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German Pages 350 Year 2015
Daniel Devoucoux Mode im Film
Daniel Devoucoux (Dr. phil.) ist Historiker, (frz.) Germanist und Skandinavist. Er arbeitet als freier Publizist und lehrt Kulturanthropologie an der Universität Dortmund. Seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte sind Medien, Geschichte, Kleidungsforschung, Wirtschaftsanthropologie sowie Körpergeschichte.
Daniel Devoucoux Mode im Film. Zur Kulturanthropologie zweier Medien
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Brigitte Mohn, Tübingen Satz: Kirsten Heusgen, Dortmund Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-813-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
INHALT VORWORT EINFÜHRUNG
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Die Festungen der Träume ... und des Business Derivatprodukte Die Welt am/als „Fenster“ Bewegte Bilder! Erzählfilm
KLEIDUNGSDISKURS IM FILM Kleidung ist Raum Das Kostüm als filmisches Mittel Der bekleidete Mensch oder: Kleidung ist Kultur Die Schematisierung und Typisierung der Figuren Kostüme als soziokultureller Zeigefinger Intermediale Stereotypisierung Kostüme als Bild und Bildmedium Spielregeln und Kostüme oder: Die Kunst der Verwandlung Wie Kostüme Geschichten erzählen
KOSTÜMRHETORIK Bedeutung, Situation und Handlung Die Kostümierung der Charaktere Semiotik und Rhetorik der Kostüme Die Konstruktion der Körper Die Erfindung der Schönheit Die Stilisierung der Gefühle
KÖRPER UND KLEIDUNG ODER:
DIE
ZWEITEILUNG DER WELT
Mode und Geschlechterbedeutung Ausgehandelte Geschlechterbilder Blickfang: Fetisch Frau? Mapping Erotik Männlichkeitsbilder im Umbruch? Männliche Verpanzerung Crossdressing Falsche Körper mit richtigen Kostümen Ein anderer Laufsteg Political Correctness
DAS NÄHKÄSTCHEN DER KOSTÜMBILDNER Spätete Annerkennung Nachgestellte Authentizität Dress-Plot Kostüme als Konzepte Mode als Thema der Handlung Kostümsequenz: Vorspann und Filmanfang
DIE ÄSTHETISCH-TECHNISCHE WERKZEUGKISTE Formwahrnehmung Farbverwirrungen Film- und Modeästhetik Musik, Musicals und Mode Aufnahmetechnik, Licht und Stoffe
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NAHAUFNAHME Make-up und Masken, oder: Die Strategie der Gesichter Augen und Emotionen Haar-Plot Die Macht des Hutes Dessous im Film: Reiz und Last Die Ordnung der Fußbekleidung Kleine Accessoires mit großer Wirkung Die Ärmel, oder: Die Sprache der Gestik Tod auf dem Nil
FILM, GESCHICHTE UND MODE Mode ist Zeit Universale Kostümierung In Sandalen durch die Geschichte Die kleinen Kostümdetails der großen Erzählungen Formen und Uniformen Fiktion oder Realität Kleidung und Holocaust auf der Leinwand Fantasiewelten des Looks Blick in die Zukunft
KOSTÜM-, SELBST-
UND
FREMDBILDER
Kontextfrage Die filmische Überwachung der Mimesis Vom Umgang mit Raum- und Zeitexotik Indiens Kino der Blende Die materielle Dimension der Kommunikation Bollywood und die indischen Mittelschichten Rhythmen des indischen Films Indische Kostümwelt Kostüme und Rituale
DESIGNERMODE UND FILM:
EINE BEWEGTE
BEZIEHUNG
Zelebrierung Vom Laufsteg zum roten Teppich Mode- und Filmstars Hollywoodkleider vs. Washington Aussehen wie im Kino? Aneignungsstrategien Neue Körperpräsentation Film- und Modebühnen
MODE IM NEUEN FILM-
UND
BILDZEITALTER
Drama als Alltag Orte und Charaktere statt Handlung Polyvalenz der Kostüme Auge und Hand Einflusssphäre Digitale Welt Zwischenräume Fazit: Die Technik der Verzauberung
GLOSSAR LITERATUR ZITIERTE FILME Bildnachweis
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VORWORT Dieses Buch zielt auf ein breites Publikum, das gleichermaßen an Medien wie Mode interessiert ist. Die Idee zu diesem Buch entstand durch meine Lehrtätigkeit an der Universität Dortmund. Angeregt durch das überraschend starke Interesse der Studierenden an dem Thema Mode und Film, hatte ich mit einer systematischen Zusammenstellung von Materialien für meine Ideen und Vorstellungen begonnen, um dabei erstaunt festzustellen, dass der Thematik Film und Mode im Vergleich zu anderen Bereichen der Film- oder der Modekulturen bisher nur wenig Beachtung geschenkt worden ist. Ein Buch in einer anderen Sprache als in seiner Muttersprache zu schreiben, ist allerdings keine leichte Aufgabe. Ich bewundere alle diejenigen, die dies mit einer gewissen Leichtigkeit schaffen. Jedes Buch, jeder Text trägt autobiographische Spuren. Die LeserInnen werden also darin sicherlich eine gewisse Pariser Stimmung und sogar Flair spüren. Aber ebenso werden sie einen Berliner, Heidelberger, Londoner, Wiener und Mailänder Blickwinkel entdecken, Perspektiven aus einer New York Sicht wie auch aus Mumbay oder Algier, ohne dies als Global-Sampling zu betrachten. Dies zeigt nur, wie sehr ich die Orte, die ich besucht oder in denen ich einige Zeit verbracht habe, auch gemocht und von ihnen gelernt habe. Ohne die Unterstützung meiner Frau wäre dieses Buch nie geschrieben worden. Selbst als es bereits fertig geschrieben war, wäre seine Erscheinen vermutlich in eine vage Zukunft verschoben worden ohne die effiziente Kritik von Helga Hager und dem minutiösen und geduldigen Lektorat von Brigitte Mohn, denen ich hier ganz herzlich danke. Mein Dank geht auch an Kirsten Heusgen für die technische Bearbeitung und schließlich an Karin Werner vom transkriptVerlag für die freundliche Annahme meines Manuskriptes. Dieses Buch befasst sich mit dem normativen Aspekt des Kinos oder besser gesagt, mit seiner „normalistischen Variante“, dem Unterhaltungsfilm. Gerechtfertigt erscheint mir dies durch die exorbitante Bedeutung, die diese Dimension im heutigen Film behauptet. Dahinter hier verbergen sich selbstverständlich auch Ambivalenzen, widersprüchliche Stimmen, Konflikte und Paradoxien. Mein Interesse galt der Beobachtung der arkanischen Diskurse, die zwischen dem Filmdiskurs einerseits und dem Modediskurs andererseits bestehen und die ich hier aus einer kulturanthropologischen Perspektive zum Sprechen bringen möchte: also konkret die Beziehung zwischen Film, Mode und Publikum. Ein nicht normativer oder sogar dissidenter Aspekt von Mode und Film existiert, den ich hier nur am Rand bearbeitet habe. Mit diesem Gedanken schließe ich auch das Buch ab, weil diese Perspektive einen neuen Zugang verlangt hätte, der Jacques Tati, Mary Quant, die Surrealisten, die Punks, Maldoror, Arundhati Roy, Lao Tseu, die Hippies, die Situationisten, Alain Resnais, Abbas Kiarostami und die europaweite aktuelle Anti-Konsum-
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Bewegung auf irgendeine oder andere Weise unter einem Dach vereint hätte. Ich möchte betonen, dass Mode und Kleidung nur im Hinblick auf die Gesamtheit der materiellen Kultur existieren. Die Untersuchung der übrigen materiellen Welt der filmischen Requisiten und Ausstattung sei es das Mobilar, das Fenster, ja sogar die Treppe, das Telefon oder das Auto würde vermutlich ein ebenso reiches Spektrum des Films aufdecken. Die Mode und die Kleidung – und alles was die Erscheinung einer Person ausmacht –, sind jedoch Elemente ganz besonderer, ja einmaliger Art. Ich überlasse dem Leser das Vergnügen, genauer zu entdecken, warum dem so ist.
Bullay, August 2007
E I N F ÜH R U N G Im Dezember 2005 machte die Premiere von Steven Spielbergs Film „Munich“ Schlagzeilen in der internationalen Presse, allerdings nicht wie üblich im Feuilleton, sondern auf den Titelseiten. Bereits die bloße Nachricht, dass Spielberg das ungestüme Theatertalent Tony Kushner als Drehbuchautor für seinen Film engagiert hatte, versetzte einige intellektuelle Milieus in Unruhe. Ungewöhnlich war in der Tat, dass Regisseur und Drehbuchautor während der gesamten Dreharbeiten in enger Kooperation immer wieder Dialoge korrigierten oder neue Szenen einsetzten. Das Thema, das Attentat während der Olympischen Spiele 1972 in München galt vielen von vornherein als suspekt. Als dann noch die Bischofskonferenz in den USA mahnte, sich vor Ang Lees „Brokeback Mountain“ in Acht zu nehmen, kam eine weitere Polemik in Gang. Es war allerdings nicht das erste Mal, dass Filme auf der politischen Bühne für Aufregung sorgten. Kaum in den Kinos, erregte Ende 2004 der Film „Alexander“ von Oliver Stone in Griechenland besondere Aufmerksamkeit der Medien. Vor allem die dem mächtigen Herrscher von Stone unterstellte sexuelle Neigung brachte die griechische Öffentlichkeit in Rage. Dabei hatte sich der Regisseur einen kompetenten wissenschaftlichen Berater ausgesucht, Robin Lane Fox, Geschichtsprofessor an der Universität Oxford und Verfasser einer Biographie Alexanders. Schon einmal hatte es einen ähnlichen Fall in Griechenland gegeben: 2002 stürmte eine Menschenmenge in Thessaloniki den Veranstaltungssaal eines Historiker-Symposiums, weil ein Referent einen Vortrag über die angebliche Homosexualität Alexanders gehalten hatte. In Stones Film wird die Garderobe Alexanders (Colin Farell) entsprechend subtil behandelt. Unfreiwillige politische Brisanz erlangte der Film „Der Herr der Ringe“ von Peter Jackson bereits, als die ersten Bomben auf den Irak fielen. Eine E-Mail kursierte damals im World Wide Web mit dem Porträt des amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der am Finger den Ring Saurons trug. „Frodo has failed“, lautete die Betreffzeile. Die Frage des Looks, genauer: die Mittel des Looks wie Kleidung, Accessoires, Kosmetik, Frisuren, Masken und Prothesen stehen im Mittelpunkt meiner Betrachtung. Für den „Herrn der Ringe“ mussten laut Begleitbücher Masken- und KostümbildnerInnen nicht nur den Look hunderter von Figuren, sondern von neun grundsätzlich verschiedenen „Kulturen“ entwerfen. Allein für die Herstellung der Kostüme, der Schuhe und des Schmucks waren 50 Personen erforderlich. So wurden für jede „Kultur“ etwa 150 Kostüme angefertigt. Es geht mir hier nicht darum, die Stellung und die Perspektive der Kostümbildner, noch weniger die Position der Regieführung oder der Filmanalyse zu übernehmen, sondern vielmehr möchte ich eine Anthropologie der Kleidung anhand des Films und umgekehrt skizzieren. Dies heißt, verständ-
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lich zu machen, wie Filmbilder konstruiert werden, wie sie wirken und welche Bedeutungsdimensionen die Kostüme darin entfalten können, vor allem welche Beziehungen sie zu den SchauspielerInnen, zur Technik, zum kulturellen Umfeld sowie zum Publikum aufbauen. Sicherlich hätte man stattdessen die gesamte intime Objektwelt des Films auf ähnliche Weise betrachten können: so das Telefon oder das Handy, die Möbel, die Türen, das Auto, das Fenster, die Treppe, den Herd, die Uhren, die Gardinen, die Lampen, das Bett. Welche Dimension und welche Rolle die Objekte in einem Film besitzen können, demonstriert eindringlich der Potlach-Film „Der Rosenkrieg“, in dem die Protagonisten Michael Douglas und Kathleen Turner sämtliche pracht- und bedeutungsvollen Gegenstände wie auch die alltäglichen Dinge nach und nach bis zum bitteren Ende zerstören. Tatsächlich war es meine ursprüngliche Absicht, diese Dingwelt zu untersuchen. Angesichts des Materialumfangs und der damit verbundenen Vielfalt der Perspektiven habe ich mich jedoch mit der Kleidung für das ambivalenteste und allgegenwärtigste aller Objekte entschieden: ein Objekt besonderer Art, das unmittelbar mit dem Körper und dadurch wiederum mit der Person verknüpft ist, im Unterhaltungsfilm mehr noch als in der Realität. Der Begriff Unterhaltungsfilm wird hier großzügig ausgelegt, weil potentiell jeder Film auch unterhalten möchte. Dennoch liegt der Schwerpunkt auf Blockbusters, ohne jedoch die Arthouse-Filme völlig auszuschließen. Die relative Seltenheit der Filmkostüme in Museen erklärt sich dadurch, dass sie nach ihrem Gebrauch weiter verliehen werden oder zurück in die Werkstatt wandern, um in veränderter Fassung für andere Filme oder Theaterstücke zur Verfügung zu stehen. Selten behalten SchauspielerInnen zur Erinnerung ihre Kostüme, die sie übrigens in diesem Fall selbst kaufen müssen.1 Hauptgründe dafür sind die schnelle Alterung und die Empfindlichkeit der Textilien. Dennoch interessieren sich immer mehr Museen für die textilen Reliquien der Filmgeschichte, und daher ist man zunehmend darum bemüht, berüchtigt gewordene Kostüme aufzubewahren. Fast jedes Filmmuseum versucht eine eigene Kostümsammlung zusammen zu stellen. So präsentierte im Mai 2004 der Pariser „Pavillon des Arts“ 50 der etwa 1000 Kostüme aus den Beständen der früheren Cinemathèque Française. Die anschließend zu einer Ausstellung an die Axa Gallery in New York gewanderten Kleider hatten Coco Chanel oder Christian Dior für Elizabeth Taylor, Vivien Leigh und viele andere entworfen hatten. Kurz bevor sie das neue Gebäude von Bercy eröffnete, präsentierte die neue Cinémathèque eines der mythischen Kleider von Scarlett O’Hara, das Henri Langlois 1957 während einer Auktion in Hollywood erstanden hatte. Ein ganzes Jahr benötigte Nicole Charley für die Restaurierung. Auch das Hochzeitskleid der Königin Margot (Isabelle Adjani) aus dem Film „Die Bartholomäusnacht“ von Patrice Chéreau, Kostüme aus „Die Reise zum Mond“ und aus anderen Filmen von Meliès gehören mittlerweile zur neuen Sammlung. Das Filmmuseum Turin in der Mola Antonelliana beherbergt zahlreiche Exemplare aus Filmen Lucchino Viscontis wie beispielsweise die Kostüme von Gherardi für „Senso“, von Piero Tosi für den Film „Der Leopard“ und Ensembles aus Werken Federico Fellinis. Das Filmmuseum Berlin seinerseits bewahrt mit dem Nachlass von Marlene Dietrich ihre umfangreiche Filmgarderobe, die von 1
Delpierre 1988, 196.
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Travis Banton, Edith Head, Irene oder Jean Louis entworfen wurde. Kleider aus Filmen von Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog oder Ulrike Oetinger befinden sich im Düsseldorfer Filmarchiv, auch von Hildegard Knef sind einige Stücke Vorhanden. Das Huntville Museum of Art zeigte 2004 eine Sammlung von fünfundzwanzig historischen Kostümen aus „Titanic“, „Evita“, „Out of Africa“, „Emma“, „Portrait of a Lady“ und weitere Kleidungsstücke, die für Meryl Streep, Gwyneth Paltrow, Nicole Kidman, Drew Barrymore oder Madonna konzipiert wurden. Hinzu kommen Wechselausstellungen: so stellte das Gemeentemuseum in Den Haag Anfang 2000 mit dem Thema „Hollywood – verkleidete Vergangenheit“ einige Kleidungsstücke aus Historienfilmen zeitgenössischer Mode gegenüber. Die Ausstellung präsentierte mit der Filmgarderobe Liz Taylors in „Cleopatra“ und den Kostümen Vivien Leighs in „Vom Wind verweht“ zwei vestimentäre Höhepunkte. Kurz, ein immenses Spektrum an Kostümvarianten und -stilen. Lässt sich dieser Facettenreichtum an Bekleidung im Film überhaupt untersuchen? Tatsächlich ist sie derart hybrid, dass diese Analyse den Rahmen meiner Untersuchung sprengen würde. Wenn ich dennoch einige Grundzüge und -muster aufzeigen möchte, dann in der Hoffnung, es jedem zu ermöglichen, in einen intensiven Dialog mit dem Film zu treten.
Die Festungen der Träume ... und des Business Cinecitta, Babelsberg, Bollywood (Mumbay) oder Boulogne-Billancourt, es gibt mehr als nur eine „Festung der Träume“:2 jedoch stellt Hollywood immer noch einen Sonderfall dar. Das allgemeine Mediensystem Hollywoods – „das Mekka des Kinos“ (Cendrars) – hat längst das Studio- und Starsystem ersetzt und beherrscht einen großen Teil der globalen Phantasie. Dieses „Beherrschen“ ist zum einen in sozialpolitischem Sinne zu verstehen, weil die Verbindung Hollywoods mit Washington längst ratifiziert ist, und zum anderen in wirtschaftlichem Sinne, weil die amerikanische Unterhaltungsfilm-Produktion jede Woche die europäischen, asiatischen oder afrikanischen Kinos mit ihren Filmen beliefert. Dieser Hollywood-Effekt durchdringt sowohl die europäische Komödie oder den chinesischen Kung-Fu-Film als auch den indischen Masala-Film. Diese Wirkung sollte allerdings nicht als eine universale Sprache verstanden werden, sondern vielmehr im Sinne eines wirtschaftlichen, politischen und technisch-ideologischen Musters mit mittelbaren und unmittelbaren Rückwirkungen auf unser Alltagsleben. Vergessen werden sollte dabei nicht, dass Hollywood an unterschiedliche Traditionen gebunden ist und selbst transkulturelle und hybride Aspekte beinhaltet.3 Zudem führt der mit jedem Film verbundene Exportanspruch dazu, für die Story einen größtmöglichen gemeinsamen Nenner zu finden. Es überrascht daher nicht, dass die globalen Blockbuster vor allem exotische Fantasy- oder Science-Fiction-Filme sind wie „Der Herr der Ringe“ (20012003), „Harry Potter und der Stein der Weisen“ (2001), „Star Wars: Episode 1“ (1999), „Shrek 2“ (2004) oder „Jurassic Park“ (1993). Fest steht auch, je stärker die lokale Filmproduktion ist, umso mehr Alternativen bietet sie zu
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So bezeichnete Marcello Mastroianni einmal Cinecitta. Mastroianni 1998, 20. Hepp 2006, 174.
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Hollywood. So weisen Indien, China/Hongkong oder die Philippinen eine viel höhere Filmproduktion auf als die USA. Die gängigen Filmhandlungen und -strukturen Hollywoods mögen häufig veraltet sein, die Film- und Produktionstechnik hingegen haben den Look des Films radikal verändert und den Umsatz vervielfacht. Ein Film deckt kulturelle Marktbedürfnisse ab und versucht potentielle Rezipienten in die Form und Gestaltung seiner Erzählung einzubeziehen. Er ist also ein Konsumprodukt und bestätigt, dass Bilderwelt und Produktionswelt heute unauflösbar miteinander verbunden sind. Der Soziologe Jean Baudrillard bezeichnet den Konsum als tribale Mythologie, als Moral der Modernität. Ihm zufolge bildet der Konsum den Diskurs der modernen Gesellschaften über sich selbst aus, einen Diskurs mit manchmal hegemonialen Ansprüchen und globalen Erklärungsmustern. Man muss sich nur die gigantischen Werbekampagnen für die Filme George Lucas, Steven Spielberg oder Peter Jackson in Erinnerung rufen, um dies zu begreifen. Die Verfilmung des „Herrn der Ringe“ – die gesamte Trilogie wurde mit 17 Oscars ausgezeichnet – hat alles in allem 306 Millionen USDollar eingespielt. Die Frage des Looks wurde dabei durch zahlreiche Merchandising-Artikel auf dem internationalen Markt kommerzialisiert.
Derivatprodukte Seit der „Jedi“-Saga wurde dieser Zweig der Filmbranche beachtlich ausgebaut durch ein breites Spektrum an Produkten wie Bücher, Spielzeug und Spielfiguren, Computerspiele, Kostüme und Accessoires. So kostete bei der „Star Wars: Episode 1“ eine Kopie des Kostüms mit den Pagodenärmeln der Königin Amidala rund 40 Euro und in der luxuriöse Variante über 1500 Euro. Bei den Kostümreproduktionen von Obi-Wan-Kenobi richtete sich das Preisspektrum nach den Varianten „Normal“, „Luxus“ und „Superluxus“. Die Anzahl der Kostüme von Anakin Skywalker war begrenzter, da es sich um ein Kind handelte. Berühmt wurde vor allen die asymmetrische Kleidung des intergalaktischen Gay Monsters Jar Jar Binks, auf Französisch „Chou Chou“ Binks genannt: Die Marketing-Abteilung der George-Lucas-Produktionsgesellschaft machte ein hervorragendes Geschäft mit dem Vertrieb dieser Produkte. Inzwischen kann man die Produkte zur „Der Herr der Ringe“-Saga auch online bestellen: Legolas-T-Shirt, Galadriels Ring Nenya, Arwens Abendstern, Elben-Bettwäsche oder „Gollum“-Fußmatte Selbst als gebrauchte Angebote erfreuen sie sich im Netz immer noch großer Beliebtheit. Auch andere Bereiche profitieren vom Geschäft: so steigerte die amerikanische Kaufhauskette Bloomingdale’s im Zuge des Erfolgs von „Moulin Rouge“ (2001) drastisch ihren Absatz von Korsagen. Die Vermarktung läuft heute häufig über Lizenzen mit Mode- oder Accessoires-Unternehmen wie bei „Die Geisha“ (2006), für die sich die Columbia Pictures zunächst einen Kimono ausgedacht hatte, der anschließend mit anderen Produkten wie einer Handtasche von Banana Republik im Internet angeboten wurde. Die Derivatprodukte gehören heute zusammen mit dem ausländischen Markt und dem DVD-Markt zu den wichtigsten Einnahmequellen. Die Kinoeintritte im Produktionsland machen hingegen nur einen kleinen Teil der Gesamteinnahmen aus und stehen an dritter oder vierter Stelle. Beim Derivatprodukte-Geschäft haben längst auch europäische und japanische Studios den
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Duft des zusätzlichen Profits geschnuppert. Jedoch konnten weder Asterix noch seine japanischen Pendants die Legionen Hollywoods aufhalten. Die Begeisterung für die Derivatprodukte der Lucas-Corporation sowie für seine Filmproduktion insgesamt hält sich allerdings in Grenzen: „Wenn ich seine Filme sehe“, sagt der italienische Regisseur Gianni Moretti, „habe ich Mitleid mit ihm. Es muss tödlich langweilig sein, solche Filme zu machen“.4 Aufmerksame ZuschauerInnen, die mit dem Geschäft Lucas und Co nicht viel anfangen können, haben die Möglichkeit sich mit einem anderen Spiel – diesmal kostenlos – zu beschäftigen: nämlich dem Spaß an der Entdeckung der kleinen Schlampereien, die sich hinter den großartig inszenierten Gefühlen verbergen: man beginnt mit den Requisiten oder den technischen Elementen des Films, so beispielsweise bei „Titanic“ (1997), wenn sich das Material der Filmmannschaft in den Glasscheiben reflektiert, oder die Kontaktlinsen des Kapitäns Smith – vielleicht ein Grund dafür, warum er den Eisberg zu spät sichtete, meinen einige, weil er sie wahrscheinlich herausgenommen hatte.5 Das Spiel ist zwar schon alt – man denke hier an die elektrische Straßenlaterne in „Vom Winde verweht“ –, wird jedoch immer wieder aktualisiert. Bei einem historischen Film ist entscheidend, dass kein unerwünschtes oder anachronistisches Element auftaucht: ein Flugzeug am Himmel einer Geschichte, die im alten Ägypten spielt („Cleopatra“ 1963), ein weißer Bus in einer mittelalterlichen Schlacht („Braveheart“), eine Armbanduhr in der römischen Antike (der berühmte Trompeter des Wagenrennens in „Ben Hur“ 1959). Dann versucht man die strukturellen oder kulturellen Irrtümer aufzudecken. Dieses „Jeu des erreurs“ kann übrigens eine sehr subversive Dimension annehmen. Ganze Websites beschäftigen sich mit der Auflistung und Beschreibung der kleinen und großen Pannen der Filmgeschichte. Interessant ist, dass die Anachronismen als störend bemerkt werden, während bei der Kleidung eine Menge solcher zeitlicher Widersprüche kaum auffällt. Spielbergs „Der Weiße Hai“ hatte die Epoche der Megaerfolge eröffnet, die Ära „Titanic“ hat die Regeln der globalen Blockbuster verhärtet. Schwindelerregende Summen kommen ins Spiel, Stars erhalten von den Studios immense Gagen, die besten Regisseure werden ausgesucht, manchmal sogar schon bevor die erste Zeile des Drehbuchs geschrieben wurde. So wurde bei „Gladiator“ (2000) von Ridley Scott, der unter dem Druck der Produktionsfirma den Drehbuchautor John Logan engagiert hatte, nach einem Wutanfall des Hauptdarstellers Russel Crowe John Logan kurzerhand gefeuert. Bei „Drei Engel für Charlie“ (2000) wurden sogar achtzehn verschiedene Drehbuchautoren nacheinander ausgewechselt, mit dem Ergebnis, dass sich das Drehbuch fast jeden Tag änderte. Diese andauernde und oft chaotische Veränderung des Originalskripts gehört zur allgemeinen Praxis bei Großproduktionen. Nicht nur die SchauspielerInnen leiden darunter, sondern auch KostümbildnerInnen oder die historischen BeraterInnen. Letztere werden ab der zweiten Veränderung
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Interview mit Gianni Moretti, in: Le Monde 23.5.2002. Die „Demoiselles d’Avignon“ von Picasso, der „Wasserlilien-Teich“ von Monet und eine von Degas Ballerinen, die zur Sammlung Roses gehören, sind dagegen eindeutig als Metapher zu verstehen.
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meist nicht mehr gefragt, auch wenn ihre Namen als Authentizitätsgarantie im Abspann auftauchen.6 Aber Hollywood ist nicht sentimental, außer wenn es ums Geld geht. „Wenn man einen Film dreht“, sagt Hollywood-Autor Charles Fleming, „ist es so, als ob man in den Krieg zieht“ – mit den entsprechenden Verlusten.7 Es gelten für die Produktion keinerlei Grundregeln, „weil man sie ohnehin ständig bricht“, so der Produzent Peter Gruber. „Am besten sucht man ein paar Navigationspunkte und versucht so auf Erfolgskurs zu kommen“.8 Die entscheidenden Fragen werden hier nie gestellt, sie interessieren offenbar auch niemanden. Die Grundfrage bleibt nach wie vor aktuell: Besitzt der Unterhaltungsfilm nicht die ambivalente Funktion, „eine falsche und isolierte Kohärenz, mal dramatisch, mal dokumentarisch vorzuführen“, – als Ersatz für den Mangel an menschlicher Kommunikation, wie es Guy Debord einmal formulierte.9 Unterhaltung und Flucht, so stellten bereits die Surrealisten fest, sind die zwei Säulen der modernen Welt: „Wissen, dass wir eine fröhliche Komödie spielen, weil wir da draußen die Schreie nicht hören wollen, erzeugt eine Atmosphäre von Malaise.“10 Die Malaise ist längst verschwunden. Für Hollywood steht diese Frage nicht einmal mehr zur Debatte, da es die „Gesellschaft des Spektakels“ im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert und mit Abstand dominiert. Hollywood hat die Mega-Unterhaltungskultur sicherlich nicht erfunden. Schon die antiken Römer wussten damit umzugehen.11 Das Imaginäre des heutigen Kinos scheint immer noch in den Bedeutungsschemata des 19. Jahrhunderts verankert zu sein, wenngleich mit anderen Mitteln. So gestaltet Ridley Scott, der Regisseur von „Gladiator“, die visuelle Bildkomposition nicht nach historischen Vorlagen, sondern nach Motiven aus der Trivialmalerei des 19. Jahrhunderts wie Jean-Léon Gérômes Gemälde „Pollice Verso“ (Abb. 1). Das Anknüpfen des Kinos an die Trivialkünste des späten 18. und 19. Jahrhunderts bleibt eine Konstante Hollywoods. Bereits das brennende Atlanta in „Vom Winde verweht“ nimmt mittels Spezialeffekten Bezug auf neoklassizistische Bilder wie auf die Darstellungen von PierreJacques Volaire und Joseph Wright of Derby. Der Film Ridley Scotts („Gladiator“) verharrt allerdings nicht auf dieser Ebene, sondern steht wie die Filme vieler anderer amerikanischer Regisseure – Cameron, Tarantino oder der Brüder Cohen – unter dem Einfluss der großen postmodernistischen idées fixes: Distanz, Hyperrealismus, Selbstreferentialität, Faszination/Ablehnung der Massenkultur, „Mise en abîme“. Bereits die gezielte Distanzierung – samt der dahinter stehenden Dandyhaltung – drängt den Zuschauer in eine apathische Konsumentenrolle mit allen regressiven Zügen.
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Über die „Leiden des historischen Beraters“ im Film vgl. Junkelmann 2005. Er unterscheidet zwischen dem „Feigenblatt-Berater“, „dem lebendigen Lexikon“ und, seltener, „dem integrierten Berater“. 7 Interview in: Die Kulisse Hollywoods. BBC-Dokumentarfilm 2002. 8 Interview in: Die Hollywood AG. BBC-Dokumentarfilm 2003. 9 Debord 1978, 39-40. 10 Ribemont-Dessaignes 1978, 130. 11 Vgl. Caesaren und Gladiatoren 2000.
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Abb. 1: Jean-Léon Gérôme: Pollice Verso
In all diesen Filmen spielen Kostüme eine zentrale Rolle, im doppelten Sinn: über sie lernen wir nicht nur die Handlung, den Film und die Figuren kennen, sondern ebenso die Zeit, in der die Handlung spielt. Das Ziel eines Films ist es, die gegenwärtige Kundschaft anzusprechen, nicht die der Zukunft und noch weniger die von gestern. Dennoch bleiben Widersprüche nicht aus. In welcher Weise nehmen Kleidung, Bilder, Körpervorstellungen und kultureller Kontext im Film und die reale Welt aufeinander Bezug? Wie und inwiefern können sie derart auf die Individuen einwirken, so dass neue Wahrnehmungen, neue Einsichten, Gedanken und Handlungen entstehen können? Auf diese Fragen möchte ich konkret eingehen. Beginnen wir also am Anfang, am Ort der Handlung und des Erlebnisses: im Kino.
Die Welt am/als „Fenster“ Mir bleibt in unvergesslicher Erinnerung, wie ich mit elf oder zwölf Jahren zum Pariser Gaumont Palace ging, um für ein kleines Vermögen einen „Mammutfilm“ anzusehen. Das Gaumont an einer Ecke der Place Clichy war nicht irgendein Kino, sondern mit seiner monumentalen Leinwand das zweitgrößte der Welt, zumindest stand es so als zusätzliche Werbung auf den Plakaten des Kinos. Was an technischen Raffinessen hinter dieser Werbung steckte, war mir nicht klar. Klar war mir hingegen, dass ich jedes Mal für die Kassiererin am Eingang eine überzeugende Geschichte bereithaben musste. Denn es war damals nicht so einfach, mit elf Jahren allein und während der offiziellen Schulstunden ein Kino zu besuchen. Dies gelang nicht immer: Doch was auch immer der Grund gewesen sein mag, viele von ihnen lieferten das erlösende Ticket zur Fantasiewelt, nicht selten mit einem kleinen Lächeln. Das Nirwana fing nach der Werbung mit der Filmmusik an, die einige Minuten vor dem Film begann. Minuten des Genusses, während der riesige gelb-beige Vorhang sich ganz langsam nach beiden Seiten öffnete und den
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Zugang in eine andere Welt freigab. Das Gaumont existiert längst nicht mehr, die Magie des Moments aber bleibt. Der Kinosaal ist zwar nicht mehr der privilegierteste Ort des Films, er bleibt aber bis heute der Ort seiner optimalen sinnlichen Erfahrung. Ein Projektionsverfahren, das die kanadische Firma Inthree – unterstützt von George Lucas und James Cameron – entwickelt hat, versucht seit Januar 2006 eine Renaissance des Kinosaals zu erreichen. Diese Technik funktioniert bis jetzt nicht auf dem häuslichen Fernsehschirm. Ein digitaler Projektor wirft 48 Bilder pro Sekunde, abwechselnd für das rechte und das linke Auge, auf die Leinwand, anstatt der bisher 24 Bilder pro Sekunde für beide Augen zugleich. Dadurch entstehen im Kopf des Zuschauers ein scharfes dreidimensionales Bild und ein räumlicher Eindruck ohne Drei-D-Brille oder Laserstahl. Wir sitzen also gemütlich im Kino, der Raum verdunkelt sich und die Stimmen des Publikums verstummen. Langsam verschwinden die Verbindungen zur Außenwelt und zu den Nachbarn. Die gewöhnlichen Sehbedingungen verändern sich, und spontan unterwerfen wir uns mit Lust und Freude diesem Verwirrspiel. Eine Lichtquelle orientiert unseren Blick.12 Auf diese Weise wird eine Art „mythischer Abgrund“ hergestellt. Unsere ganze Aufmerksamkeit wird in Anspruch genommen und konzentriert sich auf eine weiße Reproduktionsfläche: die Leinwand. Durch die Lichtquelle entsteht ein Rahmen, in dem sich bald etwas ereignen wird. Bereits diese „banale“ Situation führt uns direkt in das Herz dichter Theoriefelder.13 Die „Welt“, die wir durch dieses „Fenster“ erblicken, kann fremd oder merkwürdig vertraut sein, in jedem Fall bleibt sie eine „gerahmte“ Welt. Dieser Blick aus dem „Fenster“ ist keine Perspektive ausschließlich des Modernen, sondern war zahlreichen literarischen Figuren der Vergangenheit bereits vertraut, wie etwa das Fenster der Madame Bovary. Über diesen Blick entstand für Madame Bovary der Kontakt zur Welt, er verschaffte ihr zunächst die einzigen Anregungen in ihrem Alltag. Umgekehrt könnte es auch der Blick ins Fenster sein wie bei Theodor Fontanes „Cécile“, was unsere eigene Einstellung als Betrachter noch besser illustriert. Keiner hat diesen Fenstereffekt des Films besser vorgeführt als Hitchcock in „Fenster zum Hof“ (Abb. 2). Das Kino, das Fernsehen oder der Computer setzen eine lange Tradition fort. Auch in der Malerei ist das Rahmungsphänomen unübersehbar, wird jedoch häufig unterschätzt. Als kulturelle Leistung gilt, Hans Belting zufolge, der Rahmen als ebenso bedeutsam wie die Kunst selbst, jede einzelne Kunstgattung stelle einen Rahmen dar. „Aber die Bedeutung des Rahmens, der den Betrachter auf Distanz hält und ihn zu einem passiven Verhalten zwingt, erweitert sich darüber hinaus auf die allgemeine Situation, in welcher Kultur 12 Die digitale Leinwand im Kino ändert diese Perspektive nicht. 13 Das Konzept des Schirms (écran/screen) ist eines der berühmtesten Themen Jacques Lacans und der „Ecole freudienne de psychanalyse“. Es gehört ebenso zum theoretischen Instrumentarium Gilles Deleuzes, Vilem Flussers oder des Soziologen Cornelius Castoriadis. Flusser verwendet den Begriff „(Wand-)Schirm“, wenn er die Mittlerrolle der Fotografie in unserer Kultur zu erklären versucht. Für die Screen-Theorien und die Cultural Studies stellt das Konzept des Schirms den Ort dar, „an welchem der Blick für eine bestimmte Gesellschaft definiert wird“. Silverman 1997 (b), 253.
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als solche erfahren wird.“ So waren die Bilderrahmen der italienischen Renaissance „wie Fenstereinfassungen gestaltet“.15 Dagegen, so Svetlana Alpers, glichen die niederländischen Bilderrahmen des 17. Jahrhunderts Spiegelrahmungen.16 Damit wird eine weitere Verbindung aufgebaut: zum Spiegel. Und ganz selbstverständlich stoßen wir hier auf Lacan und Co. Abb. 2: „Fenster zum Hof“
Dieser Fenstereffekt reduziert unseren gewöhnlichen Blick drastisch, fordert ihn aber zugleich zu erhöhter Konzentration auf. Diesem Diktat der Blickrichtung kann man sich im Gegensatz zu dem der Zentralperspektive oder der Erzählperspektive, die übrigens auch im Film vorkommt, kaum entziehen Ist das Kino-Fenster wirklich eine Öffnung, oder ist es ein Spiegel? Ein Spiegel, der sich vielleicht in einer Frühphase der Kindheit, dem so genannten „Spiegelstadium“, entwickelt hat, um die berühmte Formulierung von Lacan zu zitieren. Heute spricht man allerdings nicht mehr von Stadium, sondern von einer Ontogenese, d.h. vom langsam und mühsam entwickelten Konstruktionsvermögen des Kindes. Das Spiegelstadium bezeichnet die Fähigkeit zwischen Bild (Reflexion) und Wirklichkeit zu unterscheiden und entspricht der Geburt des „Ich“ in der Sprache.17 Diese Ich-Werdung vollzieht sich etwa zwischen dem zweiten Monat und dem dritten Lebensjahr. Irgendetwas scheint jedoch in diesem Unterscheidungsprozess zwischen realen und Fiktion bei den Zuschauern unbearbeitet oder ungelöst zu bleiben. Beim Spiegel handelt es sich darum, zu erkennen, was auf eine Spaltung und Doppelung des Subjekts hinausläuft. Ich denke dabei an Dürers obsessive Neigung, sich selbst im Spiegel darzustellen. Erklärt Lacans Spiegeltheorie damit, warum die Identifikation im Kino so leicht und schnell funktioniert?
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Belting 1995, 24. Ebd, 24. Alpers 1998, 105. Vgl. Lacan 1996 oder Cyrulnik 1986, 153-159.
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Der Spiegel stellt nach Lefêbvre auch ein Objekt dar, das uns über die räumliche Dimension in Kenntnis setzt. Er konstruiert einen imaginären Raum, der aber das Original ebenso respektiert wie die Trennung zwischen Realität und Reflexion.18 Das Kino geht großzügig mit dem Spiegel um und respektiert diese Trennung nicht immer. Vielleicht dienen das Kino-Fenster oder der Spiegeleffekt auch als ein Ersatz für die Maske? Bereits sehr früh hat sich in der Geschichte (Antike) eine Substitution der Maske zugunsten des Spiegels ereignet. Heute scheint das Kino ebenso wie der Computer diese ambivalente Stellung einzunehmen. Es hat die Maske, das Fenster sowie den Spiegel ersetzt. Vor diesem Kino-Rahmen haben sich kulturelle Gewohnheiten eingebürgert. Das Verhalten der Surrealisten, begeisterten Kinobesuchern, scheint uns heute von einem anderen Stern zu kommen. Sie nahmen Essen, Käse, Brot und Wein ins Kino mit, kommentierten mit lauter Stimme den Inhalt und die Form der Filme – ganz besonders bei Horror- oder Science-FictionFilmen – und unterhielten sich, als ob sie auf der Terrasse eines Cafés säßen.19 Vergleichbare Verhältnisse herrschen heute in den Kinos des indischen Subkontinents, stellen aber für uns in den westlichen Kinosälen beinahe eine Häresie dar.
Bewegte Bilder! Kaum haben wir also bequem im Sessel Platz genommen – Licht aus –, bewegt sich das Bild und das Anschauen wird zu einer Erfahrung, in der die Welt der Bilder mit unseren eigenen Innenbildern einen Dialog, ja eine Liebesbeziehung (Mulvey) entwickelt. Beim klassischen Film handelt es sich grundsätzlich um bewegte Bilder. Oder ist nur alles eine falsche Bewegung? Bei näherer Betrachtung erkennen wir jedenfalls, dass das Bild dauernd geschnitten wird, somit die Bewegung behindert, gestoppt oder umgewandelt wird. Dass es sich bei allem um eine Konstruktion handelt, wurde zwar irgendwie mit dem Vorspann samt den Namen aller Mitbeteiligten vorgeführt: SchauspielerInnen, Kameraführung, Kostüme, Bühnenbild, Musik, Technik, Schnitt, Regie und Produktion. Was wir auf der Leinwand sehen, ist materiell wie konzeptuell mehr als die Summe der verschiedenen Elemente der Konstruktion, also mehr als die Summe der Kategorien Bewegung, Bild, Rahmen, Inhalt, Struktur, Farbe, Text, Schnitt, Rhythmus, Ton oder Musik. Denn im Film verschwinden all diese Kategorien, beziehungsweise werden unsichtbar, der Wahrnehmung sozusagen entzogen. Dabei brauchen wir nur an die Technik zu denken oder uns den Rahmen ins Gedächtnis zu rufen, und schon wird der Film wieder als Konstruktion erkennbar. Die Mittel, um diese Faszination zu kontrollieren und die gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, sind jedoch außerordentlich wirkungsvoll. Diese Mittel, gleich ob technischer oder kulturell-ästhetischer Natur, scheinen mühelos unsere tiefenpsychologische Vergangenheit zu berühren.20 Je mehr das Bild alle Bereiche unseres Gehirns mobilisiert, umso 18 Lefêbvre 1974, 211-212 und 216-218. 19 Und dies nicht nur in der Zeit des Stummfilms, sondern ebenso später beim Tonfilm. Vgl. Baron 1969. 20 Filmtheoretiker wie Christian Metz, Stephen Heath oder näher E. Ann Kaplan und Elisabeth Bronfen haben darauf hingewiesen, wie sehr sich die
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besser scheint das Kino zu funktionieren und umso leidenschaftlicher ist unsere Beteiligung.21 Grundsätzlich ist ein Film, selbst wenn er sich nicht mit historischen Themen befasst, eine Erfahrung des Vergangenen, und zwar der unmittelbaren immerwährenden Vergangenheit. Im Unterschied zur Malerei oder zur Fotografie entwickelt sich die Idee nicht aus der Präsenz des Bildes, sondern aus der Tatsache heraus, die Bilder gesehen zu haben.22 Dabei jagt ein Bild das andere. Darin liegt jedoch gerade die Kunst des Films, durch diese (falsche) Bewegung der Bilder die innere flüchtige Berührung des Sehens in Ideen umzuwandeln und zu gestalten. Dafür hat das Kino Werkzeuge und riesige Werkstätten errichtet und erzählt Geschichten, unendlich viele Geschichten, selbst wenn sie nur gerahmt sind. Dies bedeutet, dass alle Elemente innerhalb des Rahmens bestimmend werden für die Story. Sie sind auch ausschlaggebend für alles Fiktive, was sich außerhalb des Rahmens dank unserer Vorstellungskraft ereignen kann, aber auch dank der Überzeugungskraft des Bildes. Wenn der Blick der Heldin in die Ferne schweift, denken wir an eine Landschaft, an eine Stadt oder an einen Partner oder einer Partnerin, keineswegs jedoch an die Filmmannschaft, die hinter der Kamera steht. Dennoch sind diese Objekte, die ihre Augen anschauen, noch fiktiver als die fiktive, aber sichtbare Welt des Films. Wir haben es also innerhalb der Rahmung mit einer methodischen Konstruktion im wahrsten Sinn des Wortes zu tun.
Erzählfilm Die Inhaltsorganisation eines Films kann zwei verschiedene Grundformen annehmen: narrativ-erzählend oder deskriptiv-beschreibend (im weiterem Sinn). Beide Formen können sich vermischen. Es gibt viele Formen, filmisch etwas darzustellen oder abzubilden, ohne dabei eine Story zu erzählen und dabei dennoch die einzelnen Filmkomponente mit Sinn auszustatten oder sie kraftvoll zu gestalten, wie z.B. durch die Inszenierung von Spannung zwischen verschiedenen Elementen einer Einstellung, einer Szene oder einer Sequenz. Aus der Verbindung dieser unterschiedlichen Einzelkomponenten entsteht eine neue Bedeutung: man spricht hier von „Kollisionsmontage“23 Auf diese Weise versetzen uns etwa die Kostüme – ein Grundelement des poetischen Diskurses –, in dem Film „Die Farbe des Granatapfels“ (Sergej Paradjanov) regelrecht ins Mittelalter und damit in die Welt des armenischen Dichters Sayad Nova. Auch Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ verfährt auf ähnliche Weise. Unterhaltungsfilme aber folgen bis heute weitgehend der Form und der Logik der Erzählung. Eine Erzählung ist eine nachvollziehbare Modellbildung der realen Welt in der Absicht, die LeserInnen oder ZuschauerInnen zu unteralten. Unterhaltung funktioniert aus unserer Perspektive (als Zuschauer), „Mechanismen“ des Kinos mit denen der Tiefenpsychologie vergleichen lassen. 21 Vgl. Leblanc 1996, 147. 22 Vgl. Badiou 1994, o.S. 23 Der Begriff geht auf Sergej Eisenstein zurück, vgl. Borstnar 2002, 39. Ich übernehme hier ihre Grundkonzepte der Filmstruktur (S. 35-40).
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so Kaspar Maase, „wo Kurzweil und Abwechslung, Spannung und Mitgerissenwerden, sinnlicher Effekt und Gefühlsintensität, Originalität und Witz dominieren“.24 Die Erzählung wird im Allgemeinen in drei Akte eingeteilt, drei Phasen von ungleicher Länge. Interessant ist dabei, dass das Kino sich der traditionellen Aktstruktur der Erzählung (Theater, Roman) in just jenem Moment zugewandt hat, als viele Schriftsteller sich gerade um eine Abkehr von diesen herkömmlichen Formen bemühten. Es hat sich im Gegenteil, so Michaela Krützen, bis heute weiter verfestigt und scheint damit die These McLuhans zu bestätigen „dass ein neues Medium immer die Form des Mediums annehme, das es langfristig ersetzen wird“.25 Ein Erzählfilm ist meist so konstruiert, dass die Story von einer zentralen Hauptfigur ausgeht und dass ein kleiner Kern von Hauptrollen die ganze Geschichte zeiträumlich strukturiert. Anlass, Motivik und Triebkräfte der Story bestehen zumeist aus kontrastiven Gefühlen wie Liebe, Hass, Eifersucht, Großzügigkeit, Gier, Geiz, Traurigkeit oder Glück, die die Personen in Konfliktsituationen bringen. Die Dramatik des Umfeldes, seien es Kriege, Tumulte, Revolutionen, Katastrophen, atemberaubende Naturereignisse oder bedrohliche Großstadtlandschaften, dient dabei im Allgemeinen nur als Rahmen der Handlung. Der besseren Übersicht wegen hat man das Themenspektrum des Kinos in verschiedene Genres eingeteilt, die Filme nach Handlungsplot, Thema, raumzeitlicher Gestaltung sowie visuell-ästhetischen oder narrativen Motiven und Stil klassifiziert. Die Genres haben einen großen Einfluss auf die Kostümentwürfe. Jane Gaines betrachtet die Melodramen als den idealsten Schmelztiegel für gewagte Kostümprojekte und als bestes Genre für eine wirkungsvolle Kostümrhetorik, weil die KostümbildnerInnen „ihre wildesten Vorstellungen und unerhörtesten Launen zu Kleidern machen können“.26
24 Maase 2006, 22. 25 McLuhan 1991, 18, zitiert nach Krützen 2004, 106. 26 Gaines 1998, 244.
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Kleidung ist Raum Saurer Regen fällt auf die Stadt. Mächtige Flammen tauchen auf und verschwinden. Die Pyramiden der großen Gesellschaften, die an die massive Pyramide von Teotihuacán erinnern, beherrschen das Bild. Wir befinden uns im Los Angeles des Jahres 2019. Eine große multikulturelle und hybride Menge von Menschen bevölkert die dunklen Straßen. Zukunftsvisionen mischen sich mit vertrauten Strukturen und Bildern der Stadt der Jahre 1982 oder 1993, der Zeit der Dreharbeiten und der Neubearbeitung des Films „Blade Runner“. Auch die Kleidung der Menschen unterscheidet sich kaum von unserer heutigen. Umso beeindruckender wirkt die räumliche Dimension des Panoramabildes auf den Zuschauer. „Kino als Kunst des Raumes”, so lautet der Titel eines Aufsatzes von Maurice Schérer aus dem Jahr 1948 in der „Revue du cinéma“.1 Das Kino „macht aus der Dauer eine räumliche Dimension“, bestätigt der Kunsthistoriker Elie Faure einige Jahre später.2 Die Hauptmerkmale des Films, schreibt dazu Erwin Panofsky, „lassen sich definieren als Dynamisierung des Raumes und entsprechend als Verräumlichung der Zeit. Dies ist evident bis zur Selbstverständlichkeit, aber eine Wahrheit jener Art, die gerade ihrer Selbstverständlichkeit wegen leicht vergessen oder übersehen wird“.3 Im Kino schreiten wir also „von einem Raum der Repräsentation“ zu einer „Repräsentation des Raumes“.4 Die Darstellung des Raums im Film dient eben dazu, „die abgebildeten Menschen in ihrem Verhältnis zur Umgebung zu zeigen, innerhalb eines Bild-Umraums, der sie prägt“.5 Schließlich sind wir selbst „in erster Linie räumliche Wesen“, so Barbara Strafford, „und unser gesamtes Begriffssystem ist von räumlichen Vorstellungen geprägt“.6 Ist das Kino aber wirklich Raum? Das ist in der Tat auf der Ebene des Bildes umstritten. Aus der Perspektive der Filmgestaltung dagegen ist die Antwort eindeutig ja. Unter dem Begriff Dynamisierung versteht man zunächst die Konstruktion des bewohnten Raumes selbst. Es handelt sich um die architektonische Anordnung in Form eines Bühnenbildes, das alle Raumelemente bis hin zur realen Weite einer Landschaft oder der Räumlichkeit eines Hauses umfasst. Die endgültige Komposition des Bildes reicht allerdings, das ist ja ihr Ziel, weit über ihre materielle Komponente hinaus. Fast alle gestaltungstechnischen und ästhetischen Komponenten eines Films tragen dazu bei, die räumliche Dimension aufzubauen, nicht zuletzt 1 2 3 4 5 6
Nr. 14/1948. Fonction du cinéma. Paris 1953, zitiert nach Martin 1992, 225. Panofsky 1999, 25. Lefèbvre 1974, 189. Hickethier 2001, 52. Strafford 2004, 107.
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auch die Kostüme, die in diesem Dynamisierungsprozess eine vielschichtige Wirkung entfalten. Die Räumlichkeit wird z.B. durch die Positionierung der Gegenstände, durch das Spiel von Licht und Schatten oder durch Kontraste erzeugt. Das Spiel von Licht und Schatten gilt als eine der vielen Stärken von Marcel Carnés Film „Kinder des Olymp“ (1943-45) und bestimmt auch die „Grammatik“ der Kostüme (Abb. 3). Räumlichkeit kann sich auch durch die unterschiedliche Schärfe der Bildebenen oder durch die Kamerabewegung ergeben. Ebenso lässt sich über die Vielzahl und die Kontraste der Kleidung in einer Szene eine prägnante Räumlichkeit als Charakter des architektonischen Hintergrunds herstellen. Abbildung 3: „Kinder des Olymp“
Der heutige Kinofilm spielt eher mit der Tiefe des Feldes und mit der Kamerabewegung. Eine ausgewogene Mischung verschiedener Elemente von Raumgestaltung findet man in der anfänglichen Verfolgungsszene von John Maddens „Shakespeare in Love“ (1998), als Will Shakespeare (Joseph Fiennes) dem jungen unbekannten Schauspieler hinterher rennt, zuerst durch das Theater, dann durch die Straßen der Stadt. Dabei tritt eine vielfältige soziale und architektonische Landschaft in Erscheinung, in deren Mitte den bunten historischen Kostümen der Renaissance die Hauptrolle zukommt. Von historischer Genauigkeit kann allerdings trotz des Oscars an Sandy Powell für die besten Kostüme keine Rede sein, wohl aber von einfallsreichen und besonders gelungenen kreativen Abweichungen. Dass die beiden Hauptfiguren sich wie ein modernes Pärchen verhalten, ist nicht nur auf die Raumgestaltung oder die Körpersprache zurückzuführen, sondern vor allem darauf, dass die Kostüme viele Modeelemente aus den 1990er Jahren enthalten. Rolle wie Stellung der Kostüme in der Raumgestaltung sind abwechslungsreich. Die Spannbreite reicht von der Darstellung großer kostümierter Menschenmengen bis hin zu einfühlsamen intimen Szenen. Es gibt in Filmen neben „realen“ Räumen auch verfremdete Räume, Lichträume, simulierte und virtuelle Räume oder gar Illusionen von Räumen im traditionellen Sinn, dennoch nehmen wir sie alle als „Materialität“ wahr. Im direkten Sinn eines simulierten Raums bietet sich den Beispiel „Matrix“
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an. Die Simulation ist aber hier nicht im Sinne der Filmhandlung zu verstehen mit ihrer Opposition wahre Welt vs. simulierte Welt, sondern des Kinos, also im Sinne einer allgemeinen Konstruktion von Filmen. Denn der Film „Matrix“ ist aus Sicht der Sachkulturforschung weniger verwirrend, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Im Gegenteil, er zeigt vielmehr, wie Kino, einschließlich der Frage des Looks, tatsächlich funktioniert. Auch in Lars von Triers minimalistischen Filmen „Dogville“ (2003) und „Manderlay“ (2005) führt uns die Beleuchtung jeweils von neuem in eine Szene ein, um schließlich zu enthüllen, was für die Szene relevant ist. Das Spiel von Licht und Schatten macht uns darauf aufmerksam, wie beide Filme strukturiert und organisiert werden. Bei jeder Szene und jeder Einstellung werden nur die für die jeweilige Handlung oder die unmittelbare Stimmung wichtigsten Gegenstände und Requisiten gezeigt und inszeniert. Als umso bedeutungsvoller stellen sich auch die Kostüme – Hauptrequisiten – heraus und umso wirkungsvoller erscheint die Leistung der SchauspielerInnen. Dies dürfte David Bordwells Grundregel bestätigen, „alles Wichtige visuell auszudrücken“.7 Die „Grammatik“ der Kontraste ist eine der beliebtesten Ausdrucksformen bei der Raumgestaltung. Sie dient nicht nur dem Raum, sondern stellt ein Grundelement für die Rhetorik der Charaktere, der Lichteffekte oder der Handlung insgesamt dar – auch für die „Sprache“ der Kostüme im Film. Die Gestaltung und das Spiel von schwarz und weiß, hell und dunkel, groß und klein, nah und fern, rund und eckig, schmal und breit waren bereits für die fotografische Bildkomposition des Stummfilms zentral. Zwar hat sich wenig geändert, jedoch haben sich sowohl die Härte als auch Weichheit der Kontrasteffekte erkennbar verfeinert. Nehmen wir den Film „Das Piano“ (1993) von Jane Campion, ein hochwertiger Unterhaltungsfilm, der vom Miramax-Verleih mit einer aggressiven Werbekampagne weltweit berühmt gemacht wurde. Die Geschichte ist bekannt: Mitte des 19. Jahrhunderts, landet die aus England stammende stumme Ada (Holly Hunter) mit ihrer Tochter Flora (Anna Paquin) an der Küste Neuseelands. Sie soll den Landbesitzer Stewart (Sam Neill) heiraten. Doch ist der Siedler Adas Charakterstärke nicht gewachsen und die Ehe misslingt. Schlimmer noch, ihr Mann verkauft ihr Piano an den ungebildeten Baines (Harvey Keitel). Die Einführungsszene präsentiert eine Bildkomposition mit klarem Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Die Bildebene, die Kartografie des Raumes und die Tiefenwahrnehmung, also die drei Komponenten der klassischen Bildkomposition, werden auf diese Weise berücksichtigt. Das Licht des Ozeans mit der Küste Neuseelands im Hintergrund, wirkungsvoll mit TurnerEffekten ausgestattet, kontrastiert mit der Dunkelheit der Kostüme im Vordergrund. Dieses Kontrastspiel erzeugt eine schwindelerregende Räumlichkeit, die durch die gedämpften Stimmen am Strand, durch das wilde Geräusch des Ozeans und später durch die Musik akzentuiert und dramatisiert wird. Farben, Geräusche und Dialoge, Kostüme, Bewegungen und Körpersprache, Musik und Ton werden in einer stark kontrastierenden Komposition so subtil vermischt, dass nicht nur eine dichte Stimmung, sondern vor allem ein ausgeprägtes Raumgefühl entsteht. Daher können wir mit Stephen Heath 7
Bordwell 1995, 171.
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von einem „narrativen Raum“ sprechen.8 Diese Raumdynamisierung dient allerdings in Campions Film nur als Mittel zu dem eigentlichen Zweck, eine bestimmte Geschichte zu erzählen (Abb. 4). Abb. 4: „Das Piano“
Die „Sprache“ der Kontraste betrifft nicht nur die architektonische Raumstruktur, sondern greift auch auf den soziokulturellen oder psychologischen Raum über und damit auf die Charakterisierung der Personen. In „Sie liebt ihn – sie liebt ihn nicht“ (1997) von Peter Howitt, lebt die Heldin (Gwyneth Paltrow) zwei Existenzen, charakterisiert durch zwei völlig unterschiedliche Erscheinungsweisen. In der einen trägt sie einen langen schwarzen Mantel, einen braven spießigen Anzug und hat lange Haare. In der zweiten sind die Haare kurz, und sie trägt Jeans und eine Lederjacke. Der ganze Film samt seiner Story basiert auf diesen Kontrasteffekten von Kostüm und Charakter. Auch der Film von Barbet Schröder „Weiblich, ledig sucht...“ (1992) basiert auf der Kontrastierung. Die energische Informatikerin Alison (Bridget Fonda) teilt eine Wohnung mit der schüchternen und zurückhaltenden Hedra (Jennifer Jason Leigh). Es ist die Geschichte von zwei gegensätzlichen Protagonistinnen, in der die eine im Laufe der Handlung die Charakterzüge und den Look der anderen übernimmt: ein Plagiat mit mörderischen Folgen. Bereits bei der einfachen Präsentation der Hauptfigur – mit Gendertopik – kann mit kleidungsstilistischen Kontrastmitteln das Filmgeschehen inhaltlich erläutert werden. Beispielsweise wie Clarisse (Jodie Foster), die junge FBI-Schülerin in Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“ (1991), beim Betreten des Fahrstuhls plötzlich inmitten einer Gruppe von Mitschülern steht, die sie alle um mindestens einen Kopf überragen, mit breiten Schultern und roten T-Shirts. Sie dagegen ist in unauffälligem Grau gekleidet und fällt daher auf. Diese Art Kontrasteffekte der Kleidung innerhalb einer Story hängt meistens eng mit der Verwandlung einer Person zusammen. Dies verzerrt nicht nur die gängige Kleiderordnung. Ein klares Beispiel demonstriert der Film „Dangerous Minds“ (1995), in dem eine neue Gymnasiallehrerin (Michelle Pfeiffer) sich gegenüber schwierigen Schülern durchzusetzen versucht. Ihre verklemmte Haltung samt ihrer altmodischen Erscheinung tragen zur Verschlimmerung der Situation bei. Sie gewinnt Autorität erst, als sie ihre 8
Heath 1993, 68.
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Körpersprache und ihren Look verändert und in Jeans und schwarzer Lederjacke mit schwerem Ledergürtel unterrichtet und bei Ausflügen sogar Baggy Pants und eine Sportmütze trägt. Die Kontraste verkörpern hier die Vorstellung der „zwei Welten“ des klassischen Unterhaltungsfilms:9 die eine ist Einsicht, dass der Held oder die Heldin ihre vertraute Welt verlässt, um sich aufzumachen in eine fremde Welt und die Geschichte zu einem positiven Ende zu führen. Ein Musterbeispiel dafür liefert uns „Der einzige Zeuge“ (1985) von Peter Weir, in dem der Großstadt-Polizist John Booke (Harrison Ford) in einer ländlichen Amischen-Gemeinschaft landet und sich dort an die Verhältnisse anpassen muss, was auch heißt, sich „schlicht“ anzuziehen. Der Film „Mullholland Drive“ (2001) fängt mit einer Autofahrt an. Zuerst sehen wir die geheimnisvolle schwarzhaarige Rita, die ihrer offenbar geplanten Ermordung durch einen Autounfall entkommt, dabei jedoch ihr Gedächtnis verliert und dieses sucht: eine Fahrt ins Ungewisse. Dann erscheint die sonnig strahlende blonde Betty, die aus einer schlechten Daily Soap-Serie zu stammen scheint und sich in Kalifornien eine neue Identität im Filmgeschäft verschaffen will. David Lynch stiftet mit seiner kontrastreichen Metaphorik Verwirrung in dieser Vorstellung der „zwei Welten“. Auch die Kostüme, Frisuren und Kosmetik der Protagonistinnen (Justine Theroux und Naomi Watts) tragen beträchtlich zum Verwirrspiel bei und bringen Handlung und klassische Filmlogik durcheinander. Der oben erwähnte Begriff „Vorstellung“ ist dafür zentral. Wird die Wahrnehmung durch äußere Reize stimuliert, so wird die Vorstellung hingegen durch einen Akt der Aufmerksamkeit erzeugt. Sie ist nicht unbedingt informativ und auch nicht begrenzt auf die räumliche Dimension. Sie erfordert auch keine zwanghafte Überzeugungsarbeit. Stattdessen hat „Vorstellung“ mit Gedanken, Bildern und Begriffen zu tun.10
Das Kostüm als filmisches Mittel Bei seiner Einführung in die High Society in Camerons „Titanic“ (1997) findet Jack Dawson (Leonardo DiCaprio) in Molly Brown (Kathy Bates) eine Komplizin, die ihn mit passendem schwarzem Frack, weißem Hemd, Schlips und Schuhen versorgt. Rose (Kate Winslet) hat ihre steife Robe gegen ein prachtvolles Reformkleid ausgewechselt, als sie ihm auf der Haupttreppe begegnet. Er küsst ihr die Hand: „Ich hab so etwas in einem Nickelodeon gesehen und wollte es unbedingt mal ausprobieren“, flüstert er ihr zu. Der Historiker Ken Marshall soll begeistert gewesen sein: „Die Sets und Kostüme sind absolut realistisch. Es sah beinahe so aus, als wäre ein Bild der London Illustrated News zum Leben erweckt worden.“11 Kostüme sind filmische Mittel. Entsprechend folgen sie im klassischen Erzählfilm der Logik der Narration. Ebenso wie die Erzählung immer auf unsere Vorkenntnisse über Erzählweisen und -inhalte rekurriert,12 ist auch die Mode und Kleidungswelt einer Filmstory kulturell geformt und präfiguriert. 9
Michaela Krützen beschreibt einige Varianten dieser Vorstellung von zwei Welten; vgl. Krützen 2004, 63-82. 10 Vgl. McGinn 2004. 11 Camerons 1997, 88. 12 Vgl. Borstnar 2002, 36.
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So könnte man annehmen, dass der Film, in dem Madonna als Eva Peron („Evita“ 1996 von Alan Parker) mit Hilfe der Kostümbildnerin Penny Rose 85-mal die Kostüme wechselt, 38-mal den Hut, 45-mal die Schuhe und 56mal die Ohrringe, besonders viel über Eva Peron erzählt. Dennoch ist nicht die Anzahl der Kostüme in einem Film relevant, sondern die Art und Weise, wie sie eingesetzt werden. Hierbei müssen sich die Kostüme anderen Regeln unterwerfen als denen der Statistik. Wenn sie von einer Person zu oft gewechselt werden, besteht sogar die Gefahr, die Emotion und die Realität der Figur abzutöten, bemerkte Catherine Deneuve über die Dreharbeiten für den Fernsehfilm „Marie Bonaparte“.13 Gleichgültig, ob bei Handlung, Thema, Form und Ton der Story, beim Rhythmus, bei Einzelelementen der Story oder der Syntax, es gelten beim eigentlichen Handlungsverlauf – dem Inhalt – des narrativen Films praktisch dieselben Regeln wie in der Literatur. Von Bedeutung sind dabei auch Elemente ästhetischer oder technischer Natur, dazu gehören auch die Kostüme. Wie in der Literatur wird bereits die Erzählperspektive bedeutsam, so etwa in der Trilogie „Der Herr der Ringe“ von Peter Jackson, in der die Kamera allwissend ist. Wir haben es daher mit einem allwissenden Erzähler zu tun. Wie im Theater folgt das westliche Kino dem aristotelischen Prinzip der Einheit von Ort, Zeit und Handlung.14 Das westliche Kino unterscheidet dazu allgemein zwischen zwei Hauptaspekten einer Erzählung, der Story (l’histoire) und dem Plot (le discours). Die Kostüme sind integrale Bestandteile beider Aspekte. Im Film wirken die Kostüme anhand und inmitten anderer filmischer Mittel und Motive. Die bloße Benennung oder Beschreibung der Kostüme und Kleidungsteile reicht nicht aus, sondern es geht vielmehr darum, zu demonstrieren, wie diese als filmische Mittel in Verbindung mit anderen funktionieren, z.B. bei einer Kamerafahrt oder einem Zoom. Von einem Kleidungsdetail ausgehend, wandert die Kamera über die ganze Person, dann auf die gesamte Umgebung. So schweift die Kamera in einer Szene von David Leans „Lawrence von Arabien“ (1963) fast unauffällig vom Helden in prachtvoller Beduinenkleidung auf die gesamte Gruppe der Krieger über. Auf diese Weise wird angedeutet, wie sehr eine Person, hier Lawrence, im Mittelpunkt einer Gruppe steht. Ich gehe aber auf diese zentrale Beobachtungs- und Arbeitsweise nicht weiter ein – das Buch würde sonst enzyklopädische Dimensionen annehmen –, sondern verweise hier nur auf eine Palette von Grundüberlegungen und -mustern, gehe also auf die Kostümpotentialität einer Szene oder eines Films ein. Selbst wenn Regie und Kameraführung spontan handeln, muss dennoch jede Kameraeinstellung, jeder Filmschnitt, jede Szene langfristig vorbereitet werden. Die hundert Minuten Vorbereitung für jede Sendeminute, die im Fernsehbereich gelten, zeigen uns, wie es im Kino aussehen könnte. Man geht im Allgemeinen auch davon aus, dass einer Drehbuchseite ungefähr einer Minute im fertigen Film entspricht, unabhängig vom Inhalt. Der Look, aber auch das Kameraobjektiv, die Kameraperspektive oder die Bewegung der Kamera gestalten unseren Blick und unsere Wahrnehmung einer Person oder einer Gruppe. Die Kameraperspektive stellt sozusagen das Diktat der Blickrichtung dar, die gleichwohl kein Monopol des Films ist, 13 Interview mit Catherine Deneuve. Arte 2005. 14 Dies stellt allerdings kein universales Muster dar.
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sondern sich auf eine lange Tradition in der Kunst- und Literaturgeschichte stützt. Dabei muss unterschieden werden zwischen der Kameraposition selbst, dem Kamerawinkel, dem Kameraobjektiv und der Kamerabewegung. Der Blick des Betrachters wird durch diesen Kamerablick determiniert. Die französische Sprache bezeichnet dies als „Point de Vue“, was neben Perspektive auch eine Meinung oder eine Weltanschauung beinhalten kann. Jedenfalls handelt es sich hier um eine räumliche Positionierung – sei es des Malers, des Fotografen oder der Kamera –, die Blick und Raum strukturiert. Im Film differenziert man grob drei Formen von Perspektiven: die Normalsicht auf Augenhöhe, die Froschperspektive von unten herauf – die Kinder- oder Dackelhöhe – und die Vogelperspektive von oben. Diese können noch durch drei verschiedene Arten von Bewegungen ergänzt werden: Stand, Schwenk oder Fahrt und verfeinert durch eine seitliche oder im Kreis befindliche Positionierung. Kurzum, der Standort bzw. die Kameraperspektive und ihre Bewegung determinieren die Expressivität und damit auch die Bedeutung der Bilder samt ihrer Inhalte. Die Unterscheidung der Standorte – der Perspektive – hat dramaturgische, theoretische und ideologische Folgen. Abb. 5: „Lawrence von Arabien“
Zur Illustration dieses Punktes eine weitere Szene aus „Lawrence von Arabien“: Lawrence erreicht in völlig verschmutzter Beduinenkleidung nach der Überquerung des Sinais das englische Hauptquartier, wird vom Wachposten angesprochen und schreitet mit seinem jungen Freund Daud (John Dimech) langsam durch das Offizierskasino zur Theke. Die Kleidung wird hier zum eigentlichen Instrument der Dramaturgie, die abzielt auf den Kontrast zwischen den feinen und sauberen Offizieren und der arabischen „Lumpenkleidung“ der beiden Protagonisten. Sie verweist nicht nur auf die Trennung zwischen einfachen Soldaten und Offizieren, Zivilisten und Militärs, sondern vor allem auf die rassistische und verschlossene Haltung der englischen Offiziere. Das Offizierkasino ist für die Araber eine Tabuzone (Abb. 5). Die Dramatisierung wird zusätzlich noch durch die langsame Kamerafahrt verstärkt und dynamisiert, bei der die Kamera nach amerikanischem Einstellungsmodus (zwei Drittel des Körpers) den beiden Personen folgt, wie sie die Reihe der Offiziere entlang gehen.
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Auch Einstellungsgröße – Panoramaaufnahme, Weitwinkelaufnahme, Totale, Halbtotale, Halbnahe, Amerikanische, Nahe, Groß- oder Detailaufnahme – und Einstellungslänge bestimmen den Blick. Wie man einen klassischen Erzählfilm mit einer Abfolge von Totalen und Nahaufnahmen beispielhaft eröffnet, um den Schauplatz und seine Figuren vorzustellen, zeigt der Anfang von Scotts „Blade Runner“ (1982/1993). Beliebt vor allem seit den 1960er Jahren ist die Zoomeinstellung, auch Gummilinse genannt, mit ihrer veränderbaren Brennweite, die häufig bei Kamerafahrten verwendet wird. Auch die „subjektive Kamera“, eine Folge von willkürlichen und spontan ausgewählten Perspektiven und Einstellungen, die den Eindruck hektischer Mobilität vermitteln, wird gerne eingesetzt. Die Bedeutung der Kostüme ändert sich also mit der Kameraeinstellung : die Weite – ein Weitwinkelobjektiv – wird häufig für Landschaften oder Massenszenen verwendet wie in „Lawrence von Arabien“, wenn die Krieger von Auda Abu Tayi (Anthony Quinn) das Lager verlassen, um sich Richtung Akaba in Marsch zu setzen. Eine Einstellung wird beispielsweise aus einem Zelt heraus gefilmt, vor dem Frauen sitzen. Man sieht die Frauen nur von hinten, d.h. man erkennt de facto ausschließlich ihre Kostüme und ihre Kopftücher oder Schleier. Sie betrachten die Männer, die auf Pferden und Kamelen am Zelt vorbeiziehen. Die Zeltöffnung umrahmt das Bild. David Lean verwendet dafür die 70-mm-Technik, die (vor dem „écran total“) breiteste Aufnahmemöglichkeit, die Filme je gehabt haben und auch die teuerste. Niemand ist hier wirklich zu erkennen, lediglich Tiere und Kostüme werden wahrgenommen. Die Halbnaheinstellung dagegen ist viel präziser. Man erblickt die Figuren und Dinge vollständig und in größerer Nähe, wie z.B. in „Reise nach Indien“ (1984), um bei Lean zu bleiben. Eine kurze Pferdewagenszene: Der Wagen fährt durch die Strassen Bombays, so dass die Heldin Adela Quested (Judy Davis) und Mrs. Moore (Peggy Ashcraft) im Wagen ausreichend Zeit haben, die Farben der Gewürze, der Früchte und Blumen sowie vor allem die Vielfalt der bunten Kleider und die Menschen zu bewundern. Eine rasche Folge von Einstellungen und Perspektiven findet man am Anfang von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ (2001), bei welcher der Look der Akteure – Eugène Collet, die Mutter, der Vater, Amélie, Suzanne, die Chefin der „Deux Moulins“, Georgette – besonders prägnant herausgearbeitet wird, um damit die merkwürdigen Seiten des Alltagslebens der Personen hervorzuheben. RegisseurInnen verwenden meist gleichzeitig mehrere Mittel und Motive, um eine Situation oder einen Charakter erkennbar zu machen. Daher lässt sich eine filmische Beobachtung der Kostüme kaum von der Technik, dem Körperausdruck und der Ästhetik trennen. Die Technik bestimmt die Eigenschaften einer Kunstgattung: Selbst wenn die Beziehung zwischen Literatur und Drucktechnik als evident erscheint, ist gerade die Verbindung zwischen Technik und Film von unmittelbarer Natur. Kostüme sind im Film auch technisch eng mit dem Körper verbunden. Beide verwachsen in der technischen Übersetzung zu einer Symbiose. Genauer betrachtet handelt es sich um eine symbiotische Gestaltung der Körper- und Kleidungsformen, der Farben, des Raums, des Lichtes, der Bewegungen, der Balance, der Spannung oder der Expressivität, die unsere Wahrnehmung beeinflusst.
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Der Anfang eines Films ist in dieser Hinsicht besonders dicht konstruiert, weil er das Ziel verfolgt, die Geschichte in kurzer Zeit zugänglich zu machen, die Aufmerksamkeit auf entscheidende Elemente und Personen zu konzentrieren und Emotionen und Sympathien zu orientieren.15 Darüber hinaus entwickelt die Technik, vor allem Kameratechniken wie die Zeitlupe, Zeitraffer, Mikro- und Nanoperspektive oder Teleperspektive „Wirklichkeiten“ und „Welten“, die ohne sie nicht existieren würden. Dennoch darf die Technik nicht überbewertet werden. Wenn die Story keine Qualität besitzt, kann die Technik den Film nicht retten. Eine der wichtigsten Aufgaben der Technik besteht darin, die Elemente der Konstruktion, die Künstlichkeit der Mittel, – auch die der Kostüme – für die Augen des Zuschauers zu verwischen. In diesem Buch gehe ich aber in umgekehrter Richtung vor, indem ich versuche, das Unsichtbare wieder sichtbar zu machen, um die Frage zu beantworten, welche Rolle die Kostüme im Film auf welche Art und Weise spielen. Dies ist nicht einfach zu bewerkstelligen, da im Endprodukt meist die Struktur seines Aufbaus nicht mehr oder nur schwer zu erkennen ist.
Der bekleidete Mensch oder: Kleidung ist Kultur Kleidung hat im Film mehr als irgendwo sonst eine Signal- und Blickfangrolle. Das Kino ignoriert zwar nicht die Komplexität der realen Kleidungswelt – kann es in der Tat auch nicht –, nimmt aber davon nur den Bruchteil wahr, der ihm potentiell dienlich sein kann, dies darf jedoch nicht als direkte Umsetzung (Eins-zu-Eins) verstanden werden. Im Film gelten andere Regeln als in der Realität. Für die Kulturanthropologie verweist die Mode in der realen Welt auf die Visualität und Materialität der Kommunikation. Die Rolle der Kleidung als Medium bezieht sich auf einen breiten Verhandlungsraum sozialer, politischer, kultureller, religiöser, moralischer, sexueller oder wirtschaftlicher Natur. Die Kleidung beeinflusst, ändert und orientiert dabei die Beziehungen zwischen Personen, Gruppen und Kulturen, die Beziehungen zur Umwelt und der Person zu sich selbst. Sie prägt sowohl die Technik der Betrachtung als auch die Gefühle selbst. Die Kleidung bildet also zugleich ein dichtes Objekt und ein komplexes kulturelles Handlungsfeld. Kleidung und Mode werden heute gleichzeitig als Körpertechnologien und Darstellungstechniken definiert, die Körperbilder freilegen – und dadurch die Einstellungen zum Körper samt seiner sozialen und kulturpolitischen Akzeptanz, seiner konsum-wirtschaftlichen Stimmigkeit oder seiner religiösen, hygienischen, sexuellen oder moralischen Resonanz. Mode gilt in unserer Gesellschaft auch als einer der wichtigsten Konsumparameter. Anders formuliert, die Bekleidung wird als Objekt betrachtet, das die sozial-kulturellen Muster, Normen und Werte einer Gesellschaft oder einer Epoche tradiert, Beziehungen formell und informell strukturiert, das persönliche Milieu gestaltet und die Interaktionen orientiert oder sogar kontrolliert. Ein produktives Instrumentarium also, das sowohl Wirtschaft und Industrie als auch Kulturenergien, hierarchische Arrangements, institutionelle Konstruktionen, Rituale oder künstlerische Performances und Leistungen stimuliert, mobilisiert und teilweise sogar kreiert. Ein Objekt der Komplexität par excellence! 15 Vgl. Borstnar 2002, 42.
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Ein Objekt, das sich zudem nicht so leicht vom Subjekt trennen lässt. Kleidung wird unmittelbar und allgegenwärtig mit dem Körper und schließlich mit dem Subjekt in Verbindung gebracht. Dies wendet der Film systematisch an. Was die Mode schließlich zu erneuern oder zu verwandeln versucht, ist nicht ein Kleid, ein Anzug, der Schmuck oder die Schuhe, sondern die Identität der Person, das heißt die Person selbst. Angesprochen wird aber nicht nur die Person, die vor dem Spiegel steht, sondern ebenso Anwesende wie der Partner oder die Partnerin, das Publikum, kurzum die Anderen – Kleidung ist also ein Verbindungselement.16 Der sozialisierte Mensch ist in der Tat ein bekleideter Mensch. Die Lust und der Anspruch den Körper zu gestalten, ist ein Schlüssel zur Erfindung und Produktion des sozialen Körpers.17 Mode und Kosmetik sind dabei nicht nur Körpertechniken, sondern auch Körperdisziplinen. Kleidung und Mode beleben einen symbolischen Raum, das heißt einen Raum, der durch Menschengruppen ausgestattet und organisiert wurde. In ständiger Wechselwirkung begriffen, kennzeichnet die Mode diesen Raum im selben Maße, wie sie von ihm gekennzeichnet wird. Kleidung stellt sich im Film wie auch in der realen Welt zugleich als Bildproduzent und als Produzent soziokultureller Beziehungen dar. Soziologisch betrachtet, projiziert jede Gesellschaft auf die für sie wesentlichen Sphären die subtilsten und tiefsten Differenzierungen. Diese Differenzierungen beruhen zwar auf eigener Logik, eigenen Gestaltungsschemata und Bezugspunkten, sie sind jedoch meist abhängig voneinander. Jede dieser Sphären ist durchdrungen von Elementen der Rivalität, der Balance, der Toleranz oder der Ablehnung. Darin lassen sich das Soziale und das Kulturelle nicht gleichsetzen oder aufeinander reduzieren, sondern sie vermischen sich auf komplexe Art und Weise. Zwischen völliger Anpassung und Widerstand, Mitmachen und Distanzierung besteht ein breites Spektrum an Nuancen und Möglichkeiten im Kleidungsausdruck. Dabei spielt Kleidung eine eigene Rolle. Sie definiert, bestimmt, qualifiziert, markiert, unterscheidet, bewertet, grenzt visuell ab, sie ordnet an und gestaltet. Kleidung beeinflusst also die Kommunikation, erzeugt neue Bilder, verändert und beeinflusst Bewertungssysteme und -kriterien. Man kann daher von einer strategischen Verwendung der Mode innerhalb eines symbolischen Ortes sprechen. Die Raumsymbolisierung bildet für alle Mitglieder einer Gesellschaft eine apriorische Situation. Von hier aus entwickeln sich Erfahrungen, Persönlichkeiten, geistigen Auseinandersetzungen, intellektuellen Erbschaften oder sozialen Konstellationen. Sie ist eine primäre Voraussetzung für jede Geschichte.18 Kleidung kennzeichnet, bestätigt und erzeugt die Klüfte, die Hierarchien, die Spannungen und die Beziehungen, die Ordnungs- und Wertvorstellungen einer Gesellschaft auf eine teils sichtbare Weise – oder umgekehrt verdeckt und verwirrt diese. Im Gegenzug wird sie stets von diesen Beziehungen geprägt.
16 Vgl. Eicher 1973; Craik 1994; Lehnert 1998; Entwistle 2000; Breward 2004; Esposito 2004; Mentges 2005; Lehnert 2006. 17 Vgl. Mentges 2007, 10-14. 18 Vgl. Augé 1994, 15
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Dies alles beruht nicht auf einer fest zugeschriebenen Position der Mode und der Kleidung, sondern die Mode ist als ein Verhandlungsraum zu begreifen mit all ihren ambivalenten und paradoxen, aber auch hybriden und spielerischen Zügen. Dies gilt für ein Zeichnen auf der Haut, einen zarten Schleier oder für den gesamten „Look“ einer Person, auch für die Körpersprache, kurz: ihr Erscheinungsbild. Diese Konstruktion der Kleidungswelt findet individuell zunächst im Kopf statt. Sie beruht also auf einem langwierigen kulturellen „Erziehungsprozess“, in dem sich die Beziehung zwischen dem aktiven Subjekt mit der Mode – der eigenen Erscheinung – entwickelt. Bereits mit sechs Wochen zeigt das Kleinkind bei jeder Kleidungs- und Verhaltensveränderung der Mutter Zeichen von Unruhe, selbst wenn sie nur eine schwarze Brille oder einen breiten Hut trägt. Für das Kind müssen die Gegenstände eine gewisse Wärme ausstrahlen, biegsam, weich aber auch fest sein und eine fassbare Textur besitzen. Winnicot nennt sie „Übergangsobjekte“. Um den sechsten bis zehnten Monat herum eignet sich das Kind eines dieser Objekte an, um einschlafen zu können. Das ist die Zeit, in der es das Gesicht seiner Mutter inmitten anderer Personen zu unterscheiden weist. Zum ersten Mal in seinem Leben muss das Kind eine Form und ein beruhigendes Objekt erfinden, oft nur ein Stück Stoff oder ein Spielzeug, das in Beziehung zur Mutter steht.19 Das Verhältnis zur Kleidung beruht weiter auf der aktuellen Situation, in der die Person sich befindet, welche Beziehungen sie mit ihrer unmittelbaren Umwelt und zur gesellschaftlichen Umgebung pflegt. Anders und einfacher formuliert, spielt sich die Frage der Kleidung und der Identität in der realen Welt jeden Tag vor dem geöffneten Kleiderschrank und mit dem Blick in den Spiegel ab. Welches Bild, welches Image versucht man heute zu erfinden, zu „verkaufen“. Welches Hilfsmittel verwendet man für eine bestimmte gesellschaftliche Rolle, im Beruf, am Abend in der Oper, im Restaurant oder im Kino, unter Freunden, für eine Konferenz oder eine bestimmte Szene. Die „Laune“ der Mode scheint hier übrigens die Forschungsarbeit der kognitiven Wissenschaften oder der Anthropologie der letzten Jahrzehnte zu bestätigen, weil alle diese Wissenschaften von einem multiplen, instabilen und fragmentierten „Ich“ sprechen. Unser Bewusstsein erscheint hier wie eine Galaxie von konkurrierenden Vernetzungen und völlig divergierenden Mustern zu funktionieren. Die vertrauten Gegenstände unserer Umwelt operieren dabei als Stütz- und Orientierungspunkte, ja als Vereinheitlichungselemente unserer chaotischen Persönlichkeit.
Die Schematisierung und Typisierung der Figuren Ob und wie sich dieses komplexe Beziehungsgeflecht auf der Leinwand reproduzieren lässt, hängt von vielen Faktoren ab, angefangen von der Absicht der Regie. Von großer Bedeutung für den Film ist die eigenständige Medialität der Kleidung und ihre Räumlichkeit, die nicht nur ein Bewegungspotential ausdrückt, sondern auch eine bestimmte Raumvorstellung. Im Film wird die Kleidung aber anders als im realen Leben begriffen, weil der „Zusatz des Traumes“ sie von der realen Mode unterscheidet. Dieser Stilisierungseffekt macht den eigentlichen Unterschied zur realen Welt aus, auch oder 19 Vgl. Winnicot 1975; Cyrulnik 1983, 127.
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gerade wenn die Kleidung den Anstrich des Realismus besitzt und die Handlung in einen alltäglichen Kontext eingebettet wird. Dass solche Stilisierungseffekte heute immer subtiler werden, hängt damit zusammen, dass häufig eine Steigerung des „Natürlichen“ angestrebt wird und die Filmfiguren daher nicht übertrieben dargestellt sein dürfen. Mit Filmfigur ist hier nicht die Silhouette, sondern die Verschmelzung von Person und Rolle zu verstehen. Ein Kostüm liefert im Film den Zuschauern den ersten Eindruck von einer Person, von einer Figur, noch bevor diese Person sich bewegt oder gesprochen hat. Es ist der erste „Schlüssel“ für das Verständnis der Protagonisten. Selbst wenn sie nicht kratzt, riecht oder wärmt wie in die realen Welt, besitzt Kleidung im Film dennoch eine Fülle an Kennzeichen: sie verändert, verjüngt, macht älter, verdeckt, tarnt, täuscht, gefällt, verführt, verstößt, maskiert, profiliert, provoziert, verschleiert, verhüllt, entschleiert, macht fröhlich, melancholisch, traurig, übertreibt, dynamisiert, kurzum: sie verwandelt. Der Kleidung kommt im klassischen Erzählfilm zunächst die Aufgabe zu, eine Person zu definieren, diese im Sinne einer bestimmten Idee zu kennzeichnen. Schauspieler und Schauspielerinnen wirken im Film erst dann realistisch, wenn sie geschminkt, frisiert und kostümiert sind. Jedes Kleidungsstück ist daher auf der Leinwand ein Kostüm, das die SchauspielerInnen gewissermaßen entpersonalisiert und die Figuren des Films charakterisiert.20 Die Darsteller betonen selbst, wie sehr Frisuren und Kostüme für sie von Bedeutung sind, um eine Rolle richtig aufzufassen. Schauspieler seien ein eigenartiges Volk, so der Regisseur und Schauspieler Richard Attenborough. „Sie lieben es, in Kostüme zu schlüpfen, um andere Identitäten anzunehmen“.21 Um eine Person zu charakterisieren, zieht der Film ein subtiles Register von Konnotationen und Denotationen. Die Konnotation stellt sozusagen die Kindheit des Bedeutungsprozesses dar. In der ikonografischen Welt, im Bild, findet eine Ablösung der Welt, ein „semiotischer Bruch“ (Pierce) statt. Dieser Bruch entsteht aus den Bildprinzipien der Rekonstruktion, der Analogie, des Vergleichs. Mittels eines medialen Verfahrens – die Similarität – versucht der Film, vor allem der Unterhaltungsfilm, die „Realität“ wiederzufinden oder diese zumindest richtig zu kennzeichnen oder ihr zu entsprechen. Dafür verwendet der Film Elemente, die eben primärkonnotative Effekte hervorrufen. Die Konnotation operiert auf der Ebene der Indizien, der physischen Spuren, der konkreten Ansätze oder der direkten und sensitiven Beziehung zum Gegenstand. Sie ist unmittelbar vom Konkreten, von der realen Präsenz abhängig. Daraus entwickelt sich eine sinnliche Beziehung zum Visuell-Akustischen. Wie bei keiner anderen Kunstgattung liegt die Stärke des Films in seinem denotativen Charakter und seiner besonderen „Nähe“ zur Realität. Dieser denotative Charakter bildet die eigentliche Diegesis des Films. Beide, denotative wie konnotative Ebene, erzeugen die kulturelle Brücke zum Publikum. Bleistift-, Trapez-, A- oder Y-Linien der 1950er, Jeans und Minimode mit flachen Stiefeletten aus Lackleder der 1960er Jahre, Mini-, Midi- oder Maximode, Bermudas, Hot Pants, Gaucho-, Latz- oder Caddyhosen der 1970er, 20 Vgl. Annekof 1951, zitiert nach Delpierre 1988, 19. 21 Interview mit Richard Attenborough über den Film „Grey Owl“. In: Cinema. (Paris) 2001.
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Pagenhosen und Jodhpurs der 1980er bis hin zur Hip-Hop-Mode der 1990er und 2000er Jahre: Die Kostüme von Filmen folgen den allgemeinen Modetrends und machen dabei die Epoche der Dreharbeiten erkennbar. Die genaue Charakterisierung der Kostüme in einer Szene geht immer vom allgemeinen kulturellen Modekontext aus, um verstanden zu werden, da ein Film schon aus ökonomischen Gründen auf das gegenwärtige Publikum zielt. Der konnotative Charakter der Objekte und die Mittel des Films sind äußerst flexibel zu handhaben. Die Konnotationen sind fließend und ändern sich dauernd, je nach Kontext. Sie bestimmen zugleich die Expressivität wie die Ausdruckformen des Films. Beide, Denotationen wie Konnotationen, sind bedeutungsstiftend. In dieser Hinsicht sind Filme wie die von Abbas Kiarostami oder Zhang Yimou nicht schwieriger zu verstehen als die durchschnittlichen Produkte der Unterhaltungsindustrie. Sie sind auch nicht komplexer, ganz im Gegenteil – sie stecken nur voller Geheimnisse und Überraschungen. Bei der Bedeutungsstiftung geht es, was den Look betrifft, vor allem darum, die Zusammenhänge zwischen Kostümformen, -farben oder -musterung, Stoffrhythmus oder -bewegung und Gesichtsausdruck zu den kulturellen Bezugspunkten aufzuzeigen, die auf das Publikum einwirken. Daher verändert sich das Konnotationsregister, das durch filmische Methoden – technischer, ästhetischer oder kultureller Art – erzeugt wird, ständig. Es folgt der gesellschaftlichen Veränderung der Sensibilität, auch in Bezug zur Mode, von einer Dekade zur anderen oder innerhalb von ein paar Jahren, ja wenigen Monaten. So wurden Männer im Film erst in den 1980er Jahren richtig „fashionable“, auch wenn sie bereits in den 1970er Jahren dem Vati-Look älterer Filme den Rücken gekehrt hatten. Im Mittelpunkt der Verwandlung stehen seit den 1950er Jahren vor allem neue Jugendbilder, aber auch andere Bilder weiterer soziokulturell sich verändernder Gruppen. Erst seit den 1990er Jahren gibt es sogar Fernsehfilme – eine Premiere –, die was Mode betrifft, aufgrund ihres gezielten Styling für breite Zuschauergruppen zum Vorbild werden. So entspricht in „Friends“ der Look von Monica, Rachel, Phoebe, Joey, Chandler, Ross und anderen, also jeder Hauptperson der Serie, einer bestimmten Zielgruppe.22 Das gleiche gilt für „Sex and the City“ und Co. Die Kleidungsstücke seien die Personen, sagt Patricia Feld, die Kostümbildnerin der Serie. Sie sind die wichtigsten Elemente der Verführung durch das Bild, in dem sich Marketing und Filmwelt begegnen. 133 ModedesignerInnen haben an der Serie „Sex and the City“ mitgearbeitet oder sich daran beteiligt. Es handelt sich hier um eine Verbindung, die unter dem Namen Product-Placement immer mehr an Bedeutung gewinnt.23 Im Allgemeinen wird darunter eine meist visuelle, manchmal auch verbale Darstellung von Markenartikeln verstanden, die nicht als direkte Werbung auftaucht, sondern in der Handlung eines Films, einer Fernsehserie oder eines Musikvideos – gegen Bezahlung oder Gegenleistung – an ausgesuchter Stelle platziert wird.24 „Wenn Carrie in ‚Sex in the City‘ Schuhe kauft, sind am nächsten Tag in Manhattan die Regale bei Manolo Blahnik leer gefegt“.25 Jenseits der großen internationalen Fernsehserien oder Spielfilmproduktionen spielt aber Product-Placement bis heute noch keine große Rolle. Dies kann sich rasch 22 23 24 25
Vgl. Gautier 2001, 44. Vgl. Kanik 2005, 78; vgl. auch Sohn 2004. Vgl. Kanik 2005, 80 und 82. Hatice Akyün, zitiert nach Kanik 2005, 82.
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ändern. In der Bundesrepublik und weiteren europäischen Ländern machen strengere Gesetze als in den USA Product-Placement ohnehin schwieriger. Modefirmen sehen allgemein ihren Einsatz im Filmgeschäft vor allem als Sponsoren, was große Labels wie Boss oder Prada tatsächlich sind.26 Im Film sind also Kostüme Bedeutungsträger besonderer Art: Sie werden wie alle Objekte einer Filmsequenz im Sinne der Hauptidee des Films eingesetzt und stilisiert. Man spricht hier von der „Schematisierung“ der Objekte, oder, in der Begrifflichkeit des Filmtheoretiker André Bazins, von einer „Epiphanie der Wirklichkeit“27. Dies bedeutet nicht, dass die Kostümbildner die Kostüme vereinfachen – es sind im Gegenteil oft hochkomplexe Kreationen –, sondern, dass die Kostüme nach einer Grundidee typisiert, ja manchmal stereotypisiert werden. Diese Schematisierung der Objekte steht im Mittelpunkt der kommerziellen Kinofantasie. Wir haben es folglich im Film immer mit einer „Schematisierung“ zu tun. Sie ist umso effizienter, je mehr die Kleidung im zweidimensionalen Film eine völlige Symbiose mit dem Träger oder der Trägerin eingeht, bzw. die Person fast ausschließlich über ihr Erscheinungsbild wahrgenommen wird. Daraus ergibt sich ein erster wesentlicher Unterschied zur Realität. In der realen Welt existiert ein gewisser Abstand zwischen Körper und Mode, eine existentielle Distanz zwischen der Person und ihrer Kleidung. Die Maske, die Verkleidung oder die Verschleierung, ja sogar das Schminken deuten auf diesen Distanzierungsprozess hin. Auf die Mode insgesamt projiziert bedeutet dies, dass die Mode die Rolle eines Zwischenraums übernimmt, genauer die Rolle eines „Bildschirms“ (einer Projektionsfläche), der weder dem Körper noch dem Imaginären oder der (Um-)Welt zur Gänze angehört, jedoch allen dreien eng verbunden bleibt.28 Die Problematik dieses existentiellen Abstandes kennt der Film dagegen nicht. Bei ihm ist zwangsweise alles Symbiose. Der Look ist fester Bestandteil der Person, oder präziser formuliert: das Filmkostüm „bewirkt eine Synthese zwischen der Rolle und der/dem SchauspielerIn“.29 Diese Symbiose aufzulösen verlangt vom Film viel Spitzengefühl und muss filmisch begründet werden. Die Typisierung ist heute feiner geworden als in früheren Zeiten, als Hollywood noch Glamour und Pracht der Kostüme in einer für uns heute übertrieben wirkenden Art zelebrierte. Man wollte nur das Beste zeigen, das Größte, das Schönste, das Stärkste, in immer gesteigerten Superlativen. Die Kostüme allein stellten bereits Träume dar wie auch der ganze Film. Dies trifft heute noch zu. Die Fähigkeit, Ideen in Bilder umzusetzen, gilt Freud zufolge als einer der vier Parameter, um Träume zu definieren. Dennoch, Filme sind lang, Träume hingegen von kurzer Dauer, sie sind eigentlich Mikrofilme, so der Philosoph Clément Rosset.30 Filme sind dagegen for-
26 Vgl. Schraml 2006, 57f. 27 Bazin 1985, 151. 28 Der Abstand versteht sich auch als Neoplaxie, in der das Individuum sich „absetzt“ (so bei die Vorstellung von sich selbst). Es handelt sich nicht nur um eine mentale, sondern auch um eine sinnlich-affektive Grunderfahrung. 29 Gaines 1998, 240. 30 Vgl. Rosset 2001, 17.
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matierte Träume, aber wie in den Träumen ist auch die Objektwelt darin etwas „verschoben“. Dieser träumerische Anteil der Erscheinung ist im aktuellen Film nicht verschwunden, sondern hat sich verlagert. Häufig übernehmen heute Spezialeffekte und der Aktionsrhythmus die einstige Rolle der Kleidung bei der Kreation des Traums. Die Extravaganz der Kleidung hat sich mittlerweile auf die Technologie übertragen. In beiden Fällen wirken zu große Brüche mit der Realität oder zu pointierte Aspekte des Realen unrealistisch. Die Qualität eines Films und die Kunst der feinen und groben Differenzierung machen den Unterschied aus. Die Typisierungsverfahren der Kostüme verweisen im heutigen Film eher auf die „Techniken der Wirklichkeit“ – vom Schein der Wirklichkeit ist daher die Rede –, wie sie bereits in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts angewendet wurden. Der Vorteil des Bildes im Vergleich mit dem Text – mit dem evozierten Bild also – ist seine unmittelbare Wirksamkeit. Diese Wirkung ist umso leichter zu erzeugen, da die Bilder durch den Ton ergänzt werden und sich bewegen oder besser gesagt bewegen sich Personen und Sachen in den Bildern: Kinesis, wie der Name bereits sagt. Dieses Bewegungspotential bei der Gestaltung der Bilder kann in der Tat als eine der Haupteigenschaften des Kinos gelten, so dass der Philosoph Gilles Deleuze von „Bewegungsbild“ spricht.31 Der Begriff Gestaltung der Bilder muss allerdings etwas relativiert oder präzisiert werden: Die Bildkomposition kann sich grundlegend mit der Positionierung der Kamera ändern, so dass man eher von der Gestaltung der einzelnen Einstellungen (Plan) als von der Gestaltung der Bilder oder des Bildes sprechen müsste. Bei den Konnotationsverfahren spielen viele Elemente eine Rolle: die Auswahl des Motivs, die der Personen, die Körpersprache, die Detailliertheit, die Kontraste, die Lichteffekte, die Programmatik des Dekors, das Verhältnis zwischen Bild und Dialoge und – last, not least – die Kostüme. Wie in der Malerei, beim Theater oder bei der Pantomime zielt die Filmdarstellung häufig auf einen Idealtyp ab, der stilisiert und damit typisiert wird. Wie wird diese Pointierung aufgebaut? Auf sehr unterschiedliche Art und Weise, z.B. in Bezug zur Handlung und als Gedächtnisfetisch: die Blume, die ein kleines Mädchen dem jungen William Wallace in „Braveheart“ (1995) von Mel Gibson als Trauergeschenk überreicht. Wieder als Geschenk, diesmal allerdings vertrocknet und in ein Stück Stoff gewickelt, taucht dieselbe Blume später im Film wieder auf. So überdauert sie, zerbrechlich zwar, aber von einem Stoffstückchen geschützt, all die langen Jahre. Vom Erinnerungsmerkmal wird sie zum Liebeszeichen: eine emotionale Verbindung. Auf ähnlich emotionale Weise wirkt das Hochzeitsband am Tag der heimlichen Trauung und später am Fuß des Hinrichtungstisches. Dieses Hochzeitsband durchzieht die Geschichte wie ein emotionaler roter Faden. Hier werden affektive Zusammenhänge, gestützt auf dramatisch aufgeladene Situationen, hervorgerufen. Die Kamera verharrt immer wieder bei ihren Nah- oder Großaufnahmen und bleibt für kurze Momente bei diesem Detail stehen. So werden hier alle Register der Emotionen gezogen. 31 Das Bewegungsbild kennzeichnet den klassischen Film und umfasst drei Kategorien von Bildern: das Wahrnehmungsbild, das Aktionsbild/Handlungsbild und das Affektbild, vgl. Deleuze 1997, 42-47; vgl. auch Deleuze. Seminar o.J.
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Die Konnotationen, gleich ob psychologischer, religiöser, sexueller oder sozial-wirtschaftlicher Art, sind nie neutral, sondern stellen immer eine kulturideologische Produktion dar. In Hollywoods Unterhaltungsfilmen verweisen sie fast ausschließlich auf den amerikanischen Hintergrund, vor dem sich diese Konnotationen und Zusammenhänge legitimieren und erklären lassen. Entsprechend werden diese daher nicht überall und von jedem Publikum unmittelbar ohne weiteres übernommen, sondern häufig erst umgesetzt oder übersetzt. Für die Gestaltung dieser Konnotationen oder Zusammenhänge ziehen die Kostüme verschiedene Register. Der eigentliche Formenbestand der Kleidung lässt sich schnell aufzählen.32 Umso zahlreicher sind jedoch die damit verbundenen Variationsmöglichkeiten, die dem Versuch dienen, die Grenzen dieses Formenbestandes zu überwinden. Durch eine Vielzahl von Kompositionen und Arrangements werden die Formen kulturell ausgestaltet und an die Körperformen angepasst oder umgekehrt, sie drücken den Versuch aus, sich vom Körper zu lösen. Der Spielfilm arbeitet hauptsächlich assoziativ. Von Bedeutung ist daher die Auswahl der Bewegungen, der Farben, der Formen, der symmetrischen und asymmetrischen Elemente, der Kontraste oder der Proportionen wie der Reifrock, den Jodie Foster in „Anna und der König“ (1999) im der Tradition Scarletts O’Haras alias Vivien Leigh anlegt. Die Kostüme arbeiten auch mit Linien, mit Flächen oder mit Rhythmen wie dem Rhythmus der Farben, der Formen, der Linien, der visuellen Strukturen und Arrangements, ebenso mit unterschiedlichen Volumina, Weiten oder Längen. Das assoziative Spiel wird ebenfalls mittels von Schmuck, Schminke, Kopfbedeckungen oder von Accessoires angeregt. Auch Frisuren dienen als privilegiertes Objekt der Gedankenverbindung. Kurz, die Kleidung und der Look bekommen eine mehr oder weniger gezielte narrative Aussagekraft. Dieses Konnotationsverfahren kann dabei durch andere filmische Methoden sowie Mittel ästhetischer oder technischer Natur unterstützt werden. Das Spiel der Stoffe und des Films umfasst also auch technische Komponenten, angefangen von der Vergrößerung der Kleidungsdetails durch die Kamera bis hin zu den Lichteffekten. Die Typisierung hängt schließlich von der Handlung des Films und vom allgemeinen kulturellen Kontext ab, daher die ständige Veränderung des Konnotationsrepertoires. Die Wirkung kann rein visuell-ästhetischer Natur sein, Affekte pointieren oder gezielt soziokulturelle Bilder erwecken. „Assoziierte Details können innerhalb eines Bildes geballt auftreten“, schreibt James Monaco, „und so eine Darstellung von unerhörtem Reichtum bewirken“.33 Es ist im westlichen Film sehr wichtig, dass die Stilisierung nicht das „Naturell“ außer Kraft setzt, sondern im Gegenteil verstärkt und verdichtet.34 So dient die Künstlichkeit des Films auch dazu, sich der Alltäglichkeit des Lebens zu nähern. Dies demonstriert Stanley Donen beispielhaft in der Zeitlupen-Szene über die Arbeit der Näherinnen im Musical „Pyjama 32 Er beschränkt sich im Wesentlichen auf: Wickelkleid, Rock-/Hemdschnitt, Schluppkleid (Ponchoform), Mantelschnitt, Hosenschnitt, Gürtelschnitt, Schuhform, Strumpfform, Maskenform und Kopfbedeckungsformen. 33 Monaco 2000, 168. 34 Das komplexe Feld der Interaktionen, in denen sich die gegenseitige Abhängigkeit von Beziehungen zwischen zahlreichen sich verändernden Elementen abzeichnen, nennt man heute „Border Regime“.
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Games“ (1957), in der die Genauigkeit der kleinen Gesten und die Begabung der Arbeiterinnen eines Konfektionsbetriebs gewissermaßen neu erfunden werden.
Kostüme als soziokultureller Zeigefinger Dank dieses Spiels der Assoziationen werden die Kostüme zunächst zu einem soziokulturellen Zeigefinger, um eine soziale, berufliche oder wirtschaftliche Situation, eine politische und ideologische Zugehörigkeit oder Affinität zu signalisieren. Darüber hinaus können sich in ihnen ethnische Vorstellungen, moralische oder religiöse Einstellungen, Autoritäten, Geschlechterordnungen oder Familienstatus manifestieren. Sie dienen zur Kennzeichnung von Lebensalter, Generationen, sexuellen Praktiken. Sie charakterisieren weiter Traditionen und Privilegien, kurzum ganze Lebensstile oder kulturelle Milieus. Zusätzlich bringen Kostüme geografische, klimatische oder ökologische Situationen zum Ausdruck, stellen eine hierarchische Struktur dar oder Integrationsprozesse, Toleranzschwellen, Anpassung, Ausschließung oder Widerstände. Alle diese Kennzeichnungen können im Film je nach Bedarf separat oder in Kombination inszeniert werden. Es gehört daher zur Grundfertigkeiten jeder/jedes Bühnen- und Kostümbildnerin/s, alle diese verschiedenen Ebenen visuell gestalten zu können. Allerdings wäre es illusorisch und naiv zu glauben, dass diese bewusst reflektiert werden. KünstlerInnen und KostümbildnerInnen gehen vom eigenen kulturellen Umfeld aus, um assoziative Kreationen zu entwerfen, die dann im Film als ‚natürlich‘ und ‚realitätsnah‘ gelten. Was hinter dieser ‚Natürlichkeit‘ steht, sollte allerdings näher hinterfragt werden. Ebenso wie die Tatsache, dass die Darstellung dieser ‚Wirklichkeit‘ und ihre Beziehung bis in die Welt der Formen und Farben hinein trotz aller Globalisierungseffekte in New York anders aussieht als in Mumbay. Der Filmregisseur Sergej M. Eisenstein hatte bereits bemerkt, wie sehr jede Gesellschaft oder Gesellschaftsgruppe Bilder nur in Bezug auf ihre eigene Kultur rezipiert.35 Jede Kultur entwickelt ihre eigenen Stereotypen der Darstellung. Die Formulierung der sozialen Dimension im Film ist immer direkt verständlich. Filme wie „Pretty Woman“ (1990) oder „Titanic“ (1997) illustrieren diesen sozialen Aspekt auf quasi dichotomische Art. In Camerons „Titanic“ nehmen die Kostüme einen fast emblematischen Charakter an. Sie gehen hauptsächlich auf den Klassencharakter, auf Sexualität und auf die Auseinandersetzung Alte Welt vs. Neue Welt, sprich traditionelle Werte kontra Modernität, ein. Die Kostüme und die Körper werden daher kontrastiv eingesetzt, die erste und die dritte Klasse – eine zweite ist im Film nicht vorhanden – gegeneinander ausgespielt. Dies entspricht dennoch den realen Gegensätzen zwischen Arm und Reich, ein Gegensatz, der mehr noch als anderswo an Bord aller großen Transatlantik-Dampfer dieser Epoche wirksam war, obwohl die Reedereien mit der Beförderung der Armen viel mehr Geld verdienten als mit den Reichen und heftig um diese Kundschaft konkurrierten.36 In Vergleich zur ersten Klasse zeigt sich die dritte zwar als ein eher bedrückender Ort, ist jedoch erfüllt von Leben. Die White Star Company, die 35 Vgl. Sklovskij 1977; vgl. auch Ferro 1993, 25. 36 Vgl. Gregory o.J., 190.
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die Titanic besaß, war stolz darauf, dass die Unterkünfte der dritten Klasse fast ebenso gut wie die der zweiten Klasse waren, wenn auch einfacher. Vermutlich, sagt Cameron, lebten „die Einwanderer am Bord des Schiffes in besseren Verhältnissen als zu Hause“.37 Dennoch hatte bei der Katastrophe ein Passagier der dritten Klasse, so Cameron weiter, „eine Überlebenschance von eins zu zehn. Diejenige einer Frau aus der ersten Klasse lag bei neun zu zehn“.38 Das Kostümspektrum in „Titanic“ orientiert sich an gesellschaftlichen Ereignissen und reicht von der Unterbekleidung bis hin zu den Abendkleidern der feinen Gesellschaft. Ob Unter- oder Oberkleidung, bei Rose (Kate Winslet) illustriert sie die Einsperrung des Körpers und des Geistes in eine sozial vorprogrammierte Rolle. Nicht die Korsettszene signalisiert das erotische Erwachen von Rose, sondern der Gebrauch der Farbe Rot in ihrer Kleidung. Auch die Körpersprache Cal Hockleys (Billy Zane) entspricht der Vorstellung von der feinen Gesellschaft in der alten Welt. Die arrogante und kontrollierte Haltung von Cal wird durch die Steifheit seiner Schwarz-WeißAnzüge pointiert. Sie drücken – obwohl nicht von aristokratischer Abstammung – seine Erziehung zum Gentlemans aus und seiner genaue Kenntnis aller gesellschaftlichen Spielregeln. Jack dagegen (Leonardo DiCaprio) entstammt den unteren Schichten, dennoch verrät seine Kleidung, dass er als Künstler etwas anderes darstellt. Sein kragenloses Hemd und seine graue Jacke in jener Szene, in der er versucht, Rose in der Schiffskapelle zu treffen, entsprechen eher dem Stil der 1990er Jahre als dem des Jahres 1912. Seine Körpersprache ist direkt, unkompliziert und auch seine Kleidung wirkt locker und cool. Die einfache Präsentation der Personen lässt bereits die klassenübergreifende Liebe zwischen Rose und Jack sowie die Rolle Cals und Co. erahnen. Ebenso vermuten wir bei der Vorführung des Schiffs – mittels der Dramatik des ‚Gigantischen‘ –, dass es zum zukünftigen Auslöser eines bombastischen Spektakels der großen Gefühle wird.39 Vergleichbar anderen Kunstgattungen, projiziert der Film bestimmte Kategorien auf Objekte, Personen und Ereignisse, die diese kohärent machen, damit sie von uns verstanden werden können. Der Anlass für eine derartige Kategorienbildung wird von der Handlung und vor allem von der Situation bestimmt. So können Stilisierungseffekte sehr unterschiedlich entworfen werden. Der Ton einer Story (Übertreibung, Karikatur, Ernsthaftigkeit), die Verfeinerung der Details, eine kulturelle Anordnung der Elemente sowie Figuren (Geschlechterordnung, Familienrollen, Hierarchiemuster, soziopolitische Vorstellungen) oder die Sprache und Körpersprache erzeugen gezielt Stimmungen und Dramatik. So spiegeln der intergalaktische Truckerbetrieb und der Space-Menschenverkehr in der Science-Fiction-Filmparodie „Space Truckers“ (1996) den alltäglichen amerikanischen Alltags bis hinein in kleinste Kleidungsdetails wie den Hot Pants, den kurzen Korsagen und den CowboyHüten der Barfrauen in der Spacebar satirisch wieder. Die Körpersprache präzisiert im Film den Bezug zur Handlung oder zur Situation. Sie ist überschaubar und hat direkte Auswirkungen auf eine Hand37 Cameron 1997, 74. 38 Ebd, 77. 39 Über die Kleidungswelt in „Titanic“ vgl. Street 2001, 13-34.
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lung. Überhaupt und im Gegensatz zum realen Leben erzielen die Kausalzusammenhänge im Erzählfilm, besonders im Hollywoodfilm, fast immer direkte Effekte. Die Kunst der SchauspielerInnen, so der Schauspieler und Regisseur Sacha Guitry, liegt provokativ formuliert darin, so gut zu lügen, dass es plausibel wirkt. Der Rest ist filmisches Mittel. Die Feinheit der Charakterzüge und der Mittel sind dem Publikum meist bewusst oder bekannt, was für eine erworbene Film- und Bildkompetenz spricht, ohne an Wirkung zu verlieren. Nicht nur die Frage der Herstellung (des Films) ist also hier wichtig, sondern auch die der Rezeption. Die Typisierung wird durch eine reduzierte Wahrnehmung der Welt verstärkt. Über fünf Pforten kommt die Welt in den Kopf, heißt eine Regel der Kommunikationstheorie. Drei davon fehlen in der Welt des Films. Die Frage lautet also: Wie wird das Unsichtbare sichtbar gemacht? Man muss dabei feststellen, dass die Darstellung der Arbeitslosen, der einfachen ArbeiterInnen, der kleinen Angestellten, der LandarbeiterInnen oder der Unterschichten und darüber hinaus der Arbeitswelt selbst vom heutigen Unterhaltungsfilm weitgehend ausgeklammert wird. Früher als quasi mythisches Thema des osteuropäischen Kinos mit entsprechender mythischer Darstellung finden sie heute keinen Ort mehr im westlichen Unterhaltungskino, allerdings gibt es Ausnahmen. So zeigen Filme wie „Liebe das Leben“ (1998) oder „The Snappers“ (1993), wie mittels Kleidung vor dem Hintergrund krasser sozialer Ungleichheiten eine subtile Fantasiewelt und eine geheimnisvolle Poesie des Lebens illustriert werden kann: Ein solches Beispiel liefert das Kommunionskleid für die Tochter des arbeitslosen Bob (Bruce Jones) in „Raining Stone“ (1993). Das schöne weiße Kleid „verkörpert“ das Glück seiner Tochter, die Freude am religiösen Ritual sowie an der festlichen Stimmung, weit weg vom grauen Alltag und dem ökonomischen Überlebenskampf. Für Bob stellt das Kleid selbst ein Stück eigener Kindheit dar. Spielfilme, die unmittelbar eine soziale Problematik aufgreifen wie „Norma Rae“ (1978), „Roger and Me“ (1989) oder „La fille seule“ (1995) sind eher rar. Noch seltener wird die soziale Thematik von Historienfilmen aufgegriffen. Jedoch auch hier lassen sich Ausnahmen finden wie „1900“ (1976) mit den LandarbeiterInnen in Italien, „Germinal“ (1993) mit den Minenarbeitern in Nordfrankreich oder „Daens“ (1992) mit den TextilarbeiterInnen in Südbelgien (Abb. 6). Die soziale Aussagekraft der Kostüme erreicht hier einen zumeist differenziert ausformulierten Höhepunkt. Denn jedes Kostüm scheint eine ganze Lebensgeschichte zu erzählen. Umso gegenwärtiger bleibt die Präsenz der Ober- und vor allem der Mittelschichten im Film. Diese Oberschichten waren sich sehr genau darüber im Klaren, wie gut die „Moralisierung“, die Disziplinierung oder die Anpassung der Unterschichten über die Veränderung der Kleidung und der Erscheinung erreicht werden kann –, ein Erziehungseffekt, den die Zeitgenossen bereits im frühen 19. Jahrhundert beobachten konnten.40
40 Vgl. Perrot 1983, 133-135.
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Abb. 6: „Daens“
In der Verfilmung von Emile Zolas „Germinal“ (1993), eine Alltagsgeschichte der Minenarbeiter und ihrer Familien Ende des 19. Jahrhunderts, wird der soziale Gegensatz zu den Oberschichten vor allem mittels der Kostüme artikuliert. Der Film wie der Roman bestätigen auf diese Weise Berichte und historische Zeugnisse, in denen die Fabrik und die Welt der ArbeiterInnen beschrieben werden. Dies gilt auch für „Daens“ (1992). „In der Fabrik war die Kleidung selbstverständlich primitiv und schmutzig“, schrieb Paul Göhre 1891: „Ein festes, wenn auch vom langen Gebrauch abgeschabtes, glänzig gewordenes Beinkleid, eine Weste und darüber ein blauer Leinwandkittel war das übliche Kostüm. Wenn man die Stiefel anbehält, schmerzen die Füße nach dem elfstündigen Stehen und Gehen auf dem Ziegelpflaster zu sehr“.41 Oder: „Tini trug mit Vorliebe breite blaue Leinenschürzen, die damals von Fabrikmädchen gerne getragen wurden. Ein hübsches Tuch hatte sie kokett um die Schulter geschlungen, Rock und Bluse waren geschnitten, wie es für die Arbeiterinnen Brauch war.“42 Diese harte Kontrastierung der Kleidungswelten stellt jedoch in der realen Welt ein Requisit aus einer anderen Zeit dar, die Geschichte geworden ist. Heute werden soziale Distinktion und soziale Prägungen subtiler gehandhabt. Mode ist jedermanns Sache, was allerdings nicht bedeutet, dass die soziale Frage verschwunden wäre, sondern nur, dass sie anders artikuliert wird. Im Kino werden soziokulturelle Barrieren und Stimmungen dagegen weiterhin mit Kleidungskontrasten und der Körpersprache beschrieben. Die arbeitslosen Musiker in „The Commitments“ (1991) oder die Figur des Vaters in „Raining Stone“ (1993) verraten unmissverständlich diese gesellschaftliche Zugehörigkeit. Dazu charakterisieren Kostüme im Film gesellschaftliche Anlässe wie Feste, Aktivitäten oder Situationen. Will eine historische Rekonstruktion glaubwürdig erscheinen, muss der Tagesablauf selbst, zumindest für die 41 Göhre 1891, 110-111. 42 Popp 1915, 31.
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Oberschichten, in eine Abfolge von Anlässen unterteilt werden, die mehrheitlich über das Kostüm erkennbar wird. Dies bedeutete – zumindest noch vor dem Ersten Weltkrieg – konkret ,,dass man sich sechs- bis achtmal täglich umzuziehen hatte, was in „Titanic“ (1997) zum Ausdruck kommt. Als beliebtes filmisches Material, um diese luxuriöse Seite zum Ausdruck zu bringen, diente neben Schmuck lange Zeit der Pelz in Form von subtilen oder auffälligen Fellelementen in der Kleidung, eine Tradition, die bis weit ins Mittelalter, ja in die Antike zurückgeht.43 In dem Film „Hotel International“ (1963) wird eine regelrechte Pelz-Modenschau vorgeführt: nicht nur Liz Taylor trägt einen mit weißem Pelz gefütterten Mantel (Abb. 7), sondern auch eine ganze Reihe weiterer Protagonisten wie Margaret Rutherford oder Elsa Martinelli, ja selbst Orson Welles erscheint in einem protzigen Mantel mit breitem Pelzrevers. Abb. 7: „Hotel International“
Pierre Cardin und Hubert de Givenchy als Kostümbildner des Films sorgten für die Finesse der Details. Von Marlene Dietrich in „Die scharlachrote Kaiserin“ über Gene Tierney als Lady Barbara in „Hudson Bay“ (1940) bis hin zu Sophia Loren und Stephen Boyd in „Der Untergang des römischen Reiches“ (1964) ging Hollywood früher stets großzügig mit Pelzausstattungen um. Dies hat sich teilweise geändert. Auch wenn sich die Haute Couture sowie die Pelzindustrie kaum um die Kritik an der Pelzkleidung kümmerte, übte die Filmindustrie Zurückhaltung, so dass das Thema im modernen Film häufig als deplatziert oder als nicht „political correct“ betrachtet wurde. Doch dem Pelz gelingt teilweise die Rückkehr auf die Leinwand. Die historische Stimmung verpflichtet: so scheut sich Lars von Trier nicht, Grace (Nicole Kidman) am Anfang und am Ende von „Dogville“ (2003) in einer Pelzjacke auftreten zu lassen. In gegenwartsorientierten Filmen vollzieht sich die Unterteilung in Anlässe und Situationen eher auf der Arbeits- und Freizeitebene mit besonderer Akzentsetzung auf den Szenelooks. Ebenso leicht sind berufliche Tätigkeiten anhand ihrer Kleidung zu identifizieren wie Stewardessenuniform, Arztkittel, Künstlerlook, Metzgerkittel, 43 Vgl. Delort 1985.
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Uniformen der Bahnbediensteten, ja selbst der Kleidungsstil von SozialarbeiterInnen. Sie vermitteln uns eine Vorstellung davon, was alles innerhalb dieses Rahmens passieren kann. Sogar Büroanzüge werden anhand unterschiedlicher Kennzeichnungen genauestens in ihrer hierarchischen Anordnung beschrieben, je nachdem, ob man es mit Bankangestellten, Finanzleuten, Firmenvertretern oder Autoverkäufern zu tun hat. „Das Appartement“ (1960) von Billy Wilder macht uns mittels zahlreicher verbaler, körpersprachlicher und Kleidungspointen auf diese Weise mit der Welt der Angestellten vertraut. Sozial kaum geachtete Beschäftigungen wie die des Drogendealers, der Prostituierten oder des Gangsters werden über den Look im Film erkennbar gemacht. Erleichtert wird dem/der ZuschauerIn die Erkennbarkeit durch einzelne Details wie etwa eine in Schnitt, Farbe oder Musterung zu auffällige oder Maßlos gesteigerte Kleidung.
Intermediale Stereotypisierung Die Stereotypisierung – heute spricht man in euphemistischer Weise eher von Kategorisierung – wird im Allgemeinen als negativer Schliff verstanden: eine ideologische Vereinfachung durch grobe Repräsentationsmuster. Damit werden zwei völlig unterschiedliche Ebenen in einen Topf geworfen. Weniger das Stereotyp als „Aspekt des menschlichen Gedankens“ soll daher hier in Frage gestellt werden als vielmehr die Nachfrage nach dem, der es kontrolliert und definiert und für welche Interessen es steht.44 Das Stereotyp gilt als eine bestimmte Typisierungsform. Es stellt eine besondere Form von Darstellung und Kategorisierung von Personen und Situationen dar, welche die enorme Fülle an Daten und die Komplexität der Welt in eine gezielte „Musterung“ umsetzt, um Sinn, Orientierung und Verständlichkeit zu produzieren. Das Stereotyp unterliegt freilich im Film und im Kunstwerk völlig anderen Gesetzen als in der realen Handlungs- und Denkweise. Auch die Art, wie es eingesetzt wird, ist davon sehr verschieden. Im Realen ersetzen Stereotypen die Wirklichkeit, im Film dagegen versuchen sie diese zu illustrieren, wenngleich ein gegenseitiger Einfluss nicht zu leugnen ist. Schwieriger wird es dann, wenn die Stereotypisierung Vorurteile verallgemeinern soll. Um diese Hindernis zu umgehen, wird auch auf das Mittel des Kontrastes zurückgegriffen. Ein zwar selbst bereits stereotypes, aber überzeugendes Beispiel dafür liefert Peter Fairmans „Crocodile Dundee 1“ (1986), wenn in der Nachtszene ein junger Aborigine auftaucht. Alles, bis hin zum geringsten Detail seiner Erscheinung und Bemalung weist darauf hin, dass es sich um einen echten und bewaffneten Aborigine handelt – das genügt, um die elegante, emanzipierte New Yorker Journalistin Sue Charlton (Linda Koslowski) in Angst und Schrecken zu versetzen. Wenn er kurze Zeit darauf jedoch fließend den Slang der Großstadt spricht, sich als ein Freund Micks (Paul Hogan) erweist, die Haltung und Körpersprache eines Großstadtjungen annimmt und sofort kleine technische Probleme erkennen kann, löst dies einen fröhlichen Gegeneffekt aus. Stereotypen mit Gegenstereotypen? Der ganze Film arbeitet nach diesem Motto und kultiviert gezielt solche harten und klischeehaften Gegensätze.
44 Vgl. Dyer 1993, 12.
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Die Übersetzung der sozialen Wirklichkeit ins Fiktionale steht also zunächst vor einem Problem. Als gängiges Grundmuster für die Umsetzung der Welt in Figuren gilt die Schematisierung des Verhaltens und des Charakters. Hier prallen bereits verschiedene Kunstgattungen aufeinander. Von der einen übernimmt und setzt das Kino die Lehre der Körperbearbeitung um: Bereits die Commedia dell’arte – eine Mischung aus volkstümlicher und gelehrter Spieltradition – arbeitete mit Charakterpersonen wie Arlecchino, Brighella, Dottore, Kapitän Spavernto, Colombina, Pantalone, Scaramouche. Diese Figuren ersetzten oder vergegenwärtigten die mittelalterlichen Figuren des Helden, der Dame, des Narren, des Verräters oder des treuen Dieners. Die Darstellbarkeit und die Dramatisierung des Körpers im Film entstammen nicht zuletzt dem Theater und der Pantomime sowie der Malerei und der Bildhauerei. Die Filmwissenschaft spricht in diesem Fall gern von der Strategie der Intermedialität oder von der Dialogizität der Bilder, um diese Beziehung des Films zu den sogenannten traditionellen Künsten zu bezeichnen. Ziel dabei ist es, den Dialog der Stimmen in einem Kunstwerk aufzuspüren. Daher ist es kein Zufall, wenn Gestaltungsregeln der Malerei wie die des goldenen Schnitts und ihre Aufteilung in neun Abschnitte oder die Leinwanddiagonale und ihre hierarchische Strukturierung als Mittel der Bildkomposition und -gestaltung vom Film übernommen wurden. Die Beobachtung, dass die Geschichte der Malerei auch eine Geschichte der Modemalerei und damit schließlich der Mode selbst ist, gilt ebenso für den Film. Eine Modegeschichte schreibt aber zugleich die Geschichte des Körpers. Mit dem Zuschnitt der Mode wurde auch der Körper ebenso zugeschnitten. Seine Bewegungssprache wurde bestimmt. Die Modellierung seiner Anatomie wurde seit dem Spätmittelalter als Grundlage für die Modellierung der Geschlechter eingesetzt. Kulturelle Faktoren wie ideale Verhaltensmuster sind für die „Schematisierung“ von großer Bedeutung. Verhaltensideale, welche bis heute noch im Kino Gültigkeit besitzen, haben sich teilweise im 19. Jahrhundert konstituiert und stehen für die „leibhaftige Vernunftstunde des Bürgertums“.45 Das Kino schleift und differenziert diese Bezugspunkte im Hinblick auf traditionelle Verhaltensmuster zwar stets aufs Neue, ihre erfolgreiche und starke kulturpolitische wie medienästhetische Resonanz jedoch bestätigt, dass man das heutige Kino fast ausschließlich als das der Mittelschichten bezeichnen könnte. Es ist immer mit entsprechenden Konzeptionen und Weltanschauungen verbunden, und dies nicht nur in den westlichen Kulturen. Auf dieser Basis werden soziale Diskrepanzen formuliert, so etwa bei dem mit eher grobem Muster gewebten Film von Etienne Chatillez „Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss“ (1988), ein fröhlich-nostalgisches modernes Sittengemälde, in dem sowohl der Look als auch die Verhaltensweisen der Protagonisten eindringlich und nuancenlos Auskunft über ihre soziale Herkunft geben: Proleten und Spießer (Abb. 8). Außerhalb Frankreichs hatte dieser Film kaum eine Chance, verstanden zu werden, was bereits die deutsche Synchronisation bewies. Aus deutscher Perspektive könnte man den Film „Sonnenallee“ (1999) zitieren, dessen Feinheiten und Zitate sich nur schwer außerhalb des Kontextes des wiedervereinigten Deutschland verstehen lassen. Für die „Einheimischen“ war die Bedeutung der Kostüme in beiden Filmen unmissverständlich klar. 45 Döcker 1994, 77.
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Abb. 8: „Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss“
Filmbilder vertreten den Anspruch einer allgemeingültigen „Lesbarkeit“ der Welt – schon aus dem einfachen Grund, weil sie in einer sehr effizienten, schnellen und anschaulichen Weise erzählen, beschreiben, unterhalten, dokumentieren, motivieren, überzeugen oder erinnern. Der Grund für den Erfolg der Kommunikation mittels Bildern „scheint eben darin zu liegen, dass Bilder vermeintlich ein analoges Modell der Welt darstellen“.46 Jedoch trügt der Schein, Bilder sind keinesfalls gleichermaßen universell verstehbar, sondern immer zugleich Orte der Repräsentation mit entsprechender Verschlüsselung der Kostüme, der Requisiten und der Körpersprache, ja selbst der Dialoge. Nordamerikanische Indianer verstehen dies genau, wenn sie die Indianer als Motive in Filmen erblicken. Dies gilt ebenso für „Asiaten“, für Behinderte oder für Lesben und Schwule, wenn sie Filmbilder entziffern. Im Grunde lässt sich dies auf sämtliche Gedanken und Handlungsweisen anwenden, die nicht normativ formatiert sind – d.h. im Sinne des großen normalistischen Konsenses – und die daher eine eigene, vom Unterhaltungsfilm differierende Schrift- und Bildontologie entwickeln. Ich erinnere mich, als bei der Vorführung des Films „Stagecoach“ (1939) von John Ford in einem kleinen Studentenkino in Heidelberg das erste Bild von Indianern im Film erschien: vier junge Indianer in prachtvollen Kostümen. Das Kinopublikum jubelte und akklamierte angesichts dieser eindrucksvoll realistischen Darstellung. Sie entstammten nämlich nicht der Kleiderkiste Walter Plunketts, sondern einer kleinen Gruppe echter Indianer wie Billy Yellow, Whitehorse und Chief John Big Tree, die inmitten anderer Statisten spielte: ein wahrer Genuss. Das Wort Rahmen sagt es bereits: es handelt sich beim Film um eine gerahmte Fassung vom „Leben“. Die Filmsprache verwendet dafür je nach Absicht verschiedene Begriffe. Sie spricht vom Bildfeld (Inhalt), vom Bildkader (Inhalt in Bezug zum Außenrahmen), von Kadrierung (die Definition des Bildausschnitts gibt uns den Sinn) oder vom Framing (Verfahren, um das Bild kameratechnisch zu gestalten). Diese Rahmenbedingungen verweisen auf die Welt des Theaters. Kinosäle waren in der Frühzeit der Filmgeschichte ähnlich wie Theater konzipiert. Diese Verbindung bleibt bis heute spürbar. Die Zuschauer haben einen festen 46 Borstnar 2002, 85.
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Sitzplatz, der Saal wird verdunkelt. Ein „Rahmen“ trennt die Welt der Fiktion von der realen Welt. Innerhalb des Rahmens organisiert sich das „Bild“ – im Theater ist das die Bühne, während beim Film andere eigene Strukturgesetze herrschen. Dies wird besonders nachvollziehbar bei Theaterverfilmungen wie „Hamlet“, „Heinrich V.“, „Macbeth“ oder „Othello“. Viele RegisseurInnen spielen gern mit den zwei verschiedenen Ebenen und vermischen „Theaterfiktion“ und „Filmrealität“, wie es Marianne Mnouchkine mit „Molière“ (1978), Jean-Paul Rappeneau in der Anfangsszene von „Cyrano von Bergerac“ (1991), John Madden bei „Shakespeare in Love“ (1998) oder subtiler noch Carlos Saura mit „Carmen“ (1978) oder FranȢois Truffauts in „Die letzte Metro“ (1980) tun. Also bei den eben erwähnten Filmen tragen die Kostüme nicht dazu bei eine klare Trennung zwischen Realität und Fiktion zu ziehen, sondern, im Gegenteil, sie zu verwischen. Die Leinwand des Kinos verweist auf die Leinwand der Malerei. „Renoir-Renoir“ hieß die Ausstellung bei der Eröffnung der neuen Pariser Cinémathèque Française Ende 2005. Von einer Leinwand zur anderen, von August zu Jean, damit machten die AusstellungsmacherInnen eine Verbeugung vor der engen Beziehung zwischen Film und Malerei und zeigten, wie sehr Jean Renoir in seinen Filmen die Kunst seines berühmten Vorfahren schätzt. Darüber hinaus ist das leidenschaftliche Interesse Jean Renoirs für die Kostüme bekannt, der bei einigen seiner Filme auch die Kostüme mit entwarf. Ein Problem der Bildwahrnehmung besteht darin, einerseits die einzelnen Elemente des Bildes zu unterscheiden und andererseits das Bild als geschlossenes Ganzes zu erfassen. Dies heißt für uns, diese Elemente und Strukturen sowie gleichzeitig auch die Geschlossenheit des Bildes zu erkennen, zu rekonstruieren und zu hinterfragen. Die Beschreibung eines Filmbildes folgt daher zunächst den Regeln jeder ikonografischen und kulturanthropologischen Bildbeschreibung: Hier werden bildräumliche Komponenten, bildästhetische Elemente betrachtet, die Komposition und die Anordnung der Personen und Objekte, ihre Beziehungen zueinander, ihre hierarchische Struktur, die Stellung der Kostüme und anderes mehr. Die Filmanalyse kann auch auf die Literatur zurückgreifen, indem sie die Erzählform, die Dialoge oder die Erzählperspektive betont. Overlapping, Close-up oder Flashback z.B. sind Filmtechniken, die auf literarische Techniken zurückgehen. Dabei werden auch die Kostüme als narratives Element betrachtet. Im Allgemeinen basiert der Film auf einer schriftlichen Vorlage: dem Drehbuch. Lang ist die Liste jener SchriftstellerInnnen von Honoré de Balzac über Stéphane Mallarmé, George Sand, Theodor Fontane, Virginia Woolf oder Thomas Mann bis hin zu Wilhelm Genazino, bei denen die Kostüme als Elemente der Dramaturgie, der Charakterisierung einer Person oder als Stimmungszeichen gelten. Alle künstlerischen Ausdrucksformen wie Malerei, Glasmalerei, Kupferstich, Roman, Theateraufführung, Pantomimenkunst, Musik, Tanz, Miniaturenmalerei und Fotografie dienen dem Film als quasi unerschöpfliche Quelle: als intermediales Sampling. Im Kern dieses visuell-textuellen Zitatentheaters vermittelt die Mode bereits die ersten Raum-Zeit-Bezüge. Zwei Beispiele illustrieren dieses Zitatenspiel besser als sämtliche wissenschaftlichen Abhandlungen. Das erste betrifft die Diebstahlsszene in „Kinder des Olymp“ (1943-1945). Wir befinden uns auf dem Boulevard du Crime des 19. Jahrhunderts inmitten einer große Menschenmenge. Der Pan-
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tomime Baptiste (Jean-Louis Barrault) auf der Bühne rekonstruiert gerade den Diebstahl durch seine Kunst (Abb. 9), und dies so überzeugend, dass Garance (Arletty) sofort vom Diebstahlsvorwurf entlastet wird und der Ankläger sich schließlich beschämt bei ihr entschuldigt.„Sie sind frei“, sagt schließlich der Polizist. „Dies trifft sich gut, weil ich liebe sie ... die Freiheit“, antwortet Garance. Die filmische Verbeugung Carnés vor den Straßenkünstler und dem Theater ist nicht zu übersehen. Die Kostüme Antoine Mayos prägen die ganze Szene. Abb. 9: „Kinder des Olymp“
Ähnlich geht Stanley Kubrick mit der Malerei und der Literatur in „Barry Lyndon“ (1975) um, als Barry (Ryan O’Neal) zum ersten Mal die Comtesse von Lyndon (Marisa Berenson) erblickt und eine Stimme aus dem Off in Thackerays Worten die Situation beschreibt. Comics vereinen auf ihre Art schriftliche und bildliche Kunstgattungen. Kein Zufall also, dass sie bei der Filmwelt so beliebt sind, abgesehen davon, dass beide – Film und Comic – zur populären Kultur gehören. Die Malerei, ob „klassisch“ oder als Genremalerei, stellt durch die Formsprache ihrer medialen Expressivität eine privilegierte Quelle dar: eine Art naher Verwandter und Vorfahre zugleich. Diese Kunstgattungen werden dabei nicht adaptiert, sondern quasi analog zum Film aufgezeichnet.47 Kostüme oder Dekors können so auf die Anordnung berühmter Gemälde zurückgeführt werden oder auf eine ganze Reihe oder Klasse von Gemälden verweisen. In „M.A.S.H.“ (1970) von Robert Altman verweist das „letzte Abendmahl“ des Arztes im Zelt auf Leonardo da Vincis berühmtes Fresko.48 Der ironische Ton der Szene rührt hier hauptsächlich von den militärischen Tarnanzügen und den weißen Kitteln her. Genauer betrachtet, sind sie genauso realitätsgetreu wie die Renaissance-Kleidung bei Leonardo. Eine ähnliche 47 Vgl. Borstnar u.a. 2002, 75. 48 Mailand, Dominikanerkirche Santa Maria delle Grazie 1495-97. Es gibt nicht nur im Kino, sondern auch in der Kunst viele Varianten dieser Szene (von Salvador Dali bis Renato Casaro oder Rudolf Mausner), sogar in der Werbung wie das Bild Horst Wackerharts für eine Jeans-Werbung der Firma Otto Kern 1993.
