y esa ciudadanía nos fuese ofrecida a cambio de la nuestra, vacilaríamos en aceptarla y sólo la aceptaríamos después de la muerte“ (zitiert nach Negrón de Montilla, S. 153).

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land gewesen seien, sie seien trotz ihrer US-amerikanischen Staatsbürgerschaft Puerto Ricaner und nicht US-Amerikaner: „– Habrá notado que nuestros nombres están debajo de la división para los Estados Unidos de América. Así tenía que ser porque es esa nuestra nacionalidad legal, pero nosotros hicimos constar que éramos hijos de la isla de Puerto Rico, como acostumbramos decirlo en todas partes – añade Kachiro con premura.“43

In dieser emphatischen Behauptung ihrer puerto-ricanischen Herkunft drückt sich die Bestrebung aus, sich selbst eindeutig als Puerto Ricaner darzustellen, um der puerto-ricanischen Nation auf internationaler Ebene Anerkennung als von den USA unabhängige Nation zu verschaffen. Das war ihnen wichtig, denn – wie schon angeführt – existierte, aufgrund des offiziellen Status der Puerto Ricaner als ‚US-Amerikaner‘, eine puertoricanische Nation rechtlich gesehen nicht. Auf diese Weise untergrub man ihre Bedeutung und Daseinsberechtigung. Nur auf dem Weg einer inoffiziellen bzw. außerrechtlichen Anerkennung durch andere Nationen konnten die Puerto Ricaner die rechtliche Leugnung, eine eigene (wertvolle) Nation zu sein, zu revidieren versuchen. Deshalb betonten Jaime und José ausdrücklich ihre puerto-ricanische Herkunft bzw. ihre puerto-ricanische Identität, sobald sie sich im Ausland befanden. Die Tatsache, dass Jaime dieses Detail in einem Interview für eine puerto-ricanische Zeitung erwähnte und dass es als relevant genug galt, um in den Artikel mit aufgenommen zu werden, beweist, wie groß die Sehnsucht nach internationaler Anerkennung einer puerto-ricanischen Nation bei den Puerto Ricanern generell war. Dafür spricht außerdem die bereits diskutierte Funktion José Figueroa Sanabias als Repräsentant des puerto-ricanischen Volks im Ausland.44

43 „– Sie werden vielleicht bemerkt haben, dass sich unsere Namen unter dem Abschnitt der Vereinigten Staaten von Amerika befinden. Es musste so sein, weil das unsere gesetzmäßige Nationalität ist, aber wir haben betont, Söhne der Insel Puerto Rico zu sein, was wir für gewöhnlich überall tun – fügt Kachiro in aller Eile hinzu“ (meine Übers., O.R.V.). Ángela Negrón Muñoz, „Kachiro Figueroa revela interesantísimos detalles del Certamen de Polonia“, El Mundo, 21. Juli 1935, S. 6. 44 Siehe S. 228-232.

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4.2.4 National-Kulturelle Identitätsvergewisserung: Ihre Bedeutung innerhab eines Kolonialkontexts Oben habe ich argumentiert, dass das Kolonialregime eine selbstwertbelastende Wirkung auf die puerto-ricanische Bevölkerung ausübte. Man darf jedoch keinesfalls daraus rückschließen, dass diese koloniale Situation die einzige und entscheidende Größe bei der Konstituierung des Selbstkonzepts der Puerto Ricaner darstellte. So weist Nikki Khanna darauf hin: „[R]eflected appraisals are only one process leading to development of one’s self-concept. Sole reliance on reflected appraisals to understand the self-concept creates an oversocialized, overpassive view of human beings, as humans often are creative and active in forming self-concepts.“45

Daraus folgt, dass, selbst wenn die Puerto Ricaner gegen einen mächtigen gesellschaftlichen Zwang kämpfen mussten, um sich ein positives Selbstwertgefühl zu erhalten, sie dennoch ein allgemein (verhältnismäßig) positives Selbstwertgefühl haben konnten.46 Dafür mussten sie sich aber ständig47 mit diesem selbstwertbedrohenden gesellschaftlichen Zwang ausein-

45 Khanna, S. 117. 46 Das heißt also, dass, wenn auch einige Journalisten in den Quellen – wie ich zeigen werde – latente Minderwertigkeitsgefühle aufzeigen, sie nicht unbedingt so determinativ sein mussten, dass man über ein allgemein niedriges Selbstwertgefühl reden muss. So oder so ist das ein Thema, das einer eigenen Untersuchung bedarf. Ziel dieser Diskussion ist es nicht so sehr darzustellen, ob oder inwiefern die Puerto Ricaner ein niedriges Selbstwertgefühl aufwiesen, als vielmehr die selbstwertstärkende Funktion darzustellen, die José Figueroa Sanabia zu jener (Kolonial-)Zeit zukam. Mit anderen Worten: Ich will aufzeigen, dass das Image des puerto-ricanischen Violinisten als Selbstwertquelle fungierte, kraft derer die Puerto Ricaner diesen latenten Minderwertigkeitsgefühlen entgegenwirken konnten. 47 Daraus folgt, dass in manchen Fällen dieser Zwang die Oberhand gewinnen konnte, und so vermochten die hier angesprochenen latenten Minderwertigkeitsgefühle in den Vordergrund zu treten. Derartige „[k]urzfristige

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andersetzen. Das gelang ihnen mit der Entwicklung – Nikki Khanna paraphrasierend – von kreativen und aktiven Formen, um eine positive selbstwertstärkende Selbstdefinition zu schaffen, derer sie sich konsequent vergewissern mussten. Das erwies sich im Grunde als unentbehrlich, denn, wie ich schon erwähnt habe, besitzen die Menschen ein intrinsisches Bedürfnis nach einem positiven Selbstkonzept (self-enhancement motive). Das bedeutet – identitätstheoretisch gesehen –, dass es für die Puerto Ricaner zu jener Zeit von großer Wichtigkeit war, ihre national-kulturelle Identität mit Nachdruck zu behaupten, da sie nur so ein Bild von sich selbst befördern konnten, das ihrer Darstellung als minderwertige kolonisierte Subjekte entgegentreten konnte. Selbstverständlich war diese Selbstdefinition bzw. Selbstrepräsentation nicht völlig einheitlich, sondern wurde je nach Altersgruppe, Geschlecht sowie sozialer und politischer Positionierung unterschiedlich formuliert. Sie erfüllte jedoch stets dieselbe Funktion: Sie erlaubte den Puerto Ricanern, einen diskursiven Raum aufzubauen, in dem sie die positive selbstwerterhöhende Definition bzw. Repräsentation ihrer selbst in die Wege leiten und wodurch sie ihren Wert als eigenständiges Volk bzw. Nation in der Welt begründen konnten. Auf diese Weise gelang es ihnen, sozialpsychologisch gesehen, ihr Bedürfnis nach self-enhancenment zu befriedigen, ein Bedürfnis, das im vollkommenen Widerstreit zur damaligen kolonialen Gesellschaftsstruktur stand. Gleichzeitig wirkte diese national-kulturelle Identitätsbehauptung wie ein Schutzmechanismus gegen die Assimilationspolitik, die die US-Regierung auf der Insel eingeführt hatte, denn so bewahrten sich die Puerto Ricaner jenen geistig-kulturellen Bereich, in dem die Eigenheiten ihrer Nation enthalten waren, frei von der Einflussnahme US-amerikanischer Kultur. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass die US-amerikanische Kultur gar keinen Einfluss auf die puerto-ricanische hatte. Diese Einflussnahme sollte man jedoch eher als (kontrollierten) Akkulturations- denn als Assimilationsprozess begreifen.48 Damit ist gemeint, dass sich die Puerto Ricaner nur bestimmte Elemente der US-amerikanischen Kultur selektiv aneigneten und in ihre eigene Kultur in-

Schwankungen des Selbstwertgefühls lassen sich als Aspekte des Zustandsselbstwertgefühls erfassen“ (Schütz, S. 7). 48 Vgl. Joseph W. Eaton, „Controlled Acculturation: A Survival Technique of the Hutterites“, American Sociological Review, 17/3, 1952, S. 338.

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tegrierten, ohne den Kern bzw. die Essenz ihrer puerto-ricanischen Identität in Gefahr zu bringen. 4.2.4.1 Die identitäts- und selbstwertstärkende Funktion José Figueroa Sanabias Das Image José Figueroa Sanabias war in diesem Prozess der selbstwerterhöhenden Identitätsvergewisserung von großer Bedeutung. Wie ich erläutert habe, fungierte er als ein nationales Symbol für die Puerto Ricaner. Er sollte gewissermaßen die Essenz des puerto-ricanischen Volks widerspiegeln. Das bedeutet, dass sein Image letztendlich Pars pro Toto dem Image des ganzen puerto-ricanischen Volks zugutekam. Die Eigenschaften, die die Puerto Ricaner dem Geiger zuwiesen und die das Charisma seiner Persönlichkeit ergaben, wurden somit letzten Endes zu Eigenschaften, die sich das Volk selbst zuschrieb. Indem also die Puerto Ricaner José Figueroa Sanabia u.a. als erfolgreiche, und folglich begabte und tüchtige49 Person ansahen, sahen sie – vermittels des Basking-in-reflected-glory-Effekts – letzten Endes diese Eigenschaften auch bei sich selbst. In diesem Sinn arbeiteten sie durch das Image des Geigers ihr eigenes heraus, d.i. ihre eigene Selbstdefinition bzw. ihren Identitätsentwurf. Mithilfe dieser positiven Selbstdefinition konnten sie dann die negative Darstellung, die über sie im kolonialen Diskurs befördert wurde und auf der sich die Kolonialpolitik – sprich Amerikanisierungspolitik – stützte, zurückweisen. Oder anders formuliert: Kraft des Images José Figueroa Sanabias gelang es den Puerto Ricanern, der im Kolonialregime allgegenwärtigen Annahme ihrer vermeintlichen Minderwertigkeit sowie der damit einhergegangenen Assimilationspolitik entgegenzuwirken, indem sie ihre puerto-ricanische Identität und dabei ihren Wert als Volk bzw. Nation betonten. In diesem Sinn versuchten sie durch das Image des Geigers die in der Kolonialbeziehung abgewiesene Gleichwertigkeit (human worth) und das vollkommene Menschsein (human reality) der Kolonisierten gegenüber den Kolonialherren zu behaupten. Dieser Versuch war aber letzten Endes zum Scheitern verurteilt. Denn solange die Kolonialherrschaft und die sich daraus ergebende Gesellschaftsstruktur unverändert blieb, bestand die hier behandelte Abwertung fort. Der

49 Aus der ersten konnotativen Bedeutung (erfolgreich) ergeben sich die anderen zwei. Sie konstituieren eine Kette von axiologischen Konnotationen (vgl. Umberto Eco, Einführung in die Semiotik, München 2002, S. 111).

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selbstwertbelastende Einfluss der Kolonialgesellschaft blieb mithin stets erhalten. Infolgedessen mussten sich die Puerto Ricaner konsequent ihrer national-kulturellen Identität vergewissern, um so ihr Selbstwertgefühl gegen diesen selbstwertbedrohenden kolonialgesellschaftlichen Zwang schützen zu können. Es war dabei nicht von Belang, dass José Figueroa Sanabia keine puerto-ricanische Musik, sondern überwiegend europäische Kunstmusik spielte. Dennoch konnte er als nationales Symbol fungieren, da er jedenfalls mit den Puerto Ricanern die gemeinsame Herkunft teilte. Hierauf gründete in erster Linie das enge Bündnis zwischen dem Geiger und der puertoricanischen Bevölkerung, wie ich bereits dargelegt habe.50 Diese Gemeinsamkeit war also das, was erst ermöglichte, dass die Puerto Ricaner ihre national-kulturelle Identität durch ihn behaupten konnten. Die identitätsstiftende (und selbstwerterhöhende) Funktion José Figueroa Sanabias bestand also nicht darin, ein Verbreiter der einheimischen Kultur zu sein, wiewohl er auch einige Stücke puerto-ricanischer Komponisten gelegentlich aufführte. Sie gründete eher auf der Tatsache, dass er ein Puerto Ricaner war, der das Talent und Potenzial des puerto-ricanischen Volks (in der Welt) repräsentieren konnte. Darum konnte er – so paradox es scheinen mag – europäische (d.h. ausländische) Kunstmusik spielen und dennoch seinen Landsleuten als nationales Symbol dienen.

