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German Pages 364 Year 2015
Regine Buschauer Mobile Räume
Herausgegeben von Georg Christoph Tholen | Band 9
2010-01-18 09-57-19 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0334231593435810|(S.
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Editorial Medien sind nicht nur Mittel der Kommunikation und Information, sondern auch und vor allem Vermittlungen kultureller Selbst- und Fremdbilder. Sie prägen und verändern Konfigurationen des Wahrnehmens und Wissens, des Vorstellens und Darstellens. Im Spannungsfeld von Kulturgeschichte und Mediengeschichte artikuliert sich Medialität als offener Zwischenraum, in dem sich die Formen des Begehrens, Überlieferns und Gestaltens verschieben und Spuren in den jeweiligen Konstellationen von Macht und Medien, Sprache und Sprechen, Diskursen und Dispositiven hinterlassen. Das Konzept der Reihe ist es, diese Spuren lesbar zu machen. Sie versammelt Fallanalysen und theoretische Studien – von den klassischen Bild-, Ton- und Textmedien bis zu den Formen und Formaten der zeitgenössischen Hybridkultur. Die Reihe wird herausgegeben von Georg Christoph Tholen.
Regine Buschauer ist Postdoktorandin und Lehrbeauftragte am Institut für Medienwissenschaft der Universität Basel.
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Regine Buschauer Mobile Räume. Medien- und diskursgeschichtliche Studien zur Tele-Kommunikation
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Silvia Maria Grossmann, »10.59h, wir legen bald ab«, 2005 Lektorat & Satz: Regine Buschauer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1246-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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INHALT Dank 7
Einleitung 9
Mediale und räumliche Umbrüche – theoretische und historische Perspektiven 9
Mobile Media – zur Theorie beweglicher Relationen 18
I Locomotive 27
Beschleunigung 27
Ensembles der „fortschaffenden Maschine“ 34
Industrie und Kunst 52
Von dort nach hier: Fahrzeug und Schreibzeug 64
II Telegraph 75
Echokammer 75
Anschlüsse und Verbindungen 87
Geist und Guttapercha 108
Semaphor 120
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III Leibnizsche Korrespondenzen: Raum als Relation 131
ordo coexistendi 131
Raum, Natur, Vernunft 143
Verflechtungen 164
Kalkül und Kommunikation 177
IV Cyberspace 193
Some kind of ... space behind the screen 193
Getting There From Here 205
Spielraum 222
Höhlen und Universen 242
V Mobile 257
Les Ambulants 257
Vom drahtlosen Verkehr mit Fahrzeugen 272
Wo bist du? Kommunikation, Koordination und Kontrolle 286
Netze und Fische 304
Schlusswort 319
Literatur 323
DANK
Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner 2007 an der Universität Basel eingereichten und 2008 verteidigten Dissertation. Christoph Tholen hat diese Arbeit von der gesamten Zeit ihrer Entstehung bis zur vorliegenden Publikation begleitet, unterstützt und gefördert. Ihm gilt an erster Stelle mein ausserordentlicher Dank hierfür wie auch für den Aufbau des Doktorierendenkollegs, in dem meine Arbeit ein Umfeld der Auseinandersetzung, des Lernens und der interdisziplinären Diskussionen fand. Für diese und für zahlreiche Anregungen danke ich zugleich allen an diesem Kreis Beteiligten. Wichtige Hinweise und Anmerkungen zu einzelnen Kapiteln des Textes verdanke ich den Lektüren von Felix Stalder, Markus Wild, Peter Haber sowie Urs Stäheli. Für seine wertvollen Kommentare zur Einleitung und die mehrfach intensiven Diskussionen im Lauf der Überarbeitung des Textes bin ich Werner Oeder sehr dankbar. Jean-Claude Lavanchy und Kurt Stadelmann gilt mein Dank für ihre Unterstützung meiner Recherchen zur Telekommunikationsgeschichte. Ich danke ferner v.a. den Zuständigen des PTT-Archivs sowie des Schweizerischen Bundesarchivs und des Staatsarchivs des Kantons Bern – wie auch den zahlreichen Verantwortlichen dafür, dass Archive und Bibliotheken so hervorragende Arbeitsorte sind. Einen besonderen Dank schulde ich meinen Eltern und meinem Partner, meinen Geschwistern, Freunden und allen, die mich in meinem privaten wie beruflichen Umfeld in den letzten Jahren begleitet, geprägt und zum Denken gebracht haben. Keine Arbeit entsteht alleine am Schreibtisch. Der transcript Verlag hat diese Publikation professionell und umsichtig betreut. Ihm und meinem Projektmanager Gero Wierichs sei hiermit herzlich gedankt.
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EINLEITUNG
„Ich glaube also, dass die heutige Unruhe grundlegend den Raum betrifft – jedenfalls viel mehr als die Zeit.“ (Michel Foucault, 1967)
M e d i a l e u n d r äu m l i c h e U m b r ü c h e – t h e o r e ti sc h e u n d h i s to r i sc h e P e r sp e k ti v e n Neue Kommunikationsmedien und -techniken sind, dies ist seit der Verbreitung elektronischer Kommunikation in den letzten Jahrzehnten offenkundig, mit einem Umbruch verbunden, der sich auch und gerade als ein räumlicher präsentiert. Als Techniken der Telekommunikation schon namentlich auf Raum bezogen, unterlaufen Formen medialer Vernetzung, wie die Rede von einer raumzeitlichen „Verdichtung“ anzeigt, bestehende Ordnungen räumlicher bzw. raumzeitlicher Distanz; als Medien einer „Telepräsenz“ verändern sie räumliche Bezüge, Wahrnehmungen und Konzeptionen von An- und Abwesenheit, Hier und Dort, Nähe und Ferne.1 Das „Dazwischen“2 gegenwärtiger Tele-Medien scheint so Erfahrungen und Vorstellungen des Raums, der räumlichen Ordnung und Lokalisierung fundamental in Frage zu stellen, was das 1
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Vgl. Harvey, David: Die Postmoderne und die Verdichtung von Raum und Zeit. In: Kuhlmann, Andreas (Hg.): Philosophische Ansichten der Kultur der Moderne. Frankfurt a. M. 1994: 48-78; Steuer, Jonathan: Defining Virtual Reality: Dimensions Determining Telepresence. In: Journal of Communications, 42 (1992), 4: 73-93; Campanella, Thomas J.: Eden by Wire: Webcameras and the Telepresent Landscape. In: Goldberg, Ken (Hg.): The Robot in the Garden. Telerobotics and Teleepistemology in the Age of the Internet. Cambridge Mass. und London 2000: 22-46, hier: 27ff. Zum „Dazwischen“ als einer grundlegenden, topologischen Bestimmung von „Medium“ vgl. (u.a.) Margreiter, Reinhard: Medien/Philosophie. Ein Kippbild. In: Münker, Stefan et al. (Hg.): Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs. Frankfurt a. M. 2003: 150-171, hier: 152. Medien sind (als Mittel wie Mitte) in ihren Funktionen der Übertragung, Speicherung und Verarbeitung zwischen dem Vermittelten zu lokalisieren bzw. kommen dazwischen.
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Problem des Verhältnisses telekommunikativer Medien zum Raum in den Vordergrund rückt – und mithin die Frage nach dem Verhältnis von Medien und Raum überhaupt. Ein prominentes Thema ist dieses Verhältnis seit den 1990er Jahren vor allem und in besonderer Weise in den breiten Debatten um das Internet; wurde und wird dieses doch immer wieder wesentlich unter dem Gesichtspunkt seines Verhältnisses zum Raum bestimmt, und zwar vornehmlich negativ: Das Internet, so eine populäre Rede, lässt die Welt räumlich zum Punkt – oder zum Global Village – schrumpfen, es bringt den Raum zum Verschwinden bzw. setzt an seine Stelle einen anderen (virtuellen) Raum des Cyberspace oder, grundsätzlich, an die Stelle der Relevanz des Raums diejenige der Zeit. Es überwindet den Raum, so eine medieneuphorische Verheissung, indem räumliche Distanzen, Grenzen und Trennungen durch die Synchronität elektronischer Übertragung (bzw. beim Surfen im globalen Netz) verschwinden. Oder aber, so dagegen eine medienpessimistische Klage, es ist gleichbedeutend mit Enträumlichung, mit einem Verlust des Raums oder seiner Auflösung in der Raum- und Ortlosigkeit eines medialen Nirgendwo. Auf diese Polarität euphorischer und pessimistischer Diskurse der Neuen Medien – als Überwindung oder Verlust, Verheissung oder Bedrohung – ist in der Forschung vielfach kritisch hingewiesen worden. Die theoretische Problematik der Reden vom überwundenen oder verlorenen Raum, von der Enträumlichung usw. liegt indes nicht allein in diesen polarisierten Deutungen, die sie transportieren, und auch nicht darin, dass sie ‚falsch‘ sind, sondern grundlegender in einer ihnen gemeinsamen Gegenüberstellung von Medien und einem Raum, der als ein vor dem Neuen der Medien gleichbleibend Gegebenes vorausgesetzt ist, nicht aber selbst als Gegenstand der Frage in den Blick gerät. Raum erscheint in dieser Denkfigur als ein dem medialen Neuen schematisch entgegengesetztes Primäres, Einheitliches, Statisches und Unmittelbares und damit als etwas, das durch die Dazwischenkunft der Medien nur ‚verschwinden‘ kann.3 Wie aber lässt sich Raum – und damit auch das Verhältnis von Medien und Raum – jenseits dieser schematischen Vorstellung eines primär und einheitlich Gegebenen denken und konzeptualisieren? Solche Fragen sind in den jüngeren Medien-, Kultur- und Sozialwissenschaften zum Gegenstand einer zunehmend breiten Raumdebatte geworden. Verbunden ist mit diesen Ansätzen eines räumlichen – im besonderen eines topologischen oder topographischen – „turns“ ein „räumliches Denken“, 3
Vgl. hierzu, eingehend, Tholen, Georg Christoph: Die Zäsur der Medien. Kulturphilosophische Konturen. Frankfurt a. M. 2002: 111ff.
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EINLEITUNG
das Raum nicht voraussetzt, sondern als Gegenstand historischer und theoretischer Fragestellungen adressiert: Raum figuriert nicht mehr als ein einheitlich Gegebenes – als „Behälter“ der Dinge, als festes Koordinatensystem oder als ein Apriori –, sondern wird auf die faktische Pluralität historischer wie heutiger Raumwahrnehmungen und -konzeptionen bezogen.4 Zum Thema werden damit Bedingungen wie Bedingtheiten räumlicher Ordnung, Raumerfahrung oder Raumrepräsentation.5 Räumliche Praktiken und Konstruktionen rücken, indem sie auf ihre kulturellen, sozialen und medialen Zusammenhänge hin befragt werden, in ihrer Vielgestaltigkeit in den Blick. Zugleich verlagert sich die Vorstellung von einem Raum der Ausdehnung oder des gegebenen Orts zu einem relationalen oder topologischen Denken räumlicher Verhältnisse, zu Räumen der netzartigen Anordnung, Plazierung oder der Heterotopie. Wegweisend für diese Wende des Raumdenkens war u.a. Michel Foucault, der 1967 Konturen eines relationalen Denkens „Andere[r] Räume“ umriss und eine raumbezogene „Unruhe“ seiner Gegenwart konstatierte, die er in einem epochalen räumlichen Umbruch begriffen sah: Entgegen dem seit der frühen Neuzeit entstandenen Modell des homogenen, leeren Raums präsentiere sich der Raum der Erfahrung und Vorstellung nicht mehr vornehmlich als ein Ausgedehntes, sondern vielmehr als eine „Gemengelage“ (ensemble) von Beziehungsgefügen oder eine Pluralität von Verhältnissen der Lagerung und Plazierung (relations d’emplacements). „Wir sind in der Epoche des Simultanen“, so Foucault, „der Juxtaposition, […] des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander, des Auseinander.“ Dabei machte Foucault nicht zuletzt auf die Relevanz räumlicher Plazierungsverhältnisse in Techniken der Kommunikation aufmerksam: auf die räumliche Anordnung gespeicherter Information,
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Reichert, Dagmar (Hg.): Räumliches Denken. Zürich 1996. Mit der Bezeichnung „Behälter“ (container) charakterisierte Albert Einstein den Begriff des leeren Raums; vgl. Einstein, Albert: Vorwort. In: Jammer, Max: Das Problem des Raumes. Die Entwicklung der Raumtheorien. Darmstadt 1960: XI-XIV, hier: XIII. Zu den genannten „turns“ vgl. Günzel, Stephan (Hg.): Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kultur- und Medienwissenschaften. Bielefeld 2007; Weigel, Sigrid: Zum ‚topographical turn‘. Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften. In: KulturPoetik, 2 (2002), 2: 151-165; Döring, Jörg/ Thielmann, Tristan (Hg.): Spatial Turn: Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld 2008; zu Konturen der Raumdebatte vgl. ferner (exempl.) Löw, Martina: Raumsoziologie. Frankfurt a. M. 2001; Dünne, Jörg et al. (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M. 2006. Vgl. Günzel, Stephan: Raum – Topographie – Topologie. In: ders. (Hg.): Topologie, a. a. O.: 13-29, hier: 13.
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auf die Zirkulation von Tönen durch eine Telefonleitung oder von Fahrzeugen auf einer Strasse.6 Foucaults Rede von einem Relationalen des Raums im Gegensatz zum in der Neuzeit dominanten Raum der Ausdehnung weist auf eine ihrerseits sehr viel ältere Tradition eines relationalen Raumdenkens zurück, – in der Geschichte der Raumtheorien im besonderen verbunden mit Gottfried Wilhelm Leibniz und dessen Gegenposition zu seinem Zeitgenossen Isaac Newton. Zugleich zeichnet sie jene „Unruhe“ über den Raum vor, die sich heute, auf unterschiedliche Weise, in den Raumdiskursen und -debatten manifestiert, und die Ansätze eines ‚anderen‘, relationalen oder topologischen räumlichen Denkens hervorruft. Folgt man dem von Foucault skizzierten Ansatz, so ist hierbei der Begriff des Relationalen oder Topologischen nicht alleine auf ein formales Raummodell, entsprechend etwa mathematischer oder technischer Modellierungen, zu beziehen, sondern ebenso auf die Heterogenität einer wahrgenommenen und erfahrenen Lebenswelt: Neben Konstruktionen eines relationalen oder topologischen Raums im Sinne einer Netzstruktur oder der „Reihen, Bäume, Gitter“ steht die Relationalität eines phänomenologisch begriffenen espace vécu (Eugène Minkowski) als eines „mit Qualitäten aufgeladen[en]“ Raums uneinheitlicher Plazierungen, die sich überlagern.7 Beispiele Foucaults für diese „Gemengelage“ räumlicher ensembles sind u.a. die „Heterotopien“ des Schiffs – das ein „Stück Raum“ und „ein Ort ohne Ort“ ist, zugleich ein „Imaginationsarsenal“ – oder des Kinos, als ein Raum der Zuschauenden wie ein von diesen dreidimensional gesehener projizierter Raum.8 Gegenüber der eingewohnten Vorstellung des Raums als Ausdehnung (bzw. „Behälter“) ist damit gleichsam eine doppelte Verschiebung vorgenommen, indem das Relationale oder Topologische nicht nur ein Netzartiges räumlicher Verhältnisse bezeichnet, sondern auch ein Relationales des Blicks, der Lokalisierung und der diskursiven Plazierung, das den Orten eines Hier und eines Dort erst ihre spezifische Qualität zuweist. Foucaults Konzeption „Andere[r] Räume“ 6
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Foucault, Michel: Andere Räume (Orig. Des Espaces Autres; 1967 gehaltener Vortrag). In: Wenz, Martin (Hg.): Stadt-Räume. Frankfurt a. M. und New York 1991: 65-72 (frz. Orig. in: Architecture, Mouvement, Continuité, 5/1984: 46-49). Foucault unterscheidet in seiner – ausdrücklich: groben – Skizze der Raumgeschichte den mittelalterlichen, in seiner Grundlage aristotelischen geschlossenen und hierarchischen Raum fester Topoi vom neuzeitlichen offenen und leeren Raum der Ausdehnung, der heute seine Gültigkeit verliert und von einem Raum der Plazierung abgelöst wird. Ebd.: 66f.; vgl. Minkowski, Eugène: Die gelebte Zeit. Über den zeitlichen Aspekt psychopathologischer Phänomene (frz. Orig. 1933). Salzburg 1972: 232ff. Foucault: Andere Räume, a.a.O.: 72, vgl. 70.
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EINLEITUNG
entspricht insofern einer Wende weniger zu einem bestimmten neuen Raumbegriff als vielmehr zu einem reflexiven Denken heterogener Beziehungs-, Ordnungs- und Plazierungsgefüge.9 Ausgehend von einem solchen historischen und relationalen Denken des Raums – und von dem selbst historischen Text Foucaults – eröffnet sich, jenseits der Rede von einer heutigen singulären Zäsur der Enträumlichung etwa durch das Internet, eine andere Perspektive auf die Frage nach dem Raum und dem Verhältnis von Raum und Medien. Raum erscheint als Gegenstand einer Geschichte der kulturellen Wahrnehmung, der Ordnungen und des Wissens, in deren Rahmen auch eine heutige raumbezogene „Unruhe“ zu sehen ist.10 Dabei steht Raum den Medien nicht gegenüber, sondern, wie vorliegende Forschungen zu einer raumbezogenen Mediengeschichte und -theorie gezeigt haben, in mehrfacher Weise in Bezug zu medialen Figurationen der Wahrnehmung, Lokalisierung, Plazierung oder der Imagination. Beispielhaft hierfür stehen Untersuchungen zu historischen Verhältnissen zwischen Raumkonstitution und Medien im Blick etwa auf das Medium der Kartographie wie auch Analysen von Text- und Bildmedien (von Pilgertexten über den Stummfilm bis hin zum Computerspiel) im Blick auf ihre spezifischen – technischdispositiven wie semiotischen und soziokulturellen – medialen Räume.11 Medien und somit Formen der Kommunikation interagieren – und dies nicht erst in Zeiten elektronischer Tele-Medien – mit Ordnungen, Erfahrungen und Konzeptionen des Raums. Gilt doch bereits für vormoderne Kommunikationsformen wie z.B. die postalischen Medien, dass sie nicht nur Raum bzw. raumzeitliche Distanzen überbrücken, sondern ebenso als Medien einer „Produktion von Raum“ – von spezifischen medialen Räumen wie auch von räumlich-territorialen Ordnungen – wirk-
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Dieses „Andere“ der relationalen räumlichen Beziehung ist gekennzeichnet durch den Begriff des Heterotopen; vgl. hierzu das Bsp. des Spiegels ebd.: 68; zur genannten Differenz und zu einer topologischen Weiterführung phänomenologischer Raumbeschreibung vgl. Waldenfels, Bernhard: Topographie der Lebenswelt. In: Günzel (Hg.): Topologie, a.a.O.: 69-84. Vgl., im Blick auf die Internet-Diskurse, hierzu Wertheim, Margaret: Die Himmelstür zum Cyberspace. Eine Geschichte des Raumes von Dante zum Internet. Zürich 2000. Vgl. hierzu und zur erwähnten triadischen Unterscheidung die historischen und theoretischen Arbeiten zum Verhältnis von Medien, Raum und Körper in Dünne, Jörg et al. (Hg.): Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten. Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive. Würzburg 2004; ferner (exempl.) die Analysen kartographischer wie ‚kinetographischer‘ Raumkonstitution in Stockhammer, Robert (Hg.): TopoGraphien der Moderne. Medien zur Repräsentation und Konstruktion von Räumen. München 2005.
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sam sind.12 So ist in der Historiographie angesichts der „fundamentalen Transformationen des Räumlichen und des Kommunikativen in der modernen Mediengesellschaft“ der Ansatz einer raumbezogenen Kommunikationsgeschichte vorgeschlagen worden, die den Wandel des Raums und der Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert in ihrem mehrschichtigen und wechselseitigen Verhältnis untersucht: in Bezug auf kommunikative Raumbezüge und räumliche Dimensionen der Kommunikation ebenso wie auf kommunikative Praktiken der „Verräumlichung“, der Konstruktion und Transformation von Räumen.13 Die heutige räumliche „Unruhe“ eines Umbruchs der „Neuen Medien“ eröffnet in dieser Weise, jenseits der Reden von der Auflösung oder Überwindung des Raums, eine historische Reflexion räumlichen und medialen Wandels und des Verhältnisses von Kommunikation und „Raum“, begreifbar als ein ensemble relationaler Beziehungsgefüge im Sinne Foucaults, das eine immer schon auf ein mediales Zwischen der Kommunikation bezogene Geschichte hat. Erst in einem solchen historischen Blick, so die für die vorliegenden Studien grundlegende Perspektive, wird das vielbenannte „Neue“ heutiger Tele-Medien in ihrem Raumbezug überhaupt differenziert als solches erfassbar. Eine Geschichte, in die sich die heutigen Neuen Medien der Telekommunikation einordnen lassen, ist jedoch nicht nur dem Verhältnis von Raum und Medien bzw. Kommunikation zuzuschreiben, sondern auch einem Moment des medialen Neuen selbst: Mediengeschichte ist, wie die Medienhistoriographie gezeigt hat, kein einheitlicher Prozess, sondern auch als eine Geschichte von „Medienumbrüchen“ zu begreifen bzw. von wiederkehrenden Phasen der Irritation angesichts eines Neuen der Me12
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Vgl. zum Begriff der „Produktion des Raums“, der das ‚GemachtWerden‘ von (sozialen) Räumen im Gegensatz zur Vorstellung des gegebenen Raums hervorhebt, Lefebvre, Henri: La Production de l’Espace. Paris 1974; zu einer auszugsweisen dt. Übers.: ders.: Die Produktion des Raums. In: Dünne et al. (Hg.): Raumtheorie, a.a.O.: 330-342. Auf den erwähnten Bezug zwischen Kommunikationsmedien und räumlichterritorialer Ordnung hat grundlegend Harold Innis mit seiner Unterscheidung zwischen der Inschrift z.B. in Stein und den leicht transportablen Kommunikationsmedien, z.B. der Schrift auf Papyrus, hingewiesen; vgl. Innis, Harold A.: Die Medien in den Reichen des Altertums. In: ders.: Kreuzwege der Kommunikation. Ausgewählte Texte. Hgg. von Karlheinz Barck. Wien und New York 1997: 56-66 (übers. Auszug aus Orig. Empire and Communications, Oxford 1950). In Kurzform: „Räume strukturieren Kommunikation, werden aber selbst erst kommunikativ geschaffen“. Geppert, Alexander C. T. et al.: Verräumlichung. Kommunikative Praktiken in historischer Perspektive. In: dies. (Hg.): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert. Bielefeld 2005: 15-49, hier: 27f.; 30.
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EINLEITUNG
dien und eine mit diesem verbundene kulturelle Transformation. „Umbruch“ steht hierbei für einen heuristischen und offenen Begriff einer mehrdimensionalen Historiographie der Medien: Im Gegensatz zu unifizierenden (technikdeterministischen, teleologischen oder kausalfunktionalen) Geschichtsmodellen akzentuiert der Begriff die Diskontinuität einer Geschichte, die neben dem Beharrenden der (langen) Dauer und einer Kontinuität des Wandels ebenso durch Momente des Einschnitts oder des Neuen gekennzeichnet ist, welche eine – sich selbst in einem Umbruch der elektronischen Medien lokalisierende – Historiographie der „Medienumbrüche“ informieren.14 Diese Konzeption ist in erster Linie auf die Phase des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und den Umbruch der analogen Medien bezogen worden, der dem heutigen digitalen Medienumbruch vorausgeht, geprägt durch die um 1900 neuen Medien v.a. der Kinematographie, der Phonographie wie auch der – medienhistorisch weniger beachteten – Telephonie und der drahtlosen Telegraphie.15 Dabei präsentiert sich auch dieses Neue der Medien um 1900 als eine Zäsur des Verschwindens oder der Vernichtung des Raums bzw. von Raum und Zeit: So scheint das globale Netz der Telegraphie die Welt zusammenzurücken bzw. die Synchronität der elektrischen Übertragung Raum und Zeit zu überwinden, während die drahtlose Telegraphie wie auch das Neue des Automobils und die generell beschleunigte Innovation medialer Techniken für einen Einschnitt stehen, den die Avantgardebewegung des Futurismus als ‚Tod von Raum und Zeit‘ proklamiert.16
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Vgl. Käuser, Andreas: Historizität und Medialität. Zur Geschichtstheorie und Geschichtsschreibung von Medienumbrüchen. In: Schnell, Ralf (Hg.): MedienRevolutionen. Beiträge zur Mediengeschichte der Wahrnehmung. Bielefeld 2006: 147-166; Schanze, Helmut: Mediengeschichte der Diskontinuität. In: ebd.: 185-201; ders. (Hg.): Handbuch der Mediengeschichte. Stuttgart 2001. Vgl. zu letzteren Marvin, Carolyn: When Old Technologies Were New: Thinking About Electric Communication in the Late Nineteenth Century. Oxford 1988; Hartmann, Frank: Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien. Wien 2006, hier: Kap. II. So in Filippo Tommaso Marinettis Manifest des Futurismus (1908); vgl. Fähnders, Walter: „Zeit und Raum sind gestern gestorben.“ Über ‚Präsentismus‘ in der europäischen Avantgarde. In: Furtwängler, Frank et al. (Hg.): Zwischen-Bilanz. Eine Festschrift für Joachim Paech zum 60. Geburtstag. Online-Publikation 2002, http://www.uni-konstanz.de/paech 2002/zdm/main.htm; vgl. zur drahtlosen Telegraphie als Signatur des Neuen bei Marinetti Daniels, Dieter: Kunst als Sendung. Von der Telegraphie zum Internet. München 2002: 121ff.; zum Automobil als Moment des Umbruchs um 1900 Geppert et al.: Verräumlichung, a.a.O.: 37ff.; 43f.
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Korrespondiert in dieser Weise um 1900 wie in der heutigen „Mediengesellschaft“ das mediale Neue mit einer Rede vom überwundenen oder vernichteten Raum, so gilt dies indes auch und bereits für das frühere 19. Jahrhundert, das sich seinerseits als eine Phase des medialen und räumlichen Umbruchs anschreiben lässt. Es ist das Neue der entstehenden Telegraphen und, insbesondere, der Eisenbahnen, mit denen sich, wie Wolfgang Schivelbusch gezeigt hat, seit den 1830er Jahren die Vorstellung von einer „Vernichtung“ des Raums und der Zeit („annihilation of time and space“) verknüpft und als Topos verfestigt. Im Diskurs um das Verkehrswesen und den „Dampfwagen“ auf Schienen manifestiert sich mithin prominent jenes „Vorher-Nachher-Modell“ (Wolfgang Kaschuba) einer schematisch dem vorherigen „Raum“ gegenübergestellten medialen Innovation, das auch die jüngsten Reden von einer Enträumlichung oder einem Ortsverlust durch elektronische Medien kennzeichnet.17 Die Deutungen dieses mit der Eisenbahn verbundenen Neuen sind – auch insofern auf die späteren und heutigen Mediendebatten vorausweisend – polarisiert: Technikeuphorischen Vorstellungen von der Raumüberwindung stehen pessimistische von einem Raumverlust gegenüber. Eisenbahnen wie Telegraphen sind wiederum gemeinsam als Teil einer umfassenden räumlichen Transformation der „Kommunikation“ zu sehen, in der historischen Bedeutung dieses Begriffs als Bezeichnung für das Gesamte eines seit dem frühen 19. Jahrhundert expandierenden Personen-, Güter- und Nachrichtenverkehrs.18 Das heutige mediale und räumliche Neue präsentiert sich also auch im Rahmen einer Geschichte des Neuen, der Umbrüche und einer damit verbundenen wiederkehrenden Rede vom verlorenen oder überwundenen unmittelbaren Raum selbst, die das mediale Neue immer wieder als eines zugleich des Räumlichen kennzeichnet. Dabei verklammert die Vorstellung vom ‚Verschwinden des Raums‘ als Topos die historisch unterschiedlichen Diskurse des medialen Neuen, und sie lässt sich insofern in jene Reihe geschichtlich wiederkehrender Wahrnehmungs- und Deutungsmuster medialer Innovationen einordnen, auf welche die diskursge17
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Kaschuba, Wolfgang: Die Überwindung der Distanz. Zeit und Raum in der europäischen Moderne. Frankfurt a. M. 2004, hier: 97; Schivelbusch, Wolfgang: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert. München und Wien 1977, hier: 16. „Kommunikation“ bezeichnet nach einem solchen Begriff „Verkehr“ wie „Verkehren“ in einer engen Verbindung zwischen diesen, wie sie sich etwa in den Analysen Karl Knies’ 1857 findet; vgl. Knies, Karl: Der Telegraph als Verkehrsmittel. Über den Nachrichtenverkehr überhaupt. München 1996 (Orig. Tübingen 1857). Denkt man diesen historischen Begriff mit, so akzentuiert er, über Aspekte der Codierung/Decodierung hinaus, ein „Kommunikatives“ des Transports und der Übertragung, der Verbindung und der Zirkulation.
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EINLEITUNG
schichtliche Medienforschung aufmerksam gemacht hat.19 Sie repräsentiert, paradoxerweise, im Diskurs des Umbruchs und des Neuen ein Statisches der Wiederholung. Von dieser topischen Figur und von der Frage nach ihrer Geschichte geht die Anlage der folgenden Studien aus. Verfolgt wird damit ein Ansatz, die theoretische und historische Frage nach dem Medien-RaumVerhältnis über die Rede von einem immer wieder ‚vernichteten‘, ‚getöteten‘, verschwundenen oder verlorenen Raum selbst zu eröffnen, diese als Wiederkehrendes einer Geschichte medialer und räumlicher Umbrüche der Kommunikation in ihren differenten Diskurstypen und heterogenen Bezügen aufzusuchen und nachzuzeichnen. Entlang dieser diskursgeschichtlichen Konzeption widmen sich die einzelnen Studien exemplarischen Umbruchphasen des Neuen, indem sie das im Diskurs bezeichnete Verhältnis von Raum und Kommunikation unter mediengeschichtlichen und -theoretischen Fragestellungen in den Blick nehmen: das „Locomotive“ der ‚raumvernichtenden‘ Eisenbahn und das ‚Raumüberwindende‘ des Mediums Telegraph im früheren und mittleren 19. Jahrhundert, den „Cyberspace“ des Internet und das den Raum ‚Besiegende‘ einer ‚ubiquitären‘ mobilen Kommunikation. Sie fokussieren damit auf Momente einer Geschichte der Kommunikation, in der medialer Wandel mit einer Dynamik sich wandelnder räumlicher Beziehungsgefüge und einer im 19. wie im 20. Jahrhundert wiederholt krisenhaften Raumkonzeption und räumlichen „Unruhe“ korrespondiert. Anknüpfend an das Raumdenken Foucaults und die jüngeren topographischen bzw. topologischen „turns“ in den Kulturwissenschaften adressiert dieser an einer Heterogenität der Diskurse orientierte Ansatz „Raum“ nicht unter dem Aspekt eines vorausgesetzten oder zum Ziel gesetzten systematischen Begriffs, sondern einer historischen und relationalen Konzeption sich wandelnder Verhältnisse räumlicher Plazierung, Ordnung und Erfahrung. Der Ansatz eines Relationalen des Raums – als heterogenes ensemble de relations – wird hierbei als Möglichkeit eines Denkens „Anderer Räume“ aus medien- und kommunikationsgeschichtlicher Perspektive angesetzt wie auch selbst zum Gegenstand der historischen und theoretischen Fragestellung. So steht in der Mitte dieses Bands – als Exkurs wie auch gleichsam als Drehpunkt – eine Studie zu Figurationen des Relationalen bei Leibniz, die der Frage nachgeht, in welcher Weise sich ein relationaler Ansatz eines ‚räumlichen Denkens‘ aus medienwissenschaftlicher Sicht bei Leibniz plazieren lässt.
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Vgl. hierzu Kümmel, Albert et al. (Hg.): Einführung in die Geschichte der Medien. Paderborn 2004.
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Dass diese Anlage nicht auf die Entwicklung eines einheitlichen Modells des Raum-Medien-Verhältnisses oder der Kommunikationsgeschichte abzielt, dürfte offenkundig sein. Herausgestellt werden soll vielmehr in exemplarischen historischen Analysen die Mehrschichtigkeit eines wechselseitigen Verhältnisses von Raum und Kommunikation, das nicht auf ein unifizierendes Modell – der technischen Distanzüberwindung, einer zunehmend vernetzten, ‚schrumpfenden‘ Welt oder einer linearen Geschichte der Beschleunigung – reduzierbar ist. Über diese Konzeption hinaus wird in den vorliegenden Studien – mit dem Gegenstand der Eisenbahn, v.a. aber im Blick auf mobile Kommunikation – eine Verschiebung der Perspektive vorgenommen gegenüber dem üblicherweise angesetzten Modell einer (Tele-)Kommunikationsgeschichte „von der Telegraphie“ (oder auch: von „Gutenberg“) „zum Internet“.20 So ist es, ausgehend vom räumlichen und medialen Neuen mobiler Medien und eines ‚ubiquitären‘ Handys, das Problem ebenso des Verhältnisses von Medien und Mobilität, das den Fokus der vorliegenden Studien bestimmt. Zu den dargestellten Perspektiven einer raumbezogenen Kommunikationsgeschichte tritt damit eine spezifische Frage nach dem „Mobilen“ als Gegenstand hinzu.
M o b i l e M e d i a – z u r T h e o r i e b e w e g l i c he r R e l a ti o n e n Drahtgebundene Techniken der Telekommunikation, so schreibt 1923 Artur Fürst, leisteten „dem Menschen zweifellos ausserordentliche Dienste bei seinem Streben nach möglichst geschwinder Überwindung des Raums“. Sie stellten indes ebenso eine noch vorhandene räumliche Beschränkung dieses Strebens dar. Tatsächlich liege [v]or dem Beginn jedes drahtlichen Schnellwegs […] gleichsam ein Schlagbaum, der erst mühselig geöffnet werden muss, bevor man den Eilpfad benutzen kann. […] Denn die Enden der Drahtleitungen liegen fest, und die Bedienungsapparate müssen darangeschlossen sein.
Der Raum sei daher durch drahtgebundene Tele-Techniken erst bedingt überwunden:
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So (hier exempl. zit.) die Untertitel von Daniels: Kunst als Sendung. Von der Telegrafie zum Internet, a.a.O.; Briggs, Asa/Burke, Peter: A Social History of the Media. From Gutenberg to the Internet. Cambridge 2002.
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EINLEITUNG
Wir können uns keineswegs von jedem beliebigen Punkt mit jedem Menschen drahtlich in Verbindung setzen; sobald der Körper sich in Bewegung befindet, ist ihm diese Möglichkeit genommen. Das Telegraphieren oder Fernsprechen vom Schiff, vom Eisenbahnzug, ganz allgemein von irgendeinem bewegten Fahrzeug aus, ja auch während eines Spaziergangs ist ausgeschlossen. Wünschenswert aber bleibt – vom rein technischen Standpunkt gesehen – dass auch diese Einschränkung wegfällt, dass jeder in jedem Augenblick imstande ist, einen jeden zwecks Übermittlung einer Nachricht zu erreichen. Erst wenn das der Fall ist, hat die Menschheit völlig den Raum besiegt [...].21
Es ist das technische Leitbild seiner Zeit einer drahtlosen und, nach heutiger Bezeichnung, mobilen Kommunikation, das Fürst hier als eine zukünftige Zäsur der Telekommunikation beschreibt. Nicht mit der ‚synchronen‘ Geschwindigkeit elektrischer Übertragung, sondern erst mit diesem, in seiner Vision vorweggenommenen und heute als Handy in den Alltag eingelagerten Neuen ist, nach Fürst, der „Raum“ überwunden, indem der räumliche „Schlagbaum“ der draht- und ortsgebundenen Apparate und Anschlüsse weggefallen ist, womit sich Tele-Kommunikation an den Körper „in Bewegung“, an das Schiff und die Eisenbahn koppeln kann. So überlagern sich gleichsam die Zirkulationen des Verkehrs und des Verkehrens in einer mobilen Kommunikation, in der sich Mobilität und Tele-Medien verschränken. Von einer „Mobile World“, in der wir leben, ist heute viel die Rede, wobei dieses „Mobile“ seit der „Revolution“ der ‚Mobiltelefone‘ (wie die längst multimedialen Handys nach wie vor genannt werden) in einer schillernden Uneindeutigkeit ebenso auf mobile Telekommunikation referieren kann, wie z.B. auf Automobile oder Flugreisen. Gesprochen wird zudem von ‚mobiler Arbeit‘ und ‚mobilem learning‘, von einem „Mobilzeitalter“ oder auch von einer „Handymania“, die „unser Leben verändert“ habe; von einem Mobilen der kommunikativen Verbindungen zumal, das als Kennzeichnendes einer „Mobile Network Society“ zu begreifen sei.22 21 22
Fürst, Artur: Das Weltreich der Technik. Entwicklung und Gegenwart, Bd. 1: Der Verkehr im Draht und im Äther. Berlin 1923: 229. Hamill, Lynne/Lasen, Amparo (Hg.): Mobile World. Past, Present and Future. London u.a. 2005; Steinbock, Dan: The Mobile Revolution. The Making of Mobile Services Worldwide. London 2005; Burkart, Günter: Handymania. Wie das Mobiltelefon unser Leben verändert hat. Frankfurt a. M. und New York 2007; Nyíri, Kristóf (Hg.): Allzeit zuhanden. Gemeinschaft und Erkenntnis im Mobilzeitalter. Wien 2002; zur „Mobile Network Society“ vgl. Castells, Manuel et al.: Mobile Communication and Society: a Global Perspective. Cambridge MA 2007: 245ff.
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MOBILE RÄUME
Das Handy erscheint gleichsam als Signatur des solcherart vielfach benannten medialen und sozialen Neuen des „Mobilen“, und es gilt, vor allem im Blick auf seine beispiellos dynamische Verbreitung, als „Revolution“. Dabei hat es als unüberseh- und -hörbares Massenphänomen seit den späten 1990er Jahren die Aufmerksamkeit zunächst v.a. soziologischer Forschungen auf sich gezogen und seitdem eine wachsende Zahl vorwiegend empirischer Untersuchungen stimuliert. So liegen heute zu Fragen der Aneignung, der Nutzung und der Folgen des Mobiltelefons, zur Handy- und SMS-Kultur Jugendlicher, zum Mobiltelefon als personalisiertes Accessoire u.a.m. zahlreiche Forschungspublikationen aus soziologischer, psychologischer, kulturanthropologischer, kommunikationswissenschaftlicher oder auch linguistischer Sicht vor.23 Theoretisch oder historisch ist dagegen das konstatierte Neue und der Gegenstand mobiler Kommunikation wenig in den Blick genommen worden. Dies gilt nicht nur für die erwähnten, auch unter dem Stichwort „Mobile Studies“ zusammengefassten Forschungen, sondern auch für die Medientheorie oder -geschichte, die sich bislang nur vereinzelt mit mobiler Kommunikation bzw. dem Handy befasst hat.24 So ist die angesichts der Visionen Fürsts aufgeworfene Frage nach einem medialen und räumlichen Neuen mobiler Kommunikation in den Debatten der letzten Jahrzehnte um das Neue der Medien kaum zur Sprache gekommen. Historisch wiederum sind mobile Medien bisher eher im Rahmen technikge-
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Vgl. (exempl.) Haddon, Leslie (Hg.): Communications on the Move: The Experience of Mobile Telephony in the 1990ies [COST 248 Projektbericht]. Stockholm 1998; Katz, James E./Aakhus, Mark (Hg.): Perpetual Contact. Mobile Communication, Private Talk, Public Performance. Cambridge, Mass. 2002; Brown, Barry et al. (Hg.): Wireless World. Social and Interactional Aspects of the Mobile Age. London u.a. 2002; Ling, Rich: The Mobile Connection. The Cell Phone’s Impact on Society. San Francisco u.a. 2004; Höflich, Joachim R./Gebhardt, Julian (Hg.): Mobile Kommunikation. Perspektiven und Forschungsfelder. Frankfurt a. M. u.a. 2005; Glotz, Peter et al. (Hg.): Daumenkultur. Das Mobiltelefon in der Gesellschaft. Bielefeld 2006; Caron, André H./Caronia, Letizia: Moving Cultures. Mobile Communication in Everyday Life. Montreal u.a. 2007. Vgl. Tischleder, Bärbel/Winkler, Hartmut: Portable Media. Beobachtungen zu Handys und Körpern im öffentlichen Raum. In: Ästhetik & Kommunikation, 32 (2001) 112: 97-104; Hagen, Wolfgang: Das Ordale und das Parasoziale. Zur Medienarchäologie des Handys (Vortrag). 2008. Online-Publikation, http://whagen.de/vortraege/2008/20080128Siegen/ OrdalParasozialWEB.pdf.; Linz, Erika: Konvergenzen. Umbauten des Dispositivs Handy. In: Epping-Jäger, Cornelia (Hg.): Formationen der Mediennutzung III. Dispositive Ordnungen im Umbau. Bielefeld 2008: 169-188. Zur Bezeichnung „Mobile Studies“ vgl. Nyíri, Kristóf (Hg.): Mobile Studies. Paradigms and Perspectives. Wien 2007.
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EINLEITUNG
schichtlicher Forschungen untersucht worden als innerhalb der Mediengeschichte.25 Tatsächlich verweist das Neue, das Fürst beschreibt – der ‚Sieg‘ über den Raum durch ein Telekommunizieren vom Schiff, von der Eisenbahn oder auch während eines Spaziergangs –, auf Gegenstände, die aus Sicht der Historiographie wenig miteinander verbunden scheinen. Sind doch Schiff und Eisenbahn einerseits und Tele-Medien oder Nachrichtentechnik andererseits Momente von zwei meist voneinander separierten Geschichten der „Überwindung der Distanz“, als Gegenstände einer Kulturgeschichte der Mobilität und einer Geschichte der Medien.26 So ist die Geschichte der Mobilität, die Geschichte des Reisens, Fahrens oder des Verkehrs im Rahmen medienhistorischer Modelle am ehesten als eine den Tele-Medien vorausgehende Entwicklung der Beschleunigung betrachtet worden, womit eine Rede von „Mobilität“ unter tele-medialen Bedingungen (buchstäblich) überholt scheint: Hat die steigende Geschwindigkeit des Fahrens, so etwa die Denkfigur Paul Virilios, einen Raum der festen Orte in Bewegung aufgelöst, so ist mit der ‚Echtzeit‘ der Tele-Medien Mobilität selbst zur Unmöglichkeit geworden. Ein Mobiles wäre, folgt man dieser Vorstellung, letztlich im Verhältnis zum tele der Medien nicht – oder allenfalls im Sinne eines im Cyberspace des Internet surfenden „digitalen Neunomaden“ – zu denken.27 Andererseits ist, auch und gerade von Virilio, auf eine „Mobilisierung des Sehens“ im 19. Jahrhundert und damit auf wechselseitige Verhältnisse zwischen Mobilitäts- und Mediengeschichte aufmerksam gemacht worden:28 Die „Metamorphose[n] des Reisens“ sind, wie Kunstund Filmgeschichte gezeigt haben, auch Metamorphosen der Wahrnehmung und des Blicks – beispielhaft etwa in der Malerei Victor Turners – und der medialen Techniken; erscheint das Zugfenster als neuer SehRahmen bewegter Bilder oder gar als eine „Laterna Magica“ (Virilio), so bilden seit dem 19. Jahrhundert Entwicklungen des Fahrens und der
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Vgl. Weber, Heike: Das Versprechen mobiler Freiheit. Zur Kultur- und Technikgeschichte von Kofferradio, Walkman und Handy. Bielefeld 2008; Agar, Jon: Constant Touch. A Global History of the Mobile Phone. London 2004. Kaschuba: Die Überwindung der Distanz, a.a.O; zur Kulturgeschichte der Mobilität vgl. ferner (exempl.) Rehberg, Karl-Siegbert et al. (Hg.): Mobilität – Raum – Kultur. Erfahrungswandel vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Dresden 2005. So Guggenberger, Bernd: Das digitale Nirwana. Hamburg 1997: 34. Segeberg, Harro (Hg.): Die Mobilisierung des Sehens: zur Vor- und Frühgeschichte des Films in Literatur und Kunst (Mediengeschichte des Films, Bd. 1). München 1996.
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Bildmedien „kinetisch-kognitive[] Paarungen“ bis hin zum Neuen des Automobils und der Kinematographie um 1900.29 Darüber hinaus lässt sich, mit Asa Briggs, von einer grundsätzlichen Verflochtenheit der Entwicklungen der Tele- und der Transporttechniken ausgehen: Die Trennung zwischen einer Geschichte des Dampfschiffs und der Eisenbahn, des Fahrrads und des Automobils bis hin zum Flugzeug auf der einen Seite und einer Geschichte der Telegraphie und Telephonie, des Radios und Fernsehens auf der anderen ist, wie Briggs angemerkt hat, eine künstliche.30 So zielt auch der oben erwähnte Ansatz von Geppert et al. zu einer raumbezogenen Kommunikationsgeschichte u.a. darauf ab, den räumlichen Wandel der Kommunikationsmedien und einer Mobilität des Transportwesens (der Eisenbahn, des Automobils) in einer übergreifenden Konzeption räumlicher Strukturierung bzw. ‚kommunikativer‘ Verräumlichung zusammenzudenken.31 Entgegen einer Separierung von Mobilitäts- und Mediengeschichte sind es hier gerade wechselseitige Bezüge und ein Nebeneinander räumlicher Beziehungsgefüge der Mobilität und der Medien, die als Gegenstand der Historiographie in den Vordergrund treten. Im Blick auf die heutige „Mobile World“ sind solche Bezüge zwischen Tele-Medien und Mobilität v.a. in Ansätzen der Cultural Studies herausgestellt worden. „Mobilität“ referiert in diesem Zusammenhang weniger auf die Entwicklung etwa der Transporttechniken als vielmehr auf eine Mobilität der Reise, der Migration wie auch der – bzw. eines – „traveling cultures“. Die in den Forschungen zur Globalisierung benannten Prozesse einer Deterritorialisierung und kulturellen Hybridisierung lassen sich, so ein zentrales Argument, nur dann adäquat beschreiben, wenn räumliche Entwicklungen des (Fern-)Reisens und der Medien gemeinsam in den Blick genommen werden. So stehen Phänomene der Migration und einer tele-medialen „Konnektivität“ miteinander in Beziehung.32 29
30 31 32
Traeger, Jörg: Metamorphose des Reisens. Zu Mobilität und Wahrnehmungswandel im 19. Jahrhundert. In: Rehberg et al. (Hg.): Mobilität – Raum – Kultur, a.a.O.: 171-187; Virilio, Paul: Fahren, fahren, fahren... Berlin 1978: 25; Koschorke, Albrecht: Das Panorama. Die Anfänge der modernen Sensomotorik um 1800. In: Segeberg (Hg.): Die Mobilisierung des Sehens, a.a.O.: 149-169, hier: 165. Vgl. Briggs/Burke: A Social History of the Media, a.a.O.: 109. Vgl. Geppert et al.: Verräumlichung, a.a.O. Vgl. Clifford, James: Traveling Cultures. In: Grossberg, Lawrence et al. (Hg.): Cultural Studies. New York und London 1992: 96-116, bes.: 103f.; Hepp, Andreas: Konnektivität, Netzwerk und Fluss: Perspektiven einer an den Cultural Studies orientierten Medien- und Kommunikationsforschung. In: ders./Winter, Rainer (Hg.): Kultur – Medien – Macht. Cultural Studies und Medienanalyse. Wiesbaden 2006: 155-174.
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EINLEITUNG
Das Mobiltelefon ist aus der Sicht solcher Ansätze als eine Verschränkung von Medien und Mobilität in einem in mehrfacher Hinsicht „mobil[en] Kommunizieren“ beschrieben worden bzw. als eine Verknüpfung von „lokaler“ und „kommunikativer Mobilität“. So wurde das Mobile des Handys in den Zusammenhang einer zunehmenden (Massen-) Mobilität des Reisens oder alltäglichen Pendelns gestellt wie auch einer durch diese bedingten ‚Mobilisierung‘ bzw. zunehmenden Portabilität medientechnischer Apparate; darüber hinaus wurde es auf eine Mobilität mit sich tragbarer medialer Räume bezogen – für die beispielhaft auch die sound „bubbles“ des Walkman stehen – und auf das bereits bei Fürst herausgestellte Mobile einer telekommunikativen Verbindung und Erreichbarkeit „in Bewegung“.33 Diese Ansätze adressieren mobile Kommunikation differenziert unter dem Gesichtspunkt eines – auf unterschiedlichen Ebenen plazierbaren – „Mobilen“, das zu einer die heutige Gegenwart kennzeichnenden (lokalen) Mobilität in Bezug gesetzt wird: Das Mobile der Medien korrespondiert mit einer Mobilität des städtischen Alltags, der Globalisierung und der Migration, und es verweist auf eine sozial und kulturell „mobile Welt“. Subsumiert wird jedoch damit mobile Kommunikation zugleich unter einen Begriff von Mobilität als einer spezifisch modernen ‚Mobilisierung‘ der Lebensverhältnisse. Das Mobile der Medien ist, so vorgestellt, assoziiert mit einer Figur der Steigerung, einem Geschichtsbild entsprechend, wonach eine historisch zunehmende Mobilität im Gegensatz zu einem (ursprünglichen, vormodernen) Immobilen erscheint. Aus publizistikwissenschaftlicher Sicht ist so das Mobiltelefon in den Rahmen einer Geschichte zunehmend ‚mobilisierter‘ Medien – vom Zeitungs-Strassenverkauf im 18. Jahrhundert über die Eisenbahnlektüre bis zu Auto- und Transistorradio, Walkman und Handy – als einer Entwicklung „[v]om stationären zum mobilen Rezipienten“ gestellt worden, basierend auf dem Modell einer modernen Mobilität gegenüber einer der Vormoderne zugeschriebenen wesentlichen Sesshaftigkeit. Ebenso wie bei Fürst wird auch in diesem Ansatz das Neue mobiler Medien topisch als raumüberwindend begriffen: Das Handy wie auch der Walkman erscheinen gleichsam in doppelter Weise als Kulmination eines Prozesses der „Entfesselung der Kommunikation von Raum und Zeit“.34 33
34
Vgl. Breiter, Andreas et al. (Hg.): Mobil kommunizieren. Ästhetik & Kommunikation, 37 (2006), 135; Bull, Michael: ‚To each their own bubble‘. Mobile spaces of sound in the city. In: Couldry, Nick/McCarthy, Anna (Hg.): MediaSpace. Place, Scale and Culture in a Media Age. London 2004: 275-293. Wilke, Jürgen: Vom stationären zum mobilen Rezipienten. Entfesselung der Kommunikation von Raum und Zeit – Symptom fortschreitender Medialisierung. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 6 (2004): 1-55.
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Die Einordnung mobiler Medien in eine Figur der modernen Mobilisierung führt mithin dazu, das Neue (auch) des Handys schematisch als eine (erneute) Überwindung oder Vernichtung des Raums zu kennzeichnen. Wie aber ist demgegenüber mobile Kommunikation als ein räumlich Neues beschreibbar, ihr „Mobiles“ somit differenziert in seinem Raumbezug zu begreifen? „Wo bist du?“, so lautet unüberhörbar die Leitfrage mobiler Telefongespräche. Neben zahlreichen anderen ist eine Antwort auf diese Frage nicht selten diejenige: „Ich bin zuhause.“ In der Forschung ist darauf hingewiesen worden, dass diese Antwort das Wo mobiler Kommunikation ebenso kennzeichnet wie jene, die sich auf Strassen, Plätzen oder im Zugabteil so zahlreich unfreiwillig mithören lassen. Denn wenngleich das Mobiltelefon zunächst dem Zweck eines Fernsprechens ausserhalb der Reichweite der Festnetzapparate, „in Bewegung“, im Fahrzeug oder auf dem „Spaziergang“ zugeordnet wurde, ist es praktisch nicht auf ein solches zu reduzieren; tatsächlich hat es sich, so Leopoldina Fortunati, gar zu einer überwiegend „sesshaften“ Technik entwickelt. Castells et al. haben daher das Charakteristische mobiler Tele-Medien nicht in erster Linie in einer Kommunikation „on the move“ gesehen, sondern eher in „moving communication patterns“ und in einer „ubiquitous and permanent connectivity“.35 Mobile Kommunikation „takes place from stable locations“, so Castells et al., ebenso wie sie ‚on the move‘ stattfindet; ihre „Mobiles“ ist nicht identisch mit einer Mobilität des Fahrens, der Geschwindigkeit oder dem, was Steve Jones als eine „Idee der reinen Bewegung“ bezeichnet hat, sondern referiert grundsätzlicher auf ein „Bewegliches“, das sich als solches nicht in die übliche Unterscheidung zwischen Ortsfestigkeit und Mobilität einfügt.36 Räumlich ist mobile Kommunikation somit weder vor allem durch ein „[being] on the move“ charakterisiert noch durch eine Entwicklung von einer bewegten zu einer vermehrt „sesshaften“ Technik, sondern durch ein Mobiles, das diese Unterscheidung unterläuft. So hat J.P. Roos 1993 – zur Frühzeit der digitalen Mobiltelefonie – mobile Kommunikation in den Zusammenhang einer Reihe von Oppositionen, darunter diejenige zwischen „fixed“ und „mobile“, gestellt
35 36
Castells et al.: Mobile Communication and Society, a.a.O.: 248ff.; 173. Ebd.: 248; Jones, Steven: Kommunikation, das Internet und Elektromagnetismus. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hg.): Mythos Internet. Frankfurt a. M. 1997: 131-146, hier: 131. „Öffentlicher beweglicher Landfunk (ÖbL)“ lautete der Name der frühen deutschen Mobiltelefonsysteme, entsprechend dem englischen „Public Land Mobile Radio“.
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EINLEITUNG
und darauf hingewiesen, dass sie in diese Oppositionen nicht eindeutig einzuordnen sei, sondern „ambiguous“.37 In dieser Ambiguität ist mobile Kommunikation räumlich nicht auf eine Figur des Ubiquitären zu reduzieren noch entspricht sie einer dieser entgegengesetzten Vorstellung von der Wiederkehr des festen Orts oder des Raums. Vielmehr eröffnet sie, als ein Mobiles der Tele-Medien, das Oppositionen von Ortsfestem und Bewegung, Medien und Mobilität unterläuft, in neuer Weise ein Kontingentes des Raums und transportiert – buchstäblich im typischen „Wo?“ am Handy – eine räumliche Frage nach dem Wo des Hier und des Dort unter Bedingungen eines Beweglichen relationaler Beziehungsgefüge. Die Wo-Frage am Handy steht insofern paradigmatisch auch für die von Foucault bezeichnete „Unruhe“, die einen Raum betrifft, der als Gegenstand und Bezugssystem keine voraussetzbare Einheit und Statik hat. Als Überlagerung räumlicher Relationen der Tele-Medien und der Mobilität verweist gerade mobile Kommunikation auf eine Heterogenität des Raums, seiner Erfahrung, der räumlichen Ordnung und Plazierung, die sich nicht adäquat im Modell des Behälters oder des festen Koordinatensystems begreifen lässt. Zugleich kann sie paradigmatisch für jene historisch wiederkehrenden Umbrüche des Raums stehen, die sich in der in diesem Band thematisierten Rede vom verschwundenen, vernichteten oder überwundenen Raum manifestieren, indem sie auf einen Raum aufmerksam macht, dessen vorausgesetzte gleichbleibende Gegebenheit als Bezugssystem immer wieder in Frage steht oder als Ordnung unterlaufen wird. Mobile Kommunikation transportiert so gleichsam auch eine Frage danach, wie sich Relationen des Hier und Dort, der An- und Abwesenheit, der Nähe und Ferne einer Lebenswelt begreifen lassen, die, nicht erst seit dem Handy, eine ebenso mediale wie mobile ist. Es sind diese – hier knapp skizzierten – Aspekte des Verhältnisses von Medien und Mobilität, die im besonderen die Perspektive der folgenden Studien bestimmen. Mit dem räumlich Neuen des Handys und mobiler Tele-Medien, auch jedoch mit der Diskursgeschichte einer Rede vom – durch Transport- wie durch Tele-Techniken – ‚vernichteten‘ Raum verknüpft sich hierbei die Frage nach einer Geschichte mobiler Kommunikation im engeren wie im weiteren Sinn bzw. nach historischen und gegenwärtigen Bezügen zwischen Kommunikationsmedien und Formen der Mobilität. Ausgehend von einer heutigen Figuration der Überlagerung mobiler wie medialer räumlicher Beziehungsgefüge rückt damit eine raumbezogene Geschichte des tele der Kommunikation in den Blick, 37
Roos, J.P.: 300 000 Yuppies? Mobile phones in Finland. In: Telecommunications policy, 17 (1993), 6: 446-458, hier: 458.
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die nicht im Gegensatz, sondern ihrerseits in einem mehrschichtigen Bezug zu einem „Mobilen“ räumlicher ensembles vorzustellen ist – begreifbar als ein Nicht-Statisches des Beweglichen oder des Bewegten. Angesetzt wird hierbei ein heuristisches Konzept beweglicher Relationen, um über ein schematisches Denken der Opposition von Raum, Mobilität und Medien hinaus heterogene und sich wandelnde räumliche Bezüge des Mobilen und der Kommunikation beschreiben zu können. Wie, so die damit verknüpfte Frage, ist ein anderes, nicht-statisches „räumliches Denken“ des Umbruchs gegenüber der topischen Figur der Überwindung oder des Verlusts ansetzbar? Und gibt es historische Spuren eines solchen Raumdenkens in der Geschichte medialer und räumlicher Umbrüche und eines immer wieder zu ‚verschwinden‘ scheinenden Raums?
26
I LOCOMOTIVE B e sc hl e u n i g u n g 1843 bezeichnet Heinrich Heine in einem Bericht aus Paris anlässlich der Eröffnung der Eisenbahnstrecken nach Orléans und Rouen die Eisenbahn als ein „providenzielles Ereigniß“, vergleichbar der Entdeckung Amerikas, der „Erfindung des Pulvers“, der „Buchdruckerey“ und, implizit, der Französischen Revolution: [E]s beginnt ein neuer Abschnitt in der Weltgeschichte, und unsere Generazion darf sich rühmen, daß sie dabey gewesen. Welche Veränderungen müssen jetzt eintreten in unsrer Anschauungsweise und in unsern Vorstellungen! Sogar die Elementarbegriffe von Zeit und Raum sind schwankend geworden. Durch die Eisenbahnen wird der Raum getödtet, und es bleibt uns nur noch die Zeit übrig. Hätten wir nur Geld genug, um auch letztere anständig zu tödten! In vierthalb Stunden reist man jetzt nach Orleans, in eben so viel Stunden nach Rouen. Was wird das erst geben, wenn die Linien nach Belgien und Deutschland ausgeführt und mit den dortigen Bahnen verbunden seyn werden! Mir ist als kämen die Berge und Wälder aller Länder auf Paris angerückt. Ich rieche schon den Duft der deutschen Linden; vor meiner Thüre brandet die Nordsee.1
Die Passage aus Heines Bericht, den er 1854 in seiner Sammlung Lutezia neu publizierte, zählt, seit ihrer Erwähnung in Paul Virilios Aufsatz „Das Fahrzeug“ (Le Véhicule, 1975), zu den überaus prominenten und vielzitierten Textstellen in der medien- und kulturwissenschaftlichen Literatur.2 Folgt man der medientheoretischen Lesart Virilios, so steht sie für 1
2
Heine, Heinrich: Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben. Zweiter Theil. Bearb. von Volkmar Hansen. In: ders.: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Hgg. von Manfred Windfuhr et al. Hamburg 1975-1997 (=DHA), Bd. 14/1. Hamburg 1990: 9-145, hier: 57f. Zur Anspielung auf die Französische Revolution vgl. Goethe, Johann Wolfgang: Campagne in Frankreich. In: ders.: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Bd 14. München 1986: 335-516, hier: 385. Vgl. Virilio, Paul: Fahren, fahren, fahren…a.a.O., hier: 27f.; ferner (exempl.) Paetau, Michael: Sozialität in virtuellen Räumen? In: Becker,
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die Wahrnehmung eines beschleunigten Transports, der räumliche Strukturen zugunsten einer imaginären Allgegenwart auflöst – und darin auf die elektronischen Tele-Medien vorausweist. Die lokomotive Beschleunigung der Eisenbahn, welche die bestehenden Orte durchquert und miteinander verbindet, hebt zugleich ihre Einheit auf, indem sie die Orte zerstreut und in ihrer Bewegung verflüchtigt. Die Linie der Schienen ersetzt die durch die Orte gebildeten Punkte und begradigt die Landschaften. Die Eisenbahn bildet auf diese Weise den „Ursprung eines neuen Katasters. [...] Der Schienenstrang ist eine neue Geometrie.“ 3 Horizont dieser Deutung des bei Heine thematisierten räumlichen Umbruchs ist die Viriliosche Denkfigur einer letztlich teleologischen historischen Entwicklung der Beschleunigung, ausgehend von den ersten Transportmitteln wie Pferd und Schiff.4 Der zerstörerische Charakter, den Virilio dieser Entwicklung zuschreibt, manifestiert sich hierbei gerade in der Eisenbahn als Beginn einer industrialisierten beschleunigten Fortbewegung: Wenn die Eisenbahn in ihrer Geschwindigkeit und Linearität die Orte auflöst, so ist dieses Neue der Lokomotion, nach Virilio, gleichbedeutend mit einem Verlust der Anhaltspunkte bietenden Ordnung der Dinge und einer Auflösung des Raums bzw. des „Boden[s] der Erfahrung“.5 Denn Erfahrung, Wahrnehmung und Sinneseindrücke verarmen mit zunehmender Geschwindigkeit der Fortbewegung, bis hin zum Geschwindigkeitsrausch, in dem an ihre Stelle eine Betäubung des Bewusstseins tritt. Die Entwicklung der Beschleunigung mündet demnach in eine paradoxe Verkehrung der Verhältnisse: Das Tatsachen vermittelnde Bild des Blicks löst sich mit steigender Geschwindigkeit in ein kinetisches (bzw. kinematographisches) Flimmern auf.6 Nähe und Ferne verkehren sich, ebenso Mittel und Zweck des Transports. Reisen, im Zug, Auto oder zunehmend als Flugreise im Jet, wird zum „Leerlauf“ einer Flucht in die Geschwindigkeit, die nirgends ankommen kann. Einziger Ort der Bestimmung ist die Beschleunigung selbst bzw. der „Nicht-
3 4
5 6
Barbara/ders. (Hg.): Virtualisierung des Sozialen. Die Informationsgesellschaft zwischen Fragmentierung und Globalisierung. Frankfurt a. M. und New York 1997: 103-134, hier: 103 ff.; Kaschuba: Die Überwindung der Distanz, a.a.O.: 90f.; Geppert et al.: Verräumlichung, a.a.O.: 31ff. Virilio: Fahren, fahren, fahren…, a.a.O.: 28f. Vgl., eingehend hierzu, Kloock, Daniela: Ästhetik der Geschwindigkeit. Paul Virilio. In: dies./Spahr, Angela: Medientheorien. Eine Einführung. München 1997: 133-164; Tholen, Georg Christoph: Geschwindigkeit als Dispositiv. Zum Horizont der Dromologie im Werk Paul Virilios. In: Jurt, Joseph (Hg.): Von Michel Serres bis Julia Kristeva. Freiburg 1999: 135-162. Virilio: Fahren, fahren, fahren…, a.a.O.: 24; 26; vgl. hierzu auch ders.: L’empire de l’emprise. In: Traverses, Nr. 13, Dez. 1978: 3-27. Vgl. Virilio: Fahren, fahren, fahren…, a.a.O.: 24f.
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Ort der Geschwindigkeit“, womit Virilio zugleich eine Antwort auf die Ausgangsfrage seines Textes liefert: „Wo sind wir, wenn wir reisen?“7 Der räumliche Umbruch der Eisenbahn wird damit bei Virilio zum Moment einer Beschleunigung, die, in einer für Virilios Medientheorie kennzeichnenden dromologischen Denkfigur, als Verlust – eines Primären der Erfahrung, der Wahrnehmung, der Lokalisierung – erscheint und negativ begriffen ist: als Enträumlichung, Nicht-Ort usw. Von der Resonanz und Fortführung solcher Denkfiguren des Verlusts in der medienwissenschaftlichen Literatur zeugt eine Interpretation der zitierten Stelle durch Götz Grossklaus, der Heines Text als eine „Verarbeitung[]“ einer neuen eisenbahntechnischen Geschwindigkeit betrachtet, die ihrerseits im Rahmen einer fortschreitenden „Denaturierung von Natur-Raum und Natur-Zeit durch die neuen Techniken“ zu verstehen ist.8 Denn gegenüber dem vormodernen Transport qua Pferd, Wagen und Segelschiff markieren Dampfschiff, Eisenbahn und Telegraph als industrielle Verkehrstechniken den Beginn eines technischen Zeitalters, das durch neue „Geschwindigkeitsverhältnisse“, durch Vernetzung und Zergliederung gekennzeichnet ist. Einer These von Wolfgang Schivelbusch folgend, begreift Grossklaus den Einbruch dieser Beschleunigung als einen „Wirklichkeitsverlust der Wahrnehmung“ durch die mechanisierte Transporttechnik der Eisenbahn: Verloren geht – genauer gesagt – jene „Wirklichkeit“, die sich über Codes der Wahrnehmung konstituiert, deren räumlich-zeitliche Segmentierung im wesentlichen an den naturalen Grenz- und Differenzdaten orientiert bleibt. Tendenziell verloren geht die Naturraum- und Naturzeit-analoge Codierung von „Wirklichkeit“ [...].9
Heines Text stellt, nach Grossklaus, gleichsam eine Reflexion – im doppelten Sinn dieses Wortes – dieses Umbruchs dar, indem er drei Perspektiven auf die neue Geschwindigkeit der Eisenbahn entwirft: Er bringt einmal das Plötzliche des Umbruchs zum Ausdruck – zu ergänzen ist der gewaltsame Charakter, den Heine der Eisenbahn zuschreibt – und beschreibt eine Art Schockwirkung des Ereignisses. Er ordnet ferner über die Vergleiche mit der Entdeckung Amerikas und den Erfindungen von 7 8
9
Ebd.: 32; 19. Grossklaus, Götz: Nähe und Ferne. Wahrnehmungswandel im Übergang zum elektronischen Zeitalter. In: ders./Lämmert, Eberhard (Hg.): Literatur in einer industriellen Kultur. Stuttgart 1989: 489-520; erneut in: ders.: Medien-Zeit, Medien-Raum: Zum Wandel der raumzeitlichen Wahrnehmung in der Moderne. Frankfurt a. M. 1995: 72-102; hier: 77; 79. Ebd.: 79; zur zit. These vgl. Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise, a.a.O.: 38; 142f.
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Schiesspulver und Buchdruck das Neue der Eisenbahn historisch ein. Und er unternimmt schliesslich eine Abschätzung der „psychosozialen Implikationen der neuen raum-zeitlichen Zusammenhänge, der neuen Nah-Verhältnisse“, indem er von „Veränderungen“ der „Anschauungsweise“ und der „Vorstellungen“ spricht, d.h., nach Grossklaus, vom Verlust einer naturräumlichen Wahrnehmung vorindustrieller Zeit.10 Die Bemerkungen Heines sind in dieser Lesart zunächst ein prototypisches historisches Zeugnis für die mit den neuen Geschwindigkeiten verbundenen „Einstellungsveränderungen“ zu Beginn einer technischindustriellen Moderne, welche die Lebenswelten radikal umgestaltet. Die zeittypische Erfahrung der frühen Industrialisierung bildet, so Grossklaus, den Hintergrund einer „ambivalent“ bleibenden „Wahrnehmung und Empfindung [Heines], in und von einer Bewegung fortgerissen zu sein, vom Sog geschichtlich beschleunigter Entfernung von der ‚alten‘ Welt erfasst zu sein“.11 Ihren Ausdruck findet diese ‚Bewegung der Zeit‘ nicht zuletzt in der Anlage von Heines Prosa: In der raschen Aufeinanderfolge miteinander kontrastierender Bilder, die Stil und Struktur (u.a.) der Lutezia-Texte prägt, sieht Grossklaus eine Wiederkehr der technischen Geschwindigkeit und Zergliederung auf der Ebene der literarischen Techniken. Die historisch neuen technisch-industriellen Prinzipien reartikulieren sich über Heines Prosatechnik im Medium der literarischen Kommunikation. Darüber hinaus verweisen Heines Bemerkungen für Grossklaus – ebenso wie für Virilio – auf einen Prozess der Beschleunigung, dem eine Kontinuität bis in die Gegenwart zuzuschreiben ist. Heines Text ist daher für Grossklaus nicht nur ein historisches Zeugnis, sondern auch Vorbild seiner eigenen Analyse heutiger medialer Transformation: Heine erfasste die Anfänge schubartig einsetzender Industrialisierung und Technisierung [...]. Mit der Erinnerung an Heine versuchen wir eine ähnliche Anknüpfung, denn auch die jüngsten Entwicklungen der elektronischen Technologie scheren aus der geschichtlichen Kontinuität dieses Prozesses nicht aus. Die Prinzipien wachsender Geschwindigkeit und Vernetzung, zunehmender „Nahverhältnisse“ und fortschreitenden Raum-Zeit-Schwundes bestimmen auch heute noch die Lebensvollzüge [...]. Allerdings trennen uns die erreichten Geschwindigkeits-, Vernetzungs- und Miniaturisierungswerte qualitativ von der vor-elektronischen Epoche.12
10 11 12
Grossklaus: Medien-Zeit, Medien-Raum, a.a.O.: 78; vgl., zur visuellen Wahrnehmung, ebd. 80; 113-142. Ebd.: 73; 75. Ebd.: 80f.
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Was Heine beschrieb, behält, mit anderen Worten, auch angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse seine Gültigkeit; Träger des „Raum-ZeitSchwundes“ sind jedoch nicht mehr die Techniken der Fortbewegung, sondern elektronische Medien: Film, Fernsehen, Video und Computer treiben heute den konstatierten Prozess der Vernetzung fort und stehen zugleich für eine neue Stufe der Geschwindigkeit. Mit der Zirkulation von Bildern und Informationen bis hin zur Echtzeit löst sich, so Grossklaus, das räumliche Orientierungsmuster auf; an die Stelle der „alte[n] Raum-Karte“ tritt eine „neue Zeit-Karte“.13 Heines EisenbahnAnalyse weist aus dieser Sicht antizipatorisch auf einen heutigen Verlust des räumlichen Orientierungsmusters hin. Imaginierte Heine „schon“ im Zeitalter der Eisenbahn das Heranrücken entfernter Orte und Gegenden nach Paris, so mündet diese Entwicklung heute in die „Vernichtung“ jeglicher Distanz: Die Elementarbegriffe von Raum und Zeit, die für Heinrich Heine schon durch die neuen Eisenbahnen schwankend geworden waren, büssen durch die jüngsten Entwicklungen in der Vernichtung von Distanz und in der Herstellung von Nähe auf dramatische Weise Unterscheidungs- und Orientierungsfunktionen ein, die sie lange für die lebensweltliche Wahrnehmung besessen haben. Alles hat die Tendenz, uns gleich nah und gleich-zeitig zu sein. Die Zeit schrumpft zum Augenblick, der Raum zum Punkt.14
So bezeugt Heines Text, im Blick auf die heutigen Medien gelesen, die historische Ankunft einer radikalisierten Beschleunigung durch die Eisenbahn ebenso wie die Kontinuität eines Prozesses der Beschleunigung und ‚Enträumlichung‘, der bis in die Gegenwart als Kennzeichen der medialen Entwicklung begriffen wird. Dabei werden die bei Heine greifbaren Momente der technischen Fortbewegung, der Wahrnehmung und der Kommunikation im Sinne eines medialen Zusammenhangs aufeinander bezogen: Die neuen Geschwindigkeitsverhältnisse führen zu Umbrüchen der Wahrnehmung und finden, nach Grossklaus, ihre Reflexion im Medium der Literatur. Ausgeklammert bleibt aus diesem Blick freilich die Frage nach den Bedingungen und Formen des konstatierten Prozesses der Beschleunigung bzw. der technischen Geschwindigkeit selbst. Ist aus der Sicht einer Virilioschen Dromologie die Geschwindigkeit ein Apriori des medialen Zusammenhangs, – die Geschwindigkeit ist, so Virilio an anderer Stelle, eine „Idee vor der Idee“15 – so wird auch im Verständnis Grossklaus’ 13 14 15
Ebd.: 103. Ebd.: 86f. Virilio, Paul: Die Sehmaschine. Berlin 1989: 16.
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Heines Text auf ein ihm Vorausgehendes technisch-industriell induzierter Geschwindigkeitsverhältnisse bezogen, das selbst weitgehend unbefragt bleibt.16 Wenn hierbei die Eisenbahn-Passage Heines als eine „Verarbeitung“ einer neuen, durch die Eisenbahn eingeführten Geschwindigkeit gedeutet wird, so legt dies nahe, sie als eine gleichsam reaktive Analyse eines – selbst als gegeben betrachteten – technischen Verkehrsmittels Eisenbahn und ihrer Geschwindigkeit zu verstehen. Ein solches Verständnis verkürzt jedoch den Blick, wie zu zeigen sein wird, sowohl auf das historische Phänomen der Eisenbahn als auch auf den Text und das Schreiben Heinrich Heines. Ein weiterer zentraler Aspekt der Heine-Lektüren von Virilio und Grossklaus ist das Verhältnis zur heutigen Gegenwart, steht doch Heines Text für beide im Rahmen eines kontinuierlichen Prozesses, dem noch die aktuelle mediale Entwicklung unterworfen ist. Dieser perspektivische Bezug von Heines Text auf heutige Verhältnisse der Fortbewegung bzw. der elektronischen Medien macht auf den engen Zusammenhang zwischen Entwicklungen des Transportwesens und der Medien (bzw.: des Personen-, Güter- und Nachrichtenverkehrs) aufmerksam und auf ihre gemeinsame Geschichte, von der „Kommunikation“ des 19. Jahrhunderts bis zu den heutigen Formen der Flugreise und der elektronischen Kommunikation.17 Auch die heutigen Techniken transportieren, mit anderen Worten, Kontinuität, und auch in historischer Sicht ist im ‚digitalen Zeitalter‘ mit Wiederholungen zu rechnen. Insofern ist auch die Gegenwart noch Teil jenes „Abschnitts in der Weltgeschichte“, den Heine durch die Eisenbahnen beginnen sieht. Unklar bleibt dann aber, wie sich die einzelnen Momente dieses „Abschnitts“ bestimmen lassen. Nach Virilio und Grossklaus ist das Kennzeichnende des Wandels ja gerade die Kontinuität einer Beschleunigung von der Eisenbahn bis zu den heutigen Medientechniken. Charakterisiert ist diese durch Verlust: durch Enträumlichung, Denaturalisierung, Wirklichkeits-, Erfahrungs- und Sinnverlust. Für die Gegenwart heisst dies, dass sie nur negativ und retrospektiv zu bestimmen ist; eine positive Deutungsperspektive in die Zukunft ist ausgeschlossen, da die Gegenwart als finaler Endpunkt einer quantitativ bestimmten Beschleunigungsentwicklung begriffen wird, die ihren Grenzwert erreicht hat und 16
17
Vgl. dagegen die Konzeption des Verhältnisses von Literatur und Medientechnik (hier: der Photographie) als Wechselverhältnis in Grossklaus, Götz: Wirklichkeit als visuelle Chiffre. Zur ‚visuellen Methode‘ in der Literatur und Photographie zwischen 1820 und 1860 (E.T.A. Hoffmann, Heine, Poe, Baudelaire). In: Segeberg (Hg.): Die Mobilisierung des Sehens, a.a.O.: 191-208. Vgl. hierzu bes. den (einleitend bereits erwähnten) Hinweis in Briggs/ Burke: A Social History of the Media, a.a.O.: 109.
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sich nur noch in Unbeweglichkeit oder in das Paradox eines „rasende[n] Stillstand[s]“ verkehren kann.18 Im Rückblick auf Heines Text wiederum bleibt offen, was diese heutige mediale Gegenwart qualitativ von der Frühzeit der Eisenbahn unterscheidet; denn die Konzeption einer kontinuierlichen Entwicklung bis hin zu den heutigen Neuen Medien liefert ja gerade keinen Hinweis darauf, worin das grundsätzlich Neue dieser Medien und ihrer Zäsur zu sehen ist. So bleibt unbestimmt, wie sich der Gegenstand, von dem – bei Heine wie im Blick auf heutige elektronische Medien – jeweils die Rede ist, mediengeschichtlich differenziert bestimmen und verorten lässt. Dies gilt auch für die These einer durch die Beschleunigung implizierten Enträumlichung, die für Virilio und Grossklaus ja paradoxerweise die Eisenbahn ebenso charakterisiert wie die audiovisuellen und digitalen Medien. Indem Heinrich Heine als Zeuge für diese These herangezogen wird, werden seine Bemerkungen zur Eisenbahn mit einer Diagnose heutiger Medienrealität gewissermassen kurzgeschlossen. In dieser Gleichsetzung aber bleibt nicht nur der Gegenstand der Eisenbahn unbefragt, sondern auch das, was Heine in seiner Analyse doch gerade „schwanken“ sieht, nämlich die Gegebenheit eines mit sich identischen Raums im Sinn eines „Elementarbegriffs“. Übersprungen wird somit – hier wie auch im Rahmen der zahlreichen kursorischen Hinweise auf Heines Text in der medien- und kulturwissenschaftlichen Literatur – die Frage danach, wovon Heines Text denn handelt, wenn er von Eisenbahnen und von Raum handelt. Wovon ist in diesem als Korrespondentenbericht verfassten Text die Rede, und wovon ist die Rede in den – überaus breiten – Debatten seiner Zeit um die Eisenbahn und um das Verhältnis der Eisenbahn zum Raum? Inwiefern sieht Heine „Elementarbegriffe“ von Zeit und Raum schwankend werden, und in welchem Zusammenhang schreibt er den Eisenbahnen die Fähigkeit zu, „Raum“ zu „tödten“? In welcher Hinsicht verbindet sich mit dem medialen und räumlichen Umbruch der Eisenbahn ein historisch „neuer Abschnitt“? Oder, enger gefasst: Welches Neue ist damit bezeichnet, wenn Heine 1843 über die Eröffnung neuer Eisenbahnlinien von Paris nach Orléans und Rouen schreibt? Im Folgenden soll zunächst versucht werden, entlang dieser Fragen und ausgehend von Heines Text ein technik- und diskursgeschichtliches Bild der Innovation Eisenbahn zu skizzieren. Im Vordergrund steht dabei 18
Vgl. zu dieser Figur des umschlagenden bzw. kybernetisierten Raums Virilio, Paul: Rasender Stillstand. München und Wien 1992: 145ff.; ders.: Der negative Horizont. Frankfurt a. M. 1995: 181ff.; ders.: Das Museum der Sonne. In: Felderer, Brigitte (Hg.): Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert. Wien und New York 1996: 185-191.
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weniger eine allgemeine Historiographie der frühen Eisenbahnen – oder die Frage danach, wie eine solche zu konzipieren wäre, – als vielmehr die Zielsetzung, das in Heines Text angesprochene Verhältnis zwischen dem Lokomotiven der Eisenbahn und dem Raum näher zu fassen und die bei Grossklaus und Virilio so zentrale Denkfigur der Beschleunigung und des Raumverlusts selbst auf ihre historischen und diskursiven Zusammenhänge hin zu befragen. An diesen technik- und diskursgeschichtlichen Abriss schliesst sich eine Relektüre des Heine-Textes und eine Auseinandersetzung mit Heine an, die darauf abzielt, den Text über wahrnehmungsgeschichtliche und dromologische Deutungsmuster der Beschleunigung hinaus medienwissenschaftlichen wie auch raumtheoretischen Fragen zum Verhältnis von Raum, Mobilität und Medien der Kommunikation zu eröffnen.
E n s e m b l e s d e r „ f o r t sc ha f f e n d e n M a s c h i n e “ Heines Bericht aus Paris, der im Mai 1843 in der liberalen Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheint, einer der zu dieser Zeit bedeutendsten Zeitungen im deutschen Sprachraum, thematisiert, wenn er von der Eröffnung von Eisenbahnlinien handelt, kein für die Leser neues Phänomen.19 Eisenbahnen sind, acht Jahre nach der ersten Eisenbahn in den deutschen Staaten – der „Ludwigsbahn“ Nürnberg-Fürth – Gegenstand einer bereits breiten gesellschaftlichen Debatte wie auch eines regelrechten Booms der Finanzierung und des Baus neuer Linien durch privatwirtschaftliche Unternehmen.20 In Frankreich ist es, nach ersten Linien in den 1830er Jahren, die Realisierung eines 1842 staatlich geplanten Netzes 19
20
Der Artikel ist datiert vom 5.5., erschienen in der Ausgabe vom 14.5. (Beilage); vgl. zur Allgemeinen Zeitung Hansen, Volkmar: Lutezia. Entstehung und Aufnahme. In: DHA, Bd. 13/1. Hamburg 1988: 361-560, hier: 400ff. Vgl. hierzu Gall, Lothar: Eisenbahn in Deutschland: Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg. In: ders./Pohl, Manfred (Hg.): Die Eisenbahn in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1999: 13-70; Roth, Ralf: Das Jahrhundert der Eisenbahn. Die Herrschaft über Raum und Zeit 1800-1914. Ostfildern 2005, hier: 61ff.; zur frühen deutschen Eisenbahngeschichte s. auch [Brandt, Harm-Hinrich et al. (Hg.)]: Zug der Zeit – Zeit der Züge, Bd. 1. Berlin 1985; zur Linie Fürth-Nürnberg vgl. insbes. Mück, Wolfgang: Eine Idee und ihre Verwirklichung: Die Nürnberg-Fürther Ludwigseisenbahn von 1835. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, 72 (1985): 232-262; Plöse, Renate: Umsturz von Raum und Zeit. Die erste deutsche Eisenbahn. In: Bock, Helmut/dies. (Hg.): Aufbruch in die Bürgerwelt. Lebensbilder aus Vormärz und Biedermeier. Münster 1994: 154-162.
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von Eisenbahnen, – darunter diejenigen von Paris nach Orléans und Rouen – die eine ähnlich dynamische Entwicklung einleitet, begleitet auch hier von massiven Investitionsschüben. „Eisenbahnfieber“ und „Eisenbahnwut“ lauten zeittypische Diagnosen angesichts einer international grassierenden Eisenbahnspekulation.21 Die deutschen Staaten und Frankreich finden mit dieser Dynamik verkehrstechnisch Anschluss an eine Entwicklung, die um 1815 in den englischen Kohlerevieren begonnen hat, und die in England längst viel weiter fortgeschritten ist als auf dem Kontinent. Möglich wird diese Entwicklung durch die Integration von zwei zunächst unabhängig voneinander existierenden Techniken: der Bewegung von Wagen auf Schienenwegen – „railroads“ –, bisher gezogen von Pferden, und der Transportierbarkeit oder Beweglichkeit der Dampfmaschine – als „locomobile (steam) engine“ bzw. deren Nutzung als ‚selbstbewegende‘ Zugmaschine – „locomotive engine“. Dampfmaschinen, seit Beginn des Jahrhunderts bereits als Schiffsantrieb im Einsatz, versuchsweise auch als Antrieb von Strassenwagen bzw. „Dampfmobilen“, werden durch diese Integration zum Teil eines neuen verkehrstechnischen Ensembles von Antrieb, Rad und Schiene, für das sich, als pars pro toto, die Bezeichnung (iron) „railroad“ bzw. „Eisenbahn“ und „chemin de fer“ herausbildet. Allmählich übernommen wird, im Deutschen wie im Französischen, die Bezeichnung „locomotive (engine)“, – nach vereinzelten Versuchen, sie im Deutschen etwa durch die Bezeichnung „fortschaffende Maschine“ zu übersetzen.22 In der Historiographie ist wiederholt auf die Faszination hingewiesen worden, die in ihrer Frühzeit von der neuen Verkehrstechnik ausgeht: Die Idee der Eisenbahn, so 1835 die Allgemeine Zeitung von und für Bayern, „elektrisirt alle Gemüther“, und die Eröffnungen der frühen Bahnlinien sind Spektakel, zu denen, wie in der Presse festgehalten wird, die Zuschauer in Massen heranströmen.23 Wenn in den Berichten die un21
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Vgl. Caron, François: Histoire des Chemins de Fer en France, Bd.1: 1740-1883. Paris 1997: 83ff.; 148ff.; 171ff.; Dollfus, Charles/de Geoffroy, Edgar: Histoire de la Locomotion Terrestre: Les Chemins de Fer. Paris 1935: 29ff.; 43ff. Vgl. Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise, a.a.O.: 9ff; 21ff; Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn, a.a.O.: 28ff.; zur Sprachgeschichte auch Heinimann, Alfred Ch.: Technische Innovation und literarische Aneignung. Die Eisenbahn in der deutschen und englischen Literatur des 19. Jahrhunderts. München 1991: 26ff.; Plöse: Umsturz von Raum und Zeit, a.a.O.: 159; zu den frühen Dampfschiffen Traeger: Metamorphose des Reisens, a.a.O.: 175ff. Zit. nach Mahr, Johannes: Eisenbahnen in der deutschen Dichtung. München 1982: 28; vgl. zu den im ff. zit. Berichten ebd.: 31 sowie Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn, a.a.O.: 58ff.; Heinimann: Technische Inno-
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geheure Wirkung des „Dampfwagens“ hervorgehoben wird, so ist diese zunächst ausgelöst durch die für den Betrachter unverständliche dampfende und hämmernde ‚locomotive engine‘ selbst mit ihrer „Unzahl von Röhren, Hähnen, Schrauben, Ventilen, Federn […].“ Die Rede von „aspirations“, einem „ungeduldigen Ross“ oder einem „ante-diluvianischen Stier[]“ zeugt nicht zuletzt von der Schwierigkeit, für das radikal Neue dieser technischen Maschine eine angemessene Sprache zu finden. Umso mehr gilt die Bewunderung des Berichterstatters 1835 in Nürnberg dem – englischen – Lokomotivführer, der ihm in seiner Kompetenz geradezu als der „regierende Geist der Maschine“ erscheint. Erst recht faszinierend ist die Fahrt, eher ein „Fliegen“, so die wiederkehrende Bezeichnung, das sowohl die Erfahrung einer neuen Geschwindigkeit mit sich bringt – von Reisenden und Zuschauenden als Erlebnis beschrieben wie auch in Minuten gemessen, – als auch eine neue Qualität des gleichförmigen Fahrens auf der Geraden der Schienen. Erscheint die Eisenbahn einem der Berichterstatter aus Nürnberg „wenn auch nicht pfeilgeschwind“, so ist sie „doch gegen alle bisherige Erfahrung schnell“ und, insbesondere, scheinbar „unaufhaltsam“.24 Als Technik eines derart beschleunigten und kontinuierlichen Fahrens verändert die Eisenbahn zu ihrer Frühzeit bestehende Masse zeiträumlicher Distanz wie auch Erfahrungen der Fortbewegung. Exemplarisch bringt dies 1840 Jacob Burckhardt in einem Brief aus Berlin zum Ausdruck, in dem er seine Erfahrung der Eisenbahn schildert, hier im Kontrast zum „langweilige[n] Spaziergang“ im Tiergarten: Wenn man sich etwas zu gute thun will, so sitzt man auf die Eisenbahn und rutscht in 33 oder 35 Minuten nach dem fünf gute Stunden entfernten Potsdam [...]. Das Fahren auf den Eisenbahnen ist sehr lustig; man fliegt eigentlich wie ein Vogel dahin. Die nächsten Gegenstände, Bäume, Hütten und dergleichen kann man gar nicht recht unterscheiden; sowie man sich danach umsehen will, sind sie schon lange vorbei. Nur sehr selten geschehen Unglücksfälle, gleichwohl giebt es hier viele Leute, die sich verschworen haben, nie auf eine Eisenbahn zu sitzen. Ich bin auf der Reise viermal auf Eisenbahnen gefahren.25
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vation und literarische Aneignung, a.a.O.: 193f.; 351f.; Plöse: Umsturz von Raum und Zeit, a.a.O.: 154f.; Mück: Eine Idee und ihre Verwirklichung, a.a.O.: 237f. Zit. nach Mahr: Eisenbahnen in der deutschen Dichtung, a.a.O.: 30. Wenige Monate später wird die Geschwindigkeit der Ludwigsbahn in Testfahrten von ca. 40 km/h auf 60-70 km/h gesteigert; vgl. Mück: Eine Idee und ihre Verwirklichung, a.a.O.: 258f.; Plöse: Umsturz von Raum und Zeit, a.a.O.: 156f. Burckhardt, Jacob: Briefe, Bd.1. Basel 1949: 150f. Adressatin des Briefs ist Dorothea Hartmann-Brodtbeck, ehemals Dienstmagd der Familie. Vgl.
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Trotz der genannten Ängste ist die Eisenbahn vor allem eine Attraktion, die eine beispiellose Steigerung der Fortbewegung mit sich bringt, wie die überaus hohen Passagierzahlen zeigen;26 zugleich unterläuft die neue Verkehrstechnik in mehrfacher Hinsicht gewohnte räumliche Erfahrungen und Verhältnisse. Mit Wolfgang Schivelbusch lässt sich von einem Dazwischentreten des „maschinellen Ensembles“ Eisenbahn sprechen:27 Im „Dahinfliegen“ der Fortbewegung, in dem die nächsten Gegenstände verschwimmen, transformiert die Eisenbahn die visuelle Wahrnehmung des durchfahrenen Raums; als „Rutschen“ auf der Geraden der Schienen koppelt sie die Fortbewegung von einer Gegebenheit landschaftlicher Bedingungen ab; durch die Verkürzung und Begradigung der Fahrt wiederum scheinen gewohnte räumliche bzw. zeiträumliche Entfernungen aufgehoben. Dieser Umbruch wird in zahlreichen Texten aus der Frühzeit der Eisenbahn thematisiert, und er findet seinen Ausdruck im besonderen in der wiederkehrenden Vorstellung eines schrumpfenden oder verschwindenden Raums, eines Zusammen- oder Heranrückens von Orten bzw. der Überwindung zeiträumlicher Distanz. Das Verschwinden bzw. „die Vernichtung von Raum und Zeit“ ist, so Schivelbusch, „der Topos, mit dem das frühe 19. Jahrhundert beschreibt, wie die Eisenbahn in den bis dahin unumschränkt herrschenden natürlichen Raum einbricht.“28 Diese topische Rede von der Raumvernichtung indes ist weder als eine blosse ‚Beschreibung‘ zu sehen noch alleine auf eine empirische Erfahrung der Eisenbahn oder Eisenbahnreise zurückzuführen; vielmehr ist damit eine Raumvorstellung und ein Deutungsmuster des Verhältnisses von Raum, Mensch und Fortbewegung bezeichnet, das einen Rahmen für die Einordnung der neuen Verkehrstechnik bereitstellt. „Raumvernichtend“ kann dabei die Eisenbahn insofern sein, als „Raum“ mit einer durch Verkehrsmittel überwundenen zeiträumlichen Distanz und einer widerständigen Natur identifiziert wird. In dieser Hinsicht kommt für die
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zur Stelle Borscheid, Peter: Das Tempo-Virus. Eine Kulturgeschichte der Beschleunigung. Frankfurt a. M. und New York 2004: 120; Vorsteher, Dieter: Bildungsreisen unter Dampf. In: Bausinger, Hermann et al. (Hg.): Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus. München 1991: 304-311, hier: 308. So befördert die Ludwigsbahn etwa schon im ersten Quartal rund 74.500 Passagiere, NB nur 40.000 davon per Dampfkraft, da ein Teil der Züge von Pferden gezogen werden. Die Bahn München-Augsburg, welche die Fahrzeit zwischen diesen Städten von 10 auf 3 Stunden reduziert hat, zählt allein im Monat Mai 1841 rund 31.600 Passagiere; vgl. Mück: Eine Idee und ihre Verwirklichung, a.a.O.: 244ff.; Gall: Eisenbahn in Deutschland, a.a.O.: 28. Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise, a.a.O.: 21ff. Ebd.: 16.
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Unternehmer der Ludwigsbahn bereits 1833 die Eisenbahn einer Bemächtigung gleich, so dargestellt in der Einladung zur Gründung der Bahngesellschaft: „[D]er Mensch bemächtigt sich immer mehr der Herrschaft über Raum und Zeit.“29 Ähnlich, aber mit einer gewissen Ambivalenz gesehen wird das „Verschwinden“ von „Zeit und Raum“ 1835 im Rheinisch-Westfälischen Anzeiger: Jetzt wird die Welt glücklich. Zeit und Raum, diese Schranken der menschlichen Vollkommenheit, verschwinden. Alle Verhältnisse werden anders. Das Prinzip der Bewegung unterjocht die Erde. Wollen die alte Langsamkeit und die alte Bedächtigkeit sich retten, so müssen sie sich in die Gebirge retten, wohin keine Eisenbahnen kommen können.30
Das eisenbahnkritische Stadt-Dürener Anzeige- und Unterhaltungsblatt wiederum sieht 1836 bereits die Bauarbeiten der geplanten Linie Aachen-Köln als Moment einer „Eroberung“ durch die Maschine: Überall werden die Felder abgemessen, die Strassen abgesteckt, die Wege gleichgemacht, die Hügel nivelliert, die Täler erhöht und das Land geebnet. [...] Die Maschine steckt ihre Eroberungsfahne auf [...].31
Momente der Enträumlichung, einer Eroberung der Landschaft, des Verschwindens von Raum und Zeit usw. werden so von der Frühzeit der ersten Projektierungen an in unterschiedlicher Hinsicht mit der Eisenbahn verbunden. Dabei wird die konstatierte „Raumvernichtung“ durch das neue Verkehrsmittel kontrovers beurteilt – und zugleich als zentraler Topos der Debatten um das neue Verkehrsmittel immer wieder zitiert und mithin bestätigt. Umgekehrt lässt sich der in dieser topischen Weise als Raumvernichtung begriffene Umbruch indes auch als eine Erweiterung von Raum, nämlich von Reise-, Verkehrs- und Handlungsräumen verstehen, eine Vorstellung, die, wie bereits Schivelbusch gezeigt hat, ebenfalls in der Debatte um die Eisenbahn aufscheint. So ist Heinrich Heines Imagination, die „Berge und Wälder“ aller Länder auf Paris heranrücken zu sehen und die Nordsee vor der eigenen Tür zu finden, nicht nur als Reflexion 29
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Zit. nach Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn, a.a.O.: 37; vgl. Mahr: Eisenbahnen in der deutschen Dichtung, a.a.O.: 27. Auch die Unternehmer der Ludwigsbahn vergleichen dabei die Eisenbahn – wie zehn Jahre später Heinrich Heine – in ihrer Bedeutung mit der Erfindung des Buchdrucks. Zit. nach Mahr: Eisenbahnen in der deutschen Dichtung, a.a.O.: 58. Zit. nach Reuter, Hans: 125 Jahre Eisenbahnlinie Köln – Düren – Aachen. In: Jahrbuch Kreis Düren 1966: 105-114, hier: 109.
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eines Schwunds von Zwischenraum oder Distanz lesbar, sondern auch als eine vorgestellte Erweiterung des eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsraums. Das Ensemble aus Dampfantrieb und Schiene transportiert, so Schivelbusch, einen doppelten Vorgang „der Raumverkleinerung und der Raumerweiterung“, indem „die Verkleinerung, d.h. die zeitliche Verkürzung des Transports, die Erweiterung des Verkehrsraums bewirkt.“32 Dieses Verständnis eines Raum sowohl verkleinernden wie auch erweiternden Dazwischentretens des Ensembles Eisenbahn lässt sich darüber hinaus auf die räumliche Situation des Abteils beziehen. Denn wie Schivelbusch und in jüngerer Zeit Gerhard Strohmeier angemerkt haben, geht die Trennung der Eisenbahnreisenden vom Aussenraum mit einer verstärkten Abgrenzung des Innenraums im Abteilwagen einher.33 Die Grenze zwischen der durchfahrenen Landschaft und dem Innenraum der Eisenbahn, die Grenze aber auch zwischen den gegeneinander abgeschlossenen Abteilen des Zugs generiert einen in doppelter Hinsicht abgeteilten Wahrnehmungs- und Handlungsraum der Passagiere. Es ist dieser mobile Innenraum des Abteils, in dem sich etwa Nikolaus Lenau 1841 auf einer Fahrt von Augsburg nach München beschreibt: „Ich sass ganz allein mit meinem Gott und meiner Zigarre [...] in einer äusserst komfortablen Wagenabteilung“; oder in dem Sören Kierkegaard 1843 philosophiert – nicht über Raum- oder Wahrnehmungsverlust, sondern über die Lehnstühle seines Abteils erster Klasse und die kommunikative Signifikanz einer flatternden Gardine im Nachbarabteil.34 Bereits zur Frühzeit der Eisenbahn wird in diesem Raum des Abteils zudem gelesen, womit in die durch das Dazwischentreten der Eisenbahn eröffnete Kluft u.a. das Medium der Literatur tritt. Seit Ende der 1840er Jahre sind es
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Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise, a.a.O.: 37. Der scheinbare Widerspruch verweist auf die grundsätzliche Doppelgesichtigkeit des Raums, die sich hier manifestiert, indem Raum einerseits subjektiv, andererseits als ein objektiviertes Bezugssystem erscheint. Vgl. zu dieser Ambivalenz Gosztonyi, Alexander: Der Raum. Geschichte seiner Probleme. 2 Bd.e. Freiburg i. Br. und München 1976, Bd. 2: 830ff. Vgl. Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise, a.a.O.: 67ff.; Strohmeier, Gerhard: Eisenbahn und Raumwahrnehmung. In: Dinhobl, Günter (Hg.): Eisenbahn/Kultur – Railway/Culture. Wien 2004: 177-190, hier: 184. Zit. nach Minaty, Wolfgang: Vorwort. In: ders. (Hg.) Die Eisenbahn. Gedichte, Prosa, Bilder. Frankfurt a. M. 1984: 9-32, hier: 17; zu Kierkegaard vgl. Müller, Ernst: „Der Einsame, der die Fahrt eines Eisenbahnzugs gestört hat.“ Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Bewegungstechniken bei Kierkegaard. In: Dotzler, Bernhard J./ders. (Hg.): Geschichte und Wahrnehmung. Markierungen zur Aisthesis Materialis. Berlin 1995: 43-82, hier: 55ff.
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dedizierte „Reise- und Eisenbahnbibliotheken“ oder Sonderreihen „for the rail“ bzw. „des Chemins de fer“, die für eine mediale Erweiterung wie auch Spaltung eines Innenraums der Reise durch Lektüre stehen.35 So ist das Dazwischentreten der neuen Verkehrstechnik über den Topos der Raumvernichtung hinaus als räumlicher Umbruch einer Eisenbahn beschreibbar, die, mit Michel Foucault, als ein „ausserordentliches Beziehungsbündel“ bzw. als ein heterogenes „ensemble“ räumlicher Relationen bezeichnet werden kann, – ist doch ein Zug, so Foucault, „etwas, das man durchquert, etwas, womit man von einem Punkt zum anderen gelangen kann, und etwas, was selber passiert.“36 Unzutreffend wäre es aber, in diesem räumlichen ensemble der neuen Verkehrstechnik eine singuläre Zäsur zwischen einer vorausgehenden natürlichen Form und einem neuen technischen Prinzip der Fortbewegung zu sehen. So weist Strohmeier darauf hin, dass bereits die Postkutsche eine gewisse Separierung der Passagiere vom Aussenraum mit sich bringt; – tatsächlich sind die Abteile der ersten europäischen Züge im wesentlichen nachgebildete Kutschen.37 Die Kutsche bzw. der Postwagen ist zudem das Verkehrsmittel, das im frühen 19. Jahrhundert, noch vor der Eisenbahn, massgeblich für neue Geschwindigkeitsverhältnisse steht, wie u.a. Klaus Beyrer gezeigt hat. Denn diese Verkehrstechnik erfährt, seit dem späten 18. Jahrhundert in England und Frankreich, um 1820 auch im deutschen Raum, einen eigentlichen Modernisierungsschub, ermöglicht durch den Bau von gepflasterten und erhöhten Kunststrassen (Chausseen) und durch die Einrichtung von Eil- bzw. Schnellpostverbindungen. Diese Verbindungen beschleunigen den Personentransport um 30- 40%, und dies auch aufgrund der Beschleunigung des Systems selbst – durch eine verbesserte Koordination, eine straffe Organisation der Pferdewechsel an den Stationen (Relais) und ein reibungsloses Ineinandergreifen der Fahrpläne. Damit funktioniert die Schnellpost ansatzweise bereits in der Art, die später die Eisenbahn als System kenn35
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Vgl. Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise, a.a.O.: 62ff.; Haug, Christine: „Ein Buchladen auf Stationen, wo sich zwei Linien kreuzen, müsste gute Geschäfte machen…“. Der deutsche Bahnhofs- und Verkehrsbuchhandel von 1850 bis zum Ende der Weimarer Republik im internationalen Vergleich. In: Burri, Monika et al. (Hg.): Die Internationalität der Eisenbahn 1850-1970. Zürich 2003: 71-89. Schivelbusch wie Haug interpretieren die Eisenbahnlektüre als eine „imaginäre Ersatzlandschaft“, in die sich die Reisenden begeben, – was indes eine Auffassung nahelegt, nach der Literatur (bzw. Medien) schlechthin als ein „Ersatz“ zu sehen wäre(n). Foucault: Andere Räume, a.a.O.: 67f. Vgl. Weber, Wolfhard: Verkürzung von Zeit und Raum. Techniken ohne Balance zwischen 1840 und 1880. In: König, Wolfgang/ders.: Netzwerke, Stahl und Strom. Berlin 1997: 11-264, hier: 183.
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zeichnet, nämlich „wie eine grosse Maschine“.38 Die systematische Organisation setzt eine Disziplinierung der Postillione voraus – das Preussische Postwesen etwa belohnt Pünktlichkeit durch die Verleihung der „Ehrenpeitsche“ –, aber auch der Reisenden, deren Essenspausen nun ebenfalls auf die Minute festgelegt sind. Die Schnellpost macht nicht nur den nach 1800 stereotypen Klagen über die deutsche „Schneckenpost“ ein Ende, sondern wird auch, vor der Eisenbahn, zur Trägerin einer steigenden Fortbewegung – erstmals auch des „Touristen“ – und zum Gegenstand der Wahrnehmung und Diskursivierung von Geschwindigkeit.39 So scheint bereits die Schnellpost zeiträumliche Ordnungen zu unterlaufen, wie aus der Zeitung für Reisen und Reisende hervorgeht, in der es 1831 heisst, durch die „schöne Einrichtung mit den Schnellposten“ seien „[a]lle Örter [...] jetzt näher gerückt. Man fliegt fast vorwärts!“ Heinrich Laube wiederum sieht im Eilwagen „[...] das moderne Fatum, nichts hemmt seine Speichen“, und schreibt ihm damit jene Unaufhaltsamkeit zu, die 1835 der Berichterstatter in Nürnberg in der Eisenbahn verkörpert sieht.40 So gehen Vorstellungen von Raumschrumpfung, neuen Geschwindigkeitsverhältnissen und Unaufhaltsamkeit der Eisenbahn voraus, weisen mithin die Deutungsmuster mehr Kontinuität auf als die Techniken des Verkehrs. Für Beyrer markiert daher tatsächlich nicht erst die Lokomotive auf Schienen, sondern bereits die Zäsur von Eilwagen und Schnellpost den Anfang der „Verkehrsmoderne“ und „eine Aufhebung des traditionellen Raum-Zeit-Kontinuums“.41 Die Eisenbahn, in Texten 38
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So der Ökonom Dionysius Lardner 1855 über die Eisenbahn, zit. nach Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise, a.a.O.: 30; zum Wandel der Post vgl. Beyrer, Klaus (Hg.): Zeit der Postkutschen. Drei Jahrhunderte Reisen 1600-1900. Karlsruhe 1992; Klauss, Jochen: „Der du reisest, sei auf deiner Hut“. Vom Fortkommen zu „klassischer“ Zeit. Rodolstadt 1996: bes. 81ff.; North, Gottfried: Eine Revolution im Reiseverkehr. Die Schnellpost. In: Bausinger et al. (Hg.): Reisekultur. München 1991: 291-297. Vgl. Knoll, Gabriele M.: Reisen als Geschäft. Die Anfänge des organisierten Tourismus. In: Bausinger et al. (Hg.): Reisekultur, a.a.O.: 336343. Zit. nach Beyrer: Eilwagen und Schnellpost. In: ders. (Hg.): Zeit der Postkutschen a.a.O.: 189-196, hier: 192; vgl. zum räumlichen Umbruch der Schnellpost Segeberg Harro: Literatur im technischen Zeitalter. Von der Frühzeit der deutschen Aufklärung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Darmstadt 1997: 120f.; Kaschuba: Die Überwindung der Distanz, a.a.O.: 96ff. Ebd.: 193. Dieses „traditionelle [...] Kontinuum“ wäre freilich seinerseits zu relativieren, beschreibt doch etwa Johann Gottfried Seume in Spaziergang nach Syrakus (1804) Fahren schlechthin als Zäsur bzw. Verlust: „So wie man im Wagen sitzt, hat man sich sogleich um einige Grade von
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der 1820er und 1830er Jahre mitunter gemeinsam mit dem Eilwagen wie auch dem Dampfschiff genannt, wird im Diskurs an diese angeschlossen und etabliert sich, lange vor dem Bau der ersten Strecke, als Moment einer zeittypischen Wahrnehmung der Beschleunigung. Diese Wahrnehmung jedoch – und in dieser Hinsicht ist die Deutung Schivelbuschs wie auch diejenige Beyrers zu erweitern – ist nicht nur eine der Mobilität des Transports, der Geschwindigkeit der Reise oder des Verkehrs. Hierauf macht Grossklaus gerade in Bezug auf Heinrich Heine nachdrücklich aufmerksam, wenn er Heines Rede von einem Schwanken des Raums und der Zeit in den Zusammenhang einer umfassenden Wahrnehmung des frühen 19. Jahrhunderts stellt, „in und von einer Bewegung fortgerissen zu sein, vom Sog geschichtlich beschleunigter Entfernung von der ‚alten‘ Welt erfasst zu sein“. Die Bewegung der „Verkehrsmoderne“ ist, mit anderen Worten, nicht von der „Doppelrevolution“ (Eric Hobsbawn) bzw. technisch-ökonomischen wie auch politischen, sozialen und kulturellen Bewegung des früheren 19. Jahrhunderts zu trennen.42 So manifestiert sich in den Debatten um Schnellpost, Dampfschiff und Eisenbahn eine sehr viel breitere Auseinandersetzung mit der ‚Bewegung der Zeit‘; sie sind, weit über die Frage der Verkehrstechnik hinaus, Gegenstand gesellschaftlicher Reflexion und Verortung. Wenn etwa 1825 der 76jährige Johann Wolfgang von Goethe in einer – vielzitierten – Briefstelle „Eisenbahnen“, gemeinsam mit Schnellpost, Dampfschiff und „alle[n] möglichen Fazilitäten der Kommunikation“, in den Zusammenhang eines „Zeitstrudels“ seiner Gegenwart stellt, der die jungen Leute fortreisse und die „gebildete Welt“ in der „Mittelmässigkeit“ verharren lasse, so formuliert er Beschleunigungskritik wie auch eine umfassende Kritik an einer nurmehr „mittlere[n] Kultur“.43 Ebenfalls mit der Frage der Bildung verbunden ist Friedrich Rückerts in seinem Gedicht „Die Eilfahrt“ (1833) formulierte Kritik der Dampfschiff- und Eilpostreise, die auch hier als ein Verlust erscheint, dabei bezogen auf eine Erweiterung wie Schrumpfung des Raums:
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der ursprünglichen Humanität entfernt.“ Zit. nach Segeberg: Literatur im technischen Zeitalter, a.a.O.:120; vgl. hierzu auch Virilio: Fahren, fahren, fahren…, a.a.O. Hobsbawn, Eric: Europäische Revolutionen. Zürich 1962; zur Verortung Heines in Bezug auf diese „Doppelrevolution“ vgl. Wagner, Gerhard: Heines Modernität. Aspekte seiner Positionierung in der ästhetischen Kultur des 19. Jahrhunderts. In: Beutin, Wolfgang et al. (Hg.): „Die Emanzipation des Volkes war die grosse Aufgabe unseres Lebens“. Beiträge zur Heinrich-Heine-Forschung anlässlich seines zweihundertsten Geburtstags 1997. Hamburg 2000: 287-299. Brief an Karl Friedrich Zelter vom 6. Juni 1825, zit. nach Minaty (Hg.): Die Eisenbahn, a.a.O.: 35.
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Die Welt wird weit und immer weiter/Das Wissen breit und immer breiter;/[…] Und vor des Niagara Brausen/Was will ein Rheinfall von Schaffhausen?/Wer nicht die ganze Welt kann sehn,/Soll lieber nicht vom Hause gehn./Doch sie zu sehn macht man dir leichter/Die fernern Ziele schnell-erreichter/Durch die in unsern Eilfahrstagen/Erfundnen Eildampfschiff’ und Wagen/Die Zwischenräume sind verschlungen/Wie schnell ein Blitz zum Ziel gedrungen/In solcher Fahrt ist eine Art/Von göttlicher Allgegenwart./[…]Wie ein Spaziergang durch den Garten/Geht eine Fahrt durch Länderkarten/[...]Und kehrest heim, um zu vergessen/Was du hast auf dem Flug besessen [...].44
Ist damit die „Eilfahrt“ gleichsam mit der Hybris eines Menschen assoziiert, der sich göttliche Allgegenwart anmasst, so steht wiederum bei Ludwig Börne die Frage des Verkehrswesens und seiner Geschwindigkeit in einem ganz anderen Deutungshorizont; so bereits in Börnes satirischer Monographie der deutschen Postschnecke, die 1821, kurz nach Einführung der Schnellpost, erscheint und auf das herkömmliche Postwesen gemünzt ist. Was Börne darin als „Stillstandslehre“ formuliert, ist die Beschreibung einer Gemächlichkeit des deutschen Postsystems, die der politischen Bewegungslosigkeit der restaurativen deutschen Staaten und ihrer Bürger seit 1815 entspricht. Die Deutschen, so das ironische Fazit Börnes, sind ebenso gemächlich wie ihre Post, – „gute, ruhige Bürger [...], die nichts Gewagtes unternehmen.“45 Entsprechend enthusiastisch formuliert Börne zehn Jahre später, in einem Brief aus Paris an Jeannette Wohl in Frankfurt, die Hoffnungen, mit denen er der Eisenbahn entgegensieht: Diese Eisenbahnen sind nun meine und Lists Schwärmereien wegen ihren ungeheuern politischen Folgen. Allem Despotismus wäre dadurch der Hals gebrochen, Kriege ganz unmöglich.46
Nochmals fünf Jahre später und kurz nach der Eröffnung der Ludwigsbahn proklamiert, aus ähnlicher Sicht wie Börne, Ferdinand Gustav Kühne in der Zeitung für die elegante Welt, dass Dampf und Eisenbahnen „nun einmal demokratische Mächte des Lebens“ seien.47 44 45
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Zit. nach Minaty (Hg.): Die Eisenbahn, a.a.O.: 38ff. Zit. nach Beyrer, Klaus: Deckel einer Spanschachtel mit Postschnecke (Erläuterungen zu Exponat). In: ders. (Hg.): Zeit der Postkutschen, a.a.O.: 166. Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Dreieich 1986: 283 (Brief vom 8. Okt. 1831). Zit. nach Wülfing, Wulf: „Die jrine Beeme“. Einige Bemerkungen zur Romantik-Kritik im Vormärz, speziell bei Börne, Heine und den Jungdeutschen. In: Bunzel, Wolfgang et al. (Hg.): Romantik und Vormärz. Zur
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Solche politischen Erwartungen formulieren in den 1820er und 30er Jahren nicht nur Literaten wie Börne und Kühne, sondern auch massgebliche Eisenbahnpioniere wie Friedrich Harkort oder der bei Börne genannte Friedrich List, liberale Demokraten, die in den Eisenbahnen das Transportmittel für einen ökonomischen wie politischen Fortschritt der deutschen Staaten erblicken. Harkort meint bereits 1825: „Die Junker haben von ihrem Standpunkt aus recht. Sie fühlen instinktiv, dass die Lokomotive der Leichenwagen ist, auf welchem Absolutismus und Feudalismus zum Kirchhofe werden gefahren werden.“48 Als „Triumphwagen des Gewerbefleisses“ werde die Eisenbahn, so die Hoffnung des westfälischen Unternehmers Harkort, die Stagnation der deutschen Kleinstaaten überwinden und dem „Gemeinsinne die Wege ebne[n]“.49 Der 1832 aus Amerika zurückgekehrte Nationalökonom Friedrich List, in der Folgezeit einer der wichtigsten Förderer der neuen Verkehrstechnik und Initiator der Leipzig-Dresdner Eisenbahn, spricht von einem „Herkules in der Wiege“, indem die Eisenbahn nicht nur die Nation einigen, sondern auch den „Nationalhass“ überwinden, Krieg, Arbeitslosigkeit, Hunger und Unwissenheit der Völker ein Ende setzen soll. Für List ist die Eisenbahn „Kommunikationsmittel“, „Verbindungsmittel“ und „Kulturbeförderungsmittel“ in einem – ein umfassendes Medium also und ein „Nervensystem des Gemeingeistes“.50 Dabei denkt List, wie auch andere Eisenbahnpioniere der 1830er Jahre, weit über einzelne Linien hinaus und entwirft, noch vor dem Bau der ersten deutschen Strecke, den Plan eines zusammenhängenden deutschen Eisenbahn-„Systems“, bzw., nach dem Begriff, der sich dafür bald etablieren wird, eines Netzes.51
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Archäologie literarischer Kommunikation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bielefeld 2003: 293-312: 306; vgl. Mahr: Eisenbahnen in der deutschen Dichtung, a.a.O.: 35. Zit. nach Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn, a.a.O.: 42f.; Heinimann: Technische Innovation und literarische Aneignung, a.a.O.: 36. Zit. nach Gall: Eisenbahn in Deutschland, a.a.O.: 16; Mahr: Eisenbahnen in der deutschen Dichtung, a.a.O.: 25. Zit nach Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn, a.a.O.: 37, 43, zu Lists politisch bedingter Emigration nach Amerika und seiner Bedeutung als Eisenbahnpionier vgl. ebd.: 34ff., 59f. Eine deutsche Einigung qua Verkehrswesen erwartete bekanntlich auch Goethe, seinem Diktum zufolge, die guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen würden hierzu schon das Ihrige tun. Vgl. Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn, a.a.O.: 72. Ausgesprochen weit denken auch die Unternehmer der Ludwigsbahn, die ihre Strecke Nürnberg-Fürth als Zentrum einer zukünftigen Kommunikationsverbindung bis zum Persischen Meer sehen; vgl. ebd.: 78; Mück: Eine Idee und ihre Verwirklichung, a.a.O.: 238f. Zur Ausbildung des Netzdiskurses vgl. Flichy, Patrice: Tele. Geschichte der modernen Kommunikation. Frank-
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In Frankreich ist es zur selben Zeit im besonderen die Gruppe der Saint-Simonisten, – mit der auch Heinrich Heine in nahem Kontakt steht – die weitreichende politisch-ökonomische Visionen eisenbahntechnischer Vernetzung entwickelt. Das revolutionäre Neue der raumüberwindenden Eisenbahn verbindet sich hier nahtlos mit einer revolutionären sozialen Utopie. Denn durch die Eisenbahn, so der Saint-Simonistische Ökonom Constantin Pecqueur, „verringern sich nicht nur die Entfernungen zwischen den Orten, sondern gleichermassen die Abstände zwischen den Menschen.“52 In Michel Chevaliers 1832 entworfenem „Système de la Méditerrannée“ kann die lokomotive Verkehrstechnik daher zu einer ebenso durchschlagenden wie – im Gegensatz zu den Revolutionskriegen – pazifistischen Verbreitungstechnik der revolutionären Dynamik werden und zur materiellen Basis einer imaginierten ökonomischen Konföderation wie geistigen Verbundenheit von Okzident und Orient. In Chevaliers Vision des zukünftigen Netzes der Eisenbahn, diesem „perfektesten Symbol der association universelle“, umspannt dieses Europa wie Vorderasien und Afrika, wobei Chevalier in seinem Text, gleichsam selbst in einer lokomotiven Fahrt durch die Landkarte, von einem Land und Ort zum anderen springt. Die überragende Bedeutung der Eisenbahn für Chevalier manifestiert sich am deutlichsten in seinen bildreichen Ausführungen über Russland, in denen die vorgestellte Ankunft der neuen Verkehrstechnik buchstäblich als eine Erweckung erscheint: Bei diesen Nationen schlummert alles; die Masse der Einwohner hier sterben, nachdem sie mehr vegetiert als gelebt haben, ohne sich weit aus der Sichtweite ihrer Hütte entfernt zu haben, die [schon] ihre Vorfahren bewohnten, ähnlich den Muscheln, deren Schale an einem Felsen festhält. [...] Politisch besteht das wirksamste Mittel, sie aus ihrem Schlummer aufzuwecken, darin, […] sie durch das Schauspiel einer enormen Schnelligkeit zu erregen und sie dazu einzuladen, dem Strom zu folgen, der durch den [...] Nutzen [intérêt] des industriellen Gewinns vor ihrer Tür zirkulieren wird.53
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furt u.a. 1994: 54ff.; Giessmann, Sebastian: Netze und Netzwerke. Archäologie einer Kulturtechnik 1740-1840. Bielefeld 2006: 94f. Zit. nach Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise, a.a.O.: 68. Chevalier, Michel: Exposition du Système de la Méditerranée. Politique Nouvelle. In: ders. Politique industrielle/Système de la Méditerranée. Paris 1832: 129-150, hier: 132; 142 (Übers. RB); zum „Système“ vgl. Caron: Histoire des Chemins de Fer en France, a.a.O.: 91ff.; Giessmann: Netze und Netzwerke, a.a.O.: 84ff.; zur zit. Stelle vgl. Mattelart, Armand: Kommunikation ohne Grenzen? Geschichte der Ideen und Strategien globaler Vernetzung. Rodenbach 1999: 40, Anm. 46.