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Szene findet man in Peter Greenaways „Der Bauch des Architekten“ (1986), diesmal mit barocker Kleidung. Ikonendarstellungen bilden den Ausgangspunkt für Tarkovskis biografische Episodendarstellung „Andrei Rublev“ (1969). Eine Reihe von Gemälden dient als Grundlage für Derek Jarmans „Caravaggio“ (1986). In beiden Werken wie auch in „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ (2003) von Peter Weber bilden die Gemälde oder die ikonischen Vorbilder eine direkte Inspirationsquelle für die Kostüme der Filme. So dienten die Kosakenbilder Repins vermutlich als Inspirationsquelle für den Film „Taras Bulba“ (1962) von J. Lee Thompson. In der Verlebendigung dieser literarischen und visuellen Vorbilder begründet sich auch die Magie des Films. In „Zeit der Unschuld“ (1993) nach einer Novelle von Edith Wharton beginnen die Hauptszenen mit einem Gemälde, die auf die Handlung übergreift und sich auf einmal bewegt. Da die Leihgebühren für die Originale das Filmbudget gesprengt hätten, ließ Scorcese über 200 Gemälde-Replikate von der Pariser Firma „Troubetskoy Paintings“ anfertigen. Anschließend expandierte die Firma, die zunächst als Servicedienst für Sammler gedacht war, nach Hollywood und arbeitet weiter im Filmbusiness, etwa für „Die Thomas Crown Affäre“ (1998), „Hello Mr. President“ (1995), „Fluch der Karibik“ (2003) oder „Aviator“ (2004). Der Bildträger der Kopien bleibt dabei übrigens textiler Natur. Martin Scorcese hat zusammen mit Jay Cocks ein Buch mit zahlreichen Abbildungen über den Film „Zeit der Unschuld“ herausgegeben, in dem er präzise Angaben zu seinen Inspirationsquellen und Vorlagen macht.49 Die Frisur Winona Ryders ahmt die Fotografie einer unbekannten Frau von Mathew B. Brady im späten 19. Jahrhundert nach. Das rote Galakleid Michelle Pfeiffers wurde nach einer Illustration der Zeitschrift „Harper’s Bazaar“ aus dem Jahr 1870 entworfen. Der dunkle Anzug von Daniel Day Lewis orientiert sich an Asher B. Durands Bildnis von John William Casilear. Dazu verwenden Scorcese und die Kostümbildnerin Gabriella Pescussi für die Kostümentwürfe beispielsweise zu den Ball- und Theaterszenen zahlreiche Bilder der Malers James Tissot als Vorlage. Gemälde von Alfred Emslie dienen als Vorlagen für die Gastmahlszenen des Films, Bilder von George Croegart, Mihaly Munkasy und Louise Abema stehen den Interieurszenen Pate. Darüberhinaus wurden noch viele Zeichnungen aus Modezeitschriften und Fotos aus dem späten 19. Jahrhundert als Illustrationsvorlagen für die Kostüme und die Dekors benützt. Das Publikum interessiert sich heute immer mehr für diese Vorlagen wie auch für die Herstellung eines Films, daher enthalten DVDs zunehmend Informationen dazu. Auf der Ebene der Formen, der Farben und der Körpersprache entwickelt sich im „Zeit der Unschuld“ das Spiel der Gefühle, die von Anpassung und Widerstand sprechen. Die damalige amerikanische gutbürgerliche Kleidungsordnung in Kategorien zu fassen, ist ein nahezu unmögliches Unterfangen. Es lässt sich nur feststellen, dass sie zwischen zwei Repräsentationsschemata stand: Weder zu eng anliegend noch zu weit, weder zu blass noch zu grell. Diese Wissenschaft des Details, so die Behauptung des Films, schien zum Dekodierungsschlüssel der feinen Gesellschaft der Ostküste zu gehören: Das Mittelmaß – Mediocritas optima est.
49 Vgl. Scorcese/Cocks 1993.
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Wenn sich Stanley Kubrick für seinen „Barry Lyndon“ (1975) auf Hogarth, Gainsborough, Reynolds, Rumney, Watteau, Zoffany, Stubbs oder Chardin stützt, Ken Hughes auf die holländische und englische Malerei des 17. Jahrhunderts für seinen „Cromwell“ (1970) oder Scott auf die Malerei der napoleonischen Ära für die Empiregeschichte „Die Duellisten“ (1977), so versuchen sie damit auch Erinnerungen in unserem Gedächtnis zu aktivieren. Wie zuvor bei der Fotografie, die Vorstellungen aus der Malerei übernahm, fand die Begegnung des Films und der Malerei mit der Geburt des Kinos statt. Dies setzte sich fort im Stummfilm, der sich von berühmten Malern inspirieren ließ: Die Anlehnungen an die Romantiker durchdringen den „Nosferatu“ (1922) von Friedrich Wilhelm Murnau, Rembrandt, Holbein und Altdörfer seinen „Faust“ (1925), die Rokokomalerei „Tartuffe“ (1926) und Gauguin „Tabu“ (1931). Auch in Fritz Langs „Nibelungen“ geht die Inspiration auf die skandinavische Malerei der Romantik zurück. Diese Beziehung setzen Tonfilm und Farbfilm bis heute fort. Bei „Gefährliche Liebschaften“ (1988), „Zeit der Unschuld“ (1993) oder „Goyas Geister“ (2006) dienen die Kostüme dazu, sich leichter in eine Epoche zu versetzen und einzufühlen („Zeigefinger“-Effekt).50 Dadurch wird eine vertraute Déjà-vu-Wirkung erzeugt. Es entsteht der Eindruck, die Kostüme und sogar die Figuren irgendwo schon einmal gesehen zu haben. In dieser Hinsicht kann sogar ein Gemälde zum Thema einer Filmhandlung werden wie in „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ (2003). Dieser Effekt der Kleidung beruht übrigens darauf, dass der Film bereits stilisierte Darstellungen aufs Neue stilisiert oder manchmal verfremdet, jedoch keineswegs neu befragt.51 Diese Anpassung an das Normative der Darstellungen gilt häufig ebenfalls für die Erzählform. Die Mode gilt im Unterhaltungsfilm zumeist als Baustein der Erzähltechnik. Hitchcock behandelte gern das Thema Mode als Narrationstechnik, als Schlüssel einer Szene oder sogar als Plotpoint.52 Erkennbar wird dies in der Szene in der Haute-Couture-Boutique in „Vertigo“, als James Stewart Kim Novak zwingt, ein bestimmtes New Look-Kleid zu wählen und damit eine rätselhafte Dramatik auslöst. Die Kostüme von Madeleine/Judy (Kim Novak) sorgen also nicht nur für das Erscheinungsbild der Schauspielerin, sondern ebenso für den Wandel und für die Stimmung der Geschichte. Sie ergänzen sich sogar in den Dekors und prägen schließlich den Stil des Films. So wird in „Vertigo“ und in weiteren Filmen Hitchcocks wie „Fenster zum Hof“ die Mode selbst zum Spektakel, ein Kennzeichen, das sich im Gegenwartskino wie in den Filmen Pedro Almodovars oder Peter Greenaways besonders bemerkbar macht. Die Mode als Spektakel ist keineswegs eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Lange bevor Modeschauen und Filme existierten, war die Mode selbst ein Bühnenschauspiel. Die Bühnenkostüme des Barocks z.B., obschon von eindeutiger Zeichensetzung, die den Typus, den sozialen Rang und den Stand charakterisiert, lassen genügend Raum für die Fantasie.
50 Zemon Davis 1991, 42. 51 Vgl. Devoucoux 2000, 32. 52 Ein Plotpoint ist ein Vorfall, eine Episode oder ein Ereignis, das in die Handlung eingreift und sie in eine andere Richtung dreht: Field 1991, 42, zitiert nach Krützen 2004, 107. Manche sprechen hier von Turning Point oder von Wendepunkt.
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Die barocken Bühnenkostüme liefern eine Fülle von fantastischen Mustern und Masken, deren Details jeweils in die zeitgenössische Mode einfließen. Die Hauptreferenz für das Bühnenkostüm bleibt jedoch die zeitgenössische Mode des Barock- oder Rokoko-Zeitalters selbst. Hierbei werden vor allem die fließenden Grenzen zwischen höfischer und bürgerlicher Mode getestet.53 Der Bühnenrahmen, der die Schwelle zum Reich des Schauspiels und der Fantasie symbolisch markiert, bewirkt einen Guckkasteneffekt! Dieser Rahmen jedoch bildet für das Modegeschehen keine Trennmauer, von dem die ZuschauerInnen ausgeschlossen wären. Am barocken Hoftheater hingegen sind die beiden Bereiche durch den voll beleuchteten Zuschauerraum ohnehin vollständig ineinander integriert – im Gegensatz zur Verdunkelung des öffentlichen Theaters. Das Publikum selbst versteht sich als Element des Theaters.54 Sowohl auf der Bühne als auch im Saal gehört die Mode zur Machtinszenierung und wird von allen Beteiligten als solche verstanden und akzeptiert. Auf diese Weise drückt die Mode auch die immer enger werdenden Beziehungen zwischen Theater und Alltagsleben aus. Allerdings war selbst die Inszenierung auf der Bühne nicht ohne Anspruch auf Authentizität. Man versuchte z.B. einen Indianer nach dem Muster darzustellen, das sich die jeweilige öffentliche Meinung durch Bücher, Zeitschriften und Almanache von Indianern machte, für die Bühne jedoch in stilisierterer Form. Das Leben am Hof wurde wie eine Theateraufführung inszeniert mit den höfischen Festen als optimaler Hyperbel. Die Theatralisierung der Welt wurde als ein gesamteuropäisches Ereignis zelebriert und das Leben selbst als Schauspiel bezeichnet. Schon in Calderon de la Barcas „Großem Theater der Welt“ kommt diese Idee zum Tragen.55 Die Mode gerät zum wesentlichen Element dieser Dynamik, die im 19. Jahrhundert auf den Grands Boulevards ihre theatralische Fortsetzung und Entfaltung fand. Dies erklärt auch, warum SchauspielerInnen zu Mode-Ikonen der Zeit avancierten, sowohl auf der Bühne als auch außerhalb.
Kostüme als Bild und Bildmedium Die Mode konstituiert im Film einen „physiognomischen Aspekt der Bilderwelt“,56 was voraussetzt, um Michael Taussig weiter zu paraphrasieren, Augen und Ohren im Film als Tastorgane zu betrachten, die Bilderwelt und Modewelt abtasten und untersuchen. Verschiedene Medien und Techniken spielen in der Verbildlichung des Lebens heute eine Schlüsselrolle: Fotografie, Film, Fernsehen, Video/DVD oder Computer. Überraschenderweise behauptet nicht der Film oder der Computer den größten Einfluss, sondern die Standfotografie,57 und sei es nur im kleinen Format der Handys. Die Fotografie hat sich sehr früh für Mode interessiert. Heute erschöpft sich die Modefotografie nicht allein in der Verbindung von Bild und Mode,
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Vgl. Bauneck 1996, Bd. 2. Vgl. Alewyn 1985. Calderon de la Barca 1655. Taussig 1997, 30. Silvermann 1997 (a), 42.
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sondern sie hat auch Einfluss auf den Spielfilm gewonnen. Allerdings besitzt der Film hier eine eigene Qualität. Es geht nicht nur darum, zu verstehen, wie die Mode im Bild wirkt oder wie sie ein Bild konstruiert, sondern – dies sollte unterstrichen werden – wie sie selbst ein Bild oder Bilder konstituiert. Der Begriff „Bild“ ist kein exklusives Thema der Kunstgeschichte oder der Medienwissenschaft. Es betrifft nicht nur Darstellungen, sondern entfaltet sich ebenso als materieller, visueller, verbaler oder multimedialer Prozess und als soziokulturelles Phänomen. Die Kleidungsmode als Bildträgerin, als Bildproduzentin und als Bildmedium lässt sich nicht auf ihre Konturen, auf ihre Linien reduzieren: sie umfasst und bewegt Menschen, Ereignisse und Welten. Sie kristallisiert immer den gesamten Kulturapparat aus, der sie erfunden hat und auf den sie sich bezieht.58 Die Mode konstruiert und konstituiert zugleich eine Bilderwelt und ein Weltbild. Der bildproduktive Charakter der Mode steht damit inmitten eines Netzwerkes von Praktiken und Beziehungen. Bilder, ja Modebilder sind nicht isoliert, sondern existieren inmitten eines Schrift- und Sprachkontextes, kurz einer Repräsentationsfeld.59 Diese soziokulturelle Repräsentation fließt ein in die Konversation, in die Diskurse, sie wird also allseits durch die Sprache vermittelt. Die Mode ist also nicht bloß sichtbar, sie wird auch gesprochen, geschrieben, gespielt oder gehört, ohne dabei einen vorgeschriebenen ikonografischen Weg nehmen zu müssen. Die Mode als Erzeugerin von neuen Bildern ist nur wirksam in der Konstellation mit einer Fülle anderer kontinuierlich interaktiver Kulturelemente schriftlicher, visueller, repräsentativer und emotioneller Art. Sie verfügt jedoch über eine eigene Kraft. Ernst Gombrich bemerkt, dass Bilder „Informationen vermitteln, die auf keine andere Weise entschlüsselt werden können“.60 Dies illustriert auf seine Art Peter Greenaway in „Prosperos Bücher“ (1991). Die Mode ist weniger als starres Zeichen oder Folge von Zeichen zu betrachten, sondern vielmehr als eine besondere Form der Entdeckung und Erfahrung. Sie erweist sich zugleich als Faktor von psychischen Veränderungen, die häufig als Motiv im Film verwendet werden. Es handelt sich also im Unterhaltungsfilm um ein Spiel von Bildern in Bildern. Dies ist besonders auffallend in Filmen, in denen die Kostüme eine stilistische Grundrolle spielen. Die Lifestyle-Komponente ist vermutlich der beste Teil der „Matrix“-Trilogie und prägt weitgehend den Stil des Films. Mich interessiert hier nicht die religiöse Sprache des Films oder die Ambivalenz der Vorstellungen, sondern nur der Look. Die klassisch-spießigen Männeranzüge sind in „Matrix“ Symbole des Bösen. Der operationelle Look der HeldInnen Neo (Keanu Reeves), Morpheus (Laurence Fishburne) und Trinity (Carrie-Anne Moss) in der virtuellhyperrealen Welt ist dagegen cool: ein gothic-artiger, geheimnisvoller, aber – bis hin zu den Brillen – gelegentlich auch neutraler schwarzer Look.
58 Vgl. Devoucoux 2005. 59 Vgl. Mondada/Panese 1998, 23-61. 60 Gombrich 1999, 51-52.
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Abb. 10: „Matrix“
Die Lederlatex-Fassung des Looks Trinitys sorgt für den erotischen Touch und die Mäntel Neos und Morpheus’ – etwas parodistisch – für Virilitätsvorstellungen (Abb. 10). Morpheus’ hoher Kragen verweist dazu auf seine Rolle als Meister oder Erzieher. Der körperbetonte schlichte, teils glänzende Look der HeldInnen symbolisiert auch die technologische Welt. An Bord des „Schiffes“ dagegen tragen sie einfache Wollkleidung, die ihre Verletzlichkeit aufdeckt, aber auch auf die „wahre“ Welt hinweist. Die Kostüme werden zu Codes, um zwischen Virtualität und Realität unterscheiden zu können. Mittendrin tauchen verwirrende Kostümformen auf wie das Kostüm des Orakels, eine Mischung zwischen Hausfrau-, Mutti- und Zigeuner-Look, der auf die Banalität des Alltagslebens verweist und dennoch zur Wachsamkeit aufruft: ein Tarnkostüm, das für Unauffälligkeit und Normalität steht. 61 Der Verwendungskontext oder der Zweck formt also ein Bild und entwickelt dabei die Regeln für seine Interpretation. Dieses Bild kann unterschiedlich wirken, je nachdem, ob es für lokale oder globale „Zwecke“ eingesetzt wird oder offensiv bzw. zurückhaltend wirken soll. Es geht hier nicht um echte oder falsche Bilder, um reale oder fiktive Bilder, sondern um den Mechanismus der Modebilder, um ihre „Absichten“ und ihre Art der Realisierung. Im Spielfilm sind diese Absichten vielfältig. Jedoch nicht nur Film oder Medien werden angesprochen, sondern auch die ZuschauerInnen: deren Rolle wird dabei sogar zentral. Die Vorstellung von der Manipulation der Bilder, wie sie von einigen kritischen KulturforscherInnen verbreitet wurde, ignoriert einige Phänomene. Diese Kritik unterschlägt die Begeisterung für den Spielfilm, so wie man sich zuvor im 18. und 19. Jahrhundert leidenschaftlich für Theaterstücke und Schauspiele interessierte. Wenn Robertson 1798 mit seinem Illusionssystem vor dem Publikum experimentierte, ging es dabei um bewusst wahrgenommene Illusionen und um den Spaß des Publikums. Dieses wusste auch sehr gut damit umzugehen. Die Wirkungskraft des Phänomens lag darin, dass das Verfahren unentdeckt und unbewusst blieb und dass die Aufführung sich nur als Spektakel anbot.62 Uns ergeht es heute ähnlich. Wir wissen zwar
61 Vgl. Devoucoux 2005 (b). 62 Vgl. Mondana/Panese 1998, 36f.
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teilweise, wie diese Illusionseffekte funktionieren, umso größer ist jedoch unser Spaß und unsere Lust am Kino. Gerade dieser Aspekt des Visuellen hat frühzeitig das Interesse an der Frage geweckt, wie sich die neuen Bilder und die Bilderproduktion instrumentalisieren lassen. Dem Begriff Manipulation trifft den Sachverhalt nicht vollständig, weil das Filmbild nur unter einer Grundbedingung funktioniert: Das Vergnügen liegt gerade darin, dass wir in das Bild wie in der realen Welt hinein- und aus ihm herausgehen können.63 Andererseits fallen Bilder und Modebilder nicht vom Himmel, sondern hängen von konsumwirtschaftlichen und industriellen Prozessen ebenso ab wie von Kommunikationskanälen, kurzum: von Energiequellen und Energiesteuerung. Sie besitzen bereits dadurch einen normierenden Charakter. Sie hängen weiter auch vom politischen und soziokulturellen Umfeld ab sowie von einer Qualität des Blicks: ein gewisser Instrumentalisierungscharakter kann daher nicht verleugnet werden. Wir haben aber zugleich gelernt, damit umzugehen und wachsam zu bleiben. Wie funktioniert das Bild im Bild, die Mode im Film? Der Typisierungsvorgang konstituiert hier die Art, wie die Kostüme im Film „funktionieren“ bzw. wie sie funktionsfähig gemacht werden. Dies bedeutet im Einzelnen: Mit welchen Kategorien wird Kleidung bearbeitet, mit welchen Ereignissen, welchen Personen, welcher Lebensart, ja sogar mit welcher Bewegung steht sie in Verbindung? In der realen Welt wird etwa – um ein provokatives Beispiel zu erwähnen – das blutbefleckte rosa Kostüm Jackie Kennedys direkt mit der Ermordung ihres Mannes in Verbindung gebracht. Eine ähnlich große Wirkung erzeugte das berühmte Kleid Marilyn Monroes, das sie anlässlich von John F. Kennedys Geburtstag trug. Diese Kategorien – gleich ob welthistorischer, politischer und emotionaler Natur – bieten eine Kohärenz, einen Rahmen oder ein Verständigungsmuster von besonderer ikonischer Macht an. Von Bedeutung werden hier die Relation und die Aussagekraft in Bezug zum Kontext. Ob der Spielraum der Fantasie im Film wirklich größer ist als in den anderen Medien muss offen bleiben. Eine Art kontinuierlicher Identifikationsarbeit findet statt und konstruiert den Rahmen des Alltags mitsamt seinen Bedeutungsfeldern. Dieser Charakterisierungs- oder Musterungsprozess beruht auf einer „Ansammlung“ von Bildern bzw. Innenbildern, die sich sowohl als Gedächtnisort wie auch als Bedeutungsproduktion beschreiben lässt. In einer derart medialisierten Welt wie der unseren entzieht sich jedoch die Konstruktion der Bilder teilweise selbst der Intention der Beteiligten. Das Kino muss auf diese Ambivalenz eingehen. In der realen Welt steckt das Wesentliche nicht unbedingt im Visuellen der Mode, d.h. nicht im Erscheinungsbild, sondern vielmehr in seinem Bedeutungspotential, kurz: im Sozialimaginären. Wir existieren nicht ohne dieses Imaginäre. Bilder nehmen Bezug darauf. Der Kontext der Rezeption gehört also zur Existenz des Bildes, ob Mode- oder Filmbilder. Im Film treffen zwei Bilderwelten aufeinander: eine äußere (des Films) und eine innere, nämlich die unserer eigenen Innenbilder. Der Film versucht, die Welt in Bildern verständlich zu machen, sie im Bild zu besitzen oder zu ergreifen. Er appelliert dafür an die Bilder der Imagination. Dabei sind Bilder und Medien nicht zu verwechseln. „Bilder 63 Vgl. Tisseron 1998, 53.
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sind Nomaden“, schreibt Hans Belting, „die Nomaden der Medien“.64 Sie ziehen von einem Medium in das nächste. Dies gilt nicht nur für den Film oder die Fotografie, sondern ebenso für die Mode, da Mode auch ein Medium ist. Mode als Medium ist umso interessanter, je mehr sie im Kontext von Körpern und Bildern zur Sprache kommt. Da wir im Alltagsleben auf handelnde Personen treffen, handelt es sich im Allgemeinen bei Mode und Kleidung um Bilder „in Situation“ – also handlungsbezogen. Mode ist also als aktiver und kreativer Bilderzeuger zu betrachten. Im Filmbild ist die Kleidung ebenso kontextualisiert, jedoch eher als indexikalischer oder typologischer Bedeutungsträger.
Spielregeln und Kostüme oder: Die Kunst der Verwandlung Kleidung erzählt nicht alles und vor allem nicht allein, sie ersetzt sicherlich nicht die SchauspielerInnen. Dank deren Schauspielkunst und Darstellungskraft bleiben die DarstellerInnen weitgehend die wichtigsten TrägerInnen eines Films. Die Auswahl eines Schauspielers oder einer Schauspielerin ist immer schwierig für die Regie. Die falsche Wahl kann einen Film kaputt machen, sagt der Regisseur Carlos Saura. Dagegen kann man „herrliche Sachen mit Schauspielern erreichen, wenn man die Freiheit lässt“.65 SchauspielerInnen besitzen, bildlich gesprochen, zwei Kleiderschränke: einen, der uns ihre die Biographie ihres eigenen Lebens erzählt und einen anderen, selbstreflexiven, der das Archiv ihrer Berufsbiographie darstellt. Das Archiv ist nicht nur als Sammlung zu verstehen, sondern auch als Prozess und zeigt die Entwicklung des Aussehens und des Films, der Rollen und der Personen. Der Kleiderschrank ist also Hauptzeuge der Persönlichkeitsverwandlung. „Die Würde, die sie beim Aufstehen annahm, während sie die Stühle arrangierte“, schreibt Madame Clairon 1756 über Madame de Seine „um sich eine Bühne und Kulisse zu bauen, die Veränderung, die ich in ihrem ganzen Wesen wahrnahm, je näher der Moment des Sprechens rückte, veränderten all meine Gedanken. Meine Eitelkeit verstummte leer. Und als sie zu sprechen anfing, da vereinten sich in mir der Klang ihrer Verzweiflung, der tiefe Schmerz ihres Gesichts, die edle und wahre Hingebung ihres Körpers und drangen und erleuchteten ihre Seele“.66 Die Kunst des Schauspiels bedient sich heute der Exploration alter und neuer Ausdrucksmöglichkeiten und Spielkomponenten, um diese immer wieder neu zu erfinden und zu verfeinern. Diese Schauspielkunst wird im Film bei jeder Einzelszene, jeder Einstellung voll in Anspruch genommen. Man muss dabei „unterscheiden zwischen Szenen, die man aus eigener Erfahrung abrufen kann“, sagt Leonardo DiCaprio, „und solchen, bei denen man sich wirklich was einfallen lassen muss. Wenn ich das Drehbuch lese, notiere ich AN oder NAN, Acting Necessary oder No Acting Necessary“.67 Stars sind heute zugleich Markenartikel und Unternehmer. Kostüme, Frisuren, Accessoires oder Make-up sind intime Bestandteile ihrer Person geworden. Alle Techniken des Looks sind ihnen zu Diensten, sie müssen 64 Belting 2001, 214. 65 Interview mit Carlos Saura. In: Carlos Saura. Ein Leben fürs Kino. Dokumentarfilm Arte 29.4.2007. 66 Clairon 1798-99, 140, zitiert nach Aliverti 2003, 38. 67 Jensen 2005, 12.
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jedoch „unsichtbar“ bleiben oder dürfen zumindest nicht die erste Stelle annehmen. Vivien Leigh hat dies bereits gegenüber dem Hutmacher John bei den Dreharbeiten zum Film „Vom Winde verweht“ deutlich ausgesprochen: „All I ask you is, don’t let them see the hat before they see my face.“68 Auch wenn sie nicht die ganze Erscheinung resümieren, erzählen Kostüme dennoch viel mehr, als wir vermuten können, schon allein deshalb, weil SchauspielerInnen selten nackt spielen und selbst in diesem Fall kommt den Kostümen eine exklusive Geltung zu. Man könnte sogar behaupten, dass die Kostüme umso mehr erzählen, je besser die SchauspielerInnen sind. Diese Verschmelzung von Person und Kostüm bzw. ihre symbiotische Wahrnehmung ist nicht nur Sache der Zuschauer. Die Kleidung macht im Film den König, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der König die Kleidung ganz in sich aufnimmt. Daher pflegte die Kostümbildnerin Edith Head zu sagen, dass sie nicht für Menschen Kostüme entwerfe, sondern mit ihnen. Auf die Frage, ob Kostüme und Schminke helfen, um sich in eine Figur hineinzuversetzen, antwortet Omar Sharif bei den Dreharbeiten zum Film „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“: „Selbstverständlich. Ibrahims Djellaba, der Bart – das war alles perfekt. Andererseits sind Kostüme nicht so entscheidend – entscheidend ist die Art, wie man sie trägt.“69 Die Beziehung zwischen Schauspielern und Kostümen ist also von elementarer Brisanz. Die SchauspielerInnen müssen sich darin wohlfühlen. Dabei sollen sie nicht das Kostüm fühlen, sondern die Figur, die Rolle, die damit erschaffen wird. „Nachdem man mich in das prächtige schwarz-weiße Ascot-Kostüm gesteckt hatte, war ich von dem Gefühl beherrscht. Ich brauche nur noch die herrlichen Worten von George Bernard Shaw und Alan Jay Lerner aufzusagen“, bemerkte Audrey Hepburn zu den Dreharbeiten von „My Fair Lady“, um schließlich darauf hinzuweisen: „Wenn Kleidung Leute macht, dann machen Kostüme gewiss Schauspieler.“70 Ideal ist es, wenn die SchauspielerInnen schon vor den Dreharbeiten ihre Kostüme mehrmals getragen haben, so dass diese „geformt“ werden und nicht wie frisch gekauft aussehen. Wenn bereits die äußere Verwandlung so prägnant im Dienst der inneren Verwandlung steht, um so mehr gewinnt die enge Zusammenarbeit von KostümbildnerInnen und SchauspielerInnen an Gewicht. SchauspielerInnen verfügen im Allgemeinen über einen ausgeprägten Sinn dafür, was ihnen steht oder nicht, sagen fast alle KostümbildnerInnen. Und wenn dann das Resultat zu etwas völlig anderem führt, stößt man schnell auf alte Empfindlichkeiten oder Eitelkeiten. Gelegentlich wird es zu einer „Kunst, einen Konsens zu finden“, so die Erfahrung der Kostümbildnerin Christina Schnell. Kleinigkeiten verändern völlig die Körperhaltung und die Silhouette. „Ein einreihiger Anzug“, setzt sie fort, „veranlasst zu einer anderen Haltung als ein Zweireiher. Ein Zweireiher hat immer was Großkotziges und Lässigeres.“ Es ist schließlich die Sache der Kostümbildner, „das Konzept des Regisseurs, die Idee des Kameramanns, die Wünsche des Schauspielers zu koordinieren“.71 68 Zitiert nach Stutesman 2004, 2. 69 Interview Omar Sharif. In: Presseheft zu „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“. http://www.publics.pr.de/ibrahim/docs/Ibrahim.Presseheft.pdf. 2004. 70 Hepburn 1990, 11. 71 Schnell 2000, 8.
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Ein Kostüm anzulegen, bedeutet für einen Schauspieler regelrecht, eine Rolle oder einer Person anzuziehen, weil damit das gesamte körperliche und sozial-imaginäre Sensorium aktiviert wird. Die Wirkung eines Kostüms auf die Schauspielkunst sei größer als man vermuten würde, bestätigt Gérard Depardieu.72 Zum ersten Mal habe sie die Macht der Uniform leibhaftig erspürt, so kommentiert auch Corinna Harfouch ihre erste Bühnenerfahrung mit einer Militäruniform.73 Erst als sie die schwere Kleidung anlegte, glaubte Holly Hunter die Figur Ada in „Das Piano“ verstanden zu haben.74 Und Frances Fischer, die die Rolle der Ruth De Witt Bubaker – Roses Mutter – in „Titanic“ spielte, findet die Kostüme des Films völlig passend auch in Beziehung zu der körperlichen Einschränkung, die sie erfordern: „Ich glaube, dass ich in meine Rolle immer erst dann richtig schlüpfen kann, wenn ich das Korsett trage“.75 „Man sagt, der Schauspieler ist am Set so, wie er mit Maske und Kostüm aus der Tür tritt. Wird er bei uns gepflegt und gehegt, fühlt er sich in seiner Person wohl.“76 In den Kostümen des 18. Jahrhunderts stecken aber Frauen von heute. Wie kommen also Michelle Pfeiffer oder Glenn Close mit dem Tragen des Panierreifrocks und den Watteau-Falten.77 in „Gefährliche Liebschaften“ (1988) zurecht? Was ändern das Kleid oder die Frisuren und die Perücke an ihrer Art zu Gehen, an ihren Bewegungen und an ihrer Spielleistung? Einstimmig bestätigen fast alle KostümdesignerInnen und MaskenbildnerInnen, dass die Arbeit mit den SchauspielerInnen spannend und anstrengend zugleich sei, manchmal sogar „das anstrengendste überhaupt. Nicht die Arbeit, sondern das Auf-die-Menschen-eingehen. Es wird alles bei uns abgeladen; ob die Schauspielerin glücklich ist oder Kummer hat, ob sie Zwistigkeiten mit dem Regisseur hat. Hier liegen die 80 %, aus denen unser Beruf auch besteht.“78 Spannungen können jedoch auch von Vorteil für die schauspielerische Leistung sein. Als sich Kim Novak bei Hitchcock über die Kostüme für die Rolle der Madeleine in „Vertigo“ beschwerte, bedankte sich der Regisseur für den Hinweis, bestand aber dennoch darauf, dass sie diese trug. Erst später gab sie zu, dass die Idee Hitchcocks für die Rolle gut war. Das graue Kostüm war so eng, dass es die Schauspielerin einschränkte. „Ich fühlte mich wie in einer eisernen Ritterrüstung, und immer wenn ich diese unbequemen Schuhe trug, übertrug es sich auf mich.“79 Genau dies wollte Hitchcock bei der Rolle erreichen: da sie als Madeleine immer eine Rolle spielt, kann sie nie wirklich sie selbst sein. Einige Kostümbildner wie etwa die „visual artist“ Eiko Ishioka, die einen Oscar für die Kostüme in „Dracula“ (1992) erhielt, gehen allerdings keinesfalls auf die Ideen der SchauspielerInnen ein, auch wenn sie stundenlang ihre
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Depardieu Abend Arte. Interview mit Gérard Depardieu. Interview mit Corinna Harfouch. NDR 1998. Vgl. Peitz 1995, 143. Cameron 1997, 50. Interview Sonnenberg 2000. Siehe Glossar. Interview Sonnenberg 2000. Interview mit Kim Novak. In: Hollywood Legenden, Teil 1. Dokumentarfilm von Eckhard Schmidt, 2004.
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Entwürfe mit Gary Oldman, Anthony Hopkins, Winona Ryder oder Keanu Reeves diskutiert.80 Ein stimmiger Look verbessert zwar nicht die schlechte Leistung eines Schauspielers, jedoch kann ein unpassender Look selbst eine hervorragende schauspielerische Leistung zunichte machen. Wenn die Zuschauer anfangen sich zu fragen, warum eine Schauspielerin in einer Szene auf diese Weise eingekleidet ist, dann hat das Kostüm sein Ziel verfehlt. Es muss der Person und der Rolle so passen, dass es sie und die Situation „spontan“ und wie selbstverständlich erklärt. Schematisierung und Typisierung führen nicht zwangsläufig zur Oberflächlichkeit von Handlung, Situation, Schauspielkunst oder Dramatik – ganz im Gegenteil. Hier liegt genau die Kunst eines Films. „In einem gewissen Sinne“, schreibt Victor Turner, „ist jede Art der kulturellen Darstellung – Ritual, Zeremonie, Karneval, Theater und Dichtung – Erklärung und Entfaltung des Lebens selbst.“81 Gerade durch die Darstellung und Inszenierung wird ausgedrückt, was üblicherweise in den Tiefen des Lebens verborgen bleibt. Dies gilt auch für Filme. Mit den Kostüme wird eine ganze Reihe von Verwandlungen ausgelöst: eine Verwandlung der Rollen, eine Verwandlung der Bilder, der Körper, der Formen, vor allem aber um eine Verwandlung der Person und des Lebens selbst.
Wie Kostüme Geschichten erzählen Die Art, wie ein plissiertes Abendkleid über den Holzboden schleift, verrät den raschen Gang durchs dunkle Zimmer, verstärkt die Spannung eines Krimis oder eines historischen Films wie in „Zeit der Unschuld“. In diesem Film exploriert Martin Scorcese die Rituale und den sozialen Kodex der feinen amerikanischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts an der Ostküste. Diese Rituale werden vor allem mittels der Kostüme und der Körpersprache angedeutet. Das Schuldgefühl, die Begierde und die Obsessionen Newland Archers (Daniel Day Lewis) werden auf textile Weise formuliert, ebenso wie seine Unfähigkeit, diese Obsessionen auszuleben, da seine Kleidung wie eine Rüstung wirkt. Die guten Manieren seiner Welt sperren den Helden in seinen Körper und in seinen Kopf ein. Die prachtvollen Anzüge und Accessoires werden zu Indizien und Instrumenten seiner Selbstzerstörung: er „implodiert“ geradezu. Der Nonkonformismus des „Objekts“ seiner Begierde, die Comtesse Olenska (Michelle Pfeiffer) wiederum wird mittels einer Fülle anderer Kleidungsdetails ausgedrückt (Abb. 11). In „Sonnenallee“ dagegen wird Kleidung zum Ausdruck des Spiels mit der Freiheit und der Keckheit. Die Körpersprache, die „Klamotten“ und die „Stones“ ziehen weniger eine kritisch-giftige Bilanz der DDR-Geschichte als dass sie eine Liebeserklärung an die Jugendzeit ausdrücken, egal wie „beschissen“ die „Tapete“ war. Jeans, T-Shirts, Miniröcke und Rolling Stones stehen hier für das innere Feuer und die Lebenslust, die alle Risse der Gesellschaft und der Psyche durchdringt.
80 1996, 68. 81 Turner 1995, 17.
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Abb. 11: „Zeit der Unschuld“
Wenn Filme also Geschichten erzählen, dann rückt die Stunde der Kostüm-, Masken- und BühnenbildnerInnen heran. Die Vorstellung, die beim Entwurf von Kostümen für Unterhaltungsfilme mehrheitlich noch vorherrscht, stammt aus der Zeit des klassischen Hollywoodfilms. Sie betont eine ausgewogene Verbindung zwischen Design und Dramatik. Musterbeispiele dafür sind die Kreationen und die „erzählende Garderobe“ (Maureen Turim) der amerikanischen Kostümbildnerin Edith Head.82 Sie formulierte am deutlichsten den Zusammenhang zwischen Kostüm und Erzählung. Durch das Engagement bekannter ModedesignerInnen haben sich jedoch auch andere Perspektiven eröffnet: Anstelle einer ausgewogenen Beziehung zur Story sucht man im Gegenteil nach einer Zuspitzung, so wie es Jean-Paul Gaultier in „Kika“ (1993) von Pedro Almodovar beispielhaft vorgeführt hat. Entsprechend wurden seine spleenig-überdrehten Kostüme von den Zuschauern plötzlich aufmerksam wahrgenommen. Oder man betont die Ambivalenz und die widersprüchlichen Bedeutungen. Die kulturellen Bezugspunkte der ModedesignerInnen für die Charakterisierung der Personen stammen laut Stella Bruzzi nicht aus der alltäglichen Straßenmode, sondern aus der kulturellen Vorstellungswelt der Haute Couture und des Prêt-à-porter.83 Dies bleibt nicht ohne Einfluss auf die Vorstellung des Kostümdesigns. Daher gehört heute die filmische Kompetenz zum Repertoire und zum kulturellen Umfeld vieler ModedesignerInnen. Ihre Entwürfe für Filme zählen zur „Costuming Promotion“ wie bei Jean-Paul Gaultier („Das fünfte Element“), Armani („Die Wiege der Sonne“), Agnes B. („Mulholland Drive“) und anderen. Die Kostüme gewinnen umso mehr Autonomie, je stärker sie von der Handlung abweichen und andere Vorstellungen einbringen, die auf die Stimmung, die Spannungsfelder oder den Raum einwirken. Dass die „ausgewogene“ Vorstellung à la Edith Head jedoch immer noch weitestgehend das Kino amerikanischer Prägung beherrscht, wird jedes Jahr erneut bei der Verleihung der Oscars deutlich. Daher gehe ich hier weitgehend von dieser Vorstellung des klassischen Erzählfilms aus. 82 Mit insgesamt sechs Oscars und 35 Nominierungen wurde Edith Head zur am häufigsten ausgezeichneten Kostümbildnerin Hollywoods. 83 Vgl. Bruzzi 1997, 8-11.
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Welche Geschichten erzählen die Kostüme innerhalb des Films? Gehen wir zurück zu Jane Campions „Das Piano“ (1993). Bei der Ankunft an der Küste Neuseelands werden Ada und ihre Tochter von Matrosen an den Strand getragen. Die Art, wie sie getragen werden, die Kleidung der Matrosen, der Reifrock Adas und ihr eng geschnürtes Oberteil verweisen auf alte Bilder, die wir aus Geschichtsbüchern oder Ausstellungen kennen. Schnell wird klar, dass die Kostüme die Mode der Viktorianischen Zeit nachstellen. Damit ist nicht nur die Epoche der Handlung festgelegt, sondern auch die Stimmung. Unsere kulturell geprägten inneren Bilder prallen mit den Bildern des Films aufeinander. So wird auch manifest, wie und warum die Körper der europäischen Protagonisten wie Harnische wirken. Krinolinen, Mieder und Korsette bei den Frauen, steife Jacken, Stehkragen, Backenbärte und Zylinder bei den Männern prägen die ungelenken Körper und formen ihren Gang, ihre Bewegungen, ja ihre gesamte Körpersprache. Nicht nur die Körper, sondern auch die Gedanken sind eingeschnürt, wie sich später im Film zeigen wird. Die viktorianische Atmosphäre mit ihrer strengen Moral bildet den Hintergrund des Dramas der stummen Ada (Holly Hunter): Ein uneheliches Kind zwingt sie zur Emigration, um heiraten zu können. „Dies wurde damals per Post erledigt“, sagt Jane Campion. „Die Eltern organisierten es. Dies war üblich.“84 Die zwanghaft-dichte Prüderie der damaligen Zeit, vor allem seitens der Siedlerfrauen, wird anhand der dunklen steifen Kleidung bekräftigt. Der psychische und kulturelle Schock der Neuen Welt wird gesteigert durch die völlig unpassende städtische Krinolinen-Mode mit ihren raschelnden Unterröcken und den Stiefeletten, die im Schlamm des grandiosen Urwaldes stecken bleiben. Mühelos lässt sich nachvollziehen, wie die bereits zuvor schon schwere Kleidung durch den tropischen Regens völlig durchnässt wird. Die mit Stickerei verzierten Ärmel unterstreichen andererseits Adas zarte Gesten, auch bei den erotischen Szenen. Die Kostüme bis hin zur – glücklicherweise einmal nicht aus männlicher Sicht – detailliert dargestellten Unterkleidung entscheiden über den Rhythmus der Begierde und der Leidenschaft zwischen Baines und Ada. Allein der Umgang mit Adas Krinoline zeigt, dass Jane Campion eine völlig neue Darstellungsform des Kostüms im Film erfunden hat. Die Krinoline wird im Film allgemein als prachtvoller, aber statischer Gegenstand behandelt, sei es in „Sissi“ (1955), in „Die Legion der Verdammten. Les Miserables“ (1998), „Vom Winde verweht“ (1939) oder in Viscontis „Der Leopard“ (1973). Sie stellt im Film ein Symbol der Unterwerfung oder ein Werkzeug des romantischen Schicksals dar.85 Im Gegensatz zu dieser schwerfälligen Unbeweglichkeit entwickelt Jane Campion eine neue Kleidungssprache und eine neue Darstellungsart. Die Krinoline wird zu einem sich verändernden Instrument, das eine Folge von Emotionen und Stimmungen illustriert oder auslöst. Darüber hinaus wird sie zum narrativen roten Faden des Films, als Pendant oder parallel zum Piano. Campion macht sie zum Symbolobjekt, ja zur Metapher der Verwandlung. Die Krinoline folgt – wie bereits zuvor die Kostüme in „Ein Engel an meiner Tafel“ (1990) – metaphorisch den vier Teilen des narrativen Schemas: die Unterwerfungsphase am Anfang, die Entdeckung und das Ausprobieren der Autonomie, die 84 Interview mit Jane Campion. In: Première (Paris), Juni 1993, 62. 85 Vgl. Remaury 1996, 45.
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repressive Phase mit der Bestrafung und die Erfahrung der neuen Freiheit. In der ersten Phase haben wir die klassische Vorstellung der Krinoline als Gefängnis oder Verpanzerung. Diese verwandelt sich und springt wie ein Ball, als Ada zu ihrem Liebhaber läuft. Die Krinoline öffnet sich und wird regelrecht demontiert, um darin den Körper erscheinen zu lassen. Als Ada von ihrem Mann entdeckt wird und er sie durch den Wald verfolgt, wird der Stoff durch den Regen und die biegsamen Elemente der Krinoline von den Zweigen verbogen, so dass die Krinoline zum Hindernis wird. Schließlich wird die Krinoline völlig umgestülpt, das Innere nach außen gekehrt, als Ada von ihrem Klavier in die Tiefe des Ozeans gerissen wird und sich schließlich von ihren Schuhen löst, um wieder an die rettende Wasseroberfläche und an die Luft zu gelangen. Was für die Krinoline gilt, gilt auch für die anderen Kleidungselemente der Protagonisten einschließlich der Frisuren. Selten zuvor und niemals auf diese Art erreichte ein Film anhand eines Kostüms so viele dramatische, metaphorische und ästhetische Effekte wie „Das Piano“. Die Kostüme geben uns also zahlreiche Schlüssel in die Hand, um die Handlung des Films und die Beziehung der Figuren zueinander zu verstehen. Damit knüpfen wir an ein weiteres Grundthema der Anthropologie und der Kleidungsforschung an: das der Beziehungen. Sie zeigen eine Spur, wie eine Figur geschlechts- oder altersspezifisch charakterisiert wird. Dies trifft nicht nur für Gender und Alter zu, sondern für Konsum und Wirtschaft, Geografie oder Religion. Die Kleidungscharaktere zeigen, wie sich die Beziehungen zwischen Katholiken und Protestanten abspielen, zwischen Hindus und Moslems, zwischen Jugendlichen und Älteren, zwischen Kindern und Eltern, zwischen Geschwistern, zwischen Armen und Reichen, Proleten und Spießern, Normalos und Exoten.
KOSTÜMRHETORIK Bedeutung, Situation und Handlung Ein ganz gewöhnlicher Alltag: Der Film „The Commitments“ (1991) von Alan Parker beginnt Mitten auf einem belebten Trödelmarkt in einem Arbeiterviertel von Dublin. Altkleider, gebrauchte Geräte, alte Schallplatten und Gegenstände aller Art werden angeboten und verhandelt. Die Kleider der Marktbesucher sehen heruntergekommen und verwaschen aus, die Menge wirkt trostlos und dunkel, aber das Marktgeschehen ist überaus lebhaft. Eine gutmütige Volksfeststimmung herrscht auf dem Markt, der als Ort der Kommunikation und der Überlebenskunst präsentiert wird. Also ein Film wie aus dem Alltag? Bei genauerer Betrachtung werden die Pinselstriche der Bildkomposition etwas deutlicher, weil Arbeiter, Arbeitslose, Hausfrauen und der gesamte Markt fast realistischer aussehen als in der Realität, die Kostümbildnerin Penny Rose war für die Kostüme zuständig –, und in jeder Sekunde der Aufnahme geschieht kommt mehr Hektik zustande als auf einem echten großstädtischen Trödelmarkt innerhalb von fünf Minuten. Anhand vieler dichter Einzelszenen werden der alltägliche Überlebenskampf und die soziale Situation innerhalb der Bildkomposition anschaulich gemacht. Bei eingehender Betrachtung gewinnt das „Bühnenbild“ zusätzlich noch an Deutlichkeit durch die Art und Weise, wie die Menschen sich bewegen: Eine sowohl ästhetische als auch stimmungs- und humorvolle Beschreibung, die alles in allem den Film so anziehend macht. Die Kamerafahrt folgt Jimmys Schritten (Robert Arkins) über den Markt, hin und wieder unterbrochen durch kleinere Szenen mit kurzen temperamentvollen Dialogen. Ein Pferd steht sogar dramaturgisch im Mittelpunkt des Geschehens. Ein Filmbild wird im Allgemeinen etwa wie ein Gemälde – mit Ton – entworfen und bearbeitet. Innerhalb des Rahmens werden alle vorbereiteten Komponenten minutiös eingeführt. Nicht die Summe, die Kompilation oder die Assoziation aller Elemente – Kleidung, Personen, Objekte oder Dekors – bildet und definiert jedoch eine Szene, sondern die Situation, in der diese Einzelelemente quasi „verschwinden“. Die Situation stellt die Einheit aller Komponenten her und aktiviert sie. Die Handlung schafft schließlich die Verbindung zwischen allen Situationen und organisiert diese. Bereits hier lässt sich die grundlegende Rolle von Schnitttechnik und Montage erkennen. So wird einsichtig, warum auch die Kostüme im Film nur in einer bestimmten Situation wahrgenommen werden, ja existieren können. Allein die Situation gibt ihnen ihre Bedeutung. Sie liefert den Schlüssel zu ihrem Verständnis. Nur so sind sie als Kennzeichnung zu unterscheiden und nur so werden Kleidungskonnotationen und Zusammenhänge für das Publikum verständlich. In der realen Welt bildet die Situation das letzte Element, worauf sich unsere Erfahrung und schließlich unsere Kenntnis der Welt aufbauen. Von ihr aus entwickeln sich die Bedeutungsfelder. Dies gilt auch für den Film: Die
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Bedeutung ist nur als Folge der Situation und der Handlung zu begreifen. Durch die Situation werden Dinge zu Bedeutungsträgern, die über sie [die Dinge] eine Perspektive anbieten. Die Situation ist der eigentliche Ort des Sinns, der Ort, in dem die Bedeutungsschemata aktualisiert werden.1 Der Film, der dieses reale Erfahrungsfeld wiederzugeben oder neu zu schaffen versucht, modelliert dieses nach eigenen Regeln und Bestimmungen, das heißt nach filmnormierten oder typisierten Mustern aus dem allgemeinen soziokulturellen „Erfahrungsreservoir“. Gegenstände, Dekors, Sprache, Gesichtausdruck, Blickdruck, Bewegung, Kleidung und Körpersprache verweisen zwar auf den gesamtkulturellen Kontext der Realität, werden jedoch quasi für den Film und für eine bestimmte Situation neu formuliert, ja „mathematisiert“. Sie mögen im heutigen Film realer aussehen als im realen Leben selbst, jedoch sind sie nichtsdestoweniger fertig verpackte Kunstprodukte. Nichts illustriert dies besser als das Magazin oder das Lager, in dem die Requisiten aufbewahrt werden und die Kostüme reihenweise an der Stange hängen. Bei Filmen wie „Titanic“, „Der Herr der Ringe“ oder „Königreich der Himmel“ handelte es sich um riesige Hallen. Alle Requisiten und Kostüme warten auf genau den Moment, in dem sie eingesetzt werden, auf die Szenen, in denen sie eine Rolle spielen, bevor sie von Neuem an der Stange aufgehängt werden. Es wäre übrigens interessant, die Herstellung, die Reise und das Schicksal dieser Requisiten zu verfolgen.2 Die Situation setzt auch die Mitbeteiligung des Subjekts voraus, einerseits die der Schauspieler im Film, anderseits die der Zuschauer. Das Subjekt aktualisiert die Perspektive, und damit bleibt es auch der eigentliche (Mit-)Autor der Situation. Die Bedeutung der Kostüme, so formell sie im Film sein mag, beinhaltet daher immer eine Verhandlung mit den ZuschauerInnen. Erst dieses Verhandeln eröffnet Möglichkeiten der Interpretation. Dadurch wird jede vorgegebene oder ideale Erklärungsmethode ad absurdum geführt. Jede Situation im Film gibt eine visuell-materielle und diskursive Ordnung vor. Die „Grammatik“ dieser Ordnung entspricht dem, was „Raum“ genannt wird.3 In den Erzählfilmen ist die Erzählform im Allgemeinen so konstruiert, dass sich die Handlung von der Hauptfigur des Films her entwickelt. Atemberaubende Landschaften, bedrohliche Menschenmengen oder schwindelerregende Naturereignisse bieten lediglich den Rahmen der eigentlichen Handlung um die Hauptpersonen herum. Auch die Situation wird von der Einstellungsperspektive beeinflusst. Da nämlich diese Perspektive das Beobachtungsfeld begrenzt und lenkt, konzentriert sie – mittels der einschlägigen technischen Hilfsmittel wie Kamera, Objektive, Linse, Beleuchtung – die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf bestimmte Personen, Objekte, Details, Kleidungsstücke oder Bewegungen. Die Perspektive erzeugt den unmittelbaren Raum und die Stimmung. Der Beobachterstandpunkt, der im Film meist schnell wechselt, bildet selbst eine eigene Blicktypologie heraus. Sie ist nicht neutral und gilt für die Film1 2
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Vgl. Esquenazi 1996, 99; Whitehead 1955, 79-81; Mentges 2005 (a), 48. Gewerkschaftsabkommen führen in den USA dazu, dass die Requisiten nach Ende der Dreharbeiten eines Films meist zerstört werden. Manchmal werden sie aber auch von den SchauspielerInnen oder von Privatleuten gekauft. Vgl. Esquanazi 1996, 102.
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wissenschaft unserer Kultur als Zeugnis für die allgemein übliche Betrachtung der Welt. Ebenso wird die Zeit im Film über die Situation determiniert und gestaltet: ihre eigene Dauer, ihre Vergangenheit und ihr Verhältnis zu den zukünftigen Situationen des Films – die Rolle der Schnitttechnik ist hier zentral. Durch die Situation gelingt es schließlich, den soziokulturellen Kontext und die psychische Lage der Personen anzudeuten. Die Kostüme stellen eine Art materielles bzw. visuelles Rückgrat dieser Raumzeiterfahrung des unmittelbaren Moments dar. Aber sie führen uns darüber hinaus zu einer intimeren Bedeutung. Anhand der Kostüme werden Differenzen angedeutet, die Kohärenz einer Figur gezeigt oder ein Charakter beschrieben: Die Kostüme erhalten eine narrative Dimension. Die Kostüme von Mayo für Marcel Carnés „Kinder des Olymp“ (194345) „sind von einer unwidersprochenen technischen Perfektion. Sie sind in die Handlung eingenäht“, so die Kostümbildnerin Nicole Védrès.4 Beides, Story wie Stoffe, sind so aufeinander eingestellt, dass sie zu verschmelzen oder miteinander zu spielen scheinen und zugleich eng auf die Charaktere der Figuren zugeschnitten sind. „Immer wenn Arlettys Kopf auftaucht, scheint sie sich mit ihren nackten Schultern in ihrem prachtvollen Kleid, das mit 20 Meter Samt hergestallt wurde, zu enthüllen. Der sozusagen morphologische Wert eines solchen Kostüms für eine Figur erspart ganze Dialoge und Stimmungssuggestionen. Man erreicht dies, weil jedes Kostüm vom ersten Tag an gleichzeitig und zusammen mit dem Text, mit der Handlung, mit der Musik, mit dem Dekor entworfen worden ist: Baptiste, Garance, Lacenaire und Monterey sind mit dieser Kleidung geboren.“5
Die Arbeits- und Kreativitätsdichte dieses Films lassen sich aus den schwierigen Zeitumständen während der Dreharbeiten verstehen. Das Ergebnis bildet ein Glanzstück der Filmgeschichte.6
Die Kostümierung der Charaktere Jeder, der sich „Der Krieg der Sterne“ ansehen musste, konnte bemerken, dass sich Darth Vador hinter einer schweren schwarzen, plastikartigen Ausrüstung versteckt, während die schöne Prinzessin Leila ein leichtes weißes Kleid aus Musselin trägt. Auf diese Weise hat jeder die „raffinierte“ Charakterisierungsmaschinerie Hollywoods würdigen können. In der Männlichkeitswahn-Vorstellung des Filmepos „Highlander 1“ (1986) – einer Mischung aus Historien- und Fantasyfilm mit rasanten Schnitten, Clip-Bildern und einem Kult-Soundtrack – sind die Charakterzüge der beiden Gegner mittels der Kostüme auf ebenso subtile Weise dargestellt. Bei der ersten kämpferischen Auseinandersetzung mit Schwertern, nachts mitten in New York, sind die Kontrahenten zwar beide jeweils zwei Meter groß, doch ist der Held (Christopher Lambert) mit dem schönen Silberblick 4 5 6
Nicole Védrès: Les enfants du Paradis, zitiert nach Delpierre 1988, 193. Védrès, ebd. Der Film, dessen Starbesetzung zur Legende wurde, entstand nach einem Drehbuch des anarchistischen Kultdichters Jacques Prévert, die Kostüme entwarfen Mayo und das Atelier der Modedesignerin Jeanne Lanvin.
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„cool“ gekleidet, mit Turnschuhen, Jeans und Trenchcoat à la Bogart in „Casablanca“ – wenn auch mit geknotetem Gürtel. Kurgan dagegen (Clancy Brown), der Bösewicht der seichten Geschichte, sieht aus wie ein Superpunk aus der Unterwelt. Die wesentliche Arbeit der Kostümbildner besteht Marilyn Vance zufolge in der psychologischen Charakterisierung der Filmfiguren.7 Es zählt zwar zur Hauptarbeit von KostümbildnerInnen, Charaktere zu kostümieren, jedoch gehen sie nicht immer nach derart groben Mustern vor. Dies hängt von der Intention der Filmkollegen ab, vor allem von denjenigen, die für Regie und Drehbuch zuständig sind. Jane Gaines hat in einem bahnbrechenden Aufsatz einige Merkmale dieser Kostümierung der Charaktere in Filmen vor dem Zweiten Weltkrieg aufgelistet. Sie gliedert sie in ein grobes Raster von sozialen, psychologischen und Gender-Themen.8 Ein Teil ihrer Argumente lässt sich in verfeinerter Fassung auch auf heutige Filme übertragen. So spricht sie von der „Naturalisierung“ der Relation zwischen Kleidung und Figur, die sie aus einer semiotischen Perspektive betrachtet. Dabei gilt: Je weniger die Kleidung in Bezug zur Person wahrgenommen wird, „umso besser fügen sich beide Komponenten zusammen und umso stärker nehmen wir am Ende nur noch wahr, dass eine Figur eben Kleider trägt“.9 Abb. 12: „Manche mögen’s heiß“
Der Charakter der Hauptfigur verändert sich häufig im Laufe der Handlung, weil die Geschichte im klassischen Unterhaltungsfilm meist als eine Art Reise erzählt wird, als Fahrt ins Glück, als Irrfahrt in der Abgrund, als innere oder äußere, kurze oder lange Reise. Die Reise des Helden oder der Heldin bildet, so Campbell, ein Zentralmotiv im Erzählrepertoire der Menschheit.10 7 8 9 10
Interview mit Marilyn Vance. In: Menthey u.a. 1989, 67. Vgl. Gaines 1990, 180-211. Gaines 1998, 229. Vgl. Campbell 1999, 56. Meist unterliegt diese Reise einer festen Abfolge: Trennung, Initiation, Rückkehr. Campbell stützt sich auf die Mythenforschung. Der Sammelbegriff „Held“ steht hier für eine Vielzahl unterschiedlicher Fi-
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Diese Reise braucht nicht einmal unbedingt räumliche Dimensionen anzunehmen – sie kann auch nur im Kopf stattfinden. Während der Reise muss die Hauptperson ihre vertraute Umgebung verlassen und sich mit einer „anderen“ oder fremden Welt auseinandersetzen, die meist ihren Charakter und ihre Persönlichkeit verändert.11 In Billy Wilders „Manche mögen’s heiß“ (1959) entdecken der Bassist Jerry/Daphne (Jack Lemon) und der Saxofonspieler Joe/Josephine (Tony Curtis) bei ihrer Fahrt nach Miami nicht nur, was und wie sich Frauen anziehen, sondern sie – zumindest Daphne – lernen auch, wie Frauen zu denken (Abb. 12). In „My Fair Lady“ (1964) von George Cukor deutet die Veränderung der Garderobe der Heldin (Audrey Hepburn) direkt auf den Wandel ihres Charakters. Dies gilt auch für die Aschenputtel-Geschichte „Pretty Woman“ (1990) von Garry Marschall, in der die Metamorphose der Vivian Ward (Julia Roberts) beispielhaft durch den drastischen Wandel ihrer Haltung, ihrer Sprache und vor allem ihrer Kleidung illustriert wird. Wenn bei „My Fair Lady“ die Reise durch Europa führt, erstreckt sie sich bei „Pretty Woman“ nur über ein paar Kilometer. In beiden Fällen wird die Garderobe zum Hauptinstrument von Handlung, Dramaturgie und Charakters der Story. Dass Veränderungen von Kleidung und Charakter im Laufe der Handlung die Bewegungsfreiheit der Heldin eher einengen, wird zweitrangig – Hauptsache, der Prinz stimmt. In beiden Fällen charakterisieren die Kostüme eine widersprüchliche Persönlichkeit und zugleich eine Stimmung. Die Kostümierung der Charaktere eines Films konzentriert sich daher nicht auf die HauptdarstellerInnen, sondern umfasst alle Protagonisten, angefangen bei Edward Lewis (Richard Gere), dem „Prinzen“ selbst. Ein beliebtes Mittel, um widersprüchliche Persönlichkeiten anzudeuten, ist die sichtbare Überlagerung von Kleidungsstücken, -farben oder -mustern. Die äußeren Kleidungsstücke (Outer Layer) richten sich nach außen, ganz im Sinn einer öffentlichen Rolle oder der Repräsentation, sie sind also mit soziokulturellen Bedeutungen befrachtet. Die inneren Kleidungsteile (Inner Layer) beziehen sich dagegen auf die private oder intime Sphäre der Persönlichkeit.12 In „Pretty Woman“ geraten nur ein paar Charaktere in Konflikt miteinander. Die Typisierung – d.h. die Art, mittels der Kleidung „eine Person rasch und effizient einzuordnen“13 – verknüpft ein Fünkchen Realismus mit einer großen Dosis Idealisierung: Wir befinden uns schließlich in einem Märchen-Hollywood. Vivian Wards enges blaues bauchfreies Stretch-Minikleid, ein ebenso enges T-Shirt und die bis zu den Oberschenkeln reichenden, etwas abgenutzten schwarzen Lackstiefel, der großzügige Dekolleté-Ausschnitt sowie die bloßen Arme und Oberschenkel sind Erscheinungselemente, die als Indizien von Vulgarität und Künstlichkeit verstanden werden sollen. Betont wird dies zusätzlich durch eine große Handtasche, durch überladenen protzigen Modeschmuck, eine blonde Pagenkopfperücke, das kräftige Makeup und den knallroten Lippenstift. Auch Elemente der Männerkleidung wie später Vivian Wards männliches Hemdkleid, das übergroße rote Dinnerjacket guren. Zu den Studenten, die an Campbells Vorlesungen an der University of Southern California teilnahmen, findet man Namen wie Francis Ford Coppola, Steven Spielberg und George Lucas. 11 Vgl. Krützen 2004, 70-82. 12 Vgl. Lurie 1992, 245; Burger 2002, 70. 13 Gaines 1990, 188.
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oder die schwarze Seemannsmütze gehören schon lange zur Welt der Prostitution. Solche Merkmale gab es, wenn man einige Darstellungen der „Trachtenbücher“ richtig interpretiert, bereits zu Zeiten der Renaissance, als z.B. venezianische Prostituierte durch das Tragen männlicher Kleidungselemente gekennzeichnet wurden.14 Die Kostüme folgen Schritt für Schritt der einfachen Logik der Story und verwandeln die platinblonde Prostituierte mit Flash-Minirock und engem TShirt in ein Musterbeispiel des Kleidungskonservatismus, ganz im Sinne der idealen Vorstellung amerikanischer „Klassenmobilität“. Dies wird ebenso im Detail durch die Accessoires oder die Schuhe illustriert: von den Lackstiefeln mit hohen Absätzen über die Slipper mit flachen Absätzen bis hin zu den edlen roten Pumps. Die zwei Szenen beim Kleiderkauf zeigen die feinen Schwellenrituale von einer Welt zur anderen und den Übergang von der Kaufkraft zur Kaufkompetenz. Die Typisierung ist jedoch nicht einseitig, sondern, der heutigen Vorstellung von Mode entsprechend, sehr beweglich. Dies wird durch eine Reihe von verschiedenen Looks illustriert, das Anprobieren verschiedener Kleider in einem Geschäft am Hollywood-Boulevard mit einbezogen. Kleine Details verweisen auf moralische Konnotationen – vom schlechten Geschmack bis hin zur perfekten Lady. Auf diese Weise erhält die Kostümierung eine beinahe sakrale Weihe und steht für die Handlung. So kennzeichnen Modedetails und Stoffe symbolisch-metaphorisch Unruhe, Unsicherheit, Zärtlichkeit, Ernsthaftigkeit und schließlich, mit dem cremefarbenen SkirtedSuit mit dunklen Nadelstreifen und Diana-Flair, das Selbstbewusstsein der Heldin. Die Kleidungskontraste verkörpern auch soziale Kontraste: High Society vs. Welt der Prostitution. Dabei besitzt der weiße lange Bademantel in einer der Schlafzimmerszenen einen Übergangscharakter, der eine drastische Identitätsveränderung antizipiert. Er verhüllt den ganzen Körper und bricht mit dem Bild der Prostituierten. Entsprechend ungeschminkt erscheint auch das Gesicht.15 Das schulterfreie rote Chiffon-Abendkleid mit V-Ausschnitt, ein weiteres zentrales Kleidungsstück, zitiert bekanntermaßen ein Modell von Yves Saint Laurent aus dem Jahr 1959/60.16 Dagegen verortet das subtil sexualisierte, jugendlichere pastellviolette Stretchkleid die Heldin unmissverständlich in die 1990er Jahre, die Zeit der Dreharbeiten. Ein Gegenbild zum Film findet man in Ken Russells „Die Hure“ (1991), der auf die Idealisierung verzichtet und mit der Beschreibung der Prostituierten (Rosalind Russell) möglichst nahe an reale Verhältnisse zu kommen versucht. Eine andere Behandlung des gleichen Themas zeigt auch der Film „Irina Palm“ (2007) mit seiner Heldin Maggie, grandios gespielt von Marianne Faithfull. In „Pretty Woman“ ist die ideologische Substanz unübersehbar, da sich hier alles ums Geld dreht und sogar die Handlung selbst in Hollywood spielt. Am Ende erscheint Julia Roberts ganz so, als ob sie gerade vom Buckingham-Palast käme, zumindest wie sich Hollywood dies vorstellt (Abb. 13).
14 Vgl. Rubinstein 1995, 108; Burger 2002, 128. 15 Vgl. Devoucoux 2000, 27; Burger 2002, 131. 16 Vgl. Bruzzi 1997, 15.
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Die Referenz zielt eindeutig auf Prinzessin Diana, wie sie etwa beim Derby von Ascot in einem Ensemble und extravaganten Hut mit breiter Krempe trug, vor dem Taj Mahal oder bei einem Empfang im Buckingham Palast bei der Begrüßung der Gäste photographiert wurde. Es handelt sich also um eine direkte (Eins-zu-Eins-)Übernahme. Abb. 13: „Pretty Woman“
De facto resümieren die Kostüme am Ende alles, was man heute in Europa nicht mehr ausstehen kann, weil es vor 10 bis 15 Jahren in Mode war. Auch das kleine Schwarze verweist zwar auf Audrey Hepburn und Coco Chanel, übernimmt aber zugleich die konservative Bedeutung, die dem Kleid während der Dreharbeiten Anfang der 1990er Jahre zugeschrieben wurde. In Bezug zur Kinomode entwickelt die Zeit allerdings eine eigene Logik: 20 bis 25 Jahre nach den Dreharbeiten kann eine Filmgarderobe wiederum zur Avantgarde gehören, nach 30 Jahren und später kann sie sogar zum Klassiker avancieren, so im Film „Sabrina“ (1954) von Billy Wilder – im Grunde eine alte Fassung von „Pretty Woman“. Sydney Pollack hat mit einem Remake (1995) den Film gefeiert. Niemand kümmert sich um Sabrina, die Tochter des Fahrers einer reichen Familie, bis sie schließlich von einer Reise nach Paris völlig verwandelt als feine Lady zurückkehrt, den Koffer voller Designermode. Mehr braucht sie nicht, um dem ältesten Sohn (Rex Harrison/ Harrison Ford) den Kopf zu verdrehen. Einige sehen übrigens einen Zusammenhang zwischen diesem Aschenputtel-Syndrom Hollywoods und besonders konservativen Epochen. Ob Grace (Nicole Kidman) in „Dogville“ (2003), Neo (Keanu Reeves) in „Matrix I“ (1999) oder Thelma und Louise im gleichnamigen Film (1991), die Veränderung der ProtagonistInnen während ihre „Reise“ wird anhand ihrer Kleidung verdeutlicht. Bei „Thelma und Louise“ wird der völlig unter-
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schiedliche Charakter der beiden Frauen schon am Anfang des Films bei der Vorbereitung ihrer Wochenendreise klar angedeutet: Während Louise ihre Schuhe ordentlich in Hüllen verpackt, kippt Louise ganze Schubladen voller Stümpfe und Socken einfach in ihren Koffer. Die Charaktermerkmale der Kostüme im heutigen Film sind oft nicht weit entfernt von denen früherer Filme. Bei jeder Szene des Filmklassikers „Vom Winde verweht“ (1939) verrät die Kleidung den Charakter Scarlett O’Haras (Vivien Leigh), angefangen von der Korsettszene fast am Anfang des Films bis hin zur Art, wie sie ihren Hut auf dem Kopf platziert oder mit ihrem Sonnenschirm spielt. Folglich gehört zu den Hauptarbeiten der DrehbuchautorInnen, so überzeugende Filmcharaktere wie möglich zu erfinden. Die filmische Übersetzung oder Übertragung im Detail ist dann Aufgabe des Teams, also auch der KostümbildnerInnen. Mit der Kostümierung der Charaktere und der „narrativen“ Fähigkeit der Kleidung wird also im klassischen Erzählfilm eine symbiotische Beziehung in den Vordergrund gestellt, nämlich die zwischen dem inneren Wesen einer Person und ihrer äußeren Erscheinung. Dennoch, auch können selbst weniger klassische Filme auf diesen klassischen Anwendungscharakter der Kostüme zurückgreifen. Besonders ausführlich illustriert dies Jane Campions Film „Ein Engel an meiner Tafel“ (1990), in dem die Kostüme in engem Zusammenhang mit der Sprache stehen und zu einer Art des inneren Monologs und einer Manifestation des inneren „Ichs“ geraten.17 Was in der Filmwelt des 21. Jahrhunderts fast als „natürlich“ verstanden wird, ist jedoch in Wirklichkeit die Folge einer Vorstellung des 19. Jahrhunderts, in der das Kleidungsdetail als Schlüssel zur Persönlichkeit neu bewertet wird.18 Das alte aristokratische Prinzip der Exklusivität zieht sich damit neue Kleider an: die Distinktion. Was aber vom einstigen Adel durchaus als Illusion eingeschätzt wurde, wird nun in der bürgerlichen Ethik zum Grundprinzip einer sozialen Praxis. Die äußere Erscheinung wird zum Spiegel der „Seele“, der Schein zum Schlüssel des Seins. Eine Kontinuität zwischen Innerem und Äußerem wird fast nach dem Muster der alten griechischen Kalokagathie hergestellt, der antiken Logik von der Harmonie zwischen Körper und Geist folgend. Diese ambivalente Prämisse einer inneren Verbindung zwischen der Erscheinung einer Person und ihrer Persönlichkeit – ein Kunstprodukt also – wird im Kino umso besser umgesetzt, je aufmerksamer die Kamera die Mikro-Details in Großaufnahme aus der Nähe betrachtet. Die Beziehung zwischen Kostüm und Dekoration kann so eng werden, dass das eine mit dem anderen verschmilzt. Dieser Wechselbeziehung zwischen Dekors und Kostümen widmete Coppola besondere stilistische Aufmerksamkeit, als er bei Art Director Eiko Ishiotka anfragte, ob sie für seinen Film „Dracula“ (1992) nicht auch die Kostüme entwerfen könne. Mode und Kleidung gelten in Unterhaltungsfilmen als Indizien einer bestimmten Persönlichkeit oder Identität, über sie wird eine Charakterisierung visuell direkt dechiffrierbar. Identitäten sind also für den Unter17 Vgl. Peitz 1995, S. 141. 18 Richard Sennett hat in seinem Buch „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität“ diesen Prozess ausführlich beschrieben. Vgl. Sennett 1986, vor allem Kapitel 3. 19 Braganca 2001, o.S.
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haltungsfilm zuerst und vor allem Identifikationsmuster. Die Bedeutung der Kostüme stammt damit im Allgemeinen aus einem Raum des Konsenses. Eine Identität definiert sich immer, auch emotional, auf der Grundlage von geografischen, moralischen, sozialen oder kulturellen Bezugspunkten. Diese Vorstellung wird im Film anhand der „Typisierung“ der Erscheinungsformen artikuliert. Daher hat eine reale Differenz im kommerziellen Film wenig Chancen, weil sie schwer darstellbar ist und eben jeder Art Identität zu entfliehen versucht. Dennoch, und das scheint mir hier das wichtigste, spielt das Autorenkino seit den 1950er Jahren immer subtiler mit der Auflösung dieser Kontinuität zwischen Schein und Sein, sodass die Protagonisten bedrohliche oder unfassbare Züge annehmen oder einfach widersprüchlich wirken.20 Die politische Situation eines Landes verrät viel über den Inhalt seiner Filme. Dies lässt sich leicht am Beispiel der USA illustrieren, in deren Filmen das ganze Arsenal an aus dem Mittelalter stammenden epischen Figuren durch moderne Kostüme und Trends aktualisiert wird. Im klassischen Hollywoodfilm unterstützen darüber hinaus die Kostüme in der Regel eine ideologische Verpackung. Sie sind auf den geschichtlichen Kontext Hollywoods abgestimmt und verfolgen mit ihrer Logik des populären Erzählfilms die Absicht einer wirkungsvollen Vermarktung Amerikas. Kleopatra, Vivian Ward, Gladiator, der Polarexpress oder „Mission Impossible 3“ stehen im Dienste Hollywoods. So ist praktisch jeder Unterhaltungsfilm gleichzeitig als soziopolitisches und kulturwirtschaftliches Dokument zu betrachten. Bleibt die Schematisierung der Objekte und der Subjekte in der Filmwelt ohne Nachhall auf die „reale“ Welt? Oder beruht dieser Stereotypisierungsdrang auf einem noch grundlegenderen symbolischen Defizit, nämlich der Unfähigkeit, die Alterität zu denken? Im Kino zieht man sich jedenfalls auf rituelle Handlungen zurück, in denen die Kommunikation exklusiv strukturiert wird. Daher betrachtet Serge Daney das Kino als „eine furchterregende Zähmungsmaschine“.21
Semiotik und Rhetorik der Kostüme Im Gegensatz zur Produktion ist die Rezeption des Films bei der Lektüre der Bilder – beim Zuschauer – an keine präzise Konvention gebunden. Es ist also denkbar, dass der Blick und die Aufmerksamkeit sich einfach auf ein Detail des Bildes konzentrieren, was bereits ausreicht, um die Aussagekraft des Bildes anders auszulegen oder wahrzunehmen. Bei Bildern kann der Innenblick nicht so streng geführt werden wie bei Texten. Der amerikanische Film versucht diese „Lücke“ zu füllen, indem er quasi mit dem Finger genau darauf zeigt, was die Zuschauer sehen sollen wie in Spielbergs „Schindlers Liste“: Zuerst beobachtet Schindler von einem Hügel aus das Mädchen mit dem roten Mantel, dann erblickt man den Mantel wieder auf einem Tisch des Lagers. Spielberg geht damit ganz auf Nummer sicher. Es gibt also im Film nicht nur sehr viel mehr unscharfe Zonen als in der Sprache, sondern die Begegnung mit dem (vertonten) Bild wird mit größerer Leichtigkeit erlebt. Wenn es sich, metaphorisch gesprochen, um eine fremde Sprache handelt, heißt dies keineswegs, dass die „Übersetzung“ leicht fällt. Der Übergang 20 Vgl. Ellwanger/Warth 1986, 63. 21 Daney 1996, 20.
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der Filmbilder von einer Kultur zu einer anderen ist jedoch nicht unproblematisch, denn wir haben es hier mit einer kulturellen Verschiebung zu tun. Es gehört zur Macht der Bilder, ihre Verbindlichkeit zu bewahren. Die große Unterhaltungsmaschinerie glaubt indessen die Schwierigkeit umgehen zu können, indem sie den kleinsten gemeinsamen Nenner anzubieten versucht. In den Film- und Medienwissenschaften stellen Semiotik wie Rhetorik heute zwei Schlüssel dar, um die filmische Konstruktion zu verstehen, d.h. auch die Stellung und Bedeutung von Personen, Objekten, Kostümen, Frisuren oder Gesichtern. Die Semiotik verweist auf eine bestimmte Bedeutungskomposition des Bildes, während die Filmrhetorik Kostüme, Frisuren, Make-up oder Accessoires als ikonische Elemente eines filmischen Diskurses betrachtet, der den Regeln rhetorischer Redeführung unterliegt. Die Kostüme gelten also als argumentative Elemente, die visuell-stilistisch eingesetzt werden. Dennoch ist hier Vorsicht geboten. Deleuze kritisiert die herrschende Filmtheorie als Diskurs und als Sprache. Rhetorik führt aber nicht zwanghaft zur Sprache zurück, sondern zu jeder Art Ausdrucksform, wozu auch, aber nicht allein, die Sprache gehört. Im Raum des Filmbildes, um Lefèbvre zu paraphrasieren, existieren Bedeutungsfelder und -prozesse visueller, ästhetischer, musikalischer oder emotioneller Art, die wenig mit Sprache oder Texten gemeinsam haben.22 Der Zeichencharakter der Kleidung ist zugleich starr und äußerst fließend. Wenn ich daher hier den Begriff Semiotik übernehme, dann nur im Rahmen des Konnotativ-Denotativen (als Primärentität), das die Zeichen der Semiotik üblicherweise definiert. Die Ebene der Zeichenproblematik führt zu einer Orgie von Zeichen, die schließlich nur über sich selbst sprechen. Ich lehne den Begriff Zeichen nicht ab, sondern gebe ihm eine sekundäre Stellung für bestimmte Beschreibungen wie beispielsweise bei strengen Stereotypisierungsmustern. Die Zeichenthematik verliert so an Gewicht, dafür gewinnen Beweglichkeit und Widersprüchlichkeit der Konnotationen an Bedeutung.23 Das Konnotativ-Denotative endet daher nicht in der Zeichenproblematik, sondern im Bildlichen und im Akustischen des Films. Es bildet sogar ihre Grundlage wie auch für das Emotionale, das Denken, das „Taktile“, ja Sinnlichkeit wie Sinnbildung insgesamt. Relevant ist eben diese Empirie der Bilder, ihre unmittelbare Selbstverständlichkeit für unsere Augen. Deleuze behauptet daher wohl zu Recht, dass die heutige Filmwahrnehmung Bestandteil der alltäglichen Wahrnehmung geworden ist.24 Um das Konnotative zu explizieren, haben die Neurowissenschaften das Wort „Bilder“ wieder eingeführt, jedoch nicht auf semiotischer Ebene, sondern als Primärentität und als Ergebnis des neuronalen und emotionellen Prozesses bei der Wahrnehmung von Stimuli aus der „äußeren“ Umwelt.25 Dies setzt voraus, genau zu betrachten, wie das Kino einerseits auf konstruktivistische, fast maschinelle, andererseits aber gleichzeitig auf lyrischer 22 Vgl. Lefèbvre 1974, 160. 23 Damit wird auch die alte Auseinandersetzung zwischen Deleuze und Pierce – ob die Zeichen Anlass für Bilder oder Bilder Anlass für Zeichen sind – ad absurdum geführt. 24 Vgl. Deleuze 1983, Bd. 1, 2. 25 Dieses Komplexitätsverfahren, das direkt mit Bedeutungsschemata arbeitet, relativiert übrigens auch die Rolle der Information bzw. der Vorstellung von Information. Vgl. Freemann 1995, 78-80; Stafford 2004, 105-110.
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und evokativ-poetischer Ebene arbeitet. Dies kennzeichnet seinen Reichtum und markiert zugleich seine Grenzen. Diese konnotativ-denotative Ebene ist, kulturanthropologisch betrachtet, von doppeltem Interesse. Mittels der Kostüme erhält man Informationen über den Film mit zweifacher Verweisebene: einerseits über die Logik und die Handlung, über die Charaktere, die Stimmung, ja sogar über den Stil, andererseits über die Zeit der Dreharbeiten. Auf diese Weise entsprechen die historischen Kostüme in dem Film „Excalibur“ (1981) der Sensibilität der frühen 1980er Jahre, während jene in „König Arthur“ der des Jahrs 2003 sich annähern. Wenn wir diese These voraussetzen, dann indizieren nicht allein Kostüme, Frisuren und Make-up die Zeit der Dreharbeiten, sondern auch die Technik des Films wie Kameraführung, Schnitt, Farben sowie auch die Schauspielkunst im Film insgesamt. Worauf das heutige Publikum in seiner Gesamtheit unbewusst und spontan reagiert, nämlich die Aktualität jener Elemente, die zu unserem kulturellen Hintergrund gehören und die dadurch fast „unsichtbar“, weil „normal“ sind, wird die Zuschauer von übermorgen vermutlich in Erstaunen versetzen. Was Inhalt und Form betrifft, so bleibt festzuhalten, dass der Unterhaltungsfilm im Allgemeinen mit den Bedeutungsschemata der Kostüme eher knapp wirtschaftet, „um die Einheit des Werkes zu gewährleisten“.26 Was hier so einfach expliziert wird, zeitigt jedoch kulturpolitische, sozialkritische, also rezeptionsästhetische Folgen. Kleidungsstücke sind räumliche Formen und farbige Stimuli, die den Körper verwandeln, aber zugleich auch durch den Körper verwandelt werden. Im Film verändern sich also Inhalt und Formen gegenseitig. Die Beziehung zwischen Look und Person wird auf der – bis jetzt – zweidimensionalen Leinwand oder dem Bildschirm immer nur als Symbiose wahrgenommen und bewertet. Sie basiert auf der Zweidimensionalität des Bildes. Die Kontinuität zwischen Innen und Außen wird nicht hinterfragt, und der Look macht sozusagen bereits die Charakterzüge der Person aus. Er erlaubt nicht, wie es in der realen Welt denkbar wäre, einen psychologischen oder existenziellen Abstand zwischen Körper und Kleidung. Es interessiert die Filmwelt auch nicht, ob es sich bei diesem Konstrukt zwischen Innen und Außen um ein Kunstprodukt handelt. Jedenfalls im Film funktioniert die Frage der Identität auf dieser ambivalenten Prämisse der Unterstellung: Sein hat mit Schein zu tun. Dies wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass von den drei der fünf Pforten (unserer Sinne), wodurch die Welt in unsere Köpfe und Körper hineingelangt, wie es in der Kommunikationstheorie heißt, hier kein Gebrauch gemacht wird. Kleidung und Look werden dabei wie Ideogramme rezipiert. Anders formuliert: Bild und Filmkonzept lassen sich kaum voneinander trennen. Es geht darum, den Film als eine methodische Konstruktion von Bildern zu verstehen, in welcher der Komponente Kostüm eine besondere Bedeutung zusteht. Filmsemiotik und Filmrhetorik sind daher im Kontext dieser Bildkonstruktion zu betrachten. Dabei geht diese Bildproduktion weit über die Metaphorik der „Sprache“ hinaus, weil Bilder auch Bedeutungsfelder produzieren, die sich nicht durch sprachliche Elemente definieren lassen. So entsteht eine Bildkonstruktion, in der auch Kostüme bereits Bilder sind: Bilder innerhalb von Bildern. Beide, Filmsemiotik wie Filmrhetorik
26 Gaines 1998, 229.
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verbinden dazu die Welt des Films mit unserem kulturellen Kontext und unserer Innenwelt. In der rhetorischen Konstruktion werden häufig Zitate verwendet. Das Kino zitiert sich vor allem gern selbst. „Gladiator“ (2000) weist zurück auf den Film „Der Untergang des römischen Reiches“ (1964), Roses Einschnürung durch das Korsett in „Titanic“ ist eine Anspielung auf die Korsettszene mit Scarlett in „Vom Winde verweht“, die Liste geht ins Unendliche. Jeder Film stellt ein gut geschnürtes Paket an Kinoreferenzen und Zitaten dar, Kostümzitate eingeschlossen. Die Zitate drücken eine Art filmischer Reflexivität aus und unterstreichen mit diesem Spiegelspiel ihr Beziehungsgeflecht innerhalb einer breiten Filmkultur. Daher lässt sich jeder künstlerisch bemerkenswerte Film als Bilanz verstehen, weil er immer wieder auf das angesammelte historische Repertoire künstlerischer Mittel zurückgreift, um es innovativ in den neuen Film einzuspeisen. Scorcese zitiert z.B. als Bildquellen für seinen Film „Die Zeit der Unschuld“ (1993) eine Reihe von Szenen aus einer umfangreichen Sammlung von Werken, die von „Barry Lyndon“ (1975) über „Jules und Jim“ (1962) und „Lola Montez“ (1956) bis hin zu „Innocente“ (1977) und „Der Leopard“ (1963) reichen.27 Diese methodische Bildkonstruktion ist – zugegeben – ambivalent, da der Mensch im anthropologischen Sinn „nicht als Herr seiner Bilder“ erscheint, so Hans Belting, „sondern als Ort der Bilder, die seinen Körper besetzen“.28 Dies bringt die Frage des Körpers ebenso zurück wie die Frage des Zusammentreffens der Bilderwelten – der Innen- und der Außenbilder. Semiotik wie Rhetorik stellen wiederum die Frage nach der Sprachlichkeit in ihrer Beziehung zur Objektwelt des Films, einschließlich der der Kostüme. Erzählperspektive, Erzählform, Dialoge, Kostüme, Objekte und Einstellungen. ergänzen sich gegenseitig und sind nur in ihrer Wechselwirkung im Film zu verstehen. Wenn die Dialoge direkten Bezug auf die Kostüme nehmen, dann haben wir es häufig mit einer Situation zu tun, in der die Erscheinung einer Person besonders beansprucht und in Frage gestellt wird oder in der die Kleidung als Plot dient. Ansonsten sind beide allemal „unsichtbare“ Elemente der Figuren, der Situation sowie der Handlung.
Die Konstruktion der Körper Die Form der Narration ist im Film eine Sache, die Medialität eine andere. Die Form der Narration wird im Film im Kino durch Sprache, Schrift, Ton und Bilder medial gebunden. Die Entwicklung des Films zu einem erzählenden Medium ist an historische Bedingungen geknüpft, ohne dass diese zwangsläufig mit seiner Medialität zu tun haben.29 Das erzählende Medium Film besitzt vielmehr eine eigene Kraft und eine eigene Dynamik. Die medial erzeugte Rhetorik und das Affektpotential werden im Film am deutlichsten in der Körperinszenierung erkennbar. Der Körper wird im Film aber fast ausschließlich über den Filter der Kleidung dargestellt. Der Film kennt keine „natürlichen“ Körper, sondern nur bekleidete Körper, selbst wenn die Protagonisten sich ausziehen, ja fast nackt aussehen. Das Spiel der Kleidung und des Körpers bildet im Film also eine unauflösbare Symbiose. Hollander zu27 Vgl. Scorcese/Cocks 1993, 169-177. 28 Belting 2001, 12. 29 Vgl. Devoucoux 2005, 440.
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folge werden die Kostüme „dermaßen mit den Körpern identifiziert, dass die von ihnen gesandten Botschaften ohne Bestätigung angenommen werden. Der Einsatz von bestimmten Kostümen [kann] dabei „eine außerordentliche emotionale Kraft entwickeln“.30 Im Allgemeinen wird im Film weniger der Körper selbst hervorgehoben als die damit verbundene Persönlichkeit. Auf diese Weise verschmelzen die Kostüme filmisch mit Körper und Persönlichkeit. Es gibt viele Möglichkeiten, den Körper im Film zu thematisieren: als Metapher wie in„Titanic“ (1997), wo selbst das Schiff als Körper betrachtet wird, als Plotelement wie in Hitchcocks „Vertigo“, als dramatisch-ästhetische Hauptsubstanz wie in Spielbergs „Der Soldat Ryan“ oder einfach als Element der Raumgestaltung. Ebenso kann der Körper auch zum Hauptmotiv einer Befragung aus heutiger wissenschaftlicher Perspektive werden wie in David Cronenbergs „eXistenZ“ (1999), der in diesem Fall den Spaß an Biotechnologie eng mit Kommunikationstechnologie verknüpft (Abb. 14). In allen Fällen stehen die Kostüme auch für die Präsentation bzw. Re-Präsentation der Körper und für die Körpervorstellungen, z.B. in der barocken Fassung von Pedro Almodóvars „Alles über meine Mutter“ (1999) mit seiner bunten Welt des Cross-Dressing oder in der nüchtern-minimalistischen Vinyl/LatexFassung der „Matrix“-Reihe. Abb. 14: „eXistenZ“
Die Kostüme tragen also dazu bei, die Körper nicht nur zu inszenieren, sondern zu konstruieren, ja zu erfinden. Wie gesagt, Filme kennen nur „mathematisierte“ und medial verhandelte Formen des Körpers. Die Kostüme bilden das Hauptmedium dieser performativen Konstruktion, in der die Kleidung den Körper in ein ästhetisches Objekt verwandelt. Ihr verdankt er auch die Kraft symbolischer Ausdrucksformen. Die Verwandlung des Körpers und die Art, wie er erfahrbar gemacht wird, hängen von der unmittelbaren kulturellen Umwelt eines Films ab, wobei diese sich ständig verändert. Auf diese Weise kann der Körper im Film zum seismografischen Instrument einer potentiell „authentischen“ Erfahrung 30 Hollander 1973, 674, zitiert nach Gaines 1998, 231.
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gemacht werden, indem man eine Form, einen Look minutiös entwirft: Die Handlung oder die Stimmung wird also durch eine textil-körperliche Symbiose formuliert. Die Kostüme bilden daher einen festen Bestandteil der Körpersprache und des Körperdiskurses im Film. Sie erst ermöglichen die optimale expressive Inszenierung des Körpers und infolgedessen des Menschen mit seiner Mimik, seiner Gestik und seiner Sprache. Die Körpersprache spielt eine unverzichtbare Rolle in der Kommunikation. Gerade dieser nonverbale Anteil, Kleidung eingeschlossen, macht in erheblichem Maße Kommunikation aus.31 Der theatralische Körper des Stummfilms, der angespannte Körper der Diktatur, der eher verklemmte Körper der Nachkriegszeit, der lässige Körper der 1980er Jahren oder der heutige hybride Körper zeigen, dass die Körperinszenierung eine eigene Geschichte besitzt. Vom Kriegsfilm bis hin zu den Musicals wird der Körper im Film auf vielseitige Weise thematisiert. Rollencharaktere werden mit Körperhaltung und Gesichtsausdruck, Gestik und Look dargestellt. Die Grenze des Körperlichen bildet im Film gewissermaßen die Grenze des Darstellbaren. Vielleicht ist dies der Grund, warum die Auseinandersetzung zwischen Körper und Geist im Film vor allem um den verletzten, malträtierten, kranken oder behinderten Leib herum stattfindet. Die Darstellung des Schmerzes unterbricht die Symbiose und die Kontinuität der Bedeutungen zwischen Erscheinung und Persönlichkeit. Der Fluss der Normalität mitsamt seinem Rahmen wird plötzlich außer Kraft gesetzt. Die Krankheit oder die Verletzung macht aus einer Person eine andere, versetzt sie in eine andere Welt. Die schmerzhafte Veränderung des eigenen Körpers führt zu einer radikalen Umwälzung der Beziehungen mit sich selbst, mit der Welt der unmittelbaren Gegenstände, mit dem Umfeld, mit den anderen und mit der Zeit. Häufig wird dies als Konflikt zwischen Innenwelt und Körper, also als so genannter „Innenkonflikt“ figuriert, eine Darstellungsweise, die im chinesischen oder indischen Kino nicht vorkommt, weil hier – wie auch in vielen anderen Kulturen – die Trennung von Körper und Geist nicht existiert. Der Körper ist das Hauptmedium des Films, daher ist das Kino vor allem ein Kino der Körper, weil es sich im Film hauptsächlich um Menschen handelt. Da der Film auf zweidimensionaler Ebene arbeitet, präsentiert man, um Menschen darzustellen, ihre visuelle Erscheinungsform, kurzum: den Körper und den Look. Der Film ist also grundsätzlich anthropozentrisch orientiert. Da Kleidung selbst ein Medium ist, hat man es hier mit zwei symbiotisch verknüpften Medien zu tun, die zur eigentlichen Medialisierung des Körpers im Film führen. „Vom Körper zu sprechen“ ist eigentlich eine Irreführung, weil dies die Vorstellung suggeriert, wir hätten es bei seiner Wahrnehmung mit dem vollständigen Körper zu tun. Jedoch wird der Körper bereits im Alltag nur bruchstückartig wahrgenommen. In den Medien wird er ebenso nur in Teil31 Bei wahrnehmungskommunikativen Prozessen spricht die heutige Forschung noch von Organogenese (stimuli organischer Herkunft) oder Psychogenese (stimuli psychologischer Herkunft), ganz so, als ob Gedanken und Körper sich je trennen ließen.
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aspekten präsentiert, was weniger den technischen Vorraussetzungen und Zwängen entspringt als vielmehr einer Weltanschauung. Die Perspektive und der Kontext prägen die Sichtweise, denn beim Sport, im Fitness-Studio, beim Arzt, in der Therapie, im Warenhaus, beim Fotografen, im Berufsleben, in der Intimität der Badewanne, des Bettes allein oder mit dem/der PartnerIn und mit „Intelligenter Kleidung“ (Computing Wearable) machen wir völlig unterschiedliche Körperansprüche geltend. Hinzu kommt, dass unterschiedliche soziokulturelle Räume verschiedene Körpervorstellungen entstehen lassen. Kleidung trägt stark dazu bei, Klarheit und Übersichtlichkeit herzustellen. Situation, Handlung und Kontext entscheiden über Körperlichkeit und je nach Gelegenheit unternimmt der Blick der Kamera eine besondere Selektion wie durch Groß- oder Detailaufnahmen von bestimmten Körperteilen. Manche Körperzonen bleiben tabu, weil sie als „unästhetisch“ erscheinen, andere rücken in allen Perspektiven immer wieder von neuem ins Licht der Kamera. Bei genauer Betrachtung stellen wir hier fest, dass die Maschine Körper und Kostüme zerschneidet, zerstückelt, zerlegt, demontiert, umgeformt, modelliert, vergrößert und verformt, um diese schließlich wieder neu zu formen und zusammenzusetzen. Der Körper ist im Film durch und durch ein Konstrukt, das nach den Regeln des Films montiert ist und mit dem „natürlichen“ Körper nur noch vage Ähnlichkeiten aufweist. Was von den Dreharbeiten übrig bleibt, ist eine Sammlung von Bildern mit Einzelelementen stofflicher, kosmetischer, ästhetischer, sprachlicher und körpersprachlicher Natur, die anschließend von den Cuttern wie ein Puzzle zusammenmontiert werden. In diesem Prozess der Fragmentierung und Defragmentierung bewahren, ja multiplizieren die Kostüme ihre Macht über die Körper. Erst in ihnen drückt sich die Magie des Körpers aus, selbst wenn er fast völlig nackt, alt oder krank ist: Auch hier haben wir es mit der hohen Kunst der Verwandlung der Bilder und des Körpers zu tun. Piercing, Scarification, Implantate, Branding, Narbing und Schmucktechniken ähnlicher Art stehen im Film für den symbolischen Wert des postmodernen Körpers. Im realen Leben hingegen versucht man die Authentizität körperlicher Erfahrung dem allgemeinen Entfremdungsprozess entgegenzusetzen. Diese Schmucktechniken erzeugen hochaffektive Zustände und körperliche Schmerzen, die ein neues Körpergefühl anzeigen.32 Daher stellen sie neue Erfahrungsfelder bereit, die neuartige Erscheinungsbilder erzeugen und auf die Frage der Identität übergreifen. Schon wegen seiner potentiellen Inszenierungskraft hat sich das Kino diese Tendenz rasch angeeignet. Vergleichbare Körpererfahrungen versucht der Film „Matrix I“ (1999) zu inszenieren. Techniken werden hier durch Situationen ersetzt und der körperliche Schmerz mit einem ganzen Spektrum von Gefühlen wie Gewalt, Spannung, Zärtlichkeit, Sexualität und Tod verbunden. Übergangsphasen wie z.B. eine „Neugeburt“ besitzen eindeutig rituellen Initiationscharakter. Materiell-sinnliche Grunderfahrungen werden im Film plastisch-ästhetisch ausgedrückt. In „Matrix I“ machen unterschiedliche „Bäder“ und Farben die Geistes- und Körperveränderungen Neos (Keanu Reeves) vorstellbar. Der Initiationsvorgang wird von Morpheus (Laurence Fishburne) geleitet und von 32 Vgl. Mentges 2004, 114-120. Der Begriff Technik ist hier im Sinne von Marcel Mauss zu verstehen.
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Technik und Mannschaft überwacht. Jede Phase und jede Übung in der simulierten Welt wird anhand neuer Kleidung unterstrichen. Einfache Wollkleidung und -mützen kennzeichnen dagegen einen Stillstand und das „wahre“ Leben. Das Design wird zum Hauptargument des Films. Im Gegensatz zu „Matrix“ hinterfragt David Cronenbergs „eXistenZ“, wie, inwiefern und ob überhaupt virtuelle Erfahrung die Empfindungen des realen physischen Körpers verändern kann.33 Von besonderer Relevanz bei den sogenannten Modern Primitives – deren Ausdrucksformen in „Matrix“, „The Crow“ (1998) oder „Strange Day“ (1996) stark abgemildert werden – ist ihr Bemühen, die Schranken der Geschlechter zu überwinden oder ihr Versuch zu beweisen, dass die Technik Geschlechterdifferenzierung kulturell neutralisiert.34
Die Erfindung der Schönheit „Der Schauspieler ist das Bindeglied zwischen Autor und Publikum“, sagte Marcello Mastroianni. „Er muss schön sein. Er muss faszinieren. Wenn er weniger fasziniert, wird das Publikum weniger aufmerksam“.35 Schönheit ist ein äußerst relativer Begriff. Was für uns als schön gilt, kann in anderen Kulturen als ausgesprochen hässlich betrachtet werden. Schönheit ist ein Konstrukt. Die Griechen hatten die Prinzipien von Form, Proportion, Harmonie, Symmetrie und Gleichgewicht in ihre Vorstellung von idealer Schönheit eingeführt. Diese Ideale prägen bis heute die Vorstellung von Schönheit, haben aber vor allem viel mit der Bilderwelt und wenig mit dem Leben zu tun. Man könnte sogar behaupten, dass diese gesellschaftlichen Idealvorstellungen von Schönheit (oder Schönheiten) heute eher den pathologischen Zustand einer Gesellschaft ausdrücken. Für die Schönheit des eigenen Körpers ist heute jeder selbst zuständig, da der Körper der einzige Ort ist, in dem wir leben können. Das Kino und die Modewelt können heute als die zwei Hauptbereiche gelten, in denen die relevanten gesellschaftlichen Schönheitsbilder erzeugt werden, wobei sie selten die Ebene der Klischees verlassen. Dass die gesellschaftliche Akzeptanz einer Frau auch heute noch an Schönheitskriterien gemessen wird, belegt die Macht der Bildproduktion und die tief reichenden sexistischen Wurzeln der Kultur. Die Schönheitsideale des Films entsprechen zwar nicht unbedingt denen des Laufstegs, gegenseitige und intermediale Einflüsse sind jedoch nicht ausgeschlossen, was zuletzt das frühere Model Charlize Theron unter Beweis stellte. Einige Kriterien dieser „Schönheit“ werden von den Model-Agenturen ganz unverblümt formuliert. Ein emblematisches Merkmal aller Modelagenturen ist die große Tafel neben dem Booker mit den Visitenkarten der Models. Auf einer Seite sieht man ein Bild des Models – meist relativ leicht bekleidet – und auf der Rückseite ihre Maße. Ungenierter könnte die statistische Brutalität der Beziehung der Branche nicht formuliert werden. Ein Idealbild zu verkörpern, ist übrigens kein einfaches Leben – auf der Leinwand ebenso wie auf dem Laufsteg. Der Supermodel Kate Moss löste 33 Vgl. Stiglegger 2001, 25. 34 Vgl. Stiglegger 2001. 35 Ich erinnere mich. Dokumentarfilm über Marcello Mastroianni.
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einen ersten Skandal aus, als sie offen erzählte, wie sie anhand verschiedener Mittel, darunter auch Drogen, ihre Figur in Form halten könne. Zu einer ähnlichen öffentlichen Wirkung hatte Jahre zuvor ein Interview mit Audrey Hepburn geführt, in der die Schauspielerin, die man sich nicht als süchtige Person vorgestellt hatte, sich zu ähnlichen Methoden bekannte. Kann das Unterhaltungskino ohne solche Idealbilder nicht existieren? Weder in der Film- noch in der Modewelt werden die Autorität solcher Ideale und die Schönheitsproblematik hinterfragt. Ideologiekritische Auseinandersetzungen mit Repräsentationstechniken werden zu einer Rarität.36 Die Modeltypen der Agenturen hängen von Modewellen ab. So passte Kristen McMenamy in den 1990er Jahre nicht unbedingt in die BotticelliVorstellung Eileen Fords zuvor, und Kate Moss entsprach nicht der damals verlangten Mindestgröße von 1,76m, um in die Agentur aufgenommen zu werden. Den Höhepunkt dieser Vorstellung bildet das digitale Model. Auch die Haute Couture hat eine eigene digitale Körper- und Modewelt entwickelt. Auf dem Imaga Festival von Monaco wurde 1998 das erste virtuelle Defilee präsentiert: eine 3-D-Modenschau von Thierry Mugler. Als Vorbild wurde das spanische Model Eliza Vasquez von der Firma Oxford Metrics digitalisiert. Das Ergebnis war eine eher hybride Kreatur, halb Mensch, halb Roboter, das an die Figuren der alten Star Trek-Reihe erinnerte. Ein Jahr später folgte mit verbesserter Technik „Weebie Tookey“, das erste virtuelle Top-Model der Elite-Agentur. Ihre „Schönheit“ entsprach den Fantasmen John Casablancas, da der Elite-Gründer die „ästhetischen Parameter“ – was immer darunter zu verstehen ist – höchstpersönlich festgelegt hatte.37 Eingedenk der Skandale, in die seiner Agentur verwickelt war, bieten anspruchslose Cyber-Models gewiss einige Vorteile. Luciana Abreu von der Elite-Tochter „Illusion 2K“, die ausschließlich mit der Vermarktung virtueller Models beschäftigt ist, meint dazu: „Alle virtuelle Models werden genauso behandelt wie normale Models“.38 Im Grunde werden Probleme von Normen, Hautfarbe oder Alter nur verlagert und neutralisiert im Technikdiskurs. Mit Lara Croft und Co. verfolgt der Film längst diese Schiene. Der Erfolg lässt zwar nicht zu wünschen übrig, die Frage der Schönheit jedoch ist damit gewiss nicht beantwortet.
Die Stilisierung der Gefühle Die mediale Kraft selbst der schönsten Silhouette kann jedoch hinfällig werden, wenn die Kostüme versagen. Gewagte kostümbildnerische Kreationen im falschen Moment können die Wirkung einer Figur, einer Einstellung oder einer Szene völlig zerstören. Bis weit in die 1960er Jahre konnten Kostüme in Szenen mit dürftiger Bedeutung auftrumpfen, hingegen mussten sie sich bei Szenen mit großen leidenschaftlichen Gefühlen in Zurückhaltung üben.39 Auch dies hat sich verändert: Im Film steht heute die Medialität der Kostüme und der Körper nicht nur für die Dramatik oder die Epik, sondern 36 Silverman 1997 (a), 50. 37 Das Model wurde von dem schwedischen Designer Steven Stahlberg erschaffen. 38 „Schöner als Schiffer“. In: Der Spiegel 28/1999. 39 Vgl. Gaines 1998, 247.
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sie begründet vornehmlich die Rhetorik des Affekts. Kostüme, Frisuren, Make-up und Accessoires eignen sich besonders zur Inszenierung von Emotionalität und werden zum Blickfang der Gefühle. Gestreifte Häftlingskleidung, abgetragene Kleider, feine modische Anzüge, Naziuniformen oder der rote Mantel des Mädchens, alle Kostüme in Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ spielen diese affektive Seite aus. Die Verbindung zwischen Blick und Affekt ist mittlerweile ein vieldiskutiertes Thema.40 Hier arbeitet unsere Wahrnehmung gleichzeitig im Film und jenseits des Films. Es gibt kein sicheres Wissen darüber, wie unser Gehirn, unser Intellekt und unser Körper die verschiedenen Stimulibereiche unserer Sinne zusammenführen, um „Bilder“ aufzubauen. Die Schnelligkeit und die Komplexität der Verbindungen grenzen ans Unendliche. Eins ist aber für die Forschung heute sicher: Diese Verbindungen werden nur mittels der Gefühle hergestellt, eine Mischung aus Unmut und Begeisterung, Energie und Müdigkeit, Spannung und Entspannung. Gefühle öffnen das Tor zur intimen inneren Landschaft, geben Auskünfte über ihren Inhalt und über uns selbst. Denn die Welt, die wir erfahren, wird innerhalb des Gehirns unter der Führung der Gefühle konstruiert.41 „Gebt mir keine Logik, gebt mir Gefühl“, so lautete das vielzitierte Motto Billy Wilders. Unsere Bilder, unser Darstellungsvermögen und unsere Vorstellungswelt werden in ein Bad der Gefühle getaucht. Sie entstammen komplexen Systemen, die keinerlei Informationen transportieren, sondern nach einem „magmatisch-leidenschaftlichen“ Modus (Castoriadis) geregelt werden. Die Psychologie verweist weiter darauf, dass Gefühle durch den flüchtigen Stoff der Kultur beeinflusst und sogar geprägt werden. Bilder, Normen, Sprache, Stereotypen, Metaphern und Symbole, ja sogar die Ökonomie tragen dazu bei, Emotionen zu modellieren. Gefühle sind komplexe Gebilde „von physiologischer Erregung, Wahrnehmungsmechanismen und Interpretationsprozessen“.42 Die Soziologin Eva Illouz legt ihr „besonderes Augenmerk auf die Art und Weise, in der sich die Bedeutung der Liebe mit derjenigen von Konsum, Waren und Freizeittechnologien vermengt“.43 Die emotionale Vermittlung benötigt keine Worte. Sie entwickelt sich auf der Ebene des „Unbewussten“ und wirkt bereits, wenn man sich inmitten eines affekt- und bedeutungsgeladenen Kraftfeldes befindet. Nichts ist ansteckender für die Entfaltung der Emotionalität als die Vorstellungskraft. Für Filme denkt man sich unglaubliche Geschichten aus und verfilmt sie „so sentimental wie man es sich vorstellen kann“, bestätigt der Filmregisseur Lars von Trier. „Ich glaube nicht mal an das Wort Liebe. Aber, es ist die Aufgabe, Liebe so darzustellen, als gäbe es sie“. So, dass das Publikum daran glaubt, „weil ich sie mit all den mir zu Verfügung stehenden Mitteln und Tricks zu Tränen rühre, bewege“. Das sei gut für ihn und für die Leute, meint er weiter, aber „natürlich nur, wenn sie erkennen: das kann doch nicht wahr sein. Und dann die Diskrepanz wahrnehmen zwischen dem, was sie im Kino erlebt haben, und dem, was sie eigentlich fühlen“.44 Die Verwirrung des Zuschauers sei also ein guter Anfang. 40 41 42 43 44
Vgl. Mikunda 1989; Voss 2004. Vgl. Fottorino 1998, 12-13. Illouz 2003, 3. Illouz 2003, 28. Interview mit Lars von Trier. In: Süddeutsche Zeitung 12./13.11.2005, VIII.
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Der Look ist eine der wichtigsten Marketingstrategien in der Liebesromantik. Er wird nicht nur mit dem Motiv „der Jugend und Schönheit, Kreativität und Spontaneität, sondern mit den Themen Spannung, Abenteuer, Erotik und intensiver Erfahrung um ihrer selbst willen“ assoziiert.45 Die Welt der unmittelbaren Objekte ist durchdrungen von Affekten. Ohne diese affektive Beziehung fehlt ein wichtiges Element des Alltagslebens und des menschlichen Daseins. Wie sehr unsere Kleidung inmitten aller unmittelbaren Objekte unser affektives Leben trägt und orientiert, ist Bestandteil des allgemeinen Erfahrungsschatzes. Ein Kleidungsstück wärmt, duftet, ist sanft, angenehm und weich zu tragen oder umgekehrt rau, hart, kühl, unangenehm, dick oder kratzig. Es vermittelt einfache alltägliche Empfindungen und Erfahrungen. Kleidung unterhält damit die intimste Beziehung zum Körper. Ob wir müde sind, eine lange Reise hinter uns haben, körperlich hart gearbeitet haben, bei großer Hitze geschwitzt haben, uns verletzt haben, gerade aus dem Badezimmer kommen und frisch gebügelte Kleider anziehen: Kleidung steht stellvertretend für den Körper. Und diese Beziehung ist immer stark affektiv geladen. Da der Film diese emotionelle Mikro-Erfahrung nicht vermitteln kann, muss er sich etwas einfallen lassen. Er erfindet sie mit allen Mitteln expressiver, ästhetischer oder technischer Art, die ihm zur Verfügung stehen. Auch die Beziehung zu Filmen ist besonders affektiv gekennzeichnet. MedienforscherInnen betonen daher die Schlüsselrolle der Emotionen in der Verbindung zwischen dem Zuschauer und der Fiktionalität des Films, genauer gesagt die Art, die zweidimensionale Welt des Films quasi dreidimensional emotionell fassbar zu machen. Christiane Voss spricht hier von der „Verräumlichung“ durch den Affekt.46 Gefühle sind eine lebenswichtige Dimension des Films. Es wäre allerdings ein Irrtum zu glauben, dass diese Gefühle auch in Bezug zur Kleidung universelle Geltung besitzen. KulturanthropologInnen haben uns darauf aufmerksam gemacht, wie sehr sich diese Beziehung unterscheiden kann, je nachdem, ob es sich um chinesische Liao, Inuit, um Menschen in Nordjapan, Tuareg oder um Einwohner Neuguineas handelt. Namen wie Song, Metagu, Ikari oder Amae lassen sich kaum oder nur schwer übersetzen. Diese Namen kennzeichnen Gefühle, die nach Ansicht der KulturanthropologInnen keine Entsprechung in der westlichen Welt besitzen und hier dennoch nicht völlig fremd sind. Dies gilt auch für die Beziehung zur Kleidung, die quasi plastisch verständlich wird, weil die vertraute Objektwelt den Zugang zur affektiven Innenwelt mitgestaltet. Hinzu kommt, dass das Erspüren des eigenen Körpers nicht vorgegeben ist. Von daher lassen sich die Kostüme auch als emotionales Bindeglied zwischen Fiktion und Realität begreifen. Die ZuschauerInnen müssen in die Geschichte affektiv hineinschlüpfen und sich in ihr bewegen. Durch ihre Vertrautheit eröffnet die Objektwelt ihnen dafür einen zusätzlichen Zugang. Natürlich stellt sich dabei auch die Frage, ob die konstruierte Affektbildung im Kino nicht auch auf unsere alltägliche Gefühlswelt zurückwirkt.
45 Illouz 2005, 41. 46 Voss 2005 (Vortrag).
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Die Frage des Affekts und die darauf bezogene Stellung der Kostüme bringen uns zurück zur allgemeinen Filmanalyse und zur Feststellung, dass bestimmte Zusammenhänge in Bildern und eine gezielte Kombination von Erzählung, Montage oder Einstellungen emotional wirken. Die Kunst der SchauspielerInnen sowie ihr Aussehen sind dabei entscheidend. Emotionen sind nicht unbedingt spontan, sondern werden ebenso rituell hervorgerufen und gestaltet, und dies nicht nur im Film. Sie verursachen – oder umgekehrt: werden verursacht – durch Sprache, Bewegungen und Ausdrücke. Sie können von Kultur zu Kultur völlig anders wirken. Auch die Bedeutung eines Kleidungsstücks oder einer Farbe mag unterschiedliche Wirkungen hervorrufen. Die Rituale des Blickkontakts oder die gleiche Stellung des Körpers in der Kommunikation sprechen in Mumbay und in New York völlig unterschiedliche affektive Felder an. Verschiedene Traditionen der Repräsentationsformen erfordern eine andere Entzifferung der Körper- und Kleidungssprache und bilden andere hierarchische Muster, selbst wenn die Globalisierung kulturelle Spuren hinterlassen hat. Auf der Mikroebene gelten z.B. in Europa bestimmte Regeln des affektiven Lebens; so ist der räumliche Abstand von 40 cm zwischen zwei Personen, um die Intimsphäre zu kennzeichnen, kulturell vorgegeben. Bis zu 1,20 m handelt es sich um die Zone der Sprachbeziehung. Zwei bis drei Meter kennzeichnen den Raum der interindividuellen Aushandlungen, in der die Mode eine dominante Rolle spielt. Beim Militär ist diese Distanz sogar beim Grüßen genauestens reglementiert. Dass die USA bei der Sprachbeziehung einen Abstand bis zu 40 cm erlauben, bringt die Europäer gewaltig in Verwirrung, da ihre kulturelle Sensibilität hier anders vorgeht und anders versteht. Leidenschaftliche Augenblicke hervorzurufen impliziert, dass wir zumindest wissen, worum es geht. Was passiert im Film? Mit wem haben wir es zu tun? Wo, wann? Wie wird die gesellschaftliche Beziehung dargestellt? Handelt es sich um eine reine Traumwelt, eine Schreckensrealität, eine Kompensation oder um eine wohldosierte Mischung von allem? Alle diese Fragen lassen sich einigermaßen beantworten, da sie unsere eigene Umwelt und Kultur betreffen. Schwierigkeiten treten dann auf, wenn sie eine uns völlig fremde Umwelt beschreiben. Dennoch schafft es der Film auch, Brücken zu schlagen. In „Lebe wohl meine Konkubine“ (1993) entwirft der Regisseur Chen Kaige eine quasi ethnografisch-poetische Schilderung Chinas, deren dichte emotionale Anspielungen anhand von kleinen Details wie Kleidungsstücken, Ritualen, Gesten oder sogar der Frisur minutiös und zugleich leicht und behände skizziert wird. Die Szene, bei der einer der Konkubinen das Haar geschnitten wird, ist dafür beispielhaft. Bereits der frühe Stummfilm hatte begriffen, wie sehr Stoff- und Kleidungsstücke unsere Gefühle herausfordern. Der Diskurs der Affekte gestaltet sich heute zwar weniger theatralisch, er hat sich jedoch mit den globalen Trends nicht unbedingt verfeinert. Im Gegenteil, er scheint für eine Form der Stilisierung der Gefühle zu stehen, die klobig arbeitet und zu einer regelrechten Industrie der Gefühle ausartet. Sie wird aber kaum beachtet, weil immer neue Techniken die Nuancen ersetzen und den Blick immer ausdrücklicher in Anspruch nehmen. „Titanic“ (1997) illustriert es meisterhaft. Sogar empfindlichen „Gedächtnis“-Themen wie etwa der Massenvernichtung im KZ, so das Beispiel „Schindlers Liste“ von Spielberg, bleibt dieses Paradox nicht erspart. Der Holocaust und die Gedenkrituale werden dem Vokabular des Entertainments angepasst (Abb. 15). Trotz dieser Kluft
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zwischen Fiktion und Wahrheitsanspruch, die sich bis hin zu den Kostümen auftut, wird die zeitgenössische Sensibilität immer wieder auf die Probe gestellt, selten jedoch verletzt. In diesem Sinn werden die Kostüme zu wichtigen Elementen des Affektpotentials, zu einer visuellen Gliederung zwischen Wahrnehmung und Affektbildung, ein filmisches Zubehör zur Technik der Gefühle, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer noch subtiler zu mobilisieren. Abb. 15: „Schindlers Liste“
Der Gedanke liegt nahe, dass Körper- und Affektbilder weniger mit den privaten Obsessionen der FilmemacherInnen verbunden sind als vielmehr den Ausdruck einer Affektkultur bilden. Jedes Kleidungsstück ruft Erfahrungswelten in der Erinnerung wach, die sich seit unserer Kindheit angesammelt haben. Gefühle entwickeln sich daher aus mimetischen kulturellen Prozessen heraus, die der Film wieder aufrufen kann. Kleidungsstücke sind in diesem Sinne als emotionale Mimesisobjekte, ja Mimesisinstrumente zu verstehen, die zugleich mimetische Phänomene auslösen. Michael Taussig spricht von der „Zauberkraft der Reproduktion“.47 Walter Benjamin zufolge drückt die Mimesis die Fähigkeit aus, „anders zu werden“. Aus der Perspektive der Kleidungsforschung, bildet die Mimesis das Grundmuster nicht nur der historischen Rekonstruktionen, sondern aller Filme. Selbst die Kamera ist dabei als mimetisches Instrument zu betrachten. Daraus könnte man schließen, dass die Technik zur Vervielfältigung der Denkbilder mimetischer Art geführt hat. Eine Auseinandersetzung mit der Thematik der Maske – also mit einem weiteren mimetischen kulturellen Objekt – beweist freilich das Gegenteil. Die Maske liefert ein größeres imaginatives Spektrum, als es sämtliche Computersimulationen anbieten könnten. Die digitale Simulation, die bereits in ihrem Prinzip auf einer primären Identitätslogik (mit 0 und 1) basiert, muss zunächst die „Realität“ an die extrem reduzierte Computerspra47 Taussig 1997.
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che anpassen (Daten). Erzeugt wird damit letztlich „nur“ ein weiterer Identitätsdiskurs. Die Maske beinhaltet dagegen die entscheidende Fähigkeit, den Anderen oder das Andere zu denken. Kleidungsstücke stellen privilegierte Medien des mimetischen Kontaktes zur sozialen Umwelt dar und bilden zugleich einen langwierigen Erfahrungsprozess. Bereits in der frühen Kindheit setzen wir durch Berühren, Tasten, Riechen, Anschauen, Wegwerfen und Wiederausprobieren, ja sogar Schmecken und Hören alle Sinne intensiv ein. Immer deutlicher werden so im Laufe der Zeit Kleidungsstücke in Verbindung mit Ereignissen oder starken Erlebnissen gebracht. Dieses Austesten oder das sich Konfrontieren mit bestimmten Momenten, Ereignissen, Gerüchen und Gedanken bleibt also immer geistiger Art und mit Affekten ausgestattet. Darin entwickelt sich das individuelle Relief des Lebens, an der Schnittstelle zwischen individueller Geschichte und unserer Umwelt. Genau an dieser Stelle kann der Rhythmus einer Person und der ihrer Umgebung erfasst werden. Im Film stellt sich der Kleidung diese Aufgabe noch direkter und zugleich einfacher, weil die Typisierung bereits auf einem mimetischen Prozess beruht. Die Mimesis ist also zentral für die Affektwelt und stellt eine ihrer Triebkräfte dar. Lieben oder hassen wir wie im Film? Spielt das Erscheinungsbild einer Person eine so große Rolle wie im Film? Jedenfalls entfalten sich Emotionen in unserem alltäglichen Leben wie auch im Film „aus den Geheimnissen des Körpers“48 heraus. Eine universale Filmanalyse, die dies definitiv beantworten könnte, gibt es glücklicherweise nicht. Kleidung und Mode sind im Film kontextuell zu betrachten, d.h. mit Faktoren außerhalb des Kinos zu klären: Faktoren soziokultureller und politischer Natur, aber auch Faktoren sprachlicher oder wissenschaftlicher Natur. Die Filmsemiotik der 1970er Jahre war z.B. ein Versuch, die Grundlagen des Films neu zu gestalten, sie hat Geschichten und Geschichte, auch Kostümgeschichten und Gefühle entsprechend behandelt. Diese emotionalen Geschichten haben sich heute in dem Maße verkompliziert, wie sich die Perspektive mit jedem Film verschiebt. „Andrej Rublev“ (1969) von Tarkovsky, „Adieu Bonaparte“ (1985) von Youssef Chahine, Tarantinos „Reservoir Dogs“ (1992), Pasolinis „Dekameron“ (1971) oder „Girl, Interrupted“ (1999) von James Mangold sprechen in Bezug zum Körper und zu den Kostümen nie die gleiche Sprache. Kathexis nennt man die emotionelle Energie, angelegt in einer Person, einem Objekt oder einer Idee. Die Frage des Affekts in Bezug zum Körper und zum Erscheinungsbild wird auffallend scharf in Science-Fiction-Filmen thematisiert, vor allem in Relation zur Technik. In Scotts „Blade Runner“ (1982/1993) z.B. macht eben der Affekt den Unterschied zwischen Körper und Technik, Menschen und Replikanten. Die Typisierung beherrscht im Film auch die Beziehung von Bildern und Gefühlen. Immer wieder werden ähnliche oder vergleichbare Bilder von romantischer Liebe hervorgerufen. Dies bleibt nicht ohne Rückwirkung auf die Realität. Sehr früh lernen wir im Film, wie man/frau küsst. Auch Bilder von Angst oder Schmerz sind ausgesprochen standardisiert und werden durch bestimmte Gesichtsausdrücke vermittelt. Die Emotionalität stellt daher eine der schwierigsten Aufgaben dar. Neue Techniken und neue Garderoben können dabei nur als Mittel zum Zweck 48 Gaines 1990, 187.
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dienen. Nicht nur Kostüme sind übrigens Affektträger. Abgesehen von der Ausdruckskraft der SchauspielerInnen tragen Musik, Rhythmus, Farben oder Dialoge ebenso, wenn nicht gar mehr dazu bei. Was jedoch für alle diese Filmmittel oder -elemente als selbstverständlich gilt, übersieht man leicht bei der Kleidung. Die Bezugspunkte des Affektiven können nur dem Leben selbst entstammen. Was die Leute im Leben fröhlich, sehnsüchtig oder traurig macht, macht sie auch im Film fröhlich, sehnsüchtig oder traurig.
KÖRPER UND KLEIDUNG ODER: D I E Z W E I T E I L U N G D E R W EL T Mode und Geschlechterbedeutung In Joseph Mankiewicz’ „All about Eve“ (1950) versucht die junge Schauspielerin Eve Harrington (Anne Baxter), sich die Stellung von Margo Channing (Bette Davis) zu erschleichen. Dabei zieht sie eines von Margos Kleidern an, um sich damit im Spiegel zu betrachten. Ab diesem Zeitpunkt versteht das Publikum, dass sich die Anfängerin skrupellos auf den Spuren der Diva bewegt. Die Kostüme werden zu Werkzeugen von Eves Strategie und ihrer Imagekonstruktion (Abb. 16). Man erkennt schnell, dass der Film keine feministische Erklärung sucht, ganz im Gegenteil. Auch Tess McGill (Melanie Griffith), die kleine Sekretärin in „Die Waffen der Frauen“ (1988) von Mike Nichols, eignet sich den Look und damit die Autorität von Katharina Parker (Sigourney Weaver), ihrer abwesenden neuen Chefin, an. Abb. 16: „All about Eve“
Die Kamerafahrt nach dem Zugüberfall über die Stiefel von „Lawrence von Arabien“ (1963) und die Begleitmusik von Maurice Jarre erzeugen eine wirkungsvolle Siegerhaltung und -stimmung. Das Motiv des Krieges als erotisches Abenteuer kommt in unzähligen Filmen bis hin zu „Braveheart“, „Der Patriot“ oder „König Arthur“ immer wieder vor. Fast jedes Filmgenre hat sich dieser zwei extremen Geschlechterbilder in der einen oder anderen Form bedient. Hierbei kommt die Bedeutung der Kostüme als Angelpunkt für die Zirkulation der Geschlechterbedeutungen zum Zuge. Im kommerziellen Unterhaltungsfilm führen die Kostüme unmittelbar zur Frage der Geschlechter-
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vorstellungen, -bilder und -rollen. Deutlich und oft unfreiwillig legen die Kostüme offen, welche Frauenbilder, welche Bilder von Männlichkeit und welche Genderordnung im Film vorherrschen. Über die Frage des Geschlechts strukturiert sich die gesamte Apparatur der filmischen Repräsentation, darunter auch die Story und die Orte der Story: So spielen die Raumkonstruktionen und -vorstellungen auf das jeweilige Geschlecht an. Räume wie die Großstadt, die Wüste, die Prärie des Wilden Westens, das Haus oder die Berglandschaft werden weiblich konzeptualisiert und konnotiert. Denn es handelt sich um Raumvorstellungen, in denen das Handlungsfeld des Helden sich in Begrifflichkeiten der Zähmung, der Penetration oder der Eroberung beschreiben lässt. Mit Recht lässt sich hier von Gender-Topografien sprechen.1 In dem Sammelband „Hollywood hybrid“ zeigen die AutorInnen, in welch hohem Maße Gender und Filmgenre ineinander verwickelt sind und wie jedes Genre bestimmte Gender-Konfigurationen vorgibt oder definiert.2 Das Kino vollzieht ein methodisches, raumzeitliches sowie kulturpolitisches Mapping von Gender. Selbst in der Narrationsform, dem Dekor, den Einstellungen oder der Montage, ja sogar in Gegenständen und Requisiten – „The Sex of the Things“ – spiegelt sich die Gendertopik wider; vor allem und mit besonderer Stärke in Kleidung, Kopfbedeckungen, Fußbekleidung, Accessoires, Make-up und Frisuren. Um die Rezeptionsgeschichte des Films mit den jeweiligen Genderkonzepten in Verbindung zu setzen, haben die FilmtheoretikerInnen der 1970er und 1980er Jahre neue Herangehensweisen eingeführt, in dem sie drei unbewusste Einstellungen in den Vordergrund rückten: eine voyeuristische Einstellung, eine fetischistische sowie die Fähigkeit zur Identifikation. Bei der Frage der Identifikation z. B. kommt es zu einer mehrheitlich unbewussten Begegnung zwischen Zuschauer und Bilderwelt. Die Psychoanalyse mit ihrer „Spiegeltheorie“ führt den Grund für diese Begegnung auf das „Spiegelstadium“ der frühen Kindheit zurück, um zu erklären, warum die Identifikation im Kino so leicht funktioniert. Wir sind im Kino zu Hause, versichert Elisabeth Bronfen: „There is no place like home“, so lautet das Schlüsselzitat aus dem Film „Der Zauberer von Oz“. Ob dieses Zuhause im Bereich des Schrecklichen oder des Wunderbaren liegt, lässt sie offen. Diese Aussage lässt sich aus zwei Perspektiven betrachten, ohne sie im Wortlaut verändern zu müssen. Wir werden buchstäblich in die Welt der Fiktion projiziert. Gerade auf dieser Ebene vollzieht sich für Elisabeth Bronfen die Primäridentifikation: nicht mit den Personen, dem Autor/der Autorin, noch weniger mit der Kamera, sondern mit der fiktiven Welt überhaupt.3 Sie ist der Zugang zur Welt des Films bzw. zum Blickregime des Films. Diese Verführungsstrategie wird vom Zuschauer mit Lust und Genuss akzeptiert. „Man verliebt sich nicht nur in Schauspieler“, behauptet Susan Sontag, „sondern ins Kino selbst“.4 Erst dann werden die sekundären Identifikationsmuster mit den Figuren wirksam. Allerdings bleibt diese Identifikation mit den Filmfiguren oft unscharf. Ob dieses psychoanalytische Erklärungsmuster ausreicht, bleibt offen. 1 2 3 4
Vgl. Liebrand 2003; Weigel 1990. Vgl. Liebrand/Steiner 2004. Bronfen 1999; vgl. Zeul 1997, 7-8. Sontag 1996, 9.
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Sicher ist nur, dass sich hier meist auf indirekte und komplexe Weise ein Wertetransfer abspielt, ein Prozess, in dem die Abwehrmechanismen abgeschwächt werden. Erleichtert wird diese Identifikation durch die vertraute Begegnung mit der alltäglichen Objekt- und Kleidungswelt im Film. Die zweite Einstellung, die voyeuristische, ist insofern vorhanden, da ein Film Momente zeigt, die sich außerhalb des öffentlichen Blicks abzuspielen scheinen. Die Kameraführung wird häufig als voyeuristisches Instrument eingesetzt.5 Damit gehen nicht unbedingt erotische Bedeutungen oder Konnotationen einher. In „Der Wind wird uns tragen“ (1999) von Abbas Kiarostami wird der Fotoapparat des „Ingenieurs“ (Behzad Dourani) zum voyeuristischen Instrument par excellence und der Ingenieur/Journalist ist sich dessen bewusst, als er heimlich das seltene Ritual des Trauerzugs der Frauen filmt. Der Protagonist wurde von seiner Zeitung aus der Hauptstadt Teheran eigens zu diesem Zweck nach Siah Dareh, ein kleines Dorf im kurdischen Teil Irans, beordert. Der Voyeurismus ist hier einfach die Neugier – neue Gier – des Journalisten bzw. das Auge der Kamera. Diese voyeuristische Neigung verschwindet, sobald er seine Kamera beiseitelässt oder ganz vergisst und aufmerksam und respektvoll die kleinen alltäglichen Mysterien des Dorfes wahrzunehmen beginnt. Seine Neugier kommt wieder zum Vorschein, sobald er zur Kamera greift wie in der Schlussszene, da das geheimnisvolle flüchtige Ritual der Frauen nicht für die Augen der Öffentlichkeit gedacht ist. Mit der Betonung des Fetischismuseffekts wird ein weiterer zentraler freudscher Grundbegriff eingeführt. Dies geht jedoch auf Kosten einer differenzierten kulturanthropologischen Betrachtungsweise, die mit dem Konzept des kulturellen Kontextes arbeitet. Was, psychologisch betrachtet, in der realen Mode zur Fetischisierung führt – nämlich vor allem das Material und die Formen: Leder, Seide, Korsetts, spitze Absätze, Metall, Nylon oder Uniformen, die bestimmte Gefühle ansprechen oder anregen –, wird im Film gezwungenermaßen ausschließlich auf das visuelle und akustische Feld verschoben. Vor allem durch die Vergrößerung von Kleidungsdetails oder durch die Art, wie die Kameraführung die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf bestimmte Details oder Körperteile lenkt, kommt dieser mit affektiver Deutungskraft versehene Lupen- oder Verstärkereffekt zum Zuge. Jeder Film zielt auf eine optimale emotionale Wirkung, indem er sich auf die Verbindung von Auge, Ohr und Affekt konzentriert. Denn es gehört zu den Hauptzielen des Erzählkinos, Gefühle zu vermitteln oder auszulösen. Die Gefühle gelten gewissermaßen als die vierte Dimension des Films. Diese fetischisierende Vergrößerungsstrategie des Kinos, bei dem jedes Detail wie durch ein Vergrößerungsglas betrachtet wird, kann aber auch anders eingesetzt werden, wie z.B. durch die Akzentuierung der Mimik oder von Haarbewegungen. Dadurch erhält der/die ZuschauerIn Zugang zur psychischen Verfassung einer Filmfigur. Die Seele wird so zum Welttheater. Ein gutes Beispiel liefert uns Stanley Kubrick in „Eyes Wide Shut“ (1999), wenn er das Auge der Kamera auf den Gesichtausdruck der in Unterwäsche 5
Die Vorstellung von Voyeurismus im Film basiert zwar auf dem klassischen freudschen Schema des pathologischen Voyeurismus (vgl. Freud 1973, 32-36), wurde aber in den 1980er Jahren zum Modebegriff und hat seither seine „pathologische“ Kraft eingebüßt.