4.3 J OSÉ F IGUEROA S ANABIA UND DIE GEBILDETE S CHICHT P UERTO R ICOS Aus der Tatsache, dass das Image José Figueroa Sanabias bei der Behauptung der puerto-ricanischen Identität von großer Bedeutung für alle Puerto Ricaner war, folgt nicht, dass alle Puerto Ricaner dieselben konnotativen Bedeutungen aus seinem Image ableiteten. Vor allem die gebildete Schicht, also diejenigen, vor denen hauptsächlich José Figueroa Sanabia auf Puerto Rico auftrat und zu denen er daher die engste Verbindung hatte, schrieb seinem Image bestimmte konnotative Bedeutungen zu, die eher ihre besonderen klassenbezogenen Interessen und Wünsche widerspiegelten. Mit die-

50 Siehe S. 163-169.

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sen klassenspezifischen Konnotationen werde ich mich im Folgenden befassen. 4.3.1 Die Projizierung der Puerto Ricaner als zivilisiertes und kultiviertes Volk Eine der wichtigsten konnotativen Bedeutungen, die die gebildete Klasse dem Image José Figueroa Sanabias beimaß, war die, dass sie ihn als ein ideales Medium ansahen, mit dessen Hilfe das Bild der Puerto Ricaner als zivilisiertes und kultiviertes Volk im Ausland projiziert werden konnte: „En Madrid, en París, en Londres, en Nueva York, después de haber pasado por sus salas de concierto intérpretes y creadores como los hermanos Figueroa y como Jesús María Sanromá, se habla ya de San Juan de Puerto Rico como un centro artístico de primer orden. Y ese solo concepto, implica, naturalmente, el criterio que se va haciendo en esas grandes urbes de que no somos un pueblo primitivo o una factoría de azúcares, sino una comunidad que gira de lleno dentro de la órbita fecunda de la civilización y de la cultura.“51

Es ist wichtig zu verstehen, weshalb das Image José Figueroa Sanabias ein Bild der Puerto Ricaner als zivilisiertes und kultiviertes Volk vermitteln konnte. Die Tatsache, dass er sogenannte Kunstmusik – anstelle eines anderen ‚populären‘ Genres – interpretierte, begünstigt diese Denkweise. Um das nachzuvollziehen, muss man die enge Beziehung zwischen europäischer Kunstmusik und der Definition von Zivilisation analysieren, die seit der Aufklärung in Europa entstand und sich von dort weltweit verbreitete. Deren Analyse wird auch später von Belang sein, wenn ich andere konnota-

51 „In Madrid, Paris, London und New York spricht man, nachdem Interpreten und Schöpfer wie die Brüder Figueroa und wie Jesús María Sanromá in ihren Konzertsälen aufgetreten sind, schon von San Juan de Puerto Rico als einem erstklassigen Kunstzentrum. Und schon diese Auffassung impliziert natürlich die Meinung, die in diesen großen Städten allmählich entsteht, dass wir kein primitives Volk oder eine Zuckerfabrik sind, sondern eine Gesellschaft, die sich völlig innerhalb der fruchtbaren Umlaufbahn der Zivilisation und Kultur dreht“ (meine Übers., O.R.V.). Puerto Rico Ilustrado (1932, Juni 18.), S. 10.

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tive Bedeutungen untersuche, die die gebildete Klasse vom Image José Figueroa Sanabias ableitete. 4.3.1.1 Das westliche Zivilisationsideal Die Intellektuellen der Aufklärung arbeiteten eine Definition von Zivilisation heraus, die bis heute – mit einigen Umformulierungen – erhalten geblieben ist. Mit dem Begriff bezeichnete man: „a specific combination of the ideas of a process and an achieved condition. It has behind it the general spirit of the Enlightenment, with its emphasis on secular and progressive human self-development. Civilization expressed this sense of historical process, but also celebrated the associated sense of modernity: an achieved condition of refinement and order.“52

Äußerst wichtig sind die zwei Bedeutungsebenen, die der Begriff umfasste: Einerseits bezog sich Zivilisation auf ein Verfahren stufenweiser menschlicher Entwicklung („progressive human self-development“); auf der anderen Seite bezeichnete sie den Zustand, in den dieser Vorgang gipfeln sollte. Das ist bedeutsam, weil dadurch die Welt in zwei verschiedenen Gruppen aufgeteilt wurde, und zwar diejenigen, die bereits die höchste Entwicklungsstufe der Zivilisation erreicht hatten, d.i. der Westen, und jene, die sich noch in jeweils unterschiedlichen niedrigeren Entwicklungsphasen befanden, d.i. der Rest der Welt. Man ging daher davon aus, „dass es nur einen [Herv. i.O.] Weg zur Zivilisation und zur sozialen Entwicklung gebe und dass alle Gesellschaften auf derselben Skala als früh oder spät, tiefer- oder höherstehend eingeordnet werden könnten. Die sich herausbildende ‚Wissenschaft der Gesellschaft‘ untersuchte die Kräfte, die alle Gesellschaften auf diesem einen Weg der Entwicklung in Etappen vorangetrieben hatten, wobei einige bedauerlicherweise auf der ‚untersten‘ Stufe zurückgelassen wurden – repräsentiert durch

52 Raymond Williams, Keywords. A Vocabulary of Culture and Society, London 1988, S. 50; siehe auch: Tzvetan Todorov, Die Angst vor den Barbaren. Kulturelle Vielhalt versus Kampf der Kulturen, Hamburg 2010, S. 45.

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den amerikanischen Wilden –, während andere zum Höhepunkt der Zivilisationsentwicklung gelangten – repräsentiert durch den Westen.“53

Die aufklärerische Definition von Zivilisation erklärte somit den Westen zum Zivilisationsvorbild, d.h. zum Maßstab, an dem alle anderen Länder der Welt zu messen seien. Die gesellschaftlichen Eigenschaften westlicher Länder, mithin ihre kulturellen, ökonomischen, politischen und sozialen Idiosynkrasien, sahen sie also als das Muster an, das alle andere Gesellschaften übernehmen sollten: „The fact that Western Europeans will imagine themselves to be the culmination of a civilizing trajectory from a state of nature leads them also to think of themselves as the moderns of humanity and its history, that is, as the new and, at the same time, most advanced of the species. But since they attribute the rest of the species to a category by nature inferior and consequently anterior, belonging to the past in the progress of the species, the Europeans imagine themselves as the exclusive bearers, creators, and protagonists of that modernity. What is notable about this is not that the Europeans imagined and thought of themselves and the rest of the species in that way – which is not exclusive to Europeans – but the fact that they were capable of spreading and establishing that historical perspective as hegemonic [Herv. von mir, O.R.V.] within the new intersubjective universe of the global model of power.“54

Die Aneignung der Annahme dieses Zivilisationsdiskurses, welcher als Begründung für zivilisatorische Missionierungen (z.B. für die Amerikanisierung) fungierte, hatte eine wichtige Nachwirkung in außerwestlichen

53 Stuart Hall, „Der Westen und der Rest: Diskurs und Macht“, in: Ulrich Mehlem et al. (Hg.), Ausgewählte Schriften, Bd. 2 ‚Rassismus und kulturelle Identität‘, 5. Aufl., Hamburg 2012 (1994), S. 172; siehe auch: Andreas Heuer, Die Geburt des modernen Geschichtsdenken in Europa, Berlin 2012, S. 67-79 und 122; Thomas Gil, „Wissenschaftliche Rationalität und Geschichtsprozeß. Die Gesellschaftstheorie Condorcets“, in: Iwan Michelangelo D'Aprile und Ricardo K.S. Mak (Hg.), Aufklärung–Evolution–Globalgeschichte, Saarbrücken 2010, S. 8185. 54 Aníbal Quijano, „Coloniality of Power, Eurocentrism, and Social Classification“, in: Mabel Moraña et al. (Hg.), Coloniality at Large. Latin America and the Postcolonial Debate, Durham u.a. 2008, S. 191.

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Ländern, die für unseren Gegenstand von großer Bedeutung ist: Sie erzeugte in jenen Bevölkerungen eine negative Betrachtungsweise ihres eigenen Heimatlandes (und damit einhergehend negative nationale Gefühle), die zum Teil auch von latenten Minderwertigkeitsgefühlen begleitet waren. Vor allem waren die wohlhabenden gebildeten Klassen davon betroffen, da sie ihre Studien üblicherweise in Europa – und im Fall Puerto Ricos auch in den USA55 – absolvierten und deshalb am stärksten dem westlichen Zivilisationsideal und der ihn begleitenden eurozentrischen Annahmen ausgesetzt waren.56 Reinhard Bendix schreibt diesbezüglich: „Im Vergleich mit dem wirtschaftlichen und politischen Vorsprung außerhalb der eigenen Grenzen sehen die Menschen und insbesondere die Intellektuellen eines Nachzüglerlandes das volle Ausmaß der eigenen Rückständigkeit. Hierbei handelt es sich um eine tief beunruhigende Wahrnehmung, die alle Stärke mit der Macht einer fremden [sprich westlichen, O.R.V.] Nation identifiziert, während sie im eigenen Land große Armut und vielerlei Schwächen erblickt.“57

55 Knowlton Mixer schreibt diesbezüglich: „The families of this dominant class have generally had the advantage of a liberal education, sometimes in Europe but more generally in America“ (Porto Rico. History and Conditions Social, Economic and Political, 2. Aufl., San Juan 2005 [1926] S. 107). 56 Man kann die westlich geprägte Bildung der puerto-ricanischen gebildeten Klasse und/oder, wie sie Westeuropa als ihr Zivilisationsparadigma ansahen, in so gut wie allen Artikeln über José Figueroa Sanabia ausfindig machen. In einem wird etwa behauptet: „En Europa el arte se mira bajo otro aspecto; allí se ama el arte por el arte“ (Clotilde Betances de Jaeger, „Dos genios borinqueños: Pepito y Narciso Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S., unvollst.], AFF [Foto AFF 242]); José Figueroa Sanabia betrachtete auch die westliche Gesellschaft als das Zivilisationsideal: „De todas las ciudades que he visitado, [París, O.R.V.] es la que más ha logrado cautivar mi ánimo. Es una ciudad tan bella, tan acogedora, tan espiritual, que se abandona con pena. Se respira allí un ambiente de cultura, de refinamiento, de cosmopolitismo [Herv. von mir, O.R.V.]. Artísticamente yo la considero uno de los grandes centros musicales del mundo“ (José A. Romeu, „Pepito Figueroa, nuestro eminente violinista que ha triunfado en Europa y América visto en su intimidad“, Puerto Rico Ilustrado, 9. Mai 1931, S. 57). 57 Reinhard Bendix, „Strukturgeschichtliche Voraussetzungen der nationalen und kulturellen Identität in der Neuzeit“, in: Bernhard Giesen (Hg.), Nationale und

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Durch die westlich geprägte Bildung lernten Mitglieder der gebildeten Klassen, ihre Heimat aus westlicher Perspektive zu betrachten. Als sie die dabei ersichtliche Diskrepanz zwischen dem angestrebten Zivilisationsideal und dem tatsächlichen Zustand ihres Heimatlands wahrnahmen, verbanden sie es mit allem, was der Zivilisation entgegenstand, also mit abwertenden Begriffen wie Barbarei, Rückständigkeit, Unkultiviertheit usw.58 Später werde ich zeigen, wie diese negative Betrachtungsweise in der puertoricanischen gebildeten Klasse festzustellen ist, und die (kompensatorische) Funktion darstellen, die dem Image José Figueroa Sanabias bei der Erarbeitung einer positiveren Vorstellung der Nation zufiel, selbst wenn sie auf die Zukunft projiziert wurde. Bereits habe ich erläutert, was mit dem Zivilisationsbegriff verstanden wurde. Wichtig ist auch zu berücksichtigen, was genau zivilisiert zu sein bedeutete, was also eine zivilisierte Person ausmachte, und welche Rolle der sogenannten Kunstmusik in dieser Definition zukam. Nur kultivierte Menschen bzw. Völker seien zivilisiert, somit diejenigen, die ein bestimmtes hohes Maß an Vornehmheit und Bildung erreicht haben.59 Was letzteres angeht, setzte man u.a. im Bereich der europäischen Schönen

kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewusstseins in der Neuzeit, Frankfurt a.M. 1991, S. 54. 58 Vgl. Heuer, S. 75. 59 Vgl. Williams, S. 89; Todorov, S. 45; Jürgen Osterhammel, „Europe, the ‚West‘ and the Civilizing Mission“, in: German Historical Institute London, ‚The 2005 Annual Lecture‘, London 2006, S. 6-7. Aus einer außerwestlichen Perspektive her betrachtet hieß zivilisiert zu sein, dass man sich die Kultur und Sitten der westlichen Länder aneignen bzw. imitieren sollte. Indirekt ist das in den folgenden Äußerungen zu begreifen: „Pepito se pone de pie al ver que llega, además, la madre, con esa fina cortesía que distingue a la cultura europea [Herv. von mir, O.R.V.] que destaca al profesor Balseiro, y que tan grato me es hallar en nuestra juventud a cargo de la forja del Puerto Rico nuevo“ (Ángela Negrón Muñoz, „Hablando con José y Kachiro Figueroa“, El Mundo, 22. Juli 1934, S. 4); auch: „Hay en su manera de vestir cierto refinamiento parisino [Herv. von mir, O.R.V.]“ (Puerto Rico Ilustrado [1931, Mai 9.], S. 31). Diese Aussagen deuten zudem darauf hin, inwieweit die gebildete Klasse auf Puerto Rico die Annahmen des westlichen Zivilisationsdiskurses verinnerlicht haben.

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Künste einen bestimmten Kenntnisstand voraus.60 Besonders von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an – einhergehend mit der Entwicklung des öffentlichen Konzerts, der Musikkritik und -geschichtsschreibung – wurden dazu auch ästhetische und geschichtliche Musikkenntnisse als integraler Bestandteil davon betrachtet, was eine kultivierte Person zu sein hat: „Musical culture, like literary culture, had become [during the 19th century, O.R.V.] an instrument of Bildung, self-conscious social elevation, and refinement.“61 In diesem Musikbildungsideal wurden aber einzig genaue

60 In diesem Sinn bezieht sich hier der Begriff „Kultur“ nicht auf „a particular way of life, whether of a people, a group, or humanity in general“, sondern er vielmehr „describes the works and practices of intellectuals and especially artistic activity“ (Williams, S. 90). 61 Leon Botstein, „Listening Through Reading: Musical Literacy and the Concert Audience“, 19th-Century Music, 16/2, Herbst 1992, S. 139; siehe auch: William Weber, The Great Transformation of Musical Taste: Concert Programming from Haydn to Brahms, Cambridge u.a. 2008, S. 239-240. Die Verinnerlichung innerhalb der puerto-ricanischen gebildeten Klasse des Gedankens, dass Kunstmusik einen wichtigen Bestandteil der Bildung eines Individuums ausmacht, merkt man eindeutig in der folgenden Äußerung: „Este concierto [de José Figueroa Sanabia, O.R.V.] responderá a uno de los fines que persigue la ‚Asociación Pro Educación de Adultos‘, ya que ésta entiende que dentro del concepto educación se incluyen todas las actividades de la cultura [Herv. von mir, O.R.V.]“ (Anon., „La Asociación Pro Educación de Adultos auspiciará el último concierto de Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF [Foto AFF 275]). Die Idee, dass Kunstmusik mit zivilisierten bzw. kultivierten Personen zu assozieren sei, erkennt man des Weiteren in Äußerungen wie: „y donde se adapta perfectamente esta clase de música [d.i. Kammermusik, O.R.V.], que está destinada para un grupo limitado de personas verdaderamente cultas [Herv. von mir, O.R.V.]“ (Cronista, „‘Concierto en la intimidad‘ de los hermanos Figueroa“, El Mundo, 27. August 1940, S. 6). Wenn man darüber hinaus schreibt: „Doña Carmen S. de Figueroa […] y el mismo Pepito muéstranse sumamemte agradecidos por lo bien que se portó el público que demostró ser de lo más selecto [Herv. von mir, O.R.V.]“ (Corresponzal, „El concierto de Pepito Figueroa en Manatí“, [unbek. Zeitung], 2. April 1927, [o.S.], AFF [Foto IMG 3758]) wird auch stillschweigend auf diese Beziehung zwischen Kunstmusik und Zivilisiertheit bzw. Kultiviertheit hingewiesen.