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Durch die Eisenbahnen, gemeinsam mit anderen neuen Verkehrsmitteln wie dem Telegraphen, werde, wie Chevalier, aber auch französische Ingenieure in den 1830er Jahren voraussehen, eine „Instantaneität“ des internationalen Raums geschaffen, ein „Nervensystem“ bzw. der lebendige Strom einer „elektrisierten“ Zeit.54 Geschwindigkeit, die fortreissende Bewegung der Moderne, das Fliegen durch Länderkarten, in den zitierten Texten Goethes und Rückerts Signaturen des Verlusts (von Zwischenraum, von Erinnerung oder von Bildung im umfassenden Sinn dieses Begriffs), verheissen aus dieser Sicht vielmehr eine revolutionäre Mobilisierung, Vernetzung und ‚Assoziation‘. Die Eisenbahn, so sieht es Chevalier, und so sehen es grundsätzlich auch liberale Vordenker und Pioniere der Eisenbahn im deutschen Raum, ist Medium der Einigung, der Emanzipation und des sozialen, politischen und ökonomischen Fortschritts. Die Voraussetzungen hierzu sind in den deutschen restaurativen Kleinstaaten freilich andere als im bürgerlichen Frankreich: Die Eisenbahn steht hier – als „Nervensystem des Gemeingeistes“ und „Triumphwagen des Gewerbefleisses“ – für einen liberalen Wandel und eine Überwindung sowohl der Kleinstaatlichkeit als auch der feudalen und absolutistischen Verhältnisse. Was sie transportiert, ist weniger eine „universelle“ Vision als diejenige einer Emanzipation des deutschen Bürgertums. Diese Sicht der Eisenbahn wird ebenso von Gegnern einer liberalen Emanzipation geteilt, im besonderen von Teilen des Adels in den deutschen Staaten. So befürchtet die Hannoversche Obrigkeit 1834 durch die Eisenbahn „Maschinengläubigkeit“, und von König Ernst August ist überliefert, er habe die Eisenbahnen als eine „Saat von Drachenzähnen“ bezeichnet, die eine „Revolution erzeugen“ müsse. Der Bayrische König Ludwig I wiederum, Namensgeber der Nürnberg-Fürth-Bahn, verfolgt, nach anfänglichem Wohlwollen, das Unternehmen mit Misstrauen und verhindert nach 1835 den weiteren Ausbau der Strecke, indem er den Betreibern wiederholt die Konzession verweigert.55 Von einer entschieden
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Chevalier: Exposition du Système de la Méditerranée, a.a.O.: 135; vom Nervensystem spricht 1837 auch der Ingenieur Jean-Baptiste Billaudel: „Ce sont les hommes, ce sont les idées, ce sont les capitaux qu’il faut jeter aujourd’hui dans le tourbillon d’une circulation rapide. [...] les chemins de fer seront le système nerveux: le fluide vital, ce sera le temps électrisé par l’intelligence.“ Zit. nach Caron: Histoire des Chemins de Fer en France, a.a.O.: 98. Mück: Eine Idee und ihre Verwirklichung, a.a.O.: 242; Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn, a.a.O.: 54; vgl. Plöse: Umsturz von Raum und Zeit, a.a.O.: 160. In Preussen wich die Zurückhaltung des Staats freilich bald einer aktiven Eisenbahnpolitik, die 1848 Mitauslöserin der Revolution war – womit sich die Einschätzung der Eisenbahn als Revolutions-
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ablehnenden Haltung Ludwigs gegenüber der Eisenbahn zeugt im besonderen das von ihm verfasste Gedicht „Der Dampfwagen“, in dem „Rauch“ und „Dampf“ nicht weniger als den Anfang vom Ende bezeichnen: Aufgehen wird die Erde in Rauch, so steht es geschrieben/was begonnen bereits: überall rauchet es schon./Jetzo lösen in Dampf sich auf die Verhältnisse alle,/und die Sterblichen treibt jetzo des Dampfes Gewalt,/allgemeiner Gleichheit rastloser Beförd’rer. Vernichtet wird/die Liebe des Volkes nun zu dem Land der Geburt./Überall und nirgends daheim, streift über die Erde unstät/so wie der Dampf, unstät das Menschengeschlecht./Seinen Lauf, den umwälzenden hat der Rennwagen begonnen/jetzo erst, das Ziel liegt dem Blicke verhüllt.56
Durch die Eisenbahn werden die Verhältnisse der bestehenden Ordnung buchstäblich verdampft – eine Metaphorik, derer sich in ähnlicher Weise 1848 auch Friedrich Engels in Bezug auf Österreich-Ungarn bedient.57 Die Konsequenz, die Ludwig ausmalt, ist die einer kosmopolitischen Rast- und Heimatlosigkeit, im Gegensatz zum idyllischen Bild eines sesshaften, sein Land liebenden Volkes. König Ludwig I war, wie Hermann Bausinger treffend angemerkt hat, kein Lokomotivführer.58 Der nostalgische Charakter des Gedichts spiegelt zweifellos den „Standpunkt“ – der oben zitierten Formulierung von
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macherin gleichsam bewahrheitete; vgl. Gall: Eisenbahn in Deutschland, a.a.O.: 14; 21ff.; Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn, a.a.O.: 86ff. Zit. nach Mück: Eine Idee und ihre Verwirklichung, a.a.O.: 259; vgl. Bausinger, Hermann: Alltag, Technik, Medien. In: Pross, Harry/Rath, Claus-Dieter (Hg.): Rituale der Medienkommunikation. Gänge durch den Medienalltag. Berlin 1983: 24-36, hier: 28. „[D]ie neue Pulsader geht von Triest […] bis an die entfernten Küsten der Nordsee und des Ozeans. […] ‚Mich und den Metternich hält’s noch aus.‘ Die französische Revolution, Napoleon und die Julistürme hat’s ausgehalten. Aber den Dampf hält’s nicht aus. Der Dampf hat [...] dem Hause Habsburg den Boden unter den Füssen weggezogen.“ Engels, Friedrich: Der Anfang des Endes in Österreich. In: Marx, Karl/Engels, Friedrich: Werke, Bd. 4. Berlin 1974: 504-510, hier: 508; vgl. hierzu und zu den – umkehrbaren – Metaphern der Eisenbahn und der Revolution bei Marx/Engels Euchner, Walter: „Die Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte“. Zum Metaphern- und Symbolumfeld eines Marxschen Diktums. In: ders. et al. (Hg.): Il potere delle immagini. La metafora politica in prospettiva storica/Die Macht der Vorstellungen. Die politische Metapher in historischer Perspektive. Bologna und Berlin 1993: 277-307, hier: 282. Vgl. Bausinger: Alltag, Technik, Medien, a.a.O.: 28.
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Friedrich Harkort folgend – des bayrischen Monarchen. Darüber hinaus trifft das Gedicht jedoch auch den zeittypischen Ton einer spätromantischen Literatur, die sich angesichts des beschleunigten Wandels an einer idyllisierten Vergangenheit orientiert. In der literarischen Bildwelt der Spätromantik und des Biedermeier verkörpert sich diese bekanntlich etwa in der Ruhe der Natur – im Gegensatz zur stampfenden Dampfmaschine –, in der heimatlichen Landschaft und ihrer volkstümlichen Tradition oder in der Rede von der „guten alten Zeit“, die sich nach 1820 verfestigt.59 So setzt sich etwa bei Joseph von Eichendorff eine Beschleunigungskritik, die er bereits 1826 im den Bekenntnissen eines Taugenichts – bezogen auf die Eilpost – anklingen lässt, 1850 in seiner Darstellung einer durch den „Dampfwagen“ ‚durcheinandergerüttelten‘ Welt fort, von der es im Vorwort zu den Papieren eines Einsiedlers heisst, dass sie „eigentlich nur noch aus Bahnhöfen“ bestehe.60 Auch für Eichendorff verliert damit die Welt durch den „Dampfwagen“ ihre räumliche Ordnung, bezogen indes nicht auf eine politische Ordnung räumlicher Verhältnisse, sondern auf eine räumliche Welt, der – nur noch aus Bahnhöfen bestehend – die Zwischenräume abhanden gekommen sind bzw. eine Qualität der Ferne. Von einem Verlust durch eine Kommunikation, die im Wortsinne ent-fernt, spricht wiederum 1837 auch Theodor Mundt, der, bei aller Distanz zu spätromantischer Nostalgie, die eisenbahnenthusiastische Vision der „Annäherung“ grundsätzlich in Frage stellt, verliert doch mit der Nähe „[…] alle Verbindung an Werth und Inhalt.“ Diese liegen, nach Mundt, vielmehr in der Ferne: „Die Ferne ist es, die ich liebe, die Langeweile und Gleichgültigkeit der Nähe ist es, die ich fürchte“.61 So artikuliert sich in der Literatur, und dies nicht ausschliesslich in derjenigen der Spätromantiker, eine Spannung zwischen der lokomotiven 59
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Dies in der Folge auch verbunden mit dem nun zunehmend nostalgisch verklärten Posthorn; vgl. Stein, Peter: „Die gute alte Zeit“ – ein Zeitkonstrukt zwischen Romantik und Nachmärz. In: Bunzel, Wolfgang et al. (Hg.): Romantik und Vormärz, a.a.O.: 185-197. Eichendorff, Joseph von: Aus den Papieren eines Einsiedlers. In: ders.: Sämtliche Werke, Bd. 5.4. Tübingen 1998: 71-94, hier: 88; vgl.: ders: Aus dem Leben eines Taugenichts. In: ebd., Bd 5.1, Tübingen 1998: 83197, hier: 132f. So ist „Gott [...] uns fern [...], alle Sympathie wirkt am zauberhaftesten in die Ferne, und nun sollen wir auf einmal an der Nähe und an der Befriedigung sterben, an die wir armen, zur Sehnsucht geborenen Geschöpfe nicht gewöhnt sind?“ Mundt, Brief aus London, zit. nach Minaty: Die Eisenbahn, a.a.O.: 49ff.; vgl. Wülfing, Wulf: Reiseliteratur. In Glaser, H. A./Witte, Bernd (Hg.): Vormärz: Biedermeier, Junges Deutschland, Demokraten 1815-1848. Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, Bd. 6. Reinbek 1980: 180-194, hier: 189f.
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‚Bewegung der Zeit‘ und der literarischen Ästhetik, zwischen technischer und ökonomischer Dynamik und dem ‚Denken und Dichten‘. Das Deutsche Literaturblatt formuliert das grundsätzliche Problem, das sich stellt, 1841 wie folgt: Je näher uns – wir sagen nicht anders als Gottlob! – die materiellen Interessen dringen – desto lebhafter die Frage, wie mit ihnen die geistigen zu vereinigen und wie sich das Deutschland des Handels, der Fabriken, der Locomotiven zu dem Deutschland der Denker und Dichter verhalten werde.62
In dieser Formulierung ist eine gewisse Konkurrenz im Verhältnis zwischen den „Locomotiven“ und den „Denkern und Dichtern“ freilich nicht nur festgeschrieben, sondern in gewisser Weise bereits vorentschieden, was implizit die empfundene Ungleichheit und Unversöhnlichkeit dieser beiden Welten spiegelt. Steht das ‚Denken und Dichten‘ nach klassischer wie romantischer Ästhetik für die Souveränität sowohl der Kunst als auch des künstlerischen Ichs, so verkörpern Handel, Fabrik und Lokomotive eine neue Welt der „materiellen Interessen“, die ihrer eigenen Rationalität folgt, und die sich kaum ‚poetisieren‘ lässt.63 Die Eisenbahn zerstört damit aus der Sicht ihrer literarischen Kritiker die Autonomie der Ästhetik ebenso wie des wahrnehmenden Subjekts; eine Vorstellung, die um 1840 etwa durch Justinius Kerner und Christian Friedrich Scherenberg in lyrischer Form zum Ausdruck gebracht wird. In ihren Gedichten bricht die Eisenbahn buchstäblich in die Poesie ein, sei es, bei Kerner, als ein „wilder Pfiff“ in der Natur, verbunden mit einem „Zug von Waaren“, der die Sonne verdunkelt, oder mit einem Tropfen vom Himmel aus einem undichten Ölfass anstelle von Regenwolken; sei es, bei Scherenberg, als ein „Eisenband“, das den Raum der Erde „zusammen[]schmiedet“ und den „Traum [...] an der Wirklichkeit“ sterben lässt.64 Die „Raumvernichtung“ der Lokomotive steht hier nicht für eine Ermächtigung, sondern für Entmachtung – der Poesie wie des Poeten – und nicht für eine Utopie, sondern für die Zerstörung der Natur und des Traums. Widersprochen wird solchen Klagen wiederum u.a. durch Ana62 63
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Zit. nach Mahr: Eisenbahnen in der deutschen Dichtung, a.a.O.: 81. Es ist gerade Heinrich Heine, der diese Spannungen und Widersprüche der klassischen wie auch der (spät)romantischen Kunst zu seiner Gegenwart immer wieder benennt; vgl. exempl. hierzu Heines Hinweis auf seine (bereits früher geprägte) Formulierung vom „Ende der [Goetheschen] Kunstperiode“ in Heine, Heinrich: Französische Maler. Gemäldeausstellung in Paris 1831. In: DHA, Bd. 12/1. Hamburg 1980: 9-62, hier: 47f. Zit. nach Mahr: Eisenbahnen in der deutschen Dichtung, a.a.O.: 63; 67; vgl. Heinimann: Technische Innovation und literarische Aneignung, a.a.O.: 263f.
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stasius Grün und Gottfried Keller, die in ihren Eisenbahngedichten dieser Zeit eine ähnlich fortschrittsoptimistische Sicht der Eisenbahn vertreten wie Börne oder Kühne.65 Literaturgeschichtlich sind diese Kontroversen Teil der diskursiven Struktur einer Epoche, in der in der deutschen Literatur zwei gegensätzliche literarische Modelle – Romantik und Vormärz bzw. Junges Deutschland – miteinander konkurrieren. Die „Eisenbahn“ ist in dieser Auseinandersetzung, wie in der Literaturgeschichte angemerkt worden ist, auch ein Gegenstand der literarischen Positionierung und Profilierung; in den literarischen Eisenbahndebatten manifestiert sich nicht zuletzt ein spezifisches Spannungsfeld „rivalisierender Diskursformationen“ dieser Zeit in der deutschsprachigen Literatur.66 Diese Polarisierung jedoch ist ihrerseits, wie deutlich wurde, nicht isoliert zu sehen, sondern im Rahmen einer grundsätzlichen Spannung in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen mit der Eisenbahn, ihrer Geschwindigkeit und ihrer „Raumvernichtung“; ist doch die polarisierte Deutung der Eisenbahn kein Kennzeichen allein der Literatur, und sie ist überdies auch keine Eigenheit alleine der deutschsprachigen literarischen Eisenbahndebatte. So ist es in der englischen Romantik in den 1840er Jahren u.a. William Wordsworth, der die Eisenbahn als eine Bedrohung der Natur wie der Poesie begreift – und sich auch praktisch gegen den Bau einer Linie einsetzt. John Ruskin wiederum kritisiert in einem 1849 publizierten Essay die lokomotive Entmachtung des ästhetischen Subjekts im prägnanten Bild, der Reisende werde durch die Eisenbahn in ein „lebendiges Paket“ verwandelt; an anderer Stelle spricht Ruskin von einem „Geschossenwerden“.67 Im Gegensatz dazu feiert etwa Charles Mackay 65
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Vgl. ebd.: 260 ff.; Mahr: Eisenbahnen in der deutschen Dichtung, a.a.O.: 73f.; zur Eisenbahndebatte in der deutschen Lyrik auch Minaty: Vorwort, a.a.O.: 14f.; Segeberg: Literatur im technischen Zeitalter, a.a.O.: 129ff. Bunzel, Wolfgang et al.: ‚Romantik‘ und ‚Vormärz‘ als rivalisierende Diskursformationen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: dies. (Hg.): Romantik und Vormärz, a.a.O.: 9-46. Zit. nach Heinimann: Technische Innovation und literarische Aneignung, a.a.O.: 157; vgl. 108ff. Raumtheoretisch ist die Eisenbahnkritik Ruskins von besonderem Interesse, hält dieser doch 1856 dem Topos der Raumvernichtung eine grundsätzlich andere Raumvorstellung entgegen: „[Men] will [...] find out that their grand inventions for conquering (as they think) space and time, do, in reality, conquer nothing; for space and time are, in their own essence, unconquerable, and besides did not want any sort of conquering; they wanted using. A fool always wants to shorten space and time: a wise man wants to lengthen both. A fool wants to kill space and kill time: a wise man, first to gain them, then to animate them.“ Zit. nach ebd.: 158. Vgl. zur englischen Debatte auch Seeber, Hans Ulrich: „The Country Swims with Motion“. Poetische Eisenbahnfahrten in England. In: Grossklaus/Lämmert (Hg.): Literatur in einer in-
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in seinem Gedicht Railway 1846 die „iron bands“, vergleichbar der Saint-Simonistischen Eisenbahnvision, als ein Medium der Einigung und Friedensstiftung.68 Eine Differenz zur deutschen Kontroverse liegt vor allem in der Frage der politischen Konnotation der Eisenbahn, die in England eine untergeordnete Rolle spielt.69 Korrespondiert in dieser Weise die deutsche Debatte in hohem Mass mit der englischen, so gilt dies ebenso für das Verhältnis zwischen den literarischen und den politischen und ökonomischen Kontroversen, die sich in den Diskursen um die frühe Eisenbahn miteinander mischen. Über die formale und argumentative Heterogenität der Debatten hinweg ist es dabei gerade die polarisierte Struktur gegensätzlicher Deutungsmuster – manifest bereits in den Auseinandersetzungen um Eilpost und Dampfschiff, – die als zentrales gemeinsames Merkmal dieses diskursiven ensembles angeschrieben werden kann. Der Erfahrung der Eisenbahn vorausgehend, informiert diese Polarisierung die Wahrnehmung und Deutung der neuen Verkehrstechnik, ihrer Geschwindigkeit und ihrer räumlichen Zäsur. So wird die Dazwischenkunft des „maschinellen Ensembles“, noch vor den ersten fahrenden „Dampfwagen“, eingeordnet in ein Spannungsfeld von Überwindung und Verlust, Verbindung und Zerstörung, Utopie und Nostalgie: Verheisst sie für Börne ebenso wie für Chevalier, List oder die Gründer der Ludwigsbahn eine lokomotive Ermächtigung und eine Zukunft politisch-ökonomischen Fortschritts und einigender Verbindung, so erscheint sie aus spätromantischer Sicht wie auch für Vertreter des Adels als Signatur und Teil der Auflösung oder des Verlusts – einer bestehenden Ordnung, eines Natürlichen oder der Souveränität. Auf beiden Seiten der Kontroversen gleichen sich hierbei die Diagnosen wie Metaphern des konstatierten Umbruchs: So wird, von der Berichterstattung der Presse bis hin zur Lyrik, der „fortschaffenden Maschine“ immer wieder „Unaufhaltsamkeit“ zugeschrieben, ist wiederkehrend vom „Flug“ der Eisenbahnfahrt die Rede, von den „Eisenbändern“ (so bei Scherenberg wie bei Mackay), und vom „Nervensystem“ der Schienen (so bei Billaudel oder List) oder auch vom „Dampf“, der, nach
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dustriellen Kultur, a.a.O.: 407-430. Zur französischen Eisenbahnliteratur vgl. Caron: Histoire des Chemins de Fer en France, a.a.O.: 98ff.; zu einem deutsch-französischen Vergleich s. auch Hoeges, Dirk: Alles veloziferisch. Die Eisenbahn – vom schönen Ungeheuer zur Ästhetik der Geschwindigkeit. Rheinbach-Merzbach 1985: 9ff. „Link town to town; unite in iron bands/The long-estranged and oftembattled lands…/Blessings on Science, and her handmaid Steam!/They make Utopia only half a dream/[...]“. Zit. nach Heinimann: Technische Innovation und literarische Aneignung, a.a.O.:113. Vgl. ebd.: 418f.
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Ludwig I ebenso wie nach Friedrich Engels, die bestehenden Verhältnisse unwiderruflich aufzulösen verspricht. Die Eisenbahn, von Chevalier als internationales Netz der Verbindung und Zirkulation imaginiert, ist mithin eine mediale Technik, die selbst eine „circulation“ der „idées“ und der diskursiven Verbindungen befördert zwischen „ingénieurs“ und Unternehmern, adeliger Obrigkeit und ‚Denkern und Dichtern‘. Angesichts solcher technik- und diskursgeschichtlicher Gemengelagen aber ist die Frage der Eisenbahn und ihrer „Raumvernichtung“ zur Frühzeit des neuen „maschinellen Ensembles“ kaum auf einen eindeutigen Gegenstand – der Technik, der visuellen Wahrnehmung oder der Literatur – zu reduzieren. Nicht nur erscheint damit die Vorstellung von einer literarischen Verarbeitung eines ihr vorausgehenden Technischen fragwürdig, sondern auch diejenige voneinander separierter Diskurse der Technik und der Literatur, der Ökonomie oder der Politik oder diejenige einer Trennbarkeit zwischen visueller Wahrnehmung und den polarisierten Deutungsmustern von Raum, lokomotiver Bewegung und den „Fazilitäten der Kommunikation“.70 Was angesichts der Ankunft der Eisenbahn kontrovers verhandelt wird, verweist auf eine Bewegung, die nicht im Mass gesteigerter Fahrgeschwindigkeiten aufgeht, und auf einen medialen Umbruch, dessen topisch als „Raumvernichtung“ begriffene Dazwischenkunft sich in mehrfacher Hinsicht als ein ensemble des „Beweglichen“ und „Fortschaffenden“ präsentiert.
I n d u s tr i e u n d K u n s t Dies gilt auch und gerade in Bezug auf Heinrich Heine, der sich mit seinem Bericht in der Augsburger Allgemeinen Zeitung aus Paris gleichsam in die deutschen Eisenbahn-Debatten einschaltet. Heine, ebenso wie Börne Vorbild zahlreicher jungdeutscher Autoren und seit 1831 Exilant in der französischen Hauptstadt, ist zur Zeit seines Berichts Korrespondent der Zeitung, wobei seine Beiträge, wie in der deutschen Presse dieser Zeit üblich, einer scharfen Zensur unterliegen und im Druck anonymisiert werden.71 Die rund 60 abgedruckten Artikel Heines aus den 70
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Zur Diskussion dieser Gemengelagen im Blick auf das Verhältnis von Technik und Literatur vgl. Segeberg: Literatur im technischen Zeitalter, a.a.O.: 6ff.; 100ff. Dies durch Verwendung von Chiffren für die Autoren. Heine ist bereits 1832 erstmals Korrespondent der Allgemeinen Zeitung. Seine erneute Korrespondententätigkeit nach 1840 fällt in eine politisch gespanntere Zeit, was dazu führt, dass ein grosser Teil seiner Artikel nicht erscheinen. Vgl. zur Publikationstätigkeit Heines für die Zeitung Höhn, Gerhard: Heine Handbuch. 3. Auflage. Stuttgart 2004: 506; zur Zensur und zur
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Jahren 1840-48 handeln von einem breiten Spektrum künstlerischer und zeitgeschichtlicher Ereignisse in der französischen Hauptstadt – von Galerien und Musikdarbietungen ebenso wie von Parlamentsdebatten. Kennzeichnend ist jedoch durchwegs, dass sie sich nicht auf eine Beschreibung dieser Gegenstände beschränken, sondern auf spezifische ästhetische, gesellschaftliche und politische Fragen hin zugespitzt sind; dabei zeugen sie von einem hohen literarischen Anspruch, den Heine seinem Schreiben zugrundelegt. Die Publikationen in der Allgemeinen Zeitung sind, mit anderen Worten, Plattform eines virtuosen literarischen „Meinungs[]journalismus[’]“ Heines, der sich innerhalb der Diskurse seiner Zeit positioniert.72 Der Bericht über die Eröffnung der Eisenbahnlinien von Paris nach Orléans und Rouen bildet hierin keine Ausnahme. Denn das Interesse Heines in seinem Bericht gilt, worauf u.a. Wolfgang Preisendanz und Volkmar Hansen aufmerksam gemacht haben, weniger dem Verkehrsmittel Eisenbahn, seiner Technik oder seiner Geschwindigkeit als vielmehr der Erörterung politischer und sozialer Verhältnisse, auf die der Gegenstand der Eisenbahn wie auch der geschilderten Streckeneröffnung bezogen wird.73 Die Darstellung dieser Vorgänge wiederum ist insofern doppelbödig, als sie auf Vorgänge in Paris referiert, aber auf die Rezeption im deutschen Raum ausgerichtet ist. Wie sich Heine hierbei positioniert, ist bereits durch den Titel „Industrie und Kunst“ angedeutet, den der Artikel in der Zeitungsfassung trägt: Mit diesen beiden Begriffen ist zunächst eine grundsätzliche Ausrichtung von Heines Prosa umrissen, die auf eine Kunst nach der von Heine benannten (Goetheschen) „Kunstperiode“ bzw. eine „zeitgemässe[] Kunst mit operativen Zügen“ abzielt, die literarische Ästhetik und soziale Wirkung zu vereinen vermag.74 Darüber hinaus bezeichnen die beiden Titelbegriffe genau das Spannungsfeld der zeitgleichen deutschen Diskussion um die – oben angeführte – Frage des Deutschen Literaturblatts, „wie sich das Deutschland des Handels, der Fabriken, der Locomotiven zu dem Deutschland der Denker und Dichter verhalten
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Konsequenz der Heineschen Selbstzensur Hansen: Lutezia, a.a.O.: 403ff.; zur Rolle der Pressezensur in diesen Jahren vgl. auch Stein, Peter: Vormärz. In: Wolfgang Beutin et al.: Deutsche Literaturgeschichte. 6. Auflage. Stuttgart und Weimar 2001: 239-292, hier: 245ff. Hansen: Lutezia, a.a.O.: 398. Vgl. Preisendanz, Wolfgang: Heinrich Heine. Werkstrukturen und Epochenbezüge. München 1973: 88; 96; Hansen, Volkmar: Heine und die technische Innovation. In: Kruse, Joseph A. (Hg.): „Ich Narr des Glücks“. Heinrich Heine 1797-1856. Bilder einer Ausstellung. Stuttgart und Weimar 1997: 297-303. Bunzel et al.: ‚Romantik‘ und ‚Vormärz‘ als rivalisierende Diskursformationen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, a.a.O.: 24.
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werde“. Der Titel „Industrie und Kunst“ trifft somit gleichsam den Nerv der aktuellen deutschen Debatten um die Eisenbahn. Mit den beiden im Titel genannten Themen und, vor allem, ihrer Rolle in der französischen Politik, setzt auch der Text Heines ein: Die eigentliche Politik lebt jetzt zurückgezogen [...]. Industrielle und artistische Fragen sind unterdessen an der Tagesordnung, und man streitet jetzt, ob das Zuckerrohr oder die Runkelrübe begünstigt werden solle, ob es besser sei, die Nordeisenbahn einer Compagnie zu überlassen oder sie ganz auf Kosten des Staates auszubauen, ob das klassische System in der Poesie […] wieder auf die Beine kommen werde [...].75
Heine nimmt hier auf zwei Aktualitäten in Paris Bezug: einerseits auf die Parlamentsdebatten um Zucker und Eisenbahnbau in der Deputiertenkammer, andererseits auf den durch ein jüngst erschienenes literarisches Werk ausgelösten Streit um den Stellenwert klassischer gegenüber romantischer Literatur. Von Beginn an wird jedoch deutlich, dass es nicht allein um die Wiedergabe einzelner Neuigkeiten geht, sondern um eine kommentierende Darstellung aktueller Kontroversen v.a. um die Rolle der Ökonomie und des Nationalstaats in der französischen Julimonarchie. Die erwähnte Auseinandersetzung um „Zuckerrohr“ und „Runkelrübe“ – Kolonialhandel und nationale Produktion – wird anschliessend weiterverfolgt und mit einer Kritik an Konservatismus und Nationalismus verknüpft, wobei Heine zu einem Seitenhieb an die deutschen Nationalisten ansetzt. Den „alten“ nationalen „Schwärmereien“ gegenüber stellt er das Bild einer mit der Eisenbahn anrollenden neuen Zeit: Die Gegner des Zuckerrohrs sind entweder betheiligte Industrielle [...] oder es sind alte, abgelebte Bonapartisten, die an der Runkelrübe, der Lieblingsidee des Kaisers, mit einer gewissen Pietät festhalten. Diese Greise, die seit 1814 geistig stehen geblieben, bilden immer ein wehmütig komisches Seitenstück zu unsern überrheinischen alten Deutschthümlern, und wie diese einst für die deutsche Eiche und den Eichelkaffee, so schwärmen jene für die Gloire und den Runkelrübenzucker. Aber die Zeit rollt rasch vorwärts, unaufhaltsam, auf rauchenden Dampfwagen, und die abgenutzten Helden der Vergangenheit, die alten Stelzfüße abgeschlossener Nazionalität […] werden wir bald aus den Augen verlieren.
Die Deutung, die der „Dampfwagen“ hier erfährt, erinnert an Börnes und Lists Eisenbahnenthusiasmus wie auch an Chevalier und an Heines ehemals enge Beziehung zu den Saint-Simonisten: Als Transportmittel der 75
Heine: Lutezia, a.a.O.: 56f.; gesamte im ff. zitierte Textstelle: ebd.: 56-58.
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vorwärts ‚rollenden‘ Zeit ist er – den „Runkelrüben“ und dem „Eichelkaffee“ der „abgeschlossenen Nazionalität“ gegenübergestellt – Sinnbild der ökonomischen und politischen Dynamik und der zukünftigen Überwindung von Nationalismus und Konservatismus.76 Die Vorwegnahme der Zukunft („werden wir bald aus den Augen verlieren“) unterstreicht die genannte Unaufhaltsamkeit dieses historischen Wandels und kennzeichnet die Gegenwart entsprechend als eine Zeit der Bewegung und des Vorübergehenden.77 Die Eisenbahn ist Moment und Signatur dieser ‚Bewegung der Zeit‘. Saint-Simonistisch mutet auch die unmittelbar folgende Passage an, in der von der Eröffnung der beiden neuen Bahnlinien die Rede ist. Denn beschrieben wird darin weder die Eisenbahn noch die Eröffnungsfeier, sondern, in einer Art Rezeptionsästhetik, die „elektrisierende“ Wirkung des Anlasses auf die Massen: Die Eröffnung der beiden neuen Eisenbahnen, wovon die eine nach Orleans, die andere nach Rouen führt, verursacht hier eine Erschütterung, die jeder mitempfindet, wenn er nicht etwa auf einem socialen Isolierschemel steht. Die ganze Bevölkerung von Paris bildet in diesem Augenblick gleichsam eine Kette, wo einer dem andern den elektrischen Schlag mittheilt.
Die Eröffnung selbst wird hier zu einer „elektrischen“ medialen Verbindung der kollektiven „Erschütterung“. Damit greift Heine auf die kursierende Metapher der „Elektrisierung“ zurück, um die kollektive und gleichsam synchronisierende Wirkung des Ereignisses auf die Bevölkerung in ihrer Dramatik zu charakterisieren. Preisendanz hat zudem in der Formulierung ein Bild für die grundsätzliche Intention von Heines Schreiben gesehen: „Den Leser vom sozialen Isolierschemel herunterzuholen – mit diesem Bild hätte Heine seine Absicht sicher getroffen gefunden.“78 Solche Deutungen, die Heine eine positive Identifikation mit dem „Elektrisierenden“ des Ereignisses zuschreiben, werden jedoch im nächs76
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Vgl. zu Heines naher Beziehung zum Saint-Simonismus und zu Chevalier Kortländer, Bernd: Heinrich Heine. Stuttgart 2003: 41; 48ff.; Höhn: Heine Handbuch, a.a.O.: 344ff. Exempl. zeugt hiervon u.a. eine Bemerkung Heines in einem Brief an Karl August Varnhagen von Ense Mitte d. J. 1832 [Datierung unsicher]; vgl. Heine, Heinrich: Säkularausgabe. Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse (= HSA). Hgg. von den Nationalen Forschung- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar und dem Centre Nationale de la Recherche Scientifique in Paris. Bd.e I- XXVII. Berlin und Paris 1970ff., Bd. 21: 36-38. Vgl. zu diesem für Heines Lutezia-Texte typischen Element der Vorausdeutung Höhn: Heine Handbuch, a.a.O.: 474ff. Preisendanz: Heinrich Heine, a.a.O.: 96.
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ten Satz durch einen abrupten Perspektivenwechsel konterkariert. Denn für den „Denker“ ist das Neue der Eisenbahn, so Heine, ein Unheimliches, Ungeheures und Beängstigendes: Während aber die große Menge verdutzt und betäubt die äußere Erscheinung der großen Bewegungsmächte anstarrt, erfaßt den Denker ein unheimliches Grauen, wie wir es immer empfinden, wenn das Ungeheuerste, das Unerhörteste geschieht, dessen Folgen unabsehbar und unberechenbar sind. Wir merken bloß, daß unsere ganze Existenz in neue Gleise fortgerissen, fortgeschleudert wird, daß neue Verhältnisse, Freuden und Drangsale uns erwarten, und das Unbekannte übt seinen schauerlichen Reitz, verlockend und zugleich beängstigend. So muß unseren Vätern zu Muthe gewesen seyn, als Amerika entdeckt wurde, als die Erfindung des Pulvers sich durch ihre ersten Schüsse ankündigte, als die Buchdruckerey die ersten Aushängebogen des göttlichen Wortes in die Welt schickte. Die Eisenbahnen sind wieder ein solches providenzielles Ereigniß, das der Menschheit einen neuen Umschwung giebt, das die Farbe und Gestalt des Lebens verändert; es beginnt ein neuer Abschnitt in der Weltgeschichte, und unsere Generazion darf sich rühmen, daß sie dabey gewesen. Welche Veränderungen müssen jetzt eintreten in unsrer Anschauungsweise und in unsern Vorstellungen! Sogar die Elementarbegriffe von Zeit und Raum sind schwankend geworden.
Der zuvor leichte und ironisierende Stil weicht hier einer ungleich ernsteren Tonlage, die keinen Zweifel an der epochalen Bedeutung der Eisenbahn aufkommen lässt. Ist die Eisenbahn eine Erscheinung der grossen „Bewegungsmächte“, so ist sie – im Blick auf die Heinesche Deutung von „Bewegung“ – eine Erscheinung gleichsam des Lebens selbst bzw. eines lebendigen Stroms der geistigen, sozialen und politischen Umwälzungen, dessen „providenzieller“ Macht in Heines Prosa immer wieder Figuren der Starre und des Stillstands gegenübergestellt sind.79 Ähnlich der Goetheschen Rede vom „Zeitstrudel“ oder Chevaliers Bild vom Schauspiel der Schnelligkeit ist auch hier das ‚Fortreissende‘ herausgestellt bzw. ein ‚Fortschleudern‘ der „ganze[n] Existenz“ in „neue Gleise“. In dieser Bedeutung wird die „Erscheinung“ der Eisenbahn explizit mit der Entdeckung Amerikas, mit dem Schiesspulver und mit dem medialen Umbruch des Buchdrucks verglichen. Lediglich angedeutet – und damit 79
So steht Frankreich, im Gegensatz zum Stillstand in den deutsche Staaten, für soziale und politische „Bewegung“ – die an anderer Stelle in Lutezia auch mit „Dämonen der Umwälzung“ assoziiert ist –; die deutsche „geistige“ Bewegung wiederum im Gegensatz zur Starre des politischen Schlafs; vgl. exempl. Heine: Lutezia, a.a.O.: 19f.; zur „Bewegung“ bei Heine vgl. Kortländer: Heinrich Heine, a.a.O.: 146ff.; Wülfing: „Die jrine Beeme“, a.a.O.: 300f.
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umso mehr hervorgehoben – wird hingegen die politische Dimension des Geschehens; der implizite Verweis auf die Französische Revolution an dieser Stelle ist auch ein typisches Beispiel für Heines „Zensurstil“.80 Über diese historischen Vergleiche hinaus ist die epochale Bedeutung der Eisenbahn dadurch gekennzeichnet, dass sie „[s]ogar die Elementarbegriffe von Zeit und Raum“ schwankend werden lässt. Wenn Heine in diesem Zusammenhang von Veränderungen der „Anschauung“ und „Vorstellung“ spricht, so erscheinen seine Bemerkungen auf die philosophische Begründung des Raums und der Zeit durch Immanuel Kant bezogen, nach dem Raum und Zeit als elementare Formen der Anschauung bzw. als apriorische Vorstellungen bestimmt sind.81 Schreibt Kant in der Kritik der reinen Vernunft diesen Formen Notwendigkeit zu, Raum und Zeit somit eine absolute (ideale) Gültigkeit, so sieht Heine gerade diese apriorische Gegebenheit von Raum und Zeit durch die Ankunft der Eisenbahn schwinden. In ihrer Bewegung wird die Eisenbahn zum Medium eines räumlichen Umbruchs, der die von Kant begründeten elementaren Formen des absoluten Raum und der absoluten Zeit in Frage stellt bzw. buchstäblich ins Schwanken bringt.82 In eine Art des Schwankens geraten in Heines Text darüber hinaus die in der Debatte so polarisierten Wertungen des Neuen, das sich mit der Eisenbahn verbindet. Denn Heines Text unterscheidet sich gerade darin 80
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Hansen: Lutezia, a.a.O.: 425. Zum Hinweis auf Buchdruck und Schiesspulver vgl. Heines Vorrede zur Textsammlung Französische Zustände, in der er von den Deutschen als einem Volk spricht, „welches das Pulver erfunden hat und die Buchdruckerei und die ‚Kritik der reinen Vernunft‘.“ DHA, Bd. 12/1. Hamburg 1980: 66. Vgl. Kant, Imanuel: Kritik der reinen Vernunft. Stuttgart 1966 (Orig. 1787): 21-48 (Vorrede zur 2. Auflage); 83-93 (Von dem Raume). Was Heine hier aufgehoben sieht, verweist insofern auf die von Kant in seiner Kritik begründete Gegebenheit von Raum und Zeit als transzendental ideale, empirisch jedoch reale und damit objektiv gültige Formen, womit Kant den durch Newton postulierten absoluten Raum (und die absolute Zeit) zu begründen suchte. Nach Kant gilt jedoch Raum hierbei als eine Form der Anschauung und nicht als eine äussere Tatsache, was jener „kopernikanischen Wende“ seiner Philosophie entspricht, in der wiederum nicht nur Kant selbst, sondern auch Heine eine „geistige[] Revoluzion“ sah, die in ihrer Bedeutung der Französischen Revolution vergleichbar ist. Als Urheber der „grosse[n] Geisterbewegung“ der Kritik – so Heine in einer Formulierung der 1830er Jahre – ist Kant somit zugleich mit jenen „Bewegungsmächten“ zu assoziieren, welche, nach Heine, die „Elementarbegriffe von Zeit und Raum“ zum Schwanken bringen. Heine, Heinrich: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. In: DHA, Bd. 8/1. Hamburg 1979: 9-120, hier: 90; zum Verhältnis des apriorischen Raums bei Kant zum absoluten Raum Newtons vgl. Gosztonyi: Der Raum, Bd. 1, a.a.O.: 425ff.; Dück, Michael: Der Raum und seine Wahrnehmung. Würzburg 2001: 65-107.
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wesentlich vom dominanten Muster der Eisenbahndebatten, dass er keine eindeutige Position bezieht, sondern die entscheidende Frage der Wertung in der Schwebe lässt. Wenn im Text vom „schauerliche[n] Reiz“, von „Freuden“ ebenso wie „Drangsale[n]“, vom Verlockenden ebenso wie von einem „Grauen“ die Rede ist, so werden die gegensätzlichen Positionen der Eisenbahn-Debatte zitiert und zugleich gegeneinander ausgespielt. Ein ähnliches Muster des Spielens mit Oppositionen findet sich in der nächsten Passage. Spricht Heine hier zunächst davon, dass „durch die Eisenbahnen der Raum getödtet“ werde, so bedient er den romantischkonservativen Pol der Eisenbahn- und Beschleunigungskritik. Revolutionär dagegen mutet das daran anschliessende Bild einer durch die Eisenbahn hergestellten unmittelbaren Nähe und Verbindung an: Durch die Eisenbahnen wird der Raum getödtet, und es bleibt uns nur noch die Zeit übrig. Hätten wir nur Geld genug, um auch letztere anständig zu tödten! In vierthalb Stunden reist man jetzt nach Orleans, in eben so viel Stunden nach Rouen. Was wird das erst geben, wenn die Linien nach Belgien und Deutschland ausgeführt und mit den dortigen Bahnen verbunden seyn werden! Mir ist als kämen die Berge und Wälder aller Länder auf Paris angerückt. Ich rieche schon den Duft der deutschen Linden; vor meiner Thüre brandet die Nordsee.
Die deutschen Linden, gerochen von Frankreich aus, das Hören der Nordseebrandung vor der Pariser Tür – das liest sich wie ein Wunschtraum des deutschen Autors im Pariser Exil. Verbunden ist dieses Bild mit einem weiteren Wechsel der Perspektive, mit dem erneut eine Identifikation mit dem Lokomotiven der Eisenbahn vollzogen wird. Damit verkehrt sich der Gestus der Geschwindigkeitskritik an dieser Stelle, die zugleich den Schluss der Eisenbahn-Passage in Heines Artikel bildet, in den Gestus der Utopie – einer Utopie allerdings, die wiederum durch den Begriff des Tötens konterkariert wird. Ergebnis dieser Kontraste und wiederholten Perspektivenwechsel ist eine Ambivalenz der Aussage, die es verunmöglicht, den Text einseitig dem romantischen oder dem fortschrittsoptimistischen Pol der Debatte zuzuordnen. Merkmal des Eisenbahn-Textes von Heine ist somit ein – für Heines Prosa kennzeichnendes – Moment der Konstrastierung und der Perspektivenwechsel, mit dem die polarisierten Positionen der Debatte gewissermassen in Bewegung geraten. Greift Heine in offenkundiger Weise typische Diskurselemente und Metaphern der Kontroversen seiner Zeit auf – von der „Unaufhaltsamkeit“ der „Dampfwagen“ und der kollektiven ‚Elektrisierung‘ durch das „Ungeheuerste“ bis zur Raumvernichtung bzw. dem Heranrücken der Orte – so werden die damit provozierten 58
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Erwartungen einer Positionierung ebenso geradezu systematisch unterlaufen und die gegensätzlichen Standpunkte von romantischer Verlustklage und fortschrittsoptimistischer Überwindungsutopie in eine Figur des ‚Schwankens‘ überführt. Cornelia Epping-Jäger hat im Blick auf diese charakteristische Figur der Heineschen Prosa von einer „Bewegungslogik der permanenten wechselseitigen Aufhebung möglicher Positionen“ gesprochen, in der das einzelne Zeichen „bodenlos“ wird. In ihrem – auf moderne Verfahren der Literatur vorausweisenden – Moment der Kontrastierung und der Polysemie entziehen sich die Heineschen Texte dem Versuch ihrer Fixierung und einer Auflösung ihres PositionenSpiels.83 Diese ‚Bodenlosigkeit‘ des Heineschen Schreibens hat in der Rezeption von Heines Eisenbahn-Bemerkungen zu gegensätzlichen Interpretationen geführt.84 So kommt Johannes Mahr in seiner motivgeschichtlichen Studie über Eisenbahnen in der deutschen Literatur zum Schluss, dass Heine in der Eisenbahn „nur Zerstörung und Erschütterung sah“,85 – eine Interpretation, die in ihren Grundzügen der Lesart auch von Virilio und Grossklaus entspricht und Heine dem romantisch-konservativen Pol der Debatte zuordnet. Tatsächlich gibt es Stellen in Heines Texten, die in solcher Weise von der Eisenbahn handeln. So heisst es in einer nicht datierten Prosanotiz Heines: Die höchste Blüthe des deutschen Geistes: Philosophie und Lied – Die Zeit ist vorbey, es gehört dazu die idyllische Ruhe, Dland ist fortgerissen in die Bewegg – der Gedanke ist nicht mehr uneigennützig, in seine abstrakte Welt stürzt die rohe Thatsache – Der Dampfwagen der Eisenbahn giebt uns eine zittrige Gemütserschüttrung, wobey kein Lied aufgehen kann, der Kohlendampf verscheucht die Sangesvögel und der Gasbeleuchtungsgestank verdirbt die duftige Mondnacht.86
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Epping-Jäger, Cornelia: Mythos Paris? Heinrich Heines daguerrotypische Schreibart. In: Kruse, Joseph A. et al. (Hg.): Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongress 1997 zum 200. Geburtstag. Stuttgart und Weimar 1999: 408-421, hier: 417. Dies gilt nicht nur für diese Textpassage, ist doch Heines „virtuose Eulenspieglerei“ (Höhn) grundsätzlich, so Kortländer, „ein ständiges Ärgernis für Interpreten, denen es um Gewissheiten zu tun ist“. Höhn: Heine Handbuch, a.a.O.: 479; Kortländer: Heinrich Heine, a.a.O.: 74f. Mahr: Eisenbahnen in der deutschen Dichtung, a.a.O.: 61. DHA, Bd. 10. Hamburg 1993: 336; zu einer weiteren Eisenbahn-Stelle innerhalb von Heines Notizen s. ebd.: 340; vgl. zur zit. Stelle Grossklaus: Medien-Zeit, Medien-Raum, a.a.O.: 72f.
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Hier ist die Darstellung der Eisenbahn bzw. der Technik zweifellos romantisch-kulturkritisch geprägt in der Deutung der fortreissenden Bewegung und des „Dampfwagens“ – wie auch der Gasbeleuchtung – als Einbruch einer instrumentellen Rationalität in das Denken und als Zerstörung des Poetischen von Lied, Mondnacht und Vogelgesang. Dies gilt jedoch weder für die Eisenbahn-Passage in Heines Lutezia-Artikel noch für die Heineschen Texte als Ganzes. Ebenso zu kurz greift eine von Volkmar Hansen angedeutete Interpretation, wonach sich die beiden Textstellen über die Eisenbahn – diejenige der Notiz und diejenige des Lutezia-Textes – mit den beiden Polen der Debatte identifizieren liessen, letzterer somit, im Gegensatz zum Romantischen der Notiz, in erster Linie als Ausdruck eines fortschrittsoptimistischen Eisenbahnenthusiasmus’ zu lesen wäre.87 Ein solcher Versuch, die beiden Texte Heines in die polarisierte Struktur der Debatte einzugliedern, übersieht jedoch das in Heines Bericht konstitutive Moment der Kontrastierung, das eine solche einseitige Zuordnung gerade nicht zulässt. Ergänzend zu den beiden Texten zu erwähnen ist zudem ein weiterer Bericht Heines für die Allgemeine Zeitung, in dem ebenfalls und in nochmals anderer Weise von der Eisenbahn die Rede ist – genauer vom Unfall einer Eisenbahn auf der Strecke Paris-Versailles im Mai 1842. Heine nimmt in seinem Bericht dieses Unglück – das erste dieses Ausmasses zur Frühzeit der Eisenbahn, das 50 Todesopfer forderte – zum Anlass einer ironischen Kritik an der inhumanen Logik der Eisenbahnbetreiber bzw. des Finanzkapitals, die an Schärfe kaum zu überbieten ist: Welch ein schreckliches Unglück war z.B. der Brand auf der Versailler Eisenbahn! Ich spreche nicht von dem verunglückten Sonntagspublikum, das bey dieser Gelegenheit gebraten und gesotten wurde: ich spreche vielmehr von der überlebenden Sabbathcompagnie, deren Actien um so viele Prozente gefallen sind und die jetzt dem Ausgang der Prozesse, die jene Katastrophe hervorgerufen, mit zitternder Besorgniß entgegensieht.88
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Vgl. Hansen: Heine und die technische Innovation, a.a.O.: 298. DHA, Bd. 14/1, a.a.O.: 36; Heine erwähnt das Zugunglück – diesmal ohne ironische Färbung – nochmals in einem späteren Artikel am Ende des Jahres 1842 im Rahmen eines Jahresüberblicks, vgl. ebd.: 38; vgl. zum Versailler Unglück Caron: Histoire des Chemins de Fer en France, a.a.O.: 101ff. Anzumerken ist, dass Heine in seinen späteren Jahren dank Eisenbahnaktien der Linien Paris-Strassburg und Paris-Rouen zu erheblichen Einkünften kam; vgl. Kortländer: Heinrich Heine, a.a.O.: 70; Bock, Helmut: Verlorene Schildwacht. Ein Zeitalter wird besichtigt. In: ders./ Plöse (Hg.): Aufbruch in die Bürgerwelt, a.a.O.: 526-546, hier: 531.
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Auch dies ist Eisenbahn- bzw. „Industrie“-Kritik, allerdings eine gänzlich unromantische; – der Kontrast zur Textstelle aus den „Aufzeichnungen“ ist augenfällig. Heines Darstellung der Eisenbahn und des industriell-ökonomischen Umbruchs seiner Zeit ist jedoch durch solche Kritik ebenso gekennzeichnet wie durch die romantische Ästhetik seiner Notiz, die „Eisenbahn“ und „Lied“ – Industrie und Kunst – einander in jener Unversöhnlichkeit gegenüberstellt, die Heine andernorts gerade zu überwinden sucht.89 Der Heine der Aufzeichnung lässt sich nicht gegen den ironischen Kommentator und politischen Schriftsteller Heine aufrechnen, ebensowenig wie sich die unterschiedlichen Thematisierungen der Eisenbahn gegeneinander ausspielen lassen. Auszugehen ist vielmehr auch in Bezug auf das Verhältnis zwischen den Heineschen Texten von einer konstitutiven Struktur der Kontrastierung und der Polysemie, die nicht auf eine abschliessende Deutung oder unifizierende Feststellung des Gegenstands Eisenbahn abzielt, sondern darauf, solche statischen Deutungsmuster in Bewegung zu bringen. Was in Heines Text schwankend geworden ist, ist somit in erster Linie die Einheitlichkeit des festen und gleichbleibenden Standorts. Die Bewegung der Zeit, von Heine in Bezug auf die Eisenbahn als ein Verlust der apriorischen Formen begriffen, kehrt gleichsam wieder in einem Schreiben, das diese Bewegung vollzieht und in einem Denken, das sich nicht mehr an statischen Kategorien orientiert, sondern sich selbst in einer Bewegung sieht. Ist die Gegenwart Heines, die er beschreibt, durch ein ‚Fortreissendes‘ der historischen, politischen, sozialen wie ökonomisch-technischen Umwälzungen bestimmt und damit durch einen Wandel, der die Geschichtlichkeit des eigenen Verständnisses und Standorts bewusst werden lässt, so setzt Heine diese Erfahrung in seinem Schreiben um in eine „daguerrotypische“ Struktur – wie er rückblickend im vorangestellten „Zueignungsbrief“ zum Band Lutetia formuliert – und in eine Verortung, die um ihre je nur vorübergehende Gültigkeit weiss.90 Das Schwankende bzw. die Vernichtung des Raums, bei Heine als Topos zitiert, verweist, im Blick auf das Schreiben Heines, zugleich auf eine Bewegung, welche dieses Topische im Gestus einer „permanenten wechselseitigen Aufhebung möglicher Positionen“ oder, so Dorothee Kimmich, eines „sich selbst in Frage stellenden Kommentars“ hinter sich lässt.91 89
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Zu einer weiteren, ironischen Thematisierung der Eisenbahn in Heines Gedicht „Pferd und Esel“ vgl. Segeberg: Literatur im technischen Zeitalter, a.a.O.: 131f. DHA, Bd. 14/1, a.a.O.: 19. Kimmich, Dorothee: Wirklichkeit als Konstruktion. Studien zu Geschichte und Geschichtlichkeit bei Heine, Büchner, Immermann, Stendhal, Keller und Flaubert. München 2002: 113; vgl. zum ‚Daguerrotypischen‘
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Bewegung in diesem Sinne aber ist bei Heine nicht mit Geschwindigkeit oder einer dromologischen Figur der Beschleunigung zu identifizieren. Vielmehr wird die Bewegung der Zeit – die lokomotive Ermächtigung wie auch das Fortgerissen-Werden –, von der bei Heine angesichts der Eisenbahn die Rede ist, in seinem Schreiben in eine andere „Bewegungslogik“ der Kritik – oder der „Skepsis“ – überführt.92 Es ist diese Bewegung der Kritik, realisiert in den Verfahren der ironischen Brechung, der Kontrastierung und der Polysemie, mit der Heines Text die dargestellten statischen Oppositionen von Utopie und Nostalgie, Überwindung und Verlust unterläuft, die Opposition nicht zuletzt zwischen der imaginären Identifikation des Menschen mit dem „regierenden Geist der Maschine“ oder mit einem transportierten Paket. Die Kontrastierungen und Perspektivenwechsel bei Heine verweisen insofern nicht nur auf eine „ambivalent“ bleibende „Wahrnehmung und Empfindung“ des Zeitzeugen Heine gegenüber der Bewegung seiner Gegenwart, sondern auch auf eine Bewegung der Ambivalenz im Heineschen Schreiben selbst, als Moment einer Kunst nach dem Ende der „Kunstperiode“, die sich von einem „Indifferentismus“ der Kunst gegenüber dem „Zeitstrudel“ der Gegenwart ebenso distanziert wie von einem instrumentellen Gebrauch der Literatur als blosses Sprachrohr der Agitation.93 Aus kulturgeschichtlicher Sicht ist es allen anderen voran Egon Friedell gewesen, der diese Ambivalenz des Heineschen Schreibens nachdrücklich hervorgehoben hat. Heine, so sah es 1931 Friedell, war in der deutschen Literatur der erste Gestalter der Ambivalenz. Tragik und Komik, Sentimentalität und Ironie verhalten sich bei ihm nicht wie die beiden Hälften, sondern wie die Vorder- und Rückseite derselben Sache [...].94
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Heines Epping-Jäger: Mythos Paris?, a.a.O.; Grossklaus: Wirklichkeit als visuelle Chiffre, a.a.O.: 200ff; Segeberg: Literatur im technischen Zeitalter, a.a.O.: 136ff.; Wagner: Heines Modernität, a.a.O.: 294f. So Marquard, Odo: Skepsis in der Moderne. Überlegungen im Blick auf Heinrich Heine. In: Kruse, Joseph A. et al. (Hg.): Aufklärung und Skepsis, a.a.O.: 909-918. Zur „Indifferentismus“-Kritik insbesondere an Goethe vgl. DHA Bd. 8/1, a.a.O.: 154. Zugleich sieht Heine, der „Meister der Sprache“, gerade in seiner Kunst selbst, nicht in einem durch sie transportierten Inhalt, das eigentlich Revolutionäre: „Mein Verbrechen“, so Heine, „war nicht der Gedanke, sondern die Schreibart, der Styl“, – den Heine, einer Formulierung von Laube folgend, auch als „literarisches Schiesspulver“ bezeichnet. DHA, Bd. 9, a.a.O.: 294. Friedell, Egon: Kulturgeschichte der Neuzeit, Bd. 3: Romantik und Liberalismus/Imperialismus und Impressionismus. München 1954: 163 (Orig. 1931).
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In dieser Verbindung der Gegensätze als „Vorder- und Rückseite derselben Sache“ spiegeln Heines Texte gerade die Doppelgesichtigkeit einer ‚Bewegung der Zeit‘ und einer ‚Raumvernichtung‘, die sich weder auf den Verlust eines Nicht-mehr noch auf die Verheissung eines Noch-nicht reduzieren lässt, sondern beides impliziert, wobei Heine die beiden Positionen sowohl relativiert als auch miteinander vermittelt. Dies entspricht den grundsätzlich vermittelnden Positionierungen Heines zwischen „Industrie“ und „Kunst“, Politik und Romantik, Aufklärung und Frühsozialismus.95 Es entspricht darüber hinaus einer ausdrücklichen Mission Heines, der sich, wie Bernd Kortländer hervorgehoben hat, als eine „Mittlerfigur zwischen Tradition und Moderne, mit einer ‚double mission de destructeur initiateur‘“ entwirft und darstellt, in der Position also eines intermediären „Zwischen“.96 Diese Positionierung Heines zwischen den gegensätzlichen Standorten lässt sich, wie in seinen Eisenbahn-Texten deutlich wird, weder diesen zuordnen noch hebt sie ihre Gegensätzlichkeit synthetisierend auf; vielmehr konstituiert sie einen selbst nicht statischen dritten Ort, von dem aus die Gegensätze kontrastierend aufeinander bezogen werden. Es ist dieser Kontrast zwischen Gegensätzen, in dem für Heine die Dinge überhaupt erst erkennbar werden. Alles, so äussert Heine im Rahmen eines Gesprächs mit Honoré de Balzac und Eugène Sue in Paris, „was von Dauer, was zum Vergnügen da ist, all dies besteht aus Kontrasten. Nicht die eine oder die andere, sondern die eine und die andere, beide zusammen.“97 Bezeichnend ist diese Aussage, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll, auch für die in der Heine-Rezeption vielerörterte Rolle Heines als eines Vermittlers zwischen „Deutschland“ und „Frankreich“ bzw. für die intermediären Lokalisierungen Heines zwischen „Paris“ und der „Nordsee“, dem Deutschen und dem Französischen und in unterschiedlichen relationalen Bezügen eines jeweiligen „Hier“.
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Vgl. Kimmich: Wirklichkeit als Konstruktion, a.a.O.: 102; Höhn: Heine Handbuch, a.a.O.: IX. Kortländer: Heinrich Heine, a.a.O.: 74; 218. Die Rede von der „double mission“ prägte Heine in der französischen Fassung seiner Geständnisse. Zit. nach Gosse, Peter: Transigierender Heine. In: Sinn und Form, 37 (1985), 4: 1075-1084, hier: 1081.
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Von dort nach hier: Fahrzeug und Schreibzeug „Literarische Entfernungen können nicht nach Meilen berechnet werden.“ (Heinrich Heine)98
In der Phänomenologie der Wahrnehmung (1945) kommt Maurice Merleau-Ponty auf eine eigenartige Erfahrung zu sprechen, die mit einem Wechsel des Aufenthaltsorts und mit Medien der Kommunikation verbunden ist. Ankommend, so erzählt Merleau-Ponty, in einem Dorf, in dem ich meine Ferien verbringen will, bin ich glücklich, Arbeit und gewohnte Umgebung hinter mir gelassen zu haben. Ich richte mich in dem Dorfe ein. Es wird zum Mittelpunkt meines Lebens. Der niedrige Wasserstand des Flusses, die Mais- oder Nussernte werden mir bedeutende Ereignisse. Doch kommt ein Freund mich besuchen und bringt mir Nachrichten aus Paris, oder erfahre ich aus Radio und Zeitungen von drohendem Kriege, so fühle ich mich in dem Dorf wie verbannt, abgeschnitten vom wirklichen Leben, ausgestossen weit fort von allem.99
Die Erfahrung, von der Merleau-Ponty hier spricht, ist diejenige einer Dezentrierung. Durch Medien der Fernkommunikation – etwa Briefe, die Zeitung oder das Radio – wird die zuvor mit sich identische Präsenz am Mittelpunkt des Lebens im Dorf aufgehoben und eine Kluft eingeführt, die vom wirklichen Leben bzw. „von allem“ trennt, womit der Aufenthalt im Dorf plötzlich wie eine Verbannung erscheint – eine Präsenz an einem Ort, der nicht den Mittelpunkt des Lebens darstellt. In den Ausführungen Merleau-Pontys steht dieses Beispiel neben anderen Formen der Wahrnehmung des „anthropologischen Raumes“ wie dem Traum, dem mythischen Erleben und der Schizophrenie.100 Alle diese Erfahrungen liessen sich insofern als Dezentrierungen erfassen als sie das unterlaufen, was Peter Berger und Thomas Luckmann als das „Realissimum“ des Bewusstseins bezeichnet haben – eine gegebene, objektivierte Alltagswirklichkeit par excellence, die zentriert um das „Hier“ des Körpers und das „Jetzt“ der Gegenwart angeordnet ist, indem die Zone des körperlich Erreichbaren als ein Nächstes „meiner Welt“ erlebt wird, dem mein Interesse gilt. Die Wirklichkeit des Traums etwa oder 98 99
Brief vom 21. Jan. 1823 an Karl Immermann, HSA, Bd. 20, a.a.O.: 68. Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin 1966: 332 (frz. Orig. 1945). 100 Ebd.: 334.
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auch des Theaters wäre demgegenüber, Berger und Luckmann zufolge, als eine umgrenzte „Enklave“ zu betrachten, die einem „Sprung“ in eine andere Wirklichkeit gleichkommt – wobei entscheidend ist, dass die Alltagswirklichkeit nach diesem Sprung ihr „Übergewicht“ behält.101 Merleau-Ponty kommentiert demgegenüber die von ihm geschilderte Erfahrung in etwas anderer Weise. Denn nach seinem, phänomenologischen Verständnis von Wahrnehmung ist die Erfahrung räumlicher Präsenz nicht durch ein physisches Hier des Körpers gegeben, sondern konstituiert sich in der Wahrnehmung selbst als ein „Anhalt“ des leiblichen Subjekts an der Welt. Dieser Anhalt ist nie vollständig, sondern immer hypothetisch; und er lässt sich weder auf die Existenz eines materiellen Körpers zurückführen (da dieser Objekt und nicht Subjekt der Wahrnehmung ist), noch auf das cogito der Reflexion (da Wahrnehmung kein Akt des abstrakten Denkens ist, sondern diesem vorangeht). Der Mittelpunkt des Hier und Jetzt – beispielsweise des Ferienreisenden im Dorf, der sich darin ja erst einrichtet – wird demnach in der Wahrnehmung immer wieder von neuem hergestellt, wobei dieser Mittelpunkt, wie Merleau-Ponty anführt, nicht notwendig dem Ort der leiblichen Präsenz entsprechen muss: Unser Leib und unsere Wahrnehmung fordern beständig uns auf, die Umgebung, die sie uns bieten, als Mittelpunkt der Welt zu nehmen. Doch diese Umgebung ist nicht notwendigerweise die unseres Lebens selbst. Ich kann, wiewohl hier verbleibend, „ganz woanders sein“, und hält man mich fern von allem, was ich liebe, so fühle ich mich an der Rand des wahren Lebens gedrängt. Der Bovaryismus und gewisse Formen des Unbehagens auf dem Lande sind Beispiele solch dezentrierten Lebens.102
Anwesenheit und Nähe im gelebten Raum, so Merleau-Ponty, sind nicht identisch mit physischer oder geometrischer Nähe. Denn „[n]eben dem zwischen mir und allen Dingen bestehenden physischen oder geometrischen Abstand verbindet ein erlebter Abstand mich den Dingen, die für 101 Berger, Peter/Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Stuttgart 1969: 24ff. Dieser Konzeption eines gegebenen Realissimum entspricht die Auffassung von Berger und Luckmann, wonach sich Probleme der Wirklichkeit der Alltagswelt nicht bezüglich der räumlichen Alltagswelt stellen, sondern bezüglich der Zeitlichkeit, siehe ebd.: 29. Zur Erörterung des Realissimum Bergers und Luckmanns vgl. Schneider, Irmela: Neue Medien in Mediendiskursen. Einige Überlegungen zur Analyse von Netzkommunikation. In: Becker, Barbara/Paetau, Michael. (Hg.): Virtualisierung des Sozialen, a.a.O.: 29-52, hier: 46; vgl. hierzu auch die Darstellung der „kinästhetischen Null“ in Virilio: Rasender Stillstand, a.a.O.: 126ff. 102 Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, a.a.O.: 332.
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mich zählen und existieren und verbindet sie untereinander.“103 Die Erfahrung der Zeitung, der übermittelten Nachrichten, des Romans oder des Radios ist dementsprechend im Beispiel Merleau-Pontys nicht dezentrierend, weil sie einen durch den Körper gegebenen Mittelpunkt des Lebens im Dorf dezentriert, sondern weil sie das Dorf in dem Mass als einen dezentrierten Ort erscheinen lassen, in dem es nicht mehr der Ort derjenigen Dinge ist, die „zählen“. Medien sind in dieser Hinsicht, ebenso wie der Traum, Beispiele für eine in der Wahrnehmung faktische, orientierte Räumlichkeit des gelebten Raums, die sich nicht mit einem metrischen oder geographischen Raum zur Deckung bringen lässt, sondern immer schon die Erfahrung impliziert, „wiewohl hier verbleibend, ‚ganz woanders‘ [zu] sein“. Das abstrakte Denken, so Merleau-Ponty, weist diese Erfahrung zurück – „der Philosoph glaubt in der Reflexion besser zu wissen, was er wahrnimmt, als er es in der Wahrnehmung selber weiss“ –, was aber zur Folge hat, dass es die Erfahrung der Wahrnehmung selbst negieren muss.104 Merleau-Pontys Ausführungen sind nicht auf Heinrich Heine bezogen, und es soll im Folgenden auch kein solcher Zusammenhang zwischen seiner Phänomenologie und Heines Werk konstruiert werden. In seinem Hinweis auf die mediale Erfahrung der Dezentrierung und einer nicht einheitlichen Präsenz lässt sich aber ein Ansatz dazu sehen, das bei Heine aufgewiesene Moment des Intermediären und der Bewegung bzw. des Beweglichen theoretisch in einer anderen Weise zu fassen denn als einen Verlust des gegebenen, statischen und unmittelbaren Hier. Dabei liegt eine Gemeinsamkeit darin, dass auch für Heine eine Skepsis gegenüber dem abstrakten Denken des cogito kennzeichnend ist, das die Wirklichkeit der Phänomene jenseits der Vielfalt der Wahrnehmungen begründen will; ist doch das Wirkliche für Heine, wie Kimmich herausgestellt hat, nicht im „gründlichen Denken“, in einer ursprünglichen menschlichen „Natur“ oder einer „gelungenen Synthese“ zu finden, sondern in der Vielfalt und Bewegung der Erscheinungen und im eigentlichen Menschsein auf dem „Maskenball“.105 Diese Vielfalt und Flüchtigkeit der Maske entspricht einer in mehrfacher Hinsicht „dezentrierten“ Verortung Heines in seinen sich zugeschriebenen Rollen des „Reisenden“ und des Vermittlers. „In jedem Falle bleiben Sie fleißig; es geht kein Wort verlohren; das glauben Sie nur“, so ermutigt Rahel Varnhagen Heine in einem im Juni
103 Ebd. 104 Ebd.: 336. 105 Kimmich: Wirklichkeit als Konstruktion, a.a.O.: 130ff.
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1832 verfassten Brief aus Berlin, und fährt fort, bezogen auf seine ein Jahr zuvor vollzogene Umsiedlung nach Paris: Dort müssen Sie schreiben, für hier. Bleiben Sie ganz sich selbst und der Sache gegenüber wenn Sie arbeiten! Jeder Silbe liest man das an. Glauben Sie’s.106
Diese Darstellung eines Schreibens, „dort für hier“ und dabei „ganz sich selbst und der Sache gegenüber“ bezeichnet treffend die Aufgabe, die Heine in Paris wahrnimmt: Angekommen auf der „Spitze der Welt“ – wie er Paris in einem Brief an die Varnhagens bezeichnet107– betrachtet er sich als Vermittler und berichtet als Korrespondent für die deutsche Presse aus der französischen Hauptstadt, die Brennpunkt der Ereignisse ist und, im Juni 1832, auch Schauplatz erneuter blutiger politischer Auseinandersetzungen wird. Hintergrund des Umzugs Heines nach Paris ist, neben seiner Begeisterung für die Revolution und die politische Dynamik in Frankreich, die fehlende Perspektive für ihn in den deutschen Staaten. Wie Heine diese Situation darstellt, lässt sich einem im Juni 1830 verfassten Brief an Karl August Varnhagen entnehmen: Heine spricht hier davon, dass er ein „wüst lieblos fatales Jahr verbracht“ habe und hofft, dass sich seine Stimmung und Stellung bald ändern mögen. Hätte er keine Pflichten, er „flöge davon! Ich fürchte nur, am Ende fallen mir noch gar die Federn aus und ich vermag alsdann nicht mehr davon zu fliegen, selbst wenn ich mich dazu entschlösse.“108 Zum Zeitpunkt dieses Briefs befindet sich Heine auf der Nordseeinsel Helgoland, wohin er sich für zwei Monate zurückgezogen hat, um die Bäder zu besuchen und zu arbeiten; v.a. beschäftigt er sich eingehend mit der Geschichte der Französischen Revolution. In der sehr viel später verfassten Denkschrift über Ludwig Börne stellt Heine die Zeit dieses Aufenthalts auf Helgoland in Form fiktiver Briefe dar, in denen er – nicht
106 Brief von Rahel Varnhagen vom 5. Juni 1832, HSA, Bd. 24, a.a.O.: 128. 107 Brief vom 27. Juni 1831, HSA, Bd. 21, a.a.O.: 20. 108 Brief vom 21. Juni 1830, HSA, Bd. 20, a.a.O.: 413. Im Januar 1829 hatte sich die Hoffnung Heines zerschlagen, in München eine Stelle an der Universität zu erhalten; König Ludwig I hatte sein entsprechendes Gesuch abgewiesen; vgl. Hauschild, Jan-Christoph/Werner, Michael: Heinrich Heine. München 2002: 48ff. 1830 hatte sich Heine zudem durch die Publikation der Bäder von Lucca, v.a. die darin enthaltene Verunglimpfung des Dichters August von Platen und dessen Homosexualität zahlreiche Feindschaften zugezogen. Zusätzlich zu seinen politischen Schwierigkeiten hatte Heine sich damit, wie er Karl August Varnhagen gegenüber zugab, „unsäglich geschadet“. Zum Heine-Platen Skandal s. Höhn: Heine Handbuch, a.a.O.: 247ff.
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ohne die für ihn typische „Eulenspieglerei“ – von einer Sehnsucht nach Ruhe spricht: Ich [...] sehne mich nach Ruhe […].Welche Ironie des Geschickes, daß ich, der ich mich so gerne auf die Pfühle des stillen beschaulichen Gemüthlebens bette, daß eben ich dazu bestimmt war, meine armen Mitdeutschen aus ihrer Behaglichkeit hervorzugeißeln und in die Bewegung hineinzuhetzen! Ich, der ich mich am liebsten damit beschäftige, [...] mich in die Wunderwelt alter Märchen zu versenken... ich mußte politische Annalen herausgeben, Zeitinteressen vortragen, revolutionäre Wünsche anzetteln, die Leidenschaften aufstacheln, den armen deutschen Michel beständig an der Nase zupfen, daß er aus seinem gesunden Riesenschlaf erwache... Ich bin müde und lechze nach Ruhe. Ich werde mir ebenfalls eine deutsche Nachtmütze anschaffen und über die Ohren ziehen. Wenn ich nur wüßte, wo ich jetzt mein Haupt niederlegen kann. [...] Aber in der Tat, wo soll ich hin?109
In dieser Situation, so die Darstellung in der Börne-Denkschrift, erreicht Heine Anfang August an der Nordsee die Nachricht von der Julirevolution in Paris, indem er ein Paket von Zeitungen erhält: Es waren Sonnenstrahlen, eingewickelt in Druckpapier, und sie entflammten meine Seele, bis zum wildesten Brand. Mir war, als könnte ich den ganzen Ozean bis zum Nordpol anzünden mit den Gluten der Begeisterung und der tollen Freude, die in mir loderten. Jetzt weiß ich auch, warum die ganze See nach Kuchen roch.110
Seinen Zustand Tage später beschreibt Heine als ein überreiztes Träumen, „zum Verrücktwerden“: In diesem Zustande ist mir manchmal zu Sinne, als ob meine eignen Glieder ebenfalls sich kolossal ausdehnten und daß ich, wie mit ungeheuer langen Beinen, von Deutschland nach Frankreich und wieder zurück liefe. Ja, ich erinnere mich, vorige Nacht lief ich solchermaßen durch alle deutsche Länder und Ländchen und klopfte an den Türen meiner Freunde und störte die Leute aus dem Schlafe...111
109 DHA, Bd. 11, a.a.O.: 35. Heine verfasste die Börne-Denkschrift im Zeitraum 1837- 40. Für das 2. Buch, aus dem diese Stelle stammt, hat er vermutlich auf Tagebücher sowie eine frühe Ausarbeitung im Herbst 1830 zurückgegriffen; die genauen Arbeitsschritte sind ungeklärt. Vgl. Höhn: Heine Handbuch, a.a.O.: 416f. 110 DHA, Bd. 11, a.a.O.: 48. 111 Ebd.: 51f.
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Einen solchen „Lauf“ durch die deutschen Länder unternimmt Heine in den folgenden Monaten vor allem insofern als er schreibt, nämlich am vierten Teil seiner Reisebilder, der im Januar 1831 unter dem Titel Nachträge zu den Reisebildern von H. Heine erscheint und von der preussischen Zensurbehörde kurz darauf beschlagnahmt wird. Wie schon in den früheren Teilen der Reisebilder handelt es sich weder um Reiseliteratur im konventionellen Sinn dieses Genres noch um überhaupt an Beschreibungen geographischer Räume interessierte Darstellungen, sondern vielmehr um fragmentarische, ironische und assoziative Texte, die als Ganzes von der genannten Intention Heines zeugen, deutsche „Behaglichkeit“ in „Bewegung“ zu verwandeln.112 Heine entwirft sich in diesen Texten immer wieder als ein Wanderer bzw. Reisender, der, aus der Distanz des Fremden, durch eine statische und schlafende Welt zieht, diese wahrnimmt und kommentiert. Dabei verleiht er sich die Rolle einer „Art Medium“ bzw., so Kortländer, einer „vermittelnde[n] Instanz zwischen durchwanderter Welt und Text“.113 In dieser Rolle und den assoziativen Möglichkeiten, die sie bietet, gewinnt Heine eine weitgehende Freiheit seines Schreibens; – bereits in Bezug auf den früheren Teil unter dem Titel Die Nordsee bezeichnet er die Reisebilder als den „Platz, wo ich dem Publikum alles vorbringe was ich will.“114 So ist in den Nachträgen das religionskritische „Reisebild“ Die Stadt Lukka mit einer aktualisierten, auf die Revolution in Frankreich weisenden Nachschrift versehen, endend mit dem Hinweis auf den unter dem Fenster des Schreibenden ertönenden Refrain: „Aux armes citoyens!“. Ebenso enden die im selben Band publizierten Englischen Fragmente unvermittelt mit einem „Die Befreiung“ betitelten Loblied auf die Revolution – und auf Paris, „das neue Jerusalem“.115 Gerade die Flexibilität und Offenheit der assoziativen Form erlauben es Heine, kurzfristig solche Bezüge auch auf die aktuellen Pariser Ereignisse in seine Texte zu integrieren. Der mit Heine befreundete Heinrich Laube charakterisiert 1835 diesen Zusammenhang zwischen den beschleunigten Ereignissen der Geschichte und einer dynamisierten Form des Schreibens im Bild der „rennenden Federn“: Die Formen der Schriftstellerei sind immer ein verjüngter Maßstab der eben laufenden Geschichte, des eben herrschenden Zeitgeistes. Die Zeit der Bewegung war wie ein Wirbelwind losgebrochen, hastig, schleunig überflügelten 112 Die Reisebilder provozieren, so Gerhard Wagner, als ein „ironisches Reisen“, die Frage, ob Heine „doch nicht vielmehr unterwegs [war] in Zeiten und Kulturen als in geographischen und urbanen Räumen, und zwar stets mit Abstand [...]“. Wagner: Heines Modernität, a.a.O.: 297. 113 Kortländer: Heinrich Heine, a.a.O.: 153. 114 Brief vom 14. Okt. 1826 an Karl Immermann, HSA, Bd. 20, a.a.O.: 262. 115 DHA, Bd. 7/1, a.a.O.: 205; 269.
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sich die Ereignisse, man mußte im Galopp mitreiten, wenn man sie fesseln wollte [...] da mußten die Federn rennen, sonst kamen sie zu spät.116
Heines „Rennen“ der Feder korrespondiert mit seiner Vision der gesellschaftlichen „Bewegung“; die Vorstellung, sich eine „deutsche Nachmütze“ anzuschaffen und eine feste Stellung zu finden, steht jedoch, wie ihm zunehmend deutlich wird, dazu in unüberwindbarem Gegensatz. Im Januar 1831 deutet er Karl August Varnhagen gegenüber die Möglichkeit an, „im äußersten Falle“ nach Paris auszureisen; drei Monate später schreibt er ihm, er träume „jede Nacht ich packe meinen Koffer und reise nach Paris, um frische Luft zu schöpfen.“117 Nochmals rund zwei Monate später erhalten die Varnhagens den ersten Brief Heines aus Paris, wo er sich, frisch angekommen, „im Strudel der Begebenheiten, der Tageswellen, der brausenden Revoluzion“ ertrinken sieht. Zugleich muss er feststellen: Indessen: Fliehen wäre leicht, wenn man nicht das Vaterland an den Schuhsolen mit sich schleppte! Ich parodire Danton mit Schmerzen. Es ist schmerzlich, im Luxenburg spatzieren zu gehen und überall ein Stück Hamburg oder ein Stück Preußen oder Bayern an den Schuhsolen mit sich herum zu schleppen!118
1832, ein Jahr später, fühlt sich Heine in Paris „wie ein Fisch im Wasser“, wie er an Ferdinand Hiller schreibt: „Oder vielmehr, sagen Sie den Leuten: daß, wenn im Meere ein Fisch den anderen nach seinem Befinden fragt, so antworte dieser: ich befinde mich wie Heine in Paris.“119 Heine hat gleichsam sein Fluidum in Paris gefunden, in dem kulturellen Zentrum, das von den dreissiger Jahren an, wie Hansen hervorgehoben hat, auch die Funktion einer „Ersatz-Hauptstadt für ein partikularistisch zersplittertes Deutschland“ einnahm.120 Diese Funktion wiederum ist nicht zuletzt verbunden mit einer zunehmenden Migration von Deutschen nach Paris, deren Anzahl Höhn für 1830 mit ca. 7000, für 1841 mit 30.000 beziffert.121
116 Zit. nach Preisendanz: Heinrich Heine, a.a.O.: 95. 117 Briefe vom 4. Jan. 1831 u. 1. April 1831, HSA, Bd. 20, a.a.O.: 428 ff.; 434f. 118 Brief vom 27. Juni 1831. HSA, Bd. 21, a.a.O.: 21. Die Rede von der Danton-‚Parodie‘ nimmt Bezug auf die rhetorische Frage, ob man seine Heimat an den Schuhsohlen mit sich trage, der Überlieferung nach von Danton geäussert, als man ihm zur Flucht riet. 119 Brief vom 24. Okt. 1832, HSA, Bd. 21, a.a.O.: 40. 120 Hansen: Lutezia, a.a.O.: 485. 121 Vgl. Höhn: Heine Handbuch, a.a.O.: 13.
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Von Paris aus führt Heine in den nächsten Jahrzehnten seinen literarischen Kampf gegen die deutsche Restauration und für das „demokratische Prinzip“ fort und versteht seine Rolle nun ausdrücklich als die eines öffentlichen Sprechers und als ein Tribunat.122 Er publiziert in mehreren deutschen Zeitungen, wobei er sowohl mit der Zensur als auch mit persönlicher Ablehnung und Feindschaft durch Autorenkollegen und Kritiker zu kämpfen hat, und führt auch daraus resultierende Auseinandersetzungen mit einzelnen seiner Widersacher öffentlich über die und in der Presse.123 Es ist der auch für die Lutezia-Artikel typische ironische Stil, der es ihm erlaubt, trotz der Zensur seine scharfzüngige politische und soziale Kritik in der deutschen Öffentlichkeit zu äussern. Karl Gutzkow bezeichnet bereits in früheren Jahren, in Bezug auf die Reisebilder, dieses Verfahren als einen „Ideenschmuggel“ Heines. Im Vorwort zur französischen Ausgabe seiner Artikel unter dem Titel Lutèce verwendet Heine selbst dieses Bild des Schmuggels, um sein Vorgehen darzustellen, und ergänzt es – einmal mehr – durch ein spezifisches Bild der Fortbewegung: Ich mußte das Schiff meines Gedankens oft mit Flaggen bewimpeln, deren Emblème nicht eben der rechte Ausdruck meiner Gesinnung waren. Aber den publizistischen Freibeuter kümmerte es wenig von welcher Farbe der Lappen war, der am Mastbaum seines Fahrzeugs hing und womit die Winde ihr luftiges Spiel trieben; ich dachte nur an die gute Ladung, die ich an Bord hatte und in den Hafen der öffentlichen Meinung hineinschmuckeln wollte.124
In dieser Rolle des „publizistischen Freibeuters“ ist Heine von Paris aus präsent an jenem Ort der literarischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung, an dem sich, so Bernhard Mann, „die ganze deutsche Kulturnation [...] traf“, nämlich im Medium der Presse und der Literatur.125 Die Presse ist zugleich, neben der brieflichen Korrespondenz, das Medium, über das sich Heine in den Lesekabinetten der französischen Hauptstadt seinerseits auf dem Laufenden hält, sowohl über die aktuelle Situation in 122 Vgl. ebd.: 26f. 123 Zu den zahlreichen Stellungnahmen, persönlichen Angriffen und Gegenangriffen Heines im „Ideenkampf“ dieser Zeit siehe Kortländer: Heinrich Heine, a.a.O.: 284ff. 124 DHA, Bd. 13/1, a.a.O.: 293. 125 Zit. nach Hansen: Lutezia, a.a.O.: 427. Insofern liesse sich die Einschätzung von Jürgen Habermas relativieren, der Heine „auf doppelte Weise“ – „physisch durch das Exil und geistig durch die Zensur“ – „von der politischen Meinungsbildung in den deutschen Bundesstaaten ferngehalten“ sah. Habermas, Jürgen: Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland. In: ders.: Eine Art Schadensabwicklung. Kleine Politische Schriften VI. Frankfurt a. M. 1987: 25-54, hier: 29.
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Deutschland als auch über Ereignisse in Paris selbst; denn v.a. bezogen auf die frühen Artikel Heines aus Frankreich ist, wie Kortländer angemerkt hat, anzunehmen, dass er zahlreiche seiner Informationen nicht aus persönlicher Anwesenheit oder angesichtiger Kommunikation, sondern aus der Zeitungslektüre ‚vor Ort‘ bezog.126 Die Literatur bzw. Presse, medientechnisch eine ihrerseits beschleunigte Industrie wie auch Teil der zunehmenden zirkulierenden Warenströme der Zeit, ist für Heine in seinem Pariser Exil gleichsam Ort einer Fern-Präsenz im Diskurs der deutschen „Kulturnation“ und zugleich Quelle seiner eigenen Information.127 Neben diesem Schreiben von einem „Dort“ des Französischen nach dem „Hier“ des Deutschen nimmt Heine in Paris ebenso die umgekehrte Funktion wahr, indem er neben seiner deutschen Publikationstätigkeit auf Französisch veröffentlicht und sich die Aufgabe stellt, die deutsche Literatur und Philosophie einem französischen Publikum zu vermitteln. Als Verfasser der Reisebilder hat Heine auch in Frankreich einen gewissen Bekanntheitsgrad und kann dank persönlicher Beziehungen zu französischen Autoren und Übersetzern 1832 Teile der Texte ins Französische übertragen und in Pariser Zeitschriften abdrucken lassen. Zugleich arbeitet er an Darstellungen der deutschen Philosophie- und Literaturgeschichte, die er ebenfalls übersetzen lässt und in Teilen zunächst in Zeitschriften publiziert. Die daraus entstehenden Schriften Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland und Die romantische Schule entstehen auf diese Weise von Anfang an mit einer doppelten Perspektive, nämlich für ein französisches Lesepublikum, zugleich aber mit dem Plan einer Publikation auch in den deutschen Staaten. 1835 erscheinen schliesslich sowohl eine Textzusammenstellung unter dem Titel De l’Allemagne als auch eine durch die Zensur gekürzte deutsche Version der Romantischen Schule.128 Aus dieser Doppelrolle des deutschen wie französischen Autors entwickelt Heine die Vorstellung seiner „pacifiken Mission“, wie er 1833 in einem Brief formuliert:
126 Vgl. Kortländer: Heinrich Heine, a.a.O.: 245; zu den Lesekabinetten in Paris und Heines Nutzung dieser Einrichtungen vgl. Hansen: Lutezia, a.a.O.: 397f. 127 Zur gesellschaftlichen und ökonomischen Bedeutung der Presse im deutschsprachigen Raum dieser Zeit vgl. (zusammenfassend) Stein: Vormärz, a.a.O.; zur medientechnischen Beschleunigung der Presse und zur Industrialisierung der Literatur vgl. Segeberg: Literatur im technischen Zeitalter, a.a.O.: 103ff. 128 Vgl. Kortländer: Heinrich Heine, a.a.O.: 210ff.; der französische Titel nimmt Bezug auf das gleichnamige 1810 publizierte Werk von Germaine de Staël.
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[I]ch habe vielleicht überhaupt die pacifike Mission, die Völker einander näher zu bringen. [...] Ich bin [...] der inkarnierte Kosmopolitismus.129
Im Testament Heines wird diese „Mission“ der Vermittlung zwischen „Deutschland“ und „Frankreich“ nochmals bekräftigt, indem Heine sie als „la grande affaire de ma vie“ bezeichnet. Ist „Frankreich“ dabei für Heine v.a. das Land der Französischen Revolution, des politischen und sozialen Fortschritts und der Urbanität der Stadt Paris, so steht „Deutschland“, im positiven Sinn, d.h. neben der Verbindung mit Starre und politischer Rückständigkeit, v.a. für Philosophie und Poesie.130 Allerdings wird diese Perspektive auf Deutschland an einzelnen Stellen der Heineschen Texte durchbrochen und durch kritische und, an die französische Leserschaft gerichtet, auch warnende Passagen relativiert. Dies gilt im besonderen für die vieldeutige Schlusspassage seiner Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, in der Heine die deutsche Philosophie seiner Zeit unversehens mit der rohen Kampflust der alten Germanen in Verbindung bringt und prophezeit, dass eine radikalisierte Naturphilosophie zu blutigen Kämpfen in Deutschland führen werde. Die ‚Bodenlosigkeit‘ und Ambivalenz des Textes kommt in dieser Passage u.a. dadurch zustande, dass sich Heine mit den Deutschen, vor denen er warnt, paradoxerweise zugleich identifiziert; so an der Stelle, an der er das Bild eines angetrunkenen „jungen Altdeutschen“ in einem Göttinger Bierkeller zeichnet, der an den Franzosen Rache für die Hinrichtung Konradins von Staufen im 13. Jahrhundert nehmen will. An seine französischen Leser gerichtet, fährt Heine, bezogen auf dieses historische Geschehnis, fort: Ihr habt das gewiß längst vergessen. Wir aber vergessen nichts. Ihr seht, wenn wir mal Lust bekommen, mit euch anzubinden, so wird es uns nicht an triftigen Gründen fehlen.131
Die in mehrfacher Hinsicht gebrochene, ironisierte und paradoxe Identifikation mit dem „Deutschen“, die hier vorgenommen wird, lässt sich als Beispiel für eine Heinesche Verortung sehen, die auch in dieser Hinsicht keinem einheitlichen und gleichbleibenden Standpunkt – weder im „Deutschen“, noch im „Französischen“ – entspricht. Ebenso gibt es im Text, wie Kimmich hervorgehoben hat, „keine Synthese, kein deutschfranzösisches Esperanto, sondern nur ein ständiges Hin und Her, dauern129 So Heine in einem am 11. April 1833 in der Zeitung Unser Planet abgedruckten Brief, zit. nach ebd.: 45. 130 Vgl. ebd.: 233f.; 250. 131 DHA, Bd. 8/1, a.a.O.: 119.
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des Übersetzen, ein Aneinanderreihen von Geschichten, die sich gegenseitig kommentieren und dementieren.“132 Auch hier ist, mit anderen Worten, der Heinesche Ort des vermittelnden „Zwischen“ nicht ein Ort, in dem die Gegensätze aufgehoben wären, ein statischer oder gar universal imaginierter Standpunkt. Wenn Heine von sich als Kosmopolit spricht, ist dieses Kosmopolitische dementsprechend weder mit einem eindeutig zu bestimmenden ‚festen Boden unter den Füssen‘ (oder an den „Schuhsolen“) zu identifizieren, noch mit einer abstrakten Globalität oder einem generalisierten Anderswo jenseits der Kontraste. Vielmehr entwirft Heine in seiner Ironisierung und Kontrastierung ein Hier und ein Dort, die sich immer wieder von neuem und in unterschiedlicher Weise lokalisieren. Damit scheinen bei Heine, und dies auch in Bezug auf diese Aspekte des Kosmopolitischen und der Vermittlung, Figuren einer Bewegung auf, die über jene dichotomischen Denkschema weit hinausweist, welche sich zur Frühzeit der Eisenbahn – wie auch späterer ‚raumvernichtender‘ Techniken – so prominent manifestieren. Weder gleichgesetzt mit dem Verlust eines imaginierten Ursprünglichen und Unmittelbaren des Raums noch mit der Verheissung einer raumüberwindenden Allgegenwart, ist die Dazwischenkunft der Eisenbahnen bei Heine Moment und Signatur einer Bewegung, in ihrer Vielschichtigkeit und Ambivalenz gefasst ist. Dabei zeugen die Texte Heines, über eine Gleichsetzung von Bewegung mit Beschleunigung hinaus, von einer Bewegung der Kritik, der Übersetzung und Vermittlung und von einer Lokalisierung im Hier, der die Möglichkeit eines Anderswo bzw. die Erfahrung, „wiewohl hier verbleibend, ‚ganz woanders‘ [zu] sein“, immer schon inhärent ist. Neben der in Heines Texten benannten Geschwindigkeit des Fortreissenden und der beschleunigten ‚Bewegung der Zeit‘ scheint es gerade dieses Moment der Bewegung bzw. des Beweglichen zu sein, das Heines Schreiben prägt und das seine Positionierung im medialen und räumlichen Umbruch der „Circulation“ der „Kommunikationen“ und ihrer „Fazilitäten“ kennzeichnet. Darauf weisen nicht zuletzt die zahlreichen Bilder hin, in denen sich Heine als eine Figur entwirft und darstellt, die unterwegs ist, die bewegt und transportiert: als ein Reisender, als einer, der im Traum mit „ungeheuer langen Beinen, von Deutschland nach Frankreich und wieder zurück“ läuft, als ein Vogel, der fliegen muss, bevor ihm die „Federn“ ausfallen, als ein Schmuggler und „publizistische[r] Freibeuter“ oder als ein Fisch „im Meere“.
132 Kimmich: Wirklichkeit als Konstruktion, a.a.O.: 129.
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II TELEGRAPH Echokammer Im Dezember 1851 richtet der Schweizerische Bundesrat eine Botschaft „zum Gesezesentwurfe über die Erstellung von Telegraphen“ an die in Bern tagende nationale Bundesversammlung. Er habe, so teilt der Bundesrat – rund drei Jahre nach der Gründung des liberalen Schweizerischen Bundesstaats – dem Parlament mit, auf Anregung mehrerer Petitionen die Einführung von Telegraphen in der Schweiz an die Hand genommen und ein Gesetz ausgearbeitet, das er zur „beförderliche[n] Berathung“ empfehle. Nachdrücklich weist der Bundesrat die Parlamentarier auf die Bedeutung dieses neuen „merkwürdigen“ Kommunikationsmittels hin, das den Raum durch seine Schnelligkeit zum Verschwinden bringe: In keiner Richtung hat Europa in der neuesten Zeit einen so großartigen Aufschwung genommen, als in derjenigen auf Erleichterungen des Verkehrs, auf Beschleunigung der Mittheilungen. Unglaubliches haben schon die Eisenbahnen geleistet, namentlich für den Verkehr der Personen und der Waaren. Noch merkwürdiger ist aber die Schnelligkeit, mit welcher mittelst der Telegraphen die Mittheilung der Gedanken stattfindet. Der Raum verschwindet und eine Nachricht, die an der Nordsee dem galvanisirten Drahte anvertraut wird, kann in derselben Minute dem Beobachter am Mittelmeere bekannt gemacht werden.1
Der „galvanisirte Draht“, grossräumig skizziert als kontinentale Verbindungslinie von der Nordsee bis zum Mittelmeer, überflügelt, so das hier im Kontext parlamentarischer Debatten entworfene Bild, das bereits „Unglaubliche“ der Eisenbahn durch einen minutenschnellen Nachrich1
Botschaft des schweizerischen Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zum Gesezesentwurfe über die Erstellung von Telegraphen (Vom 10. Dezember 1851). In: Schweizerisches Bundesblatt 1851, Bd. 3: 286-296; hier: 286f. Im ff. zit. als: Botschaft des schweiz. Bundesrathes.
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tenverkehr, in dem der Raum, buchstäblich, verschwindet. Damit ist eine Vorstellung formuliert, die an die fortschrittsoptimistischen Eisenbahndiskurse anschliesst und diese zugleich auf den neuen Gegenstand der elektrischen Nachrichtentechnik überträgt: Nicht der beschleunigte Transport von Gütern und Personen auf Schienen ist es – wie etwa im „Système“ Chevaliers, – der hier den Raum zwischen den Meeren überwindet, sondern eine nurmehr minutenschnelle „Mittheilung von Gedanken“ bzw. Nachrichten über die Verbindungen des Drahts. Dass mit dieser scheinbar ‚synchronen‘ oder ‚instantanen‘ Übertragung der „Raum verschwindet“, ist eine Vorstellung, die sich durch die Telegraphiediskurse des 19. Jahrhunderts hindurch fortschreibt; darüber hinaus findet diese Vorstellung ihre Fortsetzung im 20. Jahrhundert bis hin zu den Theorien der heutigen digitalen Medien und Mediennetze.2 In der Medientheorie sind es insbesondere die in den 1960er Jahren formulierten Thesen Marshall McLuhans, in denen die Vorstellung einer raumüberwindenden elektrischen Übertragung ihren prägnanten (und bis heute populären) Ausdruck gefunden hat. Tatsächlich markieren für McLuhan die elektrischen Medien – historisch beginnend mit der Telegraphie – nicht weniger als den zentralen Wendepunkt der Mediengeschichte, indem mit der Ankunft des „Zeitalter[s] der Elektrizität“ eine rund dreitausendjährige Entwicklung der Schriftmedien, der Typographie und der räumlichen „Explosion“ ihr Ende findet. Denn die nahezu instantane elektrische Übertragung induziert, so McLuhan, eine neue „Raum-Zeit-Welt“, in der das lineare Nacheinander der Buchkultur und der Mechanisierung aufgehoben ist; Raum wird nicht mehr, wie noch durch alle früheren Medien, ausgeweitet, sondern er fällt vielmehr implosionsartig in sich zusammen.3 „Elektrisch zusammengezogen“, so McLuhans berühmter Slogan, ist daher „die Welt nur mehr ein Dorf“: Indem die Übertragung elektrischer Medien in ihrer Geschwindigkeit der angesichtigen mündlichen Kommunikation nahekommt, versetzt sie den Menschen in eine ähnlich akustisch-nahräumliche Welt – oder: „Echokammer“ – wie in einer traditionellen schriftlosen Dorf- oder Stammeskultur.4 So wird mit der Entwicklung elektrischer bzw. elektronischer Medien die visuell-lineare Welt der Typographie, d.h. nach McLuhan: eine Welt (u.a.) der Individualisierung, des Nationalismus und der Spezialisierung, zunehmend durch die synchronisierende akustische bzw. „taktile“ Qualität der Elektrizität umgestaltet, die funktionale und soziale 2 3 4
Vgl. hierzu auch die o. erwähnten Thesen zum fortschreitenden „RaumZeit-Schwund“ unter Bedingungen elektronischer Medien (Kap. I). McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. Understanding Media. Dresden und Basel (2. Aufl.) 1995: 15; 17f.; 227; vgl. 65; 389ff. Ebd.: 17; 145; 377f.; vgl.: ders.: Die Gutenberg Galaxis. Bonn u.a. 1995: 39; ders./Powers, Bruce R.: The Global Village. Paderborn 1995.
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TELEGRAPH
Trennungen ebenso aufhebt wie die Grenzen des Individuums.5 Das „weltumspannende[] Netz“ des elektrischen Zeitalters verunmöglicht die Distanzierung, die den Menschen der Buchkultur kennzeichnet, und schmilzt die Menschheit, gleich einem nach aussen gekehrten „Zentralnervensystem“, zu einem einzigen Bewusstsein zusammen. In diesem Moment einer globalen Wechselwirkung und Synchronisierung, oder auch der Verheissung einer Art „Pfingstwunder weltweiter Verständigung und Einheit“, die vor den „Turm zu Babel“ zurückweise, liegt für McLuhan das Neue bzw. die grundlegende „Botschaft“ elektrischer Medien.6 Die Medientheorie – oder „Medientheologie“ (Andreas Huyssen) – McLuhans ist zweifellos nicht mit einem fortschrittsoptimistischen Telegraphiediskurs des 19. Jahrhunderts oder mit der oben zitierten Botschaft des Schweizerischen Bundesrats zu identifizieren; auch ist die McLuhansche ‚Heilsbotschaft‘ von einem „Zeitalter der Elektrizität“ und der Wiederkehr einer vormodernen Welt des „Dorfs“ keineswegs eine eindeutige.7 Es sind jedoch gerade zentrale Metaphern McLuhans, die seine Medientheorie an jene Diskurse anschliessen, in denen um die Mitte des 19. Jahrhunderts der raumüberwindende „galvanisirte“ Draht mit einer globalen ‚synchronen‘ Verbundenheit assoziiert ist. So liest sich etwa folgende Passage aus Karl Knies’ Abhandlung „Der Telegraph als Verkehrsmittel“ von 1857 aus heutiger Sicht geradezu wie eine Vorwegnahme McLuhanscher Thesen:
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Vgl. hierzu (u.a.) McLuhan: Die magischen Kanäle, a.a.O.: 260ff.; zur Taktilität oder Synästhesie ebd.: 102f.; 504f. Medien prägen demnach als Umgebungen Wahrnehmung und Denken, was bedeutet, dass die wahrgenommene Welt eine immer schon durch Medien informierte ist. McLuhans Medientheorie ist insofern im Ansatz eine Theorie der medialen Prägung auch jeder Raumwahrnehmung und -vorstellung. So ist das Ende des Buchzeitalters, nach McLuhan, zugleich das Ende des Newtonschen Raums bzw. der Vorstellung von Raum als „Behälter“; vgl. McLuhan: Die Gutenberg Galaxis, a.a.O.: 312ff. McLuhan: Die magischen Kanäle, a.a.O.: 21; 127; 522f. Huyssen, Andreas: Im Schatten von McLuhan: Jean Baudrillards Simulationstheorie. In: Krenzlin, Norbert (Hg.): Zwischen Angstmetapher und Terminus. Theorien der Massenkultur seit Nietzsche. Berlin 1992: 165181, hier: 173. Uneindeutig ist McLuhans ‚Botschaft‘ (u.a.), indem er elektrische Medien nicht nur als Heilsbringer, sondern auch als Betäubung des Menschen beschreibt, – der gleichsam wiederum durch (McLuhansche) medientheoretische Aufklärung begegnet werden kann. Vgl. McLuhan: Die magischen Kanäle, a.a.O.: 88f. Zum Uneindeutigen bzw. Widersprüchlichen McLuhans vgl. Eco, Umberto: Vom Cogito interruptus. (Orig. In: Quindici, 1967) In: ders.: Über Gott und die Welt. Essays und Glossen. Zürich 1988: 245-265.
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Die Menschen und Völker zeigen sich uns wie in einer riesigen Sprechhalle vereinigt. Trotz der unangemessenen Abstände sind sich die Einzelnen unmittelbar vernehmbar, sie sind sich in die gegenseitige Hörweite gebracht, der Nachrichtenverkehr ist in eine mündliche Unterhaltung, in ein Wechselgespräch verwandelt. [...] Die Städte, die Völker „erleben“ die Ereignisse gleichzeitig – gleich als ob eine Empfindung einen einheitlichen Körper durchzucke. […] Es liegt in diesem Schaffen des Telegraphen eine fast überwältigende Kraft der Einigung „zusammengesetzter“ gesellschaftlicher Körper.8
Und auch Knies stellt die ‚Einigungskraft‘ des Verkehrs- und Nachrichtenwesens in einen religiösen Zusammenhang: Das Christentum [...] gab gerade dem instinctiven Trieb nach freiem Verkehr die religiöse Weihe. Es stellte seinen grundsätzlichen Widerspruch hin gegen die von den National-Religionen der alten Welt geheiligte Selbstsucht und Beschlossenheit der Völker wie gegen die kastenartigen Schranken zwischen den Einzelnen. […].9
Allerdings gründen diese Darstellungen des Nationalökonomen Knies auch und wesentlich in einer Analyse des Telegraphen als Medium einer arbeitsteiligen Produktion. Telegraphie und „Nachrichtenverkehr überhaupt“ konstituieren, nach Knies, nicht ein mit traditionalen Lebensformen vergleichbares „Dorf“, sondern die Netzwerke einer spezifisch modernen „interlocalen“ Wirtschaftsstruktur: Die Production für Bedürfnisse entfernterer Plätze, der Bezug von Consumtibilien aus der Ferne her, kurzweg die interlocale Arbeitstheilung und Genussvertheilung fädelt die räumlich getrennt lebenden Menschen zum Nachrichtenverkehr zusammen. Und zwar geschieht diess effektiv immer umfassender, je entschiedener die Grundlagen des modernen Lebens und Handels sich ausbilden.10
Als Überwindung der „Schranken zwischen den Einzelnen“ und der „Beschlossenheit der Völker“ gilt die Telegraphie erst recht im weiteren 19. Jahrhundert, so insbesondere angesichts der – 1866 im zweiten Anlauf dauerhaft gelungenen – telegraphischen Verbindung von Europa und Amerika. In seiner Hymne „The Victory“ feiert der US-Amerikaner Rossiter Johnson das transatlantische Kabel nicht nur als Sieg der Wissenschaft über Zeit und Raum, sondern auch – wie hundert Jahre später 8 9 10
Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 242ff. Ebd.: 3f. Ebd.: 69.
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McLuhan – als Wiederkehr einer menschlichen Verbundenheit, die vor den Turmbau von Babel zurückweist: [...] And Science proclaimed from shore to shore/That Time and Space ruled man no more./Then the brotherhood lost on Shinar’s plain/Came back to the peoples of earth again./[...]/ „Be one“ said Space „I forbid no more“;/ „Be one“ echoed Time, „till my years are o’er“./ „We are one“ said the nations, and hand met hand/In a thrill electric from land to land.11
Und gleichsam als ein Echo hierzu aus der „Alten Welt“ formuliert der elsässische Pfarrer Adolf Stöber: Nein, kein Ozean mehr trennet die Alte Welt/Von der Neuen, ein Band schlingt um beide sich;/Eines Hauses Genossen/Sind die Völker von Pol zu Pol [...]12
Das transatlantische Kabel, so eine deutsche Eisenbahnzeitung, sei ein „[…] Kind des Friedens“, indem es „als erste Kunde vom Festlande der Alten Welt zur Neuen von ‚Friedenspräliminarien‘ berichtet“.13 Ähnlich heisst es in einem Gedicht des (ehemaligen Vormärz-)Autors Eduard Schulte: [...] Durch sein Gebiet, den weiten Ozean/lässt er [=Neptun] ein Heer von lichten Geistern ziehen!/Den Sylbenschaaren brachen off’ne Bahn/Galvanis kräft’ge Friedensbatterien […].14
Die Rede von „Friedensbatterien“ und „lichten Geistern“ steht hier vor dem Hintergrund des Deutsch-Österreichischen Kriegs: Tatsächlich handelt es sich bei den genannten „Friedenspräliminarien“ um die telegraphisch übermittelte Rede Wilhelms I nach dem Sieg Preussens in der
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13 14
Rossiter Johnson: The Victory, zit. nach Löper, Carl (Hg.): Stammbuch der neuen Verkehrsmittel. Heidelberg 1984 (Orig. Dresden 1881): 399. Zit. nach Geistbeck, Michael: Der Weltverkehr: Seeschiffahrt und Eisenbahnen, Post und Telegraphie in ihrer Entwicklung dargestellt. Freiburg i. Br. 1995 (Orig. 1886): 486; vgl. Roscher, Max: Die Kabel des Weltverkehrs hauptsächlich in volkswirtschaftlicher Hinsicht. Berlin 1911: 168. Zeitung des Vereins der Eisenbahn-Verwaltungen für 1866, zit. nach Löper (Hg.): Stammbuch der neuen Verkehrsmittel, a.a.O.: 368. Zit. nach ebd.: 363. Schulte war im Vormärz mit politisch-sozialkritischer Lyrik hervorgetreten, was ihm 1850 einen – mit Freispruch endenden – Gerichtsprozess eintrug; vgl. Gödden, Walter (Hg.): Westfälisches Autorenlexikon, Bd. 2. Paderborn 1994: 391-393.
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Schlacht von Königgrätz.15 Die Verbindung von Telekommunikation und menschlicher Einheit bzw. Verbundenheit ist jedoch, über diese spezifische Situation hinaus, eine bleibende Figur im Diskurs des telegraphischen Netzes, bis hin zu Theoriebildungen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts, die, wie in der Forschung verschiedentlich gezeigt worden ist, ihrerseits als Vorläufer McLuhanscher Thesen betrachtet werden können.16 Fluchtpunkt der Rede von der globalen telekommunikativen Verbindung ist dabei, weit über die Überwindung zeiträumlicher Distanzen hinaus, wiederkehrend das Bild des telegraphischen „Nervensystems“ bzw., wie der Scientific American 1881 unter dem Titel „The Moral Influence of the Telegraph“ formuliert, des universalen simultanen Herzschlags menschlicher „sympathy“: ‚One touch of nature makes the whole world kin.‘ Men have accepted this saying in a broader sense than Shakespeare dreamed. But for a world-wide [...] signal demonstration of the kinship of humanity, men have had to wait until science and invention had brought all nations into something like instant communication. It was the touch of the telegraph key [...] that welded human sympathy and made possible its manifestation in a common, universal, simultaneous heart throb. [...]17
Solcherart als Medium eines globalen Being One imaginiert, wird der Telegraph zu geistiger Synchronisierung, Telekommunikation zu Kommunion. „Wer seine Mitmenschen verstehen wollte, konnte gar nicht genug Nachrichten haben“, so, im Blick auf den zitierten Artikel, die knappe Formel Tom Standages, welche diese Deutung der Nachrichtentechnik ebenso auf den Punkt bringt wie ihr Paradox.18 Elektrizität stellt dabei, in Diskursen des 19. wie des 20. Jahrhunderts, Verbindungen her zwischen Geist und Materie, Gefühl und Draht, Körper und Technik. So hat die 15
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Vgl. Hoppe, Joseph: Die Nerven des Globus. Telegraphenkabel im 19. Jahrhundert. In: Kultur & Technik, 1/1996: 47-53, hier: 52; Roscher: Die Kabel des Weltverkehrs, a.a.O.: 88f. Vgl. hierzu die Ausführungen (zu Ernst Kapp und zu Teilhard de Chardin) in Hartmann: Globale Medienkultur, a.a.O., bes. 79ff.; 153ff. u. Winkler, Hartmut: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. Dig. Ausgabe. München 2002: 64ff.; zur Genealogie der McLuhanschen Thesen vgl. auch die Diskussion der Arbeiten Charles Horton Cooleys in Peters, John Durham: Speaking into the Air. A History of the Idea of Communication. Chicago und London 1999: 184ff. Scientific American, Vol. XLV, No. 16, 15. Okt. 1881: 240; vgl. zur Stelle Marvin: When Old Technologies Were New, a.a.O.: 189. Anlass des Artikels ist der Tod des US-Präsidenten James A. Garfield. Standage, Tom: Das Viktorianische Internet. St. Gallen u. Zürich 1999: 180.
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Elektrotechnik für McLuhan „organischen Charakter[]“, da elektrische Medien „sofort und ständig ein totales Feld von gegenseitig sich beeinflussenden Ereignissen erzeugen, an welchen alle Menschen teilnehmen“, und ist die Telegraphie, bei McLuhan exemplarisch veranschaulicht an der telegraphischen Berichterstattung aus dem Krimkrieg, charakterisiert durch „menschliche Anteilnahme“ als „elektronische [sic] oder Tiefendimension unmittelbaren Einbezogenseins“.19 Das Medium der Telegraphie, seit dem 19. Jahrhundert imaginiert als Verbundenheit der Welt, wird damit zur Ankunft einer bei und seit McLuhan im Bild des „Globalen Dorfs“ gefassten universalen Raumüberwindung der ‚synchronen‘ Tele-Medien bzw. -Mediennetze. Eine erstaunlich geringe Rolle angesichts dieser theoretisch so zentralen Bedeutung als Beginn des elektrischen Zeitalters spielt bei McLuhan indes der Gegenstand der Telegraphie selbst. Tatsächlich kommt dieses Medium explizit nur am Rand seiner Arbeiten zur Sprache – im Gegensatz etwa zur Schrift und zur Typographie wie auch zu McLuhans ausgeprägtem Interesse für das Medium Fernsehen.20 So beschäftigt sich auch das ausdrücklich der Telegraphie gewidmete Kapitel in McLuhans Publikation Understanding Media in hohem Mass mit der ‚Instantaneität‘ elektrischer Medien im allgemeinen, eher wenig aber mit der Telegraphie im besonderen. Wie sich das spezifische Neue des „galvanisirten Drahts“ beschreiben lässt, von dem der Schweizerische Bundesrat 1851 spricht, bleibt bei McLuhan weitgehend unerörtert. Dieser Befund lässt sich über McLuhan hinaus teilweise generalisieren; ist doch Telegraphie ein medienwissenschaftlich eher wenig fokussierter Gegenstand geblieben. Mehr noch als das „vernachlässigte Medium“ des Telefons ist sie bis in jüngere Zeit Forschungsfeld eher einer ingenieurwissenschaftlichen Technik- oder der Wirtschaftsgeschichte denn der Medien- oder Kulturgeschichte.21 In dieser Hinsicht spiegelt sich im Gegenstand der Telekommunikation nicht zuletzt die Geschichte der Medienwissenschaft und des Medienbegriffs selbst, herkömmlich bezogen v.a. auf jene Massenmedien (und ihre übertragenen „Botschaften“), denen gegenüber ja gerade McLuhans Slogan, wonach das Me19 20 21
McLuhan: Die magischen Kanäle, a.a.O.: 376f.; 385. Vgl. ebd.: 466ff.; McLuhan: Die Gutenberg Galaxis, a.a.O. Fielding, Guy/Hartley, Peter: Das Telefon. Ein vernachlässigtes Medium. In: Becker, Jörg (Hg.): Telefonieren. Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung. Marburg 1989: 125-138. Zur technik- und wirtschaftsgeschichtlichen Darstellung der Telegraphie vgl. bes. Aschoff, Volker: Geschichte der Nachrichtentechnik. 2 Bd. e. 2. Auflage. Berlin u.a. 1989 u. 1995; Wobring Michael: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 2005.
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dium die „Botschaft“ sei, eine entschiedene Ausweitung des Medienbegriffs markierte. Erst mit der damit gleichsam vorgezeichneten und durch die Verbreitung der digitalen Medien beschleunigten Reflexion und Reformulierung des Medienbegriffs rückten, im deutschsprachigen Raum vor allem durch Friedrich Kittler, historische Entwicklungen der Telekommunikation vermehrt in den Blick der Medienwissenschaft.22 So hat Kittler das Medium Telegraphie in eine „Geschichte der Kommunikationsmedien“ als einen Prozess der Ausdifferenzierung von Interaktion, Kommunikation und Information eingeordnet. Entkoppelten sich, so die hier entfaltete Sicht, im historischen Übergang von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit Interaktion und Kommunikation, so steht die Telegraphie für einen zweiten Übergang zu den technischen Medien, mit denen sich Kommunikation und Information ihrerseits voneinander entkoppelten: Mit ihr löste sich „Information“, d.h. die Übertragung, Speicherung und Verarbeitung von Nachrichten, erstmals aus jener „Kommunikation“, in der zuvor Güter, Personen und Nachrichten gemeinsam zirkulierten.23 Kittler folgt mit dieser Skizze einer dreistufigen Kommunikationsgeschichte einem schematischen Modell, auf dessen Problematik u.a. von Seiten der Geschichtswissenschaft hingewiesen worden ist; und er setzt, indem er die Geschichte der Kommunikationstechniken von ihren nichttechnischen historischen Bedingtheiten zu lösen sucht, ein selbst scheinbar Unmittelbares des Technischen voraus.24 Zugleich wird jedoch der Umbruch der Telegraphie bei Kittler, im Sinne von „Rückwirkungen“, auf eine Reihe spezifischer historischer Entwicklungen bezogen: Ihre Verbreitung stand, wie er anmerkt, in Zusammenhang mit militärischen Interessen wie auch mit der Mobilität der Eisenbahn; ihre „Lösung vom Erdboden“, dessen metrische Distanzen telegraphisch nicht zählen, „organisierte Internationalität: von den Börsenberichten des Welthandels über die Telegraphenagenturen der Weltpresse bis zu Kolonialreichen“, während sie zugleich eine neue Räumlichkeit des Topologischen und der
22
23
24
Vgl. zum Wandel des Medienbegriffs Schanze, Helmut: Einleitung. In: ders. (Hg.): Handbuch der Mediengeschichte, a.a.O.: 1-11; Tholen, Georg Christoph: Medium, Medien. In: Roesler, Alexander/Stiegler, Bernd (Hg.): Grundbegriffe der Medientheorie. Paderborn 2005: 150172, hier: 153ff. Kittler, Friedrich A.: Geschichte der Kommunikationsmedien. In: Huber, Jörg/Müller, Alois Martin (Hg.): Raum und Verfahren: Interventionen. Basel und Frankfurt a. M. 1993: 169-188, hier: 170ff. Vgl. hierzu Crivellari, Fabio et al.: Einleitung. in: dies. (Hg.): Die Medien der Geschichte, Konstanz 2004: 9-45, hier: 26; Tholen: Die Zäsur der Medien, a.a.O.: 29f.
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Verbreitung standardisierter Codes mit sich brachte.25 Damit ist bei Kittler ein Ansatz umrissen, das Neue der Telegraphie weniger pauschal im Sinne eines enträumlichten „Globalen Dorfs“ zu adressieren als vielmehr in seinem Verhältnis zu anderen Techniken des Verkehrswesens und zu spezifischen räumlichen Beziehungsgefügen v.a. der ökonomischen und der politischen Kommunikation. Als ein Neues der Information und der Nachrichtentechnik, das sich gegenüber dem Personen- und Güterverkehr ausdifferenziert, bleibt sie mit dessen Entwicklung gleichwohl verbunden. Die Frage nach diesem Neuen der telegraphischen Information und Nachrichtentechnik hat, teils an Kittler anschliessend, Frank Haase erörtert, der Telegraphie als eine semio-technische Zäsur fokussiert und dabei u.a. unter dem genannten Aspekt ihres Verhältnisses zur politischen räumlichen Ordnung begreift. Telegraphie erscheint hier als historischer Beginn eines Dispositivs der Telekommunikation und steht, als neue Medientechnik, für eine „sinnstiftende[] Willkür“ der Generierung von Codes, deren zeichenökonomische Kombinatorik an die Stelle von Repräsentation, Symbol und Hermeneutik tritt.26 Diese Willkür der Zeichensetzung korrespondiert, wie Haase nachzeichnet, mit der Realisierung des – zunächst: optischen – Telegraphensystems im revolutionären Frankreich, wo sich Nachrichtentechnik im Rahmen einer zentralistischen staatlichen und militärischen Organisation etabliert. Hier wie auch später in Preussen ist Telegraphie zur Frühzeit dieses Mediums Mittel einer Machtpolitik, die sich auf den exklusiven Zugang zur Nachrichtenübertragung und zu kryptographischen Codes stützt. Sie ist mithin nicht Überwindung der „Schranken zwischen den Einzelnen“, sondern wesentlich staatliches Herrschaftsinstrument, oder, so Haases Unterscheidung im Blick auf die Telegraphie unter Napoleon: Sie ist nicht „Netz“, sondern „Stern“.27
25
26 27
Kittler: Geschichte der Kommunikationsmedien, a.a.O.: 181f., vgl. ders.: Lakanal und Soemmerring: Von der optischen zur elektrischen Telegraphie. In: Felderer (Hg.): Wunschmaschine Welterfindung, a.a.O.: 286295. Zur von Kittler erwähnten Ausbildung der mathematischen Topologie in den 1840er Jahren – der Begriff „Topologie“ wird von Johann Benedict Listing 1847 geprägt – vgl., eingehend, Heuser, Marie-Luise: Die Anfänge der Topologie in Mathematik und Naturwissenschaften. In: Günzel (Hg.): Topologie, a.a.O.: 183-200. Haase, Frank: Die Revolution der Telekommunikation. Die Theorie des telekommunikativen Aprioris. Baden-Baden 1996: 19. Haase, Frank: Stern und Netz. Anmerkungen zur Geschichte der Telegraphie im 19. Jahrhundert. In: Hörisch, Jochen/Wetzel, Michael (Hg.): Armaturen der Sinne. Literarische und technische Medien 1870-1920. München 1990: 43-61.
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Haase zeigt damit auf, inwiefern Telegraphie als eine semiotische wie politische Zäsur der Telekommunikation zu begreifen ist, indem sie ein Neues der Zeichen transportiert, das, in Frankreich wie in Preussen, mit einer staatlich-militärischen Kommunikation korrespondiert. Dieser Befund ist jedoch nicht auf die Frühgeschichte der Telegraphie als Ganzes übertragbar. So ist, wie die wirtschaftsgeschichtliche Forschung gezeigt hat, auch die frühe optische Telegraphie nicht auf ein staatlich-militärisches Prinzip zu reduzieren, sondern findet ihre Verbreitung zugleich in den Hafenstädten im Rahmen des internationalen Seehandels.28 Die Geschichte der elektrischen Telegraphie wiederum ist – wie in Kittlers knappen Bemerkungen angedeutet – eine vielgestaltige und wechselvolle, und sie folgt insbesondere in England und in den USA einer anderen, privatwirtschaftlichen Dynamik als in Frankreich oder in Preussen. Telegraphiegeschichten, die v.a. auf diese Länder fokussiert sind, zeichnen daher ein anderes Bild des Mediums, so z.B. Standages Darstellung der Telegraphie als eines „Viktorianische[n] Internet“, das sich im Rahmen v. a. des Eisenbahnwesens, der Börse und der Presse entwickelte. Standage zieht hierbei Parallelen zum Internet der 1990er Jahre, indem er u.a. auf die Euphorie über das transatlantische Kabel hinweist oder auf die informelle Kommunikation der Telegraphisten, die – bis hin zur Akronymen wie „SFD“ (stop for dinner) – aus heutiger Sicht gleichsam als ein Vorläufer elektronischer Formen der Kommunikation erscheint.29 Telegraphie, die Bedingung der Möglichkeit einer „Globale[n] Medienkultur“, ist damit ein Medium, dessen Geschichte ihrerseits auf historisch und lokal unterschiedliche Bedingtheiten seiner Entstehung und Verbreitung verweist, was die Rede von ‚der‘ Telegraphiegeschichte problematisch werden lässt.30 Denn nicht nur entstand das Medium technisch in Form unterschiedlicher, teils nacheinander, teils parallel entwickelter und in den verschiedenen Staaten eingeführter Systeme (ein Umstand, der in der älteren Technikhistoriographie v.a. in Bezug auf die Frage der nationalen „Erfindungspriorität“ nachhaltig beschäftigt hat);31 28 29 30
31
Vgl. Wobring: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jahrhundert, a.a.O. Standage: Das Viktorianische Internet, a.a.O.: 72: vgl. 141ff. Hartmann: Globale Medienkultur, a.a.O. Vgl. hierzu (bezogen auf die optische Telegraphie) Wobring: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jahrhundert, a.a.O.: 15; zur Heterogenität der Telegraphiegeschichte(n) vgl. auch die Darstellungen in Teuteberg, Hans-Jürgen/ Neutsch, Cornelius (Hg.): Vom Flügeltelegraphen zum Internet. Geschichte der modernen Telekommunikation. Stuttgart 1998; Winston, Brian: Media Technology and Society. A History: From the Telegraph to the Internet. London und New York 1998; Flichy: Tele, a.a.O. Die traditionelle technikhistoriographische Frage der nationalen Erfindungspriorität führte, wie Volker Aschoff gezeigt hat, nicht nur zu unter-
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auch standen die frühen Telegraphen und ihre ‚raumüberwindenden‘ Netze, wie die genannten Beispiele andeuten, in unterschiedlichen Verhältnissen zu den Entwicklungen von Verkehrswesen und Handel und zu den räumlichen Ordnungen der Politik und des Staats. Im Folgenden soll zunächst diese Uneinheitlichkeit der Entwicklungs- und Frühgeschichte des Mediums in einer knappen Skizze verdeutlicht und in Bezug zu jener partikularen Geschichte der Einführung von Telegraphen in der Schweiz 1852 gesetzt werden, von der im oben angeführten Eingangszitat die Rede ist. Ausgewählt wird diese – bislang wenig dargestellte – Geschichte als ein bewusst lokales wie spezifisches Fallbeispiel;32 denn die Einführung staatlicher Telegraphen steht im 1848 gegründeten liberalen Bundesstaat Schweiz in einem anderen Rahmen als in den benachbarten deutschen Staaten, und sie fügt sich zugleich nicht in das Modell einer wie in England oder den USA privatwirtschaftlich institutionalisierten Telegraphie. Am Beispiel der Schweiz wird dabei exemplarisch greifbar, wie sich Telegraphie um die Mitte des 19. Jahrhunderts in einer spezifischen historischen Gemengelage von politischen und wirtschaftlichen Diskursen etabliert und als allgemeines Medium zu verbreiten beginnt. In denselben Jahren um 1850 verbreitet sich die Telegraphie ebenso als internationales Medium durch zunehmend grenzüberschreitende Li-
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schiedlichen Interpretationen der Telegraphiegeschichte, sondern auch zu eigentlichen Fälschungen. Dabei liegt eine grundsätzliche Problematik solcher Fragestellungen, wie Aschoff anmerkt, schon in der Vorstellung von der „Erfindung“ selbst; müsste man sich doch, so Aschoff, zunächst „darüber verständigen [...], was man als die ‚Geburtsstunde‘ einer neuen Erfindung definieren will: das erste Erkennen einer neuen technischen Aufgabenstellung, die erste […] Konzeption für eine mögliche Lösung, die erste Formulierung einer Lehre zum technischen Handeln, den Bau eines ersten funktionsreifen Prototyps, die Entwicklung eines [...] Produkts oder schliesslich die erste erfolgreiche Einführung in die Praxis.“ Die Problematik der Rede von der Erfindung oder vom Ursprung einer Technik liegt, m.a.W., in der Uneindeutigkeit des technischen Gegenstands selbst, – die es dem Telegraphiehistoriker leicht machte, „unter diesen möglichen Definitionen gerade die auszuwählen, die in seinem Sinn die richtige Antwort auf die Prioritätsfrage lieferte [...].“ Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 66. Zu vorliegenden Darstellungen der Schweizer Telegraphiegeschichte s. Hundert Jahre elektrisches Nachrichtenwesen in der Schweiz 1852-1952. Hgg. von der Generaldirektion der PTT. 3 Bd.e. Bern 1952-1962 (im Folgenden zit. als HJN), insbes. Bd. I: Telegraph. Bern 1952; Künzi, Kilian: Telegraf – Kommunizieren durch den Draht. In: Museum für Kommunikation (Hg.): In 28 Minuten von London nach Kalkutta. Aufsätze zur Telegrafiegeschichte. Bern 2000: 19-117; sowie, heimatkundlich ausgerichtet, Giacometti, Enrico: Die Einführung des Telegraphen in der Schweiz mit besonderer Berücksichtigung von Graubünden. Chur 2006.