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gekleideten Nicole Kidmann richtet. Die Unterwäsche nimmt hier eine ambivalente Position ein und steht weniger für den Voyeurismus als für Offenheit, zugleich aber auch für Schutzlosigkeit, Verletzlichkeit und für das Entkleiden der Psyche, des „Inneren“ (Abb. 17). Entkleidungsszenen im Film verleiten nicht selten eine Figur dazu, sich neu zu erfinden. Abb. 17: „Eyes Wide Shut“
Diese drei Konzepte von Identifikation, Voyeurismus und Fetischisierung sind nicht unumstritten, weisen aber zugleich einen Weg, wie die Genderproblematik visuell-materiell aufzudecken und zu hinterfragen ist. Jedenfalls heben sie die Bedeutung des Blicks hervor. Im Unterhaltungsfilm legt die Kultur am deutlichsten ihre sexistischen Wurzeln offen. Kurzum: Der Frauenkörper bleibt auf der Kinoleinwand eine überdimensionale Projektionsfläche für Bilder, Werte, Vorstellungen und Wünsche. Der Inhalt des Blicks, wegen der weitgehend von Männern beherrschten Filmproduktion allgemein als „männlich“ identifiziert, wurde aber in den 1980er Jahren in Frage gestellt, weil, so E. Ann Kaplan, der Blick „bereits in der Mutter-Kind-Bindung relevant“ ist.6 Auch Stella Bruzzi stellt anhand des Films „Das Piano“ (1993) das Primat des männlichen Blicks in Frage.7 Ihr zufolge gelingt es hier, eine Frauenperspektive auf einen männlichen Körper durch die Auflösung der traditionellen Rollen – von Baines (Harvey Keitel) – zu entwickeln. Ada, die Heldin, begehrt ihn, den Mann. Allerdings besteht die Begrenztheit der psychoanalytischen Erklärungsmuster weiterhin, da sie die dichotomische Teilung der Welt in die Kategorien Männlich und Weiblich nicht verlassen, im Gegenteil, sie vielmehr zur Voraussetzung haben.
Ausgehandelte Geschlechterbilder Feminität und Maskulinität werden im Film nicht nachgestellt, sondern filmisch erfunden. Dabei wird im kommerziellen Kino die Zwangsjacke der heterosexuellen Beziehungsmuster relativ selten hinterfragt und noch seltener wird nach einer Perspektive gesucht, die außerhalb dieser Repräsentation agiert. In der 6 7
Kaplan 1985, 52. Vgl. Bruzzi 1998, 62.
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schwarzen Frau, die vom Blick des weißen Mannes zumeist ignoriert wird, erkennt die Filmforscherin Jane Gaines eine gesteigerte Variante der Ausschließung. Andere Filmtheoretiker führen weitere sozialpolitische Faktoren der Ausschließung an wie z.B. kulturelles Milieu oder Generation, um die Einseitigkeit des herrschenden Blickregimes zu verdeutlichen. Mit der Auffassung, dass Bedeutungen nie definitiv festgelegt, sondern verhandlungsbedürftig sind, kommt eine neue Vorgehensweise zum Zuge. Die ZuschauerInnen rücken damit wieder ins Zentrum der Debatte, und dies führt zu einer klaren Unterscheidung zwischen Identifikationsfantasie und Identifikationspraxis. Den ZuschauerInnen wird eine aktive Verwaltung der Kino- und Starbilder zum eigenen Zwecke zugeschrieben, auch in Bezug zum Geschlecht. Der kommerzielle Unterhaltungsfilm besitzt bis heute immer noch eine eher einseitige, normativ geformte Vorstellung von Geschlechtern im traditionellen Sinne, in der Feminität und Maskulinität klar definiert werden. Er greift dabei auf reale kulturelle Stereotypen zurück, in denen Passivität, Emotionalität, praktische Intelligenz oder Soziabilität für Weiblichkeit stehen und Aktivität, Stärke, Durchsetzungsfähigkeit oder Leistungsstreben für Männlichkeit, auch wenn diese sich inzwischen etwas vermischt haben.8 Das Imaginäre der Kleidung und des Körpers passt sich diesen Bildern an bzw. untermauert sie. Das Publikum kann dagegen die Weiblichkeits- und Männlichkeitsvorstellung des Films jeweils aushandeln, wie es ihm passt. Die Vorstellung von Geschlechterrollen und -bildern als Maskerade ist inzwischen weit verbreitet. Es handelt sich also um eine Bildkonstruktion, in der die Stellung der Kostüme zwar unübersehbar und der Körper selbst zur Verkleidung wird, jedoch durch ihre Rezeption oder Bedeutungsgebung vom Zuschauer/ von der Zuschauerin mit gestaltet wird. Der Begriff Maskerade – auch im Sinne von Joan Rivière – lässt sich in der Tat heute ebenso auf Männlichkeit verlagern. Männlichkeit ist grundsätzlich eine Maskerade oder präziser gesagt ein kosmetisches Sozialphänomen von monumentalem Ausmaß: Ein immenser Inszenierungs- und Ritualapparat, in dem die Männer ihre fantasmatischen „Siege“ immer wieder ausspielen. Diese Kosmetik „korrigiert“ nicht nur die primäre reale „Erscheinung“, sondern, im Sinne eines Beschwörungsprozesses, ersetzt diese regelrecht, ohne jede Distanz: Auf diese Weise entsteht eine Art Verpanzerungseffekt. Die Begriffe Weiblichkeit und Männlichkeit, Frauen und Männer sind also letztendlich, kulturanthropologisch betrachtet, ideologische Begriffe. Im Film bilden die Geschlechterrituale fast immer das Hauptthema der Kleidungsplots. In der Kinomythologie nimmt die Männerkosmetik – im breiten Sinne des Wortes – meist die Züge der Initiation, des Kriegerethos an – im realen wie im metaphorischen Sinne – oder des Politischen im weiteren Sinne des Wortes. Actionfilme scheinen dafür besonders geeignet. Die Filmwissenschaft definiert den Actionfilm im Sinne eines jugendlichen Abgrenzungs- und Reintegrationsprozesses, der vor allem das jugendliche männliche Publikum zunächst direkt ansprechen soll, damit es die eigene
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William und Best haben eine Übersicht männlicher und weiblicher Stereotypen erstellt, die die in zahlreichen Ländern und Kulturen weitgehend übereinstimmenden Vorstellungen aufzeigt; vgl. Hißnauer/Klein 2002, 26.
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Erfahrungs- und Affektwelt darauf projizieren und nachempfinden kann.9 Die Affektmuster sind dabei außerordentlich standardisiert und unterliegen einer streng logischen Struktur. Der Actionheld erleidet am Anfang der Handlung eine tiefe Kränkung, in deren Folge er von der Gesellschaft marginalisiert oder ausgegrenzt wird. Dieser Opferstatus macht ihn aber bereit für die späteren Auseinandersetzungen und Kämpfe des Lebens. Im konventionellen Film geht der Held gestärkt aus den Hindernissen und Gefahren hervor.10 Die Filmregisseurin Kathryn Bigelows greift in ihrem Film „Blue Steel“ (1990) dieses Schema auf. Sie dreht es aber um und beschreibt gezielt, wie die Heldin Megan Turner (Jamie Lee Curtis) „im Laufe der Narration immer mehr von ihrer Souveränität und ihrer Selbstverständlichkeit verliert, bis sie am Ende zerstört zurückbleibt“.11 Die Uniform, ist dabei ein Schlüsselelement ihres Erfahrungsfeldes, da die Heldin Polizistin ist. Damit hinterfragt der Film aus der Genderperspektive heraus die interne gesellschaftliche und kulturelle Logik dieser Uniform. Wie die Uniform stellt auch die Jacke selbst in ihrer coolen Version ein besonderes Merkmal der Verpanzerung dar. Im Film allgegenwärtig, ist sie bildlich wie auch real als Fortsetzung der Rüstung aufzufassen. Dies schließt nicht aus, dass sie, sofern mit subtilen Konnotationen ausgestatte, diese traditionelle Rolle subvertieren kann wie in „Der Club der toten Dichter“ (1989) von Peter Weir. Die Erziehungsmethoden im Internat Wilton Academy sehen nicht nach Pippi Langstrumpfs Vorstellung aus. Die Schuluniform, vergleichbar einer Militäruniform, erfordert eine steife Haltung, erzeugt eine ernste Stimmung und verweist auf die strenge Hierarchie und die Prinzipien des Internats: Tradition, Ehre, Disziplin und Leistung. Den ritualisierten Diskursen, dem Unterricht, der Organisation und den Gesten entspricht eine ritualisierte Kleidung mit der Jacke als dem eigentlichen Kernstück. M. Keaton (Robin William), der neue Englischlehrer, geht aber mit dieser Jacke der Autorität sehr locker um, trägt sie offen und ohne Krawatte oder legt sie einfach ab und pfeift dazu (Abb. 18). Allein diese Haltung bringt frischen Wind in den strengen Internatsalltag: „Carpe Diem“. Abb. 18: „Der Club der toten Dichter“
9 Vgl. Kirschmann 1996, 45-60. 10 Vgl. Haller 2004, 71. 11 Haller 2004, 85f.
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Poesie und Theater ziehen mit ihm in die Schule ein und damit auch ein Hauch pädagogischer Kulturrevolution. Dies zeitigt natürlich Folgen: Die Schüler entwickeln langsam eine eigene Meinung, widersprechen und stellen Fragen. Die Strenge von Neil Perrys Vater (Robert Sean Leonard) wird dagegen durch graue Anzüge gekennzeichnet. Bei ihm herrscht Ordnung bis zu den Pantoffeln. Das rosarote Kleid der Mutter illustriert ihre traditionelle Rolle. Die Konfliktsituation der Kleidung drückt Neils Situation aus. Er befindet sich in einem Dilemma zwischen seiner Leidenschaft fürs Theater und den starren Anweisungen und Ansprüchen seiner Familie mit für ihn fatalen Folgen. Der „Casual“-Look à la M. Keaton hat seine Subversivität in der Realität inzwischen eingebüßt und ist eher zum Standardmuster in vielen privaten wie staatlichen Schulen der westlichen Welt geworden. Darin kommt zwar eine Lockerung der männlich-vestimentären Formensprache zum Ausdruck, doch ändern sich damit nicht unbedingt die Diskurse. Eine andere Perspektive bietet uns der Film „Thelma und Louise“. Er ist angefüllt mit Männlichkeitsmerkmalen textiler Art wie Stiefeln, Gürteln, Sakkoanzügen und Cowboyhüten. Einige von ihnen werden von den zwei Dissidentinnen leichthin übernommen. Wir befinden uns in den 1980er Jahren und der männliche Hard Look prägt das Filmbild der Reagan-Ära. Total unpassend wirkt darin Harvey Keitels Anzug im Staub des Grand Canyon, als er sich vergeblich bemüht, die Situation noch zu retten und auf einmal begreift, was die zwei Frauen in dieser atemberaubenden Sackgasse tatsächlich vorhaben. Die Jacke taucht in zahlreichen Filmfassungen auf bis hin zur kultischen Lederjacke. Auch die Krawatte verweist auf Autorität. Verschwindet sie im Alltagsleben immer mehr, so ist sie im Kino wie auch in der Politik noch immer allgegenwärtig. In zahlreichen Filmen tauchten deshalb bis in die Mitte der 2000er Jahre verschiedenartige Anspielungen auf die Krawatte auf. In der Nachfolge von Marlene Dietrich haben sich die Frauen inzwischen längst auch dieses Merkmal zu eigen gemacht: eine Maskerade auf primärer und sekundärer Ebene. Die Vorstellung der Maskerade sprengt keineswegs die Repräsentation, sondern verschiebt sie.12 Infolgedessen kann das Kino sehr gut damit leben und umgehen. Ein Beweis dafür bietet die Darstellung der „Femme fatale“. Sie hat sich zwar radikal verändert – sie selbst war ja eine Fortsetzung des Vamps aus dem Stummfilm und der italienischen Diva –, behauptet sich aber dennoch als Inbegriff des Unkontrollierbaren weiterhin als ein Leitmotiv des Kinos, wenngleich mit spielerischen Zügen.13 Mag frau „männliche“ Kleidungsstücke und Krawatte tragen oder den Kopf kahl geschoren haben, sie wird weiter wie eh und je anhand von Kostümen, Frisuren, Schmuck und Make-up übersexualisiert. Die Kluft zwischen Maskierung und Maskerade wird damit sehr eng. Nicht die Sexualisierung an sich steht hier in Frage, sondern vielmehr wie und aus welcher Perspektive sie inszeniert wird. 12 Der Begriff geht auf den Aufsatz „Weiblichkeit als Maskerade“ der Psychoanalytikerin Joan Rivières zurück (1929), den unter anderem Lilian Weisberg 1994 wieder aufgegriffen hat. 13 Vgl. Michèle Montrelay: L’ombre et le nom, Paris 1977, zitiert nach Doane 1998, 78.
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Die modische Zuschreibung zu den Geschlechtern ändert sich permanent mit den Epochen. Die filmische Modesymbolik ist äußerst wandelbar, ohne dabei die Grundlage der Ordnung zu destabilisieren. Anders formuliert: Die Permanenz der Bilder ist hier ausschlaggebender als die Materialität der Stoffe.14 Und gerade das produziert das Kino am wirkungsvollsten: die Fortsetzung der Bilder mit immer neuen Mitteln – Bilder, deren kulturelle Wurzeln relativ unangetastet bleiben. Die bekannteste Art, Geschlechterrollen und -bilder zu verschieben oder zu verändern, heißt im Unterhaltungsfilm, sie mit Elementen oder Accessoires des anderen Geschlechts (oder anderer Geschlechter) zu besetzen. Accessoires wie Taschen, Schmuck oder Hüte dienen seit den 1920er Jahren häufig gerade dazu, Grenzen von Männlichkeit und Weiblichkeit neu zu bestimmen, da die Frauen sich im üblichen Erscheinungsbild – Bubikopf, gerade geschnittene taillenlose Hemdkleider – dem männlichen angenähert hatten, was ihnen damals den Vorwurf der Maskulinisierung eintrug. Dies hatte sich im Film fest eingeschrieben. Erst als sich die Frauen Ende der 1980er Jahre allmählich alle Zeichen und Symbole der Maskulinität bis hin zum Revolver aneigneten, veränderte sich die Bedeutung der Accessoires im Film. In umgekehrter Richtung fällt die Übernahme etwas bescheidener aus: Schmuckelemente, Haarschnitte, Oberkörper-Kleidungsformen, Ornamente, Farben, manche Schuhformen, Stoffe, Leggings oder Halsschnittformen. Man spricht nichtsdestotrotz von der Feminisierung der Männerkleidung. Die so genannten Feminitätseffekte werden vor allem durch erotische oder sexuelle Konnotationen hervorgerufen. Kostümdetails besitzen dabei eine Signalfunktion, deren Bedeutung bei Frauen in engem Bezug zu ihrem Körper steht, was die englisch-amerikanische Filmliteratur „being female“ nennt im Gegensatz zu „being feminine“, was an die soziale Rolle gebunden ist. Potentiell ist jedes Körperteil, jede Bewegung oder die Körpersprache Objekt der Erotisierung oder der Sexualisierung durch Kamera und Bild. Das ist eine Frage von Situation und Zielsetzung.
Blickfang: Fetisch Frau? Viele ForscherInnen beharren in Verbindung mit Geschlecht auf der für sie grundlegenden sexuellen Bedeutung der Mode, vermischen dabei allerdings Ursache und Wirkung, weil ein Kleidungsstück nicht von vornherein als männlich oder weiblich gilt. Heute wird diese Verbindung komplexer aufgefasst: als Spiel von Mode, Körper, Bildern, Medien und Konsum mit kulturellen Ordnungsmustern. Man könnte außerdem behaupten, dass die Mode als eines der wichtigsten Verbindungsglieder bei der Beziehung zwischen ideologischen Geschlechterbildern und wirtschaftlich-industrieller Produktion verantwortlich zeichnet. Ich gehe sogar ein Schritt weiter und behaupte, dass die Mode als Hauptträger derartiger kultureller Bilder zu gelten hat. Sie vermittelt nicht nur die Bilder, sondern sie bestimmt den Anlass für solche Bilder und damit die vorherrschende Genderkonstruktion. Reale wie fiktionale Mode verweisen also nicht nur auf ein Bildrepertoire, sondern konstruieren selbst jene neuen Bilder, in denen die Gender-Konfigurationen immer wieder auf komplexe 14 Vgl. Mentges 2005, 38-40
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Weise ausgehandelt werden, sei es in der Sphäre der Haute Couture oder im Bereich der Straßen-, House- oder Hip-Hop-Mode. Plot, Handlung und Kostüme verfolgen dagegen im amerikanischen Unterhaltungsfilm eine klare pädagogisch-politische Zielsetzung und geben ihrer Kundschaft die allgemeingültige Richtschnur vor. Die Illusionsmaschine Hollywoods trat von Anfang an bei der Frage der Geschlechterrollen immer zugleich als Lehrer, Moralprediger, Polizist und Richter auf, auch in Bezug auf Bekleidung und Erscheinung. Entsprechend sind Regisseurinnen in Hollywood bis heute eine Seltenheit. Es mangelt nicht an hochtalentierten Frauen, wie es Jodie Foster, Jane Campion, Barbra Streisand, Susan Seidelman oder letztlich Sofia Coppola bewiesen haben, aber seit Jahren versuchen Frauen mit den Studios am Verhandlungstisch zu kommen, ohne Ergebnis. Die auf bestimmte Handlungen abgestimmten Modekompositionen sind dennoch heute ambivalenter und spielerischer als in den 1950er oder 1980er Jahren. Hinzu kommt, dass die Kostüme im Unterhaltungsfilm früher wie heute multifunktional wirken: Sie heben, je nach Vorstellungen, primäre oder eher sekundäre Bedeutungen hervor, zielen auf Ästhetik oder auf Emotion. Thelma packt für das geplante Wochenende im Grünen die Hälfte ihres Kleiderschranks ein. Die zahllosen kleinen Gesten, mit denen Louise sich nach und nach während der Fahrt von allen Accessoires, Schmuck und Schminke verabschiedet, sind eindeutig symbolisch aufgeladen. Das gleiche geschieht, wenn sie einen Cowboyhut aufsetzt. Thelma geht noch radikaler vor. Nicht nur ihre Kleider und Gesten bezeugen, wie sehr sie die Rolle des Mannes übernimmt, sondern auch ihre Handlungsweise beim Überfall auf einen Supermarkt oder wenn sie einen Macho-Polizisten im Kofferraum seines Autos einsperrt. Sie betrachtet aber diesen Rollentausch als Spiel: „Ich glaube, ich habe Talent für so eine Show“.15 Die Drehbuchautorin Collie Khourie hatte dabei ausdrücklich unterstrichen, dass sie nur die Geschichte zweier Frauen geschrieben habe, die das Gesetz übertreten, mehr nicht.16 Wir wissen genau, dass es sich im Kino nie bloß um Rollen, Handlung, Plot oder Rahmen handelt, sondern gerade, wie Christiane Peitz so treffend formuliert, „um das, was den Rahmen sprengt“.17 Für jeden wird ersichtlich, dass die Gründe, warum die zwei Frauen in der Sackgasse und im Abgrund landen, weniger im Frauenbild des Films zu suchen sind als vielmehr in der Auseinandersetzung des Films mit der soziokulturellen und politischen Geschichte Amerikas. Resümierend formuliert, ist das „Ideal-Ich“ bei den sekundären Identifikationen zwar mehrheitlich noch immer dem männlichen Schema nachempfunden, jedoch wird die Perspektive des Films nicht ohne weiteres übernommen, sondern ist verhandlungspflichtig. Der Zuschauer oder die Zuschauerin haben das letzte Wort. Der Begriff des „negotiated reading“ artikuliert diese Auffassung, dass filmische Darstellungen weder für alle Zeiten gleichbleibend konnotiert werden, noch dass es einen für immer fixierten Betrachterstandpunkt geben kann. Anders wäre die Lust am Kino nicht zu verstehen.
15 Peitz 1995, 41. 16 Vgl. Peitz 1995, 37. 17 Peitz 1995, 67.
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In der Grammatik der Geschlechterdarstellung erfreut sich das konventionelle Schema von Dominanz und Unterwerfung weiterhin großer Beliebtheit. Bei der Inszenierung von Körper und Mode erweist sich daher die Leinwand als Bühne für einen merkwürdigen Krieges der Geschlechter, der gerade durch die Kostüme anschaulich illustriert wird. Zugespitzt ließe sich sogar die These aufstellen, dass die Mode den eigentlichen visuellen Zündstoff für diese Schlammschlacht liefert. Denn sie löst emotionelle und erotische Höhepunkte aus, bei denen sich die Frau „über den Einsatz ihrer Körperlichkeit und ihrer Gefühle im Dienst der Verführung des Mannes realisiert“.18 Man könnte in dieser Hinsicht und anhand der Kostüme die Geschichte des Kinos und der nationalen Filmtraditionen neu schreiben. Die französischen Filme der 1930er Jahre z.B. demonstrieren eine besonders vehemente Frauenfeindlichkeit mit entsprechend patriarchalischen Werten. Aus der heutigen Perspektive wirken Filmklassiker wie „Die Frau des Bäckers“ (1938) von Marcel Pagnol trotz schauspielerischer Glanzleistungen geradezu wie eine Karikatur mit inzestuösen Zügen. In dieser Tendenz steht auch eine ganze Reihe von Filmen mit Jean Gabin in seinen gestreiften Anzügen. Frauen kommen darin zumeist als Biester in modischer Ausstattung vor. Nur selten finden sich Ausnahmen wie der wunderschöne Film von Pierre Chenal „Das Haus des Maltesers“ (1938). Dies gilt bis weit in die 1960er Jahre hinein. Erst mit der Nouvelle Vague und RegisseurInnen wie Alain Resnais, Jean-Luc Godard und vor allem Agnes Varda ändert sich diese Misere. Ähnlich hatte es bereits zuvor der italienische Neorealismus mit Filmen wie „Stromboli“ (1950) versucht. Die RegisseurInnen filmen die Welt der „kleinen Leute“ und vermitteln ein völlig anderes Bild der Frau. Infolgedessen wandelt sich die Bedeutung der Kostüme. Sie nehmen an Subtilität und Bedeutung zu, z.B. durch die kaum bemerkbare Betonung von Details oder – umgekehrt – durch die vordergründige Rolle von Kleidungselementen, die auf Situation und Personen eingestellt und abgestimmt werden wie in Roger Vadims „Und ewig lockt das Weib“ (1956): Der Tanz und das New LookKleid Brigitte Bardots dienen als Vorwand für ein selbstbewusstes erotisches Verhalten. Auch das Chanelkleid Delphine Seyrigs zielt auf eine starke Charakterdarstellung in Resnais „Letztes Jahr in Marienbad“ (1961). Entsprechend wandelt sich das überaus beliebte Bild der Femme fatale samt Modeausrüstung und Accessoires auch in amerikanischen Filmen, angefangen von der lasziven oder cholerischen Dekorschönheit à la Kim Novak bis hin zur dynamischen Schönheit à la Jennifer Lopez oder Angelina Jolie. Der Film versucht diese Idealvorstellung mit allen postmodernen Attributen und Kriterien inzwischen sogar digital zu steigern: Siehe Lara Crofts lange Beine, üppige Hüften und Körpermaße, die „mit den Zahlen jonglieren“.19 Bei genauem Hinsehen bleibt jedoch das Angebot an Frauenbildern im kommerziellen Unterhaltungsfilm weiterhin eher einseitig. Der heutige Autorenfilm bietet dagegen ein breiteres Spektrum neuer Frauenbilder an, in denen die Männlichkeitsansprüche durch gezielte Übertreibung der sexualisierten Mann-Frau-Beziehung ironisiert und karikiert werden. Doris Kuhn findet Mustertypen für fast jede psychologische Situation und die 18 Zeul 1997, 13. 19 Vigarello 2004, 246.
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unterschiedlichsten Charaktere, seien es Identitäts- und Sinnkrisen, Gewalt (ja, auch von Frauen), Liebeskummer oder Femme fatale, Verbrecherinnen und Freundinnen.20 Diese Entwicklung hängt einerseits mit dem gesamtgesellschaftlichen Kontext zusammen, anderseits ist sie beeinflusst von den unterschiedlichen Filmgenres und verschiedenen Typisierungen des Verhaltens von Männern und Frauen, mit entsprechender Auswirkung auf die Kostüme Alle Bilder des Unterhaltungsfilms stehen in hartem Konflikt mit der heutigen Realität, weil die Spaltung zwischen Fiktion und Wirklichkeit zunimmt. Ein Grund ist darin zu suchen, dass die Welt der Mittelschichten in der Fiktion die Oberhand gewonnen hat, diese aber kaum wirkliche Antworten auf die sozialen Probleme anzubieten hat. Darüber hinaus ist mit der Aussage eines Films Vorsicht geboten, erstens weil diese nicht immer mit dem übereinstimmt, was er zeigt, zweitens weil der Blick weiter hinterfragt werden muss. Und hier liegt die eigentliche Veränderung und die neue Erkenntnis: Mit dem Film, so Christina von Braun, „ist der eigentliche Voyeur die Kamera, die auch den Mann, den Voyeur, selbst zum Objekt ihrer Betrachtung macht. [...] Zwar wird das Sehen weiterhin als ‚männlich‘ und ‚penetrant‘ gedacht und der oder die Betrachtete als ‚weiblich‘ wahrgenommen. Aber das Entscheidende ist, dass beide Geschlechter ihre Rolle noch spielen. Das heißt, in der Geschichte des Blicks schleicht sich die Vorstellung einer Austauschbarkeit der Geschlechterrollen ein.“21
Konsequenterweise ist nicht nur die Mode im Film ein sich stets verändernder Bedeutungsträger, sondern vor allem sind Frauen- und Männerbilder in der Geschichte des Films viel wandelbarer, als man bisher vermutet hat.
Mapping Erotik Warum ein Foto aus dem Nachlass Marlon Brandos ein Jahr nach seinem Tod bei einer Christie’s-Versteigerung in New York anstatt der geschätzten 600 bis 800 US-Dollar 48.000 eingebracht hat, dürfte wohl mit dem Motiv zu tun haben: Es zeigt eine Liebesszene aus dem Film „Am Abend des folgenden Tages“, in der sich Brando, besitzergreifend und ganz in Schwarz gekleidet, und Rita Moreno, in völlig nackter Rückenpose, im Sitzen küssen. Der Begriff Mapping verweist einerseits auf die Vorstellung der Kartografie mit all den sich verändernden Visionen und Perspektiven – hier die des Körpers und der Erotik22 – und andererseits zugleich auf das heutige Bild des Kommunikationsnetzes mit seinen vielfältigen Interaktionen und Transaktionen, die die Welt organisieren und gestalten.23 Ob eine geschlitzte Tunika, ein gerade geschnittener Walk- oder ein elastischer langer Rüschenrock, ob rosa Boucléjacke in klassischer Form mit Perlmuttknöpfen, schwarz gerippter Rollkragenpullover oder rote Seidenhose im asiatischen Stil: Viele ForscherInnen geben der Mode zuerst und vor 20 21 22 23
Vgl. Kuhn 2000. Von Braun 2002, 15. Vgl. Cosgrove 1999, 1-24. Vgl. Mattelart 1999, 169.
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allem eine sexuelle Bedeutung.24 Mode übernimmt sozusagen die Rolle einer Duftmarke mit all jenen komplexen Bedeutungsfeldern, die ihnen die Biologie und die Ethologie unterstellen. Die Haute Couture und der Spielfilm scheinen diese Sichtweise zu teilen. Unabhängig vom Rolleninhalt bleiben Bilder von Frauen im klassischen Film weitgehend sexualisierte Bilder, und die Konfrontation der Geschlechter verläuft zumeist über die Erotik oder über die Sexualität: „das ureigenste Filmthema, der Filmstoff an sich“, so Bela Balazs.25 Leidenschaft, Verlangen, Lust, Liebe oder Romantik gehören zur üblichen Garnitur eines Unterhaltungsfilms. Eine kontrastreiche emotionale Bandbreite zieht das Publikum an. Eines der effektvollsten Mittel, um Aufmerksamkeit zu gewinnen, bildet daher immer die erotische Pointe. Diese braucht nicht einmal mehr offen betont zu werden, sondern kann einfach durch die Neugier, die Zuneigung oder die Sehnsucht eines/r der ProtagonistInnen ausgelöst werden. Die gesellschaftlichen Moralvorstellungen geben meist den Ton an, da die Geschichte glaubhaft vermittelt werden soll. Diese Aufmerksamkeit wird bereits beim ersten Flirt in einem Film angeregt, so sehr fühlt sich hier jede/r von uns angesprochen. Die PsychologInnen sind sich darüber einig, dass bei der ersten realen sexuellen Beziehung jeder Person, bildlich gesprochen, dichter Verkehr herrscht. Es sind zunächst die Frau und der Mann oder die zwei Frauen/ Männer, die sich begegnen. Dann sind die gegenseitigen Elternteile „Anwesend“. Hinzu kommen Nachbarn, die sozialen und moralischen Konventionen und die Geschichte des Landes. Alle partizipieren in der ersten Runde an der Intimität des Moments. Und alle treffen sich sozusagen vor dem Film wieder. Man kann sogar behaupten, auch die Mode habe dabei ein Wort mitzureden. Jeder Film sei grundsätzlich ein erotischer Film, so Georg Seeßlen.26 Dies ist vielleicht zugleich ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass sich die Kindheit des Films in der Zeit von Freud abgespielt hat. Da das gesamte Gebilde der Kultur mit erotischen und textilen Bildern operiert, stellt der Film in den heutigen Kulturen einen der wichtigsten Bildträger dar. Erotik wird filmisch immer wieder neu definiert, und dies zumeist mittels der Mode. Die Vermarktung eines Films verlangt, wenn sie nicht mit Tabubrüchen arbeiten will, eine eher standardisierte Darstellung von Liebes- und Sexszenen. Das Unterhaltungskino vermeidet in der Regel zu viel nackte Haut und zu rohe, exponierte Sexualität, selbst bei Filmen, die für Hollywood das Grenzbereich berühren wie „9 ½ Wochen“ (1986) oder „Basic Instinct“ (1992). Erotik ist heute zu vielfältig, um sich von solchen Stereotypen einengen zu lassen. Im Film stellt sich Erotik als Kommunikationsmittel, als primäre Sozialität und als Medium dar. Die Art, wie durch Kleidung Erotik zelebriert oder bekämpft wird, hängt von mehreren Faktoren ab, die zunächst eher regellos erscheinen und dennoch selten dem Zufall überlassen werden. Auch wenn der Film nur zwei Sinne befriedigen kann, versucht er umso intensiver, die ge-
24 So der Sprachwissenschaftler André Martinet oder der Soziologe René König; vgl. Martinet 1974, 16; König 1963, 552. 25 Balasz 1977, 162. 26 Seeßlen 1996, 7.
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samte affektive Skala – Lust, Bewunderung, Faszination, Begierde, Leidenschaft –, die unser Vorstellungsvermögen leitet, filmisch zu mobilisieren. Häufig bringt man die Vorstellung eines Spiels in engen Bezug zur Erotik: Spiel der Verführung und des Aufreizens, die Kunst (auch sich selbst) zu gefallen durch Mode- und Körperveränderung, Verhüllung und Aufdeckung, ja Verwandlung. Mit Erotik verbindet man also je nach Absicht eine Terminologie der Extreme, der Intensität, des Maßlosen, des Machtverhältnisses, der Grenzerfahrung, des Luxus, des Pathos, aber auch der Poetik, der Zärtlichkeit, der Ausstrahlung, der Neugier, des Lachens oder der Vernunft, heute sogar der Technik. Ein rätselhaftes Phänomen entwickelt sich, dessen Geheimnis nicht unbedingt gelüftet werden soll. Dabei lässt sich Erotik nicht einfach von Pornografie abgrenzen, auch nicht in Bezug zur Kleidung, wie es Patrice Chéreau in seinen Film „Intimacy“ (2001) überzeugend vorgeführt hat. Die Pornografie, schreibt Robbe-Grillet, „ist die Erotik der Anderen“.27 Böse Pornografie gegen gute Erotik? Eine leicht verdauliche Filmlektüre bietet Chéreaus Film sicherlich nicht. Claire (Kerry Fox) und Jay (Mark Rylance) treffen sich jeden Mittwoch für zwei Stunden in einer heruntergekommenen Londoner Wohnung und reißen sich gegenseitig die Kleider vom Leib zu hemmungslosem anonymem Sex (Abb. 19). Abb. 19: „Intimacy“
Die freizügigen und schonungslos realistischen Sexbilder von Eric Gautiers – der Kameramann – Handkamera haben für Furore gesorgt. Genau betrachtet vollziehen Claire und Jay unverblümt einen ganz normalen sexuellen Akt, ohne Verdunkelung des Zimmers, ohne jede Kleidung, Bademantel oder abschirmende Bettdecke. Als Claire Jays eminentes Stück in den Mund nimmt, mögen einige ZuschauerInnen weggeschaut haben. Hollywood spricht in diesem Fall von „full frontal nudity“, dem größten Tabu. Leinwandsex ist daher im Unterhaltungsfilm besonders codiert, äußerst standardisiert und wird häufig sogar völlig abstrakt dargestellt. Bei Chéreau dagegen
27 Zitiert nach Baudry 1997, 44.
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erkennt man sogar die Druckstellen der Bettwäsche auf Claires Körper.28 Hier gewinnen Erotik und Sexualität ihre poetische Provokationskraft wieder. Als an einem Mittwoch Claire nicht erscheint, nimmt die Geschichte eine Wende. Ab hier wird sich bestätigen, dass es in dem Film wie auch in der Vorlage des englischen Kultautors Hanif Kureishi weniger um Sex geht, und dass der Vorwurf der „Pornografie“ völlig danebentraf. Im Allgemeinen allerdings bespielen die Kostüme im Film eher die Oberfläche des Phänomens und lassen mehr Raum für eine Fantasie der Erotik. Dies kommt einer Handlung entgegen, da nicht unbedingt das Spiel der Stoffe und die nackte Haut für die momentane Erotik ausschlaggebend werden, sondern vielmehr die Natürlichkeit und die Wahrhaftigkeit der Gesten, der Blicke oder der Gefühle – sonst wirkt selbst die schönste Haut völlig unerotisch. Kostüme, Kosmetik, Frisur und die Bewegung der Haare sind dabei im Sinne dieser Einfachheit und „Echtheit“ entscheidend beteiligt. Selbst wenn das Kino heute neue Bilder der Erotik einführt, bleibt es immer dem dominierenden Kanon der medialen Schönheitsideale verpflichtet, zu deren Durchsetzung es selbst beigetragen hat. Wegen ihrer Ambivalenz entziehen sich die Bilder der Erotik aber leicht und schnell ihren SchöpferInnen. Selbst die totale Verhüllung durch Kleidung spricht eine eigene Sprache. Erinnert sei an die rigorose spanische Mode mit ihrer totalen Tarnung des Körpers, die am Madrider oder Wiener Hof ihren erotischen Reiz entfaltete: Man spricht hier von einer Erotik der Prüderie oder der Verhüllung. Längst hat der Soziologe Werner Sombart darauf hingewiesen, wie sehr Mode, Pracht, Macht und Erotik in der höfischen Welt miteinander verbunden waren.29 Eros hat mit Düften, Sinnlichkeit, Wünschen, Begierde, Liebe, ja Humor, im Film auch mit Farbe, Stimmung, Bewegung, Geräuschen oder Musik zu tun. Wenn wir die aktuelle Produktion Hollywoods betrachten, bilden offensichtlich weiterhin Dekolleté und Beine die filmisch höchste voyeuristische visuelle Form der erotischen „Feminität“ im Unterhaltungsfilm, die Fußbekleidung eingeschlossen. Selbst wenn jeder Körperteil potentiell zum Objekt der Erotisierung werden könnte, wird die eigentliche erotische Zuspitzung durch textile Elemente geleistet, gerade durch Kleidungsstücke wie Schleier oder Schuhe im Kontext einer bestimmten Situation. Aus dieser „Fetischisierung“ von Kleidungsstücken entsteht das ideologische Element der Filmsyntax, die auf diese Weise ein beachtliches Gewicht auf die Narration legt. Das sexualisierte Bild wirkt umso aggressiver, je mehr der Körper dabei technisch-filmisch fragmentiert wird. Für diese Fragmentierung des Körpers setzen Kameraführung und Schnitttechnik gezielte, konzentrierte Nah- und Detailaufnahmen ein, um beim Publikum eine starke emotionale Wirkung zu erreichen. Eine Großaufnahme, die sich auf ein Ohr mit Ohrring, auf einen Fuß mit Stöckelschuh beim Aussteigen aus einem Auto richtet, sagt mehr über die filmische Vorstellung der Frau aus als ein ganzer Vortrag. Dies gilt auch für die Schnitttechnik. So wird in Hitchcocks „Psycho“ die Frau in der 28 Der Film erhielt nicht umsonst 2001 den Goldenen Bären auf den Internationalen Filmfestspielen in Berlin. Kerry Fox bekam für ihre mutige, feinfühlige und überzeugende Darstellung den Silbernen Bären als beste Schauspielerin. Dem steht auch Mark Rylance in nichts nach. 29 Vgl. Sombart 1922.
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Dusche auf geradezu psychopatische Art filmisch zerschnitten, ja regelrecht zerstückelt. Ob Erotik und Nacktheit über Gemeinsamkeiten im Film verfügen, bleibt offen. „Das Spannende an den alten Zeiten ist doch die Kunst des Verhüllens“, sagt der Schriftsteller Michael Kumpfmüller.30 Dies könnte heute als Schlüsselrezept für den Film gelten. Längst haben qualitativ hochwertige Autorenfilme bewiesen, dass Andeutungen viel spannender sind als ausführliche und eingehende Schilderungen. Die Kraft der Erotik liegt in der Fantasie, also im Kopf, und hier erweist sich Kleidung als anregendes Hilfsmittel. Ich denke etwa an die Tanzszene des Films „Shakespeare in Love“ (1998). Dabei kann das assoziative Spiel mit Stoffen, Farben, Geräuschen, Formen oder winzigen Bewegungen so weit getrieben werden, dass sich eine direkte Darstellung des Körpers im Vergleich dazu ärmlich ausnehmen würde. Ähnlich wie in der Literatur ist dabei vor allem die Art der Erzählung wichtig. Auch bei der erotischen Wirkung spielt das „negotiated reading “ eine maßgebliche Rolle. Was in einem Film erotisch gesagt und angedeutet wird, erfährt nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort dieselbe Rezeption durch die Zuschauer. Mit dieser Ambivalenz spielen KostümbildnerInnen oder ModedesignerInnen gerne, indem sie einerseits die Kostüme mit klaren Bedeutungsschemata (Charaktere, soziale Situation, geografische Lage) unterlegen und andererseits zugleich diese gezielte Bedeutung pervertieren oder außer Kraft setzen wie durch den Einsatz sekundärer Details oder durch widersprüchliche Andeutungen. Dies kann z.B. durch übereinander getragene Kleidungsstücke von gegensätzlicher Bedeutung erreicht werden. Ob mit oder ohne Kleidung, Eros bleibt eine vielseitige, sich dauernd verändernde Antriebskraft im Film und poetische Bilder scheinen dabei weiterhin eine aussichtsreiche Zukunft vor sich zu haben. Sie versuchen, uns von den modernen coolen Konventionen unserer Zeit und zugleich von der Zeit der – auch erotischen – Konventionen so weit wie möglich wegzuführen. Abb. 20: „Fire“
30 Interview mit Michael Kampfmüller. In: Der Spiegel 33/2000, 186.
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Gerade dann können Kleidungsstücke Wunder vollbringen wie in „Fire“ (1997) von Deepa Mehta, wo eine subtile und bilderreiche „Sprache“ der Stoffe und der Kleidung die Liebe zweier Frauen inmitten einer streng patriarchalischen Gesellschafts- und Familienstruktur aufdeckt und illustriert. Eros mit seinen Flügeln erweist sich hier als der Ort einer delikaten Aufmerksamkeit und zugleich als Entscheidungsraum zweier Frauen, die sich gegen ihr vorgeschriebenes „Schicksal“ wehren (Abb. 20). Erotik – die Legende Eros – ist Metaphorik, sie ist aber auch Poetik. Die alte Alchemie als Wissenschaft der Kreativität und der subtilen Mischung ist eine Freundin von Eros und von Erotik. Erotik ist Spazieren, Flanieren und Entdeckung. Sie ist auch „Dérive“, Zuwendung und Hingabe.31 Erotik ist Begegnung, Überschwang und Lachen, jedoch auch eine kritische Begegnung und kein Machtkampf. Die merkwürdige, nur scheinbare Anpassung der eigenen Existenz an die Gegenwart, dies scheint uns der Film Deepa Mehtas mitteilen zu wollen, besagt nicht viel über die innere Glut der beiden Frauen. Kostüme, die für die Ordnung der Gesellschaft stehen, werden damit umgekehrt und beschreiben das Vergnügen der beiden Frauen, zusammen zu sein, ihr Verlangen nach Vertrauen, die Ruhe ihrer Leidenschaft, ihr Zittern und die Leichtigkeit ihrer Zärtlichkeit.
Männlichkeitsbilder im Umbruch? In Monumentalfilmen, Western-, Heimat- oder Bergfilmen, Kriegsfilmen, Action- und Abenteuerfilmen, Krimis oder Science-Fiction-Filmen wird die Hauptfigur zum Bezugspunkt, um eine gewisse „Ekstase der Gewalt“ (Stiglegger) zu zelebrieren oder um sie in den Vordergrund zu stellen. Bei der Kleidung wird dies an bestimmten Merkmalen erkennbar wie Stiefel, Gürtel, Hose, Jacke und Lederjacke, Anzug, Gilet, Hemd, Pullover, Krawatte, Dekorationen an der Brust, Epauletten, Kopfbedeckung, Helm, Stirnband, Lederelemente am Arm, Metallschmuck und -verzierung, ja selbst der Pyjama in allen möglichen Varianten. Kurzum, dies umfasst fast alle Kleidungsteile, mit Ausnahme der Unterbekleidung, die bis vor kurzem noch als Zeichen der Schwäche oder Erniedringung und Unernsthaftigkeit, ja der Lächerlichkeit angesehen wurde. Selbst Waffen bilden dabei durchaus ergänzende Accessoires des männlichen Erscheinungsbildes. Man findet heute jedoch immer mehr Filme, die sich von den mythischen Männerepen – James Bond oder Indiana Jones, den Grundmustern hegemonialer Männlichkeiten – verabschieden und stattdessen sensible, weniger vor Selbstbewusstsein strotzende Männlichkeitsbilder anbieten wie etwa „Abgeschminkt“ (1993) oder „Der bewegte Mann“ (1994). Ich denke auch an die zahlreichen Figuren in Pedro Almodovars Filmen und nicht zuletzt an Campions „Das Piano“. Bereits in der Strandszene trennt die Kleidung die Welten von Stewart (Sam Neil) und von Baines (Harvey Keitel). Stewart trägt trotzt der beschwerlichen Reise durch den Dschungel einen strengen viktorianischen Anzug mit leicht verschmutztem Zylinder. Darin verkörpert er den traditionellen „britischen“ Siedler in Neuseeland. Baines zeigt dagegen eine große Distanz zu seiner Herkunftskultur und scheint durch seine unkonventionelle Kleidung mit Strohhut und offener Weste, einem französischem Hemd, seiner Hautbemalung und vor allem durch seine Körpersprache der 31 Vgl. Resnik 1981, 28.
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Welt der Maoris näher zu stehen (Abb. 21). Er spricht auch ihre Sprache und wird darum als Vermittler zwischen beiden Welten betrachtet. Er offenbart eine unbekümmerte, offene und sanfte Männlichkeit. Abb. 21: „Das Piano“
Der europäische Film ist heute durchdrungen von solchen neuen Männlichkeitsbildern, in der die Kostüme die Verletzlichkeit des Mannes oder die Krise der Männlichkeitsmuster artikulieren. Erstaunlicherweise bleibt der industrielle Unterhaltungsfilm bis heute immer noch weitgehend in traditionellen Schemata verankert, in denen der Wandel der Männlichkeit nur um hegemoniale Muster kreist. Warum bestimmte Männerbilder samt Jeans, Lederjacke, Lederstiefeln, Gürteln, große Metallknöpfen, besonderen Hosenformen, Pullovern oder Mützen anschließend vom männlichen Publikum annektiert werden, erklärt sich allerdings nur aus einem ganzen Bündel soziokultureller Faktoren. Aber auch das weibliche Publikum konsumiert Männerbilder, die vom Look bestimmt sind. Am eindringlichsten illustriert das Phänomen Jeans das Erscheinen neuer Mode- und Körperbilder, ja veränderter Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder, in denen sich neue erotische Bilder ankündigen. Angefangen bei Marilyn Monroe in „Der Fluss ohne Wiederkehr“ (1954), Marlon Brando in „Wild One“ oder James Dean in „Giganten“ bis hin zu Jennifer Lopez in „Angel Eyes“ (2001) oder Sandra Bullock in „Miss Undercover“ (2000) – sehr lang ist die Liste der bekannten Namen, die die Bedeutung des Films bei der Verbreitung des Denims und seiner gesellschaftlichen Stellung vorangetrieben haben. Jeans und die gern dazu getragene Lederjacke verleihen dem Körper eine gewisse Coolness, eine Körpersprache, mit der, zumindest am Anfang, die gesetzten Geschlechterrahmen übertreten, versetzt oder demontiert wurden.32 Die Jeanshose – als Arbeiterhose der modernen Zeiten – ist bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts zur „amerikanischen Hieroglyphe Hollywoods“ geworden, wie Anna Schober es treffend formuliert.33 Die Jeans avancierte 32 Vgl. Mentges 2000, 27-49. 33 Schober 2006, 77.
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aber in den 1950er bis 1960er Jahren zum Schlüsselaccessoire des neuen Lebensstils. Diese Hieroglyphe wird derart vergrößert, stilisiert und universalisiert, dass sie heute für den globalen Menschen steht. Das Neue liegt also weniger in dem Kleidungsstück Hose selbst als vielmehr in der neuen „freien“ Körpersprache, die sich ab Ende der 1950er Jahre im Film artikuliert und durchsetzt. Die Erotik des männlichen Körpers erfährt durch die eng am Körper anliegenden Jeans und die Betonung von Beinen und Gesäß eine besonders markante Gestaltung. Wie nie zuvor ist die männliche Körpersprache geradezu von erotischen Anspielungen gekennzeichnet, die keineswegs zu einer Sprache der Uniformität führt, wie dies den Jeans so oft nachgesagt wurde. Sexappeal bei Männern ist gewiss keine neue Erfindung des modernen Films – man denke nur an Rudolph Valentino. Den Mann jedoch mit unzweideutigen Körperanspielungen als eigenes Lust- und Sexobjekt zu betrachten, ist dagegen eine eher späte Entdeckung. Zunächst gibt sich die männliche Erotik einen bescheidenen Anstrich, in Gestalt des „verhüllten“ Looks des Helden, wie es die elegante Lässigkeit des Tweed-Anzugs englischer Fassung à la David Niven, amerikanischer Art à la Clark Gable oder Henry Fonda, französischer Fassung à la Alain Delon oder italienischer Fassung à la Marcello Mastroianni ausdrücken. Später wird diese Erotik der Lässigkeit durch das T-Shirt ersetzt, das so nachhaltig das Erscheinungsbild von Marlon Brando, James Dean oder Peter Fonda geprägt hat. Wirklich eigenständig taucht die männliche Erotik erst in den 1960er und 1970er Jahren auf. Dieser Wandel lässt sich auf viele Faktoren zurückführen. Der maßgeblichste stellt die Welt der Subkulturen dar mit ihrer neuen Beziehung zur Sexualität und zum Körper. In der Folge entstehen auf gesellschaftlicher Ebene neue erotische Bilder und Fantasien. Und da das Kino von Anfang an als zentrales Medium zur populären Kultur gehört, wurden diese neuen Männlichkeitsbilder entsprechend auch Bestandteil der Jugendkultur. Zwischen Straße und Kino besteht ein ständiges Hin und Her, folglich vor allem in Sachen Mode und Look. Wie immer verläuft die Aneignung der Bilder nicht einseitig, sondern stets in Wechselwirkung. Insbesondere die GayBewegung hat maßgeblich den männlichen Look einschließlich Frisuren und modischer Unterkleidung generiert – und damit ein gewandeltes Erscheinungsbild des Mannes. Wenngleich der männliche Look auf vielen Registern spielt, so bleibt der Rock als das am stärksten weiblich konnotierte Kleidungsstück immer noch eine Ausnahme. Beispiele wie in „Braveheart“ (1995) sind historisch begründete Ausnahmen. Der Rock dient allerdings dabei auch als Vorwand für subtile erotische Anspielungen. So hat sich die männliche Garderobe zwar gewandelt, die ideologischen Prinzipien der Männlichkeit wurden aber bis jetzt de facto filmisch kaum erschüttert. Die ganz MTV-Produktion hat diese Auseinandersetzung auf ein Spiel der Bilder reduziert und zeigt, wie die junge Generation (selbst-)ironisch übertreibend mit Geschlechterinszenierungen umgeht: Eine ambivalente Situation, da das Spiel mit Bildern nie neutral bleiben kann. Die offensichtlich harte modische Inszenierung der Geschlechter wird zwar durch zahlreiche sekundäre Elemente wie Schmuck, Dekolletés oder enge Hosen ausdrücklich als Maskerade „demaskiert“, jedoch wird dem wiederum durch die allgemeine Logik der Bilder widersprochen. So stellen sich z.B. Jugend-
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kulturforscherInnen die Frage, ob dies nicht auf lange Sicht hin zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen führen wird. Die Ambivalenz der Maskerade hat sich auch der Film angeeignet.
Männliche Verpanzerung Filme wie „Ocean’s Eleven“ (2001) und „Ocean’s Twelve“ (2004) bieten eine kontrastreiche und bedeutungsvolle Sammlung gegenwärtiger Männlichkeitstypen, deren Hauptachse durch das Tandem George Clooney und Brad Pitt verkörpert wird: mit offenem Hemd und coolem, aber ausgesuchten Look, wobei der hellfarbige breitdemokratische Look Brad Pitts in subtilem Gegensatz zum leicht dunkel gehobenen konservativen Look George Clooneys steht. Das Ensemble Jacke und Hemd bildet das symbolische Hauptelement des Looks. Die Jacke steht nach wie vor für Verpanzerung.34 Formen und Farben hingegen symbolisieren die Verschiedenartigkeit der Charaktere der übrigen männlichen Teammitglieder: dunkelblaue Jacke mit weißem Hemd, weiße Sportjacke mit gestreiftem Polohemd, rote Jacke mit breitem Revers, orange-braune Lederjacke mit Rollkragenpullover. Historisch betrachtet ist der Anzug sowohl mit den schnell expandierenden Mittelschichten verbunden als auch mit der Geschichte von Freizeit und Sport.35 Durch den Einfluss der Jugend-, Sport- und Straßenmode auf die Designermode seit den 1960er Jahren – illustriert in der Männermode durch den enormen Erfolg Giorgio Armanis in den 1980er und 1990er Jahren –, wurde die Trennung zwischen Streetmode und High Fashion aufgeweicht. Arme wie auch Reiche beteiligen sich heute am gleichen stilistischen Spiel, das von Bildern aus der populären Kultur versorgt und beherrscht wird.36 Letztlich sorgen Calvin Klein, Bill Gates mit dem Casual Wear sowie Filme wie „Ocean’s Eleven“ dafür, dass der zweifarbige Anzug mit offenem farbigem Hemd nicht mehr mit Arbeitskleidung gleichgesetzt wird. Wenngleich die soziale Codierung nicht wirklich aufgehoben wird, so trägt dies zumindest dazu bei, sie subtiler zu machen. Die Exklusivität vollzieht sich auf sekundärer oder tertiärer Ebene durch Stoffe, im Film mittels feiner Farb- und Formkonnotationen sowie durch zahlreiche Einzeldetails. In dieser Hinsicht ist der offene Kragenausschnitt nicht nur erotisch konnotiert, sondern er widerspricht dem Verpanzerungseffekt der Jacke. Andy Garcia, der Bösewicht, trägt als einziger der Protagonisten in „Ocean’s Eleven“ eine Krawatte. Die Schemata von Dominanz vs. Unterwerfung, die heute noch zum Bestandteil der Kino-Fantasmen gehören, werden im heutigen Film immer öfter persifliert oder karikiert. Seit den 1980er Jahren hat sich der Begriff der „spectacular Bodies“ etabliert. Im Zentrum des Phänomens stehen zuerst die Inszenierung von Gewalt und die Darstellung des virilen und instinktiv-emotionslosen Kampfkörpers wie bei Conan, Rambo oder Mad Max. Die letzte Steigerung lieferte Terminator mit seinem Roboter-Körper. Von hier an scheint sich die Geschlechter34 Ich verwende hier den Begriff Verpanzerung ganz im Sinne von Theweleits „Männerphantasien“, also als den existenziellen und verinnerlichten kriegerischen Harnisch. 35 Vgl. Gibson 2005, 69. 36 Vgl. Crane 2001, 178, zitiert nach Gibson 2005, 69.
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fixierung im Film erneut zu verhärten. Nicht nur männliche, sondern ebenso Frauenkörper werden mehr und mehr im obigen Sinne spektakularisiert. Dies ist nur unter Beteiligung von Kostümen möglich. So gleicht sich der Look der Protagonisten im Film und jener der Figuren von zahlreichen Computerspielen zunehmend an. Die Stilisierung akzentuiert dabei im Film der 1980er und 1990er Jahre das märtyrerartige Leiden von Helden wie Bruce Willis in „Stirb langsam I“ (1988) oder„Pulp Fiction“ (1994) oder, Mel Gibson in „Mad Max II“ (1981), Sylvester Stallone in „Rambo II“ (1984) oder Russel Crowe in „Gladiator“ (2000).37 Die Kostüme in „Gladiator“ (2000) sind zerrissen, verschmutzt und völlig mit Blut befleckt, was nicht auf die Brutalität der Kämpfe verweist, sondern eher auf die Verletzlichkeit des Helden (Abb. 22). „Meine Filme zeigen den menschlichen Körper als etwas Versehrtes“, sagt Paul Verhoeven, der Meister des Blut- und Boden-Films. „Ich bin sehr empfindsam, was die Schwäche und Verwundbarkeit des menschlichen Körpers betrifft“.38 Dies zielt weniger darauf, den Schmerz zu zeigen und zu verherrlichen – dies gehört mittlerweile eher zum guten Ton der Authentizitätseffekte –, sondern im Gegenteil auf seine meist heroische Überwindung. Störend wirkt dabei, dass sich die Mystifizierung des männlichen harten Körpers in einem gänzlich entpolitisierten und enthistorisierten Kontext entfaltet, selbst wenn die Handlung vordergründig im Mittelalter spielt wie in „Braveheart“. Interessant ist allerdings, wie sehr die virile Männlichkeit unter Kontrolle gestellt und moralisiert wird. Gute Beispiele dafür liefern fast alle Filmgenres, angefangen vom Western über Krimis und Kriegsfilme bis hin zur psychologischen Tragikomödie. Die Männlichkeit wird zwar gezähmt und kanalisiert, jedoch nach wie vor herausgestellt. Abb. 22: „Gladiator“
37 Der eine trägt Brioni-Anzüge, der andere hat fast gar nichts an. Begonnen hat dies mit der „James Bond“-Reihe, der „Indiana Jones“-Trilogie, den ItaloWestern und mit „Conan der Barbar“ (1982) von John Milius, der mit dem Hardliner „Arnie“ Schwarzenegger eine Typusfigur erfunden hat. 38 Süddeutsche Zeitung, 24./25.9.2005, 18.
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Der Eindeutigkeit des Männer- und Frauen-Looks im Film steht die reale Komplexität und Ambivalenz der Welt gegenüber, da es heute keine männlichen Kleidungsstücke gibt, die nicht von Frauen übernommen werden könnten. In Kubricks „Barry Lyndon“ (1975) schweigt die Frau fast ausschließlich. Das damalige Supermodel Marisa Berenson, Symbolfigur der Hippiemode, spielte die Rolle der Lady Lyndon. Der Film ist ausgesprochen männlich geprägt. Kann man Kubrick daher Frauenfeindlichkeit attestieren? Auch dies ist nicht einfach zu beantworten, weil in seinen Filmen die Frau oft das letzte Wort hat. Ist Kubrick daher eher Feminist? Sicherlich nicht. Er ist geradezu besessen von der Männlichkeit, doch demontiert er sie zugleich radikal. Er steht damit im Gegensatz zu Hollywood. Spannend wird es dann, wenn die Kostüme die Stabilität dieser Rollen ins Wanken bringen wie beim Crossdressing.
Crossdressing Die Bezeichnung Crossdressing ist eher vage und bringt solche disparaten Figuren zusammen, so Ann Hollander, wie „Boy George, Shakespeares männliche Heldinnen, Madonna, Lawrence von Arabien, Jan Morris, Lucy Snow in Charlotte Brontës ,Villette‘, Peter Pan, George Sand und die 350 Transvestiten des Tiffany Clubs von Waltham, Massachusetts, die meisten von ihnen Männer und Angehörige der Mittelschichten, von denen 90% verheiratet sind“.39
Mode dient seit eh und je dem Film sowohl als Normenrepertoire wie auch als Mittel zur Subversion dieser Normen. Die Badeszene aus Kubricks „Spartacus“ (1960), in der Crassius (Laurence Olivier) seinen Leibwächter Antoninus (Tony Curtis) mit Fragen nach Austern und Schnecken zu verführen versucht, gehört heute zu den Legenden der Kinogeschichte. Die Szene wurde allerdings erst in den 1990er Jahren wieder gezeigt, denn während der McCarthy-Ära – und bis weit in die 1960er Jahre hinein – war man besonders wachsam gegenüber allem, was nicht den moralischen Vorstellungen entsprach. Dies führte dazu, dass gerade während dieser Epoche einige amerikanische Regisseure wie Douglas Sirk, Vincente Minnelli, Robert Siodmak, Otto Preminger oder Stanley Kramer – die Rolle des Emigrantenkinos in Hollywood ist hier unübersehbar – nicht nur mit dem Text des Drehbuches oder mit der Körpersprache, sondern mit dem Dekor, den Requisiten und vor allem mit den Kostümen meisterhaft jonglierten, um die Zensur zu umgehen. Dafür entwickelten sie eine geradezu metaphorische Bildersprache und spielten auf subtile erotische Weise mit Kleidungselementen. Die Figur der Eve Harrington (Anne Baxter) wurde von Joseph Mankiewicz in „All about Eve“ (1950) als lesbische Frau konzipiert, wie er in seiner Biografie erzählt. Da aber Hollywood aufmerksam wachte, entwickelte er diesen Bezugsrahmen über die Mode und die Kosmetik. Eves Anprobieren von Bette Davis’ Kleid – das Objekt ihrer Bewunderung – kann so auf ver-
39 Hollander 1989, 162.
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schiedenen Ebenen verstanden werden: als Begehren und zugleich als Aneignung der Kleidung, als Aneignung von Körpersprache und Verhalten, als Inbesitznahme des Körpers und schließlich der Person Bette Davis mit ihrer ganzen Lebenswelt. Mittels der Kostüme, einer feinen Bildsyntax und psychologischer Dramatik sorgten DrehbuchautorInnen wie Carl Foreman, Dalton Trumbo, Lillian Hellman oder sogar Dashiell Hammett – die alle auf der „Schwarzen Liste“ standen – dafür, dass selbst unerwünschte soziale Komponenten durch die Hintertür zurückkehrten, was zu regelrechten Höhepunkten der Modeund Kleidungsrhetorik im Film führte. Die Kostüme treten hier nicht als direkte Anspielung an reale Kleidungsstücke auf, sondern als – je nachdem – ernsthafte oder parodistische bildliche Metaphern. Diese Metaphorik der Kostüme bildet ein unverzichtbares Element der Filmrhetorik. Über die Metaphorik im Film hat Trevor Whittok ein ganzes Buch verfasst, er geht allerdings nur beiläufig auf die Potentialität der Kostüme ein.40 Wenn die Kostüme auf Stilisierungseffekte abzielen, umgeben sie sich dadurch fast immer mit metaphorischen Konnotationen. Dieses metaphorische Potential der Kostüme erwies sich – wenn auch in gleichzeitig zunehmend verfeinerter und versteckter Form – als besonders wirkungsvoll, um die Zensur der McCarthy-Ära und der Folgezeit zu umgehen. Ein wunderbares Beispiel dafür liefert uns die Begegnung der beiden Freunde Messala (Stephen Boyd) und Ben Hur (Charlton Heston) in William Wylers Film „Ben Hur“ (1959). Da Hollywood besonders eifrig auf jede homosexuelle Anspielung achtete, mussten sich Regie und Drehbuchautor etwas einfallen lassen. So erfährt man aus William Wylers Biografie – er führte Regie – und aus Interviews mit Gore Vidal, dass Messala seinen Freund Ben Hur liebt. Gott sei dank war dies Charlton Heston nicht bekannt, sonst hätte er nicht mitgemacht, erzählt der Drehbuchautor und Schriftsteller Gore Vidal. Abb. 23: „Ben Hur“
40 Vgl. Whittok 1990.
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Dagegen war Stephen Boyd über den Charakter der Beziehung informiert und spielte die Rolle glänzend und mit großer Freude – Wyler hatte ihm empfohlen, Heston gegenüber seine Homosexualität zu verschweigen.41 Durch diese Beziehung erhalten Gestik und Kleidung eine ganz andere Bedeutung, wenn die beiden Freunde zu Anfang des Films Bruderschaft trinken. Ben Hur präsentiert sich in prachtvoller Kleidung, Messala dagegen trägt weder seinen üblichen Brustpanzer noch eine repräsentative Toga, sondern nur eine schlichte kurze Polstertunika mit einer Camisia darunter. Das heißt, er trägt keines der Attribute eines Konsuls, ausgenommen das mit einer Inschrift versehene Lederstücks mit am Vorderärmel, was beim Empfang von Gästen quasi einer Entblößung gleichkommen würde, bei Freunden jedoch als Zeichen tiefer Vertrautheit gilt (Abb. 23). Durch diese Perspektive verändern sich die ganze Geschichte und der gesamte Film. Ebenso subtil, um in der Antike zu bleiben, gestaltet sich die Beziehung zwischen Livius (Stephen Boyd), Oberbefehlshaber der nördlichen Truppen, und Kaiser Commodius (Christopher Plummer) in Anthony Manns „Der Untergang des römischen Reiches“ (1964). Commodius wird darin zur „Femme fatale“ stilisiert. Ein schauspielerisches Meisterstück liefert jene Szene, in der Commodius Livius die Leitung der Ostarmee anbietet. Bereits das lange schwarze Kleid des Kaisers und seine verführerische Pose und Vampgestik stimmen einen ganz eigenartigen Ton an. Schließlich wurde selbst die Metapher – auch die Kleidungsmetapher – Gegenstand der Verdächtigung und von der amerikanischen Zensur politisch an den Pranger gestellt. Leider lässt sich für die Zensur keine feste Typologie bei der Metaphorik der Kleidung feststellen. Daher wurden an die Fantasie der KostümbildnerInnen hohe Ansprüche gestellt. Vito Russo zählt in seinem Buch „The Celluloid Closet“ zahlreiche Beispiele für diese Strategie auf: so bei David Leans „Lawrence von Arabien“ (1963) oder Sydney Lumets „The Group“ (1966)42 Die gesamte Filmgeschichte lässt sich durch diesen Filter Revue passieren und kann „revisited“ werden. Eines der – weil gemessen an den Verhältnissen relativ unverblümt dargestellt – sicherlich berühmtesten Beispiele findet sich in „Manche mögen’s heiß“ (1959) von Billy Wilder. Die Handlung beginnt in Chicago zur Zeit der Prohibition. Die zwei Musiker Jerry (Jack Lemon) und Joe (Tony Curtis) werden zufällig Augenzeugen eines Massakers zwischen Gangstern. Um den Mördern zu entfliehen, schlüpfen beide in Frauenkleider und reisen mit einer Damenkapelle nach Florida. Im Zug lernen sie die UkuleleSpielerin Sugar (Marilyn Monroe) kennen. Weniger das Motiv des Massakers am Valentinstag ist hier von Bedeutung als vielmehr die Dialoge über Kleidung, Geschlechtervorstellungen und -rollen. Ob sie sich um Büstenhalter, enge Röcke, Stöckelschuhe oder Schönheitsvorstellungen drehen, Billy Wilder jongliert mit allen Klischees. Erst mit „Cabaret“ (1972), der Geschichte der Sängerin und Tänzerin Sally (Liza Minnelli), des englischen Studenten (Michael York) und der deutschen Adligen (Helmut Griem) vollzog sich wahrhaft ein Tabubruch. Sallys Freund ist schwul, was sie ganz okay findet. Diese kleine, heute fast
41 Vgl. Interview mit William Wyler. In: The Celluloid Closet. Dokumentarfilm. 42 Vgl. Russo 1987.
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unauffällige Szene, in der das Thema Homosexualität direkt ausgesprochen wird, hat Filmgeschichte gemacht. Wird die Stabilität der Geschlechterordnung bei „Yentl“ (1983) oder „Tootsie“ (1982) nur berührt, so wird die Irritation radikaler bei Androgynenoder Crossdressing-Filmen wie „Paris is Burning“ (1990) oder „Priscilla, Königin der Wüste“ (1994). Im Mittelpunkt der Verwirrung steht die Kleidung: Sie wird das entscheidende Mittel zum Zweck. Priscilla ist der Name eines pinkfarben lackierten Busses, mit dem das Dragqueen-Trio Bernadette, Felicia und Mitzi die tiefsten Provinzen Australiens durchqueren, um ihre Show zu präsentieren. Sie wirken auf die Bevölkerung wie Wesen vom Mars. Immer schneller, von Saloon zu Saloon, fallen die Schranken der Toleranz, und die Kostümorgie löst beim Publikum etwas anderes aus als in Sydney. Das Lachen zielt jedoch in dieser MusicalKomödie – ohne jemals verächtlich zu werden – sowohl in Richtung der drei Protagonisten mit ihren Strapsen als auch in die des oft alkoholisierten Publikums. Durch diese distanzierte Haltung lässt der Regisseur Stephen Elliott den Zuschauern genügend Spielraum zur Selbstreflexion. Crossdressing ist heute zu einer beliebten und spannenden Thematik avanciert. Es übernimmt je nach Bedarf die Sprache der Abweichung, der Divergenz, der Dissidenz und der Subversion, aber auch die der Anpassung und der Normalität. Ein Beispiel von subtiler Abweichung liefert uns Alejandro Amenabar. Wenn Grace (Nicole Kidman) in „The Others“ (2001) ein klassisch enges Kostüm à la „Vertigo“ trägt, so steht dies nicht mehr in Bezug zu den herkömmlichen Geschlechterkonnotationen, im Gegenteil: Der Regisseur hat sich alle Mühe gegeben, die Konnotationsnetze zu verwirren und die Grenzen zu überschreiten.43 Über Rollentausch, Dragqueens, Transvestiten, Transsexuelle, GG (Genetic Girl) oder GB (Genetic Boy), FTM und Co. ist viel geschrieben worden. Sie sorgen bis heute im Unterhaltungsfilm, das weitgehend an traditionellen Vorstellungen von Geschlechtern und Körpern festhält, für Unruhe, sie bringen Geschlechterbilder und -kategorien mitsamt ihrer symbolischen Ordnung durcheinander – und damit auch das klassische Gebäude der Mode. Umso merkwürdiger erscheint es daher, wie wenig Verwirrung Drags in der Modewelt stiften. Eine Irritation, die von Medien und Publikum empfunden wurde, war hier kaum zu erkennen. Es geht hier eher zu wie bei dem New Yorker Taxifahrer in einem Werbespot der Firma Levi’s, der zu seiner großen Verblüffung zuschauen muss, „wie die vermeintlich schicke Dame das Objekt seiner Begierde, sich auf dem Rücksitz zu rasieren beginnt“.44 Die Mode scheint also gelassener zu reagieren, sowohl was die Gestaltung der Erscheinung als auch die Organisation der Geschlechterverhältnisse betrifft. Spannungsvoll bei der Diskussion um Crossdressing und GenderCrossing ist weniger die Thematisierung der Problematik im Film, sondern vielmehr, wie sie in konventionellen Unterhaltungsfilmen auftauchen. Auch aktuelle Unterhaltungsfilme lassen sich anhand der Vito RussoMethode „dechiffrieren“, nicht nur eindeutige Fälle wie „Alexander“ (2004), sondern ebenso Filme wie „Der Herr der Ringe“ – man denke nur an die 43 Vgl. Liebrand 2003, 197-223. 44 Benedek/Binder 1996, 11.
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Szene mit Frodo und Sam auf ihrem rettenden Felsen, eingekreist von glühender Lava am Ende des dritten Teils. Mehr und mehr wird die Thematik offengelegt. In „Belle Epoque“ (1992) findet der Deserteur Fernando (Jorge Sanz) – wir befinden uns im Spanien des Jahres 1931 – Asyl bei einem älteren Bekannten und seinen vier Töchtern. Für die Karnevalsfeier im Dorf, an welcher er zuerst nicht teilnehmen möchte, wird er von den Schwestern in Frauenkleidung gesteckt. Violette (Ariana Gil), die älteste, trägt dafür seine Militäruniform und verhält sich von da an männlich, tanzt mit ihm und verführt ihn schließlich. Als er, immer noch in Frauenkleidern, von einem Mann angegriffen wird, verteidigt sie ihn sogar und schlägt den Aggressor nieder. Noch ambivalenter ist die Geschichte des siebenjährigen Ludovic (Georges du Fresnes) in dem Film „Mein Leben in Rosarot“ (1997) von Alain Berliner, der hohe Absätze, Lippenstift, Ohrringe, rosafarbene Rüschen und Hochzeitskleider liebt. Die Paranoia der Eltern und die Verachtung der Nachbarschaft hindern ihn nicht daran, seinen Weg zu gehen. Bewusst lässt der Film offen, ob der kleine Ludovic schwul, trans- oder heterosexuell ist, und dies ist auch nicht wirklich von Belang. Die Problematik des Crossdressing sollte allerdings nicht auf die Genderproblematik reduziert werden. Sie entspricht ebenso dem Wunsch nach Verwandlung von einem Milieu zum anderen, von einer Kultur zur anderen, von einer historischen Epoche zur anderen.
Falsche Körper mit richtigen Kostümen Die Frage der Zweiteilung der Welt endet nicht mit der Frage des Crossdressing, sondern betrifft auch andere Körpervorstellungen wie die des „falschen Körpers“, um die treffende Bezeichnung von Michael Hagner45 zu benutzen. Abseits der Zirkusbühne machen die Kostüme der Protagonisten einen völlig normalen Eindruck, außer dass sie manchmal von kleinerem oder größerem Format sind als üblich wie beim Muskelmann Herkules oder einen besonderen Schnitt benötigen. Weißes Hemd, gemusterte Krawatte, zweifarbige Hosenträger, gestreifte Hose und polierte Schuhe, so sehen die Kleider des Liliputaners Hans aus. Sein Freund trägt einen Smoking. Einen ähnlich normalen Eindruck machen auch die Kleider der Frauen, angefangen mit jenen der Kleopatra. Es handelt sich um eine Liebes- und Rachegeschichte aus der Zirkuswelt. Ein Bild, das während der Dreharbeiten aufgenommen wurde, zeigt sie alle versammelt um Regisseur Tod Browning. Sie sind die Stars der Horrortragödie „Freaks“, ein mutiges und ernüchterndes Meisterwerk aus dem Jahr 1932 (Abb. 24). Freaks sind eigentlich eine „Laune“ der Natur, eine körperliche Abweichung von den so genannten Normen. Seit diesem Film jedoch handelt es sich auch um eine „Laune der Kultur“.46 Bekannt geworden ist der Film in der Tat nicht wegen seiner künstlerischen und menschlichen Ansprüche, sondern wegen des Skandals, den die Darstellung von Kleinwüchsigen und Verwachsenen auf der Leinwand auslöste. Die Kritiker und ein Teil des amerikanischen Publikums samt der Zensur waren so schockiert, dass der Film 30 Jahre lang nicht mehr 45 Vgl. Hagner 1995. 46 Bruckmaier 2005, 13.
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zu sehen war. Aus heutiger Sicht erscheint die damalige Reaktion des Publikums als der eigentliche Skandal, weil der Film sämtliche Schönheitsideale und Normalitätsmuster radikal in Frage stellte: ein bahnbrechendes Werk. Denn es argumentiert aus der Perspektive der Andersartigen, der Kleinen und zeigt, wie durch eine plötzliche Erbschaft zugunsten von Hans, dem „Liliputaner“, das Dasein der kleinen Zirkusgemeinschaft durcheinander gerät. Denn diese muss sich nicht nur mit inneren Problemen auseinandersetzen, sondern auch mit Gier, Mordlust und Niedertracht der „Normalgewachsenen“. Abb. 24: „Freaks“
Der Begriff des „falschen Körpers“ provoziert die Frage nach dem „richtigen Körper“ und zeigt, wie sehr die kulturelle Konstruktion der Körper grundsätzlich voller Wert- und Vorurteile steckt. Bereits harmlose Filme wie die Harry Potter-Reihe weisen uns den Weg in die filmischen „Problemzonen“. Harrys Behinderung fällt kaum auf, doch deutet sie sein Anderssein an. Es handelt sich um eine vom Haar verdeckte Verbrennung auf der Stirn, seine Brandmarke. Bereits in den beiden ersten Szenen von „Harry Potter und der Stein der Weisen“ (2001) von Chris Columbus erfahren die ZuschauerInnen, was bei Harry (Daniel Radcliffe) „anders“ ist. Neben dieser Narbe sind es aber auch die schäbigen Klamotten, die Harrys Andersartigkeit kennzeichnen. Die Normalität der Familie Dursley wiederum wird anhand der Kleidung so grotesk zugespitzt, dass sie eher anormal wirkt, Harrys Kleidung dagegen normal. Für die Beschreibung der magischen Parallelwelt wird die traditionelle Klamottenkiste gründlich geplündert, angefangen bei den Spitzhüten des Zauberers bis hin zu den Looks des Riesen Hagrid (Robbie Coltrane) und des weisen Leiters der Zaubererschule, Albus Dumbledore (Richard Harris). Noch häufiger wird der falsche Körper mit „Hässlichkeit“ in Verbindung gebracht. Damit wird gleichzeitig die Konstruktion von „Schönheit“ auch im Feld der Mode befragt. Welche Rolle spielen dabei die Kostüme? Marginalisieren und schließen sie aus oder integrieren sie stattdessen? Oder beides zugleich? Darauf möchte ich aber hier nicht weiter eingehen. Schon der Körper gilt als Ausweis der Person, was zum Problem der Identifizierung hinführt, die klar zu unterscheiden ist von der Frage nach Identität.
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Der falsche Körper ist im Film zunächst der missgebildete Körper, also der behinderte Körper. Dies setzt eine Definition von Behinderung voraus und darüber hinaus eine soziokulturelle Festlegung dieser Definition. Es handelt sich also zunächst um eine Problematik begrifflicher Art, dann politischjuristischer Art, sie ist ebenso von wahrnehmungspsychologischer Natur und damit zugleich mit soziokulturellen Definitionen verbunden. In der Regel rührt der Unterhaltungsfilm kaum an diese komplexe Problematik. Nur sehr vorsichtig tastet sich das Kino seit den 1980er Jahren – mit Filmen wie „Rain Man“ (1988) oder „Forrest Gump“ (1994) – an das Thema heran und tut sich in der Regel sehr schwer damit. Ein Beispiel für einen subtilen Umgang mit dem Thema liefert der Film „Der Elefantenmensch“ (1980) von David Lynch. Kleidung spielt hier die Hauptrolle. Sie verdeckt zunächst das Gesicht und damit auch seine Lesbarkeit sowie den Körper John Hurts völlig (Abb. 25). Abb. 25: „Der Elefantenmensch“
Krüppel, Hinkende, Zwerge, Hässliche, Missgebildete, Mongoloiden, Volltätowierte oder Riesen gelten seit den frühen Anfängen des Films als wirkungsvolle Accessoires einer Handlung, als dramatisches Element oder als Idealfiguren des Trottels, des Emporkömmlings, des Opfers, des Menschen mit übermenschlichen Begabungen, vor allem aber des Bösewichts. Diese Ikonografie der Charakterdarstellung ist kein Attribut des Films, sondern greift auf eine lange Tradition der Darstellung zurück. Sie umfasst Gemälde und Zeichnungen, Pantomime- und Theaterstücke, Skulpturen oder literarische Kunstwerke, in denen der Bucklige als verschlagen galt, der Amputierte als verbitterter Rächer, der Krüppel als Finsterling oder der Hinkende als Typus des Verlierers. Die Norm bleibt der unversehrte Körper der christlichen Tradition. Dieses kulturelle Erbe ist folglich maßgeblich daran beteiligt, körperliche Fremdheit moralisch oder – umgekehrt – geistige Fremdheit körperlich zu deuten.47 Der Look der Protagonisten bis hin zu den Accessoires dient hier oder, besser gesagt, trägt selbst dazu bei, Klischeevorstellungen zu konstruieren oder zu bestätigen. Noch häufiger steht der 47 Vgl. Neumann 1995, 23.
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falsche Körper im Film für die Person des Verbrechers, für den monströsen oder kriminellen Typus. In gewisser Hinsicht wird damit an physiognomische Vorstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts angeknüpft, die vom Aussehen auf das Innere, auf die Wesensbeschaffenheit des Menschen schlossen. Dass „James Bond“-Filme dabei mit besonders reichen Beispielen aufwarten, beleuchtet die hier übliche normalistische Einstellung: In „Der Mann mit dem goldenen Colt“ (1974) von Guy Hamilton ist es der als Dienstbote gekleidete Zwerg Nick Nack (Hervé Villechaise), in „Moonraker“ (1979) dagegen der Riese Jaws (Richard Kiel) mit seinen überdimensionierten Anzügen und Metallzähnen. In „Leben und sterben lassen“ (1973) übernimmt der behinderte Schwarze Tee Hee (Julius Harris) mit einer Metallzange als Hand die Rolle des Bösen, und in „Diamantenfieber“ (1972) wiederum sind die beiden extrovertierten Schwulen Mr. Kidd (Putter Smith) und Mr. Wint (Bruce Glover), stets fein gekleidet und schlecht parfümiert, eindeutig derselben Kategorie zuzuordnen. Nicht selten wird der Charakter daher auf die Behinderung reduziert und damit Behinderung wiederum stigmatisiert. Zwiespältiger und nuancenreicher taucht der Behinderte auch in Historienfilmen auf wie bei der legendären Figur von Quasimodo (Anthony Quinn), einem der berühmtesten Buckligen der Kino- und Literaturgeschichte in der Verfilmung von Victor Hugos „Der Glöckner von Notre Dame“ (1956) von Jean Delannoy. Hier wird an die Darstellungstradition der „Besessenen“ des Mittelalters angeknüpft. Ambivalenter erscheint uns hingegen der geheimnisvolle und hochgebildete Bucklige Salvatore (Ron Perlman) in „Der Name der Rose“ (1986) von Jean-Jacques Annaud, der auf dem Scheiterhaufen der Inquisition verbrannt wird. Hinkende und Bucklige kommen als beliebte Figuren im Horror-Genre immer wieder vor: Hier setzt sich die Tradition der Gleichsetzung von Behinderung bzw. Marginalität und Sünde als Strafe Gottes oder Strafe des Schicksals fort. Oder sie erscheinen unerwartet als Merkmal oder Zeichen einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe wie der Clochard La Fortune (Jean Vilard) in „Die Tore der Nacht“ (1946) von Marcel Carné. Gleichzeitig werden sie in der christlichen Tradition auch als Schützlinge Gottes betrachtet. Die Darstellungsformen verraten daher die mythologische Struktur, die Abwehrmechanismen und Fantasmen einer Gesellschaft.48 Aus der Kleidungsperspektive betrachtet, gibt es drei verschiedene Arten von Darstellungsformen des falschen Körpers: In der ersten Variante baut man auf die Aussagekraft der Kostüme wie in „Die Blechtrommel“ (1979), „Dr. Jeckyll und Mr. Hyde“ (1941), „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) oder „Das Phantom der Oper“ (2004). Die zweite Variante nutzt insbesondere „Accessoires“ als Mittel der Aussage, etwa den Rollstuhl des Dr. Seltsam in „Dr. Seltsam, oder wie ich begann die Bombe zu lieben“ (1963) oder die eiserne Lunge in „Hannibal“ (2001). Die dritte Variante stützt sich auf die Körper- und Gebärdensprache wie in Caroline Links „Jenseits der Stille“ (1996), wo die Kostüme Normalitätscharakter besitzen. Das große Projekt des Films im Hinblick auf den „unperfekten“ Menschen ist es also, dessen Anderssein in die allgemeine Wahrnehmung „einzuschreiben: Bei genauerem Hinsehen gestaltet sich dies als eine so schwierige 48 Vgl. Gruber 2003, 53.
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Aufgabe, dass wir etwas nachsichtiger mit unserer eigenen Traummaschine umgehen sollten“.49 Meisterhaft gespielt und dargestellt werden Kleinwüchsige in den Filmen von Luis Buñuel, ganz besonders in „Nazarin“ (1958/59), wo sich der Zwerg in die Prostituierte Aranda verliebt. Was hier völlig neu und verändert wirkt, ist die selbstverständliche Distanz Buñuels. Nicht die metaphorische Verwendung oder die Symbolkraft der „falschen“ Figuren, so suggestiv, ambivalent und aussagekräftig sie auch sein mögen, machen folglich das eigentliche Problem des Films aus, sondern die Mittel der Distanzierung, um Behinderte als normale Menschen wahrnehmbar zu machen. Selbst eine nicht direkt sichtbare körperliche Behinderung wird oft anhand von Kleidungsdetails oder Accessoires – siehe die Bedeutung dunkel getönter Brillen – hervorgehoben. Dieser Tendenz arbeitet eine kleine Reihe von Filmen entgegen wie „Schmetterlinge sind frei“ (1972), „Gottes vergessene Kinder“ (1986) oder der poetisch-warmherzige Film „Jenseits der Stille“ (1996). In letzterem zeichnet Caroline Link ihre Figuren mit feinen Pinselstrichen. Lata (Tatjana Trieb) ist die Verbindungsperson zwischen der Welt der Gehörlosen – ihren Eltern – und dem Rest der Welt „jenseits der Stille“, also der Mehrheit der ZuschauerInnen. Die Kostüme besitzen hierbei eine völlig integrierende Bedeutung. Körper- und Gebärdensprache übernehmen die traditionelle Rolle der Kleidung im Film und zeigen, dass alle drei, Mutter, Vater und Tochter, eigene starke Persönlichkeiten sind. Damit sind die Konflikte des Lebens und des Zusammenlebens vorprogrammiert (Abb. 26). Abb. 26: „Jenseits der Stille“
Sicher haben Erfolgsfilme wie „Das Piano“ (1993), „Philadelphia“ (1993), „Forrest Gump“ (1994), „Rain Man“ (1998) oder „Girl Interrupted“ (1999) dafür gesorgt, dass das Bild von Behinderten oder Kranken sich in diesem Medium verändert hat. Jedoch fällt die allgemeine Bilanz eher ernüchternd aus. Ist das Unterhaltungskino mehrheitlich nur ein Kino der Normen, in dem Menschen mit Behinderung nicht zum alltäglichen Bild der Handlung 49 Seeßlen 2003, 33.
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gehören? Wenn behinderte SchauspielerInnen einfach als „normale“ SchauspielerInnen betrachtet werden, wirken auch die Bilder, in denen sie auftreten, entsprechend mehr und mehr „normal“.
Ein anderer Laufsteg „Meine persönliche Vorliebe“, schreibt Goffredo Fofi im Bezug zum Anderssein im Film, „gilt heute einem Kino, das sich mit Zurückhaltung unserem Thema nähert und eine, wenn auch sympathisierende Distanz hält“.50 Als musterhafte Beschreibung des Anderseins zitiert er den Science-FictionRoman „Die lebenden Steine“ (1950) von Theodor Sturgeon, den sich bis heute niemand zu verfilmen getraut hat. Diese Begeisterung kann ich nur teilen, so frisch bleibt in meiner Erinnerung die Überraschung und der poetische Schock, als ich das Buch zum ersten Mal las. Ein Paar Monate später, im Herzen von Paris, wo ich damals lebte, sprengten diese Steine die Mauern des Romans, um zu Flügeln der Leidenschaft zu werden und die Pariser Strassen wurden zum symbolischen Ort des Anderseins. Eine genauere Einschätzung dieses Spiels der Bilder geben die Beobachtungen, die aus der Welt des Laufstegs stammen. 1998 entwarfen Alexander McQueen, Rei Kawakubo und einige ihrer Kollegen zum ersten Mal Mode für Behinderte und schickten behinderte Models auf den Laufsteg. Auf diese Weise wurden Catherine Long und Aimee Mullins zu Stars. „Ich will, dass die Menschen sich in meinen Sachen sicher fühlen“, sagte Alexander McQueen. „Und ich wünsche mir, dass Behinderte sich mehr ihrer Möglichkeiten bewusst werden. Dass sie ihre Situation positiver sehen. Alles was dazu beiträgt, ist gut“.51 Bei der Auswahl der Behinderten Models gab es ein Casting mit 500 BewerberInnen. „Es ging weniger ums Aussehen“, sagt McQueen weiter, „mehr um Persönlichkeit. Wir haben nicht nach Menschen mit besonders ausgeprägten Behinderungen gesucht, sondern nach behinderten Menschen, die ein ausgeprägtes Gefühl von sich selbst hatten“. Was vielen als eine reine Werbestrategie erschien, bedeutete in Wirklichkeit den radikalen Bruch eines der unumstößlichen Tabus im Feld der Mode. Der behinderte Körper galt als der „falsche Körper“, und Behinderung verstand sich aus Sicht der Mode nicht nur als bloße Abweichung, sondern sie war einfach nicht existent. Die Gründe für die Ablehnung von Behinderten stehen im Kontext der westlichen philosophisch-religiösen Anschauung, die hier in ihrer Komplexität nicht diskutiert werden kann. Gewiss sagen heute alle, der behinderte Mensch sei eine normale Person. Doch „Ablehnungsreaktionen kennen keine Differenzierung. Bereits der unbestimmte Eindruck des Andersseins aktiviert die entsprechenden Gefühle und Verhaltensweisen“, so Josef Neumann.52 Der behinderte Körper stellt daher auch der verletzliche und verletzbare Körper dar: Eine immanente Bedrohung für jeden. Allein die jährliche Verkehrsunfallstatistik zeigt, dass keiner sicher ist und dass potentiell jeder behindert werden kann – eine normale Situation der modernen Welt, die aber stets verdrängt wird. 50 Fofi 2003, 45 51 Interview Alexander McQueen. In: Zeit Magazin, 46/November 1998, 32. 52 Neumann 1995, 22.
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Unabhängig davon, ob McQueens Modenschau als Werbetrick gedacht war, führt jeder moralische Gestus in dieser Frage zur Ausschließung der Behinderten. Die Aufregung der Traditionalisten in der Modebranche über die Einbeziehung von behinderten Menschen bestätigt diese Tendenz. McQueen berichtet hingegen von der ungewöhnlich fröhlichen Stimmung und Wirkung seiner Modenschau mit Behinderten und über die Freude, die er dabei empfand. In allen Fällen liegt die Behinderung, die Marginalität oder das Anderssein vor allem in den Augen der Betrachter. Die innere Abwehr, die Abgrenzung und die soziokulturelle Neigung, das Anderssein moralisch zu charakterisieren, verweisen auf Verhaltensmuster der Angst, die bis hin zur Pathologisierung oder Verdinglichung (Rassismus) und zur Banalisierung führen können. Der falsche Körper, dies hieß weiter bis vor kurzem im Film schlicht das Dick- oder zu Dünnsein, also Miss Piggy- und XXL-Figuren mit ihren zahlreichen Kleidungs- und körpersprachlichen Problemen. Die diskriminierende Behandlung dicker Menschen ging in den USA so weit, dass es im Januar 1998 zu einer regelrechten Revolte der Dicken kam. Dabei lässt sich auch ein Dialog zwischen den Bildern von Film und Modewelt feststellen. Mollige Models waren zu Anfang dieses Jahrzehnts „heiß begehrt“, behauptete der Spiegel.53 Eine Antwort auf die Welle der mageren Models? So lautet zumindest die Ansicht der Betroffenen: „Die Leute haben das Bild der hageren Frau satt“, meinte das XL-Supermodel Anna Nicole Smith (gest. 2007) Superstar unter den „Big Girls“, ist ständig ausgebucht und einige Model-Agenturen wie Wilhelmina haben ihre „Big Girl Division“ drastisch erweitert. Beide Tendenzen jedoch, die hageren wie die molligen Models, drücken im Grunde ein- und dasselbe oder zumindest verwandte Gesellschaftsphänomene aus: den Umgang mit Normen und Diskriminierung. Die Frage, wie Integrationsprozesse verlaufen, gilt auch für die moderne rituelle Körperbemalung ebenso wie für Body-Piercing, Branding, Implantate oder für Tätowierungen, die früher filmisch eher „beschimpft“ und heute zu modischen Requisiten und filmischen Körperfantasien geworden sind. Die modische Tätowierung nimmt allerdings in Filmen wie „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) von Jonathan Demme oder „Tattoo“ (2002) von Robert Schwentke eine bedrohliche Bedeutung an. Tätowierte leben hier gefährlich. Der Look – auch der der Bilder – gehört zum zentralen Element beider Filme. Gerade die Hautfarbe galt als Merkmal des falschen Körpers und verkörperte das Idealbild des Fremden, ob Schwarze, Chinesen, Mexikaner und Puerto Ricaner oder Indianer. „The Defiant One“ (1958) von Stanley Kramer oder die berühmte fröhlich kostümierte Tanzszene „America, America“ aus dem Film „West Side Story“ (1961) haben längst den Finger in diese Wunde gelegt. So war es praktisch, im Film zwischen Weißen und Schwarzen zu unterscheiden, den „Farbigen“ die Kleider der Weißen anzuziehen, um sie anschließend diskret lächerlich zu machen. Von Anfang an – man denke hier an Griffiths „Geburt einer Nation“ (1916) – wurde in Hollywood der Körper in schwarz-weiß gemalt, zunächst geradezu wörtlich, da der Film die Tradition 53 Der Spiegel, 9.2. 2000.
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des Theaters übernahm. Lange vor der Erfindung des Films, schreibt Bärbel Tischleder, waren die Coons, Bucks, Toms und Mammies die stereotypen schwarzen Bestandteile des amerikanischen Boulevardtheaters.54 Die langen weißen Tuniken des Ku-Klux-Klans in „Geburt einer Nation“ liefern noch eine zusätzliche politische Erklärung und bieten ein ungemein klares Zeugnis dafür, wie Amerika schwarze Körper inszenierte, um sich selbst „weiß“ zu erfinden. Ähnliche oder vergleichbare Verhältnisse – mit kolonialen Zügen – prägen auch die Anfänge des europäischen Films. Die Probleme fangen bereits bei den Begrifflichkeiten an. Die Bezeichnungen „Farbige“ oder „Afroamerikaner“, die von den Medien verbreitet wurde, sind ebenso belastet wie die Begriffe „Schwarze“ oder „Mischlinge“. Jessie Jackson befürwortet den Begriff „African-American“. Hier verwende ich absichtlich die mit Vorurteilen beladene Bezeichnung „Schwarze“. Ein weiteres Musterbeispiel der rassistischen Wurzeln der großen Unterhaltungsproduktionen liefert uns die Darstellung der „Yellowfaces“. Wie bei der Schilderung der „Blackfaces“ handelt es sich darum, einen weißen Schauspieler durch Make-up in einen „Asiaten“ zu verwandeln. So bringt M. Yunioshi (Mickey Rooney), ausgestattet mit überdimensionaler Brille, ausladendem Kinn und vorstehenden Zähnen, überbetontem pseudo-japanischem Akzent und seiner lüsternen Miene in „Frühstück bei Tiffany“ (1962) Holly Golightly (Audrey Hepburn) zum Lächeln. Später trägt er sogar ein Stirnband. Die parodistische Leistung Mickey Rooneys hat das Genre geprägt. Vermutlich greift deshalb Bob Cohens Film „Dragon“ (1990), in dem Bruce Lees Lebensgeschichte erzählt wird, diese Szene auf, da sie als Musterbeispiel für getarnten Rassismus gilt. Wie diese Stereotypisierungen unfreiwillig Komik erzeugen können, zeigen etwa John Wayne als Dschingis Khan, Flora Robson als chinesische Kaiserin oder Alec Guiness als indischer Brahmane. Mittlerweile ist bekannt, wie schwer sich das amerikanische Kino bis in die 1970er Jahre hinein damit tat, Farbige in den Filmen spielen zu lassen. In der Regel wurde ihnen nur die Rolle als „Accessoire“ in Gestalt von Dienern, Bar-Musikern oder Wilden überlassen. Dies widerspricht nicht der Tatsache, dass zu allen Zeiten in westlichen wie in asiatischen Kulturen das Spiel (Theater, Tanz, Pantomime) die SchauspielerInnen immer dazu ermutigt hat, ihr Geschlecht, ihre Hautfarbe oder ihre soziokulturelle Alltagswelt mittels Kostümen und Masken zu verändern. Allerdings blieb dies ein sehr einseitiges Phänomen von theatralischer Verwandlung und galt weder für Frauen noch für Fremde. In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, dass der Stummfilm in dieser Hinsicht eine größere Toleranz und Großzügigkeit walten ließ. Erst mit dem Tonfilm nahm diese Problematik der Darstellung von Differenz andere Dimensionen an. Auch hier ist ein erneuter Blick auf die Welt der Mode von Interesse. Denn die Frage der Hautfarbe wirft auch für die Modewelt bis heute Probleme auf, selbst wenn das Gegenteil behauptet wird: „Es gibt Vorurteile gegenüber Schwarzen, und es ist ein Problem“, gesteht Naomi Campbell in einem Interview mit dem Londoner Daily Express. Dass sie selbst immer wieder als „schwarze Bardot“, „Wilde“ oder „schwarzer Panther“ bezeichnet wurde, verschweigt sie nicht.55 54 Vgl. Tischleder 2001, 115. 55 Frankfurter Rundschau 12.4.1997, 24.
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Häufig stehen weder die Anwesenheit noch die Anzahl farbiger Models zur Diskussion, sondern die Art ihrer Präsentation, bei der die rassistischen und sexistischen Züge der Kultur offen zum Ausdruck kommen und in einen doppelten Diskriminierungsprozess einmünden. Dieser wird selten offengelegt, sondern verbirgt sich hinter einem ästhetisch-technischen oder kulturellen Diskurs. Die Frage, ob die Mode jemals in der Lage sein wird, ihre Praktiken und ihren Diskurs aus sich heraus entscheidend zu verändern, stellt sich längst nicht mehr. Dies leistet sie in der Tat nur sehr selten. Die Anstöße kommen immer von außen, vor allem aus den Jugendszenen. Als der schwarze Rapper Puff Daddy eine Modenschau nur mit farbigen Models für seine „BlackGhetto-Dream“-Kollektion durchführen wollte, kam prompt die Antwort: „Der harte Kern des hauptsächlich weißen, blasierten Publikums“ – ich zitiere Wolfgang Joop – „geriet tatsächlich ins Träumen angesichts dieser Unglaublichkeit“.56 Von Fremd- zu Feindbildern ist der Weg also kurz. Der Unterhaltungsfilm lebt von Feindbildern. Auch hier bietet uns die „James Bond“-Reihe ein breites Panoptikum von bekannten Bösewichten, und selbst Gerd Fröbe (die Verkörperung des „Deutschen“) als Goldfinger mit seiner unübertroffenen Mimik könnte aus dieser Perspektive betrachtet werden. Der Koreakrieg, der Vietnamkrieg, der Kalte Krieg, das Attentat auf das New Yorker World Trade Center oder der Irakkrieg haben in Hollywood tiefe Spuren hinterlassen, die die Studios gezielt – wenn auch nicht ohne Selbstironie – in Schwarz-Weiß-Malerei umgesetzt haben. In diesem Fall stammt der Feind jedoch mehrheitlich aus dem Osten oder dem Orient. Als der türkische Film „Tal der Wölfe“ (2006) den Spieß jedoch umdreht und nicht aus der Perspektive der weißen angelsächsischen Siegertypen erzählt, wird er prompt als „Hass-Film“ kritisiert. Auf einmal steht ein Amerikaner auf der Seite der Verlierer und der Unter- oder Unmenschen: politisch unkorrekt und völlig unakzeptabel, so das Fazit. Dennoch zwingt heute eher die multikulturelle Tendenz eines internationalen Publikums als die Toleranz Hollywoods die Filmherstellung dazu, eine zunehmend integrative Position einzunehmen. Dabei ist allerdings noch kaum zu übersehen, dass die US-amerikanische, australische, neuseeländische oder europäische Filmproduktion technisch, ästhetisch wie finanziell betrachtet weiterhin von weißen Interessen und deren Perspektiven bestimmt bleiben.57
Political Correctness Wenn African-Americans, Asia-Americans oder Indianer zuvor schleimige, dämonische, parasitäre oder primitive Charaktere verkörperten, so befürwortet der Film in der heutigen Zeit der Political Correctness zwar dieselben Charakterzüge, jedoch werden diese Außenseitern zugeschrieben, geklonten Wesen oder künstlichen Menschen und vor allem – mittels fantastischer Formen und Spezialkleidungseffekten – Fantasiewesen und Außerirdischen. „Jedoch“, so Tischleder, „ist Vorsicht geboten, denn die Inszenierung monst-
56 Der Spiegel 19/2000, 124. 57 Vgl. Tischleder 2001, 118.
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röser Filmkörper ist weder im Hinblick auf Rasse noch Geschlecht neutral“.58 Bei Monsterfiguren und Außerirdischen im Film, die häufig tierische Formen annehmen, kommen die MaskenbildnerInnen zum Zuge. Die Figuren haben Vorteile, weil sie nicht nur für das Böse stehen, sondern häufig ebenso für Horror, Schrecken, Abscheu oder Grauen. Sie stellen eine fragile Grenze zwischen Menschlichem und Nichtmenschlichem sowie Unmenschlichem dar. Im Film sind Monsterfiguren zudem multifunktional. Das Kino übernimmt nicht nur die negativen Eigenschaften des Monsters (lat. monere, warnen; spätlat. monstrare, zeigen), sondern auch die positiven des Mythos.59 Diese Monsterfiguren bedrohen und bestimmen zugleich die Erfindung des „normalen Menschen“ als Idealmensch. Jeder von uns, so Brittnacher, bestimmt sich in der Tat durch seine Abweichung vom Idealmenschen. Gerade unsere Einzigartigkeit und das, was uns von den Idealkörpern unterscheidet, was unsere Identität und Person ausmacht, bedeuten zugleich – glücklicherweise – „den Tribut der Hässlichkeit unseres Körpers an das Monströse“.60 Eine ähnliche Rolle hatten zuvor „Schwarze“, „Chinesen“ und Fremde bei den Europäern, die sich selbst durch die Abgrenzung als „Weiße“ und „Christen“ erfanden. Immer weniger wird im Film mit einer Typologie des Gesichtsausdrucks gearbeitet, die auf der alten diskriminierenden Physiognomik basiert. Im Gegenteil, heute sieht das Ungeheuer uns immer ähnlicher, ja es ist schließlich ein ganz „normaler“ Mensch, der unvermutet und schlagartig die dunklen Seiten seiner Persönlichkeit offenbart. Die Schematisierung der Kostüme spielt in diesem Fall mehr auf Einzeldetails oder auf Situationen an, die die Entwicklung des „Ungeheuers“ erklären. So zeigt der Look der Heldin Aileen im Film „Monster“ (2004), wie zerstört ihre Persönlichkeit ist. Die Regisseurin Petty Jenkins konzipierte ihren Film nach der Geschichte der Serienmörderin Aileen Wuornes, die im Jahr 2002 in Florida mit der Giftspritze hingerichtet wurde.61 Interkulturelle Trends und Kulturbewegungen haben die Problematik der Hautfarbe heute im Film teilweise entschärft, auch wenn sie im realen Alltag von sozialpolitischer Brisanz bleibt. Dies haben die Jugendlichen in den Pariser Vororten, meist Kinder von Emigranten, im November 2005 demonstrativ und medienwirksam in Erinnerung gebracht. Diese Political Correctness führt auch zu (absichtlichen?) Missverständnissen und Polemiken zwischen Filmkritik und Regie, wenn die Handlung im asiatisch-chinesischen Kontext spielt wie in „Das Jahr des Drachens“ (1985) von Michael Cimino. Diese Verkennung wird noch verwirrender in „TopsyTurvy “ (1999) von Mike Leigh. Im Film wird ein Theaterautor des 19. Jahrhunderts – W.S. Gilbert – auserkoren, der sich in einem Theaterstück („Der Mikado“) mit Japan auseinandersetzt und dabei einige den Japanern heilige Figuren übertrieben charakterisiert und lächerlich macht. Erst später erfolgte
58 Tischleder 2001, 115. 59 In den alten Kulturen Asiens und Europas galten Missgeburten, Epileptiker, Bucklige und Hinkende als „monstra“, weil sie auf zukünftige Ereignisse hinwiesen. Sie waren stigmatisierte Medien zwischen zwei Welten: der des Realen und der des Jenseits; v gl. Brittnacher 1994, 183-185. 60 Brittnacher 1994, 184. 61 Vgl. über die Ungereimtheiten beim Prozess gegen Aileen Wuornes den Dokumentarfilm von Nick Broomfield: Aileen. Leben und Tod einer Serienmörderin. 2003. Vgl. auch Themenabend „Das Ungeheuer“, Arte 20.11.2006.
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das allgemeine Eingeständnis der Kritik, dass Leighs und Ciminos Filme eine klare Auseinandersetzung mit dem Rassismus beabsichtigten. Bei der Frage der Political Correctness stehen im Film häufig Außenseiter, „marginale“ Leute oder sogenannte Randgruppen im Mittelpunkt, die meist mit negativen körperlichen Zügen behaftet sind oder schäbige Bekleidung tragen. Zeichen auf der Haut, gelbe oder gestreifte, oft unpassende Kleidung oder Kopfbedeckungen, Lumpen, abgetragene Lederjacken mit Spuren von Gewalt, schmutzige Jeans und T-Shirts sowie grobe Körpersprache: dies sind vestimentäre Möglichkeiten, Marginalität zu inszenieren. Der Begriff marginal wie auch der der Randgruppe sind ambivalente räumlich-hierarchische Begriffe. Sie implizieren, dass eine Gesellschaft oder eine Kultur ein Zentrum besitzt, von dem aus gesehen diese Personen oder Gruppen am Rande stehen und sich damit auch soziokulturell am Rande bewegen. Außenseiter im Film stellen daher oft Stabilisierungsfiguren mit stigmatisierender oder diskriminierender Bedeutung dar und werden gerne als abschreckende Figuren inszeniert. In den westlichen Kulturen mit ihren krassen Ungleichheiten und besonders starken Leistungszwängen lässt sich gut beobachten, wie im Film emotionsgeladene Vorurteile gerade via Kleidung über den Körper konstruiert werden. Der falsche Körper ist weiterhin der kranke Körper oder der alte Körper. Nicht selten kommen Krankheit und/oder der kranke Körper in Übergangsoder Veränderungskrisen zum Ausdruck wie in „Zwei Frauen“ (1989) von Carl Schenkel. Zwar spielen Kostüme beim kranken Körper eine geringere Rolle als die schauspielerische Leistung, jedoch werden sie hier umso effektvoller bei der Dramaturgie eingesetzt, sei es als einfacher Pyjama oder als Nachthemd in einer Klinik. Wie bei Behinderten bedient sich der Film dominierender gesellschaftlicher Bilder vom Kranken und den damit verbundenen Einstellungen und (Vor-)Urteilen, um sie schließlich zu bekräftigen oder in Frage zu stellen. Es hat allerdings sehr lange gedauert, bis der erste Film über Aids gedreht wurde. Das Alter: Die Bilder von der Großmutter oder der alten Frau bis hin zur bösen Alten, die der Film vor langer Zeit erfunden hat, waren selbst alt geworden und benötigten dringend eine Ablösung. Aus diesem Grund würdigte das 20. Jahrhundert, das einst mit der Verehrung des Kindes angefangen hatte, zum 100. Geburtstag des Films das Alter. Allerdings verharrte man hier wiederum in Wehmut, und angesichts des traditionellen Einsatzes von Kostümen, Make-up und Frisuren scheinen daher neue Impulse vonnöten. Wie sollte dies auch anders sein, wenn selbst die Modewelt mit dem Alter nicht ins klarkommt und bis vor kurzem mit dem Ausschluss älterer Models reagierte. „Es ist brutal“, sagte das selbstbewusste frühere Starmodel Nadja Auermann, „wie die älter werdenden Models abserviert werden“. Mittlerweile jedoch gelangen auch ältere Models in die breite Öffentlichkeit der Modewelt. Manche Agenturen wie „Antics“ in London oder „Senior-Models“ in Berlin haben sich auf „reife“ Models (Der Spiegel, sic!) spezialisiert. Aber auch hier wird weiterhin mit festgefügten Klischees gearbeitet. Die Modefarbe Grau im Sommer 1999 war dafür beispielhaft: eine breite Palette cooler, sensibler Variationen in Grau. Der graue Look sollte dabei mehr sein als eine Metapher, sondern stand „für eine subtile Verän-
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derung in der Einstellung zum Altwerden“.62 Warum gerade diese Farbe dafür stehen sollte, blieb unhinterfragt. „Falten als Schmuckstück“, sagte Wolfgang Joop und meinte direkt anschließend über den neuen Alters-Chic: „Im nächsten Jahrtausend werden der Mann und die Frau ab 36 zu Sexsymbolen“. Anderswo wird der Trend hin zum Alter in Verbindung mit Erotik und Sexualität gebracht, als ob dies die einzig mögliche Perspektive sei. „Der Anspruch der Jugend an uns, in Würde zu altern, ist eine Frechheit“, schimpfte Joop andererseits.63 Sollte vielleicht die freundlichere Haltung der Modebranche gegenüber älteren Leute als eine Antwort darauf verstanden werden? Sie ist in der Tat sehr neu. Dies gilt auch für den Film. Hier könnten aber auch ökonomische Argumente von Gewicht sein, denn die Älteren und Alten bilden einen sehr bedeutenden Modemarkt und verfügen über eine solide Kaufkraft. Das amerikanische Kino geht hier freizügiger vor: Ältere Männer und Frauen in Funky Kleidung gehören im Film ebenso zum Straßenbild wie im Alltag.
62 Der Spiegel 16/1999, 133. 63 Interview mit Wolfgang Joop. In: Petra: 7/1999, 30.
DAS NÄHKÄSTCHEN
DER
KOSTÜMBILDNER
Späte Anerkennung Die Kostümbildnerei trat erst spät ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Erst seit der 21. Oscarverleihung 1948 gibt es einen eigenen Oscar für Kostümgestaltung. Er wurde zunächst in zwei Kategorien verliehen: für Schwarz-Weißund für Farbfilme. So erhielten die Trophäe 1948 Irene und Roger Furse in der Kategorie Schwarz-Weiß, Edith Head, Gile Steele, Dorothy Jeakins und Karinska wurden in der Kategorie Farbe ausgezeichnet.1 Lange zuvor agierten jedoch bereits KostümbildnerInnen hinter den Filmkulissen. Spezifische Kostümwerkstätten für das Kino gibt es seit 1916. Noch 1915 setzte man voraus, dass eine Schauspielerin „sowohl den Entwurf als auch das Schneidern für die benötigten Kostüme“ selbst finanziert.2 Allerdings ließen sich bekannte Schauspielerinnen offenbar von Modistinnen assistieren. Auch in Deutschland begibt sich 1916 der Modedesigner Baron Christoph von Dercoll für den Film „Aus Liebe gefehlt“ (Carl Heinz Wolff) ins Filmatelier. Drecoll spielt selbst die Hauptrolle neben Lina Borée, die später nach Hollywood gehen wird, und entwirft selbstverständlich die Kostüme des Films. Die Hüte stellt Regina Friedländer her, die bekannteste Hutmacherin Berlins.3 Eine ähnliche Situation findet sich auch in Paris. 1925 zählt man hier 25 verschiedene Kostümwerkstätten, die allein für den Film arbeiten, dazu noch Werkstätten, die nur für Accessoires und Perücken zuständig sind.4 Die Tätigkeit der KostümbildnerInnen jedoch erfährt kaum Beachtung. Diesem allgemeinen Desinteresse folgt dann nach dem Zweiten Weltkrieg ein geradezu fieberhafter Taumel. Das Starsystem mit seinen Galionsund Glamourfiguren wie Greta Garbo, Marlene Dietrich, Gene Tierney, Marilyn Monroe, Kim Novak, Ingrid Bergman oder Liz Taylor ist ohne die Tätigkeit der KostümbildnerInnen kaum vorstellbar. Adrian, Travis Benton, Jean-Louis, Walter Plunkett, Irene Sharaff oder Edith Head sind Markennamen für eine ganze Industrie –, und die Oscarverleihung – auch für die Kostüme – wird zu einem Event ohnegleichen. Doch die Wahl der besten Kostüme für die Oscarprämierung bleibt nicht ohne Kritik und Polemiken, das zeigen die Auseinandersetzungen um Filme wie „West Side Story“ (1961), „Amadeus“ (1984), „Gandhi“ (1982) oder sogar „Der Herr der Ringe“ (2001-2003). Heute funktioniert die Unterhaltungsrhetorik im Film nach dem Motto „wirklicher als die Wirklichkeit“ und das neue Realitätsprinzip trifft nicht nur auf die Fernsehunterhaltung zu, wie Angela Keppler meint, sondern mehr
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Vgl. Leese 1976, 161. Vgl. Kimbakk Young 1915, zitiert nach Gaines 1998, 213. Vgl. Dahn 1968, 208. Vgl. Delpierre 1988, 168.
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noch auf das Kino.5 Eines der Hauptmerkmale des Films ist eben seine Illusion von Realität und von sinnlichem Reichtum. Gewiss, dieser Reichtum ist auch getrübt von dem Misstrauen, „dass die Objekte, die zu sehen sind, real gar nicht vorhanden sind“.6 Ich frage mich häufig, ob der Realitätsbezug des Spielfilms nicht eher als Alibi oder Vorwand für unsere Fantasie und Fantasmen dient, was ihn allerdings nicht weniger interessant macht. Will man ein Bild aus kulturanthropologischer Sicht als wahr, „getreu“ oder „real“ qualifizieren, so impliziert dies bereits, dass eine gemeinsame historische wie soziokulturelle Vorstellung existiert: Eine Vorstellung, die uns sagt, dass eine der besten Darstellungen des „Realen“ ihre meist zweidimensionale figurative Umsetzung ist, kurzum eine Re-Präsentation. Diese Bildvorstellung ist jedoch keineswegs universal. Für die australischen Ureinwohner z.B. haben bis heute „wahre“ Bilder absolut nichts mit der konkreten Erscheinung zu tun.7 Wie authentisch dürfen dabei Kostüme im Film sein? In Europa herrscht in der Filmbranche immer noch die diffuse Auffassung, dass in gegenwartsbezogenen Filmen die persönliche Alltagsgarderobe der SchauspielerInnen ausreiche. Sie wird zwar den Ideen des Drehbuchs angepasst, aber braucht man wirklich KostümbildnerInnen? Warum dafür Geld ausgeben? Wenn an dieser Stelle radikal gespart oder die Aufgabe systematisch dem Art Director übertragen wird, so wird dies im Film ziemlich rasch erkennbar und kann bis hin zur Lächerlichkeit führen. Veröffentlichungen über Film und Mode, einschlägige Begleithefte und die zusätzlichen Informationen der DVDs, vor allem bei Blockbustern, präsentieren immer wieder schöne Kostümentwürfe. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich in diesen Fällen eher um Werbemittel als um effektive Instrumente für die Herstellung von Kostümen handelt. Mit ihren Entwürfen liefern die KostümbildnerInnen Projektskizzen. Selten entspricht das Endprodukt genau diesen Skizzen. Nötig sind diese Entwürfe vor allem für die ProduzentInnen oder dann, wenn die KostümbildnerInnen noch nie mit diesem Regisseur gearbeitet haben. Dennoch, selbst die ZuschauerInnen interessieren sich zunehmend für diese Entwürfe. So sehen die Skizzen der Männerkostüme in den Begleitbüchern der Filmtrilogie „Der Herr der Ringe“ besser aus als die fertigen Filmkostüme. Schuld daran trägt nicht die Kostümbildnerin Ngila Dickson, sondern vor allem die äußerst genauen Beschreibungen bei Tolkien und der Wunsch Peter Jacksons, sich so genau wie möglich an die Vorlage zu halten. Dickson hat daraus das Beste gemacht. Im Atelier aber sind eher kleine technische Zeichnungen die Regel, kleine Schemata und Skizzen, um den AssistentInnen oder den NäherInnen genau zu erläutern, wie bestimmte Details konzipiert oder miteinander verbunden werden. Die Fotokopie oder der Computer haben sicherlich viel verändert, dennoch befürworten viele KostümbildnerInnen weiterhin kleine Skizzen, weil, so Gabriella Pescucci, Skizzen ein unersetzliches Werkzeug für Erinnerung und Gedanken bilden.8 Manche KostümbildnerInnen verwenden auch kleine 5 6 7 8
Vgl. Keppler 1994. Doane 1994, 72. Vgl. Mondada/Panese 1998, 24f. Vgl. Pescucci 1996, 76.
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Figurinen, die genaue Informationen über Stoffe und Farben liefern, etwa in der Art, wie es früher die kleine und die große Pandora für die Mode getan haben.9 Von da aus werden eben dann schnitttechnische Skizzen entworfen. Anschließend ist zu entschieden, was neu hergestellt wird und was aus dem Fundus kommen soll. Bei der Wahl der Stoffe gibt es verschiedene Wege und Methoden. Einige KostümbildnerInnen wie Jacques Fonteray beginnen bei den HauptdarstellerInnen. Im Allgemeinen aber verschaffen sich die KostümbildnerInnen zuerst einen Gesamtüberblick und teilen die Stoffmenge entsprechend der Situationen ein: zunächst für die Komparsen und die kleinen Rollen, dann nach und nach für die bedeutenderen Neben- und die Hauptrollen. Erst nach einigen Wochen, bestätigt Pescucci, gewinne sie eine klare Vorstellung über die Farben und die Stoffe, die sie verwenden müsse, und dabei denke sie „immer an eine bestimmte Stileinheit, die auch Komparsen und Protagonisten umfasst“.10 Das Publikum wie oft auch die Regie machen sich meist falsche Vorstellungen von dieser Arbeit. Selbst in Filmen wie „Der Name der Rose“ (1986), bei dem man glauben könnte, er sei einfach zu gestalten, weil fast alle Figuren Mönchskutten tragen, müssen sämtliche Protagonisten eigene Charakterisierungen erhalten. Die Stoffart, die Stoffbearbeitung, um das Alter des Gewandes anzudeuten, die Proportionen der verschiedenen Kostümteile und die Farben machen die Unterschiede aus. So sind die im Jahr 1327 gastgebenden Benediktinermönche im Film mehrheitlich in schwarze Kutten gekleidet, die bei den einen eher bräunlich, bei anderen mehr rötlich oder grünlich gefärbt sind.11 Die hellbraunen Kostüme mit Kapuzen des englischen Franziskaners William von Baskerville (Sean Connery) – unser Mann im Mittelalter –, und seines Novizen Adson (Christian Slater) wirken dagegen modern gestylt, was die Weltoffenheit und die rational-wissenschaftliche Betrachtungsweise des Franziskanermönchs bei der Untersuchung der Mordfälle unterstreicht. Abb. 27: „Der Name der Rose“
9 Vgl. Glossar. 10 Pescucci 1996, 74. 11 Vgl. Pescucci 1996, 76.
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Der Philosoph wird zum Detektiv, zum Zeichendeuter und Spurensucher. Er verdächtigt einen Sterblichen, während die anderen Mönche die Morde als ein Werk des Teufels sehen. Aber selbst der Teufel würde blass aussehen im Vergleich zur bedrohlichen Figur des Inquisitors Gui, wenn dieser in weißer Kutte mit schwarzem „Kragen“ – so die Bezeichnung seines Mantilla-artigen Überwurfes – zum ersten Mal auftritt (Abb. 27). Bei Verfilmungen historischer Romane stehen den KostümbildnerInnen Schnittbücher mit präzisen Beschreibungen zur Verfügung, die von vornherein für Theater- oder Filmkostüme konzipiert sind. Einige KostümbildnerInnen lassen sich von Quellen, die auf der Basis von musealen Sammlungen entwickelt wurden, inspirieren.12 Die Skizzen und Untersuchungen von MuseologInnen wie Avril Hart und Suzan North über die Barock- und Rokokozeit oder die von Arnold Janet über die Epoche des Manierismus und des frühen Barocks z.B. liefern KostümbildnerInnen ein relativ genaues Instrumentarium.13 Diese Bücher besitzen präzise Einleitungen, bieten klare Muster an, so dass Kostümeteile wie die Adrienne, der Stecker, die Echelles, das Detail der Bouffanten oder der Palatine14 im Film anscheinend „realistischer“ dargestellt werden.15 Eine bessere Schilderung der Kleidungswelt einer Epoche kommt dabei nicht unbedingt zustande. Eher führt dies dazu, einzelne museale Prototypen zu verallgemeinern oder als Grundmodell zu universalisieren. Allerdings wird das breite Angebot der historischen Kleidungsforschung viel stärker als früher von den KostümbildnerInnen wahrgenommen und umgesetzt. Viele Kostümbücher, die von KostümbildnerInnen immer wieder als Grundlage verwendet werden, verfolgen nicht dieselben hohen Ansprüche. Sie begnügen sich mit der Abbildung bekannter Gemälde, Miniaturen, Skulpturen und Zeichnungen, ohne sich kritisch mit den Quellen auseinandersetzen und liefern eine „eins-zu-eins“ Übersetzung. Manche AutorInnen bleiben noch ungenauer und basteln nach bekannten Illustrationen eine eigene Kleidungsgeschichte für die Bühne oder den Film. So zieht sich derselbe nivellierende Blick durch die ganze Geschichte der Mode und der Menschheit, ganz zu schweigen von massiven Interpretationsfehlern.16 So nimmt es nicht wunder, wenn einige dieser Werke ihre Spuren in der Filmgeschichte hinterlassen haben. „Braveheart“ (1995) liefert uns einige unterhaltsame Stilblüten wie das Mi-Parti-Kostüm der Prinzessin von Wales (Sophie Marceau), das auf eine Abbildung bei Auguste Racinet zurückgeht. Im Allgemeinen scheinen sich Kostümkunden aus dem 19. und frühen 20. Jahrhunderts wie jene von Hermann Weiss, Jakob von Falke, Augustin Challamel, August von Heyden, Paul Lacroix, James Planché, Jules Quicherat oder des späteren Nazisympathisanten Max von Boehn bei KostümbildnerInnen weiterhin großer Beliebtheit zu erfreuen. Ganz besonders Auguste Racinet wird bis heute gern aufgegriffen, wobei seine surrealistische Mischung und bildliche Neuformulierung von Vorbildern aus der Bildenden Kunst sehr zu wünschen übrig lässt. Nicht nur seine Verallgemeinerung der 12 13 14 15 16
Dies tut z. B. Hunnisset 1988. Vgl. Hart/North 1998; Arnold 1978. Vgl. Glossar. Wie z.B. im Film „Gefährliche Liebschaften“. Das beste Beispiel liefert John Peacock.
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Vorlagen und damit die indexikalische Methode oder seine umstrittene chronologische Konzeption werfen hier Probleme auf, sondern vor allem die lückenhafte „Wiedergabe“ der von ihm ausgewählten Vorlagen. Nicht allein die „mittelalterlichen“ Kostüme im Schottenepos „Braveheart“ sind verfehlt – selbst die karierten Schottenröcke sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts17 –, sondern sogar die verwendeten Waffen. „Auf diesem Sektor“, so Junkelmann, „ist so ziemlich alles falsch gemacht worden“.18 Sogar ein anspruchsvoller Film wie Patrice Chéreaus „Bartholomäusnacht“ (1994) bekundet mehr Interesse an Stil- und – verständlicherweise – politischen Fragen als für die Problematik historischer Kleidung (Abb. 28), die in seinem Film jedoch dazugehört. Abb. 28: „Bartholomäusnacht“
Nachgestellte Authentizität Ohnehin kann die „Authentizität“ der Kostüme im Film nie das entscheidende Wort haben. Es geht nicht darum, historische Kleidung völlig originalgetreu wiederzugeben, sondern zu beachten, ob der heutige Stand der Kleidungsforschung in einem gewissen Grad berücksichtigt wird und vor allem, wie der vorher erwähnte„Zeigefinger“-Effekt in Bezug zur Story wirkt. Federico Fellini hat diese Problematik der Kostüme in historischen Filmen sorgfältig in „Satyricon“ (1969) und in „Casanova“ (1976) aufgegriffen, einerseits durch eine minutiöse Rekonstruktion der Kleidungswelt der Epoche, andererseits durch eine gezielte, kurz eingespielte Entlarvung der Kostüme als Filmmittel. Übrigens verfährt er auf dieselbe Weise mit dem Dekor. Der Bezug zur Kleidung im Film bleibt gegenwartsorientiert, auch bei Historien- oder Fantasyfilmen. Wenn sie für einen historischen Film arbeite, so die Kostümbildnerin Carine Sarfati, sei ihr erster Arbeitsschritt, Modebilder aus aktuellen Zeitschriften auszuschneiden. Anschließend versuche sie, historische Elemente in der heutigen Mode aufzuspüren oder Elemente, die historisch angepasst werden könnten.19 Auf diese Art hat sie sich von Jean17 Vgl. Trevor-Roper 1992, 36-38. 18 Junkelmann 2004, 48. 19 Vgl. Gautier 2001.
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Paul Gaultier und Yves Saint Laurent für „Vidocq“ (2001) inspirieren lassen. Was von HistorikerInnen oder EthnologInnen als ethnozentrische Rückprojektion betrachtet wird, bildet also eine Grundregel der Filmindustrie: Das heutige kulturelle Umfeld ist entscheidend für einen Film. Dazu existieren kinematografisch-szenische Zwänge wie das Gewicht der Kleidung, die Empfindlichkeit des Materials, die Steifheit, die die originalgetreue Rekonstruktion eines Kleidungsstückes von vornherein ausschließen. Stanley Kubrick vertrat während der Dreharbeiten für „Barry Lyndon“ die Auffassung, es sei nicht besonders sinnvoll, Kleider von einem Kostümbildner entwerfen zu lassen, wenn man diese anhand von Zeichnungen und Gemälden des jeweiligen Zeitalters getreu kopieren könne. Dabei sei es ebenso unerlässlich, „Originalkleider aus der jeweiligen Epoche zu bekommen, damit man weiß, wie sie ursprünglich hergestellt wurden. Damit sie naturgetreu wirken, müssen sie eben auch nach dem gleichen Verfahren hergestellt werden“.20 Was zunächst logisch erscheint, erweist sich bei genauer Betrachtung als irreführend und könnte vermuten lassen, dass Kubrick einige Grundregeln des Films übersah.21 Selbst bei Filmen, die sich relativ genau an den bildlichen und literarischen Vorlagen orientieren wie „Barry Lyndon“ (1975) oder Viscontis „Der Leopard“ (1963), müssen Kompromisse geschlossen werden: sei es auf der Ebene der Farben, der Stoffe oder der Größen. Die originalgetreue Darstellung des Looks geht bei Visconti so weit, dass nur wenige Details wie der Haarschnitt und das Make-up Angelicas (Claudia Cardinale) visuell auf die Epoche der Dreharbeiten verweisen. Originalstücke aus dem 19. oder sogar 18. Jahrhundert, wie sie sich Kubrick wünschte, sind für heutige Filme meist unbrauchbar, nicht weil sie zu empfindlich sind oder ihre filmische Wirkung nicht die der Realität erreicht, sondern vor allem deshalb, weil die durchschnittliche Körpergröße der SchauspielerInnen heute nicht jener der ursprünglichen TrägerInnen entspricht, die allgemein von kleinerer Statur waren. Manchmal passen mit Glück einige Stücke, und diese Originale sind bei den KostümbildnerInnen besonders beliebt, ja begehrt, weil sie eine „Seele“ haben. Sie sind Zeugen dafür, dass solche Kleidungsstücke überhaupt existiert haben und dass sie benutzt und getragen worden sind. Ein wichtiger Realismus-Effekt besteht eben darin, dass die Kostüme nicht wie neu aussehen, sondern bearbeitet werden, um eine Patina zu erhalten. In manchen Fällen passen originale historische Kostüme sogar den Protagonisten und werden auch vom Kameraund Belichtungsteam akzeptiert wie in „Ludwig 1881“ (1993). Bereits beim Geruch der Originale – sie rochen eher muffig – war Horst Buchholz überglücklich, erzählt die Künstlerin Barbara Schimmel, die die Kostüme ausgesucht bzw. entworfen hat.22
20 Ciment 1982. 21 Dagegen spricht, dass Milena Canonero, seine Kostümbildnerin, eine gewisse Entscheidungsfreiheit behielt. 22 Für diese und weitere Hinweise zur konkreten Praxis der filmischen Kostümgestaltung danke ich ganz herzlich Barbara Schimmel. Zeichnerische Qualitäten, schnitttechnische Fähigkeiten, ein Sinn für Formen und Farben im Film, organisatorisches und wirtschaftliches Multitalent und viel Fantasie sind beim Kostümentwurf gefragt.
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Die Aufgabe historischer Kostüme im Film liegt aber vielmehr darin, eine visuell-kulturelle Brücke zur heutigen Wahrnehmung aufzubauen. Die KostümbildnerInnen sind sich dieser Widersprüche bewusst: „Ich versuche mich vom Stil der Epoche, der Formen und der Farben der Epoche durchdringen zu lassen und handle dann wie eine Créatrice de mode“, sagt Carine Sarfati. Sie geht davon aus, dass das Ergebnis ihrer Tätigkeit Modekreationen sind. Das ist, was auf ihrem Lohnzettel stehe.23 So sagte etwa Rainer Werner Fassbinder bei den Dreharbeiten zu Effi Briest „Wir machen einen Film über vergangene Zeit aus unserer Sicht“, erzählt (die Kostümbildnerin) Barbara Baum, „Das ist bis heute ein Leitsatz für mich“, stellt sie weiter fest.24 An diesem Grundsatz ändert sich auch dann nichts, wenn Filmregisseure wie Luchino Visconti, Stanley Kubrick, Jane Campion oder Stephen Frears den Anspruch verfechten, historische Situationen so originaltreu wie möglich zu inszenieren. Der gelungene Brückenschlag zwischen originalgetreuen historischen Darstellungen und Modernität entsteht also über die anspruchsvolle Qualität der Technik – vor allem die der Kamera –, die moderne Körpersprache der Schauspielkunst, die Kreativität der Regie und nicht zuletzt auch über die Fähigkeit der KostümbildnerInnen. Alle Beteiligten verstehen es, ihre Markenzeichen fast unsichtbar zu machen. Jedoch machten gerade die subtilen Kompromisse bei den Kostümen in historischen Filmen dies um so reizvoller für HistorikerInnen und KulturforscherInnen. Es ist ein gewisses Wagnis, wenn Patrice Leconte in seinem Film „Ridicule. Von der Lächerlichkeit des Scheins“ (1996) weibliche Unterkleidung aus den 1780er Jahren in Frankreich – also die unmittelbare vor-revolutionäre Epoche – präsentiert. Keine historische Quelle kann die Darstellung des Films bestätigen. Hingegen bezeugen zahlreiche Dokumente, dass die im Film gezeigte Form der Unterkleidung typisch für die Biedermeierzeit ist. Der hervorragenden Qualität des Films tut dies keinen Abbruch, ganz im Gegenteil, denn erstens geht es weniger um Erotik als vielmehr um Bewegungs- und Körperfreiheit – die Heldin (Judith Godrèche) läuft ungeniert herum –, die als Gegenbild zur steifen Körpersprache der höfischen Gesellschaft Versailles’ inszeniert wird. Und zweitens hat Lecontes Film zum Ziel, hinter der fröhlichen Fassade mit charmantem Geplauder den erbarmungslosen Krieg auf Leben und Tod am Hofe zu zeigen und hinter der Frage des Scheins den alltäglichen Kampf, um eine gründliche Veränderung der Welt aufzudecken. Dennoch handelt es sich beim historischen Bezug um zwei völlig unterschiedliche Epochen: Das Biedermeier oder, besser gesagt, die „Restauration“ steht soziokulturell im Gegensatz zur vorrevolutionären und revolutionären Epoche. Einige Regisseure und KostümbildnerInnen wiederum legen die Kompromisse offen dar, wie der futuristische „Star Wars“-Helm des Maximus (Russel Crowe) in „Gladiator“ (2000). Andere Anachronismen sind bei diesem Film nicht im selben Maße sichtbar. Gleichwohl bleibt die Frage, wie weit dieser ethnozentrische Blick heute tolerierbar bleibt. Dies trifft nicht nur für die Kleidung zu, sondern auch für die Handlung und für die Werteskala in 23 Gautier 2001. 24 Film-Dienst 3/2006, 54.
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Filmen wie z.B. bei der Darstellung der bürgerlichen Familie nach modernem Muster in „Gladiator“ (2000) oder in „Der Patriot“ (2000).25 Historisch getreue Kostüme im Film sind eher als Kompromiss zwischen historischen Ansprüchen, moderner Sensibilität und Filmpoesie zu verstehen. Die Poesie eines Films deutet sich bereits darin an, wie feinsinnig und feinfühlig die Merkwürdigkeiten und Besonderheiten einer Epoche in Gestalt der Kostüme vermittelt werden: wie man sie trägt, wie der Körper sich darin bewegt, welche Körpersprache und welche Gesten am besten in den Kostümen zum Ausdruck gebracht werden. Dabei kann die Grenze zwischen historischen und modernen Elementen auch absichtlich, fantasievoll und spielerisch verwischt werden wie in „Moulin Rouge“ (2001), in „Caravaggio“ (1986) oder in „Gangs of New York“ (2002). „Moulin Rouge“ mit seinen rund 400 farbenfrohen Kostümen formuliert bewusst keinen „historischen“ Anspruch und gleicht, so der Regisseur Baz Luhrmann selbst, einer Begegnung der „Rocky Horror Picture Show“ mit „Titanic“.
Dress-Plot Die Stilisierung hat heute jedoch im Allgemeinen, auch in Historienfilmen, immer „wahr“ und „natürlich“ auszusehen. So wurde in Renny Harlins Monumentalfilm „Die Piratenbraut“ (1995) die Kostümfrage zur Chefsache erklärt. Genauestens achtete die Regie darauf, dass Kleidung und Waffen dem heutigen Stand der Forschung über das 17. Jahrhundert entsprachen. Ein Großteil der Kleidungsstücke der Matrosen wurde aus Baumwolle hergestellt und von Hand genäht. Man setzte einen komplexen Veralterungsprozess in Gang, um der „Wirklichkeit“ so nahe wie möglich zu kommen. Abb. 29: „Fluch der Karibik“
25 Vgl. Devoucoux 2001. Selbst die Dinosaurier in Spielbergs „Jurassic Park“ (1993) stehen unfreiwillig im Dienste der Familie.