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Kenntnisse in sogenannter europäischer Kunstmusik vorausgesetzt, denn man sah sie – und nur sie – als die höchste musikalische Ausdrucksform schlechthin an.62 Es handelt sich hier also um eine Idealisierung der Kunstmusik, welche auch innerhalb der puerto-ricanischen gebildeten Klasse erkennbar ist, z.B. wenn Journalisten und Musikkritiker Kunstmusik als „la buena música“63, „la […] exquisita música“64 oder „la gran música“65 bezeichneten.

62 Die Ideen des sogenannten musikalischen Idealismus spielten eine entscheidende Rolle bei der Förderung dieser Betrachtungsweise (vgl. Weber, S. 87). Musikalische Idealisten steuerten mit ihren Ideen zur allmählichen Festigung – ungefähr ab 1850 – einer Musikhierarchie bei, welche Kunstmusik, und innerhalb ihrer bestimmte Gattungen wie die Symphonie, auf ihren Gipfel platzierte (vgl. Weber, S. 85 und 97; auch Kap. 8: „Classical Music Achieves Hegemony“, S. 235-272). 63 „Die gute Musik“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1934, Juli 22.), S. 5; auch: J. González Maetzu, „El formidable recital de Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S., unvollst.], AFF (Foto AFF 523); Anon., [o.T., unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3631); El Mundo (1940, März 19.), AFF (Foto IMG 3671); El Mundo (1938, Oktober 4.), S. 8. 64 „Die vorzügliche Musik“ (meine Übers., O.R.V.). El País (1932, September 14.), S. 1, AFF (Foto AFF 633). 65 „Die große Musik“ (meine Übers., O.R.V.). El Mundo (1940, August 27.), S. 6. Wenn zudem festgestellt wird, dass: „Ponce puede escucharle [d.i. José Figueroa Sanabia, O.R.V.] esta noche en la selección de un programa maestro […] No será la música cursi de las veladas hogareñas [Herv. von mir, O.R.V.]“ (Luis Antonio Miranda, „Pepito Figueroa“, [unbek. Zeitung, n.d., o.S.], AFF [Foto IMG 3689]), wird diese Idealisierung der Kunstmusik implizit ausgedrückt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass im vorigen Beispiel Kunstmusik gepriesen wurde, wogegen in diesem andere Musikgenres herabgesetzt werden. Eine andere Art und Weise, Kunstmusik zu idealisieren, bestand in bestimmten Formulierungen wie z.B.: „Posee [José Figueroa Sanabia, O.R.V.] también el sentimiento de la naturaleza y su espíritu siente una especial atracción hacia los temas eternos y trascendentales [Herv. von mir, O.R.V.]. De ahí que logre expresar de manera admirable la música grandiosa, noble y elevada de Bach y Beethoven [Herv. von mir, O.R.V.]“ (Puerto Rico Ilustrado [1931, Mai 9.], S. 56).

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Europäische Kunstmusik wurde in diesem Zivilisationsdiskurs – wie man sehen konnte – de facto zur Musik der kultivierten und somit zivilisierten Menschen erklärt.66 Dem lag implizit die folgende aufklärerisch-teleologische Denkweise zugrunde: Weil Kunstmusik die höchstentwickelte Musikform sei, repräsentiere sie den Höhepunkt einer musikalischen Entwicklungslinie – parallel zu jener, die von der Barbarei zur Zivilisation geführt hatte –, die mit der ‚primitiven‘ Volksmusik angefangen habe.67 Europäische Kunstmusik stand demzufolge auf derselben Entwicklungsstufe wie der zivilisierte Mensch und daher sollte man sie als seine wesensgemäße musikalische Ausdrucksform ansehen. Somit wären Volksund populäre Musik mit natürlichen, sprich primitiven, bzw. – besonders im Fall populärer Musik – unkultivierten Personen in Verbindung zu bringen, sprich mit denjenigen, die sich noch in früheren Entwicklungsstufen befänden. Daraus entstanden die folgenden binären Assoziationen: Auf der einen Seite gab es Kunstmusik, welche mit Begriffen wie Zivilisation, Modernität, Fortschritt, Bildung und Kultur verknüpft wurde. Auf der anderen Seite befanden sich Volks- und populäre Musik, welche man wiederum mit Barbarei und daher mit primitiven, rückständigen, ungebildeten und unkultivierten Menschen verband. In einem Artikel – reichlich versehen mit rassistischen Äußerungen – von Puerto Rico Ilustrado (1945) kann man beispielsweise sehen, wie Jazz-Musik (in diesem konkreten Fall die Benutzung des Schlagzeugs in diesem Musikgenre) mit Barbarei und allem, was damit einhergeht, verbunden wird: „Pero es lo cierto que cuando el instrumentista que maneja este conjunto infernal de aparatos… musicales [nämlich das Schlagzeug, O.R.V.], azota el parche con una mano y hace sonar con la otra en rápidos movimientos simultáneos y vigorosos, toda la serie de aparatos ruidosos complementarios, callan los violines, enmudecen la trompa y el saxofón y aún el mismo cornetín estridente que ha cantado, en tono

66 Vgl. Osterhammel, S. 25. 67 Vgl. Matthew Gelbart, The Invention of ‚Folk Music‘ and ‚Art Music‘: Emerging Categories from Ossian to Wagner, Cambridge u.a. 2007, S. 53-60. Für Information über die aufklärerische Musikgeschichtsschreibung siehe: Georg Knepler, Geschichte als Weg zum Musikverständnis. Zur Theorie, Methode und Geschichte der Musikgeschichtsschreibung, 2. überarb. Aufl., Leipzig 1982 (1977), S. 366-417.

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agudo, las notas de mayor relieve, suspende su papel, o toca con sordina para que la batería indigenice, salvajice, brutalice… [Herv. von mir, O.R.V.], en fin, a la muchedumbre de bailadores que, ya en las fronteras de la demencia, salta, brinca, grita y gesticula, grotescamente, como aquellos seres que en las selvas ejecutaban la misma danza en torno a una hoguera llameante [Herv. von mir, O.R.V.].“68

Dem Schlagzeug in der Jazz-Musik wird in dieser Äußerung, wie unschwer zu erkennen, eine barbarisierende Funktion zugeschrieben. Unterstrichen wird zudem diese Verbindung zur Barbarei, indem die Gruppe von Jazz-Musik-Tänzern mit den Teilnehmern eines primitiven Rituals gleichgesetzt wird.69 Da José Figueroa Sanabia ein talentierter Kunstmusik-Violinist (und nicht etwa ein Jazz-Geiger) war, konnte sein Image das Bild der Puerto Ricaner als eines zivilisierten Volks fördern, denn, wie zu sehen war, konstituierte die Kunstmusik einen wichtigen Bestandteil dessen, was mit einer zivilisierten Person und Gesellschaft in Verbindung gebracht wurde. Natürlich konnte das Image des Violinisten nicht über die gemäß westlichem Zivilisationsparadigma bestehende Rückständigkeit Puerto Ricos hinwegtäu-

68 „Aber es ist sicher, dass, wenn der Instrumentalist, der diese Ansammlung höllischer Musikapparate [nämlich das Schlagzeug, O.R.V.] bedient, die Trommel mit einer Hand schlägt und mit der anderen in schnellen, gleichzeitigen und kräftigen Bewegungen eine ganze Reihe von lärmenden zusätzlichen Geräten erklingen lässt, die Violinen schweigen, das Horn und das Saxofon verstummen und sogar selbst das schrille Kornett, das in hohem Ton die wichtigsten Noten gesungen hat, sein Spiel abbricht oder dämpft, damit das Schlagzeug indigenisiere, barbarisiere, brutalisiere…[Herv. von mir, O.R.V.], und zwar die Menge von Tänzern, die, schon am Rande des Wahnsinns, auf eine groteske Weise hüpft, springt, schreit und gestikuliert, wie jene Wesen, die in den Urwäldern denselben Tanz um einen lodernden Scheiterhaufen ausführten [Herv. von mir, O.R.V.]“ (meine Übers., O.R.V.). Miguel Meléndez Muñoz, „El Jazz...“, Puerto Rico Ilustrado, 30. Juni 1945, S. 8. 69 Wenn darüber hinaus der US-amerikanische Historiker Knowlton Mixer 1926 schreibt: „One often hears at night from the negro quarters [of Puerto Rico, O.R.V.] the barbaric notes of the ‚Bomba‘, the favorite dance of the colored people, which harks back to darkest Africa“ (S. 109), deutet er auf diese Verbindung zwischen (puerto-ricanischer) Volksmusik und Barberei hin.

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schen. Es konnte jedoch von den Puerto Ricanern das Bild eines kultivierten Volks projizieren, das sich bereits in einer genügend hohen Zivilisationsentwicklungsstufe befände, um einen so begabten Geiger hervorzubringen und dessen Können außerdem erkennen zu können. Das Bild José Figueroa Sanabias im Ausland war daher ausgesprochen wichtig, weil durch ihn als ihren Repräsentanten die Puerto Ricaner (aus der gebildeten Klasse) ein höheres Zivilisationsniveau ‚nachweisen‘ konnten als jenes, das ihnen üblicherweise in den vorherrschenden Repräsentationen im Ausland (vor allem in den USA) zuteilwurde. 4.3.1.2 Der Henryk-Wieniawski-Geigenwettbewerb und die Sehnsucht nach Anerkennung als zivilisiertes und kultiviertes Volk Die obige Diskussion macht verständlich, weshalb die Teilnahme José und Jaime Figueroa Sanabias am Henryk-Wieniawski-Geigenwettbewerb 1935 für die puerto-ricanische gebildete Schicht (neben anderen Gründen) von so großer Bedeutung war, dass eine einflussreiche Gruppe unter ihnen sich zusammenfand, um die Brüder mit der notwendigen Geldsumme für die Reise zu versorgen.70 Dieser Wettbewerb war eine perfekte Gelegenheit, um den Grad an Zivilisiert- und Kultiviertheit, den die Puerto Ricaner besaßen, der Welt zu zeigen. Man muss beachten, dass viele europäische und daher ‚zivilisierte‘ Länder dort vertreten waren. So konnte Puerto Rico dank der Teilnahme José und Jaime Figueroa Sanabias am Wettbewerb das Bild eines zivilisierten Landes vermitteln. Sie konnten also durch die Teilnahme der Brüder ihre Darstellung als unzivilisierte, unkultivierte, rückständige Menschen abstreifen und sich selbst auf eine Weise repräsentieren, die eher dem westlichen Zivilisationsparadigma entsprach. In einem Artikel von Alma Latina wird diese Denkweise ersichtlich, wenn dort festgestellt wird: „Nuestros héroes, con esa santa humildad que los caracteriza, estarán a estas horas templando el alma de sus instrumentos, gozosos de poder demostrar al mundo civilizado [Herv. von mir, O.R.V.] que en el centro del mundo está Puerto Rico, el corazón de América.“71

70 Siehe S. 118-119. 71 „Unsere Helden, mit jener heiligen Demut, die sie auszeichnet, dürften gerade die Seele ihrer Instrumente stimmen, froh, der zivilisierten Welt beweisen zu

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Die Teilnahme José und Jaime Figueroa Sanabias wird hier zum Anlass genommen, Puerto Rico der zivilisierten Welt bekannt zu machen und so die eigene Zivilisiertheit zu präsentieren. Die Repräsentation durch die Brüder Figueroa Sanabia wird nicht nur daher positiv gesehen, weil sie begabte Musiker und somit würdige Vertreter ihres Heimatlandes wären, sondern auch weil durch sie Puerto Rico mit anderen zivilisierten Ländern in einen Wettstreit treten würde, bei dem man aller Welt beweisen könnte, dass die Puerto Ricaner auch – trotz der unleugbaren ‚Rückständigkeit‘ ihrer Heimat – ziemlich zivilisiert und kultiviert wären. In einem offenen Brief (1938) des Präsidenten von Pro Arte Musical de Puerto Rico, Waldemar F. Lee, wird genau diese Denkweise erkennbar. Er stellt fest, dass die Familie Figueroa Sanabia (einschließlich José natürlich) „se ha merecido el respeto y el aplauso de otros pueblos cultos“72 sowie dass sie „[han dado, O.R.V.] a este Puerto Rico un nombre entre los países que se destacan por su cultura musical“.73 Hier wird die Repräsentation José Figueroa Sanabias und seiner Geschwister im Ausland nach wie vor als bedeutsam angesehen, weil durch sie Puerto Rico Anerkennung erlangte innerhalb der sogenannten zivilisierten Welt und so das Bild eines zivilisierten und kultivierten puerto-ricanischen Volks projiziert werden konnte. Dieses Streben, sich selbst als zivilisiert und kultiviert darzustellen, war offenkundig überwiegend ein Anliegen der gebildeten Klasse. Man kann dies als Kompensationsversuch für das Unbehagen über die Tatsache sehen, dass Puerto Rico – und damit die Puerto Ricaner – dem westlichen Zivilisationsideal nicht entsprachen. Darauf werde ich später eingehen. Davor werde ich aber die selbstwertstärkende Funktion darstellen, die José Figueroa Sanabia bei der Bekämpfung

können, dass sich im Zentrum der Welt Puerto Rico befindet, das Herz Amerikas [d.i. der sogenannten Neuen Welt, O.R.V.]“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Puerto Rico en Varsovia“, Alma Latina, [n.d., o.S., unvollst.], AFF (Foto QAFF 334). 72 „Hat sich den Respekt und Applaus anderer kultivierter Völker verdient“ (meine Übers., O.R.V.). Agustín Vera Palma, „El reconocimiento de Puerto Rico a la familia Figueroa“, El Mundo, 29. September 1938, S. 8. 73 „[Haben, O.R.V.] Puerto Rico einen Namen unter den Ländern [gegeben, O.R.V.], die sich durch ihre Musikkultur auszeichnen“ (meine Übers., O.R.V.). Ebd., S. 8.