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nien und die ersten Kabellegungen der submarinen Telegraphie. In einem zweiten Abschnitt steht diese Verflechtung bis hin zur interkontinentalen Telegraphie im Vordergrund, mit der sich jenes „weltumspannende[] Netz“ herausbildet, das bei McLuhan als Bild des Zeitalters der Elektrizität schlechthin figuriert. In den Blick geraten sollen diesem ‚globalen‘ Bild gegenüber im Folgenden vermehrt die Überlagerungen, welche die Ausbildung zwischenstaatlicher, internationaler und interkontinentaler Verbindungen mit sich brachte, mithin solche räumlichen Verhältnisse der Heterogenität, die in der Rede vom „globalen Netz“, gleichsam als Lakune bzw. als „fadenumgrenztes Nichts“ zwischen den Maschen ausgeblendet bleiben.33 Daneben werden – wie auch im ersten Abschnitt – Aspekte des Verhältnisses zwischen dem Neuen der Telegraphie und anderen Formen der „Kommunikation“ verfolgt: der Zirkulation von Gütern und Personen, der Migration oder auch weiteren Kommunikationsmedien wie Brief und Post, Literatur und Presse. Ein letzter Abschnitt ist der medialen Zäsur der Telegraphie als eines semiotisch grundlegend Neuen gewidmet, das sich als eine Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Formen des Mediums anschreiben lässt. So steht Telegraphie für das Neue eines medialen Raums der Übermittlung von ‚körperlosen‘ Zeichen wie auch einer Synchronisierung der Zeit: Imaginiert als „universal heart throb“ wird der Telegraph im 19. Jahrhundert vor allem zum Taktgeber einer weltweit koordinierten Zeit und des Systems globaler Zeitzonen, das sich als zeiträumliche Ordnung über den Globus legt. In den Vordergrund rücken damit in den folgenden Analysen, gegenüber den ‚globalen‘ Thesen vom Schrumpfen der Welt zum Punkt oder zum universalen Being One, solche Aspekte des Neuen der Telegraphie, die in diesen eingängigen Modellen unerfasst bleiben: Die uneinheitlichen Dispositive und Diskurse des Telegraphischen in der Frühgeschichte des Mediums; die räumlichen Überlagerungen und Interferenzen, die im Blick v.a. auf die Internationalisierung der Telegraphie und die submarinen und interkontinentalen Verbindungen greifbar werden; und der mediale Raum, die sich mit der telegraphischen Nachrichtentechnik als ein neues Dazwischen codierter und ‚mobilisierter‘ Zeichen aufspannt.
33
So Günther Ropohls der DIN-Norm 61250 (Netztuche für die Fischerei) folgende Definition, die das Konstitutive des „fadenumgrenzte[n] Nichts“ bzw. der Lakune, die den „grösste[n] Teil der Fläche“ einnimmt, für das „Netz“ hervorhebt; Ropohl, Günther: Allgemeine Technologie der Netzwerke. In: Technikgeschichte 56 (1988), 3: 153-162, hier: 154.
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Anschlüsse und Verbindungen Anfänge der Telegraphiegeschichte mag man in dem im 17. und 18. Jahrhundert viel geschilderten Prinzip magnetischer „Sympathienadeln“ lokalisieren, die als Kommunikationsmedium etwa von Liebespaaren imaginiert wurden, oder in den militärischen z.B. Fackel-, Feuer- oder Trommelsignalsystemen, wie sie aus der Antike, der europäischen oder auch der afrikanischen Geschichte überliefert sind. In jedem Fall verweist diese „Basiserfindung“ der technischen Medien (Kittler) auf eine Vielzahl telegraphischer Formen avant la lettre, d.h. in einem allgemeinen Sinn: Formen einer Fernkommunikation ohne Boten oder Transport eines Gegenstands, welche die Vereinbarung eines Codes mit der Übertragung diskreter Signale koppelt.34 Bis zur Neuzeit sind solche Systeme in ihrer Leistungsfähigkeit – bezogen auf ihre Kapazität, Reichweite, Geschwindigkeit wie auch Fehleranfälligkeit – jedoch eng begrenzt, wie sich z.B. anhand des Hochwachtensystems der mittelalterlichen Eidgenossenschaft illustrieren lässt: Wird doch in der ältesten erhaltenen Instruktion zu diesen Feuerzeichen aus dem 15. Jahrhundert u.a. just von einem telekommunikativen Missverständnis berichtet, indem, wie es in der Quelle heisst, „ein gelöiff [...] zu Bern geschechen ist von eines röiches wegen“, also Aufruhr wegen eines Rauchs entstand – der jedoch nicht von einem Signalfeuer, sondern von einem Scheunenbrand herrührte.35 Als Problem erweist sich hier sowohl die Zuordnung der Zeichen (die Unterscheidung zwischen Index und Symbol) als auch die mangelnde Genauigkeit der Wahrnehmung durch das blosse Auge. Veränderte Bedingungen schafft seit dem frühen 17. Jahrhundert das Fernrohr: Das teleskopische Fern-Sehen erweitert die Möglichkeiten auch der Fernkommunikation und stimuliert im 17. und 18. Jahrhundert zahlreiche Konzepte, Nachrichten über Lichtzeichen oder aus Balken o.ä. gebildete Figurenzeichen zu übertragen.36 Erst zur Zeit der Französischen Revolution jedoch gelingt es dem Citoyen Claude Chappe – der Physiker wie auch Geistlicher war –, mit seinen Brüdern ein solches System der optischen Flügel- bzw. Balkentelegraphie praktisch zu realisieren. 34
35 36
Kittler: Geschichte der Kommunikationsmedien, a.a.O.: 172. Vgl. zur Frage der Definition Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 1, a.a.O.: 9; zu den genannten Anfängen vgl. ebd.; Standage: Das Viktorianische Internet, a.a.O.; Flichy: Tele, a.a.O.; Teuteberg/Neutsch (Hg.): Vom Flügeltelegraphen zum Internet, a.a.O.; Fürst: Das Weltreich der Technik, Bd.1, a.a.O. Zit. nach HJN, a.a.O., Bd. I: 15. Zu den Konzepten u.a. Robert Hookes s. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 1, a.a.O.: 97ff.; 109ff.; 112ff.
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Chappes 1793/94 in Betrieb genommener „télégraph“ markiert, so ein allgemeiner Konsens in der Historiographie, den Beginn des Mediums im engeren Sinne. Dabei handelt es sich weniger um eine ‚Erfindung‘ als um eine Optimierung bestehender Konzepte und ihre Integration in ein effizientes Gesamtsystem, das erstmals überzeugend die Möglichkeiten einer Fernübertragung von codierten Zeichen vor Augen führt; – Chappes „télégraph“ schreibt mit einer Geschwindigkeit ‚in der Luft‘, die alle am Transportwesen geprägten Vorstellungen sprengt.37 Zugleich ist die Realisierung des Systems im Rahmen der spezifischen militärischen und politischen Situation Frankreichs während der Revolutionskriege zu sehen: Zum einen ermöglicht es, die Truppen der Revolutionsarmee mit zuvor ungekannter Geschwindigkeit zu organisieren und zentral zu koordinieren. Zum anderen fügt es sich in den politisch-nationalen Zusammenhang des revolutionären Frankreich, soll es doch ermöglichen, so der Abgeordnete Joseph Lakanal im Konvent, die junge französische Republik in einem neuen Raum der Kommunikation zu einer Einheit zu verschmelzen. Die in einem Brief Chappes überlieferte Argumentation Lakanals, die Einrichtung des Telegraphen sei „die beste Antwort auf jene Publizisten, die Frankreich für zu grossflächig halten, um eine Republik zu bilden“ und sie versammle „riesige Bevölkerungsmassen [...] gewissermassen an einem einzigen Punkt“, entspricht dem revolutionären Bestreben, einen neuen, homogenen nationalen Raum zu schaffen, – oder auch, so Kittler, eine Rousseausche Republik im Ausgang von einer schweizerisch-lokalen Mündlichkeit der Landsgemeinde medientechnisch auf die Einheit des Flächenstaats Frankreich zu erweitern.38 Über seine Bedeutung als militärisches Instrument in Zeiten des levée en masse hinaus ist der Telegraph in dieser Weise Teil der Symbolik der Französischen Revolution, und er regt auch ausserhalb Frankreichs breite Diskussionen über das Medium an, durch das, so 1795 der Berliner Physiker und Theologe Ernst Gottfried Fischer, „Mensch und Mensch einander näher gebracht“ werden mögen.39 In diesem Sinn sym37
38
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Chappe demonstriert 1793 die Übertragung einer 20 Worte langen Nachricht über 25 km. Distanz in knapp 10 Minuten. Vgl. Charbon, Paul: Entstehung und Entwicklung des Chappeschen Telegraphennetzes in Frankreich. In: Beyrer, Klaus/Mathis, Birgit-Susann (Hg.): So weit das Auge reicht. Die Geschichte der optischen Telegraphie. Frankfurt a. M. 1995: 29-54, hier: 34; zu Chappe und zum Chappeschen „télégraph“ s. auch Flichy: Tele, a.a.O.: 23ff.; Bertho, Catherine: Télégraphes et téléphones: de Valmy au microprocesseur. Paris 1981: 9ff. Vgl. Kittler: Lakanal und Soemmerring, a.a.O.: 287; zit. nach Flichy: Tele, a.a.O.: 25ff.; vgl. zum Text der Stelle Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 45. Zit. nach Wobring: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jh., a.a.O.: 42. Wobring sieht bei Fischer die Verbindung von Medien-
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bolisch wirksam bleibt der Telegraph ebenso in der Folgezeit unter Napoleon. So erscheint etwa 1812 in Wien eine philhellenische Zeitung der griechischen Diaspora unter dem Namen Ελληνικòς Τηλέγραφος (der Griechische Telegraph), – womit das Kunstwort „Telegraph“ gleichsam über die Fern-Kommunikation einer Exilzeitung Eingang ins Griechische findet.40 Praktisch wird jedoch diese Vision einer telegraphischen Verbindung von „Mensch und Mensch“ bzw. der „Bevölkerung“ keineswegs eingelöst: Vielmehr sind in Frankreich wie auch in anderen Territorialstaaten die Flügeltelegraphen während der gesamten Epoche ihres Einsatzes bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein exklusives Medium staatlich-militärischer Kommunikation, während für die Bevölkerung, welche die Flügelbewegungen auf den Türmen beobachten kann, die Botschaft der Telegraphen ein „Buch mit sieben Siegeln“ bleibt, wie die Kölnische Zeitung 1848 formuliert.41 Dem entsprechend deutet etwa Ludwig Börne den optischen Telegraphen in ganz anderer Weise als die von ihm als Ende des Despotismus gefeierte Eisenbahn. So erscheint das Medium in Börnes in den 1820er Jahren verfassten Schilderungen aus Paris als ein Instrument obrigkeitlicher Repression: Neulich reiste ein englischer Schriftsteller von Paris nach London. Er war schon drei Tage fort, stand in Calais am Bord des Schiffes; die Segel wurden geruckt – da schoss ihm von Paris der Telegraph wie ein Blitz nach. Er wurde festgehalten und musste, wegen Verdachts aufrührerischen Briefwechsels, vier Wochen im Kerker schmachten. Er ward unschuldig befunden.42
Und in einem Brief nach Frankfurt vom 4. Januar 1831 – rund ein halbes Jahr nach der Julirevolution – schreibt Börne:
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technik und dem Humanitätsideal Johann Gottfried Herders vollzogen, vgl. ebd. 42ff. Die Zeitschrift ist digital verfügbar über die Online-Plattform der Österreichischen Nationalbibliothek, http://anno.onb.ac.at/. Zur Einordnung des Blatts vgl. Konstantinou, Evangelos: Geleitwort. In: ders. (Hg.): Europäischer Philhellenismus. Die europäische philhellenische Presse bis zur 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1994: 13-17. Die Wortschöpfung „télégraph“ stammt von Miot de Mélito, Vertreter des Kriegsministeriums, vgl. Huurdeman, Anton A.: The Worldwide History of Telecommunications. New Jersey 2003: 20. Zit. nach Beyrer, Klaus: Die optische Telegraphie als Beginn der modernen Telekommunikation. In: Teuteberg/Neutsch (Hg.): Vom Flügeltelegraphen zum Internet, a.a.O.: 14-26, hier: 25. Zu unterscheiden sind von der hier betrachteten Staatstelegraphie die erwähnten optischen Telegraphen in den Seehandelszentren. Börne, Ludwig: Sämtliche Schriften, Bd. 2. Düsseldorf 1964: 59.
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Was glauben Sie wohl, was mich hier täglich am meisten daran erinnert, dass jetzt Frankreich mehr Freiheit hat als sonst? Der Telegraph. […] [S]eit einem Vierteljahre, das ich jetzt hier bin, habe ich [...] den Telegraphen noch nicht einmal arbeiten gesehen. In Friedenszeiten hat der Telegraph nur gesetzwidrige Befehle zu überbringen. Die Herrschaft der Gesetze bedarf keiner solchen Eile und duldet keine solche Kürze.43
Die Gleichung Börnes weniger Telegraphie = mehr Freiheit verdeutlicht, wie wenig die „Siebenmeilenstiefel“ der optischen Telegraphie in der Praxis geeignet sind, revolutionäre Hoffnungen zu nähren.44 Dies gilt umso mehr für die – historisch späte – Einführung optischer Telegraphen im restaurativen Preussen. Hier ist die Einrichtung von Telegraphenlinien eine direkte Folge der 1830er Revolution, indem sie von vornherein im Zeichen der Sicherung politischer Herrschaftsverhältnisse gegenüber revolutionären Umtrieben im Innern steht. Die erste preussische Linie, die 1833 fertiggestellt wird, führt von Berlin in die Rheinprovinzen, dem Geheimen Postrat Carl Pistor zufolge „die volkreichsten, die gewerbereichsten und zugleich die beweglichsten der ganzen Monarchie“ weshalb das dortige Leben „unstreitig das raschere Eingreifen“ Berlins erfordere.45 Dasselbe Dispositiv eines Eingreifens im ‚beweglichen‘ Innern bestimmt in Preussen noch die Einrichtung elektrischer Staatstelegraphen in der Folge der 1848er Revolution. Die erste dieser Linien, erstellt von Werner Siemens, verbindet 1849 Berlin mit Frankfurt am Main und, v.a., mit der dort tagenden nationalen Versammlung in der Paulskirche. Auch diese Linie stellt somit einen verlängerten Arm des preussischen Königs in den Brennpunkt des revolutionären Geschehens dar; tatsächlich wird seine Ablehnung der Wahl seiner Person zum deutschen Kaiser durch die Nationalversammlung zu einer der ersten Nachrichten, die sie überträgt.46 Ähnlich handhaben andere restaurative Staaten wie die österreichische k.u.k. Monarchie und mehrere deutsche Kleinstaaten in den späten 1840er Jahren die neue Nachrichtentechnik. Dennoch ist die elektrische
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Dreieich 1986: 107-110, hier: 109. Zur Bezeichnung „Siebenmeilenstiefel“ vgl. [Anon.:] Die neuen Verkehrsmittel und die Geschichte. In: Löper (Hg.): Stammbuch der neuen Verkehrsmittel, a.a.O.: 416-419; Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 69ff. Zit. nach Beyrer: Die optische Telegraphie als Beginn der modernen Telekommunikation, a.a.O.: 22. Vgl. zur genannten Linie Glaser, Hermann/ Werner, Thomas: Die Post in ihrer Zeit. Eine Kulturgeschichte menschlicher Kommunikation. Heidelberg 1990: 59; 214f. Vgl. Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn, a.a.O.: 99f.; Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 147.
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Telegraphie mit einer anderen Entwicklungsdynamik verbunden als die frühen optischen Systeme. Diese Differenz lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass Preussen seine elektrischen Telegraphen, gegen den Willen des Militärs, bereits im August 1849 auch für nichtstaatliche Telegramme öffnet. Österreich folgt wenig später diesem Beispiel, 1850 auch Frankreich.47 Die in den 1840er Jahren eingeführten elektrischen Telegraphen basieren, anders als frühere „galvanische“ und elektrochemische Apparate, auf dem Elektromagnetismus; – sie sind Anwendungen des seit 1820 systematisch beobachteten Phänomens, dass ein elektrisierter Draht eine Magnetnadel ausschlagen lässt wie auch umgekehrt ein Magnet in einem Draht eine elektrische Spannung induziert.48 Seit den Arbeiten v.a. von Georg Simon Ohm und Michael Faraday sind diese Effekte als physikalische Gesetzmässigkeiten beschreib- und berechenbar, was zu Versuchen mit Drahtleitungen auch über grössere Distanzen führt. In Göttingen sind es 1833 die Professoren Carl Friedrich Gauss und Wilhelm Eduard Weber, die zwischen ihren Instituten eine Drahtverbindung installieren und feststellen, dass sich diese zur Fernkommunikation nutzen lässt. In der Folge experimentieren Gauss und Weber, in einer Art Nebenprogramm ihrer Forschung, mit verschiedenen Formen der Zeichengebung: auf akustischem Weg, indem sie die Magnetnadel an eine Glocke anschlagen lassen; auf optischem Weg durch Kombinationen von Ausschlägen der Nadel nach rechts oder links; oder gar in Form einer „physiologischen Telegraphie“, indem sie, wie Gauss 1835 in einem Brief schreibt, „zum Spass schon so telegraphiert haben, dass die Depesche aufgeschmeckt wurde.“49 Die Zusammenarbeit endet 1837 damit, dass Weber, der als einer der „Göttinger Sieben“ gegen die reaktionäre Verfassungsänderung 47
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Vgl. zu Österreich Scherner, Karl Otto: Die Ausgestaltung des deutschen Telegraphenrechts seit dem 19. Jahrhundert. In: Teuteberg/Neutsch: (Hg.): Vom Flügeltelegraphen zum Internet, a.a.O.: 132-162, hier: 136ff.; zu Frankreich Flichy: Tele, a.a.O.: 81ff. In Preussen ist die genannte Differenz auch daran ablesbar, dass sich nach der Öffnung der Linien Militär und Handelsministerium sechs Jahre lang um die Zuständigkeit für die Telegraphen streiten; vgl. Hoppe: Die Nerven des Globus, a.a.O.: 49. Zur „galvanischen“ Telegraphie um 1800 und zum elektrochemischen Apparat Samuel Thomas Soemmerrings s. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 2ff.; 13ff.; Oberliesen, Rolf: Information, Daten und Signale. Geschichte technischer Informationsverarbeitung. Reinbek b. Hamburg 1982: 61ff.; Kittler: Lakanal und Soemmerring, a.a.O.; Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 57ff. Zit. nach Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 230; vgl. 68ff., 95ff.; Oberliesen: Information, Daten und Signale, a.a.O.: 94ff.
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des Königreichs Hannover protestiert, seinen Lehrstuhl verliert und die Stadt verlassen muss. Gauss’ und Webers Anlage mündet, wie auch weitere Entwicklungen dieser Zeit – darunter die ersten, ihrerseits weitgehend unabhängig entstehenden Apparate des Porträtmalers Samuel Finley Morse in den USA – nicht direkt in einen Einsatz der elektrischen Telegraphie. Auch die Weiterentwicklung des Gauss/Weberschen Telegraphen durch den Münchner Physik- und Mathematikprofessor Karl August Steinheil gelangt über das Versuchsstadium nicht hinaus, obwohl Steinheils System durchaus praxistauglich ist. Dasselbe gilt für den Telegraphen des russischen Barons und Offiziers Paul Schilling von Canstatt, der bis zu seinem Tod 1837 in Petersburg an einer Linie für die Marine arbeitet.50 Zwar ist die elektrische der optischen Telegraphie überlegen: Sie ist nicht nur ungleich schneller und unabhängig von Wetter- und Lichtverhältnissen, sondern erlaubt – als unsichtbare Zeichenübertragung – auch auf kryptographische Codes zu verzichten. Dennoch sehen die entscheidenden staatlich-militärischen Stellen zu wenig Nutzen, um ihre Einführung voranzutreiben, weshalb Steinheils und Schillings Apparate wissenschaftliche Demonstrationsobjekte bleiben. Zur ersten „Wiege und Schule“ der elektrischen Telegraphie werden stattdessen die Eisenbahnen, vorab in England.51 Es sind William Fothergill Cooke und Charles Wheatstone, die hier 1837 – im selben Jahr, in dem auch Morse in New York seinen Schreibtelegraphen vorstellt – einen eigenen Apparat erproben und zum Patent anmelden, der auf die Zwecke des Bahnbetriebs zugeschnitten ist: Ihr Nadeltelegraph erfordert keinen besonderen Code und kann damit auch vom Bahnpersonal einfach bedient werden. Selbst ursprünglich durch Schillings Apparat inspiriert – Cooke lernte diesen als Student kennen –, übersetzen Cooke und Wheatstone damit das Prinzip der neuen Nachrichtentechnik in eine Applikation für die expandierenden Eisenbahnen, die, wie Cooke erkennt, darauf angewiesen sind, den wachsenden Ver50
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Zu Steinheils Apparat vgl. Steinheil, Carl August: Über Telegraphie, insbesondere durch galvanische Kräfte. München 1838; Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 75ff.; zu Schilling, einem Bekannten Soemmerrings, der bereits 1812 in Petersburg ein Kabel durch die Neva verlegte, um eine Pulverladung elektrisch fernzuzünden, s. ebd.: 79ff.; zum Beginn der Entwicklungen Morses vgl. Daniels: Kunst als Sendung, a.a.O.: 32ff. William Fardely (1856), zit. nach Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 179. Das geringe staatliche Interesse am elektrischen Medium ist, wie Aschoff an England zeigt, auch dadurch bedingt, dass noch in den 1830er Jahren ein staatlicher Ausbau optischer Telegraphen betrieben wurde, also, ökonomisch gesehen, durch einen gewissen Investitionsschutz; vgl. ebd.: 41.
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kehr auf ihren Linien zu koordinieren; Telegraphie wird gleichsam an die Dynamik des Verkehrswesens angeschlossen.52 Im Winter 1838/39 wird das System an der Linie London-Paddington der Great Western Railway eingerichtet und in der Folge von zahlreichen Bahnunternehmen in England und, seit 1843, auch auf dem Kontinent übernommen und weiterentwickelt.53 Parallel zu dieser Betriebstelegraphie beginnen Cooke und Wheatstone, die Telegraphen als ein allgemeines Kommunikationsmedium zu betreiben. Reisende können z.B. telegraphisch Postkutschen am Zielbahnhof bestellen oder – ein offenbar häufiger Fall – vergessene Gepäckstücke melden.54 Ebenso dient der Telegraph der Polizei: Erzählungen vom geflohenen Mörder oder Dieb, der qua Telegraph eingeholt und etwa am nächsten Bahnhof gefasst wird, finden sich von nun an mehrfach nicht nur in England, sondern auch auf dem Kontinent, – und sie werden sich erneut um 1900 zur Frühzeit der drahtlosen Telegraphie finden.55 Diese Berichte lesen sich als Gegenstück zum oben zitierten Bericht Börnes vom verhafteten Schriftsteller, im Rahmen indes derselben paradigmatischen Erzählung von einer jede Fortbewegung noch überholenden Telekommunikation. Paradigmatisch ist diese in Bezug nicht nur auf das Moment der Disziplinierung, das sie erfasst, sondern auch auf das Verhältnis von Fortbewegung und Nachrichtentechnik, von dem sie handelt; ist doch das hier herausgestellte Spezifische der telegraphischen Nachricht, dass vor ihr und ihrer Geschwindigkeit kein menschliches Entkommen ist. Nicht 52
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Vgl. zu Cooke und Wheatstone Oberliesen: Information, Daten und Signale, a.a.O.: 101f.; Standage: Das Viktorianische Internet, a.a.O.: 48ff.; Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 85ff.; zum Prinzip der Nadel- und Zeigertelegraphen s. ebd.: 144-160. Vgl. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 234ff.; Putschmann, Bernhard: Über den Aachener Eisenbahntelegraphen. In: Technikgeschichte, 34 (1967), 4: 350-360. So regt Knies 1857 für diesen Fall gar ein Abkürzungsschema an: „Statt dass nun die [...] Depesche immer wieder lautet etwa: ‚Ich habe zu Carlsruhe im Gasthof zum Erbprinzen eine Reisetasche liegen lassen und bitte mir dieselbe nach Freiburg poste restante besorgen zu wollen […]‘ könnte unter Anwendung […] des telegraphischen Briefstellers die Correspondenz so abgekürzt werden: ‚Nr. 7 Carlsruhe Gasthof zum Erbprinz–Reisetasche–Freiburg poste restante‘.“ Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 211. McLuhan hat die Erzählung vom (per Schiff flüchtenden und qua Funk) gefassten Mörder an den Anfang seines Telegraphiekapitels gestellt, vgl. McLuhan: Die magischen Kanäle, a.a.O.: 374f.; zur Erzählung vom gefassten Flüchtenden vgl. auch Standage: Das Viktorianische Internet, a.a.O.: 56; Marvin: When Old Technologies Were New, a.a.O.: 92; zu einem Schweizer Beispiel Giacometti: Die Einführung des Telegraphen in der Schweiz, a.a.O.: 49.
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nur also reisen telegraphische Botschaften „schneller […] als die Boten“,56 sondern auch, gewissermassen, schneller als die Adressaten (und als die z.B. eine Postkutsche am Zielort bestellenden Absender). In den USA verbreiten sich seit 1845 wiederum die Schreibtelegraphen, die Morse gemeinsam mit dem Fabrikantensohn Alfred Vail und dem Chemieprofessor Leonhard Gale weiterentwickelt hat. Morse sieht in der Telegraphie nicht ein Mittel des Eisenbahnverkehrs, sondern ein allgemeines, der Post vergleichbares Kommunikationsmittel, das, als Nervensystem, den grossflächigen Staat in eine Nachbarschaft verwandeln soll. Aufgrund des Desinteresses des Staats vorwiegend durch private Investoren finanziert, entsteht binnen weniger Jahre ein Netz von Linien, die – noch vor der Eisenbahn – Atlantik und Pazifik miteinander verbinden. Zum raschen Wachstum der amerikanischen Telegraphen trägt die Nutzung vor allem durch die Wirtschaft bei: durch Kaufleute, Bankiers sowie, über die Gründung von Agenturen, die Presse. Als Preussen 1848 mit dem Bau der ersten elektrische Linie beginnt, haben, wie Wolfgang König festgehalten hat, „in den Vereinigten Staaten mit Ausnahme von Florida bereits alle Staaten östlich des Mississippi Anschluss an das Telegraphienetz.“57 Bei staatlichen Obrigkeiten des europäischen Kontinents stossen solche Formen privater Telegraphie auf Argwohn. Dies gilt auch für die Eisenbahntelegraphen: So wird in einem Bericht der k.u.k. Monarchie zum Konzessionsgesuch der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn der Zusicherung des Bahnunternehmens, nur Betriebstelegramme zu vermitteln, misstraut – ein Telegraph, so der Bericht, „kann sprechen, was er will“. Der Transport privater Telegramme bleibt österreichischen und deutschen Bahngesellschaften bis 1855 üblicherweise untersagt; zugleich sind etwa Preussische Bahnen verpflichtet, Staatsdepeschen kostenlos zu transportieren.58 Auf Widerstand stösst in Staaten wie Frankreich oder Preussen zunächst auch die (bereits von Chappe erwogene) Idee, die Staatstelegraphen für Handelsdepeschen zu öffnen. Telegraphie, so befindet 1847 der
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Hartmann: Globale Medienkultur, a.a.O.: 9; 42. König, Wolfgang: Kommunikation und Technik im 19. Jahrhundert. In: Segeberg, Harro (Hg.): Die Medien und ihre Technik. Theorien – Modelle – Geschichte. Schüren 2004: 56-70, hier: 63. Der Staat finanzierte Morses erste Linie Washington-Baltimore (1844), lehnte aber die von Morse angebotene Übernahme seines Patents zum Preis von 100.000 Dollar ab. Vgl. Winston: Technology and Society, a.a.O.: 27; Daniels: Kunst als Sendung, a.a.O.: 40. Zit. nach Reindl, Josef: Partikularstaatliche Politik und technische Dynamik. In: Teuteberg/Neutsch (Hg.): Vom Flügeltelegraphen zum Internet, a.a.O.: 27-46, hier: 31; vgl. 37f.; Putschmann: Über den Aachener Eisenbahntelegraphen, a.a.O.: 360.
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französische Innenminister, habe „ein Mittel der Politik, nicht aber der Wirtschaft zu sein“.59 Dass dennoch wenige Jahre später auch diese Staaten ihre Telegraphen privaten Nutzungen öffnen, spiegelt gerade die wachsende wirtschaftliche Bedeutung des Mediums. Für den Staat ist die exklusive Vermittlung des zunehmenden Telegrammverkehrs auf seinen Linien lukrativ; dabei bleibt der private Verkehr, der fast überall Einschränkungen unterliegt, staatlicher Kontrolle unterworfen.60 Mit der Öffnung der Staatstelegraphen wächst in den europäischen Ländern das Volumen der Nachrichten rapide an. So zählt 1851 die Statistik der Preussischen Behörden 28.878 auf ihren Linien beförderte private Telegramme – gegenüber 5557 beförderten Staatsdepeschen. Ein Jahr zuvor hat Preussen mit Österreich, Bayern und Sachsen den „DeutschÖsterreichischen Telegraphenverein“ (DÖTV) gegründet, in dem diese Staaten nun beginnen, erstmals grenzüberschreitende Linien zwischen ihren Territorien zu organisieren.61 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts, dem Zeitpunkt, an dem auch im Kleinstaat Schweiz der Bundesrat die Einführung von Telegraphen vorschlägt, überlagern sich somit auf dem europäischen Kontinent unterschiedliche Entwicklungen des Mediums. Als Staatstelegraphie ist es seit der Französischen Revolution Moment einer nationalen räumlichen Ordnung, einer Mobilisierung und Organisation von Massenheeren wie auch der Kontrolle politischer Bewegung, indem es den Arm der Zentralgewalt in die Provinz verlängert und Armeen wie Territorien nachrichtentechnisch vernetzt. Darüber hinaus ist es die zunehmende Mobilität der Güter und Personen, mit der sich der Bedarf nach einer deren Geschwindigkeit noch überholenden Kommunikation verknüpft. So werden die Bahngesellschaften, die Telegraphen nutzen, um den wachsenden Verkehr auf ihren Schienensträngen zu koordinieren, in Europa zu Transporteuren jener privatwirtschaftlichen elektrischen Telegraphen, die zur selben Zeit in den USA die Entwicklung des Mediums prägen. Mit der Öffnung der Staatstelegraphen für eine allgemeine Nutzung erhält die Nach59 60
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Flichy: Tele, a.a.O.: 81, vgl. ebd.: 41; Kieve, Jeffrey: The Electric Telegraph. A Social and Economic History. Devon 1973: 46. So werden etwa anonyme oder verschlüsselte private Telegramme untersagt, und die Ämter sind angewiesen, verdächtige Nachrichten den Behörden zu melden; vgl. Flichy: Tele, a.a.O.: 83; Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 213. Vgl. Reindl: Partikularstaatliche Politik und technische Dynamik, a.a.O.: 34f.; zu den Daten Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 182. Zur Öffnung der französischen Staatstelegraphen s. Flichy: Tele, a.a.O.: 81ff.; Bertho: Télégraphes et téléphones, a.a.O.: 78ff.
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richtentechnik wiederum in Europa eine schlagartig gestiegene wirtschaftliche Bedeutung, während die telekommunikativen Linien zugleich beginnen, die staatlichen Grenzen zu überschreiten. Telegraphie steht damit, so das Fazit des Schweizerischen Bundesrats 1851 vor dem Parlament, für einen „groβartigen Aufschwung“ des Verkehrswesens in Europa, das sich, wie er vorrechnet, „in wenig Jahren mit einem Neze von mehr als 6000 Schweizerstunden bedekt“ habe.62 Am praktischen Nutzen dieser „neue[n] Erfindung“ soll nun auch die Schweiz teilhaben, – wobei der Bundesrat in seiner Botschaft zunächst darauf zu sprechen kommt, worin dieser Nutzen für die Schweiz nicht liegen kann. Ist doch […] nicht zu verkennen, daß in andern Staaten der Dienst der Eisenbahnen der schnellen Verbreitung der neuen Erfindung sehr förderlich war, und daß dort auch politische Beweggründe mitwirkten, die in unserm Lande nicht in gleichem Maße vorhanden sind. Der Bund und die Kantone bedürfen eigentlich aus politischen Rüksichten der Telegraphen nicht. In Kriegszeiten [...] wird allerdings auch für sie der grosse Vortheil schneller Berichte eintreten [...]. In Friedenszeiten dagegen werden die Telegraphen den Behörden […] nur in dem Maße zu gut kommen, wie sie dem verkehrtreibenden Publikum überhaupt zu Theil werden.63
Nicht gegeben ist in der Schweiz nicht nur ein Bedarf an Bahntelegraphen – Eisenbahnen gibt es hier 1851 noch kaum –;64 ebenso distanziert der Bundesrat seinen Gesetzesvorschlag nachdrücklich vom Vorbild der französischen oder preussischen Staatstelegraphen bzw., für Friedenszeiten, von „politischen Rüksichten“ schlechthin. Tatsächlich ist der politische Kontext des Staates, in dem hier über den Gegenstand der Nachrichtentechnik verhandelt wird, ein gänzlich anderer als in „andern Staaten“, ist doch der 1848 gegründete Bundesstaat Schweiz ebenso liberal-demokratisch wie föderalistisch. Es ist überdies ein Staat, der sich 1851 erst im Aufbau befindet und der innenwie aussenpolitisch noch wenig gefestigt ist: Innenpolitisch ist die Schweiz nach wie vor gespalten zwischen den einstigen Parteien des Sonderbundskriegs (1847) – den siegreichen Liberalen und den unterle62
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Botschaft des schweiz. Bundesrathes, a.a.O.: 287. D. s. umgerechnet 28.800 km; vgl. Künzi: Telegraf – Kommunizieren durch den Draht, a.a.O.: 56. Botschaft des schweiz. Bundesrathes, a.a.O.: 287f. Neben der französischen Bahn, die seit 1844 bis Basel fährt, existiert seit 1847 allein die Strecke Zürich-Baden (die sog. „Spanisch-Brötli-Bahn“); der weitere Eisenbahnbau ist kurz nach den Telegraphiedebatten Thema im Parlament.
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genen Konservativen; zudem erschweren die Gegensätze zwischen den Kantonen den Aufbau des neuen Staatswesens. Aussenpolitisch wiederum sieht sich die Schweiz seit dem Scheitern der europäischen 1848er Revolutionen von reaktionären Staaten umgeben und vor die Frage nach ihrem politischen Selbstverständnis gestellt. Telegraphie steht hier, mit anderen Worten, im Rahmen nicht nur einer liberal-demokratischen Politik, sondern auch der politisch diffizilen Staatsbildung einer Schweiz, die, so Hans-Ulrich Schiedt, in diesen Jahren noch kein „allseitig […] gut definierte[r] Raum“ war, vielmehr einen „komplexen Prozess der Klärung“ durchlief. Dem ersten Bundesrat kam hierbei die Aufgabe zu, mit wenig finanziellen und personellen Mitteln die Realisierung eines Staats voranzutreiben, der zunächst eher eine „Zielvorstellung“ war.65 Das Argument, das dieser Bundesrat in seiner Botschaft für die Einführung der neuen Nachrichtentechnik entfaltet, ist wesentlich ein wirtschaftliches: Telegraphie soll, neben ihrem allgemeinen Nutzen, Vorteile für den Geschäftsverkehr schaffen. Diese seien umso höher einzuschätzen als ein grosser Theil unserer Schweizerischen Bevölkerung […] auf Handel und Industrie angewiesen ist. Mehr oder weniger befinden sich alle Handelszweige, alle Gewerbe durch die Konkurrenz beengt. In diesem fortwährenden Kampfe der gegenseitigen Interessen [...] wird aber derjenige die günstigste Stellung einnehmen, der zeitlich und früher als andere die auf seinen Erwerbszweig einflußreichen Ereignisse kennt [...]. Ein Tag, eine Stunde Zeitgewinn bei wichtigen Nachrichten kann oft dem Geschäftsmanne grossen Schaden und Nachtheil abwenden [...].66
Hierzu verweist der Bundesrat auf die von ihm erhaltenen Petitionen, mit denen v.a. Zürcher Kaufleute Telegraphen in der Schweiz anregten, verbunden mit ihrer Zusage, sich auch finanziell an diesen zu beteiligen.67 So präsentiert sich Telegraphie hier als ein Mittel ausdrücklich nicht mehr der Politik, sondern der Wirtschaft – womit das Verhältnis von Po-
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Ruffieux, Roland: Die Schweiz des Freisinns (1848-1914). In: Im Hof, Ulrich et al.: Geschichte der Schweiz – und der Schweizer, Bd. III. Basel u. Frankfurt a. M. 1983: 9-100, hier: 17; Schiedt, Hans-Ulrich: 1848 als Start. Der Traum von den Vereinigten Staaten von Europa. In: Ernst, Andreas et al. (Hg.): Revolution und Innovation: Die konfliktreiche Entstehung des schweizerischen Bundesstaates von 1848. Zürich 1998: 137146, hier: 139f. Botschaft des schweiz. Bundesrathes, a.a.O.: 288. Vgl. ebd. 289; die erwähnte, von Zürcher Kaufleuten unterzeichnete Petition wurde vom Kaufmännischen Direktorium St. Gallen verfasst und ist datiert vom 22. April 1851. Zum Text s. HJN, a.a.O., Bd. I: 123ff.
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litik und Ökonomie im politischen Diskurs der Nachrichtentechnik, verglichen mit der Äusserung des französischen Innenministers vier Jahre zuvor – Telegraphie habe ein Mittel der Politik, nicht der Wirtschaft zu sein –, gerade umgekehrt erscheint. Einem Modell von Patrice Flichy folgend, liesse sich dieser Befund in einen Wandel „von der staatszentrierten zur marktorientierten Kommunikation“ einordnen, der, nach Flichy, die Geschichte des Mediums im 19. Jahrhundert prägt.68 Dieses Modell greift jedoch, wie im Folgenden deutlich werden soll, für das Beispiel der Schweiz – ebenso wie auch im Blick auf die (Früh-) Geschichte des Mediums Telegraphie – zu kurz.69 Denn sowohl der Gesetzesvorschlag selbst wie auch seine Vorgeschichte verweisen, über die wirtschaftsliberale Argumentation des Bundesrats hinaus, auf die zentrale politische Bedeutung des telegraphischen Projekts im genannten Prozess der Entstehung des liberalen Schweizer Bundesstaats nach 1848. So zielt das vom Bundesrat vorgelegte Gesetz darauf ab, Telegraphie, vergleichbar der 1848 zur Bundessache erklärten Post, als eine neue staatliche Institution (und nicht, dem Vorbild der angelsächsischen Staaten folgend, privatwirtschaftlich) einzuführen. Der Vorschlag des Bundesrats folgt in dieser Hinsicht nicht einem Wunsch in der erwähnten Petition der Zürcher Kaufleute; vielmehr ist es gerade dieses Vorhaben, das in den folgenden Parlamentsdebatten auf Opposition von Seiten wirtschaftsliberaler Kreise stossen wird.70 Die Petition lieferte, wie aus den Akten hervorgeht, tatsächlich auch nicht die erste Anregung zum Projekt; vielmehr war sie ihrerseits aktiv vom Bundesrat angeregt worden, der hierzu über einen Mittelsmann mit den Kaufleuten Kontakt aufgenommen hatte.71 Zurückführen lässt sich das Projekt eines nationalen Telegraphennetzes demgegenüber auf eine sehr viel frühere erste Anregung, die den Bundesrat im Dezember 1849 aus Frankfurt am Main erreichte, – womit es, wie die Historiker des Schweizerischen Nachrichtenwesens 1952 festhalten, die erste Preussische Telegraphenlinie nach Frankfurt und deren 68 69
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Flichy: Tele, a.a.O.: 17. Deutlich wird dies ebenso im Blick auf die Bedeutung der frühen Telegraphie im bereits erwähnten Seehandel und in den Hansestädten (vgl. hierzu den folgenden Abschnitt). Vgl. Botschaft des schweiz. Bundesrathes, a.a.O.: 290f.; zur Debatte im Nationalrat um den Staatsbetrieb vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 19.-21. Dez. 1851. Vgl. hierzu das Schreiben des Mittelsmanns Carl Kaiser an den zuständigen Bundesrat Wilhelm Mattias Naeff vom 23. März 1851, wiedergegeben in: HJN, a.a.O., Bd. I: 121f. Kaiser orientiert darin über die Unterstützung der Idee, auf die er in seinen Gesprächen gestossen ist, und fragt im Namen der Kaufleute nach, in welcher Art die geplante Zuschrift an den Bundesrat erfolgen soll.
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Öffnung für den Privatverkehr war, mit der die Schweiz auf das Medium aufmerksam wurde, nämlich durch ein Schreiben aus Frankfurt „unser[es] Landmann[s] Ernst Schüler, ehemaliger Posthalter in Biel“.72 Das erwähnte, als Abschrift erhalten gebliebene Schreiben, datiert vom 9. Dezember, war ursprünglich an die Berner Kantonsregierung adressiert und ist explizit mit dieser Angabe unterzeichnet; es stammt jedoch von einem Verfasser, der nicht alleine ein gewesener Posthalter war. Vielmehr war Ernst Schüler, einst als deutscher Flüchtling in der Schweiz gekommen, ebenso politischer Aktivist im Umkreis Guiseppe Mazzinis, Drucker, Publizist und Herausgeber, Uhrenfabrikant, Gemeinderat und Teilnehmer am Sonderbundskrieg; eine gleichermassen politische wie medientechnisch kompetente Persönlichkeit also, womit Schüler zweifellos eine geeignete Person war, um das Neue der in Frankfurt vor Ort erfahrbaren Telegraphie zu erfassen. In seinem Schreiben hebt Schüler die Bedeutung dieser Nachrichtentechnik auch für die Schweiz hervor, – deren „Glück und Wohl“ er den „trüben deutschen Zustände[n]“ gegenüberstellt. Dabei formuliert er ähnliche Überlegungen wie zwei Jahre später der Bundesrat: Wenn die Eisenbahnen in unserer Zeit für Personen- und Güter-Verkehr von unendlicher Wichtigkeit geworden sind, so bilden für den Verkehr der Staatsund Handelsdepeschen die electro-magnetischen Telegraphen ein gleich wichtiges Werkzeug. Fast alle monarchischen Staaten erkennen diese Wichtigkeit in der Anlegung großartiger Verbindungslinien dieser Art an. Die Eidgenossenschaft würde aus einer solchen Telegraphenlinie von Genf bis Bern und St. Gallen und wieder von Bern bis Basel gleich große Vortheile für den Staats- wie für den Privatverkehr entstehen sehen. Die Möglichkeit rascher Aufgebote, die Vermeidung derselben bei der Gedankenschnelle der Telegraphen, die Beförderung sämtlicher Staatseildepeschen, die ohnfehlbare Benutzung durch die Handels- und Industriewelt – kurz, ein nur oberflächlicher Überblick lässt den Nutzen dieser Boten der Neuzeit erkennen […].
Schüler berichtet ferner von einem neu erfundenen Schreibtelegraphen, bietet weitere Unterstützung an und bittet die Berner Regierung um eine Weiterleitung seines Schreibens an den Bundesrat. Sein Brief endet mit einem auffallenden Abschnitt: Sollten Sie, Hochgeachtete Herren, diese Angabe Werth erachten, der hohen Bundesbehörde mit Empfehlung zuzuweisen, so darf ich hoffen, einen schwa72
HJN, a.a.O., Bd. I: 118; der Text des Schreibens ist unvollständig abgedruckt ebd.: 119. Die erhaltene beglaubigte Abschrift des Briefs befindet sich im Schweizerischen Bundesarchiv (Sign. E 52/188).
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chen Beweis der Anhänglichkeit und Erinnerung an das Land und Volk gegeben zu haben, das mir – bei allen Leiden, die mich persönlich tödtlich getroffen, – stets heilig und theuer sein wird. Gott erhalte die Schweiz!
Geschrieben ist der Brief Schülers im Dezember 1849 in Frankfurt somit aus einer Distanz wie auch Ambivalenz Schülers, der sich zu dieser Zeit als Emigrant in Frankfurt aufhält. Der Zusammenhang dieser Emigration und der Bemerkungen Schülers lässt sich, zumindest ansatzweise, aus den – knappen – biographischen Angaben rekonstruieren, die zu Schüler vorliegen:73 Ursprünglich aus Darmstadt stammend, ist Schüler seit 1833 als politischer Flüchtling in der Schweiz und zunächst Lehrer im Bernischen Biel. Hier weiterhin politisch aktiv – u.a. als Gründer deutscher Handwerkervereine im Rahmen von Mazzinis „Jungem Europa“ –, gerät er 1836, kurz nach seinem Erwerb des Berner Kantonsbürgerrechts, ins Visier der Behörden: Er wird inhaftiert und in einem aufsehenerregenden Verfahren des Aufruhrs und Hochverrats angeklagt. Das Obergericht spricht ihn 1837 mangels Beweisen frei; Schüler hat jedoch die finanziellen Folgen seiner Haft zu tragen und ein neues Auskommen zu finden, u.a. als Gemeindeschreiber und, 1840, als Gründer einer Uhrenmanufaktur.74 In Biel wird er in der Folgezeit zu einem massgeblichen Förderer der Uhrenindustrie und 1845 Gemeinderat. Im selben Jahr beteiligt er sich am radikal-liberalen Freischarenzug gegen das konservative Luzern; zwei Jahre später nimmt er aktiv am Sonderbundskrieg teil. 1848 spielt Schüler, inzwischen als Posthalter tätig, eine zentrale Rolle in der Freischarenbewegung, die von der Schweiz aus die Aufstände im Herzogtum Baden unterstützt, und er wird für diese Aktivitäten – erneut – unter eine Anklage gestellt, die ihm und Mitangeklagten die Bildung bewaffneter Vereine zur Last legt. Der obergerichtliche Prozess endet im Januar 1849 mit Freispruch; Schüler hat jedoch, ebenso wie seine Mitan-
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Vgl. Kästli, Tobias: Die Vergangenheit der Zukunftsstadt. Arbeiterbewegung, Fortschritt und Krisen in Biel 1815-1919. Bern 1989: 38ff.; Türler, Hans: Ernst Schüler. In: Haupt, Hermann (Hg.): Hessische Biographien, Bd. 1. Darmstadt 1918: 239-241; Urner, Klaus: Die Deutschen in der Schweiz. Frauenfeld und Stuttgart 1976: 109ff.; 121ff.; Bourquin, Werner und Marcus: Biel. Stadtgeschichtliches Lexikon. Biel 1999: 374f. S. zum genannten Verfahren Der Prozess gegen Ernst Schüler von Biel, dargestellt in der Anklage-Akte, den beidinstanzlichen Vertheidigungen und dem obergerichtlichen Urtheile vom 8. herbstmonate 1837. Aus der Zeitschrift für vaterländisches Recht besonders abgedruckt. Bern 1837. Schüler verteidigte sich selbst und trug zum Aufsehen um den Prozess bei, indem er seine Verteidigungsrede noch während der Verhandlungen eigenmächtig publizierte.
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geklagten, einen Teil der Gerichtskosten zu bezahlen.75 Im selben Jahr emigriert Schüler mit seiner Familie nach Frankfurt; hier versucht er, neu Fuss zu fassen und beschäftigt sich neben der Telegraphie auch mit dem neuen Medium der Photographie. In der Folgezeit wird Schüler zunächst nach Wiesbaden übersiedeln, 1851 jedoch nach Biel zurückkehren. Wie schon in seiner ersten Bieler Zeit wird er erneut eine Druckerei gründen und von 1853 an u.a. den mehrere Jahrzehnte erscheinenden Schweizer Handels-Courier herausgeben. Das Schreiben, mit dem Schüler zum Anreger eines nachrichtentechnischen Netzes in der Schweiz wird, steht, wie sich zeigt, im Rahmen einer bewegten Biographie, die gleichsam auf der Ebene der Mikrogeschichte die Geschichte der Politik und der Medientechnik um 1848 in ihrem engen Verhältnis zueinander spiegelt. Politisch wie technisch weitsichtig, begreift der Emigrant und gescheiterte Revolutionär Schüler die Telegraphie, die in Frankfurt wenige Monate zuvor für den Privatverkehr geöffnet wurde, aus der Sicht ihrer Möglichkeiten für den jungen revolutionären Staat Schweiz: Mit seinem Vorschlag liefert er im Kern eine Vision, die in Preussen repressive staatliche Nachrichtentechnik in ein Medium der radikal-liberalen Politik und ein Netz des Kleinstaats Schweiz zu verwandeln. Dabei wird die ‚raumüberwindende‘ Telegraphie in Schülers Fern-Schreiben von Frankfurt nach Bern selbst zum Gegenstand einer – medialen – Ambivalenz von Abwesenheit und Anwesenheit, Trennung und Verbindung, indem sich Schüler mit seiner Idee eines Schweizer Telegraphennetzes aus der Distanz seiner Emigration und zwei Jahre vor seiner Rückkehr buchstäblich in die Schweiz einschreibt. Sein Brief erzählt insofern auch eine Geschichte der telekommunikativen Lokalisierung und der Migration. In ihrem politischen Hintergrund verweisen Schülers Schreiben und dessen Geschichte zugleich exemplarisch auf die Situation der Schweiz um 1848 angesichts der europäischen Revolutionen: Von der liberalen Bewegung begrüsst, sind diese ebenso mit einem erhöhten aussenpolitischen Druck auf den – sich gerade konstituierenden – liberalen Bundesstaat verbunden, sich von einer Unterstützung der Aufstände im Ausland zu distanzieren und Massnahmen gegen entsprechende Aktivitäten in der
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Die Anklage richtet sich an Schüler und vier Mitangeklagte in ihrer Funktion als Mitglieder des „Central-Ausschusses der deutschen Legion aus der Schweiz“, der unter den Deutschen in der Schweiz eine Revolutionstruppe zu bilden suchte. Das Urteil ist datiert vom 6. Januar 1849. Die Prozessakten befinden sich im Staatsarchiv des Kantons Bern, Sign. BB XV 2033 (Nr. 7834).
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Schweiz zu treffen.76 Die Frage der Haltung gegenüber den Revolutionen im Ausland ist dabei nicht nur aussen-, sondern auch innenpolitisch konfliktträchtig. Im besonderen deutlich wird dies im Sommer 1849, als nach dem Scheitern der Revolution in Baden rund 10.000 Aufständische in der Schweiz Zuflucht suchen. Die Schwäche gegenüber den Nachbarländern, aber auch die Furcht vor einer innenpolitischen Zerreissprobe führt in dieser Situation den Bundesrat zum Entschluss, die Anführer der Aufständischen auszuweisen. Diese politische Wende des selbst aus einem revolutionären Liberalismus hervorgegangenen Bundesrats führt zu einer Erschütterung der liberalen Bewegung und in der Folge zu einem zwischenzeitlichen Zerwürfnis der einstigen Siegerpartei des Sonderbundskriegs.77 Einen gewissen Auftrieb gewinnen dagegen nach 1849 die Konservativen, die gerade im Kanton Bern ihren grössten Wahlerfolg verzeichnen: Im Mai 1850 muss der Berner radikal-liberale Regierungsrat – wenige Monate, nachdem er Schülers Brief an den Bund weitergeleitet hat – einer konservativen Regierung weichen. 1851 erreichen die Konservativen einen gewissen Achtungserfolg in den nationalen Wahlen, was wiederum zu einem erneuten Schulterschluss und einem verschärften Ton der Liberalen gegenüber den konservativen Gegnern führt.78 So ist auch im Dezember 1851, dem Zeitpunkt, an dem der Bundesrat dem neu gewählten Parlament sein Telegraphiegesetz vorlegt, das Land in hohem Mass politisch gespalten und noch keineswegs in seinem nationalen Selbstverständnis konsolidiert. In der Botschaft des Bundesrats zum Gesetzesentwurf kommt diese Situation nicht zur Sprache. Ausdrücklich angesprochen wird sie jedoch im Bericht, den die Kommission des Nationalrats, ebenfalls im Dezember 1851, zum selben Gegenstand vorlegt. Denn hervorgehoben wird in diesem Bericht gerade die politische Bedeutung des Projekts für eine Schweiz, die – was man nicht ver76
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Hierzu zählt das Ernst Schülers Verhaftung zugrundeliegende Verbot bewaffneter Vereine, das von Bern am 5. April 1848 erlassen wird, gestützt auf ein Rundschreiben der Eidgenossenschaft vom 28. Februar. Vgl. Frei, Jürg: Die schweizerische Flüchtlingspolitik nach den Revolutionen von 1848 und 1849. Diss. Zürich 1977: 341-354. Die Reaktionen der liberalen Presse sind heftig, so auch der keineswegs radikalen Neuen Zürcher Zeitung: „Was wir nie erwartet, ist geschehen. [...] Der Bundesrat gestattet kein Asyl. So haben wir die Neutralität nicht verstanden. Wir haben keinen Ausdruck für unseren Schmerz und verweisen unsere Leser vor der Hand auf [den] folgenden Beschluss [...].“ Neue Zürcher Zeitung vom 20. Juli 1849. Vgl. von Greyerz, Hans: Der Bundesstaat seit 1848. In: Handbuch der Schweizer Geschichte, Bd. 2. Zürich 1977: 1019-1246, hier: 1036ff.; Borner, Heidi: Zwischen Sonderbund und Kulturkampf. Zur Lage der Besiegten im Bundesstaat von 1848. Luzern u. Stuttgart 1981, bes. 51-67.
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gessen dürfe – „viele natürliche Elemente der Trennung in sich trägt“. Die Telegraphie könne aber wie überhaupt die Anlegung aller neuen Kommunikationsmittel entweder bindend und kräftigend auf die moralische oder materielle Einheit eines Landes mächtig einwirken, oder auch dieselben erschlaffen oder zerstören [...], je nachdem man bei der Anlage derselben zu Werke geht [...].
Der Landesregierung dürfe es daher nicht gleichgültig sein ob vermöge des elektrischen Telegraphen z.B. Genf und Basel näher bei Paris zu liegen kommen als bei der Bundesstadt, [...] Zürich näher bei Frankfurt als bei den Urkantonen u.s.w., denn durch ein solches einseitiges Verfahren würden alle diese Ortschaften und Gegenden mit tausenden von neuen moralischen und materiellen Banden an das Ausland geknüpft, während sie im gleichen Verhältnisse den übrigen Theilen des Landes fremd werden müssten. An die Leichtigkeit des persönlichen, schriftlichen und telegraphischen Verkehrs knüpft sich notwendigerweise auch der materielle Verkehr, die Geschäftsverbindungen, der Handel, die Association des Kapitals wie der Arbeiterkräfte an, und diese sollen vor Allem aus für das eigene Land selbst gewonnen [...], aber wenigstens nicht den momentanen Interessen einzelner Industriezweige oder [...] Ortschaften [...] geopfert werden.
Neben der Verbindung des Handels und der Industrie mit den europäischen Zentren solle – und daher müsse die Telegraphie Bundessache sein – auf möglichste Einigung der materiellen, militärischen und moralischen Kräfte, auf Hebung und Belebung des Nationalgeistes Rüksicht genommen werden.79
Die Kommission begreift damit Telegraphie nicht allein als ein instrumentelles Kommunikationsmittel, sondern auch als ein Medium der räumlichen Transformation: Die Linien gestalten, indem sie neue NäheFerne-Verhältnisse konstituieren, die räumliche Ordnung des Landes, die sich unter telekommunikativen Bedingungen als ein Netz von ‚Anknüpfungen‘ darstellt. Entscheidend ist daher nicht alleine das blosse Schaffen von Verbindungen, sondern auch die Frage, wen oder was diese miteinander verbinden – bzw. voneinander trennen. Die „Anlage“ der Li79
Bericht der Kommission des Nationalrathes über die Erstellung eines elektro-magnetischen Telegraphennezes in der Schweiz (Vom 14. Dezember 1851). Schweizerisches Bundesblatt 1851, Bd. 3: 331-344; hier: 334f.
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nien, so die Kommission und so auch bereits die faktische Stossrichtung der Vorschläge des Bundesrats, soll daher nicht nur im Blick auf die Verbindungen einer zunehmend international verflochtenen Wirtschaft erfolgen, sondern auch auf diejenige des Bundesstaats – bzw. der imagined community der Nation.80 Hierzu verfolgen Kommission wie auch Bundesrat das auch vom Parlament grundsätzlich gutgeheissene Modell eines feinmaschigen nationalen Kommunikationsnetzes, das, zu deutlich günstigeren Tarifen als in anderen Staaten, allen uneingeschränkt zur Verfügung stehen soll.81 Die Schweiz entwirft damit eine eigene, sich von den zentralistischen Staatstelegraphen ebenso wie von der privatwirtschaftlichen Telegraphie unterscheidende Form eines dezentralen staatlich institutionalisierten nationalen Telegraphennetzes; – schon für eine erste Phase wird der Netzplan 70 Ortsstationen umfassen. Ebenso dezentral wird die Finanzierung geregelt, indem Kantone und Private die nötige Summe von 400.000 Franken in Form zinsloser Darlehen an den Bund leisten, – der selbst das Projekt kaum hätte finanzieren können.82 Kantone und Gemeinden stellen zudem Land und Leistungen für den Betrieb zur Verfügung; zugleich bringen sie ihre Interessen in die Debatte über die Linienführung ein, die v.a. bezüglich der Linien über die Alpen auch umstritten ist.83 Mit der Planung des Systems wird als externer Experte der einstige Telegraphenpionier Karl August Steinheil beauftragt. Dessen technische Überlegungen wiederum decken sich ihrerseits in hohem Mass mit dem entworfenen Modell eines weit verzweigten Netzes: Denn wie Steinheil ausführt, liegt eine Besonderheit der Telegraphen in ihrer neuen – topologischen – Räumlichkeit, die unabhängig von metrischen Distanzen ist. So sind in der Struktur telegraphischer Netze, im Gegensatz zu Strassenverbindungen, Umwege und Redundanzen bewusst einzuplanen, um die Sicherheit der Übertragung im Störungsfall zu gewährleisten. Durch eine Vermehrung der Linien aber gewinne ein Netz „auch eine Vermehrung der Zugangspunkte“, wodurch
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Vgl. hierzu Anderson, Benedict: Imagined communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London und New York 2006. Vgl. Bericht der Kommission des Nationalrathes über die Erstellung eines elektro-magnetischen Telegraphennezes in der Schweiz, a.a.O.: 336ff; 344.; Botschaft des schweiz. Bundesrathes, a.a.O.: 291; 295. Vgl. HJN, a.a.O., Bd. I: 148ff.; Neue Zürcher Zeitung vom 21. Dez. 1851. So versucht der Kanton Graubünden zunächst vergeblich, eine Linie über seine eigenen Alpenpässe entgegen der allein geplanten Gotthardlinie zu lancieren. Zu entsprechenden Artikeln in der Bündner Lokalpresse, die zugleich das Spektrum der lokalen Telegraphiedebatte aufzeigen, s. Giacometti: Die Einführung des Telegraphen in der Schweiz, a.a.O.: 24; 32ff.
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sich für Steinheil gleichsam aus der Technik selbst das Ideal jenes feinmaschigen Netzes ergibt, das er für die Schweiz konzipiert.84 Bezüglich der Apparate orientiert sich Steinheil am DÖTV, der 1851 beschlossen hat, in seinem Gebiet Morse-Telegraphen einzusetzen; die Schweiz telegraphiert damit von Anfang an mit Morseapparaten. Im Juli 1852 geht die erste Linie – St. Gallen-Zürich – in Betrieb. Ein halbes Jahr später folgt die Eröffnung des Netzes, das, so Karl Knies, „sofort energisch benützt wurde“; bis Ende 1853 befördert es rund 80.000 Telegramme.85 Knies vergleicht die vielen Telegramme im Schweizer Telegraphennetz mit Gebirgsbächen, da sie gleich diesen, die „nicht in ein Bette durch Configuration des Bodens zusammengedrängt werden, [...] massenhaft zusammen[laufen]“, − was Knies mit der Überlegung verknüpft, dass die Struktur seiner Verkehrsnetze auf die politischen und sozialen „innersten Lebenstriebe eines Volkes“ hinweise.86 Die Drahtverbindungen bieten sich, mit anderen Worten, auch als ein symbolisches Medium an, indem sie als Netzstruktur das Imaginäre der Nation in ihrer Eigenheit zu materialisieren und vor Augen zu führen scheinen. So sind die zahlreich verfertigten Karten des Schweizer Telegraphennetzes als eine mediale Darstellung lesbar, welche die Vorstellung einer durch vielfache „Bande“ geeinten Nation Schweiz als Bild fixiert und vermittelt.87 Exemplarisch zum Ausdruck kommt diese, symbolische Vermittlung der Telegraphen am Beispiel der Schweiz in einer schmalen Publikation, die 1852 mit dem Titel „Unterhaltungen über die elektromagnetische Telegrafie in der Schweiz“ erscheint. Autor des Büchleins ist Georg Mosmann, ein Churer Kantonsschullehrer, der als Referent über die Telegraphie hervorgetreten ist und nun auch mit seinem Text dem „Bürger und Landmann“ die neue Medientechnik erläutern will. Mosmann unternimmt dies jedoch in Form nicht einer technischen Abhandlung, sondern 84
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Gutachten Steinheils vom 11. Feb. 1852, zit. nach HJN, a.a.O., Bd. II: Telephon. Stromquellen und Stromlieferungsanlagen. Oberirdischer und unterirdischer Linienbau: 848.; vgl. auch Steinheils Artikel „Der galvanische Telegraph“ im Bund vom 12. Feb. 1852 u. in der Neuen Zürcher Zeitung vom 13. Feb. 1852. Vgl. Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 176f.; zur Baugeschichte und zum weiteren Ausbau des Netzes s. HJN, a.a.O., Bd. II: 847859; Künzi: Telegraf – Kommunizieren durch den Draht, a.a.O.: 52-69. Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 121; 125. S. z.B. HJN, a.a.O., Bd. II: 858f.; zum Verhältnis von Kartografie und dem Bundesstaat vgl. Gugerli, David/Speich, Daniel: Topographien der Nation. Politik, kartografische Ordnung und Landschaft im 19. Jahrhundert. Zürich 2002. Mit der Telegraphie verfestigt sich dabei in offensichtlicher Weise die von Giessmann benannte „Wahlverwandtschaft von Netz und Karte“. Giessmann: Netze und Netzwerke, a.a.O.: 54.
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einer geradezu Gotthelfsch anmutenden Erzählung vom politisch tief gespaltenen Dorf „Glattwyl“ und seinen beiden Wirtshäusern: Zentraler Schauplatz ist das stattliche Wirtshaus „zum Schwarzen Bären“ dessen Wirt, ein konservativer Kantonsrat, von den „Wühler[n]“ der „Glattwyler Wirtshausbrüder“ boykottiert wird, die sich stattdessen in der „dunstigen Schenke“ ihres politischen „Gesinnungsgenossen, des Alt-Gemeinderats Brenner“ treffen.88 Im fast leeren „Schwarzen Bären“ lässt Mosmann dagegen eine Runde von Männern – ein Mühlemacher, ein Zöllner und ein „Bäuerlein“ – auftreten, die sich vom „Geometer Bergmann“ die Telegraphie erklären lassen. In einer Reihe von Zusammenkünften, an denen im weiteren Verlauf auch der Wirt selbst teilnimmt, erläutert Bergmann nun die Geschichte und Funktionsweise dieser Technik, bis hin zum Prinzip der Chappeschen und Morseschen Codes – vorgeführt am Beispielsatz „Revolution in Bern!“ –, und versetzt alle in Erstaunen und Begeisterung: Der Wirt und Kantonsrat freut sich über die „ganz andere Unterhaltung als das ewige Politisiren und Räsonniren“; das Bäuerlein fühlt sich mit seinem neuen Wissen wie der „Herrgott“; der Zöllner wiederum „brambasirt“ an einem der dazwischenliegenden Abende in der Schenke Brenners über die Telegraphen, „als ob diese […] seine eigene Erfindung wären“ und findet damit soviel Anklang unter den dort zechenden Radikalen, dass er sich für die nächste Grossratswahl empfiehlt.89 Dem konservativen Wirt und Kantonsrat wiederum kommt es am Ende zu, Bergmann zu danken und die Wissenschaft ebenso hochleben zu lassen wie die kantonalen und privaten Geldgeber der Schweizer Telegraphen und den Bundesrat, welcher die schönste Erfindung der Neuzeit aus der übermeerischen SchwesterRepublik herbeirief, um einem gleichfalls freien Volk als Träger seiner Gedanken und Erleichterungsmittel seines Verkehrs zu dienen.90
So vermitteln die „Unterhaltungen“ nicht nur technisches Wissen, sondern auch das an die Morsesche „Schwesterrepublik“ USA anschliessba88
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Mosmann, Georg: Unterhaltungen über die elektromagnetische Telegrafie in der Schweiz. Schaffhausen 1852: 1; vgl. zu Mosmann Giacometti: Die Einführung des Telegraphen in der Schweiz, a.a.O.: 109f.; zum Gotthelfschen der Erzählung vgl. Gotthelf, Jeremias: Zeitgeist und Berner Geist. Zürich und Stuttgart 1966 (Orig. 1851/52). Gotthelf beteiligte sich mit diesem Werk auf konservativer Seite an den politischen Auseinandersetzungen im Kanton Bern. Mosmann: Unterhaltungen über die elektromagnetische Telegrafie in der Schweiz, a.a.O.: 7; 27ff.; 42. Ebd.: 63f.
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re Verständnis einer liberalen und geeinten Schweiz über die politischen Lager hinweg. Dieses stützt sich bei Mosmann zum einen auf den durch die Telegraphie transportierten wissenschaftlich-technischen Fortschritt selbst, der über allem „Politisiren“ steht; zum anderen auf das Modell einer elektrischen Kommunikation, welche die Schweiz zu einem System zusammenschliesst. In Mosmanns Ausführungen über den Stromkreislauf nimmt dieses auch die Gestalt eines Gewässersystems an, indem die Linien mit einem aus einem See fliessenden Bach verglichen werden, „der […] nicht wild zerstörend dahin brauset und tobet, sondern in besänftigterem Laufe zu Nutz dem Menschen viele Mühlenräder treibt“, während der See (d.i. die Batterie) laufend von neuem durch „unterirdische Wasseradern“ gespiesen wird. Die Orte mit ihren Telegraphenstationen sind dabei den Mühlen zu vergleichen, „welche in den elektrischen Strom hinein gebaut sind, damit sie dessen Kraft empfangen und Tag und Nacht zur Arbeit […] verwenden.“91 Solcherart vorgestellt als kraftspendendes Netz können die Telegraphenlinien – noch vor der Vermittlung des ersten Telegramms – zur Vision einer gleichsam energetisch verbundenen Schweiz werden: geprägt nicht von Gebirgsbächen, sondern, so das Biedermeierliche Bild Mosmanns, von einem „besänftigteren“ Lauf der Strom- und Kommunikationsflüsse, der die unterschiedlichen Orte ebenso verbindet wie die Positionen im politischen Diskurs. So soll der „galvanisirte Draht“ nicht nur die Distanz zwischen Nordsee und Mittelmeer zum Verschwinden bringen, sondern, im Blick auf Mosmanns Darstellung, ebenso und zu allererst die Distanz zwischen den Wirtshäusern von „Glattwyl“; er ist, über die instrumentelle Funktion des technischen Transportmittels hinaus, Gegenstand wie Teil eines Prozesses der „Klärung“, in dem sich räumliche Verhältnisse von Nähe und Ferne, Verbindung und Trennung, Ein- und Ausgrenzung neu konstituieren. Die im Lauf der frühen Telegraphiegeschichte vielfältigen Formen und Diskurse des Mediums münden dabei im ‚kraftspendenden‘ Netz des Schweizer Telegraphensystems in ein vermittelndes Bild nützlicher und „besänftigterer“ Kommunikationsflüsse und, in dieser Hinsicht letztlich an die Rousseauschen Visionen Chappes und Lakanals erinnernd, einer durch den „galvanisirten Draht“ geeinten imagined community der Nation.92 91
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Ebd.: 28; vgl. hierzu die Darstellung des Schweizerischen Netzes 1861 durch C.B.A.Emminghaus als einer „einigende[n] Macht“ der Linien, die von den Alpen „thalabwärts [eilen] durch die Stätten fröhlichen und unermüdlichen Schaffens.“ Zit. nach Löper (Hg.): Stammbuch der neuen Verkehrsmittel, a.a.O.: 352. Dass Verkehrstechnik ebenso eine andere Rolle spielen kann, zeigt wiederum für die Schweiz der nur wenig später privatwirtschaftlich geregelte und kantonaler Aufsicht unterstellte Eisenbahnbau: Zerstreute doch der
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G e i s t u n d G u tta p e r c h a Während sich die Länder des europäischen Kontinents Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend mit Telegraphennetzen ‚bedecken‘, sind in zahlreichen Hafenstädten – u.a. an der vom Schweizerischen Bundesrat erwähnten „Nordsee“ – bereits seit längerer Zeit Telegraphen in Betrieb: Zeitlich parallel zu den frühen Staatstelegraphen etabliert sich hier optische wie später elektrische Telegraphie als Medium eines expandierenden Seeverkehrs, indem u.a. Reeder und Kaufleute privatwirtschaftliche Linien betreiben, die Nachrichten von den vorgelagerten Küsten in die städtischen Handelszentren übermitteln. Dabei entwickeln sich, wie Michael Wobring gezeigt hat, früh standardisierte Codes zwischen Hafenstädten auch beiderseits des Atlantik.93 In den deutschen Staaten sind es die Hansestädte Hamburg und Bremen, die an dieser Form der Telegraphie partizipieren. So wird in Hamburg 1837 eine optische Telegraphenverbindung nach Cuxhaven eröffnet, die von einem Altonaer Essigfabrikanten betrieben wird. In Bremen wiederum wird 1847 – also rund zwei Jahre vor der ersten elektrischen Telegraphenlinie Preussens – ein elektrischer Telegraph nach Bremerhaven eingerichtet. Betrieben wird er von einem als Aktiengesellschaft konstituierten Verein von Kaufleuten der Hansestadt, die zu dieser Zeit ein Knotenpunkt nicht nur des Güterverkehrs ist, sondern auch der Auswandererströme und der postalischen Nachrichtenverbindungen von und nach Amerika.94
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darauf folgende „autonome kantonale Eisenbahnwetteifer“, so ein Fazit der Forschung, gerade „jede Hoffnung auf die einigende Kraft moderner Verkehrsmittel.“ Prêtre, Alain: Eisenbahnverkehr als Ordnungs- und Gestaltungsaufgabe des jungen Bundesstaates. Freiburg 2002: 175; vgl. von Greyerz: Der Bundesstaat seit 1848, a.a.O.: 1031f. So zwischen Liverpool und Boston. Vgl. zur Telegraphie in aussereuropäischen Hafenstädten seit den 1820er Jahren Wobring: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jahrhundert, a.a.O.: 65ff.: 35ff. Bremerhaven ist, nach Liverpool und Le Havre, wichtigster Auswanderungshafen, Handelshafen für Güter wie Tabak und Baumwolle und Station des Postdampfers „Washington“, der seit 1847 Bremerhaven und New York verbindet. Vgl. Benscheidt, Anja/Kube, Alfred (Hg.): Brücke nach Übersee. Bremerhaven 2006: bes. 12-21; Engelsing, Rolf: Bremen als Auswanderungshafen 1633-1880. Bremen 1961; zum Bremer Telegraphen vgl. Seidel, Rita: Verkehrsmittel Telegraph. Zur Geschichte der Telegraphie im 19. Jahrhundert bis 1866 unter besonderer Berücksichtigung des Raumes Hannover – Bremen. Diss. Hannover 1980, hier: 198ff.; 226ff.; zur optischen Telegraphie in Hamburg s. Wessel, Horst A.: Die optische Telegrafenlinie von Hamburg nach Cuxhaven. In: Beyrer/Mathis (Hg.): So weit das Auge reicht, a.a.O.: 205-214.
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Medienhistorisch sind die – oftmals vernachlässigten – Telegraphen in den Zentren des Seeverkehrs wie Hamburg und Bremen Beispiele für die oben herausgestellte Heterogenität der frühen Telegraphiegeschichte und für ihre Verflochtenheit nicht nur mit staatlich-militärischen Entwicklungen sondern auch mit solchen des Güter- und Personenverkehrs. Darüber hinaus zeigt gerade die weitere Geschichte der Bremer Telegraphie beispielhaft auf, wie sich mit der um 1850 zunehmenden Vernetzung zunächst heterogener und getrennt voneinander entstandener Telegraphen auch spezifische Spannungs- und Konfliktfelder eröffnen. Denn Bremen, als Stadtstaat umgeben vom Territorium des Königreichs Hannover, gerät, wie Rita Seidel nachgezeichnet hat, mit diesem in dem Moment in Konflikt, in dem die Bremer ebenso wie Hannover und wie auch Preussen beginnen, weitere Telegraphenlinien mit Knotenpunkt Bremen zu planen. Ausgelöst wird dieser Konflikt 1849 durch ein Gesuch Preussens zum Bau einer Linie seiner Staatstelegraphen durch Hannoversches Territorium nach Bremen. Beide betroffenen Staaten lehnen das Gesuch ab, beginnen jedoch zugleich, eigene und miteinander konkurrierende Strategien für eine weitere Entwicklung der Telegraphenlinien von und nach Bremen zu entwerfen. Dabei ist der Stadtstaat Bremen gegenüber dem Territorialstaat Hannover freilich in einer schwachen Position. So bleiben alle Versuche Bremens, weitere eigene Telegraphen über Hannoversches Territorium zu errichten oder auch nur Einfluss auf den Betrieb gemeinsam mit Hannover errichteter Linien zu erhalten, chancenlos, während Hannover, das 1852 dem DÖTV beitritt, eigene Staatstelegraphen u.a. zwischen Bremen und Hamburg einrichtet und diese an das zunehmend internationale Netz anschliesst. Die einzige Linie, die sich Bremen weiterhin unter eigenem Betrieb sichern kann, bleibt in der Folge diejenige nach Bremerhaven. Dabei gehen auch dieser Regelung, der rückblickenden Darstellung des Bremer Unterhändlers zufolge, zähe Verhandlungen voran; sei doch Hannover peinlich bemüht gewesen durch sorgfältige Wahl der Ausdrücke, die daher häufig geändert werden mussten, sicher zu stellen, dass in keiner Weise ein Loch bleibe, durch welches am Ende doch ein bremischer Draht über hannoversches Territorium hinaus gelangen könne.95
Wie das Beispiel zeigt, ist es nicht nur (Eisen- oder Kupfer-)Draht, aus dem die grenzüberschreitenden Verbindungen sind, sondern auch „bremischer“, „hannoverscher“ oder „preussischer“ Draht; und räumlich ver95
Zit. nach Seidel: Verkehrsmittel Telegraph, a.a.O.: 295; zum Ablauf des erwähnten Konflikts vgl. ebd.: 256-300.
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bindet dieser nicht nur Orte miteinander, sondern führt ebenso durch Territorien und ist damit Gegenstand von Konflikten um die Kontrolle der Linien und die Vermittlung von Nachrichtenflüssen. So geht es im Konflikt zwischen Hannover und Bremen nicht um die technische Möglichkeit, etwa Telegramme von Hannover nach Bremen zu senden. Im Mittelpunkt steht vielmehr die wirtschaftliche und politische Bedeutung des entstehenden Netzes, in dem sich das Königreich Hannover gleichsam als Vermittlungszentrale zwischen die Hansestadt und die weiteren ökonomischen und politischen Zentren zu schalten sucht. Damit schafft es sich eine Einnahmequelle wie auch eine strategische Position im Geflecht der zunehmend internationalen Verbindungen, die es 1859 durch die Seekabelverbindung zwischen Emden und England noch ausbauen wird. Dagegen scheitert der Plan der Bremer, über die Insel Helgoland eine eigene Seeverbindung mit England zu realisieren, – bzw. ein dennoch vorhandenes „Loch“ über hannoversches Territorium hinaus zu nutzen.96 Max Roscher hat 1911 von einem Prinzip der „ökonomischen Geraden“ gesprochen, das in der Anlage telegraphischer Verbindungen – deren Übermittlung ja, wie schon Steinheil betont, unabhängig von metrischen Distanzen ist –, das Prinzip der „geometrischen Geraden“ von Transportwegen ablöse.97 Ergänzend hierzu liesse sich, ausgehend vom genannten Beispiel, von einer politisch-strategischen „Geraden“ sprechen, indem in der Anlage der grenzüberschreitenden Linien sowohl ökonomische und technische wie auch politisch-strategische Faktoren eine massgebliche Rolle spielten. Das Beispiel des Konflikts zwischen Bremen und Hannover weist in dieser Hinsicht auf die spätere Entwicklung einer ‚globalen‘ Telegraphie voraus, in der die Anlage und Kontrolle der Linien – des Zwischen also der ‚raumüberwindenden‘ Verbindungen selbst – zu einem vorrangigen Gegenstand nationaler strategischer Interessen wurde. In Konflikt geraten im Fall Bremen-Hannover zudem nicht nur zwei Staaten und ihre Strategien, sondern auch ihre unterschiedlichen Formen der Telegraphie. Bremen mit seiner privatwirtschaftlich motivierten und organisierten Nachrichtentechnik steht dabei sowohl einer Hannoverschen Staatstelegraphie gegenüber als auch dem DÖTV und dessen bereits weit fortgeschrittener zwischenstaatlicher Standardisierung und Integration des Nachrichtenwesens. Praktisch kommt diesem Verein eine zentrale Funktion für eine Vernetzung der Linien zu, indem durch die Vereinheitlichung von Apparaten, Systemen und Gebühren eine grenzü96 97
So erneut die Metapher des Bremer Unterhändlers, zit. nach ebd.: 311; zur Position Hannovers im Konflikt vgl. ebd.: 290f. Roscher: Die Kabel des Weltverkehrs, a.a.O.: 21f.
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berschreitende Telegraphie erst möglich wird. Er stellt – wie die Auseinandersetzung zwischen Hannover und Bremen zeigt – jedoch ebenso einen Machtblock deutscher Territorialstaaten dar, der gegen aussen geschlossen auftritt und der durch die politischen Interessen vor allem Preussens und Österreichs geprägt ist.98 So ist die Folge des DÖTV zunächst die Gründung eines zweiten Vereins um Frankreich (des „Westeuropäischen Telegraphenvereins“ WETV, 1855), dem sich Belgien, Spanien, Sardinien-Piemont und die Schweiz anschliessen, – und damit ein Spannungsverhältnis zwischen zwei unterschiedlichen ‚telegraphischen Vereinigungen‘. Erst zehn Jahre später münden beide Vereine in die „Union Internationale Télégraphique“ (UIT), die in Paris an einer als „Friedenskongress“ gefeierten Versammlung gegründet wird; – der Krieg sei, wie es in der Eröffnungsrede heisst, ein „malentendu“ und müsse umso seltener werden, je mehr der internationale Verkehr zunehme.99 Nochmals ein Jahr nach dieser Konferenz beginnt Preussen den Deutschen Krieg, besiegt Hannover, gewinnt gegen Österreich und seine Verbündeten in Königgrätz und übermittelt die Siegesrede des Preussischen Königs über das neue transatlantische Telegraphenkabel nach Amerika. Submarine Telegraphenkabel wie dasjenige durch den Atlantik markieren zugleich ihrerseits einen erneuten Umbruch in der Geschichte der ‚raumüberwindenden‘ Telekommunikation. Denn während die europäischen Staaten die Telegraphenlinien auf dem Kontinent kontrollieren und durch zwischenstaatliche Vereine zu koordinieren suchen, beginnen britische Unternehmen damit, durch das Verlegen von Kabeln durch die Meere neue internationale und interkontinentale Verbindungen zu schaffen. Die entscheidenden Impulse der telegraphischen Vernetzung gehen seitdem weniger von französischen oder preussischen staatlichen Massnahmen aus als vielmehr von den Kabelprojekten, die einerseits der Dynamik privatwirtschaftlicher Interessen folgen, andererseits im Rahmen der britischen politisch-kolonialen Interessen stehen.100 98
Vgl. Reindl: Partikularstaatliche Politik und technische Dynamik, a.a.O.: bes. 32ff.; 41ff. 99 Zit. aus dem Bericht des bayerischen Konferenzteilnehmers nach Pieper, Hans: In 28 Minuten von London nach Kalkutta. In: Museum für Kommunikation (Hg.): In 28 Minuten von London nach Kalkutta, a.a.O.: 119239, hier: 185. 100 Die relative Bedeutung der wirtschaftlichen und politischen Interessen in der submarinen Telegraphie wird in der Literatur unterschiedlich eingeschätzt. Wie Jorman Ahvenainen betont hat, sind sie letztlich kaum voneinander zu trennen: „From the point of view of the telegraph itself [...] the distinction made between trade and policy is not large; they were intertwined.“ Ahvenainen, Jorma: The Role of Telegraphs in the 19th
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Das erste dieser internationalen Seekabel legen im August 1850 die Brüder Jacob und John Watkins Brett zwischen England und Frankreich durch den Ärmelkanal. Für den Kommentator des britischen Mechanics’ Magazine erfolgt die Legung des Kabels zwischen Dover und Calais nicht überraschend; realisiert sie doch ein schon seit längerem vorgedachtes Unternehmen, von dem ebenso absehbar ist, dass es nur den Beginn einer sehr viel weiterführenden Entwicklung darstellt: For an electric telegraph to Calais, is not a thing which will stop there. It is a telegraph to Vienna, to Moscow, to Constatinople, to Ispahan, to Delhi, to Calcutta, – to the remotest bounds, in short, of Europe and Asia. A few years ago people laughed when Lord Parmerston predicted […], that a time might come when on the Minister of the day being asked in Parliament „Whether it was true that a war had broken out in India?“ would reply „Wait an instant till I telegraph the Governor-General, and I will tell you“. What was thought but a good joke in 1843 is now, in 1850, in the course of being actually accomplished […].101
Damit ist bereits 1850 die Stossrichtung der folgenden Verkabelung der Meere umrissen: Aus englischer Sicht sollen die Kabel ein Netz schaffen, das die „entferntesten“ Orte des Kontinents ebenso wie die Kolonien in Übersee mit der Insel verbindet. Im Vordergrund steht das Ziel eines Telegraphen nach Indien als verlängerter Arm in die wichtigste Kolonie und als eine politisch-militärische wie ökonomische Nabelschnur zwischen dieser und dem britischen Mutterland.
Century Revolution of Communications. In: North, Michael (Hg.): Kommunikationsrevolutionen. Die neuen Medien des 16. und 19. Jahrhunderts. Köln u.a. 1995: 73-80, hier: 77; vgl. hierzu Neutsch: Erste „Nervenstränge des Erdballs“: Interkontinentale Seekabelverbindungen vor dem Ersten Weltkrieg. In: Teuteberg/ders. (Hg.): Vom Flügeltelegraphen zum Internet, a.a.O.: 47-66, hier: 50; Headrick, Daniel R.: The Tentacles of Progress: Technology Transfer in the Age of Imperialism, 1850-1940. New York und Oxford 1988: 97f.; Wobring: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jahrhundert, a.a.O.: 327ff. 101 The Mechanics’ Magazine, Vol. LIII, 1850: 198. Acht Jahre später erreicht die britische Regierung über das nur kurze Zeit funktionierende erste Transatlantikkabel tatsächlich ein Telegramm, das von einem – bereits niedergeschlagenen – Aufstand in Indien berichtet. Die Regierung stoppt daraufhin eine zuvor angeordnete Truppenverlegung, was ihr 10.000 (oder, nach anderen Angaben, 60.000) Pfund Kosten spart – womit das genannte Telegramm als eine ‚Erfolgsmeldung‘ des gescheiterten ersten Transatlantikkabels in die Telegraphiegeschichte eingehen kann. Vgl. Hoppe: Die Nerven des Globus, a.a.O.: 52; Hartmann: Globale Medienkultur, a.a.O.: 75.
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Ebenso bereits absehbar ist für den Kommentator des Mechanics’ Magazine die Verbindung mit Amerika, ein Triumph des menschlichen genius, der die Grenzen des irdisch Möglichen schlechthin erreichen soll: The Old and New Worlds being thus united, we should then see the dream of the poet even more than realised; the earth „girdled round“ about – not in „forty minutes“ – but in a thousandth part of the time – in a single beat of the clock. What would all the other triumphs of human genius be to this? Time and distance literally annihilated throughout the bonds of the planet which we inhabit! A triumph only to be transcended when the planets shall themselves begin to telegraph one another – which is one of the very few things which, in this age of art-miracles, one would venture without hesitation to say will never happen.102
Das gelegte Kabel zwischen Dover und Calais hält indes nur wenige Stunden, bevor die Verbindung unterbricht. Die Ursache der Beschädigung, die nicht zu reparieren ist und die für das erste, gemeinsame Unternehmen der Brüder Brett den Konkurs bedeutet, ist zunächst unklar. Die Firma vermutet in einem Communiqué den Grund in einem gesunkenen Felsen; spätere Tauchaktionen weisen, wie die Times berichtet, darauf hin, dass die Ummantelung des Kabels der Küste nicht standgehalten hat.103 Die Rede ist überdies – in der Times wie auch vielerorts in der Historiographie – von einem Fischer aus Boulogne, in dessen Netz sich das Kabel verfangen habe. Dabei ist auffallend, dass sich die Figur dieses Fischers uneinheitlich präsentiert; lassen sich doch zwei Varianten seiner Geschichte unterscheiden. So tritt in der historiographischen Überlieferung seit dem 19. Jahrhundert der Fischer prominent im Rahmen einer Erzählung davon auf, dass er das in seinem Netz aufgefischte Kabel mit seinem Beil zerstört habe, etwa weil er darin Gold vermutete, weil er es für eine neue Art von Seetang hielt oder für eine Seeschlange, die er, zurückgekehrt in den Hafen von Boulogne, als spektakulären Fund präsentierte.104 Anders dargestellt erscheint dagegen der Fischer im Bericht der 102 The Mechanics’ Magazine, a.a.O.: 198. 103 Vgl. die Texte des Communiqués sowie des Berichts in der Times vom 15. Sept. 1850, zit. ebd.: 215; 233f. 104 Vgl. die Erwähnungen der Geschichte in Hartmann: Globale Medienkultur, a.a.O.: 68; Giacometti: Die Einführung des Telegraphen in der Schweiz, a.a.O.: 91; Holtorf, Christian: Der erste Draht zur Neuen Welt. In: Matejovsky, Dirk et al. (Hg.): Mythos Neandertal. Ursprung und Zeitenwende. Frankfurt a. M. und New York 2001: 86-97; Neutsch: Erste „Nervenstränge des Erdballs“, a.a.O.: 48; Kieve: The Electric Telegraph, a.a.O.: 104; Fürst: Das Weltreich der Technik, a.a.O.: 85; Roscher: Die
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Times, nämlich als Urheber einer Schadenersatzklage. Demnach sei das abgedriftete Kabel „in Besitz eines Fischers in Boulogne“ geraten, dessen Netz es zerstört habe, und der dafür einen Ersatz von 60 Pfund forderte. Ebenso klagten, laut Times, weitere Fischer […] both on the English and French coasts, that the existence of this wire will interfere with their deep sea fishing, and that its track [...] is in the way of places most frequented by fish. It is intended, however, at the suggestion of Mr. J.W. Brett, to pay these people an annual rental and to establish for their families a philanthropic fund, to induce them to unite in the protection of this great national enterprise. The assistance of the Admiralty has also been secured for the issue of prohibitory orders against fishing on the route of the electric sealine [...].105
So unterscheidet sich die Figur des Fischers aus Boulogne im Vergleich der beiden Geschichten signifikant: Berichtet die Times von einem Tiefseefischer, der die Zerstörung seines Netzes durch das Kabel einklagt, erzählt die historiographische Überlieferung von einem „pescatore ignobile“ – so 1866 William Howard Russell –, der, aus Goldgier oder Sensationslust, das in seinem Netz gefangene Kabel zerstört.106 Keine Rede ist dabei in der überlieferten Geschichte gerade von jener „Interferenz“ des submarinen Kabels mit der lokalen Ökonomie der Tiefseefischer, welche diese als Problem zur Sprache brachten: Stellt die Times dieses Problem ihrerseits als ein vorübergehendes dar, indem sie die baldige Integration der (englischen wie französischen) Fischer in die unity „of this great national enterprise“ mit Hilfe von Philantropie und Militär in Aussicht stellt, so ist es in der Historiographie tatsächlich verschwunden. Erwähnung findet der Fischer hier vielmehr als eine Figur, in der sich gleichsam die Rückständigkeit jener zu überwindenden – lokalen, vormodernen – Welt zu verkörpern scheint, die sich dem Triumph der Kabel und des menschlichen genius entgegenstellt. Die Geschichte vom Fischer im Ärmelkanal fügt sich damit ein in eine Erzählung vom Neuen der Telegraphie, die weniger von einem Verschwinden des Raums durch die Instantaneität der telegraphischen Nachrichtenübermittlung handelt denn von einem Kampf gegen die Einflüsse jener lokalen Räume – und ihrer Bewohner –, durch welche die VerbinKabel des Weltverkehrs, a.a.O.: 79; Russell, William Howard: The Atlantic Telegraph. London 1866: 4. Von der Zerstörung des Kabels durch den Anker des Fischers wiederum ist die Rede in Headrick: The tentacles of progress, a.a.O.: 99. 105 Zit. nach The Mechanics’ Magazine, a.a.O.: 234. Die Klage ist zudem erwähnt in Pieper: In 28 Minuten von London nach Kalkutta, a.a.O.: 132. 106 Russell: The Atlantic Telegraph, a.a.O.
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dungskabel führen. So setzt der „triumph of human genius“ – oder, so Werner von Siemens in seinen „Lebenserinnerungen“: der „Sieg des menschlichen Geistes über die träge Materie“ im „unmittelbare[n] telegraphische[n] Verkehr“ – zunächst und vor allem Mittel und Wege voraus, die Kupfer- und Eisenleitungen ausreichend vor ihrer Umgebung zu schützen, sie zu sichern, zu armieren und zu isolieren.107 Dies gilt bereits für die Telegraphendrähte zu Land, können diese doch grundsätzlich jederzeit und überall entlang der Linien beschädigt oder unterbrochen werden. Um mutwilligen Zerstörungen vorzubeugen, setzt man daher auf Information und Disziplinierung der Bevölkerung, auf Überwachung und Strafmassnahmen.108 Preussen verlegt seine erste Telegraphenlinie nach Frankfurt aus Furcht vor Sabotage gar unterirdisch; in der Folge werden die Leitungen jedoch durch Feuchtigkeit sowie durch Mäuse und Ratten angegriffen – die, nach von Siemens, „sogar die schützende Bleidecke zerfrassen“, welche um die Kabel angebracht worden war –, weshalb sie nachträglich durch oberirdische Drähte ersetzt werden müssen.109 Linien in den Kolonien wiederum sind nicht nur durch die einheimische Bevölkerung gefährdet, sondern auch durch spezifische Bedingungen von Flora und Fauna. So stellt etwa die tropische Tierwelt, wie Michael Geistbeck 1886 bildreich schildert, ein „ganzes Heer erklärter und unversöhnlicher Feinde“ der Telegraphen – darunter Gürteltiere, Vögel, Affen oder Elefanten –, während in der „Dampfatmosphäre“ der Urwälder die Leitungen von Pflanzen überwuchert werden, die Drähte rosten und die hölzernen Telegraphenmasten verfaulen.110 Mit ungleich grösseren Schwierigkeiten noch ist die submarine Telegraphie konfrontiert, und die Seekabellegungen sind – wie der Fall der Verbindung Calais-Dover, die erst im zweiten Anlauf gelingt, beispielhaft zeigt – kapitalintensive wie hochgradig riskante Unternehmungen, die v.a. in den ersten Jahrzehnten häufig fehlschlagen. Die Gründe für das Scheitern sind im einzelnen vielfältig: Neben Problemen, die Kabel überhaupt zu transportieren und kontrolliert zu verlegen und sie an den Küsten vor Felsen, Strömungen und Ankern zu sichern, sind es auch im Meer etwa Tiere, die sie beschädigen; so etwa, indem die Kabel, nach Geistbeck, in einzelnen Gegenden „fast chronisch vom Sägefisch ange-
107 von Siemens, Werner: Lebenserinnerungen. Berlin 1892: 236. 108 So auch etwa in der Schweiz, vgl. HJN, a.a.O., Bd. II: 853f.; Künzi: Telegraf – Kommunizieren durch den Draht, a.a.O.: 62f. Als grösstes Problem erweist sich hier jedoch die zuwenig robuste Bauweise. 109 Von Siemens: Lebenserinnerungen, a.a.O.: 92; vgl. 68; 81f. 110 Geistbeck: Der Weltverkehr, a.a.O.: 503, vgl. 478; vgl. auch Roscher: Die Kabel des Weltverkehrs, a.a.O.: 34f.
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griffen“ werden, während sich andernorts Würmer und Krustaceen in ihr Inneres bohren.111 Das Verlegen von Kabeln durch die Meere stellt darüber hinaus grundsätzlich neue Probleme, ist doch zunächst zu klären, wo sich die Kabel überhaupt verlegen und wie sie sich ausreichend im Salzwasser isolieren lassen. So gehen der Kabellegung im Atlantik umfangreiche Expeditionen voraus, in denen erstmals die Meeresböden vermessen und kartographiert werden; hierbei wird ein für Seekabel „wie geschaffen“ erscheinendes sandiges Plateau zwischen Irland und Neufundland entdeckt und mit dem Namen „Telegraphenplateau“ bezeichnet. Die Aufmerksamkeit der submarinen Kabelprojekte ist also zunächst weniger in die räumliche Ferne gerichtet als in die Tiefe: die „neue Welt“, in die das Transatlantikkabel führt, ist, wie Christian Holtorf angemerkt hat, zunächst „nicht Amerika, sondern der Meeresboden“ des Atlantik.112 Erhebliche Probleme stellt v.a. die Isolation. In frühen Versuchen, Unterwasserkabel zu verlegen, verwendet man Materialien wie Pech, Wachs, Schellack oder Kautschuk, erreicht damit aber keine ausreichend dauerhafte Isolation der Kabel im Salzwasser. Abhilfe schafft die Entdeckung eines dem Kautschuk ähnlichen Materials aus dem Milchsaft tropischer Baumarten in den Urwäldern der malaiischen Halbinsel, Borneos und Sumatras. Das Material, von der einheimischen Bevölkerung durch Mischen und Erhitzen des Baumsafts gewonnen und herkömmlich zur Herstellung u.a. von Axtstielen verwendet, wird um 1842 über den in Singapur ansässigen Mediziner William Montgomery in Europa bekannt und wird – angelehnt an die malaiischen Wörter „gue(n)t(t)ah“ für „Gummi“, und „percha“, vermutlich übersetzbar als „Stück, Lappen“ – als „Guttapercha“ bezeichnet. Guttapercha wird bei über 50º Celsius knetbar, behält jedoch beim Erkalten, im Gegensatz zu Kautschuk, seine Form fest und dauerhaft bei. Zudem hat das Material hervorragende isolierende Eigen111 Geistbeck: Der Weltverkehr, a.a.O.: 504, vgl. 505. Probleme, die Kabel zu transportieren, stellen sich v.a. im Fall des transatlantischen Kabels. Wird bei der ersten Kabellegung von 1858 das Kabel von zwei Schiffen verlegt und in der Mitte auf See verspleisst, so setzt man der zweiten Kabellegung 1866 die Great Eastern ein, das zu dieser Zeit weltgrösste Schiff. Eine Kabellegung in den 1850er Jahren im Mittelmeer wiederum scheitert, weil das Kabel unkontrolliert abrollt und im Meer verschwindet. Vgl. hierzu und zu den zahlreichen Misserfolgen der Kabelunternehmungen Neutsch: Erste „Nervenstränge des Erdballs“, a.a.O.: 48ff.; Kieve: The Electric Telegraph, a.a.O.: 105ff.: Pieper: In 28 Minuten von London nach Kalkutta, a.a.O.: 148ff. 112 Holtorf, Christian: Die Modernisierung des atlantischen Raumes. Cyrus Field, Taliaferro Shaffner und das submarine Telegraphennetz von 1858. In: Geppert et al. (Hg.): Ortsgespräche, a.a.O.:157-178, hier: 170; 159.
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schaften und eignet sich somit ideal für die Ummantelung von Seekabeln, wofür Werner Siemens eine Presse konstruiert. Siemens selbst setzt das tropische Produkt 1847-48 zur Isolation von Kabeln im Rhein und durch den Kieler Hafen ein; in der Folge wird Guttapercha – inzwischen Gegenstand von Patenten – zu einem unabdingbaren Material für die submarine Telegraphie und zu einem florierenden Handelsgut zwischen dem Hauptumschlagplatz Singapur und den v.a. britischen Abnehmern. Bereits 1848 werden rund 665 Tonnen exportiert; in den 1880er Jahren sind es jährlich über 2000 Tonnen exportierte Guttapercha-Mischungen, deren Qualität indes abgenommen hat, da die zu Beginn wichtigste Baumart für die Herstellung des Materials, die Palaquium-Art isonandra gutta, nahezu ausgerottet ist.113 Stimuliert wird die Nachfrage nach Guttapercha nicht alleine durch die Kabelindustrie, sondern daneben durch weitere Verwendungen des Materials, das, nach Franz Clouth, um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine „wahre Leidenschaft“ auslöst. So transformiert sich das tropische Importgut – als „High Tech aus dem Dschungel“ (Frank Hartmann) – u.a. in „Stöpsel, Leim, Fäden, Schuhzeug, chirurgische Artikel, Kleidungsstücke, Röhren“ oder auch „Schiffspanzer“.114 Massgeblich für den Guttapercha-Handel bleibt jedoch die Produktion der Seekabel, die mithin nicht nur Träger globalisierter flows, sondern selbst durch solche bedingt sind; sie fügen sich damit ein in ein Geflecht zunehmend interkontinentaler Produktions- und Handelsbeziehungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.115 In Europa v.a. in Liverpool und London gehandelt, gegen Ende des Jahrhunderts auch in Marseille, Rotterdam und Hamburg, ist Guttapercha, ebenso wie andere koloniale Handelsgüter – Baumwolle, Kaffee, 113 Vgl. Clouth, Franz: Gummi, Guttapercha, Balata. Leipzig 1899: 138212; bes. 162ff.; zur Etymologie ebd. 141f., vgl. auch Wilkinson, Richard James: An Abridged Malay-English Dictionary (romanized). Kuala Lumpur 1908. Online: Digitalisiert 2005, Ann Arbor, Michigan, http://name. umdl.umich.edu/AFU7967.0001.001. Die mitunter geltend gemachte Übersetzung „Baum“ für „percha“ findet sich hier nicht belegt. Vgl. zu Guttapercha Kieve: The electric telegraph, a.a.O.: 101ff., Geistbeck: Der Weltverkehr, a.a.O.: 480ff.; zu den Ausfuhrmengen 1848 und 1885 Huurdeman: The worldwide history of telecommunications, a.a.O.: 94ff.; zur Ausfuhr 1885-96 Clouth: Gummi, Guttapercha, Balata, a.a.O.: 197ff. 114 Clouth: Gummi, Guttapercha, Balata, a.a.O.: 140; Hartmann: Globale Medienkultur, a.a.O.: 66. Guttapercha dient überdies zur Produktion von Golfbällen sowie, bis heute, von Zahnfüllungen. 115 Vgl. zum Begriff der „flows“ (von Information, Gütern und Personen) Hannerz, Ulf: Cosmopolitans and Locals in World Culture. In: Theory, Culture and Society, 7, 1990: 237-251, hier: 237; Castells, Manuel: The Rise of the Network Society (The Information Age, Vol. I). Malden MA und Oxford 1996: 376ff.
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Kautschuk, Zuckerrohr u.a. – Teil der Ströme dessen, was Karl Knies 1857 im umfassenden Sinn als einen „Weltmarktverkehr“ bezeichnet.116 Knies beschreibt diese Entwicklung als eine gemeinsame Expansion und eine Wechselwirkung von Güter- und Nachrichtenverkehr. Dies, indem Fernhandel und „interlocale Arbeitsteilung“ einen internationalen Nachrichtenverkehr sowohl voraussetzen wie auch befördern, während der Nachrichtenverkehr seinerseits die Produktions- und Handelsbedingungen transformiert. Der telegraphische Nachrichtenverkehr setzt dabei das von der Eisenbahn begonnene Werk weit hinaus fort[]: er bringt den Verkehr des kleinen Marktes in den Bereich des grossen [...]. Und indem er zugleich den Verkehr eines grossen Marktes in den der anderen grossen Märkte verwebt, […] hilft er zu einem Weltpreiscourant nach Massgabe des Weltmarktverkehrs. 117
Die internationale und zunehmend interkontinentale Telegraphie schafft im Rahmen dieser umfassenden Verkehrsexpansion einen synchronisierten und gleichsam ortlosen Weltmarkt, der die lokalen Preise der Güter steuert und nivelliert. Dabei zeigt sich, dass die Nachricht mehr ist als ein zeitverkürztes Äquivalent des Gütertransports. Denn „merkwürdig“ ist, wie Knies an einem Beispiel des Getreidemarkts ausführt, dass die Nachricht nicht nur überhaupt preissenkende und preissteigernde Wirkungen äussert, wie das Angebot und die Nachfrage des Verkehrsgutes selbst […], sondern jene sogar in noch entschieden höherer Potenz vermittelt, als es die im Marktverkehr selbst wirkenden realen Kräfte ihrerseits vermögen. Zunächst denkt man freilich z.B. nicht die Nachricht, dass mehrere Tausend Malter Frucht auf der Münchner Schranne unverkauft zurückgestellt wurden, wirkt auf den Getreidepreis in Basel – sondern das thut das Getreide selbst. Aber nein, die Nachricht hat ihren Effect nicht nur ohne dass das Getreide nach Basel kommt, sie hat sogar einen solchen Effect wohl an 100 Plätzen zugleich. An 100 Plätzen senkt sie die Preise, überall mit dem ganzen Gewicht jener paar Tausende von Maltern, während diese selbst auf den wirklichen Verkehr der 100 Märkte vertheilt vielleicht nicht 1/25 der Gesammtwirkung der Nachricht zuwege bringen könnten! 118
116 Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 237; vgl. Kieve: The Electric Telegraph, a.a.O.: 116ff.; Clouth: Gummi, Guttapercha, Balata, a.a.O.: 200. 117 Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 249. 118 Ebd.: 241; vgl. zu diesem Effekt Walter, Rolf: Die Kommunikationsrevolution im 19. Jahrhundert und ihre Effekte auf Märkte und Preise. In: North (Hg.): Kommunikationsrevolutionen, a.a.O.: 179-190, hier: 184ff.
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Die nachrichtentechnische Vernetzung führt, wie Knies beobachtet, zu einer Virtualisierung der Märkte, indem sie einen Verkehr generiert, der sich vom „wirklichen Verkehr“ unterscheidet und gleichwohl auf diesen einwirkt. Gerade weil der Ort der telegraphischen Nachricht nicht mit demjenigen des Handelsguts zusammenfällt, sondern sich die zeiträumliche Differenz zwischen Nachrichten- und Güterverkehr vergrössert, eröffnet sie einen neuen Spielraum für Spekulation, für Börsen- und Bankgeschäfte.119 Die Telegraphie konstituiert somit einen neuen synchronisierten Raum des Austauschs im medialen Zwischen der Verbindung selbst, der als solcher von Knies als „merkwürdig“ registrierte ökonomische Effekte zeitigt. Diesen Effekten eines telegraphisch integrierten „Weltmarktverkehrs“ und der Spekulation unterworfen sind selbstverständlich auch und noch jene Güter, die für die Produktion der Telegraphenkabel selbst gehandelt werden. So steigen, als Ende der 1890er Jahre die Pläne zur Legung des Pazifikkabels bekannt werden, die im telegraphisch koordinierten „Weltmarktverkehr“ vermittelten Guttaperchapreise um rund die Hälfte.120 Mit der erfolgreichen Legung des Pazifikkabels nach 1900 sind erstmals alle Kontinente telegraphisch miteinander verbunden. 50 Jahre nach der einstigen Zukunftsvision des Mechanics’ Magazine ist die Erde damit tatsächlich „girdled round“, – und, so eine zeitgenössische Sicht, geeint durch ein „device that […] makes the rest of the world one’s neighbors“ und „helps to save the world from insularity where barbarism hides.“121 Die Vorstellung von dieser „neighbourhood“ freilich hat sich auch im ausgehenden 19. Jahrhundert selbst kaum global erweitert. Bleiben doch die Linien, so die Perspektive des in Persien tätigen Telegraphenbeamten Thomas Stevens 1888, ein „bit of civilization in a barbarous country“, isolierte Inseln also inmitten einer als barbarisch betrachteten fremden Welt.122 So erweisen sich die interkontinentalen Kabel, einer Abhandlung der Jahrhundertwende zufolge, als verbindend im besonderen, da dank ihnen „[d]er Kolonialist in Neu-Seeland und in Britisch-Kolumbien […] jeden Morgen lesen [kann], was am vorhergehenden Tag über ein die bri119 Vgl. Neutsch: Erste „Nervenstränge des Erdballs“, a.a.O.: 59; Walter: Die Kommunikationsrevolution im 19. Jahrhundert und ihre Effekte auf Märkte und Preise, a.a.O.: 186ff. 120 Vgl. Neutsch: Erste „Nervenstränge des Erdballs“, a.a.O.: 57; Roscher: Die Kabel des Weltverkehrs, a.a.O.: 47; zu den Kupferpreisen und zur Kupferspekulation vgl. ebd. 45f.; 150f. 121 So der Telephonentwickler Amos Dolbear, zit. nach Marvin: When Old Technologies Were New, a.a.O.: 192. 122 Zit. nach ebd.: 198.
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tischen Interessen berührendes Thema im Parlament gesprochen worden ist“.123 Das ‚globale‘ Netz um 1900 transportiert mithin, wie Carolyn Marvin nachgezeichnet hat, einen gleichermassen universalistischen wie provinziellen „cognitive imperialism“: Was die Verbindungen zum ‚Verschwinden‘ bringen sollen, ist nicht nur räumliche Distanz, sondern auch Differenz, indem die Kabel, die in die Ferne führen, mit der Vorstellung verbunden sind, diese in die Vertrautheit der eigenen Nachbarschaft heimzuholen; sie stehen nicht für eine globale Welt der Ferne, sondern für die Dörflichkeit eines global erweiterten Zuhause.124 So sind die Verbindungen des britischen Kabelnetzes – dessen Vorbild andere Länder nachzueifern suchen – als Nabelschnüre eines ‚Globalen Dorfs‘ imaginiert, das mit der Zentrum-Peripherie-Struktur des British Empire zusammenfällt. Ihre Funktion ist die eines Heranrückens des „rest of the world“ an das Mutterland. Fraglich ist, ob in Bezug auf das Britische Empire tatsächlich von einer solchen integrativen Funktion des Kabelnetzes gesprochen werden kann. Folgt man vorliegenden Thesen der Forschung, so dürften insgesamt die widersprüchlichen Implikationen des telegraphischen Netzes eher die Dezentralisierung des Empire gefördert haben als seine unity.125
Semaphor Es ist in den 1830er Jahren nicht nur Ludwig Börne, der in Paris dem Medium der optischen Telegraphie begegnet und sich kritisch darüber äussert. Ebenfalls in Paris sieht auch Heinrich Heine die Türme und Flügel der Chappeschen ‚Lufttelegraphie‘, auf die er an einer Stelle seines in Briefen verfassten Texts „Über die französische Bühne“ (1837) Bezug nimmt. Der Telegraph wird an dieser Textstelle zu einem Bild für den göttlichen Willen und zugleich zu einem Bild für eine mit der Telegraphie generierte neue Räumlichkeit und eine neue Autorität von Zeichen. Heine beginnt seinen Brief – es ist der vierte – mit einer religiösen Prophezeiung, bezogen auf die politische Situation Frankreichs unter der neuen bourgeoisen Geldaristokratie:
123 Zit. nach Roscher: Die Kabel des Weltverkehrs, a.a.O.: 170. 124 Marvin: When Old Technologies Were New, a.a.O.: 192; vgl. 191ff. 125 Vgl. Boyce, Robert: Submarine Cables as a Factor in Britain’s Ascendancy as a World Power. In: North (Hg.): Kommunikationsrevolutionen, a.a.O.: 81-99, hier: 91ff.; zur Dezentralisierung vgl. auch Headrick: The Tentacles of Progress, a.a.O.: 107; Holtorf: Die Modernisierung des nordatlantischen Raumes, a.a.O.: 164.
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Der Herr wird Alles zum Besten lenken. Er, ohne dessen ewigen Willen kein Sperling vom Dache fällt […], er wird auch den heutigen Pharaonen seinen Kunststücke zeigen. […] Und gar die neue babylonische Hure, wie wird er sie mit Fusstritten regaliren!
Und fährt fort: Siehst du ihn schon, den Willen Gottes? Er zieht durch die Luft, wie das stumme Geheimniβ eines Telegraphen, der, hoch über unsern Häuptern, seine Verkündigungen den Wissenden mittheilt, während die Uneingeweihten unten im lauten Marktgetümmel leben und Nichts davon merken, dass ihre wichtigsten Interessen, Krieg und Frieden, unsichtbar über sie hin, in den Lüften verhandelt werden. Sieht Einer von uns in die Höhe, und ist er ein Zeichenkundiger, der die Zeichen auf den Thürmen versteht, und warnt er die Leute vor nahendem Unheil, so nennen sie ihn einen Träumer und lachen ihn aus. […] Manchmal auch wird der Prophet auf die Festung gesetzt, bis die Prophezeyung eintreffe, und da kann er lange sitzen. Denn der liebe Gott thut zwar immer, was er als das Beste erfunden und beschlossen, aber er übereilt sich nicht. O Herr! Ich weiss, [...] was du thust, wird immer gerecht und weise seyn. Aber ich bitte dich, was du thun willst, thu es ein Bischen geschwind. Du bist ewig und hast Zeit genug und kannst warten. Ich aber bin sterblich und ich sterbe.126
Wie anderswo stellt Heine auch hier widersprüchliche Perspektiven und kontrastierende Momente nebeneinander – ein alttestamentarisch anmutendes Prophetentum, eine politische Kritik und eine Darstellung der „Psychologie des Beters“ in seiner irdisch-beschränkten Zeitlichkeit.127 Die Autorität des Propheten, der die göttlichen Zeichen deutet, weicht dabei einer neuen Autorität der telegraphischen Zeichen selbst, in denen unsichtbar, über die Betroffenen hinweg, ihre „wichtigsten Interessen“ verhandelt werden. Als Ergebnis von Verhandlung sind die ihr Schicksal bestimmenden Ereignisse – Krieg, Frieden – gewissermassen nurmehr ein kontingenter Effekt des medialen Austauschs von Zeichen „in den Lüften“. So gelesen handelt Heines Text nicht nur von einem neuen Träger von Zeichen, sondern auch von einem Träger einer neuen Art von Zeichen. Denn was die Flügel bzw. „Indikatorarme“ der optischen Telegra126 Lesart zu „Über die französische Bühne“, vierter Brief, DHA, Bd. 12/1, a.a.O.: 483; vgl. zur Stelle Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 79. 127 So Kruse, Joseph A.: „Die wichtigste Frage der Menschheit“. Heine als Theologe. In: Gössmann, Wilhelm/Windfuhr, Manfred (Hg.): Heinrich Heine im Spannungsfeld von Literatur und Wissenschaft. Essen 1990: 8198, hier: 94.
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phie transportieren, sind nicht Zeichen einer lesbaren Welt oder einer tradierten Schrift, sondern Elemente eines Codes, Ergebnis einer willkürlich vereinbarten Zuordnung, die, wie Haase hervorhebt, mit „jeglicher Referenz auf Natur, göttliche Ordnung oder transzendentalem Signifikat“ gebrochen hat.128 Die Sphäre, die diese Zeichen „in den Lüften“ eröffnen, ist eine hermetische, da sich die Figuren des neuen Zeichenträgers nicht mehr nach einer tradierten Zeichenkunde – als Abbild, Symptom oder Repräsentation – deuten lassen, sondern nur durch die Willkür der Vereinbarung begründet sind bzw. durch die Übertragung selbst. Denn zum Code kann in der Telekommunikation jedes beliebige Zeichensystem werden, das sich für eine Fernübertragung von Nachrichten eignet. Theoretisch ist dieses telekommunikative Prinzip der willkürlichen Zuordnung von Zeichen unter dem Gesichtspunkt der Übertragung sehr viel älter als die Chappesche Telegraphie, auf die sich Heines Text bezieht. Ein Beispiel hierfür ist der Code des griechischen Geschichtsschreibers Polybios im 2 Jahrhundert v. Chr. Das Prinzip dieses differenzierten Codes beruht auf einer Anordnung von zwei nebeneinanderliegenden Reihen von je fünf Fackeln, die miteinander kombiniert werden: Jedem Buchstaben des auf 25 Buchstaben reduzierten Alphabets ist eine Anzahl von brennenden Fackeln aus der Reihe links und der Reihe rechts zugeordnet. Durch Täfelchen, auf denen die Buchstaben tabellenartig angeordnet sind, lassen sich die Fackelzeichen aus der Ferne decodieren. Damit handelt es sich um eine Art Parallelcode, indem Polybios nicht – wie andere vor ihm – eine wiederholt (seriell) aufleuchtende Fakkel als Zeichenträger vorsieht, sondern eine Kombination von gleichzeitig leuchtenden Fackeln in zwei Reihen.129 Kriterium für die Bildung des Codes ist bereits hier das Problem, beliebige Nachrichten vollumfänglich bzw. buchstabenweise fernzuübertragen. Polybios’ Code ist praktisch jedoch kaum genutzt worden, ebenso wie zahlreiche weitere theoretisch entworfene Codes bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.130 Die seit der Antike praktisch verwendeten Feuerzeichen wiederum basieren auf keinem differenzierten Code, sondern sind, nach einer Formulierung Kittlers, „Subsysteme einer Alltagssprache“, sie übertragen verabredete Einzelsignale.131 Es ist erst die 128 Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 17. 129 Vgl. zum System Polybios’ Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 1, a.a.O.: 49f.; Oberliesen: Information, Daten und Signale, a.a.O.: 34ff. Polybios’ System der zwei Reihen ist nicht stellenwertig; unterschieden wird die Anzahl brennender Fackeln pro Reihe, nicht aber deren Stelle in der Reihe (was sehr viel mehr als 25 Kombinationen ergäbe). 130 S. hierzu Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 1, a.a.O.: 95ff.; 151ff. 131 Kittler: Geschichte der Kommunikationsmedien, a.a.O.: 180f.
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Französische Revolution, die auch in dieser Hinsicht Zeichen setzt, indem das System Chappes die theoretisch entwickelten Möglichkeiten der Codierung praktisch realisiert: Seit Chappe kann der Telegraph tatsächlich „sprechen, was er will“, da sich in seinem Code jede sprachliche Nachricht durch Figurenzeichen ausdrücken lässt. Anders als in Polybios’ System überträgt dabei Chappes Telegraph nicht Buchstaben, sondern Elemente eines kryptographischen Zifferncodes, denen in zugehörigen Wörterbüchern bestimmte Buchstaben, Wörter oder Sätze zugeordnet sind. Übermittelt werden die Ziffern über die durch die Flügel bzw. Balken gebildeten Figuren, wobei häufig auftretende Buchstaben und Silben einfachen Signalen zuordnet sind, weniger häufige zusammengesetzten; weitere Einstellungen dienen für Betriebssignale.132 Die Zeichen, die Chappes Telegraph überträgt, sind damit zweifach codiert: Willkürlich Buchstaben, Silben oder Wörtern zugeordnete Zahlen werden übertragen durch ebenso willkürlich Zahlen zugeordnete Figuren. Es ist die Sphäre dieser willkürlichen Zeichen, die in Heines Text die Rede vom Willen Gottes unterläuft. Wenn an dessen Stelle „das stumme Geheimniß eines Telegraphen“ tritt, der sprechen kann, was er will, ist in der „Höhe“ nicht mehr eine göttliche Mitteilung von (zukünftigen) Ereignissen zu sehen, sondern eine neue mediale Sphäre, in der diese – wie im Beispiel des von Knies beschriebenen virtualisierten Marktes – erst produziert werden.133 Eine neue Art von Zeichen stellen die Figuren der Chappeschen Telegraphen zudem dar, indem sie sichtbar wie flüchtig sind und damit weder der Mündlichkeit noch einer tradierten Schriftlichkeit entsprechen: Ist herkömmliche Schrift an tangible Speicher- und Trägermedien (wie etwa Stein, Pergament oder Papier) gekoppelt, schreibt – oder spricht – der telegraphische „Semaphor“ unfixierte und nicht verortbare Zeichen. Von der Irritation über diese neue Mobilität der Zeichen zeugt etwa die Bemerkung Johann Samuel Halles aus dem Jahr 1796, der Telegraph kenne „keine Auffangungen seiner körperlosen, ungeschriebenenen, doch leserlichen Briefe[], die das Auge des Lesers in der Luft buchstabirt.“134 132 Vgl. Holzmann, Gerard J.: Geheimschrift und Zeichensprache. In: Beyrer/ Mathis (Hg.): So weit das Auge reicht, a.a.O.: 147-156, hier: 148ff. 133 Den damit ebenso eröffneten Spielraum für Manipulationen durch gezielte Falschmeldungen veranschaulicht 1845/46 Alexandre Dumas in Der Graf von Monte Christo. Vgl. Bertho: Télégraphes et téléphones, a.a.O.: 47ff.; Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 77ff. 134 Zit. nach Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 57; vgl. 38; zur Bezeichnung „Semaphor“ für die Balken optischer Telegraphen und zur sog. Semaphorentelegraphie als Weiterentwicklung des Chappeschen Systems vgl. Künzi: Telegraf – Kommunizieren durch den Draht,
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Mit dem elektrischen Medium verflüchtigen sich diese ‚ungeschriebenen Briefe‘ vollends aus dem Raum des Sichtbaren, indem mit dem „schlechthin geheime[n] Medium Elektrizität“ (Kittler) ein fluidum – Strom – zum Trägermedium wird, das sich nur indirekt, über seine Anziehungs- und Abstossungswirkung oder über Funkenschlag, visualisieren lässt.135 Kann Halle die optische Telegraphie noch mit den vertrauten Begriffen des Lesens und Buchstabierens assoziieren, so unterläuft das elektrische Medium solche an Schrift, Post, Speicherung und visueller Fixierung orientierten Vorstellungen. Haase hat diese Differenz zu herkömmlichen Formen der Schrift als eine medientheoretisch massgebliche Zäsur der Telegraphie herausgestellt: Ist zuvor das Übertragen und Speichern von Zeichen „gekoppelt an einen Begriff von Schrift, der sich zunächst […] aus seinem Gegensatz zur Mündlichkeit menschlichen Sprechens definierte“, so trennt das Neue der Telegraphie Übertragen und Speichern, Zeichen und Schrift.136 Erst in einem zweiten Schritt erfolgt durch die sog. „Schreibtelegraphen“ u.a. Morses ein (Wieder-)Anschluss an das Speichermedium der Schrift und eine „Auffangung“ und erneute räumliche Fixierung der telegraphischen Zeichen. So kann Morse das Spezifische seines Schreibtelegraphen, wie er im Rahmen seiner zahlreichen Patentstreitigkeiten betont, darin sehen, dass dieser ein Schreiben in der Ferne und nicht (nur) in die Ferne ermöglicht.137 Wahrnehmbar ist das fluidum der Elektrizität, neben seiner Visualisierung, durch den elektrischen Schlag. Nicht nur Gauss und Weber bringt dies auf die Idee einer „physiologischen“ Telegraphie, indem sie die Leitungen an den Körper anschliessen. Experimentieren sie dabei aus „Spass“ mit dem „Aufschmecken“ von Nachrichten mit den Lippen, so entwickelt Vorsselman de Heer 1839 in durchaus ernsthafter Absicht eine Art Klaviatur, über welche die elektrischen Impulse durch Fingerberührung der Tasten empfangen werden sollen.138 Der Mensch, dessen
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a.a.O.: 23; Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 1, a.a.O.: 170f. Kittler: Geschichte der Kommunikationsmedien, a.a.O.: 81; vgl. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 229. Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 12. Vgl. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 90; dabei notiert der erste Telegraph Morses nicht Punkte und Striche, sondern V-förmige Linien auf einem per Uhrwerk bewegten Papierband, über dem ein Stift im Magnetfeld pendelt, vgl. ebd.: 190ff.; Daniels: Kunst als Sendung, a.a.O.: 38ff. Vgl. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 230ff.; zum genannten Apparat s. Schellen, H.: Der elektromagnetische Telegraph in den Hauptstadien seiner Entwicklung und in seiner gegenwärtigen Ausbildung und Anwendung nebst einem Anhange über den Betrieb
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Nervenbahnen als Verlängerungen der elektrischen Leitungen fungieren, wird so letztlich zum – gewissermassen: taktilen – telegraphischen Empfangsapparat. De Heers Apparatur stellt praktisch einen Anschluss zwischen der technischen Kommunikation und dem Nervensystem her, der auf der Ebene theoretischer Modelle längst vollzogen ist. So geht der Anatom und Physiologe Samuel Thomas Soemmerring 1809 in seiner Arbeit am ersten elektrochemischen Telegraphen von seinem Verständnis des Nervensystems aus, das wiederum in Soemmerrings physiologischen Arbeiten als ein gleichsam telekommunikatives System erscheint.139 Technische Kommunikationsnetze – der Telegraphie wie auch, so bei Chevalier und List, bereits der Eisenbahn – und (menschliches) Nervensystem werden fortan nach Modellen vorgestellt, die sich ineinander spiegeln. Dabei liefert die Elektrizität gleichsam den missing link zwischen Physiologischem und Physischem, Körper und Technik: Kann der Körper um die Mitte des 19. Jahrhunderts nach dem Modell eines elektrischen Kommunikationsnetzes erscheinen – und nicht mehr als eine mechanische Maschine –, so wird umgekehrt das telegraphische Netz als ein Geflecht von Nerven oder auch Adern betrachtet, womit die von Telegraphenleitungen umspannte Erde als ein einheitlicher Körper erscheint. So werden die interkontinentalen Seekabel zu „Nervenstränge[n] des Erdballs“ oder die Eisenbahn- und Telegraphenverbindungen Europas und Nordamerikas zu „Haupt-Pulsader[n]“ um die nördliche Halbkugel.140 Probleme dieser Analogie, die McLuhan rund ein Jahrhundert später in seiner Rede vom elektrischen Netz als menschliches „Zentralnervensystem“ erneut aufgreift, stellen sich allerdings im besonderen dort, wo nach dem Kopf bzw. „Centralorgan“ des erdumspannenden telegraphischen „Nervensystems“ gefragt wird. So trifft die Vorstellung vom einen Kopf nicht zuletzt politisch die Widersprüche eines universalistischnationalistischen 19. Jahrhunderts; wäre doch, nach Ludwig Alphonse Thiers 1868, die verkabelte Erde insofern vom menschlichen Körper zu
der elektrischen Uhren. Ein Handbuch. 4. Auflage. Braunschweig 1867: 296f. 139 Vgl. Oberliesen: Information, Daten und Signale, a.a.O.: 88; Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 89; Kittler: Lakanal und Soemmerring, a.a.O.: 290ff. 140 Neutsch: Erste „Nervenstränge des Erdballs“, a.a.O.; Löper (Hg.): Stammbuch der neuen Verkehrsmittel, a.a.O.: 412; zur Elektrizität als link von Technik und Körper um 1850 vgl. Sarasin, Philipp/Tanner, Jakob: Einleitung. In: dies. (Hg.): Physiologie und industrielle Gesellschaft. Studien zur Verwissenschaftlichung des Körpers im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1998: 12-43, hier: 26ff.