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Tagelang wurden die 2000 Kleidungsstücke vom Team des Kostümbildners Enrico Sabbatini geklopft, gebleicht, zerrissen, zerknautscht, blankgescheuert oder mit Schmirgelpapier berieben. Man mischte schwarze Tinte mit Wasser, um den Textilien verschmutztes Aussehen zu geben. Diese Maßstäbe wurden einige Jahre später im Film „Fluch der Karibik“ (2003) umgesetzt (Abb. 29). Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie man mit einem historischen Anspruch umgehen und zeitliche Distanz bildlich sichtbar machen kann. Federico Fellini versucht in „Satyricon“ (1969) auf seine Art, mit stilistischen wie realistischen Effekten gleichermaßen, die Fremdheit der römischen Welt zu formulieren. „Satyricon“ ist ein Film über die Römer, aber ohne Caesar, Marcus Antonius oder Kleopatra.26 Er zeigt dicke und dünne, schöne und hässliche Körper, üppig geschminkte Gesichter sowie gutmütige und verdorbene Charaktere. Auf diese Weise versucht er, mit den herkömmlichen Bildern des antiken Rom zu brechen und entfernt sich von der weißen Toga als dem klassischen Element der römischen Kleidung. Hingegen betont Fellini in enger Zusammenarbeit mit dem Kostümbildner Danilo Donati die Farbenpracht der römischen Kleidungswelt. KostümbildnerInnen arbeiten nicht hauptsächlich an der Rekonstruktion historischer Kleidungsstücke, sondern sie sind eher mit der heutigen Kleidungswelt beschäftigt. „Ich habe die Beobachtung gemacht“, sagt Marilyn Vance, „dass der normale Kinobesucher davon ausgeht, dass die Gegenwartskleidung nur ein wenig bearbeitet werden muss, während die Ausstattung der Historienfilme wirklich Arbeit kostet. Das Gegenteil ist der Fall“.27 Mit der heutigen Mode hat dazu jeder – Techniker, Schauspieler oder Regisseur – seine eigenen Vorstellungen, was die Arbeit der KostümbildnerInnen nicht erleichtert. Die öffentliche Sensibilität verändert sich auch mit der Mode. KostümbildnerInnen sind daher abhängig von einer allgemeinen Tendenz und vermeiden – zumindest im westlichen Kino und mit wenigen Ausnahmen – jede übertriebene Stilisierung. Die Trennung in historisch und gegenwärtig ist beim Kostümentwurf nicht unbedingt relevant. „Für mich müssen die aktuellen Kostüme und Modestücke ähnlich wie die historischen Kostüme behandelt werden und umgekehrt“, sagt Yvonne Sassinot de Nesle.28 Die Kompositionselemente des Films „Das Piano“ (1993), um bei unserem Beispiel zu bleiben – Kleidung, Farben, Musik – mögen klassisch erscheinen, die Mittel dagegen bleiben an die Wahrnehmung von Zeit, Raum und Technik der 1990er Jahre gebunden. Die Kostüme prägen den Stil des Films durch ihre eigene Erzähldynamik und ihre Medialität in dem Maße, wie es andere filmische Elemente auch tun, also im Kontext des Gesamtwerks. Neben der Konnotierung der Kleidung in Beziehung zum Körper gibt es im Film zahlreiche weitere Konnotationen in Bezug zu Farben, Geräuschen, Gesten und Mimik, zu Dialog, ja auch zur Musik, zu Details der Landschaft oder zu Gegenständen. Sie alle können als Teilelemente einer Einheit wirken oder die Kleidung kann sich im Gegenteil von ihnen absetzen, um eine eigene Bedeutung für die Handlung zu gewinnen. 26 Vgl. Bourget 1992, 122. 27 Vance 1989, 67. 28 Interview Sassinot de Nesle 1996, 59.
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Wenn wir die Kleidung unter der Perspektive des Gesamtwerks betrachten, müssen also die KostümbildnerInnen nicht nur ihrer eigenen Vorstellung folgen, sondern auch die Sicht des Drehbuchautors berücksichtigen, der die Handlungsdramaturgie, die Bestimmung des Hauptcharakters des Story und die Kombination von Charakteren mit Plot und Ambiente umformt. Die Basis für die ersten Kostümentwürfe ist im klassischen Film daher meist das Drehbuch. Daraus entwickelt sich ein Dress-Plot. Erst wenn das Drehbuch steht, „kann ich einen Dress-Plot erstellen“, sagt Edith Head, „eine Partitur, aus der hervorgeht, welche Figur in welcher Szene, in welcher Jahreszeit, wie oft und mit wem zu sehen ist. Die wichtigste Arbeit in diesem Entwicklungsstadium ist, sich das Skriptum zu Eigen zu machen. Es schreibt genau vor, was man wozu entwerfen muss. Es enthält Angaben über Witterungsverhältnisse, den sozialen und finanziellen Status der einzelnen Figuren, ihren Charakter und so weiter“.29 Das Drehbuch erfährt durch die Fantasie der KostümbildnerInnen seine visuelle Umsetzung. Manche KostümbildnerInnen befürworten dagegen zunächst eine detaillierte Besprechung mit dem/der RegisseurIn, um „den Blick der Regie zu hören“,30 dann erst lesen sie das Drehbuch. Das wahre Talent der Regieführung liegt darin, dem Filmteam das Bild des zukünftigen Films emotional vermitteln zu können. Die Regie muss sich bemühen, Methoden für die Inszenierung der Charaktere, des Konfliktstoffs, der Handlung zu finden. Der epische und dramatische Doppelcharakter ist ein Grundprinzip des Films. Dafür verwendet die Regie die Kamera als dramaturgisches Instrument sowie eine komplexe Bilddramaturgie. Dabei behaupten natürlich auch die Kostüme eine eindrucksvolle Position. Einige Regisseure wie Georges Meliès, Mitchell Leisen, Claude AutantLara, Erich von Stroheim, Orson Welles, Akira Kurosawa, Federico Fellini, Luchino Visconti oder Sergej M. Eisenstein entwarfen die Kostüme für ihre Filme selbst, Jacques Tati war Modefotograf. Mit Ausnahme dieser Altmeister jedoch und einigen anderen wie Alfred Hitchcock, Jane Campion, Peter Weir, Stanley Kubrick oder Stephen Frears interessieren sich die meisten nicht besonders für die Kostüme. Viele KostümbildnerInnen lesen auch die literarische Vorlage, wenn es sich um eine Literaturverfilmung handelt. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, Zwischentöne in die filmische Kleidungswelt zu integrieren. So lehnte die Kostümbildnerin Odettes Auberginen-Dekolleté in dem Film „Eine Liebe von Swann“ (1984) von Volker Schlöndorff ab, da bei Proust zu lesen war, dass Odette Chinoiserien liebte. Dies inspirierte sie für den Entwurf eines Kimonos mit chinesischen Motiven.31 Nach der Abstimmung mit dem/der RegisseurIn spricht der/die KostümbildnerIn mit den SchauspielerInnen, fragt sie, wie sie ihre Rolle verstehen und wie diese Figur ihrer Meinung gekleidet sein könnte.32 „Ich entwerfe keine Kleidung für Leute, sondern für bestimmte Figuren in präzisen Szenen“, so Edith Head auf die Frage, warum sie keine eigene Kollektion entwirft.33 Die Beziehung der KostümbildnerInnen zu den SchauspielerInnen 29 30 31 32 33
Edith Head, zitiert nach Engelmeier 1998, 21. Interview Sassinot de Nesle1996, 60. Ebd, 60. Edith Head, zitiert nach Engelmeier 1998, 21. Edith Head, zitiert nach Gontier 2001, 139.
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und RegisseurInnen gestaltet sich nicht immer einfach. „Ich hasse dieses Kleid. Ich will ein weißes haben. Machen Sie mich etwas mehr sexy. Man sieht meinen Busen nicht“.34 Die Stardesignerin Eiko Ishioka lehnte wegen dieser Ansprüche der SchauspielerInnen viele Aufträge ab. Sehr häufig, sagt sie, würden die KostümbildnerInnen wie Diener behandelt. Selbst bekannte KostümbildnerInnen scheinen ähnliches erlebt zu haben, so etwa Walter Plunkett, dem der Produzent David O. Selznick bei der Vorbereitung der Dreharbeiten zu „Vom Winde verweht“ kurzerhand mitteilte: „Er solle die wenigen Wochen ohne Honorar weiterarbeiten. Jeder Kostümbildner in Hollywood würde gern aus Prestigegründen an diesem Film mitarbeiten. Einige haben sogar Geld für dieses Privileg geboten“.35 Diese Erpressung brachte Plunkett völlig außer sich und er lehnte ab. Der Kostümbildner Richard de la Motte bekam von der Fox den Ratschlag: Sei mit den Schauspielern immer freundlich, aber nie befreundet. Das sei das Rezept der Professionalität.36 Danach spricht der/die KostümbildnerIn sich mit dem Art Director ab, ebenso mit dem Set Decorator, damit er/sie nicht etwa einen violetten Morgenrock für ein ebenfalls violettes Schlafzimmer entwirft.37 BühnenbildnerInnen gestalten das Dekor, die Landschaften, die Filmarchitektur innerhalb des Bildrahmens und ordnen auf diese Weise die Räumlichkeit oder arbeiten bestimmte Konturen heraus. Damit tragen sie zur Konstruktion der Zeit, des Ambientes oder der verschiedenen Raumtiefen des Bildes in hohem Maße bei. Die Londoner Serpentine Gallery hat durch ihre Hommage an Ken Adams und seine monumentalen Dekors überzeugend gezeigt, was das Können des Bühnenbildners bedeutet. Durch die breite Palette ihres Repertoires offerieren die Kostüme zahlreiche Möglichkeiten, sich an das Bühnenbild anzupassen, sei es als Element der Raumtiefe und -stimmung oder als Kontrastelement. Die Beziehung zwischen Kostüm und Dekoration kann so eng werden, dass das eine mit dem anderen verschmilzt. Dieser Wechselbeziehung zwischen Dekors und Kostümen widmete Francis Ford Coppola besondere stilistische Aufmerksamkeit, als er bei Art Director Eiko Ishioka anfragte, ob sie für den Film „Dracula“ (1992) nicht auch die Kostüme entwerfen könne. In der Filmarchitektur spielen auch Textilien anderer Art häufig eine einflussreiche Rolle. Wand- oder Bodenteppiche, Gardinen, Tischdecken, Betttücher, Vorhänge, Decken, bestickte Deckchen und Servietten können die Handlung dramatisieren oder einen fröhlichen Ton angeben. Sie gehören zur Handlung wie auch zum Dekor. Eine weiße bestickte Tischdecke auf einem Esstisch steht nicht nur für die Hausordnung, sondern für eine bestimmte Weltsicht. Sie gehört zur Etikette der Mahlzeiten- und Bankettrituale. Dies gilt ebenso für Gardinen oder Vorhänge. So zeigt der Film „Meine Lieder – meine Träume“ („The Sound of Music“, 1965), wie sommerliche Gardinen in Kinderkleidung und in „Vom Winde verweht“ (1939) wie schwere Samtvorhänge in einen prachtvollen Reifrock verwandelt bzw. umgearbeitet werden.
34 35 36 37
Interview Iko Ishioka 1996, 70. Vgl. Flamini 1982, 59. La Motte 2001, 78. Vgl. Edith Head, zitiert nach Engelmeier 1998, 21.
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Auch Wandteppiche stellen im Film flexible und wirkungsvolle Textilelemente dar. Als prachtvolle repräsentative Einzelstücke, ja Kunstwerke verweisen sie auf eine Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Die Mobilität der Teppiche, schreibt der Kunsthistoriker Wolfgang Brassat, kam „den feudalen Lebensgewohnheiten insofern zugute, als die mittelalterlichen Burgen so gut wie keine monofunktionalen Räume aufwiesen und das bewegliche Mobiliar der einzelnen Zimmer fast täglich variiert wurde. Die mittelalterliche Gewohnheit, die textilen Behänge nach dem Gebrauch wieder zu verstauen, diente auch als fürsorgliche Maßnahme zu ihrem Schutz, weiter erklärt sie sich aus dem Prinzip, die Textilien als Dekor zeremoniellen Akten und ‚hohen Zeiten’ zu reservieren“.38 Auch im 17. Jahrhundert gelten Wandteppiche primär als Zeichen von Rang, mit denen auch die übrigen Möbel übereinzustimmen haben.39 Sie entwickeln sich zu künstlerisch gestalteten Wänden, die Auskunft über Anlass und Ort des Geschehens geben. Genauer betrachtet, gehören auch kostümierte Statisten und Nebendarsteller in vielen Filmen plastisch zur historischen Tapete oder zum Dekor, was nicht selten zu ihrer Unterschätzung beiträgt. Dabei wurde bereits in den 1930er Jahren demonstriert, wie bedeutungsvoll und zugleich verkannt die Nebendarsteller in einem Film sind. Umso wirkungsvoller hingegen treten sie bei manchen Regisseuren – etwa John Ford oder Max Ophüls – in Erscheinung.40 Abb. 30: „Der Schrei der Seide“
Selten nehmen Textilien als Dekorelemente eine so weitreichende Bedeutung ein wie in Kaufhausszenen, so in „Der Schrei der Seide“ (1996). Die gesamte Textil- und Kleidungswelt des Films wird auf einer quasi fetischistischen Ebene inszeniert bis hin zum weißen Kittel des Arztes und zur Nonnentracht des Personals in der psychiatrischen Anstalt. Die emotional eindrucksvollsten Bilder liefert die Szene im Kaufhaus. Die pathologische Beziehung der Heldin (Nadine Trintignant) zu Stoffen verwandelt die bunten Stapel von Textilballen in bedrohliche Wesen (Abb. 30). Bühnen- und KostümbildnerIn konnten für ihre Inspiration an die reiche literarische Tradition anknüpfen, 38 Brassat 1989, 30. 39 Vgl. Brassat 1989, 39. 40 Vgl. Arnheim 1979, 113-115.
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angefangen bei Zolas „Das Paradies der Damen“ bis hin zu Hans Fallada, die vor allem dem Kaufhaus als erotischem Ort, als Ort der Verführung besondere Aufmerksamkeit widmeten: „Denise hatte der Verlockung nachgegeben und war bis an die Tür gegangen, ohne sich um die von der Straße aufspritzenden Tropfen zu kümmern, die sie durchnässten. Um diese Stunde nahm das ‚Paradies der Damen‘ sie mit seiner Feuerofenglut ganz und gar gefangen“.41
Die jeweilige Art der Kameraführung kommt bei der Akzentuierung von Personen, Details, Dekor, Kleidung und schließlich Stil ebenfalls zum Zuge. Die Kunst der Kameraleute entscheidet, welches Detail der Kleidung wichtig sein könnte. Daher könnten die Kameraleute, so die Kostümbildnerin Chloé Chambaret, ihre besten Freunde oder ihre schlimmsten Feinde werden.42 Bis in die 1990er Jahre mussten KostümbildnerInnen genau wissen, ob die Kameraleute panchromatische oder orthochromatische Filme verwenden. Probeaufnahmen dienten dazu, dieses Problem zu beseitigen. Selbst das Licht bildet ein wichtiges Element der Filmrhetorik. Es entscheidet mit über die Bedeutung eines Gesichts, einer Bewegung oder eines Kleidungsstücks. Von der Arbeit der Beleuchter hängt im Wesentlichen die Wirkung eines Kleidungsstücks ab, denn die Beleuchtung prägt den Stil des Bildes und des Films, was ein (Schwarz-Weiß-)Film wie „Kinder der Olymp“ bei jeder Einstellung demonstriert. Kurzum, „alle sind das Bett, welches für die Schauspieler gemacht wird“, so die Regisseurin Karin Brandauer.43 Die Zusammenarbeit für den Film basiert auf einer präzisen und schonungslosen, ja oft militärisch-hierarchischen Logik, die Effizienz beweisen muss.
Kostüme als Konzept Ausgehend von kleinen Figurinen entwickelte sich der Schnitt der Kostüme. Die Genauigkeit der Details und die Stimmigkeit der Kostüme verhalten sich proportional zur Länge des Filmausschnittes oder der Einstellung und damit zu ihrer Positionierung im Bild. Eine Großaufnahme kann hier eindrücklich zeigen, wenn das Kostüm nicht dafür gearbeitet wurde. Aus diesem Grund fangen die KostümbildnerInnen lieber mit den Komparsen und NebendarstellerInnen an, die aus Kostengründen oft mit Kostümen von Verleihfirmen oder aus dem Fundus ausstaffiert werden. Gekauft wird in Boutiquen, Kleidergeschäften, Secondhandläden, auf Flohmärkten oder bei Großhändlern. Einige Geschäfte haben sich auf historische Kostüme für Film, Theater und Fernsehen spezialisiert und verleihen so genannte Originalstücke oder nach historischen Vorlagen „originalgetreu“ gefertigte Stücke. Museen verleihen oder vermieten aus verständlichen Gründen keine Kostüme, doch liefern sie zahlreiche Sachinformationen. Heute bieten animierte Storyboards die Möglichkeit, einen Film sozusagen vorher durchzuproben, was allen Mitgliedern des Filmteams zugute kommt. Nur für Großproduktionen mit riesigen Budgets wie „Titanic“, „Der 41 Zola 2002, 38. 42 Vgl. Chambaret 2005, 5. 43 Karin Brandauer, zitiert nach Sonnenberg 2000, 4.
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Herr der Ringe“ oder „Königreich der Himmel“ können sämtliche Kostüme eigens entworfen und hergestellt werden. Im Allgemeinen werden in den USA die SchneiderInnen aus der Women’s Work and Taylor Shop der Gewerkschaft „Costume Designer Union“ engagiert.44 Je nach Planung müssen bestimmte Kostümelemente für bestimmte Körperteile detailliert bearbeitet werden. Noch während der Dreharbeiten sind aus technischen, künstlerischen oder schauspielerischen Gründen ständig Kostümänderungen erforderlich. „Titanic“ (1997) illustriert umfassend wie der Reichtum der oberen Schichten zu „einer Explosion der Exzesse“ führte, berichtet Deborah Scott. „Wenn man sich vor Augen hält, dass an manchen Tagen die Kleidung fünfoder sechsmal gewechselt wurde, wird man noch sprachloser“.45 Für Rose wurde eine junge mädchenhafte Linie à la Poiret und Reformkleider mit gewagten Farben geschaffen, während ihre Mutter den altmodischen „S“-Stil trug.46 Eine ganze Wand voller Bilder der Passagiere wurde zusammengestellt, die Scott und Cameron gemeinsam betrachteten, um sich vor Augen zu führen, was Jack Hume, Lady Duff-Gordon und all die anderen getragen haben könnten. „Und als ich davorstand und von all diesen Gesichtern angestarrt wurde, dachte ich plötzlich: Moment Mal, wir schauen hier nicht ein Forschungsprojekt an, sondern Leute, die damals auf dem Schiff waren, die zu der Zeit gelebt haben. Es war unheimlich. Plötzlich wird es mehr als nur ein Film. Du möchtest der Geschichte gerecht werden“.47
Abb. 31: „Der Herr der Ringe“
Die Dramaturgie verlangt zuweilen die Herstellung mehrerer Exemplare eines Kleidungsstücks. So musste das oft zitierte Kattun-Kleid Scarlett O’Haras in der Episode mit dem brennenden Atlanta im Laufe der Handlung zunehmend so strapaziert aussehen, dass Walter Plunkett 27 verschiedene 44 45 46 47
Vgl. Vance 1989, 70. Deborah Scott, zit. Nach Cameron Titanic 1997, 38. Siehe Glossar. Deborah Scott, ebd., 38.
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Versionen des Kleides herstellen ließ. Dadurch konnte jede Einzelszene im entsprechenden Zustand des Kleides gespielt werden. Dies gilt auch für Frodos Kleidung in „Der Herr der Ringe“ (2001-2003), als er mühsam durch Mordor reist: Ngila Dickson musste ebenfalls 27 verschiedene Fassungen des Kostüms anfertigen (Abb. 31). Peter Jackson bestand darauf, dass die Kostüme der Protagonisten bis hin zum winzigsten Detail bearbeitet wurden – so die Knöpfe an Aragorns Kostüm, die den Baum von Gondor zeigen –, damit sie prinzipiell aus jeder Perspektive gefilmt werden konnten.48 Noch hat hier die Digitalisierung nicht alle Organisationsfelder besetzt. Manche RegisseurInnen platzieren zuerst lieber die Schauspieler, entscheiden dann über die Kostüme und das Dekor, um schließlich – mit oder ohne Hilfe des Storyboards – eine Einstellungsperspektive auszuwählen. Andere dagegen gehen von der Einstellungsperspektive der Kamera aus, um erst dann die Schauspieler zu positionieren und die Dekors und die Elemente des Bildes zu organisieren. Deswegen können die Kostüme auch bis zum letzten Moment noch verändert werden. Filme mit kleinen Budgets erfordern ein ausgeprägtes Improvisationstalent, Geschicklichkeit und Findigkeit von den KostümbildnerInnen und einen sechsten Sinn, um über die Wahl einer Farbe oder eines Kleidungsstücks zu entscheiden: warum dieses T-Shirt und nicht jenes, diese Form in Beziehung zur psychischen Verfassung des Protagonisten und nicht die andere. Hier gibt es nämlich keinen Entwurf, sondern die Kostüme entstammen meist dem privaten Kleiderschrank der Statisten oder werden geliehen. Dennoch gilt auch hier ein Kostüm nur dann als gelungen, wenn es der Person nicht bloß passt, sondern regelrecht an ihr klebt oder richtig „klingt“, wenn es wie aus dem Leben aussieht und über das gewisse Etwas verfügt, das dem Traum entspricht. Die Arbeitsbedingungen während der Dreharbeiten sind für KostümbildnerInnen und MaskenbildnerInnen normalerweise stressig. Dieser Stress nimmt zu, da das Filmgeschäft härter geworden ist. Die Garderobieren wissen genau, welche Relevanz die Organisation und die Verwaltung der Kostüme am Drehort haben. Sie sind für die Bereitstellung und den Zustand der Kostüme verantwortlich. Der Film „Ein ungleiches Paar“ (1983) von Peter Yates gibt uns eine Vorstellung davon, wie problematisch die Beziehung zwischen einem Garderobier (Tom Courtenay) und einem (Theater-)Schauspieler (Albert Finney) sein kann. Ferner spricht die Schnitttechnik entscheidend mit bei der Konstruktion des Films. Sie bestimmt über Stil, Charaktere, Rhythmus, Erzählform und letztlich auch über Kostüme. Die Schnitttechnik bzw. die Montage bleibt das bestimmende Prinzip des Films. Die Möglichkeiten, die daraus entstehen, sind, visuell-rhetorisch betrachtet, so komplex und vielschichtig, dass sie sprachlich kaum zu umschreiben sind.49 Die Wirkung der Bewegungen, der Formen, der Körperformen, der Kleider, Farben, Emotionen oder der Handlung entsteht nicht nur im Bild, sondern vielmehr innerhalb der Bilderfolge. Diese muss aber zuerst erfunden werden.
48 Modeartikel, Kostüme und Textilien können auch als Requisiten des Dekors auftreten, die im Film als Handprops bezeichnet werden. 49 Vgl. Börner 2004, 6.
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Das letzte Wort haben jedoch, selbst was die Kostüme angeht, die Finanzen, also die ProduzentInnen. Der Kostümetat wird oft auf der Basis der Entwürfe gerechnet und mit den ProduzentInnen festgelegt. Nicht alle Figuren sind in gleicher Weise modisch angezogen. Denn nichts würde langweiliger wirken als eine Reihe von Personen, bei denen alles korrespondiert. Daher stellt man im Allgemeinen für einen Film Kleidungen aus einem zeitlichen Spektrum von etwa zehn Jahren zusammen. Diese Spannbreite der Kleidungswelt zielt darauf, zugleich die Intensität der Beziehungen zwischen den Protagonisten zu verschärfen oder im Gegenteil Spannung und Dissonanzen zu betonen.
Mode als Thema der Handlung Sowohl ein Kleidungsstück als auch Mode allgemein können als Thema der Filmhandlung dienen. So gibt es eine Fülle von Filmen, in denen eine Modenschau im Laufe der Handlung dargestellt wird oder in die eine oder mehrere Szenen aus der Modewelt eingebaut werden. Dazu zählen auch Filme, bei denen Nebenhandlungen oder die Haupthandlung selbst im Modemilieu stattfinden oder die Modebranche im Detail beschreiben: von dem artigen Film „Dany, bitte schreiben Sie“ (1956), in dem die Sekretärin (Sonja Ziemann) den Modezar (Rudolf Prack) zu besänftigen versucht, bis hin zu „Prêt-à-porter“ (1994) oder „Zoolander “ (2001). In „Die Perlenstickerinnen“ (2004) wird die gerade 17-jährige Claire Moutiers (Lola Neymark) schwanger. Sie zieht sich völlig zurück und findet bei Madame Melikian (Ariane Ascaride), einer Haute-Couture-Stickerin, Arbeit. Daraus entwickelt sich, quasi dem Rhythmus des Stickens folgend, eine dauerhafte und aufmerksame Freundschaft. Abb. 32: „Fausto“
Hinzu kommen jene Filme, in denen ein Kleidungs- oder Modestück das Haupt- oder Schlüsselmotiv der Handlung liefert. In „Borsalino“ (1970) ist das Kleidungsstück bereits im Titel programmatisch verankert. „Fausto“ (1993) von Rémy Duchemin versteht sich als optimistische Retrokomödie: Der aus dem Waisenhaus hinausgeworfene Fausto Barbaricco (Ken Higelin) lernt bei dem jüdischen Schneider (Jean Yanne) nicht nur das Handwerk sowie zahlreiche Sprichwörter, sondern kann nebenbei seiner Modefantasie freien Lauf lassen. Diese wird zusätzlich durch die Tochter des Auto-
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mechanikers (Florence Darel) stimuliert (Abb. 32). Es entsteht am Ende eine in den Medien (im Film) vieldiskutierte und ungewöhnliche Modenschau. Die Filmkostüme entwarf der Designer Philippe Guillotet. Der Film greift den poetischen Realismus der 1930er Jahre auf. In „Raining Stone“ (1993) von Ken Loach steht ein Kommunionkleid im Mittelpunkt der Handlung. Für die Arbeiter regnet es Steine an sieben Tagen der Woche. Dieses chinesische Sprichwort erklärt den Titel des Films. Das Kommunionkleid des Mädchens (Gemma Phoenix) liefert den Vorwand, um ein kritisches Bild der Thatcher-Ära zu zeichnen. Zwei Arbeitslose, Bob (Bruce Jones) und Tommy (Ricky Tomlinson), versuchen mit allen Mitteln, jeden Tag zumindest ein paar Pfund zu verdienen. Weil er seiner Tochter ein Kommunionkleid schenken will, braucht Bob jedoch einige Pfund mehr. In dem komischen und etwa surrealen Film „Das geheimnisvolle Kleid“ (1996) spielt ein schönes Sommerkleid die Hauptrolle. Wir verfolgen die schräge Art, wie dieses von verschiedenen Personen begehrt und getragen wird. „Prêt-à-Porter“ (1994) von Robert Altman wiederum deckt einige Verrücktheiten und Tücken des Milieus mit netten kleinen Pointen auf. In Ben Stillers Film „Zoolander“ (2001) kommen ausgeflippte Modestücke zum Einsatz und dominieren die Handlung: Als der Staatschef von Malaysia Kinderarbeit verbieten will, reagiert die Modemafia voller Empörung. Nach einer Gehirnwäsche soll das männliche Supermodel Derek Zoolander (Ben Stiller) im Auftrag des Modeimperators Mugatu (Will Ferrer) und seiner Assistentin (Milla Jovovich) während einer Modenschau ein Attentat auf den Politiker ausüben. Die Journalistin Matilda (Christine Taylor) und das männliche Hippie-Model Hansel (Owen Wilson) kommen dem Plan in die Quere. Dass der herrlich unsinnige Film in Malaysia auf den Index gesetzt wurde, überrascht nicht. Im Film tauchen auch reale Personen aus der Modebranche auf wie Claudia Schiffer und Karl Lagerfeld. Ein Kleidungsstück kann sogar als Medium des Konflikts zwischen zwei Personen verwendet werden, sei es als Mittel der Konfrontation, als unmittelbarer Gegenstand, als Metapher oder als Indiz des Konflikts. Dadurch können die Spannungsmomente verstärkt werden. Der Ton kann dabei ernsthaft, frivol, tragisch, entspannt, skurril, ironisch, seltsam-wunderlich oder fröhlich oder auch alles zusammen sein. Bekleidungsutensilien können sogar als Mordwaffe verwendet werden, so in der bitterbösen Komödie „Ein ferpektes (sic!) Verbrechen“ (2003), in der Rafael Gonzales (Guillermo Toledo), der Chef der Abteilung für Damenoberbekleidung, von seinem Konkurrenten bei einer Beförderung überholt wird, was dessen „klassischen“ Tod am Kleiderhaken zur Folge hat.
Kostümsequenz: Vorspann und Filmanfang Der Ton und der Stellenwert der Kostüme werden häufig im Vorspann eines Films angedeutet. Die Kunst der Verkürzung, der Kondensierung und der Schärfe hat zu einer regelrechten Spezialisierung im Bereich des Vorspanns geführt. Bereits darin wird verdeutlicht, welche eigene „Kleidungssprache“ ein Film entwickelt. In „Das Mädchen Irma la Douce“ (1963) von Billy Wilder wird z.B. bereits im Vorspann die Beziehung von Kleidung und Musik tonangebend für den gesamten Film und für die Stimmung. Noch bevor uns die Off-Stimme darüber informiert, weiß man, dass Irma als Prostituierte arbeitet.
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Der Anfang eines Films gilt als der schwierigste Teil der Filmkonstruktion: In dieser ersten Phase muss praktisch alles lanciert werden, was den Handlungsverlauf verständlich macht. Dies betrifft sowohl die Protagonisten, die Handlung, die Epoche dieser Handlung und ihre räumliche Dimension, als auch die Erzählform und -technik, die Art der Bildkomposition, den Stil oder den Rhythmus. Im Vorspann entdeckt man also bereits, bildlich gesprochen, das Nähkastchen der KostümbildnerInnen, es stellt eine Art Kurzgeschichte vor dem Film dar, häufig sogar über den Film. Die Narrationstechnik eines Films steht meist in Beziehung zur literarischen Narration, heißt es. Nicht zufällig werden literarische Klassiker aller Genres immer wieder verfilmt. Dennoch gesteht der Philosoph Clément Rosset, wie schwierig es für ihn bei seinem ersten Kinobesuch war, den Faden der Handlung in Cecil B. DeMilles Film „Der Freibeuter von Louisiana“ (1938) zu folgen.50 Der Grund für dieses Unverständnis lag in der Diskrepanz zwischen dem ihm vertrauten literarischen Erzählmodus und dem ihm noch unbekannten Erzählmodus des Films. Im Gegensatz zum Erzählduktus des Buches besteht die Erzählung im Film aus einer zerhackten Folge von Sequenzen, deren Zwischenräume „gefüllt“ werden müssen. Heute hat sich zwar die scharfe Trennung zwischen beiden Gattungen verwischt, da sie sich gegenseitig beeinflussen und durchdringen. Dennoch hält Rosset an seinem ersten Eindruck fest. Obwohl das Kino für ihn inzwischen zu einer zweiten Leidenschaft geworden ist, behauptet er weiterhin überzeugend – und entgegen der allgemeinen Meinung –, dass das Verstehen eines Films schwieriger sei als die Lektüre eines Buches. Dies fange mit dem Vorspann an. Abb. 33: „Gefährliche Liebschaften“
In „Gefährliche Liebschaften“ (1988) von Stephen Frears geht es auch um Sexualität und Verführung am französischen Hof des späten 18. Jahrhunderts. Der Vorspann widmet sich detailliert bis hin zur Pudermaske dem Ritual des Ankleidens am frühen Morgen (Abb. 33), während die Namen des Filmteams vorbeiziehen. Der flüchtige Blick bleibt hier unwirksam. Die Rekonstruktion dieser Szene – im Kopf – verlangt mehr als unsere Aufmerksamkeit. Sie appelliert an unseren gesamten kulturellen Hintergrund. Die Zer50 Vgl. Rosset 2001, 10.
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legung der Handlung, angefangen mit dem Vorspann, in kleine Sequenzen bietet methodische Vorteile für die Analyse des Films. Eine Sequenz steckt voller Überraschungen. Auf diese Weise stellen wir fest, dass jeder Sequenz ein eigener Kleidungslook verpasst wird, der sie von den anderen sowohl unterscheidet als durch ausgewählte Elemente verbindet. Um noch deutlicher zu werden: Nicht selten markiert der Look der Protagonisten die Länge einer Sequenz. Diese Autonomie der Sequenzen und ihre gleichzeitige vestimentäre Verbindung untereinander macht bereits einen Aspekt der Ästhetik aus und, je höher der künstlerische Anspruch, setzt dies bereits beim Vorspann an.
DIE
ÄSTHETISCH-TECHNISCHE
WERKZEUGKISTE
Formwahrnehmung Ein Film ist auch eine Gestaltung von Formen: Formen der Körper, der Objekte, der Architektur und der Landschaft. In Bezug zur Kleidung impliziert Form Volumen, feine Unterschiede, Relief, Bewegung und Intensität. Die Zweidimensionalität des Bildes stört zunächst wenig, da es in unserem Kopf sozusagen dreidimensional rekonstruiert wird. Die Wahrnehmung ist ein ganzkörperlicher Prozess. Bereits um einen winzigen Blick vom Schleier zu erhaschen, werden unsere gesamte Psyche und Nervensystem mobilisiert, samt den dafür notwendigen Gefühlen. Viele ForscherInnen der unterschiedlichsten Fachrichtungen, auch wenn sie sich nicht direkt mit Mode befassen, verweisen auf die aktive Beteiligung des Subjektes bei der Produktion von „Sinn“, also auf die Tätigkeit des Deutens, Ordnens und Konstruierens. Der Begriff „Subjekt“ selbst weist auf das lateinische „subicere“ – d.h. unterlegen oder unterwerfen – sowie auf „subiectum“ – abhängig sein. Die Konnotation ist also zweideutig und konzentriert im semantischen Feld die Idee von Macht und von Unterwerfung gleichermaßen. Das Subjekt, schreibt der Museologe und Anthropologe Marc-Olivier Gonseth, „ist gleichzeitig Schöpfer und Geschöpf des Objektes“.1 Diese Ambivalenz verstärkt sich noch bei der Beziehung von Subjekt und Mode. Dies liegt nicht zuletzt in der Tatsache begründet, dass Kleidung kontinuierlich in engem Kontakt mit dem Körper steht bis hin zur völligen Gleichsetzung. Sie erhält dadurch eine Bedeutungsdichte ohnegleichen. Im Film ist diese Abhängigkeit praktisch total, da Körper und Kleidung nicht zu trennen sind. Die Primärerfahrung, das Sehen, Rezipieren und Einschätzen des Aussehens wird gewissermaßen vormotiviert. Popper spricht in seiner Erkenntnistheorie vom Erwartungshorizont, andere wiederum von projektiver Zielsetzung. In beiden Fällen aber ist das Phänomen stark affektiv gesteuert. Ernst Gombrich, der zwar nicht unbedingt die Mode oder das Kino, dafür aber unsere Wahrnehmung unter die Lupe nimmt, meint dazu, dass erst dieser Erwartungshorizont die Wahrnehmung überhaupt möglich macht.2 Die Vorstellung von Modernität, Klassik, Retro, Szenenlook, Hip-Hop, coolen Klamotten oder abgefahrenem Look darf also nicht als willkürliche Setzung und als oberflächliches Phänomen betrachtet werden, sondern entspricht unterschiedlichen Erwartungshorizonten, die dazu noch vom soziokulturellen Kontext abhängen. Bleiben wir aber zunächst auf dieser primären Betrachtungsebene.
1 2
Gonseth 1984, 14. Vgl. Gombrich 1994, 25.
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So beobachten Popper und Gombrich, wie ungeheuer stark bei Erwachsenen, bei Kindern oder bei Tieren das Bedürfnis nach Wahrnehmung von Regelmäßigkeit ist.3 Gerade diese Wahrnehmungsregel, die von vielen Psychologen bestätigt wird, drängt auch die Mode in ein ambivalentes Spiel. Nicht nur das Bedürfnis nach Kontinuität fällt unter die Kategorie der Regelmäßigkeit, sondern auch die Vorliebe für Symmetrie. Bestätigt dies nun eine Grundvorstellung, in der bestimmte Prinzipien von Harmonie, Formen, Farben, Proportionen, Kontrasten und Gestaltungslinien im Vordergrund stehen? Die Suche nach dem Symmetrischen hat, der heutigen Biologie zufolge, direkt mit unserem Gleichgewichtssinn zu tun. Wenn wir uns bewegen, so Gombrich, erreichen uns Stimuli von links und rechts. Die Regelhaftigkeit dieses Vorgangs vermittelt uns den Eindruck, „dass wir uns auf einem bestimmten Kurs befinden. Diese symmetrische Orientierung, die wir durch unsere Bewegungen erfahren und entwickeln, beherrscht unser Körperbild“ und das der Anderen.4 Da wir uns in Gesellschaft relativ selten nackt bewegen, handelt es sich bei diesem Bild in der Regel um einen bekleideten Körper, also auch um Arrangements der Form, der Farben und der Motive von Kleidung auf dem Körper. Hat nun diese Gestaltung des Körpers durch die Mode grundsätzlich mit Regelmäßigkeit, Ordnung und Symmetrie zu tun? Abb. 34: Mondrian-Kleid von Yves Saint Laurent
Um es auf einfache Weise zu illustrieren, greife ich einerseits auf das Mondrian-Kleid von Yves Saint Laurent (Abb. 34) und andererseits auf Aby Warburgs und Ernst Gombrichs Theorien zurück. Beide haben darauf hingewiesen, dass es nicht darum gehe, die Beobachtung in Einklang mit der Regelhaftigkeit zu bringen – im Gegenteil: Die Bedeutung liege darin, dass diese
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Vgl. Popper 1963, zitiert nach Gombrich 1994, 25. Gombrich erläutert dies am Beispiel eines Flugzeugpiloten bei der Landung, der jede Abweichung sofort korrigiert. Gombrich 1994, 30. Auch Asendorf zitiert dieses Beispiel; vgl. Asendorf 1997, 172-178.
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Regelhaftigkeit ein Bezugssystem anbiete, um die Divergenz von der Regel zu erfassen und zu beschreiben. Dem Regelmäßigen und Erwarteten wird kein Interesse mehr geschenkt, und dadurch bleiben unsere Sinne disponibel, um „das Unerwartete und Überraschende zu prüfen“.5 Das Auge nimmt zwar unbewusst die Symmetrie wahr, sucht jedoch das Merkwürdige, die Abweichung, die Asymmetrie und das Bizarre. Genau dies wird von Yves Saint Laurent und natürlich zuvor von Mondrian selbst illustriert. Yves Saint Laurents Entwurf hat den Vorteil, dass Mondrians Muster am Körper und daher dreidimensional bearbeitet wird. Begriffe wie Besonderheit, Sensation, Extrem, Skandal, Provokation, Verrücktheit oder Aufsehen sowie die Faszination, die sich daraus entwickelt, finden an dieser Schnittstelle ihre Begründung in der Mode wie im Film. Das Asymmetrische – auch metaphorisch verstanden – liefert den Nährboden sowohl für die Ausbildung der Karikatur, für die Kreativität der Modedesigner als auch für das Interesse der Modezeitschriften, der Werbung oder des Visual Merchandising der Modegeschäfte und Warenhäuser. Asymmetrie darf also hier nicht im strengen Sinn definiert, sondern muss eher als Abweichung von der Norm betrachtet werden. Mit der Vorstellung von Symmetrie und Asymmetrie wird jedenfalls die Form allgemein angesprochen. Wir sollten die Bedeutung und Wirkung der Form nicht unterschätzen, vereinfachen oder banalisieren. Ganz gleich, ob philosophischer, künstlerischer oder wissenschaftlicher Art, sämtliche Gedanken der westlichen Kulturen basieren auf der Idee der Form. Die enge Verbindung zwischen Formen der Mode und Körperformen gilt als Binsenwahrheit. Dabei wird angenommen, dass die Form der Mode die des Körpers offenbart. Der Archäologe Philippe Bruneau hat jedoch darauf hingewiesen, dass sich die Beziehung zwischen Kleidung und Körper nicht selbstverständlich ergibt, sondern dass der Schnitt der einen Form sehr selten mit der Beschaffenheit der anderen übereinstimmt. Und gerade mit diesem Gedanken spielte die Kostümbildnerin von „Dracula“, Eiko Ishioka, als sie ihre Kostüme entwarf. Die Farben der Kostüme sind dem Dekor, aber bewusst nicht dem Körper angepasst. Es handelt sich also um zwei getrennte Konstruktionen. Besser gesagt, es sieht so aus, als ob die Beziehungen zwischen den beiden „Formkomponenten“ Körper und Kleidung zu einem dritten Konstrukt hinführen, das ich hier mit „Bild“ bezeichnen werde. Diese Beobachtungen und Feststellungen liefern das Fundament für die Vorstellungsmacht des Kinos in unseren Köpfen. Wie wird also unsere Wahrnehmung in Anspruch genommen? Wie wird die „Formensprache“ in die Logik der Bilder übersetzt? Zuerst wird sie durch die Farbe eingefangen.
Farbverwirrungen Der Frage der Formen geht also zuerst die Frage der Farbe bei den Kostümen voraus. Es ist nämlich das Erste, was wir von Kleidern wahrnehmen. Bereits im alten Ägypten wusste man mit Farben im Sinne der Repräsentation umzugehen. Während man im Alltag eher Polychromfarben – vom Schminken bis in die Medizin – einsetzte, waren die Farben in den bildlichen Darstellungen
5
Gombrich 1994, 30.
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wie auch in der Magie eher monochrom. Hier besaß die Farbe Symbolwert und wurde entsprechend kanonisiert, also für die Ewigkeit stilisiert.6 Immer wieder werden Filmbilder nach Prinzipien der Malerei gestaltet. Die Beziehungen zwischen Malerei, Textilien und Mode sind nicht unbekannt. Textilien bilden seit der Renaissance ein Grundelement der Malerei nicht nur in Bezug zum Inhalt der Bilder, sondern als materielles Fundament bzw. als Bildträger und (stoffliche) Oberfläche, auf die die Darstellung aufgetragen wird.7 Der Film hat mit der Leinwand diese Technik des Bildträgers übernommen. Die Art und Weise, wie Formen und vor allem Farben darauf projiziert, arrangiert und ausgearbeitet werden, deutet allerdings nur eine sehr ferne und vage Verwandtschaft an. Die Rhetorik der Formen und Schnitte ist eine Sache, die der Textilien und der Farben eine andere, auch im Film. Bereits der Schwarz-Weiß-Film stellte die Farbe vor einige weitreichende Probleme. Man benutzte nie die „Farbe“ Schwarz, so die Kostümbildnerin Rosine Delamare, weil sie „wie ein ‚Loch‘ auf der Leinwand wirkte. Es wurde in Marineblau gefärbt. Das Weiß dagegen blendete zu sehr und wurde daher Hellblau gefärbt. Als die Farbe kam, war es eine Katastrophe, weil ein großer Teil der Kostümsammlungen blaugefärbt war“.8 Der Farbfilm beunruhigte nicht nur die Branche, sondern auch die Medien, die Kritik und die Philosophie. „Wird die Farbe je das nuancereiche Spektrum der Schwarz-Weiß-Skala ersetzen können?“, fragte damals Elio Vittorini, als 1936 der Farbfilm für das Kino entwickelt wurde.9 Die Grundfrage nach der Farbe beschäftigt seither das Kino, wie sie zuvor die Malerei jahrhundertelang beschäftigt hatte. Ein Film verweist auf die Charakterzüge einer Person bereits mit den verwendeten Farben. „Für jeden Charakter“, so die Kostümbildnerin Peri de Braganca, „wird eine Farbdramaturgie oder zumindest eine Farbpalette zusammengestellt“.10 Die Bedeutung der Farbe in einem Filmkostüm ist sehr weitreichend. Sie findet sich nicht nur in Bezug zum Charakter und zur Person, sondern auch im Hinblick auf Dekoration und Licht. Dem gilt die erste Auseinandersetzung sowohl der Kostüm- als auch der BühnenbildnerInnen. „Die Farbe der Lüge“ (1998) heißt ein Film von Claude Chabrol, „Rosa, oder welche Farbe hat das Leben“ lautet der Titel eines Dokumentarfilms von Julia Dietmann (2003), der ein Porträt von vier Frauen in Berlin zeichnet. Im Film „Dark Blue“ (2002) von Ron Shelton ist Blau die Farbe der Polizeiuniformen von Los Angeles und der Korruption während der schweren Rassenunruhen von 1992. Mit dem Film „Die Farbe Lila“ (1995), in dem er die Homosexualität einer schwarzen Frau in den Mittelpunkt der Handlung rückt, wurde, so sagte man, Steven Spielberg endlich erwachsen. Die Palette jener Filme, die eine Farbe als Schlüsselmetapher einsetzen, ist breit gefächert. Jeder Film versucht, einen eigenen Farbklang zu entwickeln. In Hitchcocks „Die Vögel“ (1963) wird die Farbdramatik auf wenige Farben kon6 7
Vgl. Lexikon der Ägyptologie 1977-1995, Artikel „Farben“. Die Beziehungen des Stoffes zur Malerei sind vielfältig. Michel Serres beschreibt, wie Bonnard sie versinnlicht hat. Vgl. Serres 1985, 30-41. 8 Delamare, zitiert nach Delpierre 1988, 186. 9 Vgl. Vittorini 2005. 10 Braganca 2001.
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zentriert: zuerst dominieren Schwarz und Weiß, später verdrängt durch Gold und Grün. Die Kostümbildnerin Edith Head passt sich dieser Vorstellung an. Im ersten Teil von „Aviator“ (2003) entdeckt der Regisseur Martin Scorcese die Pastellfarben der 1920er Jahre wieder und damit die dominierenden Zweifarbetechnik Rot und Grün.11 Erreicht wurde dies durch die digitale Bearbeitung der Farben. Aus diesem Grund wurde die Farbe Blau quasi tabu für die Kostüme; die Kostümbildnerin Sandy Powell hat sie daher im ersten Teil des Films konsequent ausgeschlossen. Der zweite Teil hingegen wird von der leuchtenden Dreifarbtechnik der 1930er Jahre beherrscht. Jede Farbe besitzt im Film eine eigene Autonomie, die sich nur mühsam disziplinieren lässt. In Filmen wie „Fire“ (1997) oder „Der Schrei der Seide“ (1996) sorgt die Farbe der Stoffe für Sinnlichkeit, in „Moulin Rouge“ (2001), einer ironischen Farben- und Kleiderorgie (Abb. 35), für Stimmung. In dieser exzessiv-fröhlichen Prachtentfaltung legt Satine (Nicole Kidman) eine gewisse romantische Distanz an den Tag. Romantik ist hier Exotik, Spaß, Magie und Entspannung. Abb. 35: „Moulin Rouge“
In Bezug zu Kostümen sind Farbe und Technik ebenso illusionistisch wie rhetorisch. Sie untermauern dichte semantische Felder, die von den filmischen Konventionen und Diskursen der Zeit der Dreharbeiten abhängig bleiben. Die Farbkonzeption des Films „Ludwig 1881“(1993) beruht bewusst auf einem kleinen Spektrum an Farben. Schwarz ist die Farbe des bayerischen Königs Ludwig II. (Ludwig Berger) und Gelb die Farbe seines Liebhabers, des damals berühmten Schauspielers Josef Kain (Max Tidof), der hier als Hoffnungsträger auftritt. Auf der Bühne, wenn er als Schauspieler steht, verwandelt sich seine Farbe wie auch die aller anderen SchauspielerInnen in Braun. Die Kostüme des königlichen Botschafters sind grau, die Statisten in den öffentlichen Szenen schwelgen in beigen Tönen. Der Hofmeister als Vermittlungsperson zwischen dem König und dem Rest der Welt trägt Anthrazit. Die Kostüme der Dienerschaft sind in einer Mischung aus Braun, Grün und Grau gehalten, die sich den jeweiligen Situationen anpasst. Lakaien, die die 11 Zweifarbtechnik.
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Botschaften und Anweisungen des Königs vermitteln, treten in Blau, Rot und Grün auf. In der Grotten-Szene ist der „Halluzinationsmantel“ des Königs, der über der Hofkleidung getragen wird, aus schwarzem Organza. Auf diese Weise versucht die Künstlerin Barbara Schimmel, „die Fragen des historischen Kostüms als Malerei mit textilen Mitteln zu verstehen, deren ‚Stilwille‘ nicht nur als eine formale Angelegenheit der Komposition entwickelt ist, sondern auch die konkrete Weise der Gestaltung der Inhalte bedeutet“.12 Ansonsten musste sie außerordentlich viel improvisieren und sich später gemeinsam mit ihrer Assistentin die verrücktesten Sachen einfallen lassen, weil das Kostümbudget niedrig und die Probleme enorm waren.13 Der Farbplot eines Films lässt sich leicht beschreiben. Man muss lediglich Szene für Szene die Farbe der Kleidung jedes Protagonisten festlegen. Häufig bedarf es ausführlicher Überlegungen auf Seiten der KostümbildnerInnen, um den Plot zu konzeptualisieren. Die Interpretation setzt voraus, den gesamten Kontext einer Szene zu berücksichtigen. Die Komplexität der Farbe wird noch gesteigert, wenn berücksichtigt wird, dass die Farbcharakterisierung nicht nur die Kleidung, sondern die gesamte Erscheinung einschließlich des Gesichts, des Schmuckes, der Haare, der Kopfbedeckung oder des Haarschmucks, der Fußbekleidung und der Accessoires umfasst. Dabei kann nicht von einer universalen Symbolik der Farben ausgegangen werden, diese sind vielmehr in ihrer kulturellen und historischen Verflechtung zu betrachten. Dies bedeutet etwa, dass Farben, vor allem die Primärfarben, zusätzlich geschlechtsspezifisch determiniert werden können. Da der Film immer seltener Primärfarben, sondern eher subtile Mischfarben verwendet, wird eine eindeutige Zuordnung zunehmend schwieriger. Darüber hinaus ist die Farbe im Film immer form-, material- und kontextgebunden. Selbst Farben wie Rosa und Blau, deren Konnotationen in Deutschland oder in Frankreich bis vor Kurzem traditionell geschlechtsspezifisch markiert waren und teilweise bleiben, sorgen bereits in Italien für Verwirrung. In Italien ist nämlich die Konnotation dieser beiden Farben umgekehrt: Rosa für Buben, Blau für Mädchen. Dies führt jede ideologische Interpretation ad absurdum. Bereits im Schwarz-Weiß-Film beeinflusste die Qualität der Farben auch die der Kontraste, sowie das Spektrum der Zwischentöne den Stil des Films bestimmt. Was die Farbe der Kostüme anging, sah sich der Farbfilm jedoch lange Zeit vor große Probleme gestellt. Technicolor war ein sehr kostspieliges Verfahren, das drei synchrone Filmkopien benötigte – eine für jede Grundfarbe –, die schließlich zusammengesetzt wurden; außerdem erforderte es aufwendige Aufnahmegeräte. Nur der Welterfolg des Films „Vom Winde verweht“, der übrigens selbst einige Probleme bei der Farbgestaltung erlebte, konnte schließlich die Technicolor-Methode durchsetzen. Auch Eastmancolor oder der deutsche Konkurrent Agfacolor erlebten ähnliche oder größere Schwierigkeiten mit Farben. Die Lichtempfindlichkeit der Filme war so groß, dass sich die Farbe der Kostüme je nach Tageszeit und Sonneneinstrahlung veränderte. Jedoch wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Farbe im Kino
12 Schimmel 1999, 128. Detailinformationen sind einem Gespräch mit Barbara Schimmel an der Universität Dortmund (Februar 2006) entnommen. Farbkonzepte beherrschen auch ihre Kostüme in „Die Reise nach Kafiristan“ (2001). 13 Vgl. mündliche Kommunikation durch Barbara Schimmel 2006.
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und der Reiz prachtvoller bunter Kostüme wesentliche Argumente gegen die sich entwickelnde Herrschaft des Fernsehens. Der Farbfilm auf der großen Leinwand wurde bevorzugt für Superproduktionen wie „Das Gewand“ (1953), „Die Wikinger“ (1958) oder „Das war der Wilde Westen“ (1962). Auch europäische Produktionen waren von dieser Farbproblematik betroffen. So erzählt die Kostümbildnerin Rosine Delamare, wie entsetzt sie war, als sich das Silbergrau einer Redingote14 mit etwas dunklerem Reverskragen, die sie für den Film „Rot und Schwarz“ (1954) von Claude Autant-Lara entworfen hatte, im Film in ein hässliches Türkis mit giftgrünem Revers verwandelt hatte.15 Dies sorgte für eine tiefgreifende Missstimmung zwischen der Kostümabteilung und der Regie. Dieselbe Farbe auf unterschiedlichen Stoffen wie Nylon und Seide wirkte völlig ungleich im Film, wobei sich die Farben mit der Beleuchtung noch zusätzlich veränderten. Man kommt nicht zu einer korrekten Einschätzung eines Films wie „Robin Hood“ (1938), wenn man nicht berücksichtigt, dass dieser kurz nach der Erfindung des Farbfilms gedreht wurde. Nur so sind die farbenfrohen Kostüme von Robin Hoods Kumpanen in Sherwood Forest zu verstehen, die sich jeglichem Realitätsanspruch entziehen. Noch heute nehmen wir die munteren Farben als die Hauptakteure des Films wahr. Der erweiterte Tiefenraum im Schwarz-Weiß-Film wurde gern als Befreiung des Zuschauerblickes betrachtet. Im Sinne dieser Sichtweise zielte noch die erste Generation des Farbfilms durch die Stilisierung von künstlichen Bildwelten auf diese „Verweigerung von Wirklichkeitsillusion“.16 Filmtheoretiker warfen damals dem Farbfilm vor, die „mechanische Abhängigkeit der Abbildung vom Urbild“ zu markieren.17 Die fröhlichen Kostümfarben waren ein Mittel, sich erneut davon zu distanzieren. Heute werden den Farben der Kostüme hingegen zahlreiche Qualitäten zugeschrieben. Farbe wirkt bereits als Spannungselement im Hintergrund (Dekor), der eine räumliche Tiefe erzeugt. Dabei schafft sie es, die Aufmerksamkeit zu steuern, wenn etwa eine mit Teleobjektiv gefilmte junge Frau mit rotem Kleid vor dem grünen Hintergrund einer Berglandschaft gezeigt wird. Wie man sehen konnte, verweist auch die Farbe der Kostüme im Film auf Charakterzüge und bietet eine ganze Farbdramaturgie. Jede Farbe besitzt eine eigene historische Tradition, wie es Michel Pastoureau in seiner Untersuchung über die Farbe Blau nachgewiesen hat. Blau war seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Europa die am häufigsten getragene Farbe. Nach der Umwälzungen der Französischen Revolution und vor allem im 19. Jahrhundert wurde sie in der ländlichen Kleidung wie auch in der Großstadtmode von der Farbe Schwarz abgelöst – ein ähnlicher Wandel hatte sich bereits zuvor im 15. Jahrhundert ereignet. Vor dem Ersten Weltkrieg gewann die Farbe Blau ihre privilegierte Stellung wieder, nicht zuletzt bei Militäruniformen.18
14 15 16 17 18
Siehe Glossar. Vgl. Niogret 1996, 55. Schmidt/Feindt 1996, 68. Arnheim 1974, 52. Vgl. Pastoureau 2002, 142.
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Dank Digitalisierung und Computereinsatz hat sich die Kategorisierung der Farbe heute derart verfeinert, dass ein Vergleich mit früheren Farben wie z.B. in den 1920er Jahren kaum möglich erscheint.19 Farben „ziehen die Tiefe der Geschichte und die Psychologie der Figuren ans Licht, bringen subtile Feinheiten und Facetten der Erzählung an die Oberfläche, machen verborgene Struktur sichtbar“.20 Häufig besitzt eine Farbe mehrere Bedeutungen, so die Farbe Blau im gleichnamigen Film von Kieslowski (1993) oder die Farbe Rot in „Vom Winde verweht“ (1939). Rot wird zur Symbolfarbe, angefangen beim Namen der Heldin Scarlett (Scharlachrot), der Familie, des sozialen Milieus und schließlich der ganzen (amerikanischen) Nation.21 So wird der Film auch bis zu den Kostümen hin durchdrungen von der als Symbol eingesetzten Farbe Rot, beginnend mit einer Vielzahl sexueller Konnotationen, die bereits in Margaret Mitchells Buch vorhanden sind. Rot bzw. Pink und Karmesinrot sind z.B. die Kleiderfarben der sozialen Außenseiterin Belle Watling (Ona Munson) – eine Farbe, die sie offen und ohne Hemmung trägt, sogar ihre Haare sind rot gefärbt. Rot kommt selbst unter mehreren Stoffschichten zum Vorschein wie bei Mammys (Hattie McDaniel) Seidenunterrock, den ihr Rhett Buttler (Clark Gable) aus London mitgebracht hat. Auch Scarlett (Vivien Leigh) tritt bei Ashleys (Leslie Howard) Geburtstag in einem überwältigenden roten Krinolinenkleid auf.22 Rot steht in dem Film aber auch für die Gewalt des Bürgerkrieges, für den Brand Atlantas und für das Machtstreben. Der Film knüpft hier also an eine traditionelle soziokulturelle Primärsymbolik von Farben an. In Franklin Schaffners „Planet der Affen“ (1968) indizieren Farben die Gesellschaftsstruktur und die Rangordnung. In der entsprechenden hierarchischen Verteilung tauchen sie auch in der Gerichtsszene auf, eine unübersehbare Anspielung auf die McCarthy-Ära. In Volker Schlöndorffs düsterer „Die Geschichte der Dienerin“ (1990) nach Margaret Atwoods Roman „Der Report der Magd“ grenzen die Farben Weiß, Blau und Rot die Frauen voneinander ab. Bei den Roten handelt es sich um die wenigen übrig gebliebenen noch fruchtbaren Frauen, die wie Kate (Natasha Richardson) wie prachtvolle Tiere behandelt und zu Gebärmaschinen gemacht werden. In „Technolust“ (2002) unterscheiden sich die Replikantinnen, die drei S.A.R.s (Self Replicating Automatons) der Biotechnikerin Rosetta Stone (Tilda Swinton ), Olive, Marine und Ruby von ihrer Schöpferin nur durch die Farbe ihrer Haare und ihrer Kleidung. Ausgehend von der Handlung und den verschiedenen Situationen lässt sich die Farbdramaturgie eines Films und der Kostüme im Detail analysieren. Dies hat Susanne Marschall in ihrem Buch „Die Farbe im Kino“ am Beispiel von Francis Ford Coppolas „Dracula“ (1992) umfassend aufgezeigt. In diesem Film geht die Kostümbildnerin Eiko Ishioka weniger auf die SchauspielerInnen ein – mit all den peniblen Folgen, was die Empfindsamkeit der Gemüter anbelangt – als vielmehr auf die gesamte Bildkomposition, wie sie sich Regie, Kameraführung und Bühnenbildner vorgestellt haben.23 19 20 21 22 23
Vgl. Küppers 2004. Marschall 2004, 48. Vgl. Lippert 1996, 78. Vgl. Lippert 1996, 80. Vgl. Marschall 2005, 241-245.
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Farben bleiben letztlich unbeherrschbar. Ein letzter Rest ihrer Wirkung ist unvorhersehbar. Daher besteht der besondere Beitrag der Dramaturgie der Kostümfarben darin, in Bedeutungsfelder vorzudringen, die über Dialoge, Figurenkonstellationen, Handlung und Erzählstimme filmisch nicht kommunizierbar sind.24 Das Spiel der Farben ist von ebenso großer Vielfalt wie das der Formen, mit dem es sich trefflich ergänzt, um durch die Kombination von Linien und Flächen, Quadraten, Dreiecken und Kreisen, Arrangements und Strukturen und vor allem mittels Kontrasten verschiedenster Art nicht nur die Situation und die Story zu gestalten, sondern um sich auf einen intimen, zumeist subtil affektiv aufgeladenen Dialog mit dem Zuschauer einzulassen. Schließlich spricht Farbe insbesondere die Gefühle an. Ein langer schwarzer Mantel, ein dünner hellblauer Schleier, die Bewegung eines bunten Kleides, ein rotes, mit Schmuck verziertes Haarband in den langen Haaren einer Frau oder eines Mannes: Die optische Wahrnehmung assoziiert je nachdem in uns dunkle Wolken, oder sie lässt strahlende innere Landschaften entstehen, ja sie verwirrt unsere Sinne. Mit der Digitalisierung hat sich das Spiel der Farben erweitert und erheblich verfeinert, gerade was das Aussehen der Protagonisten betrifft. Mittlerweile entspricht dies der Erwartungshaltung des Publikums – meines Erachtens allerdings viel zu sehr. So entwickelt sich die Farbempfindung im Film heute mehr und mehr hin zu einer Schockerfahrung. Dies führt zu einer weiteren verstärkten, nicht unproblematischen Ästhetisierung der Lebenswelt, die ja insgesamt bereits als Tendenz zu beobachten ist. Dahinter verbergen sich möglicherweise die „Symptome“ einer Entsozialisierung, zudem werden neue Kontrollinstanzen und Universalisierungsmuster eingeführt. Dies ist kein Plädoyer gegen die Farbe, sondern gegen diese spezifische Form der „Technisierung“ des Auges und der Wahrnehmung. Dass Farbe mehr als einen technischen Effekt bedeutet, macht Susanne Marschall mit ihrer subtilen Annäherung an die Farbe Blau deutlich. Mit ihrer schillernden Metaphorik, bildlich wie sprachlich und sozial, überschreitet die Bedeutung dieser Farbe die Enge der rein technisch orientierten Wahrnehmung und findet ihren Weg auf wunderbare Weise im Klang der BluesMusik. „Der Blues trägt die Farbe der Trauer sogar in seinem Namen. Blues-Noten sind Töne, die labil intoniert sind. [...] Solcherart absteigende Tonfolgen gehören seit Jahrhunderten zu den Kennzeichen der Trauermusik. Niedergeschlagenheit, Traurigkeit, Trübsal scheinen ihre Beschaffenheit mit der Farbe Blau zu teilen, sie sind starke und undefinierbare Gefühle, besitzen wie Himmel und Meer keinen festen Umriss. Blau ist ungewiss, stets auf der Flucht“.25
Film- und Modeästhetik Farbe und Formen gelten als zentrale Merkmale heutiger Filmästhetik. Die Frage der Ästhetik berührt dabei weniger Erklärungsmuster als vielmehr Interpretations- und Bewertungsmuster. Die Beziehung der medialen Repräsentation (Kino, Fernsehen, Fotografie) zur „Realität“ ist komplexer Natur 24 Vgl. Marschall 2005, 238. 25 Marschall 2005, 61.
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und beginnt bereits bei der Definition dieser Realität, da wir über keinen direkten Zugang zur realen Welt verfügen, sondern sie mit Hilfe unserer „Apparatur“ erfinden. Es handelt sich im Film immer um dicht strukturierte Re-Konstruktionen oder um Konstruktionen nach der „realen“ Welt. Filme, Fotografien oder sogar Fernsehberichte folgen dabei nicht den Regeln der realen Welt, sondern eigenen, auch ästhetischen Regeln. So reflektiert ein Film zwar reale Erfahrungen von Menschen, montiert diese jedoch auf bestimmte bildliche und narrative Weise, um sie für den Zuschauer nachvollziehbar zu machen. Die herausragende Stellung der Kostüme in der Ästhetik des Films braucht kaum noch unterstrichen zu werden, denn diese werden von der Regie als filmstilistische Mittel von vornherein einbezogen und mit bedacht. So begleiten subtile Make-up- und Kleidungsdetails die innere Verwandlung der zwei Heldinnen in „Thelma und Louise“ (1991), während der Rhythmus und das Tempo der Musik – wie häufig in Roadmovies – die Situation dramatisch auflädt. In einer solchen Situation können, aus ästhetischer Perspektive betrachtet, eine Sonnenbrille oder ein Cowboyhut dieselben Bedeutungsdimensionen erhalten wie die atemberaubende Landschaft Arizonas. Die kompositorische Dimension gibt zugleich die künstlerische Tendenz eines Films vor. Ein Film gilt daher grundsätzlich ipso facto als ästhetisches Werk. Da dies als selbstverständlich vorausgesetzt wird, wird Nelson Goodmans Frage „When is art?“ nie gestellt. Aber dieses ästhetische Apriori steht unauflösbar in Zusammenhang mit der Idee, der Moral und der Technik des Films. Dieser widersprüchliche Zusammenhang spiegelt sich bestens in der Bemerkung von Luc Moullets, die Moral sei eine Frage der Kamerafahrt und in der entsprechenden Gegenposition Jean-Luc Godards: Die Kamerafahrt sei eine Frage der Moral.26 Die formale Dichte sowie der expressive Reichtum liefern ausreichend Material, um einen Film in der Analyse als „großen Klassiker mit hohem künstlerischen Anspruch“ einzustufen. Autoren wie Barthes, Beardsley, Metz oder die der „Cahiers du Cinema“ vertreten die Auffassung, dass Filme selbst den Anlass zu einer bestimmten ästhetischen Erfahrung liefern.27 Damit wird die ästhetische Erfahrung zum Kern der Filminterpretation und der Expressivität. Wird ein Film als Kunstwerk betrachtet, so bedeutet dies, die verschiedenen Verfahren und Techniken nach den normativen Beschreibungs- und Interpretationsweisen, wie sie auch in der Kunstgeschichte üblich sind, zu bewerten. Mehr denn je spielt die Bewertung der Kostüme dabei eine gewichtige Rolle; beinahe jede zweite Filmkritik erwähnt sie. Die Ästhetik führt daher immer auch auf eine kritische Rezeptionsgeschichte zurück, da eine axiologische neutrale Ästhetik nicht existieren kann. Die Kunstgeschichte spricht gern von einer Auflösung der traditionellen Ikonografie seit Anfang des 20. Jahrhunderts.28 Wenn wir jedoch die Kostüme in den Mittelpunkt der filmischen Aufmerksamkeit stellen, erkennen wir, dass diese Ikonografie sich in leicht variierter Form in der Welt des 26 Vgl. Jullier 2002, 8. 27 Vgl. Beardsley 1981. 28 Vgl. Kopp-Schmidt 2004, 181.
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Films bis heute fortsetzt. Die Kleidung stellt uns präzise Anhaltspunkte zu verfügen, um die Deskriptionsanalyse methodisch durchzuführen wie bildräumliche Komponenten und das Grundverhältnis der Dinge zueinander, Auswahl des Motivs, die Personen, die Inszenierungstechniken und -effekte, die Dramaturgie und weitere bildanthropologische Informationen. Dieses Vorgehen ist sowohl bei Historienfilmen wie „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ (2003) anwendbar als auch bei Gegenwartsfilmen wie „Goodbye Lenin“ (2003) oder „L’Auberge espagnole. Ein Jahr in Barcelona“ (2004). In der gesamten Filmgeschichte lässt sich flächendeckend beobachten, wie eng die Geschichte der Mode und die des Kinos miteinander verflochten sind. Insbesondere die selbstreferentiellen Zitate – also des Kinos über sich selbst und der Mode über sich selbst – beanspruchen viel Raum, gerade auch in Bezug auf die Ästhetik. Zur dieser Ästhetik gehört auch die Musik.
Musik, Musicals und Mode Wenn man sich das Pop-Märchen „Sonnenallee“ (1999) anschaut, wird man den Eindruck nicht los, dass die Musik auch einen sozialen und politischen Kontext vermittelt. Die Lieder der Rolling Stones seien das hintergründige Argument des Films, so äußerte sich damals die Presse, und dass der Film vermutlich mehr zur deutsch-deutschen Verständigung beigetragen habe als sämtliche politischen Appelle zusammen. Musik und Klamotten gehen hier eine völlig symbiotische Beziehung ein: Jeans, T-Shirts, Turnschuhe, Miniröcke, Uniformen. Abb. 36: „Sonnenallee“
Die Handlung sucht sich ihren Weg durch das Alltagsleben von DDRJugendlichen zwischen Anpassung, Pubertätsproblemen und Rebellion. Auf die Frage, warum sie sich die 1970er Jahre ausgesucht haben, antworteten die Autoren Leander Haußman und Thomas Brussig, dass sich die DDR eigentlich immer in den Siebzigern befunden habe. Die Mode der 1970er Jahre sei im Grunde fast eine eigene Kreation.29 Sie gehört entsprechend zur intimen Körpersprache der Kult-Tänze des Films (Abb. 36), der in Deutschland fast genauso berühmt wurde wie der Tanz in „Pulp Fiction“ (1994).
29 Vgl. http://www.kinoweb.de/film99/Sonnenallee. 2000.
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Narration und Medialität sind im Film nur schwer zu trennen, weil die Form der Narration im Film medial gebunden ist. Auch hier stellen die Kostüme eine besondere Form der medialen Bindung dar. Eine weitere mediale Bindungsform liefert die Musik. Nochmals zurück zu „Das Piano“: Die Handlung wird nicht nur durch die Kostüme, die Gegenstände selbst – die Hauptfigur des Films ist das Piano –, das Dekor oder die Kameraführung dramatisiert, sondern ebenso durch die Musik. Die Musik entfesselt Kräftefelder, die allmählich Besitz ergreifen von Adas Fingern in ihren schwarzen Handschuhen, vom Strand, von der Landschaft und von unseren Gefühlen. Die Welt, auch die der Textilien, ist Klang. Der Einfluss der Musik auf Zeit und Raum ist unmissverständlich erkennbar. Dies gilt auch für den Film „Der letzte Mohikaner“ (1992): Der anfangs leise Trommelrhythmus steigert sich zum Crescendo, und langsam verbreitet sich der Klang in der Landschaft, um schließlich beim langsamen Erscheinen des Titels in einem bombastischen Ton zu explodieren. Stanley Kubrick betrachtet die Musik als den „Kitt, der die Bilder zusammenhält“, als dritte Dimension des Films.30 In seinem Film „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968) entwickelt die Musik eine Zeit- und Raum-Beziehung, in der Weltbild und musikalisches Bild ineinander greifen. Dies gilt auch für „Uhrwerk Orange“ (1971) oder „Eyes Wide Shut“ (1999). Zeit hat immer – wie in der Mode – eine zentrale Bedeutung in der Musik. Weit über neunzig Prozent der westlichen Filmkompositionen befürworten allerdings die Dreiklang-Musik. Der Moderhythmus ist im Film gewöhnlich freier und fantasievoller. Abb. 37: „The Commitments“
In „The Commitments“ (1991) stellt sich zu Beginn des Films eine lange Reihe von Bewerbern für die Gründung einer Band vor. Die Verbindung von Mode und Musik wird ironisch unterstrichen: Joan-Baez-Look, Flower Power-Look, Punk-Look, Hard Rock-Look, jeder Musikstil wird mit dem entsprechenden Look ausgestattet. Eine kakophonische Warteschlange aller Laiendarsteller bildet sich auf der Treppe des Hauses. Sie stellt eine Metapher der Situation in den 1990er Jahren dar, in der Dublin mit mehr als 1.200 Bands geradezu die „Musikhauptstadt Europas“ war.31 Der Roman „Dublin Beat“ des gebürtigen Dubliners Roddy Doyle inspirierte den Regisseur Alan 30 Peitz 1993, 69. 31 Vgl. Schläfer/Baacke 1994, 188-192.
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Parker. Von den sozial-psychologischen Problemen im chaotischen Lebensweg der Band erzählen bereits die Kostüme. Nur eine Sache scheint sie wirklich zusammenzuhalten: die Musik (Abb. 37). Als sie aber endlich begeistert gefeiert wird, bricht die Gruppe auseinander. Die Typisierungsmuster der Kostüme knüpfen an die der Musik an und umgekehrt. Ihre heutige Stellung im Film verdankt die Musik nicht zuletzt der Entwicklung der Filmakustik und der technischen Ausstattung der Kinosäle: Der Ton gewann immer mehr an Bedeutung und auf einmal schienen Flugkörper durch den Raum zu rasen, die Erde vibrierte und riesige Flutwellen überfluteten donnernd die Köpfe der Zuschauer. Sound-Design heißt heute die Bearbeitung der Klangwelt.32 Wenn die Musik die „Duftmarke des Kinos“ (Christiane Peitz) darstellt, so bilden die Kostüme die Windrose eines Films, damit sich die ZuschauerInnen überhaupt orientieren können. Dennoch kann die Musik ähnlich wie die Kleidung bewusst gegen das Harmonisierungsprinzip gesetzt werden, z.B. in Kriegsszenen, die mit fröhlicher Rock- oder Popmusik unterlegt sind wie in „Apocalypse Now“ (1979), „M.A.S.H.“ (1970) oder „Catch 22“ (1970). Allerdings wird die goldene Regel, die Musik auf höchstens ein Drittel des Films zu begrenzen im heutigen Film längst überschritten. Im heutigen Kino gebe es keine Musik, sagt ein Komponist, „außer an der falschen Stelle. Filmmusik ist Etikettenschwindel. Dabei wird häufig gestohlen, was das Zeug hält. Heute regiert Spätromantik in allen Lagen, Country Music für Lokalkolorit, Boulez für den Weltraum, das Saxophon für New York, Bartok und Strawinsky für den Thrill, Barockimitate für den Kostümfilm“.33 So wird selbst ein ambitionierter „Kostümfilm“ wie „1492. Die Eroberung des Paradies“ (1992), in dem Kolumbus (Gérard Depardieu) als Sozialrebell und gebrochener Idealist dargestellt ist, überflutet von Vangelis Musik. Als Kraftfelder des Lebens rufen die Bewegungen der Musik zahlreiche Konnotationen hervor, die – wie bei den Kostümen – kontextuell gebunden sind. Was zur Folge, dass dieselbe Musik in dem einen Film völlig anders wirkt als in einem anderen oder in einer Szene anders als in einer anderen. Die Musik wie auch die Kostüme wirken also formbildend. Allein die Ouvertüre in Sally Potters Film „Orlando“ (1992) und die Bearbeitung des Tons durch „Isolierung“ von Lied und Stimme auf dem Schiff besitzen eine direkte räumliche Wirkung. Die Kostüme deuten dabei die historische Dimension dieser Räumlichkeit an. Die Musik repräsentiert und stellt dar, selbst wenn ihre Ikonizität nicht mit der der Bilder vergleichbar ist. Sie bildet Emotionen ab oder stellt epische Bezüge her. Ebenso kann die Musik Bewegungen in Verbindung mit Kostümen illustrieren, ernsthaft oder auf parodistische Art und Weise wie in der Schlafzimmerszene in „Clockwork Orange“ (1971). Die Geschwindigkeit der Bewegungen beim Ausziehen, Anziehen und beim Liebesakt wird anhand eines beschleunigten Musikzitats – der Ouvertüre aus „Wilhelm Tell“ – karikiert. Die vorhergehende Szene zeigt, wie Alex (Malcolm McDowell) mit langem Mantel als Verweis auf seine Männlichkeitswahn durch ein korridorartiges Geschäft läuft und sich an der Theke die beiden jungen Frauen „angelt“. Die langen Schritte durch den Korridor – auch ein Leitmotiv in 32 Vgl. Fluckiger 2002. 33 Peitz 1993, 69.
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Kubricks Filmen – werden nicht nur durch die Kamerafahrt, sondern vor allem durch die Musik dynamisiert. Der Mantel und die Musik sind die zwei Hauptelemente dieser Szene. Schuluniformen dominieren das Bild am Anfang des Films „Der Club der toten Dichter“ (1989). Dabei werden Geräusche als Musik stilisiert. Aus dem Wind in den Bäumen, dem Klang der Internatsglocke, den Schritten, den Rufen der Schüler wird eine musikalische Komposition erzeugt. Was unterscheidet eigentlich Sprache, Rufe, Gesang, lautes Denken, innere Monologe, Kommentare, Erzählstimmen, Wind- oder Straßengeräusche von Musik? Im Grunde handelt es sich nur um kulturelle Etikettierungen, die physische Phänomene kennzeichnen, aber zum demselben Repertoire gehören. Die Dreiteilung Sprache, Geräusche und Musik stammt aus der Anfangszeit des Films, als die Tontechniker für die Mischung des Tons ein Aufnahmegerät mit verschiedenen Eingängen benutzten: einen für die Musik, einen für die Stimmen, einen für die Geräusche. Nicht einbezogen, aber zu erwähnen ist noch ein weiterer allgemeiner Eingang. Die Tonreproduktion ist dabei ebenso künstlich und stilisiert wie die Kostümherstellung. Jeder weiß heute, dass die Tonmannschaft über ein umfangreiches Arsenal verfügt, um „natürliche“ Töne und Geräusche vom Ruf der Schwalben bis hin zu Donner und Sturm nachzuahmen. Anschließend wird alles mit Computer nachbearbeitet. Selbst ein Echo, also die archaischste Form der Reproduktion von Tönen, ist im Film ein Konstrukt. Je nach Situation und Absicht kann vieles Musik werden.34 Ein richtiges pathetisches Musikstück taucht nur einmal in „Der Club der toten Dichter“ gegen Ende auf, ansonsten bilden allein die Geräusche die Musik im Film. Auch in Peter Weirs Film „Picknick am Valentinstag“ (1975) werden Geräusche zur Musik. Die Dramatik der Geräusche wird darin häufig mit der der Kostüme vermischt, so z.B. am Anfang des Films, bei dem die Schuluniformen und die Geräusche, ohne dass etwas Besonderes passiert, dramaturgisch die Atmosphäre eines ganz gewöhnlichen Schulmorgens schaffen. Bereits in dem in breiten Format der 70-mm-Technik gedrehten Film „Playtime“ (1967), setzte Jacques Tati wie nie zuvor die Möglichkeit der Tonspuren für eine intim anmutende Szene ein: So folgt das Gehör des Publikums gleich zu Beginn den Schritten einer jungen Frau, bevor erkennbar wird, dass sie ein enges, modisches Kleid mit Stöckelschuhen trägt. Wir wissen nicht einmal, wo wir uns befinden: Es könnte sowohl in einem Krankenhaus sein als auch am Flughafen oder in einer Messehalle. Die Frau im Bild könnte von der Form und der Farbe der Kleidung her ebenso eine Stewardess, eine Messehostess oder eine Krankenschwester sein. Tati lässt sich viel Zeit, um ihre Schritte von links nach rechts auf der Leinwand mit aller Deutlichkeit anklingen zu lassen. Erst gegen Mitte der 1970er Jahre mit dem Dolby-Stereo-System und dank Spielberg, Scorcese oder Coppola werden Flugzeuge aus allen Ecken des Kinosaals über unsere Köpfe hinwegfliegen und Musikwellen über uns hinwegfluten. Die heutige Verfeinerung des Sound-Designs durch die Digitalisierung sagt viel aus über die Qualität des Tons, nichts hingegen über jene der Musik.
34 Vgl. Jullier 2000, 27.
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Das Rascheln eines Rockes, das leichte Geräusch eines Schuhes oder der Lärm von Stiefeln auf Asphalt zeigen nebenbei, dass auch Kostüme selbst tondramaturgische Bedeutungen annehmen können. Sogar Modeszenen und Personen werden durch die Musik charakterisiert, etwa Vivian Ward mit dem Lied „Pretty Woman“ bei der berühmten Anprobeszene im gleichnamigen Film. Musik trennt oder verbindet im Film das „Reale“ und das „Fiktive“. Sie hebt Details hervor. Sehr deskriptive Filmmomente können mit komplexen Musikformen illustriert werden. Der Einfluss der Musik auf Raum und Zeit ist immens. Die „Illusion“ der Musik ist wirkungsvoller als die der Bilder, weil sie sich nur schwer zurückverfolgen lässt. E.T., der Außerirdische in Steven Spielbergs Film, spricht mit einer Stimme, die aus einer komplexen Mischung resultiert, an der mehrere Hunde, ein Waschbär, eine alte Frau und die Stimme Debra Wingers beteiligt waren.35 Keine Analyse der Welt kann so weit zurückgehen, und es macht wenig Sinn, dies tun zu wollen. Atmosphäre herstellen, Bewegungen illustrieren, Emotionen abbilden, gesellschaftliche Kontexte vermitteln: Jürgen Schneider unterscheidet in seinem Handbuch über Filmmusik zwischen 20 verschiedenen Charakteren oder Eigenschaften der Musik im Film36 – eine Differenzierung, die ebenso für die Kostüme gelten könnte. Musik und Mode sind zwei Hauptelemente des Musicalfilms. Das Genre Musical bedeutet vor allem, dass im Film getanzt und gesungen wird, und Tanzformen sind mit Kleidungsformen aufs Engste verbunden. So scheint die Tanzreform zu Anfang des 20. Jahrhunderts ohne die Kleidungsreform nach antikem griechischem Vorbild unvorstellbar. Die Bilder der Startänzerinnen Loie Fuller oder Isadora Duncan prägen die Epoche, aber mit ihnen auch der Name des Couturiers Mariano Fortuny. Isadora Duncan trug das berühmte plissierte Delphos-Kleid von Fortuny nicht nur zum Tanzen, sondern ebenso im Alltag.37 Von Anfang an interessierte sich der Film für alles, was sich bewegt, ganz besonders auch für Sportler und Tänzer. Nur selten tauchen Volkstänze oder regionale Folkloretänze im Musicalfilm auf. Selbst der moderne Tanz erfreut sich keiner besonderen Beliebtheit, denn von den Filmleuten wird er häufig als zu konzeptuell etikettiert. Eine Ausnahme bildet Pedro Almodovar, der sich in „Spricht mit ihr“ (2002) auf den Spuren Pina Bauschs bewegt, ein Film, in dem auch die Kostüme eine große Rolle spielen. Vor allem drei Tanzgenres beherrschen den Film, und dies nicht nur im westlichen Kino: der klassische Tanz, der Paartanz und der Kabaretttanz. Der Film „Der König tanzt“ (2000) von Gérard Corbiau zeigt, wie sich im 17. Jahrhundert die klassischen Tanzformen im Einklang mit der Mode am Hof institutionalisiert haben, eine historisches Erbe, das bis heute seine Fortsetzung im Film findet. Paartänze – auch Sporttanz genannt – spielen weniger mit Stereotypen als dass sie die Geschlechterbeziehungen immer wieder in konfliktreichen und leidenschaftlichen Auseinandersetzungen vorführen wie in „Tango“ (1998), „Salsa“ (2000) oder „Havanna Nights“ (2004). Zu diesem Strang zäh35 Vgl. Jullier 2000, 29. 36 Vgl. Schneider 1988; vgl. auch Faulstich 2002, 141-142. 37 Vgl. Duncan 1928.
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len auch Filme der 1980er Jahre wie „Fame“ und „Flashdance“ und ihre Fortsetzungen in der Funk- und Hip-Hop-Richtung. In all diesen Filmen ist die Prägung der Kostüme allgegenwärtig. Nicht weniger verschlüsselt geht der Kabaretttanz vor, angefangen von „Chicago“ (1927) über „Der Blaue Engel“ (1930), „Cabaret“ (1972), „Moulin Rouge“ (2001) bis „Chicago“ (2002). Selten wurde der weibliche Körper so fetischisiert wie in den Kabaretttänzen des Kinos, und dies nicht zuletzt auch durch die Kleidung. Er bildet den Ort der männlichen Fantasmen schlechthin. Sowohl die Kameraführung als auch die Kostümdarstellungen brechen hier häufig mit den üblichen Grenzziehungen. Und auch hier entfaltet jeder Musicalfilm sein eigenes Kostümdesign. Wenn man die Filmgeschichte unter dieser Perspektive betrachtet, wird man mit einigen interessanten Überraschungen konfrontiert: Ein Film wie „Singin’ in the Rain“ (1952) scheint in Bezug zum Tanzkleid den Minirock fünfzehn Jahre vor seinem Auftritt in der Mode durch Mary Quant und Courrèges zu antizipieren. Zwar vollzieht sich dies im Kontext des Tanzes durch die Nähe zum Tutu, doch liegt die Vermutung nahe, dass der Film durchaus eine mögliche – unbeabsichtigte – Test- oder Experimentierbühne für modische Ideen bieten kann. Als ich mit Studierenden der Universität Dortmund die Modenschau des Films „Singin’ in the Rain“ anschaute und die klassische Frage stellte, um welchen Kleidungsstil es sich handelte, kam prompt als Antwort, hier würden Kleidungsstücke, die auf den Zeitstil der 1920er und 1930er Jahre abgestimmt seien, für den Geschmack der 1950er Jahre inszeniert. Die Körpersprache der 1950er Jahre wird in den Formen der 1920er Jahre zelebriert, was neuartige Körper- und Kleidungssynthesen entstehen lässt. Die berühmteste Passage des Films „Singin’ in the Rain“ stellt nicht nur das Lied selbst und den Tanz Gene Kellys dar, auch das Spiel mit zwei Accessoires – dem Regenschirm und dem Hut – gehört dazu. An genau diese Szene knüpft Stanley Kubrick in „Uhrwerk Orange“ (1971) an, als die Droogs das Haus der Alexanders überfallen und dabei Masken mit phallischen Nasen tragen. Mit seinem Stock gibt Alex seinen Droogs wie ein Dirigent den Takt an und beginnt nach der Choreografie von „Singin’ in the Rain“ zu tanzen und zu singen. Der Takt wird durch brutale Gesten akzentuiert bis hin zur Vergewaltigung von Mrs. Alexander – sie ist symbolisch auch entsprechend in Rot gekleidet. Die Darstellung von Gewalt erreicht hier, ohne dass Kubrick auf voyeuristische Effekte eingeht oder die Szene zeigen muss, suggestiv einen Höhepunkt. Ein weiteres Musical von Stanley Donen beschäftigt sich nicht nur mit Kostümen, sondern mit der Mode. Die Handlung von „Funny Face“ (1957) spielt in der Modebranche. Abgesehen von der Musik bietet er ein Festival der Modeformen, der Farben und der Bewegungen, kurz: alles, was einen Musicalfilm charakterisiert. Er zelebriert fröhlich und ohne Hemmungen die Existenz des Farb- und Tonfilms. Bei Musicals denkt man spontan an Hollywood oder an den Broadway, nicht an Bayreuth oder Salzburg. In der Tat erschiene es merkwürdig, wenn zwei Drittel der Besucher die Stadt Salzburg nicht wegen Mozart, sondern wegen eines Musicals besuchen würden. Doch genau das ereignet sich jedes Jahr von Neuem. Ich erinnere mich, als ich in Phoenix/Arizona gegenüber einem
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Bekannten die Stadt Salzburg erwähnte und dieser sofort anfing, das Lied „Edelweiß“ zu singen. Mit Dirndl oder karierten Röcken, langen Kniestrümpfen, Schürzen, Haarbänder und Zöpfen wurde die Familie Trapp 1965 weltweit bekannt. Die lebhafte Protagonistin des Films „The Sound of Music“ von Robert Wise, Maria (Julie Andrews), wird als Gouvernante bei dem verwitweten Marinekapitän von Trapp (Christopher Plummer) untergebracht. Die Art, wie er seine sieben in Matrosenanzüge gekleideten Kinder jeden Tag streng inspiziert, zeigt, dass er feste Erziehungsprinzipien hat. Der Konflikt mit der neuen Gouvernante ist damit vorprogrammiert. Hollywoods Musicalsound, eine zuckersüße Familiengeschichte, traumhaft kitschige Dekors, ein Happy End und der Aufstieg der Nazis im Hintergrund brachten dem Film 1966 fünf Oscars ein. Seither setzt sich die heimliche Beliebtheit des Films fort und bringt Jahr für Jahr Scharen von Touristen aus allen Ecken der Welt in die Mozart-Stadt. Die Neuerscheinung der ungekürzten Fassung auf DVD 2005 hat das Phänomen sicherlich nicht gebremst. Warum der Film weder in Deutschland noch in Österreich ein Erfolg wurde, ist eine andere Geschichte. Wechsel, Rückkehr, Variation, Analogie und Assoziation kennzeichnen ein Musical. Formkompositionen und rhythmisch-farbige Elemente der Kostüme vermischen sich dabei mit choreografisch gestalteten Körperbewegungen und entwickeln, unterstützt von der Technik, den Stil des Films. Dies gilt für Kellys und Donens „Singin’ in the Rain“ in gleichem Maße wie für Carlos Sauras „Carmen“ (1983), wobei beide Filme völlig unterschiedliche Klangfarben, Geschwindigkeiten, Bewegungen, Motive und Kostümbilder schaffen – also eine völlig voneinander abweichende musikalische und kostümbildnerische Dramaturgie und Ästhetik. Das Musical fängt für mich mit jenen Filmen an, die etwas mehr als bezaubernden Tanz, Musik und Kostüme zu bieten haben, so „Les Parapluies de Cherbourg“, „Cabaret“ und „Dancer in the Dark“. Sauras „Carmen“ (1983) gehört zu diesem neuen Musicaltyp. Die fröhlichen Farben der Flamenco-Kleider der Frauen in „Carmen“ und die Musik charakterisieren auf geradezu symbiotische Art den Film, so angepasst sind die einen an die anderen. Sie sind nicht nur im Film, sondern auch kulturell als Synthese zu betrachten. Um seine Tanzshow zu vollenden, sucht der Choreograf Antonio (Flamencostar Antonio Gades) noch eine Tänzerin für die Hauptrolle. Er findet gemeinsam mit seinem Freund Paco (Stargitarrist Paco de Lucía) seine Carmen (Laura del Sol) in einer Flamencoschule. Die Verbindung zwischen Frauenbrust und Stierhörnern – ein Motiv, das mehrmals wiederkehrt – teilt uns deutlich die Symbolik des Films und der Tanzstücke mit. Carmen hat allerdings nicht nur den Vornamen mit der Zigeunerin in Prosper Mérimées Novelle gemeinsam, sondern auch deren Temperament (Abb. 38). Es sind vor allem die Flamenco-Kostüme, die hier auf Charakterzüge und auf die Erotik verweisen. Bei den ersten Tanzschritten vor Antonio trägt Carmen zwar rote Tanzschuhe und ein rosafarbenes Hemd, ist jedoch in Bluejeans gekleidet, womit sie zum Ausdruck bringt, dass sie Antonio längst hinter sich gelassen hat. Wie kommt es zu dieser symbiotischen Kooperation zwischen Tanz, Musik, Kostümdesign und Kameraführung?38
38 Vgl. Freisen 2000, 101-118; vgl. Zeul 1997, 26-42.
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In welchem Maße die Erotik zum Medium und künstlerischen Motiv dieser Zusammenarbeit wird, bezeugen praktisch alle Tanzszenen. Sie findet bereits einen ersten Höhepunkt in der Szene in der Tabakfabrik, einem wahrhaftigen Stück der Filmgeschichte. Ganz leise setzt die Szene mit dem Rhythmus des Händeklopfens auf den Tischen ein, dann folgen die Stimmen der Sängerinnen und schließlich der Klang der Flamenco-Schuhe. Das bedrohliche Face-to-Face der zwei Rivalinnen Cristina (Flamenco-Startänzerin Cristina Hoyos) und Carmen findet ihren Ausdruck auch in den Farben der Kleidung: mehrheitlich Schwarz für Cristina, Schwarz und Scharlachrot für Carmen. Die Bewegungen von Körpern und Kleidern sind so ineinander verschmolzen, dass die einen ohne die anderen keinen Sinn hätten. Die Musik formt die Bewegungen der Kostüme und der Körper und wird zugleich von ihnen geformt. Die dichte Atmosphäre, die damit erzeugt wird, stiftet ein Feuerwerk an Gefühlen und Lebenslust. Abb. 38: „Carmen“
Mehr und mehr verwischt sich im Film die literarische Vorlage mit der Realität, so dass zum Schluss die eine von der anderen nicht mehr zu unterscheiden ist. Leidenschaft, Eifersucht und schließlich Mord gehen von der Fiktion in die „Realität“ über. Die literarische Vorlage Mérimées wird vor dem Hintergrund der Flamenco-Musik von Paco de Lucía, vermischt mit der Musik von George Bizet kompakt und mit viel Humor in der stimmungsvollen Festszene wiedergegeben. Kleidungsdetails und Accessoires rücken dabei in den Vordergrund, etwa bei der kurzen Szene mit dem Torero, in der die Trennung zwischen Off-Musik und In-Musik – als narrative Komponente oder als Teil der Handlung – aufgelöst wird. Die Vorlage mit ihrer klischeehaften Handlung nimmt Saura zum Anlass, die Übertragung von einem Medium zum anderen ebenso feinfühlig wie prägnant zu thematisieren: vom Roman zur Musik, von der Musik Bizets zur Flamencofassung, von der Musik zum Ballett, vom Ballett zum Text, vom Text zum Drehbuch. Der Schnitt und vor allem die Großaufnahme-Technik, die sich nicht nur auf die Gesichter richtet,
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sondern auf einzelne Details und Bewegungen und nicht zuletzt auf die Schuhe und insbesondere auf die tanzenden Füße, steigern zusätzlich die Dramatik und die enorme Vitalität des Tanzes. Dieser zweite Film in Sauras Flamenco-Trilogie – mit „Bluthochzeit“ (1981) und „Liebeszauber“ (1986) – machte die andalusische Musik bekannt und in Deutschland wurde „Carmen“ zum Sinnbild der Sinnlichkeit. Dem entsprach eine Renaissance des Flamenco in Spanien. Als Saura 1995 für den Film „Flamenco“ 300 Musiker und viele bekannte Flamenco-Interpreten engagierte, der im stillgelegten Bahnhof von Sevilla gedreht wurde, schuf er etwas völlig Neues jenseits aller sozialromantischen Klischees. Er verzichtete auf jede Form üppiger Inszenierung, auf jedes Dekor, nicht aber auf die Kostüme, die so entscheidend für die Körper und für die Musik wurden. Auf die Frage, was Flamenco sei, antwortet Saura: „Arabische Liebeslieder, gregorianische Choräle, kastilianische Gesänge, die Stimme, die Musik der Gitanos, die aus dem fernen Indien kamen, um jene Musik zu schaffen, die wir Flamenco nennen und die sich durch Gesang, Tanz und Musik kennzeichnet“.39 Tanz im Film formuliert im Allgemeinen eine vierfache Strategie des Körpers: erstens die Dynamik der Bewegung, zweitens die Gestaltung des Körpers, drittens ihre filmische Darstellung und viertens die Kontrastierung und meist die Bestätigung der klassischen Gendertopik. Darin vereinigen sich der Konservatismus des Blicks und die Modernität des Instrumentariums. Dieses Kapitel hat nicht die Ambition, das Thema Musik erschöpfend zu behandeln, sondern sie nur an die Erscheinungsformen des Körpers zu binden. Die Musik geht natürlich weit über alle hier zitierten Merkmale hinaus und umfasst eine breite Palette von Charakteristiken, deren Potential im Film angesichts der heutigen Soundtrack-Entwicklung offen bleiben muss. Dabei sind die Kostüme zugleich Bewegung und Rhythmus, Ästhetik und Dramaturgie, Farbe und Erotik.
Aufnahmetechnik, Licht und Stoffe „Wenn es eine Großaufnahme von einem Kopf gibt, kann man die Ohrringe nicht mit Klebeband festkleben. Da muss man auf die kleinsten Details achten. Jede Naht ist wichtig, weil man sie gut und groß sieht“, sagt die Kostümbildnerin Christina Schnell.40 Die Bedingungen, unsere Aufmerksamkeit im Film zu mobilisieren, hängen also von der Technik ab, die Technik ihrerseits vom Inhalt und vom Verwendungszweck der Bilder. Anders formuliert: Inhalt, Ästhetik und Technik sind bei der Rezeption der Bilder nicht voneinander zu trennen. In jedem Bild eines Films kristallisiert sich stets der gesamte kulturtechnische Komplex heraus. Bilder werden auch „technisch“ typisiert und stilisiert. Man verleiht anhand der Technik – durch Objektive, Kameraführung, Farbe, Lichtbestimmung und Beleuchtung, Schnitttechnik oder Bildbearbeitung – den Personen und Ereignissen die gewünschte Kohärenz, so dass sie anschließend übereinstimmen. Aus diesem Grund vermied man bis in die 1970er Jahre hinein bestimmte Blau- und Goldtönen, weil sie für die Kamera – bzw. das Filmzelluloid – problematisch waren, sowie „Textilien, deren Ge-
39 Interview mit Carlos Saura. In: Film-Dienst 1995, 17. 40 Schnell 1999.
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räusch die Tontechnik stört oder die schlecht reflektieren“.41 Die Techniken der 1950er oder der 1990er Jahre sind unverwechselbar. Technisch bearbeitete Bilder besitzen ihre Merkmale und sogar ihre Rituale und sprechen eher Gefühle und Wünsche als die Vernunft an. Daher ist unsere Beziehung zum Bild insgesamt eher leidenschaftlicher als rationaler Natur. Zahlreiche Beispiele wurden bereits präsentiert, wie die Technik mit der Kleidung spielt und umgekehrt. Ein Weitwinkelobjektiv oder ein Teleobjektiv, auf eine Personengruppe oder auf ein Kostümdetail gerichtet, verändert nicht nur die Wirkung des Lichts, sondern auch die Wahrnehmung. Diese gegenseitige Abhängigkeit von Objektiv, Licht und Schärfe wird besonders in den verschiedenen Kerzenszenen bei „Barry Lyndon“ (1975) deutlich, wie z.B. bei jener im preußischen Offizierkasino. Berühmt für ihre psychologische Atmosphäre und ihre Kostümstimmung ist vor allem die nur von Kerzen beleuchtete Szene, in der Lady Lyndon (Marisa Berenson), Reverend Samuel Rund (Murray Melvin) und Barry (Ryan O’Neal) inmitten einer Gruppe von Adligen an einem Tisch spielen (Abb. 39). Die Blendenöffnung sorgt für die Definition der Schärfen- und Unschärfenbereiche. Das Licht schafft einen intimen Raum, in dem nur die unmittelbare Nähe der ausdrucksvoll geschminkten Gesichter und der prachtvollen Kleidung zur Geltung kommen – eine feinfühlige und minutiöse Ökonomie der Kleidungsdetails, die letztlich auf eine bestimmte emotionale Wirkung abzielt und den Stil des Films beeinflusst.42 Abb. 39: „Barry Lyndon“
Die materiell-instrumentelle Technik der Geräte ist ebenso wenig von den kulturellen Techniken zu trennen. Nicht nur die Medialität, sondern die Narrativität wird durch Technik erzeugt. Bei der Montage wird die Auswahl der Bilder und des Tonmaterials auf ihre Kohärenz geprüft und differenziert strukturiert. Eine ganze Skala von Montagevarianten wie die thematische Progression, die Topoi, die semantischen Verbindungen und weitere Montagefiguren ermöglichen eine höchst wirkungsvolle Montage. Der Schnitt wirkt auf die narrative wie auch auf die visuell-repräsentative Ebene ein. So bilden elliptische Konstrukte eine bestimmte Form von Erzählung ebenso wie „Bild-Übergreifung“. Dies kann ersetzt werden durch eine einfache Kamerafahrt, wenn die Konstruktion des Dekors entsprechend erfolgt wie in „Notting Hill“ (1999), wenn Hugh Grant die vier Jahreszeiten durch41 Jacques Fontenay, zitiert nach Delpierre 1998, 190. 42 Vgl. Monaco 2000, 82f.; Kubrick 2004, 176f.; Devoucoux 2005, 158.
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läuft. Die Kleidung ist dabei als Bindeglied zu verstehen. Hier wird ersichtlich, wie nahe Ästhetik und Technik einander stehen. Man könnte die Erzähltechnik der Kostüme auf weitere Montagefiguren ausweiten, etwa auf die Parallelmontage, das Cross-Cutting, die Assoziations- oder die metaphorische Montage. Die Montage stellt grundsätzlich eine Auseinandersetzung mit der Zeit dar. Die Montage betrifft direkt oder indirekt alle filmischen Mittel eines Films, einschließlich die der Kostüme. Nehmen wir als Beispiel für eine derartige Montageanalyse den Film „Gladiator“ (2000) von Ridley Scott. Wie in allen Historienfilmen bilden die Kostüme darin eine der wichtigsten Komponenten der Historizität. In den Schlachtenszenen zu Anfang des Films dienen sie als zentrale Elemente für den Aufbau des Verständnisses und einer Beziehung zur dargestellten Epoche. Die Zusammenarbeit des/der KostümbildnerIn mit der Special Effects-Abteilung sowie mit der Stunt-Abteilung ist daher besonders wichtig. Die Kostüme, die Kriegsaccessoires und -ausrüstungen liefern sogar die einzigen historischen Bezugspunkte, da außer den Kriegsmaschinen kein weiteres Dekorum vorhanden ist als der Wald. So tragen Einstellungen wie Montage dazu bei, die Zuschauer emotional mitten hinein in das Gemetzel zu versetzen. Im Jahr 180 unserer Zeit bereiten sich die Legionen Markus Aurelius’ nach monatelangen Scharmützeln hinter dem Limes in den kalten Wäldern Germaniens auf die entscheidende Schlacht gegen die Barbaren vor. Diese typisch postmodernistische Großproduktion Hollywoods spielt großzügig mit verschiedenen Stilen und zielt mit seinen Samplingeffekten auf ein breites Publikum. Wenn wir im Auge behalten, dass Kostüme und Masken in den ersten zehn Filmminuten das Bild beherrschen und dass jede Einstellung in erster Linie neue Kostüme und Maskenkompositionen vorführt, können wir uns auf die Choreografie der Schlacht und vor allem auf die Montageanalyse dieses Filmausschnittes konzentrieren, die etwa 300 Einstellungen in unterschiedlicher Verteilung umfasst. Diese Choreographie beginnt mitten in einem Kornfeld mit dem nachdenklichen Helden General Maximus (Russel Crowe), dem Oberbefehlshaber der nordischen Legionen: die Ruhe vor dem Sturm, vier Einstellungen in einer Minute. Dann folgt die Inspektion der römischen Truppen: 15 Einstellungen in einer Minute. Schließlich erfolgt nach der „Antwort“ der Barbaren die Vorbereitung auf die Schlacht: 42 Einstellungen in zwei Minuten. Der Rhythmus steigert sich in dieser ersten Phase der Schlachten mit dem Angriff der Kavallerie. Den Höhepunkt erreichen die Kampfszenen mit dem Angriff der Barbaren. In der Endphase des Kampfes verlangsamt sich der Rhythmus wieder bis zur zurückhaltenden Zufriedenheit des Kaisers Markus Aurelius (Richard Harris).43 Die Montage fällt durch die Konstruktion ihrer Sequenzen im Rhythmus des Crescendo auf. Die Musik trägt zu dieser Konstruktion durch dominante Akzente unmittelbar vor dem Kampf bei und wird dann vom Lärm und vom Geschrei des Kampfes überdeckt (Maskeneffekt genannt). Diese Stimmung wird zusätzlich durch die kombinierten postmodernen Einstellungen verstärkt wie beim Angriff der Kavallerie mit seitlichen Kamerafahrten, die für Spannung sorgen. Auch der Clip-Effekt der Musik bzw. der Stimme Lisa Gerrards aus der früheren Gruppe „Dead Can Dance“ in der ersten Phase der Offensive 43 Vgl. Jullier 2002, 150.
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gehört dazu. Und ebenso die Art und Weise, die Gewalt zu filmen. Wenn z.B. auf dem Höhepunkt der Schlacht der Wechsel der Einstellungen so rasch erfolgt, dass man nicht mehr weiß, was man sieht und hört. Auch der Reportage-Effekt, erzeugt durch die Handkamera inmitten des Chaos, sorgt für eine weitere Dramatisierung. Es entsteht das Gefühl, als riskierten die Kameraleute jederzeit ihr Leben. Alles zielt auf eine optimale gefühlsbetonte Wirkung. Auf ähnliche Weise inszeniert und montiert Scott die Schlacht von Kerak in „Königreich der Himmel“ (2005), als eine Handvoll Reiter gegen die Avantgarde der mächtigen Armee Saladins kämpft. Hinzu kommt die Digitalisierung der Töne und der Bilder, selbst der Farben. In „Gladiator“ ist es vor allem die Farbe Rot. Der postmoderne Effekt des Films wird zusätzlich durch die Kostüme gesteigert. Bei genauem Hinsehen erkennen wir zwar grob die Formen der römischen Kleidung, wie sie uns aus Abbildungen bekannt sind, bemerken jedoch auch eindeutig Züge heutiger Computerspiele. So werden die Kostüme dynamisiert durch zusätzliche kleine Einzelelemente aus Metall oder Leder oder durch die Zuspitzung der Formen oder Elemente wie beispielsweise die Schulter-Vergrößerung und die Geometrisierung der Formen. In „Königreich der Himmel“ wird dieses Computer-Syndrom leicht abgemildert oder weniger sichtbar. War dies eine Folge von Janty Yates’ KostümRecherchen im British Museum, im Arsenal von Leeds und im Kreuzzugssaal von Versailles, wie es die Werbung des Films behauptet? Anschließend sind für den Film ganze Dörfer in Marokko und bei Sevilla aus dem Boden gestampft worden, um die etwa 15.000 Kostüme herzustellen und zu bearbeiten. Eine der Hauptmethoden der emotionalen Konstruktion von Schlachten im Film liegt im konzentrierten Effekt der Defragmentierung, vor allem der Körper, was eine Grundeigenschaft heutiger Filme darstellt. Die Zerstückelung des Körpers und der Kleidung durch die Aufnahme- und die Schnitttechnik verweist auf einen merkwürdigen Umgang mit Menschen, der Dingwelt und der Realität. Schnitttechnisch wird uns eine Diskontinuität der Geschichte, der Handlung, der Charaktere, der Objektwelt, der Situationen, des Körpers, der Gesten und schließlich des Lebens präsentiert, was uns zwingt, sie auf neue Weise nach der medialen Logik linear zu rekonstruieren. Dies bleibt natürlich nicht ohne Nebenwirkungen für die Schulung des Blicks. Man nennt dies Fragmentierung und Defragmentierung, als ob wir mit dieser Begrifflichkeit einen neuen Zugang zur Modernität entdeckt hätten. Genauer betrachtet, haben wir es jedoch mit einer höchst fetischistischen Einstellung zu tun, die aus ausgewählten konzentrierten Einzelelementen ein dichtes Bild rekonstruiert, in der selbst der Charakter der Kleidung neu definiert wird, zumeist nach einer groben Symbolik von Gewalt, Erotik, Entspannung und Bewegung. Zwei Füße in hohen Stiefeln, die beim Sprung vom Pferd in einer Pfütze landen, hohe Kragen und Dreispitze, die die Gesichter der beiden fremden Reiter verdecken, Zeitlupentechnik, um die Bewegung auf die Vorbereitung eines Kampfes zu konzentrieren: Dies sind einige fragmentarische Elemente einer Szene am Anfang des Films „Der Pakt der Wölfe“ (2001) von Christophe Gans. Die Kostüme stehen im Film im Zentrum eines Netzes von Relationen. Um den Charakter dieser Beziehungen deutlich zu machen, verfügt die Filmregie über erprobte „dichte“ Beschreibungstechniken: Erzähl-, Kamera-, Farb- und Film-(Zelluloid-)Technik, Ton-, Schnitt- und Montagetechnik wie auch Spezialeffekte und Computerbearbeitung.
NAHAUFNAHME Make-up und Masken, oder: Die Strategie der Gesichter Angeklebte Nasen wie bei Nicole Kidman für ihre Rolle als Virginia Woolf in „The Hours“ (2002) oder bei Gérard Depardieu als „Cyrano von Bergerac“ (1991) reichen aus, um Gesichter vollständig zu verändern. Das Gesicht gilt als der Hauptträger einer Strategie der Gefühle im Film. Es bildet den filmischen Mittelpunkt und das Hauptmedium der Affektbildung. Daher kommt dem Make-up und der Kosmetik keine geringere Aufgabe zu, als das Gesicht für den Film zu formen und zu gestalten. Wer kennt heute noch die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Kosmetik? Der Begriff geht auf das griechische Wort „Kosmos“ und steht als Antithese zu den chaotischen Verhältnissen in der Welt. Der Begriff geht also auf eine Weltanschauung zurück, in der der menschliche Körper, die Welt- und Gesellschaftsordnung in innerem Zusammenhang standen wie bei den alten Ägyptern oder in der griechischen Antike.1 Heute steht der Gesichtausdruck im Film für das Emotionale, die Augen und der Mund für die Lesbarkeit des Gesichts. Auch das Haar gilt als Element und „Ort“ der Kommunikation. Diese Lesbarkeit wird filmisch durch Großaufnahmen noch gesteigert.2 Gilles Deleuze beschreibt die Großaufnahme als das Affektbild schlechthin. Der Philosoph Clément Rosset spricht vom „Geheimnis der Großaufnahmen, vor allem wenn es sich um das Gesicht handelt“.3 Die Behauptung, dass Techniken wie die Großaufnahme den Fluss der Narration behindern, ist irreführend, ihr hält bereits das klassische Beispiel von Hitchcocks „Vertigo“ (1958) nicht stand. Erstens entfalten Großaufnahmen überhaupt nicht dieselbe Wirkung wie kurze Beschreibungen von Objekten in der Literatur, und zweitens geht diese Behauptung von einer fließenden Vorstellung der Narration aus, die, ebenso wie die konstruktivistisch-architektonische Vorstellung von Kultur, streng orientiert und deterministisch bleibt. Diese Affektbildungberuht nicht zuletzt darauf, dass die Kamera wie ein Vergrößerungsglas operiert und durch diese Annäherung eine geradezu intime Beziehung mit den ZuschauerInnen aufbaut, fast als ob man das Haar „riechen“ und das Gesicht streicheln könne. In der Kinoszene des Films „Die fabelhafte Welt der Amélie“ (2001) vermittelt uns die Großaufnahme von Amélies Gesicht, das nur vom bläulichen Licht der Leinwand erhellt wird, ihre Leidenschaft fürs Kino, die vermutlich von den ZuschauerInnen geteilt wird. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass sie in einer Art Spiegeleffekt direkt und leise die Zuschauer anspricht. Mit ihren weit geöffneten Augen spielt sie auf die Komplizität der ZuschauerInnen an und vermitteln augenzwinkernd die Botschaft, wie sehr wir uns alle 1 2 3
Vgl. Neureiter 2006, 10. Vgl. Koch 2001, 144; Aumont 1992, 78. Rosset 2001, 42.
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im Kino wohlfühlen. Die romantische Seite wird durch Amélies Bubikopf und den fast kindlichen Ausdruck von Freude auf ihrem Gesicht noch unterstrichen. Die expressive Darstellung der Augen und des Gesichts durch Groß- oder Nahaufnahmen stellt ein besonderes Moment der emotionalen Dramaturgie dar, einmal durch die Nahperspektive, zweitens durch die Tatsache, dass wir auf diese Haare, diese Augen und dieses Gesicht, die uns anschauen, zurückschauen können, intensiv und ohne jede Hemmung oder Scheu, was in der Realität unmöglich ist. Setzt man sich im Zug oder auf einer Restaurantterrasse einer fremden Person direkt gegenüber und versucht deren Blick zu fixieren, machen sich bei der Person bald die ersten Anzeichen von Unruhe und Angst bemerkbar. Atem und Puls gehen schneller und bald darauf entstehen Schwierigkeiten mit dem Servicepersonal, dem Schaffner oder der Polizei. Denn direkter Blickkontakt wird als unmittelbare Belästigung und Bedrohung verstanden. Bei einer historischen Verfilmung stehen Maskenbildnerei und Frisuren unter dem Einfluss des Déjà-vu-Effekts. Dies gilt z.B. für das Gesicht Lady Lyndons (Marisa Berenson) in „Barry Lyndon“ (1975) bei der Szene am Spieltisch und der folgenden Szene auf die Terrasse. Bereits ihre losen Haarsträhnen und ihre Frisur deuten auf den soziokulturellen Kontext hin, ebenso das blass geschminkte Gesicht. Die Emotionalität wird im Film aktiv von den ZuschauerInnen mitkonstruiert. Wir stehen in dieser Szene sozusagen zwischen Barry und dem von ihm betrachteten Objekt – das Gesicht, die Augen, die Haare und die Person Lady Lyndons. An uns, den ZuschauerInnen liegt es, anhand aller Elemente des Films die Beziehung zwischen beiden Protagonisten nach unserer Vorstellung aufzubauen und zu aktualisieren. Dies gilt natürlich nicht nur für diese Szene oder diesen Film, sondern für die gesamte Filmgeschichte. Zusammengefügt bildet die Gesamtheit der (Film)Gesichter, wie auf dem Werbeplakat für Fellinis „Satyricon“, ein hoch exotische und äußerst differenzierte surrealistische Collage. Wenn wir Gesichter und Film-Make-up miteinander verknüpfen, kommen aber nicht nur die Mimik und die Kunst der SchauspielerInnen zum Ausdruck, sondern auch die Rolle der MaskenbildnerInnen. Gesichter werden im Film ebenso konstruiert wie alle anderen Elemente. Das ungeschminkte Gesicht Meg Ryans in dem Film „In the Cut“ (2003) von Jane Campion erscheint daher wie ein leeres Blatt. Denn auch das Film-Make-up wirkt sinnstiftend. Dafür gibt es MaskenbildnerInnen, auch Make-up-Artists oder Maquilleurs genannt, die das Gesicht der SchauspielerInnen als Rohmaterial verwenden. Sie schminken, erstellen Gesichtsteile, Glatzen, falsche Bärte und Schnurrbärte, verändern das Alter und den Ausdruckscharakter des Gesichts. Das Make-up-Team darf keinesfalls schlampig und unkonzentriert arbeiten, denn das Auge der Kamera ist gnadenlos. Der Ausdruck des Gesichts muss je nach Situation unterstützt werden, egal ob der/die SchauspielerIn jemanden spielt, der müde, fröhlich, traurig, erschöpft, gealtert oder krank ist. Die Aufforderungen sind im Bereich der Maskenbildnerei besonders hoch. Base Fluid, Grundierung, Stifte, Puder u.a. kommen jedoch nur mit Vorsicht und mit viel Feingefühl zum Einsatz. Alltagsschminken ist meist ungeeignet für die Scheinwerfer. Vielmehr sind feine Puder mit sehr stabilen Pigmenten erforderlich. Auch Wunden, Narben, Verbrennungen oder Verletzungen sind
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Sache der MaskenbildnerInnen. Wenn keine Modelliermasse mit synthetischem Anilinrot zu Verfügung steht, eignet sich für die Darstellung von Verletzungen auch eine Mischung aus in Wasser gekochtem Instantmehl und roter Lebensmittelfarbe als Ersatz.4 Die Kunst des Film-Make-Ups entsteht aus dem Geist der Masken im Theater. Sie setzt die Tradition der griechischen und römischen Maske oder der Charaktermaske der Commedia dell’Arte fort und abstrahiert die Figur und die Rolle genauso wie diese, jedoch mit modernen Mitteln. So wird heute die Persönlichkeit der SchauspielerInnen sozusagen in die Maske integriert, was die Charakterformen unendlich variabel macht. In Deutschland sind, im Gegensatz zu anderen filmproduzierenden Ländern, MaskenbildnerInnen auch für die Frisuren zuständig. Der Begriff sagt es deutlich: Es geht um die Kunst der Verwandlung von Gesichtern, um Maskerade und auch um Maskierung. Dabei werden nicht nur Gesichter modelliert, sondern auch alle anderen sichtbaren Teile des Körpers wie Hände, Schultern oder Beine, die, wenn nötig, bei Scheinverletzungen mit Prothesen und anderen Mitteln versehen werden. So verwendet in Camerons „Titanic“ die Maskenbildnerin Diyane Roger ein spezielles Puder, das mit Hilfe eines medizinischen Klebers aufgetragen wird, um uns so „realistisch“ wie möglich zu zeigen, wie die Passagiere im Atlantik an Unterkühlung sterben. Im Kontakt mit Wasser kristallisiert es und erzielt auf diese Art den gewünschten Eindruck von Erstarrung, während Haare und Kostüme mit Wachs besprüht werden (Abb. 40).5 Abb. 40: „Titanic“
Masken- und Haarbearbeitung sind eine schwierige Sache, weil Zusatzteile direkt auf der Haut oder im Haar eingesetzt werden. Da viel mit chemischen Mitteln gearbeitet wird, müssen diese besonders verträglich sein. Die Fertigstellung einer Maske kann bis zu zwei oder drei Stunden dauern. Die Masken dürfen meist nicht länger als sechs bis acht Stunden auf der Haut bleiben, die Vorbereitungszeit mit einbezogen. Die Haut braucht häufig mehrere Tage, um sich davon zu erholen. Verstärkt versucht man daher, Bioprodukte einzusetzen. 4 5
http://www.movie-college.de.2005. Stichwort „Filmtricks“. Vgl. Cameron Titanic 1997, 38.
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Bei Spezialeffekten wie bei der „Star Wars“-Saga oder bei „Der Herr der Ringe“ stehen die MaskenbildnerInnen organisatorisch wie auch künstlerisch vor hohen Herausforderungen. Der Stress ist enorm. Kostspielig ist auch die Testphase der Masken, die in der Regel vor, manchmal noch während der Dreharbeiten stattfindet. Hier hat sich in den USA mit den Maskenspezialisten (Spezialeffekte) ein neuer Zweig der Filmbranche entwickelt. Der Druck ist nicht minder bei „einfachen“ Gesichtsinszenierungen, weil die Wirkung des Make-ups abhängig von der Beleuchtung ist, von den Kostümen, ja sogar vom Filmmaterial. Daher werden für die Proben Gipsabgüsse der SchauspielerInnen oder StatistInnen angefertigt. Ausschlaggebend bleibt jedoch das „Rohmaterial“: die Gesichter selbst, ihre Formen und Mimik. Hinter jedem Make-up, jeder Maske und Frisur steht die gesamte Persönlichkeit der SchauspielerInnen, und dies erfordert für die MaskenbildnerInnen Fingerspitzengefühl. Der Begriff Person deutet daraufhin. Er stammt vom Lateinischen bzw. Etruskischen „Persona“ und bedeutet „Maske des Schauspielers“. Die Make-up-Abteilung weiß auch darum, wie gnadenlos die Filmbranche sich gegenüber Schauspielern und vor allem Schauspielerinnen verhält. „Wenn man vierzig ist, auf die fünfzig zugeht, ist man noch nicht alt genug, um eine Alte zu spielen und nicht mehr jung genug, um eine Junge zu spielen. Dazwischen gibt es leider sehr wenige Rollen“.6 Die Situation hat sich zwar in den letzten Jahren geändert, dennoch bleibt das Spektrum der Frauenrollen im Vergleich zu Männerrollen noch begrenzt. Auffallend ist bei Frauen vor allem die Normierung durch das Schminken. Frauen ohne Lippenstift oder Ohrringe kommen kaum vor, selbst in Filmen wie „Die Akte Jane“ (1997) von Ridley Scott – ein regelrechter Werbefilm für die US-Marines –, in dem Jane (Demi Moore) bei den extremsten militärischen Übungen praktisch und auch psychisch die Position eines Manns einnimmt, ihren Lippenstift aber immer dabeizuhaben scheint. Als die Kostümbildnerin Edith Head vom Broadway nach Hollywood kam, waren für die SchauspielerInnen die Frisuren sowie die Make-up-Abteilung am wichtigsten.7 Sie waren verantwortlich für das Bild – das Image – der SchauspielerInnen. Da die MaskenbildnerInnen praktisch permanent die SchauspielerInnen betreuen und damit mit deren Belastungen und Müdigkeit konfrontiert sind, verlangt die extreme Nähe ein hohes Maß an Diplomatie. „Manchmal ist dies das Anstrengendste überhaupt“, sagt die Maskenbildnerin Christiane Sonnenberg, wenn die SchauspielerInnen während des Drehens zwischendurch in die Maske gehen. „Es wird alles bei uns abgeladen: Ob die Schauspielerin glücklich ist oder Kummer hat, ob sie Angst vor der Rolle hat, ob sie Zwistigkeiten mit dem Regisseur hat“.8 Es gibt zwar einige Grundprinzipien, erfahren wir weiter von ihr, wie etwa, dass ein großflächiges Gesicht oder helle Haut viel Licht einfängt, dunklere Haut dagegen Licht verdrängt und dass man die Anatomie der Gesichter kennen muss. Welche Palette von Farben die Kamera wahrnimmt, welche nicht, oder wie die Farben auf eine bestimmte Beleuchtung reagieren, ist – abgesehen von den fachlichen Grundlagen des Berufs – jedoch vor allem 6 7 8
Braganca 2000. Vgl. Webb 1986, 108. Sonnenberg 2000, 4.
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eine Frage der Erfahrung und der künstlerischen Sensibilität. Selbst wenn dasselbe Gesicht mit ähnlichen Methoden geschminkt wird – jeder Maskenbildner und jede Maskenbildnerin besitzt einen eigenen, in der Zunft klar unterscheidbaren Stil, ähnlich wie eine Unterschrift oder ein Markenzeichen. Darüber hinaus verrät auch der Stil des Make-ups, ebenso wie jener der Kostüme die Zeit, zu der ein Film gedreht wurde. Eine Illustration liefert dafür aus heutiger Sicht das Gesicht Leonores (Eleonore Parker) in „Scaramouche“ (1952). Die Handlung spielt in Adelsschlössern und im Milieu fahrender SchauspielerInnen in Frankreich des Spätrokoko, bzw. kurz vor der Französischen Revolution. Zwar war das Schminken in der Theaterwelt des späten Rokoko besonders in Frankreich verbreitet, aber schwarze Kohle für die Augenbrauen, grüngeschminkte Augenlider, scharlachroter Lippenstift und dick aufgetragenes Make-up mit roten Wangen, all dies kennzeichnet die amerikanische Schminkpalette der späten 1950er Jahre. Nicht die historische Authentizität, sondern die Möglichkeiten des neuen Farbfilms wurden hier bis hin zu den Make-Up-Farben ausgereizt. Zu bemerken ist noch zusätzlich der Einfluss der New Look-Linie, der Maiglöckchenform bei den „historischen“ Kleidern, was noch gesteigert wird durch die Strumpfhosen Eleonore Parkers gegen Ende des Films, als sie auf der Bühne des leeren Theaters erscheint. Die zeitliche Distanz gestattet es, diese Inkongruenz wahrzunehmen, während uns dies für die eigene Zeit, weil sie unserer Sensibilität zu nahe steht, ungleich schwerer fällt und für uns geradezu unsichtbar wird. Schminke ist ein Filmmittel. Ohne sie gäbe es keine Filmgesichter. Ob das Schminken ausdrücklich hervorgehoben oder umgekehrt diskret eingesetzt wird, vielleicht aus unterschiedlichen Gründen sogar beide Stilmittel eingesetzt werden, hängt mit der Thematik und dem Anspruch eines Films zusammen. In „Gefährliche Liebschaften“ (1988) von Stephen Frears ist das Schminken sowohl am Anfang als auch am Ende des Films als rhetorisches Element und als Metapher zu verstehen. In Mel Gibsons sehr männlichem „Braveheart“ (1995) spielt das Schminken und Bemalen der Gesichter eine besondere Rolle, angefangen beim Helden selbst. Die Schminke wandert während der Schlacht von der linken zur rechten Gesichtshälfte und umgekehrt. Das ist jedoch nicht die einzige Macke des Films. Gerade um solche peinlichen Fehler zu vermeiden, wird die Polaroidkamera zu einem unentbehrlichen Werkzeug. Sie dient dazu, den Look jeder Szene festzuhalten, weil die Szenen nicht in der Reihenfolge gedreht werden, in der sie später im Film zu sehen sein werden. Die einzelnen Einstellungen einer Szene können, vor allem bei Außendreharbeiten, um eine oder zwei Wochen verschoben werden. Abgesehen davon ist es beinahe unmöglich, etwa eine Frisur ein zweites, drittes oder viertes Mal genau so herzustellen wie beim ersten Mal. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht immer dieselbe Person dieselben SchauspielerInnen schminkt und frisiert und dass der Druck auf die MaskenbildnerInnen wächst: Es geht nämlich um viel Geld. Ein Meister und ein Perfektionist in dieser Hinsicht war Federico Fellini. Er achtete peinlichst genau darauf, dass bis hin zu den kleinsten Rollen Frisuren und Masken übereinstimmten.
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Augen und Emotionen Bei der Frage nach Film-Make-up und Filmfrisuren geht es nicht nur um Darstellung und Typisierung, sondern letztlich auch um die Frage unseres eigenen alltäglichen kurzen Blicks in den Spiegel, also um die oft gestellte Frage nach dem Films als Spiegelbild einer Epoche, einer Gesellschaft, vor allem auch unserer eigenen Innenwelt. Dies hängt wesentlich mit der Macht des Auges zusammen. Die Verbindung zwischen Auge und Kamera wird häufig in den Vordergrund gestellt, was die Kamera zur wesentlichen Metapher für den Blick macht. Der Begriff Kamera bildet jedoch ein komplexes Feld von Bezügen aus. Kaja Silverman zufolge stellt die Kamera metaphorisch zwar einen Aspekt des menschlichen Auges dar. Jedoch verfügt das Blickregime in Form der Kamera über zwei Ebenen, die in komplexer Wechselwirkung zueinander stehen. Die eine ist „jene Logik, welche die Darstellung regiert“, die andere umfasst eine Reihe von ziemlich festgefügten materiellen Praktiken.9 Mit dieser technisch-kulturellen Ausrüstung steht die Kamera in krassem Gegensatz zur Subjektivität des menschlichen Auges, das abhängig ist von Erinnerung und persönlicher Erfahrung. Jeder Film spielt Blickszenarien durch, um die Voraussetzungen, nach denen er verstanden sein will oder soll, selbst zu bestimmen.10 Der Blick steht aber nicht nur in Beziehung zur Kamera, sondern auch zur Schnitttechnik. Die Schnitttechnik konzipiert den heutigen Film in der Weise, dass er dem Publikum unbewusst als eine Reihe visuell-ästhetischer Schocks vermittelt wird. Diese Fragmentierung der Bilderfolge und die damit verbundene diskontinuierliche Wahrnehmung werden im klassischen Unterhaltungsfilm durch das Narrationsschema kanalisiert, ja normalisiert. Mit der Thematik der Augen im Film ist hier allerdings nicht hauptsächlich der Blickregime gemeint, sondern vor allem die Inszenierung der Augen und des Blicks der Figuren selbst. Wir werden im Kino zu genauen Beobachtern der Blicke der anderen, eine Situation, die im Alltagsleben eher selten vorkommt und schon gar nicht von einer solch affektiven Dichte und Dauer. Man stelle sich vor: Zwei Personen, die sich seit Jahren nicht gesehen haben, treffen sich auf einem Bahnsteig wieder. Es ist anzunehmen, dass wir uns nicht direkt vor sie hinstellen werden, um aus 50 cm Entfernung minutenlang zuzuschauen, wie sie sich gegenseitig anblicken, wie das im Film häufiger der Fall ist. Die Augen einer Figur, die sich im Film vom Gesicht sozusagen optischtechnisch trennen lassen und zu einer Steigerung des Gesichtausdrucks führen, bilden eine Art Zentrale der Emotionalität. Die Augen gelten als Spiegel der „Seele“, ganz besonders im Film – die beliebte Metapher des Spiegels im Film kommt nicht von ungefähr, sie beruht auf einer jahrhundertealten kulturellen Darstellungstradition, vor allem in der Malerei. Die Emotionalität wird in diesem Fall auch aktiv von den ZuschauerInnen mitkonstruiert. Diese nehmen gleichzeitig die Stelle des Beobachtenden wie auch die des Beobachteten ein. Die Macht des Bildes erweist sich in diesem Fall ambivalenter als angenommen, weil wir die Handlung aus dem Blick9 Silvermann 1997 (a), 58. 10 Vgl. Doane 1994, 85.
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winkel der jeweiligen Protagonisten wahrnehmen und damit unterschiedlich erfahren können, sei es aus der Perspektive eines Mannes oder einer Frau, eines Täters oder Opfers, eines Kindes oder eines Erwachsenen. Das Augen-Make-up wird im Film heute weniger von seiner eher einseitigen erotischen Natur beeinflusst, sondern vielmehr von der Verhärtung der Geschlechterrollen. Schaut man auf Kulturen wie die Altägyptische, in denen das Schminken der Augen auch bei Männern alltäglich war, so ist zu vermuten, dass die Rückkehr der männlichen Schminke nur eine Frage der Zeit ist. Allerdings ist jedem bekannt, dass im Film Augenbrauen, Augen, Lippen und das ganze Gesicht der männlichen Schauspieler sorgfältig geschminkt wird, auch wenn dies nicht direkt sichtbar ist.
Haar-Plot Die Gesichter sind verschlossen, die Augen blicken resigniert ins Leere. Die Schermaschine des Militärfriseurs rast rücksichtslos durch die dichten langen Haare und vernichtet in wenigen Sekundenzwanzig Jahre haarige Biographie und Lebensgefühl. In einem Teppich von Locken liegen sie symbolisch am Boden. Damit illustriert Stanley Kubrick in seinem Film „Full Metal Jacket“ (1987) den ersten psychologischen Schock der Rekruten. Die Rasur der Haare in diesem Film gehört zum Ritual militärischen Drills – die Vorbereitung der Marines auf den Vietnamkrieg – und stellt die erste Stufe der Einführung in die Armee dar: ein Übergangsritual. Die „Frisur“ ist hier als unmittelbarer Bestandteil der Militäruniform zu verstehen. Sie gibt einen Vorgeschmack darauf, was die Soldaten an Kontrolle, Normierung, Disziplin, Gehorsam und Unterwerfung erwartet. Mit Haar meine ich in diesem Kapitel nicht das Brusthaar oder Schamhaar, noch weniger das Haar an Beinen oder in Achselhöhlen, die bei Frauen merkwürdigerweise im Film so gut wie nie auftauchen, sondern das Haupthaar. Die Problematik Haare und Filme habe ich anlässlich eines Films, den ich im Pariser Quartier Latin sah, bereits mit zehn oder elf Jahren kennen gelernt: „Boy with Green Hair“ (1948) von Joseph Losey. Dies hatte mich total fasziniert, wobei ich mir nicht ganz darüber im Klaren war, was mich daran eigentlich so faszinierte, die Filmwelt oder die Haare. Und ich weiß es bis heute nicht. Grünes Haar zu haben, das hieß in dem Film damals, anders zu sein, sich außerhalb der Normen zu bewegen – heute ist es eher umgekehrt. Die Beispiele sind bekannt: Als Rudolph Valentino in der Rolle des Erzherzogs von Chartres in „Monsieur Beaucaire“, seine Latin Lover-Frisur gegen eine Cadogan-Perücke des Rokoko vertauschte, wurde dies ein Desaster. Das Publikum der 1920er Jahre erwartete, dass ein Star seinem etablierten Bild entsprach.11 Louise Brooks Erfolg beruhte nicht nur auf ihrem schauspielerischen Talent, sondern ebenso auf ihrer Bubikopffrisur als Lulu in „Die Büchse der Pandora“ (1929) von Pabst und in anderen Filmen. Dies gilt auch für die Dauerwellenfrisuren von Veronica Lake, Eleonore Parker und Rita Hayworth oder für die Kurzhaarfrisuren von Audrey Hepburn, Shirley MacLaine und Jean Seberg. Inzwischen verfügen Filmstars über eine breite Palette von Haarlooks. Ihre öffentlichen Auftritte werden zu Medienereignissen. Bereits 11 Vgl. Maeder 1987, 52.
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hier gewinnen Friseure an Bedeutung, um das Image der Filmikonen zu stilisieren. Vor der Kamera handelt es sich mehr um Frisuren und Perücken als um Haar, d.h. um fertige Haarprodukte, die im Sinne des Drehbuches eingesetzt werden. Dafür hat Hollywood, was etwa die Farbe angeht, für die Leinwand zuerst die Blondinen, dann die Schwarzhaarigen, die Brünetten und die Rothaarigen quasi neu erfunden.12 Jeder Film erzählt auch eine Geschichte von Frisuren, und jede Frisur erzählt im Film eine Geschichte. Es gibt Filme, die mit dem Haar besonders viel erzählen wie Campions „Das Piano“ mit Adas Haar. Es ist streng gescheitelt, sieht oft fettig aus, wird manchmal eingepackt unter eine steife Haube, die auch das kleine Gesicht und die großen braunen Augen rahmt: Was wäre „Das Piano“ ohne die Augen und ohne die Haare Holly Hunters? Wie bei den Kostümen oder dem Film-Make-up erfahren wir auch mittels der Frisuren und Perücken ebenso viel über den Film wie über die Epoche der Dreharbeiten – gemäß dem Motto: mit Kamm und Haarföhn durch die Geschichte. So werden heute z.B. selbst die Haarfarben digital bearbeitet. In „Die Minen des Königs Salomon“ (1950) dagegen dämpfte der komplexe Technicolorprozess der 1950er Jahre viele Farben und Zwischentöne, auch im Bezug zum Haar. Genervt versucht Elizabeth Curtis (Deborah Kerr) in ihrem Zelt, sich ihre hüftlangen roten Haare zu kämmen. Dann trifft sie eine radikale Entscheidung, nimmt eine Schere und beginnt sich die Haare kurz zu schneiden. Während der ganzen Zeit ist das wilde Rauschen des Wasserfalls zu hören. Die nächste Szene zeigt ein kleines Becken am Flussufer, geformt wie eine Badewanne, in dem die nunmehr kurzhaarige Elizabeth badet und sich vor allem die Haare wäscht. Eine fast intime Stimmung im Kontrast zu den gewaltigen Wassermassen im Hintergrund: ein typischer Haarschnitt der frühen 1950er Jahren entsteht. Das Kurzschneiden des Haars bei Frauen verweist in Hollywoodfilmen – zumindest bis vor kurzem – fast immer auf eine Krisensituation, dies betont auch das Wassergeräusch. Die mädchenhafte und rebellierende Frau wirkt – so der Film – auf einmal reifer, aber zugleich auch gezähmter. Selbst der frauenfeindliche Allan Quatermain (Stewart Granger) behandelt sie auf einmal freundlicher, ja er scheint fast dadurch besänftigt. Haar kann auch als Medium betrachtet werden. Daher werden die Gestaltung und die Problematik der Frisuren, Haarmoden oder Perücken aus Sicht der modernen Kulturanthropologie auch als Körpertechnologie definiert. Ob die Haare krank aussehen, ihre natürlichen Pigmente durch Oxydationsmittel zerstört sind, ob sie strapaziert, trocken, fein sind oder Schuppen haben oder warum das Melanin für persönliche Haarfarbe verantwortlich ist, interessiert im Film wenig oder gar nicht. Das einzige, was interessiert, ist, wie das Haar im Bild aussieht, wie es sich bewegt, kurz: sein Aussagepotential. Der Frisur kommt dieselbe Aufgabe zu wie den Kostümen, Sie soll eine Person präziser charakterisieren. Sie stellt damit ein weiteres filmisches Mittel dar. In diesem Sinne könnte man vom „Frisieren der Charaktere“ sprechen. Haarschnitte stehen daher in engem Bezug zu Kleidung und Mode, bzw. sie bilden selbst ein Element der Mode. Entsprechend wird hier ein 12 Vgl. McCracken 1997, 77-129.