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bestimmter Gefühle der Bedeutungslosigkeit, die innerhalb der puerto-ricanischen gebildeten Klasse auszumachen waren, innehatte. 4.3.2 Unsere kleine Insel: Die Projektion von Bedeutungslosigkeitsgefühlen auf die Größe Puerto Ricos Die vorliegenden Quellen weisen darauf hin, dass innerhalb der gebildeten Schicht bestimmte negative (und daher selbstwertbedrohende) nationale Gefühle latent waren.74 Idiosynkratisch für diese negativen Gefühle war u.a., dass sie mit der Größe der Insel verknüpft bzw. darauf projiziert wurden. Exemplarisch findet man das in Insularismo, dem Werk von Antonio Pedreira, das seit seiner Veröffentlichung 1934 als Bezugspunkt in der Diskussion über die puerto-ricanische Identität unter der gebildeten Klasse fungierte: „In this book, the author asks the key questions, ‚What are we? Or how are we Puerto Ricans globally considered?‘ He answers the questions in three main ways: (1) culturally, Puerto Rico is a Hispanic colony; (2) racially, it is an extremely mixed and confused population; and (3) geographically, it is an island marginalized from world history. According to Pedreira, the Puerto Rican character was primarily determined by territorial isolation, hence the title emphasizing insularity. The Island's geographic situation conditioned Puerto Ricans to feel small, dependent, and passive. In the end, the Islanders' collective personality was dominated by an intense inferiority complex that forced them to rely on more powerful, continental countries like Spain and the United States. Pedreira's philosophical pessimism permeated his entire argument, from the so-called degeneration of the races in a tropical environment to the practical difficulties of leading the Puerto Rican people to an independet state.“75

74 Ob diese Gefühle prägend genug waren, um über eine negative nationale Identität zu reden, ist ein Thema, auf das ich hier nicht eingehen kann. Diese Frage bedarf ihrer eigenen Erforschung. 75 Jorge Duany, „Nation on the Move: The Construction of Cultural Identities in Puerto Rico and the Diaspora“, American Ethnologist, 27/1, Februar 2000, S. 11; siehe auch: Antonio Pedreira, Insularismo: Ensayos de interpretación puertorriqueña, 2. Aufl, San Juan 1942 (1934), S. 151-163; Scarano, S. 783-784.

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Ähnliche negative nationale Gefühle wie diejenige, die beim Werk Pedreiras identifizierbar sind, kann man auch in den vorliegenden Quellen aufspüren: Wie man sehen wird, führte die Tatsache, dass die Puerto Ricaner von einer kleinen Insel stammten, dazu, dass sie sich selbst ebenfalls, zum Teil jedenfalls, für klein (sprich bedeutungslos) und somit minderwertig hielten.76 Das Image José Figueroa Sanabias diente in diesem Zusammenhang als ein wichtiges Kompensationsmittel, um diesen negativen Gefühlen entgegenzuwirken. Denn kraft des Images des puerto-ricanischen Violinisten vermochten die Puerto Ricaner ein beachtliches Maß an internationaler Anerkennung zu erlangen, durch die sie ihren Wert und ihre Bedeutung als eigenständiges Volk bzw. Nation in der Welt festigen konnten: „Pepito Figueroa es un joven artista que ha pasado triunfalmente el nombre de Puerto Rico por el exterior, haciendo que nuestra pequeña isla fuese enaltecida a través de las elogiosas crónicas con que festejaron su Arte los grandes periódicos de Europa.“77

Dass Puerto Rico in diesem Statement als kleine Insel bezeichnet wird, soll keinesfalls in erster Linie als objektive Beschreibung ihrer territorialen Größe verstanden werden. Dahinter verbargen sich Gefühle der Bedeutungslosigkeit bzw. Minderwertigkeit, welche bereits in den nahen semantischen Bedeutungen der spanischen Begriffe „pequeñez“ und „insignifi-

76 Es ist nicht auszuschließen, dass innerhalb anderer Klassen der puertoricanischen Gesellschaft diese Bedeutungslosigkeitsgefühle aufgrund der Größe Puerto Ricos auch feststellbar waren. Man muss sie also nicht unbedingt als eine Eigenart der gebildeten Klasse betrachten. Es fehlen aber die Quellen, um das schlüssig zu beweisen. Aber es lassen sich einige Indizien dafür finden (vgl. Lorrin Thomas, Puerto Rican Citizen: History and Political Identity in Twentieth-Century New York City, Chicago 2010, S. 27; Arturo Morales Carrión, Puerto Rico. A Political and Cultural History, New York 1983, S. 225). 77 „Pepito Figueroa ist ein junger Künstler, der triumphfierend den Namen Puerto Ricos im Ausland präsentiert hat, sodass unsere kleine Insel durch die lobenden Berichte, mit denen die großen Zeitungen Europas seine Kunst feierten, verherrlicht wurde“ (meine Übers., O.R.V.). Poliedro (1926, November [?]), AFF (Foto IMG 3732).

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cancia“ enthalten waren.78 Die würdevolle Vertretung der Puerto Ricaner im Ausland durch José Figueroa Sanabia ermöglichte es ihnen jedoch, diese Bedeutungslosigkeitsgefühle loszuwerden, indem sie durch die Erfolge des Violinisten ihren Wert und ihre Bedeutung in der Welt bestätigt sahen. In einem anderen Artikel von Puerto Rico Ilustrado (1932) sieht man ebenfalls, wie das Image des puerto-ricanischen Violinisten diese kompensatorische Funktion erfüllte. Hier schreibt José Arnaldo Meyners: „Todo el mundo sabe de sus triunfos ruidosos, todos hemos visto a la distancia cómo se engrandecía el prestigio portorriqueño, cómo brillaba el nombre de la islita perdida en el mapa bajo el arco maravilloso de Pepito y Kachiro y al conjuro del piano taumaturgo de Narciso.“79

Als Meyners Puerto Rico als die „islita perdida en el mapa“ charakterisiert, deutet er indirekt die hier thematisierten Bedeutungslosigkeitsgefühle an, die wegen der in verschiedener Hinsicht geringen Größe Puerto Ricos in der puerto-ricanischen gebildeten Schicht festzustellen waren. Nach wie vor ist somit die eindrucksvolle ausländische Repräsentation der Puerto Ricaner durch José Figueroa Sanabia und die internationale Anerkennung, die diese mit sich brachte, das, was diesen negativen nationalen Gefühlen entgegenwirkte und den Selbstwert der Puerto Ricaner stärkte. Ángela Negrón Muñoz äußert sich (1939) dazu folgendermaßen: „¡Cuánto crece Puerto Rico, la patria chica de José Figueroa! Porque José Figueroa se presenta siempre, en todos los públicos, como artista puertorriqueño, el que ha alcanzado, hijo de una isla, el milagro podría decirse, de una cátedra en una de las escuelas de música más prestigiosas del mundo, un puesto preponderante, entre los

78 Das Wort „pequeñez“ bedeutet im Spanischen sowohl „Kleinheit“ im Sinn geringer Größe, wie auch „Kleinigkeit“ im Sinn einer unbedeutenden Sache. 79 „Jeder kennt seine aufsehenerregenden Triumphe, wir alle haben aus der Ferne gesehen, wie das puerto-ricanische Prestige an Größe gewann, wie der Name des auf der Landkarte verlorenen Inselchens unter dem wundervollen Bogen von Pepito und Kachiro und der Beschwörung des wundertätigen Klaviers von Narciso glänzte“ (meine Übers., O.R.V.). Puerto Rico Ilustrado (1932, Juni 18.), S. 1.

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grandes violinistas de su generación y sin duda alguna, el primero entre los violinistas de América.“80

Schon am Anfang, wenn Negrón Muñoz feststellt, dass „la patria chica de José Figueroa“ dank seiner musikalischen Leistungen wachse, sind Minderwertigkeitsgefühle zu erkennen. Man muss bedenken, dass die Bezeichnung „patria chica“ auf der Ansicht gründet, Puerto Rico sei im Vergleich mit anderen Ländern ‚unbedeutend‘, weil es lediglich eine kleine Insel inmitten des Meeres sei. Mittels einer Personifikationsfigur (Puerto Rico „crece“) wird dann behauptet, dass Puerto Rico (und damit die Puerto Ricaner) kraft der musikalischen Leistungen José Figueroa Sanabias an Bedeutung gewinnen. Größer werden (crecer) wird hier also mit dem Zuwachs an Wichtigkeit und Kleinigkeit (patria chica) mit Bedeutungslosigkeit gleichgesetzt. Diese Ansicht wird noch untermauert, wenn gesagt wird, dass Figueroa Sanabia, „hijo de una isla, [ha alcanzado] el milagro podría decirse, de una cátedra en una de las escuelas de música más prestigiosas del mundo“. Denn hier wird die Leistung des puerto-ricanischen Violinisten als ein Wunder beschrieben, weil er lediglich aus einer kleinen, d.h. ‚bedeutungslosen‘, Insel stammt. Die kognitive Verarbeitung der Tatsache, dass Puerto Rico eine so kleine Heimat/Insel war, führte somit hier und in den anderen Beispielen zum Trugschluss, die Puerto Ricaner könnten nichts Großartiges leisten – als wäre ihr Leistungspotenzial geringer als das anderer (größerer) Völker –, und nur aus dem Grunde, weil sie aus einer kleinen

80 „Wie sehr wächst Puerto Rico, die kleine Heimat José Figueroas! Weil sich José Figueroa immer, vor jedem Publikum, als ein puerto-ricanischer Künstler vorstellt, der, Sohn einer Insel, man darf wohl sagen, das Wunder vollbracht hat, einen Lehrstuhl in einer der weltweit renommiertesten Musikhochschulen, einen hervorragenden Rang unter den großen Violinisten seiner Generation und zweifellos den ersten unter den Geigern Amerikas [d.i. der sogenannten Neuen Welt, O.R.V.] erlangt zu haben“ (meine Übers., O.R.V.). Ángela Negrón Muñoz, „Los ocho hermanos Figueroa Sanabia“, El Mundo, 13. August 1939, S. 7. In Ausdrücken wie z.B. „[los hermanos Figueroa, O.R.V.] han hecho brillar una vez más el nombre de su ‚pequeño pero grande país‘“ (Anon., „Los hermanos Figueroa triunfan en su debut en Washington“, El Imparcial, 4. April 1942, S. 16) wird in gewisser Weise auch auf diese Bedeutungslosigkeitsgefühle aufgrund der Unscheinbarkeit der Insel indirekt hingewiesen.