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unterscheiden als sie mehrere Köpfe hat, nämlich „so viele [...], als es civilisirte Völker auf ihr gibt.“141 Karl Knies wiederum stellt die Vorstellung von einem festen „Centralorgan“ der Kommunikationsgeflechte grundsätzlich in Frage. Denn ein solches einheitliches Zentrum der Steuerung und des Verkehrs gibt es, wie er feststellt, im telegraphischen Netz nicht. Vielmehr tut jeder Strang […] seinen Dienst, und man kann jede Station sofort zum Centralorgan für eine nach allen Linien und Plätzen hin, von ihnen allen her vermittelte Correspondenz machen. Im Vergleich mit unserem Körper müssten wir sagen, das Centralorgan in dem Netze draussen ist ambulant.142
So sieht Knies Zentralität im medialen Zwischen der telegraphischen Verbindung nicht gegeben, sondern generiert durch verteilte, telegraphisch vermittelte Kommunikationen (mit „unter Umständen ganz unberechenbare[n] Folgen“); diese konstituieren die „Haupt- und Nebensäle, Zimmer und Cabinette“ der Börse, laufen an den Sternwarten zusammen oder versammeln, so ein weiteres Beispiel Knies’, die europäischen Regierungen „wie um einen ‚grünen Tisch‘“.143 Entscheidend hierfür und, wie Knies hervorhebt, für das Neue der Telegraphie überhaupt, ist die „augenblickliche“ Geschwindigkeit der Vermittlung. Für Knies, der die Telegraphie mit einem Baum vergleicht, aus dessen Stamm zahlreiche Äste und Zweige entstehen, ist diese Qualität gleichsam die Wurzel des Mediums; geht doch [a]lles, was sich von dem Telegraphen vorweisen und erwarten lässt, […] auf die eine Thatsache zurück: dass er die augenblickliche Mittheilung einer Nachricht auf die weitesten Entfernungen hin vermittelt. Die Nachricht durchfliegt auf ihm den Raum ohne Zeit; Absendung und Empfang fallen zugleich in die Gegenwart.144
Die elektrische Übertragung, so ja ein gemeinsamer Nenner der Reden vom Verschwinden von Zeit und Raum, von der Übertragung oder dem Flug der Gedanken, vom Blitz wie auch vom Nervensystem, bedeutet Gleichzeitigkeit, (All-)Gegenwart und Synchronisierung. So liegt für Knies im ‚Erleben‘ der „Ereignisse“ als „gleichzeitig, gleich als ob eine Empfindung einen einheitlichen Körper durchzucke“, die einigende „Kraft“ des Telegraphen; – womit er ein ähnliches Bild verwendet wie 141 142 143 144
Zit. nach Löper (Hg.): Stammbuch der neuen Verkehrsmittel, a.a.O.: 372. Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 243f. Ebd.: 243ff. Ebd.: 190.
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Heine in seiner Rede von der „Kette“ der Pariser Bevölkerung, „wo einer dem andern den elektrischen Schlag mittheilt.“ Der telegraphische ‚Körper‘ ist gleichsam derjenige eines kollektiven Stromschlags, – vergleichbar jener experimentellen Anordnung, mit der in den 1740er Jahren der Abt und Experimentalphysiker Jean-Antoine Nollet die Frage nach der Geschwindigkeit der elektrischen Übertragung zu beantworten suchte, indem er mehrere hundert in einem Kreis einander berührende Personen unter Strom setzte; alle erhielten den Schlag im selben Augenblick.145 Dieselbe Augenblicklichkeit bzw. „immeasurable velocity“ der elektrischen Übertragung zeigen im frühen 19. Jahrhundert Versuche Francis Ronalds, der in seinem Garten eine – vielfach parallel geführte – Leitung von insgesamt rund 8 Meilen Länge installiert, die zwei nebeneinander aufgestellte Apparate miteinander verbindet. An die Stromquelle angeschlossen reagieren beide, wie auch zwei an sie angeschlossene Pistolen, so der Befund, scheinbar gleichzeitig. Ronalds verlegt zudem eine zweite, unterirdische Leitung in Glasröhren, die er als SynchronTelegraph nutzt: Er versieht dazu zwei Uhren an den Enden der Leitung mit einem Buchstaben- statt einem Ziffernblatt: Bei Entladung der Leitung wird an beiden Uhren derselbe Buchstabe angezeigt.146 Das Grundprinzip einer derartigen Synchron-Telegraphie findet sich bereits in der griechischen Antike in einem von Aineias (um 350 v. Chr.) vorgeschlagenen System. Nach diesem sollten Sender und Empfänger eines optischen Signals mit identischen Wassergefässen ausgestattet werden, je versehen mit einem senkrecht darin stehenden, mit Buchstaben angezeichneten Stab. Auf ein erstes optisches Signal hin würde in beiden Gefässen gleichzeitig Wasser abgelassen bis zu einem zweiten Signal, das als Ablesebefehl diente: Der erreichte Wasserspiegel würde in beiden
145 [Nollet, Jean Antoine]: Des Herrn Abts J. A. Nollet Versuch einer Abhandlung von der Elektrizität der Körper. Aus dem Französischen in das Teutsche übersetzt, und mit einigen Briefen des gelehrten Verfassers über diese Materie vermehret. Erfurt 1749: 160ff. (http://books.google.com); zum Experiment Nollets als einer paradigmatischen In-Formation vgl. Burckhardt, Martin: Unter Strom. Der Autor und die elektromagnetische Schrift. In: Krämer, Sybille (Hg.): Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt a. M. 1998: 27-54. 146 Ronalds, Francis: Descriptions of an Electrical Telegraph, and of Some Other Electrical Apparatus. London 1823: 1, vgl. 4ff. (http://books. google.com); vgl. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 33f.; Flichy: Tele, a.a.O.: 61f. Experimente mit elektrisch verbundenen Uhren führte bereits Chappe durch; vgl. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 1, a.a.O.: 163f.
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Gefässen denselben Buchstaben an den Stäben anzeigen.147 Ebenso wie bei Ronalds’ Synchron-Telegraph reduziert sich hier die übermittelte Nachricht auf Zeit-Zeichen; Grundlage dieses Prinzips ist Gleichzeitigkeit bzw. die Herstellung eines synchronisierten Raums, indem an beiden Orten derselbe Zeitfluss gilt. Was in Aineias’ System über die optischen Zeichen hergestellt ist: Gleichzeitigkeit als Augenblicklichkeit, gibt es jedoch über die Reichweite des Blicks hinaus nicht, – ein Problem, auf das auch Ronalds dort stösst, wo sich die Frage nach dem Gleichlauf von voneinander entfernt befindlichen Uhren stellt. Eine solche Synchronisierung entfernter Uhren ist kaum herzustellen denn durch die telegraphische Synchronisierung selbst; – womit, in den Worten von Karl Knies, „dieselbe elektromagnetische Kraft, welche das Bedürfnis [einer synchronisierten Zeit] anregt[], auch das erleichterte Mittel für die Befriedigung“ bietet. Kann doch telegraphisch „leichter und sicherer als auf irgend einem andern Wege der relative Stand von Uhren an zwei voneinander entfernten Plätzen oder ihre Abweichung gegen einander bestimmt werden.“148 Was im frühen 19. Jahrhundert für Ronalds lokale Telegraphenleitung gilt, gilt erst recht, sobald die Telegraphenlinien Orte, Städte, Bahnhöfe oder gar Länder und Kontinente miteinander verbinden: Als ein synchronisierter Zeitraum, in dem „Absendung und Empfang zugleich in die Gegenwart“ fallen, kann die telegraphische Verbindung erst wirken, indem sie diese gemeinsame Gegenwart der Orte von Absendung und Empfang erst herstellt. Der Telegraph wird in dieser Weise zum Räume integrierenden und koordinierenden Taktgeber einer Synchronisierung, die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als neue zeiträumliche Ordnung über die bestehenden lokalen Zeiten legt. Die Bedeutung dieser telegraphischen Synchronisierung lässt sich am Beispiel der – kleinräumigen – Schweiz verdeutlichen, die zur Zeit der Gründung des liberalen Bundesstaats eine Vielzahl von Zeiten kennt. Denn die städtischen Uhren gehen nach der („wahren“ oder „gemittelten“) Zeit des lokalen Sonnenstands; die einzelnen Orte haben also ihre eigenen Zeiten, die innerhalb der Schweiz bis zu rund 15 Minuten vonei147 Aineias’ System ist durch Polybios überliefert; vgl. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 1, a.a.O.: 45ff.; Oberliesen: Information, Daten und Signale, a.a.O.: 32ff. 148 Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 193; vgl. Ronalds: Descriptions of an Electrical Telegraph, and of Some Other Electrical Apparatus, a.a.O.: 9ff. Zum praktisch wie theoretisch nachhaltigen Problem einer genauen Zeitsynchronisierung bzw. der Gleichzeitigkeit „an zwei voneinander entfernten Plätzen“ vgl., eingehend, Galison, Peter: Einsteins Uhren, Poincarés Karten: Die Arbeit an der Ordnung der Zeit. Frankfurt a. M. 2003.
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nander abweichen. Vor der Telegraphie – und der Eisenbahn – ist diese Differenz, in der Schweiz wie anderswo, kaum der Rede wert und praktisch kaum von Relevanz; so steht 1848 die nationale Vereinheitlichung der lokalen Währungen, Masse und Gewichte auf der Agenda, nicht aber der Zeiten. Erst mit dem telegraphischen Netz wird die Schweiz, wie Jakob Messerli gezeigt hat, zu einem synchronisierten nationalen ZeitRaum, indem seit 1853 im ganzen Netz die (mittlere) Berner Zeit als Referenz gilt, die täglich übertragen wird, – nicht aus Bern, sondern zunächst vom zentralen Knotenpunkt des Netzes, Zofingen, und seit 1860 vom neu gegründeten Observatorium in Neuenburg. Dieses beginnt zudem, die Übertragung der „Berner Zeit“ – als Ware – weiteren Interessenten v.a. in den Zentren der Uhrenindustrie zu verkaufen.149 Das telegraphische Zeit-Zeichen synchronisiert in der Folge nicht nur Telegraphenämter und Standorte der Uhrenindustrie, sondern auch die Eisenbahnen sowie zunehmend die Turmuhren in den Städten. Daneben bleiben im alltäglichen Leben bis ins ausgehende 19. Jahrhundert auch die lokalen Zeiten massgeblich; die telegraphische Synchronisierung führt insofern v.a. zu einer Pluralisierung der lokal geltenden Zeit. Dabei überlagern sich unterschiedliche Zeiten insbesondere dort, wo Orte in mehrere Netze raumzeitlicher Synchronisierung eingebunden sind, so in der Schweiz etwa in Genf, wo die Turmuhr bis 1886 drei Zeiten anzeigt: neben der lokalen Genfer Zeit die nationale Berner Zeit wie auch die Pariser Zeit, massgeblich für die französischen Eisenbahnen zwischen Genf und Lyon.150 Die ‚raumüberwindenden‘ Verkehrstechniken haben so, wie 1888 eine französische Eisenbahnerzeitschrift festhält, „eine neuartige Konfusion aufkommen lassen“. Um diese zu beseitigen, darin stimmen im späten 19. Jahrhundert Ingenieure und Eisenbahnplaner, Astronomen, Geometer und Kartographen überein, ist eine globale neue Ordnung der Zeit nötig. Mit der Definition von Zeitzonen, zunächst in den USA und Kanada, seit der internationalen Festlegung 1884 von Greenwich als Nullmeridian weltweit, weicht die konstatierte „Konfusion“ einer neuen, auf Konvention basierenden zeiträumlichen Ordnung und einer einheitlichen ZeitKarte der Welt, ihres Nullmeridians und ihrer Datumsgrenze.151 149 Vgl. hierzu, eingehend, Messerli, Jakob: gleichmässig – pünktlich – schnell. Zeiteinteilung und Zeitgebrauch im 19. Jahrhundert in der Schweiz. Diss. Bern 1993, hier: 50ff.; 61ff. 150 Vgl. Galison: Einsteins Uhren, Poincarés Karten, a.a.O.: 228f.; Messerli: gleichmässig – pünktlich – schnell, a.a.O.: 71. Tatsächlich stammt der Anstoss zur Nationalisierung der Zeit vom Verband Schweizerischer Eisenbahnen; vgl. ebd.: 70; Prêtre: Eisenbahnverkehr als Ordnungs- und Gestaltungsaufgabe des jungen Bundesstaates, a.a.O.: 199, Anm. 723. 151 Zit. nach Galison: Einsteins Uhren, Poincarés Karten, a.a.O.: 97.
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Die Telegraphie wird damit zum Medium einer nicht nur durch die Linien der Nachrichtennetze, sondern auch durch jene der Zeitzonen koordinierten Welt. Dabei hat sich die globale raumzeitliche Ordnung nicht vom Sonnenlauf abgekoppelt, wie dies der in den 1870er Jahren diskutierte Vorschlag einer „Weltzeit“ bzw. einer global identischen 24Stunden-Zeit vorgesehen hätte.152 Sie folgt jedoch nicht mehr einem lokal ablesbaren Sonnenstand, sondern dem globalen Takt telekommunikativer Zeit-Zeichen. Wenn Knies feststellt, dass der Telegraph in dieser Hinsicht das Mittel zur Befriedigung eines durch ihn selbst geschaffenen Bedürfnisses darstellt, ist damit die Zäsur des Telegraphen als eines Zeichen- und Taktgebers umrissen, der nicht nur Raum ‚überwindet‘, sondern – in diesem Sinne: synchronisierend – einen neuen medialen Raum der Gleichzeitigkeit und eine neue raumzeitliche Ordnung der Welt unter dem Gesichtspunkt der Koordination entstehen lässt. Mit der Telegraphie schliesst sich damit das Modell der – einen, synchronisierten – Welt, ebenso wie auch dasjenige des (menschlichen) Körpers, an eine telekommunikative Semiotik an und löst sich von einer als gegeben betrachteten Ordnung der Natur. Telegraphen transportieren, auch in dieser Hinsicht, nicht nur Nachrichten, sondern ebenso „Verkündigungen“ bzw. Nachrichten im Sinne der Bestimmung Kittlers, „Nachrichten“ seien „Befehle, ‚nach‘ denen Personen sich zu ‚richten‘ haben“. Sie generieren eine Schrift, die auch „Vor-Schrift“ ist (Haase) und einen medialen Raum, der Ereignisse hervorbringt und dabei, wie Knies feststellt, kein festes „Centralorgan“ der Steuerung hat, sondern nur mehr ein „ambulantes“.153
152 So vorgeschlagen vom kanadischen Eisenbahningenieur Sandford Fleming; vgl. ebd.: 115ff.; 160; Messerli: gleichmässig – pünktlich – schnell, a.a.O.: 73f. 153 Kittler: Geschichte der Kommunikationsmedien, a.a.O.: 170; Haase: Die Revolution der Telekommunikation, a.a.O.: 39.
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III LEIBNIZSCHE KORRESPONDENZEN: R A U M A L S R EL A T I O N o r d o c o e x i st e n d i „Das elektronische Netz revolutioniert die Raumvorstellung“, stellen die Soziologinnen Christiane Funken und Martina Löw fest, und benennen damit eine ‚Wende‘ im räumlichen Denken auch und gerade der Sozialund Kulturwissenschaften selbst, die sie mit der Entwicklung telekommunikativer Netze in Verbindung bringen. Denn die Vorstellung von Raum nach „Container-Imagos“, gekennzeichnet durch die „[...] euklidischen Raumbilder von senkrecht aufeinanderstehenden Geraden, welche das Denken so nachhaltig beeinflusst haben, passen nicht mehr zu den Bildern vom immateriellen, unendlichen, vielfältig verknüpften Netz“. Vielmehr „vollzieht sich eine entscheidende Veränderung in der Konzeptualisierung des Raums vom Container hin zum Netzwerk“; – Raum wird selbst als ein „relationales, multiples, netzwerkartiges Gebilde begriffen“.1 In ihrem Entwurf zu einem soziologischen Raumbegriff hat Löw Raum in diesem Sinne als eine „relationale (An)Ordnung“ bestimmt, als ein Ordnungsgefüge also von Relationen bzw. als einen Prozess des Ordnens, in dem sich Raum konstituiert. Raum ist demnach nicht als etwas Gegebenes vorauszusetzen, sondern als ein Gebilde zu verstehen, das einer Syntheseleistung bzw. (als Anordnen) einer Plazierung entspricht; er ist zurückzuführen auf Verhältnisse. Diese relationale Raumkonzeption impliziert eine Variabilität von räumlichen Ordnungen wie ihre Pluralität und Heterogenität. Sie erlaubt mithin, so die hier soziologische und wesentlich auf die heutige Gegenwart bezogene Perspektive, Raum als ein sich Veränderndes zu begreifen, anstatt angesichts von Globalisierungsprozessen und elektronischen Netzen seine „Auflösungserscheinungen zu
1
Funken, Christiane/Löw, Martina: Ego-Shooters Container. Raumkonstruktionen im elektronischen Netz. In: Maresch, Rudolf/Werber, Niels (Hg.): Raum – Wissen – Macht. Frankfurt a. M. 2002: 69-91, hier: 69ff.
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skandalisieren“, – oder, wie sich ergänzen lässt, (erneut) seine (endgültige) Überwindung zu feiern.2 Löws soziologischer Raumbegriff schliesst u.a. an Michel Foucaults 1967 formulierte Überlegungen zum Raum an, in denen Foucault das Auftauchen einer neuen, relationalen Raumvorstellung konstatiert. Wir sind, so vermutet Foucault hier in der Epoche des Simultanen, wir sind in der Epoche der Juxtaposition, in der Epoche des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander, des Auseinander. Wir sind, glaube ich, in einem Moment, wo sich die Welt weniger als ein grosses sich durch die Zeit entwickelndes Leben erfährt, sondern eher als ein Netz, das seine Punkte verknüpft und sein Gewirr durchkreuzt. […] Wir sind in einer Epoche, in der sich uns der Raum in der Form von Lagerungsbeziehungen [bzw. Relationen der Plazierung] (relations d’emplacements) darbietet.3
Historisch betrachtet Foucault diese Raumerfahrung als einen zweiten massgeblichen Umbruch in der Erfahrung und Vorstellung des Raums, wobei er den ersten dieser Umbrüche bei Galilei und der neuzeitlichen Konzeption eines unendlichen Raums der Ausdehnung verortet: Löste sich mit diesem Umbruch das mittelalterliche bzw. aristotelische geschlossene und hierarchische Raumgefüge fester Orte in einem offenen Raum der Ausdehnung gewissermassen auf, so tritt mit dem heutigen Umbruch an die Stelle dieser Ausdehnung die Lagerung oder Plazierung – das Netz, das ensemble von Verhältnissen oder die Konfiguration.4 Umrissen ist damit eine Pluralität relationaler Bezüge, die nicht auf einen gegebenen Raum zurückgeführt werden kann. Denn Raum im Sinne dieser Raumerfahrung ist kein Gleichbleibendes oder Einheitliches – kein festes Bezugssystem etwa im Sinne eines Koordinatensystems –, ‚in‘ dem sich etwas eindeutig verorten liesse, sondern eine immer schon heterogene „Gemengelage von Beziehungen“: [W]ir leben nicht innerhalb einer Leere, die nachträglich mit bunten Farben eingefärbt wird. Wir leben innerhalb einer Gemengelage von Beziehungen (à l’ interieur d’un ensemble de relations), die Plazierungen definieren, die nicht aufeinander zurückzuführen und nicht miteinander zu vereinen sind.5 2 3 4
5
Löw: Raumsoziologie, a.a.O.: 131; 224. Foucault: Andere Räume, a.a.O.: 66f. Zum angesprochenen, durch Galilei markierten Umbruch vgl. insbes. Koyré, Alexander: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum. Frankfurt a. M. 1969; zur Frage der Unendlichkeit des Raums s. Jammer: Das Problem des Raumes, a.a.O: 55ff.; Gosztonyi: Der Raum, Bd. 1, a.a.O.: 213ff. Foucault: Andere Räume, a.a.O.: 67.
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Foucault verbindet diese Überlegungen zu einer veränderten Raumerfahrung und -konzeption u.a. mit dem Hinweis auf die konstitutive Bedeutung relationaler Verhältnisse in der technischen Speicherung von Information; hier fungiert ja gerade – so offensichtlich etwa am Beispiel der Lochkarte – ein Beziehungsensemble oder eine ‚Relation von Relationalem‘ als Informationsträger. Ein weiterer Hinweis Foucaults gilt, wie bereits erwähnt, den beweglichen Beziehungsensembles des Verkehrs – der Eisenbahn, den Autos auf der Strasse und den Tönen durch die Telefonleitung.6 Es sind solche von Foucault thematisierten Zusammenhänge zwischen Information, Zirkulation und Raum, die im Vordergrund auch der soziologischen Theorie Manuel Castells’ stehen, gefasst hier im Begriff eines neuen „space of flows“ – oder „Raums der Ströme“ –, der die Räumlichkeit des „Informationszeitalters“ charakterisiere. Castells bezeichnet damit einen Raum von flows der weltweiten Kommunikation und Interaktion zwischen sozialen Akteuren – von Kapital, Information, Waren, Technologie, Tönen, Bildern und Symbolen –, die in der „network society“ herkömmliche räumliche Strukturen überformen und die (gesamt-)gesellschaftlich dominanten Prozesse integrieren. Über Ströme des Austauschs und der Zirkulation werden die Standorte global verteilter Akteure in funktionale Verflechtungszusammenhänge eingebunden; im space of flows werden sie zu Schaltstellen und Knotenpunkten („hubs“ und „nodes“) von übergreifenden, dynamischen und unbeständigen Netzwerken, die auf elektronischen Techniken der Information und Kommunikation basieren.7 Verknüpft ist diese Raumkonzeption wesentlich mit dem Gegenstand der Stadt und mit den grundlegenden Analysen Castells’ wie auch Saskia Sassens u.a. zur gewandelten Rolle der Städte in einer globalen informationellen Ökonomie. Weltweit vernetzte Finanzmärkte, Dienstleistungen, Prozesse der Steuerung, Innovation und Produktion führen, so ein Fazit dieser Arbeiten, zu einer Absorption der dynamischsten Sektoren der Städte in globale Interaktionsnetze und die „variable geometry“ einer neuen Arbeitsteilung.8 Dies bedeutet nicht eine Marginalisierung oder gar 6 7
8
Vgl. ebd.: 66f.; s.o. (Einleitung u. Kap. I) Castells, Manuel: The Rise of the Network Society, a.a.O.: 378; vgl. 410ff.; ders.: Space of Flows – Raum der Ströme. In: Noller, Peter (Hg.): Stadt-Welt: Über die Globalisierung sozialer Milieus. Frankfurt a. M. und New York 1994: 120-134. Castells: The Rise of the Network Society, a.a.O.: 393; vgl. 378ff.; zu den eingehenden Arbeiten Castells’ zur Stadt seit den 1970er Jahren vgl. Stalder, Felix: Manuel Castells. The Theory of the Network Society. Cambridge, Mass. 2006: 13ff.; 143f.; zu Sassens Analysen der Transformation von Metropolen in der globalisierten Finanzökonomie s. Sassen, Saskia:
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ein Verschwinden der Stadt, sondern eine zunehmende Segregation bzw. Differenzierung innerhalb von Städten, indem sich die in den space of flows integrierten Funktionen der „global city“ von anderen Bereichen der Stadt abkoppeln. Castells sieht als Folge eine „structural schizophrenia between two spatial logics“, wobei er die neue „Logik“ des space of flows – auch hier wesentlich im Blick auf die Stadt – derjenigen eines (herkömmlichen) lokalen „space of places“ gegenüberstellt. Castells zufolge entspricht dieser Gegensatz zugleich einer sozialen Hierarchie, sieht er doch wesentlich die „Eliten“ in den neuen space of flows integriert, während er die Lebensräume der meisten Stadtbewohner als lokal bzw. dem space of places zugehörig betrachtet: „[E]lites are cosmopolitan, people are local“. In dieser Hinsicht operiert seine Theorie mit schematischen Oppositionen, die sich etwa im Blick auf Phänomene der globalen Migration so kaum aufrechterhalten lassen.9 Raumtheoretisch ist jedoch das bei Castells hervorgehobene Entscheidende der Vernetzung, dass sie mit einer Transformation verbunden ist, die bestehende Raumverständnisse in grundsätzlicher Weise in Frage stellt. Der space of flows bezeichnet das Neue einer Räumlichkeit der Netzwerke, in der „no place exists by itself, since the positions are defined by flows. Thus the network of communication is the fundamental spatial configuration […].“ Historisch lässt sich insofern die – auch bei
9
The Global City: New York, London, Tokyo. New York u.a. 1991; dies.: Cyber-Segmentierungen. Elektronischer Raum und Macht. In: Münker/ Roesler (Hg.): Mythos Internet, a.a.O.: 215-235. Castells: The Rise of the Network Society, a.a.O.: 415; 428. Phänomene der Migration, der damit verbundenen telekommunikativen flows wie auch der Finanztransaktionen in die Herkunftsländer (Geschäftsfeld u.a. des einstigen Telegraphieunternehmens Western Union) fallen etwa offensichtlich aus Castells’ Ansatz heraus, eine Theorie der Vernetzung mit einem Modell zur Deckung zu bringen, das mit der Unterscheidung oben (global, „elite“)/unten (lokal, „people“) operiert. So im Blick auf das Pariser Quartier Belleville, das Castells als Beispiel für einen „place“ im Gegensatz zum space of flows anführt. Denn die Immigration, die den Charakter dieses Stadtteils prägt, lässt sich innerhalb der Opposition von globalem Strom/lokalem Ort theoretisch gerade nicht verorten. Das Beispiel verweist eher auf eine Räumlichkeit der „ethnoscapes“ (Arjun Appadurai), kultureller flows globalisierter Beziehungen. Vgl. Appadurai, Arjun: Globale ethnische Räume. Bemerkungen und Fragen zur Entwicklung einer transnationalen Anthropologie. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt a. M. 1998: 11-40; zur Diskussion des Castellschen Ortsbegriffs vgl. auch Moores, Shaun: Ortskonzepte in einer Welt der Ströme. In: Hepp, Andreas et al. (Hg.): Konnektivität, Netzwerk und Fluss. Konzepte gegenwärtiger Medien-, Kommunikationsund Kulturtheorie. Wiesbaden 2006: 189-205.
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Castells mithin in diesem Zusammenhang auftretende – Eisenbahn als Vorläuferin der heutigen Vernetzung betrachten, definieren doch die heutigen Kommunikationsnetze den neuen Raum „very much like the railways defined ‚economic regions‘ and ‚national markets‘ in the industrial economy [...].“10 Notwendig ist im Blick auf solche Konfigurationen der Vernetzung eine Raumkonzeption, die, im Gegensatz zu Vorstellungen des Raums als Territorium oder als dreidimensionaler Behälter, fähig ist, Raum und räumlichen Wandel in ihrem Bezug zu sozialen Strukturen und zu deren Transformation zu erfassen. Raum sollte, ähnlich wie die Zeit historisch als Abfolge geordnet ist, unter dem Gesichtspunkt spezifischer räumlicher Ordnungen betrachtet werden, um ihn, so der sozialtheoretische Ansatz Castells’, als „Ausdruck der Gesellschaft (expression of society)“ zu verstehen.11 Diesem Ansatz folgend bestimmt Castells Raum grundsätzlich als ein Ordnungsgefüge (des Sozialen), entsprechend dem genannten zeitlichen Ordnungsgefüge der Abfolge. Im Unterschied zu diesem verweist die Ordnung des Raums auf Gleichzeitigkeit: Raum, so die Formulierung Castells’, „is the material support of time-sharing social practises“ bzw. „brings together those practises that are simultaneous in time“.12 Diese Bestimmung macht Castells auch für den space of flows geltend. Das Neue dieses Raums bzw. der heutigen Vernetzung erfordert jedoch, dass die Vorstellung eines „together“ von derjenigen eines unmittelbaren bzw. physischen Nebeneinander unterschieden wird: Traditionally, this notion was assimilated to contiguity. Yet it is fundamental that we separate the basic concept of material support of simultaneous practises from the notion of contiguity, in order to account for the possible existence of material supports of simultaneity that do not rely on physical contiguity, since this is precisely the case of the dominant social practices of the information age.13
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Castells: The Rise of the Network Society, a.a.O.: 412. Ebd.: 410; vgl. ders.: Space of Flows – Raum der Ströme, a.a.O.: 125f. Castells: The Rise of the Network Society, a.a.O.: 411. Die Betonung der „Materialität“ des Raums – die, wie Castells anmerkt, eine symbolische Dimension einschliesst – folgt aus dem explizit materialistischen sozialwissenschaftlichen Ansatz Castells’; Raum ist demnach zurückzuführen auf grundsätzlich als „materiell“ verstandene soziale Strukturen. Damit setzt Castells eine Unterscheidung zwischen dem Materiellen und dem Immateriellen voraus, die gerade am Gegenstand des Raums problematisch ist.. Ebd.
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Raum, und hier liegt eine Gemeinsamkeit der Überlegungen Castells’ mit denjenigen von Foucault und von Löw, kann angesichts eines mit elektronischen Informations- und Kommunikationstechniken verbundenen Umbruchs nicht adäquat als ein Gegebenes (etwa einer „physical contiguity“) begriffen werden, sondern ist als eine relationale, – bei Castells: wesentlich durch kommunikative flows – hergestellte Ordnung zu sehen. Als netzartige Verknüpfung, als Konfiguration, als ensemble de relations oder als variable (An-)Ordnung ist Raum nicht einheitlich voraussetzbar, im Sinne etwa eines leeren Raums, ‚in‘ dem sich die Dinge befinden. Vielmehr ist er auf relationale Verhältnisse zwischen Dingen bezogen bzw. auf Prozesse (oder „Logiken“) der Definition von Positionen, des (An-)Ordnens und Plazierens. Dabei ist Castells’ Theorie des space of flows nicht mit der Raumsoziologie Löws oder auch der Konzeption „Anderer Räume“ und des Heterotopen bei Foucault gleichzusetzen. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die unterschiedlichen Ausrichtungen, Gegenstände und Zielsetzungen, in deren Zusammenhang hier jeweils von einem Neuen des Raums die Rede ist, sondern auch dafür, wie im einzelnen dieses Neue jenem Raum gegenüber begriffen wird, den es ablöst oder überlagert, – gefasst über Oppositionen wie Netzwerk/Behälter, Plazierung/Ausdehnung oder flow/place. In Beschreibungen eines gegenwärtigen räumlichen Wandels kommt somit nicht zuletzt eine Schwierigkeit zum Ausdruck, auch jenes – Herkömmliche, Traditionelle – des Raums zu fassen, dem das bezeichnete Neue der heutigen Raumerfahrung oder -konzeption (allg. gefasst: eines Relationalen netzartiger Beziehungsgefüge) gegenübergestellt werden kann. So stellt die Wahrnehmung eines räumlichen Umbruchs vor die raumtheoretische wie -historische Frage, wie ein solches relationales Raumdenken, und welchem herkömmlichen Raumdenken gegenüber, bestimmt und wie es innerhalb einer Geschichte der Raumtheorien plaziert werden kann. Castells verweist in seinen Überlegungen zunächst auf Raum-Zeit Konzeptionen in der Physik, v.a. auf die Abhängigkeit von Raum und Materie: Kann in der Physik Raum nicht „outside the dynamics of matter“ definiert werden, so ist er in der sozialen Theorie nicht definierbar „without reference to social practises“.14 Massgeblich für Castells’ Raumverständnis ist jedoch weniger ein damit hergestellter Bezug zur Physik des 20. Jahrhunderts als vielmehr der Rekurs auf Gottfried Wilhelm Leibniz und dessen zu Beginn des 18. Jahrhunderts formulierte Konzeption von Raum wie von Zeit als einer Ordnung der Dinge (ordre des choses). Explizit wird dies bei Castells innerhalb seiner Erörterung der Zeit, indem er sich hier an die entsprechenden Bestimmungen Leib14
Ebd.
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niz’ anschliesst, nach denen Raum als eine „ordre des Coëxistences“ definiert ist, Zeit als eine „ordre des successions“.15 Tatsächlich ist Castells’ Raum- und Zeitkonzeption in hohem Mass an diesen Bestimmungen orientiert, mit denen Leibniz seinem Zeitgenossen Isaac Newton widersprach, indem er Raum und Zeit nicht als gegebene Entitäten, sondern als Ordnungen von Verhältnissen bzw. von Relationen zwischen Dingen begriff. Genauer noch als an der von Castells angeführten Stelle fasst Leibniz dies in einer lateinischen Formulierung, in der Raum definiert ist als eine „ordo coexistendi seu ordo existendi inter ea quae sunt simul“, Zeit als eine „ordo existendi eorum quae non sunt simul“.16 In Analogie hierzu bestimmt auch Castells Raum grundsätzlich als eine ‚Ordnung des Ko-Existierenden‘, wobei er aus sozialtheoretischer Sicht Leibniz’ ordo in eine gesellschaftliche, „materielle“ Ordnung übersetzt, „that brings together [...] practises [...] simultaneous in time“. Über diesen Bezug Castells’ und seiner Theorie des space of flows hinaus ist mit dem genannten relationalen Raumbegriff des späten Leibniz ein historischer Bezug bezeichnet, der in heutigen Ansätzen eines ‚anderen‘ räumlichen Denkens eine massgebliche Rolle spielt. Eine Nähe zum Denken Leibniz’ von Raum als ordo coexistendi ist in den genannten Konzeptionen – eines Raums der netzartigen Verknüpfung, der Konfiguration, der relationalen ensembles – ja geradezu augenfällig, und sie steht neben weiteren, expliziten Bezugnahmen auf Leibniz wie einer vermehrten Aufmerksamkeit für seine Raumkonzeption im Rahmen der raumtheoretischen Debatten der gegenwärtigen Kultur- und Sozialwissenschaften.17 Auf eine mit dem Mathematiker Leibniz (und dessen analysis situs) verbundene Entwicklung wiederum weisen im oben angeführten Aufsatz indirekt Funken und Löw hin, wenn sie argumentieren, dass 15
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Vgl. ebd.: 464, Anm. 75; frz. Orig. [Leibniz, Gottfried Wilhelm/Clarke, Samuel]: Correspondance Leibniz-Clarke. Présentée d’après les manuscrits originaux des bibliothèques de Hanovre et de Londres par André Robinet. Paris 1957: 53. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Initia rerum mathematicarum metaphysica. In: Leibnizens mathematische Schriften. Hgg. von C. I. Gerhardt. Zweite Abtheilung, Bd. III. Halle 1863: 17-29, hier: 18. Zur Frage, inwiefern das genannte simul als „gleichzeitig“ zu verstehen ist und wie Leibniz dem möglichen Einwand einer Zirkularität seiner Definition begegnet, s. Linhard, Frank: „Ordo existend inter ea quae sunt simul“ – Die Raumauffassung des späten Leibniz und der Bezug zum „vinculum substantiale“. In: Breger, Herbert et al. (Hg.): Einheit in der Vielheit. Vorträge, VIII. Internationaler Leibniz-Kongress. Hannover 2006: 475-481. Vgl. (exempl.) Reichert, Dagmar: Das Denken: der Raum der Geographie. In: 259003 – Subjektivität und Cyberspace. Institut für künstlerische Gestaltung der TU Wien 1999: 14-21; Dünne (Hg.): Raumtheorie, a.a.O.
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in Physik und Mathematik der Raum seit langem „als Lageverhältnis diskutiert“ werde, während sozialwissenschaftliche Raumverständnisse bis in die jüngste Zeit einem Container-Modell verhaftet blieben.18 Mit dem Rekurs auf Leibniz ist mithin, aus der Sicht unterschiedlicher Ansätze und Disziplinen, ein historischer Referenzpunkt eines heutigen ‚anderen‘ Raumdenkens markiert im Gegensatz zu Vorstellungen und Konzeptionen von Raum als ‚Behälter‘, als Ausdehnungsraum oder als festes Koordinatensystem. Gingen Kultur- und Sozialwissenschaften lange Zeit und in hohem Mass implizit von einem in solcher Art gegebenen Raum aus, so verbindet sich mit dem Rekurs auf Leibniz’ Raumkonzeption heute in diesen Disziplinen eine theoretische Wiedergewinnung der Frage nach dem Raum jenseits seiner scheinbaren Voraussetzbarkeit oder Selbstverständlichkeit. Dabei ist es historisch der wissenschaftsgeschichtlich wie raumtheoretisch zentrale Gegensatz zwischen Leibniz und Newton, in dessen Zusammenhang Leibniz’ relationaler Raum zu sehen ist: Als eine ‚andere‘ Raumkonzeption steht er im besonderen jenem „absoluten Raum“ Newtons gegenüber, den dieser, unterschieden von „relativen“ Räumen, als einen gleichbleibend gegebenen unendlichen Raum begriff. Dieser absolute Raum, so die Definition in Newtons Principia Mathematica (1687), bleibt „vermöge seiner Natur und ohne Beziehung auf einen äusseren Gegenstand stets gleich und unbeweglich“ (natura sua sine relatione ad externum quodvis semper manet similare & immobile); der relative Raum ist „ein Mass oder ein beweglicher Teil des ersteren [...]“.19 Leibniz wendet sich an der von Castells zitierten Stelle ausdrücklich gegen dieses Newtonsche Raumverständnis; dies im Rahmen seines – als „Leibniz-Clarke-Briefwechsel“ bekannten – brieflichen Disputs mit dem Vertrauten Newtons Samuel Clarke, in dem die unterschiedlichen
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Funken/Löw: Ego-Shooters Container, a.a.O.: 71. Zum Bezug der Raumsoziologie Löws zu Leibniz s. Löw: Raumsoziologie, a.a.O.: 27f.; 112f.; 130f. Zur analysis situs vgl. Heuser: Die Anfänge der Topologie in Mathematik und Naturwissenschaften, a.a.O.; zu Leibniz’ relationalem Raum aus der Sicht der heutigen theoretischen Physik s. Zeitsprünge. Forschungen zur frühen Neuzeit, 11 (2007), 1-2: Notions of Space and Time/Begriffe von Raum und Zeit. Der relative Raum wird dabei, so Newton „von unsern Sinnen durch seine Lage gegen andere Körper bezeichnet und gewöhnlich für den unbeweglichen Raum genommen“, so z.B. ein Teil der „Erdoberfläche“ oder ein „Teil der Atmosphäre“. Zit. nach Jammer: Das Problem des Raumes, a.a.O.: 106, lat. Orig. Newton, Isaac: Philosophiae Naturalis Principia Mathematica. Hgg. von Roger Cotes. Cambridge 1714: 6. Entsprechend definiert Newton, unterschieden von relativer Zeit, eine „absolute, wahre und mathematische“ Zeit (vgl. ebd.: 5).
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Raumkonzeptionen Leibniz’ und Newtons in exemplarischer Weise aufeinandertreffen. In der Geschichte der Raumtheorien markiert diese Kontroverse zugleich einen historischen Zeitpunkt, an dem der ontologische Status des Raums grundsätzlich zur Debatte stand. Wenn diese grundsätzliche Frage nach dem Raum in der Folgezeit in den Hintergrund trat, ist dies einerseits auf die allgemeine Akzeptanz des Newtonschen Weltbilds und die damit verbundene Entwicklung der Raumverständnisse, in der Physik wie auch in der Philosophie, zurückzuführen. Andererseits kam es in den sich ausdifferenzierenden Disziplinen seit dem 18. Jahrhundert, wie Alexander Gosztonyi hervorgehoben hat, zu einer „Zersplitterung der Raumarten“, die, „[d]a die verschiedenen Aspekte des Raumproblems in der Natur der Sache selbst liegen, [...] auch Kants Versuch, den Raum in seiner ontologischen Einheit zu fassen, [...] nicht aufhalten“ konnte.20 Leibniz’ Raumkonzeption steht somit im historischen Zusammenhang eines philosophischen Denkens, in dem die Frage nach dem Raum weder, wie in der Folgezeit üblich, auf der Grundlage der (Newtonschen) Physik gestellt wird noch lediglich auf einzelne Aspekte des Raumproblems bezogen ist, wie es für die späteren partikularen Raumbegriffe der wissenschaftlichen Einzeldisziplinen gilt. Von einem ‚anderen‘ Raumverständnis lässt sich bei Leibniz auch in Bezug auf diese historische Differenz zu den späteren und mithin zu den heutigen Raumkonzeptionen sprechen. Aus der Sicht eines gegenwärtigen ‚anderen‘ Raumdenkens stellt diese Differenz wiederum vor die Frage, inwiefern ein solches bei Leibniz plaziert werden kann – will man Leibniz’ Raumbegriff nicht ahistorisch mit einem heutigen medialen und räumlichen Umbruch kurzschliessen: In welcher Weise lässt sich bei Leibniz von Konturen eines für heutige Ansätze massgeblichen Relationalen sprechen? Bzw. worauf referiert, wenn heute auf einen relationalen Raum Leibniz’ rekurriert wird, ein solcher Rekurs, und wie ist Leibniz’ Raumdenken im Gegensatz zu demjenigen Newtons in seinem, historischen Zusammenhang zu plazieren? Oder, zunächst enger gefasst: Wie und mit welcher Argumentation hält Leibniz Newton einen Begriff des Raums als ordo coexistendi entgegen, und was wird in dieser historischen Kontroverse zwischen Newton und Leibniz verhandelt?
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Gosztonyi: Der Raum, Bd. 1, a.a.O.: 398. In der Physik massgeblich wurden wiederum die relativen Räume Newtons, während darüber hinaus das Raumproblem bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts keine zentrale Rolle spielte; vgl. ebd.: 346; Jammer: Das Problem des Raumes, a.a.O.: 155f.
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Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt der folgenden, medienwissenschaftlich perspektivierten Lektüren des genannten „Leibniz-Clarke Briefwechsels“, den der rund 70jährige Leibniz in seinen letzten Lebensjahren, 1715-16 führte und an dem Samuel Clarke wesentlich in der Rolle eines Stellvertreters und Verteidigers Newtons teilnahm.21 Der Text – üblicherweise im Rekurs auf den relationalen Raum Leibniz’ herangezogen – spiegelt damit die historische Kontroverse zwischen den Auffassungen Newtons und Leibniz’, und er ist zugleich derjenige Ort, an dem Leibniz diese Raumkonzeption am eingehendsten erläutert, – wenngleich er sie in seinen späteren Texten auch andernorts und in unterschiedlichem Zusammenhang anführt.22 Dabei wäre es missverständlich, den brieflichen Disput zwischen Leibniz und Clarke mit einer Kontroverse alleine um Raumbegriffe gleichzusetzen. Bezeichnet ist mit dem „Leibniz-Clarke-Briefwechsel“ vielmehr ein exemplarisches Zeugnis einer ebenso breiten wie grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Weltbildern und Systemen Leibniz’ und Newtons. Clarke bezeichnet die Briefe im Titel ihrer von ihm herausgegebenen ersten Veröffentlichung (1717) als eine „collection of papers [...] relating to the principles of natural philosophy and religion“ und deutet damit den umfassenden Rahmen der Debatte an, in dem der Gegenstand des Raums hier zu sehen ist.23 Das Verhältnis zwischen Leibniz und Newton ist zur Zeit des „Briefwechsels“ überdies durch den fortdauernden Prioritätsstreit um die Infinitesimalrechnung in besonderer Weise belastet.24 Historisch sind 21
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Als Textgrundlage herangezogen ist im Folgenden die Ausgabe von Schüller: [Leibniz, Gottfried Wilhelm/Clarke, Samuel:] Der LeibnizClarke Briefwechsel. Übers. und hgg. von Volkmar Schüller. Berlin 1991; ergänzend die Ausgabe von Robinet: Correspondance LeibnizClarke, a.a.O. So in der o. genannten Definition im Rahmen seiner mathematischen Schriften. Allg. macht Leibniz ein relationales Raumverständnis seit ca. 1700 in seinen Texten geltend; vgl. hierzu und zur Entwicklung des Raumdenkens Leibniz’ Hartz, Glenn A./Cover, Jan. A.: Space and Time in the Leibnizian Metaphysics. In: Noûs, 22 (1988): 493-519. Der vollständige Titel der Erstausgabe lautet A Collection of Papers, Which passed between the late Learned Mr. Leibnitz, and Dr. Clarke, In the Years 1715 and 1716. Relating to the Principles of Natural Philosophy and Religion. London 1717. Sowohl Newton als auch Leibniz veröffentlichten ihre Methoden der Infinitesimalrechnung (das Leibnizsche Differentialkalkül bzw. die Newtonsche Fluxionsmethode) erst nach Jahren; die Frage, wem die Priorität dieser Leistung zuzuschreiben sei, wurde seit den 1690er Jahren zum Kernpunkt eines langlebigen Streits zwischen englischen und kontinentalen Gelehrten. Vgl. hierzu (zusammenfassend) Schüller, Volkmar: Nachwort. In: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 441-485, hier:
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somit die Briefe, über die philosophische Kontroverse hinaus, Zeugnisse auch eines schwerwiegenden Konflikts, der in der Folge bis ins 20. Jahrhundert hinein die Rezeption des „Briefwechsels“ beeinflusst hat; – Steven Shapin hat im Blick auf die Leidenschaften, welche die Debatte immer wieder hervorrief, gar von einem „great killing ground of the history of ideas“ gesprochen.25 Dabei ist die Rezeptionsgeschichte durch wiederholte Versuche geprägt, die Streitpunkte der Debatte, gleichsam ex post, zugunsten Newtons oder zugunsten Leibniz’ zu entscheiden, – und damit durch eine Rezeptionsweise, die dem Schema des Disputs selbst verhaftet blieb. Ein Bruch mit diesem Muster der Rezeption vollzog sich v.a. seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch ein neues und anders gelagertes Interesse am Briefwechsel und an Leibniz’ Philosophie aus der Sicht der Logik und der Erkenntnistheorie.26 Darüber hinaus ist der „Briefwechsel“ seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend historisch untersucht worden, beginnend mit seiner wissenschaftsgeschichtlichen Erörterung durch Alexander Koyré (1957). In einer Reihe von Studien wurden seitdem die Briefe zwischen Leibniz und Clarke wie auch die Kontroverse zwischen Leibniz und Newton als ganzes im diskursiven und sozialen Zusammenhang ihrer Zeit adressiert und „rekontextualisiert“.27 Aufmerksam gemacht haben diese Forschungen im besonderen auf die enge Verbindung zwischen den theoretischen Positionen Leibniz’ und Newtons und ihren religiösen Glaubensgrundsätzen. Der „Briefwechsel“ steht, wie gezeigt wurde, exemplarisch auch für ein „Spannungsfeld von Vernunft und Glauben“ um 1700, in dem Leibniz ebenso wie Newton zu sehen sind: Als eine Briefdebatte – dem Titel von Clarke folgend – „relating to the principles of natural philosophy and religion“ spiegelt er eine Auseinandersetzung, in der beide Sei-
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450ff.; Westfall, Richard: Isaac Newton. Eine Biographie. Heidelberg, Berlin und Oxford 1996: 341ff.; Aiton, Eric J.: Gottfried Wilhelm Leibniz. Eine Biographie. Frankfurt a. M. und Leipzig 1991: 87ff.; 346ff.; 484ff. Shapin, Steven: Of Gods and Kings: Natural Philosophy and Politics in the Leibniz-Clarke Disputes. In: Isis, 72 (1981): 187-215, hier: 187. So im deutschsprachigen Raum v.a. bei Cassirer; vgl. Cassirer, Ernst: Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen. [1901] Hamburg 1998; ders.: Newton and Leibniz. In: The Philosophical Review, 52 (1943): 366-391. Vgl. Koyré: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, a.a.O.: 211ff. Den Begriff der „Rekontextualisierung“ verwendet Stephen Toulmin in Abgrenzung zu einer Rezeption Leibniz’ und Newtons, welche „die Ideen und Argumente dieser Männer zu ‚dekontextualisieren‘ [pflegte]; man meinte, das einzige massgebende Bezugssystem für ihre Analyse sei der ‚zeitlose Dialog‘ der grossen Geister der Vergangenheit.“ Toulmin, Stephen: Kosmopolis. Die unerkannten Aufgaben der Moderne. Frankfurt a. M. 1991: 164.
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ten darauf abzielten, die Prinzipien der Naturphilosophie bzw. Naturwissenschaft mit denjenigen ihres Glaubens in Übereinstimmung zu bringen.28 In diesem Zusammenhang interessiert im Folgenden vor allem, wie sich die Argumente und Positionen Leibniz’ und Clarkes im „Briefwechsel“ in diese Auseinandersetzung einfügen und wie die Konzeptionen Newtons und Leibniz’ mit ihr verflochten sind. Dabei soll deutlich werden, inwiefern das, was in der Raumdebatte zwischen Clarke und Leibniz verhandelt wird, über einen alleine raumtheoretischen Gegenstand hinausweist, die Kontroverse um den absoluten oder relationalen Raum mithin bei Newton wie bei Leibniz auf – unterschiedliche – „principles of religion“ verweist. Wenig Aufmerksamkeit ist in Lektüren des „Leibniz-Clarke Briefwechsels“ zudem dem medialen Ort dieser Debatte gewidmet worden, – der Frage also nicht nur danach, was hier verhandelt wird, sondern auch danach, wo und wie sich diese Verhandlung ereignet. Es ist demgegenüber dieser mediale Zusammenhang der Debatte, der in zwei weiteren Abschnitten in den Vordergrund gerückt werden soll. Dies zunächst im Blick auf das postalische Medium der Briefe und das mit dieser Briefdebatte historisch verbundene – komplexe – Geflecht medialer wie diskursiver und sozialer räumlicher Relationen. Der „Briefwechsel“ steht in dieser Hinsicht exemplarisch für das historische Medium des Gelehrtenbriefs um 1700 und dessen konstitutive Rolle der kommunikativen Vermittlung und Verflechtung; und er steht, im besonderen, exemplarisch für die zentrale Bedeutung der Korrespondenz bei Leibniz, der bekanntlich einer der wohl produktivsten Briefeschreiber der Geschichte war. Briefkommunikation ist ebenso sprachliche Kommunikation, und ein anschliessender Abschnitt befasst sich mit dieser medialen Ebene des „Briefwechsels“, gelesen in Bezug auf theoretische Überlegungen Leibniz’ zu Aspekten der Kommunikation: zu Problemen der Sprache, der Zeichen und zu den Möglichkeiten der Verständigung und des Dialogs, die in Leibniz’ Denken eine wiederkehrend zentrale Rolle spielen. Aufgegriffen werden in diesem Zusammenhang u.a. Forschungsergebnisse aus medientheoretischer Sicht zu Leibniz’ Kalkülen und zu seiner Sprachphilosophie; dies im Hinblick auf die Frage, inwiefern sich ein Moment des Relationalen bei Leibniz auch auf dieser medialen Ebene der sprachlichen Kommunikation seiner Korrespondenz aufweisen lässt. 28
Goldenbaum, Ursula: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Vernunft und Glauben. Der Briefwechsel von Samuel Clarke und Gottfried Wilhelm Leibniz. In: Grunert, Frank/Vollhardt, Friedrich (Hg.): Aufklärung als praktische Philosophie. Werner Schneiders zum 65. Geburtstag. Tübingen 1998: 387-417.
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Raum, Natur, Vernunft Von einem Leibniz-Clarke „Briefwechsel“ zu sprechen, ist, wie Leonhard Schmeiser angemerkt hat, „irreführend“.29 Handelt es sich doch bei dieser Briefdebatte nicht um eine Punkt-zu-Punkt Korrespondenz zwischen Sender und Empfänger, wie eine solche Bezeichnung nahelegt, sondern um eine vermittelte Korrespondenz im Dreieck, konstituiert wesentlich durch die vermittelnde Dritte: An diese, Prinzessin Caroline von Wales, ist der im November 1715 verfasste Brief Leibniz’ gerichtet, mit dessen Auszug der „Briefwechsel“ beginnt; und durch ihre Hände gehen in der Folge sämtliche der insgesamt zehn Schreiben, von denen je fünf von Leibniz und von Clarke stammen. Caroline, zu dieser Zeit 32 Jahre alt, ist die Ehefrau des Hannoverschen Kurprinzen Georg August und damit des zukünftigen britischen Königs. Sie lebt seit der englischen Thronfolge des Hauses Hannover 1714 in London am Hof des Königs George I und Hannoverschen Kurfürsten, dem Leibniz seit Jahrzehnten dient. Mit dem ihr nahestehenden Leibniz, der am Hof in Hannover verblieben ist, unterhält sie brieflichen Kontakt. Leibniz unterrichtet sie dabei u.a. über den Verlauf seines Prioritätsstreits mit Newton und dessen Anhängern wie auch über seine Vorbehalte gegenüber Newtons Auffassungen. Caroline informiert ihrerseits Leibniz über ihr Vorhaben, in London einen Übersetzer für seine Theodizee zu finden, eine Aufgabe, die sie erwägt, dem ihr empfohlenen Dr. Samuel Clarke anzuvertrauen, der Hofprediger der Pfarrei St. James in Westminster und, wie sie weiss, ein enger Freund Newtons ist. Um Leibniz’ Ansichten dazu in Erfahrung zu bringen, berichtet Caroline Leibniz im Herbst 1715 von dieser Empfehlung und schickt ihm Bücher von Clarke.30 Samuel Clarke ist zu dieser Zeit 40 Jahre alt; er hat mathematische und philosophische Studien in Cambridge absolviert, ist Übersetzer von Newtons Opticks ins Lateinische (1706) und ist verschiedentlich als Theologe hervorgetreten. Als ehemaliger Hofkaplan bewegt er sich – 29
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Schmeiser, Leonhard: Korrespondenz. Zur Kontroverse zwischen Samuel Clarke und Gottfried Wilhelm Leibniz über die Philosophie Newtons. In: Vetter, Helmut/Heinrich, Richard (Hg.): Die Wiederkehr der Rhetorik. Wien und Berlin 1999: 166-191, hier: 166. Vgl. hierzu den Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 179-429, hier: 204ff.; 212ff. sowie die von Robinet im frz. Original wiedergegebenen Briefe Carolines und Leibniz’ in: Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 17-22; zur Person Carolines vgl. Meli, D. Bertoloni: Caroline, Leibniz, and Clarke. In: Journal of the History of Ideas, 60 (1999): 469-486.
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ebenso wie Newton – im Umfeld des Königshauses, wo er Caroline bald auch persönlich kennenlernt. Wie Caroline in der Folge feststellen wird, kommt er als Übersetzer der Theodizee nicht in Frage, vertritt er doch klar die Ansichten Newtons und verwickelt sie bald selbst hierüber in einen Disput.31 Es ist dieser Zusammenhang, in dem das erwähnte, nur auszugsweise erhaltene Schreiben Leibniz’ an Caroline vom November 1715 steht, das zum ersten Schreiben des „Briefwechsels“ wurde. Leibniz bringt darin erneut Kritik an Auffassungen der „Naturphilosophie“ in England zum Ausdruck und formuliert insbesondere dieser gegenüber einen schwerwiegenden Vorbehalt: Wenn manche die Seele oder gar Gott als körperlich betrachteten, so scheine es, „dass die natürliche Religion (in England) in einen ganz ausserordentlichen Verfall geraten“ sei.32 Hierzu nennt Leibniz zwei ausdrücklich auf Newton bezogene Punkte seiner Kritik: zum einen die Vorstellung Newtons, dass der Raum ein „Organ“ sei, „das Gott benutzt, um die Dinge wahrzunehmen“; (19) und zum anderen Newtons Auffassung, wonach Gottes Werk bzw. „Maschine“ so unvollkommen sei, „dass er von Zeit zu Zeit gezwungen ist, sie durch einen aussergewöhnlichen Eingriff […] zu reparieren“. (20) Beide Kritikpunkte beziehen sich auf Stellen in Newtons Opticks: Am Ende dieses Werks, in dem Newton seine Erkenntnisse über die Zusammensetzung des Lichts, die Farben und die Lichtbeugung publizierte, führt dieser eine Reihe von Fragen an, in denen er weitreichende Folgerungen aus seinen Arbeiten umreisst. In einer dieser Fragen formuliert Newton Überlegungen zum Raum und zur Ursache der Gravitation; in der von Clarke übersetzten lateinischen Ausgabe wird hierbei der unendliche Raum als Organ bzw. sensorium bezeichnet: Was erfüllt die von Materie fast leeren Räume, und woher kommt es, dass Sonne und Planeten einander anziehen, ohne dass eine dichte Materie sich zwischen ihnen befindet? [...] Wie geschieht es, dass die Bewegungen des Körpers dem Willen folgen, und woher rührt der Instinkt der Tiere? Ist nicht der unendliche Raum das Empfindungsorgan [sensorium] eines unkörperlichen, lebendi31
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Vgl. Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 213f.; Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 27f. (Brief Carolines an Leibniz vom 16./25. Nov. 1715); zu Clarke vgl. Schüller: Nachwort, a.a.O.: 460ff.; Shapin: Of Gods and Kings, a.a.O.: 190f. Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 19. Im frz. Orig.: „Il semble que la religion naturelle même s’affoiblit extremement. Plusieurs font les ames corporelles; d’autres fort Dieu luy même corporel.“ Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 23. Im Folgenden ist der Text nach der Ausgabe Schüllers zitiert, mit Seitenangabe im Fliesstext. Originalsprachliche Stellen werden ergänzend in den Fussnoten wiedergegeben.
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gen und intelligenten Wesens, das die Dinge im Innersten erkennt und sie vollkommen durchschaut und sie in unmittelbarer Gegenwart völlig begreift?33
Mit diesen Fragen bewegt sich Newton in einem spekulativen wie theologisch brisanten Bereich, indem er den unendlichen Raum in Verbindung mit dem göttlichen Wesen bringt. In der Forschung ist seit dem Hinweis von Koyré und Bernard Cohen bekannt, dass Newton die hier angeführte Fassung dieser Stelle nach dem Druck revidierte, indem er in den noch erreichbaren Exemplaren die entsprechende Seite durch eine neue ersetzen liess, auf der es nunmehr hiess, der Raum sei „gleichsam“ ein sensorium.34 Es handelt sich demnach auch aus der Sicht Newtons um eine offenkundig heikle Stelle, die Leibniz’ Schreiben anspricht. Für Leibniz ist die darin geäusserte Ansicht unannehmbar: Wenn, so seine Folgerung, Gott ein Organ zur Wahrnehmung der Dinge nötig hat, „dann sind die Dinge nicht von ihm vollkommen abhängig und auch nicht sein Erzeugnis.“ (19) Ebenso missbilligt Leibniz die Folgerung, die Newton in einer anderen Frage am Schluss der Opticks aus seinen Erkenntnissen über die Planetenlaufbahn zieht, in der er geringfügige Unregelmässigkeiten festgestellt hat. Newton beschreibt hier seine Annahme, dass diese Unregelmässigkeiten dazu neigten, sich mit der Zeit zu vergrössern, „bis das System berichtigt werden muss.“35 Leibniz weist solche Vorstellungen eines korrigierenden göttlichen Eingriffs in die Schöpfung zurück. Sie widersprechen seinem Verständnis des Schöpfers als eines unfehlbaren Uhrmachers, der nicht darauf angewiesen ist, wie er an Caroline schreibt, „seine Uhr von Zeit zu Zeit aufzuziehen“. (19) Sie widersprechen zugleich prinzipiell einer Naturphilosophie, in der es, wie er im zweiten
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Zit. nach der Übersetzung in Westfall: Isaac Newton, a.a.O.: 323. Die Stelle lautet in dieser neuen Fassung, die Newton in den weiteren Ausgaben übernahm, dass es ein „[...] Wesen gibt, das im unendlichen Raum, gleichsam seinem Empfindungsorgan, die Dinge im Innersten erkennt“. Ebd. (Lat. „[…] qui in spatio infinito, tanquam sensorio suo [...]“; Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 30). Unter den heute erhaltenen Exemplaren der Ausgabe von 1706 findet sich demgegenüber in einigen die alte Fassung. Vgl. Koyré, Alexandre/Cohen, Bernard: The Case of the Missing ‚Tanquam‘: Leibniz, Newton & Clarke. In: Isis, 52 (1961): 555566. Leibniz beruft sich im „Briefwechsel“, entsprechend der ersten Fassung, ausdrücklich auf die Formulierung, „dass der Raum Gottes sensorium sei“, Clarke dagegen durchwegs auf die Neufassung der Stelle; 27, vgl. 32, 69. Zit. nach der im Text eingefügten Anmerkung von Clarke (19). In ähnlicher Weise setzten Newton und Clarke Eingriffe Gottes voraus, welche die Fixsterne davor bewahrten, aufeinander zu fallen; vgl. Schüller: Nachwort, a.a.O.: 469.
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Schreiben festhält, abzulehnen ist, natürliche Phänomene durch übernatürliche Eingriffe – oder „Wunder[]“ – zu erklären. (30) In Leibniz’ knappen Bemerkungen an Caroline und seiner Kritik an Newtons Rede vom Raum als sensorium zeichnen sich somit Umrisse einer grundlegenderen Differenz ab in Bezug auf das Verständnis der natürlichen Welt und des Verhältnisses zwischen der Welt und Gott. Wenn diese Differenz in der Folge zum Gegenstand der Debatte zwischen Leibniz und Clarke wird, so ist für deren Verlauf kennzeichnend, dass sie sich zunehmend in eine Vielzahl von physikalischen, mathematischen, philosophischen und theologischen Aspekten auffächert, die jedoch für Leibniz wie für Clarke – in teils unterschiedlicher Weise – miteinander in Zusammenhang stehen. Das Spektrum der Debatte umfasst dementsprechend so scheinbar weit auseinanderliegende Gegenstände wie die Frage der Wahrnehmung, geometrische Proportionen, die Eigenschaften Gottes oder die Bewegbarkeit des Universums. Insgesamt dauert die Korrespondenz rund ein Jahr; sie wird beendet durch den Tod Leibniz’ im November 1716. Nicht im Detail geklärt ist die Frage, in welchem Mass Newton direkt am „Briefwechsel“ beteiligt war, wenngleich er nachweislich an der Debatte Anteil hatte, und Clarke, als Stellvertreter des – ungleich älteren – Newton, in engem Kontakt mit diesem agierte.36 Informiert über die Debatte waren überdies weitere Personen im Umfeld der Beteiligten, möglicherweise auch das ganze Königshaus; der Darstellung eines Newton-Biographen zufolge war das erste Schreiben Leibniz’ Gesprächsthema am Hof, und Clarkes Antwortschreiben soll auf ausdrücklichen Wunsch des Königs erfolgt sein.37 Auch dieses gelangte zunächst an Caroline, die es, wie alle folgenden, weiterleitete, während sie ihrerseits die Debatte verfolgte und mit Leibniz und mit Clarke über die geäusserten Ansichten diskutierte. Clarkes Schreiben ist – wie auch seine weiteren Entgegnungen auf die französischen Briefe Leibniz’ – original in englischer Sprache abgefasst und in seiner Argumentation offensiv: Clarke rechtfertigt darin nicht nur die Ansichten Newtons, sondern erhebt seinerseits einen theo36
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Leibniz vermutet von sich aus eine aktive Beteiligung Newtons, und Caroline bestätigt dies ihm gegenüber in einem ihrer Briefe; vgl. hierzu den Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 223f.; Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 45f. (Brief Carolines vom 30. Dez. 1715/10. Jan. 1716); zur Beteiligung Newtons vgl. auch Schüller: Nachwort, a.a.O.: 477ff. Vgl. Koyré/Cohen: The Case of the Missing ‚Tanquam’, a.a.O.: 559f.; zum allg. Interesse des Königs an der Kontroverse vgl. Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 238f. (Brief N. Rémonds an Leibniz vom 15. März 1716).
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logischen Einwand gegenüber Leibniz: Dessen Vorstellung Gottes als eines perfekten Uhrmachers sei eine „Ansicht des Materialismus und des Fatalismus und führt (unter dem Vorwand, Gott für eine intelligentia supramundana zu halten) dazu, göttliche Vorsehung und Herrschaft aus der Welt auszuschliessen.“ (23) Clarke illustriert dieses Argument durch den – am Londoner Hof zweifellos nachvollziehbaren – Vergleich eines solchen Uhrmacher-Gottes mit einem König, in dessen Reich alles „ohne sein Eingreifen ständig seinen Lauf“ nehmen würde und das somit „nur dem Namen nach ein Königreich“, der König mithin suspendierbar wäre. (24) Demgegenüber macht Clarke ein Gottesverständnis geltend, nach dem Gott „der Urheber und ständige Erhalter“ der „Ursprungskräfte“ bzw. der „bewegenden Kräfte“ der Dinge ist (23) und in einer „unmittelbaren Gegenwart“ zu den Dingen steht. (21) Diese göttliche Gegenwart rechtfertigt nach Clarke auch die Rede von einem sensorium Gottes: Gott ist den Dingen sehend gegenwärtig, ähnlich wie es der menschliche Geist gegenüber den „in seinem Gehirn gebildeten Abbildungen von den Dingen ist.“ (22)38 Von der in Leibniz’ Schreiben genannten Lehre von der Körperlichkeit der Seele oder gar Gottes, d.h. dem von Leibniz erhobenen Materialismusvorwurf, grenzt Clarke Newtons Ansichten ab, indem er auf Newtons mathematische Prinzipien der Physik hinweist, die, „und zwar nur sie, beweisen, dass [...] Materie oder Körper der geringste und unbedeutendste Teil des Universums ist.“ (21) Dieses letztere Argument Clarkes wirft im Folgenden zwei weitere, für die Raumdebatte wichtige Fragen auf. Zum einen ist es mit einer Kontroverse um die Materie und die Existenz des Leeren bzw. Vakuums verbunden: Nach Leibniz gibt kein Leeres im Gegensatz zur Materie, – womit er in dieser Hinsicht Descartes folgt wie auch in der Tradition des Aristotelischen Raumdenkens steht.39 Das Argument, das er Clarke 38
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Mit der Rede vom sensorium Gottes ist so auch das Problem der Wahrnehmung aufgeworfen; vgl. 33; 48; 70. Leibniz geht in der Folge kritisch auf Clarkes Ansicht hierzu ein, indem er u.a. (mit Verweis auf Descartes) einwendet, dass die Gegenwart von Abbildungen im Gehirn nicht ausreichend sei, um das Sehen zu erklären; denn sie erklärt nicht, wie das Bewusstsein dessen zustandekommt, was im Gehirn vor sich geht; vgl. 27; 41; 109. Hintergrund dieser Debatte ist das Problem der Körper-Seele Relation im Spannungsfeld von Cartesianischem Dualismus und dem Sensualismus Lockes; vgl. hierzu Vailati, Ezio: Leibniz and Clarke: A Study of their Correspondence. New York und Oxford 1997: 68ff. In der sich Leibniz in dieser Hinsicht auch explizit verortet, vgl. 87; zur Aristotelischen Tradition vgl. (zusammenfassend) Günzel, Stephan: Einleitung. Teil I: Physik und Metaphysik des Raums. In: Dünne (Hg.): Raumtheorie, a.a.O.: 19-43, hier: 21f.; zur Debatte um das Leere und das Vakuum seit Descartes s. Gosztonyi: Der Raum, Bd. 1, a.a.O.: 256ff.
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gegenüber zunächst hierfür geltend macht, ist ein theologisches: „Je mehr Materie es gibt, desto mehr Gelegenheit hat Gott, seine Weisheit und Macht auszuüben [...]“. (27) Im weiteren Verlauf der Debatte weist er die Vorstellung eines Leeren, in dem sich Atome bzw. unteilbare Körper „ganz aus einem Stück“ befinden, als eine „angenehme Einbildung“ zurück: Man glaubt so, „die allerersten Elemente, das non plus ultra, gefunden zu haben.“ (60) Dem gegenüber stellt Leibniz die Vorstellung von Materie als eines unendlich Teilbaren: „In Wirklichkeit ist das kleinste Körperchen bis ins Endlose unterteilt und enthält eine Welt anderer erschaffener Dinge [...]“. (60) So erzeugen die – seit Otto von Guericke als Beweis des Leeren angeführten – Vakuum-Experimente, nach Leibniz, kein Leeres, weil an die Stelle der Luft dabei lediglich eine „weit feiner[e]“ Materie tritt. (87) Als Argument gegen die Vorstellung der Atome und des Leeren führt Leibniz ferner das Beispiel von zwei Wasser- oder Milchtropfen an, die sich, unter dem Mikroskop betrachtet, voneinander unterscheiden liessen. (51f.) Andernorts ist es in ähnlicher Weise auch der Regenbogen, den Leibniz als Vergleich für das Zusammengesetzte bzw. unendlich Teilbare der Körper und der Materie heranzieht.40 Clarke bestreitet dies: Auch die Idee der Teilbarkeit führe, so wendet er gegen Leibniz ein, immer auf ein „Verhältnis von Poren zu massiver Materie“ zurück; dasselbe gilt für zusammengesetzte Körper, unabhängig davon, ob man die Poren leer oder mit einer „nichtzugehörigen Materie ausgefüllt“ vorstellt. „Sollte es aber keine ganz und gar massiven [Materie]Teilchen geben, dann gäbe es auch überhaupt keine Materie im Universum.“ (74) Ebenso begreift Clarke die materielle Welt als Ganzes gegenüber einem Leeren, nämlich als ein bewegbares materielles Universum im unendlichen leeren Raum. Dieser (absolute) Raum ist, so Clarke in seinem dritten Schreiben, „ein Einziges und seinem Wesen nach vollkommen unteilbar.“ (45) Von einem leeren Raum lässt sich dort sprechen, wo keine Körper sind bzw. wo (wie im erzeugten Vakuum) der Widerstand fehlt. In jedem leeren Raum, so Clarke, ist jedoch „Gott gegenwärtig und möglicherweise sind auch noch viele andere Substanzen vorhanden, die keine Materie sind [...]“. (65). Ausgehend, so Clarke, alleine von der „Möglichkeit eines materiellen Universums, das endlich und bewegbar ist“, (136) muss man einen Raum ausserhalb der Körper annehmen. Die40
Vgl. Hartz/Cover: Space and Time in the Leibnizian Metaphysics, a.a.O.: 508. Das Mikroskop, das Leibniz hier erwähnt, wurde zu seiner Zeit durch Antoni van Leeuwenhoek erheblich weiterentwickelt – den Leibniz in jüngeren Jahren auch besucht hat; vgl. Hirsch, Eike Christian: Der berühmte Herr Leibniz. Eine Biographie. München 2000: 97f.
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ser – unendliche – Raum „kann von uns gewissermassen partiell erkannt werden [...]“. (66)41 Geltend gemacht wird somit durch Clarke der absolute Raum Newtons, von dem sich die relativen Räume unterscheiden lassen. Diesem gegenüber ist das materielle Universum und sind die Dinge als bewegbar bzw. bewegt betrachtet.42 Gerade die Existenz eines solchen Raums aber verwirft Leibniz. Für ihn ist der absolute, wirkliche Raum, wie er im dritten Brief formuliert, nichts als ein „Idol“, ein geistiges Trugbild: (37) Den Raum für „irgendein absolutes Seiendes“ zu halten, ist ein Irrtum. (38) Die Rede vom Raum als sensorium Gottes würde Gott zur „Weltseele“ machen. (56)43 Die Vorstellung wiederum, so Leibniz in seinem fünften Brief, „dass sich ein endliches materielles Universum im Raum herumbewegen könne“, bzw. „dass das materielle Universum endlich sein soll“, ist „unvernünftig“. (97f., vgl. 85f.) Da es keinen absoluten Raum als festes Referenzsystem gibt, gibt es ebenso keinen Ruhepunkt, von dem aus (strenggenommen) allein entscheidbar wäre, ob eine Bewegung absolut oder relativ erfolgt. Denn Bewegung ist, so erklärt Leibniz, „zwar unabhängig von ihrer Beobachtung, aber nicht von ihrer Beobachtbarkeit.“ (98)44
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„My Argument HERE, for the Notion of Space being really independent upon Body, is founded on the POSSIBILITY of the material Universe being FINITE and MOVEABLE […]“ Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 195. „[…] infinite Space […] may by Us be PARTIALLY APPREHENDED […]“; ebd. 110f. Newton nahm entsprechend an, dass es einen ruhenden Punkt des Weltsystems – ein absolutes Gravitationszentrum – gäbe. Das Nichtbewegte wird mithin hier zum (angenommenen) Hintergrund oder Fixpunkt eines (im Gegensatz zum Weltbild Aristoteles’) grundsätzlich bewegten bzw. beweglichen Universums; es wird gleichsam, so Günzel, „zur Ausnahme“. Günzel: Einleitung. Teil I: Physik und Metaphysik des Raums, a.a.O.: 25. Mit dieser in seinen Schreiben wiederholt geäusserten Vermutung begegnet Leibniz auch dem von Clarke erhobenen Vorwurf, wonach er Gott (als intelligentia supramundana) aus der Welt ausschliesse: „Wollen denn die Kritiker sagen, er sei die intelligentia mundana, das heisst, die Weltseele?“, 30; vgl. 108f. Er schreibt damit Clarke bzw. Newton eine Auffassung des Welt-Gott Verhältnisses analog dem zwischen Körper und Seele zu, von der sich Newton in seinen Principia explizit abgegrenzt hat; vgl. Clarkes Zitat der Stelle in der betreffenden Anmerkung zu seinem zweiten Schreiben (36). Wie Leibniz andernorts anführt, ist letztlich auch nicht entscheidbar, welches astronomische System richtig ist; das kopernikanische und das ptolemäische System sind äquivalent. Vgl. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Neues System der Natur. In: ders.: Fünf Schriften zur Logik und Metaphysik. Übersetzt und hgg. von Herbert Herring. Stuttgart 1966: 21-34, hier: 34.
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Die zweite oben erwähnte Frage betrifft das in Clarkes Argument angesprochene Problem des Beweises, das Leibniz in seinem zweiten Schreiben aufgreift: Dem Materialismus – in dessen Nähe er die englische Philosophie ja in seinem ersten Schreiben an Caroline gerückt hat – die „mathematischen Prinzipien der Physik“ gegenüber anzuführen, sei unzutreffend; da „die christlichen Mathematiker ausserdem noch immaterielle Substanzen anerkennen“, seien dem Materialismus nicht mathematische, sondern vielmehr „metaphysische Prinzipien“ entgegenzuhalten. (25) Prinzipien der Mathematik, so Leibniz, sagen nichts über die vorhandene „Menge an Materie“ aus. Die Annahme eines leeren Raums und einer geringen Materiemenge ist vielmehr Teil von Newtons „Philosophie“. (26) Nach Clarke sind es dagegen Newtons „mathematische Prinzipien der Physik“ – die Principia –, die zeigen, dass der Zustand der Dinge „nur von einer freien und vernunftbegabten Ursache“ herrühren kann. Sollte man dies „für passender halten“, so Clarke, kann man mathematische Prinzipien auch metaphysische nennen „[i]nsoweit wie sich metaphysische Folgerungen aus mathematischen Prinzipien zwingend ergeben [...]“. (31) Die Kontroverse zwischen Clarke bzw. Newton und Leibniz bezieht sich in dieser Weise nicht nur auf im einzelnen unterschiedliche Aussagen, sondern auch darauf, welche Begründungen für solche geltend zu machen sind.45 So sind, nach Clarke, metaphysische Folgerungen ableitbar aus mathematischen Prinzipien bzw. den geometrischen Prinzipien, nach denen Newton den bewegten Kosmos beschreibt. Es sind diese Prinzipien, aus denen auf eine (freie und vernunftbegabte) Ursache zu schliessen ist, so Clarke – und so ja auch Newton in den oben genannten Fragen aus den Opticks –, ebenso wie aus ihnen auf einen leeren Raum ausserhalb von Körpern zu schliessen ist. Die Principia lassen sich als ganzes gerade als ein Versuch Newtons betrachten, das Absolute des Raums und der Bewegung zu beweisen.46 Leibniz dagegen entdeckt, wie er anführt, „in der Achten Definition der ‚Mathematischen Prinzipien der Physik‘ und dem zugehörigen 45
46
Ihre Systeme stehen, so Cassirer, in einer „fundamental opposition“ zueinander: „Newton and Leibniz apply different standards of truth and they employ different frames of reference.“ Cassirer: Newton and Leibniz, a.a.O.: 385. Jammer hat von einem eigentlichen „Programm“ der Principia gesprochen: „Newtons Mechanik, wie er sie in den Principia entwickelt, ist eine grosse Rechtfertigung seiner Theorie des absoluten Raumes und der absoluten Bewegung. [...] Die Existenz wahrer Bewegung und des absoluten Raumes zu beweisen – das ist das Programm der Principia.“ Jammer: Das Problem des Raumes, a.a.O: 125.
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Scholium nichts, was die Wirklichkeit des Raumes an sich beweist oder beweisen kann.“ (98) Die von Clarke hierfür vorgebrachten Argumente sind für ihn nicht stichhaltig; vielmehr verweisen sie auf „Vorstellungen von Philosophen, die nur unvollständige Begriffe besitzen [...]. Nur die reinen Mathematiker, die sich lediglich dem Spiel ihrer Gedanken hingeben, sind in der Lage, sich solche Begriffe auszudenken, die aber von höherstehenden Gründen zunichte gemacht werden.“ (86) Die Mathematik unterliegt also ihrerseits „höherstehenden Gründen“, nämlich, so Leibniz in seinem zweiten Schreiben, dem „Satz vom Widerspruch bzw. von der Identität [...] A ist A und kann nicht Nicht-A sein. Allein dieser Satz reicht aus [...] sämtliche mathematische Sätze zu beweisen.“ (25) „Um aber“, so Leibniz weiter, zur Physik übergehen zu können, ist noch ein anderer Satz erforderlich [...], das ist der Satz vom hinreichenden Grunde, nämlich es ereignet sich nichts ohne dass es einen Grund gibt, warum es so und nicht anders ist. (25f.)47
Es sind diese – in der Philosophie Leibniz’ allgemein als Grundprinzipien geltenden – Sätze, die als Basis der Folgerung heranzuziehen sind, sind sie es doch, die „erst [...] zu einer wahren und beweiskräftigen Metaphysik“ führen. (52) Entgegen fiktionaler Vorstellungen (etwa eines von Körpern freien, aber von immateriellen Substanzen angefüllten Raums) ist es der „Satz von der Notwendigkeit eines hinreichenden Grundes“, so Leibniz erneut im fünften Schreiben, der alleine „alle diese Trugbilder der Phantasie“ beseitigt. (96) Zur Erläuterung des mit diesem Prinzip vom hinreichenden Grund Bezeichneten zieht Leibniz in seinem zweiten Schreiben das Beispiel einer Waage heran, die sich, versehen mit gleich schweren Gewichten auf beiden Seiten, nicht auf die eine oder die andere Seite neigt, – da es dafür keinen Grund gibt. (vgl. 26) Clarke widerspricht dem in der Folge (wenig erstaunlich) nicht, wobei er das Beispiel auf ein Ursache-WirkungsPrinzip bezieht: Wo es keine Ursache gibt, kann es keine Wirkung geben. Nur ist diese Ursache bzw. der „hinreichende Grund“ einer Wirkung, so Clarke, oftmals „nichts anderes als der blosse Wille Gottes.“ (31) Damit aber hat Clarke, wie Leibniz in seinem nächsten Schreiben entgegnet, „die gesamte Tragweite dieses Satzes nicht völlig verstanden [...]“. (37) Denn wie es für eine Waage ausgeschlossen ist, sich in der 47
„Mais pour passer de la Mathematique à la Physique, il faut encore un autre principe [...], c’est LE PRINCIPE [de la] > DU BESOIN D’UNE < RAISON SUFFISANTE. C’est que rien n’arrive, sans qu’il y ait une raison pourquoy cela soit ainsi plustost qu’autrement.“ Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 36.
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genannten Situation auf eine Seite zu neigen, ist es nach Leibniz ebenso für das Handeln Gottes wie des Menschen ausgeschlossen, dass es sich grundlos zu etwas neigt bzw. dass eine Wahl zwischen zwei gleichwertigen Beweggründen oder unterschiedslosen Dingen getroffen wird, weshalb es einen „blossen Willen“ als Begründung des Handelns nicht geben kann. Für Leibniz ist mithin der Satz vom hinreichenden Grund für das physikalische System der Waage ebenso gültig wie für das menschliche und für das göttliche Handeln, indem dieses, ebenso wie alles in der Welt Existierende, begründet und zu begründen ist. Nicht nur gilt hierbei, dass alles, was ist, einen Grund hat, sondern auch, dass etwas, das logisch einen Grund ausschliesst, nicht sein kann – so wie eine Waage mit gleichschweren Gewichten, die sich neigt, oder eine Handlung ohne Grund. Weit über das Beispiel der Waage hinaus liegt so für Leibniz im Prinzip vom hinreichenden Grund geradezu der Schlüssel zum Verständnis der Welt, indem sich allein mit seiner Hilfe, wie er Clarke erklärt, „die Existenz Gottes beweisen [lässt] und auch der gesamte Teil der Metaphysik bzw. der natürlichen Theologie und bis zu einem gewissen Grade sogar auch die von der Mathematik unabhängigen Prinzipien der Physik [...]“. (26)
Man kann in diesem, buchstäblich universalen Grundprinzip Leibniz’, das er in unterschiedlicher Hinsicht verwendet, nach Michael-Thomas Liske systematisch mehrere Prinzipien unterscheiden, beginnend mit dem von Clarke genannten Prinzip von Ursache und Wirkung, das jedoch, wie Leibniz anführt, nicht mehr ist als ein „Spezialfall“ seines Satzes. (26) Darüber hinaus bezieht sich der Satz zum einen auf ein methodisches Postulat, wonach Aussagen hinreichend zu begründen sind; zum anderen auf ein Prinzip der Logik wie der Ontologie, wonach alles Gültige wie Existierende einen Grund hat.48 Gemeinsam ist diesen Prinzipien bzw. Bezügen, dass sie auf eine Rationalität Gottes wie der von ihm geschaffenen bzw. als beste aller möglichen gewählten Welt verweisen, die mithin eine von Anfang an vollkommen geschaffene und bestimmte ist. Gott, so formuliert dies Leibniz gegenüber Clarke, ist „allem zuvorgekommen und hat allem im voraus abgeholfen. In seinen Werken gibt 48
Vgl. Liske, Michael-Thomas: Gottfried Wilhelm Leibniz. München 2000: 58ff. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der logisch notwendigen Begründung von wahren Aussagen (wie in der Mathematik durch das Prinzip von der Identität und vom Widerspruch) und dem ontologischen Grundsatz, wonach nichts ohne Grund existiert bzw. sich ereignet. In letzterem Fall lässt sich die Begründung nach Leibniz lediglich analytisch an eine notwendige Begründung annähern; die Gewissheit ist Gott vorbehalten, der allein, wie es bei Leibniz an einer Stelle heisst, „das gesamte Unendliche in seinem Geist umgreift“. Zit. nach ebd.: 130.
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es eine bereits prästabilierte Harmonie und Schönheit.“ Diese göttliche Vorsehung nicht anzuerkennen, würde bedeuten, „dem Urheber der Dinge Macht, aber nicht genügend Weisheit“ zuzuerkennen. Ein solcher Gott ohne Vorsehung wäre „der Gott der Sozianer, der nur von einem Tag zum anderen lebt [...]“. (29) Gott ist jedoch weise, was sowohl impliziert, dass er alles voraussieht als auch, dass er die Welt nach „seiner allerhöchsten Vernunft“ geschaffen bzw. ausgewählt hat. (76) Gott tut „nichts ohne Grund“. (53) Clarke folgt diesem Rationalismus Leibniz’ freilich nicht. Vielmehr hält er Leibniz ein anderes, voluntaristisches Verständnis des göttlichen wie des menschlichen Handelns entgegen, indem er auf der Möglichkeit eines blossen Willens insistiert: Dieser ist bei „Dingen [...], die ihrer eigenen Natur nach ohne Unterschied sind, [...] allein dieser hinreichende Grund [...]“. (44)49 Leibniz setze „immer das Gegenteil als Prinzip voraus“, jedoch ohne einen Beweis hierfür zu liefern, „weder einen, der aus der Natur der Dinge folgt, noch einen, der aus der Vollkommenheit Gottes folgt.“ (63) Dabei ist, so Clarke, der Vergleich zwischen einer Waage und dem menschlichen und göttlichen Handeln irrig und führt dazu, „dem Geist den wahren Freiheitsbegriff vollkommen zu nehmen“. (126) Gilt doch für Gott ebenso wie für alle anderen vernunftbegabten Wesen, dass sie ohne äussere Ursache nach ihrem Willen handeln können: Während die Waage „bloss passiv“ ist, haben sie „aktive Kräfte“. (62) Sie besitzen ein Prinzip „zum Sich-selbst-in-Bewegung-Setzen“; und daher haben sie auch dann „[...] in sich selbst ein Vermögen zu handeln, wenn sich [...] vollkommen gleich vernünftige Wege zum Handeln anbieten“. (127) In diesem Prinzip zum Handeln besteht das „Wesen der Freiheit“. (162) Leibniz’ deterministisches System führt, indem es dieses Prinzip nicht in Rechnung stellt, in den Augen Clarkes nicht nur zum Materialismus, weil es die bewegte Welt nach dem Bild eines Mechanismus vorstellt, sondern auch zu „Notwendigkeit und Fatum“, weil es jegliches freies Handeln negiert. (144, vgl. 69f.) Leibniz vermag bis zum Ende des Briefwechsels zu diesem für ihn selbst zentralen Problem (oder: Labyrinth) der Freiheit keine Clarke überzeugende Lösung zu liefern.50 „Ein blosser Wille ohne irgendeinen Beweggrund (a mere will)“ ist indes eine „Fiktion“, die Leibniz ausschliesst: (51) Es gibt immer einen (überwiegenden) Beweggrund für ein Handeln; der Geist handelt nicht nach der schwächeren Neigung, und 49
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„[...] in things in their own Nature INDIFFERENT; mere WILL, without Any thing EXTERNAL to influence it, is alone THAT SUFFICIENT Reason […]“. Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 68. Die Frage der Freiheit und die Kontinuität bzw. das Unendliche bezeichnet Leibniz (u.a.) im Vorwort der Theodizee als die beiden Labyrinthe der Vernunft.
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wenn er handelt, ist er nie indifferent. (vgl. 80f.) Dies gilt für das Handeln Gottes ebenso wie aller vernunftbegabten Wesen; dass ihr Handeln begründet ist und nicht willkürlich, ist hierbei nicht auf etwas ihrem Geist Äusserliches zurückzuführen, sondern entspricht dem vernünftigen Geist selbst. In einem solchen Handeln, das „nicht daran gehindert“ wird, „auf die beste Art und Weise zu handeln“, liegt, so folgert Leibniz, daher gerade „die vollkommenste Freiheit.“ (77) Diese Auseinandersetzung zwischen Leibniz und Clarke über den zureichenden Grund und den blossen Willen mag weit vom Gegenstand des Raums entfernt scheinen, bezeichnet jedoch genau die Anschlusstelle, an der sich im „Briefwechsel“ die Frage des Raums eröffnet. Der Ausgangspunkt dazu findet sich in Clarkes zweitem Schreiben. Clarke erläutert an dieser Stelle am Beispiel der Schöpfung von Materie seinen Einwand, dass der Grund einer Wirkung oftmals nichts anderes ist als der blosse Wille Gottes. Zum Beispiel: Warum wurde das eine spezielle Materiesystem an dem einen speziellen Ort erschaffen und das andere an einem anderen speziellen Ort, obwohl es (da alle Orte gegenüber jeglicher Materie vollkommen ohne Unterschied sind) vice versa genau das gleiche wäre, wobei freilich vorausgesetzt wird, dass die beiden Materiesysteme bzw. Materiepartikel gleich sind. Es kann hierfür keinen anderen Grund als den blossen Willen Gottes geben. (31f.)
Da Clarke die Homogenität des Raums annimmt wie auch die – zumindest als möglich angenommene – Existenz von identischen Materiepartikeln, belegt aus seiner Sicht das Beispiel die Freiheit des blossen göttlichen Willens. Für Leibniz hingegen verweist, wie er deutlich macht, das Beispiel Clarkes, analog zu dem einer sich grundlos neigenden Waage, auf eine Fiktion, da Clarke eine göttliche Wahl zwischen voneinander nicht unterscheidbaren Optionen unterstellt. Geht man von einem homogenen Raum aus, so Leibniz, so werden sich die von Clarke genannten Optionen bzw. Zustände in nichts unterscheiden. „Ihr Unterschied beruht [...] nur auf unserer trügerischen Annahme von der Wirklichkeit eines Raumes an sich.“ So gibt es „auch keinen Anlass, nach dem Grund für eine Bevorzugung des einen Zustandes vor dem anderen zu fragen.“ (38f.) Tatsächlich weist Leibniz beide Annahmen Clarkes zurück: Weder ist von zwei gleichen und unterscheidbaren Materiepartikeln oder Materiesystemen zu sprechen: Die Annahme, es gebe „verschiedene Dinge solo numero“, so Leibniz, „ist falsch“. (84) Noch gibt es den – trügerisch als wirklich betrachteten – Raum gegenüber der Materie. Vielmehr betrachtet Leibniz Raum, wie er in seinem dritten Schreiben ausführt, als eine lediglich „mögliche Ordnung“: 154
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Was meine eigene Meinung anbetrifft, so habe ich mehr als einmal gesagt, dass ich den Raum ebenso wie die Zeit für etwas rein Relatives halte, nämlich für eine Ordnung des Nebeneinanderbestehens, so wie die Zeit eine Ordnung der Aufeinanderfolge ist. Nämlich als Raum bezeichnet man eine mögliche Ordnung der Dinge, die gleichzeitig existieren, wobei man sie als gemeinsam existierend betrachtet, ohne dabei nach ihrer besonderen Art und Weise des Existierens zu fragen. Immer wenn man mehrere Dinge zusammen sieht, stellt man diese gegenseitige Ordnung der Dinge fest. (37f.)51
Raum ist für Leibniz also weder etwas Homogenes, in dem sich gegenüber der Materie indifferente Orte unterscheiden liessen noch überhaupt etwas als Ding Wirkliches, sondern eine mögliche Ordnung der Dinge. Als eine solche gibt es, so Leibniz in seinem fünften Schreiben, Raum nicht „wo es keine Materie gibt, [indem] der Raum an sich keine absolute Realität ist. Raum und Materie unterscheiden sich wie Zeit und Bewegung.“ (102) Ebenso wie die Zeit kein Absolutes ist, sondern sich „nur durch die Ordnung und die Grösse der Veränderungen der erschaffenen Dinge denken lässt“ (100) sind „[d]ie Teile des Raumes [...] nur durch die in ihnen enthaltenen Dinge bestimmt und voneinander unterschieden.“ (104) Daher ist auch die Annahme eines im Raum bewegbaren Universums eine „phantastische“: Würde Gott etwa die gesamte materielle Welt auf einer Geraden bewegen, wäre dies, so Leibniz, „wie agendo nihil agere“. (53)52 Ausserhalb des materiellen Universums gibt es keinen wirklichen Raum – dieser ist „nur eine Vorstellung“ (86) –, und gäbe es keine erschaffenen Dinge, „so würden Raum und Zeit nur in Gottes Gedanken existieren.“ (58)
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„Pour moy j’ay marqué plus qu’une fois, que je tenois l’ESPACE pour quelque chose de purement relatif, comme le TEMPS ; pour un ordre des Coëxistences, comme le temps est un ordre des successions. Car l’espace marque en termes de possibilité un ordre des choses qui existent en même temps, en tant qu’elles existent ensemble sans entrer dans leurs manieres d’exister > PARTICULIERES :< et lors qu’on voit plusieurs choses ensemble, on s’apperçoit de cet ordre des choses entre elles.“ Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 53. Clarke geht dagegen davon aus, dass durch ein „plötzliches Beschleunigen oder Anhalten der Bewegung der ganzen Welt [die Teile] merklich erschüttert würden“; 137. In entsprechender Weise bringt Clarke die Annahme ins Spiel, dass Gott die Welt zu einem früheren Zeitpunkt hätte erschaffen können: Wäre, so Clarke „die Zeit nichts weiter als die Ordnung der Aufeinanderfolge der erschaffenen Dinge, so würde daraus folgen, dass wenn Gott die Welt Millionen Jahre früher erschaffen hätte als er es tat, sie trotzdem überhaupt nicht früher erschaffen worden wäre“; 46; zu Leibniz’ Antwort hierauf s. 99ff.
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Der Raum (wie auch die Zeit) an sich ist also ein „Gedankending“ (86). So ist die Vorstellung eines wirklichen Raums als Ergebnis eines gedanklichen Prozesses zu sehen, in dem der Mensch von den beobachtbaren Verhältnissen zwischen Dingen abstrahiert und diese zu einem Begriff eigener Art hypostasiert. In seinem fünften Schreiben entwickelt Leibniz eine Art Modell dieses Prozesses nach dem Muster der Geometrie: Was der Mensch feststellt, so Leibniz hier, sind Beziehungen der Koexistenz zwischen Dingen, modellhaft: zwischen einem Ding A und einer Reihe von anderen Dingen C, E, F, G usw. Tritt in dieser relationalen Ordnung eine Veränderung ein, nach der ein neues Ding B zu den anderen in demselben Verhältnis steht wie zuvor A, so sagt man, dass B den Ort von A eingenommen habe. Der Ort wird auf diese Weise im Denken durch Beziehungen zwischen Dingen konstituiert, wobei man die anderen Dinge (C, E, F, G..), solange es genügend viele sind und ihr Verhältnis zueinander keine Veränderung erfahren hat, als fest betrachtet. Das, was alle Orte umfasst, so Leibniz, nennt man RAUM. Dies zeigt: um vom Ort und folglich auch vom Raum einen Begriff zu haben, genügt es, jene Beziehungen und auch die Regeln für ihre Veränderungen zu betrachten, und zwar ohne dass man sich hierfür noch irgendeine absolute Realität zusätzlich zu den Dingen vorstellen muss, deren Lage man betrachtet. (93)53
Raum resultiert somit aus einer Abstraktionsleistung, indem aus der alleine beobachtbaren Übereinstimmung der Lageverhältnisse (rapports de situation) zwischen den unterschiedlichen Dingen ein eigener Begriff gebildet wird. Der menschliche Geist, so Leibniz, der sich mit einer blossen Übereinstimmung „nicht zufrieden gibt, sucht nach einer Identität, nach etwas, das tatsächlich dasselbe ist, und stellt es sich gleichsam als etwas ausserhalb dieser Subjekte vor, genau das nennt man […] ORT und RAUM.“ (94) Tatsächlich feststellbar sind jedoch immer nur relationale Ordnungen zwischen individuellen Dingen. Die genannte Unabhängigkeit dieser Ordnungen von einer zusätzlichen „absolute[n] Realität“ illustriert Leibniz durch zwei Vergleiche: Zum einen verweist er auf die Genealogie und ihre Struktur relationaler Linien zwischen Generationen – den Stammbaum –, in der jede Person (relativ) „ihren Platz hat“. Zum anderen führt er mathematische Propor53
„Et ce qui comprend toutes ces places, est appelé ESPACE. Ce qui fait voir que pour avoir l’idée de la place, et par consequent de l’Espace, il suffit de considerer les rapports et les regles de leurs changemen[t]s, sans avoir besoin de se figurer icy aucune realité absolue hors des choses dont on considere la situation.“ Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 143.
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tionen an, so, wie sie „in der Musik [...] betrachtet“ werden, nämlich als reine Verhältnisse. Ebenso wie in diesen Fällen von Ordnungen als „Gedankending“ gesprochen werden kann, gilt dies für den Raum als relationale Ordnung, die kein absolutes Bezugssystem voraussetzt. (94)54 Mit dieser Konzeption von Raum als einer möglichen relationalen Ordnung fügt sich die Frage des Raums auf spezifische Weise in Leibniz‘ philosophisches System. Dies zunächst insofern als sich Raum von einer substanziellen Realität wie auch von zusammengesetzten Körpern bzw. Materie unterscheidet. Als etwas Ideales verweist Raum, neben diesen, auf eine dritte Ebene im System Leibniz’; er ist, ebenso wie etwa mathematische Proportionen, Teil, nach Cassirer, „as Leibniz calls it, of the ‚intellectus ipse‘.“ Dabei ist Raum als ein ideales „Gedankending“ für Leibniz nicht etwa eine blosse Illusion oder eine willkürliche Phantasie, wie im „Briefwechsel“ daran deutlich wird, dass Leibniz Raum und Zeit, unabhängig von einer erschaffenen materiellen Welt, in Gottes Gedanken gegeben sieht.55 Darüber hinaus verbindet sich die im „Briefwechsel“ debattierte Frage des Raums untrennbar mit dem für Leibniz’ System schlechthin fundamentalen Satz vom hinreichenden Grund. Raum und Zeit sind metaphysisch zu begründen, und es ist, wie Leibniz deutlich macht, gerade dieses metaphysische Prinzip, das die Idealität von Raum und Zeit beweist bzw. „die Annahme eines wirklichen absoluten Raumes [...] widerlegt [...]“. (98) Wären dagegen, wie Leibniz einräumt, „Raum und Zeit etwas Absolutes [...], so wäre das, was ich sage, ein Widerspruch.“ (54) Gerade dies jedoch setzt Clarke als Annahme voraus, ebenso wie die Existenz des Leeren und der gleichen Materiepartikel bzw. Atome, verbunden mit dem Vorwurf, Leibniz’ Prinzip vom hinreichenden Grund sei eine unbewiesene Behauptung bzw. Leibniz’ Argumentation komme einer „petitio principii“ gleich (127; 163). Leibniz wiederum sieht eine 54
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Am Beispiel der Genealogie erläutert Leibniz dies durch das fiktive Beispiel einer Seelenwanderung, mit der möglich würde, dass die individuellen Personen in der Linie der Generationen „ihren Ort wechseln“ könnten (so dass, wer Grossvater war, z.B. Enkel würde); 94. Das Beispiel der Genealogie war für Leibniz als Jurist und Verfasser der Welfengeschichte praktisch naheliegend, widmete er sich doch eingehend genealogischen Fragen, – womit er Hannover u.a. erbrechtliche Ansprüche sicherte und zur englischen Thronfolge beitrug. Cassirer: Newton and Leibniz, a.a.O.: 386; vgl. Mugnai, Massimo: Leibniz’ Theory of Relations. Stuttgart 1992: 111ff.; zu den Ebenen des Leibnizschen Systems Hartz/Cover: Space and Time in the Leibnizian Metaphysics, a.a.O.; Winterbourne, A. T.: On the Metaphysics of Leibnizian Space and Time. In: Studies in the History and Philosophy of Science, Vol. 13 (1982): 201-214.
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solche seinerseits in der Annahme Clarkes einer „vollkommenen Übereinstimmung“ zwischen zwei Materiestücken bzw. „zweier ununterscheidbarer Dinge“ und weist Clarkes Vorwurf als „merkwürdig“ zurück: „Es zeigt sich ganz deutlich, dass man seine unhaltbaren Ansichten unbedingt verteidigen möchte, sieht man sich doch gezwungen, diesen grundlegenden Satz [...] mir zu bestreiten.“ Den Satz vom hinreichenden Grund aufzugeben aber hiesse, so Leibniz, „den besten Teil der gesamten Philosophie zum Einsturz zu bringen“. (82f.) Für Leibniz entscheidet sich also an der Frage des Raums auch die uneingeschränkte Gültigkeit seines grundlegenden Prinzips. Leibniz, so die Folgerung Hans Blumenbergs, hat [...] die Realität des Raumes und der Zeit preisgegeben, um nicht eine Verletzung des Satzes vom zureichenden Grund in Kauf nehmen zu müssen. Denn im unendlichen Raum und in der unendlichen Zeit sind alle ‚Stellen‘ für die Lage einer endlichen Welt äquivalent.56
Die Annahme eines Raums, in dem die materielle Welt ohne Unterschied an einem oder am anderen Ort erschaffen worden sein könnte, ist, so Leibniz, ein „Rückfall in die [...] Indifferenz“. Gott in dieser Weise einen Grund für sein Handeln abzusprechen führt gerade zum „Fatalismus“, nämlich „einem sinnlosen Fatalismus bzw. einer sinnlosen Notwendigkeit, bei der es weder Weisheit noch Wahl gibt.“ (40) Denn „[d]er Wille ohne Grund wäre der Zufall der Epikureer. Ein Gott aber, der aufgrund eines solchen Willens handeln würde, wäre nur dem Namen nach ein Gott.“ (54f.; vgl. 104) Ist das Raumproblem in dieser Weise bei Leibniz überaus grundsätzlich mit seinem Gottes- und Weltverständnis verknüpft – mit der rationalen Verlässlichkeit eines Vernunftgottes und seiner Schöpfung, die Leibniz durch die „Indifferenz“ in Frage gestellt sieht –, so gilt dies andererseits ebenso für Samuel Clarke bzw. für Isaac Newton, dessen Auffassungen Clarke vertritt. Denn auch für Newton und Clarke war das Raumproblem – wie die oben zitierten Fragen Newtons andeuten – eng verbunden mit ihrem Verständnis Gottes; und es ist gerade der absolute Raum, der im System Newtons gleichsam die Nahtstelle bildet zu seiner teils eigenwilligen Theologie. Im „Briefwechsel“ steht dabei die theologische Argumentation neben mathematischen bzw. physikalischen Argumenten, mit denen Clarke die Newtonsche Raumkonzeption abzustützen sucht. So wendet er gegen Leibniz’ idealen Raum ein, dass der Raum auch metrisch ist, Raum und Zeit also nicht alleine als relationale Ordnungen oder proportionale Ver56
Blumenberg, Hans: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt a. M. 1999: 122.
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hältnisse, sondern auch als Grössen zu begreifen sind. (vgl. 137ff.) Auch zieht Clarke Beispiele aus Newtons Dynamik für die Unterscheidung zwischen wahrer und relativer Bewegung heran, was zur Folge hat, dass Leibniz an einer Stelle auf die Argumentation Clarkes einlenkt und zumindest für den Modellfall die Möglichkeit einer solchen Unterscheidung annimmt: Zwar gibt es, so Leibniz, strenggenommen keinen Körper, „der vollkommen und gänzlich in Ruhe ist, aber dies lässt man unberücksichtigt, wenn man die Dinge mathematisch betrachtet“. (99; vgl. 66f.)57 Nicht auf dieser Ebene begründbar ist hingegen der von Newton und Clarke vorausgesetzte gleichbleibende, homogene, unendliche, „leere“ Raum selbst. So bleibt dieser absolute Raum eine – als Gottes sensorium bzw. „Eigenschaft“ (64, 89) oder als dessen Ort – für Leibniz zweifelhafte metaphysische Annahme: Der Raum ist der Ort der Dinge und nicht der Ort für Gottes Ideen, es sei denn, man sieht den Raum als etwas an, was eine Verbindung zwischen Gott und den Dingen bildet, ähnlich wie man sich die Verbindung zwischen der Seele und dem Körper vorstellt. Dies würde Gott aber auch wieder zur Weltseele machen. (56)
Clarke versucht diese Kritik zu entkräften, indem er den sensoriumVergleich relativiert; vor allem aber grenzt er sich und Newton wiederholt von einem Verständnis Gottes als einer blossen Weltseele ab: Dass Gott auf alle Dinge der Welt so einwirkt, wie es ihm gefällt, und zwar ohne irgendeine Vereinigung und ohne dass etwas auf ihn einwirkt, zeigt ganz deutlich den Unterschied zwischen einem allgegenwärtigen Herrscher und einer nur in der Einbildung vorhandenen Weltseele. (70f.)58
Gott ist keine Weltseele, sondern ein Governour und, wie Clarke in seinen Schreiben immer wieder betont, der „Allgegenwärtige[]“ (22; the
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Die Stelle verweist zum einen auf ein Problem des Verhältnisses von idealem Raum und Ausdehnung bei Leibniz; zum anderen auf eine Schwierigkeit Leibniz’, seine Bewegungskonzeption gegenüber der Newtonschon Dynamik zu behaupten; vgl. hierzu Gosztonyi: Der Raum, Bd. 1, a.a.O.: 368; Hartz/Cover: Space and Time in the Leibnizian Metaphysics, a.a.O.: 509ff.; Jammer: Das Problem des Raumes, a.a.O.: 128ff. „God’s acting in the World upon every thing after what manner he pleases, without any UNION & without without being ACTED UPON by any thing; shows plainly the difference between an OMNIPRESENT GOVERNOUR & an imaginary SOUL OF THE WORLD.“ Correspondance LeibnizClarke, a.a.O.: 114.
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Omnipresent Being), eine „allgegenwärtige Substanz“ (33) oder „Intelligenz“, (35) und er ist wirklich, unmittelbar und kontinuierlich überall gegenwärtig zu den Dingen und zum Universum. „Dieses Überall bzw. der allumfassende Raum ist somit der Ort seiner Wahrnehmung.“ (142) Dabei ist der Raum, ebenso wie die Zeit bzw. „Dauer“, „unermesslich, unveränderlich und ewig.“ Beide sind „durch Gottes Existenz verursacht und sind unmittelbare und notwendige Folgen aus seiner Existenz. Ohne sie wäre er nicht ewig und allgegenwärtig bzw. omnipräsent.“ (65) Ähnlich betont Newton diese Allgegenwart Gottes in einer von Clarke zitierten Passage aus dem Scholium Generale am Schluss der Principia: Weil jedes einzelne Raumteilchen immer ist und jeder einzelne unteilbare Augenblick der Dauer überall ist, wird der Schöpfer und Herr aller Dinge gewiss immer und überall sein ... Er ist nicht nur mit seiner Wirksamkeit allgegenwärtig, sondern auch mit seiner Substanz, denn ohne Substanz kann keine Wirksamkeit bestehen. (65, vgl. 48)
Wenn also, wie Clarke ja anführt, die „mathematischen Prinzipien“ Newtons zeigen, dass der Zustand der Dinge nur von einer „vernunftbegabten und freien Ursache“ herrühren kann, so ist mit dieser göttlichen Ursache nicht ein abstraktes aktives Prinzip oder ein ferner Ursprung bezeichnet, sondern ein tatsächlich gegenwärtiger und in dieser Präsenz wirksamer Gott; denn wie Clarke mehrfach anführt, wäre es ein Widerspruch, anzunehmen „dass etwas dort wirkt, wo es nicht ist.“ (73, vgl. 33)59 Während für Leibniz Raum und Ausdehnung prinzipiell zu unterscheiden sind, erscheint der Raum bei Clarke und Newton gerade als das Wo eines gleichsam ubiquitär ausgedehnten Gottes.60 Dabei sind Raum und Zeit nicht Gott, wohl aber, da Gott zweifellos Omnipräsenz und Ewigkeit zukommt, göttliche Eigenschaften. Als solche sind sie es, an denen Gott überhaupt erkannt werden kann, da dessen Substanz selbst, wie Newton im Scholium Generale schreibt, den Menschen unzugänglich ist: 59
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Der Zusammenhang dieser Aussage ist das Problem der Gravitation bzw. die (auch in Newtons Opticks ja angesprochene) offene Frage, worauf sich die Anziehungskraft zwischen Planeten zurückführen lässt. Bei Clarke wie auch bei Newton wird hierfür ein mögliches unsichtbares und „nicht-mechanisches“ Medium erwogen, während Leibniz, für den nur eine mechanische Erklärung dieses Phänomens in Frage kommt, über solche „Strahlen eines spiritus“ spottet: „Ist es Gott, der an die Stelle des Mediums tritt? [...] Sind vielleicht irgendwelche immaterielle Substanzen, irgendwelche Strahlen eines spiritus, irgendein Akzidens ohne Substanz [...] jenes angebliche Medium [...]?“ (121) Vermutet wurde, dass für Newton und Clarke tatsächlich die Vorstellung einer räumlichen Ausdehnung und Dimensionalität Gottes anzunehmen ist. Vgl. Vailati: Leibniz and Clarke, a.a.O.: 22.
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[...] durch keinen Sinn, durch keine geistige Betrachtung erkennen wir die innersten Substanzen, und noch viel weniger haben wir eine Vorstellung von Gottes Substanz. Wir kennen ihn nur durch seine Eigenschaften und Attribute, durch den ausserordentlich klugen und vollkommenen Aufbau der Welt und ihren [sic] finalen Ursachen ... wir verehren ihn und beten ihn an wegen seiner Herrschaft.61
Die Newtonsche Raumvorstellung hat in dieser Weise ihren Fluchtpunkt ebenso in der Vorstellung vom Wesen Gottes und von dessen Verhältnis zur Welt wie diejenige Leibniz’, – in der Vorstellung allerdings eines Gottes, der sich von Leibniz’ Gott einer „allerhöchsten Vernunft“ unterscheidet. Dem absoluten Raum entspricht hier gleichsam ein absoluter Herrscher, der nach freiem Willen handelt und keinem Gesetz untersteht; ist Leibniz’ Gott ein Mathematiker, so derjenige Newtons und Clarkes ein allmächtiger Regent. Es sind in hohem Mass diese unterschiedlichen Fluchtpunkte, aus der die unaufhebbare Spannung der Raumdebatte im „Briefwechsel“ resultiert. Dabei entziehen sich Leibniz und Clarke in ihrer Argumentation gewissermassen gegenseitig die Möglichkeit einer Grundlegung ihres Gottes- und Weltverständnisses. Ist es für Leibniz das – von Clarke in Frage gestellte – Prinzip vom zureichenden Grund, das für die Annahme einer Rationalität Gottes und der Welt steht, so ist es im System Newtons der – von Leibniz verworfene – wirklich existierende Raum als göttliches Attribut, der für die Allgegenwart des wirkenden Gottes und für die Möglichkeit von dessen Kenntnis steht. Diese Kenntnis indes bzw. die Grundlegung konsistenter „principles of natural philosophy and religion“ zu leisten, ist die Aufgabe, vor der sich Leibniz wie Newton wesentlich sahen, wenngleich sie diese in unterschiedlicher Weise wahrnahmen. So äusserte sich Newton, im Gegensatz zu Leibniz, kaum öffentlich zu religiösen Fragen und schloss sie, mit wenigen Ausnahmen – darunter dem Scholium Generale der Principia –, aus seinen Publikationen aus, während er seine theologischen Auffassungen gesondert in umfangreichen Aufzeichnungen festhielt und hinterliess.62 Naturphilosophie und Religion sind so bei Newton voneinander getrennt, woraus jedoch nicht auf eine Unverbundenheit dieser Bereiche zu schliessen ist. Vielmehr ist in der Forschung nachdrücklich auf den religiösen Zusammenhang des Newtonschen Systems als Ganzes hinge61 62
Zit. nach der Anmerkung von Clarke; 36. Zu den Texten und zur Geschichte der vollumfänglich im 20. Jh. bekannt gewordenen religiösen Newton-Manuskripte vgl. die Publikationen des Newtonprojekts, online unter http://www.newtonproject.sussex.ac.uk und http://www.isaacnewton.ca.
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wiesen worden, der gerade in der Konzeption des absoluten Raums und der absoluten Bewegung am deutlichsten greifbar ist. Es ist, wie Newton in seinem hinterlassenen Glaubensbekenntnis festgehalten hat, Gott, der für das Unbewegliche steht, während alle anderen Wesen beweglich sind.63 Zurückgeführt worden ist diese Gottes- und Raumvorstellung Newtons u.a. auf den Einfluss des von Leibniz im „Briefwechsel“ kritisch erwähnten Henry More und dessen spiritistische Auffassung des Raums; – die Leibniz ironisch als „spassig“ bezeichnet. (96)64 Es ist, so gesehen, in gewisser Weise ein Missverständnis bzw. missverständlich, wenn Leibniz Newton vorwirft, zu einem „Verfall“ der „natürliche[n] Religion“ beizutragen. Denn ganz im Gegenteil ging es Newton in seiner eigenen Theologie gerade darum, eine solche, die seiner Auffassung nach durch Jahrhunderte hindurch in Verfall geraten war, zu rekonstituieren. Verbunden war damit freilich ein anderes Glaubensbekenntnis als das des Lutheraners und Irenikers Leibniz. Zielte dieser darauf ab, die Konfessionen miteinander zu versöhnen, so war Newtons Auffassung von der wahren natürlichen Religion dezidiert antikatholisch und grenzte sich zugleich in zentralen Punkten von der Lehre auch der anglikanischen Kirche ab. So verwarfen Newton wie auch Clarke die Trinität und die Anbetung Christi und vertraten damit eine als häretisch geltende arianische Position, die mithin öffentlich zu äussern riskant war. Hiervon zeugt gerade das Beispiel Samuel Clarkes; denn die Tatsache, dass Clarke zur Zeit des „Briefwechsels“ seine frühere Stellung als Hofkaplan verloren hatte, ist auf seine 1712 publizierte antitrinitarische Schrift The Scripture – Doctrine of Trinity zurückzuführen, die ihn in einen längeren Konflikt mit Kirche und Parlament geraten liess. Die religiösen Vorbehalte Leibniz’ gegenüber Newton, geäussert zumal an die Adresse Carolines von Wales, der Frau des zukünftigen Königs und Kirchenoberhaupts, stellen sich vor diesem Hintergrund als ein teilweise sachlich zutreffender und für Newton nicht zuletzt deshalb schwerwiegender Angriff dar. Dies umso mehr als in diesen Jahren in England selbst zunehmende Gerüchte um die häretischen Glaubensauffassungen
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„Art. 5. Der Vater lässt sich nicht bewegen und kein Ort kann leeer oder voller von ihm werden als er durch die ewige Notwendigkeit der Natur ist. Alle anderen Geschöpfe können von einem Ort zum anderen bewegt werden.“ Isaac Newtons 12 Artikel über Gott und Christus. Übers. des Newtonprojekts, http://www.isaacnewton.ca. Zum religiösen Rahmen des Newtonschen Systems vgl. Goldenbaum: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Vernunft und Glauben, a.a.O.: 407f. Vgl. Jammer: Das Problem des Raumes, a.a.O.: 42ff. u. 119f.; zum Raum bei More s. auch Gosztonyi: Der Raum, Bd. 1, a.a.O.: 266ff.
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Newtons kursierten und dessen Ruf und öffentliche Position zu gefährden drohten.65 Dabei folgte Newton, ebenso wie auch Leibniz, in seiner Theologie wesentlich dem Ziel, die „natürliche Religion“ gegenüber ihren wahrgenommenen Gegnern zu sichern; dies insbesondere gegenüber solchen etwa freidenkerischen Ideen seiner Zeit, die er als eine Gefährdung und Schwächung des Glaubens betrachtete und bekämpfte.66 Wie Leibniz sah auch Newton gerade in seinem methodisch strengen System die Voraussetzung dafür gegeben, Religion und Naturwissenschaft in ihrem Verhältnis zueinander neu zu begründen; und ebenso wie Leibniz berief sich Newton auf die Leitideen ihrer Zeit, insbesondere das Primat der Vernunft und die Existenz einer durch Gott gewährleisteten Ordnung der Welt. In dieser Hinsicht stehen sich die Systeme Leibniz’ und Newtons einschliesslich ihrer unterschiedlichen Raumkonzeptionen letztlich nahe.67 Zu keiner Übereinstimmung konnte es dagegen zwischen Kontrahenten kommen, die sich auf der Grundlage ihrer verschiedenen Systeme und Glaubensgrundsätze gegenseitig eine Schwächung der Religion zuschrieben: durch Fatalismus und Materialismus (die Clarke und Newton in Leibniz’ Determinismus sahen) oder durch Sozianismus und blindes Fatum (die Leibniz in der Newtonschen Verbindung von Gott und Welt bzw. Raum und Gott gegeben sah). Verbunden sind diese Argumente, gegenseitigen Vorwürfe und Verdachtsmomente, wie deutlich wurde, mit konfessionell unterschiedlichen Standorten Leibniz’ und Clarkes bzw. Newtons, die ihrerseits mit sozialen und politischen Diskursen ihrer Zeit korrespondieren. In der buchstäblich vor den Augen des Königs geführten Debatte verknüpfen sich so raumtheoretische und philosophische, religiös-konfessionelle und politische Positionierungen.