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komplexes Konnotationsregister angelegt. Pferdeschwanz, Ondulation oder Papilloten wirken anders als Chignons oder hochgesteckte Knoten. Sie werden auf Make-up, Gesicht, Augenfarbe und die Kopfbedeckung abgestimmt. So stürzt Isabelle Adjani in „Subway“ (1990) ihre Gastgeber in völlige Verwirrung, als sie mit Irokesenfrisur am Arm ihres reichen spießigen Mannes vor der Tür steht und sie mit einem indianischen „Hugh“ grüßt (Abb. 41). Mit dieser damals provokanten Frisur solidarisiert sie sich, trotz ihrer ehelichen „Gefangenschaft“, mit dem Edelpunk Fred (Christophe Lambert), der von den Killern ihres Manns gesucht wird. Diese Welt des Punks entführt sie in den Untergrund von Paris, in ein unüberschaubares Labyrinth voll künstlicher Beleuchtung, komponiert aus einem gigantischen und dichten System elektrischer Leitungen und Metroinstallationen, die in schwindelerregende Tiefen hinunterführen und das aus einem Netzwerk geheimnisvoller Gänge besteht. Diese Welt ist voller verrückter Leute mit wilden Ideen, Träumen, unkonventioneller Kleidung und ausgefallenen Frisuren. Abb. 41: „Subway“
Wenn wir sie von vorne betrachten, verleihen Frisuren dem Gesicht der SchauspielerInnen mehr Ausdruckkraft. Dies liegt daran, dass die Haare eine eigene Medialität besitzen. Anders verhält es sich, wenn wir das Haar von hinten oder von der Seite betrachten, oder, wie Gertrud Koch es bezeichnet, von der „Rückseite des Gesichts“.13 Die Kellerszene in Alfred Hitchcocks „Psycho“ (1960) ist dafür berühmt: Die langsame Annäherung der Kamera enthüllt, dass die schöne Frisur der sitzenden jungen Frau einen Totenschädel bedeckt.14 Bei Hitchcock, so Gertrud Koch, könne man dies auch als Allegorie der Zeit verstehen. Diese Thematik der Zeit – und dies muss betont werden – wird im Film besonders häufig in Gestalt von Frisuren und Perücken aufgegriffen und bearbeitet: sei es das Altern einer Person, die Dauer eines Ereignisses, die Re-Konstruktion der Vergangenheit in „Kostümfilmen“ oder die Vergangenheits- oder Zukunftsvorstellungen in Fantasy- und Scien13 Koch 2001, 140. 14 Dieses ikonografische Motiv geht in den bildenden Künsten bis ins Mittelalter zurück.
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ce-Fiction-Filmen wie in „Blade Runner“, „Das fünfte Element“ oder „Der Herr der Ringe“. Dabei bleibt jedoch der aktuelle Zeitbezug immer erkennbar. Auch das schüttere braunweiße Haar Jack Nicholsons in „About Schmidt“ (2002) ordnet ihn unmissverständlich ein: Es ist ein Merkmal seines Alters. Die verstrubbelte Frisur ist ebenso ein Leitmotiv im Film und verweist auf Gewaltsituationen (Vergewaltigungen, Kämpfe), Krankheiten oder auf Krisen wie hier bei Nicholson. Es stützt sich dabei auch auf die bildende Kunst.15 Der Look des Feindes (Mike Myers) in der Agentenklamauk „Austin Powers“ (1999), der zwei unterschiedliche Größen, aber zwei ähnliche Gesichter besitzt, stellt eine Mischung dar aus Fu Manchu und Dr. No mit Mao Looks und Kahlkopf. Bei Männern verfügt die Vollglatze über verschiedene Bedeutungszuschreibungen: Gewalt, Sexualisierung, aber auch sanfte und zurückhaltende Kraft. In der Vereinfachung durch die karikaturale Perspektive wird der Protagonist eindeutig als Birne – spricht Dummkopf – charakterisiert. Für den Look des Heldentrios wurden die schrillen Accessoires der 1960er und frühen 1970er Jahre verwendet – Barbarella und Co. –, auch bei den Frisuren. Die Digitalisierung der Farben und Kontraste, Kameraführung, Soundtrack sowie Montage und Inhalt kennzeichnen den Look des Films aber unmissverständlich als postmodernes amerikanisches Standardprodukt. Dies kommt bereits in dem gezielt übertriebenen Spiel der Frisuren und der Kleidung zur Geltung, die Mädchenhaftigkeit (Zöpfe und offen herabfallendes Haar)mit der kaum zu bremsenden Erotik der Miniröcke vermischen. Dies alles vollzieht sich dazu in einer sehr „funk“ Retro-Fassung. Im Film „Full Metal Jacket“ (1987) entschleiert die Rasur des Haars, neben dem kriegerischen Bezug – ein glatt rasierter Kopf ist schwerer zu ergreifen als ein behaarter –, einen weiteren Aspekt: Der Kahlkopf der Marines oder der GIs galt als männliches Merkmal schlechthin. Heute sind Frauen aktiver Bestandteil des Militärapparats, das Militär war aber (sehr) lange Zeit eine reine Männerdomäne. Frauen waren innerhalb der Armee zwar akzeptiert, jedoch nur solange sie „strukturell unsichtbar, verschleiert oder versteckt“ blieben.16 Sowohl der glatt rasierte Kopf der GI-Soldatin Jane (Demi Moore) als auch der Kampfanzug in „Die Akte Jane“ (1997) stellen eine neue genderspezifische Repräsentationsfrage, da beide Elemente zuvor zum Repertoire der männlichen kriegerischen Attribute gehörten. Diese männliche Erscheinung – gemeint ist hier nicht nur das Bild, sondern auch die Militärmoral und -ethik, die dahinterstecken – wurde kurzerhand auf die Frau projiziert. So blieb und bleibt der männliche Körper weiterhin das maßgebliche Bildmuster. Die Situation und diese Frage der Repräsentation haben sich aber inzwischen verschoben, nicht weil dies vom Militär beabsichtigt war, sondern weil die Frauen sich außerhalb der Armee im Alltagsleben diese „männliche“ Komponente einfach selbst angeeignet haben. Nicht die eigentliche Haarrasur stellt die Pertinenz her, sondern diese liefert der jeweilige Kontext. Die Glatze bei Frauen ist im Film ein facettenreiches Thema, sei es bei Holocaust-Filmen wie „Schindlers Liste“ (1993), als Zeichen der Bestrafung von Frauen wie bei der Kollaborateurin in „Novembermond“ (1985), bei Dreyers 15 Vgl. Künzel 1997, 121-138. 16 Young 1993, 267.
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„Jeanne d’Arc“ (1928) oder bei der Häretikerin zu Anfang des Films „Elizabeth“ (1998), sei als Illustration der Krankheit in „Betty Blue“ (1986), als Element der Science-Fiction in „Dune“ (1984) oder einfach als modisches Motiv in „Prêt-à-Porter“ (1994). Eine Hauptbedeutung der Frisur im Film, bei Frauen wie heute auch bei Männern, bleibt erotischer Natur. Erotische Konnotationen hängen heute im Film längst nicht mehr allein von der Länge der Haare ab – ob kurz bei Meg Ryan und Bruce Willis oder lang bei Julia Roberts und Mel Gibson –, sondern von der Art, wie sie zum Einsatz kommen. Mit dem Film „Elizabeth“ (1998) von Shekhar Kapur möchte ich jedoch auf eine ambivalentere Deutung der Geschlechter eingehen. Die Kamerafahrt kreist um eine Skulptur der Jungfrau Maria, um von da aus auf das Gesicht von Elizabeth überzugehen (Cate Blanchett). Weinend ergreift eine Hofdame eine lange Haarsträhne der Königin, um anschließend ihre Haare auf äußerste Kürze zu scheren. Diese Haar-Szene, die Schlussszene des Films, die auf den ersten Blick einfach zu begreifen ist, baut in Wirklichkeit eine kulturelle Brücke zwischen zwei völlig voneinander unabhängigen kulturellen Bildtraditionen auf. Auf der einen Seite steht das christliche kulturelle Erbe mit dem Bild der heiligen Maria und der damit verbundenen Opferhaltung im Mittelpunkt. Der Film illustriert dies mit dem Anspruch Elisabeths auf ihre wieder gewonnene „Unschuld“. Das Haarschneiden sowie auch ihr weißgeschminktes Gesicht bringen dies zum Ausdruck. Beide symbolisieren die Distanz oder die Trennung von der alltäglichen Sinnlichkeit der Welt. Elizabeth wird hier mit einer beinahe göttlichen Aura inszeniert. Auf der anderen Seite knüpft der indische Regisseur Shekhar Kapur hier subtil an die hinduistisch geprägte indische „Filmtradition“ an. Der Film greift die Laila-Majnu- und die Radha-Krishna-Traditionen auf und damit gleichzeitig die gesamte Geschichte des indischen Films. Die Radha-KrishnaTradition verweist auf das Hin und Her um die Lust, auf die Freude und auf den Versuch, diesen Moment der Freude wahrzunehmen. Liebe, weltliche Liebe wird nicht tragisch, sondern zärtlich und fröhlich dargestellt. In den klassischen Texten absorbiert die Liebe zwischen Radha und Krishna alles, ist ewig und bleibt rein, jedoch bleiben beide getrennt. In der Laila-MajnuTradition ist die Liebe als geistig-emotionale und religiöse Liebe für Gott oder für die Götter zu verstehen. Sie entstammt zwar der arabisch-persischen Tradition, greift jedoch auch die Darstellung der Frau als Sita auf, ein „Konzept“ aus dem hinduistischen Ramayana-Epos, das ein Grundmotiv des indischen Films bildet. Diese Tradition reicht bis in den Film „Elizabeth“, da die ideale „Liebesbeziehung“ der Königin (Cate Blanchett) sich im Film in Bezug zu einem mythischen England entwickelt, vergleichbar dem indischen religiös-kulturellen Muster. Die weltliche Liebe bringt in der Laila-Majnu-Tradition häufig nur Qualen und Erniedrigung mit sich. Christliche Erbschaft einerseits, indische Erbschaft andererseits (Mahabharata und Ramayana): In beiden Fällen rückt die Symbolik der Frisuren mit selbstzerstörerischen Zügen ins Zentrum der bildlich-filmischen Rhetorik. Die Frisur deckt hier ebenso herrschaftstechnische Elemente auf und spricht sowohl hegemonial-patriarchalische Zusammenhänge (von Kontrolle, Moralität, Sichtbarkeit) an – was Michel Foucault als Mikrotechnik der
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Macht bezeichnet –, als auch geschlechtsspezifische Raumkonstellationen. Die Frisur steht z.B. in enger Relation zum durch die Halskrause starren und engen Kragen und verweist darüber hinaus – als Element der strengen spanischen Mode – auf die Negierung des Körpers (Abb. 42). Die Frisur steht hier für die Selbstopferung des ganzen Körpers, der gesamten Person. So nah sich die Darstellung an das einzige offizielle Gemälde Elisabeths in Amtskleidung anzulehnen scheint, so spielerisch erweisen sich doch bei genauerer Betrachtung die Kostüme und die Frisurelemente. Abb. 42: „Elizabeth“
Haar-Plot heißt der Terminus technicus für die Bearbeitung oder die Herstellung einer Frisur im Sinne einer Story. Als Ersatz für die im Film fehlende sinnliche Dimension wird eine suggestive und kraftvolle Stimmung erzeugt, in der Frisuren, Musik und Jugendgruppen im engen Zusammenhang stehen: Bubikopf mit Charleston, Tolle mit Rock and Roll und Halbstarken, Sassoon-Frisuren mit Twist und Mods, so bei Jimmy Cooper (Phil Daniels) in „Quadriphonia“ (1979).17 Ein Beispiel der verschiedenen Genres bietet Alan Parkers „The Commitments“ (1991) wenn die Bandmitglieder ausgewählt werden. Jede Musikrichtung weist dabei charakteristische Frisuren auf. In der „Matrix“-Saga scheinen die Formen der Frisuren und die Haarfarben von der Technik und den Computern erzeugt, ähnlich wie bei Lara Croft und andere Fantasiefiguren: schlicht, mit klaren Formen, die Haare glatt am Kopf, die Kleidung eng am Körper anliegend. Die Frisur ist gänzlich dem Look angepasst oder besser gesagt, beide zusammen machen den Look. Der unübersehbar kriegerisch-militärischer Aspekt dieser Frisuren knüpft unmit17 Dieser Film hat stark zur Verbreitung der Retrowelle in den 1980er Jahre beigetragen. Vgl. dazu Jenss 2004, 271-290.
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telbar an die potentielle Brutalität der heutigen Maschinenwelt mit ihrer sanften und zugleich abstrakten Präzisen Gesten an. Selbst der Gesichtsausdruck wird durch die distanzierende Sonnenbrille – Morpheus’ Brille, Neos Brille – abstrakter. Dennoch ist Trinitys Cyberfrisur der alten Kiste der Frauenbilder der Märchen zuzuordnen. Darüber hinaus kann auch die Frisur als Plotpoint gelten wie in „Shakespeare in Love“ (1998), als sich Gwyneth Paltrow bei der Theaterprobe durch ihr langes Haar verrät. Im Krimi dient ein einzelnes Haar als Beweismittel und als Indiz, um die Sichtbarkeit des Tatverdachts auszudrücken. Im SpionageFilm gerät ein einzelnes Haar zur Markierung wie bei James Bond, der, um herauszufinden, ob er während seiner Abwesenheit unerwünschten Besuch erhalten hat, ein Haar zwischen Tür und Türrahmen seines Hotelzimmers einklemmt, sichtbar nur für ihn und für uns. Die Beziehungen zwischen Film und Geheimdienst verlaufen auch in umgekehrter Richtung, denn nicht selten werden von den Geheimdiensten Elemente der Filmfiktion bis hin zu den Frisuren als Tarnung (von Personen und auch von Sachen) übernommen.18 Es wird hier also mit den Frisuren und der Schminke nicht nur direkt am Körper gearbeitet, sondern auch am Körper Maß genommen wie durch Kopfabdrücke aus Gips, Silikon- und Polyesterharz, Perücken, Haarteile oder durch Veränderungen, Prothesen, Masken und andere Spezialeffekte.
Die Macht des Hutes Als Ergänzung oder Ersatz der Frisuren und als Aufwertung und Vergrößerung des Kopfes gibt es im Film Haarschmuck und Kopfbedeckungen. Für die Geschichte des Hutes im Film wäre ein umfassendes Buch vonnöten. Von Louise Brooks Proletenmütze in „Die Büchse der Pandora“ (1929) über Marlene Dietrichs kleinen Cloche-Hut mit Schleier in „Shanghai Express (1932) oder Vivien Leighs breitkrempigen Hut in „Vom Winde verweht“ (1939), Bonnys Baskenmütze (Faye Dunaway) in „Bonny und Clyde“ (1967) bis hin zu Nicole Kidmans winzigem Zylinderhut in „Moulin Rouge“ (2001), alle verweisen auf die Macht des Hutes im Film. „Ich fühle mich nackt und bloß, wenn ich ohne Kopfbedeckung bin“, sagte einmal Hedy Lamarr.19 Mütze, Haube, Kappe, Schleier und Kopftuch, Barett, Toque, Panamahut, Turban, Kranz, Zylinderhut, Strohhut, Melone, Narrenkappe, Tiara, Krone oder Pelzmütze – Kopfbedeckungen trennen unterschiedliche Lebenswelten. Auch in seiner Wahrnehmung durch die Bildmedien wirkt der Hut „als ein geometrischer Korpus, der vom männlichen Körper absteht und in den BildRaum hineinragt. Damit scheint er eine kulturelle Männlichkeit zu definieren, die sich, wie es kulturanthropologische Vergleiche zeigen und bestätigen, dadurch stets von der Frau abhebt, dass er auf äußere, dem Körper fremde Signifikanzen zurückgreift. Bei den Frauen hingegen orientieren sich die kulturell definierten Unterschiede in erster Linie am Körper. Der Mann greift auf Dinge der äußeren Welt zurück, die er sich hier mittels des Hutes gewissermaßen einverleibt. Dies stellt eine Beherrschung in doppeltem Sinn dar: des Objektes und der symbolisch angeeigneten Welt. Das Objekt Hut
18 Vgl. Hemmerle 1997, 177-194. 19 Zitiert nach Engelmeier 1990, 76.
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verschafft ein Wohlgefühl der Größe und damit die Vergrößerung des eigenen Ichs“.20 Längst haben zwar Kopfbedeckungen ihre ursprüngliche Bedeutung von Autorität, Macht, Unterwerfung oder gesellschaftlicher Einordnung und mondäner Gelegenheit eingebüßt, jedoch ist die oben zitierte Geschlechterbewertung „am Körper“ oder „außerhalb“ des Körpers – auch im Film – nicht völlig obsolet geworden, dies gilt übrigens für alle Kleidungsstücke und für den Look insgesamt. Ihre einstige Bedeutung hat sich nur stärker differenziert, da sie den Mann heute auch „am Körper“ trifft. Im Film dienen Kopfbedeckungen vor allem als ästhetische Gestaltungselemente der Erscheinung, ohne allerdings ihre Bedeutungen oder ihren geschlechtsspezifischen Charakter ganz aufzugeben. In historischen Filmen gewinnen sie je nach Bedarf diese verlorene Bedeutung wieder oder erhalten je nach Kontext eine neue. „Der einzige Zeuge“ (1985) von Peter Weir spielt teilweise bei den Amish-People in Pennsylvania. Die Kostüme erhalten hier eine besondere Bedeutung, denn die Amisch lehnen jede Form von Mode ab und tragen bis heute ihre „schlichte“ Kleidung jener Zeit. Als der Amish-Junge Samuel (Lucas Haas) und seine Mutter Rachel (Kelly McGillis) nach New York reisen, wird er, während er in Central Station auf die Toilette geht, Zeuge eines Mordes. Da Samuel erkennt, dass es sich bei dem Mörder um einen hochrangigen Polizisten handelt, taucht der Kriminalbeamte John Book (Harrison Ford) zum Schutz des Jungen in die Welt der Amisch ein. Ein regelrechtes Spiel mit Hüten und Hauben beginnt. So drückt Rachels Umgang mir der Haube ihre Zuneigung für Book aus, wenn sie in einer Szene diese etwa liebevoll auf den Tisch legt und ihre Liebe nicht länger verdrängen will. Abb. 43: „Goldfinger“
20 Vgl. „Der Krieg der Köpfe“ von Gabriele Mentges, die mir freundlicherweise das Manuskript ihrer Antrittsvorlesung aus dem Jahre 1997 an der Universität Dortmund überlassen hat.
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Jeder kennt Charlie Chaplins Melone – sie wurde zum universellen Symbol – oder die Melonen von Stan Laurel und Oliver Hardy. Alle drei Figuren knüpfen an die Tradition der Music Hall an. Die Melone als Kopfbedeckung der Mittelschichten verkörpert aber bei Laurel und Hardy zugleich ihre Würde als Gentlemen, egal in welch peinlichen Situationen sie sich befinden, hingegen signalisiert der gleiche Hut bei Chaplin zumeist die soziale Diskrepanz.21 Eine interessante Variante davon bildet Oddjob (Harold Sakata) mit seiner Melone, der Fahrer von Erik Goldfinger (Gerd Fröbe) in „Goldfinger“ (1964). Die Melone dient hier als Mordwaffe bei allen denkbaren Gelegenheiten (Abb. 43). Das eher schlichte Straßenhütchen von Scarlett O’Hara in der Basar-Sequenz aus „Vom Winde verweht“ ist vermutlich das einzige exzentrische Kleidungsstück im gesamten Film. Dieser Hut wurde vom Regisseur David O. Selznick gegen den Willen von Suzan Meyrick und Walter Plunkett durchgesetzt, die für Ausstattung und Kleidung zuständig waren und die den Regisseur von der Absurdität des Hutes überzeugen wollten. Für Selznick hingegen wurde „dadurch der Kontrast zwischen Scarletts Witwenschaft und ihrem frivolen Benehmen besonders stark hervorgehoben“.22 Im klassischen Erzählfilm dient der Hut dazu, das Gesicht zu betonen, bei weiblichen Figuren vor allem seine erotisch-soziale Ausdruckskraft. Der übergroße lilafarbene Federhut mit breiter Krempe ist das erste, was wir von Rose (Kate Winslet) in James Camerons „Titanic“ (1997) erblicken, als ob sie unter ihrer Rolle und ihrer Pflicht verschwinden würde. Vom Schiff ist sie, entgegen der Meinung aller Mitreisenden, überhaupt nicht begeistert. Thelmas Baseballkappe (Geena Davis) und Louises Cowboyhut (Suzan Sarandon) dagegen sprechen in „Thelma und Louise“ (1991) eine Sprache von frisch gewonnener, aber unmittelbar bedrohter Freiheit. In der tragischen Schlussszene fliegen auch ihre Kopfbedeckungen davon. Kopfbedeckungen verändern völlig den Eindruck, den wir von einem Gesicht haben. „Hierbei ist das Gestalterische von besonderer Bedeutung: Durch die Kopfbedeckung wird die ganze Gestalt artikuliert, formt sich die Silhouette des Menschen. Hüte wie Mützen betonen und formen den Kopf, verlängern oder erhöhen die Person, ja die Persönlichkeit, machen seine Ausbreitung im Raum auffällig sichtbar. Sie können auch die bildmächtige Gebärdensprache unterstützen. Die Frage nach dem Körper, nach seiner jeweiligen Körperlichkeit in Bezug zu ihrer räumlichen Präsenz steht daher zwangsläufig im Mittelpunkt des Interesses. Der sperrige, steife Zylinder, der seine Bezeichnung seiner geometrischen Form verdankt, die Melone, mindestens so steif und hart wie der Zylinder bieten bizarre Formen an, die sich dem Blick des Karikaturisten geradezu aufdrängen und als ‚natürliche‘ Opposition zur Weichheit der Ballonmütze mit ihrer anderen Stofflichkeit karikiert werden. Mittels der Kopfbedeckung werden soziale Benennungen geschaffen, d.h. die Zeichen werden angeeignet und neu verteilt. Die politisch-sozialen Aussagen werden in die textilsprachlichen Bilder von Material und Form gekleidet, was die Annahme von Thomas Kleinspehn zu bestätigen scheint, dass sich das Denken zunehmend
21 Vgl. Robinson 1993, 79-88. 22 Flamini 1982, 253.
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in Bildern vollziehe, die erlebt, aber nicht mehr erfahren werden.“23 Und schon darin mag sich das besondere Verhältnis von Hut und Bild andeuten. Der männliche Hut besitzt im Film nach wie vor männlichen Symbolwert, man denke nur an Clint Eastwood in Sergio Leones Italo-Western und andere Western-Genres. Allerdings lassen sich viele männliche Hutvarianten unterscheiden. Der Borsalino, der Hut der Hüte, seit rund 150 Jahren von Hand aus kostbarem Biber-Haar im piemontesischen Alexandria gefertigt, taucht in unzähligen Filmen auf, angefangen mit dem gleichnamigen Film „Borsalino“ (1970) als Kennzeichen des Gangsterduos Jean-Paul Belmondo und Alain Delon. Traditionell kommen noch Ripsband, Seidenfutter und ein feines Lederschweißband dazu. Besonders gut scheint der Borsalino Paul Newman und Robert Redfords in „Der Clou“ (1973) auf dem Kopf zu sitzen, gut steht er ebenfalls Robert de Niro in „Es war einmal in Amerika“ (1984), in dem der Hut zum Bestandteil der Gangsteruniform wird. Da die nordamerikanischen Biber mittlerweile unter Schutz stehen, wird ihr Fell nur noch in sehr kleinen Mengen geliefert, was den hohen Preis erklärt. So gehört der Borsalino auch zu den eleganten Accessoires des Mannes der feinen Gesellschaft wie bei dem exzentrischen Filmtycoon, Frauenhelden und Flugzeugpionier Howard Hughes (Leonardo DiCaprio) in „Aviator“ (2004). Die Reihe der Kopfbedeckungen ließe sich endlos fortsetzen, angefangen beim Archäologenhut Harrison Fords in der „Indiana Jones“-Trilogie bis zur Nazi-Uniformmütze von Bruno Ganz als Adolf Hitler in „Der Untergang“ (2004), von Marilyn Monroes Showgirlhut in „Blondinen bevorzugt “ (1953) bis hin zu Jean Renos Wollmütze in „Leon der Profi“ (1994). Jede Kopfbedeckung erzählt eine lange und meist einmalige Geschichte. Im ersten Film der „Indiana Jones“-Reihewird sogar erzählt, wie der junge Held in den Besitz seines Hutes kam. Hier greift der Film auf den Mythos der Archäologie als Abenteuer zurück. Pillbox-Hut, Marabuhaube, Kapuze, Tellerhut, Watteauhut, Kulihut, Glockenhut, Pilzhut, Baskenmütze, Topfhut, Motorradkappe, Schlapphut, Trimmer, Demi-Homburg, Canadien, Klappranhut, Camber, Snapbrim, usw. – lang ist die Liste der Filme, in der der Fantasie der Formenfreier Lauf gelassen wird. Oft verleiht gerade der Hut Historienfilmen eine zusätzliche Pointe, gerade bei den männlichen Figuren. „Man(n) ging nie ohne Hut auf dem Kopf, selbst in Innenräumen pflegte man ihn aufzubehalten, eine Gewohnheit, die sich in Englands Schichten bis ins 20. Jahrhundert in den oberen hinein erhalten haben soll. Person, Ehre und Hut bilden auf diese Weise den Bestandteil einer ständischen Kette, die Stand und Status einer Person signalisieren und diese mittels des Hutes zugleich zum Gegenstand von Verhandlungen werden können [...] Bereits die raumgreifende Geste des Hutlüpfens verbindet symbolisch den Kopf mit dem Körper, verbindet den Hut mit der übrigen Kleidung: Beide verwachsen zu einer Einheit. Diese Gestik nimmt bestimmte Bewegungen und Räumlichkeiten in Anspruch: das breit ausladende Barett der Renaissance, das quasi in die Breite wuchert, verlangt eine andere Gebärdensprache als z.B. der hohe holländische Hut“.24
23 Mentges 1999, 9-10; Vgl. auch Hüppauf 1995, 120f.; Miller-Robinson 1993, 125ff; Kleinspehn 1989, 257ff. 24 Mentges 1997, 7 und 11.
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Die konnotative Bedeutung der Haube und des Hutes für die Frau verfügt heute über mehr spielerische Freiräume. Dies bezeugen moderne Hutdesigner wie Philip Treacy mit ihren kunstvollen und extravaganten Kreationen. Sie tauchen allerdings sehr selten in Filmen auf. Filme folgen ihrer Zeit und heute kommen Kopfbedeckungen im Alltagsleben der westlichen Welt nur selten vor. Die Baseballmütze der Teenager zeigt dennoch, dass neue Stimmen existieren mit veränderten Bedeutungsfeldern, was der Film gerne übernimmt.
Dessous im Film: Reiz und Last Nicht nur sichtbare Modeelemente reizen unsere Aufmerksamkeit, sondern mehr noch die „unsichtbaren“ Elemente. Damit ist vor allen der intime Bereich des Körpers gemeint, der in der Unterkleidung filmisch zur Aufführung gelangt. Beim Stichwort Unterkleidung im Film denken wir spontan an Marlene Dietrich als Lola-Lola in „Der blaue Engel“ (1930), die wohl berühmtesten Dessous der Filmgeschichte, an Marlon Brandos Unterhemd in „Endstation Sehnsucht“ (1951) oder an Elizabeth Taylors Petticoat in „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ (1958). Die beiden letzten Beispiele zeitigten sogar unmittelbare Folgen für die Textilindustrie, denn beide – Unterhemd und Petticoat – wurden geradezu begeistert vom jungen Publikum übernommen. Ähnliche Wirkung erzielten Marilyn Monroes Büstenhalter in zahlreichen Filmen oder gar der Mini-Slip von John Travolta in „Saturday Night Fever“ (1977). Umgekehrt nutzte es den Herstellern von Unterwäsche wenig, als Clark Gable in „Es geschah einer Nacht “ (1934) von Frank Capra sein Hemd auszog und seinen nackten Oberkörper zur Schau stellte. Als berühmtes Beispiel kann in „Vom Winde verweht“ ebenso die Szene gelten, in der Scarletts Korsett geschnürt wird. Diese Szene ist nicht nur sexuell konnotiert, sondern kennzeichnet die Auseinandersetzung der Charaktere der cholerischen Scarlett und der ebenso temperamentvollen Mammy (Hattie McDaniel), die für ihre Rolle einen Oscar erhielt – sie war auch die erste schwarze Schauspielerin gewesen, die in den USA vor einem Rundfunkmikrofon auftrat.25 Nicht weniger bekannt, aber anders konnotiert, ist das Zuschnüren von Roses Korsett in „Titanic“ (1997). Die Unterkleidung besitzt hier gleichwohl nicht die klassische sexuell-erotische Bedeutung, sondern kann vielschichtiger interpretiert werden. Zunächst zeigt sie eine Konfrontation zwischen Mutter und Tochter (Abb. 44). Die Art und Weise, wie die Mutter das Korsett heftig, ja fast brutal verschließt – ein deutlicher Hinweis auf „Vom Winde verweht“ –, während die zwei Frauen über Roses geplante Hochzeit streiten, bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Mutter ihre Tochter an die Werte der Alten Welt verpflichten will: eine „arranged marriage“. Cal, der Bräutigam, ein erfolgreicher der Finanzmann, möchte des Titels wegen in eine adlige Familie einheiraten. Diese Szene bzw. ihre Gestik ist ein Hinweis auf die Edwardianische Ära und auf ihre Vorstellungen von der Rolle der Frau. Das Korsett unterstreicht weniger eine erotische Note als vielmehr den Eindruck der sozialen Einsperrung und stimmt auf den Plot ein.
25 Vgl. Flamini 1982, 207.
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Abb. 44: „Titanic“
Kleiderverschlüsse ihrerseits betreffen nicht nur Dessous, sondern Kostüme allgemein. Haken und Ösen schaffen in „Gefährliche Liebschaften“ (1988) interessante Perspektiven. James Bond nestelt z.B. stets dann an seinen Hemdknöpfen, wenn die Situation besonders brenzlig zu werden scheint oder wenn unliebsame Überraschungen drohen. Im Gegensatz zu Handschuhen, die eher als Körperteil assoziiert werden, eröffnen sich über Verschlüsse Zugänge zu den intimen Details einer Person.26 Diese sind bei Frauen wiederum besonders sexualisiert. In „Die Reifeprüfung“ (1967) wird diese sexuelle Anspielung auf die Spitze getrieben, als Mrs. Robinson (Anne Bancroft) den bejubelten jungen Benjamin (Dustin Hoffman) in die Sexualität einführt und damit gleichzeitig ihre eigene Frustration dämpfen will. Der Reißverschluss ihres Kleides wird zum strategischen Werkzeug. So sorgt er in „Ein Goldfisch an der Leine“ (1964) für eine Reihe an Missverständnissen. In dieser Bedeutungsgebung spiegelt sich noch ein Rest der McCarthy-Ära, als die schwarzen Listen noch nicht vollständig verschwunden w und Hollywoodkomödien sich in einem merkwürdigen Versteckspiel gern der Accessoires und Küchengeräte bedienten, um die Stimmung im Land vergessen zu machen oder zu überspielen. In Mike Nichols Film „Die Reifeprüfung“ hingegen werden auf sexueller Ebene unmissverständlich die Schattenseiten der kleinbürgerlichen Mentalität einer verschlafenen Provinzstadt zur Sprache gebracht. Reißverschlüsse können jedoch auch Gewalttätigkeit symbolisieren wie z.B. bei Robert de Niros Lederjacke in „Taxi Driver“ (1976). In „Der Krieg der Knöpfe“ (1964) werden Knöpfe und Schnürsenkel zu Trophäen der erbitterten Kämpfe der rivalisierenden Schülerbanden zweier Nachbardörfer. Haken und Ösen, Schnüre, 26 Zum Thema Verschlüsse als Körperzugang vgl. den Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung „Auf und Zu. 1994.
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Knöpfe, Reißverschlüsse, Klettverschlüsse – jeder Verschluss entwickelt eine eigene filmische Programmatik, man erinnere sich nur an das dezidierte Aufknöpfen von Freyas Kleid (Christiane Hörbiger) in „Schtonk“ (1992) in dem Augenblick, als sie Hermann (Götz George) kennenlernt. Die Filmgeschichte ist voll von Nesteln, Haken und Ösen, Gürteln, Knöpfen, Reiß- oder Klettverschlüssen. Bedeutungsschwangere Szenen mit dem Festschnüren von Korsetts finden sich auch in Stephen Frears „Gefährliche Liebschaften“ (1988) oder in „Orlando“ (1992) von Sally Potter nach dem Roman von Virginia Woolf. Der Film erzählt in sechs datierten und einer undatierten Episode von Orlandos Reise durch 400 Jahre Geschichte. Jedes dieser „Tableaux vivants“ bildet eine eigene selbständige Geschichte und kann unabhängig von den anderen betrachtet werden. In der Schlüsselszene wird Orlando zum Botschafter im Orient ernannt und kehrt zehn Jahre später als Frau zurück. Infolgedessen muss sie Reifrock und Korsett erdulden und lernen, sich darin zu bewegen. Die Genauigkeit der historischen Details täuscht, weil die Kostüme im Film keineswegs realistisch sind, sondern der von Virginia Woolf erfundenen Geschichte entsprechen, in der alles zum Zuge kommt, ob Perücken, Reifrock oder Accessoires. Sally Potter und die Kostümbildnerin Sandy Powell spielen ironisch mit der Übertreibung der Proportionen, mit den Farben, mit dem Pastiche. Selbst der Zitateffekt der Korsettszene ist sarkastisch gemeint. Unterbekleidung nach heutigem Verständnis ist im Kontext der bürgerlichen Kleidungskultur des 19. Jahrhunderts entstanden, ähnlich der dunkle Männeranzug oder der Zylinderhut. Unterbekleidung ist dem bürgerlichen Zeitalter aufs Engste verbunden und entwickelt sich mit dessen wachsendem Einfluss, begleitet seinen Hygiene- und Moralwahn und entfaltet sich in den Fantasmen und Obsessionen der widersprüchlichsten seelischen Zustände: zwischen weißer Weste und Doppelmoral, zwischen Zurückhaltung und Luxus, zwischen Ordnung und Promiskuität, zwischen strenger Ethik und Sinnlichkeit. Die voyeuristische Moderne findet hier einige ihrer Wurzeln, mit der der Film sehr früh umzugehen und zu spielen gelernt hat. Im Campions „Das Piano“ (1993) bildet die Unterkleidung und die Ausrüstung Adas ein zentrales Handlungselement, denn ihre Entblößung versteht sich als Folge eines Deals: Liebe als archaisches Tauschgeschäft. Der Tauschwert und das Tauschmittel ist das Piano. Baines hat es mit Stewart gegen ein Stück Land getauscht, obwohl es Ada gehört. Sie will es zurückhaben, und sie kauft es sich zurück, Klaviertaste für Klaviertaste. Am Ende will sie Baines’ Körper, er Adas Liebe. Sie hat die Rollen vertauscht: er wird zum Liebesobjekt. Dazwischen erleben wir die Szene der „Effeuillage“ der Ausrüstung Adas: zehn Tasten auf einmal. Kleidungsstück für Kleidungsstück zieht sie aus. Dies vermittelt nicht nur einen Einblick in ihre Garderobe, sondern vor allem in die gepanzerte Vorstellungswelt der Viktorianischen Zeit. Am Anfang des Films sehen wir, wie Ada ihren Unterrock zu einem Zelt umfunktioniert, das für sie und ihre Tochter bestimmt ist. In Kapitel 2 haben wir gesehen, wie die Krinoline das Symbol für die Verwandlung der Heldin verkörpert. Der Bereich des Intimen hat heute fast alle seine Geheimnisse preisgegeben. Mit Mühe versucht sich der Film mittels der Technik und anhand der Unterkleidung an einer neuen Verzauberung des Körpers. Eine moderne Welt
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ohne Unterkleidung ist eben schwer vorstellbar und erscheint im Film als geradezu unmöglich. So erscheint es nur konsequent, wenn sie anders als für erotische Zwecke eingesetzt wird wie in der Schlüsselszene von Kubricks „Eyes Wide Shut” (1999). Hier kommt den Dessous – während der gesamten Szene bleiben Alice (Nicole Kidman) und Bill (Tom Cruise) in Unterkleidung – weniger eine voyeuristische Rolle zu als vielmehr die Aufgabe, die emotionale Stimmung zu steigern. Der erotische Schock vollzieht sich nicht auf der körperlichen Ebene, sondern im Kopf, wenn Alice ihrem Mann gesteht, was in ihr vorgeht. In „Basic Instinct“ (1992) dagegen trägt Catherine Tramell (Sharon Stone) keine Unterwäsche bzw. keinen Slip. Die Art, wie sie dies während des Verhörs zur Schau stellt – was wesentlich zur Berühmtheit des Films beigetragen hat –, gehört nicht unbedingt zu den Höhepunkten der Filmgeschichte. Dennoch beherrscht diese Vorstellung offenbar männliche Obsessionen wie bei Krzysztof Kieslowski in „Drei Farben: Blau“. Er lässt Sandrine (Florence Pernel), die Prostituierte, gleich bei ihrer ersten Begegnung mit Julie (Juliette Binoche) beim Schwimmbad darauf hinweisen, dass sie grundsätzlich nie Unterhosen trägt. Auch Daphnes (Jack Lemon) Büstenhalter ist in „Manche mögen’s heiß“ (1959) nie zu sehen, doch hat sie ständig Probleme mit ihm und stellt sich darüber hinaus viele andere Fragen. Wegen des Büstenhalters kommt es sogar mehrmals fast zu Auseinandersetzungen mit ihrer Freundin Josephine (Tony Curtis). Elenas Unterkleidung (Catherine Zeta Jones) in dem flotten NostalgieAbenteuer „Die Legende des Zorro“ (2005) versteht sich dagegen eindeutig als ausgesprochen erotischer Blickfang. Die männliche Unterkleidung erfährt ebenfalls eine sexuelle Betonung, wenngleich auf eine andere Art und Weise. In „Full Metal Jacket“ (1987) bedeutet die Unterkleidung wie die gesamte Ausrüstung beim Marsch der Rekruten durch den Schlafraum auch eine ironische sexuelle Anspielung, die unmissverständlich die enge Verbindung von Waffen und Virilität anzeigt. Im zweiten Teil von „1900“ (1976) ziehen Gérard Depardieu und Robert De Niro gleichzeitig ihre Unterhosen aus – frühes Anzeichen ihrer lebenslangen Konkurrenz. Die Unterhose taucht bei Männern im heutigen Film fast ebenso häufig auf wie die der Frauen. Im amerikanischen Film ist sie sogar noch häufiger zu sehen als im europäischen, da männliche Schauspieler sich in Europa vollständig entblößen dürfen, in amerikanischen Filmen hingegen eine Unterhose tragen müssen. Dasselbe gilt auch für die Brüste der Frauen, die in amerikanischen Produktionen zwar entblößt sein können, aber keine Brustwarzen zeigen dürfen. Auch Strümpfe können bei Männern durchaus zur Unterkleidung gezählt werden, wie etwa James Stewart Strumpfbänder in Lubitschs „The Shop in the Corner“ (1940). Dessous treten bei Tanz-, An- und Auskleide- sowie Striptease-Szenen in allen Varianten in Erscheinung. Dennoch haben sich die Bilder verschoben. Madonna hat mit ihrer Bühnenakrobatik bewiesen, dass ein Korsett heute alles andere als einen Panzer und eine Einengung des Körpers bedeutet. Dies hat sie sich gemeinsam mit Jean-Paul Gaultier, – später auch mit Christian Lacroix,27 – exklusiv ausgedacht. Dank der beiden Designer ist Unter- zur 27 Bei letzterem im Hinblick auf die Materialfrage.
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Oberbekleidung geworden und wird gelegentlich sogar mit Perlen geschmückt. Dafür griffen die Hersteller tief in die historische Klamottenkiste. So werden Bustiers, Mieder, Korsetts, Korseletts, Guêpières, Schlüpfer u.a. mit postmodernen Hightechmaterialien spielerisch re-produziert und mit modernen Elementen wie Strings, Tangas, Push-up-BHs kombiniert. Modedesigner unterscheiden, Christian Lacroix zufolge, zwischen zwei Arten von Dessous: die einen, die sich die Frauen aneignen können, die anderen – und hierbei lassen sich die Designer gern von den Glamourbildern des Kinos inspirieren – für die Träume des Männer. Das Kino geht noch großzügiger mit den Träumen um und versucht, alle Geschlechter zufriedenzustellen.
Die Ordnung der Fußbekleidung Von der Kopfbedeckung zur Fußbekleidung: Im Herbst 2005 wurde eine ganze Sammlung von Schuhen, die Salvatore Ferragamo für Marilyn Monroe, Bette Davis, Audrey Hepburn, Greta Garbo, Madonna, Joan Crawford, Katherine Hepburn, ja Mary Pickford u.a. entworfen hatte, im Berliner KaDeWe ausgestellt (Abb. 45). Dies scheint kulturbildlich die Rückkehr des Berliner Kurfürstendamms zum Luxus zu bekräftigen. Abb. 45: Sammlung Ferragamo im Berliner KaDeWe
Bereits Vincent van Gogh hat 1886 mit seinem Bild „Ein Paar Schuhe“ eindrucksvoll die Wirkung alter Schuhe demonstriert. Einige seiner Kollegen von René Magritte mit „La philosophie dans le boudoir“ oder „Das rote Muster“ bis hin zu Andy Warhols „Diamond Dust Shoes“ folgen ihm auf diesen Spuren. Nicht weniger bekannt ist der surrealistische „Shoe-Hat“ der Modedesignerin Elsa Schiaparelli. Pantoffeln, Stiefel, Sandalen, Absatzschuhe, Bundschuhe, Schnür- oder Riemenschuhe, Zoccolo, Kuhmaulschuhe, Schnabelschuhe, Trippen, Stöckelschuhe, Halbschuhe, Stiefeletten, Lilienfüße, Doc Martens, Sportschuhe, Turnschuhe, Mokassins, Sneakers, Slippers, Holzschuhe, Tanzschuhe, klobig oder zierlich, High Heels oder flach, aus Ferragamos Werkstätten oder vom Flohmarkt: Es gibt praktisch keine Schuhform, die der Film nicht ins Rampenlicht bringt. Er zeigt sie in allen Varianten und in allen möglichen
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Situationen, neu oder gebraucht, im Regen oder im Schnee, im Urwald, in der Wüste oder auf dem Asphalt der Metropolen. Für den Fantasy-Film wie in „Highlander 3“ wird sogar eine neue Variante erfunden: die fliegenden Schuhe, die sich automatisch schließen. Aber brauchen wir überhaupt Schuhe, wenn es so schön sein kann, barfuss zu laufen? Mit Schuhen fing der aufrechte Gang des Homo sapiens über Stock und Stein überhaupt erst an, behaupten manche Forscher. Schuhe bestimmen die Bewegung und die Gangart: Joggingschuhe stehen für federnden Lauf, hochhackige Schuhe für den steifen Gang auf dem Laufsteg. Die großen Schuhdesigner wie André Perugia, Salvatore Ferragamo, Roger Vivier, Robert Clergerie oder Manolo Blahnik haben speziell für den Film Schuhe entworfen. Was für ein immenser Produktionsapparat hinter jedem Schuh steht, ist für die Filmbranche weniger von Interesse als das, was Schuhe ausdrücken und bedeuten können. Gerade wenn die Kamera sich genauer der Fußbekleidung widmet, plant die Regie immer etwas Überraschendes. Wenn man in „Manche mögen’s heiß“ (1959) die schicken schwarzen Schuhe und Gamaschen der Gangsterbosse sieht, wie sie aus dem Auto steigen, ahnt das Publikum bereits, dass ein entscheidendes Ereignis des Films bevorsteht. Schuhen galten bereits Ende des 19. Jahrhunderts als Aushängeschild des Fetischismus. Grenzüberschreitungen werden nicht selten im Film anhand von Schuhen oder Strümpfen angedeutet. Schuhe haben im Film meist Symbolwert häufig von sozialer Natur, bei Frauen meistens jedoch vor allem von erotischer Natur. Dafür ist es nicht nötig, die Stöckelschuhe von Marilyn Monroe in „Blondinen bevorzugt“ (1953), die schwarzen Stiefel Vivian Wards (Julia Roberts) in „Pretty Woman“ oder die ganz ähnlichen roten Stiefel Lindas (Mira Sorvino) in „Geliebte Aphrodite“ (1995) zu erwähnen, da in fast allen Filmen Frauenschuhe mehr oder weniger diskret eine erotische Prägung besitzen. Das Spiel mit Leder und Fuß, mit Beinen, Strümpfen, ja selbst den Strumpfhosen bis hin zu Strumpfbändern, wird in allen möglichen Varianten immer wieder aufs Neue aufgegriffen. Vom Fuß zum Bein ist die Entfernung äußerst kurz, und die fetischistische Andeutung könnte nicht deutlicher formuliert werden als in Mike Nichols „Die Reifeprüfung“ (1967), als Mrs. Robinson (Anne Bancroft) vor Ben (Dustin Hoffman) ihre Strümpfe auszieht. Diese Szene wurde sogar zum Motiv des Filmplakates auserkoren. Das Anprobieren von Schuhen als Symbol der Sexualität gehört zu den Leitmotiven der bildenden Kunst. Fußsymbolik als Fußerotik kann allerdings auch anders inszeniert werden, etwa als rituelle Handlung wie die Fußmassage in die „Die rote Laterne“ (1991) von Zhang Yimou. Bei Männern nehmen Fußbekleidungen soziale, vor allem aber männlichkriegerische Bedeutungen an wie bei der oben zitierten Kamerafahrt über die Stiefel des Protagonisten in „Lawrence von Arabien“ während des Zugüberfalls, als Lawrence auf das Zugdach klettert und in Siegerpose umherstolziert. Ein weiteres spannendes Beispiel führt der Film „Die Rache des Fährtensuchers“ (1990) vor, als im Vorspann von den auf Rache sinnenden Feinden der Samen nur die bedrohlich im Schnee vorwärtsschreitenden Pelzstiefel zu sehen sind. Damit wird zugleich die gesamte Problematik des Films in einer einzigen Szene brillant zusammengefasst. Die Großaufnahme von Kolumbus’ Stiefeln (Gérard Depardieu), als dieser in „1492 – Die Entdeckung des Paradies“ (1992) amerikanischen Boden
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betritt, wird ambivalent gestaltet: Einerseits expliziert sie Kolumbus Begeisterung und Neugier ein neues Land entdeckt zu haben, andererseits sind seine Schritte energisch und kriegerisch, ja geradezu besitzergreifend. Von den Tanzschuhen Moira Shearers in „Die roten Schuhe“ (1948) über die Pantoffeln von Marilyn Monroe in „Das verflixte siebte Jahr“ (1955) oder die roten Plateau-Schuhe von Olivia Newton-John in „Grease“ (1978) bis hin zu den Stiefeln Peter Fondas und Dennis Hoppers in „Easy Rider“ (1969) oder den riesigen Doc Martens von Elton John in „Tommy“ (1975) scheint selbst das Spektrum der Symbolwirkung von Schuhen umfangreicher zu sein als die Liste der Filme. Es verdeutlicht, dass der Film sich bereits in den 1960er Jahren und insbesondere dann in 1970ern drastisch von klar festgelegten Deutungen abwendet und mit den ehemals stabilen Zeichen experimentiert. Liebe, Erotik und Sexualität, Macht und Herrschaft, Unterwerfung, Widerstand und Verweigerung, Beweglichkeit, diese Topoi der Schuhbedeutungen nehmen heute sowohl im Film als auch in der Mode eher spielerischen Charakter an. Eine Sache jedoch haben beide gemeinsam, ganz gleich, ob es sich um Amélies Schuhe in „Die fabelhafte Welt der Amelie Poulain“ (2001) handelt, um Leons Schuhe mit unverwüstlichen Sohlen aus GoodyearAutoreifen in „Leon, der Profi“ (1994), um die Sportschuhe von Christopher Lambert in „Highlander 1“ (1986), die Stöckelschuhe von Marilyn Monroe in „Manche mögen’s heiß“ (1956): Alle Schuhe kennzeichnen den Charakter ihrer TrägerInnen. Berühmt sind die Schuhe Cinderellas – ein Hauptmotiv der Story Schuhe galten/gelten als ein unzweideutiges soziales Distinktionsmerkmal. Nicht nur Imelda Marcos oder Jackie Kennedy waren besessen von Schuhen, sondern eine ganze Reihe von EpigonInnen folgte ihrem Beispiel auch im Film wie z.B. Maggie (Cameron Diaz), die sich für Roses Schuhe (Toni Colette) interessiert im Film „In den Schuhen meiner Schwester“ (2005). „Frauen lieben Schuhe“, sagt Cameron Diaz, „weil sie wie Architektur sind: eine hinreißende Verpackung, und das für einen sehr erotischen Teil des Körpers. Darüber hinaus geben sie dir Balance, Höhe, Statur und sicheren Stand. Schuhe erlauben uns so viele Dinge, aber ich gehe trotzdem noch immer sehr viel barfuss. Trotzdem muss ich alle Schuhe haben. Das ist fast schon zwanghaft“.28 Bei Männern sind die Gründe vielleicht anders gelagert, aber die Besessenheit nicht geringer.
Kleine Accessoires mit großer Wirkung Es lässt sich keine allgemeine Bedeutung der Accessoires feststellen, diese ist allemal unterschiedlich. Accessoires ergänzen den Look und können folglich im Film völlig autonom behandelt werden. In manchen Szenen überragt ihre Bedeutung die der Kostüme. Viele Kultfilme und Klassiker wirkten daher im Bereich der Accessoires modeprägend. Es ist nicht immer klar, ob ein „Modeklassiker“ einen Kultfilm gemacht hat oder ob umgekehrt ein Kultfilm einen Modeklassiker erzeugt, oder ob die SchauspielerInnen für beides verantwortlich zeichnen. Den Ausschlag gab vermutlich nur das Publikum. Modeklassiker und Film sind meist kaum voneinander zu trennen.29 „Die 28 Interview mit Cameron Diaz. In: Cinema 330/2005, 31. 29 So der Trenchcoat in „Casablanca“ (1942), das kleine Schwarze in „Frühstück bei Tiffany“ (1960), das T-Shirt in „Endstation Sehnsucht“ (1961) und in Mini-
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Macht der Accessoires“, so die Überschrift eines Beitrags in der Süddeutschen Zeitung über die roten Handschuhe von Isabelle Huppert in „Geheime Staatsaffären“ (2006) von Claude Chabrol. Morpheus’ Sonnenbrille aus „Matrix“ (1999) wird zum SonnenbrillenTypus, wobei „Matrix“ die Sonnenbrillen als „erzählendes“ Accessoires nicht als erster eingesetzt hat. Bereits fünfzig Jahre zuvor wird etwa in „Außer Atem“ (1960), in „Frühstück bei Tiffany“ (Abb. 46; 1961), in „Charade“ (1963) oder in „Wie klaut man eine halbe Million Dollar“ (1966) die Sonnenbrille zum kennzeichnenden Accessoire. Sie steht sowohl für Maskerade und Tarnung, Maske und Geheimnis als auch für Erotik, für Schutz und Verwandlung, ja Weltanschauung. Abb. 46: „Frühstück bei Tiffany“
Über jedes Accessoire ließe sich ein eigener bebilderter Text verfassen. Die Rolle der Accessoires und die der Kostüme überlappen sich im Spielfilm, vermitteln jedoch eigene, zusätzliche Botschaften. Zusammen mit dem Hut von Rose (Kate Winslet) in „Titanic“ fallen gleichzeitig ihre eleganten weißen Handschuhe auf, wenn der Chauffeur in Livree die Tür öffnet und ihr beim Aussteigen aus der Luxuslimousine hilft. Diese Handschuhe liefern einen Hinweis auf das erste Auftreten von Rose als alter Frau (Gloria Stuart), bei dem man nur ihre faltigen und schmutzigen Hände erblickt, die beim Töpfern zu sehen sind. Diese Kontraste heben die vergangene Zeitspanne, Roses Entwicklung und ihre Reife hervor. Sie lassen uns zugleich ihre innere Verfasstheit spüren. Die unbefleckten Handschuhe schützen die scheue junge Frau von der sie umgebenden Welt und vor der Menschenmenge im Gegensatz zu den nackten Händen der kraftvollen, entschiedenen und kreativen alten Frau. Handschuhe aus Seide, aus feinem oder aus derbem Leder, aus Wolle, aus Hightechmaterialien oder aus Kunststoffen – man denke nur an „Gilda“ (1946), den Film Noir, Krimis oder Arzt-Serien, um sich die Reichweite denkbarer Konnotationen bei Handschuhen klarzumachen: als erotiFassung für Frauen in „Kids“ (1995), die SM-Unterkleidung in „The Rocky Horror Picture Show“ (1975), das Hawaii-Hemd in „Romeo und Julia“ (1996), der Minirock in „Clueless“ (1995). Vgl. auch Schmidt/Loschek 1999 oder als schrille Variante Tolkien 2002.
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sches Werkzeug, Sozialindikator, Schutzutensil (Chirurgie, Metallurgie, Kälte), Mordinstrument oder Rüstung. Accessoires können dabei ebenso zur Evozierung einer Idee oder als ein Teil des Ganzen auftreten. Von Interesse ist auch die Präsenz der Krawatte im Film, die seit dem Siegeszug des Casual Wear im Alltag erheblich seltener getragen wird. Hier übernimmt der Film die Rolle, die zuvor das Theater einnahm, nämlich Klarheit für die Lesbarkeit der Welt herzustellen. Als männliches Kleidungsstück schlechthin bildet hier die Krawatte ein Sinnbild gesellschaftlicher Konventionen, sie steht für Anstand und männliche Seriosität. Ihr gelockerter Knoten kann jedoch auch eine distanzierte Haltung zum Ausdruck bringen, kurz: Sie steht für die Ritualisierung der Beziehungen. Für die Surrealisten galt die Krawatte als ein Strick, an dem man sich aufhängen kann. Alles, was in Halsnähe befindet und Symbolwert erhält, ist meist mit sexueller Bedeutung befrachtet, wie dies Günter Grass meisterhaft in seinen Roman „Katz und Maus“ (1961) beschrieben hat. Wird die Krawatte allerdings von Frauen getragen wie etwa, kombiniert mit Anzug und Zylinder, von Marlene Dietrich in „Marokko“, so bringt sie die Pervertierung der traditionellen Geschlechterrollen zum Ausdruck, eine Bedeutung, die sie heute längst eingebüßt hat. Selbst der Halsausschnitt, um beim Hals zu bleiben, verändert den Eindruck einer Person. V-Ausschnitt und tiefes Dekolleté weisen auf Erotisierung hin, während Stehkragen dagegen für Steifheit stehen, Reverskragen für Spießigkeit und Polokragen für Coolness. Die Beschreibung der Schmuckstücke im Film könnte ein Buch füllen, angefangen beim Halsband von Liz Taylor in „Cleopatra“, die Halskette von Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“ (1961), von Kim Basinger in „Sag niemals nie“ (1983) bis hin zur Schmucksammlung in „Über den Dächern von Nizza“ (1955). Man kennt die Leidenschaft und den sechsten Sinn Marilyn Monroes in „Blondinen bevorzugt“ für jedweden Schmuck und ihre Fähigkeit, selbst aus großer Entfernung eine Fälschung von einem echten Stück zu unterscheiden. Durch den Schmuck „wird der Körper ge- und zergliedert, indem einzelnen Körperteile betont und herausgehoben werden “.30 Dies trifft besonders auch für jene Szene gegen Ende des Films „Boccacio66“ (1966), in der Romy Schneider mit nichts mehr als einem wertvollen Perlenhalsband bekleidet ist.31 Die „Das Herz des Ozeans“, das Halsband von Rose in „Titanic“, gilt nicht nur als Schmuckstück, sondern liefert den Schlüssel zum Verständnis des Films und fungiert als Verbindungsglied zwischen den verschiedenen Teilen und Epochen. Entsprechend verändert sich seine Bedeutung und sein symbolischer Gehalt im Laufe der Geschichte: Fungiert es zunächst als Merkmal der Keuschheit, so verwandelt sich das Halsband allmählich zu einem geheimnisvollen Zeichen, zu einem Sinnbild für Liebe und Erotik, dann wiederum zum Schlüssel der Vergangenheit, zum Wahrzeichen der Unzerstörbarkeit und schließlich zum Symbol der Erinnerung. Das Schlüsselmotiv des Films „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ (2003), der sich auf ein berühmtes Gemälde Jan Vermeers stützt, bilden die Ohrringe. Große Aufmerksamkeit erlangen Ringe in „Der Herr der Ringe“ durch die 30 Mentges 1999, 1179. 31 In den übrigen Szenen hat Coco Chanel die Kostüme von Romy Schneider entworfen.
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Symbolik von Ring und Macht. In dem Film „Die 55 Tage von Peking“ (1962) gerät die prachtvolle Halskette der Comtesse (Ava Gardner) zum politischen Streitobjekt. Die Unterscheidung zwischen Schmuck, Accessoires und Kleidungsstücken ist eher fließend, auch im Film. „Maßgeblichen und nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklungen im Schmuckverständnis übten die Veränderungen im Frauen- und Männerbild aus“,32 so z.B. beim Ohrring der Männer oder den Implantaten bei Frauen und Männern. Schmuck hat immer eine wichtige Position in der Entwicklung von sozialen Strukturen eingenommen. Seine Symbolkraft ist heute zwar mehr von konsumwirtschaftlicher als von kulturpolitischer Natur, jedoch bleibt seine künstlerische und emotionelle Bedeutung unangetastet. Wir erhalten allerdings im zweidimensionalen Kino keinen haptischen Zugang zum materiellen Reichtum des Schmucks: von Edelsteinen oder Metallen bis hin zu Knochen, Kunststoffen, Holz oder Textilien, ja allen möglichen organischen und anorganischen Materialien. Eine verdeckte Facette von Schmuck bzw. speziell des Diamanten zeigt der Film „Blood Diamond“ (2006) von Edward Zwick, nämlich die des besonders blutigen Geschäfts mit Edelsteinen. Daher mutet der versöhnliche Schluss des Films etwas merkwürdig an.33 Wie alle anderen Kostümelemente im Film bleibt auch Schmuck auf den Charakter bezogen. Unter Schmuck kann dabei jede Art von Verzierung verstanden werden, angefangen von der klassischen Goldkette, der Brosche bis hin zum modernen Piercing, zu Tattoo und Hautbemalung, wie sie Baines (Harvey Keitel) in „Das Piano“ trägt und damit seine Nähe und seine Sympathie für die Maori zu erkennen gibt Accessoires wie Regenschirme sind ebenfalls im Film vertreten und können verschiedene Funktionen übernehmen etwa als Feuerzeug bei „Harry Potter und der Stein der Weisen“ (2001), als rhythmisierendes Beiwerk in „Singin’ in the Rain“ (1952) oder einfach als Stimmungsmacher am Anfang von „Reise nach Indien“ (1984) oder von „Blade Runner“ (1982/1993). Fächer kommen eher als Requisiten in Kostümfilmen vor. In „Ridicule“ (1996) oder in „Gefährliche Liebschaften“ (1988) verbergen sie heimliche Handlungen, Körpersprache und Mimik. In „Der Pakt der Wölfe“ (2001) dient ein Fächer sogar als tödliche Waffe. Auch Taschentücher, Spazierstöcke oder Handtaschen charakterisieren Personen wie etwa Tante Lucilla (Melanie Griffith) in „Crazy in Alabama“ (1999), die stets zwei verschiedene Handtaschen bei sich trägt. Die Tasche bildet zugleich Schutzschild und Waffe der Frau und ist ein unentbehrliches Utensil für das Überleben in der Großstadt. Die Handtasche der Protagonistin in „Pretty Woman“ macht eine ähnliche Entwicklung durch wie ihre Garderobe: Von der großen schwarzen Beutelhandtasche der Prostituierten wird die Handtasche zunehmend kleiner, bis sie schließlich bei der Gartenparty durch eine diskrete braun-beigefarbene Handtasche abgelöst wird und damit die Verwandlung ihrer Heldin anzeigt, die nun auch beginnt, edel, dezent und elegant zu wirken. Dabei gehen Accessoires, Schuhe und Handtasche eine enge Verbindung ein und sei es nur durch ihre gemeinsame Farbe. 32 Mentges 1999, 1186. 33 Vgl. zu den brutalen Geschäften mit Edelsteinen hinter den (Film-)Kulissen Hütz-Adams/Südwind 2003, 20-53; vgl. auch die UN-Reporte 2001 und 2003 zu diesem Thema.
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Die Ärmel, oder: Die Sprache der Gestik Die Gestik stellt zwar einen selbständigen Bereich der Körpersprache dar, sie kann jedoch als „Sprache“ des Details beschrieben werden und als Werkzeug der Kommunikation zwischen zwei Personen Zwischen- oder Halbtöne formulieren. Brecht definiert die Gesten, den Gestus als eine Kennzeichnung der Beziehung zwischen Personen.34 Durch den Zusammenhang zwischen Gestik und Kostümen kommt eine besondere Ausdruckskraft zustande. Die Gestik gehört zur pantomimischen Tradition des Schauspiels. Sie ist Ausdrucksform, entwickelt zugleich eine Motivik des Körpers, der Gefühle sowie der Sprache und bietet sich daher als Grundelement der Filmrhetorik an. Die Gestik im Film bedeutet keineswegs eine Nachahmung der natürlichen Gesten. Auch hier wiederum mathematisiert der Film die Gesten, indem er ihnen jede Natürlichkeit entzieht und für eigene Zwecke von Neuem erfindet. In dieser Ambivalenz kann sich die Sprache der Gesten zu einer elementaren poetischen Komponente eines Films entwickeln. Bei genauer Beobachtung liegt die Gestik nicht allein in der Macht des Schauspielers, sondern in gleichem Maße in der Hand der Kameraleute wie auch der KostümbildnerInnen. Schinken-, Pagoden- oder enganliegende Ärmel tragen ebenso zur Rhetorik der Gesten bei wie Schmuck, Hut, Stock in der Hand. Auch Selbst durch Stickereien, Stoffe, ja Farbtöne und könnenGesten betont werden. Je nachdem wirken Bewegungen feiner oder brutaler. Charlie Chaplins „Der große Diktator“ (1940) hat dies eindrücklich illustriert. Hätte Chaplin in seiner üblichen Kleidung – Melone und Anzug – die Rede des Diktators Kinkels gehalten, wäre die Wirkung eine völlig andere gewesen. Der Grund dafür liegt in der historischen Bedeutung der Uniform (Abb. 47). Sie wird Teil der Gestik und der Rhetorik der Gewalt, wie übrigens auch die „slawonische“ Sprache seiner Rede. Und umgekehrt bildet die Gestik einen Teil des Diskurses und der Uniform. Abb. 47: „Der große Diktator“
34 Vgl. Brecht 1960, 73.
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Die Stickereien am Justaucorps in Stephen Frears „Gefährliche Liebschaften“ machen Valmonts Gesten (John Malkovich) sanft – eine berechnende Sanftheit. Später drücken seine gelangweilten Gesten mit dem Taschentuch die Widersprüche aus zwischen seinen gefühlvollen Worten an die Comtesse und seiner innerlichen Kälte: Nichts hasse er mehr als die Lüge, versichert er. Die Symbiose zwischen Kostümen, Gestik und Gebärden ist hier zweideutig angelegt und unterstützt zugleich die Poetik des Films und die Kälte der höfischen Stimmung. In diesem Film stehen Gehen und Gesten auf derselben Bedeutungsebene wie die „Sprache“ der Gefühle beim Gesichtsausdruck. Die Disziplinierung von Gebärden und Mimik gehört seit dem Mittelalter zur „disciplina“ der höfischen Kultur, bei Frauen stärker noch als bei Männern.35 Diese Ethik drück sich vor allem in der Ritualisierung der Umgangsformen aus, woraus sich eine ausgesuchte Rhetorik der Gestik ableitet, wie man sie auf Gemälden wie auch in der Fotografie des 19. Jahrhunderts wiederfindet: Die fotografische Darstellung einer Person galt als öffentlicher Auftritt.
Tod auf dem Nil Accessoires und Kleidungsdetails genießen bei Krimis oder Spionagefilmen eine hervorgehobene Stellung. Krimis stecken voller textiler Elemente in Form von Indizien und Spuren. Dem Sammeln, Entdecken und Auswerten von sichtbaren Spuren, Indizien und Zeugnissen, die in Zusammenhang mit Straftaten stehen, gilt die Hauptbeschäftigung der PolizistInnen, ErmittlerInnen, DetektivInnen oder RechtsanwältInnen in Krimis. Hierbei kann sich auch um Kleidungsstücke handeln, die zum Mittel der Identifikation werden, allerdings auch zum Mittel der Tarnung, also als falsche Spur. So soll ein Bademantel in „Mord im Orient-Express“ (1974) Hercule Poirot (Peter Ustinov) in die Irre führen, was selbstverständlich nicht gelingt. Im Gegensatz zu Kriminalfällen, an deren Aufklärung in der Realität ein Heer von Personen mitarbeitet, was im Film die ZuschauerInnen jedoch verwirren würde, wird die Mannschaft bei Krimis auf ein paar wenige Figuren reduziert. Die wesentliche Fähigkeit dieser Figuren liegt im Film fast immer in ihrem Scharfsinn und in ihren geradezu hellseherischen Fähigkeiten begründet. Dieses Spiel beherrscht Hercule Poirot z.B. in „Tod auf dem Nil“ (1978) ebenso meisterhaft wie Miss Marple. Kleidung, Kleidungselemente oder Kleidungsdetails werden von den Detektiven genauestens registriert oder umgekehrt verwendet, wie der (Tarn-)Look von Miss Marple, der nichts über ihre wirkliche Rolle aussagt. Diese Regel gilt allerdings auch für die Mörder oder Mörderinnen, die nicht unbedingt am Messer oder an der Pistole in der Hand erkennbar sind. Jede kriminalistische Untersuchung im Film verlangt eine enorme Aufmerksamkeit, eine Fülle an Energie sowie eine extreme Wachsamkeit des Ermittlers. Konfusion, Schweigen, Ignoranz, Lärm, Affekt oder Nebel werden zu Komplizen im kriminalistischen Verfahren und entstammen entweder bewusst oder unbewusst ebenso den eigenen Reihen wie auch den feindlichen Linien. Von vornherein war der Krimi ein Publikumsmagnet. Er war sogar das erste Genre, das zum Kassenerfolg wurde. 35 Vgl. Bumke 1986, 170-175.
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Die Verfilmungen von Agatha Christies Romanen folgen wie die Bücher einem logisch-konstruktivistischen Muster, d.h. sie offenbaren zugleich die Prinzipien ihrer Konstruktion. Ein Kimono hier, ein breitkrempiger Strohhut da, ein Bademantel, ein Schmuckstück oder eine Pfeife sind Elemente, die schließlich zur Enttarnung des Mörders führen und die retrospektiv meist am Ende wieder gezeigt werden. Nicht alle Krimis folgen dieser glasklaren Logik. Manchmal kann das Publikum der Handlung nicht oder kaum folgen wie bei „Der große Schlaf“ (1946) oder in „Die Spur des Falken“ (1941), ohne dass dies dem Film schadet. Allein die kleine Geste Sam Spades (Humphrey Bogart) in „Die Spur der Falken“ beim Vorzeigen der Karte des angekündigten Kunden zeigt, was sich mit Details sagen lässt: Der Mann ist schwul. In der lässigen Art jedoch, mit der er anschließend seine schwarzen Handschuhe auszieht und elegant seinen Stock schwingt, übertrifft und verwirrt Peter Lorre jede Erwartung. Die Entwirrung des kriminalistischen Rätsels ist im Film nicht allein durch die rationale Erklärung des Sachverhaltes vermittelbar, sondern erfordert ein spezielles Vorgehen, das die Schuldigen auch in der Wahrnehmung der ZuschauerInnen entlarvt. Dafür wird in der Regel der Blick der ZuschauerInnen auf jenes Detail gelenkt, das als entscheidendes Indiz zur Aufklärung des Falles führt – ein kriminalistisches Beweisverfahren, dessen Wurzeln ins späte 18. und 19. Jahrhundert zurückreichen.36 Der Blick aufs Detail als das entscheidende verräterische Indiz: Dies hat im nachhinein die Kunst, die Mode und auch den Film nachhaltig geprägt. Über die Entschlüsselung der sichtbaren vestimentären Botschaften erhalten wir Zugang zur Person, ja zum Inneren der Person. Über die Entschlüsselung von unsichtbaren vestimentären Details erhalten wir Zugang zur kriminellen Handlung – in beiden Fällen ein Spiel zwischen Schein und Wirklichkeit. Die Spannung besteht aber nicht grundsätzlich aus diesem Aufklärungsprozess, sondern entwickelt sich vielmehr in der zunehmenden Annäherung des Detektivs an den Täter, des Täters an das Opfer oder im Spiel zwischen Täter und Polizei. Während in „M – Eine Stadt sucht ein Mörder“ (1931), die Kleidung noch die pathologische Persönlichkeit des Täters Hans Beckert (Peter Lorre) verrät, spielt der heutige Krimi mit einer breiten Palette von Kleidungsmöglichkeiten. Beliebt sind vor allem subtil verdeckte Sekundärdetails. Die Storys sind längst nicht mehr nach einer eindeutigen Logik aufgebaut, im Gegenteil: Die Logik der Geschichte wird dekonstruktivistisch durcheinandergebracht wie etwa in „Pulp Fiction“ (1994). Hier helfen die Kostüme dabei, die zeitliche Abfolge der Handlung zu rekonstruieren. Sie können aber ebenso nichtlineare, ja surreal fragmentierte Strukturen und Züge zeigen wie in „Mulholland Drive“ (2001). Hier helfen die Kostüme dem Zuschauer nicht mehr dabei, sich zu orientieren, sondern sie werden im Gegenteil selbst zu Mitteln der Verwirrung und des Rollentausches der beiden Heldinnen. Es gehört zur Ambivalenz des kriminalistischen Genres, dass es die Erscheinungsformen bis ins Detail beschreibt, uns aber gleichzeitig warnt, nicht zu glauben was wir sehen und mit Identifikationsmustern vorsichtig umzugehen, was David Lynch meisterhaft gelingt. Einerseits ist also ein Krimi ein Spiel mit Identifikationen und Identitäten und andererseits wird darin grundsätzlich die Identität in Frage gestellt. Die Personen sind nicht das, was ihre 36 Vgl. Ginzburg 1989, 139-180.
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Erscheinung verrät oder was sie zu sein behaupten und auch nicht das, was wir uns vorstellen. Der Krimi ist ein transkulturelles Genre, das mit Leichtigkeit vom einen soziopolitischen Milieu zum anderen übergehen kann und die Grenzen ländlicher, provinzieller und großstädtischer Konfliktbeteiligung sprengt. Bei der Beweisführung geht es fast zu wie in der heutigen Forschung. Es gehört nämlich zu einer der Stärken der modernen Wissenschaften, die von ihr verwendeten Werkzeuge und Methoden transparent zu machen. Die textilen mosaikartigen Mikroelemente der Handlung verweisen dabei auf die Erzähltechnik ebenso wie auf technische und ästhetische Konzepte des Films oder auf die Weltanschauung der Regie. Was in der Tat die Kostüme in einem Krimi heute besonders stark zum Ausdruck bringen, ist die soziale Situation oder die Stimmung. Die Darstellung zeigt meist eine kritische Distanz zum Gesetz, im Unterschied zu den eher elitären Vorstellungen Agatha Christies. Diese Verflechtung von Mode und Krimi kann übrigens weit über den Film hinausgehen, wie bei Gianni Versace, Rudolf Mooshammer oder der Witwe Gucci zu erfahren war. Ob Krimi, Romanze, Abenteuerfilm oder Tragikomödie, jede Generation, jede Szene oder Peergroup eignet sich Filme als symbolische Manifestationen ihrer Wertvorstellungen, Lebensstile, Sensibilitäten und Attitüden an oder nutzt sie als Tor zur Fantasie. Hier werden sie gern als Zitatentheater verwendet. Woody Allen hat am Beispiel Bogart und „Casablanca“ in „Mach’s noch einmal Sam“ (1971) erfolgreich gezeigt, wie das Phänomen im New Yorker Intellektuellenmilieu funktioniert. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass dadurch der Lebensstil mit klaren und benennbaren Referenz- und Orientierungspunkten verknüpft und vor allem mit Bedeutung ausgestattet wird. Also arbeitet nicht nur die Werbung als Sinngeber oder Bedeutungsstifter, sondern vor allem der Film. Dem jeweiligen Lebensstil werden auf diese Weise psychologische, soziologische, ökonomische, kulturelle und geografische Bezugspunkte zugewiesen.
FILM, GESCHICHTE
UND
MODE
Mode ist Zeit Das Beispiel „Psycho“ (1960) von Hitchcock hat gezeigt – so am Beispiel der Szene mit dem Totenschädel –, wie sich in Frisuren Zeitdimensionen ausdrücken. Ein ähnliches Beispiel liefert Franklin Schaffners „Planet der Affen“(1968), als das schöne weibliche Mitglied der Besatzung des Raumschiffs beim Aufwachen tot und veraltet aufgefunden wird. Erkennbar wird dies an ihrem ergrauten Haar, selbst wenn dies logisch nicht ganz nachvollziehbar ist. Denn durch einen Riss im Schutzfenster wurde während der Fahrt durch die Galaxie ihr künstlicher „Schlaf“ unterbrochen. Zeit bedeutet Präsenz und stellt eine Besonderheit des Films dar, sozusagen die dritte Dimension des Kinos, denn in der Bewegung ist bereits die Zeitdimension enthalten, in ihr wird die Zeit charakterisiert. Gilles Deleuze zufolge führen allerdings Zeit und Bewegung zu zwei verschiedenen Kategorisierungen von Bildern. So versteht er unter Bewegungs-Bild eine allgemeine Tendenz innerhalb der Bild- und Filmgeschichte, die vor allem den klassischen Aktionsfilm kennzeichnet. Die Krise des Bewegungs-Bildes, entstand ihm zufolge mit dem italienischen Neorealismus und der französischen Nouvelle-Vague.1 Das Zeit-Bild – und das Kristallbild als emblematische Momente dagegen gelten eher als Idealtyp des (post)modernen Kinos.2 Luc Bessons „Das fünfte Element“ (1997) liefert ein gutes Beispiel für das Kristallbild. Bezogen auf die Kostüme enthüllen Darstellung wie Handlungsweise interessante und überraschende Nebenfolgen, die Deleuze wie alle anderen Filmtheoretiker nach ihm etwas übersehen haben und worauf ich kurz eingehen möchte. Hier nämlich konzentrieren sich die Kostüme nicht mehr unbedingt auf die reine Umsetzung der Erzählung in Formen, Farben und Stoffe. Sie sind nicht mehr fest gebunden, denn sie folgen nicht mehr zwangsläufig dem dramatischen Schema, sondern entsprechen rein optisch-akustischen Situationen, die es ihnen gestatten, eine eigene Dynamik und Autonomie zu entwickeln. Jean-Paul Gaultier, der die Kostüme für Bessons Film entwarf, lässt seine fantasievollen barocken Kreationen in alle Richtungen schweifen: eine Mischung aus Altem, Futuristischem und „Kitsch“, aus Klassik und Comic, mit satirischem Anspruch und Ernsthaftigkeit zugleich. Die „kristalline“ Beschreibung durch die Kleidung umfasst also sowohl aktuelle als auch virtuelle Entwürfe. Bessons Film ist geradezu ein Musterbeispiel des „dekonstruktivistischen“ Films. Dies entspricht aber zugleich dem, was man eine Techni1 2
Vgl. Deleuze 1997, 84-102. Das Wahrnehmungsbild, das Aktionsbild und das Affektbild sind die „drei Spielarten (9!) des Bewegungs-Bildes“. Vgl. Deleuze 1997, Bd. 2, 42-47; vgl. auch Deleuze. Unveröffentlichtes Seminarpapier zum Film 1984, Universität Vincennes, Paris. Das Erinnerungsbild, das Traum- und das Weltbild stellen für ihn Unterkategorien des Zeitbildes dar.
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sierung des Blicks nennen könnte, weil die Beobachtungsfähigkeit hier von der Technik abhängig wird. Entsprechend stellen die Kostüme, die über die typisierten Charaktere hinausgehen, keine Bedrohung mehr für die Logik der Story dar; dasselbe gilt für die Filmmusik. Zu ausgeprägte Kristallbilder wie bei Quentin Tarantino, John Woo oder David Lynch sind seltener als klassische Bewegungsbilder, weil finanziell riskanter. Das europäische und asiatische Kino, wie es Besson, Greenaway, Resnais, Carax oder Almodovar, weiter Chen Caige oder Zang Yimou vertreten, gehen hingegen großzügiger damit um, ebenso das indische Kino – allein wegen der Lied- und Tanzszenen. Nebenbei bezeugt dies (von wenigen Ausnahmen abgesehen) auch, wie schwer sich Hollywood nach wie vor mit der größeren Autonomie seiner KostümbildnerInnen oder DesignerInnen tut. Allein die Schnitt- und Montagetechnik kennt zahlreiche Möglichkeiten wie Rückblende, Zeitlupe, Assoziations- und Parallelmontage, metaphorische Montage oder Cut-Away, um den Verlauf der Zeit darzustellen. Schnitttechnik und Montage ordnen schließlich die Zeit ein. „Die Montage ist Herr über die Zeit“, so Peter Borscheid.3 In der Bewegung der Kamera drückt sich ebenfalls die Zeit aus, ferner im Ton. Auch Kostüme sind sensible Zeitvermittler und -empfänger. Eine Handlung ist, von der Montage aus betrachtet, eine Zusammensetzung von Sequenzen und Einstellungen, also von zahlreichen kleinen und großen Zeiteinheiten und -phasen. Sie wird allgemein so montiert, dass sie „mit der diskontinuierlichen und plötzlichen Abfolge von Ereignissen im großstädtischen Alltag“ verglichen wird,4 wenn auch in viel konzentrierterer Form. Diese enge Vermischung von Ereignissen und Zeitphasen illustriert z.B. David Leans „Reise nach Indien“ (1985) am Beispiel einer kleinen, fast unauffälligen Szene über ein ganz gewöhnliches Großstadtereignis im Bombay der 1920er Jahre. Dabei kollidiert der Wagen des britischen Vizekönigs beinahe mit zwei Radfahrern, den Arzt Dr. Aziz (Victor Barnajee und dessen Freund Amrit, Rechtsanwalt (Rohan Seth), die sich friedlich miteinander unterhielten. Dieser kurze Teil der Handlung scheint auf den ersten Blick in Echtzeit aufgenommen zu sein mit nur einer Kamerafahrt, so mutet die Szene zumindest an. Bei genauer Betrachtung merken wir jedoch, dass in Wirklichkeit sieben verschiedene Einstellungen für den kleinen Unfall nötig waren – zwanzig für die ganze Szene –, mit einer überraschenden Vorliebe für Details. Die Bedeutung der Szene ist manifest: Macht den Weg frei für die Engländer! Auch die Symbolik ist klar: Einerseits die feine Kleidung und das despotisch-bornierte Verhalten der Engländer – sie halten nicht einmal an, um sich zu erkundigen, ob jemand verletzt wurde –, andererseits die beim Sturz verschmutzte Kleidung der beiden Inder. Dr. Aziz ist eine der Hauptfiguren des Films, und sein Freund wird ihm oft zur Seite stehen. Ihre Empörung ist eher zurückhaltend und nüchtern, aber ohne Hass. Dann folgen rasch noch zwei Autos, die zum ersten gehören, während sich die beiden Freunde den Staub von ihren Anzügen klopfen. Diese kurze Sequenz, die nicht einmal eine Minute der 156 Minuten langen Mammutproduktion dauert, konfrontiert zum ersten Mal fast alle Protagonisten miteinander. Schnitt und Montage verdichten und dramatisieren aus völlig unterschiedlicher Perspek3 4
Borscheid 2004, 318. Bratze-Hansen 1995, 254.
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tive die Zeit, so dass sie die gesamte soziale und politische Situation symbolisch in einer Szene zusammengefasst wird. Wegen dieser Diskontinuität der Ereignisse liefert die Großstadt auch die ideale Bühne für die Mode, deren Rhythmus sie prägt. Diese „großstädtische“ Vorstellung des Unterhaltungsfilms ist nicht unumstritten. Schon in den 1930er Jahre wetterte Siegfried Kracauer gegen diese Idealvorstellung des Films und leugnete vehement, dass die Darstellung Berlins in „Berlin. Die Symphonie der Großstadt“ (1927) etwas mit der Wirklichkeit dieser Stadt, die ihm provinziell und kleinkariert erschien, zu tun habe.5 Das Tempo der Großstadt ist auch trügerisch und kompensiert – ebenso wie die Mode – häufig Langeweile, Frust und Neid, die hier besonders verbreitet sind. Geschwindigkeit, Lärm und Hektik bilden jedoch nur die illusionäre Seite der Großstadt. Das wirkliche Regime der Großstadt ist die Langsamkeit. Sich eine halbe Stunde auf einer Bank auszuruhen und zu beobachten, was passiert, führt uns tiefer ins Leben einer Stadt hinein als ein ganzer Tag voller Bewegung. Darüber hinaus gibt etwa in Paris nichts Schöneres, als langsam an der Seine entlang der Bouquinisten zu flanieren, durch die kleinen Gassen, den Friedhof Père Lachaise, die Rue de Ménilmontant zu schlendern oder sich auf der Terrasse eines kleinen Cafés niederzulassen. In den ersten Frühlingstagen trägt die Mode dazu bei, dass die Stadt erotisch regelrecht zu explodieren scheint. Dennoch sind nicht diese Art von Erfahrungen ausschlaggebend für die Vorstellung von der Großstadt, sondern die Kunst und insbesondere der Film. Die Stadt ist temperamentvoll, nervös, ungeduldig, wechselhaft und vor allem temporeich. Die Hip-Hop-„Mode“ illustriert diese widersprüchliche Auffassung: Bewegung, Sprech- und Musiktempo kennzeichnen die Hip-Hop-Szene, wobei gleichzeitig die überlange lässige Kleidung diese Bewegungsfreiheit und dieses Tempo eher zu behindern und zu verlangsamen scheint. Kino bedeutet also grundsätzlich die Einführung der Zeit im Bild: Film ist Zeit. Innerhalb des Films wird die Zeit selbst anhand verschiedener Mittel oder Techniken dargestellt. Die Zeitproblematik umfasst eine Vielfalt von Aspekten. Bei einer Literaturverfilmung z.B. – die häufig verschiedene Perspektiven vermischt – ist die Darstellung der Zeit ebenso entscheidend für den Sinn der Adaptation, für die Erzählperspektive oder für die Führung der Figuren wie auch für die Handlungsstruktur oder den Raumbezug. So bearbeitet Joseph Mankiewicz seine „Cleopatra“ (1963) und seinen „Julius Caesar“ (1953) mit den Augen Shakespeares, was im Film auch zu kostümhistorischen Folgen führt. Zur Zeit Shakespeares wurde nämlich das Theaterstück in Kostümen der damaligen Spätrenaissance-Mode gespielt vor einem entsprechenden zeitgenössischen Dekor, eine Situation, die sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts änderte. In vergleichbarer Weise lässt Jean-Paul Rappeneau seinen „Cyrano von Bergerac“ (1990) aus der Perspektive des Romantikers Edmond Rostand auftreten –, einem Blick des 19. Jahrhunderts also. Vor allem im Dekor kommt dies zum Ausdruck, manchmal augenzwingend übertrieben wie beispielsweise die Größe des Mondes in der natürlichen Landschaft. Dennoch entsprechen die Kostüme in „Cyrano“ jener Vorstellung, die sich der Film des
5
Vgl. Kracauer 1973, 202-209.
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späten 20. Jahrhunderts vom 17. Jahrhundert gemacht hat, allerdings nicht ohne ein gewisses romantisches Flair. In Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ (1994) ist die Zeitdimension zentral für die Handlung und die Konstruktion des Films. Der dekonstruktivistische Aspekt des Films liefert dem Publikum die Mittel für eine lineare Rekonstruktion. Die Kostüme gehören zu diesen Mitteln. Dies gilt auch für „Lola rennt“ (1998) von Tom Tykwer oder für einige Filme Alain Resnais’ wie etwa „Smoking, no smoking“ (1993). Resnais spielt bewusst mit den Kostümen, die sich in jeder neuen Situation verändern. Zeit wird im Film häufig anhand von „Ellipsen“ oder „elliptischen Figuren“ dargestellt (Übergang, radikaler Schnitt), die die logischen Zwischenszenen oder die logisch-narrativen Elemente der Geschichte überspringen und auf diese Weise für Geschwindigkeit, Rhythmus, aber auch für Überraschungseffekte sorgen.6 Eines der bekanntesten Beispiele der Filmgeschichte ist die Szene aus Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“, in dem der große Knochen (die Waffe des Urmenschen) in Zeitlupe durchs All schwebt und sich in ein fast formgleiches Raumschiff verwandelt. Die langsame Bewegung des Bildes wird durch den Walzer „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauss unterstrichen. Das Publikum wird auf diese Weise von der Urgeschichte der Menschheit in die Epoche der Raumstationen katapultiert. Entsprechend ist der Look der Protagonisten darauf abgestimmt, auch wenn er für uns heute den Charme der 1960er Jahre verrät. Dieser Überraschungseffekt dient nicht zuletzt dem philosophischen Anspruch des Films. In Bezug auf die Kleidung ist die Ellipse ein viel gebrauchtes Erzählmuster, das auf Mikroebene in zahlreichen An- oder Auskleideszenen zum Tragen kommt. Der Übergang, die Überblendung oder der radikale Schnitt illustrieren weitere Beispiele für Schnitte im Sinne der Zeitbearbeitung. Auch der Einfluss des Tons und der Musik auf Raum und Zeit ist im Film entscheidend. Potentiell kann jeder Gegenstand oder jedes Ereignis als Zeitelement auftreten oder im Sinne eines Zeitausdrucks verwendet werden: ein Lichteffekt, eine Uhr, ein zunächst volles, dann leeres Glas, eine datierte Zeitung, eine Landschaft im Sommer, dann im Winter, eine lange Reise bei einem Roadmovie oder einfach ein eingeblendetes Datum und natürlich Kostüme, immer wieder Kostüme – zuerst frisch und sauber, dann schmutzig, zuerst neu, dann alt und abgetragen, zuerst modisch, dann altmodisch. Der Zustand eines Kleidungsstücks deutet die Dauer eines Ereignisses oder einer Reise an, sein Wechsel oder Ablegen die Anlässe, Situationen, Stationen im Verlauf eines Tages, die Folge der Jahreszeiten, die Veränderung einer sozialen Situation, die Entwicklung eines Lebensabschnittes oder das Altern einer Person. Mode steht im Film grundsätzlich für den Zeitbezug. In historischen Filmen ist dies eindeutig, sie ist der Hauptgegenstand: mit ihr wird eine Epoche eingedeutet und charakterisiert. Man spricht daher von „Kostümfilm“, als ob bei in der Gegenwart spielenden Filmen keine Kostüme eingesetzt würden. In anspruchsvollen Filmen werden diese verschiedenen Zeit-
6
Gerstenkorm 1996, 131-139.
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ebenen durch deutliche Kleidung gekennzeichnet wie Epoche, Alter, Dauer, Zeitdifferenzen oder Gleichzeitigkeit.
Universale Kostümierung Beginnen wir zunächst bei einer für die Filmgeschichte besonders spannenden Zeitproblematik der Kostüme, den verschiedenen Kleopatra-Verfilmungen. Das Beispiel ist zwar beliebt und wird oft angeführt, ist aber gerade deswegen umso reizvoller. Auffallend bei allen Kleopatra-Verfilmungen sind die Bilder der „Feminität“ und der Verführung, die besonders durch Kostüme, Make-up, Schmuck, Frisuren und Körpersprache artikuliert werden. Auf diese Weise liefert das Kino seine eigene Fassung der „Femme fatale“, angefangen von Thera Bara über Rhonda Fleming und Vivien Leigh bis hin zu Monica Belucci. Bei Thera Bara, der berühmtesten Kleopatra des Stummfilms, handelt es sich stilistisch um eine glamouröse Mischung aus Léon Bakst, Paul Poirets Orientalismus, George Barbiers Zeichnungen und Jugendstil Pointe, wie der Museologe Edward Maeder feststellte.7 Bei Claude Colbert werden wir mit einer Art déco-Orgie konfrontiert bis hin zum Halsband und dem für die 1930er Jahre typischen langgeschnittenen Kleid. Allein die „altägyptische“ Geierhaube ist ein Musterbeispiel des Genres. Die Ägypterin nimmt bei Colbert Züge der amerikanischen „New Woman“ an.8 Abb. 48: „Cleopatra“
7 8
Vgl. Maeder 1987, 43-51. Vgl. Wyke 1997, 90.
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In der Fassung von Mankiewicz (1963) wird der Stil weniger durch die den Shakespeareschen Werken nachempfundenen Dialoge als durch die Garderobe, die Frisuren und das Make-up Kleopatras bestimmt, die die Charakterzüge der amerikanischen Mode der 1960er Jahre annehmen (Abb. 48).9 Eine Off-Stimme informiert uns, dass die Geschichte in der Römerzeit spielt. Als Bestätigung erscheint ein „Pharao“ mit Rasta-Frisur in Begleitung eines genialen Eunuchen – gespielt von Gregory Aslan, ein früheres Orchestermitglied Ray Venturas – und sagt, fast wie in Asterix: „Die Römer sind verrückt“ oder ähnliches. Etwa zwanzig Filmminuten später taucht Kleopatra auf, versteckt in einem prachtvollen Teppich. Nachdem Cesar den Teppich ganz undiplomatisch ausgerollt hat, erkennen wir sie sofort an ihrem NutellaMake-up: Es ist Elizabeth Taylor mit tiefschwarzen Haaren und Augenbrauen. Sie trägt ein körperbetontes Kleid mit einem spitzenbesetzten Dekolleté, das ihre Brüste zur Geltung bringt. Es bildet das erste einer langen Serie von 54 verschiedenen Kleidern. In der ungekürzten Neufassung kommen 40 weitere Exemplare hinzu. Im Vergleich zu Thera Bara wirkt Liz Taylors Kleopatra eher prüde und etwas verklemmt. Von der Kleidung her betrachtet würde man eher Doris Day erwarten. Liz Taylor brauche nur den Thronsaal zu durchqueren, schrieb Stanley Kaufmann, als der Film in die Kinos kam, „und Alexandria wird zu Beverley Hills“.10 Marcus Antonius (Richard Burton) tritt nach 62 Filmminuten im Minirock auf. Ein paar Kampfszenen – „historisch getreu“ – und eine gigantische, auf Millimeter genau choreografierte Love Parade in einem rekonstruierten Forum Romanum geben keine wirkliche Vorstellung von den Dreharbeiten. Die Drehbedingungen des Films sind aus unzähligen Presseartikeln her bekannt und gehören zur Weltgeschichte des Kinos: Im Ganzen ein in jeder Beziehung exemplarischer Film und ein entsprechender Flop! Vor Titanic gab es also schon Cleopatra, sagten böse Zungen, trotz des Talentes des letzten Regisseurs, Josef Mankiewicz. Auch die Kostümorgien des Films sagten den Kritikern nicht zu. Vermutlich wäre diese Kritik noch gnadenloser ausgefallen, wenn die Königin Ägyptens – und Hollywoods – in zwei verschiedenen Szenen dasselbe Kleid getragen hätte. Die fantasievollen Kostüme von Irene Sharaff, Vittorio Nino Novarese und Renié enthalten einige Stilblüten wie die goldenen Stöckelschuhe Liz Taylors, die auf Fotos vom Set zu sehen sind und mit denen Kleopatra in Rom mit großem Pomp durch den Triumphbogen Einzug hält – ein Trick, der im Film sehr häufig verwendet wird, um Personen größer erscheinen zu lassen. Im Film werden diese Schuhe natürlich vom goldenen Kleid verdeckt, ebenso wie die dünnen Flanellbänder an der Hüfte, die die Taille akzentuierten und den äußerst launischen Star schlanker erscheinen ließen. Mit den Lendentüchern, Wickelkleidern, Röcken, Schärpen oder langen Umhängen der altägyptischen Spätzeit, wie sie aus der Kleidungsforschung oder aus der Ägyptologie bekannt sind, hat dies alles wenig zu tun.11 Vielleicht bestehen vage Ähnlichkeiten mit einigen Röcken unterschiedlicher 9
Zum Thema Kleopatra im Film existieren mehrere Websites wie die von Doran/ McCarthy 1998, http://www.fashion-planet.com/sep98/features/Hollywoodmachine, oder Claudon 2007; sehr fundiert geht auch Wenzel auf das Thema ein, der bislang viel unbeachtetes Material der Fassung von 1963 einbezieht, vgl. Wenzel 2004. 10 Zitiert nach Koesterbaum 1997, 92. 11 Vgl. dazu Vogelsang-Eastwood 1995, 67-102.
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Länge oder mit den weitverbreiteten so genannten altägyptischen Sacktuniken (oder Hemdkleidern), die aber bei genauer Betrachtung auf die Mode der 1960er Jahre verweisen. Auch die Möglichkeit, die hellenistischen Kleidungsformen der Ptolemäer einzusetzen, denen Kleopatra angehörte, wird nicht genutzt. Die Kostüme Alain Chabats in „Asterix und Obelix – Mission Kleopatra“ (2002) wirken aus heutiger Perspektive in dieser Hinsicht frischer: Der ganze Film ist die reinste Modeschau, mit einer Prise Streetwear für Numerobis und einem Hauch Haute Couture für Kleopatra (Monica Bellucci). Im Allgemeinen ist Kleopatras Ägypten im Film „ein Upper Class Orient“, schreibt die Historikerin Diana Wenzel. „Unzählige Kissen und Decken mit orientalischen Ornamenten, Vorhängen, Schleiern, Blumenbouquets und Obstschalen staffieren Kleopatras Filmwelt aus. Ihre Farbenpracht steht dabei in einem krassen Gegensatz zu Rom.“12 Dass der Triumphbogen in Wirklichkeit erst lange nach Kleopatras Tod errichtet wurde – was die „feinfühlige“ Kritik sofort festhielt –, war Mankiewicz bekannt.13 Von altägyptischer Kleidung hatte die Filmkritik ebenso wenig Ahnung wie die Filmmannschaft, und noch weniger vom kritischen Umgang mit Bildquellen vor allem des Mittleren und Neuen Reiches. Auch von der Quellenkombinatorik und einer kritischen Bewertung der Kleiderfunde aus Ausgrabungen war ihnen offenbar nichts bekannt.14 Noel Howard berichtet in seinem Buch „Hollywood sur le Nil“ (1978) von zahlreichen pikanten Details während des Verlaufs der Dreharbeiten bei Howard Hawks „Das Land der Pharaonen“ (1955).15 Insofern steht das Thema Kleopatra hier nicht für feine Ausnahme dar, sondern eher eine Tradition.16 Mit kaum verhohlener Schadenfreude beschreibt der Historiker Marcus Junkelmann einige anachronistische Kleidungsbeispiele aus „Gladiator“ (2000), angefangen vom „Muskelpanzer“ – einem harnischartigen Brustkleidungsstück, das voluminöse Muskeln nach außen abbildet –, den Manschetten am Unterarm über den Mantel, die Fibel und die Brosche, die Frisuren und das Make-up bis hin zu den Kleidern Kaiserin Lucillas (Connie Nielson), die „mehr einer Bonbonniere oder einem luxuriös verpackten Osterei als einer Römerin“ ähnelt (Abb. 49).17 Seine Untersuchung nimmt eine ganze Reihe von Spielfilmen über die römische Antike unter die Lupe und ergänzt sie mit historischen Erklärungen und zahlreichen Abbildungen.18 Im Zentrum seiner Untersuchung stehen die Gladiatoren.
12 Wenzel 2005, 264. 13 Interview mit Joseph Mankiewicz. In: Présence du Cinéma Nr. 18, zitiert nach Bourget 1992, 134. 14 Siehe z.B. Lexikon der Ägyptologie 1977-1995, Art. „Tracht“, „Körper und Gewand“, „Schurz“, „Kopftuch“, „Schmuck“, „Farben“, „Stirnband und Diadem“, „Arm- und Fußreife“, „Tätowierung“, „Körperpflege“, „Schminke“. 15 Vgl. Howard 1957. Ähnliches berichtet Sergio Leone über Williams Wylers „Ben Hur“, vgl. Simsolo 1967. 16 Vgl. dazu Wyke 1997; Carnes/Nico/Miller-Monzon 1996; MacDonald Fraser 1997. 17 Junkelmann 2004, 133. 18 Vgl. Junkelmann 2004, 117-149.
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Abb. 49: „Gladiator“
Es gibt dagegen auch Filme wie „Quo Vadis“ (2002) von Jerzy Kawalerowicz, der – historisch getreu – zeigt, wie Petronius seine Toga anlegt, ein kompliziertes Ankleideverfahren, das bis jetzt in keinem anderen Film gezeigt wurde.19 Einige Regisseure wie Federico Fellini spielen allerdings bewusst mit Anachronismen wie in „Satyricon“ (1969) für die Antike oder in „Casanova“ (1976) für die Rokokozeit. Die Beispiele „Cleopatra“, „Gladiator“ oder „Alexander“ zeigen daneben auch, dass im Gegensatz zu anderen Ländern, die in Kostümfilmen meist ihren nationalen Mythos kultivieren, Hollywood über eine eigene Sicht auf die Weltgeschichte der Kleidung – und der Geschichte insgesamt – bis in die Antike verfügt: eine universale Kostümierung! Dennoch: Im Vergleich zu früheren europäischen Produktionen kompensieren Kostüme nicht mehr schwache Drehbücher oder lahme Dialoge, sondern unterstützen im Gegenteil dichte Handlungen. In „Gladiator“(2000) nutzt Rom seine technologisch überwältigende Kriegsmaschine gegen die Barbaren, um die römische Staatsordnung zu stabilisieren. Ridley Scott stellt diese „authentische“ Gewalt des Krieges in Kontrast zur Schauspielgewalt der Arena. Wie auch bei „Königreich der Himmel“ (2005) ist jeder Bezug zur aktuellen Situation reiner Zufall, so seine Erklärung. Scott ironisiert dabei gern die Naivität des Publikums. Diese Haltung entspricht der heutigen Vorstellung der amerikanischen intellektuellen Eliten, auch des Autorenfilms, gegenüber dem so genannten Massenpublikum. Oft ermöglicht bereits das filmische Zitatenspiel – also der Bezug zu anderen Filmen oder Quellen – diesen Abstand. Die Kostümfrage führt allerdings dieses Spiel ab adsurdum.
In Sandalen durch die Geschichte Die Ära des Kalten Krieges bevorzugte Monumentalfilme ganz besonders. Üppig mit Kostümen ausgestattete Superproduktionen in Technicolor wie „Die zehn Gebote“ (1956), „Die Wikinger“ (1958), „Ben Hur“ (1959), „El Cid“ (1961) oder „Der Untergang des römischen Reiches“ (1964) bildeten
19 Vgl. Junkelmann 2004, 119.
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die glänzende Fassade, hinter der Arthur Miller und Tennessee Williams verschwanden. Seit den 1930er und 1940er Jahren hat sich die Filmwelt zunehmend darum bemüht, historische Kostüme zu verfeinern. Als typisch für diese Zeit erwähnt Edward Maeder das Beispiel „Forever Amber“ (1947), in dem die Heldin (Linda Darnell) 42 verschiedene Kostüme trägt – 18 Abendkleider, 20 Tageskleider, drei Negligés und ein Hochzeitskleid –, um die Stimmung im England des 17. Jahrhunderts unter Charles II. zu vergegenwärtigen.20 Die Entwürfe des Kostümbildners René Hubert für Linda Darnell, der damals bekanntesten rothaarigen Schauspielerin Amerikas, und von Charles LeMaire für die anderen Protagonisten basieren bei genauerer Betrachtung vor allem auf zeitgenössischen Darstellungen wie den Kupferstichen von Wenzel Hollar und Abraham Bosse. Diese und ähnliche Vorlagen bleiben bis heute die Hauptquellen für den Entwurf von Filmkostümen. Die Produktion der kolossalen Kostümmaschinerie und Accessoireausstattung Hollywoods kam vor allem in den 1950er und 1960er durch die Effekte der breiten Leinwand – des Cinemascope oder der 70-mm-Filmtechnik – zum Einsatz.21 Massenszenen wurden vor gigantischen Dekors gedreht. Immer häufiger wählte man ein natürliches Umfeld, nicht zuletzt um Kosten zu sparen. Wenn sich Architektur und Kleidung, also Dekor und Kostüme, als Hauptträger der Zeitdimension profilieren, geben ihr Farben und die Breitleinwandtechnik einen zusätzlichen Umfang. Eines der gelungensten Werke des Monumentalfilms, die englischamerikanische Produktion „Lawrence von Arabien“ (1963), drehte der englische Regisseur David Lean zum Teil in Jordanien. Die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte Englands – ein Topos des englischen Films – wird auf zwiespältige Art dargestellt. Die ambivalente Persönlichkeit von T.E. Lawrence wird mehrmals demonstrativ anhand der Kostüme geschildert. Leans Lawrence ist ein reiner Mythos, der Film auch – zu Recht. Es ist ohnehin eines der Leitmotive des Historienfilms, das Schicksal einer Einzelperson vor historischem Hintergrund zu zeigen. Leans Film unterscheidet sich darin kaum von der damaligen Kinomythologie, denn bei genauer Betrachtung seiner Darstellung der arabischen Bevölkerung und einzelner Personen stößt man auf bekannte Klischees, wenn auch in sublimierter Fassung. Nur die meisterhafte Leistung der arabischen Haupt- und Nebendarsteller, vor allem Omar Sharifs, durchbricht diese Klischees. Die Fragmente des pompejanischen Mosaik mit der Darstellung der Schlacht Alexanders des Großen gegen Darius III. zeigen, dass mit dem Cinemascope weder die Komposition auf breiter Leinwand noch die Stilisierung erfunden wurde, vielmehr war beides bereits in der Antike bekannt. Die Augsburger Monatsbilder der Renaissance von Jörg Treu oder einige „Superproduktionen“ der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, wie sie im Rijksmuseum von Amsterdam zu bewundern sind, bestätigen diese Tendenz. Übrigens kann man bei ihnen einiges über die Stilisierung des Kostüms und 20 Vgl. Maeder 1987, 11. 21 Imax, Omnimax-Methoden und der „Tapis magique“ haben heute die technischen Möglichkeiten des Cinemascope ersetzt (allerdings nicht beim kommerziellen Unterhaltungsfilm). Damit wird Kino wieder zum Gemeinschaftserlebnis und der Kinosaal zum Erlebnisraum.
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dessen Rolle in der Bildkomposition erfahren. Der Film wirkt daher eher wie eine Fortsetzung dieser Darstellungen mit anderen Mitteln. „Die Werke ohne Bewegungsgehalt, die die frühesten Filme lebendig werden ließen“, schreibt Erwin Panofsky, „waren tatsächlich Bilder: schlechte 19. Jahrhundert-Gemälde und -Postkarten oder Wachsfiguren à la Madame Tussaud, dazu Comicstrips, eine sehr bedeutsame Quelle der kinematischen Kunst, und die Thematik von Gassenhauern, Romanheftchen und Groschengeschichten“.22 Meistens wird bei Historienfilmen an Bestseller des 19. Jahrhunderts angeknüpft, so etwa an Lewis Wallaces „Ben Hur“, Bulwer-Lyttons „Die letzten Tage von Pompeji“, Henryk Sienkiewicz’ Nobelpreis gekröntes „Quo Vadis“ oder an verschiedene Werke von Walter Scott und Alexandre Dumas. Scotts „Gladiator" (2000) bezieht sich, wie zuvor erwähnt, auf Genrebilder von Lawrence Alma-Tadema und Jean-Léon Gérôme. Hier mischen sich Vorstellungen einer Pseudo-Antike mit Bildern der USA und Cyborfantasien. Dabei scheinen die Kostüme aus einem Videospiel mit antikem Hintergrund zu stammen. Dies gilt auch für die Kampfszenen in der Arena: Keiner weiß genau, was als nächstes geschieht, welche Gefahr unmittelbar bevorsteht oder welcher Gegner auftritt. Man bereitet sich darauf jedoch wie in einem Videospiel vor. Diese Choreografie der Kämpfe, die an Leinwand-Sadismus grenzt, weist bereits bei der Körpersprache große Ähnlichkeit mit den Kämpfen in heutigen Science-Fiction-Filmen auf. In beiden Fällen liefern die Kostüme eine Art Zusatz für die kriegerisch-aggressive Fantasie. Ein Unterschied trennt den Film vom Theater: Die Anzahl der Statisten bei Massenszenen, die sich durch Computerbearbeitung noch vervielfachen lassen wie im dritten Teil des „Herrn der Ringe“ (2001-2003), in „Alexander“ (2004) oder in „Königreich der Himmel“ (2005). Die Zeit scheint vorbei, in der Richard Attenborough bei der Begräbnisszene in „Gandhi“ (1982) mehr als 300.000 Statisten engagierte, die von elf Kamerateams gefilmt wurden. 6096 Meter Film wurden für eine Szene gedreht, die schließlich nur 125 Sekunden von den 188 Minuten des Films ausmachten. Die Werbung für den Film hebt immer wieder dies als Differenz zum Theater hervor. Nach Ansicht von Gertrud Koch ist die Menge an Statisten als Spiegel für die Zuschauer zu verstehen.23 Dies lässt sich aber im Hinblick auf die politischen Werte der 1950er und frühen 1960er Jahre oder der neoliberalen Vorstellungen heute und auch hinsichtlich der dominierenden Position der Kamera anders interpretieren, nämlich als eine Menschenmenge, die geleitet oder kontrolliert werden muss. Die Identität dieser Menschen ist fast ausschließlich an ihrer Kleidung zu erkennen: Inder bei Attenborough, Griechen, Makedonier oder Perser in „Alexander“, Kreuzritter und Sarazenen bei Scott. Die Differenz zum Theater wird auch noch auf andere Weise in den Kostümen offenkundig: Wie ein Vergrößerungsglas geht die Kamera auf Details ein, selbst bei Massenszenen. Eisenstein verwendet in „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925) eine Technik der Gegensätze: Massenszene kontra Einzelszene, Detailaufnahme kontra Großaufnahme, so bei der berühmten Treppenszene. Natürlich gehören auch bei ihm die Kostüme zum wichtigsten Ausdrucksmittel seiner Figuren. Die Art, wie die weiße Garde auftaucht, die 22 Panofsky 1999, 23. 23 Vgl. Koch 1997, 550.
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Treppe hinuntermarschiert und auf die Menge schießt, ist geradezu rhythmisch inszeniert. Diese Szene hat Filmgeschichte gemacht, mehr als man gemeinhin glaubt. An ihrer Uniform erkennt man, dass die Soldaten, die auf die Bevölkerung schießen, Kosaken sind, eine Identifikation, die später in der Realität der UdSSR fatale Folgen für die Kosaken haben sollte. Der Begriff Rhythmus ist umso zutreffender, als Eisenstein die Szene wie eine Symphonie komponierte, wie er selbst betonte.24 Die Menge an Kostümen auf der Leinwand könnte auch als (unfreiwilliger) Hinweis auf die Intention eines Films interpretiert werden. Aufnahmen im breiten Cinemascope-Format werden häufig von einem erhöhten Standpunkt aus gefilmt, der einen Panoramablick über die kostümierten Statisten ermöglicht.25 Diese in Monumentalfilmen allgegenwärtige ideologische Perspektive setzt eine bestimmte hierarchische, geschlechtsspezifische und politische Vorstellung von Macht und Ordnung, sogar von Religion voraus. Die Digitalisierung hat im Film zwar die reale Zahlender eingesetzten Statisten drastisch reduziert, nicht aber die Position des Betrachters. Dieser imperiale Blick der Superproduktionen eignet sich ganz besonders für Historienverfilmungen mit ihrem direkten oder indirekten kulturpolitischen Charakter. Dies gilt nicht nur für das US-amerikanische, sondern in gleichem Maße für das europäische, japanische, ägyptische oder indische Kino. Das semiotische Spektrum des Historienfilms der 1950er Jahre mag uns im Nachhinein naiv, begrenzt und verschlüsselt erscheinen, jedoch sollten wir uns angesichts der heutigen Superproduktionen fragen, ob unsere Epoche wirklich sehr viel mehr Qualität vorzuweisen hat. Derselbe Geist der 1950er Jahre – mit postmodernen Zügen – durchdringt die aktuellen Filme, sei es „Braveheart“, „Gladiator“, „Troja“ oder „Königreich der Himmel“. Sie liefern Projektionsflächen für politische Fragen der Gegenwart. Den Anstoß zu „Königreich der Himmel“ gab ein Kinderspiel, behauptet Ridley Scott. Die Thematik dagegen wäre ihm schwer gefallen. Selbst wenn der Film durchaus nuanciert und ausgewogen den Krieg der Glaubensgemeinschaften beschreibt, steht bei ihm wie auch bei vielen anderen Großproduktionen, die an die Monumentalfilme der 1950er und 1960er Jahre anknüpfen, die traditionelle Machart der Story in auffälliger Diskrepanz zu den Techniken von „Übermorgen“. Hinsichtlich der Kostüme trifft auf „Königreich der Himmel“ die gleiche Kritik zu wie auf „Gladiator“. Auch in diesem Film ist, was die Kleidung betrifft, ziemlich alles falsch, angefangen bei der exotischen Kleidung Sybillas bis hin zu den Männerhosen, die nicht einmal aus der Entfernung an die damaligen Beinlinge erinnern: In die Szene der Konstruktion der Wasserbrunnen in Ebling, in der wir die Hosen klar sehen können, wird dies eindeutig.26 Scott wollte aber, wie er betonte, keine historische Rekonstruktion machen, er ließ sich vielmehr sowohl von den Fakten als auch vom Imaginären der Kreuzzüge inspirieren. Die Handlung greift auf den Roman 24 Vgl. Sklovskij 1977, 138-150. 25 Diese Darstellungsweise existierte bereits in der Malerei von Altdorfer oder von van der Meulen. Ihre allgemeine Verbreitung in den Medien im 19. Jahrhundert macht sie zu einem kulturellen Phänomen. Der Hypergonar, das Cinerama, das Cinemascope oder der 70-mm-Film können daher als technische Fortsetzung eines solchen Blickwinkels oder einer solchen Perspektive gelten. 26 Die einzigen Stücke, die sehr vage Ähnlichkeit mit ihnen aufweisen könnten, wenn auch knielang, sind die sog. „Vikingerhose“, die in Skjoldemamn (Norwegen) gefunden wurden. Vgl. Holck 1988, 109-115.
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„Der Talisman“ von Walter Scott (1824) zurück, der auch als Hauptinspirationsquelle fast aller Kreuzzugsfilme dient. Vor allem das amerikanische Kino widmet sich den Kreuzzügen, wofür Gil Bartholeyns zwei Gründe verantwortlich macht: Die Vorstellung, die die Amerikaner von sich selbst haben, sowie ihre Außenpolitik.27 Dabei werden zwei Zeitphasen bevorzugt: der erste Kreuzzug (1096-1099) mit der Eroberung Jerusalems und der dritte Kreuzzug nach dem Verlust der heiligen Stadt im Oktober 1187. Die Handlung in Scotts Film dagegen endet mit dem Verlust Jerusalems, sie bezieht sich also auf die Zeit zwischen dem zweiten und dem dritten Kreuzzug und greift auf eine Figur zurück, die eine zentrale Position in den mittelalterlichen Berichten einnimmt: den Leprakönig Balduin IV., der 1185 starb. Er wurde in der Literatur und im Film zuvor dagegen ignoriert und meist durch die Figur Richard Löwenherz ersetzt. In Scotts Film taucht Löwenherz, der König von England, erst gegen Ende auf und stellt nicht wie üblich eine der Zentralfiguren dar; der zweite Protagonist in „Königreich der Himmel“ ist Saladin. Die kleinen Geschichten inmitten der großen Weltereignisse – das Schicksal Balians (Orlando Bloom), die Liebe zwischen ihm und Sybilla (Eva Green) – dienen hier der Dramaturgie in der für Abenteuerfilme üblichen Art und Weise. Die so bearbeitete Thematik des Schicksals ist durch und durch ein Produkt der amerikanischen Mythologie des modernen Menschen. Wie in anderen Kreuzzugsfilmen – mit Ausnahme von Youssef Chahines „El Naser Salah el Dine“ (1963)“ – fällt auch bei Scott die Abwesenheit der Juden auf. Thematisiert werden nur die Konflikte zwischen Moslems und Christen. Von Chahines Film übernimmt Scott einige Elemente der Handlung, so etwa den Überfall der Christen unter Rainald von Chatillon auf die Karawane und die vernichtende Niederlage der Kreuzritter in Hattin (1187) gegen die Truppen Saladins.28 Scotts Darstellung zeugt dabei von einer Political Correctness, selbst wenn er einen sanften Antiklerikalismus an den Tag legt ist er weder gegen die Christen noch gegen die Moslems eingestellt, stattdessen kritisiert er jeglichen Fanatismus und predigt Toleranz. Die Trennung besteht weniger zwischen Moslems und Christen als vielmehr zwischen Guten und Bösen: Balian, der Held, gerät zwischen Eiferer auf beiden Seiten. Historisch war dies übrigens die einzige Epoche, in der christliche Pilger mit der Bevölkerung in Palästina in Kontakt kamen, zumindest mit den oberen Schichten.29 Ein tiefer Riss – religiös, mental, kulturell und sprachlich – trennte ansonsten die Pilger von der Bevölkerung des Landes.30 Scotts Film ist im Vergleich zu den meisten Großproduktionen dieser Art weniger von Vorurteilen belastet; so zeigt er Moslems friedlich beim Gebet und Saladin (Ghassan Massoud) ist eindeutig positiv dargestellt (Abb. 50). Saladin ist im Übrigen einer der wenigen moslemischen Herrscher, der von den westlichen Kulturen seit dem Mittelalter eine positive Bewertung erfahren hat. Scott versucht Kostüme, Handlung und Dekor kinematografisch glaubwürdig darstellen, nicht jedoch die Geschichtsschreibung, was zugleich
27 Vgl. Bartholeyns 2005. Ich bedanke mich bei ihm ganz herzlich für die Überlassung des Manuskriptes seines Vortrags. 28 Ebd. 29 Vgl. Reichert 2001, 149. 30 Ebd, 150.
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die immense Kluft zwischen Film und Historiografie auch in ihren darstellerischen Formen zum Ausdruck bringt.31 Abb. 50: „Königreich der Himmel“
Der amerikanische Film pflegt seit eh und je die traditionellen epischen Figuren der mittelalterlichen Literatur, insbesondere in konservativen Zeiten: den Ritter, den Heiligen, den Sünder, die Dame, den Verräter, den Getreuen, den ehrlichen Mann, wenn auch heute Frauen etwas häufiger präsent sind und die jeweilige Darstellungsart moderner ist. Dabei stellt sich die Frage, worin der Gegenwartsbezug besteht, der eben oft nur in den Kostümen und den Spezialeffekten gegeben ist.
Die kleinen Kostümdetails der großen Erzählungen Es wäre falsch zu behaupten, dass in den Anfängen des Kinos der „Geschichtstreue“ der Kostüme weniger Beachtung geschenkt worden wäre. Als Douglas Fairbanks 1928 seinen Film „Die eiserne Maske“ vorbereitete, holte er sich als Art Director und zugleich als Technical Advisor Maurice Leloir. Der Gelehrte und Künstler, der zahlreiche Werke von Klassikern wie Molière, Rousseau, Balzac oder Dumas illustriert und außerdem ein außergewöhnliches illustriertes Lexikon der historischen Kleidung sowie der Mode im Allgemeinen verfasst hat, genoss den Ruf, einer der kompetentesten und begabtesten Kostümforscher seiner Zeit zu sein. Als Fairbanks ihn engagiert, ist Leloir bereits 75 Jahre alt und hat bis zu diesem Zeitpunkt die französische Hauptstadt nie verlassen.32 Dennoch reist er nach Hollywood, wo er ohne große Mühe die Logik der Filmbranche versteht, die er später in seinem Buch auf zwar altmodische, aber lebhafte und humorvolle Art beschreibt.33 Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist eine der ersten Literaturverfilmungen mit einem wahrhaften Anspruch auf originaltreue Kostüme. Jede Großproduktion Hollywoods verfügt heute über eine „Bibel“, bei der es sich um eine umfangreiche gebundene Sammlung von Bildvorlagen 31 Ebd, 150. 32 Vgl. Delpierre 1988, 55f. 33 Vgl. Leloir 1929.
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handelt, die aus dem Bestand der Studio-Bibliotheken gezielt für einen Film zusammengestellt wird. Sie dient der Filmmannschaft dazu Konzepte und Entwürfe präziser zu gestalten oder zu entwickeln. Ein Exemplar steht meist den KostümbildnerInnen zur Verfügung. Bei Historienverfilmungen oder Epochenfilmen sind dies logischerweise historische Illustrationen. Nicht HistorikerInnen sind die Autoren dieser Bibel, sondern Filmleute – mit entsprechenden Folgen,34 denn bis heute bilden Kostüme in Historienfilmen eine wahre Fundgrube für unvorhergesehene Pointen. Die gelegentliche Schadenfreude von HistorikerInnnen und KleidungsforscherInnen mag berechtigt erscheinen, da sich die Filmwelt im Gegenzug oft genug über Gelehrte und WissenschaftlerInnen lustig gemacht und eine oft unerträgliche bornierte Arroganz an den Tag gelegt hat. Ein beliebter Topos, der für die Authentizität von Verfilmungen – insbesondere der Kostüme – bürgen soll, sind die zahlreichen Museumsbesuche oder die Lektüre Tausender Bücher bei der Vorbereitung der Dreharbeiten. Wir stellen uns dabei gerne eine ganze Mannschaft neugieriger ForscherInnen vor, dabei wird diese Arbeit aber von nur einer Kostümbildnerin oder einem Kostümbildner geleistet – eine Glanzleistung, wenn man bedenkt, wie viel Forschungsarbeit Wissenschaftler für ein einziges Buch leisten müssen. Selbst die talentierte Yanti Yales hat für „Gladiator“ allein „950 Bände und 834 Zeitschriften“ verschlungen, was nichts daran ändert, so Junkelmann, dass ihr „trotz des großen Eifers gerade die entscheidenden Werke entgangen zu sein scheinen“.35 Die Rolle der Kostüme in Historienfilmen hängt vom Kontext ab. Häufig wurden Kostümepen zur Illustration der politischen Entwicklung eines Landes benutzt – z.B. als ideologische Untermauerung für eine nationalistische Sichtweise.36 So lehnt sich bereits etwa die Eroberung Karthagos im ersten Monumentalfilm der Kinogeschichte, „Cabiria“ (1914) von Giovanni Pastrone an die Eroberung Libyens durch italienische Truppen im Jahre 1912 an. Gabriele D’Annunzio arbeitete damals am Drehbuch mit.37 Die Identifikation Amerikas mit dem „gelobten Land“ in den verschiedenen Fassungen von „Ben Hur“ oder „Die zehn Gebote“ sticht selbst dem unvoreingenommenen Betrachter ins Auge. Die Figur Moses als politische Metapher an sich selbst ist nichts Neues. Bereits Tizian stellte die Vernichtung der Armee des ägyptischen Pharao im Roten Meer als eine politische Allegorie des Sieges der Venezianer über die kaiserliche Liga und die Spanier im Jahre 1513 dar.38 Biblische Themen dienten dem Film zu Anfang auch als Mittel, um für seine Anerkennung als Kunst zu werben, wie es zuvor mit der Literatur, der Malerei oder dem Theater der Fall gewesen war. Dies verdeutlicht zugleich, wie tief seine Wurzeln in der westlichen Kultur verankert sind. Kostümfilme erweisen sich als besonders geeignet, ideologische Inhalte zu transportieren, ja propagandistische Ziele zu verfolgen. So wurden die zumeist in Paradeuniform gekleideten Figuren Bismarck oder Friedrich der Große gern für nationalsozialistische Zwecke ausgeliehen, um preußische 34 35 36 37 38
Vgl. Cüsten 1992, 114; Junkelmann 2004, 50. Junkelmann 2004, 49. Vgl. Rother 1998. Bourget 1992, 19. Vgl. Bourget 1992, 21.
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Geschichte zu illustrieren wie in „Die Choräle von Leuthen“ (1933). Auch die stalinistische Ära bevorzugte Monumentalfilme wie „Alexander Newski“ (1938) und „Iwan der Schreckliche“ (1942-46), selbst wenn Sergej M. Eisenstein nicht im Sinne Stalins drehte und vielmehr über die Beziehung von Personenkult und Macht reflektierte; diese Einstellung Eisensteins war einer der Gründe, warum er Russland verlassen musste. Die historische Vorlage für „Alexander Newski“ stammt aus dem 13. Jahrhundert, dennoch bearbeitet er die Gegenwart. Daher ist es kein Zufall, wenn das Fußvolk der teutonischen Truppen Helme trägt, die sehr denen der deutschen Reichswehr gleichen. In US-amerikanischen Historienfilmen folgen Ereignisse meist einer magischillusionären Handlung, in der die Bedeutung der Kostüme erst im Sinnhorizont des gigantischen nationalen Zirkus ihre Wirkung entfalten –, selbst bei kritischer Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte wie in „Little Big Man“ (1970). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, wenn die heutige Vorstellung von historischen Ereignissen zwischen Hollywood und Populärwissenschaft angesiedelt ist. Der Nationalcharakter des Kinos hat sich abgeschwächt zugunsten globalisierter Filmprodukte mit US-amerikanisch geprägter Weltanschauung. Im Allgemeinen fühlen sich Produzent wie Regisseur nichts und niemandem verpflichtet – außer dem Geld und dem Erfolg. Sie sehen sich keiner Rechenschaft schuldig, schon gar nicht gegenüber der wissenschaftlich korrekten Geschichtsschreibung. In der Filmwelt sind sie in ihrem Element und lassen sich nur ungern von „Besserwissern“ außerhalb der Branche korrigieren. Dies mag das amerikanische Publikum nicht so sehr stören, das europäische hingegen reagiert empfindlicher. Filmemacher unterschätzen „bis auf den heutigen Tag den Wunsch ihres Publikums, Geschichte ‚richtig‘ zu präsentieren“,39 doch gerade hier stellt sich die Frage nach der zeitlichen Dimension mit all ihren Tücken im Hinblick auf fremde Kulturen mit der ihnen eigenen Zeitexotik. Warum sollte reale historische Kontextualität als Störfaktor für die künstlerische und technische Qualität eines Films aufgefasst werden? Kostüme, Accessoires, Gegenstände, Schmuck und Frisuren sind wichtige Bedeutungsträger. Auch in Bezug zur Kleidung sollten Fantasie und Unterhaltung nicht nur der Filmindustrie verpflichtet bleiben, sondern auch der Geschichtsschreibung und der Ethnografie, damit auch der Problematik kulturelle Differenz oder das kulturelle Fremde mit entsprechender Sensibilität zu behandeln. Es gibt indessen auch gelungene Kooperationen von RegisseurInnen und HistorikerInnen. Eines der besten Beispiele dafür liefert Vignes „Die Rückkehr des Martin Guerres“ (1982), vielleicht weil die Idee zum Film von der Historikerin Nathalie Zemon Davis stammt. Sie hat in Daniel Vigne einen kompetenten, aufmerksamen und ideenreichen Regisseur gefunden, der ihre Vorstellung bis hin zu den Kostümen in dichte und spannende Bilder zu übersetzen verstand. Schon Jahre zuvor hatte „Die Machtergreifung Ludwig XIV.“ (1966) von Roberto Rosselini nicht nur mit gelungenen Kostümen für Furore gesorgt, dem Film gelang auch eine wunderbare Umsetzung von Norbert Elias’ „Die höfische Gesellschaft“. Die Hofetikette steht dabei im Mittelpunkt, zusammen mit der Mode als Zeugnis und Triebkraft für gesellschaftlich-politische Veränderungen. Mode stellte also keine „extravagante Routine“ (Junkelmann) dar, sondern eines der wichtigsten Instrumente für die Erhaltung des absolutistischen Machtapparats und dessen reibungslosen Ab39 Junkelmann 2004, 52.
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lauf, in dem sämtliche Fäden militärischer, wirtschaftlicher, kultureller, religiöser und juristischer Art zur Person des Königs führten und die Mitglieder des Adels in strikte Abhängigkeit brachte. RegisseurInnen wie Stephen Frears, Stanley Kubrick, Peter Greenaway, Peter Weir und vor allem Jane Campion haben die Kunst der historischen Kostüme im Film neu erfunden. Bis hin zum kleinsten Detail erzeugen Kostüme neue Situationen, Eigenschaften, Einstellungen und Sensibilitäten. Erinnert sei nochmals an „Das Piano“ mit seinen zahllosen Kostümdetails wie den fettigen Zöpfen, die fest um Adas Kopf gelegt sind, oder den zahlreichen Unterröcken der Tante, die im Urwald urinieren will und dabei sorgfältig mit Tüchern abgeschirmt wird. Man denke auch an die subtilen Unterschiede zwischen der Kleidung der Siedler und jener der Maoris. Auf diese Weise gelingt es Campion in enger Kooperation mit der Kostümbildnerin Janet Patterson, die krassen kulturellen Unterschiede selbst in der Körpersprache auszudrücken. Noch expressiver gelingt die Darstellung Adas bei ihrem Bemühen, mit Hilfe eines Brettes eine schlammige Furche zu überqueren, in der ihre Stiefeletten dennoch im Matsch einsinken. Hier handelt es sich nicht mehr um „Kostümierung“ im obigen Sinne, sondern, zum ersten Mal wird „in einem Kostümfilm die historische Kleidung jenseits ihrer normativen Bedeutung eingesetzt“.40 Das heißt, die historische Kleidung wird aus der Perspektive ihrer Zeit in ihrer Vielschichtigkeit heraus gedeutet, sie erhält nicht nur zeitlichen Verweischarakter. Filme wie „Gefährliche Liebschaften“ (1988) oder „Portrait of a Lady“ (1995) illustrieren auf anspruchsvolle Weise die doppelte Grundregel für Kostüme in Bezug zu heutigen Historienfilmen: wirklicher als die Realität zu sein und mit dem Finger auf etwas zu zeigen. Schon vor Annauds „Der Name der Rose“ (1986) oder Vignes „Die Rückkehr des Martin Guerres“ (1982, für die der Sprachwissenschaftler Umberto Eco und Historiker wie Jacques Le Goff oder Nathalie Zemon Davis Pate gestanden haben, hatte soziokulturelles und historisches Hintergrundwissen in die Filmausstattung Einzug gehalten. Dies hat sich inzwischen auch im amerikanischen Film etabliert, wie Michael Manns „Der letzte Mohikaner“ (1992) bewies. Im Jahre 1757 kämpfen laut Vorspann Briten gegen Franzosen um die Vorherrschaft in Nordamerika –, ein Kampf, bei dem die Gegner auf die Mithilfe verfeindeter Indianerstämme angewiesen sind. Als die Huronen, Verbündete der Franzosen, die britische Offizierstochter Cora (Madeleine Stowe) und ihre Begleiter überfallen, eilen ihnen die Mohikaner, Chingachgook (Russel Means, einer der charismatischen früheren Leaders des „Indian Movement“) und seine zwei Söhne – darunter der weiße Adoptivsohn Hawkeye/Nathaniel (Daniel Day Lewis) –, zu Hilfe. Aus der Vorlage des eher reaktionären James Fenimore Cooper gestaltete Michael Mann in dieser edlen Verfilmung ein feinfühliges Bild des Konfliktes, in dem sich nicht nur zwei, sondern mindestens fünf Parteien gegenüberstehen. Entsprechend erhalten auch die Kostüme eine differenzierte Gestaltung: Die jeweiligen Militäruniformen stehen für ein ethisches Verhalten, was die unterschiedlichen Körpersprachen des französischen Generals Montcalm (Patrick Chéreau) und des englischen Colonels Munro (Maurice Roeves) verdeutlichen. Die betonte Steifheit der aristokratischen englischen Gewänder und der Militäruniformen steht im Gegensatz zur lässigen Klei40 Buovolo 2006, 19.
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dung der Grenzsiedler und zur Vielfalt der indianischen Kleidung. Nicht, dass dieser Film ein gerechteres Bild von den Indianern und ihrer Situation vermittelt, es wird zumindest ein nuancierteres Bild der Zeit skizziert. Stanley Kubrick bietet zusätzlich mit seiner Technik des „Déjà-vu-Effekts“ eine weitere historisierende Komponente an. Ein Musterbeispiel dafür stellt „Barry Lyndon“ (1975) dar. Der Film erzählt die Geschichte eines armen, aber ambitionierten Burschen vom Lande, Redmond Barry (Ryan O’Neal) und beleuchtet seinen gesellschaftlichen Aufstieg und Fall während der Rokokozeit. Auslöser seiner erfolgreichen Karriere ist eine unfreiwillig lange Dienstperiode in der Armee, in der er die Unterstützung des Kapitäns Quin (Leonard Rossiter), des Hauptmanns Potzdorf (Hardy Krüger) und vor allem des Chevaliers de Balibari (Patrick Magee) erlangt. Einige Filmsequenzen mit Landschaften gleichen malerischen Bildkompositionen à la Gainsborough. Auch die Kostüme scheinen geradewegs einem Gemälde zu entstammen. Von einer ähnlichen Sorgfalt in Bezug zu den Kostümen zeugt auch Stephen Frears’ „Gefährliche Liebschaften“ (1988). Bereits der Vorspann konzentriert sich auf die Kleidungsstücke. Sorgfältig beschreibt er mittels Parallelmontage in Gestalt der fein kostümierten Dienerinnen das langwierige Ritual des Aufstehens und Ankleidens: die spärliche „Wäsche“, die Auswahl von Schuhen, Hemd, Gilet, Culotte (Kniehose), Strümpfen und der Perücke. Dann folgt das Pudern mit der Schutzmaske. Beim Anziehen des Justaucorps wirft der Comte von Valmont (John Malkovich) einen prüfenden Blick in den Spiegel. Bei der Marquise von Merteuil (Glenn Close) wird es komplizierter, da das Hemd und das Mieder über dem Stecker41 zusammengenäht, die Paniers und die Unterröcke angepasst werden müssen und das Watteaukleid von hinten vernestelt wird. Dieser langatmige Rhythmus bestimmt den ganzen Film, was dazu beiträgt, ihn besser zu verstehen. Die Kleidung bringt die Vielzahl von historischen wie soziokulturellen Deutungen zum Ausdruck. Der Charakter und die Stellung der Kostüme im Historienfilm gehören zu den besonderen Merkmalen nicht nur des westlichen Kinos, sondern des Weltkinos, sei es bei Akira Kurosawas „Kagemuska“ (1980), Youssef Chahines „Adieu Bonaparte“ (1975), Zhang Yimous „Leben“ (1994) oder Ashutosh Gowarikers „Lagaan“ (2001). Dennoch betont Andrei Tarkowski, dass bei seinem Film „Andrej Rublev“ „weder eine Nachstellung der russischen Malerei noch eine altertümliche, museale Exotik Ziel gewesen sein könnte“.42 Der Zugang zur Vergangenheit kann im Film in der Tat mit anderen Mitteln und Methoden als durch den Realismus der Darstellung erreicht werden. Bereits für seine Verfilmung von „Jeanne d’Arc“ (1928) lehnt Carl Theodor Dreyer den bloßen Realismus von Kostümen und Gegenständen ab, weil er sich auf das Innenleben der Heldin konzentriert – vor allem auf ihren Gesichtsausdruck – und nicht auf die äußerlichen Lebensbereiche. Entsprechend passen sich die Kostüme dem psychologischen Anspruch des Films an. Auch Pier Paolo Pasolini seinerseits sucht nicht die getreue Rekonstruktion, sondern die Darstellung der Alterität der Antike oder des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Für die Kostüme in „Medea“, „Decamerone“ oder „Edipo Re “ wurden daher absichtlich Anleihen im Mittelalter und in der Antike gemacht ebenso wie bei afrikanischen, 41 Siehe Glossar 42 Tarkowski 1985, 90, zitiert nach Kiening 2006, 87.