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Insel kämen. Das Image José Figueroa Sanabias führte zum Abbau solcher Minderwertigkeitsgefühle, indem es den Puerto Ricanern bewies, dass sie auch ein leistungsfähiges Volk sein konnten. 4.3.3 Unsere unzivilisierte Insel: Das Unbehagen mit der Heimat und das westliche Zivilisationsideal Oben habe ich bereits erwähnt, dass die gebildete Klasse dazu neigte, Puerto Rico unter der westlichen Perspektive wahrzunehmen. Das heißt, dass sie den Zustand ihrer Heimat basierend auf dem westlichen Zivilisationsideal bewerteten. Weil es eine unübersehbare Diskrepanz zwischen diesem Ideal und den tatsächlichen Bedingungen auf der Insel gab, neigten sie zu negativen nationalen Gefühlen. Denn infolge dieser Diskrepanz betrachteten sie ihr Heimatland im Allgemeinen (sowie die Puerto Ricaner aus den unteren Schichten im Besonderen) als rückständig und unzivilisiert.81 In den Quellen findet man verschiedene Beispiele, in denen diese negativen nationalen Gefühle wegen der ‚Rückständigkeit‘ der Insel zum Ausdruck kommen. Einige Journalisten bedauern beispielsweise das armselige Kunstmusikleben Puerto Ricos. Ich habe bereits dargelegt, dass eine lebendige Kunstmusikszene eine wichtige Eigenschaft aller zivilisierten Gesellschaften konstituieren sollte. Ihr Fehlen wurde entsprechend als ein Beweis für (kulturelle) Rückständigkeit, Unzivilisiertheit bzw. Unkultiviertheit gesehen. Genau diese negative Betrachtungsweise ist bei Rafael Montañez (1936) festzustellen, wenn er behauptet: „Para los que vivimos en un ambiente tan raquítico como el nuestro, en donde se hace difícil, no ya oír una buena orquesta, sino formar una mediana con los músicos con que contamos en abundancia, nos parece fantástico, inconcebible lo que [José Figueroa Sanabia, O.R.V.] nos cuenta del movimiento musical en París.“82

81 Deshalb war – wie ich schon veranschaulichte – die Repräsentation José Figueroa Sanabias im Ausland so wichtig für die gebildete Klasse. Durch ihn sahen sie sich selbst als zumindest zivilisiert und daher als einigermaßen kultiviert dargestellt, selbst wenn die ‚rückständigen‘ gesellschaftlichen Bedingungen auf Puerto Rico dagegen sprachen. 82 „Uns, die wir in einer so winzigen Umgebung wie der unsrigen leben, in der es so schwierig ist, nicht nur ein gutes Orchester zu hören, sondern sogar ein

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Wichtig ist hier die Gegenüberstellung des Musiklebens Puerto Ricos mit jenem in Paris. Denn Paris fungiert in diesem Kommentar als Inbegriff des westlichen Zivilisationsideals. Je mehr somit die gesellschaftlichen Bedingungen Puerto Ricos – darunter natürlich das Kunstmusikleben – denen von Paris ähnelten, als umso zivilisierter und kultivierter wäre die Insel zu betrachten. Weil Puerto Rico aber über keine reiche kunstmusikalische Kultur wie jene der französischen Hauptstadt verfügte, wird das Kunstmusikleben als „un ambiente raquítico“ bezeichnet und daher mit allem in Verbindung gebracht, was dem Zivilisationsideal widerspricht, also mit Rückständigkeit, Unkultiviertheit, Unzivilisiertheit usw. Ein ähnlicher Gedanke taucht bei Coloma Pardo de Casablanca (1945) auf, wenn sie „el escenario musical puertorriqueño [als, O.R.V.] empobrecido y estacionado desde hace unas cuantas décadas“83 charakterisiert. Wegen der ‚Rückständigkeit‘, die auf Puerto Rico herrschte, setzte die gebildete Klasse ihre Hoffnungen für ein besseres, d.h. modernes und zivilisiertes Puerto Rico, auf die Zukunft. Sie betrachteten ihre Heimat demnach als ein unvollendetes Projekt, folglich als ein Land, das sich zu jenem Zeitpunkt noch in einem Entwicklungs-, d.h. einem Modernisierungs- und Zivilisierungsprozess befand, welcher bei seiner Vollendung der Insel Wohlstand bringen würde.84 Das heißt natürlich nicht, dass die gesamte gebildete Klasse mit der Art und Weise einverstanden war, wie dieser Modernisierungs- und Zivilisierungsprozess mittels des Kolonialprojekts – d.h. der Amerikanisierung Puerto Ricos – vorangetrieben wurde. In der Tat

durchschnittliches mit den reichlich vorhandenen Musikern zu bilden, erscheint es fantastisch, unvorstellbar, was [José Figueroa Sanabia, O.R.V.] uns über das Musikleben in Paris erzählt“ (meine Übers., O.R.V.). Rafael Montañez, „Pepito Figueroa asumirá una cátedra nueva en Escuela Normal de Música en París“, Puerto Rico Ilustrado, 3. Oktober 1936, S. 75. 83 „Die puerto-ricanische Kunstmusikszene [als O.R.V.] verarmt und stagniert seit einigen Jahrzehnten“ (meine Übers., O.R.V.). Puerto Rico Ilustrado (1945, Juni 30.), S. 24. 84 Die Vorstellung einer idealen zukünftigen (nationalen) Gesellschaft, in der die Nation bzw. das Volk ihre/seine gegenwärtigen Probleme überwinden wird, findet man auch sehr häufig in den Werken von Intellektuellen aus vielen anderen Ländern. Auf Puerto Rico findet man sie auch (u.a.) in Insularismo von Pedreira (vgl. Ayala und Bernabé, S. 118-119).

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kann man alle möglichen politischen Positionierungen diesbezüglich bei ihnen (sowie bei allen anderen Puerto Ricanern) ausfindig machen, von denjenigen, die die Amerikanisierung vollkommen akzeptierten, bis zu denjenigen, die sie völlig ablehnten. Man kann folglich eine Übereinstimmung innerhalb der gebildeten Klasse bezüglich des Bedürfnisses feststellen, Puerto Rico zu modernisieren und somit zu zivilisieren, denn in dieser Modernisierung sahen sie den Schlüssel für den Aufbau einer idealen (westlicht geprägten) puerto-ricanischen Gesellschaft. Aber über die Art und Weise, wie dieser Modernisierungsprozess konkret durchzuführen wäre, darüber gab es verschiedene, manchmal sogar widersprüchliche, Meinungen. Innerhalb dieser grundsätzlichen Vorstellung einer zukünftigen puertoricanischen Gesellschaft spielte das Image José Figueroa Sanabias eine wichtige Rolle. Man liest in einem Artikel z.B., wie die Hoffnungen auf jenes Ideal einer modernen Gesellschaft mit seinem Image verknüpft waren. Das heißt also, dass José Figueroa Sanabia als Vorzeichen einer (westlich geprägten) puerto-ricanischen Gesellschaft betrachtet wurde, die die gebildete Klasse für die Zukunft anstrebte. Im folgenden Zitat wird interessanterweise nicht nur diese Projektion sichtbar, sondern man erkennt auch die bereits diskutierten Bedeutungslosigkeitsgefühle, die aufgrund der geringen Größe der Insel innerhalb der gebildeten Klasse festzustellen waren, sowie die negative Betrachtung Puerto Ricos, die sich aus seiner Armut und daher ‚Rückständigkeit‘ ergab: „Cuando en los grandes salones de Europa el violín de los Figueroa [d.i. von José und Jaime, O.R.V.], dibuje nota a nota la exquisita silueta espiritual de estos dos adolescentes extraordinarios, estará hablando a los públicos severos el alma esperanzada y joven de Puerto Rico... [Herv. von mir, O.R.V.] Así debe hablar siempre nuestro país al universo... El relato gemebundo, e inútil de nuestras tristezas y de nuestra pequeñez [Herv. von mir, O.R.V. ] debe ser sustituido por la brava realidad de lo que somos y de lo que seremos [Herv. von mir, O.R.V.]. – El afán de universalidad de espíritu que encarna siempre en los elegidos, que ha encarnado esta vez en los Figueroa, bien podría, en un sentido más genérico y simple, ser la expresión del alma de Puerto Rico ante los hombres de quienes nos separa el mar. Es cierto que nuestros límites territoriales son estrechos, que estamos solos sobre las ancas de un mar casi infinito, que somos pobres [Herv. von mir, O.R.V.] y que nuestra tierra – ‚madre tierra‘ en la acepción más abnegada y generosa de la frase –

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debe alimentar a una numerosa prole con el producto de sus entrañas ultra-explotadas… Pero por encima de tanta doliente verdad está nuestro empeño de auparnos sobre las colinas humildes y observar al universo desde nuestra torre de soledad…“85

Da ich die negativen nationalen Gefühle, die aufgrund der geringen Größe Puerto Ricos und seiner ‚Rückständigkeit‘ bei seinen Einwohnern entstanden, bereits diskutiert habe, werde ich diese Aspekte der Aussage außer Acht lassen. Nur möchte ich hier in Bezug auf die Minderwertigkeitsgefühle ergänzend darauf hinweisen, dass in diesem Zitat davon die Rede ist, „el relato gemebundo de nuestras tristezas y nuestra pequeñez“ zu ersetzen durch „la brava realidad de lo que somos y de lo que seremos“. Dieses Plädoyer suggeriert, dass ein solches Empfinden von Gefühlen der Bedeutungslosigkeit innerhalb der gebildeten Klasse aufgrund der geringen Größe bzw. Bedeutung der Insel ziemlich verbreitet war.

85 „Wenn in den großen Sälen Europas die Violine der Figueroas [d.i. von José und Jaime, O.R.V.] Note für Note die exquisite geistige Silhouette dieser zwei außerordentlichen Jungen zeichnet, wird zum strengen Publikum die hoffnungsvolle und junge Seele Puerto Ricos [Herv. von mir, O.R.V.] sprechen... So sollte unser Land immer zum Universum sprechen... Die klagende und unnütze Erzählung unserer Traurigkeit und unserer Kleinheit [Herv. von mir, O.R.V.] sollte ersetzt werden durch die mutige Realität dessen, was wir sind und was wir sein werden [Herv. von mir, O.R.V.]. – Das Streben nach der Universalität des Geistes, das immer in den Auserwählten verkörpert ist, das diesmal in den Figueroas verkörpert ist, könnte sehr wohl in einem allgemeineren und einfacheren Sinn der Ausdruck der puerto-ricanischen Seele gegenüber den Menschen sein, von denen das Meer uns trennt. Es ist wahr, dass unsere Landesgrenzen schmal sind, dass wir allein auf dem Hinterteil eines fast endlosen Meeres sind, dass wir arm sind [Herv. von mir, O.R.V.] und dass unsere Erde – ‚Mutter Erde‘ in der selbstlosesten und großherzigsten Bedeutung des Wortes – eine zahlreiche Nachkommenschaft mit dem Produkt ihrer extrem ausgebeuteten Eingeweide ernähren muss... Aber oberhalb einer so sehr schmerzhaften Wahrheit ist unser Bestreben, uns über die niedrigen Hügel zu erheben und das Universum von unserem Turm der Einsamkeit zu betrachten“ (meine Übers., O.R.V.). José Arnaldo Meyners, „Dos Elegidos“, Puerto Rico Ilustrado, 7. Juli 1928, S. 1.

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Hinsichtlich der Projektion der zukünftigen puerto-ricanischen Gesellschaft auf das Image José Figueroa Sanabias (und seines Bruders) ist zuallererst die Beschreibung der Insel als hoffnungsvolle und junge Seele („el alma esperanzada y joven de Puerto Rico“) zu Beginn des Beitrags zu beachten. Diese Metapher weist auf den Entwicklungsprozess hin, dem die Insel damals unterlag und aus dem eines Tages die von der gebildeten Klasse erwünschte westlich geprägte puerto-ricanische Gesellschaft entstehen sollte.86 José und sein Bruder Jaime fungieren innerhalb dieses zivilisatorischen Projekts als Botschafter der puerto-ricanischen Bevölkerung in der zivilisierten Welt (d.i. Europa). Sie sollten ja „la expresión del alma de Puerto Rico“ verkörpern. Das heißt, dass sie beide dort einerseits – wie ich oben erläutert habe – den bereits erreichten Zivilisiertheits- und Kultiviertheitsgrad der Puerto Ricaner mit ihrer Kunst bezeugen sollten, aber andererseits auch, was die Puerto Ricaner anstrebten und worum sie sich zu jener Zeit bemühten, nämlich die Hervorbringung einer gänzlich modernen und zivilisierten Gesellschaft, die die im Zitat angesprochenen ökonomischen Probleme der Insel lösen würde. José Figueroa Sanabia fungiert hier für die Puerto Ricaner folglich als eine Vergewisserung ihres Potenzials. In diesem Sinn diente er nicht nur als ein Kompensationsmittel, kraft dessen die Puerto Ricaner gewissen latenten Minderwertigkeitsgefühlen entgegenwirken konnten; er erfüllte gleichzeitig eine Empowering-Funktion. Das heißt also, dass mit seiner Hilfe die Puerto Ricaner (und zwar nicht nur diejenigen aus der gebildeten Klasse) ihr Selbstbewusstsein als Volk stärkten. Das war zu jener Zeit von großer Bedeutung, denn die hier angesprochenen damaligen entmutigenden sozialen, ökonomischen und nicht zuletzt politischen Probleme auf der Insel übten eine negative Wirkung in der kollektiven Wahrnehmung der Puerto Ricaner als eigenständiges Volk aus87, der irgendwie entgegengetreten werden musste. José Figueroa Sanabia (oder vielmehr sein Image) fungierte in diesem Kontext als eines von mehreren Mitteln, kraft derer die Puerto Ricaner ihr Selbstwertgefühl aber auch

86 Wenn Ángela Negrón Muñoz spricht von „nuestra juventud a cargo de la forja del Puerto Rico nuevo“ (El Mundo [1934, Juli 22.] S. 4) deutet sie auch auf den Entwicklungsprozess hin, in dem sich die Insel damals befand. 87 Der große Pessimismus im Werk von Antonio Pedreira ist ein gutes Beispiel dafür.

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ihr Selbstvertrauen als leistungsfähiges Volk festigten. Er diente somit als lebendes Beispiel dafür, wozu die Puerto Ricaner in der Lage wären. 4.3.3.1 José Figueroa Sanabia: Der Wegbereiter der puerto-ricanischen Kunstmusikkultur Zur zuletzt analysierten konnotativen Bedeutung gesellt sich eine weitere, der man während der 2. und 3. Periode (1935-1952) begegnet. Zu jener Zeit wurden José Figueroa Sanabia sowie seine gesamte Familie als musikalische Wegbereiter, d.h. als Begründer, eines reicheren Kunstmusiklebens auf Puerto Rico gesehen. In diesem Sinn wird dem Geiger und seiner Familie eine wesentliche Rolle beim Zivilisierungsprozess Puerto Ricos zugesprochen.88 In einer Rezension eines Konzerts des Figueroa-Quartetts (1938) erkennt man z.B. diese konnotative Bedeutung, wenn dort festgestellt wird: „Una nueva página de este arte luminoso quedó impresa; un nuevo peldaño hacia la cultura artístico-musical en Puerto Rico, fue ascendido, gracias al influjo potente que ejerce el arte excelso de los Figueroa Sanabia.“89

Aus dieser Äußerung wird ersichtlich, welche Bedeutung der Musikkritiker dem Auftritt des Figueroa-Quartetts beimaß, wodurch die Puerto Ricaner

88 Angesichts der intensiven Tätigkeiten als Musiker und Musiklehrer von José und der ganzen Familie Figueroa Sanabia ist es in der Tat nicht überraschend, dass die gebildete Klasse sie als einen grundlegenden Bestandteil bei der Entwicklung eines reichen Kunstmusiklebens auf Puerto Rico betrachtete. Man bedenke, dass José Figueroa Sanabia mehrere wichtige Werke des Violinrepertoires – z.B. Beethovens Violinkonzert D-Dur – auf Puerto Rico uraufführte. Dazu zählt auch die Konzertreihe „Conciertos en la Intimidad“, ein gutes Beispiel für die bedeutende Rolle der Familie Figueroa bei der Förderung der Kunstmusik auf der Insel, sowie die wichtige pädagogische Funktion der Escuela de Música Figueroa. 89 „Eine neue Seite dieser leuchtenden Kunst wurde gedruckt; eine neue Stufe Richtung künstlerisch-musikalische Kultur auf Puerto Rico wurde erklommen, dank des gewaltigen Einflusses, den die erhabene Kunst der Figueroa Sanabia ausübt“ (meine Übers., O.R.V.). María del Pilar Santana Bercerra, „Comentarios al concierto del Cuarteto Figueroa“, El Mundo, 22. September 1938, S. 7.