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Stephen D. Snobelen spricht von einer „Nikodemischen Strategie“ Newtons, der während Jahrzehnten einen orthodoxen Anglikanismus simulierte, an den er selbst nicht glaubte. In Newtons eigenen theologischen Texten macht Snobelen einen „mix of Arian and Socianian elements“ aus innerhalb einer insgesamt nicht einheitlich verortbaren Position, in der sich anglikanische und unterschiedliche häretische Auffassungen mischen; Snobelen, Stephen D.: Isaac Newton, heretic: the strategies of a Nicodemite. In: British Journal for the History of Science, Vol. 32 (1999): 381-419, hier: 387, vgl. 416f.; zu Newtons Theologie s. auch Westfall: Isaac Newton, a.a.O.: 160ff.; 179ff. Vgl. zu den freidenkerischen und anderen „domestic enemies“ Newtons Shapin: Of Gods and Kings, a.a.O.: 197ff. Vgl. hierzu Toulmin: Kosmopolis, a.a.O.: 207f.; Goldenbaum: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Vernunft und Glauben, a.a.O.: 415.
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Dieser historische Zusammenhang wirft ein zusätzliches Licht auf die Schreiben von Leibniz und Clarke und die durch sie vermittelten Verhältnisse – auch, aber nicht nur zwischen den direkt Beteiligten Clarke und Newton, Leibniz und der englischen Kronprinzessin Caroline. Der „Briefwechsel“ lässt sich, in solcher Weise kontextualisiert gelesen, als ein diskursives und, wie im Folgenden gezeigt werden soll, auch mediales Ereignis verstehen, das selbst keineswegs in einer „Leere“ stattfand.
V e r f l e c h tu n g e n „[Ich möchte] Chevalier Newton [...] mit Ihnen gerne aussöhnen“, schreibt Caroline an Leibniz um den Jahreswechsel 1715/16 in jenem Brief, dem sie das zweite Antwortschreiben Clarkes für Leibniz beilegt. Sie sowie der Abbé Conti – ein weiterer Korrespondent Leibniz’ wie auch Newtons – hätten sich „zu Vermittlern aufgeschwungen“. „Es wäre“, so fügt sie hinzu, „zu schade, wenn zwei solch bedeutende Männer wie Sie und er [Newton] durch Missverständnisse entzweit würden“.68 Wenn die „Vermittlerin“ Caroline sich in dieser Weise an Leibniz wendet, so an eine Person, mit der sie eine langjährige Freundschaft verbindet: Als 21jährige hat sie 1704 Leibniz am Preussischen Hof in Berlin im Kreis von Königin Sophie Charlotte kennengelernt, ihrerseits eine Vertraute Leibniz’. Grundstein ihres Verhältnisses zu Leibniz ist für Caroline insbesondere sein damaliger Beistand in einer für sie schwierigen Situation, bedingt durch die Werbung des spanischen Königs und späteren Kaisers Karl um ihre Hand. Denn eine solche Heirat verpflichtete zu einer Konversion zum Katholizismus, und hierzu konnte sich die Lutheranerin Caroline nicht entschliessen. Entgegen den Erwartungen des Preussischen wie des Habsburgischen Hofs schlug sie die Werbung Karls nach längerer Bedenkzeit aus und heiratete ein Jahr später den lutherischen Kurprinzen von Hannover Georg August. Folge dieser Umstände ihrer Eheschliessung ist ein hervorragender Ruf Carolines unter den Protestanten wie auch ihre nahe Beziehung zu Leibniz und zu dessen Philosophie.69 Durch ihre intensive Korrespondenz mit Leibniz ist Caroline zudem über den andauernden Streit zwischen ihm und Newton bzw. dessen Anhängern im Bild. Leibniz hat dabei durch die englische Thronfolge hin68 69
Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 223f. (Brief Carolines vom 30. Dez. 1715/10. Jan. 1716). Vgl. Hirsch: Der berühmte Herr Leibniz, a.a.O.: 454ff.; Meli: Caroline, Leibniz, and Clarke, a.a.O.: 471ff.
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nehmen müssen, dass er, der in Hannover verblieben ist, nunmehr vom Hof des Kurfürsten und neuen englischen Königs getrennt lebt, während Newton – Amtsinhaber des Münzwesens und seit 1705 Chevalier – am Londoner Hof eine privilegierte Stellung einnimmt. Wie Leibniz auf diese Situation reagiert, geht aus einem Brief hervor, den er im Mai 1715 an Caroline verfasst, rund ein halbes Jahr vor dem Beginn des Briefwechsels mit Clarke. Leibniz bezeichnet darin seinen Streit mit Newton als einen Streit „zwischen Deutschland und England“ – wobei er diese Interpretation einer namentlich nicht genannten dritten Person zuschreibt –, an dem die „Haltung einiger starrer und der Hannoverschen Partei wenig gewogener Leute“ Anteil habe. Verliehe der König ihm selbst eine „Stellung“ am Hof und würde ihn damit mit Newton „auf die gleiche Stufe“ stellen, so würde dies diese Leute „in die Schranken weisen“, zumal sie Ansichten äusserten, die dem lutherischen Bekenntnis des Hauses Hannover widersprächen.70 Leibniz streicht also die politische und konfessionelle Dimension des Streits heraus, während er zugleich versucht, über Caroline eine Stellung am Londoner Hof zu erlangen. Sieht Caroline sich als eine Vermittlerin, die Leibniz und Newton versöhnen will, so appelliert Leibniz, der sich von den Engländern „an den Pranger gestellt“ sieht und seinen Gegnern, wie er schreibt, „in keiner Weise nachgeben“ möchte, an Caroline als eine mögliche Fürsprecherin.71 In einem späteren, während seiner Korrepondenz mit Clarke verfassten Brief nennt Leibniz Caroline auch eine „befugte Richterin“, zeichnet also von der Debatte das Bild eines Gerichtsfalls, den sie zu entscheiden hat.72 Dabei handelt es sich für Leibniz, wie seine Darstellung zeigt, um einen ebenso persönlichen wie philosophischen, politischen und konfessionellen Fall, den er Caroline als einer „Richterin“ vor Ort vorlegt. Clarke wie auch Newton suchen wiederum den persönlichen Kontakt zu Caroline, um sie, entgegen ihrer Neigung für Leibniz’ Philosophie, von Newtons System zu überzeugen. Wie aus Carolines Briefen an Leibniz hervorgeht, nutzen sie ihre Anwesenheit am Londoner Hof zu eingehenden Gesprächen mit ihr wie auch dazu, ihr und dem Hof die Überlegenheit des Newtonschen Systems buchstäblich, nämlich experimentell, vor Augen zu führen.73 So erwähnt Caroline in ihrem Schreiben an Leib70 71 72 73
Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 204f. (Brief Leibniz’ vom 10. Mai 1715). Ebd.: 204. Ebd.: 257 (Brief Leibniz’ vom 3. Juli 1716). Schmeiser hat von einem „Meta-Experiment“ Newtons gesprochen, indem in den am Königshof veranstalteten Experimenten nicht nur die Evidenz optischer oder physikalischer Gesetzmässigkeiten vorzuführen war, sondern auch die Gültigkeit der experimentellen Methode, die sich an den
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niz von Ende 1715 eine Unterredung mit Clarke, der lange versucht habe, so Caroline, sie „zu seiner Meinung zu bekehren“, aber „mit seinem Latein bald am Ende gewesen“ sei.74 Ende April 1716 schreibt sie Leibniz von den geplanten Experimenten Newtons, für die der König einen Raum zur Verfügung gestellt habe, und einige Tage später berichtet sie Leibniz von ihrem Eindruck des ersten (Vakuum-)Experiments: „[D]as Experiment, das ich zu dem Leeren gesehen habe, hat mich fast überzeugt. Es ist an Ihnen, mich auf den rechten Weg zurückzuführen. Ich warte auf Ihre Antwort, die Sie Mr. Clarke geben.“75 Für Clarke und Newton, so legt Carolines Darstellung gegenüber Leibniz nahe, geht es um den Versuch, sie zu Newtons Lehren zu bekehren – also sozusagen um eine erneute Aufforderung zur Konversion. Wenn sie Leibniz dabei um Führung zurück „auf den rechten Weg“ angeht, dürfte allerdings Strategie mit im Spiel sein. Dies deutet zumindest ein zweites Schreiben über die Experimente an, in dem Caroline, nochmals wenige Tage später, ihre Überlegungen hierzu für Leibniz resümiert: Ich verfolge die Experimente und bin von den Farben immer mehr entzückt. Auch kann ich mich nicht davon abbringen, dem Leeren etwas zugeneigt zu sein, doch glaube ich, dass man sich nicht richtig versteht, weil nämlich das, was die Herren hier so nennen, nicht das Nichts bezeichnen soll, sondern etwas, was keine Materie ist. Ich mache mich lächerlich, wenn ich Ihnen dies erklären wollte. Durch meinen letzten Brief, in welchem Mr. Clarkes Antwort enthalten war, haben Sie erfahren, was er dazu sagt.76
Die visuelle Überzeugungskraft der Experimente bleibt, wie sich zeigt, nicht wirkungslos. Auffallend ist jedoch ebenso die eigenständige Haltung Carolines, der es ja kaum zustehen kann, Leibniz (oder Newton) die Bedeutung des vorgeführten Vakuum-Experiments zu „erklären“, – eine Bemerkung, die sie auch sofort relativiert. Die Stelle verdeutlicht mithin, wie sich Caroline als Dritte im Dreiecksverhältnis der Debatte von den konfligierenden Ansprüchen beider Seiten an sie, als mögliche Fürsprecherin bzw. Richterin wie als zu Bekehrende, zu distanzieren weiss. Trotz ihrer persönlichen Beziehungen zu Leibniz wie zu Newton und Clarke gelingt es ihr in dieser Weise, ihre prekäre mediale Position
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Beteiligten erweisen sollte. Versuchsobjekte Newtons und Clarkes waren insofern auch Caroline bzw. der König selbst. Vgl. Schmeiser: Korrespondenz, a.a.O.: 190. Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 224 (Brief Carolines vom 30. Dez. 1715/10. Jan. 1716). Ebd.: 247 (Brief von Caroline an Leibniz vom 4./15. Mai 1716). Ebd.
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zwischen den Parteien aufrechtzuerhalten – und damit die durch sie vermittelte Korrespondenz. „Vermittlung“ bedeutet jedoch nicht notwendig Versöhnung. Vielmehr zeigt sich Caroline im Lauf des Briefwechsels, dass ihr Vorhaben, Newton und Leibniz durch eine vermittelte und stellvertretende Debatte zu versöhnen, angesichts des bereits langjährigen Prioritätsstreits wenig Aussicht auf Erfolg hat. Den Schreiben Carolines an Leibniz lässt sich entnehmen, dass sie die mangelnde Einsicht, die sie auf beiden Seiten feststellt, zeitweise nahezu verzweifeln lässt. Im April 1716 vergleicht sie in einem Brief an Leibniz ihn und Newton mit eifersüchtigen Frauen.77 In der Historiographie ist die von Caroline wahrgenommene Unversöhnlichkeit beider Seiten im Prioritätsstreit häufig schlicht menschlichen Schwächen oder dem Eigensinn der alternden Gelehrten Leibniz und Newton zugeschrieben worden.78 Eine solche personalisierende und psychologisierende Sicht des Streits greift freilich zu kurz. Sie trägt, vor allem, weder dem komplexen sozialen, konfessionellen und politischen Kontext des Streits Rechnung noch der Tatsache, dass es sich nicht um einen individuellen Streit zwischen Leibniz und Newton (oder Clarke) handelte, sondern um eine Auseinandersetzung, in die direkt oder indirekt weite Kreise der gelehrten Welt ihrer Zeit involviert waren. Weder Leibniz noch Newton standen als Partei in diesem Streit alleine; vielmehr waren beide eingebunden in bestimmte diskursive und soziale Beziehungsgeflechte der gelehrten Welt in England und auf dem Kontinent. So war in England um Newton eine eigentliche Schule von Anhängern entstanden, welche die Verteidigung Newtons gegen seine (wahrgenommenen) Widersacher teils aktiver betrieben als dieser selbst.79 Auf dem Kontinent wiederum konnte sich Leibniz der Unterstützung zahlreicher Gelehrter sicher sein, von denen sich mehrere aktiv in der Debatte zu Wort meldeten, darunter u.a. Johann Bernoulli. Leibniz’ Schreiben an Caroline weist darauf hin, dass auch hier der Streit als eine Auseinandersetzung zwischen dem Kontinent und England verstanden wurde – oder,
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„[...] grosse Männer sind wie die Frauen, die ihre Liebhaber immer nur mit dem grössten Kummer und dem erbittertsten Zorn abtreten [...].“ Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 244 (Brief Carolines vom 24. April 1716). Vgl. hierzu Westfall: Isaac Newton, a.a.O.: 349ff. So bringt die Geschichte des Prioritätsstreits, wie Schmeiser treffend bemerkt hat, Wissenschaftshistoriker „bis heute in die Verlegenheit, möglichst verständnisvoll den Kopf schütteln zu müssen vor diesem Spektakel des Menschlich-Allzumenschlichen [...]“. Schmeiser: Korrespondenz, a.a.O.: 175. Vgl. ebd.: 179f.; Schüller: Nachwort, a.a.O.: 446.
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wie es Leibniz rhetorisch pointiert und politisiert formuliert, als eine Auseinandersetzung „zwischen Deutschland und England“. In der Korrespondenz zwischen Leibniz und Clarke kommt dieser Aspekt einer unterschiedlichen diskursiven Verortung auch darin symbolisch zum Ausdruck, dass die Schreiben beider Seiten in unterschiedlichen Sprachen abgefasst sind – diejenigen Leibniz’ in der auf dem Kontinent verbreiteten Korrespondenzsprache Französisch, diejenigen Clarkes auf Englisch.80 Noch auf der Ebene der Sprachen zeigt sich somit, dass der „Briefwechsel“ zwischen Leibniz und Clarke nicht nur unterschiedliche Philosophien oder „geistige Welten“ vermittelt, sondern ebenso im Zusammenhang spezifischer kommunikativer und diskursiver Beziehungsgefüge steht, die sich in dieser Debatte gegenüberstehen wie auch miteinander verflechten.81 Medienhistorisch lässt sich diese kontextualisierte Sicht des „Briefwechsels“ weiter differenzieren. Denn was die genannten Beziehungsgefüge in England und auf dem Kontinent um 1700 medial informierte, waren wesentlich Briefwechsel bzw. postalische Kommunikationen, die zwischen den Einzelnen zirkulierten: Briefe, diesen Briefen beigefügte Schreiben von oder an Dritte, Abschriften, Drucke usw. Bei diesen „Gelehrtenbriefen“ handelt es sich typischerweise weniger um private Korrespondenzen denn um Formen des Austauschs und der Verbreitung von Abhandlungen, Informationen, Ideen usw., die von den Empfängern gegebenenfalls abgeschrieben und weitergeleitet wurden. So konstituierten sich die diskursiven Formationen der gelehrten Welt, an denen Newton und Leibniz partizipieren, in hohem Mass über ein relationales Gefüge der Korrespondenzen, die den Informationsfluss innerhalb der Gelehrtenkreise bestimmten – und noch nicht über eine breite wissenschaftliche ‚Öffentlichkeit‘. Daneben entwickelten sich gerade seit dem späteren 17. Jahrhundert formale Institutionen der Gelehrtenkommunikation wie Akademieschriften oder Periodika, darunter die von der englischen Royal Society seit 1665 herausgegebenen Philosophical Transactions, in denen u.a. Newton publizierte, der seit 1703 Präsident der Royal Society war, oder die in Leipzig herausgegebenen Acta Eruditorum, in denen u.a. Leibniz publizierte. Verbunden ist mit diesen Formen medienhistorisch jedoch nicht ein Bruch gegenüber dem konstitutiven Muster der Korrespondenz, sondern eher eine Ausdifferenzierung, indem sie aus den Briefwechseln 80
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Eine Alternative zwischen Clarke und Leibniz wäre das gemeinsame Latein gewesen, eine in der gelehrten Korrespondenz der Zeit übliche Sprache (wenngleich Leibniz oft das Französische bevorzugte). Latein hätte jedoch gerade die konstitutive Dritte des Briefwechsels, Caroline, aus der Debatte ausgeschlossen. Schüller: Nachwort, a.a.O.: 442.
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hervorgehen und in der Folge neben ihnen existieren. So ist die Gründung etwa der Philosophical Transactions praktisch auf einen überlasteten Sekretär der Royal Society – Henry Oldenburg – zurückzuführen, der angesichts des wachsenden Umfangs der von ihm zu bewältigenden Korrespondenz eine Möglichkeit suchte, seinen Aufwand zu reduzieren und zugleich die finanziellen Mittel der Society aufzubessern.82 Die Zeitschrift führte somit eine Vermittlungsfunktion der Society weiter, in der sich die Bedeutung der Praktiken des Weiterleitens, der Anfrage an Dritte, des Ab- und Rundschreibens unter den Gelehrten manifestiert. So ist der Gelehrtenbrief auch als eine Zwischenstufe in der Entwicklung der wissenschaftlichen Publikation betrachtet worden; er fungiert, so Regine Zott, als ein „Transportmittel für eine neue Qualität der Kommunikation“ und steht als solches exemplarisch für ein mediales Beziehungsgefüge vernetzter Kommunikation, das sich nicht in gängige theoretische Unterscheidungen zwischen Privatem und Öffentlichem, Dialog und Publikation einfügt.83 Im Fall des „Briefwechsels“ ist dies schon angesichts der Struktur seiner Vermittlung, der Beteiligung Newtons wie auch des Königshauses als ‚Schauplatz‘ der Debatte offensichtlich; die Schreiben Leibniz’ und Clarkes bewegen sich selbst im Bereich einer halböffentlichen Zirkulation. Noch während der Debatte ist zudem eine mögliche Publikation im Gespräch; so orientiert Caroline Leibniz im September 1716 über eine Unterredung mit Clarke, der vermutet, Leibniz wolle die Briefe publizieren und ihn bittet, die Texte in einem solchen Fall in ihrer Originalsprache abzudrucken.84 Über diese Umstände hinaus ist die Debatte ebenso wie die gesamte Kontroverse zwischen Newton und Leibniz Gegenstand der Korrespondenz zwischen Gelehrten in England wie auf dem Kontinent, die (direkt oder indirekt) mit den Beteiligten in Verbindung stehen. Sie ist Moment der Informationsflüsse wie auch der diskursiven Positionierung in den medial informierten Beziehungsgefügen bzw., nach einem aus dieser 82 83
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Vgl. Stimson, Dorothy: Scientists and Amateurs. A History of the Royal Society. London 1949: 65f. Zott, Regine: Der Brief und das Blatt. Die Entstehung wissenschaftlicher Zeitschriften aus der Gelehrtenkorrespondenz. In: Parthey, Heinrich/ Umstätter, Walther (Hg.): Wissenschaftliche Zeitschrift und Digitale Bibliothek. Wissenschaftsforschung, Jahrbuch 2002. Berlin 2003: 47-59, hier: 54; vgl. Kempe, Michael: Gelehrte Korrespondenzen. Frühneuzeitliche Wissenschaftskultur im Medium postalischer Kommunikationen. In: Crivellari et al. (Hg.): Die Medien der Geschichte, a.a.O.: 407-429. Vgl. Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 264 (Brief Carolines vom 8./19. Sept. 1716). Vgl. hierzu auch die expliziten Hinweise auf eine breitere Leserschaft in den Schreiben selbst, so z.B. an einer Stelle im 5. Schreiben von Leibniz. (79)
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Epoche stammenden Begriff der Wissenschaftssoziologie, „invisible colleges“ der gelehrten Welt.85 Innerhalb dieser zirkulieren in der Debatte Neuigkeiten, Standpunkte und Argumente wie auch Benachrichtigungen über Publikationen und beigefügte Texte Dritter einschliesslich der Verbreitung parteilicher Schriften.86 In welcher Weise diese Beziehungsgefüge der Korrespondenz mit der Debatte zwischen Leibniz und Clarke bzw. Newton verflochten sind, lässt sich exemplarisch anhand des oben erwähnten Abbé AntonioSchinella Conti veranschaulichen, des zweiten „Vermittlers“ neben Caroline, dessen Verwicklung in die Debatte aus seinen wie Leibniz’ Briefen annähernd rekonstruiert werden kann. Conti ist ein aus Oberitalien stammender und seit 1713 in Paris lebender Mathematiker, der den Prioritätsstreit zwischen Leibniz und Newton verfolgt hat und einen längeren Aufenthalt in England nutzen will, um Newton, dem er skeptisch gegenübersteht, kennenzulernen und zwischen den Parteien zu vermitteln.87 1715 reist Conti zu diesem Zweck nach London, wo er Newton (wie auch Clarke und Caroline) trifft und seine Eindrücke schriftlich aufzeichnet. Diese Aufzeichnungen, in denen Conti sowohl über ein erneut gegen Leibniz gerichtetes anonym publiziertes (tatsächlich von Newton verfasstes) Schreiben in den Philosophical Transactions berichtet als auch sein eigenes, zunehmend positives Urteil über Newtons Philosophie festhält, übermittelt er, zusammen mit einem an Leibniz gerichteten Brief, an den Pariser Rechtsgelehrten Nicolas Rémond, der ein gemein-
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Der Begriff des „invisible college“ geht auf Robert Boyle zurück, der damit den um 1650 existierenden informellen Kreis Gelehrter bezeichnete, aus dem zehn Jahre später die Royal Society hervorgehen sollte. Die Wissenschaftssoziologie hat die Bezeichnung im Blick auf ein Modell informeller wissenschaftlicher Netzwerke aufgegriffen; sie steht in diesem Rahmen für (z.B. durch e-mail informierte) Beziehungsgeflechte, die, neben öffentlichen Publikationen, die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern, mithin die medialen Grundlagen von Wissenschaft, mitstrukturieren. Vgl. de Solla Price, Derek J.: Little Science, Big Science. Von der Studierstube zur Grossforschung. Frankfurt a. M. 1974, bes. 74102; Crane, Diana: Invisible Colleges: Diffusion of Knowledge in Scientific Communities. Chicago 1972. Gerade dieses Konstitutive medial informierter Beziehungsnetze manifestiert sich in den „invisible colleges“ gelehrter Korrespondenz, so am Beispiel des Sekretärs und des Bibliothekars der Royal Society, die durch ihre Vermittlerrolle, wie Schüller anmerkt, einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der englischen Mathematik ausübten; vgl. Schüller: Nachwort, a.a.O.: 446. Vgl. zu dieser Praxis Westfall: Isaac Newton, a.a.O.: 363f.; 365f. Vgl. zur Person Contis Aiton: Gottfried Wilhelm Leibniz, a.a.O.: 487f.
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samer Bekannter von ihm und Leibniz ist.88 Rémond sendet diesen Brief Contis seinerseits an Leibniz weiter, ergänzt durch Auszüge aus Contis Aufzeichnungen. Durch dieses Schreiben Rémonds vom Oktober 1715 ist Leibniz detailliert über die erneute Kritik an seiner Philosophie in England unterrichtet und erfährt durch die Aufzeichnungen Contis zudem Einzelheiten über die philosophischen Auffassungen Newtons, wobei sich Conti u.a. von dessen theologischen Kenntnissen beeindruckt zeigt. Leibniz’ Reaktion auf dieses Schreiben ist eine doppelte: Er informiert seinen Korrespondenten Johann Bernoulli in einem Brief über die Schreiben Rémonds bzw. Contis, wobei er Contis Nachricht über den erneuten Angriff der englischen Gelehrten gegen seine (und Bernoullis) Mathematik herausstreicht.89 Und er verfasst für Conti und indirekt für Newton ein Schreiben, in dem er seine Philosophie rechtfertigt. Diesem Schreiben fügte er schliesslich eine von Bernoulli stammende Rechnungsaufgabe bei, mit der er und Bernoulli – der allerdings ungenannt bleiben will – beabsichtigten, die englischen Mathematiker auf die Probe zu stellen.90 Die Antwort auf diese Herausforderung erhält Leibniz im Frühjahr 1716 durch einen Brief von Conti mit einem beigefügten Schreiben von Newton, in dem dieser seine Kritik an Leibniz’ Philosophie bekräftigt und diesem vorwirft, er verwickelte ihn in philosophische Diskussionen und das Lösen von mathematischen Aufgaben, die mit der Frage des Prioritätsstreits nichts zu tun hätten.91 Zur selben Zeit informiert Rémond Leibniz von Paris aus darüber, dass Conti „jeden Tag mehr von England begeistert und von Mr. Newton eingenommen“ sei. Caroline lässt Leibniz in einem ihrer Briefe ihrerseits wissen, dass sie das über Conti an Leibniz übermittelte Schreiben Newtons gesehen habe. Newton, so Caroline, „nimmt für sich in Anspruch, dass alles, was er in dem Brief sagt, Tatsachen seien. Ich erwarte Ihre Antwort mit grossem Interesse.“92 88 89 90
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Vgl. Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 203f.; 208ff. Zur erwähnten Publikation vgl. Schüller: Nachwort, a.a.O.: 457. Vgl. Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 221f. (Brief Leibniz’ vom Dezember 1715). Vgl. Schmeiser: Korrespondenz, a.a.O.: 171. Schmeiser hat auf den paradoxen Umgang der Beteiligten mit Namen hingewiesen, schlägt doch Leibniz ebenso Conti vor, das mitgesendete mathematische Problem als „von Ihnen selbst oder von einem Freund zu stellen“, während Newton seinerseits anonym gegen Leibniz publiziert. Der Prioritätsstreit, ein Streit um den Namen des Erfinders, wird in Texten ausgetragen, in denen gerade Namen immer wieder in Frage stehen. Vgl. Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 225. Ebd.: 238f. (Brief Rémonds vom 15. März 1716); 244 (Brief Carolines vom 24. April 1716). Zu den zahlreichen Entwürfen dieses über Conti an
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Leibniz antwortet auf diese Schreiben, indem er Rémond zur Weiterleitung Briefe sowohl an Newton wie auch an Conti sendet und zugleich Rémond über seinen parallelen Briefwechsel mit Clarke unterrichtet. Ebenso verfasst Leibniz eine Antwort an Caroline, in der er den Anspruch Newtons zurückweist und seiner Enttäuschung über die Parteinahme Contis zugunsten Newtons Ausdruck verleiht. Conti, so Leibniz, scheine keine festen Grundsätze zu haben und gleiche „einem Chamäleon, das (wie man sagt) die Farbe dessen annimmt, was es berührt. Sobald er nach Frankreich zurückgekehrt sein wird, wird man ihn wieder vom Leeren zum Vollen zurückkehren lassen.“93 Weiter bittet Leibniz Caroline, Conti auch seinen Briefwechsel mit Clarke mitzuteilen; dies weniger, weil er sich davon eine Wirkung auf Conti erhofft, sondern in der Absicht, wie er an Caroline schreibt, „dass sie durch seine Vermittlung auch den anderen Freunden mitgeteilt werden sollen.“ Ebenso berichtet Leibniz Bernoulli von seinem Briefwechsel mit Clarke und korrespondiert in der Folge mit ihm und Rémond wie mit weiteren Briefpartnern über seine Clarke gegenüber angeführten Argumente.94 Mit dem für Newton eingenommenen Conti, der, so Caroline, „glaubt, Vermittler zu sein“, scheint kein weiterer Briefkontakt Leibniz’ mehr stattgefunden zu haben.95 Durch die Schreiben Carolines und Rémonds erfährt Leibniz jedoch, dass er im Spätsommer 1716 London verlassen hat und sich für längere Zeit in Oxford aufhält. Bezieht man diese Verstrickung weiterer Korrespondenten Leibniz’ wie des Informanten und Vermittlers Conti, aber auch Bernoullis und Rémonds in den Blick mit ein, ergibt sich ein erheblich komplexeres Bild des „Briefwechsels“ wie auch der Debatte als ganzes. Die Briefe zwischen Leibniz, Clarke und der Vermittlerin Caroline stehen, wie deutlich wird, keineswegs alleine, sondern sind Teil wie auch Gegenstand von netzartigen ensembles der Korrespondenz quer über sprachliche Grenzen und Distanzen hinweg, über die sich die einzelnen Beteiligten informieren und im Streit positionieren. Kennzeichnend für diese Korrespondenzbeziehungen ist die Zirkulation von Schreiben und eine geradezu verwirrende mehrfache Adressierung: So schreibt Conti an Rémond und
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Leibniz übermittelten Schreibens in Newtons Nachlass s. ebd.: 226ff. u. Koyré, Alexandre/Cohen, Bernard: Newton & the Leibniz-Clarke Correspondence. In: Archives Internationales d’Histoire des Sciences, 15 (1962): 63-126, hier: 104ff. Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 245 (Brief Leibniz’ vom 12. Mai 1716); vgl. 240f. (Briefe vom 27. März und 9. April 1716). Ebd.: 249; vgl. 254ff. „Je plains le pauvre Abbé qui croit étre [sic] médiateur.“ Correspondance Leibniz-Clarke, a.a.O.: 107 (Brief Carolines vom 15./26. Juni 1716).
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indirekt an Leibniz; Leibniz schreibt an Conti, indirekt jedoch an Newton (und an den englischen Hof) und an Rémond, damit dieser sein Schreiben sowohl gegenüber weiteren Dritten bezeugen als auch nach England weiterleiten kann; Newton wiederum schreibt an Conti, mit einem beigefügten Schreiben an Leibniz, das vor seiner Versendung zunächst am Hof gelesen wird, während weitere Dritte wie Bernoulli ihrerseits indirekt an Leibniz’ Schreiben partizipieren. Die gesamte Debatte bewegt sich damit in einem Geflecht der Vermittlung und Vernetzung und einer – wie Newton als Vorwurf an Leibniz formuliert – „indirect practise“ der medialen und diskursiven Positionierung.96 In einer heiklen Lage befindet sich dabei offensichtlich u.a. der Leibniz-Vertraute Bernoulli, der 1713 Leibniz in einer Publikation gegen die Angriffe der Engländer namentlich verteidigt hat, ebenso jedoch an seinem Kontakt mit der englischen Mathematik interessiert ist, den er durch seine Korrespondenz mit dem französischen Hugenottenflüchtling und Vertrauten Newtons Abraham DeMoivre pflegt. Wie Westfall angemerkt hat, verfassen sowohl Bernoulli wie DeMoivre absichtlich irreführende Stellungnahmen – in Form ihrerseits von Briefen – um ihre jeweilige Parteizugehörigkeit im Streit zu verschleiern.97 Das Ausmass dieser Verflechtungen der Korrespondenz – einschliesslich der Aspekte der Anonymität, der Parteinahme und deren Verschleierung – mag den wissenschaftshistorisch einmaligen Umständen des Prioritätsstreits zuzuschreiben sein. Das dargestellte Beispiel einer gleichzeitigen und vernetzten Korrespondenz mit einer Vielzahl von Diskussionspartnern, Vertrauten und Informanten ist jedoch bezeichnend gerade für den Universalgelehrten Leibniz, der über weite Teile seines Lebens eine nahezu unüberschaubare Vielzahl von Korrespondenzen unterhielt, und der über sich selbst – in einem Brief – aussagt, er pflege „mehr in Briefen als in öffentlichen Schriften zu sagen“.98 96 97
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Newton im Entwurf eines Schreibens an Pierre des Maizeaux, zit. nach Schmeiser: Korrespondenz, a.a.O.: 174. Vgl. Westfall: Isaac Newton, a.a.O.: 365; zu Bernoullis Position vgl. auch Schüller: Nachwort, a.a.O.: 457. Zur Bedeutung irreführender und gefälschter Briefe v.a. in der politischen Korrespondenz seit der frühen Neuzeit s. Körber, Esther-Beate: Der soziale Ort des Briefs im 16. Jahrhundert. In: Wenzel, Horst (Hg.): Gespräche – Boten – Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter. Berlin 1997: 244-258, hier: 256f. Zit. nach Utermöhlen, Gerda: Der Briefwechsel des Gottfried Wilhelm Leibniz – die umfangreichste Korrespondenz des 17. Jahrhunderts und der ‚République des lettres‘. In: Frühwald, Wolfgang et al. (Hg.): Probleme der Brief-Edition. (Kolloquium der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1975). Bonn – Bad Godesberg 1977: 87-103, hier: 90.
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So stand Leibniz, in ungleich höherem Mass als etwa Newton, Zeit seines Lebens mit überaus zahlreichen Briefpartnern in einem ständigen und vielfältigen Austausch zu den unterschiedlichen Bereichen seiner Arbeit – neben Philosophie, Mathematik Theologie und Rechtslehre (u.a.) Politik, Geschichte, Sprachgeschichte und Etymologie oder auch technische Fertigung und Bergbau. In der Zeit nach 1690 sind es monatlich rund zwanzig Briefe, die Leibniz geschrieben und zudem, grösstenteils eigenhändig, für seine Ablage kopiert hat.99 Im umfangreichen, bis heute nicht vollständig edierten Nachlass handschriftlicher Texte Leibniz – gesprochen wurde anschaulich auch von einem „Heuschober von Manuskripten“ – sind daher sowohl Briefe an wie auch diejenigen von Leibniz erhalten.100 Insgesamt wird die Anzahl dieser Briefe auf mindestens 15.000 geschätzt, wobei Leibniz im Lauf seines Lebens mit weit über tausend Personen aus insgesamt sechzehn Ländern korrespondierte, auf Französisch, Latein, Deutsch sowie in einigen Fällen auf Italienisch. Dabei umfasst alleine z.B. die erhaltene Korrespondenz Leibniz’ mit Johann Bernoulli aus dem Zeitraum 1693-1716 285 Briefe, davon 146 von Leibniz und 139 von Bernoulli.101 Für die Jahrhundertwende ist die Anzahl aktiver Korrespondenten Leibniz’ auf rund zweihundert Personen geschätzt worden; gegen Ende seines Lebens – zur Zeit des „Briefwechsels“ – stand er nach wie vor mit über hundert Briefpartnern in Kontakt.102 Diese weitläufige Korrespondenz ist als ein „Fenster zur Welt“ Leibniz’ bezeichnet worden, das ihm von seiner Stellung in Hannover aus erlaubte, am internationalen gelehrten und politischen Geschehen zu parti-
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Vgl. Hirsch: Der berühmte Herr Leibniz, a.a.O.: 266; Gerber, Georg: Leibniz und seine Korrespondenz. In: Totok, Wilhelm/Haase, Carl (Hg.): Leibniz. Sein Leben – sein Wirken – seine Welt. Hannover 1966: 141-172, hier: 154f. 100 Kittler, Friedrich A.: Ein Tigertier, das Zeichen setzte. Gottfried Wilhelm Leibniz zum 350. Geburtstag. Online-Publikation, http://hydra.humani ties.uci.edu/kittler/tiger.html. Der gesamte Umfang des Leibniz-Nachlasses wird durch das Leibnizarchiv Hannover mit rund 50.000 Stücken und 150.000 bis 200.000 Blatt beziffert. Vgl. http://www.nlb-hannover. de/Leibniz/Leibniz-Nachlass/index.htm. 101 Vgl. Nagel, Fritz: Der Briefwechsel zwischen Johann I Bernoulli und Leibniz. Zur Geschichte der Basler Handschriften. In: ders./Hess, HeinzJürgen (Hg.): Der Ausbau des Calculus durch Leibniz und die Brüder Bernoulli. Stuttgart 1989: 167-174. 102 Vgl. hierzu sowie allg. zur quantitativen Übersicht über Leibniz’ Korrespondenz Gerber: Leibniz und seine Korrespondenz, a.a.O., hier: 141ff.; Utermöhlen: Der Briefwechsel des Gottfried Wilhelm Leibniz, a.a.O.: 93f.
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zipieren.103 Tatsächlich war das wenig zentrale Hannover vom jungen Leibniz einst nicht als bleibender Aufenthaltsort vorgesehen – von Paris aus imaginierte er sich vor dem Wechsel nach Hannover einst eher als eine zukünftige „Amphibie“ zwischen Hannover und Paris.104 Über seine Korrespondenz verwandelte Leibniz jedoch seinen Aufenthaltsort in einen Knotenpunkt der informationellen Beziehungsgefüge der Gelehrten seiner Zeit. Dabei entwickelte er, wie Gerda Utermöhlen hervorgehoben hat, sein Korrespondentennetz gezielt: „Fuhren Bekannte von ihm ins Ausland und fragten, ob sie dort etwas für ihn besorgen könnten, so lautete die Antwort: ja, besorgen Sie mir neue Korrespondenten.“ Schon der Umfang der Korrespondenz lässt dabei vermuten, dass sich Leibniz in hohem Mass in diesem medialen Raum seiner Kommunikation verortete, als ein „Bürger der internationalen république des lettres“, wie Utermöhlen formuliert, eines „Niemandsland[s]“ bzw. eines „Staat[s] Utopia“, den die Gelehrten des 17. Jahrhunderts begründeten.105 In praktischer Hinsicht kam Leibniz dabei entgegen, dass er für die Vermittlung seiner Briefe nicht allein auf die üblichen, umständlichen und kostspieligen Postwege angewiesen war, sondern auf die diplomatischen Vertreter des Hannoverschen Hofs zurückgreifen konnte, die für ihn etwa die Vermittlung von Briefen nach Italien oder nach Frankreich übernahmen.106 Leibniz war jedoch nicht nur über seine postalischen Korrespondenzen mit der Welt ausserhalb Hannovers verbunden, sondern pflegte und erweiterte sein Netzwerk auch auf zahlreichen, teils ausgedehnten Reisen. So führten ihn Reiseaktivitäten, neben häufigen Aufenthalten bei deutschen Fürsten und am Wiener und Berliner Hof, in die Zentren der Gelehrtenreisen, nach Italien, England und Holland. Führt man sich die Mühsal des Reisens im 17. Jahrhundert vor Augen, ist das Ausmass dieser Reisemobilität Leibniz’, auch noch in höherem Alter, erstaunlich; und 103 Leibniz’ Korrespondenz. http://www.nlb-hannover.de/Leibniz/Leibnizar chiv/Leben_und_Werk/Korrespondenz.html. 104 Aiton: Gottfried Wilhelm Leibniz, a.a.O.: 96. In einem Brief an Antoine Arnauld 1686 verwendet Leibniz seinen Weggang von Paris nach Hannover auch als Beispiel für seinen Begriff der individuellen Substanz: Es muss, so Leibniz, einen Grund dafür geben, dass er als der, der in Paris war, nun in Deutschland ist, und dass es „dieselbe individuelle Substanz ist, die fortfährt zu existieren“. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Der Briefwechsel mit Antoine Arnauld. Französisch – deutsch. Übersetzt und hgg. von Reinhard Finster. Hamburg 1997: 93. 105 Utermöhlen: Der Briefwechsel des Gottfried Wilhelm Leibniz, a.a.O.: 88f. Im Blick auf den Prioritätsstreit ist dieses „Utopia“ differenziert zu sehen; auch der „Pranger“, an den sich Leibniz, wie er an Caroline schreibt, gestellt sah, lokalisierte sich in der „république des lettres“. 106 Vgl. Hirsch: Der berühmte Herr Leibniz, a.a.O.: 266f.
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sie steht der Vorstellung eines etwa durchwegs am Hannoverschen Hof angebundenen Gelehrten Leibniz entgegen.107 Dabei realisierte Leibniz seine Reisepläne oftmals am Willen des Kurfürsten, seines Dienstherrn, vorbei. So war die längste Reise Leibniz’ in den Jahren 1687-1690, die ihn u.a. nach Italien führte, zwar durch Arbeiten für den Hof legitimiert und vom Kurfürsten gebilligt; Leibniz erweiterte jedoch mehrfach seine Reiseroute und machte etwa zwischenzeitlich ein halbes Jahr in Rom Station, wo er neue Beziehungen knüpfte und Mitglied der physikalischmathematischen Akademie wurde.108 Wie aus dem von Leibniz hinterlassenen Briefkorpus hervorgeht, ist es diese Reise, die Leibniz’ Vernetzung innerhalb der Gelehrtenrepublik massgeblich förderte, steigt doch die Anzahl seiner Korrespondenten nach 1690 deutlich an. In späteren Jahren hielt sich Leibniz mehrfach ebenso eigenmächtig in Wien oder am Preussischen Hof in Berlin auf, in einigen Fällen trotz ausdrücklicher Reiseverbote des Kurfürsten, der vergeblich versuchte, Leibniz ausschliesslich auf seine Aufgaben in Hannover zu verpflichten, – vor allem auf die Geschichte des Welfenhauses, an der Leibniz arbeitete (und die er bis zu seinem Lebensende nicht fertigstellen sollte).109 Dabei bediente sich Leibniz vereinzelt auch der Möglichkeit, Briefe mit falschem Absendeort zu versehen, sie durch einen Boten nach Hannover bringen und dort der Post übergeben zu lassen.110 Im November 1708 wiederum reiste Leibniz, in diesem Fall als Bote im Auftrag eines anderen Fürsten, ohne Wissen des Kurfürsten nach Wien und meldete sich erst wieder im Januar 1709 aus Berlin brieflich in Hannover. In seinem Brief erklärte er sein Wegbleiben durch einen Kuraufenthalt und eine Reise an sächsische Universitäten. Die Mutter des Kurfürsten und Vertraute Leibniz’ Sophie liess ihn daraufhin in einem Schreiben nach Berlin wissen, ihr Sohn habe geäussert, „er wolle in den Zeitungen demjenigen, der Leibniz wiederfinde, eine Belohnung aussetzen lassen. Erst seit einigen Tagen wisse man in Hannover überhaupt, wo er sei.“111
107 Berechnungen Gerbers zufolge hat Leibniz während der 40 Jahre seiner Anstellung in Hannover 1676-1716 (einschliesslich seiner Aufenthalte im Harz) insgesamt rund 10 Jahre nicht am Hof verbracht; vgl. Gerber: Leibniz und seine Korrespondenz, a.a.O.: 144. 108 Vgl. Hirsch: Der berühmte Herr Leibniz, a.a.O.: 207ff.; Aiton: Gottfried Wilhelm Leibniz, a.a.O.: 205ff. 109 Vgl. zu den kurfürstlichen Reiseverboten die Darstellung von Hirsch: Der berühmte Herr Leibniz, a.a.O.: 426; 465ff. Zur nie vollendeten Welfengeschichte Leibniz’, der sich in diesem Zusammenhang einmal mit Sisyphus verglich, s. Scheel, Günter: Leibniz als Historiker des Welfenhauses. In: Totok/Haase (Hg.): Leibniz, a.a.O.: 227-276. 110 Vgl. Hirsch: Der berühmte Herr Leibniz, a.a.O.: 465; s. auch 214. 111 Ebd.: 510.
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Auch Hannover lässt sich somit unter die Orte der Korrespondenten Leibniz’ einfügen, indem er durch Sophie und andere Vertraute über die Geschehnisse am Hof postalisch informiert war, sobald er selbst sich, wie so oft, auf Reisen befand. Dabei bedingten sich offensichtlich in Leibniz’ Kommunikation die Mobilität der Reise und die Korrespondenz, seine Aufenthalte an und seine schriftlichen und postalischen Kontakte mit den Zentren der gelehrten und politischen Welt. Reise und Botendienst, Brief und Publikation verknüpfen sich in netzartigen Beziehungen der „Informationsschöpfung“, Zirkulation und Vermittlung der Korrespondenz wie der mündlichen Kommunikation ‚vor Ort‘.112 Im Fall des „Briefwechsels“ zwischen Leibniz und Clarke ist letzteres allerdings unrealisiert geblieben. Trotz des Wunschs von Caroline, dass sich Leibniz und Clarke kennenlernten – „[i]ch wünschte, sie könnten mit Dr. Clarke bekannt werden“, schrieb sie im September 1716 an Leibniz – sind sich weder Leibniz und Clarke, noch Leibniz und Newton oder auch Leibniz und Conti je vor Ort begegnet.113
K al k ü l u n d K o m m u n i k a t i o n Formal ist der „Briefwechsel“ zwischen Leibniz und Clarke durch ein Merkmal charakterisiert, das bereits auf den ersten Blick augenfällig ist: Die Briefe werden im Lauf der Korrespondenz immer länger. Beginnt der Austausch mit eher knappen Schreiben, so nehmen sie in der Folge zunehmend den Umfang von eigentlichen Abhandlungen an. Die beiden Korrespondenten holen also immer weiter aus, um ihre unterschiedlichen Positionen zu erläutern – ohne dadurch freilich zu einer Einigung zu kommen. Diese Ausführlichkeit wird in den beiden letzten Schreiben auch zum Gegenstand expliziter Bemerkungen. So beginnt Leibniz sein fünftes Schreiben mit der Ankündigung, er wolle „[d]ieses Mal [...] ganz ausführlich antworten, um in die Schwierigkeiten Licht zu bringen und zu prüfen, ob man bereit ist, auf Gründe zu hören [...] oder ob man nur herumkritteln will [...].“ (75) In seinem folgenden Schreiben reagiert Clarke auf diese Bemerkung mit der Kritik, dass „übermässig viele Worte weder ein Beweis für klare Vorstellungen beim Schreiber noch ein ge112 Siebers, Winfried: Ungleiche Lehrfahrten – Kavaliere und Gelehrte. In: Bausinger et al. (Hg.): Reisekultur, a.a.O.: 47-57, hier: 52. 113 Textanhang in: Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 264 (Brief Carolines vom 8./19. Sept. 1617). Conti reiste 1717 nach Hannover, um Leibniz zu sprechen, und kam somit zu spät, da Leibniz am 14. November 1716 verstorben war. Vgl. ebd. (Personenregister): 581; Westfall: Isaac Newton, a.a.O.: 367f.
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eignetes Mittel sind, um dem Leser eine klare Vorstellung zu vermitteln“ und kündigt seinerseits an, er wolle „so kurz ich es vermag, versuchen, auf das fünfte Schreiben eine eindeutige Antwort zu geben“, – worauf er ein Schreiben verfasst, das beinahe ebenso lang ist wie dasjenige Leibniz’, dessen Umfang er kritisiert. (125) Leibniz war nicht mehr in der Lage, zu dieser Kritik Stellung zu beziehen, und über seine mögliche Antwort lässt sich nur spekulieren. Mit Clarkes Bemerkung und der damit eröffneten metakommunikativen Ebene der Diskussion ist jedoch eine Thematik verbunden, die im Denken Leibniz’ eine zentrale Rolle spielt, nämlich das Problem der sprachlichen Verständigung selbst. Befasste sich doch Leibniz – neben seinen zahlreichen weiteren Arbeitsgebieten – immer wieder intensiv und unter verschiedenen Gesichtspunkten mit Problemen der Sprache, der Zeichen und der Kommunikation. Dabei stellte er sich u.a. gerade diejenigen Fragen, die Clarke in seiner Kritik aufwirft: Was könnte in der sprachlichen Kommunikation, im Gegensatz zu „übermässig vielen Worten“, ein „Beweis“ für „klare Vorstellungen“ sein oder ein „geeignetes Mittel“, um solche mitzuteilen? Wie lässt sich etwas sprachlich „eindeutig“ vermitteln, mithin Mehrdeutigkeit und Missverständnis in der Kommunikation ausschliessen? Wie lässt sich über das Medium der Sprache eine rationale Verbindlichkeit herstellen? Ein Hintergrund dieses Interesses Leibniz’ an Sprache und Vermittlung ist in der Auseinandersetzung des Studenten Leibniz mit Rechtsphilosophie und Rechtspraxis zu sehen, v.a. mit der Frage, wie sich die heterogenen Rechtssysteme vereinheitlichen und rechtliche Bestimmungen und Urteile eindeutig begründen liessen. Die Lösung sieht der junge Leibniz in einer durchgehenden Formalisierung und Systematisierung des Rechts und in der Entwicklung eines „Rechtsalphabets“ von Zeichen, die klar definierte Begriffe vertreten, sowie einem System von Regeln, die zulässige Kombinationen zwischen diesen Zeichen bzw. Begriffen festlegen sollten. Über eine solche ars combinatoria müsste es möglich sein, auch schwierige rechtliche Streitfälle auf rationale Weise, nämlich auf der Basis eines formalen logischen Systems zu entscheiden.114 Mit dieser Idee überträgt Leibniz das Prinzip der von ihm entwickelten Infinitesimalrechnung auf das Rechtswesen: Ähnlich wie es diese ermöglicht, infinitesimale Grössen über Grenzwerte operationalisierbar zu machen, sollte es auch möglich sein, den kontingenten Bereich der Rechtsnormen und -urteile auf ein formales Prinzip zu begrenzen und 114 Vgl. Wolf, Erik: Leibniz als Rechtsphilosoph. In: Totok/Haase (Hg.): Leibniz, a.a.O.: 465-488, hier: 479. Auf seine entsprechende Frühschrift Dissertatio de arte combinatoria (1666) nimmt Leibniz noch Jahrzehnte später Bezug, so u.a. in den Nouveaux Essais sur l’Entendement Humain.
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damit, wie Leibniz in einem Brief 1678 formuliert, das Recht „vom Unendlichen in das Endliche zurückzuführen“ (jus ex infinito finitum reddere).115 Ein solches Prinzip der Formalisierung von Aussagen und Urteilen ist für Leibniz jedoch nicht nur auf das Rechtswesen zu beziehen, sondern auf die Wissenschaften bzw. auf Wissen schlechthin. Darin eingeschlossen ist das Problem der Lösung von sachlichen Konflikten gerade angesichts der zu Leibniz’ Zeit so brisanten Streitfragen zwischen den Konfessionen. Denn nach Leibniz’ Vorstellung sollten auch religiöse und politische Streitfragen dadurch lösbar werden, dass sich die Beteiligten auf formale mathematische Methoden der Wahrheitsfindung verlegten, da diese die Gültigkeit von Aussagen zweifelsfrei nachprüfbar machten: „[W]enn jemand an dem, was ich vorgebracht haben würde, zweifelte“, so formuliert Leibniz in einer viel zitierten Passage, „würde ich zu ihm sagen: ‚Rechnen wir, mein Herr!‘, und Feder und Tinte nehmend, würden wir uns bald aus der Verlegenheit ziehen.“116 Das sprachliche Medium der Kommunikation würde, dieser Vision Leibniz’ zufolge, durch eine verbindliche formale Berechnung auf dem Papier ersetzt. Liesse sich die Vision vollständig realisieren, so wäre das Finden der Wahrheit eine Angelegenheit der Durchführung von formalen Prozessen nach dem Modell der Mathematik, die, wie Leibniz (1686) ausführt, ähnlich eindeutige Resultate ergeben würden wie das Rechnen auf dem Rechenbrett oder das Abwägen auf einer Waage: Und das ist es, was ich jetzt vorhabe: nämlich gewisse Formeln bzw. allgemeine Gesetze auszudenken, durch die jede Art einer vernünftigen Überlegung verbindlich gemacht werden kann. Wir würden, gerade als ob wir einen arithmetischen Kalkül oder ein Rechenbrett gebrauchen, die Wahrheit gleichsam auf der Waage abwiegen, um ebenso den Ungereimtheiten der scholastischen Unterscheidungen wie den Zweideutigkeiten der Alltagssprache zu entgehen, was bekanntlich bisher fast allein den Mathematikern gelungen ist.117
115 Lat. Orig. zit. nach Goldenbaum, Ursula: Reason light? – Kritische Anmerkungen zu einer neuen Leibnizinterpretation. In: studia leibnitiana 36 (2004), 1: 2-21, hier: 12; vgl. hierzu Schneider, Hans-Peter: Leibniz als Jurist. In: Totok/Haase (Hg.): Leibniz, a.a.O.: 489-510, hier: 495. 116 Vorrede zur „Allgemeinen Wissenschaft“. In: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Fragmente zur Logik. Berlin 1960, hier: 91; zu praktischen Anwendungen formaler Methoden durch Leibniz in politischen und religiösen Fragen vgl. Cassirer: Newton and Leibniz, a.a.O.: 378f. 117 Leibniz: Elemente der Vernunft; zit. nach Goldenbaum: Reason light?, a.a.O.: 9.
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Die Verbindlichkeit „jeder Art einer vernünftigen Überlegung“ durch Formalisierung zu sichern: Dieses in Anspruch und Umfang phantastisch anmutende Programm einer universalen „verbindlichen“ Sprache blieb als Ganzes – wenig erstaunlich – eine Utopie Leibniz’, des „perhaps most resolute champion of rationalism who ever appeared in the history of philosophy“, wie Cassirer formuliert hat.118 Leibniz hat jedoch bis zum Ende seines Lebens immer wieder sehr konkret an der Realisierung solcher Überlegungen gearbeitet, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen seines ‚grossen Programms‘. Hierzu zählen die zahlreichen Anstösse und Projekte Leibniz’, die Aussagen der Wissenschaften in einer Enzyklopädie zu sammeln und zu klassifizieren; ferner mehrere Ansätze zur Ausarbeitung von Zeichensystemen bzw. formalen Sprachen zur Erfassung und Analyse von Aussagen; und schliesslich die Erweiterung und ‚Kalkülisierung‘ der Logik über Transformationsregeln, die es erlauben sollten, die Gültigkeit von Aussagen durch Berechnung nachzuweisen wie auch kombinatorisch neue, gültige Aussagen zu generieren. Dabei verschiebt sich der Akzent mehrfach innerhalb der Arbeiten Leibniz’ an einer solchen formalen Sprache oder „Charakteristik“: Erwägt er zunächst, das geplante Zeichensystem mittels ideographischer Zeichen nach dem Vorbild chinesischer oder ägyptischer Schriften zu entwickeln, so operiert er in einer weiteren Phase etwa mit einem numerischen System, wobei er einfache Begriffe mit Primzahlen bezeichnet, zusammengesetzte Begriffe durch Multiplikation. In der Folge differenzieren sich Leibniz’ Arbeiten zudem dahingehend aus, dass er sich sowohl mit logisch-deduktiven und mathematisch-algebraischen Charakteristiken befasst als auch u.a. mit dem Ansatz einer grammatischen Charakteristik der natürlichen Sprachen.119 Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass Leibniz auf eine „Wissenschaft der Formen oder Formeln“ abzielt, auf ein Erfassen also der formalen Ordnung(en) des Wissens, um diese über Zeichen bzw. Zeichensysteme oder Sprachen symbolisierbar und in einem Kalkül operationalisierbar zu machen.120 Diese Zielsetzung zeugt von der fundamentalen Bedeutung, 118 Cassirer: Newton and Leibniz, a.a.O.: 379; vgl. hierzu Gustafsson, Lars: Leibniz’ Universalsprache als Wissenschaftsutopie. In: Vosskamp, Wilhelm (Hg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie, Bd. 2. Frankfurt a. M. 1985: 266-278. 119 Vgl. zu diesen Schwerpunkten der Arbeit Leibniz‘ im einzelnen Gustafsson: Leibniz’ Universalsprache als Wissenschaftsutopie, a.a.O.; Esquisabel, Oscar M.: Leibniz’ Erfindungskunst und der Entwurf der Charakteristik. In: studia leibnitiana 36 (2004), 1: 42-56; Jaenecke, Peter: Wissensdarstellung bei Leibniz. In: Hermanni, Friedrich/Breger, Herbert (Hg.): Leibniz und die Gegenwart. München 2002: 89-118, bes.: 105ff. 120 Zit. Leibniz nach Esquisabel: Leibniz’ Erfindungskunst und der Entwurf der Charakteristik, a.a.O.: 54.
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die Leibniz der Sprache bzw. den Zeichen zumass, indem er diese, wie Albert Heinekamp angemerkt hat, nicht nur als „Stützen des Denkens, sondern [als] konstitutive Momente des Denkens“ begriff: Indem formale Zeichensysteme erlauben, Denkprozesse als ein regelgeleitetes Operieren mit Zeichen zu organisieren, wird „Denken [...] zum Operieren mit Zeichen“. „Alles menschliche Denken“, so Leibniz, „vollzieht sich mittels gewisser Zeichen oder Charaktere.“121 Impliziert ist damit eine Trennung des Zeichens von einer gegenständlichen Referenz, da ein formales Operieren mit Zeichen unabhängig davon ist, wofür diese stehen. Für Leibniz’ Verständnis des Kalküls bedeutet dies, wie Sybille Krämer gezeigt hat, dass „Wahrheit zurückführbar [wird] auf Richtigkeit. Dies ist die epistemische Rolle, die Leibniz der Kalkülisierung zuweist.“122 Als eine Technik des „blinden“ Operierens mit referenzfreien Zeichen auf dem Papier stellt das Leibnizsche Kalkül, nach Krämer, eine Art „symbolische Maschine“ dar, die Zeichen nicht als Abbilder von Gegenständen oder Aussagen behandelt, sondern vielmehr als Vorbilder für solche. Damit ist zugleich die Begründung der Möglichkeit gegeben, „dass wir geistige Leistungen, soweit wir sie als Operationen einer symbolischen Maschine modellieren können, im Prinzip auch wirklichen Maschinen übertragen können.“ Leibniz lässt sich, in dieser Hinsicht, auch als ein Vordenker der Turing-Maschine betrachten.123 Das Prinzip Leibniz’ eines Operierens mit referenzfreien Zeichen auf dem Papier stellt, so ein weiterer Hinweis Krämers, zugleich die mediale Eigenheit der Schrift heraus: Denn formale Zeichensysteme wie die Leibnizschen sind, im Gegensatz zur phonetischen Schrift, die als eine sekundäre Verschriftlichung von Lauten erscheint, Beispiele par excellence für den zeichen- wie medientheoretisch zentralen „Eigensinn“ der Schrift als eines relationalen Gefüges von Zeichen und einer „Geistestechnik“ eigener Art.124 In Leibniz’ Kalkülen manifestiert sich, mit anderen Worten, das Medium der Schrift als eine relationale Ordnung von Zeichen, die unabhängig sind von einem ihnen vorausgehenden Refe-
121 Die Charakteristik als Organon der Allgemeinen Wissenschaft. In: Leibniz: Fragmente zur Logik, a.a.O., hier: 110; Heinekamp, Albert: Gottfried Wilhelm Leibniz. In: Dascal, Marcelo et al. (Hg.): Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, 1. Halbbd. Berlin und New York 1992: 320-330, hier: 322. 122 Krämer, Sybille: Zur Begründung des Infinitesimalkalküls durch Leibniz. In: Philosophia Naturalis, 28, (1991) 2: 117-146, hier: 120. 123 Krämer, Sybille: Geist ohne Bewusstsein? Über einen Wandel in den Theorien vom Geist. In: dies. (Hg.): Geist – Gehirn – künstliche Intelligenz. Berlin und New York 1994: 88-110, hier: 97. 124 Ebd.: 90f.
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renzsystem von Lauten oder von Bedeutungen; – ähnlich wie sich, nach Leibniz‘ Clarke gegenüber angeführter Argumentation, Raum als eine relationale Ordnung von Verhältnissen konstituiert, die unabhängig sind von einem ihnen vorausgehenden Bezugssystem, bzw. von irgendeiner „absolute[n] Realität zusätzlich zu den Dingen [...], deren Lage [situation] man betrachtet.“ Dabei bleibt das Operieren mit Zeichen und das „Ausdenken gewisser Formeln“ bei Leibniz eng verbunden mit seiner Metaphysik. So verweist Leibniz’ Vorstellung eines regelgeleiteten Operierens mit Zeichen, mit dem „Wahrheit auf Richtigkeit“ zurückgeführt werden kann, in seinen Grundlagen nicht auf Konvention, sondern auf eine von Leibniz vorausgesetzte ontologische Gültigkeit des Kalküls. So beruhen, nach Liske, „[z]war nicht Leibniz’ Kalküle selber, wohl aber seine Theorie über deren Anwendbarkeit […] auf einer recht fraglichen metaphysischen Überzeugung: Die Wirklichkeit weist eine ein für allemal festliegende rationale Ordnung auf [...]“.Lars Gustafsson hat daher Leibniz’ Wissenschaftsutopie als eine „Realutopie“ gekennzeichnet: In ihren formalen Systemen erfasst sie eine – durch die göttliche Vernunft begründete – „logisch perfekte Welt.“125 Andererseits ist Leibniz’ „Wissenschaft der Formen und Formeln“ nicht gleichzusetzen mit einer schlichtwegs universalen Berechenbarkeit der Welt. Dies u.a. insofern als Leibniz von einer fundamentalen Grenze dessen ausgeht, was sich formal erfassen lässt, indem das Denken selbst der Möglichkeit einer solchen formalen Modellierung entzogen ist. Die „symbolische Maschine“ ist, so Krämer, für Leibniz ein „Medium“ des Denkens, nicht aber fähig, dieses Denken nachzubilden. Vielmehr unterscheidet Leibniz – im Gegensatz etwa zu Vorstellungen und Forschungsprogrammen einer „künstlichen Intelligenz“ –, prinzipiell zwischen formalem Operieren und Denken, welches als Bewusstsein notwendig mit der Existenz eines Individuums verbunden ist, das seine Einheit als Selbst-Bewusstsein erfasst. Es ist dieses Bewusstsein, das den Geist kennzeichnet und ihm, wie Leibniz in der Monadologie festhält, seine grundsätzlichen Gegenstände des Denkens liefert.126 125 Liske: Gottfried Wilhelm Leibniz, a.a.O.: 168; Gustafsson: Leibniz’ Universalsprache als Wissenschaftsutopie, a.a.O.: 275; vgl. hierzu Esquisabel, Oscar M.: Logik als Metaphysik bei Leibniz. In: Breger et al. (Hg.): Einheit in der Vielheit, a.a.O.: 234-240. 126 Krämer Sybille: Mind, Symbolism, Formalism: Is Leibniz a Precursor of Artificial Intelligence? In: Knowledge Organization, 23 (1996), 2: 83-87, hier: 86; vgl. dies.: Geist ohne Bewusstsein?, a.a.O.: 103ff.; Leibniz, Gottfried Wilhelm: Monadologie. In: ders.: Monadologie und andere metaphysische Schriften. Französisch-deutsch. Hamburg 2002: 110-151, hier: 123 (§ 30).
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Denken verweist also nicht alleine auf ein – in der Utopie: verbindliches – Medium, sondern, als Denken selbst, auf das Prinzip der Individualität, das nach Leibniz die von Gott geschaffene Welt kennzeichnet. Als menschliches Denken ist es verbunden mit den substanziellen – monadischen – Einheiten vernunftbegabter Wesen, die, so Leibniz’ wiederkehrende Metapher der individuellen Substanz, als „lebendige Spiegel“ eine unendlich vielfältige Welt repräsentieren. Für Leibniz ist dabei der menschliche Intellekt eine Nachahmung des göttlichen im Kleinen. So ist jeder Geist „in seiner Abteilung wie eine kleine Gottheit“ (comme une petite divinité dans son departement); er ist aber selbstredend nicht Gott, vielmehr erkennt er die Dinge nur unvollkommen aus seinem individuellen Gesichtspunkt.127 Ein Bild, mit dem Leibniz dies veranschaulicht, ist dasjenige einer perspektivischen Ansicht auf eine Stadt. Ebenso wie ein solcher Blick ist auch der menschliche Geist – nicht im Gegenstand, sondern im Modus seines Erkennens – limitiert. Über alle unendlichen vielen Modi verfügt alleine Gott, da er, wie Leibniz in einer Notiz 1676 formuliert, „die Dinge zugleich auch auf unzählige andere Weisen (modi) einsieht, wir auf nur eine“.128 Zugleich sind die individuellen und limitierten menschlichen „petites divinités“ in ihrer Kommunikation, diesseits der Utopie einer universalen verbindlichen Sprache, an das Medium der existierenden Sprache gebunden bzw. an eine Vielzahl verbaler Sprachen. Leibniz hat sich in seinen Arbeiten intensiv auch mit diesem Gegenstand der natürlichen existierenden Sprachen befasst, wobei er sich, wie Stefano Gensini betont hat, zu verschiedenen Zeiten parallel sowohl mit seinem ‚grossen Programm‘ einer universalen Charakteristik beschäftigte als auch mit Sprachgeschichte, mit dem Verhältnis zwischen Sprachen, mit Fragen der Semantik und Pragmatik. Dabei betrachtete Leibniz die Vielfalt wie auch die Dynamik der natürlichen Sprachen als gegeben, unterschied sie also prinzipiell von der idealen Charakteristik: Während diese Eindeutigkeit herstellen soll, sind natürliche Sprachen gerade nicht eindeutig fixiert – vielmehr ist, nach Leibniz, eine natürliche Veränderlichkeit der Sprachen („naturalis mutabilitas linguarum“) anzunehmen, die v.a. in den Tropen (Metapher, Metonymie, Synekdoche) zum Ausdruck kommt – noch sind sie in ihrer Pluralität miteinander zur Deckung zu bringen. Vielmehr gleichen sie den Leibnizschen Monaden: Ähnlich wie diese lassen sich
127 Ebd.: 146f. (§ 83). 128 Zit. nach Liske: Gottfried Wilhelm Leibniz, a.a.O.: 126; vgl. Leibniz: Monadologie, a.a.O.: 135 (§ 57).
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auch die Sprachen als ‚Spiegel‘ innerhalb eines sprachlichen Universums vorstellen.129 In den Nouveaux Essais spricht Leibniz, bezogen auf die Tropen, auch von einer „Unbestimmtheit“ bzw. einer „indetermination du language, où l’on manque d’une espece de loix qui règlent la signification des mots“, also von einer semantischen ‚Gesetzlosigkeit‘ der Sprache im Blick auf die historische Veränderung der Wortbedeutungen.130 Selbst wenn sich diese, was Leibniz annimmt, theoretisch auf einen natürlichen Ursprung zurückführen liessen, sind sie auch Folge von „Zufälle[n]“ und einem durch die Tropen markierten Übergang „von einer Bedeutung in die andere [...] ohne dass man immer ihre Spur verfolgen kann“, – ein Übergang, der überhaupt nur dort als Metapher, Metonymie etc. benannt wird, wo er bemerkt wird, was „selten“ der Fall ist. Worte sind insofern in der verbalen Sprache gerade nicht eindeutig bestimmte und fixierte Termini; und mitunter – „öfter, als man denkt“ – verwendet man sie im übrigen nur „nach der Gewohnheit der anderen“ geordnet und ist „Gedanken-Dolmetscher [...] ganz wie ein Brief es sein würde.“ 131 Diese Unbestimmtheit der Sprache ist für Leibniz nicht ein Defizit, sondern ein konstitutives Merkmal natürlicher Sprachen und ihrer Leistungsfähigkeit: ihrer Kraft und Fähigkeit, neue Ausdrücke hervorzubringen wie ihrer Effizienz als Medium. So würde ein theoretisch möglicher Versuch, die Wörter bei ihrem Gebrauch zugleich semantisch zu bestimmen bzw. bewusst zu verwenden, praktisch den – mündlichen – Gebrauch der Sprache gerade verunmöglichen: Man müsste, so Leibniz (1697), „überaus langsam sprechen, oder vielmehr verstummen“.132 129 Leibniz (Epistolaris de historia etymologica dissertatio, § 21) zit. nach Heinekamp: Gottfried Wilhelm Leibniz, a.a.O.: 323; vgl. Gensini, Stefano: „De linguis in universum“. On Leibniz’s Ideas on Languages. Five Essays. Münster 2000: 13ff., 28f., 41. 130 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Hamburg 1996: 251 (Buch II, Kap. 29, § 12), frz. Orig. zit. nach Piro, Francesco: Are the ‚Canals of Tropes‘ Navigable? Rhetoric Concepts in Leibniz’ Philosophy of Language. In: Dutz, Klaus D. und Gensini, Stefano (Hg.): Im Spiegel des Verstandes. Studien zu Leibniz. Münster 1996: 137-160, hier: 153 (Anm. 50). Wie Piro betont, ist somit nach Leibniz nicht das Zeichen arbiträr, „but it is the way in which it is used that allows it to become so.“ Ebd. 131 Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, a.a.O.: 251; 277f., 282 (Buch III, Kap. 2, § 1 u.2). Zu einer auch im „Briefwechsel“ erwähnten solchen „Spur“ bzw. etymologischen Argumentation Leibniz’: der Rückführung von „fatum“ auf „fari“, das, gleichgesetzt mit „beschliessen“, für Leibniz auf den göttlichen „Beschluss der Vorsehung“ referiert, vgl. Der Leibniz-Clarke Briefwechsel, a.a.O.: 79. 132 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreifliche Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache. In: ders.: Haupt-
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Das Band der existierenden Sprache aber ist damit gerade kein rational verbindliches, das es ermöglichen würde, den „Zweideutigkeiten der Alltagssprache“ bzw. einer Ambiguität der sprachlichen Kommunikation zu „entgehen“. Eine „eindeutige Antwort“, so hätte Leibniz Clarke auf dessen letzten Brief entgegnen können, gibt es strenggenommen nicht, da sich die Möglichkeit von Mehrdeutigkeit und Missverständnis im Medium der existierenden Sprache nicht prinzipiell ausschliessen lässt. So tritt an die Stelle eines idealen „Rechnen wir!“ eine Vermittlung, die einer „indetermination“ der Sprache ausgesetzt bleibt. Hieraus folgt selbstverständlich nicht ein Verzicht auf Bemühungen, Klarheit und Verständigung im Medium existierender Sprachen herzustellen; ganz im Gegenteil ist es dies, worauf Leibniz – theoretisch wie praktisch – wesentlich abzielt. So ist zunächst die existierende Sprache selbst, so der Ansatz seiner Schriften über die deutsche Sprache, als „Spiegel des Verstandes“, zu verbessern, und ihr Wortschatz soll in Wörterbüchern gesammelt werden.133 In Bezug auf das Schreiben der Gelehrten wiederum sind es u.a. die scholastischen „Ungereimtheiten“, die zu vermeiden sind; die Wörter sollen vor allem nicht missbräuchlich sein und dürfen nicht in die Irre führen. Zugleich ist es gerade das Ziel einer Verständigung, das es erfordert, sich auf die „Zweideutigkeiten“ und Unbestimmtheiten der Alltagssprachen einzulassen: Denn schränkt schon der Gebrauch des Lateinischen die Verständlichkeit auf einen engen Leser- oder Hörerkreis ein, so gilt dies umso mehr für eine – im Medium der Schrift mögliche – fixierte Sprache bis hin zu einer avisierten formalen Rationalität der von Leibniz entworfenen künstlichen Sprachen. So bekräftigt Leibniz in den Nouveaux Essais, es liege „in unserer Macht, die Bezeichnungen, wenigstens in irgendeiner Gelehrtensprache, festzustellen und sich, um jenen Turm von Babel zu zerstören, über sie zu verständigen.“134 Ebenso sieht Leibniz auch keinen Hinderungsgrund, „in der Metaphysik oder in der Moral als Mathematiker [...] in aller Strenge“ zu schreiben und „Beweise ausserhalb der Mathematik“ vorzulegen. Dies aber bedeutete, „Mühe“ für einen „kleinen Leserkreis“ aufzuwenden, verbunden mit der Frage „Quis leget haec?“ Und der Antwort: „Vel duo vel nemo.“135
schriften zur Grundlegung der Philosophie. Hgg. von Ernst Cassirer, Bd. II. Hamburg 1996: 672-712, hier: 674. 133 Ebd: 672. 134 Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, a.a.O.: 346. 135 Ebd: 252. Leibniz unterscheidet dabei grundsätzlich ein „akroamatisches“, strenges Schreiben von einem „exoterischen“; vgl. auch ebd.: 4.
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Sprache ist somit auch Medium der (breiten) Kommunikation und Zirkulation, deren Gebrauch als solches sich an den Lesern und Hörern ausrichtet; und hiervon zeugt praktisch das Schreiben Leibniz’, des Vermittlers und Korrespondenten, der nahezu ständig in Austausch und Dialog stand, in hohem Mass. Im besonderen gilt dies für seine Briefe und damit diejenige Form seines Schreibens, die, im Gegensatz zum Abgeschlossenen des Buchs, grundsätzlich ein Offenes des Austauschs und des Dialogs privilegiert. Verbunden ist diese Form bei Leibniz mit einer sprachlichen Kommunikation, die sich innerhalb seiner Briefwechsel den jeweiligen Adressaten anpasst. Insofern lassen sich die Korrespondenzen – im Sinne nicht nur postalischer, sondern auch sprachlicher Kommunikationen – als dasjenige betrachten, was im System Leibniz’ für Verknüpfung oder Beziehung steht; sie sind, so eine These Christine Fremonts im Blick auf Leibniz’ Briefwechsel mit Bartholomäus des Bosses, „les relations elles-mêmes“, die Kommunikation ermöglichen gegenüber einer Abgeschlossenheit der Monaden. Innerhalb der Leibniz’schen Welt stellen die einzelnen Korrespondenzen dabei gleichsam die individuellen Gesichtspunkte dar, die je einen Modus der Erkenntnis derselben Wahrheit repräsentieren; entscheidend ist für Leibniz’ Schreiben grundsätzlich diese Erkenntnis innerhalb des je individuellen Modus, das Verbindende also in der Vielheit, nicht die gegenseitige Abgrenzung oder Positionierung.136 In seiner Korrespondenz trägt Leibniz diesen unterschiedlichen Modi im Sinne des „exoterischen“, gerichteten Schreibens Rechnung. In seinen Schreiben des „Briefwechsels“ an Clarke – und an Caroline und eine weitere Leserschaft – ist entsprechend etwa von den spezifischen begrifflichen Grundlagen seiner Metaphysik (einschliesslich des Begriffs der Monade) kaum die Rede. Tatsächlich ist es gerade eine der wenigen Stellen, an denen Leibniz schliesslich doch auf Begriffe seiner Metaphysik zu sprechen kommt, welche die Antwort Clarkes in dessen nächstem Schreiben provoziert, „alles dies“ verstehe er „überhaupt nicht.“ (143, vgl. 111)137 So ist sprachliche Kommunikation, diesseits der Utopie der verbindlichen universalen Sprache, auch zwischen Gelehrten Angelegenheit einer Medialität und Relationalität der Vermittlung und der Verhandlung, die – entgegen einer Rationalität des Gesetzmässigen – einer „indetermination 136 Fremont, Christine: L’Être et la Relation. Paris 1981: 16; vgl. 55f. 137 Ebenso trägt Leibniz etwa die Rede von der „prästabilierten Harmonie“ an einer weiteren Stelle lediglich den Vorwurf von Clarke ein, es handle sich hierbei um einen terminus technicus, der nichts erkläre. (vgl. 57, 70, 111)
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du language“ unterliegt. Es ist ebendiese ‚Gesetzlosigkeit‘, von der auch die – immer länger werdenden – Schreiben des „Briefwechsels“ selbst zeugen, indem das Problem, das sich für die beiden Schreibenden stellt, ja gerade die Herstellung von Verständlichkeit und Verbindlichkeit im Medium einer existierenden Sprache ist, die in dieser Funktion nicht aufgeht. Der „Briefwechsel“ lässt sich in dieser Hinsicht auch als ein Beispiel für jene Grenzen der Universalität im Medium der sprachlichen Kommunikation lesen, die Leibniz in seinen theoretischen Überlegungen in Rechnung stellt. Grundsätzlicher noch als im erwähnten Beispiel kommt dies dort zum Ausdruck, wo die beiden Schreibenden vor der Aufgabe stehen, sich über die Bedeutung von Begriffen zu einigen, also, entgegen dem semantischen „Turm von Babel“ der Alltagssprache, eine Verbindlichkeit durch die Festlegung von Termini herzustellen. Denn eine Schwierigkeit einer solchen begrifflichen Bestimmung besteht darin, dass sie ihrerseits eine Einigung über deren Definition bzw. die Grundlagen einer solchen voraussetzt – oder aber sich andernfalls zu einem neuen Gegenstand einer Kontroverse aufspreizen kann, die sich (theoretisch ad infinitum) verschieben und fortsetzen lässt. Ein Beispiel im „Briefwechsel“, an dem sich eine solche Dynamik in besonderem Mass manifestiert, ist die Debatte um die Frage des „Sensoriums“, ausgehend von Leibniz’ erstem Schreiben, in dem er ja den Vorwurf erhebt, Newton bezeichne den Raum als das „Sensorium Gottes“. Die Kontroverse hat in diesem Fall, wie oben erwähnt, bereits ihren Ausgangspunkt in einem Missverständnis, indem, da sich Leibniz und Clarke auf unterschiedliche Formulierungen Newtons beziehen, unklar ist, ob die Rede vom „sensorium“ oder „gleichsam“ vom sensorium sei. Bereits in den ersten Briefen eröffnet sich darüber hinaus eine Kontroverse über die Bedeutung des Wortes „sensorium“; denn die Erläuterungen Clarkes dazu, wie dieser Begriff Newtons zu verstehen sei, werden von Leibniz nur mit Vorbehalten akzeptiert. In der weiteren Folge entwickelt sich hieraus eine durch alle Briefe hindurch aufrechterhaltene Debatte nicht nur über die Bedeutung dieses Begriffs, sondern auch darüber, wie Begriffe überhaupt semantisch zu bestimmen sind. Diese Frage deutet sich bereits in Leibniz’ zweitem Schreiben an, in dem er Clarke auf seine Erläuterungen antwortet: Das Wort sensorium hatte bislang [...] immer die Bedeutung „Organ zur Sinnesempfindung“. Er [Newton] und seine Freunde mögen es jetzt ganz anders deuten, ich habe nichts dagegen. (27)
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Clarke beansprucht demgegenüber in seinem zweiten Schreiben eine allgemeine Gültigkeit der von ihm formulierten Definition des Begriffs: Das Wort sensorium bedeutet strenggenommen nicht das Organ, sondern den Ort der Sinnesempfindung. Das Auge, das Ohr etc. sind Organe, jedoch keine sensoria. (32)
Leibniz widerspricht in seinem dritten Schreiben erneut und beruft sich nun auf ein Wörterbuch: Es wird schwer sein, mich davon zu überzeugen, dass ein sensorium in seiner üblichen Bedeutung kein Organ zur Sinnesempfindung ist. Siehe dazu die Anmerkungen von Rudolphus Goclenius in seinem „Dictionarium Philosophicum“ [...]. (41)
Clarke wiederum reagiert darauf in seinem dritten Schreiben, indem er die Verbindlichkeit des genannten Wörterbuchs für den Fall des Newtonschen Textes zurückweist: Die Frage ist nicht, was Goclenius, sondern was Sir Isaac Newton mit dem Wort sensorium meint, wenn über die Auffassung von Sir Isaac Newton gestritten wird und nicht über die Auffassung in Goclenius’ Buch. Wenn Goclenius der Meinung ist, das Auge, das Ohr oder irgendein anderes Organ zur Sinnesempfindung sei ein sensorium, so irrt er ganz gewiss. Sobald aber irgendein Autor ausdrücklich erklärt, was er mit irgendeinem Terminus technicus meine und wofür dieser nützlich sei, muss man in diesem Falle überhaupt noch danach fragen, in welchem anderen Sinne eventuell irgendwelche anderen Autoren dasselbe Wort gelegentlich benutzt haben? Scapula erklärt es als domicilium, den Ort, wo der Verstand seinen Platz hat. (47f.)
Daraufhin erwidert Leibniz – nochmals ausführlicher – in seinem vierten Schreiben, wobei er sowohl die Gültigkeit und „Nützlichkeit“ des Newtonschen Begriffs bestreitet als auch auf die Funktion von Wörterbüchern zu sprechen kommt: Ich würde mich freuen, eine Passage eines Philosophen zu Gesicht zu bekommen, in der sensorium in einem anderen Sinne als bei Goclenius verwendet wird. Wenn Scapula sagt, dass das sensorium der Ort sei, wo der Verstand seinen Platz hat, so meint er damit das Organ der inneren Sinnesempfindung. Also unterscheidet er sich von Goclenius nicht. Sensorium bedeutete immer das Organ zur Sinnesempfindung. Die Zirbeldrüse wäre nach Descartes’ Meinung das sensorium in dem von Scapula angeführten Sinne. [...]. Zwar ist die Rede von
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der Bedeutung, die diesem Wort von Monsieur Newton und nicht von Goclenius beigelegt wird, doch tadele man mich nicht, dass ich mich auf das Lexicon Philosophicum dieses Autors berufe, ist es doch Aufgabe der Lexika, die Bedeutung der Worte darzulegen. (55f.)
Clarke zieht sich daraufhin in seinem vierten Schreiben auf seine bereits getroffenen Aussagen zurück: Zur Bedeutung des Wortes sensorium (obwohl Sir Isaac Newton nur sagt „gewissermassen das sensorium“) ist in meiner dritten Erwiderung §10, der zweiten Erwiderung §3 und der ersten Erwiderung §3 schon genug gesagt worden. (69)
In ihren fünften Schreiben kommen sowohl Leibniz als auch Clarke nochmals auf das Thema zu sprechen, wobei sie ihre unterschiedlichen Positionen erneut zur Geltung bringen, verbunden mit gegenseitigen Vorwürfen: Die Rede vom sensorium sei „wenig passend und wenig verständlich“, und Clarke nehme von seinen Antworten „keine Notiz“ (Leibniz, 107f.), Leibniz behaupte nur und beweise nichts (Clarke, 143). Auf keiner der zunehmend differenzierten Ebenen kommt ein Konsens zustande; die kennzeichnende Bewegung ist vielmehr diejenige einer Kontroverse, die sich verschiebt bzw. verzweigt und kein Ende in einer Einigung oder Feststellung findet.138 Es liegt nahe, diese Entwicklung der Debatte auch auf den Kontext des Prioritätsstreits zurückzuführen, der eine Verständigung der beiden Korrespondenten offensichtlich erschwert. Darüber hinaus ist der halböffentliche „Briefwechsel“ ja ebenso an Caroline und eine breitere Leserschaft gerichtet, an deren Urteil beide Schreibenden appellieren. Schmeiser hat daher die Auffassung vertreten, es gehe in den Briefen „kaum noch darum [den jeweils anderen] zu überzeugen“, sondern „tendenziell nur noch darum, nachzuweisen, dass der je andere nicht ansprechbar ist“, also gewissermassen um einen rhetorischen Gestus gegenüber Dritten anstelle eines auf Verständigung abzielenden Dialogs. Nach Schmeiser ist die Korrespondenz damit gekennzeichnet durch ein „kommunikative[s] Scheitern.“139
138 Verfolgen lässt sich diese Bewegung auch am Beispiel der Frage nach „Wundern“;– wer oder was definiert, was ein Wunder ist? Die sprachliche Alltagspraxis? Die Theologen? Vgl. ebd.: 30; 35f.; 42f.; 49f.; 58f.; 72f.; 154f. 139 Schmeiser: Korrespondenz, a.a.O.: 168f.
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Nun ist ein solches Moment der Nicht-Verständigung nicht ausschliesslich in der Korrespondenz Leibniz’ mit Clarke zu finden. So hat Reinhard Finster für den Briefwechsel zwischen Leibniz und Antoine Arnauld ebenfalls von einer in gewissem Sinne „gescheitert[en]“ Korrespondenz gesprochen.140 Die Charakterisierung eines „kommunikativen Scheiterns“ trifft jedoch für den „Briefwechsel“ sicher im besonderem Mass zu, sofern man „Kommunikation“ mit einem auch für Leibniz ja zentralen Ideal der Verständigung assoziiert, den Begriff also funktional auf eine gelingende Kommunikation im Sinne von Einigung, Konsens oder Verständnis bezieht. Eine solche Auffassung sprachlicher Kommunikation unter dem Gesichtspunkt einer idealen zwischenmenschlichen Verständigung fällt aber gewissermassen hinter Leibniz zurück. Denn es ist gerade der ‚Rationalist‘ Leibniz, der auf theoretischer Ebene zwischen einem solchen Ideal und einer ‚alltagssprachlichen‘ Kommunikation unterscheidet, indem er darauf hinweist, dass das Ideal der Verbindlichkeit im Medium der existierenden Sprache nicht gänzlich einlösbar ist. Gerade darin liegt ja der Hintergrund von Leibniz’ ‚grossem Programm‘ der Entwicklung einer universalen Sprache, die sichern soll, was die verbale Sprache in ihrer semantischen „Gesetzlosigkeit“ nicht sichert – Eindeutigkeit, Verbindlichkeit, Berechenbarkeit. Ein Scheitern der Verständigung ist demgegenüber in der verbalen Kommunikation als Möglichkeit immer gegeben, weil die Sprache nicht in einer instrumentellen Funktion der Übertragung aufgeht, Kommunikation nicht mit Kommunion zur Deckung kommt. Leibniz’ Kommunikation findet, wie im Blick auf seine Sprachphilosophie deutlich wird, mithin auch auf der Grundlage eines Wissens um den semantischen „Turm von Babel“ der Sprache statt, der sich im Medium der natürlichen existierenden Sprache – im besonderen der mündlichen – nicht „zerstören“ lässt. Zwischen dem Ideal einer Verbindlichkeit und der Relationalität und Medialität der sprachlichen Kommunikation bleibt eine grundsätzliche Spannung bestehen, die auf die Grenzen der universalen Rationalität verweist: An einem Ort lokalisiert „où l’on manque d’une espece de loix“, ist die existierende Sprache, in deren Semantik sich der Zufall mischt, nicht ‚festzustellen‘, und sie steht, als eine Pluralität relationaler Gefüge der existierenden Sprache(n), die durch eine „mutabilitas“ gekennzeichnet sind, einem Prinzip des „Rechnen wir!“, des Beweisens und der Eindeutigkeit entgegen. Begreift man dabei die Korrespondenzen bei Leibniz als ein Relationales oder als die „relations elles-mêmes“, so verweist das Relationale bei Leibniz – auch – auf eine Heterogenität und Variabilität von Bezie140 Finster, Reinhard: Einleitung. In: Leibniz: Der Briefwechsel mit Antoine Arnauld, a.a.O.: IX-XXIX, hier: IXf.
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hungsgefügen der Verknüpfung, Vermittlung und Zirkulation, die einer feststellbaren Ordnung entzogen bleibt. Als ein Relationales der Kommunikation steht es für ein mediales Zwischen, das bei Leibniz nicht – etwa hinter der Vorstellung einer universalen Einigung – gleichsam verschwindet, sondern in seinen Überlegungen zu Möglichkeiten der Verständigung, zur Sprache und zu Zeichensystemen vielmehr als Problem und Gegenstand gerade eröffnet wird. Davon, dass dieses Relationale der Kommunikation nicht über ein Prinzip des „Rechnen wir!“ oder des hinreichenden Grunds zu erfassen ist, zeugt, wie deutlich wurde, Leibniz’ Korrespondenz selbst. Und wenn Leibniz in seinem fünften Schreiben an Clarke schliesslich klagt, man scheine ihn „nicht verstehen zu wollen“, bleibt hier als Grund tatsächlich nichts als ein mere will. (116, vgl. 105)
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IV CYBERSPACE Some kind of ... space behind the screen Der Science-Fiction-Autor William Gibson kommt in einem 1996 gegebenen Interview auf seine Beobachtung Videogames spielender Jugendlicher zu Beginn der 1980er Jahre zu sprechen, als Spielhallen (arcades) im öffentlichen Raum ihre grösste Verbreitung erreichten; – und die junge Computerspielindustrie mehr Umsatz erzielte als die Schallplattenund Kinoindustrien zusammen.1 Seine damalige Wahrnehmung, die Gibson beschreibt, ist die einer Art Kopplung der Spieler nicht nur an den Bildschirm, sondern auch an eine neue Räumlichkeit. Der Glaube an eine solche Art von Raum „hinter dem Bildschirm“ scheine für den Umgang mit dem Computer kennzeichnend zu sein: [...] Video games weren’t something I’d done much, and I’d have been embarrassed to actually go into these arcades [...], but when I looked into one, I could see in the physical intensity of their postures how rapt these kids were. It was like one of those closed systems out of a Pynchon novel: you had this feedback loop, with photons coming off the screen into the kids’ eyes, the neurons moving through their bodies, electrons moving through the computer. And these kids clearly believed in the space these games projected. Everyone who works with computers seems to develop an intuitive faith that there’s some kind of actual space behind the screen – when the words or images wrap around the screen you naturally wonder, „Where did they go?“ Well, they go around the back to some place you can’t see.2 1
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Dieser Boom endete 1983 mit einer Krise der Spielautomaten und -konsolen, während sich parallel das Spielen auf dem Heimcomputer zu entwickeln begann; vgl. Lischka, Konrad: Spielplatz Computer. Kultur, Geschichte und Ästhetik des Computerspiels. Heidelberg 2002: 53f. Diese Angaben beziehen sich, wie weitgehend der Fokus dieses Kapitels, auf den nordamerikanischen Raum (Ort der erwähnten Beobachtung Gibsons ist Kanada). McCaffery, Larry: An Interview with William Gibson. In: Mississippi Review, Vol. 16 (1996), 2/3 (http://www.mississippireview.com/1996/ 9602gibs.html).
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Gibson zufolge ist es seine geschilderte Beobachtung einer Kopplung zwischen Mensch und (Spiel-)Computer und einer „geglaubten“ bzw. „projizierten“ Räumlichkeit, die Ausgangspunkt seines Neologismus’ „Cyberspace“ war – erstmals erwähnt in seiner Erzählung Burning Chrome (1982), bekannt jedoch durch seinen Roman Neuromancer (1984) –, und damit einer in der Folge und bis heute überaus verbreiteten Rede von einem Cyber-Räumlichen der Computermedien, einer mithin erstaunlich nachhaltigen Rede, sind doch andere mit der Dynamik dieser Medien verbundene Reden typischerweise von eher kurzer Konjunktur. Gegenüber dem dargestellten damaligen Befremden Gibsons als eines distanzierten Beobachters von aussen ist dabei die Vorstellung eines mit dem Computer verbundenen „kind of [...] space“, der sich als ein Raum „hinter“ dem Bildschirm realisiert, heute längst eine der alltäglichen allgemeinen Erfahrung, als „Cyberspace“ assoziiert mit einem medialen Raum im besonderen des Internet, in dem man als User gewissermassen sein elektronisch generiertes Wo findet, in dem man, so die sprachliche Praxis, sein, navigieren, agieren, kommunizieren oder sich auch verlieren kann. Diese Vorstellung von einem medialen „kind of [...] space“ des Computers kann als eine solche natürlich befragt und (auf der Grundlage eines wie auch immer fundierten Raumverständnisses) zurückgewiesen werden. So korrespondiert im Diskurs v.a. der 1990er Jahre eine überaus populäre Rede vom „Cyberspace“ auf der einen Seite mit einer Denunziation dieser als blosse Rede auf der anderen. „I’m a pretty Net-savvy guy“, so beginnt beispielsweise Jonathan Koppell einen Artikel im Jahr 2000 in der Zeitschrift Atlantic Monthly, „I read my morning newspaper online. I buy discount airline tickets online. [...]. Still, I have never been to the magical land called cyberspace. Cyberspace isn’t on any map, but I know that it must exist, because it is spoken of every day.“ 3 Cyberspace, eine, so Koppell, „fanciful metaphor[]“, ist aus dieser Sicht ein schillernd-uneindeutiges buzzword, dem ein Wirkliches des Raums entgegenzuhalten ist (für das hier offensichtlich das Medium der Karte steht). Die Rede vom „Cyberspace“ provoziert mithin eine – raum- wie medientheoretisch wendbare – Frage nach dem Eigentlichen und dem Uneigentlichen: dem eines eigentlichen (gegebenen, wirklichen) Raums im Gegensatz zum nur „geglaubten“, und dem einer eigentlichen (begrifflich festgestellten) Rede im Gegensatz zum Uneigentlich-Unbestimmten der Me-
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Koppell, Jonathan G.S.: No ‚There‘ There. Why cyberspace isn’t anyplace. In: Atlantic Monthly, Aug. 2000: 16-18.
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tapher bzw. jenes metaphorikos, in dem wir „nicht [sind] wie ein Steuermann auf seinem Schiff.“4 Dabei steht, folgt man einem Teil der Internet-Debatten wie auch der medientheoretischen Diskurse des späten 20. Jahrhunderts, die Emergenz des Cyberspace gerade für das endgültige Verschwinden des (wirklichen oder eigentlichen) Raums: Als ein Raum des „Virtuellen“ oder der „Simulation“ bezeugt Cyberspace, so der Fluchtpunkt von Denklinien etwa Virilios und Jean Beaudrillards, nurmehr die Absenz oder das endgültige Verschwundensein des realen Raums bzw. des Realen schlechthin.5 Diese Virtualisierung des Raums thematisiert Virilio v.a. in Bezug auf audiovisuelle Tele-Medien (wie Live-Fernsehen, Videoüberwachung bzw. Bildschirme im öffentlichen Raum), betrachtet als „letzte Vehikel“, durch die sich Oberflächen in Interfaces – bzw. Vis-à-vis – verwandeln, und das beschleunigte „Fahren“ in die Sesshaftigkeit in einer TeleSphäre bzw. im „elektronischen Äther der Telekommunikation“ umschlägt. Das Schicksal des Menschen scheint es zu sein, „ein Film zu werden“.6 Die Echtzeit erlangt das „Primat“ über den Raum; dabei findet die Verwirklichung einer umfassenden virtuellen Welt des Als-Ob, die als ein neues Reales auftritt, ihre Entsprechung in einer Entwirklichung bzw. umfassenden „Virtualisierung der Ausdehnung und der Dauer“.7 Baudrillard bezeichnet dieses Verhältnis zwischen dem Virtuellen und dem Realen im Rahmen seiner politisch-ökonomisch und zeichentheoretisch orientierten Theorie der Simulation mit dem Begriff der „Hyperrealität“. Hyperreal wird das Virtuelle oder das „Simulakrum“, indem es nicht mehr als Gegensatz zum Realen zu begreifen ist, sondern selbst die „Tendenz des Übergangs vom Symbolischen zum Realen“ markiert, womit diese ihre Unterscheidbarkeit verlieren: Eine „vollkommen homo4
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Derrida, Jacques: Der Entzug der Metapher. In: Bohn, Volker (Hg.): Romantik: Literatur und Philosophie. Frankfurt 1987: 317-355, hier: 318; vgl. hierzu die Rede vom „Steuermann“ und vom „Dampf“ in Nietzsche, Friedrich: Die fröhliche Wissenschaft. Stuttgart 1956: 271 (V. Buch, Nr. 360). Die Rede vom „Virtuellen“ verweist in diesem – weiten – Sinn auf eine durch (elektronische) Medien- bzw. Zeichensysteme generierte Umwelt oder Realität eigener Art. Dass etwa Baudrillard den Begriff in diesem Sinn gleichbedeutend mit dem bei ihm zentraleren der „Simulation“ verwendet, verwischt, wie Elena Esposito angemerkt hat, einen begriffsgeschichtlich herzuleitenden Unterschied zwischen beiden: Im Gegensatz zum „Simulierten“ (das erscheint, als ob es ein anderes sei) bezeichnet das „Virtuelle“ etwas, das für sich steht. Vgl. Esposito, Elena: Fiktion und Virtualität. In: Krämer (Hg.): Medien – Computer – Realität, a.a.O.: 269-296; Münker, Stefan: „Virtualität“. In: Roesler/Stiegler (Hg.): Grundbegriffe der Medientheorie, a.a.O.: 244-250. Virilio: Rasender Stillstand, a.a.O.: 46; 43. Ebd.: 118; vgl. 120f.
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genisierte, digitalisierte, ‚operationalisierte‘ virtuelle Realität tritt an die Stelle jener anderen Realität, weil sie perfekt, kontrollierbar und widerspruchsfrei ist.“8 Das Virtuelle kann daher realer werden als „jene andere Realität“ bzw. realer als ein noch in der Differenz zwischen Welt und Double, signifié und signifiant des Zeichens bestimmbares Simulakrum; „[a]uch das Zeichen“, so Baudrillard, „ist nicht mehr das, was es einmal war“.9 So ist das hyperreale „Spiel um die virtuelle Realisierung der Welt“ durch Indifferenz gekennzeichnet bzw. durch einen „absoluten Anspruch“: Es gibt keinen Raum für die Macht der Illusion und für eine programmatische, perfekte Welt zugleich. Es gibt keinen Raum für die Welt und für ihr Double zugleich.10
Ausgehend von einem solchen absoluten Anspruch der Virtualisierung bleibt, wie Siegfried J. Schmidt angemerkt hat, letztlich nur eine theoretische Unterscheidung übrig: Cyberspace statt (realer) Raum oder Cyberspace als neuer (realer) Raum. Gekappt scheint dagegen im Monismus einer solchen „wholesale virtualization thesis“ (Wolfgang Welsch) jeder mögliche Bezug zu einem Anderen des Raums.11 Dieses Verschwinden von Unterscheidbarkeit (zwischen Simulation und Realität, zwischen Double und Welt) ist für Baudrillards Denken der Hyperrealität ja gerade konstitutiv. Andererseits bleibt jedoch sowohl bei Baudrillard als auch bei Virilio ein gegebener Raum bzw. ein gegebenes Reales als das, was verschwunden ist, die indirekte und selbst unbefragte Referenz der Reden von der Hyperrealität oder von der Atopie eines virtuellen Jenseits.12 „Die Verwicklungen“, so hat entsprechend Andreas Huyssen in Bezug auf Baudrillard vermutet,
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Baudrillard, Jean: Passwörter. Berlin 2002 (Frz. Orig. 2000): 37. Ders.: Paroxyxmus. Wien 2002 (Frz. Orig. 1997): 15. Ders.: Die Illusion und die Virtualität (Vortrag, Kunstmuseum Bern 1993). Bern 1994: 21f. Welsch, Wolfgang: Virtual to Begin With? In: Sandbothe, Mike/Marotzki, Winfried (Hg.): Subjektivität und Öffentlichkeit. Kulturwissenschaftliche Grundlagenprobleme virtueller Welten. Köln 2000: 25-60, hier: 36ff.; vgl. Schmidt, Siegfried J.: Vom Oikos in den Cyberspace und zurück. In: Hug, Theo (Hg.): Technologiekritik und Medienpädagogik. Zur Theorie und Praxis kritisch-reflexiver Medienkommunikation. Baltmannsweiler 1998: 22-35, hier: 34. Vgl. hierzu, eingehend, Tholen: Die Zäsur der Medien, a.a.O.: 111ff.; Münker, Stefan: Was heisst eigentlich „Virtuelle Realität“? In: ders./ Roesler (Hg.): Mythos Internet, a.a.O.: 108-127, hier: 115ff.
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des Realen als nichts weiter denn als Simulation zu betrachten, vom System dazu ersonnen, vorzutäuschen, dass etwas da sei, eine Präsenz, ein Referent, ein Reales, ist eine Form des Ontologisierens von Simulation, die vielleicht nichts so sehr verrät wie ein Verlangen nach dem Realen, eine Sehnsucht nach Verlorenem.13
Die These von der hyperrealen Ununterscheidbarkeit verweist insofern auf ein Denken, das – noch in der These von ihrem Verschwinden, – in der Figur einer Opposition von realem und virtuellem Raum operiert. Dasselbe gilt in ungleich offensichtlicherer Art für all jene euphorischen Computer- und Internetdiskurse v.a. der 1990er Jahre, in denen das Neue des Cyberspace als eine Signatur nicht des Verlusts, sondern der gefeierten Überwindung erscheint: als eine Befreiung vom Ort, vom Körper, vom Geschlecht, als eine neue „frontier“ oder als ein immaterieller Raum unbegrenzter Mobilität und Allgegenwart. In dieser Weise imaginiert, verweist Cyberspace nicht nur auf reartikulierte Utopien der Kommunikation – etwa die sozialen Utopien einer globalen TeleGemeinschaftlichkeit oder einer „Cybersociety“ –, sondern auch, wie u.a. Margeret Wertheim hervorgehoben hat, auf „techgnostische“ Visionen einer Überwindung von Raum, Welt und Körper in der Tradition eines religiösen Dualismus von Geist und Materie.14 Seit den 1990er Jahren sind solche „wholesale virtualization“ Vorstellungen vielfach und aus unterschiedlichen Perspektiven kritisiert und durch differenziertere Positionen abgelöst worden. Ein gemeinsamer Nenner zahlreicher Beiträge innerhalb dieser kritischen CyberspaceDebatten ist der Hinweis auf grundsätzliche „Permanenzen des Raums“, der Welt oder der Körper im Gegensatz zu einer Virtualität oder Simulation elektronisch generierter Räumlichkeit.15 So weist etwa Hartmut Böhme in seiner Kritik einer gnostischen Cyberspace-Euphorie nachdrücklich auf die „verelendeten 20-Millionen Städte der realen Erde“ als „Kehrseite“ des Cyberspace hin, während Welsch im oben zitierten Aufsatz elektronische und nicht-elektronische Welten im Sinne einer Polari13 14
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Huyssen: Im Schatten von McLuhan, a.a.O.: 166. Wertheim: Die Himmelstür zum Cyberspace, a.a.O: 309; Jones, Steven G. (Hg.): Cybersociety 2.0. Revisiting Computer-Mediated Communication and Community. Thousand Oaks u.a. 1998; vgl. Böhme, Hartmut: Das Neue Jerusalem. In: Schneider, Manuel/Geissler, Karlheinz A. (Hg.): Flimmernde Zeiten. Vom Tempo der Medien. Stuttgart und Leipzig 1999: 309-321; ders.: Enträumlichung und Körperlosigkeit im Cyberspace und ihre historischen Vorläufer. In: Dencker, Klaus Peter (Hg.): Interface 5: Die Politik der Maschine. Computer Odyssee 2001. Hamburg 2002: 488501. Maresch, Rudolf/Werber, Niels: Permanenzen des Raums. In: dies. (Hg.): Raum – Wissen – Macht. Frankfurt a. M. 2002: 7-30.
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tät und Komplementarität gegenüberstellt und anmerkt, dass die Virtualisierung im Gegenzug auch eine Aufwertung jener Erfahrungen (von Singularität, Materialität, Präsenz hic et nunc oder Körperlichkeit) zur Folge habe, die sich ihr entziehen.16 Die Arbeiten von Castells und anderen haben gezeigt, dass der von Castells benannte space of flows mit sozialen und ökonomischen Strukturen der Städte und Regionen zusammengedacht werden muss.17 Briggs und Peter Burke haben aus sozialgeschichtlicher Sicht für eine distanzierte Analyse der Ökonomie, Geschichte und Psychologie von Cyberspace jenseits der „Illusion“ des Als-Ob plädiert.18 Krämer wiederum hat in Bezug auf Räume der „virtuellen Realität“ und der Online-Kommunikation gegen die „Rhetorik des Verschwindens“ von Raum, Körper und Materialität eingewendet, dass unter Bedingungen solcher Räume eher von einer Aufspaltung des Körpers in einen „Leib und einen Datenkörper“ gesprochen werden müsste oder von einer „Verdoppelung“ des Users „in einen physischen und einen semiotischen Körper“ bzw. eine „reale Person und eine virtuelle persona.“19 Merkmal dieser unterschiedlichen Kritiken ist eine Gegenposition zur Rede von Indifferenz im Insistieren auf Differenz, und zwar eine Differenz an der Grenze des virtuellen oder elektronisch generierten Raums – sei dies ein space of flows, Cyberspace oder ein Raum der Simulation: Das Double der Welt ist kein indifferentes Hyperreales, indem Cyberspace weder Raum zum Verschwinden bringt noch den Ort, von dem aus sich Unterscheidungen treffen lassen. Effekt der Virtualisierung bzw. „Verdoppelung“ ist vielmehr ein Nebeneinander von Welt und Double – woraus sich dann die Frage nach dem Verhältnis zwischen diesen ergibt. Damit öffnet sich gegenüber einer kritisierten Verabsolutierung des neuen, virtuellen Raums der Blick auf Grenzen dieser Räumlichkeit, auf Bedingungen ihrer Entstehung und auf ihr Verhältnis zu einem ausserhalb dieser Grenzen bestehenden Raum (bzw. zur Welt oder zum Körper). Eine Gemeinsamkeit dieser Kritiken mit dem Kritisierten liegt hingegen darin, dass auch die Vorstellung eines Nebeneinander von Double und Welt grundsätzlich in der Denkfigur einer dualen Unterscheidung verbleibt. Gegenüber Baudrillards und Virilios zeitlicher Ordnung (der Opposition zwischen dem Realen, das einmal war und dem Virtuellen, das 16
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Böhme: Das Neue Jerusalem, a.a.O.: 321; Welsch: Virtual to Begin With?, a.a.O.: 41, vgl. hierzu auch Rötzer, Florian: Ästhetische Herausforderungen von Cyberspace. In: Huber/Müller (Hg.): Raum und Verfahren, a.a.O.: 29-42, hier: 33. Vgl. Castells: The Rise of the Network Society, a.a.O. Briggs/Burke: A Social History of the Media, a.a.O.: 326. Vgl. Krämer, Sybille: Verschwindet der Körper? Ein Kommentar zu computererzeugten Räumen. In: Maresch/Werber (Hg.): Raum – Wissen – Macht, a.a.O.: 49-68, hier: 50; 67.
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ist) erscheint diese Unterscheidung nun in ein Nebeneinander überführt, also gleichsam verräumlicht. Diese Figur eines Nebeneinander von Welt und Double, Raum und Cyberspace oder auch „IRL“ (in real life) und „online“ entspricht heute jener alltäglichen Praxis der Konstruktion von Räumen – dem Raum ‚vor‘ und dem „geglaubten“ Raum ‚hinter‘ dem Bildschirm – auf die Gibson hinweist, und sie ist insofern ein Modell, über das sich diese Praxis auch beschreiben lässt. Theoretisch gewendet wirft sie jedoch die Frage auf, worauf sich eine solche Rede vom „virtuellen Raum“ oder vom „Cyberspace“ beziehen und, vor allem, in welcher Weise sich dieser Raum von welchem (realen oder nicht-virtuellen) Raum abgrenzen lässt. So ist bezeichnend, dass sich der dem Virtuellen gegenübergestellte (reale, wirkliche) Raum in der medien- und sozialwissenschaftlichen Literatur unterschiedlich präsentiert, indem als signifié dieses „Raums“, je nach Zusammenhang, ein Raum des menschlichen Körpers ebenso auftreten kann wie ein Raum des Materiellen – etwa in Bezug auf die globale ökonomische Ungleichheit –, ein Raum der Präsenz und der Interaktion hic et nunc, ein Raum der Dreidimensionalität,20 ein „physikalischer Raum“,21 ein Raum des Natürlichen,22 ein territorialer Raum der politischen Grenzen, der „map“, oder auch, wie bei Castells, ein Raum der „places“ oder des Urbanen. Von „Raum“ ist, mit anderen Worten, offensichtlich nicht einheitlich, sondern nur in einer Heterogenität zu sprechen, die ja in der Sache selbst liegt. In der Gegenüberstellung von realem Raum und Cyberspace wird jedoch diese Uneinheitlichkeit des Räumlichen gewissermassen vergessen, indem diese duale Figur die Frage nach Raum selbst aus dem Blick geraten lässt; in seinem Gegensatz zum Neuen des Virtuellen erscheint Raum als vor diesem Neuen einheitlich voraussetzbar. Damit wiederholt sich in einem solchen Denken des Gegensatzes von Raum und Cyberspace eine historisch wiederkehrende Essentialisierung des Raums, als das, rückblickend, vor der Ankunft des je medialen Neuen und seiner Zäsur mit sich identisch Vorgestellte. Angesichts des Neuen einer elektronisch generierten virtuellen CyberRäumlichkeit scheinen – erneut – alle vorgängigen Zäsuren des Räumlichen gleichsam gekittet. 20 21
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Vgl. z.B. ebd.: 53. Fassler, Manfred: Intensive Anonymitäten. In: ders. (Hg.): Alle möglichen Welten: Virtuelle Realität – Wahrnehmung – Ethik der Kommunikation. München 1999: 49-74, hier: 50. Vgl. z.B. die Diskussion von „Virtualität“ und „Realität“ am Beispiel der Spielhallen und der im Hafenbecken frei lebenden Seelöwen von San Francisco in Blühdorn, Hardarik: Über das Verhältnis zwischen Virtualität und Realität. In: Flessner, Bernd (Hg.): Die Welt im Bild. Wirklichkeit im Zeitalter der Virtualität. Freiburg i. Br. 1997: 119-139.
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Die Denkfigur der Opposition von Raum und Cyberspace reaktiviert mithin ein Schema, das es erlaubt, Raum als das Unmittelbare gegenüber dem Medialen zu imaginieren, als Referenz eines Statisch-Festen oder als „beharrliche Substanz oder Essenz“ im Gegensatz zu einer „gespenstische[n] bzw. heimatlose[n] Topologie der Medien“.23 Dabei kann, solcherart schematisch vorausgesetzt, als ‚eigentlicher Raum‘ gleichermassen ein naturalisierter Raum der Karte fungieren wie ein Raum der Präsenz hic et nunc oder auch ein strategisch-territorialer Raum der Geopolitik. So ist etwa in der von Niels Werber formulierten Kritik an die Adresse der Sozial- und Medientheorie, dass sie „die Frage nach dem Raum nicht stellen mag“, Raum schlechthin mit einem geopolitischen Raum des Territorialen gleichgesetzt, der hier einer „Bodenlosigkeit“ der Theorie entgegengehalten wird.24 Raum wird damit resubstantialisiert zu einem – vermeintlich – ‚festen Boden‘, womit die Rede vom Raum, wie in der jüngeren Debatte kritisch bemerkt worden ist, offenkundig auch eine „weit verbreitete Sehnsucht nach einem Jenseits des Diskurses und einem Zurück zur Materialität [bedient]“.25 Auf der anderen Seite ist es die Vorstellung von einem (sei dies als Territorium, Boden oder Behälter) gegebenen Raum, die es erlaubt, Cyberspace als trennscharf vom „Raum“ unterscheidbar und begrifflich jenseits des Räumlichen bestimmbar erscheinen zu lassen. Einen solchen Weg hat etwa Udo Thiedeke vorgeschlagen, der im Rahmen seiner systemtheoretischen Begriffsbestimmung von Cyberspace dafür plädiert, den Gegenstand des Raums aus dieser Bestimmung auszuschliessen bzw. „Abstand vom spatialen Konzept“ zu nehmen, da es irreführend sei: „Entfernungs-, Ausdehnungs- und Begrenzungsbegriffe“, so Thiedeke, „lassen sich im Cyberspace nur eingeschränkt anwenden.“26 Diese Distanzierung vom „spatialen Konzept“ folgt Niklas Luhmanns Konzeption von Gesellschaft als eines Systems von Kommunikationen, das im Medium Sinn, nicht im Medium Raum operiert. Dieser Ausschluss des Räumlichen bezieht sich indes auf einen Raum v.a. des 23 24
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Tholen: Die Zäsur der Medien, a.a.O.: 114. Werber, Niels: Von der Bagatellisierung des Raums. In: Budke, Alexandra et al. (Hg.): Internetgeographien. Beobachtungen zum Verhältnis von Internet, Raum und Gesellschaft. Wiesbaden 2004: 23-39, hier: 35; 37. So im Blick auf historiographische Ansätze Geppert et al.: Verräumlichung, a.a.O.: 17; vgl. hierzu, insbes. zum Rückgriff auf Raumkonzepte der Geopolitik, Köster, Werner: Deutschland, 1900-2000: Der „Raum“ als Kategorie der Resubstantialisierung. Analysen zur deutschen Semantik und Wissenschaftsgeschichte. In: Stockhammer (Hg.): TopoGraphien der Moderne, a.a.O.: 25-72. Thiedeke, Udo: Wir Kosmopoliten. In: ders. (Hg.). Soziologie des Cyberspace: Medien, Strukturen und Semantiken. Wiesbaden 2004: 15-47, hier: 15, Anm. 1.
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(nationalen bzw. staatlichen) Territorialen, während ebenso von einem ausgeprägt Räumlichen einer in Modellen der Grenze und der aussen/innen-Opposition operierenden Systemtheorie zu sprechen wäre. In diesem Sinne gilt für Niklas Luhmann: „Am Raum lernt man Logik“, wobei Raum als eine auf dem Prinzip basierende Konstitutionsleistung verstanden wird, dass „zwei Dinge nicht zur gleichen Zeit die gleiche Raumstelle einnehmen können“.27 Bestimmt Thiedeke Cyberspace dezidiert als einen nicht räumlichen, sondern semantischen „[H]orizont virtualisierten Handelns und Erlebens“, so setzt er in ähnlicher Weise in diesem Ausschluss Raum als ein Eindeutiges und Statisches voraus, – wenngleich doch gerade diese Voraussetzung (u.a.) durch die TeleMedien unterlaufen wird.28 Dabei kontrastiert die vorgenommene Distanzierung des Begriffs von räumlichen Konzepten nicht zuletzt damit, dass es sich ja um eine räumliche Bezeichnung par excellence handelt, bzw. damit, dass Computer- und Internetdiskurse geradezu notorisch auf Raum Bezug nehmen. Diese Tatsache, die Thiedeke gewissermassen überspringt, ist wiederum Ausgangspunkt der ebenfalls systemtheoretischen Überlegungen Elena Espositos zur Räumlichkeit des Cyberspace im Blick auf das Verhältnis von Raum und Medien der Kommunikation. Esposito unterscheidet hierbei grundlegend zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit: Entspricht ersterer, nach Esposito, eine „situierte“ Räumlichkeit des Partikularen der Dinge, einer Semantik des „oben/unten“ bzw. „links/rechts“ und eines rhetorischen „Denkens der Immanenz“, so der Schriftlichkeit eine Semantik des „abstrakten“ Raums, die insofern „un-räumlich“ ist, als sie ortsunabhängig Gültigkeit beansprucht und eine Perspektive impliziert, die „sich selber ausschliesst“.29 Raum wird in diesem Ausschluss als mediale Räumlichkeit neu generiert, so z.B. in Diagrammen oder im 27
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Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Frankfurt a. M. 1988: 525. Raum wird so gleichsam zweigeteilt in einen aus der Theorie als Gegenstand ausgeschlossenen (geographischen bzw. kartierbaren) Raum der Erdoberfläche und einen für die Theorie konstitutiven Raum der (klassischen) Logik. Diese sind indes historisch, wie u.a. Reichert hervorgehoben hat, zusammenzudenken; vgl. dazu Reichert: Das Denken: der Raum der Geographie, a.a.O.; dies.: Räumliches Denken als Ordnen der Dinge. In: dies. (Hg.): Räumliches Denken, a.a.O.: 15-45. Thiedeke: Wir Kosmopoliten, a.a.O.: 27. Vgl. hierzu und zu einer (theorieimmanenten) Kritik der Gleichsetzung v.a. von Raum und Territorialität Stichweh, Rudolf: Raum und moderne Gesellschaft. In: KrämerBadoni, Thomas/Kuhm, Klaus (Hg.): Die Gesellschaft und ihr Raum: Raum als Gegenstand der Soziologie. Opladen 2003: 93-102. Esposito, Elena: Virtualisierung und Divination. Formen der Räumlichkeit der Kommunikation. In: Maresch/Werber (Hg.): Raum – Wissen – Macht, a.a.O.: 33-48, hier: 37ff.
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Medium der Karte. Medien des Computers bzw. des Internet erscheinen, so Esposito, zunächst als eine Fortsetzung dieser mit der Schriftlichkeit und dem Buchdruck verbundenen Entwicklung, da „die Kommunikation im Internet es keineswegs unternimmt, die abstrakten Formen der Modernität zu verlassen“.30 Sie generieren jedoch eine neue Räumlichkeit eigener Art, in der der User Loops produziert und auf eine situierte Kontextualisierung im neuen „Para-Kontext des Interface“ angewiesen ist – da es für ihn keine andere Ebene der Semantik gibt. „Die mit der Durchsetzung der Fernkommunikation beseitigte Räumlichkeit der ‚Topoi‘“ so ein Fazit Espositos, „taucht also ausgerechnet im Cyberspace wieder auf, der vermeintlich den Sinn der Entfernung getilgt haben soll.“ 31 Esposito entfaltet damit eine historische Sicht des Verhältnisses von Raum und Medien, die, in der Unterscheidung von Anwesenheit/ Abwesenheit, situiertem/abstraktem Raum, selbst einer „abstrakten“ räumlichen Logik folgt, diese jedoch ebenso in einen medialen Zusammenhang stellt: Medialität und Räumlichkeit sind demnach aufeinander bezogen, indem Medien Räumlichkeiten generieren; sie sind, von der plastischen Kunst der Antike über die Kartographie bis hin zum Cyberspace, als spezifische Formen eines Räumlichen anschreibbar, das mithin uneinheitlich zu denken ist.32 Dabei liegt das Neue und Irritierende einer Räumlichkeit des Cyberspace, nach Esposito, nicht in einer als Gegensatz zum Realen des Raums zu begreifenden Virtualität, sondern v.a. darin, dass sie die Opposition zwischen einer „situierten“ Räumlichkeit des partikularen Orts und einer „abstrakten“ Raumlogik unterläuft, indem sie beides kombiniert. „Hier“, so Esposito, „bietet die Logik“ – nämlich eine (nach Luhmann am Raum zu lernende) abstrakte Logik der „Ausschliesslichkeit“ – „vermutlich keine Hilfe“. In der Frage nach den Formen, welche diese Kombination im Cyberspace annimmt, werde man „vielmehr eine Art ‚Rhetorik des Internet‘ [...] entwickeln müssen.“33 Folgt man diesen Überlegungen Espositos wie auch weiteren Ansätzen der sozial- wie medien- und kulturwissenschaftlichen Raumdebatte, so stellt das Neue eines Cyberspace in erster Linie vor die Aufgabe, 30 31 32
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Ebd.: 43. Ebd.: 46. Gegenüber diesen medialen Räumlichkeiten unterscheidet Esposito eine „echt-räumliche“ Semantik der face-to-face-Kommunikation in praesentia, verbunden mit einem „natürlichen Raum als solchen“; die Frage nach einer von einem solchen natürlichen Raum zu unterscheidenden, durch das Medium der mündlichen Sprache bzw. Kommunikation generierten Räumlichkeit wird hier nicht gesondert gestellt. Die Unterscheidung von Raum und Räumlichkeit führt entsprechend zur Rede vom „EchtRäumlichen“ und von „un-räumlicher“ Räumlichkeit. Vgl. ebd: 38f.; 41. Zum Bsp. der plastischen Kunst vgl. ebd.: 39, Anm. 21. Ebd.: 46; 36.
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Raum über eine Figur der Ausschliesslichkeit hinaus zu denken und auf eine Heterogenität sich überlagernder oder kombinierter Räume zu beziehen. So sieht auch Manfred Fassler das räumlich Neue elektronischer Netzwerke nicht in einer Virtualisierung des Raums, sondern in einer „Pluralisierung von Räumen“. „[S]pätestens am Fenster zur programmierten virtuellen Medialität“, so Fassler, „verfliegt die Idee eines Urzustandes“. Richtet man den Blick auf die Räumlichkeit einer alltäglichen Lebenswelt, so präsentiere sich diese nicht als ein stabiler Behälter, sondern eher als „ein immer wieder neu zusammengesetztes, offenes Gebilde“, ein variables Konglomerat von „herkunftsungleichen Codes“ – für das u.a. Bezeichnungen wie „glocalization“ stehen –, und als eine „Figur kulturanthropologischer und sozialer Instabilität.“34 In ähnlicher Weise zielt Löw in ihrem erwähnten Ansatz zu einem relationalen Raumbegriff ja darauf ab, auch und gerade der Beobachtung Rechnung zu tragen, dass das „elektronische Netz [...] die Raumvorstellung [revolutioniert]“. Wenn sich der „Raum des Cyberspace“, nach Löw, selbst „durch vielfältige, uneinheitliche, sich überlappende Räume“ konstituiert, so ist er damit exemplarisch für eine Erfahrung zunehmend pluralisierter und sich wandelnder (sozialer, kultureller) Räume, die im Modell des einheitlichen und unbeweglichen Raums nicht zu erfassen sind. Über einen Begriff des relationalen Raums als einer variabel konstituierten Pluralität netzartiger (An-)Ordnungen sucht Löw daher, „normativ besetzte Einheitlichkeitskonstruktionen“ des Raums (als Behälter oder „Container“) zu überwinden.35 Die Frage indes, die sich hiermit zugleich stellt, ist diejenige nach dem Status einer solchen „begriffliche[n] Abstraktion“ (Löw) des relationalen Raums, die Frage mithin danach, inwiefern und auf welcher Ebene dieser Begriff Gültigkeit beanspruchen kann. So ist mit der Rede von Netzwerk und Container, relationalem und absolutem Raum auch ein Gegensatz impliziert, mit dem die eröffnete Frage nach dem Raum in einer erneut dualen Gegenüberstellung gerade wieder geschlossen wird. Das konstatierte Plurale, Instabile und Heterogene des Raums droht dabei in einem Begriff festgestellt zu werden, der seinerseits ins Normative umschlagen kann; so beispielsweise dann, wenn Funken und Löw Computerspiele unter der Fragestellung untersuchen, ob diese „auch innovative Räume“ (im Gegensatz zu „simplifizierenden Containerbildern“) schaffen.36 „Raum“ tendiert so zur Grundlage einer neuen Logik der „Ausschliesslichkeit“ bzw. zum Gegenstand einer Positionierung für die „erstrebenswerten ‚relationalen Räume‘ und gegen die [...] schädlichen 34 35 36
Fassler, Manfred: Netzwerke. München 2001: 108; 198f. Löw: Raumsoziologie, a.a.O.: 101; 131. Funken und Löw: Ego-Shooters Container, a.a.O.: 69.