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nahöstlichen und südamerikanischen Trachten.43 Wenn ein Film weniger auf Illusion als vielmehr auf Reflexion zielt – was häufig bei Autorenfilmen der Fall ist –, dann werden Kostüme und Dekor Nebensache für die historische Motivik, ohne dass sich zwangsläufig die Kluft zwischen dem Imaginären des Kinos und Geschichtsschreibung noch größer werden muss. Kostüme bilden daher einen wichtigen Bestandteil des Reflexionsfeldes.
Formen und Uniformen Geschichte bedeutet übrigens nicht nur die ferne, sondern ebenso die nahe oder unmittelbare Vergangenheit. Eine faszinierte Kleidungsform in Verfilmungen bietet in diesem Zusammenhang ohne Zweifel die Uniform. Die filmplastische Darstellung der Uniformen löst gerne kunsthistorische und kulturpolitische Diskussionen aus, denn Uniformen stehen für bestimmte kulturelle Identifikationsmuster und -bilder, sprich Identitätsbilder mit besonderen Zeitsignaturen. Wenn von der Uniform die Rede ist, denkt man zunächst an die Militäruniform, die Ur- und Grundform aller Uniformen. Sie stellt eine Verpanzerung der Virilität dar, die assoziativ mit Gewalt, Ordnung, Disziplin und dem durchtrainierten Männerkörper in Verbindung gebracht wird. In „Barry Lyndon“ erzeugt die Inszenierung der Armeeuniform bei der Parade vor der kleinen dörflichen Gemeinschaft oder auf dem Schlachtfeld besonders intensive Momente des Films. Die Soldaten in ihren Uniformen und „mit ihren großspurigen Manieren erfüllten Barry mit Neid“, kommentiert die Off-Stimme. Diese distanzierte Off-Stimme steht für die Ich-Erzählerform des Romans von William M. Thackeray. In der langatmigen Erzählweise soll sich die Langsamkeit des Lebens in der Rokokozeit offenbaren. Sie modelliert sogar die Kampfszene, ein Gefecht, so kommentiert die Off-Stimme, mit einem Bataillon französischer Truppen, „das in keinem der Geschichtsbücher erwähnt werde, jedoch „denkwürdig genug wird, für alle, die daran teilnahmen“, so sinnlos erscheint die Opferung von Menschen.44 Bereits das disziplinierte Marschieren der englischen Truppen mit den scharlachroten Uniformen und den weißen Stiefeln auf dem Schlachtfeld im Rhythmus der Trommel suggeriert den ZuschauerInnen, sie befänden sich mitten im Geschehen.45 Uniformparaden wie in „Reise nach Indien“ (1984) oder „Die vier Federn“ (2002) und Schlachtfelder wie bei „Der Soldat James Ryan“ (1998) oder „Gallipoli“ (1981) stellen Höhepunkte der Uniforminszenierung dar. Die Militäruniform gehört zum klassischen Bildarsenal der Virilität und der hegemonialen Männlichkeit. „Gewalt im größtmöglichen Maßstab ist eine Aufgabe des Militärs. Kein Bereich war für die Definition von Männlichkeit in der westlichen Kultur wichtiger“.46 Uniform und Krieg bilden im Kino der Nachkriegszeit bis heute symbiotische Leitmotive. Lange wurde das Genre von der einseitig positiven amerikanischen Sichtweise beherrscht, die die Koexistenz von Ruhm und Elend in der Uniform völlig ignorierte – im 43 Vgl. Bartholeyns 2000, 47 und 50. 44 Devoucoux 2005, 155. Das Kapitel basiert auf meinem Aufsatz „Uniformen gegen Uniformität“. 45 Vgl. Devoucoux 2005, 155. 46 Connell 2000, 234.
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Gegensatz zum deutschen, italienischen oder französischen Film. Erst der Vietnamkrieg brachte Risse ins Bild. In den ersten zwanzig Minuten von „Der Soldat James Ryan “ (1998) versucht Spielberg schonungslos darzustellen, wie wenig Krieg mit den Klischees von Heldentum zu tun hat und was sich wirklich hinter den Bildern eines der bekanntesten Ereignisse des Zweiten Weltkrieges – der Landung der Alliierten in der Normandie – verbirgt. Wir wissen heute, dass bereits die „Tiger“-Manöver in Slapon Sands, die die Landung unter dem Kommando des amerikanischen Generalstabs – und damit General Eisenhowers – vorbereiten sollten, zum Fiasko gerieten, bei dem mehr als achthundert Soldaten ums Leben kamen. Die Verletzlichkeit des Uniformmythos blieb unangetastet, und bis heute stellt Slapon Sands für das Pentagon und die US-Propaganda ein quasi historisches Tabu dar, im Nachhinein noch verdeckt durch den Erfolg der Landung bzw. ihren im Nachhinein konstruierten Mythos. Angefangen vom Haareschneiden bis hin zum Drill zur perfekten Kampfmaschine setzt der Film „Full Metal Jacket“ (1987) die interne militärische Logik der amerikanischen Marines samt seiner Apparatur und seiner rituellen Einrahmung in Szene. So wird uns ein Eindruck vermittelt, wie diese Kriegsmaschine funktioniert. Präsentiert werden rein stereotypisierte Figuren ohne Klassentrennung – der Mythos Amerika. Und dennoch ahnen die Zuschauer vom ersten Bild an genau, worum es geht: Die harte Ausbildung ist die Vorbereitung auf den Vietnamkrieg, vergleichbar heute mit dem Irakkrieg. Gehorsamkeit und Unterwerfung – der Film beschreibt in komprimierter Fassung ein detailliertes System von Drill, körperlicher Anstrengung, Normen, Vorschriften und Kontrollen, das auf effiziente Art vom Ausbilder Gunnery Sergeant Hartman (R. Lee Ermey) durchgesetzt wird. Disziplinierung, das Motto der Ausbildung, heißt zunächst die Disziplinierung des Körpers: eine elementare Technik der militärischen Herrschaftsausübung.47 Der Mann wird zur Uniform, und die Uniform macht den Mann –, eine Eigenschaft, die sonst wohl nur bei religiöser Kleidung in dieser Deutlichkeit vorkommt. Die Waffe bildet den Bezugspunkt zum Militär, auf fast erotische Art, so wird sie zumindest in diesem Film konnotiert. Die gesamte Ausbildung ist mit sexuellen Anspielungen belegt. „Ihr werdet heute Nacht mit eurem Gewehr schlafen!“, brüllt Sgt. Hartman. „Ihr seid mit dem Gewehr verheiratet und ihr werdet nicht fremdgehen!“, bevor er sich mit „Gute Nacht, Ladies“ verabschiedet. Die Thematik der Uniform erscheint häufig bei Stanley Kubrick. In „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben“ (1962-63) gibt es hingegen zunächst nur eine Art von allgegenwärtiger Uniform, die der Oberbefehlshaber, der Crème de la Crème des Pentagon. Was hier stört, ist eher die Zivilkleidung – selbst die des Präsidenten der USA. Später kommen noch die Uniformen der Bombermannschaft hinzu, sowie die der Verteidiger und Angreifer der Burpleson Base. Die Welt wird vor allem von oben betrachtet, sei es vom Flugzeug aus oder bei Sichtung der Weltkarte des „War Room“. Die Figur General Rippers (Sterling Hayden) kennzeichnet den Zynismus des Typus’ Supermacho: Angefangen bei der übertriebenen Lässigkeit seiner 47 Mikrotechnik der Macht nennt Michel Foucault solche Techniken.
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riesigen Zigarre bis hin zur gelockerten Krawatte, selbst seine Uniformjacke steht offen. Alles bis hin zum Kaugummi markiert bei General Turgidson (George C. Scott) dessen arrogante Stupidität und Brutalität. Bei Austauschoffizier Group Captain Mandrake (Peter Sellers) fällt dagegen die englische Strenge und Steifheit ins Auge. Turgidson wird vom Pentagon genauestens über die neuesten Geschehnisse unterrichtet, als der gerade auf der Toilette sitzt. So zeigt Kubrick, was hinter und unter der Uniform steckt. Der Vorspann ließ keinen Zweifel über die Tonart des Films. Die Demontage reicht bis ins Private hinein, als sich Turgidson im trauten Beisammensein mit seiner „Sekretärin“ Miss Scott (Tracy Reed) in dem vollständig verspiegelten Schlafzimmer völlig kindlich verhält: die Rückseite der Uniform. Bemerkenswert sind auch die Uniformen der Besatzung des B 52-Bombers „Leper Colony“ mit Lederjacke, den Gonflage- und Panzereffekten und dem Luftwaffenhelm. „Der Pilot fühlt sich der Maschine ausgeliefert, er wird ein persönlicher Teil von ihr“, schreibt die Kulturanthropologin Gabriele Mentges. Piloten und Besatzungsmitglieder „unterhalten zu ihren Flugmaschinen ein ausgesprochen persönliches, ja intim-erotisches Verhältnis“.48 Von vornherein galten „die Flieger als Außenseiter, die sich über die traditionelle Armeeordnung hinwegsetzen“. Ihre Uniform, vor allem die Lederjacke, so Mentges weiter, „ist zugleich Schutzkleidung und Symbol, obgleich sie nur während des Fluges getragen wird. Ihre Aura gewinnt sie im Aktionseinsatz und nicht in der Repräsentationssphäre“.49 In der heutigen Zeit, in der Frauen endlich auch dem Militär angehören, gewinnt die Frage des Körpers in dieser Hinsicht eine ambivalente Position. Die Militäruniform stellt stets bestimmte Körpervorstellungen und -bilder in den Vordergrund. Die Uniformen in „Die große Illusion“ (1937) von Jean Renoir beherrschen so sehr die Szene, dass die bloße Abbildung einer Frauenkleidung auf einem auf einem Päckchen wie eine Zäsur einbricht. Filme ohne Frauen, so ein Produzent, sind übrigens fürs Kino keine gute Werbung. So ist die Beobachtung hier von besonderem Interesse, dass sich die Gestaltung von Uniformen nach wie vor am männlichen Körper orientiert. Die gesamte Körpersprache des Militärs ist eine männliche Sprache, seine Gestik ist eine rein männliche. Selbst die Uniform heutiger Soldatinnen zeigt, dass sie nur als „Devianz“ des männlichen Bildes aufgefasst werden. Im Film wird diese männliche Prägung der Frauenuniform durch die Sexualisierung überdeckt. Dies trifft in „Feuer und Flamme“ (1982) für Isabelle Adjani beim Defilieren (Abb. 51) in ihrer Uniform der Polytechnischen Hochschule mit Rock ebenso zu wie für Demi Moore mit ihrer weißen Uniform in „Eine Frage der Ehre“ (1992). So erscheint Demi Moore in einer der Kampfszenen mitten im Schlamm, in der die Uniform nicht mehr eindeutig erkennbar ist wie beispielsweise in „Die Akte Jane“ (1997) mit kahl rasiertem Kopf wie alle anderen (männlichen) Soldaten, jedoch sind ihre Lippen mit knallrotem Lippenstift geschminkt.
48 Mentges 2000 (b), 42 und 44. 49 Ebd, 45.
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Abb. 51: „Feuer und Flamme“
Fiktion oder Realität Die Naziuniformen in allen Varianten stellen unzweifelhaft die am häufigste im Film vorgeführten Uniformen dar. Der polnische Künstler Piotr Uklanski hat 140 Fotos von Schauspielern in NS-Rollen gesammelt, angefangen von Klaus Kinski über Peter O’Toole, Michael Caine und Marlon Brando bis zu Liam Nielson.50 Uklanski vergisst dabei jedoch, dass es deutsche Immigranten in den USA Ende der 1930er Jahre waren, also Nazigegner, die die ersten Nazirollen für Hollywood spielten. Reinhold Schnuzel, aus Hamburg, in Deutschland bekannt als Filmkomödiant, übernimmt als erstes Engagement die Rolle eines hinterhältigen Nazis, gefolgt in diesen Rollen von einer ganzen Reihe seiner Kollegen wie Fritz Kortner, Conradt Veidt, Otto Preminger oder Walter Slezak. Eine merkwürdige und makabre Erfahrung für diese Flüchtlinge, die dem Naziregime – manchmal im letzten Moment und mit viel Glück – entkommen waren. Die Verwicklung der Fiktion mit der realen Geschichte nimmt sogar manchmal eine besondere bedrohliche Färbung an. „Der Kongress tanzt“ (1931-32) schildert eindringlich diese verwirrende Situation zu Anfang der 1930er Jahre in Deutschland. Die Handschuhmacherin Christel Weinzinger (Lilian Harvey) nutzt den Wiener Kongress vom 1815, um bei hochrangigen Gästen mit Blumen für ihr Geschäft zu werben, wobei sie den Zaren Alexander (Willy Fritsch) unfreiwillig kennen lernt. Der Film, ein prachtvoll kostümierter Unterhaltungsfilm, ist der letzte große Filmerfolg der Weimarer Republik, der letzte Schlager der UFA vor Hitler. Kurz darauf emigriert bereits der größte Teil der Beteiligten, angefangen vom Kostümbildner Ernst Stern bis zum Regisseur Erik Charell, nach London, Paris, Wien, Mexiko und über Umwege nach Hollywood.51 50 Vgl. Uklanski 1999. 51 So der Produzent Erich Pommer, der Komponist Werner R. Heymann, die SchauspielerInnen Lilian Harvey, Conrad Veidt und Hermann Blass; es folgen
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So gesehen, meint Claire Goll, war Hitler wahrscheinlich einer der wirkungsvollsten Schöpfer des amerikanischen Kulturtriumphes, die Filmkultur eingeschlossen.52 Was wäre Hollywood ohne seine Emigranten? Andererseits gab erst die Filmwelt Hollywoods diesen Emigranten aus Europa eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Helden. Ein so ‚typisches‘ US-Produkt wie „Casablanca“ (1942), der das Herz der amerikanischen Kinomythologie der 1940er Jahre bildet, ist ein Beweis für diese Mitwirkung zahlreicher Emigranten. Was die Kostüme betrifft, so erlebten die Emigranten allerdings in Hollywood zunächst einige Überraschungen. So muss Walter Wicclair kurz nach seiner Ankunft in Los Angeles miterleben, wie eine SA-Kolonne mit Hakenkreuzen, Fahnen und anderem militärischem Schnickschnack laut und demonstrativ auf dem Hollywood Boulevard aufmarschiert. Wicclair bewundert den Realismus der Darstellung bis hin zum Klang der Stiefel auf dem Asphalt, bis ihm schließlich ein Freund erklärt, dass es sich nicht um Dreharbeiten handle, sondern tatsächlich um den Aufmarsch einer NaziGruppe.53 Die englischsprachige Nazi-Propaganda ist in Hollywood äußerst wirksam. 1938 wird das Rathaus von Los Angeles mit Parolen gegen Lubitsch beschmiert. Marlene Dietrich wird systematisch von der englischen Ausgabe des „Stürmer“ angegriffen, nicht zuletzt auch wegen ihres „Looks“. Dieses Hetzblatt der Nationalsozialisten ist in allen Zeitungsgeschäften Hollywoods zu finden. Als im gleichen Jahr der Senator Martin Dies das Komitee gegen unamerikanische Umtriebe gründet und damit die McCarthyÄra auf offizieller Ebene vorbereitet, befindet sich die Filmhauptstadt schon unter dem Einfluss zahlreicher NS-Organisationen.54 Die Nazis in Deutschland werden von Hollywood mit Samthandschuhen angepackt und im Film noch selten negativ dargestellt oder kritisiert. Immerhin macht der deutsche Markt fast zehn Prozent des Umsatzes von Hollywood aus. Einige Hollywood-Tycoons wie Carl Laemmle und Dirk Warner sind allerdings sehr aktiv gegen den Nazi-Terror engagiert.55 Anti-NaziFilme müssen dennoch häufig mit der größten Geheimhaltung gedreht werden, und selbst in diesen, wenn sie in die Kinos rauskommen, tauchen Begriffe wie „Jude“ oder „jüdisch“ nie auf. Sie sind brutal, laufen mit zu hoch gegürteten Hosen, zu kurzen Hemden, einem Doppelkreuz am Arm und mit Mützen aus den 1920er Jahren herum, die Schreckenstruppen Hinkels als sie das Wort „Jude“ auf das Fenster eines Friseurgeschäft pinseln. „Der große Diktator“ (1940) ist der erste Film, der die Diskriminierung der Juden und den gegen sie gerichteten Naziterror beim Namen nennt. „Ich kann mich nicht erinnern“, so der Filmregisseur Sidney
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der Drehbuchautor Robert Gilbert, der Regieassistent Alfredo Crevenna (nach Mexiko), der Drehbuchautor Robert Liebmann (nach Paris), der Monteur Victor Gertler (nach Budapest). Der Schauspieler Otto Waldburg flieht in die Niederlande, wo er nach dem Einmarsch der Deutschen verhaftet, deportiert und in Auschwitz ermordet wird. Vgl. Devoucoux 1986, 6f. Goll 1976, 241. Vgl. Wicclair 1975, 133. Darunter der „German-American Bund“, dessen Hauptquartier in New York unter der Leitung Schwinn, ein Mitglieder der SA – die Kampf- und Propagandatruppe der NSDAP – steht. Vgl. Devoucoux 1986, 14. Interview. In: Anker 2004. Filmdoku.
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Lumet, „vor Chaplins ,großem Diktator‘ je das Wort Jude in einem US-Film gehört zu haben“.56 Hinkels Uniform ist passgenau geschnitten, betont seine Figur, die er permanent im Spiegel überprüft. Der Diktator ist immer beschäftigt und zeigt sich freudig überrascht, als Marschall Hering ihm mitteilt, dass er ein Mittel gegen die Juden gefunden habe: ein Gas. Erst nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor (1941), dem darauf folgenden Kriegseintritt der USA und durch den immer größeren Druck der Anti-Nazi-Liga wechselt die Stimmung radikal. Die „Hollywood News“ etwa, die Zeitung der Anti-Nazi-Liga, hat bereits 1938 eine präzise Karte Deutschlands mit genauen Angaben über die existierenden Konzentrationslager veröffentlicht.57 Die regelmäßigen Paraden mit dem martialischen Stiefelklang der Braunhemden auf dem Hollywood-Boulevard hören auf.
Kleidung und Holocaust auf der Leinwand In hartem Kontrast zu den Naziuniformen stehen die gestreiften Anzüge der KZ-Häftlinge in „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg (1993). Der Kontraste zwischen der extremen Situation und der Logik der Verhältnisse werden im Film mittels der Kleidung inszeniert: Wachmannschaft- und SS-Uniformen versus Sträflingskleidung. Die Nazi-Offiziere gehören zu den am stärksten stilisierten Figuren der Nachkriegs-Filmgeschichte: hier sind es vor allem SS-, Gestapo- und KZ-Wachmannschafts-Offiziere. Was die Kostüme betrifft, wurde dabei mit allen Mitteln gearbeitet: die Überlänge des Mantels, die Kopfbedeckungen werden leicht erhöht oder verbreitert und das Vorderteil besonders stilisiert, Stiefel werden bei jeder Gelegenheit getragen. Auch die KZ-Sträflingsanzüge werden in „Schindlers Liste“ stilisiert und zum Kinoerlebnis (Abb. 52). In beiden Fällen basiert der Faszinationseffekt auf einem komplexen Feld von kulturhistorischen Elementen. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass ein gewisser voyeuristischer Effekt eine Rolle spielt: Auschwitz vs. Hollywood. Die Szene mit der Dusche sagt viel darüber aus und widerspricht Spielbergs Behauptung: „Meine erste Entscheidung war, auf Kniffe, auf mein ganzes Arsenal an filmischen Mitteln zu verzichten“, die die Bilder hätten ‚schön’ machen können.58 Dies trifft vielleicht für die technischen Mittel zu, nicht aber für seine Erzählmethoden. Ganz anders ging Alain Resnais vor in seinem Film „Nuit et brouillard“ (1956), als er auf jegliche spektakulären Effekte und jegliches Pathos verzichtete. Stattdessen zeigt er die beinah unscheinbaren Spuren der Fingernägel in den Betonwänden, um die unvorstellbare und unfassbare Brutalität darzustellen. Die Vermarktung des Holocaust ist nicht neu. Auch hier passt sich der Film nur der allgemeinen veränderten Mentalität an, ohne die Gemüter zu brüskieren, wenngleich es sich längst nicht mehr um ein Tabuthema handelt.
56 Ebd. 57 Die Immigration nach Hollywood ist ohne diese Liga und ihr Kulturkomitee – geleitet von E. Rix (Erich Krewert) – undenkbar. Viele europäische Emigranten, darunter zahlreiche Kinoregisseure, SchauspielerInnen, TechnikerInnen und KostümbildnerInnen verdanken der Liga ihr Leben, zumindest jedoch die Freiheit. Vgl. Devoucoux 1986, 26. 58 Interview. In: Anker 2004, ebd.
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Abb. 52: „Schindlers Liste“
Beim Thema Nazideutschland und Holocaust geht es im Film auch um die Gestaltung der Körper. Zwei berühmte Beispiele machen dies deutlich. Charlie Chaplins großer Diktator in Uniform vor dem Spiegel verweist unmissverständlich auf die Wichtigkeit des Erscheinungsbildes. Wir wissen heute, dass dies in Bezug auf Hitler nicht übertrieben war, ganz im Gegenteil. Leni Riefenstahl in „Triumph des Willens“ (1935) wiederum verstand es, die räumliche Gestaltungskraft der Uniform und des Körpers in einem gigantischen Ritualisierungsapparat filmisch einzufangen und sogar zu orchestrieren. Zwei gegenseitige Repräsentationen des Körpers, die sich nicht vereinbaren lassen. In „Schindlers Liste“ wirken die Naziuniformen wie ein Ästhetisierungsmuster und sind es auch. Entsprechend heftig wurde während der Dreharbeiten über die Kostüme für die Verfolgungsszene im Krakauer Ghetto gestritten. Spielberg wollte die Nazis in langen silbergrauen Mänteln zeigen, ähnlich einer Armee des Darth Vader aus „Der Krieg der Sterne“. Die vorgesehenen Mäntel wirkten jedoch blassgrün wie „Regenmäntel aus Billigwarenhäusern“. Spielberg war genervt: Die Mäntel sollten glänzen wie Harnische. Schließlich fand Steve Tate die Lösung mit den dicken langen Mänteln, die von deutschen Wehrmacht- und SS-Offizieren tatsächlich häufig getragen wurden.59 Es ging also weniger um Authentizität der Darstellung als um optische Eindrücke. Der bedrohliche Effekt, als die Soldaten im rhythmischen Kurzschritt in das Ghetto einmarschieren, entsprach den Wünschen Spielbergs. Dies ist nicht die einzige Tücke des Films. Lassen sich solche Kompromisse in Unterhaltungsfilmen wirklich vermeiden, wenn sie das Ziel verfolgen, den ZuschauerInnen – vor allem den jüngeren Generationen – den Vernichtungsprozess begreifbar zu machen, den eigentlich, wie Spielberg selbst eingesteht, „nur die Überlebenden verstehen können“? Noch problematischer stellt sich die Situation dar, wenn die Perspektive der Häftlinge eingenommen wird, soweit dies überhaupt möglich ist. Wie lässt sich das Unaussprechliche für das heutige Publikum formulieren, das Undarstellbare dar59 John H. Richardson: Le choix de Steven. In: Première, März 1994, S. 74. Die Originalschauplätze als Bezugspunkte gehören zur Erinnerungspolitik in Spielbergs Film, ähnlich geht er später bei „Der Soldat James Ryan“ (1998) vor.
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stellen? Hier wird der Streit um die Kleidung am heftigsten, was ich am Beispiel der symbolischen Kleidung des Sträflingsanzugs erläutern werde. Für meine Generation gehört Auschwitz wie auch die Atombombe zu den prägenden Ereignissen und kulturellen Bildern meiner Jugend: eine Erbe des Schreckens. So werde ich anhand der Kostüme die Rezeption des Holocaust oder, anders formuliert, die Konstruktion der kulturellen Bilder kurz analysieren. Der Begriff kulturelle Bilder in Bezug zum Holocaust mag einige ärgern, aber ich erinnere daran, dass über die Befreiung der KZs zunächst nur schriftliche Berichte erschienen –, ohne große Resonanz. Erst dann gingen die Aufnahmen von Fotografen wie Lee Miller, Robert Capra und Filmregisseuren wie John Huston, Billy Wilder, George Stevens, Samuel Füller um die Welt, die als Kriegsberichterstatter den Einmarsch der amerikanischen Truppen begleiteten. Erst diese Fotos werden international zum Auslöser der öffentlichen Empörung. Die PhotographInnen und Kameraleute treffen vor den Sanitätseinheiten in den Lagern ein.60 Nicht die Worte, sondern die Bilder, vor allem aus den Arbeits- und Vernichtungslagern der zweiten und dritten Kategorie, bewirkten den eigentlichen Schock. Sehr schnell werden dabei die gestreiften Häftlingsanzüge zum visuellen Symbol des Holocausts. Diese Symbolisierung wird sozusagen die erste visuelle Etappe der öffentlichen Verarbeitung der Bilder aus Majdanek oder Bergen-Belsen. Da diese Bilder aber nach einigen Monaten bereits aus der Öffentlichkeit verschwinden – neue Themen werden wichtiger – und in den Archiven landen, bleibt praktisch nur dieses Symbol für die Medien verfügbar, und Hollywood tut sich damit besonders schwer. Die zweite Phase markiert das Schweigen und die diskrete Reintegration der Täter in die Gesellschaft – nicht nur in Deutschland – wie auch der schwerfällige Dialog mit den Überlebenden, so dass das Interesse an dem problematischen Umgang mit KZ und Gedächtnis langsam verschwindet. Man zieht sich in ein dem Biedermeier ähnliches häusliches Glück zurück. Der Mantel des Schweigens legt sich auch über Hollywood, obgleich alle großen Hollywood-Tycoons, die die Konzentrationslager nach Kriegsende besucht haben, versprochen hatten, um diese Erinnerung lebendig zu erhalten. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und des McCarthyismus änderten sich die Absichten wie auch das Dargestellte auf den Leinwänden Hollywoods, und wenn sie doch den Zweiten Weltkrieg aufgriffen, so thematisierten sie hauptsächlich Kriegsabenteuer. Erst 1959 greift Hollywood das Thema auf mit den „Tagebücher(n) der Anne Frank“, nachdem das Buch zu einem Welterfolg geworden war; allerdings sparte es ihre letzten Tage in Bergen-Belsen aus. Der Regisseur George Stevens gehörte zur Einheit, die Dachau befreite. Dennoch zeigt im Film nur eine Traumsequenz mit unscharfen verschwommenen Bildern von Gefangenen in gestreifter Kleidung, die Folgen der Verhaftung und das KZ. Der Bruch vollzieht sich Mitte der 1960er Jahre und insbesondere durch die Studenten- und Jugendrevolte von 1967-68, die die Konzentrationslager und die Haltung zur millionenfachen Verfolgung und Ermordung zu einem brennenden politischen Thema machte, getreu dem Motto: „Papa, was hast du im 60 Interview. In: Anker 2004. Filmdoku.
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Krieg gemacht und wie denkst du heute darüber? In dieser Epoche wird der Häftlingsanzug gewissermaßen musealisiert, und diese Musealisierung bedeutet eine Rückkehr des Themas in die Öffentlichkeit. Eine der besten filmischen Ausdrucksformen dieser Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und gleichzeitig ein Wegbereiter für weitere Arbeiten ist „Der Pfandleiher“ (1965) von Sidney Lumet, der das Innenleben der KZs und die Arbeit der Erinnerung in den Mittelpunkt seines Films stellt, ohne dass er Schockbilder einsetzt – kein voyeuristischer Film also, sondern „der stumme Schrei der Überlebenden“, wie er selbst es nannte.61 Die dritte Phase wird mit dem Erfolg von Raoul Hilbergs Büchern eingeleitet.62 Der Autor nimmt eine distanzierte Haltung ein, verwendet eine neue Sprache, liefert eine Art des konzentrierten „inneren Blicks“ und führt vor allem jeden Versuch der Leugnung des Holocaust ad absurdum. Die Häftlinge erhalten ihre Identität zurück, verlieren ihre Anonymität und ihre Nummer, die sie auf Kleidung trugen und auch auf der Haut eintätowiert war, tritt in den Hintergrund. Sie werden bei ihrem Namen genannt und als Individuen wahrgenommen. In dieser Phase wird der Häftlingsanzug unantastbar, sozusagen monumentalisiert in einem ähnlichen Sinne wie museale Objekte Dieser „Monumentalisierung“ entsprechen einerseits Produktionen wie die bahnbrechenden Dokumentarfilme „Shoah“ (1985) und „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ (1990), andererseits die Geschichte der Familie Weiss in der neunstündigen US-amerikanischen TV-Serie „Holocaust“ (1978), ein Welterfolg ohnegleichen. Die kritische Reaktionen Elie Wiesels und anderer auf die TV-Produktion konnten das amerikanische und Teile des europäischen Publikums nicht nachvollziehen. Viele junge Leute wurden durch die TV-Serie „Holocaust“ erstmals mit Bildern aus Konzentrationslagern konfrontiert und lernten, darüber zu sprechen. Als unmittelbare Folge kamen auch die Überlebenden zu Wort und wurden, vielleicht zum ersten Mal, aufmerksam angehört. In dieser Zeit wird immer nachdrücklicher die Frage gestellt, warum die Alliierten die Bahnlinie nach Auschwitz nicht bombardierten, denn spätestens seit August 1942 war die amerikanische Regierung von der Existenz der Vernichtungslager informiert, also lange vor dem 4. April 1944, an dem die Lager vom Flugzeug aus fotografiert wurden. Die Bilder lösten bei ihrer verspäteten Veröffentlichung in den 1980er Jahren einen Skandal aus.63 Die letzte Phase könnte man nach der gleichnamigen Fernseh-Dokumentarreihe „Auschwitz und kein Ende“ (2000) benennen. Nicht weil das Publikum durch die Thematisierung im Unterhaltungsfilm übersättigt, ja gelangweilt wäre, sondern vielmehr weil die Auseinandersetzung mit der KZ-Erinnerung weiterhin besteht und von jeder Generation neu gestellt und anders verarbeitet wird. In einem großen Lager sind Dutzende von Männer und Frauen damit beschäftigt sorgfältig Schuhe, Kleidungsstücke, Accessoires, Schmuck, Zahnbürsten, Haarbürsten und andere Gegenstände aus einem Berg von Koffern 61 Interview. In: Anker 2004, ebd. 62 Sein Werk über „Die Vernichtung der europäischen Juden“ wurde zwar bereits – mit einer sehr bescheidenen öffentlichen Resonanz – in English 1961 veröffentlicht, jedoch erst in den 1980er Jahren haben sie Erfolg gehabt und wurden ins Deutsche übersetzt. 63 Vgl. Lichtenstein 1986; vgl. auch Gilbert 1982.
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zu reißen, zu sammeln und zu sortieren, als ob dies die normalste Tätigkeit der Welt wäre. An den Uniformen der Personen und an dem Umgang mit dem Material, versteht das Publikum auf Anhieb, dass dieses Geschäft des Altkleidersammelns zum Randbereich der Todesindustrie gehört. Spielbergs Film „Schindlers Liste“ (1993) stützt sich hier auf Zeugnisse von Überlebenden. Sein Film ist ein Paradebeispiel dieser vierten Phase, die den Sträflingsanzug zum Spektakel macht. Und er illustriert wie kein anderer Film den unerfüllbaren Erlösungswunsch Hollywoods. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Steven Spielberg und Claude Lanzmann liegt möglicherweise darin, dass jener, vereinfacht formuliert, Kinomaterialien und Pappmaché benutzt – einzige Ausnahme: die Lagertore von Auschwitz –, während Lanzmanns Filmmaterial äußerst konkrete und für viele unangenehme Spuren birgt, die den Weg hin zur Vernichtungsmaschinerie auf allen Ebene aufzeigen, unabhängig von der Rhetorik der Inszenierung. Diese letzte Phase ist begleitet von einer Reihe neuer Auseinandersetzungen und Forschungen zum detaillierten Ablauf des Krieges und des Holocausts wie beispielsweise die fragwürdigen Forschungsmethoden, aber dennoch guten Fragen Goldhagens (Warum so viele Deutsche Juden ermordet haben?), die Erinnerung an den britischen Luftangriff auf die „Cap Arcona“, bei dem am 3. Mai 1945 7000 Häftlinge aus dem KZ-Neuengamme starben, die Entschädigung der noch lebenden ZwangsarbeiterInnen. Im Allgemeinen vermeidet Hollywood jede Art „realistischer“ Filmeinstellungen. Trägt Pakulas Verfilmung des Romans „Sophies Entscheidung“ von William Styron (1982) weniger zum Verständnis des Holocaust bei als die Massenszene von Dan Curtis’ BBC-Produktion „Feuersturm und Asche“ (1988)? In diesem Spielfilm nimmt die Kamera die Gefangenen ins Visier, als diese massenhaft zusammengetrieben werden und sich vollständig entkleiden müssen, Männer wie Frauen. Man erkennt Berge an Kleidern und Schuhen. Dann bewegt sich die Kamera auf die Erschießungen am Rand der Massengräber zu und zeigt, wie SS-Leute die vereinzelt zwischen den Toten in den Gruben liegenden Überlebenden gezielt erschießen. Die Aufnahmen sind um eine möglichst realitätsgetreue Darstellung bemüht. Man stößt hier weniger auf die Aufnahmefähigkeit der ZuschauerInnen, als vielmehr auf die Grenze der Darstellbarkeit. An Pakulas „Sophies Entscheidung“ dagegen hat die Auschwitz-Überlebende Kitty Hart beratend mitgewirkt. Der krasse Gegensatz zwischen Wächter und Gefangenen wird mittels kleiner Details vermittelt, etwa über Kleidung und Körpersprache. So gehen etwa die Gefangene Sophie (Meryl Streep) und die Wächterin nebeneinander über den schlammigen Boden, die eine im schmutzigen gestreiften Kleid, die andere in ihrer sauberen dunkelblauen Uniform mit Stiefeln. Die drei Lager Auschwitz waren ein einziges Schlammfeld, und eines der unauffälligen Alltagselemente, von denen Kitty Hart berichtete, ist eben diese spezifische Gangart der Häftlinge. Sie bestand darin, erzählt der Filmproduzent Martin Starger, „die eigenen Füße immer in die Fußstapfen anderer zu setzen, um nicht im Schlamm stecken zu bleiben. Es war eine Überlebensnotwendigkeit, so zu gehen. So etwas kann sich ein Regisseur nicht ausdenken: das langsame, mühsame Gehen“.64
64 Interview. In: Anker 2004.
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Dieser kurze Blick auf diese vielschichtige Thematik hat nicht den Anspruch, methodische Untersuchungen zu ersetzen oder zu illustrieren,65 sondern behauptet den hohen symbolischen Anspruch von Bildlichkeit und Stofflichkeit. Häftlingsanzüge gehören zu den elementaren Erkennungsmerkmalen der immensen Vernichtungslager – der Historiker W. Sofsky kennzeichnet sie als „Laboratorien der absoluten Macht“ – und sie sind daher auch im Film nicht zu unterschätzen, weil sich um die Kleidung zwar unscheinbare, aber verheerende Dramen abgespielt haben. In Pakulas „Sophies Entscheidung“ gibt Meryl Streep in ihrem gestreiften Häftlingskleid eine adrette Erscheinung ab, und dies gilt für sämtliche Kostüme in Filmen über den Holocaust. Bereits hier setzt eine Polemik an, weil bereits in der Frühphase der Lager die gestreifte Häftlingskleidung Innen- und Außenwirkung gleichermaßen besaß. „Die Schilderungen zeigen, dass die Ausstattung mit Kleidung, was die Stückzahl anbelangt, bis 1942 relativ umfangreich war. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Terror der SS, die Einkleidung der Gefangenen mit nicht passenden Kleidungsstücken, die den Menschen ein lächerliches äußeres Erscheinungsbild gaben, psychische Auswirkungen auf diese hatten.“66 Ohne Rücksicht auf Körperumfang und Größe wurden die Häftlingskleider verteilt: „Jacken und Hosen waren zu kurz, zu lang, ließen sich nicht zuknöpfen, zu kleine Mützen saßen wie Kronen auf dem Kopf“.67 Die gestreifte Kleidung war von vornherein von der SS denunziativ konzipiert, ihr Zustand unmittelbar von der SS wie auch von Häftlingen entzifferbar und „als Zeichensystem sozialer Distinktion“ betrachtet.68 Saubere und gebügelte Kleidung z.B. „wies auf einen Gefangenen in privilegierter Position hin“.69 Bei „gemeinen Gefangenen“ dagegen schützte die Kleidung, „weder die Sommer- noch die Winterkleidung vor Kälte und Nässe“.70 In jedem Lager herrscht eine streng hierarchisch gegliederte Gesellschaft, die die Führung des Lagers forderte. „Auch besonders die farbigen Gegensätze spielten dabei eine große Rolle“, so Rudolf Höß in seinen Memoiren. „Keiner noch so starken Lagerführung wäre es sonst möglich gewesen, Tausende von Häftlingen am Zügel zu halten, zu lenken, wenn diese Gegensätze nicht dazu helfen würden. Je zahlreicher die Gegnerschaft und je heftiger die Machtkämpfe unter ihnen, umso leichter lässt sich das Lager führen“.71 Diese Unterscheidungen in Bezug zur Kleidung kommen nicht in Spielfilmen vor, auch nicht in jenen mit Anspruch auf authentische Darstellung. Hier wird meist nach grobem Muster gestrickt, und gestreifte Häftlingskleidung nimmt nun den Status eines Filmrequisits ein. Bärbel Schmidt, die die weitreichenden Innen- und Außenwirkungen gestreifter Kleidung untersucht hat, macht darauf aufmerksam, dass vor allem Männer und sehr viel seltener Frauen in gestreifter Kleidung in Spielfilmen vorkommen. Holocaustfilme sind Verfilmungen historischer Ereignisse und lassen daher
65 66 67 68
Vgl. Insdorf 2002. Schmidt 2000, 131. Kupfer-Koberwitz 1957, 59ff., zitiert nach Schmidt 2000, 134. Schmidt 2000, 143; vgl. insbesondere das Kapitel „Zebra-Kleidung als Filmrequisiten“, 167-272. 69 Ebd, 143. 70 Ebd, 148. 71 Höss u. a. 1992, 42; zit. Nach Schmidt 200, 143-144.
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ebenso wie andere Filme Rückschlüsse auf die Zeit der Dreharbeiten zu, als sie gedreht wurden und auf die historische Sensibilität der Zuschauer. Ein wirkliches Problem hingegen stellt die Tatsache dar, dass selbst einfache Stilisierungsmittel wie Kleidungsstücke bereits unerträglich wirken können. So besteht einerseits die Frage, ob der Holocaust im Unterhaltungsfilm überhaupt darstellbar ist, und andererseits gibt es das Engagement einiger RegisseurInnen, das Unfassbare zu filmen und ihre eigene Erinnerungsarbeit der Rhetorik der Unterhaltung anzupassen. Diese Überlegung trifft ebenso auf Fernsehdokumentarfilme zu, vor allem dann, wenn sie mit nachgestellten Szenen und musikalischer Untermalung belebt werden oder eine gezielte Hintergrundbeleuchtung bei Zeugeninterviews einsetzen. Denn deren Wirkung, so ein Bericht über die Tagung von Medienexperten und Historikern zu „Hitler und Co. als Fernsehstars“ „liefert zu dem ‚Kopfsalat mit Zeitzeugen‘ (Norbert Frei) erst das passende ‚Schmalz-Dressing‘. Offenbar lässt sich das Publikum nur über Emotionen sensibilisieren. Die beabsichtigte Wirkung des rührigen Histotainments, das man professionellen Filmemachern wohl unterstellen darf, bringt Einschaltquoten, führt jedoch ungewollt zu einem Substanzverlust an historischer Sensibilität, Kenntnis von Fakten und Zusammenhängen sowie an analytischen Fähigkeiten. Dies ist dann nicht nur ein Eingriff in die Kernkompetenz der Geschichtswissenschaft, sondern stellt letztlich die Bildungskultur insgesamt in Frage“.72 Man könnte die Beispiele multiplizieren, so vielseitig werden Uniformen im Kino eingesetzt. Die Spuren der Militäruniform lassen sich innerhalb eines breiten Spektrums an Formen und Filmbeispielen verfolgen, angefangen bei den Entwürfen der futuristischen Kostüme der „Enterprise“-Mannschaft in den „Star Trek“-Serien bis hin zu den modernen Formen des Tarnanzugs heutiger Teenager in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen. Die Darstellung der Uniform beschränkt sich allerdings nicht bloß auf die Urform der Uniform, also nicht nur auf die Militäruniform, sondern erscheint in allen denkbaren Formen und Varianten. So erscheint sie zum Beispiel beim Personal von Fluggesellschaften, also als Corporate Fashion73 wie bei der Stewardess Donna Jensen (Gwyneth Paltrow) in „View from the Top“ (2003), in dem ein Traumberuf demontiert und zum Albtraum wird. Dazu zählen auch die Uniformen für zivile Zwecke wie jene der Postbeamten, Musikkapellen- oder Vereinsmitglieder, PolizistInnen, JuristInnen, der Dienerschaft in Historienfilmen oder die der Ärzte und Krankenschwestern. Auch Nonnen, Mönche und Priester sowie Sportler in ihrer Teamkleidung können im Film unter diesem Aspekt der Uniformierung wahrgenommen werden. Die Uniform tritt auch als Schuluniform auf wie in „Der Club der toten Dichter“ (1989) oder in etwas gewalttätigerer Fassung in „Battle Royale“ (2001). In letzterem schauen uns sämtliche SchülerInnen auf dem Gruppenbild zu Anfang des Films freundlich an: Sie tragen elegante Uniformen, ordentlich arrangiert nach japanischer Art mit Krawatte und Jacke. Einige SchülerInnen stehen, die anderen haben sich hingesetzt. Weitere liegen sogar am Boden – doch bei genauerem Hinschauen bemerken wir, dass es sich um die Leichen ihrer KlassenkameradInnen handelt.
72 Dorn 2005, 3. 73 Vgl. dazu Henkel 2007.
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Die Uniform oder besser gesagt Uniformelemente oder -teile tauchen auch als modisches Bekleidungsstück oder als Merkmal der „Tribes“ auf, so etwa in vielen amerikanischen Roadmovies, vor allem in Bezug zu den Rockern.
Fantasiewelten des Looks Bei jeder historischen Epoche verrät die Art der Verfilmung fast immer, welches politische und soziale Klima im Mutterland des betreffenden Films vorherrscht. So wendet sich der fein kostümierte Kevin Costner, der damalige Meister Proper der Moral in den USA, als Robin Hood in der gleichen politischen Sprache an seine Kameraden von Sherwood Forest wie Bush Senior an seine damalige Wählerschaft, also die Sprache der Epoche, in der der Film gedreht wurde. Die kulturpolitische Stimmung eines Landes beeinflusst nicht nur historische, sondern auch gegenwartsbezogene Produktionen. Die Clinton- Ära hat in dieser Hinsicht eine neue „verlorene“ MTV-Generation hervorgebracht – James Mangold, Gregg Araki –, die mit der Trash-Kultur aufgewachsen sind. Einige von ihnen entwickeln eine ungewohnte Film- und Kleidungsrhetorik, welche die Vorstellung von Autonomie, Differenz und Alterität vor allem am Beispiel von Roadmovies betont. Sie suggerieren, dass sich die Wirklichkeit der einfachen Menschen, der Inhalt ihres Lebens außerhalb jeder vorgesehenen Identität abspiele. Diese Filmrichtung ist in den USA auch unter George W. Bush jun. nicht völlig verschwunden, trat mit der Zeit aber zunehmend in den Hintergrund. „Ich glaube, George W. Bush könnte drei Viertel von Alexanders Reden gut in seine eigenen einbauen“, so der Regisseur Oliver Stone in Bezug auf die Eroberungszüge Alexanders des Großen in seinem Film „Alexander“ (2004). Und Ridley Scott versucht uns augenzwinkernd davon zu überzeugen, dass sein Film „Königreich der Himmel“ (2005) nichts, aber auch gar nichts mit der Politik der USA oder dem vielbeschworenen „Kampf der Kulturen“ zu tun hat. Dabei ist der Hintergrund seines Ritter-Epos nur zu aktuell. In Europa reichen wenige Monate aus, um ganze Modestile als historische Relikte erscheinen zu lassen, die dem Betrachter wie aus der Epoche der Steinzeit vorkommen. Darauf basiert zumindest der Film „Good bye Lenin“ (2003), in dem Alex (Daniel Brühl) die neue Wirklichkeit nach dem Fall der Mauer für seine Mutter (Katrin Sass) in die alten Klamotten der DDR-Zeit zu verkleiden versucht, als diese aus einem achtmonatigen Koma erwacht: Die Wohnung wird zu einer 79 qm großen quasi museal-ethnologischen Rekonstruktionsfläche, in der selbst die Gardinen für die historische Glaubwürdigkeit bürgen müssen. Schwieriger sind Science-Fiction- und Fantasy-Filme zeitlich einzuordnen, zumindest auf den ersten Blick. Genauer betrachtet, wird das Problem der Zeitdarstellung jedoch schneller gelöst als vermutet, nämlich nach demselben Muster wie bei Historienfilmen. Die Fantasy- und Science-Fiction-Welten bilden schlicht Bestandteile des heutigen Imaginären. Die E-Mail-Botschaft über Bushs – bzw. Saurons – Ring, die ich am Anfang des Buches zitiert habe, ist nicht das einzige Beispiel, das vom Einfluss des Fantasy-Films auf die Weltpolitik zeugt. Erstaunlicher ist, wie sehr sich die militärische Umsetzung der Reagan-Doktrin nach Kinomuster entwickelt und entsprechend
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auch „Krieg der Sterne“ genannt wurde. Die Bush-Doktrin stellt eine Fortsetzung der Reagan Ära dar, nur mit anderen Mitteln. Ein interessantes Beispiel einer Inszenierung nach Hollywood-Muster war der Auftritt George W. Bushs auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln am 1. Mai 2003 im persischen Golf. Die deutlich erkennbaren „Filmzitate“ stammten aus „Independence Day“, „Star Wars“ und „Top Gun“. Bereits die Erscheinung des Präsidenten im Piloten-Kampfanzug à la Tom Cruise unter einer Banderole mit der Aufschrift „Mission accomplished“ war programmatisch. In dieser Inszenierung der Macht werden Medien zur Realität, und Realität mutiert grundsätzlich zum Medialen. Umso problematischer ist die Unterscheidbarkeit. Wenn die Übergänge zwischen Film und Realität von den ZuschauerInnen nicht mehr erkannt werden, ist die „Rückkehr des Akteurs“ (Touraine) auch anders zu verstehen; nämlich als die Rückkehr des Schauspielers – was der englische Begriff „Actor“ oder der französische „Acteur“ bereits impliziert. Dabei werden Bilder nicht mehr Vorbilder, sondern nur noch Medien, die sich in einem selbstreferentiellen Zirkel bewegen. Im „Herrn der Ringe“ bilden Spezialeffekte den Clou des Films und begründen den Ruhm der kleinen neuseeländischen Firma Digital WETA, die wirkungsvoll die Massenszenen animierte. Glücklicherweise ordnen sich die Spezialeffekte in Peter Jacksons Verfilmung der Handlung unter. Wichtig ist daher in diesem Zusammenhang der Look der Figuren, und entsprechend erwartet man fantasievolle Kostüme. Mit Blick auf die Männer wird man jedoch zumeist sehr enttäuscht. Die Frauenkostüme zeigen freilich etwas mehr Fantasie.
Blick in die Zukunft Science-Fiction-Filme projizieren die Möglichkeiten neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Entwicklungen auf eine zukünftige Welt, sie malen ihre gesellschaftlichen Konsequenzen aus und spitzen sie zu. Es handelt sich dabei also um Filme, deren Story über die uns heute bekannte Wirklichkeit hinausgeht, ohne sich dabei ins Übernatürliche zu stürzen, und die von Themen wie außerirdisches Leben, Invasionen Außerirdischer auf der Erde, Katastrophen, künstlicher Intelligenz, Cyborg- oder Cyberwelten, Zukunftsstädten und Zeitreisen handeln. So erstaunt bei der Verfilmung der „Star Trek“-Reihe, dass das Beamen der Figuren einschließlich des gesamten Looks reibungslos funktioniert, ohne dass dabei Kleidungspartikel mit Körperteilchen durcheinandergeraten. Ganz gleich, ob es sich um den altbackenen Look in Kevins Klines „Waterworld“ oder um die Figuren in „Star Wars. Episode I“ handelt, die Kostüme der Science-Fiction-Filme sind im Allgemeinen sehr leicht durchschaubar und weniger verrückt, als man erwarten würde, mit Ausnahme der Königin Amidala (Natalie Portman), deren Look Kultstatus erlangt hat (Abb. 53). Trisha Biggar, die Kostümdesignerin des Films, vermischt bei Amidala englisches Kleid mit Kimonoformen und Motive der Mogul-Ära mit dem Cabaret-Stil der 1920er Jahre. Amidalas Kleider erhalten sogar Bezeichnungen wie Angelique-, Palpatin-, Senatoren- oder Gungankleid. Die anderen Kostüme jedoch, vor allem die der Männer, gleichen Kartoffelsäcken. Zehn Jahre später, in 74 Vgl. Dokumentarfilm „Die Sternenkrieger“ 2004. Reagan hatte bei einigen seiner Reden ganze Passagen aus früheren Filmrollen integriert.
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„Star Wars. Episode II“, sehen die Kostüme der Männer nicht besser aus, und Königin Amidala bleibt modisch führend. Das komplexe filmische Instrumentarium – vor allem die Technik – scheint eine ähnliche erzählerische Rolle einzunehmen wie zuvor die Märchen. Deutet dies gleichzeitig auf „eine Krise der Repräsentation“ hin?75 Abb. 53: „Star Wars. Episode I “
In dieser Hinsicht bildet die „Matrix“-Reihe eine Mischung aus Techno- und Grunge-Stil, da die Technik auch den Lookdominiert. In „Matrix 1“ (1999) werden primäre rituelle Erfahrungen plastisch-ästhetisch dargestellt, wie beispielsweise die geistige und körperliche Verwandlung Neos (Keanu Reeves) durch verschiedene „Bäder“. Morpheus (Laurence Fishburne) und sein Team überwachen das Initiationsritual. Ein spezieller Look unterstreicht die Übungsphase in der simulierten Welt, Ruhephasen dagegen werden durch Wollkleidung und -mützen gekennzeichnet – die Symbolik könnte kaum deutlicher sein. Allein schon die Farbe der Kostüme verweist darauf. Schwarz ist die Farbe der Dunkelheit, der Nacht und des Übernatürlichen. Sie ist auch die Farbe der Individualität, der Introvertiertheit, der Abgrenzung, der Zurückweisung.76 Durch den Verzicht auf Farbe „entsteht ein Anspruch auf Sachlichkeit und Funktionalität“.77 Schwarz ist die Farbe der Moderne schlechthin, aber nicht des Modischen. Daher bevorzugen Künstler- und Schicki-Micki-Szenen sie gegenüber anderen Farben. Bei Armani und Co. bildet sie allerdings doch eine Modefarbe. Das assoziative Feld der Farbe Schwarz geht weit in die Geschichte zurück: von der bürgerlichen Mode des 19. Jahrhunderts über die Kleidung der Quäker, der Reformation, die spanische Mode bis hin zur Mode am burgundischen Hof des Spätmittelalters. Diese Lifestyle-Frage liegt als Hauptargument der „Matrix“-Trilogie zugrunde und prägt weitgehend den Stil der Filme, die daher ein Musterbeispiel für die heutige Fetischisierung im Film darstellen.78 Dagegen hinterlassen seine religiöse Metaphorik und der fragwürdige mythische Plot einen eher faden 75 76 77 78
Chelebourg 2003, 2. Vgl. Burger 2001, 78. Heller 1993, 89. Vgl. Devoucoux 2004.
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Nachgeschmack. Klassische Anzüge stehen für das Böse. Der schwarze Actionlook Neos, Morpheus’ und Trinitys (Carrie-Anne Moss) in der virtuell-hyperrealen Welt wirkt cooler, die Brillen nicht zu vergessen. Die eng am Körper anliegende Lederlatex-Ausführung von Trinitys Kleidung sorgt für Erotik, der lange Mantel Morpheus’ steht – wenn auch auf parodistische Weise – für Männlichkeit. Seine Rolle als „Erzieher“ und Meister wird durch seinen hochgeschlagenen Mantelkragen betont. Der körperbetonte schlichte, teils glänzende Look der HeldInnen trägt den Symbolcharakter der technologischen Welt. Die Wollkleidung an Bord zeigt dagegen ihre Verletzlichkeit, zugleich aber auch die „wahre“ Welt. Dazwischen treten verwirrende Formen von Kostümen auf wie die der Person des Orakels, eine Mischung aus Zigeuner- und Mutti-Look. Diese Erscheinung verweist auf die Banalität des Alltags und ruft zugleich zur Wachsamkeit auf: ein orange-grünes Tarnkostüm in Anlehnung an das Orakel von Delphi – Tarnung im Zeichen der Normalität. Fantasy-Filme gehen dagegen großzügig mit übernatürlichen oder magischen Elementen um, und zwar sowohl was den Ort der Handlung betrifft als auch die Handlung selbst oder die Figuren. So begegnet man allen möglichen Arten übernatürlicher Wesen wie Zwerge, Elfen, Feen, Kobolde, Trolle, Orks, Drachen oder Balrogs. Ihre Geschichte bezieht sich häufig auf eine andersartige Welt oder auf Dimensionen von nicht-irdischer Natur, die mit Hilfe der Magie realisiert werden. Fantasy-Filme basieren fast immer auf SchwarzWeiß-Malerei, zumeist steht ein Kampf des Guten gegen das Böse im Zentrum. Lieferte früher das Mittelalter dafür die Bezugspunkte, so hat sich inzwischen die Handlungspalette auf die heutige Zeitausgedehnt. Zwischen diese Filmkategorien schiebt sich die Kategorie der Utopie und manchmal die des Horrors, wobei die Grenzen fließend sind. So präsentiert das Pariser „Festival du cinéma fantastique“ alljährlich Beispiele dieser seltsamen Mischung. Das gesamte Genre geht auf verwandte Literaturformen zurück, daher spricht man heute von einer Hybridisierung der Filmformen, in der sich die verschiedenen Filmgenres zunehmend überschneiden. Für die Kostüme jedoch besitzt die Genrefrage nach wie vor entscheidende Bedeutung. Revolutioniert wurde der Science-Fiction-Look durch die Modedesigner André Courrèges und Paco Rabanne. Courrèges schickte in den 1960er Jahre seine intergalaktischen Kollektionen auf den Laufsteg: eng am Körper anliegende weiße Kleidung, Miniröcke mit weißen Strumpfhosen, weiße Stiefel und Kurzhaarfrisuren. Bei Paco Rabanne ergab der Science-Fiction-Look eine Mischung aus Plastik- und Alukleid mit Metallketten, Minirock mit Stiefeln, symbolisiert durch Jane Fonda in „Barbarella“ (1968) mit weit ausgeschnittenem Dekolleté. Mit den Mods avancierte dieser Look geradezu zur Uniform und zum Merkmal der sexuellen Revolution.79 Von Georges Meliès „Die Reise zum Mond“ (1902) über „Queen of Outer Space“ (1957) mit Zsa Zsa Gabor und „Barbarella“ (1968) bis hin zu den Protagonisten der „Matrix“-Trilogie (1999-2003) – Science-Fiction-Kostüme 79 Vgl. Jenss 2005, 296-298.
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lassen sich in drei Kategorien einordnen: „Techno“, „outer-limit“ und „gritty“. Gritty oder Grungy haben eine rein funktionale Bedeutung, vor allem bei Zerstörungsstories wie der „Mad Max“-Trilogie (1979-1985). Outer-LimitsKostüme spielen eine eher ästhetische Rolle wie in „Das Fünfte Element“ (1997). Techno- Kostüme stehen für den Science-Fiction-Film generell wie in der „Star Trek“-Serie.80 In allen Fällen gelten dieselben Regeln wie für Historienfilme: Sie bleiben stets dem kulturellen Kontext während der Dreharbeiten verpflichtet. Selbst wenn sie an einem Fantasy-Film arbeite, bestätigt Kostümbildnerin Gabriella Pescucci, „muss ich von einer grundlegenden Kenntnis der heutigen Realität“ ausgehen.81 Die langen Mäntel in „Matrix“ (1999) oder „Blade Runner“ (1982/1993) verweisen auf Sergio Leones Western und besitzen eine stabile Konnotation von Gewalt und Macht. Sie sind weniger vom Trenchcoat der 1940er Jahre inspiriert als von Militärmänteln. In Latex wie bei „Matrix“ sehen die Mäntel dagegen einfach „cool“ und neutral aus, zugleich erscheinen sie geheimnisvoll. Die Anzüge der Agenten in „Matrix“ wirken dagegen klassisch-spießig und werden zu Symbolen des Bösen. Bei Filmen wie „Blade Runner“, „Matrix“, „Das fünfte Element“ oder zuvor „Barbarella“ überraschen ModedesignerInnen – und nicht KostümbilderInnen – mit ästhetischen und für das Kino unkonventionellen Entwürfen und Konzepten. Beim „Fünften Element“ hat z.B. Jean-Paul Gaultier, der Maître d’œuvre, eine bunte Barockorgie inszeniert. Wenn ModedesignerInnen an Filmkostümen feilen, lassen sich umgekehrt einige von ihnen durch den Science-Fiction-Film inspirieren, so Alexander McQueen und John Galliano, die „Blade Runner“ zum Motiv für mehrere ihrer Modenschauen gewählt haben. Selbst die Nanotechnologie und die Technotextilien lassen sich vom Kino inspirieren.82 Haben wir also heute mit einem radikalen Technical Turn zu tun? Gewiss nicht, dieser hat bereits zu Zeiten von Leibniz stattgefunden.
80 Vgl. Pat Doran und Coleen Mc Carthy. American Movies Classics. The Hollywood Fashion Machine (benannt nach dem 1995 von Marcia Ely gedrehten Dokumentarfilm). http://www.fashion-planet.com/sept98/features/hollywood machine. 1998. 81 Masi 1996, 76. 82 Vgl. Mentges 2006, 220-251.
K O S T Ü M -, S E L BS T -
UND
FREMDBILDER
Kontextfrage Wenn von Kontext die Rede ist, denkt man zunächst an den unmittelbaren Raumzeitbezug. Dieser wird durch Dekor und zahlreiche weitere Gegenstände, aber auch durch Verhalten und Bewegungen angedeutet. Gegenstände, Körpersprache oder Kleidung enthüllen raumzeitlich die soziale oder kulturelle Situation: Der Raum wird kulturell strukturiert. Unter Kontext versteht man also vor allem den soziokulturellen Kontext. Unsere Sichtweise auf Filme ist im Allgemeinen von der westlichen Kultur geprägt, selbst wenn diese Prägung je nach Ort und Publikum – das in Sankt Petersburg nicht dasselbe ist wie in Lissabon – differenziert betrachtet werden muss. Auch wenn gewisse kulturelle Verallgemeinerungen durchaus vorgenommen werden können wie z.B. christliche Traditionen und vor allem die neuzeitliche Definition des Subjekts als eines autonom Handelnden, bleibt das westliche Publikum ein mythisches Wesen. Dieses unbekannte Wesen erweist sich jedoch dann als sehr brauchbar, wenn es darum geht, Gegen- oder Fremdbilder aufzubauen, um sich selbst zu erfinden, und genau darum geht es hier. Wie stellt sich die Auseinandersetzung mit fremden Bilderwelten dar? Mit Filmen also und mit den darin gezeigten Kostümen, die gänzlich andere kulturspezifische und wahrnehmungspsychologische Musterbeinhalten? Es lassen sich verschiedene Wege beschreiten, um die Konstruktionen kultureller Wahrnehmungsprozesse zu illustrieren. Gehen wir nochmals zurück zur Strandszene des Films „Das Piano“ (1993). Adas zukünftiger Mann Alistair Stewart (Sam Niell), ein britischer Siedler Neuseelands, ist zusammen mit einer Gruppe von Maoris eingetroffen, um sie abzuholen. Die Kostüme drücken regelrecht ethnografischen Konzeptionen im Bild aus, ganz im Sinne von Ethnologen wie James Clifford oder Marshall Sahlins. So tragen die Maoris zwar teilweise westliche Kleidung – Hemd, Hose, Gilet und Kopfbedeckungen –, diese ist jedoch mit neuer Bedeutung versehen. Westliche Kleidung wird auf diese Weise kulturell neu und damit anders besetzt. Klar und deutlich drückt dies das Verhalten der Maoris im Umgang mit den Siedlern aus: Die vornehme Haltung und die Prüderie der weißen SiedlerInnen in ihrer Kleidung bleiben den Maoris fremd, ihre Körpersprache und Verhalten wirkt viel freier, unverkrampfter und geradezu spielerisch. Sahlins spricht von einem Dialog zwischen den kulturellen Bedeutungen der erlernten Kategorien und den praktischen Bezugspunkten, also der direkten lokalen Anwendung. Die (erlernten und konstruierten) Bedeutungen, die sich auch auf materielle Dinge stützen wie hier die Kleidung, bleiben immer instabil und gefährdet.1 Vermutlich kennt die Regisseurin des Films, Jane Campion – sie hat selbst Ethnologie studiert –, Sahlins Arbeiten sehr genau. 1
Vgl. Sahlins 1992, 9-14.
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Baines’ Hautbemalungen (Harvey Keitel) nach Art der Maoris sind in diesem Sinne zu verstehen, allerdings in umgekehrter Richtung, weil in diesem Fall ein Siedler die Merkmale der Urbevölkerung übernimmt, was ihn in den Augen der Weißen bereits zum Außenseiter macht. Diese subtilen vestimentären Einzelelemente des Films erzählen die Geschichte der schwierigen Beziehungen zwischen den Siedlern und den Maoris und wie sie diesen Kulturkontakt im Alltag wahrnehmen. Dennoch ist Vorsicht geboten, weil wir keine Feldforschung durchführen, die einen direkten Zugang zur Kleidungswelt eröffnet, um entsprechende Distinktionsmuster zu erkennen und zu interpretieren. Es kann nur von der Kenntnis der Problematik ausgegangen werden oder dass Jane Campion ausreichend mit ihr vertraut ist, um diese kulturellen Distinktionsmuster glaubhaft filmischvestimentär zu übersetzen. Wickelkleider und Shentis für Altägypten, Panierröcke und Justaucorps für das 18. Jahrhundert, Schurze für die Osterinsel oder Saris und Dhotis für den indischen Subkontinent: Exotik bildet ein Leitmotiv der Filmgeschichte und ist gleichzeitig die stärkste Würze für die Vorstellungskraft des Kinos. Der Film hat die Exotik nicht erfunden. Ein Kabinettstück des Juweliers Dinglinger im Grünen Gewölbe zu Dresden, „Der Hofstaat zu Delhi am Geburtstag des Großmoguls Aureng-Zeh“,2 zeigt auf beeindruckende Weise, dass man bereits am Anfang des 18. Jahrhunderts eine fast kinematografische Vorstellung von der Welt besaß, und zwar in Großformat, sozusagen als Superproduktion: 137 Figurinen, in Gold gegossen, emailliert und mit prachtvollen Kleidern versehen, bevölkern die drei Höfe des Miniaturpalastes, auch Kamele und Elefanten sind reich geschmückt. Im Unterschied zum Film konzentriert sich hier das Wissen der Zeit über die Mogulkultur in einem einzigen Artefakt: eine Mischung aus Neugier, Wissen, Technik und Spektakel. Diese Neugier und diese Ausstellungslust nahmen in der kolonialen Zeit merkwürdige Züge an. Eine besonders abwegige Form stellt der um 1900 in Europa, USA und Australien so beliebte „menschliche Zoo“ auf den Weltausstellungen dar. Hier wurde die indigene Bevölkerung etwa eines südamerikanisch-indianischen Dorfs – oder ein „Durchschnittsexemplar“ – möglichst unbekleidet oder in Originalkleidung inmitten einer urbanen Umgebung ausgestellt und sollte ihren Alltagsbeschäftigungen nachgehen – was zumeist tödliche Folgen für die „DarstellerInnen“ hatte. Die Spuren des 18. und 19. Jahrhunderts sind im heutigen Film nicht verschwunden. Als Grundmuster durchzieht der flüchtige touristische Blick die Gestaltung exotischer Bilder.3 Exotik und Fremde bedeuten ferne Länder und ferne Bilder. Die Ansichten der Ferne werden als „Imagination an den Rändern der Welt“, als „Sehnsucht unserer Zeit“ und als „Aufbruch in die Ferne“ verstanden.4 Exotik versteht sich nicht nur räumlich, sondern auch 2
3 4
Johann Melchior Dinglinger schuf dieses Meisterwerk des Barock ohne Auftrag gemeinsam mit seinem Bruder Georg Friedrich und 14 Gehilfen zwischen 1701 und 1708. Vgl. Urry 2002. So die programmatischen Titel dreier Beiträge von Werner Petermann, Michael Toteberg und Klaus Kreismeier auf dem 9. Internationalen Filmhistorischen Kongress, der unter dem Motto „Triviale Tropen“ im November 1996 in Hamburg tagte.
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zeitlich und greift mit der Geschichtsexotik auf die prachtvollen Gewänder vergangener Zeiten zurück. In beiden Fällen wird Exotik wie in einer schnelllebigen und leichtverdaulichen Reportage durch Handlung dargestellt. Gerüche, Ernährungsgewohnheiten, Lärm, Wasserprobleme, dichter Straßenverkehr und beengte Wohnverhältnisse, Menschenmengen, Alltagserfahrungen sowie lokale Seh- und Blickkulturen werden im Film größtenteils oder ganz ausgeschlossen. Stattdessen werden Kostüme in Hülle und Fülle präsentiert. Die so genannte westliche Welt besitzt sicherlich kein Monopol auf Exotik, wohl aber auf den Orientalismus.5 Prachtvolle bunte Kostüme, Turbane und Schmuck in allen Farben und Schattierungen sind für das Indien-Bild im Film beispielhaft, angefangen bei „Der Tiger von Eschnapur“ (1959) oder „Brennendes Indien“ (1956) bis hin zu „Indiana Jones 3“ (1981) oder „Octopussy“ (1983), um nur einige Beispiele aus der Nachkriegszeit zu zitieren. Vielleicht hat dies wirklich, so ein Ausstellungskatalog, mit der „Sehnsucht des Oberförsters nach der Yucca-Palme“ oder mit der „Sexotik des Biedermanns im Paradies“ zu tun.6 Wir wissen allerdings nicht erst seit dem Tsunami vom 26. Dezember 2004, wie fragil Paradiese sind. Dem Anthropologen Marc Augé zufolge entwickelte sich die Exotik im 18. und 19. Jahrhundert aus einem doppelten Interesse heraus: dem Interesse für das Merkwürdige, das Einzigartige, das Ferne und zugleich dem Gefühl einer bestimmten Vertrautheit.7 Wenn aber heute die mythische Dimension des Anderen verwischt wird und der Andere nur einfach ein Fremder, ja ein Ausländer geworden ist – weniger gefürchtet, weil er anders ist, als vielmehr, weil er so nahe ist –, dann wird das Kino zum Ersatz für das Fantasieren der Fremde. Die Beziehung des „touristischen Blickregimes“ zur Exotik ist übrigens nicht einseitig, ebenso wenig wie jene zwischen Tourismus und Film. So kann der Blick des Exotik- oder Retro-Tourismus als Kino-Blickregime (Cinematic Gaze) bezeichnet werden. Anhand der Darstellung von „Schwarzen“, „Chinesen“, „Indianern“ oder „Indern“ in amerikanischen und europäischen Filmen ließe sich eine interessante Bilanz des ethnozentrischen Blickregimes während oder als Folge der kolonialen und postkolonialen Zeit ziehen.8 Die rhetorischen und bildlichen Figuren und Mittel sind hinlänglich bekannt: Unterlegenheit, Opferhaltung, Infantilisierung, Kulturlosigkeit, Triebhaftigkeit, Naturhaftigkeit und Verdinglichung. Einige dieser Zuschreibungen entstammen noch der Ethnologie der Kolonialzeit.
Die filmische Überwachung der Mimesis Wichtig für die exotischen Phantasien waren und sind stets die Kostüme, weil sie den Anstoß für die Bilder geben. Bilder sind immer, so Michael Taussig, „eine organisierte Überwachung der Mimesis“.9 Dies gilt ganz besonders für exotische Bilder. Sehr früh übernehmen die im Stummfilm eingesetzten Kostüme die Aufgabe der Blickschulung gegenüber fremden 5 6 7 8 9
Siehe dazu Osterhammel 1998. Exotische Welten 1987, 106. Vgl. Augé 1994, 25. Vgl. dazu Bernstein/Studlar 1997. Vgl. Taussig 1997, 95.
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Welten und entwickeln so die Bewertungskriterien des ethnozentrischen Blicks. Die Einheimischen werden im Allgemeinen entsubjektiviert. Selbst in anspruchsvollen Filmen beziehen sich die Kostüme auf einen homogenen Kulturbegriff für das Fremde, der vor allem außereuropäische, sogenannte traditionale Gesellschaften auf Zeitlosigkeit festlegt und die Abwesenheit kultureller Dynamik proklamiert. Dies gilt sowohl für „Mogambo“ (1953), „Die Minen des Königs Salomon“ (1950) als auch für „Lawrence von Arabien“ (1962), selbst wenn gerade diese drei Filme die Authentizität der regionalen Kostüme, der Tänze und der Details bei den Gegenständen sehr genau beachten. David Lean, der Regisseur des Films „Lawrence von Arabien“, steht offenbar nicht nur zur Geschichte, sondern auch zu den Kostümen der Beduinen – eigentlich Bedu oder Badawi, „Wüstenbewohner“ – beträchtlich auf Distanz. Ablesbar wird dies bereits an der Trageweise und der Form der Kopfbedeckung, dem Hatteh, den Prinz Faisal (Alec Guinness), Abu Tariq (Anthony Quinn) und Sherif Ali (Omar Sharif) tragen, selbst Lawrence (Peter O’Toole) kleidet sich damit, auch wenn der Hatteh oder Hatta bei ihm weniger aussagekräftig ist. Die Form und die Tragweise dieser Kopfbedeckung der Beduinen, die aus einem quadratischen Stück Stoff besteht, zum Dreieck gefaltet und mit einem Kordelring auf dem Kopf zusammengehalten wird, erlauben genaue Rückschlüsse auf die regionale Herkunft des Trägers. Im Film wird diese Aussage übergangen zugunsten einer starken Stilisierung der Charaktere. Die Kleidung der Komparsen hingegen orientiert sich offenbar an genaueren Vorgaben. Dass die Dreharbeiten zum Teil in Jordanien – im Jebel Tubeiq, dem Tal des Mondes10 – stattfanden, hat der Mannschaft des Kostümbildners Phyllis Dalton maßgeblich bei der Idee zu den Kostümen geholfen. Als problematischer erwies sich hingegen die äußerst zurückhaltende Darstellung der Frauen in diesem sonst nur von Männern dominierten Film. Denn es war nicht möglich, Beduinenfrauen zu filmen, selbst wenn man sich mit ihren Silhouetten und Kostümen begnügt hätte. Schließlich wurden Frauen einer kleinen christlichen Gemeinschaft als Statistinnen engagiert. Die wichtigsten „Beduinenrollen“ im Film werden von westlichen Schauspielern dargestellt – Alec Guinness als Faisal, Anthony Quinn als Auda –, immerhin hat Omar Sharif die Rolle des Sherif Ali spielen dürfen; und alle sprechen perfektes Englisch. Davon abgesehen ist das hier dargestellte Bild der Araber insgesamt höchst ambivalent und voller Stereotypen: Die Beduinen verhalten sich wie Kinder, oft geldgierig, opportunistisch, schnell gewalttätig und sie sind unfähig, den Aufstand gegen die türkische Herrschaft selbst in die Hand zu nehmen. Die Figur Auda ist dafür beispielhaft, auch wenn T.E. Lawrence in seinem Buch „Die sieben Säulen der Weisheit“ ein vom Filmporträt völlig differentes Bild zeichnet. Der ruhige, weise Faisal dagegen erweist sich im Film als ein zynischer Politiker. Selbst Daud und Farraj scheinen eher vom Spiel sowie von ihrer Bewunderung für „El Aurens“ (Lawrence) angetrieben als von der Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit. Sie sollen vielmehr auf die latente Homosexualität Lawrences anspielen –, eine Auffassung, die historisch umstritten ist, da 10 Die Dreharbeiten fanden auch in El Jafr, Wadi Rum und Haan in Jordanien statt, weitere Szenen wurden in Ait Benhaddou und in Ouarzazate in Marokko. In Ouarzazate wurden später auch Szenen von „Gladiator“ und „Alexander“ gedreht.
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Lawrence auch Verhältnisse zu Frauen hatte. Nur die Figur Alis (Omar Sharif) scheint von dieser Stereotypisierung abzuweichen. Auf vergleichbare Vorurteile gegenüber den Indern stößt man auch in Leans Meisterwerk „Reise nach Indien“ (1984).11 Trotz dieser Stereotypen verhält Lean sich realitätsgerechter gegenüber der englischen Kolonialmacht und rechnet in beiden Filmen schonungslos mit dem xenophobischen Verhalten der englischen Armee ab. Nicht alle Unterhaltungsfilme verfolgen ähnliche hohe technische und inhaltliche Ambitionen wie Leans Filme. „In 80 Tagen um die Welt“ (1956) mit David Niven und Shirley MacLaine etwa bietet eine hervorragende Sammlung dualistischer Klischees, die sich in den Kostümen widerspiegeln: Frau/Mann, Technik/Mystik, Moderne/Tradition, Fortschritt/Rückschritt. In ähnlicher Weise begegnet man in zahlreichen weiteren Filmen wie „Brennendes Indien“ (1956), „Der große Regen“ (1955) oder sogar in Mammutproduktionen wie „Khartoum“ (1966), „55 Tage in Peking“ (1962) oder „Zulu“ (1964) einem umfassenden Register an Vorurteilen bis hin zum Rassismus. Bei den Kostümen gewinnt man dazu den Eindruck, vergnüglich in einem kolonialen Werbekatalog der 1920er Jahre zu blättern. Selbst in dem engagierten amerikanischen Film „Das Kanonenboot am Yang Tse Kiang“ (1966) von Robert Wise – hinter der historischen Fassade der 1930er Jahre verbirgt sich in Wirklichkeit der Vietnamkrieg – lassen die Kostüme der Chinesen vor allem in den kurzen Stadtszenen einiges zu wünschen übrig. Abb. 54: „Cleopatra“
Das Klischee vom verführerischen und genusssüchtigen Orient hat beispielsweise Mankiewicz in „antiken“ Bildern in einer doppelten Exotik versinnbildlicht, wenn etwa Kleopatra sich auf geradezu ironisch-laszive Art in ihrem Bad räkelt, um Caesar zu empfangen. Selbst wenn Kleopatra dabei bewusst handelt, um den Erwartungen des Römers zu entsprechen, arbeitet Mankiewicz auf zwei verschiedenen Ebenen: der des Films und der unserer westlichen Vorstellungen. Diese aufwendige exotische und geradezu mär11 Vgl. Leclerc 2001, 93; Brownlow 1996, 677.
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chenhafte Orientdarstellung zeitigte allerdings im Orient selbst laut dem türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk unerwartete Folgen. Neben anderen Gründen, so erzählt er, war für ihn „Kino auch ein verlockender Weg, ohne Umschweife in verblüffender Nähe mit dem Westen konfrontiert zu werden“, und er erwähnt hierbei gerade Mankiewicz’ Cleopatra. „Weder bei der Eroberung des Balkans“, so fährt er fort, „noch durch die Belagerung von Wien [...] wurden die Türken mit dem Westen, mit seinem Alltag und dem Privatleben seiner Menschen so vertraut wie im Kino [...] In ,Cleopatra‘ sah ich mit Staunen Liz Taylors halbnackten Körper, den ich schon in Magazinen und Zeitungen neugierig und voller Bewunderung betrachtet hatte, sich in einem prächtigen Milchbad aalen. Ich war zwölf Jahre alt, und im Dunkel des Kinos wurden mir die verführerischen Genüsse der westlichen Welt durch den Körper eines Hollywoodstars bewusst, der mich das Neuland des Begehrens und der Schuldgefühle erahnen ließ, das ich betrat“ (Abb. 54).12
Vom Umgang mit Raum- und Zeitexotik Im Unterhaltungsfilm erweist sich Exotik also nicht nur als geografisch erfahrbare, sondern ebenso als historische Dimension, wobei die Genres gerne miteinander verschmelzen. Historische und geografische Ferne werden mit Abenteuer- und Fantasy-Plots aufgemischt. „Der Pakt der Wölfe“ (2001) bietet einen gelungenen Genremix, in dem Justaucorps und Panierkleider, Fantasy-Elemente und Dreispitze auf fernöstliche Kampfszenen, IndianerLook sowie Rituale und aufklärerische Dialoge treffen. Der frei nach Michael Crichtons Roman „Eaters of the Dead“ gedrehte Film „Der 13. Krieger“ (1999) erhebt dagegen keinerlei historischen, sondern nur epischen Anspruch –, und der historische Hintergrund des Frühmittelalters ist ein exotisches Ornament in dieser finsteren Endzeit-Fantasy-Stimmung, wenn der arabische Prinz Ahmed Ibn-Fahdlan (Antonio Banderas) gemeinsam mit seinem Dolmetscher (Omar Sharif) den Wikingern begegnet und diese im Folgenden auf einer langen Reise begleitet. In ihrem Film „Nirgendwo in Afrika“ (2001), der einen Oscar als bester ausländischer Film erhielt, beweist Caroline Link hingegen, dass sich die Exotik im westlichen Kino nicht schicksalhaft ergibt. Es handelt sich um die Geschichte einer rein europäisch orientierten weißen Familie in Kenia. Aus der Perspektive der gerade fünfjährigen Tochter Regina (Lea Kurka) stellt sich die Situation jedoch anders dar. Gemeinsam mit ihrer Mutter Jettel (Juliane Köhler) folgt sie 1938 dem nach Kenia emigrierten Vater Walter (Merab Ninidze). Die Familie ist wegen ihrer jüdischen Herkunft vor der Verfolgung der Nazis geflohen, und die Eltern fühlen sich in Kenia völlig entwurzelt. Die Exilsituation, die das Paar an den Rand einer Zerreißprobe bringt, führt jede Exotik ad absurdum. Für ihre Tochter Regina jedoch ist Kenia kein fremdes Land, vielmehr entwickelt es sich zu ihrer zweiten Heimat. Zu jeder Kleinigkeit bis hin zu den Schmuck- und Kleidungselementen der Einheimischen entwickelt sie eine innere Beziehung. Entsprechend gestaltet sich ihre Freundschaft zu dem Koch Owuor (Sidede Onyulo) einfühlsam und unverkrampft. Ganz ohne Klischees kommt selbst 12 Pamuk 1996, 116-118.
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dieser Film nicht aus, aber das Blickregime hat sich gründlich gewandelt hin zu einem Kino der Begegnung. Es geht hier weniger darum, Stereotypen des Unterhaltungsfilms pauschal zu untersuchen, um eine ideale ethnologische „Authentizität“ zu postulieren, als vielmehr darum, den Kinoblick anhand „fremder“ Filme oder „fremder Blicke“ zu hinterfragen. Ein oft verfilmter Klassiker des Kolonialismus, der Roman „Die vier Federn“ des englischen Schriftstellers A.E.W. Mason (1902), liefert in der Verfilmung des indischen Regisseurs Shekhar Kapur (2002) hierfür einige aufschlussreiche Anhaltspunkte. Musik und Trends der modernen multikulturellen Stadt mischen heute alle Kulturen im Kontext einer sich rapide veränderten Welt. Alle sind von der Bildüberflutung betroffen und gesättigt. Wie wird dies jedoch verarbeitet? Werden die Bilder einfach in den Alltag integriert? Die Lage der Welt zwingt die Forschung dazu, vieles zu revidieren und nicht alles uniform zu behandeln. In heutiger Zeit gelingt es zunehmend besser zu verstehen, was für zahlreiche außereuropäische Kulturen einst der massive Einbruch der westlichen Welt in ihre Lebensbereiche und die Durchdringung ihrer Kultur durch diese Fremden bedeutete. Dieses Verständnis beruht möglicherweise auf dem allgemeinen kulturellen Austausch und wird zusätzlich von der Vorherrschaft der neoliberalen Wirtschaftspolitik unterstützt. Ob sich dadurch wirklich die Bedingungen für einen Dialog und eine gegenseitige Anerkennung verbessern?13 Diese Frage muss offen bleiben, weil sich nach wie vor die Begegnung in einer Konstellation asymmetrischer Positionen vollzieht. Dies gilt auch für die Auseinandersetzung städtischer mit ländlichen Kulturen. Einen einfühlsamen Einblick in diese Problematik gibt der poetische iranische Film „Der Wind wird uns tragen“ (1999) von Abbas Kiarostami. Auch hier wiederum steht die Kleidung für die Begegnung zweier Welten. Die Figur des „Ingenieurs“ (Behzad Dorani) – so seine Bezeichnung durch die Dorfbewohner – stets mit Handy bewaffnet, in städtischer Casual Wear samt Landrover, steht in diesem Fall weniger für die Großstadt als für die global vernetzte moderne Welt. Die andere Welt des mit ihm befreundeten heranwachsenden Jungen kennt zwar die erste, besitzt jedoch eine eigene Lebensart, die weniger für das traditionelle Dorfleben steht – hier symbolisiert durch die schwarze lange Kleidung der Frauen – als für eine grundsätzlich andere Kultur und Kommunikation. Der Lebensrhythmus des Dorfes ist langsam. Rätselhaft erscheinen Rituale wie die Bestattung einer alten Frau. Ein paar Sekunden lang, über die kurze Dauer des Rituals hinaus, erhalten wir Einblick in eine geheimnisvolle Welt der Frauen. Für dieses nur wenige Sekunden dauernde Ritual ist der „Ingenieur“ aus Teheran angereist, um eigens darüber für seine Zeitung eine Reportage zu schreiben. Das Ereignis lässt allerdings auf sich warten. Seine Mitarbeiter reisen wieder zurück in die Hauptstadt. Er bleibt und gewinnt nach und nach Einblick in das Leben der Dorfbewohner. Kiarostami arbeitet mit leisen Tönen und Gefühlen, so dass dieser Film über den Tod leidenschaftlich und sanft vor allem vom Leben erzählt. Nur wenige Unterhaltungsfilme nehmen sich so viel Zeit, um so akkurat und differenziert zu filmen. Stattdessen haben modernen Regisseure ferne 13 Vgl. Augé 1994, 77.
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Kulturen im Film geradezu karikatural überzeichnet, indem sie die harten Gegensätze in den Vordergrund stellten zwischen einem sogenannten westlichen Weltsystem und dem ethnografisch Anderen, das erstaunlich klassisch blieb. Doch wie sollte sich das auch ändern, wenn selbst die Ethnologie so lange dafür brauchte? So kommentiert der Kulturanthropologe Marc Augé Johannes Fabians ethnologischen Klassiker „Time and the Other“14 mit den Worten: „Das Problem des Anthropologen fängt heute genau da an, wo sein Buch endet: Bei der Evidenz, (eingeklammert zwischen zwei Einführungsstrichen im letzten Paragraphen,) dass der Andere sich ändert“.15 Einen interessanten Zugang, um die Komplexität solcher Situationen zu erfassen, eröffnen uns Filme, die zwischen zwei Kulturen spielen, etwa von maghrebinisch-französischen, indisch-englischen oder türkisch-deutschen RegisseurInnen: die stürmische Liebesgeschichte der jungen Hamburger Türkin in „Gegen die Wand“ (2004) von Fatih Akin, die Fußballleidenschaft einer jungen Londoner Inderin in „Kick it like Beckham“ (2002) von Gurinder Chadha oder die Filme von Mehdi Charef wie „Tee im Harem des Archimedes“ (1985) oder „Die Tochter von Keltoum“ (2001) – kurz gesagt, das Kino von Kreuzberg, Barbès und Southhall. In fast allen diesen Filmen ist die Frage des Looks der Protagonisten prägend für die Handlung oder für entscheidende Szenen. Allein die postmoderne Frisur Rallias (Cylia Malki) in „Die Tochter von Keltoum“ verdeutlicht die kulturelle Problematik, was zunächst beim Einsteigen in den Bus und erst recht einige hundert Kilometer weiter beim Aussteigen deutlich wird, als sie sich in einer traditionell und stark religiös geprägten Gegend befindet. Das ist weniger ein Kino der Emigranten, wie es für die USA typisch ist – ich denke hier an Elias Kazans „America, America“ (1963) – als vielmehr ein Kino des Übergangs von einer postkolonialen zu einer eher multikulturellen oder interkulturellen Sensibilität, ein Kino des schmerzhaften wie auch des fröhlich-ironischen Dialogs, der „Metissage“ (Gruzinski).16 In Milieukomödien wie „Superseks“ (2004) muss sogar der Fetischismus der Kostüme dafür herhalten, das deutsch-türkische Milieu herrlich klischeehaft, aber – dank des Co-Autors Kerim Pamuk – gleichzeitig offen und unverkrampft durch den „türkischen Kaffee“ zu ziehen: ein Kino des Zusammenlebens. „Ich glaube nicht, dass meine Filme auf einer einzigen Kultur basieren“, sagt John Woo. „Dies haben sie nie gemacht. Ich bewegte mich immer zwischen Orient und Okzident“.17 Die Entwürfe der Kostümbildnerin Alexandra Byrne für „The Killer“ (1989) von John Woo sind verspielt, jeder Auftritt und jedes Erscheinungsbild ist aufs Engste mit der Entwicklung der Königin im Film verbunden. Die Ritterstatue im Film erinnert ebenso an das Christentum wie auch an die kulturellen Reinheitsvorstellungen der chinesischen Wu Xia Pian-Ritter. Ihre Zerstörung spiegelt zugleich eine Blasphemie wie die Vereinigung der zwei Welten.18
14 Vgl. Fabian 1983. 15 Augé 1994, 77. Es handelt sich für AnthropologInnen heute auch nicht darum, die Worte und die Stimmen der anderen als Informationsquelle zu betrachten, sondern um ihre Einbeziehung beim Erwerb eines gemeinsamen kritischen Wissens. 16 Vgl. Gruzinski 1999, 33-58. 17 Cinéma 4/1997, 66, zitiert nach Gruzinski 1999, 305. 18 Vgl. Gruzinski 1999, 305.
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Gerade die Distanz Nafaas (Nelofer Pazira) zu ihrer eigenen afghanischen Kultur raubt dem Film „Reise nach Kandahar“ (2001) von Mohsen Makhmalbaf jede Exotik und jeden romantisch-ethnografischen Blick. Selbst die Kleidung, im Film, häufig zum Zweck der Tarnung eingesetzt, signalisiert schlicht einen Hilferuf – Helft den Frauen Afghanistans! –, der bis heute in einem anderen politischen Kontext seine Brisanz beibehalten hat. Auch die preisgekrönte Politsatire „Göttliche Einmischung“ (2002) von Elia Suleiman gehört dazu. Sie (Manal Khader) trägt ein palästinensisches Tuch und wohnt in Ramallah (Abb. 55), er (Elia Suleiman) lebt in Jerusalem und kleidet sich europäisch. Beide versuchen, ihr gemeinsames Rendezvous zu überleben, was im alltäglichen Wahnsinn der besetzten Gebiete nicht einfach ist, denn nicht nur für Verliebte ist die Grenze relativ undurchlässig. Für ein Tête-à-Tête bleibt also nur das gefährliche Niemandsland. Dieser Film beweist, dass man hohe Ansprüche mit viel Humor, Spannung, Action und Poesie verbinden kann. Abb. 55: „Göttliche Einmischung“
Indiens Kino der Blende19 Was haben „Romeo und Julia“ (1996), „Moulin Rouge“ (2001), „Chicago“ (2002) oder „Elizabeth“ (1998) gemeinsam bezüglich der Kostüme? Eben, die indische Inspiration. „Das ist Bollywood“, heißt es in einer Filmkritik, „indisches Mainstream-Kino mit quietschbunten Tanz- und Musikeinlagen. Krude Mischung: brutal und kitschig“.20 Die Rede ist von dem Film „Gaath“ (Rache) des indischen Regisseurs Akashdeep aus dem Jahr 1994. Nicht, dass diese Kritik grundlegend unpassend wäre, vielmehr bleibt dabei unverständlich, warum ein weitaus dümmerer und überdies brutaler Film amerikanischer Herkunft wie „Universal Soldier – The Return“ von Mic Rodgers (1999) auf derselben Seite positiv als ein „explosiver Action-Film“ angepriesen wird: Amerikano-Eurozentrismus? Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben? Der damalige Präsident der Vereinigten Staaten Amerikas, Bill Clinton, sagte im März 2001 bei einer Rede vor der Central Hall of Parliament: „Aus der Distanz betrachtet, erscheint Indien als ein Kaleidoskop von konkurrierenden, vielleicht oberflächlichen Bildern“. Als Bezugspunkt für seine 19 So nennt Georg Seeßlen das indische Kino. 20 TV-Spielfilm, 24.1.2004, 24.
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Rede nahm er die Gegensätze zwischen dem so genannten Mainstreamkino21 einerseits und den Kunst- und Autorenfilmen andererseits, und er fragte: „Ist es Bollywood oder Satyajit Ray? Sgweta Shetty oder Alla Rakha?”22 Der Erfolg des Films „Monsoon Wedding“ in Venedig Anfang der 2000er Jahre zeigte zwar ein erneutes internationales Interesse für das indische Autorenkino. Dennoch bezeugt die große Begeisterung für Filme wie „Lagaan“ (2001) in Locarno und seine anschließende Oscarnominierung in Hollywood, der Enthusiasmus für die Superproduktion „Devdas“ (2001) in Cannes oder der internationale Erfolg von „Veer and Zaara“ (2004) und „Swades“ (2004) eher die Annerkennung des großen kommerziellen indischen Unterhaltungskinos. Filme wie „Chalte Chalte“ (2003) oder „Swades“ mit seinen aufklärerischen Botschaften finden heute im deutschen und europäischen Fernsehen große Resonanz. Dies ist nicht ohne Widersprüche. „Wenn die Inder zur Leinwand schauen, dann ist es so, als würden sie in den Himmel blicken“. Dieser bei Einführungen zur indischen Kinogeschichte vielfach zitierte Satz Salman Rushdies stellt immerhin die Frage danach, was bei indischen Filmen anders ist als etwa bei europäischen oder HollywoodFilmen. Da das populäre indische Kino bis vor kurzem im Westen noch ziemlich unbekannt war, obwohl in Indien weltweit die meisten Filme produziert werden, kann man sich tatsächlich fragen, warum indische Filme weniger bekannt sind als die großen Hollywood-Produktionen. Dies mag verschiedene Gründe haben, etwa weil das indische Kino teilweise anderen Regeln folgt als Hollywood. Es verletzt, so Anil Saari, bereits das aristotelische Gebot der Einheit von Zeit, Raum und Handlung23 – eine Regel, die allerdings gelegentlich auch westliche Filme missachten. Was das westliche Publikum und die Kritiker heute beeindruckt und die Fans süchtig macht, ist die enorme Vitalität des indischen Films. Dazu benötigen die Blockbuster aus Bollywood, so der indisch-amerikanische Regisseur David Rathod, „nicht den Zynismus von überdrehten Filmen wie ‚Chicago‘“.24 Einhelliges Lob von der westlichen Kritik erhielt etwa das Melodram „Veer und Zaara“ (2004) von Kinoveteran Yash Shopra, eine moderne Fassung von Romeo und Julia. Indische Filme sind definitiv in Mode, allein schon deshalb, weil sie von einigen Fernsehsendern vermehrt gezeigt werden. Neben Arte, das ihnen mehrere Themenabende gewidmet hat, sind es vor allem Privatsender wie RTL II oder Sat 1, die Bollywoodfilme zeigen, meist parallel zur DVD-Vermarktung. Wenn wir bei indischen Filmen die Kostüme betrachten, scheint der Zugang zunächst einfach, weil die Kostüme in letzter Zeit zunehmend der westlichen Mode folgen. Sie werden zum Zeichen der Modernität. Der Erfolgsfilm „Main Hoon Na“ (Ich bin immer für dich da, 2004) ist ein Bekenntnis zu diesen neuen Genre. Der Film zielt allein durch die Beliebtheit der Regisseurin und Choregrafin Farah Khan und des Superstars Shah Rukh Khan auf 21 Ich lehne hier den Begriff Mainstream bewusst ab, weil er etwas Manipulatives unterstellt und zudem eine überlegene Distanz sowie eine Außenperspektive impliziert. Darin drückt sich eher ein Alibi für die eigene Position aus. Mainstream in der Mode wie auch im Kino gilt immer nur für die anderen. Vgl. Devoucoux 1999, 1159. 22 Zitiert nach Venkat Parsa. In: Tehelka, 1.6.2001. 23 Saari 1986, 79. 24 Krill 2004. Dokufilm.
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das indische Publikum und dient zugleich als globales Vermarktungsobjekt. Handlung, Körpersprache und vor allem die Kostüme – Miniröcke, Jeans und T-Shirts, Rasta-Frisuren und Hip-Hop-Mütze – sprechen dafür, dass der Film sich gezielt an die Mittelschichten richtet. Nicht jede/r westliche oder indische ZuschauerIn erträgt den Inhalt der Story, dennoch folgt die Mischung aus Highschool-Romantik und Terrorismus zwei verschiedenen Erzählsträngen gleichzeitig (Abb. 56). Formal und inhaltlich werden in dem Film sämtliche Register Bollywoods gezogen, der Film stellt darin eine Bilanz der aktuellen Produktionen auf, nicht zuletzt in Bezug auf die Kostüme: Die Motivik greift auf „Matrix“ zurück, und die Filmästhetik entspricht den amerikanischen Globalprodukten Hollywoods. Eine Überraschung? Ja, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Die Regisseurin Farah Khan entstammt keiner Filmdynastie, sondern ist eine Seiteneinsteigerin. Ihr bewegtes Leben zeigt, dass Bollywood für Frauen nicht nur traditionelle Rollen bereithält. Ungewöhnlich ist auch, dass eine Annäherung zwischen Indien und Pakistan im Vordergrund steht,25 und dass die Bewertung des Films zumindest einige Vorkenntnisse über indische Filme und Kultur voraussetzt. Abb. 56: „Main Hoon Na“
Für eine eingehendere Betrachtung des gegenwärtigen Phänomens Bollywood gehe ich einige Jahre zurück zu dem Film „Hum Aapke Hain Koun“ (Wer bin ich für dich?) von Sooraj R. Barjatya, der trotz kleinem Budget 1994 in Indien zu einem kommerziellen Erfolg wurde. Schon ein kurzer Blick auf die Ausstattung des Films genügt, um zu erkennen, dass selbst die einfachsten Gegenstände und auch die Kostüme einen Einblick in die kulturelle indische Bilder- und Innenwelt ermöglichen. Beginnen wir mit den Schuhen des Bräutigams bei der Hochzeitsszene: Wir erkennen das handlungsleitende Motiv und können sogar den Sinn der rituellen Handlung nachvollziehen, dennoch verweisen sie auf Regeln, die uns zunächst fremd sind. Die Ergebenheit der Heldin (Madhuri Dixit) gegenüber dem Bräutigam ihrer Schwester gibt uns Hinweise auf die Beziehungen zwischen den Geschlech-
25 Die Bombenanschläge am 11. Juli 2006 in Delhi, Varanasi und Mumbay, die das Ziel hatten, den in Gang gekommenen Friedensprozess zwischen beiden Ländern zum Erliegen zu bringen, beweisen, dass der Stoff des Films nicht übertrieben war.
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tern, dasselbe gilt für das Ausstreuen des Reises durch die Braut. Es handelt sich hier um eine zentrale soziale Handlung, bei der die Braut zu verstehen gibt, dass sie nun endgültig zur Familie ihres Ehemanns gehört, – eine Rite de Passage von einer Familie in die andere. Diese vereinfachten Symbolisierungsmuster des Films zeigen jedoch passgerecht die stabile Symbolstruktur und das kulturpolitische Umfeld der realen indischen Gesellschaft von heute. Allerdings ist Vorsicht geboten, wenn von der indischen Gesellschaft die Rede ist, weil es sich tatsächlich um eine Vielfalt unterschiedlicher Kulturen, Sprachen und Religionen handelt, die die verschiedenen sozialen Konstellationen entsprechend kompliziert machen. Daher stellt sich die Frage, auf welches mythologisches Gerüst der Film zurückgreift oder welches er konstruiert, welche kulturellen Vorstellungen, Normen und Ordnungen, welche Geschlechtervorstellungen, Bildsprache und Argumente verwendet werden. Zunächst bleibt erklärungsbedürftig, warum ein Film wie „Hum Aapke hain Koun“ trotz der im gesamten Land völlig heterogenen kulturellen und sozialen Konstellationen in ganz Indien einen solchen Erfolg verzeichnen konnte. Ein wesentlicher Grund dafür liegt darin, dass die Rahmenhandlung auf einer neutralen Basis läuft, auf einer Art kleinstem allgemeinem Nenner, nämlich zwischen alten und neuen Verhaltensmustern. Dies illustrieren vor allem die Kleidung, die Tänze und die Musik. Wie zumeist im indischen Film steht im „Hum Aapke Hain Koun“ eine Liebesgeschichte im Mittelpunkt der Handlung. Und wie sonst auch geht es in dem Film um eine Auseinandersetzung oder – genauer – um einen merkwürdig konfliktlosen Dialog zwischen Modernität und Tradition, zwischen freier Entscheidung und dem Erhalt kultureller Traditionen, was vor allem anhand der Kostüme deutlich wird. Dabei kennzeichnen die Kostüme die inneren Merkmale der Familienstruktur. Genau darin schließt sich die Typisierung den westlichen Methoden an, um die verschiedenen Mitglieder der Familie zu charakterisieren. Die Kostümierung der Charaktere wird in diesem Film allerdings nach gröberem Muster gestrickt, wie es ansonsten bei Bollywoodfilmen üblich ist. Ältere weibliche Familienmitglieder treten im Sari auf wie auch fast alle verheirateten Frauen, junge Frauen wiederum tragen Jeans und T-Shirts, während die Männer – hier Wissenschaftler – in Anzügen oder Khadis zu sehen sind. Die jüngeren Männer tragen wie auch der Held (Salman Khan) bunte westliche Kleidung, und die Farben ihrer Kleidung sind für westliche ZuschauerInnen ein regelrechter Festschmaus. In diesem Film kommen weder sexuelle Anspielungen noch Gewalt oder Sadismus vor, die einige Jahre zuvor noch so charakteristisch für Bollywood-Filme waren, stattdessen bekommen wir eine wunderschöne Love-Story zu Gesicht. Der Film ist insgesamt ein „Clean Family Movie“. Er erzählt nicht nur von einer Joint-Family, sondern vielmehr von einer bestimmten indischen Familienmoral und dem Bewahren ihrer Traditionen. Im Kontext heutiger Urbanisierung, Globalisierung und Verwestlichung vermittelt der Film eine Vorstellung davon, wie eine Großfamilie sein sollte oder zumindest, welche Art von Familie sich viele Inder wünschen. Weder zwischen Vätern und Söhnen noch zwischen den Brüdern bestehen Antagonismen, Spannungen oder Rivalitäten, auch selbst nicht zwischen Schwiegermüttern und Schwiegertöchtern, was besonders ungewöhnlich erscheint. Es gibt keine Eifersucht und keine Konkurrenz zwischen
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den Schwestern, auch keine missgünstigen Bemerkungen des Vaters gegenüber einem Freund, der früher in seine Frau verliebt war, als dieser ein Lied für sie anstimmt. Der Filmstar Madhuri Dixit selbst lieferte einen treffenden Kommentar zu dem Film, als sie 1994 den Preis als beste indische Schauspielerin erhielt: Der Film „present a perfect Utopia about simple values and guilteless people“26 Der einzige wirkliche Konflikt in dem Film spielt sich zwischen Dharma (Pflicht) und Verlangen bzw. Begierde ab, zwischen Schicksal und Freiheit. Dazu präsentiert der Film klischeehaft die kulturelle hinduistische Tradition durch die Beschreibung der Rituale: Verlobung, die Hochzeit mit ihren Mehndi-Ritualen, die Geburt des Kindes, der Tod. In der indischen Realität ist die Familie die kleinste Einheit der Gesellschaft, nicht das Individuum, zumindest in der traditionellen indischen JointFamily. Diese aus der Indo-Aryas-Einwanderung stammende patriachale Familienstruktur ist in der Tat in rund 600.000 Dörfern – wo etwa drei Viertel der gesamten Einwohner leben – bis heute die dominierende Sozialstruktur. Das XXXL-Format dieser „kleinen“ Einheit ist jedoch normalerweise gerade nicht von Harmonie und noch weniger von konfliktarmen Beziehungen gekennzeichnet.
Die materielle Dimension der Kommunikation Kinobilder als Kommunikation? Im Fall des indischen Kinos setzt dies voraus, dass wir uns bereit finden, Kommunikation als Austausch zu begreifen, als Versuch, in eine Beziehung mit anderen Kulturen zutreten. Bietet der Film tatsächlich eine solche Möglichkeit zur kulturellen Kommunikation mit ihrem Facettenreichtum? Man erwartet in der Tat entsprechend der komplexen Beziehungen des multikulturellen, multireligiösen, multiethnischen und multisprachlichen Subkontinents ein Kino der Komplexität, doch das Gegenteil scheint die Regel zu sein, zumindest scheint dies im kommerziellen Film die Oberhand gewonnen zu haben. „Liebe, Heiterkeit, Mitleid, Zorn, Furcht, Mut, Ekel, Erstaunen und friedvolle Ruhe sind die Zutaten, die immer dieselben fünf bis zehn Geschichten mit unendlichen Varianten würzen“, so Philip Schäfer und Jan Martin Scharf zu Beginn ihres Dokumentarfilms „Heiße Tränen in Bombay“ (1999) – daher der Begriff „Masala“-Filme für Hindufilme aus Bollywood.27 Hinter dieser „episch-mythisch-tragisch-komisch-super-sexy-hohen Masala-Kunst“, so Salman Rushdie,28 steckt das Konzept der „Bhavas“ (Gefühle) und der „Rasas“ (wörtlich „Saft“). Letztere sind die neun essentiellen Grundstimmungen, die die Dramaturgie aus dem klassischen ästhetischen Repertoire des Theaters und der Bühnenkünste entwickelt hat.29 Der bemerkenswerte Beitrag der Rasa-Theorie zur Literaturkritik ist, „dass sie den Bedeutungskontext als Stildeterminante hervorhebt“,30 schreibt Amrit Gangar. Dies scheint auch für 26 Gokulsing/Dissanayake 1998, 44. 27 Wie bei einem Curry wird die Mischung der verschiedenen „Masalas“ abgestimmt. 28 Zitiert nach Schneider 2006, 161. 29 Sringara (der Eros), Veera (das Heroische), Rudra (der Zorn), Bibhatsa (der Ekel), Hasya (das Komische), Bhaya (die Furcht), Karuna (der Kummer) und Shenta (der innere Friede). 30 Gangar 2002, 49.
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das Kino zu gelten. Dies zeigt uns nebenbei, dass unabhängig von der westlichen Welt im indischen Film bereits von Beginn an völlig andere rhetorische Grundstrukturen existierten. Es handelt sich dabei fast immer um emotional stark aufgeladene Inszenierungen, um wahre Gefühlsspektakel. Diese Emotionalität wird durch thematische Wesenselemente wie zum Beispiel die romantische Liebe konstruiert. Die romantische Liebe steht fast immer im Mittelpunkt der Filmhandlung. Dies gilt zwar auch im westlichen Kino, in Bollywoodfilmen allerdings verkörpert dies eine Idealvorstellung, die in der indischen Realität kaum einen Raum findet. Daher gilt diese zentrale Thematik für manche Filmforscher als hauptsächlicher Impuls für die allgemeine Kinosucht und den hohen Kinokonsum der Inder. Wenn die Beziehungsgeschichte subtil erotisch pointiert wird, spielen die Kostüme, die diese Nuancen zu artikulieren in der Lage sind, eine noch größere Rolle als im westlichen Film. Vom indischen Kino erwartet man ebenso eine Verbildlichung der komplexen und vielfältigen Kleidungswelt Indiens. Das Gegenteil ist jedoch auch hier die Regel. Selbst der Sari und der Dhoti, von denen eine enorme Anzahl lokaler und regionaler Varianten an Trageweisen, Ornamenten und Webtechniken existiert, werden auf wenige Grundmuster reduziert. Der bekannteste Sari im Film wie in der Alltagswelt bildet die urbane und moderne Art, die sogenannte „Nivi“-Art, die heute in ganz Indien verbreitet ist. Die orthodoxe Hindi-Frau trägt in Bollywoodfilmen im Allgemeinen den Sari. Dieser verweist so auf das traditionelle Rollenverständnis der Geschlechter. Dennoch besitzt kein Kostüm einen eindeutigen, für ganz Indien gültigen Charakter, da beispielsweise in Andhra Pradesh Frauen aller Konfessionen – auch Christinnen – unter anderem Sari und Blusen oder Korsagen (Choli) tragen, während die Männer in Dhoti und Kurta gekleidet sind. Früher trugen hier auch Frauen den Dhoti. So hat gerade der Bollywood-Film einen nicht unerheblichen Anteil daran, die Indisierung der modernen Kleidungskultur zu stärken. Das indische Kino greift dabei auf eine eigenständige kulturelle Entwicklungsgeschichte zurück. Thematisch und stilistisch betrachtet, sind verschiedene kulturelle Quellen im indischen Kino unterschwellig immer noch wirksam: die beiden berühmten Epen Ramayana und Mahabharata, das klassische Theater, das Volkstheater, das Parsi-Theater, das moderne indische Theater, Hollywood, die aktuellen Musiksender wie MTV und heute sogar der chinesische Film.31 Der indische Spielfilm wurde einerseits als Erweiterung der traditionellen Künste wahrgenommen. „Indien war von jeher ein riesiger Bilderbasar“, so der Produzent Joel Farges aus Kerala.32 Wer aber andererseits nur von Kontinuität spricht, verpasst den völlig neuartigen Charakter des indischen Films mit seiner visuellen Erfahrungswelt und seinen demokratischen und humanistischen Vorstellungen, der von vornherein eine intermediale und interkulturelle Brücke darstellte. Bezüglich der Kostüme birgt dies ein riesiges Potential an Möglichkeiten. Die indischen Filme sind im Allgemeinen sehr umfangreich und dauern drei bis vier Stunden. Auch dies zeugt 31 Zu Details vgl. (ausgenommen den chinesischen Einfluss) Gokulsing/ Dissanayanake 1998, 17-22. 32 Zitiert nach Lequeret 2004, 22.
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von unterschiedlichen kulturellen Zeitauffassungen und Erfahrungsweisen, auch bei Schauspielen generell. Mumbay (Bollywood) beherrscht mit Abstand das indische Filmgeschäft, dennoch, da das Filmgeschäft bis Ende der 1990er Jahre stark von mafiösen Strukturen und Finanzierungen geprägt war – wovon z.B. der Film „Company“ (2002) von Ram Gopal Varma erzählt –, haben Chennai und Hyderabad an stetiger Bedeutung gewonnen. Seit die Regierung die Filmbranche aber offiziell als Industriezweig anerkannt hat, stabilisiert sich die Situation, und die Branche benötigt zumindest theoretisch keine Gelder mehr aus der Unterwelt. Für die Veröffentlichung benötigt bis heute jeder Film grünes Licht vom „Central Film Censor Board“. Ursprünglich wollte die englische Kolonialzensur das Kino regulieren, etwa um „die Integrität und das Prestige der weißen Frau“ zu schützen.33 Als der englische Einfluss zurückging und sich der Weg zur Unabhängigkeit Indiens immer deutlicher abzeichnete, beschäftigte sich die Zensur damit, potentielle kommunistische Ideen aus der Kinowelt herauszuhalten. Heute wacht die Zensurbehörde streng über Filminhalte und -formen, vor allem in Bezug zu Moral und Politik. Feindliche Äußerungen gegenüber befreundeten oder verbündeten Ländern sind tabu. Nicht nur nackte Körper, sondern bis vor Kurzem waren selbst Küsse verboten. Dadurch wird s den Kostümen eine ganz besondere Stellung einräumt, da mit ihrer Hilfe, dieses Verbot spielerisch umgangen werden kann. „Dem westlichen Blick“, staunt Georg Seeßlen, „erscheint das Verbot der Darstellung eines Kusses so merkwürdig wie die gelegentlich durchaus obszönen Choreographien“ in indischen Filmen.34 Dies deutet eine weitere Grunddifferenz zum westlichen Film an wie etwa die Codierung von Erotik und Sexualität. Ein beliebtes Muster, um das Verbot der Nacktheit zu umgehen, bildet die fast obligatorische Szene, in der die Heldin völlig durchnässt durch strömenden Regen läuft, bekleidet ins Wasser fällt oder aus der Dusche kommt. „Als Miss Zeenat Aman kürzlich in Satyam Shivam Sundaram unter einem Wasserfall stand“, schreibt der Psychoanalytiker Sudhir Kakar, „was ihre beträchtlichen Reize durch den nassen, auf der Haut klebenden Sari sichtbar werden ließ, fühlte ich mich der Welt der Hindi-Filme zu Dank verpflichtet, weil sie so inmitten einer unsicheren, sich stets verändernden Welt wenigstens in diesem Punkt für Kontinuität sorgt“.35 Solche Szenen machen sich allerdings in neuen Produktionen rarer, nicht zuletzt, weil sie auf ein jüngeres Publikum zielen, und weil die Sexualität seit Anfang der 2000er Jahre Einzug im indischen Film gehalten hat. Allerdings, „ich selbst“, so der Schauspieler Shah Rukh Khan, „fühle mich aber unwohl, wenn es ans Entblättern geht [...] Nicht so sehr, weil ich schüchtern bin, sondern auch wegen meiner Kinder, die mich fragen, wieso ich so zärtlich zu einer fremden Frau bin“.36 Küsse sind in indischen Filmen inzwischen erlaubt, „wenn sie nicht auf obszöne Weise gezeigt werden“, so der Regisseur Yash Chopra. Die Zensur-
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Gokulsing/Dissayanake 1998, ebd. Ebd., 23. Kakar 2004, 16. Interview mit Shah Rukh Khan. In: Süddeutsche Zeitung, 2.11.2006, 18.
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behörde achtet jedoch weiter genau darauf, „ob ein Film politisch korrekt ist, ob es grauenhafte Gewaltdarstellungen oder obszöne Sexszenen gibt“.37 Wenn die Zensur grünes Licht gibt, können mit „Mahurat“,38 symbolisiert durch das Zerschlagen einer Kokosnuss, die Dreharbeiten des Films beginnen. Eine „realistische“ oder „naturalistische“ Darstellung des Lebens, wie wir sie angeblich aus dem westlichen Kino kennen, scheint im indischen Unterhaltungsfilm nicht unbedingt angestrebt und teilweise auch nicht erwünscht zu sein, wobei allerdings die Sensibilität großer Teile des indischen Publikums sich in den letzten Jahren stark verändert hat. „Technisch sei das indische Kino wirkungsvoll“, schreibt C. Das Gupta, „kennt aber auch keinerlei Zurückhaltung. Die Farben müssen immer üppig sein, alles muss gut ausgeleuchtet sein, die Stars müssen in jeder Situation glanzvoll aussehen. Alle wichtigen Handlungselemente und Personen werden mit einer schwer erträglichen theatralischen Direktheit frontal vor dem Auge der Kamera arrangiert – das Publikum will für sein Geld nicht den Hinterkopf der Heldin sehen. Die musikalische Ausstattung wird ganz vom ‚großen Sound‘ bestimmt, die Orchester sind gut besetzt; die Texte stammen von guten Songschreibern und werden von fähigen Komponisten vertont. Die Musik soll laut und jedes Wort kristallklar zu hören sein – Flüstern ist nicht erlaubt“.39
Bollywood und die indischen Mittelschichten Bollywood hat auf Druck Hollywoods und nachdem es durch den Rückgang der Zuschauerzahlen in den 1990er Jahren in eine Krise geraten war, relativ schnell und auf verschiedene Weise reagiert, zunächst mit Nachahmungen. „Mohabbatein“ (Liebesbeziehungen, 2000) orientiert sich erfolgreich an „Der Club der toten Dichter“ und „Chori, Chori, Chupke, Chupke“ (Verstohlen und klammheimlich, 2001) an „Pretty Woman“.40 „Kuch Kuch Hota Hai“ (Liebe liegt in der Luft, 1998)41 wendet sich vor allem an die immer größer werdenden Mittelschichten, wobei vor allem Jugendliche durch eine ausgesuchte Kombination von modischen Elementen bis hin zu Miniröcken, cooler Sprache, moderner sportlicher Haltung und gegenwärtigem Lebensstilangesprochen werden sollen. (Abb. 57). Das gleiche lässt sich bei „Hyderabad Blues“ (1998) beobachten, wo noch zusätzliche Details wie Motorräder, Computer, Hip-Hop-Mützen, Jeans und T-Shirt vorkommen. Der indische Pop-Film, wie ihn Anil Saari nennt, war bereits zuvor schon „ein eklektisches, plagiatorisches, nachahmendes und sich anpassendes Geschöpf, das ständig gegen das rebelliert, von dem es beeinflusst wird: Hollywood, das europäische Kino und traditionelle indische Ästhetik und Lebensweise“.42
37 Yash Chopra, zitiert nach Umard 2006, o.S. 38 Mahurat gilt in der (Mantra-)Astrologie als die beste Zeit, um mit einer neuen Aufgabe zu beginnen. 39 Das Gupta 1986, 58. 40 Weiter orientieren sich „Mere Yaar Ki Shaadi Hai“ (2002) an „Die Hochzeit meines besten Freundes“ und „Jism“ (2003) an „Body Heat“. 41 Alternativer deutscher Titel: „Und plötzlich ist es Liebe“. 42 Saari 1986, 79.
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Abb. 57: „Kuch Kuch Hota Hai“
Die heutigen Mittelschichten lassen sich nicht mehr mit „traditionellen“ Handlungsfiguren- und Technik der Unterhaltung zufrieden stellen. Medien und Konsum amerikanischer Prägung haben alternative Erzählformen eingeführt. Besonders auf die Technik wird genau geachtet, da die indische Jugend gute Soundtracks und gute Kameraführung schätzt, ebenso achtet sie auf den Look der Haupt- und NebendarstellerInnen. Zugleich muss die in BollywoodGroßproduktionen so übertriebene Mimik und Gestik der SchauspielerInnen abgemildert und der Sensibilität der Mittelschichten angepasst werden, die sich nach außen offen und westlich orientiert zeigen. Letztlich tauchen sogar westliche Schauspieler in Bollywoodfilmen auf, so Toby Stephens, der Schurke aus „Stirb an einem anderen Tag“ (2002), der mit seiner schauspielerischen Leistung dem Helden (Aamir Khan) in „The Rising“ (2005) Konkurrenz macht. Häufig bleiben einerseits die Aussagen über die indische Wirklichkeit weiter eher kraftlos, andererseits will man die indische Spezifik nicht aufgeben. So erzählen die größten Erfolge der indischen Filmindustrie der letzten Jahre wie „Kuch Kuch Hota Hai“, „Lagaan“, „Devdas“ oder „The Rising“ auch „typisch“ indische Geschichten im alten oder im neuen Look. Es ist übrigens interessant zu beobachten, wie die frühere britische Kolonie dem kommerziellen westlichen Einfluss nach wie vor erfolgreich widersteht. Bis heute hat sich Hollywoods Filmindustrie in Indien nicht gegen die übermächtige Filmindustrie Indiens durchsetzen können. Dies hat der Schriftsteller Pankaj Mishra, ein Kritiker der neoliberalen Modernisierung Indiens, beim Eröffnungsvortrag der Bonner Biennale in Mai 2006 ausdrücklich hervorgehoben.43 Es gibt in Indien allerdings nicht nur Bollywoodfilme, sondern auch anspruchvolles Autorenkino, das seit Satyajit Ray, Mrinal Sen, Ritwik Ghatak oder Adoor Gopalakrishnan auch im Westen durchaus bekannt ist. Chidananda Das Gupta betont jedoch, dass das indische „New Cinema“ und seine Fortsetzung nur im Kontext des kommerziellen Kinos verstanden werden könne.44 Es beweist, dass Unterhaltungsfilme nicht unbedingt zu „eskapistischem Brei“ werden müssen und dass eine gut konstruierte dramatische Verfilmung ebenso anziehend wie „unterhaltsam“ sein kann. 43 Vgl. Süddeutsche Zeitung, 20./21.5.2006, 19. 44 Vgl. Das Gupta 1986, 56.
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Nur in diesem Kontext ist nachvollziehbar, warum AutorInnenfilme der Nachfolgegenerationen (des „New Cinema“) wie „Salaam Bombay“ (1988) und „Monsoon Wedding“ (2000), „Bandit Queen“ (1995), „Fire“ (1997) und „Earth“ (1999) oder selbst ein kritischer Bollywoodfilm wie „Satta – Spiel der Macht“ (2003) staatliche Unterstützung erhielten. Abgesehen von der finanziellen Unterstützung oder von der Kategorisierung wird die Erzählform des indischen Unterhaltungskinos entscheidend durch Musik und Tänze markiert.
Rhythmen des indischen Films Selbst wenn Tanzeinlagen und Musik nicht die einzigen Unterscheidungsmomente zum westlichen Kino bilden, behauptet sich die Einzigartigkeit Bollywoods gerade in den Songs und Tanzszenen. De facto präsentieren sich nahezu alle indischen Filme seit den 1930er Jahren westlichem Verständnis zufolge als Musicals. Musik und Tänze entscheiden über Erfolg oder Misserfolg eines Films. Durch die musikalische Komponente rücken auch die Kostüme in den Vordergrund, weil Tänze und Musik eine im Vergleich zu anderen Medien ungleich intensivere Körpersprache erlauben. So wurden bei Tanzszenen früher bevorzugt Kostüme der Adhivasis – der Ureinwohner Indiens – eingesetzt, weil sie mehr vom weiblichen Körper offenbarten und eine größere Bewegungsfreiheit ermöglichten: so etwa die Kleidung der Lambadies mit einem roten, orangefarbenen oder blauen Hemd, das mit einer Vielzahl winziger Spiegel besetzt ist, und/oder einem Choli mit langen Ärmeln und einem Halstuch. Die Lambadies sind eine ethnische Gruppe aus dem Bundesstaat Andhra Pradesh. Ähnliche Prinzipien gelten für die Kostüme der Kodavas, einer Bevölkerungsgruppe aus dem Kodagu im Karnataka: Leuchtend bunte Kleider, schwarze Tuniken und goldene Turbane. Auch die farbenfrohe und reich geschmückte Kleidung der Kanjar, der Garsia, Bhil und Mina, der Shikhavari, Lohars, Garasis oder der Sahariyas und vieler anderer Bevölkerungsgruppen diente und dient nach wie vor gelegentlich als Stimmungsmacher in Filmen. Inzwischen hat aber der Einzug westlicher Minirock-Mode und körperbetonter Kleidung diesen kulturellen Reichtum in den Bollywoodfilmen der letzten Jahre teilweise ersetzt. Solch moderne westliche Kleidung ist auf Indiens Straßen bis heute allerdings nur äußerst selten anzutreffen. Von entsprechend bunter Mischung waren auch die Lieder- und Musikthemen – die Ghanas –, die sich in der Frühzeit des indischen Kinos an traditionellen Ghazals (lyrische Gedichte in Urdu, an Bhajans (religiöse Hindulieder) oder an Qawwalis (moslemische religiöse Lieder) orientierten. Wenn sie heute im Film vorkommen, was nicht selten der Fall ist, so werden sie mit traditionellen regionalen Liedern sowie lateinamerikanischer oder afrikanischer Musik, Pop, Rock, Lambada, Techno, Rap oder Hip-Hop zu einer hybriden Mischung zusammengestellt. Außerdem sind häufig traditionelle Instrumente wie Tablas und Sitars neben elektrischen Gitarren, Synthesizern und Violinen zu vernehmen.45 Die Lieder werden immer noch fast ausschließlich in Playback gesungen. Die unterschiedlichen Musikrichtungen werden – und das ist die Hauptsache – so geschickt miteinander vermischt, 45 Lata Mangeshkar, die bekannteste Sängerin des indischen Kinos, steht im Guinness-Buch der Rekorde.
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dass ein indischer Charakter die Musik prägt und kennzeichnet. Der große Star der heutigen Filmmusik ist der junge zurückhaltende Musikkomponist und Sänger Allah Rakha Rahman, der auch für die Sängerin Asha Bolsle komponiert. Beide sind mittlerweile ebenso berühmt wie zuvor Lata Mangeshkar, eine Schwester Bolsles, „die Stimme Indiens“. Die Musik verbindet sozusagen die Traumwelt mit der realen Welt. Man hört sie überall, in den Bussen, in den Geschäften und zu Hause. Das Antaksari-Spiel, das in der Familie oder im Freundeskreis gespielt wird, ist ein Wettbewerb über Lieder und Filmmusik.46 Das Phänomen des kulturellen Sampling erfasst auch die Tänze im Film, die sich ursprünglich an den klassischen Vorbildern – Bharata Natyam, Kathak, Kathakali, Manipuri – orientierten. Eine bekannte Tanzform im Film stellte die Mujra dar, eine kunstvolle Darbietung der höfischen Kurtisanen der Moghul-Zeit. Legendär wurde dieser Tanz durch den Film „Umrao Jaan“ (1981) von Muzzafar Ali, in dem die Schauspielerin Rekha, barfuß und in einem prachtvollen Shalwar Kameez – ein moslemisches Ensemble aus Hose und langem Hemd – gekleidet, eine Murja vorführt. Indische Spielfilme übernahmen nach und nach Tanzstücke oder Motive aus zahlreichen indischen Volkstänzen, wobei in jedem Bundesstaat andere Tänze mit entsprechend vielfältigen Kostümen typisch sind, und schließlich hielten auch moderne Tänze westlicher Prägung Einzug. Einer kleinen „Revolution“ kam es für den indischen Film gleich, so die damalige Presse, als Raj Kapoor erstmals 1952 in „Awaara“ das Kabarett zum Filmthema machte, mit dem Superstar des Genres auf der Bühne, Cuckoo. Für sie entwarfen und inszenierten die Komponisten und Choreografen Kostüme, Motive, Tänze und Lieder mit einer Freiheit und Entdeckerfreude, die weder Hollywood noch der europäische Film jemals besessen hatten.47 Da die Lieder- und Tanzszenen meist auf einer romantisch-erotischen Metaebene spielen und nicht unbedingt mit der Filmhandlung zusammenhängen müssen, entspringen viele Tanzeinlagen der Fantasie. Während in Bollywoodfilmen die Gesangseinlagen vor allem der emotionalen Gipfelstürmerei dienen, versuchen Autorenfilme sowie einige anspruchvolle Bollywood-Produktionen, sie in die Filmhandlung einzubinden. Herbert Krill hat in seinem Dokumentarfilm „Bollywood Remixed“ (2004) die Grundlagen der Musik und des Tanzes im indischen Film genauer untersucht. Anhand von Interviews mit berühmten Komponisten und Choreografen wie R.A. Rahman sowie Filmszenen zeigt er, wie sich Musik und Tanz heute mit der Modernität entwickeln und dabei dennoch einen „indischen Charakter“ bewahren. Eine auch im Westen bekannte Produktion ist „Kabi Kashi Kabi Gham“ (Gute Zeiten, schlechte Zeiten, 2001). Nicht die – schwache – Handlung macht diesen Film so anziehend, sondern die Tänze. Ein vergleichbares Aufgebot lässt sich schwerlich finden: 200 Tänzer folgten den Anweisungen der Star-Choreografin Farah Khan, die auch die Tänze in „Kuch Kuch Hota Hai“, „Dil Se“, „Monsoon Wedding“ oder „Lagaan“ konzipierte. „Kabi Kashi Kabi Gham“ war der indische „Denver-Clan“, sagt sie, „alles war übergroß, wie in 46 Dabei beginnt einer der Spieler, ein Lied zu singen. Der nächste Mitspieler greift den letzten Buchstaben auf und beginnt damit ein neues Lied. Wer kein passendes neues Lied anstimmen kann, bekommt keinen Punkt. 47 Vgl. Amareh Misha 2002, o.S.
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Dallas oder dem Denver Clan“.48 ChoreografInnen wie Farah Khan oder Shiamak Davar („Taal“, 1999) sind heute zu Publikumslieblingen und -magneten geworden, weil es ihnen gelungen ist, in der Musik die vielfältigen kulturellen Einflüsse in einer indischen Tanzfarbe kunstvoll zu vereinen. Anil Saari, der das indische populäre Kino als eigenes Genre betrachtet, sieht dies folgendermaßen: „Für das indische Volk ist der Pop-Film das einzige kulturelle Medium, das sich der großen Widersprüche der indischen Gesellschaft innerhalb eines Formats annimmt. Das Idealistische und das Unmoralische, das Asketische und das Genussfreudige, das Zerlumpte und das Kastensystem, religiöses Elitedenken und Sektierertum und die Vorstellungen von Kunst und Kultur, wie sie an den Höfen und innerhalb der herrschenden Elite zu finden waren, trennten die Lebensformen in streng voneinander geschiedenen sozialen Gruppen. Demgegenüber zeigt der indische Pop-Film eine große Bereitschaft, die Vielfalt von Menschen, Einzelheiten, Facetten und Alltagsereignissen zu integrieren, um eine weltoffene Sicht auf die Gesellschaft herzustellen, die ebenso bunt und breit gefächert ist wie das Leben draußen, wie chaotisch es auch immer sein mag“.49 Bollywood- und Autorenfilme zeigen jedoch nur die oberflächlichen Extreme der indischen Filmkultur. Künstlerisch hervorragende Leistungen entstehen heute nicht nur außerhalb, sondern ebenso im kommerziellen Filmgeschäft sowie im Autorenfilm. Was sie allerdings voneinander trennt, ist der unterschiedliche Zugang zur realen Welt, was die Kostüme erheblich beeinflusst. Zwischen Bollywood- und Autorenfilm besteht also heute genügend Raum für andere Filmformen, für ein Kino der Kompromisse, das weder seine Eigenschaften noch seinen Charakter dabei einbüßt. Regelrechte Schauspielerdynastien mit Namen wie Bachchan, Kapoor, Rushan oder Mukerjee dominieren den indischen Film. Innerhalb der Filmindustrie Bollywoods herrscht ein rigides Bewertungssystem für Stars, das die einzelnen SchauspielerInnen anhand der Umsatzzahlen kategorisiert. Die höchste Stufe ist das Triple A-Prädikat, mit dem sich gerade mal eine Handvoll Stars schmücken kann, die jeder Inder, jede Inderin kennt. Quentin Tarantino hat es auf den Punkt gebracht, rechtfertigt Shah Rukh Khan, „als er sagte, das indische Kino habe nur überlebt und könne sich gegen Hollywood nur behaupten, weil es bei uns eine Starkultur gebe. Diese wiederum unterscheidet sich tatsächlich gar nicht so sehr von der amerikanischen. Wir haben jeden Tag unsere Skandälchen. Irgendwer betrügt immer irgendwen. Die Hochglanzblätter sind voll davon. Und keiner bleibt ungeschoren“.50 Schauspielerinnen erhalten allerdings bis heute geringere Gagen als ihre männlichen Kollegen. Immer noch werden sie eher als Schmuck der männlichen Figur betrachtet denn als autonome, gleichberechtigte Charaktere; hier gilt auch für Schauspielerinnen wie Aischwarya Rai, Preity Zinta, Madhuri Dixit oder Kajol keine Ausnahme. Auf die Frage, ob diese Situation die gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegle, antwortet Uma Da Cunha, die Leiterin einer der berühmtesten Casting-Agenturen Indiens, mit einem klaren „Ja“.51 Wer sich ein anderes Bild von Bollywood machen möchte, sollte den 48 49 50 51
Zitiert nach Krill 2004. Dokufilm. Saari 1986, 86. Interview mit Shah Rukh Khan. In: Süddeutsche Zeitung, 2.11.2006, 18. Schaefer/Martin 1999. Dokufilm.
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Roman „Glitzerwelt“ von Shobhaa Dé lesen: Eine schonungslose Abrechnung mit der ausbeuterischen Seite der Märchenfabrik Bollywood, vor allem gegenüber Frauen. Vom Medium her betrachtet, ist der indische Film ein technisches Instrumentarium westlicher Herkunft, die Erzählformen hingegen entwickeln Kunstformen, die sich auf völlig andere kulturelle Traditionen berufen als der westliche Film. Dadurch werden von vornherein andere filmische Narrationskategorien konstituiert als im westlichen Kino. Bereits die Anlehnung an die epische Lyrik – auch an deren moderne Form – bildet nicht nur ein ideologisches Gerüst, sondern erzeugt bestimmte Erzählformen und privilegiert immer wieder bestimmte Themen und Figuren. Die westliche Kleidung der Filme und die hochmoderne Technik verändern mehr die Verpackung als den Inhalt: Die Themen fokussieren weiterhin romantische Liebe, männliche Freundschaft, das Schicksal, den Verzicht auf etwas oder auf jemanden sowie die Modernität mit Respekt für die Tradition. Wie im westlichen Film ist die Figur des Bösewichts ebenso wichtig wie die des Helden oder der Heldin. Ein geradezu legendäres Beispiel für die Figur des Bösewichts liefert die Figur des Gabbar Singh (Amjad Khan) in „Sholey“ (Flammen, 1975),52 so dass der Name geradezu zu einem Synonym für einen schlechten Menschen wurde. Singh schuf eine völlig neue und moderne Vorstellung des Bösen mit einer diabolisch-brutalen Ausstrahlung, der aber dennoch genügend Distanz besitzt, um sich notfalls wiederum seinem unkontrollierten Trieb zu widersetzen. Auch seine Kampfuniform anstelle der klassischen Kombination von Hemd und Dhoti verstärkt den Eindruck einer seltsamen Mischung aus feudalen und modernen figürlichen Elementen. Einige Theoretiker behaupten, er stünde für einen verbreiteten Politikertypus – auch Gabbar-Singh-PolitikerTyp genannt –, der die BJP-Ära der späten1990er Jahre vorweggenommen habe. Die großen Filmproduktionen Bollywoods bestätigen fast immer die Fortsetzung des Status quo. Die modernen Filmkostüme wirken darin eher als neue Verpackung. Das Kino verbreitet immer noch nachdrücklich und mit großer Wirkungskraft Vorstellungen von Heldentum, Mut, Modernität, von Konsum und Glamour. Mit den globalisierten Filmen ändert sich diese Vorstellung erst allmählich. Die künstlerischen Autorenfilme hingegen nehmen eher kritische gegenwartsbezogene Standpunkte ein. Diese beiden gegensätzlichen Strömungen im indischen Film unterscheiden sich allerdings weniger in Stil und Technik als vielmehr in Inhalt und Thematik. Mittlerweile haben sich neue Tendenzen entwickelt, die thematisch auch konfliktuelle oder sehr sensible Stoffe aufgreifen. Allen Formen des Unterhaltungsfilms ist jedoch gemeinsam, dass sie nach einem filmischen Ausdruck für die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Modernität suchen. Kostüme können im Film religiöse Bedeutung annehmen wie in Muzzafar Alis „Umrao Jao“ (1981), in dem der Shalwar Kameez – eine Hose mit einem darüber getragenen langen Hemd oder einer Tunika – die Frauen auf ihre 52 Der Currywestern „Sholey“ ist auch der erfolgreichste Bollywood-Film der Kinogeschichte und lief ununterbrochen fünf Jahre lang im indischen Kino. Alle Hauptdarsteller sind in Indien zu wahren Legenden geworden.