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einen Schritt näher zur Etablierung eines reichen Kunstmusiklebens in ihrer Heimat gelangt seien. Dadurch wird den Brüdern Figueroa Sanabia eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der zukünftigen modernen und zivilisierten puerto-ricanischen Gesellschaft zugewiesen. In einem anderen Artikel (1938) behauptet José A. Balseiro in ähnlicher Weise, dass die Familie Figueroa „va formando con su ingrávida materia sonora un Puerto Rico seguro, permanente“.90 Hier wird sogar auf die unmittelbare Mitwirkung Josés und seiner Familie bei der Gestaltung der zukünftigen puertoricanischen Gesellschaft hingewiesen, also derjenigen, welche die gebildete Schicht so sehr anstrebte und die sich u.a. durch ihr reiches kunstmusikalisches Angebot auszeichnen sollte. Zuletzt wird in einem Artikel von El Mundo (1951) festgestellt: „Estos dos compatriotas [d.i. José und Narciso, O.R.V.], y en general toda la familia Figueroa dedicada con exclusiva devoción a la música, representan el más sostenido y ejemplar esfuerzo, en Puerto Rico, por superarse en el plano del arte, a través de su sincero laborar y del más concienzudo aprovechamiento de su aptitud musical, presente en forma tan abundante en todos los miembros de esta familia.“91

Vor allem die Charakterisierung der Familie Figueroa Sanabia als „el más sostenido y ejemplar esfuerzo, en Puerto Rico, por superarse en el plano del arte“ ist in dieser Äußerung beachtenswert. Denn damit wird wieder auf die Bedeutung der Familie Figueroa Sanabia bei der Entwicklung und Förde-

90 „Bildet allmählich mit ihrer schwerelosen Tonmaterie ein sicheres und dauerhaftes Puerto Rico“ (meine Übers., O.R.V.). José A. Balseiro, „Los conciertos de la familia Figueroa“, El Mundo, 21. September 1938, S. 10. 91 „Diese beiden Landsleute [d.i. José und Narciso, O.R.V.], und im Allgemeinen die gesamte Familie Figueroa, die sich mit ausschließlicher Hingabe der Musik widmet, verkörpern auf Puerto Rico die höchste und vorbildlichste Anstrengung, sich im Gebiet der Kunst durch ihre ehrliche Arbeit und die sorgfältigste Ausnutzung ihrer musikalischen Fähigkeiten, die in solcher Fülle bei allen Mitgliedern dieser Familie vorhanden sind, selbst zu übertreffen“ (meine Übers., O.R.V.). Anon., „Otro triunfo puertorriqueño“, El Mundo, 6. Oktober 1951, S. 6, AFF (Foto AFF 229-230); siehe auch: J.M. Rodríguez, „Pepito y Narciso Figueroa“, El Mundo, [n.d., o.S.], AFF (Foto AFF 513); Anon., „Concierto de los hermanos Figueroa“, El Mundo, 12. Mai 1947, S. 19.

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rung einer kunstmusikalischen Kultur und in diesem Zusammenhang auch beim Modernisierungs- und Zivilisierungsprozess Puerto Ricos hingewiesen. José Figueroa Sanabia war demzufolge für die puerto-ricanische Bildungsschicht nicht nur wegen seiner identitätsstiftenden und selbstwertstärkenden Funktion von großer Bedeutung. Er war zudem eine wichtige Projektionsfigur, auf die sie die Wünsche nach jener (westlich geprägten) Idealgesellschaft, die sie eines Tages zu etablieren hoffte, übertrug.



Fazit

In dieser Forschungsarbeit habe ich darzustellen versucht, welch große identitätsstiftende Bedeutung José Figueroa Sanabia innerhalb der puertoricanischen Gesellschaft zukam. Es wurde deutlich, wie die Puerto Ricaner vom Image des Violinisten verschiedene, jedoch eng miteinander verknüpfte, konnotative Bedeutungen ableiteten, auf die sie ihre Interessen, Wünsche und Sorgen projizierten. Eine der wichtigsten Konnotationen war die Berücksichtigung José Figueroa Sanabias als Repräsentant des puertoricanischen Volks im Ausland. Diese Vertretungsfunktion war für die Puerto Ricaner u.a. deshalb bedeutsam, weil sie sich dabei in positiver Weise mit anderen Völkern vergleichen konnten. Denn kraft des Violinisten – und des Basking-in-reflected-glory-Effekts natürlich – konnten sie von sich das Bild eines talentierten und somit wertvollen Volks erzeugen. Das führte bei ihnen zu Gefühlen des Nationalstolzes, anhand deren sie ihren Selbstwert stärken und sich ihrer national-kulturellen Identität vergewissern konnten. Das heißt also, dass durch den Violinisten die Puerto Ricaner ihr Dasein und ihren Wert als eigenständiges Volk in der Welt bestätigten. Da je erfolgreicher José Figueroa Sanabia war (oder besser: gesehen wurde), konnten die Puerto Ricaner sich umso mehr auf Augenhöhe mit anderen Völkern vergleichen und daher ihre Identität und ihr Selbstwertgefühl wirkungsvoller behaupten, fällt es nicht schwer zu begreifen, weshalb seine Landsleute ihn so sehr idealisierten. Für die gebildete Klasse war die Repräsentation José Figueroa Sanabias im Ausland auch aus anderen Gründen von Bedeutung: Dank des Images des Geigers war es ihnen möglich, sich als zivilisiertes und kultiviertes Volk darzustellen. Ihren hohen Zivilisiertheitsgrad zu beweisen war ihnen wichtig, weil sie aufgrund ihrer westlich geprägten Bildung gelernt hatten,

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Puerto Rico unter dem westlichen Zivilisationsparadigma zu betrachten. Ein solches Zivilisationsideal zugrunde gelegt, bekäme man von der Insel – und deren Einwohnern – zunächst ein negatives Bild, da sie demzufolge als rückständig, unmodern, primitiv, unzivilisiert, unkultiviert usw. galt. Dank des Images José Figueroa Sanabias konnte die gebildete Klasse dieser pejorativen Schilderung entgegentreten, indem sie die Ansicht vertraten, der Geiger sei ein deutlicher Beweis für den hohen Zivilisiertheitsgrad, das Puerto Rico bereits erreicht habe. Selbstverständlich war ihnen klar, dass die Insel noch nicht als ein in jeder Hinsicht zivilisiertes Land erachtet werden konnte, aber die Tatsache, dass aus Puerto Rico ein so begabter Kunstmusik-Violinist stammte, werteten sie als Evidenz dafür, dass sie sich schon in einer relativ hohen Zivilisationsentwicklungsstufe befänden. In diesem Sinn diente das Image des Geigers als Kompensationsmechanismus, kraft dessen die puerto-ricanische Bildungsschicht ihr Unbehagen darüber aufwog, dass Puerto Rico (d.h. die Puerto Ricaner) dem westlichen Zivilisationsideal nicht entsprach. Eine andere Möglichkeit, dieser Unzufriedenheit entgegenzuwirken, bestand in der Betrachtung der Insel als eines unvollständigen (nationalen) Projekts. Puerto Rico wurde in dieser Auffassung als ein Land gesehen, das sich zu jenem Zeitpunkt einem Modernisierungs- bzw. Zivilisierungsprozess unterzog, aus dem eines Tages die von der gebildeten Klasse so sehr erwünschte westlich geprägte Gesellschaft entstehen würde. Das Image José Figueroa Sanabias diente in diesem Zusammenhang als wichtiges Medium, um das große Potenzial des puerto-ricanischen Volks, kraft dessen es sukzessive eine dem westlichen Zivilisationsideal entsprechende zivilisierte Gesellschaft aufbauen würde, zu präsentieren. Gleichzeitig sahen sie dieses inhärente Potenzial der Puerto Ricaner im Violinisten verkörpert, indem sie ihn als wesentlichen Bestandteil im Prozess der Verwirklichung eines zivilisierten Puerto Ricos betrachteten. Wie ich erläutert habe, wurde José Figueroa Sanabia – sowie seiner gesamten Familie – eine große Bedeutung bei der Entwicklung einer Kunstmusikkultur zugesprochen, in deren Genuss man auf der Insel, so wie in allen zivilisierten Gesellschaften, eines Tages kommen würde. Zusammenfassend darf man folglich behaupten, dass das Image José Figueroa Sanabias für die puerto-ricanische gebildete Klasse Modernität, Zivilisiertheit, Kultiviertheit und Fortschritt konnotierte, mithin alles, was mit dem westlichen Zivilisationsideal zusammenhing und wonach sie sich in ihrer Heimat so sehr sehnten.

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Die Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen innerhalb des damaligen US-amerikanischen Kolonialregimes auf Puerto Rico beleuchtete andere wichtige Aspekte, die zur Erklärung der großen Bedeutung José Figueroa Sanabias für die Puerto Ricaner jener Zeit beisteuerten. Wie man sehen konnte, übte das Kolonialregime (und die daraus entstandene Kolonialgesellschaft) einen beachtlichen identitäts- und selbstwertbedrohenden Einfluss auf das puerto-ricanische Volk aus. Auf der einen Seite waren die Puerto Ricaner einer Kolonialpolitik – d.i. Assimilationspolitik – ausgesetzt, die ihre Kultur und Lebensweise in unterschiedlichster Weise für minderwertig erklärte, mit dem expliziten Ziel, bei ihnen die Bereitschaft zu stärken, sich den Assimilationsversuchen und damit der Kolonialherrschaft zu unterwerfen. Parallel dazu gab es einen kolonialen Diskurs, der diese vermeintliche Minderwertigkeit verbal und explizit äußerte, indem er die Puerto Ricaner – basierend auf dem westlichen Zivilisationsideal – als unzivilisiert, unkultiviert, primitiv usw. bezeichnete. Durch José Figueroa Sanabia konnten die Puerto Ricaner diese explizit und implizit zum Ausdruck gebrachte abwertende Repräsentation ihrerseits zurückweisen, indem sie anhand des Images des Geigers, welches letzten Endes dem Image des puerto-ricanischen Volks gleichkam, ein eigenes positives Bild von sich erstellten. In diesem Prozess bekräftigten sie ihren Wert als eigenes Volk und lehnten gleichzeitig den Assimilationsversuch ab, den die USA der Insel auferlegt hatten. Das heißt, anders formuliert, dass die Puerto Ricaner vermittels José Figueroa Sanabias der identitäts- und selbstwertbedrohenden Einflussnahme des Kolonialregimes entgegenwirkten, indem sie ihr Dasein und ihre Bedeutung als eigenständiges Volk betonten. Die durch das Image des Violinisten artikulierte Identitätsvergewisserung fungierte somit als ein Schutzmechanismus gegen den kolonialen Diskurs und die Kolonialpolitik und in diesem Sinn darf man sie als eine Art antikolonial-nationalistischer Resistenzpolitik ansehen, mit deren Hilfe die Eigenheiten des puertoricanischen Volks innerhalb eines identitätsbedrohenden Kolonialkontexts bewahrt wurden. Es war in den puerto-ricanischen Massenmedien, wo die nationale Signifikanz José Figueroa Sanabias zunächst artikuliert wurde. Wie ich gezeigt habe, schufen puerto-ricanische Journalisten und Musikkritiker eine enge Verbindung zwischen dem Geiger und den Puerto Ricanern mittels der systematischen Anwendung dreier rhetorischer Mittel, nämlich des Possessivartikels der 1. Person Plural, der Einwohnerbezeichnung (Herkunftsbe-