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‚Behälterräume‘“ zu werden (Alexander Mejstrik) oder auch, so kritisch Antje Schlottmann, zur Grundlage einer „missionarisch vertretenen neuen Raumontologie“.37 Folgt man demgegenüber der Vermutung Espositos, dass in der Frage nach dem Neuen des von Gibson genannten „kind of [...] space behind the screen“ „die Logik“ wohl „keine Hilfe“ bietet, so ist vielmehr nach den pluralen „Formen“ dieser Räumlichkeit (im Sinne einer „Rhetorik“) zu fragen. Pluralität oder „Pluralisierung“ läuft, wie Fassler angemerkt hat, „nicht auf Beliebigkeit hinaus“, sondern auf „Unterscheidungen“. So könnte es, einer Anregung von Herbert Hrachovec aus dem Jahr 1996 folgend, ein „gutes Mittel gegen die Verödung der digitalen Landschaft“ – und die oftmals im Pauschalen verbleibende Rede vom Virtuellen des Cyber-Raums – sein, dieser analytisch „möglichst alle Unterscheidungen zuzumuten, die sich schon bisher zur differenzierten Gestaltung von Lebensräumen angeboten haben“.38 Die Frage nach dem Neuen eines „kind of [...] space“ der Computermedien zielt dann weniger auf eine „Ordnungsstruktur der sauberen Dichotomien“ und eine „Welt der klaren Grenzen“ (Stefan Münker) ab als vielmehr auf eine differenzierte Beschreibung heterogener Räume eines Cyberspace.39 Diese Frage soll im Folgenden exemplarisch im Blick vor allem auf das Medium der Computerspiele verfolgt werden, das laut Gibson zum Ausgangspunkt seiner Wortschöpfung wurde und das er in den arcades zu Beginn der 1980er Jahre mit der Entstehung einer neuen Räumlichkeit verbunden sah. Dabei stehen Computerspiele nicht nur historisch in einem engen Zusammenhang mit der Rede vom Cyberspace, sondern zugleich beispielhaft für das theoretisch so vielfach erörterte Neue einer Cyber-Räumlichkeit des Computers bzw. des Internet. Bezogen wird im Folgenden dieses Neue, ausgehend von der Zielsetzung einer Differenzierung, auf – modellhaft – drei Ebenen, die sich in Vorstellungen vom Cyberspace mischen: auf eine v.a. visuell exponierte Räumlichkeit (des Spiels); auf einen neuen Raum der Kopplung und Interaktion bzw. der „loops“ zwischen User und (Spiel-)Computer; und auf einen neuen sozialen (Spiel- bzw. Kommunikations-)Raum der elektronischen Medien und Mediennetze. 37
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Mejstrik, Alexander: Raumvorstellungen in den Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Epistemologische Profile. In: Geppert et al. (Hg.): Ortsgespräche, a.a.O.: 53-77, hier: 55; Schlottmann, Antje: Rekonstruktion alltäglicher Raumkonstruktionen. In: Ebd.: 107-133, hier: 107. Fassler: Netzwerke, a.a.O.: 198; Hrachovec, Herbert: Homepage und Hypertext. Raumplanung im Internet. In: Reichert (Hg.): Räumliches Denken, a.a.O.: 437-455, hier: 452. Münker: Was heisst eigentlich: ‚Virtuelle Realität‘?, a.a.O.: 117.
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Die zitierte Erzählung Gibsons von seiner Beobachtung der game arcades steht überdies für eine Wortschöpfung, die in der Folge eine vielfältige und wechselvolle Geschichte hat: „Cyberspace“ verbindet literarische und technische Diskurse, oszilliert zwischen Produktbezeichnung, technischem und kulturellem Leitbild, Ironie und Utopie. Fokussiert werden in einem ersten Abschnitt zunächst Momente dieser wenig beachteten Geschichte von Cyberspace, die, ausgehend von Gibsons Roman Neuromancer, auch eine Geschichte des Missverständnisses ist bzw. der semantischen Mobilität einer metaphorischen Bezeichnung, die sich zwischen unterschiedlichen Vorstellungen und Definitionen eines Cyber-Raums verschiebt. Cyberspace steht damit nicht zuletzt für einen wiederholten Versuch, das Neue und Unübersichtliche des medialen Umbruchs als Gegenstand festzustellen und begreifbar zu machen.
G e t ti n g T he r e F r o m H e r e Im dritten Kapitel seines Romans Neuromancer beschreibt Gibson „Cyberspace“ bzw. die „Matrix“ als eine kollektive halluzinative Vision von Lichterlinien, Grafik und Figur gewordenen Daten: The matrix has its roots in primitive arcade games [...] in early graphics programs and military experimentation with cranial jacks [...]. Cyberspace. A consensual hallucination experienced daily by billions of legitimate operators, in every nation, by children being taught mathematical concepts. … A graphic representation of data abstracted from banks of every computer in the human system. Unthinkable complexity. Lines of light ranged in the nonspace of the mind, clusters and constellations of data. Like city lights, receding.40
Die Stelle ist nicht die erste im Roman – und der Roman, wie erwähnt, nicht die erste Erzählung Gibsons –, die vom „Cyberspace“ handelt; sie kann jedoch als locus classicus für den Gibsonschen „Cyberspace“ gelten. Unerwähnt bleibt in den zahlreichen Zitaten üblicherweise der ironi40
Gibson, William: Neuromancer. New York 1996 (Orig. 1984): 51. Im Folgenden ist der Text nach dieser Ausgabe mit Seitenangabe im Fliesstext zitiert. Über diesen hier auf Neuromancer eingeschränkten Fokus hinaus wäre für eine eingehendere Lektüre die ganze Romantrilogie Gibsons einzubeziehen ebenso wie auch weitere Sci-Fi Literatur, so diejenige Rudy Ruckers, deren Bedeutung etwa in der 1990 formulierten Idee Tim McFaddens zum Ausdruck kommt, zwei neue Masseinheiten in einem zukünftigen Cyberspace „Gibson (G)“ und „Rucker (R)“ zu nennen. McFadden, Tim: Notes on the Structure of Cyberspace and the Ballistic Actors Model. In: Benedikt, Michael (Hg.): Cyberspace. First Steps. Cambridge, Mass. und London 1991: 335-362, hier: 351.
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sche Kontext der Passage, bei der es sich im Roman um eine direkte Rede handelt, – gesprochen, wie die darauffolgenden Sätze deutlich machen, von einer Off-Stimme aus dem Kinderfernsehen:41 „What’s that?“ Molly asked, as he flipped the channel selector. „Kid’s show.“ (52)
Die Hauptfigur von Gibsons Roman wird den Fernseher unmittelbar darauf ausschalten und in der nächsten Szene selbst, durch am Kopf befestigte Elektroden an einen Computer angeschlossen, erstmals wieder in sein lange nur ersehntes und erträumtes „distanceless home“ des Cyberspace eintreten. Bei diesem „Eintritt“ entfaltet sich, so Gibsons Roman, dem „inner eye“ ein „transparent 3D chessboard, extending to infinity“, durch das man gleitet, und ein Land von leuchtend roten und grünen Würfeln und Pyramiden der Datenbanken grosser Konzerne, sichtbar vor dem Hintergrund weit entfernter „spiral arms of military systems“. An einer früheren Stelle des Romans spricht Gibson auch von „bright lattices of logic unfolding across that colorless void…“; später schildert er die Abwehrsysteme der konzern- und militäreigenen Datenbank-Würfel als eine bläuliche „ICE“-Schicht, durch welche Hacker sich als eine Art Eisbrecher hindurcharbeiten. (5; 28)42 „Cyberspace“ bezeichnet damit in Gibsons Neuromancer eine ebenso abstrakt-ideale Räumlichkeit – Martin Klepper hat von einer metaphorischen wie elliptischen Struktur dieses Code-Raums gesprochen – wie auch ein buchstäblich eisiges Universum geometrisch Gestalt gewordener Daten.43 Was Gibson, auch in dieser Hinsicht nicht frei von Ironie, als ersehnte Heimat seines Protagonisten Henry Dorsett Case präsentiert, ist eine kalkulierte Welt nicht nur kristallin-leuchtender dreidimensionaler Figuren, sondern auch ökonomisch-militärischer Machtstrukturen, die als Objekt von sehnsüchtigem Heimweh nur vor dem Hintergrund einer Lebenswelt plausibel wird, in der es wenig zu ersehnen gibt.44 Dies gilt in 41
42
43
44
Zu einer Ausnahme vgl. Aarseth, Espen: Allegorien des Raums: Räumlichkeit in Computerspielen. In: Zeitschrift für Semiotik, 23 (2001), 3/4: 301-318, hier: 302. Vgl. zur Figur des Hackers in der frühen Computerkultur und zum Hakken als Inbegriff virtuosen Programmierens Turkle, Sherry: Die Wunschmaschine. Vom Entstehen der Computerkultur. Reinbek b. Hamburg 1984: 278f. Vgl. Klepper, Martin: Zwischenland. William Gibsons Cyberspace-Trilogie und Marge Piercys He, She And It. In: ders. et al. (Hg.): Hyperkultur. Zur Fiktion des Computerzeitalters. Berlin und New York 1996: 202220, hier: 206. Diese Ambivalenz des Gibsonschen Cyberspace bleibt etwa bei Wertheim ausgeklammert, wenn sie die Ähnlichkeit zwischen Gibsons kristal-
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besonderer Weise für den Protagonisten Case, den Paradefall eines gefallenen Hacker-„Cowboys“, und dessen elendes Leben zwischen Drogensucht, Kriminalität und einer abschliessbaren Billig-Schlafkiste am Hafen. Case, nach dem ‚Sündenfall‘ einer eigenmächtigen Hacker-Aktion zur Strafe körperlich versehrt (und damit zu einem Gefangenen seines stets verachteten „Fleischs“ geworden) ist ein exemplarischer „Fall“ einer gnostischen Hacker-Weltflucht ins Cyber-Virtuelle – das ihm seit seinem Fehltritt freilich nicht mehr zugänglich ist. Wenn Case im ‚Behälter‘ seines Körpers gerade noch vegetiert, während die „bodiless exultation“ des Cyberspace den einzigen Fluchtpunkt seiner Hoffnungen und Träume bildet, fungiert der gefallene Hacker-Held als ein Paradigma des Dualismus von irdischer Welt und virtuellem Jenseits. (6) Als eine Darstellung dieser am „Fall“ Case vorgeführten Gegenüberstellung von Welt und Cyberspace ist Neuromancer, ungeachtet der Gibsonschen Ironie, in seiner populären Rezeption auch vornehmlich gelesen bzw. kolportiert worden: Gibsons Roman tradierte sich in hohem Mass als die Darstellung einer Welt, „in der sich Menschen in eine gemeinsam erfahrbare Computersimulation – den Cyberspace – einklinken können [...]“ oder in der es „‚Cowboys‘ gibt, die die ungeheuren Datenwelten durchqueren, die ‚Matrix‘, in die sie ihr Nervensystem direkt ‚einklinken‘ [...].“45 Solcherart auf die allgemeine Idee eines „Einklinkens“ in einen „Datenraum“ reduziert, erwies sich Gibsons Cyberspace in der Folge als überaus anschlussfähig an eine Reihe von Vorstellungen einer virtuellen oder elektronisch generierten Räumlichkeit. Einem solchen reduzierten Neuromancer-Verständnis lassen sich kritischere Lesarten des Gibsonschen Cyberspace-Entwurfs entgegenhalten. So ist die Figur des Underdog-Hackers Case etwa als Ausdruck eines desillusioniert-selbstbewussten Zynismus von unten gegenüber einer wirtschaftlich-technologischen Machtstruktur interpretierbar, dessen Steuerzentren im Cyberspace hinter den Würfeln und Pyramiden der Daten unsichtbar bleiben – oder auch längst verschwunden sind. „The theme is power“, so die Sicht des Rezensenten des Romans in der New York Times 1985. Eine solche Lesart dürfte zugleich der Motivation Gibsons nahekommen, der wiederholt angemerkt hat, es gehe ihm in seiner
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linem Cyberspace und Vorstellungen des himmlischen Jerusalem hervorhebt; vgl. Wertheim: Die Himmelstür zum Cyberspace, a.a.O.: 285. So – hier als Beispiele herausgegriffen – die Kurzdarstellungen des Romans in Heidersberger, Benjamin: Die digitale Droge. In: Waffender, Manfred (Hg.): Cyberspace. Ausflüge in virtuelle Wirklichkeiten. Reinbek b. Hamburg 1991: 52-65, hier: 54 und Rheingold, Howard: Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace. Reinbek b. Hamburg 1992: 17.
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Science-Fiction nicht um Technikfaszination, sondern eher darum, eine ambivalente Entwicklung seiner Gegenwart zur Debatte zu stellen.46 Mit Peter Matussek lässt sich Gibsons Cyberspace auch als eine romanhafte Problematisierung der Halluzination des Interface auffassen, der Halluzination nämlich, „dass die Informationen im Computer seien und nicht erst durch unsere Interpretation dazu gemacht werden.“ Case ist, so gesehen, nicht „Gefangener“ seines irdischen Körper-Behälters, sondern, so Matussek, eher ein Gefangener seiner „holographischen Projektion“.47 Tatsächlich unterläuft ja Gibsons Idee eines kollektiv halluzinierten Datenuniversums im „nonspace of the mind“ die Grenze zwischen Innen und Aussen und verortet Cyberspace im Zwischen eines Interface, das nicht mit einer eindeutigen Grenze (etwa zwischen Mensch und Computer oder zwischen Subjekt und Welt) zur Deckung kommt. Dabei wird das duale Modell einer Opposition von Welt und Cyberspace, das Gibson über seinen Helden zur Darstellung bringt und das die Rezeption von Neuromancer so entscheidend geprägt hat, im Roman selbst geradezu systematisch unterlaufen. Stellt doch Gibson seine Figuren keineswegs in eine räumlich einheitlich gegebene Welt, die sich als Folie des Realen dem Neuen des Cyberspace gegenüberstellen liesse, sondern bereits mit dem ersten Satz des Romans in das hyperrealapokalyptische Setting einer Umgebung, in der selbst der Himmel die Farbe eines Fernsehers hat, „tuned to a dead channel“. (3) Was allenfalls noch als Welt begreifbar wäre – die Umwelt des Himmels oder eines (im Roman: mit Styroporabfall bedeckten) Meers, die (zerstörte oder hyperreal-artifizielle) Landschaft oder die (dystopische) Welt der Städte, wird so von Anfang an von ‚anderen‘ Räumen der Medien, des Drogenrauschs, der Hologramm-Oberflächen und Halluzinationen überlagert. Im Verlauf des Romans führt die Erzählung quer durch Cases Lebens-, Erinnerungs- und Wahrnehmungsräume von Trip und Traum, Stadtlandschaften, die Physiologie verwirrenden Orbit-Raumschiffen und labyrinthischen Innenräumen, die Gibson als Szenerien seines Romans sowohl in der Art der filmischen Montage aneinanderschneidet als auch ineinander verschachtelt. In dieser zersplitterten, durchsetzten und heterotopen Lebenswelt gibt es kein Primäres eines Raums, ‚in‘ dem die Figur eindeutig zu lokalisieren wäre, ebensowenig wie eine gegebene Realität im Gegensatz zum Virtuellen. 46
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Jonas, Gerald: Science Fiction. In: The New York Times, 24. Nov. 1985; vgl. Mazenauer, Beat/Keller, Felix: Die Dekonstruktion der utopischen Gegenwart. In: Basler Zeitung Magazin, 7. Feb. 1998; McCaffery: An Interview with William Gibson, a.a.O. Matussek, Peter: Computer als Gedächtnistheater. In: Darsow, GötzLothar (Hg.): Metamorphosen. Gedächtnismedien im Computerzeitalter. Stuttgart und Bad-Cannstatt 2000: 81-100, hier: 96.
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Den Charakter des Primären weitgehend verloren hat in Gibsons Roman auch der menschliche Körper, der als versehrt, gezeichnet oder artifiziell erscheint – von den durch Pillen erhellten Schaltkreisen Cases über die zahlreichen durch künstliche Narben, Schönheitsoperationen oder Nadelstiche gezeichneten Körper bis zu Prothesen, implantierten Chips und Organen. So verfügt etwa der Körper der weiblichen Hauptfigur Molly, gekennzeichnet durch die „functional elegance of a war plane’s fusilage“, nicht nur über ausfahrbare Skalpellklingen unter den Nägeln, sondern auch über implantierte Augenlinsen, die ihr als digitale Anzeige (zum Beispiel der Zeit) dienen. (44) Riviera wiederum, eine weitere Figur, besitzt ein Implantat an der Stelle eines Lungenflügels, das ihn zum „Medium“ transformiert hat, indem er alles, was er sich vorstellt, als sichtbare Gestalt in den Raum zu projizieren vermag. Dabei wird er, im Kommentar einer weiteren Figur: „What you see is what you get, yeah“, auch zur WYSIWYG-Parodie. (90, 140) Die Schnittstellen verlaufen im Fall dieser Grenz- und Cyborg-Figuren durch den Körper hindurch; im selben Mass wie seine von Bildschirmen und visuellen Projektionen geprägte Lebenswelt ist der Mensch – sein Auge, Blick und Bild – ein „mediales“ Phänomen, während sich andererseits künstliche Intelligenzen in der persona menschlicher Figuren präsentieren und über Gedächtnis, Wunsch und Willen verfügen. Der Cyberspace, der im engeren Sinn als „Matrix“ benannt wird, ein abstrakter Raum der Kalkulation und der formalen Gebilde, ist so im weiteren Sinn Teil einer Matrix bzw. vernetzten Figuration elektronischer Medien, welche die Neuromancer-Welt ebenso durchzieht wie ihre Figuren. Dabei sind die Figuren in Gibsons Romans nicht nur CowboyReisende, welche die „ungeheuren Datenwelten“ der Matrix „durchqueren“, sondern sie werden auch buchstäblich selbst zu anwählbaren Netzknoten, so vorgeführt am Beispiel der „Simstim“-Verbindung zwischen Case und Molly. Denn Case „klinkt“ sich über Elektroden, Computerdeck und „power stud“ nicht nur in den Raum des Cyberspace ein, sondern wahlweise auch in Mollys „Sensorium“: Über das Aktivieren eines „switch“ wird er zum „passenger behind her eyes“, der an den Eindrükken ihrer Sinneswahrnehmung teilhat. (56) „Simstim“ ist, mit anderen Worten, ein Medium, mit dem Gibson gewissermassen eine „consensual halluzination“ anderer Art vorführt, die „Halluzination“ nämlich einer „konsensuellen“ bzw. telepathisch-unmittelbaren Verbundenheit und Tele-Präsenz und – NB einseitigen – Verfügbarkeit. Ulrike Landfester hat in Gibsons Entwurf entsprechend auch eine ironisierte Darstellung der Konsensfiktion des Liebesdiskurses gesehen, jener „Annahme einer zwischen Liebenden avant la lettre gegebenen Einigkeit, welche die kom-
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munikative Herstellung solcher Einigkeit erst ermöglicht“.48 Was in der Konsensfiktion unmittelbare Verbundenheit der Liebenden ist, ist bei Gibson offenkundig zu einer Liebe zum Medium geworden. Dabei wird die halluzinierte Fiktion einer distanzlosen Verbundenheit durch netztechnische Verschaltung in Gibsons Science-Fiction zur Karikatur: Das, worauf Case zugreift, ist nicht ein Mensch, sondern ein blosses „Sensorium“; für Hacker-Cowboys ist entsprechend die Simulation-Stimulation des „Simstim“ ein grundsätzlich uninteressantes „meat toy“, verbreitet überdies vor allem als ein kommerzielles Medium, das zu Unterhaltungszwecken Zugriff auf „edited [...] stuff“ aus den „Sensorien“ von Stars offeriert. (55) Die Vorstellung von „Medien“ als Mittel zum Zweck der menschlichen Kommunikation (oder gar Kommunion) wird hier offensichtlich ad absurdum geführt. In der Welt von Neuromancer ist noch die Halluzination einer distanzlosen menschlichen Verbundenheit zu einer belanglosen Massenware geworden, während für Hacker wie Case einzig die ebenso halluzinierte Weite des Cyberspace von Bedeutung ist. Gibsons Roman-Erstling war ausserordentlich erfolgreich. Noch in seinem Erscheinungsjahr 1984 wurde Neuromancer mit den wichtigsten Jury- wie Publikumspreisen der Sci-Fi-Literatur ausgezeichnet, um daraufhin innert kurzer Zeit zu einem Kultbuch des „Cyberpunk“ zu avancieren; das Buch und die weiteren zwei Romane, mit denen Gibson seinen Erstling in den nächsten Jahren zur Trilogie erweiterte, wurden zu einer Inspirationsquelle für Hacker, Musikbands und literarische Nachahmer ebenso wie für Visionäre und Praktiker der Entwicklung des Computers und der Informationstechnik.49 Während Gibson durch den Erfolg seines Romans geradezu zum „godfather of cyberpunk“ aufstieg, kursierte seine Cyberspace-Idee im Diskurs einer frühen Computerkultur, die ihre Plattformen u.a. in Bulletin Boards und in Hackerzeitschriften fand.50 Darüber hinaus popularisierte sich die Bezeichnung um die Wende 1989/1990 mit der als Zukunftsindustrie gefeierten Virtual Reality (VR): Im VR-Boom 48 49
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Landfester, Ulrike: Von der Liebe zur Konsenshalluzination. In: Thiedeke (Hg.): Soziologie des Cyberspace, a.a.O.: 215-239, hier: 215. „Cyberpunk“ ist ein in der Literatur u.a. im Blick auf Gibsons Roman gebildeter Begriff, der in der Folge zur Sammelbezeichnung einer breiteren Subkultur avancierte, von Paul Saffo etwa charakterisiert als ein „amalgam of psychedelia, fringe science, mysticism, new age philosophy, and cutting edge computer science“. Saffo, Paul: Desperately Seeking Cyberspace. In: Personal Computing, Mai 1989: 247-248; zur Cyberpunk-Literatur vgl. Mayer, Ruth: Cyberpunk. Eine Begriffsbestimmung. In: Klepper et al. (Hg.): Hyperkultur, a.a.O.: 163-173. Olsen, Lance: who was that man? 1992. Online-Publikation, http://www. lanceolsen.com/whowasthatman.html.
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dieser Zeit wurde sie zu einem Schlagwort für die Vorstellung und das technologische Leitbild virtueller 3D-Welten, in die die User mittels Head Mounted Display, Datenhandschuh oder Ganzkörperanzug eintreten und mit digitalen Objekten interagieren konnten. Im Rahmen dieser „Trend-Lawine“ um die VR-Technologien und -unternehmen fand „Cyberspace“ zu Beginn der 1990er Jahre Eingang auch in den deutschen Sprachgebrauch.51 Der VR-Boom war von kurzer Dauer; die Popularisierung der Rede vom Cyberspace setzte sich jedoch in der Anwendung der Bezeichnung auf das Internet fort, das seit der Entwicklung des world wide web und des ersten Browsers (1993) seinen Siegeszug als globales Netzmedium begann. Mitte der 1990er Jahre etablierte sich die Bezeichnung als ein Schlagwort der Internet-Diskurse und als ein Leitbegriff der Netz-Kultur; Cyberspace wurde zu einem festen Bestandteil des „Mythos Internet“ und zu einer Chiffre für die Verheissung der Datennetze als einer „neuen Welt“.52 Innerhalb von rund zehn Jahren schrieb damit Gibsons Wortschöpfung eine auch aus Sicht des Autors erstaunliche Geschichte. Für Gibson, der seine Romane auf einer mechanischen Schreibmaschine schrieb und gemäss seiner Aussagen in Interviews wenig Ahnung davon hatte, wie Computer funktionieren („My ignorance had allowed me to romanticize it“), war die Resonanz, welche die Cyberspace-Idee in der Computerkultur und -entwicklung finden sollte, zweifellos nicht absehbar. Eher in der Rolle eines „ungläubigen Glaubensstifters“ als in derjenigen eines Technik-Propheten, bezeichnete er in Stellungnahmen die Stilisierung seiner Person zum Idol ebenso als ein Missverständnis wie die Trend-Lawinen um den Cyberspace-Begriff und dessen Übernahme durch die VRIndustrie.53 Dabei lassen sich in der Haltung Gibsons in Bezug auf dieses Missverständnis zwei Positionierungen unterscheiden. Zum einen vergleicht er sich in Bezug auf seinen Erfolgsroman im oben zitierten Interview von 1996 etwa demonstrativ mit einem Maskenträger: Even when I finished it [the book], I had no perspective on what I’d done. (I still don’t, for that matter). You know those incredible dragons you see sneaking through the crowds in Chinatown? I always feel like one of the guys inside 51 52 53
Remann, Micky: Cyber, cyber über alles? In: Waffender (Hg.): Cyberspace, a.a.O.: 15-19, hier: 15. Münker, Stefan/Roesler, Alexander: Vorwort. In: dies. (Hg.): Mythos Internet, a.a.O: 7-12, hier: 8. McCaffery: An Interview with William Gibson, a.a.O.; zum Begriff der „ungläubigen Glaubensstifter“ vgl. Flusser, Vilém: Glaubensverlust. In: ders.: Medienkultur. Frankfurt a. M. 1997: 29-40.
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the dragon. He doesn’t see anything remarkable. Sure it’s all very brightly colored, but he knows the whole thing is pretty flimsy – all he can see is a bunch of old newspapers and papier mache and balsa wood struts.
Seine Art, Metaphern zu kreieren, so Gibson im selben Interview, sei oft more intuitive, a version of bullshitting to the point where you can convince yourself and anyone else that you know what you’re doing. [...] Part of my skill apparently lies in my ability to convince people I do know what I’m talking about. What I’m doing is just convincing lies – but lies that somehow manage to convey my own impression of things, distorted for certain effects.54
Die Texte Gibsons, der sich in seiner Rolle als Sci-Fi-Autor auch als eine Art „Scharlatan“ beschrieb, wären demnach als kulissenartige Gebilde zu verstehen, als suggestive Konstruktionen wie die genannte Maske des chinesischen Drachens aus Papiermaché.55 In einer früheren Äusserung bezeichnet Gibson seine Cyberspace-Wortschöpfung in ähnlicher Weise als das Ergebnis eines „[n]eologic spasm: the primal act of pop poetics. Preceded any concept whatever. Slick and hollow – awaiting received meaning.“56 Zugleich vertrat Gibson eine durchaus kritische Haltung gegenüber der Missdeutung seiner Bezeichnung als technologisches Leitbild und gegenüber ihrer Übernahme durch Firmen der VR-Industrie. Als Autor verwies er darauf, dass die Leute, die seine Romane als Vorlage nutzten, um „irgendwelche technischen Erfindungen daraus nachzubauen“, eine „gewisse Ebene der Ironie“ seiner Literatur – bzw. „mehrere Ebenen der Ironie“ – nicht begriffen hätten.57 Nach Wolfgang Neuhaus kommentierte Gibson die Verwendungen und Umdeutungen seiner Wortschöpfung überdies durch einen Vergleich, der wie eine Anspielung auf die Sokratische Schriftkritik anmutet: Die Bücher und die Wörter seien wie Kinder, die das Haus verlassen und ihre eigenen Wege gehen.58 Formuliert ist damit gleichsam eine emanzipatorische Variante der Klage über die Mobilität des geschriebenen Worts, von dem es in Platons PhaidrosDialog heisst: 54 55 56 57 58
McCaffery: An Interview with William Gibson, a.a.O. Salza, Giuseppe: Interview with William Gibson (1994). Online-Publikation, http://www.gutenberg.org/etext/235. Gibson, William: Academy Leader. In: Benedikt, Michael (Hg.): Cyberspace. First Steps. Cambridge, Mass. und London 1991: 27-29, hier: 27. Zit. nach Remann: Cyber, cyber über alles?, a.a.O.: 16. Vgl. Neuhaus, Wolfgang: Als William Gibson den Cyberspace erfand... In: Telepolis, 15.10.2006. Online-Publikation, http://www.heise.de//tp/ r4/artikel/23/23727/1.html.
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[J]edes Wort, das einmal geschrieben ist, treibt sich in der Welt herum – gleichermassen bei denen, die es verstehen, wie bei denen, die es in keiner Weise angeht […]. Wird es misshandelt oder zu Unrecht getadelt, dann bedarf es des Vaters immer als Helfer[]; denn selber hat es sich zu wehren oder sich zu helfen nicht die Kraft.59
Man mag Gibsons missverstandene literarische Wortschöpfung in dieser Weise platonisch deuten und, Neuhaus folgend, mit einem „Kind“ vergleichen, das „durch Dritte billig verkauft“ worden und in „schlechte Gesellschaft“ geraten ist, nämlich in die Gesellschaft einer „MarketingLogik [...], die alles niederwälzt, was Gibson an Metaphorisierung oder Ironie mitausdrücken wollte“. Ebenso hat 1993 auch Sabine Thürmel zu Recht kritisch auf die „Vereinnahmung der Cyberspace-Literatur für die Verkaufsförderung“ hingewiesen: „Dass zumindest Gibson ein hochironischer Schriftsteller ist, kann in diesem Kontext ja völlig gleichgültig sein. Hauptsache, die Marktchancen steigen.“60 Ein Prinzip des gleichsam vaterlosen „Herumtreibens“ der Wörter indes ist in Gibsons „neologic spasm“ selbst enthalten, einschliesslich seiner eigenen Umdeutung von Ausdrücken aus dem Vokabular von Slangs und Subkulturen. Wenn Gibson rückblickend von seiner Motivation spricht, mit seiner Wortschöpfung ein „buzzword“ zu schaffen oder wenn er über seine Texte sagt, sie seien „just more collage“ von Aufgegriffenem, so ist damit eine pop-poetische Metaphorizität als Moment einer Bewegung der Umdeutung und Zirkulation beschrieben bzw. eines „Herumtreibens“, das kaum zu steuern oder anzuhalten ist.61 „Cyberspace“ ist so Beispiel auch einer Metaphorik, die in den 1980er und 1990er Jahren die Grenzen zwischen literarischen, technischen und kommerziellen Diskursen des medientechnischen Wandels überschreitet und diese aneinander anschliesst. Von einem Missverständnis lässt sich dabei nicht erst im Blick auf die kommerzielle Instrumentalisierung von Cyberspace durch die VRIndustrie sprechen. So sieht etwa bereits der Neuromancer-Rezensent der New York Times 1985 „cyberspace“ als Mittel, „computer hacking in 59
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Platon: Phaidros (274c-278b). Übers. von Edgar Salin. In: Assmann, Aleida und Jan/Hardmeier, Christof (Hg.): Schrift und Gedächtnis. München 1983: 7-9, hier: 8. Neuhaus: Als William Gibson den Cyberspace erfand..., a.a.O. Thürmel, Sabine: Virtuelle Realität. Ursprung und Entwicklung eines Leitbildes in der Computertechnik. In: Steinmüller, Karlheinz (Hg.): Wirklichkeitsmaschinen. Cyberspace und die Folgen. Weinheim u.a. 1993: 39-59, hier: 51. Neuhaus: Als William Gibson den Cyberspace erfand..., a.a.O.; McCaffery: An Interview with William Gibson, a.a.O.
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nontechnical language“ zu dramatisieren, und fragt sich, was die Beschreibungen der „bodiless exultation of cyberspace“ wohl für Leser bedeuten mögen, „who have not experienced the illusion of power that punching the keyboard of even a dinky little word-processor can give.“62 Entgegen seiner eigenen Darstellung wird Gibson hier als ein Insider wahrgenommen und einer gesellschaftlichen Gruppe der Computerliterati zugeordnet, die sich zu dieser Zeit über die zuvor mit dem Computer verbundenen Kreise der professionellen Programmierer, HobbyComputerbastler und Hacker hinaus erweitert. Dabei ist die Rezeption seines Romans vor dem Hintergrund eines seit Beginn der 1980er Jahre in mehrfacher Hinsicht gewandelten Computers zu sehen: Mit der Entwicklung von „PC“ und „Homecomputing“ etablieren sich Computer auch für individuelle und private Nutzungen – wie Textverarbeitung mittels „word processor“ oder auch Computerspiele; Computernetze beginnen sich, gegenüber dem frühen exklusiven Modell der Netzwerke, zu verbreiten, so das 1983 vom militärischen Netz getrennte ARPANET, während sich zugleich Vorstellungen einer Welt der Computernetze und des „computer hacking“ u.a. über Filme popularisieren; 1984 kommt mit dem Apple Macintosh zudem ein – so der Werbeslogan – „Computer for the rest of Us“ auf den Markt, der, ausgestattet mit Maus und grafischem User Interface (GUI), das Bild des Computers neu prägt. So ist Mitte der 1980er Jahre der Computer offensichtlich keine Maschine mehr, sondern zu einem zunehmend allgemeinen Medium geworden, ablesbar etwa an der Rede von einer „computer literacy“, die v.a. Kinder erwerben sollen, um den Anforderungen einer zukünftig informatisierten (Arbeits-)Welt zu genügen. Zugleich verändert sich die Ausrichtung der technischen Entwicklung, deren Aufmerksamkeit sich nun vermehrt auf die Ebene der Human-Computer Interaction und der visuellen Metaphern verschiebt.63 Die Gibsonsche Darstellung eines Cyber-Raums der Daten und der Matrix wird dabei in ihrer Rezeption nicht nur auf eigene Erfahrungen der Leser im Umgang z.B. mit dem „word processor“ bezogen, sondern auch auf die offenen Fragen der weiteren Technikentwicklung; Cyberspace wird zur Inspirationsquelle wie auch zum Etikett für Visionen ei-
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Jonas: Science Fiction, a.a.O. Vgl. zu diesem Wandel Coy, Wolfgang: Aus der Vorgeschichte des Mediums Computer. In: Bolz, Norbert et al. (Hg.): Computer als Medium. München 1994: 19-37; Turkle, Sherry: Life on the screen. New York 1995: 19ff.; 31ff.; Schelhowe, Heidi: Das Medium aus der Maschine. Zur Metamorphose des Computers. Frankfurt a. M. und New York 1997, bes. 147ff.; Schröter, Jens: Das Netz und die Virtuelle Realität. Bielefeld 2004: 66ff.
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ner zukünftigen Computer-Räumlichkeit der Information und Kommunikation. Exemplarisch greifbar wird dies in den Diskussionen des Usenet, in denen Cyberspace in den Jahren 1987 und 1988 wiederholt und, bezeichnenderweise, in unterschiedlichen Newsgroups zum Thema wird. So stellt etwa ein Teilnehmer in der Usenet-Newsgroup alt.cyberpunk im Oktober 1987 die offene Frage: „What should cyberspace look like?“ und erörtert unterschiedliche Möglichkeiten, über Computeranimation und Visualisierung „alternate spaces“ zu kreieren. Einen Monat später fragt in der Newsgroup com.society.futures ein Teilnehmer, ob Cyberspace wohl entfernt möglich sei, und stellt die Möglichkeit u.a. einer Cursorsteuerung über Hirnströme zur Debatte. In derselben Newsgroup bringt im April 1988 ein weiterer Diskussionsteilnehmer Überlegungen dazu ein, wie sich angesichts der raschen Entwicklung von ISDN-Netzen und 3D-Computergrafik die nächste Interface-Generation präsentieren werde: What’s next? [...] With all the innovations […] it’s fairly easy to see that our current windowing metaphor is not necessarily the best. […] Perhaps something like [...] Gibson’s „cyberspace“ will become the prevailing metaphor; you’ll move through shimmering spaces of data on your screen… or perhaps it’ll be nothing so far-out. Whatever it is, though, I doubt it’ll look much like what we have today, just as what we have today doesn’t resemble the command-line interfaces of VMS, CP/M et al.64
Ein anderer Teilnehmer reagiert auf diesen Beitrag mit der Anmerkung, dass solche neuen Interfaces durch die NASA bereits entwickelt seien, womit er auf jene „Virtual Environment Workstation (VIEW)“ – eine mit Helmvisier und Datenhandschuh als Schnittstellen ausgestattete virtuelle
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Usenet-Beiträge vom 9. Oktober 1987 (=„local“, d.h. nach Datum des Serverstandorts; verfasst: 8. Oktober) in der Newsgroup alt.cyberpunk u. 20. April 1988 in der Newsgroup comp.society.futures; vgl. ebd. Beitrag vom 5. November 1987. Online verfügbar über das Usenet-Archiv (http:// groups.google.com). Diese Diskussionen finden in einem Usenet statt, das sich erst in den folgenden Jahren internationalisieren wird; die Teilnehmenden sind (durchwegs männliche) Experten aus v.a. USamerikanischen Universitäten wie auch Unternehmen. Die Zeit 1987-88 ist zugleich eine Phase starken Wachstums des Usenet von rund 5000 auf 11.000 angeschlossene Rechner und von 1000 auf 1800 Beiträge pro Tag; vgl. hierzu die Angaben von Bruce Jones, wiedergegeben in Goltzsch, Patrick: Das soziale Paradox der Technik, illustriert am Usenet. Mag. Arbeit, Hamburg 1997 (Kap. 2.2.3). Online-Publikation, http://www. minerva.hanse.de/use/0.html.
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3D-Umgebung – hinweist, deren Demonstration Ende 1988 zum Auslöser des Booms um die VR-Technologien wird.65 Parallel dazu verbreitet sich „Cyberspace“ als eine Bezeichnung auch für die Räumlichkeit der wachsenden Computernetze und der computerbasierten Formen der Kommunikation. So definiert ein im Usenet im Februar 1988 (in der Newsgroup rec.arts.sf-lovers) publiziertes „Cyberpunk Vocabulary“ „Cyberspace“ als 1) the conceptual space within a computer. 2) The conceptual medium within which computer communication takes place, e.g. Electronic Bulletin Boards, online services, databases, or in general the program space of any computer which can run a communication program.66
Die zweite Bedeutung von Cyberspace als eines medialen Raums der Kommunikation zwischen Computern bzw. der computervermittelten Kommunikation steht während des Booms der Virtual Reality um 1990 eher im Hintergrund. Massgeblich für das Leitbild von VR-Entwicklern wie John Walker oder Jaron Lanier, Entwickler des VIEW-Datenhandschuhs und prominentester Vertreter der VR, ist in erster Linie das – so Walker – „Paradigma der Cyberspace-Schnittstelle“ und die Herstellung einer „dreidimensionalen Interaktionserfahrung“ zwischen Mensch und Maschine.67 Wenn Lanier von VR als „Kommunikation“ spricht, so referiert dies nicht etwa auf ein Bulletin Board-System, sondern auf eine eher an Gibsons „Simstim“-Idee erinnernde Vision einer „postsymbolischen Kommunikation“ bzw. Co-Präsenz in einer beliebig herstellbaren virtuel65
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Vgl. Usenet-Beitrag vom 11. Mai 1988 in der Newsgroup comp.society. futures; s. hierzu auch die von Jeffrey Bonar am 18. Dezember 1988 lancierte Diskussion unter dem Titel: Replacing the Desktop Metaphor in der Newsgroup comp.windows.misc, ebd. Zu VIEW vgl. Fisher, Scott S.: Wenn das Interface im Virtuellen verschwindet. In: Waffender (Hg.): Cyberspace, a.a.O.: 35-51. Usenet-Beitrag vom 1. Februar 1988 in der Newsgroup rec.arts.sf-lovers, Usenet-Archiv, a.a.O. Walker, John: Hinter den Spiegeln. In: Waffender (Hg.): Cyberspace, a.a.O.: 20-31, hier: 28. Walker berief sich hierbei ausdrücklich auf Gibsons Romane, während sein Unternehmen zugleich versuchte, die Bezeichnung „Cyberspace“ rechtlich schützen zu lassen, was auf den Widerstand Gibsons stiess. Wie Howard Rheingold festgehalten hat, liess Gibson verlauten, er denke daran, den Namen eines der Programmierer des Unternehmens im Gegenzug zum rechtlichen Schutz anzumelden; vgl. Rheingold: Virtuelle Welten, a.a.O.: 276f. Ironischerweise ist „Cyberspace“ in Gibsons erstmaliger Verwendung der Bezeichnung (1982) ein Produktname, der als solcher auch in Neuromancer auftritt (als Case’s Ono-Sendai Cyberspace 7). Der Roman mutierte also in Walkers Lektüre gleichsam zu einer buchstäblichen Handlungsanweisung.
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len Räumlichkeit. Das Schnittstellen-Paradigma der VR erweitert sich hier vom „Single-User“-System zum Modell einer gemeinsamen VRErfahrung, z.B. in Form der von Lanier entwickelten, über einen Ganzkörper-Anzug erfahrbaren „virtual reality built for two“; einer Erfahrung, die, nichts mit einem Medium der Kommunikation zu tun hat, sondern, nach Lanier, jedes Zwischen der sprachlichen Kommunikation vielmehr überflüssig machen sollte: Wenn man „imstande ist, Wirklichkeit zu improvisieren […] und wenn man dann andere Menschen darin einbezieht, braucht man“, so Lanier, „die Welt eigentlich nicht mehr zu beschreiben“.68 Gibson hat demgegenüber in einem späteren Interview (1994) die Vorstellung vertreten, Cyberspace sei so etwas wie „the place where [a] telephone call takes place […]“, also ein Raum gerade des Zwischen der Kommunikation. Ebenso beschreibt Bruce Sterling 1992 Cyberspace als eine bereits rund 130 Jahre alte „electronic frontier“ bzw. als „THE PLACE BETWEEN the phones. The indefinite place OUT THERE, where the two of you, human beings [...] actually meet and communicate“.69 Im Gegensatz zur „Cyberspace-Schnittstelle“ wird damit ein Modell der vernetzten Kommunikation geltend gemacht, das nicht die technische Herstellung, sondern vielmehr den sozialen und politischpartizipativen Aspekt einer elektronischen Räumlichkeit der Kommunikation hervorhebt, angeschlossen hier explizit an die älteren Medien der Telekommunikation und ihren Netzraum. Dieser hat sich, so das Bild Sterlings im erwähnten Text, in seiner Kreuzung mit dem Computer und dem Fernsehen in eine weite, blühende und durch „living communities“ bevölkerte „electronic landscape“ verwandelt. Beschrieben ist in dieser Weise ein mit dem Leitbild der VR kontrastierendes und wesentlich mit der Verbreitung des Internet bzw. des www in der Folgezeit in den Vordergrund tretendes Bild von Cyberspace. Faktisch mischen sich jedoch auch in den Jahren des VR-Booms diese unterschiedlichen Vorstellungen miteinander. Ein gemeinsames Fernziel zahlreicher Cyberspace-Konzepte stellt dabei die „Möglichkeit“ dar, so Howard Rheingold, in irgendeiner Weise „Wirklichkeitsmaschinen und Telekommunikationsnetze miteinander zu verknüpfen“.70 68
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70
[Lanier, Jaron]: Was heisst „Virtuelle Realität“? Ein Interview mit Jaron Lanier (Orig. 1989). In: Waffender (Hg.): Cyberspace, a.a.O.: 67-87, hier: 67; ders.: Kommunikation ohne Symbole. In: Ebd.: 88-89, hier: 88. [Gibson, William/Josefsson, Dan:] „I don’t even have a modem“ (Interview 1994). Online-Publikation, http://www.josefsson.net/gibson; Sterling, Bruce: The Hacker Crackdown, law and disorder on the electronic frontier (1992). Online-Publikation, Projekt Gutenberg 1994, http://www. gutenberg.org/dirs/etext94/hack12.txt. Rheingold: Virtuelle Welten, a.a.O.: 259.
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U.a. finden sich unter diesen Konzepten auch zur Frühzeit technische Cyberspace-Modelle, die sich vom Paradigma der VR-Schnittstelle ausdrücklich distanzieren. So präsentiert der Entwickler F. Randall Farmer 1988 im Journal of Computer Game Design ein weitreichendes Konzept von Cyberspace als Multi-User-Plattform und plädiert, unter dem Titel „Cyberspace: Getting There From Here“, dafür, die Bezeichnung grundsätzlich von der Vorstellung eines User Interface zu trennen: [Several] companies envision Cyberspace as a new kind of user interface. To me, Cyberspace is a place, not just an interface or a metaphor. A place where people, regardless of location, hardware, or purpose can get together in a participatory experience to conduct business, socialize, or have a good game of SpaceCombat9.6. Why this vision instead of others? People. Unlike the interactions with artificial personalities created for computer adventure games, Cyberspace interactions could create relationships that are „greater than the sum of their parts“. [...] My vision encompasses tens of thousands of simultaneous participants.71
Die Vision Farmers, der, insofern ähnlich wie Sterling, Cyberspace als einen sozialen „place“ imaginiert, basiert auf seiner Erfahrung als Entwickler von Habitat, einer kommerziellen für den Commodore 64-Heimcomputer konzipierten Multi-User-Umgebung. Habitat, in späteren Jahren als online-Dienst in den USA wie auch in Japan angeboten, führte dem User eine grafisch realisierte Welt vor, in der er mittels Avatar mit anderen kommunizieren konnte.72 Von diesem Projekt ausgehend, entwirft Farmer einen detaillierten Plan für eine Umsetzung seiner Vision, wobei er drei Phasen unterscheidet: Für ca. 1995 sieht er ein „Cyberverse 1.0“ als LAN-Version mit einer v.a. lokalen Datenspeicherung voraus, ausgestattet mit einer Maus oder einem Datenhandschuh; für ca. 2000 eine Version 2.0. mit einer Vielzahl von Cyber-Räumen; für ein ungenanntes Datum in der Zukunft schliesslich eine Version 3.0, die über „cybersoft retail outlets in Cyberspace“ distribuiert würde, „allowing life-like personalizations“, wobei sich über die Schnittstellen dieses Systems nur spekulieren lässt („EEG direct input? Hologram Video? Retinal 71
72
Farmer, F. Randall: Getting There From Here. 1989 (Orig. in: Journal of Computer Game Design, Oktober 1988). Online-Publikation, http://www. ibiblio.org/pub/academic/communications/papers/habitat/getthere.txt. Vgl. zu Habitat Morningstar, Chip/Farmer, F. Randall: The Lessons of Lucasfilm’s Habitat. In: Benedikt, Michael (Hg.): Cyberspace. First Steps. Cambridge, Mass. und London 1991: 273-301; Lischka: Spielplatz Computer, a.a.O.: 111f. Nach Pavel Curtis zählte die japanische Version 1992 über 10.000 User, vgl. Curtis, Pavel: Mudding: Social Phenomena in Text-Based Virtual Realities. In: Intertek, Vol. 3.3, 1992: 26-34.
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Projection? Full Body digitizing? Forced Feedback? [...]“).73 Mit diesen Phasen verknüpft Farmer weitere Prognosen, so etwa diejenige, dass Cyberspace um 2010 politische Machtverschiebungen auslösen werde, während 10-20% der US-Amerikaner über 4 Stunden täglich „on the Other side“ verbringen und „Mothers Against Cyberspace“ sich darüber beklagen würden, dass „‚Junior‘ never goes out to play…“. Farmers Vision erweitert damit gewissermassen die VR-Konzepte zur Vorstellung einer umfassenden räumlichen „Other Side“, der politische und soziale Folgen ‚IRL‘ zugeschrieben werden; dabei verbinden sich VR und Telekommunikation in einem kommerziell realisierten Cyberspace als eines ‚Habitats‘ für Zehntausende. Eine andere, ebenfalls ausgesprochen weit gefasste Bestimmung der neuen Räumlichkeit formuliert auf der ersten Conference on Cyberspace 1990 in Austin (Texas) Marcos Novak. Novaks „composite definition“ versammelt, wie Marie-Laure Ryan angemerkt hat, geradezu die Gesamtheit der Formen und Applikationen, die sich zu dieser Zeit mit der Bezeichnung irgend in Verbindung bringen liessen. Was er als Cyberspace beschreibt, ist eine holistische Vision der Räumlichkeit einer zukünftigen Verschränkung von Informations- und Kommunikationstechnik: Cyberspace is a completely spatialized visualization of all information in global information processing systems, along pathways provided by present and future communication networks, enabling full copresence and interaction of multiple users, allowing input and output from and to the full human sensorium, permitting simulations or real and virtual realities, remote data collection and control through telepresence, and total integration and intercommunication with a full range of intelligent products and environments in real space.74
Novaks „totaler“ Cyberspace – aller Information, vollständiger CoPräsenz etc. – weist in gewisser Weise auf Gibsons „consensual hallucinations“ des Cyberspace und einer vollständigen zwischenmenschlichen Co-Präsenz zurück. Als Matrix kommunikativer, interaktiver und „interkommunikativer“ Verbindungen, die im einen neuen Raum der globalen Computermedien gleichsam verschmelzen, stellt er eine Art neue und diese noch erweiternde Version der Ideen Gibsons dar. Dabei ist aus der „hallucination“ Gibsons eine Vision jenseits aller Ironie ge-
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Farmer: Getting There From Here, a.a.O. Novak, Marcos: Liquid Architectures in Cyberspace. In: Benedikt (Hg.): Cyberspace. First Steps, a.a.O.: 225-254, hier: 225; vgl. Ryan, MarieLaure: Cyberspace, Virtuality, and the Text. In: dies. (Hg.): Cyberspace Textuality. Bloomington 1999: 78-107, hier: 83f.
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worden; Cyberspace ist vielmehr, so Novak in seinem Vortrag, „poetry inhabited“, einem Traum vergleichbar.75 Auch bei Farmer ist „cyberspace“ als das vorgestellt, „that many of us have dreamed of for almost 20 years“ und zugleich als ein „fuzzily defined word“.76 Als solches steht Cyberspace für einen gemeinsamen Traum und eine vage Rede, die gerade in ihrer Unschärfe die um 1990 höchst unterschiedlichen technischen wie gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Vorstellungen einer zukünftigen Informations- und Kommunikationstechnik versammeln kann.77 Im VR-Boom ebenso wie in der Folgezeit verweist sie auf ein Technik-Imaginäres, in dem die Differenzen zwischen Leitbildern, Diskursen und medialen Formen der informations- und kommunikationstechnischen Entwicklung im visionären Horizont des neuen „magical land“ (Koppell) verschwinden. Dabei ist „Cyberspace“ – wie Sterling 1992 vermutete – tatsächlich zu einer „permanent fixture of the language“ geworden; nicht als Bezeichnung für ein bestimmtes Modell (etwa der VR-Schnittstelle oder der elektronischen „frontier“), sondern als Rede selbst. Seit Gibsons Roman Gegenstand der Zirkulation, der wiederholten Umdeutung und ReDefinition, weder alleine ‚blosse Rede‘ noch eindeutig feststellbarer Begriff, kann die Bezeichnung gerade als „fuzzily defined word“ zur Referenz unterschiedlicher Diskurse werden.78 In technischen, populären und theoretischen Reden liess sich so in der Folge die Bezeichnung ohne weiteres ebenso auf Hypertext, Chat Rooms oder Virtual Community Plattformen übertragen wie auf den Adressraum des www oder auf „virtuelle Welten“ wie z.B. Second Life. Die Heterogenität dessen, was sich als Cyberspace anschreiben lässt, kommt ebenso bereits in Novaks „composite definition“ zum Ausdruck,
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Novak: Liquid Architectures in Cyberspace, a.a.O.: 229. Farmer: Getting There From Here, a.a.O. Zu einer solchen Versammlung kommt es etwa 1991 um die Vision von Cyberspace als eines Raums liberaler Freiheit an der Konferenz „Computer, Freedom, and Privacy“ in Burlingame, Ca. in Form einer „Koalition aus Electronic Frontier Foundation, Computer Professionals for Social Responsibility, AT&T [...], Sun MicroSystems u.a.“. Die Vision vom elektronischen Raum als der neuen frontier schafft Anschlussstellen zwischen Hackerkultur, libertären Bürgerrechtsaktivisten und Unternehmen. Fassler, Manfred: Zivilisierung eines unbegrenzten Raumes? In: Steinmüller, Karlheinz (Hg.): Wirklichkeitsmaschinen. Cyberspace und die Folgen. Weinheim u.a. 1993: 103-127, hier: 125, Anm. 2. Vgl. hierzu die Darstellung der Konferenz als Ort der Genese einer „digital nation“ in der Schlusspassage von Sterling: The Hacker Crackdown, a.a.O. Vgl. hierzu den Ansatz einer Bestimmung von „Cyberspace“ als medientheoretischen Begriff in Roesler, Alexander: Cyberspace. In: ders./ Stiegler (Hg.): Grundbegriffe der Medientheorie, a.a.O.: 59-65.
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mit der ja nicht alleine ein vager Horizont, einen blosser Traum oder eine Halluzination beschrieben wird, – ebensowenig wie im Konzept Farmers oder in der Erzählung Gibsons von seiner Beobachtung der game arcades. Vielmehr stellt Novak in einer Art Übersicht die verschiedenen mit dieser neuen Räumlichkeit verbundenen Formen und Leitbilder zusammen, die sich im Ansatz bereits in den Cyberspace-Darstellungen Gibson unterscheiden lassen: eine Vorstellung der „spatialized visualization“ bzw. digitalen Bildräumlichkeit; die eines elektronischen „globalen“ Raums der Informationssysteme; die einer multisensorischen Schnittstelle und die einer elektronischen zwischenmenschlichen Kommunikation bzw. Co-Präsenz. Darüber hinaus integriert Novaks Cyberspace-Definition zwei weitere Leitbilder der Informations- und Kommunikationstechnik: zum einen das in den VR-Entwicklungen der NASA wichtige Leitbild der Teleoperation oder Telepräsenz, als Bezeichnung für die Möglichkeit, über vernetzte VR-Systeme entfernte Objekte, z.B. in unzugänglichen Gefahrenbereichen, zu manipulieren; und zum anderen das Leitbild einer „intelligenten“ Umgebung, als Bezeichnung für Formen einer Interaktivität mit Gegenständen, einer „Augmented Reality“ oder einer „Ambient Intelligence“ bzw., so eine heutige Bezeichnung, „Human-Environment Interaction (HEI)“.79 Über die Halluzination eines nur eingebildeten neuen Raums hinaus verweist Cyberspace so auf eine Heterogenität von Konzeptionen und Leitbildern und von elektronisch und telemedial konfigurierten räumlichen Beziehungsgefügen, deren Konturen in der Vorstellung eines einheitlichen Raums des Virtuellen gerade nicht adäquat zu beschreiben sind. Exemplarisch wird dies im Blick auf die von Gibson genannten und Farmers Cyberspace-Konzept informierenden Räume des Computerspiels deutlich, das, mehr noch als andere unter der Bezeichnung subsumierbare mediale Formen, als paradigmatisches Medium des Neuen eines Cyberspace der Computer- und Internetmedien gelten kann.
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Vgl. Encarnaçáo, José et al.: Die Interaktion des Menschen mit seiner intelligenten Umgebung. The Human-Environment Interaction (HEI). In: Hellige, Hans-Dieter (Hg.): Mensch-Computer-Interface. Zur Geschichte und Zukunft der Computerbedienung. Bielefeld 2008: 281-308.
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Spielraum „Cyberspace“, so berichtet Gibson und so lehrt es das Kinderprogramm in Gibsons Neuromancer, entstammt dem Computerspiel: der Kopplung der Spieler an Spielautomaten, an den Bildschirm und an eine neue Räumlichkeit computerbasierter Spiele.80 Dies weist das Computerspiel nicht nur als eine spezifische Form, sondern auch als Modell des Cyberspace aus, wobei das Verhältnis zwischen Spieler und Spielcomputer, wie Gibson andeutet, mit dem Verhältnis zwischen User und Computer vergleichbar ist. Das Spielen am Computer repräsentiert, so Britta Neitzel, „ein Verfahren [...], das als prototypischer Umgang [der User] mit dem Computer gesehen werden kann.“81 Die Frage nach dem Raum des Computerspiels impliziert somit die Frage auch nach dem Spiel-Raum des Computers und der User. Nach einer These Claus Pias‘ heisst „[d]ie Spielwelten des Computers zu denken“ zugleich, „die Geschichte und Theorie des Computers selbst zu denken.“82 Historisch kann das Computerspiel ferner deshalb als prototypisch für den Umgang mit dem Computer gelten, weil es, wie Sherry Turkle 1984 feststellte, dasjenige Computer-Medium war, „dem als erstem der Sprung in die allgemeine Kultur gelungen ist“.83 Es sind, wovon ja Gibsons Erzählung zeugt, die Automaten- und Konsolenspiele, die noch vor den ‚spielerischen‘ GUI-Desktops oder der zunehmenden Verbreitung computerbasierter Kommunikation die gesellschaftliche Wahrnehmung des Computers als Medium prägten, neben dem „word processor“ für viele Gegenstand der ersten Begegnung mit ihm waren und ein erster Brennpunkt der Auseinandersetzung mit dem Neuen, das er transportiert.84 Ein überaus detailliertes Bild von diesem historisch Neuen des Computerspiels lässt sich aus der 1983 – also ein Jahr vor Gibsons Neuromancer – erschienenen Publikation Pilgrim in the Microworld des
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„Computerspiel“ wird hier und im Folgenden als allgemeiner Begriff auch für das im engeren Sinne davon zu unterscheidende Videospiel verwendet bzw. unabhängig von der jeweiligen Hardware-Plattform der Spiele (Grossrechner, Spielautomat, Konsole usw). Diese Begrifflichkeit vernachlässigt technische Differenzen wie auch die theoretische Unterscheidung zwischen dezidierten Spielautomaten und dem Computer als einer zweck-indifferenten programmierbaren Maschine. Neitzel, Britta: Computerspiele(n): Medium oder (Kultur-)Technik? In: Segeberg (Hg.): Die Medien und ihre Technik, a.a.O.: 492-507, hier: 507. Pias, Claus: Computer-Spiel-Welten. München 2002: 10. Turkle: Die Wunschmaschine, a.a.O.: 17. Vgl. ebd.: 75ff.
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Ethnomethodologen David Sudnow gewinnen, der in seinem Buch in überaus akribischer Weise seine Begegnung und seine ersten Spielerfahrungen mit Computerspielen nachzeichnet. Auch bei Sudnow ist es hierbei, ähnlich wie in der von Gibson erinnerten Szene, eine distanzierte und zunächst befremdete und irritierte Beobachtung von Spielern in arcades – in Sudnows Darstellung seinem eigenen Sohn –, die zum Ausgangspunkt der Frage nach dem Neuen dieses Phänomens wird und im Fall Sudnows zugleich dazu führt, dass er selbst zu spielen beginnt, zunächst an öffentlichen Automaten, später und mit zunehmender Obsession an der Spielkonsole zuhause. Sudnows Text, der sich, nach einem Vorschlag Howard Gardners, als ein neuer „Bildungsroman“ lesen liesse, führt damit computerbasierte Spiele – bzw. den Computer – als eine neue „Mikrowelt“ vor, die dadurch angeeignet wird, dass man in den Raum dieser Welt buchstäblich hineingeht.85 Diese Aneignung schildert Sudnows Text in einer Mischung aus (Reise-)Erzählung und (Selbst-)Beobachtungsjournal; minutiös und nicht ohne Selbstironie hält Sudnow – mit wiederholten Quervergleichen zu seinen Untersuchungen über das Erlernen des Klavierspiels – seine Wahrnehmungen und Überlegungen während des Spiels und der Interaktion mit dem Spielcomputer und der Spielwelt fest; so etwa in folgender Passage: Missiles come in from the top of the screen, the outer limits of one’s radar, upper horizon of the new world landscape with its little curve to make your body feel a bit more at home. Several trickle on and then down screen at the same rate, three or four lines very slowly coming from the top. So you’ve got plenty of time. You learn to move your cursor beneath them, one by one, and without much practice, a half hour at most, you can judge how far below you need to be in relation to their speed when you push the button. [...] You go from one missile to the next, aim, hold it, and fire. And that’s fine till they start coming faster. Then you need a new technology for moving. You try machine gunning […]. But the rules don’t let you. Only three explosions are allowed on the screen at once, a seemingly absurd restriction in a kind of war [...]. One little maneuver I came upon did seem like a move in the right direction [...]. Bam, bam, bam [...]. I’m no painter and don’t dance in mirrors. But here I could watch a mysterious transformation of my movements taking place of the other side of the room, my own participation in the animated interface unfolding in an extraordinary spectacle of lights, colors, and sounds.86
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Sudnow, David: Pilgrim in the Microworld. Eye, Mind, and the Essence of Video Skill. New York 1984 (Orig. 1983); Gardner, Howard: When Television marries Computer. In: The New York Times, 27. März 1983. Sudnow: Pilgrim in the Microworld, a.a.O.: 19ff.; vgl.: ders.: Ways of the Hand. The Organization of Improvised Conduct. New York 1979.
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Bei dem Spiel handelt es sich um das Kriegs- bzw. Schiess-Spiel Missile Command, gespielt in der geschilderten Szene an einer Heimkonsole im Rahmen einer Feier unter Universitätskollegen, an der das Computerspiel kontroverse Reaktionen auslöst.87 Eine zweite Schilderung in Sudnows Text gilt dem Computerspiel Breakout, einem „Ball“-Spiel, das den Spieler vor die Aufgabe stellt, eine horizontale sechsfache „Mauer“ zu durchbrechen: At bottom screen there’s a paddle, controlled by a steering wheel knob. [...] You push a button to serve yourself a ball, which descends from just beneath [a] barricade strip across the screen. Then you hit it back, and every time you do an unmarked half-inch brick segment gets knocked out of the wall. [...] The overall goal, fat chance, is to eliminate the entire barricade until paddle and ball are alone in empty court, victors. The wall is composed of six differently colored strata, and if and when a ball first gets through to hit the fourth one from the bottom, it takes off fast in a sudden break slam shot and then holds at this new speed till you miss and have to serve again. You get five balls per game [...]. Within about twenty minutes my neighbor had cut through the wall a few times while I couldn’t even get close, and when he insisted he’d had only played the game once before […], my evening was decided.88
Die beiden von Sudnow gespielten Spiele Breakout – das in Sudnows weiterer „Pilgerreise“ im Mittelpunkt steht – und Missile Command sind in mehrfacher Hinsicht charakteristische Vertreter der ersten, seit Mitte der 1970er Jahre an Automaten und auf den frühen Heim-Spielkonsolen auftauchenden Computerspiele.89 Grafisch waren diese Spiele, wie Sudnows Schilderungen verdeutlichen, weit von den komplexen Welten späterer Computerspiel-Designs entfernt: Was Sudnow vor sich hatte, bestand im wesentlichen aus einer auf wenige bewegte Elemente (Striche, Punkte, einfache Figuren) reduzierten zweidimensionalen Grafik, 87
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Sudnows Darstellung des Zusammentreffens von Computerspiel und intellektueller Kultur an der Party erinnert zugleich an die Tatsache, dass der Erfolg auch der frühen Computerspiele kein ausschliessliches Jugendphänomen war; vgl. hierzu die Fallstudien erwachsener (männlicher) Spieler in Turkle: Die Wunschmaschine, a.a.O.: 100ff. Das Spiel Missile Command wurde 1980 von der Firma Atari lanciert. S. zur Version von 1980 http://www.consoleclassix.com/atari-2600/missile_command.html. Sudnow: Pilgrim in the Microworld, a.a.O.: 33; 35. Breakout wurde 1976 von Atari lanciert. Zu einer Version von 1978 s. http://www.console classix.com/atari-2600/breakout.html. Zur Geschichte der Spielautomaten und der erstmals mit Ralph Baers Odyssey (1972) aufkommenden Konsolen vgl. Lischka: Spielplatz Computer, a.a.O.: 26ff.; 42ff.
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verbunden mit einer Geräuschkulisse. Die Rede von einer „other side of the room“ hat mithin hier weder mit einer illusionistischen Bildtechnik oder mit einer high fidelity-Klangwelt zu tun noch mit einem dargestellten Cyberspace in der Art eines im Neuromancer geschilderten „3D chessboard, extending to infinity“. Ist diese Darstellung Gibsons durch die Entwicklung der 3D-Vektorgrafik geprägt, die seit Anfang der 80er Jahre die Räumlichkeit des Computerspiels zu prägen begann (und als dreidimensionale Computer-Räumlichkeit auch im Kinofilm popularisiert wurde), so gilt dies für die Bildräumlichkeit von älteren Spielen wie Breakout und Missile Command nicht.90 Die dargestellte Räumlichkeit dieser Spiele ist zudem eine keineswegs „infinite“, indem ihre Grenzen vielmehr mit denen des Bildschirms zusammenfallen (es auf dieser Ebene also keinen „space behind the screen“ gibt). Dies im Gegensatz zur Darstellungsformen wie etwa dem „wraparound screen“, kennzeichnend u.a. für das von Hackern an MIT realisierte frühe Spiel Spacewar (1961/62). Nach diesem Prinzip entspricht das auf dem Bildschirm Sichtbare dem Raum einer Teiloberfläche eines Zylinders oder eines Torus: Was auf der einen Seite den Bildschirm verlässt (in der spacewar-Spielwelt: ein Raumschiff), taucht auf der Gegenseite wieder auf.91 Spiele wie Breakout und Missile Command verdeutlichen somit beispielhaft, dass und inwiefern der von Gibson erwähnte wie auch bei Sudnow angesprochene (geglaubte) „kind of space“ des Computerspiels nicht allein auf einen bestimmten dargestellten Raum des Spiels oder auf eine Ebene der Bildlichkeit (z.B. der 3D-Grafik) zurückzuführen ist, sondern im Spiel – bzw. im Zusammen-Spiel von Spieler, Spiel und (Spiel-)Computer – erst entsteht. Das Modell dieser Spiele ist dabei wenig komplex und basiert, formal, auf Verhältnissen zwischen sichtbaren bewegten und unbewegten Objekten und einem zeitlichen Ablauf, in den der Spieler aufgefordert ist einzugreifen. Spiele dieser Art, nach ihrem Spieltyp als „Actionspiele“ einzuordnen, sind somit prinzipiell Raumbzw. Bewegungsspiele, deren Herausforderung an den Spieler in einer
90
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Vgl. zum Aufkommen der Vektorgrafik Rumbke, Leif: Pixel³. Raumrepräsentationen im klassischen Computerspiel. Hausarbeit Kunsthochschule für Medien, Köln 2005: 57f. Online-Publikation, http://www.rumbke. de/data/text/text.html; zur Popularisierung der ‚dreidimensionalen‘ Welt des Computer(spiel)s durch den Kinofilm Tron (1982) vgl. Schröter: Das Netz und die Virtuelle Realität, a.a.O.: 85f. Vgl. Rumbke: Pixel³, a.a.O.: 28ff.; zu Screenshots von Spacewar s. Graetz, J.M.: The Origin of Spacewar. (Orig. in: Creative Computing, Aug. 1981), Online-Publikation, http://www.wheels.org/spacewar/crea tive/Spacewar Origin.html.
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„zeitlich korrekte[n] Objektplazierung“ besteht.92 Bei diesem zu plazierenden Objekt kann es sich ebenso etwa um einen als Strich dargestellten „Schläger“ handeln, der einen bewegten Punkt („Ball“) zu treffen hat wie um ein durch den Cursor markiertes Ziel eines auf Knopfdruck des Spielers ausgelösten Schusses auf bewegte Objekte („Missiles“). Der Spielprozess des Spielers, der die Herausforderung des Spiels annimmt, ist ein Akkomodationsprozess, in dem er lernt, Plazierungen nach Massgabe des zeitkritischen Spiels korrekt und effizient vorzunehmen. Dieser Prozess beinhaltet, wie Sudnows Schilderung beispielhaft zeigt, mehrere Momente: einerseits eine Anpassung der Sensomotorik – die zunehmend automatische Bedienung des „buttons“ oder des „steering wheel“, die Hand-Auge-Koordination usw., wobei sich ausbildet, was Turkle als eine „Ökonomie der Gestik“ bezeichnet hat;93 andererseits die Anpassung an die Regeln und die erschlossene Logik des Spiels – an seinen Ablauf, an die innerhalb dessen erfolgreichen „maneuver“ und „technologies for moving“, an die Verbote (z.B. mehr als drei Schüsse abzufeuern) usw. Sudnow vergleicht das Zusammen-Spiel, das sich in diesem Prozess ergibt, in seinem Text u.a. mit dem Schreiben auf der Schreibmaschine wie auch mit dem bereits erwähnten Klavierspiel, „[...] where you never look ahead of what you can grasp and your hands’ own sense of their location therefore instructs the gaze where to regard the score.“94 In ähnlicher Weise hat Pias das Spielen solcher zeitkritischer Spiele mit dem in Studien um 1900 festgestellten „connected discourse“ der Arbeit von Telegraphisten verglichen, der dann einsetzt, wenn die „Fertigkeiten des Buchstaben- und Wortempfangs [...] quasi ‚automatisch‘ geschehen“.95 So ist das Actionspiel, nach Pias, eine Art aus der Schrift entstehender Tanz nach der Inszenierung des Programms. Die Frage, die es aufwirft, lautet daher nicht „[...] wohin unsere Körper verschwunden sind, sondern in welcher neuartigen Umgebung sie sich wieder bemerkbar machen sollen.“96 Und ebenso wie im Bereich des Maschinenschreibens oder des Telegraphierens findet die erste Akkomodation in zeitkritischen Spielen wie Missile Command oder Breakout ihre Fortsetzung in einer weiteren Steigerung der (Geschwindigkeits-)Leistung, die sich im Spiel theoretisch, als ein agonistischer oder auch rauschhafter Wettkampf gegen die Spiel-Maschine, gegen die Leistung anderer Spieler (z.B. des „neigh92 93 94
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Rumbke: Pixel³, a.a.O.: 21. Turkle: Die Wunschmaschine, a.a.O.: 82. Sudnow: Pilgrim in the Microworld, a.a.O.: 41; zum Vergleich des Computerspiels (hier am Bsp. von PacMan) mit dem Klavierspiel vgl. auch Turkle: Die Wunschmaschine, a.a.O.: 79f. Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 27. Ebd.: 51, vgl. 49.
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bors“) oder gegen sich selbst, bis an die Grenzen des Programms fortsetzen lässt.97 Dieses wenig komplexe, zeitkritische Spielprinzip der Action-Spiele spiegelt die Anforderungen der zur Frühzeit des Computerspiels dominierenden arcades: Erfolgreiche Spiele an Münzautomaten mussten sowohl in kurzer Zeitdauer spielbar als auch ‚intuitiv‘ verständlich sein. So lässt sich der Misserfolg des frühen Spielautomaten Computer Space (1971) u.a. darauf zurückführen, dass das Spiel die Lektüre einer mehrseitigen Anleitung voraussetzte, während der darauffolgende epochemachende Spielautomat Pong weitgehend selbsterklärend war.98 Entscheidend für diesen Parameter der Verständlichkeit ist, neben dem formalen Spielmodell, die Semantik der dargestellten Objekte und der Spielwelt, indem sie auf ein Referenzmodell verweist, das dem Spieler erlaubt, Wissen über regelhafte Zusammenhänge auf das Spiel zu übertragen. Leif Rumbke hat das Prinzip dieser Referenz des Computerspiels als eines der Balance von Abweichung und Referenzierung charakterisiert. Spiele, die sich zu nahe an ihrem Referenzmodell bewegen, so Rumbke, „kranken in aller Regel daran, dass der Spieler [...] dazu neigt, den Referenten (i.e. das Spiel) hinter seine Referenz einzuordnen“.99 Ein Beispiel für ein solches Vorscheinen der Referenz ist etwa Sudnows Irritation darüber, dass Missile Command im Gegensatz zum wahrgenommenen Referenzmodell „Krieg“ nur drei Schüsse auf einmal zulässt. Das Computerspiel ist zudem, wie die ausgeprägte Genrebildung innerhalb des Mediums zeigt, in hohem Mass selbstreferenziell. Und auch in dieser Hinsicht sind Missile Command und Breakout charakteristische Vertreter des frühen Computerspiels, das, vom Anfang des Mediums an, durch die genrebegründenden Referenzmodelle des Abschiessens von Flugkörpern und des (Tennis-)Ballspiels geprägt war. Dies gilt weitgehend unabhängig davon, wo man diesen Anfang des Computerspiels ansetzt: Bei dem erwähnten ersten erfolgreichen kommerziellen Automatenspiel (und direkten Vorläufer von Breakout) Pong (1972); bei dem ebenfalls erwähnten Spacewar (1961/62); bei dem mittels Analogrechner und Oszilloskop realisierten Tennis for Two (1958), das der Physiker William Higinbotham am US-amerikanischen Brookhaven National Laboratory zu Demonstrationszwecken realisierte; oder bei jenem 1947 97
98 99
So wird aus Sudnows Reise in die Mikrowelt von Breakout eine obsessive Trainingsphase von drei Monaten. Zum Agonistischen und zum Rauschhaften des Spielens überhaupt vgl. Caillois, Roger: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch. Frankfurt a. M. 1982 (Frz. Orig. 1958): bes. 21ff.; 32ff. Vgl. Rumbke: Pixel³, a.a.O.: 42f.; Lischka: Spielplatz Computer, a.a.O.: 42; zum Spiel Pong s. http://www.classicgaming.com/museum/pong. Ebd.:19.
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beim US-Patentamt beantragten und 1948 erteilten Patent für ein „Cathod Ray Tube Amusement Device [...] with which a game can be played“, das für ein solches mögliches „game“ das Referenzmodell des Abschiessens vorsah bzw. einer „destruction or explosion of the object which may be represented as an airplane, for example.“100 Als Spielraum derartiger ballistischer Schuss- und Flugbahnen verweist der Cyberspace des Computerspiels auf seinen engen Bezug zu der in seinem Namen enthaltenen Kybernetik, die – als wissenschaftliches Programm durch Norbert Wiener 1947 mit diesem Namen bezeichnet – auf Wieners umfangreiche Arbeiten nach 1940 an einem „antiaircraft predictor“ zurückgeht; dieser sollte es ermöglichen, die Flugbahnen feindlicher Flugzeuge zu berechnen, bzw. Flugabwehrraketen zu deren Zerstörung durch ein Rechnerprogramm zu steuern. Es sind die im Rahmen dieser Arbeiten vorgenommenen Versuche einer formalen Modellierung von Pilot-Flugzeug-Systemen, die später zum Prototyp der kybernetischen Modellierung von technischen Mensch-Maschine-Systemen wie auch von Ansätzen wurde, menschliches Handeln schlechthin als das einer selbststeuernden Maschine zu modellieren.101 In einem im engeren Sinne technischen Zusammenhang wiederum ist das Referenzmodell des Ballspiels zu sehen, indem auf dem Bildschirm der Oszilloskope, mit denen um 1950 die Rechner ausgestattet waren, der als bewegter Lichtpunkt wahrnehmbare Kathodenstrahl, je nach angelegter Wechselspannung und Frequenz, eine einem hüpfenden Ball ähnliche Kurve beschreibt. Zu den Lehrbuch-Übungen für das Programmieren der Computer zählte das ‚Herstellen‘ solcher Figuren, was Higinbotham zu seinem „Tennis for Two“ inspirierte. Aus den in den 1940er Jahren für den Einsatz der Analogcomputer zentralen ballistischen Berechnungen
100 Zu einem Video des Spiels Tennis for Two s. http://www.bnl.gov/bnlweb/ history/higinbotham.asp; zum erwähnten US-Patent von 1948, erteilt an Thomas T. Goldsmith und Estle Ray Mann, vgl. http://www.jmargolin. com/patents/2455992.pdf. Ein anderes Prinzip bestimmt dagegen das „tic-tac-toe“-Spiel Noughts and Crosses, das zu Beginn der 1950er Jahre von A.S. Douglas auf dem EDSAC Computer programmiert wurde; vgl. Butler, Mike: Would you like to play a game? Die Kultur des Computerspielens. Berlin 2007: 239, Anm. 78; s. zum Spiel Campbell-Kelly, Martin: EdsacPC. A Tutorial Guide to the EDSAC Simulator. Juli 2001 (Titelblatt). Online-Publikation, http://www.dcs.warwick. ac.uk/~edsac/Soft ware/EdsacTG.pdf. 101 Vgl. zum „antiaircraft predictor“ als Modell der späteren Wienerschen Kybernetik Galison, Peter: Die Ontologie des Feindes. Norbert Wiener und die Vision der Kybernetik. In: Hans-Jörg Rheinberger (Hg.): Räume des Wissens: Repräsentation, Codierung, Spur. Berlin 1997: 281-324.
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wurde somit Ende der 1950er Jahre indirekt auch ein Ballspiel, das (hier: zwei) Spieler und den Bildschirm aneinander koppelte.102 Formal ist es diese Kopplung, die den Cyberspace des Computerspiels – unabhängig vom jeweiligen Referenzmodell – mit dem kybernetischen Mensch-Maschine-Modell verbindet, indem er als Raum eines Zusammenspiels von Spieler und Spielcomputer begriffen werden kann, das sich prinzipiell nach der Regelhaftigkeit einer programmierten Berechnung ereignet. Entwarf Wiener menschliches Handeln (zunächst: das Handeln feindlicher Kampfpiloten) nach den Modellen des Servomechanismus bzw. des Outputs einer black box, so sind im Programm etwa von Actionspielen die Handlungen des Spielers als Teil eines formalen Prozesses entworfen; der Mensch, so Pias, erscheint hier als ein „relativ langsame[r] Systembestandteil“.103 In Bezug auf diese für den Spieler gegebene formale Regelhaftigkeit des Programms unterscheidet sich die „Interaktion“ oder „Interaktivität“ zwischen Spieler und Spielcomputer grundlegend von einer menschlichen Interaktion; sie ist, wie Walker – im Rahmen hier der VR-Debatten – bemerkt hat, kein „Dialog“. Das prinzipielle „Problem“ des ComputerSpiels, so die launige Erklärung Walkers hierzu, ist dies: Sobald ein Programmierer eine Welt für den Gebrauch durch andere geschaffen hat, muss irgendein [...] Benutzer, bewaffnet nur mit dem Schwert seines gesunden Menschenverstandes, dem Schild des Handbuches und dem bisschen Erfahrung, das er sich in ähnlichen Welten mühevoll zusammengekratzt hat, in sie eintreten und versuchen, die Regeln zu durchschauen. Die zeitlose Beliebtheit der Actionspiele scheint ein Indiz dafür zu sein, dass zumindest einige an solchen Herausforderungen Spass haben [...].104
Das interaktive Zusammenspiel von Mensch und Computer ist ein Spiel zwischen ungleichen ‚Spielern‘, in dem sich der menschliche Spieler oder User mit einem zunächst in seiner Regelhaftigkeit unbekannten und unveränderlichen Programm oder Ablauf konfrontiert sieht. Diese Situation ist in hohem Mass für das ‚Spiel‘ zwischen User und Computer schlechthin kennzeichnend, und sie begegnet als Problem, auf das mit 102 Vgl. Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 73; ders.: Die Pflichten des Spielers. In: Warnke, Martin et al. (Hg.): Hyperkult II. Zur Ortsbestimmung analoger und digitaler Medien. Bielefeld 2005: 313-341: 318ff. 103 Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 73; vgl. Galison: Die Ontologie des Feindes, a.a.O.: 290. So vergleicht Bernd von den Brincken 1991 einen zukünftigen, über Hirnströme mit dem Computer interagierenden User – nach dem Modell des Servomechanismus –, mit einer selbststeuernden „Kaffeemaschine“; von den Brincken, Bernd: Eine andere Art von WeltRaum. In: Waffender (Hg.): Cyberspace, a.a.O.: 165-177, hier: 171f. 104 Walker: Hinter den Spiegeln, a.a.O.: 26.
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der Rede und der Zielsetzung einer „user satisfaction“ oder „friendliness“ reagiert wird, nicht erst im Wandel des Computers zum Medium für informationstechnisch unerfahrene User oder in der Entwicklung der ersten GUI, sondern bereits zur Frühzeit des ARPANET.105 Im Computerspiel ist diese Vorgegebenheit eines von anderen entwickelten Programms Grundlage der Herausforderung an den Spieler, die er zu meistern hat. Sie steht indes, wenn sie in den Vordergrund tritt, in Kontrast zur Illusion des Spiels, seiner Welt und seines Referenzmodells – in Breakout etwa der Vorstellung eines Ballspiels gegen zu durchbrechende Mauern. Sudnows Darstellungen seiner Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit dem Spiel verdeutlichen dies beispielhaft an einer Stelle, an der Sudnow von „news“ berichtet, die er durch Nachforschungen über Breakout erfährt: The [...] piece of news, whose import weighed heavily on me for some time without me knowing just why, was that there was no randomness in the game. You could theoretically take a perfect path from start to finish. All the angles were calculated [...]. It wasn’t a question of taking action in a truly open court of play, but only of moving along strictly determined paths. [...] Like a piano, whose strings are tuned in accordance with strict mathematical rules, not like a tennis court [...] The „speed of the ball“ on the slam shot, for instance, was instantaneously attained as soon as the fast brick was hit, or to speak in a more precise but impractical way, as soon as a certain place in the programmed formula was reached by those numbers defining the „ball“ and its progress.106
Die Information, dass es im Programm von Breakout kein Zufallselement gebe – die sich in der Folge als nicht ganz korrekt erweist –, wirkt als eine Desillusion im wörtlichen Sinne hinsichtlich des von Sudnow wahrgenommenen und dem Referenzmodell entsprechenden Spiels in einem „truly open court of play“.107 Aufgrund der erfahrenen Neuigkeiten über das Programm erscheint das Spiel nun vielmehr als ein „game“ von „calculated angles“ und „strictly determined paths“, aus denen es kein Ausbrechen gibt. 105 Vgl. Evaluation of ARPANET Services. Jan.-März 1972, RFC 369. Online-Publikation, http://tools.ietf.org/html/rfc369. 106 Sudnow: Pilgrim in the Microworld, a.a.O.: 94. 107 Nicht korrekt ist die Information, da es ein Element von „randomness“ in Breakout gibt, nämlich die Richtung, aus der zu Beginn der „Ball“ erscheint, und die in der Folge die Erfolgschancen des Spiels beeinflusst; vgl. ebd.: 95f. Breakout enthält damit auch ein für Spiele ebenfalls typisches Aleatorisches; vgl. zu diesem Moment des Glücksspiels Caillois: Die Spiele und die Menschen, a.a.O.: 24ff. Zur Illusion („inlusio“) des Spiels vgl. Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek b. Hamburg 1987 (nl. Orig. 1938): 20.
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Die Unterscheidung Sudnows zwischen einer determinierten formalen Struktur des game und einer angesichts dieser irreführenden Vorstellung eines kontingenten play entspricht zugleich dem, was Pias als eine These zum Computerspiel überhaupt formuliert hat, dass nämlich Computerspiele als games der Programmierung gleichsam hinter bzw. unter der Ebene des Dargestellten (der Kontingenz des „open court of play“) zu lesen sind. Aus dieser Sicht ist, nach Pias, [w]as […] anlässlich der Emergenz von Computerspielen wie Pong geschieht, [...] eine Verbergung von Hardware und Software durch die Phantasmagorie von buntem Plastik und geschütztem Code, die sie tatsächlich zu black boxes macht und Spielspass dadurch gewährt, dass sie Kontingenz dort suggeriert, wo Programmierung waltet.108
Pias bezieht diese These grundsätzlich nicht nur auf den Typ der Actionspiele, sondern auch auf zwei weitere idealtypisch unterscheidbare Arten von Computerspielen, nämlich das Adventurespiel und das Strategiebzw. Simulationsspiel.109 Dies, obgleich sich Adventure- und Strategiebzw. Simulationsspiele in Bezug sowohl auf den dargestellten Spielraum als auch auf das Spielmodell und die Kopplung des Spielers an das Spiel erheblich von Actionspielen unterscheiden: Adventurespiele – die auf textbasierte, insbesondere den Welten des Fantasy-Genres verbundene ‚interactive fictions‘ zurückgehen – modellieren die Handlungen des Spielers nicht, wie Actionspiele, als Momente eines zeitkritischen Ablaufs der Objektplazierung, sondern als Wege auf einer Karte, die dem Spieler zunächst verborgen bleibt. Der Typus des Adventure entfaltet somit eine kartographische Räumlichkeit der Wege und Orte, in welcher der Spieler ‚sich‘ bzw. – z.B. – seinen Avatar bewegt, in dem er Objekte vorfindet und Aufgaben zu lösen hat. In der formalen Struktur des Spiels ist dieser Karten-Raum als ein topologischer Netz-Raum von Orten (Knoten) und Wegen angelegt; in einem der frühsten Textspiele dieser Art, Hunt the Wumpus (1972), orientiert sich die 108 Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 12. 109 Mit der Unterscheidung der genannten drei Typen ist eine allgemeine compterspieltheoretische Systematik bezeichnet, wobei sich in heutigen Spielen diese Typen in hohem Mass mischen. Im einzelnen spricht etwa Aarseth von „Simulationsspielen“, womit er den dritten Typ v.a. nach dem Sub-Typus der Wirtschaftssimulation bestimmt, während Pias den dritten Typ als „Strategie“ bezeichnet und damit v.a. nach dem SubTypus des Kriegsspiels; vgl. Aarseth: Allegorien des Raums, a.a.O.: 308; zur Differenz von Simulations- und Strategiespiel vgl. Neitzel, Britta: Gespielte Geschichten. Struktur und prozessanalytische Untersuchungen der Narrativität von Videospielen. Diss. Weimar 2000: 215ff. (http://epub.uni-weimar.de/volltexte/2004/72/pdf/Neitzel.pdf).
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formale Struktur z.B. an der Platonischen geometrischen Form des Dodekaeders – jener bei Platon buchstäblich universalen „fünfte[n] Zusammensetzung“ von Dreiecken zu einem zwölfseitigen Körper, die Gott „für das All [benutzte], als er es ausmalte“.110 Aus der Sicht des Spielers wiederum präsentiert sich der Raum der Spielwelt zunächst nur als ein isoliertes hic et nunc – eine Höhle, ein Standort neben einem Haus o.ä. –, von dem aus er über Wege (bzw. Grenzen und Schwellenbereiche wie Fenster, Türen, Schleusen usw.) die räumliche Welt des Spiels im Lauf des Spielens erschliesst. Vorgeführt wird damit ein hodologischer Raum im Sinne der phänomenologischen Verwendung dieses – von Kurt Lewin stammenden – Begriffs: ein durch Wege erschlossener Raum, dessen nicht-metrischen Charakter Otto Friedrich Bollnow u.a. am Beispiel des Wohnraums beschrieben hat, der im gelebten Raum durch die Öffnungen der Türen und Fenster und nicht durch die messbare Distanz der Luftlinie bestimmt ist. So ist die benachbarte Wohnung des nächsten Hauses, auch wenn sie lediglich die Dicke einer Wand entfernt sein mag, im Raum der alltäglichen Erfahrung so weit entfernt wie der Weg dorthin über Treppenhäuser und Haustüren. Im gelebten Raum, so Bollnow, „ist auch heute noch die Wohnung eine Höhle im Berg“, als Teil nicht eines homogenen Raums, sondern eines Geflechts aus Wegen und spezifischen Orten und Zielen.111 Im hodologischen Raum des Spiels ‚entdeckt‘der Spieler buchstäblich den Spielraum als Karte durch ein sukzessives Erkunden dieser Wege, zwischen denen er sich zu entscheiden hat und der Orte, zu denen sie ihn führen. Aus seiner Sicht liegt der Reiz des Spiels in der räumlichen Exploration einer fremden Welt, durch die er sich bewegt. Das Spielen von Adventurespielen entspricht damit, mehr noch als dasjenige einfacher Actionspiele wie Missile Command oder Breakout, 110 Platon: Timaios. In: ders.: Werke in acht Bänden. Hgg. von Gunther Eigler, Bd. 7. Darmstadt 1990: 1-120, hier: 103. Gregory Yob, der Entwickler des Spiels, wählte das Dodekaeder (das im Spiel zu einem Netz verflacht wird) als Modell seines „topological game“, weil es, wie er angibt, sein Favorit unter den Platonischen Formen war. Yob, Gregory: Hunt the Wumpus. In: Ahl, David H. (Hg.): The Best of Creative Computing. Morristown (NJ) 1976: 247-250 (http://www.atariarchives.org/ bcc1/showpage.php?page=247). Zum Spiel s. (Baf´s Guide to the I[nteractive] F[iction] Archive) http://wurb.com/if/game/442. 111 Bollnow, Otto Friedrich: Mensch und Raum. Stuttgart 1963: 192f.; vgl. 202f. Bollnow verknüpft dabei Lewins verhaltenswissenschaftliche Konzeption eines hodologischen Raums mit dem ‚gelebten Raum‘ bzw. „espace vécu“ Minkowskis; vgl. Minkowski: Die gelebte Zeit, a.a.O.: 232ff.; zu Lewins Beschreibung des hodologischen Raums (anhand des Raums des Kriegs und der Front) vgl. Lewin, Kurt: Kriegslandschaft (1917). In: Dünne et al. (Hg.): Raumtheorie, a.a.O.: 129-140.
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jenem Eintritt in eine von anderen geschaffene Welt – oder: in eine Art „Labyrinth“ –, das Walker in seiner oben zitierten Darstellung beschreibt.112 Ist das Spiel für den Spieler eine Entdeckungsreise, so sind auf der Ebene der Programmierung die Handlungen des Spielers ein Nachvollziehen von Wegen, deren „determined paths“ im Programm festgelegt und etwa in Form von Flussdiagrammen als Serie von möglichen Entscheidungswegen vorgezeichnet sind; – was Pias auf die Formel bringt, der „Spieler“ werde im Programm dieser games zu einer „transportierten Post“.113 Strategie- bzw. die aus ihnen hervorgegangenen Simulationsspiele wiederum – z.B. die bekannten Sim-Spiele wie SimCity (1989) oder SimLife (1992) – sind durch einen weitaus weniger festgelegten Spielverlauf gekennzeichnet, indem der Spieler die bevölkerte Spielwelt erst ‚erschaffen‘ oder deren Entwicklung lenken muss. Der Raum, den der Spieler hier vorfindet, ist ein gerastertes Territorium oder eine Objektwelt, die gewissermassen erst durch den Spieler zum Leben erweckt wird. Auf der Ebene der graphischen Darstellung der Spielwelt ist dies mitunter verbunden mit der aus der Architektur stammenden isometrischen Projektion, die dem Spieler eine privilegierte und übergeordnete Sicht auf die Objekte der Spielwelt gewährt.114 Entgegen dieser geradezu göttlich anmutenden Rolle des Spielers als Schöpfer der Spielwelt ist dabei die Aufgabe des Spiels üblicherweise vorgegeben, ebenso wie das Set der Parameter, die ihm zur Verfügung stehen, um diese Aufgabe (z.B. eine erfolgreiche Stadtentwicklung) wahrzunehmen.115 Die Simulation des Simulationsspiels – die Frage, was darin wie simuliert wird – ist somit in der formalen Regelhaftigkeit des Spiels festgelegt. Dies gilt nicht nur in Bezug darauf, welche regelhafte Welt, z.B. welche und wie komplexe Gesetzmässigkeiten einer erfolgreichen Stadt112 Vgl. zum Labyrinthischen des Adventurespiels Aarseth, Espen: Cybertext: Perspectives on Ergodic Literature. Baltimore u.a. 1997: 2ff.; 97ff.; Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 163ff. 113 Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 124. Anschaulich nachvollziehen lässt sich diese Struktur der Adventures etwa in der Programmieranleitung von Grace, Mike: Adventure-Spiele auf dem Commodore 64. Basel u.a. 1984 (Orig. 1983). 114 In der fluchtpunktlosen Projektion der Isometrie werden ‚horizontale‘ Linien in einem Winkel von 30˚ zur Horizontalebene dargestellt; vgl. Rumbke: Pixel³, a.a.O.: 239. 115 Dies gilt freilich nicht für alle Strategie- oder Simulationsspiele gleichermassen; so kann z.B. im Spiel Black and White (2001), wie Karin Wenz angemerkt hat, im Gegensatz zum üblichen „gute[n]“ Verhalten des Spielers „auch ein sadistischer Gott zum Erfolg gelangen.“ Wenz, Karin: Transfer. Computerspiele als hybride Formen. In: Ästhetik und Kommunikation, 32 (2001), 112/115: 85-90, hier: 88.
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entwicklung, es entwirft, sondern auch in Bezug auf diese formale Regelhaftigkeit selbst. Begreift man diese gewissermassen als die grundlegende Spielregel seines Weltentwurfs, so ist das Simulationsspiel eine Verkörperung des kybernetischen Programms, (auch) menschliches Handeln nach dem Prinzip seiner formalen Erfassbarkeit zu modellieren. An diesem Entwurf ist der Spieler nicht beteiligt, ebensowenig wie er für die Regelhaftigkeit des Spielgeschehens zuständig ist; das Spiel führt vielmehr, so Pias, sein „Eigenleben“.116 Man kann eine Differenz solcher Simulationsspiele zum ‚Spielmodell‘ der Kybernetik wie auch zu den direkten Vorläufern der Sim-Spiele – dem Kriegsspiel und der Wirtschaftssimulation – darin sehen, inwiefern Simulationsspiele Spiele sind und als solche verstanden werden, d.h. in den je gezogenen Grenzen ihres Spielraums und der Gültigkeit ihrer Regeln.117 So hat Konrad Lischka einen „entscheidende[n] Entwicklungsschritt“ der Simulationsspiele darin gesehen, dass sie „nicht mehr die uneingeschränkte Gültigkeit ihrer Gesetze in der Welt ausserhalb des Spiels behaupten.“118 Es ist jedoch für Simulationsspiele kennzeichnend, dass sie nicht nur Spiele sind, sondern auch Modelle bzw. Weltentwürfe verkörpern, deren Kontingenz der Konstruktion im Spiel hinter die formale Rationalität und die Gegebenheit des Programms zurücktritt. Sie sind, wie Donna Haraway in Bezug auf SimLife hervorgehoben hat, nicht metaphorisch; SimLife ist, so Haraway, vielmehr „simultaneously original and mimetic“, Simulation hier „primary and constitutive. [...] At the origin of things, life is constituted and connected by recursive […] streams of information“.119 Sim-Spiele sind, so gesehen, „Laboratorien“
116 Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 259. 117 Diese Begrenztheit des Spielraums und seine Differenz zur Welt ist ein konstitutives Merkmal des Spiels; es ist, so Sybille Krämer, „kraft [seiner] Grenzen immer in Distanz und in Differenz zu dem, was und wie wir etwas ‚gewöhnlicherweise‘ tun.“ Krämer, Sybille: Die Welt, ein Spiel? Über die Spielbewegung als Umkehrbarkeit. In: Deutsches Hygienemuseum (Hg.): Spielen. Zwischen Rausch und Regel. Ostfildern 2005: 1117, hier: 13. 118 Lischka, Konrad: Junge Technik mit alter Tradition. Betrachtungen zur Kulturgeschichte des Computerspiels (2005). In: Bundeszentrale für politische Bildung Bonn (Hg.): Dossier Computerspiele. 2006. OnlinePublikation, http://www.bpb.de/themen/ICWW6R,0,Junge_Technik_mit _alter_Tradition.html. 119 Haraway, Donna: Modest_Witness@Second_Millenium. FemaleMan© _Meets_OncoMouse™. New York und London 1997: 134. Haraway thematisiert das Spiel im Rahmen ihrer Kritik am Modell des Gens als einer informationellen Grundlage des Lebens: einer „reification“, so Haraway, „that transmutes material, contingent, human and nonhuman liveliness into maps of life itself and then mistakes the map and its reified
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einer Wissensordnung der Simulation, in der Information an die Stelle eines Ursprünglichen gerückt ist.120 Pias hat diesen Zusammenhang zwischen Computerspiel und Wissensordnung im Rahmen der Unterscheidung von play und game als Emergenz einer durch das Computerspiel bezeichneten „Theoriekonstellation“ beschrieben, „in der es nunmehr Sache der games ist, das play der Gesellschaft, des Lebens oder des Wissens zu denken.“121 Die „Traditionslinien“ des Computerspiels als Bezeichnendes dieser Konstellation sind daher, nach Pias, „nicht nur in Bild- und Literaturtraditionen zu finden, sondern stärker noch in Experimentalpsychologie und Arbeitswissenschaft, in den Theorien von ‚Scientific Management‘, Operations Research und Kybernetik.“ Seine „Diskurselemente heissen nicht ‚Menschen töten‘ oder ‚Goldtaler fangen‘, sondern Pünktlichkeit, Rhythmus und Kontrolle.“122 Im Kontext dieser Traditionslinien erscheint das Computerspiel als ein Spiel vorrangig des game, das Pias einem traditionellen ästhetischen und spieltheoretischen Verständnis des Spiels als play entgegenhält. Damit nimmt er eine explizite Gegenposition im besonderen zur klassischen Ästhetik Friedrich Schillers ein, nach der das Spiel jenen „Trieb“ einer idealen Humanität verkörpert, der, über die Gegensätze von Pflicht und Neigung, Vernunft und Sinnlichkeit hinweg, die Einheit des „ganzen Menschen“ konstituiert.123 Innerhalb der im engeren Sinn spieltheoretischen Ansätze wiederum findet sich eine Sicht des Spiels als play u.a. bei Johan Huizinga, der in seiner 1938 publizierten Arbeit Homo Ludens das Spiel als einen Grundzug – auch – des menschlichen Handelns versteht (auch Tiere spielen, wie Huizinga betont), von dem die Formen der Kultur – die Sprache in ihrer Metaphorizität, der Kult, das Recht, die Kunst
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entities fot the bumptious, nonliteral world.“ Ebd: 135; vgl. hierzu Butler: Would you like to play a game?, a.a.O.: 198ff. Als ein „laboratory [...] for curious people to experiment with“ wird das Spiel SimEarth im Handbuch bezeichnet, vgl. ebd.: 132. Zu SimLife als Artificial Intelligence-Experimentierlabor vgl. Turkle: Life on the Screen, a.a.O.: 167ff. Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 312. Paradigmatisch dafür steht die von Pias ebd. zitierte Aussage von Max Bense: „Nur antizipierbare Welten sind programmierbar, nur programmierbare sind konstruierbar und human bewohnbar.“ Pias: Die Pflichten des Spielers, a.a.O.: 338. Vgl. Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 204; ders.: Die Pflichten des Spielers, a.a.O.: 313f.; 339. Schiller erweitert den Spielbegriff Kants, indem er dem (idealen) Spiel eine der Schönheit vergleichbare Bedeutung zuschreibt; vgl. Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen. Stuttgart 1965 (Orig. 1795): bes. 45-64; zum Spiel bei Schiller und Kant vgl. Wenz, Karin: Spiele und Spielen. In: Zeitschrift für Semiotik, 23 (2001) 3/4: 269-283, hier: 271.
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usw. – durchwoben sind. Huizinga versteht „Spielen“ vor allem als eine „freie[]“ bzw. „freiwillige“ Beschäftigung, die sich in einem begrenzten Raum des Spiels an Regeln bindet und ihr „Ziel in sich selber hat“.124 Als solche ist Spiel(en) grundsätzlich play; dies wird bei Huizinga explizit im Rahmen seines Vergleichs von „Spiel“-Bezeichnungen in verschiedenen Sprachen, in dem er im Englischen die Bezeichnung „(to) play“ erörtert, nicht aber die Bezeichnung „game“.125 In neueren spieltheoretischen Ansätzen ist diese Unterscheidung zwischen play und game als eine grundlegende Differenz in Bezug auf den Spielbegriff wie auch auf die Aspekte des Spiels aufgegriffen worden. Play als „spontanes Spiel“ bzw. Bezeichnung für eine spezifische „Einstellung zum Spielmaterial“ steht einem game der Regeln, „institutionalisierten Spielaktivitäten“ und „formalen und konventionell festgelegten Ereignisse“ gegenüber; und es ist letzteres, auf das Pias gegenüber einer Schillerschen Idealität des Spiels nachdrücklich aufmerksam macht.126 Die Auffassung Huizingas von Spiel als Spielen weist indes zugleich darauf hin, dass es in der Sicht von Spiel als play nicht nur um die bei Pias benannte Schillersche „Ausgrenzung des ‚Wirklichen‘“ konkreter Spiele geht, sondern auch um eine andere Wirklichkeit bzw. um eine andere Frage als die von Pias formulierte, warum es Computerspiele „gibt“, nämlich die Frage danach, warum (diese) Spiele gespielt werden und wie sich dieses Spielen vollzieht.127 Für Huizinga hat Spielen dabei u.a. mit jener spezifischen, „labilen“ Spielstimmung und „Illusion“ des Spielers zu tun, der in das „Tun ‚als-ob‘“ des Spiels wider besseres Wissen eintritt, indem er dieses ernst nimmt und zugleich weiss, dass er spielt.128 Das Spiel wird – wie der Karneval – als etwas „ausserhalb des gewöhnlichen Lebens empfunden“ und kann doch „den Spieler völlig in Beschlag nehmen“. Spielen, „so wie der Spieler es selbst nimmt“, unterläuft somit die Grenze von „Glauben und Nichtglauben“ bzw. ist in seinem Als-Ob beides zugleich.129 In der Computerspieltheorie wird dieses aus der Sicht des Spielers zentrale „Als-Ob“ des Spiels u.a. unter dem Aspekt der „Immersion“ thematisiert, eines Eintauchens also des Spielers in das Spiel (das somit metaphorisch als eine Art ‘Flüssigkeit‘ erscheint). Auch bei Sudnow ist 124 125 126 127
Huizinga: Homo Ludens, a.a.O.: 16; 37. Ebd.: 48ff. Wenz: Spiele und Spielen, a.a.O.: 269f. Pias: Die Pflichten des Spielers, a.a.O.: 314; ders.: Computer-SpielWelten, a.a.O.: 9. 128 Huizinga: Homo Ludens, a.a.O.: 30; 58; vgl. 27. Zum Moment des „AlsOb“ im Spiel vgl. auch Caillois: Die Spiele und die Menschen, a.a.O.: 14f.; 27ff. 129 Huizinga: Homo Ludens, a.a.O.: 12; 34.
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von einem solchen „[being] immersed“ die Rede, wobei sich diese hier sowohl auf die Spielerfahrung wie auch auf das Suchtartige des Spiels bezieht: „It’d reached the point where I was as much immersed in doing it wrong as doing it right [...].“130 Dieses Immersive des Spiels lässt sich mit Janet Murray als eine Erfahrung charakterisieren „of being transported to an elaborately simulated place [which] is pleasurable in itself, regardless of the fantasy content.“131 Das Spiel wird zu einem auch rauschhaften Erlebnis im „intermediäre[n] Raum“ (D. W. Winicott) des Spielens, der die Grenzen zwischen Spieler und Spiel vorübergehend suspendieren kann.132 Die Akkomodation an das Spiel ist eine notwendige Bedingung dieser Erfahrung – „immersion implies learning to swim“ (Murray) –, aber keine hinreichende:133 Akkomodation kann, wie u.a. Mike Butler angemerkt hat, im Fall einfacher und vertrauter Spiele auch zu einer „Automatik“ des Spielens führen, die es ermöglicht z.B. zu telefonieren oder Hörspiele zu hören, während man spielt.134 In solchen Fällen bietet das Spiel nicht (mehr) die Möglichkeit jenes immersiven „being transported“ oder „Being There“, die, über den häufig benannten ‚Spielspass‘ hinaus, als eine zentrale Qualität von Computerspielen gelten kann.135 „Being There“ heisst indes nicht, dass das Wo dieses „There“ im Spiel eindeutig zu verorten wäre, dem Spieler also eine mit sich identische Präsenz in der Welt des Spiels zukäme. Auf der Ebene der visuell exponierten Räumlichkeit des Spiels ist eine solche zum einen dadurch nicht gegeben, dass dem Spieler in der Spielwelt sowohl ein „point of view“ zugewiesen ist als auch ein davon abweichender „point of interaction“, von dem aus er handelt (z.B. der räumliche Punkt des Avatars oder des Schlägers in Breakout); eine Ausnahme bilden Spiele in der Sicht „erste Person“ (bzw. „Ego-Shooter“), in denen die beiden Punkte in einer zentralperspektivischen („Ego“-)Sicht zusammenfallen.136 Zum anderen 130 Sudnow: Pilgrim in the Microworld, a.a.O.: 148. „Immersion“ charakterisiert dabei nicht nur Computerspiele, sondern ist übergreifendes Leitbild der Entwicklung von Simulationstechniken nach 1945 – von Flugsimulatoren bis zur VR; vgl. Schröter: Das Netz und die Virtuelle Realität, a.a.O.: 156ff. 131 Zit. nach Rumbke: Pixel³, a.a.O.: 265. 132 Butler: Would you like to play a game?, a.a.O.: 127. 133 Zit. nach Rumbke: Pixel³, a.a.O.: 265. 134 Dies z.B., so ein von Butler interviewter Spieler, „um ein bisschen mehr Input zu haben“; Butler: Would you like to play a game?, a.a.O.: 117. 135 Vgl. zum Begriff des „Being There“ Rumbke: Pixel³, a.a.O.: 19. 136 Vgl. ebd.: 244ff.; zur Bildräumlichkeit des (hochgradig immersiven) Ego-Shooters vgl. Günzel, Stephan: Bildtheoretische Analyse von Computerspielen in der Perspektive Erste Person. In: IMAGE. Journal of Interdisciplinary Image Science, 4, 2006, Online-Publikation,
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ist der Spieler in seiner Kopplung an die Räumlichkeit des Spiels auf mehreren Ebenen plaziert, wobei, nach Rumbke, eine „extradiegetische“, eine „diegetische“ und eine „intradiegetische“ Ebene unterschieden werden können: Auf der extradiegetischen Ebene navigiert [der Spieler] durch Menüs [oder] wird durch Indizes über beispielsweise die Anzahl seiner Bildschirmleben informiert [...]. Die diegetische Ebene hingegen bietet ihm den Point of View innerhalb der Spielwelt [...] Die intradiegetische Raumstruktur schliesslich entfaltet sich aus der Perspektive der Spielerrepräsentation [also z.B. des Avatars].137
Den Rahmen dieser visuellen Ebenen bildet selbstredend immer die Entstehung der Räumlichkeit des Spiels aus der Sicht des Spielers auf seinen zweidimensionalen Bildschirm. Ergänzend zu den genannten Ebenen ist zudem auf die Kartensicht hinzuweisen, die, neben der erwähnten Funktion im Adventure, auch etwa in zahlreichen Ego-Shootern als separater Modus zur Verfügung steht und dem Spieler erlaubt, zwischen zentralperspektivischer „Ego“-Sicht und kartographischer Übersicht auf die Spielwelt hin- und herzuspringen.138 Aus diesen unterschiedlichen räumlichen Bezügen zum und Plazierungen in und gegenüber dem Spiel resultiert ein Verhältnis des Spielers etwa zu seinem Avatar, das sich nicht auf personale Identifikation reduziert.139 Die Position des Spielers ‚im Cyberspace‘ des Spiels bewegt sich vielmehr an unterschiedlichen gezogenen Grenzen eines Drinnen und Draussen. Dabei ist das Spiel Erleben wie Handeln, die Welt des Spiels sowohl imaginäre Umwelt wie auch semiotisches Zeichensystem und Welt eines regelgeleiteten Ablaufs.140 Neben dem Eintauchen in die
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http://www.bildwissenschaft.org/journal/index.php?menuItem=miArchive &showIssue=27. Ego-Shooter sind, wie Günzel zeigt, als einziger Spieltyp auf die Illusion der 3D-Simulation angewiesen; sie sind, bildtheoretisch, sozusagen Nachfahren des Tafelbilds der Renaissance. Rumbke: Pixel³, a.a.O.: 245f. Vgl. Günzel, Stephan: „Eastern Europe, 2008“. Maps and Geopolitics in Video Games. In: von Borries, Friedrich et al. (Hg.): Space Time Play. Games, Architecture and Urbanism. The Next Level. Basel u.a. 2007: 444-449. Vgl. Neitzel, Britta: Wer bin ich? Thesen zur Avatar-Spieler Bindung. In: dies. et al. (Hg.): „See? I’m real...“. Multidisziplinäre Zugänge zum Computerspiel am Beispiel von ‚Silent Hill‘. Münster 2005: 193-212. Zur Untrennbarkeit von Erleben und Handeln im Spiel vgl. Neitzel: Gespielte Geschichten, a.a.O.: 250; zum Doppelcharakter des Computerspiels als symbolisches Medium wie regelgeleiteter, automatisierter Ablauf vgl. Leitner, Florian: Computerspiele und die Räume der postorgani-
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Spielwelt steht der instrumentelle Umgang mit den Icons der Menus bis hin zur distanzierten Position des Spielers, der das Spiel als ganzes als ein regelhaftes Geschehen begreift, das es zu durchschauen gilt, um das Spiel zu meistern. Butler hat in Bezug auf diese Regelhaftigkeit darauf hingewiesen, dass die von ihm interviewten Spieler, neben ihren Erzählungen von immersiven Spielphasen, von einer „Berechenbarkeit“ der Spiele sprechen, die sich mit zunehmender Spielerfahrung herausbildet.141 Computerspiele, so ein Fazit Butlers aus den Spielerberichten, sind aleatorisch, solange sie noch neu sind, d.h. solange sie nicht gemeistert wurden und Überraschungen beinhalten. [...] Im Gegensatz zu Glücksspielen können die meisten Computerspiele jedoch mit der Zeit von den Spielern auf erkennbare Funktions- und Kausalzusammenhänge zurückgeführt werden. Der Wunsch eines jeden Glücksspielers, das geheime System hinter dem zufälligen Wurf der Würfel zu erkennen, gelingt den meisten Computerspielern früher oder später.142
Diese „Berechenbarkeit“ ist Folge einer Internalisierung der wahrgenommenen Regelhaftigkeit des Spiels durch den Spieler, durch welche die Auswirkungen der eigenen Handlungen für den Spieler antizipierbar werden; zugleich kann sie als Moment einer Aneignung der Medientechnik des Computerspiels betrachtet werden, in der das Meistern des Spiels subjektiv einer Bemächtigung gleichkommt, indem es für ein Gewinnen von Kontrolle steht.143 Als eine Regelhaftigkeit, die auf der Ebene des play aus der Sicht des Spielers wahrgenommen wird, ist diese nicht identisch mit einem game des Spielprogramms. Von gerade dieser Nicht-Identität von Programm und Spiel zeugt wiederum beispielhaft auch Sudnows Pilgerreise in der Mikrowelt von Breakout. Ist doch, wie Sudnow im Lauf seiner Auseinandersetzung mit dem Spiel feststellen muss, der von ihm gesuchte Schlüssel zum Meistern des Spiels nicht an jener Quelle zu finden, wo er ihn vermutet. So ergeben die Nachforschungen Sudnows über das Spiel bei Atari selbst – „I [...] figured I might as well go directly to the source“ – nicht das Gesuchte. Denn zum einen trifft er dort keineswegs auf die imaginierte eine „source“ des Spiels, sondern vielmehr auf eine Mehrzahl von Programmen und von Programmierern, da Breakout sowohl eine Weiterentwickschen Theatralität. In: Dünne et al. (Hg.): Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten, a.a.O.: 303-320, hier: 316f. 141 Butler: Would you like to play a game?, a.a.O.: 94. 142 Ebd.: 133f. 143 Vgl. ebd.: 101.
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lung von Pong darstellt – die von einem mittlerweile andernorts beschäftigten Programmierer vorgenommen wurde – als auch seinerseits inzwischen (u.a. zu Superbreakout) weiterentwickelt wurde. In seiner Suche wird Sudnow daher mit einer „slightly complex history of the game“ konfrontiert wie auch mit einem „cast of characters“ unterschiedlicher Programmierer.144 Zum anderen stellt er fest, dass deren Interesse weniger dem game des existierenden Spiels Breakout gilt noch dem play dieses Spiels, sondern eher einem eigenen ‚Spiel‘ des Programmierens. So erhält Sudnow zwar einzelne wertvolle Hinweise über das Programm als Struktur, diese lassen sich auf der Ebene der „action“ jedoch nur bedingt umsetzen: Sie sind, wie Sudnow an der bereits zitierten Stelle formuliert, zwar „more precise“, aber auch „impractical“.145 So hilft der Versuch, zur „source“ zu gelangen, Sudnow nur teilweise in seiner Frage weiter „how to play the game“, die sich als eine Frage auch danach verstehen lässt, wie er sich als Spieler in seinem Verhältnis zum Spiel des Computers positionieren kann.146 Die Sicht, die er aufgrund seiner Informationen über das Programm entwirft – die Vorstellung eines „moving along strictly determined paths“ – markiert dabei in der Pilgrimage Sudnows eine von mehreren Positionen, die er gegenüber dem Spiel einnimmt. So verändert Sudnow in einer späteren Phase seine hypothetische Sicht auf das Spiel, indem er es u.a. mit der Vorstellung eines visuellen Improvisierens oder eines Zeichnens geometrischer Figuren spielt. Vergleicht er sich dabei u.a. zunächst vor dem Spiel mit jemandem vor einem Klavier ohne Musikkenntnis, „lacking a model“, so weicht dieser Vergleich kurz darauf dem Vorsatz „forget about a model of good play“ und dem vorläufigen Fazit „I’d been intellectualizing the game“.147 Im Nacheinander solcher unterschiedlicher hypothetischer Positionierungen handelt Sudnows Schilderung seiner Pilgrimage letztlich von einer Suche nach einem richtigen bzw. adäquaten Verständnis dessen, was das Computerspiel ist – bzw. vor allem von einer Reihe von revidierten Vorstellungen, festgestellten oder vermuteten Irrtümern und
144 Sudnow: Pilgrim in the Microworld, a.a.O.: 86; 91. Zur Entstehung des Spiels und zu den daran Beteiligten findet sich ein detaillierter Eintrag unter dem Stichwort „Breakout“ auf http://www.wikipedia.org. 145 „They forget the action itself“, so ein Zwischenfazit Sudnows, wobei er Programmierer mit (strukturalistischen) Linguisten vergleicht: „I should have known better than to go to a linguist for advice how to acquire a language“. Ebd.: 150. Zum Programmieren als Spiel vgl. Turkle: Die Wunschmaschine, a.a.O.: 251f.; Weizenbaum, Joseph: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Frankfurt a. M. 1978 (Orig. 1976): 160ff. 146 Sudnow: Pilgrim in the Microworld, a.a.O.: 90. 147 Ebd. 56f.; 59; vgl. 186ff.
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Missverständnissen, die davon erzählen, dass dieses eine richtige Verständnis wohl kaum zu gewinnen ist.148 Im „kind of space“ einer „microworld“ des Computers, so verdeutlichen Sudnows Darstellungen wie die referierten Untersuchungen, ist kein homogener „Para-Kontext“ zu finden, sondern ein solcher aus einer Heterogenität allenfalls imaginär zu konstruieren. Die Rede vom SpielRaum des Computers umfasst dabei beide mögliche Referenzen von „Spiel“ als play und als game, als Illusion eines kontingenten „truly open court“ des Spielens, verbunden mit Allmacht und Kontrolle, und als desillusionierender „strictly determined path“, verbunden mit der Ohnmacht eines Bestandteils in einem „closed system“, aus dem es kein Ausbrechen gibt.149 Im Spannungsfeld zwischen diesen Polen präsentiert sich Cyberspace als Raum eines Zusammen-Spiels zwischen ‚ungleichen Partnern‘, deren Positionen nicht gegeben und nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, bzw. als Spiel-Raum einer „Heterotopie von Subjekt und Maschine“.150 „Spiel“ lässt sich hierbei, der Wortherkunft im Deutschen folgend, auch als ein Phänomen des Beweglichen begreifen, als ein – so Krämer – durch „Ambiguität“ gekennzeichnetes ungerichtetes „Hin und Her“, das „nicht in einem ‚Aktionstunnel‘ gefangen ist, zu de[m] vielmehr ein Spielraum gehört“.151 Uwe Wirth hat das „Spiel“ im Sinne eines solchen Beweglichen als ein Bild für das Hypothetische, bzw. für einen labilen Zwischenzustand herangezogen.152 Mit den Spielwelten des „Cyberspace“ ist, so gefasst, ein Raum der Ambiguität eines Zusammen148 Ein gegen Ende seiner ‚pilgrimage‘ entwickeltes Verständnis des Spiels formuliert Sudnow in einem ironischen Vorschlag für eine Benutzeranweisung: „This is a game involving the capacity to become increasingly familiar with angles and trajectories, detecting the orderly way in which an apparently free-floating object is a formula. Playing it through again and again, you develop a geometrically directed and constantly paced way of seeing that will eventually incline you to transcend the illusion of objects in motion.“ Ebd.: 189. 149 Vgl. Becker, Barbara: Zwischen Allmacht und Ohnmacht. Spielräume des „Ich“ im Cyberspace. In: Thiedeke (Hg.): Soziologie des Cyberspace, a.a.O.: 170-192. 150 Tholen, Georg Christoph: Platzverweis. Unmögliche Zwischenspiele von Mensch und Maschine. In: Bolz, Norbert et al. (Hg.): Computer als Medium. München 1994: 111-135, hier: 130. 151 Krämer: Die Welt, ein Spiel?, a.a.O.: 11f. 152 Vgl. Wirth, Uwe: Vom freien Spiel der Einbildungskraft zum Spiel der Wissenschaft: Die Rolle der Abduktion. In: Zeitschrift für Semiotik, 23 (2001), 3/4, 2001: 379-392. Turkle hat wiederum das Verhältnis zwischen Mensch und Computer als eine Schwellensituation im Sinne Victor Turners beschrieben. Der Computer unterläuft bestehende Kategorien bzw. steht „zwischen allen festen Standorten“. Turkle: Die Wunschmaschine, a.a.O.: 25; vgl. 409f., Anm. 11.
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spiels ungleicher Partner bezeichnet, der weniger mit einer statischen Kopplung von Mensch und Maschine zu tun hat denn eher mit einem Nicht-Statischen der Übersetzung, der Plazierung und einem – nach Helmut Plessner für das Spiel charakteristischen – „Sich-Halten im Zwischen“.153
Höhlen und Universen „[...] spatial disorientation held a peculiar horror for cowboys.“ (William Gibson, Neuromancer)
Für Randall Farmer war Cyberspace nicht der Raum einer MenschMaschine-Kopplung, sondern ein „Cyberverse“ und eine „participatory experience“ von „people“. Bruce Sterling verstand darunter einen Ort, „where [...] human beings [...] actually meet and communicate“; Gibson verglich ihn mit dem Raum eines Telefonats, und im Usenet wurde er u.a. definiert als „[t]he conceptual medium within which computer communication takes place, e.g. Electronic Bulletin Boards [...]“. In diesen Vorstellungen wird die Räumlichkeit des Cyberspace nicht als eine der Interaktion zwischen User und Computer bestimmt, sondern als eine der zwischenmenschlichen Kommunikation, der Computer mithin als ein Kommunikationsmedium oder ein „communication device“ im Sinne grundsätzlich dessen, was Joseph C. R. Licklider und Robert W. Taylor 1968 im Rahmen ihres Entwurfs des zukünftigen ARPANET unter dieser Bezeichnung verstanden: Ein telekommunikatives Netz von Computern, deren User sowohl miteinander kommunizieren als auch auf Daten zugreifen und mit Programmen interagieren könnten, bzw. alle diese drei Möglichkeiten kombinieren. Nach der Auffassung Lickliders und Taylors sollte der vernetzte Computer ein Medium sowohl des telekommunikativen „flow“ von „messages“ sein als auch einer gemeinsamen und allen zur Verfügung stehenden „whole world of information“ wie auch der Entstehung von „on-line interactive communities [...] of common interest“ über geographische Distanzen hinweg – in jedem Fall aber ein Medium, über das User miteinander kommunizieren.154 Im Gegensatz zur VR-Vorstellung konnotiert Cyberspace hier wie im heutigen allgemeinen Wortgebrauch einen Raum auch des Sozialen und 153 Helmut Plessner, zit. nach Krämer: Die Welt, ein Spiel?, a.a.O.: 12; vgl. Wirth: Vom freien Spiel der Einbildungskraft zum Spiel der Wissenschaft, a.a.O.: 379. 154 Licklider, Joseph C.R./Taylor, Robert W.: The Computer as a Communication Device (Orig. 1968). In: Systems Research Center Report 61, 1990: 21-41 (http://memex.org/licklider.pdf).