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moslemische Kultur verweist. Der Regisseur selbst war am Entwurf der Kostüme beteiligt. Als ich ihn vor einigen Jahren in seiner Wohnung in Delhi besuchte,53 fragte ich ihn, wie er die historischen Kostüme konzipiere. Dies sei eher eine Sache der Inspiration und des Feelings als die einer gründlichen Recherche, antwortete er. Doch diese für mich zunächst enttäuschende Aussage relativierte sich bald, als ich erfuhr, dass er sich mit seiner Frau Meera intensiv mit Mode beschäftigte, ein Modehaus gegründet hatte und zu den großen Namen der indischen Haute Couture zählte.54 Dies darf aber nicht als eine Grundregel in der indischen Filmbranche betrachtet werden, denn im Allgemeinen nehmen sich RegisseurInnen heute einen oder mehrere KostümbildnerInnen zur Assistenz. Die religiöse Thematik kommt als Motiv für ein weiteres beliebtes Genre des indischen Kinos in Frage, das Sozialdrama. So stellt der Film „Bombay“ (1995) von Mani Rathnam die Liebesbeziehung zwischen einem Hindujungen und einer jungen moslemischen Frau dar und berührt dabei die Problematik des religiösen Fundamentalismus im Kontext der multikulturellen, mehrsprachigen, multireligiösen und multiethnischen Wirklichkeit Indiens. In Bollywoodfilme steht jedoch meist der Hinduismus im Vordergrund.55 Die Figuren der Götter – Vishnu, Shiva, Devi, Lakshmi, Sarasvati oder Krishna – können ganz einfach in eine Geschichte integriert werden, da sich das religiöse Leben der Hindus auf die Familie und (inoffiziell) die Kaste konzentriert. Ein kleiner Altar besitzt fast jedes Haus. Und selbst die Bedeutung der Hindu-Tempel im Hinduismus ist keinesfalls vergleichbar mit der Position einer Kirche, einer Synagoge oder einer Moschee. Fast in jedem Bollywoodfilm taucht die Religion auf, als Plot, als Handlungselement, als Neben- oder Spezialeffekt oder als Teil des Dekors oder der Stimmung. Auch die Kostüme betonen die religiöse Komponente immer wieder, sei es, dass eine Frau ihren Schleier einfach über den Kopf legt als religiöser Geste, wie es mehrmals in „Kuch Kuch Hota Hai“ (Irgendetwas passiert) vorkommt: Die Religion liefert den Schlüssel zur Handlung. Die Kostüme gehen ebenfalls auf die Kastenproblematik ein, so beispielsweise die Superproduktion „Lagaan“ (Abb. 58, 2001). Keine andere indische Institution hat im Westen so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie das Kastensystem. „Es ist höchst komplex und wurde häufig falsch interpretiert“.56 Der Begriff selbst rekurriert auf das portugiesische „Casta“ (Farben), und Farben waren tatsächlich eine zentrale Komponente der früheren Kasten-Einteilung. Die Kaste soll den Hindi-Begriffen „Varna“ (Farbe) und „Jati“ (Sanskrit Jâ, erzeugen, gebären) entsprechen, kurz: Bereits die Übersetzung erweist sich als irreführend.57
53 Den Kontakt verdanke ich der Indologin Maren Bellwinkel. 54 Neben Ritu Kumar, J.J. Valaya, Abu Jani, Sandeep Khosla, Manish Malhotra und anderen. 55 Der Begriff Hinduismus ist ursprünglich ein Kunstwort, das von Außenstehenden erfunden wurde, um die Menschen (und ihre Religion) am Indus und östlich des Flusses zu kennzeichnen, die weder Christen noch Moslems waren. Jürgenmeyer/Linkenbach-Fuchs. 2002, 111. 56 Gokulsing/Dissayanake 1998, 53. 57 Vgl. Jürgenmeyer/Linkenbach-Fuchs. 2002, 150; vgl. auch Fuchs 1999, 52-54.
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Abb. 58: „Lagaan“
Im Westen ist vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, das orthodoxe brahmanozentrische Kastenmodell bekannt, wie es die Briten und Wissenschaftler wie Max Weber oder Louis Dumont darstellten.58 Es handelt sich dabei um ein streng hierarchisches Modell, das die hegemoniale Weltvorstellung und vor allem die soziopolitische Herrschaft bestimmter Gruppen legitimiert.59 Dieser Vorstellung einer göttlichen sozialen Ordnung zufolge – sie entstammt der Rigveda – obliegt den Shudras (Bauern oder Handwerkern) die Aufgabe (Dharma), die drei anderen Varnas zu unterstützen. Die Aufgabe der Vaishya besteht im Handel, die Kshatriya sollen das Volk beschützen und den Brahmanen obliegt es, zu lernen und zu lehren. Jedes Individuum besitzt bestimmte substantielle Dispositionen, deren „Substanz“ – „Guna“ – im alltäglichen Handeln zirkuliert und die sozialen Beziehungen bestimmt. Im Mittelpunkt dieses Konzepts stehen Vorstellungen von Reinheit und Unreinheit. Bei der Interaktion einer Person mit „höherrangigeren“ oder „niederrangigeren“ Personen absorbiert diese deren bessere bzw. schlechtere Substanz. Verläuft der soziale Austausch mit gleichrangigen Personen, so bleibt die Reinheit erhalten. Auf diese Weise entsteht eine streng hierarchisierte Ordnung verschiedener Berufsgruppen, eine Hierarchie von Dienern und Herren, Reinen und Unreinen. Damit werden manche Gruppen vom sozialen Verkehr völlig ausgeschlossenen wie die Dalit. Daneben existieren jedoch noch weitere Modelle wie das „Königsmodell“ oder das „Asketenmodell“.60 Dass indische Filme, ja selbst Bollywoodfilme diese moralisch-hierarchische Vorstellung auf direkte oder undirekte Weise thematisch aufgreifen, ist kaum verwunderlich. So wird häufig die „Mischehe“ oder „Blutmischung“ thematisiert. Noch häufiger wird darauf eingegangen, wie sehr sich die Hindi-Gesellschaft im Kastensystem geradezu eingemauert hat und daran zu ersticken droht. Im Film wird dies durch die Auseinandersetzung zwischen traditionellen und modernen Lebensweisen illustriert. Die Probleme werden jedoch, entsprechend der traditionellen Sanskrit-Dramaturgie, immer stilvoll und freundlich geregelt. 58 Vgl. die profunde soziologisch-ethnologische Studie von Martin Fuchs 1999. 59 Vgl. Jürgenmeyer/Linkenbach-Fuchs, ebd., 150-151. 60 Ebd., 150.
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Längst kämpfen die Dalits gegen solche Vorstellungen an. Der Begriff „Unberührbare“ für die niederen Kasten wurde bereits 1951 per Verfassungsdekret abgeschafft, heute wird er als diskriminierend verfolgt. Stattdessen verwendet man in euphemistischer Weise den Begriff „Scheduled Castes“, etwa in der Art, wie bereits Gandhi den Begriff „Harijan“ (Gottes-Volk) eingeführt hatte.61 Die Betroffenen selbst sowie auch sozial engagierte Gruppen nennen sich bewusst „Dalit“ (Ausgebeutete, Gebrochene), was ihrer realen Situation in den meisten Fällen entspricht. Der Umgang mit der zunehmenden Verwestlichung, der Protest gegen arrangierte Ehen, der Angriff auf religiöse Engstirnigkeit und die Unmenschlichkeit der Kastenschranken, die Problematik bei der Behandlung der Hinduwitwen, die patriarchalische Tradition, junge Mädchen mit alten Männern zu verheiraten oder die Forderung nach einem Mitspracherecht für Arbeiter und Angestellte bei betrieblichen Entscheidungen stellen das thematische Repertoire des Films dar, um sich mit der Problematik der Kasten zu befassen. Manchmal wird dafür eine bestimmte historische Situation genommen wie in „Lagaan“. Bei all diesen Themen nimmt die Kleidung eine zentrale Stellung ein, sei es als Ausdruck der hierarchischen Vorstellung und Ordnung oder des Konfliktes, der Ausschließung oder der Affinität. Einige Filme zielen darüber hinaus auch auf schwierige politische Fragen wie „Dil Se“ (Von ganzem Herzen, 1998) von Mani Ratnam oder „Satta“ (2003) von Madhur Bhandarkar „Rang de Besanti“ (Die Farbe Safran, 2006) zeigt, wie weit die Kritik gegen das politische System Indiens gehen kann.62 „Swades“ (2004) zeigt die erschütternde Armut auf dem Lande und in „Water“ (2005) entlarvt Deepa Mehta die Sexualpraktiken der geachteten Brahmanen-Oligarchie. Selbst die Familie als heilige Institution ist in Karan Johars „Kabhi Alvida Naa Kehna“ (Never Say Goodbye, 2006) massiven Angriffen ausgesetzt. Hier spielt Shah Rukh Khan keinen Helden, wie er selbst sagt, sondern er ist „Teil einer dysfunktionalen Familie, die mit ihren Problemen zurechtkommen muss. Das macht vielen Indern Angst“.63 Auch „Amu“ (2004) von Shonali Bose wagt sich an ein Tabuthema heran. In diesem Film lüftet eine junge Inderin aus Los Angeles, die auf den Spuren ihrer Ahnen durch Indien reist, den Schleier des Schweigens, der über dem Massaker an mehr als tausend Sikhs durch den Hindu-Mob ruhte.64 Bereits auf der Ebene der Handlung und der Charakterisierung haben die Kostüme in allen diesen Filmen eine weit zentralere Funktion als in westlichen Filmen.
Indische Kostümwelt Die gute Heldin trägt in Bollywoodfilmen Baumwolle, Seide, Chiffon und Naturfasern, während der Vamp sich in Satin, Samt, Lycra, Nylon oder Kunstfasern kleidet. Auch erscheint letzterer häufig in stark figurbetonter Kleidung mit tiefem Dekolleté, Push-up-BH oder nackten Schultern. Brave 61 Ebd., 103; Fuchs 1999, 168-218. 62 So z.B. setzt er Waffen und Mord als Mittel zur Bekämpfung eines korrupten Regimes und präsentiert die Helden dabei positiv, was in Europa und Nordamerika undenkbar wäre. 63 Interview mit Shah Rukh Khan. In: Süddeutsche Zeitung, 2.11.2006, 18. 64 Das Massaker fand nach der Ermordung Indira Gandhis durch zwei ihrer SikhLeibwächter statt, dieser Mord wiederum war die Folge einer gewaltsamen Aktion gegen den Goldenen Tempel der Sikhs gewesen.
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Mädchen tragen dagegen Jeans und Pulli und die Heldin ist außerdem noch oft in einen Sari oder ein Kostüm gekleidet, die dezent ihre weiblichen Formen erkennen lassen. Blutrote Kleidung ist ein Merkmal des Vamps, ebenso kontrastreiche oder geometrische Muster, während für die Heldin eher Pastellfarben, sanfte Farben oder Blumenmuster als angemessen erscheinen. Auch bei Schmuck und Accessoires gilt für die Heldin, dass „weniger zugleich mehr“ ist. Der Vamp dagegen bevorzugt – meist zu große – auffallende Schmuckstücke und Colliers, so dass automatisch der Eindruck von Talmi-Stücken entsteht. Ähnlich das Make-up: Bad Girls tragen reichlich Make-up in dunklen und kräftigen Farben etwa beim Lippenstift, wilde Frisuren mit viel Haarspray, während für die Heldinnen meist zartes Rosa, dezentes Make-up und nicht zu übertriebene Frisuren gewählt werden.65 Diese grobe Typologie der Kostüme, die Dorothee Wenner und Riyad Vinci Wadia für die Züricher Ausstellung „Das indische Kino und die Schweiz“ 2002 entworfen haben, hat sich im heutigen Bollywoodkino relativiert. Aber nicht darauf werde ich eingehen, sondern versuchen, einen anderen Überblick über die Problematik der Kostüme zu vermitteln. Bollywoodfilme charakterisieren sich zwar durch eine Tendenz hin zu einer stärkeren Vereinfachung indischer Kleidung und zur Verwestlichung der Kostüme, jedoch bewahrt der indische Film im Allgemeinen seine Vielfalt bezüglich der Kleidung. Wenn Männer einen Chorno (eine Art Pyjamahose), eine kurze Kedeyu (Jäckchen) oder einen Angarakhu (Langes tunikaartiges Kleid) tragen mit einem Phento (Turban), und die Frauen in einem Chaniyo (buntes Kleid mit Glaselementen), Choli oder Polku (eine Art Mieder) auftreten, ergänzt durch ein Odhani (langes Schleiertuch), erkennen indische Zuschauer daran unschwer Menschen aus dem Gujarat.66 Ein Lungi (langer Schurz, mehrmals um die Taille gewickelt) mit dem Angavastram um Hals und Schultern bei einem Mann signalisiert, dass wir uns in Karnataka befinden oder dass die Personen aus diesem Bundesstaatstammen. Ein Shalwar Kameez – auch Salwar Kameez – kann auf die religiöse Zugehörigkeit (Moslem) verweisen, er ist inzwischen jedoch ebenso ein Zeichen für die aktuelle Mode der jüngeren urbanen Frauen der gebildeten Mittelschichten. Der Mundu oder das Neryathu etwa (ein weißes Stück Stoff mit goldenem Saum), von Frauen und Männern getragen, prägt bis heute das Straßenbild im südindischen Kerala, selbst im Film. Natürlich sieht die Wirklichkeit viel differenzierter aus. Im nordwestindischen Rajasthan beispielsweise mischen sich westliche Kleidungsstile mit regionalen Stilen. Bei den traditionellen Kleidungsformen Rajasthans tritt eine erste fundamentale Unterscheidung schnell zutage, nämlich die zwischen Hindu- und Moslemfrauen, was eine klare kulturell-religiöse Trennung widerspiegelt. Hindufrauen sieht man häufig mit dem langen Schleier – Odhani oder Odhni –, einem Kancheli (Büstenhalter-Jäckchen), häufig einem Kurti (kurze ärmellose Tunika) oder einem Kanchi (lange lose Tunika) und einer Ghaghra oder Ghagri (Rock) in verschiedenen Formen und mit doppeltem Saum in Kontrastfarben. Moslemfrauen dagegen tragen zum Teil die Burka oder Burga – so in Marwar, Jodhpur, Udaipur, Jaisalmer –, jüngere vor allem den Shalwar Kameez, in engerer Ausführung auch den Churidar, der dem Shal65 Vgl. Wenner/Wadia 2002, 32-35. 66 Siehe Glossar.
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war ähnelt. Anstelle des Kurti ist auch der Abho, ein geschmücktes hemdförmiges Oberkleid, beliebt Auch die Altersunterschiede zwischen Frauen und Mädchen werden in der Kleidung sichtbar. Mädchenkleidung besteht aus Rock und Mieder bzw. Korsage, mit zunehmendem Alter tritt auch der Schleier hinzu. Der gelbgrundige Schleier mit rotem Rand zeigt die Geburt eines Kindes an, wobei in den Farben eine spezifische Fruchtbarkeitssymbolik zum Ausdruck kommt. Bei der Geburt eines Sohnes erhält die Darstellung auf dem Schleier sogar einen eigenen Namen: die Pila, ein gelber Schleier mit einem roten Lotos als zentralem Motiv. Der Schleier kennzeichnet auch – an die Farbe, die Länge, die Art ihm zu binden oder zu tragen – das soziale Umfeld. Unbedeckt dürfen Frauen sich normalerweise nur in ihrem Dorf oder in dessen Nähe bewegen. Die Kastenzugehörigkeit etwa der sozial hochstehenden Rajputen war früher ablesbar am Saum des Rockes oder der Tunika. Diese eindeutigen Merkmale verschwinden mehr und mehr und werden heute nur noch bei manchen „Kasten“ wie den Lothar (Schmiede) oder Raika (Viehzüchter) demonstrativ zur Schau gestellt. Viele verheiratete Frauen tragen weiterhin eine Art Hut mit Spitze, der burgundischen Mode des ausgehenden Mittelalters nicht unähnlich, zusammen mit Schleier oder Tuch. Individuelle Geschmackspräferenzen und Reichtum als Konsummerkmale gewinnen demnach auch bei traditioneller Kleidung zunehmend an Bedeutung. Die Ästhetik ersetzt die soziale Anordnung, erkennbare Muster bestehen aber weiterhin. So tragen Rajputfrauen mit Vorliebe glänzende Stoffe, oft aus Synthetik oder Kunstseide, Malifrauen („Kasten“ der Gärtner) eher großflächige Muster in bunten Farben, meist mit Blumen. Auch Saris werden zunehmend von Frauen der oberen „Kasten“ getragen. Dies war in Rajasthan bis vor Kurzem nicht üblich und bezeugt die Stärke äußerer Einflüsse. Hinzu kommen bestimmte westliche Kleidungsformen, nicht nur bei Jugendlichen. Dies spiegelt vor allem aber die Geschlechtertrennung zwischen der „traditionsgebundenen“ Kleidungswelt der Frauen und der teilweise stark verwestlichten Kleidungsweise des männlichen Teils der Gesellschaft wider. Einfacher formuliert, drückt die Kleidung nach wie vor aus, ob eine Frau ledig oder verheiratet ist, ob sie Kinder hat oder Witwe ist.67 Hinzu kommt eine Vielzahl von Kleidungsstücken aus den verschiedenen Adhivasi-Kulturen der Ureinwohner Indiens. In ihrem höchst instruktiven Buch „Clothing Matters“ beschreibt Emma Tarlo ähnliche und teilweise noch komplexere Kleidungsverhältnisse einer Gujarati-Dorfgemeinschaft.68 Darüber hinaus gibt es um die 1000 verschiedene Turbantypen und -stile in Indien, die den ursprünglichen sozialen Status, die Religion, die Kaste und geografische Herkunft ausdrücken. Jeder Bundesstaat und fast jede Region pflegt eigene Kleidungstraditionen und eine eigene Kleidungskultur. Die eher traditionelle Bekleidungsweise wird mit dem Modernisierungs-Trend ebenso konfrontiert wie mit deren Tendenz zur Vereinheitlichung. Dem Kino kommt bei dieser Entwicklung eine maßgebliche Rolle zu. Sichtbar wird dies an der wachsenden Bedeutung und Beliebtheit des Shalwar Kameez, des Weiteren der Lehangas und der Lehanga-Cholis, der Kashmir-Mode mit der Kashmir-Jacke, der 67 Potia, Benda, Bugatari, Pachewara, Khol oder Dhabla sind weitere Kleidungsstücke der Rajasthani-Kultur. 68 Vgl. Tarlo 1996, 129-167.
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Stola, den Jamawars oder Pashimas. Auch das breite Spektrum der Saris und Dupattas wird auf wenige Muster vereinfacht, vor allem auf die sogenannten Hivi-Saris. Hindi-Filme sind wichtig für die Verbreitung von modischen Saris in den Hindi-Communities der Diaspora. Das Unterhaltungskino ist bei der Kleidungsfrage sicher nicht allmächtig –, kulturelle Bilder oder Kleidungsbilder werden nicht automatisch übernommen – aber es hat doch einen unübersehbaren Einfluss. Der Trend zur Verwestlichung existiert in Indien seit der Kolonialzeit und hat sich seit der Ära Rajiv Gandhis, der sich wirtschaftspolitisch massiv für eine Liberalisierung eingesetzt hatte, vor allem bei den Mittelschichten verstärkt. Diese Mittelschichten geben sich heute modern und pan-indisch zugleich. Dennoch gelten nach wie vor „westliche“ Kleidungsformen eher als eine zusätzliche Möglichkeit, sich zu kleiden und erheben gleichzeitig den Anspruch auf Modernität. Schließlich steht der Unterhaltungsfilm für die Vermischung der Genres und für eine gewisse Nivellierung der Kleidungswelt. Was Kleidungsgewohnheiten, -formen oder -farben betrifft, sollte man freilich die Verwestlichung im Moment nicht überbewerten. Bei den Jugendlichen der Mittelschichten ist der Trend zu westlicher Mode zwar unverkennbar vorhanden, aber er tritt nicht allein auf. Auf die westlichen ZuschauerInnen üben sowohl „Make-up“-Elemente – der farbige Punkt, „Tika“, auf der Stirn, die Hautbemalungen – als auch der üppige Schmuck eine große Faszination aus. In Indien, so eine dort lebende Französin, können es sich Frauen noch leisten, zu bestimmten Anlässen overdressed zu erscheinen, was die eher an puristische Mode gewöhnten Westler immer wieder an die orientalische Märchenwelt erinnert. Das westliche Publikum belächelt gerne das Happy-End in indischen Filmen und verwechselt dabei Eskapismus mit Kitsch. Bharat Muni, der große weise Lehrer der neun Vedas, sagte, dass die Dramaturgie eine „Darstellung der verschiedenen Gefühle sein sollte, die den ZuschauerInnen Mut, Unterhaltung und Glück wie auch Rat geben sollte“. Dabei sollte auch, in Übereinstimmung mit der religiösen Lebensauffassung, die Geschichte nicht mit dem Tod oder der Niederlage des Helden enden.69 Dies steht in krassem Gegensatz zur westlichen Tradition, die sich aus den Tragödien des griechischen Theaters und Aristoteles’ Poetik speist. Die Medialität der Körper und der Kostüme begründet im indischen Unterhaltungsfilm vor allem die Rhetorik des Affekts. Ästhetisch betrachtet war der Hindi-Film nie von einem derartigen Pathos erfüllt wie heute. Ähnlich wie im Westen scheinen allerdings viele Regisseure – Regisseurinnen wie Mira Nair oder Deepa Mehta sind immer noch eine Seltenheit – Ästhetik mit reiner Technik, dem sogenannten „Eye Candy“-Syndrom, zu verwechseln. Als historische Figur zieht in diesem Kino der Gefühle besonders die Kurtisane Aufmerksamkeit auf sich wie in „Devdas“ (2001). Für diese Verfilmung wurden Schmuck und Kostüme besonders prachtvoll entworfen und inszeniert, nicht zuletzt die der Prostituierten Chandramukhi (Madhuri Dixit). Die Figur der Kurtisane kann als eine der widersprüchlichsten Figuren des indischen Films bezeichnet werden, sie sprengt und überschreitet das Rollen69 Raina 1986, 30.
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spektrum der Prostituierten oder der höfischen Kurtisane im westlichen Film. In ihr spiegelt sich das kulturell „Unbewusste“, das Unsichtbare und Unausgesprochene Indiens, von daher stammt auch die Bezeichnung „Devdas Syndrom“.70 Die Kurtisane übernimmt im Film fast alle traditionellen Frauenrollen: Sie ist die Tänzerin, die Prostituierte mit goldenem Herz, sie erscheint als Krishnas Protegé oder als göttliche Figur, als Schwester und schließlich als perfide, gnadenlose Intrigantin, auch als Mutti für jede Gelegenheit, als Opfer sowie als Schönheitsideal tritt sie auf. Ihre Kleidung passt sich stets der jeweiligen Situation an. Entweder spielt sie mit den Männern und gewinnt eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit – oder sie wird als Spielzeug benutzt und steht als Galionsfigur, ja als Symbol für Begierde, Erotik, Sinnlichkeit, kurz: Für die „andere“ Frau – eine ambivalente Ikone zwischen Legitimität und Illegalität. Zusammen mit dem Vamp oder der bösen Schwieger- bzw. Stiefmutter verkörpert sie Figuren, die die soziopolitische wie moralische Maskerade der indischen Gesellschaft aufdecken. Entsprechend existieren bisher 14 verschiedene Filmfassungen von „Devdas“ nach dem Roman des bengalischen Schriftstellers Sarat Chandra Chattopadhyay, der damit eine Anklage gegen die patriarchalische Sozialordnung verfasste. Eine beliebte Variante des Genres ist die psychische oder soziale Veränderung der Kurtisane, was sich in der Veränderung ihrer Kleidung filmisch artikuliert. Geld und Kostüme verwendet der Film häufig als sexuelle Metapher für Abhängigkeit oder Unabhängigkeit. Die Kurtisane bewegt sich als eine Figur der Widersprüche zwischen Modernität – im Bollywoodfilm zumeist allerdings als volkswirtschaftliches Konstrukt verstanden – und kulturellen und religiösen Traditionen. So gibt sich zwar ein großer Teil der indischen Mittelschichten nach außen hin modern, bleibt bei genauerer Betrachtung innerlich jedoch zutiefst traditionellen Familien- und Ordnungsvorstellungen verhaftet, oft ergänzt durch eine pan-indische Orientierung.71 Wenngleich die Prostitution und die Tradition der „Devadasis“ als religiöse Prostitution im alten Indien Ansehen genoss und etabliert war, so bleibt dies ohne Auswirkung auf die Stellung der Frau und die Starrheit traditioneller Frauenbilder. Im Film balancieren Frauenrollen zumeist zwischen Unterwerfung und Rebellion. Die konservativ-faschistoiden 1990er Jahre – die Zeit der BJP-Regierung – haben erneut Werte wie Selbstaufopferung und Unterwerfung propagiert. Daher kann man zu Recht behaupten, dass sich im indischen Kino auch die Obsessionen der eigenen Gesellschaft widerspiegeln, allerdings nicht mehr als im amerikanischen oder europäischen Kino. Die Kamera agiert z.B. in der Art und Weise, wie sie den Frauenkörper stilisiert und voyeuristisch fragmentiert, als Instrument der Pathologie, das Spiegelbilder erzeugt. Daher zeigt auch Ketan Mahtas „Mich Marsala“ (1989), das als „alternatives Kino“ gilt, kaum fragmentierte Körper oder Kontrapunkte. Es geht nicht darum, die Fragmentierung grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern vielmehr um die Frage, zu welchem Zweck, in welcher Perspektive und für welche Art von Bild sie eingesetzt wird. Wie auch der amerikanische Film verzichtet das kommerzielle indische Kino à la Bollywood auf allzu markante lokale Einfärbungen, weil die Produktionen ein großes Publikum erreichen sollen – auch außerhalb Indiens. 70 Thoraval 2000, 31. 71 Vgl. Varna 1998, 123-169.
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Bollywood stellt ebenso wie Hollywood eine Kinofestung dar, gewissermaßen eine „Gegenzitadelle zu Hollywood“, so die Filmemacherin Safina Uberoi, und will jetzt die Welt erobern. Eine erste Großinitiative bzw. ein Promotionstour für den indischen Film startete im März 2005, als Bollywood seine bekanntesten SchauspielerInnen – Shah Rukh Khan, Preity Zinta und Co. – um die Welt bis nach Hamburg und Dortmund aussandte. Parallel zum Hindi-Film existieren weitere Filmkulturen wie die Telegu-Filme aus Hyderabad, Bengali-Filme, Kannada-Filme aus Karnataka, Malayam-Filme aus Kerala, Tamil-Filme oder Marathi-Filme aus Maharashtra, die nicht nur eine eigene Sprache, sondern auch häufig eigene Stilprägungen vorweisen können. Das Bengali-Kino kann einige der bekanntesten Regisseure des (nichtkommerziellen) indischen Kinos für sich in Anspruch nehmen, allen voran die drei Giganten des indischen Kinos Satyajit Ray, Ritwik Ghatak und Mrinal Sen. Ebenso beweist heute das Telegu-Kino mit Filmen wie „Murari“ (2002) von Krishna Vasmi, dass es nicht bei Bollywood abkupfern muss. Auch der Tamil-Film – wegen seiner in Kodambakkam ansässigen Filmindustrie, einer Ortschaft bei Chennai, folgerichtig Kollywood genannt – kommt ohne Bollywood als Vorbild aus. Die Situation ist sogar eher umgekehrt, da Bollywood nach erfolgreichen Tamil-Filmen häufig Remakes dreht. Die forcierte Liberalisierung und die späte Anerkennung der Filmbranche als Industriezweig – ein Privatbereich unter anderen also72 – durch den Staat hat dazu geführt, dass sich seit Mitte der 1990er Jahre die Anzahl unabhängiger Produktionen, Filmstudios, Produzenten und Kunstfilme drastisch verringert hat, weil sie keine Unterstützung mehr bekommen. Es gibt heute kaum noch staatliche Förderungsmöglichkeiten und -mitteln für unabhängige Filme, außer vielleicht noch in Bengalen und in Kerala. Selbst Doordarshan, das staatliche Fernsehen, das sich früher an zahlreichen unabhängigen Produktionen beteiligte und bekannte Namen der Filmwelt unterstützte, hat sein Budget drastisch verkleinert.
Kostüme und Rituale Die Kennzeichnung der Rituale durch Kostüme stellt keine Eigentümlichkeit des indischen Kinos dar, sondern betrifft das Kino insgesamt. Bleiben wir aber noch kurz beim indischen Film und nehmen wir als illustratives Beispiel eine Hochzeitsszene. Die Hochzeitsszene ist eines der beliebtesten Motive Bollywoods, unter anderem auch deshalb, weil sie ein in allen Kulturen anzutreffendes kulturelles Übergangsritual darstellt. Im indischen Film nimmt die Hochzeit jedoch eine besondere Stellung ein, weil sie die Widersprüche zwischen Tradition und Moderne beinhaltet und abbildet. Die „Dialektik der Verwandtschaft“, die solche festlichen Rituale bestimmt, gestaltet auch die Kleidungswelt. In der indischen Kultur ist nach wie vor die arranged marriage üblich, eine im Interesse des Clans von den Familien der Brautleute arrangierte Heirat. Dies spiegelt sich auch in den indischen Filmen wider, in denen die 72 Zuvor hatte der kommerzielle Film keinen richtigen Status, daher entwickelte sich seine mafiotische Finanzstruktur. Nur das Kunstkino genoss einen stabilen Status und wurde entsprechend finanziert. Heute muss der Kunstfilm, wie auch das kommerzielle Kino, sich die Gelder selbst besorgen.
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Hochzeit das Ergebnis harter und langwieriger Verhandlungen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen darstellt. Dabei kommen die vielen Bedeutungen des Hochzeitsrituals zum Ausdruck, die lebendige, fröhliche Kommunikation ebenso wie die symbolischen, streng formalisierten sakralen Handlungen. Entsprechend veranschaulichen Körpersprache und Kostüme die gemeinschaftlichen wie die persönlichen Bereiche. Aber ebenso betonen sie diskret die kulturellen Grenzziehungen zwischen sozialen, religiösen, wirtschaftlichen und insbesondere geschlechtsspezifischen Feldern. Körper und Kleidung verweisen jeweils auf Rollendefinitionen, die – je nachdem – Personen einschließen oder ausschließen. Während der Hochzeitszeremonie verweisen der Wechsel von Kleidung, bestimmte Kleidungsstücke, Schmuck und Bemalung sowie symbolische Worte oder Gesten auf die geschlechtsspezifischen Rollen in der Gesellschaft und die ihnen zukommenden Rechte und Privilegien. Die Rollen von Braut und Bräutigam sind genauestens festgelegt. Von daher erklären sich auch die Tränen der Braut und ihre Familie im Film „Hum Aapke Hain Koun“ (Was bin ich für Dich? 1994), denn für sie stellt die Hochzeit einen drastischeren Wendepunkt dar als für den Bräutigam. Sie wechselt mit der Hochzeit in die Familie des Bräutigams, denn nach indischer Tradition gehören die Söhne dauerhaft zur Herkunftsfamilie. Die Braut gehört mit der Heirat zwar zu seiner Familie, aber sie verharrt – zumindest traditionell – im Status der Unterordnung unter den Mann und vor allem unter die Schwiegermutter, der gegenüber sie zu absolutem Gehorsam verpflichtet ist. In der Regel werden hohe Brautpreise bezahlt, was die Erwartungen an die Braut noch erhöht und diese belastet, was in der Realität teilweise tödliche Folgen haben kann. Denn die Mitgift stachelt zunehmend – vor allem bei den städtischen Mittelschichten – die Konsumwünsche des Bräutigams oder seiner Familie an und gibt zu zahlreichen Mitgiftmorden Anlass, die in der Regel als Unfälle getarnt werden. Den Rekord hält die Hauptstadt Delhi. Mitgiftmorde haben derart zugenommen, dass die indische Regierung strenge Gesetze zur Ahndung und Bestrafung dieses Verbrechens erlassen hat und beim bloßen Verdacht auf einen Mitgiftmord die gesamte (Täter-)Familie zur Rechenschaft zieht. Dies rückt Hochzeiten nicht nur in ein prekäres Licht, sondern erklärt auch ihre häufig ambivalente Darstellung im Film. Die Hochzeit stellt daher einen Wendepunkt dar, nicht nur im Film, den Schlussstrich unter die Jugend- und Adoleszenzphase, der den Abschied von der einen und den Wechsel in eine andere Gruppe signalisiert und der zugleich die Loslösung aus früheren Bindungen vorbereitet. Die Reihe ritueller Gesten bei der Hochzeitszeremonie – um bei „Hum Aapke hain Koun“ zu bleiben – vom Kreisen mit den Tellern bis hin zum Reiswerfen – markieren für die Braut den Endpunkt der Vorbereitung und den Übergang aus der Abhängigkeit von ihrer Herkunftsfamilie in die Abhängigkeit von der Familie des Mannes, was gleichbedeutend ist mit radikaler Unterwerfung. Hier trifft der Film die Realität. Für die Frau transformiert die Hochzeit also die Ungleichheit der Geschlechterdifferenz in eine Ungleichheit als Herrschaftsform. So genannte indische Mainstream-Filme stellen diese Machtbeziehung zwischen den Geschlechtern selten in Frage, auch wenn offiziell die zivilstaatliche Gleichberechtigung der Ehepartner längst institutionalisiert ist. Die Träger des Rituals im Film wie in der Wirklichkeit sind die Familie und die Verwandtschaft, nicht zuletzt auch der Staat, die Insti-
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tutionen und die Religion. Die Hochzeit bildet also ein Schlüsselritual von starker emotionaler Prägung. Entsprechend prunkvoll fällt die Inszenierung aus, entsprechend groß ist der Aufwand, wobei die Kleidung eine zentrale Stellung einnimmt. Reich geschmückte Hochzeitssaris aus Seide mit üppigen Stickereien von überwältigender Farbigkeit werden ergänzt durch reichen Gold- und Edelsteinschmuck, Kopfbedeckungen und aufwendiges Make-up bis hin zu den Bindis. Die Hochzeit ist einer der seltenen Momente, bei denen selbst moderne Filme nicht auf traditionelle Erscheinungsbilder verzichten wie beispielsweise „Kuch Kuch Hota Hai“. Der Ablauf des komplizierten Rituals ist filmisch nicht einfach zu vermitteln. Die Kamera bemüht sich in vielen Hochzeitsszenen daher um eine visuelle Vereinfachung, indem sie sich nur auf die Schlüsselmomente konzentriert und durch Nah- oder Großaufnahmen Blicke, Gesten, Körpersprache und Kleidungsdetails pointiert. Auf diese Weise werden durch Objekte oder Körpersprache Beziehungen verständlich gemacht und symbolische Bedeutungen aufgedeckt, wie es die Szene mit den Schuhen, die im Haus versteckt und überall gesucht werden, in „Hum Aapke Hain Koun “ illustriert. Kostüme und Gegenstände machen die Ordnungsprinzipien sichtbar, präzisieren die Handlungssequenzen und choreografieren die Zeremonie. Im Gegensatz zum realen Leben werden jedoch die Machtprozesse nicht verdeckt oder tabuisiert, sondern bis zu einem bestimmten Punkt zur Sprache gebracht. Interessant ist dabei zu beobachten, dass die traditionelle Kodifizierung der Farben – wie sie für die Wiedergabe der Rasas in den bildenden Künsten gedacht wird73 – in vielen Filmen teilweise noch respektiert wird, wobei Bollywood sonst recht freizügig damit umgeht und gerne in leuchtenden Farben schwelgt. Die Hochzeitszeremonie und die Festlichkeiten ziehen sich bei den Mittelschichten gewöhnlich über drei Tage hin, wobei der Begriff Mittelschichten in Indien durchaus auch die Oberschicht einschließen kann. Die selbst proklamierte Integration der Upper-Class in die Mittelschichten ist eine Folge der populistischen Politik Indira Gandhis und wurde damals sofort in den Filmen umgesetzt. Wirft man einen Blick auf Hochzeitsrituale in arabischen Filmen, wäre eine ähnliche Auseinandersetzung erforderlich, und die Problematik ließe sich mit Einschränkungen durchaus übertragen. Dabei stoßen wir auf noch größere Probleme als in Indien, da der Begriff „arabisch“ nicht viel besagt. Die Liga der Arabischen Staaten umfasst 22 verschiedene Länder, die zwar einige Gemeinsamkeiten, vor allem jedoch völlig unterschiedliche kulturelle Entwicklungen, viele Stimmen und völlig unterschiedliche ästhetische Ziele und Orientierungen aufweisen. Daher zeigen sie auch ganz unterschiedliche filmische Richtungen und entsprechend vielfältig ist die „Sprache“ der Kostüme darin. Welten trennen die Kleidungssprache von „Al-Tauq wa-I-iswara“ (Kette und Armreif, 1984) und „Keid Ensa“ (Die List der Frauen, 1999). In letzterem nimmt sich bereits das Rätsel, das der Prinz (Rachid El Quali) der 73 Wenn auch nach Vorstellungen, die in Mumbay gelten, da diese Kodifizierung sich von Region zu Region ändern kann. So steht Grün für Sringara, Rot für Rudra, Blau für Bibhatsa, Goldgelb für Veera, Weiß für Hasya, Schwarz für Bhaya, Grau für Karuna und Gelb für Abdhuta. Die indische Farbsymbolik unterscheidet sich grundlegend von der Farbsymbolik der abendländischen Kunst.
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Tochter des Tuchhändlers (Samira Akariou) stellt, wie ein Initiationsritual aus.74 Diese antwortet prompt mit einer Gegenfrage. Die historischen Kostüme stehen hier nicht nur an der Schnittstelle zahlreicher kleiner Handlungen, sondern sie sind Teil der subtilen Grammatik des Films, und zwar auf allen Ebenen, egal ob psychologisch, kulturell oder genderspezifisch (Abb. 59). Die marokkanische Regisseurin Farida Benylazid schuf mit „Keid Ensa“ ein erstaunlich optimistisches Frauenporträt in einem farbenfrohen, opulenten und feinsinnigen Film. Vorlage war ein literarisches Märchen, das im gesamten Mittelmeerraum in verschiedenen Versionen bekannt ist und in dem die Überlegenheit der List der Frauen gegenüber männlichen Herrschafts- und Besitzansprüchen deutlich wird. Der Film ist ein Loblied auf die Sinnlichkeit und die Fantasie. Selbst der Schleier wird, ganz im Sinne der Islam-Interpretationen von Fatima Mernissi75, völlig umgedeutet in ein Mittel, das den heimlichen Blick erlaubt. Abb. 59: „Die List der Frauen“
Für westliche ZuschauerInnen wirken dagegen chinesische Filme vertrauter. In Filmen wie „Lebewohl meine Konkubine“ (1993) oder „Die rote Laterne“ (1991) markieren Kostüme – wenn es sich um Verfilmungen historischer Romane handelt – bis ins kleinste Detail hinein die zahlreichen Rituale im Alltagsleben der Frauen, die das Haus ihres Ehemannes weder verlassen dürfen noch können. Chen Kaige und Zhang Yimou, die Regisseure dieser Filme, gehören zur sogenannten „fünften Generation“ chinesischer Filmemacher des kurzen „chinesischen Frühlings“ und die Anfang der 1990er mehr und mehr zum Schweigen gebracht wurden, einige von ihnen emigrierten letztlich. Der historische Hintergrund vieler dieser Filme – so auch „Leben“ (1994) – drückt den Wunsch aus, die eigene Vergangenheit wiederzuentdecken. Die heutige Nachwuchsgeneration, die mit den Zwängen der Zensur vertraut ist und sich der kulturellen chinesischen Tradition – Oper und Gesang, Mimik, Theater, Marionetten – nicht mehr verpflichtet fühlt, produziert kleine unabhängige, aber gegenwartsorientierte Filme wie „Beijing Bicycle“ (2001) von Wang Xiaihuai.
74 Hier dient das Rätsel letztlich als Mittel zur sozialen und kulturellen „Entschlüsselung“ des Genders. 75 Fatima Mernissi ist Soziologin, lehrt an der Universität Rabat und ist Autorin zahlreicher Bücher über die Rolle der Frau im Islam.
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In vielen Ländern Afrikas steht dagegen die Auseinandersetzung zwischen „Tradition“ und „Moderne“ im Mittelpunkt zahlreicher Filme, selbst wenn die Geschichten ganz in der Gegenwart spielen. So haben sogar in „TGV“ (1997) von Moussa Touré magische und rituelle Handlungen aus der alten Zeit eine wichtige Funktion, obwohl die Geschichte ganz in der Gegenwart spielt. Mit dem französischen Hochgeschwindigkeitszug (Train à Grande Vitesse) hat Rambos (Oumar Diop Makena) kleiner heruntergekommener Reisebus, der zwischen Dakar und Guinea verkehrt, nur den Spitznamen gemeinsam sowie den Umstand, dass er trotz aller Widerstände stets sein Ziel erreicht. Als der Ethnologe Roger (Bernard Giraudeau) mit seinem Hut à la Indiana Jones, runder Brille, offenem Hemd und unrasiert und seine Frau in den Bus steigen, finden sich nur wenige Mitreisende ein: Dembo, Rambos etwas ausgeflippter Assistent, ein abservierter Finanzminister samt Gattin, zwei Wunderheiler, ein Bräutigam mit seiner fünften (zukünftigen) Frau, was zu einer kunterbunten Kleidungsmischung führt. Die Kostüme kleiden die Geschichte ein, sagt der Kostümbildner Kandioura Coulibaly aus Mali: „Der Kostümbildner greift einen Teil des Traums des Regisseurs auf und hilft ihm, ihn auf die Leinwand zu bannen. Unsere Filme stellen die malische Kultur dar, unsere Kleidung, unsere Lebensart und auch unsere Macken. Alle afrikanischen Geschichten sprechen von Männern und Frauen, von Gegenständen und Symbolen, von Worten und Wahrheiten aus anderswo, aus der Vergangenheit. Die Farbe der Erde, die Form der Häuser und das Licht in der Nacht waren anders als heute. Das afrikanische Kino erzählt es uns. Die Kostüme wirken darin wie die Beleuchtung und der Ton. Mehr als das, sie sind die zweite schweigsame Stimme, die die gleiche Geschichte wie die der Bilder erzählen und die Personen dieser Geschichte charakterisieren“.76 Die Kostüme bieten daher einen Schlüssel zum Verständnis des Films und der Kultur, vorausgesetzt, wir sind fähig, aufmerksam und neugierig wahrzunehmen, was sich außerhalb unseres Horizonts ereignet. Selbstverständlich steckt auch das „westliche“ Kino voller Rituale oder ritueller Handlungen. Diese Rituale können psychologischer, sozialer, magischer religiöser oder politischer Art sein, ganz gleich, ob es sich um alltägliche Mikrorituale oder um ein Makroritual innerhalb einer mächtigen rituellen Maschinerie handelt – man denke nur an die strenge Ritualisierung des Tagesablaufes durch die Kleidung in den Oberschichten Anfang des 20. Jahrhunderts mit ihren Haus-, Nachmittags- und Abendkleidern. Die Form war und bleibt hier zugleich der Inhalt. Auch in den westlichen Kulturen nimmt die Kleidung in der Hochzeitszeremonie, sei sie einfach oder aufwendig inszeniert, eine wichtige Funktion ein. Eine vergleichbare Stellung hat Kleidung auch in Trauerphasen. Ob es um das Anlegen einer Militäruniform, eine offizielle Preisverleihung, eine Parade oder einen Trauerzug geht, stets rücken im Film die Kostüme ins Zentrum der rituellen Inszenierung. Mehr noch, bei Übergangsritualen, die sich mit Identität und sozialem Kontext befassen, spiegelt sich in der Ästhetik der Kleidung die Schwelle des Überschreitens wider, wie es beispielsweise Lederjacke, Gürtel und Stiefel für die Halbstarken der 1950er Jahre signalisierten oder die Baseballkappe bei Jugendgruppen der 1990er Jahre. 76 Coulibaly 1999, 31.
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Nur allzu gern übernimmt der Film diese Ansprüche auf Exklusivität, weil diese seinem Bedürfnis nach neuer Stilisierung und Kategorisierung entgegenkommen. Eine Gruppe bildet sich häufig über körpersprachliche, sprachliche und kleidungssprachliche Ausdrücke, also mittels Ritualformen, die, so Bourdieu, wesentlich unbewusst bleiben.77 Performative Prozesse mit Kleidern symbolisieren daher stets auch Strategien der Anerkennung und Legitimierung. Im Film wird dieser Wunsch nach Anerkennung noch drastischer formuliert und vor allem mittels der Kleidung akzentuiert, man denke nur an James Dean. Diese Beziehung von Kontext und Kleidungssymbolik trifft auch für andere Bereiche zu, etwa für berufliche Milieus und ihre filmische Schilderung. Beispielhaft illustriert dies Billy Wilders Komödie „Das Appartement“ (1960), in dem die Kostüme und insbesondere die Krawatte als männliches Kleidungsstück par excellence die hierarchischen Ebenen mit ihren Privilegien kennzeichnen. Jeder rituelle Raum ist ein Raum der Identität. Die Spannung der Alterität durchdringt jede rituelle Handlungsweise, sei sie religiös oder performativ orientiert. Der Kleidung kommt jeweils die Aufgabe zu, die Handlung sorgfältig zu definieren, sei es das Trauerritual , das Ritual der Inthronisation oder Inauguration mit den dazugehörigen imperialen Gesten oder seien es expressive Männlichkeitsrituale in ihrer ausgefeilten Ordnung wie in Kubricks „Full Metal Jacket“ (1987). Geschlechterrituale bilden zumeist das Hauptthema des Kleidungsplots. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob der Film nicht selbst eine rituelle Handlung herausbildet, weil er versucht, die Zuschauer auf eine fantasmagorische Reise mitzunehmen. Was auf formaler Ebene das Ritual mit dem Film verbindet, ist die Inszenierung der verschiedenen Handlungssequenzen. Denn nicht die Inszenierung macht das Ritual, und das Ritual allein bringt noch keine Inszenierung hervor, sondern es entsteht erst in der Wechselbeziehung zwischen beiden und bildet so eine Konstante der Modernität. So haben wir es einerseits mit einer Theatralisierung der Rituale zu tun, anderseits finden wir eine Ritualisierung des Spektakels vor. Ein letztes eindrucksvolles Beispiel für die vielfältigen Bedeutungsschattierungen der Kostüme im Film liefert das Ritual des Essens. Szenen, in denen Mahlzeiten im Mittelpunkt stehen, ziehen sich durch die gesamte Filmgeschichte. Dieses Motiv zeigt sich in allen Epochen, auf allen Kontinenten und sämtlichen sozialen Welten, egal, ob direkt bei Tisch oder hinter den Kulissen, in der Küche. Bei großen Empfängen wird das Küchenpersonal an seiner Arbeitskleidung erkennbar, die ebenfalls die Hierarchie zwischen dem Dienstpersonal zum Ausdruck bringt. Auf diese Weise nehmen die ZuschauerInnen ebenso viel Symbolik auf wie die Filmfiguren Nahrungsmittel zu sich nehmen. Gerade um das Essen herum erfindet z.B. Jean-Paul Gaultier in Peter Greenaways „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ (1989) eine neue filmische Kostüm-„Sprache“. Die Frauenschürze erhält bei diesen Ritualen geradezu Symbolcharakter, denn so dauerhaft ihre Gebrauchsgeschichte, so dauerhaft auch ihr Klischeecharakter. Die Schürze von Babette (Stephane Audran) bei der Vorbereitung
77 Vgl. Bourdieu 1980, 179-182.
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ihres festlichen Mahls entzieht sich dennoch auf magische Weise dieser starren, überlieferten Symbolik (Abb. 60). Sie vertritt nicht mehr die Frau vor dem Herd, sondern ist das Markenzeichen einer heimlichen Künstlerin. Ihre hochgeschlossene, asketisch dunkle Kleidung passt sich an die der anderen Bewohnerinnen des kleinen jütländischen Fischerdorfes an, wo sie 1871 Zuflucht gefunden hat. Voll Feingefühl beschreibt der Film den Alltag der protestantischen Dörfler, ohne in eine Karikatur pietistischer Frömmigkeit zu verfallen. Abb. 60: „Babettes Fest“
Die Kleidung Babettes sagt nichts aus über ihre Vergangenheit, erst nach und nach erfährt man winzige Details wie die Geschichte der Erschießung ihrer Familie während der Pariser Kommune. Die Dorfbewohner kennen nur die fröhliche, entschlossene und gleichzeitig auch zurückhaltende und bescheidene Frau mit einem starken Innenleben. Erst gegen Ende des Films „Babettes Fest“ (1987) erfährt man, dass „der beste Koch von Paris ein Frau war“, wie der anwesende General ganz nebenbei verrät. Und es ist klar, dass Babette diese Frau war. Entsprechend gerät Babettes Festmahl für die Einwohner der kleinen Dorfgemeinschaft zu einer sinnlichen Hymne an die Freude und Großzügigkeit. Der Regisseur Gabriel Axel geht hier weit über die Romanvorlage von Tania Blixen hinaus. Die Schürze versinnbildlicht hier das hohe Lied auf das Leben: Ein „Leben ohne zu rechnen“, wie im Film, war auch eine Parole und eine Botschaft der Pariser Kommune.
DESIGNERMODE UND FILM: EINE BEWEGTE BEZIEHUNG Bei der Begegnung von Mode und Film handelt es sich um die Begegnung der beiden bedeutendsten Ikonen des 20. Jahrhunderts. Dabei stellt sich die Frage, wer wen beeinflusst hat. Bereits 1923 ist der Pariser Couturier Paul Poiret an dem Hollywoodfilm „The Enemy of Women“ beteiligt. Seit 1912 arbeitete Poiret schon für französische Produktionen. So entwirft er die Kostüme für Sarah Bernhardt in „Die Königin Elisabeth“ (1912) und für Filme wie „Odette“ (1916) oder „Das Geheimnis der Rosette Lambert“ (1920). Viel später wird er auch mit den Filmregisseuren Marcel L’Herbier und René Clair kooperieren. Jean Patou seinerseits entwirft den gesamten Look für Louise Brooks in „Die Büchse der Pandora“ (1928) von G.W. Pabst, auch wenn ihr Bubikopf lange zuvor schon bekannt war. Zu dieser Zeit beherrschen die SchauspielerInnen die Filmbranche. Selbst wenn sie in den ersten Jahrzehnten des Films nicht offiziell angestellt sind oder Anerkennung genießen, werden Kostümbildner zu den Filmdreharbeiten herangezogen. Aus damaliger Zeit sind einige Namen bis heute bekannt wie der von Ben Carre, vermutlich einer der ersten offiziell registrierten Bühnen- und Kostümbildner. Die Paramount-Filmstudios erkennen sehr früh die Notwendigkeit, Fachleute für den Entwurf der Filmkostüme zu engagieren, daher stellt die Firma z.B. Paul Iribe an. Vermutlich ist die Bezeichnung „Costume Designer“ in der Filmbranche auf ihn zurückzuführen. Er entwirft die Kostüme und den Dekor für „Die Zehn Gebote“ (1925) von Cecil B. DeMille und arbeitet sogar selbst als Regisseur, bevor er 1927 nach einem Streit mit DeMille während der Dreharbeiten zu „Der König der Könige“ die USA verlässt. Ebenso haben George Barbier und vor allem Erté zahlreiche Stars für Filme eingekleidet, angefangen von Greta Garbo bis Joan Crawford.1 Erté, eigentlich Romain de Tirtoff, arbeitet ab 1915 regelmäßig für Harpers Bazaar, ab 1920 entwarf er die Kostüme der Chicago Opera Company und für einige Filme. Sogar der Besitzer von Harpers Bazaar persönlich, nebenbei auch Eigentümer der Cosmopolitan Film Company, der megalomane Presseboss William Randolf Hearst, engagierte Erté, um seine Lebensgefährtin, die Schauspielerin Marion Davis, für den Film „Bal des Arts“ (1919) einkleiden zu lassen. Auch sollte er die persönliche Garderobe der lebenslustigen, strahlenden junge Frau, die später unfreiwillig durch Orson Welles berühmt wurde, entwerfen.2 Erté entwirft außerdem die Kostüme für die beiden Revuen „Ziegfeld Follies“ (1924) und „George White’s Scandals“ (1925), bevor er einen Vertrag bei Metro-Goldwyn-Mayer unterschreibt. Nach einem Streit mit der Schauspielerin Lilian Gishbe bei den Dreharbeiten zu „La Boheme“(1926) 1 2
Vgl. Delpierre 1988, 39-51; Leese 1967, 43; Gaines 1998, 213-218. Vgl. Erté 1975. Vgl. auch Orson Welles. Filmdokumentar 1992.
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von King Vidor zieht er einen definitiven Schlussstrich und verlässt Hollywood. Dies ist vermutlich der Grund dafür, warum sein Name vom Abspann der Superproduktion „Ben Hur“ (1925), für die er zusammen mit Herman J. Kaufmann und Carmel Myers die Kostüme entwarf, „Dance Madness“ (1926) und „Paris“ (1926) verschwand und heute für diese Produktionen als „uncredited“ in den Archiven erscheint.3 Es gibt verschiedene Wege, auf denen sich Kino und Mode begegnen. Der Hausvogteiplatz in Berlin war um die Jahrhundertwende bis Ende der 1920er Jahre eines der größten Konfektionszentren der Welt.4 Was Ernst Lubitsch dort als Kommis in der Damenkonfektion gelernt hatte, wendete er später in vielen seiner Filme an. Er gehört zu den wenigen Regisseuren mit einem sechsten Sinn für Stoffe und Mode. Bereits in „Sumurun“ (1920), wo die Stoffballen ein besonderes atmosphärisches Gestaltungselement des Films ausmachen, spürt dies der Zuschauer. Am berühmtesten wurde jedoch jene Szene aus „Ninotschka“ (1939), in der Greta Garbo als stalinistische Agentin beim Anblick des Schaufensters eines Pariser Modegeschäfts weich wird. Ob Coco Chanel, Alix, Jeanne Lanvin, Elsa Schiaparelli, Lucien Lelong, Maggy Rouff, Paquin, Carven, Jacques Fath, Jean Patou, Nina Ricci, Hartnell oder Hubert de Givenchy: Alle ModeschöpferInnen und ModedesignerInnen, die in Hollywood tätig sind, arbeiten in der Zeit des Studiosystems direkt oder indirekt als Imagehandwerker der Stars.5 Dies gilt ebenso für Europa, wo Modeschöpfer zunehmend in engen Kontakt mit der Filmwelt gelangen. Coco Chanel entwirft Delphine Seyrigs Kostüme für „Letztes Jahr in Marienbad“ (1961) und für Jeanne Moreau in „Die Liebenden“ (1958). Zuvor hat sie bereits bei zwei Filmen von Jean Renoir mitgearbeitet: „Die Marseillaise“ (1938) und „Die Spielregel“ (1939). Pierre Balmain fängt 1947 an, Filmkostüme zu kreieren und er wird damit bis „Rosebud“ (1974) von Otto Preminger nicht aufhören. Die Kostüme des Films „Die Schöne und das Biest“ (1946) etwa stammen von seiner Hand, die von Jeanne Moreau und Brigitte Bardot in „Viva Maria“ (1965) sowie Bardots Kostüme in „La curée“ ein Jahr später. Er hat auch Kreationen für Ava Gardner, Simone Signoret, Marlene Dietrich, Jean Gabin, Brigitte Bardot, Shirley MacLaine, Vivian Leigh, Rita Hayworth, Ingrid Bergman oder Caroll Baker und viele andere entworfen. Selbst Christian Dior, der nicht sehr viel vom Film hält, kreiert Kostüme für Claude Autant-Lara, René Clair und Jean-Pierre Melville und kleidet auch Marlene Dietrich, Ava Gardner, Olivia de Havilland, Jean Simons, Gina Lollobrigida oder Liz Taylor für Filmproduktionen ein. Nicht nur das Kleine Schwarze von Givenchy für Audrey Hepburn, sondern selbst der SpaceEntwurf von Paco Rabanne für Jane Fonda in der Schlussszene von „Barbarella“ (1968) sind zu Modelegenden geworden. Viele Kostümbildner lassen sich von den Kreationen der Couturiers für ihre Entwürfe inspirieren, so z.B. Hardy Amies von André Courrèges, als er die Kostüme für Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968) vorbereitet.
3 4 5
Vgl. z.B.: http://www.imbd com/name/nm1062223/ Vgl. Dahn 1964; Westphal 1986. Vgl. Delpierre/de Fleury/Lebrun 1988, 107-137.
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Die Beziehungen zwischen Filmproduktion und Couturiers gestalten sich nicht immer einfach. Coco Chanel erlebte bei ihrer ersten Zusammenarbeit mit dem Produzenten Samuel Goldwyn für „Tonight or Ever“ (1931) und „The Greeks Had a Word for Them“ (1931) ein regelrechtes Fiasko. Ihre wunderbar schlichte Mode wirkte in den Filmen flach und ärmlich. Chanel hatte keinerlei Kenntnisse von filmischen Gesetzen und Zwängen. Dafür hätte sie längere Zeit in Hollywood leben und mit den Filmleuten sprechen müssen, erzählt die Schauspielerin Gloria Swanson, die Chanels Entwürfe in dem Film „Tonight or ever“ trägt.6 Die Schauspielerin wusste um die Problematik, da ihr persönlicher Kostümbildner auf dem Filmset und ihr Schneider im Alltagsleben, René Hubert, oft mit ihr darüber gesprochen hatte. „Ein Muster, das für das Studio entworfen wird und sich den Ansprüchen des Kinos anpasst, ist praktisch untragbar in der Stadt, ebenso wie das endzückendste reale Stadtkleid auf der Leinwand nichts taugt“.7 Weil ihr Modehaus in der Pariser Rue Cambon Coco Chanel wesentlich mehr am Herzen liegt, findet sie keine Zeit, sich in die Geheimnisse der Filmbeleuchtung einzuarbeiten. Erst später, mit der Verbesserung der Filmtechnik und ihren eigenen Erfahrungen im Umgang mit dem Film kooperiert sie mit Louis Malle, Alain Resnais und Alexandre Astruc. In Hollywood müssen darüber hinaus besondere Ansprüche erfüllt werden, wenn man sich profilieren will. „Man musste“, schreibt einige Jahre später Carl Zuckmayer, „um etwas zu gelten, in einem teuren Hotel wohnen oder seine eigene repräsentative Wohnung haben, man musste, um sein Dasein unter Beweis zu stellen, in den teuren Restaurants der oberen Film-Zehntausend verkehren, man musste, wollte man auf die Dauer ‚dazugehören‘, auch selbst Einladungen geben, man musste so tun, als sei man reich und glücklich – nirgends habe ich das Wort ‚happy‘ so oft gehört wie in der Vorhölle Hollywood –, und da man es nicht war, kam man, auch wenn kaum dazu aufgelegt, ins Trinken und versumpfte in einem trostlosen, humor- und anregungslosen Nachtleben“.8 Dennoch, auch wenn manche Filmkreationen von ModedesignerInnen alles andere als gelungen sind, liegt der Hauptgrund des Missverständnisses zwischen Filmproduktion und Modedesign anderswo: Erstens weil die Couturiers im Laufe der Zeit gelernt haben, für den Film zu arbeiten und zweitens weil selbst bei hochbegabten professionellen KostümbildnerInnen bei Weitem nicht alles perfekt vonstatten geht. Sämtliche großen Namen der Kostümabteilung Hollywoods, also der professionellen KostümbildnerInnen, angefangen bei Edith Head, Walter Plunkett oder Travis Benton über Adrian, Jean Louis oder René Hubert bis zu Irene Sharaff, Helene Rose, Orry-Kelly, William Travilla, hatten schwerwiegende Probleme mit Produzenten, Regisseuren und vor allem mit SchauspielerInnen. Bei den Dreharbeiten zu „Vom Winde verweht“ (1939) klagte Clark Gable immer wieder über die Entwürfe Walter Plunketts, die ihm nicht attraktiv genug erschienen und ließ schließlich seinen persönlichen Schneider Eddie Schmidt aus Beverly Hills
6 7 8
Swanson 1981, zit. nach Delpierre/de Fleury/Lebrun 1988, 113f. Mauge 1938, zitiert nach Delpierre/de Fleury/Lebrun 1988, 67. Zuckmayer 1966, 544.
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kommen.9 Dasselbe gilt für zahlreiche andere Hollywoodstars, die bezüglich Aussehen und Selbstbild besonders empfindlich reagieren. Ein weiteres Hindernis stellt der enorme Termindruck für die Anfertigung der Kostüme dar. Von den ModeschöpferInnen wird dabei stillschweigend erwartet, dass sie ihre eigene Kundschaft zu Gunsten der Arbeit am Filmset vernachlässigen. Selten decken jedoch die vereinbarten Gagen die entstandenen finanziellen Einbußen.10 Die heftigsten und grundlegendsten Auseinandersetzungen entzünden sich jedoch an der Frage nach der Bedeutung der Filmkostüme im Allgemeinen. Stella Bruzzi beschreibt diese ungleiche Sichtweise folgendermaßen: „The involvement of the Couturier in Film is far from standardised“, und nimmt damit eine grundsätzliche Unterscheidung vor zwischen der Einstellung Hollywoods zur Mode und der Sichtweise der Couturiers, die als Kostümbildner beauftragt werden. Diese bestimmen oder prägen bereits die europäische Filmtradition, „that made fashion into an integral part of the overall look of film which was genuinly treated as another art form in its own rights, incorporated into the cinema but not reduced to an ornament or an accessory“.11 Der Hauptunterschied zwischen Kostümbildner und ModedesignerInnen zliegt also in einer gänzlich verschiedenen Beziehung zum Schauspiel und zur Haupterzählung. Die Entwürfe der ModeschöpferInnen besitzen eine eigene Bedeutung und entwickeln eine eigene Dynamik, in der die Gleichsetzung von Kostüm und Charakter nicht mehr in der bisher üblichen Weise funktioniert. Mit dem Einsatz von ModedesignerInnen als KostümbildnerInnen nimmt man einen gewissen Abstand von der Narration, vom Charakter, manchmal sogar vom Körper selbst oder produziert sogar abweichende Diskurse. Bereits Coco Chanel, die Meisterin der Schlichtheit, hatte, unabhängig von der filmtechnischen Wirkung ihrer Kostüme, 1931 für den Film „Palmy Day“ bewusst die Kostüme über die Narration gestellt und sich so dem traditionellen Status der Kleidung als bloßem Mittel oder Komplement der Narration widersetzt.12 Für den Kostümbildner dagegen und für die Regie muss ein Kostüm im Hintergrund bleiben. „Ein Film ist keine Modenschau“, so die Kostümbildnerin Sassinot de Nesle.13 Die Vorstellungen der ModedesignerInnen weichen also grundsätzlich von dieser Vorstellung ab, da sie eine Art zusätzlicher diskursiver Strategien entwerfen. Wie sich diese Divergenz auswirkt, zeigt beispielhaft Edith Heads Auseinandersetzung mit Givenchy bei den Dreharbeiten zu „Sabrina“ (1954) von Billy Wilder. Ähnliche Spannungen gab es auch zwischen der Kostümbildnerin Marilyn Vance-Straker und Giorgio Armani bei den Dreharbeiten zu Brian de Palmas „Die Unbestechlichen“ (1987). Heute muss Mode im Film nicht mehr wie früher wirken. Die erzählende Typisierung à la Edith Head bildet dennoch die Fortsetzung einer Filmtra9 Vgl. Flamini 1982, 258. 10 Seit Ende der 1980er Jahre haben jedoch beide Seiten sich besser kennen gelernt. 11 Vgl. Bruzzi 1997, 8. Vgl. auch Wollen 1995, 13 12 Vgl. Bruzzi 1997, 3. 13 Interview Mit Sassinot de Nesle 1996, 59.
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dition, in der Mode als Ersatz für Sprache diente oder für den Mangel an Farbigkeit.14 Dabei handelt es sich um einen „höchst ideologisch geprägten Prozess der Naturalisierung“,15 der übrigens auch unmittelbar an der Produktion von Persönlichkeitsbildern beteiligt ist. Haben Audrey Hepburn oder Givenchy, also der Star oder der Modedesigner, jeweils das Image des anderen und seinen Mythos erzeugt? In beiden Fällen handelt es sich um ein ideologisches Konstrukt, das mit einer besonders klaren geschlechtsspezifischen Deutung agiert. In dieser Hinsicht gelten beispielsweise die Kostümbildner Travis-Banton als Schöpfer von Marlene Dietrich und Orry-Kelly von Bette Davis, dagegen schreibt man Edith Head, der berühmtesten aller Kostümbildnerinnen, eine solche Schöpferkraft im Hinblick auf Barbara Stanwyck oder Liz Taylor nicht zu. Dies trifft noch weniger zu, wenn es eine talentierte Schauspielerin wie Mae West schafft, ihren eigenen Look zu kreieren.16 Mittlerweile hat sich die Situation verändert. Die Filmstudios besitzen längst nicht mehr die vollständige Kontrolle über die Stars. Allerdings besteht nach wie vor eine existenzielle Verbindung zwischen Person und Image, wenngleich in einer vielgestaltigeren und widersprüchlicheren Form als zuvor. Dieses neue Konstrukt, das eng mit dem öffentlichen Auftritt der Stars verbunden bleibt, nennt man Persona.17 Einen deutlichen Wendepunkt in der Beziehung von Film und Modedesign markiert das Ende der 1980er Jahre, als sich Modedesigner wie Versace, Gaultier oder Armani massiv für den Film engagieren und bei einigen Regisseuren auf positive Resonanz stoßen. Auf diese Weise werden Spielfilme für ModedesignerInnen zu einem neuen Raum der Costuming Promotion.18 Die Entwürfe der Modedesigner gehen von einem Kontext außerhalb der großen Kinoproduktionen aus und folgen daher Inspirationsquellen, die sich kulturell wie künstlerisch grundsätzlich von jenen der KostümbildnerInnen unterscheiden. Ihre Modeentwürfe für den Filmstecken voller Ambivalenz, sie sind hybride, spielerisch und sogar paradox angelegt. Die Entwürfe der Designer dienen auch nicht unbedingt – wie es zumeist im Film der Fall ist – der Sexualisierung des weiblichen Körpers oder des Begehrens, sondern können sich dem widersetzen. Dies findet nicht unbedingt die Zustimmung oder das Gefallen der Regisseure klassischer Erzählfilme, die sich mit dieser neuen Art der Kostümkonzeption schwer tun. Anderen Regisseuren hingegen kommen die Entwürfe der Designer entgegen, und sie werden von ihnen eingesetzt, um Affinitäten von oder zwischen Filmfiguren herzustellen, anstatt wie früher sie als rigide Identitätszeichen zu verwenden.. Bei Pedro Almodovars „Kika“ (1993) zum Beispiel sind die Kostüme von Victoria April ein reines Schauspiel, die ein Eigenleben zu führen scheinen,
14 15 16 17 18
Vgl. Gaines 1998, 223; Doanne 1980, 33. Gaines 1998, 228. Vgl. Gaines 1998, 239. Vgl. Gaines 1998, ebd. Vgl. dazu Armani für „Die Unbestechlichen“ (1987) oder „Voyager“ (1991), Cerruti für das Remake von „Sabrina“ (1995), Jean-Paul Gaultier für „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ (1989), „Die Stadt der verlorenen Kinder“ (1995) oder „Das Fünfte Element“, Céline für das Remake von „Thomas Crown“ (1998) oder Agnes B. für „Mulholland Drive“ (2001).
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ohne einen festen Bezug zum Charakter der Figur oder zur Narration aufzubauen.19 Bei der Rezeptionsgeschichte der Kleidung unterstellt allerdings Stella Bruzzi, dass die aus der Verschmelzung von Kleidung und Frauenkörper erfundene Feminität wie auch Maskulinität von Frauen völlig anders begriffen wird als von Männern.20 Faszination, so lautet ein gern verwendeter Begriff, um Kleidung im allgemeinen zu beschreiben. Bei genauer Hinsicht jedoch ist die Kleidungsapparatur, wenn man sie im Film so bezeichnen kann, zunächst einmal in einem sehr einfachen Sinne abhängig von der Entwicklung der Technik. Im Grunde erzählt daher die Mode im Film auch die Geschichte der Filmtechnik, so wie sie zuvor die Geschichte der Maltechnik und der Malerei miterzählte. Ganz im Sinne der Kunst der Pantomime ersetzt die Mode im (Stumm-)Film zunächst das Wort. Im Kontext des dichotomischen Spiels des SchwarzWeiß-Films prüft sie die ästhetische Dramatik der Formen und der Bilder. Dann zelebriert die Mode den Triumph des Tons und später den der Farbe. Außerdem begleitet sie die Geschwindigkeit der Bewegungen und spielt mit der Breite und der Tiefe der Leinwand. Schließlich feiert sie die postmoderne Defragmentierung und ihre digitale Ausdifferenzierung. Die Mode im Film hat also erheblich an Autonomie gewonnen. So entsteht eine neuartige Kunstform, die durch die technisch-ästhetischen Möglichkeiten – so z.B. die neue fließende Beweglichkeit – der Stoffe mehrere oder sogar widersprüchliche Interpretationen ermöglicht. Dabei werden immer wieder neue Ausdruckmöglichkeiten des Körpers entdeckt. „Fit“ nennt man in der Kleidungsforschung diese Interaktionen zwischen Körper und Kleidung. Immer wieder versuchen FilmautorInnen, die bisher gültige Kontinuität zwischen Außen und Innen, Persönlichkeit und Erscheinung zu durchbrechen. Dafür arbeiten sie etwa minimalistisch, das heißt, sie reduzieren den Dekor, die Objektwelt und die Kostüme auf die unmittelbar für die Handlung oder die Stimmung wichtigen Elemente. Dies kann „theatralisch“ wie in „Dogville“ (2003) oder inmitten von „natürlichen“ Dekors wie in „Lost in Translation“ (2003) geschehen. Damit werden Objekt und Kostüm in eine direkte Relation mit der psychologischen Situation einer Figur gebracht und umgekehrt. In „Lost in Tanslation“ wird etwa die Beziehung zwischen Charlotte und Bob, den beiden Protagonisten, anhand der Farbkombination ihrer Kleidung – Schwarz und Weiß bzw. Creme/Beige, Schwarz und Weiß – subtil angedeutet. Angesichts der machtvollen kulturellen Gewohnheiten, stellt und die Rigidität der Kostüme im Vergleich zur schnellen Veränderung der körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten, kein leichtes Unterfangen dar. Selbst bei häufigem Wechsel der Kostüme einer Filmfigur verharrt die Ausdrucksqualität eines Kleidungsstücks in relativer Schwerfälligkeit. Daher ist die qualitative Kombination von Körper und Kleidung umso wichtiger. So sind z.B. die Kreationen Armanis für das Kino durch einen subtilen Detailfetischismus gekennzeichnet, eine diskrete Pointierung des Qualitativen in der Mode und eine emphatische Linie oder Form, die weder den Körper der SchauspielerIn noch deren Charakter in den Vordergrund stellt.21 19 Vgl. Bruzzi 1997, 13. 20 Vgl. Bruzzi 1997, 10. 21 Vgl. Bruzzi 1997, 30.
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Armanis Entwürfe bemühen sich also um ein Gleichgewicht zwischen der „Patte“, dem Merkmal oder Markenzeichen der eigenen Produktion – logisch, rational und tragbar lautet sein Motto –, und ihrer Aussagekraft im Film. Abgesehen davon stehen den ModedesignerInnen einmalige Stoffe, Materialien sowie sogar Labors – bei ausgesuchten Hightech-Textilien – zur Verfügung, was sich hinsichtlich der Silhouette der DarstellerInnen als erheblicher Vorteil erweist: Dazu gibt es immer wieder neue Linsensysteme – wie die Gummilinse – und Digitalisierungsmethoden, die unseren Blick auf die Kleidung und auf die Person umformt. All dies trägt zur Veränderung der Ausdruckskraft bei. Die SchauspielerInnen allerdings sind nach wie vor zuständig für die schauspielerische Leistung.
Zelebrierung Heutzutage wird die Beziehung von Mode und Kino feierlich inszeniert. Bei der Biennale von Venedig 1998 z.B. kam es zu einer medienwirksamen Begegnung der beiden, bei der 22 berühmte DesignerInnen eine eigene Vorführung präsentieren könnten. Zahlreiche öffentliche Institutionen wie Museen, oder Konzertsaale, mehrere Städte waren beteiligt. Das wichtigste Exponat des Museums Ferragamo im Palazzo Spini-Ferroni waren Cinderellas Filmpantoffel, die bereits 1898 mit „Cinderella and the Fairy Godmother“ von Albert Smith ihren ersten Einsatz im Film erlebten und ein Jahr später unter der Regie von Georges Meliès einen zweiten. Die Cinderella Schuhform kennt im Film viele Varianten bis hin zu „Auf immer und ewig“ von Andy Tenant (1998). Parallel dazu fand im Florentiner Palazzo Strozzi eine weitere Ausstellung statt: „Cine-Moda: Riflessioni“ unter dem Motto „Ein Designer, ein Film“. Jeder Designer wählte dabei ein in Vergessenheit geratenes Meisterwerk der Filmgeschichte, mit dem Ziel diesen Film anschließend restaurieren zu lassen. Die Restaurierung der Filme wurde vom Filmfestival finanziert. So gelang es Meisterwerke zu retten. Valentino entschied sich für „Der Leopard“, Prada wählte „Die Nacht“, Versace den Film „Der Konformist“ und Ferretti entschied sich für „Die Gärten der Fizzi-Cintini“. Der Autor dieser Kino-Mode-Inszenierung war Dante Ferreti, nebenbei auch Stammautor der Drehbücher von Fellini, Pasolini und Scorsese. Die unmittelbare Nähe zwischen beiden Medien ist heute selbstverständlich geworden, und die Haute Couture – als Industrie – versteht es, kein großes Kinoereignis auszulassen. So ist im Jahr 2002 Sharon Stone als Jurypräsidentin des Festivals von Cannes sicher die von den Couturiers am stärksten hofierte Person der Croisette, und jeder von ihnen hofft, dass Sharon Stone wenigstens einen ihrer Entwürfe auf der Ehrentreppe des Festivalpalasts oder auf dem Jurypodium tragen und damit in Szene setzen wird. Jedes Interview mit den Stars in der intimen Stimmung der LuxusHotels-Suiten von Cannes an der Croisette wird zur Werbung für die Designer. Die in den Fluren versammelten „Presseattachés“ sind beladen mit Bergen von Luxusklamotten für die Stars. Auch die großen Namen der Schmuck-, Accessoires- und Kosmetikbranchen sind allgegenwärtig. Der Schweizer Juwelier Chopard, seit 1998 Hersteller der Goldenen Palme, verfügt daher über eine privilegierte Stellung. L’Oreal ist der offizielle Partner des Festivals im Bereich Kosmetik und schminkt die etwa 300 Schau-
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spielerInnen vor ihren öffentlichen Auftritten und ihren Interviewterminen. Das Ergebnis dieser Promotion ist allerdings zwiespältig, denn „Wie soll man einem Kunden erklären, dass er zwei oder drei Millionen Euro bezahlen muss für ein Schmuckstück, das er schon am Hals eines Stars gesehen hat?“22 Dennoch reicht es aus, wenn Björk in einem Kleid der beiden noch kaum bekannten Couturiers Alexandre und Mathieu (Alexandre-Mathieu) auf der großen Treppe des Festivals erscheint, um die Karriere des jungen DesignerTandems radikal zu beschleunigen. Eine ähnliche Beschleunigung erfuhr auch die Karriere des Libanesen Elie Saab, der Lieblingsdesigner der Königin Rania von Jordanien, als im März 2002 Halle Berry bei der Oscar-Verleihung, bei der sie den Oscar für die beste weiblich Hauptrolle erhielt, eine seiner Kreationen trug. Nicole Kidman wird 2003 mit dem „Fashion Icon Award“ geehrt. Der Council of Fashion Designers of America bescheinigt der Schauspielerin aufgrund ihrer Garderobe eine „ikonenhafte Präsenz“. Zuvor wurde diese Auszeichnung an Sophia Loren, Elizabeth Taylor, Lauren Bacall und Audrey Hepburn verliehen. Bei der Oscarverleihung finden im Prinzip jedes Mal zwei Schauen statt: die eine im Kodak-Theater, die andere direkt zuvor auf dem davor ausgerollten roten Teppich. Beide Schauen – Mode und Film – gehören faktisch zum Zeremoniell Hollywoods, und mehr oder weniger gilt dasselbe auch für Venedig, Berlin, Locarno oder San Remo. Die großen Filmfestivals haben sich damit zu den teuersten Laufstegen der Welt entwickelt. Schauspielerinnen wie Uma Thurman oder Nicole Kidman bekommen in den Wochen vor der Oscarverleihung von verschiedenen Designern jeweils vierzig oder fünfzig Kleider zugeschickt. Filmstars werden eben hofiert. Bis zu 250.000 Dollar boten die großen Modehäuser allein 2005 auf, um ihre Kreationen durch einen Filmstar auf dem roten Teppich Hollywoods präsentieren zu lassen.23 Das Spiel „Wer-trägt-was“ hat sich längst zu einem regelrechten Wettbewerb entwickelt. Globalimages werden hier verhandelt, vermittelt durch Megamaschinen: Luxusindustrie, Unterhaltungsindustrie sowie die Medien- und Kommunikationsindustrie. Manchmal wissen die SchauspielerInnen offenbar selbst nicht so genau, was sie eigentlich tragen, oder sie tun zumindest so wie George Clooney, der 2006 nicht verraten wollte, ob er einen Smoking von Armani oder von Gucci trug: „Ich mag beide“, erklärte er.24 Das Spiel wurde so weit getrieben, dass 2003 eine Instanz, ein sog. Fashion Coordinator – Patty Fox – für den roten Teppich der Oscars ernannt wurde. Für mehr Anregung beim Publikum – und auch bei den SchauspielerInnen – sorgen seit Jahren zwei gefürchtete „Mode-Lästermauler“, Joan und Melissa Rivers, die eine Art inoffizielles Empfangskomitee der Academy Awards bilden und auf dem roten Teppich vor dem Kodak-Theater die Outfits der eintreffenden Schauspielerinnen und Schauspieler kommentieren. Dies hat dazu beigetragen, dass manche Kleidungsstücke in der Presse ein besonderes Echo fanden, so Uma Thurmans Lederhose im Heidi-Look, Gwyneth Paltrows „unausgefülltes“ pinkfarbenes Abendkleid (1999) oder
22 Interview mit Isabelle Guichot, Leiterin von Van Cleef & Arpels. In: Le Monde, 25.5.2002. 23 Vgl. Film Dienst 3/2006, 57-58. 24 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.3.2006, 9.
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Chers „idiotischen Titanic Hut“. Das amerikanische Publikum liebt das Mutter-Tochter-Tandem für seinen provokanten Ton, der manchmal bis an die Grenze der Beleidigung geht; dadurch sorgen sie oft für spontane Reaktionen und Momente in einem ansonsten perfekt orchestrierten Ritual, wenn Stars z. B. genervt oder gar bissig auf beiden reagieren. Die Kreation und Pflege des Images der Stars gehörte zu der früheren Marketingstrategie, an der sich sowohl Modedesigner und Kostümbildner, Friseure und Zahnärzte als auch Visagisten, Diät-Spezialisten, Fitness-Experten oder Fotografen beteiligten. Dieser Grundtypus der Imagebildung ist mit dem Studiosystem nicht verschwunden oder außer Kraft gesetzt worden, sondern existiert intensiver denn je hinter den Kulissen, allerdings haben sich die Bedingungen verändert. Es gibt nicht mehr den einen, für immer festgelegten Look, wie es z.B. bei Audrey Hepburn der Fall war, sondern ein ganzes Repertoire an Möglichkeiten, den Look eines Stars zu gestalten. Die Stars versuchen selbst, ihre Image mit Hilfe von Beratern zu kreieren: Aus den ehemaligen Handwerkern, die das allgemeine Kinounternehmen unterstützten – Fotografen und Co. – sind nun Künstler geworden. Neu und frappierend sind dabei die Geschwindigkeit und die Ausmaße, mit denen Stars ‚gemacht‘ werden. Angeleitet durch ihre professionellen Berater basteln sich die Filmstars ein eigenes Image, das sie in der Presse und in der Öffentlichkeit durchzusetzen versuchen. Die Medien aber übernehmen nicht einfach das gelieferte Material, sondern transformieren es nach ihren eigenen Vorstellungen, um es dem Publikum mundgerecht zu präsentieren. Und dies geschieht oft durch klassische „Typisierungen“: Jeder Star erhält ein kennzeichnendes Etikett. So wird aus Madonna die Exzentrikerin, Julia Roberts die Natürliche, Meg Ryan die Mädchenhafte, Rene Russo die Dezente, Sharon Stone die Erotische, Demi Moore die Egozentrische, Patricia Arquette die Freche, Courtney Love die Wilde und Gwyneth Paltrow die Wunderbar Wandelbare.26 Das frühere „Gucci-Genie“ Tom Ford, der den komplett-Look als Trendkonzept in der Haute Couture durchsetzte, steht längst nicht mehr allein. Inzwischen tun es fast alle Modehäuser, auch für Stars und Festivals. Missverständnisse zwischen DesignerInnen und SchauspielerInnen sind durch die Begegnung der beiden Branchen damit jedoch nicht – außerhalb wie auch innerhalb des Films nicht aus der Welt geschafft. So tragen in dem Film „Ein unmoralisches Angebot“ (1993) Robert Redford und Woody Herrelson Kostüme von Cerruti, Demi Moore dagegen nicht. Auf die Frage nach dem Grund dafür meinte Nino Cerruti: „Erstens weiß Demi Moore genau, was ihr steht – mit dem Ergebnis, dass sie für ihren schlechten Geschmack bekannt ist. Zweitens ist sie nicht unbedingt die Frau, die Cerruti tragen kann. Meine Kundinnen haben es nicht nötig, mit ihrer Kleidung aufzufallen. Less is more, sagen die Amerikaner. Miss Moore scheint diesen Spruch nicht zu kennen. Aber wie ich höre, ist sie neuerdings mit der US-Designerin Donna Karan befreundet. Vielleicht hilft ihr das ja bei der Geschmacksbildung“.27
25 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.2.2007, ebd. 26 So eine Titelserie in Burda International 1/2000. 27 Interview mit Nino Cerruti. In: Cinema 2005, o.S..
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Vom Laufsteg zum roten Teppich Eine weitere Verbindung zwischen Film und Modedesign wird über das Laufsteg-Model hergestellt. Körper- und Modebilder im Display des Catwalk gelten als gewichtige Verkaufsargumente und -strategien für die Models- wie auch für die Filmagenturen, die Statistinnen für Filme suchen. Anhand der Bilder wird zunächst in der Modelsbranche, die heute auch im Filmgeschäft wirbt, das „Profil“ für die Marketingstrategie entwickelt. Diese Profil-Bilder tragen wesentlich dazu bei, dass immer häufiger Top- und auch weniger bekannte Models den Sprung von der Mode zum Film versuchen. In den Medien der 1980er und 1090er Jahre hatten die Models die Schauspielerinnen als Ikonen ersetzt, wenn auch gewiss nicht im künstlerischen Bereich des Schauspiels. Beziehungen zwischen Mode und Zelluloid gibt es zwar schon lange, jedoch sind sie komplex und durchaus auch ambivalenter Natur. Ein Wechsel von der ‚stummen‘ Model-Branche zum ausgeprägt sprachlich-diskursiven Feld des Schauspiels versteht sich keineswegs von selbst. Nicht alle Versuche misslingen, wie einige berühmte Beispiele bezeugen: Lauren Bacall, Brigitte Bardot, die multitalentierte Veruschka (Vera von Lehndorff) oder aus jüngerer Zeit Kim Basinger, Sharon Stone, Melanie Griffith oder Charlize Theron und bei den Männern Brad Pitt oder Holger Speckhahn. So problematisch die Beziehungen der beiden Bereiche in Bezug zur Sprache sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Der Film wie die Mode zeigen nicht nur Körper, sondern konstruieren sie regelrecht. Eine gegenseitige Wechselwirkung ist daher kaum zu vermeiden. So ist es nicht verwunderlich, wenn Models den Körperkriterien und den Schönheitsvorstellungen der Filmbranche entsprechen und umgekehrt. Das Filmgeschäft ist übrigens nicht der einzige Ausweg für Models. Andere versuchen es beim Fernsehen (Heidi Klum), in der Werbung oder im Business (Claudia Schiffer). Äußerst selten sind dagegen Wege wie die des Top-Models Waris Dirie, die auch Buchautorin ist. Die in New York lebende Somalierin prangerte 1998 als UN-Sonderbotschafterin vor der UNO-Versammlung vehement die Beschneidung von Frauen an und fand weltweite Medienresonanz. In ähnlicher Weise kämpft seit Jahren das frühere israelische Model Pina Rosenblum gegen jede Art der Unterdrückung von Frauen und bewarb sich um einen Abgeordnetensitz in der Knesset, in der zu 92% nur Männer vertreten sind. Die Zirkulation zwischen den Bühnen funktioniert auch in umgekehrter Richtung. Für jeden Designer zählt die Präsenz bekannter „Persönlichkeiten“ aus Politik, Sport, Kultur und vor allem aber aus der Filmwelt. Sie fungieren als zusätzlicher Markenstempel, werden selbst zum Bestandteil der Performanz und des Dekors. Jeder Designer besitzt seine eigene Stammliste: Jodie Foster, Woody Allen und Michelle Pfeiffer für Armani, Hillary Clinton und Quincy Jones für Donna Karan, David Bowie, Madonna und Nina Hagen für Jean-Paul Gaultier. Berühmte Modemarken durchdringen längst die Film- oder Sportwelt, und zwar gegenseitig. Sport wird bei Marketingstrategen mit Lebensgefühl kombiniert. Daher war es abzusehen, dass Kinostars oder Sportstars umgekehrt auch in Mode- und Parfum-Werbespots auftreten wie Juliette Lewis für
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Guess-Jeans, Demi Moore für Donna Karan, Juliette Binoche für Lâncome, Halle Berry für Versace, Julia Roberts für Ferré oder Liv Taylor für Givenchy. Die Verbindung zwischen Film- und Modewelt läuft also häufig über die Werbewelt. Das Phänomen ist nicht neu, sondern existiert praktisch seit den Frühzeiten der Kinogeschichte (siehe das Waschmittel Sunlight). Viele SchauspielerInnen wie Miou-Miou, Anna Karina oder Louis de Funès sowie Regisseure wie Etienne Chatiliez oder Jean-Jacques Annaud kommen aus der Werbung, und bekannte Filmregisseure wie Federico Fellini, Claude Lelouch, David Lynch, Emil Kusturica, Claude Chabrol und Ridley Scott haben auch Werbespots gedreht. Stets stellte Werbung auch eine hervorragende Schule für den Film dar.28 Hier herrschen, auch was die Frage des Looks und der Kostüme betrifft, ähnliche Gesetze wie im Film, allerdings in sehr konzentrierter Fassung und gezielt auf ein Produkt ausgerichtet – frei nach dem Motto: „Nicht weil eine Sache gut ist, begehren wir sie, sondern weil wir sie begehren, erscheint sie uns gut“ (Spinoza).29 Auch SchauspielerInnen wie Fernandel, Claudia Cardinale, Liz Taylor, Romy Schneider, Gérard Depardieu, Sophie Marceau, Emmanuelle Béart oder Tom Hanks mischen dabei mit: Es geht dabei nämlich auch meist um viel Geld. Einen Rekord erreichte Nicole Kidman, die in Kleidern von Karl Lagerfeld mit Regisseur Baz Luhrmann für Chanel Nr. 5 den teuersten Spot der Werbegeschichte drehte. Baz Luhrmann „war ein Glückstreffer“, so der Art Director von Chanel. Er habe es geschafft, Kidman und Lagerfeld zu überzeugen mit zu machen. 30 Models, Spitzensportler, Bühnenstars oder Politiker, sie alle werden also zu Boten der Mode. Diese Tätigkeit verliert deutlich ihre „Unschuld“ dann, wenn Schauspielerinnen wie Emmanuelle Béart oder Fußballspieler der deutschen Nationalmannschaft für Großunternehmen werben, die im Visier der Clean Clothes Kampagne stehen. Denn im Zeitalter der neoliberalen Globalisierung und den damit einhergehenden ausbeuterischen Verhältnissen nimmt die ausschließliche Tätigkeit für eine bestimmte Textil-, Kleidungs- oder Schuhfirma ethisch-moralische Dimensionen an. Gerade Bekleidungs- und Schuhindustrie sind – insbesondere in den sogenannten Freihandelszonen31 – für ihre brutalen Arbeitsbedingungen bekannt, während zugleich die großen Firmen Rekordgewinne erzielen.32 Die Bilder des Körpers werden ja nach Zeit unterschiedlich gestaltet, womit auch unterschiedliche Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit geschaffen werden, dabei bleibt das heterosexuelle Modell dominant. In der zeitlichen Dimension liegt auch die grundsätzliche Problematik des Model- und des SchauspielerInnen-Berufes verborgen: Der biologische Alterungsprozess wird als eine unüberwindliche Mauer dargestellt. So entsteht die paradoxe Situation, dass auf der einen Seite der Körper zelebriert wird, auf der anderen jedoch seine natürliche Lebensbiographie– und damit auch seine Ermüdung 28 29 30 31
Vgl. Carlier 2006. Filmdokumentation. Zitiert nach Cohen 2006. Filmdokumentation. Carlier 2006. Filmdokumentation. Vgl. Wick/Südwind 2005, 7-45; Ferenschild/Wick 2004, 23-41; Devoucoux 2007, 263-275; Klein 2002, 212-231; ITGLWF Statement Kearney 2003. 32 So beispielhaft verzeichnete etwa Nike allein im Jahr 2004 einen Gesamtgewinn von 1,4 Mrd US-Dollar, Adidas kam auf 520 Mio. US-Dollar, Puma auf 465,4 Mio. oder Reebok mit 265,7 Mio US-Dollar (Quelle WTO 2005).
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und sein Tod – negiert wird. Der ewig junge oder immer neue Körper steht auf der Modebühne für die Verdrängung nicht nur der lebenden Körper, sondern für die Zeit schlechthin. Darin verkörpert das Model wie keine andere Figur den Waren- und Bilderfetischismus der freien Wirtschaft, die vom Mythos der immerwährenden, sich stets aus sich selbst heraus erneuernden Warenzirkulation lebt. In diesem Kontext ist die Tatsache, dass die Modelbranche eines der wenigen beruflichen Felder ist, in dem Männer weniger verdienen als Frauen, ein Indiz für die zugrunde liegende strukturelle Problematik. Zwar defilieren auch Männer auf dem Laufsteg, aber er bleibt hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich der Ort der Präsentation von Weiblichkeit und für die Kreation von Weiblichkeitsmythen. Männlichkeitsbilder werden bis heute nicht auf dem Laufsteg produziert, auch wenn sich die Situation langsam ändert.
Mode- und Filmstars Es gibt noch weitere Beziehungen zwischen Mode und Film. So verdankt Lucchino Visconti beispielsweise Coco Chanel sein Filmdebüt: Sie war es, die Visconti Jean Renoir vorstellte. Infolgedessen engagierte Renoir Visconti als Kostümbildner für „Eine Landpartie“ (1936) und als Regieassistent für „Les bas fonds“ (1937).33 Auch die langjährige Freundschaft Coco Chanels mit Romy Schneider – zwei Frauen, die unterschiedlicher kaum zu sein schienen – ist legendär geworden. Als ich Romy Schneider während der Dreharbeiten zu „Die Bankiersfrau“ (1980) im Pariser Hotel Intercontinental fragte, ob und wie Chanel für sie von Bedeutung gewesen sei, antwortete sie mit etwas müden, aber strahlenden Augen: „Sie hat mir geholfen, selbstbewusster zu werden“, und sie führte dies dann geradezu leidenschaftlich mit vielen Details aus. Im Allgemeinen sind die großen Modedesigner bis in die 1990er Jahre hinein für das Einkleiden berühmter Stars im Film zuständig, selten jedoch für den Entwurf der gesamten Filmgarderobe. So kleidet Elsa Schiaparelli etwa Mae West und Zsa Zsa Gabor für ihre Filme ein, Hubert de Givenchy und Paco Rabanne Audrey Hepburn, Pierre Balmain arbeitet für Jennifer Jones, Vivien Leigh oder Marlene Dietrich, Yves Saint Laurent entwirft die Filmgarderobe für Helmut Berger, Claudia Cardinale, Romy Schneider und Catherine Deneuve, während Giorgio Armani für Sean Connery zuständig ist. Wie entfaltet sich das Spiel von Stoffen und Zelluloid? Oder anders gefragt: Was wäre Scarlett O’Hara ohne ihren Reifrock aus Samt, Anita Ekberg ohne ihr dekolletiertes Chemise, ihre enganliegende Dreiviertelhose und den breiten Gürtel, Jean Seberg ohne den Dior-Look (Abb. 61) oder Audrey Hepburn ohne Givenchy. „Givenchys Kreationen gaben mir immer das Gefühl von Sicherheit und Selbstvertrauen“, sagt Audrey Hepburn, „die Arbeit fiel mir leichter in der Gewissheit, dass mein Äußeres perfekt stimmte“.34 Fast unzählig sind die Filme auf die der Erfolg eines Trends, eines Looks oder eines Accessoires zurückgeht – etwa das T-Shirt James Deans, die Lederjacke Marlon Brandos, die Handschuhe Rita Hayworths, die Ballerinas Brigitte Bardots oder eben der Look Audrey Hepburns usw. Als Clark Gable 33 Vgl. Delpierre/de Fleury/Lebrun 1988, 114. 34 Hepburn 1990, 10f.
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in „Es geschah in einer Nacht“ (1934) auf das Unterhemd verzichtete. Die blonden langen Haarmähnen von Veronika Lake und Laureen Bacall waren so beliebt, dass die US-Regierung bei den Studios intervenierte – so wird erzählt –, weil diese Haarmode der langen Strähnen zu vermehrten Arbeitsunfällen bei Fabrikarbeiterinnen geführt hatte. Madonna in „Susan… verzweifelt gesucht“ (1985) macht das Mieder wieder modisch und stellt das bisher übliche Innen und Außen in der Mode endgültig auf den Kopf. Abb. 61: Jean Seberg
Ob das Studio-System allein die Verantwortung für die Entwicklung des Starkultes trägt, bleibt offen. Der Grund, warum Brigitte Bardot oder Liz Taylor zu ihrer Zeit die am häufigsten fotografierten Personen der Welt waren, hängt mit zahlreichen weiteren Phänomenen zusammen. Filmschauspielerinnen übernahmen die Rolle ihrer damaligen Theaterkolleginnen. Immer wieder sucht sich die Filmbranche bestimmte Stars aus, um sie und ihren Look gezielt zu vermarkten. Presse und Öffentlichkeit suchen sich ihrerseits Stars, die ihren Vorstellungen entsprechen. Die Paparazzi sind nur eine Folge davon. Sie verdanken ihre Existenz zwar der Verbreitung und der Bedeutung der Medien, ebenso jedoch der diffusen Prüderie ihrer Kundschaft und damit dem Interesse der Boulevardpresse an der „Wahrheit“ über Kinoprominente – vor allem an der nackten „Wahrheit“. Die Tatsache, dass dieses Spiel von Provokation und (Doppel-)Moral jede Menge Geld einbringt, dürfte wohl das Hauptargument sein. Anders formuliert: Weder die Filmindustrie noch die Presse allein sind verantwortlich für die Schaffung von Filmstars oder von Stars überhaupt, sondern dies verdankt sich vielmehr, Guy Debord zufolge, dem Umstand, dass sich dafür überhaupt ein Publikum findet.35 Bezogen auf Mode und Kostüme spricht J. Gaines von einer Übertragung der überemotionellen Kostüm-Ekstase auf die Stars.36
35 Vgl. Debord 1988, 37. 36 In Anlehnung an Richard Dyer vgl. Gaines 1998, 238.
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Hollywoodkleider vs. Washington Die Medienwissenschaft geht heute davon aus, dass das Phänomen Diana den eigentlichen Auslöser für die globale Vermarktung von Starbildern darstellte. Diese Annahme mag zwar für das Ausmaß der Verbreitung zutreffen, kann aber nicht das eigentliche Phänomen erklären. „Die höchsten Profite“, so Richard Sennett, „erzielt man, wenn man in die kleinstmögliche Zahl von Darstellern oder Interpreten investiert. Diese sind die ‚Stars‘. Stars gibt es nur, wenn die Mehrheit der praktizierenden Künstler ausgeschaltet wird“.37 Das letzte Jahrzehnt hat die Kluft zwischen Schauspieler- und Starmodelwelt verringert. Es gibt keine deutliche und nachvollziehbare Erklärung dafür, warum Models seit den 1980er Jahren auf ein so großes Interesse bei den Medien und beim Publikum stoßen. Auf die Frage, warum die Models die großen Schauspielerinnen eine Zeit lang auf den Titelblättern der Zeitungen ersetzt haben, antwortete ein Couturier: „Weil sie nicht reden“. Ob Stanley Kubrick diese Einsicht teilte, als er Marisa Berenson, das strahlende Model der Hippiemode, für eine Stummrolle in „Barry Lyndon“ (1975) engagierte? Das Nicht-Sprechen stellt für den Philosophen Paul Virilio ein alarmierendes Problem der nahen Zukunft dar: Wir sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen lassen, meint er, dass wir hier schon in der Anwesenheit von Mutanten sind, die uns zukünftige Ereignisse andeuten: „den vorzeitigen Tod aller lebenden Sprachen“.38 Das Nicht-Sprechen verweist im Grunde auf die eigentliche Existenz des Models. Ist sie/es ein Kunst-Mensch? Selbst die Welt der Politiker findet Interesse an Starmodels. Die Hauptverbindung besteht vermutlich, so Paul Virilio, in der zunehmenden Tendenz bei Spitzenpolitikern, angefangen mit Ronald Reagan, Bill Clinton, Georg W. Bush und Tony Blair, die Politik nicht nur schauspielerisch zu vertreten, sondern, „sie ebenso „nach Top-Model-Art zu vermitteln“.39 Entsprechend hat der Look der Politiker an Bedeutung gewonnen. Jede politische Ära kultiviert dabei ein eigenes Image. So etabliert sich z.B. mit dem Amtsantritt Ronald Reagan im Jahre 1981 ein neuer Kult des Luxus, der sich von den New Yorker Modemachern in das Weiße Haus hinein verlagert. „Die Imageproduzenten, die elegante Kleider und aufwendiges Interieurs zu neuen aristokratischen Privilegien stilisierten“, schreibt Deborah Silverman, „waren nicht nur Gesinnungsgenossen von Diana Vreeland, sondern auch Freunde von Nancy Reagan“.40 Auf diese ostentative Weise wurde die Verherrlichung des Reichtums, die sich im Bereiche der Kultur und des Konsums konzentriert hatten, auch in die öffentlich-strategische Sphäre des Weißen Hauses integriert, und fungierten als Ausdruck einer Strategie der Zurückweisung sozialer Verantwortung. Auf diesen Kult der elitären Selbstdarstellung wurde zwar in der Bush Jr. Ära zurückgegriffen, jedoch nur in internen Kreisen des amerikanischen 37 Sennett 1986, 369. 38 Paul Virilio: Top-Model-Politik. Chronik der laufenden Ereignisse 1. In: Frankfurter Rundschau, 30.11.1996, ZB2. 39 Virilio 1996, ZB2. 40 Silvermann 1987, 53.
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„fröhlichen Adels“, aber dabei in einem unvorstellbaren Luxus. In der Öffentlichkeit hingegen gibt sich die Präsidentenfamilie im Gegenteil demokratisch. Dies drückt wie kaum ein anderes Beispiel die Strategie des Orwellschen Doppelgedankens aus. „Die für die Öffentlichkeit unsichtbare Macht“, so Sennett, „ist am größten, wenn sich die Agenturen dieser Macht darauf konzentrieren, eine sehr kleine Zahl von Politikern herauszustellen, statt eine politische Organisation aufzubauen. Die ‚Veranstalter‘ von Politik – Firmen, Individuen, Interessengruppen – ernten die gleichen Früchte wie der moderne Impresario“.41 Über das eigentliche „Produkt“ selbst gibt uns allerdings Sennett keine weiteren Informationen. Im Gegensatz zu FilmschauspielerInnen muss sich der öffentliche Auftritt von PolitikerInnen wegen des Überdosis-Effektes in Grenzen halten, so zumindest die Theorie. Hinzu kommt, dass das öffentliche Interesse für den einen Politiker dem anderen zum Nachteil gereicht, wie z.B. seinem Konkurrenten. Vielleicht sollte man die Bemerkung eines Profis ernster nehmen: „Super-Models existieren gar nicht“, sagt Cindy Crawford: „Sie werden nur von Fotografen, Visagisten und Friseuren kreiert“. Von ihrer Nicht-Existenz leben allerdings zahlreiche Dependancen der Mode- und Medienbranche äußerst lukrativ. Gilt dies umgekehrt auch für PolitikerInnen? Hier hat die Mode selbst eine weitere Brücke zwischen Hollywood und Washington aufgebaut. Der Starkult greift in den 1960er Jahren auch auf die US-amerikanische First Lady über. So werden Liz Taylor und Jackie Kennedy von den Medien gleichgesetzt: Sie sind die beiden Königinnen Amerikas.42 In beiden Fällen steht der Modedesigner für den Auftritt der öffentlichen Person Pate. Es handelt sich nämlich um eine ausgesprochene Monopolbeziehung, die sich zwischen Star und Modedesigner entwickelt. Es sei hier nur an die privilegierte Beziehung Prinzessin Dianas zu Gianni Versace erinnert. Unter dem Druck des neuen Medienzeitalters lernt die Politik viel von der Schauspielkunst. Hier hat Jackie Kennedy eine neue Ära der Macht- und Selbstinszenierung eingeführt. Ihre Erscheinungstopoi mit dem fein geknoteten Kopftuch, der großen schwarzen Brille, der schlanken Figur und der enganliegenden Kleidung sind als ihre persönlichen Markenzeichen in die Geschichte eingegangen. Dieser Look ersetzte fast die Person und wurde zum Bild ihres Mythos.43 Von Nancy Reagan wurde dies auf andere Art und mit anderen Mitteln fortgesetzt, mit fachlicher Unterstützung durch Diana Vreelands, der früheren Herausgeberin der US-Zeitschrift Vogue und Organisatorin mehrerer Ausstellungen über Mode am Costume Institut des Metropolitan Museum in New York. Die Präsidentschaft des ehemaligen Schauspielers Ronald Reagan bildet gewissermaßen die konkrete Krönung der Beziehung zwischen Hollywood und Washington. Da Reagan bereits früh eng mit dem Komitee gegen Unamerikanische Umtriebe in Hollywood zusammenarbeitete, war dies mit einer unverwechselbaren politischen Handschrift verbunden. Arnold Schwarzenegger setzt als Gouverneur von Kalifornien diese Tradition fort. Vom Politiker als Schauspieler über das Schauspiel der Politik bis hin zum 41 Sennett 1986, 369. 42 Vgl. Koestenbaum 1995, 38. 43 Vgl. Koestenbaum 1995, ebd.
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Schauspieler als Politiker sind die Grenzen des Spektakels fließender geworden. Die Frage der Mode – als Strategie der Politik – hat insgesamt auf die (Selbst-)Darstellung von Männern in Führungspositionen übergegriffen. Ich denke hier an die öffentliche Diskussion in Deutschland über die BrioniAnzüge der Herren Fischer und Schröder. Mechthild Jansen kennzeichnet dieses Phänomen als „verweiblichte“ Politik, die mit Clinton und anderen angefangen habe.44 Im Oktober 1999 wurde ein weiterer „Meilenstein“ dieser fruchtbaren Beziehung zwischen Hollywood und Washington bzw. deren Musealisierung auf effektvolle Weise verhandelt – mit dem Verkauf eines Kleides von Marilyn durch Christie’s im New Yorker Madison Square Garden für 1,3 Millionen US-Dollar. Das von Jean Louis angefertigte Kleid, vermutlich eines der berühmtesten Kleidungsstücke der Welt – handgenäht aus hautfarbenem „Soufflé de Soie“, verziert mit 6.000 Perlen – trug Marilyn Monroe (Abb. 62), als sie am 19. Mai 1962 vor 20.000 Zuschauern ihr glamouröses „Happy Birthday Mr. President“ für John F. Kennedy sang. Abb. 62: Marilyn Monroe
Die Symbolkraft dieser Kleidung besitzt durchaus eine ganz reale kulturelle und politische Dimension: Sie ist Bestandteil der Geschichte Amerikas und des Kennedy-Mythos. Darüber hinaus – Tocqueville lässt grüßen – hat in Amerika Geld immer das letzte Wort. Das neue Theater des Konsums beansprucht alles. Inzwischen sind weitere textile Kostbarkeiten der Filmgeschichte in Auktionshäusern versteigert worden wie z.B. am 15. Dezember 2002 bei Sotheby’s ein Kleid von Bette Davis aus dem Film „Dangerous“, das 207.500 US-Dollar einbrachte. Für das Torero-Kostüm Rudolph Valentinos zahlte ein Bieter 32.862 US-Dollar, für Vivien Leighs Négligé aus dem Film „Endstation Sehnsucht“ 16.730 US-Dollar und für Audrey Hepburns 44 Vgl. Jansen 2000, 158.
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Kleid aus dem Film „Ein süßer Fratz“ 14.340 Dollar. Das Westernkostüm von Marlene Dietrich aus dem Film „Der große Bluff“ (1939), eine blaue Seidenbluse mit passendem Rock, Strasssteinen und Bolero, wechselte den Besitzer für 19.120 US-Dollar. Der italienische Modedesigner Nino Cerruti war vermutlich einer der ersten, der den Film richtig zu schätzen und zu benutzen wusste, um für sein eigenes Label zu werben. Anita Ekberg verdankt ihm in Fellinis „La Dolce Vita“ (1960) ihren Look. Er war auch der erste, der systematisch für die Filmbranche arbeitete. Selbst fürs Fernsehen hat er einen Meilenstein gesetzt mit der Kreation des Looks Don Johnson in den „Miami Vice“-Serien. „Das war ein interessantes Experiment“, so Cerruti „weil die Helden in US-Krimiserien bis dahin immer furchtbar konservativ gekleidet waren. Der Erfolg von Miami Vice hing sicher auch mit dem modernen, lässigen Stil der Kleidung und den dynamischen Farben zusammen“.45 Die Werbung für bestimmte Designer wird heute sogar in Filmdialoge integriert wie bei „Rising Sun“ (1993): hier kommentieren Schurken durch ein offenes Autofenster Sean Connerys schwarzen Anzug bewundernd mit „Dieser alte Giorgio!“ Oder als Jennifer Lopez beim Anblick ihrer Kleider in „Eine perfekte Hochzeit“ (1999) staunend ausruft: „Oh, meine Gucci!“. Im Film „Der Teufel trägt Prada“ (2005) ist der Titel bereits Programm, doch wollten die großen Modehäuser mit diesem Film angeblich nichts zu tun haben. So musste die Kostümbildnerin Patricia Field – die auch für die Fernsehserie „Sex and the City“ die Kostüme entwarf – Hunderte von Outfits entwerfen. Der Film persifliert das Mode-Business mit der Figur der Chefredakteurin der Zeitschrift „Runway“ Miranda Priestley (Meryl Streep), die übrigens im Film auch Hermès oder Gucci trägt. Zur Filmpremiere erschien Anna Wintour, die im Film karikierte Vogue-Chefredakteurin, (selbst-) bewusst in Prada.46 Letztlich war der Film eine gute Werbung für sie Wintour, so herrlich verkörpert Meryl Streep die kühle Despotin (Abb. 63). Abb. 63: „Der Teufel trägt Prada“
45 Interview mit Nino Cerruti. In: Cinema 2007. 46 Für den Kinostart in Deutschland bot „Peek und Cloppenburg“ in limitierter Auflage die originale „La Rue“-Bag aus dem Film an.
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Die Story folgt der jungen Praktikantin Andy Sachs (Anne Hathaway) während der ersten Arbeitstage in der „Runway“Redaktion. Ihre Tage scheinen von vornherein gezählt, was möglicherweise daran liegt, dass sie sich z.B. Dolce & Gabbana erst buchstabieren lassen muss, dass sie einen hellblauen Zopfpulli und überhaupt die falschen Kleider trägt und nicht zuletzt, dass sie den Intrigen ihrer KollegInnen zunächst nicht gewachsen ist. Eine letzte anregende Verbindung von Film und Mode bietet uns Wim Wenders „Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten“ (1989). Durch die Beobachtung des japanischen Designers Yohji Yamamoto, seiner Philosophie und seinen Kreationen hinterfragt Wenders collageartig sein eigenes Filmmaterial, seine Werkzeuge, sein Film-Handwerk, seine eigenen Vorstellungen von Kunst, Film und der Welt und lässt das Publikum entscheiden, wo es sich in dieser Relation selbst positioniert.
Aussehen wie im Kino? Aneignungsstrategien Die Beziehung zwischen Mode, Film und Publikum ist komplex und besteht seit den 1950er Jahren auch zur Konfektionsindustrie, selbst wenn die Filmindustrie jeden direkten Zusammenhang leugnet. Dieses Verhältnis ist zwar als ein gegenseitiger Einfluss zu verstehen, verfolgt aber nicht die gleichen Interessen. Maureen Turim beschreibt und analysiert am Beispiel der Nachkriegsmode – New Look und Sweetheart-Linie – diese Verbindung zwischen Film- und Konfektionsindustrie für die 1950er Jahre.47 Auch Charles Eckert beschreibt in seiner Untersuchung über Tie-Ins zwischen MerchandisingStrategien, Bekleidungsunternehmern und Kinomode den Stimulationseffekt des Films und die Art und Weise, wie die Konfektionsindustrie für Kinomode wirbt und sie für eigene Zwecke annektiert.48 Christopher Breward weist darüber hinaus nach, dass der Taylorismus die Beziehungen zwischen ideologischen Bildern und wirtschaftlich-industrieller Produktion verändert hat.49 Dies unterstreicht die enge Verbindung zwischen Film und Konsum stärker denn je. Besonders auffallend zeigt sich dies am Beispiel des New Look, der so neu nicht mehr war, als er in den späten 1940er Jahren populär wurde. Denn dieser hatte seinen ersten öffentlichen Auftritt bei der letzten Pariser Modenschau 1939 kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und löste damals in den USA massive Empörung gegen die Wiedereinführung der Wespentaille aus. Ganz anders steht es 1947 mit dem Erfolg Diors und Boussacs. „Ich wollte meine Kleider ‚konstruiert‘, wollte sie auf die Rundungen des weiblichen Körpers, dessen Profilierung sie unterstreichen sollte, abgepasst wissen“, schreibt Dior. „Deshalb betonte ich die Taille, den Umfang der Hüften, hob die Brust hervor. Um meinen Modellen mehr Halt zu geben, ließ ich fast alle Stoffe mit Perkal oder Taft abfüttern und nahm damit eine seit langem vernachlässigte Tradition wieder auf“.50 Diese New Look-Mode fand in den USA besonderen Anklang, Das Verhalten Diors gegenüber der Filmindustrie blieb allerdings äußerst kühl. Noch 1955 weigerte er sich, ein Hochzeitskleid für einen Film mit 47 48 49 50
Vgl. Turim 1990, 217. Vgl. Eckart 1990, 100-121. Breward 1999. Vortrag. Dior 1956, 39.
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Brigitte Bardot zu entwerfen. Dabei hatte er weniger Angst, seine treuesten Kundinnen zu verärgern, vielmehr war er davon überzeugt, dass seine Kunst für die oberen Gesellschaftsschichten prädestiniert sei und auf der Leinwand vor einem Massenpublikum nichts zu suchen habe.51 Sicherlich nicht allein aus diesem Grund entwickelte Hollywood eine eigene Version des New Look. In dieser Sweetheart-Mode zeichnen sich vor allem die ideologischen Veränderungen der McCarthy-Ära ab. Die selbstbewusste und entschiedene Frau der Vorkriegs- und Kriegszeit behält zwar ihre „emanzipierten“ Züge, kehrt jedoch zurück ins Haus, um sich hier zu engagieren – ganz wie das Idealbild Doris Day. Jede soziale Kritik verschwindet von der Leinwand. Das neue, alte Bild der Frau, das mehrheitlich im Kino verbreitet wird, findet in der Sweetheart-Linie seine Entsprechung.52 Die wirkliche Aufgabe der Sweetheart-Mode sei es, meint Laureen Turim, „die jungen Frauen anmutig zu machen, den Übergang zur Fraulichkeit und Ehe [...] zu schaffen“,53 so dass das Sweetheart-Kleid zum allgemeinen Synonym für das Brautkleid wurde. Ironisch illustriert dies das Paradebeispiel „Der Vater der Braut“ (1950), in dem der Wechsel von den Jeans zum glänzenden weiten New Look-Stil deutlich die Verwandlung Elizabeth Taylors signalisiert. Die Jugendkulturen von den 1960er Jahren bis heute haben an diesem Grundmuster nicht oder kaum gerüttelt, lediglich das Interesse hat sich auf immer wieder neue Kleidungsstücke verlagert. Neu waren und sind die Körpersprache, die soziokulturelle Auseinandersetzung und vor allem die damit verbundene Lebenswelt und -lust. Neu ist jedoch auch die Verknüpfung der Konfektionsindustrie mit der Bilderindustrie auf globaler Ebene. Kostüme im Film sind Bilder, die auf einem zweidimensionalen visuellen (auch akustischen) Symbolisierungsmodus beruhen. Soweit ein taktil-sensorischer Zugang verweigert ist, muss sich der Vermittlungsprozess auf das Visuell-Akustische konzentrieren. Zu diesem visuell-akustischen Symbolisierungsverfahren gehören ebenfalls der Blick und das Gehör des Publikums (also die Rezeption, die immer zugleich Interpretation ist). Dieses VisuellAkkustische betrifft auch das gesamte unterschwellige Erzählfeld der Mode im Film. Der Prozess der Verbildlichung erschafft aber auch eine Hierarchisierung des Bildeffekts, die bis hin zur Ikonisierung reicht: Eine erstaunliche Sammlung von Bildern, „die immer noch nach Interpretationen verlangen“, wie es Wayne Koestermann am Beispiel Jackie Kennedy-Onassis’ eindrucksvoll untersucht hat.54 Die Modekunst stellt eine Triebkraft der Ikonisierung dar. Sie erst macht die moderne Ikonisierung überhaupt möglich, egal, ob es sich um Jackie O., Prinzessin Diana oder Mutter Teresa handelt. Tauschte man respektlos die Kleidung, so schwenken die Bilder um oder müssen ergänzt und erklärt werden, um die Bilder neu zu akzentuieren. Die Ikone unterstreicht bestens unseren wilden Glauben an die magische Macht der Bilder. Ikonen besitzen ihre eigenen Rituale, und ihre eindring51 52 53 54
Vgl. Agins 1999, 140. Vgl. Turim 1985, 35. Turim 1990, 220. Vgl. Koestermann 1997, 9.
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liche Gegenwärtigkeit löst einen regelrechten Bildersturm und Bilderstreit zugleich aus. Die Beziehungen zur Ikone haben mit der Vernunft nichts gemeinsam, dafür aber umso mehr mit Leidenschaften und dem Begehren. Ikonen kommen in allen Gesellschaften, sozialen Milieus und Kulturen in allen denkbaren Varianten vor. „Das Angebot wächst mit der Unzufriedenheit“, glaubt der Anthropologe M.-O. Gonseth.55 Modeikonen sind eine spezifische Form der modernen Welt, denn sie stellen nicht nur die Frage nach der Verführung, sondern auch die nach der Aneignung dieser Bilder. Affekt ist einer der Schlüsselbegriffe zum Verständnis dieses Prozesses. Affekt bedeutet vor allem Dramatik. Ein Hauptmerkmal kommerzieller Filme und der Darstellenden Künste bildet in der Tat die Dramaturgie. In einer guten Story werden die Dramatisierungsmomente und -effekte minutiös ausgesucht. Dies entscheidet über die Qualität des Drehbuches nach dem Motto „Was die Story nicht vorantreibt, hat im Drehbuch nichts zu suchen“ – zumindest im klassischen Kino. Diese Effekte verändern sich – wie Kostüme oder Technik – mit der Epoche, dem kulturellen Umfeld und der Situation. Dennoch werden sie im Film wie zuvor im Theater oder in der Malerei „schematisiert“ und in dichter Beschreibung konzentriert. Das heißt für den Film, dass zahlreiche ausgewählte, im normalen Leben zeitlich und örtlich verstreute Elemente innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne und meist an einem einzigen Ort mit dem Ziel konzentriert und „aktiviert“ werden, die Szene so komprimiert und effektvoll wie möglich wirken zu lassen, ohne gleichzeitig schwerfällig zu werden. Die Szene soll intensive Gefühle hervorrufen: Fröhlichkeit oder Trauer, Liebe oder Hass, Ängste oder Erleichterung. Die Kostüme werden in Übereinstimmung dazu entworfen. Wie weit diese „Geometrisierung“ der Gefühle Einfluss auf unsere realen sentimentalen Vorstellungen im Leben nimmt, bleibt offen. Leben wie im Kino? Historisch betrachtet, verweist dieser Grundsatz auf die Annektierung des Films durch die Jugendkulturen seit den 1950er und 1960er Jahren.56 Zunächst wurde der Ort – das Kino – als bevorzugter Treffpunkt „besetzt“, dann wurden einzelne Bilder annektiert und schließlich oder parallel dazu auch bestimmte Modeoder Kleidungselemente. Mode diente sozusagen als Brücke zwischen der filmischen Fiktion und der realen Welt der Jugend. Einerseits äußert sich darin die nachhaltige Wirkung des Mediums Film auf das Publikum, andererseits zeigt sich darin auch die aktive Rolle des Publikums. Die Aneignung der Kinobilder durch die Zuschauer vollziehtsicher weder automatisch noch passiv. Eine Beschreibung dieses Übernahmeprozessesder Bilder anhand der Mode erklärt z.B. nicht, warum ausgerechnet Audrey Hepburns „Frühstück bei Tiffany“ (1961) oder Jean Sebergs „Außer Atem“ (1960) und Sue Lyons „Lolita“ zur Schlüsselfigur für neue Trends wurden. Dazu müsste die Geschichte der Sensibilität der 1950er Jahre genauer untersucht werden. Umso transparenter gestaltet sich die Aneignung Filmbilder durch die heutigen Retro-Szenen, insofern diese Filme gemeinsam mit den damaligen Jugendzeitschriften eine der Hauptquellen für den Retro-Blick bieten. RetroStylistInnen „durchforsten Fernsehzeitschriften nach Filmen aus den 1960er Jahren und zeichnen gezielt Filme auf Video auf, um darin die Mode der Zeit 55 Gonseth 1998, 135. 56 Vgl. Schäfer/Baacke 1994.
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zu studieren und Vorbilder für eigene Kleiderkreationen zu entdecken. Entdecken sie interessante Modelle, stoppen sie die Szene, um das Kleid in ihr Skizzenbuch zu zeichnen. Auf diese Weise kreieren sie sich einen am persönlichen Interesse orientierten historischen Überblick über die Mode der 1960er Jahre“.57 Da sie geht vom heutigen „Bilderkonsum“ ausgehen, wird die Wahrnehmung der Fifties und Sixties unserer heutigen Sensibilität angepasst. Bereits Karl Lagerfeld hat diese veränderte Wahrnehmung auf seine Art bezeugt, als er die Fünfziger Jahre als „grau“ bezeichnete. Er schien dabei hinter den überlieferten Schwarz-Weiß-Bildern die Lebenslust der jungen Generationen zu übersehen. Dieses innere Feuer, das nach außen drängte, war gestern ebenso wenig grau wie heute. Und wenn dies doch der Fall ist, dann täuscht das gegenwärtig kontrastierte digitale Farbspektrum und wirkt als glänzende Fassade, die ebenso unser modernes Elend verdeckt. Die RetroBewegung ist allerdings nicht als bloßes Plagiat oder als Nachahmung zu betrachten; entscheidend ist vielmehr die Perspektive, aus der sie die Bilder und die materielle Kultur der 1960er Jahre wahrnimmt und mit heutigen Mitteln umsetzt.58 Die Aneignung des Films ist übrigens nicht nur eine Sache der Jugendkulturen, sondern sie stellt eine Konstante der Kinogeschichte dar, die heute sogar zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen geworden ist. Spätesten seit den 1920er Jahren gehört die Filmwelt zum sozial Imaginären, dessen Wurzeln sogar noch weiter zurückreichen. Wenn es im 19. Jahrhundert üblich wurde Theaterkostüme authentisch zu gestalten, so zeigt dies, dass die Verbindung zwischen Theater und Leben schon im 19. Jahrhundert – und bereits in früheren Jahrhunderten – ein unerschöpfliches Modethema bot und dass Mode schon damals im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand, eine Tradition, die der Film mit anderen Mitteln fortsetzt. Besitzen wir daher heute auch eine kinomatografische Vorstellung des Lebens, angereichert mit Plotpoints, Stimmungseffekten (Lebensstilen), Traumvorstellungen von Dekoren (Tapetenwechsel) und nicht zuletzt bestückt mit Mode? Sollen Mode und Trends im Film wie auch in der Realität eine merkwürdige Langeweile ersetzen und verdrängen, die keine „leeren“ Momente zu dulden scheint? Kulturhistoriker wie Neal Gabler, die das Phänomen genau untersucht haben, behaupten, dass immer mehr Menschen ihr Alltagsleben nach Mustern aus Unterhaltungsfilmen inszenieren.59 Zugleich zielt aber das Phänomen auch in umgekehrte Richtung. So werden in zahlreichen Sendungen à la „Big Brother“ Elemente des „normalen“ Lebens als Unterhaltung verarbeitet. Der Look der ProtagonistInnen wird dabei stets besonders ausgesucht. Eine Folge davon ist die Überzeugung, dass man das eigene Leben wie nach einem Drehbuch aufbauen und planen könne. „Hier kann man lernen, wie Menschen auf narzisstischen Stress reagieren. Das ist etwas, was Jugendliche wahnsinnig interessiert“, so der Konsumpsychologe Wolfgang Schmidbauer: „Jeder ist Performer. Warum nicht Geld damit verdienen?“60 Die Welt als Bühne ist zwar nichts Neues, aber dank elektronischer Medien ist heute jeder Star und Publikum zugleich und das erzeugt jetzt die Wirklichkeit. Darüber 57 58 59 60
Jenss 2005, 246. Vgl. Jenss 2005, 245-254. Vgl. Gabler 1999. Interview Schmidbauer. In: Der Spiegel 3/2000, 117.
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hinaus scheinen ähnliche Gesetze wie im antiken Rom zu herrschen: Wer langweilt oder nervt, wird erledigt.61 Viele Psychologen führen dieses Verhalten auf die Verwöhnung in der heutigen Zeit zurück. Konsum und Publikum (also Zuschauer sein) sind die beiden Schlüsselelemente zum Verständnis eines Phänomens, mit dem heute auch die Pädagogik konfrontiert ist: Man erwartet, unterhalten zu werden. Hier dient auch die Mode als einer der zahlreichen Zaubereffekte des Films. Im Unterhaltungskino amerikanischer Prägung ist die Konsumwelt eine Zauberwelt schlechthin, was die Unterscheidung zwischen frei gewählter Entscheidung und Verführung kompliziert macht. Der moderne Mensch, so sagte es bereits Jacques Ellul, sei ein faszinierter Mensch.62 Dabei spielen modische Gegenstände und Trends eine entscheidende Rolle. Ersetzen Objekte und Medien heute also die sozialen Beziehungen? Im Film werden sie jedenfalls zu festen Bestandteilen dieser Beziehungen. Pitching – die Kunst, eine Story attraktiv zu präsentieren – heißt das magische Konzept der Unterhaltungsmaschinerie. Gefragt sind dichte und erlebnisreiche Handlungen, in denen Mode und Alltagsgegenstände stets Objekte von unmittelbarer Notwendigkeit sind. Was ein Objekt aber zum Objekt macht, ist eben seine Materialität, deren Mangel im Film so eklatant wird, dass der Film diese Lücke anders ausfüllen muss. Daher präsentiert Mode im Film immer mehr als im realen Leben. Mode ist im Film immer etwas mehr als ‚nur‘ wirklich, und die Figuren im Film besitzen etwas mehr, etwas, das es in der Realität nicht gibt. Man könnte es Pfiff nennen, Poesie oder auch Traum. Dieses „etwas mehr“ verstärkt die Macht des Spiels, den Hauptreferenten des Unterhaltungsfilms. Mode muss heute dieses „etwas mehr“ so feinfühlig und geschickt gestalten, dass es praktisch nicht mehr direkt wahrnehmbar ist, dafür aber den Körper und die Persönlichkeit der Darsteller oder der Darstellerin umso besser in den Blickpunkt rückt.
Neue Körperpräsentation Seit den 1990er Jahren zeigt sich im Film eine zunehmende und mit Technik und Looks arbeitende Tendenz zur „Spektakularisierung“ des Körpers, also zur Konstruktion eines bombastischen Körpers, was eine extreme Typisierung voraussetzt.63 Die Vermischung von „Fit of Clothes“ (die Interaktion zwischen Körper und Kleidung) und „Body Cathaxis“ (emotionelle Kraft) wird radikal zugespitzt. Film und Modenschau haben dabei ihre Plätze vertauscht. Die Kostüme werden längst nicht mehr für die Promotion des Films benötig, im Gegensatz zu den 1940er und 1950er Jahren.64 Auch das Schauspiel der Körper gehörte früher hauptsächlich zum Kinoerlebnis, heute ist es ebenso ein Erlebnis des Laufstegs. Beide unterscheiden sich allerdings durch die „demokratische“ Komposition ihres Publikums. 61 Interview Schmidbauer, ebd. 62 Vgl. Ellul 1996, 387. 63 Ich verwende den Begriff „Spektakel“ hier ebenso im Sinn der Situationisten wie auch der Darstellenden Künste. 64 Damals fanden sich in den Pressemappen stets Kostümentwürfe zum Film, erzählt die Kostümbildnerin Evelyne Caron-Lowins. Die Zeitschriften publizierten daraufhin Bilder der Hauptdarsteller in ausgewählten Kostümen; vgl. Gontier 2001. Seit einigen Jahren greifen allerdings die Begleithefte von Filmen und „Making of“-Szenen auf den DVDs diese Tradition wieder auf.
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ModedesignerInnen machen aus diesem Körper- und Kleidungserlebnis heute ein gigantisches Spektakel. Dafür büßen Filmkostüme ihre traditionelle „spektakuläre“ Dimension ein, diese hat sich verlagert. Die heutigen technischen Möglichkeiten der Filmgestaltung erhöhen die Wirkung der Kleidung und des Körpers, so dass man sagen könnte, die Kostümgestaltung sei technischer geworden. Heute ist es nicht mehr möglich, nach alten Mustern zu verfahren, außer vielleicht in Produktionen à la Rosamunde Pilcher, denn die Sensibilität des Publikums hat sich seitdem entscheidend gewandelt, ebenso wie die Erzählstrukturen und die Formen des Dekors. Schon der Stellenwert der Gewalt im gegenwärtigen Kino – wie auch im sozialen Leben – hat die traditionelle Erzählweise obsolet gemacht. Die Spektakularisierung des Körpers im Film entspricht jener der Körper auf dem Laufsteg. Bereits in den 1980er Jahren taucht die Bezeichnung Body Management für die modische Erscheinungsform der Frau auf.65 Auf dem Laufsteg expandiert der Siegeszug der Starmodels. Fast jeder kennt ihre Namen – Claudia, Cindy, Naomi, Kate, Linda, Eva – und ihren Platz in der Hitparade der Umsätze. Sie sind der Ausdruck einer besonders ausgeprägten heterosexuellen Gegenoffensive in einer konservativ orientierten Zeit. Sie stellen wahrhaftig ein ideologisches Aushängeschild dar und verkörpern die Epoche des Körper-Königs. Die mütterliche wohlmeinende Mannequin-Pädagogik einer Eileen Ford oder ihrer Tochter Katie hat sich zum „Total Care“ aller Model-Agenturen entwickelt. Das Resultat der Total Care-„Pädagogik“ ist eine perfekt inszenierte öffentliche Gestalt. Nie zuvor wurde das Spiel mit der körperlich-sexuellen Attraktivität so intensiv betrieben. Parallel dazu entwickelt sich am Ende der 1990er Jahre vor allem in den USA eine beinahe kultische Suche nach dem „unbefleckten“ Körper – hygienisch, frei von Schönheitsfehler, von Krankheiten –, der den Nimbus von archaisch-religiöser Reinheit und Unreinheit trägt.66 In den 1980er Jahren veränderte sich grundsätzlich die Beziehung zwischen ModedesignerInnen und der Filmindustrie. Filmkompetenz gehört bei Modedesignern mittlerweile zum Grundwissen. Genau genommen sollte man beim Film weder nur von der Kleidung sprechen noch nur von den Körpern, sondern von einer dritten Figur, die beide symbiotisch-ästhetisch vereinigt; diese Figur möchte ich hier als Bild bezeichnen, welches das Spiel der SchauspielerInnen einrahmt. Dieses Bild entzieht sich der Logik der Kleidung, um mit dem Geheimnis des Körpers und der Person in Berührung zu kommen. Zugleich entzieht es sich aber auch dem natürlichen Ausdruck des Körpers durch die geradezu magische Verwandlungskraft der Kleidungsformen und -farben. Diese Verwandlung basiert darauf, dass im Schauspiel traditionell die Person hinter ihrer Rolle verschwindet. Kostüm- und Maskenbildnerei folgen bis heute diesem Ideal. Die Maske darf dabei nicht völlig die Persönlichkeit der SchauspielerInnen verdecken, die Erkennbarkeit ihres „Markenzeichens“ soll in jedem Falle gewahrt bleiben, was Leonardo DiCaprio zu der Äußerung veranlasste: „Egal was du spielst, du bist immer nur der Leo in einem neuen Film“.67 Damit verweist er auf die ambivalente Position der Schauspieler, aber auch auf die 65 Vgl. Craik 1994, 118; Burger 2002, 74. 66 Ganz im Sinne von Mary Douglas. Vgl. Douglas 1985. 67 Interview Leonardo DiCaprio. In: Süddeutsche Zeitung Magazin, 7.1.2005, 12.
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ambivalente Aufgabe der Kostümbildner: Einerseits bemühen sie sich um eine Formung der Person im Sinne der Handlung, andererseits geht es darum, das „Produkt“ zu sichern. Eine allzu perfekte Maske der Protagonisten stiftet Verwirrung beim Publikum. So werden im Unterhaltungsfilm weiter beide Seiten vertreten, sonst stimmt die Kasse nicht. Die Notwendigkeit, Experten zu engagieren, um die Charakterzüge der Filmfiguren mit der Persönlichkeit der SchauspielerInnen in Einklang bringen, damit die Figur mit ihrem Auftritt nicht das Monopol der „Firma“ bricht, gehört zu den Hauptaufgaben der Zunft.68 Die fehlende materiell-konkrete Raumzeitlichkeit, die im Film nur visuell und akustisch angedeutet werden kann, bringt für die SchauspielerInnen Nachteile mit sich. Das Persönlichkeitsprofil der Stars bleibt dadurch zwiespältig, da es, Richard Dyer zufolge, nur als Typus fungieren kann69 – eine im Grunde unhaltbare Situation, worauf Audrey Hepburn und andere wiederholt hingewiesen haben. Gaines geht sogar noch weiter und behauptet, dass die Persona der Stars quasi zur Karikatur ihrer Körperbilder gerieten.70 Genau betrachtet ist das Publikum durch zahlreiche Informationskanäle heute bestens informiert. Daher bevorzugen einige wenige RegisseurInnen eher unbekannte SchauspielerInnen. So engagierte etwa Milos Forman den Schweden Stellan Skarsgard für die Hauptrolle in „Goyas Geister“ (2006). „Für mich war er ein unbekanntes Gesicht, und ich wollte, dass man Goya sieht und nicht einen berühmten Schauspieler, der Goya spielt“ (Abb. 64).71 Generell versuchen KostümbildnerInnen bei einem bekannten Gesicht so gut es geht, die besondere Mischung aus Persönlichkeit, Personenbild und Persona sowie typisierter Körpervorstellung für die Dreharbeiten, die Öffentlichkeit und zugleich im Sinne der SchauspielerInnen zu gestalten: Erste Anzeichen eines Ikonenkults! Abb. 64: „Goyas Geister“
68 69 70 71
Vgl. Gaines 1998, 241-243. Vgl. Dyer 1984, 27-39. Vgl. Gaines 1998, 241. Interview mit Milos Forman. Epd Film 11/2006, 24.