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zeichnung) und des Wortes „Landsmann“. Alle diese rhetorischen Mittel arbeiteten zusammen daran, dieses enge Band zwischen dem Geiger und seinen Landsleuten herzustellen. Ihnen kam demzufolge eine fundamentale Funktion bei der Konstituierung José Figueroa Sanabias als identitätsstiftende Identifikationsfigur zu. Neben diesen identifikationsfördernden Mitteln begegnete man anderen, die eher zur Idealisierung des Geigers beisteuerten. Unter ihnen befand sich eine Serie von positiven Adjektiven, die konsequent bei der Charakterisierung José Figueroa Sanabias zur Anwendung kamen. Sie stellten den Geiger als außergewöhnliche Persönlichkeit dar, die sich vom durchschnittlichen Puerto Ricaner unterscheide. Das heißt, anders formuliert, dass sie dem Violinisten eine besondere charismatische Qualität zusprachen. Eine ähnliche Funktion erfüllte das Substantiv „Triumph“ bzw. deren Verbform „triumphieren“. Dieses Wort kam üblicherweise zur Anwendung, wenn José Figueroa Sanabia einen wichtigen Auftritt im Ausland hatte. Diese Vokabel diente puerto-ricanischen Journalisten und Musikkritikern dazu, die Performance Figueroa Sanabias als besonders gelungen darzustellen und damit sein Image als Violinvirtuose kontinuierlich zu fördern. Es ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich, dass einige Konzerte José Figueroa Sanabias im Ausland, die von ausländischen (konkret US-amerikanischen) Kritikern nicht sehr positiv rezensiert wurden, in der puerto-ricanischen Presse dennoch als Triumphe bezeichnet wurden. Diese Beispiele belegen eindeutig, wie sehr der puerto-ricanische Violinist von seinen Landsleuten idealisiert wurde. Die Übertreibungen hinsichtlich der vermeintlichen Bedeutung José Figueroa Sanabias in der damaligen Kunstmusikwelt spielten zudem eine nicht unwesentliche Rolle bei seinem Idealisierungsverfahren. Puertoricanische Journalisten und Musikkritiker sahen bisweilen in dem Geiger einen der renommiertesten Violinisten der Welt. Mitunter verglichen sie ihn z.B. mit einigen der besten Violinisten seiner Zeit, wie etwa Jascha Heifetz oder Fritz Kreisler. Es gibt Beispiele, wo sie noch weiter gehen und sogar die Überlegenheit ihres Landsmannes gegenüber solchen erstrangigen Musikern behaupten. All diese Übertreibungen verherrlichten das musikalische Talent des Violinisten dermaßen, dass man ihm im Grunde eine übermenschliche Aura attestierte. Ähnliches ist bei den Anekdoten festzustellen. In dieser Arbeit analysierte ich sechs Begebenheiten José Figueroa Sanabia betreffend. Sie bezogen sich auf ganz unterschiedliche Lebensabschnitte, dennoch lag ihren Darstellungen dieselbe Intention zugrunde, nämlich die

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musikalische Begabung des Geigers aus Puerto Rico als quasi unübertrefflich hervorzuheben. Eine Anekdote berichtet z.B. davon, dass der mexikanische Dirigent Julián Carrillo dem jungen José Figueroa Sanabia eine Stelle in seinem Orchester anbot und ihm außerdem eine vielversprechende Zukunft voraussagte, nachdem er ihn in einem Konzert in Mexiko-Stadt 1922 gehört hatte. In einer anderen Anekdote wird ferner behauptet, Figueroa Sanabia habe im Vergleich zu seinem spanischen Geigenlehrer, Antonio Fernández Bordas, und zu Carlos Sedano einen weitaus erfolgreicheren Auftritt bei einem gemeinsamen Konzert in Madrid gehabt, und das trotz der Tatsache, dass er mit einer vergleichsweise einfachen Violine gespielt habe. Bei anderen Erzählungen fällt überdies auf, wie bestimmte Ereignisse im Leben des Violinisten in leicht abgewandelter Form wiedergegeben wurden, um sein musikalisches Talent zu verklären. Exemplarisch wird dies ersichtlich bei der Anekdote bezüglich des ersten Treffens zwischen José Figueroa Sanabia und Henri Ern. Hier wurde geäußert, der deutsche Geigenlehrer sei willentlich auf Puerto Rico geblieben, um sich persönlich um die Musikausbildung des jungen José Figueroa Sanabias zu kümmern. Die Tatsache also, dass Ern die Insel aufgrund des Ersten Weltkriegs eigentlich gar nicht verlassen durfte, wurde verheimlicht, um José Figueroa Sanabias Image als Geigenvirtuose noch mehr herauszustellen. Zuletzt kam den Konzertberichten eine große Bedeutung bei der Idealisierung José Figueroa Sanabias zu, wie die vergleichende Analyse in Kapitel zwei (Buchteil Analyse) zeigte. Drei Aspekte einheimischer Konzertberichte habe ich analysiert, die das Image des Geigers beträchtlich idealisierten. Zuerst sah man, wie einige puerto-ricanische Musikkritiker, vor allem während der ersten Periode (1925-1934), dazu neigten, sich einer hyperbolischen Ausdrucksweise bei der Beschreibung der Konzerte zu bedienen. In diesen Fällen wurden die Erfahrungen bei Konzerten des puerto-ricanischen Violinisten oft im Grunde mit einem religiösen Erlebnis verglichen, welches das Publikum in eine Art musikalisches Jenseits versetzte. Andere, subtilere Idealisierungsmechanismen kamen aber ebenfalls zur Anwendung. Beispielsweise tendierten puerto-ricanische Musikkritiker dazu, den Auftritten José Figueroa Sanabias stets den höchsten Gefälligkeitsgrad einzuräumen. Alles, was der Geiger aus Puerto Rico zum Vortrag brachte, war in ihren Augen einfach brillant. Parallel dazu ist ein Widerstreben festzustellen, auch nur irgendeinen negativen Kommentar bezüglich einer Aufführung José Figueroa Sanabias vorzubringen. Wie man sehen konnte, be-

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inhalten nur zwei von Puerto Ricanern verfasste Konzertberichte irgendwelche kritischen Einwände und selbst diese werden anschließend relativiert. Die starke emotionale Bindung, die puerto-ricanische Musikkritiker mit José Figueroa Sanabia etabliert hatten, verhinderte, dass sie seine Auftritte objektiv beurteilen konnten. Denn für sie, wie für alle anderen Puerto Ricaner, war er nicht bloß ein Musiker. Vielmehr sahen seine Landsleute in ihm ein nationales Symbol. Das heißt, dass er (oder besser sein Image) das puerto-ricanische Volk und dessen Bedeutung widerspiegelte. Etwas negatives über ihn zu äußern, käme somit der Tatsache gleich, etwas negatives über das puerto-ricanische Volk selbst zu sagen. In der ausländischen Presse ist ein durchaus anderes Bild José Figueroa Sanabias vorzufinden. Zwar wird er auch hier als äußerst talentierter Musiker geschildert, aber seine musikalischen Leistungen werden mitnichten idealisiert. Beispielsweise begegnet man in diesen Konzertberichten mehreren kritischen Bemerkungen. Diese werden außerdem, im Gegensatz zu jenen in den puerto-ricanischen Rezensionen, in direkter und ungeschönter Form geäußert. Darüber hinaus sind bei der Thematisierung der positiven Aspekte der Aufführungen unterschiedliche Gefälligkeitsgrade festzustellen, und nicht nur der höchste, wie es bei einheimischen Musikkritiken die Regel war. Dadurch kam in der ausländischen Presse eine Schilderung des puerto-ricanischen Violinisten zustande, die seine großartige musikalische Begabung durchaus anerkannte, ohne sie jedoch zu verherrlichen. Das ergab eine wirklichkeitsnähere (Medien-)Darstellung José Figueroa Sanabias, die sich beträchtlich von jener in der puerto-ricanischen Presse unterschied. Obgleich, wie bereits erwähnt, ausländische Musikkritiken die Leistungen José Figueroa Sanabias keineswegs verklärten, so trugen dennoch etliche von ihnen indirekt zu seiner Idealisierung bei. Hierbei handelte es sich um ausländische Konzertberichte, die in der puerto-ricanischen Presse nachgedruckt wurden. Diese Rezensionen unterschieden sich in keinerlei Hinsicht von den anderen ausländischen Musikkritiken. Gleichwohl trugen sie zum Idealisierungsverfahren bei, da sie sich zumeist positiv über José Figueroa Sanabias Darbietungen äußerten und in diesem Sinn die vermeintlich große Bedeutung bestätigten, die er laut einheimischen Medienberichten in der damaligen internationalen Kunstmusikwelt besaß. Das heißt, mit anderen Worten, dass, wenngleich diese nachgedruckten Konzertberichte das Image José Figueroa Sanabias an sich nicht glorifizierten, sie dennoch am Idealisierungsverfahren mittelbar mitwirkten, indem sie das von der pu-

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erto-ricanischen Presse systematisch entworfene Bild José Figueroa Sanabias als eines weltweit renommierten Musikers in gewisser Hinsicht ‚bestätigten‘. Deren Signifikanz bei der Idealisierung des puerto-ricanischen Geigers ist folglich in der Intertextualität aller in den einheimischen Presseorganen zirkulierenden Medienrepräsentationen des Violinisten zu sehen. Dasselbe lässt sich wohl über alle Konzertberichte in der puerto-ricanischen Presse sagen, die von ausländischen Musikkritikern verfasst wurden. Diese Rezensionen ähnelten auch allen anderen ausländischen Rezensionen: Sie würdigten in der Regel das musikalische Talent des Geigers, ohne es jedoch ‚in den Himmel zu heben‘. Allerdings waren sie Teil eines nationalistisch geprägten Diskurses über den Violinisten, der zu seiner Idealisierung neigte. Da, von einigen kritischen Anmerkungen abgesehen, die Beurteilungen in diesen Musikkritiken im Großen und Ganzen durchaus positiv waren, widersprachen sie nicht wirklich der vorherrschenden Repräsentation des Violinisten in seiner Heimat. In diesem Sinn standen sie letztendlich trotz allem gewissermaßen im Einklang mit dem vorherrschenden Bild, das seine Landsleute von ihm erschaffen hatten. José Figueroa Sanabia wurde somit eine große nationale Bedeutung in den damaligen puerto-ricanischen Massenmedien zuteil und diese Bedeutung machten sich später all seine Landsleute in gewisser Weise zu eigen. Der Geiger wurde für die Puerto Ricaner zum nationalen Symbol, das ihnen bei der Vergewisserung ihrer national-kulturellen Identität behilflich war. Mittels dieser Identitätsvergewisserung bestätigten sie ihre Existenz und ihren Wert als eigenständiges Volk in der Welt. Aufgrund der identitätsund selbstwertbedrohenden Beeinflussung seitens des US-amerikanischen Kolonialregimes auf der Insel, erhielt diese Bestätigung eine besondere Dringlichkeit. Denn infolgedessen mussten die Puerto Ricaner unablässig gegen einen mächtigen gesellschaftlichen Zwang ankämpfen, der ihr Selbstkonzept (sprich ihre Identität) und Selbstwertniveau stets zu gefährden drohte. Das Image des puerto-ricanischen Geigers diente in diesem Kontext als wichtige Identitäts- und Selbstwertquelle, die die Puerto Ricaner bei der Entwicklung ihrer Identität und ihres Selbstwertgefühls unterstützte. Die Tatsache, dass José Figueroa Sanabia – Interpret einer Art von Musik, die eigentlich nur sehr wenige Puerto Ricaner regelmäßig hörten – diese identitäts- und selbstwertstärkende Funktion im Grunde genommen für die gesamte puerto-ricanische Bevölkerung erfüllen konnte, deutet auf ein erhebliches Bedürfnis innerhalb der damaligen puerto-ricanischen Ge-

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sellschaft nach einem Nationalhelden hin, d.h. nach einer besonderen Persönlichkeit, zu der die Puerto Ricaner aufschauen konnten und dank derer sie sich selbst als wertvoll und besonders zu fühlen vermochten. Eine solche Figur fanden sie bei José Figueroa Sanabia. Dank seiner erfolgreichen Musikkarriere konnten die Puerto Ricaner Stolz auf ihre Herkunft, Kultur und letzten Endes auf sich selbst sein. Denn der Geiger zeigte ihnen durch seine musikalischen Leistungen, wozu die Puerto Ricaner imstande wären. Inwieweit José Figueroa Sanabia sich seiner nationalen Bedeutung bewusst war, lässt sich heute schwer feststellen. Seine Aussage nach Erhalt der Stradivari weist jedoch darauf hin, dass er sich zumindest von diesem Moment an darüber im Klaren war, eine besondere Verantwortung übernommen zu haben: „El solo hecho de pensar que poseo un violín que ha sido adquirido con los donativos espontáneos de cientos de miles de mis compatriotas me hace asumir nuevas responsabilidades ante el público.“1

Vielleicht sah José Figueroa Sanabia die Stradivari als eine Metapher für das puerto-ricanische Volk an. Vielleicht war ihm von diesem Augenblick an klar, wie viel er seinen Landsleuten bedeutete. Vielleicht war dies ferner der Zeitpunkt, an dem er sich letztendlich dessen bewusst wurde, dass jedes Mal, wenn er die Bühne betrat, die Hoffnungen, Träume und Illusionen eines ganzen Volks auf ihm lasteten.

1

„Nur daran zu denken, dass ich eine Geige besitze, die mit den spontanen Spenden hunderttausender meiner Landsleute erworben wurde, lässt mich eine neue Verantwortung gegenüber dem Publikum übernehmen“ (meine Übers., O.R.V.). Arnaldo Benjamín Meyners, „Entregado a José Figueroa un Stradivarius de 230 años“, El Mundo, 11. Juni 1945, S. 15.

Anhang

José Figueroa Sanabia: Bilder und Konzertprogramme

Abb. 1: Das Ern-Streichquartett: Henri Ern (Rechts), José Figueroa Sanabia (Mitte-Rechts), José Manuel de los Ríos (Mitte-Links) und Franz Rooms (Links).

(AFF, Foto IMG 3731)

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Abb. 2: Programm des Konzerts am 27. Juni 1926 in der Asociación de Cultura Musical, Standort von Gibraltar.

(AFF, Foto IMG 3779)

B ILDER

UND

K ONZERTPROGRAMME

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Abb. 3: Programm des 7. Concert Privé (1. Saison) am 12. Juni 1930 in der École Normale de Musique, Paris.

(AFF, Foto QAFF 160)

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Abb. 4: Deckblatt von La Semaine Musicale et Théâtrale aus der Ausgabe vom 25. April 1930.

(AFF, Foto QAFF 244)

B ILDER

UND

K ONZERTPROGRAMME

Abb. 5: Programm des Konzerts am 23. Februar 1931 in der Steinway Hall, New York.