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Kulturellen, und dieses Moment einer sozialen Kommunikation spielt auch in Bezug auf die Räumlichkeit des Computerspiels eine zentrale Rolle. Denn Computerspiele sind und waren von den frühesten Spielen an nicht nur ein Spiel zwischen Mensch und Computer, sondern auch ein Spiel gegen andere oder mit anderen Spielern. Dies gilt in gewisser Weise auch für Single-Player-Spiele, im Fall der Spielerfahrungen Sudnows etwa für den impliziten Wettkampf mit seinem Nachbarn, im Fall der Automatenspiele für den Leistungswettbewerb mit anderen Spielern, sei dies durch das gemeinsame Spielen in den arcades oder – asynchron – über den gespeicherten High Score.155 Folgt man der Spieltheorie Roger Caillois’, so entspricht dieser Bezug zu anderen Spielern einer grundsätzlichen „soziale[n] Bestimmung des Spiels“: Selbst Geschicklichkeitsspiele, so Caillois, wie das Jojo- oder das Diabolospiel, erscheinen, so alleine man sie auch spielen mag, „bald [...] als ein Geschicklichkeitswettbewerb. [...] [M]an würde dieser Spiele bald überdrüssig, wenn es keine Konkurrenten oder doch wenigstens mögliche Zuschauer gäbe.“156 Spiele wie Tennis for Two, Spacewar oder Pong wiederum sind grundsätzlich Spiele zwischen zwei menschlichen Gegnern. Der Computer ist hier nicht (nur) Spielpartner, sondern Medium des Spiels, das die Spieler vor dem Bildschirm gegeneinander austragen. Das Spielen von Spacewar entwickelte sich dabei schon kurz nach seiner Entwicklung 1961/62 geradezu zu einem kollektiven Sport nicht nur am MIT, sondern auch, durch die Verbreitung des Programmcodes, an anderen Forschungszentren der USA.157 Das Spiel war so populär, dass man zu Massnahmen griff – so z.B. 1963 am Computerzentrum in Stanford –, das Spielen auf die Zeit ausserhalb der regulären Arbeitszeiten zu beschränken.158 Spacewar liess somit nicht nur den Computer zu einem Medium des zwischenmenschlichen Spielens werden, sondern begründete auch eine spezifische Spielkultur in den Zentren der USamerikanischen Computerentwicklung. Howard Rheingold hat von Spacewar als einer „rite de passage“ von Generationen von Hackern gesprochen, die das Spiel an den Zentren, an denen es zirkulierte, sowohl
155 Vgl. zum sozialen Aspekt der arcades Lischka: Spielplatz Computer, a.a.O.: 50. 156 Caillois: Die Spiele und die Menschen, a.a.O.: 47. 157 Das Programm verbreitete sich durch Weitergabe von Kopien wie auch durch die Firma DEC, die dazu überging, das Programm auf jedem ausgelieferten Computer des damals neuen Typs PDP-1 zu installieren. Vgl. Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 86; Lischka: Spielplatz Computer, a.a.O.: 25. 158 Vgl. Yasaki, Edward K.: Computing at Stanford. In: Datamation, Nov. 1963: 43-45.
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spielten als auch in zahlreichen Versionen weiterentwickelten.159 Mit Huizinga lässt sich die Ausbildung solcher Spielergemeinschaften zugleich als ein Grundzug des Spiels überhaupt kennzeichnen. Hat doch die „Spielergemeinschaft [...] allgemein die Neigung, eine dauernde zu werden“, und das Gefühl sich gemeinsam in einer Ausnahmestellung zu befinden, zusammen sich von den anderen abzusondern und sich den allgemeinen Normen zu entziehen, behält seinen Zauber [...]. Es wäre zu billig, wollte man nun gleich alles, was in der Völkerkunde Phratrie, Altersklasse oder Männerbund heisst, für eine Spielgemeinschaft erklären, man wird aber immer wieder feststellen müssen, wie schwer es fällt, die dauerhaften gesellschaftlichen Verbände [...] säuberlich von der Spielsphäre geschieden zu halten.160
Ein ähnliches Muster der Kollaboration und Zirkulation wie im Fall von Spacewar kennzeichnet die Entstehung und Weiterentwicklung des genrebildenden Textspiels Adventure, das in den 1970er Jahren basierend auf einer ersten, über ARPANET zur Verfügung gestellten Spielversion entstand. Nach Don Woods, dem Co-Entwickler des Spiels, kursierte dabei die erste Version ohne Quellcode im Netz; er musste daher den ihm nur mit Namen bekannten Entwickler William Crowther über e-mail im ARPANET ausfindig machen, was ihm gelang, indem er auf gut Glück an jeden Host xxx einzeln eine Nachricht mit dem Format crowther@xxx sandte.161 Adventure war ein Single-Player-Spiel; es basiert jedoch auf dem in Gruppen gespielten papierbasierten („paper-and-pen“) Rollenspiel Dungeons & Dragons, entwickelt von Gary Gygax auf der Basis des von ihm zuvor publizierten Kriegsspiels Chainmail und in der Folge Keim eines bis heute populären intermedialen „D&D“Fantasy-Genres.162 Die Existenz der „dungeons“, in die sich in Adventure die ersten über ARPANET vernetzten Spieler versetzt sahen, verdankt sich dabei zum einen der Tatsache, dass einige Programmierer des ARPANET selbst in einer Rollenspielgruppe Dungeons & Dragons spielten, darunter der er-
159 Rheingold, Howard: Tools for Thought. New York 1985 (http://www. rheingold.com/texts/tft): Kap. 8; vgl. zur Spacewar-hacker-„heresy“ Brand, Stewart: Spacewar. Fanatic Life and Symbolic Death Among the Computer Bums. In: Rolling Stone, 7. Dez. 1972 (http://www.wheels.org/ spacewar/stone/rolling_stone.html). 160 Huizinga: Homo Ludens, a.a.O.: 21. 161 Vgl. Aarseth: Cybertext, a.a.O.: 98f. 162 Gygax publizierte Dungeons & Dragons 1974, fünf Jahre nach Chainmail, in seinem Verlag TSR (Tactical Studies Rules), heute aufgegegangen in einem anderen Herausgeber von Fantasy-Literatur u.ä. Vgl. http://www.wizards.com/dnd/DnDArchives_History.asp.
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wähnte Entwickler der ersten Adventure-Version, Crowther, der am Internet Messaging Protocol des ARPANET arbeitete. Zum anderen verwendete Crowther, dessen ehemalige Frau Höhlenforscherin war, die Karte einer existierenden Höhle – der Mammoth Cave in Kentucky – als Grundlage für die „dungeons“ in seinem Adventure-Spiel, womit die ersten „dungeons“ der Computernetze aus einer eigenartigen Kreuzung von ‚Fantasy‘ und Höhlenforschung hervorgingen.163 Die Erweiterung von Einzel- zu Multi-Spieler-„Höhlen“ erfolgte 1979 an der Universität Essex, wo zwei Studenten, ihrerseits mit Dungeons & Dragons-Rollenspielen ebenso wie mit Adventure vertraut, Multi-User-Dungeon, kurz: „MUD“, programmierten.164 MUD war ein Textadventure, das sowohl mehrere Spieler gleichzeitig zuliess als auch Kommunikation zwischen ihnen unterstützte. Spieler wählten einen pseudonymen „Nickname“ und ein Geschlecht ihrer virtuellen persona und durchquerten, Aufgaben lösend, die „dungeons“ des Spiels mit dem Ziel, zum „wizard“ aufzusteigen. Das Programm war ein Prototyp und seine Kapazität eingeschränkt: In den ersten Jahren war es auf rund ein Dutzend gleichzeitige Spieler limitiert und nur während der Nachtstunden zugänglich, um den Mainframe-Rechner der Universität nicht zu belasten. Es war jedoch über das britische Hochschulnetz mit dem ARPANET verbunden und zog daher Spieler auch von US-amerikanischen Computerzentren an, daneben war es (mit entsprechenden Telefonkosten) auch über Modem-Verbindungen erreichbar. Mitte der 1980er Jahre wurde MUD in einer weiterentwickelten Version von British Telecom angeboten, später auch vom Online-Dienst Compuserve. Parallel dazu erschienen Artikel, in denen MUD einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurde. In einem der frühesten dieser Artikel, 1984 in Personal Computer World erschienen, wird exemplarisch das Neue der Erfahrung einer elektronischen nahezu-synchronen Textkommunikation greifbar: MUD stands for Multi-User-Dungeon, which is just what it is. Imagine you are playing an adventure. Let’s say you are in a room of a house, you have found some treasure [...] when up on your screen comes the message: „Tom has just arrived“. [...] This is where MUD leaves other adventures for dead because „Tom“ starts talking to you! Tom is not part of the program, but a real, live person sitting possibly hundred of miles away and exploring the same land as you
163 Vgl. hierzu Lischka: Spielplatz Computer, a.a.O.: 31f.; sowie, eingehend zu Crowther, Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 119ff. 164 Siehe zu MUD http://www.british-legends.com; zur Geschichte von MUD vgl. Lischka: Spielplatz Computer, a.a.O.: 107ff.; Bartle, Richard A.: MUD Advanced Project Report. Universität Essex, 1985 (http://www. mud.co.uk/richard/mapr.htm).
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are. You can chat with him, ask him questions, follow him – he may even decide to steal some of your hard-earned treasure!165
„Tom“ konnte sich darüber hinaus als Killer erweisen und „you“ in einen virtuellen Tod befördern, was in MUD eine Möglichkeit darstellte, Punkte zu erwerben. Die Kommunikation zwischen den Spielern war also keine Metakommunikation, sondern integrierter Teil der Handlungs- und Regelwelt des MUD-Spiels, die zugleich, über das Adventurespiel hinaus, eine soziale Welt pseudonymer Tele-Kommunikationen war. Was MUD realisierte, war, nach Espen Aarseth, weniger ein Spiel denn ein „macrogame[] and metagame[]“.166 MUD fand, nach dem für die Computernetze charakteristischen Muster der Zirkulation und Weiterentwicklung, seine Fortsetzung und Vervielfachung in einer Fülle von Multi-User-Dungeons, die seit den späten 1980er Jahren entstanden: 1992 wurden, nach Pavel Curtis, rund 200 aktive über Internet erreichbare MUDs gezählt, 1995 waren es, nach Aarseth, über 500.167 Dabei differenzierte sich die Vielzahl von MultiUser-„Höhlen“ in eine Vielfalt medialer und sozialer Formen aus, von denen nur einige am Muster des Adventure-Spiels orientiert waren, während in anderen jede Spielhandlung oder -zielsetzung zugunsten der Kommunikation zwischen den ‚Spielern‘ zurücktrat. Parallel dazu verschob sich die Bedeutung der Bezeichnung „MUD“, der sich von der Vorstellung des Spiels entfernte; aus dem multi-user-„dungeon“ wurde zunehmend eine multi-user-„dimension“.168 So war für Curtis, der 1991 bei Xerox Parc den „object oriented“ MUD LambdaMOO begründete, MUD per definitionem kein Spiel mehr, sondern a „network-accessible, multi-participant, user-extensible virtual reality“ und „a kind of [...] an electronically-represented ‚place‘ that users can visit“.169 MUD war, mit anderen Worten, ein Cyberspace im Sinne der von Farmer beschriebenen Räumlichkeit einer „participatory experience“. Er stellte im Medium einer elektronisch vermittelten Schriftlichkeit dar, was Habitat in einer Multimedialität von Bildlichkeit und Schriftlichkeit darstellte, eine me-
165 Thomas, Susan: Real, live MUD! In: Personal Computer World, Aug. 1984: 134-135 (http://www.mud.co.uk/richard/pcwaug84.htm). 166 Aarseth: Cybertext, a.a.O.: 152. 167 Vgl. Curtis: Mudding, a.a.O.; Aarseth: Cybertext, a.a.O.: 151; zu einer Übersicht über aktive MUDs siehe http://www.mudconnect.com. 168 Vgl. zu dieser Verschiebung Turkle: Life on the screen, a.a.O.: 180; Curtis: Mudding, a.a.O. 169 Curtis: Mudding, a.a.O. Die objektorientierte Programmiersprache von MOOs erlaubt den Usern, selbst Objekte zu kreieren oder zu modifizieren. Eine weitere MUD-Variation stellen „MUSH“ dar, „Multi-User Shared Hallucinations“.
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diale und soziale Metaspielwelt in der räumlichen Erscheinung eines kollektiven Habitats. Im nach wie vor existierenden MUD LambdaMOO ist dieses Habitat, in dem sich die User als persona lokalisieren – eine Räumlichkeit, die hier kein adventure-Labyrinth ist, sondern eine übersichtliche Struktur, deren Karte immer schon einsehbar vorliegt –, ein Wohnhaus samt Umgebung, bestehend aus den „dungeons“ von Wohnzimmer, Korridor, Küche, Garten und Pool, Autozufahrt, Strasse, Bank usw. Die Karte exponiert eine nach Himmelsrichtungen orientierte Ordnung dieser Räume, in denen sich die User aufhalten und Objekte – von Möbeln bis zu Spielen wie Frisbee oder Go – vorfinden oder auch selbst kreieren können.170 Dabei können die User untereinander innerhalb desselben Raums („oneto-one“ oder „one-to-many“) kommunizieren wie auch ausserhalb des Raums Nachrichten versenden, über den Befehl „@who“ eine Übersicht darüber erhalten, wer im MUD online und in welchem Raum zu finden ist, und mit dem Befehl „@join“ teleportativ zum Ort eines anderen Users gelangen.171 MUDs wie LambdaMOO stehen damit für die Entstehung eines virtuellen Cyber-Raums sowohl im Sinne einer als kontinuierlich erscheinenden räumlichen Umwelt als auch eines Systems der kommunikativen Adressierung und der sozialen Kommunikationen zwischen den Usern. Mit dieser Cyber-Räumlichkeit verbinden sich, wie Curtis bereits zur Frühzeit von LambdaMOO feststellte, soziale Gemeinschafts- und Subgruppenbildungen, die Herausbildung von sozialen Normen wie auch eine Reihe weiterer von Curtis beschriebener „social phenomena“, darunter Eheschliessungen im MUD bzw. durch online-Kommunikationen generierte Paarbildungen ‚IRL‘.172
170 S. http://www.lambdamoo.info/#maps. Nach Curtis gab es in den ersten Jahren von LambdaMOO Spieler, die nur wegen des Go-Spiels den MUD besuchten, vgl. Curtis: Mudding, a.a.O. Die geschilderte räumliche Ordnung kennzeichnet nicht alle MUD-Welten; vielmehr entstanden auch MUDs wie BloodMUD, das den MUD Islandia parodierte, oder Chaos, dessen Geflecht von „dungeons“ jede geordnete räumliche Struktur unterlief. Vgl. Aarseth: Cybertext, a.a.O.: 160. 171 Vgl. ebd.; Aarseth: Allegorien des Raums, a.a.O.: 312; zur MUDKommunikation, eingehend, Reid, Elizabeth: Cultural Formations in Text-Based Virtual Realities. Diss. Melbourne 1994 (http://www.aluluei. com/work.htm); Turkle: Life on the screen, a.a.O., bes. 182ff.; zu LambdaMOO ebd. 242f. 172 Vgl. Curtis: Mudding, a.a.O. Insbesondere die Tatsache, dass „[o]nlineRollenspiele […] Ehen und Freundschaften“ stiften, wird seitdem wiederkehrend zum Gegenstand der Irritation, so in einem hier zit. Artikel 2007 zum Spiel „World of Warcraft“. Billhardt, Sonja: Geliebte Zockerbande. In: Focus, 19/2007: 142-145.
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In ähnlicher Weise ist auch mit Habitat eine, hier grafisch repräsentierte Cyber-Räumlichkeit bezeichnet, wobei bereits zur Zeit der Betaversion diese Umgebung – eine Alltagsumgebung von Strassen, Gebäuden usw. – aus bis zu 20.000 diskreten Innen- wie Aussenräumen samt einer Vielzahl von Objekten bestand, und die Kommunikation zwischen den Usern in der Art von Comic-Sprechblasen in diese Umgebung eingefügt war.173 Andere und neuere Formen von multi-user „dungeons“, „Cyber-“ oder „Metaverses“, „virtuellen Welten“ oder kollektiven Spielwelten bis hin zu den „massive multiplayer online roleplaying-Games“ (MMORPG) repräsentierten und repräsentieren Fantasy-Umgebungen, Science-Fiction-Welten, Landschaften und Kontinente oder auch, wie die „virtuelle Welt“ Second Life, eine Welt von grossen und kleinen Inselräumen, in der aus Spielern „residents“ geworden sind, die käuflich Territorien erwerben und mit Häusern ausstatten können. Solche Cyber-Welten sind selbstredend in vielerlei Hinsicht voneinander unterschieden, technisch, ökonomisch wie auch darin, dass etwa MMORPGs deklarationsgemäss Spiele („massiven“ Ausmasses) sind mit einer Anzahl von Spielern bis hin zu mehreren Millionen. Sie lassen sich jedoch (und im Blick auf ihren Umfang auch und gerade MMORPGs) als Realisierungen jenes Multi-User „Cyberspace“ betrachten, den Farmer 1988 im Gegensatz zu den Single-Player Spielen und zur VR-Schnittstelle imaginierte, als einen visuell bzw. multimedial exponierten und kollektiv erfahrbaren virtuellen Raum, ein mediales wie soziokulturelles „Cyberuniverse“ oder eine umfassende „other side“. Die Erfahrung solcher virtueller Cyber-Welten ist seit der Frühzeit der MUDs immer wieder als ein Eintritt in einen ‚anderen Raum‘ beschrieben worden, der herkömmliche Grenzen und Identitäten aufzuheben vermag oder in Frage stellt. So hat Aarseth von MUDs als „experimental site[s]“ gesprochen und auf die Vielfalt der von ihnen ermöglichten ästhetischen und kommunikativen Erfahrungen hingewiesen, die von der Exploration bis zum burlesken theatralischen Spiel reichen.174 Turkle hat im Blick insbesondere auf MUDs auf die spielerischen Rollenwechsel und die Ausbildung pluraler bzw. uneinheitlicher Identität aufmerksam gemacht und hieraus eine Sicht elektronischer Netzmedien als Medien eines „decentered self“ und einer Kultur der Simulation abgeleitet, die mit gleichsam fluiden, flexiblen Selbstentwürfen einhergeht.175 Natascha 173 Vgl. Morningstar/Farmer: The Lessons of Lucasfilm’s Habitat, a.a.O.: 275f.; 289. Zu Screenshots der Betaversion von Habitat s. auch http:// www.dsgames.net/qlink/habitat/pictures1.htm. 174 Aarseth: Cybertext, a.a.O.: 152; vgl. ebd.: 158. 175 Turkle: Life on the screen, a.a.O.: 14; 177ff.; 255ff.
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Adamowsky hat aus kulturwissenschaftlicher Sicht Cyberspace im Blick – u.a. – auf MUDs ebenso wie auf Computerspiele unter dem Aspekt des Ludischen adressiert und auf die produktive Dynamik der „Areale“ des Virtuellen hingewiesen, die jenseits der Beschränkungen herkömmlicher Lebenswelten neue soziale und kulturelle Formen generieren.176 Innerhalb unterschiedlicher sozialwissenschaftlicher Perspektiven wiederum ist die soziale Räumlichkeit der Netze u.a. als ein Raum des geographisch wie sozial Mobilen betrachtet worden;177 oder auch, medienpessimistisch, als ein „Karneval der sozialen Ortlosigkeit“.178 Der virtuelle Raum erscheint dabei gerade soziologisch als ein – so Lutz Ellrich – „besonders flüchtiges“ und auch „dubioses Forschungsobjekt“.179 Auch im Sinne eines soziokulturellen Raums der elektronischen Kommunikation konnotiert Cyberspace in dieser Weise eine Art SpielRäumlichkeit, sowohl in der Bedeutung einer offenen Welt des Spielerischen, Wandelbaren (oder auch Karnevalesk-Ortlosen) im Entwurfscharakter der Simulation als auch in der Bedeutung einer eigentümlichen Zwischenstellung jenes nach Huizinga dem Spiel eigenen Als-Ob, das sich nicht in die „grossen kategorischen Gegensätze“ fügt.180 Derart als Spiel-Raum eines Zwischen begreifbar, entzieht sich Cyberspace, wie Martin Seel angemerkt hat, der Unterscheidung zwischen „Sein“ und „Schein“ und macht darauf aufmerksam, dass die Wahl zwischen diesen Begriffen im Blick auf mediale Realitäten wohl „nicht eine Unterscheidung zuviel, sondern eine zuwenig bereitstellt“: Zu ihr hinzu und ihr voraus „kommt das Erscheinen“.181 In der „ontologische[n] Unschärfe“ (Seel) eines Raums des Virtuellen steht das Neue des Cyberspace für eine Destabilisierung; es ist Moment einer (im theoretischen Diskurs wie alltagspraktisch wirksamen) Veränderung des „Selbst- und Weltverhält-
176 Adamowsky, Natascha: Spielfiguren in virtuellen Welten. Frankfurt a. M. und New York 2000: 229; vgl. dies.: Spielen im Netz. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hg.): Praxis Internet. Kulturtechniken der vernetzten Welt. Frankfurt a. M. 2002: 140-157. 177 So von Jones, der computerbasierte Kommunikation, neben der „ability to ‚move‘ from place to place“ auch durch eine „mobility of status, class, social role, and character“ gekennzeichnet sieht. Jones, Steven G.: Information, Internet, and Community: Notes Toward an Understanding of Community in the Information Age. In: ders. (Hg.): Cybersociety 2.0, a.a.O.: 1-34, hier: 17. 178 Guggenberger: Das digitale Nirwana, a.a.O.: 178. 179 Ellrich, Lutz: Die Realität virtueller Räume. Soziologische Überlegungen zur ‚Verortung‘ des Cyberspace. In: Maresch/Werber (Hg.): Raum – Wissen – Macht, a.a.O.: 92-113, hier : 92. 180 Huizinga: Homo Ludens, a.a.O.: 15. 181 Seel, Martin: Vor dem Schein kommt das Erscheinen. Bemerkungen zu einer Ästhetik der Medien. In: Merkur, 47 (1993), 9/10: 770-783, hier: 771.
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nis[ses]“.182 Daniel Morat hat dabei vermutet, dass die so schwer zu fassenden „virtuelle[n] Räume und virtuelle[n] Objekte [...] in Zukunft zu einem normalen Bestandteil“ der Alltagsrealität werden könnten, womit sich der Vorstellung des Realitätsverlusts die einer „immer wieder erweiterten Realität“ entgegenstellen liesse. „Im Sinne einer ‚Domestizierung‘, einer Aneignung durch den Menschen“ so Morat, „kann man annehmen, dass sie in unsere Lebenswelt integriert werden“, – wie auch immer diese „ontologischen Veränderungen“ (ethisch, anthropologisch) zu bewerten seien.183 Herausgestellt ist in so das Irritierende eines Cyber-Spiels, das sich in den virtuellen Welten von MUDs und Metaverses exemplarisch als eine neue, uneindeutige Zwischenwelt manifestiert, deren Spielcharakter eine einheitliche Realität und Identität in Frage stellt, die als Welt der Dezentrierung, einer prekären Identität oder auch eines „flexiblen Menschen“ im Sinne Richard Sennetts erscheint.184 Die Rede von der „Domestizierung“ – buchstäblich ein „taming of the wild“, so Roger Silverstone und Leslie Haddon –, kennzeichnet „Cyberspace“ insofern als ein die Stabilität der Identität potentiell Gefährdendes der Medien, als ein in die Lebenswelt (oder die „moral econmy of the household“) noch Unintegriertes, Nicht-Angeeignetes.185 Verändert man demgegenüber die Perspektive, so lässt sich jedoch das von Morat genannte Moment der Domestizierung im Blick auf die
182 Seel, Martin: Medien der Realität und Realität der Medien. In: Krämer (Hg.): Medien, Computer, Realität, a.a.O.: 244-268, hier: 265; Münker, Stefan: After the Medial Turn. Sieben Thesen zur Medienphilosophie. In: ders. et al. (Hg.): Medienphilosophie, a.a.O.: 16-25, hier: 19. 183 Morat, Daniel: Simulation und Wirklichkeit. Eine ontologische Annäherung an den Cyberspace. In: Communicatio Socialis, 31 (1998), 1: 32-46, hier: 44. 184 Vgl. Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin 1998. Jens Schröter hat in diesem Sinne „Cyberspace“ als Moment einer „Mobilisierung und Flexibilisierung von Subjekten“ begriffen. Schröter: Das Netz und die Virtuelle Realität, a.a.O.: 266. 185 Vgl. zur „moral economy of the household“ als Rahmen des von Morat herangezogenen Konzepts der „Domestizierung“ Silverstone, Roger et al.: Information and Communication Technologies and the Moral Economy of the Household. In: Silverstone, Roger/Hirsch, Eric (Hg.): Consuming Technologies: Media and Information in Domestic Spaces. London und New York 1992: 15-31; zur „Domestizierung“ von Medien als Prozess der Zähmung – in dem das Medium zugleich seinerseits das soziale Verhalten strukturiert – s. auch Silverstone, Roger/Haddon, Leslie: Design and the Domestication of Information and Communication Technologies: Technical Change and Everyday Life. In: Mansell, Robin/Silverstone, Roger (Hg.): Communication by Design: The Politics of Information and Communication Technologies. Oxford 1996: 44-74.
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Rede vom Cyberspace auch in einer anderen Weise ansetzen, indem auf der Ebene einer diskursiven Generierung von Modellen die Vorstellung eines Cyberspace selbst als eine ‚Domestizierung‘ (und nicht nur als ein zu Domestizierendes) des Medialen aufgefasst werden kann. Denn richtet man den Blick weniger auf das Spielerische als vielmehr, ausgehend von den geschilderten virtuellen Welten, auf das Räumliche dieser Vorstellung, dann konnotiert Cyberspace vor allem das Modell eines (Spiel-) Raums, der durch bestimmte Eigenschaften gekennzeichnet ist. Er hat, vor allem, eindeutige Grenzen. Dies gilt sowohl für die MultiUser-Welten von LambdaMOO bis Second Life als auch für die alltägliche Vorstellung von einem Cyberspace, ‚in‘ den man hineingehen und den man ebenso wieder verlassen kann. Folgt man Huizinga, ist diese Eigenschaft der eindeutigen Begrenzung konstitutives Merkmal für den Raum des Spiels: Zum Spiel gehört ein abgesteckter räumlicher Bereich, der von der Aussenwelt unterschieden ist, und der sich damit als ein Raum eigener Normen und Regeln konstituieren kann. In dieser Begrenzung seines Raums, so Huizinga, „schafft das Spiel Ordnung“ gegenüber dem „verworrene[n] Leben“ – es reduziert Kontingenz, vermittelt Übersicht und Kontrolle.186 Dies gilt offensichtlich für Computerspiele, darüber hinaus aber auch für die soziale Kommunikation etwa im MUD. Curtis hat, bezogen auf die Welt von LambdaMOO von einem „shipboard-syndrome“ gesprochen, was den MUD als Beispiel einer heterotopen wie auch in seiner Begrenztheit und Ordnung Sicherheit bietenden elektronischen Welt kennzeichnet.187 Dabei erscheint es geradezu paradigmatisch, dass frühe Formen von Cyberspace als Multi-User-Welt das Neue der elektronischen Medien in räumlichen Repräsentationen von Höhlen, Einfamilienhäusern und Habitat-Umgebungen modellierten und somit buchstäblich nach dem Muster des Wohnens und des Bauens domestizierten. Das Modell Curtis’ für die ersten Räume von LambdaMOO war sein eigenes Wohnhaus, dessen räumliche Ordnung er – gleichsam als „bergende Be-
186 Huizinga: Homo Ludens, a.a.O.: 19. 187 Curtis: Mudding, a.a.O. In dieser Sicherheit vermittelnden Begrenztheit sind virtuelle Welten Ermächtigungswelten. Sie stellen, so eine pointierte und hier nicht nur auf Computerspiele bezogene Formulierung, „den Raum zur Verfügung, in dem Allmachtsphantasien ausgelebt werden können.“ Risi, Marius et al.: Das Hirn in der Kiste. Zum Verhältnis von Technik und Subjekt in der virtuellen Welt der Computerspiele. In. Hengartner, Thomas/Rolshoven, Johanna (Hg.): Technik-Kultur: Technik-Kultur: Formen der Veralltäglichung von Technik – Technisches als Alltag. Zürich 1998, 263-290, hier: 271.
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hausung“ (Bollnow) eines virtuellen Zuhause – in das neue Medium einbaute.188 Im Modell eines solcherart begrenzten Raums ist der Spiel-Raum Cyberspace kohärent; er erscheint, wie die virtuellen Welten, als ein kontinuierliches Ganzes, als ein „Kommunikationskontinuum“ und, trotz aller Binnengrenzen und Unterteilungen, als eine Art einheitlicher virtueller ‚Behälterraum‘. In den „dungeons“, regionalen Räumen, Kontinenten, Inseln usw. der Multi-User-Welten ist es ein als Zusammenhang entworfenes Gesamtsystem, das sie demselben Set von Regeln unterstellt und zu einem Raum zusammenfasst, der sowohl ein Raum der sozialen Kommunikation und Adressierbarkeit ist als auch eine visuell exponierte Umgebung. Dabei entspricht etwa in LambdaMOO, wie bereits in Adventure, dieser Raum demjenigen einer vom Programmierer bzw. Schöpfer der virtuellen Welt – im MUD auch „god“ genannt – entworfenen Karte.189 Über die Sicht dieser Karte haben die User, Spieler oder „residents“, im Gegensatz zum zunächst orientierungslosen Adventure-Spieler, Teil an dem, was hier namentlich als god’s view existiert, dem selbst nicht lokalisierten bzw. aus dem Raum ausgeschlossenen, allgegenwärtigen Blick des Schöpfers. Dem Fluiden oder Flüchtigen elektronischer Medien entgegen steht so in Computerspielen, MUDs und virtuellen Welten verschiedener Art die visuelle und kartographische Feststellung eines statischen und kontinuierlichen Raums der Übersicht und Kontrolle. Man mag in dieser Hinsicht zwei unterschiedliche Räume unterscheiden, indem der visuell als Umgebung oder Karte exponierte virtuelle Raum ja eine Räumlichkeit der geographischen Distanzen, Landschaften und landmarks repräsentiert und damit das, was im Kommunikationsraum der Adressen – von den spezifischen Adressierungssystemen etwa im MUD bis hin zu den IP-Adressen, die das Internet als einen NetzRaum adressierbarer Computer konstituieren – gerade nicht existiert. So hat etwa Hans Geser im Blick auf diesen Adressraum das Modell des Raums zurückgewiesen und als einzig allenfalls adäquate „physikalische Metapher“ für die elektronische Welt diejenige betrachtet, „dass sich jeder User permanent im Mittelpunkt einer vollkommenen Kugel befindet, 188 Vgl. Curtis, Pavel: Not just a game: How LambdaMOO Came to Exist and What It Did to Get Back at Me. In: Haynes, Cynthia et al. (Hg.): High Wired: On the Design, Use, and Theory of Educational MOOs. Ann Arbor 1998: 25-42; Bollnow: Mensch und Raum, a.a.O.: 62; vgl. zum Bauen als Wohnen und als das, „wie die Sprache so schön sagt, ‚Gewohnte‘“ Heidegger, Martin: Bauen Wohnen Denken. In: Conrads, Ulrich/Neitzke, Peter (Hg.): Mensch und Raum. Das Darmstädter Gespräch 1951. Bauwelt Fundamente, Bd. 94. Braunschweig 1991: 88-102, zit.: 90. 189 Vgl. Curtis: Mudding, a.a.O.
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von dem aus alle Peripheriepunkte (=einzelne Sites) in äquivalenter Weise erreichbar sind“. Cyberspace steht in dieser Hinsicht für eine von Esposito benannte und bereits bei Gibson aufscheinende irritierende Kombination unterschiedlicher Räume im Virtuellen vernetzter Computer. Gemeinsam ist diesen jedoch, geht man von Gesers Bild ebenso wie auch von der god’s view der Karte aus, dass sie gleichermassen für eine kohärente Räumlichkeit (des Netzes wie der Karte) stehen und weniger auf eine De- denn eher auf eine Rezentrierung verweisen.190 Kehrt man zu den Cyberspace-Konzeptionen um 1990 zurück, so lässt sich dieses Modell eines begrenzten und kohärenten Raums u.a. bei Farmer ansetzen, dessen Vision einer zukünftigen „other side“ ja diejenige einer sukzessiven Erweiterung der systematisch entworfenen virtuellen Welt von Habitat war. Ebenso als ein zusammenhängend geplantes System stellte auf der Cyberspace-Konferenz in Austin Tim McFadden den zukünftigen virtuellen Raum vor, basierend auf einem Koordinatensystem und der eindeutigen Lokalisierung von Objekten, landmarks und Adressen: [M]ost objects in cyberspace will be given coordinates in a Euclidian 3-space coordinate system [...]. Major landmarks will be located approximately as they are geographically in the world. [...] Part of the standard reference frame is that all actors have access to clocks synchronized with world time. [...] We relate actors to the standard reference frame (SRF) by associating points in the frame with the mail addresses of receptionists. [...]191
Wie andere Entwürfe dieser Zeit lässt sich auch McFaddens Cyberspace als ein Versuch begreifen, die um 1990 kursierenden Visionen einer zukünftigen Verknüpfung von Wirklichkeitsmaschinen und Telekommunikationsnetzen über ein einheitliches Raummodell greifbar und konzeptionell überschaubar zu machen. Sein Ansatz bewältigt die eröffneten Fragen – „What is in cyberspace? Where is it? How does one get to it?“ – aus der god’s view des Weltentwurfs.192 Dabei ist der CyberspaceEntwurf McFaddens, wie deutlich wurde, um 1990 lediglich einer von 190 Geser, Hans: Metasoziologische Implikationen des „Cyberspace“. In: Sociology in Switzerland. Towards Cybersociety and Vireal Social Relations, Zürich 1998. Online Publikation, http://socio.ch/intcom/t_hgeser03 .htm; vgl. zum virtuellen Netz-Raum als Adressraum Winkler: Docuverse, a.a.O.: 39f. Die erwähnte Kombination wird in Gibsons Neuromancer teils höchst ironisch zum Thema, bis hin zur KI, die ihre Zigarettenkippe die Matrix hinunterwirft. 191 McFadden: Notes on the Structure of Cyberspace and the Ballistic Actors Model, a.a.O.: 351f. 192 Ebd.: 357.
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vielen, ebenso wie die Vielzahl ‚virtueller (Spiel-)Welten‘ nur ein Teil dessen ist, was sich als eine Heterogenität von sich wandelnden (semiotischen, medientechnischen, soziokulturellen) Räumen einer seit den 1990er Jahren überaus dynamischen Entwicklung elektronischer Netzmedien anschreiben lässt. Die Vorstellung, dass sich ein Cyberspace dieser Medien als ein kohärentes Gesamtsystem planen liesse, von der McFaddens Modell zeugt, hat seitdem offenkundig seine Grundlage verloren. Vielmehr konfrontiert die Geschwindigkeit der Verbreitung und des Wandels digitaler Netz-Medien mit der Herausforderung geradezu einer mentalen „Gymnastik“ – so Steward Brand in einem Fernsehinterview 1995: There’s a kind of gymnastic ability just mentally that’s needed to stay [up to speed with the changes new technologies, especially the Internet are bringing], so there is a frightening aspect to it. I think part of what we’ll be doing over the next decade or so is figuring out some ways to somehow make ourselves comfortable with that, maybe by slowing down the pace of change.193
Die Dynamik des Internet und seiner „changes“ entzieht Visionen eines kohärenten, planbaren Raums der Medien den Boden (und nicht zuletzt der Vorstellung, diese Dynamik steuern oder verlangsamen zu können). Was sich seitdem als Referenz von „Cyberspace“ darstellt, ist eher eine in sich vielfach differenzierte Räumlichkeit elektronischer Medien, die sich nicht auf ein bestimmtes System oder auf ein technisches Leitbild reduzieren lässt. Dessen ungeachtet ist „Cyberspace“, bezeichnenderweise, gleichwohl ein Ausdruck geblieben, der keinen Plural kennt. So erlaubt die Rede und Vorstellung vom Cyberspace, entgegen der Fluidität und Unübersichtlichkeit der elektronischen Vernetzung, den Raum der Medien als einen einheitlichen und statischen vorzustellen; als „other side“ fungiert er gleichsam als Verdoppelung und als Spiegelbild eines realen Raums als Behälter. „Cyberspace“ steht insofern nicht nur für einen Raum des Spielerischen, sondern auch für ein Einheit stiftendes Modell, nach dem das Neue, Destabilisierende und Fluide der elektronischen Kommunikationsmedien als ein universaler, gleichbleibender und zugleich, so gross er immer sein mag, begrenzter Raum erscheint: sei dieser vorgestellt als ein Cyber-Universum des Digitalen, des (einen) Netzes, des „Datenmeers“ oder einer unbeschränkten – aktiven – Adressier- und Erreichbarkeit und Fern-Präsenz nach der Überwindung von Zeit und Raum, so z.B. dargestellt 1998 von Steven G. Jones:
193 Zit. nach Anderson, Janna Quitney: Imagining the Internet. Personalities, Predictions, Perspectives. Lanham u.a. 2005: 171.
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[T]he computer used for communication, is a technology to be understood from the „ritual“ view of communication, for once time and space have been overcome (or at least rendered surmountable) the spur for development is connection, linkage. Once we can surmount time and space and „be“ anywhere, we must choose a „where“ at which to be, and the computer’s functionality lies in its power to make us organize our desires about the spaces we visit and stay in.194
So vorgestellt, ist der Cyberspace elektronischer Medien ein Raum der „desires“ und zugleich ein abgegrenzter Spielraum, in dem man „anywhere“ sein kann und sich dennoch, dem Bild Gesers zufolge, „permanent im Mittelpunkt einer vollkommenen Kugel befindet“. Diese Vorstellung entspricht dem, was Gibson als Cyberspace beschrieb, – eine separierte ‚other side‘ der Daten als ein Behälterraum des Virtuellen, ‚in‘ dem man sein, deren Weiten man bereisen und aus der man sich ebenso wieder ausklinken kann. Es ist indes Gibsons Neuromancer, der dieses dem Realen gegenübergestellte Cyber-Universum nicht nur entwirft, sondern zugleich ironisch demontiert, – als virtuelle Heimat räumliche Desorientierung fürchtender Cowboys, als „consensual hallucination“ eines buntglitzernden wie formal-geometrisch geordneten Jenseits der Computermedien gegenüber einem Raum der Lebenswelt, der doch in Neuromancer tatsächlich weder einheitlich noch ursprünglich, sondern ein dystopischer wie von medialen „Matrizen“ geprägter Raum ist.195 Medien fügen sich somit bei Gibson nicht in die Grenzen eines Spiel-Raums des Cyberspace, sondern stehen dem Domestizierenden dieser Vorstellung ebenso entgegen, entgrenzen und dezentrieren, – illustriert nicht zuletzt etwa im Bild einer KI, die Case auf dem Fernsehbildschirm heimsucht oder das Telefon einer öffentlichen Telefonkabine schrillen lässt, als er vorübergeht. Mit solchen Momenten aber ist ein begrenzter und eindeutig abgrenzbarer Spielraum des Virtuellen überschritten, – und in der Entwicklung der Computerspiele tatsächlich ein Punkt markiert, an dem für die meisten Spieler das Spiel wohl aufzuhören hat.196 194 Jones: Information, Internet, and Community, a.a.O.: 32; zum Moment der Unifizierung im Diskurs der elektronischen Medien vgl. insbes. Winkler: Docuverse, a.a.O.: 54ff. 195 So Landfester, die Gibsons „Cyberspace“ als Allegorie eines „[...] durchwegs von Matrizen [...] organisierten Kommunikationsuniversums“ begreift. Landfester: Von der Liebe zur Konsenshalluzination, a.a.O.: 234. 196 Vgl. hierzu das Beispiel des (frühzeitig abgebrochenen) kommerziellen Spiels Majestic (2001), in dem, unter dem Motto „It plays you“, die Spieler u.a. über e-Mail, Instant Messaging und per Telefon adressiert wurden, in Rumbke: Pixel³, a.a.O.: 171; zum Spiel s. auch Brown, Janelle: Paranoia for fun and profit (10. Aug. 2001). Online-Publikation, http:// archive.salon.com/tech/feature/2001/08/10/majestic/
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V MOBILE Les Ambulants In einer Skizze zu einer Medienphilosophie des Tastens, Wählens und Denkens hat Lorenz Engell das Fernsehen als eine philosophische Apparatur des Denkens von Wählbarkeit thematisiert. Fernsehen, nach der Patentschrift Paul Nipkows für ein „elektrisches Teleskop“ (1884) in seiner Frühform beschreibbar als ein Apparat mit dem „Zweck, ein an einem Orte A befindliches Object an einem beliebigen anderen Orte B sichtbar zu machen“, wurde im Lauf seiner praktischen Entwicklung, dank „flächendeckender“ Verbreitung von Fernsehgeräten, bald zu einem Medium des Sichtbarmachens von Objekten eines Orts A nicht mehr an einem Ort B, sondern in einer gleichförmigen „Zone der Erreichbarkeit“ (bzw. einer Gesamtheit vieler Orte B). In einem weiteren Schritt entwickelte es sich durch die Vervielfachung der Programme zu einem nun viele mögliche Sichtbarkeiten oder sichtbare ‚Welten‘ nebeneinander generierenden Medium, zwischen denen eine Wahl durch den Zuschauer (an einem der Orte B) notwendig ist. Fernsehen, so Engell, hat sich „zur Selbstwahlmöglichkeit der Welt hin funktionalisiert [...].“1 Seitdem hat das Medium Fernsehen wesentlich auch mit dem Problem der Selektion zu tun – einem Problem, das sich nicht nur in den Programmen niederschlägt, sondern auch in den medialen Apparaten, u.a. in der Entwicklung portabler Empfangsgeräte und der Fernbedienung. Die Geschichte der „Selektionstechniken“ bleibt jedoch, so Engell, bei der Fernbedienung nicht stehen, sondern hat ebenso mit Techniken ausserhalb des Fernsehens zu tun, wobei er als Beispiele zwei Techniken nennt, nämlich die Maus und das – den Raum durchmessende und damit zum Verschwinden bringende – Mobiltelefon: 1
Engell, Lorenz: Tasten, Wählen, Denken. Genese und Funktion einer philosophischen Apparatur. In: Münker et al. (Hg.): Medienphilosophie, a.a.O.: 53-77, hier: 60; 70; Nipkow, Paul: „Elektrisches Teleskop“. Patentschrift No 30105. Patentirt im Deutschen Reiche vom 6. Jan. 1884 ab. (http://hist v2.free.fr/nipkow/nipkow1884a.htm).
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Die philosophischen Apparaturen [...] sind über die Fernbedienung des Fernsehgeräts weit hinausgewachsen und haben begonnen, neue Denkmöglichkeiten auch des Kontingenten aufzuschliessen. Es gibt eine Inflation von Fernbedienungen für alles und jedes und ebenso und in erster Linie eine Vervielfältigung der Tastenfelder. Insbesondere zwei Selektionstechniken sind es, die die weitere Geschichte der Selektion schreiben, nämlich das Mobiltelefon und die Maus. Das Mobiltelefon ist ein Symbol und eine Praxis unbeschränkter Adressierung und Erreichbarkeit im durchmessenen Raum, der damit aufhört, Raum zu sein. Es entbindet die Kommunikation von Ortsempfindungen. Die Maus [...] fungiert als digitale Universalmaschine der Wählbarkeit.2
Es ist die Maus und nicht das Mobiltelefon, die in Engells weiteren Ausführungen im Vordergrund steht. Sein Hinweis zum Mobiltelefon im Kontext der tele-medialen Beziehungen des Fernsehens ist jedoch informativ, indem er das Mobiltelefon, über seine Bezüge zum Telefon hinaus, als ein räumlich Neues und als eine Selektionstechnik gleichsam einer erweiterten remote control kennzeichnet. Es erscheint als ein spezifisches Medium der Adressierung und Erreichbarkeit, das zugleich Teil einer Vielzahl von portablen Apparaten ist. Solche theoretischen Überlegungen zu mobiler Kommunikation sind nach wie vor Ausnahmen in der medienwissenschaftlichen Literatur, hat sich doch die theoretische Forschung wie auch die Historiographie kaum dem Handy oder mobilen Medien gewidmet. Gleichwohl wird in den wenigen vorliegenden Ansätzen deutlich, dass sich mobile Kommunikation als ein mehrschichtiger bzw. unter mehreren Gesichtspunkten begreifbarer Gegenstand präsentiert. Im wesentlichen ist dabei, neben dem bei Engell genannten Aspekt der Selektivität, auf drei Aspekte hingewiesen worden: So wurde zum einen die Frage nach dem Verhältnis von Handy und Körper herausgestellt, womit das Handy v.a. als ein portabler medialer Apparat adressiert ist, der und dessen tele der Kommunikation in neuer Weise mit der Leiblichkeit des Körpers in Beziehung stehen. Zum zweiten wurde das Mobiltelefon aus medienarchäologischer Sicht in Bezug auf das zelluläre Prinzip thematisiert, unter dem Aspekt also mobiler Kommunikation als eines spezifischen Systems drahtloser Telekommunikation. Hervorgehoben wurden schliesslich, als dritter Aspekt, die „Umbauten“ (Erika Linz) des Mobiltelefons bzw. Handys zum MultiMedium einer konvergenten Telekommunikation, womit das Handy als Phänomen einer sich wandelnden Kultur und Praxis mobiler digitaler Medien in den Blick gerät.3 Stellt man diese Ansätze nebeneinander, so 2 3
Ebd.: 74f. Vgl. Tischleder/Winkler: Portable Media, a.a.O.; Holert, Tom: „My phone’s on vibrate for you“. Über Innervation und vibrotaktile Kommunikation nach Walter Benjamin. In: Schnell (Hg.): MedienRevolutionen,
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werden, jenseits des alltäglichen und scheinbar selbstverständlichen Handys, Konturen eines Gegenstands mobiler Kommunikation sichtbar, der sich als ein spezifisches neues Ensemble der Tele-Medien präsentiert, und der selbst nicht statisch zu begreifen ist, sondern sich gewandelt hat und wandelt. Wie sich dieses Neue des Handys und das von Engell bezeichnete räumlich Neue mobiler Medien innerhalb einer Mediengeschichte der Kommunikation plazieren lässt, ist jedoch eine offene Frage. So ist das Handy in eine Technikgeschichte der Portables eingeordnet worden, kaum aber in eine Geschichte der Tele- bzw. Kommunikationsmedien.4 Tatsächlich scheint die Wahrnehmung eines Neuen mobiler Kommunikation vielmehr quer zu Konzeptionen einer Geschichte der Tele-Medien zu liegen, die in hohem Mass als eine Geschichte „zum Internet“ begriffen wird, und die räumlich gleichsam in den Cyberspace des elektronischen Netzes zu münden scheint.5 Zieht man hierzu die nachgerade klassischen historischen Modellierungen Virilios und Kittlers heran, so führt diese Geschichte der Kommunikations- und Tele-Medien wesentlich ‚zur Echtzeit-Übertragung‘, in der sie ihre Grenze findet bzw. mit der, so Kittler, „die Geschichte der Kommunikationsmedien buchstäblich abgeschlossen“ wird.6 Die Frage nach dem Neuen einer mobilen Kommunikation, die ermöglicht, auch etwa auf einem „Spaziergang“, oder „vom Eisenbahnzug“ zu telefonieren – womit, nach Artur Fürsts Vorstellung 1923 der „Raum“ erst völlig „besiegt“ ist – stellt sich aus dieser, auf die Geschwindigkeit der Datenübertragung fokussierten Sicht nicht. Vielmehr präsentiert sich die Geschichte der Kommunikation als eine Geschichte des Einander-Überholens kommunikativer Techniken, die, bei Virilio, im „rasende[n] Stillstand“ des „letzte[n] Vehikel[s]“ bzw. der Sesshaftigkeit in der Tele-Sphäre der Medien seine Vollendung findet.7 Bilder der Sesshaftigkeit kennzeichnen darüber hinaus in hohem Mass die Vorstellungen des „Bewohner[s] des Informationszeitalters“: Als „homo sedens“ oder als einer jener von Bernd Guggenberger benannten „digitalen Neunomaden“ kombiniert er „auf bemerkenswerte
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a.a.O.: 121-146; Hagen: Das Ordale und das Parasoziale, a.a.O.; Linz: Konvergenzen, a.a.O. Vgl. Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O. So formuliert in den (o. bereits zit.) Untertiteln der Bände von Daniels: Kunst als Sendung, a.a.O. und Briggs/Burke: A Social History of the Media. a.a.O.; vgl. auch (u.a.) Teuteberg/Neutsch (Hg.): Vom Flügeltelegraphen zum Internet, a.a.O.; Schöttker, Detlev (Hg.): Von der Stimme zum Internet. Texte aus der Geschichte der Medienanalyse. Stuttgart 1999. Kittler: Geschichte der Kommunikationsmedien, a.a.O.: 188. Fürst: Das Weltreich der Technik, a.a.O.: 229; Virilio: Rasender Stillstand, a.a.O.: 36ff.
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Weise physische ‚Sesshaftigkeit‘ und Immobilität mit extremen Formen kultureller und identitätspsychologischer Beweglichkeit“. Die Mobilität eines elektronischen „Gleitens“ im „Kommen und Gehen der Information“ korrespondiert demnach mit einem „Zustand der sekundären Bewegungslosigkeit“ im Sitzen vor dem Terminal in der isolierten „Wohnmonade“ bzw. erfordert, nach Guggenberger, geradezu einen solchen: „Nur wenn wir konsequent aller Selbstbewegung entsagen, kommen wir überall hin [...]“.8 Die Vorstellung des Internet, in welches die Geschichte der TeleMedien zu münden scheint, präsentiert sich so räumlich gleichsam als eine Übertragung des Bilds vom Fernsehzuschauer am „Ort B“, das Neue der elektronischen Medien als eine Fortführung der Television: als ein postmodern-zappendes Hasten des Users, so Wolfgang Kaschuba, „von einer imaginären Welt zur nächsten, ohne von seinem Fernsehsessel wirklich wegzukommen“, nun aber realisiert über den „Computer als ‚totale‘ Welt“; als „Einschluss der Einzelnen“ in ihre Wohnungen und Büros, „in denen sie“, wie Florian Rötzer im Blick auf die VR-Konzepte formuliert hat, „über ihre Medienzentren [...] mit der Aussenwelt virtuell vernetzt bleiben“, womit „der Gang in die Aussenwelt ersetzt wird durch den in die virtuelle Realität, die es erlaubt, an jedem beliebigen Ort sein zu können“; und als ein Einbrechen in die Wohnung durch ein Kommen und Gehen der Tele-Medien, die sich, so Joshua Meyrowitz „an Orte [stehlen] wie Diebe in der Nacht“.9 Das Neue der Medien korreliert, so die gemeinsame Denkfigur dieser Darstellungen, mit ‚Sesshaftigkeit‘; und diese Vorstellung hat ihren Niederschlag bis hin etwa zu solchen verkehrspolitischen Konzepten der 1990er Jahre gefunden, die darauf abzielten, durch Telekommunikation das Verkehrsaufkommen zu reduzieren. Nach dem Prinzip „Modem statt Motor“ würden, so lautete eine wiederkehrende Annahme, Tele-Arbeit, Tele-Learning usw. Ströme des motorisierten Pendel-, Freizeit- und Berufsverkehrs substituieren; eine Annahme, die indes seit dem 21. Jahr-
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Guggenberger: Das digitale Nirwana, a.a.O.: 34f.; zur Rede vom „homo sedens“, hier im Blick auf Schnittstellendesigns von Computerspielen, Butler: Would you like to play a game?, a.a.O.: 160. Kaschuba: Die Überwindung der Distanz, a.a.O.: 250; Rötzer: Ästhetische Herausforderungen von Cyberspace, a.a.O.: 32; Meyrowitz, Joshua: Die Fernsehgesellschaft. Wirklichkeit und Identität im Medienzeitalter. Weinheim und Basel 1987: 94. Vgl. zum Bild Rötzers die Ausführungen zur Konstellation VR als Phantasma einer kontrollierten „closed world“ zur Zeit des Kalten Kriegs in Schröter: Das Netz und die Virtuelle Realität, a.a.O.: 261ff.
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hundert der These gewichen ist, dass im alltäglichen Verhalten „hohe physische Mobilität“ eher „mit hoher virtueller Mobilität“ korreliere.10 Solche Vorstellungen von einer Substitution sind freilich nicht mit der erwähnten Virilioschen Figur der Sesshaftigkeit in einer Tele-Sphäre zu identifizieren, die ihrerseits vielmehr einem relativen Denken von Geschwindigkeiten folgt. Demnach haben die elektronischen Tele-Medien die historische Beschleunigung einer Bewegung der Körper, von Pferd und Schiff bis zum Flugzeug, überholt und diese – relativ, aber nicht absolut gedacht – aufgehoben. So kann bei Virilio gerade das fahrende Automobil, selbst Signatur der ‚Mobilmachung‘ und einer „Körperlichkeit des Projektil-Menschen“, zum Beispiel für eine Sesshaftigkeit des „rasenden Stillstands“ werden, die aus seiner Umwandlung zu einer wohnzimmerähnlichen Umgebung elektronischer Medien (von Autotelefon und Stereoanlage bis zum GPS-Empfänger) resultiert, – und nicht etwa aus der Tatsache, dass der Mensch im Auto sitzt oder, wie es McLuhan sah, durch das Umschlagen von wachsenden Verkehrsströmen in Stau. Indem der Geschwindigkeits-„Vektor“ des motorisierten Verkehrs durch denjenigen der Tele-Medien überholt wird, mutiert das Automobil vom „Ferntransportmittel“ zu einem des „Auf-der-Stelle-Transports“.11 Im Gegensatz zu einer Gegenüberstellung von Medien und unmittelbarer „Selbstbewegung“ (Guggenberger) begreift damit Virilio die Bewegung bzw. die Beschleunigung der Körper durch Vehikel selbst als mediale Prozesse. Wenn sich, nach Virilio, „Telegraph, Telephon, Radio und Fernsehen […] schon im Abteilfenster des Zuges oder im Heckfenster des Autos ab[zeichnen]“, so stellt diese Vorstellung den Gegensatz nicht nur zwischen Fortbewegung und Medien (oder zwischen Raum und Cyberspace) in Frage, sondern auch denjenigen zwischen dem Transportmittel Eisenbahn und dem Selbstbewegung suggerierenden Automobil (oder zwischen dem nach Ruskin als „Paket“ transportierten Passagier 10
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Zumkeller, Dirk: Verkehr und Telekommunikation. Erste empirische Ansätze und Erkenntnisse. In: Jessen, Johann et al. (Hg.): Neue Medien, Raum und Verkehr. Wissenschaftliche Analysen und praktische Erfahrungen. Opladen 2000: 225-254, hier: 243. Denzinger, Stefan/Vogl, Walter: Datenautobahn statt Autobahn: Löst Telearbeit Verkehrsprobleme? In: Ebd.: 205-224, hier: 205. Virio: Fahren, fahren, fahren…, a.a.O.: 15; ders.: Rasender Stillstand, a.a.O.: 44f.; vgl. McLuhan/Powers: The Global Village, a.a.O.: 44. Der Vektor ist, über das erwähnte Beispiel hinaus, ein Grundmodell Virilios, in dem sich die zentralen Motive seiner Arbeit verknüpfen: der Blick (die Projektion), das kriegerische Geschoss (das Projektil), die Beschleunigung der Vehikel (als ein Vektor der Durchdringung), und das wahrgenommene Bild der Welt, das seinerseits ein „Vehikel“ darstellt, „einen von seiner Übertragungsgeschwindigkeit nicht zu trennenden Kommunikationsvektor“; Virilio: Rasender Stillstand, a.a.O.: 43.
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und dem Lokomotivführer), da beide gleichermassen, ebenso wie die ersten Menschen zu Pferd, dem historischen Prozess einer dromologischen Beschleunigung unterworfen sind, die sich (ihrerseits tatsächlich automobil) selbst realisiert.12 Mobilitätsgeschichte steht damit bei Virilio ihrerseits im Rahmen einer Geschichte der Wahrnehmung und der Medien. Modelliert ist das Verhältnis von Mobilität und Medien jedoch auch hier wesentlich als ein ausschliessliches bzw., historisch, als ein Verhältnis der Sukzession: Als zwei „Vektoren“ sind sie, reduziert auf eine quantitative Grösse der Geschwindigkeit, in ihrem Verhältnis zueinander relativ, nicht aber relational gedacht. Dabei kommt in der verlusttheoretischen Denkfigur der Virilioschen Dromologie die Mobilität der Körper einem Verschwinden des primären, gegebenen Raums gleich, ebenso wie die elektronische Mobilität einem Verschwinden der Mobilität der Körper und des Transports.13 So spielt sich das Wesentliche, (auch) nach Virilio, heute „nicht mehr so sehr auf den Verkehrswegen eines bestimmten geographischen Territoriums ab[], sondern [...] im elektronischen Äther der Telekommunikation“.14 „Travel was a meat thing“, so lässt Gibson in Neuromancer seinen Hacker-Held abschätzig sagen, der freilich weder Wohnzimmer noch Auto besitzt und tatsächlich einen Grossteil der im Roman geschilderten Handlung auf Reisen, in wechselnden Hotels und Verkehrsmitteln verbringt. Dabei exponiert Neuromancer Verhältnisse des Medialen und Mobilen, in denen sich das erwähnte Bild des stationären Wohnzimmers (als Ort „B“), in den ein kontingentes tele einbricht, nahezu in sein Gegenteil verkehrt. Sieht doch Case, einer jener Cowboys, die „spatial disorientation“ fürchten, in welchem Hotel oder Weltraumschiff auch immer er sich in den Cyberspace „einklinkt“, stets als erstes dieselbe vertraute, gleichbleibende Konfiguration der „pyramid of the Estern Seaboard Fission Authority burning beyond the green cubes of Mitsubishi Bank of America“, – ein virtuelles home gewissermassen, vergleichbar der Seite, die nach dem Mausklick auf die gleichnamige Schaltfläche in Web-Browsern in vertrauter Gestalt auf dem Bildschirm erscheint.15 12 13
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Virio: Fahren, fahren, fahren…, a.a.O.: 24. Ein Unmittelbares des Raums wäre demnach an einem imaginären Punkt vor der Beschleunigung zu lokalisieren, der, konsequent gedacht, in jenem ursprünglichen Zustand einer „Trägheit des eigenen Körpers“ liegen müsste, die Virilio an einer Stelle wiederum dem Fernsehzuschauer zuschreibt; vgl. Virilio, Paul: Der echtwahre Augenblick. In: Bergelt, Martin/Völckers, Hortensia (Hg:): Zeit – Räume. Zeiträume, Raumzeiten, Zeitträume. München 1991: 91-101: 101. Virilio: Rasender Stillstand, a.a.O.: 43. Gibson: Neuromancer, a.a.O.: 77; 52.
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Kontingenz liegt hier also weniger auf der Seite eines tele des auf dem Bildschirm Erscheinenden; vielmehr weicht die, so Engell, „problematische Kontingenz“ des Fernsehens und seines Zeitflusses einer wiederholbaren „Selektionssituation“ (home) eines Cyberspace, der – von Neuromancer bis zum Computerspiel – entgegen aller Fluidität ein Zeiträumliches der Wiederholbarkeit vor Augen führt.16 Kontingent geworden ist dagegen im ‚Fall‘ Case der „Ort B“. Aus der Sesshaftigkeit des voraussetzbaren Orts (des Wohnzimmers) ist eine Vielzahl wechselnder, räumlich gar desorientierender Orte eines jeweiligen Hier (des Raumschiffs, Hotels usw.) geworden, von dem aus sich Case über sein transportables Computerdeck in den Cyberspace einklinkt. So sind bei Gibson wie bei Virilio räumliche Verhältnisse eines telemedialen Hier und Dort zur Debatte gestellt und als Problem aufgeworfen, die sich nicht in gewohnte Modelle der Tele-Medien fügen. Weder Übertragung oder Verbindung zwischen zwei statischen Orten A und B (wie im Fall des „elektrischen Teleskops“ oder der herkömmlichen Telefonverbindung), noch Selektion an einem gleichbleibend voraussetzbaren Ort B (des „sesshaften“ Fernsehzuschauers oder Internet-Users), konfrontieren diese Verhältnisse einer Mobilität und Medialität vielmehr mit räumlichen Beziehungen, in denen weder ein Ort A noch ein Ort B voraussetzbar sind, bzw. mit einem Dreiecksverhältnis, in dem, wie im ‚Fall‘ Case, ein gleichbleibender Ort am ehesten noch im Zwischen des medialen ‚home‘ bzw. in der „hallucination“ des Cyberspace selbst zu finden ist. Diese räumlichen Beziehungen einer Kontingenz des Orts sind weder bei Gibson noch bei Virilio auf den Gegenstand des Mobiltelefons bezogen. Das bei Virilio erwähnte Autotelefon steht hier neben anderen Medien wie der im Auto mitgeführten Stereoanlage oder dem bei Gibson auftretenden Computerdeck, die nicht mobile Medien im engeren Sinne – weder drahtlos noch Portables – sind, sondern v.a. transportabel und zugleich in einer Weise ortsunabhängig nutzbar, die der Ausbildung portabler und drahtloser Tele-Medien historisch vorausgeht. Sie sind, wenn man die Bezeichnung aufgreift, die Karl Knies in der Mitte des 19. Jahrhunderts für ein Transportables und ansatzweise Bewegliches bzw. – 16
Engell: Tasten, Wählen, Denken, a.a.O.: 75; zum Computerspiel als prototypisches Medium der Wiederholbarkeit vgl. Butler: Would you like to play a game?, a.a.O.: 99. Wie Engell anmerkt, steht das Prinzip des Wiederholbaren nicht nur dem Zeitfluss des Fernsehens gegenüber, sondern auch der Kontingenz eines Lebens, das mit ihm „noch nicht ganz zur Deckung gekommen“ ist: „Es gibt – noch – keine Rückkehr zum vorhergehenden Fenster“, ebd.: 76. Im Fernsehen ist es u.a. die Soap Opera, die für ein Wiederholbares steht (vgl. ebd. 71); ein weiteres Beispiel ist, in Bezug auf ihr Nicht-Kontingentes, die Nachrichtensendung.
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nach heutigem Begriff – Mobiles der Tele-Medien verwendete, „ambulant“. Wie oben bereits erwähnt (s. Kap. II) spricht Knies 1857 vom „Ambulanten“, um Momente eines Beweglichen innerhalb der Dispositive der telegraphischen Nachrichtentechnik seiner Zeit zu bezeichnen. Dabei ist der Begriff im Blick auf seine Verwendung bei Knies zu differenzieren. Denn „ambulant“ ist eine in Knies’ Analysen der Telegraphie verschiedenenorts auftauchende, uneinheitliche Bezeichnung, die sich auf mehrere Entwicklungen bzw. Phänomene der telegraphischen Nachrichtentechnik bezieht. Knies beschreibt damit unterschiedliche von ihm registrierte Formen eines Mobilen telegraphischer Techniken und Netze, die aus heutiger Sicht aufschlussreich sind, indem sie im Sinne einer (Vor-)Geschichte mobiler Kommunikation auf Konturen dieses Gegenstands vorausweisen. Dabei sind es im wesentlichen drei solche Momente des „Ambulanten“, die sich bei Knies unterscheiden lassen: So spricht Knies von einem „Ambulanten“ der Nachrichtentechnik zunächst in Bezug auf die Möglichkeit, telekommunikative Apparaturen wie auch „die ganze Leitung“ zu transportieren und damit, über die fest eingerichteten Linien hinaus, temporäre telegraphische Verbindungen zu ermöglichen.17 Beispiele für diese „ambulante“ Telegraphie nennt Knies nicht. Sie liesse sich jedoch bis zu jenem transportablen optischen Telegraphen zurückverfolgen, den 1795 Franz Carl Achard dem Preussischen König vorführte, indem er von Spandau nach Bellevue den Satz „Es lebe der König“ telegraphierte. Achards optische Telegraphenstation liess sich von acht Zimmerleuten in zwanzig Minuten demontieren und verladen, und sie stellt in offensichtlicher Weise den Versuch dar, eine Preussische Antwort auf die militärische Herausforderung durch die in Frankreich kurz zuvor realisierte Chappesche Flügeltelegraphie zu liefern.18 Es ist mithin das „Mobile“ der Kriegsheere – im Wortgebrauch des 18. und frühen 19. Jahrhunderts gleichbedeutend mit dem „Mobilen“ schlechthin –, das den Bedarf nach einem transportablen bzw. „ambulanten“ Telegraphen schafft, der die Geschwindigkeit der Chappeschen Telegraphen noch übertreffen soll. Aus der erhöhten „Mobilität“ der Armeen und der beschleunigten Übertragung von Zeichen resultiert die Idee einer ‚Mobilisierung‘ ebenso der Sende- und Empfangsstationen.19 1856 und damit 17 18 19
Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 229, Anm.1; vgl. ebd.: 124. Vgl. Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 1, a.a.O.: 192f. Das Wort „mobil“ verbreitete sich im Deutschen aus dem Französischen seit Mitte des 18. Jh.s in der Bedeutung „marschbereit, einsatzbereit“, seit Anfang 19. Jh. auch als „mobil machen“ und „Mobilmachung“ sowie, seit 1814 belegt, „mobilisieren“ und „Mobilisierung“. Seit der ersten Hälfte des 19. Jh.s existiert auch die Bedeutung „munter, lebhaft“. Vgl.
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zur Zeit der Publikation Knies’– von Knies selbst jedoch nicht erwähnt – wird in Preussen wiederum erstmals eine elektrische Feldtelegraphie eingeführt und damit diese Form einer ambulanten Nachrichtentechnik militärisch institutionalisiert.20 Ausgehend von dieser Kontur des „Ambulanten“ lässt sich aus heutiger Sicht eine Geschichte transportabler und mobiler Kommunikation als Teilbereich einer militärischen Geschichte der Telekommunikation skizzieren, beginnend mit den mobilisierten Apparaten und Kabelrollen, die seit der Entwicklung des Telephons 1876 durch die – militärisch nicht unumstrittenen – im Feld mitgeführten Telephonapparate ergänzt werden, so etwa das 1887 in einem Artikel beschriebene „transportable Mikro-Telephon für militärische Zwecke“.21 Ihre Fortsetzung findet diese Geschichte seit dem frühen 20. Jahrhundert in den drahtlosen Funk(en)telegraphen v.a. der Marine, während die frühen drahtlosen Telegraphen auf dem Land nur bedingt transportabel waren, so etwa die von Johannes Zacharias und Hermann Heinicke 1908 beschriebene, auf mehreren Pferdewagen transportierbare Station der Firma Telefunken, die eine drahtlose Übermittlung von Nachrichten über rund 300 km ermöglichte.22 Praktisch mit den letzten Jahren des Ersten Weltkriegs einsetzend, tritt hierzu eine Geschichte des Sprechfunks bzw. einer drahtlosen Telephonie, deren Ideal, wie bereits Zacharias und Heinicke formulieren, „insbesondere für transportable Zwecke, möglichst einfache, billige und leichte Apparate sein [müssen], ähnlich, wie sie im Fernsprechbetriebe gebraucht wer-
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[Pfeifer, Wolfgang:] Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Bd. 2, 2. Auflage. Berlin 1993: 881. Vgl. Kaufmann, Stefan: Kommunikationstechnik und Kriegführung 18151945. Stufen telemedialer Rüstung. München 1996: 87. Zit. nach ebd.: 196. Das Telefon, so lautete eine Kritik 1885, werde in den „Heeresorganismus ein [...] unsolides, unkontrollierbares, gleich dem Windhauch verflüchtigendes Element“ einführen. Der „Ernst“ des Kriegs gehe zu tief, „um Elemente zu vertragen, die nur sanfte, friktionslose Friedensverhältnisse rechtfertigen können.“ Zit. nach ebd.: 200. Wie Kaufmann anmerkt, liess nicht nur die fehlende Aufzeichnung das Telefon militärisch suspekt erscheinen, sondern auch der fehlende Blick, womit es die visuelle Semiotik der militärischen Disziplin (Rangabzeichen, Haltung etc.) unterlief. Die Station („Karrenprotzsystem“) war mit einem 4 PS-Motor als Generator ausgerüstet und hatte ein Gesamtgewicht von über 2 Tonnen. Dies im Gegensatz zu einer „tragbaren“ Station für kürzere Übertragungsdistanzen mit 75-200 kg Gewicht, ausgestattet für die Stromproduktion mit Tretgestell und Dynamo. Vgl. Zacharias, Johannes/Heinicke, Hermann: Praktisches Handbuch der drahtlosen Telegraphie und Telephonie. Wien und Leipzig 1908: 118ff.; 123ff.
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den.“23 Es ist in der Folge der Zweite Weltkrieg, der diese Geschichte des militärischen Sprechfunks mit dem UKW-Panzerfunk im deutschen „Blitzkrieg“ fortschreibt und, erstmals in einer technischen Form, die dem zitierten Ideal nahekommt, mit den 1941 von Motorola entwickelten Sprechfunk-Geräten des Walkie-Talkie (das als Rucksack getragen wurde) und des ersten Handsprechgeräts Handy-Talkie. Mit dem nurmehr rund 30 cm. langen Handy-Talkie wird aus dem transportierbaren „ambulanten“ erstmals ein portabler, auf dem Körper tragbarer SprechfunkApparat.24 Das Gerät wird zudem zum Namensgeber der in den folgenden Jahrzehnten als Walkie- oder Handy-Talkies verbreiteten Funkgeräte bis hin zu jenen „Handys“, von denen etwa in einem von den Schweizerischen PTT getexteten Artikel aus dem Jahr 1978 unter dem Titel „Händel mit Handys“ die Rede ist: „Handys“ referiert hier auf die CB(Citizen-Band-)Handsprechfunkgeräte dieser Zeit – von zahlreichen CBFunkern durch illegale Aussenantennen verstärkt, was zu „Händeln“ führt –, die u.a. als Handys bekannt sind, bevor sich diese Bezeichnung, rund zehn Jahre später, als Synonym für das Mobiltelefon verbreitet.25 Mobilkommunikation ist in dieser Hinsicht, ebenso wie andere Nachrichtentechniken, ein militärisch geprägtes Neues der Medien, in seinem Einsatz und seiner praktischen Optimierung motiviert durch den Bedarf der Kriegsheere. Dabei ruft die Rede vom „Mobilen“ selbst, und im Deutschen dessen Wortherkunft und -geschichte, die „Mobilmachung“ auf den Plan, bis hin zum Virilioschen Bild einer Mobilisierung des „Projektil-Menschen“, der sich durch die dromologische Beschleunigung medientechnisch gleichsam zum Krieg dressiert. Mobilität ist in diesem Sinne konnotiert mit einer, so Steven Jones, „Idee der reinen Bewegung“,
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Ebd.: 217. Entscheidend für den „ambulanten“ drahtlosen Sprechfunk war das Verstärker-Prinzip der Elektronenröhre, das in den letzten Kriegsjahren zum Einsatz kam; vgl. hierzu und zur zentralen Rolle des Funks im Ersten Weltkrieg als eines Kriegs auch der Informationen und des Abhörens Kaufmann: Kommunikationstechnik und Kriegführung 1815-1945, a.a.O.: 228ff.; 277. Vgl. zum deutschen UKW-Panzerfunk ebd.: 302ff.; zu Walkie- und Handy-Talkie Coe, Lewis: Wireless Radio. A Brief History. North Carolina 1996: 132f. [Pressedienst der Schweizerischen PTT (Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe)]: Händel mit Handys. In: radio-tv-electronic 1978, 4: 69-70. Für CB-Funk wurden in der Schweiz 1973 Frequenzen freigegeben und bis 1978 rund 20.000 „Handy“-Konzessionen ausgestellt. Die erwähnten (Rechts-)„Händel“ waren häufig: 1977 wurden schweizweit über 400 Verfahren gegen CB-Funker eröffnet und rund 300 Geräte beschlagnahmt; vgl. ebd.; vgl. hierzu auch die Darstellung zum Boom des CBFunks in der BRD in Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O.: 235ff.; zur Rede vom Funk-„Handy“ (1985) ebd.: 258, Anm. 111.
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die „auf Geschwindigkeit beruht“; und „semper mobilis“ sind nicht nur, nach scholastischer Lehre, die Engel, sondern auch Soldaten.26 Die militärische Geschichte einer transportablen und „mobilisierten“ Kommunikation ist jedoch, ebenso wie in anderen Bereichen der Telekommunikation, nicht deren einzige Geschichte, und das Transportable der (Feld-)Telegraphen markiert auch nicht die einzige bei Knies aufweisbare Kontur oder Genealogie „ambulanter“ Nachrichtentechnik.27 So findet sich bei Knies diese Bezeichnung auch in Bezug auf eine zweite Form ‚beweglicher‘ Telegraphen, die mit dem Verkehrswesen in Zusammenhang steht, nämlich eine „ambulante“ Eisenbahntelegraphie. Bezeichnet sind damit solche in den 1840er Jahren erstmals entwickelte und in Versuchen erprobte Konzepte, die zum Ziel hatten, das Telegraphieren aus und zum fahrenden Zug wie auch zwischen Zügen zu ermöglichen. Praktisch realisiert werden sollte dies, nach Knies, etwa durch einen Kontakt des Zugs über mitgeschleifte Federn mit einem zwischen den Schienen angebrachten Eisenband. Andere „ambulante“ Telegraphen sollten ein Telegraphieren aus dem Zug zumindest „an der Stelle, wo es erforderlich wird“ über den Kontakt mit der neben der Eisenbahn verlaufenden Drahtleitung realisieren.28 „Ambulant“ bezeichnet hier also, über das Transportable hinaus, den Versuch, Erreichbarkeit und Adressierung bzw. das Telegraphieren selbst mobil werden zu lassen und die telekommunikative Verbindung an die Bewegung des Fahrens anzuschliessen. Auf das zu seiner Zeit wahrgenommene entschieden Neue solcher Konzepte weist die Bemerkung von Knies hin, diese gehörten „gerade zu denjenigen, welche das Urtheil verbreitet haben, dass unserer Mechanik ‚ganz unglaubliche Dinge‘ möglich sind.“29 Dabei stellen die „ambulanten“ Bahntelegraphen eine Weiterentwicklung der bestehenden Eisenbahntelegraphen dar, indem sie deren Nutzungen für die betriebliche Koordination der Züge wie auch für die Kommunikation der Passagiere zu erweitern und auf den fahrenden Zug selbst auszudehnen suchen. 26
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Jones: Kommunikation, das Internet und Elektromagnetismus, a.a.O.: 131; zum soldatischen „semper mobilis“ vgl. exempl. das Credo des Schweizerischen Infanterie Bataillons 65 (http://www.infbat65.ch); zur scholastischen Engelslehre vgl. Schneider, Manuel: Den Engeln gleich. In: ders./Geissler (Hg.): Flimmernde Zeiten, a.a.O.: 31-46. Vgl. zu dieser Frage des Verhältnisses von Nachrichtentechnik und Krieg Kaufmann: Kommunikationstechnik und Kriegführung 1815-1945, a.a.O.; Schröter, Jens: Technik und Krieg. In: Segeberg (Hg.): Die Medien und ihre Technik, a.a.O.: 356-370. Vgl. Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 42; 228f., zit. 229; zu einem solchen Versuch 1845 auf der Strecke der Taunus-Bahn s. auch Aschoff: Geschichte der Nachrichtentechnik, Bd. 2, a.a.O.: 175. Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 42.
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Realisiert wird eine solche Telekommunikation vom Fahrzeug aus zur Zeit Knies’ ebenso wie in den folgenden Jahrzehnten nicht. Es sind jedoch im 20. Jahrhundert unter den Bedingungen der drahtlosen Übertragung die Vehikel des Verkehrs, welche die Entwicklung einer ambulanten bzw. mobilen Kommunikation befördern, zunächst im Seeverkehr. So verbreitet sich Guglielmo Marconis drahtlose Telegraphie (und sein Unternehmen) nicht nur durch die Kriegsmarine, sondern auch durch die zivile Anwendung des Schiffsfunks, seit der ersten Sprach- und Musikübertragung durch Reginald A. Fessenden 1906 erweitert durch Sprechbzw. Rundfunk. Dabei ‚vermietet‘ Marconi Funkapparate wie auch das auf den Schiffen mitfahrende Funkpersonal, zunächst beschränkt auf die grossen Schiffahrtsgesellschaften (wie die norddeutsche Lloyd), während sich über diese hinaus der maritime Funk v.a. seit der TitanicKatastrophe von 1912 durchsetzt.30 Schiffe auf hoher See, zuvor Inbegriff der Unerreichbarkeit und Ferne, werden nun nachrichtentechnisch erreichbar. Ermöglichten Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Eisenbahntelegraphen, die Mobilität des Zugs und der mit ihm Reisenden (oder auch Flüchtenden) nachrichtentechnisch einzuholen bzw. zu überholen, so gilt dies seit einer ‚ambulanten‘ drahtlosen Kommunikation auch für das Schiff.31 Nach dem Ersten Weltkrieg ist es die vereinzelte Realisierung einer ‚ambulanten‘ drahtlosen Eisenbahntelephonie, welche Visionen einer zukünftigen mobilen Kommunikation informiert. So existiert auf der Strekke Hamburg-Berlin in den 1920er Jahren ein kommerziell betriebenes öffentliches Telephon in D-Zügen, das ein Telefonieren während der Fahrt erlaubt. Ermöglicht wird dies durch einen im Zug mitgeführten Sender und eine Verbindung mit der Station einerseits über den Kontakt mit den
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Die Idee des Seefunks gilt in den ersten Jahren eher als „Luxus“, wie Margot Fuchs hervorgehoben hat: „Für kleinere Passagier- und Frachtdampfer war eine Einrichtung, die nach Meinung des Besitzers der ‚Woermann-Linie‘ dazu diente, dass sich die Kapitäne auf See gegenseitig ‚Guten Morgen‘ wünschen konnten, noch zu kostspielig.“ Fuchs, Margot: Anfänge der drahtlosen Telegraphie im Deutschen Reich 18971918. In: Teuteberg/Neutsch (Hg.): Vom Flügeltelegraphen zum Internet, a.a.O: 111-131, hier: 122. Zu Marconis Entwicklung der drahtlosen Telegraphie auf der Grundlage der Arbeiten v.a. Heinrich Hertz’ und zu Marconis Marine Communication Company (1900) vgl. (zusammenfassend) Williams, Trevor I. (Hg): A History of Technology, Vol. VII, Teil II. Oxford 1978: 1230ff; 1252ff.; zu Fessenden vgl. insbes. Hagen, Wolfgang: Das Radio. Zur Geschichte und Theorie des Hörfunks – Deutschland/USA. München 2005: 176ff. Vgl. die o. (in Kap. II) bereits erwähnte Schilderung vom Einholen des per Schiff geflohenen Mörders in McLuhan: Die magischen Kanäle, a.a.O.: 374f.
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Schienen, andererseits durch seitlich an den Geleisen wie auch auf dem Zugdach verlaufende Antennen. Es ist diese ambulante Zugtelephonie, vor deren Hintergrund Arthur Fürst 1923 seine Vorstellung einer zukünftigen mobilen Kommunikation „vom Schiff, vom Eisenbahnzug, ganz allgemein von irgendeinem beweglichen Fahrzeug aus, ja auch während eines Spaziergangs“ formuliert. Dabei leitet Fürsts eingehende Darstellung der genannten Anlage in die Schilderung einer Zukunft über, in der „ein jeder drahtlos-telephonisch von jedem erreicht werden kann, sobald das richtige Rufzeichen gegeben wird“, – womit Fürst nicht nur die Vision von einem endgültig „besiegt[en]“ Raum verbindet, sondern auch das Bild von einem „neue[n] Gretchen“, das singen dürfte: „Meine Ruh’ ist hin...“.32 Solche Beziehungen zwischen der Mobilität des Transportwesens und dem Nachrichtenverkehr beschäftigen, rund siebzig Jahre früher, bereits Knies, der, über einzelne technische Konzepte hinaus, grundsätzliche Überlegungen zum expandierenden „Verkehr“ seiner Zeit formuliert. Knies’ Interesse gilt dabei gerade dem Zusammenspiel der zunehmenden Bewegung von Personen, Gütern und Nachrichten, wobei, wie er feststellt, sowohl die Nachrichtenflüsse den Transport fördern und beschleunigen, wie auch die wachsenden Verkehrsflüsse des Transportwesens ihrerseits den Nachrichtenverkehr anwachsen lassen. Innerhalb des Personentransports tragen hierzu, nach Knies, vor allem drei wesentliche Formen der Mobilität bei, nämlich die Auswanderung, die (Eisenbahn-) Reise und der Krieg. Denn Nachrichtenverkehr setzt nicht nur eine räumliche Trennung von Personen überhaupt voraus, sondern wird, so Knies, dann „rege“, wenn „die räumlich getrennt lebenden Menschen ein persönliches Interesse an einander haben oder gewinnen“, und daher sind Formen der Mobilität „mächtige Steigerungsquelle[n] des Nachrichtenverkehrs“.33 Diese Steigerung manifestiert sich um 1850 nicht nur in der Verbreitung der Telegraphie, sondern, wie Knies festhält, auch in der Zunahme postalischer Nachrichten, gefördert durch eine drastische Reduktion der Porti. So wächst die Menge der Zeitungen wie auch der Briefe, deren Anzahl etwa in England von 76 Mio. im Jahr 1839 auf 478 Mio. im Jahr 32
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Fürst: Das Weltreich der Technik, a.a.O.: 315 (vgl. o., Einleitung). Zum erwähnten Zugtelephon, dem 1918 Versuche auf der Militärbahnstrecke Berlin-Zossen vorangingen, und das 1925 zur Gründung der Zugtelephonie AG führte, vgl. Reuter, Michael: Telekommunikation. Aus der Geschichte in die Zukunft. Heidelberg 1990: 215. Wichtig war indes die drahtlose Kommunikation in der Folge v.a. für den Bahnbetrieb selbst; vgl. hierzu und zur frühen drahtlosen Telekommunikation im Eisenbahnwesen, hier am Beispiel der USA, Coe: Wireless Radio, a.a.O.: 80ff. Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 56ff.
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1856 ansteigt und sich somit mehr als versechsfacht.34 Postalische Nachrichten aber sind, im Gegensatz zu den Daten der Telekommunikation, Güter, die als solche zu transportieren, zu sortieren und zu verteilen sind; und steigert die Eisenbahn den Transport dieser Güter, so muss sich nun ebenso deren postalische Abfertigung beschleunigen. Die „Steigerung des Nachrichtenverkehrs“, so Knies, „drängte ihrerseits geradezu auch die Postbeamten zur Eile.“35 Als Lösung dieses Flaschenhalsproblems bietet sich die Mobilisierung des Postbüros selbst an, indem, so Knies’ Bezeichnung, „ambulante Postbureau’s“ entstehen: rollende „(services) ambulants“, wie diese Bahnpost-Einrichtungen auf Französisch genannt wurden, in denen nicht nur Briefe, sondern auch Postbeamte transportiert werden, welche die Briefe im fahrenden Zug sortieren. Postbeamte werden mithin, nach dem französischen Namen der in dieser Weise Beschäftigten, selbst zu „ambulants“ – in romanischen Sprachen eine Bezeichnung auch für fliegende Händler oder für das Umherziehen von Schauspieltruppen.36 Ebenso wie im Fall der „ambulanten“ Telegraphen mobilisiert sich mit diesen „ambulants“ der Post, auf die Knies aufmerksam macht, ein Teil des Kommunikationsnetzes selbst in einer Überlagerung von Transportwesen und Nachrichtenverkehr: Wird der fahrende Eisenbahnwagen mit den Versuchen der „ambulanten“ Telegraphie zu einem mobilen Ort des telegraphischen Sendens und Empfangens, der Adressierung und Erreichbarkeit, so wird er mit der „ambulanten“ Bahnpost zu einem mobilen hub und node der Verarbeitung und Weiterleitung postalischer Nachrichtenflüsse. Von einem „Ambulanten“ spricht Knies schliesslich in einer dritten, oben (in Kap. II) bereits erwähnten Bedeutung in Bezug auf jene von ihm festgestellte Eigenart des telegraphischen Netzes, ohne ein festes „Centralorgan“ funktionieren zu können, da jede Station zum Zentrum werden kann. Das ‚Zentrum‘ des Netzes ist insofern „ambulant“, was Knies auch mit der Vorstellung einer Art verteilter Kooperation verbindet.37 Knies’ Bemerkung zum „Ambulanten“ in diesem Sinn verweist auf ein Ambulantes bzw. Mobiles der Nachrichtentechnik nicht im Verhält-
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Vgl. ebd.: 89. Ebd.: 102. Denn, so Knies, wenn „ein grosser Strom des Nachrichtenverkehres täglich aus unübersehbar vielen einzelnen Quellen zusammenwächst – am Bureau als Aufgabestation –, so stürzt auch bei ihm als Ausgabeplatz mit einem Male gleich einem Platzregen, der sich sofort verlaufen muss, die Masse der von auswärts angelangten Briefe nieder.“ Ebd.: 101. Üblich war in Preussen zu dieser Zeit eine tägliche, in den Städten mehrmals tägliche Postausgabe, vgl. ebd.: 102. Ebd.: 94. Vgl. Grand Larousse de la Langue Française en Six Volumes. Vol. 1. Paris 1971: 143f. Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 244.
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nis zu anderen räumlichen Beziehungsgefügen wie im Fall der Transportabilität von Apparaten oder im Fall der sich überlagernden Mobilitäten des Güter-, Personen- und Nachrichtenverkehrs, sondern innerhalb des telekommunikativen Netzes selbst. Hingewiesen ist also auf das spezifische Relationale eines neuen Netz-Raums und damit zugleich exemplarisch auf die Geschichte dessen, was sich heute prominent als Rede vom ‚Vernetzten‘ präsentiert bzw. davon, dass „kein souveränes Zentrum im Netz existiert“.38 In Knies’ Rede von einem „Ambulanten“ wird dabei ein Mobiles relationaler Beziehungen der Kommunikation greifbar, das sich sowohl einem Bild des statischen „Netzes“ entzieht als auch einer Vorstellung von Mobilität als einer „reinen Bewegung“, die „auf Geschwindigkeit beruht“. Fokussiert werden soll im Folgenden, ausgehend von diesen einleitenden Überlegungen zum Mobilen oder Ambulanten, auf mobile Kommunikation im engeren Sinne, begreifbar als ein technisches Ensemble von drahtloser Übertragung, mobiler Adressierung und Verbindung und portablem Apparat. Im Vordergrund steht hierbei das Mobiltelefon oder Handy als Gegenstand und Signatur jenes Neuen, das Fürst 1923 als einen zukünftigen endgültigen Sieg über den Raum imaginierte. Dieses interessiert zunächst in Bezug auf die Geschichte eines ‚Mobiltelefons‘, das sich von der Nachkriegszeit bis zu den späten 1980er Jahren praktisch als ein ‚Automobil-Telefon‘ präsentiert, bevor das Handy seinen Siegeszug antritt. Exemplarisch wird dies im Folgenden im Blick v.a. auf die Schweiz und das hier bis heute „Natel“ genannte Mobiltelefon nachgezeichnet, das mithin namentlich auf diese Geschichte verweist: Als „Nationales Autotelefon“ steht das damit bezeichnete Mobiltelefonsystem beispielhaft für eine mit dem Transportmittel des Automobils verbundene Geschichte mobiler Kommunikation.39 Diese Geschichte des Autotelefons ist als Teil einer (wie deutlich wurde) uneinheitlichen Geschichte mobiler Kommunikation zu begreifen, innerhalb derer, modellhaft, vier sich überlagernde (Sub-)Geschichten unterscheidbar sind: Zum einen die Geschichte des im frühen 20. Jahrhundert verfolgten Konzepts des (mobilen) drahtlosen „Radiotelephons“ und des 38 39
Böhme, Hartmut: Netzwerke: Zur Theorie und Geschichte einer Konstruktion. In: Zeitschrift für Germanistik, 1/2003: 590-604, hier: 601. Der Fokus bleibt somit auch in diesem Kapitel begrenzt, historisch auf die Schweiz als Fallbeispiel im Vergleich mit weiteren europäischen Ländern sowie vereinzelt den USA. Zur vorliegenden Darstellung der Schweizer Mobiltelefongeschichte s. Herlyn, Gerrit: Die erreichbaren Abwesenden. Mobile Telefonie in der Schweiz. In: Museum für Kommunikation (Hg.): Telemagie. 150 Jahre Telekommunikation in der Schweiz. Zürich 2002: 169-197.
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Sprechfunks; zum zweiten die Geschichte des Autotelefons seit der Mitte des 20. Jahrhunderts (bis zum „C-Netz“ bzw. „Natel C“ der 1980er Jahre); zum dritten die Geschichte der zellulären Mobiltelefonie, die praktisch in Deutschland wie der Schweiz mit dem (analogen) „C“-Netz beginnt, als Konzept jedoch auf die Nachkriegszeit zurückgeht; und zum vierten die Geschichte des Handys, seines Wandels und seiner beispiellosen Verbreitung als digitales Portable seit der Mitte der 1990er Jahre. Seitdem hat sich das ‚ubiquitäre‘ Handy in den Alltag eingelagert, und es markiert, als Phänomen einer Kommunikation ‚wo auch immer‘ und einer „connected presence“, ein Neues der tele-medialen Verhältnisse von Präsenz und Absenz, Nähe und Ferne, Hier und Dort.40 Ein zweiter Abschnitt widmet sich diesem Räumlichen mobiler Kommunikation, ausgehend von der Frage nach dem „Wo“, die mobile Telefongespräche kennzeichnet und die sich zugleich paradigmatisch auf ein wiederkehrendes Moment des räumlichen Umbruchs beziehen lässt, das sich heute mit mobilen Kommunikationsmedien verbindet. Die Frage nach Konturen eines räumlich Neuen der mobilen Kommunikation wird in einem letzten Abschnitt weiterverfolgt und auf das bereits bei Knies greifbare Moment einer dezentralen Verflechtung bzw. auf die Figur des „mobilen Netzes“ bezogen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, inwiefern sich die Räumlichkeit mobiler Kommunikation adäquat in einem – seit der Frühzeit der Telegraphie prominenten – Modell des Netzes erfassen lässt.
V o m d r a h tl o se n V e r k e hr m i t F a hr z e u g e n „Drahtloser Telephonverkehr mit Fahrzeugen“ lautet der Titel eines Vortrags des PTT-Chefbeamten H. Abrecht an der Schweizerischen Tagung für elektrische Nachrichtentechnik 1951, der die Einführung eines Systems zur Telephonie im Automobil zum Thema hat. Die Vorstellungen dieser Zeit weisen jedoch, wie sich Abrechts Ausführungen entnehmen lässt, bereits über dieses Thema hinaus. Ist doch über den drahtlosen Telephonverkehr mit Fahrzeugen viel gesprochen und geschrieben worden. In Tageszeitungen und Fachzeitschriften liest man immer wieder von Neuerungen auf diesem Gebiet, vom Telephon in der Eisenbahn und im Auto bis zum Telephon in der Westentasche, wobei oft zwischen Wirklichkeit und Phantasie kein grosser Unterschied mehr gemacht wird. Gewiss 40
Licoppe, Christian: ‚Connected‘ presence: the emergence of a new repertoire for managing social relationships in a changing communication technoscape. In: Environment and Planning D: Society and Space, 22 (2004), 1: 135-156.
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sind heute die bestehenden Anlagen Vorboten dessen, was uns die Zukunft bringen mag, doch sind wir noch lange nicht so weit, dass jedermann sein Telephon beliebig mit sich herumtragen kann.41
Im diesem Bild Abrechts sind erneut jene Visionen greifbar, die bereits im früheren 20. Jahrhundert mit der drahtlosen Sprachübertragung verbunden sind – so grundsätzlich bereits im 1908 von Zacharias und Heinecke formulierten Ideal „möglichst einfacher“, „billiger“ und „leichter“ Apparate einer zukünftigen „drahtlosen Telephonie“ für „transportable Zwecke“, als explizites Leitbild wiederum 1923 in der Schilderung Fürsts eines Telephonierens „vom Schiff, vom Eisenbahnzug, ganz allgemein von irgendeinem bewegten Fahrzeug aus, ja auch während eines Spaziergangs“. Gleichwohl hat sich 1951 gegenüber diesen Visionen die Ausgangslage entscheidend verändert. So ist die Vorstellung etwa Zacharias‘ und Heineckes vor dem Hintergrund einer frühen „knallenden Funkentelegraphie“ zu sehen, in der mit den von den Autoren beschriebenen Anlagen Fessendens erstmals eine drahtlose Übertragung auch von Tönen und Sprache „mit Sicherheit jetzt auf etwa 16 km“ möglich geworden ist. Begriffen wird diese als eine „drahtlose Telephonie“ bzw. „Radiotelephonie“, und sie wird in erster Linie als eine zukünftige Ergänzung des drahtgebundenen Telephonnetzes betrachtet: Von „grossem Werte sein“, so Zacharias und Heinecke, wird die drahtlose Telephonie „z.B. für Kolonien, Landwirtschaft, Kriegszwecke, Schiffsverkehr und den telephonischen Fernverkehr, bei dem die teuren Leitungsanlagen wegfallen.“42 Diese am existierenden Telephon ausgerichtete Vorstellung der drahtlosen Sprachübertragung informiert bis zur Zeit der Publikation Fürsts die technische Entwicklung. Der Versuch, die elektromagnetischen Wellen der drahtlosen Radio-Technik für eine dialogische Telephonie zu nutzen, scheitert jedoch weitgehend am Problem „to stop telephone eavesdropping“, wie der Titel eines 1914 erschienenen Aufsatzes formuliert.43 „Die Verwendung des Radiotelefons für ein Gespräch zwi41
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Abrecht, H.: Drahtloser Telephonverkehr mit Fahrzeugen. In: Technische Mitteilungen (im ff. zit. als: TM), 10/1951: 392-398, hier: 392. Zur zeitgleichen Thematisierung des Autotelefons in der BRD vgl. Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O.: 231. Zacharias/Heinicke: Praktisches Handbuch der drahtlosen Telegraphie und Telephonie, a.a.O.: 228f. Zur Ablösung der frühen „Funken“Technik zur Erzeugung elektromagnetischer Wellen durch den Lichtbogen-Apparat Valdemar Poulsens (1903) vgl. Fuchs: Anfänge der drahtlosen Telegraphie im Deutschen Reich 1897-1918, a.a.O.: 121. Literary Digest, Okt. 1914, zit. nach Peters, John Durham: Das Telefon als theologisches und erotisches Problem. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hg.): Telefonbuch. Frankfurt a. M. 2000: 61-82, hier: 79,
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schen einzelnen Individuen“, so folgert 1922 Herbert Hoover, „ist eine aussichtslose Idee. Es ist offensichtlich, dass von zehn Millionen Beteiligten, die über den Äther nach ihren Gefährten rufen, keiner eine erfolgreiche Verbindung zustande bringen wird [...]“.44 Der „Äther“ wird stattdessen zu einer Domäne des „broadcast“ oder „Rundfunk“, der in der Folge das Frequenzspektrum mit einer wachsenden Zahl spezifischer Funksysteme teilt, geregelt seit 1926 durch internationale Wellenpläne.45 Dabei etabliert sich drahtlose Sprachübertragung v.a. als Medium der interkontinentalen Telephonie, die bis zu den ersten submarinen Telephonkabeln in der Mitte des 20. Jahrhunderts drahtlos übertragen wird, sowie als Militär-, Flug- oder Polizeifunk. In diesem Rahmen werden seit den 1930er Jahren drahtlose Sprechfunksysteme auch im Automobil realisiert – in der Schweiz werden 1938 erstmals zwei Polizeifahrzeuge mit entsprechenden Anlagen ausgerüstet –, während sich für die private Nutzung zur selben Zeit Rundfunkempfänger im Automobil verbreiten.46 Bleibt eine öffentlich zugängliche Telekommunikation im Fahrzeug oder gar auf dem Spaziergang damit bis zum Ausgang des Zweiten Weltkriegs ein weitgehend unrealisierbares Konzept, so führt die militärische Entwicklung der Kriegsjahre dazu, dass nach Kriegsende drahtlose UKW-Techniken und portable Sende- und Empfangsgeräte verfügbar und nunmehr auch für zivile Zwecke nutzbar sind. Tatsächlich sind solche, wie Abrecht in seinem Vortrag festhält, seitdem gar „im freien Handel erhältlich“; womit aus staatlicher Sicht die Frage der Regulierung aufgeworfen ist.47 So wird 1948 durch eine Verfügung die Erstellung drahtloser Anlagen in der Schweiz dem Monopol der PTT unterstellt, um ein Nebeneinander privat betriebener Funksysteme zu verhindern. Ein Jahr später kündigen die PTT die Einführung eines drahtlosen Telephonverkehrs mit beweglichen „Telephonstationen in Fahrzeugen“ an: Dieser „wird eingerichtet, sobald in einem Ortsnetz wenigstens 5 fahrbare Sta-
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Anm. 26. Das Telephon ist seinerseits zu dieser Zeit nicht nur dialogisches Kommunikationsmedium, sondern dient auch zur Übertragung von Musikaufführungen; vgl. Höflich, Joachim R.: Telefon: Medienwege – von der einseitigen Kommunikation zu mediatisierten und medial konstruierten Beziehungen. In: Fassler, Manfred/Halbach, Wulf R. (Hg.): Geschichte der Medien. München 1998: 187-255, hier: 192ff. Zit. nach Peters: Das Telefon als theologisches und erotisches Problem, a.a.O.: 79. Vgl. Coe: Wireless Radio, a.a.O.: 26ff. u. 52ff; Hagen: Das Radio, a.a.O.: 67ff. u. 185ff.; Hartmann: Globale Medienkultur, a.a.O.: 125ff. Vgl. HJN III, a.a.O.: 371; zur Verbreitung des Autoradios in den 1930er Jahren vgl. Coe: Wireless Radio, a.a.O.: 88; Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O.: 143. Abrecht, H.: Drahtloser Telephonverkehr mit Fahrzeugen, a.a.O.: 392.
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tionen zum Verkehr angemeldet sind.“ Realisiert wird damit ein nun auch für private Zwecke (d.h. ausserhalb staatlicher Institutionen) nutzbares Telefon im Automobil, das – gegen monatliche Abonnementsgebühren von 18 Fr., für ortsfeste drahtlose Anschlüsse 15 Fr. – einen Anschluss an das bestehende Telephonnetz bietet.48 Die Schweiz folgt mit diesem System anderen Ländern, allen voran den USA, wo bereits im Sommer 1945 die Einführung eines öffentlichen „new two-way, auto-to-anywhere radio-telephone for U.S. motorists“ durch AT&T angekündigt wird, das ein Jahr später in St. Louis unter dem Namen „Mobile Telephone Service“ (MTS) seinen Betrieb aufnimmt. MTS ist ein Wechselsprechfunk-System – und insofern kein Telefon im engeren Sinne –, das innerhalb eines Stadtgebiets erlaubt, über eine Vermittlungszentrale Sprechverbindungen herzustellen. Die rund 40 kg. schweren Stationen benötigen für ihren erheblichen Strombedarf die Autobatterie, weshalb die Nutzung nur bei laufendem Motor möglich ist. MTS wird in 25 Städten der USA eingeführt; parallel dazu werden weitere Frequenzen für die Autotelefonie anderen, konkurrierenden Radio Common Carriers zugeteilt. Hinzu kommen Highway-Systeme, welche die Strassenverbindungen zwischen den Städten abdecken.49 Das System bietet, wie alle frühen Autotelephone dieser Zeit, eine äusserst beschränkte Kapazität. Während sich in den Städten, in denen es eingeführt wird, jeweils Wartelisten bilden, entwirft D. H. Ring bei Bell Laboratories 1947 das Konzept des zukünftigen zellulären Systems, welches das zentrale Problem dieser limitierten Kapazität, die Frequenzknappheit, umgehen soll. Wird das versorgte Gebiet, so das hier beschriebene und Ende der 1970er Jahre erstmals realisierte Prinzip, in Zellen aufgeteilt, so lassen sich die Frequenzen in nicht direkt benachbarten Zellen wiederverwenden. Aus einem radialen Gebiet um einen Sender wird so eine Struktur kleinteiliger Zellen, die aneinander angrenzen.50
48 49
50
TM, 1/1949: 44; zur ersten Einrichtung eines solchen Systems 1949 in den „Funk-Taxis“ der Zürcher Firma Welti-Furrer vgl. TM, 9/1950: 371f. Vgl. Farley, Tom: The Cell-Phone Revolution. In: American Heritage: Invention and Technology Magazine, 22 (2007), 3: 8-19 (http://www. americanheritage.com/articles/magazine/it/2007/3/); ders.: Mobile Telephone History. In: Telektronikk, 2005, 3/4: 22-34; Coe: Wireless Radio, a.a.O.: 103. S. Ring, D. H.: Mobile Telephony – Wide Area Coverage (Case 20564). Memorandum vom 11. Dez. 1947, online unter http://www.privateline. com/archive/Ringcellreport1947.pdf; vgl. hierzu Farley: Mobile Telephone History, a.a.O.: 23. Wartelisten begleiten die Geschichte des Mobiltelefons bis zur Lancierung von GSM. Sie existieren freilich ebenso für Festnetztelefone, so auch in der Schweiz, wo das Maximum wartender Telefoninteressenten 1975 mit 45.000 Einträgen in der Warteliste
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In Europa entstehen um 1950 weitere Autotelefonsysteme, u.a. in Holland und in Schweden, die von der Schweiz aus vergleichend begutachtet werden; so beispielsweise das Holländische System, das, wie Abrecht in seinem Vortrag referiert, mit 24 Sendestationen eine nationale Reichweite bietet und an das zu dieser Zeit „etwa 70 Teilnehmer angeschlossen sind“. Insgesamt, so Abrechts Fazit seines Überblicks, scheine „ein ziemliches Durcheinander von verschiedenen Systemen zu bestehen“; die Schweiz orientiert sich dabei am vergleichsweise ambitionierten Modell einer weitgehend automatischen, simultan (also nicht als Wechselsprechfunk) funktionierenden, mobilen Telefonie. Ermöglicht wird somit den Schweizer Teilnehmern ein Telefonieren vom Fahrzeug aus nahezu wie im Festnetz; dies allerdings für eine limitierte Gesprächsdauer von maximal „3 oder 6 Minuten“ und eine Anzahl von höchstens 30 Teilnehmern, deren Empfang sich auf ein Gebiet von 10 bis maximal 25 km. im Umkreis des jeweiligen Senders beschränkt.51 Bis 1975 werden 62 solche Systeme in der Schweiz installiert, die insgesamt 1300 Teilnehmer bedienen. Für breitere Kundenkreise wird Mitte der 1950er Jahre „Autoruf/appel des automobiles“ eingeführt, prinzipiell, so eine Definition der PTT-Zeitschrift, „nichts anderes als eine drahtlose Personensuchanlage grossen Ausmasses in Verbindung mit dem öffentlichen Telephonnetz“: Ein im Fahrzeug eingebautes Gerät empfängt ein einfaches Rufsignal, worauf man den vermuteten Absender vom nächsten öffentlichen Telephon aus anrufen kann.52 Das EinwegSystem Autoruf bindet somit den Besitzer des Empfängers nicht nur telemedial an den Rufenden – spätere solche „Piepser“ bzw. Pager werden um 1990 in Deutschland auch als „elektronische Hundeleinen“ bezeichnet –, sondern auch ans Automobil. Um letzteres zu umgehen, entstehen wiederum Umleitungsmöglichkeiten für eintreffende Autoruf-Signale auf Taschenempfänger, die als Mietgeräte auf dem Schweizer Markt angeboten werden.53 Aus der Sicht der PTT wie der Kunden ist der seit 1958 flächendekkend verfügbare „Autoruf“ v.a. eine Abhilfe gegenüber den Kapazitätsproblemen des Autotelefons wie auch seiner begrenzten Reichweite; er ist zudem bedeutend günstiger. Das System begegnet dabei einer stark wachsenden Nachfrage nach Telekommunikation im Automobil, bedingt
51 52 53
erreicht wird; vgl. Trachsel, Rudolf: Ein halbes Jahrhundert Telekommunikation in der Schweiz. Aarau 1993: 105. Zur Technik des Systems s. Häni, Paul: Drahtlose Telephonie für den Verkehr mit Fahrzeugen. In: TM, 5/1951: 168-177. PTT-Zeitschrift, 5/1958: 156; vgl. Herlyn: Die erreichbaren Abwesenden, a.a.O.: 173; HJN II, a.a.O.: 749f. Vgl. TM, 11/1977: 519; zum Pager als „Hundeleine“ Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O.: 245.
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schon allein durch die Massenmotorisierung: Zwischen 1950 und 1970 steigt in der Schweiz die Anzahl der zugelassenen Personenwagen von rund 147.000 auf knapp 1.4 Mio., bis 1975 auf 1.8 Mio.54 Zur selben Zeit wird die Einführung von „Natel“ geplant, einem nun national verfügbaren Autotelefonsystem. Natel operiert auf einer Frequenz von 160 MHz, ist auf eine Kapazität von bis zu 10.000 Teilnehmern in fünf Teilnetzen ausgelegt und liegt seit 1974 weitgehend fertig entwickelt vor, wird jedoch aufgrund der Wirtschaftskrise und des Defizits der PTT erst vier Jahre später realisiert. Diese Verzögerung wiederum wirkt sich, wie die Neue Zürcher Zeitung in einem Bericht zur Einführung des Systems hervorhebt, dahingehend positiv aus, dass die Geräte aufgrund der gewonnen Entwicklungszeit nicht nur günstiger geworden sind als zunächst angenommen – einschliesslich des Einbaus ist mit 8400 Fr. zu rechnen –, sondern auch kompakter: Im Angebot ist nun auch eine „leichte, tragbare“ Natel-Kofferversion für die Nutzung ausserhalb des Automobils.55 Mit „Natel“ wandelt sich zugleich die Vorstellung der Kunden von Autotelefonen gegenüber den zuvor mehrheitlich von Taxibetrieben u.ä. genutzten Systemen; so ablesbar beispielsweise an der Darstellung von Natel, dem „Telefon für unterwegs“, 1976 in der Hauszeitung des NatelLieferanten Autophon: Während andere im Auto nur Zeit verlieren und im stockenden Verkehr auch noch die Nerven, hält der Natel-Besitzer von seinem Wagen aus die Dinge im Fluss. Er ruft ins Geschäft an, macht einen Termin ab mit einem Kunden oder bestellt das Nachtessen auf halb acht. Und auch er selbst ist nicht mehr unerreichbar, sobald er hinter dem Steuer sitzt. [...] Mit dem Autotelefon gewinnt man Zeit, kann sich früher auf neue Situationen einstellen und sofort reagieren – abgefahren heisst nicht mehr abgeschnitten.56
1978 wiederum wirbt Autophon in der Zeitschrift „Pionier“, dem Organ des Eidgenössischen Übermittlungstruppen und Feldtelegraphen-Offi54 55
56
Bundesamt für Statistik, Fahrzeugbestand 1910-2000, http://www.bfs. admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/02/22/publ.Document.48969.xls. Neue Zürcher Zeitung vom 4. April 1978: 31; 1983 lanciert die Firma BBC zudem Natelstar, ein Kompakt-Auto-Koffertelefon mit Akku in der Grösse 48x12x37 cm; vgl. [Anon.:] Schon wieder Neues zum Thema Autotelefon. In: kommunikation, 2/1983: 24. Zur verzögerten Einführung von Natel vgl. Trachsel: Ein halbes Jahrhundert Telekommunikation in der Schweiz, a.a.O.: 104; zum technischen System vgl. Wey, Emil: Das schweizerische Autotelephonsystem. In: TM, 9/1970: 367-380; ders.: NATEL, das schweizerische Autotelephonnetz. In: TM, 7/1979: 236-252; Kobelt, Christian: An der Strippe. In: radio-tv-electronic, 4/1978: 63-66. Autophon Hauszeitung, 3/1976: 15.
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ziere, mit der Illustration eines telefonierenden Geschäftsmanns am Steuer und der Bildunterschrift „Wer von seinem Auto aus jederzeit um die halbe Welt telefonieren kann, ist mit Natel von Autophon unterwegs“. Natel, so der weitere Text, ermögliche, „endlich überall und jederzeit erreichbar“ zu sein, mit „New York“ genauso telefonieren zu können „wie mit einem Geschäftspartner in der Schweiz“, es ist „bequem und macht mich mobiler“; und das Unternehmen selbst fordert auf: Sprechen Sie mit Autophon, wenn Sie informieren müssen oder Informationen brauchen, wenn Sie gesehen oder gehört werden wollen, wenn Sie die richtige Verbindung mit oder ohne Draht brauchen, wenn Sie warnen, überwachen oder einsatzbereit sein müssen.57
Ob Natel bei den so avisierten potentiellen Kunden tatsächlich auf Interesse stösst, gilt im Vorfeld – wie auch die verzögerte Einführung des Systems anzeigt – nicht als sicher; das 1978 im Raum Zürich eröffnete erste Teilnetz trifft jedoch von Anfang an auf deutlich mehr Nachfrage als erwartet. Während die PTT in den folgenden Jahren die weiteren Teilnetze erstellen, wird bereits ein Parallelnetz (genannt „Natel B“) wie auch ein zusätzliches Ortsnetz in Zürich eingerichtet, um der Nachfrage gerecht zu werden. Auch in diesen beiden Netzen müssen indes, wie ein Rückblick 1984 festhält, aufgrund der „turbulent[en]“ Teilnehmerentwicklung „bereits nach kurzer Zeit [...] Teilnahmesperren erlassen werden“.58 Natel stösst so wiederholt nach kurzer Zeit an die Grenze der Kapazität. Seitens der Kunden führen die Überlastungen zu wiederkehrenden Reklamationen; mit den begehrten Natel-Anschlüssen wiederum kommt es in der Folge, nach einem Bericht der Schweizerischen Handelszeitung 1985, auch zu privatem Kleinhandel durch Verkauf per Inserat an den Meistbietenden.59 Das grundsätzliche Problem des Autotelefons ist mithin, in der Schweiz wie anderswo, die begrenzte Kapazität, die sich in den späten 1970er Jahren in gravierender Weise bemerkbar macht. So sieht 1977 Georg Eisenhut, Ingenieur der deutschen Bundespost, die „Zukunft des Fernsprechers“ für mobilen Betrieb grundsätzlich nicht in einem Autooder Mobiltelefon, sondern in einer Art Steckdosensystem: Für das Telefonieren unterwegs werde es eher eine Lösung mit einem „Portable“ in der Art eines leichten Telefonhörers und einem Stecker nebst einem 57 58 59
Pionier 1/1978 (Heftrückseite). Müller, Fritz: Neue Funkrufdienste und neues Mobiltelefonsystem in der Schweiz. In: TM, 9/1984: 308-316, hier: 308. Vgl. Bahnmüller, Kurt: Drei Schweizer und die Wikinger. In: Schweizerische Handelszeitung vom 28. Feb. 1985: 61; zu den Reklamationen Herlyn: Die erreichbaren Abwesenden, a.a.O.: 177ff.
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„Plastikkärtchen“ geben, wofür man überall – auf öffentlichen Parkplätzen, entlang der Autobahnen, in Spitälern, Hotels usw. – eine öffentliche Steckdose der Bundespost finden werde, als ein Autotelefon, dessen „Teilnehmerkreis ohnehin wegen der zunehmenden Frequenznot auf ein paar Zehntausend beschränkt bleiben muss [...]“.60 Zur selben Zeit verändern sich indes nicht nur die technischen, sondern auch die telekommunikationspolitischen Voraussetzungen der mobilen Telefonie: 1981 startet mit dem Nordic Mobile Telephone (NMT 450, das auf dem Frequenzband 450 MHz operiert) in Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen erstmals ein zelluläres und zugleich multinationales mobiles Telefonsystem, woraufhin Mobiltelefonie in diesen Ländern unerwartet hohe Wachstumsraten verzeichnet. Ein Jahr später wird die europäische Arbeitsgruppe „Groupe Spéciale Mobile (GSM)“ gegründet, die erste Planungsarbeiten für jenes zukünftige europäische digitale System aufnimmt, für das seit 1979 das Frequenzband um 900 MHz reserviert ist.61 In der Schweiz hat diese veränderte Situation ein Umdenken zur Folge, indem man sich – wie zur selben Zeit auch in anderen Bereichen der Nachrichtentechnik – nach Möglichkeiten einer internationalen Kooperation umzusehen beginnt. Da sich eine solche mit den Nachbarländern nicht abzeichnet, entscheidet sich die Schweiz 1985 für die Übernahme des skandinavischen NMT-Systems, dessen weiterentwickelte Variante „NMT 900“ – nun im Frequenzband 900 MHz – 1987 unter dem Namen „Natel C“ in der Schweiz in Betrieb genommen wird.62 Natel C steht für die Schweiz mithin für eine erste Internationalisierung der Mobiltelefonie und damit für nicht weniger als eine gewandelte „Grundphilosophie“: Spricht der Leiter des Natel C-Projekts F. Müller davon, dass das System gerade „nicht eine schweizerische Speziallösung darstellen“ sollte, so kommt darin der grundlegende Wandel gegenüber jenem Prinzip einer ‚Schweizerischen‘ Telekommunikationstechnik zum 60
61 62
Eisenhut, Georg: Die Zukunft des Fernsprechers. In: Archiv für deutsche Postgeschichte, 1/1977: 224-240, hier: 238f. Das zu dieser Zeit betriebene bundesdeutsche B-Netz, das 1972 das 1958 in Betrieb genommene ANetz abgelöst hat, bedient Ende der 1970er Jahre rund 13.000 Teilnehmer und ist kaum noch ausbaufähig; vgl. Schiller, Jochen: Mobilkommunikation. München 2000: 31; Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O.: 232. Vgl. zu NMT und zur GSM-Geschichte Agar: Constant Touch, a.a.O.: 44ff. u. 56ff. Vgl. Müller, Fritz: Natel C, das neue Mobiltelefonsystem in der Schweiz. In: TM, 10/11/1987: 485-494. Das bundesdeutsche Mitte der 1980er Jahre eingeführte zelluläre C-Netz ist ein eigenes System, das sich vom französischen zeitgleichen System „RC 2000“ unterscheidet, während England wiederum ein eigenes „TACS“-System einführt.
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Ausdruck, das, durch die Kriegs- und Nachkriegsjahre geprägt, noch bis in die 1980er Jahre hinein Gültigkeit behält.63 So wird etwa 1979 bei der Inbetriebnahme von Natel ausdrücklich betont, dass es sich bei den Apparaten und Vermittlungsanlagen um „Erzeugnisse der einheimischen Industrie“ handelt, – während im selben Jahr Sonys Walkman exemplarisch für eine zunehmend globalisierte Welt elektronischer Produkte steht.64 Das internationale System Natel C verbindet in der Folge die Schweizer und die „Wikinger“ – wie es in einer Zeitung heisst – in einer telekommunikativen Beziehung eigener Art, die nicht nur Kapazitätsprobleme löst, sondern auch erstmals Mobiltelefone u.a. skandinavischer Produktion auf dem Schweizer Markt auftauchen lässt, darunter ein Talkman der Firma Nokia-Mobira, tragbar bei einem Gewicht von 4,5 kg., sowie deren „Handheld-Modell“ Cityman, 750 g. schwer und ausgerüstet mit einer Batterie für eine Stunde Sprechzeit. In der Schweiz werden damit Handgeräte bereits mit dem Start von Natel C verfügbar.65 Innerhalb eines Jahres wird, neben den leistungsfähigeren grösseren Geräten, eine Vielzahl von nurmehr rund 500 g. schweren Handtelefonen angeboten, und eine Fachzeitschrift stellt bündig fest: „Die Handgeräte sind im Vormarsch“.66 Im April 1991 werden in der Schweiz mehr „Han63
64 65
66
asut – Seminar 1987. Mobiltelefonsystem Natel C und Funkrufsysteme. Generaldirektion PTT, Bern. Referent: F. Müller, Ing. HTL, Sektionschef Teilnehmeranalagen. Historisches Archiv und Bibliothek PTT, Bern, Sign. Tele – 004 A 0003. Vgl. zur gewandelten Grundphilosophie, hier am Beispiel der Entwicklung der digitalen Telefonie, Gugerli, David: Die Entwicklung der digitalen Telefonie (1960-1985). Die Kosten soziotechnischer Flexibilisierung. In: Museum für Kommunikation (Hg.): Telemagie, a.a.O.: 154-167, hier: 166f. Vom erwähnten Modell der nationalen Technik zeugt beispielhaft ein 1956 publizierter Artikel des Telekommunikations- und Feldtelegraphiedirektors Gustav Adolf Wettstein, endend mit dem Zitat des Radarpioniers Emile Girardeau: „Tout arrêt d’un pays dans la voie de la technicité le condamnerait à la perte définitive de son indépendance, au déclin fatal de son économie, ce qui veut dire renoncement à la liberté, et misère pour toute sa population.“ Wettstein, Gustav Adolf: Installations à usages multiples des services de télécommunications sans fil. In: PTT-Zeitschrift, 9/1956: 345-349, hier: 349. Wey: NATEL, das schweizerische Autotelephonnetz, a.a.O.: 236. Bahnmüller: Drei Schweizer und die Wikinger, a.a.O. In Deutschland verzögern dagegen sowohl eine Verordnung, die bis 1988 den Betrieb an einer Auto- oder Bootsbatterie vorschreibt, als auch die Zellengrösse des deutschen 450 MHz-C-Netzes die Verbreitung von Handgeräten; vgl. Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O.: 231ff.; 258f. Zum Talkman und zum Cityman vgl. Kobelt, Christian: Innovatives Finnland. In: TM, 6/1987: 324-328, hier: 328. Stampa, W.: Ein Jahr Natel C – wo stehen wir? In: Information. Fachzeitschrift für Office Management, 10/1988 (Okt.): 38-45, hier: 39.
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dys“ verkauft als Autotelefone; die „Telefonzwerge“ oder der „Kleine[] Mann am Ohr“ machen zu dieser Zeit rund einen Viertel aller mobilen Telefonanschlüsse aus.67 Während der Planungen zu Natel C ist diese Entwicklung noch kaum absehbar. So stützen die PTT in den Jahren 1984-87 ihre Schätzungen der zukünftigen Teilnehmerentwicklung zunächst auf Prognosen zum weiteren Wachstum des Autoverkehrs ab und nehmen hierbei 1984 eine Anzahl von rund 4 Mio. Automobilen für das Jahr 2001 an (gezählt werden 2001 tatsächlich über 3,6 Mio. Personenwagen und insgesamt 4,7 Mio. Motorfahrzeuge) sowie eine Ausstattung von 2-4% mit Telefonen, was eine Anzahl von max. 163.000 Teilnehmern des geplanten Netzes ergibt.68 1985 korrigiert man diese Teilnehmerprognose nach oben und rechnet nun mit einer vergleichbaren Verbreitung bereits für das Jahr 1995. 1987 schliesslich rechnet man, gestützt auf Daten aus Skandinavien, bereits für 1993/94 mit einer rund doppelt so hohen Anzahl von 300.000 Teilnehmern und erreicht damit eine Prognose, welche die tatsächlich folgende Entwicklung vorwegnimmt. Zugleich ist deutlich geworden, dass Natel C, so der Projektleiter, „primär nicht ein Autotelefon-, sondern ein allgemeines Telefonnetz für mobile (auch tragbare) Apparate“ darstellt.69 Parallel zu dieser Entwicklung vom Auto- zum tragbaren Mobiltelefon verändert sich in den späten 1980er Jahren das publizierte Bild der Natel-Nutzungen wie der Nutzenden. Illustrationen in der Presse zum Thema zeigen nun nicht mehr den Geschäftsmann am Steuer wie im Beispiel der Natel-Werbung zehn Jahre zuvor, sondern Männer in lässiger Freizeitkleidung, die im Freien telefonieren oder neben dem Auto stehen, die tragbaren grösseren Modelle in der Art von Fototaschen an die Schulter gehängt. Daneben finden sich Bilder erstmals auch von mobiltelefonierenden Frauen, und zwar im besonderen dort, wo die Entwicklung zum zunehmend kompakten oder tragbaren Telefon im Vordergrund steht. Ein frühes Beispiel hierfür liefert die Illustration in einem Fachmagazin, die 1983 ein Paar im Cabriolet zeigt, die Frau auf dem Beifahrersitz telefonierend mit „Natelstar“. Die Bildunterschrift verspricht
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Rehsche, Michael:„Kleiner Mann am Ohr“. Handys auf dem Vormarsch. In: Schweizer Handels Zeitung vom 20. Juni 1991: 67-68. Die Preise für Handgeräte lagen zu dieser Zeit zwischen 2900 und 5000 Fr. Vgl. Müller: Neue Funkrufdienste und neues Mobiltelefonsystem in der Schweiz, a.a.O.: 313; Bundesamt für Statistik, Fahrzeugbestand 19102000, a.a.O. Müller: Natel C, das neue Mobiltelefonsystem in der Schweiz, a.a.O.: 485; vgl. 494; Schweizerische Technische Zeitschrift, 13/1985: 37.