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Film- und Modebühnen Eine prachtvolle Bühne des Ikonenkultes stellen Modenschauen dar, die gelegentlich auch in Spielfilmen vorkommen. In „Die Frauen“ (1939) von George Cukor fanden die Modenschau und die Kreationen Adrians das besondere Gefallen des Publikums, nicht zuletzt deswegen, weil in diesem Schwarz-Weiß-Film die Modenschau-Sequenz in Technicolor gedreht wurde. Dies ist nicht die einzige Besonderheit des Films: Außer Norma Shearer und Joan Crawford, die sich ein spannendes Duell liefern, treten im ganzen Film noch 131 Frauen auf, während weit und breit kein einziger männlicher Schauspieler zu sehen ist. Während des etwa 100 Minuten langen Films wird aber fast ausschließlich über ein Thema gesprochen: Männer. Die Kostüme sind daran in erheblichem Maße mitbeteiligt durch die Art des Auftretens mancher Figuren, die je nachdem als zickig oder lächerlich charakterisiert werden, während sich andere hingegen unabhängig, selbstbewusst und kämpferisch zeigen. Dennoch wird keine von ihnen als nutzlos, oberflächlich oder degradiert dargestellt, was in der Filmwelt der Vorkriegszeit eine Seltenheit war und einer kleinen Sensation gleichkam. In Altmans Modesatire „Prêt-à-Porter “ (1994) ist vor allem das Abschlussdéfilé, bei dem die Models völlig ohne Kleidung auftreten, unlogisch. Die Anlehnung an Helmut Newton ist unübersehbar und die Intention des Regisseurs glasklar, sie wird sogar erläutert durch die Fernsehreporterin. Die Täuschung trifft vor allem die beiden Künstler selbst, die den Sieg des Körpers über die Kleidung zu zelebrieren scheinen – ein grundlegendes, aber kreatives Missverständnis aus dem einfachen Grund, da der soziale Mensch niemals nackt ist, schon gar nicht auf der Bühne, wie es Claude Lévi-Strauss in „Der nackte Mensch“ beschreibt. Nacktheit bedeutet hier nicht einfach die Natur des Menschen, sondern Nacktheit ist ein besonders komplexes Konstrukt. Nackte Körper können sogar zur Uniform werden. Dies zeigt sich bereits an den Schwierigkeiten, den nackten Körper zu filmen, zumindest nach den Kinokonventionen. Nacktheit ist im Film immer schwer zu konstruieren. Die Technik (z.B. Zoomeffekten in Prêt-à-Porter“), die Inszenierung oder die Posture ersetzen bei Altman wie auch bei Newton die Kleidung bei der Darstellbarkeit des Körpers. Bereits eine winzige Bemalung oder ein feiner Schleier auf der Haut ändern alles, machen den Körper greifbar und multiplizieren seine mediale Wirkung. Einige DesignerInnen wollten mit dem Film „Prêt-à-Porter“ nichts zu tun haben oder hatten Angst, lächerlich gemacht zu werden. „In unserer Branche gibt es viele Exzesse. Es war höchste Zeit, dass jemand uns den Spiegel vorhält“, kommentiert Cerruti.72 Karl Lagerfeld wollte den Film sogar verbieten lassen – was die Medien zu gehässig gehässigen Kommentaren veranlasste –, bis schließlich bekannt wurde, dass Altman und Lagerfeld befreundet waren und Lagerfelds Forderung ein gelungener Werbecoup war. Auch die Modenschau in „Singin’ in the Rain“ (1952) von Stanley Donen hat Geschichte gemacht. Denn sie hat eine Art „Virtualität“ lange vor der virtuellen Zeit präsentiert – bei jedem Kleid ändern sich die Farben des Dekors –, und, wie bereits erwähnt, sogar den Minirock „entdeckt“.
72 Interview mit Nino Cerruti. In: Cinema 2005, o.S.
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In Federico Fellinis „Roma“ (1972) organisiert Prinzessin Domitilla (Pia de Doses) in ihrem Palazzo und in Anwesenheit von Kardinal Ottaviani (Renato Giovannoli) eine bemerkenswerte Modenschau. Präsentiert werden nur religiöse und sakramentale Kleidungstrends mit einem Höhepunkt, der das ganze Publikum in Trance versetzt. Dass der Einfluss auch in umgekehrte Richtung verläuft, beweisen John Galliano und Alexander Mac Queen, die ihre Inspirationen für Modenschauen auch aus Filmen schöpfen können und Filmen als Themen ihrer Modenschauen inszeniert haben. Ich fühle mich wie Visconti“, sagte einmal John Galliano. Ich möchte versuchen, einige Ähnlichkeiten zwischen beiden Inszenierungsformen – Film und Modenschau – aufzuspüren und Parallelen zu ziehen. Zuerst könnte der Verlauf Modenschauen aus einem Filmdrehbuch stammen: In jeder Saison trifft man am oder um den Laufsteg in einer Stunde mehr Bekannte der Szene als in den sechs vergangenen Monaten anderswo. Das Treffen braucht sich nicht unbedingt im Cour Carrée des Louvre abzuspielen – um Paris als Beispiel zu nehmen –, sondern genauso gut in den feudalen Eingängen des Grand Hotel, des Meurice, des Ritz oder des Intercontinental. Wer die Gegend um die Place Vendôme, die Rue de Castiglione oder der Place de l´Opera meiden will, kann im Cirque d’Hiver, im Musée d´Art Moderne, in Theatern, Messezentren oder sogar in der Metro die neue Mode sehen. Vorrang beim Zugang zu den Modenschauen haben zunächst die Einkäufer der großen Mode- und Kaufhäuser vor allem an der New Yorker 5th. Avenue, und die bekannten und geradezu gefürchteten Namen der Modepresse wie John Fairchild vom „Women’s Wear Daily“ – Pflichtlektüre der Modebranche–, die „Modepäpstin“ Suzy Menkes (International Harald Tribune), Glenda Bailey (Harpers Bazaar), Elizabeth Salzman-Walter (Vanity Fair) und natürlich Anna Wintour (Vogue). Die Platzierung der wichtigsten Personen auf den begehrten Sitzplätzen verlangt Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick. Auf der anderen Seite des Laufstegs sitzt der kompakte Stamm der Fotografen, der ebenfalls nach hierarchisierten Rängen aufgebaut ist, jedoch sobald die Lichter ausgehen, sich demokratisch an den Rand der Bühne drängen Die Modenschau ist ein mondäner Ort par excellence, der die Rituale der Distanz und der Exklusivität pflegt. Ein Rest aristokratischer Prachtentfaltung, die ihre Legitimität in der heutigen Zeit immer wieder neu definiert! Kinosäle sind in dieser Hinsicht demokratischer. Wie der Film ist die Modenschau sicherlich eine Präsentation von Kleidung, aber auch eine Körperpräsentation einseitiger Art, in der er zelebriert, ritualisiert, idealisiert und mit beinahe religiösen Zügen verherrlicht wird. Mode als Spektakel ist übrigens nichts Neues. Lange bevor es Modenschauen gab, spielte Mode bereits eine wichtige Rolle auf der Theaterbühne. Die Bühnenkostüme des Barocks z.B. demonstrierten einen verschwenderischen Luxus. Wenngleich sie eine eindeutige Zeichensetzung besaßen, die den Typus, den sozialen Rang und den Stand charakterisierte, so ließen die Kostüme dennoch genügend Raum für die Fantasie.73 Die Bühnenkunst des Barock kannte eine wahre Fülle von fantastischen Kostümen und Masken, 73 Vgl. Brauneck 1996, Bd. 2.
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deren Details in die zeitgenössische Mode eingingen. Hauptreferenz für das Bühnenkostüm blieb jedoch die zeitgenössische Mode des Barock- oder Rokoko-Zeitalters selbst. Hierbei wurden vor allem die fließenden Grenzen zwischen höfischer und bürgerlicher Mode getestet. Der Bühnenrahmen mit Portal, der symbolisch die Schwelle zum Reich des Schauspiels und der Fantasie markierte, bildete für Mode-Ereignisse keine Trennmauer. Am Hof wurden beide Bereiche ohnehin durch den voll beleuchteten Zuschauerraum vollständig ineinander integriert. Das Publikum selbst verstand sich als Element des Theaters. Sowohl auf der Bühne als auch im Saal gehörte Mode zur Inszenierung der Macht und wurde von allen Beteiligten auch als solche verstanden und akzeptiert.74 Auf diese Weise drückte die Mode auch die immer enger werdenden Beziehungen zwischen Theater und Leben aus. Das Leben am Hofe wurde wie eine Theateraufführung inszeniert mit den höfischen Festen als optimaler Hyperbel, und diese Theatralisierung der Welt wurde als ein gesamteuropäisches Ereignis zelebriert, wobei das Leben selbst als Schauspiel bezeichnet wurde. Bereits in Calderon de la Barcas „Das große Welttheater“ kommt diese Idee zum Tragen.75 Mode geriet zum wesentlichen Element dieser Dynamik, die im 19. Jahrhundert auf den Grands Boulevards ihre „theatralische“ Fortsetzung fand. Denn nur die Stadt hält die für die Mode notwendigen Schauplätze des Spektakels bereit, wo sie mit ihrer permanenten Wechselhaftigkeit zur Entfaltung gelangen kann. Boulevardtheater und Mode gingen hierbei eine enge und fruchtbare Allianz ein, wie es Brunhilde Wehinger eindrucksvoll beschrieben hat.76 Dies erklärt, warum Schauspielerinnen zu Modeikonen ihrer Zeit avancierten, sowohl auf der Bühne als auch außerhalb – eine schwierige und ambivalente Stellung, da das 19. Jahrhundert wahrhaftig nicht als ein Jahrhundert der Frauen gelten kann. Dieser theatralischen Tradition erweisen die heutigen Modenschauen ihre Referenz, indem sie große Namen der Weltliteratur zitieren und sich als Theater- oder Filmaufführung inszenieren. Szenen werden nach Art von Drehbüchern präsentiert: Eine Art isoliert aufgebauter Clip-Kohärenz, die mal dramatisch, mal dokumentarisch sein kann, wird so mitsamt des Plotpoints aufgeführt. „Die Menschen haben Filme im Kopf“, so Karl Lagerfeld. Wie Filme scheinen auch die Modeschauspiele keine zivilisatorischen Hemmungen zu kennen, lautet das Urteil der Modejournalistin Marie-Luise Scherer: „Musettewalzer, Kosakenchöre, Tiefflieger, Hummelflug, Apokalypsen aus dem Synthesizer, Peer Gynt, Schulbeginn in den Karpaten, Kirchgang in Harlem, Bad Fuschl und Cordoba in ein- und demselben Kragenspiegel, Stille Nacht, Spieluhrfrieden, chinesisches Bänderwerfen zu bulgarischen Schultertüchern, x-beinig gesetzte Füße in Haferlschuhen, im Jankerl König Ludwigs Wahnsinnsposen zu Jodlern und Zither, schwarzgrüne Bersaglierifedern als Hecke um das Dekolleté, karierte Gangstersakkos zu erregten Schubert-Liedern, rollende Handtaschen an der
74 Die Inszenierung verlief übrigens nicht ohne Anspruch auf „Authentizität“. 75 Vgl. Calderon de la Barca 1988 (1655). 76 Vgl. Wehinger 1988.
290 | MODE IM FILM Hundeleine, weiße Tauben in einer Rotbuche mit bemoosten Fuß, Schneetreiben mit vermummten Kindern und schwarzem Ziegenbock“.77
Eine andere Vergleichsmöglichkeit mit dem Film bieten die ausgesuchten technischen Inszenierungs- und Hilfsmittel bei Modenschauen wie computergesteuerte Lasersysteme und vor allem die Musikthemen. Ohne die Musik, so heißt es, wirkt zunächst jede Schau langweilig. Der Sound muss mit dem präsentierten Look übereinstimmen. Dabei lassen sich Modedesigner heute von Sound-Experten beraten, und für jede Präsentation wird ein eigener Soundtrack entwickelt. Die Bühne verleiht dem Auftritt der Models und der Mode eine zusätzliche Aura, zugleich wird mit ihr ein mythischer Abgrund aufgebaut. Selbst wenn die erhöhte Bühne verschwindet und die Models in Augenhöhe des Publikums vorbeidefilieren, geht dieser mythische Abgrund nie unter. Stets bringen ihn Beleuchtung oder die Inszenierung wieder zurück. Die direkte Präsenz und Mitbeteiligung der Akteure – wie im Theater – macht die Modenschau zum totalen Schauspiel, im Gegensatz zum zweidimensionalen Film. Ein gemeinsamer Aspekt von Film und Laufsteg besteht auch in der Anwesenheit von Prominenten. Für jeden Designer zählt die Präsenz bekannter Persönlichkeiten aus Politik, Sport oder Kultur, vor allem aber vom Film. Allerdings verharren die Gäste in ihren jeweiligen Kontexten, noch defiliert kein Politiker über den Laufsteg. Eine weitere Affinität zum Film liefert der Dekor, ein zentrales Element der Präsentation. Eine Modenschau in einer alten Werkstatt, in der Metro oder gar im Naturkundemuseumstimuliert ein ganz anderes mediales Feedback als eine geradezu gewöhnlich zu nennende Präsentation in einem Luxushotel. Dabei übernimmt der Dekor quasi symbolische Bedeutung, indem er die Kleidung in ein symbolisches Konnotationsnetz einspannt, codiert und lesbar macht. Gaultiers Modenschauen in der Metro demonstrieren im wahrsten Sinne des Wortes seinen Anspruch auf Alltäglichkeit und zugleich Einmaligkeit. Von der fieberhaften Stimmung des Defilees bleibt außer einigen Schockbildern allerdings in den Medien nicht viel übrig. Beim Spielfilm ist es umgekehrt und aus einer Ansammlung kleiner Elemente entsteht ein medienwirksames Produkt. Ein Aspekt eint und trennt Film- und Modewelt gleichermaßen, nämlich die Frage nach den Models. Wenn Politiker, Sportler oder Kinostars zu Modeträgern – also zu Models – werden, dann stellt sich die Frage, welche Bedeutung dabei die eigentlichen Models noch haben? „Mit Cindy fing alles an“, schreibt die Zeitschrift Max. Gemeint ist hier das Phänomen der Supermodels. Genauer betrachtet reicht das Phänomen historisch etwas weiter zurück und es manifestiert sich – abgesehen von Worths späterer Frau Marie Vernet – zum ersten Mal ganz konkret in der Gestalt junger Verkäuferinnen, die als „Models“ zu Verfügung standen: In Fräulein Gelbstern, Mademoiselle Denise und Miss Kitty. Von hier aus weitet sich das Mannequin-Phänomen aus hin zur internationalen „Cabine“ des Couturiers Jean Patous, dessen Mannequins hauptsächlich aus den USA 77 Scherer 1988, 156.
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kommen. Diese „Cabine“-Struktur hat in der Modelbranche bis in die Gegenwart Gültigkeit. Heute blüht das Model-Business wie nie zuvor und ernährt zahlreiche weitere Berufe – die ModeschöpferInnen ausgenommen –, die viele Parallelen mit der des Films haben: FriseurInnen und StylistInnen, Make-up-KünstlerInnen, FotografInnen, Agenturen, Schulen, Booker oder Model-Coaches und Scouts. Die neue Hochschätzung der Supermodels entstand mit der Welle des „Looks“ und der „Trends“ in den 1980er Jahren, zwei amerikanischen Marketing-Konzepten, die seither erfolgreich in die Umgangssprache eingegangen sind. Werbung und Provokation wurden vermischt und die Figur des jungen Stylisten hervorgehoben. Dabei wurde gezielt die Kreativität des „traditionellen“ Couturiers übersehen, weil man sich vor allem von der Haute Couture distanzieren wollte. Die Trends umfassen ein Bündel an Elementen wie den Look, die Schminke, die Accessoires, die Gestik, die Stimmung, kurz: Alles was man als „Lebensstil“ gekennzeichnet hat. „Ich entwerfe nicht Kleidung, sondern ein ganzes Universum“, behauptet Ralph Laureen. „Es gibt keine Werte mehr“, stellt Azzedine Alaia fest, „sondern nur noch Marketing“.78 Eine Konsequenz davon war nach Ansicht von Trendforschern, dass das Modephänomen nicht mehr von der Kleidung getragen wurde, sondern vom Starmodel-System. „Mannequins oder Wachspuppen?“, lautet der Titel einiger Modephotos von Karl Schenker aus dem Jahre 1925.79 Setzen die heutigen Models also die Tradition der früheren Modepuppen fort? Bereits die Puppen bzw. die Gestalt der Modepuppen führen zurück ins Herz der modernen Fantasmen. Eine Düsseldorfer Kunstausstellung brachte es programmatisch auf den Punkt: „Puppen, Körper, Automaten. Fantasmen der Moderne“.80 Stanley Kubrick hat diesen Strang auf seine Art in seinem Film „Killer’s Kiss“ (1955) illustriert. Ich denke hier an die surreale Kampfszene in der großen Halle und die eindeutige metaphorische Rolle Hunderter dort gelagerter weiblicher Schaufensterpuppen. Die beiden Männer erschlagen sich mit Spieß und Axt gegenseitig, und in einem völlig gewalttätig-regressiven Zustand zerreißen und zerstückeln sie dabei die Puppen in kleine Stücke, die sie sich gegenseitig zuwerfen. Auslöser dieses „Gemetzels“ ist die Gunstbezeigung einer Frau. Die Faszination für die Models verläuft normalerweise friedlicher und „liegt zu einem nicht geringen Teil auch darin“, so fasst es Gertrud Lehnert zusammen, „dass sie lebendig gewordene und in die Moderne gekommene Märchengestalten zu sein scheinen“.81 Auch der Verdienst und das Bild der Top-Models in der Öffentlichkeit – Anerkennung, Erfolg, Reichtum – sind der Stoff, aus dem die Träume sind und sorgen für Nachwuchs und Nachfrage. „39 Stunden pro Woche, die wie 39.000 Stunden bezahlt werden“ ironisiert Karl Lagerfeld. Dieses Verhältnis trifft in der Filmbranche auch für Kinostars wie Julia Roberts oder Nicole Kidman zu.
78 79 80 81
Le Nouvel Observateur, 31.7.1997. Müller/Sykora 1999, 399. Ebd., 65-93. Lehnert 1997, S. 49.
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Die Modelagentur Connection hat allerdings weltweit auch Nebenfolgen bewirkt wie den Billigmodel-Markt, der von der Moskwa bis an die Ufer der Seine reicht. Der Modejournalist Michael Gross hat über „Das hässliche Geschäft mit den schönen Frauen“ in den 1990er Jahren eine kritische Bilanz gezogen. Der eigentliche Skandal entstand jedoch erst im November 1999, als die BBC eine heimlich gedrehte 60-Minuten-Dokumentation von Donald MacIntyre und Lisa Brinkworth über sexuelle Belästigung junger Fotomodelle und Drogenmissbrauch in einer der größten internationalen ModelAgenturen produzierten. „Die Model-Szene ist ein heikles Pflaster“, sagt Jutta von Brunkau, die selbst fast zehn Jahre als Model arbeitete und heute eine Model-Schule in Berlin leitet.82 „Die Modeindustrie hat Models schon immer eher als Objekte, denn als Menschen behandelt“, meint Gross. Die Ambivalenz steckt bereits in der Tatsache, dass sich einerseits die Präsentation der Models real wie auch medial auf einem voyeuristischen und fetischistischen Feld vollzieht, was die Modeindustrie ja auch offen mit Niveau zelebriert. Mode arbeitet ununterbrochen mit Erotik, will aber von roher Sexualität und vom Sex-Geschäft nichts wissen. So läuft allein die Verbreitung und Vermarktung der Model-Bilder – auch bei bekanten Models – im Internet hauptsächlich auf dieser erotischen und sexuellen Schiene. Die „Moralisierung“ der Modebranche war immer problematisch. Die Tätigkeit als Model hat sich aber zugleich zu einem „vollwertigen“ Beruf entwickelt.83 Aus dieser Perspektive betrachtet ist es unangemessen, wie ich oben suggeriert habe, Models in der Tradition von Modepuppen zu sehen. Viele gehen kritisch mit ihrem Beruf um und kommentieren ihn selbstreflexiv. Einige von ihnen entwickelten sich zu kompetenten, selbständigen Geschäftsfrauen. Bei den Schauspielerinnen geht es manchmal nicht anders zu. Außenstehende haben eine eher ideale Vorstellung von dem Beruf, weil nur die erfolgreichen SchauspielerInnen im Rampenlicht stehen. Es gibt jedoch eine große Zahl an unbekannten SchauspielerInnen mit großem Talent – allein in Hollywood sind es Tausende –, die aber oft am Rande des Existenzminimums leben. Diese andere Seite Hollywoods beschränkt sich übrigens nicht nur auf diesen Aspekt. Selbst bei den Stars begegnen wir Gewalt, ja sogar Mord, Drogen, Alkohol, Spielsucht und Mafia.84 Vergleichbar zu Kino-Superproduktionen haben auch Modenschauen heute quasi babylonische Dimensionen erreicht und verschlingen schwindelerregende Summen. Eine regelrechte Monumentalisierung der Modenschauen hat stattgefunden. Ein bemerkenswertes Beispiel setzte bereits im September 1985 einen Meilenstein: 500 Models aus 17 Ländern liefen auf einem gigantischen Laufsteg in der Pariser Avenue Foch zu entsprechender Musik und Laserbeleuchtung vor 100.000 Zuschauern zum Abschluss des Internationalen Festivals der Mode. 82 Der Spiegel, 48/1999, „Eine Art Fleischmarkt“; Vgl. auch Le Monde, 23.9.2001, 13 und Welt am Sonntag 22.2.2004, „Beben auf dem Laufsteg“. 83 Er umfasst ein breites Spektrum an Tätigkeiten wie Haute Couture und Prêt-àPorter, die Werbung bis hin zur Film- und Videowerbung, Erstellung von Katalogen, Beteiligung an Messen und Ausstellungen. 84 Corey Feldman, Britney Spears, Val Kilmer, Russel Crowe, Colin Farrell, Mel Gibson, Lindsay Lohan, Steven Seagal und der Hollywood-Detektiv Anthony Pellicano sind einige der Namen, die im einen oder anderen Zusammenhang im Jahre 2006 genannt werden.
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Auch auf dem Berliner Ku’damm flanierten im August 1999 während einer fünfstündigen Modenschau 802 Models vor rund 50.000 Zuschauern. Mehr als ein halbe Stunde brauchten die Models, um den 1111 Meter langen Laufsteg abzulaufen. Modenschauen werden zu einem Massenereignis stilisiert und beanspruchen innerhalb der Modeindustrie selbst mittlerweile ein eigenes ökonomisches Gewicht. Das Risiko für die Modehäuser selber ist dabei fast unüberschaubar geworden: Modenschauen, einst als Werbekampagnen gedacht, haben sich zu einer autonomen Präsentationsform verselbständigt. Sie sind ein medialer Event geworden, der sich beispielsweise auch die Autoindustrie zunutze macht. Dabei komme ich zum letzten Vergleich: Beide Welten geraten heute immer mehr in die Hände transnationaler Unternehmen. So sind Modedesigner und ihre Kreationen mittlerweile zu Markennamen großer Unternehmen geworden, vor allem der Luxusindustrie,85 während Blockbuster im Kino für die Filme der großen Medienkonzerne, die zunehmend den Weltmarkt beherrschen, werben. Beide unterstehen in der Tat, trotz gegensätzlicher Logik, was Qualität und Zielpublikum betrifft, dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Dies stellt die enge Promiskuität zwischen Macht, Mode, Erotik und Spektakel in den Vordergrund, ein Phänomen, das bereits der Soziologe Werner Sombart in den 1920er Jahren untersucht hat.86 Die Politik der Posen machte die Festlichkeit zum Raum der soziokulturellen Performance. Darin bildet die Mode, so Sombart, ein hervorragendes Medium. Bereits im Mittelalter stand sie im Mittelpunkt der Festlichkeit, die eine der wichtigsten repräsentativen Bezugspunkte der höfischen Kultur und Dichtung darstellte. Kleidung – das Wort Mode im engen Sinn der Kleidermode gab es noch nicht87 – war dabei ein stilistisches Mittel der höfischen Epik im Sinn eines Selbstbildes des Adels. Man erwartete daher z.B. von den Dichtern, dass sie mit der detaillierten Kleidungsbegrifflichkeit eng vertraut waren, stellt der Mediävist Joachim Bumke fest.88 Dies scheint für die heutigen „BerichterstatterInnen“ wieder von neuem gültig geworden zu sein. Im Unterschied zum Mittelalter braucht die mondäne Welt nicht mehr die Distanzierungsstrategien des Hofes zu übernehmen: Heute sorgen die Medien für diesen „mythischen Abgrund“. Bei den Filmfestivals und den Modenschauen handelt es sich also um festliche Großrituale, in denen die Medien – hier Film und Mode – nicht wie üblich Nebendarsteller sind, sondern im Mittelpunkt des Geschehens stehen, ja das Ritual selbst ausmachen.
85 Zu den Transnationalen Firmen der Luxusindustrie gehören LVMH (Louis Vuitton Moet Hennessy), PPRs’Gucci (Pinaut Printemps Redoute mit Gucci), Prada, It-Holding, Diesel-Group Movena oder Richemeont-Gruppe. 86 Vgl. Sombart 1922. 87 Der Begriff Mode kam erst im 17. Jahrhundert auf. 88 Vgl. Bumke 1986, S. 176.
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Drama als Alltag Manche Daten wirken wie Zäsuren, selbst in der Filmwelt. Nicht Naturkatastrophen wie das Erdbeben in Nordindien (Rajasthan) oder der Tsunami vom 26. Dezember 2004, sondern die Ermordung Kennedys am 22. November 1963 oder die Anschläge vom 11. September 2001. Letzteres Datum gilt ganz besonders für Hollywood. Oft hieß es, dass das Ereignis auch aus einem Hollywood-Drehbuch hätte stammen können, aber das Kino nimmt hier vielmehr eine Ventilfunktion ein. Schon kurz nach den Attentaten mit den entführten Flugzeugen wurden die schockierenden Bilder in den Medien vor allem der USA digital ästhetisiert. So wurde die Kluft zwischen den Bildern und den Kommentaren immer größer. Es gab zwei Katastrophen, sagen böse Zungen: das Attentat und die Erklärungen der Politiker danach, weltweit. Zunächst wurden die Feuerwehrleute mit ihren Uniformen zelebriert und in der sehr männlichen Tradition der Helden gefeiert, darauf folgten problematischer, die Krieger in ihren Uniformen. In Hollywood war die Stimmung umgeschlagen. Nicht nur, weil auch Los Angeles als potentielles Angriffsziel empfunden wurde, sondern weil zahlreiche Produktionen und Drehbücher durch das New Yorker Drama unbrauchbar geworden waren. Themen, die noch kurz zuvor Geld gebracht hätten, waren zumindest vorläufig nicht mehr verwendbar. Der Krieg in Afghanistan könnte zwar die nächste thematische Drehbuchwelle liefern – Amerika hat nun wieder einen großen Gegner, den es nach dem Ende des Kommunismus verloren hatte –, dennoch hatte es nicht die Wunde schließen können, die der 11. September im amerikanischen Selbstbewusstsein verursacht hatte.„Nach dem 11. September“, sagt Jodie Foster, „dachte man, dass die Leute eher Komödien sehen wollen, aber tatsächlich waren sie bereit für den Krieg. Es macht mir Angst, den amerikanischen Patriotismus zu sehen. Wenn man die 1960er Jahre miterlebt hat, nach dem Vietnamkrieg, ist dies komisch. [...] Dies war ein entscheidender Moment für mein Land, die Leute waren deprimiert, und ich brachte ein Kind zur Welt. Die Amerikaner sind in ihrer kleinen Welt eingesperrt. Der 11. September sah aus wie ein merkwürdiges ernüchterndes Aufwachen. Man kann mit ihnen aber nicht über die Komplexität der internationalen politischen Situation sprechen, auch nicht jetzt.“1 Der 11. September war auch ein Meilenstein in der Mediengeschichte. Auf der ganzen Welt unterbrachen die Fernsehsender ihre Programme und sendeten live aus New York. Millionen von Menschen wurden zu direkten Augenzeugen des Angriffs. Für die Filmindustrie und -kunst bedeutete dies
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Interview mit Jodie Foster. In: Le Monde, 25.5.2002.
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eine Rückkehr des Schicksals in das alltägliche Leben. Die Dramatik der Welt rückte näher, ermöglicht durch die globalen Medien. Erst fünf Jahre später rückt die Unterhaltungsindustrie ihr Verständnis ihrer eigenen Welt und Ordnung wieder zurecht. Einige Fernsehproduktionen. aber auch mit Oliver Stones Film „World Trade Center“ (2006) machen das New Yorker Inferno zum Spektakel einer wundersamen Rettung von zwei Überlebenden und einer penetranten Botschaft. Im Film von Stone versinnbildlicht die Uniform zwei neue Symbolfiguren New Yorks: die Feuerwehr und die Polizei. Dramatik bildet den Angelpunkt jeder Filmkonstruktion wie zuvor des Theaters. Etliche Formen von seriellen Dramen und uniformen Drehbüchern gelangen in die Soap Operas und die Familienserien, die in einen weitreichenden fiktionalen und realen Beziehungskomplex eingebunden sind. Mich interessiert hier weniger die Serialität als Grundprinzip der Fernsehsendungen als vielmehr, wie solche Serien das Leben in endlosen dramatischen Handlungen konstruieren und strukturieren und welch erstaunliche Position die Mode dabei einnimmt. Standard-Plots wie die Dreieckskonstruktion oder das Problem der Vaterschaft werden mit ihrem Potential an Spannungen und Konflikten – auch Subplots genannt – immer wieder aufgegriffen und klatschsüchtig ausgebreitet. Dieses Gleichgewicht von Spannungs- und Entspannungsmomenten stellt den eigentlichen Rhythmus der Daily Soap dar. Man wählt hier vor allem zwei Handlungsdramaturgien: die so genannte „Zopfdramaturgie“, die für die Überschneidung der einzelnen Episoden und für eine verlangsamende Multiperspektivität sorgt, und den „Cliffhanger“, der nach dem Fortsetzungsprinzip arbeitet. Kleidungsmode und -motive bilden immer äußerst wichtige Elemente der Soaps, sie schlagen eine Brücke zwischen der realen Alltagswelt und dem Serienalltag im Bild. Über sie wird eine Art Kontinuität ausgedrückt mit dem Ergebnis, dass die Soaps relativ realistisch wirken. Meist sind die Kostüme die einzigen Fantasieelemente, die auf sehr ausgesuchte und entsprechend typisierte Charaktere zielen. Trends werden genauestens befolgt, bis hin zu Einzeldetails. Dies trifft nicht nur auf amerikanische, sondern ebenso auf europäische Produktionen zu. Die US-Serien zielen eher auf einen „emotionalen Realismus“, während bei den Europäern meist ein minimaler soziokultureller Kontext transportiert wird. Bereits „Lindenstraße“ hatte Mitte der 1980er Jahre einen Archetypus des deutschen Mikrokosmos erfunden. Er unterschied sich von früheren Produktionen durch die Einbeziehung von soziokulturellen und politischen Problemfeldern. Anfang der 1990er Jahre – mit der Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ – wird ein jugendliches scheinbar unkonventionelles Lebensgefühl hervorgehoben, das sich vor allem im Lebensstil bemerkbar macht. Gerade auf die Selbstdarstellung der Jugend konzentriert sich der Schwerpunkt der Serie und zeigt eine extreme Anpassung an die neuesten Trends. Die Protagonisten bewegen sich ansonsten in einem ziemlich geschlossenen Handlungsraum zwischen Schul-, Karriere- und Beziehungsproblemen. Im Gegensatz zu den amerikanischen Daytime Serials bis hin zu „Sex and the City“, „Friends“ und Co., die die Geschlechterrollen in Familie und Gesellschaft bestätigen oder umgekehrt lächerlich machen, betonen deutsche Produktionen soziale Probleme mit einer gewissen Coolness.
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Orte und Charaktere statt Handlung Diese Uniformierungstendenz der Serie und zahlreicher Spielfilme steht für eine allgemeine Tendenz, die besagt, dass Normen nicht mehr wie bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts „von oben“ gesetzt werden, sondern sich quasi durch Konsens entwickeln.2 Diese Uniformierungstendenzen lassen sich in mindestens drei Hauptformen verfolgen: erstens in einer dichten und konzentrierten Form, die sich auf materielle und ideologische Muster stützt, zweitens in einer diffusen ausgedehnten Form, die sich in Rhetorik und Plots Geltung verschafft, und drittens in einer integrativen Form, die sich in der Allmacht und Unsichtbarkeit der Reproduktionsverfahren und der Technologie der Unterhaltungsmaschinerie entfaltet.3 Aktuelle Mode, Trends und Kleidungsphänomene lassen sich in diese Kategorisierung einordnen.4 Aus der Unterhaltungsindustrie speist sich also in ganz erheblichem Maße die Vorstellung von Normalität, die sich fast ausschließlich an den Wertvorstellungen der Mittelschichten orientiert. Einen symbolischen Ausdruck dieser Tendenz bildet das Auto, seine Ausdruckskraft jedoch wird vor allem über die Mode vermittelt. Sie verleiht Kontur und Farbe. Sich selbst zu entwerfen, gehört längst zu der gängigen Überzeugung, die aufs Engste mit der modernen Massenkultur verbunden ist. Alles, was mit Konsum, mit Spektakel, Technik, Religion und Medien, ja sogar mit Medizin zu tun hat, ist Teil dieser Massenkultur mit ihren Besonderheiten – das ist hier kein Widerspruch – und modischen Attributen. Die Kinowelt bildet eine der zentralen Achsen, um die sich diese Massenkultur herum entwickelt. Diese Massenkultur entsteht nicht aus einer wertenden Entscheidung heraus, sondern bildet eine Forderung, an der alle – gleich ob Leiter eines transnationalen Konzerns in Denver, Architekt in Stuttgart, landwirtschaftlicher Saisonarbeiter in Südspanien, maghrebinischer Arbeitsloser in einem Pariser Vorort oder Staatsbeamtin aus dem obersten Kreis der Windsorfamilie in London – beteiligt sind. Bemerkenswert jedoch ist das Verschweigen, ja das Tabuisieren dieses Vorgangs, das unter dem Etikett des Hyperindividuellen oder Ultrapersönlichen verkauft wird. Genauer betrachtet, stellt dieses „hyper-individuelle“ Persönlichkeitsmotiv die Figur der Modernität schlechthin dar. Sie ist also längst selbst ein Massenphänomen. Damit wird nicht jede Individualität negiert, sondern nur behauptet, dass sie von der Kultur der Menge, kurz von Uniformität nicht zu trennen ist. Beide, Individualität wie Uniformität, sind Teil ein- und derselben Modernität. Es wäre umso mehr an der Zeit zu lernen, damit umzu-
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Jügen Link spricht hier vom flexiblen Normalismus. Für ihn folgt der Normalismus einer symbolischen Landschaft, die sich entsprechend der Gaussschen Kurve zwischen dem Korridor des normalen Wirtschafts- und Konsumwachstums und den Szenarien der Denormalisierung entwickelt. Vgl. Link 1999, 385387; vgl. auch Link 2005, 43-49. Ich greife hier auf das Konzept von Guy Debord zum Spektakel zurück und auf das Uniformitätskonzept von Gabriele Mentges. Vgl. Debord 1988, S. 19; Mentges 2007, 14. Vgl. Jenss 2005, 199-219.
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gehen, da wir alle an der Herstellung beider Formen – Individualität und Uniformität – partizipieren. Auch das Unterhaltungskino verfilmt mehrheitlich normalitätsorientierte, kurz normalistische Drehbücher zwischen Bauchnabelperspektive, Alltagserfahrung, Peergroup-Geschichten und Extremerlebnissen. Trivialität dominiert die Branche. Wir sind zwar diesen Kanälen der Unterhaltungsindustrie ausgeliefert, jedoch nicht mittellos oder passiv. So kann jeder durch einen „schrägen“ Blick à la Voto Russo oder à la Edgar Allan Poe in einem Film Nahrung für seine ganz persönliche Neugier finden, weil die Blockbuster uns de facto einen überdimensionalen Spiegel unserer Vorurteile entgegenhalten. Vito Russo hat gezeigt, wie man den kommerziellen Film aus einer homosexuellen Perspektive „lesen“ kann.5 Ein ähnlicher Umgang mit Filmen hat nicht nur aus der Perspektive von Frauen, Behinderten oder Minderheiten, ja sogar von Kindern Gültigkeit, sondern aus dem Blickwinkel jeder Form von Andersartigkeit, die zu anderen Bilder- und Lebenswelten führt und sei sie bloß individuell. Schließlich gilt dies für jede/r ZuschauerIn, die/der dem Film etwas anderes entnimmt oder den Film nach eigener Vorstellung formt. Dieser Vorgang wird als „Negociated Reading“ bezeichnet, worunter das aktive Aushandeln der Bedeutung durch die Zuschauer zu verstehen ist. Es gibt auch innerhalb des Unterhaltungsfilms eindeutig dissidente und subversive Visionen. Der Hauptreiz des kommerziellen Unterhaltungsfilms basiert in der Regel auf seiner Ästhetik und der technischen Brillanz. Eine gute Story bleibt jedoch nach wie vor Schlüssel und Antriebskraft für einen erfolgreichen Film, so zumindest lautet das Motto der Unterhaltungsfilmbranche. Von dieser Positionierung der Handlung distanzieren sich allerdings RegisseurInnen wie Alain Resnais, Agnes Warda, Jean-Luc Godard oder Wim Wenders vehement, weil hier die Protagonisten zu Spielbällen, ja zu Opfern der Events werden und nicht zu ihren Schöpfern. Für Wim Wenders zum Beispiel bilden Orte und Charaktere die Hauptmomente eines Films. Ein Vergleich seines Films „Der Himmel über Berlin“ (1987) mit dessen amerikanischem Remake „Stadt der Engel“ (1998) von Brad Silberling macht dies deutlich. Bei Wenders wird die Stadt selbst zum Akteur. Der Unterschied wird nicht allein durch den Look, die schauspielerische Leistung und das Drehbuch erzeugt, sondern durch die bloße Tatsache, dass man im Verlauf des Films viel über Berlin selbst erfährt. Beim Remake dagegen erhält man keinerlei oder kaum Informationen über Los Angeles. Bei Resnais oder Wenders behalten die Kostüme eine Ambivalenz, die vielfältigen Aspekten des Films zugute kommt. In „Ein Sommer auf dem Lande“ (1999) oder in „Picknick am Valentinstag“ (1975) scheinen die Regisseure der Handlung wenig Bedeutung beizumessen. In „Sommer auf dem Lande“ ist die unheimliche Lage des Hauses an einem Sumpf der eigentliche Hauptakteur. Daher unterstreichen die Kostüme die (bildlich gesprochen) „verschobene“ Situation der hier wohnenden Protagonisten und ihre Marginalisierung in der Wildnis, außerhalb der kleinstädtisch-bürgerlichen Welt in Frankreich zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Es ist dennoch kein trauriger, sondern ein warmherziger fröhlicher Film, der das Leben feiert. 5
Vgl. Russo 1981.
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In „Picknick am Valentinstag“ reduziert sich die Handlung auf einen Ausflug der „Anstalt für junge Damen“ im australischen Victoria um 1900, der in die Hanging Rock, eine Felsgruppe im Busch, führt. Peter Weir zeigt darin auf sanfte, ja fast zärtliche Art wie Kleidung und Körper zusammenwirken. Selbst das gegenseitige Schnüren der Korsetts bei der Morgentoilette – die Einsperrung des Körpers – büßt seine Härte ein und trägt paradoxerweise zur geheimnisvollen Spannung bei (Abb. 65). Weir spielt subtil mit Kleidungsdetails. Abb. 65: „Picknick am Valentinstag“
Die Erlaubnis, ihre Handschuhe auszuziehen, wird von den „jungen Damen“ als wahre Befreiung erlebt. Bei der Hitze wird das Ausziehen gewiss nicht bei den Handschuhen enden. Drei Mädchen und eine Lehrerin werden verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen. Das ist nicht das einzige, was im Film offen bleibt. Das Unausgesprochene umfasst die geheimnisvollen Kräfte der Natur und der Wildnis sowie die hautnahe Begegnung mit dem kulturell Fremden – dem Berg der Aborigines – und vor allem die Anziehungskraft des Verbotenen. Diese mysteriöse Kraft reißt die junge Frauen und eine ihrer Lehrerinnen mit, weckt ihre Neugier, bereitet einen Weg für sie, – auf dem die Mädchen regelrecht von den Felsen verschlungen werden – und bringt alles durcheinander: die Gefühle, das Leben, die Vorstellungen und die Ordnung der Welt. Die letzte Geste, die wir von den jungen Frauen wahrnehmen – blitzartig kurz und voll erotischer Spannung –, zeigt, wie sie ihre langen schwarzen Strümpfe ausziehen, bevor sie barfuss in einem großen Felsspalt verschwinden. Es ist ein Film mit mehreren Perspektiven, mehreren „Wahrheiten“, der die Indizien zwar aufdeckt, der es jedoch nicht ermöglicht, das Ereignis zu rekonstruieren und eine eindeutige Antwort darauf zu finden, was aus den Frauen geworden ist. Ist etwas übersehen worden? Ist es ein Traum? Ein Märchen? Ein Mythos? Eine Parabel? Weirs Film wirkt lange nach, weil er „die Vorfreude auf das Leben und das Unbekannte erzählt, vom Überschreiten von Grenzen und dem Preis, den man mitunter dafür zahlen muss“ schreibt Caroline Link.6 6
Caroline Link: Ameisen auf dem Zuckerguss. In: Süddeutsche Zeitung, 24./25./26.12.2005, 13.
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Nicht die Handlung steht also im Mittelpunkt dieser beiden Filme, sondern Orte, Atmosphären, Stimmungen, Spannungen und die Vorstellung, dass alles auch ganz anders sein könnte. In beiden Filmen ist die Darstellung ambivalent und geht bewusst auf Distanz zum traditionellen dramaturgischen Schema und zu moralischen Gewissheiten. Dennoch können selbst kommerzielle Filme ohne Story auskommen, die dann beispielsweise durch Spezialeffekte ersetzt wird. Die bewegende Poetik der Bilder, des Raums, des Tons und insbesondere der Figuren machen den Unterschied zwischen der großen „Artillerie“ der kommerziellen Produktionen und Filmen wie „Historias Minimas“ (2002) oder „Ponette“ (1996) aus, die subtil von Menschen, Orten und Stimmungen erzählen. Selbst Kleider erzählen hier eine andere Geschichte, so bei „Der Schmetterling“ (2002). In diesem Film handelt es sich weniger um eine klassische „Reise“-Geschichte als vielmehr um eine „Dérive“7 der zwei Protagonisten. Der spießig gekleidete alte Julien (Michel Serrault) interessiert sich nur für die seltenen Schmetterlinge und für die Natur. In dem Moment, als er eine bisher unbekannte Schmetterlingsart entdeckt, begegnet er der großstädtisch gekleideten achtjährigen Elsa (Claire Bouanich). Isabelle heißt der seltene Falter. Isabelle ist auch der Name der Mutter Elsas, die ihre Tochter auf einer Parkbank „vergessen“ hat. Der Verlauf der Geschichte sagt wenig aus, von Bedeutung sind hier Ort, Stimmung, die Begegnung und die Auseinandersetzung der beiden so unterschiedlichen Charaktere. Wer dabei wirklich das letzte Wort behält, illustriert bereits die kurze Szene im Kleidergeschäft. Elsa trägt gern Turnschuhe, meint später ihre Mutter bei der Polizei. Tatsächlich sucht Elsa sich im Moment zusammen und allein gelassen mit Michel, jedoch die feinsten Bergschuhe aus. „Brauchen Sie noch was? Eine Jacke, ein Hut?“, fragt die Verkäuferin. „Nein, nein, weder Jacke noch Hut“ antwortet Julien, dezidiert. „Ich bezahle, und wir gehen.“ Als sie jedoch aus dem Geschäft treten, trägt Elsa eine weiße Jacke und einen süßen gelben Hut (Abb. 66). Abb. 66: „Der Schmetterling“
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Ganz im Sinn der Situationisten.
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Polyvalenz der Kostüme Die Rolle des Kostüms im Film ist in anderer Hinsicht höchst mehrdeutig. Sie steht einerseits für die realen Kleidungs- oder Modestücke des Alltagslebens und daher als Medium für jede Charakterisierung, die bisher betrachtet wurde: Räumlichkeit, Zeitbezug, Körpertechnik, Charakter, Gender, Erotik, Religion, Gestik und anderes mehr. Andererseits gilt Kleidung häufig als Metapher oder als Symbol, wie etwa das Kopftuch, das weniger im Film als vielmehr in der politischen Realität an Brisanz gewonnen hat. In dieser Perspektive dient das Kostüm weiter als Orientierungsmodell, als Organisationsprinzip und Ordnungsmerkmal. In vielen Filmen strukturiert es sogar Visualität, Denken oder Handeln, weil es – etwa bei Corporate Fashion, Berufskleidung, Schul- oder Militäruniformen sowie Retro-Looks – auf gezielte Vorstellungs- oder Handlungsfelder verweist.8 Schließlich dient es, und das ist eine seiner Stärken, als Element der Verwirrung, weil ein einziges Kleidungsstück verschiedene gegensätzliche Interpretationen erlauben oder gar erzeugen kann. Übrigens besitzt nicht nur die Kleidung einen metaphorischen Wert, sondern jeder textile Stoff im allgemein. Die Textilmetaphorik reicht historisch weit zurück und, der Schleier ist dafür ein ganz zentrales Beispiel, der zu einer Weltmetapher geworden ist. Gewebe ist eine zentrale Metapher von Kultur. Selbst die moderne Vorstellung der Vernetzung geht auf die Welt der Gewebe zurück: ein Netz als flächendeckendes, horizontal verstricktes Muster der Modernität. Die bildenden Künste spielen mit Kleidungs- und Textilmetaphern und der Film hat mittlerweile diese Textilmetaphorik aufgegriffen, eröffnet ihr immer wieder – allein durch die Bewegung der Bilder – neue Möglichkeiten. Darüber hinaus werden Kostüme im Film von den ZuschauerInnen unterschiedlich rezipiert: als Gedächtnis oder als Wissen, das an die eigenen Erfahrungen mit Kleidung und Mode anknüpft. Sie werden außerdem als Botschaft oder als Programm verstanden: Die Charakterisierung der Figuren durch Kostüme baut ebenso darauf auf wie die Rhetorik der Kleidung. In einer Kultur der dauernden Veränderung liefert der Film, vor allem der Unterhaltungsfilm, noch relativ stabile Bilder, in denen die Welt klar geordnet erscheint und wo jeder Charakter klar gekennzeichnet und zu erkennen ist. In dieser Hinsicht ersetzt der Film das Theater des 19. Jahrhunderts. Machen vielleicht gerade diese einfachen kausalen Ordnungsmuster und die Überschaubarkeit der Handlung den Film so anziehend – im Gegensatz zur unübersichtlich gewordenen komplexen Alltagswelt? Ein Film wie „Göttliche Einmischung“ (2002) zeigt jedoch überzeugend, dass man selbst mit komplexen und explosiven Themen anders und humorvoll umgehen kann, ohne sich vor der dominanten Ästhetik und den konventionellen soziokulturellen Mustern zu verbeugen. Als „eine Chronik von Liebe und Schmerz“ kennzeichnet sein Regisseur Elia Suleiman den Film, der als lakonisch-skurrile Komödie vor dem Hintergrund des alltäglichen Wahnsinns der israelisch-palästinensischen Grenze beginnt.
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Vgl. Henkel 2007; Jenss 2005.
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Kostüme stellen also eine wirkungsvolle relationale Gestaltungsform im Film dar, die in Kombination mit anderen filmischen Mitteln Klarheit, Effizienz, Dynamik und Ausdruckskraft erzeugen. Umgekehrt können sie diese aber auch ins Wanken bringen, eine Welt voller Paradoxien vorführen und zugleich für gegensätzliche Effekte, für Konsens und für Subversion, pathologische Typologie und falsche Kommunikation, Spiegelbild und Rätsel, Alptraum und Philosophie sorgen. Für das Filmteam sind die Kostüme während der Dreharbeiten materielle Alltagsgegenstände wie alle anderen Requisiten auch. Eine Berliner Ausstellung über Stanley Kubrick dokumentierte die Vielzahl an Gegenständen, die eigens für den Film hergestellt wurden wie etwa das Riesenbaby von „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968), das in seiner Überdimensionalität geradezu monströs anmutet. Die Ausstellung präsentierte Dekors aus diesem und anderen Filmen zusammen mit unzähligen kleinen Objekten, die direkt oder indirekt mit den Filmen in Verbindung standen: Stühle, Kameras, Skizzen, Schreibmaschinen, Karteien, Masken, Reliquien aller Arten und Kostüme, Kostüme, Kostüme. Ein Film stellt, so gesehen, eine gigantische Werkstatt oder ein Labor der Dingproduktion dar, und unwillkürlich stellt sich die Frage: Was für ein Leben führen all diese Objekte, all diese Kostüme nach Ende der Dreharbeiten? Dem werde ich hier allerdings nicht weiter nachgehen, aber ich möchte darauf hinweisen, dass das zweite oder dritte Leben der Dinge vermutlich ebenso interessant sein könnte wie das erste. Diese Untersuchung der Filmgarderobe ähnelt der Betrachtung der eigenen Garderobe. Kleidung und Film werden dabei zu biografischen Gegenständen, weil wir schließlich entscheiden müssen, ob und wie ein Gegenstand aktiviert oder reaktiviert wird. Das Wichtigste bleibt offen: Jeder Film bietet uns nämlich die Möglichkeit, sich einen eigenen Film daraus zu erschaffen. Es gehört zum zentralen Paradox der heutigen Bilderproduktion, dass sie uns Sehweisen außerhalb des Kreises der kulturellen Diktate antrainiert. Damit kommt die Kreativität des Films erneut ins Spiel.
Auge und Hand Die Illusion von Realität ist immer ein Hauptgrund für die Freude an einem Film. Nach Ansicht von Filmpädagogen ist der Glaube an die Realität des filmisch „Realen“ ist bei Kindern stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen.9 Eine andere beliebte Beschäftigung von Kindern, nämlich Spielzeug zu demontieren oder zu zerlegen, „um zu sehen, was es im Bauch hat“,10 kommt bei den Erwachsenen dagegen in Bezug auf Filme erstaunlicherweise zu kurz: sprich der Umgang mit Bildern, sie auseinander zu nehmen, ja zu zerlegen. Das Bild ist nicht nur ein Medium, sondern eine Beziehungsform, die sich im Zeitalter von Computer, Handyfotos, DVD und CD radikal verändert. Bildträger haben, ob im Miniatur- oder im Großformat, ob mobil oder fest, enorm an Bedeutung gewonnen. Immer häufiger kann jeder heute auswählen, welchen Film man wann sehen möchte, man kann Filme jederzeit vorwärtsoder zurückspulen, um sich eine bestimmte Sequenz erneut anzusehen, so oft 9 Vgl. Bergala 2002, 131. 10 Bergala 2002, 132.
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es gefällt. Der Bildträger gewinnt ebenso zunehmend an Bedeutung wie auch die Rolle des Akteurs, der die Initiative ergreift, um das Bild aufzuhalten, zu vergrößern oder zu verkleinern, zu bearbeiten, in Zeitlupe oder im Zeitraffertempo ablaufen zu lassen. Legt man dieses Verständnis zugrunde, kann der in der Einführung beobachtete Spiegeleffekt nicht mehr als ausschließliches Grundmuster der Beziehung zwischen Film/Bild und ZuschauerIn gelten. Ein neues anthropologisches Grundmuster gewinnt stattdessen an Bedeutung: die Zeichnung des Kleinkindes. Das Grundmuster entwickelt sich zum Urmodell unserer heutigen Beziehung zum Bild.11 Dies schließt zwar weiterhin den Anspruch des Spiegels mit ein, stellt jedoch – konzeptuell betrachtet – die Aufgabe der Hand in den Vordergrund. Anthropologen wie André Leroi-Gourhan und Marcel Mauss haben seit langem die Bedeutung der Hand im schöpferischen Prozess hervorgehoben. Neu daran ist, dass sich diese Relation jetzt in Bezug zum Bild allgemein erweitert: Die immer handlicher werdende und einfacher zu bedienende Technik, macht dies möglich. Und sie gestattet dem Individuum anhand der Mikrotechnik und des zur Verfügung stehenden „Materials“, eine eigene Welt zu entwerfen. Dies kann zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen: zur totalen Abkapselung oder zu einer Öffnung zur Welt.
Einflusssphäre Die Beeinflussung unserer Sehweise durch den Film ist ein vieldiskutiertes Thema. – Für die einen verläuft diese nicht direkt, sondern spielt sich diffus auf sekundärem Niveau ab, wie es zuvor für die literarische Erzählung der Fall war. „Wenn wir nicht Liebesromane gelesen hätten“, so La Rochefoucault, „wären wir nicht, wären wir niemals verliebt gewesen“.12 Eine ähnliche Erfahrung vermittelt uns das Bild, das kein Abbild der Welt darstellt, sondern die Welt sozusagen empfängt und herbeizaubert. Das Bild zwingt die Welt dazu, sich „zu äußern und sich dort zu zeigen, wo wir es niemals erwarten würden. Darin liegen der Reichtum und das Glück des Kinos und zugleich seine Elend, weil dieses Bild und diese Welt für ein unbekanntes, nicht greifbares Publikum erzeugt werden. Vicki Baum erkannte während ihrer Zeit in Hollywood bereits in den 1930er Jahren die Besonderheit dieses Phänomens. „Natürlich lag die Kunst der Kommunikation zu Beginn der 30er noch in den Windeln, doch hatte ich schon damals den Eindruck, dass in Hollywood jeder, bis hinauf zu den Direktoren und den Spitzenstars, ständig in einer Art Verfolgungswahn lebte und todunglücklich war. Keiner scheint sich in diesem Treiben sicher zu fühlen, niemand seiner Stellung und schon gar nicht seiner selbst sicher zu sein. Das liegt vielleicht daran, dass keiner sein Handwerk wirklich beherrscht, wenn es überhaupt möglich sein sollte, ein Handwerk zu können und zu beherrschen, das keine Gesetze, keine Regeln, keine Traditionen hat, ungeheuere Summen verschlingt und eine vielmillionenköpfige, gesichtslose Masse anziehen und fesseln soll – ein Publikum, das alle Altersstufen vom Kleinkind bis zum Methusalem umfasst, alle Schichten, alle Intelligenzstufen, alle Weltanschauungen, vom Bibelgläubigen bis zum Gottesleugner, 11 Vgl. Tisseron 1999, 48. 12 Zitiert nach Dagnognet 1999, 36.
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vom Schwachsinnigen bis zum Intellektuellen in seinem Elfenbeinturm.“13 Sicherlich hat die Filmwirtschaft inzwischen komplexe Statistiken ihres Zielpublikums erstellt. Aber hat man damit je das Publikum erreicht? – Für die anderen üben Bilder einen direkten Einfluss auf uns aus. Sie nennen mit Recht als Beispiel die alarmierende Dominanz der Gewalt in den Medien, sie rufen – meist zu Unrecht moralisierend – gegen Gewalt im Film auf oder sprechen vom Trauma der Bilder. Man weiß heute, dass verschiedene äußere Bedingungen erforderlich sind, um diese Bilder in der Realität wirksam werden zu lassen. Diese Bedingungen haben weniger mit den Bildern zu tun als vielmehr mit der individuellen Biografie, den Beziehungen zur Außenwelt, vor allem zum persönlichen Umfeld und mit der psychischen Situation der Person. Die Gewalt oder das Trauma der Bilder besitzen eine Ventilfunktion und einen symptomatischen Charakter. Das Symptom der filmischen Gewalt liege auf der Ebene einer Gesamtstimmung, betonen Wim Wenders oder Volker Schlöndorff. Haben wir friedliche oder auch packende und unterhaltsame Bilder im Kopf, so orientiert sich die gesamte Bildstimmung in eine andere Richtung. In beiden Fällen sind jedoch Fiktion und Wirklichkeit existentiell nicht zu verwechseln Den Umgang mit Bildern zu lernen ist eine Grundvoraussetzung, um reale Beziehungen zu Menschen aufzubauen; das heißt, wir können unser Verhalten einem Menschen gegenüber nicht automatisch nach dem Bild ausrichten, das wir uns von ihm machen. Die Tatsache, dass heute beide – Realität und Fiktion – eng miteinander verflochten sind, ändert nichts an der Sachlage. Wir geben dem Leben zurück, was ihm gehört, und dem Bild, was ihm zukommt. Dies steht nicht in Widerspruch zur Auffassung Gilles Deleuzes, der schreibt: „Die Ununterscheidbarkeit von Realem und Imaginärem, von Gegenwärtigem und Vergangenem, von Aktuellem und Virtuellem ist keineswegs im Kopf oder im Geist, sondern ist das objektive Merkmal gewisser existierender Bilder“.14
Digitale Welt In dieser Hinsicht eröffnet die Digitalisierung des Films völlig neue Perspektiven und schließt zugleich andere aus, was die Situation verkompliziert. Deleuze spricht hier vom Halluzinationsbild und meint damit einen Zustand, in dem die Realität von der elektronischen Reproduktion eingeholt oder überholt wird.15 Die verschiedenen Komponenten der Raumzeit-Bilder des Films wie Geräusch- oder Musikeffekte, Stimmen, Farben oder Kontrastierung, Dekors, Kostümeffekte und Bewegungen werden durch die technische Bearbeitung verstärkt oder vermindert, subtil vermischt oder klar getrennt, vervielfältigt oder mit neuen Komponenten angereichert, kurz: Neu bearbeitet, eben digitalisiert. Die digitale Bearbeitung des Films und seiner filmischen Elemente kennzeichnet die integrale industrielle Neugestaltung und -komposition unserer Erfahrungs- und Bilderwelt. Der Film ist jedoch nicht der einzige Schauplatz der Digitalisierung. Mit der Einbeziehung des Films dehnt die industrielle und urbane Ordnung ihr Regime der „Realität“ auf die Ästhetik- und Sym13 Baum 1987, 434f. 14 Deleuze 1991, Bd. 2, 87. 15 Vgl. Deleuze 1984, o.S. Deleuze hatte schon damals die Problematik erkannt.
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boliksphären aus. Diese werden dabei mit den konstitutiven Werten des Technisierungsprozesses wie Normalisierung, Serialität, Mobilität, Modularisierung und Interaktivität gleichgesetzt. Allerdings ist die Digitalwelt zunächst nicht ästhetisch, sondern kognitiv und produktiv. Sie arbeitet mit einer merkwürdigen „Materie“, der Virtualität als dem Transitorischen: vom Konzeptuellem zum Konkreten und umgekehrt. Dennoch darf diese Entwicklung des Digitalen nicht überbewertet werden. Die digitale Welt mag alles, ja sogar das ganze Leben formatieren – die Ära der Daten –, das digitale Bild ist dennoch nicht weniger und nicht mehr Bild als andere Bilder. Es setzt die Tradition des Bildes und des Visuellen fort. Wir verlassen dabei ‚nur‘ die expressive Perspektive des Bildes, um in die Konstruktivität des Sichtbaren überzugehen. Oder in den abstrakten Worte Deleuzes: Die Verbindung von Gehirn und Stadt ersetzt dabei die zwischen Auge und Natur.16 Die Digitalisierungsmethoden lösen teilweise den Film von der „schriftlichen Sprache der Wirklichkeit“ (Pasolini). Die Realitätsentwürfe und die Effekte – die in der Malerei seit Langem existieren – benötigen in der Tat heute nicht mehr unbedingt eine direkte Begegnung mit der Realität. Dennoch hat die „analoge“ Aufnahme eine Zukunft. Wir brauchen schlichtweg reale Menschen und wirkliche Landschaften, auch wenn sie durch die Digitalisierung verändert werden. Die erste Änderung der Realität ereignet sich bereits bei den Dreharbeiten. So erhalten Worte des Drehbuches eine ganz neue, andere Kraft, wenn sie von realen SchauspielerInnen gesprochen werden. Heute wird Expressivität allgemein der Digitalwelt untergeordnet. Der aktive Zuschauer muss daher regelrecht in die Digitalbilder „eintauchen“, er hat aber auch die Möglichkeit, jederzeit wieder daraus aufzutauchen. Die Einmaligkeit der digitalen Codierung jedoch besteht darin, dass jeweils dieselbe Technik der Herstellung des Bildes, seiner Modifizierung oder Bearbeitung sowie seiner Reproduzierung und Vermittlung dient. Dies hat es zuvor und in diesem Ausmaße nicht gegeben. Dass sich dabei auch die Kostüme verändern, versteht sich von selbst. Eine Veränderung der Kostüme setzt bereits ein, wenn sie in Kontakt mit den Körpern der SchauspielerInnen kommen und die Positionierung der Kamera oder eine Umgestaltung der Szene gegenüber dem Skript eine Abänderung der Kostüme erfordert. Immer wieder wird das Storyboard aktualisiert. Eine gute Regie zeichnet sich eben gerade dadurch aus, dass sie stets bereit ist, auf Neues und Unvorhergesehenes zu reagieren. Die Mode bringt allerdings die oben erwähnten Deleuzeschen Relationen durcheinander. Die Rolle der Mode führt zurück zu der Beziehung zwischen Auge und Großstadt, weil die Großstadt der eigentliche Raum der Mode ist, eine Beziehung, die bereits seit der Renaissance existiert.17
Zwischenräume Ich habe meine Blick und meine Beobachtungen der Beziehungen zwischen Film und Kostümen deswegen nicht auf wenige Beispiele konzentriert, weil dies verhindert hätte, die Filmgeschichte in ihrer Breite einzubeziehen.
16 Vgl. Deleuze 1987, 347. 17 Vgl. Mentges 2002, 382-402.
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Denn der eigentliche, entscheidende Ort der Filme und der Kostüme situiert sich nicht in den einzelnen Bildern oder Filmen, sondern er liegt genau dazwischen: in den Zwischenräumen. So bilden auch Mode und Filmgechichte Phänomene der Zwischenräume, der Beziehungen und der Zusammenhänge, wie etwa die Zusammenhänge zwischen Realität und Fiktion. Der Anthropologe Marc Augé spricht von dem „neuen Fiktionsregime“, wenn er die Veränderung der Bilder und der Beziehungen zwischen individuellem wie gesellschaftlichem Imaginärem und der Welt der Fiktion beschreibt.18 Dabei hebt er die zunehmende „Fiktionalisierung“ der Welt hervor. Mit dieser Beziehung von Realität und Fiktion und das sich daraus entwickelnde Einschätzungsvermögen sind viele befasst. So kritisieren Pädagogen das Bild-Verhalten von Jugendlichen, die ihrer Ansicht nach unfähig seien die Tiefe und Dichte von Filmen auszuloten und sich stattdessen in einem bunten Patchwork von Bildern bequem einrichten Diese Kritik übersieht und unterschätzt jedoch die Fähigkeit der Jugendlichen im Umgang mit Medien, die eine Vielzahl unterschiedlichster Bilder zu rezipieren und dabei qualitative Unterscheidungen vorzunehmen imstande sind. Dennoch bleibt die Frage, ob der mittlerweile „flüchtige Blick“ es uns weiterhin erlaubt, richtig und wahrhaftig zu sehen. So versetzen die neuen Medientechnologien wie iPod, Internet, DVD und Handy jeden individuell in die Lage, auf fast autistische Weise zu konsumieren, ohne dass sich Gehör oder Blick im Kontext der Vergemeinschaftung realisieren müssen. Vielleicht ist es künftig die Aufgabe der Erziehungsinstitutionen wie Schule und Universität, mittels eines verbindlichen Blicks auf die Kinokultur einen kulturellen Dialog zwischen den Generationen aufzubauen, um ein strukturelles Grundwissen zu vermitteln. Schon allein deshalb, weil die heutigen Generationen Filme im Kopf haben, könnte hier die Beschäftigung mit dem Film neue Perspektiven des Sehens und Verstehens eröffnen. Unabhängig von sämtlichen Bild- und Medienträgern und ihren Diskursen existiert der leibhaftige Körper weiterhin, und er ist es, von dem die entscheidenden kreativen Impulse ausgehen.
Fazit: Die Technik der Verzauberung Kostüme bildeten hier das visuell-„materielle“ Verbindungsglied, um Körper, Bilder, Diskurse und gesellschaftliche Phänomene zu deuten. Bilder lesen zu lernen heißt zunächst, die Produktionskette zu verstehen, die zur Herstellung dieser Bilder führt. Befragt und hinterfragt wurden die Bilder, die Kleidungswelt – und damit wir selbst als Mode- und Bildkonsumenten. Anders formuliert, ging es darum, nachvollziehbar zu machen, dass unsere reale alltägliche Welt des Sichtbaren, des Hörbaren, des Spürbaren, der Unordnung, des Unvollendeten eine erhöhte Aufmerksamkeit verlangt, um verstanden zu werden. Und dies umso mehr, als sie nicht gerade von einer souveränen Ordnung beherrscht wird, wie es einmal Edgar Morin formulierte.19 Gerade der Faktor „Spiel“ trägt in Bezug zur Kleidung selbst ein Element von Unordnung und damit von Kontingenz hinein.
18 Augé 1997, 16. 19 Vgl. Morin 1999, 136.
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Dies ermöglicht es uns, die Logik der Bilder mit der ihr eigenen Grammatik und den zugrundeliegenden präzisen Ordnungsvorstellungen zu erfassen, sie nachzuvollziehen und ihre Deutungsmuster zu erkennen. Damit kommen wir zum Kern der Problematik, denn Kleidung macht die kulturelle Verwandlung und Dynamik der Lebensformen und Werteskalen sichtbar. Dem Philosophen Clément Rosset zufolge verwirklicht das Kino etwas vom alten Traum der romantischen Dichter: Es lässt uns in eine völlig andere Welt inmitten der eigenen eintreten. Die Kunst des Cineasten bestehe weniger darin, die Welt darzustellen oder zu verneinen, als vielmehr, sie so zu fragmentieren, dass sie aus anderen Formen wieder neu zusammengesetzt werden und unter neuen Gesichtspunkten freigelegt werden könne.20 Meine Untersuchung ignoriert absichtlich – mit wenigen Ausnahmen – sowohl den immer noch prägenden nationalen Charakter der Filmproduktion als auch die Generationenprägung der Kinokultur: Die Generation der Nachkriegszeit, der 1968er-, der 1980er Jahre oder der Gegenwart finden in der westlichen Welt völlig unterschiedliche und lokale Zugänge zur Filmkultur. Dasselbe lässt sich auch von der Mode behaupten. Kino und Mode mögen heute in der Tat Medien globaler Dimension sein, dennoch wohnen ihnen weiterhin Eigenschaften des Lokalen inne. Der Philosoph Hartmut Böhme sieht in der Mode und im Kino zwei Arten von Fetischismus. Wenn wir davon ausgehen, dann sind sie – wie jeder Fetisch – Zaubermittel und agieren entsprechend „magisch, atmosphärisch, metamorphotisch, theatral“.21 Das Anschauen eines Films führt immer zu einer Begegnung, einem Dialog: ein Dialog mit anderen Filmen, anderen Zeiten und anderen Künsten. Dabei liegt es an uns zu wissen, welche Art Konversation wir wünschen und welche Art von Begegnung uns überrascht und uns weiterhilft. Und wie bei jeder Begegnung lernt man einen Film besser kennen, wenn man ihm zum zweiten oder dritten Mal begegnet. Vor allem, wenn es sich um Filme handelt – und das ist ein Merkmal guter Filme –, die sich nicht unmittelbar konsumieren lassen, sondern Widerstand leisten oder uns verwirren. Als Woody Allen zum ersten Mal „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968) von Kubrick sah, verstand er den Film nicht und fand ihn nicht gut. Erst zehn Jahre später, als er ihn ein zweites und ein drittes Mal sah, änderte er seine Meinung grundlegend: „Der Film war fantastisch. Ich musste feststellen, dass er allem, was ich machte, weit voraus war, was ich nicht gern zugebe“.22 Es gibt auch eine Reihe von Filmen, die zu unserer Jugend, zu unserer Kindheit oder zu glücklichen Ereignissen unseres Lebens zurückführen. „Die Bilder, die uns in unserer Kindheit erstaunt haben“, so Clément Rosset, „setzen ihr untergründiges Leben weiter in uns fort und ohne, dass wir es wissen, beeinflussen sie unser intellektuelles Leben als Jugendliche und später als Erwachsene“.23 Sie sprechen von unentdeckten Gefühlen und von geheimnisvollen Gärten. Wie oft mag die Sinnlichkeit eines Kleidungsstückes dazu beigetragen haben, den Garten zu finden oder wiederzuentdecken. Kleidungsstücke und Filme sind hier Teil einer inneren Landschaft wie auch bestimmte Bücher oder Musikstücke. 20 21 22 23
Vgl. Rosset 2001, 68f. Böhme 2006, 473. Interview mit Woody Allen. In: „Kubrick“. Dokumentarfilm. Warner Bros 2001. Rosset 2001, 16.
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Jean Renoir formulierte es so: „Um ein Gemälde zu lieben, muss man potentiell ein Maler werden, sonst kann man es nicht wirklich lieben. Um einen Film zu lieben, muss man potentiell ein Cineast sein. Man muss sagen können: Ich hätte es so oder so gemacht. Man muss selbst zum Filmemacher werden, sei es nur im Kopf, aber man muss es machen, sonst hat es keinen Wert, ins Kino zu gehen“.24 Was Filmsemantik, -semiotik und -rhetorik besonders instabil macht, ist nicht die Erscheinung des Realen im Film, sondern eher, dass das Kino die Formen des Realen, die in Wirklichkeit nicht oder nicht mehr existieren, konstruieren kann und dass diese schließlich als Elemente der unmittelbaren Realität wahrgenommen werden.25 Bevor jedoch die Regie die „Realität“ oder die Fantasie zu filmen versucht, ist sie bereits in seinen Gedanken organisiert. Die Welt kann nur aus expliziten oder impliziten Vorstellungen heraus gefilmt werden. Die „Realität“ ist im Film keine „Natur“, die der Kamera präsentiert wird. Man kann sie sogar unter dem Aspekt der Dummheit betrachten: Godard oder Chabrol machen sich einen Spaß daraus, Dummheit minutiös und roh zu sezieren. Letztlich jedoch liefert nicht einmal die figurative Analogie den Impuls für einen Film, sondern die Poesie. Edgar Allan Poe privilegierte in seiner Erzähltechnik die schräge Vision, den verqueren Blick oder den diagonalen Zugang. Erstaunlich bleibt, warum der Unterhaltungsfilm so wenig Gebrauch davon macht. Auch die Kostüme würden dabei über eine viel größere Bewegungsfreiheit verfügen. Poesie ist die wahre Magie des Kinos. Gebrauchte Kleider können dabei ebenso machtvoll und zauberhaft wirken wie eine prachtvolle Garderobe, wenn sie einen Aspekt des Lebens, die Zärtlichkeit von Gesten, die Präsenz von Orten oder das Lachen von Kindern illustrieren oder entschleiern. Ohne Poesie ist das Kino eine hundertjährige Maschine, die nur für Idioten produziert. Poetik hat allerdings im Film auch etwas mit minutiöser und mühsamer Zusammenstellung von Filmelemente zu tun Das ganze Filmteam ist dabei gefordert, auch die KostümbildnerInnen. Man agiert außerhalb der üblichen Klischees und entwickelt ein Werk und eine Atmosphäre von halben, leisen oder Zwischentönen, selbst bei lauten Filmen voller Tumult. Poetik bedeutet nicht, weltfremd zu sein, selbst wenn sie keine realistische Form annimmt. Ein Film kommt umso näher an die Realität – und an den Traum – heran, je mehr er sich von jedem Realismus des Sichtbaren entfernt. Ich denke dabei an Akira Kurosawas „Traum“ (1990) und an seine erdrückende und zugleich leichte und beschwingte Wirkung der Kostüme. Kleine Filme mit hohen Ansprüchen wie „Lust auf etwas anderes“ (2000) von Agnes Jaoui (Abb. 67) oder „Smoking, no Smoking“ (1993) von Alain Resnais erreichen mehr als die Megamaschine Hollywood und ihre Spezialeffekte. In „Lust auf etwas anderes“ fallen die Kostüme auf den ersten Blick kaum auf, wenn wir jedoch unsere Aufmerksamkeit auf sie lenken, erkennen wir, welch ungewöhnlichen Status sie haben. Die Kostümbildnerin Jackie Budin hat hier mit leichter Hand und feiner Nadel gearbeitet. Für jede Person wurde eine sehr autonome Form von Kleidung entwickelt, die eine Synthese von Ästhetik, Bedeutung und Leichtigkeit anbietet.
24 Entretiens et propos. Cahiers du cinéma. 1979; zitiert nach Bergala 2002, 128. 25 Vgl. Leblanc 1996, 144.
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Abb. 67: „Lust auf etwas anderes“
Plötzlich, nach einer Erzählkurve, einer Beschreibung oder nach einem unbedeutenden Detail hat man als Zuschauer das Gefühl, unmittelbar die Präsenz des Realen zu fühlen und zu teilen. Sicherlich eine Illusion, die sich aber so nah am Leben bewegt wie in der feinfühligen Darstellung von Abbas Kiarostami „Der Wind wird uns tragen“ (1999). Kiarostami erzählt darin keine Geschichte (Abb. 68), der Ort ist hier das wichtigste. Die Kostüme sind unbeschwerte Anmerkungen in der Poetik des Films, die sich nicht unbedingt in Worte fassen lassen. Blickfänge wie Kleidungsformen oder leise Gefühle sind selbst nur Mittel, um unsere Wahrnehmung zu verwirren. Zu dieser feinfühligen Technologie der Verzauberung, die weit über die Ästhetik hinausgeht, gehören immer die Kostüme. Die Poetik des Films entsteht schließlich im Auge des Betrachters, und mit ihr fängt eine völlig neue Kleidungswelt an. Abb. 68: „Der Wind wird uns tragen“
GLOSSAR Abho: lose indisch-moslemische Frauenbluse (Gujarat) mit breiten Ärmeln und vorne mit Knopf verschlossen. Adrienne: Weites Negligékleid aus der Spätbarock- und Rokokozeit mit Pagodenärmeln und Watteau-Falten im Rücken. Dieses höfische Kleid war vorne meist offen und über Reifrock und Korsett getragen. Angarakhu: Indisches tunikaartiges langes Kleid der Männer (Gujarat) meist aus feinem Muslim mit langen Ärmeln. Angavastram: Indischer Schulterumhang (Karnataka) Barett: Flache, zu meist runde, männliche wie weibliche Kopfbedeckung der Oberschichten in der Renaissance und Reformationszeit. Existierte in zahlreichen Varianten. Bliaud: Weibliches wie männliches kostbares langes Oberkleid der mittelalterlichen höfischen Gesellschaft (12.-13. Jahrhundert) mit tütenartigen Ärmeln, manchmal mit sehr weiten Ärmelschlaufen. Das Kleid wurde meist von einem kostbar gearbeiteten Gürtel gehalten.. Bouffanten: In der Barock- und Rokokozeit kennzeichnen sie wulstige Gesäßpolster an Röcken, aber auch Unterlagen an Ärmeln. Bubikopf: Modefrisur der 1920er Jahren nach dem Vorbild des früheren Pagenkopfs. Burka: Asymmetrischer Ganzkörperumhang oder Schleier bei moslemischen Minderheiten (Indien, Pakistan, Afghanistan). Eine flache Kappe im Stoff wird vernäht mit dem Schleier, im Bereich der Augen befindet sich eine Art vergittertes Sichtfenster. Bustier: Miederartiges Oberteil, das in den 1970 er Jahren auftauchte und kaum bis zur Taille reichte. Camper: Ein vorn flacher, hinten und an den Seiten aufgebogener modischer Krempenhut der 1930er Jahre für Männer. Zunächst eher sportliches Attribut, gehörte er später auch zum Smoking. Canadien: Männlicher Filzhut mit breiter Krempe, etwa in der Art der Kalabreser. Zuerst von der berittenen kanadischen Polizei getragen, kam Ende des 1940er Jahre in Mode. Casual Wear: moderne Bezeichnung für legere, nicht offizielle bequeme Kleidung. Chaniyo: Indisches buntes Kleid mit Glaselementen als Schmuck. Choli: Eine Art kurzes Mieder (Südost Asien). Chorno: Indische pyjamaähnliche Hose, oben gesmockt, an den Waden sehr eng. Churidar: Indisches Frauengewand ähnlich dem Shalwar Kameez, jedoch enger und kürzer. Cotte: mittelalterliches langes Obergewand für Männer und Frauen aller Gesellschaftsschichten. Dhoti: Wickelhose, die den Mahatma Ghandi berühmt gemacht hat. Dupatta: Schal, der zum Shalwar Kameez getragen wird und locker über die Schultern getragen wird und auch dazu dient, den Kopf zu bedecken.
312 | MODE IM FILM Echelles: Schleifen-Verzierung des sichtbaren Teils des Korsetts, des Oberteils oder des Steckers. Ghaghra: traditioneller langer, weiter Rock mit vielen Falten der Hindu-Frauen in Rajasthan. Guêpière: Niederer breiter Gürtel, der Hüften und Taille eng umschloss und Ende der 1940er in Mode kam, um die Figur der Frauen zu betonen. Hatteh: (auch Hatta): Weiße Kopfbedeckung der Beduinen – ein quadratisches Stoffstück, das zum Dreieck gefaltet und von einem Kordelring zusammengehalten wird –, dessen Trageweise und Form Auskunft über die Herkunft des Trägers vermittelt. Homburg: Steifer eleganter männlicher Filzhut, der Ende des 19. Jahrhundert bis in den 1950er Mode war. Jamawar: Indischer Schal. Justaucorps: Der Justaucorps war ein knielanger taillierter Rock des Mannes, vom Spätbarock zum Spätrokoko auch männliches Hauptbekleidungsstück. Der Justaucorps war dagegen im Spätbarock ein Frauenmieder. Kancheli: Indisches Büstenhalter Jäckchen. Kanchi: Lange lose indische Tunika. Kedeyu: Indisches Jäckchen. Klappranhut: Hutform, auch Bogarthut genannt. Krinoline: Kugelförmiges Untergerüst des Rockes ab Ende der 1830er Jahren, zuerst aus Rosshaar, später aus Stahlreifen.. Die Bezeichnung ging in den 1840er Jahren auf die Silhouette des Kleides über. Kuhmaulschuhe: Bezeichnung für die vorne flachen, aber breiten Schuhe der Renaissance. Kulihut: Hutform, die an den kegelförmigen Strohhut der chinesischen und südostasiatischen Kulis erinnert. Kurta: Indische Tunika der Männerkleidung. Kurti: Indische kurze ärmellose Tunika. Lehanga: Indischer eleganter langer Frauenrock, der oft mit Oberteil und/oder Schal getragen wird Leila-Majnu: Mythologisches Paar der Hindukultur. Indisches Pendant zu Romeo und Julia. Lilienfüße: Auch Lotos- oder Lotusfüße genannt. Bezeichnet die Füße der Frauen im alten China, die durch forcierte Einbindung oder Verformung, sogar Knochenbrechen sich an die sog. „Schönheitsideale“ anpassten. Lunghi: Indisches dhotiähnliches Beinkleid der Männer. Mahabharata: Das bekannteste indische Epos mit mehr als 100.000 Doppelversen und zwischen den 5. Jahrhundert vor und den 5. Jahrhundert nach Ch. Geschrieben und gesammelt wurde. Beruht vermutlich auf einer noch älteren Tradition. Mi-Parti: Bezeichnung der Kleidungstücke in verschiedenen Farben mit starker Symbolkraft im Mittelalter. Mods: Eine Tendenz der Jugendkultur in den 1950-1970er Jahren. Zuerst stark vom Rock’n Roll geprägt, bewegten sich die „Modernists“ in den 1960er Jahren zu einer distinktiven Jugendgruppe und wurden zu „Mods“. Ein Porträt diese Teenager-Kultur liefert der Roman „Absolut Beginners“ (1959) von Colin McInnes. Odhani: Langer Schulter- und Körper bedeckender Schleier indischer Frauen (moslemische).
GLOSSAR | 313 Palatine: Zuerst ein Spitzentuch (17. Jahrhundert), um das Dekolleté zu verhüllen, dann (an Ende des 17. Jahrhunderts) ein Pelz- oder dicker Samtkragen mit zwei schmalen Streifen am Ende. Pandora (Große und kleine): Modepuppen, die ab dem 18. Jahrhundert (vielleicht früher) zweimal monatlich die französische Mode in Europa, vor allem in England, verbreiteten. Die große Pandora war für die zeremonielle und festliche Mode, die kleine für die Negligékleidung. Panier: Wort, wörtlich „Kork“ (eng. Hoop petticoat), Gerüst des Reifrocks, der während des 18. Jahrhunderts ihm seine vorn und hinten flache und seitlich breite Form gab, daher Panierrock. Panzerbrust: Element der Rüstung, das die Brust schützt. Pashima: Auch Pashmina. Plaid/Schal oder Schulterumhand der indischen Frauen aus feinen Kaschmirfasern oder Seide. Pastiche: Wie in der Literatur, der Musik oder der Architektur kennzeichnet der Begriff Pastiche im Bereich der Mode wie auch im Film eine Imitation (Haar, Schönheitsflecke, falsche Ärmel, ja sogar falsche Wunde oder Körperteile). Phento: Indische Turbanart. Pila: Indischer ritueller Schleier mit Lotosschmuck. Pillbox-Hut: Schlichte Frauen-Hutform, ohne Krempe (siehe Jackie Kennedy 1961 während ihres Besuchs beim Kanzler Konrad Adenauer oder die Frauenuniform der Lufthansa). Polku: Eine Art kurzes Mieder. Radha-Krishna: Klassisches Liebespaar der hinduistischen Religion. Ramayana: Das zweite große Epos Indiens, das 7 Bücher mit 24.000 Versen umfasst und dessen Ursprung unklar ist (Hinter dieser Kunstdichtung vermutet man Valmiki als Autor), aber das zwischen dem 5. Jahrhundert v. Ch. und dem 3. Jahrhundert n. Ch. entstanden ist. Redingote: Taillierter wadenlanger Reitmantel für Männer. Die Schöße wurden unterhalb der Taille zurückgeschnitten, so dass man ihn über den Justaucorps tragen konnte. Dann bis zum ersten Weltkrieg, ein taillierter knielanger Mantel über dem Gehrock getragen. Ab Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Redingote auch von den Frauen übernommen mit großem Ausschnitt vorn. Als Mantel kam die Redingote im 20. Jahrhundert immer wieder in Mode. Sari: Gewickeltes, ungenähtes und ungeschnittenes umhüllendes indisches Kleid der Hindufrauen von bis zu 8 m Länge, ca. 1,30-1,40 breit, in verschiedenen Farben, Webtechniken und Ornament. Früher Hinweis für die regionale Herkunft und Status der Frau. Heute vor allem von verheirateten Hindufrauen getragen. Sassoun-Frisuren: Frisurformen, die vom englischen Haarkünstler Vidal Sassoon entwickelt wurden. Schnabelschuhe: Schuhe mit extrem langen Spitzen, Zeichen für den hohen sozialen Status und Modebewusstsein im Hoch- und Spätmittelalter. Shalwar Khameez: Auch Salwar Kammez oder Kamiz. Indische Gewandform, die aus drei Teilen besteht: Ein langes Hemd, eine Hose und eine Dupatta. Existiert in vielen Varianten und Längen. Ursprünglich war der Shalwar Kameez eine moslemische Kleidung, hat aber längst die religiöse Bedeutung eingebüsst und ist heute großstädtische Frauenmode geworden, auch in Pakistan, Bangladesch oder Afghanistan. Shenti: Altägyptischer Schurz. Sita: In der Hindumythologie die Frau von Rama, dem Helden des Ramayana und eine Tochter der Erde.
314 | MODE IM FILM Slipper: Modische Hip Hop-Schuhformen. Der Begriff kennzeichnet auch Hauspantoffeln. Snapbrim: Hutform. Sneakers: Modische sportliche Schuhformen. Stecker: Miedereinsatz. Fein bearbeitetes Einsteckstück, das die vordere Öffnung des Mieders bedeckte und mit Haken seitlich geschlossen wurde oder in die untere vordere Schnürung des Korsetts oder Mieders gesteckt. Stola: Schmaler Schulerumhang der Frauen. Geht als Schärpe bis in die Antike und die assyrische Zeit zurück. Toque: Schlichte Hutform, die bereits im Spätmittelalter modisch war. Trimmer: Männliche Hutform der 1930er Jahren. Trippen: Modische Schuhformen. Früher kennzeichnete der Begriffe einen HolzUnterschuh, der mit Riemen über den Schuhen getragen wurde (Mittelalter, Renaissance). Tunika: Hemdartige Kleidung. Die Form ist zwar älter (Griechischer Chiton, Kthoneth der Hebräer), bekannt wurde die Tunika durch die antiken Römer. Die Bezeichnung wird heute immer noch gebraucht, vor allem bei der Frauenkleidung für einfache gerade knie- bis wadenlange Hemdkleider. Watteaukleid: Bezeichnung für Reifröcke, die festgenähte zum Boden herabfallende Rückenansätze haben. Sie sind nach dem Maler Gustav Watteau genannt. Watteauhut: Auch eine Frauen-Hutform der 1770er Jahre, genannt nach Watteau. Zoccolo: Venezianische Stelzschuhe, vermutlich orientalischer Herkunft, die eine bis zu 30 Cm hohen Holz- oder Korksohle hatte.
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ZITIERTE FILME 1492. Die Eroberung des Paradieses (1992). Regie1: Ridley Scott. Kostüme: Charles Knode/Barbara Rutter. 1900 (1976). R: Bernardo Bertolucci. K: Gitt Magrini. 2001 – Odyssee im Weltraum (1968). R: Stanley Kubrick. K: Hardy Amies. 55 Tage in Peking (1962). R: Nicholas Ray. K: Veniero Colasanti und John Moore. 80 Tage um die Welt. (1956). R: Michael Anderson. K: Miles Whites/Laure Laurie. 9 1/2 Wochen (1986). R: Adrian Lyne. K: Bobbie Read. Abgeschminkt (1993). R: Katja von Garnier. K: Birgit Aichele. About Schmidt (2002). R: Alexander Payne. K: Wendy Chuck. Adieu Bonaparte (1985). R: Youssef Chahine. K: Yvonne Sassinot de Nesle. Alexander (2004). R: Oliver Stone. K: Jenny Beavan. Alexander Newski (1938). R: Serguej M. Eisenstein. K: Konstantin Yeliseyev. Alexandria… New York (2004). R: Youssef Chahine. All about Eve (1950). R: Joseph L. Mankiewicz. K: Edith Head. Alles über meine Mutter (1999). R: Pedro Almodovar. K: Sabine Daigeler/ Jose Maria de Cossio. Amadeus (1984). R: Milos Forman. K: Theodor Pistek/Christian Thuri. American Beauty (1999). R: Sam Mendes. K: Julie Weiss. America, America (1963). R: Elia Kazan. K: Anna Hill Johnestone. American Gigolo (1980). R: Paul Schrader. K: Georgio Armani. Andrej Rublev (1969). R: Andrej Tarkovski. K: Maja Abas-Baranovskaya/ Lidiya Novi. Angel Eyes (2001). R: Luis Mandoki. K: Marie-sylvie Deveau. Anna und der König (1999). R: Andy Tennant. K: Jenny Beavan. Antonias Welt (1995). R: Marleen Gorris. K: Jany Temime. Apocalypse Now (1979). R: Francis Ford Coppola. K: Charles E. James. Après le bal (1897). R: Georges Meliès. Asterix und Obelix. Mission Kleopatra (2002). R: Alain Chabat. K: Philippe Guillotel, Tanino Liberator, Florence Sadaune. Auf immer und ewig (1998). R: Andy Tenant. K: Jenny Beavan. Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten (1989). R: Wim Wenders. Auschwitz und kein Ende (2000). Regie: Holger Hillesheim/Christoph Schmidt (Dokumentarfilm) Außer Atem (1960). R: Jean-Luc Godart. Austin Powers. Spion in geheimer Missionarstellung (1999). R: Jey Roach.K: Deena Appel. Aviator (2004). R: Martin Scorcese. K: Sandy Powell. Awaara (1951). R: Raj Kapoor. K: Madame Chorosch/Om Prakash Mehra. Bandit Queen. Portait einer Banditin (1995). R: Shekhar Kapur. K: Dolly Ahluwalia. Barbarella (1968). R: Roger Vadim. K: Jacques Fonteray/Paco Rabanne. Barry Lyndon (1975). R: Stanley Kubrick. K: Milena Canonero/Ulla-Britt Söderlund. 1
Wenn kein Name von Kostümbildner zitiert wird, bedeutet es, dass der Art Director oder sogar der/die RegisseurIn selbst für die Kostüme zuständig waren. Regie wird im folgenden abgekürzt mit R: und Kostüme mit K:.
338 | MODE IM FILM Basic Instinct (1992). R: Paul Verhoeven. K: Ellen Minojnick. Battle Royale (2001). R: Kinji Kufasaku. Belle de jour (1967). R: Luis Bunuel. K: Hélène Nourry. Ben Hur (1959). R: William Wyler. K: Elizabeth Haffenden. Ben Hur (1925). R: Fred Niblo. K: Hermann J. Kaufmann/ Erté. Betty Blue (1986). R: Jean-Jacques Beinex. K: Elisabeth Tavernier. Bin ich sexy? (2004). R: Katinka Feist. K: Bettina Marx. Black Robe. Am Fluss der Irokesen (1993). R: Bruce Deresdorf. K: Renée April/John Hay. Blade Runner (1982/1993). R: Ridley Scott. K: Michael Kaplan Charles Knode/Jean Giraud. Blondinen bevorzugt (1953). R: Howard Hawks. K: Travilla. Blue Steel (1990). R: Kathryn Bigelows. K: Richard Shissler. Bombay (1995). R: Mani Ratnam. K: Nalini Sriram. Bonnie und Clyde (1967): R. Arthur Penn. K: Theadora van Runkle. Borsalino (1970). R: Jacques Deray. K: Jacques Fonteray. Boy with Green Hair (1948). R: Joseph Losey. K: Adele Balkan. Braveheart (1995). R: Mel Gibson. K: Charles Knode. Brennendes Indien (1959). R: J. Lee Thompson. K: Yvonne caffin/Julie Harris. Cabaret (1972). R: Bob Fosse. K: Charlotte Flemming. Cabiria (1914). R: Giovanni Pastrone. Carmen (1983). R: Carlos Saura. Kostüme: Teresa Nieto. Caravaggio (1986). R: Derek Jarman. K: Sandy Powell. Carrie (1952). R: William Wyler. K: Edith Head. Casablanca (1942). R: Michael Curtiz. K: Orry-Kelly. Casanova (1976). R: Federico Fellini. K: Danilo Donati/Federico Fellini. Catch 22 (1970). R: Mike Nichols. K: Ernest Adler. Charade (1963). R: Stanley Donen. K: Hubert de Givenchy. Chicago (1927). R: Frank Urson. Chicago (2002). R: Bob Marshall. K: Colleen Atwood. Chindlers Liste (1993). R: Steven Spielberg. K: Anna B. Sheppard. Chori, Chori, Chupke, Chupke (Verstohlen und kleinheimlich. Dt. Titel: Das Liebesdreieck (2001). R: Abbas-Mustan Alibhai Burnwalla. K: Arjun Bhasin. Cindarella and the Fairy Godmother (1898). R: Albert Smith. Citizen Kane (1941). R: Orson Welles. K: Edward Stevenson. Cleopatra (1963). R: Josef Mankiewicz. K: Irene Sharaff/Vittorio Nino Navarese/Renié. Cleopatra (1934). R: Cecil B. deMille. K: Travis Banton. Club der toten Dichter (1989). R: Peter Weir. Clueless (1995). R: Amy Heckerling. K: Mona May. Commitments (1991). R: Alan Parker. K: Penny Rose. Conan der Barbar (1982). R: John Milius. K: John Bloomfield. Coolie (1983). R: Manmohan Desai/Prayag Raj. Crazy in Alabama (1999). R: Antonio Banderas. K: Graciela Mazon. Crocodile Dundee 1 (1986). R: Peter Fairman. K: Norma Moriceau. Cromwell (1970). R: Ken Hughes. K: Vittorio Nino Novarese. Cyrano von Bergerac (1990). R: Jean-Paul Rappenau. K: Franca Squarciapino. Daens (1992). R: Stijn Coninx. K: Yan Tax. Dancer in the Dark (2000). R: Lars von Trier. K: Manon Rasmussen. Dancer Upstairs (2002). R: John Malkovich. K: Sabine Daigeler. Dark Blue. Die Farbe der Korruption (2002). R: Ron Burdon. K: Kathryn Morrison. Das Appartement (1960). R: Billy Wilder. Das fünfte Element (1997). R: Luc Besson. K: Jean-Paul Gautier. Das geheimnisvolle Kleid/De jurk (1996). R: Alex van Warmerdam.
ZITIERTE FILME/BILDNACHWEIS | 339 Das Gewand (1953). R: Henry Koster. K: Emile Santiago. Das Glück liegt auf der Wiese (1995). R: Etienne Chatillez. K: Edith Vesperini. Das Haus des Maltesers (1938). R: Pierre Chenal. Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss (1988). R: Etienne Chatillez. K: Elisabeth Tavernier. Das Mädchen Irma la Douce (1963). R: Billy Wilder. K: Orry-Kelly. Das Mädchen mit dem Perlenohrring (2003). R: Peter Weber. K: Dien van Straalen. Das Piano (1993). R: Jane Campion. K: Janet Patterson. Das Schweigen der Lämmer (1991). R: Jonathan Demme. K: Colleen Atwood. Das Tagebuch der Anne Frank (1959). R: George Stevens. K: Charles Le Maire/Mary Wils. Das verflixte siebte Jahr (1955). R: Billy Wilder. K: Travilla. Das war der wilde Westen (1962). R: John Ford/Henry Hathaway/George Marshall. K: Walter Plankett. Dekameron (1971). R: Pier Paolo Pasolini. K: Danilo Donati. Der 13. Krieger (1999). R: John Mac Tiernan. K: Sandra J. Blackie/Kate Harrington. Der Bauch des Architekten (1987). R: Peter Greenaway. K: Maurizio Millenotti. Der bewegte Mann (1994). R: Söke Wortman. K: Katharina von Martius. Der Blaue Engel (1930). Regie: Josef von Sternberg. K: Tichomar Varady. Der Clan der Sizilianer (1969). R: Henri Verneuil. K: Héléne Nourry. Der Clou (1973). R: George Roy Hill. K: Edith Head. Der einzige Zeuge (1985). Regie: Peter Weir. K: Shari Feldman/Dallas D. Dorman. Der Elefantenmensch (1980). R: David Lynch. K: Patricia Norris. Der Fluss ohne Wiederkehr (1954). R: Otto Preminger. K: Travilla. Der Freibeuter von Louisisna (1938). R: Cecil B. de Mille. K: Dwight Franklin/Nathalie Visart/Dan Sayre Groesback. Der Garten der Fizzi-Contini (1970). R: Vittorio de Sica. K: Antonio Randaccio. Der Glöckner von Notre Dame (1956). R: Jean Delannoy. K: Georges K. Benda/Veniero Calasanti. Der große Diktator (1940). Regie: Charlie Chaplin. Der große Regen (1955). R: Jean Negulesco. K: Helen Rose/Travilla. Der Guru (2002). R: Daisy von Scherler Meyer. K: Michael Clancy. Der Handschrift von Saragossa (1965). R: Wojcieck Has. K: Lidia Skarzynska/ Jerzy Skarzynski. Der Junge mit den roten Haaren (1948). R: Joseph Losey. K: Adela Balkan. Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber (1989). R: Peter Greenaway. K: Jean-Paul Gaultier. Der König tanzt (2000). R: Gérard Corbiau. K: Olivier Bériot. Der König und Ich (1956). R: Walter Lang. K: Irene Sharaff. Der Konformist (1970). R: Bernardo Bertolucci. K: Gitt magrini. Der Kongress tanzt (1931-1932). R: Erik Charell. K: Ernst Stern. Der Krieg der Knöpfe (1964). R: Yves Robert. Der Leopard (1973). R: Lucchino Visconti. K: Piero Tosi. Der letzte Mohikaner (1992). R: Michael Mann. K: Elsa Zamparelli. Der Liebhaber (1992). R: Jean-Jacques Annaud. K: Yvonne Sassinot de Nesle. Der Mann mit dem goldenen Colt (1974). R: Guy Hamilton. Der mit dem Wolf tanzt (1990). R: Kevin Costner. K: Elsa Zamparelli. Der Name der Rose (1986). R: Jean-Jacques Annaud. K: Gabriella Pescucci. Der Pakt der Wölfe (2001). R: Christophe Gans. K: Dominique Borg. Der Patriot (2000). R: Roland Emerich. K: Deborah Lynn Scott. Der Pfandleiher (1965). R: Sidney Lumet. K: Anna Hill Johnstone. Der Pianist (2002). R: Roman Polanski. K: Anna B. Sheppard. Der Rosenkrieg (1989). R: Danny De Vito. K: Gloria Gresham. Der Schmetterling (2002). R: Philippe Muyl. K. Françoise Dubois/Sylvie de Segonzac. Der Schrei der Seide (1996). R: Yvon Marciano. K: Claire Risterucci.
340 | MODE IM FILM Der Smaragdwald. (1985). R: John Boorman. K: Clovis Bueno/Christel Kruse Boorman. Der Soldat James Ryan (1998). R: Steven Spielberg. K: Johanna Johnston. Der Teufel trägt Prada (2005). R: David Fraenkel. K: Patrcia Field. Der Tiger von Eschnapur (1959). R: Fritz Lang. K: Günter Brosda/Claudia HahneHerberg. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland (1990). R: Eberhard Jäckel/Lea Rösch (Dokumentarfilm). Der Untergang (2004). R: Oliver Hirschbiegel. Kostüme: Claudia Bobsin. Der Untergang des römischen Reiches (1964). R: Anthony Mann. K: Veniero Colasanti/John Moore. Der weiße Hai (1975). R: Steven Spielberg. Der Wind wird uns tragen (1999). R: Abbas Kiarostami. Devdas (2001). R: Sanjay Leela Bhansali. K: Abu Jani/Sandeep Khosla/ Neeta Lulla/Reza Shariffi. Diamantfieber (1971). R: Guy Hamilton. K: Donfeld. Die Akte Jane (1997). R: Ridley Scott. K: Marilyn Vance. Die Banquierfrau (1980). R: Francis Girod. K: Jean Barthet/Jacques Fonterey. Die Bartholomäusnacht (1994). R: Patrice Chéreau. K: Moidele Bickel. Die Bestie der alten Bergen (TV, 2003). R: Patrick Volson. K: Fabia Perrone. Die Beute (1966). R: Roger Vadim. K: Tanine Autré/Pierre Cardin. Die Blechtrommel (1979). R: Volker Schlöndorff. K: Inge Heer/Dagmar Niefind. Die Bohème (1928). R: King Vidor. Kostüme: Erté. Die Büchse der Pandora (1929). R: Georg Wilhelm Pabst. K: Jean Patou. Die Chorale von Leuthen (1933). R: Carl Froehlich/Arzen von Cserépy. Die eiserne Maske (1928). R: Douglas Fairbank. Die fabelhafte Welt der Amélie (2001). R: Jean-Pierre Jeunet. K: Madeleine Fontaine/Emma Lebail. Die Farbe des Granatapfels (1968). R: Sergej Paradjanov. K: Elene Akhvlediani I. Karalyan/Zh. Zarabyan. Die Farbe Lila (1985). R: Steven Spielberg. K: Aggie Guerard Rodgers. Die Farbe der Lüge (1998). R: Claude Chabrol. K: Corinne Jorry. Die Frau des Bäckers (1938). R: Marcel Pagnol. Die Frauen (1939). R: George Cukor. K: Adrian. Die Geschichte der Dienerin (1990). R: Volker Schlöndorff. K: Colleen Atwood. Die Katze auf dem heißen Blechdach (1958). R: Richard Brooks. K: Helen Rose. Die Kinder des Monsieurs Mathieu (2004). R: Christoph Barratier. K: Françoise Guégan. Die Legende des Zorro (2005). R: Martin Campbell. K: Gaziela Mazon. Die Legion der Verdammten. Les Misérables (1998). R: Bille August. K: Gabriella Pescucci. Die letzte Metro (1980). R: FranȢois Truffaut. K: Lisele Roos. Die Liebenden (1958). R: Louis Malle. K: Coco Chanel. Die Marseillaise (1938). R: Jean Renoir. K: Jean Renoir/Coco Chanel. Die Minen des Königs Salomon (1950). R: Compton Bennett/Andrew Morton. K: Walter Plunkett. Die Mumie/al-Mumya (1969). R: Shadi Abdessalam. K: Shadi Abdessalam. Die Nacht (1961). R: Michelangelo Antonioni. Die Nibelungen (1924). R: Fritz Lang. K: Paul-Gerd Guderian. Die Perlenstickerinnen (2004). R: Eléonore Faucher. K: Pascaline Suty. Die Piratenbraut (1995). R: Renny Harlin. K: Enrico Sabbatini. Die Reifeprüfung (1967). R: Mike Nichols. K: Patricia Zipprodt. Die Reise nach Kafiristan (2001). R: Fosco und Donatello Dubini. K: Barbara Schimmel. Die Reise zum Mond (1902). R: George Meliès. Die rote Laterne (1991). R: Zhang Yimou. K: Huamiao Tong.
ZITIERTE FILME/BILDNACHWEIS | 341 Die roten Schuhe (1948). R: Michael Powell/ Emeric Pressburger. K: Carven/ Dorothy Edwards/Hein Heckroth. Die Rückkehr des Martin Guerre (1982). R: Daniel Vigne. K: Anne-Marie Marchand. Die scharlachrote Kaiserin (1934). R: Josef von Sternberg. K: Travis Banton. Die Schöne und das Biest (1946). R: Jean Cocteau. K: Pierre Cardin, Die Spielregel (1939). R: Jean Renoir. K: Jean Renoir/Coco Chanel. Die Spur des Falken (1941). R: John Huston. K: Orry-Kelly. Die Stadt der verlorenen Kinder (1995). R: Marc Caro/Jean-Pierre Jeunet. K: JeanPaul Gaultier. Die Thomas Crown Affäre (1998). R: John McTiernan. K: Kate Harrington. Die Tochter von Kaltoum (2001). R: Mehdi Charef. K: Maika Guézel. Die Unbestechlichen (1987). R: Brian de Palma. K: Marilyin Vance/Giorgio Armani. Die vier Federn (2002). R: Shekhar Kapur. K: Ruth Myers. Die Waffen der Frauen (1988). R: Mike Nichols. K: Ann Roth. Die Wikinger (1958). R: Richard Fleischer. Die zehn Gebote (1925). R: Cecil B. de Mille. K: Arnold Friberg/Edith Head/Dorothy Jeakins/John Jensen/Ralph Jester/Paul Iribe. Die Zeit der Unschuld (1993). R: Martin Scorcese. K: Gabriella Pescucci/ Barbara Matera. Diva (1983). R: Jean-Jacques Beineix. K: Hilton McConnino. Dogville (2003). R: Lars von Trier. K: Manon Rosmussen/Marjatta Nissinen. Die große Illusion (1937). R: Jean Renoir. K: René Decrais. Dr. Jeckel und Mr. Hyde (1941). R: Victor Fleming. K: Adrian/Gile Steele. Dr. Seltsam (1962-63). R: Stanley Kubrick. Dracula (1992). R: Francis Ford Coppola. K: Eiko Ishioka. Dragon (1990). R: Bob Cohen, Dragon Seed (1944). R: Harald S. Bucquet/Jack Conway. K: Irene/ Valles. Drei Engel für Charlie (2000). R: McG. K: Joseph G. Aulisi Drei Farben: Blau (1993). R: Krzystof Kieslowski. K: Naima Lagrange/ Virginie Viard. Drei Männer und ein Baby (1985). R: Coline Serreau. K: Poussine Mercanton/Edith Vesperini. Dune (1984). R: David Lynch. K: Bob Ringwood. Durchgeknallt – Girl, Interrupted (1999). R: James Mangold. K: Arianne Phillips. Easy Rider (1969). R: Dennis Hopper. Earth (1998). R: Deepa Mehta. K: Dolly Tewari. Ein Amerikaner in Paris (1951). R: Vincente Minnelli. K: Orry Kelly/Walter Plunkett/Irene Sharaff. Ein Engel an meinem Tafel (1990). R: Jane Campion. K: Glenys Jackson. Ein ferpektes (sic) Verbrechen (2003). R: Alex de la Iglesia. K: Paco Ein Goldfisch an der Leine (1964). R: Howard Hawks. K: Edith Head. Ein süßer Fratz/Funny Face (1956). R: Stanley Donen. K: Hubert de Givenchy/ Edith Head. Ein unmoralisches Angebot (1993). R: Adrian Lyne. K: Beatrix Aruna-Pasztor. Eine Landpartie (1936). R: Jean Renoir. K: Lucchino Visconti. Eine Frage der Ehre (1992). R: Rob Reiner. K: Gloria Griesham. Eine Liebe von Swann (1984). R: Volker Schlöndorff. K: Yvonne Sassinot de Nesle. Eine perfekte Hochzeit (1999). R: Reinhard Schabenitzky. K: Lisa Angerer. Ein Sommer auf dem Lande (1999). R: Jean Becker. K: Syvie de Segonzac. Eine ungleiches Paar (1983). R: Peter Yates. K: Rosemary Burrows und H. Nathan. El Cid (1961). R: Anthony Mann. K: Veniero Colasanti/John Moore. Elizabeth (1998). R: Shekhar Kapur. K: Alexandra Byrne. Endstation Sehnsucht (1951). R: Elia Kazan. K: Lucinda Ballard. Erin Brockovich (2000). R: Steven Soderbergh. K: Jeffrey Kurland.
342 | MODE IM FILM Es geschah eine Nacht (1934). R: Frank Capra. K: Robert Kalloch. Es war einmal in Amerika (1984). R: Sergio Leone. K: Gabriella Pescucci. Escalibur (1981). R: John Bormann. K: Bob Ringwood. Evita (1996). R: Alan Parker. K: Penny Rose. eXistenZ (1999). R: David Cronenberg. K: Denise Cronenberg. Eyes Wide Shut (1999). R: Stanley Kubrick. K: Marit Allen. Fame (1980). R: Alan Parker. K: Ellen Mirojnick und Kristi Zea. Faust (1925). Regie: Friedrich Wilhelm Murnau. Fausto (1993). R: Rémy Duchemin. K: Philippe Guillotel/Annie Perrier/ Ermemegildo Zehna. Fellinis Roma (1972). R: Federico Fellini. K: Danilo Donati. Fenster zum Hof (1954). Regie: Alfred Hitchcock. K. Edith Head. Feuer und Flamme (1982). R: Jean-Paul Rappeneau. Feuersturm und Asche (1988). R: Dan Curtis. Filming Othello (1978). R: Orson welles. K: Orson Welles. Fire (1997). R: Deepa Mehta. K: Neelam Mansingh Chowdhury/Anju Rekhi. Flashdance (1983). R: Adriane Lyne. K: Michael Kaplan. Flucht der Karibik (2003). R: Gore Verbinski. K: Penny Rose. Forever Amber (1947). R: Otto Preminger. K: René Hubert/ Charles LeMaire. Forrest Gump (1994). R: Robert Zemechis. K: Joanna Johnston. Freaks (1932). R: Tod Browning. Friends. TV-Serie (1994-2004). R: David Crane/Mata Kauffman u.a. K: Debra McGuire. Frühstück bei Tiffany (1961). R: Black Edwards. K: Paulene Trigere/Robert de Givenchy. Full Metal Jacket (1987). R: Stanley Kubrick. K: Keith Denny. Gaath (1994). R: Akashdeep. Gallipoli (1981). R: Peter Weir. Gandhi (1982). R: Richard Attenborough. K: Bhanu Athaiya/John Mollo. Gangs of New York (2002). R: Martin Scorcese. K: Sandy Powell. Geburt einer Nation (1916). R: David Wark Griffith. Gefährliche Liebschaften (1988). R: Stephen Frears. K: James Acheson. Gegen die Wand (2004). R: Fatih Akin. K: Katrin Aschendorf. Geheime Staatsaffären (2006). R: Claude Chabrol. K: Sandrine Bernard/Mic Cheminal. Geliebte Aphrodite (1995). R: Woody Allen. K: Jeffrey Kurland. Germinal (1993). R: Claude Berri. K: Miodel Bickel/ Sylvie Gautrelet/ Caroline de Vivaise. Gilda (1946). R: King Vidor. K: Jean Louis. Gladiator (2000). R: Ridley Scott. K: Janty Yates. Glen and Glenda (1954). R: Edward D. Wood Jr. Goldfinger (1964). R: Guy Hamilton. Göttliche Einmischung (2002). R: Elia Suleiman. K: Eve-Marie Arnault. Good bye, Lenin! (2003). R: Wolfgang Becker. K: Aenne Plaumann. Goya (1999). R: Carlos Saura. K: Pedro Moreno. Goyas Geister (2006). R: Milos Forman. K: Yvonne Blake. Grease (1978). R: Randal Kleider. K: Albert Wolsky. Grey Owl (1999). R: Richard Altenbororugh. K: Renée April. Gute Zeiten, schlechte Zeiten/Kabi Kashi Kabi Gham (2001). R: Karan Johar. K: Shabina Khan/Manish Malhotra/ Rocky S. Hamlet (1996). R: Kenneth Branagh. K: Alexandra Byrne. Hannibal (2001). R: Ridley Scott. K: Janty Yates.
ZITIERTE FILME/BILDNACHWEIS | 343 Harry Potter und der Stein der Weisen (2001). R: Chris Columbus. K: Judianna Markovaky. Havanna Nights (2004). R: Guy Ferland. K: Isis Mussenden. Heinrich V (1989). R: Kenneth Branagh. K: Phyllis Dalton. Hello Mr. President (1995). R: Rob Reiner. K: Gloria Gresham. Herr der Ringe (2001-2003). R: Peter Jackson. K: Ngila Dickson/Richard Taylor. Highlander 1 (1986). R: Russel Mulcahy. K: James Acheson. Highlander 3 (1994). R: Andrew Morahan. K: Mario Davignon. Himmel über Berlin (1987). R: Wim Wenders. K: Monika Jacobs. Historias Minimas (2002). R: Carlos Sorin. Holocaust (1978). R: Marvin J. Chomsky. K: Edith Almoslino/Peggy Farrell. Homo Faber (1991). R: Volker Schlöndorff. K: Barbara Baum/Georgio Armani. Hotel International (1963). R: Anthony Asquith. K: Pierre Cardin/Hubert de Givenchy. Hyderabad Blues (1998). R: Nagesh Kukunoor. Im Jahr des Drachens (1985). R.: Michael Cimino. K.: Marietta Ciriello. In den Schuhen meiner Schwester (2005). R: Curtis Hansen. K: Sophie Carbonell. In the Cut (2003). R: Jane Campion. K: Beatrix Aruna Pasztor. Independence Day (1996). R: Roland Emmerich. K: Joseph A. Porro. Indiana Jones 1 (1981). R: Steven Spielberg. K: Deborah Nadoolman. Indochine (1992). R: Regis Wargnier. K: Pierre-Yves Gayraud/ Gabriella Pescucci. Intimacy (2001). R: Patrice Chéreau. K: Caroline de Vivaise. Iwan der Schreckliche (1942-46). R: Serguei M. Eisenstein. K: Leonid Naumov/Nadezhda Buzina. Jeanne d’Arc (1928). R: Carl Dreyer. K: Valentine Hugo. Jedermanns Fest (2002). R: Fritz Lehner. K: Uli Fessler. Jenseits der Stille (1996). R: Caroline Link. K: Katharina von Martius. Julius Caesar (1953). R: Joseph Mankiewicz. K: Herschel McCoy. Jules und Jim (1962). R: FranȢois Truffaut. K: Fred Capel. Jurassic Park (1993). R: Steven Spielberg. Kagemusha (1980). R: Akira Kurosawa. Kaho Naa ..Pyaar Hai/Liebe aus heiterem Himmel (2000). R: Rakesh Roshan. Kanonboot am Jang-Tse-Kiang (1966). R: Robert Wise. K: Reniée. Keid Ensa/List der Frauen (1999). R: Farida Ben Lyziad. Kette und Armreif/al-Tauq wa-I-iswarra (1984). R: Khairy Beshara. Khartoum. Aufstand am Nil (1966): R: Basil Dearden/ Eliot Elisofon. Kick it like Beckham (2002). R: Gurinder Chadha. K: Ralph Holes. Kids (1995). R: Larry Clark. K: Kim Marie Druce. Kika (1993). R: Pedro Almodovar. K: Jose Maria de Cossio, Gianni Versace/JeanPaul Gaultier. Killer’s Kiss (1955). R: Stanley Kubrick. Kinder des Olymp (1943-45). R: Marcel Carné. K: Antoine Mayo. König Arthur (2003). R: Antoine Fuqua. K: Penny Rose. Königreich der Himmel (2005). R: Ridley Scott. K: Janty Yates. L’Auberge espagnole. Ein Jahr in Barcelona (2004). R: Cedric Klapisch. K: Anne Schotte. La Dolce Vita (1960). R: Federico Fellini. K: Piero Gherardi. Lagaan (2001). R: Ashutosh Gowariker. K: Bhanu Athaiya. Lawrence von Arabien (1963). R: David Lean. K: Phyllis Dalton. Lebe wohl meine Konkubine (1993). R: Chen Kaige. K: Chen Changmin. Leben und sterben lassen (1973). R: Guy Hamilton. K: Julia Harris. Leon, der Profi (1994). R: Luc Besson. K: Magali Guldasci.
344 | MODE IM FILM Les bas fonds (1936). R: Jean Renoir. Les Parapluies de Cherbourg/Die Regenschirme von Cherbourg (1963). R. Jacques Demy. K: Bernard Evin/Jacqueline Moreau. Letztes Jahr in Marienbad(1961). R: Alain Resnais. K: Coco Chanel/ Bernard Evein. Liebe das Leben (1998). R: Eric Zonca. K: Françoise Clavel. Liebe liegt in der Luft/Kuch Kuch Hota Hai (1998). R: Karan Johar. K: Shabina Khan/Manish Malhotra. Liebe ist stärker (1953). R: Roberto Rosselini. Liebesbeziehungen/Mohabattein (2000). R: Aditya Chopra. K: Koran Johar/Manish Malhotra. L’Innocente (1977). R: Lucchino Visconti. K: Piero Tosi. Little Big Mann (1970). R: Arthur Penn. K: Dorothy Jeakins. Lola Montez (1956). R: Max Ophüls. K: Georges Annenkov/ Marcel Escoffier. Lola rennt (1998). R: Tom Tykwer. K: Monika Jocobs. Lolita (1962). R: Stanley Kubrick. K: Gene Coffin. Lost in Translation (2003). R: Sofia Coppola. K: Nancy Steiner. Ludwig 1881 (1993). R: Donatello und Fosco Dubini. K: Barbara Schimmel. Lust auf anderes (2000). R: Agnes Jaoui. K: Jackie Budin. M – Eine Stadt sucht ein Mörder (1931). R: Fritz Lang. Macbeth (1948). R: Orson Welles. K: Adele Palmer/Fred A. Ritter/Orson Welles. Mach’s noch einmal, Sam (1971). R: Woody Allen. Mad Max I (1979). R: George Miller. K: Clare Griffin. Mad Max II (1981). R: George Miller. K: Norma Moriceau. Männer (1985). R: Doris Dörrie. K: Joerg Trees. Manche mögen’s heiß (1959). R: Billy Wilder. K: Orry-Kelly. Man lebt nur zweimal (1967). R: Lewis Gilbert. Manderlay (2005). R: Lars von Trier. K: Manon Rassnussen. Marie-Antoinette (2006). R: Sofia Coppola. K: Milena Cononero. Marie Bonaparte (2004). R: Benoit Jacquot. K: Uli Fessler/ Catherine Leterrier (TV). Marokko (1930). R: Joseph von Sternberg. K: Travis Benton. M.A.S.H. (1970). R: Robert Altman. Matrix 1 (1999). R: Andy und Larry Wachowski. K: Kym Barrett. Matrix Revolutions (2003). R: Larry und Andy Wachowski. K: Kym Barrett. Mein Leben in rosarot (1997). R: Alain Berliner. K: Karen Muller-Serreau. Meine Lieder – meine Träume/The Sound of Music (1965). R: Robert Wise. K: Dorothy Jeakins. Miss Detective/Congeniality (2000). R: Donald Petrie. K: Susie de Santo. Mission (1986). R: Roland Joffé. K: Enrico Sabbatini. Mogambo (1953). R: John Ford. K: Helen Rose. Molière (1978). R: Arianne Mnouchkine. K: Daniel Ogier/ Françoise Tournafond. Monsieur Beaucaire (1924). R: Sidney Olcott. K: George Barbier. Monsoon Wedding (2000). Regie: Mira Nair. Kostüme: Arjun Bhasin. Moonraker (1979). R: Lewis Gilbert. K: Jacques Fonteray. Mord im Orient Express (1974). R: Sidney Lumet. K: Tony Walton. Moulin Rouge (2001). R: Baz Luhrmann. K: Catherine Martin/Angus Strathie. Mrs. Doubtfire (1993). R: Chris Columbus. K: Marit Allen. Mulholland Drive (2001). R: David Lynch. K: Amy Stofsky. Munich (2005). R: Steven Spielberg. K: Joanna Johnston. My Fair Lady (1964). R: George Cukor. K: Cecil Beaton/Michael Neuwirth. Nazarin (1958/59). R: Luis Bunuel. K: Georgette Somohano. Ninotschka (1939). R: Ernst Lübitsch. K: Gilbert Adrian. Nirgendwo in Afrika (2001). R: Caroline Link. K: Barbara Grupp. Norma Rae. Eine Frau steht ihren Mann (1978). R: Martin Ritt.
ZITIERTE FILME/BILDNACHWEIS | 345 Notting Hill (1999). R: Roger Michell. K: Shuna Harwood. Nosferatu (1922). Regie: Friedrich Wilhelm Murnau. Novembermond (1985). R: Alexandra von Grote. K: Ingrid Zoré. Octopussy (1983). R: John Glen. K: Emma Porteus. Orlando (1992). R: Sally Potter. K: Sandy Powell/Dien van Straalen. Out of Africa (1985). R: Sydney Pollack. K: Milena Canonero. Panzerkreuzer Potemkin (1925). R: S.M. Eisenstein. Paris is burning (1990). R: Jennie Levingston. Pathfinder (1987): R: Nils Gaup. K: Renée Avril. Pforten der Nacht (1946). R: Marcel Carné. K: Antoine Mayo. Phantom der Oper (2004). R: Joel Schumacher. K: Alexandra Byrne. Pharao (1955). R: Howard Hawks. K: Antoine Mayo/Lucilla Mussini. Picknick am Valentinstag (1975). R: Peter Weir. Planet der Affen (1968). R: Franklin Schaffner. K: Morton Haack/ John Chambers (Masken). Platoon (1986). R: Oliver Stone. Playtime (1967). R: Jacques Tati. K: Jacques Cottin. Ponette (1996). R: Jacques Doillon. K: Jacques Doillon. Portrait of a Lady (1995). R: Jane Campion. K: Janet Patterson. Prêt-à-Porter (1994). R: Robert Altmann. K: Xuly Bet/Nino Cerruti/Catherine Leterrier/Vivienne Westwood. Pretty Woman (1990). R: Garry Marshall. K: Marilyn Vance. Priscilla, Königin der Wüste (1994). R: Stephan Elliott. K: Tim Chappel/Lizzy Gardiner. Prosperos Bücher (1991). R: Peter Greenaway. K: Ellen Lens/ Emi Wada. Psycho (1960). R: Alfred Hitchcock. K: Rita Riggs. Pulp Fiction (1994). R: Quentin Tarentino. K: Betsy Heiman. Pyjama Game (1957). R: George Abbott/Stanley Donen. K: Kean Eckart/William Eckart/Frank L. Thompson. Queen of Outer Space (1958). R: Edward Bernds. K: Irene Caine/ Thomas Pierce. Quo Vadis (2002). R: Jerzy Kawalerowicz. Rain Man (1988). R: Barry Levinson. K: Bernie Pollack. Raining Stone (1993). R: Kenneth Loach. K: Anne Sinclair. Rambo I (1982). R: Ted Kotcheff. K: Tom Bronson. Rambo II (1984). R: George Pan Cosmatos. K: Tom Bronson. Ran (1985). R: Akira Kurosawa. K: Emi Wada. Reise nach Kandahar (2001). R: Mohsen Makhmalbaf. Reise nach Indien (1984). R: David Lean. K: Judy Moorcroft. Rendez-Vous nach Ladenschluss (1940). R: Ernst Lübitsch. Reservoir Dogs (1992). R: Quentin Tarantino. K: Betsy Heimann. Ridicule. Von der Lächerlichkeit des Scheins (1996). R: Patrice Leconte. K: Christian Gasc. Rising Sun (1993). R: Philip Kaufman. K: Jacqueline West. Robin Hood, König der Vagabunden (1938). R: Michael Curtiz. K: Milo Anderson. (The) Rocky Horror Picture Show (1975). R: Jim Sharman. K: Sue Blane. Roger and Me (1989). R: Michael Moore. Roma (1972). R: Federico Fellini. K: Danilo Donati. Romeo und Julia (1996). R: Baz Luhman. K: Kim Barrett. Rosa, oder welche Farbe hat das Leben (2003). R: Julia Dietmann. (Dokumentarfilm) Rosebud (1974). R: Otto Preminger. K: Pierre Balmain.
346 | MODE IM FILM (Le) Rouge et le noir (1954). R: Claude Autant-lara. K: Claude AutantLara/Monique Dunand. Sabrina (1954). R: Billy Wilder. K: Edith Head/Hubert de Givenchy. Sabrina (1995). R: Sydney Pollack. K: Gary Jones, Bernie Pollack/Anne Roth. Sag niemals nie (1983). R: Irvin Kershner. K: Charles Knode. Saison der Liebe (1992). R: Fernando Trueba. K: La Heute. Salaam Bombay (1988). R: Mira Nair. Salza (200): R: Joyce Bunuel. K: Christine Jacquin. Satta. Das Spiel der Macht (2003). R: Madhur Bhandarkar. Saturday Night Fever (1977). R: John Badham. K: Patrizia von Brandenstein. Satyricon (1969). R: Federico Fellini. K: Danilo Donati. Scaramouche (1952). R: George Sidney. K: Gile Steele. Schindlers Liste (1993). R: Steven Spielberg. K: Anna B. Sheppard. Schreie und Flüstern (1972). R: Ingmar Bergman. K: Marik Vos-Lundh. Schtonk (1992). R: Helmut Dietl. K: Barbara Ehret/Bernd Stockinger. Schule des Begehrens (1998). R: Benoit Jacquot. K: Corinne Jorry. Sex and the City (2003). R: Hanelle M. Culpepper. (TV-Serie). Shaft (1971). R: Gordon Parks. K: Joe Aulisi. Shakespeare in Love (1998). R: John Madden. K: Sandy Powell/ Umberto Cornejo. Shanghai Express (1932). R: Josef von Sternberg. K: Travis Benton. Shik (der Anzug, 2001). R: Bakhtiar Khudojnazarov. Shoah (1974-1985). Regie: Claude Lanzmann (Dokumentarfilm). Sholey (1975). R: Ramesh Sippy. Senso (1954). R: Lucchino Visconti. K: Marcel Escoffier/ Piero Tosi. Sie liebt ihn. Sie liebt ihn nicht (1997). R: Peter Howitt. K: Jill Taylor. Singin’ in the Rain (1952). R: Stanley Donen/Gene Kelly. K: Walter Plunkett. Sissi (1955). R: Ernst Marischka. K: Leo Bei, Gerdago/Franz Szivats. Smoking, no smoking (1993). R: Alain Resnais. K: Jacke Budin. Sophies Entscheidung (1982). R: Alan J. Pakula. K: Albert Wolsky. Sonnenallee (1999). R: Leander Haussmann. K: Bert Neumann. Space Truckers (1996). R: Stuart Gordon. K: Anne und John Bloomfield. Spartacus (1960). R: Stanley Kubrick. K: Bill Thomas, Valles/ William Ware Theiss. Spricht zu ihr (2002). R: Pedro Almodovar. K: Sonia Grande. Sprung in die Wolken (1944). R: Jean Grémillon. Stadt der Engel (1998). R: Brad Silberling. K: Shay Cunlife. Stagecoach (1939). R: John Ford. K: Walter Plunkett. Star Wars (1977). R: George Lucas. K: John Mollo. Star Wars. Episode 1 (1999). R: George Lucas. K: Trisha Biggar. Stirb langsam I (1988). R: John McTiernan. K: Marilyn Vance. Strange Days (1995). R: Kathryn Bigelow. K: Ellen Mirojnick. Stromboli (1950). R: Roberto Rossellini. Subway (1990). R: Luc Besson. K: Martine Rapin. Süperseks (2004). R: Torsten Wacker. K: Petra Kilian. Sumurun (1920). R: Ernst Lübitsch. Susan ... verzweifelt gesucht (1985). R: Suzan Seidelman. K: Santo Loquasto. Swades/Heimat (2004). R: Ashotosh Gowariker. K: Bhanu Athaiya. Tabu (1931). R: Friedrich Wilhelm Murnau. Tango (1998). R: Carlos Saura. K: Milena Canonero/Beatriz de Benedetto. Tarass Bulba (1962). R: J. Lee Thompson. K: Norma Koch. Tartuffe (1926). R: Friedrich Wilhelm Murnau. K: Robert Herlth/Walter Röhrig. Tattoo (2002). R: Robert Schwentke. K: Peri de Braganca. Taxi Driver (1976). R: Martin Scorcese. K: Ruth Morley. Technolust (2002). R: Lynn Herrschman Leeson. K: Marianna Aström Defina/Yohji Yamamoto.
ZITIERTE FILME/BILDNACHWEIS | 347 Terminator 1 (1984). R: James Cameron. K: Hilary Wright. Tee im Harem des Archuimedes (1985). R: Mehdi Charef. K: Olga Berluti/ Catherine Gorne-Achdjian/ Maika Guézel. The Celluloid Closet (1995): R: Ron Epstein/Jeffrey Friedman. Dokumentarfilm The Company (2003). R: Robert Altman. K: Susan Kaufmann. The Conqueror (1956). R: Dick Powell. K: Yvonne Wood/ Michael Woulfe. The Crow (1994). R: Alex Proyas. K: Arianne Philips. The Defiant Ones (1958). R: Stanley Kramer. K: Joe King. Thelma und Louise (1991). R: Ridley Scott. K: Elizabeth McBride. The Greeks had a word for them (1931). R: Lowell Shermann. K: Coco Chanel. The Hours (2002). R: Stephen Daldry. K: Ann Roth. The Others (2001). R: Alejandro Amenabar. K: Sonia Grande. The Snapper (1993). R: Stephen Frears. K: Consolata Boyle. Thomas Crown ist nicht zu fassen (1964). R: Norman Jewison. K: Ron Postal/ Thea van Runkle. Titanic (1997). R: James Cameron. K: Deborah Lynn Scott. Tonight or ever (1931). R: Mervyn Le Roy. K: Coco Chanel. Tod auf dem Nil ((1978). R: John Guillermin. K: Anthony Powell/ Barbara Matera. Tommy (1975). R: Ken Russell. K: Shirley Russell. Top Gun (1986). R: Tony Scott. Topsy-Turvy (1999). R: Mike Leigh. K: Lindy Hemming. Tootsie (1982). R: Sydney Pollack. K: Ruth Morley. Traum (1990). R: Akira Kurosawa. K: Emi Wada. Über den Dächer von Nizza (1955). Regie: Alfred Hitchcock. Kostüme: Edith Head. Uhrwerk Orange (1971). R: Stanley Kubrick. K: Milena Canonero. Umrao Jaan (1981). R: Muzzafar Ali. Und ewig lockt das Weib (1956). R: Roger Vadim. Universal Soldier. The Return (1999). R: Mic Rodgers. K: Jennifer L. Bryan. Der Vater der Braut (1950). R: Vincente Minnelli. K: Walter Plunkett/Helen Rose. Veer und Zaara (2004). R: Yash Chopra. K: Karan Johar, Manish Malhotra/Mandira Shukla. Vertigo (1958). R: Alfred Hitchcock. K: Edith Head. Vidocq (2001). R: Pitof. K: Carine Sarfati View from the Top /Flight Girls (2003). R: Bruno Barreto. K: Mary Zophres. Viva Maria (1965). R: Louis Malle. K: Pierre Cardin. (Die) Vögel (1963). R: Alfred Hitchcock. K: Edith Head. Vom Winde verweht (1939). R: Victor Fleming. K: Walter Plunkett. Von ganzem Herzen/Dil Se (1998). R: Mani Ratnam. K: Pia Benegal, Shabina Khan/Manish Malhotra/Vaishali Pachauri/ Sai. Yentl (1983). R: Barbara Streisand. K: Judy Moorcroft. Was bin ich für dich?/Hum Aapke Hain Koun (1994). R: Sooraj R. Barjathya. Wege zum Ruhm (1957). R: Stanley Kubrick. K: Ilse Dubois. Weiblich, ledig, jung sucht... (1992). R: Barbet Schroeder. K: Milena Canonero. West Side Story (1961). R: Robert Weise/Jerome Robbins. K: Irene Sharaff. Wie klaut man ein Million (1966). R: William Wyler. K: Hubert de Givenchy. Wiege der Sonne (1993). R: Philip Kaufman. K: Jacqueline West. Wilde Gedanken/Dangerous Minds (1995). R: John N. Smith. K: Bobbie Read. Wohin das Schicksal uns führt/Chalte, Chalte (2003). R: Aziz Mirza.
Zoolander (2001). R: Ben Stiller. K: David C. Robinson. Zubeida“ (2001). R: Shyam Benegal.
348 | MODE IM FILM Zulu (1964). R: Cy Endfield. Zwei Frauen (1989). R: Carl Schenkel. K: Uschi Zech.
Bildnachweis Alamode Film Abb. 55; AP Abb. 62; Australien Film Commission Abb. 4, 21; Buena Vista 26, 29; CB Film Abb. 38; Kinowelt Abb. 14, 65; Channel Four Abb. 42; Columbia TriStar Abb. 5, 11, 58; Delphi Abb. 36; Det Danske Filminstitut 60; France 2 Abb. 32, 66, 67; France 3 Abb. 8, 27, 51; Gaumont Abb. 41; Kaleidoscope Entertainment Abb. 20; Kinowelt Abb. 14, 61; La Sept Abb. 30; Metro-Goldwyn-Mayer 7, 23, 24, 37; Metropolitan Museum of Art, New York 34; MK2 Abb. 68; Paramount Abb. 2, 25, 46; Pathé Abb. 3, 9, 28; Phoenix Art Museum, Phoenix/Arizona 1; Privatbild 45; Telerama Abb. 19; Rapid Eye Movies Abb. 56; Tobis Abb. 64; Touchstone Abb. 13, 18; United Artists Abb. 12, 43; United International Abb. 52; Universal Abb. 6, 15, 22, 49; Twentieth Century Fox Abb. 16, 35, 40, 44, 48, 50, 53, 54, 63; Waka Abb. 59; Warner Bros Abb. 10, 17, 31, 33, 39, 47; Yash Raj Films Abb. 57.
Film Daniel Devoucoux Mode im Film Zur Kulturanthropologie zweier Medien
Hedwig Wagner Die Prostituierte im Film Zum Verhältnis von Gender und Medium
November 2007, 350 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN: 978-3-89942-813-1
Juli 2007, 324 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-563-5
Katrin Oltmann Remake | Premake Hollywoods romantische Komödien und ihre Gender-Diskurse, 1930-1960
Sandra Strigl Traumreisende Eine narratologische Studie der Filme von Ingmar Bergman, André Téchiné und Julio Medem
November 2007, ca. 374 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN: 978-3-89942-700-4
Catrin Corell Der Holocaust als Herausforderung für den Film Formen des filmischen Umgangs mit der Shoah seit 1945. Eine Wirkungstypologie Dezember 2007, ca. 550 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 36,80 €, ISBN: 978-3-89942-719-6
Mai 2007, 236 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-659-5
Doris Agotai Architekturen in Zelluloid Der filmische Blick auf den Raum April 2007, 184 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-623-6
Daniel Winkler Transit Marseille Filmgeschichte einer Mittelmeermetropole
Klaus Kohlmann Der computeranimierte Spielfilm Forschungen zur Inszenierung und Klassifizierung des 3-D-Computer-Trickfilms
November 2007, 324 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-699-1
Februar 2007, 300 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-635-9
Nadja Sennewald Alien Gender Die Inszenierung von Geschlecht in ScienceFiction-Serien
Arno Meteling Monster Zu Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm
August 2007, 314 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-805-6
2006, 372 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-552-9
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Film Markus Fellner psycho movie Zur Konstruktion psychischer Störung im Spielfilm 2006, 424 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-471-3
Achim Geisenhanslüke, Christian Steltz (Hg.) Unfinished Business Quentin Tarantinos »Kill Bill« und die offenen Rechnungen der Kulturwissenschaften 2006, 188 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-437-9
Horst Fleig Wim Wenders Hermetische Filmsprache und Fortschreiben antiker Mythologie 2005, 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-385-3
F.T. Meyer Filme über sich selbst Strategien der Selbstreflexion im dokumentarischen Film 2005, 224 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-359-4
Volker Pantenburg Film als Theorie Bildforschung bei Harun Farocki und Jean-Luc Godard 2006, 324 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-440-9
Andreas Jahn-Sudmann Der Widerspenstigen Zähmung? Zur Politik der Repräsentation im gegenwärtigen US-amerikanischen Independent-Film 2006, 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-401-0
Joanna Barck, Petra Löffler (u.a.) Gesichter des Films 2005, 388 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-416-4
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