(AFF, Foto AFF 644)

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Abb. 6: Programm des Henryk-Wieniawski-Violinwettbewerbs, Warschau, 1935.

(AFF, Foto QAFF 27)

B ILDER

UND

K ONZERTPROGRAMME

Abb. 7: Deckblatt von Le Monde Musical aus der Ausgabe vom 31. März 1939.

(Original vorh. in der Staatsbibliothek zu Berlin)

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Ich habe im Quellenverzeichnis das ungefähre Datum – sofern bei der Quellenanalyse feststellbar – aller Quellen (Zeitungen, Zeitschriften, usw.) mit angegeben. Diese Information ist nicht in den Literaturangaben in den Fußnoten vorhanden. Da werden sie lediglich als nicht datiert (n.d.) versehen. Nur wenn ich auf eine Quelle mehr als einmal in demselben Kapitel verweise, gebe ich das ungefähre Datum aus praktischen Gründen an, damit man sie am einfachsten im Quellenverzeichnis finden kann.

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Puerto Rico Ilustrado (1932, Juni 18.), „El homenaje a los Figueroa“, José Arnaldo Meyners, S. 1 und 10. Puerto Rico Ilustrado (1936, Oktober 3.), „Pepito Figueroa asumirá una cátedra en Escuela Normal de Música de París“, Rafael Montañez, S. 67, 74-75 und 79. Puerto Rico Ilustrado (1938, November 12.), „Pepito Figueroa en Pro Arte Musical de Puerto Rico“, Anon., [o.S.], AFF (Foto AFF 051). Puerto Rico Ilustrado (?) (1945 [?]), „Hablando con José Figueroa“, Emilio de Torre, S. 13-15, AFF (Foto IMG 3607-3616). Puerto Rico Ilustrado (?) (1945 [?]), „¿Quién es quién?“, S. 26, AFF (Foto IMG 3617). Puerto Rico Ilustrado (1945, Juni 30.), „El Jazz...“, Miguel Meléndez Muñoz, S. 8. Puerto Rico Ilustrado (1945, Juni 30.), „Páginas de información literaria para estudiantes de escuela superior. Un gran artista puertorriqueño: José Figueroa“, Coloma Pardo de Casablanca, S. 24-26, 77. Puerto Rico Ilustrado (1948, Januar 17.), „Puertorriqueños en Nueva York: José Figueroa“, Juan Luis Márquez, S. 4-16, AFF (Foto IMG 34663492). Puerto Rico Ilustrado (?) (1952, April [?]), [o.T.], Anon., [o.S.], AFF (Foto AFF 006). Ausländische Zeitschriftenartikel [Unbek. Zeitschrift, Frankreich] (1933, November), „A. Glazounow à l'Institut“, Anon., [o.S], AFF (Foto AFF 353). Hoy, Mexiko (1943, November), „Concierto de Figueroa“, Víctor Reyes, [o.S.], AFF (Foto AFF 305). La Revue Musicale, Frankreich (1935, April), „Pologne. Joute violonistique“, Gabriel Bouillon, 16/155, S. 312-313. La Revue Musicale, Frankreich (1935, Juni-August), „Concert Privé d'Alfred Cortot“, F.G., 16/158-159, S. 128-130. La Revue Musicale, Frankreich (1936, Februar), „Festival Roussel“, F.G., 17/163, S. 131-132. La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1930, April 25.), „Notre Couverture: José Figueroa“, G.J., S. 1182 und 1185.

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Le Monde Musical, Frankreich (1937, April 30.), „Huguette Goullon et Figueroa“, Stéphane Berr de Turique, S. 106. Le Monde Musical, Frankreich (1938, April 30.), „José Figueroa“, Stéphane Berr de Turique, S. 101. Le Monde Musical, Frankreich (1938, Juli), „Concert de l'École Normale. Beethoven, Debussy, Jean Françaix, Enesco“, André Chemoul-Bruyere, 49/6 und 7, S. 166. Le Monde Musical, Frankreich (1939, März 31.), „Notre portrait: José Figueroa“, A.M., S. 84. Le Monde Musical, Frankreich (1939, April 30.), „José Figueroa“, A.M., S. 133. Mañana, Mexiko (1943, Dezember 4.), „El violinista portorriqueño José Figueroa“, G. Barqueiro Foster, S. 71, AFF (Foto AFF 304, 306, 368). Musical Advance, USA (1931 Januar [?]), [o.T.], Anon., [o.S.], AFF (Foto AFF 442). Musical America, USA (1932, Januar 10.), „Hadley Gives Old-Time Music“, M., [o.S.], AFF (Foto AFF 423). Musical Courier, USA (1931, Januar 31.), „José Figueroa“, Anon., S. 31. Musical Courier, USA (1932, Januar), „New York Concerts“, Anon., [o.S.], AFF (Foto AFF 424). New Jersey Music, USA (1946 [?]), „Pointed for Perfection“, Anon., [o.S.], AFF (Foto IMG 3432-3435). Novedades, Mexiko (1943, Oktober 31.), „La música en México“, Víctor Reyes, [o.S.], AFF (Foto AFF 029-030). Revista de Revistas, Mexiko (1922, Januar 29.), „Información“, Anon., [o.S.], AFF (AFF 249). The Sentry Box, USA (?) (1945, November 2.), „Ciclo de actividades recreativas inaugurado por Cruz Roja para pacientes Hospital Rodríguez“, Anon., S. 8, AFF (Foto AFF 239). Konzertprogramme 8. Juni 1920, [o.O.], San Juan, Konzertprogramm, [unvollst.], AFF (Foto IMG 3721). 22. Oktober 1920, Salón de Actos de la Escuela Baldorioty de Castro, San Juan, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 392).

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19. Januar 1921, Salón del Grop Nacionalista Radical Catalunya, Santiago de Cuba, Konzertprogramm, AFF (Foto New Image 1). 27. Februar 1921, „Konferenz von Sociedad Luz de Oriente“, Konferenzprogramm, AFF (Foto IMG 3723). 29. April 1921, Teatro Morín, Niquero, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 453). 31. August 1921, Sala Espadero del Conservatorio Nacional, Havanna, Konzertprogramm, AFF (Foto IMG 3799). 1. April 1922, Sala Wagner, Mexiko-Stadt, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 080-085). 27. Juni 1926, Asociación de Cultura Musical Delegación de Gibraltar, Gibraltar, Konzertprogramm, AFF (Foto IMG 3779-3781). 29. Oktober 1926, Teatro Rosalía Castro, La Coruña, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 086-095). 25. April 1927, Teatro Municipal, San Juan, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 201-206). 24. März 1928, Legation de l’Uruguay, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 653). 29. Dezember 1928, „Soirée de Réception en l‘honneur de M. Alexandre Glazounow“, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 226). 26. Februar 1929, Salle Chopin, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 229). 5. Februar 1930, Salle de Concert du Conservatoire de Musique de Lyon, Lyon, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 276). 21. Februar 1930, Salle de Concert de l'École Normale de Musique (?), Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 452). 12. Juni 1930, „7. Concert Privé“, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 160-161). 23. Februar 1931, Steinway Hall, New York, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 644-646). 14. Mai 1931, Teatro Municipal, San Juan, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 049-053). 4. August 1931, Salón de Actos de la Escuela Superior Central, Santurce (San Juan), Konzertprogramm, AFF (Foto IMG 3596). 26. August 1931, Teatro Municipal, Caracas (Venezuela), Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 526).

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27. April 1932, John-Wanamaker-Auditorium, New York, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 651). 10. Juni 1932, Teatro Municipal, San Juan, Konzertprogramm, AFF (Foto img 066-067). 25. August 1932, Teatro Bernardini, Guayama, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 543-545). 14. September 1932, Teatro Municipal, San Juan, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 632). 8. Oktober 1932, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 253). 4. Dezember 1932, Fondation des États-Unis, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 122). 21. Dezember 1932, „Concerts Privés“, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 065-070). 16. Januar 1933, „Concerts Privés“, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, Konzertprogramm, [unvollst.], AFF (Foto AFF 522). 30. Juni 1933, Chez la Princesse de Polignac, Paris, Konzertprogramm, vorh. in der Bibliothèque Nationale de Paris, Mikrofilm RBS. VM. DOS. 195. 16. Oktober 1933, „Concerts Privés“, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 260). 14. November 1933, Palais Mazarin, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 327). 4. Februar 1934, „Concert Dubruille“, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 257-259). 26. August 1934, Teatro Municipal, San Juan, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 096-109). 3.-16. März 1935, „Concours International Henri Wieniawski“, École Supérieure de Musique Fr. Chopin, Warschau, Wettbewerbsprogramm, AFF (Foto QAFF 278-311). 22. September 1936, Salón de actos de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 235-238). 3. Oktober 1936, Theater des Schiff Normandie, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 256–259). 12. Mai 1937, Salle du Péreire Palace, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 655).

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3. Juin 1937, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 008). 13. September 1937, Salón de Actos de la Escuela Superior Central, Santurce (San Juan), Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 610). 20. Oktober 1937, Patio Hotel Oasis, San Germán, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 135). 9. November 1937, Salón de Actos de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 110-111). 26. April 1938, Salle de Concert de l'École Normale de Musique, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto img 069, IMG 3511). 5. Mai 1938, „Cercle Symphonique“, Salle des Fêtes, Paris, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 039). 10. November 1938, Salón de Actos de la Escuela Superior Central, Santurce (San Juan), Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 60-64). 19. März 1942, Assembly Hall of the Manhattanville College of the Sacred Heart, New York, Konzertprogramm, AFF (Foto IMG 3674). 11. Dezember 1943, Palacio de Bellas Artes, Mexiko-Stadt, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 503-511). 21. Oktober 1945, Salón de actos de la Escuela Superior Central, Santurce (San Juan), Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 596-598). 29. Oktober 1945, Teatro Auditorium, Mayagüez, Konzertprogramm, AFF (Foto AFF 307-309). 4. Mai 1949, Teatro de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), Konzertprogramm, AFF (IMG 3456-3459). 5. Mai 1949, Teatro de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 328-333). 24. März 1952, Escuela Libre de Música, San Juan, Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 246-252). 18. September 1952, Teatro de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 211-218). 22. September 1952, Teatro de la Universidad de Puerto Rico, Río Piedras (San Juan), Konzertprogramm, AFF (Foto QAFF 178-182).

Q UELLENVERZEICHNIS

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La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1933, März 24.), „Quatuor Pierre Reitlinger“, S. 503. La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1933, Mai 26.), „José Figueroa“, S. 669. La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1933, Juni 16.), „Festival de Musique Roumaine“, S. 719. La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1933, Oktober 13.), „Concert Privé École Normale“, S. 46. La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1933, Dezember 15.), „Concerts Dubruille“, S. 291. La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1934, Januar 26.), „Concert Dubruille“, S. 443. La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1934, Februar 2.), „Œuvres de Manuel Ponce“, S. 472. La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1934, Februar 23.), „Quatuor Pierre Reitlinger“, S. 556. La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1934, März 9.), „Quatuor Pierre Reitlinger“, S. 604. La Semaine Musicale et Théâtrale, Frankreich (1935, Januar 11.), „Concert Privé Cortot“, S. 304. Le Monde Musical, Frankreich (1929, Juni 30.), „Concerts de l'Association des Amis de l'École Normale de Musique sous la direction artistique de Alfred Cortot“, S. 224. Le Monde Musical, Frankreich (1929, September 30.), „Concert Privés“, S. 280. Le Monde Musical, Frankreich (1932, September 30.), „Concerts du mois d'octobre“, S. [291]. Le Monde Musical, Frankreich (1933, Mai 31.), „Concerts du mois de Juin. Concert de Musique Roumaine“, S. 174. Le Monde Musical, Frankreich (1935, April 30.), „Concerts du mois de Mai“, S. 146. Le Monde Musical, Frankreich (1936, Januar 31.), „Concerts du mois de Février“, S. 30. Le Monde Musical, Frankreich (1936, April 30.), „Concerts du mois de Mai“, S. 134. Le Monde Musical, Frankreich (1937, März 31.), „Concerts du mois d'avril“, S. 92.

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S EKUNDÄRLITERATUR Anon., Biografischer Aufsatz über das Figueroa-Quintett, [o.T., n.d., o.S.], vorh. in der Bibliothek Amaury Verays vom Conservatorio de Música de Puerto Rico. Anon., Biografischer Aufsatz über Henri Ern, [o.T., n.d., o.S.], AFF (Foto IMG 3646-3661).

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Musik und Klangkultur Jörn Peter Hiekel, Wolfgang Lessing (Hg.) Verkörperungen der Musik Interdisziplinäre Betrachtungen September 2014, 234 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2753-4

Camille Hongler, Christoph Haffter, Silvan Moosmüller (Hg.) Geräusch – das Andere der Musik Untersuchungen an den Grenzen des Musikalischen Dezember 2014, 198 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2868-5

Teresa Leonhardmair Bewegung in der Musik Eine transdisziplinäre Perspektive auf ein musikimmanentes Phänomen Oktober 2014, 326 Seiten, kart., 37,99 €, ISBN 978-3-8376-2833-3

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2) ANZ2900.p 386859597702

Musik und Klangkultur Sylvia Mieszkowski, Sigrid Nieberle (Hg.) Unlaute Noise/Geräusch in Kultur, Medien und Wissenschaften seit 1900 April 2015, ca. 300 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2534-9

Daniel Siebert Musik im Zeitalter der Globalisierung Prozesse – Perspektiven – Stile Dezember 2014, 228 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2905-7

Christian Utz Komponieren im Kontext der Globalisierung Perspektiven für eine Musikgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts Februar 2014, 438 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2403-8

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2) ANZ2900.p 386859597702