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Spass an der Freude: das Kompakt-Autotelefon Natelstar gewährt völlige Bewegungsfreiheit. Weil kein fest eingebautes Bediengerät mehr nötig ist, können Beifahrer oder Passagiere auf dem Rücksitz telefonieren, ohne den Fahrer zu behelligen.70
1988 wird etwa das „Hand-funk-Telefon“ „Cobolt C“ der oben erwähnten Firma Autophon in einer Fachzeitschrift mit der Fotografie einer telefonierenden (Geschäfts-)Frau vorgestellt.71 1991 wiederum versieht die Schweizer Handels Zeitung ihren Artikel zum digitalen europäischen System GSM unter dem Titel „Start in eine neue Kommunikationsära“ mit der Fotografie einer Frau mit Handtasche und Handy.72 Das „Global System for Mobile Communications“ GSM wird anlässlich der Messe Telecom 91 in Genf erstmals in einer Pilotanlage realisiert, und es ist, als Signatur einer „neuen Kommunikationsära“, bereits im Vorfeld mit hohen Erwartungen verbunden. Mit diesem System wird, wie 1992 in den Technischen Mitteilungen der PTT zu lesen ist, „das Tor zur grenzenlosen mobilen Kommunikation aufgestossen [...] und der uralte Wunsch des Menschen, ortsunabhängig, schnell und beweglich Informationen auszutauschen, wird greifbar.“ Im Zug der Mobilität als „Ausdruck unserer Zeit“ sei „[…] die mobile Kommunikation fast unbemerkt in unser tägliches Leben vorgedrungen und bereits aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken“.73 Dies gilt tatsächlich 1992 erst für wenige; es weist jedoch auf die Erwartungen hin, die sich an das Neue der digitalen Mobiltelefonie knüpfen. Von diesen ist ebenso im erwähnten Artikel der Handels Zeitung die Rede, so von „[w]eltweite[r] Erreichbarkeit an jedem Ort“, handlichen und „für die persönlichen Bedürfnisse des Benutzers programmierbar[en]“ Geräten und kombinierten, am Nutzer orientierte „Pakete[n]“ unterschiedlichster Dienste: Das Ziel dabei ist die absolute Mobilität und ständige Erreichbarkeit mit bester Qualität und einfacher Handhabung. Der Mensch wird ins Zentrum gesetzt: Er braucht sein Leben nicht mehr dem Dienstangebot anzupassen, sondern die Dienste werden sich ihm anpassen.74
Der offizielle Schweizer Start des GSM-Systems, bezeichnet als „Natel D“, erfolgt 1993 anlässlich des Genfer Autosalons. Die „Fahrzeug- oder 70 71 72 73 74
[Anon.:] Schon wieder Neues zum Thema Autotelefon, a.a.O. Vgl. Stampa: Ein Jahr Natel C – wo stehen wir?, a.a.O. Cunz, Peter H.: Start in eine neue Kommunikationsära. In: Schweizer Handels Zeitung vom 21. Feb. 1991: 53. Heutschi, Walter: Natel von A bis Z. In: TM, 10/1992: 410-413, hier: 412. Cunz: Start in eine neue Kommunikationsära, a.a.O.
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tragbare[n] Mobilstationen“, vorab noch als Geräte „1“ und „2“ klassifiziert, spielen in der Folge, im Gegensatz zu den reinen Handgeräten (den Klassen 3-5), jedoch eine bald geringe Rolle: 1995, als die Anzahl NatelTeilnehmer insgesamt rund 400.000 erreicht, werden, wie ein Artikel der PTT-Revue festhält, „praktisch nur noch die kleinen und handlichen ‚Handies‘ verkauft.“.75 Der „Autoruf“ ist zugleich mehreren Funkruf- bzw. Pager-Diensten mit portablen Kleinstempfängern gewichen, die nun auch Kurzmitteilungen von bis zu 80 Zeichen empfangen können; 1995 sind schweizweit rund 100.000 solche Pager im Einsatz. Das Unternehmen Telecom PTT bietet Paging u.a. unter dem Namen „Telepage Swiss“ an und zielt v.a. auf geschäftliche Kunden ab; die Beispiel-Textnachricht in einer Werbebroschüre 1995 etwa lautet: „Sitzung 9. Mai 9 Uhr Zi. 506 Danke“, verknüpft mit dem Motto: „Mobilisieren“, „Disponieren“, „Informieren“. Darüber hinaus wird die Eignung der Pager für private Nutzungen etwa „als Erinnerungsdienst, als Rufer für Kinder bzw. Eltern und als Hilferuf“ erwogen sowie für Zusatzdienste wie „Nachrichten oder Börsendaten“. Im selben Jahr wird, unter dem Namen „Natel message“, SMS als neuer Dienst eingeführt, der – zur Zeit der GSM-Spezifikationen kaum mit Erfolgserwartungen verbunden – den Pagern in der Folgezeit rasch den Rang abläuft.76 Um die Mitte der 1990er Jahre ist damit aus den einstigen drahtlosen Tele-Medien des Autotelefons und Autorufs ein multimediales Handy geworden, das in den folgenden Jahren, innerhalb Europas zuerst in den skandinavischen Ländern, in England und in Italien, zum Massenphänomen wird. In letzteren Ländern wird dabei das Handy früh auch für private und familiäre Zwecke vermarktet und im liberalisierten englischen Markt über die Subventionierung der Geräte verbilligt; zugleich werden vergünstigte Abonnements eingeführt, so z.B. in Italien 1993 ein Familientarif. In der Schweiz wird im selben Jahr „Natel C private“ als preisgünstiges „Natel für jedermann“ lanciert; 1996 folgt die Prepaid Karte. In den folgenden Jahren versechsfacht sich die Anzahl Natel-Teilnehmer
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Heutschi, Walter: Mobilkommunikation heute und morgen. In: PTT Revue, 6/1995: 24-29, hier: 27; zu den Geräteklassen Stadelmann, Toni: Natel D GSM, das digitale paneuropäische Mobilkommunikationssystem. In: TM, 9/1991: 383-401, hier: 386. Heutschi, Walter: Mobilkommunikation heute und morgen, a.a.O.: 28; vgl. [Telecom PTT]: TELEPAGE: Für Nachrichten, die ankommen. 1995. Historisches Archiv und Bibliothek PTT, Bern, Sign. P-337-65d1995; [dies.]: Natel message: Ihr digitales Mobiltelefon verarbeitet neu auch Textmeldungen. Sind Sie jetzt sprachlos? 1995. Ebd. Sign. P 33768d-1995; zur Spezifikation von SMS vgl. Trosby, Finn: SMS, the strange duckling of GSM. In: Telektronikk, 2004, 3: 187-194.
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von einer halben Million im Mai 1996 auf 3 Millionen im November 2000.77 Die Geschichte dieser beispiellosen Verbreitung ist in unterschiedlicher Weise geschrieben worden; so ist sie in hohem Mass auch eine Wirtschaftsgeschichte, die, wie Jon Agar gezeigt hat, ebenso von sinkenden Telefontarifen und den Strategien der liberalisierten Unternehmen zu handeln hat wie von den preissteigernden Effekten des Handy-Booms auf den global gehandelten Rohstoff Coltan u.a. aus den Kriegsgebieten des Kongo.78 Auch in dieser Hinsicht ist das Handy zweifellos zu einem globalen Gegenstand geworden, ebenso wie in Bezug auf seine ‚ubiquitäre‘ Verbreitung auf allen Kontinenten. Nach UNCTAD-Angaben hat die Anzahl der Mobiltelefonverträge Ende 2008 weltweit rund 4 Mrd. erreicht, und dieses Wachstum ist nach wie vor nicht abgeschlossen.79 Parallel zu dieser Verbreitung popularisierte sich seit der Mitte der 1990er Jahre das Mobiltelefon, u.a. über die Jugendkultur, und es wurde zugleich popularisiert in einem Diskurs, der es als einstiges Statussymbol einer Wirtschaftselite demontierte. So gelten Handys in den 1990er Jahren auch als Geräte von Angebern oder als anrüchig; in Schlagern und Feuilletonartikeln reimt sich „Handy“ auf „Dandy“ oder auch auf „trendy“; zugleich verbreiten sich Urban Legends, die von Notfallsituationen etwa im Stau handeln, in denen sich das vermeintlich rettende Mobiltelefon des Automobilisten vor dem eigenen Wagen als Attrappe entpuppt.80 Dieser Diskurs bezieht sich zunächst auf die visuelle Semiotik des getragenen, zur Schau gestellten Handys selbst.81 Er geht jedoch ein in die überaus breiten Debatten über das mobile Telefonieren in der Öffentlichkeit bzw. den Anstoss am (lauten, demonstrativen, unkultivierten, 77
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81
Herlyn: Die erreichbaren Abwesenden, a.a.O.: 187; vgl. 189.; zu England vgl., eingehend, Agar: Constant Touch, a.a.O.: 78ff.; zur internationalen Verbreitung vgl. ferner Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O.: 270ff.; Haddon (Hg.): Communications on the Move, a.a.O.; zum interkontinentalen Vergleich Castells, Manuel et al.: Mobile Communication and Society, a.a.O.: 7ff. Vgl. zum Rohstoff Coltan (Columbit-Tantalit oder Tantalum), dessen Preis sich in den 1990er Jahren verzehnfachte, und zu den sog. Coltankriegen im Kongo Agar: Constant Touch, a.a.O.: 13f. Vgl. http://www.unctad.org/ (Pressemitteilung vom 22. Okt. 2009). Vgl. zur Verbreitung von Urban Legends um die Handy-Attrappe Caron/Caronia: Moving Cultures, a.a.O.: 219f.; Herlyn: Die erreichbaren Abwesenden, a.a.O.: 188; zum „trendy“ Handy in Liedtexten populärer Musik der 1990er Jahre vgl. Museum für Kommunikation (Hg.): Telemagie, a.a.O., CD-Beilage (Teil 3). Vgl. hierzu (exempl.) die Schilderung in Schneider, Manfred: Im Informationsnetz gefangen: Mobiltelefon und Message-Machines. In: Kemper, Peter (Hg.): Handy, Swatch und Party-Line. Zeichen und Zumutungen des Alltags. Frankfurt a. M. und Leipzig 1996: 11-24.
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unnötigen, grenzen- und sinnlosen) Telefonieren ‚überall‘, der u.a. die Forderung nach einem Handy-Knigge laut werden lässt. Das Mobiltelefon, einst exklusives Gerät von dem, der „was zu sagen hat“ – so eine deutsche Werbung 1990 –, wird nun assoziiert mit unnötigem Geplapper, „totaler“ Kommunikation und dem hemmungslosen Geschwätz von „Plaudertaschen“, während der eigene Handybesitz zugleich etwa über das Argument des Nötigen bzw. des Notfalls legimitiert wird.82 So provoziert das öffentlich genutzte Handy ein- und ausgrenzende „Distinktions-“ und „Legitimationsdiskurse“, die Unterscheidungen aufspannen zwischen dem Nötigen und dem Unnötigen des Handybesitzes bzw. der Kommunikation selbst.83 Den breiten Debatten v.a. über das in der Öffentlichkeit genutzte und bemerkbare Mobiltelefon gegenüber ungleich weniger beachtet, lagert sich mobile Kommunikation seit den 1990er Jahren ebenso im Stationären der Büros und im Privaten der Wohnungen ein. Das Handy markiert seitdem Präsenz in Sitzungs-, Schul-, Schlaf- und Kinderzimmern ebenso wie, nach wie vor, im fahrenden „Wohnzimmer“ des Automobils. Es ist auch und gerade diese ‚Ubiquität‘, in der das Mobiltelefon nicht nur über die einstigen Tele-Medien des Autorufs und Autotelefons, sondern auch über die Visionen Fürsts und Abrechts längst hinausgewachsen ist. Das Automobil wiederum ist derweil, neben seiner Vernetzung durch Autoradio und Mobiltelefon, zum rollenden Satellitenempfänger geworden wie zum Gegenstand einer Verkehrstelematik, die sich vom kybernetischen „automatischen Verkehr“ der 1970er Jahre bis zu den heutigen Formen der dezentralen Selbstüberwachung und Nutzung von Navigations-, Informations- und Unterhaltungssystemen entwickelt hat.84 Insofern ist das Auto seinerseits ein prototypischer Ort des „drahtlosen Verkehrs“ geblieben.
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So (exempl.) [Anon.] Plaudertaschen. In: Facts, 12/1999: 96-108; Eckert, Heinz: Kommunikation total? In: Basler Zeitung magazin, 16. April 1994; Lütkehaus, Lutger: Das Handy und der Handy. In: Neue Zürcher Zeitung, 25. Juni 1998; Autotelefon-Werbung zit. nach Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O.: 234. Burkart: Handymania, a.a.O.: 93f. Vgl. Canzler, Weert: Telematik und Auto: Renn-Reiselimousine mit integrierter Satellitenschüssel. In: Mitteilungen. Verbund sozialwissenschaftliche Technikforschung, 20/1998: 107-127; Kuhm, Klaus: Moderne und Asphalt. Die Automobilisierung als Prozess technologischer Integration und sozialer Vernetzung. Pfaffenweiler 1997, bes.: 111ff.; 168ff.
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W o b i s t du ? K o m m u n i k a ti o n , K o o r d i n at i o n u n d K o n tr o l l e „Die philosophische Frage lautet genaugenommen nicht mehr: Wer bin ich wirklich?, sondern: Wo befinde ich mich jetzt?“ (Paul Virilio, Rasender Stillstand)
Am 16. Mai 1901 hält Marconi in London vor der Society of Arts einen Vortrag, in dem er die anwesenden Wissenschaftler im Detail über seine erfolgreichen Arbeiten auf dem Feld der drahtlosen Telegraphie unterrichtet. Im Anschluss entwickelt sich eine Diskussion der Anwesenden unter der Leitung des Physikers und Elektroingenieurs William Ayrton, der in seiner eigenen Wortmeldung eine früher formulierte Prophezeiung wiederaufnimmt: „Although still far away“, so die schriftliche Wiedergabe dieses Beitrags, he thought they were gradually coming within thinkable distance of the realization of a prophecy he had ventured to make four years before, of a time when if a person wanted to call to a friend he knew not where, he would call in a loud, electromagnetic voice, heard by him who had the electromagnetic ear, silent to him who had it not. „Where are you?“ he would say. A small reply would come, „I am at the bottom of a coal mine, or crossing the Andes, or in the middle of the Pacific.“ Or, perhaps, in spite of all the calling, no reply would come, and the person would then know that his friend was dead. Let them think of what that meant, of the calling which went on every day from room to room of a house, and then think of that calling extending from pole to pole; not a noisy babble, but a call audible to him who wanted to hear and absolutely silent to him who did not, it was almost like dreamland and ghostland, not the ghostland of the heated imagination cultivated by the Psychical Society, but a real communication from a distance based on true physical laws.85
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Electrical Review, 29. Juni, Vol. 38, 1901: 820; vgl. hierzu den Abdruck des Vortrags von Marconi unter dem Titel Syntonic Wireless Telegraphy in den vorangehenden Ausgaben der Electrical Review vom 15. und 22. Juni, Vol. 38, 1901: 754-756 u. 781-786. Der angeführte Abschnitt ist auszugsweise zit. in Hamill, Lynne: Introduction. In: dies./Lasen (Hg.): Mobile World, a.a.O.: 1-8, hier: 4; zur erwähnten ersten Formulierung der Vision Ayrtons, verbunden mit derjenigen, dass „copper wires, guttapercha covering and iron sheathings will be relegated to the museum of antiquities“, vgl. Marvin: When Old Technologies Were New, a.a.O.: 157.
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William Ayrton, der selbst, gemeinsam mit seiner Frau Hertha Ayrton – der späteren Preisträgerin der Royal Society – zum Elektromagnetismus forschte, imaginiert die gerade entstehende drahtlose Telegraphie als eine zukünftig unbeschränkt verfügbare akustische Verbindung zwischen Zweien.86 So wie im 17. und 18. Jahrhundert die vorgestellten magnetischen „Sympathienadeln“ zwei Liebende verbinden, wo immer sie sich aufhalten, ermöglichen nun die traum- wie geisterhaften Tele-Medien der elektromagnetischen Stimme und des elektromagnetischen Ohrs eine synchrone Erreichbarkeit des anderen, die jede Distanz überwindet. Das drahtlose und ubiquitäre Telefon tritt, so vorgestellt, an, jenen Traum von einer scheinbar unmittelbaren dialogischen Verbundenheit einzulösen, der die Medien der Telekommunikation immer schon begleitet hat. Als ein Rufen nach dem Gefährten, das dieser hört und beantwortet, „wo“ immer er sich befindet, steht es für ein Medium, das jede räumliche Trennung ebenso überspringt wie jedes Zwischen des Medialen selbst. „Ich will, dass nie etwas zwischen uns kommt“, so heisst es in diesem Sinne 2002 im Werbetext eines europäischen Telekommunikationskonzerns neben dem Bild eines sich durch eine Glasscheibe hindurch ansehenden Liebespaars.87 „So nah, als wär man da“, wirbt um die Jahrtausendwende ein deutscher Mobiltelefon-Anbieter.88 Und es ist ja tatsächlich das dialogische telefonische Medium, das, mehr noch als andere Tele-Medien, eine solche wahrgenommene Unmittelbarkeit konstituiert, indem es eine akustische „Präsenz“ herstellt, begreifbar als eine „perceptual illusion of non-mediation“. Das Telefon macht, wie Jens Ruchatz hervorgehoben hat, über die „Sinnlichkeit der Stimme [...] nachrichtentechnische Synchronie tatsächlich als mediales Dabeisein erfahrbar.“ 89 – So nah, als sei man „da“. Dieses „da“ des Telefons fällt jedoch weder mit einem der getrennten Orte der beiden Kommunizierenden zusammen, noch hebt es diese auf: Wenn das Telephon, wie es in einem Kommentar zur Frühzeit des Mediums heisst, voneinander Entfernten zu sprechen erlaubt, als befän86 87 88
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Hertha Ayrton erhielt 1906 für ihre Arbeiten die Hughes-Medaille. In: Telekommunikation Perspektiven. Sonderausgabe der Schweizerischen Technischen Zeitschrift, 2002: 25. Zit. nach Hirte, Jennifer: In weiter Ferne – so nah. Wie Kommunikationsmedien in Fernbeziehungen genutzt werden und diese strukturieren. In: Beck, Stefan (Hg.): Technogene Nähe. Ethnographische Studien zur Mediennutzung im Alltag. Münster 2000: 117-129, hier: 117. Ruchatz, Jens: Das Telefon – ein sprechender Telegraf. In: Kümmel et al. (Hg.): Einführung in die Geschichte der Medien, a.a.O.: 125-149, hier: 145. Zum angeführten Begriff von „Präsenz“ (nach Matthew Lombard und Theresa Ditton) vgl. Sándor, Klára: Mental Safety in Your Pocket. In: Nyíri Kristóf (Hg.): A Sense of Place. The Global and the Local in Mobile Communication. Wien 2005: 179-190, hier: 181.
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den sie sich „in demselben Raum“, so tritt dieser Raum des telefonischen „da“-Seins vielmehr zu ihnen als ein Drittes hinzu.90 Die Verbundenheit der beiden Kommunizierenden setzt das Dritte voraus, das sie miteinander verbindet bzw., wie es im oben zitierten Werbetext von 2002 einige Zeilen weiter unten heisst, dafür sorgt, „dass Sie miteinander in Kontakt bleiben. In diesem Sinne gehören auch wir zu Ihrem Beziehungsnetz“. Als das, was die Verbindung konstituiert, kommen Medien dazwischen. So steht das in Ayrtons Vision herausgestellte nunmehr schrankenlose calling grundsätzlich nicht nur für Verbindung, sondern auch für eine Trennung oder Spaltung, indem das Telefon, so Jonathan Steuer, eine akustische Form „virtueller Realität“ generiert, – oder auch eines „Cyberspace“, der ja, nach Gibson, so etwas ist wie „the place where [a] telephone call takes place“.91 Nicht erst Computernetze oder VR, sondern bereits das Telefon transportiert die Erfahrung eines virtuellen Raums, indem es das Vermittelnde des Mediums selbst als einen Ort des medialen „da“-Seins erscheinen lässt. Wer telefoniert, ‚teilt seine Präsenz‘; das Telefon verbindet mithin nicht nur entfernte Kommunizierende miteinander, sondern steht auch für eine Trennung oder Spaltung des eigenen Hier, womit sich die Rede vom Virtuellen der Medien, ihrer Ortlosigkeit usw. auch und zunächst auf das Telefon beziehen liesse.92 Vermittelt das Telefon in dieser Weise die Erfahrung einer geteilten Präsenz oder, in den Worten Merleau-Pontys, dessen, „wiewohl hier verbleibend, ‚ganz woanders‘ [zu] sein“, so steht es damit zugleich für eine Erfahrung des gelebten Raums überhaupt, bzw., wie Münker formuliert hat, für eine „ontologische[] Grundverfasstheit des Menschen“ als eines Wesens, das über sich und seinen Körper „hinausdenken“ kann.93 Das Virtuelle des Telefons wie auch die Kontingenz des „Wo“ einer mobilen Kommunikation (im „dreamland“ und „ghostland“ eines ubiquitären „calling from a distance“) sind insofern, ebenso wie die Erfahrungen des Cyberspace, nicht Virtualisierungen einer Präsenz, die als ein ihnen vorangehendes einheitliches hic et nunc begreifbar ist, sondern realisieren eine über diese Präsenz immer schon hinausweisende Erfahrung des Raums. Sind wir doch nicht erst durch das Medium der Schrift, sondern auch durch die mündliche Sprache in der Lage, über uns ‚hinaus‘ zu den90 91 92
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Zit. nach Ruchatz: Das Telefon – ein sprechender Telegraf, a.a.O.: 145, Anm. 67. Steuer: Defining Virtual Reality, a.a.O.: 77f.; vgl. zu Gibson o., Kap. IV. Das freilich, zumindest als drahtgebundenes Medium, kaum in dieser Weise diskursiviert wurde; vgl. Ruchatz: Das Telefon – ein sprechender Telegraf, a.a.O. Münker, Stefan: Vermittelte Stimmen, elektrische Welten. Anmerkungen zur Frühgeschichte des Virtuellen. In: ders./Roesler (Hg.): Telefonbuch, a.a.O.: 185-198, hier: 190.
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ken und zu sprechen: Im Gegensatz zum Zeigen auf Anwesendes steht die Sprache gerade für die Möglichkeit, Abwesendes zu bezeichnen, wie auch für diejenige, ein situatives „Hier“ der eigenen Präsenz relational auf ein Anderswo zu beziehen; so impliziert die Rede von einem „Hier“ selbst ja bereits ein solches mögliches Anderswo (eines Dort oder eines anderen Hier). Sprechen eröffnet, wie im Blick auf das Telefon Werner Konitzer betont hat, grundsätzlich einen „Bereich möglicher räumlicher Bezugnahme überhaupt“; es ist nicht reduziert auf einen situierten Raum des hic et nunc, sondern ermöglicht eine raumzeitliche Bezugnahme, die sich von diesem löst. So wird in der sprachlichen Aussage aus dem Ort eines Hier etwa eine relational zu einem Objekt bzw. durch seine Verhältnis zu Dingen bestimmte Raumstelle („at the bottom of a coal mine“). Grundsätzliche Bedingungen dieser Möglichkeit, räumlich über sich ‚hinaus‘ zu denken bzw. zu sprechen (und der räumlichen Bezugnahme überhaupt) sind Bewegung und Gedächtnis. „Wer nur hier ist“ (und nie woanders war), „wäre“, wie Bernhard Waldenfels hervorgehoben hat, „nicht einmal hier.“94 Ist ein tele des möglichen Anderswo somit der Sprache immer schon inhärent, ist damit die Bedingung auch dafür gegeben, dass wir sprachliche Aussagen räumlich – nach der von Konitzer verwendeten Formulierung – „dehnen“ und sie an Abwesende richten können; sei dies durch mündliche Boten oder durch telefonische Übertragung bzw., dem Bild Ayrtons folgend: ein calling nicht nur „from room to room of a house“, sondern „extending from pole to pole“. Telefonieren lässt sich, so Konitzer, als eine „besondere Form“ eines „gedehnten“ Sprechens kennzeichnen. Als „besondere Form“ ist Telefonieren dabei zunächst zu betrachten, indem es ein Medium nicht des einseitigen Rufens ist, sondern technisch zwei miteinander verschränkte Übertragungen realisiert, die in der Wahrnehmung Telefonierender zu einem Gespräch verschmelzen, als befänden sie sich „in demselben Raum“. Wer anruft, ruft gleichsam die andere Person in die Präsenz dieses virtuellen akustischen „da“.95 Das Telefon überträgt zudem nicht sprachliche Äusserungen, sondern ein Abbild der Stimme. Es ist hierbei, wie Hans-Dieter Bahr betont hat, eher ein „Ent-Fernsprecher“, da die übertragene Stimme am Telefon nicht fern ist, sondern vielmehr so nah, als sei sie ‚da‘, d.h. im eigenen Zimmer oder gar im eigenen Ohr, – so dass „man nicht selten fragen 94
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Konitzer, Werner: Telefonieren als besondere Form gedehnter Äusserung. In: Geppert et al. (Hg.): Ortsgespräche, a.a.O.: 179-199, hier: 181. Waldenfels: Topographie der Lebenswelt, a.a.O.: 80; vgl. Tischleder/ Winkler: Portable Media, a.a.O.: 102. Vgl. Konitzer: Telefonieren als besondere Form gedehnter Äusserung, a.a.O.: 185. Auf dieses „da“ referiert sprachlich explizit etwa die typische Frage im Störungsfall: ‚bist du noch da?‘
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wird, von ‘woher‘ der Andere denn anrufe, als wolle man mehr als nur eine messbare Distanz zu ihm zurückgewinnen“.96 Das Telefon etabliert eine Spannung von räumlicher Ferne und einer Nähe der Stimme. Es setzt ein räumliches tele voraus, womit es erlaubt, sich telefonisch, so Bahr, den Anderen „vom Leibe zu halten“, und unterläuft dieses zugleich, indem die übertragene Stimme eine Präsenz entfaltet, als sei sie ‚da‘. Es ist diese Spannung des Verhältnisses von Distanz und Nähe, die literarisch etwa Ingeborg Bachmann in der Schilderung einer Protagonistin thematisiert hat, die von einem abgewiesenen Liebhaber aus der Telefonzelle vor ihrer Wohnung angerufen wird. Die Distanz wird hier brüchig: Als die Telefonierende nach einer Stunde Gespräch das „Gefühl“ hat, „dass sie am Auseinanderfallen“ ist, öffnet sie dem Anrufer entgegen ihrer ursprünglichen Absicht die Haustür.97 Über die Stimme hinaus überträgt das Telefon zudem, wie Konitzer hervorgehoben hat, ein Abbild des überhaupt Hörbaren am Ort des Anderen, womit das Telefon, mehr noch als ein Fern- (oder Nah-)sprecher, ein Fernhörer ist; es erlaubt, wechselseitig in das ‚da‘ des Anderen hineinzuhören.98 „[I]f three people are talking at one end“, so ein Handbuch aus der Frühzeit der Telefonie, „each of their voices is distinguished at the other, and you hear them all as if you stood in their presence.“99 Ein solches Fern-Hören kann, wie im Fall der von Konitzer genannten Medien des Radios oder des Hörspiels, Nähe erzeugen; im dialogischen Medium des Telefons steht das im Hintergrund des Anderen Hörbare jedoch v.a. für ein unsichtbares Drittes, das mit dessen telefonischer Präsenz konkurriert (und das, wenn es sich bemerkbar macht, zum Gesprächsthema wird). So durchkreuzt die Stimme eines Dritten im Hintergrund die exklusive Verbundenheit der Telefonierenden, ebenso wie der Telefonanruf seinerseits die Kommunikation zwischen Anwesenden am Ort des Angerufenen durchkreuzt. Das Verhältnis zwischen Telefon- und face-to-faceKommunikation ist, nicht erst seit dem vielbeklagten „forced eavesdropping“ von Mobiltelefongesprächen in der Öffentlichkeit, ein kon-
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Bahr, Hans-Dieter: Der Ent-Fernsprecher. In: TeleKult. Ästhetik & Kommunikation, 26 (1995), 90: 27-30. Bachmann, Ingeborg: Requiem für Fanny Goldmann. In: dies.: Der Fall Franza/Requiem für Fanny Goldmann. München und Zürich 1979: 151192, hier: 163; vgl. Zelger, Sabine: „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“: eine Kulturgeschichte des Telefonierens. Wien u.a. 1997: 251f. Vgl. Konitzer: Telefonieren als besondere Form gedehnter Äusserung, a.a.O.: 184. Zit. nach Ruchatz: Das Telefon – ein sprechender Telegraf, a.a.O.: 145. Explizit auf ein solches „da“ referiert sprachlich z.B. die herkömmliche Frage am Festnetztelefon nach der gesuchten Person: ‚ist x da?‘
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fliktträchtiges.100 Für den Telefonierenden ist dabei der Ort des Anderen wie auch dieser selbst dem Blick entzogen, womit das Telefon nicht nur – wie oben angemerkt – zu seiner Frühzeit aus militärischer Sicht Kritik auf sich zog, sondern immer auch Spielraum für Phantasien wie für Täuschungen über das nicht Sichtbare ‚da‘ des Anderen eröffnet. „Wir sehen eben nicht, was der Andere macht“, so Münker, und „seit der Verbreitung der Mobiltelefone wissen wir nicht einmal mehr, wo er ist.“101 Das „da“-Sein am Telefon ist somit ein grundsätzlich paradoxes, indem das Medium, das verspricht, jede Trennung und Distanz aufzuheben, eine Spaltung der Präsenz mit sich bringt. Wer telefoniert, lokalisiert sich in einer Weise, die nicht mit sich zur Deckung kommt, und ist in der telefonischen Kommunikation auf einen anwesenden wie abwesenden Anderen bezogen, dessen Ort immer auch verborgen bleibt. Diese Präsenz der Telefonierenden an mehreren Orten zugleich ist als Realisierung einer grundlegenden Erfahrung begreifbar, auch „ganz woanders‘ [zu] sein“, und als Realisierung einer Struktur der Sprache und des Denkens selbst. In dieser Erfahrung ist das alltäglich vorausgesetzte hic et nunc der Präsenz, als „illusion of non-mediation“ und als ein hypothetischer „Anhalt“, immer schon der Möglichkeit der Desillusionierung ausgesetzt, indem dessen Ort als einheitlicher Bezugspunkt ins Schwanken gerät oder unterlaufen wird. Mit Waldenfels lässt sich von einer unaufhebbaren „Kontingenz des Hier und Jetzt“ sprechen, [...] die auf Grund wechselnder Grenzziehungen und kulturhistorisch divergierender Raumordnungen hinter jeder Wo-Frage lauert und die in Situationen der Verunsicherung immer wieder neu aufbricht [...].102
Das „Traum-“ und „Geisterhafte“ des ubiquitären drahtlosen calls, das Ayrton in seiner Vision schildert, markiert eine Kontingenz, die auf eine immer schon hypothetische Figur des einheitlich gegebenen Orts verweist. Insofern steht die stereotype Wo-Frage am mobilen Telefon paradigmatisch auch für jene grundsätzliche Frage nach dem „Wo“, die im besonderen Virilio immer wieder nachdrücklich aufgeworfen hat, als eine Frage nach dem Ort der Präsenz, der immer wieder seine Voraussetzbarkeit verliert: in der Erfahrung veränderter räumlicher Beziehungsgefüge des Verkehrs und des Transports – „wo sind wir, wenn wir reisen?“ – ebenso wie der Tele-Medien und ihrer virtuellen Räume. 100 Vgl. hierzu Zelger: „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“, a.a.O.: 206f.; Höflich, Joachim R.: An mehreren Orten zugleich. Mobile Kommunikation und soziale Arrangements. In: ders./Gebhardt (Hg.): Mobile Kommunikation, a.a.O.: 19-41, hier: 27ff. 101 Münker: Vermittelte Stimmen, elektrische Welten, a.a.O.: 193. 102 Waldenfels: Topographie der Lebenswelt, a.a.O.: 73.
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Trägt man dieser Frage nach dem „Wo“ Rechnung, so ist mobile Kommunikation, über die Figur des Ortsverlusts durch eine Ubiquität oder Mobilisierung wie auch über die einer Wiederkehr des Orts hinaus, als ein erneuter räumlicher ‚Aufbruch‘ anschreibbar, der räumliche Ordnungen und Grenzen in Frage stellt und Beziehungsgefüge der Nähe und Ferne, der Präsenz und Absenz, des Hier und Dort neu konfiguriert. In der Vision Ayrtons ist dieses Neue mobiler Kommunikation als eine ubiquitäre Verbundenheit vorgestellt und zugleich als eine Radikalisierung der telefonischen Spannung von Nähe und Ferne, Erreichbarkeit und Unerreichbarkeit: Die Nähe einer unmittelbaren Kommunikation überwindet die Distanz zum entfernten Anderen mitten auf dem Pazifik, in der Höhe der Anden oder in der Tiefe der Erde; die Erreichbarkeit durch den ubiquitären call steht im Kontrast zur Unerreichbarkeit des Körpers. Weggefallen ist hier nicht, wie in der Vorstellung Fürsts, etwa der „Schlagbaum“ eines drahtgebundenen Apparats, zu dem man sich als anrufende Person begeben muss, sondern vielmehr jegliche Beschränkung der Verbindung zum fernen Anderen (und mithin das Zwischen jeder Apparatur). In dieser Vision steht die Wo-Frage, die hier mit dem Anrufen selbst zusammenfällt, nicht für das Neue einer Kontingenz des Orts (die von Münker genannte Tatsache, dass wir „nicht einmal mehr“ wissen, wo der Andere ist), sondern vielmehr für etwas, das nicht mehr kontingent, sondern voraussetzbar geworden ist, nämlich, dass der Andere „da“ ist, – „wo“ immer er sich befindet. Kommt keine Antwort, ist der Andere tot, womit nachrichtentechnisches „da“-Sein mit dem Dasein schlechthin zusammenfällt.103 Ayrtons Vision zeichnet damit ein exemplarisches Bild jener auch von Engell genannten Vorstellung einer unbegrenzten aktiven Erreichbarkeit, die das Mobiltelefon mit sich bringt. Wahrgenommen als kommunikative Fernbedienung, erscheint das Handy als ein Instrument der ubiquitären Adressierbarkeit des Anderen und der Möglichkeit seines beliebigen Einschaltens. „Wenn niemand abhebt, drehst du durch“, so die Formulierung eines 23-jährigen Teilnehmers einer empirischen Studie, die exemplarisch auf diese imaginäre Verfügbarkeit des Anderen verweist.104
103 Vgl. hierzu die rund 50 Jahre spätere Vision Harold S. Osbornes einer „telephone number for life“, die dieses Bild erneut aufgreift: Wenn der Freund des Anrufenden – nun audiovisuell, in Farbe und 3D – unerreichbar ist, „he will know that the friend is dead“. Zit. nach Linz: Konvergenzen, a.a.O.: 169. 104 Zit. nach Götzenbrucker, Gerit: Jugend im Netz? Effekte mobiler Kommunikation im Alltag Jugendlicher. Eine qualitative Studie im Ballungsraum Wien. In: kommunikation@gesellschaft, 6 (2005), Beitrag 3: 8. On-
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Telefonieren ist in dieser Vorstellung der remote control ein Anrufen ohne ein Angerufen-Werden; dabei fällt die mobile Ubiquität mit einer vorgestellten Allgegenwart bzw. unbegrenzten Reichweite des eigenen Rufs zusammen, nicht aber mit einer ebenso entgrenzten passiven Erreichbarkeit.105 Dem entsprechend ist im Bild Ayrtons der Ort des Anderen mobil bzw. kontingent geworden, während das eigene Hier – wie in der Situation des Fernsehens – vorausgesetzt bleibt. Nicht vorgestellt ist somit die Umkehrung der ‚wo auch immer‘ möglichen ‚Heimsuchung‘ durch den Anderen und das Nicht-Wählbare der passiven Erreichbarkeit: das neue „Gretchen“ Fürsts etwa, dessen Ruhe „hin“ ist, bzw. der doppelte „mobile Imperativ“ (Geoff Cooper), ein Handy zu besitzen und, da man eines besitzt, über dieses auch telefonisch verfügbar zu sein. „Und wenn man das Handy abdreht [sic]“, so die Klage einer ebenfalls 23-Jährigen in der bereits zitierten Studie, „dann fühlt man sich schuldig. Die anderen fragen dann gleich immer, warum hast du dein Handy nicht eingeschaltet. Man muss immer erreichbar sein.“106 Das Handy ist im Blick auf solche, in der empirischen Literatur vielfach dargestellten Ambivalenzen geradezu Verkörperung eines Doppelgesichtigen und Widersprüchlichen der Kommunikationsmedien: Ihres Verbindenden und Trennenden ebenso wie der Ambivalenz der Verbindung selbst, die zwischen der von Ayrton dargestellten Nähe und Verbundenheit und den Erreichbarkeits- wie Kommunikationszwängen einer – gegenseitigen – drahtlosen ‚Hundeleine‘ oszilliert. Ist diese Nähe zum Anderen bei Ayrton im Kontrast zu einem tele seines „Wo“ auf der anderen Seite der Erdkugel und zu einer Unerreichbarkeit des Körpers mitten auf dem Pazifik oder in den Anden vorgestellt, so ist damit zugleich jenes Modell der globalen Raumüberwindung zitiert, das seit der Frühzeit der Telegraphie die Imagination und die Faszination telekommunikativer Techniken prägt: Diese überwinden ein tele der Trennung durch die Meere und der Distanzen um den Erdball; sie bringen, wie Knies im Blick auf die Telegraphie hervorhebt, „[t]rotz der unangemessenen Abstände“ (und damit diese voraussetzend) die Einzelnen „in die gegenseitige Hörweite“; sie schaffen menschliche Verbun-
line-Publikation, http://www.soz.uni-frankfurt.de/K.G/B3_2005_Goetzen brucker.pdf. 105 Vgl. hierzu Flusser, Vilém: Kleine Philosophie der Telefonie. In: ders.: Die Revolution der Bilder. Der Flusser-Reader zu Kommunikation, Medien und Design. Mannheim 1995: 66-74. 106 Cooper, Geoff: The Mutable Mobile: Social Theory in the Wireless World. In: Brown et al. (Hg.): Wireless World, a.a.O.: 17-31, hier: 28; Aussage zit. nach Götzenbrucker: Jugend im Netz?, a.a.O.: 8.
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denheit und lassen die Welt zum Dorf werden.107 Die drahtlose Übermittlung, von Marconi wenige Monate nach seinem oben erwähnten Vortrag erstmals über den Atlantik realisiert, perpetuiert dieses Bild in der Vision etwa der drahtlosen „Welt-Telegraphie“, und die erste drahtlose Sprachübertragung 1915 zwischen dem Pariser Eiffelturm und einer Station in Virginia nährt Vorstellungen drahtloser Fernverbindungen zwischen den Städten der Welt (die später als interkontinentale Verbindungen ja tatsächlich realisiert werden).108 In Ayrtons Vision ist dieses globale Bild einer „communication from a [long] distance“ auf die Ebene einer individuellen Kommunikation übertragen, die unmittelbare Präsenz des eigenen Calls am Ort des fernen Anderen verspricht. In ähnlicher Weise partizipiert an dieser Faszination eines globalen Calling auch und noch die oben zitierte Natel-Werbung, die 1978 verspricht, vom „Auto aus jederzeit um die halbe Welt telefonieren“ zu können, „mit New York“ ebenso wie „in der Schweiz.“109 Diesem Nähe-Ferne-Kontrast gegenüber hat sich mit dem Neuen des mobilen Telefons jedoch v.a. ein anderes räumliches Spannungsverhältnis etabliert. Mobile Telefongespräche sind, wie in der Literatur vielfach hervorgehoben worden ist, typischerweise lokal; es sind Ortsgespräche, die selten ein Anderswo auf der anderen Seite der Erdkugel adressieren, sondern – „nearly a proxy for face-to-face interaction“ – ein ‚tele‘ vielmehr des lokalen und sozialen Nahbereichs.110 Das Spezifische einer mit dem Mobiltelefon verbundenen (Mehr-)Kommunikation und seines „Wo“ ist, mit anderen Worten, eine Telekommunikation weniger des „telephonischen Fern-“ denn eher eines tele-medialen ‚Nahverkehrs‘. Beispielhaft lässt sich dieses räumlich Neue der mobilen Kommunikation anhand der Wo-Frage bzw. des Phänomens des „location telling“ in mobilen Telefongesprächen verdeutlichen: eines Phänomens, das – so 107 Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 242. Wie o. angemerkt, lässt sich, Wobring folgend, dieses globale Bild der Telekommunikation auf die Verbindung von Humanitätsideal und Medientechnik um 1800 zurückführen; vgl. Wobring: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jh., a.a.O.: 42ff. (vgl. o., Kap. II). 108 Vgl. hierzu Hartmann: Globale Medienkultur, a.a.O.: 115-127; Daniels: Kunst als Sendung, a.a.O., bes. 105ff., zum – von Nicola Tesla 1904 verwendeten – Begriff der „Welt-Telegraphie“ ebd.: 100; zum Globalen des Funks um 1915 vgl. auch die Ausführungen zu Apollinaires „Lettre Océan“ ebd. 124ff. sowie in Dünne et al.: Vorwort. In: dies. (Hg.): Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten, a.a.O.: 9-20. 109 In den späten 1990er Jahren ist es das Projekt Iridium, das erneut für dieses Modell einer globalen drahtlosen Erreichbarkeit steht; vgl. (exempl.) hierzu Schmidt, Boris: Ob im Eismeer oder in der Wüste Gobi, Oma ruft an. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. März 1998. 110 Ling: The Mobile Connection, a.a.O.: 111.
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das Fazit vorliegender empirischer Studien zum Thema – weniger auf ein ‚Fehlen‘ der „location“ in der mobilen Kommunikation verweist als vielmehr auf eine funktionale und systematische Heterogenität dessen, wovon als „location“ die Rede ist.111 So kann gemäss den empirischen Befunden „location telling“ am Mobiltelefon, insofern dem Bild Ayrtons vergleichbar, etwa auf einen (lokal, atmosphärisch) besonderen Aufenthaltsort bezogen sein („Ich bin...am Strand...in x“) oder auf situative Bedingungen der räumlichen Umgebung („ich bin am Mittagessen“/„im Zug“) und damit funktional auf die Verfügbarkeit für ein längeres telefonisches Gespräch hinweisen oder auch auf mögliche Probleme der technischen Verbindung. Ebenso kann es sich auf die Verfügbarkeit für Verabredungen oder auf geplante Aktivitäten beziehen („zuhause“, „und um x Uhr gehe ich...“), jenen Verabredungs- und Organisationsgesprächen entsprechend, die für telefonische Kommunikation grundsätzlich typisch sind.112 Darüber hinaus kann es auf gerade stattfindende Aktivitäten referieren, etwa beim Navigieren im Auto („ich bin jetzt...“). Und im besonderen verweist es auf eine mobiltelefontypische Mikrokoordination von Aktivitäten wie von Mobilitäten: auf relational zum (beweglichen) Anderen bezogene proxemische Angaben (etwa des Typs ‚ich bin gleich da‘) und auf wechselseitige Lokalisierungen bis hin zu einer Nahräumlichkeit des Vis-à-vis („...hier in der Cafeteria“ – „ich auch“ – „oh, ja ich sehe dich“). Die „location“, nach der am Handy gefragt wird, so eine Folgerung aus den Studien, ist eine „socially dynamic property“, und die Frage, weshalb danach gefragt wird, nicht einheitlich zu beantworten. Dabei steht das „Wo“ des Mobiltelefons für eine mobile Verbindung nicht nur der Kommunikation, sondern auch der ‚nahräumlichen‘ alltäglichen Koordination: Das Handy fungiert als eine remote control nicht nur des selektiven ‚Einschaltens‘ der fernen Stimme des Anderen, sondern auch der (gegenseitigen) Steuerung: Es koordiniert, funktional, Mobilitäten; es regelt Navigationswege, beweglich gewordene Termine und Treffpunkte und ist Medium par excellence einer „Deregulierung“ und „Flexibilisierung“ beruflicher und privater Planungs- und Verabredungspraxis.113 111 Vgl. hierzu und zu den im Folgenden abgekürzt wiedergegebenen Beispielen Arminen, Ilkka: Location: a socially dynamic property – a study of location telling in mobile phone calls. Vortrag COST Konferenz Helsinki, 3.-5. Sept. 2003 (http://web.mit.edu/bentley/www/mobile/papers/ location.pdf); ders.: Social Functions of Location in Mobile Telephony. In: Personal and Ubiquitous Computing, 10 (2006) 5: 319-323; Laurier, Eric: Why people say where they are during mobile phone calls. In: Environment and Planning D: Society and Space, 19/2001: 485-504. 112 Vgl. hierzu Burkert: Handymania, a.a.O.: 53. 113 Linz: Konvergenzen, a.a.O.: 176.
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Darüber hinaus lässt sich in der wechselseitigen Koordination am Mobiltelefon ein grundsätzliches Moment der Synchronisierung sehen. Agar hat das Handy u.a. in dieser Hinsicht mit der historischen Funktion der Taschenuhr verglichen.114 Ebenso erinnern lässt sich, mit Peter Sloterdijk, an die massenmediale Synchronisierung etwa durch die Fernsehnachrichten, die sich, übertragen auf das Handy, in eine relationale gegenseitige Synchronisierung innerhalb des sozialen Nahbereichs transformiert. Dabei ist das Mobiltelefon, nach einem von Richard Ling und Birgitte Yttri geprägten Begriff, ein Medium nicht nur der Mikro-, sondern auch der „Hyper-coordination“. Bezeichnet ist damit eine übergreifende Dimension, die über praktisch-funktionale Koordination hinaus auch jene am Handy ausgetauschten emotional-phatischen Zeichen des ‚da‘-Seins und der ‚Selbst-Präsentation‘ einschliesst, die gerne als sinnlos, inhaltsleer etc. oder als „zero degree of conversation“ gebrandmarkt werden. Für die synchronisierenden Nachrichten am Handy gilt insofern, ebenso wie, nach Sloterdijk, für diejenigen am Fernsehen, dass „[d]er Hauptsinn von Nachrichten ist, dass sie gesendet werden“.115 Die genannten Beispiele verdeutlichen hierbei das räumliche Spannungsverhältnis einer mobilen Kommunikation, in der sich das tele in den Nahbereich einlagert. Als „nearly a proxy for face-to-face interaction“ zielt mobile Kommunikation nicht ins Globale, sondern interveniert im Lokalen; was sie generiert ist weniger ein Global Village als eine ‚Nahkommunikation‘, die vor die Aufgabe stellt, das tele der Kommunikation anders zu begreifen denn als ein zu Überwindendes globaler bzw. metrischer Distanz. So fungiert in Praktiken der Mikrokoordination das Mobiltelefon als eine remote control, die Räume der Telekommunikation und der Mobilität aneinander koppelt. Wenn in der wechselseitigen Steuerung der Andere am Telefon plötzlich vis-à-vis stehen kann und sich tele-mediale und körperliche Nähe gleichsam kurzschlüssig überlagern, zeigt sich darin exemplarisch das Neue einer mobile Kommunikation, die gewohnte Nähe-Ferne-Relationen unterläuft. Das Handy ist kein sicheres Mittel, sich den Anderen „vom Leibe zu halten“, sondern hebt auch diese Voraussetzung eines tele vielmehr auf.
114 Vgl. Agar: Constant Touch, a.a.O.: 4f., zur Uhr – heute ohnehin Bestandteil des Handys – vgl. auch Ling: The Mobile Connection, a.a.O.: 69ff. 115 Sloterdijk, Peter: Welt-Ortsgespräche. Anmerkungen zum Kultursinn von Mobilitäts- und Kommunikationstechnologien. In: Lamprecht, Rudi (Hg.): Zukunft mobile Kommunikation. Wirklichkeit und Vision einer technischen Revolution. Frankfurt a. M. 2001: 193-244, hier: 226; Ling, Richard/Yttri, Birgitte: Hyper-coordination via mobile phones in Norway. In: Katz/Aakhus (Hg.): Perpetual Contact, a.a.O.: 139-169; de Gournay, Chantal: Pretense of intimacy in France. In: Ebd: 193-205, hier: 201.
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‚Nähe‘ kennzeichnet zugleich das Handy als ein portables, nahe am Körper getragenes Gerät, das für zahlreiche seiner Besitzer zum unverzichtbaren Begleiter geworden ist. Das Mobiltelefon ist ein Medium, das, so Barbara Tischleder und Hartmut Winkler, „gezielt und erfolgreich den Pakt mit den Körpern sucht“. Ohne Handy, so eine stereotype Aussage, fühlt man sich nackt. Neben einem Tele-Koordinationsmedium, das auf die Mobilität und das „Wo“ des Anderen zugreift, ist es eine technique du corps als ein Apparat, der in das Körperschema Eingang findet.116 Man kann diese Körpernähe des personalisierten Handys, mit Bruce Sterling, in einen seit den 1980er Jahren fortgeschrittenen technischen Wandel einordnen: „Technology itself“, so 1986 Sterling, „has changed“. Not for us the giant steam-snorting wonders of the past: the Hoover Dam, the Empire State Building, the nuclear power plant. Eighties tech sticks to the skin, responds to the touch: the personal computer, the Sony Walkman, the portable telephone, the soft contact lens.117
Dieses Hautnahe korrespondiert beim Handy mit der Nähe der telefonischen Stimme des Anderen und der connected presence mobiler Kommunikation. Tom Holert hat anhand eines Songtextes von Rufus Wainwright herausgestellt, wie hierbei die mobiltelefonische Erreichbarkeit selbst, als Erwartung des vibrierenden Anrufs während des Streifens durch die Stadt, einen telefonischen, auf den Anderen gerichteten Zustand herstellen kann, welcher der Nähe des am Körper getragenen Apparats entspricht.118 Das Mobiltelefon generiert nicht eine abgeschlossene Eigenräumlichkeit im Sinne einer (auch mit dem Walkman assoziierten) individualisierten „bubble“, sondern ein Zwischen, das Körper und ein tele der Kommunikation vermittelt. Es spannt sich an einer „Grenzlinie zwischen Körpern und Zeichen“ (Tischleder/Winkler) auf und ist als Objekt im leiblichen Nahraum zugleich Ort der Intervention des Anderen.119 So steht der mobiltelefonische call nicht nur für Verbundenheit oder, so kritisch Chantal de Gournay, für ein Phänomen der „fusional relationships“, sondern auch für die Intervention in eine Sphäre des Privaten. „Sometimes“, so etwa die Aussage einer Frau in einer englischen Studie 116 Tischleder/Winkler: Portable Media, a.a.O.:100; vgl. 98. 117 So Sterling in: Mirrorshades (Vorwort), zit. nach Meyer: Cyberpunk, a.a.O.: 165. 118 Vgl. Holert: „My phone’s on vibrate for you“, a.a.O. 119 Tischleder/Winkler: Portable Media, a.a.O.: 104; vgl. zur „bubble“ Bull: ‚To Each Their Own Bubble‘, a.a.O. Linz zieht für dieses NichtAbgeschlossene die Figur des Cyborgs im Sinne Haraways heran, eines Cyborgs „needy for connection“, vgl. Linz: Konvergenzen, a.a.O.: 188.
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it infringes on your privacy. I mean you want to be left alone and unless you switch the thing off…For example my husband (calls and asks) „Where are you, what are you doing.“ (And I think) „Oh, leave me alone, don’t drive me mad.“120
Auch in Paarbeziehungen manifestiert sich das Mobiltelefon als ein Neues, das, nach einer Formulierung Joachim R. Höflichs, „die bisherigen Nähe-Distanz-Praktiken durcheinander [bringt].“ Es bringt eine Notwendigkeit mit sich, „die Arrangements von Nähe/Distanz [...] neu zu kalibrieren“, indem es sowohl für ein Drittes des medialen Apparats und der sozialen Beziehungen steht als auch für eine ständige gegenseitige mobile Erreich- und Kontrollierbarkeit.121 Dabei ist das Mobiltelefon als Medium der gegenseitigen Kontrolle selbst im Rahmen eines Widersprüchlichen und Ambivalenten der Telekommunikation zu sehen. ‚Kontrolliert-Werden‘ und ‚Kontrolle haben‘ sind grundsätzlich auf beiden Seiten der Verbindung zu lokalisieren. „Generally you have more control if you have a mobile telephone“, meint etwa eine 18-Jährige in der erwähnten Studie von Ling und Yttri, „because your friends can call you all the time.“122 Geoff Cooper hat das Mobiltelefon als eine „indiscrete technology“ charakterisiert: Dies nicht nur in Bezug auf sein Intervenieren im Öffentlichen wie im Privaten, sondern auch und vor allem in Bezug auf seine grundsätzliche Fähigkeit, bestehende Ordnungen und Unterscheidungen in Frage zu stellen. Das Mobiltelefon hat, so Cooper, the capacity to blur distinctions between ostensibly discrete domains and categories, or more precisely to take its place among a number of social and technical developments that have this capacity: not only private and public, but remote and distant, work and leisure, to name but a few. It is not the case that these categories were unproblematic or given prior to the mobile, but the mobile provides one way of linking, and one route to rethinking them.123
120 de Gournay: Pretense of intimacy in France, a.a.O.: 201. Aussage zit. nach Haddon, Leslie/Vincent, Jane: Making the Most of the Communications Repertoire. Choosing between the Mobile and Fixed-Line. In: Nyíri (Hg.): A Sense of Place, a.a.O.: 231-239, hier: 237. 121 Höflich, Joachim R.: Das Mobiltelefon im Spannungsfeld zwischen privater und öffentlicher Kommunikation: Ergebnisse einer internationalen explorativen Studie. In: Glotz (Hg.): Daumenkultur, a.a.O.: 143-157, hier: 145. 122 Zit. nach Ling/Yttri, Birgitte: Hyper-coordination via mobile phones in Norway, a.a.O.: 152. 123 Cooper: The Mutable Mobile, a.a.O.: 24.
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Das Handy ist eine Technik des Unterlaufens von bestehenden Grenzen und insofern eines Mobilen des Indiskreten. Es stellt Kategorien u.a. des Öffentlichen und des Privaten zur Debatte, und es erscheint als ein Neues des Widersprüchlichen und Gegensätzlichen: der Verbundenheit und der Überwachung, des Kontrolliert-Werdens und des Kontrolle-Habens. In seinem spezifischen räumlichen Spannungsverhältnis unterläuft es Oppositionen von Mobilität und Medien, Ferne und Nähe, und es stellt Vorstellungen des tele selbst in Frage. Als Moment dieses Neuen ist das Mobiltelefon seinerseits kein gegebene oder statische Medientechnik, sondern Gegenstand und Teil eines auch kontingenten medialen Wandels, der gerade als solcher – und als ein „moving target“ der Analyse (Steve Woolgar) – bestehende Ordnungen unterläuft.124 Dabei hat sich historisch das Mobiltelefon selbst in Bezug auf sein Verhältnis zu den genannten Domänen und Kategorien „private“/„public“ und „work“/„leisure“ gewandelt, war es doch bis in die späten 1980er Jahre hinein vorwiegend ein business tool und ein Statussymbol männlicher Manager. Das Herauswandern des Mobiltelefons aus dieser Sphäre der geschäftlichen Kommunikation ist historisch wiederum mit seiner zunehmenden Nutzung durch Frauen verbunden; denn im Gegensatz zum Modell des mobilen Geschäftstelefons beginnen Frauen in den frühen 1990er Jahren das Mobiltelefon vielmehr für die Familienkommunikation zu nutzen. Dabei sind es, der US-amerikanischen Studie von Lana Rakow und Vija Navarro zufolge, um 1990 offenbar in hohem Mass Ehebeziehungen, über die Frauen zu Mobiltelefonen kommen; zumindest stellen Rakow und Navarro in ihren 1991 durchgeführten Interviews fest, dass die Mehrheit der von ihnen befragten Frauen ihr Gerät nicht aus eigenem Antrieb, sondern aufgrund eines Entscheids oder eines Geschenks ihrer Ehemänner besitzen.125 Im Vordergrund steht für diese 124 Woolgar, Steve: Mobile Back to Front: Uncertainty and Danger in the Theory-Technology Relation. In: Ling, Rich/Pedersen, Per T. (Hg.): Mobile Communications. Re-negotiation of the Social Sphere. London u.a. 2005: 23-43, hier: 28. 125 Vgl. hierzu und zum Folgenden Rakow, Lana F./Navarro, Vija: Remote Mothering and the Parallel Shift: Women Meet the Cellular Phone. In: In: Critical Studies in Mass Communication, 10 (1993) 2: 144-157; in den USA, wo um 1990 rund 2% der Bevölkerung Auto- oder Mobiltelefonkunden sind, sind (1989) rund 90% der Kunden männlich; vgl. Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O.: 255f.; 266ff. Die von Rakow und Navarro dokumentierte Praxis von Ehemännern, ihren Frauen ein Mobiltelefon zu schenken, findet sich auch in einer von Burkart wiedergegebenen Charakterisierung des Handys 1993 als „Spielzeug“ und Geschenk männlicher Führungskräfte an ihre Frauen; vgl. Burkart, Günter: Mobile Kommunikation. Zur Kulturbedeutung des „Handy“. In: Soziale Welt, 51 (2000): 209-231, hier: 214.
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wie auch für die Frauen selbst das Sicherheitsargument. Praktisch nutzten die befragten Frauen – mehrheitlich Mütter und zugleich berufstätig – das Mobiltelefon jedoch, nach Rakow/Navarro, vor allem, um den Spagat zwischen Familie und Beruf zu bewältigen, indem es ihnen erlaubt, auch während ihrer Abwesenheit für ihre Kinder erreichbar zu sein. Das Mobiltelefon wird, so die Autorinnen, zum Medium eines „parallel shifts“ des synchronisierten Nebeneinander von beruflicher und familiärer Verfügbarkeit und zum Medium eines „remote mothering“ – entsprechend der zur selben Zeit als zukünftige Marketing-Zielgruppe benannten „supermom“ – und eines „being ‚on call‘“ für die Kinder.126 Das Mobiltelefon, so erinnert sich eine alleinerziehende Mutter in einer norwegischen Studie an ihr damaliges voluminöses Koffergerät, „was my babysitter“: I always had that big suitcase with me because that was my best babysitter […]. I worked in a church, evening work, I remember, and then I had that big mobile phone with me and the children were alone at home when I had to work. And that was my babysitter; they could call to me if something happened or if they were afraid or I could call them. I was often the one who called home, but they called me if they needed to say something or if they were afraid […].127
Gegenüber dem Statussymbol Auto- und Mobiltelefon, angeschafft auch, um ‚gesehen‘ zu werden – und dies mitunter auch in Form von Attrappen –, ist in diesen Beispielen das Mobiltelefon ein offenkundig gewandelter Gegenstand:128 Das Telefon im Auto und der Koffer in der Kirche, die Müttern erlauben, ‚an zwei Orten gleichzeitig zu sein‘, sind Apparate, die nunmehr für eine Verbundenheit mit den Kindern stehen, für eine one-toone Beziehung der Nähe, Kontrolle und Verfügbarkeit. Als „babysitter“ sind sie dabei zugleich als eine Erweiterung jener drahtlosen „Babysitter“ begreifbar, die seit den 1980er Jahren als Einweg-Funksysteme mit geringer Reichweite für den Hausgebrauch angeboten werden. Ebenso wie diese stehen sie für ein „being ‚on call‘“, für Mobilitätsgewinn und für die Möglichkeit, ‚dort‘ und ‚woanders‘ zugleich zu sein. Wenn per „babysitter“ oder „Babyfon“ „die Babies“ seitdem drahtlos „Nacht für Nacht [...] auf Sendung“ gehen, wie eine Test-Zeitschrift formuliert, ist hiermit geradezu bildlich jene technische „Nabelschnur“ beschrieben, mit der das Mobiltelefon heute in hohem 126 Rakow/Navarro: Remote Mothering and the Parallel Shift, a.a.O.: 149; 153. 127 Zit. nach Ling: The Mobile Connection, a.a.O.: 43. 128 Vom Einbau einer Autotelefon-Attrappe 1983 in seinen damaligen BMW erzählt etwa der deutsche Fussballer Pierre Littbarski 2002 in einer Fernsehshow; vgl. Herlyn: Die erreichbaren Abwesenden, a.a.O.: 188.
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Mass assoziiert ist.129 „Babyfon“ oder „babycall“ stehen mithin für ein drahtloses Tele-Medium, das, bereits vor dem Handy, im Bereich der sozialen Nähe (schlechthin) interveniert, indem es Funktechnik in die Beziehung zwischen Eltern und Kindern Einzug halten lässt. Dabei sind zu Beginn solche drahtlosen „babysitter“ noch wenig spezifisch, wie sich am Beispiel des ersten in der Schweiz erhältlichen solchen Geräts zeigt, das 1986 als „Neuheit“ des „drahtlosen Babysitter[s]“ angeboten wird, – verkauft, wie auch andere, von den PTT nicht zugelassene Funksysteme dieser Zeit, als „Exportmodell“: Das Gerät ist, im Blick auf sein Design wie auf seine Beschreibung, multifunktional, einsetzbar „auch als Personensuchanlage“ und, mit einer Reichweite von rund 300 m., allgemein „[d]as Überwachungsgerät“.130 Greifbar wird somit hier eine drahtlose Technik, die in ihren Konstellationen, Applikationen und Nutzungen für Unterschiedliches und scheinbar Widersprüchliches stehen kann bzw. gewohnte Gegensätze – zwischen emotionaler Nähe und technischer Überwachung, Kommunikation und Kontrolle – unterläuft. Im Blick auf heutige Formen mobiltelefonischer elterlicher Kontrolle sind es u.a. „location tracking“ Applikationen, in denen dies zum Ausdruck kommt, so das von Günter Burkart erwähnte Produkt „Track your kid“, angeboten neben einem zweiten, technisch verwandten Produkt mit dem Namen „Track your truck“.131 Solche Techniken und Praktiken ordnen sich in eine Familienkommunikation ein, in der heute die Ausstattung der Kinder mit Handys üblich ist. Vorliegenden Angaben zufolge ist das eigene Handy bei 11- bis 12-Jährigen zur Norm geworden, während sich Mobiltelefone ebenso in der Altersgruppe der 6-9-Jährigen verbreitet haben, als Wachstumsmarkt durch ein Sortiment von Kinderhandys bedient, auf die wiederum Spielzeughandys vorbereiten.132 In der Familienkommunikation hat dies die mobiltelefonische Eltern-Kind-Verbindung, gegenüber den erwähnten Praktiken des remote mothering, entschieden erweitert und zugleich die Verbindung von Kindern z.B. zu getrennt lebenden Familienmitgliedern – zu Grosseltern ebenso wie getrennt lebenden Vätern oder Elternteilen –
129 Nächtliche Aufpasser. In: test 11/2005: 68-71, hier: 68. 130 Werbeflyer 1986 (Com-talk GEE-420) B&F Trading, Electronic-Import, Kommunikationstechnik; d. Verf. dankt Herrn T. Blunschy für die Einsicht und Kopie des Dokuments. Das drahtlose „Babyfon“ knüpft seinerseits an die bereits zuvor existierenden drahtgebundenen Modelle an. Zu den Konflikten der 1980er Jahre um unkonzessionierte drahtlose „Exportmodelle“ vgl. Herlyn: Die erreichbaren Abwesenden, a.a.O.: 186f. 131 Vgl. Burkart: Handymania, a.a.O.: 61ff.; zu den genannten Applikationen s. http://www.trackyourkid.de; http://www.trackyourtruck.de. 132 Vgl. hierzu für Deutschland Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: KIM-Studie (http://www.mpfs.de).
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verändert, die sich durch das Handy von der elterlichen oder mütterlichen Vermittlung abgekoppelt. Dabei fungiert das Handy als familiäres Koordinations- und Organisationsmittel ebenso wie als beruhigende ‚Notrufsäule‘; es erweitert potentiell die Spielräume des Kindes, während es sich zugleich in eine (im Blick auf Praktiken des „location tracking“ offenkundig) zunehmende Kontrolle der kindlichen Mobilität einfügt.133 Im Rahmen des „dance of emancipation“ spielt entsprechend das ambivalente Handy eine in der Literatur eingehend thematisierte Rolle als Ort einer laufend verhandelten Balance von Überwachung und Vertrauen, Erreichbarkeit und deren Unterlaufen, Abhängigkeit und Unabhängigkeit.134 Wenngleich auch Teenager in hohem Mass mobil mit den Eltern kommunizieren, markiert das Handy für sie v.a. eine eigene, diskrete Sphäre, die den Eltern entzogen bleibt. „Von der Familie“, so meint etwa eine 12-Jährige in einer Schweizer Studie, ist noch niemand auf die Idee gekommen, ins Handy hineinzugehen. Weil da habe ich Dinge drin gespeichert, auch Leute, die meine Mutter gar nicht kennt [...].135
Eine ebenfalls zwölfjährige Teilnehmerin an einer Studie von Burkart träumt von einem Handy, dessen Nummer ihrer Mutter verborgen bleibt. Ältere Teenager entwickeln wiederum Praktiken, elterliche Anrufe z.B. während des abendlichen Ausgehens gezielt auf Voice Mail umzuleiten. Dem Medium des remote parenting steht das Handy Jugendlicher als eine eigene ‚Fernbedienung‘ des selektiven Ein- und Ausschaltens gegenüber und als Zentrum ihrer Kommunikation v.a. mit Gleichaltrigen.136
133 Manifest auch in einer Zunahme elterlicher ‚Taxidienste‘; vgl. Fotel, Trine/Thomsen, Thyra Uth: The Surveillance of Children’s Mobility. In: Surveillance & Society, 1 (4), 2004: 535-554. Online-Publikation, http:// www.surveillance-and-society.org/articles1(4)/children.pdf. Zur erwähnten Bedeutung des Handys insbes. in Scheidungsfamilien vgl. Ling: The Mobile Connection, a.a.O.: 102f. 134 Vgl. hierzu Ling: The Mobile Connection, a.a.O.: 83-121, zit.: 119; Feldhaus, Michael: Mobile Kommunikation in der Familie: Chancen und Risiken. Empirische Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung. In: Höflich/Gebhardt (Hg.): Mobile Kommunikation, a.a.O.: 159-177, hier: 169f. 135 Zit. nach Süss, Daniel et al.: Jugendliche und Medien. Merkmale des Medienalltags unter besonderer Berücksichtigung der Mobilkommunikation. Forschungsbericht Hochschule für angewandte Psychologie Zürich und Fachhochschule Aargau. Zürich 2003, hier: 90. Zum Adressbuch als symbolisches ‚Haben‘ und als Ein- und Ausschlusstechnik s. Linz: Konvergenzen, a.a.O.: 178ff.; Ling: The Mobile Connection, a.a.O.: 108ff. 136 Vgl. Burkart: Handymania, a.a.O.: 62; Ling: The Mobile Connection, a.a.O.: 120.
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Diese Identität des Handys als Medium eines „Teens’ Underground Life“ ist seinerseits historisch mit jenem Wandel verknüpft, der das Handy, begünstigt u.a. durch die Gerätesubvention und die Prepaid Karte, in den späten 1990er Jahren zum Gegenstand der Jugendkultur mutieren liess.137 Kommunikationsmedium dieses „Underground“ ist massgeblich SMS, – als schriftliches Medium eine Handy-Distanztechnik und zugleich die „Hintertür“ der mobilen Kommunikation, realisiert SMS doch gleichsam, was einst Ayrton in seiner Vision als eine exklusive Adressierung imaginierte, hörbar (bzw. sichtbar) für den Anderen „who wanted to hear and absolutely silent to him who did not“.138 SMS-Kommunikation unterläuft, in Kinder- und Schulzimmern, die Kontrolle der Erwachsenen und ihrer normativen Welt; und sie steht ebenso für eine neue solche Welt, die Jugendliche über das Handy ausbilden, als eine eigene Sphäre sprachlicher Normen, kommunikativer Regeln und Praktiken des Einund Ausschlusses. So hat Richard Harper, im Blick auf die Konventionen in der SMS-Kommunikation z.B. jugendlicher Liebespaare, gar von einer geradezu viktorianisch rigiden „Teenagermoral“ gesprochen. Im Blick auf SMS-Normen finnischer Teenager wiederum wurde u.a. auf eine höchst begrenzte zeitliche Toleranz für das Beantworten von SMS hingewiesen, mit einem feststellbaren „acceptable delay“ von 15 bis 30 Minuten.139 Eine solche „self-regulatory accountability“ ist im Blick auf Praktiken unter Jugendlichen nicht nur in Bezug auf die mobilen Kommunikationen festzustellen, sondern, worauf Nicola Green auf der Basis englischer Studien hingewiesen hat, ebenso in Bezug auf das Gerät selbst: Quite apart from the use of the devices for voice and text communication, monitoring other teenagers’ possession of mobile phones, the brand of phone and service [...] are important ways that teenagers negotiate their status positions [...]. Furthermore, they use the devices to monitor complex and highly dynamic 137 Caron/Caronia: Moving Cultures, a.a.O.: 183. Ein Vorläufer dieser jugendlichen Handy-Kultur war, neben dem Pager, der um die Mitte der 1990er Jahre verschiedenenorts unter Teenagern populär war, der CBFunk der 1970er und 1980er Jahre; vgl. Weber: Das Versprechen mobiler Freiheit, a.a.O.: 238f.; 244ff. 138 Kasesniemi, Eija-Liisa/Rautinainen, Pirjo: Mobile culture of children and teenagers in Finland, In: Katz/Aakhus (Hg.): Perpetual Contact, a.a.O.: 170-192, hier:171. 139 Vgl. ebd.: 186; zu einem vergleichbaren Befund in Tokio vgl. Ito, Mizuko: Mobile Phones, Japanese Youth, and the Re-placement of Social Contact. In. Ling/Pedersen (Hg.): Mobile Communications, a.a.O.: 131148, hier: 145; Harper, Richard: Vom Teenagerleben zur viktorianischen Moral und zurück: Der technologische Wandel und das Leben der Teenager. In: Glotz et al. (Hg.): Daumenkultur, a.a.O: 117-132, hier: 130.
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shifts of peer relationships – where their peers are, what they are doing and, most importantly who they are with.140
Das Handy tritt, und dies offenkundig nicht nur bei Jugendlichen, in mehrfachem Sinn dazwischen. Dies nicht zuletzt in Bezug auf die Beziehung zum Vis-à-vis des Handys und seines Bildschirms selbst, auf den sich – wie allerorts beobachtbar – der Blick und die Aufmerksamkeit richten. Wenn hiermit, ganz im Gegensatz zu William Ayrtons Vorstellung eines zukünftigen scheinbar unmittelbaren Calling, das Zwischen des medientechnischen Apparats selbst zu einem Gegenüber nicht nur der Interaktionen, sondern auch der Emotionen geworden ist – zum unverzichtbaren Accessoire, virtuellen Privatraum, absichernden „type of a lifeline“ usw. – so manifestiert sich darin mit am deutlichsten seine Rolle als Gegenstand gewordenes Präsenzversprechen der Telekommunikation; immer „da“, nah und ‚in touch‘ verbunden ist nicht der Andere, wohl aber das Handy.141
N e tz e u n d F i s c h e Seit Jugendliche in der Stadt in ständigem gegenseitigen Kontakt per Handy stehen, so Beobachtungen in Helsinki, verhielten sie sich „like a school of fish“. Wie ein Fischschwarm navigierten sie durch die Stadt on currents of whim – from the Modesty coffee bar to the Forum mall for a slice of pizza or a movie to a spontaneous gathering at the street corner, or to a party, where SMS messages dispatched on the phone summon other kids or send the group swimming somewhere else.142
Erlaubt die mobiltelefonische „running interaction“ eine Deregulierung von Verabredungen und laufende gegenseitige redirection zwischen Zweien, so auch, wie im hier geschilderten Ausgangsverhalten Jugendlicher, in einem erweiterten Beziehungsgefüge mobiler Kommunikation.143 140 Green, Nicola: Who’s Watching Whom? Monitoring and Accountability in Mobile Relations. In: Brown et al. (Hg.): Wireless World, a.a.O.: 3245, hier: 40. 141 Ling: The Mobile Connection, a.a.O.: 85. 142 Zit. nach Rheingold, Howard: Smart Mobs. The Next Social Revolution. Cambridge, Mass. 2002: 13 u. Townsend, Anthony M.: Mobile Communications in the Twenty-first Century City. In: Brown et al.: (Hg.): Wireless World, a.a.O.: 62-77, hier: 71. 143 Ling: The Mobile Connection, a.a.O.: 192.
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Das Handy als Koordinations- und Navigationsinstrument wird dabei zur Voraussetzung, die anderen – im medialen Raum wie in der Stadt – zu finden, womit ein Leben ohne Handy, wie ein 16-Jähriger in einer Schweizer Studie meint, „nicht gut“ wäre: „Weil man kann ja gar nicht wissen, wo die anderen sind. Wo der Treffpunkt ist von den Kollegen.“144 Da an die Stelle von Verbindlichkeiten mobile Verbindungen getreten sind, hiesse ohne Handy zu sein, so ein Fazit von Mizuko Ito zur Mobilkommunikation Jugendlicher in Tokio, „blind“ durch die Stadt zu gehen, „[...] disconnected from just-in-time information on where and when you are in the social networks of time and place.“145 Das mobile Telefon spannt eine gleichsam mitnehmbare Räumlichkeit telekommunikativer Bezüge auf, die die Einzelnen begleitet und orientiert. Wir sind, nach Leopoldina Fortunati, gleichsam zu Schnecken geworden, die ihr „relational house“ auf dem Rücken tragen.146 Tischleder und Winkler zeichnen in ähnlicher Weise das Bild einer „wie Gummibänder dehnbar“ gewordenen Welt sozialer Nahbezüge, die „als Netz ständig verfügbar“ sind.147 Das Wo und Wann dieser relationalen Räumlichkeit bestimmt sich weniger nach einem festen Gitter zeitlicher oder räumlicher Fixpunkte als durch die gegenseitige mobile Koordination, die zu bestehenden zeitlichen und räumlichen Ordnungen hinzutritt und sie überlagert. Darüber hinaus generiert gerade SMS-Kommunikation durch die Möglichkeiten der Weiterleitung wie auch einer Verbreitung nach dem Prinzip des ‚one-to-many‘ kommunikative Zirkulationen, die den eindeutig begrenz- und kontrollierbaren Kreis der sozialen Nahräumlichkeit (der Gruppe, Familie usw.) immer schon potentiell überschreiten. Am Beispiel des Ausgehverhaltens Jugendlicher wird dies etwa in der Erzählung einer 15-Jährigen in einer norwegischen Studie deutlich:
144 Zit. nach Süss et al.: Jugendliche und Medien, a.a.O.: 90. „Kollegen“ ist im schweizerischen Sprachgebrauch ein Synonym für „Freunde“. 145 Zit. nach Castells et al.: Mobile Communication and Society, a.a.O.: 173. 146 Zit. nach ebd. 147 Tischleder/Winkler: Portable Media, a.a.O.: 100; nach Wolfgang Hagen wiederum wäre eher von einer Art – nunmehr durch eine „risikobehaftete Sicherheit“ der mobilen Konnektivität gekennzeichneten – „Poesiealbum“ zu sprechen; Hagen: Das Ordale und das Parasoziale, a.a.O.: 13. Dieses „Risiko“ lässt sich auf die grundsätzliche Kontingenz der Mobilkommunikation beziehen, mithin nicht nur auf die von Hagen genannte Möglichkeit, dass sich „niemand meldet“, sondern auch darauf, dass sich jederzeit ‚jemand‘ auf unberechenbare Weise melden (und die eigenen Pläne und Wege steuern und durchkreuzen) kann.
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Last week I was at a party at my best friend’s house and suddenly there were people who I had never seen before and it was like ‚Hi, how did they find out about this’? But that was surely the mobile phone [...].148
Das Handy schliesst die Einzelnen nicht nur an eine Welt der vertrauten Nahbeziehungen an, sondern auch an eine halböffentliche Sphäre der Kommunikation, die insofern eher an die Korrespondenzgeflechte etwa zur Zeit Leibniz’ erinnert als an ein Abschliessbares sozialer Nahbezüge; zugleich ist es Medium einer mobilen „just-in-time-information“ und -Koordination, die, nicht nur im Ausgangsverhalten Jugendlicher, Formen der sozialen Synchronisierung prägt. So ist das Handy auch zu einem Medium politischer Mobilisierung geworden, worauf in der Literatur vielfach hingewiesen worden ist, – von der Koordination der WTOProteste 1999 in Seattle bis hin zum Sturz des philippinischen Präsidenten Joseph Estrada 2001 oder den Massenprotesten in Madrid gegen die konservative Regierung 2004.149 Es sind v.a. die philippinischen Massendemonstrationen in Manilas zentraler „Epifanio de los Santos Avenue“, die zum bekannten Beispiel für einen in hohem Mass per SMS verbreiteten und koordinierten Protest geworden sind. Dabei leistet das Beispiel dieses als „people power II“ bezeichneten Protests einer mitunter verklärenden Sicht des Mobiltelefons als Medium einer spontanen ‚Bewegung von unten‘ Vorschub. Dass mobile Kommunikation hier wie in anderen Fällen Formen politischer Mobilisierung geprägt und beschleunigt hat, ist jedoch unbestritten.150 Castells et al. haben im Blick auf solche Phänomene zusammenfassend von einer „emergence of [...] largely spontaneous communities of practise in instant time“ gesprochen, die sich unter Bedingungen mobiler Kommunikation in unterschiedlichsten Bereichen manifestiere, – wozu soziale und politische „ad hoc groupings“ und Mobilisierungen ebenso zählen wie kulturell-ästhetische Formen etwa der Flash Mobs. Das Charakteristische solcher Formierungen sehen diese wie auch weitere Autoren in einem Informellen und Dezentralisierten, das an die Stelle des
148 Zit. nach Ling/Yttri: Hyper-coordination via mobile phones in Norway, a.a.O.:154. 149 Vgl. Townsend: Mobile Communications in the Twenty-first Century City, a.a.O.: 75; Rheingold: Smart Mobs, a.a.O.: 158; Castells et al.: Mobile Communication and Society, a.a.O.: 185ff. (Kap. 7). 150 Vgl. hierzu die Schilderung des Falls in Paragas, Fernando: Dramatextism. Mobile Telephony and People Power in the Philippines. In: Nyíri, Kristóf (Hg.): Mobile Democracy. Essays on Society, Self and Politics. Wien 2003: 259-283. Zur Rolle der hier und im Folgenden ausgeklammerten Handy-Kamera im Rahmen dieses Halböffentlichen mobiler Kommunikation vgl. Linz: Konvergenzen, a.a.O.: 183f.
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Formalen, Fixierten und zentral Organisierten tritt. Das Mobiltelefon, so Anthony M. Townsend, „substituted chaotic, ad hoc decentralized networks for centralized ones“.151 Castells et al. haben die an der zitierten Stelle von Ito beschriebene relationale zeiträumliche Orientierung und Koordination als eine Einlagerung des space of flows in die räumliche Welt des Alltags beschrieben, die in die „Ströme“ der Kommunikation integriert wird, indem diese nunmehr überall Eingang finden und bestehende Orte rekonfigurieren.152 Mobile Kommunikation generiert, so die Autoren, eine mobile Form der Netzwerkgesellschaft, gekennzeichnet durch eine Konnektivität und (dezentrale) Vernetzung, die permanent und überall verfügbar ist. Mit ihr habe sich die technische Plattform einer „network society“ erweitert, […] whose social structure and social practises are organized around microelectronics-based networks of information and communication. […] [T]he mobile communication society deepens and diffuses the network society, which came into existence in the past two decades, first on the basis of networks of electronic exchange, next with the development of networks of computers, then with the Internet, powered and extended by the World Wide Web. Wireless communication technologies diffuse the networking logic of social organization and social practise everywhere, to all contexts – on the condition of being on the mobile Net.153
Das Netz selbst ist mobil geworden und mit ihm eine „network society“; so diese Konzeption, die an Castells’ Theorie der Netzwerke anschliesst: an den space of flows der Computernetze und des Internet, in dem die verteilten Akteure zu hubs und nodes geworden sind, integriert in die Zirkulation von Strömen. Damit wird hier das Mobiltelefon indes zugleich an eine Figur des „Netzes“ angeschlossen, die – wie in den vorangehenden Kapiteln deutlich wurde – keineswegs grundsätzlich neu ist. Kann doch das „Netz“ historisch in gewisser Weise als Bild der „Kommunikation“ schlechthin gelten: als ein Netz, das mit dem Schienennetz der Eisenbahn korrespondiert, mit den Netzen und interkontinentalen Verbindungen der Telegraphie, mit denen des Telefons und des Strassenverkehrs. Als solches ist es seit dem früheren 19. Jahrhundert eine Leitvorstellung des Verkehrs und des Verkehrens, manifest im Saint-Simonistischen Bild der „association 151 Townsend: Mobile Communications in the Twenty-first Century City, a.a.O.: 74; Castells et al.: Mobile Communication and Society, a.a.O.: 249. 152 Vgl. Castells et al.: Mobile Communication and Society, a.a.O.: 171ff. 153 Ebd.: 258; vgl. 245 u. 248.
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universelle“ wie auch in der Vorstellung der Nervenbahnen als Telekommunikationsnetz und der Erde als eines von Nerven und Adern der Drähte und Kabel durchzogenen Körpers. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts finden sich darüber hinaus, u.a. bei Steinheil und bei Knies, Überlegungen zur Topologie des „Netzes“ bzw. zum Neuen eines Übertragungsnetzes elektrischer Kommunikation im Blick auf das Medium der Telegraphie. So bei Steinheil, der 1852 in seiner Planung des Schweizer Telegraphennetzes – wie oben kursorisch erwähnt – ein dezentrales Modell favorisiert und den Vorteil mehrfacher Wege zwischen den Stationen hervorhebt, um die Sicherheit der Übertragung im Störungsfall zu gewährleisten. Wie Steinheil ausführt, kommt es hierzu auf die Länge der 2ten oder 3ten Verbindungslinie gar nicht an. Denn ein Umweg, der selbst mehrere hundert Stunden beträgt, ist im Nu vom Strome durchspuckt, und es erreicht daher der indirekte weitere Weg vollkommen dasselbe was der nächste. Daher muss es bei der Anlage neuer Telegraphennetze ein Hauptaugenmerk bilden, die Linien so zu wählen, dass stets die Korrespondenz auf mehreren, ganz voneinander verschiedenen Wegen möglich wird.154
Rückt damit bei Steinheil in der Planung der Telegraphen die topologische Struktur des Netzes in den Vordergrund, so bei Knies fünf Jahre später in der Analyse der Telegraphen als „Verkehrsmittel“ und „Nachrichtenverkehr“. Knies sieht dabei das Telegraphennetz grundsätzlich als eine Realisierung jenes „Bedürfniss[es] möglichst schneller Beförderung“, das bereits die Post antreibt; es ist dieses Bedürfnis, das die „Herstellung von Transportanstalten“ veranlasst, die „[...] ein gegliedertes Netz darstellen, in dem es keine Unterbrechungen, sondern nur wohlverbundene Übergänge giebt.“155 Dieses Netz kann, nach Knies, einem „Spinnennetz“ ähneln, Modell des Verkehrswesens in Frankreich, das „jede Art von Verkehrsmitteln um seinen Herzpunkt Paris ausbilden“ wird, während dagegen z.B. in den Eisenbahnen Deutschlands „die quadrierte Masche“, also: das Modell des Fischernetzes, vorwiegt, „mit vielen Kreuzpunkten, aus denen einzelne etwas stärker hervortreten.“ Darüber hinaus hebt Knies, wie bereits erwähnt, das Merkmal eines „ambulant“ gewordenen Zentrums im Netz hervor, indem er darauf aufmerksam macht, dass im Telegraphennetz jede Station zur Zentralstation einer Vermittlung „nach allen Linien und Plätzen hin“ werden kann.156 Wie bei 154 Gutachten Steinheils vom 11. Feb. 1852, zit. nach HJN, a.a.O., Bd. II: 848 (vgl. hierzu o., Kap. II). 155 Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O.: 74. 156 Ebd.: 125; 244. Vgl. zum Spinnen- und zum Fischernetz als Grundmodelle und als semantischer Kern von „Netz“ im Deutschen Böhme: Netzwerke, a.a.O.: 590; zu den hier und im Folgenden ausgeklammerten
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Steinheil rücken so um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch bei Knies das Netz und dessen Topologie in den Blick. Während aus heutiger Sicht dabei die formale Unterscheidung Knies’ zwischen „Spinnennetz“ und „quadrierter Masche“ vor allem an die Netztopologien in der Informatik erinnert (und die Unterscheidungen von Stern, Baum usw.), ist es das bei Knies wie bei Steinheil greifbare Moment des Dezentralen, das heute die allgemeine Vorstellung des „Netzes“ dominiert. Das Netz und das Vernetzte ist, folgt man den in den letzten Jahrzehnten überaus breiten „Netz“-Diskursen, kaum „Spinnennetz“, sondern es ist in seiner „Netzlogik“, so zusammenfassend charakterisiert durch Martina Hessler, vor allem „horizontal, unhierarchisch, interaktiv“ und „dezentral“.157 Diese heutige Figur des Netzes ist wesentlich mit dem Internet assoziiert; sie ist theoriegeschichtlich jedoch ihrerseits vor dieses zurückzuführen, so u.a. auf Michel Serres’ in den frühen 1960er Jahren formulierte Überlegungen zum Netz als theoretisches Denkmodell.158 Serres stellt (1964) die topologische Struktur des Netzes dem linear-kausalen Denken der Dialektik entgegen: Das Netz aus Knoten und Kanten steht für eine Flexibilität und Überlegenheit des „tabulatorischen Modells über ein lineares“, wozu Serres das Beispiel des Schachspiels heranzieht, begriffen als ein komplexes relationales Netz des Machtspiels. Das Netzmodell erlaubt es, Wege, die das Geschehen nimmt, nicht als linear determiniert, sondern als eine Reihe von Selektionen zwischen Alternativen zu denken, wobei der „kürzeste Weg“ nicht notwendig der praktikabelste sein muss.159 Einem linearen Denken des Prozesses stellt Serres somit hier ein mathematisches Modell des Netzes gegenüber, das er in ein „Organon“ historischen und theoretischen Denkens überführt. Was er als „Kommunikationsnetz“ thematisiert, folgt einem Prinzip der topologischen Abstraktion und Visualisierung von relationalen Eigenschaften – z.B. des dynamischen Schachspiels – als Struktur, oder, folgt man einer Formulierung Leibniz’, einem Prinzip, das Nicht-Statische „unberücksichtigt“ zu
sprachlichen Differenzen zwischen „Netz“ und „Netzwerk“ sowie zwischen den Begriffen im Deutschen, Englischen und Französischen s. Giessmann: Netze und Netzwerke, a.a.O.: 16ff. 157 Hessler, Martina: Vernetzte Wissensräume. In: Technikgeschichte, 70 (2003), 4: 235-253, hier: 251; vgl. Giessmann: Netze und Netzwerke, a.a.O.: 29f.; 58. 158 Hessler weist auf die zeitlich parallel hierzu aufkommende Vorstellung vom ‚Vernetzten‘ etwa des Silicon Valley hin, vgl. Hessler: Vernetzte Wissensräume, a.a.O.: 251f. 159 Serres, Michel: Das Kommunikationsnetz: Penelope (1964). (=Einleitung). In: ders.: Hermes I. Kommunikation. Berlin 1991: 9-23, hier: 23, 11f.
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lassen, „wenn man die Dinge mathematisch betrachtet“.160 Serres’ Modell der Netzstruktur verdeutlicht damit ein Prinzip der topologischen Netz-Modellierung, das auch in den wenig später aufkommenden Darstellungen von „sozialen Netzwerken“ als einer Struktur von Knoten und Kanten zum Ausdruck kommt.161 Dabei zeugen das Netzmodell Serres wie auch das sozialer Netzwerke sowie, nicht zuletzt, die Rede vom Netz in Foucaults Vortrag „Andere Räume“ exemplarisch davon, dass und wie sich das Netz in einer (selbst netzartigen) Gemengelage von theoretischer Modellierung und technischen Netzen zu jener „Organisations-, Denkund Diskurslogik“ entwickelt hat, die heute als „die spezifische Art der Episteme“ erscheint; – und die damit auch unspezifisch geworden ist oder, so eine pointierte Netz-Kritik Rainer Fischbachs, zu einem „Konzept, das alles erklärt“ und damit „nichts mehr erklärt.“162 Aus einem historisch auf das 19. Jahrhundert zurückführbaren „Netz“ ist ein übergreifendes Modell geworden, in dem sich ein Denken des ‚Vernetzten‘ mit dem technischen Netz der Kommunikationsmedien bzw. des Internet verknüpft, die sich ineinander spiegeln. Diese Korrespondenz findet sich auch in Castells’ Theorie der Netzwerke. So ist das Netz bei Castells einerseits – wie bei Serres – als eine abstrakte topologische Struktur von Knoten und Verbindungen begriffen, die hier zu einem Modell funktionaler Netzwerke u.a. der Finanzmärkte oder der globalisierten Produktion wird.163 Andererseits ist es – „organized around microelectronics-based networks“ – assoziiert mit dem technischen Netz der Telekommunikation und des Internet: Das theoretische Modell der Netzstruktur findet seine Entsprechung in der Struktur der materiellen „Basis“ der Kabelnetze und technischen Verbindungen. Wenn sich, wie in der Literatur vorgeschlagen, die Castellschen Begriffe network und flow in „Struktur“ und „Prozess“ übersetzen lassen, so entsprechen sie zugleich dem technischen Prinzip der Kommunikation mit seiner Unterscheidung von statischem Netz und dynamischem Nach160 Vgl. o., Kap. III. Günzel hat den Unterschied dieses Strukturellen der Topologie zum Ansatz der Topographie hervorgehoben: „Während in einer topographisch-kritischen Hinsicht danach gefragt würde, was sich räumlich verändert, wenn etwa eine Karte vorgibt, ‚nur zu repräsentieren‘, wird unter topologischen Gesichtspunkten danach gefragt, was gleich bleibt, wenn ein Betrachter meint, etwas habe sich verändert.“ Günzel: Raum – Topographie – Topologie, a.a.O.: 21. 161 Bekannt geworden v.a. durch die These Mark Granovetters von der „Strength of weak ties“ (1973); vgl. Hessler: Vernetzte Wissensräume, a.a.O.: 252. 162 Hessler: Vernetzte Wissensräume, a.a.O.: 253; Böhme: Netzwerke, a.a.O.: 600; Fischbach, Rainer: Mythos Netz. Kommunikation jenseits von Raum und Zeit? Zürich 2005: 11. 163 Vgl. Castells: The Rise of the Network Society, a.a.O.: 470.
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richtenfluss, Telefonnetz und Tönen oder auch Schienennetz und Wagen, Strassennetz und Autoverkehr.164 Norbert Elias hat solche Unterscheidungen zwischen dem Statischem und dem Dynamischen (bzw. zwischen Struktur und Prozess) und ihre Dominanz in der Theorie auf eine Weise des Denkens und des Sprechens zurückgeführt, die in europäischen Sprachen und Kulturen dazu führt, isolierte substantivierte Objekte in den Vordergrund zu stellen und Bewegung oder Bewegliches von ihnen sprachlich zu trennen. Wir sagen, so Elias, wenn wir an einem Flussufer stehen, „nicht etwa: Sieh das kontinuierliche Fliessen des Wassers; wir sagen und denken: Sieh, wie schnell der Fluss fliesst. Wir sagen: Der Wind weht, als ob [...] es auch einen Wind geben könne, der nicht weht.“ Elias’ hier auf die Soziologie bezogene Kritik gilt dem Ausschluss von Bewegung oder Beweglichem durch ein Verfahren der „Zustandsreduktion“. Hat es die Soziologie mit „Menschen“ zu tun, „die in ständiger Bewegung sind“ und in „ständiger Beziehung zu anderen“ stehen, so evozieren Begriffe wie „Struktur“, „Klasse“, „Funktion“ usw. den Eindruck von „isolierte[n] Objekte[n] [...] im Zustand der Ruhe“. Elias begreift demgegenüber das Relationale des Sozialen nicht als eine statische Struktur oder als ein Netz aus Knoten und Kanten, sondern als eine „flüssige“ bzw. bewegliche „Figuration“, wofür er als Beispiel etwa das Dynamische eines Fussballspiels heranzieht.165 In ähnlicher Weise betreibt auch der Begriff Castells’ des space of flows eine Aufhebung der von Elias genannten Trennung zwischen einem als statisch Vorgestellten (des Raums) und dem Dynamischen (der Ströme). Insofern ist, im Gegensatz zu Vorstellungen vom Netz in Opposition zum flow oder zu der von Sebastian Giessmann benannten bis heute gültigen „Wahlverwandtschaft von Netz und Karte“, bei Castells ein Ansatz formuliert, mobile Kommunikation anders zu begreifen denn in einem mit dem Statischen von Schienen, Draht- oder Kabelverbindungen assoziierten Modell des Netzes.166 Tatsächlich findet die Rede von einem „mobile net“, im Blick auf das technische System, in der Mobilkommunikation ja gerade keine ‚materielle Grundlage‘. Ist doch das „mobile Netz“, trotz dieser üblichen Bezeichnung, technisch und topologisch kein Netz, sondern ein System von Zellen, visualisiert üblicherweise als bienenwabenförmiges Muster, das, entgegen dem Modell des Netzes von Verbindungen und Lakunen, eine teppichartige Struktur von lückenlosen Feldern darstellt, assoziiert mit 164 Vgl. zu network und flow als Struktur- und Prozessaspekt von Konnektivität Hepp: Konnektivität, Netzwerk und Fluss, a.a.O. 165 Elias, Norbert: Was ist Soziologie? (6. Aufl.) München 1991: 119ff.; 142f. 166 Giessmann: Netze und Netzwerke, a.a.O.: 54 (vgl. o., Kap. II).
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einer (ideal: vollständigen) coverage bzw. Abdeckung. Dabei steht, worauf Wolfgang Hagen hingewiesen hat, das Handy für das Neue eines Kommunikationsgeräts, das „um zu kommunizieren auch dann kommuniziert, wenn es nicht kommuniziert“: Handys funktionieren aufgrund ihres Anschlusses an ein flächendeckendes System, in dem sie sich lokalisieren bzw. lokalisiert werden. Sie sind Teil eines technischen Dispositivs, dem sich, so Hagen, Handy-User gleich einem „ordalen“ Prinzip unterstellen.167 Winfried Pauleit hat dieses Dispositiv des zellulären Mobiltelefons auch mit dem panoptischen Gefängnis Jeremy Benthams verglichen: Das Handy erscheint „wie eine elektronische Fussfessel“; was der HandyUser mit sich „wie ein Schneckenhaus“ – so das Bild auch Pauleits – herumträgt, ist weniger ein relationales Zuhause als vielmehr eine überwachte „unsichtbare und mobile (Gefängnis-)Zelle“.168 Aus dem Netz, an das man sich punktuell anschliesst, indem man sich zum ortsfesten Apparat begibt, um, z.B., zu telefonieren, ist eine ständige technische Konnektivität, Lokalisierung und Überwachung mobiler Apparate und damit auch ihrer User geworden. Verfehlt wäre es jedoch, die solcherart hervorgehobenen Aspekte der mobilen Konnektivität und Lokalisierung mit einer zentralisierten Ordnung der technischen Überwachung ‚von oben‘ gleichzusetzen. Tatsächlich manifestiert sich ja Lokalisierung, von Tracking Applikationen bis zur Mikrokoordination, in auffallender Weise gerade als eine Praxis der User selbst. Zu sprechen ist daher nicht alleine von einem technischen System, das Lokalisierung impliziert, sondern ebenso von einer wechselseitigen wie Selbst-Lokalisierung in den alltäglichen Praktiken mobiler Kommunikation.169 So scheint in mobilen Praktiken der Lokalisierung
167 Hagen: Das Ordale und das Parasoziale, a.a.O. 168 Ebd.; Pauleit, Winfried: Telefon | Zelle. Dispositiv und Ästhetik des mobilen Telefonierens. In: Breiter et al. (Hg.): Mobil kommunizieren, a.a.O.: 23-31, hier: 31. 169 So kann, wie Pauleit im Anschluss an Foucault anmerkt, im Dispositiv des mobilen Telefonierens „jeder“ die Position des Überwachers einnehmen; ebd. Einen analogen Aspekt hat Hartmut Winkler in einer Diskussion der medienarchäologischen Befunde Bernhard Siegerts zum postalischen Adresssystem hervorgehoben: Die historische Durchsetzung der Postadressen generiert eine Adressier- und Überwachbarkeit der Subjekte; sie ist jedoch nicht auf eine Regulierung durch den Staat bzw. die Post zu reduzieren, sondern entspricht auch einer „Selbstregulierung“ der Subjekte bzw. Nutzer der Briefpost. Zu fragen ist daher, so Winkler, nicht nur nach der Rolle eines Staats, welcher „die Adressierbarkeit der Subjekte [und das Anfertigen von Briefkastenschlitzen an der Haustür] verlangt“, sondern auch danach, „warum die Subjekte ‚selbst‘ Briefkastenschlitze in ihre Mahagonitüren sägen.“ Winkler, Hartmut: Übertragen –
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über GPS-Positionierung das, was in der mobilen Kommunikation als Aufbruch und Freisetzung von örtlicher Fixierung wegfällt, gleichsam als sichernde „lifeline“ der Orientierung wieder aufzutauchen.170 Dabei ist Regulierung eine Sache (auch) dezentraler (Selbst-)Lokalisierung, Koordination und Überwachung geworden. Es ist dieses Dezentrale einer mobilen Praxis, an dem bei Castells et al., Townsend und anderen die Reden vom Fischschwarm oder von einer mobilen „networking logic“ ansetzen, um das Neue mobiler Verflechtungen der Kommunikation und Koordination und eines Relationalen des mobilen ad hoc zu fassen. Zugleich stehen diese Reden für voneinander unterscheidbare Versuche, das Räumliche mobiler Kommunikation theoretisch zu verorten. So haben Tischleder und Winkler den stabilisierenden und sichernden Aspekt der dezentral und ubiquitär verfügbaren mobilen Verbindungen hervorgehoben: Führt der „Weg durch den Alltag [...] durch eine Stadt, die nicht nur Kulturkritiker als wenig gastlich beschreiben“, so erlaubt das Handy, sich „aufgefangen“ zu sehen „in einem Netz vertrauter Relationen“; es konstituiert Kontinuität für ein von der Soziologie als fragmentiert und flexibilisiert beschriebenes Subjekt, das seine „Identität im Wechsel der Rollen und Kontexte einzubüssen droht“.171 Über diesen Ansatz hinaus ist mobile Kommunikation mit dem Stabilisierenden und der Nähe einer lokal-dörflichen Kommunikation verglichen oder mit einem erneuerten Gemeinschaftlichen assoziiert worden.172 Das Handy, das eine vertraute soziale Welt ‚in Rufweite‘ rückt, erscheint als Wiederkehr eines vormodernen kleinräumigen sozialen Lebens, – bzw. als Imagination einer solchen; denn tatsächlich blendet dieses Bild ja das Nicht-Abgeschlossene der Zirkulation ebenso aus wie das konstitutive Zwischen, von dem etwa im (oben zitierten) Werbetext des Telekommunikationskonzerns die Rede ist, der festhält: „auch wir [gehören] zu Ihrem Beziehungsnetz“. Demgegenüber stellen Castells et al. im Begriff der „mobile network society“ das Offene der Verflechtung und Zirkulation der „networking
Post, Transport, Metapher. In: Fohrmann, Jürgen (Hg.): Rhetorik. Figuration und Performanz. Stuttgart und Weimar 2004: 283-294, hier: 294. 170 „The mobile emancipation of person and physical location is paradoxical“, so Gary Gumpert und Susan J. Drucker, „[w]e require global positioning to locate the mobile ‚us‘ in physical space.“ Zit. nach Linz: Konvergenzen, a.a.O.: 177. 171 Tischleder/Winkler: Portable Media, a.a.O.: 99f. 172 Vgl. (exempl.) Nyíri, Kristóf: Einleitung: Unterwegs zur Wissensgemeinschaft. In: ders. (Hg.): Allzeit zuhanden, a.a.O.: 11-23; zum Vergleich mit einer Vormoderne der „small towns and villages“ Geser, zit. nach Linz: Konvergenzen, a.a.O.: 177.
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logic“ in den Vordergrund, die sich exemplarisch in den Praktiken der politischen Mobilisierung manifestiert. Es ist, nach Castells et al. wie auch nach Agar, im besonderen das Horizontale, das diese „Logik“ der „mobile networks“ prägt: Die mobile „chain of communication“ steht für eine Logik der „grassroots“ und, so Castells et al., auch für eine fluide und autonome Verbreitung des Gerüchts und der Demagogie.173 Agar sieht in ihr eine Repräsentation der historisch in den letzten Jahrzehnten entstandenen dezentralen und horizontalen Organisation: Mobile Technik ist – nicht notwendig, aber in ihren tatsächlichen Formen – dezentral, „demotic“ und „interconnected“. So gibt es, nach Agar, eine correlation, a sympathetic alignment, between the mobile phone and the horizontal social networks that have grown in the last few decades […]. What changed between then [i.e. the 1950s] and now was a social revolution – of which technological change was part and parcel.174
Die Vorstellung der „mobilen Netze“ wird hier in ein Modell der „sozialen Revolution“ eingefügt, das an jene gesellschaftliche und politische Vorstellung vom „Telefonnetz als Modell künftig sich immer weiter verzweigender Netze“ anschliesst, das in der Medientheorie u.a. durch Vilém Flusser entworfen wurde. Vernachlässigt wird in diesem Modell jedoch, wie im Blick auf Flusser u.a. Münker angemerkt hat, dass die Verbindungen und das Dialogische telekommunikativer Medien nicht per se mit einem Horizontalen im politischen oder sozialen Sinn zusammenfallen.175 Townsend wiederum hat das Dezentrale mobiler ad hoc-Vernetzung in den Rahmen des urbanen Wandels seit den 1980er Jahren gestellt und in Bezug zu einer Entwicklung der „postmodernen Stadt“ gesetzt: Einer urbanen „decentralization and fragmentation of social communication“ entspricht eine mobile „reconfiguration of space and time“, die sich in der mobilen Konnektivität und der schwarm-ähnlichen Koordination und Navigation äussert. Als Phänomen eines „Tribalen“ bzw. „Nomadischen“ unterläuft das kollektive ad hoc mobiler Kommunikation, wie Townsend im Blick auf die Stadtplanung konstatiert, zentralistische Auffassungen der Planung und eines „rationalen, modernistischen“ Verständnisses der Stadt.176 Das Mobiltelefon korrespondiert demnach mit der Entwicklung einer zunehmend unüberschaubaren Stadt als soziales Gefüge. Führt 173 Castells et al.: Mobile Communication and Society, a.a.O.: 255f. 174 Agar: Constant Touch, a.a.O.: 162. 175 Flusser: Kleine Philosophie der Telefonie, a.a.O.: 74; vgl. Münker: Vermittelte Stimmen, elektrische Welten, a.a.O.: 195ff. 176 Townsend: Mobile Communications in the Twenty-first Century City, a.a.O.: 71;74f.
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Townsend an, dass sich ein beschleunigter Wandel zur mobilen „realtime city“ den Möglichkeiten entzieht, ihn aus einer „zentralisierten Perspektive“ zu „verstehen“, so plädiert er für einen (stadtplanerischen) Blick, der sich nicht an „aerial photographs“, sondern an dieser kommunikativen Dynamik der Stadt und ihren „streetscapes“ orientiert, mithin an dem Punkt, an dem mobile Kommunikationstechniken intervenieren.177 Herausgestellt wird damit bei Townsend ein Destabilisierendes und, im Sinne Coopers, „Indiskretes“ mobiler Kommunikation in ihrem Bezug zum städtischen Raum. Dieser Bezug wird indes bei Townsend nicht relational begriffen, sondern in ein kausales ökonomisch-evolutionäres Modell der Dezentralisierung eingeordnet: Mobile Kommunikation entspricht demnach einem Wegfallen räumlicher und zeitlicher Schranken zugunsten einer „reallocation“ von Ressourcen „to their most productive uses“; mit dem Wandel zur „real-time“ Stadt ersetzen „highly effective distributed communications networks [...] bureaucratic, centralised ones.“ Die Ausbildung mobiler Kommunikation folgt so den Bedürfnissen des sozialen Systems nach einer „decentralisation of communications channels“.178 Wird damit ein Evolutionsmodell des sozialen Systems geltend gemacht, so dies auch für den „Fischschwarm“ als Verhaltensmuster mobiler Kommunikation, indem Townsend „mobile networks“ im urbanen System als analog zu Schwärmen von Fischen oder Vögeln modellierbar und computertechnisch simulierbar begreift, wobei er auf die am MIT entwickelte Software StarLogo hinweist. Mobile Kommunikation ist nach dieser Vorstellung vergleichbar einem „massive experiment of reprogramming the basic rules of interaction for urban inhabitants“.179 Die Rede vom „Fischschwarm“ ist hier also nicht metaphorisch zu sehen, sondern bezeichnet das Modell einer Simulation nach dem Prinzip des Sim-Spiels. Der Begriff der „decentralized networks“ wird damit bei Townsend zur Grundlage dafür, mobile Kommunikation in jene „Theoriekonstellation“ einzuordnen, in der es, so Pias im Blick auf die Computerspiele, „Sache der games ist, das play der Gesellschaft, des Lebens oder des Wissens zu denken.“180 An die Stelle der Ordnung des zentralisierten Blicks, die Townsend durch mobile Kommunikation unterlaufen 177 Ebd.: 73. 178 Ebd.: 72f.; 75. Als Beispiel für die erwähnte Effizienz nennt Townsend die Anti-WTO-Proteste in Seattle, die gleichsam zu einem strategischen Vorbild unternehmerischer Flexibilität werden: „By being able to shift resources to flashpoints on the city streets faster than the local police, who relied on centralised systems […], the opposition was able to gain a decisive advantage.“ Ebd. 75. 179 Ebd.: 73f. 180 Pias: Computer-Spiel-Welten, a.a.O.: 312 (vgl. o., Kap. IV).
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sieht, ist eine dem Dezentralen zugeschriebene Ordnung von „rules“ getreten, aus denen, gleich dem Programm eines entgrenzten Sim-Spiels, das Moment ihrer Konstruktion verschwunden ist. Inwiefern, so eine von Woolgar im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Forschung aufgeworfene Frage, (ver-)führt das Neue mobiler Medien dazu, wohl vertraute Argumente und frameworks zu revitalisieren und auf dieses zu übertragen? Bzw. inwiefern stellt es, andererseits, eine Herausforderung an die Theorie selbst dar? Woolgars Frage fokussiert medientechnischen Wandel als „moving target“ einer Theorie, die sich in Relation zu diesem begreift und sich, als „mobile theory“ (Cooper), selbst auf ein Mobiles oder „Indiskretes“ bezogen sieht.181 Wenn das Neue der Medien ein immer wieder destabilisierendes ist, das ein Moment des Schwankend-Werdenden mit sich bringt, so gilt dies auch in Bezug auf die Theorie, die dieses Neue als Gegenstand zu fassen sucht. Woolgar macht auf die Neigung aufmerksam, solche Momente zugunsten einer möglichst raschen Etablierung einer erneuerten Ordnung gleichsam überspringen zu wollen. Dieser gegenüber hebt er die Produktivität des Moments der Verunsicherung, des Aufbruchs und der „Konsternation“ selbst heraus: On the whole, our typical response to those moments of uncertainty is to try to get through them as quickly as possible, to get to the other side, to return to normal order. [...] However the point [...] is that we glimpse the possibility of consternation and disruption.182
Der Zusammenhang der Überlegungen Woolgars ist an dieser Stelle das in der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Mobilkommunikation herangezogene Bühnenmodell Erving Goffmans: Unterscheidet Goffmann zwischen Vorder- und Hinterbühne (bzw. „front“ und „back stage“), so wird dieses Modell durch Woolgar von der Vorstellung einer dualen Unterscheidung „to divide up the world“ distanziert. Begreift man es dagegen als Spiel von front und back, so lässt es sich zur Beschreibung eines Mobilen heranziehen, das, als „moment of uncertainty, and instability“, eine solche duale Ordnung beweglich werden lässt und in Frage stellt; – was ist back und was ist front?183 Wenn sich im Relationalen mobiler Kommunikation heute in neuer und eigentümlicher Weise mobile und mediale Beziehungsgefüge des 181 Woolgar: Mobile Back to Front, a.a.O.: 24; Cooper: The Mutable Mobile, a.a.O.: 29. 182 Woolgar: Mobile Back to Front, a.a.O.: 36. 183 Ebd.
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Hier und Dort, Nahen und Fernen überlagern, ist dieses Neue, greift man das Bild Woolgars auf, vielleicht am Adäquatesten in diesem Oszillierenden zu beschreiben, das als Bewegliches eine festgefügte Ordnung – des front und back – destabilisiert und sich nicht in dominierende Modelle etwa des Netzes oder der Karte fügt. Was mobile Kommunikation mit sich bringt, ist eher als ein neues heterogenes ensemble situativer räumlicher Relationen charakterisierbar, die in ihrem Uneinheitlichen und Beweglichen ein Mobiles in der Aufmerksamkeit der Theorie selbst erfordern. Steht mobile Kommunikation in dieser Weise für ein Oszillierendes, für ein Moment der Verunsicherung, der Wo-Frage und der Kontingenz des hic et nunc, so korrespondiert sie zugleich mit dem in den gegenwärtigen Theoriebewegungen der räumlichen turns in seiner Problematik herausgestellten Raum, dessen Widersprüchlichkeit wiederkehrend und entgegen seiner vorgestellten Einheit aufbricht. Raum steht nicht nur für das, woran man „Logik“ lernt (Luhmann), als ein festes Ordnungsgefüge, ein Raum des Hier oder Dort, sondern ebenso für das, was diese Logik immer schon auf die Probe stellt und sich selbst der Feststellbarkeit entzieht. Der Raum, so Georges Bataille in einem – in der jüngeren Raumdebatte erneut aufgegriffenen – Text, ist „sprunghaft wie alle Betrüger [...].“ Er bricht „mit der vorgeschriebenen Kontinuität“; und er kann „auch ein Fisch werden [...], der einen anderen Fisch frisst.“184 Die Rede Batailles vom fischfressenden Fisch betreibt im Rahmen eines ironisch-absurden Lexikoneintrags eine Destabilisierung der Vorstellung vom einen Raum wie vom Festgefügten des Begriffssystems; zugleich charakterisiert sie die trügerische Statik eines Raums, der, jenen Modellierungen entsprechend, die in raumtheoretischen Untersuchungen verschiedenenorts als Fazit herangezogen worden sind, am ehesten als eine „Polarität“, ein „Oszillieren“ oder auch als ein „Spannungsfeld“ zu beschreiben wäre.185 Bezieht man sie auf eine Geschichte räumlicher Umbrüche bzw. eines immer wieder Aufbrechenden des Raums, so verweist sie auf das Sprunghafte, das sich in dieser Geschichte als wiederkehrendes Moment der Destabilisierung und der „Unruhe“ manifestiert.
184 Zit. nach Hofmann, Franck et al. (Hg.): Raum – Dynamik/dynamique de l’espace. Beiträge zu einer Praxis des Raums/contributions aux pratiques de l’espace. Bielefeld 2004: 10. 185 Doetsch, Hermann: Intervall. Überlegungen zu einer Theorie von Räumlichkeit und Medialität. In: Dünne et al. (Hg.): Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten, a.a.O.: 23-56, hier: 39; Gosztonyi: Der Raum, a.a.O., Bd. 2: 1019ff.
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Entgegengesetzt wird diesem Moment, wie gezeigt wurde, bis hin zum Handy immer wieder eine Restabilisierung, für die jene topische Figur vom verschwundenen (verlorenen, überwundenen) Raum steht, die das scheinbar unmittelbar Gegebene des (statischen, beharrenden) Raums noch in der Rede von seinem Verschwinden zu bekräftigen sucht. Demgegenüber lassen sich jedoch in Momenten des Umbruchs ebenso Spuren eines anderen räumlichen Denkens – so exemplarisch bei Heine – aufweisen, das die Ordnung dieser topischen Rede seinerseits unterläuft. Neben den einen Raum als Behälter, Höhle oder Universum, als vorausgesetztes Koordinatensystem oder als ein Netz, in dem es „nur wohlverbundene Übergänge giebt“, tritt gleichsam die Figur eines Fischs, der, selbst lokalisiert in der Lakune, im „fadenumgrenzten Nichts“ zwischen den Maschen, die Verhältnisse – so wie die Meerestiere, welche die Isolation der Seekabel frassen – je ins Schwanken bringt.
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„We’ve been here before?“ (Steve Woolgar)
„Vernichtung von Zeit und Raum“, wird der Eisenbahn zugeschrieben. Mit der Telegraphie, so heisst es, „verschwindet“ der Raum; und mit den weltumspannenden Seekabeln der interkontinentalen Telegraphen sind „Zeit und Distanz buchstäblich vernichtet“. Die elektronischen Medien „schrumpfen“ den Raum zum „Punkt“ und generieren (an seiner Stelle) einen ortlosen „elektronischen Äther der Telekommunikation“. Mit der mobilen Kommunikation hat die Menschheit, folgt man Voraussagen aus der Frühzeit der drahtlosen Nachrichtentechnik, den Raum „besiegt“. – Diese und entsprechende Reden über das Neue medialer Techniken verleiten in ihrem Gleich- oder Ähnlichlautenden dazu, sie nach einem linearen Geschichtsmodell fortschreitender Raum-, Distanz- oder Ortsvernichtung aneinanderzuschliessen, die Reihe der Transport- und TeleTechniken somit als aufeinander folgende Formen zunehmender Raumüberwindung oder -auflösung zu begreifen, bis zur „Echtzeit“, zum Globalen Dorf oder zu einem atopisch-ubiquitären Überall bzw. Nirgendwo. Ein solches, den Topos der Raumvernichtung affirmierendes Modell verstellt jedoch den Blick auf eine raumbezogene Kommunikationsgeschichte, indem es in unbefragten Schemata verbleibt: dem eines ursprünglichen unmittelbaren Raums ebenso wie dem einer voraussetzungslosen Technik und einer einseitig-kausalen Beziehung zwischen technisch-medialen und räumlichen Umbrüchen. Fragt man demgegenüber, ausgehend von einer Geschichte dieser topischen Reden selbst, danach, was, als „Raum“, „Distanz“ oder „Ort“ zu „verschwinden“ und danach, was es zum „Verschwinden“ zu bringen scheint, wird über ein solcherart unifizierendes Modell hinaus eine Geschichte der wechselseitigen wie mehrschichtigen Bezüge medialen und räumlichen Wandels sichtbar. So sind weder das Internet und sein „Cyberspace“ noch etwa die „Locomotive“ der Eisenbahn auf eine, gar einheitliche, Technik kommunikativer Distanzüberwindung oder einer Enträumlichung reduzierbar. Selbst ebenso technische Ensembles wie 319
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der – vielgestaltige – Telegraph oder das Handy, werden sie vielmehr mit einer Rede von der Überwindung und vom Verlust verbunden, an der sich, zur Zeit einer „unaufhaltsamen“ Eilpost ebenso wie in der heutigen Gegenwart digitaler Tele-Medien, das Irritierende sich wandelnder Ordnungen, Erfahrungen und Vorstellungen eines Raums ablesen lässt, der sich in seiner Ambivalenz, seinem „Oszillierenden“ und seiner Uneinheitlichkeit einer eindeutigen Feststellung entzieht. Die Reden vom vernichteten Raum sind dabei als Markierungen einer mit medialen Umbrüchen korrespondierenden wiederkehrenden Destabilisierung bzw. eines räumlichen Umbruchs lesbar, die sich zugleich voneinander unterscheiden: als Diskurs der „Locomotive“ etwa, der, über den Aspekt der Geschwindigkeit hinaus, um eine Frage der Deplazierung kreist bzw. um das Problem, ob der Mensch Lokomotivführer sei oder transportiertes Paket; oder als Rede von der telegraphischen Verbindung, mit der sich neue Verhältnisse des Netzes und seiner Topologie, des Zentralen und Dezentralen, des Körpers und der Körperlosigkeit der elektrischen Übertragung und eines medialen Raums ‚mobil‘ gewordener Zeichen aufspannen. In diesem historisch Neuen weist gerade die mediengeschichtlich wenig berücksichtigte Telegraphie auf zentrale Figuren des Umbruchs digitaler Tele-Medien – das Netz, den virtualisierten Raum der Zeichen – voraus. Andererseits ist es bereits um 1700 Leibniz, bei dem sich Überlegungen zum Konstitutiven und in gewisser Weise zu einem medialen Raum der Zeichen, als Medien des Denkens und der Kommunikation, aufweisen lassen. Es ist das zentrale Element des Relationalen, das diese Theorien der Zeichen und der Sprache mit Leibniz’ Konzeption des Raums als ordo coexistendi verbindet, die aus heutiger Sicht als historische Spur eines anderen „räumlichen Denkens“ anschreibbar ist. Dabei steht das Relationale bei Leibniz in mehrfacher Hinsicht für Verhältnisse der „Korrespondenz“, wie sich im Blick auf das Relationale seines dialogischen Schreibens ebenso zeigt wie im Blick auf das Medium des Gelehrtenbriefs, das gemeinsam mit der Reise die Beziehungsgeflechte der „Gelehrtenrepublik“ konstituierte. Leibniz’ für die gegenwärtigen räumlichen turns zentraler Begriff des relationalen Raums ist so seinerseits medienhistorisch rekontextualisierbar bzw. in einer raumbezogenen Geschichte der Kommunikation zu verorten. In den heutigen Umbrüchen kommunikativer Medien lässt sich dieses Relationale, anknüpfend an Foucaults Konzeption „Anderer Räume“, im Sinne eines offenen „räumlichen Denkens“ ansetzen, um, entgegen der wiederkehrenden Überwindungs- und Verlustreden, ein Nicht-Statisches sich wandelnder und uneinheitlicher räumlicher Beziehungsgefüge zu 320
SCHLUSSWORT
beschreiben. So sind, wie anhand der Räume des Computerspiels gezeigt wurde, die (Spiel-)Räume des Cyberspace und seiner Schnittstellen als relationale ensembles der räumlichen Plazierung begreifbar. Dabei rücken topologische räumliche Beziehungsgefüge in den Blick, die eine duale Unterscheidung von realem und virtuellem Raum unterlaufen. Es ist darüber hinaus eine – als endgültiger Sieg über den Raum oder als universale remote control imaginierte – mobile Kommunikation, deren räumlich Neues heute über solche Gegenüberstellungen von realem Raum und Cyberspace, statischem Ort und virtueller Ubiquität hinausweist. Als situatives relationales Gefüge mobiler wie tele-medialer Kommunikation und Koordination etabliert mobile Kommunikation eine Räumlichkeit uneinheitlicher, sich überlagernder Beziehungen, die nicht auf einen einheitlich gegebenen Raum zurückführbar sind, und sie unterläuft in offensichtlicher Weise die Vorstellung einer Opposition von Mobilität und Tele-Medien. Historisch rückt damit eine Verflochtenheit von Mobilitäts- und Mediengeschichte in den Blick, die sich u.a. in der Geschichte der Transport- und Tele-Techniken zeigt, so etwa an den engen Bezügen zwischen Eisenbahn und Telegraph, Schiffahrt und Funk, Automobil und mobiler Kommunikation. Das immer wieder „schwankend“-Werdende jedoch, von dem bei Heine mit Bezug auf die Eisenbahn die Rede ist, ist eines der Theorie ebenso wie der Technik. Als Kontingent-Werden des scheinbar gegebenen Hier steht es für eine mediale Geschichte der „Unruhe“ über den Raum, die im Neuen der Kommunikationstechnik weder ihren Anfang noch ihren Abschluss hat.
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Anna Tuschling Klatsch im Chat Freuds Theorie des Dritten im Zeitalter elektronischer Kommunikation 2009, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-952-7
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MedienAnalysen Andy Blättler, Doris Gassert, Susanna Parikka-Hug, Miriam Ronsdorf (Hg.) Intermediale Inszenierungen im Zeitalter der Digitalisierung Medientheoretische Analysen und ästhetische Konzepte Juni 2010, ca. 294 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1191-5
Michael Harenberg, Daniel Weissberg (Hg.) Klang (ohne) Körper Spuren und Potenziale des Körpers in der elektronischen Musik März 2010, ca. 250 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1166-3
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Joachim Michael Telenovelas und kulturelle Zäsur Intermediale Gattungspassagen in Lateinamerika April 2010, ca. 350 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1387-2
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